Hexenberg Roman von Reiner Vial
Hexenberg © 2002 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte bleiben vorbehalten...
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Hexenberg Roman von Reiner Vial
Hexenberg © 2002 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte bleiben vorbehalten WICHTIG! Ich stelle diesen Roman auf meiner Homepage http://www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Dieser darf, ausschließlich unverändert und ungekürzt, auf Datenträger oder als Ausdruck beziehungsweise Kopie, grundsätzlich nur kostenlos, weitergegeben werden. Jede kommerzielle Verwendung und Wiedergabe in Publikationen aller Art, auf privaten wie gewerblichen Homepages und in elektronischen Medien ist nur nach meiner vorhergehenden Zustimmung und eventueller Honorarvereinbarung erlaubt. Dieses gilt sowohl für die vollständige wie auszugsweise Wiedergabe. Grundsätzlich muss immer auf meine Urheberschaft und meine Rechte hingewiesen werden! Bei jeder Verwendung oder Wiedergabe entgegen vorstehender Bedingungen, bei Verfälschung oder nur Veränderung der Texte sowie bei jeder Art des Diebstahls meines geistigen Eigentums, ganz oder teilweise, behalte ich mir sowohl straf- wie zivilrechtliche Schritte vor!
Zum Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Hinweis: Die unterstrichenen Kapitelbezeichnungen (z.B. Kapitel 1 ) sind Hyperlinks. Wenn Sie hier klicken, gelangen Sie direkt auf die Seite, auf der das gewünschte Kapitel beginnt. Hexenberg – Vorwort....................................................... Vorwort Bis dahin war alles normal................................................ Kapitel 1 Und jetzt machen wir Fernsehen....................................... Kapitel 2 Oh je, ob das gut geht?...................................................... Kapitel 3 Wer will, der darf............................................................... Kapitel 4 Lauf nicht ins offene Messer.............................................. Kapitel 5 Vertagen kann zur Regel werden........................................ Kapitel 6 Gegenseitig erwischt........................................................... Kapitel 7 Asyl in der Liebeslaube...................................................... Kapitel 8 Das Ende des Kaufmann Schöller....................................... Kapitel 9 Das Ende vor dem Anfang.................................................. Kapitel 10 Der Prophet vom Hexenberg............................................... Kapitel 11 Looser unter sich................................................................. Kapitel 12 Lasst aber meinen Namen raus............................................ Kapitel 13 Die Erste will die Dritte sein............................................... Kapitel 14 Schön wäre es ja.................................................................. Kapitel 15 Unerwartete Schützenhilfe auf allen Gebieten.................... Kapitel 16 Renaissance der ersten Ehe................................................. Kapitel 17 Eine Scheidung, die nicht stattfindet................................... Kapitel 18 Das Ende des Propheten...................................................... Kapitel 19 Radiovision Neuheim jetzt startklar.................................... Kapitel 20 Verlobung ohne Brauteltern............................................... Kapitel 21 Brief an den einzigsten Menschen...................................... Kapitel 22 Komm zurück nach Hexenberg........................................... Kapitel 23 Österliche Familienauferstehung......................................... Kapitel 24 Die letzte Klappe vor der ersten.......................................... Kapitel 25 Naked facts, eine echt heiße Sache...................................... Kapitel 26 Freunde sollte man sich genau anschauen........................... Kapitel 27 Die Ruhe, Mutter von Weisheit und Glück......................... Kapitel 28 Auch Sex kann in die Pleite führen..................................... Kapitel 29 Der Traum vom neuen Fernsehen........................................ Kapitel 30 Die Hochzeit ist eine Kriegserklärung................................. Kapitel 31 Der Schlüssel ist am Hexenberg begraben........................... Kapitel 32 Reiner will unter die Bauern gehen...................................... Kapitel 33 Ein unendlicher Urlaub beginnt........................................... Kapitel 34 Ein Traum erfüllt sich von alleine........................................ Kapitel 35 Die Offenbarung vom 11. September.................................. Kapitel 36 Und jetzt leben wir endlich.................................................. Kapitel 37 Zum Vorwort
Zum Inhaltsverzeichnis
Hexenberg – Vorwort Wie kommt es eigentlich, dass heutzutage, soviel konfuses Zeug als der Weisheit letzter Stand gilt? Okay, diese Frage ist böse provokatorisch aber leider nicht von sehr weit hergeholt. Da sagte mir doch 1999 ein Bekannter, dass sich die Zahl der Internetanschlüsse in Deutschland bis Mitte des kommenden (also jetzigen) Jahrhunderts jährlich verdoppeln würde. Meine Gegenrechnung konnte ihn absolut nicht überzeugen: 1999 gab es 18 Millionen Internetteilnehmer in Deutschland. Bei einer Verdoppelung heißt das in 2000 gleich 36 Millionen, in 2001 sind es 72 Millionen und jetzt im Jahre 2002 wären es, laut seiner Aussage, 144 Millionen gewesen. Hätte das gestimmt, was damals analysiert worden ist, hätten wir jetzt 62 Millionen Internetanschlüsse mehr als Einwohner. Da kann doch beim besten Wohlwollen irgend etwas nicht stimmen. Aber mein Bekannter hat seine Aussage aus einem Wirtschaftsmagazin ... und die Leute haben ja wohl mehr Ahnung von der Sache wie ein Reiner Vial, der mit ganz einfachem kleinem Einmaleins ein Schnellballsystem entlarvte. Ein anderer Bekannter, der mich zu meiner ehemaligen SPD-Mitgliedschaft rückbekehren wollte, versuchte mir klarzumachen, das an der Globalisierung kein Weg vorbeiführe. Auf meine Rückfrage was denn Globalisierung eigentlich sei bekam ich zwar eine Reihe von Schlagwortargumenten aber keine Erklärung des Wortes Globalisierung. Das es sich dabei um die Deregulierung der Kapital- und Handelsmärkte handelt wusste er nicht. Was aber beide Leutchen, der internette und der globalisierende Zeitgenosse gemeinsam haben ist keine Zeit; keine Zeit um über dieses oder jenes mal nachzudenken. Warum auch, es gibt ja Leute, die dafür bezahlt werden. Mir scheint es das Problem heutzutage zu sein: Keine Zeit zum Denken. Man muss ja immer ‚in’ sein und überall dabei sein. Immer wieder Termine, Termine und Termine, hier ein Date, da ein Event und dort eine Konferenz. Da bleibt keine Zeit um sein eigenes Handeln zu überdenken. Man weiß selbst nicht, welchen Sinn das Ganze noch hat, was es dem Einzelnen und/oder Gemeinschaft an Lebensqualität bringt. Man existiert und funktioniert. Folge dieser „Denkfaulheit“ ist auch eine zunehmende Naivität. Nichts wird kritisch hinterfragt, geschweige denn mit Logik analysiert. Man lässt sich Trends und Meinungen vorgeben und übernimmt diese weil scheinbar alle die für richtig halten. Man denkt ja nicht daran, dass die anderen auch nicht gedacht haben. Unter solchen Voraussetzungen ist das Ergebnis der P.I.S.A.-Studie, über die man sich so verwundert gab, keinesfalls überraschend. Warum sollen Schüler dem Denksport nachkommen wo Eltern und Lehrer dieser anstrengenden Tätigkeit die Abkehr erklärt haben. Aber Denken ist die wichtigste Voraussetzung fürs Lernen; dabei sein reicht beim besten Willen noch nicht einmal fürs Notdürftigste aus. Diese allgemeine Naivität kann natürlich, wenn man genügend „Kleingeld“ hat, für allerlei Zwecke ausgenutzt und missbraucht werden. Wer Geld hat kann sich entweder selbst Medien zulegen oder er kann den Zugang zu diesen bezahlen. Dann brauch man nur der naiven Masse oft genug wiederholen, was einem selber nützt und die Naivlinge geben das, was alle sagen als ihre Meinung aus. Aber Falsches wird nicht dadurch richtig, das es alle sagen. In der Weltgeschichte gingen die großen Anstöße immer von Einzelnen, die sich nicht der Meinung aller angeschlossen haben, aus. Klar, der Einzelne kann ja nur durch Nachdenken auf seine Meinung gekommen sein, der kann ja niemanden, der dafür bezahlt wird, nachgeplappert haben. Man hört auch oft, dass ein großer Werteverlust beklagt wird. Aber wenn man nicht einmal über Sinn und eigene Standpunkte nachdenkt, was soll man dann noch mit Werten anfangen. Und wo sind diejenigen, die die Werte vermitteln sollen, die Kirchen? Na ja, die verschanzen sich hinter ihren Kirchenmauern und legen Bibeltexte im Sinne von Naivgläubigkeit aus. Wie kann sich denn ein Pfarrer „erdreisten“ Stellung zu den Problemen des Alltags und der Gesellschaft beziehen? Sagte mir nicht mal ein Pfarrer ich dürfe nicht alles durch die gesellschaftliche Brille sehen. Aber hat Gott die Welt geschaffen, damit wir uns in etwas, über das wir uns eigentlich kein Bildnis machen sollten, auf naive Weise vergeistigen? Oder ist der wesentliche Punkt der Schöpfung das Leben, dass sich nach seinem Willen vervollkommnen sollen. Vervollkommnen heißt aber teilnehmen und Bewusstsein bilden, heißt leben. Aus meiner Betrachtungsweise wurden uns durch die Gebote eine Lebensordnung, die Werte, vorgegeben unter die es sich am Besten leben lässt. Aber wer vermittelt uns diese? Na ja, wenn man bewusst glaubt und nicht naiv dem folgt, was man da vorgeplappert und vorgebetet bekommt, dann muss man ja auch denken ... und das ist ja, wie ich zuvor schrieb, das große Problem. Alles nur Nihilismus und Nörgelei? Oh nein, reiner Alltag, nur nicht so auf den ersten Blick durchschaubar. Mit dem Roman „Hexenberg“ möchte ich einmal an Hand einer Geschichte, wie sie tatsächlich in unseren Tagen geschehen sein könnte, vorgenannte „großen Worte“ an praktischen Beispielen vorführen. Ich habe auch Lösungsansätze parat, die ich aber an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte. Denn schließlich muss sich ja
das Lesen dieser freierfundenen Erzählungen lohnen. Also, wie geschrieben sind alle Personen und Handlungen freierfunden, aber reine Fiktion ist dieses natürlich auch wieder nicht. Alle Personen haben lebende Vorbilder aber haben nie in dem Zusammenhang, wie es hier niedergeschrieben ist, zusammen gehandelt. Nachrodt-Wiblingwerde, im Juni 2002
Zum Kapitel 1
Zum Inhaltsverzeichnis
Bis dahin war alles normal Meinen Bericht beginne ich mal damit wie jemand in den April geschickt wurde; nicht nur in den April sondern in ein ganzes Leben. Dieser „Jemand“ war ich, Reiner Schreiber, der am 1. April des Jahres 1948 ins Leben geschickt wurde. Es war des Morgens kurz nach Sechs, als über der Kreisstadt Neuheim die Sonne aufging, als ich mich im dortigen Marienhospital schreiend unter die Lebenden mischte. Aber wie jeder andere auch kann ich mich daran beim besten Willen nicht erinnern, denn ich bin weder als Wunderknabe geboren noch bin ich zu einem solchen geworden. Das was ich von jenem Tage weiß habe ich den Erzählungen meiner Eltern entnommen. Daher weiß ich, dass es sich um einen Donnerstag handelte und ich an diesem Tage schon ein Weilchen überfällig war, denn den Termin hatte man schon über eine Woche früher ausgeguckt. Meine Mutter erzählte immer, dass es keine leichte Geburt war und ich damals ein schwerer Brocken gewesen sei. Mein „alter Herr“ war zu jener Zeit ein selbstständiger Schneidermeister und meine Mutter, die ursprünglich mal Frisöse gelernt hatte, betätigte sich zur gleichen Zeit als Hausfrau, was ja damals jedoch nichts Außergewöhnliches war. Was ich ansonsten noch aus dem Jahre 1948 weiß ist, dass ich Ende Mai in der alten evangelischen Kirche Neuheim, die Anfang der 60er-Jahre durch die neue Friedenskirche abgelöst wurde, von Pastor Neumann, der mich später auch noch, bevor er in den Ruhestand ging, konfirmierte, getauft wurde. Meine ersten eigenständigen Erinnerungen gehen auf die Zeit zurück, als ich bei Tante Gisela in den Kindergarten ging. Ja, so ändern sich die Zeiten; wer würde heutzutage noch eine Kindergärtnerin mit Tante anreden. Allerdings weiß ich heute auch aus der Kindergartenzeit nicht mehr das Meiste. Da sind da nur so die Erinnerung daran, dass, wenn wir des Mittags nach Hause gebracht wurden ein längeres Seil mit Schlaufen rechts und links hatten, an den wir anfassen mussten. Ab und zu begleitet uns, wenn er früher aus der Schule kam, mein „großer“ Vetter Frank. Er war damals 10 und wohnte im gleichen Haus wie wir. Das Haus, Mitten in der Innenstadt, gehörte meinem Opa und wurde Mitte der 60er-Jahre im Zuge der Innenstadtsanierung abgerissen. Seitdem wohnten wir dann in einer Mietwohnung in der Neuheimer Feldstraße; meine Eltern bis sie 1987 und 1990 starben und ich bis zu meiner ersten Hochzeit. Aber ich wollte ja eigentlich jetzt erst mal mein Kindergartenabenteuer mit Frank erzählen. Während eines Heimmarsches unserer Kindergruppe erzählte er mir von Esskastanien (Maronen) und Klein Reiner assoziierte generell auf Kastanien. Am Nachmittag sammelte ich einige vor unserem Haus und führte mir diese zu. Die müssen mir offensichtlich ganz gut geschmeckt haben, denn ich habe es nicht nur bei einer Kastanie belassen. In Folge war ich furchtbar krank und im Familienkreis herrschte Stimmung und Konfetti. Meine Eltern gaben dem „bösen Frank“ die Schuld und der bekam auch seine „Tracht“ und durfte mich fortan nicht mehr vom Kindergarten „abholen“. Na ja, so etwas sind natürlich Dinge, die im Gedächtnisspeicher hängen bleiben aber im Laufe der Zeit immer weiter nach hinten rutschen. Da ist von meiner Schulzeit schon eine Menge mehr hängen geblieben. Davon könnte ich bequem ein ganzes Buch mit voll schreiben. Aber was soll’s, da sich die Dinge aus der „guten alten“ Jugendzeit mit zunehmenden Alter verklären ergäbe das so eine Art „Heiler-Welt-Report“, von denen ich persönlich nicht das Meiste halte. Darüber kann man sich ja nicht aufregen und so kommt dann auch keine Diskussion zustande. Das wäre dann reiner Zeitvertreib, von dem es ja in unserer Spaß- und Geldgesellschaft soviel gibt, das man es schon als gesellschaftlich und kulturell schädlich halten kann. Vor lauter Zeitvertreib kümmert sich niemand mehr um das Wesentliche; das überlässt man Leuten, die dafür bezahlt werden. Selbst ist man lieber passiv dabei – nicht mitwirken sondern konsumieren. So belasse ich es zunächst in meinen Schulzeitbericht mal bei der Mitteilung, dass ich 4 Jahre die Evangelische Volksschule besuchte. Stopp, das ist nicht ganz richtig, denn als ich im dritten Schuljahr war bekam diese Schule den Namen „Albert-Schweitzer-Schule“. Dieser Anlass führte auch dazu, dass wir außerlehrplanmäßig sehr viel aus dem Elsass von damals und von Lambarene am Kongo lernten. Das nützte uns Schülerinnen und Schülern natürlich sehr viel als wir später auf die Städtische Realschule Neuheim kamen, denn dort hätte man es lieber gesehen, wenn statt der Biografie Albert Schweitzer besser die Inhalte des Lehrplans vermittelt worden wären. Aber was soll es, als die 6 Realschuljahre rum waren und wir unsere „Mittlere Reife“ machten waren wir, gleichgültig von welcher Volksschule wir kamen, auf dem gleichen Level. Hätte mein Herr Vater nicht seine, nicht mehr so sehr einträgliche Schneiderei 1956 aufgegeben und dann als Hilfsarbeiter in die damalige Stoffdruckerei Hönig gewechselt, hätte ich bestimmt in seine Fußstapfen treten müssen. Aber jetzt sollte aus mir was werden und so hatten Berufsberatung und meine Eltern für mich den Beruf des Schriftsetzers ausgeguckt. Ich hatte damals keinen blassen Schimmer vom Berufsleben und wenn es nach mir gegangen wäre, würde ich vielleicht heute noch als Autoschlosser an anderer Leute „Schlitten“ herumschrauben. Wer weiß, vielleicht auch nicht, denn wer kann schon sagen, was gekommen wäre, wenn es nicht so gelaufen, wie es tatsächlich gelaufen ist. Also, penetrante Lebensplanung gibt es nur bei Versicherungsfritzen und rentenkürzenden Politikussen. Wenn ich jetzt mal diese aktuelle Riester-Rente, also die Kürzung des gesetzlichen Rentenanspruches und dafür die Abschiebung in profitorientierte Privatversicherung und gleichzeitiger Umbelastung von Arbeitgeber auf Arbeitnehmer bei den Beiträgen, begutachte beruhen die Annahmen, mit dem dieser Sozialabbau begründete wurde, auf gradlinigen Lebensplanungen, die aber leider in
jedem zweiten Fall früher oder später zur Makulatur werden. Ich war schon damals als ich ins Berufsleben eintrat Opfer einer Lebensplanungsmakulatur geworden, denn sicher war es seitens meines Vaters, als er in die Nachfolge meines Opas eintrat, vorgeplant, dass ich eines Tages mal das Gleiche machen würde. Also, so kam es dann, dass ich ein Jünger Gutenbergs wurde. Ich war noch so ein alter Bleikünstler, der im Winkelhaken Letter an Letter, die spiegelverkehrt zu lesen waren, reihte um anschließend die gesetzten Zeilen mit Hilfe von Stegen, Regletten und Blindmaterial auf einem Schiff zu Druckformen zu basteln. Fotosatz gab es damals zwar auch schon. Immerhin war der Satzfotoapparat „diatype“ von der Berliner Schriftgießerei Hermann Berthold schon seit 1961 auf der Welt und als ich mit meiner Lehre begann gab es, glaube ich, sogar schon die tastaturgesteuerte Fotosatzmaschine „diatronic“. Aber den großen Durchbruch hatte diese Technik noch vor sich; wir pickten immer noch im Blei. Damals sah man als Schriftsetzer noch einer großen Zukunft entgegen. Man warb mit der Devise „Gedruckt wird immer und täglich mehr“. Das einmal der Computer diesen Beruf vollkommen umkrempeln und letztlich praktisch wegrationalisieren würde konnte damals keiner ahnen. Zwar gab es den Computer schon lange – die erste prozessgesteuerte Rechenmaschine ließ sich 1938 der Berliner Conrad Zuse patentieren – aber was man dafür auf den Tisch des Herren blättern musste, stellte sich auch für Druckereiunternehmer als Traumsümmchen dar. Ich erlernte damals meinen Beruf beim Neuheimer Kreisboten oder genauer gesagt im Druckhaus Rollmann. Eigentlich haben mir die drei Jahre Lehre ganz gut gefallen. Mein ganzes Ärgernis war das Pflicht- und Sperrfach „Entwurf und Gestaltung“, was mir später bei der Gehilfenprüfung die Note im praktischen Bereich vollkommen versaute. Im Theoretischen schloss ich mit Eins ab und im Praktischen kam ich, der ich kein geborener Malerix bin, nur auf eine Drei, denn in „Entwurf und Gestaltung“ war ich nur haarscharf an einer Fünf vorbeigerauscht. Zwei Punkte weniger und ich hätte die Prüfung wiederholen dürfen. Ein halbes Jahr nach meiner Gehilfenprüfung begann die, aus meiner heutigen Sichtweise, unnutzeste Zeit meines Lebens. 1 ½ Jahre durfte ich zu des Bundes grauen, wilden Haufen um zu lernen, dass derjenige, der schneller schießt und besser trifft, länger lebt. Kein Witz sondern diesen Dummspruch hat man uns Schlammkundlern, die man Panzerschützen nannte, eingehämmert. Ich war damals beim besten Willen kein Mustersoldat und heute betrachte ich die Tatsache, dass ich aus Bequemlichkeit zu dieser überflüssigen Einrichtung, die dem Steuerzahler bald die Hälfte seines an den Staat entrichteten Tributes kostet, gegangen bin als den wohl größten Fehler, den ich in meinem Leben begangen habe. Eigentlich hätte ich, auch schon nach meiner damaligen Auffassung, den Kriegsdienst verweigern müssen. Aber damals war die Wahl zwischen Staatsdepp und Zivi noch nicht so einfach, da musste man sich einer Gewissensprüfung, die selbst Theologiestudenten nicht auf die leichte Schulter nehmen konnten, stellen und außerdem musste man als Verweigerer nicht nur 18 sondern 24 Monate aus seiner Lebensplanung verschleudern. Aber was soll es, 1971 hatte ich alles, Schule, Lehre und Barras, hinter mich gebracht und konnte endlich daran denken mal als Schriftsetzer richtig Geld zu verdienen. Da man in der Zeitungsmettage regelmäßig des Abends und alle 14 Tage des Sonntags arbeiten „durfte“ kam da auch am Meisten „Schotter“ bei raus. Also blieb ich bei Rollmann und schusterte den Neuheimer Kreisboten zusammen. Die Arbeitszeit war nur ungünstig für das, was für 23-jährige Männer schon mal wichtig erscheint: Die Brautschau konnte nicht so richtig stattfinden. Deshalb war es für mich auch immer eine Tortur, wenn Rollmanns Töchterchen in der Setzerei erschien. An dem sexy Weib war alles dran, was bei jungen Männern etwas in Bewegung setzt. Mit mir trieb sie es besonders arg. Immer wenn sie sich aussuchen konnte, wen sie in der Setzerei ansprechen konnte, dann war ich das. Immer kam diese junge Dame sehr nah an mich heran und provozierte, auch bei Gelegenheiten wo sie nur mal vorüberging, einen flirteten Blickkontakt. So spielte sie damals in meinen privaten erotischen Träumen fast ausschließlich die Hauptrolle. Aber ein Alarmglöckchen sagte mir immer: „Pass auf, das ist die Tochter vom Alten.“. Aber als ich Anfang 1972 an einem Samstagabend in der Diskothek „Golden Gate“ auf sie traf, versagte das eben erwähnte Glöckchen. Ich ging hin und forderte sie zum Tanz, ausgerechnet zu einer Schmuserunde, auf. Sie schaute mir während des Tanzes lächelnd in die Augen und fragte: „Es ist doch richtig, du bist doch der Reiner und wie ich heiße weißt du doch sicherlich auch?“. Schüchtern erwiderte ich: „Ja, Monika.“. „Dann belassen wir es doch dabei“, fuhr sie dann fort, „oder bist du schwul? Ich schätze mal, du hast Angst vor mir.“. „Angst kann man gerade nicht sagen“, verteidigte ich mich, „aber du bist die Tochter von meinem Boss und ich möchte meinen Arbeitsplatz behalten.“. Jetzt gestand sie mir: „Das habe ich mir gedacht. Aber wenn ich dich haben will, brauchst du dir um deinen Arbeitsplatz keine Gedanken zu machen.“. Damit hatte sie mich total in Verlegenheit gebracht. Aber sie hielt nicht ein sondern powerte weiter: „Weiß du, jetzt habe ich so lange auf die heutige Gelegenheit gewartet, dass ich da jetzt nichts mehr draufsetzen möchte. Ich will mit dir schlafen und wenn du einverstanden bist hauen wir jetzt postwendend ab.“. Na ja, sie hatte sich „durchgesetzt“ und nicht ganz eine Stunde später lag ich mit ihr in der Villa Rollmann im Bett. Jetzt weiß ich heute natürlich keine Details mehr aber das es wunderschön war, wird mir wohl nie aus den Sinn gehen.
Das war also das erste Mal. Rollmanns waren an jenem Abend zunächst nicht zu Hause. Ich musste allerdings später feststellen, dass Monikas Eltern ihr gegenüber sehr tolerant oder sehr gleichgültig waren, denn das jemand bei ihrer Tochter im Bett lag, störte sie bei ihrer Rückankunft, die mir einen gewaltigen Schock eingejagt hatte, so gut wie gar nicht. Etwas später nahm ich die Anwesenheit Rollmanns auch ganz gelassen hin. Daraus kann man schon ersehen, dass es nicht bei dem einen Mal blieb. Regelmäßig hatte ich jetzt Samstag für Samstag eine Liebesnacht mit der Tochter meines Chefs. Ab und an trieben wir es auch an Wochentagsmorgende – des Abends musste ich ja immer arbeiten. Allerdings sah es der „Alte“ nicht so gerne, das ausgerechnet ich der Lover seiner Tochter war. Zum einen war ich fast ein ganzes Jahr jünger wie seine am 14. März 1947 geborene Tochter und dann war sie ja seine Tochter und ich der Sohn eines Hilfsarbeiter. Auch dass sie Abitur und ich nur mittlere Reife hatte dürfte eine Rolle gespielt haben. Im Mai 72 wollte er wohl klar Schiff machen. Monika hatte ihren Sitz in der Firma im väterlichen Büro, in das ich eines Nachmittags gerufen wurde. Monika nahm aber gleich das Steuer in die Hand und fragte ihren Vater, nachdem ich in dem angeboten Sessel ihm gegenüber Platz genommen hatte: „Sage bloß, du willst jetzt dem Vater deines künftigen Enkelkindes eine Standpauke halten. Dann nutze ich gleich die Chance und teile euch mit, dass ich schwanger bin. Mutti weiß das schon seit gestern Abend.“. Da erlebte ich, wie schnell Rollmann ein Hemd wechseln kann. Laut seinen Worten hatte er mich aus einem ganz anderen Grund bestellt. Er berichtete, dass die Aufgaben in der Lokalredaktion Saßmannshausen, einem Städtchen mit damals etwa 25.000 Einwohnern im Kreis Neuheim, mächtig gewachsen seien und der dortige Leiter der Lokalredaktion Kampmann in den nächsten 2 oder 3 Jahren zum Ruhestand anstände. Rollmann will sich gedacht haben, dass der alte Kampmann sich seinen Nachfolger selbst groß ziehen sollte. Jetzt wollte mich der Boss fragen ob ich nicht Lust hätte in der Saßmannshausener Lokalredaktion zu volontieren. Monika hielt es später für möglich, dass dieses sogar von vornherein seine Absicht, allerdings aus einem anderen Grunde, gewesen sein könnte, denn dann wäre ich erst mal in Saßmannshausen aus dem unmittelbaren alltäglichen Umfeld seiner Tochter gewesen. Allerdings, so spekulierte Monika, dürfte er dann gleich ein Kontaktverbot mitbeabsichtigt haben. Das ging jetzt natürlich in die andere Richtung; ich wurde für den Sonntagnachmittag zu einer familiären Runde in seine Villa gebeten. Das Ergebnis war klar: Vier Wochen später war ich sein Schwiegersohn und nach der Flitterwochenreise, einer Kreuzfahrt von Genua nach Piräus – natürlich vom Alten spendiert – volontierte ich bei Wolfhard Kampmann in Saßmannshausen. So war ich 1972 meinen Schriftsetzerberuf und meine Junggesellenzeit auf einen Schlag losgeworden ... und war darüber sogar noch glücklich. Bei Kampmann lernte ich dann die Künste eines Lokalredakteurs. Dieses sind im Wesentlichen: Nichts ist unwichtig. Von der Altweiberhäkelrunde bis zu den Zwergkaninchenzüchter müssen alle als lokales Ereignis berücksichtigt werden, denn das sind Abonnenten und nach deren Zahl richtet sich der Anzeigenpreis. Nichts ist blödsinnig – und wenn es der größte Schwachsinn ist. Deshalb hat man hat, auch aus vorgenanntem Grunde, alles wichtig zunehmen, von der Astrologin bis zum Zaubertrankmixer. Dieses gilt insbesondere dann, wenn diese sonderbaren Zeitgenossen auch noch Anzeigenauftraggeber sind. Im Falle von Meinungen haben Anzeigenauftraggeber immer Recht und wenn es das größte Unrecht ist. Wenn es irgendwie brenzlig wird schiebt man diverse Dinge nach Neuheim zu den Redaktionshäuptlingen ab. Auch alle Parteien haben grundsätzlich das Recht gepachtet. Wenn die eine Partei „hü“ und die andere „hott“ sagt, erweist sich der Lokalredakteur als politisches Neutrum. Aufpassen muss man nur, dass dabei keine Meinung gegen die Verlegerinteressen gebracht wird. Im Zweifel muss in Neuheim entschieden werden. Was die persönliche Meinung eines Redakteurs anbelangt, hat er zufälliger Weise immer die seines jeweiligen Gesprächspartners. Dabei erfährt man das meiste „Vertrauliche“ was in bestimmten Fällen vom redaktionellen Vorteil sein kann. Na ja, so werden halt gute Lokalseiten gemacht. Ach so, noch was: Wenn da irgend so ein spinnender Weltverbesserer vorbeikommt, da übersieht man leider seinen Beitrag oder Hinweis. Zur Not kann man ihm auch sagen, man habe seine Angelegenheit aus Zeitgründen oder wegen anderer wichtiger Dinge nicht platzieren können. Die Hauptarbeit eines Lokalredakteurs liegt im Relegieren und im Bildchen knipsen. Je nach Größe einer Redaktion hat man Profiknipser aber um das Relegieren kommt man nicht umhin. Von Partei-, Vereins- und Gemeindeveranstaltungen erhält man die Berichte von den internen Leutchen und die müssen dann auf einen Beitrag der Redaktion umgestylt werden – und das nennt man Relegieren. Wenn man ein Weilchen dabei ist, kann man so etwas im Blindflug, denn es sind immer die gleichen Leute die ihr Schreibgerät – früher Schreibmaschine heute PC quälen – und die haben personentypische Macken, die man aus langen Texten, ohne den Inhalt zu lesen, rausfischen kann. Sowohl Kampmann wie auch mein Schwiegervater bestätigten mir, dass ich der geborene Redakteur sei, denn schon nach nicht mal einem halben Jahr war „Uns Reiner“ perfekt – ehrlich bin ich erst später geworden. Dieses dürfte der Hintergrund gewesen sein, dass ich tatsächlich 1974 Leiter der Lokalredaktion Saßmannshausen wurde und diesen Job trotz Scheidung und Verkauf des Neuheimer Kreisboten an den Konzern der „Neuen Landeszeitung NLZ“ behalten habe.
Da habe ich ja schon verraten, dass meine Ehe mit Monika nicht von Bestand war. Erst, also während Monikas Schwangerschaft und in den ersten Monaten, wo unser kleiner Schatz Oliver auf der Welt war, waren wir sogar sehr glücklich. Aber dann, als Oliver gerade ein halbes Jahr alt war, musste bei uns das Schicksal ein Bisschen hart zuschlagen. Nicht nur ein Bisschen, sondern knüppeldick. Monika hatte es bei Olivers Geburt sehr schwer und es stand danach eigentlich fest, dass sie wohl kein weiteres Kind würde gebären können. Und dann das: Ich war zusammen mit Kampmann in Saßmannshausen unterwegs. Als wir zurückkamen sagte mir unsere Geschäftsstellenmitarbeiterin, der Chef habe angerufen und ich möchte mich bei ihm zuhause melden. Als ich dem nachkam hatte ich meine Schwiegermutter am Telefon und die versuchte mir schonend beizubringen, dass unser Sohn eines plötzlichen Kindstodes gestorben sei und meine Frau völlig ausgerastet sei. Nach einer Beruhigungsspritze war sie ins Krankenhaus gebracht worden. Es dauerte fast ein halbes Jahr, bis sich Monika halbwegs wieder gefangen hatte aber aus unserer Ehe wurde dann nichts mehr. Das große Glück war dahin. Wir hatten zwar nie den großen Streit und auch körperliche Liebe gab es sogar bis zuletzt bei uns beiden, aber das, was man sich unter einer Ehe vorstellen sollte, war es nicht mehr. 1975 hätte der alte Rollmann es gerne gesehen wenn er seine Tochter in eine Geschäftsehe hätte einbringen können und so beschlossen wir dann „vernünftig“ auseinander zugehen. Einen Rosenkrieg hat es zwischen Monika und mir also nicht gegeben aber trotzdem wurden wir geschieden. So kam ich dann nach Hexenberg, einem Stadtteil von Saßmannshausen mit so etwa 350 Einwohnern.. Eine Dachmansarde bei der Witwe Bolte – richtig, gleicher Name wie die Dame in Wilhelm Busch „Max und Moritz“ – sollte mir als Strohwitwerunterkunft dienen. Direkt gegenüber war die Dorfkneipe des Bauern Scheuermann, in der ich mich dann regelmäßig des Abends, wenn ich nicht als Leiter der Saßmannshausener Lokalredaktion dienstlich unterwegs war, immer aufhielt. Nicht etwa weil ich mich aus Scheidungskummer unter die Alkoholvernichter begeben hätte aber als Alleinlebender fiel mir die Decke der Dachmansarde leicht auf den Kopf. Damals begab ich mich dann unter die Weintrinker. Eigentlich war und ist ja Pils mein Getränk aber als Säufer wollte ich mich nun gerade nicht outen. Und mengenweiße Cola und/oder Fanta ist ja auch nicht gerade das, wovon man glücklich werden kann. Entweder stand ich mit anderen klönender Weise am Tresen oder saß an dem kleinen Tisch um den Abend bei zwei bis maximal vier Glas Wein zu verbringen. Es kam auch schon mal vor, dass ich der einzigste Gast war und mich dann mit der hübschen Tochter des Wirtes, die die Wacht hinter dem Tresen hielt, über Gott und die Welt unterhielt. An einem solchen Abend musste es dann passieren. Ich stand mit meinem Glas Wein am Tresen; dort wo sich das Glasspülbecken befindet. Die Wirtstochter nutzte die Gelegenheit um mal Gläser, die längere Zeit nicht in Gebrauch gewesen waren, zu spülen. Sie hatte eine spitzdekolletierte Bluse an und dank ihrer Bewegung bekam ich dann mal einen flüchtigen Einblick auf einen ihrer wohlgeformten Busen. Da kam in mir der Mann auf und ich legte recht plump los: „Martina, du machst mich richtig heiß. Kannst du dir vorstellen mit mir eine Partnerschaft einzugehen?“. Sie unterbrach blitzartig ihre Spültätigkeit und nickte nur bejahend mich anlächelnd. Das machte mich mutig und ich setze nach: „Wenn du mal hinter Tresen wegkommst werde ich dich erst mal richtig küssen.“. Prompt kam sie zu mir, ließ sich in meine Arme nehmen und wir küssten uns heiß und innig. Als ich ihr dann an den Busen greifen wollte meinte sie dann aber doch, dass die Gaststube wohl nicht der geeignete Ort dazu wäre aber sie käme gerne, wenn ihr Vater sie um Zehn ablösen würde, mit mir auf meine Dachmansarde damit ich ihr meine Schallplatten- oder Briefmarkensammlung zeigen könne. Ich habe weder eine größere Menge Schallplatten noch Briefmarken – aber das wollte Martina auch nicht. Wir waren gerade auf meinem Zimmer als sich Martina spornstreichs entkleidete. Als sie praktisch nur noch ihren Slipper anhatte begann sie plötzlich zu weinen und gestand mir, dass sie sich, wo sie mich das erste Mal gesehen habe in mich verknallt habe. Da habe sie sich soviel ausgemalt, dass sie es gar nicht mehr erwarten konnte mit mir zu schlafen. Hätte ich jetzt nichts unternommen wäre die Initiative von ihr gekommen. Und jetzt wo sie fast am Ziel war schämte sie sich. Ich zog die nur noch slipperbekleidete junge Dame an meinen vollständig nackten Körper und schloss sie fest in meine Arme. Da kam gleich noch ein Geständnis: Ich war erst der zweite Mann in ihrem Leben und der erste war eine Urlaubsbekanntschaft, mit dem sie lediglich ein einzigste Mal geschlafen hatte. So was fand man auch schon in den 70er-Jahren selten: Eine 23-jährige, die praktisch noch unerfahren war. Für mich stand in dem Augenblick fest, dass das kein flüchtiges Abenteuer sein würde; meine Liebe zu ihr war entbrannt. Trotzdem vergingen noch zwei glückliche Jahre bis sie auf ihrem 25. Geburtstag am 12 Juni 1978 meine Frau wurde. Am 27. November des gleichen Jahres kam dann unsere Tochter Stefanie zur Welt. Aus dem Abstand von etwas über 5 Monaten zwischen Hochzeit und Geburt unserer Tochter könnte darauf schließen lassen, dass die Feststellung der Schwangerschaft der Auslöser zum Heiraten gewesen sei. Dem war aber nicht so, denn unser Hochzeitstermin war fast 1 ½ Jahre bevor ins Auge gefasst worden. Es war so eine Idee „meiner Holden“, dass sie gleich mit allem, Mann, Kind und Haus, im gleichen Jahr starten wollte. Jawohl auch ein neues Haus sollte zum Ehestart bezogen werden und dieses war dann der Grund, warum wir nicht bereits ein Jahr früher geheiratet haben. Martina wohnte, als wir uns „kennen lernten“ zusammen mit ihren Eltern und der Familie ihres 5 Jahre älteren Bruders im alten Bauern- und Gasthaus. Na ja, mir war es nicht gerade sympathisch
da noch als zusätzliches Familienmitglied einzuziehen, was ja auch in der Land- und Gastwirtschaft eine häufigere Mithilfe im Familienbetrieb bedeutet hätte. Da Rolf, Martinas Bruder, die Landwirtschaft übernehmen sollte und wollte war der Tochter ein neues Haus als vorgezogene Erbschaft zur Hochzeit zugesagt. Und Bauer Scheuermann, mein zweiter Schwiegervater, gehörte zu den Menschen, die es heute leider nur noch sehr wenig gibt, die Wort hielten. Und schon zwei Wochen nach unserem Abenteuer in meiner Dachmansarde – also da stand für Martina und mich schon fest, dass alles im Hafen der Ehe enden würde - war mein Schwiegervater in Spe in seinem Bauwillen kaum zu bremsen. Aber wenn man auf konventionelle Art und Weise ein Häuschen errichtet, dann dauert es halt ein Weilchen bis man einziehen kann. Und Martina konnte sich dann nicht mit den Gedanken anfreunden, verheiratet zu sein und dann mit ihrem Mann keine eigene Ehewohnung zu bewohnen und mir gefiel es nicht, nur mal für ein Jahr eine Wohnung zu beziehen. „Ewige Umzieherei“ ist nichts für meines Vaters Sohn; ganz abgesehen davon, dass Wohnungshopserei unnötiger Weise eine Menge Geld kostet. So konnten wir in 1978 alle unsere Geburtstage doppelt feiern. Also mein Geburtstag – der 1.4.78 fiel auf einen Samstag – konnte gleich als Einweihungsfeier für Martinas Haus begangen werden. Martinas 25. Geburtstag war gleichzeitig unser Hochzeitstag. Der 12.6.78 fiel zum Glück auf einen Montag, also einem Tag wo auch das Standesamt geöffnet hatte. Und auch Steffis Geburt konnte doppelt gefeiert werden, denn der Zufall wollte es, dass Sylvia, unsere Schwägerin, just 2 Tage vorher ebenfalls entbunden hatte. Walter, der dritte Junge der Familie Scheuermann junior, ist also genau 2 Tage älter wie seine Cousine Stefanie. Das führte zur deren Kindheit und Jugend dann dazu, dass die Beiden wie Bruder und Schwester wirkten und auch oft für solche gehalten wurden. Hinzu kam, dass die Scheuermanns wohl über dominierendes Erbgut verfügten, denn Walter und Steffi sahen sich auch ein Wenig ähnlich. Martina war aber vor unserer Zeit nicht einfach auf dem Hof und in der Kneipe die Tochter des Hauses sondern sie hatte ihren eigenen Beruf, sie war Exportkauffrau. Sie ist im Gegensatz zu mir auch ein kleines Sprachgenie und ist gut in Englisch, Französisch und Spanisch. Die beiden ersten Sprachen hat sie in der Schule, im neusprachlichen Gymnasium Neuheim, erlernt und Spanisch hat sie sich erfolgreich in Volkshochschulkursen beibringen lassen. Das waren natürlich ideale Voraussetzungen für ihren Beruf, den sie in Neuheim bei der Stoffdruckerei Hönig, also dort, wo auch mein Vater gearbeitet hatte, zu erlernen begann. Die Firma Hönig machte zwischendurch nur mal kurz Pleite und Martina, die Beste in ihrer Berufsschulklasse, bekam die Chance bei der Holzbearbeitungsmaschinenfabrik Weller in Wollerst ihre Ausbildung abschließen zu können. Nach ihrer Lehre blieb sie dort bis sie 1978 in den Mutterschutz ging. Als Steffi 1985 in die Schule kam nahm Martina, obwohl ich als Leiter der Lokalredaktion Saßmannshausen nicht schlecht verdiente, wieder auf. Jetzt könnte ich in diesem Buch von zwei Jahrzehnten heile Welt berichten. Martina und ich liebten uns und hatten uns auch immer eine ganze Menge zu sagen. Wir erzielten, da wir beide nicht schlecht bezahlt berufstätig waren, ein doch über dem Durchschnitt liegendes Familieneinkommen, mit dem wir uns doch dieses und jenes mehr leisten konnten. Gerne hätte ich auch noch ein Bisschen Karriere gemacht aber das Einzigste was sich mir bot war, dass ich, als Anfang der 90er-Jahre der Lokalfunk aufkam, bei einem solchen Sender zunächst stellvertretender und dann, nach 2 Jahren, „richtiger“ Chefredakteur hätte werden können. Da aber Martina nicht von Hexenberg weg wollte – was man ja auch verstehen kann – bin ich halt der Oberzeitungsfritze im heimischen Städtchen geblieben. Als ich dann 1998 eine zweite Chance bekam begann die Geschichte, mit der ich jetzt tatsächlich ein Buch voll schreiben will. Bis dahin war alles normal – oder finden Sie nicht? Was ich vorher, bevor ich richtig loslege, noch erklären sollte ist der Name des Romans „Hexenberg“ ... nur damit es jetzt keine Missverständnis gibt. Wer jetzt vom Namen her auf eine phantastische Geschichte mit bösen magischen Weibern schließt hat sich geirrt. Wie man schon gelesen hat ist Hexenberg ein Ortsname, der von einer alten Sage abgeleitet ist. Laut dieser Sage sollen drei besenreitende Teufelstöchter in grauer Vorzeit in der Gegend mal ihr Unwesen getrieben haben. Als sie mal einen frommen Einsiedler zu Tode erschrocken hatten wurden sie zur Strafe versteinert. An der Südseite des, etwa 400 Meter hohen Berges auf dem sich der Ort befindet, befinden sich drei Felsvorsprünge, die mit ein Bisschen Phantasie wirklich wie drei besenreitende Hexen aussehen. Der Sage nach sollen junge Mädchen, die ihre Freier dort bei Vollmond verführen, später selbst zur Hexe werden. Um dem Aberglauben zu Trotzen hat mich Martina als wir gerade mal zusammen waren dort wirklich, als gerade der Vollmond aufging, in der Abenddämmerung verführt aber eine Hexe ist aus ihr bis zum heutigen Tage nicht geworden. So jetzt aber Schluss mit der Phantasterei. Dieser Roman, ein Bericht aus meinem Leben, hat wirklich nichts mit Hexen zutun sondern der Name kommt vom Sachzusammenhang; alle Fäden liefen in Hexenberg, der mir zum Höhepunkt der Geschichte sogar mal als solcher vorkam, zusammen. Aber jetzt nach der nicht unwichtigen Vorgeschichte gleich rein in das Geschehen vom Hexenberg.
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Und jetzt machen wir Fernsehen Erinnern Sie sich noch an die Zeit als Anfang der 80er-Jahre die alte Bundesrepublik verkabelt wurde? Die Einen schwärmten von Medien- und Meinungsvielfalt und die Anderen warnten vor dem, was letztlich tatsächlich kam. Erstere hätten, wenn sie nur gewollt hätten, sich an nur fünf Fingern abzählen können, das Letztere langfristig Recht haben mussten. Wenn man unter die Medienveranstalter gehen will muss man sehr viel Geld haben. Aus der Portokasse lässt sich so etwas beim besten Willen nicht finanzieren. Das Recht sich an den Medien zu beteiligen haben wir laut Grundgesetzt Artikel 5 ja alle, vom gestrandeten Tagedieb bis zum Multimilliardär aber aus praktischen Gründen, sprich nötigem Kleingeld, bleibt es jedoch ein Exklusivrecht von letztgenannten Zeitgenossen, zum Beispiel Leo Kirch oder Reinhard Mohn (Bertelsmann). Natürlich mischen auf beiden Seiten noch andere mit; aber arm sind diese auch nicht. Können Sie sich vorstellen, dass sich derartig reiche Leute für die gerechte Verteilung des gemeinsamen Sozialproduktes auf die Faktoren Kapital und Arbeit engagieren, dass denen der an und für sich ausschließlich richtigen antizyklischen Wirtschaftspolitik, bei der allerdings die Geldwertstabilität nicht hundertprozentig zu gewährleisten ist, gelegen ist oder dass für die der Lebensraum (Sozialstaat, Umwelt) wichtiger wie der Standort, wie er sich im Glücksspielertempel namens Börse präsentiert, ist? Oder sind Sie mit mir der Meinung, dass bei denen Liberalisierung und Deregulierung der Kapital- und Handelsmärkte, weil es sie noch reicher macht wie sie schon sind, oberste Priorität besitzt? Also da wundert es niemanden, der ein Wenig nachdenkt, dass das Hurragejohle für Globalisierung und Sozialabbau im Gleichschritt einhergehen mit der Medienvereinheitlichung. Richtig, ich habe von Medienvereinheitlichung gesprochen. Wir haben zwar mehr Angebote an Kanälen, die wir anzappen können, aber alle marschieren in die gleiche Richtung: es wird immer seichter, immer anspruchsloser und immer niveauloser. Wer sich mit Reality-TV, Soaps und Kreuzworträtselquizze zulullt denkt nicht mehr nach, lässt sich das, was er als seine Meinung ausgibt, in Topps genannten Schlagwortfetzen um die Ohren hauen und ist froh darüber, dass auch er das nachplappern darf was auch alle anderen sagen. Offensichtlich haben die Leute recht, die behaupten der Mensch stamme von Herdentieren ab, denn allzu gerne folgt die Masse den medienbesitzenden Leithammeln und ihren Majonetten in Politik aber auch Wissenschaft. Allerdings ist das nicht nur bei uns der Fall sondern was sich da schon seit Jahren beziehungsweise Jahrzehnten in den USA abspielt muss ja Menschen, die mit ein Wenig Intelligenz ausgestattet sind, die Tränen in die Auge treiben. Und in Italien hat sch bereits ein Medienzar den Staat untertan gemacht. Die privaten Medien gehören ihm und die öffentlich-rechtlich RAI will König Berlusconi sich untertan machen. Was soll’s, bei uns wurde dank der feinen Mediengesellschaft die SPD zur Besser-CDU umgestaltet und eine politische Alternaive ist in diesem unserem Lande gestorben. Alle glauben es führe kein Weg an Globalisierung und Sozialabbau vorbei. Na ja, nach dem nächsten großen Crash, der bei solchen Einstellungen unausweichlich kommen muss, können wir uns ja wiedersprechen. Damals, als die Verkabelung in den Kinderschuhen steckte, schuf man sich, allerdings meist nur in den Großstädten, so demokratische Flickmäntelchen: die Offenen Kanäle. Wo jeder der wollte, auch Fernsehen machen konnte. Zu den wenigen Landkreisen, wo es eine solche demokratistiche Einrichtung auch gab, gehörte seinerzeit auch der Kreis Neuheim. Ich habe da eben „demokratistische“ geschrieben und es handelte sich nicht um einen Tippfehler, denn der Unterschied zwischen Demokratie und Demokratismus ist, das Letzteres nur formal demokratisch ist, also so etwas wie Fraktionszwang im Bundestag wo Abgeordnete ihr Gewissen auf dem Altar der Regierungsdisziplin opfern. Im Grundgesetz steht, dass der Deutsche Bundestag die Regierung kontrolliert wird aber diese Pflicht wird heute nur noch von Abgeordneten, die aus Parteien, die nicht an der Regierung beteiligt sind, wahrgenommen. PISA-schädigende Lehrer behaupten heute sogar die Opposition kontrolliere die Regierung. Ich weiß nicht, wo die das her haben, denn im Grundgesetzt steht was anders. Aber nun zurück zu dem damaligen Offenen Kanal im Kreis Neuheim. Da war anfänglich richtig was los obwohl nur wenige Leute überhaupt zuschauen konnten. Nur in Neuheim, Wollerst und auch in Saßmannshausen, also in 3 von 15 Gemeinden, war in einigen Stadteilen ein Kabelnetz verlegt worden und selbst da hatten sich nur wenige „drangehangen“. Aber unser Stadtteil Hexenberg gehörte zu den ersten vollverkabelten „Ansiedlungen“. Der Hintergrund ist ganz einfach: Dank des Hexenberges selbst lagen wir in einem sogenannten Ausleuchtungsschatten beziehungsweise liegen immer noch in diesem. Die drei Standardfernsehprogramme bekamen wir ja über einen kleinen Umsetzer auf dem Hexenberg serviert aber mit dem Rundfunkempfang sah es doch mehr als magerst aus. So bekamen wir Hexenberger dann den Vorzug Kabelbevorzugte zu sein und dankten es der damaligen Bundespost dadurch, dass hier auch fast alle gleich auf Anhieb ans Netz gingen. In dem „Offener Kanal Kreis Neuheim“ genannten Jedermannsfernsehen war also am Anfang, das heißt so in den ersten drei oder vier Monaten richtig was los; da ging die Post ab. Ich schätze mal, dass da zwei oder drei Mal soviel Leute produzierten wie es überhaupt mögliche Zuschauer geben konnte. Da gab es alle möglichen Urlaubsvideos, Aufzeichnung von Familien- und Vereinsfeiern, Aufzeichnungen von untersklassigen
Sportveranstaltungen, und so weiter und so fort, also alles was man überhaupt mit Videokameras einfangen konnte, als Programm serviert. Irgendetwas was Grund zu Beanstandungen gegeben hätte, also so etwas in Richtung Beleidigung, Porno oder Volksverhetzung, gab es nicht. Ich schätze mal, dass es damals doch noch einige Hemmungen hinsichtlich des Medienmissbrauches gab. Die es heute, wo große Privatberieseler die Leute in Container stecken damit sie sich öffentlich, insbesondere vor Jugendlichen, exhibitionieren gar nicht mehr geben kann. Aber wie sagt man so schön im Volksmund: Neue Besen kehren gut. Aber auch neue Besen werden mit der Zeit alt. So ging dann die Zahl der angemeldeten Produktionen kontinuierlich zurück während die Zahl der Kabelteilnehmer stetig wuchs. So war der Offene Kanal dann nach etwa einem halben Jahr der „Sender der blauen Tafel“. Dieser Spitzname kommt daher, dass dort, immer wenn man diesen Sender einschaltete eine blaue Tafel auf dem Bildschirm erschien, auf der man dann lesen konnte um welchen Sender es sich handelte und wann man wieder mit einem Programm rechnen konnte. Trotzdem brachte es der Sender auf eine Überlebenszeit von fast vier Jahren. In einzelnen Wochen gab es dann mal zwei oder drei Sendungen aber meistens nur eine mit einer halbstündigen Dauer. Das war sogar so eine Art „Serie“ die in Hexenberg produziert wurde. Aus unserem „Dörfchen“ kamen die beiden aktivsten Offenen-Kanal-Produzenten. Den einem kam es auf die Technik und dem anderen auf den Inhalt an. Ersterer, also der erwähnte Technikfreak, heißt Horst Grömmer und ist Elektroinstallateur und damals noch Nebenerwerbslandwirt. Grömmer war so von allen technischen Dingen die mit Fernsehstudios und ÜWagen zusammenhingen fasziniert, dass er fast jede verfügbare Minute daransetzte seinen alten, jetzt nicht mehr benötigten Schafstall zu einem Aufnahmestudio und einen betagten VW-Bus zu einem Ü-Wagen auszubauen. Bei allen öffentlichen und privaten Fernsehanstalten in bundesdeutschen Landen fragte er nach ausgesonderten oder defekten Studioausstattungsgegenständen, die er für einen obligatorischen Betrag oder geschenkt bekommen konnte, nach. So bastelte er sich mit der Zeit ein Fernsehstudio zusammen, hinter dem sich das des Offenen Kanals verstecken konnte. Aber nicht nur das Basteln machte ihm Spaß sondern er nutzte diese Technik sehr gern, das heißt, dass er auch munter produzierte. Vereine, Privatpersonen, kleine Firmen und auch die Kommunen im Kreis Neuheim nahmen seine Dienste gerne in Anspruch. Als zuständiger Lokalredakteur bekam ich davon doch dieses oder jenes mit und befürchtete, dass insbesondere Firmen und Kommunen den technikund produktionsbesessenen Grömmer förmlich ausnutzten. Hätten die für ihre Zwecke kommerzielle Produzenten in Anspruch genommen, hätten sie doch an den Summen, die sie zu zahlen hatten, noch zwei oder drei Nullen anhängen müssen. Mit seiner Landwirtschaft und seiner Familie kam Grömmer allerdings nicht in Konflikt. Just in dem Jahr, als hier der Offene Kanal startete, mussten seine letzten beiden Milchkühe den Weg zum Schlachthaus antreten und seine Ländereien hatte er an meinen Schwager verpachtet. Solche Kleinbetriebe verlangen dem Betreiber leider sehr viel Arbeit ab aber bringen so recht nichts ein; oft nicht einmal die Selbstkosten. Sein Sohn und seine Frau waren selbst begeistert bei der Sache. Der Sohn in erster Linie bei der Technik und die Frau bei der Produktion. Sie hatte sogar eine Spezialität, die doch von einigen Paaren in Anspruch genommen wurde: Sie produzierte erotische Videos für private Videorecorder. „Leider“ habe ich davon nie ein Band gesehen aber die sollen auch in künstlerischer Hinsicht tatsächlich Spitze gewesen sein. Als der Offene Kanal mangels Masse in der Mitte der 80er-Jahre wieder eingestellt wurde kümmerte dieses die Grömmers eigentlich relativ wenig; sie bastelten und produzierten mit Begeisterung weiter. Das war bei dem zweiten Aktivisten, einem „Programmmacher“ aber ganz was anderes. Der schrie „Mordio“ als man sein Medium, der OK Kreis Neuheim, dicht machte. Ernst Schöller war in meinen Augen ein echter Berufsfrömmler. Hauptberuflich leitete er seine beiden EDEKA-Märkte in Neuheim und in Wollerst. Als Arbeitgeber hatte er den Ruf nicht gerade der Sozialste zu sein. Die meisten seiner „Sklaven“ loddelten ohne soziale Absicherung auf der 630-Marks-Basis (zirka 311 € pro Monat) und dafür mussten sie ganz schön ran. Gegenüber seinen Kunden war er äußerst pingelig und akribisch; ich glaube er hatte noch nie etwas von Kulanz gehört. Im Grunde war es dahingehend doch verwunderlich, dass die beiden Märkte an und für sich recht gut liefen. In seiner Freizeit war Schöller aber dann ein ganz anderer Mensch. Wo Betbrüder zusammen kamen war auch er anzutreffen. Im CVJM Saßmannshausen war er der erste Mann aber nicht gerade beliebt. Ohne Andacht lief bei dem absolut nichts. Als Redakteur war ich zwei Mal bei ihm zu Hause und beim ersten Mal bin ich fürchterlich angeeckt, weil ich bei der Imbisszunahme nicht abgewartet hatte bis der Hausherr ein Gebet gesprochen hatte. In der Kirchengemeinde fand kein Gottesdienst ohne ihn statt. Und wenn es darum ging, wer im Gottesdienst die Lesungen halten durfte drängelte er sich grundsätzlich vor. Er kandidierte zu jeder Presphyterwahl aber zu seinem Leidwesen kamen nie so viel Stimmen zusammen, dass er sich in diesen Kreis einfügen durfte. Ernst Schöller produzierte mit Begeisterung Woche für Woche ein Programm mit dem Titel „Wachstunde“ von etwa einer halben Stunde Dauer. Es begann immer mit einem Vorspiel des CVJM-Posaunenchores und dann hielt er eine Andacht von etwa 10 Minuten Dauer. Nach einem Liedchen eines 4- bis 7-köpfigen Männerchores kam dann eine naivreligiöse Bibelauslegung, an der sich ein längeres Fürbittegebet und das Vater unser
anschloss. Zu guter Letzt intonierte der Posaunenchor noch mal ein Liedchen bevor auf einer blauen Tafel die Kontonummer von „Brot für die Welt“ oder von diakonischen Einrichtungen erschien. Dahin sollte man also seine „Kollekte“ schicken. Ich glaube außer den Mitwirkenden und mir, der schon mal von Berufswegen darein schaute, hat sich das wohl niemand angesehen. Auf jeden Fall habe ich bis heute niemanden gesprochen, der mir bestätigte dass er das Programm mal gesehen habe. Schöller meinte zwar das wäre Mission aber ich denke, dass es eher das Gegenteil war: Opas Kirche zum Weglaufen. Diese Sache, die ab einem gewissen Zeitpunkt in Grömmers Studio produziert wurde war dann zu guter Letzt das einzigste aber dafür regelmäßige Programm des Offenen Kanals. Als dieser dann dicht machte ging er, wie bereits geschrieben, auf die Barrikaden. Na ja, Grömmer tröstete ihn und produzierte dieses Programm munter wöchentlich weiter. Da es kein Fernsehsender mehr gab duplizierte Grömmer die Produktionen auf Videobändern, die dann auf Schöllers Kosten an alle evangelischen Kirchengemeinden und CVJM-Gruppen sowie zu den Christlichen Pfadfindern im Kreis Neuheim gingen. Ob die dort im Videorekorder, in der Ablage oder gleich im Mülleimer landeten weiß ich jedoch leider nicht. Ich, der ja von der schreibenden Zunft, komme hatte mit den beiden Offenen-Kanal-Machern des Öfteren zutun. In 80 bis 90% der Fälle hatte ich etwas von Grömmer zu berichten. Da gab es dann mal von Produktionen für Vereine, Kirchengemeinden und Kommunen, die einen Artikel im Neuheimer Kreisboten wert waren, zu berichten. Über Arbeiten für kommerzielle Zwecke wurde jedoch von uns nicht berichtet. Es gab auch berichtenswerte Gelegenheit wo es nur um die Grömmers und ihre Technik ging. Bei Schöller sah es aus meiner Sichtweise etwas anders aus; da hätte ich von mir aus nichts gesehen was einer Würdigung im Lokalteil wert gewesen wäre. Aber der „Kerl“ stand regelmäßig mit seinen selbstverfassten Berichten „auf der Matte“. Und diese Berichte „liebte“ ich über alles. Da war es nicht mit einfachem Relegieren getan, die musste ich komplett umschreiben. Ich habe ja nichts gegen „Worte zum Sonntag“ aber so etwas kann man nur in Sonderfällen, zum Beispiel vor christlichen Feiertagen, auf den Lokalseiten einer Tageszeitung bringen, ansonsten sollte was dort steht doch nach Berichterstattung aussehen. Da ich ja nun öfters von der Hexenberger Fernsehproduktion berichtet hatte machte ich mir eigentlich keine Gedanken darüber als meine Big Bosse Herrn Grömmer mal kennen lernen wollten. Lediglich das die Herrn fürs Große sich tatsächlich für die Inhalte der „Käseblattteile“ und für einen Amateurproduzenten interessierten wundert mich doch ein Bisschen. Das mit dem Interesse meiner Chefs meine große Hexenbergstory begann konnte ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Erst sollte ich unseren „Lenkern und Entscheidern“ mal alles zusenden was wir in unserem lokalen Archiv über Grömmer und sein Hobby hatten. Zwei Wochen später erhielt ich telefonisch den Auftrag Grömmer darauf anzusprechen, dass man ganz gerne mal etwas von seiner Arbeit sehen würde. Er solle mal was zusammenstellen und ich sollte es über den Dienstweg zur „Spitze“ weiterleiten. Der nächste Schritt lief dann ohne meine Beteiligung: Man lud Grömmer in die „heiligen Hallen“ des Medienkonzerns. Davon erfuhr ich sogar erst nach seiner Rückkehr. Als er mich des Abends im Dorf traf tönte er glückselig: „Hallo Reiner, töffte was! Jetzt machen wir Fernsehen!“. Da dieses im Vorbeigehen geschah und ich ohnehin schon für meinen nächsten Termin etwas spät dran war, konnte ich ihn erst einmal nicht nach dem Hintergrund seines Jubelgrußes befragen. Ich musste mich schon bis zum nächsten Morgen gedulden, bis auch ich schlau gemacht wurde. Es war Donnerstag, der 15. Januar 1998. In der Nacht hatte der Winter mächtig zugeschlagen und dabei war es nun passiert, dass die Zeitungszustellung auch in Saßmannshausen nicht so funktionierte wie unsere Leser dieses in Normalzeiten gewohnt waren. Natürlich gibt es da immer vereinzelte Zeitgenossen, die nicht gerne darüber nachdenken und so etwas lieber für einen Volksaufstand nutzen. Was heißt es denn schon für typische Mitglieder unserer Bediengesellschaft wenn sich die Auslieferungsfahrer der Druckerei über vereiste und/oder zugeschneite Straßen kämpfen müssen, wenn sie durch Bagatelleunfälle, die ihnen oder anderen unterlaufen, aufgehalten werden und wenn Zeitungsboten ihren PKW stehen lassen müssen und sich über nicht geräumte Straßen und Gehsteige zu den Abonnenten durchstampfen müssen. Otto Leb-in-den-Tag meint einen Anspruch auf topppünktliche Zustellung, auch am Tage des Weltunterganges, zu haben, hängt sich ans Telefon und meutert munter drauf los. Darüber unterhielt ich mich mit unserem Anzeigen- und Vertriebsleiter und überlegte mit ihm ob es mal einen Sinn gäbe einen Bericht darüber zu bringen, wie der Neuheimer Kreisbote von der Rotationsmaschine bis in den Saßmannshauser Briefkasten gelangt und was alles dabei passieren kann. Bei der Gelegenheit schellte das Telefon und ich wurde gefragt ob ich meinen Termin in der Kreisredaktion Neuheim vergessen hätte. Aber es mache ja nichts aus, da die „Herren“ aufgrund der Straßenverhältnisse auch noch nicht eingetroffen seien. Ich wusste mal wieder von nichts. Jetzt kann ich nicht sagen ob ich selbst oder ein anderer Mitarbeiter beziehungsweiße Mitarbeiterin in Neuheim oder Saßmannshausen etwas verschusselt hatte, auf jeden Fall war es mir neu einen Termin zu haben. Da ich bei dem Telefonat erfuhr, dass extra wegen mir zwei „Häuptlinge“ anreisten, machte ich mich dann doch lieber gleich ohne weitere Frage auf dem Weg. Auch in Neuheim erfuhr ich vor Gesprächsbeginn nicht um was es ging, denn ich war gerade eingetroffen als sich unten am Eingang auch
schon die „hohen Herren“ ebenfalls anwesend meldeten. Aber Glück muss der Mensch haben. Das ich wusste um was es ging setzte man einfach voraus, was aber nicht für die anderen Damen und Herren vom Neuheimer Kreisboten galt. So begann Dr. Herscheid, der Projektleiter von der Geschäftsleitung, mit einer Einführung während der ich mich zum Schein ein Wenig wissend stellte aber bei der ich dann wie ein Wachhund aufpasste, denn eines hatte ich inzwischen spitz bekommen: Die beiden Herren wollten im Anschluss an diese Runde mit mir in Einzelverhandlungen treten. Dr. Herscheid führte aus, dass wohl in absehbarer Zeit ein Netz von Lokal- und Spartenkanäle im Bereich Fernsehen die Republik überschwemmen würde. Er wies daraufhin, das via Kabel über 150 digitale Kanäle in die Haushalte kommen könnten. Nach Prognosen sollte bis im Jahr 2010 das digitale Fernsehen das analoge abgelöst haben. Heute im Jahre 2002 ist man hinsichtlich dieser Aussage doch etwas vorsichtiger geworden, denn Kirch-Kohl-Träume scheinen sich nicht so verwirklichen lassen zu wollen wie man es gerne gesehen hätte. Aber dass das irgendwann mal der Fall sein wird, kann jedoch keiner bezweifeln. Man sagt immer, dass man den Fortschritt nicht aufhalten könne. Ich weiß zwar nicht ob die Zunahme von Abzock- und Berieselungsmedien, auch in Bezug auf das damit verbundene absinkende Niveau und auf die um sich greifende oberflächliche flache Information der Bevölkerung, ein Fortschritt ist – im Bezug auf direkte menschliche Kommunikation bestimmt nicht – aber trotzdem lässt sich so etwas, wenn es einmal in Gang gebracht worden ist nicht mehr aufhalten. Also in dieser Richtung wollte also unser Konzern natürlich kräftig mitmischen. Nun machte Dr. Herscheid sehr große Ausführungen in die Richtung, dass für uns die Verpflichtung eines „traditionellen“ Presseunternehmens zur Berichterstattung vor Ort bestände. Er erzählte dann weiter etwas von Arbeitsplatzsicherung dadurch, dass man den Werbe- und Anzeigenmarkt nicht unsicheren Newcomern überlasse. So will der NLZ-Konzern das ganze Land mit Großstadt- und Kreisfernsehanstalten überziehen. Wieder einmal sollte der Kreis Neuheim in eine Vorreiterposition gelangen. Schon in Kürze sollte das „Kreisfernsehen Neuheim KFN“ ins Kabel gehen. Laut Herscheid wurde unser Kreis „ausgeguckt“ weil er eine sehr hohe Kabeldichte und einen sehr lebhaften Werbemarkt habe. Nun setzte er alle in Kenntnis dass bereits umfangreiche Vorarbeiten geleistet wurden. Die Genehmigung der Landesmedienanstalt wäre „praktisch auf dem Postwege“. Man habe eine Marketingagentur beauftragt, die im Kreis Neuheim Handwerk, Handel und Gewerbe als Kleingesellschafter mit ins KFN-Boot holen sollte. Wer als Gesellschafter an Gewinn und Verlust beteiligt ist geht selbst bei nur geringeren Anteilen im Falle eines Falles nicht fremd. Eine Immobilie in der das Fernsehen vorerst untergebracht werden sollte hatte man auch schon per Vorvertrag in der Tasche: Das vor zwei Jahren pleite gegangene Jagdhaus Hexenberg. Also direkt bei mir um die Ecke, wie man langläufig so schön sagt. Personell war man auch schon „vorgeprescht“. In Neuheim sollte beim Kreisboten eine Nachrichtenredaktion, die Zeitung, Lokalfunk und –fernsehen mit Nachrichten versorgen sollte, etabliert werden. Als Leiter der Redaktion sollte ein entsprechend erfahrener Redakteur von der Neuen Landeszeitung fungieren. Zum technischen Leiter habe man einen „ultimativen Quereinsteiger“ gewinnen können, eben unseren Horst Grömmer. Als Chefredakteur des Senders hatte man einen der „erfahrensten“ Lokalredakteure ins Auge gefasst, nämlich mich. Das war es also was mir Horst Grömmer am Vorabend zugejubelt hatte. Jetzt wusste ich also was „Und jetzt machen wir Fernsehen“ heißen sollte. Die versammelte Mannschaft wurde dann von Dr. Herscheid aufgefordert im Sinne unabhängiger Medien und des NLZ-Unternehmens den Fernsehleuten jede erdenkliche Unterstützungen zu gewähren. Den Fotoleuten im Hause kündigte er an, dass sie demnächst reihum zur Teilnahme an einen Crashkurs zum Thema „Bewegte Bilder – Kamera- und Mikrofonführung“ geladen würden. Und damit war Herscheids Part an diesem Tag, zumindestens was mich anbelangt, beendet. Nach einem Geschäftsessen im Restaurant „Posthorn“ war Dr. Stöcker von der Rechtsabteilung am Zuge. Stöcker ging mit mir in Klausur. Ich erfuhr, dass Grömmer nicht nur zum technischen Leiter des KFN erkoren worden war sondern auch mit einer 1%-igen Beteiligung in die Lokalfernsehgesellschaft eingestiegen sei. Ein mickriges Prozentchen sei nicht viel aber damit habe er mehr als das was man den Neuheimer Gewerbetreibenden zugedacht habe. Die sollten sich nämlich mit 0,5 bis maximal 0,7 Prozent beteiligen können. Nach Stöckers Ansicht war das Wichtig, das man so als Gesellschafter nirgendwo ausgeschlossen werden könnte. Dabeisein könnte gegebenenfalls „überlebenswichtig“ sein. So solle auch ich eine 1%-ige Beteiligung erhalten. Da Grömmer für diese Beteiligung sein Studio eingebracht habe können man mir die Beteiligung „leider“ nicht schenken. Man würde aber berücksichtigen, dass ich dem Unternehmen, wenn man meine Schriftsetzerausbildung hinzurechnet, seit fast genau 30 Jahren, und davon jetzt auch schon fast 25 Jahre als Redakteur, angehöre. Dann nannte er mir den Betrag den ich einzubringen hätte, der aber so niedrig war, dass ich in hätte praktisch gleich auf den Tisch des Hauses hätte blättern können. Ich war echt begeistert. Endlich hatte ich meine Karriere, auf die ich so lange gewartet hatte. Dr. Stöcker legte mir zwei Verträge, ein Gesellschaftervertrag und ein Vertrag über meine Tätigkeit als redaktioneller Leiter des Kreisfernsehen Neuheim, vor und ging diese mit mir durch. Da lernte ich auch richtig die Wortgewandtheit und
Buchstabendreherkünste der Juristen kennen. Alles was ich hörte klang mehr als nur vorzüglich; es ging mir runter wie edler Wein. Das in den Verträgen böse Haken und Ösen steckten, die mir später manchen Kummer machen sollten, merkte ich immer erst wenn ein weiteres Kind bereits im Brunnen gefallen war. Am 15. Januar 1998 ahnte ich davon jedoch noch nichts und war in meinem Glück schon im siebten Lokalfernsehhimmel abgeschwebt. Richtig fröhlich und glücklich unterschrieb ich beide Verträge an Ort und Stelle. Am Nachmittag gab es dann noch eine „Pressekonferenz“, zu der dann auch noch Horst Grömmer erschien. Pressekonferenz habe ich deshalb in Anführungsstriche gesetzt, weil dazu nur die eigenen internen Leute geladen waren und was am nächsten Tag in den einzelnen Ausgaben zustehen hatte, wurde den zuständigen Leuten von Dr. Herscheid fix und fertig, „nicht mehr relegierbar“, übergeben. Also bis jetzt sah es nach einem wunderbaren Tag für meines Vaters Sohn aus. Als ich dann nach Hause kam änderten sich doch meine Hochgefühle ein Wenig. Ich musste erfahren, dass man auch alles anders sehen kann. Ich wollte Martina und Steffi zur Feier des Tages in einen Restaurant, dass sie sich aussuchen sollten, einladen. Aber ich bekam gleich zwei Abfuhren. Unsere Steffi hatte für den Abend schon eine Verabredung und Martina erklärte mir ganz einfach, dass sie keine Lust habe. Sie beschwerte sich darüber, dass ich wohl schlecht Aufgaben delegieren könne und deshalb auf jeder Hochzeit tanzen und auf jeder Beerdigung weinen müsse. Und wenn ich mal zuhause wäre hätte man immer das Gefühl als wäre ich mit den Gedanken ganz woanders. Martina beklagte, dass ich mich praktisch in den letzten Jahren sehr wenig um sie gekümmert und sie vernachlässigt habe. Auch im Bett spiele sich bei uns nur gelegentlich etwas ab und sie habe gar nicht mehr das Gefühl verheiratet zusein aber sie wäre noch jung und es sei noch nichts zugewachsen. Das was mich glücklich machte enttäuschte sie hingegen maßlos, da sie befürchtete, dass ich jetzt auch noch die restliche Zeit als funktionierender Existenziallist verplempern würde und somit dann ganz aus dem Leben aussteigen würde. Die paar Minuten, die ich bisher im Monat mit der Familie verbracht hätte, würden ja jetzt wahrscheinlich auch noch entfallen. Steffi mischte sich mit einer Weisheit Marke Eigenbau ein: „Man muss sich im Leben entscheiden ob man es als Moneymaker oder Promiheini abfunktionieren oder es als Mensch erleben will. Wenn du es erleben willst, kannst du nicht reich werden und keine Karriere machen - aber glücklich werden. Als Reicher oder Promi kannst du dir später keine Antwort darauf geben, wenn du dich fragst, was du davon gehabt hast. Du hast nämlich nichts erlebt, denn du was nur überall und nirgends wo du dann immer richtig oder auch falsch funktioniertest. “. Nun, so eine philosophische Neigung, dass dieses von ihr stammen könnte, hat unsere Tochter nicht aber an diesem Tag wagte ich nicht sie zu fragen, wo sie dieses her habe. Ich weiß heute nur Eines: Sie hatte damals recht.
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Oh je, ob das gut geht? Mir gelang es dann doch im Laufe des Freitags und des Samstagmorgens den familiären Ärger, den meine plötzliche „Karriere“ mit sich gebracht hatte, ein Wenig beizulegen. Maßgeblich war mein Versprechen mir bewusst zu sein, das ich der Chefredakteur sei und das eine der wichtigsten Aufgaben eines „Chefs“ sei, die Aufgaben auf die zuständigen Mitarbeiter zu verteilen, also das Delegieren. Wer glaubt alles alleine machen zu können oder zu müssen, übernimmt sich maßlos und wird sich sehr schnell verzetteln. Die Grundfeste der menschlichen Gesellschaft ist doch ohnehin die Aufgabenteilung. Jeder erfüllt seinen Part und die restliche Zeit nutzt er zum Leben – so sollte es jedenfalls sein. Wenn wir uns dann noch das wirtschaftliche Ergebnis aus der gemeinsam erledigten Aufgabe gerecht teilen wäre das der Sollzustand. Aber leider halten die meisten Leute nichts vom Teilen, sie wollen alles für sich haben. Und da auch sehr viele nichts vom Selberarbeiten halten predigt man fortwährend von Lohnzurückhaltung, maßvollen Tarifabschlüssen und Working-pur-Jobs für StützeEmpfänger. Aber das Delegieren verstehen unsere Leit-Egos bestens. Die Arbeit für die Anderen und alle Erlöse nur für mich; das nennt man Investitionsanreize und ohne die soll es angeblich in einer globalisierten Welt nicht gehen. Au weia, da schweife ich schon wieder in die Welt der sogenannten Ideen und wirklichen Phrasen und dabei wollte ich nur berichten, dass ich meinen beiden „Mädchen“, also meiner Frau und meiner Tochter, versprochen hatte mir in meiner neuen Position mehr Freiraum fürs Leben zu schaffen und diesen gemeinsam mit ihnen zu nutzen. Ich wollte mich also künftig mehr um meine Familie kümmern. Daraufhin konnte ich dann doch noch meine Einladung loswerden. Am Sonntag blieb bei uns zu Hause die Küche kalt – wie es früher mal so schön in einem Werbespruch einer Restaurant-Kette hieß - und wir begaben uns in ein Chinarestaurant in Neuheim um zu Dritt ein „Menü für Vier“, mit Allem was die chinesische Küche zu bieten hat, zu bearbeiten. Irgendwie hatte ich jetzt das Gefühl, dass meine glücklichen Empfindungen jetzt auch auf Martina und Steffi übergeschwappt seien. Auf jeden Fall erweckten wir auf Außenstehende den Eindruck einer glücklichen Familie. Auch in der Redaktion durfte ich mich damals „happy“ fühlen. Nach meinem Eindruck freuten sich die anderen Mitarbeiter mit mir über meinen Aufstieg. Dieses galt insbesondere für Hotte (Horst) Kemper, allerdings aus egoistischen Gründen, denn er durfte sich ab 1. Februar 1998 in meiner Nachfolge „Leiter der Lokalredaktion Saßmannshausen“ nennen. Damit habe ich auch verraten, dass ich ab Beginn des zweiten Monats jenes Jahres offiziell der Chefredakteur eines Fernsehsenders, der allerdings noch nicht sendete, war. Früher oder später folgt jedem Höhenflug eine Ernüchterung oder sogar ein Absturz. Man kann jedoch vom Glück reden, dass wir Menschen nicht unendlich in größeren Höhen schweben können, denn dabei verfällt ausnahmslos jeder Mensch mit der Zeit zwangsläufig dem Größenwahn. Auch wenn Größenwahnsinnige dann davon in ihrer geistigen Verwirrung zunächst selbst nichts bemerken, werden sie so zur Belastung und nicht selten sogar zur Gefahr für alle anderen und wenn diese Anderen sich dann wehren folgt der in diesem Falle logische schmerzhafte, oft sogar tödliche, Gewaltabsturz. Niemand kann auf einem Sockel stehen bleiben, denn der „Sockelsturz“ gehört zu den wenigen sicher voraussehbaren Ereignissen. Ich schrieb zum Absatzbeginn „früher oder später“ und kann in meinem Fall sagen, dass die Ernüchterung schon sehr früh einsetzte. Genau nach 14 Tagen, also am 29. Januar, bekam ich die ersten deftigen „Schläge auf die Nase“. An diesem Tag war in unserer Saßmannshausener Redaktion die erste Dreierrunde der Fernsehbosse angesetzt. Zwei dieser „Chefs“ nämlich Horst Grömmer und mich habe ich ja bereits den verehrten Leserinnen und Lesern vorgestellt. Neben Technik und Redaktion gibt es dann aber auch noch die wirtschaftliche Seite. Man hatte also auch noch einen Geschäftsführer für uns auserkoren. Ohne Nennung eines Namens stand von dem eine ganze Menge in meinen Verträgen; da war das Verhältnis und die Kompetenzen zu- und gegeneinander abgegrenzt. Das in den Verträgen immer nur von dem Geschäftsführer die Rede war stellte keinen bösen Trick da sondern war juristisch nur in die Richtung gedacht, dass man nicht bei jedem Personalwechsel auch mit allen anderen gleich neue Verträge abschließen musste. Man hatte vor mir auch nicht geheimgehalten, dass es sich bei dem Geschäftsführer um einen Herrn Dr. Schneider, der zur Zeit als Assistent der Konzernsleitung tätig sei, handelte. Dieses hatte ich bei meiner Begeisterung ohne weiteres Nachdenken einfach weggesteckt. Als aber Dr. Schneider am Neunundzwanzigsten pünktlich um Zehn zu unserer Konferenz erschien fiel es mir wie Schuppen von den Augen und wieder einmal konnte ich feststellen, dass es sich immer wieder rächt, wenn man den Denkapparat ausgeschaltet lässt. Wir, Dr. Schneider und ich, kannten uns – sehr gut sogar. Es handelte sich um den Ehemann von Monika Schneider, geschiedene Schreiber, geborene Rollmann. Es war also der zweite Ehemann meiner ersten Frau. Ich weiß nicht wie es anderen geht aber bei mir löst der Nachfolger in meinem Ehebett immer komische Gefühle aus. Unwillkürlich stand mir, immer wenn ich mit Dr. Schneider zutun hatte, Monika wieder voll im Bewusstsein und ich hatte dann auch das Gefühl immer noch etwas für meine Erste zu empfinden. Irgendwie wurde ich bei Begegnungen mit meinem „Nachfolger“ immer etwas traurig gestimmt und in irgendeiner Weise wirkte sich dieses dann auch an diesen Tagen auf mein Verhältnis zu Martina aus. In Schneiders Gegenwart bildet sich bei
mir auch immer so eine Art schmerzliche Rührseligkeit, denn mit meinen Erinnerungen an Monika kam auch immer die Trauer um unseren „kleinen Schatz Oliver“ in mir hoch. Wäre Oliver nicht eines plötzlichen Kindstod gestorben wäre ich vielleicht heute immer noch glücklich mit Monika. Und bei diesen Gedanken muss ich mir noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen hinsichtlich Martina zu machen, denn die hätte ich unter den eben beschriebenen Voraussetzungen überhaupt nicht kennen gelernt. Und jetzt, ... jetzt sollte ich mit diesem Dr. Schneider zusammenarbeiten. Ich kann nicht sagen, ob ich, wenn mir die Person des Geschäftsführers bewusst gewesen wäre, den Vertrag nicht unterschrieben hätte aber zum Höhenflug hätte ich dann jedoch bestimmt nicht angesetzt da ich mir der persönlichen Belastung bewusst gewesen wäre. Andererseits kann ich mir vorstellen das ich diesem Dr. Schneider, einem Neffen des NLZ-Gründers Wolf, unsympathischer bin als er mir ist. Schließlich hatten sein Onkel und der alte Rollmann schon sehr früh Monika als seine Frau ausgehandelt. Da spielten geschäftliche Verbindungen und auch Erbschaften eine maßgebliche Rolle. In den Köpfen mancher Leute muss ja der Mensch, der Mittelpunkt der Schöpfung, hinter dem irdisch vergänglichen Geschäft weit zurücktreten. Der erste „Streich“ den ich diesen Leuten gespielt habe war, dass ich Monika gefiel und sie mich haben wollte, womit sie sich dann auch durchgesetzt hatte. Damals war Monika ein hübsches, munteres und lebensfrohes Mädchen. Als sie Schneider dann doch endlich haben konnte war sie zwar immer noch ein hübsche Frau aber von munter und lebensfroh konnte nicht mehr die Rede sein. Ganz im Gegenteil, sie wirkte resigniert und müde. Das war ja auch der Grund warum sich unsere Ehe praktisch in sich auflöste und sie in ihrer Resignation dann doch den Wünschen ihres Vaters und von Wolf sowie ihres Freiers Schneider nachgab. Anfänglich, zu Beginn seiner Ehe, hatte er in meinem Beisein mal fallen lassen, dass er sich ursprünglich in das Mädchen, was ich bekommen hätte, verknallt habe aber was er als Frau gekriegt habe hätte mit seinem Schwarm nur noch wenig zutun. Ich hätte die Dame wohl kaputt gemacht. Auch einen Wissensvorsprung dürfte er mir sicherlich zur Last anrechnen. Ich wusste von Anfang an, also ab Olivers Geburt, dass Monika mit großer Sicherheit nie ein weiteres Kind haben würde. Als sie sich nach dem Scheidungstermin beim Amtsgericht von mir verabschiedete sagte sie mir, dass außer ihr und den Ärzten nur ich davon wusste. Weder ihre Eltern und insbesondere nicht ihr Zukünftiger wussten also etwas und sie bat mich dieses auch dabei zu belassen und dieses zunächst für mich zu behalten. Ich kann mir vorstellen, dass Wolf und Schneider, wenn sie gewusst hätten, dass es mit Monika keine Erben gibt, umdisponiert hätten, was aber ein schwerer geschäftlicher Schlag für Rollmann gewesen. Ich denke mir, dass Monika bei ihrer Bitte an mich, an ihren Vater gedacht hat. Ursprünglich habe ich mich auch an diese Bitte gehalten. Aber dann, so ganz am Ende der Zeit, die ich offiziell beruflich mit Dr. Schneider zutun hatte, habe ich mich, nach dem mir eine Laus über die Leber gelaufen war, ihm gegenüber verplappert. Das ist natürlich ein harter Schlag für jemanden bei dessen Eheschließung die Erbschleicherei einen gewichtigen Punkt darstellte. Also kurz: Dr. Schneider und ich hatten beidseitig wohl kaum Gründe für eine Freundschaft ... und wir sollten nun zusammenarbeiten. Aber am Rande will ich doch erwähnen, dass Schneider im NLZ-Konzern, obwohl er der Neffe des Gründers war, keine so große Leuchte war, dass er sich unsere Zusammenarbeit als Rache gegen mich selbst ausgedacht haben kann. Er war von Monikas Geld, sprich Gesellschaftsanteile, und dem Wohlwollen seines Cousins abhängig. Wenn meine Person in diesem Falle eine Rolle gespielt hätte – was aber, wie sich später herausstellte, nicht der Fall war – konnte so etwas nur von Monika ausgegangen sein. Den Verdacht hatte ich allerdings erst, was meinem seelischen Gleichgewicht natürlich nicht zuträglich war. Nun, dieses waren meine persönlichen Empfindungen gegenüber diesem „Kerl“. Dieses waren aber bestimmt keine Gründe für die Mitarbeiter, die in den Jahren von 1976 bis 78 schon dabei waren, ihn auch nicht zu mögen. Dr. Schneider war hier im Kreis Neuheim schon einmal Geschäftsführer tätig. Er war der letzte Boss des eigenständigen Neuheimer Kreisboten. Heute steht zwar immer noch groß im Kopf „Neuheimer Kreisbote“ aber darunter steht auch deutlich um was es sich in Wirklichkeit handelt „Neue Landeszeitung NLZ“. Nachdem Rollmann sein „Haus“ in die NLZ eingebracht hatte sind wir von einer kleinen Regionalzeitung zu einer Lokalausgabe verkümmert. Das Druckhaus in Neuheim wurde liquidiert und das Gebäude veräußert. Heute befindet sich in diesem ein großer Baumarkt, der jetzt allerdings eine Auslagerung auf eine „grüne Wiese“ plant. So wie es dem Neuheimer Kreisboten erging geschah es auch anderen kleinen Zeitungen in bundesdeutschen Landen. Die Medienlandschaft wurde schon ganz schön auf profitable Einheits-Meinungs-Schienen zusammengefahren. Den Verlegern kommt es ja nicht auf Meinungsvielfalt sondern auf das Abgrasen des Werbemarktes an. Überall wo kleine Zeitungen geschluckt wurden tauchte Dr. Schneider als Geschäftsführer genannter Abwickler auf. Das war also sein Job: Abwickler. Vielleicht habe ich, als mir Dr. Stöcker den Namen Dr. Schneider nannte, deshalb nicht gleich richtig geschaltet. Das der Abwickler nun als Begründer eingesetzt werden sollte war nun ein absolut neuer Zug der NLZ-Bosse, den man von ihnen noch nicht kannte. Und weil das Unvorstellbare für mich nicht wahr sein konnte habe ich wahrscheinlich das Denken ganz unterlassen. Na ja, meine Kolleginnen und Kollegen beim Boten nahmen mir deshalb anschließend auch übel, dass ich ihnen nicht gesagt habe, das der „Affe wieder antanzt“. Ich kann mich nur damit entschuldigen, dass es bei mir vorher nicht klick gemacht hat.
Aber nicht nur auf Grund der Person des Geschäftsführers konnte ich am 29. Januar 1998 „Oh je, ob das gut geht“ fragen sondern auch der Kreis der Leute, die sich als „Macher“ am Lokalfernsehen beteiligen wollten, gab noch mehr Anlass zu diesem Ausspruch. Dr. Wilfried Schneider hatte uns aus der Konzernszentrale die Unterlagen über die Leute, die sich als Gesellschafter eingetragen hatten sowie deren Vorstellungen über das, was sie machen oder verwirklicht sehen wollten, mitgebracht. Da war natürlich an erster Stelle unser Hexenberger Freund Ernst Schöller, der wie im Offenen Kanal seine naivreligiöse „Wachstunde“ placieren wollte. Im ehemaligen OK war das Alles was er wollte aber jetzt im Privatfernsehen kam noch etwas hinzu. Da wollte er irgend so eine Unterhaltungssendung mit Einkaufswagen in seinen EDEKA-Märkten veranstalten. Da sollten „Kandidaten“ unsortierte Einkaufszettel in die Hand bekommen und dann vor laufender Kamera durch einen seiner beiden Läden jagen. Wer in der vorgegebenen Zeit das Meiste einfährt sollte irgendetwas aus seinem Angebot, was er dann besonders werbemäßig herausstellen wollte, und einen Einkaufsgutschein über 100 DEM (zirka 51 €) erhalten. Ich kann mir nicht helfen aber ich glaube, dass ich so etwas Anfang der 80er-Jahre schon mal irgendwo gesehen habe. Originell war die Idee offensichtlich nicht und ich weiß auch nicht ob man damit heutzutage noch Leute vom Hocker reißen kann. Da schien mir doch die Idee des Sexshopbesitzers Jens Flügge um einiges quotenträchtiger zu sein. Der wollte ein Programm namens „K... sucht K...“ produzieren. K... sollte sowohl für Kätzchen wie Kater in allen möglichen Kombination stehen, also für: Kätzchen sucht Kater, Kater sucht Kätzchen, Kätzchen sucht Kätzchen und Kater sucht Kater. In diesem Programm sollten sich Partnersuchende bei sich in der Wohnung so filmen lassen, wie sie es für schön fanden, also auch nackt oder in Reizwäsche. Diese kurzen Filmchen, etwa zwei oder drei Minuten sollten dann, wenn sich Flügge mit den Leuten in einer Studiobar unterhält, zwischendurch eingeblendet werden. Höhepunkt eines jeden Programms sollte eine Dessous-Modenschau sein. Wenn ich mir vorstelle, was Schöller und Flügge gegenseitig über ihre Programm denken, spielen sich wahrhafte Komödien in mein „grauen Zellen“ ab. Hier das „Wort zum nächsten Tag“ und da „Exhibis für Spanner“ ... eine wirklich tolle Mischung. Nun einen dritten Gesellschafter mit Programmansprüchen kann ich hier ja noch als Beispiel erwähnen. Das war offensichtlich jemand – bis zu diesem Tage kannte ich den Herrn nicht – den man mit unserem Freund Schöller vergleichen konnte; nur dass der aus einer entgegengesetzten Richtung kam. Murad Ökdal ist ein türkischer Brotbäcker, der mit seinen rollenden Ekmek- und Fladenbrot-Läden (Ekmek ist türkisch und heißt einfach nur Brot) im Kreis Neuheim tolle Umsätze erzielt. Fast alle türkischen Mitbürger aber auch viele Deutsche und andere decken sich bezüglich ihres Brotbedarfs bei ihm ein. Ökdal ist ein frommer Muslim und will das was Schöller christlich macht islamisch machen. Er will eine Koranschule produziert sehen; einmal in türkischer und einmal in deutscher Sprache. Aber auch er wollte seine Schleichwerbung im Programm unterbringen. So wie Schöller seine EDEKA-Sonderangebote und Flügge seine Dessous an den Mann beziehungsweise die Frau bringen wollte, dachte Ökdal sein Ekmek und Fladenbrot an die Leute zu bringen. Er wollte aus diesem Grunde türkische Kochrezepte, die natürlich mit seinem Brot am Besten gelingen, den Fernsehzuschauern darbringen. Jetzt könnte ich bestimmt 20 Seiten mit solchen Beispielen voll schreiben aber ich belasse es mal bei den Dreien weil sie auch später in meiner Hexenberggeschichte eine besondere Rolle spielen. Also wir hatten es also mit den unterschiedlichsten Charakteren und ihren direkt contrahären Ansichten zutun. Und das Schlimme an der Sache war, dass es meine Aufgabe sein sollte, alle unter einen Hut zu bringen. Auf Anhieb kann man sehen, dass dann aus der, Martina versprochenen Familienzuwendung in absehbarer Zeit wohl nichts werden konnte. Aber dafür hatte ich mit den Dingen, die ich mir ursprünglich vorstellte, so gut wie nichts zuschaffen. Ich hatte die Berufsbezeichnung „Redakteur“ mit Nachrichten, Berichterstattung und Meinungen assoziiert. Aber mit alle dem sollte unser Lokalsender laut dem, von Schneider mitgebrachten Konzept so gut wie nichts zutun haben. Einmal am Abend und einmal des Nachts sollten zeitversetzte Zweiminutennachrichten eines großen Privatsenders ausgestrahlt werden und im Anschluss sollten für drei weitere Minuten die aufgezeichneten Rundfunklokalnachrichten von 17:30 Uhr gebracht werden. Meinung war mit Rücksicht auf die Werbekunden von vornherein gestrichen worden, was sich aus Schneiders Mund so anhörte: „So lange wir nicht in einer unausweichlichen Position sind können wir nicht das Risiko einer Konfrontation eingehen. Einer unserer Kunden ist in der CDU und der andere in der SPD, einer ist katholisch und der andere evangelisch. Da können wir uns nicht erlauben, die Leute zu verprellen, die die Werbung, von der wir leben, bezahlen. Es dürfte einer ihrer wichtigsten Aufgaben sein, werter Herr Schreiber, möglichst alles was von vornherein so ein Propagandaanstrich hat abzuwehren und wenn mal was schief geht, dürfte es ihr Geschäft sein, die Sache wieder glatt zu bügeln.“. Berichterstattung sollte allerdings willkommen sein – aber nicht so, wie ich mir das vorstellte. Schützenumzüge, Bierstände auf Stadtteilfesten, Osterfeuer, Ausmärsche von Brautleuten beim Standesamt und so weiter sollten die Berichte füllen aber um Gottes Willen nichts von denen Dingen wo den Bürgern der Schuh drückt, was zur Kritik und/oder zur Diskussion führt. Dieses hat laut unseres Herrn Dr. Schneider zweierlei Gründe. Den ersten habe ich ja schon bereits angeführt: Wir leben von den Werbeeinnahmen und können nicht den Ast, auf den wir
sitzen, absägen. Der andere Grund liegt bei den Zuschauern. Diese wollen, wenn sie sich vor die „Bunte Kiste“ setzen abspannen, sie wollen sich dann nicht mit Problemen auseinandersetzen. Diese „zappen“ in „ProblemFällen“ einfach weiter auf den nächsten Kanal und nur öffentlich-rechtliche Programme können sich über so etwas wie Einschaltquoten hinwegsetzen; was sie leider aber auch nicht immer tun. Wer wenig gesehen wird, kann nur wenig – zu wenig – für seine Werbeeinblendung verlangen und wer gar nicht gesehen wird kriegt erst keine Werbeaufträge. Dieses führt dann ganz einfach zu seichten, seichteren und seichteste Programme und das Niveau sinkt und sinkt und sinkt immer weiter. Auch sprachlich verkümmern wir immer mehr. Heutzutage nennen sich schon echte Schmutzpornos, Produkte niedrigster menschlicher Primitivphantasie, Erotik obwohl es dabei eigentlich um das Sinnliche handelt. Was heutzutage in den Fernsehanstalten unter Erotik läuft ist für mich nur abstoßende Schmuddelpornografie – alles zu offensichtlich und zu direkt. So eben habe ich das Wort „Einschaltquoten“ gebraucht und nebenbei erwähnt, dass diese auch für einen Minisender, wie wir einer sein würden, von Bedeutung sei. Jetzt kann man fragen, wie wir hier eine hohe Quote erreichen wollten oder besser gesagt sollten. Die Antwort ist ganz einfach: Erfolgreiche Programme der großen Sender sollten bei uns von Amateuren kopiert werden. Also dachte man an ein Prinzip, was der Staat mit den Bekleidern von Ehrenämtern und die Kirchen unter dem Siegel der Brüderlichkeit betreiben. Wenn alles was unter diesen Etiketten betrieben wird mit vollwertigen Jobs ausgefüllt würde, kämen wir doch tatsächlich auch heutzutage noch einer Vollbeschäftigung nahe. Jetzt liegt natürlich die Frage nach dem, wer das bezahlen soll, mal wieder auf der Hand. Na ja, über andere Verteilungsformen des Sozialproduktes muss man wohl oder übel schon nachdenken. Nur Working-pur-Jobs und Ehrenämter dürften langfristig die Kaufkraft so ausdünnen, dass das Wirtschaftssystem zwangsläufig kollabieren muss. Und dann können auch die Inhaber von Konten mit 6und mehrstelligen Summen darauf nicht mehr sehr viel mit dem, was sie zu haben glauben, anfangen. Die Aufrechterhaltung der Kaufkraft liegt so tatsächlich im Interesse aller. Und wie ginge das besser als mit dem Honorieren von gemeinnützigen oder sozialen Leistungen, die aber ansonsten am „Markt“ nichts einbringen können. Auch Gemein- und nicht nur Einzelnutzen muss, wenn wir eine Zukunft haben wollen, finanziert werden. Aber zurück zum KFN, dem Kreisfernsehen Neuheim. Auch wir wollten also auch Leistungen zum Nulltarif in Anspruch nehmen. Man setzte bei der NLZ auf die Begeisterung und Fähigkeit der Leute von Heute beim Veranstalten eines eigenen Fernsehprogramms und dabei dem Nachahmen ihrer Lieblinge. Meine Aufgabe sollte es unter anderen sein bei angemeldeten Nachahmungen nach dem Original zu Recherchieren und dann die Rechtsabteilung des NLZ-Konzerns mit der Prüfung, ob es sich nicht um ein geschützte Format für das Lizenzgebühren fällig sind handelt, beschäftigen. Sollte dieses der Fall sein, sollte ich mir mit dem Veranstaltungswilligen darüber Gedanken machen wie weit sich die Sache modifizieren lässt, um urheberrechtlicher nicht mehr als Nachahmung zu gelten. Dieses ist dann der Fall wenn, wie es mir die NLZJuristen verrieten, die Nachahmung in der Form wie sie letztendlich präsentiert wird, eine eigene originäre Leistung darstellt. Allerdings ist diese Grenze, wenn man nicht zu den Rechtsverdrehern oder Buchstabenakrobaten im Dienste von St. Justitia gehört, verdammt schwer zu ziehen. Für mich ist darüber hinaus noch nicht einmal einsichtig warum man für Kreuzwort-Wissens-Abfragen überhaupt an den „Urheber“ zahlen soll. Auf so etwas hätte doch der Grundschüler Hein Lustig als sein Beitrag zur Abschlussfeier bei der Klassenfahrt kommen können. Ich vermag zum Beispiel an den Ouiz-Show-Formaten keine besondere Urheberleistung erkennen. Also bei uns sollten die Leute also ihre Macher-Leistungen dem Sender zum Nulltarif zur Verfügung stellen damit dieser teuere Werbeminuten verkaufen kann. Die fehlende Professionalität sollte durch lokale Dabeiseinsund Zugehörigkeitserlebnisse ausgeglichen werden. Man setzte darauf, dass die Leute ein erhöhtes Interesse an Produktionen an denen sie selbst, ihre Freunde, Verwandte, Nachbarn und/oder Bekannte mitgewirkt haben beziehungsweise wo sie Orte, die sie aus eigenem Erleben kennen, entdecken können, haben. Irgendwie steckt in den Menschen immer die Vorstellung, dass die selbstgemachte Kartoffelsuppe von keinem Menü eines Meisterkochs übertroffen werden kann. Schneider äußerte die Ansicht, dass ein Spiel der 3. Kreisklasse, wenn es im lokalen Fernsehen übertragen wird, mehr Reiz auf Spielereltern und –frauen ausübt als ein gleichzeitig im großen Fernsehen ausgestrahltes Champions-Liga-Spiel. Aber leider nur auf die. Deshalb sollte meine Aufgabe darin liegen, im Auge zu behalten was bei den Großen läuft. Wenn da etwas wäre, gegen das man absolut „nicht anstinken“ kann, sollten da die Minderheitenproduktionen, die sich außer den Beteiligten ohnehin niemand ansieht, gebracht werden. Dann habe man das Alibi, das auch die berücksichtigt werden und lassen sich von „ihrem Sender“ die Einkaufstipps geben beziehungsweise platzieren selbst welche. Ziel ist es demnach für einen Apfel und Ei zu produzieren und dabei aus dem lokalen Werbemarkt das Maximum herauszuholen. Am 1. April 1998 sollte das KFN starten und dann gleich mit 2 bis 3 Stunden/Tag Eigen- sprich Billigstproduktionen. 8 Stunden täglich, von 16 bis 24 Uhr, sollten gesendet werden. Wobei der Rest der Zeit, die nicht mit Produktionen der Marke Eigenbau gefüllt werden konnte, mit älteren Soaps aus US-Produktionen zugestopft werden sollten. Laut Schneider sollten sich die Eigenproduktionen schon im Laufe des Jahres 1998 über die 50% Grenze bewegen.
Es war also alles bestens durchdacht – nur nichts in der Richtung wie ich mir das dachte. Das war nichts mit einem demokratischen Medium, nichts mit erweiterter Möglichkeit zur Umsetzung des Artikel 5 des Grundgesetzes und nichts mit Gegenströmen zum Einheitsmassentrend. Hätte ich das vorher gewusst, dann wäre ich bestimmt das geblieben, was ich war: Leiter der Lokalredaktion Saßmannshausen. Jetzt hatte ich aber diese verdammten Verträge unterzeichnet und mein Nachfolger bei der Zeitung saß bereits auf meinen Stuhl. Einen Weg zurück gab es für mich also nicht mehr. Aber auch Grömmer bekam gleich einen „über den Deckel“. Seine Technik war nach dem Willen der „NLZ-Fürsten“ nur für die Startphase bestimmt. Wenn alles gut liefe, sollte eine Werbefernsehproduktionsgesellschaft einsteigen und Horst Grömmer sollte dann nur deren Mann vor Ort sein. Am Ende unserer „Begründungskonferenz“, die einschließlich Geschäftsessen zu Mittag acht Stunden dauerte, fühlten sich Grömmer und ich wie versandfertig verpackt. Wie sich Schneider an diesem Tage fühlte kann ich nicht sagen, da es sich bei ihm um einen durchtrainierten Manager, der Gesichtsausdrücke und Körpersprache voll im Griff hat, handelt. Und das er sich mir gegenüber oder auch nur in meinen Beisein persönlich äußert kann man ja bei unserem privaten Verhältnis nicht verlangen – umgekehrt machte ich dieses ja auch nicht. Als ich an diesem Abend nach Hause kam empfing mich Martina mit den Worten: „Na mein Göttergatte, knapp zwei Wochen sind eine verdammt lange Zeit. Da kann man schon alles vergessen, was man seiner Frau versprochen hat. Ich glaube heute war wohl der erste Rückfalltag. Hattest du mir nicht versprochen, dass wir gemeinsam zum Einkauf nach Neuheim wollten. Aber da war die Arbeit wohl wieder wichtiger wie die Ehefrau. Wenn eine Frau mal Vierundvierzig ist, ist wohl der Glanz von ihr ab und man kann sie aufs Abstellgleis stellen. Ein Glück, dass nicht alle Kerle so denken, denn dann sähe es wirklich trübe um uns Frauen aus.“. Mit „Entschuldigung Mäuschen“, leitete ich dann meine begründende Erzählung vom Tage ein. Martina sah dieses offensichtlich ein, denn recht freundlich sagte sie: „Ach, das kann ich ja verstehen, aber du hättest zumindestens anrufen können. Und ich hoffe ja nur für uns beide, dass du alles so in den Griff bekommst, dass du mittelfristig doch das einhalten kannst, was du vor 14 Tagen versprochen hast. Sicherlich wird sich das alles im Laufe der Zeit ein Wenig einspielen und verselbstständigen. Es werden bestimmt auch Leute hinzukommen. Hauptsache ist aber, dass du nie vergisst, dass deine Frau auch dann noch da sein sollte, wenn die Arbeit für jüngere Leute wie dich vorgesehen ist. Selbst wenn du beabsichtigst so lange zu arbeiten bis du ein Tattergreis bist, lassen dich die anderen nicht dazu kommen. Zum Ende deines Arbeitsleben bleibt noch eine Menge eigentliches Leben über. Wenn du dann vorher dein privates Umfeld vernachlässigt hast stürzt du ins Leere. Man sollte, wenn man glücklich alt werden will, nie vergessen, dass die Familie in diesem Sinne immer wichtiger wie die Arbeit ist.“. Bei dieser Gelegenheit machte ich nun innerhalb von zwei Wochen zum zweiten Mal die erstaunliche Erfahrung, dass ich mich von philosophisch veranlagten Frauen umgeben sah und ich zuvor davon noch nichts gemerkt hatte. Zuvor war es unsere Tochter Stefanie und jetzt Martina, meine Frau, die mich mit zutreffenden Lebensweisheiten versorgte. Dass da eine dritte Person, dessen Naturell so etwas war, dahinter steckte, wusste und ahnte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Jetzt ging ich erst mal nach einer kurzen Überlegungsphase auf das soeben gehörte ein: „Du hast wirklich recht mein Schatz. Da macht man sich zwischen Erwachsenwerden und Eintritt in den Rentenstand immer nur Gedanken um Beruf, Karriere und Einkommen und vergisst dabei, dass es sich nur um die wichtigste Nebensache handelt. Um biologisch existieren zu können brauch man Nahrungsmittel, um sich gegen die Unbilden der Natur zu schützen brauchst man Kleidung und ein Dach über den Kopf und da man nicht vom Brot allein leben kann auch noch so manches mehr. Um dieses zu erhalten, musst du entweder auf einer einsamen Insel leben und dir alles selber machen oder du musst das, was du hast und kannst, mit Hilfe des Tauschhilfsmittels Geld gegen die Dinge, die du brauchst, eintauschen. Und nur diesem Zweck dient die Arbeit ohne die man theoretisch – natürlich nur in einem paradiesischem Umfeld, auch leben könnte. Und da hängen wir dann Alles, unser ganzes Denken dran auf, wobei wir vergessen, dass alles andere, Familie, Freunde und die Natur, viel, viel wichtiger sind. Denn dass ist Leben ... und zu diesem Zweck sind wir auf der Welt. Also Martina Mäuschen, es bleibt bei meinem Versprechen, dass ich meinen beruflichen Aufwand weitgehenst zurückschraube und mich auf dich und Steffi konzentrieren werde.“. Ob ich damals selbst fest daran glaubte kann ich heute nicht mehr sagen aber große Worte ließen sich immer schon gelassen aussprechen. In der, diesem kleinem Gespräch folgenden halben Stunde wechselten wir, das Ehepaar Schreiber, so gut wie keine Worte miteinander. Martina hatte sich Reisekataloge aus Wollerst mitgebracht, die sie jetzt erst mal querlas und ich dachte, inspiriert durch unseren vorhergehenden Wortwechsel, über mein Leben nach. Was wäre gewesen wenn ich mich mit einigen Dingen begnügt hätte. Muss es wirklich sein, dass wir alle zwei bis drei Jahre einen neues Auto oder einen neuen Fernseher bekommen? Musste der neue PC im Gigahertz-Bereich wirklich sein oder hätte es der Pentium II noch ein Weilchen getan? Müssen wir wirklich jedes Jahr eine Flugreise an einen entfernteren Ort unternehmen? Hätte ich mich mit weniger begnügt, hätte ich mich weniger „krumm legen“ müssen. Dann hätte ich mehr Zeit für Martina, unsere Tochter, für die Liebe und für das Ausspannen gehabt. Ich hätte von Zeit zur Zeit die Seele baumeln lassen und träumen können. Alles was so
herrlich ist, alles was glücklich und lebensfreudig macht, hätte ich mir „leisten“ können. Ich kam auf den Gedanken, dass alles das, was das Leben ausmacht überhaupt nichts kostet aber wir hecheln den Dingen nach, die uns immer nur ein kurzes, schnell vergessenes Hochgefühl verschaffen. Ob ich aber dann, bei einer solchen Auffassung an die Frauen, die mich glücklich machten und die ich liebte beziehungsweise immer noch über alles liebe, „geraten“ wäre, schien mir doch fraglich. An Martina vielleicht doch – aber Monika? Also dieser Tag hatte noch etwas anderes als Ärger über meine berufliche Zwangslage, in die ich mich selbst begeben hatte, gebracht – der Gedanke an Monika. Ich weiß nicht, wann ich vorher das letzte Mal an sie gedacht hatte und jetzt schoss mir laufend ein mit ihr zusammenhängender Gedanke durch den Kopf. Es ging sogar soweit, dass ich an die Dinge, an die ich, seitdem ich mit Martina zusammen bin, nicht mehr gedacht habe. Ihr nackter Körper, die Begebenheiten unserer intimen Zusammenkünfte und die Anmut ihrer Bewegung bauten sich wieder bildhaft vor meinem Geist auf. Auf einmal begann ich Martina und Monika miteinander zu vergleichen. Das hatte ich, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, noch nie gemacht. Dabei unterlief mir natürlich ein gewaltiger Fehler. Ich hatte Monika nach unserer Scheidung nur gelegentlich und dann flüchtig gesehen. So war in dem Abbild in meinem Gehirn Monika immer noch die jugendliche und Martina, die ich ja immer um mir hatte, die reife Frau. So schrieb ich alle Vorzüge und Nachteile, die die Jugend mit sich bringt, Monika und überall, wo es auf Reife ankommt, Martina zu. „Seltsamer Weise“ kam Monika dabei schlecht weg, denn auch ich war ja irgendwie gereift und mein Geschmack und Empfinden ging in Richtung der eigenen horizontalen Ebene. Aber irgendwo erwachte auch in mir der Wunsch noch einmal mit Monika zusammenzukommen. Trotzdem schoss auf einmal der Gedanke, dass Monika an allem meinen Miseren Schuld sei, in mir hoch. Hätte sie mich damals nicht verführt, wäre ich niemals auf den Gedanken gekommen, mich unter die Redakteure zu mischen. Ohne dieses wäre ich dann auch nicht auf die Idee einer Karriere im lokalen Rundfunk oder Fernsehen gekommen. Und jetzt, nach mehr als 20 Jahren wischt sie mir dann noch eins aus. Es war richtig seltsam: Seit 23 Jahren war Monika weder im negativen noch positiven Sinne ein Thema für mich gewesen. Jetzt spürte ich sowohl auf der einen Seite ein erneutes Begehren nach ihr und auf der anderen Seite hasste ich sie auf einmal – was bis jetzt noch nicht der Fall war. Da rutschte mir „Scheiß Monika“ raus. Martina schaute urplötzlich von ihren Reiseprospekten auf: „Was ist denn mit dir auf einmal.? Bisher hast du doch von deiner Ersten, ... wenn du überhaupt von ihr gesprochen hast, immer nur sachlich nett gesprochen. Und jetzt auf einmal ‚Scheiß Monika’“. Ich begründete ihr meine „Erregung“ damit, dass mich mein neuer Boss nun zwangsläufig an Monika erinnere und ich jetzt förmlich mit diesem Dr. Schneider zusammenarbeiten müsse. Darauf sagte auch Martina: „Oh je, ob das gut geht?“. Na ja, der Leser wird es noch erfahren, denn Monika spielt in diesem Roman eine Hauptrolle. Lesen Sie einfach weiter.
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Wer will, der darf Nach dem Tage der Schreckenskonferenz am 29. Januar 1998 hatte ich mir zuvor schon ein langes Wochenende verordnet. Bereits am Mittwoch, also am Achtundzwanzigsten, hatte ich meinen Ausstand als Leiter der Saßmannshauser Lokalredaktion des Neuheimer Kreisboten gegeben und offiziell war ich ab dem 1. Februar der Chefredakteur des sich in Gründung befindlichen Kreisfernsehens. Zwischen Zeitung und Television sollte also jetzt eine Familienzeit eingelegt werden. In allen Jahren zuvor fielen solcherlei Wochenenden immer in die Sommermonate und dann waren immer Ausflüge, mal nur Tagesausflüge und mal übers ganze Wochenende, zu Dritt, also Martina, Steffi und ich, angesagt. Ein ganzes Wochenende stand immer dann zur Debatte wenn Steffi nicht noch an dem Freitag davor oder dem Montag danach zur Schule musste. Die sogenannten Brückentage, also zwischen Himmelfahrt oder Fronleichnam und dem eigentlichen Wochenende, fielen bei uns in all den Jahren nur sehr selten an, da ja auch in diesen Tagen Zeitungen erscheinen und ich immer, um innerredaktionelle Kollegenkriege zu vermeiden, die „Wacht vor Ort“ freiwillig selbst übernommen hatte. Nun fiel ein solches Wochenende mitten in den „kalten Winter“. Was ja im Grunde nicht schlimm ist, denn auch Ausflüge in den Schnee sind ja, wie ich heute wieder weiß, was sehr schönes. Aber an diesem Wochenende war nichts in dieser oder jenen Richtung. Es war zwar kalt aber es lag kein Schnee und die dunklen, trüben Tage lockten auch nicht ins Freie. So blieben wir dann halt in unserer Burg – My Home is my Castle – und planten es uns gemütlich zu machen. Wann hatte es so etwas denn schon mal gegeben? Entweder gingen wir im Alltagsstress getrennte Wege oder waren irgendwo auf Tour. So etwas kannten wir eigentlich nur von Weihnachten, dass bei uns in der Familie in einem geregelten und bis auf kleine Nuancen immer gleichen Ritual ablief. Ein Ritual für ein „Nur-soWochenende“ hatten wir aber nicht. Da wurde uns dann auf einmal deutlich, wie wir uns im Lauf der Zeit an einander abgeschliffen hatten. Es mangelte uns an Ideen wie wir das Wochenende ausgestalten sollten. Wenn man zuhause bleibt, ist es unumgänglich, dass mal dieses oder jenes im Haushalt anfällt. Bei solchen Gelegenheiten kam häufig von Martina die Beschwerde, dass sie alles allein machen müsse und ich konnte ihr immer nur entschuldigend sagen, dass sie mich schon auf einzelne Dinge aufmerksam machen müsse, denn ich hätte da überhaupt keine Auge für. Dazu gab dann Martina auch mal einen, auch aus meiner Sicht passenden Kommentar: „Du stellst dich im Haushalt an wie ein Politdepp draußen im Lande. Die verplempern ihr Leben, in dem sie pausenlos den großen Politikus kaspern und haben kein Auge dafür was draußen im Lande wirklich los ist. Da muss man sie schon drauf aufmerksam machen. Aber wenn dann jemand kommt, der sie dann tatsächlich auf etwas aufmerksam machen will, haben sie gerade in diesem Moment etwas Wichtigeres zutun.“. Viele kleine Dinge, die uns aneinander störten aber in der Regel immer übersehen wurden – wer hat nicht diese oder jene kleine Macke – führten an diesem Wochenende, an dem sich auch Martina den Freitag freigenommen hatte, zum erregten Wortwechsel. Allerdings richtig gestritten haben wir uns an diesen paar Tagen jedoch nicht. Mit Steffi hatte es eine ganz besondere Bewandtnis, nämlich keine besonderes oder überhaupt keine. Sie verbrachte das Wochenende wie jedes andere auch und war so auch überwiegen außer Haus unterwegs. „Na,“, wird jetzt dieser oder jene sagen, „warum auch; nur weil es mal ein Tag mehr wie üblich war machst du eine solche Schau.“. Dem kann ich jedoch entgegnen, das mein Job die Bezeichnung „Redakteur“ trug. Wenn des Morgens Zeitungen erscheinen sollen, muss die Vortags jemand gemacht haben. Und dann ist auch zu überlegen was an den Wochenenden alles an Veranstaltungen, wo man gerne jemand von der Zeitung gesehen hätte, stattfindet. Ja und so kannte ich eigentlich das, was andere unter einem Wochenende verstehen, gar nicht so recht. Wenn es nach den neoliberalen Traumtänzern, die den einzigsten Zweck des Lebens in dessen wirtschaftlichen Nutzen sehen, ginge würde das Wochenende ohnehin bald abgeschafft. Da propagiert man zum Beispiel das schöne gemütliche Sonntagsshopping. Na ja, wenn wir irgendwann unseren Sonntag für den Einkauf freihalten müssen, weil die Händler im Umland nicht mithalten können und dicht gemacht haben, wenn also aus einer Kür eine Pflicht geworden ist, wird man feststellen, dass da nichts mehr mit schön und gemütlich ist. Und wirtschaftlich bringt es auch nichts, denn Kaufkraft ist keine durch Sonntagsöffnung dehnbare Masse. Die Phrase der Konservativen, dass die Familie die Keimzelle des Staates sei, dürfte, wenn wir den Sonntag weg liberalisieren, noch dümmer erscheinen wie sie in unserer „globalisierten“ Welt jetzt schon ist. Wir, die Familie Schreiber, sind doch das beste Beispiel dafür. Steffi ging von Montags bis Freitags zur Schule und an den gleichen Tagen ging Martina in Wollerst ihrem Job als Exportkauffrau nach. In dieser Zeit war ich in den Morgenstunden dann sehr oft allein in den heimischen 4 Wänden. Des Morgens läuft in überwiegend ländlich strukturierten Landreisen selten etwas, was die Anwesenheit eines Redakteurs verlangt. Aber spätestens um Zwölf war ich dann doch in der Redaktion, denn um 16 Uhr musste die Lokalseite stehen. Das heißt, das Geschehen des letzten Abends und der Nacht muss relegiert und gespiegelt sein. Nicht selten sondern sogar regelmäßig musste ich auch noch gar nicht geschriebene 2- oder 3-spaltige Artikel spiegeln, nämlich dann wenn Spätnachmittags oder am frühen Abend Rats- und/oder Ausschusssitzungen oder wenn mal außergewöhnliche
Veranstaltungen stattfanden. Das war dann bei uns in der Redaktion die Sache des „Chefs“, also mein Job. Ich musste dann während der laufenden „Veranstaltung“ den bereits vorher „dimensionierten“ Artikel „zusammenklopfen“. Dieses konnte mitunter eine ganz schöne Knochenarbeit sein. Da gab es dann Ratssitzungen mit 12 Tagesordnungspunkten. Im Grunde konnte man dann Punkt 1 bis 11 als eher unwichtig für die breite Öffentlichkeit bezeichnen aber der 12 sollte dafür ganz brisant sein. Wenn man dann „pi mal Daumen“ für jeden dieser Vorpunkte 10 Minuten, also insgesamt 110 Minuten, kalkulierte müsste das heiße Eisen kurz vor Sieben an der Reihe gewesen sein. Selbst wenn die Rastherren und –frauen sich an dem heißen Punkt ein bis anderthalb Stunden aufgehalten hätten, wäre es für einen geübten Mann wie mich kein Problem gewesen den eingeplanten 2-Spalter bis Neun – danach war für mich allerdings absolut finito; nichts geht mehr – bei der Druckerei zu haben. Aber dann legten die Ortspolitikusse los und hielten sich eine dreiviertel Stunde unter Punkt 3 damit auf ob der Abfalleimer am Stadtgarteneingang in den letzten Wochen ein oder zwei Mal pro Woche gelehrt worden war und so weiter. Im schlimmsten Fall blieb mir dann immer nur noch die Möglichkeit, den Krimskrams auszumalen und auf einen weiteren Bericht hinzuweisen. Dann gab es bei einer solchen „Liveberichterstattung“ auch noch das Problem, dass die Artikel immer „amerikanisch relegierbar“ sein mussten. Unter dieser Art und Weise des Relegierens versteht man ein Vorgehen, bei dem man vom Ende eines zu lang geratenen Artikels immer so viel wegnimmt bis er passt. Sinn der Sache ist es, das ein Schlussredakteur oder auch der Setzer, der den Seitenumbruch ausführt, im Falle eines Falles reagieren kann, denn die Rotationsmaschinen müssen pünktlich anlaufen wenn der Abonnent zum Frühstück seine Zeitung lesen will. Nun, Schlussredakteur oder Setzer sind jedoch bei der Sache nicht dabei gewesen und da sie fernab von Saßmannshausen wohnen, wussten die oft auch gar nicht, um was es da eigentlich unter dem Saßmannshauser Kirchenturm ging. Die mussten im Blindflug handeln können, sprich es musste die Möglichkeit zum amerikanischen Relegieren bestehen. Für den Redakteur heißt das natürlich, dass das Wichtigste ganz vorne stehen mussten und ans Ende gehörte das, wo es letztlich verzeihlich war, wenn es unterging. Alles mit ein Wenig Übung kein Problem, nur wenn es bei einer Ratssitzung umgekehrt läuft, wenn das was man bringen kann aber auch nicht, zuerst abgehandelt wird und das, was unbedingt gebracht werden muss, also im Artikel oben stehen muss, erst fünf Minuten vor Toresschluss in Angriff genommen wird. So eine Eiertanzerei konnte ich als der „verantwortliche Mann“ auch schlecht delegieren; da musste ich dann auf Kosten meiner Familie dann immer selber ran. Der Sonntag wies in unserer Familie zum Alltag den Unterschied auf, dass es für die Frauen des Hauses Schreiber, wie für die meisten anderen Arbeitnehmer in unserem Lande auch, ein arbeits- beziehungsweise schulfreier Tag war aber für mich zunächst fast alles so lief wie an einem Werktag. Was meine Tätigkeit von Mittag bis Abend anbelangte konnte ich am Sonntag keinen Unterschied zum Werktag entdecken, schließlich erscheinen des montags Zeitungen und die Lokalseiten dürfen nicht als Vakat (Leerseite) laufen. Da musste ich genau so ran wie an allen anderen Tagen, denen ein Erscheinungstag folgte, auch. Der einzigste Unterschied war, dass an diesem Tage der Abend auf den Morgen geklappt erschien. Sonntagsmorgens ist, insbesondere bei Kirchengemeinden und Sportvereinen – abgesehen von den Sportveranstaltung selbst, für die ich ja auch nicht zuständig war – eine ganze Menge los. Zwar stand ich da nicht unter Zeitdruck aber in der Regel musste ich mich doch selbst zur Berichterstattung begeben, denn wenn ich gewartet hätte, bis schreibfreudige vereins- oder gemeindeinterne Leute mir was zum Relegieren vorbeigebracht hätten, wäre sehr oft der Nörgelruf der Leser, dass wir immer 2 oder 3 Tage „hinterherhinken“ erfolgt. Schließlich wollten ja die in Frage kommenden Leute auch ihren Sonntag haben. Ich will aber jetzt nicht das Redakteurs-Klage-Lied abfassen, denn schließlich geht es anderen Berufsgruppen wie Polizei, Ärzten, Krankenschwestern, Gastronomiemitarbeitern, Taxi- und Busfahren, Zugpersonal und, und, und gleich oder ähnlich. Mein Ausgangspunkt war ja eben die Auswirkung von Sonntagsarbeit auf die „Keimzelle des Staates“. Familienleben findet bei wegrationalisierten Sonntagen immer nur sporadisch bei passender Gelegenheit und im Urlaub statt. Dieses gilt insbesondere dann, wenn ein Partner praktisch einem Allzeitjob und der andere einer normalen Arbeitszeit nachkommt. Man verschleißt mit der Zeit und die Familie verkommt zu einer kleinen wirtschaftlichen Einheit, zu einer Zweckgemeinschaft, die dann je nach Mentalität des Einzelnen vielleicht sogar noch als Belastung empfunden wird. Also, nicht nur weil es das dritte Gebot gebietet sollten wir den Sonntag heiligen, was in diesem Fall insbesondere arbeitsfrei halten heißt sondern auch um den Familien den besonderen Schutz, den das Grundgesetz verspricht, zu gewährleisten. Gesellschaften die eine Zukunft haben wollen sind auf gesunde Familien angewiesen und diese kann es nur geben, wenn wir den Raum schaffen, in dem sich diese entwickeln und entfalten können. Jetzt dürfen wir nicht die Summe der wöchentlichen Arbeitszeit und Ausgleichstage im Auge haben, sondern wir brauchen einen ganz bestimmten Tag, den Sonntag, um auf Dauer als Gesellschaft zu überleben. Leute, die den Sonntag wirtschaftlich umfunktionieren wollen, sind in der Regel Kurzzeitdenker oder leben nach der Devise: Hauptsache ich und nach mir die Sintflut.
Gerade an dem Wochenende, von dem ich hier berichte, wurde mir dieses mal wieder richtig bewusst. Deshalb suchte ich auch am Sonntagabend das Gespräch mit Martina. Ich plauderte in dem Sinne wie ich es zuvor beschrieben hatte und dann unterbreite ich ihr meine Vorsätze wie ich als Fernsehchefredakteur meinen vorrangigen Familienpflichten nachkommen wollte. Ich hatte dabei nicht den Eindruck als würde sich Martina darüber freuen und sagte ihr diese dann auch. Besonnen antworte sie: „Ach Reiner, du bist ein kluger, verständiger und einsichtiger Mann ... Deshalb liebe ich dich ja auch. Aber leider gilt dieses alles bei dir nur in der Theorie. In der Praxis verhältst du dich dumm und uneinsichtig ... Das meine ich jetzt beim besten Willen nicht Böse, aber leider ist es so, dass du, wenn du meinst, das man etwas von dir verlange, immer gleich nach anderer Leute Pfeife gegen deinen Verstand, gegen deine eigene Einsicht und Überzeugung tanzt. Wie oft hast du in den über zwei Jahrzehnten, in denen wir ein Paar sind, immer richtige Vorsätze nicht nur verkündet sondern sogar gelobt. Dann kam der erste Windstoß und bums, mein Reiner war wieder umgefallen. Jetzt kann ich mich gar nicht mehr freuen, wenn du mal wieder Vorsätze verkündest. Was würde es mich freuen, wenn du dich diesmal tatsächlich mal daran halten würdest.“. Ich gelobte es an diesem Abend trotz der schlechten Erfahrungen der Vergangenheit jedoch wieder einmal hoch und heilig. Diesmal wollte ich mich aber auch eisern an meine Vorsätze halten, diesmal wollte ich nicht wieder umkippen. Ich dachte mir, dass dieses am Besten nach der Devise „Wer will, der darf und wenn er darf, dann soll er mal machen“ ginge. Ich hielt diese Devise nicht nur für klug in Richtung „Freiraum für mich“ sondern auch für sehr demokratisch. Es sollten keine Hürden zwischen Produktionswilligen und Produktionen aufgebaut werden. Ich musste nur drei Gruppen aus allen, die wollten, raus selektieren. Die eine Gruppe sind die Leute, die „man könnte“, man sollte“ oder „man müsste“ sagen. Das sind nämlich die berühmten Zeitgenossen, die mit Ideen und Vorschlägen immer schnell bei der Hand sind und sich dann darüber freuen, wenn andere sie realisieren. Gleichgültig ob deren Ideen gut oder „absoluter Käse“ sind, ich musste mir diese vom Halse schaffen. Hätte ich mich auf diese Leute eingelassen, hätte ich meine Vorsätze gleich ganz tief eingraben müssen, denn deren Ideen hätte ja von jemanden umgesetzt werden müssen und bei unserer anfänglichen personellen Ausstattung wären da nur Horst Grömmer und ich selbst in Frage gekommen. Aber es gibt ein kleinen Trick um „Nur-IdeenVortrager“ mundtot zu machen. Man muss nur ihre Aktivität einfordern. So schrieb ich denen meine Bitte, dass sie ihre „guten“ Ideen präzisieren und Realisierungsvorschläge unterbreiten möchten. Meine Rechnung ging auf: Eine Antwort wäre ja mit Arbeit verbunden gewesen und so hörte ich dann von diesen Kandidaten auch nichts mehr. Die beiden anderen Gruppen musste ich nicht nur abwimmeln sondern sogar abwehren. Das waren einmal die Leute, die etwas strafrechtlich relevantes vorschlugen. Also so etwas in Richtung von Pornografie, Volksverhetzung und Beleidigungsdelikten. Ich muss aber sagen, dass ich bei allen, die bei unserer Sache so etwas in diese oder jene genannte Richtung vorschlugen, nichts vorsätzlich Böses erkennen konnten. Es handelte sich ausschließlich um naive Auswüchse irgendwelcher perversen Phantasie. So wollte einer eine SadomasoShow, so wie er dieses aus einschlägigen Amsterdamer Etablissements kannte, im Lokalfernsehen präsentieren. Ein anderer wollte nach der Devise „Vorsicht Kamera“ versteckte Aufnahmegeräte in Hotelzimmern unterbringen. Ein Dritter wollte in Diskotheken den Wettbewerb um den Golden Penis „Wer hat den längsten“ veranstalten und das Ganze im Fernsehen übertragen. Volksverhetzung war aus meiner Sicht überhaupt nicht dabei. Aber Beleidigungsdelikte gepaart mit pornografischen Aussagen wurden allerdings mehrfach vorgeschlagen. Das lief dann unter dem Stichwort „Comedy“. Im Grunde hatten die sich lediglich diese Schundvorlagen für über Jeden-Mist-Lacher aus den großen Privatberieselern zum Vorbild genommen und nicht an die juristischen Gradwanderungen zwischen Gut und Böse gedacht. Aber auch bei dieser Gruppe hatte ich keine Abwimmelprobleme. Es genügte der Hinweis auf das Strafrecht und mein Vorteil war dann auch noch, dass ich denen nicht selber schreiben brauchte sondern dieses konnte ich über Dr. Schneider an die NLZRechtsabteilung weiterleiten. Der Grund für diesen Weg lag darin, dass wir den Leuten schon sehr klar und glaubwürdig sagen wollten, dass es so nicht ginge aber „unsere“ Buchstabenakrobaten sollten diese Leutchen trotzdem bei Lust und Laune halten. Schließlich handelte es sich grundsätzlich um Werbekunden und Gesellschafter in spe. Deren Geld, was in die Kassen unseres Unternehmens umgeleitet werden konnte, wollten wir ja nicht böse gesonnen sein. Die andere abzuwehrende Gruppe stellte die härteste Nuss da. Das waren die Leute, die versteckt, in scheinbar harmlosen Sachen, massive einseitige Propaganda in eine bestimmte weltanschauliche Richtung an die Leute bringen wollen. Zum Beispiel wollte jemand monatlich ein Programm unter dem Titel „Saturday-Night-Party“ veranstalten. Eingepackt in netten Spielchen und Musik, präsentiert von einer heimischen Oldie-Band, sollten die Gäste über die Themen, die ihnen in diesem Monat besonders am Herz gelegen haben, plaudern. Im Grunde keine schlechte Idee und hätte der „Knabe“ nicht in seinem Konzept bereits die Leute genannt, die er einladen würde und die auch mitmachen wollten, wäre ich ihm doch glatt auf dem Leim gegangen. Auch im Hinblick auf die Person des „Produktionswilligen“, der stellvertretener Vorsitzender der Neuheimer Kreisunion und Vorsitzender im Verband junger Unternehmer in Kreisverband Neuheim ist, gab es bei mir, obwohl der Bundestagswahlkampf 1998 langsam anlief, noch keinen Grund um so etwas abzuwehren. Aber dass es sich bei
den Gästen ausschließlich um rhetorisch gewandte Leute aus seinen Kreisen handelte, unter anderem sollte ständig der CDU-Wahlkreiskandidat dabei sein, und das er diese Sache vorerst mal bis September – Anfang Oktober 98 waren die Bundestagswahlen – produziert wissen wollte, ließ es doch wohl auch naiven Mitmenschen eindeutig erscheinen, was dieser Herr da im Schilde führte: Schmackhaft verpackte Wahlwerbung für seine Partei. Mein soeben genanntes Beispiel ist nun sehr krass und offensichtlich. So einfach haben mir das die anderen „Kandidaten“ nicht gemacht. Da ich zwar aus meiner bisherigen Tätigkeit alle Spezis aus Neuheim und Saßmannshausen sowie die von der Kreisebene kannte aber nicht 100%-ig die, die aus den anderen 13 Gemeinden des Kreises kamen, musste ich in dieser Angelegenheit meine Exkollegen aus den zuständigen Lokalredaktionen zu den Produktionswilligen beziehungsweise Gesellschafterkandidaten aus ihrem Bereich befragen. Das musste ich tatsächlich in jedem vorliegenden „Fall“ machen, denn ein verstecktes faules Ei kann man nur entdecken, wenn man weiß welche Henne es gelegt hat. Und jetzt darf man den Menschen auch nicht grundsätzlich was Böses unterstellen, denn mancher engagierte Partei- oder Verbandsfunktionär hat bei seinen Vorschlägen beziehungsweise Konzepten nicht gleich an Missbrauch gedacht sondern hat es so gemeint, wie er es niedergeschrieben hat. So war es in den Monaten Februar und März meine selbstgestellte Hauptaufgabe mit diesen Leuten persönliche Gespräche zu führen. Verhärtete sich dabei mein Eindruck, dass das wahre Anliegen „Schleichpropaganda“ hieß holte ich das Wort „Ausgewogenheit“ aus dem Hut und schlug vor, auch die andere Seite zu beteiligen. Gewerkschaft zu Arbeitgeber, SPD oder Grüne zu CDU oder F.D.P. und so weiter. In den meisten Fällen war dann der Kuchen gegessen und die Leute basteln sich Ausreden um den Kopf aus der Schlinge zunehmen. Und ging man auf meinen Ausgewogenheitsvorschlag ein, war ja die Welt in Ordnung. Die Mehrheit war aus meiner Sicht jedoch „ehrlich“ und in einem solchen Fall packte ich zu diesen, wie zu allen mir unverdächtigen Anmeldungen, die Unterlagen zusammen und übergab sie meinem Kollegen Horst Grömmer, damit er sich mit den Leuten über die Realisierung unterhalten konnte. Allerdings eines hatte ich bereits am ersten Tag erledigt. Alles was ideenmäßig in die gleiche Richtung marschierte habe ich zusammen gelegt und die Leute mit gleichen Ideen nach dem Gespräch mit ihnen zu gemeinsamen Taten an einen runden Tisch gebracht. Jetzt könnte man sagen, dass für zufällige Übereinstimmungen in einem so kleinen Kreis, wie dem unserigen, keine hohe Wahrscheinlichkeit für solche Übereinstimmungen besteht. Mathematische ist diese Annahme richtig aber praktisch muss man die eingegrenzte Fantasie und mangelnde Innovationsfreude heutiger Menschen denken. Ausnahmslos liefen die Vorschläge in Richtung Nachahmung; einmal von erfolgreichen, damals aktuell im großen Fernsehen laufenden Programmen und einmal in einem Anflug von Nostalgie in die Richtung von großen Sendungen vom Ende der 50er- beziehungsweise Anfang der 60er-Jahre. Und dann blieb letztlich relativ wenig über und ich befürchtete schon, dass wir mit den vorliegenden Sachen die vorgesehenen Sendeplätze nicht füllen konnten. Dahingehend wollte ich dann zu gegebener Zeit, die Leute über den Neuheimer Kreisboten aufrufen, ihre Urlaubs- und sonstigen Videos, von denen sie glaubten es wäre etwas für die Öffentlichkeit, zur Verfügung zu stellen. Die Überschrift sollte von meiner Devise „Wer will, der darf“ abgeleitet werden. Aber ich musste erst mal die Programmkonferenz, die in Form einer Klausurtagung in der zweiten Märzhälfte stattfinden sollte abwarten. Diese Zeit konnten wir beruhigt abwarten, denn dass wir am ersten April erst einmal mit einem Testprogramm mit einem Fingerzeig in die richtige Richtung starten wollten dürfte doch wohl logisch sein. Was wir da im Februar und März machten hätte man auch als praktische Machbarkeitsstudie bezeichnen können. Also auf der eben angesprochenen Klausurtagung sollte erst entschieden werden, wie es letztendlich laufen sollte. Jetzt habe ich meine damalige Arbeit aus drei Gründen ausführlich beschrieben. Zum Ersten werden durch das, was ich erlebte, die Denkweisen in unserer heutigen Mediengesellschaft deutlich. Zum anderen wird klar, wie so etwas, wie ein Lokalfernsehen, überhaupt machbar sein könnte. Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, dass es gilt als kleiner Aquariumsfisch in einen Wettbewerb mit mächtigen Walen zu treten. Wenn wir aber den Artikel 5 unseres Grundgesetzes, dass jeder seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern und verbreiten darf, ernstnehmen, müssen wir uns aber etwas in diese Richtung einfallen lassen, denn es kann nicht angehen, dass die Meinungsfreiheit nur für Milliardäre und ihnen genehme „Vasallen“ gilt. Aber diese Schelte darf keinesfalls nur in die Richtung der Macher gehen, denn das größte Handicap für Meinungsvielfalt und Innovation ist die Art und Weise wie sich die Masse Information beschafft. Wenn die nur mit großem Geldaufwand produzierte Seichtware kommuniziert lässt sich gegen die säkularisierte, wertelose Globalisierungsmeinung nichts weiteres unternehmen. Der dritte Grund meiner ausführlichen Schilderung meiner Februar- und Märztätigkeit ist, dass ich nachvollziehbar erläutern wollte, wie ich gedachte mir Freiraum für meine Privatsphäre, von dem dieses Buch, auch wenn es momentan noch nicht danach aussieht, eigentlich handelt, schaffen wollte. Wo ich gerade dabei bin will ich gleich mal etwas zur Vermeidung von Missverständnissen, die beim Lesen bis hier vielleicht aufgekommen sein könnten, unternehmen. Ich schreibe dieses Buch nicht wegen der, sicherlich auch spannenden Geschichte wie der Kreis Neuheim zum Lokalfernsehen – oder auch nicht – kam sondern ich will von der wohl
dramatischsten Zeit in meinem Privatleben berichten. Dieses wäre dann aber ohne dem Hintergrundwissen, was ich bis jetzt zu vermitteln versuchte, nur sehr schwer zu verstehen. Eines ist mir bei meiner Lokalfernsehgeschichte im Nachhinein sehr bewusst geworden: Mit jeder Unternehmensentscheidung, die an grünen Tischen fallen, wird Schicksal gespielt. Die Wechselwirkungen zwischen Privatleben und Arbeitsplatz üben maßgeblichen Einfluss auf das Leben des Einzeln aus. Man hat es nicht selbst in der Hand, was man aus seinem Leben macht. Auch um dieses zu verstehen ist es wohl ganz gut, dass ich so ausführlich auf die bisherige Begründungsangelegenheit eingegangen bin. Nun aber weiter in meinem chronologischen Bericht. Ich hatte mich und meine Vorsätze also ernst genommen und mir die Arbeit so organisiert, dass ich des Abends und am Wochenende für meine „beiden Mädchen“, Martina und Steffi, familiär zur Verfügung stehen konnte. Langsam begann man mir hinsichtlich meiner Versprechen zu glauben. Aber irgendwo hatte ich das Gefühl, dass die Freude darüber vorgetäuscht wurde. Dieses galt insbesondere für Martina, meine Frau. Sollte die sich im Laufe der Jahre schon so sehr an ein Parallelleben in der Ehe gewöhnt habe, das ihr die jetzige Umstellung schwer fällt? Was anderes konnte ich mir bei Martina, die nicht nur in meinen Augen ein Musterbeispiel für Tugendhaftigkeit war, nicht vorstellen. Insbesondere das Martina nach Ausflüchten suchte um nicht mit zu zwei Veranstaltungen im März zu müssen erschien mir sonderbar. Auch eine Einladung, die ich Ende Februar ausgesprochen hatte, lag überhaupt nicht in ihrem Sinne. Ich kann aber schon einmal vorab verraten, dass Martinas Verhalten die ersten Anzeichen für das uns drohende Unwetter waren. Jetzt endgültig Schluss mit den Vorgriffen und weiter mit meinem Report ... jetzt auch noch ein Bisschen vom Lokalfernsehen. Ich habe ja bereits den türkischen Brotbäcker Murad Ökdal erwähnt und davon berichtet, dass der im Fernsehen Koranschulen in türkischer und deutscher Sprache veranstalten wollte. Das konnte ich natürlich nicht mit der Devise „Wer will, der darf“ abhandeln, denn wenn das gebracht worden wäre hätten mich die NLZ-Leute mit Sicherheit „gesteinigt“. Ich dachte diese Angelegenheit in einem persönlichen Gespräch zu klären, meldet mich bei Ökdal an und besuchte ihn. Ich lernte einen kräftigen, jedoch sehr netten und vernünftigen grauhaarigen Mann kennen. Ich brauchte bei ihm nicht um den heißen Brei herum zureden, denn er kam von sich aus, unmittelbar nach unserer gegenseitigen Vorstellung, auf des Pudels Kern. Er legte seinen Personalausweis auf den Tisch und sagte: „Schauen sie sich den mal an, Herr Schreiber. Nicht dass ich Angst hätte sie könnten mir nicht glauben, dass ich Murad Ökdal bin ... Nein, sehen sie mal da, was da hinsichtlich Staatsangehörigkeit steht. Ich bin, wie meine ganze Familie auch, Deutscher. Und als solcher halte ich es als Staatsbürger ganz im Sinne des Grundgesetzes, dass uns die Religionsfreiheit garantiert, wenn ich meine diesbezüglichen Wünsche vortrage. Ich bin Deutscher muslimischen Glaubens und setze mich als deutscher Staatsbürger für die Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften, insbesondere auch der meinigen, ein. Aber ich bin kein Störenfriede und Meckerfritze, so dass wir uns jetzt auf jeden Fall einig werden. ... Oder sind sie nicht wegen der Dinge, die ich in unserem Fernsehen bringen will, gekommen?“. Ökdal führte aus, dass es ihm um Integration ginge. Nach seinen Worten kann es eine solche nur in einer wertebewussten Gesellschaft geben. In einer Lebensform in der es darum ginge der Reichste, der Stärkste und Mächtigste zu sein könne es kein Miteinander geben, denn der Nächste sei immer ein Mitbewerber um das, was man selber wolle. Daher käme Fremdenangst und –hass. Angst deshalb, weil der Fremde das kriegen könne was man glaubt selber haben zu müssen und Hass deshalb, weil man den Fremden im Kampf um Reichtum und Macht ausstechen müsse weil, wenn er diese hat, man diese nicht kriegen kann. Nur wenn wir uns auf unsere kulturellen Wurzeln berufen und die Werte, die uns unsere Religion gibt, hochhalten finden wir den Weg auf einander zu und können miteinander voranschreiten. Er vertrat die Ansicht, dass Muslims und Christen, wenn sie sich auf ihre Werte berufen deckungsgleich beieinander lägen. Schließlich hätten wir in der Thora, die wir von Moses haben, und dem Evangelium, das Wort Allahs, was uns Jesus brachte, eine gemeinsame, für die ganze Menschheit verbindliche Grundlage. „Glauben sie mir“, sagte er mir wörtlich, „wir Muslime und ihr Christen sind näher zusammen als ihr und die Juden, die mir, im Gegensatz zu uns, integriert erscheinen. Nur weil wir nur so wenig oder gar nichts von einander wissen gibt es diese großen Hürden zwischen uns. Wir müssen uns näher kennen lernen und nur das ist mein Anliegen.“. Heute, wo ich mehr weiß, kann ich sogar bestätigen, dass er Recht hatte. Damals erklärte er mir noch, dass diese Fernsehkoranschulen seine Maximalvorstellung seien, auf die er aber nicht bestehe. Jedoch würde er weiterhin nach Wegen suchen etwas in die richtige Richtung zutun. Vielleicht sei es jedoch besser, etwas mit Christen gemeinsam zu unternehmen. Er hatte da Vorstellung von Quizwettbewerben „Christen gegen Muslims“ über Frage der jeweiligen Religion. Auch an Podiumsgesprächen Muslims mit Christen dachte er. Er wollte auf jeden Fall am Ball bleiben. Als ich nach Hexenberg zurückkam traf ich im Dorf den EDEKA-Kaufmann Ernst Schöller, unseren berufsfrömmelnden CVJM-Aktivisten. Auch er hatte schon von Ökdals Teleambitionen gehört und fragte mich ob ich schon etwas gegen diese aggressiven Islamisierungsversuch unternommen hätte. Daraufhin erzählte ich ihm von meinem Besuch bei dem türkischen Brotbäcker. Beim besten Willen hätte ich nicht geahnt, dass der gute Schöller plötzlich begeistert anbeißt. Er tönte: „Eine Podiumsdiskussion ist ja eine Hyperidee. Dann kann
ich ihm von unserem Herrn Jesus, von unserem Erlöser und von dem Sieg über Sünde und Tod berichten. Ich glaube, dass ich mich mit diesem Ali Ödtal (den Namen sprach er wohl jetzt bewusst falsch) in Verbindung setzen sollte. Würden sie Herr Schreiber, wenn ich mit dem was aushandeln kann, die Moderation übernehmen.“. Ich sagte zu, war aber gleichzeitig davon überzeugt, dass es wohl nicht dazu käme. Ich sollte mich mächtig getäuscht haben. Bereits am nächsten Tag um 10 Uhr morgens rief mich Schöller an und berichtete mir, dass er für den 13. März 1998, einem Freitag, im Saßmannshauser evangelischen Gemeindehaus eine Podiumsdiskussion mit Ökdal vereinbart. Mit Grömmer habe er auch schon bereits alles hinsichtlich der Aufzeichnung abgesprochen. Ökdal und er würde mich gemeinsam, auch noch schriftlich, ersuchen erstens die Moderation zu übernehmen und zweitens die Sendung nach Ostern ausstrahlen zu lassen. Diese Kunde war mir zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr neu, denn Horst Grömmer hatte schon am späten Abend des Vortages von seinem „Glück“ erfahren und mir postwendend, als ich an diesem Morgen ins Büro kam, davon berichtet. Außerdem hatte mich eine halbe Stunde vorher der Saßmannshauser Pastor eine halbe Stunde vorher angerufen. Er war besorgt darum, dass ich und Schöller möglicher Weise ins offene Messer laufen würden. Er empfahl mir, mich vorher mit Herrn Heimann vom CVJM-Wollerst in Verbindung zu setzen. Der habe sich mal viel mit vergleichender Religions-Wissenschaft beschäftigt und könne mir eine Menge, vielleicht sehr überraschendes, zum Islam sagen. Er gab mir Heimanns Telefonnummer und verriet mir, dass dieser in der Regel ab 16 Uhr zuhause erreichbar sei. Ich befolgte den Rat und lud am Nachmittag Heimann für den übernächsten Abend zu uns nach Hause ein. Als ich dann, als ich am Nachmittag heimkam, Martina von meiner Einladung berichte blieb die wie angewurzelt stehen. Im Gesicht war sie kreidebleich angelaufen. „Was ist denn mit dir?“, fragte ich, „Es ist ja so als würdest du Herrn Heimann kennen und Angst vor ihm haben.“. „Sicher kenne ich Reimund, es ist mein Arbeitskollege.“, begann sie ihre Antwort, „Über Reimund und mich kursieren in der Firma so ein paar böse Gerüchte.“. Mit hastiger erregte Stimme bekräftigte sie: „Die stimmen aber alle nicht!“ und fuhr dann fort: „Meine Güte. Wenn der jetzt noch nach mir kommt während du da bist, dann geht es richtig los. ... Bitte lade ihn wieder aus.“. So etwas ist gerade nicht etwas, was ich gerne machte aber auf der anderen Seite wollte ich Martina auch nicht schädigen. Mich mit ihm bei ihm Zuhause oder in einem Restaurant zutreffen könnte ja genauso Öl im Feuer der Gerüchteküche sein. Ich hatte ja schon öfters davon gehört, dass die brodelnde Gerüchteküche schon vernichtende Mobbingkriege ausgelöst habe. Als ich noch darüber nachdachte, wie ich Herrn Heimann am höflichsten wieder ausladen könnte erledigte sich das Problem von selbst. Martinas Handy klingelte und sie nahm dieses nach einem Blick aufs Display mit den Worten „Hallo Reimund“ ans Ohr während sie hinausging. Als sie wieder reinkam reichte sie mir ihr Handy weil mich Herr Heimann sprechen wollte. Heimann bestätigte mir, dass auch ihm inzwischen Martinas Bedenken gekommen seien und bat mich ihm zu entschuldigen. Ich dachte mir, dass ich die Angelegenheit am 13. März auch ohne Vorbesprechung schon ganz gut in den Griff bekommen würde, denn schließlich war ich ja kein Superchrist, der Gefahr läuft fanatisch auf die falsche Schiene zu kommen. Ich war getauft, konfirmiert und sogar zwei Mal schon kirchlich getraut worden. Ab und zu ging ich auch in die Kirche aber ansonsten war mein religiöse Engagement doch sehr begrenzt. Nun, dass der Berufsfrömmler Schöller einen auf die Nase bekam war mir, nach dem ich den doch intelligenteren Ökdal kennen gelernt hatte, klar aber ich glaubte genügend Erfahrung zu haben um alles im Griff zu behalten. Und damit war auch ich schon ins offene Messer, vor dem mich der Saßmannshausener Pastor gewarnt hatte, gelaufen. Ich hätte mich doch besser vorher informiert. Das wusste auch Martina, die auf ihrer Arbeitsstelle von Heimann mehr dazu erfahren hatte. Das bereitete ihr auch ein schlechtes Gewissen, was der Grund dafür war, warum sie nicht mit zu der Veranstaltung wollte und nach allen möglichen Ausflüchten suchte um dieser fern zu bleiben. Letztlich meldete sie sich schon am 12. März bei ihren Arbeitgeber krank und da einige CVJMer, die zu dieser Veranstaltung wollten, in ihrer Firma arbeiteten hatte sie dann wirklich etwas, warum ich sie nicht mitnehmen konnte. Dann war es soweit. Auf der kleinen Bühne im Gemeindesaal war ein Tisch, vor dem Großpflanzen bis maximal in Tischplattenhöhe aufgestellt waren, aufgebaut. Dahinter standen 3 Stühle. Auf dem mittleren nahm ich Platz, Ökdal saß rechts und links saß Schöller. Nach drei Begrüßungssätzen des gastgebenden Pastors übernahm ich die Gesprächsführung. Ich sagte ein paar einleitende Worte, wobei ich – Ökdal wird es gemerkt haben – ein paar Anleihen von meinem Vorgespräch mit ihm aufnahm. Dann übergab ich Schöller und bat ihn, er möge aus seiner Sicht ein Mal die Grundsätze des christlichen Glaubens darlegen. Er sprach von unserem jungfräulich geborenen Herrn Jesus Christus, dem Messias und von seinem Wort, dem Evangelium. Ökdal saß eine ganze Weile ruhig und freundlich da. Nach etwa 10 Minuten unterbrach er mit höflichen Ton Schöller und sagte: „Herr Schöller, es ist doch immer wieder erfreulich festzustellen, dass wir viele Dinge an die wir gemeinsam glauben haben. Ich habe hier mal eine deutschsprachige Ausgabe des Korans mitgebracht. ... Ach Herr Schreiber sie sind hier der neutrale Moderator. Könnten sie mal aus der 3. Sure, Im Hause Imran, ab Vers 45 vorlesen.
