Alan Aldridge
Fungel Hüter des Waldes Verfasst mit Steve Boyett und illustriert zusammen mit Maxine Miller und Harry Wi...
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Alan Aldridge
Fungel Hüter des Waldes Verfasst mit Steve Boyett und illustriert zusammen mit Maxine Miller und Harry Willcock Aus dem Englischen von Sybil Gräfin Schönfeldt, Ulrike Becker und CIaus Varrelmann (OMNIBUS)
Gescannt vom Orkslayer
DER AUTOR Alan Aldridge, geboren 1944, schuf sich in der Zeit der Londoner »swinging sixties« einen Namen als äußerst produktiver und origineller Designer und arbeitete für die Beatles, die Rolling Stones, Pink Floyd, Cream und The Who. 1968 wurde er Berater der Beatles-Firma »Apple Corps((. Anfang der siebziger Jahre begann Aldridge mit der Arbeit an seinem ersten Kinderbuch, »Der Schmetterlingsball«, das ein großer internationaler Erfolg wurde. Weitere Bücher folgten. Daneben arbeitet er immer wieder für die Musikszene sowie für Film und Fernsehen. Seit 1981 lebt er in Los Angeles.
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Inhalt
Wanderer zwischen den Welten 3 Reise ohne Raum 26 Zwergeltung 29 Schwere Last 38 Überstürzte Flucht 48 Zurück in den Minen 58 In der Tabakkneipe 68 Das Land des Tausendrauchs 81 Knie in die Höh! 89 Mathemagie 99 Der Berg der Toten 103 Unheimliche Begegnungen 113
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Wanderer Zwischen zwei Welten Es gibt Orte auf Erden, die noch keines Menschen Fuß betrat. Nicht viele Orte und selbst diese werden weniger mit jedem Tag. Aber manche überdauern, weit verstreut und wie im tiefsten Sack der Erdkugel: verschlossene Schluchten und schwimmende Inseln, zugewucherter Urwaldboden und fruchtbare Täler im Kranze von Gletscherbergen. Dort sonnen sie sich in unvermuteter Abgeschiedenheit, einsam, aber nicht verlassen. Um die Erde kreisen Satelliten, abwärts gewandt fotografieren und zeichnen sie lautlos jeden Quadratmeter Wolke, Land und sogar Meeresboden auf, Gott gleiche Späher, deren kalte, schlaflose Augen tagtäglich Millionen von Fotos knipsen. Sie erblicken die Wälder, aber sie nehmen die Bäume nicht wahr. Auf dem südöstlichen Antlitz Nordamerikas ist eine freundliche Altersfalte auf der Landkarte der Menschen als Appalachen bekannt. Im äußeren Süden dieses Gebirgszuges strich Fungel, der Waldzwerg, am sanft ansteigenden Ufer eines klaren Talsees lautlos durch das üppige Unterholz. Es war der Tag der herbstlichen Tagundnachtgleiche, der einzige Tag, den sich Herbst und Sommer ehrlich teilen, und Fungel war zwischen den wild wuchernden rosigen und purpurroten Azaleen und Rhododendren unterwegs, bestimmte Kräuter und Pilze fürs Abendessen zu sammeln, zu dem er sich die wenigen Freunde eingeladen hatte, die ihm noch im Tal des lächelnden Wassers geblieben waren. Der Tag war unnatürlich heiß - ganz unvernünftig-unzeitgemäß, wie Fungel fand. Die Jahreszeiten schienen neuerdings außer Rand und Band geraten zu sein, die Sommer jedes neuen Jahres noch schwüler und drückender, die Winter noch kälter und länger. Der Kampf der grünen gegen die weiße Welt schien bis zu jeder Schneeschmelze erbitterter zu werden, sein langer und traumloser Winterschlaf in jedem Winter ein paar Tage länger zu währen, und wenn er erwachte, war sein dichtes Fell stumpf, und durch den Fettverlust in diesem vierteljährigen Schlaf schlotterte es ihm in immer ärgeren Falten am Leibe. An diesem heiteren Nachmittag fühlte sich Fungels glattes dunkles Fell in seinem selbst gewebten Anzug jedoch vor lauter Hitze wie eingesperrt, während er sich lautlos durch den dicken grünen Berglorbeer und das alles erstickende Filzkraut am Ufer schob. Das lautlose Verschmelzen war ihm schon seit langem zur Gewohnheit geworden. So wie er schützende Sprüche sang, wenn er sein Heim verließ oder zu Bett ging, so war ihm das leise Schreiten in einer Welt, die sich rascher verwandelte als er selbst, zum festen Bestandteil seines Alltags geworden. Was ist nur mit der Erde los?, fragte sich Fungel oft, wenn die Jahreszeiten Kopfstand machten und sich immer toller austobten, ehe sie die nächste an die Reihe ließen. Na ja, philosophierte er, während er am Ufer entlang zu einer ganz bestimmten Pflanze weitertrottete, die, wie er wusste, hier ganz in der Nähe wuchs, hast du mit dem Wetter was, wirst du, wett ich, selber nass. Er blieb vor einem dicken, fetten Rohrkolben stehen, der sich vor ihm neigte, und er kniete sich nieder, um ihn genau zu untersuchen. Die gedrungenen Finger seiner Hand mit derartig dunklen und harten Nägeln, dass sie eher Krallen glichen, fuhren über den Pelz des Kolbens, und dann beschnupperte und beschnüffelte er ihn mit seiner Borstenschnauze und überlegte, wie er die zarten Stängel kochen wollte: in Ringe geschnitten und in einer Spur Walnussöl sautiert oder mit ein paar Holzäpfeln geschmort - um jeden seiner wenigen Freunde zu beeindrucken, musste es etwas Besonderes sein. Fungel schloss die Augen und spürte den Geist des Rohrkolbens an seinen Lippen. Sein Gemüt füllte sich mit der Wärme des Rohrkolbenlebens, hier in der Sonne mit Wachsen verbracht und mit dem Drängen der Wurzeln in der kühlen Erde, mit dem Saugen des Saftes, der nach des Mondes Zauber stieg und schwoll, und mit dem Ausatmen der reinen Luft für alles Getier - ein Leben, das ein schlichtes Dasein war. »O Geist des Rohrkolbens«, summte er, »gönn mir deine Gegenwart und gewähr mir deine Hilfe, sodass du und ich uns vereinen.« Die Luft über dem Rohrkolben begann zu schimmern. Mein lieber Zauberer, erklang es freundlich in Fungels Kopf, was darf ich dir bieten? »Wenn's gestattet ist«, erwiderte Fungel, »ein paar von deinen Stangelchen, um meine Mohrrubensuppe aufzuputzen, denn ich habe heute gute Freunde aus nah und fern zum Abendessen ein geladen.« Die schimmernde Luft ließ ein lieblich lächelndes Antlitz erahnen. Dann füg's zu dem Fest, lieber Zwerg, zu dem ich gern das Meine dir gebe. »O Geist des Rohrkolbens, ich danke, dass du von deinem Über-fluss mir abgibst, und ich wünsche dir und den Deinen das Beste.« Fungels Hände zogen uralte Zeichen durch die Luft. Dann
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schnitt er sich rasch ein halbes Dutzend Kolben ab und fuhr in seiner Feinschmeckersuche fort. Während er sich die Schnauze mit einem pelzigen Kolben rieb, glitt er rasch und lautlos durch dichte Rhododendrondickichte und dachte dabei über den Appetit seiner zukünftigen Gäste nach. Er dachte an Ka, der immer so laut und poltrig zum Essen erschien - also Ka brauchte rohe, erdhafte Speise, Pilze mit ihrem Moder am Stiel und Regenwurmergezappel. Er war schließlich ein Gnom und kroch in der Erde herum - wer wollte ihm da seinen unterirdischen Geschmack vorwerfen? Fungel blieb vor einem Busch mit Heckenrosen stehen, die zart und fast schon verblüht waren. Und Emma, was mochte Emma schmecken? Schwer zu sagen, denn Emma Kluge war ein rauer Klotz, an dem man sich Splitter reißen konnte, wenn man nicht aufpasste. Sie war die letzte der Kluges in diesem Tal, so wie Fungel der letzte der Fuchswitze war. Und weil die seit Generationen währende Fehde zwischen den Kluges und den Fuchswitzen um die Vorherrschaft im Tal noch zu keinem Ende gekommen war, würde es keiner verlassen, so lange der andere noch blieb. Emma war nicht das erste Mal bei Fungel zum Essen eingeladen und sie hatte immer ihre unvergleichlichen Eichelbrote mitgebracht. Aber gekommen war sie eigentlich nur, weil sie Fungels Vater Wuschel so zärtlich liebte und den wahren Schatz seiner Geschichten aus den alten Zeiten, bevor die Europaonier angefangen hatten, Americka zu überwuchern. Fungel rief sich wieder in Erinnerung, wie zierlich und manierlich Emma zu essen pflegte, was für winzige, würzige Häppchen sie nahm, am liebsten Grünzeug, Tunken und knusprige Süßig keiten, die auf der Zunge zerschmolzen, sodass sie überlegen musste, ob sie überhaupt etwas geschluckt hatte. Fungel lächelte, während er den samtigen Duft der Heckenrosen einsog. Also: schon verrückt, bei Emma an so etwas wie zierlich zu denken! Er zog sich von den Rosen zurück, die schon dem Winter entgegenwelkten, und schaute sie voller Strenge an: »Was gibt's denn da zu lachen, etwa über mich, he?«, fragte er. »Ich stelle ein Essen zu sammen und das braucht seine Zeit, und ich wäre euch wirklich verbunden, wenn ihr euch nur um eure Angelegenheiten kummert und nicht um meine.« Aber er lächelte dabei und segnete die Rosen und stellte sich so, dass sein Schatten von ihnen wich und sie das letzte warme Licht des schwindenden Tages trinken konnten. Fungel hielt sich im breiten Schattensaum unter den Trauerweiden, die über das Seeufer hingen, und drang dann tiefer ein in das dichte Laubwerk der Wälder. So heiß und hell der Tag auch sein mochte, im Walde gab es Stellen, die die Sonne niemals traf. Unter denn Dach der mächtigen Aste von Eiche und Kastanie, Lorbeer und Fichte, zu hohen Gewölben verschränkt, beherbergte die feuchte, dunkle Erde des tiefen Waldes allerlei Leben, das nur im Schatten heimisch war und nur in Schlamm und Moder Wurzeln schlug. Die Luft dieses dunklen, fruchtbaren Ortes besaß ihren eigenen Geruch: ein schwüler Duft von Jelängerjelieber und wilden Winden, beschwert von einer Mischung des schwarzen, zerfallenden feuchten Laubes. Und genau hierher strebte Fungel, um nach ganz besonderen Zutaten zu suchen: machtvolle Kräuter als Gift und Gewürz, heilkräftige Borken und Wurzeln für die Wunden des Leibes und der Seele, Tau, aus Blütenglocken gesammelt, im Nachtdämmer und auf der Spur des vollen Mondes, Tau, den die Erdleute in ihrer uralten Sprache »Tränen der Sterne« nennen. Aber das Allerbeste breitete sich wie eine Stadt aus Sonnenschirmen in einem winzigen Tal zwischen den Wurzeln der Bäume aus - Pilze, reglos in Ringen wie Modelle von den Monumenten von Fungels Ahnen, vor Aonen erbaut und längst versunken. Einige hatten Kappen wie große braune Untertassen auf fleischigen Lamellen, andere waren rot gefleckt und sahen richtig kunstlich aus, mit Häuten, die wie Quallen in der Tiefsee leuchteten. »Dunnerblomster!«, murmelte Fungel befriedigt. Er ließ sich zwischen den Pilzen auf die Knie nieder und nahm den Rucksack ab. Ihm war dieser geheime Garten mit Zauberpflanzen, die aus dem Moder brachen, ein heiliger Ort. Die Pilze leuchteten schwach in der Dämmerung, begleitet vom Zirpen der Grillen und dem Quaken der Frösche. Wenn er es nicht schon gewusst hätte, wäre es Fungel schwer gefallen zu sagen, ob es Tag war oder Nacht, so dicht wölbte sich das Blätterdach über seiner spitzen grünen Mütze (die Fungel wie alle Zwerge deshalb trug, weil er glaubte, dass sie seinen Geist direkt und dicht in den Kosmos trichterte). Auf den Knien also, mit kerzengeradem Rücken, die dicken Hände auf den gedrungenen Hüften, den Rucksack zur Seite, nahm Fungel das ganze Wachsen und Werden um sich herum wahr, ein Spiegel des sprießenden Lebens. In seinen Schnurrbarthaaren knisterte die Kraft, die die Luft in diesem abgeschlossenen, dumpfigen Dom erfüllte, schwer vom schimmligen Geruch des Welkens und Vergehens. Nach zehn tiefen Atemzügen berührte er die Wunschfeder an seiner Mütze und sprach dann: »O Geist der Pilze, gönn mir deine Gegenwart und gewähr mir eine Gnade.« In der Mitte des Pilzringes schwoll die Luft zu einer Säule und wogte und wallte hin und her. Pilze sind merkwürdige Kreaturen, ihrer Natur nach eigenartig und fremd in Form und Seele, und die sanfte
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Gegenwart, die er auf der dunklen Lichtung verspürte, ließ merkwürdige Bilder entstehen: Mondlicht, ein Geruch von Stärke, Wonne am Verfall. Der Geist schwieg. Daran war Fungel gewöhnt, doch er fühlte seine Zustimmung, und als er die Pilze, die er haben wollte, zu ernten begann, sprach er über jeden einen Segensspruch, ehe er ihn aus der Erde drehte. Die Giftigen ließ er für die Schildkröten zurück, die sie überaus schätzten. Als Fungel auf seinem Heimweg den Schutz des Waldes verließ, sah er, dass die Sonne gerade die Zacken der Berge berührte, und er setzte seinen prall gefüllten Rucksack ab, um seine liebste Tageszeit zu genießen, wenn sich nämlich das Auge des Sonnenunterganges schließt, um die Geister des Zwielichts zu entlassen, die nur in diesem flüchtigen Augenblick leben, der Tag und Nacht verbindet. Ringsherum spürte Fungel den Wechsel des Lichtes, den sanften Zauber der Sonne, der das Land verwandelte. Ihre Strahlen zerschellten am Bergesrand und streuten die Goldsplitter auf be bende Blätter, tauchten graue Felsen in goldenes Braun und ließen auf einem Eisvogel, der im Fluss plantschte, Quecksilber aufblitzen. Fungel schloss die Augen und konnte dennoch die sinkende Sonne sehen, spürte sie dort draußen brennen, unbeschreiblich weit entfernt; fühlte das Land, auf dem er stand, um sich herum schwingen, spürte die Drehung der Erde unter seinen beschuhten Füßen. Jahreszeiten und Räder, dachte er, alles beruht auf dem Rad, folgt dem Dreh. Sterne und Planeten, Geburt und Leben und Tod. Er lächelte. Auch der Löffel, mit dem ich in meiner Suppe rühre. Er spürte eine widerstrebende Störung in der Luft, schwach, aber scharf, wie die kleinen Wellen, die eine plötzliche Böe auf den See bläst. Er spürte ein Prickeln in seinem Daumen, sah Mücken, die sich über der ebenholzdunklen Fläche des Sees zu tanzenden Wolken sammelten, und dachte: Sehr merkwürdig. Regen zur Nacht, wenn ich mich nicht irre. Mach mich lieber auf die Socken. Hoch oben im Blauen war etwas wie eine Wolke, aber so gerade wie ein mit einem Lineal gezogener Strich und von der untergehenden Sonne vergoldet. Während Fungel diese Erscheinung noch mit schärferen Sinnen als den Augen verfolgte, wurde sie immer länger. Fungel spürte das schneidende Ding aus Metall, das den Strich am Himmel zog. Er spürte auch die schweigenden Dinge, die sich hoch oben im Himmel drehten und auf ihn hinabblickten. Sie waren Teil einer anderen Welt, die ihn erst vor kurzem zu beschäftigen begonnen hatte, aber er spürte ihre Gegenwart genauso, wie er die Bewegung eines Grillenbeines kannte oder das Kriechen der Würmer im Lehm, wie er wusste, dass die Bäume Licht trinken und dass sie langsam und geduldig wachsen. Fungel verspürte ein merkwürdiges Flattern in seinem Inneren, den Flügelschlag von etwas, das gleichzeitig beruhigend und Besorgnis erregend war. Da bahnt sich ein Wandel an, dachte er. Viele Wege berühren und trennen sich heute und hier. Und deshalb war er schließlich da. Die Sonne sank hinter den Bergen. Fungel schlug die Augen auf. An diesem Tag, an dem sich die Jahreszeiten berührten, verfolgte er, wie der Tag in die Nacht verblutete, und dachte: Gut getroffen. Die Wolken über ihm veränderten die Farbe: von Gold Über Gelb zu Orangefarben und Zimt, und zwischen jedem Hundert gab es immer tiefere Schattierungen. Je dunkler sie wurden, desto heftiger schien die folgende Farbe zu sein. War dies noch etwas, was sich geändert hatte? Fungel war sich nicht sicher, aber es kam ihm so vor, als ob die Sonnenuntergänge vor vierzig oder fünfzig Jahren nicht so blutrot gewesen wären, kein so düsteres Rotbraun und kein so glühendes Ziegelrot gehabt hätten. Er seufzte. Aber das kommt alles so allmählich, dass ich vielleicht Gespenster sehe. Die Wolken säumten sich langsam mit Grau. Fungel sprach einen Segensspruch über die scheidende Sonne und schulterte seinen Rucksack, der voll von Pilzen, Gräsern, Minze, Dill und Kamille war. Er schob die pelzigen Arme unter die kräftigen Riemen aus Weidenrinde, ging unter dem Gewicht des Rucksackes in die Knie und stieg ins Tal hinab. Die Schatten der Berge wurden lang und schnappten wie die Reißzähne eines Mauls nach ihm. Nach einem Dutzend Schritte blieb er stehen. Neben seinen Stiefeln glänzte etwas im Grase. Fungel bückte sich und hob es auf. Ein Zylinder aus dünn gehämmertem Metall lag da, weiß, mit einem Muster in Rot und Blau; an einem Ende hatte er ein Loch, das wie eine dicke Träne geformt war. Fungel hielt das Ding an die Nase und beschnupperte es. Igittigitt! So was wie Bier, aber scheußlich und scharf. Ein Menschending war das. Aber noch hatte kein Mensch seinen Fuß in Fungels Tal gesetzt - das hätte er sofort gespürt -, also musste es ein diebischer Zwerg oder anderes Kroppzeug verloren haben. Fungel hätte den Behälter am liebsten zerdrückt und mit Entschuldigungen und Segenssprüchen für die Erde verscharrt, die ihn umgeben und im Laufe der Jahrhunderte zersetzen würde, aber er
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wusste, dass sein Freund Ka solche Gegenstände sammelte - obgleich sich Fungel nicht erklären konnte, aus welchen Granden. Deshalb leerte er ihn vollständig, damit das grässliche Bier seine mit so viel Sorgfalt beschafften Zutaten nicht verdarb, stopfte das Ding dann in seinen Sack und stieg weiter zu Tal. Auf dem Weg nach Hause begegnete Fungel, der den Kopf noch voll von bitter-süßen Gedanken hatte, dem Rat der Waldleute. Eine Delegation bewegte sich auf Fungels Heim zu: Waldelfen, ein Zwölfender, ein Teufelchen, mehrere Karnickel, Heinzel und Nisse, Füchse und Wichtelmanner, ein hochmütiger Waschbär, ein halbes dutzend Zwerge, ein wohl erzogenes Stinktier, ein Rudel Trolle und ein Riese. Dieser, gewaltig und eindrucksvoll, war ein bekehrter Fleischfresser, und Fungel hatte ihn schon ein- oder zweimal flüchtig gesehen, wie er Kaninchen streichelte, fast ohne Reue. Eine Elster ließ sich auf seiner stämmigen Schulter nieder. Schon als er die Gruppe begrüßte, war Fungel die Bedeutung ihres Auftrages klar. Waldwesen wohnen in wortloser Gemeinschaft, einverstanden mit ihrer Rolle im großen Tanz von Leben und Tod, aber sie treten nur selten gemeinsam auf. Als sich Fungel ihnen näherte, blieben sie auf dem Weg stehen, und es entging dem Waldzwerg nicht, dass ihre Gesichter so ernsthaft waren wie die Gebetbücher der Menschen. »Einen Gruß jedem und allen an diesem schönen Abend«, sagte Fungel, »und was treibt euch mit einer so ernsten Miene zu meiner Tür?« Sie warfen sich unruhige Blicke zu. Fungel wartete geduldig, denn er begriff, dass sie ihn brauchten, und es fällt den meisten Geschöpfen schwer, einen Zauberer um etwas zu bitten. Nachdem sie nun genug Blicke gewechselt und auffordernde Geräusche von sich gegeben hatten, stellte sich heraus, dass einer der Zwerge zum Sprecher bestimmt worden war. Uniroyal, dachte Fungel, dem der Name des Zwerges wieder einfiel, komischer Name für ein Waldwesen. Dann erinnerte er sich, dass der Zwerg ein Flickschuster und Tüftler war, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, nächtliche Streifzüge in die Randgebiete des Landes No zu unternehmen und Gummireifen zu klauen, die er in seiner Werkstatt in Stücke schnitt und damit Schuhe besohlte. Sein Geschäft war zu einer Goldgrube geworden. Und wahrhaftig, überlegte sich Fungel, die einzigen Stiefelträger, die mit Uniroyal, dem Flickschuster, keine Geschäfte machten, waren die Waldzwerge. Als waschechte Traditionalisten hielten sie sich an gewachstes Leinen, um ihre Füße vor Dornen und Nesseln zu schützen, und pfiffen auf solch fortschrittliches Material. Der Zwerg hätte sich natürlich auch Michelin oder Goodyear nennen können, was auch stattliche Namen waren, und eine Zeit lang hatte Firestone einen gewissen Reiz auf ihn ausgeübt. Aber Uniroyal! Was für ein Klang, wie großartig! Uni heißt eins und dazu noch Royal! »Der königliche Eine« - wer konnte dem widerstehen? »Ahem, ahem«, machte der Zwerg und hob die knorrige Faust zum Munde, um sich höflich zu räuspern. »Guten Abend, Herr Fungel, edler Herr.« »Ich wünsche dir auch einen guten Abend, Meister Schuster.« Uniroyal schien diese unerwartete Ehrenanrede zu behagen. »Eh, also, wir alle - will sagen: Wir und die Leute aus der Umgebung, für die wir hier stehen, also wir sind nämlich wachsendem Druck und unerträglichem Mangel an Lebensqualität durch die zunehmende Expansion des Reiches der menschlichen Kreaturen ausgesetzt.« »Was er damit sagen will«, unterbrach ihn ein Elf, »die aus dem Lande No rücken uns zu dicht auf die Pelle.« Uniroyal nickte. »Und kein Tag vergeht«, fuhr er mit wachsendem Mute fort, »an dem nicht einer der Unsrigen aus seinem Heim vertrieben wird, ohne Kündigung oder Vorwarnung. Und wofür?«, fragte er aufgebracht. »Budicken«, sagte der Riese. »Fabricken«, verbesserte ein Troll. Das Stinktier schaute traurig zu Boden. »Mehr Hektar, als ich Haare habe - zu flachem, glattem Zeug gemacht, das man nicht pflügen und bepflanzen kann«, sagte Uniroyal, »und Flüsse, keinen Siebenmeilenstiefelschritt von hier entfernt, nichts als schlammige Pfützen, in denen mehr Müll treibt als Fische. Da kann man eher mit Bienen gurgeln als daraus noch trinken.« Der Hirsch ließ sein mächtiges Geweih sinken. »Auch dir werden sie auf die Pelle kriechen, Fungel«, sagte Uniroyal, »wart's nur ab. Zaubersprüche? Na schön, aber eines Tages wirste aufwachen, und mit einem Plumps sitzt eine von den Budickenfabricken mitten in deinem Tal, und dazu so ne breite laute Straße auf Säulen, eh du auch nur deinen Zauberstab gezückt hast.« Die Füchse schüttelten betrübt den Kopf. »Was zu viel ist, ist zu viel«, sagte ein Troll. Die anderen Tiere stimmten zu und machten ihrem Arger und ihren Ängsten Luft. Fungel ließ sie einen Augenblick gewähren, denn sie waren auch zu ihm gekommen, um ihm diesen Arger und seine
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Ursachen zu enthüllen, aber als solche Wörter wie Widerstand und Revolution und Wiedergutmachung ertönten, hob er die Hände und bat um Schweigen. »Meine eigene Familie«, sagte er, »hat vor solchen Machenschaften, wie ihr sie beschreibt, buchstäblich die Flucht ergriffen. Sie ist nach Westen gezogen, in die tiefen, dunklen Wälder.« »Na ja«, grollte der Riese, »wir sind nicht so gut gestellt wie ihr Waldzwerge.« In seinem Hass verriet sich wieder seine Kindheit als Fleischfresser. »Wir sitzen hier fest. Zeit und Raum - alles futsch.« Für einen Riesen war dies fast eine richtige Rede, denn die meisten Rie senUnterhaltungen sind so kurz und knallhart wie der Schlag mit einer Keule übern Schädel. Fungel runzelte die Stirn. »Der Schutz dieses Tales ist seit langem meine Aufgabe gewesen, und ich habe immer freudig meine Pflicht denjenigen gegenüber erfüllt, die darin leben.« »Ja, aber was ist mit der Welt?«, fragte ein Elf. »Das übersteigt ein wenig meine Fähigkeiten«, erwiderte er, »mein Abwehrzauber hat ihnen die Bagger zerstört, die Himmelsrichtungen durcheinander gebracht und die Spaten verbogen, und das hat uns eine Weile geholfen verborgen zu bleiben.« Er machte eine hilflose Geste. »Aber schon mein alter Herr und Meister hat mich gelehrt, dass es keinen Zauber auf der Welt gibt, um die Flut zu bannen. Und worüber ihr euch beklagt, das ist eine Flut, eine Menschenflut. Ich bin hier geblieben, während mich meine Familie verlassen hat, weil diesem Land meine Liebe gehört und weil es mein Lebenswerk ist. Aber über das hinaus, was ich bereits getan habe und was ich schon weiß, kann ich keine Lösungen bieten. Habt ihr nicht Molom angerufen und ihm von euren Sorgen erzählt?« Die Waldwesen warfen sich wieder Blicke zu. »Das haben wir natürlich«, entgegnete der Zwerg, »aber entweder schenkt uns Molom keine Beachtung oder wir können ihn nicht erreichen.« »Molom schenkt euch keine Beachtung?« Fungel war Überrascht. »Das hab ich noch nie gehört, dass er sich nicht um die Sorgen der Waldleute gekümmert hätte. « Der Zwerg zuckte die Schultern. »Wie auch immer, wir haben unsere eigene Lösung finden müssen.« »Die würde ich nun gern hören«, antwortete Fungel. »Du bist die Lösung«, sagte der Zwerg. Fungel war verwirrt. »Aber ich habe euch doch gerade gesagt -« Uniroyal zeigte mit dem Zeigefinger auf ihn. »Du, Fungel Fuchswitz, belesener Gnol und hochgebildeter Waldzwerg, Schamane und Hüter dieses Tals, du gehst mit Wörtern so flüssig um wie die Froschin mit ihrem Laich. Deshalb, viellieber und edler Herr, musst du unser Botschafter sein.« »Botschafter?« Fungel wusste nicht, ob ihm der Klang dieses Wortes gefiel. Aber Uniroyal nickte schon eifrig. »Unsretwegen musst du eine diplomatische Mission zum Lande No unterneh men und dich dort mit dem König der Menschen persönlich treffen. Du musst ihm sagen -« »König . . . der Menschen?« Fungel sah etwas grün aus. »Mich mit dem König der ... « »Ja, mit ihm treffen«, fuhr Uniroyal fort, »und ihm sagen, er soll nicht bei uns im Trüben fischen, dann tun wir es auch nicht.« Fungel schaute von einem finsteren Gesicht ins andere. »Aber, aber... wir Waldzwerge haben den Kontakt mit ihnen schon vor langem aufgegeben. Die Dunklen, die Cherokees, sind in diesen Bergen unsere Freunde gewesen - wir haben Friedenszei chen ausgetauscht -, bis die mondf arbenen Menschen sie nach Westen vertrieben und wir beschlossen haben uns zu verbergen. Sie wissen gar nicht, dass wir noch hier sind, und genau das gefällt mir.« »Das sind noch gute Zeiten gewesen«, seufzte ein Wichtel, »sie haben am Abend ein Schüsselchen Milch vor ihre Tür gestellt und wir haben ihnen rund um ihre Blockhütten das eine oder andere gerichtet.« »Und ich hab Mittagessen bekommen«, erinnerte sich ein Heinzelmann, »auch auf einem Teller, aber auf einem großen, neben dem Feuer. Ah, das hat gut geschmeckt. Und nur für ein paar ge flickte Stiefel und gespültes Geschirr. Das war, glaub ich, ein ganz guter Handel für beide Seiten.« »Aber Tatsache ist doch, dass sie nicht mehr an uns glauben«, wandte ein Elf ein, »ich kann mich nicht mehr dran erinnern, wann ein Menschenwesen das letzte Mal einen Elfen bei der Aussaat im Mondschein zu Hilfe gerufen hätte oder eine Fee wegen eines Wunsches.« Einer der Zwerge schüttelte betrübt den Kopf. »Wir haben immer Wickelkinder vertauscht, ihr wisst schon, Wechselbälger. Haben sie uns wupps aus der Wiege geschnappt und eins von unsern drin gelassen. Eine Art von Austauschpro gramm, könnte man sagen. Nur - die von heute taugen gar nichts mehr, machen nur Unfug und plappern von TV und Video und anderem Zeug. Also, die schmeißen wir gleich wieder zurück in ihre Betten, ohne Erinnerung an ihren Besuch bei uns. Wir wollen sowieso ganz damit aufhören.« »Aber wenn ihr bedenkt, weswegen ihr zu mir gekommen seid«, wandte Fungel ein, »dann find ich, ihr müsstet glücklich sein, dass keiner an euch glaubt. Wenn ich meinen Schädel in das Land No stecke und die da drüben höflich bitte, uns in Ruhe zu lassen, dann stoß ich sie ja erst mit der Nase auf uns! «
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Fungel sah aus ihren niedergeschlagenen Gesichtern die Hoffnung schwinden und spürte ihre Enttäuschung in sich selbst. »Das Problem ist wirklich da«, sagte er, um ihr Vertrauen wiederzugewinnen, »aber eure Lösung macht mich ganz kribbelig. Nicht meinetwegen«, setzte er hastig hinzu, »sondern wegen des Schicksals des Tales. Scheint mir am besten zu sein, wenn ich mir einen anderen und gescheiteren Weg zu unserer Sicherheit einfallen lasse. Und beim nächsten Vollmond werde ich mit Molom selber sprechen und ihn euretwegen um Hilfe bitten. Kommt also nach zwei Vollmonden wieder zu mir, dann werd ich euch alles sagen. Wir werden sehen, welcher meiner Vorschläge euch gefällt oder ob ihr dann immer noch möchtet, dass ich zum Lande No aufbreche - also, wir werden auf jeden Fall unsere Sorgen zusammenwerfen, und was wir dann entscheiden, das wird auch sicher ausgeführt. Ihr habt mein Wort, dass ich all mein Wissen und meine Weisheit darauf richten werde, diesen Knoten zu losen.« Uniroyal schaute auf seine großen Füße hinunter. »Na gut, Kameraden«, sagte er zu den anderen, »das muss reichen.« Sie nickten und schluckten Fungels Vorschlag, aber sie waren ganz offensichtlich enttäuscht, dass es nicht auf der Stelle eine Losung gab. Als sich die Delegation wieder abwandte, hob der Riese ein junges Karnickelchen auf und streichelte sein seidenweiches Fell mit seinen großen warzigen Fingern. »Eines Tages«, sagte er, »wird's keine Wälder mehr geben, in die du reinrennen kannst.« Und weg waren sie, wobei die Gummireifensohlen von Uniroyals Stiefeln laut und enttäuscht über den Boden schrappten. Auf dem restlichen Heimweg schwirrten Fungel allerlei wüste Vorstellungen durch den Kopf: eine riesige Luftbrücke, über die die Waldleute nach Westen flogen; machtvolle Zaubersprüche, die das ganze Tal unsichtbar machten; Verträge mit den menschlichen Wesen, die das Tal als Heiligen Grund auswiesen (Aber was ist mit der Welt, Fungel ?, hörte er wieder die Elfenstimme fragen) - doch all diese großartigen Entwürfe verblassten vor den letzten Worten des Riesen, Worte, die Fungel wütend, hilflos und traurig machten. Er war ihr Schamane und sie hatten Hilfe von ihm verlangt. Er durfte sie nicht im Stich lassen. Fungel griff sich eine Hand voll stachliger Buchenhütchen, die unter einer Buche verstreut lagen. Er pulte die Bucheckern heraus und aus ihnen die süßen Kerne, die er knabberte, während er bei den letzten Schritten über die Ereignisse des vergangenen Tages nachdachte. Heim - Heim kann für einen Waldzwerg vieles bedeuten. Da sie nach der Zerstörung ihres Heimatlandes über die ganze Erde verstreut wurden, lernten die Zwerge, viele Orte als Heim zu bezeichnen. Höhlen und Wälder und Wüstensand; Schächte und Grashütten und Bäume. Wo sie ihr Heim aufschlugen, dort entstanden die Sagen von den Kleinen Leuten, ob das nun die Heinzelmännchen in Deutschland waren oder die Leprechauns von Irland. In Hindustan sind sie die Buamanus, in Japan tragen sie den Namen Ainu, die Kleinen Leute von Hokkaido. Indien kennt sie als Silvestras, und in Ceylon sind sie Nittawo, das kleine verirrte Volk. Aber Zwerge sind sie alle miteinander. Auf einer Lichtung am Rande eines runden Sees malten Fungels Hände uralte Zeichen zu seinen Worten: »Hokuspokus in Gefahren, lös den Spruch des Unsichtbaren! « Plötzlich war Fungels kleines Boot aus Weidengeflecht zu sehen, das in seinem wasserdichten Uberzug wie eine große Walnussschale aussah. Das Boot war vor Fungels Lösespruch weder unsichtbar gewesen noch nicht vorhanden. Der Zauber, mit dem er es umgeben hatte, glich dem, mit dem er sein Haus schützte - glich genau genommen allen Abwehrsprüchen, die das ganze Tal beschützten. Sie alle wirkten dadurch, dass sie das Auge von dem Gegenstand, um den es ging, einfach ablenkten. Das kleine Boot war vorhanden; solange der Zauberspruch wirkte, konnte man es nur nicht ansehen. Fungel hatte erst mühsam gelernt, dass in Sachen Zauberei das Einfachste das Allerbeste ist. Fungel warf den schweren Rucksack ab und trat vorsichtig mitten in das Weidenboot. Er setzte sich so, dass er das Ufer sah, und begann zu der Insel zu paddeln, die, dicht mit Bäumen bestanden, mitten in dem runden See lag. Wenn man den See mit einem Auge verglich und die Insel mit seiner Iris, so war Fungels Heim die Pupille. Und von der Abgeschlossenheit dieses Ortes aus hielt Fungel Wacht über das Tal. Am Ufer der Insel zog er das Boot halb aus dem Wasser und schulterte den Rucksack. Seine Hände schrieben wieder Zeichen in die Luft, und er sang seinen Spruch, der den Schutz der Unsichtbarkeit wiederherstellte. Fungel schlug einen Pfad ein, der zum Herzen des Inselwaldes führte und den kein ungeübtes Auge hätte ausmachen können. Fungel näherte sich dem verwitterten Stumpf einer Eiche aus ur alter Zeit. Er ließ die Hand über den Stumpf gleiten und murmelte, bis er den Schutzbann unter den Händen
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weichen spürte. Er packte den Stumpf am einen Ende, stemmte ihn hoch und öffnete dabei ein Tor, hinter dem ein Gang hinunter in die Dunkelheit führte. Denn Fungels Haus war klug mit Unsichtbarkeit versehen, ein Iglu aus Stein, unter dem hohlen Stumpf in die Erde gebaut. Selbst ohne Zaubersprüche wäre es schwer auszumachen gewesen. Nicht nur die Eiche selbst ist ein Baum des Schutzes und der Kraft, auch jeder Granitblock seines Heimes war vor gut tausend Jahren von seinen Ahnen aus den höchsten Gebirgen herbeigeschafft worden und passte so haarscharf an seinen Nachbarn, dass man nicht einmal die feinste Klinge hätte dazwischenschieben können. Eintausendundachtzig Felsblöcke (für Fungel eine Zauberzahl, denn sie stellte den Mond und die Yin-Seite der Zwergennatur dar: Weisheit, Einfallskraft, die Gabe wahrzusagen und unmittelbare Erkenntnis), dick mit Moos und scheckiger Flechte überwuchert. Auf die Rückseite der geheimen Tür waren Sonnen geschnitzt und kunstvolle Gewinde und Spiralen, um das Gebäude darunter noch mehr zu beschützen. Fungel blieb einen Augenblick neben der Tür stehen und warf, eh er eintrat, einen letzten Blick in die Runde. Über ihm waren die schwärzlichen Wolken in Aufruhr. Fungel stellte befriedigt fest, dass seine Ankündigung des Regens erfüllt werden würde. Er liebte den Regen, schlief gerne bei seinem Trop fen und Prasseln ein und wurde in einer frisch gewaschenen Welt wieder wach. Aber seine Befriedigung wandelte sich rasch in Verstörung. Die Wolken ballten sich nicht für einen Regenguss zusammen, sie kochten wahrhaftig wie ein quellender Brei. Und sie schienen etwas zu suchen. Fungels Gesicht, noch eben im Glück des Feierabends, nahm einen besorgten Ausdruck an. Er spürte etwas in der grauen Schwere der Wolken, eine Absicht. Der Sturm, nahm er wahr, kam nicht aus dem Norden oder Suden oder Osten oder Westen, sondern aus allen vier Himmelsrichtungen gleichzeitig. Die wogenden Wolken rasten zu einer ge meinsamen Mitte, als ob ein Mahlstrom den Himmel entleerte. Doch trotz ihrer wilden Wirbel sahen sie so fest wie fliegende Wackersteine aus. Aus allen vier Himmelsrichtungen gleichzeitig! Das gefiel Fungel ganz und gar nicht. Trotzdem: Hast du mit dem Wetter was, wirst du, wett ich, selber nass. Was war also zu tun? Am besten hinein und Klappe zu. Hab schließlich Gäste und Vorbereitungen zu treffen. Über dem flüssigen Himmel des Sees flatterten Fledermäuse zwischen den Weiden wie die Fetzen eines alten Lappens. Fungel klappte die Tür zu. Hinter ihm grollte der erste Donner. Düfte und Dämpfe! Die ganze Luft ein delikates Durcheinander! Hätte nicht der Regen die verlockenden Schwaden aus Fungels Küche heruntergedrückt, so hätte man Fungels Heim in dieser Nacht trotz aller Abwehrzauber allein mit der Nase entdeckt. In der Küche hätte man denken können, der König der Zwerge selbst hätte sich zum Essen angesagt, so fuhrwerkte Fungel herum. Wie ein Feinschmeckerkoch und ein Zirkusjongleur zugleich saus te er herum, sammelte seine Gerätschaften zusammen, Töpfe und Schüsseln, hackte und würfelte, wiegte und hüpfte und zeigte sich als Meister der plötzlichen Eingebung. Wolln mal sehen, was soll es denn werden? Walnusssuppe oder Ringelblumenauflauf mit Kastaniengelee oder vielleicht alles beides? Und wie soll ich denn diese Rohrkolben machen? Dämpfen oder braten, kochen oder dünsten oder vielleicht mit Löwenzahnblättern schmoren? Ach, ich weiß schon: Ich mach mich einfach dran und schau zu, was meine Hände beschließen. Und Fungels Hände flatterten wie Vögel, die seinen runden stämmigen Körper umkreisten. Er hackte wilde Zwiebeln und knetete Teig (darf nicht vergessen, den Quittenhonig heiß zu machen, wenn das Küchelchen zum Tee gelingen soll!), eine Hand löffelte Saft in Saucen, die andere rührte um und führte den hölzernen Löffel zu gespitzten Lippen, die pusteten und probierten. Seine Stirne runzelte sich, als ob es um die wichtigsten Fragen der Welt und des Universums ginge. Nein, nein, mehr Meerrettich, um der Sauce Pfiff zu geben! Schon wirbelten seine Arme wieder ins Volle. Sein dickbäuchiger Tonofen war schwanger von frisch gebackenen Wohlgerüchen und einem süßen Hauch von Pinienzapfenasche. Um Fungels Haupt herum wurde die Luft dunstig, als ob sein rasender Verstand gewitterte. Und die ganze Zeit waren Fungel seine Gäste gegenwärtig. Sie waren das Sieb, durch das er jede Zutat seines Festmahls filterte. Ihre Vorlieben und ihr Widerwillen, der Gedanke an Gerüche, die ein zurückhaltendes Lächeln auf Emmas Gesicht zaubern oder Ka wegen eines nie gerochenen Aromas verwirren würden, das lenkte seine flinken Hände, während er klopfte und knetete und Schaum schlug und die Zutaten seines Festmahls zur Tagundnachtgleiche zum Lobe des Herbstes und der Ernte und zur Vorbereitung auf den langen kalten Winterschlaf mischte. Fungel hatte aber auch beschlossen, dass dies ein Abschiedsfest werden sollte.
