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Angel : Jäger der Finsternis. - Köln : vgs (ProSieben-Edition) Der Preis der Unsterblichkeit / Jeff Mariotte. Aus dem Amerikan. von Antje Görnig. - 2001 ISBN 3-8025-2851-4
Das Buch »Angel -Jäger der Finsternis. Der Preis der Unsterblichkeit« entstand nach der gleichnamigen Fernsehserie (Orig.: Angel) von Joss Whedon und David Greenwalt, ausgestrahlt bei ProSieben. © des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher Genehmigung der ProSieben Televisions GmbH Erstveröffentlichung bei Pocket Books, New York 2001. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Angel. Hollywood Noir.
™ und © 2001 by Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved. © der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft, Köln 2001 Alle Rechte vorbehalten. Lektorat. Beate Sauer Produktion: Wolfgang Arntz Umschlaggestaltung: Sens, Köln Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2001 Satz: Kalle Giese, Overath Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-2851-4 Besuchen Sie unsere Homepage im WWW: www.vgs.de
Prolog
Das Haus stand auf der Argyle Avenue südlich des Hollywood Boulevards fast genau in der Mitte zwischen Hollywood und Sunset Boulevard. Seit es im Jahr 1921 erbaut worden war, hatte es als Hotel gedient, als Schneiderei, über der Wohnungen lagen, als Bürogebäude und schließlich als Zufluchtsstätte für Obdachlose und Ausreißer. Zuletzt hatte es jedoch vier Jahre lang leer gestanden. Die Sperrholzplatten vor den Fenstern waren über und über mit Graffitis verziert, die Türen vernagelt und die Klinken längst abmontiert. Die meisten Menschen gingen vorüber, ohne Notiz von dem verfallenden Bau zu nehmen. Natürlich erzählten sich die Kids gelegentlich – wie dies wohl bei leer stehenden Gebäuden so üblich ist – es spuke darin. Aber niemand glaubte das wirklich. Ein hoher Maschendrahtzaun umgab das Grundstück und versperrte auch den Gehweg. Auf den Schildern, die am Zaun hingen, stand: »Gehsteig gesperrt! Bitte andere Seite benutzen!«, »Betreten ohne Schutzkleidung verboten!«, »Handys verboten!« und »Hunde fern halten!«. Die Presslufthämmer, die im Innern des Gebäudes ertönten, zerlegten das Haus Mauer um Mauer, Stein um Stein. Staubwolken stiegen aus den Fensterhöhlen. Da das alte sechsstöckige Bauwerk zu dicht an der Straße und den Nachbargebäuden stand, durfte es nicht gesprengt werden. Eine schmale Gasse führte zu seiner Rückseite. Auf einem Parkplatz, wo früher die Menschen, die im Haus gearbeitet hatten, ihre Autos abgestellt hatten, türmte sich nun der Bauschutt. Sobald das Geröll zur Müllkippe transportiert worden war, würde an diesem Ort eine kleine Einkaufspassage entstehen: Ein Kaufhaus, eine Reinigung, ein PizzaImbiss. Stadtbild-Erneuerung à la Hollywood. »Hören Sie«, sagte Barry Fetzer. »Ich muss ins Haus!« Randy Blake kaute auf einem Zahnstocher und musterte Fetzer kritisch durch den Maschendraht. Seine Schutzbrille hatte er auf die Stirn geschoben. Der Staub, den die Abbrucharbeiten verursachten, flimmerte in der Luft und sank nur langsam zu Boden. Randy trug ein kariertes Flanellhemd über seinem fleckigen grauen T-Shirt, Jeans, die mit 5
unzähligen Farbspritzern übersät waren, Arbeitsstiefel und einen Schutzhelm. Barry Fetzer dagegen war in einen Anzug gekleidet, der vermutlich so viel gekostet hatte, wie Randy in einer Woche verdiente – dabei war Randy nicht nur Gewerkschaftsmitglied, sondern auch Vorarbeiter. »Das geht aber nicht!«, rief Randy über den Baustellenlärm hinweg. »Ich glaube, Sie verstehen nicht. Ich bin ...« »Das spielt keine Rolle! Selbst wenn Sie der Gouverneur persönlich wären, kämen Sie nicht ohne Schutzhelm und Arbeitsstiefel auf diese Baustelle. Haben Sie einen Schutzhelm?« »Sie könnten mir Ihren leihen.« Randy nahm den Helm ab und zeigte ihn Fetzer. Auf die Oberseite des Helms hatte er sorgfältig mit großen schwarzen Buchstaben den Namen »Blake« geschrieben. »Heißen Sie Blake?«, fragte er. »Nein, ich sagte doch, ich heiße Fetzer. Barry Fetzer.« Randy setzte seinen Helm wieder auf. »Dann können Sie diesen Helm nicht haben.« »Hören Sie«, drängte Barry und fuhr mit den Fingern durch sein silbermeliertes Haar. »Warum machen Sie es mir so schwer, Mister Blake?« Randy kaute auf seinem Zahnstocher und überdachte die Frage. »Vielleicht, weil ich hier ein Gebäude habe, das im Begriff ist auseinander zu fallen«, antwortete er schließlich. »Und Sie tanzen hier ohne Papiere an, mit keinem anderen Ausweis als Ihrem Führerschein und erzählen mir, Sie kämen vom Amt für Wasser- und Energieversorgung und müssten unbedingt dieses Gebäude betreten. Also, erstens gibt es da drin kein Wasser, und zweitens ist es dort sehr gefährlich – und Sie, Mister Setzer, sehen mir ehrlich gesagt nicht nach einem Mann aus, der Erfahrung im Umgang mit gefährlichen Situationen hat.« »Ich verlange ja gar nicht, dass Sie die Verantwortung übernehmen«, entgegnete Barry entrüstet. »Außerdem heiße ich Fetzer.« »Das hier ist meine Baustelle«, erklärte Randy. »Ich bin der Vorarbeiter. Und daher liegt hier alles in meiner Verantwortung. Wenn Sie keine amtliche Bestätigung oder etwas Ähnliches anbringen, kommen Sie auch nicht in dieses Gebäude. Warten Sie noch ein paar Tage. Falls Sie nach irgendetwas suchen, können Sie dann meinetwegen auf der Müllkippe den Schutt durchkämmen.« Fetzer hob verärgert die Arme. Randy beobachtete ihn amüsiert und wartete gespannt, ob der Kerl nun auch noch wie ein kleines Kind mit 6