Ich nahm das Buch und legte zunächst unbekümmert und dann immer erstaunter los. Ich gebe dieses hier nur mal wieder und ein jeder weiß dann wohl was da ablief: „45. Als die Engel sprachen: ‚Oh Maria! Wahrlich, Allah verkündet dir (frohe Botschaft) durch ein Wort von Ihm: (einen Sohn), sein Name ist Jesus, der Messias, der Sohn der Maria, angesehen in dieser Welt und im Jenseits, einer der Nahestehenden. 46. Und er wird in der Wiege und im Mannesalter zu den Menschen reden und einer der Rechtschaffenden sein.47. Sie sagte: ‚Mein Herr, wie soll ich einen Sohn bekommen, wo mich doch kein Mann berührte?’ Er sprach: ‚Allah schafft was Er will. Wenn er eine Sache beschlossen hat, spricht er nur zu ihr >Sei!< und sie ist. 48. Und Er wird ihm das Buch und die Weisheit und die Thora und das Evangelium lehren’.“ An dieser Stelle unterbrach mich Ökdal: „Lassen wir es hier mal gut sein, lesen sie doch nur noch bitte den Vers 55“. Und ich folgte seiner Anweisung: „Damals sprach Allah: ‚O Jesus! Ich will dich verscheiden lassen und zu mir erheben bis zum Tage des Gerichts.“. Hier reichte er mir, nach dem Buch verlangend, seine rechte Hand entgegen. Ökdal wandte sich nun Schöller zu: „Sehen sie Herr Schöller. Was den Messias und das Evangelium anbelangt sind wir ja fast einer Meinung. Aber sagen sie mal, glauben sie, dass Gott in ihnen steckt und aus ihnen sprechen und regieren kann?“. Schöller reagierte nur empört und schimpfte „Unerhört!“. „Dann sind sie ja fast im Islam.“, fuhr Ökdal fort, „Wir Muslime glauben an die Gesetze Allahs, die wir aus der Thora, die wir von Moses haben, und an das Evangelium, welches uns Jesus brachte, kennen. Wenn sich Thora und Evangelium widersprechen gilt das Evangelium, weil es das Wort Allahs, des Allmächtigen ist. Wir essen kein Schweinefleisch, weil uns dieses in der Thora verboten wurde und Jesus, der uns die Thora bestätigte, nicht erlaubte. Viele unserer Frauen tragen ein Kopftuch weil Jesus den Männern gebot, dass sie nicht des nächsten Weib begehren dürften aber den Frauen gebot er auch, dass sie sich nicht begehren lassen dürfen. Wenn ein Mann ihnen ins Antlitz schaue sei es besser sie verhüllen dieses. Das sagte Jesus und nicht Mohamed, wie von vielen Christen behauptet wird. Wir glauben aber auch, dass Allah Mohamed als sein 7. Siegel, das heißt sein letztes Wort, sandte um Moses und Jesus zu bestätigen weil die Menschen untreu und ungläubig geworden sind. Sie setzten sich dem allmächtigen Allah gleich, in dem sie behaupteten Allah sei in ihnen und regiere aus ihnen heraus. Wie sagen ihre Geistlichen oft: ‚Im Namen des Heiligen Geistes, der in uns lebt und regiert.’. In ihrem Glaubensbekenntnis beten sie, das sie an den Heiligen Geist glauben. Ich glaube das nicht und sie Herr Schöller, ... wie sie eben sagten, auch nicht. Dann stehen sie aber dem Islam näher wie den Christen.“. In diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Trinität wird nicht in erster Linie wegen Gott, dem Sohn, sondern wegen Gott, dem Heiligen Geist, bestritten. Nachdem was ich da jetzt erfahren hatte, hätte sich Mohamed keinen „Zacken aus der Krone gebrochen“ wenn er Jesus Gottes Sohn hätte sein lassen. Das konnte er aber nicht, er musste des Heiligen Geistes Willen den dreieinigen Gott leugnen. Denn wenn Gott, der Heilige Geist, in uns lebt und regiert kann er so auch bis zum Jüngsten Tag zu uns sprechen. Dann ist das Wort Mohameds nicht mehr das letzte; ganz im Gegenteil: Wenn Mohamed nur die Worte Jesu bestätigt können wir ja gleich die nehmen und brauchen ihn gar nicht dazu. Bis zu diesem Punkt hatte Ökdal haushoch gewonnen. Schöller rastete völlig aus und lief mit Schimpfen aus dem Saal. Ich saß jetzt recht hilflos da und wusste nicht was ich machen sollte – ich war ja ahnungslos. Da sprang ein gut aussehender kräftiger Mann in meinem Alter auf die Bühne, setzte sich auf Schöllers Platz und schob mir eine Visitenkarte zu. Es war Reimund Heimann. Auf die Kate hatte er noch handschriftlich „Entschuldigung“ geschrieben. Ich schalte gleich richtig und stellte ihn als Herrn Heimann vom CVJM Wollerst, der sich mit den Weltreligionen auskenne, vor. Dann fragte ich ihn: „Sie springen jetzt sicherlich für Herrn Schöller ein.“. Er nickte und wandte sich gleich an Ökdal: „Was sie Herrn Schreiber haben vorlesen lassen war ein geschickter Zug von ihnen Herr Ökdal. Vor allen Dingen der Sprung von Vers 48 auf Vers 55 und dann Schluss. Ich möchte mich jetzt mit ihnen über das was dazwischen und danach steht unterhalten und so kommen wir dann der Sache näher.“. Beide Herren legten jetzt je zwei identische Bücher aus ihren Besitz vor sich auf den Tisch. Ökdal hatte neben dem Koran auch noch die Bibel mit und auch Heimann hatte sowohl die Bibel wie den Koran mit. Es setzte jetzt eine aus meiner Sicht eine konstruktive Diskussion, bei der doch wesentliche Unterschiede deutlich wurden, ein. Beide, Ökdal wie Heimann, waren über die jeweilige Religion des anderen, über Trennendes und Verbindendes, informiert. Sie sprachen im Wechsel recht fair und höflich miteinander, so dass ich mich als Moderator ziemlich überflüssig fühlte. Zum Abschluss besprach ich dann mit den Beiden sowie mit Horst Grömmer, dass ich, wenn der Saal sich gelehrt habe, mit ihnen noch einmal eine Einleitung aufnehmen möchte und dann die ganze Angelegenheit mit Schöller rausschneiden wolle. Als ich dieses vortrug, befürchtete ich Ökdals Widerspruch, denn schließlich ging es ja um seinen Triumph. Aber der Mann war wirklich sehr fair und antwortete, dass er das ohnehin vorschlagen wollte. So war doch noch alles gut gelaufen. Aber auf Martina war ich an diesem Abend doch mächtig sauer, denn wenn sie nicht das Zusammentreffen mit Heimann verhindert hätte, wäre ich vorbereitet gewesen und hätte von vornherein so gesteuert, dass so etwas gar nicht passieren konnte. Und von wegen Betriebsklatsch: So wie ich Heimann kennen gelernt hatte, ist das ein Typ, der solchen Sachen wohl erfolgreich gegenüber treten kann. Dieses auch im Hinblick auf seine Stellung. Von seiner Visitenkarte wusste ich ja nun, dass er der Vertriebsleiter des Unternehmens, in dem Martina arbeitete, war. Der
Betriebsklatsch war auch nicht Martinas wahrer Grund. Aber warten wir es ab, lassen wir uns nicht die Spannung nehmen.
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Lauf nicht ins offene Messer Freitag, der Dreizehnte, hat bei den Leuten, die an allem Schnickschnack glauben, nur nicht an das woran man glauben kann oder sollte, ja eine ganz besondere Bedeutung: Es soll der Unglückstag schlechthin sein. Ich habe an so einem Firlefanz, auch ohne religiösen Hintergrund, noch nie geglaubt. Was mir insbesondere schon aufgefallen ist, dass ausgerechnet Leute, die Gottesdienste für des Pastors Märchenstunde halten, an so ein Blödsinn wie Astrologie, mysteriöse Strahlung, Wahrsagerei, Freitage mit dem Tagesdatum 13 und schwarze Katzen als Unglücksboten glauben, obwohl auch aus naiven Blickwinkel religiöse Aussagen eine mehr als 1.000-fach höhere Wahrscheinlichkeit auf Wahrheit haben wie der esoterische Zirkus. Aber egal, im März 1998 schien dieser Freitag, der Dreizehnte, tatsächlich ein Unglückstag für mich zu sein. Dieses aus meiner Sicht weniger wegen des muslimischen Sieges über dem christlichen Berufsfrömmler Schöller sondern wegen Martina, meiner Frau. Irgendetwas erschien mir jetzt langsam komisch. Martina war als Exportkauffrau eine Sachbearbeiterin, die wohl hinsichtlich ihres Könnens ganz gut in ihrem Unternehmen angesehen war aber die keine besondere Stellung in der Unternehmenshierarchie hatte. Reimund Heimann aber war der Vertriebsleiter. Wieso duzten sich die beiden? Normalerweise hält man doch aus rein sachlichen Gründen eine gewisse Distanz zueinander. Während der Diskussion im evangelischen Gemeindehaus Saßmannshausen war auch ein weiterer Kollege von Martina anwesend. Der war nicht nur im gleichen Unternehmen sondern auch im CVJM Wollerst, also hätte Heimann schon aus diesem Grunde duzten können, aber der sprach ihn korrekt mit „Herr Heimann“ an. Dieses nicht nur während der öffentlichen Diskussion im Gemeindesaal sondern er kam, als wir gerade über die erneute Aufzeichnung des Veranstaltungsbeginns sprachen, auf Heimann zu um ihn nach einem Posaunenchorauftritt am kommenden Sonntag zu befragen und um sich zu verabschieden. Auch dort, praktisch unter vier Augen mit neutralen Zufallszuhörern, blieb er beim Sie. Erklärlich wäre mir das gewesen, wenn Martina und Heimann früher gemeinsam gestartet wären und er zwischenzeitig aufgestiegen wäre. Er hatte mir aber während der Veranstaltung einmal gesagt: „Als ich vor zwei Jahren nach Wollerst kam, ...“. Und von wegen Betriebsgerücht – irgendwo muss das ja auch herkommen. Gerüchte können nur dann leben, wenn von der Oberfläche gesehen eine Wahrscheinlichkeit für den Wahrheitsgehalt besteht. Ich sage es mal ganz krass: Niemand würde die Mär, dass ein seit 2 Jahren Inhaftierter der Vater eines Neugeborenen wäre, weitergeben. Aber das ein Vertriebsleiter der eine Sachbearbeiterin mal zu irgendeiner Gelegenheit in dem Arm genommen und gar geküsst hat liefert eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass an einem Verhältnis der beiden etwas dran sein könnte. Dann brodelte die Gerüchteküche – auch wenn der Vorfall ein einmaliger Ausrutscher auf einer innerbetrieblichen Feier war. Also irgendwas musste schon zwischen Heimann und Martina sein. Das Martina zur Abwehr einer Gerüchteverschärfung die Einladung vereitelte kann ich ja irgendwo nachvollziehen. Aber warum wollte sie absolut nicht mit zu der Veranstaltung? Das schlechte Gewissen darüber, dass wir in die Ökdalsche Falle tappen würden, kann es doch nicht gewesen sein. Für mich war das zwar irgendwo ärgerlich aber kein Beinbruch, weder in privater noch in beruflicher Hinsicht. Der Einzigste, den dieses hart traf, war Schöller. Aber der müsste sich an die eigene Nase fassen, denn auch den hat man sehr eindrücklich und massiv vorgewarnt und hatte immer noch drei Möglichkeiten: Erstens konnte er die Sache total absagen, zweitens gab es bei ihm keinen Grund sich nicht bei Heimann schlau zu machen und drittens hätte Schöller seinem CVJM-Kollegen aus Wollerst von vornherein den Vortritt geben können. Also den „armen“ Schöller kann ich diesbezüglich nicht bedauern. Aber warum holte sich Martina, sogar mit einer vorgetäuschten Krankheit, einen gelben Schein um ja nicht auf diese Veranstaltung zu müssen? Der Schlüssel kann wirklich nur in der Person Heimann liegen. Am Samstag, dem 14. März – übrigens der Geburtstag meiner ersten Frau Monika, die mir daher auch den ganzen Tag nicht aus dem Kopf ging – ließ ich mich gemeinsam mit Steffi zum Großeinkauf bei ALDI anheuern. Was mir Steffi während der Zeit so beiläufig erzählte, war auch nicht gerade zum Abbau der Verdachtsmomente geeignet. Steffi fragte mich, wie es am Vorabend gelaufen sei und ich berichtete ihr kurz davon. Da musste ich feststellen, dass auch Steffi Heimann kannte und auch sie ihn duzte. Unsere Tochter hielt sehr viel von „Reimunds philosophischen und theologischen Kenntnissen“, die er sich rein hobbymäßig verschafft habe. Dass er mehr wusste als die meisten Profis konnte ich ja vom Vorabend bestätigen. Jetzt packte es mich aber und fragte Steffi ganz direkt: „Hat Mutti etwas mit diesem Heimann?“. Steffi zuckte wie ertappt zusammen und schwieg zunächst. Ich setzte nach: „Aha, als doch.“. Darauf meldete sich unsere Tochter dann etwas zurückhaltend doch zu Wort: „Ich weiß nicht, Vati. Ich habe die zwei oder drei Mal Sonntags zusammen getroffen und die sagten dann, dass sie sich auch soeben erst getroffen hätten. Reimund hat uns dann immer eingeladen. Einmal in eine Eisdiele, einmal in eine Pizzeria und einmal in die „Schöne Aussicht“ in Olperde (ein Ortsteil von Wollerst). Weil er so gut und interessant von seinem Hobby erzählte habe ich alles in die Länge gezogen. In der Pizzeria hat er mir dann das Du angeboten. ... Aber ehrlich, mir ist die Sache auch nicht ganz
geheuer.“. Jetzt wurde ihre Stimme heftiger: „Aber bitte, bitte Vati, mach keinen Stunk mit Mutti. Ich liebe euch doch beide. ... Und jetzt wo du immer da bist vereitelst du ja alles was zwischen Mutti und Reimund sein könnte. Bitte, bitte versuche dass alles ohne Streit gut ausgeht. Überstürze nichts.“. In mir tickte also eine Zeitbombe. Ich war nicht weit von einem Rosenkrieg begründenden Ehekrach entfernt. Aber nicht Steffis Bitte sondern ein eigennütziger Gedanke hielt mich vom „Platzen“ ab. Am kommenden Wochenende, also am 21. und 22. März 1998, war die, schon mehrfach erwähnte Klausurtagung von uns drei Lokalfernsehmacher mit unseren Bossen von der NLZ. Von unserer „Mutter“ waren uns vier Herren angedroht worden. Alles kein Problem, wenn wir nicht ausdrücklich gebeten worden wären, unsere Gattin, für die man sich extra ein Damenprogramm ausgedacht habe, mit nach Waldsee ins dortige Hotel „Waldesruhe“ mitzubringen. Da ich im Hinblick auf Dr. Schneider nicht ausschließen konnte, dass er Monika mitbringen würde, sagte irgendein Männchen in mir, ich müsse Martina dabei haben. Aber meine „bessere Hälfte“ suchte auch für diese Veranstaltung nach Ausflüchten. Ihre Begründungen lagen genau in der umgekehrten Richtung wie mein Wunsch. Sie kannte Monika zwar vom Ansehen aber ein persönliches Wort war zwischen meinen beiden Frauen bislang noch nicht gefallen. Martina gab nun vor, dass ihr dieses unangenehm sei und dass dieses wohl bei dem Anlass nicht zu vermeiden wäre. Letztlich knallte es am Sonntagabend dann doch. Nachdem sie erklärt hatte sie würde sich auf keinen Fall vor Montag, dem Dreiundzwanzigsten, gesund schreiben lassen, polterte es aus mir heraus: „Du bist wohl froh, dass ich das Feld räume und in Waldsee mich mit dem KFN-Blödsinn beschäftige. Dann hast du hier freie Bahn und kannst dich von deinem Reimund durchbumsen lassen. Oder wollt ihr mit Steffi als Anstandswauwau in die Eisdiele oder Pizzeria. Die „Schöne Aussicht“ tut’s ja auch.“. „Das verdammte Luder!“, schrie Martina los, „Die Göre hat gepetzt.“. Dann bemühte sie sich, bevor sie fort fuhr, doch etwas ruhiger zu werden: „Mann, du warst ja ewig für deine Zeitung unterwegs und da habe ich halt ein paar Mal Reimunds Einladungen angenommen. Aber wir haben uns immer nur in der Öffentlichkeit getroffen und immer hier in der Gegend ... Also immer da wo uns jeder sehen konnte. So konnte uns auch Steffi ‚erwischen’. Mag sein, dass Reimund etwas mehr beabsichtigt ... Ich aber nicht, denn ich liebe dich.“. Sie begründete mir das Ganze dann in dieser Richtung als zwar nicht korrekt aber verständlich und harmlos. Dadurch wäre auch das Betriebsgerücht, an dem ansonsten wirklich nichts dran wäre, auch entstanden. Sie schwor mir, ihre Angst vor den Gerüchten sei ehrlich gewesen. Wie sie es brachte glaubte ich ihr und so landeten wir dann an diesem Sonntagabend auch schon kurz nach Neun im Bett – na ja, warum wohl. Allerdings war Martina jetzt umgestimmt und kam nach einer weiteren, normal verlaufenen Woche mit nach Waldsee. Auf Martinas Wunsch wollten wir defensiv in die Begrüßungszeremonie gehen. Das heißt, dass wir, wenn die anderen kamen, schon da sein wollten. So müsste dann die neuankommende Monika, wenn sie überhaupt kommt, auf Martina zugehen. Das war meiner jetzt angetrauten lieber, denn sie wusste nicht, wie sie sich gegenüber ihrer „Vorgängerin“, mit der sie bis zu diesem Tage noch nicht persönlich zutun hatte, verhalten sollte. Ich bin jetzt mal ganz ehrlich: Die Defensive war auch in meinem Sinne. Also reisten wir so an, dass wir des Samstagsmorgens schon um Neun in der Waldesruhe eintrafen obwohl der Tagesordnungspunkt „Eintreffen und Begrüßung“ für Zehn angesetzt war. Wir fuhren auf den Hotelparkplatz, nahmen unsere kleinen Koffer aus dem Gepäckraum des Wagens und begaben uns zur Hotelrezeption. Da gab es dann die große Überraschung. Monika stand da und sprach mit den Rezeptionär. Da dieser berufsmäßig in Richtung der Neuankömmlinge schaute wandte auch Monika ihren Blick in diese Richtung. Sie lächelte uns freundlich an: „Na, seid ihr aus dem Bett gefallen oder könnt ihr es nicht erwarten?“. Sie kam auf uns zu und streckte zunächst Martina die Hand hin: „Schönen guten Tag, Martina. Ich bin, wie du weißt, die Monika ... und so sollten wir es, wenn du nichts dagegen hast, miteinander halten.“. Etwas schüchtern antwortete Martina: „Ja Monika, ich halte es für richtig. Schließlich haben wir gemeinsam, dass wir den gleichen Mann geliebt haben.“. Darauf lachte Monika und erwiderte: „Ich hoffe ja nicht, dass die Vergangenheitsform zutrifft ... zumindestens bei dir nicht.“. Jetzt lachten beide Frauen und es muss auf Außenstehende so gewirkt haben, als würden sich die Beiden schon lange näher kennen. Jetzt kam sie auf mich zu, fasste mich mit beiden Händen an den Arm und kam mir mit ihren Kopf näher um mir einen Wangenkuss zu geben. Ich weiß nicht, aber in diesem Moment erfasste mich ein seltsames Gefühl. Irgendwas verband mich auch noch nach so langen Jahren noch mit dieser Frau. Monika begleitete uns zu unserem Zimmer und auf dem Weg dorthin erzählte sie uns, dass sie dieses „Damenprogramm“ organisiert habe, auf dass sie dann als Gesellschafterin der NLZ bestanden hätte. Aus diesem Grunde sei sie schon am Vorabend angereist. Vor der Zimmertür tönte sie dann wir sollten uns erst mal frisch machen und dann wieder zu ihr runter in die Empfangshalle kommen. In dem Moment als Martina bereits ins Zimmer eintrat, wandte sie sich noch einmal mir zu: „Ach Reiner, kann ich dich mal einen Augenblick sprechen“. Dabei deutete sie mir, dass ich von der Tür weg etwas weiter in den Gang treten sollte. In dem Moment wo Martina im Zimmer verschwunden war begann sie: „Mensch Reiner, die wollen insbesondere dich
auf die Rolle nehmen. Das kann ich nicht mit ansehen, denn ob du es glaubst oder nicht, aber ich liebe dich immer noch. Ich möchte verhindern, dass du ins offene Messer läufst. Heute Abend müssen wir in der Bar mal eine Gelegenheit finden, dass ein paar Worte mehr miteinander wechseln können. Also behalten wir uns dann ein Wenig im Auge und suchen nach einer Gelegenheit. Es ist besser wenn Martina da nichts von mitkriegt und deshalb machen wir jetzt Schluss, sonst schöpft die noch Verdacht. ... Ich muss auch jetzt zu Wilfried.“. Ich bekam noch mal einen Wangenkuss und meine Ex machte sich schnell davon. Jetzt weiß ich nicht, was mich an diesem Tag im Inneren mehr aufwühlte, dass was Monika mir sagen wollte oder dass sie mir mitgeteilt hatte, das sie mich immer noch liebe. Auf keinen Fall waren es die geschäftlichen Dingen, weshalb ich überhaupt da war, die mich bewegten und aufwühlten. Was als Erstes kam wusste ich ja bereits schon. Im Wochenverlauf hatte mir Dr. Schneider die Dinge fairer Weise schon „gesteckt“. Einmal war der Sendestart vom 1. April auf den 1. Juli 1998 vertagt worden, weil zum Einen uns der zugesagte Kabelkanal noch nicht zur Verfügung gestellt werden konnte, was auch die Öffentlichkeit schon aus dem Neuheimer Kreisboten erfahren hatte. Dann hatten wir gerade mal drei Eigenproduktionen fertig – in knapp 6 Wochen und praktisch bei nur einem Mann in der Technik war wohl auch nichts anderes zu erwarten. Lokale Werbung war natürlich an die Eigenproduktionen gebunden, da ja nur dort mit entsprechender Einschaltquote gerechnete werden kann. Lassie, Fury und Bonanza dürften sich wohl nicht als Straßenkehrer erweisen können. Von den drei Eigenproduktionen mussten wir voraussichtlich gleich zwei wieder einstampfen. Das war einmal die christlich-muslimische Podiumsdiskussion und zum anderen war es das Programm „K... sucht K...“ vom Sexshop Flügge. Gegen beide Programme hatte unser guter Herr Schöller schon im Laufe der Woche seinen Anwalt, der bei der NLZ vorstellig geworden ist, mobilisiert. Schöller hatte jedoch keinen moralischen Grund oder Jugendschutz gegen Flügge ins Felde geführt sondern dass die Dessous, die die leichtgeschürzten „Serviererinnen“ in dieser Sendungen trugen ganz massiv in Form von unbezahlter Schleichwerbung präsentiert wurden. Ich kam und komme nicht umhin, Schöller und seinen Anwalt in dieser Sache Recht zugeben. Nachdem diese Dinge abgehakt waren, ging es darum, dass wir sowohl ein Konzept und eine Tendenz haben müssten. Schwer gerügt wurde meine Devise „Wer will, der kann“, die man ganz offensichtlich durchschaute hatte. Alles lief darauf hinaus, dass ich mit der Erarbeitung eines Konzept beauftragt werden sollte. Mein Hinweis, dass drei Monate für die Erarbeitung des Konzepts und für die gleichzeitig unmittelbare Umsetzung recht knapp seien, bekam ich die Antwort, dass ich mir darum, dass ausreichend Programm zur Verfügung stände keine Sorgen machen sollte, denn das Konzept sei wichtiger und zum Start könne man sich schon mit käuflichen Konserven über eine gewisse Zeit behelfen. Was anderes hätte man ja beim ursprünglichen Starttermin ja auch nicht machen können. Was ich jetzt in den beiden vorhergehenden Absätzen berichtete ist der Extrakt der kompletten Klausurtagung, die bis zum Sonntagnachmittag um 16 Uhr dauerte. Aber die Lokalfernsehgeschichte war für mich zur Nebensache geworden, denn die Hauptsache war nun Monika. Am Abend in der Bar lief es besser wie ich es zu hoffen wagte. Schneider und ein NLZ-Mensch steckten die Köpfe in geschäftlichen Dingen zusammen. Monika saß mit uns, den Ehepaaren Grömmer und Schreiber, zusammen am Tisch. Martina und Grömmers plauderten über Geschichten aus dem alten Hexenberg. Da packte Monika geschickt die Gelegenheit beim Zopfe und sagte Martina zugewandt: „Mir ist im Moment nicht so besonders. Ich glaube ich drehe jetzt erst einmal ein Runde um den ‚Pudding’. Hast du, Martina, was dagegen wenn ich dir deinen Mann mal kurz als Begleiter entführe?“. Martina lachte und bekundete: „Wenn du in mir heile wiederbringst habe ich nichts dagegen einzuwenden.“. Nachdem wir uns etwas zum Überziehen, es war doch ein Wenig kühl an diesem Abend, von unseren Zimmern geholt hatten trafen wir uns an der Hoteltür. Von dort gingen wir dann über den, jetzt im Dunklen liegenden Fußweg in Richtung des kleinen Weihers in unmittelbarer Nähe des Hotels. Wir waren eben im Dunklen untergetaucht als Monika mir in die Arme fiel, damit wir uns heiß und innig küssen konnten. Danach beichtete sie mir, das sie mich wirklich geliebt habe aber damals überhaupt keine Vorstellung von Ehe und Partnerschaft gehabt habe. Sie würde mich nach ihrem Gefühl auch heute noch mehr lieben als ihren jetzigen Ehemann, den ihr Vater ihr „geschäftlich aufgehalst“ habe. Daher können sie nicht mit ansehen, wie man mich ins offene Messer laufen lassen wolle. Von Monika erfuhr ich, - was ich allerdings schon vermutete - dass die „Mutter“ eigentlich gar nicht an einem richtigen Lokalfernsehen interessiert sei, da es sich um Konkurrenz zu ihren bestehenden Medien, also Zeitungen und bundesweiter Privatsender, handele. Man schätzte aber den Trend so ein, dass diese Art Fernsehen langfristig nicht aufzuhalten sei. Man will aber das „Monopol“ auf dem Werbemarkt nicht aufgeben. So steige man jetzt ein um den Platz zu besetzen, bevor die Konkurrenz oder eventuelle Newcomer kämen. Aber danach will man dann die öffentlichen Auflagen mit kleinen Nadelstichen in die passende Richtung bringen. Um nicht Leute, die man eventuell später noch gebrauchen könnte, zu verheizen wäre man auf mich gekommen. Bei meiner Auswahl habe ihr Mann, Dr. Schneider, kräftig mitgemischt, da er mich noch immer hasse, weil ich ihm nicht frühzeitig darauf aufmerksam gemacht habe, dass Monika ihm keinen Erben gebären kann. Er habe schon öfters gesagt, dass ich sie wohl freigegeben habe, weil sie inzwischen eine „ausgenommene Ganz“ sei. Das wäre ihm allerdings „wurst“ aber
dass ich meine Schwiegereltern darüber nicht aufgeklärt hätte, wäre ein unverzeihbarer Zug an mir. Dieses wäre immer gefallen, wenn er ein Kind habe adoptieren wollen. Sie habe das aber immer abgelehnt, da das, nach seiner Meinung zu adoptierende Kind hätte mindestens 10 Jahre alt sein müsse, damit die Veranlagung und Eignung zu unserem Erben schon mal einschätzen kann. Wir waren nach einer halben Stunde schon fast wieder am Hotel als Monika mit zitternder Stimme fragte: „Möchtest du eigentlich noch einmal so richtig mit mir zusammen sein ... so ein ganzes Wochenende oder mehr? Ich jedenfalls träume schon lange davon.“. Da hatte sie etwas angesprochen, von dem ich in diesem Moment mehr als nur träumte, ich begehrte sie. Da hatte ich doch vor Kurzem im Stillen meine beiden Frauen miteinander verglichen und entsprechend dem Abbild in meinem Gehirn Monika die Vor- und Nachteile der Jugendlichkeit und Martina der Reife zugeordnet. Der Fehler meines Denkapparates war es, dass er nicht nachvollzog, dass auch Monika entsprechend unseres Alters mitgereift war. Von ihr ging jetzt ein fast unheimlicher Flair einer reifen, sehr attraktiven Frau aus. Jetzt, beim neuerlichen Vergleich kehrte sich mein Denken in die umgekehrte Richtung: Ich begann der reifen Monika den Vorzug in meinem begehrlichen Wünschen zu geben. Mit diesem Hintergrund beantwortete ich Monikas Frage nicht mit Worten sondern ich riss sie in meine Arme. Mit dem linken Arm presste ich ihren Oberkörper an den meinigen und mit der rechten Hand fasste ich im Bereich ihres Pos auf ihrem eng ansitzenden Rock. Dann küsste ich sie langanhaltend und mit heftigen Zungenschlag. Als wir uns ein wenig von einander lockerten schaute sie mich mit charmant lächelndem Gesicht und leuchtenden, glücklichen Augen an: „Du willst also ... Ach, ich bin glücklich.“. Wir verabredeten dann für das Wochenende von Freitag, 18., bis Sonntag, 20. April 1998, eine Woche nach Ostern, ein Wochenende in Berlin. Monika musste an dem Freitag wegen einer Erbschaftsangelegenheit nach Berlin. Eine unverheiratete und kinderlose Cousine ihres Vaters, die zuvor Eigentums- und Rückgabeansprüche auf ein Anwesen im ehemaligen Ostberlin gestellt hatte, war verstorben und Monika war mit drei weiteren, ähnlich verwandten „Miterben“, im Testament als Begünstigte vorgesehen. Monika wollte wegen der juristisch ungeklärten Angelegenheit und eventuell anfallender Renovierungskosten auf die Erbschaft verzichten. Von der Lage her war das Erbe auch kein Objekt, dass sich ohne vorherige größeren Aufwand veräußern ließe. Aber darüber gerieten dann ihre drei Miterben in den Streit. Ein jeder meinte dann Anspruch auch auf Monikas Erbteil zu haben. Also, es war eine typische Schlammschlacht um eine Hinterlassenschaft entbrannt, aus der sich Monika ausklinken wollte. Was da genau lief und was Monika an jenem Freitag unternahm weiß ich nicht und deshalb kann ich das hier auch nicht weitergeben. In dieser „Ausführlichkeit“ wusste ich das Ganze ohnehin erst später, denn an jenem Abend in Waldsee stand nur fest, dass sie eben wegen dieser Geschichte am besagten Wochenende in Berlin sein würde und mich dazu einlud mit ihr dieses zu verbringen. Sie hatte auch schon eine Idee, wie ich das Martina plausibel machen könnte: Ich sollte vorgeben hinsichtlich der Lokalfunk- und Lokalfernsehlandschaft in Berlin und Brandenburg dorthin eine Informationsreise zu unternehmen. Und topp, die Sache war vereinbart. Nun, ein solcher „Spaziergang“ dauert natürlich etwas länger und folglich hatten wir uns, nachdem wir uns nach fast einer Stunde wieder zu den anderen gesellten, etwas verdächtig gemacht. Was aber die NLZ-Leute so gut wie überhaupt nicht störte; die nahmen davon nicht einmal Kenntnis. Dr. Schneider schaute seine Frau erst etwas grimmig an, ging aber, nachdem er seiner Frau eine kurze Frage gestellt hatte, zur Tagesordnung über. Später erfuhr ich von Monika, dass er sie nur gefragt hatte ob sie mir etwas, was mich noch nichts anginge, erzählt habe. Horst Grömmer fragte nur, ob ich mit Monika nach der Scheidung noch mal zusammen gewesen sei und als ich dieses verneint hatte, kommentierte er, dass wir uns wohl eine Menge zu erzählen gehabt hätten. Dankbar für das Argument bestätigte ich ihn dieses. Martinas Reaktion war allerdings zweideutig, denn sie fragte „War es denn schön?“. Dieses konnte sich ja auf den Spaziergang mit Erzählungen aber auch auf das, was zwischen Monika und mir wirklich abgelaufen war, beziehen. Im ersten Moment wollte ich schon fragen wie sie es meine aber damit hätte ich mich bestimmt verraten und so, kam nach einer kurzen Zeitverzögerung „Ja, sehr schön.“. Wäre die Zeitverzögerung nicht gewesen wäre Martina, wie ich bei späterer Gelegenheit von ihr hörte, tatsächlich nur vom Erzählspaziergang ausgegangen. So blieb dann aber doch ein Verdacht, bei dem es Martina dann aber jedoch zunächst beließ. Als wir an diesem Abend ins Bett gingen übermannte mich doch ein Wenig die perverse Fantasie. Einmal stellte ich mir einen flotten Dreier, also mit meinen beiden Frauen gleichzeitig, vor. Dann ging es um die Vorstellung, dass ich es mit Monika triebe und Martina dabei zuschaue. Und, so seltsam wie es klingt, ich stellte mir auch vor wie Martina es mit Heimann triebe und ich diese ganze Angelegenheit fotografierte. Das machte mich dann richtig heiß und ich nahm daher entsprechenden Kontakt mit meiner neben mir liegenden Frau auf. Aber ich weiß nicht ob sie mich bezüglich ihres Verdachtes abstrafen wollte, denn sie wies mich mit den Worten „Ach Reiner bitte nicht, ich bin müde“ zurück. Dann blieb mir, um mich abzureagieren, tatsächlich nichts anderes als selbst Hand anzulegen obwohl ich doch neben einer bezaubernden Frau, die ich auch noch zu lieben glaubte, lag.
Na ja, weitere „Vorkommnisse“ gab es auf dieser Klausurtagung nicht mehr. Was mein Lokalfernsehabenteuer anbelangte wusste ich jetzt voran ich war. So etwas rechnet sich nicht für profitorientierte Unternehmen. Aber wenn so etwas von dritter Seite etabliert wird hat man einen Hecht im Karpfenteich, da die Mittel, die für Werbung im lokalen beziehungsweise regionalen Bereich zur Verfügung stehen, gesplittet oder gar ganz umgeleitet würden. Die NLZ war in die Offensive gegangen um alle möglichen Positionen zu besetzen und dann die Sache letztlich doch nicht zu realisieren. Aus diesem Grunde setzte man der Unternehmung gleich einen Abwickler „auf die Nase“ obwohl eine offizielle Gründung noch nicht stattgefunden hat. Der Glaubwürdigkeit halber musste man Schlüsselpositionen besetzen und von diesen musste man sich dann später wieder preiswert trennen können. Und dieses Bauernopfer sollte ich also sein. Ich war in die Wahl gekommen, weil Dr. Schneider, der ganz offensichtlich bei der Auswahl mitreden konnte, mit mir noch ein privates Hühnchen zu rupfen hatte. Wäre er nicht gewesen, hätte bestimmt niemand an mich gedacht, denn im Grunde war ich ja seit den 70er-Jahren ein unauffälliger Diener meines Herrn. Die einzigste Auffälligkeit, die ich gegenüber den Anderen hatte, war dass ich mal der Schwiegersohn des Exbosses war. Jetzt könnte man sagen, dass ich nicht so schwarz malen sollte, wenn ich nicht Chefredakteur im Lokalfernsehen wäre könnte ich ja zur Not immer noch das machen, was ich immer gemacht habe. Aber denkste, in den Lokalredaktionen waren Leute nachgerückt. Der nun älteste Lokalredakteur beim Neuheimer Kreisboten war erst 42 und ich gehörte inzwischen zu den Fünfzigern. Auf mich wartete nur noch die Abfindung – und das alles nahm ich zu diesem Zeitpunkt ganz gelassen hin. Da musste ich mich jetzt also mit abfinden: In unserer, dem Jugendlichkeitswahn verfallenen Geld- und Spaßgesellschaft gehörte ich ab nun zum „alten Eisen“. Aber privat war ich ganz weit zurück, in meine 20erJahre, gefallen. Wie damals, wenn sie durch die Setzerei „rauschte“, begehrte ich wieder meine erste Frau. Wenn mich mein Erinnerungsvermögen nicht täuscht, sind Begehren und Gelüste damals und heute identisch. Nur eines war ganz anders: Damals war ich überzeugt Monika zu lieben und dagegen ankämpfen zu müssen, weil ihr Vater mein Chef war. In jenen März- beziehungsweise Apriltagen des Jahres 1998 wusste ich nicht ob es Liebe war, was ich gegenüber Monika empfand aber ich glaubte mich, wenn es sich wirklich um eine solche handelte, dieser ergeben zu müssen. Und dieses obwohl ich mit einer anderen verheiratet war und mir sicher war, Martina nach wie vor zu lieben. Ich war damals in der typischen Ausgangssituation eines Bigamisten: Ich wollte sie beide. Also in mir herrschte ein Gefühlschaos wie bei einem pubertierenden Jugendlichen. Das Einzigste, was mir die Ratio noch meldete war, dass die Sache auf keinen Fall gut gehen konnte aber ich unternahm auch nichts um der Logik und Vernunft zu folgen. So führte ich dann mit Martina nach dem Wochenende in Waldsee ein normales, oberflächlich gesehen sogar harmonisches Eheleben. Monika rief mich mehrfach während dieser Zeit im Büro an und vergewisserte sich, dass es bei dem Wochenende in Berlin bliebe. Ich konnte ihr dieses bestätigen, denn ich hatte Martina die Story mit der Informationsreise nach Berlin problemlos „verkaufen“ können. Aber gerade das Wörtchen „problemlos“ hätte mir eigentlich zu denken geben müssen. Es gab bei Martina keine Zweifel, keine kritischen Rückfragen und dass sie mich zu begleiten wünschte schnitt sie nicht ein einziges Mal an. Es war gerade so, als sei sie richtig froh, mich mal los zu sein. Hätten wir nicht ein sehr schönes und harmonisches Osterfest miteinander gefeiert hätten sicherlich auch bei mir Alarmglöckchen geläutet. Am Donnerstagabend übernahm es meine fürsorgliche Martina sogar mir die Koffer zupacken. Dabei machte sie dann jedoch einige zweideutige Anmerkungen aus denen sich schließen ließ, dass sie zumindestens ahnte was ich vorhatte. Irgendwie komisch war es schon. Na ja, am Freitagmittag machte ich mich dann auf dem Weg nach Berlin. Die ganze Zeit begleitete mich eine Erwartung wie ich sie nur von zwei Anlässen in meinem Erinnerungsspeicher hatte. Das eine Mal ging es mir auf dem Weg von der Disco „Golden Gate“ zur Rollmann Villa so und das zweite Mal war das auf dem Weg von der Dorfkneipe Scheuermann auf meine Strohwitwerbude der Fall. Also ein Gefühl wie vor den ersten Malen mit meinen beiden Frauen. Mir fiel während der Fahrt auch auf, dass ich entgegen dem Vorurteil in Sachen Männern noch nie in meinem Leben die Initiative „zur Sache“ ergriffen habe. Auf gut Deutsch, ich habe mich immer verführen lassen. Auch diesmal war das wieder der Fall. Es war Monika, die den Wunsch geäußert hatte noch mal mit mir richtig zusammen zu sein. Aber immer entsprach das, was die Frauen aussprachen, meinen eigenen Wünschen. Immer hatte ich aus Angst davor gekniffen, mich selbst artikulieren zu müssen. Später sinnierte ich diesbezüglich darüber nach, ob ich mich nicht im Leben in allen Dingen habe steuern lassen. Weil meine Eltern es in Rücksprache mit der Berufsberatung so wollten wurde ich Schriftsetzer. Weil ich nicht wagte klar das zu sagen, was mir mein Gewissen befahl, ging ich zur Bundeswehr. Weil mein Exschwiegervater es so wollte wurde ich Redakteur. Weil es der jetzige Mann meiner Exfrau so wollte, kam ich über den Umweg eines Lokalfernseh-Chefredakteurs auf eine Abschussliste. Wo war eigentlich da immer die Person Reiner Schreiber? Ich schwamm einfach, ohne eigenes Zutun immer nur im Strom mit – und erstaunlicher Weise ging das 50 Jahre praktisch ohne besondere Vorkommnisse gut. Und der fremdgesteuerte Mann hatte dabei sogar noch furchtbar viel Glück.
Meine Erwartungen und Begierden waren aber nicht einseitig, denn bei Monika muss es entsprechend gebrodelt haben. Als ich eintraf saß sie Tageszeitungen lesend in der Halle vor der Rezeption. Bei meinem Erscheinen in der Halle kam sie auf mich zu und verkündete mir, dass ich gleich mit aufs Zimmer kommen könne, da sie bereits alles erledigt habe. Wir waren eben auf dem Zimmer, ich hatte meinen Koffer noch nicht einmal abgesetzt, da begann sie schon mich zu entkleiden. Mit zitternd erotischer Stimme flüsterte sie: „Wenn du mich auch ausziehst können wir gemeinsam duschen. ... So wie wir es zuhause gemacht haben als wir noch nicht verheiratet waren.“ Na ja, meinen Koffer brauchte ich eigentlich an diesem Wochenende gar nicht. Nur um etwas im Hotelrestaurant zu essen kleideten wir uns an – und da taten es die Sachen, die wir bei unserer Ankunft anhatten, auch. Und die paar Utensilien, die ich für die Körperhygiene benötigte, hätten auch in ein Täschen gepasst. Das hatte natürlich zur Folge, dass Martina, als ich am späten Sonntagabend nach Hause kam, dann doch zur Sache kommen konnte: „Entweder hast du deine ‚Klamotten’ nicht gebraucht oder Monika ist so geschickt, dass sie alles wieder so hinkriegt wie ich es vorher gemacht habe. Was meinst du, warum ich, obwohl ich genau wusste was du vor hast, die treusorgende Ehefrau gespielt habe und dir die Koffer gepackt habe.“. Das konnte ich natürlich schlecht logisch und glaubhaft widerlegen. Ich war halt ertappt worden. So gestand ich dann den „einmaligen Ausrutscher“ und gelobte dieses auf keinen Fall zu wiederholen. Damit war ich auf einen Scheideweg geraten. Also, ich stand mal wieder vor einer solchen Situation bei der ich in der Vergangenheit es immer den Anderen überlassen hatte, für mich zu entscheiden. Diesmal nahm mir keiner – oder besser gesagt keine – die Entscheidung ab. Martina gab sich gelassen und erweckte nirgendwo den Eindruck, dass sie mich in Richtung ehelicher Treue unter Druck setzen wollte. Sie spielte mit mir „moderne Ehe“. Sie verhielt sich im häuslichen Bereich normal, gelegentlich war sie sogar zum Austausch von Zärtlichkeiten im Bett bereit und erweckte dabei immer den Eindruck, dass sie nichts gegen eheliche Seitensprünge mit Monika habe. Auf der anderen Seite gab ich jeder, sich zunehmend häufenden Einladung von Monika nach. Auch für sie schien es wie selbstverständlich, dass ich nach jedem Seitensprung wieder als treusorgender Familienvater in den Hafen der Ehe einschiffte. Keine der beiden Frauen sprach mir gegenüber ein Machtwort in ihre Richtung aus. Eine ganz neue Situation für mich, den offensichtlich entscheidungsunfähigen Reiner Schreiber. An jenem beschriebenen Wochenende war ich wohl in Berlin aber gesehen habe ich von der Stadt, die mich eigentlich auch gar nicht interessierte, nichts. Ich beschäftigte mich ausschließlich mit Sex und Eros und diesbezüglich mit Monika. Wie geschrieben wurde das Liebesleben nur von Mahlzeiten unterbrochen. Und nur bei diesen Anlässen sprachen wir über etwas anderes als über Sinnlichkeit, Körperlichkeit und unserer gemeinsamen doch schönen Vergangenheit. Von den Mahlzeitthemen ist hier nur das, was das Lokalfernsehen und meine dortige Tätigkeit anbelangt, von Wichtigkeit. Monika berichtete mir recht ausführlich von dem, was sie hinsichtlich der NLZ-Strategie mitbekommen hatte und stellte dabei fest, dass ich nur eine Chance habe, wenn ich den nun laufenden Vorstoß unumkehrbar machen würde. Das ginge nach ihrer Ansicht nur, wenn es mir gelänge, aus der ganzen Geschichte eine so heiße Sachen zu machen, dass, wenn die NLZ nicht weiter durchzieht, gleich zwei Investoren für diese Sache auf der Matte stünden. Aber Investoren interessieren sich nicht für das „Superding“ sondern für das, womit man das meiste Geld machen kann. Gemeinsam waren wir der Ansicht, dass dann nur noch Lokalmatadore, die es zur Not auch ohne die NLZ machen, in Frage kommen. Aber womit sollte man die heiß machen? Mit anderen Worten: Ich wollte es den Leutchen da oben zeigen aber hatte keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen sollte. Monika hatte mich zwar ermahnt nicht ins offene Messer zu laufen aber ich hatte keine Vorstellung, wo ich dann sonst hinlaufen sollte.
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Vertagen kann zur Regel werden So ist es mir, dem „armen Reiner“, noch nie in meinem Leben gegangen: Ich war vor eine Reihe Probleme gestellt worden, die nur mit Aufwand, Entscheidungsfreude und Konsequenz lösbar gewesen wären. Das Problem Nummer Eins war meine, von mir bislang für glücklich gehaltene Familie. Konnte man zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch von Familie sprechen? Unsere Tochter Stefanie wird im Laufe des Jahres Zwanzig und geht ihre eigenen Wege. Die bekam ich nur noch gelegentlich zu Gesicht, worüber ich mich nicht beklagen will, da es ja nun wirklich an der Zeit ist, dass sie sich von ihren Eltern abnabelt und ihre eigenen Wege geht. Martina hatte da mehr mit zu kämpfen und beklagte zeitweilig, dass es um ihr so leer geworden wäre. Allerdings in diese „Leere um sie“ dürfte ich wohl einbezogen gewesen sein, denn ich hatte laufend „Termine“ und kam praktisch nur noch zum Schlafen nach Hause. So kann ich eigentlich auch nichts zum Zustand unserer Ehe in der betreffenden Zeit sagen, denn wir wechselten immer nur dann, wenn ich ins Bett kam und beim Frühstück ein paar Worte miteinander. Na ja, außer für Alltagsabsprachen war dann kaum noch Freiraum für andere Gespräche. Gelegentlich schmuste ich mal mit Martina aber mehr war da auch nicht. Um das Problem „Familie“ zu lösen hätte ich doch einen höheren Zeitaufwand für diese aufbringen müssen. Dann hätte ich mich aber entscheiden müssen, was ich einschränken oder über Bord werfen will und mich dann auch konsequent an meine Entscheidungen halten müssen. Ab und zu hatte ich diesen Gedanken aber ich hatte es in 50 Jahren meines Lebens nicht gelernt dahingehend auch aktiv zu werden. Auch mein Problem Nummer Zwei stand dem ersten im Weg. Dieses hieß Monika. Auf sie war ich richtig besessen. Nicht nur körperlich, auch sonst. Zu ihr fühlte ich mich zugehörig und hatte bei ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Hinsichtlich der hergebrachten Geschlechterklischees war ich diesbezüglich wohl auf dem „falschen Dampfer“, denn nicht sie fand bei mir Schutz und Geborgenheit sondern ich suchte dieses bei ihr. Obwohl wir nie darüber gesprochen hatten, war ich in dem Glauben, dass ich, wenn der Lokalfernsehtraum platzt von Monika aufgefangen würde. Es hatte sich nach dem Berlin-Wochenende so „ergeben“, dass ich im 14tägigen Abstand gegenüber Martina samstags und sonntags immer dienstliche Angelegenheiten im Kalender stehen hatte. Gegenüber Monika waren das dann ganz andere Weekends, die wir jedoch dann nicht mehr nur im Bett verbrachten. Da kann man eigentlich nur sagen, dass ich mich hätte wohl für eine Frau, Martina oder Monika, entscheiden müssen. Eine Reehelichung mit Monika dürfte diesbezüglich allerdings wohl ausgeschlossen gewesen sein, denn die war durch das starke Band eines Ehevertrages an Dr. Schneider gebunden. Ein Ausstieg ihrerseits hätte ihr halbes Vermögen gekostet und ein Ausstieg seinerseits wäre für ihn mit dem absoluten Verlust aller Ansprüche gegenüber Monika und ihr Vermögen verbunden gewesen. Das stand daher natürlich zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Aber mit jemanden verheiratet sein und mit jemanden zusammenleben sind bekanntermaßen zwei verschiedene Paar Schuhe, lediglich gesellschaftliche Konventionen sprechen gegen so etwas. Mein Problem Nummer Drei wurzelte im Zweiten. Dr. Schneider war sozusagen mein Chef und dieser wusste, was ich mit seiner Frau „trieb“. Monika hatte mir verraten, dass sie ihrem Mann ohne Beschönigung sagte, dass sie mit mir ins Liebeswochenende entfleuchte. Sie brauchte im Gegensatz zu mir also keine Ausreden. Natürlich passte das dem Herrn überhaupt nicht. Aber nicht aus verletzter Mannesehre, wie man glauben könnte, sondern aus Angst davor, ich könne aus Monikas Mund etwas erfahren, was mir im Kampf um „mein Lokalfernsehen“ hätte nützen könnte. In der Regel wäre das für ihn ja kein Problem, denn ein Ehemann muss ja seiner untreuen Ehefrau nicht alles erzählen. Aber seine Ehefrau war im Gegensatz zu ihm NLZ-Gesellschafterin und er im gleichen Hause nur leitender Angestellter. So konnten diverse Angelegenheiten nicht an der Kenntnis seiner Frau vorbeigeschleust werden. Er wusste also genau, dass ich davon Kenntnisse hatte, dass seine Aufgaben im guten Willen vortäuschen und dann doch Vereiteln lag. Dabei verfolgte er, wie ich bereits schon geschrieben habe, die persönliche Ambition mich abzuschießen. Seine Strategie hieß: Beim Neuheimer Kreisboten ist er ausgeschieden und dort sind inzwischen alle für ihn infrage kommenden Stellen besetzt worden. Kommt das Lokalfernsehen nicht zustande, gibt es dort auch keinen Beschäftigungsgrund für einen Chefredakteur mehr. Folglich würde ich mit einer entsprechenden Abfindung letztlich auf der Empfängerliste der Bundesanstalt für Arbeit landen. Laut Monikas Rat hatte ich dagegen eine Chance, wenn ich die Lokalfernsehgründung unumkehrbar machen würde. Dieses ist allerdings nur möglich, wenn es mir gelingt die Interessenten aus der heimischen, werbenden Wirtschaft so „heiß“ zu machen, dass sie gegebenenfalls bereit sind, die Geschichte auch ohne NLZ durchzuziehen. Meine Exfrau hatte mir schon erläutert, dass so ein Unterfangen wohl in die schnelle Pleite führt, denn die Kosten für ein Fernsehen sind enorm, was allerdings für die Lokalmatadore aus Handwerk, Handel und Gewerbe auf Anhieb nicht durchschaubar scheint. Dafür durchschauen dieses jedoch dank ihres Insiderwissens die Leute von der „Neue Landeszeitung NLZ“. Für die wird es jedoch brenzlig, wenn man dank eines „Superkonzepts“ weitere Investitionsinteressenten „anlocken“ kann. Denn dieses dürften in erster Linie die NLZ-Mitbewerber draußen im Lande sein. Im Kreis Neuheim hatte die NLZ das Monopol, in dass die anderen dann einbrechen könnten. Aber die brauchen ein Konzept, was ich ihnen liefern könnte. Nach der Devise „Denen
werde ich es zeigen“ wollte ich die Arbeiten am Konzept und an der Tendenz, zu denen ich beauftragt wurde, in dieser Richtung nutzen. Das kann aber nur klappen, wenn ich einerseits an die Leute aus der heimischen Wirtschaft und an die „Toppmacher“ andererseits herankomme. Von dieser Strategie wusste aber auch Dr. Schneider; zumindestens konnte er das erahnen. Jetzt wusste mein Gegenpart Schneider aber auch, wie man so etwas vereiteln kann. Man muss mich nur mit „falschen“ Terminen zuschießen und dann habe ich, schon aus zeitlichen Gründen, keine Chance an die richtigen Leutchen heranzukommen. Deshalb schoss er mich auch mit solchen Terminen bei gesellschaftlich relevanten Gruppen aber diesbezüglich vollkommen inkompetenten Leuten zu. Er traf die Verabredungen und ich musste hin. Wäre ich ein Kerl gewesen hätte ich mich dagegen gewehrt. Was hätte mir denn groß passieren können? Mein Abschuss war doch praktisch beschlossene Sache. Hätte er mich zu früh abgeschossen, dann hätte er die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich gelenkt. Wenn nicht in der allgemeinen Einwohnerschaft dann doch bei den NLZ-Mitbewerber und für die wäre das ein „gefundenes Fressen“ gewesen. Damit hätte man die Glaubwürdigkeit der NLZ, die insbesondere in den Großstädten des Landes für diese wichtig ist, demontieren können. Ein wenig Courage hätte mir also auf keinen Fall schaden können. Aber was soll es, ein Reiner Schreiber ist halt von Natur aus naiv und feige und daher beliebig steuerbar. Aber jetzt nicht von Oben auf mich herunter blinzeln, denn ich gehöre durchaus zur Mehrheit in diesem Lande und da bin ich sogar in meiner Eigenschaft ganz auf der Linie fast aller Spitzenpolitiker. Aus meiner Sicht handelt es sich bei denen allen um steuerbare, medienwirksame Majonetten. Die Banken steuern und die Politiker verkaufen deren Interessen als Politik in den Medien. Richtige Entscheidungen sind in 90% der Fälle unpopulär. Ganz einfach aus dem Grunde, weil man dabei zwangsläufig auch scheinbar Stärkeren auf den Schlips treten muss. Deshalb wollten die Mütter und Väter des Grundgesetzes auch nichts von Volksentscheiden wissen. Aber unsere Mediengesellschaft bevorzugt ja Leute, die das versprechen was gefällt und sie möchten am Liebsten per TED den Parlamentariern ihre ureigene Aufgabe, die gesetzgeberische beziehungsweise politische Entscheidung, abnehmen. In solchen Zeiten macht es sich natürlich gut, wenn man sich für Plebiszite einsetzt. Historisch ist man ja ziemlich unbeleckt. Man weiß heute offensichtlich nicht mehr, dass in der Weimarer Zeit Volksabstimmungen der braunen Sud den Weg ins „Tausendjährige Reich“ und damit ins Unglück und Verbrechen bereiteten. Heute frage ich mich oft, wo sie geblieben sind, die nicht steuerbaren Politiker mit dem Mut zu eigenen Grundsätzen, Vorstellungen und Werten stehen, auch wenn Möglichkeit besteht, von den Medien zerrissen zu werden, zu stehen. Oft frage ich mich, ob die Leute nicht inzwischen den RTL- oder Sat1TED mit dem Gesetzgeber, dem Bundestag, verwechseln. Aber jetzt Schluss mit dem Ausflug in die hochgelobte aber im Grunde tiefgesackte Mediengesellschaft, denn ich schreibe jetzt hier nicht über die Stars des heutigen Politmedienzirkus sondern über mich, dem Hexenberger Reiner Schreiber, der gerne Lokalfernsehen machen wollte. Ich wurde also von meinem Vorgesetzen Dr. Wilfried Schneider, jetziger Ehemann meiner ersten Frau, die ich mir inzwischen wieder als Geliebte „zugelegt“ hatte, von einem banalen Termin zum anderen gejagt. Wie geschrieben hätte ich Rückgrat zeigen und „Nein“ sagen müssen, was ich aber als typischer Angehöriger der gesteuerten Mediengesellschaft nicht tat. Sowohl meine erste Frau – Monika – wie meine jetzige – Martina – sind da ganz anders beschaffen. Sie erlauben sich eigene Ansichten und vertreten diese auch Konsequenz. Hätte Monika damals nicht ihrem scheinbar mächtigen Vater die Stirn gezeigt wäre ich nicht ihr erster Mann und dann auch niemals Redakteur geworden. Aber genutzt hat es ihr, so aus meiner Sicht im Jahre 1998, nichts, denn letztlich kam es so wie der alte Rollmann es wollte. Das ich dieses aber nicht Monika anlasten konnte sondern dass ich mir selbst an die Nase fassen musste – ich hätte um meine Frau kämpfen müssen – wollte ich damals nicht sehen. In der naiven Auffassung, dass Kämpfen nichts bringt, fügte ich mich dem offensichtlich Unausweichlichen. An dieser Stelle kann ich ja mal von so einem Termin, zu dem mich Dr. Schreiber schickte, berichten. Ich könnte jetzt jede x-beliebige von den vielen Banalkonferenzen als Beispiel nehmen. Ich nehme aber die, die sich später als ein Mosaiksteinchen in meinem eigenen Schicksal entpuppte. Alles stand ja unter der Überschrift „Tendenz und Konzept“ und dazu sollte ich ja Gespräche mit den gesellschaftlich relevanten Gruppen führen. Dazu gehören unstreitbar religiös beziehungsweise kirchlich orientierte Gruppen wie Pfadfinder und CVJM. So hatte dann Dr. Schneider mit dem Jugendpfarrer des Kirchenkreises Neuheim eine Gesprächsrunde mit Vertretern des CVJM und der CPD Christliche Pfadfinder Deutschlands vereinbart. Mit den St.-Georgs-Pfadfindern und der Kolpingfamilie hatte ich schon im April gesprochen. Wie schon geschrieben lief das ja bei uns so, dass der Geschäftsführer die Termine machte und der Chefredakteur hin musste. Daran, das solche Veranstaltungen immer eine „Riesenresonanz“ hatten, hatte ich mich langsam gewöhnt. So erschienen bei dieser Runde, von der ich jetzt berichte, außer mir noch drei weitere Gesprächsteilnehmer. Dieses waren der Jugendpfarrer aus Neuheim, der Berufsfrömmler Schöller vom CVJM Saßmannshausen und Reimund Heimann vom CVJM Wollerst. Jetzt kann man auch nicht von der Personenzahl auf den Zeitaufwand rückschließen. Solche „Konferenzen“ zogen sich immer unendlich in die Länge. Das mag auch an meiner Gesprächsführung gelegen
haben, denn ich konnte in der Regel nichts mit der Erbsenzählerei anfangen und ließ es meistens desinteressiert laufen. Daher ist das Gespräch, von dem ich folgend berichte, wahrscheinlich auch das einzigste, von dem ich noch einigermaßen korrekt berichten kann. Das liegt sicher an den Teilnehmern und insbesondere dem Eklat, der sich daraus entwickelte. Zu Anfang schien es so als gäbe es eine 100%-ige Übereinstimmung meiner drei Gesprächsteilnehmern. Jeder formulierte es anders aber alle Drei sagten inhaltlich das Gleiche. Sie meinten, dass wir uns noch in einer an christlichen Werten orientierten Gesellschaft befänden und daher ein Tendenzbetrieb die Verpflichtung habe diesem Rechnung zu tragen. Dann gäbe es den Missionsbefehl den Christen überall wo sich die Gelegenheit bietet umsetzen müssten. Nach diesem Grundsätzlichen war dann Schluss mit den Gemeinsamkeiten; jeder meiner Gesprächspartner hatte dann andere Vorstellungen von der Umsetzung dieser Grundsätze. Der Jugendpfarrer war mit Heimann der Meinung, das weltliches und christliches Leben nicht voneinander getrennt werden dürften. Der Jugendpfarrer drückte es so aus, dass man Christ in dieser Welt sein müsse. Daher wünschte er sich Entertainment und eventuell Fernsehspiele, die zwar Spaß machen sollen aber dabei auch die Werte unseres christlichen Glaubens „unterschwellig“ vermitteln. Dem widersprachen Heimann und Schöller und waren der Meinung, dass in unserer, auf Spaß und Geld orientierten Gesellschaft so etwas mehr als zu genüge von anderer Seite käme und das Unterschwellige dabei unterginge. Aus Unterschwelligkeit würde sich ohnehin jeder das raus interpretieren, was ihm in den Kram passt. Wenn auch die beiden CVJMler gemeinsam widersprachen waren sie doch praktisch contrahehrer Meinung was sie zu bringen gedachten. Schöller wollte „Opas Kirche“ – so bezeichnete es Heimann – ins Medienzeitalter retten. Seine Vorstellungen waren Andachten, Liturgien und Übermittlung von Bibeltexten, so wie sie in dem „Wälzer“ geschrieben stehen. Der Jugendpfarrer setzte – zu Recht – dagegen, dass man damit heutzutage nur sehr wenige Menschen und insbesondere Jugendliche nicht erreichen könne. So etwas könne man heute bestenfalls als Alibi dafür, dass bei uns immer noch die meisten Menschen auf dem Papier Christen seien und man christliche Traditionen pflege, verwenden. Mission könne man so nicht betreiben. Hier lag Heimann dann auf dem gleichen Kurs wie der Pfarrer. Was Heimann wollte, stieß dann bei den beiden anderen wieder auf strickte Ablehnung. Er wollte sich von den Worten der Bibel, die kein vom Himmel gefallenes sondern von Menschen geschriebenes Buch sei, trennen. Er wollte die Grundaussagen, den Konsens, des Glaubens entsprechend fortgeschrittener Erkenntnisse und Offenbarungen, die vom Heiligen Geist, der Teil des dreieinigen Gottes, der in uns lebt und regiert, übermitteln. Ihm schwebten Dokumentationen und Diskussionsrunden, auch unter Einbeziehung der vergleichenden Religionswissenschaft vor. Heimann brachte ein Beispiel von dem was er meinte und behauptet der Glaube an die jungfräuliche Geburt, die seiner Auffassung nicht stimme, stände dem im Wege, das alle, so wie es der Prophet Sachaya schrieb, den Durchbohrten beklagen könnten und damit die Verheißung in Erfüllung gehen könne. Das wäre aber das Ziel jeglicher Mission. Die Juden würden sagen, das prophezeit sei, dass der Messias aus dem Stamme Davids kommen würde, was Maria nicht aber dafür dieses ihr Mann Josef war. Bei Markus, dem einzigsten zeitnah entstandenem Evangelium, stände davon überhaupt nichts und bei Matthäus sowie bei Lukas steht der, sich auf Josef beziehende und auf David zurückführende Stammbaum von Jesus und gleich darauf würde die „Marienmär“ folgen, in beiden Fällen im jeweils gleichen Kapiteln. Diese Story hat Mohammed, der Autor des Korans, prompt in der 3. Sure abgeschrieben. Da aber Jesus entweder nur jungfräulich geboren, also nicht aus dem Hause David stammen, oder von Josef gezeugt worden sein kann, wäre das aus der Sicht der Juden nicht derjenige, den Jesaja prophezeit habe. Den Muslims könne man an einer nichtstimmenden Mariengeschichte beweisen, das Mohammed nicht das siebte Siegel Allahs sondern ein Evangeliumsinterpretierer und -abschreiber sei. Tatsächlich sei die jungfräuliche Geburt im Monotoismus auch eine „Abschreibung“ von Lukas, bei dem es am ausführlichsten und fast gleichlautend wie im hinduistischen Original niedergeschrieben ist, gewesen, denn dieses Original befände sich in den indischen Veden (Das Wort Veden kommt aus dem Sanskrit und heißt Weisheit) und Jesaja habe dieses nur als Symbol für die Reinheit des Messias benutzt. Die Reinheit sei die philosophische Säule der Hindus, die die Hebräer ins Judentum gebracht hätten und die Mohamed für seine Muslims ins Evangelium rückinterpretiert habe. Blut, Sekrete und Schlamm, in dem Schweine suhlen – daher auch kein Schweinefleisch - sind eben das Gegenteil von Reinheit. Bei einer Entjungferung fließen Blut, Sperma und Scheidensekrete und so etwas passt daher so nicht in die Reinheitsphilosophie. Die Hochzeit des Vedismus im Hinduismus war etwa 1200 bis 900 vor Christi und Jesaja lebte im 8. Jahrhundert vor Christi und die vedische Reinheitslehre und damit die Geschichte von der jungfräulichen Geburt war ihm absolut bekannt gewesen. Heimann fragte provokatorisch ob der allmächtige Gott, Schöpfer der Welt, es nötig habe, sich durch mysteriösen Schnickschnack wie Geistesbefruchtung zu beweisen. Während Heimanns längere Ausführungen verkrampfte sich Schöller völlig und sein Gesicht lief hochrot an. Eine Ader auf seiner Stirnmitte schwoll richtig an. Er wirkte wie eine menschliche Bombe. Sagte aber währenddessen nichts sondern schnappte ständig nach Luft. Ich hatte den Eindruck, das Heimann in seinem Element war und eigentlich noch mehr loswerden wollte. Aber dann explodierte Schöller. Er rastete völlig aus.
Das wirre Zeug, das er, gemischt mit Vulgärausdrücken, von sich gab kann ich beim besten Willen nicht wiedergeben. Das Einzigste was ich dabei registrierte waren die Worte Ehebrecher und Ehebruch. Irgendwie war ich drauf und dran, Heimann, wenn wieder Ruhe eingekehrt wäre, direkt zu fragen ob er etwas mit meiner Martina habe. Das habe ich mir dann, als es soweit war, allerdings verkniffen, denn mir war inzwischen auch wieder „eingefallen“, dass ich am nächsten Tag mit Monika nach Holland ins Wochenende wollte. Wer im Glashaus sitzt und mit Steinen schmeißt läuft Gefahr, von herunter fallenden Scherben schwer verletzt zu werden. Es dürfte eigentlich natürlich sein, dass Heimann statt zu antworten, mir mein Verhältnis zu meiner ersten Frau vorgeworfen hätte. So etwas hätte ich ja sogar selbst gemacht. Aber zurück zur Randale seitens Schöllers. Der war so aufgebläht, dass er Stühle hochnahm und sie in Richtung Heimann schleuderte. Wir mussten praktisch unterm Tisch Schutz vor diesen Wurfgeschossen suchen. Einen solchen Jähzorns Ausbruch hatte ich zuvor noch bei keinen Menschen, weder bei einem Jugendlichen noch bei einem Erwachsenen, erlebt. Es war für uns richtig erlösend als er schnaubend durch die Tür ins Freie rauschte. Es dauerte fast eine Viertelstunde bis wir drei Zurückgebliebenen uns gefasst hatten. Keiner von uns hatte jetzt noch den Nerv, noch weiter zu machen. Es war zwar nicht die sonst übliche Überlänge aber nach meinem Geschmack hatte dieses doch auch schon lange genug gedauert. Gerade diese Konferenz war ja von vornherein nicht nach meinem Geschmack – wer sitzt schon gern mit dem Herrn, den man verdächtigt ein Verhältnis mit der eigenen Frau zu haben, in einer „Plauderrunde“ zusammen. So war ich recht froh, dass wir ohne große Diskussion den Beschluss fassten, die Angelegenheit zu beenden. Einen neuen Termin haben wir nicht vereinbart. Was sollte es auch, denn aus meiner Sicht waren solche Veranstaltungen meiner Aufgabe, sowohl der selbstgestellten wie der von der NLZ definierten, wenig dienlich. Diese soeben beschriebene Zusammenkunft fand an einem Donnerstag statt und am darauffolgenden Freitag war Dr. Schneider nicht im Hause. Er war in die NLZ-Zentrale beordert worden, was mich, auch im Hinblick auf den Eklat vom Vortage, wenig störte, denn der Mann meiner Exfrau und Geliebten machte zwar alle Termine und hielt mich mit diesen in Trapp aber was dabei herauskam interessierte ihn in der Regel überhaupt nicht. Das Ganze wirkte ohnehin wie eine Beschäftigungstherapie damit ich nicht auf dumme Gedanken komme. Er saß währenddessen aber nicht untätig herum sondern bearbeitete aktiv unsere potentiellen Kunden und Gesellschafter. Ich wusste zwar nicht was da im Einzeln lief aber aus den Anschein konnte ich schließen, dass er ganz offensichtlich in eine entgegengesetzte Richtung arbeitete. An solchen Tagen, wie an diesem Freitag, an denen mal keine Termine anstanden und auch Schneider außer Reichweite war, konnte ich mal aufarbeiten, was sich inzwischen auf meinem Schreibtisch angesammelt hatte. Da waren wieder drei weitere endgültige Absagen dabei. Die Interessierten sprangen der Reihe nach wieder ab. An diesem Tage leistete mir Horst Grömmer, der schon seit 3 Wochen nichts zu produzieren hatte, Gesellschaft. Wir hatten sogar einigen Spaß miteinander, nämlich als ich ihm von Schöllers Auftritt vom Vortage berichtete. Horst betätigte sich mal als Prophet: „Pass mal auf, es dauert gar nicht mehr lange bis Schöller in die Klapse kommt und der singt dann in der Zwangsjacke Halleluja, weil er glaubt auf Wolke 7 in den Himmel zu schweben.“. Am Abend fuhr ich dann mit Monika nach Holland. In der Nähe von Amsterdam, genau gesagt ziemlich in der Mitte zwischen Harlem und Amsterdam, hatte sie einen kleinen Bungalow von ihrer Freundin angemietet. Auf der Fahrt dorthin berichtete ich ihr zum ersten Mal davon wie ich von ihrem Mann vorgeführt wurde. Anlass war natürlich die Schöllershow. Monika ging jedoch auf die Sache allgemein ein: „Das habe ich mir gedacht, mein Reinerchen, dass du dich auf die Rolle nehmen lässt. Du bist kein Kerl zum Kämpfen. Denke aber mal daran, dass derjenige, der kämpft verlieren kann aber derjenige, der nicht kämpft schon verloren hat. Aber ich nehme es dir nicht übel, denn ich kenne und liebe dich. Hättest du damals nicht mich und anschließend nicht Martina gehabt, dann wärst du schon längst unter die Räder gekommen. Mal sehen, wir kriegen dich schon irgendwie daraus.“. Nachdem sie dieses gesagt hatte küsste sie mich, der das Fahrzeug fuhr, auf die rechte Wange. Anschließend erfuhr ich von ihr, dass die NLZ inzwischen beabsichtigt hätte, die ganze Sache „einzustampfen“. Das würde aber aus irgendeinen Grund nicht reibungslos über die Bühne gehen. Das wäre der Grund warum ihr Mann an jenem Tage zur NLZ beordert worden wäre. Noch wisse auch sie nicht was Sache war aber traf schon mal vorsorglich eine Verabredung mit mir zum Montagabend. Im Bungalow angekommen wurden wir dann von einer Panne, die letztendlich auch für meine sexuelle Vergnüglichkeit sorgte, überrascht. Die Damen, also entweder Monika oder ihre Freundin, hatten sich im Termin vertan. So war die Freundin als wir ankamen selbst in dem Bungalow. Sie hatte einen holländischen Freund, mit dem sie am Folgetag verabredet war. Da blieb dann letztlich nichts anderes als zu Dritt ins Doppelbett zu schlüpfen. Na ja, das heißt ja nicht gleich, dass wir dann auch gleich einen flotten Dreier hinlegten – nicht mal ein gemischtes Doppel, denn natürlich konnten wir bis zum nächsten Tag, wenn die Freundin zu ihrem Freund entfleucht ist, warten. Aber immerhin: Die Freundin war Mitte 30 und stramm gebaut. Als die sich dann, wie wir auch, völlig entkleidete, regte sich doch einiges bei mir. Dann passierte etwas, was mich förmlich „umhaute“. Die Freundin betrachtete mich eingehend und meinte ganz trocken: „Mensch Monika, so ein Kerl gibst du ab und nimmst dir dafür so etwas wie Wilfried. Dessen kleines Stümmelchen ist im aufgeblasen Zustand gerade mal
so groß wie der deines ersten Mannes im eingelaufen Zustand.“. Monika fragte ganz locker zurück: „Woher kennst du denn das Edelteil meines Mannes.“. „Au, ich glaube ich habe mich verplappert,“, bekannte die Freundin, „aber ich habe vor Kurzem mal mit ihm geschlafen. Ich wollte zu dir und da war er alleine bei euch zu Hause. Er hatte wohl einen moralischen und jammerte mir vor, du ließest dich zur gleichen Zeit von deinem Ex bumsen. Dann erzählte er mir, dass ihr es in dieser Beziehung ganz locker handhaben würdet und auch er mehr mit anderen als mit dir bumsen würde.“. „Stimmt“, fuhr Monika dazwischen bevor die Freundin fortfuhr: „Also, dass du mit deinem ersten Mann zusammen warst schien nicht der Grund für seinen Moralischen zu sein. Er lud mich ein mit ihm zu trinken. Na, was soll ich sagen, als ich blau war, landete ich bei ihm im Bett.“. „Also bist du auch auf seine Masche reingefallen“, erklärte Monika und damit war für sie der Fall erledigt. Am nächsten Morgen, als wir dann unter uns waren, sprach ich Monika darauf an und sie berichtete mir unbekümmert: „Ach, was soll ich dir sagen. Zwischen Wilfried und mir ist eigentlich nie ein richtiges Verhältnis gewesen. Ich habe im Leben nur einen Mann geliebt ... und das bist du. Das weiß Wilfried auch schon seit 1978. Nachdem du mich, von wegen keine Kinder mehr, in die Pfanne gehauen hast, habe ich noch einen Draufgesetzt und ihm erklärt, das er nicht mein Typ ist. Der Hintergrund, den ich dir damals eigentlich hätte berichten müssen, war das mein Vater mit dem Neuheimer Kreisboten immer mehr in Schwierigkeiten kam und er hätte nicht mehr lange selbstständig überlebt. Da überschrieb er mir den ganzen Laden und brachte mich in die NLZ – oder besser gesagt in die Familie Wolf ... Wilfried ist der Neffe vom NLZ-Gründer Wolf – ein. Der alte Wolf glaubte, dass über die Erbschaft unserer Kinder der Kreisbote dann in seine Familie käme. Als du dann ‚geplauscht’ hattest, wollte Wolf dann wieder eine ‚Rolle rückwärts’ machen und strengte einen Heidenzirkus an. Aber mein Vater hatte den Ehevertrag so wasserfest stricken lassen, dass ich, wenn man seitens der Familie Wolf oder Schneider aussteigen will, alles in meinen Händen bleibt. Somit bin ich NLZ-Gesellschafterin und Wilfried der Hanswurst. Allerdings kannte mich mein Vater auch ganz gut und deshalb ließ er festlegen, dass ich, wenn ich aus der Sache aussteige, einen großen Teil meines Vermögens an Wilfried als Abfindung zahlen muss. Ohne dem hätte sich wahrscheinlich auch die Familie Wolf/Schneider nicht auf die Sache eingelassen. Als feststand, dass es keine Erben geben würde und er mich erstmalig eine ausgenommene Ganz genannt hatte, habe ich mit ihm ein Agreement geschlossen. Wir wollten als kultivierte Leute eine Formalehe führen und was das Liebesleben angeht unsere eigenen Wege gehen.“. Sie berichte mir weiter, dass sie ursprünglich immer mit den Gedanken gespielt habe, mich wieder zurück in ihr Bett zu holen aber dann doch immer wieder davon Abstand genommen habe. Sie gab zu mit diversen Herren ins Bett gestiegen zu sein und währenddessen habe Schneider sich mit anderen Frauen amüsiert. Ich erfuhr, dass Dr. Schneider von jedem unserer Beisammenseins wusste und seine einzigste Sorge sei, dass ich dabei etwas erfahren könnte, was ich dazu benutzen könnte die NLZ-Pläne zu durchkreuzen. Hinzu käme allerdings, dass er mich wegen damals nicht leiden könne. Wäre das mit Monikas Gebärunfähigkeit nicht gewesen, könnte sie sich sogar vorstellen, dass wir freundschaftlich miteinander umgingen. Sie versuche auch zwischen uns zu moderieren, denn ihr Anteil an der NLZ wäre natürlich so gering, dass sie da nur sehr beschränkt Einfluss nehmen könne. So könne sie natürlich die Lokalfernsehstrategie der NLZ nicht beeinflussen aber wenn sich ihr Mann nicht in den Kopf gesetzt hätte mich abzuschießen, ließe sich bestimmt für mich persönlich etwas machen. Sie muss gleich am Sonntagabend entsprechend gewirkt haben, denn als ich am Montagmorgen um Zehn ins Büro kam erlebte ich ein kleines Wunder aus meiner Sicht. Dr. Schneider bat mich zu einem Vieraugengespräch in sein Büro. Er gab mir die Hand und sagte: „Also halten wir es endlich vernünftig, ich bin der Wilfried. Setze dich Reiner. Was soll ich dir viel vormachen, du weißt ja doch alles. Unsere Monika ist ja augenscheinlich deine Frau geblieben obwohl sie auf den Papier die meinige ist. Vielleicht freut es dich, wenn ich dir verrate, dass sie dir treu ist. Seitdem sie dich wieder eingefangen hat habe ich bei ihr nichts mehr zu bestellen. Ich weiß nicht ob sie dir schon erzählt hat, dass wir schon seit Jahren getrennte Schlafzimmer haben ... und in ihres komme ich seit unserem Wochenende in Waldsee nicht mehr rein.“. Man kann sich vorstellen, dass ich über seine intime Beichte, die ich von diesem Mann nicht erwartet hätte, sehr überrascht war, aber danach war das Eis zwischen uns tatsächlich gebrochen und wir haben seit jenem Tag bis ... ach warten wir es ab – freundschaftlich miteinander verkehrt. Es ging noch zirka eine Viertelstunde privat zu und erst dann kam er auf das Geschäftliche: „Ich brauche dir ja nichts zu erzählen, denn du weißt ja alles von unserer Frau.“. Jetzt lachte er und setzte fort: „Monika ist ja ehrlich und hat mir erzählt, dass du weißt, dass eigentlich am 30. Juni hier die Lichter ausgehen sollten. Aber da müssen diverse Leute verdammt viel Geld haben, denn die wollen sofort einspringen. Es sieht ganz so aus, als wären das Strohmänner mit der Aufgabe, die ganze Sache für unsere Mitbewerber zu erwerben. Insgesamt rechnet sich so ein Minifernsehen hinten und vorne nicht. Wenn wir tatsächlich ein Programm machen wollten, was sich die Leute tatsächlich ansehen würden, müssten wir mit mindestens 50 Mitarbeitern starten. Das bedeutet zirka 6 bis 10 Millionen Personalkosten pro Jahr. Das Ganze müsste hier der Werbemarkt zusätzlich aufbringen, denn was soll das Ganze, wenn dadurch Lokalfunk und Zeitung ins Schlingern geraten oder gar eingehen. Das sehen unsere lieben Mitbewerber sicherlich genauso. Die würden im Gegensatz zu uns aber
trotzdem starten ... eben um uns in dem angestammten Markt ins Schleudern zu bringen. Dann können sie in unserem konventionellen Markt einbrechen und das Minifernsehen hat sich dann für die auch erledigt. So bleibt uns nur eines: Hinhalten. Monika hat mich am Donnerstag darauf gebracht und ich konnte mich bei der Konzernsleitung damit durchsetzen. Wir machen Vertagen zur Regel. Jetzt begründen wir es offiziell mit dem tobenden Bundestagswahlkampf und vertagen erst mal auf November oder Dezember. Aber wie gesagt, wir machen aus dem Vertagen eine Regel bis es soweit ist und unser landesweites Programm mit lokalen Fenstern steht. Dann gibt es hier zwar kein Kreisfernsehen aber dafür ein Lokalstudio.“. An dieser Stelle unterbrach er erst mal und fragte ob ich Lust hätte mit ihm zu Mittag bei ihm zuhause zu speisen. Er hatte mal wieder richtig Hunger auf eine von Monika zubereitete Speise. Nun kann ich wirklich bestätigen, dass Monika, entgegen dem Klischee hinsichtlich reicher Frauen, eine verdammt gute Köchin ist. Noch von damals weiß ich, dass sie schon als Kind eine begeisterte Hobbyköchin gewesen sein will. Daher sagte ich natürlich gerne zu. Jetzt, wo er mir die Hand gereicht hatte, sah er eine Chance mal wieder von seiner Frau was zu kriegen. Wir hatten Glück, denn Monika sagte bei seinem Anruf zu. Jetzt fuhr er fort: „Dann kann ich mich bei unserer Frau heute Mittag ja wieder ein Bisschen einschleimen, denn was ich dir jetzt sage, weiß Monika auch noch nicht. Ich bin am Freitag beauftragt worden, mir Gedanken über einen Statthalter zu machen. Dessen einzigste Aufgabe soll es sein, Aktivität vorzutäuschen und ansonsten nur einen guten Eindruck zu machen. Ich rufe gleich bei den Bossen an und erkläre den Statthalter gefunden zu haben: Dich. Das wurde sogar von Oben vorgeschlagen aber ich habe nicht angebissen. Du weißt ja warum ... Aber lassen wir jetzt die alte Geschichte endlich ruhen.“. Na ja, damit war es bei mir dank fremder Hilfe wieder einmal besser gelaufen, als es zu erwarten war. Jetzt kann man fragen, was denn mit den beiden anderen Akteuren, also mit Horst Grömmer und mit Wilfried Schneider selbst, geschehen sollte. Das erfuhr ich dann beim Mittagessen, von dem ich auch sonst noch einiges zu berichten habe. Da ist zu erwähnen, dass sich Monika auch sehr freute, dass wir uns doch noch dazu durchgerungen hatten, loyal miteinander umzugehen. Zur Feier des Tages hat sie sich sogar schick und sexy, das heißt knapp und hauteng, gekleidet hatte. Als wir hereinkamen, stellte sie dann auch unsere sonderbaren Verhältnisse klar. Sie begrüßte ihren Mann mit freundlichen Worten und einem Wangenkuss und mit mir knutschte sie. Aber insgesamt war die Atmosphäre freundlich und herzlich. Insgesamt dehnten wir diese Mittagspause auf über drei Stunden aus. Dabei berichtete dann Wilfried Schneider auch über seine und Horsts Zukunft. Mit Letzterem musste er allerdings noch sprechen. Er selbst würde ab 1.7. wieder seine alte Aufgabe in der Konzernszentrale wahrnehmen. Vor Ort hat er noch eine Eigentumswohnung, in der er früher von Montags bis Freitags wohnte. Ab und zu war auch Monika dort. Jetzt meinte er, brauche er wohl nicht mit ihr zu rechnen, denn Monika hätte ja jetzt mich. Horst Grömmer kann, wenn er will, zur TPC Tele Production Company GmbH in Frankfurt, die Werbefilme produzieren, gehen. Wenn es dann zu dem anvisierten Landesfernsehen kommt, sind die für die „Eigenproduktionen“ vorgesehen. Dieses Unternehmen will im ehemaligen Hexenberger Hotel Jagdhaus einen Studiobetrieb einrichten und Grömmer soll dort später Niederlassungsleiter werden. Während des Mittagsessens waren wir überzeugt, das Horst dieses Angebot annehmen würde. Wir hatten unsere Überzeugung zu recht, denn als ich kurz vor Sechs nach Hause fahren wollte stürzte der hocherfreute Horst Grömmer zu mir ins Büro um mir das zu berichten, was ich schon wusste. Jetzt hätte mir nur noch Martina erklären müssen, dass sie mich als Bigamist akzeptieren und lieben würde, dann wäre mein Glück perfekt gewesen. Wobei mir hinsichtlich dieser Vorstellung sogar egal war, ob wir eine Ehe zu Dritt oder parallel neben- beziehungsweise nacheinander führten. Aber mal ehrlich, eine solche Vorstellung setzt doch ein bisschen viel Fantasie voraus. Die Wirklichkeit sah doch etwas anders aus. Zwischen Martina und mir ging es zunehmendst frostiger zu. So ist es halt auf dieser Welt: Wenn auf der einen Seite die Sonne aufgeht wird es auf der anderen Seite Nacht. Beruflich und mit Monika war nun alles im hellen Tageslicht, da wird es in meinem Familienleben finster. Aber so sah ich das in jenen Junitagen, von denen ich in diesem Kapitel berichtet habe, auch noch nicht. Ich denke, dass dieses im nächsten schon deutlicher wird. Blättern sie ruhig weiter. An dieser Stelle muss ich nur noch was der Vollständigkeit halber anmerken: Ich hatte ja erwähnt, dass ich mit Monika für den Montagabend eine vorsorgliche Verabredung hatte. Dieses hatte sich ja dadurch, dass sich das Blatt gewendet hatte, eigentlich erübrigte. Trotzdem haben wir es dabei belassen; nur der Ort wurde gewechselt: Wir trafen uns in der Rollmannvilla. Ernsthaftere Dinge hat wir nicht mehr zu sprechen und deshalb nutzten wir die Gelegenheit, auch die das Wilfried Schneider außer Haus war, zu einem „Sentimental Evening“. Wir spielten aus unseren Erinnerung mit viel Vergnügen Szenen aus der Zeit als ich noch der Schriftsetzergehilfe und sie das Töchterchen meines Bosses war nach.
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Gegenseitig erwischt Der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Geschichte folgte für mich eine schizophrene Zeit. Einmal war ich so richtig „Reiner im Glück“ und einmal lebte ich in einer zunehmendst trüber werdenden Atmosphäre und das im stetigen Wechsel, Tag für Tag. Ich will dieses mal anhand eines ganz normalen Alltages beschreiben. Morgens um halb Sieben rappelte bei uns üblicher Weise der Wecker. Der Grund ist, dass Martina eine Stunde später gen Wollerst zu ihrer Arbeitsstelle starten muss. Theoretisch hätte ich ja noch eine Runde liegen bleiben können, denn für mich, den Statthalter eines Lokalfernsehsenders, der nach dem derzeitigen Stand nie auf Sendung gehen sollte, war ich vollkommen unabhängig. Wenn ich im Büro erschien war es gut – und wenn nicht auch. Ich konnte mich des Morgens um Sieben dahinsetzen und Arbeitswut vortäuschen oder des Mittags pünktlich zur Mittagspause erscheinen; alles wäre auf das Gleiche hinausgekommen. Ich konnte es nach der Devise „Wer später kommt, kann früher gehen“ halten oder ich konnte mich als Leister in unserer Gesellschaft darstellen und als Erster kommen und als Letzter gehen. Wie und was ich machte bestimmte ich ganz alleine. Interessant ist ja, das es solche Tagediebesjobs in unserer Republik gar nicht so selten gibt und diese grundsätzlich besser bezahlt werden als Knochenschinderei. An einen solchen Job kommt man nur in dem man zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort ist und die richtigen Beziehungen hat. Man behauptet, diese Pöstchen bekäme man auf Grund von Leistung und Qualifikation, was ich aber wenn ich mir die Spitzen in Politik und Wirtschaft ansehe in vielen Fällen jedoch bezweifeln muss. Was bei mir der treffende Zeitpunkt, Ort und die richtige Beziehung war haben Sie ja im Vorkapitel erfahren. Mit diesem Job war ich ursprünglich richtig glücklich; es kam mir fast wie ein Traum vor. Aber Sie können sich gar nicht vorstellen, wie so etwas dauerhaft an die Nerven geht und wie ich letztendlich froh war, diesbezüglich „erlöst“ zu werden. Aber soweit sind wir noch nicht, jetzt sind wir erst mal bei einen ganz normalen Tageslauf im Sommer 1998. Ich hätte also immer dann, wenn sich meine Frau erhob, durchaus liegen bleiben können, was ich sogar oft gerne getan hätte. Aber das war mir aber keinesfalls zu empfehlen, denn dann hätte ich Martinas Schimpfkanonade hinsichtlich bis spät in die Nacht amüsieren und morgens nicht rauskommen ertragen müssen. Um den zu entgehen erhob ich mich meines Friedens halber. Aber bestimmten aggressiven Seitenstiche konnte ich jedoch nicht entgehen. Auch wenn ich nun schon fast 20 Jahre mit Martina verheiratet bin halte ich sie nach wie vor für eine sehenswerte attraktive Frau. Da schaut man schon mal ganz gerne hin, wenn sie gar nicht oder leicht bekleidet im Schlafzimmer steht, was ja beim morgendlichen Ankleiden natürlich ist. Wenn ich nicht hinsah unterstellte das Martina aber trotzdem. Dann machte sie mich grundsätzlich hinsichtlich lüsterner Blicke und vor allen Dingen von wegen mit anderen Frauen rumhuren an. Da ich das dann nicht auf mir sitzen ließ, hatten wir zu diesem Zeitpunkt den ersten von drei standardmäßigen Ehestreiten. Während der erste Streit des Tages immer den gleichen Ursprung und Inhalte hatte, war es beim zweiten, den wir am Frühstückstisch führten, immer was anderes. Da ging es um Tagesaktualitäten und –formalitäten. Also um die Dinge, die wir auch früher bei dieser Gelegenheit abhandelten. Nur zuvor handelten wir diese entweder rein formal oder nett plaudernd, aber immer freundlich, ab. Jetzt schleuderten wir uns diese Dinge nur noch im aggressiven Ton um die Ohren. Diese zweite Auseinandersetzung war in der Regel die schärfste, da auch Steffi mit am Tisch saß und sich darin befleißigte entweder mitzumischen oder Öl ins Feuer zu gießen. Ab und zu platzte mir der Kragen und ich herrschte unsere Tochter mit „Dumme Göre, misch dich doch nicht in die Angelegenheiten deiner Eltern ein“ oder mit ähnlichen Formulierungen an. Dann schwang gleich meine Frau die Streitaxt gegen mich. Aber umgekehrt war es genauso. Auch Martina war Stefanies Mitmischen zum Teil zuwider und unsere Tochter wurden dann auch von ihr in ähnlicher Weise wie ich es machte gemaßregelt. Dann war ich es, der Martina den Marsch blies. Steffi hatte also grundsätzlich eine Unterstützung – und das nutzte das Luder auch konsequent aus. So war ich Tag für Tag froh wenn die Frauen zur gleichen Zeit das Haus verließen. Die dritte Runde im Rosenkrieg fand dann regelmäßig, spätestens wenn ich nach einer späteren Heimkehr ins Bett kam, am Abend statt. Nun, diese Angelegenheit kann ich einfach mit dem Stichwort „Schmutzige Wäsche waschen“ abhandeln. Es gibt eigentlich kein Zweifel daran, unsere Ehe war zerrüttet. Und was das „Komische“ daran war, ist dass dieses keiner von uns beiden wirklich wollte und beide hofften wir, dass dieser Kelch an uns vorüberziehen würde und es wieder so sein könne wie es früher immer war. Beide waren wir davon überzeugt, dass wir uns einander nach wie vor lieben würden und uns nicht aufgeben wollten. Von mir wusste ich dieses ja zum gleichen Zeitpunkt; das es Martina genauso ging habe ich natürlich erst wesentlich später erfahren. So kann ich jetzt natürlich nur an mich den Vorwurf richten warum ich keinen Schritt in die aus meiner Sicht richtige Richtung unternommen habe. Ich habe mich ja schon bereits im Vorkapitel dazu bekannt, dass ich ein steuerbarer Durchschnittsmensch „war“. „War“ steht in Anführungsstrichen weil ich heute der Meinung bin, dass ich, nachdem ich inzwischen mächtig einen auf die Nase bekommen habe und durch Selbsterkenntnis gelernt habe, heute nicht mehr der Gattung „Massenmensch“ angehöre. Aber soweit war ich damals noch lange nicht, damals ließ ich mich, wie immer zuvor, treiben und beließ es bei der Hoffnung, das es irgendjemand schon richten würde. Mit einer solchen Einstellung hatte ich bisher ja fast immer Glück. Vielleicht ist gerade dieses das
Übel was unserer hochgelobten Kultur mal ein Ende bereiten wird: Man denkt nicht nach, hält das was Alle sagen, auch wenn Denker feststellen das es das dümmste Zeug ist, für richtig und dann geht das viel zu lange gut. Und wenn es dann schief geht sind immer die anderen schuld – klar, man hat ja selbst im wahrsten Sinne des Wortes nichts getan. Nachdem die weiblichen Schreibers das Haus verlassen hatten konnte ich dann entscheiden wie ich den Tag weiter angehen wollte. Ich konnte noch mal ins Bett gehen oder mich eine Runde auf die Couch legen. In Ruhe konnte ich die Zeitung lesen und/oder Radio hören – nach Fernsehen war, und ist mir auch heute noch , zu früher Morgenstunde nicht so recht. Ich konnte mir überlegen ob ich mir selbst ein zweites Frühstück machte, zu diesem Zweck ins Café Krönchen nach Neuheim fuhr oder ganz und gar auf dieses verzichtete. Wieso ich über diese seltenen Freiheitsrechte verfügte habe ich bereits weiter oben beschrieben. Ich war also zum Supertagesdieb „verkommen“. Und dabei war ich dann so gar gut angesehen. Auf dem Papier war ich immer noch der Chefredakteur des Kreisfernsehens Neuheim in Gründung und zusätzlich war ich noch zum stellvertretenden Geschäftsführer dieses Unternehmens befördert worden. Ich tat auch immer gegenüber den Mitarbeitern des Neuheimer Kreisboten, wo ich mein großzügiges Büro hatte, und der Öffentlichkeit wichtig und äußerst beschäftigt. Das meine Aufgabe nur darin bestand den guten Willen der Neuen Landeszeitung NLZ vorzutäuschen habe ich natürlich niemanden verraten. Immer wenn ich das Haus verließ gab ich an einen wichtigen Termin zu haben. Zwei von drei wichtigen Terminen hatte ich in der Regel mit der „wichtigen“ und für uns zuständigen NLZ-Gesellschafterin Monika Schneider. Das diese Termine in der Regel aus einem Plausch bei Tee oder Kaffee und Schmusen, sowie hin und wieder einem Bettbesuch bestand brauchte und habe ich selbstverständlich niemanden verraten. Bei diesen Besuchen in der Rollmannvilla gab es auch planerische Arbeiten. Monika und ich verplanten nämlich bei diesen Treffen unsere Wochenenden, die wir jetzt regelmäßig, also Woche für Woche, gemeinsam verbrachten. Natürlich habe ich bei Martina immer eine „geschäftliche“ Ausrede präsentiert bei der ich mir allerdings sicher war, dass sie mir diese nicht glaubte. Aber sie hat nie was dagegen gesagt. Warum auch, denn so hatte sie es leichter ihre eigenen Dispositionen zu treffen. Steffi ging ihren eigenen Wege und trat in dieser eigentlich nur zur Frühstückszeit in Erscheinung. Im Juli 1998 gab es dann mal die inzwischen seltene Gelegenheit, dass wir alle drei an einem Abend zuhause waren und sogar recht friedlich miteinander umgingen und sprachen. Da haben wir uns dann gegenseitig unsere Wochenendlügen aufgetischt. Steffi war damit angefangen. Sie wollte übers Wochenende mit den Pfadfindern in ein Lager im Bergischen Land und sprach uns in Richtung Sponsoring an. Sie brauchte schlicht und einfach eine Aufbesserung ihrer verfügbaren Masse und tat sich deshalb einen Abend im Elternhaus an. Die Angelegenheit nutzte Martina um mir mitzuteilen, dass sie außer der Reihe etwas mehr von unserem gemeinsamen Konto abheben würde, da sie von ihrer Firma übers Wochenende zu einer Fortbildung nach Schwaben geschickt worden sei. Da konnte ich dann auch die Gelegenheit beim Zopfe packen und verkünden, dass ich eigentlich vorgehabt hätte ein Wochenende zu Hause zu verbringen, aber jetzt, wo ich ja ohnehin allein wäre, mir mal die TPC Tele Production Company GmbH in Frankfurt, die ja später mal für uns produzieren soll, ansehen wollte. Ich könnte ja eine diesbezügliche Absprache mit Grömmer treffen. Scheinbar war jetzt alles in Ordnung. Aber wir drei hatten gelogen, was uns jetzt auch allen zum Verhängnis werden sollte. Ich wollte in Wirklichkeit mit Monika auf die „Insel der Reichen und Schönen“, wie Sylt in den Medien heißt. Monika hatte für uns ein Appartement in Hörnum, im Süden der Insel, gebucht. Da reisten wir dann auch am Freitagabend, den wir für ein großartiges Dinner, in Westerland nutzen, an. Am nächsten Morgen versprach uns ein strahlend blauer Himmel, dass es ein schönes Wochenende werden würde. Na ja, in welchen Menschen steckt nicht ein kleiner Exhibitionist und gleichzeitig auch ein entsprechender Spanner. So gelüstete es uns zu einen Besuch am dortigen FKK-Strand. Wir mieten uns zwei Strandkörbe und einen Sonnenschirm, den wir vom Strandkorbservice an exponierter Stellung aufstellen ließen. Exponiert heißt an einer Stelle, wo man gesehen wird aber insbesondere auch gut sehen kann. Was am Stadtrand eine Straftat darstellt ist am Sylter Strand ja toppgesellschaftsfähig. Wir waren etwa eine Stunde dort und ich hatte ein Wenig vor mich hin gedöst. Plötzlich vernahm ich einem weiblichen, erschrockenen Kickser. Als ich die Augen aufmachte stand da meine Tochter zusammen gekauert und mit zusammengepressten Beinen. Mit der linken Hand versuchte sie ihr Schamdreieck zu bedecken und ihr rechter Unterarm lag über ihre großen Busen. Vom Volumen her konnten da weder Martina noch Monika mithalten. Mit freundlicher ruhiger Stimme sagte Monika: „Du musst Steffi sein. Deinen Vater kennst du offensichtlich ja und wer ich bin weißt du sicherlich auch. ... Kommt setzt euch.“. Etwas widerwillig nahmen dann die beiden junge Leute – Steffi war in Begleitung eines jungen Mannes, den ich der Familie Schöller zuordnen konnte – neben Monikas Strandkorb platz. Ganz schüchtern tastete sich jetzt Steffi vor: „Ja sie sind Papas erste Frau ... glaube ich.“. „Richtig“, bestätigte Monika, „du kannst genau, wie deine Eltern auch, Monika zu mir sagen.“. Jetzt fragte ich Monika wie sie Steffi sofort erkannt habe, wo sie sich doch noch nie persönlich
begegnet seien. „Ganz einfach,“, erläuterte Monika, „ich hätte mich in jungen Jahren nackt in großen Fußballstadien zeigen können und nichts oder sogar angenehmes dabei empfunden. Aber wenn mir mein Vater plötzlich gegenüber gestanden hätte, wäre die große Scham über mich gekommen und ich hätte versucht sofort meine Blöße zu bedecken. Ich glaube, dass so etwas eigentlich ganz normal ist. Da Steffi eben genau so reagierte, konnte es nur deine Tochter sein. ... Und zudem sieht sie dir sehr ähnlich; ganz der Vater ... allerdings sehr weiblich; alles dran“. Sie lachte herzlich und wandte sie sich jetzt Steffi zu: „Ach, was ist denn daran so schlimm. Jetzt ist es halt passiert und dann steck es einfach weg. Und verstecken brauchst du dich nicht, du kannst dich wirklich sehen lassen ... auch gegenüber deinem Vater, der darauf bestimmt stolz ist.“. Ich weiß jetzt nicht ob es in diesem Moment Steffis Trotz oder ein Befreiungsschlag war als sie aufstand und sich vor meinen Strandkorb stellte und tönte: „Na, dann will ich mir mal den Schwanz, mit dem ich gezeugt worden bin, genau ansehen. Währenddessen kannst du dir ja ansehen, was da bei rausgekommen ist.“. Ich fand es reichlich ungehörig und frech von ihr aber die Situation war so prekär, dass ich lieber nichts sagte. Ich wollte jetzt die Situation ein Wenig entspannen und verkündete im witzigen Ton, dass es durchaus möglich wäre, das wir uns in einem Pfadfinderlager befänden aber im Bergischen Land befänden wir uns auf keinen Fall. Darauf ließ Steffi dann eine Bombe platzen: „Na ja, hier ist auch nicht Frankfurt und in Westerland finden ja auch ab und zu Fortbildungen statt aber in Schwaben ist das auch nicht.“. Mir war sofort klar, was sie da sagte und wollte Näheres wissen. Nun berichtete sie, dass ihr Freund seinem Vater Geld gefilzt habe – sie nannte es Anleihe mit nachträglichem Kreditantrag – und sie sei ja von mir selbst gesponsert worden. Mit dem Geld hatten sie sich die jungen Leute in einem Westerländer Hotel eingemietet. Als sie merkten, wer ihre Zimmer Nachbarn waren, wären sie am Liebsten gleich wieder ausgezogen. Es war Martina in Begleitung von Reimund Heimann. Das sie im Hotel nebeneinander wohnten war nun nicht zu ändern aber am Strand wollten sie den Beiden nun nicht begegnen. Die Annahme, dass sich die Leute wegen der nudistischen Paradiese auf die nördlichste Insel Deutschlands begeben, ist ja nun wirklich nicht abwegig. So war das junge Paar der Meinung in Westerland Gefahr zu laufen Martina und ihrem geliebten nackt gegenüber zu stehen und deshalb haben sie sich dann nach Hörnum aufgemacht. Ja und dann das; statt der Mutter mit Geliebten liefen sie dann dem Vater mit seiner Geliebten im Schöpfungskleid über den Weg. Unbekümmert schloss Steffi, Monika zugewandt: „Jetzt fehlt nur noch dein jetziger Mann. Was würdest du sagen, wenn der plötzlich hier mit einer anderen auftauchte?“. Jetzt rächte sich, dass uns Steffi ihren Begleiter nicht vorgestellt hatte, denn Monika sagte: „Ach, dass kann nicht passieren. Unsere Ehe ist eine Geschäftsverbindung bei der man offen über seine Vorhaben sprechen kann. Da weiß ich wo er ist. Der hat bei euch in Hexenberg eine Frau Schöller kennen gelernt und der zeigt er jetzt die Kreideinsel Rügen.“. Wie angewurzelte und mit starrem Blick stand Steffis Begleiter plötzlich da. Während bei ihm die Tränen zu kullern begannen, kam „Was Mama geht auch fremd?“ mit stotternder Stimme aus ihm heraus. Steffis Begleiter war Christof Schöller, der Sohn unseres Berufsfrömmlers und der Frau, die jetzt mit Wilfried Schneider auf Rügen war. Über sich selbst verärgert stieß Monika aus: „Scheiße, man soll ja auch keine Namen nennen. So etwas kommt dabei heraus.“. Jetzt hatten wir natürlich einiges an Erklärungsbedarf. Für die jungen Leute, die irgendwo immer noch an das Besondere bei ihren Eltern glaubten, war eine Welt zusammengebrochen. Jetzt war es natürlich schwierig, mit wem wir anfangen sollten. Mit Christof Schöller, der jetzt erstmalig erfahren hatte, dass auch seine Mutter mal Urlaub von der Ehe machte oder mit Steffi, die jetzt bestätigt bekam, was sich eigentlich schon vorher abgezeichnet hatte. Egal in welche Richtung wir zuerst marschiert wären, es wäre alles ohne ein wenig Glaubwürdigkeit verlorene Liebesmühe gewesen. Also sprach ich zuerst Steffi an um ihr zu begründen, dass ich tatsächlich beide Frauen liebe und die Situation es jetzt ergab, dass ich zwischen den beiden hin- und hergerissen würde. Monika half mir dabei, in dem sie sagte unsere damalige Eheschließung wäre tatsächlich eine Liebesheirat gewesen. Sie konnte dieses sogar am unterschiedlichen sozialen Status, den wir damals hatten beziehungsweise heute noch haben, glaubhaft machen. Nun erzählte sie etwas, was auch für mich neu war. Nachdem damals unser kleiner Oliver – Monika nannte ihn gegenüber Steffi dein Halbbrüderchen – gestorben war, ist sie massiv von ihrer Familie unter Druck gesetzt worden mich sausen zu lassen und Wilfried Schneider zu ehelichen. Irgendwo könne sie die Einstellung ihres Vaters nachvollziehen aber ihm trotzdem nicht verzeihen. Nachvollziehen weil es ihm um das Überleben des Neuheimer Kreisboten ging. Verzeihen kann sie es ihm nicht, weil er eine wirtschaftliche Existenz über das Glück seiner Tochter gestellt hatte und dann noch eine Situation, die sie schwer getroffen hatte – Olivers Tod - zum Erreichen seines Zieles genutzt habe. Ihren Mann habe sie nie geliebt sondern immer nur einen Mann: mich. Sie sagt dann: „Ach, versteh mich doch Steffi. Ich bin doch auch nur ein Mensch, eine Frau mit ganz normalen Empfindungen. Ich konnte auf einmal nicht mehr anders und habe mir meine Liebe zurückgeholt.“. „Wenn ich jemand verstehe, dann dich.“, begann jetzt Steffi, „Aber das gilt aber nicht für meine Eltern. Das ihr euch immer noch liebt, war für Vati kein Grund Mutti zu einem Zeitpunkt, wo ihr noch nicht wieder zusammen ward, zu vernachlässigen und Mutti hatte keinen Grund, statt um Vati zu kämpfen sich mit einem anderen verheirateten Mann, der selbst Kinder hat, zu vergnügen. Mutti ist ja nicht erst seit dem ihr wieder zusammen seit mit diesem Kerl zusammen sondern das geht bei denen ja schon lange ... schon ein paar Jahre. Vati war der gehörnte und ich
hätte mich ihm gegenüber beinahe verplappert. Ich habe ihm wahrheitsgemäß erzählt, wie ich dem Pärchen zufällig und unausweichlich begegnet bin. Das ich die schon vorher heimlich beobachtet habe und ich dann die ‚zufälligen’ Begegnungen inszeniert habe wissen die Beiden auch erst seit gestern Abend“. Das haute mich jetzt auch vollendens um und ich durfte es mir nicht anmerken lassen, denn erstens hat ein Fremdgänger kein Recht sich darüber auszulassen wenn seine Frau das Gleiche macht, gleichgültig wer angefangen hat, und zweitens saß da immer noch ein vollkommen zusammengesackter junger Mann, der mit größter Mühe gegen seine Tränen kämpfte. Durch Monikas Worte war Steffi richtig bewusst geworden, dass mein verstorbener Sohn aus erster Ehe tatsächlich ihr Halbbruder war. Das beherrschte sie jetzt so sehr, dass sie Monika nach Oliver ausfragte. Die Gelegenheit nutzte ich, um mich mit Christof Schöller zu beschäftigen. Mit weinerlich Stimme erzählte er mir, dass man seinen Vater in der Familie allgemein für ein Spinner halte. Sein Opa würde sich öfters darüber äußern, dass man den aus dem Verkehr ziehen müsse und empföhle seiner Mutter sich scheiden zu lassen und sich einen Kerl, der noch klar im Kopf ist, zu suchen. Christof meinte sein Opa habe wohl nicht ganz unrecht. Aber seine Mutter habe eine gute christliche Wertvorstellung, die allerdings nicht so durchgeknallt wie bei seinen Vater wäre, und sie wiese bei solchen Gelegenheiten immer auf das 6. Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ hin. Er habe seine Mutter deshalb sehr verehrt. Und jetzt das. Mit einem verheirateten Mann begeht sie Ehebruch; mit einem Mann wo schon vorher absehbar wäre, dass daraus nichts werden könnte – reines triebhaftes Verhalten. Für Christof war seine Mutter vom Sockel gestürzt. Ich tröste ihn damit, dass auch seine Mutter ein Mensch aus Fleisch und Blut sei. Irgendwo käme man immer wieder mal an einen Punkt, wo man nicht mehr anders könne, als sich einer Sache hinzugeben. Es hieße ja auch in der Bibel, dass niemand von uns ohne Sünde sei und Jesus habe ja den, der von sich annähme er sei es, aufgefordert den ersten Stein zu werfen. Im konkreten Fall habe es sich sogar um eine Ehebrecherin gehandelt aber ich wäre davon überzeugt, dass es sich um die ganze Liste möglicher Sünden handele. Mit Sicherheit wäre seine Mutter trotzdem nach wie vor die Frau die seinem Bild entspräche. Ich schlug ihm vor, sich mit seiner Mutter offen auszusprechen. Ja, ja, richtige Ratschläge geben ist leicht aber sich selber daran halten sehr schwer, denn wo hatte ich denn schon mal die offene Aussprache gesucht. So verbrachten wir noch etwa eine Stunde am FKK-Strand von Hörnum. Die ersten Wogen waren geglättet aber die See wollte sich noch lange nicht beruhigen. Die Einzigste, die jetzt gut da stand, war Monika. Sie fand vollstes Verständnis bei Steffi, was sich dann aber nicht so auf mich übertragen ließ. Steffi konnte wohl nachvollziehen, dass ich wieder in Monikas Armen gelandet bin, aber sie sah keinen Grund, der mich berechtigt hätte meine Familie zu vernachlässigen und auch keinen, der ihre Mutter zum Fremdgehen hätte veranlassen können. Zu Recht meinte sie, wir hätten miteinander sprechen müssen. Christof wirkte anschließend nicht mehr so getroffen wie anfänglich aber wie ein fröhlicher junger Mensch wirkte er auch nicht. Er war sehr still und offensichtlich auch sehr traurig. Ich hatte jetzt Gewissheit über das, was ich eigentlich schon vorher wusste. Neu war mir allerdings, dass Martina schon zuvor, wo ich die Welt noch für ihr in Ordnung hielt, sich in der Seitensprungtechnik übte. Monika ist zwar eine Frau, die weiß was sie will und dann auch alles daran setzt, dieses zubekommen aber dass sie eine typische Egoistin sei, kann man nicht behaupten. Es bewegte sie schon sehr, was um ihr herum geschah; sie konnte es mit- und nachempfinden. Richtige Stimmung kam nicht mehr auf und so beschlossen wir bereits am frühen Samstagabend, dass wir gleich nach dem Frühstück des nächsten Tages wieder nach Hause aufbrechen wollten. In heimischen Gefilden angekommen setzte ich Monika erst mal, mit dem Versprechen am Abend zu ihr zu kommen, in der Rollmannvilla ab und fuhr allein nach Hexenberg, wo ich über die ganze Angelegenheit nachdenken wollte. Einen solchen Gedanken hatte ich aber nicht alleine gehabt. Als ich ankam war Martina schon da; sie war eine halbe Stunde vor mir eingetroffen. Die jungen Leute waren unmittelbar nach dem wir unser FKK-Treffen aufgehoben hatten, zurück nach Westerland gefahren und Steffi hatte Martina zur Rede gestellt. Über den Umweg „Verständnis für Monika“ hat sie ihrer Mutter dann auch von unserer peinlichen Begegnung berichtet. Als ich Martina im Wohnzimmer erspähte sagte ich gleich: „Martina, ich habe das Bedürfnis mit dir zu sprechen. Hast du Zeit?“. „Das beruht auf Gegenseitigkeit.“, antwortete sie mit Tränen in den Augen. Wir führten ein sehr vernünftiges sachliches Gespräch und bekannten uns gegenseitig, das wir beide der festen Überzeugung waren den anderen immer noch zu lieben. Einig waren wir uns aber auch darüber, dass es so nicht weitergehen konnte. Martina meinte: „Wir müssen uns halt von einander trennen. Vielleicht werden wir ja doch noch vernünftig und finden mal wieder zueinander. Ich möchte meinen diesbezüglichen Traum jedenfalls nicht aufgeben.“. Ich konnte mich ihrer Meinung, sogar aus wahrhafter Überzeugung, anschließen. Aber Trennen heißt für mich Ausziehen, denn das Haus gehörte Martina; es war ihr Erbe. Martina zeigte sich jedoch in dieser Hinsicht vernünftig. Ihr war klar, dass ich nicht zu Monika in die Villa ziehen könne. Dem stände ihre Ehe mit Wilfried Schneider nicht nur aus öffentlich moralischer Sicht im Wege, da dürfte es hinsichtlich des Status des Ehepaares Schneiders im wirtschaftlichen Leben und auch juristische Klauseln in deren Ehevertrag geben, die einer solchen Sache entgegen stehe. So räumte mir Martina ein, dass ich, bis ich etwas gefunden habe, bei ihr wohnen bleiben
dürfte. Sie meinte, dass wir Vernunft walten lassen sollten und uns in der Zeit, wo wir noch zusammen wohnen nicht mehr streiten sollten und unter dieser Bedingung wollte sie mich auch nicht aus dem Schlafzimmer ausweisen. Diesen Pakt, den ich für vernünftig hielt, ging ich natürlich ein. Wir waren uns eben wie zuvor beschrieben einig geworden als auch Stefanie wieder eintraf. Sie wollte aber nicht lange mit uns verhandeln und kündigte uns an, dass sie ausziehen wolle und sich mit Christof eine Wohnung suchen wollte. Sie fragte diesbezüglich an, ob wir sie nach ihrem Auszug bis zum Zeitpunkt wo sie auf eigenen Beinen stehen kann, wirtschaftlich unterstützten würden. Offensichtlich aus einem Schuldbewusstsein sagten Martina und ich erst mal spontan pauschal zu. Dann ergänzte Martina: „Aber einen Freibrief zu einem Leben in Saus und Braus können wir dir natürlich nicht ausstellen. Wir müssen über die Einzelheiten und was du von wem von uns beiden erhältst in Ruhe sprechen. Ich schlage dazu, den morgigen Abend vor, denn ich kann mir vorstellen, dass ich nicht die Einzigste bin, die vorsorglich für heute Abend eine Verabredung getroffen hat.“. Steffi und ich konnten dieses bestätigen und im Übrigen zustimmen. Ich kann jetzt mal in der Chronologie vorgreifen und sagen, dass wir uns am Montag einig wurden und Steffi zum 1. August 1998 in ihre, mit Christof gemeinsame, kleine Wohnung nach Neuheim zog. Nun aber zurück zu jenem Sonntag, der für meine Familie offensichtlich den Anfang vom Ende darstellte. An diesem Abend war ich ja noch mit Monika in ihrer Rollmannvilla verabredet. Als ich ihr von den Ergebnissen des Nachmittags berichtete, gab es erst mal Tränen. Seitdem wir geschieden waren hatte ich Monika noch nicht wieder in einem solchen Zustand erlebt. Sie lag mir in den Armen und weinte auf meine Schulter. Schluchzend sagte sie: „Du musst jetzt eine Entscheidung treffen ... Martina oder mich. Beides zusammen geht offensichtlich nicht. Mein Anstand gebietet mir dir zu sagen, dass die Entscheidung für Martina die wohl richtige ist. ... Aber damit machst du mich kaputt, du bist meine Liebe und mein Glück ... und das schon als ich dich zum ersten Mal als Lehrling in unserer Setzerei sah. Was habe ich dir nachgestellt. ... 20 Jahre habe ich laufend darüber nachgesonnen wie ich dich wiederkriegen kann. Und jetzt? ... Alles Scheiße.“. Jetzt heulte sie heftiger wie zuvor. Sie sprach zwar weiter aber ich verstand sie nicht so recht. Ich kann nur noch sinngemäß weitergeben, das sie ihrem Vater beschuldigte sie aus Eigennutz zu etwas gezwungen zu haben, was sie nicht wollte und was sie unglücklich gemacht habe. Sie wolle jetzt nicht das Gleiche mit mir machen. Ich strich ihr über die Haare und bekannte ihr, dass auch ich in einer furchtbaren Zwangslage steckte. Man kann doch nicht einfach 20 glückliche Jahre mit Martina ausradieren und „Tschüss, das war’s“ sagen. Auf der anderen Seite glaubte ich jetzt nicht mehr ohne Monika leben zu können. Ich wusste nicht, was ich machen sollte und hielt es erst mal für unausweichlich, meine Vereinbarung mit Martina zu erfüllen. Ob es richtig war, konnte ich damals nicht sagen. Es dauerte über eine Stunde bis wir sachlich über die Situation sprechen konnte. Monika sagte, dass, wenn es nach ihren Gefühlen und Wünschen ginge, ich zu ihr ziehen müsse. Das wäre aber aus zweierlei Gründen dumm, denn wenn ich mich dann doch für Martina entscheiden wolle, würde ich dann dieses so empfinden, wie sie die von ihrem Vater ausgehandelte Ehe empfunden habe, denn gegenüber Martina hätte ich dann die Tür zugeschlagen und für mich würde es so wirken als habe Monika das erzwungen. Auf der anderen Seite könne sich ihr Mann auf eine Klausel im Ehevertrag berufen, mit der er dann die Geschichte zu seinem Vorteil beenden könnte. Laut dem Vertrag gilt diese Ehe dann auf Verschulden von Monika zerrüttet, wenn sie Fakten schafft, die einen Vollzug der Ehe nicht mehr ermöglicht. Na ja, dass wäre ja nun auch für Richter nachvollziehbar gegeben, wenn ich in deren ehelichen Wohnung mit Monika in einem eheähnlichen Verhältnis leben würde. Plötzlich hatte sie eine Idee: „Kennst du die Jagdhütte am Hexenberg? Die gehört mir, die habe ich von meinem Vater geerbt. Wäre das fürs Erste was für dich?“. Als ich dieses bejahte, fügte sie noch an: „Die muss ich aber erst noch wieder herrichten lassen, die ist ein Wenig herunter gekommen. Es könnte also 2 bis 4 Wochen dauern bis du da einziehen kannst ... es kommt ja darauf an, wie sich die Handwerker ins Zeug legen beziehungsweise legen können. Die stehen da ja nicht herum und warten auf Aufträge von einer gewissen Monika Schneider, die am Liebsten immer noch Schreiber hieß. Glaubst du, das Martina und du so lange klarkommen könnt.“. Auch dieses bejahte ich ihr und die Sache war damit abgemacht. Eingangs schrieb ich von einer schizophrenen Zeit. Diese traf dann auf die folgenden drei Wochen, die ich noch in Martinas Haus verbrachte, noch deutlicher zu. Da lebten wir friedlich und äußerlich harmonisch zusammen – wir haben in dieser Zeit sogar zwei Mal miteinander Verkehr gehabt – und dabei war das Ende unserer Familie aus unserer damaligen Sicht schon besiegelt. Meine Beziehungen zu Monika wurden in dieser Zeit noch intensiver aber immer wenn ich mit ihr zusammen war übermannte mich die Angst, das alles in Scherben fallen würde. Steffi wandte sich jetzt in allen möglichen Angelegenheiten an mich und auf der anderen Seite war mir bewusst, das ich sie nach ihrem Auszug nur noch gelegentlich zusehen bekam. Nach wie vor, hatte ich einen Job den ich nach Lust und Laune ausgestalten konnte aber ich wäre lieber durch Vorgaben gefordert gewesen, da ich jetzt so gut wie keine Ablenkung von meinen privaten Problemen hatte. Schizophrenie ist eine schlimme Krankheit und das gilt auch, wenn die Zeit von ihr ergriffen wurde. Ich möchte diese Zeit bestimmt nicht noch einmal erleben. So ein pausenloses, oft übergangsloses Wechselbad der Gefühle trifft einen Menschen härter wie ein Nackenschlag oder ein Unglück nach dem anderen. Da es im Leben auf und ab geht, kann man bei
Unglücksphasen davon zerren, dass es wieder Aufwärts geht. Wenn man aber selber nicht weiß ob man Unten oder Oben ist, ob man im Glück oder Unglück lebt, wovon soll man dann träumen und worauf soll man in einer solchen Situation hoffen? Wenn ich schon schreibe, dass ich diese Zeit nicht noch einmal erleben möchte, was sollen dann Schöllers, die ja auch vom gegenseitigen Erwischen betroffen waren, dann erst sagen. Bei denen nahm die Geschichte den dramatischsten Verlauf. Wie Steffi auch, hatte Oliver nach seiner Rückkehr aus Sylt seinem Vater verkündet, dass er zusammen mit unserer Tochter eine Wohnung suchen und zuhause ausziehen wolle. Seine Mutter, die von alledem noch nichts ahnte, dürfte wohl gerade zu diesem Zeitpunkt auf Rügen mit Wilfried Schneider aufgebrochen sein. Ich habe ja inzwischen einige Male von dem seltsamen Herrn Schöller geschrieben und da kann man sich sicher vorstellen, wie der reagierte als er hörte, dass sein Sohn mit unserer Tochter eine Partnerschaft ohne Trauschein begründen wollte. Jetzt weiß ich nicht, was sich konkret im Hause Schöller abspielte; ich weiß nur, dass Oliver seinem Vater im Zuge der nun ausgebrochen Auseinandersetzung „versehentlich“ die Abwege seiner Mutter verraten hat. Das führte dann am Sonntagabend noch zu einem Polizeieinsatz in Hexenberg. Frau Schöller erhielt bei ihrer Rückankunft zur Begrüßung eine gehörige Tracht Prügel, die ihr Mann anschließend sogar mit Zitaten aus dem alten Testament begründen konnte. Dabei erregte er so viel Aufsehen, dass die Nachbarn die Polizei riefen. Am darauffolgenden Freitag gab es dann den tragischen Höhepunkt der Schöllerschen Familientragödie. Schöller hatte sich in seinen Wagen gesetzt und war mit sehr hoher Geschwindigkeit von Hexenberg in Richtung Saßmannshausen gerast. Kurz vor der Ortseingangstafel nahm er frontal Kurs auf eine alte, dicke Eiche. Hätte er nicht durch den unebenen Untergrund die Gewalt über den Wagen verloren und sein Ziel getroffen, dann hätte man die sehr vielen Einzelteile, die vom Wagen einschließlich des Fahrer übrig geblieben wären, tatsächlich zusammenkehren können. Der Wagen verfehlte sein Ziel und überschlug sich mehrmals. Wenn man sich anschließend die übrig gebliebenen Trümmer des Wagens ansah, musste man sich direkt wundern, dass man daraus noch den schwerstverletzten Schöller lebend bergen konnte. Mit dem Rettungshubschrauber wurde er in eine Unfallklinik geflogen. Eine Woche lag er im Koma und schwebte während der Zeit weiterhin in Lebensgefahr. Und erst danach gab es eine allmähliche Besserung seines Zustandes. Natürlich belastete uns alle diese Geschichte, den einen mehr und den anderen weniger, aber irgendwo hatten wir alle in unserem Gewissen ein Schuldbewusstsein.
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Asyl in der Liebeslaube Im August 1998 bekam ich einen neuen Status, ich wurde zum Einsiedler. Das heißt, dass ich in die Jagdhütte, die mir Monika zur Verfügung gestellt hatte, zog. Das Ganze war auf den ersten Blick sehr romantisch. Die Hütte liegt an einem noch einigermaßen befahrbaren, ansonsten aber nicht befestigten Waldwirtschaftsweg vom Dorf Hexenberg hinauf auf den gleichnamigen Berg. Umgeben ist sie von einem urwüchsig erscheinenden Mischwald. Diese Hütte, die an der Vordersicht wie ein großer Bauwagen aussieht, ist etwa einen halben bis ganzen Kilometer vom ersten Haus im Dorf Hexenberg entfernt. Tritt man in diese Hütte ein wandelt sich der Bauwagen- in einen Blockhütteneindruck. Innen ist alles ein großer, rustikal ausgestatteter Raum mit abgetrennten Koch- und Feuchtraumnischen. Der Feuchtraum war sogar sehr komfortabel. Er enthielt eine großes Badewanne, in der eine ganze Familie auf einmal Platz gefunden hätte, eine Dusche, ein vornehmes Waschbecken und natürlich eine Toilette nach dem modernsten Stand der Sanitärtechnik. Türen gab es in diesem Haus nicht; die beiden Nischen waren durch Vorhänge an den Durchgängen vom Hauptraum abgeteilt. Dieses war sehr sinnvoll, denn in den Nischen befanden sich keine Heizkörper. Diese waren ursprünglich nirgendwo in der Hütte vorhanden, da diese ursprünglich durch den, immer noch vorhandenen, großen offenen Kamin beheizt wurden. Als der alte Rollmann in den 60er-Jahren Strom in seine Hütte legen ließ, wurde diese auch mit einer Elektroheizung ausgestattet. Trotz dieses Heizkörpers, den Monika in den letzten Wochen durch einen moderneren ausgetauscht hatte, empfahl sich doch die Kaminnutzung, denn bei Dauernutzung der Elektroheizung dürfte sich die Stromrechnung für die Hütte bestimmt in der Höhe der eines Einfamilienhaus bewegen. In diese Hütte, vor der sich Fuchs und Hase „Guten Nacht“ sagten, zog ich, der aus dem Haus seiner Frau gewiesene Ehemann, nun. Das erste was ich zu bewältigen hatte, war die Ummeldung, die für Rathaus-SchemelBesetzer – Beamte und/oder Verwaltungsangestellte – eine fast unüberwindbare Hürde darstellte. Der Waldwirtschaftsweg hatte keinen Namen und die Bezeichnungen aus der Katasterkarte eignen sich wohl nicht als Meldeanschrift. Da hielt ich gleich eine ganze Beamtenschar in Trapp. Erst prüfte man, ob es für die Hütte überhaupt eine Genehmigung gab. Der alte Rollmann hatte aber zu Lebzeiten viel Geld und genau so viel Einfluss, mit dem man sich ja fast alles beschaffen kann – auch Baugenehmigungen für Jagdhütten in eigentlich schützenswürdigen Waldstücken. Inzwischen wurde der Hexenberg zum FFH-Gebiet (FFH = Flora, Fauna, Habitat) erklärt aber die Hütte fällt unter den sogenannten Bestandsschutz. Als in dieser Richtung nichts zu machen war suchte man in Richtung „dauernder Aufenthalt“ von Personen. Aber auch da hatte Rollmann seinerzeit vorgesorgt, die Hütte war auch zu vorrübergehenden Wohnzwecken genehmigt – und zum meinem Alterswohnsitz wollte ich dieses nun wirklich nicht erklären. Na ja, da blieb den Beamtokraten nichts anderes als meine Anmeldung anzunehmen. Aber was das eine Beratung über den Namen zur Folge hatte. Da erzählte mir doch jemand etwas über das Verfahren. Die Verwaltung muss zur Namensgebung eine Vorlage in den Rat einbringen. Wenn dieser zustimmt, ist das dann immer noch nicht endgültig, denn dann muss das ausgeschrieben werden und eventuelle Einsprüche abgewartet werden. Letztlich kam man ohne Stadtdirektor, den es damals in Saßmannshausen, zu dem Hexenberg gehört, noch gab, nicht aus. Von dem erhielt ich dann erst einen Vortrag über dessen Kompetenz, was er tun und insbesondere nicht tun dürfe, und danach verschwand er erst mal wieder für gut eine Dreiviertelstunde. Als er dann wieder kam hatte ich dann meine vorläufige Hausanschrift. Schlicht und einfach hieß es „Jagdhütte Hexenberg“. Nachdem nun die Mitarbeiter der Stadtverwaltung Saßmannshausen instruiert waren was sie wo und wie einzutragen hatten lief dann alles wie es bei Ummeldungen in 99,99% der Fälle üblich ist. Stolz wie Oskar verließ ich im Besitze einer Meldebestätigung und eines entsprechenden PersonalausweisEintrages das Rathaus in Richtung Post. Da warte dann das nächste Meldeabenteuer auf mich. Fast wäre es mit dem Nachsendeauftrag glatt über die Bühne gegangen. Da stutzte dann doch die Dame von der Post, denn wo die Straße „Jagdhaus Hexenberg“ ist, wusste sie nicht und im übrigen hätte ich die Hausnummer vergessen. Als ich der Dame dann erklärte um was es sich beim Jagdhaus Hexenberg handelte, brach bei ihr im Hinblick auf die Zustellung fast das Chaos aus und sie versuchte mir glaubhaft zu machen, dass ich dann unbedingt ein Postfach haben müsste. Das war mir jedoch völlig unsympathisch, denn erstens kostet das Gebühren und zweitens muss ich mich, um an meine Post zukommen, immer selbst auf dem Weg machen. Was ist, wenn man auf wichtige Post wartet und aus irgendeinen Grund das Bett hüten muss oder will? Nein, nein, da habe ich mich nicht darauf eingelassen und habe auf Hauszustellung durch Boten bestanden. Aber was soll es, es hatte dann doch anschließend ganz gut geklappt. Die Zustellerin kam des Morgens mit ihrem roten Kleinwagen vorgefahren und hat nicht nur Post gebracht sondern sogar, wenn Bedarf meinerseits bestand, welche mitgenommen. Wenn ich mal gerade keine Briefmarke zur Hand hatte, tat es auch Kleingeld. Nur auf eines musste ich verzichten: Auf ein „vernünftiges“ Telefon. Die Telekom hatte den Weg bis dort noch nicht gefunden und auf meine Frage ob ich dort ein Anschluss haben könne ernte ich nur Kopfschütteln. Na ja,
wozu gibt es denn dieses schwäbische Instrument, das auf englisch Mobil phone heißt. Was sie kennen kein „Hän die koin Kabel“ kurz Handy? Zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwar schon so ein Spielzeug für unterwegs, aber keinen Vertrag dafür. Ich wollte damit ja kein SMS-Austausch spielen oder Dauerplausche führen sondern im Falle eines Falles für meine Familie oder meine Mitarbeiter erreichbar sein und im unerwünschten Fall einer Panne oder eines Unfalles mich bemerkbar machen können. Dazu reicht ein Kartentelefon. Ein Vertragstelefon ist ja erst dann kostengünstiger, wenn ich die Differenz der Einzelgebühren von der monatlichen Grundgebühr abziehe und dann letztendlich doch etwas dabei einspare. Wenn ich überlege, das ich mit einer Fünfzig-MarksAufladung ein halbes Jahr auskam kann ich davon ausgehen, dass ich die doppelte Summe im Grundgebührenofen „verstocht“ hätte. Jetzt in der Hütte, wo diese kleine Spielzeug mein einzigstes Kommunikationsmittel war, holte ich mir dann doch einen Vertrag. Das hatte allerdings den Haken, das ich vorläufig nicht ins internette World Wide Web konnte. Zum Glück kann man auch heute noch ganz gut ohne dem elektronischen Werbemüllhaufen leben. Meines Erachtens wird um diese Geschichte viel zu viel Wind gemacht. Im Grunde wurde nur alles das, was es schon immer auf Papier gab und immer noch gibt, auf das elektronische Medium übertragen. Man konnte doch schon immer bei Versandhäusern bestellen. Man suchte nur das, was man haben wollte aus einem Katalog, den man in Händen halten konnte, aus. Immer schon konnte man seine Meinung auf alle mögliche Art und Weise verbreiten, man musste nur das Geld für die Verbreitung haben. Das ist natürlich dank Internet preiswerter und so für Jedermann möglich, aber dafür muss man aber auch als Stecknadel in einem Riesenheuhaufen gefunden werden. Auch Suchmaschinen, so wie sie heute aufgebaut sind, machen das Netz nicht übersichtlicher. Aber was soll’s, in meiner Hütte am Hexenberg hatte ich keinen Anschluss und auch anschließend nie das Gefühl gehabt, etwas zu vermissen. Am Nachmittag des ersten Tages meines Einsiedlerlebens fuhr Monika mit einer Flasche Sekt und einer Imbissplatte vor. Sie kam durch die offene Tür herein, stellte alles auf den Tisch ab, ging wieder zur Tür um diese abzuschließen und zog sich danach flugs splinterfasernackt aus. Nachdem ihr Slipper als letztes Kleidungsstück im Sessel gelandet war legte sie sich mit dem Rücken auf dem Teppich und hauchte: „Komm mach es mir zur Feier des Tages so wie du es früher nach Olivers Geburt fast immer gemacht hast.“. Damals hätte ihr konventioneller Geschlechtsverkehr sicherlich Schmerzen bereitet, denn es war ja bei ihr nicht nur die Geburt sondern sie hatte sich ja anschließend auch einer schweren Operation unterzogen. Damals hatte ich meine Frau, die ich über alles liebte, dann am ganzen Körper, an allen möglichen Stellen zärtlich beküsst und bekillert. Dieses oft eine Stunde lang oder länger. Das war nicht einseitig, denn sie zog mich dann zwischendurch auch immer bedächtig Stück für Stück aus und bedachte mich so wie ich sie. Zum Abschluss ließ sie mir, bevor sie bei sich selber Hand anlegte, immer das zukommen, was ihre amerikanische Namenscousine ihrem Präsident zukommen ließ. Wir fanden das damals so himmlisch, das allgemeinüblicher Verkehr bei uns äußerst selten wurde und wir fast ausschließlich auf diese unheimlich wundervolle Weise miteinander verkehrten. Nach unserem erneuten Wiederzueinandertreffen war es jetzt das erste Mal, dass wir dieses so konsequent wieder machten und wieder sollte es unser Standard werden. Wir waren eben „fertig“ als es doch unerwartet an der Tür pochte und ein „Ich bin’s, Vati“ ertönte. So war Steffi also der erste unangemeldete Gast in „meiner“ Hütte. Nach dem ich ihr mit „Einen kleinen Augenblick“ geantwortet hatte schlüpfte ich schnell in meine Unterhose und Hose und zur gleichen Zeit zog sich Monika ihren etwas längeren aber nicht alles bedeckenden T-Shirt über. Erst dann öffnete ich meiner Tochter die Tür. Am Anfang verhielt sie sich „ganz normal“. Sie brauchte eine Unterschrift von mir. Während sie mir das Formular hinreichte erklärte sie mir sachlich den Grund. Als ich ihr dieses unterschrieben zurück gegeben hatte, ging es los: „Das habe ich mir gedacht. Du hattest überhaupt kein Interesse wieder alles in Ordnung zu bringen. Du wolltest ja Asyl in dieser Liebeslaube. Und dabei habe ich so gehofft, das wieder alles in Ordnung käme.“. Ich wandte ein, dass ich dieses selbst gehofft hätte und immer noch hoffte. Ich fragte was denn so schlimm daran sei, wenn mich Monika besuche. „Besuch, nennst du das.“, ereiferte sich Steffi, „Monika ist ja immer noch Unten ohne empfangsbereit und du hast noch nicht mal den Reisverschluss zu deinem Kuhstall zugemacht. Jetzt habt ihr es geschafft, jetzt könnt ihr bumsen bis die Wände wackeln. ... Ich bin mit dir fertig, ich will nichts mehr von dir wissen.“. Sie heulte los, drehte sich postwendend um und rannte durch die Tür davon. Ich hatte eine solche Reaktion von den Mädchen nicht erwartet und konnte mir dieses nur mit ihrer riesigen Enttäuschung erklären. Sie dürfte wohl fortwährend gehofft haben, das ihre Eltern wieder zueinander finden und wir zu der heilen Welt ihrer Kindheit zurückkehrten. Als sie Monika und mich quasi in Flagranti erwischt hatte, dürfte ihr in aller Härte bewusst geworden sein, dass es den Rückweg in ihre Kindheit nicht mehr gibt. Aber auch bei mir hatte sie einiges an Melancholie ausgelöst; auch mir war es nun klar, das die schönen, guten und alten Zeiten unwiderruflich vorbei waren. Ein glückliches Ehepaar mit einer munteren und fröhlichen Tochter im Trio würden wir wohl nie mehr sein. Eine große Periode in meinem Leben war unwiederholbar zu Ende gegangen. Steffi hielt anschließend Wort: Sie war mit mir fertig. Kein einzigste Mal lenkte sie danach ihre Schritte noch mal zur Hütte, die sie Liebeslaube genannt hatte. Versuchte ich es bei ihr per Telefon wurde
wortlos aufgelegt und wenn ich bei ihr vor der Haustüre stand wurde ich mit Beschimpfungen fortgeschickt. Alles was sie von mir wollte erledigte sie schriftlich, auch dann wenn sie diesbezüglich ein Termin drückte. Umgekehrt blieb mir auch grundsätzlich nur dieser Weg, wenn ich was von ihr wollte. Aber mir ging es nicht alleine so. Wie ich später erfuhr ist Steffi mit ihrer Mutter, die von ihr beschuldigt wurde mit dem Ehebruch begonnen zu haben, genauso wie mit mir verfahren. Unsere Tochter hatte sich also mit einem Donnerwetter von ihrem Elternhaus abgesetzt. Ich befand mich jetzt, im August 1998, in einer merkwürdigen Situation. Damals als meine erste Ehe zusammenbrach wünschte ich mir sehnlichst dass ich Monika wieder zurück gewinnen würde. Ich glaubte solche Schäferstündchen, wie ich sie etwas weiter oben beschrieben habe, unbedingt zu benötigen. Ich träumte davon mit ihr an irgendeinen einsamen Plätzchen und nur glücklich zu sein. Ich habe darum sogar regelmäßig gebetet. Aber nichts bewegte sich in diese Richtung. Und jetzt, über 30 Jahre später, gingen meine damaligen Wünsche in Erfüllung und ich hatte das Gefühl, dass ich dadurch mehr verlor als gewann. Jetzt dachte ich auf einmal darüber nach ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre wenn mir Monika nicht wieder begegnet wäre. Ich sprach auch einmal mit ihr über dieses Thema. Sie meinte jedoch dagegen, es sei besser gewesen wenn sie nicht dem, was die Menschen Vernunft nennen, gefolgt wäre sondern ihrem Herzen; wenn sie mich hätte gar nicht erst gehen lassen. Sie fragte sich, was sie von Reichtum und verlorenen 30 Jahren gehabt habe. Sie wäre lieber normal, wie Durchschnittsbürger, begütert und dafür glücklich gewesen wäre. Sie meinte: „Millionen machen nicht glücklich, das können nur Menschen.“. Aber auch über unser zweites Glück sollten dann im Laufe des Septembers wieder dunkle Wolken aufziehen. Anfang September hatte ich am Nachmittag einen Termin mit Wilfried Schneider. Es hatte sich ergeben, dass die NLZ bereits Anfang 1999 mit einem landesweiten Programm auf Sendung gehen könne. Dann sollten zunächst in zwei Großstädten und im Kreis Neuheim lokale Fenster ausgestrahlt werden. Darüber wollte Wilfried mit mir sprechen. Er hatte mir den Termin über Monika übermittelt. Gegen Mittag rief er mich an, das aufgrund von Einsprüchen bei der Landesmedienanstalt da nichts raus werden könne und sagte den Termin ab. Was sollte ich da noch im Büro rumlungern und machte mich, wo ich schon in Neuheim war, auf den Weg in die Rollmannvilla. So wie Monika einen Schlüssel zur Hütte hatte, hatte ich einen zur Villa. Ich schloss auf und traf Monika im Evaskostüm, gerade aus dem Bad kommend, an. Das ist ja nun weiter nicht schlimm, denn außer mir hätte ja nur Wilfried Schneider, ihr Ehemann, auf diese Art und Weise eintreten können. Monika geriet aber in panikartige Aufregung und bat mich sofort wieder zu gehen. Sie käme am Nachmittag zur Hütte und würde mir alles erklären. Ich hatte verstanden und ging. Dieses war ein tiefer Schlag in meine Seele. Da habe ich mir praktisch durch mein Monikaabenteuer meine Familie endgültig zerstört und sie treibt es weiter mit anderen Männern. Im Grunde war mir wirklich zum Heulen. Wie versprochen kam Monika in die Hütte. Zum ersten Mal, seit ich da wohnte, machte Monika keine Anstalten diese umgehend in eine Liebeslaube umzuwandeln. Aber sie setzte sofort zur Erklärung an: „Reiner, ich mache jetzt keine Umschweife. Heute Mittag war wirklich ein Mann bei mir. ... Dieses dumme Schwein erpresst mich. ... Bitte glaube mir das so, ohne dass ich dir das erklären muss. Auf jeden Fall ist Wilfried, wenn ich nicht mitspiele, fürchterlich erledigt und mir kostet es möglicher Weise mein halbes Vermögen ... Und dafür habe ich dann 20 Jahre meines Lebens geopfert. Diese perverse Sau von heute Mittag will kein Geld – davon hat er selbst genug – sondern fordert immer nur Sexdarstellungen. Dem muss ich alles mögliches vormachen. Zum Glück brauche ich mit dem nicht zu Bumsen, denn das klappt bei dem nicht. Der hat so ein kleines Stümmelchen ... wie eine Klitoris ... das klappt bei dem wirklich nicht.“. Sie fiel mir in die Arme, legte ihren Kopf auf meine Schultern und weinte bitterlich. Nun, was soll ich sagen; an jenem Tage glaubte ich ihr und damit hatte ich, wie ich ein paar Monate später erfahren sollte, sogar recht. Wenn es nur bei diesem einen Vorfall geblieben wäre, hätte ich diesen sicherlich unseres Glückes Willen zu verdrängen versucht. Aber knapp drei Wochen später gab es eine ähnliche Geschichte, die dann das Glück in der Liebeslaube beenden sollte. Auch diesmal hatte ich wieder einen geplatzten Termin mit Wilfried Schneider. Was ich damals nicht wusste war, dass es in den oberen Etagen bei der NLZ Insider gab, die Interesse daran hatten sowohl das Ehepaar Schneider wie deren Erpresser, die wie Wilfried aus der mittleren Hierarchie kamen, zu enttarnen. Diese Insider wussten, dass die beiden Erpresser was in den Händen hielten was der NLZ Schaden könnte und das Wilfried den beiden pervers veranlagten Herren seine Frau angeboten hatte um an diese Sachen heranzukommen. Das führte natürlich zu der Mutmaßung, dass Wilfried selbst in dieser Geschichte mit drinhänge. Unter Einschaltung von Detektiven hatte man einmal unser Dreiecksverhältnis und zum anderen dass die Erpresser bei Monika die Gelegenheit nutzten, wenn weder Wilfried noch ich dazwischen funken könnten, zur Kenntnis erhalten. So lange man nicht wusste, um was es sich handelte, wollte man auch keine offiziellen Ermittlungen, Polizei und/oder Staatsanwaltschaft, einleiten. Man hoffte, das, wenn die Erpresser in Flagranti erwischt würden, der Schleier des Geheimnisse über der Sache fallen würde. Also arrangierte man Treffen zwischen Wilfried und mir, sorgte dafür das die Erpresser davon Kenntnis erhielten und blies dann die ganze Sache, wenn die Erpresser unterwegs waren, wieder ab. Man hoffte also, dass durch das Theater, welches ich
möglicher Weise verursachen würde, die ganze Sache zu deren Kenntnis aufflöge. Im Grunde muss man eine solche Fallenstellereien auf Kosten anderer Menschen, gleichgültig ob schuldig oder unschuldig, auf schärfste verurteilen und ich kann für diese bis heute kein Verständnis aufbringen. Aber woher sollte ich von diesen Hintergründen wissen? Ich wusste ja nur das, was mir Monika nach dem ersten Vorfall gebeichtet hatte. Ich hatte damals auch nur Eins und Eins zusammengezählt, das „Schwein“ hatte ich nicht zu sehen bekommen. Das es sich nicht nur um den Einen mit dem kleinen Stümmelchen handelte sondern um zwei die gleichzeitig operierten und das der zweite ein Masochist war, hatte mir Monika auch nach dem ersten Mal nicht erzählt. Jetzt kann man sich vorstellen, was bei den Erlebnissen jenes Tages, Ende September 1998, in mir vorging. Ich war wieder mal mit Wilfried Schneider um 14 Uhr in meinem Büro verabredet und um halb Zwei rief er mich von der Autobahn an, dass er gerade zur Zentrale wegen einer wichtigen Angelegenheit zurückgerufen worden sei. Er würde sich aber noch im Laufe des Tages auf meinem Handy melden und mit mir einen neuen Termin vereinbaren, der aber am gleichen Tage wohl nicht mehr stattfinden könne. Wieder sah ich keine Veranlassung im Büro zu bleiben und wieder führten mich meine Wege zur Villa. Dort traf ich aber niemand an und so beschloss ich mich ohne Argwohn in meine Hütte zurückzuziehen. Als ich dort ankam parkten dort zwei Autos und aus Platzmangel musste ich auf dem Weg stehen bleiben. Den einen Wagen kannte ich; es war Monikas Gefährt. Den anderen, mir unbekannten Wagen, hielt ich erst für ein Handwerkerfahrzeug. Monika hatte mir vorher erzählt, dass zwar die Grundwasseraufbereitungsanlage und die Entwässerung zwar noch mit Augenzwinkern zulässig seien aber in absehbarer Zeit erneuert werden müssten. Und so glaubte ich nun, dass es damit zutun habe. Da ich von keinem entsprechenden Spezialisten hier in der heimischen Gegend wusste erregte auch das auswärtige Kennzeichen bei mir keinen Verdacht. Ich ging in die Hütte, deren Tür unverschlossen war und dann traf mich der Blitz. Ein nackter, fetter und tierisch behaarter Kerl lag gefesselt auf dem Boden. Monika, die ebenfalls völlig nackt war, stand neben ihm und hatte ihren rechten Fuß auf seinen Hals gestellt. Direkt daneben lag ein am Oberkörper vollständig bekleideter Herr, der stur mit verdrehten Kopf in Monikas Scheide schaute. Er hatte seine Hosen heruntergelassen um sich mit zwei Fingern zu befriedigen. Das war also „Kleinstümmelchen“. Es dürfte doch wohl klar sein, was ich jetzt als erstes machte: Ich schmiss die ganze Bagage, also auch Monika, die heulte und flehte, wutentbrannt hinaus und ihre Bekleidungsstücke schmiss ich ihnen hinterher. Was mich damals hätte stutzig machen müssen, wo ich aber beim besten Willen nicht dran gedacht habe: Monika ist auf sexuellen Gebiet sehr weich und warmherzig veranlagt und steht, mehr als auf alles andere, auf Zärtlichkeit. Dieses, was in der Hütte geschah, war wieder ihre Natur und daher hätte ich schon darauf schließen müssen, dass sie an dieser Sache auf keinem Fall freiwillig beteiligt gewesen sein konnte. Während „Kleinstümmelchen“ erst mal seinen Kumpanen aus seinen Fesseln befreite und dieser sich eiligst ankleidete, kniete Monika nackt vor der, von mir verschlossenen Tür und trommelte mit ihren Fäusten gegen diese. Dabei rief sie immer: „Reiner Schatzi, glaube und helfe mir doch!“. Zwangsläufig musste ich noch einmal hinaus, denn mein auf dem Weg stehender Wagen blockierte ja die Ausfahrt für die anderen. Ich hatte auch kein Interesse daran das Trio in meiner Nähe zu wissen. Als ich die Tür öffnete umklammerte Monika meine Beine und ich stieß sie barsch weg. Ich sagte ihr, dass ich sie nie mehr wiedersehen möchte und habe mich um sie nicht mehr gekümmert. Das galt nicht nur für diesen Tag sondern ich brach konsequent alle Beziehungen zu ihr ab. Ich behandelte sie so, wie ich von meiner Frau und von meiner Tochter behandelt wurde. Wenn sie am Telefon war legte ich auf und wenn sie vor der Tür stand habe ich nicht aufgemacht. Und zum Abpassen war Monika nicht der Typ. Daher musste sie, wenn sie was von mir wollte sich schon der schriftlichen Form befleißigen. Wenn ich dann beim Überfluglesen nicht das Wort „Jagdhütte“ oder nur „Hütte“ erblickte wanderten ihre Briefe ungelesen im Hausmüll. Schnippel und Schriftstücke, auf denen etwas persönliches steht, übergebe ich grundsätzlich nicht der Altpapiersammlung. Meine Romanze mit Monika war also auf ein absolutes Aus gestoßen. Wilfried Schneider hatte sich an dem Tag nicht mehr gemeldet. Er meldet sich in Folge überhaupt nicht mehr – weder telefonisch noch schriftlich. Es meldete sich aber auch sonst niemand von der NLZ bei mir und nachfragen wollte ich auch nicht, da man mich vermutlich an Wilfried verwiesen hätte. So kam ich mir wie Falschgeld, mehr noch: wie gesellschaftlicher Müll, vor. Ich hatte keinen Kontakt zu meinen Frauen, einschließlich meiner Tochter, und ebenso keinen zu meinen Bossen. Ich hatte einen Job und ein Büro aber wusste nicht was ich da überhaupt sollte. Aber statt mir Ruhe zu nehmen um über die Situation nachzudenken versetzte ich mich in eine sinnlose Verdrängungsaktivität. Mit dem Vorwand die Möglichkeiten für ein Lokalfernsehen zu sondieren jagte ich von einem Anlass zum anderen. Ich tauchte bei der IHK, der Handwerkskammer, in Rathäusern, Schulen, Veranstaltungsorten und –plätzen auf. Viel behalten habe ich von diesen Dingen jedoch wenig, denn mein Erinnerungsspeicher lief sehr schnell über und schützte sich dann selbst durch eine Durchlaufstellung vor Überfüllung. Dadurch verfehlte mich auch Horst Grömmer, als er mich Anfang Oktober im Büro besuchen wollte. Er machte jedoch einen Termin für eine Woche darauf aus, wo wir dann jedoch tatsächlich zusammen kamen. Nun, wessen
Herz voll ist dem läuft der Mund über und so standen erst mal für über eine halbe Stunde meine „Dramen“ auf der Tagesordnung. Als dann Horst zu Wort kam, konnte er mit „Dann trifft es sich jetzt ja gut, dass wir gerade zu dieser Zeit miteinander sprechen“ beginnen. Er fuhr dann fort: „Ich breche hier meine Zelte ab und ziehe nach Frankfurt. Dann könntest du ja meine Wohnung beim alten Waymann anmieten.“. An dieser Stelle unterbrach ich ihn, denn meines Wissens gehörte der alte Bauernhof, in dem er in Hexenberg wohnte, ihm selbst. Er klärte mich auf, dass er diesen an den Karl Hermann Waymann, dem Schwiegervater unseres Freundes Schöller, verkauft habe aber der Pachtvertrag über die Ländereien mit meinem Schwager weiter bestehen bleiben würden. Waymann will den Hof, der heute kein Schmuckstück mehr ist, abreißen um auf dem Grund ein Mehrfamilienhaus zu errichten. Hinsichtlich Bebauungsplan und Bauordnung spricht nichts gegen ein solches Vorhaben. Aber trotzdem geht so etwas hinsichtlich Planung, Genehmigung und Finanzierung nicht von Heute auf Morgen; mindestens 2 Jahre müssen dafür veranschlagt werden. So etwas lässt sich natürlich nicht mehr im üblichen Standard vermieten aber eine kurzfristige Vermietung bis maximal zu dem Zeitpunkt wo es richtig losgeht, dürfte doch sicherlich im Sinne des Eigentümers sein. Ich wollte unbedingt raus aus der Hütte und außerdem wollte ich um meine Martina kämpfen. In beiderlei Hinsicht kam mir die Wohnung im alten Grömmerschen Bauernhaus sehr gelegen, denn dieses war ja nur ein Steinwurf weit von Martinas Haus entfernt. So unterbrach ich Horst erst mal um mit dem alten Waymann gleich telefonisch einen Termin, den ich schon gleich für den Abend dieses Tages bekam, auszuhandeln. Danach war ich nur noch körperlich bei dem Treffen mit Horst; mit den Gedanken war ich ganz woanders. So bekam ich nur im Unterbewusstsein den Grund für Horst Wegzug mit. Die TPC Tele Production Company GmbH hatte ihre Strategie geändert und wollte im Kreis Neuheim nicht mehr investieren. Also das Studio im Hotel „Jagdhaus Hexenberg“ war gestrichen worden. Horst machte seine jetzige Aufgabe bei dieser Firma jedoch so viel Spaß, dass er mit dem Unternehmen in Frankfurt einen Arbeitsvertrag geschlossen hatte. So wie ich mit meinen privaten Problemen beschäftigt war bekam ich gar nicht mit, dass zwischen der TPC-Strategie-Änderung und meinem Job ein Zusammenhang bestehen könnte. Gerade deshalb war Horst zu mir gekommen, was ich aber in keiner Weise checkte bewahre würdigte. Am Abend war ich mir mit Herrn Waymann schnell über einen Zeitmietvertrag einig. Die Miete war entsprechend den Gegebenheiten fair. Außerdem bot mir Waymann die Chance jederzeit, sogar nach dem ersten Monat, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist wieder auszuziehen. Dieses könnte ja von Vorteil sein, wenn sich die Tür zu meinem ehelichen Schlafzimmer sich für mich wieder öffnen würde. Mit Horst Grömmer hatte ich schon am Nachmittag vereinbart, dass ich, falls die Sache mit der Anmietung klappt, sein Wohnzimmer und seine Einbauküche übernehmen würde. Er wollte sich diese in Frankfurt neu zulegen. Seine Küche war zwar noch neueren Datums aber die in Frankfurt hatte erhebliche Abweichungen in der Abmessung und im Zuschnitt. Und das Wohnzimmer hatte schon mehr als zehn Jahre hinter sich und Frau Grömmer wollte auch mal was Neues haben. Da ich da ja schnell wieder raus wollte – am Liebsten in die Richtung wo ich her kam: in Martinas Haus – wollte ich die anderen Zimmer einfach leer stehen lassen und dagegen hatte auch der alte Weymann keine Bedenken. So konnte ich schon in der Folgewoche das Asyl in der Liebeslaube aufgeben und nun zum zweiten Mal in meinem Leben eine Strohwitwerbleibe in Hexenberg beziehen. In beiden Fällen geschah dieses nach einer Trennung von Monika. Damals fand ich Martina und diesmal hoffte ich sie wieder zu finden. Später erfuhr ich, dass mein Auszug aus der Hütte Monika sehr schwer getroffen hatte. Ich hatte ganz einfach alle Schlüssel in einen festen Versandumschlag gepackt und einen Zettel mit der Aufschrift „Das war’s“ beigelegt. Für Monika war eine Welt zusammengebrochen und sie hat eine Zeit lang an Selbstmord gedacht. Aber auch mir ging es in dieser Zeit wirklich miserabel. Bereits im September hatte mich ein Schreiben einer Anwältin erreicht, dass Martina die Scheidung begehre und sie mit der Wahrnehmung dieser Angelegenheit betraut worden sei. Auf dieses Schreiben hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht reagiert. Stattdessen versuchte ich alles Mögliche um an Martina heranzukommen. Diese Wiederannäherungsversuche nahmen nach meinen Umzug ins Grömmerhaus fast kriminelle Ausmaße an. Ich kam auf den Gedanken mich wie ein Wegelagerer vor ihre Haustüre zu legen. Wenn sie mit ihren Wagen davon fuhr klemmte ich mich an ihre Schlussleuchte. Ich schrieb ihr täglich mehrere Briefe. Ich glaube mein Rekord lag an einem Tag bei sieben Briefe. Diese Briefe waren offensichtlich zu meiner Hauptbeschäftigung im Büro mutiert. Ich stand zu später Stunde unterhalb des Schlafzimmerfenster und warf mit kleinen Steinen gegen dieses. Der Höhepunkt war erreicht, als ein Stein offensichtlich etwas zu groß war und von mir zu heftig geworfen wurde – da brach zerbrach die Scheibe in Scherben. Ich hatte zuvor in meinem Leben noch nie um eine Frau gekämpft und jetzt übertrieb ich es offensichtlich. Da kann man schon verstehen, dass mir Martina über ihre Anwältin eine Unterlassungserklärung mit der Androhung von rechtlichen Schritten zustellen ließ. Genützt hatte es ihr in dem Moment allerdings wenig, denn ich machte zunächst „munter“ weiter.