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Abschied? Ja, und es war ein trauriges Lebewohl, denn Fungel liebte sein Heim am See. Das Auge, das über das Land blickte, war ein Spiegel seiner Seele. Er hatte hier seit seiner Kindheit gewohnt, mit seinem Bruder Fifferling und Mama und Papa und so vielen anderen Zwergenf amilien und Sippen, dass es ganz unwahrscheinlich schien, dass er und Emma, alle beide gleich dickköpfig, die letzten beiden Waldzwerge im ganzen Tale waren. Dieses Land war Fungels Tagebuch: An diesem Felsen hatte er sich den Schädel blutig geschlagen und war heim zu seiner Mutter gelaufen. Eine ferne Erinnerung nur noch an tröstende Hände und eine heitere Stimme. Auf jener Lichtung hatten sich die Sippen an jedem ersten Mai getroffen und Markt gehalten, und auf derselben Lichtung hatte ein neu ernannter Schamane namens Fungel Fuchswitz ziemlich nervös die Hochzeitszeremonie für seinen ebenso nervösen Bruder Fifferling mit einer hold errötenden Belinda Brombeere vollzogen mit der armen, verlorenen Belinda. Dieser Alte Weidenkopf grünte weise und mit starkem Herzen über dem Grab von Willi Wetterborke, Fungels Lehrer, und der letzte wahre Schamane der Fuchswitze, der plötzlich an einer Vergiftung dahingeschieden war, lang bevor sein Lehrling, noch im Flegelalter, bereit gewesen wäre, ihm den Stab aus der Hand zu nehmen. Der Alte Weidenkopf war dort gewachsen, weil in jedes Waldzwergengrab ein Weidensamen gelegt wird, und in diesem ganzen behüteten Inseltal kannte Fungel jeden Einzelnen beim Namen, kannte sein Rauschen und Knarren und jede Wurzelfaser - lebendige Zeichen vergangener Leben. Noch weitere Blätter aus Fungels Tagebuch hatten sich im ganzen Tal verstreut: der weit ausladende Kastanienbaum, unter dem Fungel in geliehenen, stibitzten und erbettelten Büchern gelesen und studiert hatte, um etwas vom vergessenen Wissen der Altvorderen zuruckzugewinnen; oder ein versengter Rasenfleck, wo ihm vor vielen, vielen Jahren die erste Beschwörung missglückte. Fungel liebte dies lebendige Tagebuch seines ganzen Lebens, aber noch mehr liebte er seine Freunde und Familienangehörigen, und als ihm klar geworden war, dass die gierigen Fangarme des unersättlichen Landes No nicht nur die Ränder ihres so teuren Tales berührten, sondern dass sie es unausweichlich überziehen und schließlich ersticken würden, begann er darüber nachzudenken, das Land zu verlassen, das die Waldzwerge seit unzähligen Generationen das ihrige genannt hatten. In den letzten Jahren hatten andere, mehr zur Vorsicht neigende Zwerge sich von ihren Wurzeln getrennt und waren nach Westen gezogen, einschließlich seiner nächsten Verwandten. Fungel war der letzte der FuchswitzFamilie. Sein Vater Wuschel, sein Bruder Fifferling, seine Nichte und sein Neffe, Quittegelb und Erbsengrun - sie alle waren zu anderen Zwergen gezogen, die schon vor ihnen geflohen waren. Fungel hatte sie vor ihrem Aufbruch zum Mount Shasta gesegnet und die Hoffnung ausgesprochen, dass ihre Befürchtungen grundlos seien. Viele Jahrzehnte hatte Fungel damit zugebracht, eine Ahnung vom Land und seinen Gerüchen und Geschmäckern, von Licht, Laut und Bewegung zu bekommen. Das Huschen der Feldmäuse und die Zufriedenheit der Baumgeister waren ebenso ein Teil von ihm geworden wie die Schwielen und Wülste auf seinen stumpfen Fingerspitzen, und jedes zusammengeknüllte Stück Einwickelpapier, jede leere Geschosshülse und jede Zigarettenkippe, die er entdeckte, bestätigten die bittere Wahrheit, dass auch er eines Tages Abschied nehmen musste. Und jetzt konnte er noch nicht einmal einen Sonnenuntergang ohne solchen Sorgenmüll betrachten, der ihm die Freude dämpfte! Vielleicht hatte sein Bruder doch Recht gehabt. Die Nacht vorm Aufbruch seiner Verwandten war ein zugleich trübseliges wie freudiges Ereignis gewesen, tränenreich und beschwingt von Gelächter, rauschender Musik und einem Chor von Abschiedsgrüßen. Fungel hatte das Fest der Abreise so ähnlich vorbereitet wie das, mit dem er heute Abend alle Hände voll zu tun hatte. Damals hatte er Emma Kluge gebeten, ihm dabei zu helfen, die große Menge an Nahrungsmitteln angemessen zu versorgen und zu verarbeiten und ihm vor allem beizustehen, einen heiteren, wohlgemuten Ton zu finden, der der Familie in Erinnerung bleiben würde, wenn sie in der kommenden Nacht in ihren lautlosen Lunavögeln nach Westen aufbrechen würden. Emma war Fungels nächste Nachbarin - wobei sich das »nächste« auf die Entfernung bezieht und nicht auf die Verwandtschaft. Sie wohnte ein dutzend Siebenmeilenschritte entfernt in einem wirklich makellosen und sehr Raum sparend entworfenen Haus, das nicht im Geringsten mehr an die dumpfe, feuchte Schlucht erinnerte, die es einmal gewesen war. Der Rest des Kluge-Clans hatte die uralte Fehde mit den Fuchswitzen wegen der Fürsorge für das Tal aufgegeben und war auch nach Westen gezogen. Ein schrecklicher Verlust hatte sie schließlich dazu bewogen, die Auseinandersetzung zu beenden: Der jüngste der Kluges, Emmas kleiner Bruder Kratzer, hatte sich über die Schutzsprüche hinausgewagt, die das Tal umschlossen. Das hatten schon viele Kinder der Zwerge versucht, denn die Verlockung war so groß, dass man ihr erliegen musste. Aber Kratzer hatte sich allein hinausgewagt und gleich jenseits des Schutzbannes war er in einen verrosteten Nagel getreten. Innerhalb eines Tages hatte sein Fuß eine schlimme Farbe angenommen und zwei Tage später war er gestorben. Die
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Kluges beriefen ein Sippentreffen ein, bei dem beschlossen wurde, dass es nun reichte. Sie wollten das Tal den Fuchswitzen überlassen und sich selbst einen Ort suchen, an dem sie in Sicherheit leben konnten. Nur Emma, stolz und störrisch, hatte sich geweigert mitzugehen. Trotz dieser ganzen unerfreulichen Geschichte hatte Emma Fungels Vater herzlich geliebt und jahrelang süße Kuchelchen und Eichelbrot für eine von Wuschels berühmten Warum-Geschichten gebacken. Emmas Lieblingsgeschichte hieß: »Warum die Kröte Flecken kriegt« und sofort danach kam: »Warum die Schnecken Häuser tragen«. Jenes Essen war ein Fest und ein Vollbauchmahl für die Fuchswitzfamilie gewesen, und danach hatte Fungel in seinem schnuckeligen Wohnzimmer bei der gemütlich gedämpften Glut des Flackerfeuers manches muntere Lied auf seiner Mandolaute zupfen müssen, um ihr träges Blut und ihre Verdauung wieder in Schwung zu bringen. In einem gepolsterten Lehnsessel, der so uppig poliert war, dass das Holz im Kaminfeuer wie dicker Sirup glänzte, saß Fifferling. Er hatte sich einen Stock aus Rohrkolben an den Unterarm gehängt, trat mit dem einzigen Fuß den Takt und klapperte mit Löffeln, die er sich zwischen die Finger geklemmt hatte, dagegen. Emma klatschte eine zweite Stimme dazu, achtete aber genau und kritisch auf Fungels Spiel. Fungel spürte ihre Aufmerksamkeit ganz genau, und er ließ seine Melodie ungestüm und kunstvoll verschränkt erklingen - genau genommen eine Gigue. Wenn er in seine Schöpfung nicht so versunken gewesen wäre, hätte er sie sicher getanzt. Doch die Finger seiner Linken flogen wie flatternde Pirole über das Griffbrett, während die seiner Rechten wie Männer in einem Wettrennen auf einem treibenden Baumstamm über die Saiten rasten. Es war ein Wunder, dass die verwitterte alte Mandolaute unter der Flut der Töne nicht einfach barst und in Stücke sprang. Quittegelb und Erbsengrün, Fungels Nichte und Neffe, schlugen vor den erwachsenen Waldzwergen ihre Kapriolen. Sie wirbelten herum und verbeugten sich und knicksten und ließen sich vom Gewebe der Töne einhüllen, die unter Fungels Händen der Mandolaute entsprangen. Erbsengrün trug eine lächerliche Menschenkappe, die ihm zu groß war und deshalb aussah, als schmelze sie auf seinem Schädel. Sie bestand ganz und gar aus blauem Stoff, einem halbmondförmigem Schirm und einem harten Knopf obendrauf. Der junge Waldzwerg hatte gesehen, wie sie Morchel, dem Moosmann, eines Abends aus einer Schachtel gerutscht war, als Morchel aus der Tür der Tabakkneipe herausgetaumelt kam. Das war für die Kinder ein streng verbotener Platz. Erbsengrün war jedoch fest davon überzeugt, dass der geheimnisvolle Moosmann sie im Lande No erobert hatte, während einer seiner sagenhaft gefährlichen und verstohlenen Raubzüge in das Land des Tausendrauchs, und welcher Zwerg hätte ihm etwas anderes erzählen können. »Ich schwör dir, der Hut hat einem Menschenzauberer gehört«, pflegte Erbsengrün zu behaupten und auf die Zauberrune zu zeigen, die vorne befestigt war. Für Erbsengrün war diese Kappe ein so gefährlich menschliches Ding, dass es für ihn schon ein Zeichen von trotzigem Aufruhr war, wenn er sie sich auf den Schädel setzte. Weil Erbsengrün selber trotzig war, ließ er sich kaum ohne diese Kappe sehen, obgleich er dafür ziemlich viel Spott erntete. Fungel konnte sich noch daran erinnern, wie er seinem Neffen einstmals angeboten hatte, ein Heilmittel aus Lavendel und Rosmarin zu brauen, das das Nachwachsen von Körperfell förderte, denn dass er immer diese Kappe trug, konnte sich Fungel nur damit erklären, dass Erbsengrün vorzeitig glatzköpfig geworden war. Fungel nun vergaß bald Emmas Blicke, die auf ihm ruhten. Träumerisch in sein Spiel versunken, fühlte sich Fungel als Teil der musikalischen Unterhaltung mit den Geistern der Bäume, aus deren Holz seine feine Mandolaute entstanden war. Kiefer und Eiche waren sorgsam geschnitten, gerundet und zusammengefügt worden, aus Brettern von Bäumen, die Fungel selber ausgewählt und mit einem Segensspruch versehen hatte, be vor er sie verwendete. Wenn er spielte, fühlte er oft das Wesen jener Bäume, hörte sie mitsingen in einer Melodie von absteigenden Wurzeln und aufstrebendem Laubwerk - Musik der Erde und des Himmels. Bald darauf fühlte er, wie die Musik seine Hände lenkte - denn manchmal entstand sie so und nicht anders -, und zwar zu einem Abschluss hin. Und während er sich in einem lustvollen Tempo wiegte, packte er schließlich den Hals der Mandolaute mit der Linken und schlug mit der Rechten vier rauschende Akkorde, die die anderen zum Schweigen brachten. Mit offenem Munde lauschten sie den unverhüllten Leidenschaften, von der die Töne kündeten - alle, außer Erbsengrün. Er hatte einen Topf vom Haken an der Kette über Fungels Herd genommen, tanzte um ihn herum und schlug ihn wie ein Wilder. Als die letzten Töne von Fungels Schlussakkord an die Mauern geprallt und im Flammengeknister erstorben waren, hampelte Erbsengrün in seiner albernen Menschenkappe ungerührt weiter herum und trommelte einen Rhythmus, der weit von dem in Fungels Musik entfernt war. Mit fest geschlossenen Augen trommelte und wiegte er sich hin und her. »Erbsengrün«, sagte Fifferling von seinem Sessel aus mit milder Stimme.
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Bumm, bumm-bumm, peng, trommelten Erbsengruns Hände. »Noch unter dem Zauber meines Spiels«, bemerkte Fungel und lächelte. »Unter einem Zauber, ja, Bruder«, entgegnete Fifferling, »aber die Musik stammt nicht von dir Erbsengrün! « Erbsengrün riss die Augen auf. Seine Hand erstarrte mitten im Schwung zum Topfe, den er umklammert hielt. Er schaute im Zimmer umher und schien, als er plötzlich wieder zu sich kam, zu schrumpfen. Emma versteckte ihr Lächeln hinter der Hand, aber es funkelte noch in ihren strahlenden Augen. Wuschel schüttelte den Kopf und schnalzte wissend. »Bringen wir's hinter uns«, sagte Fifferling. »Hinter uns bringen?«, fragte Erbsengrün mit Unschuldsmiene. »Was hinter uns bringen?« »Erbsengrün!« Fifferlings Gesicht, sonst trotz aller Sorgen und Mühsal stets zu einem Lächeln bereit, blieb ernst und streng. Fungel umarmte seine Mandolaute. Erbsengrün ließ den Kopf sinken, bis man unter dem Halbmondschirm und dem gestickten Hexenzeichen auf seiner Menschenkappe nichts mehr von seinem Antlitz sehen konnte. Lang sam stellte er Fungels Topf wieder auf den Boden und hob eine Hand an sein Ohr. Da heraus zog er einen merkwürdigen Gegenstand, eine Art Fingerhut, fleischfarben und mit einer Schnur, die sich in seinem Kittel verlor. Quittegelb stand neben ihrem Bruder, ebenfalls mit gesenktem Kopf und nervös verschränkten Fingern. Erbsengrün zog an der Schnur, bis ein Kasten zum Vorschein kam. Dieser bestand aus einem Material, das nicht in ihrem Tal zu finden war. Es war ein schlichtes schwarzes, scharfkantiges Ding und hatte überall Ecken und Knöpfe. Erbsengrün hielt es einen Augenblick in die Höhe, nur widerwillig bereit, sich von dem Ding zu trennen, dann drückte er es seinem Vater in die ausgestreckte Hand. Das Feuer schien über Erbsengruns Verlegenheit zu kichern. Als er den Gegenstand in seiner knorrigen Hand hielt, senkte sich Trauer auf Fifferlings Miene. Zum ersten Mal nahm Fungel die tiefe Erschöpfung seines Bruders wahr und die Spur der Jahre, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete. Fifferling war jünger als Fungel, wirkte aber weitaus älter. »Ich nehme an, das hast du von diesem Taugenichts von einem Gnom«, sagte Fifferling. »Ka ist kein Taugenichts«, widersprach Erbsengrün sanft. »Nein, nicht gänzlich«, stimmte sein Vater zu, »aber er ist ein Gnom und kein Waldzwerg, und was für ihn taugt, ist nicht immer für unsere Kinder geeignet, deren Eltern sie lieber redlich und ehrlich nach unserer Art aufwachsen sehen möchten und nicht -«, er hielt den Kasten hoch, von dem der Fingerhut an seiner Kordel baumelte, »als Abklatsch der Menschenwesen.« Er klopfte auf seinen linken Oberschenkel, der wie abgeschnitten über dem Knie endete. »Oder hast du ganz und gar vergessen, wie dein Vater die Gesellschaft seines Beines verlor, nur weil er sich im Lauf der Jahre daran gewöhnt hat?« Erbsengrün schüttelte den Kopf und machte ein beschämtes Gesicht. Genauso wenig hatte Fungel jene Nacht vergessen, als Belinda, Fifferlings heiß geliebte Frau, an Fungels Haustür gebum mert hatte, Fiff erling halb tot an sie gelehnt. Sein Bein war schwer verletzt gewesen, der Stumpf mit einem durchgebluteten Verband umwickelt. Obgleich er viele Kuren und Heilmittel kannte, war Fungel kein Arzt. Aber der beste Heiler unter den Zwergen, Chicoree Langpelz, war schon vor Jahren mit der gesamten Langpelzfamilie nach Westen geflohen, nachdem ein einziges Flugzeug tief über das Tal geflogen war - mochte ihm Fungel auch noch so sehr versichern, dass die Schutzsprüche auch nach oben wirkten. Weil Fungel nun der einzige Schamane des Tales war, wenn auch ein unvollkommener, wurden die Schwerkranken und die Schwerverletzten auf direktem Wege zu ihm gebracht. In schrecklicher Eile hatte Fungel damals Heiltränke und Salben für seinen Bruder zubereitet und sich geweigert zu schlafen oder zu ruhen, bis er sicher sein konnte, dass Fifferling den nächsten Morgen erleben würde. Als er schließlich alles getan hatte, was in seinen Kräften stand, und als Fifferling in tiefem Schlaf in Fungels Bett lag, gönnte sich Fungel den Luxus nachzufragen, was geschehen war. »Er hat auf der Metallstraße gestanden, das war's, Fungel«, sagte Belinda und pustete den Dampf von einem Beruhigungstee, den Fungel "r sie aufgegossen hatte. »Sie läuft am Fuß des Gebir ges entlang, zwei Metallstraßen, mit Planken aneinander gehämmert.« »Die kenne ich«, hatte Fungel gesagt, »und jede zweite Nacht kreischt dort ein Ungeheuer aus Eisen vorbei.« »Ja, und heute Nacht ist es deinem armen Bruder übers Bein geraten. « Belindas Augen hatten sich beim Erzählen verdunkelt. »Er ist dort unten gewesen, neugierig, und hat sich umgeschaut«, fuhr sie fort, »du weißt ja, wie er ist.« Das wusste Fungel ganz genau. In jener Zeit war Fifferling von allen Gegenständen der Menschen wie besessen. Er sammelte ihre Gerätschaften und Kästen und brachte sie wieder in Gang (ob gleich ihm der Zweck ihrer Funktion oft ein Geheimnis blieb), und ihre festen Handwerkszeuge benutzte er,
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um für andere Zwergensachen herzustellen. Er war sehr geschickt - ein Tüftler, wie die Waldzwerge solche Leute nannten -, und die Eisenbahngleise stellten eine dauernde Verlockung für ihn dar, weil er neben ihnen nämlich vielerlei Menschenkram finden konnte, der aus dem das Land No durchquerenden kreischenden Metallschiff auf Rädern stammte. Fungel hatte es schon längst aufgegeben, Fifferling zu bitten, sich nicht mehr dorthin zu begeben. Und jetzt das! »Sein Fuß war zwischen den Planken festgeklemmt«, fuhr Belinda fort, »und er hat dran gerissen, und ich hab gezogen, aber er war nicht rauszukriegen. O Fungel, es war, als ob sie ihn haben wollte, die Straße selbst! Das Eisen hat unter seinen Füßen zu singen begonnen, und wir konnten hören, wie es von weit, weit entfernt herankam. Sein Knöchel war verdreht, und er hat gezappelt wie ein gefangenes Karnickel, und dann kam das Ding da angebraust, mitten in dem heißen Atemdampf, wie von einem bösen Zauber beschworen, und... und ... « Fungel hatte sie umarmt und ihr Fell gestreichelt. »Ist schon gut«, hatte er ihr beruhigend gesagt, »Fifferling wird wieder gesund werden.« Belinda war nun schon sieben Jahre tot, niedergestreckt von der Kugel eines Bärenjägers. Er betrachtete den verheilten Stumpf am Bein seines Bruders. Während sich der betrübte Waldzwerg in seinen dick gepolsterten Sessel sinken ließ und immer noch das beschlagnahmte menschliche Musikgerät in der Hand hielt, dachte Fungel wieder an jene Nacht, in der sich die Besessenheit seines Bruders gewandelt hatte. Fungel kannte die geheime Furcht in Fifferlings Augen, die jedes Mal aufflackerte, wenn seine kluge und wissbegierige Tochter Quittegelb ihren Großvater Wuschel anbettelte eine der beiden Geschichten »Warum die Menschen ihr Fell verloren« und »Warum die Menschen die Wälder verließen« zu erzählen. Da war so viel Trauer und immer ein Stich in der alten Narbe, wenn Erbsengrün sein Herz so sehr an Menschenkram hängte. Fifferling war jedoch gutmütig und nicht im Stande, denen, die er ehrlich liebte, lange gram zu sein. Statt Erbsengrün wegen des Menschenkastens zu schelten, blieb seine Stimme freundlich, während er sagte: »Dies gehört zu den Sachen, die uns für immer und ewig von hier vertreiben.« Er schüttelte den Kasten, schaute sich mit einem wissenden Blick für die anderen Erwachsenen im Zimmer um und setzte hinzu: »Uns, die wir noch übrig sind. Kannst du das begreifen, mein Sohn?« »Das ist doch nur Musik, Papa«, antwortete Erbsengrün mit einer Stimme, so leise wie ein Wispern. Fifferling schaute Fungel Hilfe suchend an. »Es ist nicht die Musik, mein Junge«, antwortete Fungel über seine Mandolaute hinweg, »es ist das Ding, das sie hervorbringt. Du solltest dich lieber nicht von solchem weltlichen Tand verleiten lassen.« Er schlug einen Akkord. »Sei selber in der Welt, lass die Welt nicht in dir sein.« Er lächelte freundlich und zwinkerte. »Ja genau, darum geht es«, stimmte Fifferling erleichtert zu, »im Müll der anderen zu leben, mag sich für Gnome wie Karbol Erdenwurm schicken.« Er richtete sich in seinem Sessel auf und krümmte einen Daumen zu seiner Brust. »Wir aber sind Gnole und Waldzwerge, Erbsengrun. Aus der ältesten Rasse der Zwerge. Verstanden?« »ja, Papa.« »Dann war der Fall ja erledigt. Du gibst jetzt Ka seinen Menschenkasten zurück und dann Schwamm drüber, verstanden?« Auf Fungels Vorschlag hin kletterten die Kinder aus der Klapptür heraus und gingen auf die Suche nach dem Alten Weidenkopf, um den Baum um Weisheit zu bitten. Ob sie nun den alten Weidenbaum am anderen Ende der Insel wirklich befragten oder nicht: Fungel wusste, dass zumindest sein Neffe dankbar die Gelegenheit ergriff, um allein sein zu können, denn in einem bestimmten Alter müssen alle Kinder die Erwachsenen verfluchen können, die sie noch nicht verstehen. Nachdem sie verschwunden waren und die schützende Eichentür wieder hinter ihnen zugeklappt war, ließ Fungel einen Poker im Kaminfeuer heiß werden und trug ihn in die Küche, um allen noch einen Schluck Bier zu wärmen. Als er es in Becher goss, die alle wie Schwäne geformt waren, die ihren Kopf unter die Schwinge gesteckt hatten und deren Hälse als Griffe benutzt wurden, hörte Fungel die Stimme seines Vaters aus dem Wohnraum. »Und bei wem sehe ich den Menschenhammer immer aus der Hosentasche baumeln, he?« Wuschel schlug sich auf die Knie und keckerte vor Vergnügen. »Das ist nicht das Gleiche, Papa«, sagte Fifferling. Fungel in seiner Küche schmunzelte, als er den heißen Poker in das Bier tauchte, dass es aufzischte. Das ist die Alchemie in Familien, dachte er, in einem Nu verwandelt sie einen besorgten Vater in einen widerspenstigen Sohn. Er stellte die Becher zusammen. »Ehrlich gesagt«, fuhr Fifferling fort, »seine Generation ist ganz anders als die davor. Ganz verrückt auf Menschenwörter und Altertumer.« Er nahm Fungel einen Becher Bier ab. »Ah, Segen über dich, mein Bruder, und lang möge dein Schornstein rauchen.« Er nahm einen Schluck.
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»Und wer war der kleine Hosenmatz von einem Zwerg?«, fragte Wuschel, während er seinen Sohn betrachtete, »der wie am Spieß schrie, als er seine Musikdose, die man aufziehen konnte und auf deren Deckel klitzekleine Menschenfigürchen tanzten, zerbrochen hatte?« Fifferling rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Seine Finger spielten mit dem Stockgriff. »Kann ich mich nicht dran erinnern«, sagte er. »Kann sich nicht dran erinnern!«/ heulte Wuschel. »Deine Augen sind zwei Tage lang wie die Brunnlein geflossen!« Fungel versteckte sein Lächeln hinter dem Becher und nahm einen Schluck Heißbier, wobei ihm wieder vor Augen stand, wie sein kleiner Bruder mit den winzigen mechanischen Figuren herumgetanzt war. »Aaaah«, machte Fifferling und beschloss das Thema mit einem mächtigen Schluck Bier. Danach wischte er sich die Schnauze mit seiner Hand ab und rief, um von etwas anderem zu sprechen: »Also Emma, mein Herzchen! Wann kommst du denn endlich zur Vernunft und verduftest mit dem Rest von uns nach Westen?« Ein kurzes, unbehagliches Schweigen breitete sich aus. Fifferling hatte es natürlich gut gemeint, aber im Hinblick auf die gerade beigelegten Konflikte zwischen den Kluges und den Fuchswitzen und zwischen Emma und ihrer eigenen Sippe wurde die alte Fehde plötzlich wieder allzu spürbar. Emma begriff jedoch das freundschaftliche Gefühl hinter der Bemerkung und beschloss, es nicht falsch zu verstehen. »Vielleicht, wenn ich keine Wahl mehr habe«, sagte sie, »im Augenblick muss ich noch Gelee aus Beeren kochen und ein paar Reihen hacken. Und ich sehe keinen Grund, meine eigenen Felder brachliegen zu lassen.« »Ach, arme Emma!«, erwiderte Fifferling. »Das ist alles nur, weil du nichts von dem gesehen hast, was mich endgültig von hier vertreibt. Hat dir Fungel nicht erzählt, was ich gesehen habe?« Emma warf Fungel einen Blick zu. »Was Fungel Fuchswitz erzählt oder nicht, das ist seine eigene Angelegenheit.« »Na gut, dann werd ich's dir erzählen«, sagte Fifferling, »weil es nämlich das Ding ist, was uns unser schönes Tal für immer verlassen lässt, und was euch brave Leute an diesem Abend auf die Beine gebracht hat, um uns Fuchswitzen einen herzlichen Abschied zu sagen. Allen Fuchswitzen, außer Fungel natürlich.« Als einzige Erwiderung auf diese überschwängliche Rede hob Fungel den Becher in einem verlegenen Salut. »Also, Emma Kluge, ich werd dir die Wahrheit verraten«, fuhr Fifferling fort, »ich hab nämlich mit meinen eigenen Augen ein grauenhaftes Wunder gesehen, ja, wahrhaftig, und zwar die ganze Welt, die sich in die Oberfläche des Mondes verwandelt hat. Nur, es war kein Zauber, der sie verwandelt hat, und Feuer war es auch nicht. Wenigstens kein Feuer, das wirklich brannte.« Fifferling gab ein verächtliches Schnauben von sich. » Es hat gehackt und es hat gesummt und gesägt und gezerrt und zerbrochen und zersplittert. Aber gebrannt hat es nicht, o nein!« Fungel schwieg beharrlich und starrte in das knisternde Feuer. Er hatte die Geschichte schon einmal gehört, aber irgendwie stiegen jetzt bei der Erzählung seines Bruders Flammen vor seinen Augen auf. »Menschen?«, fragte Emma mit einer plötzlich ganz kleinen Stimme. »Was denkst du denn!« Fifferling schüttelte den Kopf. Er schwenkte den Becher zu Fungel. »Prost!«, sagte er mit schwerem Spott. Fungel schwieg, denn er wusste, dass der Bruder nur durch seine Verbitterung den Schmerz über Fungels Weigerung, mit ihm nach Westen zu reisen, zeigen konnte. »Ach, Emma, mein Mädchen«, fuhr Fifferling traurig fort, »du hättest die Bäume hören sollen. Sie beteten und flehten und schrien, und sie schüttelten sich sogar und winkten und beugten sich, aber all diese verbrecherischen Pfuscher und Tölpel konnten nur ihre eigenen Maschinen hören! Wie das Siegesgeschrei von Feiglingen!« In der gelben Flamme beschwor Fungel die Erinnerung seines Bruders an das Heulen des eisernen Teufels über das Land, über die Schienen, über das Bein. »Alle Bäume?«, flüsterte Emma entsetzt, »aber sicherlich hat es doch einen Sinn gehabt, so etwas so etwas ... « Sie war nicht im Stande, ein Wort zu finden, das zu solchen Taten passte. »Oh, das hatte schon einen Sinn«, erklärte Fifferling, »paar Tage später, da hat's im kahlen Tal nur so gewimmelt von den Menschenwesen. Hunderte und Aberhunderte, wie die Ameisen, wenn sie Honig riechen. Und jeder hat so eine Krachmaschine bei der Hand gehabt oder drin gesessen. Nnn! Rrr! Bumm bumm bumm! Hat mich ganz weich gemacht, dieser Lärm, das kann ich dir sagen. Tagelang hat das gedauert und auch den letzten Fuchs vertrieben und die Frösche und die Grillen und die Vögel, und als alles vorbei war, wupps, haben diese hölzernen Kästen auf der Erde gestanden, wie Pickel auf meinem Po, mit Verlaub.«
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Emma wurde rot, nahm aber mit einem Nicken seine Entschuldigung an. »In dem einen Augenblick ist da ein Wald und im nächsten« - Fifferling hob die Schultern, als ob es keine Hoffnung gäbe - »eine Stadt gestrichen voll von Leuten.« »Von Menschlingen«, murmelte Emma ergeben. »Und keine fünfzehn Meilen weg von der Stelle, wo ich sitze«, beendete Fifferling seine Geschichte. »Wenn du aber meinen Bruder rechnen hörst, dann ist es, als ob sie sich alle auf der anderen Seite der Erde drängelten und wir hier herrlich und in Freuden in unseren kleinen Häuschen. Pah!« »Das hab ich nie behauptet, mein lieber Bruder«, sagte Fungel sanft und dachte dabei an die Zurückhaltung seines kleinen Bruders, als er, Fungel, zum neuen Schamanen der Sippe erwählt wor den war, und er stellte fest, dass eine Spur jener alten Eifersucht immer noch durchklingen konnte. »Jeder hier weiß, dass dich nur die Vernunft zum Fortziehen leitet. Und du hast eine Familie, Fiff erling. « Emma senkte den Kopf. »Das Lied von der Gerechtigkeit klingt anders, wenn dir diese Teufel plötzlich vor der eigenen Haustür herumtanzen«, sagte Fifferling bitter, »und sie klopfen nicht mal an, bevor sie reindran geln! « Er lachte lustlos. »Höchstwahrscheinlich werden sie dich mit der Schnauze in einem Buche schnappen! Es ist schön und gut, wenn man sich zu Salben und Säften und Schnepfen und Schwaden von rotem Rauch zurückziehen kann, aber die tagtäglichen Pflichten sind eine andere Sache, Fungel. « »Das mag ja sein«, erwiderte Fungel, »aber bis dahin ist es meine eigene Haustür, und dieses Tal ist mir beides, Weib und Kind.« Fifferling machte ein verblüfftes Gesicht. Dann arbeitete er sich aus dem Sessel heraus und stützte sich schwer auf seinen Stock. Mit der freien Hand fuhr er über seinen geflickten und fadenscheinigen Anzug. »Fungel, Fungel«, sagte er und Fungels Augen verschleierten sich bei dem beschämten Ton in seines Bruders Worten. »Vor unserm Vater und beim Andenken an unsere Mutter: Es tut mir entsetzlich Leid, was ich gesagt habe. Das war falsch, ich hab Unrecht und ich will dir jetzt was sagen: An dem Tag, an dem der Ruß auf deinen Herd regnet, weil dir Fremde oben auf dem Dach herumtrampeln, sollst du eine Zuflucht neben unserer eigenen haben. Das ist ein Versprechen von deinem Bruder und keiner könnte dir ein besseres geben.« Fungel umarmte seinen Bruder herzlich. Eine Weile standen sie so vorm Feuer, und das war der wahre Augenblick ihres Abschieds: glücklich in der Liebe des anderen und betrübt über die Trennung, so wie es bei jedem guten Abschied geht. Kurz darauf rappelte sich Wuschel auf seine müden alten Füße und sagte, sie sollten sich jetzt lieber auf den Weg machen. Fungel begleitete den Rest der Fuchswitze ein letztes Mal zum Ufer seiner kleinen Insel. Abermals umarmte er seinen Bruder. Er segnete Quittegelb und Erbsengrun und befahl ihnen, bei ihrer gefährlichen Reise nach Westen auf ihren Vater aufzupassen. Wuschel betrachtete seinen Sohn. In seinen weisen alten Augen tanzte das Wissen und die Kunde von Zeit und Raum und Märchen und Sagen, und in ihren Blicken ging so vieles zwischen ihnen hin und her, dass jedes Abschiedswort den Sinn nur verwischt hätte. Als Fungel zurückkehrte, hatte Emma schon die Reste des Abschiedsfestes aufgeräumt. Fungel dankte ihr mit großem Ernst, denn er wusste, dass sie ihn in ihrer treuen Freundlichkeit so schnell wie möglich seiner Einsamkeit überlassen wollte. Sie schlug einen Abendtee aus, indem sie sagte, sie hätte zu Hause noch allerlei zu erledigen und müsste Nüsse für die Eichhörnchen herauslegen, die des Morgens immer an ihrer Tür saßen und bettelten. Fungel ging der Abschied von der Familie so durch den Kopf, dass er gar nicht merkte, wie traurig auch Emma war. Bald darauf saß er vor dem Feuer, allein mit seinen Gedanken in seinem be haglichen Heim aus eintausendundachtzig Steinblöcken und hundertmal so vielen freundlichen Erinnerungen. Am nächsten Morgen hatte Fungel die Überreste von Erbsengruns Kappe in der Asche seines Herdes entdeckt. Nun, da die Saucen simmerten und die Brote bräunten und die Aufläufe in der Küche dufteten, alles bereit für das Fest der Tagundnachtgleiche, nun legte Fungel grüne Scheite für ein langsames, würziges Feuer auf den Herd, wo, wie er merkte, wohl noch die Asche von Erbsengruns Kappe lag. Und während das Licht der Flammen seine Wangen so rot wie wilde Äpfel färbte, dachte er an die Liebe und die Sorgen dieses bitter-süßen Tages. So weit ist es also gekommen, dachte er verloren, Fungel richtet ein Abschiedsfest für die wenigen Freunde aus, die ihm noch geblieben sind. Und was hat den Ausschlag gegeben? Ein leerer Metallbehälter, der fun kelnd im Gras lag, leichter als eine Eierschale und mörderischer als das Auge eines Wolfes. So hatte er das Was entschieden, aber noch nicht das Wann. Denn es blieb noch das Problem zu lösen, das ihm der Rat der Waldleute vorgetragen hatte, als dieser ihn heute aufsuchte. Fun gel war
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der Hüter dieses Landes, und es würde ihm nicht einmal "r die Dauer des Flügelschlags einer Mücke einfallen, die Seinen im Stich zu lassen oder einen einzigen Schritt zurückzuweichen. Erst würde er bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten gehen, um jedem und allen Lebewesen, die zurückgeblieben waren, ihre Sicherheit zu garantieren. Außerdem - wenn er das Tal verließ, würde das auch bedeuten, dass er es Emma als einziger Hüterin überließ. Und sollte eine Kluge die letzten Ansprüche auf das Tal behalten? Nach allem, was seit Generationen zwischen ihren Familien geschehen war? O danke, nein! Fungel würde nicht weichen, bis der Sturm des menschlichen Fortschritts ihn entwurzelte. Und was dann? Seien wir doch einmal ehrlich, Fungel: Selbst im Exil im eigenen Land - gefangen, gewissermaßen in deiner eigenen Seele - bist du so sicher, dass du dies hier verlassen kannst? Dies ist dein Heim. »Ach, jetzt reicht es mir aber mit diesen Gedanken«, sagte er laut, »bald treffen die Gäste ein, mitten in dieser scheußlichen Nacht, und sie kommen zu einem Fest, nicht zu einer Beerdigung. Es hat wirklich keinen Sinn, ein Mahl mit solch dunklen Gedanken zu würzen. Nicht in dieser Nacht der Tagundnachtgleiche.« Er begann seinen bereits fleckenlosen Wohnraum zu säubern, fegte wie ein Wirbelwind über Teppiche, staubte die Gesimse ab, hob jede Schüssel in Tiergestalt und jede Vase hoch, um darunter zu wischen. Er zündete lange Kerzen aus Bienenwachs an und steckte sie in Kerzenhalter, die wie Hummer geformt waren. Dann trug er diese hin und her, um Weihrauchstäbchen in Gefäßen zu entzünden, die wie kleine Mäuse aussahen, die in den fleckenlosen Ecken hockten. Er staubte den alten Lackkasten ab, in dem auf einem Stück Samt die Pfeilspitze eines Cherokeepfeils lag, ein Friedenszeichen aus uralter Zeit. Er rückte die alte, eingerahmte Landkarte an der Wand über seinen Musikinstrumenten - Holzflöten, Dudelsäcke, Zimbeln, Basslauten und eine Zugposaune - millimetergenau gerade (die Landkarte, das sollte man vielleicht erwähnen, zeigte einen Kontinent im Atlantischen Ozean zwischen Europa und Nordamerika und war, lange bevor die Ziegel der Pyramiden in der Sonne Ägyptens dorrten, gezeichnet worden). Aus Gewohnheit fuhr Fungel mit den Fingern an der Tür entlang, die hinunter zu seiner Bibliothek führte, und spürte, wie der Abwehrzauber, mit dem er sie geschützt hatte; sanft unter seiner Hand verging. Donner ließ das Haus erbeben. Im Esszimmer übte Fungel seine Fähigkeit, Dinge mit dem Willen zu bewegen. Er deckte den Tisch, ohne Geschirr oder Besteck zu berühren, er leitete sie stattdessen nur mit seinen Gedanken an Ort und Stelle. Es erforderte freilich mehr Kraft, als wenn er den Tisch mit der Hand gedeckt hätte, aber ohne standige Übung behält man keine Fähigkeit. Er ließ eine Gabel fallen, aber wenn man bedachte, was ihm auf der Seele lag, war das kein Grund, sich zu schämen. Auf jeden Fall erinnerte es ihn wieder an die Zeit vor Jahren, als er es zum ersten Mal ausprobiert hatte: Damals hatte er kurz entschlossen auf dem Fußboden gegessen, denn dort war endlich alles gelandet. Er zupfte das bestickte Tischtuch ein kaum merkliches Stückchen zurecht und richtete die dekorativen Teller noch einmal aus. Als er schließlich zufrieden war, trat er vom Tisch zurück und schaute zur Decke empor. Selbst durch die dicke Schicht Steine hörte er den Regen trommeln. Fungel schloss die Augen, holte tief Atem, und schon füllte sich sein Geist mit dem Abbild des Tals, das von dicken Sturmwolken zugedeckt war, die wie Schwämme über einer Schüssel ausgedrückt wurden. Das unbehagliche Gefühl, das der Sturm in ihm geweckt hatte, blieb jedoch. Fungel schlug die Augen auf und schaute sich um: das Essen warm und die Küche rosig von der Glut des Herds; Wohnzimmer makellos, nur darauf wartend, regennasse Reisende in dieser dun klen und stürmischen Nacht wieder aufzuwärmen; ausgelatschte Hausschuhe, die wie gestrandete Flundern aussahen, einladend dicht am Kamin; alles trocken und gemütlich und es brauchte zur Vollkommenheit nur die Anwesenheit von Emma und Ka. Sie hätten eigentlich schon da sein sollen. Na ja, durch den Sturm würden sie sich wohl verspäten. Noch kein Grund zur Beunruhigung. Doch da ihn die Zeit so drängte, machte er sich trotzdem Sorgen. Konnte er, Fungel, ein Zauberer, das Datum irgendwie verwechselt haben. War heute gar nicht die Tagundnachtgleiche? Ach, mach dich doch nicht lächerlich! Trotzdem... Er überprüfte die Papyruskalenderrolle an der Wand, um sich zu vergewissern, fuhr rasch mit den Augen über das Chaos der Zeichen und Zahlen, die wie Spinnenspuren aussahen und in altertümlicher Handschrift geschrieben waren. Ja, heute war der Tag. Hatten dann die anderen das Datum vergessen? Ganz gewisslich nicht, die herbstliche Tagundnachtgleiche war ein zu wichtiger Wendepunkt des Jahres. Und außerdem: Kluge oder nicht, welcher Waldzwerg in der Geschichte hätte je ein Freibier verpasst?
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Nach einer Weile ging Fungel hinauf, um zu sehen, was der Sturm jetzt machte. Als er die schwere eichene Klapptür seines Baumstumpfs hochstemmte, wurde er von der Gewalt des Windes fast aus seinem Haus gefegt. Er riss ihm die Tür aus der Hand und ließ sie mit Donnergetöse auf den Stumpf krachen, während der Sturm sich heulend hineinstürzte. Fungel war im Nu nass bis auf die Knochen. Im Augenblick, in dem die Tropfen ihn berührten, spürte er die Bedrohung. Der Regen war warm wie Blut und die Tropfen prasselten ihm wie Nägel auf die Haut. Wo sie sein Fell durchnässten, brannte seine Haut, als wäre sie über einen Fels geschürft. Nachdem der heiße Regen Fungel überschüttet hatte, entstand eine Atempause, in der das Sturmgeheul, das durch die Bäume brauste, zu einem zufriedenen Seufzer verklang und der Wolken bruch in Nieselnebel überging. Das geschah innerhalb von Sekunden. Fungel kam es so vor, als ob die Regentropfen, die ihn getroffen hatten, Späher gewesen wären, die nun allesamt einer gewaltigen Macht hinter dem Sturm ihre Meldung machten. Und als ob diese Macht aus den hunderttausenden von nassen Nachrichten über Fungel die Schlüsse für ihre nächsten Schritte zöge. Sehr merkwürdig! Fungel trat aus dem sicheren Schutz seines Eingangs heraus und warf einen wachsamen Blick über den See. Die Atempause des Sturmes erlaubte ihm, ein gutes Stück des Tals zu erkennen, und was er dort sah, raubte ihm die Fassung. Der ganze Himmel war stockfinster. Das Herz des Wirbels war schwarz wie die Nacht und vollkommen leer. Graue Wolkenfetzen schnappten wie beutegierige Wölfe nach seinem Saum. Während Fungel sie noch betrachtete, klopfte die Öffnung des Strudels wie eine widerliche Wunde des Himmels und senkte sich, sodass sie - nur ein paar Meilen entfernt - fast über den Talboden strich. Dort wohnt Emma, dachte Fungel voll Schrecken. Doch so rasch sich der suchende Strudel gebildet und gesenkt hatte, so rasch wurde er wieder hochgesaugt und verschwand in nördlicher Richtung. Auf der Suche. Der Sturm begann wieder mit seinem Geistergeheul. Der Regen wurde dichter: vom Nebel zum Getröpf el, dann zum Wolkenbruch. Fungel klappte die Tür zu und sah den Riss, den der Sturm verursacht hatte. Nicht schlimm, konnte an einem anderen, trockenen Tag leicht geflickt werden. Da Fungel weder Schloss noch Riegel be saß, weil diese Dinge seiner Welt unbekannt waren, wiederholte er seinen kräftigsten Schutzspruch und schuffelte hinunter zur warmen, trockenen Höhle seines Heims. Während er zum Wascheschrank in seinem Schlafzimmer trippelte, zog er sich schon die Kleider aus und griff sich ein Handtuch, um sich die versengenden Regentropfen abzurubbeln. Der heiße Regen war auf seiner Haut schon kühl geworden. Fungel zog sich frische trockene Sachen an und hängte die nassen an der Tür der Vorratskammer auf. Als er sich umdrehte, sah er eine Bewegung unter dem Teppich vor seinem Kamin. »Dunnerblomster! «, rief er aus und schlug die Hand vor den Mund. Der Teppich begann sich auf und ab zu wölben, als ob er von unten geklopft würde. Und dann drang eine tiefe und kehlige Stimme darunter hervor, keuchend und heiser: »Verflixt und zugenäht, Fungel Fuchswitz, hast doch deine Sessel wahrhaftig wieder auf deinen mottenzerfressenen Teppich gestellt! Weg damit, sonst fress ich mich durch ihn durch, und du musst dir - nen neuen kaufen, um dir deine kümmerliche Hütte noch mehr zu verschandeln! « Was darauf folgte, erstickte, falls es Wörter gewesen waren, in lauten Kauund Krachgeräuschen. Fungel stürzte sich hastig auf seinen honigfarbenen Teppich und schob einen Weidensessel beiseite. Der Teppich rüttelte und schüttelte sich jetzt wie das Fell einer ängstlichen Hündin. Fungel schlug eine Ecke zurück, und es zeigten sich zwei Pfoten mit zugespitzten, tastenden Fingern, die so an den Enden der schaufelnden Arme saßen, dass sie mehr mumifizierten Wurzeln glichen als Gliedern. Ein erdverkrusteter knubbeliger Kopf tauchte auf. Das große Maul spuckte Krümel aus, um sagen zu können: »Was stehst du da rum, du dämlicher Zwerg. Her mit deiner Pfote!« Fungel packte die moos- und flechtenbewachsenen Arme und zog. Aus dem Lande der Würmer und Wurzeln gab die Erde zogernd einen Gnom frei, der sich Karbol Erdenwurm nannte. Er war von schwerer, fassförmiger Gestalt und prustete und schnaubte wie ein asthmatischer Wasserkessel. Er schüttelte den Kopf, der wie eine verkehrt aufgesetzte Runkelrübe aussah, und öffnete den breiten Schlitz seines lippen- und zahnlosen Mundes. »Besten Dank«, sagte er mit einer Stimme, die wie ein Steinschlag rumpelte. Fungel wartete geduldig ab, während Ka auf den Boden stampfte und sich die Erdkrumen vom Körper schüttelte. Danach trat der Zwerg auf Fungels Teppich - der übrigens nicht im Geringsten mottenzerfressen war, sondern fleckenlos rein und sauber geklopft.