dem Fuß aufstampfen würde. »Wie war noch Ihr Name?«, fragte Fetzer schließlich. Randy wies auf die Beschriftung seines Schutzhelms. Fetzer hatte mittlerweile ein kleines Notizbuch aus der Tasche seines italienischen Seidenanzugs gezogen und kritzelte gewissenhaft etwas hinein. Sichtlich verärgert klickte er mit dem Kugelschreiber, klappte das Notizbuch zu und steckte es wieder weg. »Also, Mister Blake, Sie können sicher sein, dass Ihre Vorgesetzten davon erfahren!« »Das hoffe ich«, entgegnete Randy. »Eine Lohnerhöhung könnte ich gut gebrauchen.« Fetzer machte auf dem Absatz seiner Bruno Magis kehrt, boxte wütend gegen das blaue Plastikgehäuse der Baustellen-Toilette und stürmte davon. Randy sah ihm nach, wie er Richtung Sunset Boulevard verschwand. In diesem Augenblick kam Jimmy Socolich auf ihn zugeeilt. Der Bauarbeiter machte einen völlig verschreckten Eindruck. »Boss!«, rief er. Da Jimmy fast jeden mit »Boss« ansprach, war diese Anrede nicht unbedingt ein Zeichen von Respekt. »Was ist los, Jimmy?« »Müssen Sie sich ansehen, Boss! Sofort!« Jimmys Stimme zitterte leicht – vor Aufregung oder vielleicht auch vor Angst. Er war noch nicht sehr lange im Land und sprach mit schwerem Akzent. »Was? Was ist denn?« »Kommen Sie, Boss! Werden schon sehen!« Randy setzte die Schutzbrille auf und folgte dem kompakten, drahtigen Socolich die Treppe hinauf in den vierten Stock. Dort wurde er durch eine erstaunlich gut erhaltene Holztür geführt, deren Glaseinsatz – ebenfalls erstaunlicherweise – nicht zerbrochen war. In einem Raum, der einmal als Büro gedient hatte, standen drei Arbeiter vor einer Wand. Randy drängte sich zwischen sie. »Was ist los?«, fragte er. »Schauen Sie mal, Randy!«, sagte Crystal Stiles. Sie zeigte auf eine Art Wandschrank. »Da ist eine Backsteinmauer.« »Ja und?«, fragte Randy. In diesem Gebäude gab es viele Backsteinmauern. Ziegel gehörten zwar in Los Angeles nicht zu den gebräuchlichsten Baumaterialien, aber gänzlich ungewöhnlich waren sie nun auch wieder nicht. »Die Mauer befindet sich an der falschen Stelle«, sagte Crystal. »Schauen Sie doch nur! Sie steht ungefähr einen halben Meter vor der eigentlichen Wand.« Randy sah sich die Wand genauer an. Crystal hatte Recht: Der Wandschrank war im Innern nicht so tief wie er von außen aussah, denn 7
eine zweite Mauer stand gut einen halben Meter vor der eigentlichen Rückwand. Die Backsteinmauer war offenbar nachträglich eingebaut worden, was bedeutete, dass sich dahinter unter Umständen ein Versteck befand. »Und wie die Wand gemauert ist!«, fuhr Crystal fort. »Ist ja schrecklich!« Randy sah sich die Fugen an. Eine schlampige, amateurhaft ausgeführte Arbeit. Diese Mauer hätte wohl nicht sehr lange gehalten, wenn sie nicht durch den Wandschrank gestützt und breiter als ein, zwei Meter gewesen wäre. »Na, worauf wartet ihr?«, fragte er. »Legt los!« »Jawoll, Sir«, entgegnete Crystal enthusiastisch. Sie hob ihren Hammer, nahm das Ziel ins Visier und schlug zu. Ein Teil der Mauer zerfiel zu Schutt und Staub. »Gut getroffen!«, sagte Randy und klopfte Crystal auf die Schulter. »Jetzt wollen wir mal Licht da drin machen. Wer hat die Lampe?« Jimmy Socolich reichte Randy eine Taschenlampe, mit der er in das Loch leuchtete, das Crystal geschlagen hatte. Er ließ den Lichtstrahl durch den schwarzen Innenraum gleiten. In der Tat war diese Mauer nachträglich eingebaut worden! In diesem Moment fiel sein Blick auf etwas sehr Seltsames. Erschrocken hielt er inne und betrachtete, was er gefunden hatte. Als ihm übel wurde, reichte er die Taschenlampe nach hinten weiter. »Seht euch das mal an!«, sagte er. Crystal schnappte sich die Lampe und leuchtete ebenfalls in das Loch. Randy konnte einfach nicht wegsehen. Er quetschte sich neben Crystal und spähte mit ihr durch die Öffnung. In dem Hohlraum zwischen den beiden Mauern lag eine Leiche. Sie war Jahrzehnte alt. Bis auf vereinzelte Hautfetzen, an denen noch ein paar Haarsträhnen klebten, hatten Insekten den knochigen Schädel sauber freigelegt. Überbleibsel eines Anzugs hingen an dem vertrockneten Körper. Als der Lichtkegel über die leeren Augenhöhlen und die grinsenden Zähne glitt, schien sich die Leiche zu bewegen, als erwachte sie zu neuem Leben. Randy spürte, wie Crystal zu zittern begann. Dann spürte er noch etwas anderes. Einen kalten, übel riechenden Lufthauch, der aus der Öffnung drang und durch ihn hindurch blies. Randy zitterte nun ebenfalls heftig. Ihm schien, als hätte etwas Unreines seinen Körper gestreift. So musste es sich anfühlen, wenn tausende Kakerlaken über einen herfielen, dachte er. Es juckte ihn überall. 8
Hinter ihm zitterte auch Jimmy Socolich und fiel zum Gebet auf die Knie. Die übrigen Arbeiter vermieden es, sich anzusehen; plötzlich war jedem von ihnen die Anwesenheit der anderen unangenehm. »Randy...«, setzte Crystal an. »Ja?«, fragte er. »Ach, ist egal.« Er sah auf seine Stiefel. »Nichts anfassen!«, sagte er, während er den Blick auf die abgewetzten Kappen seiner Schuhe gerichtet hielt. »Ich rufe die Polizei.« »Ja, tun Sie das!«, entgegnete Crystal. Als Randy nach unten ging, um sein Handy zu suchen, kniete Jimmy Socolich immer noch auf dem Boden.