Ich kann mich nur damit entschuldigen, dass ich bis zum Wahnsinn besessen war. Auf Biegen und Brechen wollte ich Martina zurückgewinnen. Aber seltsamer Weise tat es mir auch zunehmendst leid, dass ich Monika davon gejagt hatte. Irgendein kleines Männchen in mir flüsterte mir ein, dass der Weg zu Martina nur über Monika führe. Ob da was dran war, können Sie liebe Leserin und lieber Leser noch auf den weiteren Seiten dieser Niederschrift erlesen. Jetzt unterbreche ich erst mal die chronologische Schilderung meines aufgewühltesten Lebensabschnitt um im nächsten Kapitel zu berichten, was während der letzten Zeit in einem anderen Haus, im Haus Schöller, passiert war. Dieses mache ich aus dem Grunde weil es erstens interessant und zweitens für den späteren Fortgang meiner Geschichte nicht unwichtig ist.
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Das Ende des Kaufmann Schöller Mein Rückzug in die dörfliche Zivilisation, sprich der Einzug in die Wohnung auf dem alten Grömmerschen Hof in Saßmannshausen-Hexenberg, machte es möglich, dass ich auch etwas von der Familie, in die sich meine Tochter Stefanie gezogen fühlte, mitbekam. Der Großvater ihres „Schatzes“ Christof Schöller war ja mein Vermieter. Ich muss sagen, dass der alte Waymann ein sehr umgänglicher Typ, der sich prinzipiell nicht in anderer Leute Angelegenheit einmischt, ist. Für sein Nichteinmischen hatte er, wie er mir erzählte, zwei gewichtige Gründe: Zum Einen war er, nicht nur nach seiner Selbsteinschätzung sondern auch in der Wirklichkeit, ein Vollblutkaufmann. Ein Kaufmann unterscheidet sich nach seiner Meinung von einem modernen Manager dadurch, dass es ihm im Gegensatz zum Toppmann nicht auf den maximalen Profit sondern auf eine dauerhaft gesicherte Existenz mit gutem Einkommen ankommt. Nicht auf einmal alles was kriegen kann abgrasen und weg sondern es gilt eine Bindung zwischen Kaufmann und Kunden aufzubauen. Dazu müssen beide Seiten bei einem guten Geschäft zufrieden sein. Deshalb gehört insbesondere auch, dass der Kaufmann jedem Kunden so nimmt wie er ist, dazu. Der Kaufmann muss die Anschauungen und Ansichten, die Stärken und Schwächen, die Vorzüge und Macken des Kunden so nehmen wie sie sind. Ein Kaufmann der versucht seinen Kunden zu belehren dürfte wohl bald auf diesen verzichten müssen. Wenn er hiervon sprach betonte er jedoch, dass „nehmen so wie er ist“ nicht automatisch heißt „alles übernehmen und nacheifern“. Er lege schon sehr großen Wert auf seine eigene Meinung aber andere Leute müssten ja nicht gerade nach der seinigen selig werden. Sein zweiter Grund kommt aus dem Bereich „Mensch sein“. Er geht davon aus, dass es keine guten und keine bösen Menschen gibt. Jeder würde Tag für Tag viel Nützliches für sich und andere tun aber gleichzeitig immer wieder diesen oder jenen „Bockmist schießen“; mal größer mal kleiner. Da sah er sich in voller Übereinstimmung mit der christlichen Lehre. Kein Mensch kann ohne Sünde leben. Tag für Tag begehen wir neue Sünden, meist mit Gedanken, viel mit Worten und fast täglich auch mindestens ein Mal mit richtigen Taten. Nach seiner Meinung verginge kein einziger Tag, an dem wir nicht Grund hätten das Vater unser und dort insbesondere „vergib uns unsere Schuld“ zu beten. Wenn man sich, der man selbst viel Dreck am Stecken hat, über andere erhebt, läuft man Gefahr von einem sehr hohen Sockel zu stürzen. Er meinte: „Sehen sie sich doch mal unseren Innenminister Kanter an. Wie boniert der sich mit seinen konservativen Werten, die aus meiner Sicht durchweg bei ihm überkonstruiert erscheinen, über andere erhebt. Lassen sie mal ein kleine Schandtat von dem bekannt werden ... lassen sie es nur mal eine harmlose Lüge in guter Absicht sein – dann werden alle Steine, die er geworfen hat, auf ihn zurückfallen. Der Mann ist dann für alle Zeit unglaubwürdig und erledigt. Und andere, rechtskräftig als Steuerhinterzieher verurteilte Politpromis, die sich vorher nicht in einer solchen Weise über andere erhoben haben, mischen weiter an der Spitze mit.“. Nun, Waymann konnte damals noch nichts von dem Sumpf um die Schwarzen Kassen der Hessen-CDU wissen und daher weiß ich, dass er mit seiner Ansicht recht hatte. Die Wirklichkeit hat damit den Beweis für Waymanns Thesen geliefert. Aus seiner Ansicht heraus tolerierte er in der Art und Weise wie er mir gegenüber trat mein Dreiecksverhältnis mit Monika und Martina. Was er sich dazu gedacht hat, dürfte allerdings auf einem anderen Blatt stehen. So war er immer freundlich und nett, so wohl zu Martina, wenn er sie mal traf, wie zu mir. Unsere Familienverhältnisse waren bei ihm keinen Grund bei seinem Enkel gegen Steffi zu intervenieren. Allerdings legte er gerne bei jedem von uns mal ein gutes Wort für die jeweils andere „Partei“ ein. Selbstverständlich war seine Toleranz da wo es um seine Familie ging etwas eingeschränkt. Ausgenommen davon schienen jedoch Steffi und Christof zu sein, denn deren Partnerschaft ohne Trauschein wurde von ihm nicht nur toleriert sondern sie wurden von ihm in jeder Beziehung unterstützt. Beide, sowohl Steffi wie auch Christof, machten einen großen Bogen um ihre Eltern aber der alte Waymann war ihre stetige Anlaufadresse. Bei seinem Enkel hatte er keine moralischen Bedenken, dafür aber bei seiner Tochter um so mehr. Der hat er ihren Wochenendausflug mit Wilfried Schneider nach Rügen sehr übel genommen und ihr dafür mächtig die Leviten gelesen. Auch mich warnte er durch die Blume, dass ich mich nicht an seine Tochter heranmachen solle. Aber dahingehend brauchte er sich eigentlich keine Sorgen zu machen. Frau Schöller ist nicht hässlich sondern sie sieht sogar noch jünger aus als sie in Wirklichkeit ist. Auch das sie etwas pummelig ist, dürfte nicht der Grund für meine Ablehnung sein, denn ihre Fettpölsterchen betonten sogar recht sexy ihre weiblichen Rundungen. Aber sie war halt einfach nicht mein Typ. Das sagte ich ihrem Vater jedoch nicht. Die Standpauke die er seiner Tochter hielt hatte aber nichts mit einer Parteinahme für seinen Schwiegersohn zutun. Da war er schon lange der Meinung, dass sie dem, das 6. Gebot hin und das 6. Gebot her, den Laufpass geben sollte. Was ich erst durch Waymann erfuhr war, dass sich der „religiöse Spinner“, wie er ihn zu bezeichnen pflegte, als ein absoluter Familientyrann betätigt hatte. Oliver hat bis vor Kurzem regelmäßig eine kräftige Tracht Prügel einstecken müssen. Er begründete es stets mit einem Bibelzitat. Im Hohen Lied des Salomon steht, dass ein Vater, der seinen Sohn liebt, ihn züchtigen müsse. Seine Frau kommandierte und schikanierte er fortwährend. Dieses begründet er damit, das laut Bibel die Frau dem Manne untertan zu sein
hätte. Über die Haushaltskasse wachte er wie ein futterneidischer Geier. Frau Schöller konnte nur über abgezähltes Haushaltsgeld verfügen und wenn sie mal etwas aus der Reihe brauchte oder wünschte, musste sie vorher ihren Mann davon überzeugen und nachher genau mit ihm abrechnen. Oliver erhielt bis zu seinem 16. Geburtstag 2 Mark (= 1,02 €) Taschengeld pro Woche und danach waren es 20 Mark (= 10,23 €) im Monat. Christof und Steffi gingen schon fast ein Jahr miteinander. Ich und das Ehepaar Schöller wussten es nicht, aber Martina wusste etwa seit einem halben Jahr und Opa Waymann war von vornherein auf dem jeweils neuestem Stand der Dinge. Ihm hatten die beiden es zu verdanken, dass sie sich auch mal dieses oder jenes, was sich ihre Altersgenossen auch erlauben konnten, leisten durften. Na ja, wir waren gegenüber unserer Tochter auch nicht gerade geizig. Sie bekam von uns das, was ihr Freund im Monat bekam, wöchentlich und wir stellten uns ja auch nicht taub, wenn sie aus diesem oder jenem Grund mal einen höheren Betrag benötigte. Die Begrenzung der Taschengeldhöhe hatte bei uns auch keinen wirtschaftlichen sondern einen ideellen Hintergrund. Wir wollten nicht mit einer fröhlich springenden Tauschhilfsmittelquelle einen Beitrag für die Verführung unserer Tochter zur Konsumidiotin leisten. Aber dank Waymanns Sponsoring und unserer angemessenen Taschengeldzuteilung kamen die jungen Leute doch eigentlich ganz gut zu recht. Nur einen Fall kenne ich, wo Herr Waymann nicht zum Sponsoring im Sinne der jungen Leute bereit war. Sie hatten einen gemeinsamen Wochenendtripp (nach Sylt) geplant und baten Christofs Opa um Kredit. Das die Beiden gemeinsam ins Bett kriechen würden war Christofs Großvater zwar von vornherein klar aber er gönnte ihnen das. Als er mir das erzählte meinte er, er wäre ja auch mal jung gewesen und hätte sich auch nicht wie ein braver Klosterschüler verhalten. Das sie aber ihre Reise hinter dem Rücken ihrer Eltern unternehmen wollten, konnte er nicht gut heißen und deshalb verweigerte er die Anleihe gegen die er ansonsten nichts eingewandt hätte. Ihm wäre es egal gewesen wenn der „religiöse Spinner“ im Dunklen getappt hätte aber alle anderen wären nach Waymanns Ansicht vorab zu informieren gewesen. Unmittelbar nach des Großvaters ablehnenden Kreditbescheid gab es dann im „Reich des heiligen Schöllers“ aufgrund einer Nachlässigkeit auf Seiten des Herrn, des Familiendiktators, für Christof die Gelegenheit zur „Anleihe mit nachträglichen Kreditantrag“ – so hatte es Steffi ja auf Sylt genannt. Das häusliche Büro des Familienherrschers war für die anderen Schöllers stets eine verbotene Zone; da kam niemand rein. Jetzt ergab es sich, dass Schöller zwar abgeschlossen hatte aber sich die Tür dabei nicht richtig im Schloss befand. Durch Zufall wurde dieses von Christof bemerkt und er ging, von der Neugierde getrieben, gleich hinein. Eigentlich wollte er nur mal eine Runde schnüffeln. Dabei stieß er auf einen Schuhkarton in dem die Kasse vom letzten Familientag des CVJM Saßmannshausen zusammengepackt war. Darin waren also restliche Wertmarken und jede Menge Bargeld. Schöller hatte den Karton, als er vom Familientag nach Hause kam, dort abgestellt und danach im Zuge seiner vielfältigen Aufgaben bis zu diesem Tage vergessen das Geld ordnungsgemäß auf das CVJM-Konto bei der Sparkasse einzuzahlen. So gelangte dann das Geld statt aufs Konto des CVJM in Christofs Tasche. Was dem jungen Liebespaar jetzt noch am Syltaufenthalt fehlte, „erschwindelte“ sich dann Steffi mit ihrer Geschichte vom Pfadfinderlager im Bergischen Land von uns und so konnte es losgehen. Und das führte dann zu der Geschichte des gegenseitigen Erwischens, die wir ja bereits kennen. Allerdings wissen wir noch nicht, was währenddessen in Hexenberg passierte. Um Mittag des Freitags herum saßen die jungen Leute im Zug gen Norden. Zur gleichen Zeit trafen sich Wilfried Schneider und Frau Schöller in Neuheim um in seinen Wagen nordostwärts davon zu brausen. Der Kaufmann Schöller war jedoch ahnungslos und konnte am Abend des Tages nur feststellen, dass er vollkommen unerwartet allein im Hause war. Dieses war er dann ja auch für das ganze Wochenende, wobei sich seine Aggressionskurve stetig nach oben schraubte, was jedoch jedermann nachvollziehbar erscheint. Es kam noch hinzu, dass er dann am Samstagmorgen den Griff in den Schuhkarton, obwohl der schon über 14 Tage zurücklag, bemerkte. Er verdächtige zunächst – und das hätte jeder andere an seiner Stelle auch gemacht – Mutter und Sohn der Komplizenschaft. Alle Indizien zeigten ja in die Richtung seines Verdachtes. Das es sich um zwei voneinander unabhängige Taten handelte erfuhr er erst am frühen Sonntagnachmittag, als Christof als erster wieder zuhause eintraf. Schöller wollte natürlich gleich zu dem Mittel greifen, das er durch das Hohe Lied des Salomons für geboten hielt. Das gelang allerdings nicht mehr so wie früher, da sich der kräftige Christof verteidigte. Und so artete das Ganze in eine Art Vater-Sohn-Prügelei aus. Bei der anschließenden Verbalauseinandersetzung erfuhr Schöller dann vom Ehebruch seiner Frau. Der Schuhkarton und sein Inhalt kam dabei nicht zur Sprache und deshalb ging Schöllers Verdacht in zwei falsche Richtungen. Er verdächtige seine Frau der Geldentwendung und seinen Schwiegervater seinem Sohn den „Ungehorsam gegen den Vater“ finanziert zu haben. Also stürmte er die Wohnung des alten Herrns und zog da seine Show ab. Für Waymann war dieser „religiöse Spinner“ endgültig erledigt und sein Entschluss, den er zuvor schon immer intensiver überlegt hatte, stand fest: Er wollte seinen Schwiegersohn aus seinen Geschäften entfernen, zumal sich dieser zunehmendst in der Öffentlichkeit lächerlich machte, was sich inzwischen auch schon geschäftsschädigend auswirkte. Als mir Waymann dieses zum ersten Mal erzählte stutzte ich sehr, denn ich war bisher davon ausgegangen, dass die beiden EDEKA-Märkte Schöller gehörten. Dem war aber nicht so: Sie gehörten Waymann und seiner
Tochter. So war die oHG auch im Handelsregister eingetragen. Der Name „EDEKA Schöller“ ging also nicht auf das „Familienoberhaupt“ sondern auf seine Frau zurück. Schöller maßte sich die Geschäftsführertätigkeit nur einfach an, wo gegen Vater und Tochter ursprünglich nichts gegen einwandten, da er anfänglich auch sehr gute Arbeit leistete. Und dabei ist es dann in über 20 Jahren geblieben. Jetzt sollte damit Schluss sein: Waymann wollte den Laden jetzt wieder alleine mit seiner Tochter schmeißen. Das kündigte Waymann auch seinem Schwiegersohn an jenem Nachmittag auch an. Schöller nahm das allerdings nicht ernst, da er solche Worte in letzterer Zeit öfters gehört hatte. Diesmal war es Waymann aber ernst. Er hätte sich schon gleich am nächsten Tag zu seinem Anwalt begeben wenn es ihm seine Tochter nicht durch ihre „Prostitution“ schwer gemacht hätte. Sie hatte nämlich in seinen Augen nicht nur Ehebruch begangen sondern sich prostituiert. Der Ausflug nach Rügen hatte ihr kein Pfennig gekostet, denn Wilfried Schneider hatte alle angefallenen Kosten übernommen. Als Waymann davon sprach hatte ich auch gemischte Gefühle, denn bei mir war es umgekehrt: Meine Abenteuer sind ohne Ausnahme von Monika finanziert worden. Am darauffolgenden Tag kam es dann in der Wohnung Waymann zur großen Vater-Tochter-Aussprache. Erst jetzt erfuhr Waymann das ganze Ausmaß des Schöllerschen Familienlebens. Trotz ihres Leidens hatten sich Mutter und Sohn Schöller niemanden anvertraut und alles, was nicht auf natürliche Weise nach Außen drang, in den eigenen vier Wänden festgehalten; auch dem Vater beziehungsweise Großvater gegenüber. Es war noch schlimmer wie ich es bereits geschrieben hatte. Etwa zwei bis drei Jahre zuvor hatte der „religiöse Spinner“ den Tick, dass körperliche Liebe ohne dem Ziel der Fortpflanzung eine schwere Sünde sei. Er ging also, obwohl er evangelisch war, auf papistischen Kurs. Seitdem hatten die Schöllers keinen ehelichen Verkehr mehr miteinander. Sie tauschten noch nicht mal mehr Zärtlichkeiten miteinander aus. Das überzeugte auch Waymann, der das für unmenschlich und bestimmt nicht im Sinne Gottes hielt, davon, dass er seiner Tochter diesen Seitensprung unbedingt verzeihen müsse, denn Frau Schöller konnte sich ja auch nichts aus den Rippen schwitzen. Sie glich das Ganze dann zunächst durch „Handarbeit“ aus. Als Schöller mal seine Frau bei einer solchen Masturbation erwischt hatte, hat er sie fürchterlich zusammen geschlagen. Als er dieses erfuhr konnte Waymann seine Tochter auch dahingehend verstehen, dass sie Schneiders Antrag unter „psychischen Zwang“ sofort, ohne weitere Überlegungen und Hemmungen, angenommen hatte. In der Waymann-Schöller-Familie gab es nach dem beschriebenen hochdramatischen Wochenende über 4 Tage, also von Montag bis Donnerstag, Erörterungen zu schwerwiegenden Themen. Es ging darum ob es überhaupt eine Rechtfertigung für Ehebruch gäbe oder ob eine Ehefrau nicht verpflichtet sei, ihren offensichtlich geistesverwirrten Gatten beizustehen. Schließlich habe man ja bei der kirchlichen Trauung vor Gott gelobt einander in guten und schlechten Tagen beizustehen. Dann war es ein großes Thema, ob es sich, wenn man sich von einem Millionär aushalten lässt, um Prostitution handelt, auch wenn sich dieser die Liebesleistungen gar nicht erkaufen wollte und die Dame nur aufgestauchte Bedürfnisse befriedigen wollte. Es ging auch darum, ob Sklavenhaltung einen solchen Diebstahl, wie ihn Christof begangen habe, rechtfertige. Und letztlich ging es auch um das Vertrauensverhältnis zwischen Vater und Tochter. Waymann konnte nicht verstehen, dass seine Tochter die Schöllersche Tyrannei vor ihm so lange Zeit geheim gehalten habe. In Ruhe konnte nur darüber gesprochen werden, wenn Vater und Tochter beziehungsweise Großvater und Enkel unter sich waren. Waren sie zu Dritt, gab es immer Vorwürfe seitens Christof, dass seine Mutter dadurch, dass sie nicht schon viel früher die Scheidungsbremse gezogen habe, auch sein Leben in eine Hölle umgewandelt habe. Wenn gar Schöller selbst zu solchen Unterredungen stieß, gab es erhebliche Auseinandersetzungen bei denen dem „Knaben“ auch ab und an mal die Hand ausrutschte. Am Donnerstagabend traf Schöllers Hand dann auch das Gesicht seines Schwiegervaters und damit war nun endgültig das Ende des Kaufmannes Ernst Schöller besiegelt. Waymann sprach seinem Schwiegersohn die außerordentliche Kündigung aus. Diese wurde natürlich von dem „Marktleiter“ am Folgetag zunächst einmal ignoriert und sein „Boss“ ließ ihn, um öffentliches Aufsehen zu vermeiden, auch an diesem Tag erst mal gewähren. Von einer Vorsprache bei seinem Rechtsanwalt ließ sich Waymann jedoch jetzt nicht mehr abbringen. Seine Tochter war an diesem Tag mit einer anderen Angelegenheit beschäftigt: Sie packte die wichtigsten Kleidungsstücke, Hygieneartikel und ihres Mannes persönliche Habe in zwei Koffer und einen Umzugskarton und stellte diese vor der Garage ab. Auf den Umzugskarton schrieb sie, das weitere Haushaltsauseinandersetzung erst im Scheidungsverfahren geklärt werden müssten. Als Schöller bei der abendliche Heimkehr diese Dinge vorfand und auch mit seinen Schlüssel nicht ins Haus kam, weil seine Frau inzwischen das Schloss hatte austauschen lassen, raste der gefeuerte Ehemann und Kaufmann in Selbstmordabsicht in seinem Wagen davon. Da geschah dann dieser schreckliche Unfall von dem ich bereits berichtet habe. Bis Ende September lag Schöller im Krankenhaus; davon bis Anfang September sogar ausschließlich auf der Intensivstation. Während dieser Zeit hatte er überhaupt keinen Kontakt zu seiner Familie. Niemand hat ihn in dieser Zeit besucht und als er sich später telefonisch melden konnte, wurde er an den Rechtsanwalt verwiesen. So konnte mir Karl Hermann Waymann auch nicht berichten, wie es seinem Schwiegersohn in dieser Zeit ergangen ist. Und wie die Sache rechtlich und sozial ablief hat mir, dem Außenstehenden, Waymann nicht
natürlich erzählt. Da ich auch kein Recht zum Fragen hatte, kann ich dazu jetzt hier auch nichts weitergeben. Ich weiß nur noch, dass Schöller zu keinem Zeitpunkt mehr in seine Hexenberger Wohnung zurückgekehrt ist. Nach seinem Krankenhausaufenthalt bezog er eine Anderthalb-Zimmer-Wohnung in Wollerst, wo er dann kurze Zeit darauf durch einen Eklat Aufsehen erregte. Er schloss sich dem dortigen CVJM an und trug danach für einigen Wirbel Sorge. Mit Reimund Heimann, meinem „Nebenbuhler“, hatte er sich mächtig angelegt. Dieses mit der Folge, dass die meisten CVJM-Mitglieder und auch die beiden Pastöre in Wollerst Schöller baten, nicht mehr auf deren Zusammenkünften zu erscheinen. Also praktisch erhielt er dort einen freundlichen Rausschmiss. Auf Frau Schöller muss der Unfall ihres Mannes wie eine lange ersehnte Befreiung gewirkt haben. Sie hatte die Nachricht von diesem gerade erhalten, als sie postwendend Wilfried Schneider anrief und ihm zu einer Liebesnacht von Samstag auf Sonntag in ihr Haus einlud. Das „tapfere Schneiderlein“ kam dieser Einladung auch prompt nach, zumal er seine Frau Monika bei mir in „guten Händen“ wusste. Unglücklicherweise wollten auch Christof und Steffi die Abwesenheit Schöllers zu gleichen Zwecken wie die Herrin des Hauses nutzen. Bei Schneiders Erscheinen verlegten sie aber ihr „tätliches Liebesglück“ in Martinas Haus beziehungsweise zu dem Zeitpunkt noch in „unser eheliches Domizil“. Dort hatten sie dann eine „sturmfreie Bude“, denn sowohl Martina wie auch ich waren ausgeflogen. Dieses Wochenende hatte dann jedoch endgültig weitgehende Auswirkungen auf das Mutter-Sohn-Verhältnis im Hause Schöller. Für Christof war seine Mutter jetzt endgültig vom Sockel gestürzt. Die Frau, die dem Jungen zuvor immer als das reinste Wesen auf Erden erschien, erwies sich als eine normale, allzu menschliche Frau mit Lüsten, Gelüsten sowie auch anderen Schwächen. Das führte dann dazu, dass er sich von seiner Mutter distanzierte. Dieses hatte dann das junge Paar gemeinsam: Ihre Mütter waren vom Thron gefallen. Wie mir kurz darauf das Gleiche geschah habe ich ja bereits schon beschrieben. Von diesem Zeitpunkt hatten die Beiden nur noch eine einzige familiäre Anlaufadresse und die hieß Karl Hermann Waymann. Auch diesem gefiel das jetzige Leben seiner Tochter nicht sonderlich und so versuchte er seine beiden EDEKAMärkte weitgehenst alleine zu schmeißen. An seiner Seite befand sich dabei nur noch Christof, der gerade ausgelernt hatte. Sein Enkel hatte, nachdem er mit Fachoberschulreife die Gesamtschule verlassen hatte, den Beruf des Groß- und Einzelhandelskaufmann bei einer Supermarktkette erlernt. Sein Großvater wollte ihn nun zu seinem Nachfolger im Geschäft heranbilden. Aus diesem Grunde führte er den jungen, beruflich doch noch recht unerfahrenen Mann in die Geschäftsführung ein und betraute ihn zunehmendst mit den entsprechenden Aufgaben. Heute, fast vier Jahre später, ist Christof praktisch in den Läden der Juniorchef, der inzwischen die Fäden mehr als sein Großvater in den Händen hält. Als ich in diesem Jahr 2002 das letzte Mal mit Waymann sprach meinte er, dass diese Geschichte gerade zur rechten Zeit gekommen wäre. Das Christof mal die Geschäfte übernehmen und weiterführen sollte, stand eigentlich schon von dem Zeitpunkt, an dem er als Jugendlicher entsprechendes Interesse bekundet hatte, fest. Ob er sich aber unter seinem tyrannischen Vater seine Sporen hätte verdienen können, muss doch stark bezweifelt werden. Waymanns früheren Befürchtungen, dass sich dann Christof möglicher Weise anderweitig sein Weg gesucht hätte, sind wirklich nicht von der Hand zu weisen. Eines ist noch in der Chronologie der Schöllerfamilie aus jenem Zeitabschnitt nicht nur interessant sondern sogar wichtig – insbesondere auch für mich. Gegenüber Waymann haben Christof und Steffi bekundet, dass sie wohl füreinander geschaffen und bestimmt worden seien. Sie strebten einen Bund fürs Leben, in dem sie alles besser machen wollten wie ihre Eltern, an. Dieser Vorsatz ist allerdings weder neu noch selten, denn das wollten wir ehemals, wahrscheinlich genau wie unsere Eltern auch, selber einmal. Bei mir kam dann später ein weiterer Vorsatz hinzu, nämlich dass ich es in der zweiten Ehe besser als in der ersten machen wollte. Aber auch mit dieser Sache kann ich wohl kein Seltenheitsanspruch erheben. Grundsätzlich scheinen die Menschen, die einen solchen Vorsatz gefasst haben, davon überzeugt zu sein, das gerade sie es besser schaffen wie alle anderen Menschen vor ihnen. Jedenfalls schienen Christof und Steffi wohl 100%-ig dieser Meinung zu sein und sahen daher keinen Grund noch lange mit dem Gang zum Standesamt zu warten. Der alte Waymann hatte jedoch im Auge, dass Christof gerade seine Berufsausbildung abgeschlossen hatte und Steffi überhaupt noch keine hatte. Seine Lebenserfahrung sagte ihm, dass ein gleichzeitiger Start in Beruf und Familie selten gut geht, da sich beide im Wege stehen. Wenn man eine solide berufliche Grundlage haben will muss man einiges an Zeit zur Beschaffung der Grundlagen aufwenden und dieser Aufwand steht dann in einer jungen Ehe nicht zur Verfügung obwohl diese benötigte wird um sich auch im Alltag zusammenzuraufen. Nach Waymanns Ansicht gehen heutzutage immer mehr Ehen schon nach kurzer Zeit „in die Hose“ weil man sich einfach nicht die Zeit zum Zusammenraufen nimmt. Der alte Herr überzeugte das junge Paar von seiner These und konnte sie dazu bewegen diese Angelegenheiten zeitlich hintereinander zu legen. Als Steffis Vater muss ich sagen, dass dieses auch ganz in meinem Sinne war. Allerdings übertrug Waymann seine Bedenken nicht auch gleich auf eine sofortige Wohn- und Liebesgemeinschaft. Auch in dem Punkt, dass es eine Ehe auf Probe nicht gibt, musste ich Waymann zustimmen. So lange nicht durch den Standesbeamten eine feste Bindung besiegelt worden ist, bleiben beide Partner im Geiste irgendwo
noch frei und unabhängig. Dabei ist jeden der beiden Partnern in spe klar, dass das auf den anderen genau so wie auf einen selbst zutrifft. Daraus resultiert dann, wenn man einander halten möchten, die „Pflicht“ zur Toleranz und Rücksichtsnahme, die, wenn der andere durch einen Amtsakt an einen gebunden ist, nicht mehr so selbstverständlich ist. Wenn man allerdings mit dem Vorsatz, sich vom anderen seine Freiheit und Ungebundenheit nicht nehmen zu lassen, in eine Partnerschaft begibt ist diese schon vom Anfang an zum Scheitern verurteilt, denn Partnerschaft beruht ausschließlich auf Geben und Nehmen. Jemand der auf seine Freiheit und Ungebundenheit besteht, ist zwar aus dem Hause „Nimm“ aber vom Geben hat er offensichtlich noch nichts gehört. Aber nur wenn jeder etwas dazugibt und entsprechend von dem anderen nimmt kann aus zwei Einzelpersonen was Neues, richtige Partner, werden. In einer guten Ehe sind weder Mann noch Frau die gleichen Charaktere, die sie vor ihrer Hochzeit einmal waren; gegenzeitiges Geben und Nehmen hat sie zu neuen Menschen geformt. Aber verlassen wir mal schnell wieder das Gebiet der privaten Hobbyphilosophiererei und kehren zu unserer Geschichte nach Hexenberg zurück. Also zwei Dinge standen jetzt aufgrund des Einflusses von Christof Opas fest: Erstens wollten Christof und Steffi mit ihrem Eheglück warten bis sie die berufliche Startphase hinter sich gebracht haben und zweitens wollte Christof nach seiner Groß- und Einzelhandels-Kaufmanns-Ausbildung jetzt bei seinem Großvater in die „Geschäftsführerlehre“ gehen. Aber was ist mit dem dritten Punkt, was ist mit Steffis Berufsausbildung? Auch da waren bereits die Würfel gefallen – und so wie sie gefallen waren passte mir das gar nicht so „in den Kram“. Auch in Steffis Lebensplanung dominierten die EDEKA-Märkte; auch sie wollte Einzelhandelskauffrau werden. Ich fand das furchtbar schade, denn Steffi hatte ein glänzendes Abitur hingelegt. Damit hätte sie glatt jeden Numerus Clausus im Handumdrehen genommen. Ihre besonderen Stärken liegen im naturwissenschaftlichen, und dort auch insbesondere mit mathematischen, Bereich. Ich könnte direkt ins Schwärmen geraten wenn ich an die Möglichkeiten denke, die ihr damit offengestanden haben. Und sowohl von Martina wie von mir hätte sie auf einem solchen Weg doch jede erdenkliche Unterstützung, sowohl ideell wie finanziell, erhalten. Ich war immer der Meinung, dass Eltern verpflichtet seien ihren Kindern die bestmöglichste Ausbildung zu ermöglichen, bevor man sie endgültig ins eigenständige Leben entlässt. Nach wie vor bin ich der Auffassung, dass diese Ansicht im Prinzip richtig ist aber inzwischen habe ich begriffen, das „bestmöglich“ nichts mit „höchstmöglich“ zu tun hat. Bestmöglich ist nicht seine Kinder durchs Abitur und Examen zu peitschen sondern ihnen das zu ermöglichen, wo sie sich nach ihren Vorstellungen am Besten entfalten können. Und Steffis Vorstellungen hießen, das sie Christofs Frau und die Mutter seiner Kinder sein wollte. Das heißt, dass sie eine gemeinsame Zukunft partnerschaftlich gestalten wollten und dieses von Steffi absolut priorisiert wurde. Dazu gehört nach ihrer Auffassung auch das gemeinsame Wirken im wirtschaftlichen und geschäftlichen Bereich. Meine diesbezüglichen Einwände, dass es im Leben meist anders kommt als man denkt, da doch vieles schief läuft, tat Waymann mit zwei Argumenten, die ich bei nüchterner Betrachtung sogar richtig finde, ab. Seiner Meinung nach darf man eine Sache nie mit der Angst, dass sie schief gehen könnte, beginnen. Dann kann sehr leicht jede Unebenheit, die im Leben nie auszuschließen ist, zum Stolperbrocken werden, da man so augenscheinlich die negativen Aspekte bestätigt sieht und sich damit in einem Erfüllungszwang, durch den das Scheitern vorprogrammiert ist, versetzen kann. Risikoeinschätzung ist immer richtig aber beginnen muss man alles mit der Überzeugung, dass man es auch wirklich schafft. Während sein erstes Argument mehr die persönliche Seite betrifft zielt das zweite mehr auf die allgemeine berufliche Seite ab. Er war der Meinung, dass es heutzutage keinen Beruf mehr gäbe bei dem man die Gewähr habe, dass es diesen am Ende seines Berufslebens noch gibt und selbst wenn es den noch geben sollte, hat man keine Gewähr dafür, dass man diesen durchgängig ausüben kann. Wirtschaftliche, technische, persönliche und gesundheitliche Entwicklungen und Ereignisse können alles das, was man sich gedacht hat, über den Haufen werfen. Wie es mal kommt weiß keiner, niemand könne in die Zukunft sehen. Daher sei es wichtig, dass man solide Grundlagen, sowohl praktisch wie theoretisch, hat und immer das macht, was einem in der jeweiligen Lebenssituation am Meisten zusagt. Und da käme es nicht darauf an was dieses nun speziell sei sondern das die vorgenannten Kriterien erfüllt seien. Somit kann sowohl die Entscheidung Ärztin oder Pastorin zu werden genau so falsch oder richtig sein wie die Entscheidung zur Kauffrau oder Sekretärin, ganz egal mit welcher Vorbildung man startet. Richtig ist immer das was dem oder der Betreffenden ein solides Fundament verschafft und gleichzeitig ausfüllt. Das, was man ausschließlich in Erfüllung elterlicher oder gesellschaftlicher Erwartungen ergreift, ist demnach falsch. Und Steffi habe nun mal ihre Entscheidung zur Kauffrau gefasst. Trotz seiner Auffassung versuchte er, allerdings ohne Erfolg, ein Gespräch zwischen Steffi und mir zu vermitteln. Aber meine Tochter ließ sich nicht erweichen. Was das Vater-Tochter-Verhältnis anging galt sein Nichteinmischungsprinzip aber ansonsten war er in dieser Angelegenheit parteiisch. Er mochte Steffi sehr gut leiden. Er sagte öfters mal im scherzhaften Ton: „Schade, das ich nicht mehr in Christofs Alter bin, denn dann würde ich mir die hübsche Maid auch gleich schnappen. Dann könnten sie mein Schwiegervater werden.“. Aber nicht nur ihre Äußeres sprach ihn an sondern er betonte auch immer wieder, dass man solche netten und intelligenten Mädchen heute kaum noch finden könne. Er meinte das auch dahingehend sein Enkel das große Los
gezogen hätte. Das war natürlich Balsam auf meinem väterlichen Stolz, aber machte mich allerdings auch auf Grund unsers derzeitigen Verhältnis immer ein Bisschen wehmütig. Unsere Stefanie war also dem alten Waymann als „Schwiegerenkelin“ herzlich willkommen. Das war jedoch nicht der Hauptgrund für seine Parteinahme. Da dürfte es wohl eher eine Rolle gespielt haben, dass sie mit ihm einen Ausbildungsvertrag geschlossen und danach gleich einen Superstart hingelegt hatte. Nun, wie man diesem Kapitel entnehmen kann hatte auch ich ein ganz gutes Verhältnis zu meinem Vermieter entwickelt. Wir saßen öfters plaudernd, mal in seiner und mal in meiner Wohnung, zusammen. Ich hatte in der beschriebenen Zeit das Gefühl, dass er der einzigste Mensch war zu dem ich noch einen Draht hatte. Gerne hätte ich von diesem lebenserfahrenen Mann auch einen Rat in Hinblick auf meine Beziehung zu Martina gehabt. Aber das Maximalste was ich diesbezüglich von ihm zu hören bekam war, dass er die „kleine Scheuermann“ schon seit Kindesbeinen kennen würde und er sie immer habe gut leiden können. Steffi sähe mir ähnlich aber wäre im Wesen ein Abbild ihrer Mutter. Er glaubte, dass sich unsere Geschichte schon richten würde. Die „Damen“ hätten den Vorzug, dass sie stets mit Überlegung an eine Sache herangehen würden. Grundsätzlich würde eine gründliche Überlegung auch zu den richtigen Schlüssen führen. Aber um überlegen zu können brauche man Ruhe und Zeit. Diesen Punkt sollte ich mal in Blickrichtung Martina überdenken. An dieser Stelle wechselt er dann jedoch immer das Thema. Im Grunde hatte er ja so recht aber um dieses zu erkennen, hätte ich ja selbst erst einmal überlegen müssen – und dafür gönnte ich mir weder Zeit und noch Ruhe.
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Das Ende vor dem Anfang Nun aber zurück vom dem Parallelgeschehen im Hause Schöller, das mir ja auch nur aus den Erzählungen von Karl Hermann Waymann bekannt ist, zurück zu dem was ich selbst erlebt habe und zu dem, was ich aus meinen eigenen Erinnerungen niederschreiben kann. In welchem persönlichen Umfeld ich mich damals befand habe ich ja bereits ausführlich geschildert. Ich habe ja davon gesprochen, dass ich meine eigene Daseinsberechtigung nicht mehr kannte und mich überwiegend damit beschäftigte meiner Frau wie ein mehr als lästiger Harlekin nachzustellen. Außer dem alten Waymann hatte ich so gut wie keine Gesprächspartner. Im Büro, auf der Straße und in den Geschäften, in denen ich meine Besorgungen machte, wurden ausschließlich alltägliche Banalitäten mit mir ausgetauscht. Das führte natürlich auch dazu, dass ich gar nicht mehr wusste, was eigentlich Sache und woran ich war. Bei der letzten „Vertagung“ unseres Kreisfernsehens hatte man davon gesprochen, dass man den Bundestagswahlkampf vorüberziehen lassen wollte und den Start auf November oder Dezember legen wollte. Na ja, die Ära Kohl war inzwischen nach 16 Jahren zuende gegangen und Rot-Grün stand in den Startlöchern und ein neues Vertagungsargument lag noch nicht auf den Tisch. Hätte man bei mir nachgefragt, hätte ich nicht gewusst, was zusagen gewesen wäre. Aber man hat mich zu meinem Glück nicht gefragt. Das Kreisfernsehen Neuheim KFN stand augenscheinlich nicht mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Gab es überhaupt noch jemand der daran Interesse hatte? Auch nach dem das 1-November-Blatt schon längst vom Kalender gerissen war wusste ich immer noch nichts Konkretes. Da kam es mir fast wie eine Erlösung vor als mir von der NLZ schriftlich, ohne weiteren Kommentar und ohne jede weitere Erläuterung, der Besuch des Dr. Schneider angekündigt wurde. Allerdings sah ich dieser Visite mit gemischten Gefühlen entgegen. Da war zunächst mal „unsere Frau“, sprich Monika, ein Thema von dem ich nicht wusste ob es überhaupt und dann wie auf die Tagesordnung kam. Also, eine Sache auf die ich mich geistig in keiner Weise einstellen. Ganz eindeutig dürfte wohl das Kreisfernsehen Neuheim der Grund seines Besuches sein. Aber was hatte man jetzt vor? Das man wider Erwarten doch noch starten würde war bei allen Wohlwollen so gut wie ausgeschlossen. Dafür fehlten jetzt so gut wie alle technischen und organisatorischen Voraussetzungen. Also konnte es nur um den Bescheid gehen, dass man mit einem neuen Argument auf der Vertagungsschiene weiterfährt oder dass man jetzt die Sache endgültig einstampft. Letzteres dürfte wohl das Wahrscheinlichste sein, aber was ist dann mit mir? Wird man mir ersatzweise etwas anbieten oder wird man mir sagen, dass ich zusammenpacken und nach Hause gehen solle? Dann stand für mich die große Frage wie Wilfried Schneider und ich uns begegnen würden im Raum. Bleibt es bei der persönlichen etwas vertrauteren Atmosphäre oder wird es steif und sachlich zugehen? Gilt zwischen uns beiden weiter das Du oder ist inzwischen das Sie wiederangebracht? Fragen über Fragen, die im Vorfeld doch recht marternd wirken. Aber das dürfte nicht nur mir so gegangen sein, denn als mir Wilfried Schneider dann in Person wirklich gegenüber stand merkte ich ihm auf Anhieb seine große Unsicherheit, wie ich sie bei ihm noch nicht erlebt hatte, an. Wir hatten uns wohl beide eine defensive Vorgehensweise vorgenommen, denn es dauerte einen Moment bis er mir mit den schüchtern klingenden Worten „Grüß dich“ seine Hand entgegen reichte. So war schon mal eines klar: Wenn es nach ihm geht kann es beim Du bleiben, was mir eigentlich auch ganz recht war, denn das andere wäre mir zu diesem Zeitpunkt auch etwas komisch vorgekommen. Ich nahm seine dargereichte Hand und erwiderte, ebenfalls etwas zurückhaltend: „Ja, grüß dich. ... Was führt dich her?“. „Ich glaube, das kannst du dir denken“, erwiderte er jetzt, inzwischen schon ein Wenig erleichtert klingend. Ich bot ihm jetzt erst mal Platz an und beantwortete, während ich mich selber auf meinen Platz setzte, seine Frage: „Natürlich kann ich mir denken warum du gekommen bist. ... Du hast die Aufgabe, mir das Ende vor dem Anfang zu verkünden. Lokalfernsehen soll hier nicht stattfinden.“. „Das ist richtig, aber das ist es nicht, was mir diesen Besuch so schwer macht.“, fuhr er jetzt fort, „Was mir sehr schwer fällt, ist das was dich dabei betrifft.“. Na ja, auch diesbezüglich konnte ich mir denken um was es gehen sollte. Er hatte die Aufgabe mich meines Postens und meiner Pseudotätigkeit zu entheben. Ohne Lokalfernsehen ergibt ja auch der scheinbare Superjob eines Fernsehchefredakteurs überhaupt keinen Sinn. Entsprechend meiner Rechtsstellung ging dieses aber nicht einfach mit einem nüchternen Kündigungsschreiben; da musste also ein Auflösungsvertrag ausgehandelt werden – und das war der Anlass für Wilfrieds Erscheinen. Jetzt stand die Frage, die ich mir schon vorher für den Fall der Fälle gestellt hatte, aktuell im Raum: Sollte ich pokern und wie weit konnte ich dabei gehen? Dazu hätte ich zunächst abchecken müssen wie weit Wilfried eigentlich gehen konnte und durfte, denn aus meiner neuerlichen Zeit mit Monika wusste ich ja, das mein Gegenüber im Grunde auch nur eine kleine Leuchte war – an den Fäden zogen andere und zu denen hatte Monika aufgrund ihrer Gesellschafter-Stellung noch eher Zugang wie ihr Mann. Also ließ ich mir zunächst einmal vortragen, was man mir anzubieten hatte. Ich widersprach nur bescheiden in wenigen, fast unwesentlichen Punkten. Und dieses tat ich eigentlich aus keinem berechtigten Interesse sondern nur aus optischen Gründen, denn ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ich alles widerspruchslos runter schlucken würde. Aber auch mein Verhandlungspartner hatte offensichtlich
Imageprobleme, denn er nahm meine Änderungswünsche zunächst einfach nur notierender Weise ohne weitere Stellungnahme zur Kenntnis. Als wir dann „durch“ waren, musste er sich dann doch erst mal eine Blöße geben. Er gab zu, nicht entscheiden zu können und bat mich ihm, so lange er mit seiner Herrschaft telefoniere, alleine im Raum zu lassen. Daraufhin schlug ich ihn vor, dass ich ihn zum Zwecke kleiner Besorgungen, wie Zigaretten und Papiertaschentücher, für eine halbe Stunde allein lassen würde und dieses war ihm ganz offensichtlich mehr als recht. Für mich führte dieses Intermezzo allerdings zu einem peinlichen Dreiertreffen auf der Straße vor dem Neuheimer Kreisboten. Monika, die mich und ihren Mann zusammen in meinem Büro vermutete, war auf dem Weg ins Café Krönchen, wo sie im Anschluss mit Wilfried verabredet war. Nicht genug damit, denn Martina kam gerade von ihrer Anwältin, die mich noch einmal hinsichtlich meiner ständigen Belästigungen abmahnen sollte. Obwohl das nach Lage der Dinge unmöglich gewesen war, taten wir alle Drei so, als hätten wir die jeweils beiden anderen gar nicht bemerkt. Auf jeden Fall erzählte ich, als ich zurückkam, Wilfried davon, bevor er mir mitteilen konnte, das man bei der NLZ auf meine Änderungswünsche ohne Einschränkungen und Änderungen eingehen würde. Während wir auf den entsprechend geänderten Vertragstext, der uns als E-Mail-Anhang zugesandt werden sollte, warteten, kamen wir durch meinen bereits erwähnten Bericht doch noch auf das Thema, was wir beide offensichtlich eigentlich zuvor ausklammern wollten. „Monika ist sehr schlecht dran“, begann jetzt Wilfried mit ruhig klingender Stimme, „Auf mich könnte sie ja, wenn unser Ehevertrag nicht wäre, ganz gut verzichten, aber dass du nichts mehr von ihr wissen willst verkraftet sie, glaube ich, nicht. Vielleicht hörst du sie doch mal an ... aber das ist alleine deine Entscheidung, da kann ich dir nicht reinreden“. Ich erklärte ihm, dass ich inzwischen gemerkt habe, wie sehr ich doch Martina liebte und ich mich für eine von beiden entscheiden müsse. Und meine Entscheidung wäre doch zugunsten meiner jetzigen Frau gefallen. Ich hatte nach meinen Ausführungen den Eindruck, als habe er mich verstanden. Dieses war aber bereits alles, was an privaten Worten zwischen uns gefallen war. Kurz darauf klickerten wir uns mit dem E-Mail-Programm bei dem zum NLZ-Konzern gehörenden Onlinedienst ein und siehe da, die erwartete Datei war schon da. Wir ließen diese gleich dreifach auf dem Laserprinter in der Neuheimer Lokalredaktion ausdrucken, unterschrieben diese an entsprechender Stelle und der Fall war erledigt. Wilfried Schneider verabschiedete sich von mir mit Handschlag und verließ mit den Worten „Bis zum nächsten Mal“ den Raum. Dieses nächste Mal sollte es nicht mehr geben. Bis zum heutigen Tage ist mir Dr. Wilfried Schneider nicht mehr begegnet – auch nicht durch Zufall im Vorrübergehen. Als er an jenem Tag von dannen war ließ ich mir von Herrn Vogel, der für den Hausdienst beim Neuheimer Kreisboten zuständig war, aus dem Lager im Keller Umzugskartons bringen und begann unmittelbar danach mit der Aufteilung des Büroinhalts nach drei Kriterien: Privat, Kreisbote und NLZ. Meine private Habe nahm ich am gleichen Abend in einem kleinen Karton, den ich unter dem Arm nehmen konnte, gleich mit und die anderen Kartons übergab ich ordnungsgemäß unserem Herrn Vogel. Von den paar Leuten, die an diesem Abend noch anwesend waren habe ich mich persönlich verabschiedet und dann verließ ich zum letzen Mal das Haus, in dem ich vor mehr als 32 Jahren mal als Schriftsetzerlehrling meinen beruflichen Werdegang begann. Laut Auflösungsvertrag war ich zwar noch bis zum 31. Dezember 1998 Chefredakteur eines Fernsehsenders, den es nie geben sollte aber laut mündlichen Zusatzvertrag brauchte ich jetzt keine Leistung mehr zu erbringen. Was sollte ich denn auch machen, das wusste ich ja schon in den Wochen vorher nicht. Was ich allerdings zuhause sollte wusste ich eben so wenig. Ich konnte jetzt ja nicht zum 24-Stunden-MartinaVerfolger werden; ich kam mir ja jetzt schon bei den Aktionen selber albern vor. Also begab ich mich täglich für ein paar Stunden in Räumlichkeiten, die meiner Frau Martina gehörten, in denen man sie selbst jedoch seit unserer Eheschließung äußerst selten selbst antreffen konnte. Ich schreibe von unserer Dorfkneipe. Diese befindet sich zwar in dem Haus, das mein Schwager geerbt hat; aber die Kneipe selbst gehört zu ihrem Erbe. Seitdem mein Schwiegervater nicht mehr so richtig auf den Beinen war, also schon vor seinem Tode, wurde diese von Pächtern bewirtschaftet. Jetzt habe ich zwar den Plural geschrieben aber so schlimm, wie es im weiten Lande üblich ist – durchschnittlich alle 2 Jahre einer neuer Wirt – war es bei uns in Hexenberg noch nicht. In der Dorfkneipe war erst der zweite Pächter und dieser bereits schon im siebten Jahr. Eigentlich müsste man sagen, dass ich mir mit einem ständigen Aufenthalt dort selbst keinen guten Dienst erwiese, denn immerhin war das der Ort in dem ich einstmals Martina kennen lernte. Nicht selten gab es Anstöße an mein Wehmutsspeicher, wenn die derzeitige Lebensabschnittspartnerin des Wirtes am Gläserspülbecken hantierte. Als Martina das damals machte begann die längste und schönste Glücksphase meines Lebens. Na ja, so hatte ich dann auch nach reichlichen Alkoholgenuss nicht selten einen sogenannten Moralischen. Bei solchen Gelegenheiten ließ ich mich immer sarkastisch darüber aus, dass ich ein ganz Loser sei: Ich war frauenlos, familienlos, freundinnenlos, lustlos, arbeitslos und noch ein ganze Menge loser. Man merkt schon, wo ich mein Heil suchte: im Alkohol. Aber der Teufel Alkohol ist ein schlechter Tröster. Die Stimmung, mit der man zum Suff antritt, wird durch dieses körperfremde Gift, wie die Wissenschaftler sagen, enorm gesteigert. Geht man in ausgelassener Stimmung saufen, kann sich das Ganze zu einer solchen albernen Übermütigkeit steigern, dass man sich selbst vor den Augen der Anderen zum Popanz macht. Dann macht man
sehr leicht Sachen, deren man sich im nüchternen Zustand fürchterlich schämen würde. Leicht posaunt man dann auch Dinge heraus, die man zum Schutze der eigenen Person besser für sich behalten würde. Geht man dagegen verärgert zum Trunk kann sich diese Verärgerung mit zunehmenden Promillepegel schnell zur hochgradigen Aggression steigern. Nicht selten bildet dann der Alkohol den Hintergrund für üble Sachbeschädigungen, Körperverletzungen bis hin zu Tötungstaten. Ich habe mal gelesen, dass in den Ehen von den Frauen, die in Frauenhäusern Schutz suchten, der Alkohol eine große Rolle spielen solle. Jetzt aber nicht immer alles auf den bösen Mann schieben, denn in 80% solcher Fälle sollen beide Partner Probleme mit dem Alkohol haben. Das kann sich schon daraus erklären, dass Betrunkene auf Nüchterne abstoßend und beängstigend wirken. Und so kommt es, wenn nur eine Seite dem Laster verfallen ist, schon frühzeitig zum Bruch der Partnerschaft. Dann kommt es in der Regel nicht so weit, dass Gewalttätigkeiten so regelmäßig werden, dass man davor flüchten muss. Aber ich kann mich in jener Zeit weder zur ersten noch zur zweiten Gruppe zählen, ich gehörte eher zu Gruppe 3, den Kummersäufern. Im Prinzip passiert bei denen das Gleiche wie bei den vorgenannten Typen. Wer mit einem kleinen Kümmernis zum Glase greift muss dann, wenn er im Alkoholnebel untergegangen ist, mit schweren bitteren Weltschmerz rechnen. So wurde ich dann Ende 1998 als der „heulende Säufer“ in Hexenberg bekannt und dieser „Ruhm“ bewirkte bei meinen familiären Problemen das der Zug in die entgegengesetzte Richtung als von mir gewünscht fuhr. Später erfuhr ich, dass, wenn ich nicht gesoffen und mich in Folge dessen nicht daneben benommen hätte, ganz Nahe an meinen Zielen gewesen wäre. Steffi und Christof hatten ihre ersten tiefen Enttäuschungen überwunden und waren dahingehend erwachsen geworden, dass sie erkannt hatten, dass ihre Eltern keine Götter sondern auch „nur“ Menschen aus Fleisch und Blut sind. Zwar war der Glanz von uns Eltern ab aber unsere Kinder wollten uns jetzt so haben, wie wir wirklich sind. Sie meinten das Weihnachten ein schöner Anlass zur überfälligen Versöhnung sei. Von diesen Erkenntnissen profitierte dann Frau Schöller. Sie konnte sich zu Weihnachten 1998 der Gesellschaft ihres Vaters, ihres Sohnes und ihrer zukünftigen Schwiegertochter erfreuen. Das auch Martina und ich zu einer solchen Freude kamen habe ich durch meine Sauferei vereitelt und das schon allein durch die Tatsache, dass niemand wusste wann ich ansprechbar bin. Man kann ja Betrunkene so gut wie überhaupt nicht ansprechen, da sie für Leute, die sie nicht öfters in diesem Zustand erleben, vollkommen unberechenbar sind. Allerdings sieht das bei denjenigen, die einen bestimmten Menschen regelmäßig im Rausch erleben, zum Beispiel bei Wirten, genau anders aus. Denn, wenn Menschen sich selbst nicht mehr steuern können, laufen in der Regel bei ihnen nach bestimmten Anstößen immer die gleichen Muster ab. Wer sich mal über einen gewissen Zeitraum in einschlägigen Kneipen aufhält hört, dann auch mal von Wirtsleuten Aussagen wie: „Pass auf, wenn du das machst schlägt der sofort los“, „Kitzel den mal unters Kinn, dann lässt der die Hose fallen“ oder „Lass mal, gleich wecke ich ihn und frage ob er eine Runde geben will. Dann steht der auf und zieht wortlos wie ein Schlafwandler von dannen“ und so weiter und so fort. Solche Dinge werden gerne dazu benutzt um Quartalssäufer und Alkoholiker öffentlich vorzuführen. Gehört man aber nicht zu den Kneipenexperten sollte man sich vor Betrunkenen vorsehen, denn die häufigste Reaktion bei Störung in des Säufers Kreisen ist das sofortige Zuschlagen, wobei man dann noch zusätzlich Gefahr läuft, dass dieser dann postwendend tatkräftige Unterstützung von seinen Zechkumpanen erhält. Steffi und Christof kannten mich ja von zuvor und wussten, dass mein momentanes Verhalten auf meine derzeitige Situation und nicht auf meine Wesensart zurückzuführen war. Jetzt kam bei ihnen noch hinzu, dass sie im Oktober bei den Pfadfindern einen Vortragsabend zum Thema Alkoholismus gehört hatten. Da haben sie erfahren, dass es keine wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt wer gegen Alkoholismus immun oder nicht immun ist und auch nicht darüber was Alkoholismus letztendlich auslöst gibt. So bleibt nichts anderes als generell jeden Menschen als gefährdet anzusehen, es sei denn er hielte absolute Abstinenz. Was allerdings bei Alkohol, der schon seit Jahrtausenden gesellschaftliche Akzeptanz gefunden hat, sehr schwer fällt. Abstinenzler geraten in gewissen Kreisen, auch in den Spitzen von Politik und Wirtschaft, nicht selten ins Abseits. Gefragt ist der trink- und gleichzeitig standfeste Mitmensch. Was allerdings mit wissenschaftlicher Sicherheit gesagt werden kann ist die Tatsache, das derjenige, der, auch in unbestimmten Abständen unkontrolliert größere Alkoholmengen konsumiert oder derjenige, der regelmäßig, auch kleinere Alkoholmengen, zum Beispiel morgens und abends einen Melissengeist, zu sich nimmt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft die Schwelle zur Krankheit zu überschreiten. Davor wollte Steffi ihren Vater nun doch bewahren aber zu ihrem Leidwesen sah sie keine Gelegenheit selbst an mich heranzukommen. Dieser Umstand war es dann, der dazu führte, dass Martina auch nicht in den Genuss einer Versöhnung kam. Steffi wusste ja, dass ihre Mutter, die Eigentümerin der Kneipe, aus der Zeit als junge Erwachsene ausreichend Kneipenerfahrung hatte und mich wohl so gründlich kannte, dass sie gefahrlos und wirkungsvoll hätte an mich herangekommen können. Sie war der Meinung Martina müsse jetzt unbedingt handeln. Mit dieser Ansicht standen sie übrigens nicht alleine, denn in jener Zeit versuchte sogar Reimund Heimann, der Lover meiner Frau, motiviert aus seiner christliche Grundauffassung, ebenfalls in die gleiche Richtung zu wirken. Aber Martina
hatte sich so tief in das Thema „meine zerrüttete Ehe“ hinein gefressen, dass sie trotz aller treffenden Argumente nicht über ihren Schatten springen konnte. Dann kamen ja noch Verhaltensweisen meinerseits hinzu, die es ihr wirklich schwer machten einen entsprechenden Schritt zu unternehmen. Da war ja mein Ihr-Nach-Stellen, was sie ja bereits vorher mehr als lästig empfunden hatte. Vorher geschah das aber lautlos, vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen – da bekam im Grunde keiner etwas von mit. Im volltrunkenen Zustand war das dann jedoch mit allerlei Palaver verbunden, so dass sich die Leute in Hexenberg schon über uns lustig machten. Des weiteren wurde die Dorfbelustigung meinerseits dadurch noch gefördert, dass ich bei einem Anflug eines Moralischen fröhlich in der Kneipe Intimitäten ausplauderte. Da ist es doch für jeden Mann und jede Frau leicht nachzuvollziehen, das es riesige Hürden zwischen mir und Martina gab und sie nicht stark genug war, diese so einfach zu überwinden. Steffi wollte ihrer Aufforderung, das Martina mir helfe, dadurch Nachdruck verleihen, dass sie ihrer Mutter sagte, das, wenn sie bis Weihnachten nicht zumindestens den Versuch unternommen hätte, mich vom Suff abzubringen, sie für immer geschiedene Leute wären. Nun, Martina hatte die dazu benötigte Kraft bis zum Stichtag nicht aufbringen können und Steffi hatte riesige Probleme in Hinsicht auf ihre zukünftige Glaubwürdigkeit. Sie war der Ansicht, dass wenn sie jetzt zeigt, dass sie nicht konsequent zu dem steht, was sie gesagt hat, Gefahr liefe, in Zukunft bei ähnlichen Problemen nicht mehr ernst genommen zu werden. Sie wartete jetzt zumindestens auf Martinas Eingeständnis ihrer Kraft- und Hilflosigkeit. Aber statt dieses Eingeständnisses kamen von Martina nur Selbstrechtfertigungen und Schuldzuweisungen in meine Richtung. Da sah sich dann Stefanie in die „blöde“ Situation genötigt zum Weihnachtsfest auch ihre Mutter konsequent zu meiden. Bei der Gelegenheit kam dann bei unserer Tochter die Überzeugung, dass Martina mit dem Ehebruch begonnen und damit die Familienauflösung verschuldet zu haben, wieder hoch. Ich muss sagen, dass wir drei Schritte vor dem Ziel standen und ich uns alle durch meine Sauferei sehr weit zurück geschmissen habe. Davon habe ich zur betreffenden Zeit allerdings nicht gewusst – ich habe alles erst wesentlich später erfahren. Dieses dürfte auch eigentlich logisch sein, denn wenn ich davon gewusst hätte, wäre es bestimmt anders gelaufen. Das Gleiche kann ich ja auch in der Geschichte mit meiner ersten Frau, mit Monika, sagen. Hätte ich den wahren Hintergrund zu der Sache mit den beiden Perverslingen gekannt, hätte es auch für mich eine ganz andere Situation gegeben. Aber wer weiß wo zu es gut war, denn alles das, was ich im Laufe dieses Buch noch erzähle, wäre in diesem Falle dann ja auch anders gelaufen. Im Gegensatz zu der innerfamiliären Geschichte ist mir damals, sogar zwei Mal, die Wahrheit von und über Monikas Geschichte berichtet worden. Sie hat mir zwei sehr lange Briefe geschrieben in denen sie mir die ganze Wahrheit, auch die, warum und womit sie erpresst wurde, gebeichtet hatte. In diesen Briefen hat sie förmlich gebettelt und gefleht, ich möge ihr doch helfen. Aber auch in diesem Fall war es mein Suff, der eine Problemlösung vereitelte. Immer wenn ich verkatert mit einem Riesenbrummschädel zum Briefkasten ging und was von Monika oder Martinas Anwältin vorfand spielte ich Feuerteufelchen. Ich flämmte diese Schreiben einfach weg. Monika war letztendlich so verzweifelt, dass sie beschloss sich das Leben zu nehmen. Einen Tag vor Heilig Abend fuhr sie nach Wollerst und parkte oberhalb des ehemaligen Kalksteinbruches. Sie überstieg den Zaun, der Spaziergänger von dem oberen Rand des Bruches abhalten sollte und ging sprungbereit auf diesen zu. Da kam es dann zu einer unerwarteten Begegnung, die ihr das Leben retten sollte und sich auch für mich später als einen Glücksfall herausstellen sollte. Sie traf einen, ihr bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten, etwas jüngeren Mann, der mit der gleichen Absicht wie sie hierher gekommen war. Er stand dort schon etwa eine Viertelstunde und hatte bis zu ihrem Eintreffen noch nicht den Mut zum Absprung aufgebracht. Die beiden Lebensmüden haben sich auf Anhieb ihre identischen Gefühle gestanden und dann beschlossen es gemeinsam hinter sich zu bringen. Sie umarmten sich gegenseitig und standen vor dem Abgrund, in dem sie jetzt als Paar springen wollten. Dabei muss dem Herrn, dem seine Frau durchgebrannt war, wohl „warme Gefühle“ bekommen haben, denn er sagte Monika, dass er vor seinem Ende noch einmal ganz gerne Geschlechtsverkehr gehabt hätte. Monika, die inzwischen auch festgestellt hatte, dass sie allein den Sprung in die Tiefe nicht schaffen würde, bot ihn dann einen solchen in ihrem Wagen an und hoffte dabei anschließend mit Hilfe des Herrn das Leben hinter sich bringen zu können. In ihrem Wagen kam es dann aber nochmals anders als wie sie es sich gedacht hatten. Monika begann oben und er unten mit der Entkleidung. Als er seine Hosen heruntergezogen hatte, stellte er fest, dass sich in dieser Situation sein Glied nicht steifen wollte. Daraufhin legte er seinen Kopf an ihren inzwischen nackten Busen und weinte sich aus. In dieser „Stellung“ kamen die beiden dann dazu sich einiges vom Herzen zu reden. Dieses soll so über eine Stunde gedauert haben und danach gelüstet es dem Paar weder nach Verkehr noch nach Selbstmord. Die Beiden beschlossen Freunde zu werden und begaben sich anschließend in ihr jeweiliges Zuhause. Was Sie, liebe Leserin und lieber Leser, jetzt überraschen wird ist, dass ich diese Sache nicht von Monika erfahren habe und trotzdem weiß. Aber warten wir ruhig noch ein Weilchen ab. Lesen wir jetzt lieber erst etwas über die andere Sache, die mich zum Jahresende 1998 fürchterlich quälte. Da das Lokalfernsehende noch vor dessen Anfang kam aber ich zuvor meinen Posten als Leiter der Lokalredaktion Saßmannshausen aufgegeben hatte stand ich jetzt ohne jede Perspektive da. Meine Vermittlungschancen sahen
sehr düster aus. In meinem ursprünglichen Beruf, dem des Schriftsetzers, war ich fast 30 Jahre nicht mehr tätig und davor lag ja auch nur die Lehre und eine doch recht kurze Gehilfenzeit. Außerdem war der Beruf, den ich mal erlernt hatte, praktisch gestorben. Zuerst verdrängte der Foto- den herkömmlichen Bleisatz und dann ermöglichten Computer, überwiegend der Apple Macintosh, die rationellere Vorlagenherstellung. Das ganze Berufsbild hatte sich umgekrempelt und in die neuere Technik habe ich nie reingerochen. Als Redakteur war ich ein Quereinsteiger, wie es diese in 70er-Jahren noch gab. Aber bei den Medienunternehmen will man heute nur noch zertifizierte Leute und keine Selfmade-Redakteure mehr sehen. Es geht ja nicht nach Fähigkeiten und Erfahrung sondern nach Zeugnisnoten. Meine Erfahrungen diesbezüglich, konnte ich mir auch abschminken, denn die Leute glauben, dass das was früher einmal war, gleichgültig ob falsch oder richtig, heute nicht mehr zähle. Dazu kommt mein Alter. Obwohl die Manager und Chefs überwiegend noch der gleichen Generation, zu der ich auch zähle, angehören hält man die Leute „50 plus“ für verbraucht und nicht mehr voll einsatzfähig. So konnte ich mich, aus meiner damaligen Sicht, nach dem Aufbrauchen meiner Abfindung und des Geldes was ich mal als meinen Gesellschaftsanteil, der allerdings nie abgerufen wurde, auf die Beschränkung auf das Arbeitslosengeld und dann später –hilfe bis zum Rentenalter „freuen“. So, jetzt kommen wir zu einem natürlichen oder besser gesagt alljährlichen Ende vor dem Anfang, nämlich dem Ende eines alten vor dem Anfang eines neuen Jahres und hier konkret zum Silvester 1998. Auch diese Nacht verbrachte ich in der Dorfkneipe. Allerdings übermannte mich diesmal kein, inzwischen bei mir üblich gewordener, Moralischer. Der „Laden“ war fast überfüllt und wie es an solchen Tagen Tradition ist, hatten alle ihr komplettes Repertoire an Albernheiten mitgebracht. Und wo alle spinnen, kann auch ein Reiner Schreiber nicht abseits stehen. So ging also mein bisher aufregendestes Jahr in einer nicht unüblichen Form zuende. Dieses Jahr, was anfänglich nach einem, ansonsten nüchternen, beruflichen Aufstiegsjahr aussah entwickelte sich zu einem Orkanjahr bei dem alles zerbrach was mich und meine Persönlichkeit ausmachte. Alles was meiner Person zu eigen war hatte ich verloren. Schlechter konnte es gar nicht mehr werden; wenn sich was ändert, kann es nur aufwärts gehen. Na ja, wir werden sehen, noch ist nicht die letzte Seite meines Buches geschrieben.
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Der Prophet vom Hexenberg Alles im Leben lässt sich, wenn man die entsprechenden Veranlagungen dazu mitbringt, durch ständige Übung trainieren und perfektionieren. Wie geschrieben ist die Veranlagung immer die einzigste Voraussetzung um auf einem Gebiet Meister zu werden. Ich will es mal ganz extrem und ein Wenig sarkastisch sagen: Ein Blinder kann das Sehen so lange üben wie er will, er wird es niemals können. Aber der überwiegende Teil aller Fähigkeiten kann jeder, wenn er nur will, mit großer Leichtigkeit erlernen und es damit bis zur wahren Meisterschaft bringen. Nehmen wir nur mal das Denken, was eigentlich jedem Menschen abverlangt werden sollte aber leider nur von Wenigen auch tatsächlich gemacht wird. Sofern keine einschränkende Behinderung vorliegt, kann es jeder durch Denkübungen zumindestens auf einen Intelligenzquotienten von deutlich über 100 (100 entspricht dem Durchschnitt) bringen. Denken und Intelligenz sind unmittelbar voneinander abhängig. Sehr viele haben sogar die Fähigkeiten es auf das Niveau eines Genie (IQ von 150 und größer) zu bringen. Der IQ berechnet sich übrigens ganz simpel nach der Formel: Intelligenzleistung geteilt durch Lebensalterquotient (LQ) mal 100; also das was man wirklich auf die Beine bringt geteilt durch das, was man in einem bestimmten Lebensalter von einem Menschen zu erwarten hat in Prozent. Das, was man erbringt und das was man entsprechend des Alters erwarten darf sollte sich zumindestens decken und so ist alles unter 100 schlicht und einfach unter Niveau. Aber in unserer konsumorientierten Geld- und Spaßgesellschaft findet man kaum Zeit und Ruhe so etwas einfaches wie das Denken ausreichend zu üben und die IQ-Experten müssen den Lebensaltersquotienten von Zeit zu Zeit immer ein Bisschen nach unten schrauben. Dadurch kann heutzutage natürlich derjenige, der es zu ein paar Punkten mehr wie Einstein bringt er sei genialer als der, denn wenn er den abgesenkten LQ berücksichtigen würde käme er natürlich nicht an Einstein heran. Das Ergebnis der um sich greifenden Denkfaulheit finden wir dann in Studien wie zum Beispiel in der berühmten PISA-Studie und dann kann man zurecht fragen, ob unsere Gesellschaft langsam verblödet. Ich will mal ganz provokatorisch schreiben, dass erste Anzeichen für einen Trend in diese negative Richtung unverkennbar sind. Aber auch solche Sachen wie das Trinken – oder soll ich gleich umgangssprachlich Saufen schreiben – gehört zu den Dingen, zu denen wir alle eine Veranlagung mitbringen und die durch Übung bis zur „meisterhaften“ Fähigkeit gebracht werden kann. Ein Abstinenzler dürfte schon nach dem zweiten Glas Bier dazu neigen die Nationalhymne rückwärts singen zu wollen während so ein „rückgratloser Schlappschwanz“, der dem Leben keinen anderen Sinn geben kann, als täglich an der Theke Sprüche „Marke Dummlall“ zu klopfen und dann dabei, einer durstigen Kuh gleich, alles in sich hineinschüttet was auf die Theke kommt, auch nach einem Kasten Bier noch geradeaus gehen kann. Alles nur simple Übung, die nichts mit Stärke und Leistung zu tun hat. Und wie schnell man zu dieser Standfestigkeit kommen kann, konnte ich Ende 1998/Anfang 1999 am eigenen Leibe feststellen. Nach nur zirka 6 Wochen Training wurden meine Ausfälligkeiten immer weniger. Ich fiel langsam schon bei Fremden nicht mehr sonderlich auf. Nur die Leute, die mich ein Wenig näher kannten merkten etwas, aber nur weil sie genauer hinsahen. Jetzt war ich auch nicht mehr auf die nahe liegende Dorfkneipe angewiesen sondern ich konnte auch weiter ausschwärmen. Das einzigste Vernünftige, was ich mir aus jener Zeit nachsagen kann ist, dass ich meinen Wagen nicht anfasste und der bereits im Begriffe war sich in der Garage kaputt zu stehen. Das brachte mich dann auch auf einen neuen „Dreh“: Schon Vormittags fuhr ich mit dem Linienbus nach Neuheim und kam des Abends, irgendwann zwischen Neun und Mitternacht, mit einem Taxi zurück. Das Taxi brauchte ich jedoch nicht weil mir inzwischen die Knie weich geworden waren sondern wegen der für ländliche Gegenden typischen Fahrplandichte unserer heimischen Nahverkehrsgesellschaft. Des Morgens wenn die Kinder zur Schule mussten, fuhren zwei Busse ab Hexenberg – davon einer jedoch nur bis Saßmannshausen und des Mittags, nach Schulschluss, fuhren gleich zwei Busse bis Neuheim. Dieses aber nur, weil die Schulbusse, die die Hexenberger Schüler heimgebracht hatten, ins Depot einfahren sollten und dabei noch diese oder jene Fahrgastmark mitnehmen sollten. Ansonsten fuhr der Bus der Linie 18 am Morgen um Neun und um Elf und des Nachmittags von 15 bis 19 Uhr stündlich – und danach war finish. Dieses gilt für Werktage an denen kein Schulfrei ist. Am Samstag fuhren nur die beiden Vormittagsbusse und des Sonntags überhaupt keiner. Ohne eigenen fahrbaren Untersatz ist man im ländlichen Raum ziemlich aufgeschmissen. Daher hat sich die rotgrüne Mannschaft in Berlin auch bei uns Ländlern, die von den Großstädtern gerne als Landeier diffamiert werden, mit der Ökosteuer, die ja hier auch von Rentnern, die sich noch nicht von der Anteilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben verabschiedet haben oder wollen, bezahlt werden muss, nicht gerade beliebt gemacht. Es hört sich zwar gut an wenn man so locker von Oben herab sagt, dass man Energieverschwendung versteuern wolle um die Arbeit billiger zu machen – dieses klingt im großstädtischen Raum wo alle 5 Minuten eine U-Bahn fährt sogar logisch. Sinnvoll wäre das aber gewesen, wenn man nicht alles in einen Topf geworfen hätte und dann immer kräftig umgerührt hätte. Die Verwendung der Ökosteuer für den Öffentlichen Personen-Nah-Verkehr (ÖPNV) und dem Schienenverkehr sieht ja auch bei uns auf dem Lande noch sinnvoll aus. Aber das Geld in die Sozialversicherung stecken, während man dieses dann gleichzeitig den
Leistungsempfänger wieder aus der Tasche zieht sieht nicht nur nach puren Populismus aus; ein vorhergehendes Nachdenken lässt sich aus meiner Sicht dabei nicht aufspüren. Aber was wäre eine Mediengesellschaft ohne Populismus, auch wenn dieser grob gesehen fast immer das Gegenteil von Intelligenz darstellt. Warum soll man schlau sein, wichtiger ist doch das man „in“ ist. Und die Arbeit hätte man auf eine andere, sinnvollere Art und Weise verbilligen können. Man hätte nur den Versicherten in der Sozialversicherungen, sowie es die SPD in den 90ern-Jahren bis zu ihrem Wahlsieg 1998 immer tönte, die politisch bedingten Ausgaben, wie die für die Fremdrenten und die Anpassung der Sozialversicherung Ost, aus dem Steuertopf erstatten müssen. Aber haben Sie nach dem Wahltag 1998 noch mal etwas davon gehört? Ich leider nicht. Zum Ausgleich – irgendwo muss man es ja hernehmen - hätte man den Spitzensteuersatz da lassen können wo er einmal war oder man hätte ihn gar noch anheben können. Mit der Senkung des Spitzensteuersatz wird ohnehin nur Spekulationskapital, dass dann um die globalisierte Welt vagabundiert, freigeschaufelt. Kapital, was man investierte, konnte man schon zu allen Zeiten abschreiben und so musste man letztlich dafür nur satte 0% Steuern zahlen. Also mit der Senkung des Spitzensteuersatzes wird der Anreiz zur globalen Spekulation erhöht, was sich dann negativ auf Investitionen auswirkt. Es tut leid, aber ich kann das dumme Zeug „Investitionsanreize“, was Politiker, die ich nur für mediale Majonetten halte, labern wenn sie vor Spekulatius Spekulantus einen Kniefall machen, nicht nachvollziehen. Na ja, es muss ja nicht der Linienbus sein, es gibt ja wie in meinem Fall, noch Taxis. Sicher doch, aber wer kann sich das leisten? Ich konnte das damals im Grunde nur, weil ich es unterließ über den kontinuierlichen Abbau meiner als Gesellschaftereinlage gedachten Rücklage sowie meiner Abfindung nachzudenken. Wenn es erst mal an mein Arbeitslosengeld geht dürfte das schon zwangsläufig bei mir anders werden. Aber das bekam ich zu jener Zeit noch nicht einmal. Die Tatsache, dass ich einen Auflösungsvertrag geschlossen hatte, reichte um mir eine Sperrfrist von 12 Wochen „aufzubrummen“. Aber hatte ich eine Wahl? Natürlich, wenn ich mich ohne Abfindung auf Druck von Oben hätte auf die Straße jagen lassen, wäre mir die Sperrfrist erspart geblieben; also wenn ich mich für Peanuts statt für Geld entschieden hätte. Über eine darüber hinausgehende Sperrzeit wegen der Abfindung, musste ich mich Anfang 1999 noch mit dem Arbeitsamt streiten. Und danach bekomme ich dann noch knapp die Hälfte von meinem früheren Nettolohn, denn die Schallmauer wird beim Arbeitslosengeld von der Beitragsbemessungsgrenze gesetzt ... und ich hatte einstmals darüber verdient. Arbeitslosigkeit ist ohne Ausnahme mit einem Abstieg in den bisher üblichen Lebensstandards verbunden. Ja so schön ist das, man könnte direkt Faulenzer oder Drückeberger werden. Ich möchte mal gerne wissen, wie niedrig der IQ der Leute, die so etwas unterstellender Weise von sich geben, überhaupt ist. Mit anschließenden beschwichtigenden und dann doch wieder bekräftigenden Worten ist es doch wohl nicht getan; zumindestens bei mir nicht. Jetzt habe ich mir aber erst einmal richtig Luft gemacht. Es ist ja bei dem populistischen Unfug, den man Tag für Tag in den Medien vorgesetzt bekommt, ab und an auch mal notwendig – sonst glauben hinterher noch alle dem Politikergeschwätz. Jetzt aber weiter in meiner Story. Also, ich fuhr dann mit dem 11-Uhr-Bus nach Neuheim und schlenderte mit dem Ziel „Maritas Schänke, einer um diese Zeit schon offene Kneipe, durch die verkehrsberuhigte Neuheimer Innenstadt. Vor dem Kaufhaus, welches man hier nur „Wulle“ nennt, als vor Woolworth, traf ich auf einen sich stark amüsierenden Menschenauflauf. Auf einem Podest stand ein seltsamer Kauz, den ich auf dem zweiten Blick und insbesondere auch an seiner Stimme als unseren Herrn Schöller aus Hexenberg, also als dem zukünftigen Schwiegervater meiner Tochter, identifizierte. Er war nicht gleich zu erkennen, denn seine inzwischen mittellangen Haare sahen eher nach einem zotteligen Wildwuchs als nach einer Frisur aus. Wie auf dem Kopf sprossen auch im Gesicht seine Barthaare urwüchsig in die Landschaft. Bekleidet war er mit einem, bis zu den Füssen reichenden gelblichweißen Gewand, das man getrost als altes Nachthemd bezeichnen konnte. Wären es nicht deutsche sondern arabische Worte gewesen, die da unser „Freund“ laut von sich gab, hätte ich angenommen er wäre zum Islam konvertiert, denn von der damaligen Podiumsdiskussion mit dem türkischen Brotbäcker Ökdal wusste ich ja, das es nicht Koran sondern Qur’an , auf deutsch: laut vortragen, heißt. Aber trotz der deutschen Worte hat wohl kaum einer etwas verstanden. Dieses lag aber nicht dran wie Schöller sprach – er betonte sogar sehr gut – sondern es lag an dem Text. Ich habe diesen vor Kurzem wieder aufgefunden und will diesen nur mal kurz zitieren: „Und ich sah wie ein gläserndes Meer, mit Feuer gemengt; und die den Sieg behalten hatten an dem Tier und seinem Bilde und seinem Malzeichen und seines Mannes Zahl, standen an dem gläsernden Meer und hatten Harfen Gottes und fangen das Lied des Lammes und sprachen: Groß und wundersam sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Heiden!“ Haben Sie etwas verstanden? Ich auch nicht, aber das steht wirklich so in der Bibel. Das habe ich jetzt in der Offenbarung des Johannes, Kapitel 15, Verse 2 und 3, abgeschrieben. Ich weiß nicht, ob man alles was in der Bibel steht so uneingeschränkt auf die Menschheit loslassen sollte, auch wenn es sich, wie hier, um die Worte des leiblichen Bruders von Jesus handelt. Es ist doch beim besten Willen keine Mission wenn wir unverständliche Worte unters Volk streuen und uns davor drücken, den großen Konsens der Bibel auf unsere Zeit zu übertragen und auf diese Drückebergerweise nicht aktiv einem, inzwischen schon galoppierenden,
Werteverlust entgegenwirken. Gilt eigentlich heute noch was einstmals der Fürst zum Bischof sagte: „Halt du sie dumm, dann werde ich sie ausnehmen und wir können gemeinsam herrschen.“. Also, die Pastöre aller Konfessionen können mich jetzt ruhig steinigen aber ich kann wirklich keinen Unterschied zwischen der Offenbarung des Johannes und den Wahrsagungen des Nostradamus ausmachen. Aber das sollte eigentlich auch nicht verwundern, denn der französische Astrologe und Arzt Michel de Notre-Dame, der sich Nostradamus nannte, hat sich mit Sicherheit die mystisch verklärten aber im Grunde nichts aussagenden Worte der Offenbarung zum Vorbild für seine Centuries, so wie er sein Wahrsageblödsinn nannte, genommen. Nur im Gegensatz zu Johannes, der die Apokalypse, also das Ende aller Tage, vorhersagte nahm Nostradamus einen zeitnahen Bezug. Seine Wahrsagungen sind für den Zeitraum seiner Lebzeit, 1503 – 1566, bis hin ins Jahr 3000 gedacht. Johannes Vorteil ist es ihm gegenüber, dass kein Mensch in der Lage sein wird, seine lose Wortsammlung mit der Wirklichkeit abzugleichen, was aber mit der des Nostradamus vor den Augen einer naiven, wundergläubigen Masse laufend gemacht wird. Aber was soll es, damit dürfte wohl niemand Schwierigkeiten haben, denn die Worte sind so elastisch dehnbar, dass man hinterher alles und nichts hinein interpretieren kann. Ich habe da mal einen Artikel gelesen in dem jemand nachweisen wollte, dass Nostradamus den 2. Weltkrieg und die Invasion in der Normandie vorhergesehen habe. Ich hatte keine Schwierigkeiten das gleiche Zeug auf den Vietnamkrieg und auch auf die sowjetische Invasion in Afghanistan zu übertragen. Mystische Worte sind frei für alle Interpretationen. Wie es gefällt und wie ihr es haben wollt. Auf Bibeltexte bezogen ist das aber etwas, was nicht sein sollte. Glaube und die Gebote des Herrn sind fest definiert und konkret und jegliche Interpretationsversuche sind nach meiner Auffassung unzulässig. Aber weiter zu dem „Propheten vom Hexenberg“, wie sich der Exkaufmann Schöller jetzt selbst nannte. Er hatte sich jetzt also auf die Offenbarung gestürzt und malte zur Belustigung der Leute in der Neuheimer Innenstadt die „Ausschüttung der sieben Zornesschalen“ mit düsteren Worten aus. Auch ich gehörte zu den Leuten die einfach nicht vorbeigehen konnten. Jetzt weiß ich nicht, wenn ich mein Gewissen befrage, wie ich einen Zwischenfall, den es bei der Veranstaltung gab, bewerten soll. Ein Herr in meinem Alter ging auf Schöller zu und wollte ihn mit einer freundschaftlichen Umarmung von dem Podest, auf den er stand, holen. Der Prophet wehrte sich natürlich energisch dagegen und die Menge unterstützte ihn mit lautem Gejohle. Die Menge hatte ihren Spaß und den wollten sie sich nicht nehmen lassen. Darauf bekundete der Herr, der offensichtlich die Veranstaltung beenden wollte: „Mensch Leute. Sehen sie nicht dass der Mann krank ist und Hilfe braucht.“. Ich glaube schon, dass der Herr recht hatte und ich, wenn ich in jenem Moment Rückgrat gehabt hätte, diesen hätte unterstützen müssen. Auch wenn der Mob, der sich gern auf Kosten anderer amüsiert, mich dafür fürchterlich angemacht hätte. Etwa eine halbe Stunde später setzten dann die Ordnungshüter in der grünen Uniform, die von dem Niederlassungsleiter des Kaufhauses Woolworth herbeigerufen worden waren, der Tragikomödie ein Ende. Die Veranstaltung vor der Tür des Kaufhauses hatte zuvor schon enormen Einfluss auf dem Ablauf im Inneren gehabt. Das Verkaufspersonal, was selbst gern hinaus gegangen wäre aber unter den Blicken ihres Chefs nicht durfte, stand wie Falschgeld in den Räumen herum, da nur ganz vereinzelte eventuell kaufwillige Damen oder Herren zusehen waren. Ich hatte mir also die Veranstaltung bis zu dem Zeitpunkt wo Polizisten diese beendeten angesehen. Ehrlich gebe ich zu, dass das Ganze auch von mir als Belustigung empfunden wurde. Nur mitlachen konnte ich nicht. Da gab es doch einiges, was mich persönlich mit diesem Propheten verband. Seit zwanzig Jahren waren wir Bewohner des gleichen Dörfchens. Wir waren Nachbarn, die sich von alltäglichen Begegnungen auf der Straße kannten. Ich hatte seinen Weg vom Berufsfrömmler aber sonst normalen Kaufmann bis zu diesem Propheten vom Hexenberg auf diversen Stationen persönlich miterlebt. Ich war doch bei der Podiumsdiskussion, wo er von dem Moslem Ökdal aus der Bahn geworfen wurde, der Moderator. Zu dem „Tendenzgespräch“, bei dem er völlig ausgerastet war, hatte ich selbst eingeladen. Sein Schwiegervater Karl Hermann Waymann war mein Vermieter und der einzigste Mensch, der sich in letzter Zeit richtig mit mir unterhielt. Meine Tochter hatte sich in seinen Sohn verliebt und wenn es nach den jungen Leuten geht, wird dieser Herr mal Steffis Schwiegervater sein. Auch wenn Schöllers auseinander gehen sollten wird der Prophet immer Christofs Vater bleiben; genauso wie ich, auch wenn ich nicht mehr mit Martina ins Reine komme, Steffis Vater bin und bleibe, sogar über meinen Tod hinaus. Hatte ich mich in letzter Zeit mit meinen Moralischen vor dem Mob nicht genauso lächerlich gemacht wie er sich jetzt hier machte? Fielen nicht die Anlässe, die uns zu Harlekins machten, zeitlich zusammen und waren diese nicht irgendwie und –wo miteinander verzahnt? Beim besten Willen, ich hatte kein Grund zum Lachen. Seit etwa 10 Minuten vor der Auflösung dieses Auflaufes stand ein etwas jüngerer Mann neben mir, der ebenso wenig wie ich lachte. Mehrfach schaute ich zu ihm herüber. Irgendwie kam mir dieser Herr sehr bekannt vor aber so wie ich ihn einordnete konnte es einfach nicht sein. Sein Abbild in meinem Gedächtnis entsprach dem, so wie er neben mir stand, ohne jeglichen Abstrich. Aber ich hatte das komische Gefühl ihn nicht aus neuerer Zeit zu kennen. Unsere Begegnungen müssen schon sehr lange zurückliegen. Aber das kann doch gar nicht sein, dass jemand der mir in der Jugend oder in der Jungerwachsenenzeit begegnet ist nach 10 bis 20 Jahren noch genauso aussieht wie damals. Einen Menschen, der nicht altert, den gibt es doch nicht. Ich war drauf und dran
ihn anzusprechen als dieses dann, zu dem Zeitpunkt wo die Polizei eintraf, von ihm aus geschah: „Ja, Herr Schreiber, in der Bibel steht viel dummes Zeug und wenn unsere christlichen Pharisäer, sprich Theologen, weiterhin annehmen die Leute wären naiv und blöd und ihnen erzählen, die Bibel sei vom Himmel gefallen, wird eines Tages keiner mehr Kirchensteuer zahlen wollen – Mission zur Abkehr.“. Wir kannten uns also doch wirklich. Woher sollte er sonst meinen Namen kennen? Aber ich musste ihn um Unterstützung bei seiner Identifizierung bitten. Lächelnd erklärte er mir: „Ach Schreiber, machen sie sich keine Gedanken wenn sie mich nicht gleich erkennen. Als wir uns das letzte Mal sahen gehörte ich noch zum studentischen Nachwuchs und sie hatten sich schon ihre ersten Sporen im ‚wirklichen Leben’ verdient. An sie habe ich mich letztes Jahr, als im Zusammenhang mit dem Lokalfernsehen ihr Bild im Kreisboten sah, erinnert. Ich bin Marc Kampmann.“. Jetzt fielen mir Schuppen von den Augen: „Ach entschuldigen sie Herr Kampmann das ich sie nicht gleich erkannt habe. Ich dachte schon die ganze Zeit ihr jung gebliebener Vater ... dem sie verdammt ähnlich sehen, wie ein Ei dem anderen, hätte neben mir gestanden. Da es mir in letzter Zeit nicht besonders gut gegangen ist und ich dabei ein Wenig viel dem Alkohol zugesprochen habe, dachte ich schon das Delirium hätte mich schon erwischt.“. Dieser Herr, der mich soeben angesprochen hatte, war also der Sohn von Wolfram Kampmann, meinem „Lehrmeister“ und Vorgänger als Leiter der Lokalredaktion in Saßmannshausen. Damals bin ich nur zwei oder drei Mal dem, jetzt neben mir stehenden Herrn begegnet. Am Liebsten hätte ich ihn jetzt gleich nach seinen Vater gefragt. Aber bei solchen Begegnungen muss man doch ein Wenig vorsichtig sein. Da man über das Schicksal desjenigen, nach dem man fragt, nichts weiß, ich wusste ja nicht einmal ob Wolfram Kampmann überhaupt noch lebt, ist es sehr leicht möglich, dass man ungewollt die Gefühle seines Gegenüber verletzt. Und so behalf ich mir mit der bei solchen Gelegenheiten üblichen Floskel: „Wie geht es ihnen denn so?“. Und just damit hatte ich eigentlich das erreicht, was ich vermeiden wollte. Er schaute auf einmal sehr betrübt drein und sagte: „Ach, auch nicht sehr gut. Oder ehrlich und hart gesagt: Mir geht es ganz beschissen. Hätte mir Gott nicht zu Weihnachten einen Engel geschickt, wäre ich jetzt nicht mehr am Leben.“. Im Nachhinein muss ich sagen, dass dieser Engel ihm nicht nur das Leben gerettet sondern auch ihn gleich rekrutiert hat. Nicht von Heute auf Morgen aber etwas später sollte sich Marc Kampmann dann auch als ein Engel für mich erweisen. Aber tasten wir uns da einmal Schritt für Schritt, das heißt von Kapitel zu Kapitel, heran. Ohne das ich ihm zwischenzeitig dazwischen fuhr sprach er fort weiter: „Meine Frau ist Anfang letzten Jahres mit einem Autohändler durchgebrannt. Schicke Autos und ein gut gepolstertes Konto zählten für sie offensichtlich mehr als Partnerschaft und Familie. Sie hat mir zum Abschied auch noch einen dicken Haufen Schulden hinterlassen. Für sie zählte immer schon Spaß und Action mehr als alles andere. Wir haben eigentlich nie richtig zusammen gepasst. Unser Sohn hat sich in Folge des Rosenkrieges, an dem er mir allein die Schuld gibt, von mir losgesagt und lebt jetzt in Berlin, wo er zuvor Informatik studiert hat. Ich habe ja mal ... wie sie vielleicht noch von meinem Vater wissen, Journalismus studiert und es bei einem christlichen Wochenblatt bis zum stellvertretenen Chefredakteur gebracht. Aber meine Meinung und mein Weltbild sind offensichtlich nicht auf dem Stand, wie man es gerne hätte ... Im Gegensatz zu weltlichen Blättern war es dort umgekehrt: Ich war meinem Brötchengeber zu modern, bei dem hätte der Prophet von vorhin größere Chancen gehabt. Und da hat man sich im Zuge einer Umstrukturierung von mir getrennt. ... Was soll ich sagen, mir ist inzwischen so gut wie alles auf den Kopf gefallen. Da wollte ich erstens meine Probleme ersäufen und zweitens auch mal mit jemand anderes als mein Innerem sprechen. Und so zog es mich dann halt häufiger in die Kneipen und ich begann das Saufen. Ich glaube, dass sich ihre Worte eben ähnlich anhörten. Das habe ich im Moment, nach dem mir zu Weihnachten ein Engel begegnete, ein Wenig eingeschränkt ... aber ab bin ich davon allerdings noch nicht. Ich war gerade beim Arbeitsamt, wo man, wie sollte es auch anders sein, mal wieder nichts für mich hatte, und jetzt wollte doch noch ein paar Schlückchen zu mir nehmen.“. Kampmanns Herz muss wirklich voll gewesen sein, denn ansonsten hätte er mir, dem ich ihm doch im Großen und Ganzen fremd war, nicht so viel persönliches erzählt. Da konnte ich dann auch mit meinen, fast identischen Problemen auspacken und ihm beichten, dass auch mein Ziel eine offene Kneipe sei. Beide waren wir übereinstimmend der Meinung, dass sich das jetzt gut träfe, da wir uns ja so zusammen tun und unserem derzeitigen Laster gemeinsam nachkommen könnten. Na ja, eigentlich wurde es auch Zeit, denn immerhin hatten wir Anfang Januar und auch dem entsprechende Außentemperaturen. Dazu kommt dann in Phasen, wo man vermehrt Alkohol zu sich nimmt, aus natürlichen Gründen, das man schneller friert als andere. Erstaunlich, dass ich während der Show des Propheten von Hexenberg nichts von gemerkt habe. Aber auch in diesem Fall schien Kampmann jetzt genau so zu empfinden wie ich. Er schüttelte sich, wobei er seine Handflächen gegeneinander rieb und sagte nur „Es ist verdammt kalt.“. Ansonsten gingen wir wortlos und eilig nebeneinander her um möglichst schnell in „Maritas Schänke“ zu kommen.
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Looser unter sich Wir hatten unser Ziel, die Kneipe mit Namen „Maritas Schänke“, erreicht. Dieses war die einzigste „AlkoholAbfüllstation“ auf dem „Territorium“ der Städte Neuheim und Saßmannshausen wo man um diese Zeit hin gehen konnte. Alle anderen Kneipen, deren Zahl im Kreis Neuheim so gar unter einem Drittel der Anzahl, wie man sie in den 70er-Jahren noch nennen konnte, gesunken ist, machten erst um 16 oder um 17 Uhr auf und die meisten schließen dafür bereits deutlich vor der Speerstunde wieder. In den größeren Städten soll es ja noch einzelne Gegenden geben wo Kneipen noch einiger Maßen laufen aber in den Kleinstädten scheint es mit der einstmals berühmten Kneipenkultur in unserem Lande vorbei zu sein. Das dürfte einerseits damit zusammenhängen, dass die Leute heutzutage weniger aktiv miteinander kommunizieren – früher ging man nicht nur zum Trinken sondern viel häufiger und auch regelmäßig wegen eines Plausches mit den Nachbarn in ein Gasthaus – und andererseits wollen heute die Leute, insbesondere jüngere, wenn sie sich in ein solches Etablissement begeben was in Richtung Kicker, „Mucke“, Dart oder anderen Schnickschnack, erleben. Und dann muss man sagen, dass sich das alles nicht mehr so rechnet. Die meisten Wirte sind wahrliche Existenzkünstler, richtig gut verdienen kann man mit einer Kneipe in der heutigen Zeit nicht mehr. Entsprechend der frühen Öffnungszeit versammelten sich bei Marita auch alle unter dem Beschaffungszwang leidenden Zeitgenossen aus der heimischen Gegend und so war dieses Haus auch an jenem Morgen schon ganz gut besucht. Normaler Weise gesellte ich mich hier immer zu den Tresenstehern aber an diesem Tag nahmen wir doch an dem kleinen Tischen in der „hintersten“ Ecke platz. Der Grund war ganz einfach: Wir wollten uns ein Wenig ohne aktive Beteiligungen anderer Gäste unterhalten. Oder sagen wir es mal so: Wir Looser wollten erst mal unter uns sein. Allerdings verwunderte unser beziehungsweise mein außergewöhnlicher Platz auch die Wirtin Marita ein Wenig. Mir hatte mal jemand erzählt bei Marita habe es sich um eine abgetakelte Prostituierte gehandelt. Ob das stimmt weiß ich nicht aber es könnte aufgrund ihres etwas ordinär wirkenden Äußeren, insbesondere nach den Anschein den ihre wildfrisierten wasserstoffblonden Haare erweckten, und ihrer nicht immer ganz stubenreinen Redensarten durchaus möglich sein. Aber vielleicht hat derjenige, der mir das erzählte, auch nur vom Anschein, den ich soeben beschrieb, auf die Wirklichkeit geschlossen und hat das dann so weitergegeben. Auf jeden Fall geschah dort nichts worüber sich ein feinfühliger Zufallsgast hätte aufregen können. Ich würde Marita sogar ohne rot zu werden bescheinigen, dass sie ihre Gaststätte ordentlich führe. Als Marita uns die erste Runde Pils gebracht hatte erhob ich mein Glas: „Also ich bin der Reiner. Prost Marc.“. Und nachdem wir dann davon den ersten sehr kräftigen Schluck genommen hatte, fuhr ich zum Zwecke der Gesprächseröffnung fort: „Du sprachst vorhin von einem Weihnachtsengel. Das ist doch sicherlich eine nette Geschichte ... oder kannst beziehungsweise willst du mir diese nicht erzählen?“. Marc wollte und berichtete mir diese auch. Aber ich brauche sie jetzt hier nicht wiederzugeben, denn die verehrte Leserschaft weiß bereits, was sich am 23. Dezember 1998 oberhalb des alten Kalksteinbruches in Wollerst ereignet hatte. Richtig kombiniert, Marc Kampmanns Engel hieß Monika Schneider und war meine erste Frau. Das wusste aber der gute Marc nicht und auf die Sprünge helfen konnte er mir auch zu diesem Zeitpunkt nicht, da er sie ansonsten nicht kannte und nur ihre Handynummer, die er als wohlerzogener Mann auch nicht weitergab, hatte. Und so konnte ich natürlich auch nicht erfahren um wen es sich dabei handelte. Bis zu dem Punkt, wo ich berichten kann, dass der Groschen auf allen Seiten gefallen sei, müssen wir uns noch ein Wenig gedulden. Jedenfalls bekundete Marc zum Schluss: „Ich glaube ich habe mich wie Jona als Gott ihn nach Ninive schicken wollte verhalten; ich habe versucht wegzulaufen. Aber Gott ist in allem und überall. Wohin man auch läuft, Gott ist immer schon da. Er hat alles was wir machen und alles was aus uns wird vorbestimmt. Sowohl das Gute wie das scheinbar Böse. Aber es gibt nichts Böses, alles hat seinen Sinn und läuft letztlich darauf hinaus, dass alles gut und vollkommen wird. Er lässt uns leiden, damit bei uns das Bewusstsein für und über Glück, Liebe und Freude ausgebildet wird. Das Bewusstsein muss so vollkommen werden, dass es für eine Ewigkeit ausreicht, denn wenn es keine Materie mehr gibt, haben wir nichts anderes als dieses mehr. Wie grausam muss es sein, wenn dein Bewusstsein nur an Geld und/oder irdischen Gütern hängt, wenn dann da nichts mehr ist aber dein Bewusstsein nicht mehr ausgelöscht werden kann. Eine Ewigkeit um absolut nichts ... wahrlich, das ist die Hölle. In diesem Sinne dürfen wir dankbar sein, wenn Gott uns leiden lässt ... Aber das ist im jeweiligen Augenblick verdammt schwer.“. In Marc Kampmann lernte ich erstmals einen Menschen kennen, den sein Leiden im Glauben gestärkt hatte und der dafür dankbar war. Innerhalb dieser Geschichte bekomme ich die These noch zwei Mal von anderer Seite bestätigt und ich habe sie mir inzwischen selbst zu eigen gemacht. Auch ich glaube jetzt daran. Ein ewig weiterlebendes Bewusstsein in Glück und Liebe ist der Himmel und ein solches was nur von Macht und Reichtum beherrscht wird ist dann, wenn es nicht mehr von Materie umgeben ist, die Hölle. Dieses kommentierte ich dann: „Du warst doch stellvertretener Chefredakteur bei einem christlichen Blatt und da müsste man doch froh sein Leute, die wie du fest im Glauben stehen, zu haben. Dass man dich dann gefeuert hat, kann ich unter diesen Voraussetzungen nicht verstehen.“. „Ja, das sagst du,“, setzte er wieder an, „aber unser
Blättchen ist so eine Art Fachzeitschrift für evangelische Pastöre. Es geht darin ausschließlich um Verkündigung und Gemeindearbeit. Ich habe fast bei jeder Redaktionskonferenz gefordert wir sollten auch mal etwas zu gesellschaftlichen und politischen Dingen sagen und Stellung beziehen. Gottes Schöpfung ist doch das Leben, jetzt und in alle Ewigkeit und nichts Mystisches in einem ominösen Jenseits. Auch unser Herr Jesus Christus hat kritisch zu den Dingen, die zu seiner Zeit aktuell waren Stellung bezogen. Lese doch mal unter diesem Gesichtspunkt das authentische Markus-Evangelium, die anderen sind ja zeitlich erst später entstanden. Was meinst du, was unseren Herrn ans Kreuz gebracht hat? Dass dieses geschah weil die Leute ihren Beitrag zur Erfüllung der Verheißung leisten wollten, ist doch eine mehr als naive Annahme. ... Also kurz, ich habe immer gefordert im Sinne unseres Herrn Position im und fürs Leben zu beziehen. Meiner Meinung nach sollten wir so dem Werteverfall und der Säkularisation entgegen wirken. Wenn die Christen das nicht machen, dann nutzen es andere in eine für uns Menschen schädliche Richtung. Dann können sich die, sich auf ihren Kanzeln vor der Welt und dem Leben verschanzenden Pfarrer Vorsitzende im karikativen Verein zum Betrieb von Kindergärten und Krankenhäusern werden ... sofern die Leute unter diesen Bedingungen überhaupt noch bereit sind Kirchensteuern zu zahlen. Ich glaube die Beiträge, die die Leute an die Firma zur Durchführung von Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Beerdigungen leisten müssen, sind im Anbetracht zu ihrem Nutzeffekt immer mehr Leuten zu hoch.“. Jetzt hatte Marc sich so sehr aufgeregt, dass er erst mal verschnaufen musste. Diese Pause nutzen wir beide erst einmal zu kräftigen Schlücken aus unseren Biergläsern. Ein Wenig beruhigt fuhr Marc nun fort: „Aber dieses Insulanerdenken, ... eine kleine geistliche Insel im weltlichen Riesenmeer, war nicht der Hauptgrund warum man mir den Stuhl vor die Tür setzte. Da gab es ja auch rationelle Gründe die meiner diesbezüglichen Intention entgegen standen. Wir waren wirklich zu klein, dieses sowohl technisch wie personell, um journalistisch so etwas ordentlich bewältigen zu können. Alles was wir machen konnten hätte letztlich lediglich so eine Art Leserbriefcharakter gehabt; zu mehr fehlten uns zum Beispiel ganz simple Recherchemöglichkeiten. Und dahingehend war ja auch unsere Aufgabe nicht definiert worden. Unsere Aufgabe war es den Pfarrern und anderen hauptamtlichen Mitarbeitern in evangelischen Gemeinde ein Begleiter in ihrer alltäglichen Arbeit zu sein. Sorry, ich sagte alltäglich aber ich müsste auch sonntäglich sagen. Denn entsprechend der Vorgaben aus Luthers Agenda gab es dann Hintergründe und Anstöße für die auf dem Plan stehende Predigt, für die Gestaltung der predigtverkürzende Liturgie – ein Pastor darf alles, nur nicht über 10 Minuten predigen - und auch des Kindergottesdienstes, obwohl es für diesen gesonderte Publikationen gibt.“. An dieser Stelle musste ich ihn unterbrechen: „Jetzt komme ich nicht mehr so ganz mit. Gerade bei der Vorbereitung der Predigten kommt doch das zum Tragen was du zuvor gesagt hast. Ich gehe mal davon aus, dass du eingangs nicht an eine Konkurrenz zu den großen Wochenblätter wie zum Beispiel ‚Die Zeit’ oder auch ‚Das christliche Wochenblatt’ ... ihr seid wohl ‚ein“ aber nicht ‚das’“. Das mir gefiel jetzt so gut, dass ich erst einmal lachte bevor ich, ohne den angefangen Satz mit „sein wolltet“ zu beenden, fortfuhr: „Genau bei den Predigten müsste es doch ansetzen. Den Leuten brennt doch nicht unter den Nägeln wie sich Jesus zu seiner Zeit mit Pharisäern, Samariterinnen und so weiter auseinander setzte sondern deren Probleme heißen Arbeitslosigkeit, Zusammenleben mit ausländischen Mitbürgern, Rentensicherung und, und, und. Mit anderen Worten: Was zu Jesu Zeiten geschah ist ja ganz nett für den Kindergottesdienst aber was er sagte, ist wichtig nicht nur für die damalige Zeit sondern die Vorgaben Gottes, die unabdingbaren ewigen Werte, sind doch auch für Globalisierer, Asylverweigerer, Sozialhilfekürzer, Lohnkostenabbauer und Profitmaximierer heut noch gültig. Man muss sie nur an die richtige Adresse weitergeben. Ohne eine gehörige Portion Gesellschaftskritik verkümmert doch die Predigt zu des Pastors Märchenstunde. Wer dran glaubt wird selig – und die anderen auch. Mit dem Auslegen von alten Texten kannst du doch bei jungen Leuten ‚keinen Hering mehr vom Teller reißen’. Bis zur Konfirmation tun sie sich das vielleicht noch an, aber dann siehst du sie aus nachvollziehbaren Gründen nicht wieder. Das ist doch Antimission; du verschreckst die Menschen vor Gottes Wort.“. „Du hast es erfasst.“, setzte jetzt Marc fort, „Das Wort Gottes steht fest und ist uneingeschränkt verbindlich. Das darfst du nicht interpretieren. Aber nirgendwo steht, dass du die Wortauswahl nicht der jeweilig aktuellen Umgangssprache anpassen darfst. Und was für die Wortauswahl gilt, ist nach meiner Ansicht auch für die Inhalte gültig. Müssen wir die Gleichnisse unbedingt dem Neuen Testament entnehmen oder können wir den Leuten die Inhalte auch an Geschichten aus unseren Tagen vermitteln? Warum setzen wir uns mit der Gesellschaftsordnung in Palästina zu Jesus Zeiten beziehungsweise davor und nicht mit der in Deutschland in unseren Tagen auseinander? Wenn du dir beispielsweise Jesus Gespräche mit den Pharisäern ansiehst ist das genau das Gleiche als wenn er heute mit Politikern sprechen würde. Es ging damals wie heute um Gesetze, die die gesellschaftliche Ordnung regelten ... damals waren es die Leviten. Nach der damaligen ‚Verfassung’ wurden die Gesetze von den Hohenpriestern und Pharisäern gemacht und ausgelegt und heute sind es Regierungen und Parlamente. Warum redet man immer von der Nachfolge Jesu und meidet alles, was er tun würde?“. Dazu war mir dann auch noch etwas aufgefallen: „Ja, im Grunde macht man es den Leuten ohne Modernisierung der Vermittlungs- beziehungsweise Übermittlungsweise schwer damalige Wertvorstellungen auf die heutige Zeit
zu übertragen. Da läuft man doch Gefahr entweder in der falschen Richtung eine 1:1-Übertragung vorzunehmen – Beamte = Zöllner, Theologen = Pharisäer, was von deren beruflicher Definition sogar richtig ist – oder ich kann mit den Werten überhaupt nichts mehr anfangen und bastele mir selber welche. Dann dürften sich doch eigentlich Pfarrer nicht über Säkularisation und Kirchenaustritte beschweren, denn die Sache ist ja hausgemacht. So stört mich, das früher im alten Israel auch die Ärzte am Sabbat nichts taten, also nicht heilen durften, in überhaupt keiner Weise aber das neoliberale Modernisierer Sonntagsöffnungen durchsetzen wollen, halte ich für ein heißes Thema. Wenn sich jetzt die Pastöre verkriechen und vor klaren Aussagen drücken, suche ich mir jetzt das Passende raus und kann eigentlich Beides begründen. Dann nehme ich einfach das, was passt: Jesus heilte am Sabbat. Also ist das Ganze mit dem Feiertagsgebot nicht so wörtlich zu nehmen und wir können des Sonntags also ruhig öffnen. Man kann doch nicht das Leben in weltlich und geistlich aufteilen und dann nach Belieben mal so rum oder so rum wirken. Warum dann nicht gleich nach William Shakespeare: Wie es euch gefällt.“. Mit den Worten „Als ich diese Meinung vertrat und nicht davon abrücken wollte, durfte ich Zusammenpacken“ beendet Marc jetzt diese Gesprächsrunde. Ich erlaubte mir nur noch eine satirische Zugabe: „Warum sollen da, wo alle nur noch passiv konsumieren wollen, die Pastöre abseits stehen. Dann dürfen die doch wohl auch alles so nehmen wie es kommt. Man kann ja sowieso nichts ändern. Da können wir doch von denen nicht erwarten, dass sie mit christlichen Werten Gesellschaftskritik üben.“. Als ich mir dieses später mal überlegte stellte ich fest, dass ich da den Dorn in den Augen der anderen gesehen und den Balken im eigenen Auge geleugnet hatte. War ich nicht dank meiner „Allesfresser-Mentalität“ in meine heutige Situation geraten. Na ja, man kann ja voranschreiten und einen Sinneswandel vornehmen aber nur Saufen und auf das warten was kommt, sieht aber nicht danach aus. Ebenfalls im Nachhinein muss ich mich überhaupt über das bisherige, stark religiös orientierte Gespräch wundern. So stark war ich zuvor doch gar nicht im Glauben eingebunden. Ich lieferte doch das Superbeispiel für einen typischen Theoretiker. Überall mitreden, alles besser wissen aber nie das Richtige unternehmen. Aber nicht nur das Richtige wurde von mir unterlassen, richtiger hätte ich „alles“ gesagt. In meinem Leben habe ich nie was von mir aus getan sondern immer alles auf mich zu kommen lassen. Allerdings hat Nichtstun einen Vorteil: Wer nichts tut kann nicht Schuld sein, das können dann immer nur die Anderen gewesen sein. So hörte sich dann auch der Tenor meines Berichte von meinem Aufstieg und Fall im letzten Jahr, den ich jetzt Marc lieferte, an. Ich lag dabei schon wieder dicht an einem Moralischen. Was hatte man mir nicht alles angetan? Dabei hatte ich offensichtlich dann auch die Mitleidsader meines Mitloosers getroffen, denn Marc wurde zunehmendst besessener darauf mir zu helfen. Den genauen Ablauf des etwa noch zweistündigen Gespräches kann ich heute nicht mehr wiedergeben, denn in Folge weiterer kräftiger Schlücke ist bei mir dann doch einiges durcheinander geraten. Das wir nicht mehr im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte waren konnten wir selbst schon zum betreffenden Zeitpunkt feststellen. Da mir Marc aber unbedingt helfen wollte, vereinbarte er mit mir einen Treffen für den nächsten Tag bevor wir uns zum allgemeinen Gelaber zu den anderen Gästen an die Theke begaben. Die Verabredung haben wir beide verpasst und trotzdem sollten durch diese entscheidende Änderungen in unseren Leben eingeleitet werden. Aber jetzt erst mal alles schön Eines nach dem Anderen. Wieder wollte ich den 11-Uhr-Bus nehmen und machte mich rechtzeitig auf den Weg zur Bushaltestelle. Da stürmte doch die kleine Arnika Groll – sie war, glaube ich, gerade 8 Jahre alt geworden – im Sauseschritt durch das Tor vor dem Haus ihrer Eltern auf die Straße. Ausgerechnet in diesem Moment musste ein Auto auf der ansonsten wenig befahrenen Straße auf sie zukommen. Ich habe nicht viel überlegt sondern ich bin auf die Straße gesprungen und habe Arnika abgefangen und auf den Bürgersteig zurück gestoßen. Die Kleine war gerettet aber dafür erwischte das Fahrzeug mich. Ich wurde von dem Auto erfasst und zu Boden geschleudert. Jetzt bin ich ziemlich geneigt, zu schreiben das mir nicht viel passiert sei aber so etwas ist immer relativ. Ich hatte Schürfwunden am linken Bein und an der Schulter sowie eine Verstauchung des linken Fußgelenkes. Ich brauchte deshalb nicht im Krankenhaus bleiben aber laufen konnte ich trotzdem nicht. Mit einem Taxi wurde ich dann am Nachmittag um Drei nach Hause gebracht und damit war für mich meine Verabredung mit Marc geplatzt. Ich rief bei Marita an aber er war nicht da und die Wirtin wusste auch nicht ob er überhaupt da gewesen war. Meine Suche nach „Kampmann, Marc“ im Telefonbuch blieb ohne Ergebnis und so nahm ich schon an, die Geschichte wäre leider erledigt. Da konnte ich jetzt auch nicht lange mehr darüber nachdenken, denn Karl Hermann Waymann hatte von meinem Unfall gehört und war, nach dem er meine Taxirückkunft bemerkt hatte, in Begleitung zu mir geeilt. Seine Begleiterin machte allein durch ihr Erscheinen alles wett, was mir an diesem Tage passiert war. Etwas schüchtern wirkend betrat meine Tochter Stefanie hinter ihrem „Schwiegergroßvater“ mein Wohnzimmer. Steffi hatte an diesem Tag Berufsschule gehabt und war danach zu Waymann gekommen, wo sie etwas, was sie ihm versprochen hatte, erledigen wollte. Da erfuhr sie dann von meinem Unfall und wurde so zwischen Baum und Borke gesetzt. Eigentlich hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch keine Neigung mit ihrem Vater wieder in Verbindung zu treten aber ihren Vater einfach „so liegen lassen“ wollte sie, insbesondere nachdem ihr Waymann diesbezüglich ins Gewissen geredet hatte, auch nicht. So war sie also mitgekommen und wusste jetzt nicht wie
sie anfangen sollte. Der „Opa ihres Schatzes“, wie sie ab und zu scherzhaft sagt wenn sie von ihm spricht, durchbrach dann das Eis mit einem gleichzeitigen Zaunpfahlwink in meine Richtung: „Na komm Mädchen, du brauchst keine Angst zu haben; er hat nichts getrunken.“. Ich glaube, dass diese unmissverständlich war und habe darauf auch nichts erwidert. Ob Steffi wirklich Angst vor ihren trunkenen Vater hatte weiß ich nicht aber ausschließen kann ich es auch nicht. Sicher ist aber, so hatte ich Waymann verstanden, dass der Alkohol zwischen mir und meiner Tochter stand. Wäre der nicht gewesen, hätte sie bestimmt auch alleine zu mir gefunden. Das war dann auch gleich unser erste Thema, nach dem Waymann wieder gegangen war. Da sagte sie nämlich: „Vati, wenn du nicht gesoffen hättest wäre ich schon vor Weihnachten wieder zu dir gekommen. Aber weil du es offensichtlich nie mehr sein lassen wolltest, wollte ich dich auch nie mehr wiedersehen. Aber wo ich hörte das du der kleinen Arnika das Leben gerettet hast, war ich doch ein bisschen Stolz auf dich. Das wollte ich dir sagen und deshalb habe ich Opa Waymann gefragt ob er mich zu dir begleitet. Das muss aber keine einmalige Angelegenheit sein; wenn du das Trinken wieder dran gibst, komme ich bestimmt öfter.“. An dem Wort „Mit Zuckerbrot und Peitsche“ ist tatsächlich etwas dran. Wenn ich nicht trinke erhalte ich das Zuckerbrot der Steffibesuche und wenn nicht, die Peitsche der Beendigung einer Vater-Tochter-Beziehung. Ich begehrte aber das Zuckerbrot und so veränderte ich schlagartig meine damalige Verhaltensweise. Ich bin zwar nicht unter die Abstinenzler gegangen aber das letzte Mal richtiggehend „Blau“ war ich am Vortag. Nachträglich gesehen muss ich sagen, dass ich Glück gehabt habe. Ein paar Tage darauf hörte ich von einem ehemaligen Setzerkollegen beim Neuheimer Kreisboten, wo eine noch deutlich kürzere Zeit regelmäßigen Trinkens ausgereicht hat um die Welt um einen Alki zu bereichern. Na ja, die Wissenschaft kennt eben noch nicht die Gründe warum der eine krank und der andere nicht krank wird. Bei Steffi kam ich aufgrund des nun wieder abgestellten Trinkens auch wieder zu neuen Ehren, denn ich hatte ihr, nachdem ich ihre Aussage von Arnikas Lebensrettung relativiert hatte, versprochen nicht mehr zu trinken. In den über drei Wochen, wo sie mich drei Mal die Woche versorgte, also sie kaufte für mich ein und machte dieses und jenes im Haushalt, habe ich nur gelegentlich mal eine Flasche Bier, die mir Steffi selbst besorgt hatte, getrunken. Das kann aber auch mangels Gelegenheit gewesen sein. Aber als ich bis Mitte März immer noch nicht zugelangt hatte, war Stefanie doch recht stolz, dass ihr Vater Wort halten könne. Nach dem sich die Atmosphäre zwischen Steffi und mir ein Wenig aufgewärmt hatte blieb sie noch über zwei Stunden bei mir und wir unterhielten uns über die Dinge, die uns in der letzten Zeit bewegt hatten. Steffi wollte dabei auch etwas zu meiner Einstellung zu Monika und Martina wissen. „Ach Steffi, Mäuschen,“, begann ich meine Erklärung, „ich habe weder Monika noch Mutti nur so aus Spaß geheiratet sondern ich habe sie geliebt ... sehr geliebt sogar. Jetzt habe ich in der Vergangenheitsform gesprochen aber das ist nicht richtig, denn ich liebe sie immer noch; sogar trotz allem was passiert ist. Als ich mich in Mutti verknallt habe war ich der Meinung mit Monika wäre es vorbei gewesen. Aber ich sollte mich getäuscht haben. Ich glaube eine einmal entflammte Liebesflamme kann nie mehr erlöschen ... und das macht die Sache so schwer, so unendlich schwer. Beide nebeneinander geht nicht und im Moment würde ich alles dafür geben, wenn ich Mutti wieder gewinnen könnte aber ich habe inzwischen gelernt, dass ich nicht weiß was ist, wenn dann Monika wieder dazwischen funkt.“. Steffi schaute einerseits nachdenklich und andererseits einsichtig drein und sagte dann: „Du solltest vielleicht einmal in Ruhe darüber nachdenken und dann mal handeln. Wenn du immer nur abwartest was passiert kriegst du die Sache bestimmt nie in den Griff.“. In Bezug auf meine beiden Frauen habe ich den Rat damals nicht gleich beherzigt, aber dieser sollte in einer anderen Gelegenheit noch einmal sinngemäß genauso fallen und in dem Falle tat sich dann auch was. Ich sprach mit Steffi über die Lokalfernsehgeschichte, die mir schwer zuschaffen machte und mir letztlich den Rest gegeben habe. Diesmal formulierte Steffi es so: „Ach Vati, du nimmst immer alles hin. Nie wehrst du dich und nie machst du etwas. Für mich wärest du der Held, wenn du dir mal überlegtes, was man machen könnte und dann wirklich ans Werk ging’s ... auch dann wenn es nicht sofort oder überhaupt nicht klappt. Dann machst du halt was anderes. Wenn du in ein tiefes Loch gefallen bist und dir nichts besseres einfällt als dich auf den Boden zu setzen und zu jammern, dann kommst du da nie mehr raus und musst verhungern.“. Ich muss an dieser Stelle noch einmal zwischendurch bemerken, dass Steffi diese philosophischen Weisheiten nicht immer schon hatte sondern dass diese ganz auf die Wirkung, die Reimund Heimann bei den wenigen Begegnungen, die Steffi und er hatten, auf sie hinterließ, zurückzuführen waren. In dieser Richtung tat sich dann aber, wie eben angedeutet, tatsächlich etwas. Nachdem Steffi gegangen war überlegte ich was ich tun könne. Einen eigenen Fernsehsender würde ich mangels nötigem „Kleingeld“ wohl nie auf die Beine bekommen können aber so eine Art Amateurfernsehen würde doch in Sachen Demokratie und Meinungsfreiheit mindestens die gleiche, wenn nicht sogar viel größere Wirkung haben. Damit bin ich dann zwar noch nicht automatisch von der Förderliste der Bundesanstalt für Arbeit aber ich hätte dann ein Medium in dem ich eine Chance hätte mich ins rechte Licht zu rücken. Und auch so kann man ja aus dem Kreis kommen,
den dümmliche Vorurteilsdrescher, auch aus prominenten Spitzenkreisen, Faulenzer und/oder Drückeberger nennen. Natürlich faste ich an diesem Tag noch keinen Plan in Reinschrift und zum anderen war mir klar, dass auch in einem solchen Fall ohne Moos nichts los sein könne, aber insgesamt hatte ich jetzt wieder eine weitergehende Denkrichtung als nur in die Richtung Saufen oder Martina nachzustellen. In letzterer Angelegenheit, also in dem „Kampf“ um meine Frau ergab sich jedoch ab diesem Tag auch eine kleine Neuerung: Ich stellte ihr nicht mehr persönlich, also auf der Straße und vor ihrem Haus, nach. Das hatte aber weder etwas mit Einsicht noch mit Aufgeben zutun, denn es ergab sich zwangsläufig aus meiner misslichen Lage. Wer nicht laufen kann, kann auch anderen nicht nachstellen. Etwa 10 bis 14 Tage später hätte ich alles wieder problemlos machen können, aber ich dehnte mein „Krankenlager“ auf etwas über drei Wochen aus. Man kann sich wirklich denken warum? Das Steffi drei Mal die Woche bei mir rein schaute um mir die Dinge, die sie für mich eingekauft hatte, zu bringen und um diese oder jene Haushaltsangelegenheit zu erledigen, gefiel mir, der zuvor schon seine Tochter als „verloren“ angesehen hatte, doch so gut, dass ich den Anlass für diese Freundlichkeit soweit ausdehnte wie es eben ging. Christof hat sie in dieser Zeit nie mitgebracht und in Vermeidung von Eintritten in Fettnäpfchen wollte ich auch nie danach fragen. Aber in diesem Fall sieht man auch wieder, das es immer besser ist offen miteinander zu sprechen, denn Steffi wartete ihrerseits, wie sie mir später mal sagte, darauf dass ich nach ihrem Schatz fragen würde und sie beide mal zusammen einladen würde. Dann wäre ich sogar in den Genuss gekommen, dass mich das junge Paar auch am Wochenende gemeinsam besucht hätte. Denjenigen, der mich jetzt fragt wie mein erster „trockener“ Tag war, den muss ich enttäuschen, denn ganz ohne alkoholisches Getränk lief dieser Tag nicht ab. Allerdings handelte es sich „nur“ um einen teueren Wein. Wenn ich nicht angeben oder „fein tun“ will, kann ich jedoch nicht sagen ob der gut war, denn aus meinen persönlichen Empfinden ist Wein nur ein Getränk, welches man nicht so schnell trinkt. Und dann kann ich sagen, dass mir die süßen Weine nicht so sehr schmecken. Der Wein, den Arnikas Eltern mitgebracht hatten, schmeckte mir aber jedoch ganz gut. Grolls waren gekommen um sich für meine „Heldentat“ zu bedanken. Na ja, Arnika war zur gleichen Zeit bei ihrer Oma gut aufgehoben und so blieben Grolls dann den Abend bei mir. So hatte ich dann an diesem Tage durchgängig angenehme Unterhaltungen, was mich dann auf den Gedanken brachte, dass ich mich den Anderen gegenüber doch mehr öffnen müsse, damit ich so etwas mehr oder gar ständig erleben könne. Frau Groll verriet mir an diesem Abend auch wie ihre Tochter zu dem, in Deutschland doch seltenen Vornamen gekommen ist: Sie war ein Fan von Selma Lagerlöf und Arnika ist Pipi Langstrumpfs Freundin. Herr Groll amüsierte sich dann darüber, was gewesen wäre, wenn seine Frau statt Arnika sich den Vornamen der Freundin ausgesucht hätte, da man in der deutschen Sprache damit doch etwas anderes verbindet. Aber von Marc Kampmann hörte ich an diesem Tage absolut nichts. Wenn ich pünktlich in Maritas Schänke gewesen wäre, hätte ich eine dicke Überraschung erleben können. Auf dem Wege zur Kneipe traf er auf seinen Weihnachtsengel. Sie hatte dort, wie sie ihm berichtete, auf den Mann, der ihr Leben sei, gewartet. Zuvor hatte sie in Erfahrung gebracht, dass er wohl um diese Zeit immer in Richtung Kneipe an der betreffenden Stelle vorbei käme. Er reagiere nicht auf ihre Briefe und wenn sie anriefe lege er immer auf. Jetzt wollte sie es mal persönlich in der Innenstadt, wo sich um diese Zeit doch eine Menge Leute aufhalten, versuchen. Sie hoffte, dass durch den Zublick der Öffentlichkeit zu keinem Aufsehen käme. Meine verehrte Leserschaft weiß ja nun schon wer Marcs Engel war und kann sich vorstellen, was abgelaufen wäre, wenn ich nicht den Unfall gehabt hätte. Marc konnte in Erfahrung bringen, dass die Dame, die er für ein Engel hielt ihm im Gegenzug als solchen einschätzte. Na, wenn wir den biblischen Ursprung des Wortes Engel nehmen, müsste sie recht haben, denn die biblischen Engel sind männlich, sogar starke mächtige Streiter, die Heerscharen Gottes. Die weiblichen Wesen, die mittelalterlicher und späterer Malerei entspringen heißen ja richtiger Weise Putten. Früher im anderen Deutschland, in der DDR, hießen sie im offiziell verordneten Sprachgebrauch „Jahresendflügelpuppen“ (eine herrliche Wortkonstruktion ☺ ). Die beiden hatten sich über ihr Wiedersehen so gefreut, dass sie ihre ursprünglichen Vorhaben um einen Tag nach hinten schoben und sich stattdessen in das Café Krönchen begaben um dort zu plauschen. Dabei hat Marc auch erfahren wer sein Engel war, aber das behielt er, so wie es sich für einen Ehrenmann gehört, für sich. Er wusste jetzt, dass es sich bei der Dame um die Tochter vom alten Rollmann, der mal der Chef seines Vaters war, handelte. Er wusste aber nicht welche Beziehung zwischen mir und seinem Engel bestanden haben und dass ich derjenige war, den sie in der Innenstadt abfangen wollte. Ich hatte zwar ihm gegenüber von meiner ersten Frau gesprochen aber immer nur maximal so, dass das, was ich von Martina und/oder dem Lokalfernsehen erzählte, nicht zusammenhangslos erschien. Ich hatte weder den Namen genannt, noch erwähnt, dass es sich um die Tochter Rollmanns beziehungsweise um Dr. Schneiders jetzige Ehefrau handelte. Und dass ich mal Rollmanns Schwiegersohn war, wusste Marc zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Und so erfuhr ich dahingehend immer noch nichts. Dafür hatte aber Marc von ihr eine Sache erfahren, der er aus „Dankbarkeit“ nachgehen und aufklären wollte. Dass er damit eine weitere große Wende in meinem Leben einleiten würde konnte er damals allerdings auch noch nicht erahnen. Öfters denke ich, dass man dicke Wälzer mit hypothetischen Überlegungen zu dem
Thema was wäre wenn man gewusst hätte oder was passiert wäre wenn nicht das so gekommen ist was so gekommen ist wie es gekommen ist, füllen könnte. Sie hatten etwa zwei Stunden zusammengesessen und sind danach in ihr jeweiliges Zuhause zurückgekehrt. Marc hatte da überlegt, ob er nicht trotz der großen Verspätung noch in Maritas Schänke gehen sollte. Er befürchtete aber, dass ich das, falls ich bis dahin schon einiges „getankt“ haben sollte, absolut missverstehen könnte. Also setzte er auf meine „ständige Gewohnheit“ und beschloss am nächsten Tag dann „pünktlich“ in der Kneipe zu erscheinen. Entsprechend der Sachlage sind sich dann die beiden Engel auf Gegenseitigkeit am nächsten Tag wieder begegnet aber wollten jetzt an ihrem Vorhaben festhalten. Beide wurden, was eigentlich klar ist, an diesem Tage enttäuscht. Als Marc eine Stunde vergeblich gewartet hatte verließ er die Kneipe um mich anzurufen. Er wollte zwar sein Handy benutzen hält aber nichts von neugierig mithörenden Ohren und verzog sich deshalb ein Wenig aus der Innenstadt dorthin wo an der Rückfront einige Kfz-Parkplätze sind. Dort traf er seinen Engel, der einen traurigen Eindruck machte, ein zweites Mal an diesem Tage. Marc schloss „messerscharf“ darauf, dass der Mann ihres Lebens ihr wohl eine Abfuhr erteilt habe und fragte sie besorgt ob sie jetzt im Inneren auf vor Weihnachten zurückgefallen sei. Sie beruhigte ihn aber, bevor sie davon fuhr: „Nein, nein, ich weiß, dass ich es schaffen werde. Das ist aber ein hartes Stück Arbeit und wenn es dann nicht auf Anhieb klappt, ist das immer ein Bisschen schwer ... aber ich gebe jetzt nicht wieder auf.“. Hätte Monika einen Moment, bis zu dem Zeitpunkt wo Marc telefonierte, gewartet oder hätte sie Marc genau gesagt, was sie aktuell bekümmerte, wären bestimmt ein paar Groschen gefallen. Marc nahm nämlich sein Handy und wählte die Nummer, die er sich vorher aus Maritas Telefonbuch herausgesucht hatte. Ich nahm ab, sagte „Lass mich doch endlich in Ruhe“ und legte wieder auf. Zuvor hatte Monika bereits fünf Mal versucht bei mir telefonisches Gehör zu finden. Nun, auch Marc versuchte es gleich noch einmal und sagte sofort eilig als mein Hörer abgehoben schien: „Reiner, ich bin’s, Marc.“. Na ja, ich entschuldigte mich beim ihm damit, dass mich zuvor meine erste Frau belästigt habe und erzählte ihm anschließend von meinem Unfall. Er schlug vor, dass er ein „Schächtelchen edlen Pils“ besorgen und dann mit dem Taxi zu mir eilen wolle. Das er kommen wollte freute mich aber das Biermitbringen habe ich mir dann doch „verbeten“. Als er später bei mir war, berichtet ich ihm den Grund, das heißt von der „wundersamen“ Wandlung, die auf die neuerliche Zuneigung meiner Tochter zurückzuführen sei, worauf er sich dann auch aufrichtig mit mir freute. Nun waren wir beiden Looser mal wieder unter uns. Diesmal aber in trockener Atmosphäre und sogar in einer optimistischen Stimmungslage als zwei Tage zuvor. Ich erzählte ihm von meiner Amateurfernsehidee, die wir dann gemeinsam ausspannen. Er war in der Absicht gekommen mir zu helfen und jetzt war es scheinbar umgekehrt gelaufen. Auch er konnte in der Sache eine Perspektive entdecken und sei es nur in Richtung des Profilierens für einen neuen Job. Wir wollten doch noch ein Wenig bis zum Erreichen des Rentenalters Hand anlegen. Natürlich kamen wir dann auch auf die leidige Geschichte namens Geld. Wir dachten uns, dass dieses Fernsehabenteuer langfristig über Mitgliedsbeiträge und Sponsorengelder finanziert werden könnte und sollte. Zur Verbreitung des Programms wollten wir das Internet nutzen und mit Hilfe dem uns auch später über den Kreis Neuheim hinaus ausweiten. Da alles ehrenamtlich laufen und niemand Gage oder Gehalt erhalten sollte, müsste ein solches Internetfernsehen eigentlich zu machen sein. Für die Anstoßfinanzierung und die ersten Investitionen dürfte trotzdem doch ein größeres Geldhäuflein notwendig sein, wofür jedoch auf Anhieb keine Lösung hatten. Wir hatten schon ein Weilchen über andere Dinge, sprich über Gott und die Welt im wahrsten Sinne des Wortes, gesprochen als Marc plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, sagte: „Ich hab’s, ... ich habe eine Idee, wie wir zu unserem Amateur-Internet-Fernsehen kommen.“. Er erzählte mir von einem entfernten Cousin, der sein „Geld“ mit Spekulationen verdient. Von den besagten Tauschhilfsmitteln hätte der Knabe inzwischen so viel, dass er es für alles mögliche nach Lust und Laune ausgeben könne. Marc wollte mit ihm sprechen, ob er ihn nicht für eine meinungsbildende Angelegenheit, wie zum Beispiel so einem Internetfernsehen oder gar für einen offenen Kanal gewinnen könne. Zu Letzterem erinnerte er dann noch daran, dass nach dem Landesrundfunkrecht offenen Kanälen im Rundfunk und Fernsehen sowohl im Kabel wie über Antenne Frequenzen eingeräumt werden müssten. Problem sei immer lediglich nur die Finanzierung des Sendebetriebes, da die öffentliche Hand auf leere Kassen verweise und dieses für private Sponsoren nur wenig Effizienz bringe – allgemeines Interesse haben richtig Geldleute in der Regel nicht. Marc wollte also mit seinem Vetter sprechen und mal abwägen, ob wir über ihn sogar zu letztbesagtem privaten Offenen Kanal kämen. Als sich Marc an diesem Tage von mir verabschiedete sagte er mir zu, dass er sich, wenn er mehr weiß wieder bei mir melden wollte. Ja, so können sich Situationen, wenn nicht die Hirne eingenebelt sind, von Heute auf Morgen ändern. In diesem Moment sah es so aus, als sei aus Loosern Yuppies geworden.