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Ka ließ die kleinen schwarzen Augen, die in seinem zerknitterten Gesicht lagen, durch den Raum wandern. Die Nüstern seines gewaltigen Riechorgans weiteten sich, eine krallenf ingrige Hand wischte geistesabwesend einen Regenwurm beiseite, der über den Zwergenbauch krabbelte. Es war nicht ganz klar, ob Ka nackt oder bekleidet war, so scheckig und schrundig war seine erdfarbene Haut mit ihren Moospolstern und den Flechtenflecken. Das war übrigens der Grund, warum die Waldzwerge die Gnome, ihre Vettern, gern aus Spaß die »Flickenteppiche« nannten. Fungel schlug den Teppich zurück und schob den Sessel an seinen richtigen Platz. Dann wandte er sich mit ernster Miene an den Gnom. »Was hältst du davon, bei anderen Leuten an die Tür zu klopfen, Ka?«, erkundigte er sich. Ka legte einen gedrungenen Finger an die Backe, als ob er daruber nachdenken müsste. Schließlich erwiderte er Fungels Blick. »Wurd mich in Stumpf und Stiel schämen, wenn ich so was täte! «, rief er aus, woraufhin sich die beiden unter den dünnen hellblauen Rauchfäden des Holzfeuers in eine Umarmung stürzten und einander dabei in einer Art und Weise die Hände schüttelten und auf die Schulter klopften, dass es an ein Handgemenge grenzte. Ihre tanzenden Schatten huschten wie im Ringkampf über die Wände. Man hätte denken können, Ka und Fungel hätten sich seit Jahren und nicht erst vorige Woche das letzte Mal gesehen, und das wäre auch nicht falsch gewesen, denn für gute, treue Freunde ist eine Woche Trennung so lang wie ein Jahr. Fungel eilte in seine Küche, um für Ka einen Begrüßungsschluck zuzubereiten. Eine gehörige Portion Wein mit einem gehäuften Esslöffel Herdasche verrührt, bis er wie Flussschlamm war. Fun gel reichte Ka diesen flüssigen Brei, den er insgeheim als MischMatsch bezeichnete, und hob dann seinen eigenen Becher -- ohne Asche, wie man vielleicht schnell noch erklären sollte. »Hoch die Tassen!«, scherzte Ka. Er warf seinen Kopf zurück und schlürfte am Becher wie ein Jungvogel, der um einen zappelnden Wurm bettelt. »Prost«, murmelte Fungel trocken, etwas zu spät, aber nicht unfreundlich. »Ah, danke verbindlichst«, erwiderte Ka und wischte seinen gewaltigen Mund mit der Rückseite seines schmutzigen Arms, wodurch er sich derartig verschmierte, dass es aussah, als hätte ihm jemand einen Schnurrbart aufgemalt. »Lang möge dein Schornstein rauchen, lieber Fungel«, sagte er segnend. »Noch einen Schluck?«, fragte Fungel. Ka starrte verblüfft in seinen leeren Becher. »Du meine Güte - schon leer!« Fungel nahm ihm den leeren Becher mit einem vergnügten und wissenden Schmunzeln ab. Während Fungel den nächsten Misch-Matsch zubereitete, schaute sich der Gnom in dem musterhaft sauberen Wohnzimmer um. »Aah, das ist wirklich das Schöne: Wenn man sich gute Freunde einlädt, muss man vorher nicht so lange schrubben und aufräumen, damit sie sich gemütlich fühlen«, stellte Ka fest. Fungel, der in der Küche den Wein eingoss, wurde zwar rot, lächelte jedoch insgeheim. »Ich muss mich auch entschuldigen, dass ich so spät komme«, fuhr Ka fort, »besonders nach deiner freundlichen Einladung. Und Segen über dich, dass du mich reingezogen hast.« Fungel glitt ins Wohnzimmer und reichte Ka einen zweiten fischförmigen Becher Aschenwein, den Ka mit einem Nicken und einem durstigen Aufblitzen seiner kleinen schwarzen Augen entgegennahm. »Aber auf dem Weg hierher bin ich da unten auf die versteinerten Knochen von einem alten Ungeheuer gestoßen, und du weißt ja, wie ich die liebe. Ich hab mich drum herum gerobbt und hab die Form und die Größe gemessen, und du kannst mich auf den Kopf stellen, wenn das nicht größer war als dein ganzes Haus! Ich mein, das muss ein Fisch gewesen sein. Aber wie kannst du dir das erklären, ein Fischungeheuer hoch oben in diesen Bergen und in längst vergangener Zeit, Fungel? « »Diese Berge hier haben früher unter dem Meer gelegen«, antwortete Fungel, »so wie die Berge im Heimatland meiner Leute heute ein Heim für Fische sind.« »Ach, so war das also?« Ka war offensichtlich beeindruckt. »Na denn Prost!«, sagte er und kippte seinen Aschenwein auf die übliche Art und Weise mit einem einzigen Schluck. Dann wischte er sich abermals mit seinem verschmierten Arm über das Maul. »Also, einen Knochen habe ich auf jeden Fall mitgebracht, falls bei dir das Futter knapp wird.« Ka klopfte auf das Netz neben seinem gewaltigen Trommelbauch. »Lass mich mal sehen. Nanu, wo hab ich denn heute Abend meinen Kopf?« Er schaute bekummert zu Fungel hinüber, der ihn amüsiert betrachtete. »Muss ihn beim Wühlen verloren haben. Wirklich ein Jammer. Kann man so gute Suppe von kochen.« »Das spielt keine Rolle«, sagte Fungel, »hier gibt's genug anderes, sodass dir der Knochen von dem toten Monsterfisch gar nicht fehlen wird. Und zu entschuldigen brauchst du dich gar nicht, nachdem sich Emma ganz offensichtlich auch durch den Sturm verspätet.« Ka hustete. »Da über der Erde braut sich wohl ein Sturm zusammen, was? Hab mich schon gewundert, was das für ein Lärm war. Muss ein ganz schön kräftiges Lüftchen sein.«
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Er schüttelte den Kopf. »Wie ihr Oberirdischen so was aushaltet, kann ich ganz und gar nicht verstehen. Stürme und Hagel und Schnee und Wind. Dürre und Fröste und Springfluten. Sonnen brände und Frostbeulen und alles Mögliche sonst. Nee, danke bestens. Ich sage immer, ich brauch nichts als die tiefe dunkle Erde rund um meinen Kopf herum. In der Erde weiß man wenigstens, wo man steckt, Fungel, und darauf kannst du dich verlassen.« »Drauf, drüber oder drunter«, erwiderte Fungel weise, »bleib immer klug und munter. « »So redet ein kluger Mann«, stimmte Ka zu, »und ich rede jetzt auch kein Wort mehr Über. . . « Der Satz blieb unvollendet, weil Kas große Nase plötzlich zu schnüffeln begann. Fungel konnte fast die Duftschwaden der gekochten Früchte, den würzigen Dampf der Brühen und die ande ren verlockenden Gerüche und Dämpfe sehen, die sich wie zarte Fäden in den Tiefen seiner Nasenlöcher verloren. »... Futter?«, beendete Ka den Satz, die Stimme ganz klein und kindlich, von komischer Hoffnung erfüllt. »Futter genug, um eine ganze Sippe abzuspeisen«, bestätigte Fungel, »und dich vielleicht auch, wenn ich Glück hab. Aber du und ich, wir sind ja wohlerzogene Herren und warten gern mit un serm Wein am Kaminfeuer, bis mein anderer Gast eintrifft. Das ist, glaub ich, das Allerbeste.« »Ach Fungel, du tust hungrigen Zwergenleuten wahrhaftig Verbrecherisches an!«, grummelte Ka. »Aber vielleicht könnte ich noch ein Plätzchen in meinem Herzen entdecken, um dir zu ver zeihen falls dein Futter auch nur halb so gut schmeckt, wie es riecht.« »Wahrscheinlich muss sich dein Herz nach genug Platz umsehen«, antwortete Fungel, »denn wenn mein Fraß in deinem Fass verschwindet, dann wird kein Platz mehr übrig sein.« Ka warf den Kopf zurück, um zu lachen, wurde jedoch von einer donnernden Detonation unterbrochen, die jeden Ziegel des Schornsteins klappern ließ. »Verflixt, das war aber dichte bei! «, rief Ka. »Klingt so, als ob der Teufel da oben Kegel spielt.« Seine Stimme wurde winselnd. »Glaubst du nicht, dass wir in meinem Loch vielleicht doch sicherer wären ... « Fungel legte seinem Freund eine Hand auf den Arm. »Es ist in Ordnung, Ka. « Ka nickte zweifelnd. Wo er die Stirn runzelte, schoben sich winzige Gebirgszüge hoch. Die beiden schwiegen einen Augenblick und lauschten dem Knistern des Feuers, das mit dem Sturm draußen kämpfte. Als Ka merkte, wie sehr sich Fungel um seinen letzten Gast Sorgen machte, säuselte der Gnom: »Wie wär's denn mit einem Rätsel? Ich hab ein paar gute von den alten Scherzbolden drüben in der Tabakkneipe.« »Tabakkneipe!« Fungel wurde ernst und streng. »Kannst du nichts Besseres mit deiner Zeit anfangen, als sie mit diesen Gaunern zu verplempern, die dort herumhängen? Wie der Schwamm an alten nassen Balken, so sind sie, schlimmer noch, viel schlimmer als ... als ... « Er stotterte, weil ihm nichts einfiel, was schlimmer wäre als die Burschen in jener Kneipe. Ka aber beachtete ihn gar nicht, sondern starrte zur Decke. »Also, warte mal einen Moment ... «, sagte er. Seine harte Pfote strich nachdenklich über sein verhorntes vielfaches Doppelkinn. »Nee, der nicht«, murmelte er, »aber vielleicht der? Ach nein, das fragt man keinen Freund. Aha!« Er schlug sich auf den Schenkel. »Jetzt hab ich's: Welches Haus hat keine Tür?« Fungel mochte kaum seinen Ohren trauen, denn dieses Rätsel war sogar älter als der versteinerte Fisch, den sein Freund vorhin gefunden hatte. Aber ihn rührte der Versuch des Zwerges, ihn von seiner Sorge abzulenken, und deshalb tat er so, als ob er nachdachte. »Ein Haus ohne Türen?«, murmelte er. »Gibst du auf?«, fuhr ihm Ka dazwischen, und eh' Fungel auch nur Luft holen konnte, bellte Ka schon die Antwort: »Das Kernhaus eines Apfels! Hast du's? Kapierst du's? Oh, oh, oh!« Und voll Wonne über seine eigene Gescheitheit schlug er sich wieder auf die Schenkel. »Geschickt«, schmollte Fungel. »Wieso geschickt?«, fragte Ka. »Gescheit!« »Nein: geschickt. Wer ist geschickt?«, fragte Fungel listig und brach nun seinerseits in ein hohes trillerndes und selbstzufriedenes Gelächter aus. »Wer ist geschickt?«, murmelte Ka und lutschte an seiner Daumenkralle. »Der Bote!«, rief Fungel und erstickte fast vor Lachen. »Der Bote ... der Bote . . . « Da fiel bei Ka der Groschen, und er fing auch zu lachen an, wirklich zu lachen, wobei sein ganzer Leib ins Schüttern und ins Wanken geriet. Zuerst bibberte sein großer Bauch, der dann wie ein Vulkan ein Lachen aus dem Zwergenmaul herauspoltern ließ, das in seiner Wildheit zu dem Wolkenbruch passte, der Fungels Haus umtobte. Als er wieder sprechen konnte, sagte Ka: »Gut, aber jetzt hab ich ein Rätsel, das wird deinen Grips ganz schön zwicken und zwacken. Also, was ist das: Im Lenz erfreu ich dich, im Sommer kühl ich dich, im Herbst ernähr ich dich, im Winter wärm ich dich.«
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Fungel starrte in das Feuer und sagte langsam und versuchsweise: »Im Lenz erfreut mich der blaue Himmel, aber im Winter.. . « Ka konnte ein Grinsen nicht verbergen, und Fungel wusste, dass er auf der falschen Spur war. »Tja, im Herbst - das war der Apfel«, überlegte Fungel laut. »Gibst du auf?«, fragte Ka hoffnungsvoll. In Wahrheit beunruhigte ihn die tiefe Versunkenheit des Waldzwergs. Fungel bat mit einer Handbewegung um Ruhe. »Nachdenken kann dir gar nicht helfen«, behauptete Ka. Der Lenz, der Sommer, der Herbst. Das kannte er alles so gut wie seinen eigenen Namen, den wahren und den geheimen. Er war der Einzige von allen Geschöpfen, der das Wesen des Fruh lings und das des Winters kannte. Fungel fühlte sich genasführt. Schließlich seufzte er und sagte: »Du hast gewonnen.« Ka kicherte vor Freude über seinen Sieg. »Das ist der Baum!« Fungel stöhnte, während Ka wie ein riesenhaftes fröhliches Baby in seinem Sessel hin- und herschaukelte und ohne aufzustehen einen kleinen Siegestanz mit seinen knubbeligen Hinterpfoten tanzte. Fungel ging, immer noch kopfschüttelnd, in die Küche, um den Kessel aufzusetzen. Das Kichern seines Freundes folgte ihm. Während er die Teesachen auf ein Tablett stellte, überlegte er, was er mit Emma machen sollte. Ihr entgegengehen? Ohne sie anfangen? Die Sachen für den nächsten Tag beiseite räumen, kam ganz und gar nicht in Frage; am Fest einer Wende etwas zu verschwenden, ging nicht nur Fungel gegen die Natur - es richtete sich genau genommen gegen die Natur selber. Der Tag bezeichnete den Anfang der Ernte, den Beginn des großen Vorratsammelns, mit dem sich die Zwerge auf den langen Winterschlaf vorbereiteten. Das Fest bezeichnete diesen Übergang von der Fülle des Herbstes zu den mageren Tagen des Winters, und es war ein Zeichen des Dankes für den reichen Segen, den die Erde bot. Sich vor diesem Tribut an dem Tage zu drücken, an dem man ihn zu leisten hatte, wäre ein Schlag in das Gesicht des Herbstes gewesen und ein schlimmes Vorzeichen für den wartenden Winter. Obgleich Fungel und Emma keine Busenfreunde waren, hatte doch ihre Zuneigung zu seinem Vater Wuschel beide im Lauf der Jahre dazu gebracht, freundliche Nachbarschaft miteinander zu halten. Wenn sie auch nicht ungeduldig auf die nächste Einladung bei Fungel gewartet hatte, so würde sie ihn doch nicht im Stich lassen. Indem er die Möglichkeiten gegeneinander abwog, während er darauf wartete, dass das Zischen des Kessels zum Pfeifen wurde, nahm Fungel eine Musik wahr - oder zumindest etwas, das Mu sik ähnelte und aus dem Wohnzimmer hereindrang. Ka hatte sich Fungels verstaubte Laute von der Wand genommen und schlug die Saiten. Der Gnom summte zu jedem rauen Akkord, wobei er seine Krächzestimme mit den Dissonanzen in Harmonie zu bekommen versuchte. Ob zufällig oder mit Absicht, in dem Augenblick, in dem der Kessel zu pfeifen begann, fiel Ka in sein Schrillen ein. Der Pfiff stieg zu einem gleichmäßig hohen Ton an und Kas Stimme folgte ihm getreulich. Ohhhhh -« Fungels Lachen lenkte Ka vom Ofen ab. Nun rauschte im Wohnzimmer ein Akkord auf »Fungel, Fungel, fixes Jungel, was wächst auf deinem Beet? Da wächst nur das, was wachsen will, und wer's nicht passt, der geht.« Fungels Gelächter blies den Dampf vom Wasser, das er in schön geformte Becher goß. Einer stellte eine Eule dar, der andere eine Katze. Er senkte Teekugeln mit Hagebutten in das Wasser und trug das Tablett mit allem ins Wohnzimmer, wo Ka ihm selbstgefällig entgegenlachelte. »Also wirklich: bravo, bravo!«, sagte Fungel trocken. »Noch `ne Strophe?«, fragte Ka. Fungel reichte Ka die Katze mit Griff, die aus ihrem gebrannten Kopf dampfende Gedanken entließ. »Ach, ich glaube, eine zweite Strophe würde die ganz besondere Wirkung der ersten verderben«, entgegnete er. Ka strahlte, hörte jedoch jählings wieder auf. Sein Blick glitt ab auf den Boden. »Oh, du bist schon ein durchtriebener Schlaufuchs und glatt wie ein Gartenzwerg, Fungel Fuchswitz, und du wirst noch sehen, wie weit du damit kommst! « »Das mag ja sein«, stimmte Fungel zu, der mit seiner Teekugel im Eulenbecher wie mit einer Angel spielte, »aber ich bin auch kein Ohrpfuscher.« Ka reckte sich, nicht im Geringsten beleidigt, um die Laute wieder an ihren Platz zu hängen. »Weiß ich, weiß ich, aber abgesehen von deinem Spiel: Ein leerer Bauch macht nicht gern Musik!« Er knackte voll Vorfreude mit den Gelenken. »Und abgesehen von...« »Kein Wort, mein Freund«, sagte Fungel, der sich unterdessen entschieden hatte, »eröffnen wir die Festrunde!«
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»Dann man los«, erwiderte Ka, schon vom Esstisch aus, wo er bereits mit Messer und Gabel in der Hand saß. Ka fummelte mit den Fingern vor seinem fetten Bauch herum, während Fungel in einem schlichten Gebet für das Essen dankte und für die Fülle der Natur, die es darstellte. Ka kam es länger vor als die Jahreszeiten, denen es gewidmet war, denn der Zauberer dankte den Jahreszeiten und den Geistern aller Zutaten - auch den Geistern der Bäume, aus deren Holz die Schüsseln und Gabeln und auch der Esstisch selber bestanden. Endlich aber vollführte Fungel die alte Geste des Segens und in den nächsten Stunden fanden alle weiteren Unterhaltungen nur zwischen Messern und Gabeln statt. Sie schwatzten und funkelten zwischen Puddings und Pasteten, sie halfen den Zwergen, auf Trompetenpilzen zu blasen, und diese sangen zur Dickmusik mit Wasserspatzen, Blindhuhn und Plockfinken um die Wette, jagten Schusterbuben und Ofenkater und kümmerten sich einen Schmarren um Knodl und Kolatschen. Sie häuften Laubfrösche und eine Kröte im Loch auf Gold und Silber und landeten zwischen Bettelmann und Himmelreich. Schließlich verstummte der emsige Chor der Bestecke. Fungel und Ka musterten sich quer über den Tisch hinweg und begannen plötzlich zu lachen! Das tat weh, o wie tat es weh, mit so voll gestopften Mägen von Herzen zu lachen, und keiner hätte auch genau erklären können, weshalb er lachte. Vielleicht weil sie ein kleines Wunder vollbracht hatten: Zwischen ihnen hatte sich das Essen auf dem Tisch getürmt und sie hatten alles weggeputzt und reingeschaufelt. Ka blickte auf seinen blanken Teller, auf dem ein allerletztes Grünzeug lag. Er deutete darauf, auf diese winzige Insel, und stieß einen schwachen Seufzer aus, während er sich den prallen Bauch rieb. Langsam hob er die Gabel, um auch die allerletzte Bohne zu verschlingen. »Lass es sein, lass es!«, sagte Fungel, der immer noch lachte. »Es kann der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt!« Die Gabel blieb mitten in der Luft schweben. Fungel sah, wie sich Ka alle möglichen gastronomischen Dammbrüche ausmalte, dann senkte er betrübt die Gabel. »Ein Jammer, das verderben zu lassen! «, sagte er. Das ließ Fungel von neuem in Heiterkeit ausbrechen. Als sie sich beruhigt hatten, stemmten sie ihre runden Leiber hoch und wälzten sich ins Wohnzimmer, wo sie sich schwer in die Sessel fallen ließen, um sich vorm Feuer der Verdauung hinzugeben, Bauch an Bauch wie zwei Haselmäuse, so rund und fett wie Butterkugeln. Ka sah weniger wie ein Gnom aus als vielmehr wie ein Bauch, der mit einem Gnom verbunden war, und was Fungel anbelangte, so hatte er das Gefühl, als ob ihm sein Sessel enger wäre als zuvor. Sie saßen eine Weile in vollkommen zufriedenem Schweigen da, ließen ihren Magen über die Vorteile der Mahlzeit grummeln, während Funken wie Glühwürmchen zwischen dem Holzrauch sprühten. Normalerweise leben Zwerge in Todesangst vorm Feuer, aber Ka wusste genau, dass Fungels Kamin vollkommen sicher war. Erst als die aufgetürmten Holzscheite zu Asche zerfielen, erwachten die beiden Gesellen wieder aus ihrer Träumerei. Fungel benutzte die Gelegenheit, um ihre Becher wieder mit Bier zu fül len, und setzte einen Teller mit getrocknetem Kürbis zwischen sie, der mit ein wenig Ahornsirup gewürzt war. Wortlos prostete er Ka zu, dann kniete er sich nieder und blies in die Glut. Wärme wurde wieder geweckt, und er ließ sich neben dem Gnom nieder, der, während er in die Glut starrte, immer niedergeschlagener geworden war. Ka griff abwesend nach einem Stück gesiruptem Kürbis, das er sich zierlich in die schrundige Höhle seines Maules warf. »Aaah, Fungel, alle meine Tunnel gegen Nester in Bäumen, wenn du dich heute nicht tausendfach übertroffen hast. So ein Schleckermahl, das war eine Wonne für wunde Ohren, da gibt's gar nichts.« Fungel sah jedoch, wie sich die Miene seines Freundes verändert hatte. Sein großer Mund war nicht mehr von Lachfalten umgeben, sondern ließ die Winkel traurig hängen. Sein Gesicht, nun ohne allen Schalk und Lachfalten unter den kleinen dunklen Augen, kam ihm so ernst vor wie ein Bär auf Honigjagd. Fungels Augenbrauen sträubten sich vor Mitgefühl. Er war freilich an Kas wetterwendische Launen gewöhnt, denn Gnome wechseln sie mit dem Wind, und ihre Herzen bewölken sich mehr bei einem Gewitter, das durchs Gemüt und nicht über den Himmel zieht. »Verrat mir, was dir an der Seele nagt, alter Freund«, sagte er sanft. Ka zierte sich gehörig und brauchte seine Zeit, bis er seinen voll gefüllten Bauch gemütlich untergebracht hatte. Schließlich aber begann er zu sprechen und sein Ton war scharf. »Fungel, ich hab mir die ganze Zeit auf die Zunge gebissen - wenn nicht deine Leckerbissen darüber gewandert sind -, aber jetzt ist meine Kehle gut geölt, und mein Mut ist befeuert von dei nem guten Schlammwein, und ja, ich gebe zu, dass mich etwas bedrückt. Aber ich muss gleich hinzufügen, etwas, was du wahrscheinlich privat nennen würdest. «
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Für Ka war das eine ungewöhnliche Offenheit, und während Fungel das Gesicht des alten Gnoms musterte, blitzte in seinen schwarzen Funkelaugen einen Augenblick lang der Verdacht auf, ob er nicht in ein Wortgefecht verwickelt werden sollte, nach dem er nur noch stotternd und mit einem dummen Gesicht dastehen würde. Aber die brütende Miene seines Gastes verriet keine Hinterlist und ohne Rücksicht auf seine Müdigkeit erwiderte Fungel: »Ich hab die Ohren schon gespitzt, Ka, spuck's aus.« »Du hast also die Absicht, das Tal zu verlassen?«, platzte Ka ohne Umschweife heraus. »Packst Herd und Heim und lässt deine Freunde im Stich?« Er spuckte diese Wörter wie Gift aus, das ihm lange am Herzen genagt hatte. Die Frage traf Fungel wie ein Stich und einen Augenblick war er vollkommen verwirrt. Das also hatte den ganzen Abend lang darauf gelauert, in Ordnung gebracht zu werden. »Über kurz oder lang werd ich's müssen, Ka«, entgegnete Fungel schließlich. »Meine Familie ist schon seit zwei vollen Monden fort und ich habe seitdem nichts von ihnen gehört. Und dann gibt's hier so was -«, er griff sich den Metallbehälter vom Regal, den er bei Sonnenuntergang im Grase gefunden hatte. »Ich weiß, du bist scharf auf solche Sachen, Ka, aber wenn man den Schrott auf seinem eigenen Rasen findet, so schwirren einem schon ein paar Gedanken wie Hornissen im Kopf herum.« Er reichte Ka den Gegenstand. »Von so was hab ich schon ein- oder zweihundert«, murmelte der Gnom ohne große Begeisterung, während er Fungel die Dose abnahm. »Kann man schöne Becher draus machen, wenn man das Oberteil abreißt. Na, danke schon.« Er richtete den Blick von der Dose wieder auf Fungel. »Es schmeckt mir trotzdem nicht, dass du abhauen willst.« Fungel seufzte. »Das haben wir doch sicher schon ein- oder zweimal durchgesprochen, Ka.« »Und auch nach ein oder zwei Malen schmeckt's mir nicht besser«, erwiderte Ka. »Zuerst waren es die Bärlapps, dann die Maßliebs, schließlich die Muddeltiere, Hokuspokus verschwindibus! Dann die Familie Königskerzen - ausgepustet wie nichts, die Sippe der Nieswurze - hatschi und weg! Und selbst der alte Puschelfuß, der Einsiedler, hat sich auf die Socken gemacht. Alle Zwerge sind verschwunden, alle ab nach Westen in ihren wackligen Klapperkasten.« »Fast alle«, berichtigte Fungel. »Na wenn schon«, erwiderte Ka, »sie sind auf jeden Fall weg wie die Zugvögel, wie die Wildgänse. Nur: Gänse kommen zurück.« Er wiegte betrübt sein Haupt. »Und jetzt auch noch du, lässt mich gänzlich im Stich: Ich seh's in deinen Augen und es ist wirklich ein Jammer. Du und diese Hexe drüben im Rumpelstilztal. « »Hexe?«, fragte Fungel verblüfft. »Welche Hexe?« »Welche Hexe! Dein Gast, der nicht da ist, natürlich. Emma Kluge - die für sich alleine lebt und mit den Geistern Umgang hat!« Darüber musste Fungel nachdenken. Emma Kluge, eine Hexe? Der Gedanke besaß eine gewisse Wahrscheinlichkeit, das musste er zugeben. Und außerdem war es Karbol Erdenwurm, der diese Behauptung aufstellte. Deshalb fragte Fungel: »Wer sagt das denn?« »Klatsch in der Tabakkneipe!«, erwiderte der Gnom mit Nachdruck. »Ach so! Na, dann ist es ja beschworen und besiegelt, wie? Laut Klatsch in der Kneipe ist Emma Kluge eine Hexe!«, sagte Fungel verächtlich. »Ich hätt's dir fast abgenommen, wenn du mir nicht deine Quelle verraten hattest.« Ka wand sich wie ein Wurm unter einem aufgeklappten Stein. Er hatte ja gewusst, dass es ein Fehler war, die Kneipe zu erwähnen. Fungel hatte oft genug gesagt, was er von dieser Bierothek hielt. »Ein gewisser Troll«, sagte Ka vorsichtig, »will's auf seinen Eid nehmen, dass er deine Jungfrau Kluge mit eigenen Augen gesehen hat, wie sie dem Vollmond Teufelszeichen aufs Gesicht geschrieben hat! « Damit faltete er befriedigt die Arme. »Sie ist nicht meine Jungfrau Kluge«, sagte Fungel ärgerlich, »und wenn jeder, der den Vollmond begrüßt, schon zum Teufel gehört, dann sind wir alle ... « »Ein Gnom, den ich kenne«, fuhr Ka fort, »sagt, er hätte sie gesehen, wie sie den Nebel von den Wiesen pflückte und zu Geistern spann mit grünen Lippen.« »Aha, man muss also nur Blumen beim Morgentau pflücken und schon bist du ein Zauberer! « Ka war jetzt aber in Schwung gekommen und fuhr unbeeindruckt fort: »Sie kann jemandem Schmerzen bereiten, wenn sie in dessen wächsernes Abbild Nadeln steckt.« »Ha! Jetzt weiß ich endlich, woher der Wind weht. Dich zwickt und zwackt es irgendwo, und deshalb muss sie aus böser Absicht Nadeln stecken!« Ka grinste verschlagen und seine Stimme wurde glatt und kläglich. »Komisch, dass du das erwähnst, aber in der letzten Zeit haben mir meine alten Knochen wahrhaftig übel mitgespielt. Ehr lich.« Sein Ton wurde honigsüß. »So oder so«, winselte er, »ich glaub, du bist in sie verknallt, Fungel. « Fungel lachte. »Verknallt! Nimm ein Bad, du krümliger Erdenkriecher! Ich hab dich öfter hier in meine vier Wände zum Essen geladen, als ich zählen kann, und ich bin nicht in dich verknallt, da kannst du Gift drauf nehmen!«
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»Topp, dann hast du wohl Recht, Fungel. Wir wollen kein Wort mehr darüber verlieren.« Das Grinsen blieb ihm aber trotzdem in den Mundwinkeln sitzen. Fungel gab ein verärgertes Grunzen von sich und räumte Kas Becher wieder weg, um deutlich zu zeigen, dass er die Sache für abgeschlossen hielt. »Noch einen letzten Schluck, um dein Blut wieder aufzuwärmen, und dann schick ich dich heim«, sagte er und ging mit schlurfenden Schritten in die Küche. »Bier hilft mir«, rief Ka hinter ihm her und seine Stimme triefte wie Sirup, »aber "r dich müsste es was anderes sein.« Er schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Ein Jammer, dass du nicht besser mit ihr zurechtkommst, wo sie doch das einzige weibliche Zwergenwesen im Umkreis von dreitausend Meilen ist oder so ... « Fungel gab keine Antwort, aber Ka konnte erkennen, dass der Pfeil sein Ziel erreicht hatte. Er schämte sich etwas, weil er seinen Freund so vergrätzte, und das auch noch nach dem schmatzhaf testen Fraß seines Lebens. Um also etwas von der guten Stimmung zu Beginn des Abends zurückzuholen, rief Ka seinem Freund, der ein Heißbier wärmte, zu: »Mandrake, der alte Mogler, hat mich neulich abends besucht und einen tollen Witz über die Menschlinge erzählt. Kennst du den vielleicht?«, und dann schraubte er die Stimme in die Höhe und machte Fungel nach: »Nein! Ach, spann mich bitte nicht auf die Folter, Ka!« Der Gnom verrenkte den Hals und versuchte zu sehen, ob Fungel zuhörte. »Na gut, dann erzähl ich ihn dir!«, antwortete sich Ka wieder selber. »Es muss da also eines von diesen menschlichen Wesen gegeben haben, der hat Enoch geheißen, und er ist grade in ein neues Haus gezogen, und dann trifft er seinen Kumpel Eli, und der fragt, wie es ihm gefällt. >AchTjadas ist wirklich ein Problem.Hab ichHab sie ihm einfach abgekauft. Jetzt kakeln und spektakeln sie in meinem Garten und er kann nicht schlafen.< « Schweigen. Ka schlug sich auf die Knie. »Und er kann nicht schlafen!«, wiederholte er und lachte laut und künstlich. Fungel starrte zur Decke empor. »Hör nur den Wind«, sagte er, »der Sturm wird immer schlimmer.« Er drehte sich um und schaute Ka an, und der Gnom kam sich wirklich albern vor, denn Fungel hatte nicht an Klatsch und Tratsch über Zwergendamen gedacht und auch nicht schlicht nur schlechte Laune gehabt. Er war wegen Emma tief besorgt. Denn wenn ein Zwerg das Fest der Tagundnachtgleiche verpasst, muss etwas Ernstes vorliegen. Kein Sturm und keine andere Naturgewalt könnte ihn fern halten. Fungel war jedoch fest davon überzeugt, dass es nicht nur am Sturm lag. Ka, der sich jetzt richtig elend fühlte, rappelte sich aus seinem Sessel heraus. »Ich will dir was sagen, Fungel«, sagte er, sehr viel munterer, als er sich fühlte, »ich geh mal raus und schau mich nach ihr um. Wahrscheinlich sitzt sie sicher unter einem Baum, um das Schlimmste abzuwarten. « »Und da soll ich dich auch noch rauslassen?«, fragte Fungel. Er schüttelte den Kopf. »Nicht nötig.« »War ja auch gar nicht draußen«, beharrte der Zwerg, »drunter würd ich sein. Buddel mich durch den Boden wie ein Fisch durch das Wasser, und von Zeit zu Zeit steck ich den Kopf raus und schau nach, was los ist. Werd im Handumdrehen wieder hier sein, mit ihr.« Fungel dachte nach. Es behagte ihm ganz offensichtlich nicht, noch einen seiner Freunde bei diesem merkwürdigen Wetter unterwegs zu wissen. »Sieh mal«, drängte Ka, »ich würd mich doch ohnehin bald auf die Socken machen und du willst in die Falle. Da kann ich mich doch auf dem Heimweg ein bisschen umschauen, oder?« Fungel nickte langsam, weil es an diesem Vorschlag nichts auszusetzen gab. Er umarmte Ka und verabschiedete ihn mit einem so ernsten und innigen Segensspruch, dass er auf Ka wie ein Alarmsignal wirkte. Aber er dachte: Versprechen müssen gehalten werden und es war, wie gesagt, ohnehin sein Heimweg. Nach diesem Abschied schlug Ka ohne weitere Worte den Teppich zurück und buddelte sich kopfüber in das Loch, aus dem er aufgetaucht war, während Fungel zurückblieb und aufräumte. Fungel kniff die Kerzen aus und schuffelte mit müden Füßen im Zimmer hin und her. Da er todmüde war, schwor er sich, morgen früh gleich als Erstes das Geschirr zu spülen und Kas Erdloch zu verschließen.
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Was war das für ein Tag! Ein Tag der Höhepunkte. Ein Tag zwischen den Dingen. In ein und demselben Augenblick stand ich zwischen Sommer und Herbst, zwischen Tag und Nacht, zwischen schönem Wetter und dräuendem Sturm, zwischen einer Zeit der Fülle und einer Zeit des Vorrates, zwischen Heimat und Fremde. Und dann schließlich der Grund für dieses Abschiednehmen: Weil ich im selben Augenblick auch am schwindenden Rande meines Landes stand und am nachdrängenden Rande des anderen: des Landes der Menschen, des Landes No. Er stocherte mit dem Poker in der Kaminasche, um die letzte Glut zu ersticken. Da ließ ihn ein Geräusch im Schornstein innehalten. Ein geisterhaftes, herzzerreißendes Klagen ließ ihm eine Gänsehaut über Arme und Rücken laufen. Da oben hat sich was gefangen, dachte er, ihm fielen wieder die Worte seines Bruders ein. »An dem Tag, an dem dir der Ruß vom Schritt der Fremden auf deinen Herd regnet . . . « Abermals entließ der Abzug ein jammerndes Seufzen, und Fungel begann sich schon erleichtert zu fühlen, weil es so offensichtlich der Wind war, der in der Esse heulte, und das hatte nichts ... Ruß rieselte aus dem Rauchfang heraus. Fungel griff wieder nach dem Poker und spannte sich wie eine Feder. Kratzen von Krallen und schwaches Rascheln. Fungel merkte, wie verkrampft er den Poker umklammerte, und ließ ihn sinken. Er wusste genau, dass Worte mächtiger waren als jedes kalte Stück Eisen - wenn er noch Zeit hatte, sie auszu sprechen. Ohne Vorwarnung war die ganze Herdstelle ein schwarzes Geflattere. Fungel holte Luft, um seinen Zauberspruch zu singen, aber das kreischende Gespenst machte einen Satz und ließ den Ruß aus sich regnen. Fungel taumelte zurück und stürzte mit einem Schrei zu Boden, wobei ihm heiße grobe Klauen in den Mund gerieten. Wie wild schüttelte er den Kopf, umflattert von Schwärze und betäubt von schrillem Geschrei. Er kämpfte gegen die Klauen, die sich in das zarte Innere seines Mundes krallten. Fungel starrte dem Wesen in die Augen. Diese drohten sonnengolden und dämonisch über einem hackenden Schnabel. Die zweite Klaue packte seinen Kittel. Das reicht!, dachte Fungel, packte das Wesen und zerrte. Die Klauen gaben nach. Fungel richtete sich auf und öffnete den Mund, um einen mächtigen Zauberspruch loszulassen, der das schwarz gefiederte Ungeheuer in Bettfedern verwandeln sollte. In seinen Händen hielt er eine zu Tode erschrockene Eule. »Dunnerblomster! « Fast zu Tränen erleichtert, streichelte und klopfte er den rußgeschwarzten Vogel mitten auf dem Fußboden im Wohnzimmer, summte und brummte, während das verängstigte Geschöpf allmählich aufhörte zu zappeln und Fungel spüren konnte, wie ihm wieder Ruhe und Frieden durch die Glieder strömten. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass der Vogel nicht verletzt war, begann Fungel zu kichern. Arme Eule! Hatte in dem Astloch einer alten hohlen Eiche auf der Insel Zuflucht gesucht und war stattdessen in eine schwarze, verrußte Hölle geraten! Denn Fungel hatte den Rauchfang ebenso wie seine Haustür kunstvoll versiegelt. Arme, verrußte Eule! Ihre Klauen waren auf dem verrußten Gemäuer ausgerutscht, sodass sie herabgeflattert war, zu ihrem Glück nur in die heiße Asche. Als er spürte, dass sich der Schreck der Eule legte, wischte ihr Fungel den Schmutz aus den versengten Federn und wusch ihr die Brandflecken aus. »Hier aus der Gegend bist du wohl nicht«, bemerkte Fungel, »denn ich möcht wetten, dass ich hier jede Eule kenne. Was hat dich denn in dieser wilden Nacht so weit von zu Hause wegge trieben, hm?« Er fütterte die Eule mit eingeweichtem Maisbrot und Wasser und setzte den schweren Vogel dann auf ein Brett. »Also, mein Kind«, sagte er sanft und füllte seine Stimme mit Einschlafzauber, »heute Nacht wird nicht mehr gejagt.« Er streichelte der Eule die Nackenfedern mit der Rückseite eines Fingers. »Schlaf gut die ganze Nacht und beim Licht des nächsten Tages bring ich dich wieder auf deinen Weg. « Noch während er sprach, hatte die Eule ihre müden Augen geschlossen. Fungel ließ die Eule schlummern und warf einen Blick auf das Durcheinander in seinem Wohnzimmer. Jetzt war zu dem Geschirr und Kas Loch noch der Ruß gekommen, als ob Frau Holles dunkle Schwester einen Sack mit schwarzem Mehl über alles ausgeschüttelt hätte. Fungel seufzte. Morgen, dachte er. Heute hab ich den Kopf mit anderen Dingen als mit Hausputz voll. Fungel wusch sich rasch und bürstete sich das Fell zur Nacht. Dann kniete er in seinem Schlafzimmer nieder und sang einen Dank in den seltsamen und verschränkten Sätzen der Sprache eines Landes, das lange versunken war. Er schuf eine Zaubermauer, einen mächtigen Wall gegen die Schrecken der Nacht, die irdischen und die des Geistes. Dazu zeichnete er beim Singen kunstvolle Zeichen in die Luft und allmählich sickerte wässriges Licht in die Dunkelheit seines Raumes. Ein blasser, leuchtender Nebel schien aus Fungels Innerem aufzusteigen, bis er von immer größer werdenden Kreisen umgeben war, wie ein Fisch, der den glatten Glanz des Wasserspiegels
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durchbricht. Der blaue Nebel schwebte empor, schlug Wellen an den Wänden und hatte bald die ganze Kammer erfüllt. Kurz bevor er in das weglose Reich des Schlafes sank, hörte Fungel einen fernen Schrei. Er fuhr wie ein Hieb durch die Nacht, von irgendwo weit jenseits des Tales, ein Schrei voll Not und Todesangst. Fungel lauschte, innerlich bebend. Er wusste, dass die Nacht die Zeit des Jagens und des Tötens und des Fressens war, eine Zeit für gierige Fänge, in der kleine Leben aufgestöbert werden und nur mit einem Winseln oder einem erstickten Klagelaut ihr Ende finden, dem das Knirschen der Knochen folgt. Fungel kannte sein Land auch bei Nacht. Dieses Flattern der Fledermausschwingen und jenes Wühlen von Maulwurf und Wurm, jeden Ruf der Eule, all das Trippeln und Trappeln und das Geheul im tiefsten Wald - aber in seinem ganzen Leben hatte er noch keine so unverhüllte Wildheit und keinen so unirdisch schrecklichen Schrei gehört. Da fiel ihm der Ruß wieder ein, der aus seinem Rauchfang geregnet war, und er dachte an das alte Zwergensprichwort: »Fällt der Ruß aus dem Kamin, zieht's den Alten zu dir hin.« Auf den Ruß war die Eule gefolgt, vielen ein Unglückszeichen und ein Bote des nahen Todes. Und das alles in seinem Wohnzimmer! Aber auch in die Landschaft der Träume hatte er Hüter gesetzt, die ihn beschützten, und im Schimmer ihres Lichtes, das Fungels Schädel sanft umstrahlte, kuschelte er sich endlich in die Kissen. Er rollte sich wie ein Ungeborenes ein und schlummerte weg, begleitet von der letzten Ahnung des schrecklichen Schreis.
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Reise ohne Raum Dunkel war von Dunkel verborgen. Fungel fiel. In Schweigen eingehüllt, stürzte er in eine sternenlose Leere. Er konnte nicht sagen, ob seine Augen offen waren oder geschlossen. Für das, was ihm die Leere gönnte, hätte er keine Augen ge braucht. Keine Glieder, kein Herz, keine Lungen. Da war nur Fungel, nichts was ihn umfing. Ihm schien, als hörte er Stimmen, die wie das Kreischen einer gequälten Geige klangen, aber ohne Hinweis für seine Sinne konnte er nicht sicher sein, ob die Stimmen aus dem Innen oder Außen stammten. Er spürte jedoch eine Gegenwart, als sei das ganze Garnichts nur eine Tintenflasche in der Kralle einer schattenhaften geistigen Kraft. Und von unter dem Fundament der Leere - der flüchtige Eindruck eines Gelächters. Blasses Licht schmolz unter ihm, wurde heller, bis zwei gelbe Kreise wie wachsende Sonnen leuchteten. Fungel fühlte eine Beschleunigung - ein Schwindelgefühl. Geschlitzte Pupillen zersprengten die Sonne und verwandelten sie in ungezähmte wilde Augen. Fungel zwang seinen Willen, die Augen zu schließen, aber sie gehorchten ihm nicht. Er bemühte sich sie zu bedecken, aber seine Hände folgten ihm nicht. Er versuchte seinen Kopf abzuwenden, aber eine sanfte Stimme erklang ihm wie eine lautlose Drohung im Kopf: Du musst das sehen. Jenseits der Leere ein flüchtiger Eindruck von Schwingen, die sich spreizten. Fungel fühlte sich schwach und nackt in einer Blase des Alls, die kaum dem Chaos widerstand, das sie umschloss und zu zerstören suchte. Um die schlitzäugigen Sonnen herum wurde die Dunkelheit dichter. Ein dumpfes rotes Licht begann in ihr zu brodeln. Ein Gesicht nahm Gestalt an. Eine schreckliche dräuende Maske, aus den ältesten Urängsten entstanden, aus der Fucht vor dem verzehrenden Feuer, vor dem Raubtier, das sich hinter dem Leben des Feuers, hinter der Flut des Lebens verbirgt. Es schaute ihn an, und der Blick war wie Krallen, die ihm quer übers Herz kratzten. Sein linkes Auge wurde zu Kristall, feuerrot, mit listigen Facetten, die so viel Licht schluckten, wie sie widerspiegelten. Das rechte Auge schwirrte und wurde eine Welt, von einem Firmament umgeben, über einem himmelblauen Ozean und Hügelketten. Mit Wolken betupft, die gegen Abend segelten, war sie auf ihrem Sockel im Antlitz der Leere herzzerreißend schön und schrecklich zerbrechlich. Bei ihrem Anblick stiegen Fungel sehnsüchtige Tränen in die Augen. Das Kristallauge glühte. Das rechte Auge war mit aschenem Grau verschmiert, das den Globus verheerte, bis er leer, kalt und tot um sich selber kreiste. Eine Wüstenei. Lederne Schwingen breiteten sich übers All. Funkelnder Kristall und tote Welt wichen gelben geschlitzten Ziegenaugen. Darunter klappte das tückische Maul auf und enthüllte Reißzähne, aufgereiht wie Bergeszacken. Fungel stürzte in die Schlucht des Rachens. Schwefelatem fuhr heiß über ihn. Baphomet, flüsterte es in seinem Kopfe. Die Berge trafen sich knirschend, als sich das Maul schloss, um ihn zu verschlingen. Die Leere kehrte zurück. Fungel fiel - um mit einem Knall auf seinem Schlafzimmerboden zu landen. Er wachte mit einem heiseren Keuchen auf. Sein Herz raste wie ein Echo auf den Aufprall seines Sturzes. Verstört schaute er sich um und nahm das flackernde blaue Schutzlicht in sich auf, das seinen Raum erfüllte. Direkt über sich sah er, wie das blaue Licht zuckte. Auch als er hinschaute, ließ es nicht nach. Fungel streckte die Hände vor sich aus. Du liebe Güte, ich zittere ja am ganzen Leibe wie ein Saugling nach seinem ersten Fußmarsch! Seine Hände hoben sich zu seinen Wangen und wurden feucht. Was soll denn das bedeuten? Also, so was, ich bin ja nass, wie aus dem Wasser gezogen, von Kopf bis Fuß! Er schaute sich in seinem friedlichen Raum um. Steinkrüge standen im beschützenden Licht wie kühle graue Wächter da, sie bargen in ihren Bäuchen gemahlenen Eichelkaffee, Beberitzensaft und Ingwerwurzeln. Ein Regal über seinem Bett stand voller Heilmittel: smaragdf arbene Phiolen, die genug Tinkturen und Tränke enthielten, um die Schmerzen einer ganzen Stadt zu stillen. Man soll sich an den alten Zwergenaberglauben halten, dachte Fungel: »Kräuter überm Bett, im Haus, treibt das Weh im Schlaf dir aus. « Hehehe! Mein Traumweh heute Nacht war wohl eher ein Wehweh, zu stark für die Kräuter. Er schlotterte vor Kälte auf dem Dielenboden. Der Schrecken in der Nacht hat mich kälter gemacht als eine Träne im Auge einer Kröte. Blöder Vergleich!