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1
Angel fand keine Ruhe. Er saß hinter seinem Schreibtisch und starrte ins Leere. Im vorderen Büroraum schwatzten und lachten Cordelia und Doyle miteinander. Angel nahm ihr Geplänkel nur am Rande wahr. Cordy, ein begnadeter Ex-Cheerleader, war von Sunnydale nach Los Angeles gezogen und hatte sich in Angels Detektei unabkömmlich gemacht. Doyle, zur Hälfte Dämon und zur Hälfte Mensch, empfing Botschaften von den Mächten der Ewigkeit. Angel schätzte sowohl Cordy als auch Doyle sehr. Aber in diesem Augenblick war ihm nicht unbedingt nach ihrer Gesellschaft zu Mute. Er überlegte, ob er doch aufstehen und sich zu ihnen gesellen sollte. Gleichzeitig dachte er, dass er sich wieder einmal informieren musste, ob irgendetwas in der Stadt vorging, von dem er wissen sollte. Aber jeder neue Gedanke löste nur den vorangegangenen ab. Letztlich verwarf er sie allesamt und tat gar nichts. Während Angel weiterhin ins Leere starrte, fragte er sich, was nur mit ihm los war. »Was hat Angel für ein Problem?«, wandte sich Cordelia an Doyle. »Ich habe vor ein paar Minuten meinen Kopf reingesteckt, um zu prüfen, ob unser Chef überhaupt noch atmet. Ich wollte nur nachsehen, ob er noch ... ähm, du weißt schon, was ich meine. Aber dann fiel mir wieder ein, dass es bei ihm ja kein Kriterium ist, ob er atmet oder nicht. Letztendlich habe ich dann doch ein Blinzeln bemerkt, also brauchen wir vermutlich keinen Rettungswagen für Vampire ...« »Ich glaube, er langweilt sich«, sagte Doyle und fuhr sich mit dem Fingern durch sein schwarzes Haar. »Gestern abend haben wir miteinander geredet, und er meinte, es wäre wieder mal so weit. Er kriegt anscheinend einen depressiven Schub.« »Das hat Angel gesagt?« »Na ja, also, ich musste schon ein wenig zwischen den Zeilen lesen.« »Nun, wir alle haben unsere Depressionen und Launen, aber manche von uns helfen sich damit, shoppen zu gehen oder 'ne Tablette zu 10
nehmen oder so. Hat ihm noch niemand erklärt, wie man so etwas überwindet?« »Du kennst ihn länger als ich, Cordy«, entgegnete Doyle. »Aber du musst bedenken, dass er jetzt schon an die zweihundertfünfzig Jahre gelebt hat. Ich würde ihn lieber nicht fragen wollen, ob es vielleicht irgendetwas gibt, was er noch nicht erlebt hat, besonders, was die ersten hundert Jahre, seine vergeudete Jugend, anbelangt. Er sagte, manchmal könne er sich nicht gegen das übermächtige Gefühl wehren, schon alles gesehen und erlebt zu haben.« Cordelia stand von ihrem Schreibtisch auf und kam zur Couch, auf der Doyle sich lümmelte. Im Zusammenspiel mit seinem knallblauen Hemd schienen seine strahlend blauen Augen noch mehr zu leuchten als gewöhnlich. Er trug eine dunkle Lederjacke und dunkle Hosen. Eigentlich sah er gar nicht schlecht aus. Cordy war nicht abgeneigt, sich irgendwann einmal von ihm ausführen zu lassen – irgendwann, wenn er ausnahmsweise einmal nicht pleite war. »Klingt ja, als hättet ihr ein echtes Männer-Gespräch geführt.« In Cordelias Stimme lag, unüberhörbar, ein gewisser Sarkasmus. »Ja, ein echtes Männer-Gespräch!«, entgegnete Doyle mit seinem unverkennbaren irischen Akzent. »Ganz ernsthaft, mit viel gegenseitigem Schulterklopfen. Außerdem haben wir einiges getrunken. Angel zwar Schweineblut, aber immerhin ...Wir haben nur darauf verzichtet, uns am Ende brüderlich um den Hals zu fallen.« Cordelia verdrehte die Augen. »Muss ja ein echtes Ereignis gewesen sein. Wart ihr in einem öffentlichen Lokal? Vermutlich ja nicht, wenn Angel Blut getrunken hat...« »Mein Getränk kam aus einer Flasche, nicht vom Metzger.« »Stimmt, versteht sich von selbst!« Cordelia setzte sich neben Doyle und fuhr im Flüsterton fort: »Warum ist Angel aber trotz eurer MännerGespräche und -Getränke immer noch so gelangweilt? Ich sage es ja nur ungern, weil ich nicht eingeladen war, aber ihr scheint einen wirklich lustigen Abend miteinander verbracht zu haben.« »Einen Abend lang mit den Kumpeln zu zechen – mit einem Kumpel besser gesagt – wiegt nicht unbedingt ein paar hundert Jahre Eintönigkeit auf. Angel sagte, die Eröffnung der Detektei...« »Wozu ich ihn gedrängt habe ...«, bemerkte Cordelia stolz. »Genau! Jedenfalls sagte Angel, er habe gehofft, die Detektei würde ihn bei Laune halten. Er hatte sich vorgestellt, jeder neue Klient käme mit einem ungewöhnlichen, spannenden Fall zu ihm. Von seinem Sessel aus würde er alle Dimensionen der menschlichen Existenz kennen lernen...« 11
»Von seinem Sessel aus?« »Mein Gott, nimm doch nicht immer alles so wörtlich!«, entgegnete Doyle genervt. »Was jedoch seine letzten drei Fälle angeht, die waren mehr als ... na was schon!« Cordelia dachte einen Augenblick nach. »Ich verstehe«, sagte sie leise. »Erstens, der entlaufene Kater Mister Stripey. Zweitens der Typ mit dem Eisenwarengeschäft, der den Verdacht hatte, von seinen Lieferanten betrogen zu werden – großes Gähnen! Oh ja, und dann ist Mister Stripey nochmal weggelaufen.« Sie spähte durch das Fenster, das die beiden Zimmer verband, zu Angel hinüber, der mit glasigem Blick immer noch genauso da saß wie zuvor. »Okay, diese Frustration kann ich nachvollziehen. Vielleicht sollten wir Mrs. Finnegan ein Kärtchen mit einer fiktiven Adressänderung schicken, damit sie uns nicht findet, wenn Mister Stripey das nächste Mal wegläuft.« »Das gefällt mir so an dir, Cordy«, bemerkte Doyle kichernd. »Du hast überhaupt kein Gewissen!« »Ich habe sehr wohl ein Gewissen«, protestierte sie gekränkt. »Na ja, zumindest dann, wenn ich eines haben will. Außerdem wird dem Gewissen sowieso meistens zu viel Bedeutung zugemessen, im realen Leben jedenfalls. Ich meine, sieh dir doch Angel an! Meinst du, er würde da in seinem Büro verstauben, wenn er kein Gewissen hätte? Nein, dann würde der alte Angelus losziehen und beißen, töten und verstümmeln und sich wunderbar amüsieren.« »Korrekt«, pflichtete Doyle ihr bei. »Und er würde mit denen anfangen, die ihm am nächsten stehen – mit uns zum Beispiel.« »Das stimmt! Dann sind wir so vielleicht besser dran. Lieber ein gelangweilter Angel als einer, der Amok läuft. Aber ich finde trotzdem, wir sollten uns etwas ausdenken, um ihn ein wenig aufzumuntern, ihm...« Sie hielt mitten im Satz inne. Doyle hatte sich plötzlich kerzengerade aufgesetzt. Er presste seine Hände gegen den Kopf. »Was ist, Doyle? Hast du eine Idee?« Doyle schüttelte nur den Kopf und wand sich. Offenbar litt er starke Schmerzen. Cordelia begriff, dass es um Größeres ging: Er hatte eine Vision. Doyles Visionen, die ihm von den Mächten der Ewigkeit geschickt wurden, handelten immer von jemandem, der sich in Schwierigkeiten befand. Was wiederum bedeutete, dass es etwas für Angel zu tun gab. Etwas, das ihn aus seinem Stimmungstief befreien konnte. »Eine Vision?«,fragte sie hoffnungsvoll. »Aberbitte eine gute, Doyle!« 12