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Lasst aber meinen Namen raus Jetzt schreibe ich mal etwas, was sich paradox ließt aber was von mir im März 1999 tatsächlich in etwa so empfunden wurde: Auch die schönste Krankheit muss einmal zuende gehen. Diese Empfindungen hingen bei mir natürlich in erster Linie mit der zuvor unerwarteten Fürsorge Steffis zusammen aber auch damit, dass verschiedene Hexenberger Dorfbewohner, mit denen ich gar nicht gerechnet hätte, ihre Aufwartung bei mir, dem „Retter der kleinen Arnika“, machten. Auch die Kleine selbst hatte zusammen mit ihrer Mutter mir einen Besuch abgestattet. Nur eine Hexenbergerin ignorierte mich offensichtlich total und gerade auf die wäre es mir besonders angekommen: Martina, meine Frau. Ihr persönlich nachsteigen konnte ich nicht, denn in der ersten Zeit nach dem Unfall ging es ja wirklich nicht und danach durfte ich mich ja dahingehend nicht verraten, dass ich schon viel besser zu Fuß war als ich vorgab. Aber gerade das trug aber zu meinen Entschluss wieder gesund zu werden bei. Ich habe ja schon mehrfach berichtet, dass ich es telefonisch oder schriftlich gar nicht erst versuchen brauchte, denn da ging meine zweite Frau mit mir so um wie ich selbst mit meiner ersten: Absolute Ignorisierung. Bei meinem Gesundungsentschluss drückte mich auch ein Termin, den ich mir als Fixpunkt in den Kopf gesetzt hatte. Für meinen 51. Geburtstag, der 1999 auf den Gründonnerstag fiel, wünschte ich mir mindestens ein nettes Wort von der mir angetrauten Martina. Mittlerweile war ich durch Überlegung zumindestens soweit zur Vernunft gekommen, dass ich mit meiner bisherigen Vorgehensweise wohl nicht zum Ziele sondern eher zum Gegenteil komme. Ich sah ein, dass meine alberne Vorgehensweise ihr gegenüber auf der einen Seite Hass und auf der anderen Trotz fördert. Na ja, wofür gibt es denn die berühmte Mitleidstour, mit der ich in der Vergangenheit schon häufiger, auch bei Martina, Erfolg hatte. Also erhob ich mich von meinem Krankenlager und spazierte, mitleidserregend humpelnd, durchs Dorf. Natürlich so, dass ich dann, wenn in der Regel zum Feierabend Martina aus Wollerst zurückkommt, „zufällig“ in der Nähe ihres Hauses vorbeihumpele. Aber ich legte größten Wert darauf, dass dabei nicht der Eindruck entstand, dass ich auf dem Wege in die Dorfkneipe sei. Was soll ich sagen, Martina war ja nicht dumm und durchschaute mein Ansinnen und ließ sich davon nicht in keiner Weise beeindrucken. Auch Karl Hermann Waymann, den nicht nur ich sondern auch Steffi um beiläufige Vermittlungsversuche gebeten hatte, erreichte ebenfalls so gut wie nichts. Da nützte auch Steffis etwas erpresserischer Versuch auch nichts. Sie hatte Martina mitgeteilt, dass, wenn sie zumindestens mich einmal anhören würde, sie auch mit ihr wieder ins Reine kommen könne. Aber verstehen muss man Martina auch, denn es war ja einiges passiert, was sie doch schwer in ihrer Seele verletzt hatte. Und damit, dass sie zuerst fremdgegangen sei konnte ich mich ja nicht herausreden, denn als ich mich wieder mit Monika einließ wusste ich ja nichts von den Wegen meiner, sich, vielleicht sogar berechtigt, vernachlässigt fühlenden Ehefrau. Auch von einer dritten Seite, von der ich praktisch täglich eine Nachricht erwartete, hörte ich im Laufe des März zu meinem Leidwesen nichts. Marc Kampmann hatte sich seit der Neugeburt einer Fernsehidee nicht mehr bei mir angerufen oder blicken lassen. Dass ich ihn nicht im Telefonbuch finden konnte habe ich ja bereits berichtet und ich hatte dann auch, als er mich am Tage nach dem Unfall besuchte, unterlassen ihn nach seiner Telefonnummer zu fragen; auch seine Anschrift habe ich mir nicht geben lassen. Ich hatte einfach nach nichts gefragt und selbst hatte er an eine solche Information auch nicht gedacht. Wenn ich zumindest gewusst hätte in welchen Ort des Kreises Neuheim er wohnt, hätte sich schon alles klären können, denn wenn man im Telefonbuch unter Neuheim und auch noch unter Saßmannshausen jemanden sucht, der in Wollerst wohnt, dürfte man wohl mit keinen Sucherfolg rechnen können. So zogen dann bei mir auch wieder allerlei Grübeleien auf und eine kleine Neigung wieder mein Schicksal zu bedauern erneut unverkennbar. Na, wie lange schaffe ich es noch einem erneutem Hängen lassen zu wiederstehen? Ostern kamen mir auch schon wieder die Gedanken danach mich zum Trunke in die Kneipe zu begeben. Aber es ging zum Glück alles glatt und am Freitag nach Ostern meldet sich dann doch Marc auch wieder bei mir und das war dann auch der Start einer neuen weiteren Epoche in meinem Leben. Neue Epoche ist schon das richtige Wort, denn erstmalig in meinem Leben wollte ich tatsächlich unter die Macher gehen. Marc meldete sich telefonisch bei mir an: „Hallo Reiner, alter Schwede. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Die schlechte zuerst: Mein Vetter hält nichts davon mit seinem Vermögen mal etwas sinnvolles zu machen. Und jetzt die gute Nachricht: Ich habe eine Sponsorin, die uns wesentlich mehr ermöglicht als wir uns erträumt haben. Wir können dann so richtig Lokalfernsehen mit dem Schwerpunkt Offener Kanal machen. Wie ist das, bist du immer noch trocken oder können wir uns in einer Pinte treffen?“. Das er „trocken“ gesagt hatte, schmeckte mir in dieser Art und Weise gar nicht so sehr und ich antwortete zunächst: „Von wegen trocken; in dem Sinne bin ich zum Glück noch nicht feucht gewesen und kann so auch nicht behaupten, dass ich wieder trocken sei. Also von daher könnten wir uns ohne weiteres in einer Kneipe treffen. Wenn man eine ‚Tränke’ aufsucht heißt das ja nicht automatisch, dass man sich bis zum abschalten des Verstandes zuschütten muss. Jetzt kommt es darauf an ob du mich zunächst nur einmal unterrichten willst oder ob wir irgendwie schon ernsthaft zur Tat schreiten wollen. Erstes können wir, wenn du willst, in einer Kneipe deiner Wahl erledigen aber zweites
sollte man Örtlichkeiten, wo man ungestörter ist, vorbehalten.“. Im Grunde war meine Antwort eine typische aber trotzdem überflüssige Selbstbestätigungsaktion. Es ging unterschwellig doch wohl um den Beweis, auch vor dem eigenen Ich, dass ich die Schwelle zur Krankheit noch nicht überschritten hatte. Aber warum sollte man, wenn alles in Ordnung ist, sich beweisen? Aber andersherum, wenn das Kind wirklich schon in den Brunnen gefallen ist, sind solche Ansinnen, sich zu testen wie man gehen und widerstehen kann, gefährliche Spielchen. Das Eingeständnis von Schwäche, ist genau wie bei Angst, Schuld, Not und anderen ähnlichen Dingen, immer der richtige Schritt in die richtige Richtung. Marc Kampmann wollte beides, also Unterrichtung und erste Taten. Er wollte mich darüber informieren was er inzwischen „geschafft“ hatte und dann gedachte er eine fixe, aber deshalb keine schlechte, Idee in eine konkrete Innovation umzuwandeln. Kurz: Es empfahl sich eine umgebende ruhige Atmosphäre und weniger geistig benebelnde flüssige Nahrung. Daher einigten wir uns auf seine Wohnung als Tagungsort. Als er mir nun die Adresse nannte schlug ich mir, natürlich ohne das mein Telefonpartner davon etwas mitbekam, vor mein Gehirn. Also machte ich mich auf nach Wollerst und brachte mich ungewollt und auch ungerechtfertigt in einen Verdacht. Marc wohnte in einem Mietshaus, das an einer innerstädtischen Straße liegt, die ein kleines Gewerbegebiet – hier gibt nur 5 Firmen und davon nur eine mit mehr als 20 Beschäftigte – mit der Landstraße, die von Wollerst über Saßmannshausen nach Neuheim führt, verbindet. Natürlich parkte ich meinen fahrbaren Untersatz direkt vor dem Haus in dem Marc wohnte. Die eben genannte etwas größere Firma war der Brötchengeber von Reimund Heimann und von Martina. Da meine Frau natürlich meine „Karre“ gut kannte, kann man sich vorstellen in welchen Verdacht ich, in diesem Falle vollkommen unberechtigt, geriet. Aber ich muss sagen, dass man mir trotzdem an der Entstehung des Verdachtes die überwiegende Schuld zuweisen muss, da ich mich zuvor mit meiner Martina-Nachstellerei überaus dümmlich benommen hatte. Auf jeden Fall handelte ich mir mit dem Besuch bei Marc Kampmann gleich wieder ein Schreiben von Martinas Anwältin ein. Darauf reagierte ich dann aber erstmals und teilte der Anwältin schriftlich mit, dass ich die Fehler, die ich unter psychischen Druck, weil ich meine Frau immer noch unsterbliche liebe, begangen habe, einsehen würde und in Zukunft von den Aufdringlichkeiten absehen wolle. Aber im vorliegenden letzten Fall sei ich nun wirklich unschuldig und begründete dieses eigentlich mit der Wahrheit. Viel später erfuhr ich, dass mich Martina zum ersten Mal, seit dem die Geschichte lief, wieder für voll genommen hat. Dieses erneute Vollnehmen brachte dann auch eine neue Situation in unser schon seltsam erscheinendes Verhältnis. Jemand, den man nicht mehr richtig in der Welt vermutet, genießt auf der einen Seite Narrenfreiheit aber auf der anderen Seite will man nichts mit ihm zutun haben und wünscht sich diesen „hinter den Blocksberg“. So wären nach Martinas Ansicht auch weiterhin alle Unterlassungsaufforderung ihrer Anwältin mir gegenüber ohne Konsequenz geblieben aber sie hätte dann in keiner Weise über die eigentliche Sache nachgedacht. Sie hoffte nur, dass ich nach der im September bevorstehenden Scheidung endgültig aus Hexenberg verschwinden würde. Und dadurch war unsere Tochter Stefanie praktisch in Mitleidenschaft geraten. Jetzt, wo Martina an die Wiedergeburt meiner Vernunft glaubte, beschäftige sie sich nun erstmals ernsthaft mit der ganzen Geschichte. In Folge gab es dann auch ein Treffen von Mutter und Tochter, bei dem sich die beiden aussprachen. So kam Steffi dann auch zu ihrer Mutter in ein Verhältnis was absolut mit dem inzwischen entstandenen Vater-Tochter-Verhältnis vergleichbar. Martina und ich bestellten uns dann auch hin und wieder formale Grüße über unsere Tochter. Wenn wir uns auf der Straße sahen grüßten wir uns auch wie gute Nachbarn aber zu mehr konnten wir uns zu diesem Zeitpunkt nicht aufraffen. Diesem „mehr“ standen dann auch wieder Dinge, die sich just an dem Tag wo ich Marc Kampmann besuchte, entwickelten und Martina dann nicht verborgen blieben, im Wege. Aber warten wir noch ein Weilchen ab; die Sache kommt jetzt zur Niederschrift. Ich glaube, dass, wenn nicht auch Monika wieder ins Geschehen eingegriffen hätte, meine Familienprobleme vielleicht im Sommer 1999 hätten gelöst werden können. Aber mit Bestimmtheit kann ich das selbstverständlich auch nicht sagen. Monika war die erste, die alle Identitäten in der Engels- und Fernsehgeschichte durchblickt hatte. Aber lassen wir erst mal Marc erzählen: „Also bei meinen Vetter bin ich abgeblitzt. Der gibt zwar für allen möglichen Unfug sein Geld aus aber bei so etwas, wie wir vorhaben, hat er nur dann Moneys über, wenn seine Taler auch Junge bekommen können. Das ist ein absoluter Blödian, des Spatzenhirn nur ein Wort kennt: Geld. Aber dann ergab sich etwas wodurch es möglich wurde, dass uns die Dame, die ich dir als meinen Weihnachtsengel beschrieben habe, helfen kann. Eigentlich dürfte ich dir davon gar nichts erzählen, denn sie legt großen Wert darauf, das ihr Name, zumindestens vorerst, aus der Geschichte raus bleibt. Was ich nicht verstehen kann ist, dass sie mehrfach betonte, dass ich insbesondere dir nichts erzählen dürfe. Dir gegenüber solle ich sagen, ich habe die Kohle von meinem Cousin. Ich habe den Eindruck, dass ihr beide euch kennt und sie dich nicht leiden kann. Aber ich will im Großen und Ganzen offen und ehrlich mit dir zusammenarbeiten. Daher hoffe ich, dass ich jetzt keinen Fehler mache, wenn ich dir von ihr erzähle ... Aber ihren Wunsch ihren Namen raus zu lassen, akzeptiere ich in jedem Fall; auch dir gegenüber.“. Jetzt ahnte ich schon wer sein Engel sein könnte und wurde mir bei seiner weiteren Schilderung immer sicherer. Er erzählte mir, diese Frau sei mit einem Kerl verheiratet der seine Firma um eine Riesensumme betrogen habe.
Das habe er aber so geschickt gemacht, dass es, wenn die Untaten aufgeflogen wären, jeder Verdacht auf diese Frau gefallen wären. Die „Beweise“ gegen sie wären dann letztlich so erdrückend gewesen, dass sie nur wenig Chancen gehabt hätte, ihre Unschuld zu beweisen. Ihr Mann habe zwei sexuell perverse Kumpane gehabt, die der Dame als Gegenleistung für diverse „Dienstleistungen“ Beweise, dass ihr Mann wahrer und alleiniger Täter sei, angeboten hätten. Unglücklicherweise habe sie ihr Geliebter, der für sie alles im Leben bedeuten würde, bei den „Diensten“ an den Erpressern erwischt. Jetzt sei ihr Geliebter, weil er natürlich die Wahrheit nicht gekannt und an was für ihn Schlimmeres gedacht habe, davon gewesen und die Erpresser hätten ihre zugesagte Leistung nicht erbracht. Deshalb habe sie sich zu Weihnachten das Leben nehmen wollen. Nun musste mich outen: „Entschuldigung Marc, aber dein Engel Monika Schneider hatte wirklich einen handfesten Grund warum du gerade mir nichts sagen solltest.“. Nachdem Marc völlig erschrocken zusammengefahren war fuhr ich fort: „Keine Angst Marc, ich haue dich bei ihr nicht in die Pfanne. Aber dein Engel ist meine erste Frau, die ich mal wahnsinnig geliebt habe, und als wir letztes Jahr wieder zusammen kamen ging die Geschichte mit meiner jetzigen Frau, die ich ebenfalls wie verrückt liebe, los. Ich habe die perversen Säue mit ihr ausgerechnet in der Hütte, die ich zu jener Zeit bewohnte, erwischt und sie mit dem nackten Arsch vor die Tür gesetzt. Allerdings habe ich nichts von Wilfried Schneiders Untaten, die du mir gerade berichtet hast, gewusst. Jetzt klärt sich ja auch auf, auf wem sie, als ihr euch an dem Tag, wo ich den Unfall hatte, wieder begegnet seid, gewartet hat. ... Auf mich. Jetzt ist klar, warum sie dann einen Tag darauf, als du zum Parkplatz kamst, so traurig war. Sie hatte eine ganze Reihe Versuche unternommen mich ans Telefon zu bekommen und ich habe immer wieder prompt aufgelegt. Du hast es ja dann bei deinem ersten Anruf selbst zu spüren bekommen.“. „Au weia, Scheiße“, setzte Marc jetzt an, „da sehe ich mal wieder was bei Vertrauensbruch alles passieren kann.“. Er schaute mich sehr nachdenklich und traurig aussehend an und fragte: „Sie hat mir gesagt, dass ihr Geliebter ... also du – nichts von der wahren Geschichte gewusst hat und sie deine Reaktion, als du sie erwischt hast, verstehen könne. Das spräche sogar für dich. Sie ist überzeugt, dass du sie aber immer noch lieben würdest und wenn du die Wahrheit erfährst, bestimmt wieder für sie erreichbar werden würdest. Sie wolle dann um dich kämpfen. Das wäre nun das letzte Mal gewesen, nun würde sie ihren Geliebten nicht mehr freigaben ... Wie siehst du das denn?“. „Warum fragst du mich das?“, wollte ich erst einmal von ihm wissen obwohl ich mir, so wie er mir gegenüber saß, etwas entsprechendes denken konnte. Seine Antwort klang traurig: „Ach, ich finde die Frau so wunderbar. Ich habe mich doch tatsächlich in sie verliebt und aus dem Grunde, weil ich sie für mich gewinnen wollte, wünschte ich mir das ihr Geliebter vorerst die Wahrheit nicht erfährt und dann die Zeit für mich spielen würde. ... Und jetzt kläre ich Dussel ihn selber auf.“. „Das kann ich verstehen.“, antwortete ich ihn, „Auch ich habe sie schon immer rundherum phantastisch gefunden und sie deshalb auch ein Leben lang, ... auch jetzt noch – geliebt. Ich habe nur das Problem, dass ich Martina, meine zweite Frau, genau so liebe wie die erste. Durch den vermeintlichen Fehltritt Monikas, der sich jetzt als keiner herausstellt, wurde es für mich leichter, denn ich konnte mich mental ganz auf Martina konzentrieren. Jetzt, wo ich von dir erfahre, dass ich Monika Unrecht getan habe, wird es wieder schwer für mich. Nun stehe ich wieder mit meinen Gefühlen zwischen zwei Frauen, die jede für sich mich mit Liebe überwältigen kann.“. In diesem Moment sah es so aus, als hätten wir die Absicht gehabt Partner zu werden aber dass wir dann ungewollt Konkurrenten geworden wären. Dann sinnierte Marc: „Eines verstehe ich jetzt nicht. Frau Schneider hatte doch die Chance, dass ich dir die Wahrheit sage, damit sie so schneller zu ihrem Ziel kommt. Warum sollte ich dann ausgerechnet dir nichts sagen?“. Ich glaubte aber ihre Gründe nachvollziehen zu können: „Monika wird wohl annehmen, dass wir uns im Verlaufe unserer Fernsehangelegenheit zwangsläufig über den Weg laufen werden und ich ihr dann nicht mehr ausweichen kann, insbesondere weil dann in dieser Sache schon zu viel gelaufen ist. Wenn ich aber zu früh von der Geschichte und das sie dahinter steckt erfahre, besteht die Gefahr, dass ich ausraste, abschalte und endgültig aussteige. Dann könnte es endgültig vorbei sein.“. Das sah Marc ein und betonte: „Also, ich muss die Sache jetzt erst mal ‚verknusen’. Aber trotzdem soll sich zwischen uns beiden jetzt nichts aufbauen und wenn es nach mir geht, bleiben wir bei unseren Plan.“. Zu Letzterem konnte ich ihm sagen, dass dieses ganz in meinem Sinne sei. Anschließend erzählte Marc dann die ganze ihm bekannte Geschichte. Als Monika und er sich am Tage meines Unfalles trafen hatte sie ihm im Café Krönchen erzählt, dass ihr Mann seine Aufgabe bei den Übernahmen von Unternehmen durch die NLZ dazu genutzt habe um Beträge, die sich inzwischen auf Millionenhöhe summierten, in die eigene Tasche umzuleiten. Diese Geschäfte wickelte er im Namen Monika Schneider ab und die Gelder flossen letztendlich auf ein Konto, dass sie mal als gemeinsames Konto für einen bestimmten Zweck angelegt hatten, was aber den Titel „Monika Schneider“ trug. Die beiden perversen Erpresser waren an Monika herangetreten und sie erstens über das, was passiert war mit den schriftlichen Beweisen für „ihre Schuld“ aufgeklärt und zweitens ihr angeboten für Geld und „Liebesdienste“ den Beweis zu liefern, dass Wilfried Schneider wirklich der alleinige Täter war. Marc wollte ihr, wie er mir schon als er mich nach meinem Unfall besuchte sagte, helfen. Er hatte einen Bekannten bei der NLZ, den er auch vertrauen konnte. Diesem berichtete
er dann die Geschichte, die er von Monika gehört hatte. Meine Zwischenbemerkung, dass er dann aber für den Fall, dass es anders gewesen wäre, ein hohes Risiko eingegangen wäre beantwortet er: „Mann, das ist doch deine Frau und Geliebte ... ein richtiger Engel. Da müsstes du doch wissen, dass Engel nicht lügen können.“. Darauf bestätigte ich ihm sowohl zu Monikas wie zu meiner Ehrenrettung, dass ich Monika auch nur sehr, sehr ehrlich kenne. Ich schätze sie als einen Menschen, von dem es heutzutage unter Milliarden nur noch Einzelexemplare gibt. Na ja, vielleicht spielt bei meiner Superlativ die Rosatönung meiner Liebesbrille eine Rolle aber auch etwas tiefer gestapelt muss ich sagen, das Monika eine sehr ehrliche Frau ist – und so schätzt Marc sie auch ein. Bei der NLZ hatte man aber schon vor Marcs Bericht bestimmte Verdachtsmomente. Die Ermittlungen dort im Hause ergaben dann, dass „Kleinstümmelchen“ ein perfekter Urkundenfälscher war und im Auftrag von Wilfried Schneider „massenweise“ Verträge mit Monikas Unterschrift gefälscht hatte. Das war eine für Schneider recht preiswerte Angelegenheit. Aus nachvollziehbaren Gründen konnte der „Knabe“ bei Frauen nichts ausrichten aber hatte auch so seine sexuellen Bedürfnisse, die er sich nicht aus den Rippen schwitzen konnte. So organisierte Schneider für seinen Fälscher Livepornoshows, bei der sich dann dieser immer mit zwei Finger selbst körperliche Genüsse verschaffte. Aber auch dazu bediente sich unser Dr. Schneider eines Dritten, der ebenfalls NLZ-Mitarbeiter war. Der zweite Perversling war Sadomaso und hatte Zugang zu einschlägigen Darstellerkreisen. Dem kam es in dieser Geschichte nur aufs Geld an und ließ sich, zunächst ohne viel zu fragen, die ganze Sache „nur“ gut bezahlen. Als dann Kleinstümmelchen aber mal einen Moralischen hatte, erfuhr der zweite Erpresser von der „Geschäftsgrundlage“ zwischen Schneider und Kleinstümmelchen. Sofort stellte er fest, dass er in dreifacher Hinsicht von Monika Befriedigung erhalten könne: Erstens Geld, zweitens konnte er sie zwingen seine masochistischen Neigung als Domina befriedigen und dabei würde dann drittens sein sadistisches Mütchen gekühlt, denn Monika, die keine entsprechende Veranlagung besaß, dürfte wohl sichtbar und schwer darunter leiden müssen. Aber tatsächlich hatten die beiden perversen Zeitgenossen nichts in der Hand, was Monikas Unschuld hätte beweisen können. Eine Verabredung der beiden Erpresser hatte mal eine Sekretärin durch Zufall mitbekommen und diese ihren Vorgesetzten gemeldet. Auch dass es sich dabei etwas zu Schaden der Neuen Landeszeitung handelte konnte die Sekretärin aus deren Unterhaltung, die sie aufgrund einer nicht richtig im Schloss liegenden Bürotür mitbekommen hatte, schließen. Nun wusste man bei der NLZ zwar von der Erpressung aber man kannte nicht deren Grund. Das ist dann für Unternehmen so eine haarige Sache, denn man wusste ja beim Bekannt werden nicht, inwieweit alles auf dieses Unternehmen zurück fallen und dann noch größeren Schaden anrichten konnte. Marc liefert dann über seinen Bekannten die richtigen Informationen, auf die sie ja warteten. Jetzt prüfte man bei NLZ, mit positiven Ergebnis, ob es Untreue und Unterschlagung gegeben habe und schaltete danach dann doch die Staatsanwaltschaft ein. Kleinstümmelchen gestand sofort und die beiden anderen gaben sich erst hartnäckiger aber letztlich blieb ihnen auch nichts anderes als ebenfalls zu gestehen. So war Monika jetzt im zweideutigen Sinne „aus dem Schneider“. Wilfried wurde nicht nur mit sofortiger Wirkung seiner Aufgabe enthoben sondern auch, da man Verdunklungsgefahr vermutete, auch in Untersuchungshaft genommen. Monika hat dann ohne zu zögern gleich die Scheidung beantragt, da sie nun keine Nachteile aus dem Ehevertrag mehr zu befürchten hatte. Jetzt hatten Marc und ich ja über viele „interessante Dinge“ gesprochen, nur nicht über das, wo wir eigentlich drüber sprechen wollten: Über unsere Fernsehpläne. Das machte meinen Partner unruhig, denn er hatte unserer Sponsorin, die, wie ich in der Folgewoche auch aus der Zeitung erfahren konnte, bei der NLZ völlig ausgestiegen war, versprochen ihr am Abend vom Ergebnis unseres Treffens zu berichten. Darauf unterbreitete ich Marc einen Vorschlag: „Ich glaube wir hören besser mit dem Versteckspiel auf und legen die Karten offen auf den Tisch. Du rufst jetzt gleich Monika an und gestehst ihr, dass du dich verplappert habest aber Glück gehabt hättest, weil ich, der gerade mal zu seinem Wagen gegangen sei, uneingeschränkt weiter am Strick ziehen wollte und offensichtlich auch wieder gut auf sie zu sprechen sei. Ich glaube, dass es dann möglich ist, dass wir uns dann zu Dritt und nicht immer über Eck mit der Sache beschäftigen können. Das dürfte wesentlich effizienter sein.“. So ganz wohl war ihn bei diesem, von mir vorgeschlagenen Vorgehen nicht aber er folgte dem Rat als ich mich dann tatsächlich zu meinem Wagen begab. Ich wollte mir nur eine noch im Handschuhfach liegende neue Schachtel Zigaretten holen. Als ich wieder rauf kam, erfuhr ich dann, dass wir noch am gleichen Abend, möglichst umgehend, zu ihr kommen möchten. Wir sollten uns ein aber ein Taxi nehmen, denn Marc hatte – was ich da auch erst erfuhr – zur Zeit keinen Führerschein und mein Auto wäre zu bekannt. Jetzt war mir nicht ganz wohl bei der Sache, aber wir fuhren dann doch erst nach Hexenberg, wo ich meinen Wagen abstellte, um dann mit dem Taxi nach Neuheim in die Innenstadt zu fahren. Von dort gingen wir das letzte Stück des Weges zu Fuß zur Rollmannvilla. Irgendeine spannende Erwartung trieb mich eilig voran obwohl mir die gleiche Empfindung etwas die Kniegelenke weich werden ließen. Also ich hatte ein zwiespältiges Gefühl, bei der jede Spalte in eine entgegengesetzte Richtung wies. Währenddessen hielt Marc sich schrittmäßig immer ein Wenig zurück. Öfters musste ich meine Schritte deutlich verlangsamen, damit er sich wieder auf meine Höhe „schleichen“ konnte. Ein paar Tage später sagte mir, dass er erst, als er mit Monika telefoniert habe, gehofft habe, dass ich nicht gleich zu Monika wollte und eine Ausrede vorgetragen hätte. Er
hatte Angst Monika gegenüber zu treten. Er war der Meinung Monika zu lieben und wusste jetzt nicht wie seine Seele bei einer Begegnung reagieren würde. Dazu kam dann noch das schlechte Gewissen hinsichtlich seines „Plappermäulchens“. Meine zwiespältigen Gefühle, die ich zuvor beschrieben hatte, beruhten auch ein wenig in einer Angst; aber einer ganz anderen wie bei Marc. Ich wusste das ich Monika liebte und heiß begehrte aber auch, das, wenn ich der Liebe und dem Begehren erlegen bin, meine Hoffnung auf Martina wohl endgültig aufgeben muss. Später erzählte mir Monika das auch sie zur gleichen Zeit unter schlecht definierbaren Ängsten gelitten habe. Als Marc ihr gegenüber seine „Plapperschandtat“ gestand hatte sie spontan aus dem Bauch gehandelt und uns eiligst eingeladen. Dabei spielte das Anliegen, was uns jetzt wieder zusammenführte, sprich das Fernsehen, überhaupt keine maßgebliche Rolle. Das Thema brannte ja niemanden unter den Nägeln und auf ein oder zwei Wochen früher oder später wäre es nun beim besten Willen nicht angekommen. Die Chance mich noch am gleichen Tage wieder in ihrer Nähe zu haben, hatte ihren Entscheidungsmechanismus vom Kopf in den Bauch verschoben. Und nachdem alles gelaufen war kam die Angst, der Schuss könne nach hinten losgehen. Dieses alles, also unsere ganz persönlichen Ängste und Empfindungen, führten natürlich, als wir bei Monika eintrafen, dann die Regie. Nachdem ich geschellt hatte, nutzte sie nicht die Gegensprechanlage und den Türdrücker sondern öffnete uns persönlich die Tür. Man merkte Monika richtig an, dass sie jetzt mit der Entscheidung „Wen zuerst“ kämpfen musste. Sie entschied sich für Marc und reichte ihm mit den Worten „Guten Tag, Herr Kampmann“ die Grußhand. Der war offenbar vollkommen durcheinander und antwortet mit „Guten Tag, Frau Schreiber.“. Normalerweise führen solche Versehen, wofür er sich selbstverständlich sofort entschuldigte und auf Schneider berichtigte, zu Lachern. Aber in diesem Fall schaute Monika betroffen auf den Boden und sagte leise vor sich hin: „Schön wäre es ja, wenn es immer noch so wäre. Am Liebsten wäre ich immer Frau Schreiber gewesen und geblieben“. Langsam kam ihr Blick wieder hoch und sie schaute mich mit Tränen in den Augenwinkeln an. Jetzt konnten wir uns offensichtlich beide nicht mehr halten und fielen uns in die Arme. Wir drückten uns so fest als hätten wir Angst auseinander gerissen werden zu können. Noch während wir uns in den Armen lagen sagte Monika mit zitternder Stimme: „Ach Reiner, ich kann nichts dafür. Ich liebe dich über alles und kann nichts dagegen machen.“. Als hätte sich Marc in Luft aufgelöst erwiderte ich ihr: „Das beruht auf Gegenseitigkeit, Kleines. Aber gebe mir bitte Zeit. Ich komme auch von meiner Liebe zu Martina nicht ab. Und bei ihr besteht dann auch noch die Abhängigkeit zu meinem Verhältnis zu Steffi, an der ich furchtbar hänge. Wenn ich bei einer guten Fee drei Wünsche offen hätte, würde ich nur wünschen, dass ich euch beide gleichzeitig haben zu können und auf die restlichen zwei Wunschmöglichkeiten verzichten – weil ich alles hätte, was ich zum Glücklichsein brauche. Ich weiß jetzt nicht, wo ich stehe und was ich machen soll. ... Gebe mir bitte Zeit.“. Monika hing jetzt, noch etwas trauriger klingend, an: „Ach, warum musste nur unser Olli sterben. Würde er noch leben wäre alles anders gekommen.“. Als sie dieses sagte hatte sie dann auch wieder Marc, der offenbar verwundert drein geschaut hatte, bemerkt und sie sagte zu ihm: „Oliver war unser Sohn. Als er starb brach unsere bis dahin wunderbare Märchenwelt zusammen. Bis dahin waren wir wohl das glücklichste Paar der Welt.“. Na ja, unser weltvergessene Wiedersehensmoment war überwunden und wir waren uns jetzt bewusst, das wir zu Dritt waren. Und ganz ehrlich muss ich sagen, dass ich zu jenem Zeitpunkt recht froh über diese allseitige Wissen war. Augenscheinlich hatte sich mein Schicksalsblatt wieder gewendet aber die Probleme waren dadurch nicht kleiner geworden. Das mich auch kurz darauf auch Martina zumindestens wieder grüßen würde, wusste ich an diesem Abend noch nicht – zum Glück. Versetzen Sie sich einmal in meine Lage. Da fühlt man sich aufs Abstellgleis geschoben und hat den Eindruck der einsamste Mensch der Welt zu sein und fühlt sich dann plötzlich wieder als Dreh- und Angelpunkt um den sich alles dreht. Selber steht man dabei und weiß nicht, was man machen soll. In diese Lage war ich geraten, weil ich immer alles passiv habe auf mich zukommen. Nun hatte ich während meiner „Krankheit“ beschlossen aktiv zu werden und zu handeln. Bums, da stehe ich nun vor der Situation, dass jede Handlung falsch sein kann. In eine Richtung marschierte ich dann aber doch und wurde aktiv. An diesem Abend war Monika unverkennbar glücklich, wieder an mich herangekommen zu sein. Der Eindruck dass sie am Liebsten mit mir ins Bett gehüpft wäre dürfte nicht von ungefähr gekommen sein. Marc, der sich in seinen Engel verliebt hatte und den ganzen Tag mit Überraschungen überversorgt worden war, musste den ganzen Abend gegen seine Enttäuschung ankämpfen. So war ich der Einzigste, der sich zielgerichtet an die Sache, weshalb wir überhaupt zusammen gekommen waren, heranmachte. Aber auch ich machte es da nicht aus eifriger Überzeugung sondern um mir Monika doch ein Wenig auf Distanz zu halten. Auch ich hatte mich ja nicht groß auf diese Situation einstellen können; auch ich war ja, wie die beiden anderen ebenso, vom Zufall – oder gar Schicksal - überfahren worden. Aber wir kamen doch noch zu Ergebnissen in der Sache. Monika wollte im Wesentlichen die Gründung eines Lokalfernsehens mit „echten“ Offenen Kanal sponsern. Sie sagte zu, betreffend der Gründungsaktivitäten sehr großzügig zu sein, so dass wir mit ihrem Geld allein alles begründen könnten. Auch für unsere „wirtschaftliche
Grundausstattung“, das heißt Reisekosten, Repräsentationsausgaben und eventuelle Honorare Dritter, wollte sie gerade stehen. Für einen dauerhaften Bestand unserer Unternehmung müsse man, so ihre Meinung, jedoch einen Sponsorenring aufbauen. Wenn sie dauerhaft den „Laden“ finanzieren würde – und in diesem Punkt waren wir uns einig – dürften schon bald die Lichter wieder ausgehen. Letztendlich ist es ja auch nicht schlecht, wenn ein größerer Teil des investierten Kapitals wieder zurückfließt. Ein ganz wesentlicher Punkt, so schien es uns bei unserer Unterhaltung, sind auch die rechtlichen Voraussetzungen. Was nützt es, wenn man einen ganz tollen Fernsehsender hat und gar nicht auf Sendung gehen darf. Also galt es erst mal die organisatorischen Fragen zu klären. In dieser Richtung vereinbarten wir eine Arbeitsteilung: Marc sollte sich mit seinem Schwager, einem Rechtsanwalt zu dem er trotz seiner durchgebrannten Frau immer noch einen guten Draht hatte, um die juristischen Belange der Offenen-Kanal-Gründung kümmern. Der Rechtsanwalt hatte nicht nur den Vorteil Marcs Schwager zu sein sondern empfahl sich auch dadurch, dass er seine Doktorarbeit über Presse- und Medienrecht in unserem Lande angefertigt hatte. Ich sollte mich dann in der gleichen Zeit unter Nutzung der Kenntnisse der Personen und Anliegen der Ex-KFN-Gesellschaftern um den Aufbau eines Sponsorenringes kümmern. So, da hatten Marc und ich also nun unsere neuen Aufgaben. Aber was wollte Monika außer Finanzieren noch machen? Eigentlich nichts, absolut nichts. Trotzdem wollte sie häufig, oder besser gesagt immer, an unseren Besprechungen teilnehmen. Den Grund kann man sich denken – oder? Eigentlich hatte sie dazu zwei Gründe. Der eine war ich und der andere war, dass sie doch ein Wenig darauf achten wollte, was wir mit ihrem Geld so alles machten. Dieses nicht etwa aus Misstrauen sondern sie hielt es für natürlich dass bei Leuten, die wie Marc und ich aus der journalistischen Ecke kommen, ab und zu mal die Ideale der Realität voraneilen. Sie meinte, dass Politiker, Beamte und Journalisten nicht selten ein gespaltenes Verhältnis zum wahren Wirtschaften hätten. Anders konnte sie sich nicht erklären, dass das, was diese Sparen nennen oft das Gegenteil von diesem ist. Politiker und Beamte stecken sich sehr oft etwas in die rechte Tasche was sie in der doppelter Menge aus der anderen heraus genommen haben, wobei sie dann noch den Beifall ihrer Zustimmungs-Journalisten kriegen. Na ja, da könnte ich jetzt reihenweise Beispiele aufführen wie sich der Bund auf Kosten der Länder und Gemeinden zu sanieren versucht und anschließend dann den Beifall der Steuersenkungspropagandisten, die Irrtum unterliegen sie wären Journalisten, bekommen. Mag doch das Gemeinwesen zu Schanden gehen, Hauptsache ich muss meinen Steuerbeitrag nicht an die Allgemeinheit abführen und stattdessen die Nothilfe für gebeutelte Aktionäre oder Fußballmillionäre einfordern. Monika blieb aber bei ihrem Wunsch, dass wir jedoch zunächst aus allem ihren Namen raus halten sollten. Sie befürchtete, dass allein durch die Nennung ihres Namens bei der Neuen Landeszeitung schlafende Hunde, die dann sehr bissig wären, geweckt werden könnten. Das war nun die Zusammenfassung des geschäftlichen Teils des Abends, der uns fast 3 ½ Stunden in Anspruch nahm. Es gab nicht andauernd weitgehende Diskussionen in Einzelpunkten sondern wir waren oft nicht so ganz bei der eigentlichen Sache. Mal schweiften wir vom Thema ins Belanglose ab und mal mussten wir feststellen, dass einer von uns mal nichts mitgekriegt hatte, weil er just in diesem Moment mit den Gedanken ganz woanders war. Na ja, wir hatten das Ganze dann doch einigermaßen über die Bühne gezogen und im Grunde lag ja noch nichts weiter außer der Planung, was wir überhaupt machen wollten, an. Zum Abschluss musste mich Marc noch fürchterlich in Verlegenheit bringen. Er wandte sich erst an mich und dann an Monika: „Du willst doch sicherlich noch einen Augenblick bleiben. ... Frau Schneider könnten sie mir vielleicht ein Taxi bestellen?“. Monika fand den Vorschlag offensichtlich gut und wollte auch gleich darauf eingehen. Da hatte ich dann doch ein Wenig Mühe mich aus der Klemme zu winden. Aber augenscheinlich hatte ich doch das Verständnis meiner ersten Frau, dass ich an diesem Abend noch nicht wieder mit ihr ins Bett wollte, gefunden und sie kam mir dann bei meinen Ausreden gegenüber Marc geschickt entgegen. Später verriet sie mir mal, dass ihre Überlegung in dieser Situation gewesen sei, dass sie lieber diese Nacht noch verzichte um sich nicht die Chance für eine endgültige Lösung in die von ihr gewünschte Richtung zu nehmen. Sie ahnen schon liebe Leserin, lieber Leser da kommt jetzt noch einiges auf mich zu.
Zum Kapitel 14
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Die Erste will die Dritte sein Aus dem schwäbischen Volksmund kennen wir einen feinen Spruch: „Was stört mich mein gescheit’ Geschwätz von Gestern.“. Im Hinblick auf Zusagen, Vereinbarungen und Verträge passt dieser doch wohl hundertprozentig in unsere wertelose, auf ständige Unverbindlichkeit bedachte Welt – oder? Aber wie bei allen Anleihen aus dem Volksmund kann diese Aussage mal gleich einer Weisheit, wie die Faust aufs Auge passen. In dieser Hinsicht denke ich jetzt an meine Jammerarien von Anfang 1999 und demgegenüber meine Wirklichkeit im Mai des gleichen Jahres. In nur knapp 3 Monaten hatte sich meine Situation total umgekrempelt aber paradoxer Weise hatte sich dabei eigentlich kein Problem gelöst. Mein Geschwätz, dass man mich aller meiner Aufgaben beraubt habe und ich keine Perspektiven mehr hätte, hatte ich inzwischen doch begraben können. Jetzt hatte ich wieder eine Aufgabe, sogar eine die sich nur sehr wenig von der letzten unterschied: Ich war jetzt wieder unter die Lokalfernsehgründer gegangen. Aber trotzdem bestanden meine Einnahmen nach wie vor aus den Zuwendungen der Bundesanstalt für Arbeit. In dieser Angelegenheit habe ich mich Mitte Mai mal bei einem Routinebesuch bei „meinem“ Vermittler verplappert. Er hatte mir zuvor wieder mal diensteifrig die Standardauskunft, dass er für mich nichts habe, gegeben. Da erzähle ich ihm doch ganz locker, dass ich inzwischen selbst an eine Begründung eines Arbeitplatzes dächte und auch dahingehend schon ein Wenig aktiv geworden sei. Da wurde der Missstandsverwalter im Gegensatz zu üblichen beamtokratischen Geflogenheiten auf einmal putzmunter und erklärte mir dann, dass ich ja so dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen würde und somit laut Gesetz meinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren hätte. Aus diesem Intermezzo habe ich gelernt, dass man dem Arbeitsamt nie sagen darf, dass man das, wozu diese nicht in der Lage sind, auf eigene Faust machen will. Dann wollen die gleich die Statistik schönen. Da ist es schon besser, wenn man sich vom Bundeskanzler „Faulenzer“ nennen lässt – der meint es ja hinter, wenn sich Unmut darüber verbreitet, ja sowieso nicht so, wie er es gesagt hat. Was stört ihm sein gescheit’ Geschwätz von gestern. Na ja, die Sache mit meinem Vermittler konnte ich mit dem Anerkenntnis der Auflage, mich, wenn sich etwas konkretes ergibt, sofort zu melden, beilegen. Auch meine Jammerarien zum Jahreswechsel und –beginn, dass meine Tochter nichts mehr von ihrem Vater wissen wolle, konnte ich ja bereits schon im März einstellen. Aber meinen Traum, dass wir wieder mal eine glückliche Familie werden würden durfte ich nun wohl für immer vergessen. Das lag aber in diesem Fall an der Realität, die ich jetzt auch mal anerkennen musste. Steffi war erwachsen geworden und nahm ihre Angelegenheit selbst in die Hand. So etwas sollte man nicht bejammern, denn das ist erstens das Ziel ein jeder vernünftigen Erziehung und zweitens konnte ich davon sogar selbst profitieren. Ich hatte in Steffi eine Ansprechpartnerin gefunden, mit der ich offen alles bereden konnte was mir und selbstverständlich auch ihr auf dem Herzen lag und die mir zu allem ihre Meinung sagen konnte. So berichtete ich ihr auch ehrlich von meinen Fernsehplänen und von der wieder auf der Bildfläche stehenden Monika. Diesmal zerbrach unsere Bindung aber nicht daran sondern sie riet mir nur mir wohl zu überlegen was ich mache. Ich müsse die Entscheidung entweder für die erste oder die zweite Frau mit der Konsequenz treffen, dass ich dann die andere für immer abschreiben müsse. In der Bergpredigt heißt es, dass niemand zwei Herren dienen kann ... aber zwei Frauen lieben kann man noch weniger. Auf jeden Fall sagte mir Steffi zu, dass sich an unserem jetzigen Verhältnis, gleichgültig wie ich mich entscheide, nichts ändern würde. Sie würde immer meine erwachsene und eigenständige Tochter, die einsieht, dass auch ihre Eltern ein Recht auf persönliche Entscheidungen haben, bleiben. Auch mein selbstmitleidiges Lied, dass mich meine derzeitige Ehefrau nicht beachten würde, hatte im Mai keine Gültigkeit mehr. Das sie mich wieder grüßte habe ich ja schon im vorangegangenen Kapitel geschrieben aber dass sie jetzt auch darüber hinaus mit mir wieder einige Worte wechselte ist neu. Nur in Richtung Versöhnung oder so durfte ich meine Worte nicht steuern, dann war unser Gespräch immer sofort beendet. Und auch davon, dass es bei der Scheidung Ende September/Anfang Oktober bleiben sollte, ließ sie sich nicht abbringen. Aber ich muss jetzt auch von einer seltsamen Wandlung in meinem Inneren schreiben: Nach wie vor war ich der Meinung, Martina unverändert zu lieben. Weiterhin gab es unverändert den Vorsatz meine Ehe zu retten. Aber eine „Kampfbereitschaft“ war in mir nicht mehr vorhanden. Ich könnte es vielleicht so beschreiben: Wenn es so kommt, wie ich es mir wünsche, ist das wunderbar aber wenn nicht, dann ist es eben nicht. Fast könnte man annehmen, dass ich mich mit dem Ende einer Ehe, die ich immer noch für rettungswürdig hielt, abgefunden hätte. Als viertes Geschwätz muss ich das von der treulosen, perversen Geliebten und Exfrau aus meinem Repertoire streichen, denn ich wusste jetzt, dass das alles nicht so, wie ich es annahm, stimmte und ich ihr schwer unrecht getan hatte. Nur das sie mir nachstelle, konnte ich immer noch sagen ... und das sah ich jetzt noch nicht einmal ungern. Irgendwie salbte diese Angelegenheit den Macho in mir. Die Frage, die sich jetzt dahingehend auftat, war die, wie lange ihr noch wiederstehen könne. Schließlich liebte und begehrte ich sie ja und dazu kam noch, dass ich seit über einem halben Jahr keine entsprechenden Körperkontakte mehr gehabt habe. Betrachte ich jetzt das, was ich im vorhergehenden Absatz geschrieben habe mit diesem, dann muss ich sagen, dass in jener Zeit ein günstiger Wind für Monika wehte. Dieses sah sie genau richtig und hatte bei einer Gelegenheit schon mal zu
Marc Kampmann gesagt, dass sie mit ihm eine Wette machen wolle, das meine dritte Frau die gleiche wie die erste sein würde. Die Erste wollte also auch die Dritte sein. Und wie sie zur Erreichung ihres Zieles dabei vorging, möchte in diesem Kapitel schildern. Es ging praktisch schon am Tag nach unserer Besprechung in der Jugendstilvilla der Familie Rollmann los. Wir hatten zwar besprochen, dass ich mich um den Aufbau eines Sponsorenringes kümmern wollte und das Marc die Aufgabe hatte die juristischen Belange abzuklären. Aber mit welchen Argumenten wollte ich die Leute in den Sponsorenring ködern und wofür sollte Marc eigentlich die juristischen Fragen klären. Wir hatten uns bis dato überhaupt keine Gedanken darüber gemacht was wir genau machen wollten und was dementsprechend machbar aussah. Nur einfach Fernsehen machen ist ja kein ausreichender Vorsatz. Das ist ja so, als wenn Leute, die noch nie ein Fußballstadion von innen gesehen haben, einen Proficlub gründen wollen. Das ist zwar reichlich überspitzt gesagt, denn so ganz im Blauen schwebten wir, zumindestens ich, nicht. Ich hatte schon eine gewisse Vorstellung und dazu auch vom letzten Jahr ein Wenig Insidererfahrung. Aber ob das auch Marcs Vorstellung waren wusste ich nun beim besten Willen nicht. Also rief ich ihn zu einer Kurzabsprache an. Wir kamen überein, dass wir beide mal unabhängig voneinander unsere Vorstellungen auf ein Arbeitspapier niederlegen wollten und dieses am kommenden Wochenende, irgendwo wo man in ruhiger Atmosphäre zusammen sitzen und sprechen kann, bei einem entsprechenden Gedankenaustausch abstimmen wollten. Monika war an diesem Morgen ebenso wie wir überlegender Weise tätig. Sie trieb eine verständliche Neugierde und sie wollte von Marc wissen, wie ich daraufgekommen wäre, dass sie hinter der Geschichte stecke. Es muss ein längeres Gespräch gewesen sein, denn Marc hat ihr die komplette Story unserer Beziehung, also wie wir uns trafen und wie es dann weiterging, gebeichtet. Da erfuhr Monika auch, dass ich die Geschichte vom Steinbruch Wollerst kannte, was ihr ja nun doch irgendwo sehr peinlich war. Bei dieser Gelegenheit hat ihr Marc dann gesagt, dass wir uns am kommenden Wochenende in besagter Ruhe zu einem Ideenfestival treffen wollten. Monika hatte natürlich gleich den passenden Ort in ihrer Vorschlagskiste: natürlich in ihrer Villa. Und Marc hatte nichts dagegen einzuwenden; ganz im Gegenteil er freute sich darauf. Aber Monika hatte jetzt einen Vorwand, nämlich die Mitteilung des Konferenzortes und –termines, um bei mir anzurufen. Aber nicht nur das, sie hatte auch etwas womit sie mich alleine zu fassen kriegen konnte. Am Vortag hatte ich nämlich mal gesagt, dass es mir, bevor ich nicht mit mir selbst ins Reine gekommen sei, ganz lieb wäre wenn wir uns vorläufig nur zu Dritt treffen würden. Sie sagte etwas verschüchternd klingend: „Reiner, ich habe gehört, dass dir Kampmann erzählt hat, wie wir uns kennen gelernt haben. Du kannst dir sicher vorstellen, dass mir das doch peinlich ist. Deshalb möchte ich ganz gerne mit dir unter vier Augen sprechen ... Bitte, bitte sage jetzt nicht nein.“. Ich erwiderte ihr darauf, dass sie sich dahingehend keine Gedanken machen brauche, denn erstens verstände ich jetzt ihre damaligen Beweggründe und das mit Marc wäre ja auch aus den psychischen Umständen erklärbar. Aus ihrer Antwort ersah ich, dass es ihr weniger um das Glattbügeln der Peinlichkeit als vielmehr auf eine Zweisamkeit mit mir ankam. Sie behauptete nämlich, dass es ihr erst wieder wohler wäre, wenn ich ihr das in die Augen sagen würde. Sie hatte es geschafft, ich brachte es nicht fertig ihren Wunsch abzulehnen und fuhr zu ihr. Diesmal jedoch unter Missachtung des Bekanntheitsgrades meiner „Kutsche“ mit dem eigenen Wagen, was jedoch keine Folgen hatte – warum denn auch? Aber Monika hatte mal wieder geschafft was sie wollte; zumindestens konnte sie einen Teilsieg erringen. Es dauerte keine zehn Minuten bis ich ihr mehr als freiwillig ins Schlafzimmer folgte. Für uns beide gab es dann nach langer Zeit mal wieder eine himmlische Stunde voller Gefühle mit Schmusen und Zärtlichkeit. Danach lagen wir noch nackt, uns zärtlich und glücklich ansehend, nebeneinander im Bett. Ich nutzte die Gelegenheit: „Mäuschen für mich gibt es nichts Schöneres wie eben und ich liebe dich über alle Dinge. Ich bin ja ehrlich: Ich glaube im Moment dich jetzt mehr als Martina zu lieben. Aber verstehe mich bitte, wenn ich jetzt sage, dass ich alles daran setzen werde meine Ehe zu retten. Ich kann doch nicht einfach über 20 glückliche Jahre, in der wir eine liebe Tochter gemeinsam groß gezogen haben, hinweg gehen. Verstehe bitte, dass ich weiter um Martina kämpfe und mich dann gebenenfalls von dir trenne.“. „Das verstehe ich sehr gut“, erwiderte Monika, „und gerade solche Einstellungen und Vorsätze machen dich ja so unheimlich liebenswert. Aber verstehe bitte auch mich. Ich gebe nicht auf und werde bis zu Letzt um dich kämpfen. Ich kann nicht anders da ich wahnsinnig in dich verliebt bin.“. Na ja, eine solche Situation ist nicht einfach und helfen kann mir dabei auch keiner. Letztlich sagte ich ihr: „Ich gebe dir eine Chance. Wenn meine Scheidung nicht abzuwenden ist, hast du gewonnen, dann bleibe ich bei dir. Im anderen Fall sei aber bitte auch so fair, dass du uns, wenn wir wieder zusammenkommen sollten, in Ruhe lässt.“. „Aber bis dahin werde ich mit all meinen Kräfte kämpfen.“, schloss sie jetzt das Thema ab. Aber ab diesem Tag wurden dann diese Exehepaarmeetings wieder regelmäßig aber nicht alltäglich wie vor dem großen Knall in der Hütte. In der Woche bis zu unserer Verabredung mit Marc habe ich Monika überhaupt nicht mehr gesehen sondern ich habe lediglich zwei Mal für zirka 10 Minuten mit ihr telefoniert. Dafür habe ich mich aber mächtig in meine „Arbeit“ gestürzt. Da kam letztlich wesentlich mehr bei raus als nur ein Arbeitspapier. Von alle dem was im Vorjahr besprochen wurde, konnte ich so gut wie nichts verwerten. Die NLZ-Absicht beim
Lokalfernsehen „roch“ nach Vollprogramm im Kleinformat, was ich jetzt praktisch als für undurchführbar hielt. Mit den großen Anbietern kann man in keiner Hinsicht konkurrieren und sie im Miniformat nachzuahmen empfand ich jetzt für albern. Wir brauchten ein eigenes Format. Etwas wo sich die hiesigen Vereine aber auch Einzelpersonen wie Firmen darstellen konnten. Ich dachte mir, dass wir an die Volkshochschulen herantreten sollten und ihnen anbieten, sie in ihrem jeweils aktuellen Kursangebot unterstützen zu wollen. Spitzenpolitiker sprechen immer gerne von dem, was die Leute draußen im Lande bewegt. Geht man der Sache auf dem Grund, stellt man fest, dass sich die Berliner Politmedienstars offenbar zu wichtig nehmen, denn deren Probleme bewegt nur deren Parteigänger und Stammtischbrüder in alkoholseliger Diskutierlaune aber nicht die Leute draußen im Lande. Die Leute bewegen in Wirklichkeit steigende Preise und von Oben verordnete Lohnzurückhaltung, Ökosteuer, dabei schlecht ausgebauter ÖPNV und das Grundrecht auf Mobilität auch in ländlichen Gegenden, behauptete oder wirklich zutreffende Sparzwänge und immer geringerer Freizeitwert unmittelbar vor Ort, sprich Austrocknung der Infrastruktur. Die Leute draußen im Lande bewegt das, was sie alltäglich zu spüren bekommen und so etwas wie die Steuer- oder Rentenreform nur am Rande. Da muss es nette Talkshows geben, wo sich die Leute mal richtig Luft machen können und wo man schönredende Parteisoldaten außen vor lässt. Aber trotzdem darf so etwas, was ich in meinem Konzept den Titel „Draußen im Lande“ gab, nicht auf unteres Kneipenniveau absinken. Zu allem, was man sich denken kann, ließ ich mir etwas einfallen. Auch darüber, dass nicht jede Minute mit Programm gefüllt werden kann und muss machte ich mir Gedanken, da das in einem so kleinem Rahmen praktisch nicht durchführbar ist. Das Problem ist nach meiner Ansicht nicht, dass die Leute dann beim „Durchzappen“ häufig auf blaue Tafeln, Standbildern oder Endlosvideos treffen sondern das man es schafft auch jeden darauf aufmerksam zu machen, wann wirklich was los ist. Für uns war ja das Problem, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf den Kreisboten oder den Lokalfunk setzen konnten, da wir ja quasi zu denen in Konkurrenz treten wollten. Auch wenn es bei uns Sponsoring heißen sollte würde wir ja kräftig in deren Werbemarkt fischen. Da erarbeitete ich dann ein Konzept wie man die Werbe- und Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der sich beteiligenden Vereine und des geplanten Sponsorrings nutzen konnte. Deren Motivation den Leuten bekannt zu geben welche Highlights im Fernsehen „von uns für uns“ auf die Bürger im Kreis Neuheim warten, kann man aus deren Eigeninteresse an einer Beachtung ableiten. Als ich mit meinen Rohideen durch war klopfte ich mir voller Stolz auf die eigene Brust, denn nach meiner Meinung hatte ich jetzt aus eigenem Antrieb mehr zustande gebracht als im ganzen vergangenen Jahr, in dem es, zumindestens auf dem Papier, mein Job war. So fuhr ich auch mit stolz geschwellter Brust zu unserem Meeting. Ich fuhr nicht direkt von Hexenberg zur Rollmannvilla sondern holte zuvor Marc Kampmann in Wollerst ab. Ich staunte nicht schlecht als mir Marc im Wagen von seinem Fleiß, der sich mit dem meinigen durchaus vergleichen ließ, berichtete. Erstaunlich war nicht gerade sein Fleiß an und für sich sondern das er im Großen und Ganzen zu gleichen oder ähnlichen Ergebnissen wie auch ich gekommen war. In verschiedenen Punkten war sein Vorschlag und in anderen meiner weitergehender. Auf jeden Fall konnten wir von sehr weit gehender Übereinstimmung unter uns ausgehen und so etwas ist natürlich immer ein gutes Zeichen für das Gelingen von gemeinsamen Projekten. An der Haustüre der Rollmannvilla hatte ich dann eine Überraschung für den dabei verblüfft wirkenden Marc bereit. Er wollte gerade mit seinen Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger zum Klingelknopf führen, als ich mich vordrängelte und ihm verkünden konnte, dass ich auch ohne Klingeln ins Haus käme. Ich hatte, jetzt zum dritten Mal in meinem Leben, in diesem Haus auch Schlüsselgewalt erhalten. Das erste Mal war es als ich als junger Ehemann mit meiner Frau die Wohnung im Obergeschoss bewohnte, dann als auch die wiedergewonnene Liebe auch den Segen von Monikas zweiten Ehemann fand und jetzt bekam ich diese während meiner letzten Privataudienz. „Eu, du Glücklicher“, staunte Marc, „soweit seid ihr schon wieder. So viel Glück wie du möchte ich auch mal haben.“. Ich konnte ihm nur darauf erklären, dass Glück ein relativer Begriff sei und ich mich im Moment noch nicht als „Reiner im Glück“ empfinden würde. Noch hätte ich tatsächlich noch allerlei Probleme und zu deren Lösung noch keinen sinnvollen Plan. Na ja, an diesem Tag kamen wir auf Grund der gemeinsamen Basis und der guten Vorarbeit auch sehr schnell voran. Positiv fand dabei auch Monikas doch größeres Interesse an unserem Vorhaben sowie ihre entsprechende tätige Mitwirkung. Bei verschiedenen Punkten, wo Marc und ich ein wenig auseinander lagen, betätigte sie sich als gute Moderatorin und verschiedentlich brachte sie selbst eigene gute Ideen ein. Auf diese Vorschläge, die auch wirklich gut und vernünftig waren, gingen wir auch immer prompt ein. Das machte sie stutzig und sie fragte ob sie von uns keine Widersprüche zu erwarten habe. Wir verhielten uns wie unterwürfige Lakaien denen es egal wäre, wenn der- oder diejenige vor dem oder vor der sie buckeln ins offene Messer laufen. Marc antwortete scherzend: „Sie sind ja unsere Chefin, Frau Schneider, und Medienmenschen widersprechen ihren Chefs nicht, da die Bosse bestimmen was die Meinung ihrer Mitarbeiter ist.“. Diese Antwort war nun in dreierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum Ersten war es ein Scherz und so hatten wir das auch alle verstanden. Zum Zweiten war es im Hinblick auf das Verhalten von Medienmenschen ein großes Stückchen Wahrheit. Und letztlich hatte Marc etwas ausgesprochen, was er, wie sich im Verlaufe der weiteren Geschichte zeigen sollte, offensichtlich unterbewusst so empfand. Immer wenn Marc mit Monika zu tun hatte, bekam man den Eindruck, dass es sich bei
ihr um die Chefin und bei ihm um einen sehr wichtigen Mitarbeiter handele. Aus Marcs Engel war also über die heimlich geliebte Frau seine Chefin geworden. Währenddessen erweckten Monika und ich, was ich allerdings erst im Laufe der Zeit selbst feststellte, den Eindruck, als wären wir das, was wir vor Jahren wirklich mal waren: Wir wirkten wie ein Ehepaar. Dieses meine ich jetzt allerdings nur im Sinne von selbstverständlich und locker. Durch unsere, so eben beschriebenen Einstellungen geriet Monika tatsächlich in den Mittelpunkt unserer „Dreierbande“. Marc akzeptierte seine Chefin und ich meine Frau, während Monika wie selbstverständlich die Richtlinienkompetenz über die ihr ergebenen Männer übernahm; was ich aber jetzt nicht negativ meine. Die beschriebene Atmosphäre, die für den „geschäftlichen“ Bereich galt, lässt sich aber in keiner Weise auf unseren intimen privaten Bereich übertragen. Im Laufe der Zeit merkte ich, dass mir Monika irgendwie unterwürfig war. Sie versuchte meine Wünsche zu erraten und zu erfüllen, während sie ihre eigenen Wünsche nur vorsichtig vortrug oder gar zurücksteckte. Sie achtete peinlich darauf, dass sie nichts unternahm, was mein Missfallen hätte auslösen könnte. So etwas genießt man unbewusst im ersten Augenblick, denn in einem jeden Mann ist auch ein Macho verborgen. Aber wenn das Bewusstsein erwacht fühlt man sich dabei nicht gerade wohl. Im Laufe der zweiten Maihälfte sprach ich deshalb dann Monika auch darauf an und bekam wohl eine der schönsten Liebeserklärung meines Lebens, die sich erst aber ganz anders anhört: „Ach Reiner, in meinem ganzen Leben habe ich nie richtig Liebe empfunden. Meinen Eltern war ich nicht so recht. Erstens war ich ein ‚Malörchen’, wie meine Mutter immer sagte ... ein kleiner Unfall auf ihrer Geburtstagsfeier, auf der ihr mein Vater Spaß aus dem 9 Monate später Ernst wurde schenkte. Für mein Vater war ich nur ein Mädchen welches man verhökern kann. Er wollte eigentlich einen Erben und nicht mich, ... kein Mensch sondern ein Mädchen. Als ich dann den von ihm geplanten Kuhhandel, damit mein Leben doch noch irgendwie einen gesellschaftlich und wirtschaftlichen Nutzen erbringe, mit dir durchkreuzte, war ich für ihn das undankbare Miststück, der die Existenz des Erbes ihrer Väter zugunsten ihres eigenen wilden Lustempfindens opfern wollte. Für ihn warst du nur mein Hengst, der zu nichts anderes zu gebrauchen war. Sehr massiv hat er mich unmittelbar nach Ollis Tot richtig psychisch terrorisiert. Leider erachten die Menschen nur das, was hinterher an körperlichen Schäden nachvollziehbar ist, als Gewalt und sehen nicht, dass Psychoterror das Gemeinste und Brutalste ist was Menschen begehen können. Sehr oft gelten Psychoterroristen, wie der Mann der mich mal gezeugt hat, noch als Ehrenmänner. Als Olli starb warst du für ihn zu blöd Nachwuchs, der in der Auslese der Vorsehung auch seinen Platz findet, zu zeugen. Und dann gelang ihm sein Handel und ich wurde mit dem Humanoiden Wilfried Schneider verkuppelt. Na ja, du weißt es ja, dass ich mich dann, bevor wir uns wiedertrafen, mal mit diversen Männern amüsiert habe. Das war jedoch nur reine Befriedigung körperlicher Bedürfnisse ... ich bin doch auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut, eine Frau mit ganz normalen Bedürfnissen.“. An diesem Punkt unterbrach sie erst einmal, fiel mir um den Hals und weinte sich aus. Leider ist das keine Ausnahme, dass oberflächlich gesehen hinter ein scheinbar begehrenswerten Leben – sie stammte aus wohlhabenden und gesellschaftlich geachtetem Haus und konnte sich alles, wo von andere nur träumen, leisten – ein leidvolles Schicksal steckt. Nach knapp fünf Minuten fuhr sie dann mit der eigentlichen Liebeserklärung fort: „Unter Milliarden von Menschen gab ... gibt es nur einen bei dem ich etwas anderes empfunden habe und immer noch empfinde. Und das bist du, nur du. Einmal, als ich in unserer Jugendzeit wegen irgendeiner Gelegenheit in der Setzerei neben dir stand, funkte irgendetwas in mir recht mächtig. Was da funkte konnte und kann ich nicht beschreiben. Ich war mir ohne dass ich dich zu diesem Zeitpunkt überhaupt kannte sicher, dass du anders, ... besser wärest, dass du der einzig Richtige wärest. Dieses Gefühl, was auf einmal da war, bin ich mein ganzes Leben, bis zum heutigen Tag nicht wieder los geworden. Du warst auch immer anders als alle anderen zu mir. Für dich war ich ein Mensch, du hast mich immer wahr und für vollgenommen. Ich konnte mich bei dir ausweinen und du kamst mit deinen Sorgen zu mir. Wenn mir was weh tat, hast du mit mir gelitten. Du warst immer sehr zärtlich zu mir ... Von keinem anderen Menschen habe ich jemals Zärtlichkeiten empfangen, auch nicht von meiner Mutter. Das meine ich jetzt im allgemeinen Sinne und nicht nur in Hinsicht auf das Bett. Aber auch was das Bett anbelangt bist du für mich großartig und einzig: Von den Männern, die ich gehabt habe, bist du beim besten Willen nicht der mit dem Längsten und du kannst es auch nicht am Längsten, aber nur bei dir vergesse ich alles was ringsherum geschieht und ich schwebe in den siebten Himmel. Nur bei dir, mein Schatz. Bei dir ist es nicht nur ein körperlich Spaß sondern ein Hochgenuss für den Geist und die Sinne“. Jetzt wurde ich wieder umarmt aber diesmal weinte sie nicht sondern beschmuste mich zärtlich. Danach erfolgte dann letztlich noch die begründende Antwort auf meine Frage: „Ich habe dich im Leben zwei Mal verloren. Und das war fürchterlich für mich. Immer musste ich mit nackten Füßen weit durchs Höllenfeuer laufen. Beide Male war ich es selbst in Schuld. Damals hätte ich dich ins Vertrauen ziehen und dich bitten müssen gemeinsam mit mir meinem Vater die Zähne zu zeigen. Hätte er sich doch sein Neuheimer Kreisboten und sein Geld in den Allerwertesten schieben können aber wir wären glücklich gewesen. Liebe ist viel wichtiger als Geld. Liebe ist ein ewig beständiger Wert aber Geld nur irdisches Zeug, was man hat oder nicht. Wenn du stirbst und hast Liebe empfunden und geben dürfen war es ein wertvolles Leben während der reichste Mensch der Welt, wenn er keine Liebe gefunden hat, nur mit seiner biologischen Existenz glücklos über die Erde vegetierte. Beim zweiten Mal machte ich den gleichen Fehler. Hätte ich doch Wilfried zum Teufel gejagt und ihm allen Müll, den ich habe,
hinterhergeworfen und wäre ich nur für dich da gewesen. Mensch, ich bin wirklich lieber glücklich als reich. Jetzt will ich aber keinen Fehler mehr machen, ... ich kann ohne dich nicht mehr weiterleben. Ich weiß nicht, ob ich fromm bin oder nicht, aber ich bete jeden Tag zu Gott, dass wir bis zum Ende meiner Tage glücklich zusammen sein können. Ich möchte vor dir sterben, damit ich nicht mehr allein sein muss. Ich will nicht wieder in die Höhle. ... Aber was mir dabei selber auch immer merkwürdig vorkommt, ist, dass ich immer beim Beten den Zwang verspüre, den Wunsch, dass du Martina und du wieder ins Reine kommt und ihr glücklich werdet, mit ins Gebet einzuschließen. Irgendwo widersprechen sich meine Wünsche aber ich habe nach dem Amen immer das Gefühl, als könne Gott mir trotzdem alles erfüllen. Damit ich dich nie wieder verliere möchte ich als Sklavin an dich angekettet werden.“. So eben habe ich, allerdings des Zusammenhangs halber, in der Chronologie zeitlich ein Wenig vorgegriffen. Ausgegangen war ich ja von dem Treffen der „Dreierbande“, wie wir uns später mal selbst scherzhaft nannten, auf dem wir schnell und gut voran kamen. Das forsche Vorankommen hatte dann für uns auch den Vorteil, dass wir nach kürzester Zeit mit der „Arbeit“ durch waren und wir uns der „Freizeit“ zu wenden konnten. Monika erlaubte sich uns in ein, etwa 50 Kilometer von Neuheim entferntes Restaurant zu einem „Festessen“ einzuladen. Das Haus, welches sie vorgeschlagen hatte, gehört zwar nicht zur, mit Sternen ausgezeichneten Spitzenklasse aber man muss das dortige Angebot als wirklich gut und preiswert bezeichnen. Diesen Ruf hatte das Restaurant schon in den 70er-Jahren und diesen bis heute, obwohl dieses zwischenzeitig von dem Vater auf Tochter und Schwiegersohn übergegangen war, gehalten. Und das war auch der Hintergrund einer der beiden Gründe warum Monika dieses Haus ausgewählt hatte. Als wir noch nicht verheiratet waren, hatte es uns ein paar Mal dorthin gezogen. Wie wir damals darauf gekommen sind wusste jetzt allerdings keiner von uns beiden mehr, was eigentlich ja auch egal ist. An diesem Tage konnte Monika ihre Wahl allerdings mit dieser Erinnerung begründen. Und dann noch der Fakt, das es zwar keinen Ort auf der Welt gibt, wo man nicht Gefahr läuft, von Bekannten getroffen zu werden aber die Wahrscheinlichkeit dafür an Orten, die nur 50 Kilometer entfernt sind und nicht gerade im Toppgespräch sind, nicht sehr hoch ist. Sie meinte, dass wir keinen Beinbruch für uns Drei sehen sollten, wenn wir zusammen angetroffen werden aber im Moment, wo Gerüchte nicht im Sinne unserer gemeinsamen Sache wären, müsse man die Gefahr ja nicht gleich herauf beschwören. Ihr zweiter Grund, der mir sogar bei ihr zu diesem Zeitpunkt sogar wichtiger erschien, hatte was mit Sentimentalität zu tun. Dieses Restaurant erinnert sie an eine glückliche Zeit, die sie sehr gerne wieder heraufbeschwören möchte. Was ich gerade berichtet habe ist allerdings nicht so wichtig, dass es ohne, das damit noch etwas anderes zusammen hing, an dieser Stelle gewürdigt werden müsste. Aber was sie zum Vorgehen vorschlug ist in Hinsicht auf ihre Marschroute in jener Zeit höchst interessant: „Wir können ja mit meinen Wagen fahren. Hin fährst du, Reiner, und zurück fahre ich. Dann könnt ihr beide euch auch einen Trinken. Ihr möchtet doch lieber Pils als Cola oder Saft.“. „Was nutzt es,“, gab ich ihr zu bedenken, „mein Auto steht hier vor der Tür und morgen früh wollte ich gleich mit Hausbesuchen bei Sponsoren in spe, bei denen man wie ein Klinkenputzer ins Haus schneien kann, beginnen. Letzte Jahr haben wir immer nur geplant und sind nie richtig zur Tat geschritten. Jetzt will ich es mal umgekehrt versuchen. Also, da brauche ich mein Auto ... und Marc muss ja auch wieder nach Hause kommen.“. Fairerweise muss ich auch jetzt sagen, dass die Welt nicht untergegangen wäre, wenn ich erst am Mittag oder sogar erst am darauffolgenden Tag mit meiner Vertretertour begonnen hätte aber ich brauchte ja eine glaubhafte Ausrede zur Abwehr dessen, was Monika aus meiner Sicht wirklich wollte. Aber es nützte mir nichts, denn Monika schaute mich mit satirischen Mitleid an und sagte: „Ich weiß nicht was du hast. Es spielt doch bei deiner Besuchstour weder für dich noch für die Leute eine Rolle ob du von hier oder von Hexenberg gestartet bist. Du hast immer noch einen Rasierapparat hier im Hause und eine neue Zahnbürste kannst du auch haben. Daran soll es nicht liegen. ... Und Herrn Kampmann kann ich ja ein Taxi spendieren – ich bin ja noch nicht verarmt.“. So wie sie dieses jetzt in Marcs Gegenwart gesagt hatte war es mir peinlich, mich ebenfalls in seinem Beisein wieder daraus zu winden und schon hatte sie angestrebtes Ziel erreicht: Es folgte unserer Heimkehr, nun erstmalig nach dem Vorfall im letzten Jahr, eine gemeinsame Nacht mit meiner Exfrau und immer noch Geliebten. Allerdings wurde daraus noch nicht wieder eine Regelmäßigkeit; noch blieb es, wie ich ja schon weiter oben schrieb, bei vereinzelten Gelegenheiten. Der aufmerksamen Leserschaft wird aufgefallen sein, dass sich Marc und Monika stetig mit „Herr Kampmann“ und „Frau Schneider“ anredeten. Heutzutage ist es doch eher üblich, dass Leute, die enger zusammenarbeiten, sehr schnell das Du miteinander vereinbaren. Oft ist es in solchen Fällen üblich, dass dieses von dem Dritten im Bunde, also in unserem Falle von mir, so vermittelt wird. Nun, ich kannte Monika trotz unserer langen Trennung so gut, dass ich ihr stets anmerkte, das ihr dieses oder jenes gar nicht so recht gewesen wäre. Und vertrauliche Umgangsformen mit Marc gehörten offensichtlich in diese Kategorie. Zu einem späteren Zeitpunkt nannte sie mir dann auch den Grund für ihre innere Einstellung. Das hing nämlich mit der Art und Weise, wie sich die beiden kennen gelernt hatten, zusammen. Da war Monika ein Wenig Distanz schon ganz recht, da in einem solchen Fall nähere Vertraulichkeit schon mal zu Grenzüberschreitungen führen kann. Nun ist es nicht so, dass Monika nicht schon zur richtigen Zeit hätte das Richtige unternehmen können aber im Hinblick auf meine Person wollte sie da doch lieber schon zuvor einen Schutzwall aufbauen. Sie hatte sich tatsächlich in den Kopf
gesetzt, nicht nur meine erste sondern auch meine dritte Frau zu sein. Sie wollte das Netz, was sie über mich auswarf, so engmaschig halten, dass es mir unmöglich würde hindurch schlüpfen zu können. Ich sollte nicht den geringsten Anlass haben ihr noch einmal zu misstrauen. Nachträglich muss ich sagen, dass ich anderweitig noch nie von einer Frau gehört habe, die so wie Monika um einen Mann gekämpft hat, was mich, dem Ziel ihrer Wünsche, allerdings doch irgendwie sehr stolz macht. Etwas anderes hatte ich so eben auch schon angesprochen: Ich wollte schon am nächsten Tag unseren Ideen die Taten folgen lassen. Irgendwie und irgendwo hatte ich gelernt, dass man sich alles „abschminken“ kann, wenn man anderen die Chance gibt dazwischen zu handeln. Diesbezüglich hieß mein Erzgegner mein ehemaliger Arbeitgeber, nämlich die Neue Landeszeitung NLZ – und diese Einschätzung teilte ich mit Monika, die ja noch bis vor kurzem Gesellschafterin dieses Hauses war, also auch nicht fernab von den dortigen Denkstrukturen war. Wenn die zu früh von der Geschichte erfahren übernehmen die mit ihrem eingespielten Apparat und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kapitaldecke sofort die Regie. Entweder steigen die in ihrem Sinne ein, wobei sie uns mit großer Wahrscheinlichkeit ausbooten werden, oder setzen gleich die Einstellung aller Aktivitäten mit ihren Beziehungen und juristischen Tricks durch. Irgendwelche schriftliche Werbung oder Ankündigungen von uns sind einem solchen Fall sicher nicht sehr sinnvoll, denn man kann ja niemanden telepatisch dazu zwingen ein solches Schriftstück sofort zu lesen und zu bearbeiten. Da war Klingenputzen schon die richtige Alternaive. Für vertrauliche Behandlung hat man weder bei schriftlichen noch bei persönlichen Kontakt eine Gewähr aber bei einem Gespräch von Mensch zu Mensch kann man sein Gegenüber doch besser und nachhaltiger darauf einschwören. Nun gibt es Leute, die man sowohl von ihrem Wesen wie von ihrem Tätigkeitsfeld praktisch jederzeit ansprechen kann, man muss nur damit rechnen, dass man sie mal ausnahmsweise nicht antrifft, und dann gibt es welche, die auf eine vorhergehende Anmeldung wert legen und/oder von ihrer Aufgabe her auch nicht jederzeit bereit stehen können. Also startete ich bei denen, wo ich wusste, dass ich so reinplatzen konnte und nutzte die Zeiten zwischendurch um mit den anderen Termine auszuhandeln. Das führte dann dazu, dass ich in der ersten Zeit von Morgens bis Abends auf gut Glück unterwegs war und danach von einem Termin zum anderen jagte. Wenn ich mir in der Zeit ein neues Auto zugelegt hätte, wäre das Wunschkennzeichen DU (für dauernd unterwegs) gar nicht so unsinnig gewesen. Was mich in jener Zeit selbst verwunderte war meine große Ausgeglichenheit. Ich empfand keinen Stress, keine Schlaffheit und keinen Ärger. Das war, als ich im Vorjahr mich praktisch als Tagedieb betätigte, genau anders herum. Jetzt weiß ich, dass nicht Arbeit sondern Nichtstun krank macht. Komisch, genau dann wenn man selbst ausgeglichen ist, kommt man auch am Besten mit den Anderen, auch wenn sie etwas schwierig oder komisch sind, super klar. Jetzt habe ich praktisch durch die Blume geschrieben, dass ich sowohl erfolgreich wie auch gut voran kam. Dann sollte ich auch noch das Glück haben, einen Mitstreiter zu finden, mit dem ich dann Monikas Portokasse gewaltig schonen konnte. Und diese Sache kam im wahrsten Sinne über mich wie der Orgasmus beim Onanieren. Es war ein schöner warmer Tag und während eines Entspannungsspazierganges durchs Dorf traf ich Martina. Sie war entsprechend des Frühlings- beziehungsweise Frühsommerwetters recht sexy gekleidet. Außer ein paar Grußworte hatten wir allerdings nichts ausgetauscht. In diesem Moments hatte sie jedoch meine Fantasie angeregt, die dann, als ich wieder zuhause war, mit mir durchbrannte. Ich „träumte“ von einem flotten Dreier mit meinen beiden Frauen in einer Badewanne, wie man sie aus diverser 0190er-Werbungen aus den Nachtprogrammen privater Fernsehanbieter kennt. Dabei kam dann auch der Name Jens Flügge aus den tiefen meines Gedächtnis wieder hoch. Richtig, der Sexshopbetreiber, der schon damals zu den wohl am Meisten begeisterten Lokalfernsehen-Aktivisten gehörte. Warum sollte ich den nicht auch hinsichtlich der neuen Geschichte ansprechen. Gleich am Morgen des Folgetages rief ich ihn an und bekam auch gleich für den Spätnachmittag einen Termin in seiner neuzeitlichen Villa am Rande von Wollerst. Er empfing mich in einer Räumlichkeit, die eine Kombination aus Salon, Bar und „Hallenbad“ darstellte. Wir nahmen am Rande des nierenförmigen Beckens an einem Tisch in so utopischen, dafür nur halbwegs bequemen Sesseln platz. Er machte seinem Namen als Sexshopbesitzer alle Ehre und ließ uns von drei nackten Siliconeuterträgerinnen bedienen. Ich weiß nicht, was an so überdimensional aufgepumpten Busen schön sein soll. So wunderschöne Körpchenfüller, wie sie sowohl Monika wie auch Martina zueigen waren setzen doch die Hormone viel mehr in Schwingung. Schon am Morgen, als Flügge erst mal etwas vom Fernsehen hörte, war er von stürmischer Begeisterung hingerissen. Jetzt brauchte ich ihm gar nicht viel zu erzählen sondern er kam von sich aus gleich zur Sache. Er erzählte mir, dass er ein Film- und Fernsehstudio bauen und betreiben wolle. Natürlich wollte er dieses aus Gründen die in Richtung seiner Branche weisen, das heißt, dass er dort Pornofilme beziehungsweise –videos produzieren wolle. Dieses wolle er als seinen Beitrag zum Sponsoring dem Offenen Kanal für diesen zur Verfügung stellen. Von dort könne dann ja gesendet werden. Er erklärte mir, dass ich noch gerade rechtzeitig gekommen wäre, damit er noch einmal bevor es los ginge mit seinem Architekten sprechen könne, damit er das Haus planerisch auch räumlich so gestalten könne, dass Bumser nicht Jugendlichen über den Weg laufen können oder gar müssen. Ihm wäre es ja egal, er habe sich ja auch als Junge einiges gegönnt, aber er wolle nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, denn er wolle satte Geschäfte machen und nicht ins Gefängnis spazieren. Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir von
seinem Vater, einem Barbesitzer, dessen bestes Pferdchen seine Mutter gewesen wäre und beendet diese Erzählung mit der Frage: „Na und, ist deshalb aus mir ein schlechter Mensch geworden?“. Bei der Antwort bediente ich mich vorsichtshalber der Diplomatie, also der kultivierten Kunst des Lügens. Das Studio wäre der dickste Posten bei den Investitionen, die Monika hätte vornehmen müssen, gewesen. Jetzt hatten wir dafür jemand anders gefunden. Diese frohe Kunde musste ich Monika gleich, nach dem ich die Flüggevilla verlassen hatte, übermitteln. Natürlich wollte ich das heute nicht nur telefonisch sondern höchst persönlich machen. Na ja, ich gebe jetzt auch ehrlich zu, dass ich dabei einen menschlichen Hintergedanken hatte. Ich war durch die Atmosphäre am Pool dieses Herrn Jens Flügge so heiß gelaufen, dass ich nun ein fast unbekämpfbares Verlangen nach körperlichen Sex verspürte. So kam Monika erstmalig seit unserem neuerlichen Wiederfinden in den Genuss, dass ich mich selber zu einer Nacht bei ihr einlud. Am nächsten Morgen kam ihr obligatorisches Angebot, dass es ja immer so sein könne, welches ich wie immer mit dem Hinweis, dass ich im Kampf um Martina noch nicht aufgeben möchte, von mir wies. An jenem Tag hatte sie jedoch auch gegen meine Rückweisung etwas vorzutragen. Sie hatte tags zuvor Steffi in der Neuheimer Innenstadt getroffen und sich mit ihr, so wie sie sagte, ein Weilchen recht nett unterhalten. Steffi wäre jetzt der Meinung, dass ihre Eltern wohl nicht mehr zusammen kämen und ich deshalb bei Monika in guten Händen sei. Steffi hätte sich vorstellen können, dass sie und Monika auch in diesem Falle gute Freundinnen werden könnten. Zwei Tage darauf berichtete mir auch Steffi von diesem zufälligen Treffen und auch inhaltlich gleich von dem soeben wieder gegebenen Gespräch. Aber liebe Leserin, lieber Leser, wir werden ja noch sehen was sich wirklich wie entwickelt; wir sind ja noch lange nicht am Ende unserer Hexenberg-Geschichte.
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Schön wäre es ja Ab und zu bekommt man ja im Leben richtig was zum Staunen serviert. Staunen kann man, wenn etwas völlig Unerwartetes oder etwas gänzlich Überraschendes passiert. Nicht selten erscheint dieses Unerwartete beziehungsweise Überraschende wie ein Wunder. Aber Wunder gibt es nicht; mit solchen Dingen fängt man nur Naivlinge ein um sie in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen und/oder zu missbrauchen. Dieses gilt auch insbesondere in religiöser Hinsicht. Ich kann einfach nicht glauben, dass Gott, dessen Schöpfung ein einziges oder gar das einzige Wunder ist, es nötig hat sich gleich einem Magier den Menschen zu beweisen. Wenn man den Menschen weiß machen will, dass diese Wundergeschichten, so wie sie mit orientalischer Erzählkunst ausgeschmückt in der Bibel niedergeschrieben sind, wirklich so passiert seien, wirkt das gleich dem Versuch die Leute von der Aussage der biblischen Geschichte, vom großen Konsens, abzulenken. Die Leute sollen sich offensichtlich nicht mit den Inhalten sondern mit dem Klimbim drum herum beschäftigen. Dann wird das Unmögliche, das tausend Leute von einem Brot satt werden können, zur eigentlichen Sache und die wesentliche Aussage der Geschichte, um die es eigentlich geht, verschwindet im Wunderdunst. Damit kann man als Antichrist dann erreichen, dass sich real gebende Menschen sich mit den Worten „Solche Märchen kann man Vorschulkindern erzählen“ abwenden und die Antimission ist mal wieder perfekt gelungen. Jetzt jedoch wieder zur Sache, denn ich schreibe hier ja keine theologischen Abhandlungen sondern meine Geschichte, wie sie sich in den letzten Jahren ab 1998 zu Saßmannshausen-Hexenberg begab. Aber ich bin nicht von ungefähr auf das Staunen und auf Wunder gekommen, denn so ähnlich sieht das, was ich mit meinen Lokalfernsehenambitionen im Mai und Juni 1999 erlebte, tatsächlich aus. Bekannter Weise gibt es doch bei Dingen, die mehr als zwei Leute wissen, so gut wie keine Garantie dafür, dass nicht kurz darauf die halbe Welt davon Kenntnis hat. Gerade als ehemaliger Lokalredakteur kann ich davon ein Lied singen. Es gab zu meiner Zeit keine nichtöffentliche Sitzung im Rat der Stadt Saßmannshausen, deren Inhalte und Ergebnisse ich nicht spätestens am nächsten Mittag vollständig mit allen Namen, Daten und Fakten kannte. Allerdings gehörte ich zu den Leuten, denen man wirklich vertrauen konnte. Aber nicht aus edler Gesinnung sondern aus Egoismus. Im Falle eines Falles wusste ich immer mehr als andere und konnte dieses als Ellebogen zur Verteidigung meiner Position einsetzen ... und diese Waffe hätte ich mir ja selbst genommen, wenn ich mich am allgemeinen Singsang beteiligt hätte. Der Hintergrund für diese Redseligkeit der Menschen und für die kontinuierliche Verletzungen der Schweigepflicht ist einfach das angeborene Mitteilungsbedürfnis der meisten Leute. Wir gehören eben zu einer kommunikativen Gattung von ursprünglich in „Herden“ lebenden Lebewesen und sind nicht als eigenbrötlerische, total verschwiegene Einzelgänger geboren worden. So muss man es doch als bestaunenswertes Wunder ansehen, dass von meinen reichlichen Unternehmungen, mit denen ich recht viele Leute als Sponsoren und Veranstalter für unseren Offenen Kanal gewinnen wollte, im Großen und Ganzen nichts laut geworden ist. Weder der Neuheimer Kreisbote, und damit die NLZ, noch Verwaltungen und Räte im Kreis Neuheim, hatten bis Mitte Juni von meinen Aktivitäten Wind bekommen; nicht mal der leiseste Hauch war bis zu ihnen durchgedrungen. Aber auch hier handelte es sich um kein Wunder sondern das dürfte an meiner Person und an meinem, für die anderen zwiespältiges, Auftreten gelegen haben. War ich nicht unheimlich selbstbewusst und überzeugt in einer Angelegenheit, mit der ich schon im Vorjahr hauptamtlich betraut und gescheitert war, erschienen. Dazu kommt, dass ich im vergangenen Jahr die kapitalstarke NLZ im Rücken hatte und jetzt praktisch ein Habenichts war. Oder wie sollte man sonst einen arbeitslosen Exschreiberling von der Lokalpresse bezeichnen? Jetzt versuchte ich die Leute davon zu überzeugen, dass ich aus der nun wesentlich schwächeren Ausgangsposition etwas schaffe, was ich aus der vorherigen starken Position mit Marketingunterstützung nicht geschafft habe. Ich nehme an, dass gerade dieses mein Erfolgsgeheimnis war, denn in der Regel können sich mittellose Einzelkämpfer solange bis die Socken ausgequalmt sind auf die Wege begeben, etwas bewegen werden sie wohl kaum. Aber die Leute wussten bei mir jetzt nicht wo sie dran waren und beteiligten sich, insbesondere wo es momentan noch nichts kostete, an der Sache damit sie, wenn nicht sie aber alle anderen mitspielen, nicht das Nachsehen haben. Aber um sich, falls doch nichts dran ist, nicht selber lächerlich zu machen kam ihnen unsere Vereinbarung bezüglich Vertraulichkeit ganz gelegen. So funktionierte es augenscheinlich, dass ich so viel interessierte Leute zusammenbrachte, dass ich damit den Saalbau in Saßmannshausen füllen konnte und vorher diesbezüglich nicht einmal ein kleines Glöcklein an der falschen Stelle bimmelte. Schon in der ersten Junihälfte war ich dann soweit, dass wir an einen öffentlichen Großauftritt, mit dem Zweck den Stein ins Rollen zu bringen, denken mussten. Wir wollten dann zu Freitag, den 25. Juni 1999, in den bereits erwähnten Saalbau einladen. Und zwischen dem Postversand der Einladungen und der Veranstaltung wollten Marc und ich Vorsprachetouren bei den Spitzenbeamten in den Rathäusern unternehmen. Um diese Runde zu besprechen traf sich dann unsere Dreierbande bei Monika. Wir waren uns sicher auch in der nächsten Runde einen glänzenden Punktsieg verbuchen zu können. Die allzumenschliche Neugierde würde sie jetzt alle nach Saßmannshausen treiben und im Anblick der Menge wagt dann keiner mehr den Rückzug. Und überall wo es
heute Massenansammlungen gibt, fühlen sich Politiker und Spitzenbeamte zu großen Worten berufen, wobei es keine Rolle spielt ob es sich um die große Politik oder nur um einen Lokalklüngel handelt. Na ja, diese Worte der Politmatadore sollte man nicht überbewerten aber solange diese im Raume stehen kann man sich getrost im öffentlichen Wohlwollen sonnen. Da es jetzt um die Sache lauter wird dürften jetzt auch bei der Neuen Landeszeitung alle einschlägigen Glocken laut läuten. Jetzt konnten und wollten wir keine Rücksicht mehr nehmen und selbst Pressemitteilungen verfassen. In dieser Angelegenheit resümierte Monika: „Das hat ja ausnahmsweise wunderbar geklappt. Die Big Mans von der NLZ haben bis jetzt tatsächlich nichts mitgekriegt. Klar, das die jetzt putzmunter werden und, nachdem sie sich den Schlaf aus den Augen gewischt haben, nun das Ruder übernehmen wollen. Wir sind jetzt in der starken Position, dass wir den Platz des Steuermannes bereits innehaben und den müssen sie uns jetzt erst mal abschachern. Hätten die vorher davon Wind bekommen, hätten die sicher ein paar Mittelchen in ihrer Trickkiste gehabt, mit dem sie uns ohne langes Fackeln hätten über Bord werfen können. Es ist wirklich gut, dass ich mich bis jetzt im Background gehalten habe. Argwohn und Misstrauen gehören zum Geschäft und aus diesem Grunde beobachten die schon sehr genau, ob ich irgendwo geschäftlich in Erscheinung trete. Hätte ich von Anfang an öffentlich mitgewirkt, wären die schon viel früher aufgestanden. Dann hätten sie vielleicht die Sache schon dadurch in ihrem Sinne bereinigt, dass sie euch mit ihrem Apparat zu großmäuligen Hampelmänner erklärt hätten. Alle hätten gelacht und die Sache wäre erledigt gewesen“. „Dann sind wir ja jetzt an dem Punkt, wo auch sie (Frau Schneider) mit offenen Karten mitmischen können“, stellte Marc daraufhin fest. „Natürlich, könnte ich das,“, begann Monika ihre Antwort, „aber warum sollte ich. Bei der NLZ weiß man jetzt, auch ohne das ich es ihn verrate, das ich dahinter stecke. Da war und ist doch bekannt, das Reiner mein Exmann, der mir nicht ganz gleichgültig erscheint, ist und jetzt weiß man auch, dass er es war, der in dieser Sache vorpreschte. Natürlich wird man jetzt annehmen, dass er, der als der Macher erscheint, nicht als Kamikaze gestartet ist sondern sich zuvor meiner, zumindestens finanziellen, Rückendeckung versichert hat. Die werden nun mit Sicherheit versuchen mich auf die Bildfläche zurufen damit sie ihrem Gegner in Gänze in die Augen schauen können. ... Ich bin doch mal gespannt wie sie das anstellen. Und in euerem Fall ist auch damit zu rechnen, dass das Arbeitsamt, wenn sie meinen Namen hören, sofort versuchen werden euch bei mir abzuladen. Deshalb gedenke ich nicht, mich mit dem Outing zu überstürzen.“. Na, da blieb uns nichts anderes als ihr wieder einmal in allen Punkten recht zu geben. In einer anderen Angelegenheit, sprich in der Sache Martina, war es mir noch ganz recht, dass Monika nur im Verborgenen wirkte. Ich war zwar in letzter Zeit im Kampf um meine Ehefrau nicht mehr aktiv gewesen aber getrennt hatte ich mich von meinen diesbezüglichen Vorstellungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber in meiner Eheangelegenheit erfuhr ich einen Tag vor unserer Großveranstaltung, dass ich das Versteckspiel längst hätte aufgeben können. Als Organisator der ganzen Angelegenheit hatte ich mich somit auch gleich zum Hauptredner und Moderator der Veranstaltung erklärt. So wollte ich den Donnerstag dazu nutzen um mich auf diese, für den Folgetag um 16 Uhr angesetzte, Versammlung vorzubereiten. Bekanntermaßen konsumieren Nikotinabhängige bei solchen Tätigkeiten immer noch mehr von ihrem qualmenden Gift und so stand ich dann kurz nach Mittag ohne einen abbrennbaren Nuckelnachfolger da. Was soll es, ich machte mich auf den Weg zum Zigarettenautomaten. Bei der Gelegenheit traf ich dann, diesmal wirklich zufällig, da man sie um diese Zeit normalerweise in Wollerst auf ihrer Arbeitsstelle trifft, meine mir Nochangetraute. Sie nutzte diese Gelegenheit um mich nach einer Kabelinstallation, die ich mal vor ein paar Jahren, damals noch als der Herr des Hauses, habe durchführen lassen, zu befragen. Da war jetzt eine Änderung oder Reparatur notwendig und ich konnte Martina nun wirklich damit helfen indem ich ihr verriet, wo sie den Verlegplan finden konnte. Entgegen sonstiger Geflogenheiten bei unseren Zusammentreffen, hing sie an diesem Tage auch noch ein paar private Worte an: „Man sieht dich immer nur alleine spazieren gehen. Ich habe gehört, dass du jetzt wieder schwer beschäftigt bist und da brauch man auch mal so einen Spaziergang zum Auftanken. Warum unternimmst du deine Runde nicht gemeinsam mit Monika. Zu Zweit ist doch viel schöner für euch.“. Ich unterbrach sie um mich zu verteidigen: „Aber Mar...“. Weiter kam ich nicht, denn sie schaute mich schräg von der Seite an und betonte: „Reiner lass es. Ich wollte dir nur mitteilen, dass es dir weder Vor- noch Nachteile bringt wenn du versuchst Monika vor mir zu verstecken. Ich weiß schon seit ein paar Wochen, dass ihr euch wiedergefunden habt und wollte euch jetzt mit dieser Mitteilung nur ein Wenig helfen. ... Und damit du jetzt nicht die Falsche verdächtigst, Steffi hat wirklich nichts gesagt.“. Na ja, so hatten wir jetzt jedenfalls klare Verhältnisse. Der Zufall wollte es, das just in dem Moment als ich vom Zigarettenholen heimkehrte das Telefon schellte und Monika am Apparat war. Sie hatte am Morgen drei Kartons, die Akten und Gegenstände aus dem ehemaligen Büro von Wilfried Schneider enthielten, „entrümpelt“. Der Inhalt der Umzugskartons waren Dinge, die mal die Staatsanwaltschaft abgeholt und jetzt wieder zurück gebracht hatte. Abgeholt hatten sie allerdings so viel, dass damit sieben Umzugskartons gefüllt werden konnten und was zurück kam passte halt in nur drei Kartons; was
aber Monika vollkommen egal war. Wenn es nach ihr gegangen wäre hätten sie den Rest auch noch behalten können. Trotzdem hatte sie die Sachen einmal durchgesehen. Dabei hat sie einen Ordner gefunden, in dem so allerlei Gebührenordnungen, Rechtsgrundlagen und Anschriften, die beim Betrieb eines Fernsehsenders ganz nützlich sein könnten, gefunden. Sie fragte mich nun telefonisch ob ich den Ordner haben wollte und sie diesen für mich verwahren sollte. Dieses beantwortet ich jetzt für sie erstaunlich: „Du kannst mir den Ordner verwahren aber auch ... wenn du willst, mir vorbei bringen. Dann habe ich als Nebenwirkung hier ein Wenig Gesellschaft.“. Sie stutzte zunächst gehörig, denn ähnliche Sachen, zum Beispiel mich zuhause abzuholen oder abzusetzen, hatte ich bisher unter Hinweis auf Martina strickt abgelehnt. Danach reagiert Monika jedoch eiligst. Sie sagte: „Ich bin schon unterwegs“ und legte schnell auf, damit ich es mir nicht doch nicht noch wieder anders überlegen könne. Als Monika eine halbe Stunde darauf bei mir eintraf musste sie dann doch eine kleine Enttäuschung einstecken. Sie hatte gehofft, dass mein Sinneswandel auf Einsicht beruhe. Das heißt, dass sie annahm ich hätte meine Hoffnungen und Aktivitäten in Richtung Martina „endlich“ eingestellt. Dieses wäre ja für sie der Zeitpunkt gewesen, wo sie mich nach ihren Vorstellungen als ihren Mann wieder hätte heimführen können. Als ich ihr aber von der kurz zuvor stattgefundenen Begegnung erzählte und dabei einfügte, dass ich meine Träume noch nicht begraben hätte sondern damit bis September warten wollte, blieb ihr nur der Seufzer „Schön wäre es ja gewesen.“. Aber immerhin hatte sie jetzt ja einen großen Teilerfolg erzielt, da ich mich ab sofort willig zeigte, mich mit ihr auch wieder gemeinsam in der Öffentlichkeit zu zeigen. Und das Trostpflaster, was ich für sie bereit hielt, entschädigte sie darüber hinaus noch ein Wenig mehr: Ich war bereit, mit ihr das ganze Wochenende, ab dem nun folgenden Freitagabend, zu verbringen. An diesem Donnerstag wollten wir jedoch zur Abendstunde wieder „schön sittsam“ auseinander gehen. Gegen Sieben gesellte sich noch ein weiterer Überraschungsgast zu uns. Steffi hatte nach Geschäftsschluss Waymann, dessen Wagen vor dem EDEKA-Laden offenbar seinen Geist aufgeben wollte, nach Hause gebracht und sie nutzte die Gelegenheit um noch „schnell auf einen Sprung“ bei mir rein zu schauen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sie bereits angeschellt hatte, war ihr Monikas vor dem Haus stehendes Auto entgangen. Als sie es bemerkte war es zu spät, denn ich hatte bereits geöffnet. „Au Vati, ich wollte nicht stören.“, stotterte sie los, „Ich glaube ich komme lieber nächste Woche mal angemeldeter Weise vorbei.“. Mit „Ach komm, Mäuschen. Ich freue mich doch, das du gekommen bist“ zog ich sie hinein. Scheinbar unterbewusst gesteuert sprudelt, nachdem sie auch Monika begrüßt hatte, „Zum dritten Mal treffe ich euch beide zusammen an und zum ersten Mal seid ihr bei der Gelegenheit richtig bekleidet“ aus ihr heraus. Nachdem Monika diese Aussage mit einem Lacher und dem Kommentar „Beim ersten Mal hattest du auch nicht gerade viel mehr an“ quittiert hatte, kamen die beiden ins Gespräch. Dabei konnte ich nur noch als Zuschauer und Zuhörer in der eigenen Wohnung fungieren. Aber das war mir ganz recht, denn die beiden wurden zunehmenst miteinander warm und letztlich konnte man annehmen, die beiden wären gute, nur altersunterschiedliche, Freundinnen. Immerhin war es halb Zehn als sich die beiden zum gleichen Zeitpunkt von mir verabschiedeten. Während Monika im Konjunktiv „Schön wäre es ja“ gesprochen hatte konnte ich die Feststellung treffen „Schön ist es ja“ und meinte damit, dass ich jetzt nicht aufgrund meiner Beziehung zu Monika meine Tochter wieder verlieren würde. Offensichtlich standen in jenen Tagen meine Sterne so günstig wie nie zuvor. Auch die Veranstaltung am Freitag wurde ein Bombenerfolg. Marc Kampmann teilte auf dieser Veranstaltung mit, das seitens der Landesregierung und der Landesmedienanstalt mehr als positive Signale, fast verbindliche Zusagen, ausgesandt worden seien. Möglicherweise könnte man den Kabelkanal, der jetzt vom türkischen Staatssender TRT belegt ist, haben und noch vor Weihnachten mit dem Sendebetrieb beginnen. Danach war ich dann an der Reihe und auch meine Ausführungen fanden nur Begeisterung. Ich konnte unter anderem verkünden, das dank des Studiobetriebes, den Flügge zur Verfügung stellen wolle, und der, sogar mehr als ausreichend zugesagten Sponsorengelder, einem Sendebeginn spätestens Anfang des kommenden Jahres nichts mehr im Wege stehen würde. Im Verlauf der Versammlung wird die Gründung von zwei Vereinen – einmal der „Verein Bürgerfernsehen Offener Kanal Kreis Neuheim“ und einmal den „Förderverein Offener Kanal Kreis Neuheim“ angeregt und beschlossen. Die ordentlichen Gründungsversammlungen sollen bereits im September stattfinden. Marcs Schwager, der bei dieser Gelegenheit persönlich anwesend war, wurde offiziell mit der Ausarbeitung der Satzungen beauftragt. Auch die fast vollzählig vertretenen Bürgermeister sowie der Landrat des Kreises Neuheim bekundeten, dass sie jetzt Initiativen in Richtung Beteiligung der Kommunen und des Kreises einleiten wollten. Schön wäre es ja gewesen, wenn damit jetzt alles gelaufen wäre. Aber so etwas gibt es nur im Märchen aber nicht im Leben. Es sollten uns doch noch einige dicke Brocken entgegen geschleudert werden. Der erste kam aus Richtung eines Veranstaltungsteilnehmers, der zwar nicht geladen aber trotzdem dabei war. Ich konnte seine Auftaktveranstaltung, als ich mit Monika einen Innenstadtbummel in Neuheim machte, live miterleben. Zuvor hatte Monika den Wunsch geäußert sich doch mit mir mal so richtig in der Öffentlichkeit zu zeigen und ich hatte ihr diesbezüglich nicht widersprochen. Da trafen wir dann in der Stadt auf eine sich mordsmäßig amüsierende Menschenansammlung. Es war das gleiche Schauspiel wie ich es schon einmal, damals als ich Marc Kampmann das erste Mal traf, miterlebt hatte. Wieder stand der Prophet vom Hexenberg alias Ernst Schöller im langen
Nachthemd, wieder unrasiert und unfrisiert, auf einem Podest und predigte. Diesmal hieß sein Thema „Sodom und Gomorrha“. Allerdings hielt er sich an diesem Morgen nicht, wie sonst bei ihm üblich wörtlich, an die Geschichte aus der Bibel sondern er übertrug die Namen dieser alttestamentlichen Städte auf den heutigen Kreis Neuheim. Er prangerte das sündige Leben in unserer Heimat im Jahre 1999 an. Er sprach von Ehebrechern und Pornografen, die ein Lokalfernsehen machen wollten. Er malte aus wie in deren Studio gleichzeitig Programme mit und für Kindern und pornografischer Schmutz produziert werden würden. Damals, als die Offenbarung sein Thema war, hätte ich, wenn ich mein Gewissen befragt hätte, einschreiten müssen und habe mich stattdessen doch irgendwo mitamüsiert. Jetzt konnte ich mich gar nicht amüsieren und wollte unbedingt einschreiten. Monika hielt mich aus guten Gründen, die sie mir im Anschluss erläuterte, aber davon zurück. Natürlich war Monika auch der Meinung, dass Schöller unter Verletzung seiner eigenen Würde Marc, mich und vor allen Dingen Flügge kräftig beleidigte und arg verleumdete. Seine Behauptungen vom öffentlichen Pornofernsehen waren natürlich weit von jeder Realität entfernt. Zum Glück, so nahm Monika an, wurde er von niemanden hier auf den Platz ernst genommen und somit ist alles das, was er sagt, spätestens ab Beginn der nächsten Spaßveranstaltung vergessen und keinen Menschen stört es mehr. Würde ich jetzt aber einschreiten, würde ich damit bei den Leuten den Verdacht erwecken, dass Schöllers dumme Gequake keine Hirngespinste sind sondern einen realen Hintergrund haben. Damit würde ich dann die Geister wecken, die wir im Moment gar nicht gebrauchen können. Selbsternannte Jugendschützer sowie Sitte- und Moralapostel würden gegen unser Bürgerfernsehen Sturm laufen. Der lachende Dritte wäre in diesem Fall die NLZ, denn wenn sich aufgrund des entstehenden Wirbels die Sponsoren zurückziehen, hat der Medienkonzern sein Monopol auf dem Werbemarkt erfolgreich und große Kraftanstrengung verteidigt. Monika dürfte durchaus Recht gehabt haben, denn seitens des Neuheimer Kreisboten wurde die Geschichte vom „Propheten in der Innenstadt“ ohnehin im Sinne des NLZ-Konzerns aufgenommen und ausgeschlachtet. Hierauf konnten wir dann jedoch gelassen kontern, was im Falle eines Einschreitens so nicht funktioniert hätte. Auf Anraten Monikas, die ja praktisch in den Neuheimer Kreisboten geboren wurde und darin ihr Leben verbrachte, ignorierten wir auch den Dreispalter auf der Neuheimer Lokalseite. Wie sie erwartet hatte, meldeten sich darauf bei uns eine Reihe Leute, die sich als Sponsoren oder Anbieter zur Mitarbeit gemeldet hatten, mit der Bitte um Klarstellung. Darunter waren dann auch die Bürgermeister, die sich bei der Freitagsveranstaltung weit aus dem Fenster gelegt hatten. Mit denen konnte dann eine offiziell klingende Stellungnahme im Namen aller Beteiligten verabredete werden. Unter Bezugnahme auf den Artikel über den Propheten erklärten wir es für wichtig, dass es sich dabei um „Hirngespinste“ eines offensichtlich kranken Religionsfanatikers handele, an der nichts dran sei. Es läge lediglich ein Angebot eines Erotikfilmproduzenten vor, dass wir seine Studiobetriebe kostenlos mitbenutzen dürften, vor. Dieses Angebot müsse aber gründlich geprüft werden bevor man eine Entscheidung trifft. Dazu wären ja die Kommunen, die sich beteiligen wollten, schon von Gesetz wegen verpflichtet. Na ja, diese Schlacht war gewonnen aber dadurch waren wir in die Situation geraten, dass Monika doch gegebenenfalls die Investitionen in den Sendebetrieb hätte vorfinanzieren müssen, was aber zu unserem Glück zu jenem Zeitpunkt noch von keiner Seite angestoßen wurde. Der „Fall Schöller“ war also dank Monikas Umsicht leicht zu lösen gewesen. Da war der zweite Fall, der des türkischen Brotbäckers Ökdal, schon eine wesentliche härtere Nuss. Von ihm, der sich selbst am Sponsorenring beteiligen wollte, hatten wir im Vorfeld in keiner Weise eine Gegnerschaft erwartet. Im Gegensatz zu Schöller ist Ökdal einer intelligenter Mann mit großen strategischen wie diplomatischen Fähigkeiten und dadurch schon ein gefährlicher Gegner. Er erklärte, dass er selbst ein großer Befürworter eines Bürgerfernsehens sei, was er in der Vergangenheit auch immer aktiv nachgewiesen habe. Aber das Ganze dürfe jedoch nicht auf Kosten von Minderheiten gehen – und für die wollte er streiten. Er behauptete, dass das internationale Programm des türkischen Staatssenders TRT ein wichtiges Bindeglied zwischen den Deutschen türkischer Herkunft, zu denen er selbst gehört, beziehungsweise den sogenannten „Ausländischen Mitbürger“ und dem Herkunftsland ihrer Väter wäre und dieser Sender somit wichtig für deren kulturelle Identität sei. Daher laute nun seine Devise „Bürgerfernsehen ja, aber nicht auf Kosten des TRT“. Unser Hinweis, dass für die Vergabe von Kabelkanälen die Landesmedienanstalt und nicht wir zuständig sei, konterte er mit der Begründung ab, dass mit dem Sendebeginn ja solange gewartet werden könne bis anderweitig Kanäle zur Verfügung stünden. Schlimm für uns war, dass er kein Einzelkämpfer war sondern ihm war es gelungen nicht nur die Türkisch-Islamischen Vereine sondern auch alternative deutsche Multikultis für sein Anliegen zu aktivieren. Sehr schnell merkten wir, dass das TRT für Ökdal nur ein vorgeschobenes Argument war. Er wollte ganz etwas anderes. Er zeigte sich nämlich diesbezüglich uns gegenüber sehr verständig und verhandlungsbereit. Seiner Meinung nach könnte ja tatsächlich auf TRT verzichtet werden wenn den Türkisch-Islamischen Vereinen bestimmte Sendezeiten und Programmen satzungsmäßig beziehungsweise im Gesellschaftervertrag garantiert würden. Er wollte sich nicht auf die Zeit nach den Gründungsversammlungen vertrösten lassen, da auf diesen ja die Satzung, die von Marcs Schwager ausgearbeitet werden, verabschiedet werden sollten. Daraus ergab sich dann ja auch schon ein schwer zulösendes juristische Probleme im Vorfeld. Für solche Zusagen hatten wir vor
der offiziellen Gründung überhaupt keine Kompetenz; wir hätten also eigenmächtig ohne Auftrag gehandelt. Berücksichtigen wir diese Sache nicht, dann hat er letztlich in der Tat wirklich recht, denn der Zug dürfte mit der Gründungsversammlung für ihn endgültig abgefahren sein. Sein Anliegen machte uns auch im Hinblick auf das gesellschaftliche Denken in unserem Lande Probleme. Sowohl Marc wie auch ich hatten keine Schwierigkeiten mit der Frage ob islamische Sendungen oder Programme mit türkischen kulturellen Inhalten gebracht werden sollten. Ganz im Gegenteil so etwas vor den Augen der Öffentlichkeit schien uns besser als das, was vermutlich in Hinterhofmoscheen abläuft. Außerdem dürften Beiträge aus anderen Kulturen sicherlich eine Bereicherung für das Bürgerfernsehen sein. Aber wie kann man das den populistischen Verteidigern der westlichen Werte gegen die Islamisierung weiß machen? Und diese Leute sind in der Lage den Mob zu mobilisieren und dann die ganze Sache zu zerstören. Na ja, aus den besagten Gründen wurde Ökdal dann das Sommerthema für Marc und für mich. Mit unserem Gegner Nummer Drei hatten dann Monika und insbesondere Marcs Schwager ihr Sommerthema. Dieser operierte vor den Augen der Öffentlichkeit lautlos und kämpfte mit den Mitteln der Jurrespodenz. Monika erhielt ein Schreiben von der Geschäftsleitung der Neuen Landeszeitung, in dem man sie aus „gegebenen Anlass“ daran erinnerte, das ausgeschiedene Gesellschafter sich bis zu 5 Jahre nach ihrem Ausscheiden nicht an Unternehmungen, die im Wettbewerb zur NLZ stehen oder deren Unternehmenszweck gegen die Interessen der NLZ gerichtet sind, beteiligen dürfen. Man nannte die Rechtsgrundlagen für diese Ausschlussklausel und wies sie daraufhin, dass der Gesellschaftervertrag für sie diesbezüglich weiter gültig sei. Dieses Schreiben beantwortet Monika persönlich. Sie wies es einfach mit Empörung zurück, da sie keinen Grund für eine solche Erinnerung an Dinge, die ihr selbstverständlich bekannt wären, sehen könne. Sie schloss das Schreiben mit „Hiermit verbitte ich mir ausdrücklich jede weitere beleidigenden Unterstellung dieser Art, da ich ansonsten rechtliche Schritte in Erwägung ziehen muss.“. Damit hatte sie sich natürlich die Leute keinesfalls vom Halse geschafft. In einem weiteren Schreiben behauptete der Rechtsverdreher der NLZ, dass Monika unter der Nutzung eines Strohmannes die Begründung eines Medienunternehmens in Konkurrenz zum Neuheimer Kreisboten betreibe. Auch dieses Schreiben wies sie als unhaltbar mit der Androhung einer Strafanzeige wegen Leumundes zurück. Klar, darauf folgte noch ein dritter Brief. Jetzt nannte man Ross und Reiter. Jetzt sprach man das Bürgerfernsehen direkt an und hatte einen Namen für den Strohmann: Reiner Schreiber. Diesmal beauftragte sie jedoch ihren Anwalt mit der Beantwortung des Schreibens. In diesem ließ sie erstens Schnüffeleien in ihrem Privatleben untersagen und zweitens betonen, dass sie juristisch nicht für die eigenständigen wirtschaftlichen Unternehmungen ihres, seit Jahren vor ihr geschiedenen, Exmannes verantwortlich gemacht werden könne und die Bestimmung des Gesellschaftsvertrages für diesen keine Bedeutung hätten. Letztlich kam noch die Bemerkung, dass sie der Meinung sei, das die Bezeichnung „Strohmann“ für einen ungescholten Mann eine beleidigende Äußerung sei. Als ich mich mit ihr über diese Geschichte unterhielt fragte ich sie, was sie jetzt zutun gedächte, wenn es sich doch als notwendig erweisen würde, dass sie, zum Beispiel wenn sie anstelle von Flügge das Fernsehstudio vorfinanzieren muss, aus dem Verborgenen ins Licht der Öffentlichkeit treten müsste. „Das was ich dann in diesem Fall tun muss,“, begann sie locker mit der Beantwortung, „ich trete ins Rampenlicht. Du musst das Ganze nicht überbewerten. Was die NLZ da macht ist nichts anderes als geschäftsübliche Muskelspielerei. Im Falle eines Falles haben die diesbezüglich auch schlechte Karten. Was die selbstverständlich auch selbst wissen. Aber da kommt es ihnen auch nicht darauf an. Für die ist es wichtig, dass sie im Falle eines Falles mit mir verhandeln können. Das können sie aber nicht, wenn ich keinen Grund sehe, mit denen überhaupt sprechen zu müssen. Jetzt versucht man mit bloßen juristischen Unterstellungen, die man später wieder sang- und klanglos von der Bildfläche verschwinden lässt, meine Gesprächsbereitschaft zu wecken. Das könnte ich mir jetzt natürlich mit völliger Ignoranz vom Halse schaffen. Ich mache es aber nicht, weil ich auch Geschäftsfrau bin und richtig mitpokern kann. Wenn man mit der Peitsche nicht weiter kommt, versucht man es mit dem Zuckerbrot. Das heißt, dass man mir möglicher Weise am Tage X ein Angebot unterbreiten muss. Und das will ich mir doch ganz gerne ansehen.“. Na ja, so ein Bisschen schien ja doch vom Vater auf die Tochter übergegangen zu sein, zumindestens diese Art und Weise hatte sie von ihm geerbt. Das was Marcs Schwager mit der NLZ zuschaffen hatte war dagegen schon ein etwas ernsteres Kaliber. Da ging es um den gesetzlich garantierten Bestandsschutz von Medienunternehmen, um landesrechtliche Bestimmungen und um öffentliche Zusagen, die ihnen vom Kreis Neuheim und den ihm angeschlossenen Kommunen gemacht worden sind. In dieser Angelegenheit wurden die NLZ-Juristen auch beim Kreis sowie auch bei den Städten und Gemeinden vorstellig. Davon berichte ich jetzt aber nichts, denn das ist erstens aus meiner Sicht langweilig und zweitens habe ich davon auch beim besten Willen keine Ahnung. Die einzelnen Vorgänge habe ich mir lediglich ohne innere Anteilnahme berichten lassen. Ich sprach nur einmal mit Monika darüber, was denn sei, wenn sich die NLZ in dieser Geschichte letztlich doch durchsetzen und alles wieder „platt“ machen würden. Aber auch in diesem Punkt sah sie es ganz lässig: „Schön wäre es ja aber es muss nicht sein. Dann lassen wir es halt und machen was anderes ... oder auch nichts, denn mit meinem Geld können wir auch ohne Arbeit leben. Es gibt ja
keinen Zwang das wir Fernsehgründer werden müssen.“. „Warum bist du bei der Einstellung überhaupt erst eingestiegen?“, fragte ich sie daraufhin. Ehrlich antworte sie: „Ich sagte ja, schön wäre es ja. Also es macht mir wirklich Spaß und deshalb bin ich auch ganz bei der Sache. Und mein zweiter Grund ... der eigentliche Grund für mich, hat mit einem gewissen Reiner Schreiber zu tun – und diesen Grund kannst du dir als Betroffener sicherlich selber denken.“. Aber diese lockere Sichtweise besagt wirklich nicht, dass Monika nicht engagiert bei der Sache gewesen wäre. Teilweise erwies sie sich sogar als der Motor unserer Dreierbande. Ich überlegte schon mal, ob nicht vielleicht Gelassenheit ein echtes Erfolgsrezept ist, denn entsprechend meiner Erinnerung ist alles, wo ich verkrampft und mit Verbissenheit dran gegangen bin, immer gründlichst „in die Hosen gegangen“. Wie man sieht, war ich durch die erste Versammlung der gründungswilligen Fernsehinteressenten nicht arbeitslos geworden obwohl ich dieses offiziell immer noch war. Mit diesen Worten komme ich jetzt auf meinen ganz privaten „Gegner“, das Arbeitsamt, zu schreiben. Das wurde, als es von meinem Engagement hörte – und das war ja mit der Ankündigung und Durchführung im Saalbau Saßmannshausen nicht zu vermeiden - auch wieder in Richtung „nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“ munter. Aber ich hatte ja damals, als ich mal locker verplaudert hatte, gelernt. Diesmal wies ich gleich daraufhin, dass ich mich ausschließlich ehrenamtlich bei der Begründung von Vereinen betätigte, aber ehrenamtliche Tätigkeiten in und für Vereine sei ja keine Arbeit im Sinne des Arbeits-Förderungs-Gesetzes AFG und leben könne davon ja kein Mensch, noch nicht einmal Existenzkünstler. Gleichzeitig fragte ich an ob sie mir endlich eine angemessene Tätigkeit anbieten könnten, da meine eigenen Bemühungen bis jetzt leider nicht erfolgreich gewesen wären. Damit war dann auch dieser Kuchen für mich gegessen. Jetzt gibt es natürlich Leute, die fragen ob ich mir denn bei einem Leben auf Kosten der Allgemeinheit nicht schäbig vorkäme. Meistens sind das die modernen Leute, die bei kleinen Auffahrunfällen, also wenn sie mal jemand leicht an der Stoßstange angetickt hat, gleich Anzeichen für ein sehr schweres Schleudertrauma verspüren. Also die Leute, die sich in keiner Weise genieren Geld von den Versicherungen zu nehmen. Abkassieren bis zum geht nicht mehr ist ja völlig in. Da wird oft bedauert, dass wir hier in unserer Justiz noch keine US-Horror-Verhältnisse haben. Den Zeitgenossen muss ich aber sagen, dass Arbeitslosengeld eine Versicherungsleistung darstellt, eigentlich eine Versicherungsleistung wie jede andere auch. Für das Risiko einer eventuellen Arbeitslosigkeit habe ich zuvor über 30 Jahre meine Prämien eingezahlt ... und die wurden sogar von meinen Arbeitgebern zwangsweise. Also, die waren immer überpünktlich bei dem Versicherungsträger, der Bundesanstalt für Arbeit. Man sollte richtiger Weise nicht vergessen, dass es sich beim Arbeitslosengeld tatsächlich um Leistungen aus einer Versicherung handelt. Das sollten sich vor allen Dingen mal die populistische Phrasen dreschenden Politiker hinter die Ohren schreiben, die die Arbeitslosigkeit durch Senkung des Arbeitslosengeldes bekämpfen wollen. Wir brauchen Arbeitsplätze und keine Anreize etwas nicht vorhandenes aufzunehmen. Ich möchte mal wissen, was los wäre, wenn ein Politikus im Wahlkrampf, der immer so ist sieht wie Produktwerbung für jeden Mist, vorschlagen würde, zur Hebung der Aufmerksamkeit im Straßenverkehr, die Leistungen der Kfz-Versicherungen auf die Abschleppkosten abzusenken. Aber in beiden Fällen handelt es sich um das Gleiche, um Leistungen aus einschlägigen Versicherungen. Die Leute sind nur so naiv, dass sie sich in solchen Fällen immer gerne ein X für ein U verkaufen lassen. Schön wäre es ja, wenn nur ein Bisschen mehr gedacht würde. Soweit die Schlagzeilen zu den Vorgängen rund um das Neuheimer Bürgerfernsehen im Juli 1999 – in diesem Monat spielte sich das, was ich zuvor ausführlich nämlich alles ab. Zu recht wird jetzt diese oder jener sagen, dass das aber nicht nach einer tagesfüllenden Beschäftigung für mich ausgesehen habe. Richtig, ich habe mich natürlich nicht von Morgens bis Abends mit Ökdal und Monika unterhalten und auseinandergesetzt; für alles andere waren ohnehin Marc Kampmann beziehungsweise dessen Schwager oder Monika selbst zuständig. Aber trotzdem muss ich sagen, dass ich wirklich ganz gut ausgelastet gewesen bin. Und zwar in etwa mit den gleichen Sachen wie ein Jahr zuvor, als meine Arbeit noch nach dem aussah, wie sie damals auch hieß, also der eines Chefredakteurs. Es ging also darum, mit was man wie zu welchen Zeiten das Bürgerfernsehen, wenn es mal da ist, mit Leben ausfüllen kann. Im Gegensatz zum Vorjahr ging es aber dabei nicht gleichzeitig um Produktionen und konkrete Sendetermine, denn erstens musste ja der organisatorische Rahmen offiziell erst einmal stehen und zweitens musste so gut wie alles, was man zum Senden braucht, erst noch geschaffen werden. Der allerfrüheste Sendestart, den ich persönlich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht so sah, wäre kurz vor Weihnachten gewesen. Aber trotzdem hatte ich ganz gut zu tun. Auch meine Beziehungen zu meiner Monika hatten in dieser Zeit wieder Vorjahresniveau erreicht. Wochenende für Wochenende genossen wir gemeinsam. Allerdings schwärmten wir nicht wie in 1998 in die Ferne sondern unternahmen Ausflüge, mit und ohne Auto, und Spaziergänge im Kreis Neuheim, bummelten mal durch Neuheim oder Saßmannshausen oder ließen es uns in der heimischen Gastronomie gut gehen. Übernachtet haben wir von Freitag bis Sonntag immer in der Rollmannvilla. Wochentags beschäftigte ich mich dann ausschließlich mit der mir selbst gestellten Aufgabe und des Abends tat ich mir dann zu Hause, in den eigenen vier Wänden, die Ruhe an. Einmal die Woche kam dann Steffi mal so für eine Stunde zum Besuch vorbei. Alles in Allem kann ich sagen, dass ich wieder einem geregelten Leben nachkam. Die aufmerksame Leserschaft wird es gemerkt haben: Martina kommt darin ja überhaupt nicht vor. Das ist aber jetzt keine Nachlässigkeit bei der Niederschrift
sondern sie war tatsächlich in jener Zeit kein Thema für mich. Aber so wie im Juli des Jahres 1999 sollte es nicht bleiben. Schon sehr bald sollte wieder Bewegung in unsere Leben kommen, schon sehr bald wird es wieder dramatisch. Bereits im Monat August, in dem es im nächsten Kapitel schreibe, wurden wieder die Weichen in aufregende Zeiten gestellt. Na, blättern wir einfach mal um.
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Unerwartete Schützenhilfe auf allen Gebieten Das Datum 30. Juli 1999, ein Freitag, werde ich wohl so schnell nicht wieder vergessen können. Wie ich im vorhergehenden Kapitel schilderte, erlebte ich im Monat Juli zwar keine heile Welt – zu viele Probleme standen noch weiterhin offen – aber es lief alles irgendwie so wunderbar; fast wie geschmiert. So etwas kann natürlich nicht dauerhaft so bleiben, denn der Weg durchs Leben ist halt keine ebene, kreuzungslose Prachtallee sondern ein sehr holpriger Auf- und Abpfad mit unzähligen Einmündungen und Kreuzungen. Wir leben ja in dieser Welt nicht als Einzelwesen auf dessen Träume, Wünsche, Interessen und Pläne der Planet Erde abgestimmt ist sondern wir haben Milliarden von Mitmenschen, die sich ihre eigenen Vorstellungen und Vorhaben zum Ziele gesetzt haben. Rein zwangsläufig läuft man sich über den Weg und wirkt mit seinen eigenen Intuitionen auf die Anderen, deren Projektionen von denen des Ersteren mal weniger und mal mehr abweichen, ein. Die Folge ist, dass niemand immer so weiter marschieren kann, wie er sich das ursprünglich gedacht hat. Auch wenn sich der Stärke letztendlich durchsetzt ergeben sich durch das Kampfgeplänkel auch für ihn andere Ausgangspositionen die Korrekturen an seinem Kurs bedingen. Am besagten 30. Juli schienen sich alle, die mich aus der scheinbar immer glatter werdenden Bahn schmeißen wollten, verabredet zu haben. Dabei kann ich nicht einmal von einem schwarzen Freitag schreiben, denn mit jedem Niederschläger kamen gleich neue Hoffnungsträger auf die Bühne meines Lebens. Es war ein echt turbulenter Schicksalstag, von dem ich hier jetzt nur das Wichtigste wiedergeben möchte. Es ging schon am frühen Morgen, als ich noch im Bett lag, los. Ich hatte mir kurz nach Sechs das Radio angestellt und lag noch ein Wenig in den gerade begonnen Tag dösend in der Horizontale. Der eingestellte Sender im Radio war unser Lokalfunk, der von seinem Musikprogramm bestimmt nicht auf meiner Wellenlänge liegt. Ich halte die Musik, die augenscheinlich auf Leute bis höchstens Mitte Vierzig abzielt, für ein Wenig marktschreierisch. Persönlich bin ich mehr für den guten alten Schlager, der mich von Zeit zu Zeit auch zum Mitsingen animiert. Aber es geht im Programm des Lokalfunks ja auch in erster Linie darum lokale Werbung an die Leute, die da für empfänglich sind, sprich die Generation von 15 bis Mitte Vierzig, zu bringen. Was an Informationen geliefert wird kann dafür auch nur als sehr dürftig bezeichnet werden. Für eine Unsitte halte ich es unter anderem, das zwischen den einzelnen Musikbeiträgen immer schon die einzelnen Nachrichten, die man dann um Halb beziehungsweise um Voll in 2-Minuten-Nachrichten zusammenfasst, als Zwischenmoderation bringt. Dann kommt immer der nichtssagende Spruch: „Bei uns wissen sie schon vor der halben Stunde mehr“ obwohl man dank dieser Sendezeitschinderei im Grunde viel weniger weiß als das bei einem Magazin eines ARD-Senders üblich ist. Jetzt könnte man mich fragen, warum ich diesen heimischen Sender, wenn ich doch so wenig davon halte, überhaupt einschalte und ich wüsste dann aber nicht was ich darauf antworten sollte – ich kann nur sagen, dass ich es halt mache. Da kam dann auch eine solche Meldung, die eigentlich zu den Halb-Sieben-Lokal-Nachrichten gehörte. Diese spottähnlich dargebrachte Meldung riss mich dann doch umgehend aus den Federn. Da hieß es unter Berufung auf einen Artikel im Neuheimer Kreisboten vom gleichen Tage, dass wohl einige Leute im Kreis ihre Träume von einem Hobbyfernsehen begraben müssten, da laut einem Rechtsgutachten, welches bei der NLZ vorläge, nur diese einen rechtsmäßigen Sendebetrieb aufnehmen dürften. Leider ist eine solche Schlagwortfetzerei, nicht nur bei unserem Lokalfunk, so dürftig, dass man glaubt eine Information zu haben aber man kann in der Regel damit nichts anfangen kann, weil es im Grunde doch keine war. Da kann man sich vorstellen, dass ich in diesem Falle, wo ich mich persönlich betroffen fühlte, heiß auf wahre Information war und deshalb gleich aufsprang. Nachdem ich mir meinen Jogginganzug übergezogen hatte, eilte ich zum Briefkasten um mir daraus den Kreisboten zu holen. Da gab es dann gleich die nächste Überraschung. Heute hatte ich meine Zeitung nicht im Kasten. Das passiert schon mal in der Urlaubszeit, wenn Aushilfsboten mit alten Listen auf den Weg geschickt werden. Ein Anruf bei der Geschäftsstelle, die einen dann jedoch die Zeitung nachbringen lässt, genügt in der Regel um ab den nächsten Morgen wieder wie vereinbart beliefert wird. Als ich danach wieder in die Wohnung kam schellte das Telefon. Dieses war der früheste Anruf, der mich in den letzten Jahren erreichte. Je nach allgemeiner „Wetterlage“ wäre ich an anderen Tagen entweder erschrocken oder nur sehr überrascht gewesen. Heute dachte ich mir, bevor ich auf dem Display den Anrufer identifizieren konnte, dass das bestimmt Monika oder Marc wären, die auch von der NLZ-Kunde aufgeschockt worden wären. Auf dem Wege zum Telefon dachte ich mir, dass die vielleicht schon aus der Zeitung mehr wussten als ich. Halb hatte ich mit meinen Vermutungen sogar recht: Es war Monika, deren Stimme leidvoll klang. Da musste ich sie doch wohl erst mal trösten und sagte gleich: „Ach Mausi, so schlimm ist das doch nicht ... Davon geht doch die Welt nicht gleich unter.“. Dafür durfte ich mich dann, als ich wusste was eigentlich der Grund ihres Anrufes war, auch gleich wieder entschuldigen. Monika ging es an diesem Morgen schlecht. Sie hatte Schmerzen im Bauch und Rücken und wollte mich bitten doch zu ihr zu kommen. Also wirklich, ein Tag der so beginnt, kommt einem schon am Morgen wie komplett gelaufen vor. Da wünscht man sich richtig, dass es einen Knall gibt und man vor dem Bett liegend feststellen darf, dass alles nur ein verwegener Traum war. Aber den erhofften Knall gab es
nicht, es war leider alles raue Wirklichkeit. Ich war tatsächlich schon zuvor erwacht und der vorletzte Tag des Monats Juli hatte wirklich so turbulent begonnen und es sollte noch nicht das letzte sein, was ich an diesem Morgen zu erwarten hatte. Ich begab mich selbstverständlich sofort nachdem ich das Telefon aufgelegt hatte an meine Morgentoilette und an das Anziehen. Ohne Frühstück machte ich auf den Weg zur Rollmannvilla in Neuheim. Monika war wirklich schlecht dran, so dass mein erste Tätigkeit in der Villa ein Anruf bei Monikas Hausarzt, der dann auch eine halbe Stunde später erschien, war. Nach einer schmerzstillenden Spritze ging es ihr dann, nachdem der Arzt wieder gegangen war, langsam besser. Für 13 Uhr, also in der großen Sprechstundenpause, war sie in seine Praxis zu einer gründlichen Untersuchung bestellt worden. Ich wurde gebeten sie hinzufahren, da sie an diesem Tage ihr Auto besser stehen lassen sollte, dieses schon allein wegen der Spritze, die sie erhalten hatte. Na ja, so wollte ich dann gleich bei Monika in der Villa bleiben und hatte eigentlich nur noch die Absicht, mir zuhause ein paar Sachen, die ich gerne übers Wochenende zur Verfügung beziehungsweise zum Anziehen haben möchte, zu holen. Vorher kochte ich mir dann aber doch erst mal einen Kaffee und las in Monikas Kreisboten den Artikel, von dem ich im Lokalfunk gehört hatte. Eigentlich stand da für mich nicht viel Neues drin, denn um die Positionen, auf die sich die NLZ jetzt beruft, zu erreichen wurde ja die „Veranstaltung“ des letzten Jahres, in die ich ja sehr nah einbezogen war, durchgezogen. Was das jetzt allerdings zu bedeuten hatte wusste ich in dem Moment noch nicht, denn erstens bin ich kein Jurist und zweitens stand mir wegen Monika eigentlich der Kopf ganz woanders. Als ich dann etwa eine Stunde später zur geplanten Besorgung nach Hexenberg fuhr, „baute“ ich – typisch für diesen Tag – einen kleinen aber für mich höchstpeinlichen Unfall, den, wenn es nötig gewesen wäre, keine Versicherung beglichen hätte. Meine Unfallgegnerin war nämlich zu diesem Zeitpunkt noch meine eigene Frau, der ich die Vorfahrt genommen hatte. Natürlich stieg ich aus und kümmerte mich um den angerichteten Schaden. Passiert war eigentlich nichts schwerwiegendes und Martina nahm es auch leicht und locker. Sie benutzte die Gelegenheit um mir zu berichten, dass Schöller vor Flügges Sexladen in Wollerst am Vortag einen großen Auftritt als Prophet gehabt habe. Dabei seien wir alle ziemlich in den Dreck gezogen worden. Heimann wolle nun genau in Erfahrung bringen was da gefallen sei und sich dann gegebenenfalls mit mir in Verbindung setzen, damit wir gemeinsam dagegen etwas unternehmen könnten. Ich bekundete, dass ich da nichts gegen hätte und wegen Monikas Krankheit mit großer Wahrscheinlichkeit das ganze Wochenende in der Villa erreichbar sei. Danach verabschiedeten wir uns, um den Dingen, die wir ursprünglich vorhatten – Martina wollte zur Arbeit und ich zurück nach Neuheim - nachzukommen. Zu Hause stellte ich fest, dass der Anrufer, der, wo ich das Haus verließ, etwas von mir wollte Marc Kampmann war. Er hatte auf dem Anrufbeantworter um einen Rückruf gebeten. Auch er war durch die Lokalfunkkunde aufgeschreckt worden und hatte inzwischen schon einen Termin mit unserem Justiziar, seinem Schwager, vereinbart. Von mir wollte er einmal meine diesbezüglichen Anmerkungen, die eventuell für seinen Schwager wichtig wären, hören und zum anderen mit mir für den Nachmittag einen Termin, zu dem er gegebenenfalls seinen Schwager mitbringen wollte, vereinbaren. Da ich Marc jetzt noch ein paar Informationen zu den Dingen, die im Vorjahr abgelaufen waren, gab dauerte dieses Gespräch doch fast eine komplette Stunde. Was den Termin anbelangte machte ich es mir einfach und sagte ihm, dass, wo ich doch das ganze Wochenende bei Monika sei, er einfach im Anschluss seines Schwagerbesuches dort unangemeldet vorbeikommen sollte. Eine gleichlautende Vereinbarung traf ich dann gleich, als ich das Haus wieder verlassen hatte, noch ein zweites Mal. Karl Hermann Waymann war gerade auf dem Weg zu mir. Er hatte von dem NLZ-Vorstoß im Kreisboten gelesen und meinte, dass die Leute wohl die Rechnung ohne den Wirt gemacht hätten. Er erinnert mich daran, dass er von 1984 bis 1994 der CDU-Fraktionsvorsitzende im Neuheimer Kreistag gewesen sei. Genau in diese Zeit sei die Angelegenheit „Lokalfunk“ gefallen und da gäbe es Verträge des Kreises, sowohl mit der Landesregierung wie mit der Neuen Landeszeitung, die die neuerliche Geschichte, die da in der Zeitung stände, zu einem „Windei“ machen würde. Er wollte im Laufe des Tages ein paar Unterlagen zusammenstellen und mich darüber informieren. Daher fragte er mich, ob er am Spätnachmittag oder Abend mit seinem Enkel Christof mal bei mir vorbeikommen könne. Warum eigentlich nicht, und so traf ich mit Waymann die gleiche unbestimmte Terminvereinbarung wie mit Marc. Dass ich damit unbewusst eine „große“ Konferenz in der Villa Rollmann veranlasst haben sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Da sollte dann noch ein weiterer Teilnehmer, mit dem ich aber, als er um Elf in der Villa anrief, einen festen Termin vereinbart hatte, dazu stoßen. Ich hatte Reimund Heimann für 18 Uhr in die Villa eingeladen. Jetzt kann ich eigentlich einen Sprung auf den Spätnachmittag machen, denn am Tage gab es zum Glück keine erneuten Aufregungen mehr. Monika ging es, als ich zurückkam, auch wieder deutlich besser. Die Untersuchung am Mittag ergab, laut ihren Worten, auch nichts Schlimmes. Sie bekam Pharmaka, die wir gleich anschließend in der Apotheke holten, und Ruhe verordnete – und diese wollten wir uns gemeinsam ja ohnehin, zumindestens übers Wochenende, gönnen. Einzig mein Handy war an diesem Tage etwas unruhiger als sonst. Es riefen mich
verschiedene Leute, die sich zum Sponsoren- oder Veranstalterkreis zählten, an und wollten wissen was los sei. Ich beruhigte sie alle damit, dass alles nicht so schlimm sei und wir momentan schon dabei seien, entsprechende Schritte vorzubereiten beziehungsweise einzuleiten. Für uns habe sich nichts an unseren Vorhaben und Plänen geändert und es bliebe bei den Gründungsversammlungen im September. Was sollte ich auch anderes sagen, wo ich doch selbst nichts näheres wusste. Selbst Ruhe zu behalten und es anderen auch zu empfehlen war wohl in dieser Situation das absolut Richtige. Nach dem Trubel des Morgens muss ich den Abend mit höchsten Tönen loben, denn ich bekam unerwartete Schützenhilfe auf allen, das Fernsehen betreffenden Gebieten, die jetzt aktuell anstanden. Als erste Gäste trafen gegen halb Fünf Marc und sein Schwager in der Villa ein. Die beiden Herren machten jedoch zunächst einen ziemlich niedergeschmetterten Eindruck, denn Marcs Schwager war nach der Prüfung der anstehenden Angelegenheit der Meinung, dass wir uns wohl nicht gegen die NLZ wehren könnten, da die doch eine sehr starke Rechtsposition hätten. Etwa eine Stunde später sahen die Beiden schon wieder alles ganz anders, denn etwa 20 Minuten nach ihnen waren auch Karl Hermann Waymann und Christof Schöller eingetroffen. Waymann konnte uns berichten, dass bei Begründung der Lokalfunkstationen folgende rechtlichen Bestimmungen generell im Lande gegolten hätten: Medienrechtlich darf keine „Personalunion“ zwischen Betreibern und Veranstaltern bestehen. Als Betreiber kamen und kommen sowohl Kommunen und auch Fördervereine beziehungsweise Betreibergemeinschaften aber keine Einzelunternehmen in Frage. Entsprechend dieser Rechtsgrundlage dürfe die NLZ hier überhaupt keinen Fernsehsender betreiben. Bei den Veranstaltern war vorgesehen, dass die bereits ortsansässigen Printmedien den Vorzug haben sollten und wenn diese verzichten sollten auch unabhängige Veranstaltergemeinschaften aus mehreren Unternehmen oder Einzelpersonen – wobei ein einzelnes Unternehmen oder eine Person nicht mehr als 16 2/3 % Anteile haben darf – senden können. Mindestens 12 1/6 % Programmanteil sollte der Bürgerfunk haben. Dieses Recht gelte sowohl für den Rundfunk wie für ein eventuelles Fernsehen. Demnach, so Waymann habe die NLZ jetzt zwar das Recht zu entscheiden ob sie senden wollen oder nicht, aber ein Programm verhindern können sie nicht. Jetzt kam im Kreis Neuheim noch etwas hinzu. Die NLZ hatte und hat hier mit ihrem Kreisboten das absolute Monopol auf dem Mediengebiet. Neben dem Neuheimer Kreisboten gibt es im Kreis keine weitere lokale Tagesoder Wochenzeitung mehr. Auch alle Anzeigenblättchen, die hier ein oder zwei Mal die Woche kostenlos verteilt werden, sind in der NLZ-Hand. Da gab es doch von verschiedenen Seiten erhebliche Bedenken hinsichtlich dieser Monopolstellung und der Vergabe der Veranstalterrechte an dieses Unternehmen. Da hat man sich dann auf einen Zusatzvertrag zwischen dem Land, dem Kreis und der NLZ geeinigt. Und das ist für die NLZ jetzt ein „verdammt dicker Brocken“, denn laut diesem Vertrag sollte die NLZ die Veranstalterrechte am Lokalfunk bei Missbrauch ihres Monopols wieder zurückgeben müssen. Mit beamtokratischer Genauigkeit war dann über mehrere Seiten aufgelistet was unter einem solchen Missbrauch zu verstehen sei. Da war alles bei worauf sich die NLZ jetzt beziehungsweise im Vorjahr gestürzt hatte. In dem Vertrag gab es sogar noch eine Klausel, die uns jetzt direkt amüsierte: Falls der NLZ die Veranstalterrechte entzogen werden müssten, sollten die ehemaligen Gesellschafter des Neuheimer Kreisboten, falls sie sich zuvor von der NLZ trennten, das Recht zur Begründung einer eigenen Veranstaltergemeinschaft erhalten. Da wanderten natürlich alle Augen auf Monika, die etwas müde aus sah. Die lächelte und bekundete: „Ach ja, wofür ich alles herhalten muss. Aber da es mir Spaß macht, spiele ich jetzt einfach mal mit. Ihr könnt ja ruhig behaupten, dass ihr diesbezüglich schon Verhandlungen mit mir aufgenommen habt. So können wir noch ein Bisschen in der Defensive bleiben und ich kann die dann total schocken, wenn ich behaupte, dass ich ein besonderes Interesse am Lokalfunk hätte und mich deshalb an euerer Geschichte beteiligen würde. Dann bleibt bei der NLZ kein Auge mehr trocken.“. Sie sprach locker und genüsslich, wobei man ihr eine kräftige Portion Schadensfreude richtig anmerkte. Dieses alles war auch für Marcs Schwager hoch genüsslich und er servierte unseren Kontrahenten gleich zum kommenden Wochenbeginn die Fakten und schon am darauffolgenden Freitag erklärte sich die NLZ, jetzt sehr kleinlaut, gesprächsbereit. Das Ganze hatte nun eine ganz andere Qualität bekommen und es begannen ernsthafte Gespräche zwischen Politik, Medienkonzern und dem Förderverein in Gründung. Und diese Aktivitäten wurden dann im August für mich zur Hauptbeschäftigung. Für diese Sache hätte Waymann allerdings seinen Enkel nicht zu unserer Besprechung mitbringen brauchen. Der war aus einem ganz anderen Grund mit dabei. Auch die Familie Waymann/Schöller wollte aktiv sowohl im Förderverein wie im Offenen Kanal mitwirken. Und Letzteres war insbesondere Christofs Anliegen. Er hatte vor Kurzem ein Klassentreffen gehabt. Während des Treffens waren dann die Erinnerungen an ihrem ehemaligen Leistungskurs „KuMuDa“ hochgekommen. KuMuDa steht für Kunst, Musik und Darstellende Kunst und das wäre doch wohl etwas für das „neue Fernsehen“, was man jetzt im Kreis Neuheim aufziehen wolle. Da blieb mir nichts anderes, als dieses zu bestätigen. Seine Exklassenkameradinnen und –kameraden waren nun richtig heiß darauf sich zu betätigen. Da es sich rumgesprochen hatte, dass Christof der „Schwiegersohn in spe“ des „Machers“ sei, wurde er beauftragt die Verhandlungen mit mir aufzunehmen. Da ich ihn, laut seinen Worten, bisher nicht habe empfangen wollen, habe er seinen Großvater vorschicken wollen, damit er ein Gespräch
vermittele. Der Zufall hatte es nun gewollt, dass just in diesem Moment sein Großvater zu unserer Unterstützung hätte antreten müssen. Da wir, Monika, Christof und ich, inzwischen alleine waren, konnte ich ihn fragen, wie so er auf den Gedanken gekommen wäre, dass ich ihn nicht hätte empfangen wollen. Ich konnte ihm sagen, dass ich mich furchtbar gefreut hätte, wenn er schon früher gekommen wäre. Schließlich sei er ja der „Schatz meiner Steffi“. Da mischte sich nun aber Monika ein: „Ja Reiner, das wird wohl an dir gelegen haben. Christof ist doch wohl nach Knigge davon ausgegangen, dass man, außer zur Vorstellung, sich nicht selbst bei seinen Schwiegereltern einlädt.“. Dann fügte sie noch mit lachen an: „Und vorgestellt hat er sich ja in voller Mannespracht.“. Christof errötete leicht aber lachte auch. Ich nutzte doch die Gelegenheit um ihn und Steffi, auch im Sinne von Monika, für den Nachmittag des folgenden Tages in die Villa einzuladen. Wir saßen dann noch für etwa eine halbe Stunde zusammen, bevor Christof jetzt aber endgültig los misste. Schließlich hatten wir ja schon fast Zehn und meine Tochter wartete daheim auf ihren Schatz. Es war so spät geworden, weil wir ja noch einen weiteren Gast „dazwischen“ hatten. Heimann war zunächst pünktlich um Sechs erschienen. Als er erfuhr, dass wir noch eine „Besprechung“, die nach meiner Schätzung noch etwa eine halbe Stunde dauere, hätten, erklärte er mir, dass er ohnehin noch etwas in Neuheim zu erledigen habe und er kündigte mir sein zweites Erscheinen dann für gegen 19 Uhr an. Auch da war er wieder pünktlich und diesmal hatte er Glück, denn alle unsere Besucher, außer Christof, der bis jetzt noch nicht zum Zuge gekommen war, hatten sich bereits eine Viertelstunde vorher verabschiedet. Es war wohl allseits etwas blauäugig, als wir uns nach kurzer vorstellender Begrüßung darauf einigten, dass Christof ruhig dabei bleiben könne, denn immerhin ging es ja um seinen Vater – und nicht nur das: Auch das, was wir jetzt von Martina erfuhren, war nicht gerade zur Weiterleitung an Steffi geeignet. Ich schrieb eben von einer vorstellenden Begrüßung. Dieses ist wohl die richtige Formulierung, denn man kannte sich natürlich aber Heimann hatte bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur mit mir richtigen persönlichen Kontakt gehabt. Christof war Heimann damals mal in Westerland auf Sylt in Steffis Begleitung begegnet und Monika hatte er bisher immer nur gesehen und noch nie gesprochen. Daher ist es eigentlich auch erstaunlich wie offen und persönlich Heimann berichtete. Eine Woche zuvor hatte der CVJM Wollerst so eine Art Mitgliederversammlung, zu der auch ungebetner Weise der Prophet vom Hexenberg erschien. Einige Leute waren von vornherein der Meinung, dass man Schöller rausschmeißen solle. „Hätten wir es mal gemacht.“, bedauerte unser Gast, „Aber sowohl Peter Schütter, unser Pastor, wie auch ich, waren der Meinung, dass es christlichen Zusammenkünften schlecht zu Gesicht stünde, Leute, die zu ihnen gekommen seien, von vornherein rauszuschmeißen. Christen müssen einen jeden so nehmen wie er ist. Es ist nicht unsere Aufgabe über andere Menschen zu urteilen ... und im Vorhinein sowieso nicht. Also ließen wir Ernst Schöller gewähren und lange Zeit sah es so aus, als hätten wir damit das Richtige getan, denn er verhielt sich ganz ruhig und ausgesprochen nett. Wir kamen auch auf das Thema ‚Offener Kanal’ zu sprechen und dann war es bei ihm mit der Ruhe vorbei, da nahm das Unheil seinen Laufen.“. An dieser Stelle unterbrach ich Heimann, um mal meine analytischen – oder hellseherischen – Fähigkeiten zu testen. Ich tippte darauf, dass der Prophet jetzt das Bürgerfernsehen mit den Pornoproduktionen von Flügge in Verbindung gebracht habe um anschließend Sodom und Gomorrha herauf zu beschwören. Ich hatte einen Treffer gelandet, so war es wirklich. Heimann hatte dann auf unsere Stellungnahmen hingewiesen, in denen wir erklärten, dass lediglich ein Angebot zur Studiomitbenutzung seitens Flügge vorlag und wir dieses auch pflichtgemäß prüfen wollten. Auch er bezweifelte, dass man das Flüggestudio generell nutzen könne aber bei bestimmten Produktionen, sogar wenn kirchliche Kreise dafür verantwortlich zeichnen würden, sei es, nach seinen Vorstellungen, denkbar von Flügges Angebot Gebrauch zu machen. Da zog dann unser Prophet erst mal eine Show ab. Grundsätzlich müssten Christen jede Verbindung zu denen, die der Sünde, insbesondere der Fleischeslust verfallen seien, meiden und das Wirken des Teufels bekämpfen. Pastor Schütter hatte ihm hierauf erst einmal einen Dämpfer verpasst. Ein Christ habe nichts zu bekämpfen. Dieses wäre im Widerspruch zum Evangelium. Die Aufgabe der Christen sei die Mission und die Nächstenliebe, also die brüderliche Hilfe. Jemanden oder eine Sache zu bekämpfen bedeute die Bereitschaft das Schwert zu erheben, aber genau das habe der Herr seinen Jüngern verboten. Da ging dann Schöller auch darauf ein und erklärte, dass er dieses auch im Sinne von Mission und brüderliche Hilfe gemeint habe. Mission wäre es für ihn, den Leuten die Augen für die Sünde zu öffnen und Hilfe sei, andere, die noch rein im Geist seien, vor der Fleischeslust zu bewahren. An dieser Stelle war man jetzt drauf und dran, das ausgeuferte Thema jetzt zu beenden, da ohnehin hierzu nichts Konkretes anlag. Noch stände kein Fernsehsender und man habe ohnehin nur andenken wollen, ob man zu gegebener Zeit sich überhaupt dafür näher interessieren solle. Da ließ sich der Prophet vom Hexenberg aber nicht darauf ein sondern wetterte generell gegen die körperliche Liebe und letztlich insbesondere auch gegen die Verdammten, wie er Schwule und Lesben nannte. Heimann forderte ihn daraufhin auf die Kritik an Gottes Schöpfung einzustellen. Gott sei die Liebe, die sich bei den Menschen, die nach seinem Bilde geschaffen seien, in der Sexualität verkörpere. Es gäbe nur ein
Schöpfer und keinen Gegenschöpfer und somit könne man auch bei der körperlichen Liebe, gleichgültig ob gleichgeschlechtlich oder heterosexuell, vom Willen Gottes ausgehen. Er räumte allerdings ein, das Pornografie und Prostitution nichts mit Liebe zutun hätten. Dabei würden Gottes Geschöpfe zu Objekten und die schönste Sache im Leben zur schnöden Handelsware degradiert. Dieses war jetzt die Vorgeschichte zu dem Vorfall, weshalb Heimann eigentlich zu mir gekommen war. Er wollte mit mir besprechen ob wir dagegen etwas unternehmen sollten. Und falls ja, was wir machen könnten, da juristische Mittel wohl bei Schöller nichts bewirken könnten. Unser Prophet war am Tag zuvor, also am Donnerstag, vor Flügges Sexshop gezogen und hatte zunächst einmal zum allgemeinen Amüsement gegen diesen Schuppen gewettert. Dann hat er verkündet, dass Flügge Helfer habe, die sich mit dem geistlichen Gewand tarnten, wobei er jetzt auf Heimann und seine soeben beschriebenen Ansichten kam. Er wollte dann den Leuten die Augen öffnen und ihnen sagen, was das in Wirklichkeit für ein Mann sei. Er warf Heimann vor seine Frau, trotz seiner vier Kinder, seit sieben Jahren mit Martina zu betrügen und seine Frau hielte nur wegen der Kinder an der Ehe mit diesem Lustwandler fest. Dabei plauderte er dann diverse Details sowohl von Heimann und Martina so wie von Monika und mir aus. Bei seinem Bericht nannte Heimann nur Stichworte aber mir stockte gehörig der Atem. Vieles was ich jetzt erfuhr war mir vollkommen neu. Darunter auch, dass ich praktisch seit sieben Jahren kontinuierlich von meiner Frau betrogen worden bin. Das war ab einem Zeitpunkt, wo die Vernachlässigung meiner Frau, wie ich sie ehrlicher Weise eingestehen muss, beim besten Willen noch nicht das Ausmaß wie zuletzt erreicht hatte. Angesprochen hatte Martina die Sache nie ... sie hatte mich einfach hintergangen und gehörnt. Besonders krass fand ich, dass Heimann und Martina vor sechs Jahren beim Verkehr im Büro während sogenannter Überstunden von einer Jugendlichen in Flagranti erwischt worden sind. Schöller wusste allerdings davon und hat dieses beim öffentlichen Auftritt laut unters Volk gestreut ... nur ich war ahnungslos. Als ich jetzt Heimanns Bericht vernahm war ich wohl zurecht furchtbar empört und sagte dieses auch meinem Gast. Der war aber von meiner Empörung überrascht, denn Martina hatte ihm gesagt, dass ich alles wüsste. Da das aber eine Lüge war, wurde ihn jetzt sein Besuch auch sehr peinlich und er sah nun zu, dass wir sehr schnell zuende kamen obwohl wir bis zu diesem Punkt noch keine Gegenmaßnahmen überhaupt angedacht hatten. Etwas distanziert haben wir uns dann ein paar Minuten später voneinander verabschiedet. Ich habe ja bereits, bevor ich jetzt Heimanns Bericht wiedergegeben habe, geschrieben, dass die Missachtung von Christofs Anwesenheit etwas blauäugig war. Dieses aber weniger aus den Gründen, dass die Gefühle des „Jungens“ hinsichtlich seines Vaters verletzt werden könnten, denn aus dem was Steffi sowohl mir wie auch Martina – und über die war es auch an Heimanns Ohren gelangt – berichtet hatte, konnten wir annehmen, dass da nichts angerichtet werden konnte. Schöllers Familie wusste was der Prophet trieb – da konnte man Christof nicht viel Neues erzählen – und hielt ihn für sehr krank. Jedoch waren sie der Meinung, dass sie ihm sowohl aus emotionalen wie auch aus praktischen Gründen nicht helfen konnten. Die emotionale Seite war auf das, was er seiner Familie, insbesondere seiner Frau und seinem Sohn, angetan hatte, zurückzuführen. Nachdem sie ihn jahrelang als den Tyrann der Familie erlebt hatten, konnte sie nun kein Mitleid für ihn empfinden und fürchteten sich selbst erheblich bei Hilfsaktionen zu schädigen. Die praktische Seite sah so aus, dass der „arme Irre“ im Grunde für niemanden gefährlich war und in diesem Fall irgendwelche Zwangseinweisungen in einschlägige Kliniken gegen seinen Willen nicht durchsetzbar gewesen wären. Und im Falle einer „Entmündigung“, was vielleicht hätte klappen können, hätte Frau Schöller, die inzwischen schon längst die Scheidung eingereicht hatte, ihn am Hals gehabt. So war der Familie das Auftreten des Propheten zwar peinlich, an was man sich inzwischen aber gewöhnt hatte, ansonsten nahm man es jedoch so hin als sei der selbsternannte Prophet ein Fremder. Natürlich hatten sowohl Heimann wie auch ich die Richtigkeit dieser Annahmen, die wir ja nur aus zweiter Hand, sprich aus Steffis Munde, kannten, noch einmal hinterfragt. Dabei sagte uns Christof schon, was uns bei Heimanns Bericht erwartete, nur die persönlichen Details konnte er natürlich nicht vorhersehen. Aber auch die ließen Christof selbst ziemlich kalt, so dass die ganze Geschichte ohnehin eine Angelegenheit zwischen Martina, Heimann und mir geblieben wäre, wenn er nicht später zuhause seiner Steffi davon berichtet hätte. Die Fakten, die ich an diesem Tage erstmals erfahren hatte, waren auch für Steffi vollkommen neu. Sie war so getroffen, dass sie gleich am nächsten Morgen ihre Mutter aufsuchte und dabei entwickelte sich ein gewaltiger Streit zwischen Mutter und Tochter. Was dabei im Einzelnen gefallen ist, habe ich bis heute nicht erfahren können. Nur während des Besuches am Samstagnachmittag erfuhr ich von dem morgendlichen Finale. Steffi hatte Martina erklärt, sie würde ihre Mutter nicht mehr kennen sondern nur noch eine verlogene Hure, die sie in die Welt gesetzt habe. Natürlich bekundete ich meiner Tochter daraufhin mein Missfallen, was ich aber ehrlich gesagt, selbst in meinem Inneren nicht mit Überzeugung mittrug. Man konnte in diesem Falle von einer unerwarteten Schützenhilfe für Monika sprechen, denn nach den Erzählungen Heimanns hatte ich innerlich mit Martina abgeschlossen. Irgendwie war ich auf einmal froh, dass
meine Scheidung kurz bevor stand. Die Würfel schien zu Gunsten Monikas gefallen zu sein. Lediglich die Tatsache, dass ich im Vorjahr all zu viele voreilige Entscheidungen getroffen und daraus auch gelernt hatte, hielt mich davon ab Monika jetzt schon zu verkünden, dass sie nun gewonnen habe. Vorerst wollte ich alles so weiter laufen lassen, wie es just in diesem Moment üblich war, das heißt, dass ich weiterhin des Werktags den Strohwitwerstatus pflegte und mir immer ein schönes Wochenende mit Monika gönnte. Von einem gesteigertem Interesse meinerseits meine Ehe doch noch zu retten, konnte so gut wie gar nicht mehr gesprochen werden. Aber es war auch nicht so, dass ich mir diesbezüglich viel Gedanken machte – Martina und meine Ehe waren halt in dieser Zeit überhaupt kein Thema mehr für mich. So überschattete Martinas, für uns bisher völlig unbekanntes Vorleben das erste offizielle gemeinsame Treffen zwischen dem Paar Steffi/Christof und mir – und in diesem Falle auch mit Monika. Steffi war sehr aufgebracht und ich war innerlich auch nicht gerade die Ruhe selbst, so dass ohne Monikas Schützenhilfe einiges hätte in die Hose führen können. Monika erwies sich sehr umsichtig und verständig und konnte so manche Woge glätten. Letztlich hatte sie es hingekriegt, dass es doch eine nette Atmosphäre gab. Irgendwie wurden wir richtig warm miteinander und ab diesem Zeitpunkt kann ich von einer harmonischen Beziehung zu meinem Schwiegersohn in spe sprechen. Steffi und Christof kamen ab diesem Tag öfters mal gemeinsam bei mir vorbei. Aber Christof erschien auch mal alleine bei mir. Und letztlich kann ich davon berichten, dass ich ab und an auch mal in der Wohnung des Paares erschienen bin. Die Beziehung zu meiner Tochter hatte sich also mehr als nur harmonisiert.