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Er packte seinen Fuß und rieb eine pelzige Beule über seiner Hüfte. Aus dem Bett zufallen!, dachte er in unbestimmter Verwun derung. Wie ein dummes kleines Kind, aus dem Bett und plumps - und nichts dazwischen. Von einem Haken, der wie ein Reiherschnabel geformt war, nahm er seinen reich gefältelten Morgenrock und zog ihn an, wobei dieser leise raschelte. Er wickelte sich die Schärpe um den Bauch, der vom Festessen immer noch prall war, und verließ den Ort der gestörten Bettruhe, um sich in der Küche eine Tasse Karnillentee als Schlaftrunk aufzugießen. Dämpfe werden mit Dämpfen bekämpft, hatte ihm Vater Wuschel beigebracht, und das war wahr. Ach, mein Vater, dachte Fungel verloren, wo steckst du wohl in dieser scheußlichen Nacht? Die Eulenbesucherin saß auf ihrem Brett und schlief, wobei sie sich unruhig bewegte. Geistesabwesend sprach Fungel im Vorbeigehen einen Segensspruch für den Nachtvogel und die aufgeregte Eule wurde ruhig und schlief wieder fest ein. Der Kessel war wie eine fette Katze geformt, die auf dem Rücken lag. Während er ihn füllte und auf dem wieder angezundeten Herd zurechtrückte, tätschelte Fungel den dicken Kessel bauch und sagte: »Hier sind deine Nachtgespenster, du alter Waldzwerg.« Er kicherte leise. Die Kesselkatze begann zu fauchen und Fungel nahm sie vom Feuer. Da schoss ihm ein scharfer Schmerz durch den Arm und er musste den Kessel sofort wieder absetzen. Er verdrehte den Arm, um die Krämpfe zu lindern, und sprach einen Zauberspruch, um die Muskeln zu lockern. Seine Arme, genau genommen sein 00 ganzer Körper, wie er jetzt bei einer Überprüfung seines Leibes merkte, fühlte sich so abgenutzt wie ein einjähriger Stiefel an seinem tausendsten Tag an. Er war wirklich abgewetzt und ausgelaugt, womit man ja auch rechnen musste, bei all dem Schuften und Schleppen... Nee, warte mal, das stimmt nicht! Ich hab heut Abend nicht mehr getan, als gekocht und gegessen. Es war ja in meinem Traum, dass ich die Glieder nicht mehr regen konnte, nicht einmal die Augen schließen. Ja, das stimmte. Im Traum war er wie eine Marionette gewesen, eine nachgiebige Hülle namens Fungel, von fester Lederfaust geführt. Und Fungel hatte sich gegen den stählernen Griff des Pup penspielers gewehrt, der ihn so fest gehalten hatte, aber all seine Anstrengungen waren für nichts und wieder nichts gewesen... Ich will mich mit einer Rostklinge rasieren, wenn mir nicht alle Muskeln am ganzen Leibe gerade deshalb so verkrampft und versteift sind. Das war schon richtig, aber selbst wenn er im Traume festgehalten wurde, konnte er doch wohl im Bette um sich schlagen? Selbst in den Klauen eines einfachen Nachtmahrs hätte ihn die Schutzbeschwörung, die er jede Nacht wieder aufbaute, tief im Herzen der Sicherheit gehalten. Wie sein einfacher Zauber um sein kleines Boot, wie die Beschwörung, die seine Eichentür befestigte, die Schutzhülle, die Fungel jeden Abend um sich selbst webte, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Das war der stärkste Zauber, den Fungel nur vorsichtig anzuwenden wagte, damit er nicht ins Gegenteil umschlug, nämlich: alle Aufmerksamkeiten gerade auf sich selber zu lenken (denn es gibt welche, die können, wenn sie das rechte Wissen haben, Zaubersprüche wie Leuchttürme ausmachen), und obgleich die Schutzbeschwörung sehr stark wirkte, war sie nicht fehlerlos. Jedes Geschöpf oder jedes Ding, das nur fest entschlossen war, ihn zu finden. .. ... würde es auch schaffen. Fungels Nackenfell sträubte sich. Er dachte an das zitternde Zucken im Zauber an der Decke, dicht über seinem Bett. Wie die letzte Spur von etwas, das ins Wasser gesprungen war. Hineingesprungen... Oder herausgefallen? Fungel schwenkte die Hände, als ob er Rauch wegwedeln wollte. Ach, das ist unsinnig, dachte er. Ein Stück Stinkekäse liegt dir auf dem Magen und lässt dich Nachtgespenster sehen, und dann findest du hier unheilvolle Zeichen. Hat dir dein eigener Papa nicht erzählt, dass man bei Nacht in den Schatten des Laubes nie freundliche Gesichter sieht, weil dein Gemüt des Nachts nicht nach freundlichen Gesichtern Ausschau hält? Genauso ist es mit den Nachtgespenstern, Fungel. Da braut sich ein Sturm zusammen, da sind Freunde unterwegs, und da hat es wirklich keinen Sinn, sich vom Stinkekäse wahrsagen zu lassen! Er nickte sich selber zustimmend zu, während er kochendes Wasser aus seinem katzenförmigen Kessel in den fischförmigen Be cher goss. Das sind die Dämpfe, die du brauchst, mein Freund. Als Nächstes suchst du in der Unordnung im Wohnzimmer nach bösen Vorzeichen! Er lächelte, behütet von seiner Umgebung, und dachte, wie .das Vertraute Vertrauen hervorbringt. Voll Zuversicht trug er seinen Tee aus der Küche durch das kalte Wohnzimmer in das Schlafzimmer. Auf dem Teppich vorm Kamin hatte der Ruß dort, wo er mit der erschrockenen Eule gerungen hatte, die Form eines groben fünfzackigen Sterns angenommen.
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Fungel runzelte die Stirn. Also, das ist ja merkwürdig! Abwesend ließ sein Finger die Teekugel wie eine Fliege im Fischmaul seines Bechers tanzen. Er warf der Eule auf ihrem Brett einen Blick zu. Küh les blaues Licht aus Fungels Schlafzimmer zeigte die tiefe Zufriedenheit auf des Vogels Federmiene. Schläft jetzt, bemerkte Fungel. Aber die alte Eule war doch ziemlich unruhig, als du aus deinem Schlafzimmer gekommen bist, ganz verwirrt und durchgeschüttelt, oder was? Oder wie? ? Als ob sie etwas geweckt hätte. Bevor er zurück in sein Schlafzimmer ging, warf Fungel einen letzten Blick in die Runde. Wohnzimmer dunkel und ruhig, schiefergraue Reste der Holzscheite im Kamin. Ein Denkmal des Wohlbehagens, das es davor verbreitet hatte. Zum ersten Mal, so weit er zurückdenken konnte, war da in Bezug auf sein Heim ein Hauch von Unsicherheit, die Fungel im Hinterkopf saß. Noch nie in seinem Leben hatte er die Ecken nach hu schenden Schatten abgesucht und sich dabei ertappt, wie er die Ohren nach ungewohnten Geräuschen spitzte. Fungel hatte das Gefühl, als sei bei ihm eingebrochen worden. Dies ist doch mein Zuhause!, dachte er ärgerlich. Es schaut über mein ganzes Tal, aber jetzt ist jemand hier eingedrungen und hält Ausschau durch mich! Fungel wandte sich plötzlich um und starrte die Eule an. »Jemand ist in mein Heim eingedrungen ... «, überlegte er laut. Er verdrehte sinnend den Kopf, sah dabei selbst wie eine Eule aus. »Die Nacht ist dein Nest, Eule«, dachte er laut, »und diese Augen lassen sich nicht viel entgehen. Hast du mir dann meine schlimmen Träume gesandt?« Er näherte sich der Eule. Streckte einen Finger aus. Senkte ihn. »Was hab ich nur in mein Haus gelassen?«, fragte er sich. Die Eule schlief weiter. Na ja, in so einer Nacht kann ich dich ja nicht einfach rausschmeißen, nur weil ich aus dem Bett gefallen bin. Aber morgen wirst du wieder auf dem Weg zurück zu dem Baum sein, den du dein Heim nennst, und dafür wirst du mir meins lassen, besten Dank im Voraus. Überspült vom blauen Licht seines Schlafzimmers, sang er noch einmal den Zauberspruch, um alle Beschwörungen zu kräftigen. Dann setzte er sich aufs Bett und trank seinen Schlummertrunk, wobei er den Blick auf die Stelle an der Decke richtete, wo das Licht gezuckt hatte. Die Stelle lag direkt da, wo er neben dem Bett gelandet war. »Also, Fungel, alter Zwerg«, sagte er laut, »du warst kein echter Zauberer, wenn du Zeichen übersähest, die so klar wie Regenwasser sind. Das erste Tageslicht, denke ich, sieht uns über den Büchern sitzen und bei einem Spruch für den Herrn der Träume.« Er schaute zur Decke hinauf. »Und alles, was sich in meinen vier Wänden heimisch niederlässt, putzt sich gefälligst die Schuhe auf der Matte ab. Ich werd das überprüfen!« Aber seine Angeberei klang ihm hohl in den Ohren. Er hatte schließlich jemanden angesprochen, der seine so sicheren Abwehrmaßnahmen durchbrochen und wie eine Puppe mit ihm gespielt hatte. Er warf sich hin und her, bis der starke Tee endlich seine Wirkung zeigte, und dann schlief Fungel ein - wenn auch nicht so unbeschwert wie vorher.
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Zwergeltung Karbol Erdenwurm grub sich emsig unter dem See zu Fungels Haus hindurch, wobei er unaufhörlich vor sich hin fluchte: Das ist vielleicht ein Zwickezwacke-Zwerg, der mir die eigenen Löcher - zack hinter der Hacke verrammelt, kaum dass ich weg bin! Lebt in der Mitte vom See, als ob er selber eine Insel war - und die einzige Tür liegt auch noch - platsch - mitten im Tageslicht! Diese verdammte Sonne, knallt runter und brät ein armes Gnomenluder wie mich, bis ich am Rande Blasen schlage. Puh - Freunde zu haben, das ist manchmal wirklich eine Prüfung! Und so weiter und so weiter, während seine Maulwurfspfoten die Erde mit einer solchen Geschwindigkeit wegschaufelten, dass es einen schon beeindrucken konnte. Ka hatte ebenso wie Fungel gelernt, seine unterirdischen Wanderungen so unauffällig wie möglich zu betreiben, denn in den vergangenen Jahren war das Gerumpel, das ihn so anlockte, in den meisten Fällen das massive Graben und Stampfen, das zum Bau der Fundamente für neue Menschenhäuser gehörte, und leider nicht das fröhliche Gangegraben seiner Artgenossen. Ka war seit vielen Jahren auf keinen andern verwandten Zwerg gestoßen, und jedes Mal, wenn er die Schallwellen durch die Erde dröhnen hörte, pflegte er sich hoffnungsvoll zu ihrer Quelle durchzubuddeln. Aber wenn er sie dann geortet hatte, landete der alte Gnom jedes Mal nur in einer riesigen Baugrube voll Maschinen, die gruben, baggerten, die Erde hoben und feststampften, und wenn Ka dann aus seinem hastig geschaufelten Gang hinausschaute, spürte er den Schmerz der Einsamkeit, der sich wie ein Splitter wieder ein Stück tiefer in sein Herz bohrte. Die feuchte Erde, die unter seinen Schaufelpfoten nachgab, wurde trockener, je weiter er vorankam, was bedeutete, dass er sich jetzt unter der Insel und nicht mehr unter dem See befand. Seine harten, spitzen Krallen kratzten an Felsgestein und er wich leicht zur Seite aus. Wanderer auf der Erde finden ihren Weg durch Landmarken - links bei diesem alten Baum, rechts bei dem Licht, Halt vor dem blauen Haus. Genauso machen es die Zwerge, nur: Ihre Landmarke ist die Erde selbst. Ka erkannte den Geruch und Geschmack und das Material der Erdkrumen, der Wurzeln und Felsen und der Risse von Erdbeben wieder. Als seine Pfoten auf die Pfahlwurzel einer bestimmten Eiche stießen, begann er senkrecht nach oben zu buddeln. Bald darauf begann er laut und heiser zu fluchen. Er würde ihn in die Pfanne hauen, wenn dieser verdammte mottenzerfressene Teppich nicht haargenau auf der gleichen Stelle läge wie in der vorigen Nacht! Ka schaufelte sich zum Wohnzimmer durch, aber diesmal stand kein Fungel bereit, um ihm herauszuhelfen. »Fungel!«, rief er und schaute sich um. Das Wohnzimmer war blitzsauber - außer dort natürlich, wo er gerade hereingekommen war. Man hätte vom Fußboden essen können, aber Ka war ohnehin nicht heikel. »Fungel! Verflixt, gleich bist du platt wie eine von den Menschenwanzen, jawohlja! So klein mit Hut! Hör mal, ich komm doch nicht den ganzen Weg angewetzt und du bist auf und davon! Fuuungel!« Ka fuhr herum, weil er ein Geräusch hörte. Die Tür, die zu Fungels unterem Raum führte, schwang nach innen auf. Von unten fiel ein blauer Glanz auf die Türöffnung und die ersten Stufen, die hinunterführten. Ka runzelte die Stirn. »Kommst du endlich runter?«, erklang es von unten, »oder spielst du in meinem Wohnzimmer Denkmal?« Ka schaute sich um. »Hehe! Das tat die Bude etwas aufputzen«, murmelte er, während er sich zur Tür wandte. Sie fiel hinter ihm von selber zu und Ka stieg eine lange und gewundene Holztreppe hinunter. Der blaue Glanz von Fungels Schutzbeschwörung wurde bei jedem Schritt heller, und die lose Erde, die er noch auf seinem Leib trug, platzte und staubte in diesem Energiefeld ab. In Fungels Zauber fühlte er sich unbehaglich und unsicher und alles mögliche andere, was auch mit »un-« beginnt. Nach der letzten Treppenkehre stieß Ka auf Fungel in seinem Arbeitszimmer, und da blieb er stehen. Der Raum lag in kühlem blauem Licht gebadet. Dicke Wurzeln schraubten sich wie leben dige Stalaktiten aus der Decke und wanden sich wie Venen die Wände herab. Bücher gab's überall im Überfluss: Sie steckten in Ledereinbänden, in kräftigen Regalen, sie stapelten sich wie schiefe Säulen auf Pult und Tisch und Fußboden, lagen dort eng geschichtet wie Bücherharmoniken nebeneinander. Und fest eingewickelte Schriftrollen, mit seidenen Bändern gebunden, steckten wie kostbare Weinflaschen in sechseckigen Fächern. Pergamentfolianten, Bücher in brüchigem Leder, Bücher mit Holzrücken und Angeln und winzigen Schlössern - selbst, was Ka erfreut konstatierte, ein zerfleddertes Taschenbuch, von Menschen gemacht. Gerade dieses Buch hatte Ka vor langer Zeit entdeckt, als er auf einen Haufen von verscharrtem Müll gestoßen war (und Müll ist für einen Zwerg das Gleiche wie ein Schatz), und er hatte es sofort Fungel geschenkt, weil er wusste, wie sehr sein alter Freund die Bücher liebte, wie obskur sie auch sein mochten.
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Im Lauf der Jahre hatte sich Fungel mühselig die größte Bucherei zusammengesammelt, die es in der Zwergenheit jemals gegeben hat - fast einhundert Bücher. Zu den kostbaren Stücken aus Willi Wetterborkes Erbschaft hatte er sich von allen Zwergensippen, die im Tal verstreut lebten, Bücher zusammengebettelt, ausgeliehen und eingetauscht. Wer sich von einem Buch nicht trennen wollte, den überredete er, dass er ihm erlaubte, es in seinen eigenen vier Wänden abzuschreiben, weil er bedrucktes Papier und Pergament über alles schätzte und liebte. Fungel hockte vor einem riesigen geschnitzten Pult, dessen Platte auf dicken Wurzeln ruhte, die wie muskelbepackte gekreuzte Arme aus der Wand ragten. Das Pult bestand aus Weide, dem weisesten aller Hölzer. In den Rand waren Tierköpfe und Zwergengesichter geschnitzt, kunstvolle Muster und Sinnbilder und uralte rechteckige Runen. Fungel hockte auf einem hohen Sitz und schaute durch eine metallgefasste Brille auf ein bebildertes Buch, das auf dem Pult lag. Aufgeschlagen war es fast halb so groß wie der Zwerg. Auf einer Wurzel neben dem Pult hockte eine Eule. Ka beäugte sie misstrauisch. »Karbol Erdenwurm«, sagte Fungel, ohne von dem Buch aufzublicken, »willkommen in meinem Wurzelwinkel.« »Besten Dank, Fungel«, begann Ka, »und gut, dass wir uns sehen, denn ich muss dir sagen. . . « Fungel bedeutete ihm jedoch zu schweigen, und obgleich Ka fast platzte, um seine Neuigkeiten loszuwerden, musste er doch stehen bleiben, von einem Fuß auf den anderen treten und seinen Freund betrachten, der jetzt nach oben schaute, als ob er mit aller Kraft versuchte sich an etwas zu erinnern. Er runzelte dabei die Stirn und seine Lippen bewegten sich lautlos. Er lernt einen Zauberspruch auswendig, das ist es, dachte Ka und fühlte sich ganz eingeschüchtert. Es ist ja schön und gut, wenn man weiß, dass der liebste Freund, den man hat, ein Zauberer und Schamane ist - aber es ist etwas ganz anderes, wenn man ihn in seiner geheimen Kammer über Büchern brüten sieht, die älter sind als die Erinnerung von Americka. Fungel? Der ZwickezwackeZwerg, der den schmatzhaftesten Schlammwein oberhalb der Erde mischt, und Fungel Fuchswitz, ein Weiser und Schamane? Ka konnte nicht lange auf einer Stelle stehen und schweigen, und deshalb bewegte er sich in der Klause lautlos hin und her, schnalzte aber nur leise, weil er merkte, wie tief versunken Fun gel an seinem Pult saß. Er warf einen flüchtigen Blick in das aufgeschlagene Buch: Die Buchstaben hatten für ihn keine Bedeutung, und die Zeichnungen - ein flammendes Schwert, ein Teufelsgesicht mit einem Funkelstern auf der Stirne - bereiteten ihm kein großes Vergnügen. Neben dem Pult waren ungefähr ein dutzend Bücher gestapelt und Ka konnte die Titel entziffern. Sie lauteten: Vom Ursprung des americkanischen Übels; Das Zauberbuch der Zwergentraume; Verwandlungen und Beschwörungen. Und schließlich: Aufstieg und Fall des Atlantischen Reiches, mit einem Nachwort über die Besitzer bestimmter Kristalle. Hmhm. Gelehrtes Zeugs. Bücher mit solchen Titeln würd ich gar nicht erst aufschlagen. Während Fungel noch beschäftigt war, trat Ka an die Fächer mit den Schriftrollen. Ka besaß einen Instinkt für Altertümer und liebte sie auch, und deshalb wusste er, als er die Rollen in ihren Fächern sah, dass sie mit Weisheit gefüllt waren und zu den ältesten Dingen von Menschenhand gehörten, auf die er je gestoßen war. Erfreut reckte er sich empor, um danach zu greifen. Da hielt er inne. Er runzelte die Stirn. Er hielt die Hand vor sich hoch und bewegte sich von den Bücherfächern fort. Dann fand er sich dicht beim Eingang vom Wurzelwinkel, wo er sich den Kopf kratzte. Also hör mal, was hab ich denn grade... Nanu, da sitzt ja Fungel an seinem Pult und liest! Sieht ganz geschäftig aus. Na, dann guck ich mal in der Klause rum, bis er Zeit für mich hat, dann... Hallo, was haben wir denn hier? Rollen? Schöne alte Rollen, alte aufgerollte Rollen, und da soll mich doch wer mit dem Klammerbeutel pudern, wenn die Fächer nicht mindestens so alt wie die Rollen wären! Würd ich mir gern einmal anschauen. Ehrlich. Fungel hat sicher nichts dagegen, wenn ich nur... Und schon stand er wieder an der Tür vom Wurzelwinkel und kratzte sich den Schädel. Also, was wollte ich denn grade... ? Nanu, da sitzt ja Fungel an seinem Pult, grinst übers ganze Gesicht, als ob ich grade einen tollen Witz erzählt hätte! Tja, hab ich vielleicht ja getan. Kommt mir so vor, als ob ich mich an irgendwas Komisches erinnerte, obwohl... Fungels Lächeln war freundlich. Und als er zu reden begann, klang seine müde Stimme amüsiert, aber nicht spöttisch. »Hat keinen Sinn, zwischen meinen Rollen herumzustöbern«, erklärte er dem verstörten Zwerg. »Du wirst nur jedes Mal wieder am Fuß der Treppe landen und dir den Schädel genauso kratzen, wie du es jetzt tust.« Ka schnippte mit den Fingern. »Das ist es gewesen!«, sagte er triumphierend, »hab mir deine Rollen angeschaut!« Er runzelte die Stirn. »Nur... hab ich nicht grade ... ?« Fungel schmunzelte schwach und hatte Mitleid mit dem armen, verwirrten Gnom. »Auf ihnen liegt ein Zauberspruch«, sagte er, »ein Spruch des Vergessens. Jeder, der sie auch nur zu berühren versucht,
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dem reisst der Faden, und er vergisst alles, was er will. Bist du nicht schon mal in deine Speisekammer gegangen, um dir einen Happen zu holen, und dann hast du plötzlich dagestanden, hast dir den Schädel gekratzt und den Kopf zerbrochen, weswegen du um Himmels willen hergekommen bist?« »Hab keine Speisekammer«, bekannte Ka. »Ist ja egal, aber glaub mir, es ist genau das gleiche Gefühl, und so binde ich die Erinnerung, um alle meine gebundenen Bücher zu schützen.« Ka nahm das so hin, obgleich Fungel genau sah, dass er es nicht ganz begriff. Er stand nur da und nickte, und nach einem Augenblick begann seine Aufmerksamkeit schon wieder abzuschweifen und er starrte verstört in die Klause. Fungel seufzte. Die unangenehme Seite dieses Schutzspruches bestand darin, dass die Betroffenen überhaupt nicht mehr wussten, was sie wollten, nicht nur im Hinblick auf das Herumstöbern in anderer Leute Bücherregalen. Fungel schlug sein gewaltiges Buch zu und schaute dem verdutzten Gnom ins Gesicht. »Was Neues, Ka?«, drängte er sanft. »Neues?« »Du bist doch Emma suchen gegangen, weißt du noch?« »Donnerlittchen, Fungel, bin ich wirklich! « Doch dann riss ihm der Faden wieder. »Und?« Fungel war von den langen Nachtstunden des konzentrierten Studierens erschöpft, und jetzt machte ihn sein Freund ganz kribbelig, obgleich er genau wusste, dass es seine eigene Schuld war, weil er seine Zaubersprüche nicht ganz genau gesetzt hatte. »Und was, Fungel?«, fragte Ka. »Und was für Nachrichten von Emma!«, bellte ihn Fungel fast an. »Oh!«, machte Ka, dem ein Licht aufging. »Ah! Ja richtig! Jetzt fällt's mir wieder ein!« Er schnippte mit den Fingern - und dann erstarrte er, mit aufgeklapptem Maul und einem hochgereckten Finger, der zur Decke deutete. Plötzlich wurde seine Miene aufgeregt. »Giblins! Darum bin ich ja gekommen, das wollte ich dir sagen. Giblins! « »Oh, ich kann sie schon riechen«, sagte Fungel. Gnom und Waldzwerg knieten hinter einem Brombeerbusch. Vor ihnen lag ein Stück nackter Fels, halb von Efeu, Flechten und Ranken bedeckt. Ka legte einen rauen Finger an sein gewaltiges Riechorgan. »Hab's dir doch gesagt! Diese Nase hat mich noch niemals falsch gelenkt. Ich hab sie riechen können, ohne einen Fuß hineinzusetzen!« »Wenn die Giblins wirklich in Emmas Haus sind, dann könnte sie ein Blinder mit dem Krückstock riechen«, sagte Fungel. »Ich hab gehört, selbst Stinktiere kreischen vor Entsetzen und nehmen Reißaus, wenn sie Giblins wittern«, sagte Ka. »Das will ich nicht bezweifeln.« Fungel stand auf und schulterte seinen Packen. »Na gut, dann wollen wir mal reinschauen«, sagte er. Ka zerrte ihn zurück, die kleinen Knopfaugen weit aufgerissen. »Bist du verrückt? Da sind die Giblins drin!« Er schnüffelte bedeutungsvoll. »Dann hat es sowieso keinen Sinn, hier herumzuschleichen, oder?«, fragte Fungel. »Schleichen oder mit Donnergepolter auftreten, die Kerls preschen so und so mit eingelegter Lanze auf dich los, gleichgültig, was du machst. Das ist Tatsache, das muss man schlucken, und deshalb wär ein Zauberspruch, der uns beim Handeln hilft, das Gescheiteste, wie?« Damit marschierte er so kühn auf die Felslichtung wie ein Frosch, auf den die Fliegen warten. Ka knirschte mit seinen spitzen Zähnen. Sein empfindliches Fell der Sonne auszusetzen und zu riskieren, dass es hart wie Stein gebacken würde, war schon Opfer genug, da musste man nicht noch mutwillig die Giblins einladen, einem das Fell über die Ohren zu ziehen, um einen Stein zu wickeln und in den See zu schmeißen - nur, um das Platschen zu hören -, nee, also wirklich nicht. Ka hatte einmal einen wutentbrannten Giblin den Schädel gegen einen Apfelbaum rammen sehen, nur weil ihm ein Apfel genau auf den scheußlichen Kopf gefallen war. Hat dem armen alten Herrn Baum sicher mehr weh getan als dem Giblin, dachte er, während er sich widerwillig erhob, um Fungel zum verborgenen Eingang von Emmas Höhle zu folgen. Und ich gehe jede Wette ein, dass der Baum den Stromer absichtlich hat gegen den Stamm krachen lassen, nur damit er abhaut und seine Blätter endlich wiederfrische Luft atmen können! Er versuchte vergeblich die Sonne dadurch abzuwehren, dass er die Hände über den Kopf hielt, und rannte hinter Fungel her. Is ja deine eigene Schuld, Karbol Erdenwurm, schalt er sich selbst, dein Vati hat dir immer gesagt, du sollst deine Nase nicht in fremde Gänge stecken Fungel stand vor dem rankenumsponnenen Felsen. Irgendwo dort unter dem grünen Blätterteppich, das wusste er ganz genau, lag der Eingang zu Emmas Heim. Aber es hatte gar keinen Sinn herumzustochern, jedenfalls nicht, wenn - wie Ka behauptete - drinnen die Giblins warteten.
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Er nahm die Witterung auf. Ja, das war ein unverkennbarer Gestank nach Fäulnis - wie wochenalte Tomaten, die in sauer gewordener Milch in der Sonne vor sich hin schimmeln. Wenn keine Giblins in der Nähe waren, dann hatten sie sich wenigstens hier aufgehalten. Fungel konzentrierte sich auf die Tür und hielt nach verräterischen Zeichen des Eingangs Ausschau. Eine besonders prächtige rote Blüte fesselte seine Aufmerksamkeit, und er ertappte sich dabei, wie er sie fasziniert betrachtete, die zarten Umrisse ihrer samtigen Blütenblätter in sich aufnahm, den sanften Übergang von einer Farbe in die andere. »Wartest du auf `ne schriftliche Einladung?«, fragte Ka neben ihm. Fungel schüttelte den Kopf. Worauf wartete er wirklich? Seine Finger trommelten auf seinen Oberschenkel. Hmmm. . . Er starrte wieder den überwucherten Felsen an und abermals lockte die leuchtende Blüte sein Auge. So hübsch, so unpassend zwischen den Flechten und Ranken... »Fungel! « Kas heiseres Wispern brachte ihn wieder zu sich. »Was?«, fragte Fungel benommen. »Jetzt stehste hier schon volle fünf Minuten«, meckerte der Gnom, »in der Zeit hatt ich uns schon rein- und rausgebuddelt, noch mit 'ner Pause dazu fürn Butterbrot und ein Spiel Wurfpfeile. Wolln wir rein oder wolln wir die Aussicht bewundern?« Fungel zog die Stirn kraus. Die Aussicht bewundern? Er wandte sich wieder den kahlen Felsen zu. »Also, da laust mich doch der Affe!«, rief er aus. »Der Eingang ist verzaubert! Wer hier den Eingang sucht, der findet sich plötzlich wieder, wie er die Blume anglotzt, als ob er eine Biene im Blütentraum der ersten Liebe wäre!« Ka machte ein selbstgefälliges Gesicht. »Hab dir ja gesagt, dass sie 'ne Hexe ist«, bemerkte er. Fungel nickte. »Mag sein«, antwortete er, »aber wer Bescheid weiß, der findet den Weg um die verzauberte Tür herum - das ist so leicht wie Federlesen auf einem Olif ant. « Ka grinste. »Hab doch gewusst, dass ich mich auf dich verlassen kann, Fungel«, sagte er. Dann runzelte er die Stirn. »Nur, was ist ein Olifant?« Fungel winkte ihm, still zu sein, und blätterte auf der Suche nach dem entsprechenden Zauberspruch im Geiste die Seiten um. Ah, da hätten wir's! Er suchte auf dem Boden nach einem frisch abgeworfenen Kiefernzapfen und schwenkte ihn langsam im Kreis über den Felsen. Dazu murmelte er: »Kiefernschätzchen, liebster Freund, zeig den Eingang - ungesäumt!« Mit einem leisen Rascheln teilten sich die Ranken wie ein Vorhang und enthüllten eine Kassettentur. Fungel dankte dem Geist des Kiefernzapfens und legte ihn sachte auf die fruchtbare Erde unter der Sonne, wo er wachsen konnte. Und er wuchs wirklich, wuchs im Lauf vieler Jahre zu einem mächtigen Kiefernvater, alleinstehend und stark, und ließ seine Zapfen auf eine weit und breit wunderbar gepflegte Rasenfläche fallen, während ringsherum Menschen mit Eisenschlägern kleine weiße Bälle über die bewachsenen Hügel schlugen. Aber jener Tag war noch Jahre und Jahre entfernt. Gerade jetzt berührte Fungel die Tür. In dem Augenblick, in dem seine Finger den Kontakt herstellten, schlitzte ihm der Giblingestank die Schleimhaut seiner Nase wie ein Messer auf. Der Stein ließ in Fungels Schamanenhand die Erinnerung daran zurück, dass er trotz Emmas Schutzzauber erbrochen wurde, denn jede Gewalt hinterlässt eine Spur. Fungel war auf das Schlimmste vorbereitet, als er auf den Rand der Ranken drückte, die die Tür umrahmten. Ein Teil schwenkte nach innen wie geölt. Es war eine Steintür, so klug gebaut und aus balanciert, dass ein Kind sie mit einer einzigen Hand hätte aufstoßen können - obgleich sie mehr als eine Tonne wog -, wenn es die richtige Stelle kannte. Ein fast spürbarer Geruch drang aus der kleinen Höhle empor. Es roch wie ein Schlachthaus voll schmutziger Windeln, vor einem Hintergrundaroma aus faulen Eiern mit Zwiebeln, die einem direkt vor der Nase gerieben werden. Lecker - für einen Giblin. Ohne einen Blick zurück trat Fungel ein. Ka hinter ihm zögerte - er war sich nicht sicher, was die ärgere Aussicht wäre: mit Giblins zusammenzustoßen oder ihre Ausdünstungen einatmen zu müssen. Aber Fungel ist schon drin, und es hat keinen Sinn, einem Freund den Rücken zu stärken, wenn der Rücken längst woanders ist, und wenn sich da was Böses zusammenbraut, braucht so ein halb blinder Waldzwerg gehörigen Schutz. Ka machte drei tiefe Atemzüge, hielt nach dem letzten die Luft an und folgte Fungel in die Tiefe. In der Höhle war es nicht im Geringsten duster. Im Gegenteil, es war verblüffend hell und luftig; Fensteröffnungen im Fels waren draußen von klug angeordneten Ranken wie durch Jalousien geschlossen. So war das strahlende Sonnenlicht durch das Grün gefiltert und gefärbt, was es viel heimeliger machte. Fungel und Ka blieben gespannt und wachsam stehen und schauten sich um. Nichts verriet die Anwesenheit von Giblins, aber dass sie da gewesen waren, war leicht zu beweisen, denn es hing nicht nur ihr Gestank in der Luft, Emma Kluges Heim lag in
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Trümmern. Weidenstühle waren umgekippt, ein Sofa ebenfalls, aufgeschlitzt und die Füllung quoll heraus. Krüge und Gläser aus Emmas Speisekammern waren zerschlagen, der Inhalt überallhin ausgekippt. Kunstvoll bestickte Gardinen waren von den Wänden gerissen und zerfetzt. Fungel fühlte sich entsetzt und wütend. »Hier, schau dir mal das an«, flüsterte Ka mit zusammengepressten Lippen, um nicht atmen zu müssen. Aus den Scherben .. auf dem Boden zog er die Überreste einer Maispuppe, eine kleine Figur aus den getrockneten Blättern und dem Kolben. Fungel schloss die Augen und ließ die Finger leicht auf der Puppe ruhen. Im gleichen Augenblick spürte er die vorwurfsvolle Grammatik des Zaubers, der sie umhüllte. Ein einfacher, kunst voller Zauber für die Fruchtbarkeit des Gartens. Fungel bewunderte die Klugheit, die gerade in der Einfachheit des Spruches lag, so wie ein Schriftsteller die elegante Prosa eines anderen bewundern mag. Offensichtlich steckte mehr in Emma Kluge, als ihr Äußeres vermuten ließ. »Du hast die feinere Nase, Fungel«, sagte Ka, »kannst du sagen, wie lange sie schon hier weg sind?« Fungel schloss die Augen und atmete tief ein. Der Geruch, der in seine Nasenlöcher drang, war überwältigend, beschwor das Bild von wimmelnden Maden auf grünem Fleisch. Er bekämpfte den Brechreiz, der ihn würgte, und richtete den Geist auf die Stärke und Konzentration des Geruches. »Fast zwölf Stunden, nehm ich an«, sagte er. »Etwas weniger als das, sonst hätten wir hier unten nicht so lange atmen können, wie wir es jetzt schon tun.« »Wer will denn atmen?«, zischte Ka und schaute sich in dem zerstörten Heim um. »Was wolln wir machen? Hinter ihnen her?« Fungel nickte. »Ein Giblin lässt sich leicht verfolgen«, sagte er, »ich kann nur nicht verstehen, warum sie sie überhaupt mitgenommen haben. Hast du je davon gehört, dass Giblins Leute entführen, Ka?« Der Gnom schüttelte seinen Zottelkopf. »Sie ziehen ihnen das Fell ab und essen sie an Ort und Stelle auf und schmeißen den Rest weg, den sie nicht kauen können«, sagte er, »und das ist nicht sehr viel. Also, einmal hab ich einen von diesen Räubern gesehen, wie er hinter einem armen kleinen ... « »Das reicht, danke schön«, sagte Fungel. Dann kniff er die schwarzen Augen zusammen und schaute sich um. Das beklagenswerte Durcheinander verriet immer noch, was für ein wohl versorgtes und gemütliches Heim dies gewesen war und wie viel Zeit und Mühe Emma Kluge darauf verwandt hatte, aus einer kalten Höhle ein molliges Zuhause zu machen. »Hallo«, sagte Ka, »da ist ja der Musikkasten, den ich dem kleinen Erbsengrun gegeben habe! « Er hielt einen Kasten in die Höhe, etwa so groß wie eine Handfläche, an dem ein fleischfarbener fingerhutförmiger Stöpsel an einer Schnur baumelte. »Fifferling hat ihn nicht haben wollen«, sagte Fungel, »er muss ihn Emma gegeben haben, bevor sie alle weg sind.« Er berührte den Musikkasten, aber er gab nur noch die Andeutung einer ge spenstischen, wiegenden Musik von sich. Für Fungel verbanden sich andere Erinnerungen mit diesem Kasten aus Menschenhand, sehnsüchtige Erinnerungen an seinen Neffen und seinen Bruder. Zwischen Büchern, denen der Rücken abgerissen war, lag ein zerbrochener Tonkrug. Silbernadeln waren zwischen die Titel geglitten: Kreuzwege; Das Buch der Schatten; Werden und Wachsen und Wunder; Heilen und Hexen; Weisheit und weise Wege Weisheit, dachte Fungel. Weise Frau. Nun, manche Leute meinten, das sei eine Hexe... Kas Gezischel riss ihn aus seiner jähen Angst. »Darauf ist sie wahrscheinlich in der Walpurgisnacht herumgeritten«, sagte der Gnom gerade und hielt einen Besen mit einem zerbrochenen Stiel in die Höhe. Fungel betastete das Holz und die Besenreiser und befreite dadurch eine Erinnerung an das Ende der Besenstange, die auf das Auge eines Giblins gezielt hatte, an den Griff, mit dem sie freund lichen Händen entwunden und über einem knochigen Knie zerbrochen wurde. Die Berührung von Vorhangfetzen beschwor das Bild, wie diese von den rankenverhangenen Fenstern abgerissen, in Streifen geschnitten und fest um Arme und Beine gewickelt worden waren. »Sie haben sie gefesselt«, sagte Fungel schließlich, »eingebrochen und gefesselt und weggeschafft.« Er schüttelte verstört den Kopf. »Hab ich noch nie gehört, dass Giblins Gefangene nehmen«, sagte Ka und sah mehr denn je so aus, als ob er am liebsten kopfüber in seinen sicheren Tunnel zurückwollte. »Hätten sich wohl auch nicht die Mühe gemacht, wenn sie nicht was von ihr gewollt hätten«, sagte Fungel, »was bedeutet, dass sie vermutlich noch lebt.« Ka strahlte. »Hör mal, das ist aber `ne saubere Beweiskette, Fungel! « Dann verdüsterte sich sein Gesicht wieder. »Möchte nur wissen, was sie von ihr wollen«, murmelte er nachdenklich.
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Fungel warf sich seinen Packen wieder über die Schulter. »Machen uns am besten auf die Socken, um es selber rauszufinden«, sagte er. »Auf die Socken?« Das hässliche Gesicht wurde wieder hoffnungsvoll. »Also, das ist wirklich 'ne gute Idee, Fungel. Ich spring mal rüber in die Tabakkneipe und treib ein paar gute Kumpel auf, die uns -« Fungel machte jedoch schon die Tür auf. »Keine Zeit mehr dafür«, sagte er, »liegt ein schönes Stück Arbeit vor uns.« Ka blieb etwas zurück und verfolgte, wie Fungels Gestalt als Schattenriss vor der späten Nachmittagssonne davoneilte. »Wir?«, murmelte er niedergeschlagen. Trotzdem folgte er seinem Freund hinaus und ließ die letzte Frage in der verpesteten Luft schweben. Als Ka Fungel wieder eingeholt hatte, war der Waldzwerg gerade beim Schnuppern. »Dahin geht unser Weg«, sagte er und wies nach Osten. Als Antwort deutete Ka auf die Sonne hinter ihnen, die dicht über den Hügeln stand. »Dahin geht unser Licht«, sagte er. »Unser Licht!«, rief Fungel aus. »Seit wann ist denn aus dir ein Sonnenanbeter geworden, Herr Zwerg?« »Seitdem mein früherer Freund seinen früheren Verstand verloren hat und ganz drauf versessen ist, sich von Räubern zu einem Räuberschnitzel verhackstücken zu lassen«, erwiderte Ka. »Quatsch«, antwortete Fungel. Sie kabbelten sich weiter, während sie ununterbrochen nach Osten marschierten. Nachdem sie dem grässlichen Gestank wie einer Fährte aus Findlingen gefolgt waren, stießen Fungel und Ka gegen Mitternacht auf das Lager der Giblins. Sie krochen durch Büsche und Bäume, bis sie das Licht des Lagerfeuers sahen, dann schlugen sie einen Bogen und befanden sich schließlich direkt im Windschatten des Lagers. Das war taktisch zwar klug, nasenmäßig aber kaum erträglich. Langsam schoben sie sich so dicht heran, bis sie einen guten Überblick hatten. Die vier Fieslinge saßen auf ihren Schlafsäcken rund um ein kleines Feuer herum. Sie waren selbst für Giblins abstoßend hässlich, was ungefähr so hässlich ist, wie etwas überhaupt nur werden kann, ohne schon lange verdorben zu sein. Einer der Giblins hatte einen dicken, warzigen Glatzkopf mit herausquellenden Augen und sah wie eine Kröte aus. Auf seinen Knien lag eine gut gearbeitete Keule, auf deren Schaft menschliche Buchstaben eingelassen waren. Der Zweite war ein Buckliger mit misstrauischer Miene und Stacheln auf dem Rücken wie ein Stachelschwein. An einer Kordel trug er eine Scheibe um den Hals, die das Licht vom Lagerfeuer in allen Regenbogenfarben widerspiegelte. Der Dritte hob mit einer Pfote, die in einem zerfetzten Handschuh steckte, eine blanke Kaffeekanne hoch, die aus einer menschlichen Fabrik stammte, und goss tintenschwarzen Kaffee in einen Metallbecher, den er zu seiner langen, spitzen Rattenschnauze hob. Er reichte die Kaffeekanne dem vierten Giblin, dessen Krähenvisage sich zu einem gierigen Grinsen verzog, während er sich die Kaffeekanne unter den Schnabel klemmte und den Kaffee direkt in die Kehle kippte. »Aaaah! Das kocht mir die Eier, und wie, und wie!«, krächzte Krähe und stellte die Kanne aufs Feuer zurück. »Nicht heiß und nicht stark genug, wenn du mich fragst«, mäkelte das Stachelschwein. »Hab ich nicht«, entgegnete Krähe und grinste, als Kröte und Ratte hämisch lachten. Kröte langte hinter sich und zog eine bunt beklebte Flasche hervor. Er biss den Kronenkorken ab und spuckte ihn neben das Feuer, wo er gegen die säuberlich abgenagten Knochen eines klei nen Waldtieres kullerte. Der Kronenkorken war noch nicht zur Ruhe gekommen, da hatte Kröte schon die Flasche geleert und leckte die schaumbedeckte Innenseite mit seiner langen, dünnen Zunge trocken. »Hehehe«, sagte Krähe und richtete sich halb von seinem Schlafsack auf, »da haste was vor uns versteckt!« »Hab ich gar nicht«, erwiderte Kröte, »du hast deinen Anteil schon hinter die Binde gekippt.« Er rülpste laut. »Nicht schlecht, Herr Specht«, bemerkte Ratte. Er zog sich die Handschuhe aus, um sich die Pfoten am Feuer zu wärmen. »Besten Dank«, erwiderte Kröte. Er biss den Hals der leeren Flasche ab und begann ihn genüsslich zu zerkauen. »Wenn ich meinen Anteil schon verputzt habe«, fragte Krähe misstrauisch, »wie kommt's dann, dass ich mich nicht dran erinnern kann?« Kröte schluckte runter. »Dass du dich nicht dran erinnern kannst«, erwiderte er philosophisch, »zeigt nur, wie viel du gesoffen hast.« Stachelschwein und Ratte kicherten hinter ihren Pfoten, während Krähe in tiefes Grübeln versank. »Hab Kohldampf«, sagte Kröte, um zu einem anderen Thema zu kommen. »Hast doch gerade gefressen!«, erwiderte Stachelschwein. Kröte deutete auf die Knöchelchen neben dem Feuer. »Das war kein richtiges Futter.« Er hielt die Reste seiner Bierflasche in die Höhe. »Und das hier auch nicht.« Seine Miene wurde plötzlich listig, er schaute nach rechts und links, ob auch
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keiner lauschte, und beugte sich dichter zu den anderen. »Kann gar nicht einsehen, warum wir uns dieses fette kleine Stück Zwergenbraten nicht jetzt auf der Stelle teilen sollten«, sagte er verschwörerisch, »solln recht lecker schmecken.« »Stimmt«, sagte Ratte. Er begann seine Laufschuhe mit den Kreppsohlen aufzuschnüren. »Aber wir solln sie doch Vixen bringen, damit sie den Alten Knauser rufen kann, und wir solle sie heil und lebendig abliefern.« Er zog die Schuhe aus und stellte sie neben das Feuer. Man konnte fast die Wellen des Gestankes sehen, die von seinen Füßen aufstiegen, selbst die Flammen schienen zur Seite zu flackern, als er seine Zehen spielen ließ. »Er will doch nur einen Zwerg«, wandte Kröte ein, »wir konnten einen neuen fangen.« »Und wenn er gerade sie will?«, widersprach Stachelschwein. »Du hast doch bei ihr all die Zauberbücher und Beschwörungen gesehen. Sie könnte genau das sein, was der Alte Knauser sucht.« Er spielte mit der Scheibe, die ihm vom Halse hing. Sie blitzte im Licht wie ein geheimnisvoller Signalspiegel, der Regenbogenmeldungen aussendet. »Also ehrlich«, sagte Krähe, »wegen ein bisschen Magenknurren will ich nicht mein Fell riskieren.« Kröte runzelte die Stirn und dachte nach. Plötzlich strahlte er. »Und wie wär's mit einem einzigen Schenkelchen?«, fragte er hoffnungsvoll. »Ein Happen für die kleinen Giblins daheim, wie?« Neben Kröte bäumte sich der Schlafsack wie ein Riesenwurm. Kröte schwang lässig die Keule und versetzte dem Schlafsack einen Hieb. »Hör lieber auf mit dem Gezappel«, warnte er, »sonst kriegste `ne Beule in den Briezel, so groß, dass er aussieht wie 'ne Beule mit Brägen.« Der Schlafsack lag wieder still. Fungel und Ka schauten sich fassungslos an. Emma! Eingewickelt in den Schlafsack! Fungel winkte zum Rückzug vom Lager der Giblins und sie krochen leise zurück. »Wir beide, Ka«, flüsterte Fungel, »wir müssen sie hier rausholen.« »Aber sie sind vier und wir sind zwei«, jammerte der Zwerg, »das mag ich gar nicht haben.« »Das können wir nicht ändern«, antwortete Fungel, »aber mehr als vier sind sie auch nicht. « Der Gnom warf den Kopf zurück, um über Fungels füchsischen Witz loszulachen, der Waldzwerg aber legte dem Freund die Hand auf den Mund. Ka nickte und die Hand verschwand. Fungel ließ sein Bündel von der Schulter rutschen und begann darin herumzukramen. »Also«, jammerte Ka, »wenn du Heilmittel für alle Situationen in deinem Beutel hast, warum ziehst du dann nicht einfach ein riesengroßes Loch heraus und lässt die vier Fieslinge hineinpurzeln?« »Wenn ich ein Loch in meinem Rucksack hätte, das dafür groß genug wäre«, erwiderte Fungel ernsthaft, »dann würden mein Beutel und ich zu allererst reinfallen.« Ka war sich nicht sicher, ob ihn Fungel nicht auf den Arm nahm. Er kniff die kleinen Augen zusammen. »Wenn du einen Plan hast, Fungel Fuchswitz«, sagte er, »dann verrätst du ihn mir doch, nicht wahr? Ein Freund kämpft sehr viel lieber an deiner Seite, wenn er weiß, dass ihm keine Überraschungen blühen.« Fungel nickte. »Klar wie Kloßbrühe«, sagte er, »aber du hast mich in die Klemme gebracht, Ka, denn ich muss gestehen, dass ich überhaupt keinen Plan habe. Man kann nur mit dem arbeiten, was man hat.« Er wurde nachdenklich. »Und genau genommen: mit dem, was deine Feinde haben.« Diese Erkenntnis heiterte ihn etwas auf und er beugte sich zu Ka und flüsterte: »Und was sie haben, das ist ...« Krähe versuchte eine seiner Menschenzigaretten gegen eine von Krötes Bierflaschen zu tauschen, aber Kröte wollte davon nichts wissen. Er biss der nächsten Flasche den Verschluss ab und spuckte ihn aus, sodass er gegen die vielen anderen klimperte. »Sargnägel, das sind diese Dinger«, bemerkte Kröte selbstgerecht, »damit will ich nischt zu tun haben.« Er kippte sein Bier und biss dann den Flaschenhals ab. »Aber ich nehm eine«, sagte Ratte. Krähe entblößte seine langen Zähne. »Dann kannst du dir den Schwanz mit Haken statt mit Krallen kratzen.« »Ach wirklich?« Ratte stand auf und schwenkte eine verrostete Machete. Krähe stand ihm gegenüber. »Jawohl, und ob!« Er zog einen schwarzen Griff aus dem Gürtel und schüttelte ihn und plötzlich war es eine Messerklinge. »Leute, Leute!«, grölte Kröte und rappelte sich taumelnd auf die Füße. »Lasst uns doch diese Kriegsbeile echt und ehrlich wieder begraben!« Er grinste, seine vorquellenden Augen funkelten im Feuer und er rieb sich gierig die Pfoten. »Was haltet ihr denn davon, wenn wir unsere Differenzen wie zivilisierte Menschen bei einem leckrigen Zwergenschinken bereinigen?« Gerade in diesem Augenblick gellte ein geisterhafter Schrei aus dem Walde.