Einen Augenblick später war die Vision schon wieder vorbei, und Doyle ließ stöhnend seinen Kopf los. »Au Mann, das tut echt weh«, beschwerte er sich. »Ja, aber es hätte zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können, nicht wahr?« Angel stand plötzlich im Türrahmen und blickte die beiden fragend an. »Wow, es tut sich etwas!«, bemerkte Cordelia im Flüsterton. »Doyle, hattest du eine Vision?«, fragte Angel knapp. »Eine sehr verschwommene. Nicht viele Details. Stattdessen Unmengen von Schmerzen.« »Er hat selten so elend ausgesehen«, fügte Cordelia fröhlich hinzu. »Um was ging es denn?« »Ich weiß es gar nicht genau.« Doyle massierte sich den Nacken. »Eigentlich habe ich nur einen Namen und eine Adresse bekommen: Betty McCoy, 20047 Sunset Boulevard Nummer 819.« »Was für ein Problem sie hat, weißt du nicht?«, hakte Angel nach. »Keine Ahnung«, antwortete Doyle. Angel sah aus dem Fenster. Draußen wurde es bereits dunkel. »Dann werde ich es wohl herausfinden müssen.« Er notierte sich die Adresse auf einem Zettel und steckte ihn in die Tasche. »Können wir irgendetwas tun?«, fragte Doyle. »Bevor wir genauer wissen, was mit Betty McCoy los ist, nicht«, erklärte Angel. »Wartet einfach hier! Es wird nicht lange dauern.« Durch seine Wohnung, die unter dem Büro gelegen war, ging Angel direkt in die Tiefgarage. Dort wartete sein 1968er Belvedere GTX Kabrio. Er kletterte in den offenen Wagen, ohne die Tür zu öffnen. »Endlich!«, dachte er. »Ein Ziel! Eine echte Aufgabe!« In letzter Zeit war wenig zu tun gewesen, und er fühlte sich innerlich zerrissen: Einerseits wollte er der armen Betty McCoy – wer auch immer sie war – nichts Schlechtes wünschen, andererseits hoffte er jedoch auf einen spannenden Fall. So spannend, dass er ihn eine Weile ablenkte. Doyle und Cordy nahmen an, er sei gelangweilt. Aber das war nicht sein wirkliches Problem. Angel ließ die beiden in diesem Glauben, weil es zu kompliziert war, ihnen zu erklären, was ihm tatsächlich fehlte. Sicherlich war er das immer gleiche Einerlei leid. Es gab nicht viel, was man nach über zweihundertfünfzig Jahren auf der Erde noch nicht erlebt oder gesehen hatte. Die Namen und Gesichter wechselten zwar im Laufe der Zeit und gelegentlich sorgte eine technische Neuerung für Aufregung, aber im Großen und Ganzen änderte sich kaum etwas. Die Menschen verhielten sich mehr oder weniger immer gleich. Hatten sie sich früher am Feuer Geschichten erzählt, saßen sie nun mit der Familie 13
vor dem Fernseher. Und die Chatrooms im Internet waren nur ein modernes Spiegelbild der Kneipen und Cafes, die es schon seit Jahrhunderten gab. Äußerlich mochte sich im menschlichen Miteinander so manches geändert haben, das eigentliche Wesen der Dinge jedoch blieb davon unberührt. Aber Angels momentanes Stimmungstief hatte noch einen ganz anderen Beweggrund, von dem er Doyle nichts erzählt hatte: Er fing allmählich an zu glauben, dass er gar nichts bewirkte. Während der vergangenen einhundert Jahre hatte er versucht, die Gräueltaten wieder gutzumachen, die er in den hundertfünfzig Jahren zuvor begangen hatte. Aber je mehr er sich bemühte, desto weniger war er überzeugt, dass ihm dies jemals wirklich gelingen würde. Er hatte bereits unzählige Leben gerettet – aber vielleicht lag genau darin das Problem. Natürlich war es eine gute Sache, dass er schon vielen Menschen das Leben hatte retten können. Aber umso größer war die Menge der Menschen, von denen er niemals auch nur ahnen würde, dass etwas Grauenhaftes sie bedrohte. Die Zahl derer, dachte Angel, denen er hatte helfen können, war vergleichsweise gering. Wenn er seine Zeit auf Erden betrachtete, hatte er immer noch den Eindruck, als überwöge das Böse, das er getan hatte, das Gute. Zusätzlich peinigte ihn die Vorstellung, dass er im Grunde ganz unwichtig war. Er befürchtete, eigentlich gar nichts erreicht und weder positive noch negative Spuren hinterlassen zu haben, wenn er von der Erde verschwand und die, die ihn kannten, erst einmal gestorben waren. Diese entmutigende Vorstellung war weitaus mehr für seinen Verdruss verantwortlich als die Langeweile, wie Doyle annahm. Der Langeweile konnte man mit Taten Abhilfe schaffen, aber wie sollte er dem eigentlichen Übel zu Leibe rücken? Wie konnte er dieser Welt etwas Bleibendes hinterlassen? Aber nun war nicht die richtige Zeit, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Er musste sich um Betty McCoy kümmern. In Hollywood angekommen, bog Angel nach rechts auf den Sunset Boulevard ab. Der Verkehr floss gleichmäßig dahin. Aber an der breiten Straße folgte eine Ampel auf die andere. Er schien in eine rote Welle geraten zu sein. Hoffentlich gab es bei Bettys Problem keinen Zeitdruck! Als Angel die Adresse erreichte, die Doyle ihm gegeben hatte, zog er das Stück Papier aus der Tasche und überprüfte die Angaben noch einmal. Kein Zweifel: Er war am richtigen Ort – Sunset Boulevard, wie er aufgeschrieben hatte. Er zuckte mit den Schultern, kletterte aus dem Kabrio und blieb auf dem Gehsteig vor den schmiedeeisernen Toren des Friedhofs von 14
Hollywood stehen. Die Angaben aus Doyles Vision konnten nicht falsch sein. So etwas gab es bei den Mächten der Ewigkeit nicht. Vielleicht hatte Doyle die Adresse fehlerhaft wiedergegeben, vielleicht ein paar Zahlen vertauscht, aber sehr wahrscheinlich war das nicht. Die Vision hatte ja überhaupt nur aus dem Namen und der Adresse bestanden, und alles war Doyle noch ganz unmittelbar in Erinnerung gewesen. Nein, er hatte bestimmt nichts durcheinander gebracht. Angel drückte versuchsweise gegen das Tor. Es war nicht verschlossen und öffnete sich mit einem Quietschen, das aus einem altmodischen Horrorfilm hätte stammen können. Als er den Friedhof betrat, bemerkte er das kleine Wachhäuschen am Eingang, das leer zu sein schien. Endlose Reihen von Grabsteinen standen auf einer weiten Rasenfläche, die in einiger Entfernung zu einem sanften Hügel anstieg. Da und dort erhoben sich größere Tafeln oder Skulpturen über die einfachen Grabsteine. Dazwischen ragten einzelne Mausoleen auf. Nur der Mond und die Straßenlaternen auf der anderen Seite des hohen Zauns warfen ein wenig Licht auf das Friedhofsgelände. Angel sah niemanden, der wie Betty McCoy aussah. Er sah überhaupt keine Menschenseele. Also ging er langsam los. Nach einigen Minuten kam jemand auf ihn zu. Aber das konnte Betty McCoy nicht sein, falls es sich bei ihr nicht um einen fünfzigjährigen Wachmann handelte, dem der Bauch über die Gürtelschnalle hing. Der Mann hatte eine Taschenlampe dabei, und an seinem Sam-BrowneGürtel baumelte ein Schlagstock. »Entschuldigen Sie«, sagte Angel zögernd, als der Wachmann näherkam. »Ist der Friedhof geöffnet?« »Man soll die Leute nicht daran hindern, ihre Lieben zu besuchen«, entgegnete der Wachmann. »Wir haben bis neun Uhr geöffnet. Aber bewacht wird die Anlage rund um die Uhr.« Angel sah auf die Uhr. Kurz nach halb acht. »Suchen Sie jemand Bestimmtes?«, fragte ihn der Wächter. »Betty McCoy«, sagte Angel. »Nummer 819.« »Oh, Betty«, entgegnete der Wachmann lächelnd. »Das ist gleich da hinten!« »Er kennt sie!«, dachte Angel. Das vereinfachte die Sache merklich. Ein seltsamer Ort, um nach einer Frau zu suchen, die in Schwierigkeiten steckte – aber an Merkwürdigkeiten war Angel im Umgang mit Leuten, die Probleme hatten, ja gewohnt. Er folgte dem Wachmann den Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Drei Gräberreihen weiter bog der Uniformierte vom 15
Hauptweg ab, und sie betraten die Rasenfläche. Der Wachmann blieb vor einem Stein stehen, knipste die Taschenlampe an und richtete sie auf den Grabstein. Dieser war nur klein. Kein Wort zu viel stand darauf. Elizabeth McCoy, 1939-1964 – mehr nicht. »Hier ist Betty«, erklärte der Mann. »Grab Nummer 819. Ein Gast des Staates. Ich lasse Sie jetzt allein. Sie finden mich am Tor, wenn Sie etwas brauchen.« »Danke«, entgegnete Angel. Der Wachmann ging davon. Angel blieb einige Minuten vor dem Grabstein stehen und wünschte, Doyles Vision wäre nur dies eine Mal ganz klar und verständlich gewesen. Schließlich beugte er sich vor und strich über den kalten Stein. »Lass mich wissen, was ich für dich tun kann, Betty«, sagte er sanft. »Ich bin immer für dich da.« Als er keine Antwort erhielt, verließ er den Friedhof und fuhr wieder nach Hause.