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Renaissance der ersten Ehe Ein Toppmanager eines Unternehmens brauch heute nicht mehr Fachmann im jeweiligen Unternehmensbereich sein. Was soll es, wenn die Chefs eines Medienkonzerns nicht einmal Zeitungen – tägliche Erscheinungsweise – von Zeitschriften – periodische Erscheinung – unterscheiden können, wenn der Unterschied zwischen Nachrichten, Berichten und Kommentare für sie böhmische Dörfer sind? Warum sollten die sich in den Drucktechniken, mit denen ihre Produkte erstellt werden, auskennen? Warum sollten die sich damit beschäftigen was ihre Kunden wünschen, wo man doch heute genügend Möglichkeiten hat, den Leuten ihre Wünsche mit Medienpower einzureden? Wichtigste Voraussetzung für ein Manager – und das gilt für alle Branchen – ist sein Pokerface. Ein Manager muss Zocken können. Er muss das Risiko lieben, das heißt er muss alles dabei auf eine Karte setzen können, und er darf auf der anderen Seite keinesfalls über die Menschen, die mit dem Unternehmen oder den Produkten zusammenhängen, nachdenken. Für Manager gibt es keine Menschen sondern nur Faktoren und Potentiale. Manager müssen kaufen und verkaufen, verschieben und übernehmen, Kostenfaktoren abbauen und Potentiale ausschöpfen. Ein gefühlsloser biologischer Computer ist der ideale Manager. Vorgenanntes galt und gilt natürlich auch für die Führungsmannschaft der NLZ. Ich habe oft den Kopf darüber geschüttelt, was aus fachlicher Sicht da Oben für Holzköpfe sitzen. Wäre es nur Theater könnte ich lauthals über diese lachen, da es aber Wirklichkeit ist verkneife ich mir jedoch so etwas – da wäre weinen vielleicht angebrachter. Ich persönlich wäre in dem Kreis wohl fehlplatziert gewesen, denn Pokern und Zocken liegt mir in keiner Weise. Dafür hatten wir aber Marcs Schwager, der sicherlich aus dem Stand in der Lage gewesen wäre aus seiner Anwaltskanzlei in die Geschäftsleitung der NLZ zu wechseln. Zusätzlich gab es noch Monika, die zwar von ihrer Persönlichkeit keine Erfüllung im Pokern sah aber trotzdem dazu eine Menge Fähigkeiten und Veranlagungen von ihrem Vater geerbt hatte. Dieses waren dann die Voraussetzungen für die im August 1999 laufenden Gespräche, die man auch ohne große Mühe als Pokerrunden hätte identifizieren können. „Unsere Seite“ hatte die starke Rechtsposition von Anfang der 90er-Jahre und Monikas „Absicht“ auch den Lokalfunk zu übernehmen als Trumpf im Ärmel. Dadurch stand die NLZ noch lange nicht vor einer Niederlage, denn deren Trumpfass war die wirtschaftliche Seite. Lokalfunk und –fernsehen sind als eigenständige Unternehmungen so gut wie nicht finanzierbar. Das funktioniert nur wenn die kleinen, lokalen Sender bei den großen, überregionalen Medien Trittbrett fahren können. Würde Monika alleine als „Macherin“ auf der Kapitalseite einsteigen, dürfte ihr Vermögen sehr schnell von den Verlusten der Sender aufgefressen worden sein. Auf Monikas Vorschlag erklärte unsere Seite dann, dass man im Falle einer Partnerschaft nicht gleich heiraten müsse, da man mit Kooperation gegebenenfalls fast genauso weit komme und dass das für den Partner vor Ort sogar recht profitabel sein könne. So wurde unsererseits argumentiert, dass Frau Schneider sich in Verhandlung mit einem starken Partner befände und dass sie, sobald dort eine Einigung erzielt worden sei, entsprechende Schritte unternehmen würde. So lange so etwas im Raume steht kann man es glauben oder nicht, erst wenn Beweise auf dem Tisch liegen wird es ernst. Und genau damit pokerte jetzt die NLZ. Da blieb eigentlich nichts anderes als das Monika durch papiermäßige Firmengründung ihren festen Willen unter Beweis zu stellen. Natürlich wollte sie sich nicht als Kamikaze betätigen und hatte das Ziel sich die auf dem Papier vollzogene Gründung wieder abhandeln zu lassen. Und dieses schon zu einem Zeitpunkt, wo von ihrer Seite noch kein Pfennig – heute würde man Cent sagen – geflossen ist und möglichst so, dass die andere Seite noch kräftig zahlen muss – am Besten an sie. So war es jetzt die Aufgabe von Marcs Schwager Gesellschafts- und andere Verträge auszuarbeiten, die eine Unternehmensgründung von Seiten Monikas zu mindestens optisch hieb- und stichfest machten. Dabei muss man sich jedoch klar sein, dass, wenn dieser Zug nicht so ausgeht wie man sich das gedacht hat, die ganze Sache sehr viel Geld kosten kann. Am Mittwoch dem 18. August traf sich dann unsere Dreier- beziehungsweise einschließlich Mars Schwager Viererbande in der Rollmannschen Villa um die inzwischen ausgearbeiteten Vertragsentwürfe durchzusprechen. Der Zeitpunkt war früh genug, da man zu diesem Zeitpunkt im Poker mit der NLZ noch nicht soweit war, dass man diese Papiere überhaupt schon benötigte und es war auch noch nicht absehbar, ob man diese jemals benötigte. Es war also rein vorsorglich, damit man zur gegebenen Zeit einen Trumpf aus dem Ärmel ziehen konnte. Diese Sache war also noch nicht so wichtig, dass darin der Grund, warum mir das Datum im Gedächtnis geblieben ist, zu suchen ist. Da gab es einen anderen, für mich wesentlich bedeutenderen Grund. Aber alles schön Wort für Wort in chronologischer Folge. Ich habe ja bereits geschrieben, dass ich, obwohl ich in dieser Zeit keinen Gedanken an Martina verschwendete, nach wie vor an Werktagen als Strohwitwer in meinem entsprechenden Hexenberger „Reich“ lebte. So musste ich auch, genau wie Marc und sein Schwager, zu unserer „Konferenz“ anreisen. Als ich los fuhr war ich ohnehin schon etwas knapp dran und da musste dann noch hinzu kommen, dass es auf der Straße, die von Hexenberg über Saßmannshausen nach Neuheim führt, einen Unfall, durch den ein Stau verursacht worden war, gegeben hatte. So kam ich tatsächlich als Letzter, aber immer noch pünktlich, zu der Runde. Als ich hereinkam bekam ich
zunächst einen großen Schrecken. Monika saß im Sessel und erweckte keinen guten Eindruck; sie sah irgendwie deprimiert aus. Jetzt erinnerte sie mich an die junge Frau zu dem Zeitpunkt als unser Olli gestorben war. „Ist was Mäuschen?“, fragte ich zunächst sehr besorgt, „Ist dir nicht gut, sollen wir das Ganze vertagen?“. Auch den beiden anderen war der Eindruck, den sie erweckte, nicht entgangen und Marcs Schwager setzte gleich nach: „Frau Schneider, diese Angelegenheit brennt uns ja noch nicht unter den Nägeln. Wenn es ihnen nicht gut ist, können wir die Angelegenheit gerne um eine Woche verschieben.“. „Nein, nein,“ antworte Monika leise klingend, „ich habe im Moment keine körperlichen Beschwerden. Mich bedrückt nur eine persönliche Angelegenheit, die ich nachher ganz gerne mit dir, Reiner, noch besprechen möchte. Aber mit unserer Sache hat das nichts zu tun ... ich kann auch trotz des Problems ganz gut folgen – und deshalb ziehen wir das Ganze auch jetzt durch.“. Während wir dann die Sachen, die Marcs Schwager ausgearbeitet hatte, Punkt für Punkt durchgingen, bekam ich jedoch den Eindruck als würde sich Monika nun lügen strafen. Die einzelnen Punkte enthielten natürlich diverse Risikofaktoren und bei diesen bat Marcs Schwager dann Monika um eine Entscheidung. Die traf sie aber nicht sondern wälzte diese immer prompt auf mich ab. So ging das zunächst eine halbe Stunde und dann sah ich mich doch zu einer Unterbrechung gezwungen: „Monika, Kleines, ich glaube wir vertagen doch besser. Du kannst doch nicht die Entscheidungen über dein Geld auf mich abwälzen.“. „Komm, rede nicht so rum.“, fuhr sie mich an, „Wenn ich dich konkret in die Entscheidungen einbeziehe habe ich meinen Grund, der auch nächste Woche noch unverändert gilt, dafür. Und habe mal keine Angst; wenn ich es wirklich anders sehe wie du dann sage ich das ... und die letzte Entscheidung liegt sowieso ausschließlich bei mir ... zumindestens jetzt noch.“. Na ja, damit war ihr Machtwort gesprochen und es ging anschließend noch zirka eine Stunde so weiter. Anschließend, als sich die beiden Herren verabschiedet hatten, setzte ich mich mit Monika auf die Couch, nahm sie in den Arm und ermunterte sie: „So Mäuschen, jetzt erzählst du mir mal was los ist.“. „Das hatte ich jetzt ohnehin vor.“, begann sie, „Reiner, als wir an dem Freitag, an dem es mir so schlecht ging, von Dr. Wehner kamen habe ich dir nicht die Wahrheit gesagt. Es war gar nichts in Ordnung. Dr. Wehner hatte mich zur Universitäts-Frauen-Klinik überwiesen und dort bin ich gründlich untersucht worden. Heute morgen konnte ich mir bei Dr. Wehner das Ergebnis abholen. Es besteht kein Zweifel ... ich habe Krebs und zwar in einem sehr fortgeschrittenem Stadium. Langsam werde ich von Metastasen aufgefressen und ich habe nur noch ein halbes, höchsten noch ein dreiviertel Jahr zu leben.“. Sie hatte noch nicht ausgesprochen als ich mich nicht mehr halten konnte. Jetzt umarmte ich sie mit beiden Armen, legte meinen Kopf an ihre Brust und heulte wie ein kleiner Junge. Ich hatte in den letzten beiden Jahren eine ganze Menge erlebt aber dieses kam mir jetzt wie der härteste aller Schläge vor. Es dauerte fast eine Viertelstunde bis ich mich wieder beruhigt hatte. Erstaunlich gefasst und immer noch erstaunlich ruhig fuhr jetzt Monika fort: „Das ist der Hintergrund warum ich vorhin bei den Verhandlungen wichtige Entscheidung zuerst bei dir hinterfragt habe. Ich gehe mal davon aus, dass an dem Tag wo ich sterbe alles gelaufen ist, und zwar so wie wir uns das denken ... Die NLZ lässt sich nicht die Wurst vom Brot nehmen. Aber soweit sind wir noch nicht und bis dahin wird es noch eine Menge Anfechtungen geben. Ich weiß aber nicht, wie sich mein Zustand bis dahin entwickelt. Daher werde ich dich notariell bevollmächtigen meine geschäftlichen Interessen wahrzunehmen. Das geht aber nur wenn du voll und verantwortungsbewusst hinter der Sache stehst. Bei Dingen, die du nicht so 100%-ig mitträgst, hat es keinen Sinn, dass ich sie erst in Angriff nehme. Deshalb habe ich vor ...“. An dieser Stelle unterbrach ich sie: „Ach Mausilein, lass doch im Moment mal die geschäftlichen Dingen bei Seite. Die sind jetzt im Moment absolute Nebensache für mich. Du bist mir viel wichtiger ... Im Moment bist du alles für mich.“. Sie strich mir über die Haare, gab mir einen Wangenkuss und fuhr fort: „Schatzi, ich habe jetzt eine ganz, ganz große Bitte an dich. Damals, als ich dich für mich eingefangen hatte, träumte ich davon bis an mein Lebensende deine Frau zu sein. Auch wenn viele Dinge und Jahre dazwischen gekommen sind, bin ich bis heute aus diesem Traum noch nicht erwacht. Du weißt, dass ich in letzter Zeit richtig stark gehofft habe wir beiden könnten noch einmal heiraten und es sah eigentlich alles so aus als würde mein Wunsch in Erfüllung gehen. Seit heute weiß ich, dass wir amtlich wohl nie mehr ein Ehepaar sein können. Aber es muss ja nicht alles auf dem Papier besiegelt sein, wir können auch ohne amtlichen Segen eine glückliche Ehe bis zu dem Zeitpunkt, wo uns der Tod scheidet, führen. ... Komm zieh zu mir und lass uns leben wie ein glückliches Ehepaar. Bitte, bitte, bitte.“. Irgendwie empfand ich es in diesem Moment als glückliche Fügung, dass mein Interesse an Martina durch Heimanns Bericht offensichtlich ganz erloschen war, denn Monikas Wunsch schien jetzt mein eigenes Begehren zu sein. Daher antwortete ich ihr der Atmosphäre entsprechend spontan: „Ja Maus, ich habe sowieso schon überlegt ob ich jetzt unsere nur unterbrochene Ehe mit dir fortsetzen sollte. Jetzt brauche ich nicht mehr zu überlegen ... ab sofort sind wir wieder Mann und Frau. Ich fahre gleich nach Hexenberg und hole meine ganze Habe hier her, um dann rund um die Uhr bei dir sein zu können.“. „Dann kannst du ja gleich bei Herrn Waymann vorbeifahren und deine Wohnung kündigen ... die brauchst du dann sowieso nicht mehr.“. „Ach, die behalte ich lieber,“, wandte ich ein, „ich muss ja, wenn du gestorben bist ... obwohl ich es nicht wahrhaben will – weiter leben und dann brauche ich die Wohnung doch wieder.“. „Das sehe ich zwar nicht so,“, sagte Monika
sinnig, „aber da rede ich dir aus einem bestimmten Grunde ... zu dem ich aber jetzt nichts weiter sagen möchte – nicht rein. Mir ist es wichtig, dass wir jetzt da wieder ansetzen wo wir bei Ollis Tod aufgehört haben und das wir bis zu dem Zeitpunkt wo wir voneinander scheiden müssen, glücklich sind.“. Mit den Worten, dass wir keine Zeit mehr verlieren sollten, ermunterte sie mich jetzt mich umgehend nach Hexenberg zu begeben und meinen „Umzug“ durchzuführen. Just in dem Moment als ich eine halbe Stund später bei meiner Hexenberger Wohnung ankam hatte Steffi ihren davor geparkten Wagen gestartet. Sie hatte an diesem Tag Berufsschule gehabt und, wie des Öfteren mal an solchen Tagen vorkam, den Nachmittag dazu benutzen wollen um mal bei mir ohne vorherige Anmeldung vorbei zu schauen. Da sie mich nicht antraf, was sie nicht krumm nahm weil sie ja damit rechnen musste, hatte sie umdisponiert und wollte jetzt zu Waymann. Als sie mich dann erblickte brach sie den Startvorgang ab und auf diese Art und Weise hatte ich eine unerhoffte „Umzugshilfe“. Natürlich habe ich Steffi nicht gleich für meine Sache eingespannt; ganz im Gegenteil ich hätte sie noch nicht einmal gebeten mir zu helfen. Der Vorschlag kam von ihr als sie erfahren hatte was anlag. Was mich eigentlich sehr in Erstaunen setzte war Steffis Reaktion auf die schlechte Nachricht. Auch sie brach in Tränen aus und fiel mir um den Hals. Ich konnte dieses nur so werten, dass auch Steffi inzwischen meine Monika sehr lieb gewonnen hatte. Diese Annahme war richtig, was mir Steffi dann anschließend auch so bestätigte. Trotz des Schmerzes, den auch Steffi jetzt empfand, war bei ihr eine Art Skepsis geblieben. Daher gab sie zu bedenken: „Dir ist klar Vati, dass dein jetziger Schritt für dich was endgültiges ist. Wenn du dir später die Angelegenheit mit Mutti doch noch überlegen solltest, dürfte es jetzt endgültig vorbei sein.“. Ich konnte ihr sagen, dass ich dahingehend schon vorher Überlegungen angestellt habe und zu dem Schluss gekommen sei, dass es mit Martina ohnehin endgültig vorbei sei und ich derzeitig sowieso im Begriffe gewesen sei, zu Monika zurückzukehren. „Trotzdem hat sich etwas verändert, Vati.“ setzte Steffi nach, „Was du vorher nicht wissen konntest ist, dass Monika und du nur noch sehr wenig Zeit habt. Wenn Monika stirbt bist du wieder alleine ... Hast du das auch schon bedacht?“. „Was soll’s Töchterchen,“, antwortete ich ihr, „dass es mit Mutti so oder so vorbei ist, scheint mir eine unabänderliche Tatsache zu sein. Und das hat mir jetzt die Entscheidung ein Wenig erleichtert. Ich hätte Monika ihren jetzigen Wunsch so oder so nicht abschlagen können und wenn ich mir immer noch Hoffnungen auf Mutti gemacht hätte, wäre mir diese Entscheidung bestimmt ungleich schwerer gefallen.“. „Ich kann dich nicht nur verstehen sondern ich finde es goldrichtig wie du dich entschieden hast.“, schloss Stefanie diese Runde ab und verpasste mir einen Wangenkuss. Das was ich für richtig hielt wurde also auch von meiner Tochter mitgetragen. Danach packte Steffi ohne viel zu fragen an und half mir meine Sachen zusammenzupacken und im Auto zu verstauen. Und das nicht nur in meinem sondern auch in ihrem Wagen. Weder in meiner noch in Steffis „Kutsche“ hätte anschließend noch eine Fliege Platz gefunden. Und so konnte ich wirklich in einem Rutsch umzuziehen. Vor der Villa angekommen ging dann alles in umgehrter Richtung. Da hatte ich dann noch eine weitere Hilfe, denn auch Monika packte mit an. Sowohl Steffi wie auch ich wollten das im Hinblick auf ihre Gesundheit nicht, worauf Monika uns dann eine bewegene Erklärung gab: „Dadurch, dass ich seit heute weiß was ich seit ein paar Wochen erahnte beziehungsweise befürchtete, bin ich doch nicht von Heute auf Morgen eine andere Frau geworden. Ich bin noch genauso kräftig wie gestern und es fällt mir heute alles noch genauso schwer oder so leicht wie vor ein paar Wochen. Sicher ich weiß jetzt, dass ich nicht mehr lange lebe und schon sehr bald sterben muss ... und davor habe ich ehrlich gesagt auch Angst. Ich weiß auch, dass bis dahin meine Schmerzen immer mehr werden und dafür meine Kräfte kontinuierlich schwinden. Aber bis zum Tag X möchte ich mich nicht selbst bedauern und auch nicht bedauert werden. Ich will bis zuletzt, bis es nicht mehr anders geht, nicht die Hände in den Schoss legen und tun was ich kann. ... Kurz zusammengefasst: Ich möchte so normal wie es geht leben und alles tun was ich kann. Ich denke, dass Luther das meinte, als er sagte, dass er, wenn er wüsste das Morgen die Welt untergeht er Heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen würde. Ich will einfach nicht vor dem unabwendbaren Ende schon mit dem Leben aufhören.“. An diese Devise hat sie sich auch tatsächlich bis es wirklich nicht mehr ging gehalten und so begann mit diesem Tage die Renaissance der ersten Ehe und eine, den Umständen entsprechenden, glückliche Zeit. Man kann sogar von einer echten Renaissance sprechen, denn unsere junge Ehe schien tatsächlich plötzlich wiedergeboren zu sein. Im Haus turtelten wir, wenn wir unter uns waren, wie junge Leute auf deren Trauschein die Tinte noch feucht ist. Außerhalb des Hauses traten wir jetzt, abgesehen von nur wenigen Ausnahmen, immer gemeinsam auf. Dabei hatten wir wie damals, immer die anderen Passanten im Auge und freuten uns immer königlich, wenn wir den Neid auf unser Glück in den Blicken der Anderen zu entdecken glaubten. Musste ich „dienstlich“ außer Haus freute ich mich schon beim Aufbruch auf meine Rückkehr und hoffte das diese schnell herbeikäme. Auch im Bett gab es für uns ein neues Erleben; mir war so, als würde ich Monika wieder ganz neu entdecken. So schön war es eigentlich nur bis zu dem Zeitpunkt, wo unser Oliver und mit ihm unser Glück starb.
Wir unternahmen jetzt, wie früher in jungen Jahren, Autoausflüge im gesamten Kreis Neuheim und darüber hinaus in die umgebenden Ausflugsgebiete. Bei diesen Spazierfahrten gab es jedoch einen Unterschied zu früher: Nun erlaubte ich mir bei Aufenthalten in Restaurants oder Ausflugslokalen keine Bierchen mehr. Früher war es praktisch Standard, dass ich hin und Monika wieder zurückfuhr. Das ging jetzt nicht mehr. Aufgrund ihrer Schmerzmittel, die auf Morphiumbasis beruhten, verzichtete sie freiwillig auf jedes Selbstfahren. Ihre Schmerzen waren anfänglich die einzigsten Handicaps im alltäglichen Leben aber ansonsten gab sie sich wie eine „normale“, lebensfrohe und junge Frau. Auch in „unserem“ großen Haushalt, sprich in der Villa, machte sie nach wie vor fast alles alleine. Lediglich zwei Mal die Woche kam des Vormittags eine Putzfrau, aber das war immer schon so. Na ja, die Villa hatte immerhin ein paar Quadratmeter mehr wie eine übliche Familienwohnung. Nur der große, die Villa umgebende Garten, wurde, wie schon zu ihres Vaters Zeiten, „fremd bewirtschaftet“; hiermit war ein Gartenbaubetrieb beauftragt. Aber alles andere machte Monika selbst. Sie hat mir mal gesagt, dass wenn sie sich nicht so betätigt hätte, sich wie ein Vögelchen im goldenen Käfig vorgekommen wäre. Wenn sie als Rollmanntochter und –erbin einer eigenständigen Tätigkeit nachgekommen wäre hätte man das sicherlich nicht für gesellschaftskonform gehalten und sie ausgesondert. Aber um sich nicht wie Falschgeld vorzukommen hatte sie sich, aus diesen Beweggründen sogar mit Freude, auf ihre häusliche Aufgaben außerhalb des Blickfeldes der Gesellschaft gestürzt. Ich habe ja früher schon berichtet, dass Wilfried Schneider, an dem wir bis zu ihrem Ende so gut wie kein Gedanken mehr verschwendet haben, genau wie ich, ein großer Fan ihrer Küche war. Monika kochte wirklich gerne und alles was sie machte, war auf gut deutsch einfach wunderbar. Allerdings wäre Monika auf keinen Fall als Meisterköchin in einem Sternerestaurant geeignet gewesen. Dafür war sie viel zu kreativ. Ihr fiel immer was Neues ein. Wenn sie mal ein Menü wiederholte war es mit Sicherheit eine ganz neue Variante. Wenn man in ein Spitzenrestaurant geht, erwartet man, falls man sich eine Speise wiederholt bestellt, die gleiche Variante, die einen „das letzte Mal“ so gut geschmeckt hat. Aber genau das kriegte Monika nicht hin. Selbst wenn sie vorher ankündigte „Das mache ich jetzt genau wie beim letzten Mal“ gab es dann hinterher doch wieder eine neue tolle Kreation. Diese Hobby und diese Art hatte schon das damals das junge Millionärstöchterchen und genau das durfte ich jetzt wiedererleben. Was aber, wenn wir ein richtiges Ehepaar gewesen wären, seltsam hätte erscheinen müssen, war dass der Mann ein Arbeitsloser und die Frau Millionärin war. Aber dem setzte Monika ein Ende in dem sie mich offiziell als ihren hauptberuflichen Haus- und Vermögensverwalter einsetzte. Notariell erhielt ich alle Vollmachten und ich konnte, als sei sie entmündigt gewesen, alle Entscheidungen sogar ohne ihr Wissen treffen. Dafür hatte sie weniger „optische“ wie vielmehr praktische Gründe. Niemand konnte einschätzen, wie lange sie körperlich und geistig unbeeinträchtigt noch allen Notwendigkeiten nachkommen konnte und da war es schon gut, dass für den Fall der Fälle alles geregelt war. Da musste ich dann auch gleich bei ihr richtig in die Lehre gehen, denn was hätten alle Vollmachten genutzt, wenn ich gar nicht gewusst hätte, was wo anhängig ist. So wies sie mich in alle Dinge ein, die mich zuvor nichts angingen, wo ich bis jetzt – weil ich noch nichts damit zu tun hatte – keine Ahnung von hatte sowie alles Weitere, was ich bis jetzt nicht wusste. Monika war wirklich eine gute Lehrmeisterin. Schon nach 14 Tagen hätte ich keine Probleme gehabt wenn dann schon etwas passiert wäre. Auch in einer anderen Angelegenheit sorgte sie vor. Mit Dr. Wehner und dem Städtischen Krankenhaus Neuheim traf sie Vereinbarungen für den Tag X. Dabei legte sie auch großen Wert darauf, dass man mir, wenn sie mal auf der Intensivstation liegt und wenn ihre Sterbestunde gekommen ist, die gleichen Rechte gewährt als seien wir immer noch beziehungsweise schon wieder verheiratet. In einer Patientenverfügung legte sie fest, dass, wenn sie nicht mehr bei Bewusstsein sei, auch wenn dieses in Folge von schmerzstillenden Opiaten sei, von lebensverlängernder Apparatemedizin Abstand genommen werden sollte. Sie sagte mir, dass sie so etwas früher nie gemacht hätte, weil sie zu sehr am Leben gehangen habe und nur das kleinste Fünkchen Hoffnung auf ein weiteres Leben hätten bestimmt alle Maßnahmen gerechtfertigt. Jetzt wisse sie, dass ihre Lebensuhr ablaufen würde und da gäbe es die Hoffnung nicht mehr. Nur eine ihrer Vorbereitungen war mir doch irgendwie unangenehm. Sie sprach mit mir darüber, wie ich mir ihre Beerdigung vorstellen würde, brachte da ihre eigenen Änderungswünsche ein und begab sich schon an die Vorbereitungen, wobei sie schon alle Kosten im Vorhinein beglich. Wenn es mal soweit ist, brauche ich mich, in diesem Fall als ihr Verwalter, also um nichts mehr zu kümmern. Aber ansonsten lebten wir. Guten Kontakt hatten wir zu Steffi und Christof, die uns auch sehr häufig besuchten. Dieses nicht etwa so als Pflichtübung sondern sie kamen gerne zu uns. Steffi sagte bei einer solchen Gelegenheit mal: „Monika, ich würde es jetzt ehrlich gesagt, etwas albern empfinden, wenn ich jetzt zu dir Mutti sagen würde. Aber nichts desto Trotz empfinde ich dich wirklich als meine gute und schöne Stiefmutti ... und so werde ich dich auch immer in Erinnerung behalten. Und wenn wir mal Kinder haben werde ich denen von dir, ihrer Stiefomi und von ihrem Onkel Oliver, der schon als Baby sterben musste, erzählen. Dann werde ich ihnen sagen, dass euch Gott sehr geliebt habe und er euch deshalb so früh heimgeholt habe.“. Diese Worte hatte Monika so sehr gerührt, dass sie vergeblich gegen ihre Tränen kämpfen musste obwohl zur gleichen Zeit ihr Gesicht
glücklich strahlte. Daraufhin bekannte Monika: „Ich habe noch nie in meinem Leben so viel Wärme und Liebe empfunden wie jetzt. Noch nie vorher hat mir das Leben mir ein so schönes Gesicht gezeigt. Ich kann euch nur sagen genießt und lebt euer Leben ... es ist so wunderbar. Und wenn ich es mir so recht überlege ist es richtig gut, dass ich so viel und so derbe immer ein auf die Nase gekriegt habe, denn sonst hätte ich dieses alles gar nicht so bewusst wahrgenommen. Wenn ich überlege wie mickrig und dunkel die Welt um meinen Vater, als er starb, aussah bin ich richtig glücklich, dass mir doch noch ein so schöner Abgang vergönnt ist.“. Jetzt wollte Steffi doch noch etwas wissen: „Bist du denn nicht zur Vorsorgeuntersuchung gegangen. Da hätte man doch den Krebs frühzeitig entdecken und vielleicht hättest du dann noch alt werden können.“. Was die Befragte jetzt antwortete war auch für mich überraschend und neu. Bisher wusste ich nicht genau, warum Monika nach Olivers Geburt nie wieder Kinder kriegen konnte. Mir hatte sie damals nur gesagt, dass damals was schief gelaufen sei. Jetzt nannte sie, auch mir gegenüber erstmals, den wahren Grund: „Ich glaube nicht, dass ich noch hätte viel älter werden können. Es ist schon erstaunlich, dass ich überhaupt noch so alt geworden bin, denn ich hatte schon als junge Frau Krebs. Als ich schwanger war, stellte man bereits Metastasen an den Eierstöcken fest. Man wollte damals Olli abtreiben und die Eierstöcke entfernen. Aber dein Vati hatte sich so sehr auf seine Stefanie ... ja er wollte ein Mädchen, er wollte eine Steffi haben – gefreut, da habe ich immer nein gesagt. Als Olli dann auf der Welt war, wurden dann die Eierstöcke entfernt. Vielleicht haben die Metastasen auch schon unseren Kleinen befallen und vielleicht musste er deshalb so früh und so plötzlich sterben ... ich weiß es nicht. Damals sagte man mir, dass ich bestimmt keine hohe Lebenserwartung mehr hätte. Deinem Vati habe ich nichts gesagt, um ihn vor unnötigen Sorgen und Schmerzen zu bewahren. Na, dann bin ich dem Teufel doch noch erst einmal von der Schippe gesprungen.“. Sie machte eine kleine Pause bei der sie sich ihre feuchten Augen auswischte. Aber als sie weitersprach hatte sie doch einen glücklichen Gesichtsausdruck: „Damals brach für mich eine Welt zusammen. Ich wünschte so sehr, dass deines Vaters Wunsch nach seiner Steffi in Erfüllung gehen würde aber ich konnte nicht mehr – nicht einmal unseren Olli konnte ich ihm geben, er starb mir unter den Händen weg. Als wir heirateten wünschte ich mir, dass ich in meiner Todesstunde ihn noch an meiner Seite hätte und wir glücklich sein würden. Nach Ollis Tod war ich auf einmal so hoffnungslos, ich hatte meine Träume verloren. Ich glaubte meine unerfüllbaren Träume würden der Erfüllung deines Vaters Träume im Wege stehen. Damit ich überhaupt noch zu etwas nutze war ... so glaubte ich damals ... stimmte ich dann der Nötigung meines Vaters, als er mich als Wirtschaftsobjekt verhökerte, zu. So sind wir, obwohl wir das beide nicht wollten, auseinander gekommen. Und jetzt, ... meine Träume und Wünsche, die mich mein Leben lang nicht wieder verlassen haben, sind tatsächlich in Erfüllung gegangen. Dein Vati hat seine Steffi ... ich bin zwar nicht deine Mutter aber irgendwie empfinde ich so, als wärest du doch meine Tochter. Und dein Vati wird tatsächlich in meiner Sterbestunde bei mir sein und wir werden bis dahin und vielleicht auch darüber hinaus glücklich sein.“. Jetzt waren wir alle irgendwo gerührt. Man merkte es daran, dass wir uns alle vier mit unseren Augen beschäftigten. Diese rührselige Runde fand ihr Finale in einer wirklich herzlichen Umarmung von Steffi und Monika, von Tochter und Mutter im Geiste.
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Eine Scheidung, die nicht stattfindet Nicht selten hört man: „So, die Sache ist gelaufen; jetzt kann nichts mehr passieren“ und schon nach kurzer Zeit muss man feststellen, das wenig aber nicht die Sache gelaufen ist und sich noch eine ganze Menge bewegt. Von so etwas kann ich jetzt berichten. Ich hatte mich nun endgültig und mit ganzem Herzen für die todkranke Monika entschieden und wartete jetzt gelassen auf den Tag, wo der Richter meine Ehe mit Martina für aufgelöst erklären würde. Irgendwie schien mir klar zu sein, dass ich alsbald mal mit Überlegungen, wie es nach Monikas Tod mit mir weitergehen soll, beginnen müsse. Innerlich hatte ich mir dahingehend bereits klar gemacht, dass ich dann nicht eine Frau um jeden Preis haben müsse und mir aus diesem Grunde mal Gedanken über ein Leben als geschiedener Witwer machen müsste. Also, für mich schien, wie ich es eingangs geschrieben habe, die Sache gelaufen zu sein. Inzwischen hatte ich auch schon meine Ladung zum Scheidungstermin am 23. September 1999, einen Donnerstag, vorliegen und ich konnte mir jetzt beim besten Willen nicht mehr vorstellen, dass sich daran noch etwas ändern könnte. Da gab es dann doch plötzlich eine Überraschung. Ich fand ein Schreiben von Martinas Anwältin im Briefkasten und ging davon aus, dass es darin um reine Scheidungsformalitäten ging. Aber nein, die Anwältin teilte mir mit, dass Martina den Scheidungsantrag zurückziehen würde und ich möchte mich dazu äußern, da sie gegebenenfalls die entsprechenden Schritte für uns beide veranlassen könne. Ich selbst hatte bis zu diesem Tag noch keinen Rechtskünstler mit der Wahrnehmung meiner Interessen, wie es immer so schön heißt, beauftragt. Noch einen Monat vorher wäre ich sofort zum Telefon gestürzt um der Anwältin mitzuteilen, dass ich ja sowieso nicht geschieden werden wollte und sie sofort alles entsprechende unternehmen solle. Jetzt aber musste ich erst einmal eine Auszeit nehmen, damit ich die ganze Angelegenheit überdenken konnte. Eine Scheidung, die nicht stattfinden sollte, war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in meinem Kalkül, im Gegenteil, ich betrachte mich praktisch schon als Doppelgeschiedener. Nach kurzer Überlegung glaubte ich dann auch die Angelegenheit mit zwei Damen, nämlich mit Monika und Steffi, besprechen zu müssen. Von den beiden Frauen, mit denen ich die Sache besprechen wollte, war, als ich den Brief las, zunächst nur Monika anwesend. Als ich ihr von dem Inhalt des Briefes erzählt hatte, sprach sie von sich und beantwortete mir damit trotzdem meine Frage: „Ach Reiner, ich habe dir doch schon ein paar Mal gesagt, dass ich Angst vor dem Tod habe. Dieses ist die Angst vor dem Nichts. Alles vorbei, Schluss, nichts mehr, aus und vorbei. Oft denke ich: Hoffentlich stimmt das, dass es einen Gott gibt und wir ewig leben dürfen. Aber dieses Schreiben ist ein Beitrag dazu, dass meine Angst schwindet. Gott zeigt mir, dass es ihn wirklich gibt und er ist sehr gnädig zu mir. Entsinnst du dich, dass ich dir mal erzählt habe, dass ich immer gebetet habe, dass Er mich an deiner Seite vor dir sterben lassen möchte und das du doch trotzdem noch mit Martina zusammen kommst und mit ihr glücklich wirst. Gott hat meine Gebete erhört und wird diese erfüllen. Ich weiß jetzt, dass du bei mir sein wirst wenn ich sterbe und dass du anschließend wieder zu Martina, wo dann dein Platz sein wird, finden wirst.“. „Wenn Martina die Scheidung zurückzieht, heißt dass doch noch nicht, dass wir wieder zusammen kommen“, warf ich jetzt ein. Da war Monika aber einer anderen Ansicht: „Martina zieht die Scheidung zurück weil sie wieder mit dir ins Reine kommen will. Was sollte sie sonst für einen Grund haben? Ihr geht es bestimmt nicht um ihre Altersversorgung. Aufgrund ihrer Erbschaft und ihrer eigenständigen Berufstätigkeit, auch wenn sie nicht durchgängig ist, ist sie doch sogar besser gestellt wie du. Und warum sollte sie sich nicht scheiden lassen, wenn du nicht das Ziel ihrer Lebensplanung bist. Damit würde sie sich ja nur selbst ein Beinchen stellen. Stell dir in diesem Zusammenhang mal vor, Martina würde vor dir sterben und du, ihr Mann mit dem sie nichts zutun haben will aber nicht von ihr geschieden ist, sahnt über sein Pflichtteil ihr halbes Häuschen ab“. „An dem was du sagst, ist wirklich etwas dran,“, begann ich meine Überlegung, „aber dass du das jetzt so locker ... fast positiv bewertend, siehst wundert mich doch ein Bisschen. Hast du denn jetzt dich betreffend keine Befürchtungen?“. „Nein,“, antwortete sie mir selbstbewusst, „ich bin mir sicher, dass du mir bis zu meinem baldigen Ende treu bleibst. Dieses, obwohl ich weiß, dass Martina jetzt den Kampf um dich aufnehmen wird. Abgesehen von meiner Krankheit habe ich aber noch eine ‚Waffe“ im Kampf um dich. Ich kann dir sagen, dass Martina nach all dem was geschehen ist, jetzt keine Wunder erwartet und sie mal geduldig und mal zwangsläufig auf ihre Stunde warten wird. Das weiß ich, weil Martina, genau wie ich, eine Frau ist und wir viel gemeinsam haben. Irgendwie ist da etwas dran, dass Menschen bei der Partnerwahl immer und immer wieder auf den gleichen Typ ‚reinfallen’. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn mir meiner zweiter Gatte nicht aufgenötigt worden wäre, ich mir wieder einen Mann mit den gleichen Macken und Vorzügen, so wie du sie hast, genommen hätte. Wenn du von mir jetzt erwartest, dass ich dir einen Rat gebe, sage ich dir: Erkläre dich einverstanden damit dass die Scheidung nicht stattfindet und warte dann ruhig ab ... dann wird bestimmt alles gut.“. Wir sprachen noch ein ganzes Weilchen miteinander und dann ging ich zum Telefon und teilte Martinas Anwältin mit, dass ich mich auch nicht scheiden lassen wolle. Sie bat mich ihr dieses schriftlich zu bestätigen, und sie gleichzeitig zu bevollmächtigen, damit sie alles notwendige veranlassen könne – und damit war jetzt
tatsächlich die Sache gelaufen. Nach dem Telefonat führte ich ein weiteres. Ich rief Stefanie an und bat sie am Abend zusammen mit Christof zu uns zu kommen, weil ich ihr etwas wichtiges mitzuteilen hätte. Ihre Antwort war dann die nächste Überraschung des Tages: „Ach Vati, ich käme ja gerne zu dir aber ich habe eben schon jemand anderem zugesagt. Diese Person will mir wohl das Gleiche mitteilen wie du. Mutti hat mich angerufen, sich bei mir ganz lieb für alles entschuldigt und mir dann gesagt, dass sie sich nicht scheiden lassen wolle. Jetzt hat sie mich gebeten, ihr bei ihren Bemühungen um dich zu helfen. Aus deinem Anruf schließe ich jetzt, dass das wohl nicht notwendig ist. ... Aber Vati, ich muss dir doch noch was sagen. Wenn auch du damit einverstanden bist dass die Scheidung ausfällt ist das in Ordnung. Aber dann lass es erst mal bei allem anderen ... du bist im Moment Monika verpflichtet. Monika brauch dich und sie hat dich jetzt verdient. Alles andere kann man ja auf später verschieben. So lange Monika noch lebt weißt du wo dein Platz ist. Das werde ich auch Mutti sagen ... und wenn sie das nicht versteht, kann sie mir für alle Ewigkeit gestohlen bleiben.“. Ich konnte Steffi bestätigen, dass dieses ganz in meinem Sinne läge. Für mich war jetzt allerdings sehr rätselhaft warum Martina praktisch nur fünf Minuten vor Toresschluss die Notbremse gezogen hatte. Was hatte ihren plötzlichen Sinneswandel ausgelöst? Darüber sprach ich auch mit Monika bei unserem Spaziergang, den wir im Anschluss an meine Telefonate unternahmen. Ich sinnierte, ob dieses etwas mit Monikas Krankheit zutun haben könne, was Monika jedoch ausschloss: „Ich glaube nicht, denn sie müsste davon ja erst mal Kenntnis haben. Und woher sollte sie dieses haben, wo sie doch bis heute morgen keinen Kontakt zu Steffi hatte ... und in der Zeitung steht so etwas auch nicht?“. „Vielleicht vom alten Waymann, der das selbstverständlich von Steffi weiß“, warf ich ein. Monika fuhr fort: „Das könnte sein, aber das dürfte für Martina wahrscheinlich keine ausschlaggebende Bedeutung gehabt haben. Nur weil die Nebenbuhlerin ... und das bin ich doch wohl ohne Zweifel für Martina – stirbt geht doch keine Frau wieder zu ihrem Ehemann zurück. Deshalb stirbt doch nicht gleichzeitig die Liebe zum eigenen Geliebten. Martinas Rückzieher in Verbindung mit meiner Krankheit ergibt keinen Sinn. ... Da würde ich eher auf der anderen Seite, bei Heimann, suchen. Sollte der sie verlassen haben? Aber dagegen spricht Martinas Stolz, der sich allerdings in diesem Fall nicht von dem meinigen unterscheidet. Die würde das nicht gleich und so spektakulär mit einem solchen Rückzieher, sogar mit der Bitte um Steffis Hilfe, tun. Da muss was anderes sein.“. Na ja, an diesem Tag sollte sich das Rätsel nicht lösen, da musste ich mich erst noch einen weiteren Tag gedulden. Aber am Ereignistag tat sich doch noch einmal etwas. Reimund Heimann rief in der Villa an und bat mich um eine Unterredung. Meine erste Reaktion war, dass ich ihm erst einmal sagte, dass ich nicht wüsste was wir zu besprechen hätten und dann wieder auflegte. Unmittelbar danach schellte das Telefon noch einmal und ich wollte, weil ich mir sicher war, dass es noch einmal Heimann war, nicht mehr abheben. Das behagte Monika, die das mitbekommen hatte, gar nicht und so ging sie ran. Sie sprach eine ganze Weile mit Heimann, was ich aber nicht mitbekommen habe, weil ich mich verärgert von dannen begeben habe. Da schreibe ich gerade etwas an, was, so glaube ich, auf jeden Fall auch erwähnt werden muss. Insbesondere im vorangegangenen Kapitel berichtete ich von dem fantastischen harmonisch Verhältnis zwischen Monika und mir. Dieses besagt aber nicht, dass wir immer alles uniform in stets gleicher Richtung sahen. Selbstverständlich waren wir auch mal gegensätzlicher Meinung und haben uns auch darüber richtig auseinander gesetzt. Wenn man sich was zu sagen hat und auch miteinander kommuniziert, bleiben kleine Auseinandersetzungen nicht aus – aber gerade das ist ein Zeichen für gute Partnerschaften. Zu einem schönen Sommer gehören halt auch bereinigende und erfrischende Gewitter. So ein Sommer-Erfrischungs-Gewitter hatten wir jetzt. Als Monika aufgelegt hatte musste sie zunächst einmal erkunden, wo ich mich verkrochen hatte. Statt jetzt zu erfragen, was denn zu besprechen gewesen wäre, keifte ich sie erst einmal an, warum sie sich überhaupt noch mit einem solchen Kerl noch unterhalte. Darauf schoss die Angekeifte erst mal entsprechend zurück: „Hör mal Freundchen, noch kann ich allein für mich bestimmen, mit wem ich mich unterhalte und mit wem nicht. Außerdem verhältst du dich jetzt unfair gegenüber Heimann. Er bereut was er dir und seiner Frau angetan hat. Ich habe ihm jetzt ja ganz objektiv zugehört und habe den Eindruck, dass er es wirklich ehrlich meint. Jetzt möchte er gerne mit dir von Mann zu Mann darüber sprechen. Ich brauche dich jetzt nicht zufragen, ob du in deinem Leben schon mal Bockmist gebaut hast, denn ich weiß, dass du es gemacht hast. Ich weiß auch, dass du im Großen und Ganzen einsichtig bist. Jetzt frage ich dich wie du es empfindest, wenn du was eingesehen hast und dich dann entschuldigen willst und der Gegenüber knallt dir die Tür vor die Nase zu. Man kann doch den anderen tatsächlich erst mal anhören. Denk doch nur mal daran, was dir dein Türzuknallen bei der Geschichte in der Jagdhütte gebracht hatte. Unter deinem Türknaller hatten wir beide dann bitter zu leiden.“. Im Grunde hätte ich ihr jetzt Recht geben müssen aber ich brachte es nicht fertig, wie das auch bei Anderen bei solchen Gelegenheiten häufig der Fall ist, über meinen momentanen Schatten zu springen. Und deshalb hakte ich noch mit einem Konter nach. Monika machte das, was in diesem Moment wohl richtig war, sie wandte sich ab und ließ mich einfach stehen. Fast schlagartig wich bei mir die Knitterigkeit einer gewissen Neugierde. Ich ging ins Wohnzimmer zu Monika, nahm sie in den Arm und sagte: „Ach Mäuschen, ich war blöd.“. Sie lächelte mich
an und fragte mich: „Und jetzt möchtest du wissen, was dein Kontrahent eigentlich wollte ... oder?“. Ich lächelte zurück und nickte bejahend mit dem Kopf. „Das wird er dir Morgen selber sagen.“, verriet mir Monika jetzt, „Ich habe nämlich von meinem Recht als Hausherrin Gebrauch gemacht und habe ihn für morgen Abend eingeladen.“. Da hatte sie mir nicht nur gesagt, das sie Heimann eingeladen hatte sondern auch gleich noch auf ihre Art und Weise mit dem Hinweis auf ihre Hausherrinnenkompetenz einen Punkt hinter unsere kleine Streitigkeit gesetzt. Das war auch schon früher in jungen Jahren ihre Art. Nach einer Auseinandersetzung bekam ich immer in dem Moment, wo wir wieder zur Harmonie zurückkehrten, noch irgendeinen Kommentar, in dem sie ihr Selbstbewusstsein betonte, zu hören. In den meisten Fällen war, wie auch an diesem Tag, danach die Angelegenheit erledigt. Ab und zu fühlte ich mich aber noch dazu veranlasst meinerseits zurückzuschießen. In einem solchen Fall gingen wir dann halt in eine zweite Runde. Ich habe jetzt, diese kleine, eigentlich nebensächliche Angelegenheit mal so ausführlich geschildert, um zu zeigen, dass Monika und ich tatsächlich eine ganz „normale Ehe“ führten. Sicher wirkte sich die Nähe des Todes in irgendeiner Weise atmosphärisch auf unser Verhältnis aus aber wir hatten uns vorgenommen, so normal wie möglich miteinander umzugehen und zu leben, was wir, wie ich an diesem Beispiel zeigen wollte, dann auch taten. Nun aber zu der, für die Gesamthandlung wichtigeren, Zusammenkunft mit Reimund Heimann am nächsten Abend. Als ich ihm die Tür öffnete – ich machte es persönlich und benutzte nicht den Türdrücker – tat er mir irgendwie leid. Er wirkte schuldbewusst bedrückt und ängstlich. Er reichte mir, mit nur zaghaft erhobenen Gesicht, die Hand und sagte: „Guten Abend Herr Schreiber. Ich bin gekommen, weil ich schwere Fehler gemacht habe, bei denen ich ihnen viel angetan habe und möchte mich sie jetzt deshalb bitten, mich zu entschuldigen. Sie können mir sicherlich nie verzeihen aber vielleicht können sie mir ein Wenig vergeben.“. Im ersten Moment stutzte ich jetzt über Heimanns Wortwahl. Zum einen hatte er korrekt um Entschuldigung gebeten und nicht den Flappsus „ich möchte mich entschuldigen“ – was man natürlich nicht selber kann – gebraucht. Zum anderen hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie über den Unterschied von Verzeihen und Vergeben nachgedacht. Das ist beim besten Willen nicht das Gleiche. Wenn man jemanden verzeiht, besagt das, dass man die Schuld des anderen als gelöscht betrachtet. Vergeben heißt dagegen, dass man bereit ist, dem Anderen trotz seiner Schuld die Hand zu reichen. Sicherlich gibt es viele Dinge, die man nicht verzeihen kann aber andererseits auch nichts, was man nicht vergeben könnte. Ich führte ihn ins Wohnzimmer, wo er Monika begrüßte und ihr die mitgebrachten Blumen überreichte. Dabei wirkte er wie ein schüchterner Kavalier der alten Schule. Bisher hatte ich Reimund Heimann immer sehr selbstbewusst und sicher auftretend erlebt. Alles in Allem war ich mir sicher, dass es in seinem Inneren gewaltige Revolutionen gegeben haben musste, die aus einer sonst stattlichen und modernen Erscheinung so ein Häuflein Elend gemacht hatte. Wenn es geschauspielert gewesen wäre, hätte er jetzt ganz und gar sein Ziel erreicht: Ich war jetzt offen für ihn und seine Worte. Jetzt wollte ich ihn geduldig und verständnisvoll anhören. Da sieht man wieder, wie das Auftreten eines Menschen oft wichtiger ist wie das, was er sagt. Signale die wir bewusst und unbewusst aussenden sagen oft mehr als man mit Worten ausdrücken kann. Dieses ist auch in Hinsicht von virtueller Kommunikation – Chat, SMS und Mails – wichtig, denn sie können nie den persönlichen Kontakt, von Mensch zu Mensch, von Angesicht zu Angesicht ersetzen. Nun, Reimund Heimann fiel es schwer die richtigen Worte zu finden und zur Sache zukommen. In diesem Fall war er wohl sehr froh, dass Monika anwesend war, denn sie verstand es immer wieder Brücken, die ihm ein Fortschreiten ermöglichten, zu bauen. Jetzt erfuhr ich, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Auftreten Schöllers, Heimanns damaligen Besuch bei uns und meiner nun ausfallenden Scheidung gab. Heimann beichtete, dass er über sein Tun im Grunde vorher nie nachgedacht habe. Ehrlich gestand er uns, dass ein zunehmendes Körpergewicht und –format seiner Frau seine Fantasien und Begierden auf einen Seitensprung gelenkt habe. Demgegenüber habe Martina die Proportionen, die seine Fantasie immer beflügelten. Er hatte also ursprünglich nur reine körperliche Ambitionen, nur reinen Trieb, gehabt. Bei seinen Annäherungsversuchen wäre er ursprünglich immer bei Martina abgeblitzt und er habe hinsichtlich seiner Familie auch immer gedacht „Gott sei dank“, denn die würde er nach wie vor über alle Dinge lieben. Er sagte uns, dass er niemals Frau und Kinder zugunsten von Martina oder einer anderen Frau verlassen hätte und das habe Martina auch gewusst. Woraus ich schließen konnte, das Martinas Scheidungsbegehren auf keinen Fall das Ziel hatten Heimann zu ehelichen. Wie geschrieben wurde Heimann anfänglich von Martina, sogar energisch, abgewiesen. Dann gab es einen Vorfall, der Heimanns Begehren über das rein körperliche hinaus steigerte. Er hatte sie im Büro etwas unkeusch umarmt und Martina reagierte prompt. Sie hat ihm, ihrem Vorgesetzten, im Beisein Dritter eine kräftige Ohrfeige verpasst und ihm angedroht, ihn im Wiederholungsfalle anzuzeigen. Dieser Vorfall bewirkte aber das Gegenteil von dem was Martina eigentlich beabsichtigte. Zwar sah er sich jetzt mit handfesten Übergriffen vor aber neben dem körperlichen war bei ihm jetzt nun auch ein menschliches Begehren entstanden. Er wollte jetzt nicht mehr die gutgebaute Frau, jetzt wollte er Martina. Ein weiterer zufälliger Vorfall übernahm dann die Regie. Im Unternehmen wäre eine größere, kompliziertere Angelegenheit abzuwickeln gewesen und er hatte Martina
gebeten, Überstunden zu machen und ihm zu helfen. An dem Tage hätten Martina und ich einen Ehestreit gehabt. Er wusste nicht um was es ging und ich bin an diesem Abend in meinen Erinnerungen nicht soweit zurück gedrungen, dass ich noch sagen konnte um was es ging. Der Groschen fiel erst wenig später. Martina hatte mich verdächtigt etwas mit einer jungen Volontairin beim Neuheimer Kreisboten gehabt zu haben. Da war nichts dran aber ich genoss ihre Eifersucht und habe ihr dann ein falsches Geständnis geliefert. Na ja, wer mit dem Feuer spielt muss damit rechnen, dass er sich verbrennt. Und ich hatte mich verbrannt. Martina nahm mir mein „Alles nur Spaß, Mäuschen“ anschließend nicht ab und in der Tat hing der Haussegen bei uns mehr als schief. Danach habe ich auch nie wieder solche Scherze gemacht; ich bin halt doch ein gelehrsamer Mensch. Auf jeden Fall kam Heimann dadurch jetzt zum Erfolg. Martina hatte ihm gesagt, dass sie Zoff mit ihrem Mann habe, worauf er ihr seine Begierde auf sie gestand. Da habe sie ihm dann gesagt, dass sie das, was ihr Mann könne auch könne. Sie bot ihm den Geschlechtsverkehr an aber bestand darauf, dass es dabei bei einer einmaligen Angelegenheit bleiben solle. Sie liebe ihrem Mann und keinen anderen. Und dann passierte das, was Schöller in Wollerst der Öffentlichkeit kundtat. Sie hatten es miteinander und eine Auszubildende, die ein Buch, welches sie am nächsten Tag in der Berufsschule brauchte, vergessen hatte war zurückgekommen um dieses zu holen. Sie freute sich schon, dass sie Glück hatte, dass noch jemand da war. Und dann, ... Na ja, wir wissen es ja. Da sich das Mädchen verständig zeigte - sie sagte den Beiden, dass sie selbst auch ganz gerne die Beine breit mache - ließ sich das Ganze vertuschen. Wie konnte das dann nun Schöller erfahren? Die junge Dame war später in „schlechte“ Kreise geraten. Das heißt, dass sich da etwas mit Cannabis- und Ekstase-Produkten abgespielt hatte. Sie wollte sich als Dealerin betätigen und zum Einkauf nach Amsterdam fahren. Da sich aber auch in einem solchen Fall ohne Geld nichts abspielt, trat sie jetzt als Erpresserin, allerdings erfolglos, an Heimann heran. Für ihre dusselige Art wurde sie von ihren „Freunden“, die sie offensichtlich zu dieser Tat gebracht hatten, körperlich abgestraft und diese Abstrafung wurde dann zum Gegenstand einer Verhandlung vor dem Jugendschöffengericht, bei der auch Reimund Heimann als Zeuge geladen war. Schöller, der Heimann damals noch nicht kannte, war Schöffe in diesem Verfahren. Zwar war Martinas Name im Verfahren nicht gefallen aber Schöller hatte später Eins und Eins zusammengezogen. An dem Freitagabend, wo Heimann mich wegen der Prophetengeschichte aufsuchte, lag hierin sein Ansatzpunkt um Schöller aus dem „Verkehr zu ziehen“, den er aber zuvor mit mir besprechen wollte. Wenn ein ehemaliger Schöffe „durchdreht“ und dann Dinge aus den Prozessen, sogar mit Namensnennung, an die Öffentlichkeit bringt, liegen eventuelle Maßnahmen mit Sicherheit im öffentlichen Interesse. Allerdings ist bei Kranken wahrscheinlich nichts mit dem Strafrecht auszurichten. Das war also der Grund seines Besuches, den nicht nur ich, irgendwie im falschen Hals bekommen habe. Und lediglich diesen Vorfall wollte er mit mir besprechen und Martina hatte ihm zu einem früheren Zeitpunkt mal gesagt, das ich von dem Schäferstündchen im Büro wisse. Sie wollte damit allerdings nur sein Gewissen beruhigen und es entsprach somit nicht der Wahrheit – sie hatte nie etwas gesagt. Nachdem Heimann gegangen war, kam Monika als erstes auf diesen Punkt zurück und meinte: „Da hast du wieder einen Denkzettel dafür gekriegt, was du davon hast immer schnell eingeschnappt zu sein und dann die Leute nicht mehr anhören zu wollen. Wenn man zuhört, ergibt sich sogar meistens, dass die Wahrheit sich vom ersten Anschein gehörig unterscheidet.“. Dieses ist auch hinsichtlich dessen, was Heimann weiter berichtete höchst interessant. An dem Verhältnis Martina/Heimann war dann zunächst nichts mehr. Bei diesem einen Seitensprung ist es erst einmal geblieben. Das Einzigste was sich zwischen den Beiden tatsächlich geändert hatte war, dass sie es nach dem Schäferstündchen bei dem Du beließen und das Heimann sie dann aufgrund seines, ihm quälende schlechte Gewissens nicht mehr angemacht hat. Das änderte sich erst wieder nach der Betriebsfeier 1997, wo sie sich wieder etwas näher gekommen waren – und das aber schön „sittsam“ im Beisein von Frau Heimann. Zu dem Fest waren nämlich alle, außer Martina, mit Partner erschienen – ich war mal wieder in Sachen Lokalredaktion Saßmannshausen unterwegs. Martina beklagte sich darüber, dass sie von mir vernachlässigt wurde und das Ehepaar Heimann hat sie getröstet. Mit Zustimmung seiner Frau hat Heimann anschließend Martina vier oder fünf Mal ausgeführt, wobei ihnen dann in der Tat ganze drei Mal Steffi über den Weg gelaufen ist. Es entsprach also wirklich der Wahrheit, dass zwischen den Beiden 1998 eigentlich nichts war und sie aber trotzdem im Mittelpunkt des Betriebsklatsches wurden. Martina hatte wirklich nicht gelogen als sie nicht mit zu der Ökdal-Schöller-Veranstaltung wollte. Eine Änderung im Verhältnis der Beiden gab es erst ab dem Moment als Monika bei mir wieder auf der Bildfläche stand. Da sprach Martina ihn darauf an, ob er noch immer auf sie so scharf wie damals sei. Er beantwortet es ihr ehrlich, in dem er ihr sagte, dass er wirklich ein Wenig heiß darauf sei sie zu bumsen. Er gebrauchte bei seiner Beichte wirklich das Wort „bumsen“ und umschrieb es nicht mit „schlafen“. Dann hat Martina ihn praktisch zu eine Umsetzung in die Tat aufgefordert. Letztlich entwickelte sich daraus, dass sie sich immer dann zum flotten Beisammensein getroffen haben, wenn ich mit Monika zusammen war. Wenn ich nicht zwischendurch mal die Wahrheit gesagt hätte und wirklich dienstlich unterwegs gewesen sei, hätten Monika und ich bis zu dem Zeitpunkt, wo ich zuhause ausgezogen bin, genauso viel Seitensprünge auf dem Konto wie er und Martina. Ich gab ihm gegenüber dann jetzt auch zu, dass es tatsächlich keine dienstlich veranlasste Wochenendreise gab. Er brauchte also kein schlechteres Gewissen als es mir angestanden hätte zu haben, was übrigens auch für die
Frauen galt, denn so wie mich Monika förmlich zu den Schäferwochenenden „einlud“ hatte es beim ihm Martina gemacht. Wer kann nun den ersten Stein werfen? Nachdem ich die Geschichte bis hier an diesem Punkt gehört hatte war mir innerlich nicht sehr wohl. Wenn man überhaupt von Schuld sprechen und diese aufwiegen kann, wo soll man da beginnen. Wer von uns Beiden war nun schuldiger: Martina oder ich? Irgendwo und irgendwie war ich doch meist, wenn auch unbewusst, der Veranlasser des Geschehens gewesen. So hatte es übrigens Martina es während unseres Trennungsjahr auch empfunden und das erklärte ihre bisherige unversöhnliche Haltung mir gegenüber. Sie hat Heimann aber sehr oft gesagt, dass sie nicht von mir abkäme und die Liebe zu mir einfach nicht verdrängen könne. An dieser Stelle mischte sich Monika ein und bekundete, dass sie dieses sehr gut nachvollziehen könne, da es ihr über mehr als zwei Jahrzehnte genauso gegangen sei. Dabei wurde sie traurig und erklärte: „Ich bin doch wirklich ein Miststück, denn ich habe für alles was geschehen ist die Grundlagen geschaffen ... ich bin an allem schuld.“. So waren wir nun an einem Punkt angekommen, an dem jetzt alle vier Beteiligten ein Schuldbewusstsein entwickelt hatten. So etwas ist in unserer heutigen Zeit, wo man für alles und für nichts einen Schuldigen finden will aber die eigene Person generell ausklammert, wohl sehr selten. Heute gibt es immer schuldige: die Anderen. Allerdings waren in Sachen Schuldbewusstsein uns Martina und Heimann um ein paar Wochen voran geeilt. Nachdem Heimann am 30. Juli, nach dem Vorfall mit dem Hexenberger Propheten in Wollerst, bei uns war ist er zu Martina gefahren. Die Beiden haben fast die ganze Nacht durch über die Geschichte gesprochen. Sie sind sich so furchtbar mies vorgekommen. Dieses jetzt sogar weniger mir sondern insbesondere auch Frau Heimann gegenüber. Diese hatte alles mitbekommen und sehr, sehr oft bitterlich geweint. Aber trotz allem was ihr seitens ihres Mannes zugefügt wurde, hielt sie fest zu ihm. Aber nicht wegen der Kinder, wie Schöller behauptet hatte, denn das dürfte bei dem Alter der Kinder, der Jüngste war Fünfzehn, wohl nicht mehr so bedeutsam sein, sondern weil sie ihrem Mann liebte und ihm aus diesem Grunde alles verzieh; aus reiner Liebe konnte sie ihm nicht böse sein. Hinzu kam noch die sehr christliche Überzeugung von Frau Heimann – sie ist eine Pfarrerstochter – aus der sie ihre Überzeugung, dass sie gerade jetzt zu ihrem Mann halten und ihm vergeben müsse, bezog. Letztlich beschlossen Martina und Heimann ihre Beziehung endgültig und für immer zu beenden. Nun war es aber so, dass das Liebespaar bereits ihren gemeinsamen Urlaub gebucht hatten. Martina wollte zu Gunsten von Frau Heimann zurücktreten. Diese hatte aber inzwischen für sich selbst einen Urlaub im Schwarzwald, wo sie „Kraft tanken“ wollte, gebucht. So kam es dann kurzerhand zum Tausch. Schon vor der Abreise hat Martina erklärt, dass sie sofort nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub die Scheidung zurückziehen wollte um dann um mich zu kämpfen. Heimann wollte sie in dieser Hinsicht unterstützen, dass er mir die Wahrheit unterbreiten und sich bei mir entschuldigen wolle. Er hatte sich überlegt, dass es vielleicht besser wäre, wenn er damit wartete bis ich von der Scheidung, die nicht stattfindet, erfahren hätte. Am Morgen des Vortages unserer jetzigen Zusammenkunft habe ihn Martina angerufen und ihm mitgeteilt, dass ich jetzt wisse, dass sie sich nicht mehr scheiden lassen wolle und das sei dann der Auslöser für seinen gestrigen Anruf gewesen. „Wieso angerufen?“, stutzte ich, „Sie arbeiten doch zusammen – oder etwa nicht mehr?“. „Im Moment noch“, begann er seine Antwort, „aber Martina will sich aufgrund der Vorfälle eine andere Stelle suchen ... aber da ist im Moment noch nichts. Sie fragen aber mehr wegen des Anrufes, den ich bei ihr tätigte. Ich bin zur Zeit nicht in der Firma. Ich besuche momentan ein Seminar zum Thema Hongkong ... da haben wir geschäftlich sehr viel mit zutun. Es geht um die Auswirkungen der Rückgabe der ehemaligen Kronkolonie an die Volksrepublik China auf die deutsche Exportwirtschaft.“. Da musste ich ihm doch noch eine Frage stellen: „Haben sie nach diesem Telefongespräch noch einmal mit Martina gesprochen?“. Da er mir das verneinte wusste ich jetzt, dass er von Monikas Krankheit und der sich daraus ergebenden veränderten Lage noch nichts wissen konnte, denn das wusste Martina ja auch erst von Steffi als diese sie am Vorabend besuchte. Ich hatte jetzt das Gefühl, ihm dieses zur Kenntnis geben zu müssen. Er war sichtlich erschrocken und entschuldigte sich bei Monika. Wenn er das gewusst hätte, hätte er den Versuch unternommen mich unter vier Augen zu sprechen um mir dann alles nur unter uns Männern zu berichten. Er gestand auch bei seinem jetzigen Vorgehen eine „dunkle“ Absicht gehabt zu haben. Er befürchtete, dass sich inzwischen alles so entwickelt habe, dass Martina nun keine Chance bei mir mehr haben würde. Mit seinem „Geständnis“ wollte er für Martina zumindestens die gleiche Ausgangsposition wie an dem Wochenende, wo wir uns gegenseitig auf Sylt erwischten, schaffen. Er hält aber nichts davon, dass diese über die Köpfe der Betroffenen hinweg oder gar hinter deren Rücken geschieht. Eine wirkliche dauerhafte Lösung gibt es nur mit gegenseitigem Verständnis und unter Mitwirkung aller Beteiligten. Jetzt war es beim besten Willen nicht seine Absicht Monika und mich zuspalten; sein Ziel war es, dass wir uns objektiv mit dieser Sache auseinandersetzen. Einer Sterbenden gegenüber fand er diese, seine Ansicht, jedoch nicht für gerechtfertigt. Aber es war vielleicht eine glückliche Fügung dass er von alle dem nichts wusste und offen gesprochen hatte. Monika hatte er jedenfalls hinsichtlich seiner doch charakterstarken Person überzeugt und deshalb fragte sie ihn, als es schon fast nach dem Ende unseres Treffens aussah: „Herr Heimann, ich habe gehört, dass sie ein guter und
überzeugter Christ sind und viel von den Dingen wissen. Darf ich sie mal ganz was persönliches fragen.“. Er relativierte ihr Lob ein Bisschen aber ermunterte sie trotzdem ihre Frage zu stellen. Jetzt etwas schüchtern klingend fragte Monika: „Ich habe keine Angst vor dem Sterben, denn ich weiß dass ich da Reiner an meiner Seite haben und glücklich sein werde. Aber vor dem Tod habe ich fürchterliche Angst. Wenn es Gott nicht gibt, dann falle ich ins Nichts, dann bin ich für alle Zeiten ausradiert. Das ganze Leben war dann umsonst, ... für nichts, absolut nichts.“. „Da kann ich sie aus meiner vollsten Überzeugung trösten,“, begann jetzt Reimund Heimann vollkommen selbstbewusst, „es gibt Gott den Herrn, der diese Welt und das Leben schuf. Er schuf das Leben damit es nie mehr vergehe. Die Materie ... Himmel und Erde wie es in der Bibel heißt, werden wieder vergehen aber Gott, was für mich gleichbedeutend mit der Liebe und dem Leben ist, wird es bis in alle Ewigkeit geben. Für Gott gab es keinen Anfang und für Ihn wird es kein Ende geben“. Monika schaute sinnig vor sich hin und fragte: „Ich habe doch in meinem Leben so viel Sünden begangen. Zwar habe ich nie im Sinne des Strafgesetzbuches ein Verbrechen begangen, aber trotzdem dürfte ich laufend wohl so gut wie gegen alle zehn Gebote verstoßen haben. Ich denke zum Beispiel an das vierte Gebot. Statt meine Eltern zu lieben und zu ehren habe ich sie gehasst – und das nicht nur in der Vergangenheit, denn ich bin diesen Hass bis zur Stunde noch nicht losgeworden. Dann das sechste Gebot ... Praktisch will ich bis zu meiner Todesstunde Ehebruch begehen. Und so weiter, und so fort. Was ist jetzt, wenn mich der Herr nicht will?“. Heimann fasste Monikas Hände und sagte: „Der Herr rechnet uns unsere Taten nicht an. Lesen sie doch mal das vierte Kapitel des Römerbriefes. Da schreibt der Apostel Paulus dass sich Abraham seiner guten Taten rühmen könne ... aber nicht vor Gott, vor Ihm kann man sich nur seines Glaubens rühmen. Gott rechnet weder gute noch böse Taten an. Warum auch, er hat sie ja selbst vorbestimmt weil ansonsten die Verheißung nicht in Erfüllung gehen. Wie sollte dass denn funktionieren, wenn er vorbestimmt hat, dass sein Sohn am Kreuz sterben soll und ihn keiner kreuzigen will. Wären uns unsere ‚Untaten’ nicht vorbestimmt würden wir doch aus purem Egoismus davon absehen. Oder gibt es Menschen, die Verbrechen nur deshalb begehen, weil sie ins Gefängnis wollen? Aufgrund des Römerbriefes spricht Johannes Calvin so richtiger Weise von der doppelten Prädestination. Gott hat also auch das Böse vorbestimmt und zum Zeichen, dass er uns diese von ihm vorbestimmten Taten nicht anrechnen will wurde er selbst Mensch und starb für alle unsere Sünden einen grausamen Tod am Kreuz. Es kommt nur auf unseren Glauben an ... nur unser Glauben entscheidet über Leben und Tod. Nur seines Glaubens kann sich Abraham vor Gott rühmen, so wie es im vierten Kapitel des Römerbriefes heißt.“. „Ist es denn denkbar, dass ein böser Mensch richtig gläubig ist?“, fragte Monika, „Kann es theoretisch sein, dass Hitler im Himmel ist?“. „Eindeutig ja.“, setzte Heimann fort, „Entscheidend ist das, was wir in der Stunde unseres Gerichtes, sprich in unserer Todesstunde, vorweisen können. Leben ist in erster Linie das Bewusstsein. Sehen sie mal: Pflanzen leben auch, aber nicht ewig. Es gibt welche die leben nur sehr kurz und andere ein paar hundert Jahre ... aber alle müssen vergehen, sie haben kein Bewusstsein. So wie die Pflanzen sind auch unsere Körper. Sie sterben, verwesen und werden zu Staub. Aber unsere Seele, unser Geist, das Bewusstsein, ist nach dem Bilde des ewigen Gottes geschaffen, die Seele lebt ewig. Das Bewusstsein geht wie die Energie nie verloren. Aber es kann sich, wenn der Körper nicht mehr funktioniert oder gar verfallen ist, nichts mehr an ihr verändern. Die Seele geht mit dem Zustand unseres letzten Bewusstseins in die Ewigkeit ein. Wenn dieses dann in unserem letzten Moment an irdischen, vergänglichen, wie Geld, Macht, Häuser, und, und, ... hängt, dann gehen wir in die Hölle ein. Stellen sie sich mal ein Bewusstsein, dass nur auf nichts aufgebaut ist und nicht abgestellt werden kann, vor. Aber entspricht unser Bewusstsein in dieser Stunde dem Wesen Gottes, das heißt der Liebe, dem Glück und der Geborgenheit, dann haben wir das, wovon wir eine Ewigkeit zehren können. Ist Gott in der Stunde unseres Todes in unserem Herzen, dann gehen wir ins ewige Glück ein. Nur auf diesen kurzen aber alles entscheidenden Moment kommt es an. Sagte nicht unser Herr am Kreuz zu dem mit ihm gekreuzigten Massenmörder und Terroristen, nachdem er sich aufrichtig zum Glauben bekannte, dass er noch am gleichen Tage mit ihm im Paradiese sein würde. Und wer weis, was Hitler in seiner letzten Minute im Herzen hatte, das wissen wir genauso wenig, wie das, was wir dann selber darin haben. Damit wir im entscheiden Moment unsere Seele auf der richtigen Seite sehen, bleibt uns nur Glaube und Gehorsam“. Monika wirkte wieder etwas nachdenklicher: „Warum müssen wir Menschen dann soviel Leiden, warum gibt es Sorgen, Schmerz und Trauer? Warum hat Gott denn so etwas für uns vorbestimmt?“. Auch da hatte Heimann eine Antwort: „Gäbe es kein Leid, kein Schmerz und keine Trauer könnte sich das Bewusstsein nicht bilden. Das irdische Leben sind die Geburtswehen des eigentlichen, des ewigen Lebens. Ich würde sagen, dass Gott uns mit Leiden beschenkt, damit wir ein Bewusstsein für Liebe, Glück und Freude entwickeln können. Aber Gott ist kein Puppenspieler. Auch wenn er alle unsere Taten vorbestimmt hat, gibt er uns die Freiheit wohin wir unser Bewusstsein lenken wollen. Wenn wir ihn unbedingt und absolut gehorsam sein wollen ... schaffen können wir es sowieso nicht aber wir müssen immer dafür, auch gegen uns selbst, kämpfen – dann ist unser Lohn die ewige Glückseligkeit, wenn wir ihm aber immer wieder trotzen und an seine Stelle unser Ich, unser Geld und unsere Macht hängen sprechen wir unser eignes Urteil: Höllenqualen durch ein ewiges Bewusstsein um nichts, absolutes nichts. Was nützen uns Gedanken an den mächtigsten Staat der Welt wenn es diese Erde, auf der wir Grenzen festlegen können, nicht mehr gibt? Was nützt uns der größte irdische Reichtum wenn es nichts mehr
gibt, was wir dafür erstehen können? Selbst den Reichtum gibt es nicht mehr, da er nur irdisch materiell ist. Der Materie ist vorbestimmt sich letztlich in Energie aufzulösen“. Das brachte Monika dann auf eine weitere Frage: „Es heißt doch, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich gehen könne ... aber ich bin reich.“. Heimann lächelte sie an: „Meistens stimmt es. Die meisten Reichen sind dieses, weil sie für ihr Vermögen ihr wirkliches Leben gegeben haben. Ihr Bewusstsein hängt an diesem Geld, an diesem Vermögen. Aber ein untrügliches Zeichen wo ihr Herz hängt ist ihre Beziehung zu ihren Mitmenschen. Wenn das Herz am Vermögen hängt sind für sie die anderen Menschen Neider, Missgönner, Feinde die das ihrige wollen, Kostenfaktoren, Faulenzer die sie belasten, Scheinasylanten, die nur ihr Geld wollen und so weiter. Da mache ich mir bei ihnen keine Sorgen. Sie nehmen am wahren Leben teil. Statt der buchhalterischen Vernunft, die ihr Vater von ihnen forderte, sind sie ihrem Herzen gefolgt und haben Herrn Schreiber geheiratet. Ihr Herz konnte sich nicht von ihm lösen ... Ich schätze sie so ein, dass sie für ihn sogar ihr Vermögen gegeben hätten. Soviel ich weiß waren sie ja letzte Jahr um diese Zeit bald soweit, dass sie es tatsächlich getan hätten. Ihr erster Mann hat ihnen mehr bedeutet als alles andere auf dieser Welt. Ihr Herz hing an ihrem Baby und deshalb musste es mal so hart aufschlagen. Das ist Liebe und die Liebe ist Gott, Gott ist die Liebe. In ihrem Herzen waren sie nie reich und Jesus meinte in der Bergpredigt diejenigen, die ihr Vermögen im Herzen haben. Bedenken sie doch mal, dass auch Abraham kein armer Mann war. Er besaß große Herden und hatte viel Personal. Er ist nicht als Habenichts nach Kanaan gezogen. Aber darin hing nicht sein Herz, das gehörte nur Gott“. Heimanns Worte taten Monika unheimlich gut. Sie sagte mir später, dass sie Heimann an diesem Abend als einen Engel empfunden habe. Sie sann darüber nach ob es nicht gut gewesen sei wie es gekommen ist. Als wir ins Bett gingen sagte sie mir: „Ich glaube, es musste alles geschehen, damit ich gerettet werde. Wenn mein Leben anders verlaufen wäre, würde ich wahrscheinlich wie viele andere in meiner Position auch kaltherzig und egoistisch an meinem Geld hängen und Gott könnte mir keinen Engel, in der Gestalt von Herrn Heimann schicken, der mir die frohe Botschaft von meiner Erlösung verkündet und ich müsste mich mit einer gestorbenen Seele durch die Ewigkeit schleppen. Ach ich bin so glücklich. Ich danke meinem Gott, der mich, wie ich jetzt hundertprozentig weiß, über alles liebt.“. An diesem Abend war Monika neugierig geworden. Sie wollte noch mehr von Heimann hören und deshalb lud sie ihn ein doch bald wiederzukommen. Er kam, ... nicht nur einmal sondern immer wieder. Mindestens einmal in 14 Tagen war er bei uns in der Villa. Obwohl er Exportkaufmann ist war er für Monika ein Seelsorger. Letztlich hatte sie überhaupt keine Angst vor dem Tode mehr. Kurz vor ihrem Tod sagte sie mir, das sie, wenn es nicht den Schmerz der Trennung von mir gäbe, sie sich dank Heimann sogar auf ihren Tod freuen würde, da es eine Heimkehr in ihr richtiges Zuhause, zu unserem gütigen Vater wäre. Aber auch an mir ist Reimunds Mission nicht spurlos vorüber gegangen. Auch ich fand zum Glauben und bekenne mich heute gerne zu unserem dreieinigen Gott: dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist. Vielleicht ist diesem Leser oder jener Leserin aufgefallen, dass ich soeben, wie bisher üblich, anstelle des Nachnamens Heimann den Vornamen Reimund geschrieben habe. Das ist chronologisch richtig: Wir wurden in jener Zeit echte und gute Freunde. Jetzt bleibt noch die Frage, was passierte letztlich in dieser Zeit mit Martina und mir. Die Antwort lautet schlicht: nichts, denn ich war der festen Überzeugung, dass mich jetzt Monika mehr als alle anderen Menschen brauchte. Was wir jetzt versäumt hätten, wäre nie mehr nachzuholen gewesen. Ich konzentrierte mich auf sie und auf unsere Liebe. In dieser Haltung fand ich sowohl bei Steffi und Christof sowie insbesondere auch bei Reimund Heimann Zustimmung. Monika äußerte immer wieder die Ansicht, dass Gott für mich zwei Frauen bestimmt hätte, sie und Martina. Aufgrund dieser Prädestination wäre sie sich sicher, dass Martina und ich schon sehr bald wieder eins sein würden ... und diese Überzeugung teilte Reimund mit ihr. Und ich vertraute auf Gott und tat das, wovon ich in jener Zeit glaubte, dass es das Richtige sei.
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Das Ende des Propheten Möglicherweise war es schon immer so, dass, wenn ein Kind in einen Brunnen gefallen ist, immer lautes Geschrei ansetzt. Jeder will es kommen gesehen haben, da dieser ja auch nicht abgedeckt war. Dann wird lautstark gefordert, dass man einen Schuldigen findet, den man hinsichtlich Schadensersatz kräftig zur Kasse bitten und unabhängig davon auch noch aufknüpfen kann. Dann werden Maßnahmen gefordert, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passieren kann. Im Maßnahmenkatalog befindet sich dann nicht etwa das Abdecken des Brunnens sondern alles bezieht sich nur auf die Verschärfung des Strafkatalogs für ... na ja, irgendwas, was scheinbar damit zusammenhängt; Hauptsache es ist populistisch. Da man sich ja nicht fortwährend über das gleiche Thema unterhalten kann, haben die Meisten dann nach einer relativ kurzen Zeit so gut wie alles, aber insbesondere dass der Brunnen immer noch nicht abgedeckt ist, vergessen. Aber immer im Vorfeld kann man, wenn man den Missstand des nicht abgedeckten Brunnens entdeckt hat, von Pontius nach Pilatus laufen und davor warnen, dass da mal jemand reinfallen könnte. Wenn sich daraus keine Medienshow entwickeln lässt trifft man aber nur auf taube Ohren. Dann wird auf Arbeitsüberlastung auf der einen Seite und noch keinen Handlungsbedarf auf der anderen hingewiesen. Außerdem wäre ja noch nichts passiert beziehungsweise diverse Richtwerte, zum Beispiel Mindestabstand zu öffentlichen Wegen, wären noch nicht überschritten. Wenn man dann mit Beispielen aus anderen Gegenden argumentiert wird, erfährt man meist, dass so etwas bei uns nicht passieren könne, da wir ja ganz andere, viel sichere Standards hätten. Was in Tschernobyl passiert ist konnte bei uns nur deshalb nicht passieren, weil Tschernobyl nicht in Deutschland liegt. Wenn dann so etwas in Brockdorf passiert schreit alles nach der Verschärfung der Strafe für Demonstranten, da das bei einem, den Richtwerten entsprechenden Kernkraftwerk nur passieren konnte, weil Chaoten die Leute vom ordentlichen Bauen abgelenkt hätten. Problemlösungen interessieren niemanden, schon gar nicht im Vorfeld. Dem Einen ist es zu mühsam und dem Anderen zu Wenig spektakulär. Von Aktionen vor dem Brunnenfall und gleichzeitiger behördlicher Gelassenheit können Karl Hermann Waymann und Reimund Heimann ein Liedchen singen. Beiden ging es, zunächst unabhängig voneinander und dann gemeinsam, um Ernst Schöller, dem Propheten vom Hexenberg. Einmal ging es darum, dass der Prophet zunehmendst Dinge, die ihm während seiner Tätigkeit als Schöffe am Jugendgericht beziehungsweise als der Geschäftsführer der EDEKA-Läden seines Schwiegervaters über Kunden und Lieferanten bekannt geworden sind, sogar unter Namensnennung, unter das Volk streute. Auf der anderen Seite demontierte Schöller seine eigene Würde und gefährdete zusätzlich auch seine Gesundheit. Aber für die Behörden gab es keinen Grund etwas zu unternehmen, da man, laut deren Auffassung, nicht zuständig war. Na ja, wo geht man in einem solchen Fall schon hin. Die Allgemeinheit entscheidet sich in solchen Fällen in der Regel für die Polizei als kompetenten Ansprechpartner. Die ist aber in solchen Fällen wirklich unzuständig, denn die ist immer nur dann zuständig, sofern es zuvor keine entsprechende richterliche Anordnung oder keine einschlägige Verfügung von Oben (Landesregierung, Regierungspräsident) gegeben hat, wenn tatsächlich etwas passiert oder zumindestens Gefahr in Verzuge ist. Passiert ist aber immer nur dann etwas, wenn ein unübersehbarer Schaden entstanden ist oder ein Geschädigter Anzeige erstattet hat. Aber was sollte denn eine Anzeige im Fall Schöller bringen? Das Ordnungsamt ist immer nur dann zuständig wenn die öffentliche Ordnung gestört ist, was im Fall unseres Propheten heißt das, dass für dieses Amt die Volksaufläufe und die von denen ausgehenden Behinderungen wichtig und hauptsächlich sind, aber Schöller selbst ist für diese höchst uninteressant. Dann gibt es noch das Gesundheitsamt. Darauf könnte man schließen, wenn jemand in eine, ihn selbst höchst gefährdende, geistige Umnachtung fällt; dann dürfte das ja irgendwie mit Gesundheit und/oder Krankheit zutun haben. Aber wo ist das Gesundheitsamt, außer bei der Lebensmittel-Kontrolle, überhaupt zuständig? Wenn alle Stricke reißen kann man ja zum Bürgermeister, der laut Briefkopf für alles was im Städtchen passiert zuständig scheint, gehen. Aber der dürfte aus Zeitgründen auf seine ohnehin zuständigen Behörden verweisen. Na, lassen wir es gut sein. In unserem Staat kommt man sich öfters so vor, als könne man nichts spontan unternehmen weil es für alles eine zuständige Stelle, die zuvor zu unterrichten ist, gibt. Brauch man aber eine zuständige Stelle, stellt man fest, dass es diese offenbar doch nicht gibt – auf jeden Fall schreit niemand, wenn man ein Anliegen hat, laut „Hier“. Und so blieben dem alten Waymann und Reimund Heimann nur das Zuschauen bei dem Auftreten des Propheten. Das Problem mit den Schöffen- und Geschäftsindiskretionen schien sich jedoch dann Ende September/Anfang Oktober von selbst zu lösen. Zwar trat der Prophet jetzt verstärkt in den Innenstädten von Neuheim, Wollersts und Saßmannshausen auf – täglich wurde er jetzt dort gesehen – aber was er sagte war zunehmendst nur wirres Zeug, wo sich kein Mensch mehr einen Reim darauf machen konnte. Seine Reden waren ein Cocktail aus Sprüchen quer durch die Bibel, düsteren Prophezeiungen und zusammenhangloser mysterischer Unsinnsworte. Die Bibelzitate sahen dann etwa so aus: „Am Anfang ging Gott hin und erhängte sich. Gehe hin und tue das Gleiche.“ Und seine Prophezeiungen hatten das Format: „Die Erde wird in Flammen stehen und alle wollen verbrennen, aber keiner kann es mehr.“. Ein Beispiel für seine Mysterien anzuführen ergibt keinen Sinn, denn geheimnisvolle Worte ohne Zusammenhang hintereinander fügen, kann ja ein jeder mal in einem stillen
Stündchen selber üben – wie gesagt: Um einen Sinn brauch man sich dabei nicht zu kümmern. Also insgesamt konnte man jetzt wirklich überhaupt keinen Sinn in Schöllers Reden ausmachen. Aber so etwas muss einen unheimlich hohen Unterhaltungswert haben, denn wenn Schöller gesichtet wurde bildet sich sofort ein Pulk von Menschen, die ihm, sich schon vorab amüsierend, folgten bis er auf eine Bank, Mauer oder Mauervorsprung stieg und von dort seine Show, der man mit viel Spaß folgte, startete. Auch Monika und ich bekamen in dieser Zeit zwei oder drei Mal im Vorbeigehen einen solchen Auftritt mit. Monika regte sich dann mal über einen Ausspruch eines Jugendlichen auf. Dieser rief einem Freund zu: „Komm, datt is’n hypercooler Funfaktor“. Monika störte es, dass Anzeichen einer schweren Krankheit, die dann noch die Würde des Betroffenen zerstört, als einen Spaßfaktor bezeichnet wurde. Na ja, in Zeiten wo Privatsender Menschen in Containern vor ständig laufenden Kameras wie Affen im Zoo vorführen, hat wohl die Menschenwürde keinen besonderen Stellenwert mehr. Zu der Volksbelustigung trug auch das inzwischen total verwegene Äußere des Exkaufmannes bei. Er trug immer das gleiche nachthemdähnliche Gewand was wahrscheinlich nie eine Wäsche erlebt hat und inzwischen als schmuddelig dunkelgrau bis schwarz bezeichnet werden konnte. Aus seinem Kopf sprießten schulterlange ungepflegte Haare und sein, wohl niemals bearbeiteter Bart hatte inzwischen in der Länge nach Unten den Brustansatz erreicht. Früher konnte man Ernst Schöller als kräftig gebaut bezeichnen und jetzt war es eine hagere Gestalt, der man das Vater unser durch die Rippen blasen konnte. Ich nehme an, dass aufgrund seiner lauten Reden bei Wind und Wetter seine Stimme in starke Mitleidenschaft gezogen worden war, da er in dieser Zeit immer sehr krächzend klang. Diese Gestalt hatte nichts mehr mit der Person des ehemaligen Geschäftsführers von Waymanns EDEKA-Läden zutun. Er war einfach nur noch eine mitleidserregende traurige Gestalt. Sogar Christof machte sich jetzt Gedanken darüber wie er seinem Vater, den er vorher praktisch nur als Familientyrann erlebt hatte, hätte noch helfen können. Er versuchte ihn auch ein paar Mal anzusprechen aber er wurde von seinem Vater immer barsch zurückgewiesen. Christof sagte mal: „Ich habe den Eindruck, der ist soweit abgetreten, dass der gar nicht mehr weiß wer ich bin. Der schaut mich nur mit starren Augen an, nennt nie meinen Namen und er weist mich mit den gleichen Worten wie jeden anderen Fremden ab. Der ist total abgetreten und gar nicht mehr in dieser Welt.“. Mitte Oktober gab es noch einmal einen ganz großen Auftritt des Propheten vom Hexenberg. Es war ein außergewöhnlich schöner Herbsttag als Schöller in Wollerst den Linienbus, der über Saßmannshausen nach Neuheim fährt, bestieg. Dort an der Einstiegsstation gab es dann den ersten Zwischenfall des Tages. Schöller bestand darauf als Gesandter Gottes kostenlos befördert zu werden, worauf sich der Fahrer aber nicht einließ. Da Schöller der Aufforderung des Fahrers den Bus wieder zu verlassen nicht nachkam gab es an der Haltestelle einen, ein paar Minuten dauernden, Aufenthalt und der Fahrer wollte schon von der Einsatzzentrale die Polizei rufen lassen. Ein anderer Fahrgast, der es offensichtlich eilig hatte, entrichtete dann für Schöller den Fahrpreis worauf sich der Fahrer „des Friedens halber“ einließ. Kurz vor dem Ortseingang Neuheim stieg Schöller an der Haltestelle „Schultenhof“ aus. Dieser Schultenhof ist ein ehemaliger kleiner Bauernhof, der von einem mittelständischen Unternehmer zu einem exklusiveren Wohnhaus umgebaut worden war. Das Einzige was dort noch an eine Landwirtschaft erinnerte waren zwei Shetlandponys, im Besitz der Hausbesitzers Töchter, deren Stall und Weide. Genau auf eines dieser Ponys hatte es Schöller abgesehen. Er wandte sich mit den Worten „Der Herr bedarf“ an die Gattin des Hausbesitzers und wollte dann auf einen der Shettys in Neuheim einreiten. Was die Dame aber nicht einsah und so musste die Polizei an diesem Tage das erste Mal in Sachen Schöller tätig werden. Aber noch vor dem Eintreffen der Beamten hatte sich dann der Prophet vom Hexenberg bereits zu Fuß in Richtung Innenstadt begeben. Wie üblich, wenn er gesichtet wurde, bildete sich sofort ein Menschenpulk, der ihm folgen wollte. Na ja, Schöller reichten wohl die, schon vor Erreichen der verkehrsberuhigten Innenstadt zusammengekommenen Leute aus und so nahm er für seine erste Ansprache einen Mauervorsprung an einer Parkhauseinfahrt. Da diese jetzt blockiert wurde, konnte die Neuheimer Polizei nun zum zweiten Mal wegen des Propheten ausrücken. Sie kamen, forderten Schöller auf doch in die Innenstadt zu gehen und beließen es, nachdem er dieser Aufforderung nachkam, ohne weitere Maßnahmen dabei. Dieses brachte die Beamten später in die Schusslinie des Neuheimer Kreisboten und der Öffentlichkeit. Nach Meinung der Redakteure des Neuheimer Lokalredaktion hätte sicherlich die Möglichkeit bestanden, dass die Beamten den Propheten mitgenommen und zu einer Untersuchung gebracht hätten. Damit wäre dann sicher der dritte, tragische, Einsatz vermeidbar gewesen. Übrigens, wo ich gerade vom Neuheimer Kreisboten geschrieben habe, muss ich anmerken, dass mein Wissen über das Geschehen dieses Tages auf diesem und auf Erzählungen beruht, selbst bin ich an diesem Tage nicht dabei gewesen. Da das Auftreten von Sonderlingen und/oder Spinner nur höchst selten auf Lokalseiten gewürdigt wird, kann sich die verehrte Leserschaft schon vorstellen, dass es einen dramatischen Vorfall gegeben haben muss. Schöller suchte nach dem Zwischenfall am Parkhaus sein letztzeitlich beliebteste Standardplätzchen auf. Auf einer Passage von der Einkaufsstraße zu dem dahinter liegenden Parkplatz, auf dem sich auch damals, am Tage nach
meinem Unfall, auch Marc und Monika trafen, ist so eine Art Minispielplatz, mit einer Wippe und einem Sandkasten sowie zwei Sitzbänken eingerichtet. Dort erklomm Schöller immer eine Bank und belustigte von dort den Mob. So auch an diesem Tag, an der die Belustigung dann jedoch ein schnelles Ende fand. Er wankte nach hinten und wieder nach vorne und stürzte dann in die Arme der direkt vor der Bank stehenden Schaulustigen. Da diese in auffingen, hätte er sich beim Sturz eigentlich nichts zufügen können aber trotzdem überlebte er den Sturz nicht – er war schon tot. Der sofort herbeigerufene Notarzt konnte nichts mehr für ihn unternehmen. Bei seiner Untersuchung wurde festgestellt dass der Mann unter erheblichen Mangelerscheinung litt. Der fast 1,80 Meter große Mann wog an diesem Tag deutlich unter 50 Kilo. Man vermutete nach der Untersuchung des Verstorbenen, dass er sich seit seiner Krankenhausentlassung im Vorjahr nur von Wasser und Brot ernährt habe. Am Abend, nachdem Monika und ich von den Vorfällen erfahren hatten, spekulierten wir ein Wenig darüber ob das Ende des Propheten auch gekommen wäre, wenn er sich ausreichend ernährt hätte. Dabei sinnierte Monika auch darüber ob die Unterernährung zur geistigen Umnachtung geführt habe oder ob es umgekehrt gewesen sei. Wie es auch sei, es dürfte ihm nichts mehr nutzen. An dieser Stelle kann ich ja noch einmal auf den Kapitelanfang zurückkommen: Ich schätze mal, wenn sich jemand Offizielles auf Waymanns oder Reimunds Bemühungen für zuständig erklärt hätte, könnte der Prophet mit Sicherheit noch leben; vielleicht wäre es auch mit therapeutischen Mitteln möglich gewesen ihn auch wieder in die Person Ernst Schöller zurückzuverhandeln. Aber viel mehr wie wir machte sich Frau Schöller, seine inzwischen von ihm geschiedene Exgattin, Gedanken über den Tod des Ernst Schöller. Wir erfuhren davon über Christof und Steffi, die sich jetzt zunehmend Gedanken um die Mutter beziehungsweise Schwiegermutter in spe machten. Sie ist von dem Gedanken, dass sie mit ihrem damaligen Seitensprung alles ausgelöst und somit seinen Tod verschuldet zu haben. Christof war der Meinung, dass seine Mutter dringend psychologischer Behandlung bedürfe und er wurde von Steffi und dem alten Waymann bei dieser Ansicht angemessen unterstützt. Das löste dann in der Regel Streitigkeiten aus. Zum Einen glaubte Frau Schöller man würde ihr unterstellen sie wäre jetzt wie ihr Exgatte „durchgeknallt“ und zum Anderen hielt sie absolut nichts von einer Psychotherapie, die sie für Seelsorge für Menschen, die nicht an der Existenz der Seele glauben, hielt. Nun, zum Ersteren ist zusagen, dass das Entstehen dieses Eindruck wohl nachvollziehbar ist aber dass man sich bei den Dreien, die ihr diese psychologische Behandlung anrieten, wohl mit Sicherheit annehmen kann, dass sie keinesfalls annahmen Frau Schöller habe jetzt auch einen Knall. Was Frau Schöllers Ansichten über die Psychologie anbelangt ist sie gar nicht soweit auch von meiner privaten Ansicht entfernt. Es ist schon vom Wort her irgendwie paradox. Gerade sehr säkularisierte Menschen, also praktisch schon Atheisten, messen der Psychologie einen hohen Stellenwert zu während gläubige Menschen in der Regel Geistliche um Rat ersuchen. Psyche ist ein griechische Wort was auf deutsch Seele heißt und gerade deren Existenz stellen ja die „nüchternen modernen Realisten“, wie sich säkularisierte Menschen selber gerne sehen, in Frage. Aber das ist nun einmal reine „Wortspielerei“ und die muss ja nichts zusagen haben. Worte müssen ja nicht mit den tatsächlichen Inhalten decken. Bei der „Globalisierung“ denken deren Befürworter ja auch nur an die Deregulierung der Handels- und Kapitalmärkte zugunsten der Industriestaaten und nicht an ein, den Globus umspannendes gerechtes und soziale Wirtschaftssystem, wie man es von dem großen Wort eigentlich ableiten könnte. Globalisierung ist doch real betrachtet praktisch eher als eine Abschottung der Industriestaaten anzusehen. So ist es auch bei der Psychologie, der Seelenkunde, die hat schon in ihrem Selbstverständnis nichts mit dem Ebenbild Gottes, der Seele, zutun. Aber dann muss man auch mal ein Wenig ins Eingemachte gehen: Es dürfte doch wohl unbestreitbar sein, dass das Verhalten und damit auch die Probleme der Menschen in gleichem Maße auf ihre Veranlagung, ihr Wissen und ihren Erfahrungen beruhen. Jetzt setzen wir nur mal bei der Veranlagung an. Ich habe mal gelesen, dass es, laut amerikanischen Psychologen, sechzehn verschiedene Veranlagungen, die bei den einzelnen Menschen in unterschiedlicher Intension, die man in neun verschiedene Stufen einteilt, geben soll. Das heißt praktisch, dass es theoretisch 169 Möglichkeiten – eine fast astronomische Summe – für eine generelle Veranlagung einzelner Menschen gibt. Das bedeutet im Gegenzug das, wenn wir dann noch die unterschiedlichen Erfahrungen und Wissensstände hinzu potenzieren, es so gut wie unmöglich ist, dass es auf der ganzen Erde zur gleichen Zeit nur zwei Menschen, die in ein gleiches Schema passen, gibt. Aber die Psychologie geht von katalogisierbaren Verhaltensmuster und –schemen, die mit gewissen Methoden beeinflusst beziehungsweise behandelt werden können, aus. Das kann nicht hinhauen, den jeder Mensch ist anders, jeder geht mit Problemen anders um und ein jeder artikuliert sich anders – Übereinstimmungen, die man mit wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten erfassen kann, gibt es nicht. Psychologie also alles nur ein großer Krampf? Da habe ich mal in einem Magazin gelesen, dass Theologen, wenn sich Leute, die Schreckliches erlebt haben, an sie wenden, im Vergleich zu Psychologen unheimlich erfolgreich seien. Über 80 Prozent der Leute, die sich nach Unglücken oder Katastrophen an Theologen wandten, standen schon nach kurzer Zeit wieder auf festen Beinen im Leben wobei nur weniger als 30% derjenigen, die sich an Psychologen wandten, erst nach langwierigen Behandlungen wieder Tritt fasten. Dabei haben die Damen und Herren Pastöre nur eine ganz simple einfache Vorgehensweise: Einfach nur zuhören und bei Bedarf Trost und Hoffnung spenden. Dagegen bohren
Psychologen in die Tiefe. Sie wollen an die Wurzel des Komplexes gelangen und Missbildungen an der Pflanze korrigieren. Und das nach Schemata, die entsprechend den, im vorrangegangenen Absatz genannten Fakten, im Ansatz schon mehr nach Hokuspokus wie nach Wissenschaft aussehen. Statt raus aus den Problemen reden sich die Leutchen in den Händen von „Psychofritzen“ immer tiefer rein. Bei den Geistlichen kann man sich jedenfalls das, was man auf der Seele hat, von dieser herunterreden und dann wieder frei durchatmen. Bei dem Fall der Frau Schöller gab es da noch einen sehr gewichtigen Grund warum Theologen die richtigere Adresse sind: Erstens kann man die Familie Waymann/Schöller, auch wenn man den Propheten ausklammert, eine sehr christliche Familie ist und zweitens, das ist sogar hauptsächlich, starb derjenige, um den es jetzt geht, im religiösen Wahn. Das brachte mich auf den Gedanken Reimund Heimann, als er uns besuchte, mal darauf anzusprechen. Reimund war schließlich für Monika und für mich die kompetenteste Person in Sachen Glauben. Er, der noch nicht einmal Theologie studiert hatte, konnte uns mehr als jeder andere Gott und das Christentum nahe bringen. Aber Reimund wollte jetzt im Falle der Frau Schöller nicht tätig werden und nannte uns dafür recht treffende Gründe: „Es ist richtig, der Missionsbefehl gilt für uns alle; da müssen wir nicht erst Theologie studieren – jeder ist berufen. Mission ist aber nicht sich anderen aufzudrängen oder sich etwas, was uns nicht ansteht, anzumaßen. Mission heißt für den Herrn bereitstehen, heißt bereit sein für den Heiligen Geist, der in uns allen lebt und regiert ... und alles andere macht er – er allein. Wenn ich jetzt zu Frau Schöller gehen würde wäre das zunächst einmal ein Aufdrängen ... sie fragt mich ja nicht – Das wäre keine Mission, so wie ich sie verstehe. Aber wir sind nicht nur aufgerufen zu missionieren sondern auch unseren Nächsten zu helfen. Und diesbezüglich habe ich eine Idee: Religionswahn und Sektierertum hängt irgendwie dicht zusammen. Ich kenne da einen Sektenexperten, ein waschechten Pastor. Ich will mal mit ihm sprechen ob er eventuell Frau Schöller aufklären kann. Aufklärung ist in vielen Fällen die Lösung für solche Probleme. Ich nehme mal an, das sich bei unserem Propheten etwas abgespielt hat, für was Frau Schöller unmöglich verantwortlich sein kann. Wenn man sie davon überzeugen kann, dürfte die Geschichte auch für sie gelaufen sein. Ich sorge also jetzt für den Pastor und ihr über ‚euere Kinder’, dass Frau Schöller ihn auch empfängt.“. Wieder einmal hat sich aus meiner Sicht gezeigt, dass der Laie Reimund Heimann auf diesem Gebiet doch eine Menge drauf hat und wir stimmten deshalb seinem Vorschlag auch sofort zu. Von unserer Seite hatten wir also eine Lösung für Christofs Mutter gefunden, was zwar von ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter in spe genauso gesehen wurde aber nicht von ihr selbst. Christof und Steffi stießen bei ihr praktisch auf Granit. Fast hatten die beiden den Eindruck, dass sie sich in die These, dass sie mit ihrem Seitensprung, der anschließenden unversöhnlichen Haltung, dem Rausschmiss und der Scheidung für den Tod dieses Menschen verantwortlich zu sein. Die „Kinder“ argumentierten dagegen, dass dieses bestimmt nicht der Fall sei würde. Die Anzeichen für einen religiösen Wahn wären ja schon viel früher als im Sommer 1998 bei Ernst Schöller sichtbar gewesen. Sie solle sich mal genau erklären lassen, was da in ihrem Exmann abgelaufen sei, dann würde sie schon selbst feststellen, dass an ihrer Theorie wirklich nichts dran sei. Sie solle sich lieber darauf konzentrieren den richtigen Mann zu finden, da sie noch jung sei und der Mensch nicht zum Alleinsein geschaffen sei. Der „Fehler“ der jungen Leute bei ihrem Vorgehen war es wohl, dass sie im Alleingang der Mutter helfen wollten, denn als ich den Opa, den alten Waymann ins Rennen geschickt hatte, lief es dann doch wie „am Schnürchen“. Ich hatte Waymann mal am Rande einer, dem Bürgerfernsehen geltenden, Besprechung darauf angesprochen. Er machte sich Sorgen um seine Tochter und meinte dazu, dass der „Kerl“ es nicht verdiene, dass sich jetzt seine Tochter wegen dem kaputt mache. Seine Hoffnung setzte er in die intensiven Bemühungen von Christof und Steffi. Allerdings hatten sie dem Großvater nicht berichtet, dass sie praktisch auf der Stelle traten und nicht weiter kamen. Von mir erfuhr Waymann erstmalig von dem Vorschlag den Reimund Heimann im Gespräch mit uns unterbreitet hatte. Der alte Herr schlug dann einen ganz anderen Weg wie angedacht ein. Er wollte sich selbst von dem Sektenpastor unterrichten lassen und dieses an seine Tochter weitergeben. Anschließen wollte er dann darauf aufmerksam machen, dass sie sich zu ihrer seelischen Sicherheit selbst sachkundig machen könne. Ich ließ, als wir darüber sprachen, fallen, dass mich die Geschichte auch sehr interessieren würde und er mich mal unterrichten solle, was er bei dem Sektenexperten erfahren habe. Nun, Waymann kam meinem, aus dem Interesse geborenem, Wunsch in einer anderer Weise nach: Er bat mich als Chauffeur mit ihm gemeinsam den Sektenexperten aufzusuchen und so konnte ich mit eigenen Ohren vernehmen, was der Sektenpfarrer zur Sache zu berichten hatte. Er erklärte uns erst mal, dass Glaube nicht gleich Glaube sei. Das läge aber an unserer Sprache, die uns nicht ermöglichte genau zu spezifizieren. Einmal würde man das Wort „Glaube“ dafür verwenden, wenn man etwas als wahr zur Kenntnis nimmt und dabei auf Nachweise oder Hinterfragen verzichtet. Man kann es glauben aber auch nicht. Man kann seinem Nächsten so vertrauen, dass man seinen Worten ohne Abstrich folgt. Man kann glauben was in der Zeitung steht oder es für geschönt oder gar unwahr halten. Man kann dem wahlkämpfenden Politiker seine Absichtserklärung glauben oder lieber das, was er in der Vergangenheit getan oder nicht getan hat, als Messlatte für eine Stimmabgabe nehmen. Diese habe aber mit dem Glauben nichts zutun. Als er dieses sagte betonte er das Wort „dem“
besonders deutlich, womit klar war, dass er den Glauben an Gott dem Herrn meinte. Dabei handele es sich um eine Überzeugung aufgrund einer Offenbarung. Davor und immer wieder dazwischen stünden aber Fragen und Zweifel im Raume. Jetzt sei es nun mal so, dass es Menschen gäbe, die ihre Zweifel mit Selbstsuggestion – auch in die entgegengesetzte Richtung – bekämpften. Es könne aber auch sein, dass Menschen, die mit ihren irdischen Problemen und Leiden nicht fertig würden dann selbstsuggestierend in eine andere Welt flüchten würden. Nach seiner Ansicht ist es aber müßig, nach den Ursachen dieser Selbstsuggestion zu suchen sondern man müsse versuchen, den Menschen zu helfen und diese möglichst zu retten. Das geht seiner Ansicht aber nur durch Aufklärung und Mission. Allerdings sollte man es sich nicht schwer machen, wenn dieses nicht gelingt, denn das Gelingen läge allein in Gottes Hand. Und dort wo alle Hilfe vergeblich wäre könne man sich damit trösten, dass Gott ein gütiger und gnädiger Vater wäre und seine Kinder nicht verließe und gerade diese Menschen es wären, die Jesus in der Bergpredigt meinte, als er die Geistigarmen selig pries. Aber nicht nur Selbstsuggestion sondern auch Fremdsuggestion führe zu einem Religionswahn. Dieses würde von Sektengründern und –führern scham- und gewissenlos ausgenutzt – und in diesem Bereich sei sein Job angesiedelt. Er habe die Methoden dieser Herrschaften aufzudecken und darüber aufzuklären sowie denjenigen, die von deren Methoden betroffen seien, zu helfen. Helfen heißt ihnen Wege zum Ausstieg zu zeigen, Schutz vor ihren Verfolgern, den Sekten, zu gewähren und ihnen als Ratgeber, damit sie wieder im Leben tritt finden, zur Seite zustehen. Und das sei oft unheimlich schwer. Die Suggestion würde oft so wirken, dass die Betroffenen etwas nicht Vorhandenes, etwas Unmögliches, für wahr nehmen und im Gegenzug etwas Reales, etwas Fassbares, gar nicht sehen und erfassen können. Sie könnten einerseits jedes Schmerzempfinden in sich abtöten und andererseits scheinbar nicht vorhandene Kräfte entwickeln. Darauf seien dann diese Wundergeschichten und –erscheinungen zurückführen. Er sei sich aber mit den Naturwissenschaftler einig, dass sich niemand an der Physik vorbeimogeln könne und dass solcherlei Dinge letztendlich zur körperlichen Vernichtung des Betroffenen führen können. Er war davon überzeugt, dass Schöller so tief in seiner Selbstsuggestion verstrickt gewesen sei, dass er eigentlich überhaupt keinen Hunger mehr verspürte und so dann praktisch verhungert sei. Aber so etwas käme nicht von Heute auf Morgen, wir hätten es nicht mit plötzlichen Erscheinungen zutun. So nachhaltige Suggestionen seien Folge eines langwierigen Prozesses, für die Leute, die fest im Glauben oder auf einem Höhepunkt im irdischen Leben stehen, gar nicht erreichbar sind. Im Gegenzug bedeutet dieses aber doch, dass sich Leute, die sich, wie zum Beispiel pubertierende Jugendliche, in einem Selbstfindungsprozess befinden oder die sich in ihrer derzeitigen Lebenssituation am Boden wieder finden, sehr zugänglich für entsprechende Fremdsuggestion seien. Und das wäre die Gefahr bei Zeugen Jehovas, Neuapostolen, Scientologen, Satanisten oder anderen Seelenfängern. Jetzt kam er auf den Fall von Ernst Schöller, dem Propheten vom Hexenberg, zu sprechen. In diesem Falle schloss der Sektenexperte aus, dass die Vorfälle von 1998 und danach irgendetwas mit dem Zustand, der ihn letztlich den Tod brachte, zutun gehabt habe. Da er ja nirgendwo in die Fänge einer gefährlichen Sekte gelandet sei, müsse man in seinem Fall von ausschließlicher Selbstsuggestion ausgehen. In seinem Verhalten seiner Familie gegenüber und seinem öffentlichen Auftreten vor den Ereignissen seien Zeichen dafür zu sehen, dass er schon lange auf dem Weg in den Religionswahn gewesen sein muss. So wie wir es ihm geschildert hätten seien die Ereignisse eher als Folge und nicht als Auslöser seines religiösen Wahnes zu sehen. Man solle sich auch keine Gedanken darüber machen, dass man das nicht erkannt habe und es in Folge versäumt habe ihm zu helfen. Im Nachhinein, wenn man Ergebnis und Folgen kennt, ließe sich so etwas immer leicht diagnostizieren aber vorher ginge das wohl nicht. Es gäbe doch sicherlich eine Reihe naiver, fanatischer Gläubiger, bei denen das Ganze beim besten Willen nichts mit einem Weg in den Religionswahn zutun hätte. Das gäbe es aber nicht nur auf dem Gebiet der Religion sondern das träfe auf politische, gesellschaftliche oder sportliche Fanatiker in genau der gleichen Weise zu. Aus dem, was wir berichtet hätten, hätte er zuvor bei Schöller, wenn er ihn gekannt hätte, auch auf einen naiven, vielleicht allzu konservativen, fanatischen Christen geschlossen. Da hätte er auch nichts unternommen, denn Antimission sei nicht seine Aufgabe und dahingehend müsse er immer die Devise „Lieber naiv als gar nicht“ gelten lassen. Gespickt mit diesen Informationen suchte Waymann anschließend seine Tochter auf und hatte offensichtlich auch vollen Erfolg. Frau Schöller sah, nachdem ihr Vater ihr alles, was wir erfahren hatten, erzählt hatte, ihre frühere Auffassung, dass ihr Seitensprung mit Schneider auf das tyrannische Gebären und dem Liebesentzug ihres damaligen Gattens zurückzuführen sei, wieder bestätigt. Den einzigsten Fehler, den sie jetzt noch bei sich selber sah, war das sie nicht früher etwas, zumindestens zu ihrem Vater, gesagt habe. Dieses aber nicht weil sie annahm, dass sie dadurch den Propheten hätte retten können sondern weil ihr und Christof dann – vielleicht – so manches erspart geblieben wäre. So trat jetzt sehr schnell wieder die Normalität, vielleicht sogar ein Wenig Harmonisierung, in die Familie Waymann/Schöller, zu der meine Tochter Steffi ja auch schon fast zur Hälfte gehörte, ein. Frau Schöller hörte jetzt offensichtlich auch wieder auf den guten Rat ihrer Familie, was dann im Gegenzug allerdings auch nicht so mit überschwänglicher Freude aufgenommen wurde. Hatte man ihr doch, weil sie noch jung sei und nicht zum Alleinsein geschaffen sei, geraten sich nach einem Mann umzusehen. Na ja, das tat sie dann auch. Aber der Eifer, den sie dabei entwickelte, war auch nicht das, was sich Opa Waymann und die
„Kinder“ dabei gedacht hatten. Schon kurze Zeit später unterstellte man ihr hinter vorgehaltener Hand, das sie „mannstoll“ sei. Ich würde aber Alles in Allem sagen, dass das Ende des Propheten ab dem Zeitpunkt, wo Frau Schöller das richtig erfasst hatte, eine Befreiung für sie gewesen ist.
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Radiovision Neuheim jetzt startklar Der Prophet vom Hexenberg ist verstorben und Monika, meine erste Frau, hat nur noch eine geringe Lebenszeit aber das Leben geht unaufhaltsam weiter, Tag für Tag. So war es schon in vielen Fällen vor uns seit Anbeginn der Tage und so wird es noch in vielen Fällen nach uns bis zum Jüngsten Tage sein. Leben und Sterben sind immer parallel allgegenwärtig. Mit dem Propheten hatte ich persönlich ja direkt nichts zu schaffen, außer das er meine Wege stetig berührte und kreuzte und dass er defakto der Schwiegervater meiner Tochter war. Aber bei Monika war das schon etwas anderes; sie war einer der Hauptbestandteile meines bisherigen Lebens. Da hätte ich schon gerne eine Auszeit vom allgemeinen, alltäglichen Leben genommen um mich, so lange es eben geht, ganz auf sie und unser, nur noch kurzzeitiges Glück konzentriert. Aber schon aus dem Grunde, dass das Leben nach ihr auch ohne sie weiter gehen wird, musste ich auch mit unverminderter Geschwindigkeit auf der Alltagsschiene weiterfahren. Und der Zug, mit dem ich im Sommer und Herbst 1999 auf der Alltagsschiene fuhr hieß wie im Vorjahr „Lokalfernsehen“. In diesem Jahr alles jedoch mit etwas veränderten Vorzeichen: Letztes Jahr war ich in dieser Angelegenheit nur hilfloses Treibholz und in diesem Jahr war ich quasi der Motor. Zusammen mit Marc Kampmann galt ich im Kreis Neuheim als der Macher in Sachen Bürgerfernsehen. Die NLZ sah das Ganze allerdings ein klein Wenig anders wie die Öffentlichkeit und wir selbst. Die Neue Landeszeitung sah keine männlichen Macher sondern aus ihrer Sicht hieß die Triebfeder Monika Schneider geschiedene Schreiber geborene Rollmann, deren Exgesellschafterin. Richtig ist allerdings, dass es ohne sie nicht gegangen wäre aber die Triebfeder war sie nun beim besten Willen nicht. Im September standen dann die Gründungsversammelungen der beiden Vereine „Verein Bürgerfernsehen Offener Kanal Kreis Neuheim“ und „Förderverein Offener Kanal Kreis Neuheim“ an. Wir hatten alles so aufgezogen als gäbe es keine NLZ und deren Wünsche. Im Ärmel hatten wir immer noch unsere Trumpfkarten, dass wir der NLZ den bestehenden Lokalfunk hätten streitig machen können und das Monika die Rechte besaß neue, unabhängige Veranstaltergesellschaften zu gründen. Für die NLZ, die im Kreis Neuheim bis jetzt ein Medienmonopol innehatte, wäre dieses eine echte Katastrophe, denn private Medien gleichgültig ob Zeitung, Rundfunk und Fernsehen verursachen enorme Kosten, die nur über die Werbung hereingeholt werden können. Bei Zeitungen lassen sich zum Beispiel allenfalls Papier- und Vertriebskosten über Abonnementgebühren abdecken, das Gros der Kosten lässt sich nur über Werbung wieder hereinholen. Beim privaten Rundfunk und Fernsehen muss sogar alles durch die Werbung abgedeckt werden, Abogebühren können nicht erhoben werden. Und letztendlich ist es ja immer das Ziel einer marktwirtschaftlichen Betriebsführung Gewinne einzufahren, was auch absolut legitim ist. Jetzt könnte man sagen: „Na und, was soll es, die Zeitung ist voller Anzeigen und im Radio ist Werbung mehr als genug zu hören. Warum sollte sich da die NLZ in die Hose machen müssen, zumal das ganze doch nach Hobbyfernsehen aussieht?“. So einfach kann man es sich aber nicht machen. Bevor man ein Hobbyfernsehen machen kann, muss zunächst in Studios, Technik und Übertragungswege investiert werden. Es ist damit aber nicht getan. Wenn das Ganze einmal steht muss es unterhalten und ständig instandgehalten werden. Von Zeit zu Zeit sind Ersatz- und komplette Neuinvestitionen notwendig. Es fallen laufende Kosten wie Mieten, Gebühren, Energiekosten und, und, ... an. Zur Betreuung der Technik und zur Verwaltung des Betriebes fallen Versicherungen, Personalkosten und Handwerkerrechnungen an. Also da kommen schon stolze Sümmchen zusammen und man ist auch hier in einem nicht geringen Umfang auf Werbung und/oder Sponsoring angewiesen. Damit die Gelder die ins Sponsoring fließen nicht ganz und gar verlorene Zuschüsse sind – niemand gibt Geld nur des Geldausgebens Willen aus – muss man bedacht sein auch ein ausreichend großen Zuschauerkreis zu haben, was einerseits selbst zur Eigenwerbung und andererseits zur Qualitätssteigerung zwingt, was wieder neue Kosten verursacht. Alles kein Problem, wenn die Kaufkraft eine beliebig dehnbare Masse wäre. Das was Handwerk, Handel und Gewerbe einnehmen ist halt von dieser Kaufkraft – Anzahl der Menschen multipliziert mit der Höhe ihres für Konsum verfügbaren Einkommens – abhängig und daraus resultiert wieder, was Handwerker und Händler ausgeben können. Werbung ist nicht unwichtig, denn Dinge, von denen niemand etwas weiß macht niemanden heiß. So ist davon auszugehen, dass die Gewerbetreibenden ohnehin schon alles was für Werbung zur Verfügung steht auch in diese stecken. So ist davon ausgehen, dass das neue Medium Fernsehen, auch wenn es sich ganz bescheiden gibt, kräftig von dem Brot des Neuheimer Kreisboten und des Lokalfunks fressen wird. Da ist auch der Grund, warum die NLZ im Grunde nur verhindern will, zusehen. Zwar können diese, wenn sie das Fernsehen in eigener Regie veranstalten, nach wie vor die Werbegelder in die eigenen Kasse lenken aber durch die von diesem Medium verursachten Kosten bleibt von dem besagten Geld aber weniger im jeweiligen Ergebnis hängen. Das Fernsehen bringt also keinen Zuwachs auf der Gewinnseite sondern eher das Gegenteil. Durch unser Vorgehen brachten wir jetzt die Neue Landeszeitung in die große Verlegenheit, dass sie zu diesem Zeitpunkt es nicht mehr verhindern konnten sondern sich irgendwie daran beteiligen mussten. Jetzt gingen die NLZ-Leute nicht etwa an die beiden Vereine, die sich im September etabliert hatten sondern an die Kommunen und an Monika heran. So hätte ich als Vorstandsmitglied in beiden Vereinen noch kaum mit der Sache zutun
gehabt und nur als der Vermögensverwalter Monikas war ich dann noch am Geschehen beteiligt. Für mich war es zunächst ein Wenig verwunderlich, dass die NLZ nach den Vereinsgründung nicht mehr aggressiv vorpreschte sondern auf sachliche Geschäftsverhandlungen übergegangen war. Anfang Oktober hatten sich ein Herr Burgmann und eine Frau Hermstein von der Neuen Landeszeitung NLZ bei Monika gemeldet und um einen Besuchstermin gebeten. Frau Hermstein war Monika schon seit langem bekannt. Sie war Geschäftsleitungs-Assistentin bei der NLZ und dort in der Vergangenheit die Anlaufstelle für die einzelnen Gesellschafter, zu denen Monika im vergangenen Jahr ja auch noch gehörte. Herr Burgmann, war neu in der obersten Etage und fungierte dort als Nachfolger von Dr. Wilfried Schneider, Monikas inhaftierten Ehemann. Schon zu Beginn des Besuches konnte ich feststellen, dass Frau Hermstein und Monika offensichtlich einen ganz guten Draht zueinander hatten obwohl die Besucherin korrekt die ehemaligen Unterschiede in der Hierarchieebene beachtete. Sie sprachen sich mit Sie an und Frau Hermsteins Formulierungen ließen auf eine Chefsekretärin gegenüber ihrer Chefin schließen. Ab Gesprächsbeginn war mir klar, dass Monika jetzt nicht mit offenen Karten spielen wollte. Auf Frau Hermsteins Frage nach ihrem derzeitigen Wohlergehen antwortete Monika: „Ach danke, sehr gut. Ich glaube so gut wie jetzt ist es mir in meinem ganzen Leben noch nicht gegangen. Das liegt offensichtlich an meinem derzeitigen, sehr ausgeglichenem persönlichen Umfeld. Ende nächsten Jahres werde ich meinen ersten Mann, der doch der Richtige war, wieder heiraten. In Zukunft werde ich alles nur mit ihm gemeinsam gestalten. Schon jetzt habe ich ihn als meinen Vermögensverwalter soweit bevollmächtigt, dass er, sogar ohne mein vorgehendes Wissen, grundsätzlich alle Entscheidungen in meinem Namen treffen kann. Ich möchte es jetzt, praktisch in meinem etwas vorgezogenen dritten Lebensabschnitt, etwas ruhiger angehen lassen und ein Wenig das Leben genießen. ... Deshalb empfehle ich ihnen jetzt ihr Gespräch in erster Linie mit ihm, meinem ehemaligen und künftigen Mann, Herrn Reiner Schreiber, zu führen.“. Damit hatte Monika jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Erstens hat sie den (falschen) Eindruck, dass es sich bei ihr um eine gesunde Frau, mit der man noch lange rechnen muss, vermittelt und zweitens hat sie klargemacht, das gegenüber der NLZ der Ansprechpartner Reiner Schreiber heißt. Die Besucher waren allerdings nicht zu Verhandlungen erschienen sondern wollten uns die neuesten NLZ-Vorstellungen hinsichtlich der Lokalmedien unterbreiten. Es soll nach den Vorstellungen der NLZ einen Rundfunk- und Fernsehsender mit Namen „Radiovision Kreis Neuheim“, kurz RKN, geben, in dem auch der bisherige Lokalfunk aufgehen soll. In der Zeit von 6 bis 18 Uhr soll es werktags im wahrsten Sinne des Wortes Radiovision geben, das heißt, dass das Rundfunkprogramm im Fernsehen übertragen werden soll. Also Moderation vor installierten Standkameras und die Musik soll von Videoclips kommen. Des Abends, in der Zeit von 18 bis 22 Uhr, soll das Programm – außer entsprechenden Sponsorenhinweisen - werbefrei sein und dann dem Bürgerfernsehen, zeitgleich mit dem Bürgerradio, zur Verfügung stehen. Liegen keine Beiträge des OK vor soll es mit Material der Landesbildstelle und so weiter gefüllt werden. Das Nachtprogramm, welches von einem landesweiten Transkriptionsender kommt soll der Radioton übernommen werden und als Fernsehbild sollen Aufnahmen, die zuvor mit installierten Kameras aus Autos, Sportflugzeugen usw. aufgenommen werden sollen, ausgestrahlt werden. Am Wochenende soll im Grunde das Gleiche gelten, nur das, falls OK-Beiträge vorliegen, diese auch tagsüber, unabhängig davon ob die Gesamtsendezeit des Offenen Kanals von 4 Stunden pro Tag überschritten wird, ausgestrahlt werden. Vier Stunden wöchentlich solle es im Fernsehen tagsüber auch Dauerwerbesendungen geben dürfen. Diese sollten jedoch nicht nur aus Spotts oder Verkaufsprogrammen bestehen sondern sollten einen redaktionellen Charakter haben. Werbespotts in der Radiovision sollen wie Kinowerbung, also nicht nur aus dem Ton sondern auch aus Filmen oder Dias, bestehen. Unsere Besucher baten uns dieses zu überdenken und ihnen bei ihrem nächsten Besuch, den sie schon für 14 Tage später ankündigten, unsere Meinung dazu zu bekunden. Aber nicht nur unsere Meinung wollte man wissen sondern man fragte auch offiziell an ob wir uns an einer Veranstaltergesellschaft, die ein solches Programm produzieren will, beteiligen wollten. Nach dem Besuch grinste Monika mich an: „Die sind doch tatsächlich mit allen Wassern gewaschen. Da schickt man uns Leute, mit denen man weder A noch O, weder X noch Y aushandeln kann. Der Burgmann ist so neu in seinem Job, dass er für nichts verantwortlich gemacht werden kann und zugleich ist er ein solcher Frischling, dass er uns wohl was Unverbindliches erzählen kann aber nichts Konkretes zusagen kann. Und Frau Hermstein? Ja, die macht immer noch das, was sie immer gemacht hat. Sie versorgt auf Anforderung Gesellschafter mit den Informationen, die diesen zustehen. Vermittelt Kontakte der Geschäftsleitung zu Gesellschaftern und umgekehrt, macht Termine und trifft Arrangements. Aber nichts was sie macht ist verbindlich, ist greifbar. Diese Beiden, die sicherlich auch ein sehr sympathisches Auftreten haben werden jetzt ausgesandt, um den Leuten das neueste Konzept, was zum alten Ergebnis führt, unterzujubeln.“. Das verstand ich nicht so ganz; aus meiner Sicht hatte sich doch alles ganz gut angehört. Ich unterbrach Monika und sagte ihr dieses, wie ich es dachte. Na, dann bekam ich doch eine Unterweisung von meiner Big-Business-Lehrerin: „Für das Konzept spricht die super kostengünstige Lösung. Durch das Übertragen von Rundfunksendungen im Fernsehen entsteht kein oder nur nicht nennenswerter zusätzlicher Personalaufwand. Die Investitionen in die Technik sind auf unterem Level angesiedelt, so dass die kommunale Betreibergesellschaft im Hinblick auf ihre Haushalte sofort anbeißt ... Pass
mal auf, das wirst du die Tage auch von den entsprechenden Seiten hören. Einen Konkurrenzkampf zwischen Rundfunk- und Fernsehwerbung wird es nicht geben, da derjenige, der Radio sagt auch Fernsehen sagen muss – und umgekehrt. Der Veranstalter ist in beiden Medien eine untrennbare Einheit und die kann auch, wenn man mich ins Boot holt, niemand der NLZ streitbar machen. Das Monopol auf dem Werbemarkt ist somit gesichert. Das Ganze hat man jetzt mir praktisch durch Leute, mit denen es keine Möglichkeiten zum Verhandeln gibt, zur Kenntnis gegeben und damit hat man mich vor die Alternative gestellt mitzuspielen oder mich auf unerhörte finanzielle Risiken ... und im Vorfeld enormer Aufwand um die Leute ins Boot zu holen – einzustellen. Wir haben noch eine dritte Alternative, ... die ist aber wie ich das einschätze nicht in deinem Sinne – wir können uns aus Allem raushalten. Also müssen wir uns jetzt ganz intensiv damit auseinandersetzen, was wir machen wollen. Nur über Eines bin ich mir zur Zeit sicher: Wir räumen das Feld nicht kampflos. Das heißt, wir müssen uns eine Hinhaltestrategie, bei der alle Optionen offen bleiben, einfallen lassen. ... Das sage ich jetzt aus sportlichen Ehrgeiz und nicht aus Vernunftgründen. Aber wie ich schon mehrfach betont habe triffst nur du allein die endgültige Entscheidung.“. Wieder einmal war ich um eine wichtige Erfahrung reicher geworden. Im Geschäftsleben und in der Politik muss man von anderen Denkstrukturen ausgehen. Man muss den Leuten ihr Todesurteil als großes Glück für sie verkaufen können. Man muss den Menschen Leistungskürzungen als Sicherung ihres Wohlergehens unterjubeln. Ohne Monika wäre ich möglicher Weise mit Begeisterung auf das Radiovisionskonzept hereingefallen. In Wirklichkeit hatte die NLZ angesetzt wieder das Ruder zu übernehmen. Und ein Offener Kanal zeichnete sich, wie Monika anschließend erklärte, mit denen dann auch nicht ab. Dieser OK würde nach dem vorliegenden Konzept ausschließlich aus Mitteln des Sponsorenringes finanziert. Die Sponsoren waren aber nicht aus Idealismus eingestiegen sondern sie wollten in einem wichtigen Werbereich nicht abseits stehen. Für diese ist aber die Werbung wesentlich effizienter im Tagesprogramm des Lokalfunks, der dann auch im Fernsehen übertragen wird, platziert, zumal auf der Abendschiene, der sogenannten Hauptsendezeit, wohl kaum gegen die Konkurrenz der großen Sender etwas ausgerichtet werden kann. Das Erlöschen des Bürgerfernsehens ist also mittelfristig vorprogrammiert und die NLZ hat wieder als der erhabene Platzhirsch alles in der eigenen Hand. Jetzt waren da die drei, von Monika genannten Alternativen: Mitmachen, Aussteigen oder mit erheblichen Risiko kontern. Für mich war Letzteres eigentlich keine Alternative, denn das konnte ich einfach nicht machen. Schließlich operierte ich ja nicht mit meinem Geld; Monika hatte mir die Verantwortung für ihr Vermögen übertragen und dem habe ich Beachtung zu schenken. Ich kann mir vorstellen, dass es ihr nichts ausgemacht hätte, wenn ich ihr Kapital in den Sand gesetzt hätte. Für sie zählte zu diesem Zeitpunkt nur wie sie mir eine Freude machen könne. Aber was würden ihre Erben dazu sagen? Ich wusste ja nicht einmal wer diese waren. Ich hatte Monika mal darauf angesprochen aber sie war mir ausgewichen und ich wollte auch nicht nachhaken, weil ich nicht den Gedanken an einer Beteiligung meiner Person wecken wollte. Ich liebte Monika und nicht ihr Vermögen ... das war mir sogar irgendwo Wurst. Zum Erbschleicher bin ich offensichtlich auch nicht geboren worden. Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Schluss, dass ich mich für die zwei verbleibenden Alternativen gleichzeitig entscheiden musste: Monika muss aussteigen und ich muss mitmachen. Ich kann es in andere Worte kleiden: Nach meiner neueren Ansicht sollte Monikas Kapital aus der Geschichte raus bleiben aber ich wollte als Streiter für das Bürgerfernsehen dabei bleiben. Zweiteres hätte ich bestimmt sofort vergessen dürfen, wenn wir Ersteres der NLZ sofort kundgetan hätten. Da hätten die bestimmt schon Namen nennen können aber der Name Reiner Schreiber wäre mit Sicherheit nicht dabei gewesen. Wir mussten also zu dem Mittel greifen, das Monika gleich während des Besuches angedacht hatte und mir sofort anschließend sagte: Hinhalten. Der erste Schritt in diese Richtung war es, dass ich in den Vorstandssitzungen der beiden Vereine, die wir im September gegründet hatten, über die „Zusammenknebelung“ von Radio- und Fernsehwerbung referierte und den Leuten klarmachte, dass man in solchen Fällen dem absoluten Preisdiktat des Veranstalters unterläge. Ein Auspokern der Preise für Werbeschaltung nach marktwirtschaftliche Kriterien sei dann nicht möglich. Wer Radio sagt kriegt Fernsehen automatisch mit aufgebürdet. Weiter erläuterte ich den anderen Vorstandsmitgliedern, dass aber ein bloßes technisches Abkoppeln von Rundfunk- und Fernsehwerbung, um nur technisch ein Entweder oder ein Oder zu ermöglichen, im Falle der Radiovision nicht ausreiche, da betriebswirtschaftlich weiter alles in einer Hand läge und so immer wieder ein Zusammenknebeln über die Preisgestaltung ermöglicht würde. Dieses würde dann insbesondere die kleinen Handwerker und Handelsgeschäfte benachteiligen. Meine Worte verhalten nicht. Es gab doch ein lauteres Gemurre unter den Leuten, welches auch an die Ohren der NLZ-Oberen drang, was ja Sinn meiner Übung war. Der zweite Schritt war eigentlich keiner. Als uns Frau Hermstein und Herr Burgmann das zweite Mal besuchten verkündete Monika, dass ihr das neue NLZ-Konzept in keiner Weise zusage und sie sich deshalb auf keinem Fall an der Radiovision beteiligen würde. Einen Alleingang der NLZ hielt sie weiterhin für etwas, was sich nicht mit den Rechtsgrundlagen vereinbaren ließe und deshalb behalte sie sich weiterhin unverändert eine eigene Lösung in Kooperation mit NLZ-Konkurrenten vor. Wir waren uns sicher, dass jetzt der NLZ zunächst nichts anderes
bliebe als in Richtung Fernsehen weiterzumarschieren. Ein „wieder alles unter Kontrolle bringen“ und dann „doch wieder aussteigen“ liegt zunächst einmal nicht drin. Jetzt muss ich noch sagen, dass ich für unsere Strategie tatsächlich auch die Urheberrechte beanspruchen kann – ich hatte also schon eine ganze Menge von Monika gelernt. Dieses war also die eine sehr sauere Zitronenhälfte, die wir der NLZ zum Reinbeißen hinhielten, die zweite war auch von Monika angestoßen worden aber wurde der NLZ von Marc Kampmann und Karl Hermann Waymann über die Kommunen zum bitteren Biss hingehalten. Dabei ging es um die offensichtlich geplante Austrocknung des Offenen Kanals, da dieser zwar einiges an Kosten verursacht aber wenig oder gar nichts einnimmt, da die Sponsoren ihre hierfür zur Verfügung stehenden Mittel sicherlich mit Fug und Recht in die, für sie interessante Radiovisionswerbung stecken würden. Recht bissig machte Waymann den Beamtokraten und Politikussen klar, dass, wenn sie es mit einem demokratischen Sprachrohr wirklich ernst meinten, für den Bestand des Bürgerradios und –fernsehens, notfalls aus den öffentlichen Haushalten, Sorge tragen müssten oder denjenigen, der von der Veranstaltung lokaler Programme profitiert, in die Verantwortung nehmen müssten. Kommerzielle Programme, gleichgültig ob lokal, regional oder überregional, bezeichnete er als eine astreine gewerbliche Angelegenheit, an die sich die öffentliche Hand nicht beteiligen und in die sie nicht eingreifen dürfe. Das ausschließliche Interesse des Kreises und der Kommunen müsse bei den Offenen Kanälen liegen. Waymann machte seine Sache gut und pflanzte diese Angelegenheit in die Köpfe der maßgeblichen Leute ein. Die NLZ stand jetzt mit dem Rücken an der Wand und musste erheblich an dem eigenem Konzept basteln. Die NLZler nahmen Abstand von ihrer Vorstellung, dass sich das Bürgerfernsehen ausschließlich aus Sponsoring finanzieren sollten sondern diese sollte jetzt aus einer prozentualen Beteiligung aus den Werbeerlösen aus dem übrigen Programm geschehen. Im Gegenzug sollte es kein gewerbliches Sponsoring im Offenen Kanal geben, also kein konkurrierendes Angebot mehr. Allerdings sollte das Abendprogramm, falls keine Beiträge für den OK vorliegen auch mit werbefinanzierten Programmen gefüllt werden dürfen. Hinsichtlich der Preisgestaltung für Werbebeiträge im Rundfunk wollte man sich an den Preisen der benachbarten Lokalsender orientieren und nur in begründeten Fällen, die sie gegenüber dem Betreiber offen legen wollen, sollten höhere Preise genommen werden dürfen. Die Werbung im Fernsehen soll preislich dem im Radio entsprechen. Produktionskosten stehen ja sowieso auf einem anderen Blatt und waren auch diesbezüglich auch keine Angelegenheit von Betreiber oder Veranstalter. Für Kombiwerbung in Rundfunk und Fernsehen sollte es angemessene Rabattstaffeln geben. Zu diesem Zeitpunkt dürften wir unser Pulver verschossen gehabt haben, denn jetzt dürfte es schwer sein, noch etwas gegen das NLZ-Konzept zu setzen. Zumal die Neue Landeszeitung jetzt von sich aus auch noch Zugeständnisse in personeller Hinsicht machte. Der Offene Kanal sollte einen Programmleiter wählen und dieser sollte hauptamtlich tätig sein und aus den vom Lokalfunkveranstalter abzuführenden Beteiligungen aus Werbeprogrammen finanziert werden. Die NLZ wollte keinen Einfluss auf die Wahl dieses Programmleiters nehmen. Des weiteren sollte es einen hauptamtlichen Koordinator Lokalfunk/OK geben, der vom Veranstalter eingestellt und bezahlt werden sollte. Das waren die „Räppelchen“ auf die Marc Kampmann und ich privat gewartet hatten. Marc wäre aus der Arbeitslosigkeit heraus gewesen und ich hätte nach Abschluss meiner Vermögensverwaltertätigkeit einen Anschlussjob gehabt. Allerdings ging es doch nicht ganz so ohne Einmischung seitens der NLZ ab. Als Kandidaten für den Koordinator nannte man auf Anhieb meinen Namen und ließ gleichzeitig durchblicken, das Marc Kampmann aufgrund seiner Tendenz für den Koordinator nicht in Frage käme. Aber man würde, wie zugesagt, keinen Einfluss auf die Benennung des OK-Programmleiters, auch wenn dieses Marc Kampmann sei, nehmen. Womit eigentlich schon feststand, wer nach Meinung der NLZ was werden sollte. Somit war die Radiovision Neuheim jetzt eigentlich startklar und ich konnte feststellen, dass ich wieder eine ganze Menge dazu gelernt hatte. Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass es im Mediengeschäft um Nachrichten, Meinungen und insbesondere um Tendenzen ginge. Aber davon war lediglich bei den Versammlungen und Vorstandssitzungen des „Verein Bürgerfernsehen Offener Kanal Kreis Neuheim“ gelegentlich die Rede gewesen. Es geht allein um das nackte Geschäft, um die Werbung und dem Markt für diese . Mir ist klar geworden, dass die Neue Landeszeitung NLZ beliebig konservative wie progressive, bürgerliche wie sozialistische, christliche wie atheistische Zeitungen herausgeben und Programme veranstalten würde, wenn sie dabei die Oberhand über den Werbemarkt behalten kann und sie dabei sehr gut verdient. Sollte da etwas dran sein was einst Lenin behauptete, dass die Kapitalisten nützliche Idioten seien, da sie uns den Strick verkaufen würden, mit dem wir sie aufhängen könnten. Aber wenn Lenin recht gehabt hätte, was sollte dann die Ablehnung von Marc Kampmann? Die würde dahingehend nur im Zuge einer persönlichen Rache, wozu die NLZ aber gegenüber Marc keinen ersichtlichen Grund hatte, noch einen Sinn ergeben. Auch dieses ist aber leicht zu beantworten. Marc hatte sich, ausgehend vom 1. Gebot und von der Bergpredigt, gegenüber liberaler Marktwirtschaft und Globalisierung sehr weit aus dem Fenster gelehnt. So etwas ist natürlich gegen die ureigenen Interessen der Medienbesitzer. Folglich kann man resümieren, dass man alles sagen darf, was nicht gegen die Medienbesitzer und nicht gegen ihres Gleichen in den anderen Wirtschaftszweigen gerichtet ist und
ihnen die Lizenz zum Geldverdienen lässt. Bei diesem Gedanken komme ich mit Erschrecken jetzt auch auf die Kanzelmentalität in den Kirchen. Predigen die Pastöre nicht allen gegenüber wohlgefällig und erhalten damit den Organisationen „Kirche“ damit die Lizenz zur Kirchensteuererhebung? Sind die Pastöre wie die Medien oder ist es umgekehrt? Für mich lag nun ein, aus meiner Sicht, tolles Stellenangebot auf dem Tisch. Dieses hätte ich, wenn Monika nicht gewesen wäre, sofort angenommen. Sie stimmte mich jedoch auf eine Zurückhaltung ein: „Reiner Schatz, du müsstest den Laden doch auch ganz gut kennen. Du warst ja lange genug dabei. Wenn du den kleinen Finger hinreichst nehmen die doch immer gleich die ganze Hand. Falls du jetzt zusagst haben die gleich in Vorbereitung auf deinen neuen Job besondere Aufgaben für dich. Du kannst dann, wie der kleine Müller von der Gewerkschaft, sagen, dass du dafür noch nicht bezahlt würdest und du den Tarif nicht kaputt machen wolltest. Dann werden die damit kontern, dass du ja nicht als Aktenschieber sondern als Führungskraft einsteigen wolltest. Letztlich marschiertst du dann wie von denen gewünscht los. Dann verbringst du deine Zeit in Diensten der NLZ und diese Zeit geht uns beiden verloren. Und Zeit haben wir beide doch nur noch so wenig. Meine Lebensuhr wird bald abgelaufen sein, daher solltest du deine Zeit doch lieber mit mir verbringen.“. Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen fiel sie mir um den Hals und küsste mich zärtlich auf der Wange ab. Das ließ ich natürlich erst einmal genüsslich über mich ergehen bevor ich meine Bedenken einbrachte: „Na ja, aber was ist, wenn die sich dann zwischenzeitig für jemand anderes entscheiden? Schließlich bin ich ja kein unersetzliches Original.“. „Na und?“, setzte sie jetzt wieder mit einem betörenden Ton an, „Dann kannst du doch immer noch etwas anderes machen oder einfach nur leben. Kein Mensch wird mit dem Zwang zur Arbeit geboren. Wir alle haben nur den Auftrag zu leben, richtig zu leben. Arbeiten müssen die meisten Leute doch nur, weil ihnen sonst so Manches am Leben fehlen würde. Am Faulenzer und Tagedieb ist doch nicht seine grundsätzliche Einstellung falsch sondern die es doch nur falsch, wenn er das Richtige auf dem Trittbrett der Anderen macht. Also brauchst du dir doch dahingehend kein schlechtes Gewissen machen, wenn du keine Arbeit hast.“. Darauf musste ich ihr dann doch meine Einwände vortragen: „Das ist es ja Mäuschen. Wenn du nicht mehr bist, dann wird mir wieder allerlei zum einfachen Bestreiten meines Lebensunterhaltes fehlen. Dann muss ich wieder in den Augen der Anderen bei denen Trittbrett fahren. Zwar sagt mir mein Verstand, dass das Arbeitslosengeld eine Leistung aus einer Versicherung, in die mein Leben lang eingezahlt habe, ist. Aber so sehen es aber leider die Anderen nicht. Die meinen, du begehrtest die Wurst auf ihrem Brot, die sie glauben selbst erkämpft zu haben. Wenn du auch nicht Böses tust wirst du doch gesellschaftlich geächtet hat. Wer das Pech hat arbeitslos zu werden wird zusätzlich mit der Abstempelung zum Sozialmüll abgestraft.“. Monika schaute mich mitleidvoll an und erwiderte: „Ach Reiner, unterlass es doch dir immer Sorgen um ungelegte Eier zu machen. Habe doch Geduld und warte ab was kommt. Denke doch nicht an das was möglicher Weise einmal sein wird ... es kommt sowieso immer anders – sondern an das was ist. Da die Radiovision ohnehin erst im Sommer des nächsten Jahres starten soll kannst du dir doch bequem eine Bedenkzeit bis zu deinem nächsten Geburtstag ausbitten. Ich gehe mal davon aus, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lebe und du wirst dir dann sicher auch im Klaren sein, was dann aus dir und Martina werden soll ... Dann kannst du doch viel besser als jetzt sofort entscheiden.“. Dagegen hatte ich natürlich doch noch etwas einzuwenden, was ich aber in diesem Moment unterließ, weil ich von den letzten Worten so angerührt war, dass ich sehr nah an den Tränen war – und damit musste ich jetzt erst mal fertig werden. Nun, in die Richtung, das ich mir mit meiner endgültigen Entscheidung Aufschub bis zum 1. April 2000 ausdingen sollte, stieß Monika bei allen sich ergebenden günstigen Gelegenheiten vor. Immer wieder gab sie an, dass ich mir keine Zeit mit ihr nehmen lassen sollte und dass ich gegebenenfalls mir nach ihrem Ableben die Möglichkeit offen lassen sollte, meine Entscheidung mit Martina abstimmen zu können. Immer wieder versuchte sie mir ein sicheres Gefühl, dass bis dahin nichts zu meinem Nachteil passieren würde, zu vermitteln. Ihre wahren Gründen, aus denen sie auch ihre Gewissheit bezog, kannte ich damals noch nicht. Vielleicht hat sie nicht zu Unrecht befürchtet, dass ich, wenn ich diese schon zu diesem Zeitpunkt erfahren hätte, diese möglicher Weise durchkreuzt hätte. Diese Gedanken kamen bestimmt nicht von Ungefähr. Letztlich setzte sie sich aber doch durch und ich trat an die NLZ heran um mir eine Bedenkzeit bis zum genannten Termin auszubitten. Ich konnte sogar noch ein Wenig mit den zuständigen Leuten pokern. Die NLZ gab mir daraufhin die schriftliche Zusage, dass sie, wenn sie, ohne das ich von dem Angebot Abstand genommen habe, die Stelle anderweitig besetzt, eine „nette“ Pönale an mich zahlen muss. Da es jetzt nichts gab, um was ich mich hätte kümmern müssen oder etwas um was ich hätte noch kämpfen müssen, konnte ich mich nun intensiv und mit allem was ich zugeben habe um die sterbende Monika kümmern.