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Die Giblins fuhren herum wie ein Mann. Aller Streit und Zank war vergessen. Man mochte gegen sie sagen, was man wollte, aber sie waren durch und durch Profis. »Was war das?«, flüsterte Stachelschwein, der von den Vieren am schlechtesten hörte. In seiner Hand lag eine Schleuder mit einer halbzölligen Stahlkugel, schussbereit im Leder, das mit einem Stück Gummischlauch befestigt war. »Klingt mir wie ein Spuk«, sagte Ratte. »Pffh«, spottete Krähe, »bin noch nie auf einen Spuk gestoßen, den ich nicht selber gemacht hätte«, prahlte er. Da erhob sich das unirdische Heulen abermals. Und da begannen sich die Dinge hinter ihnen, ums Lagerfeuer herum, zu regen und zu bewegen. Die Kaffeekanne hob sich in Höhe der Fiesling köpfe und schwenkte die Tülle wie eine Nase in ihre Richtung. Zwei Kronenkorken schwebten als Augen daneben. Die löchrige Decke glitt vom Boden und umschlang das Unterteil der Kaffeekanne wie eine Kutte. Die Handschuhe und Schuhe, die sich Ratte ausgezogen hatte, rutschten der unheimlichen Gestalt als Hände und Füße an Ort und Stelle. Während die vier Giblins noch auf das Geistergeheul aus dem Walde lauschten, begann die gliederlose Gestalt sich auf sie zu zu bewegen. »Huu! Huhu!« Ka heulte wie ein echtes Ungeheuer im Walde. Von der Lichtung her konnte man die Stimmen der Fieslinge hören. »Was war das?« »Klingt mir wie ein Spuk ... « Ka grinste über seine eigene Geisterleistung. Er schielte hinter einem Busch hervor, um sich zu vergewissern, ob alles nach Plan lief. Ja genau, da war Fungel und schlich sich hinter den abgelenkten Giblins heimlich und leise zum Lagerfeuer. Während er den Willenszauber aufrecht erhielt, der den Popanz in Bewegung setzte, war sein Gesicht vor Anspannung ganz starr, auch jetzt noch, wo er sich den Giblins näherte. Ka warf wieder den Kopf zurück, um zu heulen. »Ahuu! Ahuu! Gicks!« Er war schon ganz heiser geworden und begann zu husten. Von der Lichtung ertönten die Stimmen der Fieslinge. »Wenn das ein Spuk ist, dann hat er Husten! « »Nie und nimmer ist das ein Spuk, du Ochsenfrosch! Was glaubst du denn, Ratte?« »Klingt mir mehr nach Gnom! « »Jawohl!«, sagte Ka und begann zu buddeln. Ratte, Stachelschwein, Kröte und Krähe schauten am Rande der Lichtung in die Dunkelheit. Hinter ihnen band Fungel den Schlafsack auf, in dem Emma steckte, während der Popanz, dem der Dampf aus der neugierigen Nase stieg, während er sie mit Kronenkorkenaugen anstarrte, noch unbemerkt neben den Giblins stand. Krähe hob sein Klappmesser. »Ich schau mich lieber mal um«, verkündete er. Er warf einen Blick auf die Gestalt rechts neben sich. »Ihr passt auf das Lager auf, während ich - aaah! « Der Popanz war in ihrer Mitte. Die Fieslinge flatterten vor Schreck und zerstreuten sich. Stachelschwein zielte mit seiner Schleuder auf den Eindringling, spannte das Gummi und ließ los. Die Stahlkugel flog durch die Decke und knallte Stachelschweins Freund Kröte gegen die Stirn. Kröte verdrehte verwirrt die Augen. Er senkte seinen Baseballschläger und fuhr sich mit der Hand an die Stirn. »Tja«, sagte er sachlich, und dann sackte er zusammen wie ein von der Schleuder getroffener Giblin, was er ja auch war. Ratte griff den Popanz mit geschwungener Machete an. Die Popanzfigur schwankte zu ihm hin und Ratte schlug zu. Die Machete zerspaltete die Kaffeekanne unterhalb der Tülle und der heiße Kaffee verbrühte ihn. »Getroffen!«, johlte Ratte. »Getroffen, getroffen!« »Du Idiot«, krächzte Krähe. Er hüpfte an Ratte vorbei und packte die Decke. »Das ist die Kaffeekanne!« Da sah er aus dem Augenwinkel, wie sich etwas bewegte, fuhr herum und erkannte Fungel, der Emma aus dem Schlafsack half. »Zwerge!«, bellte er. »Waldzwerge!« Aber die anderen hatten die Flucht ergriffen. Der Popanz stürzte zu einem Haufen zusammen, als Fungels Konzentration unterbrochen wurde. Fungel und Emma rannten los - aber sie war den ganzen Tag fest im Schlafsack eingewickelt gewesen und konnte sich nur unter großen Schwierigkeiten bewegen. Fungel warf einen Blick zurück. Krähe stürzte hinter ihnen her und schwenkte den Baseballschläger, den er der ausgepunkteten Kröte entrissen hatte. Sein Gefieder war gesträubt und seine schwarzen Augen weit aufgerissen. Er sah groß und schrecklich aus und krächzte wie ein rostiges Eisentor. Fungel drängte Emma vorwärts. Wenn sie es nur bis zum Wald schafften, dann konnten sie sich verstecken. Zwerge sind im Verstecken besonders gut. Nur zwanzig oder dreißig Schritt, dann wären sie im dichten Unterholz. Doch das Fußgetrappel hinter ihnen rückte näher, sie würden es kaum schaffen.
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Ein Spruch, ein Wort, ein Zauber, ein Stein zum Schmeißen - alles! Aber die Willensanstrengung, die Verfolgungsjagd und die Mühe, Emma vorwärts zu stoßen, waren zu viel für seine Konzentration. Fungel blickte sich um. Drei Schritt hinter ihm schwang Krähe das Schlagholz. Dann stürzte Krähe. Und stürzte immer tiefer. Fungel blieb stehen, und dann eilte er mit Emma zu dem Loch zurück, in das der Fiesling gefallen war. Tief unter ihnen lehnte Ka und fuchtelte versuchsweise mit dem Baseballschläger in der Luft herum. »Richtig schön zum Schädelknacken, dies Ding hier«, bemerkte der Gnom. Von Krähe aber keine Spur. Einen Augenblick herrschte Stille, dann brachen Fungel und Emma in Gelächter aus. Sie lachten so, dass sie sich hinsetzen mussten, und lachten im Sitzen noch weiter. Bis Fungel endlich wieder sprechen konnte, half er seinem Freund Ka aus dem Loch. »Mir scheint«, sagte Fungel, »dass wenigstens du immer deine eigenen Löcher bei dir hast!« Ka grinste. »Löcher liegen mir am Herzen«, sagte er, was die Waldzwerge nur noch einmal loslachen ließ.
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Schwere Last Die gute Laune, die Emma und Ka bei ihrem verspäteten Festmahl hoch oben im Esszimmer zeigten, war kaum ein Trost für Fungel, während er unten in seinem Wurzelwinkel vor sich hin brütete. Gewiss war er glücklich, dass Emma heil und gut heimgekehrt war. Aber nachdem sie alle im Morgengrauen zu Fungels Heim zurückgetrottet waren und den ganzen Tag durchgeschlafen hatten, war Fungel mit vielen ungelösten Fragen aufgewacht, die nun an ihm nagten. An diesem Abend hatte Emma ihre Zauberkünste an den Resten vom großen Festmahl bewiesen und sie und Ka hatten sich den Bauch voll geschlagen. »Gestern Abend hab ich für dich mitgegessen«, erklärte Ka, »deshalb hast du eigentlich nichts verpasst.« »Dann futterst du also heute Abend nur für dich?«, wollte Emma wissen. Ka guckte verdutzt. »Wieso... du bist doch hier!«, erwiderte er. Fungel hatte sich nicht zu ihnen gesellt. Er entschuldigte sich vielmals mit dringlichen Verpflichtungen, bestand aber darauf, dass sie sein Heim als das ihre betrachteten. So saß er also an seinem weisen Weidenpult, achtete kaum auf die schwachen Klänge der Musik, die von seinen Gästen oben im Wohnzimmer herabrieselten, sondern grübelte nur über die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden nach: ein unnatürlicher Sturm; der Einbruch eines Nachtmahrs; eine Eule mit unbekannter Herkunft; Emmas Entführung durch die Giblins. Jedes einzelne dieser Ereignisse wäre an sich schon bemerkenswert gewesen. Aber alle vier, die innerhalb von Stunden aufeinander folgten - das musste Fungel ein Vorzeichen nennen. Aber falls es ein Zeichen war, so kam es ihm zu gewaltig und zu unbestimmt vor, als dass er es erkennen konnte. Er musste einen Schritt weiter zurückgehen, um dieses große Bild betrachten zu können. Er brauchte Rat - weisen Rat. Und von wem konnte er einen besseren bekommen als von einem Weisen? Er brauchte Molom. Da Fungel nicht lange fackelte, wenn er sich erst mal entschieden hatte, schritt er zur Tat. Als Erstes dämpfte er das Zauberlicht im ganzen Raum und beschränkte es auf eine einzige Lampe, die sein Pult beleuchtete und so zu einer Insel der Konzentration machte. Als Nächstes holte er ein altes, in Leder gebundenes Buch aus dem Regal, das Ka gestern so gereizt hatte. Der Abwehrzauber, mit dem Fungel seine unschätzbaren Bücher schützte, hatte keine Wirkung auf ihn selbst. Und so zog er das Buch vorsichtig heraus und trug es mit großer Ehrfurcht zu seinem geschnitzten Pult. Fungel legte die Hände flach auf den Deckel. Er schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf seinen Atem, um den Geist von allen schweifenden Gedanken und Ablenkungen zu reinigen. Erst als er spürte, dass sein Kopf so leer war wie eine Leinwand, die auf die Farbe wartete, schlug Fungel bedächtig das Buch auf. Es war ein Grimoire, ein Zauberbuch. Seine Herkunft und seine Sprache waren der Welt längst verloren, unter Atlantis begraben, Jahrtausende bevor die Römer ihre Verben zu konjugieren begannen. Die uralten Runen waren von einer Hand niedergeschrieben worden, die längst zu Staub zerfallen war, auf Pergament von einem Tier, das ausgestorben war, und nach besonders ehrfürchtigen Riten und Regeln vollendet. Es gab Sprüche zum Schutz des Besitztums und zur Verlangerung des Lebens; Sprüche, mit denen man Gegenstände wiederfinden konnte, die man in der Kindheit verloren hatte, und mit denen man andere verlieren konnte, die man als Erwachsener nicht loswurde; Zaubersprüche, die so verletzlich waren, dass sie schon durch die Beschreibung litten, weshalb wir davon auch Abstand nehmen. Zwischen diesen vielen verschiedenen Zaubersprüchen fanden sich auch Beschwörungen. Und unter den Beschwörungen war eine, mit der man Molom aus der weiten Tiefe rief. Molom war nicht nur das Wesen, das ihm wahrscheinlich helfen konnte, Fungel hatte auch ein oder zwei Hinweise darauf, dass der Elementargeist zumindest bei den letzten Vorgängen seine Hände im Spiel gehabt hatte. Die Waldgeschöpfe verehrten Molom, der als Herr der Bäume und als Geist des Waldes ihr Beschützer war. Die Eulen, so hieß es, seien Moloms Boten und er könne die Geschichte der Reisenden im raunenden Winde lesen. Bevor er sich in die Wörter der Beschwörung vertiefte, las Fungel die genauen Anweisungen ebenso sorgfältig. Heute Nacht stand der Herbstmond am Himmel und das war gut. ja... unge trübtes Wasser war leicht zu beschaffen (obgleich nicht mehr so leicht wie früher). Zwölf Eicheln mit der Asche eines Feuers vermengt, in Eintracht entzündet, mit Kalk gemischt und in einen linnenen Beutel gefüllt. Eicheln war wirklich leicht, und Fungels Herdfeuer brannte immer in Eintracht. Kalk? Musste noch in seinem Gartenschuppen sein, wo er Samen und Setzlinge aufhob. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Beschwörung selbst. Nicht nur die Wörter mussten richtig ausgesprochen werden. Jede Betonung jeder Silbe, selbst die Pausen zwischen den Sätzen
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mussten perfekt sein, wenn Fungel nicht buchstäblich die Tür der Erde zu einer gewalttätigen Welt öffnen wollte, in der Schrecken und Chaos herrschten. Und nicht nur das, sondern die ganze Wiedergabe der Beschwörung hatte im tiefen Ernst zu geschehen, denn einen Elementargeist mit dem eintönigen Geleiere eines gelangweilten Schulkindes zu rufen, würde den Zorn dieses Geistes heraufbeschwören. Das Gefühl hinter den Wörtern war genauso wichtig wie die Wörter selbst - was immer in der Welt der Wörter gilt, in der man so leicht ausrutschen kann. Fungel schlug das Grimoire zu, ließ eine Hand darauf ruhen und legte die andere auf das Weidenpult, dankte ihm für seine Weisheit und dann stellte er das Buch achtsam an seinen Platz auf dem zaubergeschützten Regal zurück. »Fungel«, rief Ka aus, »wird ja auch allmählich Zeit, dass du aus deinem Loch gekrochen kommst! Wenn du nicht aufpasst, bleibst du zwischen den Blättern stecken!« Er schlug sich auf die Knie und heulte vor Lachen. »Wie wär's denn jetzt mit einem Tanzchen, he?« Ka sprang auf und fasste Fungel an den Händen, der gerade erst die Treppe heraufgestiegen kam und sich die Augen rieb. Fungel blieb still stehen, während der Zwerg zu hüpfen und zu springen und vor ihm zu tanzen begann. »Los, komm schon!«, rief Ka und schaute sich im Zimmer um. »Wo bleibt denn die Musik?« Es gab keine Musik und Fungel mochte nicht tanzen. Die Freude verschwand aus Kas Gesicht. Er blieb nach dem letzten Satz stocksteif stehen, die Hände mit den scharfen Krallen hatte er auf den breiten Hüften. Sein lippenloser Mund war fest zu sammengepresst. Er stieß einen langen, verzweifelten Seufzer durch die Nase aus. »Was ist denn mit dir los, Fungel? Jeden Tag bist du jetzt sauertöpfisch und trubetimplig. Da muss man selber ganz schön munter sein, um deine Gesellschaft auszuhalten.« Er starrte seine spitzen Krallen an. »Ganz schön miesepetrig, kann ich dir sagen.« »Ka -«, sagte Emma mit ruhiger Stimme, als sie aus der Küche kam. Der Gnom schaute sie an, noch ein bisschen mürrisch, wie ein Kind, das mit der Hand in der Zuckerdose erwischt worden ist. »Ach, ich hab gedacht, ich sprech für uns alle«, sagte er zu seiner Verteidigung. »Lass ihn in Ruhe, Ka«, sagte Emma und schaute nicht Ka an, sondern Fungel. Seit sie bei Fungel angekommen waren, kam ihm Emma etwas zurückhaltend vor, nicht undankbar, aber vielleicht etwas bedrückt, weil sie hatte gerettet werden müssen. Sie hielt ihm einen Jutesack hin. »Das hab ich für dich herausgesucht«, sagte sie. Er nahm ihr den Sack ab und schaute hinein. Eine Flasche Wasser und ein Leinenbeutel, der zwölf Eicheln, Asche und Kalk enthielt. Fungel schaute Emma überrascht und dankbar an. Da reichte sie ihm einen zweiten Leinwandbeutel, der mit einem roten Band zugebunden war. »Etwas Eichelbrot«, erklärte sie, »wirklich nichts Besonderes.« Fungel nahm das noch warme Bündel und legte es in seinen Rucksack. Sein Blick sagte ihr, dass er es dennoch für etwas Besonderes hielt. »Emma«, begann er, »woher hast du gewusst, dass... Vielleicht sollte ich sagen ... « Aber er tat es denn doch nicht, denn irgend etwas an Emma bewirkte, dass er eine linke Zunge bekam und ins Stottern geriet. »Ich brauch nicht zu wissen, was jemand vorhat«, sagte Emma, »nur, was er braucht.« Etwas an ihrem Ton sagte Fungel, dass er mit keinen weiteren Erklärungen zu rechnen hatte. »Wird heute Nacht spät werden«, sagte Fungel, »hat keinen Sinn, dass ihr wartet. Bis dahin bitte ich euch nur, nicht aus dem Haus zu gehen, bis ich weiß, was hier in unserem Tale läuft. Und meine Speisekammer, Badewanne und Wäsche werden auch nicht besser, wenn sie nie benutzt werden, tut euch also keinen Zwang an.« Er schritt zu der Leiter, die zu seiner Haustür führte. Mit einem Fuß auf der untersten Sprosse blieb er noch einmal stehen. »Emma, Ka«, sagte er und machte bei jedem Namen, den er nannte, eine Geste, »mögt ihr beide gesegnet sein und behütet in meinem Herz und Heim.« Eh sie etwas erwidern konnten, war er die Leiter hinauf gekrabbelt und verschwand in dem pechschwarzen Walde seiner Insel. Der Herbstmond war eine von Fungels liebsten Jahreszeiten. Er wusste, dass der Mondschein reflektiertes Sonnenlicht war, aber diese Kenntnis verminderte für ihn nicht die Macht des Mondes. Sie steigerte diese im Gegenteil noch, denn das Gold der Sonne heilt und glättet, während das Silber des Mondes schärft und verwandelt. obwohl er so weit entfernt war, vollführte der Mond eine besondere Art der Alchemie: Er machte Silber aus Gold. Und so wie die Sonne die Pflanzen aus der Erde zog, so ließ der Mond die Wogen des Meeres schwellen. Das Licht des vollen Mondes verwandelte das Tal in ein unterseeisches Königreich. Wiegende Zweige wurden treibende Algen, Büsche riesige Anemonen. Schatten wurden krasser und versil berte Tiere huschten wie Silberfische im gescheckten Tanz von Licht und Schatten.
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Fungel wanderte durch die schwarz-weiße Landschaft seiner Insel. Am Himmel, der immer wieder zwischen den Gewölben der Bäume aufleuchtete, erhaschte Fungel einen Blick auf das Gesicht des Zwerges im Mond, was ihn stets mit Genugtuung erfüllte. Wenn er so zum herabschmunzelnden Herbstmond hinauflächelte, konnte man kaum unterscheiden, wer wessen Antlitz widerspiegelte. Der Wald war ein Flickenteppich aus Nachtblau und geschmolzenem Silber. Fungel folgte weder Pfad noch Fährte, sondern ließ sich nur von einem tiefen und angeborenen Wissen um die Insel führen, und so tauchte er bald auf der Lichtung auf. Vor schwankenden Schatten stand der Alte Baum - das nackte Gerippe einer verwitterten Eiche, aller Rinde, selbst der Moospolster beraubt. Seinem vermoderten Stamm entrangen sich die verrenkten Glieder der Aste und verzweigten sich immer mehr zu verkrümmten Fingern, die sich vergeblich nach fernen Sternen reckten, wie ein letzter verzweifelter Griff nach Licht und Leben. Vom höchsten Zweig bis zur Wurzelspitze war der Baum vom Blitzstrahl versehrt und versengt - ein Todesstreich für einen Baum und als Zeichen gefährlicher Mächte gemieden von Vogel und Fledermaus, Wespe und Raupe. Auf totem Holz wollte sich keiner niederlassen. Der Alte Baum stand einsam da, umgeben vom üppigen Grün des lebendigen Waldes, und Fungel liebte ihn aus ganzem Herzen. Jeder Baum war eine Brücke zwischen Erde und Himmel, aber der Alte Baum vereinigte alle vier Elemente. Seine Zweige griffen nach der Luft, während der Stamm, vom Blitze verbrannt, mit weit verzweigten Wurzeln in der Erde ankerte und vom Wasser des Sees kostete, der die Insel umgab. Erde, Luft, Feuer und Wasser: In diesem uralten Wesen trafen sich alle. Neben den knorrigen Wurzeln der alten Eiche setzte Fungel sein Bündel ab. Er säuberte den Baum und die Erde um den Baum herum von welkem Laub und abgebrochenen Zweigen und ließ sich dann im Schneidersitz auf der bloßen Erde nieder, den Rücken an das morsche Holz gelehnt. Dort nahm er seinen Abendimbiss ein - Emmas Eichelbrot. Allem Anschein nach war er ein einsamer Esser, der sich dem bescheidenen Vergnügen eines einfachen Mahles im Freien mit Wonne hingab. Und wie fast bei allem, was Fungel betraf, war da wieder mehr, als das Auge wahrnahm. Während er friedlich kaute, leerte er seinen Geist von allen Ablenkungen und ließ die Erde, die ihn rings umgab, seine beruhigten Räume erfüllen. Das glich dem Zustand, in dem er das Grimoire in seinem Wurzelraum studiert hatte. Bald gab es nichts mehr als Nacht und Fungel, Mondschein und Alter Baum. Nachdem er das leckere Brot aufgegessen hatte, sandte er Emma einen wortlosen Segensspruch. Dann faltete er sorgfältig das Tuch wieder zusammen, in dem das Brot gewesen war, und legte es in sein Bündel. Bevor er sich nun an die Vorbereitungen machte, gestattete sich Fungel, einen Augenblick nur, sein lebendiges Dasein vor diesem wundersamen alten Baum zu genießen. Die Welt ist so schön, dachte er, und die Zeit so gelassen. Das war ein Augenblick, den er niemals vergessen würde und den er mit niemandem teilte. Er gehörte ihm allein. Dann war es Zeit für den Anfang. Karbol Erdenwurm sah Nesseln - und flüchtende Spinnen - vom Netz ihrer Wurzeln aus. Er klaubte sich Spinnenfäden und Flugsamen vom Gesicht, schüttelte sich Erdkrumen vom Schädel und schaute sich um. Er befand sich dicht unter der Kuppe eines kleinen Hügels, der im Mondlicht lag. Ganz in der Nähe stand ein alter Gespensterbaum, davor, auch im Mondlicht, ein Zwerg. Ka duckte sich und prüfte, ob er im Windschatten war. Hätte keinen Sinn, Fungels Riechorgan zu reizen. Ka konnte sehr viel weiter sehen als dieser kurzsichtige Waldzwerg, aber Fungel konnte dafür den Morgenhauch einer Mücke wittern. Ka sah, wie Fungel um die alte Eiche Eicheln säte, wobei er etwas sang, was Ka nicht verstehen konnte. Als er keine Eicheln mehr hatte, öffnete Fungel einen Beutel und begann mit bloßen Händen etwas zu verstreuen und danach sprenkelte er Wasser aus einer Flasche darauf und hörte die ganze Zeit nicht auf zu murmeln. Das versetzte Ka in ziemliche Verwirrung, und es verstärkte noch die Sorgen, die er sich wegen Fungel machte. Eine Aussaat bei Mondschein war ja noch vernünftig, aber einen gemütlichen Abend und die wenigen Freunde, die dazu gehörten, deshalb im Stich zu lassen - sie nicht einmal um Beistand zu bitten oder um die Begleitung ihrer guten Gedanken bei Saat und Tat -, das nagte ganz einfach an Ka. Fungel ist in letzter Zeit zu oft alleine, dachte Ka, deshalb nimmt er Freundschaft so leicht. Ich sollte das wissen, denn ich bin selber viel alleine. Aber mich würde keiner ertappen, wie ich bei Mondschein tote Bäume pflege, wenn mir in meinem Wohnzimmer freundliche Hände heitere Musik spielen! Jetzt zog Fungel mit einem dürren Zweig Zeichen in die feuchte Erde. Ka schüttelte den Kopf. Richtig traurig ist das, dachte er. Fungel steht neben dem Baum. Barfuß. Die Zehen wie Wurzeln über der Erde, die das saubere Feuchte wittern. Verdreht, die Finger wie Zweige, die nach dem Monde greifen. Glatt, denn Fell und Borke umschmeichelt die nährende Luft. Seine Wurzeln in der Erde trinken Wasser, sein Fell im
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Winde trinkt Luft. Baum und Fungel, Fungel und Baum, Fleisch in Laub und Zeit verwandelt. Saft strömt wie Blut durch die Adern im Holz seines Leibes. Er hebt die verzweigten Finger der Hände und singt: »Molom, Molom, Vater der Bäume, Wächter des Windes, Sprachrohr des Windes, Herzgeist des Windes, enthülle dich meinen Augen, auf dass ich dich sehe, Molom, tritt herfür aus deinem Versteck. Erhebe dich, Baal Molom, Baal Molom, erhebe dich! Dich rufe ich an: Geist der Abendröte, Engel des Windes, uralter Alter, dich rufe ich an.« Der Vollmond hüllt den Alten Baum in seinen Schein. Der Wind schläft ein. Das Brandungsrauschen in Fungels Ohren ist ein träger Pulsschlag in seinem Geäder. Die Schlage seines Herzens: langsam, ganz langsam. Er spürt den metallenen Geschmack der Gefahr. Am Rande seines Bewusstseins beben gewaltige Kräfte - ein leichtes Rühren an die Säulen der Wirklichkeit und sie werden ihn verschlingen. Er aber ist Holz und Stein. Vor ihm ein Nachtfalter, Flügel, die langsam durch die Lüfte pflügen, dann stillstehen, wie erstarrt im Bernstein aus uralter Zeit. Fungels Herz schlägt einmal. Mondlicht, grellweiß, bleicht das Land zu Schnee, zeigt grausam Verfall von Zeit und Dasein. Laub schrumpft in Zweige, Zweige schrumpfen in Aste, in Stämme, in Eicheln, zu Samen. Glühwürmchen kriechen in Puppenhüllen, um unbekannt zu entkommen, als Wurm. Blüten vergehen zu Knospen, in Stiele, zu nichts. Fungels Herz schlagt abermals. Die Sterne: schwarze Löcher in glühender Luft. Sternbilder verschieben sich zu neuen ohne Namen, Sternenlicht, älter als die Augen von Mensch oder Zwerg. Kometen kreisen mit wachsen den Schweifen rückwärts um die Sonne. Milchstraßen verdichten sich, rasen zusammen in des Universums gefährliche Nähe. Der leuchtende Mond sinkt sanft. Sein Pockengesicht wird blank und silbern, derweil es den Himmel erfüllt, bis jeder Winkel in Fungels Geist von funkelndem Lichte erstrahlt. Sein Herzschlag setzt aus. Das Universum: ein Nichts aus schneeweißem Mondschein. Und schwarze Blitze durchzischen den Himmel. Um ihn herum schwere Tropfen und Regen, die die schlichte Landschaft enthüllen, in der Fungel sich findet - eine Lichtung mit grünem Gras, das einfach endet. Der Horizont ist weit entfernt, hundert Meilen und mehr in jegliche Richtung, wohin die Erde kreist in die endlose weiße Leere. Da gibt es keinen Wind, keinen Vogelgesang, kein Tier schreit und kein Käfer summt. Da ist nur die kleine Wiese, wie eine Bühne, begrenzt vom aufgeblähten Antlitz des Monds. Fungel wartet. Ka wusste nicht, was er machen sollte. Fungel schien mit einem verdammten Baum zu reden. Auf jeden Fall stand der kleine Waldzwerg auf der Lichtung unter ihm da, hatte die Hände in die Höhe gereckt und sang in einem bestimmten Rhythmus. Ka fing an auf dem kleinen Hügel gereizt hin und her zu rennen, wobei er sich nicht mehr darum kümmerte, ob ihn Fungel sah oder nicht. Was sollte er nur machen? Fungel musste den Verstand verloren haben! Ka und Fungel waren seit Ewigkeiten zusammen. Gnom und Waldzwerg waren zwei vollkommen verschiedene Geschöpfe, aber ihre Freundschaft hatte sie so zusammengeschmiedet, dass Unterschiede nichts mehr ausmachten. Einer nahm die Verschrobenheiten des anderen ohne Einwand hin - denn Ka war fest davon überzeugt, dass er fast so viele verrückte Eigenheiten hatte wie Fungel. Ka wusste genau, dass Fungel Umgang mit Baumgeistern hatte - genau genommen mit den Geistern aller Dinge in seinem Tal. Er hatte gesehen, wie Fungel an seinen Zaubersprüchen arbeitete und seine Zaubertränke braute - und wenn er sich recht erinnerte, so hatte er bei diesem oder jenem geholfen. Aber nun bei Vollmond Kreise in Dreck malen und vor toten Bäumen Gedichte säuseln, das war ein bisschen zu viel! Das war wie das komische Gequatsche, das die Quasselkoppe in der Tabakkneipe von sich gaben und worüber man vor Lachen schreien konnte. Aber hier handelte es sich um Fungel, und Ka hatte mit eigenen Augen... Nur: Fungel war nicht mehr da. Ka erstarrte mitten im Schritt. Wo eben noch die Lichtung geweben war, lag nun ein genau abgezirkeltes reines Schwarz. Wie ein Loch, dort in die Welt gestanzt, wo Fungel gewesen war. Kein Baum, keine Lichtung und auch kein Fungel mehr. Ka setzte sich hin und umklammerte seine hornigen Knie. Also, dachte er, das ändert natürlich alles.