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2
Manche Lokale führten einen Namen, der ihnen entsprach. Bei anderen wiederum war er bewusstes Understatement. Und dann gab es noch Namen wie »Rialto Lounge«, die erheblich großartiger klangen, als für das Lokal angemessen war. Früher einmal war die Rialto Lounge ihres schicken Namens würdig gewesen – und das war mehr, als man von manch anderem Laden sagen konnte. In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren, in der Glanzzeit der Martini-Kultur, wie Joe Gagliardi die Ära gern bezeichnete, hatte die Bar sowohl Berühmtheiten als auch einfache Leute angelockt. Die Rat Pack-Leute – Frankie, Dean, Joey, Sammy und all die anderen – hatten von Zeit zu Zeit hereingeschaut, um Jazz zu hören und Highballs zu trinken und sich dabei von den Bürgerlichen zusehen zu lassen. Die Garderobieren und die Mädchen mit den Zigarettenbauchläden hatten Uniformen getragen, bei denen es eher aufs Dekolletee als auf die Zweckmäßigkeit ankam, und davon geträumt, von einem Schauspieler, Produzenten oder Sänger auf die Sonnenseite des Lebens entführt zu werden. Das hatte Joe durch die Zeitungsausschnitte und Fotos erfahren, die an der Wand hinter der Bar klebten; nicht aus persönlicher Kenntnis. Seit jenen Tagen hatte man die Bar immer weiter verkleinert. Die nach und nach abgetrennten Räumlichkeiten wurden an Buchläden und Massagesalons, einen Perückenladen und ein Tattoo-Studio vermietet. Das Innere der Rialto Lounge hatte mittlerweile eine merkwürdige Form erhalten: eng im Eingangsbereich und geräumig hinten an der Bar. Joe Gagliardi arbeitete dort nun schon seit dreizehn Jahren als Spätschicht-Barkeeper. Weder liebte er seine Tätigkeit besonders, noch hasste er sie. Es war ein Job. Er arbeitete fünf Tage die Woche, hatte eine Woche Urlaub pro Jahr und konnte sich krank melden, wenn es nötig war. Er verdiente nicht besonders viel Geld, aber es genügte, um die Miete für sein Apartment vier Blocks weiter zu bezahlen, seinen 1977erToyotaTercel aufzutanken, die Gefriertruhe mit Tiefkühlgerichten und den Kühlschrank mit Bier und Soda zu füllen. Im Urlaub fuhr er mit dem Tercel an einen Strand an der Golfküste von Mexiko, saß in der Sonne, angelte und trank, während seine Haut rot wurde und verbrannte. 17
Das Anstrengendste an seinem Job war, fand er, dass er sich immer wieder dieselben alten Geschichten anhören musste. Betrunkene hatten die Angewohnheit, sich ständig zu wiederholen – außer Betrunkenen kehrte in die Rialto Lounge niemand mehr ein. Joes Leben verlief recht eintönig. Er stand gegen elf Uhr auf, rasierte sich und duschte, sah ein bisschen fern und kam dann um ein Uhr mittags zur Arbeit. Zu diesem Zeitpunkt war die Hardcore-Sauferei längst in vollem Gange – im Grunde ging sie los, wenn Lew die Bar um sechs Uhr morgens öffnete – aber es war immer noch ruhig im Vergleich zu fünf oder sechs Uhr abends, wenn die Leute von der Arbeit hereinströmten. Den ganzen Abend zapfte Joe Bier vom Fass, schenkte Whisky aus, wischte Wasserkränze und verschüttete Getränke von der blank geriebenen Holztheke, spülte Gläser und hörte sich traurige Geschichten an von gescheiterten Beziehungen, erwachsen gewordenen Kindern und weggelaufenen Geliebten. Um neun Uhr warf er Handtuch und Schürze in den Korb für schmutzige Wäsche und ging nach Hause, um sich ein Tiefkühlgericht heiß zu machen und vor dem Fernseher zu sitzen, bis es Zeit war, schlafen zu gehen und wieder von vorn anzufangen. Der Abend, an dem der Fremde die Bar betrat, war - bis zu diesem Augenblick - nicht anders als alle anderen Abende verlaufen. Aber nun versprach er doch eine Abwechslung. Schon als der Kerl hereinkam, spürte Joe, dass an ihm etwas merkwürdig war. Das lag nicht nur an seiner Kleidung. Das Revers der Anzugjacke war schmal, die Hose weit, die dunkle, schmale Krawatte mit drei Querstreifen verziert. Komplettiert wurde das Ganze von einem braunen Filzhut mit breiter Krempe, wie er Humphrey Bogart zur Ehre gereicht hätte. Wenn man jedoch in Hollywood die Leute nach ihrer Kleidung beurteilte, konnte man schnell einmal den kommenden DiCaprio, Ribisi oder Prinze brüskieren – oder den derzeitigen. Aber das Outfit war nicht das einzig Seltsame an dem Mann, obwohl es einen ersten Hinweis lieferte. Auffällig war auch seine Haltung und seine Art, sich zu bewegen. Er kam zur Tür hereinstolziert, als gehörte ihm das Lokal, und drehte sich abrupt in die Richtung, wo früher einmal die Garderobe gewesen war. So etwas hatte Joe noch nicht gesehen. Die Leute schlichen in der Regel in die Rialto Lounge, sie schlüpften verschämt herein – oder kamen bereits betrunken angetorkelt und konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. In dieses Lokal kam man nicht, um gesehen zu werden; man kam, um seinem Leben zu entfliehen und das Bewusstsein in Alkohol zu ertränken. 18
Der Mann mochte Mitte dreißig sein. Er war fit und gesund, und er war nüchtern. Mit seinen klaren hellblauen Augen schien er jedes Detail im Lokal zu prüfen und zu registrieren. Seine Nase musste ein, zwei Mal gebrochen sein, denn sie war ein bisschen krumm. Eine Zigarette klemmte zwischen seinen Lippen. Verblüfft betrachtete der Fremde die Wand, wo einmal die Garderobe gewesen war, drehte sich um und kam zielstrebig auf Joe zu, der gerade dabei war, Gläser abzutrocknen. »Sie sind aber nicht Bert!«, sagte der Mann, als hätte er fest damit gerechnet, diesen hinter der Theke anzutreffen. »Stimmt, bin ich nicht.« »Wo ist Bert denn?« »Hier arbeitet niemand, der Bert heißt. Ich glaube, ich kenne nicht einmal einen Bert, um ehrlich zu sein.« »Das ist doch die Rialto Lounge, oder?« »Ja, sicher.« »Bert hat abends hier gearbeitet, als ich zuletzt vorbeigeschaut habe.« »Tja, jetzt arbeitet er aber nicht hier.« Der Typ sah sich wiederum und inspizierte den Bereich hinter der Theke, als hätte sich Bert irgendwo versteckt. »Tut er also nicht. Wo ist denn die Zigarettenverkäuferin?« Joe blinzelte erstaunt. »Die Zigarettenverkäuferin?