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Verlobung ohne Brauteltern Die biologischen Mechanismen des Lebens spielen sich in zwar unterschiedlichen aber ansonsten immer gleichen zeitlichen Rhythmen ab. Diese Zyklen sind nicht einmal eine Erfindungen des menschlichen Geistes sondern dieses ist naturgegeben. Da gibt es zum Beispiel den Tag- und Nachtrhythmus, der die Wach- und Schlafphasen bei Mensch und Tier steuert. Dieser Rhythmus wird nicht bewusst sondern hormonell gesteuert. Wir Menschen gehören zu den „Tagjägern“ und werden durch Tageslicht zu unseren Taten ermuntert und weniger Tageslicht macht uns schläfrig, was bei typischen Nachtjägern, zu denen von Hause her auch die Katzen gehören, genau umgekehrt ist. Dann gibt es den angeborenen Rhythmus, der von der Nahrungsaufnahme und der Verarbeitung dieser gesteuert wird. Bei menschlichen Säuglingen und bei den kleinen Nagetieren, wo das Gehirn noch nicht oder nicht bei der Steuerung mitwirkt, ergibt sich daraus in der Regel ein 3-Stunden-Takt, Essen – Schlafen – Essen – Schlafen, nachdem man fast die Uhr stellen kann. Diesen, durch die Nahrung vorgegeben Rhythmus, können wir Menschen, wie die meisten anderen Lebewesen auch, auf einen anderen, unseren sonstigen Bedürfnissen angepassten Takt umstellen wobei aber der Körper nach wie vor eine gewisse Kontinuität verlangt. Dagegen können wir den Tag-Nacht-Rhythmus nur mit körperlichen Schäden und letztlich erheblicher Verkürzung unserer natürlichen Lebenserwartung manipulieren. Wer weniger schläft lebt kürzer, da der, der sich über die Tageslichtvorgaben hinwegsetzt, deutlich schneller altert. Dieses ist unter anderem ein Berufsrisiko von Flugzeugbesatzungen, die sich stetig von der einen in die anderen Zeitzone bewegen und dabei die biologische Uhr reichlich durcheinander bringen. Dieser Tag-Nacht-Rhythmus ist mit der wichtigste Faktor bei der Organisation einer menschlichen Gesellschaft, da durch diesen es ermöglicht wird, dass wir unser Handeln aufeinander abstimmen können. Durch einfache Zählung der Tage und Nächte können wir uns zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt verabreden und das ganz ohne Zuhilfenahme von technischen Mittel. Wenn ich sage, dass wir uns in 23 Tagen, in dem Augenblick wenn die Sonne am Höchsten steht, also des Mittags, treffen wollen, gibt es keine Schwierigkeiten im Verständnis mit meinem Verabredungspartner; er kann wirklich am 23. Tag nach unserer Vereinbarung um 12 Uhr Mittags am verabredeten Ort sein. Da aber Tag und Nacht und der höchste Stand der Sonne von der Umdrehung der Erde um die eigene Achse abhängt, klappt vorgenanntes jedoch nur mit Sicherheit, wenn die Beiden, die die Verabredung getroffen haben, sich zum Zeitpunkt ihrer Vereinbarung am gleichen Standort befinden und auch im dortigen Umkreis bis zu ihrem Treffen verweilen. Ohne Uhr, also nur so wie ich es eben beschrieb, könnte es bereits innerhalb Deutschlands, wenn wir uns bei der Vereinbarung an unterschiedlichen Standorten befinden, bei einer Verabredung zum Mittag, den wir mit dem höchsten Stand der Sonne definiert haben, Probleme geben. Der Sonnenauf-, -höchststand und –untergang differiert zwischen Görlitz im Osten – der zentrale Ort für die mitteleuropäische Zeit MEZ liegt übrigens bei Görlitz - und Aachen im Westen um 36 Minuten. Also nur in Görlitz stimmt die Uhr mit dem Sonnenstand überein während diese in Aachen kontinuierlich gegenüber der Sonne 36 Minuten vorgeht. Von weiter entfernten Orten in den USA oder in Japan wollen wir gar nicht erst reden. Weltweite Verabredungen bekommen wir in den Griff in dem wir den Zeitpunkt zwischen Höchststand der Sonne am ersten Tag und dem des zweiten Tages mit einem gleichmäßig ablaufendem Messinstrument an einem bestimmten Ort messen und wir diese Messung an diesem Ort, auf einer bestimmten Koordinate aus Längen- und Breitengrad, für eine bestimmte größere Zeitzone für verbindlich erklären. Dann können wir die Zeit mit Hilfe des Messinstruments sogar noch weiter gleichmäßig unterteilen. So kommen wir dann auf Stunden, Minuten und Sekunden. Wir brauchen also eine Uhr um uns exakt um 12:35 Uhr GMT (auf Greenwich bei London bezogene Weltzeit) von einem an einem beliebigen Ort der Welt verabreden zu können. Auch wenn wir keinen Kalender hätten könnten wir mittels Uhr und Tagezählung weltweit immer treffende Verabredungen treffen. Ich könnte mich in 136, in Greenwich abgelaufenen, Tagen um 18:30 Uhr GMT in Neuheim oder in Chikago verabreden, auch wenn ich derzeitig in Athen bin und mein Partner in Bangkok ist. Dieses wäre aber nicht sehr praktisch wenn man die unterschiedlichsten Verabredung zu treffen hat. Irgendwo entsteht dann durch die ganze Zählerei ein unsägliches Chaos. Auch wenn wir uns nur auf einen ganz bestimmten Tag ab dem gezählt werden soll, geeinigt hätten, würde es mit der Tageszählung allein etwas wüst aussehen. Hätten wir keine Jahre und Monate und ich hätte zum Beispiel weltweit durchsetzen können, das der erste Tag, ab dem wir gezählt wird, auf meinem Geburtstag, dem 1. April 1948, gelegt würde, müsste ich zu meinem 54. Geburtstag im Jahre 2002 zum 19.724sten Tag einladen. Da ist es schon gut, dass wir konkret benannte Monate und eine Jahreszählung haben. Für alles gibt es eine Lösung und so erfanden die Menschen dann auch den Kalender. Bei der Erfindung des Kalenders stützten sich die Menschen, wie bei der Tageszeit, auch zunächst auf etwas, was sie konkret ohne technische Hilfsmittel beobachten konnten. Das war der Mondumlauf (um die Erde). Bedingt durch den Schatten, den die Erde je nach Umlaufstand auf den Mond wirft ändert sich das sichtbare Bild des Mondes von gar nicht zu sehen (Neumond) bis voll zu sehen (Vollmond). Die Zeit zwischen Voll- oder Neumonden wurden zu den Monaten. Jetzt hätten wir auch einfach ab einem Tag X die Mondumläufe und die
Tage dazwischen zählen können, was zwar präziser wie die reine Tageszählung gewesen wäre aber noch lange nicht das, was wir uns eigentlich wünschten. Also nahmen wir Menschen, genauer gesagt unsere Vorfahren, noch die Jahre hinzu. Jetzt wird es zunächst wieder etwas kompliziert. Zähle ich nur die Mondumläufe und sage, dass je 12 davon ein Jahr seien, passiert es, dass sich ein bestimmter Tag (Jahresanfang) über alle Jahreszeiten von Frühling bis Winter hinziehen würde, da zwischen Frühlingsanfang des einen und des anderen Jahres mehr als nur 12 Umläufe liegen. Sehr schön können wir das am islamischen Mondkalender beobachten: Der 12., Allah gewidmete, Monat, der Ramadan, zieht sich quer durch das ganze Kalenderjahr. Also wurde letztendlich der Umlauf der Erde um die Sonne als weiteres zu beobachtende Kriterien hinzugezogen. Der Zeitraum zwischen dem tiefsten Stand der Sonne (Winteranfang) des einen Jahres verhält sich „stabil“ zu dem des nächsten Jahres. Auf die verteilte man jetzt gleichmäßig 12 Monate mit unterschiedlicher Tageszahl (28 bis 31), was dann noch an Resten blieb wurde durch Schalttage ausgeglichen. Und erst jetzt haben wir endlich auch die Möglichkeit einem bestimmten Tag einen bestimmten Namen zugeben. Jetzt können wir uns zu einem bestimmten Datum zu einer bestimmten Uhrzeit verabreden, unabhängig davon, wo wir uns zum Zeitpunkt der Vereinbarung befinden. Ja, liebe Leserin, lieber Leser, wie bin ich gerade an dieser Stelle in meiner Geschichte auf meinen kleinen, hoffentlich leicht verständlichen, Ausflug in die Astronomie gekommen? Das ist sehr leicht beantwortet. In meinem Bericht aus meinem Leben nähere ich mich nun dem Jahresende 1999. Entsinnen sie sich noch an die damalige Millenniumshysterie. Die magische Zahl 2000 hatte bei der Mehrheit der Menschen den Verstand abgeschaltet. Was war denn so besonderes an dem Datum des 1. Januar 2000? Wenn wir auch mit einem Datum einen konkreten Tag bestimmen können bleibt die Festlegung seines Namens und seiner Bezifferung nach wie vor willkürlich. Überlegen wir uns doch nur einmal was mit dem Sonnenkalender, auf den wir uns heute berufen, inzwischen schon alles passiert ist. Da ist schon einmal, zur Zeit der alten Römer, der Jahresanfang um über 2 Monate nach vorne gerutscht. Dieser Jahresbeginn war ursprünglich auf dem, dem Kriegsgott Mars gewidmeten, Frühlingsanfang festgelegt. Da die Römer in einem Jahr zufällig an diesem Tag mal einen längeren Krieg führten und so ihren Mars nicht gebührlich feiern konnten, verschoben sie das ganze auf das Fest ihres Gottes Janus, also von März (Mars) auf Januar (Janus). Am deutlichsten merken wir das bei den Monaten, dessen Namen reine Zählschlüssel darstellen: September (Septem = Sieben), Oktober (Okto = Acht), November (Novem = Neun) und Dezember (Dezem = Zehn, siehe Dezimalrechnung). Die alten Römer hatten den Beginn der Jahreszählung natürlich anders wie wir festgelegt. So hellseherische Fähigkeiten, dass sie sagen konnten: „Noch 132 bis Christi Geburt“ hatten sie auch nicht von Saturn mitbekommen. Also rechnete Papst Gregor, dem wir unseren heutigen Kalender zu verdanken haben, aus, wann Christi Geburt gewesen sein könnte. Als Anhaltspunkte hatte er den Stern von Bethlehem und den Kindermord Herodes. Aber da lässt sich erstens keine Deckung erzeugen und zum Anderen hätte er sich in beiden Fällen verrechnet. Der Komet, welcher der Stern aus der Weihnachtsgeschichte gewesen sein kann, „kreuzte“ im Jahre 4 vor Christi die Erdumlaufbahn und der Kindermord war historisch 2 Jahre früher. Also ist der 1.1.00 plus/minus 4 bis 6 Jahre „konkret“ bestimmt worden. Bei der Kalenderumstellung hatte Gregor dann noch Probleme diverse andere Dinge im Jahresablauf in Übereinstimmung zu bringen und so ließ er einfach im Jahr der Kalenderumstellung mal 10 Tage ausfallen. Heute noch nachvollziehbar im Bereich der orthodoxen Kirchen, wo beharrlich Feste wie Christi Geburt oder Ostern 10 bis 14 Tage später als im Bereich der römischen Kirche gefeiert werden. Also der 1. Januar 2000 war in Wirklichkeit ein Tag wie jeder andere auch; nichts besonderes. Aber mit dem sogenannten Millenniumswechsel ließ sich prima Geld verdienen. Damals ließ sich gut abzocken mit Millenniumspartys und –reisen und sonstigen überteuerten Dummheitsdokumentationen. Der Mensch bewies mal wieder, dass er zur Gattung der Herdentiere gehört. Die Leithammel sind des Denkens unkundig gewesen und die Horde stampfte los. Dazu kam dann auch noch, dass man sich doch glatt verrechnet hatte. Jedem Grundschüler hätte ich im Rechnen – Mathe ist wohl ein wenig hochtrabend für das, was Grundschüler da wirklich lernen – eine dicke Fünf verpasst, wenn er mir vorgerechnet hätte, das zwischen dem 1.1.00 und dem 31.12.1999 zweitausend Jahre vergangen wären. Das sind tatsächlich erst genau 1.999 Jahre und erst am 31.12.2000 sind es dann wirklich 2.000 Jahre gewesen. Bevor ich was Neues beginne muss ich doch erst mal das Alte beenden und somit kann das 3. Jahrtausend (Millennium) erst am 1. Januar 2001 beginnen. Somit ist man doch glatt ein ganzes Jahr zu früh abgerauscht. Nun, ich habe nicht mitgemacht. Wenn ich dieses sage, dürften die Millenniumsmitabrauscher jetzt bestimmt sich entschuldigend sagen, dass das bei mir aber andere Gründe gehabt habe. Na ja, dass kann ich, zumindestens nicht glaubhaft, wechseln, da es in der Tat Monika in dieser Zeit immer schlechter ging und dieses der Grund war, warum ich, unabhängig vom Millenniumswechsel oder nicht, kein Silvester feierte. Aber darauf komme ich gleich, etwas später, zu schreiben. Zunächst möchte ich noch zu weiteren, ein Jahr bestimmende, Festlegungen etwas schreiben. Das erste, was ich mit den vorangegangenen Worten meinte, ist das Kirchenjahr, was im wesentlichen in dem zuvor beschriebenem Kalenderjahr wurzelt aber einen anderen Beginn und somit auch ein anderes Ende aufweist. Der Hintergrund des Kirchenjahres ist die chronologische Abfolge der kirchlichen Feste. So beginnt das Kirchenjahr mit dem 1. Advent, also dem ersten Sonntag in der Zeit wo sich die Christenheit auf das Fest der Geburt Jesus, der Menschwerdung Gottes, vorbereitet und es endet mit dem
Ewigkeitssonntag, der im Volksmund schlicht und einfach Totensonntag heißt. Da der Heilige Abend, auf den sich die vorhergehenden Adventsonntage beziehen, wie jedes anderes Datum auch, auf jeden Wochentag von Montag bis Sonntag fallen kann, verschiebt sich das Datum des 1. Advents kontinuierlich über 7 Tage vom 27.11. (Heilig Abend ist selbst ein Sonntag und gleichzeitig 4. Advent) bis zum 3.12. (Heilig Abend ist ein Samstag). In dieser Geschichte ist der 1. Advent jetzt von zweierlei Bedeutung. Einmal aus einem allgemein gültigen Grund, der nicht nur für diese Geschichte gilt: Auf diese „hohe“ Zeit konzentriert sich in unserem sogenannten christlichen Kulturkreis so manches, was mit Nächstenliebe und Familie zusammenhängt. Es ist eine Zeit, in der man nicht gerne alleine ist. Eine Zeit die man trotz aller Widrigkeiten gerne Zuhause verbringt und letztlich eine Zeit in der man gerne so manches, was im familiären Umkreis zu Bruch gegangen ist, kitten möchte. Und das sind auch die wesentlichen Hintergründe der Dinge, die ich in diesem Kapitel erzählen möchte. Der zweite Grund, gleichzeitig die dritte Festlegung einer Jahresrechnung, von der ich eben schrieb, ist der Beginn eines neuen Lebensjahres, im konkreten Fall bei unserer Tochter Stefanie. Am 27. November 1999, einen Tag vor dem diesjährigen Beginn des Kirchenjahres, also dem 1. Advent, startete Steffi mit dem 21. Geburtstag in ihr 22. Lebensjahr. In meiner Jugendzeit war der 21. Geburtstag ein ganz gewichtiger Tag im Leben eines Menschen. Es war der Unabhängigkeitstag, also der Tag wo das Gesetz sagt: „Ab heute bis du erwachsen. Ab jetzt hast du alle Rechte aber auch, was nach Unabhängigkeit strebende Jugendliche oft übersehen, alle Pflichten. Den Schutzmantel der Jugend gibt es für dich nicht mehr.“. Ja, auf ein bestimmtes Lebensalter muss man sich zwangsläufig festlegen, was dann nicht im Gegenzug heißt, dass diese Festlegung auch mit der individuell differierenden Wirklichkeit übereinstimmen muss. Ich habe schon 16- oder 17-Jährige erlebt, den ich ohne zu zögern das Prädikat „Erwachsener“ verliehen hätte, während ich in einem noch viel stärkeren Maße 25- oder 26-Jährige kenne, die beim besten Willen noch nicht trocken hinter den Ohren sind. Also zu meiner Zeit war der 21. Geburtstag ganz was Großes, was jetzt auf Steffi nicht so zutrifft, da der Gesetzgeber die Unabhängigkeitserklärung um 3 Jahre nach vorne, auf den 18. Geburtstag gelegt hat. War ja auch ein Wenig paradox, dass man ihnen sagte, dass sie im Staatsrock auf andere schießen aber nicht wählen durften. Na ja, die sozialliberale Koalition, die diese Herabsetzung anleierte, versprach sich auch einiges an Wählerstimmen davon, denn insbesondere damals schien die Annahme, das jugendliche Herzen überwiegend links schlagen, in den meisten Fällen auch zuzutreffen. Auf den ersten Blick war also der 27. November 1999 nicht der „besondere Tag“ für unsere Tochter, Aber Steffi wollte diesen zu einem solchen machen. Da sie dieses aber nicht ankündigte, weil sie uns überraschen wollte, machte sich auch niemand von uns zunächst ein Gewissen daraus, dass wir ihr dieses aus nachvollziehbaren Gründen unwissentlich „versalzten“. Das gilt natürlich nur bis zu dem Punkt, wo wir dann erfuhren, was sie vor gehabt hatte. Mit diesem Wissen tat uns die Sache schon sehr leid. Steffi hatte uns zu ihrem Geburtstag eingeladen und sonst nichts weiter gesagt. Wir, das heißt Monika und ich, wollten auch auf jeden Fall ihrer Einladung folgen. Aber an diesem Samstag ging es Monika gar nicht gut. Sie hatte schlecht geschlafen und fühlte sich den ganzen Vormittag ziemlich schlecht. Ab des Mittags stöhnte sie über immer stärker werdende Schmerzen, so dass ich letztlich Dr. Wehner rufen musste. Monika bekam eine Spritze, wurde danach ruhiger und schlief letztendlich. Sie schlief sogar durch bis zum Sonntagmorgen, wo es ihr dann doch gegenüber dem Vortag deutlich besser ging. Wenn ich gewusst hätte, was Steffi geplant hatte, wäre ich, was sicherlich auch in Monikas Sinne gewesen wäre, alleine hingegangen. Aber Steffi sagte ja nicht einmal etwas als ich bei ihr anrief um erstens zu gratulieren und um zweitens mich dafür zu entschuldigen, dass ich bei den gegebenen Umständen lieber bei Monika bleiben würde. Unsere Tochter klang zwar enttäuscht aber zeigte volles Verständnis für meine Entscheidung. Noch jemand war eingeladen worden und bereitete ihr unwissendlich eine Enttäuschung. Auch Martina war eingeladen gewesen und hatte zunächst spontan zugesagt. Am Morgen des 27. Novembers war sie doch ins Grübeln gekommen. Steffi hatte ihr gegenüber von einer Überraschung gesprochen und Martina war diesbezüglich der Gedanke gekommen, es könne sich bei der Überraschung um einen Kuppelversuch der Tochter handeln. Obwohl es für Martina zu diesem Zeitpunkt nichts auf der Welt gegeben hat, was ihr lieber gewesen wäre als mit mir ins Reine zukommen, war ihr nicht wohl bei der Sache. Sie hatte Angst, dass ich mich möglicher Weise übertölpelt vorgekommen wäre, was zu Auseinandersetzungen hätte führen könne, die dann möglicher Weise mehr schade als nutze. Sie wusste zwar nicht, ob ich auch von unserer Tochter eingeladen war aber sie ging auf Nummer sicher, ließ sich eine Ausrede einfallen und sagte ab. Alle guten oder schlechten Dinge sind Drei. Frau Schöller, die auch eingeladen war, sagte nicht ab, kam aber trotzdem nicht. Sie hatte den Termin schlicht und einfach zunächst einmal vergessen. Jetzt muss ich zu ihrer Entschuldigung sagen, dass Steffi ja nicht ihre sondern Martinas und meine Tochter war. Dieser Tag, der Geburtstag ihrer Schwiegertochter in spe, hatte so in ihrem Leben noch nie eine Bedeutung gehabt und dass dieser Tag eben auf diesem 27. November fiel, hatte sie auch erst bei der Einladung erfahren. Nun war da ja ihre derzeitige Leidenschaft: Männer. Sie hatte in der Woche im Saßmannshausener Café Holler, ein Etablissement, in dem Bälle für einsame Herzen veranstaltet werden, einen Herrn, der sie zu einem Theaterabend eingeladen
hatte, kennen gelernt. Da sie Steffis Geburtstag während des Balles nicht in ihrem Erinnerungsspeicher hatte, sagte sie dem Herrn auch zu. Wer will es ihr auch verdenken. Als sie am Samstagmorgen ihren Kalender aufschlug und da den Eintrag „* Stefanie“ sah reagierte sie prompt und ... sagte Steffi ab. So kam von fünf geladenen Gästen nur einer: Christofs Großvater Karl Hermann Waymann. Na, dann wollten sich die beiden jungen Leute auch nicht mehr verloben. Hätten sie doch nur vorher etwas gesagt. Sicherlich hätte Frau Schöller die Verlobung ihres Sohnes nicht vergessen. Anlässlich der Verlobung ihrer Tochter hätte Martina sicherlich ihre Ängste überwunden und wäre, so wie ich auch, mit dem Vorsatz sich zusammenzureißen und Vorfälle zu vermeiden, erschienen. Monika wäre tatsächlich die einzigste gewesen, die auch dann, wenn sie den Grund gekannt hätte, nicht erschienen wäre, denn das ließ ihr Gesundheitszustand an diesem Tage wirklich nicht zu. Aber gerade sie wäre es gewesen, die darauf gedrungen hätte, dass ich hingehe. Sicherlich kann man daher verstehen, dass nicht nur bei Steffi sondern auch bei Christof Tränen flossen, die Opa Waymann erst einmal trocknen musste. An diesem Tag ließen sie die Verlobung dann ausfallen, da der alte Waymann seinen Vorschlag mit einer Verlobung unter dem Weihnachtsbaum hatte ganz gut verkaufen können. Auch unsere „Kinder“ waren dem damaligen Millenniumstick verfallen, aber Waymanns Argument, dass auch der 24. Dezember 1999 noch im zweiten Millennium liege und das Leute, die sich an diesem Tag verloben, als Paar ins dritte Millennium gehen, ist auch bei Berücksichtigung des falschen Jahres – 1 Jahr zu früh – sogar sachlich richtig. So erhielten Monika und ich in der Folgewoche dann die Einladung zum Ersatztermin, aber diesmal auch vorsorglich unter Benennung des Grundes. Wir sagten zunächst zu aber mussten leider doch eine Woche später einen Teilrückzug vornehmen. Monika baute enorm gesundheitlich ab. Dr. Wehner musste ab dem Mittwoch nach dem 1. Advent täglich kommen um ihr eine Spritze zu geben, damit sie es überhaupt aushalten konnte. Eigentlich hätte sie ja ins Krankenhaus gehört aber Monika wusste genau, dass sie dieses nie mehr verlassen können würde und ihre letzte Weihnachten sowie den Jahreswechsel wollte sie unbedingt noch zuhause mit mir erleben. Das Spritzen wollte ich, so mein Angebot, Dr. Wehner abnehmen obwohl ich so ein Typ bin, der erhebliche Schwierigkeiten gehabt hätte, die Nadel anzusetzen und einzustechen. Aber da es sich um ein Mittel, das unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, handelte musste Dr. Wehner diese Angelegenheit schon selbst übernehmen. Im Krankenhaus wäre Monika an einem Tropf gekommen, wo man ihr kontinuierlich ein Mittel, dosiert nach jeweiligem Schmerzempfinden, gegeben hätte. Dieses wäre, so Dr. Wehner, mit Sicherheit das Bessere für Monika gewesen, was aber, so der Arzt, ihr Leben nicht hätte verlängern können. Aber um mit mir Weihnachten und den Jahreswechsel „feiern“ zu können nahm sie wirklich sehr tapfer die argen Schmerzen in Kauf. Hierüber sprachen wir mit Steffi und Christof als sie uns die Einladung überbrachten und bereiteten sie darauf vor, dass wahrscheinlich ich alleine erscheinen würde, und das auch nur kurz, da ich wohl Monika nicht lange allein lassen könne. Das sahen die Beiden auch voll und ganz ein. Dann überlegte und fragte Steffi: „Monika, wäre das möglich, das wir hier (in der Villa) feiern?“. „Das würde mich sogar freuen,“, antwortete Monika, „denn dann könnte ich dabei sein. Und dieses Haus ist so groß, dass, wenn es mir dabei zuviel wird, mich in die Ruhe zurückziehen kann. Dann ist aber euer Vater immer noch bei euch und er kann trotzdem, wenn er es für richtig hält, mal nach mir sehen. Aber ich fürchte das euere Mütter davon nicht so begeistert sein werden. Schließlich hat deine Mutter, Christof, ihren Seitensprung mit meinem Mann unternommen und ich habe deiner Mutter, Steffi, den Mann ausgespannt. Auch wenn wir das heute alle ein Wenig differenzierter ansehen, sind doch diese oder jene schmerzhafte Wunde offen geblieben. ... Also ich habe nichts dagegen und würde mich auch sehr freuen aber sprecht erst mit eueren Müttern, die haben allemal mir gegenüber Vorrang. Wenn die nicht wollen, dann macht es lieber bei euch oder im Hause Schöller. Ich glaube, dass, wenn ihr es im Hause Schreiber macht, es deinen Eltern auch nicht ganz wohl bei der Sache ist.“. Darauf hakte ich noch nach: „Ich denke, wenn du bei uns zu Hause feierst, Steffi Maus, dann werde ich es wahrscheinlich nicht fertig bringen zu kommen. ... das musst du bitte verstehen. Aber nehme darauf aber im Falle eines Falles keine Rücksicht ... ich mache es auch bestimmt wieder gut.“. Diese Idee besprachen die beiden Brautleute in spe auch wie vorgeschlagen im Anschluss mit ihren Müttern. Frau Schöller lehnte gleich pauschal ab und Martina unterbreitete einen Kompromissvorschlag. Sie schlug einen neutralen Ort vor. Da sie erstens die Besitzerin der Hexenberger Dorfkneipe sei, zweitens ein gutes Verhältnis zu ihrem Pächter habe und bis jetzt noch nichts verlernt habe, was wie in einer Kneipe zutun sei, ließe sich doch sicherlich arrangieren, dass man dort Heilig Abend und Verlobung feiern könne. Martina wollte darüber, wenn ihr Vorschlag Zustimmung fände, mit ihrem Pächter sprechen. Das war aber nicht alles was sie vorschlug. Sie sollten des Nachmittags, gegebenenfalls mit Waymann zu uns in die Villa kommen und, entsprechend des Gesundheitszustandes von Monika, erst einmal mit uns feiern. Gegen Abend sollten sie dann nach Hexenberg kommen und mich für ein oder zwei Stunden mitbringen. Den Vorschlag, hätte ich mit Sicherheit gut geheißen, wenn ich ihn gekannt hätte. Aber von dem habe ich erst wesentlich später, als schon alles vorbei war, erfahren. Schade. Jetzt machte sich Steffi, die offensichtlich das alles nicht so verkraftete, selbst alles kaputt. Aufgeregt
machte sie Martina an. Sie solle sich nicht so zickig anstellen. Schließlich habe sie ja durch ihren Ehebruch und mit ihrer Hurerei alles verursacht. Sie solle sich am Riemen reißen und in die Villa kommen. Martina ließ sich das – sicherlich mit Fug und Recht - nicht gefallen und verlangte das Steffi sich entschuldige. Falls dieses nicht geschähe könne sie ihre Verlobung alleine feiern. Na ja, Steffi entschuldigte sich nicht und Martina blieb jetzt hart und erschien dann nicht zur Verlobung. Danach müssen bei Steffi die Nerven total blank gelegen haben. Postwendend kam sie zu mir und berichtete mir sehr „gefärbt“ von dem Vorfall. Natürlich stellte sich unsere Tochter wie so eine Art Engelchen da und Martina war die Hexe, Ehebrecherin und Hure. Also, das ging mir auch eindeutig zu weit und ich „pfiff“ sie an: „Wenn du das oder so etwas ähnliches zu Mutti gesagt hast, fährst du jetzt sofort wieder hin und entschuldigst dich. Das trifft auf sie nicht im Entferntesten zu. Sicher, es ist bei mir und ihr einiges falsch gelaufen. Sicher haben wir uns beide mit Schuld beladen. Aber deshalb ist deine Mutter weder eine Hexe ... und das andere ist sie sowieso nie gewesen. Wenn du dich bei Mutti nicht entschuldigst, hast du auch bei mir verschissen.“. Danach holte sie zum Rundschlag aus. Aus den Tiefen ihrer Erinnerung holte sie so Manches aus ihrer Kindheit und Jugend hoch und warf mir diese Dinge in einer bösen und bissigen Art vor. Da platzte mir der Kragen und ich warf sie raus mit den Worten: „Also jetzt reicht es. Wenn du dich bei Mutti entschuldigt hast, kannst du zu mir kommen und das Gleiche auch bei mir machen. Ansonsten kannst du dich verloben oder nicht; ich habe nichts damit zuschaffen.“. Was bei mir gelaufen war sah Stefanie schon nach kurzer Zeit ein und wollte sich auch bei mir entschuldigen. Aber noch heute bin ich der Meinung, dass es richtig war, darauf zu bestehen, dass sie dieses zuerst bei Martina machen müsse. Drei Mal nahm sie bei mir Anlauf und beim letzten Mal blitzte sie endgültig ab. Die ersten beiden Male sagte sie mir bei ihrem Erscheinen ehrlich, dass sie noch nicht bei Martina war. Bei ihrem dritten Anlauf versuchte sie mich diesbezüglich zu belügen und da war die Sache bei mir gelaufen, ihre Verlobung fand zwar am 24. Dezember 1999 statt aber ohne die Brauteltern. Bei besagtem dritten Versuch erschien sie ganz keck mit den Worten: „Ich war gerade bei Mutti.“. Das konnte jedoch nicht sein, denn anlässlich ihres Anschellens hatte ich gerade das Telefon aufgelegt. Am anderen Ende war Martina gewesen. Es war nicht ihr erster Anruf bei mir gewesen. Unsere fünf Telefongespräche in der Vorweihnachtszeit verliefen immer nach gleichem Muster ab: Martina fragte an, ob sie bei mir noch eine Chance hätte, was ich ihr auch grundsätzlich bejahte. Aber ich bat sie, mir im Hinblick auf die derzeitige Situation noch ein Wenig Zeit zu geben. Dann bekundete sie, dass sie dafür volles Verständnis habe und bot mir an, mir bei Monikas Pflege behilflich zu sein. Irgendwie klang das so, wie das, was mir vor noch nicht all zu langer Zeit in meinen wilden sexuellen Fantasien erträumt hatte: Eine Ehe zu Dritt. Allerdings klang das nur so, mir war schon klar, dass Martina dieses so bestimmt nicht gemeint hat. Allerdings beschied ich ihr alles abschlägig, denn ich wollte jetzt bis zu Letzt nur noch für Monika da sein und mein Herz und Gehirn nicht mit anderen Dingen belasten. Der Schluss war, bis auf das eine Mal, wo ich mich wegen Steffis Schellen entschuldigte, immer gleich. Ich hörte sie weinen und hatte immer das Gefühl, dass sie noch etwas sagen wolle. Aber dann legte sie plötzlich doch wieder auf. Eben schrieb ich, dass mir Martina angeboten habe, mir bei Monikas Pflege zu helfen. Ich muss aber bezweifeln, dass sie mir viel hätte helfen können. Monika war jetzt sehr schwach und ich musste ihr bei fast allen Dingen des täglichen Lebens behilflich sein. Zur Toilette habe ich sie mehr getragen wie gestützt aber ich ließ ihr immer das Gefühl, als wäre es meinerseits nur Stützen und sie liefe selbst. Das Essen brachte ich ihr regelmäßig ans Bett aber gegessen hat sie immer selbst ... viel war es jedoch nicht, was sie zu sich nahm. Es gab aber bei den persönlichen Dingen einiges, wo sie sich gerne und ausführlich von mir helfen ließ. Sie ließ sich gerne von mir waschen und zwar immer von Kopf bis Fuß. Sie lag dann völlig nackt im Bett und lächelt mich irgendwie glücklich an. Aber dieses gab es nicht nur beim Waschen sondern sie verlangte sehr viel nach sinnlicher Körperlichkeit. Hierbei hätte mir Martina doch wohl kaum helfen können. Mit Sinnlichkeiten verbrachten wir sogar die meiste Zeit. Hin und Wieder wünschte sie auch, dass ich mich nackt auszöge, dass sie mich betrachten könne. Dann nahm sie auch fast immer meinen Penis zärtlich in die Hand aber mehr konnte sie nicht mehr; da nach stand ihr wohl auch jetzt nicht mehr der Sinn. Was mir seltsam vorkam war, dass sie, wenn sie keinen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck hatte, immer irgendwie glücklich aussah. So hatte ich sie eigentlich noch nie erlebt – Und irgendwie machte mich das auch etwas seltsam glücklich. So wie ich es gerade beschrieb verbrachten wir auch alle Weihnachtstage sowie den Silvestertag. Irgendwie zog ich an diesem Tag der Jahreswende eine Replies und verglich mit dem Vorjahr. 1999 war fast alles genau umgekehrt wie im Vorjahr: 98 hatte ich Monika den Laufpass gegeben, da ich mich verletzt und arg getäuscht fühlte. Jetzt, 1999, war ich bei ihr und hatte das Gefühl sie über alle Dinge der Welt zu lieben. 1998 war ich recht aufdringlich hinter Martina her und jetzt war sie hinter mir her. 98 stellte sich Steffi mir gegenüber beleidigt und bekundete nichts mehr mit mir zutun haben zu wollen, jetzt war es umgekehrt. 1998 hatte sich der Medienkonzern Neue Landeszeitung NLZ von mir getrennt und jetzt wollten sie mich unbedingt wieder in ihren Reihen haben. 98 schien es so, als sei es mit einem Lokalfernsehen im Kreis Neuheim endgültig aus gewesen und jetzt schien es fast unaufhaltsam auf die Leute im Kreis zuzukommen. 1998 saß ich am Silvesterabend in der Kneipe und war stockbesoffen und jetzt saß ich im Schlafzimmer bei der sehr kranken Monika und trank, außer
mal einen Schluck Cola oder Wasser gegen den Durst, keinen Tropfen. Und das an einem Tag, an dem Alle ein Jahr zu früh ins nächste Millennium starteten. Nun das neue Jahr fing dann etwas dramatisch an. Schon in den frühen Morgenstunden wimmerte Monika förmlich vor starken Schmerzen. Auch nach dem ihr Dr. Wehner um Zehn eine Spritze gegeben hatte wurde es nicht besser. Er kam noch zwei Mal an diesem Tag. Um kurz vor Drei gab er ihr noch einmal eine Spritze, die dann aber auch nicht sehr viel bewirkte. Letztlich wies er sie dann kurz nach Sieben ins Krankenhaus ein. Sie kam tatsächlich nicht mehr zurück. Seit Weihnachten hatte sie mich immer wieder gebeten, so lange sie noch lebe nicht aus der Villa auszuziehen. Diese Bitte wiederholte sie auch täglich, wenn ich sie auf der Intensivstation des Krankenhauses besuchte. Tag für Tag besuchte ich sie dort für zwei bis drei Stunden. Was ihre Schmerzen anbelangte ging es ihr dort wirklich besser, nur sie wurde zunehmendst schwächer. Gerade in dieser Zeit und Situation sagte sie mir immer wieder, dass sie sehr glücklich sei. Wir hätten mal vor Gott und den Menschen geschworen zusammenzuhalten bis das der Tod uns scheide. Auch wenn viel dazwischen gekommen sei hätten wir uns zu guter Letzt doch an diesen Schwur gehalten. Noch nie habe sie in ihrem Leben soviel Liebe empfangen dürfen, wie in ihrem letzten Lebensjahr. Ich bekam auch immer wieder zu hören, dass ich nicht traurig sein solle. Sie ginge schon mal heim zu unserem Vater in dessen Geborgenheit wir uns schon sehr bald für eine Ewigkeit wiedersehen würden, denn 1.000 Jahre wären bei ihm weniger als ein Tag und das gälte auch für die, die schon bei ihm seien. Am Abend des 13. Februars 2000 bedankte sie sich sehr ausführlich bei mir für alles, was ich ihr gegeben hätte. Man merkte, dass ihr die Worte schwer fielen. Alles hörte sich nach Abschied an. Irgendwo war mir da bewusst, dass es das letzte Mal sein würde, dass wir miteinander sprechen konnten. Ich sollte mich nicht getäuscht haben. Am frühen Montagmorgen, um halb Vier, bekam ich einen Anruf, ich möchte doch bitte sofort ins Krankenhaus kommen. Als ich eintraf lebte Monika noch. Sie schaute mich mit fast starren aber irgendwie noch warm erscheinenden Augen an und sagte noch etwas; es kann „Danke und Auf Wiedersehen“ gewesen sein, was ich aber nicht beschwören könnte. Dann schloss sie die Augen für immer. Sie war auf ihrem Lebensweg am Ziel angekommen. Frau Monika Schneider geschiedene Schreiber geborene Rollmann war im Alter von nicht ganz 53 Jahren verstorben. In meinem Herzen wird sie bis zu dem Tag, wo ich ihr folgen kann, weiterleben. Ich faltete die Hände, schloss die Augen und betete für sie ein stilles Vater unser und ging danach traurig zurück in die Villa, in der ich auf ihren Wunsch bis jetzt geblieben war.
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Brief an den einzigsten Menschen Obwohl ich mich lange auf diesen Todestag meiner ersten Frau einstellen konnte war dieser, als er nun eingetreten war, doch seelisch sehr hart für mich. Der Abschied von der geliebten Frau tat doch sehr weh. Immer wieder zogen die Bilder von sehr schönen Momenten, die wir gemeinsam erleben durften, auf und immer waren diese mit den Gedanken verbunden, dass sich dieses nie mehr wiederholen könne. Die Zeit war davon gelaufen und hatte Monika und mein Glück mitgenommen. Ich musste daran denken, was alles hätte sein können, wenn ich nicht alles was kam einfach so hingenommen und hätte geschehen lassen. Ich hätte damals, 1975, um Monika kämpfen müssen und sie nicht von dannen ziehen lassen dürfen. Sicher, ich hätte dann Martina und Steffi nie gehabt, aber das würde mich auch nicht belasten, da ich ja dann davon auch nichts wissen würde. Bei den Gedanken wurden dann meine Augen immer feucht und des Öfteren gab ich mich dann auch einfach dem Weinen hin. Ich tröste mich dann auch immer wieder damit, dass, wenn ich statt davonzulaufen um Monika gekämpft hätte, möglicher Weise von meinem Umfeld, insbesondere meinem Schwiegervater, vereinnahmt worden wäre und dann auch ein Geldmensch, so eine Art humanitärer Existenz, so wie er, geworden wäre. Von Monika wusste ich ja, dass ein Leben im Golden Käfig beim besten Willen nicht das wahre ist. Was ist das für ein Leben, wenn man stets um sein Vermögen und dessen Mehrung kämpfen muss und von dem allen letztendlich, wenn man seine letzte Reise antreten muss, nichts übrig bleibt außer das es das ehrliche Gedenken an die Person, die man war oder nicht, zerstört. Dann kommen nämlich die Erben genannten Geier, von denen jeder glaubt zu kurz gekommen zu sein, und die hacken gierig und wild aufeinander ein. Aber im Gegenzug wollen Erbbesessene nichts leisten, selbst die Grabpflege wollen sich die Erbschleicher vom Halse halten. Und jeder dieser Erben fühlt sich als der Leister und als wahre Stütze der Gesellschaft obwohl er nichts weiter getan hat als zur richtigen Zeit am richtigen Ort von den richtigen Eltern geboren worden zu sein. Auf den Tag seines Erbglückes konnte er sich mit familiären Trittbrettfahren, zudem man nicht mal Intelligenz mitbringen muss, vorbereiten. Der Mensch mit seinen Gefühlen und Empfindungen kommt im Goldenen Käfig nicht zum Zuge; er stirbt obgleich er biologisch noch lebt. Der Mensch ist tot, es lebe der Humanoid. Na, an diesem Morgen stand noch niemand aus Monikas Geiertruppe vor der Tür. Ich kannte keine Namen und wusste auch nicht, wenn ich informieren müsste ... Monikas Anwalt wird es schon wissen. Mich interessierte eigentlich auch nicht wer da zur Erbrauferschar gehörte. Für mich stand nur fest, dass ich jetzt die Villa räumen musste. Erbgeier dürften sicherlich kein Verständnis dafür haben, dass der hergelaufene Schreiber darin haust. Zum Glück hatte ich ja noch meine Hexenberger Wohnung in Grömmers ehemaligen Häuschen, das jetzt Karl Hermann Waymann gehört. Dann werde ich den Job bei der NLZ annehmen und irgendwie wird es weitergehen. Da noch niemand von diesen Leuten, bei denen Monikas Tod einen Glücksfall darstellt, auf der Matte stand, konnte ich mich am Morgen des 14. Februars 2000 – Übrigens der Valentinstag, der Tag der Liebenden, der ja in den letzten Jahren immer munterer vermarktet wird – ganz meiner Trauer hingeben. Am Nachmittag wollte ich dann mit dem Zusammenräumen beginnen. Dieses stand jetzt in diesem Hause für mich zum zweiten Mal an und beide Male war es mir so, als würde mein Herz dabei zerbrechen. Das erste Mal war es an dem Tag wo Monika die Scheidung einreichte und jetzt, wo sie in diesem Leben endgültig nicht mehr bei mir sein kann. Als es gegen Mittag schellte dachte gleich: „Na ja, das ist die oder der Erste aus der Generation der Erben.“. Der Eindruck wurde dadurch verstärkt, als sich über die Gegensprechanlage Dr. Wimmer, Monikas Rechtsanwalt und Notar meldete. Ich dachte in diesem Moment er sei das Geleit des neuen Villaeigentümers gewesen. Aber er war, als ich ihm im Flur entgegen ging, allein gekommen. Noch bevor ich ihn ins Wohnzimmer bitten konnte reichte er mir die Hand und sprach mir sein Beileid aus. Er ergänzte noch: „Ihre Frau ... das kann ich so sagen, denn sie hat mir gesagt, dass sie sie als ihren einzigen und richtigen Mann ansähe – hat sie wirklich ehrlich und aufrichtig geliebt. Das hat sie mir nicht nur einmal gesagt. Ich glaube, dass dieses auf Gegenseitigkeit beruhte und sie jetzt tiefen Trauer empfinden. Deshalb möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich sie in ihrem Angedenken stören muss, aber so wurde es mir von ihrer verstorbenen Frau zwingend auferlegt.“. Bei seinen Worten kämpfte ich wieder einmal intensiv gegen meine Tränen und deshalb führte ich ihn wortlos ins Wohnzimmer und bot ihm nur durch Armbewegung einen Platz an. Ich glaube, er hatte verstanden, denn er wartete einen Moment bis er in seinen Aktenkoffer griff und dort einen DIN-B-5-Umschlag herausnahm und mir diesen übergab. Dabei sagte er, dass Monika ihm aufgetragen habe, mir diesen umgehend am Tage ihres Todes zu übergeben. Er dürfe laut ihrer Vorausbestimmung keinen Tag warteten, da die Gefahr bestünde, dass ich dann etwas Falsches anstoßen würde. Bevor ich etwas unternähme solle ich erst den Brief in Ruhe lesen. Dann fuhr er, für mich vom Inhalt her etwas überraschend, fort: „Mit der Übergabe des Schreibens wäre eigentlich meine heutige Mission beendet. Aber wo ich schon einmal da bin, kann ich doch gleich den Termin für die offizielle Testamentseröffnung mit ihnen absprechen. Ist ihnen Freitag um 14 Uhr recht?“. „Ich kann da auf jeden Fall.“, antwortete ich, „Aber ich schätze, dass es nicht auf mich ankommt. Da sprechen sie doch besser erst einmal mit den richtigen Erben.“. „Wieso, welche richtige Erben meinen sie?“, fragte er, sich etwas erstaunt gebend, „außer ihnen wird niemand zur Testamentsöffnung
geladen.“. Eigentlich hätte ich mir ja selbst denken können was das zu bedeuten hat aber dieser Tag war für mich, sicherlich aus verständlichen Gründen, nicht der meiner größten Denkstärke. Als sich Dr. Wimmer anschließend verabschiedete, bat er mich im Auftrag der Verstorbenen, noch einmal eindringlich den Brief sofort zu lesen, da ich da alles Weitere, auch zu meiner Frage nach den „richtigen Erben“ heraus entnehmen könne. Ich tippe diesen Brief, der an „Reiner Schreiber, den einzigsten Menschen in meinem Leben“ adressiert war, jetzt einfach mal für die verehrte Leserschaft ab: Herzallerliebster Reiner, mein ganzes Glück, mein Leben, jetzt ist die Stunde verstrichen, an der wir persönlich Abschied nehmen mussten. Noch einmal, noch ein letztes Mal, möchte ich Dir den Inhalt meines Herzens ausschütten. Komme jetzt, während Du diese Zeilen ließt, was wolle – und sei es der Weltuntergang, höre jetzt nicht eher auf zu lesen bis kein weiteres Wort mehr folgt. Anfangen möchte ich jetzt mit einer Sache, die für Dich vollkommen neu sein wird, die ich Dir, weil ich Dich kenne, vorher nicht sagen konnte, die Du aber jetzt unbedingt wissen musst sonst machst Du gleich, vielleicht schon im nächsten Moment, wieder „Dummheiten“. Ich weiß jetzt, im November 1999 wo ich diese Zeilen schreibe, noch nicht den genauen Tag an dem ich sterbe. Ich weiß nur, dass bis dahin nicht mehr viele Tage vergehen werden. Heute bin ich ja noch ganz gut auf den Beinen. Mein mentaler Wunsch ist es noch einmal an Deiner Seite Weihnachten und Silvester feiern zu können. Als wir dieses, zum letzten Mal konnten, ist ja schon so lange her. Unser Glück wurde ja von der irdischen Realität hart unterbrochen aber ich weiß, dass es zu keinem Zeitpunkt wirklich untergegangen ist. Glück und Liebe sind das Ebenbild Gottes und können daher nie vergehen oder untergehen. Bis zur Stunde meines Todes werde ich, so lange ich sprechen kann, Dich immer wieder bitten in der Villa wohnen zu bleiben. Ich hoffe Du hast es auch bis jetzt getan und wirst jetzt nicht eher ausziehen, bist Du entschieden hast ,ob Du darin, eventuell zusammen mit Martina, wohnen bleiben oder ob du vermieten beziehungsweise verkaufen willst. Ja, mein Herz, die Entscheidung musst du nun tatsächlich selbst treffen, denn dieses Haus ist Dein – es gehört dir ganz allein und niemanden anders. Ja, mein allerliebster Reiner, ich weiß jetzt schon, was du in diesem Augenblick, wenn Du diesen Brief ließt, sagen wirst. Du fragst, womit Du dieses Haus unterhalten sollst – Stimmt es? Stöhne doch nicht so, Du hast doch genug. Das, was auf dem Volksbank-Konto, welches als einzigste nicht unter Deine Verwaltervollmacht fiel, ist entspricht der Erbschaftssteuer, die ich schon mal habe im Voraus berechnen lassen. Das führst Du am besten so wie es ist nach Vorliegen des Erbschaftssteuerbescheides an das Finanzamt ab – aber der Rest unterliegt ausschließlich Deiner Entscheidung. Außer Dir gibt es keinen weiteren Erben. Meine Eltern waren selbst, wie ich auch, Einzelkinder und Vettern oder Cousinen hatten sie auch nicht. Dann gab es da noch einen Wilfried Schneider. Unsere sogenannte Ehe war nichts anderes als eine vertraglich geregelte Geschäftsbeziehung. Alles was er nach dem Vertrag und insbesondere auch nach dem sogenannten Recht zu kriegen hat, wurde von mir ausgeglichen. Es gibt tatsächlich niemand mehr, der etwas zu kriegen hat. Du bist wirklich mein Alleinerbe und kannst mit dem, was ich auf dieser Erde zurücklasse, anfangen was Du willst; ich mache Dir keine Auflagen. Aus diesem Grunde habe ich Dich auch in der letzten Zeit bei allen Entscheidungen nicht nur in die Verantwortung genommen sondern ich habe sie dir förmlich abgedungen. Du trafst nämlich nicht die Entscheidung über mein sondern über Dein Vermögen. Ab jetzt muss Du das ohne mich machen. Wenn Du jetzt fragen solltest, warum ich Dir das bis jetzt nicht gesagt habe, kann ich Dir das ganz einfach beantworten. Mein Schatz, ich kenne Dich doch zu gut. Du hättest, wenn Du vorher Bescheid gewusst hättest, alles unternommen um mir dieses auszureden; vielleicht hättest Du auch noch irgendwelche Dummheiten gemacht. Verzeihe mir, aber das kann beziehungsweise konnte ich an meinem Lebensende nicht gebrauchen. Ich möchte den Rest meiner Tage dazu nutzen, mit Dir glücklich zu sein. Mit der Testamentseröffnung erhältst Du auch ein Dokument mit dem Du belegen kannst, dass Du wirklich von der ganzen Erbschaft nichts gewusst oder nur geahnt hast. Dieses ist vielleicht wichtig, wenn irgend so ein Winkeladvokat auf den Gedanken kommt, Dir Dein Eigentum mit dem Vorwurf der Erbschleicherei streitig machen zu wollen. Ich weiß nicht, vielleicht ist es Dir auch in irgendeiner Weise gegenüber Martina und Steffi nützlich. Du bist kein Erbschleicher sondern der einzigste Mensch in meinem Leben. Jetzt kann ich Dir ja erzählen, dass Du dieses schon immer für mich warst. Schon in meinem ersten Testament, was ich vor über 10 Jahren abfasste, warst du, obwohl wir in jener Zeit keinen Kontakt zu einander hatten, gut bedacht worden. Nachdem wir wieder zusammen waren erstellte ich ein neues Testament, in dem warst Du dann sehr gut bedacht – mehr ging aufgrund meines Ehevertrages nicht. Und jetzt, - jetzt kriegst Du alles. Nur Du, der einzigste Mensch für mich, hast es verdient. Aber ich schreibe Dir ja jetzt nicht, um die offizielle, formale Testamentseröffnung vorweg zu nehmen sondern weil ich Dir den Inhalt meines Herzens und meiner Seele offen legen möchte. Was ich vorher schrieb war nur dort platziert, damit Du mir nicht noch 5 Minuten vor Toresschluss doch noch Dummheiten machst. Jetzt aber zu meinem eigentlichen Anliegen, es wird fast eine Lebensbeichte. Ich habe Dir ja schon mehrmals erzählt, dass ich ein Malörchen war, ein kleiner Verkehrsunfall, den der liebe Gott nach 9 Monaten bestraft hat, war. Jetzt hätte
ich eigentlich statt Gott „eventuelle Vorsehung“ oder „möglicher Weise existierendes höheres Wesen“ schreiben müssen, denn mein Vater glaubte an nichts außer an das Geld, was er hatte beziehungsweise was er haben wollte. Und meine Mutter glaubte wohl nur an meinem Vater, zumindestens war sie ihm bedingungslos hörig und gehorsam. Die sind zwar ab und an in der Kirche aufgetaucht und haben da auch mal bei besonderen Anlässen mitgemischt. Aber die Gründe waren eher, dass man sich mal den Abonnenten und Anzeigenkunden zeigen musste. Kirchgang war für meinen Vater so eine Art Public Relation. Man konnte dort auch mal diesen oder jenen Geschäftspartner treffen, mit denen dann die nächsten (Un)taten vereinbart werden konnten. Ich bin zwar getauft und konfirmiert worden, aber das geschah mehr aus Traditionsbewusstsein, aber ich wurde absolut unchristlich erzogen. Das Taufversprechen war aus der Sicht meines Vaters eine von des Pastors FeierlichkeitsFormalien. Unter dieser unchristlichen Erziehung habe ich eigentlich sehr gelitten, denn irgendwo hatte sich der Herr mir gegenüber offenbart. Ich hatte immer Angst vor dem Nichts, Angst, das alles vorbei und umsonst gewesen sein könnte. Aber gleichzeitig wusste ich, dass meine Ängste unnötig waren, denn für mich stand irgendwie fest, dass, wenn es Gott nicht gäbe, es auch diese Welt nicht gäbe. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er die Welt erschaffen hat, dass sie irgendwann mal im Nichts vergehe. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass uns das Leben geschenkt würde, damit es nach kurzer Rastlosigkeit wieder vergehe und für immer ausgelöscht sein wird. Was soll das Ganze denn, wenn nach einem kurzem Hauch von Leben alles vorbei ist? Warum machen wir uns dann die Mühe überhaupt zu leben, es ist doch dann alles letztendlich sinnlos. Wenn ich meine Eltern nach Gott fragte, bekam ich zur Antwort, dass der Glaube ein Strohhalm für naive Menschen wäre, damit sich diese nicht gleich aufs Trittbrett der Leitungswilligen stellten sondern getrieben von einer entsprechen, ihnen mystisch eingeredeten, Wertevorstellung das täten, was ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft sei. Entsinnst Du Dich, dass ich Dich die erste Zeit, wo wir als junges Paar zusammen waren, sehr oft gefragt habe ob Du an Gott glaubst. Du warst der erste Mensch in meinem Umkreis, der ohne viel zu überlegen und ohne Umschweife „Ja, ich glaube an ihn, es kann ja gar nicht anders sein. So ein Wunderwerk, wie diese Welt, kann doch kein zufälliges, plötzlich da gewesenes Irgendetwas, was wieder vergeht, sein.“ sagte. Leider konntest Du mir Deinen Glauben nie genauer begründen, da bedurfte es dann Reimund Heimann, aber trotzdem warst du der erste Mensch in meinem Umkreis, der überhaupt glaubte und mir so in meinen Zweifeln half. Ich weiß jetzt nicht, mein Herzallerliebster, ob du nachvollziehen kannst, wie das ist wenn Du von Deinem Vater nur als Objekt angesehen wirst? Für mein Vater war ich immer nur ein Mädchen, welches man wegen ihres Geschlechtes im Geschäftsleben wenig gebrauchen kann. Laut meinem Vater gehört zu einem guten Geschäft männlicher Kampfeswillen und Risikobereitschaft, maskuline Rationalität und Durchsetzungsvermögen. Nach seiner Meinung waren dieses alles Eigenschaften, die man leider Frauen, die biologisch ausschließlich emotional ausgestattet worden wären, nicht anerziehen könnte. Frauen eigneten sich nur dazu Stammhalter in die Welt zu setzen und sie groß zuziehen. So hatte es seiner Meinung nach die Natur nun mal eingerichtet. Du warst wirklich der Erste, der mich für voll genommen hat. Ich habe dich nie über männliche oder weibliche Eigenschaft reden hören. Wenn ich was sagte oder vorschlug, war das bei Dir nicht nur weibliche Emotionalität, die man abtun konnte, sondern Du griffst die Angelegenheit auf, wägtes ab und diskutiertest auch mit mir darüber. Du nahmst von mir Vorschläge und Rat ganz selbstverständlich an. Nicht nur das, sondern du fragtest mich „sogar“ auch danach. Das habe ich vor Dir noch nie erfahren dürfen. Gegen meinen Vater habe ich mich nur einmal durchgesetzt und habe es später bitter büßen müssen. Für ihn war klar, dass er mich gut verheiraten musste. Er hätte auch statt verheiraten auch verkaufen sagen können. Da habe ich ihm gesagt, dass ich den Mann nehmen würde, den ich liebte. Daraufhin sagte er mir, dass ihm kein Hergelaufener, der sich ins gemachte Bett legen wolle, ins Haus käme. Ich wurde patzig und antwortete ihm, dass ich ihn da nicht nach fragen würde. Wenn ich den Richtigen fände würde ich ihn mitbringen und mich von ihm (wörtlich) ficken lassen. Falls er dagegen was sagen würde, würde ich die mir vorliegenden Beweise, dass er meine Großeltern umgebracht habe um schneller an sein Erbe zukommen, der Staatsanwaltschaft zuspielen. Darauf passierte etwas ganz Merkwürdiges. Ich weiß nur, dass meine Großeltern gemeinsam bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind – sonst absolut nichts. Ich hatte alles nur erfunden um meinen Vater zu provozieren und mal auszutesten, ob er mich wirklich rausschmeißen würde. Aber es passierte nichts; auch nicht als ich Dich ein halbes Jahr später mit nach Hause brachte. Sollte an meiner Behauptung, ohne dass ich es wusste, etwas dran gewesen sein? Auf jeden Fall war es wohl das, was Dir, zu meinem großen Glück, die Tür im Hause Rollmann geöffnet hat. Ja, wie bin ich nun gerade auf Dich, mein Schatz, gekommen? Ganz einfach, ich konnte feststellen, dass Du der einzigste Mensch für mich warst. Jetzt halte mich bitte nicht für einen weiblichen Hagestolz, wenn ich Dir davon berichte, dass ich glaube ganz attraktiv gewesen zu sein und dass ich bei Männern was auslösen konnte. Das merkt man als Frau. Sicher ist es mir nicht entgangen, dass mir die Männer nachschauten und wohin sie schauten. Da habe ich dann auch immer ein Wenig nachgeholfen. Ich habe schon darauf geachtet, dass meine Busen schön rund im hautengen Pulli erschienen, dass die Brustwarzen sich deutlich erkennbar rausbildeten und
dass sich die Konturen meines Slippers auf dem engen Rock abbildeten. Natürlich habe ich gemerkt, dass mich die Männer mit den Augen und dem Geist Teilchen für Teilchen auszogen. Selbstverständlich habe ich auch bei den Männern an einer bestimmten Stelle auf der Hosegeschaut, ob sich da was ausbeulte. Bis dahin hast Du Dich von den Anderen nicht unterschieden. Aber während die anderen mich mit begehrlichen Blicken abgrabschten und man ihnen ihre Intention auf ausschließlichen Lustgewinn ansah, schauten Deine Augen irgendwie traurig drein. So als ob du sagen wolltest, warum so etwas nicht für Dich bestimmt sei. Während alle möglichen jungen und auch älteren Männer immer versuchten, möglichst nahe an mich heranzukommen und versuchten mit ihren Fingern „rein zufällig“ was zu ertasten, wichs du immer, wenn ich dir etwas näher kam, irgendwie ängstlich ein Stück zurück. Da wusste ich, dass ich für Dich kein Lustobjekt war, für dich war ich ein Mensch und eine Frau, die du sicher gerne gehabt hättest – aber nicht nur zum Bumsen sondern insbesondere auch um sie zu lieben. Damit hattest du gewonnen, ich war richtig heiß auf Dich. Als ich dann von Dir schwanger war ist erst einmal die reale Welt für mich untergegangen. Ich war auf Wolke 7 entschwebt und sah alles nur noch rosarot. Oh wie war diese Zeit wunderschön, was war ich glücklich. So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Was war ich stolz auf Dich und in dieser Zeit hätte sich keine Macht der Welt zwischen uns stellen können. Dann bin ich bei Ollis Geburt, als man mir wegen Krebses die Eierstöcke nahm, erst mal gewaltig abgestürzt. Aber ich fiel weich, sehr weich auf. Ich hatte Olli und Dich – und für Euch lohnte es sich zu leben. Für Euch hätte ich alles aufgegeben, Elternhaus, Geld, einfach alles. Mit Euch wäre ich ins Armenhaus gezogen und hätte immer noch geglaubt reich zu sein – viel reicher als mein Vater jemals war oder sein könnte. Aber dann starb Olli und ich knallte jetzt endgültig auf. Ich glaubte, weil ich Dir keine Kinder mehr schenken konnte – du sagtest doch immer wie gern du Kinder hättest – keine Frau mehr zu sein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich Dich nun unglücklich machen würde. Die ganze rosarote Farbe, in die sich die Welt für mich zuvor gehüllt hatte, war einem tristen Grau gewichen. In mir wurde die Zwangsvorstellung groß, ich müsse Dich für eine Frau, die Dir mindestens ein Kind schenkt, freigeben. Bis zu dem Zeitpunkt, wo unsere Scheidung rechtskräftig war, erlebte ich in mir eine ungeheuere Zwiespältigkeit: Ich liebte Dich unverändert über alles aber ich musste Dich loswerden, damit du glücklich wurdest. Da bekam ich dann auch ein Ohr für die Wünsche meines Vaters, der mich gerne zusammen mit seinem Kreisboten in die NLZ einbringen wollte. In meinen Vorstellungen war gewachsen, dass, wenn ich Dich schon nicht mehr glücklich machen könne, dann wollte ich jedenfalls noch zu irgendetwas anderem nutze sein. Um den Neuheimer Kreisboten sah es damals nicht gut aus. Das eigene Korrespondenten-Netz fraß meinem Vater tatsächlich die Haare vom Kopf und die Preise für Anzeigen waren bis zum geht nicht mehr ausgepokert. Lange hätte der Laden nicht mehr lange eigenständig gelebt. Da habe ich mich geopfert. Heute weiß ich, dass das jedoch falsch war. Durch Reimund Heimann weiß ich, dass Gott unsere Taten nicht sieht, ihm interessieren nicht unsere Werke, Ziele und Gesellschaftswerte sondern er sieht nur die Seele, das Bewusstsein, das Glück des Menschen. Und nicht das bestimmter Gruppen sondern das des einzelnen Menschen, jedes einzelnen Menschen. Gott interessiert sich weder für Juden, Araber, Deutsche, Amerikaner, Russen oder Chinesen sondern für jeden einzelnen Menschen, für Reiner, Martina, Steffi, Monika und alle anderen. Er ist der Vater aller Menschen, Schöpfer des Lebens und nicht der Gründer von Staaten und nicht der Erfinder von Gesellschaftsordnungen. Dein und mein Glück ist das, was bei ihm ausschließlich zählt. Wäre mir das damals bewusst gewesen, hätte ich Dich nie freigegeben, ich hätte nie auf Dich verzichtet, denn Du was das Geschenk, dass mir Gott zugedacht hat und seine Geschenke darf man nicht zurückweisen. Das musste ich dann im Anschluss leidvoll erfahren. In frühren Jahrhunderten beziehungsweise Jahrtausenden waren die Sklaven arme Menschen und heute sind es Millionäre. Da müssen wir gar nicht nur an die Balltreter, die in internationale Fußball-Show-Firmen eingekadert werden, denken sondern auch an die ganzen zwangsverheirateten Vermögensfusionsschlüssel und an die Erbenzeuger beziehungsweise –gebärerinnen. Ich sollte ja beides, Fusionsschlüssel und Erbengebärerin, sein. In meinem Bett sollte sich das NLZ-Teilvermögen Wolf/Schneider und das meines Vaters vereinen und gleichzeitig sollte ich für den gemeinsamen Erben der Familien Rollmann und Schneider sorgen. Das ich letzteres nicht mehr konnte, wusste ja erst nur ich und nur Dich habe ich zu meinem Mitwisser gemacht. Mein Vater und Wilfrieds Onkel konnten dann, als Du kampflos - Warum hast Du eigentlich nicht um mich gekämpft? Ich hatte es mir doch so erhofft. - aufgegeben hattest, ihre bereits ausgehandelten Verträge (Übernahme-, Verschmelzungs- und Ehevertrag) unterzeichnen und in die Tat umsetzen. Der Neuheimer Kreisbote wurde zur hiesigen Lokalausgabe der Neuen Landeszeitung und ich das Faust- und Bettpfand für meinen Vater. Aber ich war und bin kein Objekt, keine Maschine und konnte meine Gefühle nicht abstellen. Ich liebte unverändert den einzigsten Menschen, der bis dahin meine Lebensbahn gekreuzt hatte – Meine Liebe gehörte unverändert immer nur Dir. Damals kam es aus diesen Gründen sogar zu einem Eklat zwischen meinem Vater auf der einen Seite und Wilfried und mir auf der anderen. Du weißt doch noch, dass die Verschmelzung des Kreisbotens mit der NLZ der erste Saniererjob für Wilfried war. Es wurden ja bei uns mächtig Arbeitskräfte freigesetzt. Erst musste jeder
Zweite, damals noch meist aus dem journalistischen Bereich gehen und heute gibt es hier nur noch 1/6 der ehemaligen Beschäftigten vor Ort; davon keinen mehr im Bereich Technik, die Druckerei ist nur noch Geschichte. Du kannst Dir denken, dass bei solchen Angelegenheiten keine Menschen und Namen zählen; es geht nur um Stellen und Faktoren. Nur ein Mensch und ein Name spielte damals eine Rolle. Und das war im Grunde nicht einmal der eines Inhabers einer bedeutenderen Position sondern der des Lokalredakteurs Reiner Schreiber. Du fielst sogar noch die Treppe rauf, Du wurdest noch Leiter der Lokalredaktion Saßmannshausen. Ich habe damals damit gedroht, den Ehevertrag zu brechen und zu Dir zurückzugehen, wenn das nicht geschähe. Du kannst Dir vorstellen, dass sich Wilfried Schneider darüber gefreut hätte, denn er wäre laut Ehevertrag der King gewesen aber er unterstützte erst meinen Wunsch gegenüber seinem Onkel und meinem Vater. Aber für meinen Vater wäre es die absolute Katastrophe gewesen, denn seine Tochter hätte im Bett sein Vermögen dadurch gebracht – so seine Sichtweise. Schwiegervater und Schwiegersohn haben sich damals mächtig gefetzt. Aber dann bekam ich letztlich doch mein „Räppelchen“ und Du hattest danach noch 23 Jahre Deinen Saßmannshauser Job. Meine Liebe hatte gesiegt, aber den Siegeslohn konnte ich nicht davontragen; ich musste aufgrund des Eheknebelvertrages bei Wilfried ausharren. Ich habe in der ersten Zeit, als wir auseinander waren, oft – oder gar pausenlos – überlegt, wie ich aus der Rolle der „verkauften Braut“ wieder herauskommen könne und wie ich Dich wieder für mich zurück gewinnen könnte. Mir war klar, dass ich die Reihenfolge „Erst raus aus dem Ehevertrag und dann wieder Dich“ zu beachten hatte. Bei einem umgekehrten Vorgehen hätte ich beides auf einen Schlag aber mit großen Vermögensverlusten für meinen Vater erreicht. Deshalb hatte sich mein Vater für den Fall der Fälle Strategien zurecht gelegt, mit dem er einen solchen Querschuss meinerseits verhindern konnte. Damals machte ich mich an Jura-Studenten heran – ich habe auch mit zweien von ihnen geschlafen – damit mir diese, so meine Hoffnung, mal was ausarbeiteten konnten und würden, wie ich mit möglichst heiler Haut wieder aus meiner Knebelehe heraus käme. Aber da war nichts – keiner konnte mir helfen. Mein Vater und der alte Wolf hatten ja wirklich wahre Künstler advokatischer Wortakrobatik an das Schmieden der eisernen Fesseln, die sie Verträge nannten, gelassen. Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen: Finger weg von Eheverträge. Wer so etwas aushandelt plant bereits bevor die Ehe amtlich ist ein Scheitern ein. Schon aus mentaler Sicht muss so etwas schief gehen. Und in Eheverträgen wird festgelegt, wer im Falle einer von vornherein einkalkulierten Scheidung den Anderen übers Ohr hauen darf. Wer meint, er hätte solche Verträge notwendig, sollte von vornherein keine Partnerschaft eingehen – dafür ist er ohnehin untauglich. Erst als ich wusste, dass Du mit Martina zusammen warst und das Ihr heiraten wolltet, habe ich resigniert und aufgegeben. Das heißt, dass ich aufgegeben habe die Revision unseres Glückes anzustreben – Dich zu lieben habe ich nie aufgegeben, das konnte ich nicht. Meine Bemühungen hatte ich sogar auch aus Liebe eingestellt. Ich wollte, dass Du glücklich wirst; ich wollte Dein Glück nicht zerbrechen. Was habe ich mich gefreut, als Euere Steffi geboren wurde. Seit jener Zeit weiß ich, dass richtige Liebe sich immer auf das Glück des Anderen bezieht und dass man dann, wenn man weiß, das der Andere glücklich ist, ein wundersames phantastisches Gefühl in sich verspüren kann. Richtige Liebe ist ein Band von der Seele des Einen zur Seele des Anderen und kann seine Erfüllung in der gemeinsamen körperlichen Vereinigung finden. Kann, - muss aber nicht. Über 23 Jahre konnten sich unsere Körper nicht vereinen und in dieser Zeit flammte aber meine Liebe zu Dir unverändert. Die Liebe blühte also auch ohne Körperlichkeit; aber vermisst habe ich die jedoch schon. In den 23 Jahre, wo wir nichts miteinander hatten, habe ich keine erfüllte körperliche Liebe empfunden. Als ich „verkauft“ wurde hatte ich ja noch dahingehend Glück, dass Wilfried nicht unansehlich und auch sonst körperlich gut gebaut war. Wenn ich mir vorstelle, mit was für Monstergestalten oder mit welchen Karikaturen der Männlichkeit ich hätte verkuppelt werden können, muss ich wirklich von Glück sprechen. Aber Wilfried war im Bett ein Mitglied einer schnellen Eingreiftruppe: Ausziehen, Hinlegen, Beine breit und rein. Nach dem Spritzen hieß es sich auf die Seite legen, Licht aus und dann Gute Nacht. Selbst bin ich bei ihm nie zum Orgasmus gekommen. Im Gegenteil, immer wenn er ihn bei mir einführte empfand ich Schmerz. Das war aber nicht nur bei ihm so. Ich habe Dir doch von den Seitensprüngen, die Wilfried und ich im gegenseitigen Einvernehmen unternommen haben, erzählt. Liebe war nirgendwo im Spiel und beim Sex empfand ich immer das Gleiche wie bei Wilfried auch. Mit den Seitensprüngen habe ich mir nur selbst etwas vorgemacht – ob mit Wilfried oder mit anderen Männern kam auf das Gleiche heraus. Nur bei Dir war alles anders. Mit Dir war es herrlich, wunderbar, himmlisch ... . Du bist so sinnlich, so zärtlich, so einfühlsam ... . Dir kommt es nicht auf das Einführen und Spritzen an, Du hast mich vollkommen beglückt. Unbeschreiblich ist das, wenn du meinen ganzen Körper zärtlich beküsst. Es geht mir durch und durch wenn ich eine Deiner zärtlichen Hände an allen möglichen Körperstellen zu spüren. Gerne mache ich das aber auch immer bei Dir. Es ist so schön Deine Haut zu fühlen und zu spüren. Wenn Du mich mit der Hand befriedigst ist es mir als hörte ich Himmelsglocken läuten. Wenn Du Deinen bei mir einführst verspüre ich auch nicht, wie bei den anderen Männern, Schmerzen. Wilfried stand auch auf „Blasen“ aber ich habe mich immer geekelt seinen Penis in den Mund zu nehmen. Anders bei Dir, Deinen Penis habe ich immer gerne im Mund gehabt. Irgendwie
ist es ein tolles Gefühl wenn ich Deine Eichel mit meiner Zunge spüren kann. Und wenn Du dabei spritzt, ist es überhaupt nicht unangenehm und ekelig. Du bist nicht nur der einzigste Mensch in meinem Leben sondern auch ein überaus wunderbarer Mann. Natürlich verspürte ich all die Jahre das Bedürfnis mit Dir körperlich zusammen zusein. Das war es dann, was uns im letzten Jahr dann tatsächlich auch wieder zusammenführte. Mit der ganzen Lokalfernsehgeschichte hatte ich erst so gut wie nichts zutun. Als ich dann davon erfuhr und wusste, dass Dich Wilfried da zum Chefredakteur auserkoren hatte, kam ich auf den Gedanken mit der Klausurtagung und dem dazugehörigen Damenprogramm, die ich dann bei Wilfried, und auch als Gesellschafterin bei der NLZ, durchsetzte. Bei der Veranstaltung ging es für mich eigentlich nur um Dich; ich musste wieder an Dich herankommen – ich brauchte und begehrte Dich. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Nimm es nicht böse, wenn ich bekenne, dass ich nie darüber nachgedacht habe ob ich Martina schaden könne. Als ich mich damals damit abfand, dass Du der Mann einer Anderen warst, ging es mir um Dich, es ging mir um Dein Glück – Martina hat dabei für mich, auch wenn es nicht richtig ist, keine Rolle gespielt. Ich weiß, dass ich Martina, als ich mich wieder an Dich heranmachte, sehr weh getan habe aber seltsamer Weise habe ich es nicht bereut – selbst bis jetzt nicht. Ich hoffe, dass ihr Beide mir verzeihen könnt – aber ich konnte wirklich nicht anders, meine Seele drohte zu verdorren. Ich weiß nicht woher meine Gewissheit kommt, dass Du und Martina wieder zusammen kommt und das ihr danach erst richtig glücklich seid, aber ich bin mir dieser Sache gewiss. Komischer Weise hatte ich diese Gewissheit schon bevor ich wusste das ich schon so bald sterben müsse. Es ist fast unglaublich, dass ich ab dem Zeitpunkt, wo ich von meinem nahenden Ende erfuhr, wusste, dass Du mich bis zu meiner letzten Stunde nicht mehr verlassen würdest. Mein letztes Testament habe ich übrigens einen Tag, nach dem ich wusste dass ich sterben müsse, bei Dr. Wimmer abgefasst und hinterlegt. Daran kannst Du sehen wie sicher ich mir war und bin. Nun ist es soweit mein herzallerliebster Reiner, die Stunde des endgültigen Abschieds ist gekommen. Was ich hier schreibe werden die letzten Worten, die Du von mir zu hören beziehungsweise zu lesen bekommst. Alles was ich Dir in Zukunft zu sagen habe wirst Du nur in Deinem Herzen und in Deiner Seele spüren können. Da ist es Zeit Danke zusagen. Ich möchte Dir für alles Danken was Du mir gegeben hast. Ohne Dich wäre mein Leben eine öde Wüste ohne Hoffnung und Liebe gewesen. Obwohl ich die meiste Zeit im Dunkeln lebte wurde mein Leben durch Dich zu einem strahlenden Stern. Dadurch, dass Du für mich der einzigste Mensch warst, hast Du mir auch das Gefühl gegeben selbst ein Mensch zu sein. Dafür mein allerherzlichster Dank an Dich. Mir ist es auch ein Bedürfnis, Gott, meinem Schöpfer, dafür zu danken, dass ich leben durfte und er mir die Zeit mit Dir schenkte. Durch Dich wurde meine Seele, mein Bewusstsein, mit Liebe, Glück und Geborgenheit gefüllt und so wurde sie fit für die Ewigkeit. Durch Dich ist für mich alles Irdische so nebensächlich, so unbedeutend wie es in Wirklichkeit auch tatsächlich ist. Ich glaube, dass uns Gott deshalb für einander bestimmt hat – er will das wir mit ihm bis in alle Ewigkeit leben und nicht mit dem Irdischen, mit der Materie, vergehen. Dafür kann ich nur sagen: Danke, Danke und noch mal Danke. Abschied heißt aber auch einen Blick in die Zukunft werfen. Im Gegensatz zu Euch steht meine Zukunft jetzt endgültig fest. Ich darf jetzt schon sehr bald eingehen in das Reich des Vaters von uns allen. Im Anblick auf die Ewigkeit ist es nur ein kurzer Moment bis wir dort wieder vereint sein werden und dann bis in alle Ewigkeit glücklich sein können. Dir steht aber noch im Anblick eines Menschenlebens ein längerer Weg hier auf Erden bevor. Ich schrieb ja bereits, dass ich mir gewiss bin, dass Du diesen Weg gemeinsam mit Martina gehen wirst. Beide habt Ihr gelitten und gelernt, dass macht Euch reif für das Glück. Warte mal ab, wenn Ihr euch erst wieder richtig zusammengerauft habt, werdet Ihr Euch lieben wie nie zuvor. Mit dem, was ich Dir hinterlasse dürftet Ihr bis zu dem Tag, wo auch Ihr den Weg, den ich Euch vorangegangen bin, antretet, ausgesorgt haben. Nutzt es für Euch, nutzt es für Euere Seele. Ihr seid keinem Menschen, keiner Institution, keinem Staat, keiner Macht der Welt, verpflichtet – nur Euerer Seele. Die hat Euch Gott geschenkt und die möchte er unversehrt und vervollkommnet in seinem Reich wiedersehen. Die Seele ist Gottes Ebenbild und für die habt ihr alles zutun. Deshalb, mein liebster Reiner, lasst Euch auf nichts ein, lasst Euch vor keine Karre spannen sondern lebt, lebt, lebt, ... . Ich weiß, das wirst Du nicht von Heute auf Morgen können aber ich weiß auch, dass Du es letztendlich doch schaffen wirst. Jetzt wirst Du als erstes erst einmal Deine Lokalfernsehgeschichte bewältigen wollen. Da kommt so oder so nichts bei heraus. Die Kapitaleigner der NLZ wollen keine Meinung verbreiten, schon gar nicht vielfältige, demokratisch differenzierende Meinungen. Nach deren Ansicht brauch der Mensch, der funktionieren und konsumieren soll, keine Meinung. Dann wird er auch nicht aufsässig und macht ihnen auch das nicht streitig, was die wollen: Geld, mehr Geld und noch mehr Geld. Deren Gott, ist nicht der allmächtige Schöpfer sondern der Mammon – und deshalb werden sie auch mit ihrem Gott untergehen. Also aus meinen Worten ließt Du meine Überzeugung, dass aus „unserem“ Fernsehen nichts wird. Ich habe da jetzt nur mitgedacht, weil ich Dir nicht sagen konnte, was Du jetzt seit dem Briefanfang weiß. Mir kam es darauf an, dass Du von Deiner Zukunft überzeugt sein solltest. Aber mein lieber Schatz, Du hast auch ohne Lokalfernsehen eine Zukunft. Ich weiß, dass Du nicht von Jetzt auf Gleich aussteigst – Das solltest Du auch nicht. Aber gehe keine Risiken ein und
gehe alles mit Ruhe und Gelassenheit an. Gerade Letzteres sind ja Tugenden, bei denen Du nicht gerade die meiste Übung hast. Aber Du schaffst es, das weiß ich, dessen bin ich mir bewusst. Jetzt komme ich zum endgültigen Schluss. Sei nicht traurig, denn mir geht es jetzt besser wie jemals im Leben. Ich bin jetzt wieder Daheim. Ich bin geborgen und empfinde nur noch Glück und Liebe. Grüße doch bitte auch noch mal Reimund Heimann von mir, der mir die Botschaft Gottes, die mir zur Gewissheit verhalf, überbrachte. Sage ihm auch vielen Dank. Grüße auch Martina und Steffi von mir. Bestelle auch ihnen mein Dank und bitte bei den Beiden für mich um Entschuldigung. Jetzt Tschüss, Reiner, Du einzigster Mensch in meinem Leben – Tschüss, bis zu dem Moment wo unsere Seelen bei Gott vereint sein werden Deine Dich auch in der Ewigkeit liebende
Monika Dieses ist also der Abschiedsbrief, den ich nach dem Ableben meiner ersten, doch von mir sehr geliebten Frau erhielt und lesen konnte. Sie hatte diesen mit der Hand auf sehr teuerem weißen Wasserzeichenpapier sehr fein in Druckbuchstaben geschrieben. Nur die Unterschrift war in Laufschrift; ihr Signet. Sie hatte die DIN-A-4Bögen einmal in der Mitte gefalzt und in einen weißen DIN-B-5-Umschlag, aus dem gleichen Papier wie die Bögen, gesteckt. Dieses Andenken an Monika werde ich bis zu meinem Lebensende in Ehren halten und wie ein wertvolles Gut aufbewahren. Als ich diesen Brief an Monikas Todestag erstmals gelesen hatte ging es mir doch irgendwie wohler. Ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll. Ich könnte das, was ich empfand, mit „eine Art harmonischer Trauer“ umschreiben. In dieses Gefühl mischte sich eine Menge Dankbarkeit. Ich war dankbar dafür, dass es mir vergönnt war, Monika als die Meinige gehabt zu haben. Über mein „Glück“ jetzt Millionär zu sein, habe ich an diesem Tag überhaupt nicht nachgedacht. Einzig das Gefühl in der Villa zuhause zu sein, mischte sich in meine Trauer. Wenn ich nicht an Monika dachte, drehten sich meine Gedanken um Gott und den Glauben. Ich war überzeugt, dass Monika recht gehabt hatte und wunderte mich selber darüber, was ich in der letzten Zeit an Glaubenskraft dazu gewonnen hatte. Auch ich war jetzt davon überzeugt, dass sich meine Seele zum, von Gott vorgegebenen Zeitpunkt, wieder mit der von Monika vereinen würde. Jetzt wollte ich mir die Trauer um meine Monika nicht nehmen lassen. Aber danach, so mein Vorsatz an jenem Tag, wollte ich dann mit Martina wieder ins Reine kommen und mit ihr glücklich sein. Na ja, wenn das alles so glatt über die Bühne gegangen wäre, würde jetzt das Kapitel zum Happy End folgen. Aber es folgt nicht nur eines mehr, sondern noch ein paar. Daraus kann man sehen, dass der werten Leserschaft doch noch von einigen Turbulenzen zu berichten ist. Also, blättern wir um.
Zum Kapitel 23
Zum Inhaltsverzeichnis
Komm zurück nach Hexenberg Manch einer Leserin, manchen Leser, wird am vorangegangenen Kapitel etwas unschlüssig vorgekommen sein: Woher wusste Dr. Wimmer, Monikas Anwalt und Notar, vom Ableben seiner Klientin und wer kümmerte sich um die mannigfaltigen Formalitäten, die nach dem Tode eines Familienangehörigen standardmäßig auf die Leute zukommen? Das ist jetzt aber leicht beantwortet. Ich habe ja bereits davon berichtet, dass Monika, da sie ja von ihrem kurz bevorstehenden Tod wusste, alles was man vorsorglich schon machen kann, erledigt hatte. Mir, in meiner Eigenschaft als ihren Vermögensverwalter hatte sie aufgetragen, einmal Dr. Wimmer und zum Anderen das von ihr beauftragte Beerdigungsinstitut zu informieren. Das habe ich natürlich, ohne zu wissen welche Konsequenz das für mich hatte, auch getan. Alles andere, so hatte sie mir gesagt, würde fast automatisch so laufen wie sie es wünsche. Nun, von Dr. Wimmers Besuch habe ich im vorhergehenden Kapitel berichtet und dass der Chef des Beerdigungsinstitut am frühen Nachmittag bei mir vorsprach hole ich an dieser Stelle nach. Aber ich kann es kurz machen: Es ging bei dieser Vorsprache nur um letztendliche Festlegung der Dinge, die man, wenn man den konkreten Termin des Todes noch nicht kennt, einfach noch nicht voraus bestimmen kann. Man kann ja schlecht eine Trauerhalle zu einem bestimmten Zeitpunkt anmieten und dazu einen Pastor beauftragen, wenn der Mensch noch eine unbestimmte Zeit lebt. Eine Sache hatte Monika jedoch überhaupt nicht festgelegt und die musste ich jetzt entscheiden: Es ging darum, ob Traueranzeigen und mit welchen Text erscheinen sollten. Das einzelne Trauerbriefe versand wurden, wollte Monika jedoch ausdrücklich nicht. So war der Kreis der Personen, die am Todestag von ihrem Ableben wussten, natürlich auf wenige begrenzt. Nur Reimund Heimann, der ja so eine Art Seelsorger für Monika war, wurde von mir informiert. Ich hätte eigentlich noch jemanden, den ich aber schlicht und einfach in der Situation vergessen habe, informieren müssen: Marc Kampmann. Da Marc, wie auch ich, nicht zu den Leuten gehört, die Familienanzeigen in den Publikationen, wie zum Beispiel dem Neuheimer Kreisboten, größere Aufmerksamkeit schenken, stand er ahnungslos, wie schon 14 Tage vorher vereinbart, am nächsten Morgen pünktlich um Zehn vor der Tür der Villa. Wir trafen uns in letzter Zeit immer im 2-wöchigen Abstand, um die „Neuigkeiten“ rund um das Lokalfernsehen zu „beplaudern“. Wir trafen uns immer des Vormittags, da ich den Nachmittag in jener Zeit stets zu Besuchen bei Monika genutzt hatte und da ja in diesem „geschäftlichem“ Bereich nichts Wichtiges vorlag, wollte ich auch Marcs Abendzeit nicht mit solchen Angelegenheiten belagern. So erschien also, wie bereits geschrieben, Marc am Morgen des 15. Februars 2000 vor der Tür der Villa. Er kam locker, wie üblich, herein und begrüßte mich mit Handschlag. Bei der Gelegenheit erkundigte er sich stets, also auch an diesem Morgen, nach Monikas Befinden. Als ich ihm dann die traurige Nachricht von ihrem Versterben am Vortag kundtat, „haute“ es auch ihn buchstäblich um. Er sackte förmlich in den Sessel, in dem er gewöhnlich immer Platz nahm. Sein Gesicht war kreidebleich und seine Augen feuchteten sich. Auch ihm hatte Monika eine ganze Menge bedeutet; schließlich war es, wie wir ja wissen, sein Weihnachtsengel aus dem Jahre 1998 und ein Bisschen verliebt war er ja auch in sie. Da kam natürlich erst kein richtiges Gespräch auf; bis er dann sinnierte ob Monikas Erben wohl in der gleichen Art wie sie in unserer Sache „mitspielten“. Darauf konnte ich ihn dann doch mit einer für ihn überraschenden Redensart übertölpeln: „Jetzt bin ich schon etwas skeptischer geworden aber ich gedenke am derzeitigen Status von mir aus nichts zu ändern. Dein Schwager müsste jetzt nur mal überprüfen ob das, was für Monika als Rechtsnachfolgerin des letzten Kreisboten-Gesellschafter galt, auch in gleicher Weise auf mich übergeht; also ob ich auch in diesem Sinne ihr Rechtsnachfolger bin.“. Marc schaute mich wie ein Auto, wie es im Volksmund so schön heißt, an. „Na ja,“, fuhr ich daraufhin fort, „Monika hat mich ohne mein Wissen zu ihrem Alleinerben bestimmt. ... Aber häng es bitte nicht gleich an die große Glocke. Mit deinem Schwager sollst du, wie ich eben sagte, darüber sprechen, aber sonst behalte es doch bitte für dich.“. Daraus ergab sich dann ein grundsätzliches Gespräch, wie es mit unserem Lokalfernsehen weitergehen könnte und sollte. Ich berichtete ihm von der Passage, die sich auf das Lokalfernsehen bezieht, aus Monikas Brief. Marc gab Monika dahingehend recht, dass er auch glaube, dass es dem Medienkonzern auch diesmal wieder gelingen würde, die Macht an sich zu reißen und danach in ihren Händen zu halten, womit dieser dann möglicher Weise wieder alles verhindere. Momentan habe er, wenn er auf Versammlungen einer der beiden Lokalfernsehvereine sei, den Eindruck, dass man seitens der NLZ den Leuten die Meinung einreden wollte, dass sie selbst ja alles gar nicht wollten. Nur Ökdal und Flügge würden derzeitig noch den Eindruck erwecken, das Ziel noch richtig im Auge zu haben. Er bezweifelte aber, dass es bei den Beiden wirkliches demokratisches Interesse sei. Er habe ja keine andere Wahl als jetzt mitzuschwimmen, also bei seiner Aufgabe zu bleiben, aber was Monikas Empfehlung an mich anbelangte, erachtete er diese als höchstwahrscheinlich und leider richtig. Wenn er an meiner Stelle wäre würde er sich, wie zuvor Monika auch, bedeckt im Hintergrund halten. Na ja, am Nachmittag nach diesem Gespräch schrieb ich dann meine endgültige Stellenabsage an die Neue Landeszeitung. Sollte ich mich nun wundern oder sollte ich es als Zeichen der wahren Absicht der NLZ sehen: Meine Absage wurde mir ohne weiteren Kommentar bestätigt und nach einer anderweitigen Besetzung der Position hat man sich in Folge auch nicht umgesehen. Alles machte im ersten Halbjahr 2000 den Eindruck als würde sich diesmal alles von
alleine totlaufen und persönlich sah ich auch keine Möglichkeit dem Sterben einer Idee etwas entgegen zu setzen, denn als einsamer Rufer in der Wüste kann man auf keine Jünger zurückgreifen. Noch während des Besuches von Marc kündigte sich ein weiterer, diesmal ein echter Kondolenzbesuch über mein Handy an. Am anderen Ende war Steffi: „Hallo Vati, bevor du auflegst sage ich dir, dass ich mich eben, so wie du es wolltest, bei Mutti entschuldigt habe. Sie hat es zwar nicht akzeptiert aber du kannst sie gerne fragen ob das wahr ist ... Diesmal stimmt es.“. „Na ja,“, sprach ich dazwischen, „diesmal glaube ich dir auch ohne Rückfrage. ... Ich kenne doch mein Tochter wohl lange genug.“. „Danke Vati,“, fuhr sie jetzt fort, „kann ich deinen Worten jetzt entnehmen, dass du mir, wenn ich dich jetzt ganz herzlich darum bitte, verzeihen wirst?“. Als ich ihr dieses bejaht hatte, sprach sie mir erst einmal ihr aufrichtiges Beileid aus und fuhr fort: „Ich möchte dich heute Abend gerne zusammen mit Christof besuchen. Wo bist du denn jetzt, bist du wieder in deiner Hexenberger Wohnung?“. „Nein, nein,“, beantwortete ich ihre Frage, „ich bin noch in der Villa. Kommt ruhig hierher.“. Wie sie mir am Abend sagte war sie über meinen Aufenthaltsort schon ein Wenig verwundert, ging während unseres Ferngespräches am Vormittag hier aber nicht weiter darauf ein sondern traf, wie sie es schon vor ihrem Anruf beabsichtigt hatte, mit mir die Verabredung für 20 Uhr des gleichen Tages. Pünktlich wie die Maurerleute, wie man hierzulande gerne sagt, stand das junge Brautpaar abends um Acht bei mir „auf der Matte“. Steffi umarmte mich kräftig und bat noch einmal ganz aufrichtig und ehrlich um Entschuldigung. Sie gestand ein, dass unser aller Nichterscheinen auf ihrem Geburtstag eine sehr herbe Enttäuschung für sie gewesen war. Sie hatte sich vorher mit viel Fantasie den Überraschungseffekt so schön ausgemalt und gleichzeitig habe sie davon geträumt, ihr Vater würde zum „Superbigamisten“, der sowohl ihrer Mutter wie Monika gerecht würde. Da habe sie einfach durchgedreht. Sie habe aber inzwischen eingesehen, dass sie, weil wir ja nichts von der Verlobung wussten, mit so etwas hätte rechnen müssen und insbesondere ich habe ja einen wirklich triftigen Grund zum Nichterscheinen gehabt. An dieser Stelle schlug ich ihr dann vor, jetzt einen ganz dicken Strich unter die Angelegenheit zu machen und alles zu vergessen. Ich setzte noch nach, dass sie und Christof mir ihre Wünsche hinsichtlich ihres Verlobungsgeschenkes offerieren sollten. „Das können wir uns ja in Ruhe überlegen und ich sage es dir, wenn ich dir beim Umzug helfe.“, erwiderte Steffi darauf, „Ich habe dir ja schließlich hier beim Einzug geholfen, dann muss das ja auch wohl bei deinem Auszug machen.“. Sie glaubte mir mit scherzhaften Worten etwas angeboten zu haben und lachte deshalb auch freundlich nachdem sie ihre Worte beendet hatte. Jetzt musste ich den Spieß doch mal herumdrehen: „Warum willst du mich denn unbedingt hier heraus haben? Im Moment fühle ich mich hier eigentlich ganz wohl ... Es ist zwar alles nur ein Bisschen groß für meines Vaters Sohn, so dass ich doch wohl irgendwann verkaufen werde. Aber das hat doch noch ein Weilchen Zeit; das muss ich ja nicht gleich überstürzen.“. Darauf schaute mich meine Tochter an als sei ich nun völlig „durchgeknallt“. „Wieso du und verkaufen? ... Dies’ Haus gehört dir doch gar nicht.“, kam jetzt mehr staunend als feststellend aus ihr heraus. Jetzt klärte ich sie erst einmal darüber auf, dass das doch der Fall sei und das ich überhaupt alles von meiner ersten Frau geerbt habe. Aber auch den Beiden nahm ich bei dieser Gelegenheit das Versprechen der Vertraulichkeit ab. Das war dann die Überleitung auf das hauptsächliche Thema, weshalb sie ja im Grunde eigentlich gekommen waren: Monika. Nicht nur Steffi, sondern auch Christof, bekundeten mir, dass sie Monika sehr mochten und sie in ihr Herz geschlossen hätten. Sie erzählten mir, dass sie, als sie an diesem Morgen die Todesanzeige im Kreisboten gelesen hätten, gemeinsam erst einmal geweint hatten. Christof meinte: „Das ausgerechnet eine so liebe und hübsche Frau so früh sterben muss.“. Steffi schaute ihn jetzt etwas von der Seite an: „Du meintest wohl junge Frau ... Du hast hübsch gesagt.“. „Nee,“, verteidigte sich Christof, „ich habe schon hübsch gemeint. Monika hätte vom Alter her durchaus meine Mutter sein können, aber trotzdem war ich in sie ein Bisschen verknallt. Sie gefiel mir ganz ehrlich als sexy Frau“. Irgendwie machte mich das doch ein Bisschen Stolz, der Mann einer solchen Frau, die auch noch auf junge Burschen begehrenswert wirkte, gewesen zu sein. Gleichzeitig spürte ich dabei aber wieder diesen Verlustschmerz in meiner Brust. Steffi berichtete mir, dass sie gegenüber Monika eigentlich immer zwiespältige Gefühle gehabt habe. Auf der einen Seite habe sie sie wie eine zweite Mutter empfunden und auf der anderen sei sie auf sie eifersüchtig gewesen, weil sie das Verhältnis zwischen mir und ihr so empfunden habe, als habe Monika ihr den Vater genommen. Wie sie an Christofs vorhergehender Bemerkung festgestellt habe, hätte sie ja noch, wenn sie es gewusst hätte, einen weiteren Grund zur Eifersucht gehabt. Dann habe sie immer das Gefühl gehabt, dass Monika irgendwie ein Glücksfall für uns gewesen sei und auf der anderen Seite habe sie sie doch für die Hauptverantwortliche für alles Übel, was uns in den letzten beiden Jahren getroffen hat, gehalten. Steffi rühmte jedoch Monika als sehr klug und verständnisvoll, mit der man praktisch über alles sprechen konnte was einem bewegte und von der man immer einen guten Rat erwarten konnte. Dagegen habe sie doch auf der anderen Seite hilflos gewirkt, so als ob sie ohne mich nicht hätte auskommen können. Steffi meinte noch: „Ja, auch wenn ich es nicht wahr haben wollte, aber ihr Zwei scheint mir doch das ideale Paar gewesen zu sein.“. Ich weiß nicht, aber es scheint mir so, als habe Steffi in der Beschreibung der Atmosphäre, die von Monika auf uns überging,
kein Unrecht gehabt. Unsere Tochter hatte uns doch, obwohl sie selbst sehr viel emotional immer wieder Hin und Her gerissen wurde als aufmerksame Beobachterin begleitet. Christof kam dann abschließend auf das Thema „Trauerfeier und Beerdigung“ zu sprechen. Er fragte vorsichtig nach ob ich böse sei, wenn die beiden jungen Leute nicht daran teilnehmen würden. „Nein, warum sollte ich?“, beantwortete ich seine Frage, „Ich bin überhaupt niemanden böse der nicht erscheint. Für mich persönlich war es übrigens bisher nur ein Mal, bei meiner Mutter ... und jetzt bei Monika ist es also das zweite Mal – ein ehrliches Bedürfnis an so etwas teilzunehmen. In beiden Fällen war beziehungsweise ist es so eine Art Egoismus. Für mich ist es ein endgültiges Abschied nehmen, ein Loslassen und danach muss ich mich wieder dem Leben zu wenden und auf meinem Weg weitergehen. Man kann nicht mit den Toten weiterleben, dann schädigt man sich selbst und die einen umgebenden Mitmenschen. In unseren Herzen und Gedanken dürfen Verstorbene einen ehrenden Platz für immer behalten, aber mehr nicht. Ansonsten muss ein Schlussstrich gezogen werden und man muss sich dem Leben und den Lebenden zu wenden. Das ist für mich, in diesem Fall der nächste ‚Angehörige’ ... wie man vielleicht sagen kann, der tiefere Grund einer Trauerfeier. Aber alles das trifft doch nicht auf euch und für euch zu. Ich sehe das so, dass es für euch nur so eine Art traditionelle Pflichtübung wäre, die in erster Line der aufmerksamen Beobachtung der tratschenden Bevölkerung Rechnung tragen soll. So etwas habt ihr aber beim besten Willen nicht nötig. Ganz im Gegenteil: Bei der Besonderheit unserer familiären Verhältnisse tragt ihr, wenn ihr nicht kommt, sogar dazu bei, dass Monikas Gedenken nicht durch entehrenden Klatsch geschändet wird. Es reicht ja schon, wenn sich die Leute dann über mich, mein Verhältnis zu Monika und mein Verhalten bei der Trauerfeier ihre ungewaschenen Münder verreißen. ... Aber ich sagte bereits, dass es für mich ein Bedürfnis ist. Ich muss dann aber loslassen, auch für mich geht das Leben dann weiter“. Steffi schaute mich nachdenklich an und fragte: „Wenn das, der einzigste Grund für eine Trauerfeier ist, dann brauchten im Grunde doch nur die nächste Familienangehörigen an Trauerfeiern teilnehmen – oder wie siehst du das?“. „Oh nein,“, begann ich meine Antwort, „der Tod eines Menschen ist für die Angehörigen oft ein sehr schwerer Schlag. Sie fühlen sich auf einmal allein gelassen und verlassen. Durch eine Teilnahme an der Trauerfeier zeigt man diesen Menschen, dass sie nicht allein sind und verlassen dastehen. Man zeigt den Hinterbliebenen, dass man zu ihnen und bei ihnen steht. Jetzt, in meinem Fall, zählt das ja eigentlich nicht. Ich hatte ja die Möglichkeit, da ich ja seit einem halben Jahr weiß, das Monika so früh, viel zu früh, sterben würde, mich auf diesen Moment vorzubereiten. Wenn Monika plötzlich gestorben wäre sähe das mit Sicherheit ganz anders aus.“. Meine Aussage hatte Christof doch ein Wenig nachdenklich gemacht und er fragte: „So wie du das jetzt sagst, hört sich das so an, als gelte eine Trauerfeier den Lebenden und nicht den Verstorbenen.“. „So sehe ich es auch.“, beantwortete ich ihm aus meiner Überzeugung seine Frage, „Ich bin eigentlich dagegen das Ganze zu mystifizieren und so zutun als hätte die Verstorbene etwas davon. Die ist aber vom irdischen Leben ins eigentliche Leben übergewechselt und im Reich Gottes zählt nichts Irdisches mehr. Alle irdischen Dinge sind für Gott und die, die bei ihm sind, nicht mal vom Wert eines einzelnen Staubkornes. Unsere Mitmenschen müssen wir zu Lebzeiten ehren, denn im Tode haben sie nichts mehr davon. Was soll es, wenn man Toten riesige, teuere Blumensträuße aufs Grab legt, wenn man für diese zu Lebzeiten nicht mal eine Feldblume oder nur ein nettes Wort über hatte.“. So, wie ich es jetzt geschildert habe, sah es zuvor Monika auch selbst. Daher auch ihr Wunsch, dass keine gesonderten Trauerbriefe versand werden sollten. In der Zeitung sollte, aber nur wenn ich es wolle, ruhig eine Traueranzeige erscheinen, aber wer dann zur Trauerfeier erscheint war ihr egal. Ihre wäre es so auch egal gewesen, wenn letztlich nur ich erschienen wäre. Anschließend wollte sie auf einem anonymen Gräberfeld beigesetzt werden. Wörtlich sagte sie mir öfters, das niemand ihr Grab für einen, in ihren Augen ungebrachten Totenkult missbrauchen solle. Auch für mich sei es besser, wenn ich kein Grab vorfinden würde. Ich hätte mich den Lebenden zuzuwenden und mich um diese zu kümmern und mich nicht zu den Toten zu flüchten. Für sie war es eine schreckliche Vorstellung, als Tote zwischen den Lebenden zu stehen. Hätten wir in Neuheim ein Krematorium gehabt, wäre sie gerne vor der Beisetzung eingeäschert worden. Nach ihrer Auffassung bilden Körper und Seele zu irdischen Lebzeiten eines Menschen eine untrennbare Einheit. Beim Tode würde, so ihr Glauben, die Seele den Körper verlassen und mit dem vereint, nach dessen Ebenbild sie geschaffen worden sei. Der Körper bliebe zurück und würde bis letztlich ins Nichts verfallen. Eines Tages, so ihr Glauben, würde wieder alles körperliche zu dem werden, aus dem es bei der Schöpfung entstanden sei – zu Energie, zum Chaos. Die Schöpfung habe den Sinn gehabt das Leben, was nach ihrer Auffassung gleichbedeutend mit dem Bewusstsein ist, zu mehren. Um das Bewusstsein auszubilden bedürfe es der Versuchungen, Leiden und Schmerzen, die man nur körperlich empfinden kann. Dann, wenn wir ins wirkliche Leben eintreten, brauchen wir den Körper nicht mehr, dann müssen wir so weit sein, dass uns nur noch Freude, Glück, Liebe und Geborgenheit bewusst ist. Auf diese Worte bezogen sich auch am darauffolgenden Donnerstag die Worte des Pfarrers, der die Trauerfeier hielt. Er kannte ihre Auffassung von seinen Besuchen im Krankenhaus und bezeichnete sie als Ausdruck ihres sehr starken Glaubens, zu dem sie durch das Band einer großen Liebe gefunden habe. Mir kam es so vor, als
wäre die Predigt des Pfarrers nur für mich bestimmt sei obwohl die Trauerhalle fast überfüllt war. Na ja, das werden die NLZ-Leute, insbesondere die vom Kreisboten, sowie die Lokalfernsehen-Interessenten, die die näheren Umstände kannten, gewesen sein. Dazu dürften die Offiziellen der Stadt Neuheim gekommen sein, denn die Familie Rollmann, dessen letzter Spross Monika war, gehörte ja zu den lokalen Größen. Neben Neugierigen dürften auch einige, die Monika gerne mochten, ebenfalls dabei gewesen sein. Ich habe mir das Kondolenzbuch später nie angesehen und während der Trauerfeier war ich in meine Gedanken introvertiert und habe kein Auge für die anderen Trauergäste gehabt. Meine Gedanken kreisten seltsamer Weise fast ausschließlich um viele schöne glückliche Momente, die ich mit Monika verbringen konnte, und irgendwo wuchs in mir ein Gefühl der Dankbarkeit. Ich war dankbar dafür, Monika gehabt zu haben. Mit diesen Gedanken folgte ich auch dem Sarg auf das Gräberfeld. Nachdem der Sarg dann abgesenkt war und der Pfarrer die offizielle Zeremonie beendet hatte, faltete ich noch einmal die Hände, schloss die Augen, senkte den Kopf und sprach noch mal ein kurzes stilles Gebet für Monika. Als ich meine Hände wieder auseinander nahm und die Arme hängen ließ fühlte ich wie eine Frauenhand meine rechte Hand ergriff um sie festzuhalten. Ich schaute nach rechts und blickte in Martinas gefühlvoll wirkendes Gesicht. In dem Moment, als unsere Augen aufeinander gerichtet waren, sagte sie leise: „Komm zurück nach Hexenberg“. Jetzt machte ich etwas, was mir später von einigen Seiten als geschmacklos und unerhört vorgeworfen wurde. Ich nahm die Kondolenzparade nicht ab sondern ich ging, Martinas Hand weiter haltend, in Richtung Friedhofsausgang davon. So ging ich mit meiner Frau wortlos bis zum Parkplatz, auf denen unsere Wagen geparkt standen. Erst jetzt sagte ich etwas: „Ein Beerdigungs-Kaffeetrinken ist eigentlich nicht vorgesehen aber dich möchte ich dazu ganz gerne einladen. Ich bringe jetzt mein Wagen nach Hause und du fährst schon mal auf einen Innenstadtparkplatz. Dann treffen wir uns in zirka einer halben Stunde vor dem Café Krönchen. Kommst du?“. Sie nickte nur begeistert und dann gingen wir zu unseren Wagen und fuhren davon. Als ich bereits nach 20 Minuten beim Café „auftauchte“ stand auch Martina bereits, wie zu einem Rendezvous bestellt, dort am verabredeten Ort. Glücklich lächelnd kam sie auf mich zu und irgendwie verleitete uns diese Situation dazu uns kurz zu küssen. Das brachte mich dann dazu zu sagen: „Ach Martina, ich möchte mit dir noch einmal ganz von Vorne, wie ein frisch verliebtes Paar, anfangen.“. Während wir hineingingen fragte sie darauf: „Warum nicht? Warum sollten wir nicht unter allem Gewesenen einen dicken Strich ziehen und einfach wieder neu anfangen.“. Bevor wir uns aber über dieses, was wir da angeschnitten hatten, unterhielten, berichte mir Martina erst einmal von der letzten Zeit, wie sie diese erlebt hatte. Sie berichtete mir dabei auch wie sie und Reimund Heimann ihr „Abenteuer“ beendeten. Ich habe ja bereits in Reimunds Version davon berichtet. Der Unterschied der beiden Versionen lag lediglich in den, für die jeweilige Person typischen Worten; inhaltlich waren sie völlig identisch. Aber jetzt erfuhr ich von Martina, dass Reimund ihr von Monika, ihren Empfindungen, Beweggründen und auch von ihrer Krankheit berichtet hatte. Martina merkte darauf an: „Ich habe durch Reimunds Erzählungen Monika richtig verstehen gelernt. Im Gegensatz zu meiner ursprünglichen Meinung war sie doch eine liebe und nette Frau. Mir erschien sie früher immer wie eine behütete, eigenwillige Prinzessin. Heute weiß ich, dass auch sie ein armes Mädchen und eine arme Frau war, die deiner Liebe bedurfte und sie auch verdiente. Reimund sagte mir mal, dass Gott für dich zwei Frauen bestimmt habe und sein Ziel sei es, dass wir dadurch auch alle gerettet würden. Monika und du seid euch letztlich tatsächlich treu bis in den Tod geblieben. Kannst du dir das auch bei uns beiden vorstellen?“. „Sicher doch,“, erwiderte ich ihr, „Monika war sogar, wie sie mir in letzter Zeit oft gesagt hat, überzeugt davon, dass wir das würden.“. „Dann komm doch zurück nach Hexenberg“, sagte sie mir jetzt in einem netten, bittenden Ton. Worauf ich ihr jetzt etwas zum Denken gab: „Du kannst auch bei mir in Neuheim bleiben. Ich habe in meiner Villa viel mehr Platz als du in deinem Haus in Hexenberg.“. Auf ihre erstaunte Rückfrage berichtet ich auch ihr, dass ich Monikas Alleinerbe sei. Sie reagierte aber anders als ich vorher dachte. Sie stellte fest, dass sie noch nie in der Villa gewesen sei und sie es ganz spannend finden würde, wenn ich sie dorthin einladen würde. Sie schloss – und das setzte mich am Meisten ins Erstauen - mit den Worten: „Ich habe früher mal gedacht, dass ich da nie reingehen könnte weil ich da immer den Geist der anderen Frau spüren würde. Jetzt ist mir so, als würde es mir selbst dann nichts ausmachen, wenn du mich in das Bett legen würdest, in dem ihr es miteinander hattet. ... Und ich kann dir noch nicht einmal sagen, warum ich das jetzt so empfinde.“. Darauf erwiderte ich, etwas nachdenklich über mein Schicksal: „Weißt du Martina, dass ich eigentlich noch nie im Leben eine Frau verführt habe. Immer ist es von euch ausgegangen, Sowohl Monika wie du haben mir beim ersten Mal den Vorschlag dazu gemacht. Als ich mit Monika wieder zusammenkam, war sie es wieder, die mich dazu einlud. Und jetzt habe ich wieder den Eindruck als würdest du mich durch die Blume dazu ...“. „Ach ist doch egal,“, fiel sie mir ins Wort, „ich bin jetzt ganz heiß und wenn du mich dazu jetzt auffordern würdest, würde ich dir sofort ins Bett folgen, gleichgültig ob in Hexenberg oder in der Villa. Hauptsache mit dir im Bett“. „Na, warum halten wir uns dann noch lange hier auf?“, sagte ich jetzt mit vermutlich – selbst kann man das ja schlecht beurteilen - erotisch zitternder Stimme, „Ich zahle jetzt und dann kommst du mit mir in die Villa. Auch ich habe das nicht mehr lange bekämpfbare Gefühl, ich müsste mal wieder richtig mit meiner Frau. Ich glaube, dass es so gar besser ist, wenn
wir die Villa nehmen, dann sind wir halt schneller bei der Sache“. Sie schaute mich etwas verlegen lächelnd von der Seite an und stellte fest: „Dann sind wir uns ja einig.“. Alles deutete daraufhin, dass Martina schon lange auf diesen Augenblick gewartet hatte. Mit einem glücklichen Gesichtsausdruck folgte mir Martina vom Café in die Villa. Eigentlich ist „folgte“ an dieser Stelle die ganz falsche Wortwahl, denn sie ging neben und nicht hinter mir. Ich nahm sie, wie es sonst nur bei jugendlichen Paaren üblich ist, in den Arm. „Weißt du noch wie schön es war, wo wir als frisch verliebtes Paar so wie jetzt umarmt auf den Hexenberg spazierten?“, wollte Martina von mir wissen. Ich bestätigte ihr dieses und fuhr fort: „Ach, ich möchte dieses wirklich eine Zeit lang noch einmal so wie früher erleben. Ich würde dich gerne öfters mal am Wochenende von zu Hause abholen und mir dir groß ausgehen. Mal tanzen, mal in ein Restaurant oder ins Theater. Währenddessen oder anschließend würde ich gerne mit dir beraten ob wir zu dir oder zu mir gehen. ... Alles noch einmal genauso wie früher, als wenn wir tatsächlich noch mal ganz von Vorne anfingen. Als wenn wir uns gerade erst kennen gelernt hätten, als wären wir nicht schon lange Mann und Frau, als hätten wir unsere Tochter noch nicht.“. „Warum träumst du nur davon, warum tun wir es nicht einfach?“, fragte Martina darauf glücklich lächelnd zurück, „Wie heißt es doch so schön: Man soll nicht vom Leben träumen sondern ganz einfach Träume leben.“. Noch bevor wir in der Villa eingetroffen waren hatten wir dieses, also noch einmal verliebt und verlobt „spielen“, dann auch so vereinbart und zu dem Zweck beschlossen wir, dass ich erst einmal in der Villa und Martina in Hexenberg wohnen bleiben sollte. In „meiner“ Villa angekommen hatte ich noch in einer ganz anderen Hinsicht das Gefühl als begänne alles von Neuem. Ich war richtig neugierig auf Martina; so als hätte ich sie noch niemals nackt gesehen. Ich führte sie gleich wie ein heiß angelaufener Jüngling ins Schlafzimmer und begann sie ganz aufgeregt zu entkleiden. Sie kam zwischendurch nur dazu den Gürtel meiner Hose zu öffnen, denn in dem Moment, als ich ihr als letztes Teil ihren Slipper heruntergezogen hatte, entkleidete ich mich dann, weil ich es so eilig hatte, selbst blitzartig. Ich war tatsächlich so heiß auf sie, dass es zunächst einmal zu einen „Schnellschuss“ kam. Danach blieben wir so nackt wie wir waren auf dem Bett liegen und schmusten miteinander – so wie ich es, und auch „meine Frauen“, so sehr liebten. Es war herrlich, gerade so als sei die Welt um uns herum untergegangen und nur noch wir beide auf einer einsamen Insel des Glückes. Wie lange schon hatten Martina und ich so etwas vermissen müssen. Martina wünschte dann: „Ach Reiner, wir sollten uns dieses jetzt nicht mehr nehmen lassen. Wir hatten unser Glück verloren und haben es jetzt wiedergefunden ... Ich wünsche mir, das wir es nie mehr verlieren. Komm lass uns zusammenreißen und es bis zu unserer letzten Stunde ganz, ganz fest halten.“. Wir dürften wohl über zwei Stunden so beieinander gelegen haben als es plötzlich schellte. So nackt wie ich war ging ich zunächst einmal zur Gegensprechanlage. Es war Steffi. Bevor ich die Tür aufdrückte sagte ich ihr, dass sie schon einmal ins Wohnzimmer gehen sollte, ich würde „gleich“ kommen. Natürlich huschte ich gleich wieder zurück ins Schlafzimmer um mich korrekt anzukleiden. Zu Martina sagte ich: „Du, dass ist unser Mädchen. Der tut es wirklich leid was sie vor Weihnachten da bei dir abgezogen hat. Die war wegen ihrer geplatzten Verlobungsüberraschung, bei der sie uns nach ihrer Traumvorstellung auch noch wieder verkuppeln wollte, völlig ausgeflippt. Willst du nicht auch alles vergessen ... Komm mach dich doch auch fertig und komm anschließend ins Wohnzimmer.“. Auch jetzt erfolgte, wie schon auf dem Friedhofsparkplatz ein glückliches Kopfnicken und sie wollte danach dann auch noch fertig machen, während ich schon einmal zu Steffi ins Wohnzimmer ging. Es muss wohl so eine Art Gedankenübertragung gewesen sein, denn Steffi erzählte mir, dass sie für den alten Waymann beim Straßenverkehrsamt Neuheim gewesen sei und jetzt zu ihm nach Hexenberg müsse. Steffi saß im Sessel, mit dem Rücken zur Tür, und hatte nicht mitbekommen, dass inzwischen ihre Mutter gekommen war und in der Tür stand. Mit den Finger vor dem Mund deutete mir Martina an, dass ich nichts sagen sollte, denn Steffi hatte schon mit ihrer Bitte, wegen der sie jetzt zu mir gekommen war, begonnen: „Wenn ich in Hexenberg bin, wollte ich auch gleich zu Mutti und da habe ich eine dicke, fette Bitte an dich, Vati. Kannst du Mutti anrufen und mir helfen, dass sie mich anhört. Es tut mir doch alles so schrecklich leid und der unwahre Quatsch, den ich gesagt habe, hat mir wirklich der Teufel eingegeben. Es ist doch meine Mutti, die ich sehr liebe und ich möchte jetzt, dass alles wieder in Ordnung kommt. Es wäre doch schön, wenn wir alle wieder glücklich wären.“. Ich lächelte Stefanie an und sagte: „Na Töchterchen, ich kann Mutti jetzt nicht anrufen. Die ist nicht zuhause zu erreichen. Aber ich brauche ihr auch nicht zu sagen, dass sie dich anhören soll.“. Steffis Gesichte wurde bei meinen ersten Worten zunehmenst trüber und deshalb wurde es für mich Zeit zur Sache zu kommen: „Sie hat ja gehört, was du jetzt gesagt hast. Schau dich doch nur einmal um.“. Blitzartig schaute Steffi nach Hinten, sprang wie ein blitz auf und auf Martina zu, fiel ihr mit den Worten „Mutti, Mutti“ um den Hals und weinte anschließend wie ein kleines Mädchen, welches gerade aus einem bösen Alptraum erwacht ist. Nachdem sie sich ein Wenig beruhigt hatte lud sie uns gemeinsam zum Abend zu sich ein. Dabei musste ihr dann doch wieder etwas aus ihrem Plappermäulchen plumpsen: „Eu, jetzt lade ich euch einfach ein und habe nicht ... wo ihr doch so lange nichts miteinander hattet – gefragt ob ihr lieber bum ...“. Da merkte sie selbst, dass
sie wieder auf dem Wege zur „gefährlichen“ Wortwahl war. Deshalb begann sie noch einmal mit „Eu“ und fuhr dann fort: „Ich wollte jetzt nichts Böses sagen. Das war mir versehentlich rausgerutscht.“. Martina lachte und sagte versöhnlich zu ihr: „Ach Mädchen, das war doch nichts Böses was du sagen wolltest. Ich verstehe schon was in Deinem Kopf vorgegangen ist. Aber Bumsen ist doch nichts Schlimmes sondern einerseits was ganz normales. Jeder Mensch ist ein lebender Beweis dafür, dass seine Eltern es getan haben. Und andererseits, das hast du ja inzwischen schon selbst erfahren ... oder ließt du mit Christof nur pausenlos in der Bibel -, etwas ganz Schönes, etwas Wunderbares. Aber wir kommen heute Abend, denn was meinst du was wir gemacht haben bevor du kamst und außerdem haben wir dazu noch so viel Gelegenheit, denn ich möchte ja doch mit Vati alt werden und dabei glücklich sein.“. Jetzt schaute Steffi sehr erstaunt drein – ich aber wahrscheinlich auch. Für mich war erstaunlich, wie offen Martina jetzt über dieses Thema gesprochen hatte. Wenn sie früher mit mir alleine war, hatte sie wohl schon mal so frei gesprochen und dabei selbst mir gegenüber immer etwas verklommen geklungen. Jedoch gegenüber Dritten und insbesondere auch gegenüber unserer Steffi hatte sie in meinem Beisein noch nie so locker über dieses Thema gesprochen. Das war aber nicht alles was mein Staunen hervorrief. Sie hatte ganz locker und flockig bekundet, dass sie mit mir glücklich alt werden wollte. Das war auch Steffi nicht entgangen und dieses versetzte unsere Tochter dann in den nächsten Höhenrausch. Sie bekundete, dass sie wohl doch die besten Eltern der Welt habe und darüber sehr glücklich sei. Bevor mir unsere Tochter ganz ausflippte fragte ich sie lieber, ob sie schon Feierabend habe oder doch noch was tun müsste. Ihr derzeitiges Glück veranlasste sie offensichtlich ein Wenig zur Albernheit und sie flachste: „Och, ich bin doch die seltsamste Angestellte der Welt. Einerseits bin ich Auszubildende, andererseits die Braut des Juniorchefs und zum Dritten der Liebling des Alten. Da kann ich mir immer aussuchen was im Moment am günstigsten ist. Wenn es richtig in Arbeit ausartet, bin ich Azubi, die das natürlich noch nicht kann. Wenn mir jemand, weil ich Mist gebaut habe, den Marsch blasen will, dann bin ich die Braut des Juniors, die sich das nicht gefallen lassen muss. Und wenn ich mal während der Arbeit meine Eltern besuchen will, bin ich der Liebling des Alten, der das darf. ... Aber Spaß bei Seite, ich muss jetzt wirklich los, ich habe mich schon viel zu lange hier aufgehalten.“. Nach einer kurzen Verabschiedung düste sie dann auch ab und davon. Na ja, nach dem unsere Tochter von dannen war unternahmen Martina unseren ersten gemeinsamen Spaziergang nach sehr langer Zeit. Auf dem Rückweg brachten wir ihr Auto mit zur Villa und des Abends waren wir dann bei „unseren Kindern“. In der folgenden Nacht übernachtete Martina bei mir und fuhr am nächsten Morgen von Neuheim direkt zu ihrer Arbeit nach Wollerst. Wenn ich auf diesen Tag zurückblicke, ist dieser absolut rekordverdächtig. Einen solchen schnellen Wechsel von einem Lebensabschnitt zum anderen habe ich noch nie vorher erlebt. Und von einem vergleichbaren Fall habe ich auch noch nicht gehört. Während ich noch um meine erste Frau trauerte, fühlte ich mich schon wieder mit meiner zweiten glücklich. Wo meine Familie noch eine Woche früher total zerrüttet aussah, schien sie jetzt ein Vorbild an Harmonie zu sein. Nur eine Woche war es her, als ich den Gedanken an die Frau, mit der ich immer noch verheiratet war, zu verdrängen versuchte, und jetzt beherrschte sie mein Denken. Das mag wohl diesem oder jener alles etwas zu schnell gehen und man mag es vielleicht auch als pietätlos ansehen, aber so war es nun mal. Ich will dafür auch keine Erklärung suchen; ich wüsste auch nicht warum ich das machen sollte. Ich habe mich nur gefragt, was Monika dazu gesagt hätte, wenn sie das gewusst hätte und komme immer wieder zu dem Schluss, dass dieses wohl ganz in ihrem Sinne gewesen wäre. Zumindestens hatte sie sich ja auch in diese Richtung in letzter Zeit immer ausgedrückt.
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Österliche Familienauferstehung Der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Konrad Adenauer sagte im Jahre 1961, als er nach dem Wahlversprechen sein Kabinett zu verjüngen wieder mit der alten Riege antrat: „Jugend ist keine Frage des Alters sondern der Einstellung.“. Wie jedes Ding und jede Aussage hat auch dieser Ausspruch seine zwei Seiten. Wenn angehende Senioren den Jungschern im Bereich sportlicher Leistung etwas vormachen wollen wird es gefährlich, insbesondere wenn der Betreffende nicht durch ständiges Training den Körper in Fitness gehalten hat, da die Jahre ihr Attribut vom Körper gefordert haben. Lebewesen haben halt nur einen bestimmten, nicht erneuerbaren, Energievorrat, der auch immer kontinuierlich abgebaut wird. So wird auch unsere maximale Lebenserwartung auf ein bestimmtes Maß begrenzt und trotz Genforschung und pseudowissenschaftlichen Firlefanz wird es dem Menschen nicht gelingen, sein irdisches Leben auf die Ewigkeit auszudehnen. Die Energie, über die ein 20-Jähriger noch verfügen kann, ist logischer Weise bei einem 50-Jährigen beim besten Willen nicht mehr vorhanden. Und wer behauptet, er habe Mittel oder Methoden, mit denen ein 50-Jähriger es schafft die Leistung eines Twens zu erbringen, unterliegt entweder selbst einem fatalen Irrglauben oder will – was das Wahrscheinlichste ist – nur kräftig abzocken. Wenn jemand den Jugendlichkeitswahn auf sein Outfit bezieht wird es albern. So empfinde ich es jedenfalls wenn Damen aus der Seniorengeneration sich mit dem jugendlichen kurzen Schwarzen kostümieren oder sechzigjährige Herren fast zu Tode beleidigt sind, wenn man mutmaßt sie hätten ihre Haare gefärbt. Da kann man sehr leicht den Verdacht bekommen, das der albern eitle Herr aus Oberflächlich- und Äußerlichkeiten nichts zu bieten hat. Peinlich wenn eine Partei dann nichts bessere als Spitzenkandidat aufzubieten hat; man könnte auf Konzept- und Planlosigkeit schließen. Aber nicht nur das Outfit sondern auch das Verhalten einzelner Leute kann ein Beitrag zum Eindruck, dass wir ein veralberten, sprich verblödeten Gesellschaft entgegenstreben, sein. Alles was ich jetzt erwähnte ist nämlich ein eindeutiges Zeichen für Realitätsverlust und mangelndem Selbstwertgefühl. Lediglich in der Einstellung zum Leben und zu dessen Wert kann ich uneingeschränkt Adenauer zustimmen. Gerade heutzutage nimmt die Zahl der Jugendlichen, die wir in ihrer Lebenseinstellung bei „kurz vor scheintot“ einordnen können, dramatisch zu. Was aber nach meiner Ansicht sehr stark an der Dressur zu Konsumidioten liegt. Spaß und Geld sind auf Dauer halt keine Perspektiven und als Innovation hat es ohnehin noch niemand zu deklarieren gewagt. Der Volksmund mahnt uns, dass derjenige, der im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen sollte. Natürlich ist der Volksmund genauso wie das, was alle sagen, nicht gleichzusetzen mit Weisheit. Aber ab und zu findet ja auch mal ein blindes Huhn ein Korn. In jener Zeit, von der ich an dieser Stelle berichte, saß ich mit meiner Frau Martina im Glashaus aber der Rest erübrigt sich, denn wir warfen damals nicht mit Steinen – das mache ich erst jetzt bei meiner Niederschrift im Jahre 2002 – sondern wir waren sehr glücklich dabei. Wir missachten unser Alter, Martina fast im 48. Lebensjahr und ich kurz vor meinem 52. Geburtstag, und turtelten miteinander als würden wir gerade mal der Zwanzig zustreben. Und dabei unternahmen wir so gut wie alles, was ich im ersten Absatz anprangerte. Ich wollte Martina immer beweisen wie fit ich noch bin. Dann nahm ich sie schon mal auf dem Arm um sie die Treppe herauf zutragen oder ich animierte aktiv im Wald zu einer kleinen Toberei. Aber bekanntlich bestraft der liebe Gott kleine Sünden immer sofort. Mit Hecheln meldete mich anschließend meine Raucherlunge in die Wirklichkeit zurück. Das brachte mir dann immer Martinas Kommentar „Na siehst du Reinerchen, du bist auch keine Zwanzig mehr“ ein. Also im Bereich „Ferrarimotor im uralten Opel“ war ich der maßgebliche Traumtänzer. Was das Outfit anbelangt war jedoch Martina die maßgebliche Alterssünderin. Sie schlüpfte jetzt sehr gerne in kurze, knappe und sehr körperbetonte Kleidung. Man muss nur in diesem Fall fairer Weise auch sagen, dass Martina es sich, auch im Hinblick auf ihr Alter, immer noch leisten konnte. Was den Körperbau und die Ausstrahlung meiner beiden Frauen anbelangt bin ich immer von meinen Geschlechtsgenossen beineidet worden. Beide zeichneten sich durch ihre schlanke aber weiblich gerundeten Figur, ihren langen Beinen und jugendlichen Haut- und Haarglanz aus. Jetzt habe ich in der Vergangenheitsform geschrieben, was mich dazu zwingt, auch zu betonen, dass eben Gesagtes selbstverständlich auf Martina, jetzt 2 Jahre später, immer noch zutrifft. Auf einen besonderen Punkt kam unser Schwiegersohn in spe, also Christof, der, wie ich immer öfter feststellen kann, bei guter Laune zu einem lockeren Mundwerk neigt, zu sprechen. An einem Märzsamstag, der als schöner Vorfrühlingstag begonnen hatte, gab es einen plötzlichen Wetterumschwung. Steffi und Christof hatten einen Spaziergang unternommen und befanden sich gerade in der Nähe der Rollmann-Villa, in der sie dann vor dem Schauer vorrübergehend Schutz suchten. Na ja, Martina hatte sich – natürlich nur für mich – etwas lockerer gekleidet. Unter ihrem kurzen schwarzen Rock hatte sie nur einen knapp geschnitten blütenweißen Slipper an. Ihr Ober- und Unterkörper waren durch ein breiten taillenbetonenden Gürtel optisch getrennt und darüber trug sie eine etwas durchsichtigere Bluse, unter der sich sonst nichts befand. Also ihre Busen waren wunderschön zu betrachten. Nach einem Weilchen tönte dann Christof zu Steffi: „Weißt du Engelchen, du hast tolle volle Möpse aber ob die, wenn du mal so alt wie deine Mutter bist, immer noch so schön rund und
wohlgeformt wie ihre sind? ... Ich glaube deine sind dafür doch ein Bisschen zu groß. Große Gewichte haben leider die Eigenart schwerkraftsmäßig dem Erdmittelpunkt entgegen zustreben“. Na ja, Steffi war nicht gerade begeistert und belegte daher, auch mit Recht, ihren Bräutigam mit einem etwas geharnischten Ordnungsruf. Aber wir konnten jetzt allesamt deutlich feststellen, dass Martina sich doch irgendwo ein Wenig oder gar ein Bisschen mehr geändert hatte. Als ich im vorhergehenden Kapitel von Steffis Besuch am Tage von Monikas Beerdigung berichtete schrieb ich schon, dass Martina gegenüber Dritten bei solchen Sachen und Themen früher immer etwas verklemmt, man kann sogar prüde sagen, wirkte und jetzt war sie recht frei und unvoreingenommen. Jetzt nahm sie die Sache ganz locker und sagte zu Steffi: „Nimm’s doch nicht so krumm. Warum sollten wir Frauen nicht stolz auf unsere Brüste sein und warum sollten Männer die nicht bewundern dürfen. Sehenswertes muss man doch nicht verstecken. Und beides ... toll und voll oder klein und rund – hat doch seine Vorteile. Und hab mal keine Angst, ich spann dir deinen Kerl bestimmt nicht aus ... ich habe ja Vati.“. Kurz darauf verzog sich Martina doch ins Schlafzimmer um sich umzuziehen. So ganz recht war ihr offensichtlich diese Freizügigkeit gegenüber ihrem Schwiegersohn nun auch wieder nicht. Dieser freizügige Eindruck war im Grunde dadurch entstanden, dass die beiden jungen Leute, auch für sie selbst, unerwartet bei Schauerbeginn anschellten und Martina nicht so schnell reagierte. Aber gerade das ist ja so bemerkenswert. Vor nicht ganz zwei Jahren noch wäre das das Erste gewesen, an was Martina gedacht hätte und sie wäre dann wie ein geölter Blitz zur Umkleidung davon geschossen. Ihre neuerliche diesbezügliche liberale Haltung begründete mir Martina, nach dem die jungen Leute gegangen waren damit, dass Erotik und Sexualität ja keine Sünde sondern etwas Natürliches und Schönes seien. Sünde sei nur das, was die Menschen mit ihren perversen Vorstellungen daraus machten. Dabei seien diejenigen, die diesbezüglich am Frömmsten täten, in der Regel die Schlimmsten. Ich vermutete hinter dieser Einstellung, die früher bei Martina überhaupt keine Heimstätte hatten, Reimund Heimann , aber ich sagte diesbezüglich jedoch nichts. Insgesamt mieden Martina und ich, wenn es uns nicht unausweichlich erschien, die Namen Monika und Reimund. Dieses geschah natürlich nicht aus dem Grunde weil wir etwas vor einander zu verheimlichen hatten. Wir wussten ja beide nicht nur was wir selbst getan hatten sondern auch das, was der beziehungsweise die Andere in dieser Angelegenheit gemacht hat. Wir hatten zwar Grund mit uns selbst ins Gericht zugehen aber keinesfalls einen, dem Partner beziehungsweise der Partnerin etwas vorzuwerfen. Am ersten Wochenende, wo wir wieder beisammen waren und wo naturgemäß, weil uns ja noch so vieles aus unserer jüngsten Vergangenheit bewegte, häufiger die Namen fielen, merkten wir doch, dass bei uns doch irgendetwas klick machte, wenn zum Beispiel Martina von Reimund oder ich von Monika sprach. So etwas lässt sich nicht mit der Ratio sondern nur mit einer menschlicher Empfindsamkeit oder überhaupt nicht erklären. Ganz vermeidbar, dass wir von unseren Expartnern sprachen, war es jedoch nicht, denn Reimund war nach wie vor Martinas Chef und Monika war schließlich die Erblasserin, der ich meinen jetzigen Status zu verdanken habe. Ganz den „großen Otto“ konnte ich allerdings noch nicht markieren, denn auf die meisten Dinge hatte ich, da sich das Nachlassgericht, in der für die Justiz üblichen Transusengeschwindigkeit Zeit mit dem Ausstellen des Erbscheines ließ, noch keinen uneingeschränkten Zugriff. Allerdings konnte mir auch nichts für mich Negatives, zum Beispiel kein Geld, passieren, da ich als Monikas ehemaliger Vermögensverwalter doch gemeinsam mit dem Nachlassverwalter Dr. Wimmer bestimmte, jedoch noch eingeschränkte Zugriffsrechte hatte. Nur hinsichtlich der Villa zwickte mich der „lahme“ Zeitablauf schon ein Wenig. Mir war klar, dass dieses Wohngebäude auf Dauer zu groß für Martina und mich war und außerdem war der Jugendstil des Hauses zwar schön aber nicht gerade das, was nach unserem Geschmack eine Wohnumgebung, in der wir uns wohl fühlen, ausmacht. Die wollte ich schon los werden. Schon zwei Jahre zuvor war die Stadt Neuheim in Kaufabsicht an Monika herangetreten. Die Stadt wollte darin die Volkshochschule, die Musikschule, eine Bücherei und die städtische Galerie unterbringen. Diese Einrichtungen waren bisher quer über Neuheim verstreut, in bei Privatleuten angemieteten Räumen, untergebracht. Die Stadtoberen versprachen sich durch die Konzentration auf dieses „Kulturhaus“ einen Einspareffekt und zum anderen waren sie der Meinung so ein städtebauliches Kleinod, wie dieses Haus, dass einstmals von Monikas Opa im damaligen Protzstil erbaut wurde, zu erhalten. Ich hatte mit meinen Verkaufsabsichten auch schon bei der Stadt vorgesprochen und es bestand auch Einigkeit darüber, dass der Handel über die Bühne gehen sollte. Es galt also nur noch Preis und Konditionen auszuhandeln. Aber daran sollte es, weder aus meiner noch aus städtischer Sicht, nicht scheitern. Ich hatte das Haus geerbt und war nicht einem Bereicherungsrausch verfallen, so dass ich schon willig zur Fairness war. Dieses hatte ich auch Dr. Wimmer, als ich ihm schon mal den Auftrag für die Verkaufsverhandlungen gab, gesagt. Mein Problem mit der Zeit lag auch eher bei den Nebensächlichkeiten. Das Haus war von einen großen Garten, den ich nicht bewirtschaften konnte und wollte, umgeben. Die Stadt wollte daraus eine kleine öffentliche Grünanlage mit kleinem Spielplatz und Ruhebänke machen. Ich mache jetzt mal einen kleinen zeitlichen Sprung und verrate schon mal, dass diese wirklich gelungen ist und die Neuheimer dieses Plätzchen gerne angenommen haben. Bei der Umwandlung in einen Park und bei dessen Pflege ist ganz natürlich die verwaltungseigene
Stadtgärtnerei gefragt. Aber so lange die Eigentumsverhältnisse nicht zu Gunsten der Stadt entschieden sind, stehen dafür keine Haushaltsmittel zur Verfügung und auf Verdacht handeln dürfen die Stadtoberen und ihre Bediensten natürlich auch nicht, da so, wenn die Verkaufsverhandlungen wider Erwarten scheitern sollten, ein handfester Skandal vorprogrammiert gewesen wäre. Aber verwildern lassen konnte ich das Ganze jedoch auch nicht und dass der Gartenbaubetrieb, der den Garten bisher betreute, gerne aus Dispositionsgründen gewusst hätte, was sie wie lange noch machen sollten, kann man ja auch verstehen. Und so lange nicht erste Verhandlungsergebnisse vorlagen, schwebte ich in dieser Sache zwischen Baum und Borke. Na ja, ich erteilte dem Betrieb, der auch schon für Monika tätig war, dann einen Auftrag auf ausschließliche Unkraut- und Wildwuchs-Bekämpfung, zunächst einmal bis Herbst 2000. Womit ich letztlich dann nicht einmal schlecht lag. Anfang des Jahres 2001 ging der Villenbesitz auf die Stadt Neuheim über und was im Winter im Park und natürlich auf dem Gehweg (Schneeräumung) zu machen war wurde vom künftigen Eigentümer, der das ja nun mit Brief und Siegel belegen konnte, übernommen. Ein anderes Problem im Zusammenhang mit der Villa war für mich, dass die beiden Putzfrauen, eine Mutter und ihre Tochter, zum Quartalsende gekündigt hatten weil sie nach Ostern mit der gesamten Familie nach Süddeutschland verziehen wollten. Sie waren zwar bereit über den Kündigungstermin hinaus noch für mich ein paar Tage tätig zu sein aber Mitte April musste dann aber zwangsläufig das endgültige Finale eingeläutet werden. Dadurch blieben mir natürlich nur die Alternativen: Neueinstellung, Selbermachen, in Dreck und Speck verkommen oder Ausziehen. Ich entschied mich für Letzteres und vereinbarte mit Martina, dass wir zu Ostern von unserem Turtelleben wieder auf „normales“ Eheleben zurückkehren wollten. Aber die Zeit bis dahin haben wir dann doch noch reiflich für unser „Junges-Paar-Spiel“ genutzt. Nach meinem Gefühl haben wir uns dabei sogar wieder richtig in einander verliebt. Eine Liebe wie in unserer ersten Zeit schien wiedergeboren zu sein. So etwas erlebte ich jetzt in weniger als einem Jahr schon zum zweiten Mal. Ich muss wirklich trotz allem doch ein kleiner Glückspilz sein. Wer kann sonst schon sagen, dass er vier mal im Leben an echter junge Liebe erkrankt sei? Aber mein Auszugsvorhaben stellte mich auch vor eine Aufgabe, die ich ohne Vorliegen des Erbscheines hätte gar nicht in Angriff nehmen dürfen: Die „Haushaltsauflösung“. Na ja, öfters ist es doch schon praktischer und vernünftiger, wenn man sich nicht um Gesetz und Recht schert. Nach dem unser Exbundeskanzler Kohl sein Ehrenwort über das Recht gestellt hat, brauchen wir diesbezüglich ja auch kein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn Herr Kohl, in dem Fall wo es seiner Ansicht nach der Sache dient, sich über das Gesetz hinweg setzen kann, darf man doch wohl wegen so etwas den kleinen Reiner Schreiber nicht gleich hängen. Sicherlich kann man bei solchen Einstellungen langfristig unsere Werteordnung ganz zu Grabe tragen, denn wie will man der nachwachsenden Generation klarmachen, dass sie sich an eine demokratisch gegebene Ordnung halten sollen, wenn die Generation, die derzeitig am Ruder ist, dem Nutzen den Vorrang vor Recht und Ordnung gibt. Wenn die Spielregeln für die Bundesliga aufgesetzt werden, kann man doch nicht von den Spielern der Kreisliga C erwarten, dass sie noch auf den Pfiff des Schiedsrichters hören. Meine persönliche Meinung ist, dass der Altbundeskanzler Helmut Kohl mit seiner Bimbesaffäre unserer Werteordnung schweren Schaden zugefügt hat und wo er Ehrenwort sagt, möchte ich am Liebsten vom Ganovenwort sprechen. Sorry, das ist meine Meinung und keine Beleidigung. Aber meine Meinung spielt eine große Rolle, wenn ich mir im Herbst 2002 überlege, ob ich überhaupt noch zur Wahl gehen soll. Worte und Taten klafften doch bei allen in der Vergangenheit sehr weit auseinander und es sieht nicht so aus, als wäre mit Wahlkampfbeginn die Erleuchtung in den Köpfen der Politikusse erschienen. Jetzt wird alles schön gelogen und am Tag nach der Wahllotterie wird weiter gemurkst; auf der einen wie auf der anderen Seite. Man soll die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht gibt es eines Tages wider Erwarten doch wieder Politiker. Jetzt möchte ich die Leserschaft auch nicht damit langweilen, was alles hinsichtlich der Auflösung des Haushaltes in der Villa alles zutun war. Auf jedem Fall war dieses ein Full-Time-Job und das mit deutlich mehr als nur 40 Wochenstunden. Was sich da alles in der Zeit, wo Monikas Großvater die „Hütte“ Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute bis heute, angesammelt hat. Es war ja auch nicht so wie im Hause von Otto Normalbürger, wo man nur zwischen brauchbar und Plunder unterscheiden muss sondern ich hatte es ja mit betuchteren Voreigentümern und dem, was die alles gehortet hatten, zu tun. Da war doch einiges an Kunstgegenständen und Antiquariat was als wertvoll eingestuft werden musste. Da ich mich in so etwas nie reingekniet habe und das auch mangels Interesse nicht will, musste ich mich schon auf Experten verlassen. Dann ging es um die großen Fragen wohin mit dem Zeug, wo ich diese doch ohne Erbscheinberechtigung gar nicht verbringen durfte. „Verbringen“ ist auch so ein köstliches Wort aus dem Juristendeutsch, also der Leute, auf die ich bei der „Entrümpelung“ auch zurückgreifen musste. In der Villa lagerte doch einiges an wichtigen Akten und Dokumenten, die ich ohne Dr. Wimmers Hilfe nicht hätte einschätzen können. Na ja, letztlich habe ich davon alles, was nach Wimmers Bekundungen nicht für den Papierwolf geeignet war, im großen Kellerraum von Martinas Haus unterbringen können. Auf jeden Fall hatte ich es in der Woche vor Ostern, das 2000 auf den 24. April fiel, soweit geschafft, dass ich nicht nur nach Hexenberg ziehen konnte sondern sogar zwangsläufig auch musste – die Villa war tatsächlich so gut wie leer. Was jetzt noch darin stand sollte, so meine Absprache mit den
zuständigen Leuten bei der Stadt Neuheim, vor Umbaubeginn vom neuen Eigentümer entsorgt werden – Speergutabfuhr im etwas größerem Stiele. Zuvor nahm ich mir doch das Recht heraus, meinen 52. Geburtstag ausnahmsweise mal gebührend feiern zu wollen. Der 1. April fiel in jenem Jahr auf einen Samstag, wodurch sich dann auch bestimmte Möglichkeiten zur Gestaltung dieses Tages ergaben. Ich hatte die Jagdhütte am Hexenberg, die jetzt ja auch mir gehörte, ins Auge gefasst. Hier wollte ich dann anlässlich meines Geburtstage ein Wochenende von Freitag bis Sonntag mit meiner Martina verbringen. Am Samstagabend sollten dann Steffi und Christof für einen Grillabend zu uns stoßen. Geplant und ausgeführt – so dachte ich vorher jedenfalls. Am Freitagnachmittag fuhren wir mit allen, was wir glaubten übers Wochenende zu gebrauchen und insbesondere mit unserem Grill nebst Utensilien, zur Hütte und richteten uns dort ein. Anschließend fuhr ich den Wagen zurück ins Dorf vor Martinas Haus. Als ich dann auf Schusters Rappen wieder zurück zur Hütte unterwegs war, kam es auf dem Wege dorthin zu einer sehr überraschenden Begegnung. Mir kam ein mir wohl bekanntes Pärchen entgegen. Das heißt ich kannte sowohl ihn wie auch sie, aber als Pärchen kannte ich sie noch nicht. Da kam mir doch Marc Kampmann entgegen und im Arm hatte er Frau Schöller, Christofs Mutter. Als das Pärchen mich erblickte hatte ich den Eindruck als wären sie erschrocken. Sie gingen sofort schön „sittsam“ auseinander, aber das sie zusammengehörten konnten sie an der Stelle, wo ich sie traf, kaum noch leugnen. Wir wechselten ein paar nette Worte, wohl überwiegend aus Verlegenheit geboren, miteinander und gingen dann in die jeweils entgegengesetzte Richtung unseres Weges weiter. Zurück in der Hütte glaubte ich dann Martina etwas „Sensationelles“ berichten zu können und musste im Gegenzug erfahren, dass ich etwas verpasst hatte, was meine Sensation dann doch klein erscheinen ließ. Martina hatte meine kurze Abwesenheit dazu genutzt um in der Hütte ein Wenig aufzuräumen. Als sie dann nach Hinten, also nach der vom Weg abgekehrten Seite der Hütte, zum Fenster hinaus sah, hatte sie dort ein „intimes“ Pärchen entdeckt. Die Beiden waren wohl davon ausgegangen, dass niemand in der Hütte wäre und hatten sich diese als Sichtschutz gegen die Blicke zufälliger Passanten auserkoren. Die Dame hatte bereits ihren Oberkörper freigelegt oder zuvor freilegen lassen und beide knutschten kräftig miteinander. Wahrscheinlich hatten sie noch etwas mehr vor aber Martina gehört nicht zur Spannergarde. Sie hatte kurz überlegt was sie jetzt, ohne das es zur Peinlichkeit führte, machen sollte. Hätte sie auf sich aufmerksam gemacht, hätte sich das Paar, insbesondere die oberkörperlich enthüllte Dame, wahrscheinlich komprimentiert gefühlt. Sie tat kurz entschlossen so, als hätte sie nichts gesehen und schaltete das Radio laut ein. Damit hatte sie das Pärchen dann erfolgreich „verjagt“. Dass Martina und ich das gleiche Paar gesichtet hatten, brauche ich ja wohl nicht weiter zu erwähnen. Am nächsten Abend, als wir, wie von mir geplant, mit den „Kindern“ zusammen saßen, hatten wir dann auch einen einschlägigen Gesprächsstoff. Martina fragte durch die Blume: „Christof, wie ist das denn mit deiner Mutter? Ich glaube, die würde ganz gerne noch einmal eine Partnerschaft eingehen. Was ich ja auch für sehr vernünftig halte, denn sie ist ja noch eine junge Frau. Ist denn da bereits etwas in Aussicht?“. „Oh ja“, legte der Befragte los, „ich glaube, da ist was mit Reiners Freund in Aussicht. Bei den Beiden gibt es in letzter Zeit unnatürlich viele Zufälle. Wie oft die, immer wenn ich sie treffe, sich vorher auch immer ‚nur rein zufällig’ getroffen haben, scheint mir doch nicht so, wie sie es darstellen wollen, gewesen zu sein. Aber mit der Sprache sind sie bis jetzt noch nicht richtig rausgerückt. In meiner Gegenwart sind die beiden Herr Kampmann und Frau Schöller aber als ich mal zu ihnen stieß und sie mich noch nicht bemerkt hatten, waren sie Mausimann und Engelfürtchen“. „Woher kennen die sich denn?“, wollte ich neugierig wissen. „Na ja, der Herr Kampmann war mal bei Opa“, berichtete Christof, „und da sind sich die Beiden, in dem Falle wirklich zufällig, über den Weg gelaufen. Opa meinte auch, er habe gemerkt, dass es ein Wenig zwischen den Beiden gefunkt habe.“. „Was meinst du denn zu Herrn Kampmann?“, wollte Martina jetzt wissen. Nachdem Christof die Frage positiv beantwortet hatte konnten wir ja unsere Beobachtung vom Vortag – natürlich nicht das Geknutsche hinter der Hütte, so verklatscht sind wir nun auch nicht - zur Kenntnis der jungen Leute geben. Sie nahmen es mit wohlwollender Freude auf und wir stießen darauf erst einmal an. Christof und ich nutzten zum Anstoßen jeweils ein Fläschen Bier und die Damen bevorzugten ein Gläschen Wein. Auf einen Bein kann man ja bekanntlich stehen und so folgte ein zweites, ein drittes und noch ein paar mehr – es war halt ein netter Abend. Das war es jedoch, was meine ursprüngliche Planung hinsichtlich des Wochenendes ein Wenig durcheinander brachte. Steffi und Christof waren natürlich mit dem Auto, genauer gesagt mit Christofs Wagen, zum Grillabend angereist. Ich hatte ja auch nicht zu einem Gelage geladen. Natürlich setzten die auf dem Geburtstags-Grillabend konsumierten Getränke den Promillepegel bei allen „Festteilnehmern“ soweit rauf, dass an diesem Abend auf keinen Fall der Rückweg wie der Hinweg bestritten werden konnte. Für alle Vier war aber die Einraumhütte nicht zum Übernachten geeignet; zumindestens schien wohl niemand eine Sympathie für einen solchen Gedanken aufzubringen. Man hätte jetzt auch mal einem Taxiunternehmen etwas zum Verdienen geben können. Auch wenn ich ab Vorliegen des Erbscheins Millionär bin sehe ich trotzdem nicht ein, die hohen Taxipreise unnütz zu zahlen. Da kam dann Martina auf den Gedanken, dass wir, die Eltern, uns, da es nicht weit ist, zu Fuß nach Hause begeben könnten und dass wir am nächsten Morgen wieder zurückkehren sollten. Wir könnten dann
ja, wenn die „Kinder“ wollten, den Tag bis Nachmittags oder Abends gemeinsam verbringen. Na ja, dieses wurde dann auch so durchgeführt obwohl es nicht das war, was ich mir zuvor unter dem JagdhüttenWochenende mit Martina vorgestellt hatte. Bei der Planung hatte ich doch eher an ein Flitterwochenende gedacht. Allerdings hatte der zuvor nicht geplante Familiensonntag noch eine sehr positive Folge. Wir fühlten uns im „richtigen“ Familienkreis Schreiber, den wir ja so schon seit bald zwei Jahren nicht erlebt hatten, rund herum wohl, obwohl wir den ganzen Tag, weil es draußen fast ohne Unterbrechung regnete, nur im Inneren der Hütte saßen. Alle waren wir irgendwo glücklich, dass die Dinge, die uns entzweit hatten, nun wohl endgültig der Vergangenheit angehören sollten. Steffi gefiel es so gut, dass sie nachfragte: „Was haltet ihr denn von meiner Idee einer österlichen Familienauferstehung. ... Nicht nur Auferstehung sondern zusätzlich noch Zuwachs, denn Ostern mit einem Schwiegersohn habt ihr ja, genau wie ich auch, noch nicht erlebt. Also wie ist das, können wir Karfreitag zu euch kommen und bis Ostermontag bleiben?“. Da brauchten sich Martina und ich gar nicht lange abzusprechen, selbstverständlich gefiel uns der Vorschlag mehr als gut und somit schien die Sache abgemacht. Sie schien nicht nur so, sie war es. An jenem Sonntag, als wir die Verabredung trafen, stand auch bereits fest, dass ich zu diesem Zeitpunkt dahin zurück gekehrt sein werde, wo ich hingehöre. Gleichzeitig sollte Ostern für Martina und mich der festliche Abschluss unserer Turteltime, die wir zunächst einmal vor der Wiederaufnahme unserer Ehe beschlossen hatten, sein. Natürlich könnte ich jetzt viel von den vier Tagen, an dem wir unsere österliche Familienauferstehung feierten, berichten. Aber was soll es, denn alles was da passierte ist im Hinsicht auf den Fortgang unserer Geschichte doch eher unbedeutend. Daher kann ich es auch dabei belassen, dass es sich Ostern 2000 um eine schöne und harmonische Zeit handelte, in der wir uns wie in ehemaligen ebenfalls glücklichen Tagen fühlten. Also die Zeit, wo unsere Tochter noch fester Bestandteil einer auch sonst glücklichen Familie war – die Zeit von vor drei und mehr Jahren – erschien wieder gekehrt zu sein. Ich, für meine Person, fühlte mich endlich wieder Daheim. Ich glaubte meine Odyssee wäre zuende gegangen. Der verlorene Mann schien heimgekehrt zu sein. Und wenn es nach unserer Auffassung in diesen Tagen gegangen wäre, sollte auch nie mehr etwas dazwischen kommen und es sollte für immer so bleiben. Am Abend des Ostermontags, als Steffi und Christof wieder von dannen gezogen waren, konnte ich resümieren, dass ich in den letzten 8 Monaten sämtliche glücklichen Stationen meines Lebens noch einmal in komprimierter Form erleben durfte. Aber darüber, dass offensichtlich die schwerste und härteste Zeit unseres Lebens zuende ging, waren wir uns einig. Das doch noch Prüfungen auf uns warteten wussten wir damals natürlich nicht und wir hätten es an jenem Tag auch nicht wahr haben wollen. Wenn ich jetzt schreiben würde, dass am Dienstag nach Ostern ein neuer Lebensabschnitt für uns begonnen habe, wäre das eindeutig falsch, denn wir setzten ab dem Tage das fort, was wir zwei Jahre zuvor abrupt unterbrochen hatten: Eine normale, aber im Großen und Ganzen doch glückliche Ehe. Damit hatte uns auch der Alltag wieder. Obwohl Martina jetzt mit einem Erbmillionär verheiratet war, wollte sie vorerst noch ihrem Job als Exportkauffrau weiter nachkommen. Dieses nicht aus dem Begehren nach Selbstverwirklichung oder nach wirtschaftlicher Eigenständigkeit für den Fall der Fälle sondern weil sie der Meinung war, dass einiges an Chaos vorprogrammiert sei, wenn auch sie ohne feste Tagesvorgaben die Zeit mit mir verbringen würde. So etwas hatten wir zuvor weder eingeplant noch zu irgendeinem Zeitpunkt geübt. Wenn man sich überlegt, dass es Leute gibt bei denen ein normaler kurzer Urlaub oder nur das ansonsten untätige Beisammensein zu Weihnachten schon zu Zerwürfnissen führt, war diese Sorge, auch im Hinblick auf die Krisen die wir gerade ausgestanden hatten, sicherlich nicht unbegründet. Allerdings dachte sie doch daran ihre Berufstätigkeit langsam ausrollen zulassen. Längstenfalls noch ein Jahr hatte sie gedacht. Aus dieser Überlegung sprach ja auch ihr Optimismus, das wir beide nun zusammenbleiben und es letztendlich auch ohne Arbeit aushalten würden. Wenn Martina zum Zwecke ihrer Berufstätigkeit das Haus verlassen hatte begann für mich keinesfalls eine Runde Müßiggang. Zum Einen hatte ich die Aufgabe des Hausmannes übernommen. Ganz ungeübt war ich ja in diesem „Geschäft“ nicht. Von meinen drei Jahren als Geschiedener in Hexenberg Strohwitwerasyl, aus dem ich mir dann Martina ja „angelte“, will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden, denn diese Zeit ist ja nun doch schon einige Jahre her. Aber in meiner Jagdhüttenzeit so wie anschließend in meiner Wohnung bei Waymann, also Zeiten, die ja doch noch nicht so lange her sind, musste ich ja auf die damals gelernten Fähigkeiten zurückgreifen um geordnet über die Runden zukommen. Aber auch in der Zeit von 1978 bis 1998, also während meiner „ersten“ Ehezeit mit Martina, habe ich nicht nur den Pascha gespielt und auch dieses oder jenes im Haushalt gemacht – aber ehrlicher Weise sage ich, dass das Gros damals doch von Martina erledigt wurde. Was ich jetzt nur damit sagen wollte ist, dass es für die Übernahme meiner Tätigkeit keiner besonderen Anlernzeit bedurfte. Na, dass kann ich ja ruhig zugeben, dass es, trotz meiner Übung, nicht immer ganz in Martinas Sinne war, was ich da machte. Aber vielleicht beruhte ihre Kritik auch überwiegend nur in ihrem, ihr anerzogenen weiblichen Anspruch auf die Haushaltshoheit. Bekanntlich sind ja die größten Verhinderer einer Gleichstellung von Frauen selbst Frauen. Als Mütter erziehen sie ihre Töchter in Richtung Küche und Kinder – Kirche trifft heute doch schon weniger zu – und ihre Söhne zu wackeren Streiter für den Familienunterhalt und –bestand. Als
Lokalredakteur habe ich wacker streitende Feministinnen kennen gelernt, die, als ich sie zuhause besuchte, mir meist unbewusst die klassische Hausfrauenrolle demonstrierten. Während die herkömmliche Erziehung die Frau im Haushalt prädestiniert schreibt sie der Herrlichkeit die, dem Haushaltsvorstand zustehende „Gewalt in der Familienverwaltung“, sprich im häuslichen Bürokram, zu. Auch wenn Martina und ich uns immer für modern und somit auch emanzipiert gehalten haben und auch immer bewusst gegen diese, aus unserer Sicht falschen, Geschlechtervorgaben angingen, waren wir doch das Produkt unserer Erziehung und konnten diesbezüglich nicht über unseren Schatten springen. So wartete dann auch zunächst eine Menge Arbeit im Hausbüro auf mich. Zwar war während meiner Abwesenheit bei Martina nichts liegen geblieben und sie hatte aus meiner Sicht auch alles korrekt erledigt, aber nichts war in meinem Stil. Nichts war so, wie ich es gemacht hätte. Ich glaubte also, alles erst einmal überarbeiten und neu ordnen zu müssen. Man könnte auch sagen, dass derjenige, der sonst keine Arbeit hatte, sich kurzer Hand welche machte. Und im zum Haus gehörenden Garten machte ich mich jetzt auch wieder nützlich. Dort fällt aber bei uns in der Regel nicht allzu viel an, denn dieser bestand bei uns „nur“ aus einer Grünfläche zum Leben, das heißt einem begehbaren Rasen mit einigen Büschen und Bäumen. Da ist zwei oder drei Mal im Jahr der Rasen zu mähen und mal dieser oder jener Busch zu beschneiden; das ist auch schon alles. Eine Zentimeter-Maß-FriedhofsBepflanzung, wie diese schon mal großstädtische Vorgärtenverunstalter gerne anlegen war nicht nach unserem Geschmack, denn schließlich stammte Martina aus einer Landwirtschaft. Wenn ein Kleinbauer mit seinem Grund so umgehen würde wie stolze städtische Vorgartenbesitzer brauchte er mindestens 100 Mann Personal und wäre trotzdem dann noch Tag für Tag 24 Stunden und die ganze Nacht beschäftigt. Der Stolz eines HäuserSchluchten-Bewohners sind halt seine 2 Quadratmeter Grünfläche, der er täglich zwei Stunden und sei es zum Zwecke der Überbewässerung opfern muss. Ab und an hatte ich auch dieses oder jenes in meiner Erbschafts- oder in meiner Vermögensangelegenheit zu erledigen. Aber wenn ich nur das zutun gehabt hätte, dürfte ich ruhig über zuviel Freizeit gestöhnt haben. Da war also nur gelegentlich etwas zutun. In einer Sache ruhte gar der See in aller Stille. Von Lokalfernsehinteressierten, weder von Offenen-Kanal-Produzenten in spe noch von den Sponsoren hörte man etwas. Auch Marc Kampmann hatte sich rar gemacht und von ihm war in dieser Zeit auch nichts zu hören. Aber der war wohl auch jetzt mit Frau Schöller und deren beidseitiger Liebe beschäftigt. Das diesbezüglich etwas von der NLZ käme hatte ich natürlich nicht erwartet und meine Erwartungen sollten mich dann auch nicht täuschen. Als dann doch „endlich“ was zuhören war, wiederholte sich schon wieder einmal für mich die Geschichte; wieder zogen Turbulenzen auf, die dann dafür sorgten, dass ich so viel Stoff habe um jetzt den Rest dieses Buches zu füllen. Na, dann wollen wir mal loslegen ... aber zunächst einmal umblättern.