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In diesem Moment innerhalb eines Augenblicks steckt Fungel in einer Phase, losgelöst von Raum und Zeit. Draußen heulen befreite Furien und entfesselte Mächte, drinnen bereitet sich der Zwerg in seiner Zerbrechlichkeit auf eine Rolle in seinem kleinen Drama vor, das auf einer Bühne zwischen zwei Welten spielt. Schon wehen und weben silberne Fäden aus Licht vor ihm, als ob sie vom Monde hingen. Sie beginnen dichter zu werden, wie Nebel, wenn er in anderen Nebel wallt. Sie verflechten sich zu einem Stamm mit faserigen Enden wie Wurzeln am Boden und Zweige am Haupt, bis vor Fungel eine baumgleiche Gestalt, spindeldürr und skelettartig, vorm endlosen Himmel des Mondes entsteht. Sie sieht so aus, als ob etwas Lebendiges die Gestalt des Alten Baumes angenommen hätte, knorrig und knotig vom Kopf bis zu den Füßen. Dieser andere Alte Baum hat ein Pflanzengesicht, ein unendlich geduldiges Gesicht, weise und traurig von der langsam wachsenden Weisheit, die sich in Schichten auf die Baumgedanken legt, so wie die Ringe die Jahre zählen. Ein Wurzelbart rahmt dieses Gesicht, älter als irdische Erinnerungen, und die verzweigten Haare sind seine Krone. Molom. Sie schauen sich an diesem zeitlosen Ort ins Gesicht, Waldzwerg und Elementargeist, dicht wie die Karnickel zusammengedrängt. Der Zwerg fühlt in der Gegenwart des mächtigen Geistes Ehrfurcht und Scheu, aber auch eine ungeheure Befriedigung, weil ihm die Beschwörung richtig gelungen war. Und auch Furcht bei Moloms Erscheinen, denn ein Wort zu viel, und Fungel hätte Gestalten beschworen, die weitaus fürchterlicher waren. Fungel schaut Molom in die leeren Augenhöhlen und findet einen Funken Wiedererkennen, aber keinen Gruß. Man kann sich Molom nähern, aber man lernt ihn niemals kennen. Er denkt, aber er fällt kein Urteil. Er ist anders. Molom richtet seinen tiefen und leeren Blick auf die endlose Glätte des Mondes, die ihr Himmel ist. Wenn er spricht, knarrt seine Stimme wie Segelschiffe, die auf einer ruhigen Dünung tanzen. »Lieber Zwerg«, sagt er, »armer Zwerg.« Eine Zwergenhand hebt sich und deutet auf den silbernen Deckel des Himmels. Der riesige Schatten einer Eule flattert über den Mond. »Wisse«, sagt Molom, »dass Molom auf deine Welt lauscht, wenn er die Stimme des Windes hört. Die Mündungen der Flüsse bringen ihm ihren Geschmack. Die Eule schaut aus über das Land und ist mein Auge, das darüber steht. Um Beute gebracht, schläft sie in meinen Augen und erzählt mir ihre einfachen, hungrigen Träume.« Die dürre Hand senkt sich und Moloms einsamer Blick richtet sich auf Fungel. »Gleich dir, Zauberer, fliegt die Eule mit einem Flügel in deiner und einem in meiner Welt. Diese Eule habe ich dir als meinen Boten geschickt, aber -«, er seufzt tief, »sie ist nur ein launisches Luftschiff und leicht zu verstören, dennoch sind wir Freunde«, setzt er mit leiser Melancholie hinzu. »Du hast mir eine Botschaft geschickt, Großer Molom?«, fragt Fungel verlegen. »Ich habe es versucht, durch meinen Gesandten, die Eule. Ich kenne deine Versuche, mich zu beschwören, braver Zauberer, so wie ich mir auch der hoffnungslosen Lage meines Waldes und seiner Kinder bewusst bin, die dem schrecklichen Ansturm dieser nackten Affen widerstehen müssen, deren Hände klüger geworden sind als ihr Verstand. Aber es braut sich ein Krieg zusammen zwischen den Reichen der Schatten, und es war mir zu gefährlich, mich zu enthüllen.« »Krieg?« Fungel spürt einen kalten Hauch. Molom nickt langsam. Seine großen Arme breiten sich weit aus. »Ich habe diesen schwachen Ort außerhalb des Raums geschaffen, damit wir uns eine kurze Zeit außerhalb der Zeiten treffen können. Es ist gefährlich und ich kann nicht lang verweilen, aber es ist wichtig, dass wir zueinander kommen, ohne entdeckt zu werden. Unsere Welten kommen an einen Kreuzweg, Fungel, und der Weg, den du einschlägst, kann über das Schicksal beider entscheiden. « »Ich!« Fungel erschrickt. »Der Widerhall des noch schwebenden Kampfes wird auch in deiner Welt gespürt, Fungel, denn wie unten so oben. Der Wind, der Fluss, die Eule - ich lausche und schmecke und sehe das Land und weiß, dass es von Dämonen bedrängt wird. Und weil das Land in deinem Herzen liegt, kleiner Zwerg, weiß ich auch, dass du von dämonischen Träumen bestürmt wirst. Zuvorderst in deinem Geiste steht ein Wort, das ist der Schlüssel zu allem, was dich so sehr verstört und quält, dass du die Gefahr nicht scheust, mich zu rufen. Nicht wahr?« Fungel nickt. »Und das Wort, tapferer Zwerg?« »Baphomet«, flüstert Fungel. »Baphomet«, wiederholt Molom. »Ein altes Wort.« Er hält inne und in dieser Stille spürt Fungel ganze Weltgeschichten an Erinnerungen in dem unerforschlichen Geiste von Molom aufsteigen. »Du hast mich beschworen und du bist ein Zauberer«, fährt Molom fort, »du bist bewandert im überlieferten Wissen jenes versunkenen Landes, aus dem einst deine Vorfahren kamen.« War das eine Frage? Fungel sagt nur: »Ich weiß ein wenig über sie.« »Kennst du die Geschichte von dem dunklen Stein Baphomet, dem Stein, der eine Seele hat?«
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Fungel neigt den Kopf und erwidert: »Nur diese Sage, Großer Molom: Es war einmal ein Krieg in den Sternengefilden über der Erde. Es tobte eine große Schlacht um die Vorherrschaft der Kräfte des Lichtes und der Finsternis. Der dunkle Feind und sein rebellisches Gefolge wurden besiegt und aus den Sternengefilden getrieben. Während des Kampfes schlug ein Engel mit seinem Flammenschwert dem Tier die Krone ab, in welcher sich der lapis exilis - das Kronjuwel Baphomet, schwärzer als das Herz des Tieres, das ihn getragen hatte - befand. Vom Schwerthieb aus der Fassung gerissen, fiel der Stein durch die sieben Himmelsringe über den unermesslichen Abgrund, so wie der dunkle Feind, der nach ihm greifen wollte, bis der dunkle Kristall auf der Erde landete und wie eine hungrige Klinge in das verdammte Land meiner Ahnen fuhr.« Fungel zögert. So viel Kunde, so viele einander widersprechende Schriftrollen und Geschichten, die jenseits dieses Augenblicks weiterführen. »Danach ist vieles ungewiss. Ich weiß, dass der Stein von den Menschen, die dort lebten, gefunden und benutzt wurde, aber die Überlieferungen sind bruchstückhaft und dunkel, als ob man sich große Mühe gegeben hätte, die Erinnerung an jene Zeit zu verwischen.« Fungel schaut zu Molom empor. »Was ich sonst noch weiß, stammt aus Geschichten, die hoch geschätzt werden, aber verworren und widersprüchlich sind, sodass sich kein klares Bild formen kann.« »Das ist eine Legende aus der Zeit vor meiner Art«, erwidert Molom.. »keiner kann ihre Wahrheit bestätigen. Aber das spielt keine Rolle. Du hast das Wissen. Jetzt wirst du auch die Wahrheit haben denn beides ist nicht immer ein- und dasselbe.« Damit streckt er einen Finger seiner Zweigenhand aus und zeichnet langsam einen Kreis zwischen sich und Fungel in die Luft. Sowie der Kreis vollendet ist, wird die Luft in seinem Inne ren vollkommen schwarz. Schon beginnen Bilder auf der Scheibe Gestalt anzunehmen, und Fungel schaut zu, wie sich eine vergessene Geschichte eines versunkenen Landes vor ihm entfaltet. Ka rutschte mit Hangen und Bangen den Hügel hinab. Das schlug wahrhaftig dem Fass die Krone ins Gesicht: in ein Loch zu laufen, das eben noch dein verrückter bester Freund gewesen war, der mit einem Baum geredet hat. Er blieb hinter einem Busch hocken und spähte dahinter hervor. Wo eben die Lichtung gewesen war, dehnte sich nun ein rundes Loch, so schwarz wie ein Tintenteich. Ich glaub, das ist der gespenstische Alte Baum, dachte Ka. Er war früher bei seinen Wühlereien schon einmal auf diesen Baum gestoßen, denn trotz seines alten verwitterten Stammes waren die Wurzeln des Alten Baumes fest und kräftig und tief. Neugierig geworden, hatte sich Ka einmal tiefer gebuddelt, um herauszubekommen, wie weit sie reichten. Das hatte er niemals erfahren, denn obwohl er den ganzen Tag senkrecht nach unten gegraben hatte, war er nicht auf das Ende der Wurzeln gestoßen, und schließlich hatte er erschöpft aufgegeben. Und Gift will ich nehmen, wenn diese seltsame grauliche alte Eule, die Fungel gestern Nacht reingelassen hat, nicht genau dieselbe ist, die in diesem seltsamen Baum haust! Oh, das ist ein schlechtes Zeichen, ganz bestimmt. Ka verfluchte Fungels Torheit und kam hinter seinem Busch hervorgekrochen. Das Herz schlug ihm im Halse, während er sich dem Rande des schwarzen Loches näherte. Da war überhaupt nichts zu sehen. Ka schaute dem Nichts ins Gesicht, das ihm so erschien, als ob der Tod Gestalt angenommen und diese Lichtung für sich beansprucht hätte. Zu Kas Füßen war das Gras säuberlich abgeschnitten, als wäre die Wiese mit einer großen Schere aus der Welt herausgeschnitten worden. Ka kauerte sich wie ein Mann aus der Vorzeit an den Rand der Welt. Und jetzt begann sein eigener Kampf mit den Dämonen: Sollte er Fungel folgen oder nicht? Die schwarze Scheibe in der Luft zwischen Fungel und Molom füllt sich mit dem Bild eines geschliffenen Kristalls, der aus der Erde ragt. Ein Mann kommt gegangen, stolpert darüber, wischt die Erde ab, beginnt dann mit beiden Händen zu wühlen. Er trägt das goldgesäumte Gewand eines weisen Zauberers. »Theverat«, ertönt Moloms Flüstern hinter der Scheibe in der Luft, »Ratgeber von Königen und Zaubermeister des Hohen Rats. « Der Stein liegt schließlich frei, ein länglicher Kristall mit rotem, kaltem Funkelglanz. Während Theverat ihn untersucht, blitzt von den geschliffenen Flächen ein Widerschein in seinen Augen. Er verbirgt den Kristall in den Falten seines Gewandes und eilt von dannen. Das Bild verwackelt und verschwimmt wie die Wasseroberfläche eines Sees, wird dann wieder glatt und zeigt den Palast des Zaubermeisters Theverat. Darin ist ein düsterer Raum, der von Sprüchen und Riegeln verrammelt ist, und in diesem Raum befindet sich Baphomet. Er glitzert und glänzt auf einem Piedestal, das
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mit Runen und Abwehrzeichen beschriftet ist. Tagelang sitzt der Zaubermeister Theverat vor dem Kristall und liest in alten Büchern. Er verbrennt Räucherwerk und schreitet in zeremoniellen Schritten hin und her, während er vor dem Stein seine Beschwörungen singt. Wieder verschwimmt die Szene, wird abermals klar und zeigt einen gewaltigen Marmortempel. Der düstere Kristall schlägt rhythmisch im Herzen dieses Tempels. Um ihn herum die Stadt, ein großartiges Zentrum von Handel und Forschung, unerschöpfliche Quelle von Licht und Energie, an die gewaltige Unternehmen unter einem Himmel angeschlossen sind, an dem es von flinken Flugmaschinen nur so wimmelt. Gewaltige Schiffe gleiten wie schnelle Delfine aus dem Hafen und wieder hinein, wo sich die schweren Ladungen von selber auf den Docks zu stapeln beginnen. Die Kraft, die alles antreibt, ist Baphomet, der große Edelstein. Tief unten in seiner Kammer sitzt Theverat und beschwört und studiert und ruft an. Sein Herz ist selbst so kalt und hart und hungrig geworden wie der Stein, der es angesteckt hat. Vor dem Hohen Rat der Könige und Ratgeber schwingt Theverat hochtrabende Reden über seine Pläne, auch die am meisten verborgenen Energiequellen des Steins anzuzapfen - und wird abgelehnt und entlassen. In der Nacht taucht Theverat vor dem mächtigen Stein im Marmorhof auf und er vollführt mit seinen Anhängern düstere Rituale. Das Herz des Steins schlägt im schwarzen Licht, und die Kraftströme, die von ihm ausgehen, werden ebenfalls dunkel und beben von gewalttätiger Kraft. Die Scheibe schlägt Wellen, und Fungel schaut voller Verzweiflung auf die Stadt in der Vorzeit. Aus dem Walde geraubt, den Verstand durch genetische Chirurgie verstärkt, schuften Zwerge in Ketten und unter der Knute eines Mannes, um einen neuen Tempel für den Stein zu erbauen. In den verschmutzten Straßen brüten Seuchen und Hunger. Die königlichen Flugmaschinen tragen nun das Siegel der Priester vom Schwarzen Kristall und steigen nur noch auf, um das furchtsame Volk zu überwachen. Auf seinem Thron aus Obsidian sitzt der neue König Theverat und brütet und plant den Aufstieg des Steins - und damit seinen eigenen. Er ist nur noch ein bleicher Schatten des guten Schama nen, der er einst war, und obgleich er noch die Gewänder des edlen Zaubermeisters trägt, ist sein Herz in ein dunkleres Kleid gehüllt. Er ist allein in seiner großen Kammer und er spielt mit der Erdkugel, fährt mit gierigen Fingern über die großen Länder. Sein eigenes Inselreich ist ihm zu klein für seinen Ehrgeiz und für Baphomet, den Stein. Er verlangt nach mehr. Ein letztes Mal nähert sich Theverat dem Stein in seinem Tempel. In frevelhaften Zeremonien versucht er die volle Energie von Baphomet als große und fürchterliche Waffe freizulassen, um die Herrschaft über die ganze Welt zu erringen. Theverat aber ist ein zu schwaches Gefäß, um diese unermessliche Kraft in Kanäle zu lenken und er wird bei seiner eigenen Entfesslungstat getötet. Ein Feuerball lässt das Land zerbersten. Der Ozean selbst weicht zurück. Entsetzt sieht Fungel die Zerstörung seiner ursprünglichen Heimat. Nur Stunden vor der Sintflut, die das Land verschlingt, fliehen die guten Zauberer, die Propheten und ihre Vertrauten, die Zwerge. Flüchten sich auf große Schilfboote, die vom Winde angetrieben werden und nicht von den schrecklichen Kräften, die so plötzlich die Welt verändert haben. Sie werden an alle Küsten zerstreut, nach Osten und Westen geblasen, nach Agypten und Americka. Die Wogen des Atlantiks schlagen über dem zerstörten Tempel von Baphomet zusammen - aber der Tempel ist leer, der Stein von seinem Piedestal verschwunden. Wieder wird die Scheibe vor Fungels Augen schwarz. Moloms Finger zeichnen ihren Umriss nach und die Scheibe verschwindet. Schweigend betrachtet Molom Fungel, während der Zwerg in sich hineinsinken lässt, was er sah. »Nun kennst du also die Wahrheit«, sagt der Elementargeist schließlich. Fungel fühlt sich innerlich beben vor Angst. Dies ist ein gewaltiges und dunkles Geschäft, größer und viel weiter wirkend als ein unnatürlicher Sturm oder der Einbruch eines Nachtgespenstes oder einer entführten Waldzwergin. Reicht auch weit über eine Fürsprache für das Parlament der Tiere hinaus. Er hat Molom gerufen und damit den Deckel von der schweren und schrecklichen Bürde des Wissens zurückgestoßen. Etwas in ihm wehrt sich: Nein, o nein. Ich bin zu klein, um dies zu ertragen. Aber der weise Zauberer, den er lange und mühsam in sich entwickelt hat, weiß die noch schwerere und schrecklichere Wahrheit: Der Deckel, der sich über dem Wissen öffnet, kann nie wieder zu geschlagen werden. Wie ein sehr viel weniger belasteter Waldzwerg noch vor ein paar Tagen gesagt hatte: »Hast du mit dem Wetter was, wirst du, wett ich, selber nass.« So bittet Fungel also um den Rest der Bürde, indem er Molom fragt: »Was ist aus dem Stein Baphomet geworden?« »Er wurde geraubt«, erwidert Molom, »während der großen, überstürzten Flucht aus dem untergehenden Land und er wurde mit vielen anderen Altertümern der Weisheit und der Macht ah
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nungslos nach Americka gebracht.« »Americka!«, ruft Fungel aus. »Der Stein ist hier?« »Eure Überlieferungen berichten von der großen Bücherei in der tiefsten Tiefe einer Bergeshohle, die all das gerettete Wissen und die Überreste aus dem versunkenen Land enthält.« Fungel nickt. Das gehört zu seinen größten Wünschen: die Lage dieser legendären Bücherei zu entdecken. All die ursprünglichen Bücher, all das verlorene Wissen der alten Schriftrollen sollen sich dort befinden, eine Million Schlüssel, die nur darauf warten, eine Million geheimer Türen zu öffnen. Der Traum eines Lebens - von tausend Leben! »Die Bücherei ist nur ein Bruchstück des großen Schatzes, der dort von den sterbenden Zaubermeistern aufbewahrt wurde«, fährt Molom fort, »der Stein wurde dort von ihren Dienern, den Zwergen, niedergelegt, die viel vom Wissen ihrer Meister aufgenommen haben.« Fungel macht ein niedergeschlagenes Gesicht. »Sie haben die Höhlen mit starken Sprüchen versehen«, fährt Molom fort, »und sie blieben dort im Lande, während die Zaubermeister, von Krankheit befallen und von der Reise geschwächt, weiter nach Süden wanderten, auf der Suche nach einem milden Klima, in dem sie es aushalten konnten. Die zurückgelassenen treuen Zwerge jedoch - deine frühesten Vorfahren in Americka - hörten nie wieder etwas von den Zaubermeistern, deren weiteres Geschick unbekannt ist, obgleich es im südlichen Americka überall steinerne Zeichen von ihnen gibt.« »Und Baphomet?«, fragte Fungel. »Der Stein blieb mit den Büchern und anderen Überresten in der Höhle versiegelt. Weil die großen Zaubermeister niemals aus dem Exil zurückkehrten, schwand im Lauf der Generationen die Fähig keit deiner Leute, Fungel, denn wenn auch ein zauberkundiges Geschlecht, so waren sie doch nur Lehrlinge jener Weisen, wegen derer Erbschaft sie zurückgeblieben waren, und die sie hüten wollten. Die Waldzwerge verbreiteten sich über das ganze Gebirge und gaben viele Geschichten vom versunkenen Land und der großen Flucht von einer Generation zur nächsten weiter. Unglücklicherweise wurden die Geschichten im Lauf der Jahre verwässert, es entstand ein Durcheinander aus Sage und Wissen und die geheime Höhle wurde den Sagen zugerechnet. Ihre Lage ist auf keiner Landkarte verzeichnet, durch keine Rune überliefert und durch keine andere Kunde. Und der einzige Punkt auf der ganzen Welt, der auf die Lage hinweist, ist eine Steinsäule, ganz versteckt beim Tumulus, dem Berg der Toten. Auf diesem Steinmal stehen Runen, aber nur der richtige Zauber entschlüsselt ihren Sinn. « Das Licht wird matter und wieder hell, während der Schatten der Eule über den Mond flattert. »Das ist die Geschichte«, sagt Molom, »unverändert seit Ewigkeiten - bis jetzt.« »Und was hat sich geändert?«, fragt Fungel, nicht ganz sicher, ob er es wirklich wissen will. »Ein unnatürlicher Sturm, der Einbruch eines Nachtmahrs, die Entführung eines Zwerges«, singt Molom, »der Geist des Zaubermeisters Theverat ist frei in deinem Land.« »Theverat! Aber ich habe doch gesehen, wie er in derselben Sintflut, die er verursacht hat, untergegangen ist!« »In Fleisch und Blut«, stimmt Molom zu, »aber sein Geist, entstellt und gestärkt durch die verzehrende Macht von Baphomet, betrat das Land als Wiedergänger. Jetzt ist er ein Dämon gewor den, hat sich von jenem verruchten Orte wieder erhoben und ist besessen von dem Wunsch, den Stein zu finden und seine Kräfte zu entfesseln.« »Aber warum jetzt?«, fragt Fungel verwundert. »Er hat zehntausend Jahre gehabt, in denen er die ganze Welt durchsuchen konnte. Warum taucht er jetzt in meinem Tale auf?« Als Antwort greift Molom tief in eine Spalte seines alten Leibes und zieht einen hölzernen Gegenstand heraus, den er Fungel reicht. Fungel dreht und wendet das schlanke, geschwungene Stück Holz in den Händen. Es fühlt sich sehr alt an und kommt ihm irgendwie bekannt vor. »Während Baphomet dem Blick und der Erinnerung verschlossen im Herzen der Berghöhle lag, konnte den Stein keiner finden«, fährt Molom fort, »aber es hat sich etwas verändert, die Welt selbst. Die Erde gehört jetzt den nackten Affen. Im Lauf ihrer Geschichte haben sie sie nach ihrem Gefallen geändert, ohne auch nur einen Gedanken an die Folgen und Wirkungen zu verschwenden. Sie haben vergessen, die Welt als einen Ort zu betrachten, den sie mit vielen teilen müssen. Sie begreifen die Erde nicht mehr als kunstvolles Gewebe mit so fest verflochtenen Fäden, dass man keinen entfernen kann, ohne die anderen zu stören. Es ist, als ob sie sich gegen Arkadien, den Garten von einst, verschworen hätten. Und sie haben uns verraten, Fungel, sie stehen im Krieg mit uns. Oh, wie ich sie hasse!« Die Höhlen seiner Augen ziehen sich zusammen. »Die Menschlinge sind unbarmherzig und verheerend rücksichtslos und ihre Raubzüge finden im ganzen Gewebe des Daseins einen Widerhall. Theverat, der merkt, wie
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blindlings die Menschlinge seine Arbeit verrichten, ist aufgewacht, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen.« Molom hält eine verwitterte Hand in die Höhe. »Aber auch ich fühle diesen Widerhall. Ich weiß, dass der Stein bald ans Licht gebracht werden wird. Ich weiß, dass Theverat ihn verzweifelt sucht.« Die Hand senkt sich wieder. »Er sucht sich Waldzwerge aus, weil sie die Hüter des Steins waren und ihm einen Hinweis geben können, wo er zu finden ist. Aber entwest, wie er wurde, kann er nicht mehr durch das Leben auf der sonnigen Erde reden und hören und sich bewegen. Er muss deshalb seine Kreaturen ins Tageslicht schicken, damit sie für ihn die Arbeit tun. Giblins, Zwerge, Hausgeister aus dem Reich der Schatten. Die Nacht jedoch ist Theverats Element, und wenn er gerufen wird oder durch Zauber und Ahnliches Einlass gewinnt, dann schweift er frei darin umher.« Molom ballt beide Hände zu hölzernen Fäusten. »Genau die Charaktereigenschaften, die die Menschlinge dazu brachten, ihren Krieg gegen den Garten von einst zu führen, haben sie fast dazu gebracht, Baphomet wieder in die Welt zu holen.« Molom deutet auf das geschwungene Stück Holz in Fungels Hand. »Das ist ein Bein des Piedestals, auf dem einst Baphomet, der Kristall, zu liegen pflegte.« Fungel kommt es plötzlich so vor, als habe er einen Zweig aufgehoben und dann entdeckt, dass es eine Giftschlange ist. »Dass dieser Gegenstand aus der Erde aufgetaucht ist«, fährt Molom fort, »lässt Theverat vermuten, dass Baphomets Zeit anbricht. Das Ding ist von Menschenbaggern ausgegraben worden - Waffen in ihrem Krieg - und von einem Waldgeist namens Rosskopf gefunden worden, der glücklicherweise einer meiner Verbündeten ist. Er fand es dicht beim Fuße eines Berges, keine drei Tagesreisen von deinem Tale entfernt.« Ka unterbrach seinen vorsichtigen Weg um das schwarze Loch herum. Hatte er etwas vernommen? Hatte ein Zweig geknackt, hatte Laub geraschelt - hatte er einen Schritt gehört? Er hielt den Atem an und schloss die Augen, um besser lauschen zu können. Nichts. Ein Jammer, dass Fungel nicht da war. Wenn er auch schlechter als eine Schildkröte sah, so konnte er doch eine Kerze riechen, die in der Sonne brannte! Als kein weiteres Geräusch erklang, nahm Ka seinen Weg am Rande der Schwärze wieder auf, prüfte, ob es eine Möglichkeit gab, anders als wie ein Fuchs in dieses Loch zu schlüpfen. Das nämlich ähnelte ihm zu sehr einem tollkühnen Sprung von den Klippen. Er hatte schon vorsichtig eine Hand ausgestreckt, und während seine Finger ins Nichts stießen, spürte er, dass der Rand dort, wo die Schwärze begann, so kalt war, dass ihm das Mark in den Knochen erstarrte. Schleunigst riss er den Arm zurück und schlug ihn sich an die Seite, um wieder Gefühl in die Finger zu bekommen. Nee, danke schön, das war wohl nichts. Wieder blieb er stehen. Diesmal war es kein Laut, sondern ein Geruch - den er auch erkannt hätte, wenn seine Nasenlöcher mit Lumpen verstopft und mit Wachs versiegelt gewesen wären. Giblins! Ganz in der Nähe und überall um ihn herum, nach dem wachsenden Gestank zu schließen. Und ich schleiche auf Zehenspitzen um eine dicke Blase aus Garnichts herum und hab nicht mal einen Stein bei der Hand. Oh, Fungel! Wenn wir das überleben, dann könnt ich mich selber umbringen! Er schaute sich um. Wo soll ich denn hin? Mein Loch ist da drüben auf dem Hügel, verflixt. Gebüsch zu weit weg und auch kaum ein Schutz. Kein Platz zum Buddeln, außer Außer dem schwarzen Nichts vor seiner Nase. Oh, der Gedanke, der sich wie eine Blüte in seinem Hirn entfaltete, behagte ihm ganz und gar nicht. Aber was soll's, dachte Ka, vor mir Teufel und hinter mir Teufel, da kann ich genauso gut springen. Er holte tief Luft und bereitete sich auf den Sprung ins Schwarze vor. Das Mondlicht flackert. Fungel schaut auf und sieht, dass sich schwarze Risse über das Antlitz des Himmels ziehen. »Kleiner Waldzwerg«, sagt Molom, »dein Wille, der diesen schwachen Ort, an dem wir uns treffen, geschaffen hat, wird müde, so kann ich dir nur das Wissen vermitteln, das dir bei dei ner Mission helfen wird, und dann müssen wir wieder in unsere eigenen Reiche zurückkehren.« »Meine Mission?«, fragt Fungel. Ein alter verkrüppelter Finger deutet auf ihn. »Du musst das versteckte Steinmal beim Tumulus der Toten suchen und seinen Zauber lösen, damit du die verlorene Bücherei deines Volkes fin dest. Du musst den Stein Baphomet finden, eh ihn die Menschlinge entdecken, und ganz bestimmt vor Theverat. « »Aber... aber -« »Baphomet wäre die letzte und äußerste Waffe im Arsenal der Menschlinge, Fungel, denn die Geschichte der nackten Affen er-
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zählt immer wieder, dass sie mit ihren Händen zerstören, eh sie mit ihren Köpfen begreifen. Wenn die nackten Affen den Stein finden, werden sie die Erde zerstören, aus Versehen oder mit Absicht.« Molom seufzt. »Wenn sie sich nur selber zum Verschwinden brächten, ohne die anderen zu beeinträchtigen, würde ich das als Sieg bezeichnen. Die Waldleute würden auf ihren Gräbern tanzen und kein einziges Tier würde seine Trauer zum Mond hinaufheulen, wenn es sie nicht mehr gäbe.« Er schaut kummervoll zum Himmel. »Die Arbeit von zahllosen Jahrhunderten in den Regenwäldern würde nicht mehr innerhalb von Stunden vernichtet werden; die steinernen Wogen der Berge, in Aonen gefaltet, würden nicht mehr geschliffen und gesprengt, damit ihre Häuser ihnen einen besseren Ausblick bieten über das Land, das fortgeschaufelt und mit Steinen zugeschüttet worden ist, um Platz für diese kummerlichen Behausungen zu machen« - Faust aus Zweigenfingern -, »die nach nichts aussehen, wie die ganze Welt um sie her, als wollten sie verkünden: Hier sind wir! Die nackten Affen! Und wenn ihr gescheit seid, so haltet ihr euch von uns fern! Reißt euch am Riemen, haltet die Klappe, vielleicht findet ihr ja noch eine Nische in unserer Welt, wo ihr in unserem Müll hausen könnt.« Fungel erschrickt vor Moloms Leidenschaft. »Wenn aber Theverat den Stein findet, wird alles nur noch schlimmer«, fährt Molom fort, »denn er war Baphomets letzter Herr und Meister, und er wird ihn mit einer bösartigen Genauig keit lenken und leiten können, die kein Mensch übertrifft. Er wird die Welt und alles andere in Besitz nehmen und unterwerfen. Mensch und Zwerg werden sich unter seiner Knute ducken massen. Dein Angsttraum war eine Vision, kleiner Waldzwerg - eine Vision von der Welt unter Theverat. Du musst den Stein entdecken, Fungel!« Fungel starrt ihn erstaunt an. »Aber, aber, ich will das gar nicht!«, platzt er heraus. »Und du wirst ihn nicht besitzen«, erwidert Molom, »denn du bist nicht stark genug, um ihn handhaben zu können oder zu zerstören. Vor mir aber ist der Stein verborgen und von diesen Bereichen aus kann ich ihn nicht suchen. Theverat wütet durch die unsichtbaren Gefilde, und meine Bemühungen, Baphomet zu suchen, würden ihn nur anstacheln. Nein, du musst ihn suchen, kleiner Zauberer. Wie der Wind, wie der Fluss, wie die Eule wirst du meine Augen und Ohren in der Welt sein, während ich meine Kräfte nutze, um mich Theverat in den Weg zu stellen. Such den Stein, Fungel, und dann ruf mich wieder, dann werde ich ihn zerstören. Und dabei halten wir auch noch die Menschlinge bei ihrem Raubzug durch den Garten auf und besiegen den Dämon Theverat in meiner Welt und in eurer.« Moloms ausgebreitete Äste und Wurzeln werden neblig, glühen auf und vergehen, wie sie entstanden. »Bei dieser Mission kann dir keiner aus meiner Welt helfen, kluger Zauberer.« Das leuchtende Geflecht von Moloms Zweigen und Wurzeln beginnt seinen Stamm so aufzulösen, als sei es ein Garnknäuel von der Farbe des flackernden Mondes, das aufgewickelt wird. Nur wenig bleibt von Molom übrig. Seine Stimme kommt aus dem aufsteigenden Nebel. »Guter Zauberer, halte dein Wissen bereit und dein Herz rein, denn das ist jetzt deine einzige Rüstung.« Das Gras zu Fungels Füßen wird braun und verwelkt. »Meine guten Wünsche dir und deiner Aufgabe«, kommt der letzte schwache Hauch von Moloms Stimme, »denn der Preis einer Tat ist oft ihr einziger Geselle. Lieber Zwerg. Armer Zwerg.« Und weg ist er. Ein ruhiges Zwischenspiel auf dieser Bühne zwischen den Welten. Fungels Herz beginnt wieder zu schlagen. Alles um ihn herum ist in Fetzen - Himmel des Mondes und Flecken von Gras, sie zerfallen, während die Kräfte, die von Fungels schwindender Energie zusammengehalten werden, die zer brechliche Kugel seines Willens nicht mehr halten können. Der Mond wich zurück, bekam wieder seine Pockennarben, bis er an seinem alten Platz am Himmel stand. Der knorrige Baum, ein Schattenriss davor, Fungels Bündel an seinen Stamm gelehnt. Fungel fühlte sich erschöpft. Die Beschwörung hatte das letzte bisschen von der Energie gekostet, die er so sorgfältig vorbereitet und aufgebaut hatte. Heim, dachte er, in ein warmes Bett fallen und kein Gedanke mehr an Steine und Dämonen, bis ich wieder aufgewacht bin. Bevor er aber an Heimkehr denken konnte, musste er seine Kräfte und seine Gedanken wieder sammeln. Seine körperliche Rückkehr in die Welt war nur ein Teil dieses Vorgangs; er musste auch die geistige Reise zu Ende führen. So blieb er in Meditationsstellung sitzen und atmete tief, um sich wieder mit Fungel zu füllen, mit seinem eigenen Ich. Er war so tief in Meditation versunken, dass er überhaupt nicht merkte, welche Rachegötter sich auf ihn zubewegten. Denn quer über die Lichtung kam Karbol Erdenwurm linkisch und ungelenk angetrampelt, dicht hinter ihm die wilde Jagd der Giblins.
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Überstürzte Flucht Was in Dreiteufelsnamen macht Fungel denn da?, dachte Ka, während er wie wahnsinnig auf seinen Freund zuwankte. Denn Fungel saß so stocksteif wie ein Zwilling des Alten Baumes da und starrte mit leerem Blick auf Ka und die Giblins, die hinter ihm her gepoltert kamen. Die Giblins waren Ka jetzt dicht auf den Fersen. Seine Füße klatschten wie Flundern, denn ein Zwerg wie er auf ebener Erde ist wirklich wie ein Fisch ohne Wasser. Fungel zwinkerte nicht einmal. Saß nur da und hielt so etwas Ahnliches wie ein Stuhlbein in der Hand. Ka spürte die plötzliche Zuversicht in sich aufsteigen, dass Fungel schon einen kräftigen Zauberspruch ausklamüsern würde, um die Welt ein für alle Mal von diesem Kroppzeug, diesen verflixten Giblins zu befreien. Und dann aber sauber drauf auf den Dreck! »Gib's ihnen, Fungel! «, krächzte Ka und grinste, während er näher kam. »Zeig's ihnen! « Fungels Lider flatterten, öffneten sich, zeigten aber nur das Weiße seiner Augen, und Ka merkte, dass sich der Zwerg immer noch auf der Rückreise aus dem Unbekannten befand. Fungel hatte keine Ahnung, dass sein Freund auf ihn zustolperte und dass ein geiferndes Rudel Fieslinge dicht hinter ihm herheulte und -hechelte. Von dort oben ertönte ein gellendes Kreischen. Fungel schüttelte den Kopf und plinkerte verzweifelt. Ka machte sich bereit, Fungel zu packen und über die Schulter zu werfen, obgleich er genau wusste, dass durch diese Verzögerung die Giblins wie eine Welle über ihnen zusammenschlagen würden. Ein Wurfgeschoss, eine Bierflasche, zischte an seinem Ohr vorbei und verspritzte ihren Schaum aus dem abgebissenen Hals. Und schon folgten ihr ein Hagel schwerer Knochen von verschiedenen Tieren und ein Topfdeckel. »Urk«, machte Ka. Fungel rappelte sich auf und versuchte sich auf den Beinen zu halten. Sein Körper war wieder in dieser Welt, sein Geist hatte ihn aber noch nicht eingeholt und seine Glieder schlackerten und schlotterten wie bei einem neugeborenen Lamm. Alles in allem bot er einen jämmerlichen Anblick, das Gesicht ganz runzlig, eingefallen und bleich wie ein Bettlaken. Um so schlimmer für Ka, der sich Fungel auf den Rücken packen und versuchen musste, der blutrünstigen Giblintruppe zu entkommen. Aber Freundschaft ist Freundschaft und Ka bückte sich. Da aber spürte er einen Luftzug über dem Kopf, und als er aufblickte, sah er eine bekrallte Gestalt, wie ein lebendiges Stück Nacht, das direkt auf die johlende Schar der Giblins zuhuschte. Eine Eule. Keine Zeit für Fragen: Ka beugte sich vor und packte Fungel. Puh! Mochte er auch klein sein, eine Flaumfeder war er nicht! Also, du und ich, wir stammen ja von Affen ab, die in den Bäumen zu hausen pflegen, und wenn uns die Panik packt, wacht wieder der alte Affe in unserm Schädel auf und will hinauf und ins Sichere klettern. Zwerge aber sind ganz anders. Sie sind so wenig mit den Affen verwandt wie Runkelrüben mit einer Kuckucksuhr. Und wenn einen Zwerg die Panik packt, dann hält er sich wie die Runkelrübe an die Erde. Mit Fungel auf dem Rücken stampfte Ka von der Lichtung, aber keinen Schritt weiter. Fungels Insel war durch Kas häufige Besuche vollkommen durchbohrt und Ka brauchte nur einen dieser Gänge anzuzapfen. Er begann zu schaufeln. Wenn man ihm zuschaute, merkte man voll Bewunderung, dass es nur wenige Geschöpfe auf Erden gibt, die so begabte und gute Graber sind wie die Gnome. Von der Lichtung erscholl das Schuhu der Eule und das Geschrei der Giblins. Ka zerrte Fungel hinter sich her in das Loch und buddelte so hastig, dass die Erde wie Wasser über ihnen nachrieselte. Schneller als Worte sind, hatte Ka den Zugang zu einem seiner alten Tunnel hergestellt und schleppte und zog Fungel zu dem einstmals so sicheren Hafen seines Heims. Ka klappte den Teppich zurück und purzelte in Fungels Wohnzimmer. Emma legte die Giblinpuppe beiseite, an der sie arbeitete, reichte Ka eine Hand und half ihm dann, Fungel aus dem Tunnel zu wuchten. Ohne viel Umstände schafften sie den benommenen und verwirrten Waldzwerg schleunigst ins Bett, und Ka schaute neugierig zu, wie Emma vom Regal mit den Heilmitteln über dem Kopfende von Fungels Bett eine Mischung aus Kamillenextrakt und Holzapfelsaft verquirlte. »Das ist wirklich ein kluger Zaubermeister«, bemerkte Ka, wobei er auf die Phiolen mit Tränken und Tinkturen deutete, »hast du Medizin im Haus, breitet sich kein Wehweh aus.« Emma machte mit der dampfenden Phiole, in der sie die Mischung erhitzt hatte, ein Zeichen über Fungels Kopf. »Pah«, sagte sie, ohne Ka anzublicken, »Aberglaube, Zwerge sind eine aber gläubische Rotte.«
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Emmas Unverblümtheit stieß Ka immer etwas ab - vielleicht weil er selber so grob und poltrig war -, aber er wusste, dass diese zu ihrem Wesen gehörte und versuchte sich davon nicht abschrecken zu lassen. Ka musterte Fungel, der immer noch nicht bei sich war und das geschwungene Stück Holz umklammert hielt ununterbrochen, seitdem sich die Kugel aus Nichts wieder in die Lichtung verwandelt hatte. Emma hatte versucht es Fungel abzunehmen, aber als sie mit der Hand daran kam, fuhr sie zurück, als ob sie gebissen worden wäre. »Also«, schnaufte sie, »das ist ja höchst merkwürdig.« Fungel wollte es jedenfalls, auch wenn er bewusstlos war, nicht loslassen. »Was ist denn mit Fungel los?«, wollte Ka wissen. »Ich bin zu ihm hin, das Kriegsgeschrei von diesen Fieslingen dicht auf der Pelle, und er - ganz seelenruhig, wie beim Picknick!« Emma hielt die Phiole vor Fungels blasses Antlitz. Die dicken weißen Schwaden stiegen dem schlummernden Zwerg bei jedem Atemzug in die Nasenlöcher. »Oh, er kommt schon in Ordnung«, antwortete Emma. Fungel hustete, als ob er den Tod im Leibe hätte. »Das seh ich auch«, bemerkte Ka. Aber im gleichen Augenblick begann Fungel wieder Farbe anzunehmen. »Das ist die Beschwörung«, sagte Emma, »die saugt einem das Mark aus den Knochen wie in einem Stundenglas.« Ka grinste, weil ihm der Klatsch über Emma in der Tabakkneipe einfiel, und begann sie dann zu fragen, woher sie eigentlich wusste, was eine Beschwörung jemandem antat - aber Emma richtete sich neben dem Bett auf und stieß einen Pfropfen in die Phiole. Auf ihrer Schulter saß eine zerzauste Eule. »Grk! «, stieß Ka wie erstickt aus. »Wieso? Was ist denn jetzt mit dir los?«, erkundigte sich Emma. »Wa, wi, wo kommt die denn her?«, stieß er mühsam hervor und deutete auf die Eule. Emma warf der Eule einen Blick zu, als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt wäre, dass diese auf ihrer Schulter saß. Dann schaute sie wieder Ka an, so verwundert, als ob Ka auf ihren eigenen Köpf gezeigt und gefragt hätte: »Was ist denn das?« »Vermutlich aus einem Ei«, erwiderte sie. »Eulen«, sagte Ka und sprach das Wort wie einen ganzen Satz aus, »alte Gespenstervögel!« »Dann muss ich dir sagen, dass dieser alte Gespenstervögel der Grund ist, warum du heute Abend bei uns bist und nicht als Festbraten auf dem Tisch von den Giblins und deren entzückenden kleinen Sprösslingen!« Sie streichelte die Nackenfeder der Eule mit einem Finger. Ka warf der Eule einen zweifelnden Blick zu. »Na ja - aber warum sieht sie so zerstrubbelt und zerfleddert aus? Ist sie in der Mauser?« Emma klang noch etwas strenger. »Sie hat offensichtlich eine kleine Auseinandersetzung mit einigen Giblins gehabt«, sagte sie, »ganz im Gegensatz zu gewissen anderen, die Reißaus genommen haben und im Karnickelloch verschwunden sind.« »Ich hab nicht Reißaus genommen! Ich hab Fungel vor den Giblins gerettet!« Ka kniff die Augen zu und betrachtete die Eule misstrauisch. »Sag mal, wer hat dir das eigentlich erzählt?«, fragte er. Emma schaute die Eule nur an, und dann nahm ihr Gesicht einen so duldenden Ausdruck an, dass Ka ganz genau wusste, mehr als sie schön gesagt hatte, würde sie nicht von sich geben. »Am besten lassen wir Fungel jetzt schlafen«, sagte sie, »und sehen, was wir für dich tun können.« Ka hatte nichts dagegen, aus Fungels Schlafzimmer geführt und in Fungels Küche von Fungels Vorräten den Hunger gestillt zu bekommen. Keine Plaudertasche, die alte Emma! Fest umklammert von der schlafenden Hand des Zwergenzauberers: uralte Zellen von totem grauem Holz. Handgeschnitzt von einem Magier, abgestorben unterdes im Leibe, doch mit schweifender, greifender Seele. Kunsthandwerker und Werkstück: dem Leben entrissen, verseucht durch die Bindung an eine düstere Macht jenseits von Geist und Materie. Uralte Zellen von totem grauem Holz. Relikte. Blitzableiter. Leuchtfeuer. Zerfetzt und verwundet unter der Furie des Vollmondes, hielten vier Giblins auf Verfolgungsjagd wie ein Mann an. Sie standen wie die Statuen eines Alptraums im farblosen Forst, Schnauzen hochgereckt und Nüstern weit offen. Iiiiirgendwas ... Ratte bewegte nur die schwarzen Augen, um zu Stachelschwein zu blicken. Krumm und stachlig, mit aus dem Kopf gequollenen Augen, grinste Stachelschwein lüstern. Mondlicht glitzerte kalt in seinen Wahnsinnsaugen. Ihre Führerin, die einer verhungerten Fähe glich, sog schnuppernd die Luft ein. Die Spitze ihrer Schnauze bebte. Sie schloss die Augen.
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... iiiiirgendwas. Sie öffnete den Mund. »Runter!«, hauchte sie. Die Füchsin verstärkte ihren Griff um die Beute: Oh, die Jagd, die Jagd, ich liebe die Jagd! Verfolge sie, schnapp sie, stopf sie in den Beutel! Kitzle sie den ganzen Heimweg lang mit deinen Zähnen, dass sie Weh! Weh! Weh! winseln. Aber mehr als das lieb ich -? Die vier Giblins erstarrten wie gut abgerichtete Jagdhunde und spähten alle in die gleiche Richtung. - sie aufzustöbern. »Jagt sie!«, befahl sie und deutete mit einer hornigen, krummen Kralle auf eine Insel, die mitten im mondbeschienenen See lag wie eine Pupille im Auge. Die Giblins warfen die Köpfe zum Mond und heulten in seligem Missklang, und das war ein so grauenhaft siegessicherer Schrei, dass er ein ängstliches Herz schon erstarren lassen konnte. Fungels Puls schlug schneller. Er keuchte und setzte sich im Bett auf. Sein Geist war noch benommen und taub von dem abklingenden Traum eines wilden Schreis. Etwas versuchte sich aus seinem Griff zu lösen. Erschrocken blickte er hinab und sah, dass er nur ein Stück Holz in der Hand hielt. Nur ein geschnitztes Bein. . . ... vom Piedestal, auf dem Baphomet in Theverats Versteck gelegen hat, vor Aonen, auf einem Erdteil, der nun im schlammigen Bett des Meeres versunken lag. Erinnerung strömte zurück: wie er Molom beschwor; wie er von dem Kristall Baphomet und seiner unauflöslichen Bindung an das Geschick von Atlantis erfuhr; wie Theverat nach Zwergen suchte, um den Stein in seiner alten versteckten Höhle zu finden; wie die Welt in dem Dunkel eines Alptraums versank, wenn der Kristall ans Licht kam. Und wie sein Auftrag lautete: Du musst die versteckte Steinsäule beim Berg der Toten suchen und seinen Zauber lösen, um die verlorene Bücherei deines Volkes zu finden. Du musst den Stein Baphomet vor den Menschlingen entdecken und ganz gewiss vor Theverat. Such den Stein, Fungel, dann ruf mich wieder an, und ich werde ihn zerstören. Wenn wir das tun, halten wir auch die Menschlinge bei der Plünderung des Gartens auf und besiegen den Dämon Theverat in meiner und in deiner Welt. »Wenn er besiegt werden kann«, murmelte Fungel in seinem Bett vor sich hin. Um darauf die Antwort zu finden, gibt's nur einen Weg, Fungel, mein alter Junge, und der besteht bestimmt nicht darin, dass du zu Hause in deinem Bett herumsitzt. Er warf die Decken zurück und stand auf. War's erst zwei Nächte her, dass er aus einem Traum in dieses seltsame Bett gefallen war? Oh, wie sich die Lebensjahre in ein paar ungebärdigen Sekunden ändern können! Er hielt inne. Aus einem Traum gefallen... Was, wenn das Ganze - Molom, Giblins und ein alter unheilvoller Kristall - nichts als eine Serie schlimmer Träume war, das Ergebnis zu üppiger Mahl zeiten? Seit dem Fest der Tagundnachtgleiche, das stimmte schon, hatte ihm der Schädel gebrummt und Bauchgrimmen hatte er auch. Konnte alles nur in der letzten Nacht in seinem Kopfe stattgefunden haben? Das geschwungene Bein krümmte sich in seiner Hand. Emma und Ka befanden sich im Wohnzimmer. Ka fegte den Boden und hielt Selbstgespräche, während ihm Emma zuschaute. Ihre Haltung war streng und aufrecht, aber weil Ka den Kopf hängen ließ, konnte er nicht sehen, dass Emma freundlich lachelte. Das Lächeln verschwand, als sie Fungel sah, der sie von der Tür aus betrachtete. »Fungel Fuchswitz, du gehst auf der Stelle wieder ins Bett!« Sie ging auf ihn zu. »Keine Zeit, Emma«, antwortete Fungel, »muss nach Norden, je eher desto besser.« Emma stützte ihre Hände in die Hüften. »Du willst es mir wohl leicht machen, unangefochtene Hüterin dieses Landes zu sein, oder?« Es war das erste Mal, dass dieser alte Sippenstreit offen von einem von beiden erwähnt wurde, und Fungel fühlte sich peinlich berührt. Sein Gesicht wurde heiß. »Du bist noch nicht erholt!«, beharrte Emma. »Du kommst keine drei Schritt weit, dann kippst du einfach um!« »Hab sowieso keine Zeit zum Laufen«, sagte er. »Dann willst du wohl fliegen?«, erkundigte sich Ka, auf den Besen gestützt. Fungel nickte ernsthaft und Ka und Emma wechselten einen Blick. »Tja«, bemerkte Ka, »das ist ein toller Tag!« »Molom hat mich mit einem Auftrag betraut«, fuhr Fungel fort. Er hielt ihnen das geschnitzte Holzbein hin. »Und dies hier sagt mir, dass dunkle Gestalten durch die Nacht lungern, um mich zu finden. Um uns zu finden.«
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Der Überrest von Baphomets Piedestal wand sich vor ihren Augen langsam wie der abgebrochene Schwanz einer Eidechse. Während Fungel in seinem Wurzelwinkel den Lunavogel für den Start vorbereitete, beharrte Emma darauf, ihn auf seiner Reise nach Norden zu begleiten, um den Berg der Toten zu entdecken und die Steinsäule, die das Geheimnis von Baphomets Lage enthielt. Obwohl es ebenso gefährlich war, sich mit Emma über die Gefahr einer Reise zu streiten wie über diese selbst, bestand Fungel darauf, sein Auftrag sei so gefährlich, dass er ihn allein erledigen müsse. Er sagte Emma, er wolle sie zu Ka bringen, wo sich der Gnom bis zu seiner Rückkehr um sie kümmern könne, und ansonsten wolle er kein Wort mehr hören. Emma war ganz offensichtlich über diese Entscheidung nicht glücklich, aber Fungel etwas auszureden war genauso, als ob man das Gesetz der Schwerkraft auf den Kopf stellen wollte. Sie konnten Fungel also nur helfen, die Bücher und die Schriftrollen und die brüchigen alten Landkarten zusammenzutragen. Ka hörte oben mit dem Fegen auf und kam ebenfalls zur Hilfe hinunter. Er und Emma hasteten in dem voll geräumten Raum umher und suchten alle Einzelheiten zusammen, nach denen Fungel verlangte, während dieser entschlossen seinen Lunavogel fertig machte. Als Ka die Sachen, die er gefunden hatte, zu Fungels Weidentisch trug, schaute er ihm neugierig über die Schulter und musterte die dünnen Streben und Bögen und Riemen des Lunavogels. »Du bildest dir doch nicht ein, dass du das Ding in die Luft kriegst, wie, Fungel?« »Hmm«, machte Fungel und zurrte den Treibriemen des klapprigen Apparates fest. »Ich meine, das ist - also, du weißt ja, es ist nicht meine Art, die Nase in Sachen zu stecken, die mich nichts angehen, aber ... « Ka kratzte sich unbehaglich am Schädel. »Also ehrlich, Fungel, ich hab Billionen Jahre alte Vogelknochen gesehen, die waren wirklich flugfähiger als dieses Ding.« »Hmm«, machte Fungel abermals, während er ehrfürchtig die seidene Hülle von dem seltenen Exemplar eines magnetischen Kristalls entfernte und ihn dann mit Fingerspitzengefühl in sein Lager im hölzernen Schnabel des Lunavogels einrasten ließ. »Hör mal, wenn da der Wind auch nur einmal reinpustet, dann ist das doch Kleinholz!« Ka kam jetzt in Fahrt. »Regen und Nebel machen das Ding schwerer als 'ne trächtige Kuh und genauso gut zum Fliegen! Und wenn du da Schwung gibst mit irgendwas, das dicker als ein Li bellenflügel ist und fester als ein Narzissenblatt, dann wär's vorbei mit Fungel, stimmt das nicht? Und das war wirklich ein Jammer! Einen Augenblick vielleicht in der Luft wie eine Hummel und im nächsten ... « - er schlug die Hände zusammen - » . . . puff ! Der beste Koch im ganzen Tal und fällt einfach aus dem Himmel und lässt seine einzigen Freunde im Stich, lässt sie verkommen und verhungern. « »Hmm«, machte Fungel, griff nach dem Magnetstein, um das magnetische Muster zu ertasten, das in ihn eingebettet war. Dann drehte er den Stein so in seinem Lager, dass er nach dem Magnet feld der Erde ausgerichtet war. Denn die Erde ist ein riesenhafter Magnet und die meisten Geschöpfe sind auf diese Kraftlinien eingestellt: Zugvögel folgen seiner Landkarte, Insekten schwärmen nach seiner geheimnisvollen Musik, Walfische folgen magnetischen Strömen, und ohne die Erde auch nur im Geringsten zu stören oder auszubeuten, hatten Fungels Ahnen und ihre Lehrmeister diese Energieströme so benutzt wie der Habicht die Aufwinde vor den Bergen. Mit Hilfe dieser Kraft ließen sie Schiffe durch Wasser und Luft gleiten, beleuchteten ganze Städte und sagten das Wetter voraus. Ihre Kenntnis und ihre Instinkte waren - wenn auch verwässert, wie Molom sagen würde - auf Fungel gekommen, und in seinem Kopfe tönten diese Kraftlinien so wider wie das Summen einer Hornisse in einer Flasche. »Und was soll aus deinem allerbesten Freund Ka werden, he?«, drängte ihn Ka. Er beugte sich dicht zu ihm und flüsterte: »Und es einer Kluge überlassen, sich um das Tal zu kümmern!« Fungel zögerte. Wie konnte er erklären, dass es viel wichtiger war, Emma in Sicherheit zu bringen, weil er, selbst wenn er seinen Auftrag erfolgreich zu Ende führte, vielleicht nicht zuruckkom men würde und weil jemand über das Wohlergehen des Tales wachen musste. Und wenn er das nicht wäre, wen gäbe es besseres als eine Kluge? Aber bevor er auch nur ein Wort davon sagen konnte, legte Emma ein Bündel Schriftrollen auf Fungels Pult und sagte frohlich: »Hat er es dir noch nicht gesagt, Ka? Wir fliegen mit ihm! « Ka sagte genau einhundertsiebenunddreißigmal nein. Als er damit fertig war, war der Lunavogel startbereit. Emma und Fungel hatten ihn mit Büchern, Schriftrollen und Landkarten beladen und zu der geheimen Kammer unter der Erde gerollt. Alles war fertig. Alles außer Ka.