«, wiederholte er kichernd. »Kumpel, man darf hier nicht mal rauchen! Im Ernst...« Er knallte einen Aschenbecher auf die Theke. »Machen Sie ihre Kippe aus, bevor ich 'ne Anzeige kriege.« Der Typ blickte verwirrt drein, drückte aber die Zigarette aus. Joe leerte den Aschenbecher und räumte ihn sofort wieder weg. Die meisten der Stammkunden waren zu sehr mit Trinken beschäftigt, um das Gespräch überhaupt mitzubekommen, geschweige denn, sich über den Rauch zu beschweren. »Man kann hier nicht rauchen?«, fragte der Typ völlig perplex. »Was ist das denn für ein Laden?« »Die Rialto Lounge, wie Sie sagten.« »Sieht mir aber nicht danach aus«, entgegnete der Typ. »Keine Garderobe, keine Zigarettenverkäuferin, keine Bühne für Musik. Wissen Sie überhaupt, wie man einen Martini oder einen Tom Collins mixt?« »Wenn Sie ein Bier und einen Whisky wollen, Kumpel, kann ich Ihnen helfen. Wenn Sie etwas Komplizierteres wollen, stehen Sie dumm da. Und erzählen Sie mir nichts von Weinkühlern oder süffigen Chardonnays, sonst muss ich Sie mit raus nehmen und zusammenschlagen.« 19
Der Typ betrachtete ihn aus seinen blassblauen Augen. »Ich glaube, mir hat Bert besser gefallen«, sagte er. »Was ist mit Hal? War Hal letzte Zeit hier?« »Hal wer? Noch jemand, der hier nicht arbeitet?« »Wechsler heißt er. »Hal Wechsler. Kommt ständig hierher.« »Ich kenne niemanden, der Wechsler heißt«, sagte Joe. Der Typ griff in die Tasche und zog eine goldene Klammer hervor, in der zusammengefaltete Geldscheine steckten. Er zog eine Fünf-DollarNote heraus und legte sie auf die Theke, Gesicht nach oben. Joe grinste auf Abe Lincoln herab, als er den Schein mit der Hand von der Theke wischte und in seiner Tasche verschwinden ließ. »Kennen Sie Hal immer noch nicht?«, fragte der Typ. »Ich habe immer noch nicht von ihm gehört.« Blitzschnell streckte der Mann die Hände aus und packte Joe am Hemdkragen. Er riss seinen Kopf nach unten, und Joes Kinn krachte auf die Theke. In dieser Position hielt ihn der Typ fest und kam ihm mit seinem Gesicht ganz nah. »Kumpel, ich glaube ich mag Sie nicht«, knurrte er durch die zusammengebissenen Zähne. »Ich glaube, Sie sind nicht ehrlich zu mir. Ich gebe Ihnen jetzt ein paar Sekunden, damit Sie ihre Meinung ändern können und aufhören, Unsinn zu reden. Können Sie mir folgen?« »Ich ... kann Ihnen folgen«, keuchte Joe. Er bekam fast keine Luft mehr. »Aber ich kenne diese Leute nicht, von denen Sie reden. Vielleicht ist es der falsche Laden, oder so. Ich weiß es nicht. Wenn ich etwas wüsste, würde ich es Ihnen sagen.« Mit einem energischen Stoß ließ der Mann Joe los. »Das klingt schon besser«, sagte er. Er zog eine Visitenkarte aus der Tasche und legte sie auf die Theke. »Wenn Ihnen etwas einfällt, rufen Sie mich an! Verstanden?« »Okay«, antwortete Joe. »Verstanden.« Der Mann drehte sich um und ging hinaus. Joe sah ihm hinterher, bis die Tür hinter ihm zugefallen war. Dann nahm er die Visitenkarte und betrachtete sie. In der Mitte war ein großes stilisiertes Auge gezeichnet. Darüber stand der Name Mike Slade, darunter »Privatdetektiv« und eine Telefonnummer mit nur fünf Zahlen. Joe rieb sich den Hals und beobachtete die umstehenden Trinker. Niemand blickte zu ihm hinüber. Wenn jemand den Zwischenfall überhaupt bemerkt hatte, gab er sich jedenfalls größte Mühe, so zu tun, als hätte er nichts gesehen. Mike Slade blieb auf dem Gehsteig stehen und blinzelte in das Licht der hohen Laterne auf der anderen Straßenseite. Natürlich war es ein 20
wenig optimistisch gewesen anzunehmen, dass sie immer noch in der Bar arbeitete. Zu viele Jahre waren inzwischen vergangen, wie er mit einem Blick auf das Datum der Zeitungen festgestellt hatte, die auf der Straße verkauft wurden. Aber manche Menschen blieben Jahrzehnte am gleichen Ort, ohne ihr Leben großartig zu verändern. Und da das Lokal seine heißeste Spur war, hatte er gehofft, auch Betty wäre nicht fortgegangen. Er wandte den Kopf und blickte zu dem verwitterten Schild mit dem Schriftzug »Rialto Lounge«. Es sah genau so aus, wie er es im Gedächtnis hatte: Es ragte in Form eines Saxophons schräg in die Straße hinaus und war verziert mit verschnörkelten Leuchtbuchstaben. Allerdings hatte das Schild früher Tag und Nacht geblinkt, und man hatte den zuckenden Neonschriftzug schon von weitem erkennen können. Nun waren nur noch die Neonröhren zu sehen, die schon lange nicht mehr leuchteten. Alles war anders als früher. Mike Slade gefiel dies gar nicht. Zum Beispiel die Autos, die auf der Straße vorbeifuhren. Sie waren klein und kastenförmig und boten einen merkwürdigen Anblick. Manche Marken erkannte er – Ford und Chevrolet und gelegentlich einen Dodge – aber nicht die Modelle. Manche sahen nicht einmal wie Autos aus; sie wirkten eher wie Lieferwagen; allerdings waren sie schnittiger und hatten mehr Fenster als diese. Auch das Benehmen der Insassen hatte sich verändert. Sie spähten argwöhnisch durch fest verschlossene Scheiben aus ihren Autos. Slade war es gewöhnt, dass die Leute mit offenem Fenster fuhren, den linken Ellbogen heraushängen ließen, rauchten, Handzeichen gaben und gelegentlich Nachbarn zuwinkten. Alles war anders, wurde ihm klar. Nicht besser, nur anders. Alles bis auf ihn selbst. Mike fühlte sich wie immer. Vielleicht waren seine Methoden mittlerweile veraltet, aber er musste die Dinge nehmen, wie sie waren. Die Welt hatte sich weitergedreht, während er schlief. Nur er war immer noch der Alte, weil er von all dem nichts mitbekommen hatte. Daran konnte er nichts ändern. Er hatte begriffen, was geschehen war. Wie und warum, wusste er zwar noch nicht, aber er würde es herausfinden. Fragen zu beantworten war schließlich die Aufgabe eines Privatdetektivs. Und das genau war er. Ein Schnüffler. Ein Spion. Ein privater Ermittler. Wenigstens war er das bis zu dem Tag gewesen, an dem er ermordet worden war. An diesen Tag erinnerte er sich noch sehr gut; an jede einzelne Sekunde. Der zwölfte November 1961 war ein frischer Herbsttag 21