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Die letzte Klappe vor der ersten Mein Alltag, wie ich ihn zum Schluss des vorhergehenden Kapitels beschrieben habe, hatte nicht ganz einen Monat ohne Abstriche gegenüber dem Beschriebenen bestand. Dann schien sich doch wieder etwas in Richtung der Dinge zutun, die ich zuvor unter dem Stichwort des still ruhenden Sees abgehandelt habe. Das Lokalfernsehen, die Radiovision Neuheim, kam Mitte Mai wieder auf die Tagesordnung. Aber nicht so, wie ich es mir erträumt oder erhofft hatte, sondern ... . Ach, gehen wir doch chronologisch vor. Es begann an einem Wochentag in der Mitte des Mais damit, dass es so gegen Sechs des Abends bei uns an der Haustür klingelte. Martina war gerade etwas über eine halbe Stunde zuhause und wir hatten gerade ein Häppchen gegessen. Groß, wie sonst an Werktagen wenn Martina vom Dienst heimkommt, wollten wir an diesem Abend noch nicht zuschlagen, da wir uns an diesem Abend noch mit einer Kollegin von Martina und deren Mann in einem Restaurant in Saßmannshausen verabredet hatten. Als ich die Tür öffnete war es Marc Kampmann, der jetzt nur nachfragen wollte, ob ich am Abend zuhause sei und er mal, so etwa gegen Acht, vorbeikommen könne. Aber ich musste ihm dieses, aus vorgenannten Grunde, versagen und bat ihn stattdessen gleich hinein zukommen. So konnte ich dann Martina, die sich gleich an das Abräumen des Tisches gemacht hatte, und Marc persönlich bekannt machen. Sie hatten sich zuvor zwar schon einige Male gesehen aber sie waren sich im Sinne des Wortes vorher noch nicht persönlich begegnet. Nach der Begrüßung entschuldigte sich Marc erst einmal dafür, dass er mal kurz anrufen müsse. Dann griff er zu seinem Handy und wählte eine Nummer aus seinem elektronischen Telefonbuch. Nachdem sich am anderen Ende offensichtlich jemand gemeldet hatte, tönte er: „Engelfürtchen, entschuldige bitte, ich komme jetzt im Moment noch nicht aber dafür bleibe ich danach doch den ganzen Abend bei dir.“. Nach einer kurzen Pause, bei der er seiner Gesprächspartnerin zuhörte, sagte er noch: „Ja, die wollen heute Abend ausgehen, deshalb disponiere ich halt nur kurz um. Bis gleich dann ... Küsschen.“. Mit diesem kurzen Telefonat hatte er ungewollt unser erstes Gesprächsthema auf die Tagesordnung gesetzt, denn Martina merkte freundlich an: „Es sieht ja ganz so aus als ob sie der Stiefschwiegervater unserer Tochter werden wollten. Dann sind wir ja ein Wenig über Eck miteinander verschwägert.“. Das hatte Marc ganz aus seinem Konzept gebracht und etwas stotternd sowie holprig rückte er damit raus, dass er wohl in Frau Schöller die Richtige gefunden habe. Etwas gefasster stellte er dann noch fest: „Irgendwie scheinen wir Männer uns in bestimmte Frauentypen festzubeißen. So wie sie Frau Schreiber sehr viel mit Frau Schneider gemeinsam haben ... ich meine die schlanke Figur, die sexy Ausstrahlung und offensichtlich auch die nette offene Art – hat mein Mäuschen viel mit meiner geschiedenen Frau gemein. Sowohl äußerlich wie innerlich und das war es wohl, dass es für mich, als ich sie sah, Liebe auf dem ersten Blick war.“. Mit dieser Aussage beabsichtigte Marc ganz augenscheinlich ein Kompliment und eine Erklärung zu gleich. Was seine Geschiedene anbelangt kann ich nicht beurteilen ob seine Aussage stimmt aber ansonsten muss ich ihm wohl auf ganzer Linie Recht geben. Ich nahm dann diese kurze persönliche Einleitung zum Anlass zur Überleitung auf das Thema, weshalb Marc nach meiner Vermutung zu uns gekommen war: „Na ja, Marc. Eine neue Liebe ist gleich einem neuen Glück ... wie es in einem Schlager heißt. Da hast du wohl vor lauter Glück unsere Fernsehanstalt ganz vergessen. Ich nehme an, das sie dir heute aus irgendeinem Grunde wieder eingefallen ist und du nun zu mir kommst und wissen willst, was jetzt der Stand der Dinge ist. Aber ich muss dich leider enttäuschen, denn ich weiß genauso wenig wie du. Ich habe jetzt seit langem nichts mehr davon gehört. Ich frage mich schon, ob die Idee überhaupt noch lebt.“. Jetzt lachte er und konterte mir: „Ja Junge, in deiner Annahme, dass mich unsere Radiovision Kreis Neuheim zu dir führt, gebe ich dir ja noch recht. Aber ansonsten muss ich dir auf ganzer Linie widersprechen. Im Gegensatz zu dir habe ich mich sehr wohl um die Angelegenheit gekümmert. Mit meinem Exschwager bin ich einige Male beim Kreis vorstellig geworden. Dabei war ich sogar sehr erfolgreich ... aber nicht so wie wir uns das dachten, sondern nur für mich. Ich habe jetzt wieder einen Job. Aber nicht beim Fernsehen sondern beim Kreis. Ab 1. Juli bin ich der neue Kreispressesprecher. Seit heute weiß ich, dass ich mit meiner Bewerbung um diesen und der Annahme dieses Jobs für mich persönlich richtig gehandelt habe. Denn das, was ich heute erfahren habe, ist nicht so schön für unsere Sache und deshalb bin ich auch gleich zu dir geeilt, damit du auch schon vorab auf dem Laufenden bist.“. Ich konnte mir natürlich denken was jetzt kam, natürlich, wie es eigentlich nicht anders sein konnten, die Kunde vom endgültigen Aus. Ich muss wohl daraufhin ein Wenig enttäuscht drein geblickt haben, denn Marc fuhr fort: „Sei nicht so enttäuscht, mein Junge. Im Grunde haben wir doch schon mit so etwas gerechnet.“. „Ach ja“, verriet ich ihm jetzt, „dass die NLZ mal wieder alles kaputt macht, ist mir schon seit langem klar. Darüber war ich mir sogar schon mit Monika, als sie noch lebte, einig. Aber so ein Bisschen Herzblut habe ich doch bei der Sache vergossen. Irgendwie war ich doch mit meinen Vorstellungen auf eine rosarote Wolke geschwebt. Ich hatte mir doch was richtig Schönes unter der Sache vorgestellt. Aber ich will dir ganz ehrlich sagen, dass ich jetzt auch endgültig aufgeben werde. Jetzt wurde ich schon ein zweites Mal enttäuscht ... und ein drittes Mal möchte ich mir wirklich ersparen. Beim ersten Mal sah ich es, da mir ja die Chefredaktion angeboten worden
war, persönlich als eine Chance auf eine berufliche Karriere und beim zweiten Mal war es für mich, so wie für dich auch, eine eventuelle Möglichkeit einer Dauerarbeitslosigkeit zu entgehen. Und jetzt habe ich es eigentlich weder so noch so nötig ... aber leid tut es mir trotzdem. Schließlich ist es mir ja nicht nur um meine persönlichen Anliegen gegangen sondern ich glaubte tatsächlich damit einen Beitrag zur Demokratisierung unserer Gesellschaft zu leisten. So lange zwar jeder seine Meinung sagen darf aber nur betuchte Leute dieses aber nur wirklich können, findet Demokratie ausschließlich im Grundgesetz und nicht im Leben statt. Aber was soll es; wer kämpft kann verlieren, wer gar nicht kämpft hat schon verloren. Wir haben gekämpft und haben trotzdem verloren. Ich gestehe mir jetzt diese Niederlage ein und ziehe mich auf mein Achtel Lorbeerblatt, wie Reinhard May so schön singt, zurück.“. Marc versuchte mich zunächst ein Wenig zu trösten und berichtete mir dann, was zwischenzeitig alles gelaufen war. Es soll im Laufe des nächsten Jahres, also 2001, ein landesweites Programm, welches von den im Land tätigen Verlagen gemeinsam veranstaltet werden soll, auf Sendung gehen. Zunächst auf der Vorabendschiene, später vielleicht öfters, sollen lokale Fenster von etwa einer Stunde Dauer eingeschaltet werden. Kernstück der Lokalfenster sollen natürlich Lokalnachrichten und lokale Werbung sein. Bei Bedarf sollen von Bürgern, außerhalb der redaktionellen Verantwortung des Senders, produzierte Beiträge gesendet werden, also so eine Art Bürgerfernsehbeiträge. Ob hierfür ein bestimmter Programmanteil garantiert wird, von 16 2/3 % bis 50% ist je nach ideologischen Standpunkt die Rede, steht derzeitig noch nicht fest. Die ganze Sache soll bereits von der Landesmedienanstalt und auch von der Politik abgesegnet sein. Die NLZ wolle im Hinblick auf diese Sache, die sie für „marktgerecht“ hält, ihre Aktivitäten in Bezug auf ein lokales Fernsehprogramm einstellen. Der Kreis Neuheim und die ihm angeschlossenen Kommunen haben einen Blick auf ihre leeren Kassen geworfen und wollen nun in Anbetracht der neuen Lage von einem Engagement in dieser Angelegenheit absehen. An dem Tag, wo Marc uns aufsuchte, hatte in Neuheim eine öffentliche Hauptausschuss-Sitzung des Kreistages stattgefunden. Marc war in Vorbereitung auf seine künftige neue Aufgabe und als Lokalfernseh-Interessent auf den Zuhörerplätzen dabei gewesen. Dort wurde dann einstimmig die Einstellung aller Beteiligungsbemühungen beschlossen. Die Kreisverwaltung wurde vom Ausschuss beauftragt die Mitglieder der beiden LokalfernsehVereine zu einer Informations-Veranstaltung einzuladen und den Mitgliedern die Selbstauflösung zu empfehlen. Marc berichtete noch von einem Zwischenfall während der Sitzung. Der türkische Brotbäcker Ökdal war auch anwesend und wollte sich zu Wort melden. Zunächst hat man ihn freundlich darauf hingewiesen, dass nicht gewählte Bürger bei öffentlichen Ausschuss-Sitzungen wohl zuhören aber nicht mitsprechen dürfen. Das wollte Ökdal aber nicht einsehen und musste deshalb aus dem Saal gewiesen werden. Marc vermutete, dass das wohl der einzigste sein würde, der sich der Beerdigung unserer Träume wiedersetzen würde. Natürlich hatte Marc etwas ausführlicher, als ich es hier wiedergegeben habe, berichtet. Aber was soll auch die werte Leserschaft mit allen Details anfangen und ich will ja auch nicht mit meinem Buch im Umfang der Bibel Konkurrenz machen. Interessant ist hier zunächst nur, dass beim Abschluss von Marcs Bericht bereits halb Acht verstrichen war und wir jetzt abbrechen mussten, denn Martina und ich mussten uns sputen, damit wir nicht allzu spät zu unserer Verabredung kamen und Marcs „Engelfürtchen“ dürfte sicher auch schon auf heißen Kohlen gesessen haben. Ich hätte doch noch gerne mehr von Marc gewusst und lud ihn deshalb kurzerhand für den kommenden Freitagabend, natürlich zusammen mit seinem „Engelfürtchen“, zu uns ein. Auf der anschließenden Fahrt nach Saßmannshausen erinnerte mich Martina dann daran, dass, wenn die Beiden kommen würden, dieses unsere erste „echte“ Zusammenkunft mit der Schwiegermutter unserer Tochter sein würde. Martina und Frau Schöller, die ja beide aus dem Dorf Hexenberg stammten, kannten und duzten sich natürlich schon seit ihrer Kindheit aber ich hatte in den über 20 Jahren bisher mit ihr noch keinen näheren Kontakt gehabt, eben halt nur so nachbarschaftsmäßig wie mit allen anderen Hexenberger Bürgern auch. Aus diesem Anlass „verklickerte“ mir Martina doch etwas für mich erstaunliches: „Pass auf, du wirst etwas ganz Überraschendes feststellen. Elvira erweckt immer den Eindruck als sei sie ein prüdes Hausmütterchen. Das hat ihr offensichtlich ihr ‚Prophet’ während der Zeit ihrer Ehe so anerzogen. In Wirklichkeit hat die es aber knüppeldick hinter den Ohren ... das hatte die schon als Kind so an sich. Warte mal ab, du dürftest, wenn sie Freitag ein Bisschen warm geworden ist, wohl nicht mehr aus dem Staunen herauskommen.“. Damit hatte es meine Angetraute auch für mich spannend gemacht. Ich konnte es kaum erwarten, bis unser Besuch am Freitag erschien. Nach der ersten Viertelstunde war ich schon ob der spannenden Ankündigungen meiner Holden ein Wenig enttäuscht aber da sollte sich das Blatt plötzlich wenden. Unsere Besucherin schaute mich an und sprach mit etwas kecken Ton: „Herr Schreiber, wir kennen uns nun schon seit Jahrzehnten. Unsere Kinder gehen gemeinsam ins Bett und wie ich die Lage einschätze werden wir eines Tages Großeltern über die gleichen Enkelkinder sein. Aber wenn wir miteinander sprechen ist es so als handele es sich bei uns Beiden um Pastorenkinder aus zwei verfeindeten Nachbardörfern. Können sie sich vorstellen, dass sie zu mir einfach Elvira sagen?“. Bevor ich antwortete schaute ich kurz mal Martina ins Gesicht und stellte fest, dass diese grinste als ahne sie was jetzt auf mich zu käme. Nachdem ich ihr „Okay Elvira, du weißt ja das keiner Reiner ist als ich ist oder wäscht“ geantwortet hatte, startete sie ihren Frontalangriff. Während sie sich erhob sagte sie noch „Dann
wollen wir mal zum Bruderschaftskuss schreiten“ und schon hatte ich sie am Hals und sie knutschte mich erst mal so kräftig ab, dass mir die Luft wegblieb. Ihr hatte diese luftraubende Attacke allerdings offensichtlich nichts ausgemacht, denn sie redete gleich in Richtung von Marc und Martina weiter: „So jetzt seit ihr beiden dran“ und ließ nicht eher Ruhe, bis die beiden unserem Beispiel gefolgt waren. Allerdings ließ Marc meiner Frau mehr Chancen zum Luftholen als es sein „Engelfürtchen“ bei mir getan hatte. Obwohl ich ja vorgewarnt war, glaubte ich doch ein Wenig baff zu sein. Hatte ich die Dame doch immer als braves, frommes Hausmütterchen eingeschätzt und da erweist sie sich als ein richtiger „flotter Hirsch“. Was ich diesbezüglich bis heute nicht verstehen kann ist, wie Elvira an diesen Schöller geraten war und wie deren Partnerschaft überhaupt funktionieren konnte. Oder sollte Christofs Vater erst im Laufe der Ehe zu dem Berufsfrömmler und Scheusal geworden sein, so wie er in meinen Erinnerungen verankert ist? Jetzt muss ich aber bevor es Missverständnisse gibt doch erst einmal etwas klarstellen. Elvira war beziehungsweise ist zwar locker und flott aber auf keinen Fall ordinär oder gar trivial. Ganz natürlich hält sie immer bestimmte Grenzen ein. Ich würde es mal so umschreiben, dass man sich mit Elvira sorglos in feiner Gesellschaft bewegen kann. Martina und ich waren nach diesem Abend eigentlich ganz gerne in Elviras Gesellschaft. Mit ihr ging es immer locker aber trotzdem gesittet zu. Aufgrund Elviras recht „flockigen“ Art wurden aber meine Gedanken auf Jens Flügge gelenkt und so fragte ich Marc nach dem Herrn, der uns ja sogar sein Fernseh- beziehungsweise Pornostudio zur Verfügung stellen wollte. Darauf erklärte Marc: „Mensch Reiner, seit du Millionär bist ließt du wohl unseren ‚ordinären’ Kreisboten nicht mehr. Da hat der gute Mann doch heute einen Leserbrief veröffentlichen lassen.“. Ich lese zwar den Kreisboten nach wie vor, aber ab und zu überließt man halt dann doch etwas. Deshalb holte ich mir die bereits beim Altpapier liegende, noch aktuelle Ausgabe wieder hervor und lass mir diesen Brief einmal durch. Flügge ließ sich über die Reglementierung des Staates und seiner „Unterorganisationen“ – gemeint waren Länder und Kommunen – aus. Er forderte, dass jeder der wolle und könne Rundfunk und Fernsehen veranstalten dürfe und dass der Staat es den mündigen Bürgern überlassen solle, was er sehen will oder nicht. An der Stelle merkte ich dann, wohl treffend, an: „Alle Kanäle frei für Pornografie“ worauf von Elvira kam: „Och ist doch langweilig immer nur zuschauen; selber machen bringt doch die Befriedigung.“. Womit sie eigentlich ja auch recht hat. Durch Elvira inspiriert meldete sich aber dann auch meine bessere Hälfte, die neuerdings auch etwas aufgetaut war, zu Wort: „Och Elvira, lass sich doch unsere Kerls dort Appetit holen. Wenn sie dann zum Essen zu uns ins Bett kommen, werden automatisch auch wir satt davon.“. Dadurch kamen wir wieder auf ein lockeres Gespräch und ich dann nicht mehr dazu, den Leserbrief zuende zu lesen und verpasste damit die direkte Aussage zu unserem Lokalfernsehen in Flügges Leserbrief. Aber eines dürfte klar sein: Nur zwei Mann, Ökdal und Flügge, erhoben ihr Wort gegen die Einstellung des Projektes; alle anderen schwiegen. „Warum?“, lautete meine diesbezügliche Frage, die sich aber nicht auf deren Schweigen sondern auf deren vorangegangenen Hurra-Einstieg bezog. Was waren die Leute mit Begeisterung an die Sache herangegangen und wie gleichgültig war sie ihnen jetzt geworden. Ich teilte an diesem Abend mit, dass ich der Interesse halber mal einige Leutchen aufsuchen wollte und nachhorchen wollte, was sie sich erst davon versprochen hätten als die Idee von uns geboren wurde und warum sie jetzt den Kopf in den Sand steckten. Marc konnte noch ernsthaft anmerken, dass ihm dieses auch interessieren würde und ich das mal machen solle, bevor die Damen es wieder in ihre Richtung lenkten. Martina tönte gleich: „Reiner ich warne dich. Du willst nur bei Flügge mal eine Produktion live miterleben.“ Und Elvira hängte noch an: „Martina, ich glaube dein Reiner bringt es fertig bei meinem Paps mit seiner Befragung zu beginnen und nimmt dann den alten Herrn gleich mit ins Reich von Graf Porno. Der ist ja schon eine Weile Witwer und kann auch mal wieder was gebrauchen. Ich glaube, dass der auch noch nicht vom Weltlichen ab ist.“. Na ja, Elviras Gedanke war gar nicht so schlecht. Ich meine natürlich nicht das mit Graf Porno sondern mit dem Beginn beim alten Waymann. Schließlich wohnte er ja gleich um die Ecke, zum Zweiten hatte ich einen ganz guten Draht zu ihm und darüber hinaus kannte er sich in diesen Dingen ganz gut aus. Da ich von dem netten Abend, der noch bis Kurz vor Eins überwiegend privat ablief, eigentlich nichts, was Leser interessieren könnte, zu berichten habe, springe ich gleich zum nächsten Nachmittag, an dem ich den WaymannBesuch gleich in die Tat umsetzte. Wie erhofft bekam ich von ihm bei meinem Besuch eine aufschlussreiche Auskunft: Er meinte, man befürchtete ursprünglich, also als beziehungsweise bevor die Sache losging auf örtlicher Ebene vom Tele- bzw. Internethandel existenziell bedroht zu werden. Der „Gefahr“ habe man halt was entsprechendes entgegensetzen „müssen“ und auch wollen. Aber inzwischen lägen Erkenntnisse vor, dass die internetten Träume wohl nicht wie gedacht verliefern – die Yuppies hätten wohl ausgeträumt - und man sähe die elektronische Gefahr jetzt so nicht mehr. Nach Waymanns Überzeugung hatte die NLZ auch die, auf schmalen Denkgleisen fahrenden, Leute ganz schön in diese Richtung gesteuert. Einmal hätte sie die Leute mit lauten Gejubel in die Kartoffeln getrieben und dann, wo man sah, dass es entsprechend den Erwartungen von Nachdenkern nichts bringt, hätte man alles sang- und klanglos wieder eingehen lassen. Nun täten alle so, als hätten sie da gar nichts mit zutun gehabt. Wenn es Schwaben wären, könnte man sagen, dass sie die Devise vom
gescheiten Geschwätz vom Vortag beherzigen würden. Aber in dem Fall müsste man dann zurück fragen, was sie denn überhaupt geschwätzt hätten, denn außer Meinungen übernehmen hatten sie ja nun wirklich nicht getan. Vom ähnlichem „Schmalspurdenken“ gab es im letzten Jahrzehnt genügend Beispiele. Transferierte man nicht 1990 eine Unmenge Kaufkraft von West nach Ost und freute sich über einen Boom, den man sich auf diese Art und Weise eigentlich selbst bezahlte. Wenn ich jemanden 1.000 Euro schenke, damit er bei mir für die gleiche Summe kauft, dann hätte ich ihm anstelle des Geldes gleich die zukaufende Ware geben können. Einen Plus hat es in diesem Fall auf meiner Seite nicht gegeben. Wenn ich das aber glaube und das eingenommene Geld als meinen Gewinn verjuble, dann bleiben irgendwo Schulden hängen. In diesem Beispiel beim Lieferanten. Das liebe Geld hat ja keinen Eigenwert sondern es ist ein Tauschhilfsmittel, dass nur durch den Wert von Waren und Dienstleistungen gedeckt werden kann. Wenn man dieses schnöde Hilfsmittel aber zum Gott Mammon erhöht und sich von ihm die Sinne verwirren lässt, dann kann es schon mal zu dem Schwachsinn von 1990 kommen. Die „einzig richtige“ Entscheidung der überstürzten Währungsunion und der enorme Kaufkrafttransfer von West nach Ost muss ja zwangsläufig, wenn die gedeckten Mittel aufgebraucht sind, zur Konjunkturflaute oder sogar Krise führen. Denn Kaufkrafttransfer ist nichts anderes als sich die Waren und Leistungen, die man selber anbietet, selber zu bezahlen und zwar mit Mitteln, die man aus diesem Handel erzielen will. Mit welcher Euphorie wurde unsere Mediengesellschaft damals mit Gejohle in diesen überstürzten volkswirtschaftlichen Unfug getrieben. Wie wurden damals die Warner, die erst einmal vor der Währungsunion die Produktivität und die Lebensverhältnisse im Osten den im Westen angleichen wollten, diffamiert, obwohl sie die Einzigsten waren, die offensichtlich noch von ihrem angeborenen Denkapparat Gebrauch machten. Und jetzt? Jetzt hat man den Eindruck als habe damals eine Veranstaltung, zu der keiner gekommen sei, stattgefunden. Ein anderes Beispiel kennen wir vom großen Spielkasino „Börse“. Da wurde 1996 die T-Aktie eingeführt; ein von Anfang an mieses Papier. Die Telekom gehörte damals zu den drei am meisten verschuldeten Unternehmen der Welt. Das Kapital was man an der Börse einnahm floss also nicht ins Unternehmen sondern war bereits im Vorfeld ausgegeben. Es wurden damit drückende Schulden getilgt. Das heißt mit anderen Worten, dass man Modernisierungen nur mit neuen Schulden ausgleichen konnte. Zum anderen war die Telekom zuvor ein Monopolist und konnte somit den Kuchen alleine verzehren. Mit dem gleichzeitigen Wegfall des Monopols musste doch logischer Weise damit gerechnet werden, dass Konkurrenten sich auch kleinere oder auch größere Stücke von dem Kuchen nehmen würden. Die Herkunft aus dem beamtokratischen Lager waren doch die nächsten Handicaps. Ich will ja Beamte nicht diffamieren aber marktgerechte Flexibilität darf, schon aus den Gründen, dass man mit dem Geld der Bürger arbeitet, nicht geben. Marktwirtschaftlich ist aber der risiko- und spekulationsfreudige Manager gegenüber diesen Beamtokraten unvergleichlich bevorteilt. Ausgleich lässt sich nur durch höheren Personalaufwand auf beamtokratischer Seite schaffen. Die Behördengeburt der Telekom hatte auch einen bösen Haken in der Vermögenswerten. Für Privatleute ist eine Sache immer so viel wert wie man derzeitig dafür am Markt erzielen kann. In den öffentlichen Haushalten kennt man diesen realen Marktwert nicht sondern der Wert wird nach dem Wiederbeschaffungs-Zeit-Wert WBZ berechnet. Während nach privater Einschätzung der Wert einer Sache sowohl wachsen wie sinken kann, gibt es beim WBZ nur ständiges Wachstum. Das dann ein solches „Objekt“ wie die Telekom überbewertet ist, scheint wahrscheinlicher als umgekehrt. Wie peitschten damals die Medienfuzzi die Leute, mit den von Bankpropagandisten offensichtlich freierfunden Analysen, in den Aktienvollrausch. Aus riskobehafteten Beteiligungen wurden förmlich sichere Anlagen – so richtig für die Altersvorsorge. Wer damals die Wahrheit sagte hatte einfach keine Ahnung. Und jetzt, 2002, wo der Kurs der T-Aktie vom Mond auf dem realen Boden zurückgekehrt ist? Für wen ist da überhaupt die T-Aktie noch ein Thema? Doch nur für die jetzt weinenden Verlierer der Geschichte – aber warum haben sie damals nicht nur das gesagt, was alle sagten sondern auch noch danach gehandelt? Eigentlich müsste man ihnen sagen: Selber Schuld. In den Reden der Wahlkämpfer geht oft unter wer was verbrochen hat. Dabei schreibt man gerne, weil man ja alles besser kann, alles negative dem politischen Gegner zu. Deshalb sei hier eindeutig betont, dass die beiden vorangegangen Flopbeispiele Schwarz/Gelb zu Lasten gerechnet werden müssen. Das ist aber jetzt für Rot/Grün kein Grund zum Jubeln – die sind genauso floptüchtig wie die andere Seite. Denken wir da nur mal an Eichels UMTS-Wahnsinn. Übersetzte der Finanzminister doch die Abkürzung UMTS mit „Unerwartete Mittel zur Tilgung von Schulden“ und dann wurde praktisch „nichts“ zum Horrorpreis von fast 100 Milliarden Mark – über 50 Milliarden Euro – versteigert. Mir kam es damals so vor, als würde niemand daran denken, dass man, wenn man noch nicht die Technik hat und verbreiten kann, mit einer Lizenz nichts anfangen kann. Also stand bereits bei der Versteigerung fest, dass die Telekommunikationsunternehmen, die den Zuschlag erhielten, erst mal ungeheuere Investitionsanstrengungen unternehmen müssen, bevor sie den ersten Euro einnehmen können. Vorsichtig geschätzt musste da mindestens das doppelte der Lizenzkosten aufgebracht werden. Und was machen die Unternehmen? Sie schreiben ab und da kommen dann dicke Brocken aus den Länderkassen beziehungsweise gar nicht erst rein. Länder und Kommunen sind aber die größten Auftraggeber auf dem Binnenmarkt. Bleiben die Aufträge aus geht die Kaufkraft und mit ihm der Binnenmarkt abwärts. So werden Konjunkturflauten hausgemacht. Aber wie standen die Medienjohler hinter dem Schuldenabbauer, der in Wirklichkeit den
Grundstein für zukünftige Überschuldung legte. Und wer spricht heute noch von UMTS? Doch nur Telekomchef Ron Sommer, wenn er eine Entschuldigung für den miesen Aktienkurs seiner Telekom sucht. Jetzt müssen wir noch den internetten Vollrausch erwähnen, zumal der ja auch direkt mit unserer Geschichte zu tun hat. Erinnern Sie sich noch wie junge, von volks- und betriebswirtschaftlich Dingen völlig unbefleckte Leute mit unerhörter Begeisterung an der Börse Illusionen am Neuen Markt verkauften? Da damals Produktivität und Wertschöpfung offensichtlich Fremdworte waren, wurde wertloses Papier zu Mondpreisen verkauft. Für jeden der nicht das sagte, was alle sagten, sondern nachdachte, war klar dass diese „tollen“ Werte kurzfristig zu Pennystocks werden mussten. Und wovon träumte man? Man träumte von Teilnehmerzahlen die in kürzester Zeit das Doppelte der Bevölkerungszahl übersteigen sollten. Man sprach vom Abbau der Arbeitslosigkeit durch „unzählige“ neue Jobs. Man übersah aber dabei, dass zwar jeder neue Bereich auch logischer Weise neue Jobs mit sich bringt, aber im herkömmlichen Bereichen (Grafiker, Schriftsetzer, Drucker, Verteiler von Katalogen und anderen Drucksachen, Verkaufspersonal, und, und, und ...) eine Menge mehr Jobs kosten. Dann die Illusionen von den Umsätzen im Internett. Natürlich kann ich, wenn ich Alleinanbieter, also Monopolist, bin wahnsinnig reich werden, aber jeder weitere Mitanbieter bringt mich ein Stückchen weiter von dem Ziel weg. Na ja, die Parolendrescher in den Medien machten aber ihre Sache gut und bald quatschten alle vom Superunfug als sei es der Weisheit allerletzter Schluss. Aber am Beispiel der NLZ konnte ich feststellen, dass die Medienleute offensichtlich selbst an diese Fiktionen glaubten. Der erste Vorstoß in Sachen Lokalfernsehen ging ja ganz in dieses Richtung. Bevor Yuppies absahnten und sie dabei eventuell aus den Rennen werfen konnten, wollten sie die Geschichte lieber selbst in die Hand nehmen. Bei ihren Ängsten und Illusionen hat man dann die bisherigen Kunden mitgenommen. Mit den Möglichkeiten der Meinungs-Indoktrinierung, die Medien von Hause her mitbringen, redete man den heimischen Gewerbetreibenden ein, dass sie, wenn sie nicht mitspielen, vom Internett aufgefressen werden. Aber es gab auch eine Verheißung: Wer mitspielt wird traumhaft reich. Und so stiegen auch die Leute vor Ort – denn Gewerbetreibende sind ja schließlich auch nur Massenmenschen – mit großen Jubel ein. Zwischenzeitig fiel dann doch immer mehr Leuten auf, dass die erträumten Schneeballsysteme nicht aufgehen können und alle Unternehmungen in diese „Zukunft“ auch erst mal Geld kosten. Da kann man dann, wenn man sichergestellt hat, dass man von dieser Seite nicht bedroht werden kann, ruhig wieder alles abblasen. Die NLZ hat wohl beim ersten „Aus“ nicht bedacht, dass es Leute wie Marc Kampmann und mich geben könnte, die den noch nicht abgeklungen Zukunftsrausch aufgreifen und für anderes, zum Beispiel für ein Medium für Demokratie und Meinungsvielfalt, nutzen könnten, sonst hätten sie sich sicherlich mehr Mühe gegeben, den Leuten das wieder auszureden, was sie ihnen vorher eingeredet haben. So mussten sie zwangsläufig noch in eine zweite Runde gehen. Die Leute waren damals, als wir die Sache mit dem Lokalfernsehen wieder aufgegriffen hatten, nicht unseren Ideen und Argumenten gefolgt sondern man sah uns als diejenigen an, die eine Sache, bei der sie die NLZ in Stich gelassen hatte, fortsetzen wollten. Na ja, jetzt war die Neue Landeszeitung gründlicher vorgegangen. Wie es mir jetzt schien hat die NLZ weniger Aufwand mit der Verteidigung ihrer PlatzhirschPosition, die wir immer im Vordergrund sahen, als in die Meinungssteuerung bei den Werbekunden gesteckt. Da hätten wir vorher mehr darauf achten müssen, denn wenn sowieso keiner mehr will, ist es unbedeutend ob man der Platzhirsch ist oder nicht. Was ich gerade niedergeschrieben habe ist natürlich ein Wenig davon, was in den letzten beiden Jahren ablief, gefärbt aber im Wesentlichen doch die Wiedergabe von dem Inhalt meines fast 5-stüdigen Gespräches mit Karl Hermann Waymann. Er beteuerte mir bei unserem damaligen Gespräch, dass seine Intentionen wohl eher den meinigen, also für Meinungsvielfalt und Demokratie entsprochen hätten, aber er sah ganz real, dass wir ohne wirtschaftliche Rückdeckung aus der heimischen Wirtschaft wohl kaum einen Kieselstein bewegen könnten. Er hatte mit einer Menge Leute gesprochen und von allen das Gleiche gehört: Keiner sah mehr eine Notwendigkeit und irgendeine „ideologische Lust“ hat es von vornherein nur bei Ökdal, Marc, ihm und mir gegeben, wobei Ökdal wahrscheinlich aus religiöser Überzeugung da an was ganz anderes wie wir gedacht hat. Jetzt sah Waymann es als eine Art Zeitvergeudung an, da noch etwas zu unternehmen. Zu der Informationsveranstaltung des Kreises, zu der am Morgen dieses Tages die Einladung eingegangen waren, wollte er aus diesem Grunde gar nicht erst gehen. Mit der Ansicht gehörte er offensichtlich zur Mehrheit. Es war richtig „unheimlich“ wie sich bei der Informationsveranstaltung die handvoll doch noch erschienener Leute im großen Sitzungssaal des Kreise verteilten. Die Einstellungsgegner, also sowohl Ökdal wie Flügge, waren zwar erschienen aber sie sagten hinsichtlich des traurigen Häufleins auch nichts mehr. Und damit war, wie mir Marc bei der Veranstaltung sagte, tatsächlich die letzte Klappe vor der ersten gefallen. Für mich ergab sich jetzt die Frage, was dabei heraus gekommen wäre, wenn die Sache wirklich zum Laufen gekommen wäre. Alle hatten nur ihre Geschäfte und die dazu notwendige Werbung im Sinn. Das Programm erschien fast allen nebensächlich zu sein. Hauptsache war wohl nur ein Träger für die Werbung. Mir kam jetzt alles was geschehen war doch sehr kindisch vor. Hatte man
sich doch ursprünglich von den Leuten wahre Hirngespinste einreden lassen und jetzt beruft man sich auf die gleichen Leute um zu beweisen, dass man diese nie gehabt habe. Diese Veranstaltung war für mich eine sehr deprimierende Angelegenheit, ein unfairer Tiefschlag auf meine Emotionen. Irgendwo ärgerte ich mich sogar überhaupt zu dieser Veranstaltung gegangenen zu sein. Na ja, ich war ja Vorstandsmitglied beim „Verein Bürgerfernsehen Offener Kanal Kreis Neuheim“ wie beim „Förderverein Offener Kanal Kreis Neuheim“. Aber was hatte das zu sagen, von insgesamt 19 Leuten waren mit Marc und mir insgesamt nur 5 erschienen. Die drei anderen Vorstandsmitglieder waren die jeweiligen Vorsitzenden und Ökdal, den ich ja bereits erwähnt habe. Außer den Dingen, die ich ohnehin von Marc Kampmann wusste, war nichts Neues mehr zu erfahren. Und diese Stellungnahme des Kreises, zu der es auch keine Wortmeldungen gab, war in knapp zehn Minuten über die Bühne gegangen. Eine weitere Viertelstunde wurde von den beiden Vereinsvorsitzenden und einem Kameralisten (Verwaltungsjuristen) in Anspruch genommen. Die beiden Vorsitzenden teilten schlicht und einfach nur mit, dass Anträge auf Selbstauflösung vorlägen. Darüber müsse in Hauptversammlungen entschieden werden. Diese sollten 14 Tage später stattfinden und die Einladungen dazu wären bereits auf dem Postwege. Der Kameralist referierte dann darüber, welche Rechtsauflagen mit einer Auflösung verbunden sind. Dabei waren für die Anwesenden dann ausschließlich die Themen wie das „Aufteilen des Vereinsvermögen“ und „Was ist, wenn niemand zu den Auflösungsversammlungen erscheint“ vom Interesse. Gerade Letzteres war natürlich höchst wichtig, denn zu diesen Versammlungen war später außer den geschäftführenden Vorständen, also erster und zweiter Vorsitzender sowie die Geschäftsführer, niemand erschienen. Da es bei den Vorsitzenden noch eine Personalunion gab, also der Erste des einen Vereins war der Zweite des anderen, waren da insgesamt vier Leute zusammen gekommen. Die Sache war dann also ohne großes Getöse endgültig untergegangen und wieder mal hatte der Meinungs- und Werbungsmonopolist im Kreis Neuheim gewonnen. Gegen das große Geld kann man halt auch mit Vernunft nichts ausrichten. Für mich wäre da eigentlich der Punkt erreicht gewesen, wo ich hätte einen Schlussstrich ziehen können. Monika hatte mich mit dem, was sie mir vererbt hatte, in die Lage versetzt sorglos und ohne Anstrengung bis zu meinem Lebensende leben zu können – Leben im wahrsten Sinne des Wortes. Durch die letzte glückliche Zeit, die ich mit ihr verbracht hatte, war mein Herz frei von dem Groll, der zum Zeitpunkt der Scheidung in meinem Herzen eingezogen war. Darin lebte jetzt die Liebe zu meiner ersten Frau, die jetzt nicht mehr, weder im Leben noch in meinem Inneren, im Widerspruch zu meiner Liebe zu Martina stand. Und auch diese war wieder aufgeblüht und schien mir sogar stärker und kräftiger zu sein als sie jemals zuvor war. Meine schon zerbrochen geglaubte Familie war nicht nur gekittet sondern im wahrsten Sinne des Wortes wieder hergestellt worden. Darüber hinaus waren auch freundschaftliche Bande zu der Familie, in die Steffi einheiraten wollte, entstanden. Reimund Heimann sagte in jener Zeit mal zu Martina, dass jetzt offensichtlich das, was Gott für uns vorbestimmt habe, in Erfüllung gegangen sei. Alles was in den letzten beiden Jahren passiert sei habe offensichtlich nur den Grund gehabt, diese Prädestinationen zu erfüllen. Der einzigste Flecken in der Geschichte war also, dass in der Fernsehgeschichte nun zum zweiten Mal, und damit wahrscheinlich endgültig, die letzte Klappe vor der ersten gefallen war. Natürlich hätte ich jetzt tote Enten schwimmen lassen und mich mit der Sache abfinden können. Ernsthaft hatte ich dahingehend so und so nicht mehr vor etwas zu unternehmen. Aber hätte ich mal .... „Wenn“ und „hätte“ sind immer so schöne Worte, die im Nachhinein auch nichts mehr helfen. Ich konnte mich irgendwie nicht von meinem Fernsehtraum trennen und damit stellte ich die Weichen in Richtung der Ereignisse, die uns in der Folgezeit noch einmal kräftig durchrütteln sollten. Der von Reimund diagnostiziert Punkt war also doch noch nicht erreicht. Alles was erreicht schien sollte noch einmal ins Wanken kommen. Hätte ich damals im Mai mal ... . Na ja, dadurch musste ich halt noch weitere, teilweise schmerzliche Erfahrungen machen. Ja, ja, im ersten Halbjahr 2000 war alles so schön, wie in einer heilen Welt, gelaufen, womit es jetzt erst mal wieder vorbei sein sollte.
Zum Kapitel 26
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Naked facts, eine echt heiße Sache Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Wissbegierde, Neugierde und Sensationsbegierde beziehungsweise wo verlaufen die Grenzen zwischen diesen? Ist nicht Neugierde eine Voraussetzung für Wissbegierde oder ist es umgekehrt? Wissen setzt immer voraus, dass man auch eine Menge erfahren hat. Aber was erfährt man, wenn man sich für nichts interessiert und beruht im Gegenzug dieses Interessieren nicht Neugierde? Wo kommt denn die Triebfeder für dieses Interessieren her? Ist diese Triebfeder im Grunde ein Warten auf so etwas wie eine kleine oder große Sensation? So gesehen wäre Sensationsbegierde die Mutter des Wissens, der Motor des Fortschritts. Jetzt wird aber dieser oder jene mal ganz verdutzt dreinschauen und fragen: Sensationsbegierde als Fortschrittsmotor? Ist dieses Wort nicht von Vornherein mehr negativ belastet? Das kommt immer nur auf unseren jeweiligen Standpunkt und auf unsere Motivation an. Ist dieser Standpunkt in dieser Spaß- und Geldgesellschaft besteht die Motivation wohl kaum in sinnvoller Wissensbeschaffung. Im Falle das die Motivation sadistischer Natur ist, muss in der Regel Blut fließen oder dann müssen gar Köpfe rollen. Da beginnt die Sensation erst bei Flugzeugabstürzen, Katastrophen und Kriegen – was sicherlich als negativ zu bewerten ist. Ist aber ein Standpunkt in einer bestimmten Wissenschaft, dann stellt nicht selten ein bisher unerwartetes oder gar ausgeschlossenes mikroskopisches Ereignisses eine Hypersensation dar – und das empfinden wir natürlich alle positiv. So kann ich es dann als Sensationsbegierde abtun, wenn ich im Laufe des Monats Juni doch hier und da mal hinsichtlich der Beweggründe der Exlokalfernsehinteressierten nachfragte. Dabei ging es mir beim besten Willen nicht mehr darum, dass doch noch etwas aus der „fixen Idee“ werden könnte; ich hatte mich nun doch wohl mit der Realität abgefunden. Vielmehr hoffte ich tatsächlich auf eine Sensation, allerdings ohne eine Vorstellung zu haben, wie diese aussehen könnte. Dabei kam ich dann mehr und mehr auf etwas „Sensationelles“ in eine ganz andere Richtung, auf Erotik beziehungsweise ein Bisschen Pornografie. Sind wir doch mal ehrlich, von solchen Gedanken kann sich der frömmste Mann und die prüdeste Frau nicht freisprechen. Es geht doch des Öfteren mal ein kleiner Spaziergang der grauen Zellen unter die Unterwäsche des anderen Geschlechts und nicht selten noch ein erhebliches Stückchen weiter. Na ja, was ist da, so lange es bei diesen heißen geistigen Ausflügen bleibt, schon Schlimmes dran. Wie ich in meinem Denken von der Television auf Sexus Lustus komme ist auch leicht nachvollziehbar, denn immerhin war bei den Telefreaks noch ein gewisser Jens Flügge, der sein Geld mit diesen menschlichen Trieben beziehungsweise Untrieben verdiente und der ursprünglich beabsichtigte sein neues Studio in Neuheim dem lokalen Fernsehen zur Verfügung stellen wollte. Obwohl es das Fernsehen nie geben würde, stand und „lebte“ das Studio. Nur womit? Irgendwie interessierte mich schon, was die Herren und insbesondere die Damen im Inneren da miteinander trieben. Da kam mir dann doch mehr als ein Mal der Gedanke mir mal mit einem Vorwand dort einen Zugang zu beschaffen. So gegen Ende Juni wurde dann aus dieser eigentlich fixen Idee doch eine Tat. Ich rief Flügge an und erzählte ihm, dass ich es zutiefst bedauere, dass aus unserem kleinen Fernsehen nichts mehr würde aber was gelaufen wäre, wäre halt gelaufen. Aber irgendwie käme ich von dem Gedanken nicht ab, dass man da doch noch etwas machen könne. Wenn nicht über Kabel und/oder Antenne dann doch vielleicht übers Internet. Ausgegoren wäre bei mir allerdings noch nichts. Es wäre derzeitig bei mir nichts anderes als ein vages Brainstorming für mich selbst, also ein einsames Schwimmen im Teich der Ideen. Ich brauchte ihm gar nicht zusagen, dass ich ihm deshalb mal gerne zu einem Gedankenaustausch und zu einer Betriebsbesichtigung aufsuchen wolle sondern ich erhielt von ihm prompt eine Einladung zu einer solchen Sache. Gleich einen Tag darauf, einem Freitag konnte ich Flügge in seinem Neuheimer Studio aufsuchen. Morgens um Zehn trat ich bei ihm in seinem, nach meinem Geschmack etwas zu groß geratenem Büro an. Er erzählte mir von seinen geschäftlichen und privaten Visionen. Seiner Meinung nach hat die Medienlandschaft, so wie sie sich uns zur Zeit darstellt, keine große Zukunft mehr. Er glaubt daran, dass Internet, Rundfunk und Fernsehen mit allen möglichen Kommunikationsdiensten nach und nach zu einem Medium verschmelzen werden. Im Hinblick auf die technischen Entwicklungen gar nicht so abwegig aber zeitlich dürfte doch mit einem späteren Zeitpunkt, wie die Technologie Freaks es haben möchten, zu rechnen sein. Flügge gehörte jedoch zu den Leuten, die an einer schon sehr nahen Erfüllung dieser Träume glaubte. Seiner Meinung nach, gibt es schon in 10 Jahren in keinem Haushalt mehr ein Telefon oder Fernseher. An die Stelle dieser Instrumente würden leichte, tragbare PC, also Laptops mit Webcams und allen Drum und Dran treten. Ein größerer für Zuhause und Minis für Unterwegs. Ich glaube, dass man seine Meinung, dass dann die Kommunikation zwischen den einzelnen Menschen in Nah und insbesondere Fern über dieses multimediale Medium läuft, ruhig teilen kann. Auch dass es dann ein sehr großes Programmangeboten geben wird, scheint nicht aus der Luft gegriffen sein. Sehr vieles wird sich diesbezüglich hobbymäßig im Privatbereich abspielen und das gewerbliche Angebot wird über diverse Spartenkanäle laufen, teilweise durch Werbung und teilweise über Gebühren beziehungsweise Beiträgen finanziert. Vollprogramme in der heutigen Form dürften dann ausgedient haben. Im Konzens dürften wir uns 100%-ig einig gewesen sein aber im zeitlichen Rahmen lagen wir, wie ich ja schon geschrieben habe, deutlich auseinander. Während ich
diesbezüglich mit einem Zeitraum von zirka 30 Jahre oder sogar noch ein Bisschen mehr rechnete, glaubte er das bereits 2010 alles das, was heute ist, bereits Vergangenheit sein wird. Meine Annahme beruht nicht, wie Flügge bei unserem Gespräch glaubte, darauf, dass ich glaube, dass die Menschen irgendwie fortschrittlichfeindlich seien sondern ich gehe davon aus, dass für diese Dinge zunächst eine Infrastruktur geschaffen werden muss, die einerseits noch einige technische Entwicklung und andererseits noch einen „dicken Batzen“ an Investitionen erfordern. Und die Durchsetzung richtet sich dann immer noch entsprechend der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Die Preise müssen für Otto Normalverbrauer im realen Rahmen liegen und was real ist, wird durch die Entwicklung der Kaufkraft bestimmt. Das sich diese vorauszusetzende Kaufkraft nicht so entwickelt wie sich das die neoliberalen Globalisierer dieses erträumten beziehungsweise immer noch erträumen, zeichnet sich aus meiner Sicht zunehmendst ab. Dieser allgemeine Teil unseres Gespräches war ja höchst interessant aber es war ja eigentlich nicht das, weshalb ich mich zu Flügge gezogen fühlte. Da entsprach der zweite Teil, Flügges Vorstellungen von seiner „Mission“, schon eher dem, was ich erwartete. Seiner Meinung nach gehört die „Erotik“ als nicht unwesentliche Sparte in das zukünftige Programmangebot. Dabei wird seiner Ansicht nach der harte Bereich, also schrankenlose Pornografie, überwiegend im privaten Hobbybereich landen. Manch „geiler Hengst“ würde dann in der Freizeit das produzieren, womit sich heute noch über 0190er-Nummern richtig Geld machen ließe. Im gewerblichen Bereich würde sich langfristig doch der „seriöse“ Sektor durchsetzen. Als Beispiel dafür, was er als seriös bezeichnete, nannte er mir die Magazine Playboy und Penthouse. Nach Flügges Meinung kann auch heute noch immer derjenige, der zuerst da ist, auch zu erst mahlen. Daher beginne er schon mal langsam etwas im Internet aufzubauen. Natürlich mache er sein Geld derzeitig noch überwiegend mit dem „klassischen Bereich“ aber unter www.naked-facts.lmn baue er momentan etwas auf, was seinen endgültigen Vorstellungen entspreche. Allerdings wäre die derzeitige Technologiestand im Netz noch nicht das, was man letztendlich benötige. Unter „Facts“ verstand Jens Flügge eigentlich nur auf seriös getrimmte Werbeaussagen für diverse einschlägige Literatur, Einrichtungsgegenstände, Sexshop-Artikel und Mode, hier insbesondere für Dessous. Das Ganze wird moderiert und die Moderatorinnen beziehungsweise Moderatoren ziehen sich bei ihren Ansagen nach und nach gänzlich aus. Aufgelockert wird die Geschichte dann noch mit Striptease-Show-Einlagen. Als von so pornografischer Wackelei von sich an einer Stange festhaltenden nackten Damen. „Lebensberatung“ für Damen und Herren mit vom Standard abweichenden Veranlagungen gehört, so wie er mir sagte, ebenfalls zu diesem „seriösem“ Angebot. Aber was sollen Worte, Demos sagen bekanntlich mehr. Und so bat mich Flügge an seinem Büro-PC und führte mir dann sein 1-stündiges Programm, was wöchentlich neuproduziert wird, vor. Also an der Quelle konnte ich einen Blick auf www.naked-facts.lmn werfen, allerdings nicht das komplette Programm – eine Stunde passiv in so einen PC-Monitor glotzen wäre auch nichts für mich gewesen. Na ja, das Internet dürfte wohl hinsichtlich der Übertragungsqualität nicht der große Wurf sein. Als ich dieses anmerkte erklärte mir Flügge, dass dieses jedoch nur für die Livebetrachtung im Realplayer gelte. Man könne sich das Ganze aber auch in Videoqualität herunterziehen. Das dürfte bei der Datenmenge jedoch einiges an Zeit in Anspruch nehmen und deshalb kann man das Ganze bei ihm auch auf Video, CD oder DVD abonnieren. Dieses allerdings zu einem doch sehr stolzen Preis. So ganz konnte ich bei der Preisnennung keine Relation erblicken: Im Internet umsonst und auf Datenträger richtige Scheine. Und dieses für ein Zeug, für das Werbeauftraggeber vorher auch schon richtig gelöhnt haben. Aber was soll es, ich persönlich würde für so etwas keinen Cent auf die Theke legen. Hinsichtlich meines Qualitätsargument beließ es Flügge nun nicht dabei mir dieses auf internette Weise zu präsentierte sondern er schmiss dann noch seinen Fernseher und den Videorekorder, die er selbstverständlich auch in seinem Büro stehen hatte, an und jetzt bekam ich es so serviert, wie es sich „gehört“. Nach etwa fünf Minuten Vorführung rutschte mir dann die Bemerkung „Naked facts, eine echt heiße Sache“ raus. Hierauf fragte mich Flügge dann ob ich mal bei der Produktion der neuesten Ausgabe im Studio zuschauen wolle. Das war ja nun die tatsächliche Erfüllung meiner „Sensationsgier“, die mich zu ihm getrieben hatte. Mein Gastgeber führte mich dann auch umgehend hinüber ins Studio und auf dem Weg dorthin gab es in meinem Inneren immer erneute Lustkapriolen. So angeheizt musste ich mit meinem Gastgeber vor der Studiotür noch etwa drei Minuten warten. Eine Leuchttafel deutete uns an, dass wir nicht eintreten dürften. Flügge vertröstete mich: „Dieses Schild dürfen wir ruhig ernst nehmen, denn drinnen weiß man, dass ich Einlass begehre ... Ich habe vom Büro aus ein Signal gegeben das ich im Anmarsch bin und Chefs lässt man bekanntlich nirgendwo vor der Tür verhungern.“. Er hatte recht, nach der genannten Wartezeit wurde uns geöffnet und dann wandelte sich sehr schnell meine Lust in Enttäuschung. Meine Enttäuschung bezog sich nicht auf das Studio und dessen Einrichtung. Dieses war so wie ich es erwartet hatte. Vielleicht noch ein Bisschen mehr, denn Flügge hatte an wirklich nichts gespart. Das Einzige was zu diesem Zeitpunkt in diesem Studio tatsächlich an Porno erinnerte war die, nur mit einem Slipper und einem Strapshalter bekleidete Moderatorin, die auf dem Video deutlich besser als in Natura aussah. Außerdem wirken Strapse auf mich immer gegenteilig wie von den „Machern“ beabsichtigt. Solche Dinger wirken auf mich irgendwo ekelig. Ich kann nicht sagen warum, aber es ist halt bei meines Vater Sohn so. Etwas anderes fand ich
dann in Natur noch abstoßender wie auf den Bildern: Die mit Kuheutern vergleichbaren, augenscheinlich mit Silikon „aufgeblasenen“ Busen der Hauptdarstellerin. Auf Grund der Widernatürlichkeit wirkt so was abstoßend auf mich. Nach dem die im „Drehbuch“ folgende Szene, die ich hier nicht näher zu beschreiben brauche, abgedreht war, bildeten die pornografisch verunstalten Brüste der Dame auch den Hintergrund des Gespräches was ich während der kurzen Pause mit ihr führte. Ich wollte von der etwa 30-jährigen Dame, die mir als Natascha Masiozek vorgestellt wurde, wissen ob sie die „Riesendinger“ nicht in ihrem Befinden stören würden. Sie gestand mir erhebliche Probleme ein, die ich hier auch nicht auflisten brauche, da sich meine Leserinnen ohnehin vorstellen können wie das ist und wohl kaum einem Leser interessieren diese Unbefindlichkeiten, da diese davon ausgehen, dass die Dame das, bevor sie sich unter das Messer des plastischen Verunstalters begeben hat, selbst gewusst haben muss, denn schließlich ist sie ja nicht erst seit gestern eine Frau. Genau in diese Richtung ging dann auch eine meiner Fragen. Ich sagte ihr, dass ich mir sogar als Mann vorstellen könnte, dass eine solche Übertreibung bei allen möglichen Anlässen das Wohlempfinden mehr als erheblich stören könnte und wollte wissen, warum sie das überhaupt gemacht habe. Darauf erfuhr ich zunächst, dass das eine längere Geschichte sei, die sie mir, wenn ich sie ins Café einladen würde, aber gerne erzählen wolle. Es stände nur noch eine kurze Szene an und danach könne sie ja mit mir ins Café gehen. Na ja, jetzt war es wieder meine, bereits beschriebene Sensationsbegierde warum ich das Angebot gleich in eine Einladung ummünzte. Im Café erzählte sie mir dann die Story eines verkorksten jungen Lebens. Sie stammte aus dem Ruhrgebiet und war das fünfte Kind in einer Bergarbeiterfamilie. Ihr Opa oder Uropa, so genau wusste sie das nicht, war kurz vor der Wende des 19. auf das 20 Jahrhundert zum Zwecke des Kohlenabbaues dorthin zugewandert. Na ja, sie wollte raus aus dieser Umgebung und ganz nach Oben. Deshalb ließ sie sich schon mit 17 von einem Diskothekenbetreiber schwängern. Hinsichtlich seines „flotten Schlittens“ und der großen Disco, die er betrieb, glaubte sie an einen reichen Mann geraten zu sein. Als ihr Baby auf der Welt und sie inzwischen volljährig war zog sie dann mit diesem „Kerl“ zusammen. Sie bewohnten ein großes Apartment, dass nur mit den „besten“ und teuersten Möbel ausgestattet war. Das Kind war den beiden jungen Lebeleuten dabei doch ein Wenig im Wege und deshalb gaben sie es zu den Großeltern und kümmerten sich danach nicht weiter darum. Für ihre Tochter ist sie praktisch wie eine Tante, die ein oder höchstens zwei Mal im Jahr vorbeikommt. Das „Glück“ dauerte aber nur knapp zwei Jahre, dann schlug der Pleitegeier kräftig bei dem „großen Mann“ zu. Er hatte doch auf einem wesentlich zu großem Fuß gelebt. Aber das hieß für das Paar so gut wie nichts; sie wollten von ihrem „Standard“ nicht runter. Also beschlossen sie, dass jetzt Natascha im horizontalen Gewerbe auf „bequeme“ und lustvolle Weise das Geld heranschaffen sollte. Anfänglich lief das Geschäft aber gar nicht so gut, wie sie es eigentlich „zum Leben brauchten“. Normalbrüstig stellte Natascha nichts da, was Männer im gesonderten Maße zu „bezahlten Abenteuer“ locken konnte. In drei „Behandlungen“ ließ sie sich dann ihre Brust auf die heutigen Überdimension „aufpumpen“. Da wurde sie für Produzenten von Schweinebildchen und –filmen interessant. Nachdem ihr Freund nach einer Geiselnahme mit tödlichem Ausgang in eine „Staatspension“ – er wurde zu lebenslänglich verurteilt – musste, blieb sie ihrem nun eingeschlagenen Berufsweg treu. Derzeitig befindet sie sich also in den Diensten „unseres“ Jens Flügge, der sie über eine einschlägige Agentur in Hannover für ein halbes Jahr unter Vertrag genommen hatte. Dann muss er wechseln, sonst wird die Geschichte für seine Stammkunden zu langweilig. Jetzt bleibt der werten Leserschaft noch die Frage, wo bei der Dame der Antrieb mir alles zu erzählen, herkam. Na ja, dieses „Busenwunder“ hatte was gehört was oberflächlich sogar stimmte aber von ihr in eine ganz andere Richtung interpretiert wurde. Was sie gehört hatte, waren die Worte Fernsehen und Chefredakteur. Jetzt hatte sie hinsichtlich meiner Person nach oben assoziierte und glaubte nun, dass sie mir erstens ihre Lebensstory verkaufen könne und zweitens, dass ich ihr bei ihrer Karriere zum „Erotikstar“ behilflich sein könne. Als ich ihr daraufhin die nüchterne Realität bekundete wurde sie sogar direkt böse und warf mir vor, warum ich ihre Zeit überhaupt gestohlen habe und warum ich mir Sachen, die mich gar nichts angingen, überhaupt anhöre. Na ja, als ich konterte, dass ich sie lediglich nach Problemen mit ihren verunstalten Busen gefragt habe und alles andere von ihr ausgegangen sei, stand sie wütend auf und verließ schnippisch das Café. Das ich zur „Generation der reichen Erben“ gehöre, hatte ich ihr nicht erzählt. Warum auch, diesbezüglich war und bin ich zum Glück gegenüber meinen Mitmenschen nicht sehr mitteilsam. Zum Beispiel diese Dame, so eine Art typische Vertreterin der inhaltlosen Spaß- und Geldgesellschaft, hätte dann andere Verwendungszwecke für mich gehabt. Sie gehörte zu den Typen, die für entsprechend begüterte Herren jederzeit als Ware zur Verfügung steht. Aussehen und Charakter spielt bei denen keine Rolle; Hauptsache Geld. Als diese Dame von dannen war kamen mir doch Bedenken mich mit ihr überhaupt in der Öffentlichkeit gezeigt zu haben. Ihre Oberweite und ihre doch etwas ordinär wirkende Bekleidungsordnung lässt doch die Leute in eine ganz bestimmte Richtung denken. Auf jeden Fall geht mir das bei dem Anblick von „wilden Hühnern“ in männlicher Begleitung immer so. Und dass man von mir denken könne, dass ich so notgeil sei, dass ich mir zur Befriedigung meiner perversen Gelüste ein humanoides Objekt kaufen müsse, störte mich ja nun doch ein Wenig. Wenn ich daran denke, dass ich von den hübschen und intelligenten Frauen wie Martina und Monika erobert worden bin und diese wegen mir auch von ihren Geschlechtsgenossinnen beneidet worden sind, habe ich
das Gefühl, dass ich es gar nicht notwendig habe mich mit Pornoqueens, die für Lust und insbesondere Geld in menschenwürdeverletzender Weise zu Objekten „Marke Lustrutsche“ mutieren, einzulassen. Und selbst bin ich noch nicht soweit verkümmert, dass ich unter totaler Ausschaltung des Geistes meinen Körper über mich herrschen lasse. Sex und Erotik sind nach meiner persönlichen Auffassung nur dann schön und wunderbar, wenn diese auch durch den Geist wahrgenommen und beherrscht werden. Liebe und Erotik sind in erster Linie was Sinnliches, zu denen dann als Beiwerk das Körperliche gehört. Aber nur Körper ...? Eines war mir doch bei meiner Replies, die ich mir bei einem anschließenden Bummel durch die Neuheimer Innenstadt durch den Kopf gehen ließ, klar geworden: Die Geschichte „Flügge und das Lokalfernsehen“ verhielt sich genau umgekehrt wie ich ursprünglich dachte. Was aber wohl mit meinem Standpunkt und meinem Wunschdenken zusammenhing. Das er seine überproportionierten Studios zur Verfügung stellen wollte geschah nicht aus dem Grund, dass er dem Lokalfernsehen helfen wollte sondern umgekehrt, er wollte die Studios auslasten, denn dass sich das Fernsehen insgesamt an den „Nebenkosten“ beteiligen sollte und dass dann, wenn etwas im gewerblichen Rahmen – Werbung, kommerzielle Programme – produziert würde, Miete anfiel, stand ja zu keinem Zeitpunkt außer Zweifel. Flügge dürfte einen ganz schönen Kostenapparat am Hals haben und die Damen und Herren im Dienste des Grafen Pornos halten, wie ich auch bei Natascha Masiozek feststellen konnte, auch ganz schön die Hand auf. Die glauben nämlich Stars zu sein und etwas zu bieten, was sonst kein anderer oder keine andere könnte. Richtig ist allerdings, dass so etwas so gut wie jeder kann aber nur wenige lassen sich auch auf ein solches tiefes Niveau herab. Andererseits hätten wir Fernsehleute dem Herrn Flügge zu einem seriösen Anstrich verholfen. Das er sich das erhoffte hatte er ja in unserem Gespräch auch eingestanden. Damit hätten wir dann einen Beitrag dazu geleistet Körpergierde mit intellektuell vollkommen unkontrollierten Auswüchsen gesellschaftsfähig zu machen. Wir hätten mitgeholfen, Rammelei zur menschlichen Tugend zu machen. Hier, wie bei allen Dingen, muss man aufpassen, sich selbst nicht mitschuldig zu machen. Wenn ich zum Beispiel mit Verantwortlichen, die kopflose Damen und Herren in einen Container sperren und sie wochenlang rund um die Uhr von Fernsehkameras beobachten lassen – siehe die damalige Geschmacksverirrung, die sich Big Brother nannte -, in seriösen Runden spreche, werte ich diese Verletzer der Menschenwürde zu gesellschaftlich relevanten Persönlichkeiten auf. Daran sollte man auf jeden Fall denken, wenn man Geschehenlassen mit Toleranz verwechselt. Man sollte sich auch nicht damit entschuldigen, dass die Leute, die sich da protestuieren Erwachsene seien und alles freiwillig täten. Einem Schwachen, auch jemand der geistig schwächelt, nicht zu helfen könnte unterlassene Hilfeleistung sein. Auch wenn in unserer, auf Spaßkonsum ausgerichteten Gesellschaft, daran denken würde darin eine solche Straftat, die es aber in Wirklichkeit tatsächlich ist, zusehen. Aber was soll es, ich war jetzt Privatier und hatte, so wie es Reimund Heimann mal ausdrückte, den Auftrag des Schöpfers glücklich zu werden. Ich wollte jetzt meine Gedanken über das Erlebte abschalten und nach Hexenberg zurückkehren. So ganz klappte das mit dem Abschalten doch nicht. Einerseits hatte ich so eine Art schlechtes Gewissen und anderseits brodelte in mir so ein komische Vorahnung, die ich mir nicht so recht erklären konnte. Ach, Vorahnung ist vielleicht das falsche Wort. Das interpretiere ich jetzt wohl, weil ich heute weiß was danach folgte, dort hinein. Es war wohl eher so ein Gefühl eines einsamen Einbrechers, der in ein wegen Urlaub verlassenes Haus einsteigt. Ich hoffte, dass mich niemand aus meinem näheren Bekanntenkreis beim Betreten von Flügges Haus und insbesondere anschließend mit dieser Atombusen-Natascha gesehen hat. „Du meine Güte“, dachte ich, „wenn dich doch jemand gesehen hat, der das Martina wieder erzählt. Es gibt ja eine Reihe Leute, die an einer solchen Petzerei, insbesondere wenn diese den Betroffenen anschließend Ärger beschert, eine gesteigerte Freude haben. Wie soll ich die Story, wie sie sich tatsächlich abgespielt hat, glaubhaft erklären?“. Denn irgendwie ist das ja auch ein Bisschen komprimentierend für die Partnerin wenn der Partner da wie ein „heißer Köter“ durch die Gegend zieht. Wenn dann bei den Leuten der Eindruck entsteht, dass man ein solches Partnerverhalten akzeptiert, entsteht leicht die Mutmaßung beziehungsweise der Verdacht, dass man selbst von solchen tierischen Veranlagungen geleitet beziehungsweise beherrscht wird. Na ja, so von Ungefähr kamen meine Gedanken nicht, denn Martina hatte genau in diese Richtung geschlossen. Aber alles „hübsch“ der Reihe nach. Zurück in Hexenberg wunderte ich mich zunächst einmal, dass Martinas Auto bereits vor der Türe stand. Ich konnte ja nicht wissen, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft von der Firma, wo Martina in Wollerst arbeitet, eine Autolackierei brannte und das vorsorglich alles ringsherum „evakuiert“ worden war. „Na ja,“, dachte ich mir, „dann bringen wir es gleich hinter uns. Angriff ist die beste Verteidigung“. Also wollte ich hineingehen und Martina gleich brühwarm von meinem morgendlichen Exkursionen und dass diese wohl ein Fehler, allerdings nur optische, waren berichten. Gedacht und fast getan. Ich ging hinein und traf Martina im Wohnzimmer an. Freundlich eröffnete ich: „Hallo Schatz, wem oder welchem Umstand habe ich es denn zu verdanken, dich jetzt schon wieder im Arm nehmen zu dürfen?“. Meiner „In-Den-Arm-Nahme“ wich sie dann jedoch mit bösem Blick aus und sagte mit sarkastischem Ton: „Na, war es denn schön?“. Mein „Was?“ war nicht gerade klug, kam aber in diesem Moment unkontrolliert und spontan über meine Lippen. Es schien mir in diesem unglücklichen Moment so als sei das, was ich auf der Heimfahrt
befürchtete tatsächlich schon eingetreten. Sollte tatsächlich da jemand dann noch so einen draufgeklotzt haben, dass Martina ihre Arbeit auch Arbeit sein ließ und dann, um den lustwandelnden Ehegatten den Marsch blasen zu können, „etwas“ früher nach Hause gekommen sein? In dieser Angelegenheit wurde ich dann jedoch aufgeklärt. Martina verriet mir, allerdings in einem bösen Ton, dass sie zuvor auch in Neuheim gewesen sei. Und dann setzte sie nach: „Du geiler Rammler kriegst wohl nicht genug von mir und musst dir dann so eine Nutte aus Naked facts mieten.“. Statt jetzt gleich mit der Wahrheit im vollen Umfang herauszurücken, wollte ich „Dussel“ erst einmal wissen, woher sie Naked facts herkenne. Jetzt war es aber ihrerseits mit dem Verraten vorbei. Erst wesentlich später erfuhr ich, dass Christof ihr seinen neuen PC vorgeführt hatte und dort insbesondere seinen Internetzugang. In der Suchmaschine „Google“ fahndete er nach Neuheim und dabei war dann auch Flügges Angebot www.naked-facts.lmn womit er ihr auch seinen Realplayer vorführen konnte. Als nun Martina in Neuheim war hatte sie mich durch die schaufensterähnlichen Fenster des Cafés mit der atombusigen Dame, die sie richtiger Weise diesem Nacked facts zuordnete, erspäht. Des Morgens hatte ich bei Flügge diese Naked facts noch eine echt heiße Sache genannt aber in einem anderen Zusammenhang, wie sie jetzt für mich heiß geworden war. Bei uns ging jetzt ein handfester Ehekrach in eine doch sehr heiße Phase. Nun brauche ich „erfahrenden“ Eheleuten nicht zu verraten, dass es jetzt bei uns zu einen Austausch von meist bösen unzutreffenden Vorwürfen gegen den anderen kam. Bei solchen Sachen werden dann letztendlich auch immer wieder längst begrabene Vorgänge ausgebuddelt und zu neuem Leben erweckt. Dabei kamen natürlich auch längst wiederlegte Mutmaßungen und Verdächtigungen auf den Tisch des Hauses. Letztlich nahm ich meinen Schlüssel und rannte wutentbrannt hinaus und knallte dabei heftig die Türen ins Schloss. Zum Anfang unserer nun schon seit 22 Jahren bestehenden Ehe war so etwas schon mal häufiger passiert. Ich „raste“ dann immer wutschnaubend der Höhe des Hexenbergs entgegen. Je weiter ich dann von Zuhause weg war, um so mehr glättete sich das in mir brodelnde Meer, bis ich letztlich zunehmenst mich entspannend gemächlich wieder zurückspazierte. Wieder zurück entschuldigt ich mich, meist mit Tränen in den Augen, bei Martina und nahm sie kräftig in den Arm, womit dann wieder alles so wurde, wie es sein sollte. Wenn sich nichts Entscheidendes geändert hätte, wäre es vielleicht an diesem Tag wieder so gekommen. Was sich jetzt geändert hatte war, dass ich jetzt meine erste Frau beerbt hatte und eines der Erbstücke auf diesem Standardweg lag. Richtig, die Jagdhütte. Ich ging jetzt nicht mehr weiter diesem Hexenberg hinauf sondern schloss meine Hütte auf und tobte in der erst einmal wutschnaubend Hin und Her. „Verdammt noch mal,“, fluchte ich mehrfach, „warum lässt sich ‚diese’ Frau so vom Anschein täuschen? Warum hört sie mich denn nicht erst einmal an?“. Ja, ja, liebe Leserin, lieber Leser, Sie haben ja recht, wenn Sie mir sagen, dass ich mir erst einmal kräftig an die eigene Nase fassen sollte. Was habe ich denn früher gemacht? Spielte sich nicht gerade eine solche Geschichte hier in der Hütte ab? Warum hatte ich damals, als Monika hier in die Klauen der fiesen Erpresser geraten war, ihr nicht erst einmal zugehört? Das rächte sich nun an mir selbst. Das was ich damals als Täter Monika angetan habe bekam ich jetzt als Opfer von Martina heimgezahlt. Na ja, auch diesmal rauchte meine Wut wieder ab, aber ich machte danach genau das Falsche. Statt jetzt umgehend zurückzugehen – auch Martina dürfte inzwischen ja allen Dampf abgelassen haben – beschloss ich erst mal in der Hütte zu übernachten. Am nächsten Tag war ja ein Samstag, an dem Martina nicht zum Dienst musste. Dann wollte ich schon in der Frühe antreten um mich wie in früheren Zeiten bei ihr entschuldigen. Bei einem ausgiebigen Frühstück wollte ich ihr dann alles erklären und geloben es bestimmt nicht wieder zutun. Also legte ich mich erst einmal in voller Montur aufs Bett und schlief auf diesem, weil mir jetzt auch das Herz schwer war, ein. Es muss wohl so gegen Zehn am Abend gewesen sein, als ich, da es ein Wenig kühl geworden war, wieder wach wurde. Weiter auf dem Bett liegend überlegte ich Vorwärts und Rückwärts, ob es angebracht sei, jetzt doch noch heimzukehren. Vielleicht hätte ich dann noch eine Chance gehabt. Aber ich kam zu dem Schluss, dass ich die Angelegenheit doch auf den Morgen vertagen sollte. Daraufhin zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus und kroch wieder ins Bett – diesmal jedoch unter die Decke. Am nächsten Morgen durfte ich dann in Erfahrung bringen, was mir das Hinausschieben der Entschuldigung eingebracht hatte. Ich war heimgekehrt und stolperte gleich über meine zwei großen und jetzt prall gefüllten Koffer. Über die Kofferoberseiten hatte Martina mit Tesafilm einen DIN-A-3-Zettel geklebt. In sauberen Druckbuchstaben hatte sie darauf geschrieben: „Hau ab, für immer! Es war ein Fehler Dich wieder aufzunehmen!“. Na ja, damit wollte ich mich natürlich nicht gleich abfinden und ging deshalb erst mal weiter ins Haus. In der Küche traf ich dann Martina an. Sie schaute mir mit einem „giftigen Blick“ ins Gesicht und sagte etwas keifend: „Kann der Herr inzwischen schon nicht mehr lesen. Hast wohl langsam deinem ganzen Verstand verbumst. Mach jetzt ganz flott und geh, wegen meiner dahin, wo der Pfeffer wächst.“. Ich wollte noch etwas reumütig sagen als Martina die auf den Tisch stehende Pfanne schlagfertig in die Hand nahm und drohend „Du, ich meine es ernst“ sagte. Da zog ich es doch vor, mich zunächst einmal mit meinen Koffern in die Hütte zurückzuziehen. Ich packte die „Gepäckstücke“ in mein Auto und fuhr dann mit diesen in Richtung des Hexenberges. Ja, an diesem Punkt waren wir vor nicht all zu langer Zeit, genauer gesagt noch nicht ganz zwei
Jahren, schon einmal. Damals begann für mich ein Martyrium, das letztlich doch noch glücklich endete. Das sollte sich, nach meinen Wünschen allerdings nicht noch einmal wiederholen. Also, dieses Martyrium war jetzt nicht in meinem Sinne – und was nicht stattfindet bedarf anschließend auch keines glücklichen Endes. Mein fester Vorsatz war es bereits am gleichen Wochenende wieder alles in Ordnung zu bringen. Mein erster Gedanke war, dass man in dringenden Fällen auch mal die Tochter um eine Vermittlerrolle bitten dürfe. Also machte ich mich gleich auf dem Weg nach Neuheim aber ich traf weder Christof noch Steffi an. Nun, ich hätte auch daran denken können, das Einzelhandelsleute auch an Samstagen ihrer Arbeit nachgehen müssen. Sollte ich zum EDEKA-Markt nach Wollerst fahren um sie dort mit meiner Bitte anzusprechen? Ach was soll’s, es war, so dachte ich, sowieso besser bis zum Nachmittag zu warten und sie in den eigenen vier Wänden anzusprechen ... aber wieder hatte ich Pech, ich kam wieder vor der verschlossenen Tür an. Als ich dann anschließend zu Martina wollte traf ich im Dorf den alten Waymann, der mir erzählte, dass die jungen Leute gleich nach dem Dienst ins Wochenende aufgebrochen waren. Martina traf ich anschließend auch nicht an, auch sie war übers Wochenende – wohl aus Wut und Kummer über mich – ausgeflogen. Und so war ich in der Tat in meiner Situation, zumindestens übers Wochenende, auf einmal um fast zwei Jahre zurückgeworfen worden.
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Freunde sollte man sich genau anschauen Nach dem Studium des soeben abgeschlossenen Kapitels wird manche Leserin gesagt haben: „Meine Güte, was stellt sich diese Martina an. Mein Mann war auch schon im Puff ... was du ja noch nicht einmal wirklich warst – und? Wenn bei solchen Kleinigkeiten alle Frauen so ein Zirkus machen wollten, gäbe es wohl überhaupt keine intakten Ehen mehr.“. Dem kann ich auch ganz locker entgegensetzen, dass schon manche Frau, nach dem ihr Mann die Nachbarin angelächelt hat, ohne lange zu überlegen zum Anwalt gelaufen ist um die Scheidung ins Rollen zu bringen. Was beide Frauen unterscheidet sind die Erfahrungen, die sie vor diesen Vorfällen, also vor dem Bordellbesuch beziehungsweise vor der Nachbarinnenanmache, machten. Dabei schreibe ich jetzt eindeutig nicht von Ketten immer gleichartiger Vorfälle, also nicht von wöchentlichen Bordellbesuchen oder ständigem Nachbarinnenbeflirten; es geht hier schon um „Einzelfälle“. Aber ist es nicht menschlich, wenn man „plötzliche“ Geschehnisse mit eigenen Erfahrungen und Entscheidungen abgleicht und dann mit dem Vorsatz, nicht wieder einen Fehler machen zu wollen, an eine Sache herangeht. Aber gerade das, was man zur Fehlervermeidung unternimmt, kann sich später als ein sehr großer Fehler herausstellen. Ach, lassen wir das „durch die Blume Theoretisieren“ und nehmen wir Martina, die jetzt, bei einer solchen Kleinigkeit, recht heftig reagierte, als praktisches Beispiel. Vor ein paar Jahren wäre eine solche Sache, dass ich mit einer augenscheinlichen Nutte im Café gesichtet worden bin, kein allzu großes Thema bei ihr gewesen. Selbst dann nicht, wenn sie gewusst hätte, dass die Dame vorher ihre Lustarbeit an meinem Körper erledigt hätte oder der Treff im Café der Anmietungsanbahnung dieses Lustobjekts gedient hätte. Ihre Ratio hätte ihr gesagt, dass eine angemietete Körperbefriedigung nichts mit einem Seitensprung zutun hat, da der Kopf ja ohnehin offensichtlich zuhause geblieben ist. Natürlich hätte sie mir dann nicht erfreut gesagt, dass ich das fein gemacht hätte; eine Abreibung hätte ich schon einstecken müssen. Aber ich wäre wohl nicht des Hauses verwiesen worden und dieses Reizthema wäre sicher schon nach einem Wochenende soweit gestorben gewesen, dass es nicht mehr auf der Tagesordnung gestanden hätte. Jetzt, nach den Geschehnissen der letzten zwei Jahre, war aber alles anders. Nun fragte sie sich ob es wirklich richtig war unsere durch die Wirren unterbrochene Partnerschaft wieder aufzunehmen. Sie fragte sich ob sie mich wirklich richtig kenne und sie mir tatsächlich trauen könne. Im Hinblick auf die Zukunft fragte sie sich, was sie noch alles von mir zu erwarten habe und ob sie dieses ertragen könne. Dieses war jetzt der Hintergrund ihrer heftigen Reaktion. Mit der Zeit normalisiert sich so etwas natürlich wieder aber soweit waren wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Zwischen Ostern, wo wir mit der Fortsetzung unserer Ehe begannen, und dem Tag des neuerlichen Vorfalles lagen erst drei Monate. Jetzt will ich aber nicht mit einem ungewaschenen Finger fortwährend auf Martina zeigen sondern ich habe allen Grund mir an die eigene Nase zufassen. Warum habe ich Martina nicht wie in früheren Zeiten in meine Fantasien und in meine Neugierden miteinbezogen? Es gab ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder hätte sie versucht mich davon zu überzeugen, dass alles Blödsinn ist oder sie hätte sich, was auch nicht selten vorkam, sich mit ihrer eigenen Fantasie und Neugierde angeschlossen und mich mit der Bitte genauer Berichterstattung hingeschickt. Da das vorhergehende Einbeziehen früher bei mir Standard war, ist es sogar denkbar, dass es, wo ich es jetzt unterlassen habe, auch ohne unsere Vorgeschichte zu einer Auseinandersetzung, die vermutlich aber nicht ganz so deftig gewesen wäre, gekommen wäre. Dann hatte ich mich doch auch wie ein kleiner Tölpel, als ich von meinem Abenteuer nach Hause kam und unerwartet Martina antraf, bei der Begrüßung unklug und ungeschickt verhalten. Aber daraus mache ich mir eigentlich, da es menschlich verständlich ist, selbst auch keine besonderen Vorwürfe. Auch dass ich anschließend zum Abreagieren meiner Wut hinausrannte ist nicht der Gegenstand meines Vorwurfes, aber dass ich nicht, als sich das Gebrause in mir gelegt hatte, postwendend wieder heimkehrte und versucht habe alles ins richtige Licht zu setzen, ist eine Angelegenheit, die ich mir voll aufs eigene Fehlerkonto schreiben muss. Martina hat mit Sicherheit darauf gewartet und da sich bei ihr inzwischen auch der erste Sturm gelegt hatte, hätten wir bestimmt eine wieder zueinander führende Gesprächsgrundlage gehabt. So habe ich sie aber mit ihren Gedanken allein gelassen, was in Folge zu dem führte was geschah. Was jetzt allemal richtig gewesen wäre, wenn ich mich hingesetzt hätte um ein Mal richtig über die Sache nachzudenken, um dann mit vernünftigen Argumenten, am Besten mittels eines Briefes, den ich ihr in den Hausbriefkasten hätte werfen können, meine Version darzustellen. Am Schluss des Briefes hätte ich ja schreiben können: „Ach Mäuschen lass uns doch bitte einmal darüber sprechen. Bitte, bitte, gebe mir die Chance und ruf mich auf dem Handy an.“. Wie ich Martina kenne – und die kenne ich doch sehr gut – hätte sie an diesem Angelhaken kräftig angebissen. Aber was machte ich? Ich wiederholte genau das, womit ich eigentlich schon einmal kräftig auf die Nase gefallen war. Offensichtlich reicht mir ein Fehltritt nicht; ich muss wohl alles in doppelter Ausführung „verbrechen“. Also habe ich schon angedeutet was jetzt folgte. Ich begann wieder damit Martina massiv zu belästigen. Diesmal hatte ich dazu noch ganz andere Chancen, denn ich hatte ja nicht wie damals meine Hausschlüssel bei ihr abgegeben. Also saß ich prompt wenn sie nach Hause kam im Wohnzimmer, was dann zunächst zu einem sehr wilden Ehekrieg führte. Grundsätzlich hatte mich Martina dann nach einer
halben Stunde wieder des Hauses verwiesen. Genau nach einer Woche, also es war wieder ein Freitag, als Martina ein finaler Zug gelang. An diesem Tage war es sehr warm und ich hatte mein Jackett über einen Sessel gelegt, was meine Kontrahentin sofort erblickt hatte. Sie gab sich zunächst zugänglicher wie an den Tagen zuvor und ich fühlte mich schon wieder etwas sicherer. Das veranlasste mich dann dazu, erst einmal zu einem kleinen Geschäft die Toilette aufzusuchen, bevor ich dann die Sache wieder endgültig bereinigen wollte. Als ich aber im Wohnzimmer zurück war, war alles wieder wie an den Vortagen. Und nach 10 Minuten war ich auch an diesem Tag wieder draußen vor der Tür. Zurück an der Hütte merkte ich, was Martina in der Zeit, als ich auf der Toilette war, gemacht hatte. Sie hatte während meiner Abwesenheit in meine Jackentasche gefasst und „ihren“ Hausschlüssel von meinem Schlüsselbund gezogen. Nun war es richtig wieder wie damals. Ich war immer noch nicht klug geworden und zog die gleiche Belästigungsshow wie damals vor und um ihr Haus ab. Es gibt einen Schlager mit dem Titel „Immer wieder sonntags“, den ich eigentlich in „Immer wieder freitags“ umtaufen könnte, denn die beiden folgenden Freitage sollten noch einmal zu Eckpunkten in meiner Geschichte werden. Am ersten von den beiden genannten Wochentagen stand ich pünktlich zu Martinas Rückkehr vom Dienst zur Belästigungsattacke bei ihr vor der Tür. Offensichtlich, so schien es mir, war ein Wunder geschehen, denn Martina kam auf mich zu, lächelte mich freundlich an und sagte: „Na Reiner, dann will ich uns erst einmal einen Kaffe machen und dir dann etwas ganz Wichtiges erzählen.“. In meiner Brust schlug meine Seele triumphierend Kapriolen, denn ich glaubte es wieder geschafft zu haben. Das Martina eine böse und sehr demütigende Attacke vorhatte konnte ich ja nicht ahnen. Sie bat mich schon mal im Wohnzimmer Platz zunehmen, während sie fröhlich trällernd den Kaffee zubereitete. Als sie dann mit zwei gefüllten Tassen ins Wohnzimmer zurückgekommen war und diese auf dem Tisch abgestellt hatte, wurde von ihr mit einer Frage der Anfang vom Ende eingeläutet: „wann hast du Marc eigentlich das letzte Mal gesehen?“. Ich wusste es nicht so genau, es war bestimmt schon mehr als vier Wochen her, und dieses sagte ich Martina auch. Darauf fuhr sie fort: „Dann weißt du auch nicht, dass Marc und Elvira auseinander sind. Na ja, jeder muss sehen wo er bleibt und da habe ich Elvira halt den Kerl ausgespannt.“. Das war für mich ein Niederschlag. Ich setzte die Tasse, von der ich trinken wollte wieder auf den Tisch und verließ, enttäuscht von Frau und Freund, wortlos das Haus. In der Hütte ließ ich mich erst einmal, innerlich total zerknirscht, auf dem Bett nieder. Zunächst kreisten meine Gedanken um meine treulose Ehefrau und meinem ehrlosen Freund, was wohl jeder nachvollziehen kann. Dann erschien mir doch alles etwas merkwürdig. Eigentlich steht Martina nicht auf so einen Typ wie Marc Kampmann – also vom Äußeren her gesehen. Und umgekehrt genauso; Marc steht laut seinen eigenen Worten doch eher auf Pummelchen wie Elvira Schöller. Bei Monika, die vom Typ her Martina entspricht, war das damals was ganz anderes. Da spielte die Situation eine große Rolle; es war ja sein Weihnachtsengel von 1998. Warum sollte er eine Frau, die seinen Idealvorstellungen entspricht, verlassen um sich die Frau des Freundes zu nehmen? Dann ist ja Martina diesbezüglich auch nicht gerade von der „schnellen Truppe“. Sie brauch sowohl in positiver wie in negativer Richtung immer ein Wenig Zeit bis sie eine Entscheidung ihre Gefühle betreffend trifft. Und jetzt will sie innerhalb von nur zwei Wochen umdisponiert haben? Was sollte das eigentlich, dass sie mich fragte, wann ich Marc das letzte Mal gesehen habe? Wenn sie sich Marc ins Bett geholt hat, ist es doch mehr als nur natürlich, dass ich dann nicht nur ein Mal ganz oben auf der Tagesordnung gestanden habe. Dann hätte sie dieses vorausgesetzt und hätte ganz anders begonnen, zum Beispiel mit: „Du hast Marc ja jetzt vier Wochen nicht gesehen, ...“. Alles schien mir doch irgendwie oberfaul und deshalb beschloss um Licht ins Dunkele zu bringen erst mal Elvira Schöller aufzusuchen. Ich machte mich postwendend auf den Weg. Vor ihrer Haustür traf ich dann ihren Vater, den alten Waymann, der gerade vergeblich versucht hatte seine Tochter zu erreichen. Er meinte, aus meiner Sicht, vielsagend zu mir: „Meine Elli hat sich mit ihren Kerl verkracht und jetzt stellt sie ihm nach. Deshalb ist sie jetzt nicht da. ... Aber da kennen Sie ja auch eine Menge davon.“. Danach machte er sich schnell von dannen. Ja, wenn ich das „richtig“ interpretiere hat mir Martina doch keinen unter die Weste „gejubelt“. Eines glaubte ich jetzt zu wissen: Freunde sollte man sich genau anschauen. Aber was soll’s, es ist doch vielleicht besser erst einmal mit Elvira zu sprechen bevor ich in die falsche Richtung lospoltere. Möglicher Weise ist ja doch alles anders wie es sich für mich darstellt. Vielleicht haben die alles nur verabredet, um mir kräftig eins auszuwischen. Aus meiner Redakteurszeit hatte ich immer noch die Angewohnheit immer einen Notizblock und einen Kugelschreiber für alle Fälle mitzuführen. Davon machte ich jetzt gebrauch. Ich schrieb ihr einen Zettel, dass ich sie gerne mal wegen Marc und Martina sprechen wolle und sie möchte mal bei meiner Hütte vorbeikommen. Nachdem ich diesen im Hausbriefkasten eingeworfen hatte begab ich mich zurück Richtung des Hexenberges, zurück zu meiner Jagdhütte, die ich einstmals schon mal Liebeslaube genannt habe. Wieder zurück an meiner Behausung, also noch vor der Tür, warf ich einen Blick auf meine Uhr, denn es war mir klar geworden, dass sich wohl übers Wochenende und vielleicht sogar die komplette nächste Woche nichts an meiner derzeitigen, nicht so erfreulichen Lage ändern würde. Da dürfte es doch ganz angebracht sein, wenn ich erst mal nach Saßmannshausen zu ALDI fahre um mich dort und in dem danebenliegenden Getränkemarkt einzudecken. Ich hatte zwar keine Absichten wieder unter die Säufer zu gehen, aber so zwischendurch mal ein
Fläschen Bier kann ja nicht schaden, zu mal ich ja nicht so recht wusste, was ich übers Wochenende machen sollte. Na ja, im Getränkemarkt programmierte ich dann selber vor, was ich mir in der Folgezeit zufügen sollte. Bei meinem Vorsatz hätte es ja ein Kasten Bier mehr als ausreichend getan aber ich nahm gleich drei davon. Und dazu noch ein paar Flaschen mit diversen hochprozentigen Zeug. Meine Entschuldigung für mich selbst war, dass es ja nicht schaden könne, wenn ich in der Hütte für alle Gelegenheiten was parat stehen hätte. Dabei war mir natürlich klar, dass ich jetzt mit dem Feuer spielen würde und dieses Risiko ging ich jetzt ganz bewusst ein. Jeder der so etwas schon mal erlebt hat, weiß dass ich eigentlich nur meinen eigenen Vorsatz vor mir selbst wegtäuschen wollte. So verhalten sich auch Alkoholiker, die, obwohl sie sich ihrer Krankheit bewusst sind, behaupten, sie könnten auch Angesichts bereitstehender Flaschen drei Wochen ohne Griff zu diesen aushalten. Wenn sie das Zeug erst einmal haben, dürfte zunächst mal der Beschaffungszwang befriedigt sein. Und danach haben sie dann bei jedem Griff zur Flasche eine Ausrede, warum sie gerade jetzt noch einmal zugreifen. Wenn ich mir nachträglich die Ereignisse dieses Freitags vor Augen führe, ist mir bewusst, dass auch ich doch sehr nahe vor dem Abgrund des Alkoholismus stehe. Aber bis heute, Juni 2002, ist nichts passiert und bei meiner heutigen gefestigten Einstellung dürfte da auch, zumindestens in absehbarer Zeit, nichts passieren. Von sich zu behaupten man stände über allen Dingen, ist entweder leichtfertige Selbstunkenntnis oder bornierte Überheblichkeit. Kein Mensch auf dieser Welt kann von sich selbst behaupten, nicht so zu sein oder zu werden wie die anderen. Aber sollte ich Alkohol missbrauchen und dann der Krankheit anheim fallen, kann ich niemals behaupten, keine Vorwarnungen erhalten zu haben. Nachdem ich meine Vorräte entsprechend verstaut hatte, gedachte ich erst mal zu duschen und dann wollte ich zum Einsiedler-Wochenende übergehen. Ich muss sagen, dass mir das ausgiebige Duschen richtig gut tat. Dabei sortierten sich auch meine Gedanken ein Wenig. Wieder war mir der Gedanke gekommen Steffi um eine Vermittlertätigkeit zu bitten und war mir irgendwo sicher, dass auch alles klappen würde. Ich hatte momentan nicht mehr daran gedacht, dass ich bei Elvira eine Nachricht hinterlassen hatte und rechnete jetzt eigentlich mit niemanden mehr. Wie immer wenn ich da war, war die Hüttentür unverschlossen und so konnte Elvira auch ungehindert eintreten als ich just im Adamskostüm mitten in der Hütte stand. Meine Güte, was zog das Luder plötzlichen Einen ab: „Aha, du alte Sau. Daher weht der Wind. Deine Frau schmeißt dich raus und du lockst dann Nachbarinnen in deine Lusthöhle. Aber mich legst du nicht flach.“. Sie drehte sich auf dem Absatz herum und stob davon. „Na ja,“, dachte ich mir, „das legt sich bei der auch wieder. Ich will erst mal sehen, dass ich mit meiner eigenen familiären Sache ins Reine komme.“. Ich griff erst mal zu meinem Handy und rief Steffi an und vereinbarte mit ihr einen Termin für den Abend. Ich hatte ihr auch gesagt um was es ging und sie schien mir sogar froh, von mir zur Vermittlerin berufen worden zu sein. Von dem Intermezzo mit Elvira hatte ich Steffi nichts erzählt, weil ich dieses jetzt für banal hielt, und das sollte mir dann zwei Stunden später zum Verhängnis werden. Ich hatte mich bis auf den Anzug angezogen und erst mal aufs Bett gelegt und dabei überlegt, wie ich Steffi die ganze Story ohne Beschönigung aber nicht verschreckend erzählen wollte. Ich war gerade im Begriff mich zu erheben als mein Handy bimmelte. Nachdem ich gemeldet hatte tönte Steffi von der anderen Seite: „Vati, dass hätte ich nicht von dir gedacht. Von Mutti habe ich eben erfahren, dass du dich mit Nutten und Pornostars in der Öffentlichkeit rumtreibst. Und jetzt kommt Christof von Zuhause und hat erfahren, dass du seine Mutter vergewaltigen wolltest. Mit einem Trick hast du sie in deine Hütte gelockt. Nee, so einen Vater brauche ich nicht. Brauchst also gleich nicht zukommen ... ich will nichts mehr mit dir zutun haben.“. Danach legte sie auf, ohne dass ich was zur Erwiderung sagen konnte. Diverse erneute Anwahlversuche, um doch noch was richtig stellen zu können, blieben vergebens. Und jeder kann sich vorstellen, was ich jetzt nach einem Blick auf die am Nachmittag eingekauften Vorräte machte. Wenn ich heute dran denke, was in dieser Zeit geschehen ist, kommt mir alles wie minutiös inszeniert vor. Es war so als würde meine Situation jetzt auf vor den Punkt, an dem ich Marc Kampmann traf, zurückgeschraubt. Der einzigste Unterschied, den ich jetzt zum Jahresende 1998 ausmachen konnte war, dass Monika nicht mehr lebte und ich jetzt über ihr Vermögen verfügte. Aber alles andere war in der Tat genau so wie damals. Ich igelte mich in der Jagdhütte ein und gab mich einem kontinuierlich Trunk hin, den ich im Nachhinein als exzessartig bezeichnen würde. Wenn ich so nachträglich einmal berechne was ich da verkonsumiert habe dreht sich heutzutage so gut wie alles in mir. Ich hatte drei Kästen Bier geholt, was ja stolzen 60 Flaschen mit je einem halben Liter Bier entspricht. Die letzte Flasche köpfte ich am Morgen des darauffolgenden Freitags, also genau nach einer Woche. Somit hatte ich durchschnittlich pro Tag 8 ½ Flaschen Bier getrunken. Dazu kam eine völlig geleerte Weinbrandflasche; ich weiß jetzt nicht mehr ob es sich um eine 0,7- oder um eine 1-Liter-Flasche handelte. Und die anderen Fusselsorten, mit denen ich mich bevorratet hatte, befanden sich am Freitag darauf in mehr oder weniger angebrochenen Flaschen. Später meinte ein Experte dazu, dass ich unheimlich viel Glück gehabt habe, dass ich noch lebe, da ich mich nach allen Berechnungen in dieser Woche kontinuierlich immer wieder an die 6-Promille-Grenze herangetrunken habe. So etwas ende meistens tödlich. Wie gesagt, ich hatte Glück gehabt und habe es überlebt. Ich erfuhr auch, dass es allgemein einen falschen Rückschluss von der Standfestigkeit des Einzelnen auf den Blutalkoholwert gäbe. Unabhängig von der Alkoholverträglichkeit ist der Blutalkoholwert ein ganz logischer physikalischer Wert. Bei 2,0 Promille kommen auf einen Liter Blut 0,002
Liter reinem Alkohol, gleichgültig ob der Trinker einen Stiefel vertragen kann oder schon nach einem Pinnchen Schnaps ausrastet und/oder umkippt. Leute die nie trinken können vielleicht schon bei 0,3-Promille ausflippen und andere können bei 1,3-Promille immer noch geradeaus laufen. Der Unterschied liegt nur im antrainierten Empfinden, der Anteil des reinen Alkohols an der Gesamtblutmenge ist vollkommen unabhängig von der „Leistung“ des Kampftrinkers. Ausschließlich Körpergröße und –gewicht spielen aufgrund der unterschiedlichen Blutmengen eine geringfügige Rolle. Geringfügig deshalb, weil der Unterschied nicht sehr groß ist. Man kann von einer Differenz von 5 Litern bei einem Zwerg bis 7 Litern bei einem Riesen sprechen. Was ich dann auch noch vor kurzem im Leer-Lehrgang gelernt habe, ist das bei der Fahruntüchtigkeit bis zur totalen Unzurechnungsfähigkeit tatsächlich doch die Verträglichkeit eine größere Rolle als der Blutalkoholgehalt spielt. Daher sind die Promillegrenzen, die der Gesetzgeber setzt, eher nach der Devise, dass man ja irgendwo etwas beziffern müsse, willkürlich. Besser, aber praktisch nicht durchsetzbar, wäre die Null-Promille-Grenze. Daher solle man nicht vergessen, dass bereits Werte ab 0,3-Promille schon Konsequenzen hinsichtlich Fahrverbot und gar ärgeren Strafen haben können. Wenn Anzeichen von Fahrunsicherheit vorliegen wird man schon bei 0,3 Promille mit 7 Flensburgpunkten, Geld- oder Freiheitsstrafe und Fahrverbot von 6 Monaten bis 5 Jahren bedroht. Wenn es zu einem Unfall kommt können Schadensersatz und Schmerzengeld hinzukommen. Wie geschrieben: ab „mickrigen“ 0,3 Promille. Und die hat ein 75 Kilo schwerer Mensch bereits nach zwei Glas Bier erreicht. Wenn er es bei den beiden Gläsern belässt, ist die Menge je nach Gesundheitszustand und Geschlecht nach einer bis anderthalb Stunden abgebaut. Und da schreibe ich doch, unabhängig von der Blutmenge, einen individuellen Unterschied bei Menschen und dem Alkoholkonsum an. Je nach Gesundheit und Geschlecht gibt es eine unterschiedliche Abbaugeschwindigkeit des Alkohols im Blut, was aber im Gegenzug nichts über den Aufbau sagt. Im Moment des Trinkens und unmittelbar danach liegt bei Männern und Frauen, Gesunden und Kranken, Standfesten und Nichtstandfesten immer der gleiche Wert vor, reine Mengenmaße zum Mischverhältnis Blut und reinem Alkohol, einem körperfremden Gift. Was in den Stunden nach dem Trinken passiert, ist unterschiedlich und deshalb sollte man sich nicht auf so leichtfertige Empfehlungen wie vor Mitternacht mit dem Trinken aufhören und dann mindestens so viel Stunden Schlaf verlassen. Richtwerte lassen sich da nur individuell mit großer Fehlertoleranz errechnen und bergen die Gefahr in sich, dass der Betroffene sich an diese Grenzen herantrinken will aber nicht in der Lage ist, sie einzuhalten. Wer sicher gehen will, setzt sich zwei Tage nach einem größeren Umtrunk an kein Steuer. Der Restalkohol wird nämlich allgemein total unterschätzt. An dem Freitag, von dem ich jetzt berichten will, hatte ich lediglich des Morgens zum Nachdurstlöschen die letzte Flasche Bier aus meinem Vorrat verzehrt. Trotzdem führten die Ereignisse des Nachmittags dazu, dass mein Fußgängertum erst vor Kurzem, nach dem Besuch des erwähnten Leer-Lehrganges, der nach der MPU (medizinisch-psychologische Untersuchung), die man im Volksmund Idiotentest nennt, angeordnet wurde, endete. Jetzt weiß man schon, dass an diesem Tag etwas Arges geschehen sein muss. Aber was, das erzähle ich jetzt in chronologischer Folge. Des Morgens nach dem Erwachen fasste ich den Vorsatz nach einer „durchgesoffenen Woche“ wieder geradeaus denken zu wollen. Im Trane denkt man ja bekanntlich immer nur von Links nach Schräg und kommt wohl selten zu einem Ergebnis. Lediglich für den Nachdurst gönnte ich mir eine Flasche Bier – es war sowieso die letzte und die Beschaffung von Nachschub schloss ich an diesem Morgen kategorisch aus. Trotz meines nicht mitspielenden Appetits zwang ich mich zu einem reichlichen Frühstück, was ich jedoch eher als „belegte Brötchen in den Körper zwingen“ bezeichnen könnte. Meine Gedanken gingen jetzt in die Richtung, dass weder Marc noch Martina so etwas, wie mir jetzt meine Frau „vorgetäuscht“ hatte, aus ihrem eigenen Selbstwertgefühl machen würden. Meiner Meinung nach nutzte Martina nur die Tatsache, dass sich Marc und Elvira wieder getrennt hatten, um mir kräftig Eins „auszuwischen“. Jetzt, so dachte ich mir, muss ich Martina nur glaubhaft machen, dass sich das mit der atombusigen Dame aus „Naked facts“ ganz anders verhielt als sie glaubte, dann würde sich schon wieder alles in die Reihe bringen lassen. Direkt zu Martina zu gehen hielt ich allerdings nicht für empfehlenswert, dass würde ja wieder so enden wie in den zwei Wochen, die der Suffwoche vorangingen. Bei Steffi oder Elvira konnte ich wegen meines nun wirklich unbeabsichtigten exhibitionistischen Auftrittes nicht ankommen. Der alte Waymann würde sich wieder, wie es seiner Art entspricht, aus der Angelegenheit raushalten. Also blieb mir nur noch einer: Marc Kampmann. Ich wartete noch, hinsichtlich des Trinkens total enthaltsam, bis kurz nach Zwei um den Restalkohol abzubauen und setzte mich erst dann in den Wagen um zu Marc Kampmann nach Wollerst zu fahren. Ich kam gut hin und dann war wieder alles vorbei. Als ich vor dem Haus, in dem Marc wohnte, nach einem Parkplatz Ausschau hielt erblickte ich Martinas Wagen und postwendend fielen bei mir wieder alle Jalousien runter. Ich konnte ja nicht wissen, dass ich mit meinen morgendlichen Überlegungen gar nicht so falsch gelegen habe. Woher sollte ich wissen, dass Marc jetzt Besuch von drei inzwischen schuldbewussten Damen hatte. Martina war sich zwar nicht schlüssig was mit mir und der Dame war aber ihr waren doch Bedenken gekommen, warum sie sich nicht, bevor sie zur Tat schritt, erst einmal meine Version angehört hat. Ihre Bedenken waren ähnlich wie meine ihr gegenüber entstanden: Sie glaubte mich zu kennen und konnte sich nicht vorstellen, dass ich an einem „solchen“
Weib überhaupt Interesse hätte. Dass sie die Marc-Geschichte mir gegenüber erfunden hatte und sich dahingehend mehr als schäbig benommen hatte, wusste sie ja hundertprozentig. Elvira hatte nicht nur mir sondern insbesondere auch gegenüber Marc ein schlechtes Gewissen. Zunächst aber der Teil ihres Gewissens, der mich betraf. Inzwischen war ihr das Licht aufgegangen, dass sie ja ohne anzuklopfen in die Hütte gestürmt war und ich beim besten Willen nicht ahnen konnte, dass sie just in diesem Moment kommen würde. Eine unverschlossene Tür ist ja kein Freibrief dafür einfach bei anderen Leuten ungebeten in die Privatsphäre einzudringen. Dann quälte sie ihr Gewissen in eine Richtung, die ich gar nicht erwogen hatte. Sie hätte ja im gleichen Moment, wo sie mich nackt erblickte, die Tür gleich wieder von Außen zu machen können. Aber nein, sie nahm Geschimpfe zum Vorwand um richtig optisch auftanken zu können. Sie hatte mich, während sie mich runterputzte, doch im sonst durch Textil bedeckten Teil genauestens betrachtet. Was ihr schlechtes Gewissen gegenüber Marc ausmachte weiß ich nicht; es ist ja auch eine Sache unter den beiden. Nur Eines war zu erfahren: Elvira war die Urheberin des Partnerschaftsstreites wegen dem sie sich jetzt getrennt hatten, was ihr aber jetzt sich leid tat und deshalb wollte sie sich wieder mit ihm versöhnen. Nach wie vor war sie der Meinung, dass Marc der absolut Richtige für sie sei. Die dritte im Bunde war Steffi. Sie war von allen Seiten auf eine Vermittlertätigkeit angesprochen worden. Aber statt zu vermitteln hat sie kräftig in alle Richtung geschossen und mit allen gebrochen. Einzigste Ausnahme war bei ihr Marc. Der hatte sie auch um eine Vermittlung in seiner Geschichte mit Steffis Schwiegermutter gebeten. Die Vermittlerin sollte Elvira einfach mal unter einem Vorwand zu sich einladen und sie sollte dann, wenn er kommt sagen, dass sie von dem Streit nichts gewusst habe und ihm deshalb, weil sie glaube ihrer Schwiegermutter damit eine Freude zu machen, auch noch kurzfristig eingeladen habe. Den Rest wollte Marc dann selber erledigen. Steffi erzählte ihm, nachdem er ihr seinen Wunsch vorgetragen hatte, was geschehen war und darauf ergriff Marc dann selbst die Initiative. Er rief zunächst bei Martina an. Die bekam ob ihrer seine Person betreffenden Lüge einen Schrecken, beichtete ihm alles und trat danach mit zwei Bitten an ihn heran. Erstens sollte er ihr verzeihen und zweitens sollte er, weil er das wohl am Besten könne, mit mir vermitteln. Ersteres war für ihn sofort klar und das Zweite machte er dann von Gegenseitigkeit abhängig. Sie sollte zwischen ihm und Elvira vermitteln und dann wollte er sich dafür „verbürgen“, dass auch bei uns ein Friedensvertrag in Kraft tritt. Das erledigte sich aber von selbst. Als Martina am Abend Elvira aufsuchte erfuhr sie, dass sie am Nachmittag bei Marc war und das jetzt wieder alles in Ordnung sei. Das Wochenende wolle sie bei ihm in Wollerst verbringen. Marc habe vorgeschlagen, Martina solle am Freitag nach dem Dienst bei ihm vorbeikommen und sie wollten dann zu Dritt besprechen, wie er die Sache mit mir wieder einlenken könne. Am Morgen dieses Freitags war Marc zum Einkauf im EDEKA-Markt und hatte dort Steffi getroffen. Unsere Tochter war der Meinung gegenüber ihren Eltern und ihrer Schwiegermutter auch einiges gut zumachen zu haben und lud sich dann noch selbst zusätzlich zu dieser Besprechung ein. Wäre ich jetzt, wie es die Runde vermutet hatte, in meiner Hütte geblieben, hätte vielleicht schon an diesem Wochenende die Geschichte, die ich hier niederschreibe, endgültig zuende gehen können. Aber ich war nicht in der Hütte sondern in Wollerst vor dem Haus, in dem die Runde versammelt war. Das Elviras und Steffis Auto auch bei Marc vor der Tür standen habe ich in meinem Brasst gar nicht bemerkt. Ich sah nur Martinas Auto und vermutete sie in seinem Bett. Meine Gedanken kreisten also um sie, die ich offensichtlich nach bald 25 Jahren immer noch nicht genau kannte und um den Freund, den ich mir nach meinem Eindruck nicht genau angeschaut hatte. Und in diesem Moment beginnt bei mir die Phase, an die ich mich heute nur noch lückenhaft erinnern kann und deshalb folgen jetzt auch keine genauen Details mehr. Auf jeden Fall fuhr ich zurück zur Hütte, wo ich das in dieser Woche aufgelaufene Leergut einlud. Seit Wollerst fuhr ich schon einen wilden aggressiven Stil. Als das Leergut im Kofferraum verstaut war, ging es dann in der eben genannten Fahrweise in Richtung Saßmannshausen um mich im Getränkemarkt wieder neu einzudecken. Dann passierte es. Fast an der gleichen Stelle wie damals Ernst Schöller, der später als der Prophet vom Hexenberg endete, verlor ich die Kontrolle über mein Fahrzeug. Das Einzigste, an was ich mich heute noch erinnern kann ist, dass ich mich auf einmal sehr wohl und schwerelos fühlte. Ich schwebte über meinem total zertrümmerten und die Böschung hinunter gefallenen Wagen, in dem ich mich selbst regungslos liegend sehen konnte. Dann schwebte ich in eine, fast unendlich lange, helle weiße Lichtröhre einem weit entfernten sehr hellem Mittelpunkt zu. Nicht nur im Scherz sondern sogar ganz Ernst sage ich heute, dass ich mich da wohl bereits auf dem Weg in die Ewigkeit befand und mich die Ärzte des Kreiskrankenhauses Neuheim erst mal wieder ins irdische Leben zurück geholt haben. Ich war von der Fahrbahn abgekommen und hatte mich die Böschung hinunter mehrfach überschlagen. Der Wagen war total zerstört und die Feuerwehr musste ich mit schwerem Gerät aus den Trümmern befreien. Man hatte einen Rettungshubschrauber angefordert, der aber nicht gleichen kommen konnte. Auf der Autobahn hatte es zur gleichen Zeit eine Massenkarambolage mit mehreren Schwerverletzten gegeben und dort waren beide momentan im Raum des Kreises Neuheim verfügbaren Hubschrauber bereits im anderweitigem Einsatz. Der
Notarzt an der Unfallstelle befürchtete aber, dass ich nicht mehr viel Zeit hätte und ließ mich daraufhin in das Kreiskrankenhaus nach Neuheim bringen, wo man mich gleich zusammenflicken konnte. Zum Glück waren meine Verletzungen, wie sich im Krankenhaus herausstellte, nicht so schwer wie man ursprünglich befürchtet hatte, aber lange hätte man nicht mehr mit einer Behandlung warten dürfen – dann wäre ich tatsächlich vom irdischen Dasein abgetreten. Jetzt nur noch eine Anmerkung zu dem Thema Alkohol, was ich weiter vorne abgehandelt habe: Obwohl ich seit dem Vortag zirka 23 Uhr bis zum Unfall um zirka 15 Uhr „nur“ eine Flasche getrunken hatte, ergab die Blutprobe bei meiner Krankenhauseinlieferung 2,0 Promille. Wenn man dann hinsichtlich der Abbaugeschwindigkeit zurückrechnet, muss ich beim „Suffende“ am Vortag 5 oder sogar noch mehr Promille gehabt haben. Also schon da hätte ich praktisch abtreten können. Ich war offensichtlich in der Ewigkeit noch nicht willkommen; ich hatte wohl noch einige Aufgaben auf dieser Erde zu erfüllen.
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Die Ruhe, Mutter von Weisheit und Glück Die ersten beiden Wochen nach meinem Unfall entwickelten sich immer mehr zu einem weißen Flecken auf der Landkarte meiner persönlichen Erinnerungen. Da waren dann erst einmal Dinge, die mir schon von Natura aus nicht ermöglichten etwas in meinen Memoirespeicher aufzunehmen. Die ersten drei oder vier Tage lag ich im Koma und in einem solchen Zustand glauben ja nur diverse Esoterikgaukler, das da etwas wahrgenommen und gespeichert werden kann. Danach war ich dann mal wach und dann, offensichtlich auch aufgrund von den eingesetzten Pharmaka, wieder abgetreten. Alles was ich in den Wachphasen wahrgenommen habe, wird von mir zunehmendst, sowohl bewusst wie auch insbesondere unbewusst, verdrängt. Das ist auch besser so, denn das Wissen, dass so etwas Schlimm und Böse ist, reicht doch wohl für den Erfahrungsschatz eines Menschen aus, da muss man sich doch nicht durch präzise Detailaufarbeitung selbst „Klötze auf den fortlaufenden Lebensweg schmeißen“. Gerade das Aufarbeiten von schrecklichen Erlebnissen lässt aus meiner Sicht Psychotherapeuten zu gefährlichen Scharlatanen werden. Würde man mich zum Aufsuchen eines solchen Pseudowissenschaftlers zwingen, wäre das Zusammentreffenmüssen mit diesem Schreckenswiederaufbereiter mein größter Komplex, den ich mich dringend zu entledigen versuchte. Was letztendlich nur noch von meinen beiden „Intensivwochen“ hängen geblieben ist, sind die wahnsinnigen Schmerzen und meine elende Hilflosigkeit, die ich in dieser Zeit empfand. Wobei die Detailerinnerung an der eigentlich Wirkung des Schmerzes zwischenzeitig total in der Versenkung verschwunden ist. Geblieben ist nur, dass es sehr, sehr schlimm war und dass ich damals den großen Wunsch hatte Sterben zu dürfen. Diese Erinnerung färbt meine Einstellung zur Euthanasie, die Schönredner gerne als Sterbehilfe darstellen. Nun, in meinem Fall wäre das sowieso nicht in Frage gekommen, denn die Ärzte waren davon überzeugt, dass sie mich, sogar schon sehr bald, wieder zusammengeflickt ins weitere Leben entlassen könnten. Entscheidend für mich ist, dass ich im Hinblick auf die Schmerzen sowohl auf das Sterben (!) wie auf ein weiteres Leben verzichten wollte. Diese Empfindung dürfte bei Schwerverletzten oder arg Krebskranken, wie in nicht allzu langer Zeit vorher Monika, absolut gleich sein. Jetzt kann man ja nicht sagen, dass man jemand ein würdevolles Sterben ermöglichen wolle, wenn man ihn nicht sterben lässt sondern auf sein vermeintliches Verlangen tötet. Das Sterben ist ja, wenn ich mit der Sprache nicht beliebig umgehe, die Übergangszeit vom Leben in den Tod. Würdevoll ist es doch, wenn ich den Sterbenden, so wie es bei Monika war, die Möglichkeit gebe, sich vom Leben und den Menschen, die sie umgeben haben, zu verabschieden. Durch das, was Erbschleicher und ihre Helfer Sterbehilfe nennen, werden die Menschen doch dieser Würde Sterben zu dürfen beraubt. Aber andererseits sind Schmerzen auch nicht das, was man unter Menschenwürde verstehen kann. Folglich heißt mein Schluss, dass man im Sinne der Menschenwürde statt über Sterbehilfe intensiv über die Vervollkommnung der Schmerzbekämpfung nachdenken sollte. Ich glaube, dass man da von gesetzgeberischer Seite doch ein Wenig auch am Betäubungsmittel-Gesetz drehen müsste. Dann käme man auch von dem bösen Verdacht der Sterbehilfe-Beihilfe für Erbschleicher herunter. Nun heutzutage bin ich ein reicher Mann und mein Abtritt könnte für Erben recht profitabel sein. Es ist doch recht vielsagend, dass die meisten Befürworter der Sterbehilfe aus wirtschaftlich besser gestellten Kreisen kommen, während man sich in unteren Sozialschichten eher dagegen ausspricht. Da ist es doch ein Leichtes, einem Schmerzleidenden zu verinnerlichen, dass es für ihn oder andere doch besser sei, sich mit einer Giftspritze, schnell und sicher, „abmurksen“ zu lassen. Na ja, in der Richtung der Erbschleicher-Sterbehilfe hatte und habe ich nichts zu befürchten. Meine Erben werden Martina und/oder Stefanie sein und beide sind doch überwiegend emotional und kaum materiell veranlagt. Sowohl Martina wie auch ich haben jemals einer Erbschaft einen besonderen Rang zugeordnet und das haben wir wohl gemeinsam auch unserer Tochter vererbt. Eine Ironie des Schicksal scheint es zu sein, dass viele die dafür kämpfen, eine Erbschaft, sprich ohne Eigenleistung abzocken zu können, oft nichts abbekommen und sowohl Martina wie auch ich, die auch ohne Erbschaft unseren Lebensweg gegangen wären, ganz gut geerbt haben. Neben dem Schmerz habe ich noch in Erinnerung, dass mich Martina mehrfach auf der Intensivstation besucht hat. Lediglich weil ich später, nach meiner Entlassung davon erfahren habe, weiß ich, dass Martina dabei sehr viele Tränen vergossen hat; in mein eigenes Bewusstsein hat sich das nicht eingebrannt. Sie weinte nicht etwa weil sie befürchtete mich zu verlieren sondern weil ich in Wachmomenten so sehr abweisend zu ihr war. Ich soll ihr nicht zugehört und sie immer wieder zum Abhauen aufgefordert haben. Dabei soll ich immer wieder sehr aufgeregt und unruhig geworden sein, so dass die Ärzte ihr dann empfahlen, mich zumindestens während meines Aufenthaltes auf der Intensivstation nicht mehr zu besuchen. Ihr erster Besuch auf der Normalstation war für sie auch hart niederschmetternd. Sie war eben zur Tür hereingekommen und war noch nicht einmal zum Gruß gekommen als ich ihr mein „Verschwinde, ich will dich nie wiedersehen“ entgegen schmetterte. Das brachte sie dann zu ihrem Gang nach Canossa. Seit dem August des Vorjahres hatte sie mit Reimund Heimann, wenn es sich nicht um dienstliche Angelegenheiten handelte, nur öffentlich und allgemein menschlich nett verkehrt. Jetzt hatte sie aber das starke Bedürfnis sich mit einer Privatangelegenheit an ihm zuwenden. Jetzt wollte sie aber nirgendwo einen falschen Verdacht, insbesondere nicht in Richtung von Reimunds Frau, erwecken. So sagte sie
ihr Anliegen, auch mit den vorgenannten Hintergründe, während des Dienstes ihrem Wunschgesprächspartner, der sie dann postwendend zu sich nach Hause, bei garantierter Anwesenheit seiner Frau, einlud. Jetzt kann man sich Vorstellen, was sich alles in Martinas Innerem bewegte. Zum ersten Mal sollte sie der Frau, der sie den Mann nehmen wollte und der sie, ohne es zu wollen, damit recht viel angetan hat, gegenübertreten – und das in deren eigenen Wohnung. Was muss das eine Menge Überwindungskraft bei Martina gekostet haben, dieser Einladung nachzukommen. Aber ihr tiefer Wunsch ihre „Sünde“ wieder gutmachen zu wollen und ihre Überzeugung, dass Reimund der Richtige bei der Lösung sei, trieb sie mit Beklemmungen und viel Angst nach Canossa. Anschließend war sie total begeistert von dieser Frau, die ihr gegenüber den ersten Schritt unternahm. Frau Heimann öffnete ihr die Tür und sagte gleich: „Guten Tag Frau Schreiber. Es freut mich wirklich ungemein, dass wir beide mal so zusammenkommen können. ... Aber wenn ich sie so betrachte muss ich doch unseren Reimund loben, denn er hat wirklich einen guten Geschmack. Sie sind wirklich eine hübsche Frau. Und wo wir jetzt gerade bei dem Thema zwischen uns stehenden sind ... ich habe es jetzt absichtlich von Vornherein angeschnitten - ich kann mich wirklich in sie versetzen und mir vorstellen, was sie jetzt bewegt. Aber atmen sie mal ruhig durch, denn ich hege keinen Groll gegen sie und wenn ich eben gesagt habe, dass es mich freut, dann war das voll und ganz aufrichtig. Das dürfen sie mir ruhig glauben. Also treten sie ein und vergessen mal alles, was zwischen uns stehen könnte ... da ist absolut nichts mehr; ehrlich.“. Durch diese Worte, die auf Martina überzeugend rüberkamen, war doch von Vornherein eine sehr entspannte Atmosphäre bereitet worden. Natürlich setzte Martina damit an, bei Frau Heimann darum zu bitten sie zu entschuldigen. Reimunds Frau unterbrach sie aber gleich und erklärte ihr, dass es da nichts zu entschuldigen gäbe. Wie ihr Mann auch, sei sie von der doppelten Prädestination im calvinistischem Sinne überzeugt. Das heißt, dass sie glaubt Gott habe alles vorbestimmt, das Gute wie das Böse. Alles hat den Sinn, dass sich unser Glaube, sprich unser Bewusstsein, zur Vollkommenheit ausbildet. Daher rechnet Gott uns auch nicht unsere Taten an, weder die guten noch die böse. Denn Gott ist gerecht und spricht über das, was er selbst vorbestimmt, hat kein Urteil. Nur in unserem Glauben sind wir vollkommen eigenständig. Alles was geschieht, ist dazu bestimmt unseren Glauben zu festigen aber wir haben die Freiheit uns auch für das Gegenteil und damit für unser Verhängnis zu entscheiden. So meinte jetzt Frau Heimann, dass sie, wo doch Gott die Taten nicht anrechnen würde, sie darüber doch jetzt nicht zu Gericht sitzen dürfe. Das hieße ja über Gott, der alles vorbestimmt habe, zu urteilen. Daher hieße es ja, dass wir nicht urteilen sollten, damit wir nicht verurteilt würden. Außerdem habe sie festgestellt, dass sich durch diese Geschichte ihr Gottvertrauen und damit ihr Glaube gestärkt habe. Aber auch im weltlichen Sinne wäre es für sie letztendlich bestens ausgegangen, denn noch nie in ihrem Leben sei sie so glücklich und harmonisch, wie jetzt mit Reimund, mit einem Menschen gewesen. Diese Ausführungen hatten Martina doch richtig gerührt und irgendwo auch ein Bisschen Glück vermittelt. Demgegenüber versetzte das, was ihr Reimund zu berichten hatte, doch wieder eine mächtige Kerbe in ihren Gemütszustand. Er hatte Flügge, den auch er aus Lokalfernsehzeiten kannte, getroffen. Flügge hatte Reimund erzählt, dass ich ihm aus Interesse an der Studiotechnik und zu einem Meinungsaustausch über die Entwicklungen im Bereich Internet und Privatfernsehen besucht habe. Da habe sich doch eine seiner Tussis an mich herangeschmissen, weil sie durch mich ins Fernsehen zu kommen hoffte. Abgesehen davon, dass ich das ja gar nicht könne, wäre diese Tussi auch sicherlich zu blöd um beim Fernsehen zu landen. Als sie vom „Kneipenbesuch“ zurück gekommen sei, habe sie richtig über „den blöden Kerl“, womit ich mit gemeint gewesen sei, abgezogen. Flügge sagte zu Reimund, dass er mich um meine Geduld, diese „Tante“ anzuhören, bewundert habe. Nach diesem Bericht war Martina seelisch zunächst einmal total im untersten Keller gelandet. Jetzt hatte sie erfahren, dass sie mir schwer Unrecht getan habe und sie die Urheberin allen Übels sei. Zumindestens war sie davon jetzt fest überzeugt. Um so mehr sah sie jetzt einen Grund, Reimund ihr ursprüngliches Anliegen vorzutragen. Natürlich sollte er ihr im Konflikt mit mir helfen und andererseits auch ihr Trost hinsichtlich ihrer Schuld spenden. Letzteres konnte er gleich an Ort und Stelle erledigen. Dabei knüpfte er an die vorhergehenden Worte seiner Frau an. Da Gott es vorbestimmt habe brauche sie sich zukünftig damit nicht zu belasten. Wichtig sei das, was sie daraus gelernt habe. Ob sie jetzt bewusst im Vater unser „Vergib unsere Schuld“ bete und ob sie im Gegenzug „wie wir vergeben unseren Schuldigern“ konsequent für richtig halte. Wenn es ihr aufrichtig Leid täte, was sie getan hat, könne sie gewiss sein, dass unser Herr auch für sie am Kreuze gestorben sei. Somit wäre sie befreit und könne als fröhlicher Christenmensch nach Vorne schauen. Eines sei aber auch wichtiger Bestandteil des Glaubens: Gott unbedingt zu gehorchen und fortan nicht mehr sündigen zu wollen – eine Abwaschabsolution gäbe es nicht. Dann empfahl er Martina noch für mich zu beten, dann würde nach seiner Überzeugung alles gut werden. Damit hatte er Martina doch eine große Portion Hoffnung geben können. Aber auch seine Vermittlertätigkeit nahm er sehr ernst. Gleich am Morgen des nächsten Tages erschien er bei mir im Krankenhaus. Er hatte noch während Martinas Besuch bei dem „Big Boss“ seiner Firma angerufen, dass er wegen einer dringenden privaten Angelegenheit am folgenden Tag nicht kommen könne. Er hätte ja auch
sagen können, dass er später käme; aber nein, er reservierte sich den ganzen Tag, um mich besuchen zu können. Daraus ist ersichtlich, dass er sich wirklich Zeit für mich nehmen wollte. Über sein Erscheinen habe ich mich dann auch richtig gehend gefreut. Aus der letzten Zeit bei Monika wusste ich ja, dass auch mir seine Besuche bei uns immer sehr gut taten. Das dürfte wohl an der feinen Art, die dieser Mann an sich hat, liegen. Er ist im Besitze eines sehr großen Wissens und verfügt über eine Lebensauffassung, die ich hier mal als normalmenschliche Weisheit umschreiben möchte – also als Übermensch will ich ihn auch nicht darstellen. Da würde er auch als erster widersprechen. Aber er kam nie von oben herab auf jemanden zu; er behandelte seine Gegenüber immer verständnisvoll und gab einem Jeden das Gefühl selbst einen hohen Wert zu haben. Und eines kann Reimund wie kein Zweiter, er kann zuhören; ganz geduldig zuhören. Zwischendurch fallen nur mal kurze, in der Regel tröstend oder erfrischend wirkende, Worte. So hatte ich jetzt ein „Opfer“ gefunden, bei dem ich alles abladen konnte, was meine Seele belastete. Nach über zwei Stunden, als ich langsam das Gefühl hatte, so gut wie fast alles gesagt zu haben, meldete er sich dann zu Wort: „Sage mal Reiner, kannst du dir vorstellen, dass Martina auch soviel auf dem Herzen hat, was sie unbedingt gerne bei dir loswerden möchte. Die war gestern bei uns Zuhause und hat sich praktisch bei meiner Frau und mir ausgeweint. Ach, das ‚arme Mädchen’ ... so empfanden wir sie - fühlt sich hinsichtlich dessen, was sie glaubt dir ungerechtfertigter Weise angetan zu haben, so schäbig. Und sie möchte dich doch so gerne um Entschuldigung bitten und ist tot unglücklich darüber, dass du sie nicht anhören willst. Darf ich dir mal erzählen, was gestern bei uns los war.“. Nachdem ich dieses bejaht hatte, erzählte er mir ungeschminkt die Geschichte, die ich bereits kurz zuvor wiedergegeben habe. Na ja, nicht nur irgendwo rührte mich die Sache schon sehr an und bat deshalb Reimund Martina zusagen, dass ich sie gerne sehen und sprechen möchte. Es war mein Wunsch, dass er ihr dieses möglichst umgehend sagt aber gleich darum bittet, den Besuch erst am nächsten Tag einzuplanen, da ich nicht möchte, dass durch die emotionale Aufgeregtheit des ersten Augenblickes gleich wieder etwas passiert. Es ist nicht gesagt, dass da vielleicht was passiert – aber auszuschließen ist das beim besten Willen jedoch nicht. Bevor ich aber von Martinas Besuch berichte, muss ich erst mal auf Jo, meinem Bettnachbarn, zu schreiben kommen. Jawohl, ich lag auf einem Zweitbettzimmer obwohl ich mir ja ein Einzelzimmer leisten konnte. Nun meine Versicherung, die Barmer Ersatzkasse, in der ich auch geblieben bin nachdem ich Erbmillionär geworden bin, hat dieses allerdings nicht in ihren Standardleistungen und eine Tagegeldversicherung habe ich nie für nötig gehalten und abgeschlossen – man kann es ja auch mit dem Zahlen von Versicherungsprämien übertreiben. Aber ich hätte ja bequem alles gleich aus der Brieftasche bezahlen können; Monika hatte mich ja mit genügend Tauschhilfsmitteln ausgestattet. Aber was soll der Einkommensstandesdünkel? Wenn ich ausreichend Selbstwertgefühl habe, brauche ich auch nichts zu unternehmen anderen meinen Wert zu demonstrieren. In der Regel wird man entweder beneidet oder ausgelacht. Es gibt ja genug Zeitgenossen, die sich über Deppus von Monetensammler aus dem Stande des Geldadels lustig machen. Da ich nicht gerne eine Beleidigungsklage am Hals haben möchte, nenne ich die Namen der klugscheißenden prominenten Protzis, über dich ich schon herzlich gelacht habe, doch lieber mit. Man darf ja nicht von einem Konto gleich auf den Intellekt seines Inhabers schließen, das Verhältnis ist nicht selten absolut antipodisch. Sagt nicht schon der Volksmund, das der dümmste Bauer in der Regel die dicksten Kartoffeln hat. Na ja, ich für meinen Teil lebe lieber unauffällig aber dafür richtig. Jochen Beisheim, so der vollständige Name von Jo, war diesbezüglich der gleiche Typ wie ich. Jo stammte aus einer Industrieellenfamilie. Bis zu seinem 40. Lebensjahr gehörte er zu den Machern in der Familie, in der es immer nur Hickhackerei gab. Jeder glaubte bei jeder Gelegenheit zu kurz gekommen zu sein. Familienharmonie kannte er gar nicht, immer konfigurierten sich unter den Leuten, die sich seiner Familie zurechneten, neue Intrigenkreise und dann schlug man mal mit dem und mal mit der anderen auf alle oder bestimmte Andere ein. Dann hatte man ihn aber ausgebootet und zu allem Übel hat ihn bei der Gelegenheit seine erste Frau, die er als lebende Rechenmaschine bezeichnete, die sich sonst nur als Ausstellungsstück der Mode- und Kosmetikindustrie geeignet hätte, verlassen und seinen Bruder geheiratet. Er war aber nach wie vor finanziell gut ausgestattet aber hatte eigentlich nichts mehr zutun. In der ersten Zeit war Jo, der bisher nur Stress und Hektik kannte, von der plötzlichen Ruhe fast verrückt geworden. Er hat nachgedacht, nachgedacht und nachgedacht. Laut seinen Worten hat ihm die Ruhe zwangsläufig zum Nachdenken gezwungen und dabei waren ihm so nach und nach andere Sachen, die früher in seinem Leben wichtig gewesen seien, einerseits falsch vorgekommen und andererseits waren ihm diese Sachen jetzt unwichtig geworden. Plötzlich hat er gemerkt, wie schön es ist auf einer Bank zu sitzen und sich von der Sonne bescheinen zu lassen; so richtig die Seele baumeln zu lassen. Er konnte mir pausenlos all die schönen Dinge aufzählen, die uns das Leben und die Natur schenkt, die wir aber gar nicht wahrnehmen, wenn wir am Geld und an der Macht hängen. Dann hat er seine zweite, heutige Frau, die laut seinen Worten auch sehr fromm ist, kennen und lieben gelernt. Sie vertritt die Ansicht, dass sich die Schöpfung von dem vorhergehenden Chaos durch das Leben unterscheide und Leben bedeute Bewusstsein. Nur wer seine Zeit auf Erden bewusst, lostgelöst von Sachzwängen und
Notwendigkeiten, wahrnimmt lebt wirklich. Leben ist Bewusstsein, was sich aber nur bilden kann, wenn man die Ruhe zum Empfinden und Nachdenken hat. Ich konnte Jo, als er mir dieses erzählte, berichten, dass Reimund Heimann genau in die gleiche Richtung denkt. Offensichtlich kommt man beim richtigen Nachdenken aus irgendeinem wundersamen Grund, immer zum selben Schluss. Auch Jo ist heute mit seiner Frau der Meinung, das der 7. Tag in der Schöpfungsgeschichte und das Feiertagsgebot, das dritte Gebot, überaus wichtig sind und höchste Beachtung bedürfen. Jo erklärte mir, das Nachdenken zur Weisheit führt und glücklich macht. Wörtlich sagte er: „Die Ruhe ist die Mutter von Weisheit und Glück.“. Ich erinnerte mich daran, dass auch Monika in ihrer letzten Zeit oft sagte, dass sie erst ab dem Zeitpunkt, wo sie durch ihre Krankheit zur Ruhe gezwungen war, richtig bewusst Leben und Liebe wahrgenommen habe. Jos Einstellung, die mich doch irgendwie überzeugte, spielte dann für mich auch bei Martinas Besuch eine wichtige Rolle. Daher habe ich zuvor seine Vorstellung hier kurz eingefügt. Aber wenn ich schon dabei bin, kann ich ja auch schon einmal erzählen, dass ich letztlich ganze acht Wochen, davon sechs auf der normalen Unfallstation, im Kreiskrankenhaus Neuheim verbrachte. Während der ganzen Zeit waren Jo, den es beim Absturz seines Sportflugzeuges deutlich schlimmer wie mir bei meinem Autounfall ergangen war, und ich Zimmernachbarn. Wir hatten uns richtig angefreundet, was sicherlich, wenn Jo nicht in einer ganz anderen Ecke Deutschlands beheimatet gewesen wäre, über unseren Krankenhausaufenthalt beständig geblieben wäre. Seine christliche Gesinnung erachte ich fast deckungsgleich mit der von Reimund Heimann. Hierüber haben wir viel gesprochen. Aber nicht nur über Religion sondern über vielerlei Themen, auch gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische, haben wir uns unterhalten. Ich fand es richtig angenehm einen solchen aufgeschlossenen Zimmernachbarn gehabt zu haben, denn aufgrund des Niveaus und der Atmosphäre, die zwischen uns beiden herrschte, wurde mein Krankenhausaufenthalt sogar doch noch zu einer angenehmen Erinnerung. Nun aber ganz kontinuierlich weiter in unserer Geschichte und hier insbesondere mit Martina. Wie verabredet erschien sie am Nachmittag des Tages nach Reimunds Besuch bei mir im Krankenhaus. Schüchtern, wie ein junges Mädchen, betrat sie mit erwartungsvollen Gesicht den Raum. Ich hatte mir vorgenommen an diesem Tage der Eisbrecher zu sein und lächelte sie, so wie ich es mir vorgenommen hatte, an und sagte gleich: „Martina Mäuschen, komm setz dich dahin wo du hingehörst – an die Seite deines Mannes.“. Prompt wandelte sich ihr Gesichtsausdruck in ein strahlendes Lächeln. Als sie dann freundlich Jo begrüßt hatte kam sie zu mir und fragte: „Darf ich dich vorsichtig in den Arm nehmen ... oder bereitet dir das Schmerzen?“. „Mach ruhig“, antwortete ich ihr, „und einen Kuss kannst du mir auch geben.“. Sie machte es umgehend und brach dabei in ein schluchzendes Heulen aus. Ihre Worte „Ich dumme Kuh hätte mir bald mit meiner miesen Art alles genommen was ich habe“ waren kaum aus dem Geschluchze herauszuhören. Ich wollte sie trösten und sagte: „Ach Schatzi, ich bin doch genauso an allem Schuld wir haben uns nichts vorzuwerfen. Ich konnte dir doch sagen was ich vorhatte und brauchte es doch nicht hinter deinem Rücken zutun. Und das ich gesoffen habe geht hundertprozentig nur auf mein Konto. Dazu gibt es überhaupt keinen entschuldbaren Grund. So, und jetzt machen wir erst einmal einen dicken Strich unter die ganze Sache, damit nicht doch irgendwo wieder etwas hoch kocht. Während meines jetzigen ‚Erholungsurlaub’ sprechen wir kein Wort mehr von der ganzen Sache ... Abgemacht?“. Sie nickte bejahend und an diese Abmachung haben wir uns auch, bis auf einige kleine Ausnahmen, die man ja so nie vermeiden kann, gehalten. Schon während des folgenden netten Gespräches kam bereits Jos Ruhe-Philosophie zum Tragen. Ich berichtete Martina, dass ich der Meinung sei, dass ich innerlich wie äußerlich zur Ruhe finden müsse. Dabei wäre es wohl nicht angebracht, wenn ich jetzt viel Besuch empfangen würde. Ich vertrat beziehungsweise vertrete immer noch die Ansicht, dass man Krankenhausbesuche aus zweierlei Blickwinkel betrachten müsse. Einmal vermittelt man dem Kranken das Gefühl nicht allein gelassen zu sein aber auf der anderen Seite würde man ihm die Chance nehmen zu sich selbst zufinden. Man nimmt ihm die Ruhe, die Jo als die Mutter von Weisheit und Glück bezeichnete. Dagegen wird in der Regel argumentiert, dass, wenn man Kranke allein lässt, diese nur sinnieren und grübeln und so nicht aus ihrem Leid herauskämen. Die Aussage mit dem Sinnieren und Grübeln ist richtig aber die Schlussfolgerung halte ich für falsch. Man muss erst den dunklen Tunnel durchschreiten bevor man ins helle Licht treten kann. Persönlich habe ich festgestellt, dass, wenn ich über mein Schicksal in Ruhe grüble, immer mehr Lichtpunkte erblicken kann. Grübeln führt zum Willen weiterzumachen und man kommt immer mehr zum Nachdenken darüber, wo es weitergehen könnte. Und jedes Ergebnis dieser Denkphase stellt ein Stück Hoffnung, eine Perspektive, da – und die brauch ein Mensch, wenn er weiter marschieren will. Besucher nehmen einem erstens die Ruhe zum wichtigen Grübeln und zweitens bringen sie ihre eigenen Probleme, den Alltag, mit ins Krankenhaus, was den Denkapparat des Kranken auf der Stelle treten lässt. Am Besten wäre es, wenn man schon Kranke besucht, dass man mit ihm nur über Dinge spricht, bei denen einen der Kranke nach seiner Entlassung helfen kann. Dann vermittelt man ihm zumindestens das Gefühl, dass er gebraucht wird und lenkt seine Denkschiene in Richtung Zukunft, was gleichbedeutend mit Hoffnung ist. Ansonsten sollten nur Zuhörer sich zu einem Krankenhausbesuch aufraffen. Am Meisten hilft es einen Menschen, der mal gerade nicht auf der Sonnenseite des Lebens steht, wenn er sich freisprechen kann. Zum Beispiel: Wie hatte mir der Besuch von Reimund Heimann am Vortag doch geholfen, es war der Durchbruch – und dabei hat er im Großen und Ganzen
doch überwiegend nichts anderes gemacht als nur zuzuhören. Aber ansonsten ist es immer besser, dem Kranken doch seine Ruhe zu gönnen. Diese Gedanken, die ich mit Martina durchsprach, führten dann zu der Vereinbarung, dass mich Martina täglich für eine Stunde, am Wochenende zwei, besuchen sollte und wollte. Dieses beruhte auf Gegenseitigkeit, denn wir wollten beide keinen Tag ohne den anderen verbringen, aber auf dem „Wecker fallen“ wollten wir uns auch nicht. Was alle anderen Besucher anbelangte bat ich Martina mir diese vom Halse zu halten. Dabei sollte es keine Rolle spielen um wem es sich handelt. Also es sollte für Steffi und Christof genauso wie für alle anderen, wie zum Beispiel für Elvira oder Marc, gelten. Bei meinen Überlegung spielte nur einer eine Ausnahme: Reimund Heimann. Den hätte ich wirklich gerne noch öfters empfangen, da ich genau weiß, dass ich von seiner Art und Auffassung hätte profitieren können. Als wir darüber sprachen wandte Martina aber zu recht ein, dass das mit Sicherheit „böses Blut“ geben würde, wenn ich Reimund empfange und alle anderen, darunter die eigene Tochter, nicht. Ich hatte Martina gesagt, dass sie als Argument gegenüber den Besuchswilligen bringen sollte, dass ich Ruhe brauche, was eigentlich irgendwo auch stimmte. Um dieser Sache Nachdruck zu verleihen sollte sie sagen, dass dieses nicht nur mein Wunsch wäre sondern dass die Ärzte dieses dringend Empfehlen würden. Im Grunde ist das die Unwahrheit, da wir nie mit den Ärzten darüber gesprochen hatten und diese von sich auch nichts sagten. Aber von Lüge möchte ich in diesem Falle aber nicht sprechen, denn die Unwahrheit, die den Menschen nützt, möchte ich nicht mit einem solchen Negativwort belegen. Ich schrieb, dass es den Menschen nützte. Na, das traf in erster Linie auf mich, dem Kranken, zu. Ich hatte drei Dinge die mir außerordentlich nützten: Da waren die „kraftspendenden“ Gespräche die ich mit Jo führen konnten. Dann war da das gegenseitige Gefühl, dass meine Frau doch eine Ausnahmestellung einnahm und diese während ihrer Besuche nur für mich alleine da war. Letztlich hatte ich endlich Zeit meine, insbesondere in den letzten beiden Jahren durcheinander gewirbelte Gedankenwelt in Ruhe zu ordnen. Martina und ich bewerteten diesen Ablauf durchaus positiv, was aber Andere nicht so wie wir empfanden und nachvollziehen konnten. Dadurch wurde aber auch dann der Grundstein für die restlichen Ereignisse des Jahres gelegt. Steffi sah das Besuchsverbot bei ihrem Vater, so wie sie es sah und bezeichnete, in irgend einer Art beleidigend an und war irgendwo doch arg eingeschnappt. Zwischendurch hat sie Martina mal gefragt, ob ich ihr böse sein. Darauf schrieb ich ihr einen kurzen Brief, den ihr Martina überbrachte. Darin versuchte ich ihr klar zu machen, dass ich kein Grund hätte ihr böse zu sein, denn schließlich hätten ja in der Geschichte alle Indizien gegen mich gesprochen. Auch ich wüsste, das mal dieser oder jener Tritt in den Allerwertesten auch als Liebe und Hilfe zu verstehen sei. Wenn ein Mensch, den man lieb hat, vom Wege abkommt wäre der besagte Tritt der Schritt in die richtige Richtung. So würde ich ihr vorhergehendes Handeln verstehen und eigentlich müsste ich ihr für ihre mir erwiesene Liebe noch danken. Der Brief ging aber in eine andere Richtung wie ich gedacht hatte; sie war noch eingeschnappter. Das berichtete mir Martina, die mich nicht aufregen wollte, jedoch nicht bei ihren folgenden Besuchen; das erfuhr ich erst deutlich später. Andererseits kam auch fragen, was anders gekommen wäre, wenn ich dieses sofort gewusst hätte. Dann gab es da noch eine gewisse Elvira Schöller, die richtiggehend darauf brannte mich zu besuchen. Sie hatte einen unheimlichen aber eigentlich unbegründeten Schuldkomplex während ich der Meinung war, dass sie mit der ganzen Geschichte bestenfalls nur am Rande zutun hatte. Natürlich ist es nicht die feine englische Art, eigenes Spannerverhalten in einem schweren Vorwurf gegen den anderen umzumünzen. Aber man muss ja schließlich auch mal Fünfe gerade sein lassen. Elvira hatte ja in der Geschichte mit ihrem Mann einiges hinter sich und am Tage, als es den Vorfall mit mir gab, schien es ihr ja auch so als würden ihre neuen Hoffnungen, die sie in ihre Partnerschaft mit Marc zu haben glaubte, zerbrechen. Da muss man, wenn man fair bleibt, ihr schon eine psychische Ausnahmesituation zu billigen. Das Einzigste was mich diesbezüglich wirklich anbelangte, war die Missstimmung, die Elvira zwischen mir und Steffi erzeugt hatte. Aber wer weiß, vielleicht hätte ja bereits Martinas Verdacht in Richtung Prostitution schon gereicht um zum selben Ergebnis zu führen. Aber bei Elvira hatte vor allen Dingen auch die gleiche Unfallstelle, wie damals bei ihrem Mann, zu dem Komplex an allem die Hauptschuldige zu sein, geführt. Sie brannte jetzt förmlich darauf sich mit mir gründlich auszusprechen. Da machte ich dann mal den Fehler, im Scherz zusagen: „Wenn ich aus dem Krankenhaus raus bin, lade ich sie zum Schäferstündchen ein und werde sie dann richtig gehend trösten.“. Und Martina machte darauf prompt auch noch den Fehler, dieses wörtlich, aber ebenfalls nur scherzhaft, an Elvira weiterzugeben. Aber mehr dazu im nächsten Kapitel, jetzt wenden wir uns erst einmal meiner Endzeit im Krankenhaus zu. Ich muss sagen das mir der Krankenhausaufenthalt ab dem Zeitpunkt meiner Versöhnung mit Martina richtig gut getan hat. Körperlich machte ich ungeheuere Fortschritte und wurde langsam wieder der alte Reiner Schreiber. Seelisch wurde ich so gefestigt wie lange schon nicht mehr war. In den letzten 14 Tagen meines Aufenthaltes im Krankenhaus konnte ich aufstehen und unter anderem mit Martina, wenn sie zu Besuch kam, mit ihr durch den zum Haus gehörenden parkähnlichen Garten schlendern oder wir konnten uns auf eine Tasse Cappuccino in die Cafeteria setzen. Dort unterbreitete ich Martina dann den Vorschlag, der sowohl aus Jos Ruhetheorie als auch aus meiner Ausgeglichenheit entstanden war. Des weiteren spielte unsere Turtelzeit vor Ostern eine große Rolle
bei meinen diesbezüglichen Überlegung. Allerdings stieß ich bei ihr nicht gerade auf große Begeisterung. Ich wollte auf eine unbestimmte Zeit praktisch gänzlich in die Hütte ziehen um mir dort in Ruhe mein neues persönliches Weltbild zu „bauen“. Nur an den Wochenende wollte ich nach Hause kommen um mit Martina so glücklich wie in der Passionszeit zu sein. Martina dagegen träumte von einem heilen Eheleben, wie es schon hätte sein können, wenn sie mehr Vertrauen in mich gesetzt hätte. Darauf erwiderte ich ihr dann, dass nicht ihr Misstrauen sondern meine mangelnde Offenheit der Auslöser allen Übels gewesen sei. Diesen Widerspruch löste Martina doch diplomatisch auf: Es dürfte wohl beides gewesen sein. Worauf ich ihr im Großen und Ganzen eigentlich nicht widersprechen konnte. Wir hätten uns eben beide bei unserer Vorgeschichte doch intensiver beim Miteinander bemühen müssen. Ab der Stunde, wo ich Martina in der Cafeteria meinen Wunschplan offeriert hatte, gehörte es bei ihr bei jedem zweiten Besuch zum Standard mir „Ach komm doch wieder nach Hause“ zu sagen. Ich erwiderte ihr darauf immer, dass ich das selbst ja nur längstenfalls bis Weihnachten durchhalten würde und erinnerte sie immer wieder an unsere doch wunderschöne Zeit vor Ostern. Dieses kommentierte sie grundsätzlich damit, dass meine Idee doch dieses oder jenes Schmackhaftes an sich hätte und es vielleicht sogar eine Angelegenheit sein könnte, von der wir beide bis zu unserem, hoffentlich noch sehr fernen Lebensende zehren könnten. Sie akzeptierte das Ganze also aber es war unübersehbar, dass es ihr anders herum doch lieber gewesen wäre. Nach mehrfachen Überlegen schränkte ich dann ein: „Ach Mäuschen, lassen wir es doch nur einmal versuchen. Wenn sich rausstellt, dass es jetzt nicht das Richtige für uns beiden ist, höre ich sofort mit meiner selbsterfundenen Reha auf ... gleichgültig ob das gleich nach dem ersten Tag oder erst nach fünf Wochen beziehungsweise noch später ist. Und Weihnachten will ich ohnehin zuhause sein, wovon ich mich absolut nicht abbringen lasse“. Na ja, dieser Kompromiss war ganz in Martinas Sinne und somit war die Sache vereinbart. Am Mittwoch, dem 13. September 2000, war es endlich für mich soweit. Ich konnte und wurde wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Martina hatte sich extra einen Tag Urlaub genommen um ihren „Göttergatten“ wieder heimzuholen. Es war vorgesehen, dass ich direkt nach der Visite, so zirka 10 Uhr, mein Ränzlein packen konnte. Martina konnte es gar nicht erwarten und stand schon kurz vor Neun auf der Matte. Der Stationsarzt ließ jedoch mit sich verhandeln und so konnte ich eine Stunde früher wie vorgesehen das Haus verlassen. Zuvor hatte ich mit Martina abgesprochen, dass ich gar nicht erst zuhause vorbei sondern gleich in die Hütte wollte. Erst am Freitag, nach dem sie von ihrem Dienst heim gekommen wäre, wollte ich erstmalig ins eheliche Reich zum ersten vereinbarten Glückswochenende zurückkehren. Meinen Wunsch kann man beruhigt als so eine Art Tick bezeichnen, denn einen Grund gab es dafür nicht. Seltsamer Weise widersprach Martina nicht sondern versprach mir stattdessen eine Überraschung – und die war ihr dann gleich in zweifacher Hinsicht gelungen. Einmal war die Hütte sauber und pickfein aufgeräumt und auf dem Tisch stand ein liebevoll vorbereitetes Frühstück. Das war aber nur die „einfache Hinsicht“, die zweite bereitete mir Martina live. Wir waren gerade eingetreten als sie mich bat die Tür abzuschließen und sie begann, sich in Windeseile völlig nackt auszuziehen. Sie legte sich auf den Teppich und fragte: „Worauf wartetest du oder willst du jetzt zum zölibatären Eremiten mutieren?“. Na ja, das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen und so gab es, bevor wir uns, so nackt wie wir waren, ans Frühstück machten, erst einmal ein flottes eheliches Schäferstündchen. Im Grunde ist so etwas bei einem sich liebenden Ehepaar, das längere Zeit aufeinander verzichten musste, nichts außergewöhnliches. Ich erwähne es aber aus dem Grunde, weil ich es für berichtenswert halte, dass Martina damit auch mit Speck einen Mäuserich fangen wollte, denn während des Frühstückes verkündete sie mir nämlich pausenlos, dass wir das immer, Tag für Tag, so haben könnten. Wir beide brauchten dazu nur den Willen und ich müsse sie aber erst einmal nach Hause begleiten. Ich verpackte es in allerlei Scherze, dass ich ihr dieses zu mindestens für diesen Tag verwehren wolle. Letztlich hatten wir über drei Stunden in der paradiesischen Bekleidungsordnung von Adam und Eva verbracht. Dann wollte Martina zu einem Curry-Container, also zu einer Imbissbude, in Saßmannshausen fahren um dort Zigeunerschnitzel mit Pommes frites, Krautsalat und Mayonnaise zu holen. Das war darauf zurückzuführen, dass ich zwei Tage vor meiner Entlassung gesagt hatte, dass ich so etwas schon unendlich lange nicht mehr gegessen hätte und richtigen Heißhunger auf dieses Fast-Food-Produkt hätte. Während sich Martina wieder anzog, fragte sie, ob sie mir zu dem Schnitzel ein oder zwei Flaschen Bier mitbringen sollte. Jetzt kommen wir zu dem Punkt, warum ich auch dieses noch als wichtiges Detail berichte. Ich sagte nämlich ja, bestand aber darauf, dass es alkoholfrei sein müsse. Seit diesem Augenblick ist alkoholfreies Pilsener – mal Becks, mal Jever fun, Kelts oder Veltins – mein Standardgetränk. Ich trinke sehr gerne ein Pilsener Bier, bin aber heute davon überzeugt, dass Alkohol nicht sein muss. Ich weiß nicht, fehlender Alkohol gibt den diversen Pilssorten so gar noch einen besonderen guten Geschmack; zumindestens nach meiner Empfindung. Als Martina schon an der Tür war bat ich sie doch die Restflaschen von vor meinem Unfall, die sie vorher, bei ihrer Aufräumaktion, sauber und ordentlich aufgereiht aufs Board gestellt hatte, mitzunehmen und endgültig zu entsorgen. Bis heute hat sich so etwas nicht wieder in meinen Beständen befunden. Ich glaube schon, dass ich nicht nur etwas sondern eine ganze Menge dazu gelernt hatte. Möge Gott geben, dass ich diesen damals gefassten Grundsätzen treu bleiben kann und ich immer die Kraft habe mich allen Versuchungen zu widersetzen. Zugreifen und sich vollaufen lassen kann jede
schlappe Halbportion, aber zum Neinsagen muss man Rückgrat zeigen, dafür muss man ein ganzer Kerl sein. Und es ist nie zu spät, ein richtiger charakterfester Mann zu werden. Irgendwann muss ja das hirnlose Mitläufertum ein Ende finden. Gerade mit dem Nein zum Alkohol kann man zeigen, wie stark und standfest man ist oder geworden ist.