51
Fungel ging zu ihm zurück. Der Zwerg presste sich in Fungels Wurzelwinkel gegen das Pult und zitterte wie ein junger Hund im Gewitter. Dieser jammervolle Anblick ließ Fungel zögern. Seine Hand strich über das alte Bein des Piedestals an seiner Seite. Es zappelte jetzt wie eine Schlange. Nah, sie sind ganz in der Nähe! Während er das alte verwitterte Holz berührte, konnte Fungel das Hecheln der Giblins spüren, ihren Hunger, ihren gierigen Drang, ihn zu finden. »Ka«, sagte Fungel sanft, »wir sind bereit.« Der Gnom schaute auf. »Wir?« Er stand langsam auf. »Wir! Hast du mich auch nur einmal einen Hopser machen sehen, Fungel Fuchswitz, Waldzwerg?« Der gewaltige scheckige Schädel wiegte sich hin und her. Ein Fuß mit kräftigen Krallen stampfte auf den Lehmboden. »Hier gehör ich hin! Wenn sich jemand gemütlich in der Erde fühlt, will er doch nicht wie ein Ei darauf fallen und zerplatzen!« »Ka, die Giblins sind auf dem Weg hierher«, erklärte Fungel, »Giblins - und Schlimmeres. Ich muss dich und Emma sicher zu deinem Heim bringen und dann muss ich mich selber auf den Weg machen. Sie werden dich hier aufstöbern, wenn du bleibst.« »Wer will denn bleiben? Ich mach mich auch auf die Socken, das kannste mir glauben. Ich hab nur keine Lust, wie ein abgerissener Zweig, der sich für `nen Vogel hält, bis ihm der Erdboden die Wahrheit sagt, durch die Luft zu flattern!« »Sie werden dir durch deine Gänge folgen, Ka«, sagte Fungel hartnäckig. »Also, einem Gnom sollen sie erst mal folgen können, Fungel«, sagte Ka stolz, »und so, wie sie den Himmel in ihrem Herzen haben, so hat dieser Gnom Erde in seinem Kopf.« Fungel lächelte und schüttelte voll Bewunderung den Kopf. »Ka, mein Freund, so jemanden wie dich gibt's kein zweites Mal auf der Welt, das ist wohl die Wahrheit.« Ka grinste als Antwort. »Auf der Welt und drunter«, korrigierte er. Fungel nickte. Sie kamen überein, sich bei Ka zu treffen, und nachdem das entschieden war, fiel kein Wort mehr darüber, wer flog und wer buddelte, und mit dem Blick, den sie wechselten, wünschte jeder dem anderen so viel Glück, wie er brauchte. Ka schlug die Augen nieder. Tapfer war er, aber Hoflichkeitsfloskeln unter Zeitdruck waren nicht seine Sache. »Du weißt ja, ich sag immer, also ... unschmeichelhafte Sachen über Emma, Fungel . . . « Er stotterte. »In Wirklichkeit will ich nur sagen, also, es war eine Schande, wenn sie keine Marmelade mehr aus Erdbeeren kochen könnte -« Fungel schmunzelte und legte Ka die Hand auf die huckelige Schulter. »Ich pass schon auf sie auf«, sagte er. Dann senkte er die Stimme. »Und wenn du dich an den Biestern vorbeibuddelst«, sagte er, »könntest du mir einen Gefallen tun...« »Hab dir doch gesagt, dass er nicht kommen würde«, sagte Emma, als Fungel in den Lunavogel kletterte und sich im Sitz vor ihr zurechtruckelte. »Musste es trotzdem versuchen«, antwortete Fungel. Er musterte aufmerksam die hölzernen Versteifungen, die die Decke stützten. Er konnte sie spüren. Und darüber, auf der Erde, hechelnd, hetzend, heißhungrig und gnadenlos - die Giblins. »Bist du angeschnallt?«, rief er zurück. »So fest es geht und ich hab das Gefühl, eine Schlange hätt mich verschluckt«, antwortete Emma. »Gut.« Fungel warf einen letzten Blick in die Runde. Der kleine Raum lag im schwächsten magischen Licht. Fungel sang, um die Schutzsprüche zu stärken, die den Eingang seines Heimes schütz ten, seinen Wurzelwinkel, seine Bücherei und seine ihm so teuren Besitztümer. Sein Herz bebte zutiefst. So viel, was er zurückließ. So viele Gefahren bei dieser langen Reise, die jetzt begann. Aber nein. Hatte sein Auftrag nicht schon vor ein paar Nächten begonnen, als er zu einer Reise ohne Raum aufgebrochen war, jenseits der Mauern des Schlafes? Wir alle beginnen eine Reise, wenn wir geboren werden, dachte er, so muss sie mir jetzt nicht als Last erscheinen. Er setzte nur eine Reise fort, die vor vielen Jahren begonnen hatte, eine Forscherfahrt auf eigenen Pfaden, die von den Zwillingswegen seiner Eltern abgezweigt waren. Fortschritt und Anhalt im Rad des Lebens, dachte er. Und jetzt rolle ich auf Baphomet zu, jetzt sollte ich mich auf den Weg machen. Er griff nach den Steuerrudern und brachte sie in die richtige Stellung. Er blickte über die Schulter. Ka war ein Gnomenschatten im magischen Dämmerlicht. »Fertig?«, fragte Fungel ruhig. »Fertig«, antwortete Emma. Ka schwenkte das geschnitzte Tischbein. »Fertig und fort mit euch!«
52
Vor Fungel hing ein Seil. Es baumelte von der lehmigen Decke, und Fungel hatte den Lunavogel direkt darunter aufgebaut, sodass er zu gegebener Zeit bei der Hand sein würde. Jetzt stellte er die Ruderetten des Lunavogels fest und griff mit der Rechten nach dem Seil. Tief Atem holen, mitten im Leben, Blut rauscht mir als Strom durch die Adern. Magnetische Ströme mit Bienengesumm durch die Adern der Erde. Oben der Feind, im Rücken der Freund. Sich des Atems entladen: Und ich bin in der Mitte. Die Mitte bin ich. Jetzt, dachte er. »Jetzt!«, rief er und zog an dem Seil. Die Decke brach zusammen. »Halt!« Die Giblins stoppten mitten im Satz. Der Herbstmond war längst untergegangen und die Nacht pechschwarz. Der Wald auf Fungels Eiland war ein Gewoge aus Mitternachtsblau und Schwarz. Vixen stand mit den anderen Giblins auf einer kleinen Lichtung. Der verkrümmte Umriss ihres erbärmlichen Leibes war nur als ein Stück Himmel ohne Sterne zu erkennen. Tief in ihrem gallebitteren Herzen spürte sie die Windung eines Wurms, das Zucken eines alten Verderben bringenden Holzstücks, das sich auf eine dunkle kristallische Frequenz einstellte, der alles Unirdische nachtens folgte. »Ich kann sie spüren«, flüsterte sie. Sie sabberte, während sie die wachsende Erregung ihrer Knechte fühlte, die beim Stöbern unterbrochen worden waren. Oh, meine Hungrigen, sucht sie! Oh, dies mag ich am meisten. Und ihre verdrießlichen Lefzen zogen sich über grauem, fleckigem Fleisch zurück und entblößten beim grausamen Grinsen gelbe zerbrochene Zähne. Stachelschwein erhob sich zu seiner vollen runden Höhe. Seine Wahnsinnsaugen waren so weit aufgerissen, dass sie ihm fast aus dem Schädel kullerten. »Da, da!«, winselte er und pochte mit einem krummen Finger auf den Boden. Glückselig hoppelte er herum und trampelte auf die Erde. »Hier, hier!« Sein Geifer glitzerte im Licht der Sterne. Ratte legte ein zerbissenes Ohr auf den Boden und schloss die Augen. Bums. Bumsbums. Aber das war das tanzende Stachelschwein. »Hör auf damit!«, fauchte Ratte. Stachelschwein unterbrach seinen irren Tanz, stieß aber immer wieder den Finger auf die Erde, während er die andere Hand auf den Mund schlug. Über seiner unförmigen Pfote glitzerten die Wahnsinnsaugen gefährlich. »Hoho!«, stieß er pfeifend hervor. Ratte lauschte. Hab dir... murmel murmel... nicht kommen würde. Musste murmel. Bist du murmel murmel? Murmel murmel murmel wie von einer Schlange verschluckt. Ratte zeigte beim Grinsen verfaulte Zahnstümpfe. Er deutete nach unten. »Da!«, zischte er. »Da, da!«, schnatterte Stachelschwein hinter seiner Hand. »Hoho!« Schwielige Pfoten schlossen sich um Äxte, Pieken, Hämmer und Messer. »Auf sie drauf!«, befahl Vixen. Da gab die Erde unter ihren Füßen nach. »Jetzt!«, rief Fungel und zog an dem Seil. Die hölzernen Streben gaben dort nach, wo es geplant war. Die Decke der Kammer faltete sich nach innen und unten. Erde und Steinbrocken und wütende Giblins polterten in das, was jetzt eine Grube war, aber der Lunavogel, der in der Mitte stand, blieb unberührt. Fungel murmelte hastig ein uraltes Wort. Der Magnetstein glühte auf. Der Lunavogel bewegte sich. Fluchende Gestalten zappelten im Geröll und die Giblins rappelten sich wieder auf die Füße. »Fungel. ..?«„ flüsterte Emma, während sich verrenkte und aneinandergeklammerte Gestalten rings um sie herum wie Gespenster in dem magischen Dämmerlicht erhoben. »Halt dich fest«, war alles, was Fungel antwortete. Die Giblins stürzten sich auf sie und schwangen ihre Axte, Pieken, Hämmer und Messer. Emma schaute aus der Grube empor. Die Sterne schienen sehr weit entfernt zu sein. Der Lunavogel knarrte und bebte und gab ein langes Krachen von sich wie von einem splitternden Mast - und hob ab! Und hielt an. Emma spähte über die Seite. Ein Giblin, der einem Stachelschwein glich, hatte das linke Rad gepackt. Er grinste mit wild rollenden Augen zu Emma empor. Von seinem heißen Atem wurde ihr übel.
53
»Noch ehe es Morgen wird, saug ich dir das Mark aus den Knochen«, schnaufte Stachelschwein, »hm, das ist lecker!« Emmas Kopf füllte sich mit heißem Blei. »Fuuungel! «, hörte sie sich sagen. Der Lunavogel hatte backbords Schlagseite, während er sich gegen den Griff des Giblins wehrte. Fungel hieb mit der Ruderette an der Backbordseite nach unten. Die anderen Giblins waren unterdessen in Reichweite. Da erscholl in der Kammer ein durchdringender Pfiff. »Hehehe!«, rief eine wütende Stimme. »Giblins! Hierher, ihr Stinkepinke!« Ka trat ins Blickfeld und schwenkte das Piedestalbein. »Hier habt ihr euern Barfußmett!« Das alte Holz wand sich in Kas Griff. »Donner und Doria, so scheußliche, schauerliche Untiere hab ich ja noch nie gesehen!«, spottete der Gnom. »Ihr seht wirklich aus, als ob ihr zweimal >hier< geschrien hättet, als die Hässlichkeit verteilt wurde!« Die Giblins wandten sich an den Gnom, nicht nur von seinem Hohn angezogen, sondern von der unwiderstehlichen dunklen Kraft, die von dem Piedestalbein ausging. Ka streckte die Zunge raus, hopste auf und ab und gab unanständige Geräusche von sich. Fungel holte noch einmal mit dem Backbordriemen aus und schlug damit Stachelschweins Arm ab. Der Lunavogel richtete sich wieder auf und hob den Schnabel begierig in die Luft. Hinter Ka schrien vier Giblins. Der fünfte, der wie ein verkrüppelter Fuchs aussah, wirbelte einen Morgenstern an einer Kette und ließ ihn gegen den Lunavogel krachen. Er wickelte sich um den Schwanz, und die Stacheln schlugen tief ins Holz. Vixen sprang zu einer hölzernen Strebe, die aus dem Rand der Grube ragte, und schlang das andere Ende der Kette darum. Meins! Meins! Meins! Vixen begann die Kette einzuholen und zog den Lunavogel so herunter, wie ein Seemann den Anker heraufzieht. Fungel blickte zurück und sah, dass sie wie ein Drachen an der Schnur hingen. Wie ein Drachen? Er legte die Ruder um und der Lunavogel senkte den Schnabel und ging steil in die Linkskurve. Fungel hielt die Kette straff hinter sich und flog mit dem Lunavogel an der Holzstrebe vorbei. Da bei wickelte sich die Kette halb drum herum und klemmte den Giblin ein. Fungel ließ die Hände fest auf der Ruderette liegen und der zerbrechliche Flugapparat zerrte an der Kette wie ein Hund an der Leine. Vixen befreite die Arme und holte die Kette weiter ein, wobei sie Schwung holte und die Kette um die Holzstrebe schlang, an der sie befestigt war. Nach drei Zügen waren sie dichter bei dem rasenden Giblin, als Fungel jemals wieder sein wollte. Der wutspeiende Giblin packte den Schwanz des Lunavogels, wo sich die Stachelkugel ins Holz gefressen hatte. Fungel hielt den Lunavogel in Fahrt, zog die Kette sogar noch fester an, und der Giblin kreischte wie hundert Gabeln, die über hundert Porzellanteller kratzen. Emma wich auf ihrem Sitz zurück. Der Giblin tobte keine drei Fuß hinter ihr. »Zieh sie raus!«, rief Fungel und deutete auf die Stachelkugel, die den Lunavogel festhielt. »Zieh sie raus, dann bist du frei!« Der Giblin aber zerrte nur noch wilder. Die Kette spannte sich jetzt so stramm um Vixens verrenkten Körper, dass ihr die Augen aus dem Kopf und das Fleisch zwischen den Kettengliedern hervorquollen - aber trotzdem wollte sie den Kampf nicht aufgeben. Fungel mochte es kaum glauben: Der Giblin wollte eher festhalten und sein Leben lassen als frei sein. Der Lunavogel knarzte gefährlich. »Emma!«, rief Fungel über das brutale Geschrei des Giblins hinweg. »Übernimm die Ruderetten! « Emma schnallte sich los und sprang praktisch über Fungel hinweg, um die Ruderetten von ihm zu übernehmen. Der Lunavogel tanzte, als Fungel absprang. Als der Giblin den Zwerg auf dem Boden sah, griff er nach der hinteren Höhenflosse und der aus dem Gleichgewicht gebrachte Apparat schwankte wild. Sein Schwanz krachte und Fungel hörte etwas brechen. Fungel hielt sich in respektvoller Entfernung zum Giblin, als er nach der Stachelkugel griff, die sich in den Lunavogel gebohrt hatte, und zu rütteln begann. Der Giblin platzte vor Wut. Er ruderte mit den Armen, griff wie wild um sich und geiferte, dass die Spucke sprühte. Die Kette schnitt der Füchsin tief ins Fleisch, als sie nach Fungel schnappte. Sie nahm den Tod in Kauf, um ihn zu erwischen. Die Hand des Giblins umklammerte seine. Das Fleisch fühlte sich wie die Haut einer Schildkröte an, nur kalt. Die Füchsin kreischte triumphierend, als sie Fungels Handfläche auf die scharfen Spitzen des Morgensterns presste.
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Fungel blickte dem Geschöpf in die verrückten Augen. Der Giblin grinste und zeigte dabei Fänge und Ruinen ihrer geschwärzten Zähne. »Meister! «, rief die Füchsin, »oh, mein Meister! Bei meinem Blut, ich rufe dich an! Mein Herz, mein Haar, meine Augen, mein Hirn, meine Seele - alles gehört meinem Meister, alles!« Die Luft wurde kalt. Über ihnen ballten sich Wolken zusammen. »Bei deinem uralten Namen rufe ich dich an, Theverat! Astaroth, Asmodeus, Astarte ... « Um sie herum begann die kalte Luft zu schimmern. Fungel wehrte sich, aber im Griff des Giblins lag die brutale Kraft eines Besessenen. Fungels Herz erstarrte, wenn er an die Gegenwart dessen dachte, den der Giblin anrief. Plötzlich krümmte sich die knorrige Pfote des Giblins. Sehnen streckten sich, während sich Finger im Schmerz verkrampften. Der Giblin schrie und riss die Hand zurück, als ob sie versengt würde. Fungel zerrte und ruckelte, bis der Morgenstern sich lockerte, aus dem Holz kam und von oben bis unten eine Schramme über die Seite des Lunavogels riss, der wie eine aufgescheuchte Wachtel aus dem Loch in die Lüfte schoss. »Fuuungel! «, rief Emma. Fungel machte einen Satz und griff nach dem Schwanz des Lunavogels. Er kriegte kaum Luft, so hart knallte er dagegen, aber er ließ nicht locker. Die Erde rauschte unter ihm zurück. Fungel klammerte sich mit den Beinen am hinteren Rumpf fest. Als er schließlich mit gespreizten Beinen auf dem klapprigen Fluggerät saß, sah er noch die schwindende Gestalt des kreischenden Giblins, der sich von der Kette zu befreien suchte. »Fungel?« Emma rief ihn mit der ruhigsten Stimme, die ihr zu Gebote stand. »Glaubst du, dass du hier heraufkommen könntest? Ich hab keine Ahnung, wie man so etwas steuert!« Fungel rutschte millimeterweise zum Vorderteil des aufsteigenden Lunavogels. Immer ist irgendwas, dachte er. Als er den Passagiersitz erreicht hatte, ließ er sich hineinfallen und drehte sich um, dann beugte er sich hinaus und nahm Emma die Ruderetten auf die gleiche Weise ab, wie sie sie von ihm übernommen hatte. »Kletter über mich rüber und schnall dich an!«, rief Fungel. Die kalte Nachtbrise kühlte sein Gesicht. Emma benutzte Fungel als Leiter, um zu ihrem Sitz zuruckzukehren. Fungel machte sich flach, und als sich Emma wieder angeschnallt hatte, wandte er sich nach Norden. Die wolkige Nacht war dunkel, wirblig und wunderschön. Unter ihnen dehnte sich das Tal, üppig und lebendig. Fungel schickte einen wortlosen Segen zu Ka hinunter. Er machte den unverkennbaren Umriss seiner Insel aus, die unter und hinter ihnen lag. Bin bald zurück, versprach er. Das jedoch sollte nicht so sein. »Emma«, schrie Fungel über die Schulter, »warum hat wohl der Giblin losgelassen? Hatte mich doch wie eine Fliege im Spinnennetz!« Er schaute gerade in dem Augenblick zurück, als Emma eine Silbernadel aus der Pfote einer kleinen Giblinpuppe zog, an der sie bei Kas Rückkehr mit Fungel gearbeitet hatte. »Hab mir gedacht, das könnt ich gut gebrauchen«, war Emmas einzige Antwort. Oh, was war das für eine vergnügte Jagd! Zwei von ihnen so weit zurückgeblieben, dass sie wahrhaftig keine Ehre mit sich einlegen konnten, aber die beiden anderen? Aah, die beiden anderen! Ka buddelte einen weiten Bogen, wobei er die Erde so durch die Luft fliegen ließ, dass es schien, als paddelte eine glückliche Ente durchs Wasser. Er brach durch und kam in einem Tunnel heraus, den er sich gerade gegraben hatte, kroch dann zurück, grub sich nur so tief ein, um seinen Körper zu verstecken, und wartete. Stachelschwein und Ratte trabten kreischend vorbei. Ka tauchte wieder in der Röhre auf und rannte in die Richtung zurück, aus der die Giblins gekommen waren. Auf dieser Seite war das alte Holzstück so heiß wie fiebriges Fleisch und drehte und wand sich fast beunruhigend. »Es ist wie ein Leuchtfeuer in der Nachtfür sie, Ka«, hatte Fungel gesagt, »sie werden ihm folgen, wohin es sie auch führt. « Und Fungel hatte gegrinst. Während er den Gang entlangeilte, grinste Ka immer noch bei dem Gedanken daran. »Ah, das wird ein Spaß!«, sagte er. Er bog in einen seiner älteren Gänge - einer, der von Fungels Insel fortführte und unter dem See verlief. Das Geheul der schnelleren Giblins hallte im Tunnel direkt hinter ihm. Aber gut, sie waren weit zurück. In seiner Eile hatte Ka jedoch die beiden langsamen Giblins vergessen, und als er jetzt um eine Ecke bog, rannte er ihnen genau in die Arme.
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»Warum hast du mich gerufen?« »O mein Herr! Sie waren hier! Die Waldzwerge, sie waren hier! Wir haben sie geschnappt! Wir hatten sie! O Meister, ich möchte dir die Füße lecken, um sie zu kühlen! Die Waldzwerge -« »Wo sind sie jetzt?« »Jetzt? Ja, jetzt sind sie ... oben! Oben, oben, oben! O Meister, ich liebe dich, bitte befreie mich, damit ich deinem Willen folgen kann! Ich wäre glücklich, wenn du dir aus meinem Fell eine Decke machen würdest, die dich wärmt. Ich würde -« »Du hast mich hierher gerufen, wo ich meine Gestalt nicht behalten kann, und dennoch sind sie nicht hier.« »Ja ... nein! Nicht hier, sondern da! Sie sind da oben! Befreie mich, ich werd sie finden! Ich bring sie dir in einem Netz, in einer Schnur, in ihrem Blute, bratfertig gebunden für deinen Tisch. Ooh -« »Ich fühle sie. Sie fliegen.« »Ja! Sie fliegen hoch oben im Himmel, hoch oben, wo die Vögelchen fliegen!« »Ich werde sie aus der Luft holen, und du... du wirst da sein, wenn sie auf den Boden krachen -« »Ja! Wenn sie krachen, wenn sie krachen, wenn sie krachen!« Ein Wahnsinnsgesang. »- oder ich zerschlag dich in Stücke.« Wenn Ka sich nicht so in Selbstgefälligkeit geaalt hätte, weil er den beiden flinken Fieslingen entkommen war, hätte er bemerken müssen, dass er geradewegs auf die beiden Langsamen zustolperte, denn in der Abgeschlossenheit der engen Gänge trug ihr Gestank wesentlich weiter als jeder Schrei. Aber er hatte in Selbstgefälligkeit gebadet und deshalb war er hier: im Angesicht von zwei wütenden, blutrünstigen, geifernden Giblins in einem tiefen, tropfnassen, glitschigen Gang ohne Aus weg, außer er rannte den Weg zurück, den er gekommen war. Zwei Giblinaugenpaare glühten vor Hass in der Finsternis vor ihm. Zwei große gekrümmte Schatten schwollen noch an, als sie sich ihm näherten. Schwach blitzte Metall auf von einer Machete und einem Bowiemesser. Ka machte auf dem Absatz kehrt, um den Weg zurückzurennen, den er gekommen war - und sah wieder vier blutrote Giblinaugen, schmal vor Hass, auf ihn zuhuschen. Die schnelleren Giblins hatten ihn eingeholt. Ka tröpfelte kaltes Wasser auf den Kopf. Der Gang füllte sich mit einem Gestank, der Holz zum Schrumpfen brachte. Wasser... Holz ... Ka schaute sich verzweifelt um. Der Tunnelboden war feucht und rutschig und tropfnass. Verschiedene hölzerne Stempel stützten die Seitenwände ab, seit damals vor langer Zeit, als er sie zur Verstärkung eingerammt hatte, weil - weil sie unter dem See waren! Da zischte es, als etwas direkt hinter ihm durch die Luft pfiff. Ka sprang an die Tunnelwand, gerade als der Giblin hinter ihm aufschrie und den Schwung seiner Machete änderte. Ka rutschte im Schlamm aus und knallte an die Tunnelwand. Ein Tragebalken war dicht neben seinem Arm. Er packte ihn mit beiden Händen und riss und rüttelte ihn los. »Haaa! «, schrie er triumphierend. Nichts geschah. Vier geduckte Giblins knurrten vor ihm in der Finsternis und jetzt hatte er wirklich keinen Ausweg mehr. Ka umklammerte sein Holzstück. Der Giblin mit der Machete holte aus. Metall schnitt Holz. Wasser tröpfelte dem Giblin auf den Kopf. Es wurde ein Rinnsal. Der Giblin schaute hoch. Er wollte etwas sagen. Der Gang brach ein und der See rauschte nach. Die Luft wurde beißend kalt und turbulent. Der voll beladene Lunavogel wurde so herumgestoßen, dass Fungel seine ganze Konzentration zum Steuern brauchte. Seine Hände waren verkrampft, weil er die Ruderetten so festhalten musste, und seine Arme waren zittrig und müde. Er konnte es sich jedoch nicht leisten, sich auch nur einen Augenblick auszuruhen, denn jedes Mal, wenn er es tun wollte, brachte ein Windstoß oder ein Luftloch das zerbrechliche Fahrzeug ins Schwanken, als ob sie versuchten, ihm die Steuerruder aus dem Griff zu winden. Die wirbelnden Wolken waren undurchdringlich wie ein Schwamm. Es herrschte eine Stimmung, die ihn an den Sturm am Abend der Tagundnachtgleiche erinnerte: eine gierige, suchende Stimmung, ein Gefühl von Gegenwart, von Absicht. Er blickte zu Emma zurück. Sie schaute mit zusammengekniffenen Augen in den beißenden Wind, aber sie äußerte nicht die leiseste Angst oder Klage. Die Wut des Sturmes ballte sich wie ein sprungbereiter Luchs über ihnen zusammen. Emma war noch nie so hoch gewesen, hatte sich noch nie so rasch bewegt und war so heftig herumgewirbelt worden. Es war schrecklich, und bei jedem Knarren des Holzes vom Lunavogel machte ihr Herz einen Satz, und sie war davon überzeugt, dass
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ihr letztes Stündchen geschlagen hatte. Aber jedes Mal kam das unbeholfene Fahrzeug irgendwie durch. Doch tief in ihrem Innern verborgen, stellte Emma verbläfft fest, war ein kleines Etwas, das bei jedem Satz des Flugzeugs jubilierte und tirilierte. Das ist das Kind in mir, dachte sie, das dies alles für ein Spiel hält, "r ein Blatt aus einer Warum-Geschichte. Oder, überlegte sie, es ist ein altes dunkles Tier, das in jedem ruht und sich an Angst und Gefahren mästet. Kind oder Tier, überlegte sie, was von beiden ist es wohl? Der Lunavogel schmierte nach links ab und stürzte wie ein Stein. Emma, kam es so vor, als ob ihr Magen in ihren Schädel rutschte. Fungel fuchtelte mit den Ruderetten herum. Im ge schnitzten Schiffsschnabel des Lunavogels glühte der Kristall auf, während er sich gegen die wachsende Elektrizität des Sturmes durchzusetzen versuchte, um sich an die verwirrten Kraftlinien zu halten, die zu Ka führen würden. Eine schwarze Gestalt tauchte aus den grauen Wolken auf und flatterte auf sie zu. Emma starrte sie mit offenem Munde an. Sie rief Fungel etwas zu, aber ihre Stimme verlor sich im Heulen des Sturmes. Dicke Wolken türmten sich auf. Blitze zischten. In dem elektrischen Aufleuchten des magischen Lichtes sah Emma, dass ihnen das beschwingte Wesen vertraut war; sie erkannte es als Moloms Begleiter und Boten. Die Eule. Sie glitt durch die stürmische Luft wie ein Messer durch Wasser, ein wunderbares lebendiges Geschöpf, das ohne Mühe und Kraftanstrengung das vollführt, was auch die klügsten Zaubersprüche und Hexenkünste kaum zu Stande brächten. Die Eule glitt dicht an den Lunavogel heran. Fungel sah sie jetzt auch und starrte sie wie etwas Unmögliches an. Unmöglich, eine Eule in der Luft? Was könnte natürlicher sein? Die Eule setzte sich vor den Lunavogel, legte sich rechts in die Kurve und schwebte langsam davon. Fungel mühte sich seinen Kurs zu halten. Blitze zerschnitten die Luft. Nach einem Augenblick kehrte die Eule zurück, setzte sich vor den Lunavogel und schwebte wieder nach rechts in die Kurve. Diesmal folgte ihr Fungel. Die Eule flog nun geradeaus und tiefer, bis der tosende Sturm nur noch ein grauer Teppich über ihren Köp-fen war. Da kurvte sie nach links, nahm wieder ihren Kurs nach Norden auf und Fungel folgte ihr. Emma entspannte sich in ihrem Sitz. Die Eule führte sie durch den Sturm. Alles würde in Ordnung sein. In diesem Augenblick schlug der Blitz in den Lunavogel ein, er brach auseinander und stürzte ab.
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Zurück in die Minen Nass bis auf die Knochen, müde und erschöpft schleppte sich Ka gerade durch seine schlammigen Gänge nach Hause, als er unter den feinfühligen Sohlen seiner Schaufelfüße ein Beben spürte. Ein schwaches fernes Bums, als ob etwas auf die Erde fiel. Da will ich gleich Willi heißen, wenn ich nicht genau weiß, was das war, dachte Ka, und so erledigt er war, er legte einen Schritt zu. »Da hast du ja vielleicht was Schönes angerichtet!« Die Stimme kam von ganz weit weg. »Und zum Donner, ich hoffe für dich, dass du nur pennst, Fungel Fuchswitz, sonst, sonst -« Fungel schlug langsam ein Auge auf, kniff es aber bei der Standpauke gleich wieder zu. »Sonst was?«, krächzte er. Alle Knochen im Leibe taten ihm weh, besonders aber sein Stolz. Als er sah, dass sein Freund wach und lebendig war, tauschte Ka die mitleidige Miene sofort gegen eine vorwurfsvolle. »Aah - ich weiß schon: Du willst dich tot stellen! Träumst von Einfachheit! Also, bei mir ist nischt zu holen!« Schon während er dies sagte, half er Fungel wieder auf die Füße. Um sie herum prasselte wütender Regen aufs Laub. Fungel klopfte sich ab, tastete sich nach Beulen und Brüchen ab. Sicher viele blaue Flecken, aber nichts gebrochen, dank dichter Zweige und des weichen, nassen Wiesenpolsters. Seine Hände erstarrten. »Emma«, sagte er. »Hab sie beim Lunavogel gelassen, während ich nach dir gesucht habe«, antwortete Ka. Er wurde ernst. »Sie ist verletzt, Fungel.« Sofort humpelte Fungel zum zerschellten Gerippe des Lunavogels. Emma lehnte am Wrack des Schwanzes. Überall lagen Trummer herum; der Lunavogel war wie der Wolkenbruch, der sich jetzt auf sie ergoss, vom Himmel gestürzt. Ka hatte sich offensichtlich zuerst um Emma gekümmert, bevor er Fungel aus der Ohnmacht rüttelte, denn ein wackeliges Schutzdach aus Flügelresten schützte ihr blasses und eingefallenes Gesicht vor dem Regen. Ihr linkes Bein war mit Asten und Ranken geschient. Sie war wach. »Und denk mal, ich fing grade an, Spaß am Fliegen zu haben«, sagte sie trocken, als sie Fungel kommen sah. Sie verzerrte vor Schmerz das Gesicht, aber sie weigerte sich, ihn in der Stimme durchklingen zu lassen. »Oho, Fliegen ist fabelhaft, was?«, stimmte Ka ihr zu. »Und erst mal das Abstürzen! Ein wahrer Heuler! Nur dieses Bums und Aus, das haut mich vom Hocker. « Er kicherte. Fungel starrte auf den nassen Boden. Plötzlich wusste er nicht mehr, was er mit den Händen anfangen sollte. Sie hingen groß und schwer und ungelenk und vollkommen nutzlos am Ende seiner Arme. »Emma... es tut mir so Leid. Ich fühle mich so schrecklich -« »Du machst dir wohl Vorwürfe, Fungel Fuchswitz? Hör bloß auf, dich für alles verantwortlich zu fühlen!«, sagte Emma argerlich. »Ich alleine hab mich auf dem Sitz angeschnallt. Ich alleine hab mir dieses Bein hier gebrochen, als ob ich von einer Klippe gesprungen wäre, und ich will keinen einzigen Ton mehr davon hören, Schluss, aus, Ende.« Sie schaute weg. »Hab dir ja gesagt, dass sie in dich verknallt ist«, flüsterte Ka. Fungel wurde rot. Er stürzte sich zum Trost in Tätigkeit: »Also... am besten retten wir alles, was wir schaffen, aus dem Lunavogel und versuchen ihn dann zu tarnen. Und dann müssen wir Emma hier raus und in Sicherheit kriegen. Wie weit ist es von hier bis zu dir?« »Nur ein paar Siebenmeilenschritte«, antwortete der Gnom abwesend. Er starrte die Trümmer des Lunavogels mit der gleichen Mischung aus Staunen und Bewunderung an wie ein Mensch, der entdeckt hätte, dass ein Raumschiff nur aus Pappmaschee besteht. »Würd lieber einen Giblin, der mich angreift, mit einer Hand voll Brombeerranken aufhalten, als in so was fliegen«, murmelte er und stieß zur Bekräftigung gegen eine zersplitterte Latte. »Ach, Übrigens, Giblins«, sagte Fungel, »wie bist du mit ihnen zurechtgekommen?« Ka wandte sich mit einem tragischen Blick an Fungel. »Das ist eine traurige Geschichte«, antwortete er und schüttelte den Kopf, »haben mich erschlagen und aufgefressen. Haben ihr Mütchen an mir gekühlt, nur weil ich einem Freund bei seiner Traumtanzerei bezüglich Flugmaschinen geholfen habe.« Er schüttelte wieder den Kopf und schnaubte. »Eine sehr, sehr traurige Geschichte.« »Ka!« Fungels Stimme klang warnend.
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Der Gnom grinste. »Was bildest du dir denn ein? Es fing ganz entzückend an: Ich trug deinen Zappelstock. Sie folgten mir wie ein Hündchen dem Knochen. Hoho! Ich gab ihnen einen Schubs, ich ließ ihnen ein Bad ein und spülte sie durch den Abfluss!« Er strahlte. »Also wirklich, ein Jammer und eine Schande, dass es keinen Zeugen gab. Ein Heldengedicht hätten sie drüber schreiben können.« Fungel grinste. »Und das Holzbein, das ich dir gegeben habe, damit du sie in die Irre führen kannst?« »Bin's los und auch froh drüber«, entgegnete Ka. »Das war wie ein Arm voll Aale. Ein wahrer Angsttraum, dieses Zappelding mit sich zu schleppen, und mein Kopf brummt mir noch von den ganzen Angstbildern von Schicksal und Zerstörung und Dämonen und lauter anderen schrecklichen Sachen. Jetzt, in diesem Augenblick, hüpft das Schlangenholz wahrscheinlich mopsfidel in einem neuen, unterirdischen Strom und alle Giblins in der Umgebung suchen sich danach die Nase wund.« Fungel klopfte dem Freund auf den Rücken. Aber obgleich er stolz auf Ka war und auch in seiner Schuld stand, weil er die Giblins abgelenkt hatte, musste er doch über das Stück Holz nach denken, das nun in einem unterirdischen Fluss dahintrieb, so voll vom Bösen, das es wie ein Schwamm aufgesaugt hatte, und er machte sich Sorgen, was es von Baphomet verraten könnte, falls es in die falschen Hände fiel. Er war sich auch sehr des Regens bewusst, der sie aufgestöbert hatte, tausend winzige Spione, die sie in jedem Augenblick beruhrten und dabei zuruckschrien: Hier! Hier! Hier! Sie mussten sich schleunigst verstecken. Fungel eilte zum Wrack des Lunavogels und entfernte den magnetischen Kristall aus dem Schiffsschnabel. Dieser Stein war so selten und mächtig, dass er nicht in die falschen Hände fallen durfte. Er band seine tropfnassen Bücher und Landkarten zusammen und kehrte zu Emma zurück. »Oh, Fungel, deine wunderbaren Bücher«, sagte Emma verloren, »und deine Landkarten!« »Wir sind am Leben, Emma, und das ist die Hauptsache«, antwortete Fungel, »Bücher und Landkarten haben keinen Sinn, wenn es keinen mehr gibt, der sie lesen kann.« Er schwang sich den groben Sack mit durchnässten Büchern und Landkarten über die Schulter und lächelte sie traurig an. »Heim«, sagte Ka. »Dicke Handtücher und heißer Würzwein und ein schönes Feuer, das wärmt den Herd und das Herz«, sagte er. »Heim«, murmelte Fungel und überlegte sich, während das warme Wort seine Lippen verließ, wie lange es dauern würde, bevor er sein Heim wiedersah. Fungel und Ka nahmen Emma in die Mitte und brachen nach Norden auf. Es regnete die ganze Nacht. In einem Jahr, das in manchen menschlichen Kalendern mit 1934 bezeichnet war, ließ die KentuckyKohlen-Corporation Schächte in eine vielversprechende Region der südlichen Appalachen treiben. Eine ganze Nation war hungrig und arm: Ihre Bürger brauchten Arbeit und Nahrung und ein unersättliches Tier namens Industrie benötigte Energie. Die Kentucky-Kohlen-Corporation hatte guten Grund zu der Annahme, dass unter den Felsen tausende und abertausende Tonnen von Steinkohle wie ein schwarzer Schatz lagerten und nur darauf warteten, abgebaut und verbrannt zu werden, um die wachsende Gier eines Landes zu befriedigen, das nun seit siebzig Jahren tonnenweise den Schwefel und den Kohlenstoff in die einst klare und saubere Luft blies. Sie bauten auf. Sie verbrannten. Bevor der erste Dreck jedoch wieder abgetragen werden konnte, musste eine ganze Stadt entstehen. Zehntausende von Bäumen wurden aus der Erde gerissen und wie durch einen finsteren Zau ber in Holzhütten und trübselige Aufenthaltsräume verwandelt, ein schäbiges Barackenlager, um die Arbeiter notdürftig unterzubringen. Selbst die Gestalt der Berge war für immer verändert. Sie stießen auf Kohle, aber nicht in den erhofften Mengen. Bergarbeiter starben in den Schächten, die einstürzten, weil steigende Holzkosten die Verantwortlichen an der Anzahl der Stempel hatten sparen lassen; Bergarbeiter mussten die giftigen Gase ungeschützt einatmen und wurden so stocksteif wie die Kohle auf einer Karre heimgeschafft, die von zwei Maultieren gezogen wurde. Bergarbeiter waren billiger und leichter zu ersetzen als Maultiere. Über Tage arbeiteten sich die Söhne der Hauer an den Laufbändern die Finger blutig, wo sie Stein von Kohle zu trennen hatten. Kohle für das Land, das geplagte Land, das auf seinen grünen Ha geln und in seinen grünen Tälern Fördertürme und Dampfbagger tragen musste und schließlich bis ins Herz der Berge unterhöhlt war. Doch schließlich gab es keine Kohle mehr abzubauen. Das Bergwerk wurde geschlossen. Die Menschen verschwanden.
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Und ließen ein verwüstetes Land zurück. Müllberge, die sich selbst entzündeten. Bretterhütten, die zerfielen und verrotteten. Holzstreben, die vermoderten, einbrachen und ganze Gänge ver sperrten. Taue und Trossen von Fahrstühlen, die verrosteten und verfaulten. Handpumpen, die verstopften und versandeten. Eines Tages war ein Gnom namens Karbol Erdenwurm draußen und am Gängegraben. Er trug diesen Namen seit frühester Kindheit, also seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals war Kordelia Erdenwurm zufällig auf eine Kiste gestoßen, die etwas namens Karbolseife enthielt. Sie wusch damit ihren kleinen Sohn, und eines Tages sagte sie zum Scherz, wenn dieses Zeugs Karbolseife wäre, dann müsse ihr süßer kleiner Knuddelknirps das Karbol sein. Der Name blieb an ihm haften. So oder so, ein halbes Jahrhundert nach seiner Taufe war der Gnom mit dem säuberlichen Namen gerade gemütlich am Graben, als er auf einen enormen Schacht stieß. Da gab es senkrechte Röhren und Seitengänge und Vorratsnischen und eiserne Spuren mit Eisenkarren, die vor Rost nur so starrten. Dieser Erdzwerg erforschte die Tunnel und stieß auf allerlei Altertümer: knochentrockene Lampen und zerbrochene Helme, Hacken, die wie das Schwert in der Sage vom Fels umschlossen waren, Stiefel und Ringe und tausenderlei anderes nutzloses Zeug. Das Muster ihrer gierigen Gänge im lebendigen Fels zeigte ihm, dass die Menschlinge hinter der Kohle hergewesen waren - warum, in aller Welt, konnte er sich jedoch nicht ausrechnen - und er musste laut lachen. Jeder Trottel hätte doch das wahre Kohlenmeer entdecken können, das keine zwei Buddeltagwerke vom Östlichsten Schacht entfernt nach Osten lag! Aber trotz der hölzernen Stützen, die der Gnom als höchst stümperhaft und gefährlich wackelig einschätzte, waren die Gänge handwerklich gar nicht so schlecht, und wenn man erst mal unten war, entpuppte sich das Bergwerk als eine wirklich gemütliche und geräumige Unterkunft. Ka hatte es zu seinem Heim ernannt. Das Geklapper der leeren Bierdosen hallte laut in dem dunklen Tunnel wider, als Ka sie mit 'einem Fußtritt aus dem Weg bef orderte. Sie folgten den verrosteten Gleisen der alten Grubenbahn, Emma zwischen Fungel und Ka, die sie fast trugen. Fungel mühte sich auf der einen Seite mit Emma ab und auf der anderen mit einem ausgebeulten Sack mit nassen Büchern und Schriftrollen. In diesem Augenblick, dachte er, würde ich all mein Wissen und meine Bücher herzlich gerne gegen eine halbe Stunde vorm Feuer eintauschen. Und wie kalt ist es hier unten! Das kann auch nur ein Gnom als Heim bezeichnen. Er stolperte über eine verrottete Querschwelle. Emma zog scharf die Luft ein, als sie mit dem vollen Gewicht einen Augenblick lang auf ihr gebrochenes Bein plumpste, aber sie verbiss sich den Schmerz. Weil er sie jedoch hielt, spürte Fungel ein Echo des weißheißen Schmerzes, der ihr wie ein Dolch durch das Bein hinauffuhr. Ka hielt an. »Wart mal«, sagte er und legte eine Hand hinters Ohr. »Was ist denn?«, fragte Fungel. »Scht! « Ka blieb mit gerunzelter Stirn reglos stehen. Kas Gehör glich Fungels Geruchssinn: Wenn Fungel den Morgenatem einer Mücke in sieben Meilen Entfernung riechen konnte, so war Ka im Stande, die Würmer in einem anderen Land wühlen zu hören. Fungel und Emma konnten es jetzt aber auch hören: etwas zwischen einem Dröhnen und Summen, noch schwach und fern mit einem geisterhaften Widerhall, immer deutlicher, je näher es kam. Emma kniff die Augen zusammen. »Da«, flüsterte sie und deutete in den Tunnel hinein, aus dem sie gerade gekommen waren. In der Ferne blinkten schwache Lichter. Fungel warf einen Blick auf die verrosteten Eisenschienen und dachte an die Nacht, in der Fifferling sein Bein verloren hatte. »Ka«, begann er nervös, »ob wir nicht lieber -« »Schon in Ordnung«, entgegnete Ka, »wartet nur ab.« Also warteten sie ab. Da tauchte es klirrend und rasselnd aus der Finsternis auf: eine Metallfigur, wie ein Mensch gestaltet. Ihr witzloser Kopf wackelte auf und ab, während sie eine Stange hin und her bewegte, wodurch irgendwie ein flacher Metallschlitten auf den verrosteten Gleisen angetrieben wurde. Dieses Wesen fuhr quietschend und klappernd vor ihnen vor. Ka sprang auf und fummelte im Rücken des metallenen Mannes herum, der sich dabei bückte und wieder aufrichtete, als ob er kitz lig, aber stumm wäre. Im nächsten Augenblick hörte er auf sich zu bewegen und die flache Karre rollte aus. Emma und Fungel schauten mit offenem Munde zu. Ka grinste und faltete die Arme. »Das soll verdammt noch mal -« Fungel warf einen Blick auf Emma. »Ahem. . . Was ist das für ein Ding, Ka?« »Das ist mein mechanischer Mann, Fungel! «, rief Ka, als ob das alles erklärt hätte. »Ich nenn ihn Mechanicki. Hab ihn von Morchel dem Moosmann gegen eine Hand voll Steine eingetauscht, die ganz verkrakelt von so lichten Linien waren.« Er stieß ein frohlockendes
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Lachen aus und schlug die Hände zusammen. »Seht mal, mit diesem Hebel, den ich gerade ausgeschaltet habe, setz ich seine ganze Mechanickigkeit in Gang, und dann kommt er her, von überall. Manchmal bin ich schwer beladen mit allen moglichen guten Sachen, und dann benutz ich ihn und er schleppt mir das Zeugs. Aber manchmal lass ich ihn auch einfach nur hin und her laufen und nie fällt er von den Gleisen oder bleibt stehen. Na, wenigstens fast nie. Läuft mit Batteritzen, tja, so ist das.« »Das ist abscheulich«, sagte Emma. Ka machte ein beleidigtes Gesicht. Sein Ausdruck war so komisch, dass Emma und Fungel trotz allem in Gelächter ausbrachen. Fungel schmunzelte zu dem niedergeschlagenen Gnom empor. »Nun komm schon, alter Zausel«, sagte er, »soll uns doch dein Sowieso, deine verrückte Blechdose, auf unserm Weg begleiten.« Sie hoben Emma auf die Ladefläche, Ka fummelte wieder in der Mechanik des mechanischen Mannes herum, und abermals pumpte das seltsame Gebilde den Hebel hin und her, der die Drai sine in Bewegung setzte, wobei er sich jedes Mal höflich vor der Dunkelheit verneigte, die vor ihnen lag. Sie ließen Emma auf einem großen blauen Sack nieder, der mit Flicken und Stichen verziert und mit kleinen weißen Kügelchen gefüllt war, die wie niemals schmelzende Hagelkörner aussahen. Ka stürzte sich auf eine Konstruktion aus Metallrohren, die auf Rädern montiert waren und zwischen denen ein kleiner Sitz angebracht war. Er kletterte darauf, packte zwei Handgriffe, die aus dem Gestell hervorragten, setzte seine breiten Quanten auf kleine Klötze neben den Rädern und begann wie wild zu strampeln. »Was machst du denn da, Ka?«, fragte Fungel. »Ich mach uns Wärme und Licht«, antwortete Ka. »Auf dem Ding da?« Ka nickte begeistert. »Genau kapier ich das auch nicht, aber ich denk mir das so: Dieses Gestell hier saugt meine Arbeit auf und lässt sie durch die Drähte da fließen, die hinten am Rad dran sind, und dann in diesen Kasten da, den sie Batteritze nennen.« Er nickte zu dem Kasten auf dem Höhlenboden neben dem Radgestell. Ein Gewirr von Drähten führte heraus und hinein, als hätte ihn eine betrunkene Spinne zum Mittagessen einwickeln wollen, dann aber die Lust verloren. »Ich hab einen ganzen Berg von denen, große und kleine«, fuhr der Erdzwerg fort. »Die einzige Quelle, von dem ich sie krieg, ist Morchel der Moosmann und der lässt sie sich ganz schön teuer bezahlen.« Ka sprang pustend und prustend von dem Gestell ab. »So! Schätze, dass sich dieser Kasten genug aus mir rausgeholt hat, um es uns ein bisschen gemütlicher zu machen.« Er sauste zu etwas, das wie eine Vase mit einer Glasblase darauf aussah. Ka drehte seine Hand daneben um und schon lag seine Haupt- und Wohnhöhle in strahlendem Licht. Fungel und Emma schauten sich um. Da waren Kisten und Kästen, Kästen mit Reifen und Kisten mit einer Vorderseite aus Glas; und Stangen und gerundete glatte Sachen, silbern, aber so blank wie Spiegel; es gab Drähte und Glas kolben und Metall und Stoffe, die ihnen vollkommen fremd waren. Sie kannten kaum, was sie sahen, aber jeder Mensch würde sofort leere Tuben und Kühlschränke ohne Türen erkannt haben, Radioapparate in Bakalitgehausen, verbeulte Radkappen, verbogene verchromte Stoßstangen, Schaufensterpuppen und Klobrillen. Ein gesprungener Spiegel auf windschiefen Messingfüßen zeigte das Bild von einem dutzend klatschnasser und verwirrter Zwerge, die alle haargenau Fungels Bewegungen nachäfften. Ein großer Bogen aus irgendeinem glänzenden Papier, zerfetzt und brüchig, war an die felsige Wand geheftet. Fungel konnte nur schwer das verblichene Abbild eines Menschenwesens mit schwarzem Haar erkennen, das ein Instrument wie seine Mandolaute hielt. Unter dem Bild des Mannes waren noch Reste einer Schrift übrig, während rechts und links die abgerissenen Fetzen von der Wand baumelten: VIS PRESLE auptrolle i IVA LAS VEGA Wohin Fungel auch schaute, überall sah er wieder den Behälter aus dünnem Metall, den er Ka in der Nacht der Tagundnachtgleiche gegeben hatte. Hunderte davon. Zehnmal hunderte! Sie waren zu Pyramiden aufgestapelt und für irgendwelche anderen Inhalte zurechtgeschnitten; andere hatten keinen Deckel und keinen Boden mehr, waren aufgeschnitten und flach gestrichen und für noch unbekannte Zwecke an Möbelstücke geheftet. An einer Wand stand das Skelett eines Furcht erregenden, längst ausgestorbenen Tieres, aus allen Knochen lückenlos zusammengesetzt und mit den aufgerollten Metallblättern der rot und weißen Behälter umwickelt. Fungel bestaunte sie wie ein Wunder: Wie konnte jemand nur so viele vollkommen gleiche Metallzylinder herstellen und warum? Die Höhle war so von Altertümern voll gestopft, dass sie gar nicht mehr wie eine Höhle wirkte. Fungel hatte noch nie in seinem ganzen Leben und an einem einzigen Ort so viele gerade Linien, rechte Winkel und spiegelblanke Oberflächen gesehen. Es war ein Feenland: funkelnd und glitzernd und wundersam - und der Beweis dafür, dass das Ganze größer sein kann als die Summe seiner
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Teile, denn diese Teile waren nichts als Müll, nicht einmal wirklich anständiger Müll, sondern nur der nutzlose Abfall der menschlichen Kultur. Zusammengenommen hatten sie jedoch ein Leben und einen Glanz aus sich heraus angenommen. Jedes Stück gleichzeitig unabhängig und mit den anderen verbunden, lenkte das Auge von einem unerklärlichen Altertum zum nächsten und führte zu neuen Höhepunkten einer Asthetik des.., nun ja, des Schrotts! Aber so wie wir Menschen aus dem Urschlamm der Meere entstammen, so hatte sich Kas Heim über den Müll hinaus in eine höhere Ordnung entwickelt, in eine Form jenseits des bloßen Schrotts. Ihn als Abfall zu bezeichnen, das wäre genauso, als würde man einen Diamanten als ein Stück Kohlenstoff bezeichnen. Fungel hatte das kaum alles verarbeitet, als Ka schon mit zwei großen Frottiertüchern auf ihn zueilte. Er reichte eins Fungel und das andere Emma. »Bitte schön, bitte schön«, sagte er, »jetzt rub belt euch das kalte, eklige Wasser ab und dann werden wir es gleich gemütlich warm haben.« Fungels Handtuch war dünn und mit einem Zeichen versehen. Er hielt es an zwei Zipfeln in die Höhe und ließ den Rest nach unten fallen. »Bräunen, nicht Brennen!«, stand da in großen braunen Buchstaben. Fungel dachte darüber nach, was das wohl heißen konnte. Er schaute zu Emma hinüber. Auch sie hielt ihr Handtuch vor sich ausgebreitet und betrachtete es mit verwirrter Miene. Es stellte in leuchtenden Farben einen muskelbepackten Menschen in einem hautengen blau-grauen Anzug dar, der dünne, keilförmige Ohren hatte und schmale, ovale Augen und einen schwarzen Umhang, Handschuhe und Stiefel trug. Emma schaute von dem seltsamen Bild zu Fungel empor. »Was hältst du davon, Fungel?« Fungel schmunzelte und zuckte die Schultern. »Ich halte es gar nicht, ich trockne mich damit ab, Emma«, antwortete er. Und genau das tat sie auch. Ka sauste unterdessen in seiner Höhle hin und her, drehte Knöpfe und tippte auf Schalter. Er war ganz offensichtlich aufgeregt, weil er Gäste hatte, und es war genauso offensichtlich, dass er nicht daran gewöhnt war. Während Ka also emsig herumwirtschaftete, irgendetwas über besondere Lichter und Geräusche murmelte, die seine Erfindung waren, trocknete sich Fungel mit seinem großen Frottierhandtuch ab, wickelte dann seine nassen Bücher und Schriftrollen hinein und legte das Bündel beiseite, um endlich Hand an Emmas gebrochenes Bein zu legen. »Gemütlich?«, fragte er, als er vor ihr niederkauerte. »So gut, wie es geht«, erwiderte Emma trocken. Er schaute ihr eindringlich in die Augen, um zu sehen, was sie ihm über ihren Schmerz verrieten. Augen sind wie die Ringe im Stamm eines Baumes, und so wie ein erfahrener Biologe aus die sen Ringen lesen kann, las Fungel die Nachrichten von Weisheit und Freude und Schmerz, die sich im Lauf der Zeit in den Augen einer Person abgelagert haben. Dann legte er die gewölbten Hände sanft auf Emmas gebrochenen Knochen. Er schloss die Augen und konzentrierte sich. Seine Fingerspitzen spürten das Echo von Emmas Herzschlag. Der Bruch war wie ein Signal für die Heilkräfte ihres Körpers. Fungel fühlte durch die Fingerspitzen, hinter seinen geschlosse nen Augenlidern, den Widerhall des Bruches wie einen gerissenen Faden in einem festen Gewebe. Er nickte langsam. Aus dem Beutel, den er als Schamane immer um den Hals trug, nahm er einen kleinen Ballen krauses Moos. Es war noch zart und frisch, denn er ersetzte es jeden Morgen beim ersten Tageslicht, versah es mit einem guten Wunsch und ließ es sich in seinem Schamanenbeutel mit den Tinkturen starker Heilkräuter und mächtiger Fetische vollsaugen. Fungel hielt das Moospolster vor sich und redete es in der Sprache der Moose an, einer Sprache vom feuchten und samtigen Leben, von Bäumen, die Sonne trinken, und von dunkler Kräftigung, von Sommerregen und dem Dunkel des Herbstes. Fungel sprach mit dem Moos und dem Moosgeist, der es hervorgebracht hatte, und dann breitete er das Moos auf Emmas gebrochenes Bein und gebot dem Moosgeist, die Kräfte des Werdens und Wachsens in Emmas Bein zu senden, sodass der Knochen rasch und glatt zusammenwuchs und Emma auch später weder durch Schmerz noch durch eine Behinderung daran erinnert würde. Er wickelte das Moos mit einem abgerissenen Streifen von seinem Büchersack ordentlich auf Emmas Bein fest und schaute sie an. »Danke, Fungel«, sagte sie. »Es war mir ein Vergnügen«, erwiderte Fungel. Er stand verlegen auf und löste den Blick von ihr. »Kann ich dir was sagen, Fungel?« Emmas Ton ließ ihn daran zweifeln, ob er auch hören wollte, was sie zu sagen hatte, aber er wandte sich zu ihr und nickte. »Ich weiß, dass du meinst, ich zeigte dir nicht die rechte Achtung«, sagte sie, »weil du der Zaubermeister des Tales bist und der Schamane, ganz zu Recht -« »Das habe ich nie behauptet«, widersprach er.