gewesen. Während der Nacht zuvor hatte es geregnet. Die Stadt war wie reingewaschen gewesen und hatte in der Sonne geglänzt, als er von seinem Apartment oben am Hollywood Boulevard zu seinem Büro auf der Argyle Avenue unterwegs gewesen war. »Take Five«, wie er sich erinnerte. Als er Lamont zugewinkt hatte, der den Zeitungskiosk an der Ecke betrieben hatte, und das Bürogebäude betreten hatte, war er zu Bobby Darins »Lazy River« übergegangen. Elvis Presley hatte damals gerade ein paar Schallplatten herausgebracht, aber aus seiner Musik hatte sich Slade nicht viel gemacht. Unglücklicherweise schien dieser Rock 'n' Roll jedoch damals ziemlich gut anzukommen. Und dann ... In der Empfangshalle begrüßte er Philip, den Liftboy, der ihn mit in den vierten Stock nahm. Als er den Schlüssel ins Schloss der Tür von Suite Nummer 411 steckte, bemerkte er, wie leicht er sich drehen ließ – zu leicht. Slade war sofort mit der Hand an seiner Pistole, aber bevor er sie ziehen konnte, riss jemand die Tür von innen auf. Er wurde von hinten angerempelt und in sein Büro geschubst. Als er wieder auf die Beine kam, war die Tür bereits verschlossen und verriegelt. Erblickte in die Läufe von zwei stupsnäsigen 38ern. »Du hast die freundlichen Warnungen ignoriert, Kumpel«, drohte ihm einer der Kerle, ein Blonder mit Igelfrisur, der zu seinem schwarzen Nadelstreifen-Anzug abgewetzte braune Halbschuhe trug. Der andere Typ, dunkelhaarig, die lange Mähne mit Pomade zurückgekämmt, hatte einen grauen, ausgebeulten Anzug getragen, dazu aber glänzend polierte schwarze Schuhe. »Ich höre nicht auf Warnungen von Ganoven wie Wechsler«, erklärte Slade. »Und ihr könnt ihm sagen, wenn er eine Nachricht für mich hat, soll er selbst kommen.« »Er hat keine Nachrichten mehr für dich«, antwortete der Blonde. »Genau«, ergänzte der Dunkle fröhlich. »Außer der Letzten: Er bat uns, dir Good-bye zu sagen.« Dann eröffnete er das Feuer. Slade erinnerte sich an die ersten Blitze aus dem Pistolenlauf. Er erinnerte sich auch daran, einen Blick auf Wechsler erhascht zu haben, der aus einem Versteck in der Ecke trat. Er war merkwürdig gekleidet gewesen, hatte einen flatternden schwarzen Umhang oder etwas Ähnliches getragen. Aber Slade hatte ihn nicht gut erkennen können. Und dann hatte er gar nichts mehr gesehen. Die Schüsse selbst hatte er nicht mehr gehört. 22
Danach war nichts mehr gewesen. Keine Dunkelheit, keine Stille, keine Leere. Als sein Schlaf gestört worden war, und er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, war es ihm erschienen, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen. Aber das stimmte natürlich nicht, wie ihm gleich in dem Augenblick klar geworden war, in dem das Abrisskommando die Wand durchbrochen hatte, die ihn gefangen gehalten hatte. Zuerst hatte ihn diese Erkenntnis erschreckt. Slade hatte begriffen, dass er tot gewesen war, nun aber wieder lebte. Er wusste, dass er auf irgendeine Weise die Gesetze der Natur verletzt hatte. Eigentlich sollte er nicht mehr auf dieser Welt sein. Er hatte in einem anderen leer stehenden Gebäude in der Nähe Zuflucht gesucht und dort zusammengekauert verharrt und auf die – ebenso fremdartigen wie wohlbekannten – Geräusche von Los Angeles gelauscht. Es mussten einige Stunden vergangen sein, bis er bemerkte, dass er die Kälte des Betonbodens tatsächlich spürte, die durch seine Kleidung drang. Er fuhr mit den Fingern über die Steinmauer und fühlte, wie rau die Oberfläche war. Dann leckte er über die Steine und genoss den staubigen Geschmack auf seiner Zunge. Offenbar funktionierten alle seine Sinne wieder. Den Rest des Tages blieb er in seinem Versteck, bevor er schließlich den Mut hatte, es zu verlassen. Er verbrachte einige Zeit damit, sich neu zu orientieren. Wo früher die Garage gewesen war, in der er seinen 58er Plymouth Valiant abgestellt hatte, befand sich nun eine Art chinesischer Donut-Laden. Deshalb ging er davon aus, dass sein Auto längst verschwunden war. Letztendlich war es der Gedanke an Wechsler, der ihn aus seinem Versteck trieb. Er hatte keine Ahnung, wie lange er tot gewesen war oder welches Jahr man nun schrieb. Aber wenn Wechsler in dieser fremden Zukunftswelt noch lebte, dann sollte er für seine Verbrechen bezahlen. Dieser Fall war noch nicht abgeschlossen. Und Mike Slade gab erst auf, wenn ein Fall gelöst war, und er den Schuldigen gestellt hatte. So wollte er es auch weiterhin halten. Aber er brauchte einen Ausgangspunkt. Die Fährte war natürlich mittlerweile kalt. Wenn sogar die einst so noble Rialto Lounge vergammelt war, musste sich vieles verändert haben. Veronica war in der Lage, ihn auf den neuesten Stand zu bringen; dessen war er sich gewiss. Seit Veronica Chatsworth im Alter von achtzehn mit dem Bus aus Indianola, Iowa, gekommen war, war sie fast sieben Jahre lang seine Sekretärin gewesen. Mike entdeckte eine 23
Telefonzelle an der nächsten Ecke, ging darauf zu und kramte ein Fünfcentstück aus der Tasche. Die Telefonzelle hätte gut aus einem Flash-Gordon-Film stammen können, dachte er. Immerhin waren jedoch noch Nummern auf dem Apparat – auf einem Tastenblock, nicht auf einer Wählscheibe, aber das war leicht zu durchschauen – und es gab einen Schlitz für Münzen. Der Hinweis über dem Schlitz besagte allerdings, dass ein Ortsgespräch fünfunddreißig Cents kostete. Das war" glatter Wucher! Ein Mittagessen für fünfunddreißig Cents, das mochte ja noch angehen, aber ein Anruf sollte nun wirklich nicht mehr als fünf Cents kosten! Eine andere Münze besaß er nicht. Er hatte immer eine Münze in der Tasche gehabt, falls er dringend telefonieren musste. Eine Münze und die Scheine in seiner Geldklammer. Empört verließ er die Telefonzelle und wartete auf dem Hollywood Boulevard, bis ein Taxi vorbeikam. Er winkte und pfiff und stieg hinten ein, als der Wagen anhielt. Der Fahrer schien Ausländer zu sein, jedenfalls war sein Name so lang wie Slades Arm. Aber als er ihm die Adresse von Veronica Chatsworth in Silver Lake gab, nickte der Fahrer, lächelte und trat aufs Gaspedal. Slade lehnte sich zurück und sah sich die merkwürdige neue Welt an, die am Fenster vorbeizog.
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Detective Kate Lockley stand in dem Abrissgebäude auf der Argyle Avenue in Hollywood und sah zu, wie ein paar Beamte vom Dezernat für ungeklärte Todesfälle die Überreste eines zerfallenen Skeletts in einen Leichensack scharrten. Wahrlich kein schöner Anblick! Charles Frezzano, der mit dem Fall betraute Spurensicherungsexperte des LAPD, hatte stundenlang den Fundort untersucht. Nachdem der Bautrupp den Fund gemeldet hatte, war das Gebäude von den ersten Beamten vor Ort abgesperrt worden. Wenige Minuten später hatte man Kate informiert, und Frezzano war etwa eine halbe Stunde nach ihr eingetroffen. Es gab viele Orte, an denen Kate den Abend lieber verbracht hätte. In diesem Gebäude gab es fast keine Fenster mehr und nur noch wenige Wände. Unten brüllten die Generatoren und große Scheinwerfer auf Stativen tauchten das Gebäude in Licht. Aber da Frezzano den Leichenfundort in einem möglichst unveränderten Zustand brauchte, verbreiteten die Lampen im vierten Stock nur ein sehr schwaches Licht. Heizgeräte gab es überhaupt nicht. Kate zog den Reißverschluss ihrer weichen Lederjacke zu, nahm sich ein Paar Handschuhe und beobachtete Frezzano, während er den Raum langsam und systematisch durchsuchte. Nach einer Stunde streifte er frustriert seine Latexhandschuhe ab und schob sie in die Tasche. »Das Verbrechen liegt Jahrzehnte zurück, Kate. Ich würde sagen, plus/ minus vierzig Jahre. Und seitdem sind ständig Leute in diesem Gebäude ein- und ausgegangen.« »Also gibt es keine Spuren mehr?« »Sag niemals nie«, entgegnete er nachdenklich. Er war um die fünfzig und gewissermaßen schon seit Ewigkeiten bei der Spurensicherung. Eine Schildpattbrille mit dicken Gläsern dominierte sein schmales Gesicht. Seine dichten Haare waren weiß. »Jedoch findet hier das Gesetz von der abnehmenden Wahrscheinlichkeit Anwendung. Ich werde mal genauer hinter diese Mauer schauen, denn der Raum auf der Rückseite war so lange von der Welt abgeschnitten, wie der Tote sich dort befand. Sobald sie die Leiche aus dem Weg geschafft haben, sehe ich mir dieses Verließ mal an. Vielleicht gibt es noch Spuren an der Mauer.« 25
»Ist einen Versuch wert. Und was können Sie anhand der Leiche noch herausfinden?« Frezzano sah sie über den Rand seiner dicken Brille an. »Also, bestimmt die Todesursache. Auf den ersten Blick würde ich sagen, wir werden Schusswunden finden. Hoffentlich gibt es in diesem Rattenloch weitere Hinweise.« »Das wäre hilfreich«, pflichtete ihm Kate bei. »Zweifelsohne. Aber auf viel würde ich nicht hoffen.« »Glauben Sie, man kann das Opfer identifizieren?«, fragte sie. Frezzano strich sich mit seinen langen, dünnen Fingern übers Kinn. »Möglich«, entgegnete er ohne viel Enthusiasmus. »Es gibt keine Haut mehr an den Fingern, von der man Abdrücke nehmen könnte. Zahnarztunterlagen aus den Fünfzigern und Sechzigern sind keine so zuverlässige Quelle wie heutzutage. In dieser Zeit hat sich der Mord ereignet, vermute ich. Aber den Zeitraum werden wir bald einengen können und dann sehen wir, wo wir stehen.« Kate drehte sich langsam um die eigene Achse und taxierte den Raum, als wollte sie ihn zwingen, sein Wissen zu offenbaren. »Sie wollen mir also sagen, Charles, dass wir im Grunde gar nichts haben.« Er kicherte. »Kate, niemand erwartet von Ihnen, dass Sie alle Fälle lösen. Und schon gar keine, die vierzig Jahre zurückliegen!« »Das sagen Sie!« »Ich werde Sie anrufen und wissen lassen, was ich herausfinden konnte. Sie brauchen nicht länger hier zu warten.« »Danke, Charles!« Kate verabschiedete sich und stieg die Treppen hinab. Unterwegs nickte sie einigen Beamten zu, die das Gebäude absicherten. Sogar zu dieser frühen Morgenstunde hatte sich eine kleine Zuschauermenge versammelt, und ein Team von den Fernsehnachrichten war mit Kameras, Lichtern und einem Reporter aufgetaucht. In Hollywood drehte sich einfach alles ums Showbiz! Die Beamten hatten die Mitarbeiter der Abrissfirma versammelt, um sie zu befragen. Diese Männer und Frauen wurden nun schon Stunden über ihre Arbeitszeit hinaus auf der Baustelle festgehalten. Sie hatten ihre Familie anrufen und die Abendpläne absagen können, aber bevor sie nicht ihre Aussage gemacht hatten, saßen sie in Hollywood fest. Mittlerweile waren fast alle verhört worden. Einer der Letzten war ein kräftiger Mann namens Blake. Er war der Vorarbeiter und hatte die Polizei verständigt. Officer Johannsen sprach gerade mit ihm, und Kate trat dazu. »Sind Sie Mister Blake?«, fragte sie. »Bin ich«, antwortete der Mann müde. 26
»Ich weiß, es war ein ungeheuer langer Tag für Sie, Mister Blake«, sagte Kate mitfühlend. »Dafür entschuldige ich mich.« »Sie können ja nichts dafür!« »Nein, kann ich nicht. Aber ich habe vor herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist. Die Tat liegt nach ersten Erkenntnissen an die vierzig Jahre zurück. Der Tote, den Sie oben gefunden haben, war definitiv das Opfer eines Mordes.« »Tut mir Leid zu hören, Madam.« Blake hatte vor Müdigkeit schwere Augenlider und Ringe unter den Augen, aber es war immer noch ein Funkeln in ihnen. Sein buschiger Schnurrbart zuckte, als er lächelte. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber ich muss Ihnen sagen, dass ich vor vierzig Jahren noch nicht auf dieser Baustelle gearbeitet habe.« »So lange sind Sie ja wohl auch noch gar nicht auf der Welt!«, entgegnete Kate. »Aber es wäre schön, wenn Sie sich daran erinnern könnten, ob Ihnen während der Abrissarbeiten irgendetwas aufgefallen ist. Rufen Sie mich an, wann immer Ihnen etwas einfällt! Auch, wenn es etwas ist, das Ihnen völlig unwichtig erscheint. Bei der Lösung eines so alten Falls kann für uns jedes noch so kleine Detail von Bedeutung sein.« »Was meinen Sie denn mit >etwas