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»Das hättest du auch nie tun müssen. Ich will auch nur, dass du weißt - es hat nichts mit dem zu tun, was immer zwischen deiner Sippe und meiner hin und her gegangen ist. Auch nichts damit, dass ich dich nicht für einen guten Zauberer hielte. Es ist nur -« Jetzt wurde Emma verlegen. »Ich kann mich noch so gut daran erinnern, als du und der kleine Fifferling diese wilden Tiere spät in der Nacht noch zum Singen gebracht habt - Luchse und Frösche und Wölfe, als es noch Wölfe gab.« Sie lächelte. »Weißt du noch? Ihr habt sie begleitet, zwei Stunden nach Mitternacht, und die Alteren hätten euch am liebsten alle beide in einen Kerker gesperrt und euch durch die Gitterstäbe gefüttert, aber die Musik war himmlisch!« Fungel lächelte auch bei der Erinnerung und nickte. »Und das andere Mal, als wir eine Dürre hatten und du versucht hast Regen zu machen, wobei uns allen das Fell blau geworden ist?« Nun lächelte Fungel nicht mehr, sondern wurde rot. Emma fuhr eilig fort: »Ich will damit nur sagen, es ist schwer für mich, diese Erinnerungen von dem zu trennen, was du jetzt bist, verstehst du?« Sie rang die Hände. »Ach, ich mache so ein Kuddelmuddel aus -« »Bitte schon!«, kündigte Ka an und stellte einen großen Gegenstand vor ihnen nieder. »Ich nenn das meinen Herd im Kasten, ist das nicht toll?« Es war ein Rechteck aus Metall auf einer Plattform. Eine Schnur führte vom Boden zu der Batteritze, die mit dem Fahrrad verbunden war. Vor dem Rechteck war ein Gitter und dahinter glühten zwei Stangen und strahlten Wärme aus. Fungel schaute den Gegenstand fasziniert an. »Also . . . ich hab vielleicht ein bißchen übertrieben, wegen dem Feuer und so«, sagte Ka beschämt, »ich wollte damit sagen, hier ist Wärme, und ich kann euch knochentrocken kriegen, aber so was wie einen Kamin oder einen Herd hab ich nicht. So was kann ich hier auch nicht haben. « Fungel nickte ergeben. Natürlich, Ka hatte wie alle Gnome Angst vor Feuer, denn wenn einer von ihnen verbrennt, verwandelt er sich in Stein. Es kann schon verhängnisvoll sein, wenn er sich zu lange in der Sonne aufhält. Aber wie sehr hatte sich Fungel auf ein fröhlich knisterndes Feuer gefreut! Im Geiste hörte er seinen Vater sagen: »Wer nichts erwartet, wird niemals enttäuscht.« »Das macht euch im Handumdrehen trocken«, versprach Ka ganz demütig. Fungel hielt die Hand ziemlich misstrauisch dicht an den Herd im Kasten. Obgleich aus Metall, war er mit Papier beklebt, das wie Holz aussah. Fungel kratzte mit einem Fingernagel darüber. Wie komisch, Menschlinge verkleiden Metall, damit es wie Holz aussieht. Als ob sie sich seiner schämten. Trotzdem, warm war warm, wenn auch längst nicht so vergnüglich und gemütlich, wie ein Feuer gewesen wäre. Ich glaub, ich setz mich ein Augenblickchen davor und lass mich trocknen und danach fang ich gleich mit dem Lesen und dem Planen an. Noch während er das dachte, war Fungel eingeschlafen. Unter einem blauen Kranz aus magischem Licht brütete Fungel über brüchigen Blättern, die nach dem Trocknen ganz wellig geworden waren. Die penible Schrift von Zwergen, seit tausenden von Jahren tot, hatte Fungel nach bestem Können und Wissen mit Haft-Sprüchen und sorgfältiger Gründlichkeit bewahrt. Glücklicherweise hatten diejenigen, die seine geliebten Bücher geschrieben hatten, auch die Einbände mit Zaubersprüchen versehen, sodass sie notfalls noch die Erinnerung an den Inhalt bewahrten, falls so ein Unglück über sie hereinbrach wie in der vergangenen Nacht. Die wunderschön illustrierten Wörter und die erlesenen Illustrationen waren verwischt und verlaufen und verblasst, aber immer noch zu entziffern. Allerdings nicht bei dem Licht in Kas Höhle. Die Glaskolben und Röhren, die Ka zur Beleuchtung verwendete, erleuchteten nicht, sondern blendeten. Das kalte weiße Licht sog Fungel die Kon zentration aus den Augen, ließ seinen Blick nach ein paar Stunden angestrengten Lesens verschwimmen und bereitete ihm Kopfschmerzen - was Fungel bisher noch nicht gekannt hatte. Kerzenlicht war dagegen nicht ausreichend. Der Herd im Kasten war nur armseliger Spielkram. Nein, nichts übertraf das magische Licht: blau-weiß und rein, lesefreundlich, heilig hell und milde für die Augen. So knipste er Kas Menschling-Lichter aus und konnte nun wieder stundenlang dahocken und durch die erstarrten Wälder der wiedererstandenen Wörter wandern. So glücklich wie ein Floh auf einem Hund ohne Krallen. Sorgfältig studierte er die alten Landkarten, aufgezeichnet von Gelehrten aus der Zeit seiner Vorväter bei ihren Wanderungen über das östliche Antlitz von Nordamericka, wobei sie den mag netischen Linien gefolgt waren, Leitlinien im Land, Kraftlinien, die die Zwerge Schlangenpower nannten. Fungel notierte alle Informationen, die er von Molom bekommen hatte, und verglich sie gewissenhaft mit seinen Büchern, die Geschichten und Kunde von fernen Zeiten festhielten. Nachdem er zwei Tage lang intensiv geforscht und die Möglichkeiten gegeneinander abgewogen hatte, blieb eine
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einzige Stelle übrig, an der der Berg der Toten liegen konnte. Dort würde er auch den Stein finden, in dem die Stimme eingeschlossen war, die ihm, befreit, den Weg zu dem Kristall Baphomet weisen würde. Ka und Emma kauerten an der anderen Seite der Höhle und starrten wie gebannt auf etwas, das Ka Geisterglotze nannte. Fungel hatte festgestellt, dass ihn diese Geisterglotze ablenkte. Des halb hatte er ein Menschlingskissen herubergezerrt und eine hölzerne Spule von der Größe eines kleinen Tisches zu seiner Seite der Höhle gerollt und sich so eine kleine Studierecke eingerichtet. Jetzt war er über seine Entdeckung freudig erregt und konnte sie nicht für sich behalten. Vorsichtig hob er die wiederhergestellte Landkarte auf und trug sie zu Emma und Ka. Sie saßen vor der Geisterglotze und starrten ihre flimmernde Glasscheibe an. Ihr Anblick bereitete Fungel Sorgen: Ihre Augen waren glasig und ihr Gesicht schien ohne einen Funken Verstand. Er schaute selbst auf die Geisterglotze. Das Licht, das durch die Glasscheibe drang, besaß fast die Farbe des magischen Lichtes, flimmerte jedoch kalt und ohne Gefühl. Über das Glas huschte etwas wie Schneegestöber und hinter einem eingebauten Gitter erklang ein Geräusch wie zischender Regen. »Da!«, sagte Ka und deutete auf das Glas, »ich hab's dir doch gesagt!« »Ich kann immer noch nichts sehen«, entgegnete Emma. Während sie miteinander sprachen, schauten sie nicht sich, sondern die Geisterglotze an. »Verflixt!«, schimpfte Ka, »eben hatt ich's doch!« Er schnickte mit seiner hornigen Hand gegen das Glas. »Direkt auf der Scheibe, so deutlich wie deine Nase -« »Was war es denn gewesen?«, fragte Emma. Ka wurde wütend, weil sie an seinen Worten zweifelte. »Na, ein Gespensterchen«, erwiderte er, »das ist es doch, was dieser Kasten kann! Er zeigt Gespensterchen! Keine Ahnung, ob er sie in dem Augenblick einfängt, oder ob es so was wie ein Fenster ist, durch das man in ihr Leben reingucken kann, aber ich schwör's dir - da! Da!« Er wedelte mit der Hand vor der Scheibe herum. Fungel fühlte, wie sich ihm das Fell am ganzen Leibe sträubte und ihm ein kalter Schauer das Herz verkrampfte denn auf der flimmernden Scheibe erstand vor seinen Augen das Abbild einer blassen, durchsichtigen Hand. Sie griff quer über die Scheibe, hob eine blasse, durchsichtige Tasse auf und führte sie zum Trinken zu einem blassen, ätherischen Gesicht. Gleichzeitig wurde das Zischen leiser und eine Stimme drang aus dem Kasten: »... iologischer Anbau. ..« Der Geist verschwand und das Zischen kehrte zurück. Ka klatschte sich auf die Knie und hüpfte auf und ab. »Siehste«, rief er strahlend, »siehste, siehste, siehste!« Er klopfte dem Kasten zärtlich auf den Kopf. »Geisterglotze! « Sein Ausdruck änderte sich sofort, als er merkte, dass Fungel die ganze Zeit hinter ihm gestanden hatte. »Fungel«, rief er dankbar aus, »du hast es doch auch gesehen, nicht?« Sein Blick war komisch hoffnungsvoll. »Etwas hab ich gesehen«, gab Fungel zu. War Ka aus Versehen in das menschliche Reich der Toten getappt? Solche Orte sollte man lieber in Ruhe lassen. Aber Ka strahlte. »Hat auch was gesehen, der alte Fungel, wirklich! Ha!« Und Emma vertraute er an: »Fungel kann nämlich Damonen aus der tiefen Leere rufen.« Darauf lächelte Fungel und sagte mit einem Augenzwinkern: »Das kannst du auch, Ka, das kann jeder. Der Trick ist nur, du musst sie auch dazu bringen, dass sie wirklich kommen.« Ka tätschelte die Oberseite seiner Geisterglotze, als wäre sie ein Hund vorm Feuer. »Manchmal sind ganze Geisterchen in diesem Ding, als ob sie so wie du direkt vor meiner Nase stunden!« »Und woher weißt du, dass sie das nicht tun?«, fragte Emma. Ka ließ die Ohren hängen, während er darüber nachdachte. »Das weiß ich gar nicht«, gab er zu. Weil Fungel so begierig gewesen war, ihnen etwas zu sagen, deutete Emma auf die Rolle in seiner Hand. »Was hast du denn da, Fungel? « »Hm?« Fungel starrte auf die Geisterglotze. Sie hatte etwas Hypnotisches, bei dem er sich wie ein junges Kaninchen vor einer Schlange fühlte. »Ich hab gesagt: Was hast du denn da, Fungel?« »Oh!« Fungel riss den Blick von der Geisterglotze. »Ich glaub, ich habe den Berg der Toten gefunden«, sagte er. »Na, wie schön für dich«, Emma klang nicht sehr begeistert, »und wo liegt er?« »Etwa drei Tagesmärsche von hier.« »Drei Tage«, antwortete Emma, »und Märsche.« Sie schüttelte den Kopf und blickte auf ihr gebrochenes Bein. »Ist das eine Landkarte?«, wollte Ka wissen.
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Fungel nickte. »Eine alte Karte von der Nordostküste von Americka. Die ersten Zwerge zeichneten sie gleich nach ihrer Ankunft und sie ist von Erdkundigen jeder Generation wieder nachgezeichnet worden. Diese hat mein Urgroßvater gezeichnet.« »Echt?« Ka war tief beeindruckt. »Lass mich mal sehen.« Im Flimmerlicht der Geisterglotze entrollte Fungel die alte Rolle. Einem Menschling wäre sie merkwürdig vorgekommen, weil die Alten - die schon lange vor Kolumbus wussten, dass die Erde eine Kugel war - ihre Karten mit dem Osten nach oben gezeichnet hatten, weil das die Richtung ist, in die sich die Erde dreht. Fungels Finger folgten der unterbrochenen Linie eines Gebirgszuges. »Hier ist das Tal«, sagte er. Sein Finger schob sich weiter nach Osten und ein wenig nach Norden. »Und hier sind wir jetzt, Ka.« Er klopfte an den Rand der Gebirgskette. »Dann drück doch nicht so feste drauf«, sagte Ka, »sonst brichste mir noch meinen Tunnel ein.« Fungel wusste nicht genau, ob sein Freund nur spaßte, deshalb nickte er nur und fuhr fort. Seine Finger wanderten weiter über die brüchige Karte. »Also von hier aus halte ich mich nach Norden, durch dieses Tal, durch dieses Waldstück, das da rausragt, durchs nächste Tal und dann zu diesen Hügeln hinunter.« Sein Finger hielt an. »Hier liegt der Berg der Toten.« Ka nahm ihm die Karte ab und runzelte die Stirn, während er las. »Was hast du gesagt, wie neu ist diese Landkarte?« »Überhaupt nicht neu, Ka.« Ka nickte. Plötzlich rollte er die Karte auf und reichte sie Fungel mit kaiserlicher Geste zurück. »Tja«, sagte er abschließend, »da kannste von hier aus nicht hin.« Aus der Geisterglotze klang die elektronische Stimme einer Frau: »... Supersparen bei unserem Sommerausverkauf -« Sie kümmerten sich gar nicht darum. »Wieso denn nicht?«, fragte Fungel. »Wir reisen am Tag, um Giblins und anderem Gelichter zu entgehen. Die Täler sind eben und glatt. Die Wälder nicht mal am Rande dicht. Ich muss nur den alten Steinen folgen, die die Richtung markieren -« Ka aber schüttelte sein gewaltiges Haupt. »Steine gibt's da keine mehr«, sagte er hartnäckig, »selbst die Wälder sind weg. Fungel, du kannst deine Bücher und Rollen studieren, bis du schwarz wirst und die Sonne ein Suppenwürfel, aber was in einem Buch steht, das muss nicht auch in Wirklichkeit so sein.« »Ich kann dir nicht folgen, Ka.« »Ich versuch dir zu erklären, dass sich die Landkarten verändert haben. Deine Landkarten nutzen dir nur noch so viel wie die Warum-Geschichten von deinem Alten.« »Aber ich liebe die Warum-Geschichten von Wuschel Fuchswitz«, sagte Emma. Ka nickte. »Weil sie wahr gewesen sind«, entgegnete er, »aber wirklich sind sie nie gewesen, das ist der Unterschied.« Fungel versuchte sich nicht davon beeinflussen zu lassen, dass sie von seinem Vater in der Vergangenheitsform sprachen, so als ob der alte Zwerg mit seinem breiten Lächeln die Erde schon seit Jahren verlassen hätte. Er erwiderte dagegen: »Eine Karte ist eine Karte, Ka, und so wahr wie das Land, das sie zeigt. Und diese Landkarte ist wahr, weil sie ... « » ... von Erdkundigen gezeichnet ist, ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn Ka. »Aber es ist das Land, das nicht mehr stimmt. Die Menschlinge haben es verändert. Die Wälder sind weg, die Rich tungssteine sind weg, neue Straßen laufen durch die Täler; wo einst Hügel waren, sind keine mehr; und neue erheben sich da, wo Gott sie niemals geschaffen hat!« Fungel dachte an Moloms Worte: »Die ganze Welt hat sich verändert. Die Erde gehört jetzt den nackten Affen. . . « »Wie kann das sein?«, fragte er. »Wie kann sich ein Ort so verändern, dass man ihn auf der Landkarte nicht wieder erkennt?« Ka zuckte die Schultern. »So sind sie eben, Fungel. Du wirst jemanden brauchen, der dich rüberfuhrt. Die Gegend da, auf die du mit dem Finger gezeigt hast, ist ein großes wildes Königreich voll Blendwerk und Gefahren, vor denen dich keine Landkarte warnt. Du brauchst jemanden, der sich dort auskennt.« »Dann also nicht dich?«, fragte Emma. »O nein«, antwortete Ka, »da trau ich mich nicht hin, dazu bin ich zu alt. Da wimmelt es nur so von Düsenkrachern, und wenn die einen erwischen, kannste Gift drauf nehmen, dass sie dir das Fell vom Leibe sengen. Nee, nee, oben drüber kommt nicht in Frage und unten drunter ist eine Schweinearbeit, wegen den Quibberklumpen. « »Quibberklumpen?«, fragte Fungel. Ka nickte. »Klebrige, schleimige Ekeldinger, die unter dem Land des Tausendrauchs hausen, und wenn sie rauskriechen, dann fressen sie anständige Leute bis auf die Knochen auf.« Emma warf einen Blick auf Fungel, der eher neugierig als besorgt wirkte.
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»Giblins an der Nase rumzuführen ist ein Kinderspiel«, fuhr Ka fort, »aber so ein alter Kerl wie ich kann gar nicht mehr mit Quibberklumpen fertig werden. Fungel braucht einen Experten.« Er wandte Fungel sein Gesicht zu, das von den dunklen Schatten der Geisterglotze überspielt war. »Du musst zu Morchel dem Moosmann in die Tabakkneipe«, sagte er. Mit schwerem, kummervollem Herzen vertiefte sich Fungel ein letztes Mal in seine alten Bücher und Schriftrollen. Molom hatte gesagt, dass die Menschlinge dicht davor seien, Baphomet selbst zu entdecken. Es war möglich, dass sie ihn vor Fungel entdeckten. Und wenn die Menschen das schafften, dann würde es Theverat erst recht gelingen. Fungel lief ein Rennen gegen die Zeit, und er hatte keine Ahnung, unter welchen Umständen er schließlich - wenn überhaupt! - auf Baphomet stoßen würde. Er sollte Molom anrufen, um den schrecklichen Stein zu zerstören, aber was, wenn er es nicht konnte? Wenn er verletzt wäre oder wenn er einfach keine Zeit mehr hatte? Mit Theverat oder den Menschlingen dicht auf den Hacken konnte es unmöglich sein, eine Beschwörung durchzuführen - besonders wenn Theverats Machenschaften in der Sternenwelt sie so erschwerten wie das vorige Mal. Fungel brauchte eine Absicherung. Er brauchte, falls Moloms Beschwörung nicht mehr gelang, Notmaßnahmen, damit weder Theverat noch die Menschlinge den Stein für sich beanspruchen konnten. Und weil Molom gesagt hatte, dass Baphomets Zerstörung jenseits von Fungels Kräften lag, fiel Fungel nur noch eine einzige Rettungsmaßnahme ein: der Salamander. Fern von Emma und Ka studierte Fungel in aller Gründlichkeit den Zauberspruch, der den Feuergeist beschwor. Niemand rief den Salamander leichtfertig herbei, denn der Preis für die Entfes selung dieser zerstörerischen Gewalt waren immer Leib und Seele des Beschwörers gewesen. Einmal gerufen, heult der Salamander in die Welt und verschlingt alles, was im Bereich seiner Flammen liegt, bis nichts mehr übrig bleibt und er sich selbst verzehrt, um aus seiner eigenen Asche wieder aufzustehen, wenn er das nächste Mal gerufen wird. Den Salamander zu beschwören wäre eine Verzweiflungstat, aber wer wusste, welche Verzweiflung ihn erwartete? Fungel paukte den Feuerzauber auswendig, bis er ihn im Schlafe hersagen konnte. Danach konnte der Zauberer keinen Grund mehr sehen, noch länger bei Ka zu bleiben. Emma ver suchte darauf zu beharren, ihn zu begleiten, doch Fungel würdigte diesen Wunsch nicht einmal einer Antwort. Er starrte nur so lange auf ihr gebrochenes Bein, bis sie den Mund hielt. Obgleich ihn ihre Verletzung quälte (denn trotz all ihrer Einwände fühlte er sich verantwortlich), war er in einem Winkel seiner Seele erleichtert, dass sich die anscheinend unausweichliche Auseinandersetzung daruber, ob sie ihn auf seiner Fahrt begleiten sollte, von selbst erledigt hatte. Er versuchte sich einzureden, dass seine Erleichterung der Vernunft entsprach: Jetzt würde auf jeden Fall einer übrig bleiben, um das Tal zu behüten; sie sei eine unnötige Belastung für seine Reise; sie erhöhte, trotz aller guten Absichten, die Gefahr der Entdeckung, Gefangennahme und von Argerem. Dies war Fungels Aufgabe, Molom hatte Fungel allein die Pflicht übertragen, und es war falsch, jemanden zu bitten, diese Pflicht mit ihm zu teilen, so verlockend der Gedanke sein mochte. Der wahre Grund für seine Erleichterung war jedoch weniger prosaisch. Die letzten Tage hatten ihm bewiesen, dass mehr in Emma steckte, als er bisher geahnt hatte. Sie kannten sich zwar seit vielen Jahren - seit ihrer Kindheit (wie nah und fern ihm das erschien, ein schrecklicher Gedanke) -, doch außer bei Fest- und Zwergenspielen und zufälligen herzlichen, aber zurückhaltenden Begegnungen und besonders wegen Emmas Liebe zu seinem Vater Wuschel, hatte die alte lächerliche Fehde zwischen den Fuchswitzen und den Kluges wie ein Schleier zwischen ihnen gelegen. Jetzt aber hatte Fungel einen Blick hinter die Maske geworfen, hinter der sich Emma vor den Härten und Attacken des Lebens verbarg, und er merkte, dass sein Herz berührt war. Und das war der wahre Grund, warum er so erleichtert war, dass sie ihn auf seinem gefährlichen Wege nicht begleitete. Fungel ließ seine Bücher und Schriftrollen hinter sich und beauftragte Ka mit der Wacht über den magnetischen Kristall, den er aus dem Lunavogel gerettet hatte. Er beleidigte den Freund und seine Selbstlosigkeit nicht dadurch, dass er ihn bat, sich um Emma zu kümmern, er bat ihn nur, ihr jeden Morgen ein frisches Moospolster für ihren Verband zu bringen, und er bat ihn auch, sie moglichst von allen Gefahren fern zu halten, wenn ihr Bein wieder heil war - und das hieß natürlich: Lass sie nicht hinter mir herkommen, Ka! Während er seinen Beutel schulterte und sich für den Abschied rüstete, versuchte Emma mühsam aufzustehen. Fungel war taktvoll genug, nicht dagegen zu protestieren. Sie reichte ihm eine wunderschöne Heckenrose, eine dunkelrote Knospe, fest und prall von Saft. »Sie soll dir Glück bringen«, sagte Emma, »und ich vertraue darauf, dass du sie mir zurückgibst, nach der Jagd über Land.«
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Samtiger Duft stieg ihm in die Nase. Seine Finger schlossen sich um den dornenlosen Stiel. »Ich werde sie am Herzen tragen«, entgegnete er, »und gebe sie dir zurück, wenn ich dich wieder sehe.« Sie nickte. Einen Augenblick lang schauten sie sich in die Augen, so tief und so ungeschützt offen, wie es die Leute nur selten ertragen, und diesmal war es Emma, die ihren Blick rasch abwandte. Ka ließ Mechanicki, den Dosenmann, sich und Fungel den verlassenen Bergwerksschacht zuruckkarren. Fungel versuchte nicht in sein leeres, blödes Blechgesicht zu schauen, während Ka die ganze Zeit seine Mahnungen und Warnungen herunterleierte: »Pass auf, wenn du reingehst, Fungel. Pass auf, wenn du da bist, Fungel. Pass auf, wenn du weggehst, Fungel! Es ist eine wilde Räuberhöhle, Fungel, und ein einziges unbedachtes Wort ist genauso, als ob du denen einen Stein ins Gesicht schmeißt. Halt die Augen und die Ohren offen, und pass auf, was du trinkst, und sag dem alten Moosmann, Karbol Erdenwurm hätte dich geschickt. Er ist ein ausgekochter Bursche und er zieht einen gerne über den Tisch. Trotzdem, ich geh jede Wette ein, dass du den Kopf oben behältst. Aaah, die Tabakkneipe. Es läuft mir schon das Wasser im Munde zusammen, wenn ich nur daran denke!« Und so weiter und so weiter, bis sie auf nackten Felsen und blinzelnd im Licht des Tages standen. Fungel kam es so vor, als hätte er die Sonne seit Monaten nicht mehr gesehen, aber Ka drückte sich natürlich in den schattigen Eingang des Schachtes und hielt sich so gut wie möglich dem Lichte fern. »Also, Fungel«, sagte Ka tapfer und gefasst, »du kommst ja bald zu uns zurück, nicht?« Und dann fing er an zu flennen und zu plärren und umarmte Fungel wie eine Mutter, die ihrem einzigen Kind Lebewohl sagt, das zum ersten Mal in die weite Welt hinaus will. Fungel stützte ihn und klopfte ihm auf den Rücken und löste sich schließlich aus seiner Umarmung. »Ich hab das Gefühl, dass du zuerst mal zu dir kommen musst«, sagte er. Ka war vollkommen auf gelöst, aber plötzlich änderte sich seine Miene. »He, da brat mir doch einer einen Storch!«, rief er aus. »Das hätt ich ja fast vergessen.« Er trappelte in den Schacht und kehrte dann mit einem Päckchen zurück. »Hier. Vielleicht kannste das brauchen.« Fungel wickelte einen metallenen Gegenstand aus, der in der Sonne funkelte. Es war kein Silber, aber so etwas Ahnliches. »Was ist das denn. Ka?«, fragte Fungel. »Bestechung«, erwiderte Ka mit breitem Grinsen, »falls der alte Moosmann sich entschließen sollte, dir seinen Dickkopf zu zeigen. Nur ein kleines Mitbringsel, hat für mich und dich gar keinen Wert, aber der Moosmann würde sein Fell dafür geben. Ich hab's schon eine ganze Weile in Vorrat, falls ich von dem alten Zausel etwas brauche, und ich glaube, jetzt ist die Zeit gekommen.« »Oh, herzlichen Dank, Ka«, sagte Fungel. »Nicht dafür, nicht dafür«, antwortete Ka und schwenkte ganz verlegen mit der Pfote, »und hier ist noch was.« Damit reichte er Fungel einen grauen, kastenartigen Gegenstand mit einer Schlaufe, der oben einen Knopf und vorn in der Mitte ein Glasauge hatte. »Das hab ich Lichtkasten genannt«, erklärte Ka. »Du drückst auf den Knopf da, und dann gibt es einen Lichtstrahl von sich, der einen Felsen blenden könnte. Wer weiß, wie dich das retten kann, wenn du es im richtigen Augenblick benutzt. Braucht auch Batteritzen, wie mein Mechanicki, aber pass auf - es braucht eine Weile zwischen den Lichtblitzen und es nutzt sich auch ziemlich rasch ab.« Fungel drehte und wendete den Kasten in den Händen. »Gut, dann werde ich es in guter Gesundheit benutzen«, sagte er. »Und danke auch dafür.« Ka wehrte den Dank ab und Fungel lächelte - liebevoll und traurig - und klopfte dem Gnom abermals auf die Schulter. Er berührte die Wunschelfeder auf seiner hohen Mütze und legte die Hand auf die Heckenrose, die er an seinen Kittel gesteckt hatte. Dann wandte er sich ab und begann nach Norden zu wandern, zu einem dunklen Fichtenwald. Erst als er ein gutes Stück Weges hinter sich hatte, blieb Fungel stehen und dachte darüber nach, ob es wirklich die alte Stammesfehde war, die Emma hatte im Tal bleiben lassen, nachdem alle Zwerge außer ihnen fortgezogen waren. Und woher sie hunderte von Klaftern unter der Erde eine Heckenrose bekommen hatte.
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In der Tabakkneipe »Bier her, Bier her!« Der trunkene Troll hämmerte mit seinem verdellten Becher auf dem langen Tisch herum. »Bier her oder ich fall um, klabumm!« Er stand auf und grölte: »Bier her, verdammt noch mal!« Die andern Trolle, die neben ihm saßen, kicherten miteinander. Der eine griff abwesend nach oben und zerrte den krakeelenden Troll an seinem kurzen Schwanz wieder runter. Er knallte mit einem Plumps auf die ungehobelte Bank zurück, dass das Holz knackte. Der betrunkene Troll starrte seine Saufkumpane so baff wie ein Kind an, doch der Schwanzzieher schwatzte seelenruhig mit dem Pfeife schmauchenden Halunken weiter, der neben ihm saß und den man kaum Zustimmung nicken sehen konnte, weil der dicke blaue Rauch seine Umrisse vernebelte. Eine schuppige, dicke, vernarbte Pfote tauchte aus den Rauchschwaden auf und knallte eine Münze auf den Spieltisch, wo die Igel gerade aufgeblasen wurden. Ein Croupier mit einer Hakennase nickte und schmiss die Münze zu dem Haufen der anderen, die auf den größeren der quiekenden Igel gesetzt hatten. - Das war der kleinere Haufen, weil der größere Igel eine kleinere Vorgabe hatte, was mit der Größe des Unglückstieres zusammenhing. Um den Croupier herum schrie und kreischte die gehörnte, geschuppte und gefiederte Gesellschaft, alle narbenbedeckt und scheußlich. Die grotesken Gestalten wirkten im Wirbel und Ge wölke des blau-grauen Pfeifenrauches verschwommen. Sie feuerten die Spießgesellen an, die in der Enge an den Blasebälgen schwitzten und den Igeln hinterrücks die Luft in den Leib pumpten. Das Zischen der beiden Blasebälge stieg zu einem Pfiff an, die Igel quiekten schrill und die Wetter schrien aus vollem Halse. Puff, der kleinere Igel platzte und feuchte Fetzen regneten auf die Wettgesellschaft. Zum Jubelgeschrei der Gewinner kamen die Buhrufe, mit denen sich die Verlierer auf den Gewinnerigel stürzten und auf ihm herumtrampelten. Der Croupier strich ohne hinzusehen den Wettge winn des Pfeifenrauchers ein. Die Blasebalger rubbelten sich trocken. Die Putztruppe, schwarze Wichtel mit Eimern, spülten den Dreck weg. Der Pfeife schmauchende Halunke ließ eine weitere Münze springen. Dieser Entschluss zwang ihn, sich aus der Festung seines Pfeifenrauches, die er um sich errichtet hatte, herauszubeugen und enthüllte dabei ein knolliges Gesicht, das wie Hefeteig in Kieselsteinen gerollt aussah, die breite Fresse quer reingehauen und mit den Stalagmiten und Stalaktiten der verfaulten und verfleckten Reißzähne gespickt. Sein Saufkumpan, der Troll, kümmerte sich um nichts, sondern sabbelte nur unaufhörlich auf seinen nickenden, verräucherten Freund ein. Irgendjemand sang laut und falsch: »Ein Männlein platzt im Walde. . . «, was wieherndes Gelächter hervorrief. Das nächste Paar unseliger Igel wurde herbeigeschafft. Der grölende, trunkene Troll gab es auf, nach mehr Bier zu schreien und drängelte sich stattdessen durch die zehn Reihen randalierender und rülpsender Säufer, die sich vor dem langen L der Bar hin und her schubsten. Ein typischer Abend in der Tabakkneipe. Es war eine Geisterstadt, eine abgestorbene Ansiedlung zerfallener Bretterbuden, die vor langer Zeit hoffnungsvolle Glücksgräber beherbergt hatten, als eine ganze Nation sich gegenseitig Blankoschecks ausgestellt hatte, die zerplatzt waren und das Land verarmt hatten. Fungel bahnte sich zwischen den Trümmern einen Weg. Winden und Ranken hatten die Sandwege und die hölzernen Gebäude überwuchert und diese Gebäude waren allmählich in den Boden gemodert. An manchen Stellen war es schwer zu sagen, was da Wald war und was ein Gebäude, denn es sah so aus, als ob das eine gerade in das andere überging. Wer baut so hässliche Häuser, überlegte sich Fungel, lauter Quadrate und rechte Winkel, die dem Land, das sie trägt, so offensichtlich zuwider sind? Sie bauen, als ob sie gerade die Kräfte ver leugnen, die ihre Heime beherrschen - Zeit, Tod, Geburt -, statt sie zu einem Teil ihrer Umgebung zu machen. Selbst im Tode sind ihre Werke noch feindselig. Molom hat Recht, wenn er Angst davor hat, dass solche Kreaturen einen Stein in Besitz nehmen, der so machtig wie Baphomet ist. Er erblickte die Fassade, die ihm Ka beschrieben hatte. Sie hatte einst zu einem Warenhaus gehört, obwohl auch das in Wirklichkeit nicht viel mehr als eine Bruchbude gewesen war. Jetzt war es nur noch eine leere Hülle, von zähen, wilden Ranken zusammengehalten. Aber was bekämpfen ihre Werke?, dachte Fungel, der seinem Gedanken immer noch nachhing, die Welt der Natur oder etwas in ihnen selbst? Ein Trampelpfad führte durch ein Gebüsch aus Brennnesseln und Heckenrosen und um die Ruinen des Ladens herum zu einer schweren Sturmtür. Dahinter... Er schüttelte den Kopf und blieb einen Augenblick hinter einem Baum stehen, um sich zu sammeln. Es wäre nicht sehr klug, wenn er so hineinstürzte. Zuerst musste er Schutzmaßnahmen ergreifen. Dieser Ort war ein Magnet für widerwärtige Typen, und er war ein
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Waldzwerg, und widerwärtige Typen hatten sich in der letzten Zeit zu sehr für Waldzwerge interessiert. Deshalb wob Fungel den Zauber der Unbeschreiblichkeit um sich herum. Er war, wie die meisten seiner Zaubersprüche, das Ergebnis von Sparsamkeit und höchster Wirkung. Obgleich er die Fähigkeit besaß, sein Äußeres vollkommen zu verwandeln - im Auge des Betrachters, wenn auch nicht in Wirklichkeit -, würde so ein Zauber den eigenen Sinn zunichte machen, weil er gerade die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, falls jemand nach Zaubersprüchen Ausschau hielt. Das Einfachste aber ist das Allerbeste, und es war leichter und sehr viel praktischer, sich mit einer Aura zu umgeben, die der glich, die auch Emmas Tür beschützte, was selbst ihn für einen Moment verwirrt hatte. Ein Zauberspruch also, der ihn der Aufmerksamkeit entschlüpfen und das Auge abgleiten ließ, ehe es Einzelheiten wahrnehmen konnte. Nachdem er diesen Spruch vollendet hatte, näherte sich Fungel der Sturmtür. Nach welchem Plan er vorgehen wollte, wenn er dort hinuntergestiegen war wie Dante in die Hölle, hatte er nur in groben Umrissen entworfen. Zu viel war ihm unbekannt. Zehn Prozent Inspiration, vierzig Prozent Improvisation und fünfzig Prozent Perspiration, also ehrlicher Zwergenschweiß, so kam man, laut Willi Wetterborke, in der Welt voran, und genau so was hatte ihm auch vorgeschwebt. Er stemmte die Sturmtür auf, wozu er sich bücken musste, und war sofort von dicken Rauchschwaden umhüllt. Wer zuhörte, hätte meinen können, sie beleidigten unaufhörlich den Barmann. »Feuerwasser«, schrien sie, »du Flegel!« - »Einmal gequirlte Jauche, du Hosenstinker! « - »Lütt un Lütt, Kotzbrocken! « In Wirklichkeit aber bestellten sie sich nur etwas zu trinken - jeder nach seinem eigenen Geschmack und alle ihr hochstpersönliches Gift. Und Gift war es wahrhaftig: Einer von den drei Zapfhähnen war mit einem Schädel und den gekreuzten Knochen markiert und die Hälfte der Fässer auch. Rauch kräuselte sich dem Wirt aus Mund und Nasenlöchern wie der Brodem einer Höllenmaschine. Der ganze Raum war ein Tollhaus, ein Stimmengewirr aus freundschaftlichen Flüchen und hasserfüllten Sticheleien, gezischten und laut herausgegrölten Drohungen, aber auch wohlwollendem Gepolter: »Harry! Hab dich ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. He, willst du `n Schluck von meinem Fusel? Scheißzeug, sag ich dir.« »Die Einsätze, meine Herren, bitte die Einsätze!« ».. . und wenn du dich hier noch mal blicken lässt, schneid ich dir die Ohren bis zu den Rippen ab, dass du dir für den Rest deiner Tage den Mond mit den Hühneraugen betrachten kannst! « » ... und da sagte der Reisende, nimm doch mein Leben - ich flehe dich an! « » ... und damit willste mich in Angst versetzen? Mann, mit so 'nem Zahnstocher schneid ich mir nicht mal die Krallen! « »Mistvieh!« »Schieb ab, verpiss dich! Verdufte!« Der betrunkene Troll (was zugegebenermaßen keine sehr gute Beschreibung ist, weil mehr oder weniger jeder Troll in der Tabakkneipe ununterbrochen betrunken war, ist und sein wird) pflügte sich vollkommen rücksichtslos mit beiden Ellbogen durch die schimpfenden Kumpane in Fell und Schuppenpanzer, muskelund narbenbepackt oder nur in nackte Haut gehüllt oder von allem etwas, die sich hier Mut antranken. Er schubste sich zur Theke durch, rülpste wie ein Feuer speiender Berg, was in dem allgemeinen Höllenlärm vollkommen unterging, und ließ seine knochenharten Fäuste auf die Theke krachen. Er schrie dem Barmann etwas zu, der entweder mehr als zwei Arme hatte oder sich zumindest so bewegte. »Was ist los?«, rief der Barmann zurück, wobei er große Brocken in einen angeschlagenen Becher löffelte. »Ich hab gesagt«, bellte der Troll, »nischt los heute, was?« Der Barmann, es gab nur den einen, zuckte mit den Schultern und schüttete schwärzliche Eiswürfel in einen Humpen mit abgebrochenem Griff und ließ ihn dann zu den gierig ausgestreckten Pfoten hinter dem verrosteten Geländer schlittern. »Was für 'n Gift soll's sein?«, schrie der Barmann. >>Grog!