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Auch Sex kann in die Pleite führen Wann haben Sie denn zum letzten Mal richtig einen Wald erlebt? Ich meine jetzt nicht wann sie letztmalig auf massentouristischen Pfaden das letzte Mal in einem solchen waren sondern frage bewusst und konkret nach dem Erleben. Dabeisein oder Dasein und Erleben sind gewaltige Unterschiede. Das merkte ich erstmalig so richtig am Tage nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus. Bisher war ich ja oft schon in der Jagdhütte „am Fuß“ des bewaldeten Hexenberges. Da war die Zeit meines ersten „Rauswurfes“ bis zu Monikas „Fehltritt“ und jetzt von meinem zweiten „Rauswurf“ bis zu meinem „Suffunfall“. Immer war ich zwar körperlich in der Hütte aber geistig war ich immer woanders. Mein Körper befand sich in dieser wundervollen, von Gott geschaffenen Natur aber mein Kopf tobte sich in der materialistischen, von Menschen gestalteten Kunstwelt, die eines Tages wieder zu dem wird was sie mal war – praktisch zu nichts, ab. Das Erleben war vorher weder hier noch da mit dabei. Dank meiner seelischen Aufrüstung im Krankenhaus war das an diesem Tage jedoch ganz anders. Es ging schon am frühen Morgen los als ich beim Erwachen das Licht der aufgehenden Sonne, welches durch die Spalte der Rollläden fiel, erblickte und von draußen ein munteres Gezwitscher der offenbar schon sehr emsigen Vögel vernehmen konnte. Nach einem kräftigen Recken und Durchstrecken erhob ich mich und ging zur Toilette, wo ich mir dann auch am Waschbecken frisches, kaltes Wasser über Hände, Unterarme und ins Gesicht strömen ließ. Anschließend trat ich so wie ich war, also in Unterwäsche – jemand Drittes habe ich wohl um diese Zeit an diesem Ort nicht zu erwarten – vor die Tür. Trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit, immerhin lag die Septembermitte bereits hinter uns, empfand ich dank der wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne ein sehr angenehmes Gefühl am Körper. Das war jetzt, soweit ich mich erinnern kann, das erste Mal, dass ich so etwas bewusst erlebte. Ab diesem Zeitpunkt gönnte ich mir dann doch recht häufig solche morgendlichen Erlebensmomente und ich muss sagen, dass danach immer der ganze Tag irgendwie besser abläuft. Man hat einen wesentlich höheren Drive und kleine Missgeschicke lassen sich spielend wegstecken und arten in keine Richtung aus. Ich habe mir eine neue Devise „zusammengestrickt“: Erlebe den Morgen richtig und du hast den ganzen Tag gewonnen. Nach der Begrüßung dieses Tages ging ich, nach dem ich meine Kaffeemaschine gerüstet und angestellt hatte, erst einmal ausgiebig unter die Dusche, wobei ich munter vor mir hinträllert. Und dann war noch das Frühstück angesagt. Bei der Gelegenheit habe ich mich über mich selber gewundert. Normalerweise hat mich unmittelbar nach dem Aufstehen noch nicht der große Appetit erfasst aber an diesem Morgen langte ich richtig zu. Später konnte ich dann die Erfahrung machen, dass immer wenn ich meinem Tageslauf so wie an diesem Morgen eröffnete, Kamerad Frühstücksappetit mit von der Partie war. Zeit meines Lebens, bis zu meinem Unfall, gehörte zu meinem, mehr als Pflichtübung zu verstehenden Frühstück – Brötchen und Kaffee reinschieben weil es halt so üblich ist - immer im Background ein Radiomagazin und das Studium des Neuheimer Kreisboten. Damit belastete ich mich an diesem Morgen aber nicht sondern ich ließ die Welt um diese Zeit noch heile sein. Na ja, Anteilnahme am allgemeinen Geschehen durch Ab- beziehungsweise Mithören sowie insbesondere Lesen von Nachrichten, Berichten und Kommentaren mit dem dazugehörigen Nachdenken darüber trainiert den eigenen Intellekt aber der Verzicht darauf stellt auch kein Weltuntergang dar. Das eigene seelische Empfinden, Bewusstsein und Leben, stellen einen deutlich höheren Wert als das wichtigste politische Weltereignis da. So richtig gestärkt und beschwingt fasste ich einen ausgedehnten Spaziergang ins Auge. Zunächst wollte ich ganz hinauf auf den Hexenberg um mir von dort oben einen Blick auf das im Tal liegende Saßmannshausen zu gönnen. Alles deutete in dieser Morgenstunde auf einen schönen Altweibersommertag hin. Hierzu fällt mir noch ein, dass es offiziell „Altweiber“ heißt aber richtig wäre „Altweber“. Die Altweberspinne, die im September und Oktober immer besonders aktiv ist, gab diesen Tagen den Namen. Wenn man also im Altweibersommer einen Spaziergang durch den Wald macht sieht man überall die im Sonnenlicht silbernglitzernden Netze dieser Spinne überall im noch grünen Gebüsch. Schon in Kürze wird dieses Grünen einer herzerfrischenden bunten Vielfalt, gegen die Buntiwelt der Computer kümmerlich wirken, weichen. Wenn man in dieser Jahreszeit so still vor sich hin durch den Wald spaziert erblickt man nicht selten Rehe, einem selbst ganz nahe, im Gebüsch stehen.. Ihr im Sommer kräftig rotbraunes Fell wird mehr und mehr ein Wenig grau. Wenn man von ihnen bemerkt wird, schauen sie einen zunächst stillstehend fast starr an und dann äsen sie entweder weiter oder stoben mit großen Sprüngen davon. Ich könnte ganze Bücher damit zusammenschreiben, was einem ein solcher Waldspaziergang, der keinen einzigen Cent kostet, an nachhaltig Wertvollem alles bieten kann – dann komme ich aber nur mit meiner Geschichte nicht weiter. Aber was ich empfand als ich oben auf dem Hexenberg stand, will ich aber hier doch nicht unterschlagen, denn dadurch wurde der restliche Tagesablauf, also auch die Geschehnisse die unserer Geschichte eine erneute Wende geben sollten, vorprogrammiert. Ich stand also auf dem Berg und schaute hinunter ins Saßmannshausener Tal. Irgendwie kamen mir die dort untenliegende menschliche Ansiedlung wie ein nicht dahingehörender Fremdkörper in der Landschaft vor. Dieses gilt insbesondere für die dem Sonnenlicht abgelegenen dunkel erscheinenden Gebäude und Gebäudeteile. Ich dachte mir, wie arm doch Menschen sind, die zu einem Leben in
Städten verurteilt sind und nur ab und an mal von der Natur, nur in durchrasender Weise, oberflächlich etwas mitbekommen. Klein, wie Modellbauten, sah ich viele, sich wie Insekten bewegende, Autos, LKWs und Busse und fühlte mich ganz erhaben, weil ich jetzt nichts damit zutun zu hatte. Am ansonsten hellblauen Himmel waren einige Quellwolken zu sehen. Ich kann es nicht erklären wie meine Gedanken jetzt beim Anblicken der Wolken auf meine Mutter, auf Monika und unserem kleinen Olli kamen, aber genau daran musste ich in diesem Augenblick denken. Es war so eine Art Wehmut aber in einer ganz wohligen Art. Ich fühlte mich glücklich und geborgen zwischen Himmel und Erde. Eigentlich hatte ich nach dem Erreichen der Höhe zur Hütte zurückkehren wollen aber unter den jetzigen Eindrücken spazierte ich ohne eigentlichen Vorsatz und Plan weiter. Dabei verging die Zeit ohne dass ich über sie nachdachte. Zwischendurch stellte ich dann fest, dass es nicht bei den einzelnen Quellwolken, die ich schon auf der Hexenberghöhe erblickt hatte, blieb sondern das mehr und mehr richtige, wesentlich dunklere schwere Wolkenberge aufzogen. Dieses und der Blick auf meine Uhr, es war inzwischen schon 3 Uhr nachmittags vorbei, rieten mir doch wieder den Weg Richtung Jagdhütte einzuschlagen. Von der Zeit wäre es ja egal gewesen wann ich mich wieder in das Innere dieses Minianwesens begeben hätte, was aber für das Wetter nicht gilt. Ich war noch ein ganzes Ende von meiner Hütte entfernt und deftige Schauer dürften nicht mehr lange auf sich warten lassen. Als es dann soweit war, suchte ich zunächst Schutz unter dem Blätterdach einer Baumgruppe mit dichten Laubkronen. Aber der Regen wurde zunehmendst heftiger und es gab nirgendwo einen Anhaltspunkt dafür, dass sich an diesem Zustand schon bald etwas ändern würde. Na ja, da beschloss ich doch das Nasswerden in Kauf zu nehmen und zog los. Es sind ja ohnehin nur die ersten durchnässten Stellen unangenehm am Körper zu spüren. Wenn man durch und durch klatschnass ist, kommt es nur auf die jeweilige Gemütsstimmung an, ob man dem sogar noch was Positives abgewinnen kann. Trotz allem war ich froh als ich zwischendurch Bernd Scheuermann, meinen Schwager, mit seinem Traktor traf und er mir anbot mich schnell zur Hütte zu fahren. Ich hatte Bernd jetzt längere Zeit nicht gesehen. Im Grunde hatten wir ein gutes und nettes Verhältnis zueinander aber Bruder und Schwester führten ihr eigenes Familienleben hingen sich erstens nicht ewig „auf der Pelle“, wie man hier so schön im Volksmund sagt, und mischten sich auch zweitens beim anderen Geschwisterteil nicht ein. So unterhielten wir uns über allgemeine Themen, wie zum Beispiel das Wetter. Bernd, der auch Jäger ist, meinte von der Fellfärbung, die das Rotwild jetzt schon angenommen habe, auf einen frühen harten Winter schließen zu können. Er stellte fest, dass Naturbeobachter Langzeitvorhersagen machen könnten zu denen Meteorologen mit allen Künste ihrer Wissenschaft und mit gewaltigem technischen Aufwand nicht in der Lage wären. Bei Meteorologen wäre eine Vorhersage über mehr als drei Tage schon etwas was man mit Wahrsagerei zutun habe, aber die Natur habe eine handfeste Basis für eine, über die Jahreszeiten hinausgehende Vorhersage. So gingen wir auf dieser doch sehr kurzen Fahrt nicht auf persönliche Dinge ein. Lediglich auf seine Frage warum ich zur Hütte und nicht nach Hause wollte, erklärte ich ihm, dass ich, selbstverständlich in Rücksprache mit seiner Schwester Martina, mich dort ein Wenig von meinem Krankenhausaufenthalt erholen wollte. Darauf bekundete mein Schwager lediglich lachend: „Wie ich meine Schwester kenne wird die deinem Kuraufenthalt bald beenden ... Sprechen wir uns mal nächste Woche wieder.“. Aus Erfahrung wird man klug und so schloss ich, als ich zurück und in die Hütte eingetreten war, die Tür hinter mir ab. Damit hatte ich unbewusst weise gehandelt, denn sonst hätte sich ein peinlicher Vorfall doch prompt wiederholt. Ich war eben da, als Elvira Schöller an der Tür polterte. Just in diesem Moment war ich wieder vollkommen entblößt, denn ich musste ohnehin meine Kleidung wechseln und hätte, wenn Elvira nicht erschien wäre, vorher erst einmal geduscht. Ich rief ihr zu, dass sie einen Augenblick warten müsse und zog mich erst einmal korrekt aber nicht gesellschaftsfähig an. Danach ließ ich sie dann ein. War sie doch mit Regenschirm und einem übergezogen Regenmantel durch das Mistwetter hier hergelaufen. Als sie ihren Regenmantel abgelegt hatte sah ich, dass sie ein tiefdekolletiertes kurzes Dirndl, das sehr viel von ihren doch recht attraktiv geformten Beinen und ihren weichen vollfleischigen Busen sehen ließ, bekleidet war. Ich bin ja kein Kostverächter und sehe so etwas, auch bei Pummelchen vom Typ Elvira, gerne aber an diesem Tag war mir das gar nicht so recht, denn wenn durch Zufall Martina erscheinen würde, dürfte ich wieder einigen Erklärungsbedarf haben. Eine Erklärung dafür, warum sie so bei mir erschien, bekam ich jetzt allerdings von Elvira. Ihr Outfit war natürlich nicht für mich sondern für Marc, den dieses „heiß mache“, bestimmt. Er wollte um Fünf bei ihr sein und sie hatte sich deshalb schon einmal in Schale geworfen. Da sah sie mich auf Bernds Traktor vorbeifahren und da hat sie nur ihren Wetterschutz gepackt und war gleich in Richtung meiner Unterkunft losgelaufen. Schließlich war sie an diesem Tage schon fünf Mal vergeblich an der Hütte. Bereits im vorangegangenen Kapitel habe ich ja schon von ihrem unbezwingbaren Drang mit mir zu sprechen berichtet. Sie hatte, wie ich jetzt feststellen konnte, wirklich ein riesiges Bedürfnis ihre Beichte mit Bußbitte loszuwerden. Sie war doch offensichtlich immer noch stark deprimiert bei mir in der Hütte erschienen, um sich dafür zu entschuldigen was sie mir „angetan“ habe. Sie war furchtbar verzweifelt, da sich jetzt nach ihrer Meinung alle, ihr Vater, ihr Sohn und Steffi, sich von ihr abgewandt zu haben schienen. Es wäre alles nicht mehr so wie früher und ab und zu würde sie auch hinsichtlich ihres losen Mundwerkes ein über den Deckel kriegen. Ihr Vater, also
der alte Waymann, würde jetzt öfters bekunden, dass es, wenn man andere wider besseres Wissen einer Straftat beschuldige, eine sehr schlimme Angelegenheit sei, bei der man nicht von Heute auf Morgen wieder zur alten Tagesordnung übergehen dürfe. Sie meinte aber einsichtig, dass sie diese ja auch verdient habe und eben halt büßen müsse. Aber mit mir, dem Hauptbetroffenen, wolle sie jetzt wieder absolut ins Reine kommen. Wenn sie wüsste, dass ich ihr vergeben würde, bekäme sie mit Sicherheit alles andere auch in den Griff. Daraufhin versuchte ich ihr glaubhaft zu vermitteln, dass ich ihr längst vergeben habe und versicherte ihr sogar noch, dass ich, wenn sich für mich die Möglichkeit ergäbe, für sie ein gutes Wort einlegen würde. Dieses war jetzt ein etwa halbstündiges Gespräch bei dem mir Elvira am Tisch direkt gegenüber saß. Jeder Mann, der nicht gleichgeschlechtlich veranlagt ist, weiß mit Sicherheit wohin meine Blicke wanderten, obwohl ich mir immer versuchte das selbst auszureden: Immer wieder auf das Dekollete meiner Besucherin. Obwohl diese mit ihren Gedanken ganz woanders war und auch ihre Augen selten die meinigen trafen blieb dieses bei ihr nicht unbemerkt. Sie griff dann immer verlegen mit beiden Händen busenmittig an ihr Dekollete um den Textilteil ein Stückchen höher zu ziehen. Allerdings war da nicht mehr viel zu ziehen. Just in einem solchen Moment musste jetzt die zu Fuß herbeigeeilte Martina, ähnlich wie damals Elvira, in die Hütte platzen. Auch sie hielt es nicht für nötig anzuklopfen, was man aber im Verhältnis eines Ehepaares zueinander anders bewerten muss wie damals bei Elvira. Ihr Bruder kannte sie offensichtlich doch ganz gut, denn sie hatte sich einen Vorwand, den ich aber im Zuge des Geschehens nie erfahren habe, gesucht, um mich mal wieder auf eine vorzeitige „Kurbeendigung“ anzusprechen. Das wollte sie, wie sie später mal berichtete, jetzt täglich bis zum Erfolg machen. Bevor ich jetzt berichte was in diesem Augenblick geschah muss ich erst mal beschreiben, was Martina außer einer offensichtlich Brust wiederbedeckenden Dirndl-Elvira zusehen bekam. Ich war ja, weil ich mich bei Elviras Erscheinen schnell angekleidet habe, nicht gerade ausgehfähig angezogen. Meine nackten Füße steckten in Filzlatschen, die ich so gerne, wenn ich zuhause bin, anhabe. Mein Unterleib und meine Beine wurden von meiner alten Jeans, die eigentlich nur noch im Haus, wenn niemand zu erwarten ist, tragbar sind, und der Oberkörper von einem Übergangspullover, unter dem sich, deutlich erkennbar, nichts Weiteres befand, bedeckt. Meine Sachen, die ich auf dem Spaziergang anhatte, lagen noch ungeordnet über den neben mir stehenden, unbesetzten Stuhl. Natürlich kann man dann auch oberflächlich auf etwas anderes als dem tatsächlichen Ablauf schließen. Das tat Martina auch, denn sie sagte: „Ach, ich glaube ihr habt mich ganz schwer geleimt. Ich dachte das mit dem Schäferstündchen wäre ein Scherz gewesen aber ihr habt es augenscheinlich ernst gemeint und wörtlich genommen. Dann störe ich wohl.“. Sie drehte sich um, verließ die Hütte und machte sich draußen eiligen Schrittes in Richtung des Dorfes Hexenberg davon. Diesmal wollte ich es aber nicht mehr so einfach laufen lassen und stürzte wie „eingeölter Blitz“ hinter ihr her. Als sie bemerkte, dass ich hinter ihr herlief begann auch sie zu laufen. „Martina, Mädchen!“, rief ich ihr nach, „Wollen wir schon wieder den gleichen Fehler machen?“. Ich hatte noch nicht ausgerufen als sie plötzlich stehen blieb und sich in meine Richtung umdrehte. Dabei hielt sie ihren Kopf, schuldbewusst aussehend, nach vorne gebeugt. Als mir nur noch ein paar Schritte fehlten um sie zu erreichen und hob sie ihr Gesicht und lächelte mich, allerdings nicht sehr überzeugend aussehend, an. „Du hast recht, Reiner.“, begann sie jetzt, „Alles was geschehen ist beruhte darauf, dass wir uns nicht sachkundig gemacht und dann nicht in Ruhe über alles nachgedacht haben. Also, jetzt höre ich mir an, was du mir jetzt darauf zu sagen hast.“. Inzwischen hatte ich sie erreicht, nahm sie in den Arm und führte sie die Hütte zurück und erzählte ihr unterdessen in knappen Worten, wie es zu dieser Situation gekommen war. Ich weiß jetzt nicht ob sie mir auf Anhieb geglaubt hat. Als ihr aber Elvira, die extra in der Hütte auf uns gewartet hatte um Martina die Sache zu erklären, mit ihren Worten das Gleiche wie ich, nur noch etwas ausführlicher, erzählte, war sie einerseits von meiner Unschuld und andererseits von ihrer immer noch vorhandenen leichtfertigen Eifersucht überzeugt. Sehr wohl war es ihr augenscheinlich in ihrer Haut jetzt nicht mehr. Elvira machte sich anschließend, nachdem die Luft zwischen Martina und mir bereinigt schien, auf den Weg nach Hause. Nicht nur weil sie glaubte ihre Bußmission sei nun erfolgreich abgeschlossen worden sondern insbesondere auch weil inzwischen ihr Schatz Marc schon bei ihr in der Wohnung sitzen müsse. Als sie uns dieses sagte, hatte sie uns, allerdings unbewusst, verraten, dass Marc bei ihr inzwischen Schlüsselgewalt haben müsse. Was dann Martina knapp kommentierte, dass es ja nun doch so aussehe, dass unsere Steffi einen Stiefschwiegervater namens Marc Kampmann erhalten wollten. Aber nun konnten sich Martina und ich uns erst einmal über unsere eigenen Sünden unterhalten. Martina meinte nachdenklich über sich selbst, dass sie mir gegenüber wohl nicht das meiste Vertrauen aufbringen würde, worauf ich sie tröstete, dass ich auch allerlei „Zicken“, mit der ich die Vertrauensbasis zerstört habe, unternommen hätte und ihr Misstrauen daher nicht unbegründet sei. Ich schlug vor, dass wir, wenn wir uns in Zukunft irgendwie gegenseitig misstrauen sollten, erst einmal offen Rückfrage halten und dann darüber sprechen sollten. Ich war davon überzeugt, dass ohnehin 99% aller Fälle auf Missverständnissen, die nur durch den ersten Augenschein entstehen, zurückzuführen sind, beruhen und das restliche eine Prozent einer Vergebung wert sei. Nur durch das offene Gespräch lässt sich verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Dahingehend stimmte mir Martina voll zu und gelobte sich in Zukunft zusammenreißen zu wollen. Sie erzählte mir, dass Reimund Heimann mal gesagt habe, dass eine gute
Partnerschaft nicht vom Himmel fiele sondern dass man dafür immer, Tag für Tag, kämpfen müsse. Leider würden in der heutigen Zeit viele nichts vom Kampf halten sondern das spaßigere Betthoping vorziehen würden. Jetzt wurde ihr aber der Übergang zu ihrer eigentlichen Absicht ein Wenig verbaut. Wenn sie mir jetzt empfehlen würde nach Hause zukommen, könnte ja der Eindruck entstehen, dass sie mich doch lieber unter Kontrolle haben wolle. Vertrauen ist gut aber Kontrolle hat sich doch bisher in den meisten Fällen am wirkungsvollsten erwiesen. Aber genau das wollte sie nicht sondern sie hätte mich nur ganz gerne zuhause. Sie war langsam des Alleinseins müde geworden und wollte endlich eine ganz normale Ehe führen. Wenn man einen Mensch so lange kennt wie wir beide uns, merkt man schon was im Inneren des Anderen vorgeht und warum dieser bei seinen Reden auf „Hinterhöfen“ rumdruckst. So wusste ich schon was sie wollte und deshalb sagte ich ihr dann direkt ins Gesicht: „Martina, Mäuschen, du bist doch eigentlich gekommen um mich ins Ehebett zurückzuholen. Da ist dir jetzt unser Pummelchen Elvira im Dirndl dazwischen geturnt und du willst jetzt auf jeden Fall vermeiden, dass ich glaube, du wollest mich wieder unter deine Oberaufsicht stellen ... Stimmt es?“. Sie lachte erleichtert laut auf während sie bejahend nickte. Dazu konnte ich ihr dann auch meine Überlegungen, die ich mir während des Spazierganges gemacht hatte, offerieren: „Während ich da geruhsam durch den Wald spazierte, kam mir der Gedanke, dass es eigentlich ganz egal ist, von wo ich starte um den Englein eine Chance zugeben, auf meiner Seele Pipi machen zukönnen. Soweit wäre alles klar; das könnte ich tatsächlich auch von Zuhause. ... Problem ist jedoch nur, dass mich zuhause auch der Alltag wieder erreichen würde, was dazu führen kann, dass meine ‚Seelenwanderungen’ erst gar nicht stattfinden oder, wenn sie stattfinden, von den Alltäglichkeiten beeinträchtigt und umgeleitet werden. Aber, das gebe ich gleich zu, diese Einstellung ist total egoistisch. Wir sind ja nicht verheiratet um nur die Sonntage miteinander zuteilen sondern in erster Linie um den Alltag gemeinsam zu meistern. ... Und jetzt stehe ich praktisch zwischen Baum und Borke. Einerseits muss ich endlich zu mir selbst finden und andererseits kann und will ich mich meiner Aufgabe gegenüber unserer Partnerschaft nicht entziehen“. Damit hatte ich mich selbst auf den Kurs gebracht, auf den mich meine Holde eigentlich bringen wollte. Bevor sie mir jedoch ihre Meinung dazu verriet wollte sie noch ein weiteres Argument praktisch draufsetzen. Sie setzte sich auf meinen Schoss, umarmte mich während sie mit den Lippen zärtlich meine Ohrläppchen beknabberte. Noch auf meinen Schoss sitzend führte sie aus: „Ach Reiner, wie du selbst sagst, kannst du deine Spaziergänge auch von Zuhause aus unternehmen. Wenn du willst kannst du mich, wenn ich da bin, auch mitnehmen ... aber natürlich mich auch, wenn du es für richtiger hältst, zuhause lassen. Immer wie du möchtest. Andererseits kannst du, wenn du Zuhause bist, immer wenn dir danach ist mit mir schmusen. Das dient doch hoffentlich auch deinem seelischen Wohlbefinden, genauso wie ich das, ehrlich gesagt, laufend brauche. Auf jeden Fall hast du das früher öfters so gesagt ... und ich hoffe daran hat sich nichts geändert. Und wie man den Alltag bewältigt liegt ja immer an einem selbst. Man kann ja aus jeder Mücke einen Elefanten machen und sich damit selbst belasten oder man kann es sich so einteilen, dass die meiste Zeit für die angenehmen Dinge des Lebens, für das eigentliche Leben, überbleibt. Und die wichtigsten Alltagsdinge erreichen dich auch hier in der Hütte, denn die würde ich dir prompt zutragen ... oder willst du mich jetzt mit allem allein lassen?“. Mit dem letzten Teil bohrte sie auch noch in mein Gewissen. Es ist ja wirklich nicht die feine englisches Art, selbst den ruhebedürftigen Rentner zu spielen und die Frau den Alltag bewältigen zu lassen. Also schön und gut, sie hatte gewonnen. Auf ihren Vorschlag packte ich nur ein paar Sachen, die ich glaubte am nächsten Tag gebrauchen zu müssen zusammen. Seit meinem Rauswurf vor meinen Unfall hatte es ja noch keinen Rücktransport meiner persönlichen Sachen gegeben. Natürlich war das Allermeiste meiner Besitztümer nach wie vor noch im ehelichen Heim aber alles, was ich derzeitig am Liebsten und am Häufigsten gebrauchte, war in der Hütte. Ganz kopflos hatte Martina damals meine Koffer doch nicht gepackt; trotz allem hatte sie sich Gedanken für und über mich gemacht. Am drauffolgenden Tag, einem Freitag, an dem Martina immer schon gegen Zwei zuhause ist, wollten wir gemeinsam zur Hütte fahren um dann alles wieder heimzuholen. Jetzt war ich bei solchen Gelegenheiten tatsächlich gänzlich auf meine Frau angewiesen, denn mein Führerschein befindet sich in irgendeinem Behördenschrank und im Oktober soll ein Richter darüber entscheiden, wie lange ich zu Fuß laufen muss oder auf eine Chauffeuse angewiesen bin. Ich kann es ja schon einmal vorweg nehmen. Noch weitere 12 Monate sollte die berühmte „Fleppe“, wie der Führerschein im Volksmund heißt, nicht in meinem Besitze sein. Aber da kriegte ich den nicht auch nicht so mir nichts dir nichts wieder sondern ich musste zur medizinisch-psychologischen Untersuchung, kurz MPU, beim TÜV, also zum Idiotentest, und anschließend musste ich noch auf einen Leer-Lehrgang, eine nach der ostfriesischen Stadt Leer benannten Kampftrinker-Schulung. Dort bekommt man dann eine Anleitung zum kontrollierten Umgang, die ich allerdings, weil ich mich fast zum totalen Nichttrinker entwickelt habe, gebraucht hätte. So kommt es, dass ich mich praktisch erst seit kurzem, April 2002, wieder legitimiert hinters Steuer setzen darf. So, damit hätten wir die Geschichte abgehandelt und brauchen sie nicht weiter zu erwähnen. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Sufffahrt eine ganze Menge Geld gekostet hat: 30 gesalzene Tagessätze, Gerichtskosten, Gebühr für MPU, Leerlehrgang und erneutem Erste-Hilfe-Kursus. Dann die ganzen Gebühren
die das Straßenverkehrsamt für die erneute Ausstellung eines Führerscheines einstrich. Vergessen darf man mein Auto, das nicht in einer Vollkasko-Versicherung platziert war, dabei auch nicht. Ja Leute, Saufen kann ein ganz schön teurer Spaß sein. Was hätte ich mit dem Geld alles sinnvolles unternehmen können? Etwas anderes schien ja auch abgehandelt, bedarf aber dann doch noch einer noch einer dickeren Würdigung unserer Geschichte: Das Lokalfernsehen. Wäre ich nur ein paar Tage länger in der Hütte geblieben wäre vielleicht alles gut gegangen. Aber so waren bereits am Morgen nach meiner Heimkehr schon wieder alle besonderen Vorsätze scheinbar wieder dahin. Am Vortage hatte ich noch festgestellt, dass man auch ohne Radionachrichten und Zeitung leben kann. Da war ich noch der Meinung, dass das persönliche Bewusstsein über dem Wissen des Weltgeschehens stehen müsse. Und dann am Freitag dudelte zum zweiten Frühstück, das erste, etwas knappere, hatte ich mit Martina gemeinsam bevor sie zum Dienst fuhr eingenommen, das Radio im Backgrund und der Kreisbote war wieder wie eh und je mit von der Frühstückspartie. Auf der Wirtschafts- und auf der Kreisseite fand ich dann Berichte, die mich ohne Vorwarnung wieder mitten in mein vorhergehendes Leben stellten. Auf der Kreisseite fand ich die Schlagzeile „Auch Sex führt in die Pleite“. Na, was kann sich wohl unter diesem vielsagenden Titel verbergen? Richtig, der gute Flügge hatte eine Millionenpleite hingelegt. Offensichtlich hatten ihn seine Investitionen in das Fernsehstudio und in zwei exklusiven Nachtclubs richtig fett reingerissen. Seine Sexshops waren ja ganz gut gelaufen und dafür standen, laut Zeitungsbericht, auch bereits schon Interessenten auf der Matte. Aber, so die Meinung des Kreisboten-Redakteurs, dürfte es dem Insolvenzverwalter schwer fallen für die Nachtclubs, die er in Gewerbegebiete eingenistet hat, und dem Studio Interessenten zu finden, da diese viel zu groß und damit als Riesenposten in einer Betriebskostenrechnung angelegt sind. Etwas zu kaufen ist ja keine große Kunst aber etwas zu unterhalten setzt doch einiges an Geschick voraus. Selten das schon jemand über die Investitionen stolpert aber die laufenden Kosten sind in 2 von 3 Fällen der Grund für eine Baulandung. Das erfahren auch schon viele Konsumidioten bei der Anschaffung überdimensionierter „Schlitten“. Na ja, der „Schreiberling“, der davon ausging, dass es keine Interessenten für die Objekte gäbe, kannte wohl seinem ehemaligen Kollegen Reiner Schreiber nicht so genau. Bei mir brannten plötzlich wieder diverse Sicherungen durch. Als ich von dem Studio las, kam mir gleich der Gedanke, dass ich das, wenn es sowieso keine anderen Interessenten gibt, irgendwann mal in absehbarer Zeit im Ramsch, eventuell bei einer Zwangsversteigerung, erstehen könnte. Wenn ich dann den Kaufpreis als so eine Art Spende verstehe, dürften nur noch die laufenden Unterhaltungskosten anfallen. Ohne Investitionskosten müsste das Ganze doch für ein gutes Lokalfernsehprogramm tragbar sein. Jetzt, so dachte ich, könnte ich ja Kirchen, Vereine und Verbände ansprechen, dass sie dieses Studio, das ich ihnen stiften wollte, dann für so eine Art gemeinnütziges öffentliches Fernsehen nutzen. Mit Mitgliedsbeiträgen und privaten „Kleinanzeigen“ müsste sich das Ganze ja finanzieren lassen. Jetzt wird diese oder jener sicherlich fragen, ob ich irgendwo einen „Knall“ hätte und ob mir zwei „Flops“ nicht reichen würden. Na ja, nachträglich gesehen muss ich den Leuten, die jetzt so denken, recht geben. Das Ganze war durch und durch naiv und bedurfte nicht einmal einem Ausgären, aber bei mir war mal wieder etwas in Bewegung gesetzt worden und nachdenken wollte ich darüber ohnehin noch gründlich – allerdings erst später. Eile war ja nicht geboten, denn Flügges Pleite war der Allgemeinheit ja erst seit dem Vortage bekannt und man hatte doch geschrieben, dass noch keine Interessenten auf der Matte stehen würden. Aber mein spontaner Beschluss sah nicht danach aus als wolle ich über den Sinn insgesamt noch mal nachdenken sondern dieses wollte ich nur in Richtung, wie ich mir bei einem erneuten Anlauf die Neue Landeszeitung NLZ vom Halse halten könne. Darüber war ich mir allerdings klar, dass der Medienkonzern auch beim dritten Mal gegen eine solche Einrichtung mit schweren Geschützen antreten würde. Martina war gerade heimgekommen als ich ihr begeistert von meinen neuen Illusionen berichtete. Sie schaute mich nur Verständnis los an: „Reiner, wie oft noch? Das geht doch wieder so aus wie bei den ersten Malen auch. Dabei habe ich nicht Angst darum, dass du dabei viel Geld verlierst, denn nicht nur Sex führt in die Pleite; das geht mit Hirngespinsten genauso. Da kann man dann sagen: Wie gewonnen so zerronnen ... und Geld was man nicht oder nicht mehr hat macht einem bekanntlich dann auch keine Sorgen mehr. Wo ich aber Angst vor habe ist, dass du da wieder so einsteigst, dass du in deinem privaten Umfeld wieder den Boden für allerlei Unheil bereitest. So ruhig und ausgeglichen, wie du im Moment noch bist, gefällst du mir wirklich am Besten. Nächstes Jahr wollte ich definitiv aufhören zu arbeiten und nur noch mit dir glücklich sein. Wenn du dann aber dein Geld und deine Zeit immer wieder in alberne Fernsehprojekte steckst, wird daraus wohl nichts. Dann muss ich wohl weiter arbeiten um unseren Ruhestand abzusichern und mit glücklich sein ist da wohl auch nicht viel drin, denn du bist ja dann mit deinem Kopf in erster Linie für dein Fernsehen und nicht für mich da.“. Im Anschluss erinnerte sie mich daran, dass ich ja eigentlich bis Weihnachten hätte eine Auszeit nehmen wollen, um mir eine Ruhe zum Nachdenken zu gönnen. So gesehen wäre es vielleicht doch ein Fehler ihrerseits gewesen, wenn sie mich hätte unbedingt zuhause haben wollen. Bei Martinas Ansprache musste ich doch mehrmals heftig schlucken. Nicht nur irgendwo sondern eigentlich hatte sie gänzlich recht. Meine fixe Idee hatte nichts mit dem, was ich mir vorgenommen hatte, zutun. Wieder
schien ich mit einem lecken Boot losrudern zu wollen. Offiziell, aber innerlich nur mit halben Herzen, begrub ich gegenüber Martina dann meinen Plan wieder. Dabei betonte ich aber, dass das aber nichts mit dem Einstampfen meines Traumes zutun habe. Ehrlich gab ich zu, dass ich noch immer von „meinem Fernsehen“ träumte und ich mich erst mal damit tröste, dass ich doch in dieser Sache sehr viel Zeit hätte um dahingehend doch dieses oder jenes klärendes Gespräch zuführen. Ich nahm mir dann fest vor, zumindestens jetzt noch nicht viel Zeit für diese Geschichte aufwenden zu wollen und den Traum dann endgültig begraben zu wollen, wenn sich wieder abzeichnen würde, dass es auch beim dritten Mal wieder so wie bei den beiden ersten Malen ausgehen würde. Auch wollte ich mit meinen Geld vorsichtig, so wie ich es von Monika gelernt hatte, umgehen. Bei den Voraussetzungen hätte ich gleich alles einstampfen können, was Martina auch ganz nüchtern feststellte, aber es sollte meine Oktober-Story werden, von der ich dann im nächsten Kapitel berichte.
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Der Traum vom neuen Fernsehen Was wohl von den Angehörigen aller drei monotoistischen Weltreligionen falsch interpretiert wird, ist die mosaische Rechtsordnung, die wir im 2. Buch Moses, der Exodus, Kapitel 21, finden und die verkürzt auf „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – eigentlich fängt es mit „Leben um Leben“ an – auch in der Bergpredigt (Matthäus 5, Vers 38) finden. Dort allerdings als eine Klarstellung oder gar Widerspruch, denn es geht dort mit „Ich aber sage euch ...“ weiter. Für die Muslime ist diese mosaische Sache Grundlage für die „berüchtigte“ Scharia, die nicht ganz zu Unrecht von vielen Leuten als menschenverachtend bezeichnet wird. Im Konsens geht es bei Moses darum, dass der Mensch nicht urteilen darf wenn er nicht selbst verurteilt werden will; das Urteil steht allein Gott zu. Denken wir an die doppelte Prädestination, das Gott Gut und Böse vorbestimmt hat, sitzen wir, wenn wir urteilen, über Gottes Vorbestimmung zu Gericht. Aber irgendwo muss ja der Mensch sein Verhältnis zueinander richten. Richten also im Sinne von Ordnen oder Regeln. Daher kommt übrigens auch das Wort „Richter“. Bei den Streitigkeiten der Menschen untereinander klappt das ja mit, zum Beispiel dem bürgerlichen Recht, ganz gut. Probleme gibt es jedoch wenn es einen Konflikt zwischen den Menschen und Gott kommt, wenn also der Mensch gegen die Gebote verstößt. Da kamen die alten Hebräer auf den Gedanken, dieses dadurch zu regeln, dass der „Verbrecher“ mit seiner Tat sein eigenes Urteil gesprochen habe. Also Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Im biblischen Sinne sollte aber der Sünder mit Gott ins Reine kommen und es war im keinem Fall als Genugtuung für Opfer, also nicht als Täter-Opfer-Ausgleich, gedacht. Es ging um die Erlösung des Täters, um sein Seelenheil, und nicht um Rache oder Vergeltung. Trotzdem nehmen auch christliche Politiker diese Bibelstellen als Rechtfertigung für staatlich legitimierten Mord, also für die Todesstrafe und Vergeltungskriege. Diese Verteidiger des Rechtes und selbstgebastelter Werte sollten aber mal nachlesen was Jesus dazu in der Bergpredigt sagte: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht dem Bösen, sondern wer irgend dich auf deinen rechten Backen schlagen wird, dem biete auch den anderen dar; und dem der mit dir vor Gericht gehen und deinen Leibrock nehmen will, dem lass auch deinen Mantel. Und wer irgend dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem geh zwei.“ Und etwas weiter: „Liebet euere Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen.“. (Matthäus 5, Verse 38 – 44). Jetzt mag sich mancher fragen, warum ich gerade an diesem Punkt in unserer Geschichte auf so etwas komme. Na, Steffi und Christof hatten der Scharia eine weitere Variante hinzugefügt und diese hieß bei denen „Geplatzte Verlobung um geplatzte Verlobung“. Sie hatten es offensichtlich immer noch nicht verkraftet, dass im letzten Jahr ihr ursprünglicher Verlobungstermin wegen des Nichterscheinens ihrer Eltern geplatzt war. An dieser Stelle kann ich aus meinem heutigen Wissen noch einfügen, das Steffi schwer an dem „Besuchsverbot“ bei mir im Krankenhaus zu knabbern hatte und diesbezüglich auch mächtig auf Christof einwirkte. Was die damalige Verlobungsmissachtung anbelangte, war ich jedoch der Einzigste, der in ihren Augen eine Entschuldigung hatte war ich hinsichtlich Monikas damaligen Gesundheitszustandes. Aber ich wollte mich ja auch nicht verloben sondern das wollte die, in dieser Angelegenheit sogar Schlimmste, die lieber mit „Kerls“ zum Vergnügen als zur Verlobung ihres Sohnes ging. Also Elvira und Marc hatten sich den Tag der Einheit, den 3. Oktober 2000, für ihre Verlobung auserkoren. Neben den jungen Leuten hatten sie nur uns und Karl Hermann Waymann, Elviras Vater, eingeladen. Steffi hatte dann ihre Rache in einer ganz gemeinen Art und Weise vollzogen. Sie hat erst, auch im Namen Christofs, die Einladung, sich freuend stellend, danken angenommen und „verbindlich“ zugesagt, dass sie auch ganz bestimmt kämen. Ich habe ihre Zusage jetzt extra doppelt bekräftigend dargestellt und bin dabei nicht einmal über das Ziel hinausgeschossen. Und als dann der 3. Oktober gekommen war, unternahmen die jungen Leute dann einen Tagesausflug noch Fort Fun, einem Vergnügungspark im Sauerland. Wo sie waren haben wir erst im Nachhinein erfahren, da sie sich an diesem Tage wie Diebe in der Nacht davon gemacht hatten. Ja, ja, Kinder können grausam sein. Auf jeden Fall machten sich Martina und ich jedoch auf den Weg um der Einladung folge zu leisten. Auch der alte Waymann war dieser nachkommen. Natürlich mussten wir uns allesamt gemeinsam mit dem Bräutigam als Tränentrockner betätigen, denn das Verhalten der „Kinder“ hatte Elvira doch irgendwo ein Bisschen härter getroffen, was wohl ein Jeder oder eine Jede nachvollziehen kann. Natürlich waren auch Martina und ich nicht gerade begeistert über das Vorgehen unserer Tochter aber meine bessere Hälfte brachte doch die Kraft auf und schaffte es letztlich doch, die Braut ein Wenig aufzumuntern. Martina hatte sich mit Elvira zurückgezogen um ein Gespräch von Frau zu Frau, von Mutter zu Mutter, führen zu können. Ich nutzte die Gelegenheit um Marc und dem alten Waymann meinen Traum vom neuen Fernsehen zu berichten. Da kamen dann auch gleich berechtigte Einwände von meinem Gesprächspartner und so fand diese Plauderei von alleine auch kein Ende als die Damen sich bereits schon wieder eine Viertelstunde in unserem Kreise befanden. Da wurde es doch der Meinigen zu bunt und sie fuhr mit einem verärgerten Ton dazwischen: „Was ist nun? Wollen wir eine Verlobung feiern oder die Träume meines Reiners analysieren; Freud statt Freude?“. Marc hatte gleich richtig verstanden und machte den Vorschlag, dass wir ihm am nächsten Tag, einen Mittwoch, in Wollerst besuchen sollten. Für ihn wäre es dann auch so eine Abschiedsrunde von seiner Strohwitwerbude, die er am darauffolgenden
Wochenende aufgeben wollte um zu seinem Engelfürtchen, so nannte er seine geliebte Elvira immer noch, nach Hexenberg zu ziehen. Bei der Gelegenheit könne er mir, wie er am Tage seiner Verlobung sagte, ja mal richtig gründlich den Kopf waschen. Nun konnte das Verlobungsfest trotz allem doch langsam starten. Natürlich lief jetzt alles etwas langsamer an aber dafür gab es dann einen ganz besonderen, außergewöhnlichen Tatsch. Extra für mich, der zuvor bekundete hatte keinen Alkohol mehr trinken zu wollen, hatte Elvira einen Kasten alkoholfreies Becks bereitgestellt. Marc und Waymann fühlten sich dadurch inspiriert, auch einmal ein „kastriertes“ Bier zu kosten. Sie fanden es so dann jedoch mehr als akzeptabel und blieben letztendlich auch dabei. Die Damen, die sich vorher eigentlich auf Wein eingestellt hatten, disponierten dann im Hinblick auf ihre „enthaltsamen“ Männer auf Fruchtsäfte um. So konnten wir alle Fünf erstaunt feststellen, dass wir uns erstmals auf einer Verlobung, auf der tatsächlich kein Tropfen Alkohol floss, befanden. Aber nicht das man glaubt, dass das letztlich der Stimmung abträglich gewesen wäre. Nachdem das Ausbleiben von Steffi und Christof sowie mein Fernsehtraum ausgestanden waren, wurde es nach und nach zunehmendst lockerer. Mir schien als habe Elvira dann doch an diesem Abend alles vergessen was vorher gelaufen war und sei doch sehr glücklich gewesen. Zwischendurch kam es zu einer „netten“ Episode. Marc, bei dem sich wohl irgendwo etwas bewegt hatte, äußerte den Wunsch Elvira möge sich umziehen und in ihrem heißen Dirndl erscheinen. Darauf erwiderte sie ganz keck: „Da muss ich erst meine Freundin Martina nach fragen. Wenn es ihr nichts ausmacht, das mir ihr Mann dann in den Ausschnitt schaut, kann ich das ja mal machen.“. Martina schien aber auch in Laune zu sein und sagte ebenso scherzig frech: „Mach es doch noch einfacher; warum die Umstände? Lege deine Brust doch einfach ganz frei. Dann bekommen die Kerls alles zu sehen was sie wollen und du hast das Umziehen gespart.“. Darauf konterte dann Elvira: „Wenn du mir zeigst, wie das ist wenn eine Frau busenfrei hier im Wohnzimmer sitzt, will ich dir das schon nachahmen.“. Prompt tönten Marc und Waymann „Feige“. Ich hatte mich rausgehalten, da ich nicht meiner Angetrauten nicht in den Rücken fallen wollte. Martina jedoch fragte noch zurück wer gemeint gewesen sei und nachdem sie von den Befragten „Alle beide“ zur Antwort bekommen hatte, tat sie so als wolle sie dem Begehren tatsächlich Folge leisten. Später sagte sie mir, dass sie es eigentlich nur bei dem Andeuten belassen wollte. Als sie aber dann bemerkte, dass Elvira es ihr ganz flott gleich tun wollte, blieb ihr nach ihrem Empfinden nichts anderes übrig als jetzt durchzuziehen. Hätte Martina das nicht gemacht, hätte sich Elvira bestimmt getäuscht und komprimentiert gefühlt. Natürlich bedeckten die beiden Frauen anschließend auch ganz schnell wieder die Sachen, die sie uns da zu bieten hatten. Trotzdem hatte ich in diesem Augenblick noch die Chance zu einem stolzen Vergleich: Die Brüste meiner Frau sind zwar um einiges kleiner als die der Braut aber dafür herrlich geformt und stramm – für meinen Geschmack einfach schöner. Aber ausgeartet ist die Feier, weder davor noch später, auch nicht weiter. Beide entschuldigten sich, jetzt doch etwas verlegen damit, dass in der heutigen Zeit doch Oben ohne etwas normales geworden sei und das man nicht immer gleich das Schlimmste denken solle. Dem konnte ich natürlich aus vollster Überzeugung zustimmen und dabei hatte ich sowohl den Brautvater wie den Bräutigam auf meiner Seite. Dieses habe ich jetzt aber nicht erzählt um nachzuweisen, dass man auch ohne Alkohol in ausgelassene Stimmung kommen kann sondern weil mich diese Geschichte wieder auf den Traum von meinem neuen Fernsehen gebracht hatte und, das kommt jetzt noch, wie dieses den alten Waymann dazu brachte, sich einmal religiös philosophisch zu betätigen. Die Winkelzüge meines Gehirns, die mich jetzt dazu brachten wieder von Flügges Fernsehstudio zu sprechen, dürften wohl klar sein und keiner weiteren Erklärung bedürfen. Ebenso dürften Martinas anschließenden saueren Gesichtszüge jedem weiteren Erklärungsbedarf entbehren. Aber gerade Martinas Körpersprache, die sich kurz darauf auch in Tönen artikuliert hätte, brachte Waymann zu seinen Ausführung: „Wir alle sind Tag für Tag immer wieder neuen Versuchungen ausgesetzt. Der ‚Deibel’ will uns wohl pausenlos an die Seele. Jedem erscheint er in einem anderen Gewand. Bei den meisten Versuchung reicht es, wenn wir ‚Hau ab, Teufel’ sagen aber es gibt auch Dinge, wo wir ihn nicht so ohne weiteres loskriegen. Da müssen wir ihn schon an den Hörnern packen und kräftig gegen die Wand schmeißen. Ihnen gegenüber, Herr Schreiber, scheint er mir sehr hartnäckig und immer erneut im Gewand des Lokalfernsehens erschienen zu sein. Ich glaube sie bekommen erst alles in den Griff, wenn sie alle Gedanken daran in die tiefste Mülltonne, die sie finden können, getreten haben.“. Marc setzte dann abschließend da noch einen drauf: „Ich werde ihm schon Morgen helfen den Teufel aus dem Nacken zu kriegen. Ich glaube, unser Reiner ist langsam reif für diese Teufelsaustreibung.“. Na ja, ich war in der Tat für diesen Exorzismus nicht unwillig und so fuhren Martina und ich auch am nächsten Tag zu ihm in seine Wohnung. Elvira war, wie sollte es auch anders sein, auch bei ihm und unsere beiden Frauen hatten schon am Vorabend abgemacht, dass sie sich zu einem genüsslichen Kränzchen absondern wollten – und so war es dann auch. Späßchen waren denen doch angenehmer als meine Traumtänzerei und Marcs Versuch mich zum Realismus zurückzuführen. Nachdem ich Marc meinen neuen Fernsehtraum noch mal dargelegt hatte, hielt mir Marc einen Vortrag über den Populismus im Allgemeinen: „Es werden irgendwelche Ideen in schöne
oder scheinbar plausibel klingende Worte gefasst und so lange wiederholt bis die „papageiische“ Masse diese dann auch endlos wiederholt. Es entsteht dadurch der Eindruck, dass das, was da jemand mit viel Geld in allen möglichen Medien propagiert, alle sagen. Das ist die einfache, plausibel Grundlage für alle Arten von Werbung und Propaganda. Der naive Glaube des Massenmenschen sagt ihm, dass das, was alle sagen, richtig sein muss und derjenige, der als Einzigster einen anderen Standpunkt einnimmt, spinnt. Dadurch, das es alle es sagen wird aber Falsches bekanntlich nicht richtig. Die Masse übernimmt grundsätzlich immer nur Meinungen. Selbst machen sie sich nicht die Mühe eine eigene zu bilden; dafür haben sie entweder keine Zeit oder, wie sie sich einreden lassen, keine Kompetenz. Nur der Einzelne denkt erst mal über die Angelegenheit nach bevor er eine Meinung hat. Alle Dinge auf dieser Welt haben zwei Seiten und keine davon ist perfekt, auch dann nicht wenn sie Mister Präsident oder der Herr Bundeskanzler diese als perfekt deklarieren. Gleichgültig wer was sagt, muss erst abgewogen werden. Daher sind abweichende Einzelmeinungen meist immer richtiger als das, was der Mob johlt. Der Massentrend heute wird von den Reichen, die die Mittel zum propagandistischen Eindoktrinieren haben, egozentrisch bestimmt. In ihrem Interesse liegt der totale Liberalismus, das heißt, grenzenloser und uneingeschränkter Kapital- und Handelsverkehr, halt die Globalisierung. Wenn diese Globalisierung aber wie sie uns vorgegaukelt wird, funktionieren soll, setzt das aber einen ganz neuen Menschentyp voraus. Der Typ also, der Investitionsanreize auch im Interesse Aller zum Investieren und nicht zum Schätzesammeln nutzt. Globalisierung, so wie sie uns von den Politikussen verkauft wird, funktioniert nur mit dem neuen Menschen, dem die Volkswirtschaft und sozialer Frieden wichtiger als sein Privatkonto ist. Da man aber zur Verbreitungen von Meinungen über Medien verfügen muss oder mindestens Zugang zu diesen haben muss, kann nur der Reiche entweder selbst oder mit Hilfe seiner ihm untertänigen Meinungsverbreiter sein Einzelinteresse gegen das Interesse der Mehrheit zur Meinung aller machen. Können sich Millionen Amerikaner irren? ... Dieses dumme Sprüchlein kennst du doch sicher auch aus der Werbung. Ich sage dir, dass sie sich nicht nur irren können sondern sich kräftig und gewaltig irren. Die Herde folgt ihren Leithammeln“ „Stopp mal.“, fuhr ich jetzt dazwischen, „Was bis jetzt in Sachen Heimatfernsehen gelaufen ist sieht aber nicht so aus als ob uns die NLZ-Leute ihre Globalisierungs-Meinung, die sie, wie ich sie einschätze, zweifellos haben, aufdrücken wollten sondern es sieht so aus, als wollten sie die Verbreitung jeder Meinung, sogar der eigenen, verhindern. Nicht der Populismus sondern der Antipluralismus scheint deren Motivation zu sein“. „Genau, das Verhindern von Meinungen wollen sie.“, fuhr Marc jetzt fort, „Es gilt die Devise, dass die Leute sich entweder an das erste Gebot der Mächtigen ‚Wir haben die Meinung, die du haben sollst. Du darfst keine andere Meinung als wir sie dir sagen haben’ oder ‚Wenn du schon nicht unsere Meinung haben willst, dann ist es besser, wenn du überhaupt keine hast’. Man lullt im Fernsehbereich die Leute mit Big Brother, Soaps, Slapsticks, flachen Quizshows und allerlei Trallala ein. Auch Fußball dürfen die Konsummenschen bis zur Vergasung haben. So lange für dich die Welt aus den Shows der internationalen Balltretertruppen, die die Namen ehemaliger deutscher Traditionsvereine tragen, besteht, kümmerst du dich wohl kaum darum, dass du als Konsumidiot vorgeführt und ausgenommen wirst. Wichtig ist nur, dass die ‚kleinen Leute’ sich nirgendwo Gedanken über ihre eigenen Interessen machen und sich so auch die Leute, die ohnehin schon mehr haben, wie es der Weltwirtschaft auf Dauer gut tut, immer weiter widerspruchslos bereichern. Was soll’s, das ein Bill Gates oder ein Theo Albrecht alleine soviel Kapital haben wie alle Volkswirtschaften in den sogenannten Drittstaaten in Afrika zusammen. Kapital was sich an einer Stelle konzentriert wird letztendlich ökonomisch sinnlos. Nicht nur das, denn durch die dadurch zwangsläufig bedingte Verknappung der Geldumlaufmenge werden immer mehr Menschen in die Armut getrieben. Das geht natürlich nicht dauerhaft gut und ich denke das es schon in absehbarer Zeit fürchterlich knallen wird. Aber soweit denken die Geldmöpse nicht. Reichtum und Intelligenz gehören ja nicht unbedingt zusammen. Man will uns zwar immer weiß machen, dass die Leute aufgrund ihrer Intelligenz so reich geworden sind, was aber nicht stimmt. Der meiste Reichtum existiert aufgrund von Erbschaft und/oder rücksichtslosen Egoismus. Beides setzt keine Intelligenz voraus. Milliardäre glauben ja, dass, wenn sie keine weiteren Millionen dazu kriegen können, die Welt untergehen müsse. Aus diesem Grund darf es nur eine Meinung und keine Vielfalt geben. Und bis das auch mein Freund Reiner verstanden hat, bekommt er immer wieder neue Knüppel zwischen die Beine geworfen. ... Also mein Tipp ist, lass alles sausen und lebe lieber. Zeige dich lieber verantwortungsbewusst zu Gott und deinen Nächsten“. Daraufhin erläuterte ich ihm, obwohl ich selbst schon nicht mehr so richtig davon überzeugt war, zunächst mal mein grob angedachtes Konzept. Wie ich schon im vorangegangenen Kapitel schrieb, dachte ich daran Flügges Studio zu erramschen und diesem einem Verein, der das Ganze dann betreibt und unterhält, zu schenken. Als Vereinsmitglieder stellte ich mir Kirchengemeinden, Heimat-, Verkehrs- und Kulturvereine sowie Sportclubs vor. „Tolle Idee,“, unterbrach mich Marc, „an welche Mitgliedsbeiträge hast du denn gedacht. Ist dir bewusst, dass du alle fixen Kosten wie Grundsteuer, Anschlusskosten, Zählergebühren und so weiter, und so fort sowie alle unausweichlich laufenden Kosten wie eventuelle Hauswartkosten oder Winterdienst unabhängig von der Auslastung auf die Vereinsmitglieder umlegen muss. Dazu kommen dann die verbrauchsabhängigen Kosten, die du je nach Auslastung aufteilen muss. Ich glaube nicht, dass Vereinsmitglieder, die sich eine Weile passiv halten das Gleiche wie die hyperaktiven zahlen wollen. Dann denk auch daran, dass das Ganze, Gebäude und Technik, unterhalten werden muss. Machst du das nicht, kannst du den Laden nach 10 oder spätestens 15 Jahre abreißen.
Laufend sind Ersatz- und Neuinvestitionen notwendig sonst fällst du langsam hinter den Mond.. Und, und, und ... Ich könnte jetzt pausenlos die Dinge, die du selbst noch aus eigenen Kenntnissen und Erfahrungen sowie aus den Gesprächen des Sponsorenkreises kennen müsstest. Wie viel Beitrag willst du denn diesen Mitgliedern abzocken? Das geht ohne Sponsoren überhaupt nicht. Sponsoren geben aber nichts ohne Werbung, denn für sie ist es ja keine Wohltätigkeit sondern ein Geschäft. Und dann sind wir wieder da, wo wir schon einmal waren, ... dann nimmst du der NLZ den Kaviar vom Schinkenbrot, was die schon im Vorfeld nicht zulassen werden. Die NLZ hat das Monopol auf dem Werbemarkt, aber auch die Mittel ihre Stellung hartnäckig und eisern zu verteidigen. Da hast du keine Chancen, du kannst nur dein Geld verlieren und deine Persönlichkeit im Gewühle aufreiben.“. Ich war schon richtig kleinlaut geworden. Marc hatte alle starken Argumente, die mir zuvor allerdings selbst nicht unbekannt waren, zusammengetragen. Und da setzte er dann letztlich noch was drauf: „Aber du gedenkst was für die Meinungsvielfalt zu tun. Denn im Grunde ist das deine fixe Idee, die dir bei den ersten Ansätzen zum Lokalfernsehen gekommen ist. Vorher, als Chef der Lokalredaktion Saßmannshausen hast du nämlich darüber noch nicht nachgedacht. Da hast du mitgespielt und warst auch nur ein Rädchen im gut von der NLZ geölten Getriebe. Gerade habe ich dir erzählt, dass eine solche Angelegenheit eine ganze Stange Geld kostet. Also brauchst du diejenigen, die es haben. Aber die geben dir nichts, wenn du nicht ausschließlich deren Meinung weitergibst. Du selbst würdest ja nicht deinen Widersacher sponsern oder warum sollte eine christliche Gemeinde für den Bau einer Moschee sammeln? Und was Geldgeber für eine Meinung haben, hatten wir ja eingangs besprochen. Wenn du jetzt deine Hoffnung diesbezüglich auf die Kirchengemeinden setzt, dann denke mal an meine Geschichte mit meinem ehemaligen Brötchengeber. Immer schön Bibelstellen auslegen aber bloß keine Stellung auf Seiten der Menschen beziehen. Das Gleichnis vom reichen Kornbauer predigen aber bloß keinen Rückschluss auf Globalisierer zulassen. Ja keine Mission, denn die kann nur erfolgreich sein wenn sie sich am aktuellen Leben der Menschen orientiert. Ein richtiger Pastor wird dir wirklich weiß machen wollen, dass Gesellschaftskritik nichts mit Glauben zu tun hat. Bloß niemanden verraten, dass dir die Treue zu deinem Herrn die eindeutige Stellungnahme abdingt. Aber es geht doch schon damit los, dass die Leute, die Geld und Macht haben, auch in den Presphyterien sitzen und praktisch die Talarmaus in der Hand haben. Wenn der sich nicht so auf der Kanzel verkriecht, wie die es gerne haben wollen, wackelt sein Stuhl als Gemeindepfarrer. Was habe ich schon für Spagatpredigten hinsichtlich des Römerbriefes erlebt. Der schmeckt den meisten Kirchenrasern und Palaverbetern nämlich nicht in den Kram. Daraus ist zu entnehmen, dass dir deine Taten wie regelmäßiger Kirchenbesuch, pausenloses Abendmahl, x-mal Gebete plappern und so weiter über nichts nutzt. Du musst dich deines Glaubens rühmen. Dazu gehört auch, dass du deinem Nächsten sagst was Gott geboten hat und dabei landest du zwangsläufig bei der Gesellschaftskritik. Aber wie heißt es so schön: ‚Halt du sie dumm, dann werde ich sie ausnehmen’, sagte der Fürst zum Bischof, ‚dann können wir gemeinsam herrschen.’. Also Reiner glaube mir, es ist besser du lässt alles dahinfahren, es hat ohnehin keinen Sinn.“. Warum sollte ich einen Hehl daraus machen, dass sich im Laufe des Abends mein Traum vom neuen Fernsehen fast endgültig in Luft auflöste. Marc sprach hart das aus, was ich selbst wusste aber jetzt nicht wahr haben wollte. Nur um mein Gesicht im engsten Kreis nicht zu verlieren, behauptete ich, dass das alles auch Dinge wären, die zwar mir zu jeder Zeit sehr wohl bewusst wären aber ich das Gefühl habe, dass der gordische Knoten irgendwo zu lösen wäre. Irgendwie habe ich das komische Gefühl, dass sich da doch noch was machen ließe und da wäre nur noch niemand darauf gekommen. Ich gab an, ich wolle jetzt mal mit verschiedenen Leuten sprechen und mal sehen, ob sich da nicht doch durch Zufall noch was ergibt. Einen Grund zur Eile sah ich nicht, denn jemand der Flügges Studio haben wolle. Dieses sagte ich nicht nur, sondern das glaubte ich zu diesem Zeitpunkt sogar. Damit hatte ich mich aber arg verschätzt, denn in der ersten Novemberwoche erledigte sich alles von selbst. Da wurde bekannt, dass das Fernsehstudio des Pornografen inzwischen für einen anderen Zweck an ein Softwarehaus verkauft worden ist. Mein Fernsehtraum war da also endgültig ausgeträumt. Lediglich die beiden Nachtclubs von Flügge fanden tatsächlich keinen Interessenten. Inzwischen sind die Immobilien zu kleinen Gewerbebetrieben umgebaut worden. Allerdings war dem, nun endgültigem Aus bei mir im Oktober allerlei Tatendrang und keine Taten voran gegangen. Hört sich paradox an aber es war so. Das, was ich am 4. Oktober zur Wahrung meines Gesichtes gesagt hatte, war in meinem Kopf irgendwie zu einem fixen Tick geworden. Ich wollte eine ganz Reihe Gespräche zum Auffinden des Stein des Weisen führen. Mir fielen eine ganz Reihe Leute ein, mit denen ich in dieser Richtung hätte sprechen wollen. Aber mit allen hatte ich das Königskinderproblem: Wir konnten zusammen nicht kommen. Zwar war das Wasser nicht viel zu tief aber ich hatte keine Fahrerlaubnis. Ich war auf mein familieninterne „Taxiunternehmen Martina“ angewiesen. Und immer wenn Martina Zeit hatte konnten die anderen nicht und umgekehrt. So blieben mir nur die stillen Gespräche meiner grauen Zellen untereinander und mit mir auf meinen Spaziergängen, die ich doch recht regelmäßig unternahm. Da stellte ich fest, dass die Ergebnisse aus meinen Spaziergängen mal so und mal so ausfielen. Einmal, wenn meine Seele richtig durchbaumelte, war ich vollkommen ausgeglichen und glücklich. Dann sagte ich mir immer was das Ganze solle und war mit dem zufrieden, wie es sich mir lebenswertes darbot. Ein anderes Mal, wenn mein Hirn Fiction-
Autor gespielt hatte, war ich hellauf begeistert. Ich war emotional so aufgeputscht, dass ich mich als der Größte und Schönste fühlte und gleich Berge versetzen wollte. Aber beim gründlichen Weiterdenken merkte ich dann immer, dass das Neue auch nicht besser war als alles andere, was mir vorher eingefallen war. Aber gleichgültig ob das Produkt aus meinen Spaziergängen in diese oder in jene Richtung ging, mir genutzt hat beides. Irgendwie war ich dabei Mensch, dabei konnte ich es sein. Ich war frei und freute mich zu leben. Und was passierte während dessen in dieser Zeit noch so um mich herum? Da war zunächst mal unsere Ehe, die in dieser Zeit außergewöhnlich normal verlief. Es gab keine besonderen Höhepunkte aber auch keine Tiefpunkte. Wir beide turteln nicht wie damals vor Ostern und wir sahen nirgendwo einen Grund zum Streiten. Allerdings lebte bei uns eine lange nicht mehr so richtig gepflegte Tradition auf: Wir sprachen und diskutierten sehr viel miteinander. Alles was wir unternahmen war vorher abgesprochen und abgestimmt. Ich konnte feststellen, dass trotz der Wirren der letzten Zeit die Übereinstimmungen zu mir und Martina doch sehr überwältigend waren. Vielleicht war gerade das alles der Grundstock für die beständige Harmonie. Wir hatten im Oktober und November keinen großen Hang uns mit anderen Menschen zu umgeben. Zu Zweit fühlten wir uns am Wohlsten. Lediglich mit Elvira und Marc hielten wir regelmäßigen Kontakt. Wir trafen uns jeden Montag zu einem Klönabend; ein Mal bei den Beiden und ein Mal bei uns. Unser Leidwesen in dieser Zeit war lediglich ein eigentlich sehr kühles Verhältnis zu unserer Tochter und ihrem Bräutigam. Das war aber nicht nur unser Problem, denn auch Elvira war es nicht ganz wohl dabei, dass die Kinder kein einziges Mal in Hexenberg auftauchten und immer wenn man sie mal ansprach, nur freundlich distanzierte Antworten bekam. Nun, es ist ja nicht weiter schlimm, wenn junge Erwachsene nicht am Rockzipfel ihrer Eltern hängen wollen und auf eigenen Beinen durchs Leben gehen wollen. Dieses ist ein Recht, was sie haben und was keiner von uns ihnen streitig machen wollte. Aber irgendwie war da was, was ich gar nicht so richtig beschreiben kann. Die Art und Weise – oder sollte ich die Atmosphäre sagen – war irgendwie komisch. Da war was und keiner wusste so recht was es war. Sollte da ein Konflikt heraufziehen? Aber warum? Auf jeden Fall sagte mir Martina, dass sie ein solches unangenehmes Gefühl habe und ich konnte ihr nur erwidern, dass ich was ähnliches empfinde. Na ja, alles klärt sich irgendwann und irgendwie auf. Wir werden es ja sehen.
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Die Hochzeit ist eine Kriegserklärung Der 27. November 2000 wird für alle Zeiten ein Datum sein, was mir wohl nie mehr aus dem Sinn gehen wird. Vom Tag, 27. November, her gesehen habe ich damit auch vorher schon so gut wie keine Schwierigkeiten gehabt, denn wer vergisst schon den Geburtstag seiner Tochter. Wäre im Jahre 2000 aber nicht noch etwas besonderes passiert, wäre es halt dabei geblieben, dass unsere Stefanie an diesem Tag ihren 22. Geburtstag hätte feiern können. Der Konjunktiv ist durchaus angebracht, denn wir haben bei uns in der Familie nie großes Aufsehen um solche Tage gemacht. Natürlich haben wir uns immer gratuliert und nur im Falle, dass es um Martina oder um mich handelte, gab es aus diesem Anlass auch noch etwas mehr – nur zu Zweit, ganz intim. Auch sind wir des Abends immer schön in einem Restaurant Essen gewesen. Das Geburtstagskind hatte immer die Qual der Wahl: Italiener, Jugo, Chinese oder Steakhaus. Ich glaube treudeutsch war auch schon mal dabei. Aber ansonsten waren diese Tage für uns solche wie alle anderen auch, das heißt, dass wir unserer Arbeit oder anderen Dingen so nachkamen als stünde für uns kein besonderes Datum auf dem Kalender. Und so gingen wir auch an diesem Montag im Jahre 2000 davon aus, dass auch Steffi erst ihren Dienst einer der beiden EDEKAMärkte verrichten würde bevor wir sie in ihrem Zuhause in Neuheim zwecks Gratulation erreichen konnten. Und falls diese nicht der Fall sein sollte, also dass sie dann nicht erreichbar gewesen wäre, brauchten wir uns auch nicht aufzuregen, denn dann ist sie, so dachten wir, bestimmt direkt von der Arbeit mit ihrem Christof in ein Restaurant „gestürmt“. So warteten wir auch bewusst mit unserem Anruf bis halb Acht. Um diese Zeit wollten Elvira und Marc zu unserem üblichen montäglichem Klönabend kommen und sicherlich würden sich auch alle freuen, wenn sich die „Schwiegereltern in spe“ der Gratulation anschließen würden. Als unsere Gäste dann erschienen waren erfuhren wir dann, dass wir durchaus schon früher hätten anrufen können, denn Christof und Steffi hatten sich bei ihrem Chef, dem alten Waymann, für diese ganze Woche Urlaub genommen. Das Einzigste was uns stutzig machte war, dass sie dieses ausgerechnet jetzt, in einer Zeit machten, wo es für junge Leute eigentlich nicht viel gibt, was sie unternehmen können. Na ja, dann Schritt Martina nach Ankündigung zur Tat, ging zum Telefon und wählte die Nummer unserer „Kinder“. Als Mutter hatte sie das Vorrecht als erste gratulieren zu dürfen. Ich erwartete jetzt, dass sie wie üblich, wenn auf der anderen Seite abgehoben wird, mit „Hallo Mäuschen, ich gratuliere dir recht herzlich zum Geburtstag“ loslegen würde. Aber stattdessen fiel: „Na, übst du schon mal. Sage bloß ihr habt euch schon einen Termin ausgeguckt.“. Dann schaute Martina ganz erschrocken drein. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihre Augen und ihr Mund waren weit aufgerissen. So einen plötzlichen Wechsel von freundlich fröhlich auf tiefst erschrocken hatte ich bei ihr zuvor noch nicht erlebt. Und so waren auch wir drei Anderen jetzt auch erschrocken in Spannung versetzt worden. Da sagte Martina: „Die Hochzeit ist eine Kriegserklärung. Das muss ich erst einmal verdauen. Ich rufe gleich noch mal an.“ Jetzt hörte sie noch einen kurzen Moment zu und legte, nach dem sie „Dann eben nicht“ gesagt hatte, auf. Noch nicht viel besser aussehend wandte sie sich an Elvira: „Hast Du das gewusst?“. Nachdem diese „Was?“ zurückgefragt hatte bekamen wir eine Aufklärung: „Da meldete sich doch unsere Steffi am Telefon mit dem Namen Schöller. Als ich sie fragte ob sie übe sagte mir doch die Göre glatt, dass sie heute morgen bei der Trauung den Namen Schöller als ..“. Weiter kam sie nicht, denn da schoss Elvira mit langgezogenem „Waaasss“ hoch und stürzte aufs Telefon zu. Auch jetzt war Steffi am Telefon und bekam aber schnippisch „Gib mir mal Christof“ zu hören. Elviras Sohn bestätigte ihr unaufgefordert was zuvor seine Frau ihrer Mutter gesagt hatte. Darauf knallte Elvira wutentbrannt den Hörer auf. Kopfschüttelnd ging sie zu ihrem Sesselplatz, in dem sie anschließend richtig reinsackte, zurück. Vollkommen runter sagte sie: „Das geht zu weit. Erst unsere Verlobung vorsätzlich ignorieren und dann klammheimlich heiraten.“. Plötzlich starrte sie mich an und schrie los: „Das ist euere Tochter – und das hat sie von dir.“. Danach unternahm sie einen Rundschlag gegen mich und beschuldigte mich, auch am Wahnsinn und Tod ihres Mannes, Schuld zu sein. Das war schon reichlich beleidigend was da aus Elviras Mund fiel aber ich war von den Vorgängen selbst so schockiert, dass ich nichts unternahm. Offensichtlich war Marc der Einzigste unter den Anwesenden, der noch ein halbwegs kühlen Kopf behalten hatte. Er sagte zu Martina, weil nur sie in diesem Moment noch aufnahmefähig war, dass es besser sei wenn sie jetzt gingen und betonte noch, dass er die Sache wieder in Ordnung bringen würde. Dann packte er sich seine Elvira und zog sie förmlich aus unserer Wohnung hinaus. Sie waren noch nicht an der Haustür als mir Martina weinend in die Arme fiel. Mehrfach hintereinander fragte sie: „Womit haben wir das verdient.“. Ich brauchte ein Weilchen bis ich das Gefühl hatte, mich ein Wenig gefangen zu haben. Allgemein stellte ich fest, dass wir alle jetzt nicht mit Steinen werfen könnten. Schließlich hätten wir alle in letzter Zeit so viel gemacht, womit wir die jeweils Anderen schwer getroffen hätten. Was Elvira anbelangte drückte ich die Hoffnung aus, dass es Marc gelänge die Wogen zu glätten und auf die „Kinder“ wollte ich den alten Waymann, zu dem sie immer die besten Beziehungen hatten, ansetzen. Ich hoffte stark, dass er das auch tun würde, denn seine Nicht-EinmischungsStrategie war mir nun wirklich sehr gut bekannt. Aber, so meine Hoffnung, dürfte es sich um einen Unterschied handeln, wenn es irgendjemand oder seinem geliebten Enkel betrifft. Und das er mit den beiden Heimlich-
Hochzeitern unter einer Decke steckt kann ich mir bei ihm in keiner Weise vorstellen. Aber unter den Voraussetzungen ist jedoch aber auch denkbar, dass er sich genau wie wir anderen auch, gehörig auf den Schlips getreten fühlt. Wie es auch sei, Karl Herrmann Waymann schien mir der Richtigste in diesem Falle zu sein. Die Vermittlungsbitte konnte ich unerwartet noch am gleichen Abend los werden. Kurz vor Neun schellte es an der Tür und Karl Hermann Waymann begehrte freundlich Einlass. Zunächst musste er im Auftrag seiner Tochter tätig werden. Von Marc war er informiert worden, dass sie offensichtlich einen Nervenzusammenbruch erlitten habe und er nicht mehr wüsste, was er nun machen sollte. Als Waymann in die Wohnung seiner Tochter kam lag diese heulend auf der Couch und hatte richtige Schüttelkrämpfe. Der schnell herbeigerufene Vater hat sich dann richtiger Weise erst einmal erkundigt was eigentlich los war. Da bekam auch er zunächst mal einen schweren seelischen Schlag versetzt. Auch er hatte von der Hochzeit seines Enkels keine Ahnung und musste sich dann doch hinsichtlich des Zustandes seiner Tochter mächtig zusammenreißen. Am Liebsten wäre es ihm gewesen, wie er uns sagte, wenn auch er hätte richtig platzen können. Na ja, dann war es ihm doch gelungen bei ihm selbst Ruhe vorzutäuschen und dann seine Tochter wieder halbwegs zu beruhigen. Aber nicht die Kinder sondern wir waren jetzt ihr vordringliches Anliegen. Sie hatte dann ihren Vater vorgeschickt um bei uns um Vergebung zu bitten. Er meinte noch, dass er das normaler Weise nicht mache aber aufgrund der außergewöhnlichen Umstände mache er in diesem Fall mal eine Ausnahme. Ich schlug dann vor, dass wir zusammen hinüber zu Elvira und Marc zugehen um zu bekunden, dass wir den Vorfall zwischen uns als beigelegt betrachteten. Selbst hatte ich ja die Erfahrung gemacht, wie schlimm das ist wenn eine Angelegenheit lange gärt. Dann kommt es oft zu einem Feuer, das nur schwer unter Kontrolle zu bringen ist. Martina stimmte zu und wir gingen nun zu Dritt hinüber. Auf dem Wege sprach ich dann Waymann auf mein Anliegen bezüglich seiner Vermittlung bei den jungen Leuten an. Von ihm erfuhr ich dann: „Ach Herr Schreiber, das hätten sie mir gar nicht zu sagen brauchen, das hätte ich ohnehin machen müssen. Ich werde denen jetzt erst einmal von der harten Seite kommen und trocken behaupten, dass ich diese Sache Christof so übel genommen hätte, dass ich ihn nun enterben wolle. Bis ihre ‚Kleine’ ausgelernt hätten, dürften sie noch in meinen Diensten tätig sein. Wie ich die Beiden kenne wird sie der Verlust einer Erbschaft nicht gerade umwerfen ... Darauf haben sie es, so wie ich es einschätze, ja ohnehin nicht abgesehen. Aber ich glaube, dass ich ihnen damit meinen Liebesentzug sehr eindeutig klar mache. Damit treffe ich sie, wie ich glaube, doch an einer empfindlichen Stelle. Ich will ja jetzt nicht prahlen ... und insbesondere ihnen persönlich nicht weh tun, aber ich glaube, dass ich derjenige bin, an dem die Beiden am Meisten hängen. Dann werden sie wohl aus der Reserve kommen und wir werden weitersehen.“. Mir gefiel Waymanns Plan ganz gut und hoffte auf seinen „Erfolg“. Als wir dann bei Elvira ankamen saß sie mit gesenktem Kopf im Sessel und Marc hockte vor ihr und hielt ihr die Hände. Im ersten Moment hatte sie uns gar nicht hereinkommen bemerkt. Als das aber geschah sprang sie spontan auf. Marc bekam dadurch einen richtigen Knuff ab. Elvira sprang auf Martina zu und drückte sie fest in ihre Arme und begann noch einmal mit schluchzenden Weinen. Erst nach etwa drei Minuten konnte sie etwas sagen: „Ach, das tut mir doch alles so leid. Ich wollte euch doch nicht weh tun. Aber das habe ich doch alles wirklich nicht so gemeint. Was ich gesagt habe, waren alles Dinge, die wirklich mal in mir drin waren. Ich weiß aber ganz gewiss, dass das alles falsch war und ich dachte es wäre alles vorbei und schon so weit weg ... Und jetzt? Wo kommt das nur auf einmal wieder her.“. Nachdem sie nichts weiteres mehr sagte, versuchte sich ihr Vater als tröstender Erklärer: „Ach Töchterchen, ich kann dir schon sagen wie das Zeug in dich hinein und auch wieder heraus gekommen ist. Dein ehemaliger Mann hat dir sehr viel Leid angetan und du hast es immer runtergeschluckt. Du hast dir immer wieder das Hirngespinst aufgebaut, dass er doch gar nicht so schlecht wäre und er für dich der Richtige sei. Als es dann knallte konnte er es, laut deinem, von dir aufgebauten Trugbild, nicht gewesen sein und so hast du dein Hirngespinst weiter ausgebaut und den Anderen die Schuld gegeben. Das hast du dir so verinnerlicht, dass das einfach in dir drin ist. Mit dem Verstand hast du zwar heute alles richtig erfasst, aber wenn du, wie in diesem Fall, mal etwas verstandesmäßig nicht so erfassen kannst, wenn du die Kontrolle über dich selbst mal verlierst, ist alles wieder da, als sei es nie durch deinen Verstand abgebaut worden. Das Hirngespinst war doch im Laufe der Zeit ein Wenig zu groß geraten. Damit wirst du wohl noch eine Weile zu kämpfen haben. Aber wie ich sehe, haben Schreibers dafür aber Verständnis und Marc wird dir helfen. Du wirst es schon schaffen, du bist ja mein Mädchen.“. Eigentlich eine ganz interessante These, die der alte Waymann da vorgetragen hatte. Bauen wir nicht oft, weil wir nicht wahrhaben wollen was nach unserer Ansicht nicht sein kann, Buhmänner und Hirngespinste auf, die wir uns so verinnerlichen, dass wir sie, obwohl uns der Verstand was anderes sagt, erst mal nicht mehr loswerden können. War mein Fernsehtick vielleicht auch so ein Hirngespinst für mich. Nach Flügges Pleite, stand dieses ja auch wieder bei mir ganz oben an obwohl mir mein Verstand sagte, das alles großer Blödsinn sei. Natürlich steht Elviras Rundumschlag und mein Fernsehtick in ganz anderen „Sachbüchern“ aber der Ablauf schien mir nach Waymanns Schilderung vergleichbar. Jetzt können wir ja einen Schritt weitergehen und das auch noch auf die Frischgetrauten übertragen. Sollten die etwa das Hirngespinst, dass sie die ungeliebten Kinder ihrer Eltern sind, aufgebaut haben und es jetzt gegen ihren eigentlichen Verstand nicht mehr loskriegen? Und da
lag ich, wie sich später herausstellte, gar nicht so im Unrecht. Es begann ursprünglich mit meinem Unfall. Durch diesen und ihren vorhergehenden Streit aufgeschreckt „gluckten“ Elvira und Marc etwas übermäßig zusammen. Christof hatte immer, wenn er mit seiner Mutter zutun hatte, den Eindruck als behandele sie ihm nach der Devise „Ach, dich gibt es auch noch“. Meine Besuchsregelung, die Steffi als Besuchsverbot interpretierte, habe ich ja bereits geschildert und dazu kam, dass sich in der Folgezeit Martina auf mich fixierte. Da glaubten die Beiden von uns nicht mehr geliebt zu werden und bauten sich das Hirngespinst auf, dass wir froh wären wenn wir sie los wären. Als dann Elvira zur Verlobung einlud hat Steffi zuerst ehrlich und erfreut zugesagt, aber dann haben sich die beiden so in ihr Hirngespinst reingeredet, dass es dann zum vorsätzlichen „Verlobung vergessen“ und zur klammheimlichen Hochzeit kam. Martina hatte am Telefon die Hochzeit als Kriegserklärung interpretiert aber im Hirngespinst der Kinder hatten wir schon viel früher als sie das Kriegsbeil ausgraben. Natürlich sagte ich an diesem Abend von meinen diesbezüglichen Gedanken nichts und das ich dann noch recht hatte, wusste zu diesem Zeitpunkt natürlich niemand. Am besagten Abend erklärten Martina und ich erst einmal Elviras „Ausrutscher“ als vergessen und dann setzten wir uns noch mal in Ruhe zusammen. Na ja, man weiß ja wie das so ist: Von Jetzt auf Gleich kommt man von einer solchen Sache nicht runter. Aber immer mehr bildete sich dann die „elternlose“ Hochzeit zum alles tragenden Gesprächsstoff aus. Dabei kamen die beiden Frauen auch darauf zusprechen, wie schön sie sich, seitdem sie ihre Kinder haben, sich die Hochzeit dieser ausgemalt hatten. Je älter sie wurden um so mehr – und jetzt das. Alle Illusionen waren plötzlich wie Seifenblasen zerplatzt. Na ja, da waren wir Männer schon etwas besser dran., denn ich musste gestehen, dass ich mir über eine eventuelle Hochzeit meiner Tochter noch nie Gedanken gemacht habe und Marc war ja nicht der Vater von Christof. Dafür war Marc aber bei dem unmittelbar darauffolgenden Thema der Getroffene. Von dem Thema Hochzeit ist es natürlich auch ein kleiner Schritt zum Thema Enkel und zu Dritt hofften wir, dass bis dahin alles eingelenkt wäre. Mit den Frauen teilte ich mir die Illusion auch mal ein Baby auf den Arm zuhaben und stolz verkünden zu können, dass es unser Enkelkind wäre. Ich schrieb eben, das Marc der Getroffene gewesen wäre. Na ja, er, der keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hat, wurde bei diesem Thema etwas wehmütig, was ja Alles in Allem auch sehr verständlich ist. So mussten wir ihn dann auch wieder ein Wenig moralisch aufpäppeln. Das war gerade gelungen als dann die Frauen wieder die Hochzeit, die sie verpasst hatten, auf die Tagesordnung setzten. Stimmung kam nicht auf aber so hatten wir dann doch bis kurz nach Mitternacht zusammengesessen. Als wir auseinander gingen hofften wir allesamt, dass sich alles bis zum nahen Weihnachtsfest wieder eingerenkt habe. Noch in der gleichen Woche, genau am darauffolgenden Freitag, glaubten wir neue Hoffnung schöpfen zu können. Das junge Ehepaar hatte „ihren Opa“ besuchen wollen. Dieser spulte die „Enterbungsshow“, so wie er uns das am Montagabend auf dem Wege zu Elvira gesagt hatte, ab. Nach wie vor war Karl Hermann Waymann vom vollen Erfolg seiner Mission überzeugt. Christof und Steffi fragten nur zurück, was wäre, wenn sie am darauffolgenden Montag nicht zum Dienst erscheinen würden. Daraufhin sagte ihnen Waymann, dass derjenige, der nicht käme, gleich für immer zuhause bleiben könne. Als wir den alten Herrn am Samstag in Hexenberg trafen, war er überzeugt davon, dass zum Wochenbeginn beide bei ihm reumütig antreten würden und dann alles in Ordnung ginge, da er ihnen dann sagen würde, dass sie sich mal Gedanken darüber machen sollten, wie sie das mit ihren Eltern in Ordnung bringen würden und dann wolle auch er alles wieder vergessen. Aber auch die Beiden haben sich beraten und durchkreuzten prompt alles, was so schön gedacht war. Am Montag nach dem 1. Advent erschien nur Steffi zum Dienst. Als Waymann sie in sein Büro rief erklärte sie ihn knapp, dass sie gedenke ihre Ausbildung bei ihm zu beenden. Sie habe auch rechtlich ganz gute Karten, dass er sie nicht so einfach rauswerfen könne. Insbesondere der Grund, dass sie seinen Enkel geheiratet habe, sei kein Kündigungsgrund bei einem Ausbildungsverhältnis. Christof wolle aber schon mal woanders vorsprechen und käme nicht mehr zum Dienst. Auf eine Kündigungsfrist könne er, Waymann, sich nicht berufen, da er Christof selbst angeboten habe, dass er unter einer solchen Bedingung nicht mehr zukommen brauche. Jetzt hatte auch der alte Waymann seine Kampfansage und war hinsichtlich der Dickschädeligkeit des jungen Paares mit seinem Latein am Ende. Zu schön hatte er sich seinen Plan geschmiedet, von dessen Erfolg er so überzeugt war, dass er keine Alternative in Erwägung gezogen hatte. Auf eine solche Art und Weise kann man von einer Minute auf die andere von einem schönen Plan auf überhaupt keinen kommen. Das musste er gleich mit uns besprechen und deshalb berief er eine „Konferenz“ am Abend des gleichen Tages in seine Wohnung ein. So kamen wir doch zu unserem Montagsplausch, den wir eigentlich, falls sich mit unseren Kindern nichts ändere, bis ins neue Jahr aussetzen wollten, da sich ansonsten laut unseren Selbsteinschätzungen ohnehin alle Gespräche in belastender Weise nur um die „Kinder“ handeln würden. Den ganzen Tag über hatte Waymann überlegt was man jetzt noch machen könne. Letztlich hatte er die Idee Schwiegermutter und –tochter miteinander zu konfontrieren. Elvira war ja schließlich auch Fachfrau und sogar nicht nur an den EDEKA-Märkten offiziell beteiligt, sondern diesen trugen ihren Namen: EDEKA Schöller. Daher hatte ich ja damals auch angenommen, der spätere Prophet sei der Boss. Jetzt sollte sie für ihren Sohn als linke und rechte Hand des „Alten“ einspringen. Die Auszubildende Stefanie Schöller dürfte dann wohl keine
Möglichkeit haben ihrer Chefin Elvira Schöller auszuweichen. Unser Gespräch ging dann um das Thema, mit welchen Reaktionen wohl zu rechnen sei. Eine Auseinandersetzung vor Kunden und Personal ist nicht nur dem Geschäft abträglich sondern könnte uns in unserem Anliegen auch weit nach hinten werfen. Waymann kannte ja seine Tochter und instruierte sie entsprechend. Mehrfach fragte er: „Hältst du das auch durch, Töchterchen?“. Sich selbst kennend beantwortete Elvira das jedes Mal: „Das fällt mir zwar schwer ... das weißt du, aber ich bin ja darauf vorbereitet und werde mich auf das Zusammenreißen konzentrieren. Dann klappt das schon.“. Karl Hermann Waymann war wirklich in dieser Sache sehr besorgt und wollte deshalb von uns, die wir ja unsere Tochter kennen würden, wissen wie diese denn möglicher Weise reagieren würde. Da legte dann Martina eine Art Beichte ab: „Ach, ich glaube die hat meine blöde Sturheit geerbt. Das dürfte auch jetzt hinter der Sache stecken. Die macht keinen großen Wirbel. Entweder schmeißt sie ihre Gegnerin oder ihren Gegner raus oder geht einfach weg ... je nach Ausgangslage – und danach lässt sie die Jalousien runter und ist eine ganze Weile oder gar lange Zeit nicht ansprechbar.“ Lachend ergänzte sie: „Man merkt, dass wir aus der Landwirtschaft kommen. Wir haben einen echten Bauernschädel.“. Da hatte ich persönlich in den letzten beiden Jahren ja auch genug von kosten können. Marc stellte daraufhin fest, dass wahrscheinlich gerade diese Veranlagung es sei, die jetzt den großen Graben reißen würde. Möglicher Weise wäre es Steffis Sturheit und Christofs Mitschwimmen was zu der ganzen Situation geführt habe. Martina war danach außergewöhnlich still. Als wir anschließend wieder unter uns waren bekannte sie mir, dass sie sich bei Marcs Worten ertappt gefühlt habe und dieses nun bei ihr zu einem Schuldbewusstsein geführt habe. Ihre Sturheit wären im Fall Monika und im Fall der Sexbombe zwar nicht der Auslöser gewesen aber sie hätte den Hintergrund dafür gegeben, dass die Angelegenheiten nicht beigelegt werden konnten und ausgeufert wäre. Hätte sie stattdessen Gesprächsbereitschaft gezeigt, würde vieles wohl nicht geschehen sein. Ganz Unrecht hatte sie ja offensichtlich nicht, aber da sollte ich mich doch besser raushalten, denn dann würde ich mich durch Abwälzen auf Martina entschuldigen. Andere zu belasten um sich selbst zu entlasten ist immer der falsche Weg. Und wir sind ja keine Politiker, die so etwas nicht erkennen können. Was Waymanns Idee von Montag anbelangte waren wir alle der Meinung, dass es wohl nicht in unserem Sinne wäre wenn sich Steffi dadurch noch tiefer in ihre Sturheit bohrte. Aber ein Versuch sollte es uns wert sein. Na ja, wir haben keine dummen Kinder und so kam es mal wieder anders, wie wir uns das gedacht hatten. Die hatten sich im Gegenzug überlegt, dass wir so etwas machen könnten und prompt meldete sich Steffi am Dienstag krank. Sie hatte sich sogar einen „gelben Schein“ (Krankschreibung) besorgt, auf der ihr der Arzt bis einschließlich des Samstages einen Grippeurlaub verschaffte. Verschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben und so verständigten wir uns darauf dann halt zwangsläufig eine Woche zu warten. Aber wieder hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ich weiß nicht, was Steffi dem Arzt vorgemacht hat aber sie schaffte es eine Verlängerung um eine Woche herausschinden zu können. Da mittlerweile der 2. Advent vorbei war und der 4. Advent im Jahre 2000 mit dem Heilig Abend zusammenfiel, wollten insbesondere die beiden Mütter nicht mehr warten und wollten jetzt selbst aktiv werden. Schließlich sollte zu Weihnachten, dem Fest der Liebe und des Friedens wieder die früher gewohnte Eintracht herrschen. Martina, hatte ja inzwischen erkannt, dass die Sturheit, fehlende Gesprächsbereitschaft, zur Konfliktausweitung führt und deshalb wollte sie den ersten Schritt bei Steffi unternehmen; sie wollte mit den Kindern sprechen. Das wäre alles gut und schön gewesen, wenn sich Steffi sich nicht ihr gegenüber so verhalten hätte, wie Martina sich selbst, als ich ihr nach meinen Rausschmissen „nachstellte“, mir gegenüber verhalten hatte. Das diente natürlich nicht Martinas Wohlempfinden in keiner weise, denn jetzt wurde ihr bewusst, was sie „angerichtet habe“ als sie mich dauernd abblitzen ließ. Wenn jetzt nicht der Konflikt mit unseren frischverheirateten Kinder gewesen wäre, hätte ich mich möglicher Weise aufgewertet fühlen können aber zumindestens rehabilitiert fühlte ich mich auf jeden Fall. So wie Martina die Angelegenheit gegenüber ihrer Tochter übernahm, machte Elvira das bei ihrem Sohn. Leider stieg sie mit einem berüchtigten Politikerfehler ein. Sie schrieb Christof an, dass sie mit ihm sprechen wolle. Sprechen ist natürlich stets und ständig besser als schießen. Aber wenn ich mit jemand sprechen will, darf ich keine Vorbedingungen stellen, insbesondere dann nicht, wenn diese Vorbedingungen schon fast alles enthalten, was man letztlich erreichen will. Wenn ich mit jemand zur Vermeidung eines Krieges über eine Konfliktbereinigung sprechen will, kann man ja nicht die Kapitulation des Anderen zur Vorbedingung machen. Da ist dann niemand auf der Welt mehr gesprächsbereit – ich auch nicht. Da bleibt nur schießen. Nun, Elvira machte eine „aufrichtige“ Entschuldigung für ihre Verlobung und deren Hochzeit sowie eine sofortige Wiederaufnahme ihrer Arbeit zur Vorbedingung. Na, wenn ich Christof gewesen wäre, hätte ich ihr auch ganz kräftig einen gehustet. Die Reaktion der jungen Leute war dann auch entsprechend trotzig. Steffi teilte dem alten Waymann mit, dass sie vom 18. Dezember 2000 bis 8. Januar 2001 Urlaub zwecks Hochzeitsreise nehmen würde. Vom 22.12. bis 6.1. sei sie in Deutschland nicht erreichbar. Ganz frech stand unter dem Brief: „p.S.: Rückantwort nicht nötig. Ich komme sowieso nicht!“. Na ja, erst später erfuhren wir dann, wo sie vom 22. Dezember bis 6. Januar steckten. Sie hatten das Geld, was sie sich für die Ausstattung einer neuen größeren Ehewohnung zusammen
gespart hatten, genommen und haben damit eine Flugreise nach Phaphos auf Zypern unternommen. Hätten wir nicht in einem Kriegszustand gelebt, hätte ich ihnen diesen Urlaub sogar spendiert, denn was sollte ich den sonst mit dem von Monika geerbten Geld. Es ist doch alles nur für das einzigste und oberste Ziel, dem Leben, bestimmt. Aber eines war klar: Der Hochzeitskrieg konnte in dem laufenden Jahr nicht mehr beigelegt werden. Dieser Krieg hatte dann aber weitere kriegerische Auseinandersetzungen zur Folge. Am letzten Öffnungstag der Schöller EDEKA-Märkte vor Weihnachten, also am Samstag, dem 23. Dezember 2000, gerieten sich nach Geschäftschluss Elvira und ihr Vater mächtig in die Haare. Worum es gegangen ist, hat man mir natürlich nicht berichtet, nur dass die vom Hochzeitskrieg herrührenden blankliegenden Nerven der Beiden eine große Rolle gespielt hatten, wurde mir verraten. Auf jeden Fall war für Waymann und seine Tochter das Weihnachtsfest gelaufen. Erst am Morgen des 27. Dezembers haben die Beiden wieder ein Wort miteinander gesprochen. Elvira war pünktlich des Morgens im EDEKA-Markt erschienen und auf ihren Vater zugegangen: „Ich kann doch jetzt meinen Papa nicht allein lassen. Dafür liebe ich ihnen doch zu sehr.“. Dieses hat mir Waymann später mit richtig feuchten Augen erzählt. Daran kann man leicht ermessen, wie gerührt er über die Worte seiner Tochter war. Nun, im Hause Waymann/Schöller/Kampmann wurde dann Weihnachten zwischen diesem Fest und Neujahr nachgefeiert. An diesem Vorfall kann man jetzt erkennen, wie der offene und vorbehaltlose Schritt auf andere Menschen zu Wunder wirken kann; da bedarf es keiner großen Worte und Gesten. Dem anderen Menschen zeigen, wie sehr man ihn doch gerne hat, genügt um große Brände zu löschen. Vielleicht hatte Elvira das über Weihnachten von Marc gelernt, denn, wie ich ebenfalls im Nachhinein, von Elvira erfuhr, haben die sich über die drei Tage häufig gestritten. Sie scherzte, als sie mir das erzählte: „Es heißt ja in einem alten Witz, der Herr käme stündlich aber der Streit kann das auch.“. Immer habe es sich um Banalitäten, wie die berühmte und berüchtigte Zahnpastatube, die der andere immer falsch handhabt, gehandelt. Nun ist so etwas in der Regel nicht außergewöhnlich. Die Weihnachtstage sind ja bekanntlich die Tage, wo die Menschen, die das ganze Jahr im Stress aneinander vorbei gelebt haben, mit traditionell selbstverordneter Ruhe aufeinander hocken. Das kann natürlich bei vielen nicht gut gehen, denn die Ruhe und der Andere gehen einen, die Aggressionskurve bis ins Unerträgliche steigernd, auf die Nerven. Auch Ruhe und das Miteinander wollen geübt und das ganze Jahr über gepflegt werden. Aus diesem Grunde hat jede dritte Ehescheidung in Deutschland ihre Wurzeln in den Weihnachtstagen. Das konnte man bei Marc und Elvira allerdings nicht sagen, denn die waren noch in ihrer berühmten rosaroten Turtelphase; da dürfte doch allein der vorangegangene Hochzeitskrieg die wesentliche Rolle gespielt haben. Marc hat sich aber bei der Streiterei dadurch ausgezeichnet, dass er nach jedem Streit mit einem lieben Wort und einem Liebesbekenntnis immer wieder auf Elvira zugegangen war. Und sie hat das gleich am Tag nach Weihnachten bei ihrem Vater angewandt. Es dürfte wirklich eine Überlegung wert sein, ob wir so auch mit unseren Kindern, an die wir im Grunde doch sehr hängen, ins Reine kommen können. Auch bei Martina und mir ging es über den Festtagen „lustig“ zu. Es begann schon am Nachmittag des 23. Dezembers, als ich den Weihnachtsbaum schmückte. Das war allerdings noch eine harmlose Geschichte. Martina stand „dauernd“ mit einem Abstand von zirka anderthalb Metern vom zu schmückenden Baum entfernt und hatte laufend was anderes zu meckern. Einmal stand der Baum nicht richtig gerade im Ständer, dann waren die Kugel viel zu dicht aufeinander angeordnet, dann war zuviel Schmuck auf der von der sichtbaren Seite abgekehrten Hälfte des Baumes platziert und dann waren letztlich die Kerzen nicht richtig, schlecht wirkend, aufgeteilt. Da packte mich doch die Wut und ich kläffte sie an: „Verdammt noch mal, dann mach es doch selbst! Wenn du sowieso alles besser kannst.“. Ich schimpfte dieses und ging dann erst einmal hinaus. Martina setzte nur noch die Spitze auf den Baum und fertig war dann der „wirklich schöne“ Baum, wie wir einen solchen in früheren Jahren noch nicht gehabt haben. Na ja, da wird jetzt mancher Leser und manche Leserin sagen, dass sie so etwas aus eigenem Erleben kennen. Einige werden sogar sagen, dass sie bei der Angelegenheit schon mit Fug und Recht „Alle Jahre wieder“ singen könnten. Ich habe ja auch nie behauptet, dass wir außergewöhnliche Menschen wären. Das Meiste läuft bei uns genauso ab wie bei vielen anderen auch – wir sind halt ganz normal; Leute wie du und ich. Den nächsten, dann doch etwas größeren Knall gab es gleich am Morgen des Heiligen Abends. Stolz und glücklich verkündete ich Martina, dass ich zuvor beabsichtigt hätte, den „Kindern“ zur Hochzeit und Weihnachten eine eingerichtete Eigentumswohnung schenken zu wollen. Wenn sie trotz allem doch noch auftauchen würde, gedächte ich nicht so kleinlich zu sein, und mein Geschenk doch noch zu kredenzen. Da rastete Martina praktisch völlig aus. Sie warf mir vor, mir praktisch vor allen Anderen die Liebe der Kinder erkaufen zu wollen. Dieses stände doch bei der derzeitigen Situation gar nicht zur Debatte. Außerdem wären da ja noch drei Häuser, die irgendwann mal auf sie warten. Christof hat die alternative zwischen dem Haus seines Großvaters und dem seiner Mutter. Wobei hinsichtlich des Alters der möglichen Erblasser, das des Großvaters eher als das andere zur Debatte stände. Auch Steffi stünde gegenüber Christof nicht mit leeren Händen da, denn auch sie könne ihr Haus nicht mit ins Grab nehmen. Und bis dahin müsse es ja keine Eigentumswohnung sein; eine gemietete täte es auch. Außerdem wäre es ja wohl ganz angebracht, dass ich solche Sachen von Vornherein
mit ihr besprechen würde, denn wenn die Kinder wider Erwarten doch plötzlich über Weihnachten vor der Tür stünden, wäre der „Kuchen gegessen“ ohne das sie, die sie sicherlich ein Wörtchen mitzureden hätte, daran hätte mitwirken könne. Ganz Unrecht hatte sie mit ihren Ansichten ja nicht, aber die Art wie sie deshalb auf mich einwetterte, hatte ich aus meiner Sicht eigentlich nicht verdient. Ich hatte es doch gut gemeint und hätte es auch nicht als mein sondern als unser Geschenk dargestellt. Natürlich brachte ich im Verlaufe unserer Auseinandersetzung dieses Argument, worauf Martina dann wetterte: „Man, die Beiden sind doch nicht doof und können Eins und Eins zusammen zählen. Wo soll ich denn die Kohle her haben, um bei den Geschenk mitzuziehen. Die werden logischer Weise dich als alleinigen Wohltäter identifizieren.“. Bei dem Geschenk, was ich ihr, eigentlich mit großer Begeisterung, selbst zugedacht hatte, konnte ich aber noch nicht einmal erkennen, dass sie nur ein kleines Fünkchen recht hatte. Im Gegensatz zu allen Jahren in meinem Leben zuvor war ich nun zu Weihnachten 2000 ein vermögender Mann. So wie Martina ihr Haus nicht mit ins Grab nehmen kann, kann ich das mit meinem Vermögen selbstverständlich auch nicht. Und was soll man dann damit anfangen, wenn man damit nicht leben will. Der Gedanke an Erben, denen man möglichst viel hinterlassen will, ist doch irgendwie Blödsinn, auf jeden Fall kann ich so etwas in meinem Verständnis nicht nachvollziehen. Nur das mein Name, der dann offensichtlich nur der eines auf Vererben ausgerichteten Humanoidens ist, erhalten bleibt, ist doch ein recht dürftiger Anreiz. Dieses auch schon aus den Gründen, dass sich in vielen Jahrhunderten vorher immer wieder erwiesen hat, dass die Namen der Leute doch schneller vergessen werden, als es den größten Pessimisten recht wäre. Namen sind halt Schall und Rauch, insbesondere bei Leuten, von denen man nach deren Ableben nur sagen kann sie wären reich aber sonst nichts besonderes gewesen. So schenkte ich dann Martina eine etwas teuere fahrbare Blechkarosse. Sie freute sich aber erst nicht darüber sondern wetterte los: „Ah, der feine Herr kann es wohl nicht verkraften, dass ich ihn in einem stinknormalen Mittelklassewagen durch die Gegend gondele. Da muss dann gleich ein El-Prozzo-Schlitten her. Nichts in der Birne, kein Rückgrat und dann glauben die Würstchen in einer Showkutsche der große Herr zu sein. Wenn du eine blöde Qualquappe bist, dann bist du das im uralten Golf genauso wie im neuen Rolls Royces. Geld macht doch aus Hanswürsten und Hampelmännern keine Kerle“. Jetzt muss ich nur klar stellen, dass ihr derzeitiger Wagen kein uralter Golf sondern ein 6 Jahre alter Ford war und bei dem neuen handelte es sich auch nicht um einen Rolls Royces sondern um einen Daimler. Also, Martina hat mal ein Wenig übertrieben aber durchgeknallt bin ich zum Glück noch nicht. Was soll’s, letztlich nahm sie den Wagen doch an und hat sich dann sogar richtig gefreut. Ganz begeistert hat sie sich den Wagen am 8. Januar 2001 beim Autohaus in Wollerst, gleich nachdem dieses die Zulassung erledigt hatte, abgeholt. Was bei mir zur „Geschenkübergabe“ die größte Enttäuschung auslöste war, dass Martina zuvor wirklich nichts ahnte und ich mir den Überraschungseffekt so schön ausgemalt hatte. Und fortan gab es über diese Tage einen Streit nach dem anderen. Mal ging es um Steffi, mal auch bei uns um die bereits bei Marc und Elvira erwähnte Zahnpastatube, mal dass ich immer, auch über Weihnachten, mit meinen ausgetretenen Filzlatschen durch die Wohnung ziehe und so weiter und so fort. Den Höhepunkt erreichten wir am frühen Nachmittag des zweiten Weihnachtstages. Irgendwo bekam ich so ein Wenig wohlige Gefühle. Von Hinten trat ich an meine Frau heran und griff mit meinen Händen unter ihren Pullover mit samt dem Unterhemd um ihr so auf die nackten Brüste zufassen. „Hast du schon gewusst, das Vergewaltigung auch in der Ehe eine Straftat ist?“, keifte mich Martina giftig an. Das reichte mir jetzt aber; ich hatte die Nase gestrichen voll. Was jetzt kam, hatten wir in letzter Zeit schon öfter: Ich packte einen meiner Koffer und machte mich auf den Weg zu meiner Hütte. Diesmal jedoch hatten wir, wie es sich sehr schnell herausstellte, doch was gelernt. An der Hütte angekommen schloss ich auf um meinen Koffer im Inneren abzustellen und verließ umgehend die Hütte gleich wieder. Diesmal wollte ich, bevor wieder etwas in tausend Scherben fällt, doch wieder Klarschiff mit Martina machen. Ich brauchte aber gar nicht weit zugehen, denn sie kam mir mit ihrem Wagen entgegen. Ich öffnete, nachdem sie angehalten und mich angelächelt hatte, die Beifahrertür und setzte mich zu ihr in das Fahrzeug. „Entschuldige Schatz“, begann sie, „ich habe das nicht gewollt. Aber irgendwo bin auch ich langsam Balla balle. Erstens haben wir selbst in diesem Jahr genug durchgemacht und jetzt noch die Geschichte mit unserer Tochter, der jungen Frau Schöller. Ich halt das bald nicht mehr aus. ... Entschuldige, ich kann hier nicht wenden, ich muss erst einmal bis zur Hütte fahren.“. „Das ist gar nicht so schlecht,“ antwortete ich ihr, „ich bin dir beim besten Willen nicht böse. Du bist und bleibst mein Engelchen. Aber du entsinnst dich an mein Ruhetick. Ich möchte mir jetzt wirklich bis zum Jahresende eine Einsiedlerpause gönnen um dann ins nächste Jahr mit dir und Fullpower starten zu können. ... Wenn du Lust hast, können wir zwei Beide, nur unter uns den Jahreswechsel in der Hütte feiern.“. „Alles klar,“, erwiderte Martina, „ich finde deinen Vorschlag wirklich nicht so schlecht. So werden wir bestimmt das Streitteufelchen, das uns fertig machen will, wieder los. Jetzt fahre ich erst noch mal zurück und hole dir was zu essen und zu trinken ... damit du mir nicht vom Hocker fällst – und dann lasse ich dich wirklich bis Silvester hier allein. Und ich folge deinem Beispiel bei uns Zuhause“. Da war jetzt eine neue Variante beim Auszug aus meinem ehelichen Haus auffällig geworden. Erstmals hatte ich bei einer solchen Gelegenheit kein Auto und keinen Führerschein. Das ist natürlich etwas kompliziert in Hinsicht auf die Beschaffung des täglichen Bedarfs. Diesmal hatte aber meine Frau an mein Wohl gedacht – was bei den
beiden Malen vorher beim besten Willen nicht der Fall war. Nach etwa 20 Minuten war sie zurück um mich einzudecken. Aber dann machte sie sich nicht gleich, wie vorher gesagt, wieder davon sondern schaute mich mit sehr vielsagendem Lächeln an und fragte: „Hast du noch immer Lust auf das was ich dir eben versaut habe. Da siehst du mal wie blöd ich war ... Ich könnte es selber ganz gut gebrauchen“. Na ja, dann gönnten wir uns, bevor sie zurückfuhr, doch noch eine schöne Stunde der Zärtlichkeiten. So fand diese Weihnachten doch noch einen recht versöhnlichen Abschluss und wir hatten uns die Gewissheit gegeben, dass es diesmal alles anders wie bisher war. Wir waren trotz Streitereien eine harmonische Einheit geblieben.
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Der Schlüssel ist am Hexenberg begraben Alles auf dieser Welt hat seine zwei Seiten, die immer nur zusammen einen Sinn und/oder einen Wert ergeben. Als simples Beispiel können wir Münzen heranziehen. Auf jeder Münze ist auf der einen Seite der Wert eingeprägt und auf der anderen finden wir Symbole, zum Beispiel: Hoheitszeichen (Bundesadler), Staatsoberhäupter oder irgendetwas anderes, was für die Nation, die diese Münze ausgegeben hat, typisch sein soll. Finden wir eine Münze, die nur auf der einen Seite geprägt ist oder auf beiden Seiten die gleiche Prägung aufweist, wissen wir, dass diese entweder falsch oder fehlgeprägt ist. Gleichgültig was es von den beiden ist, die Münze hat keinen Wert. So wie bei den Münzen ist es bei allen Dingen des Lebens; es gibt keine Ausnahmen. Aber wir Menschen sind nur in wenigen Fällen bereit, auch beide Seiten anzuerkennen und anzunehmen. Fast extreme Fälle von Festfressen in eine Seite erleben wir im gesellschaftlichen und religiösen Bereich. Schon die beiden genannten Bereiche sind die zwei Seiten der einen Sache: dem Leben. Betrachte ich nur die gesellschaftliche Seite gehe ich dazu über, nur das Anfassbare beziehungsweise Veränderbare als wahr anzuerkennen. Dann bleibt mehr und mehr der Mensch, das Leben, auf der Strecke. Wir neigen dann dazu in unseren Mitmenschen nur Objekte und Faktoren zusehen. Wir werden hart und sehen nur noch im materiellen Besitz Werte. Wir mutieren zu Humanoiden und können dann kein Glück empfinden und müssen dieses dadurch übertünchen, dass wir uns keine Zeit geben, die es uns ermöglichen würde, dass uns etwas bewusst wird. Wir jagen von Termin zu Termin, von Event zu Event, von Date zu Date. Eine auf Dauer unglücklich machende Spaß-, Konsum- und Geldgesellschaft ist eine logische Konsequenz aus rein gesellschaftlichen und damit materiell bezogenen Denkens. Die andere Seite, also die religiöse, ist, wenn ich sie der ausschließlichen Betrachtung unterwerfe, vom gleichen Übel. Gerade die religiösen Fanatiker widersprechen sich sogar in sich selbst. Sagen sie nicht, dass Gott der alleinige Schöpfer der Welt ist. Gott hat alles geschaffen. Wollen sie jetzt den Schöpfer kritisieren oder gar verurteilen dass er Sinnloses und Böses geschaffen hat? Wenn es keinen Gegenschöpfer gegeben hat, wenn es wirklich vor der Schöpfung nur Ihn und das Chaos gegeben hat und er aus dem Chaos die Welt geschaffen hat, dann ist er auch der Schöpfer des vermeintlich Sinnlosen und Bösem. Ich aber glaube, dass Gott alles geschaffen hat und bei genauer Betrachtung gibt es das Böse nicht. Das eigentliche Leben ist der Geist, das Bewusstsein, das Gott nach seinem Bilde geschaffen hat. Dieses Bewusstsein soll sich bis zu Vollkommenheit ausbilden. Das kann es aber nur wenn wir diese Welt erfahren. Wer kein Leid kennt wird niemals Freude wahrnehmen können, wen niemals ein Unglück widerfährt lernt nie das Glück kennen, wer den Hass nicht kennt wird niemals Liebe empfinden können. Erst die Gegensätzlichkeit bildet das Bewusstsein, was ewig leben soll, aus. So ist die Schaffung der Welt, mit wirklich allem was es auf dieser gibt, der Wille Gottes und hat seinen Sinn in der Ausbildung des Bewusstseins bis zur Vollkommenheit. Dafür müssen wir etwas tun. Wir müssen für den Erhalt und der Vermehrung des Lebens tätig werden, wir müssen unser Miteinander regeln und daran mitarbeiten, die Materie für weiteres Leben zu erhalten; sprich wir müssen gesellschaftlich tätig werden und dürfen nicht zuschauen. Wir dürfen uns nicht vergeistigen und die Anderen die Schmutzarbeit machen lassen. Wir müssen unseren Nächsten so lieben, dass wir nicht zuschauen, wenn er in sein Unglück läuft. Ganz eindeutig fordert Gott von uns, dass wir uns engagieren. Das wir uns ins Betstübchen einschließen, uns mit Bibeltexten zuschütten und die Welt eben Welt sein lassen ist eindeutig gegen seinen Willen. Wer an Gott glaubt und ihn liebt engagiert sich auch in der Welt, sprich in der Gesellschaft. Wer sich auf seiner Kanzel verschanzt hat die Nachfolge Jesu missverstanden. Lesen wir doch nur mal in den Evangelien wie engagiert unser Herr zu der, von der mosaischen, jüdischen Religion geprägten Gesellschaft seiner Zeit Stellung genommen hat. So müssten wir heute zu der, von Globalisierung und Säkularisation geprägten Gesellschaft unserer Zeit Stellung beziehen. Aber nicht generell dagegen und dann ab in die Bibelstunde, zurück zu den Pharisäern. Richtig ist bei allen Dingen eindeutig immer beide Seiten anzunehmen. Wie schön wäre es doch, wenn wir uns alle mit christlichen Wertebewusstsein in unserer Gesellschaft einsetzten würden. Wenn wir erkennen würden, das Gott der alleinige Herr ist und wir neben ihm nicht die Globalisierung und den Mammon verehren dürfen und können. Dann sind nicht Investitionsanreize und Wachstum unsere Prämissen, denn dank dieser teilt sich derzeitig ein Zehntel der Menschheit neun Zehntel aller Ressourcen. Dank dieser bauen wir einen immer höheren babylonischen Turm, dass heißt alle Kapitalströme konzentrieren sich auf immer weniger Konten. Dank dieser geht die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander. Dieses mit der Folge, dass immer mehr Menschen verhungern. Ist aber Gott und seine Gebote unsere oberste Prämisse streben wir eine sozial gerechte Weltgesellschaft, in der wir alle friedlich leben können an. Wenn wir uns nur auf die gesellschaftliche Position zurückziehen sehen wir in der gerechten Idealgesellschaft keinen Sinn und wenn wir uns nur zum Gebet zurückziehen, lassen wir das Geschehen was die anderen machen. Wir sehen tatenlos zu und machen uns so mitschuldig. Jetzt wird doch dieser und jene sagen: „Wie kommt dieser Reiner Schreiber gerade an dieser Stelle auf einen solchen philosophischen Ausflug?“. Na ja, ich war in meiner Jagdhütte. Ich war allein und hatte Ruhe. Da
kommt man auf solche Dinge. Wie sagte damals mein Mitpatient Jo Beisheim noch: „Die Ruhe ist die Mutter von Weisheit und Glück.“. Aber auch diese Ruhe hat seine zwei Seiten. Auch bei der Ruhe gibt es keine Ausnahme zu der ersten Aussage in diesem Kapitel. Diese Ruhe, wie sie mir jetzt in der Hütte zuteil wurde, brachte im Gegenzug eine Art Einsamkeit mit sich. Ich konnte zwar tolle Ideen entwickeln, hatte aber niemand, den ich diese hätte mitteilen oder mit dem ich sie hätte diskutieren können. Niemand störte mich durch Streitereien aber im Gegenzug war auch momentan niemand da, der mir Zuneigung und Zuspruch schenkte. Da war auch niemand, der mich mit einer Bitte, in einem gerade angelegten konstruktiven Gedankenzug störte aber auch niemand, den ich um diese oder jene Freundlichkeit bitten konnte. Niemand nervte mich durch seine Anwesenheit aber ich konnte auch niemandes Nähe spüren. Also, meine Ruhe hatte ich aber Martina vermisste ich. Seltsamerweise wurde mir dieses gerade jetzt, wo mein Eremitentum in der Hütte von vornherein zeitlich kurz begrenzt war, bewusst. Das mag wohl daran gelegen haben, dass meine Gedanken erstmals bei einem Hüttenaufenthalt frei von Spannung und äußerem Druck waren. Zwar war auch diesmal wieder ein Streit mit Martina der Auslöser dafür gewesen, dass ich die Hütte aufsuchte, aber vor dem eigentlich Aufenthalt lag die Versöhnung. Wir hatten uns friedlich auf diese Auszeit geeinigt und sie auf ein vernünftiges Maß begrenzt. Bisher war es auch immer so, dass mich während eines Hüttenlebens oft Hassgefühle und Sorgen befielen. Auch davon betraf mich jetzt nichts. Der einzigste dunkle Fleck in meinen Empfindungen war die klammheimliche Hochzeit unserer Tochter. Aber dank sonstiger Ausgewogenheit in der Privatsphäre ging ich jetzt die komplette Angelegenheit doch gelassen und real an. Ich kam zu dem Schluss, dass es nichts bringt daran zu laborieren was geschehen ist. Es ist halt geschehen und damit hatte es sich – so sollte es jedenfalls sein. Tote Ente soll man schwimmen lassen. Es ist müßig darüber nachzudenken, dass sich der Fall nicht wiederholen darf, denn ich hoffe ja, auch für unsere Steffi, dass diese Hochzeit ein einmaliger Fall in ihrem Leben sein wird. Aus meiner Sicht ist Christof ein lieber und netter Kerl und somit auch der Richtige für unsere Tochter. Da möchte ich ja nun wirklich wünschen, dass diese Sache hält bis das der Tod sie scheidet. Also an der Sache wollte ich nicht mehr rühren sondern mir war jetzt nur noch an einer Wiederherstellung eines guten Eltern-Kinder-Verhältnisses – in beiden Fällen kann man auch „Schwieger“ davor setzen – gelegen. Ich nahm mir vor die Sache endgültig zu bereinigen. Scheinbar hatte ich endlich auch kapiert, dass Abwarten und Geschehenlassen genauso wenig bringt wie andere vorschicken. Ich fühlte mich zur Aktivität aufgerufen und spürte das Bedürfnis ihnen zu sagen, dass ich sie liebe und gerne habe. Ich wollte ihnen meine Wünsche vortragen, dass sie miteinander glücklich werden und auch ein gutes Verhältnis zu uns behalten. Das war für mich sehr schnell klar und ich wusste ebenso schnell, dass dieses der einzigste vernünftige Weg wäre. Dabei hatte ich doch ein Problem zu lösen: Mein Gedanke nutzt nur etwas, wenn ich ihnen diesen auch mitteilen kann. Aber wie? Steffi hat sich in ihrer, von ihrer Mutter geerbten Sturheit, in einer Festung eingeigelt und lässt da niemanden rein. Irgendwie muss ich das Falltor herunterkriegen aber dieses zu stürmen bringt, wie ich aus meinen Erfahrung nun weiß, nichts. Ich muss Steffi dazu bringen es von sich aus herunterzulassen und herauszukommen. Irgendwie muss man den jungen Leuten das Gefühl geben, dass sie gebraucht würden. Als ich diese Überlegung später – im neuen Jahr – mit den Anderen, also mit Martina, Elvira und dem alten Waymann, durchsprach fand ich bei den Frauen keine ungeteilte Zustimmung aber Waymann schwenkte sofort darauf ein. Er fasste gleich einen „Bittbrief“ ab. Er wies auf sein Alter und darauf, dass er nicht immer „so könne“, hin. Aber wenn er mal nicht oder gar nicht mehr könne, müsse es doch weitergehen. Er stellte es so da, als sei er auf sie angewiesen. Das mit dem Enterben habe er nicht so gemeint aber sie müssten ihn verstehen, dass er so enttäuscht gewesen sei, dass sie auch ihm, mit dem sie sich ja immer so gut verstanden hätten, auch nichts gesagt hätten. Waymann landete einen Volltreffer. Die jungen Leute ließen die Falltore herunter und kamen aus der Festung heraus. Gleich nach ihrer Rückankunft, am 6. Januar 2001, dem ersten Samstag des Jahres 2001, besuchten sie ihren Opa und baten sehr kleinlaut um Entschuldigung. Bei dieser Gelegenheit berichten sie ihm auch von ihren Beweggründen, die ich ja im Vorkapitel bereits angedeutet habe. Sie glaubten, von ihren Eltern nicht mehr geliebt zu werden und daran, dass diese im Gegenzug froh wären sie loszusein. Waymann konnte ihnen versichern, dass dieses nicht der Fall sei – er wisse es anders. Nach Erreichen eines solchen Punktes hätte, wie wir im Vorfeld dachten, mein Part kommen sollen, aber ... . Stopp erst einmal, Eins nach dem Anderen, jetzt berichtete ich erst noch mal weiter von meiner „Denkerzeit“ in der Hütte. Der Hauptteil meiner privaten Überlegungen drehte sich um Martina und mich. Eigentlich hatten wir nach dem Tode von Monika und meiner Rückkehr nach Hexenberg alle Voraussetzungen, miteinander glücklich werden zu können. Aber warum klappte es nicht so, warum kam immer wieder etwas dazwischen? Dieses, obwohl wir uns beide nach Glück und Harmonie sehnten und auch übereinstimmend dieses miteinander teilen wollten. Je mehr ich darüber nachdachte, kam ich zu dem Schluss, das der Schlüssel dazu am Hexenberg begraben sei. So lange wir auf der Stelle, an der er begraben ist herumtanzen, können wir das nicht finden, was wir suchen. Wir müssen ihn ausgraben und mit ihm fortgehen. Au je, jetzt kriegt der gute Reiner Schreiber noch Anflüge von Poesie. Ich sollte es doch härter und realer sagen: Ich war zu der Überzeugung gekommen, dass wir im heimischen Raum
immer wieder mit den alltäglichen Dingen, die dem Glück und der Harmonie, die sein könnte, Dämpfer verpassen, konfontriert werden. Wir müssten hier unsere Zelte abbrechen und über die Brücken in die Zukunft davongehen. Es müssen Brücken sein, die wir nicht hinter uns abbrechen, denn zu all den Dingen, mit denen wir hier gerne verbunden sind, sollten wir zeitweilig zurückkehren können. Auch dieses hört sich jetzt so wundersam schöngeistig an, aber das ist jetzt etwa so, wie ich in dieser Zeit wirklich dachte. Ganz nüchtern hätte ich auch sagen können, dass ich der Meinung war, dass wir unsere Zelte in Hexenberg abbrechen und irgendwo hinziehen sollten, wo wir uns auf unsere Zweisamkeit konzentrieren können. Dieses jedoch nicht im Zorn und nicht ohne zeitweilige, besuchsweise Rückkehr. Hier gibt es doch ein paar Menschen, die wir mögen und die im Gegenzug uns schätzen. Mit denen gedachte ich doch in Verbindung zu bleiben und Martina würde sich das zurecht nicht nehmen lassen. Jetzt muss ich erst einmal etwas gestehen: Ich habe eben versucht mich mit fremden Federn zu schmücken. Dieses Geschichte mit dem Schlüssel hatte Martina mal vor 22 Jahren, in der ersten Zeit unserer Ehe, erfunden. Damals hatte ich Probleme damit, dass ich des Öfteren an Monika und an meinen, als Baby verstorbenen Sohn Oliver, erinnert wurde und dass dieses Erinnern mein seelisches Wohlempfinden störte. Ganz eindeutig waren es bestimmte Lokalitäten, die in mir bestimmte Assoziationen auslösten. Damals hatte ich die Idee, dass ich mit Martina an einen ganz neuen Ort wechseln und dort ein neues Leben beginnen wollte. Damals sagte mir Martina, dass davon laufen nichts bringe. Ich solle bei solchen Überlegungen auch mal an sie denken. Ihr Schlüssel zum Glück sei am Hexenberg begraben und sie dürfe nicht fortgehen, wenn sie ihn nicht verlieren wolle. In diesem Begriff „Schlüssel zum Glück“ waren Dinge wie Martinas Eltern, die Landwirtschaft, die Kneipe, die Menschen im Dorf, die sie alle kannte, und die hiesige Landschaft, die sie liebte und liebt, zusammengefasst. Das habe ich damals verstanden und akzeptiert. Letztendlich sind ja dann doch zwanzig glückliche Jahre daraus geworden. Aber diesen Jahrzehnten folgten dann die letzten zwei Jahre, die im übertragenem Sinne meinen damaligen Befürchtungen entsprachen. Sicherlich haben die Geschehnisse der letzten beiden Jahren meinen neuerlichen Wunsch nach einem Fortgang geweckt aber wesentlich stärker wog jetzt bei mir der Wunsch nach einer erfüllten, ungestörten Zweisamkeit mit Martina. In meine Gedanken mischten sich ständig die „Befürchtung“, dass sich an Martinas Vorstellungen vom Schlüssel zum Glück nichts geändert habe und das müsste ich dann unbedingt akzeptieren, denn was nützt der Fortgang des Glückes willen, wenn einer von Beiden dadurch unglücklich wird. Um so erstaunter war ich, als mir Martina am Silvestermittag sagte, dass sie in der Zeit, wo sie jetzt zwischen Weihnachten und Silvester allein im Hause war, sehr oft an den, am Hexenberg vergrabenen Schlüssel habe denken müssen. Sie fragte mich, ob ich mich daran erinnere und war im Gegenzug überrascht als ich ihr sagte, dass ich zur gleichen Zeit wie sie daran gedacht habe und irgendwie auf die Idee gekommen wäre, diesen auszugraben und ihn irgendwohin mitzunehmen, wo ich mit ihr glücklich sein könne. Genau diesen Gedanken hatte sie jetzt auch gehabt und gedachte ursprünglich mit mir im neuen Jahr darüber zu sprechen, ob wir nicht unsere Zelte hier abbrechen und dann woanders aufschlagen könnten. Bei der Übereinstimmung könnten wir eigentlich jetzt schon, ab Silvester 2000, damit beginnen und bräuchten jetzt nicht mehr lange über das Für und Wider zu beraten. Für uns stand jetzt fest, dass meine Aufgabe in der nächsten Zeit die Ausschau nach einer passenden Immobilien, irgendwo wo es schön ist, sein sollte. Es müsste nicht zu weit weg sein, denn wir würden schon ganz gerne von Zeit zu Zeit zurück zu unseren Wurzeln kehren. Definitiv sollte das Ende des ersten Quartals im Jahre 2001 auch das Ende von Martinas Zeit als berufstätige Ehefrau sein, danach wollten wir nur das machen, was uns Glücklich macht. Sie meinte, dass es vielleicht ganz schön wäre, wenn es mit der Immobilie schon bis dahin geklappt habe. Wir waren uns also diesbezüglich sehr schnell einig und hatten damit unseren Zukunftsplan verabschiedet. Ich schrieb eben, dass mir Martina ihre Gedanken am Silvestermittag erzählt hat. Nun, sie war schon des Morgens in der Hütte erschienen. Ich hatte ursprünglich, als ich sie fragte ob sie mit mir den Jahreswechsel in der Hütte feiern wolle, eigentlich erst an den Abend gedacht – aber genau definiert habe ich das am 2. Weihnachtstag nicht. Und Martina hat dann prompt den Morgen des 31. daraus gemacht. Dieses geschah ihrerseits ganz bewusst. Natürlich kennt sie mich so gut, dass sie schon wusste was ich meinte. Aber irgendwie war sie der Meinung, man dürfe es aber mit der Ruhezeit auch nicht übertreiben; Gott habe ja auch Arbeit und Ruhe im Verhältnis 6 zu 1 – sechs Werktage und einen Sonntag – angesetzt. Nun, Martina war noch nie gerne allein und ich bin auch sehr gerne mit ihr zusammen, so dass ich ihre eigenwillige Auslegung des Begriffes „Silvester“ im Grunde noch gut hieß. Also ich war schon ganz froh darüber als sie bereits des Morgens um Acht als ich noch nackt in meinem Bett lag vor der Tür stand. Na ja, da es Martina war konnte ich ihr ja auch so die Tür öffnen, was sie dazu verführte es mir in der Bekleidungsordnung gleich zutun und zu mir ins Bett zu huschen. So endete meine Eremitenphase wie sie begonnen hatte: Mit einem wunderschönen Stündchen der Zweisamkeit. Dieser Jahreswechsel, der tatsächliche Jahrtausendwechsel, war insgesamt für uns beide eine schöne Zeit. Wir nutzen sie zum Spaziergehen, Plaudern, Schmusen und anderen Dingen, bei denen man gemeinsam die Seele
baumeln lassen kann. Hinsichtlich der Dinge, die hinter uns lagen, stand uns auch beim besten Willen der Sinn nicht nach Jubel, Trubel und Feiern. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass man von einem Extrem ins andere fallen muss. Martina und ich sind nicht vom Weltlichen ab. Während unserer Ehe haben wir an manchen Feiern aller Art, darunter auch Silvester, teilgenommen. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Eine Flucht aus dieser Welt war von uns nicht vorgesehen. Da bin ich eigentlich wieder bei den zwei Seiten, die ich zum Kapitelbeginn hervor hub. Die einen Extremisten, offensichtlich zur Zeit die Mehrheit unter den Menschen, stehen auf dem Standpunkt, dass man überall dabei gewesen sein muss. Ja, nichts auslassen. Schade nur das die so Wenig erleben, denn durch die Vielzahl der Trallals, an denen sie teilnehmen, wird ein neuer Eindruck vom unmittelbar vorhergehenden vertrieben. Da kann man sich nichts verinnerlichen und Erleben ist 100%-ig abhängig von der Verinnerlichung. Nur das, wovon man noch nach 20 Jahren erzählen kann, hat man erlebt. Alles was vorübergehuscht und weg ist, ist letztlich nur Leere. Aber die andere extreme Seite, die Hyperpuritaner erleben auch nichts – und das brauche ich nicht weiter auszuführen; das liegt auf der Hand. Also Martina und ich gehören weder zu der einen noch der anderen Seite und deshalb erleben wir ja auch soviel. Die Silvesterknallerei in Hexenberg bekamen wir in diesem Jahr nur akustisch mit. Der Wald um die Hütte verdeckte uns den Blick auf die optischen Erscheinungen im Dorf. Wir haben auch nur einmal kurz hinausgeschaut und haben es uns dann in der Hütte noch für ein Stündchen gemütlich gemacht. Dabei ließen wir noch einmal das vergangene Jahr Revue passieren. Ich sinnierte darüber, ob wir im letzten Jahr nicht unser ganzes gemeinsames Leben noch einmal im Schnelldurchgang erlebt hätten. Es lassen sich doch manche Parallelen zu früheren Ereignissen erkennen. Nur weil jetzt alles ziemlich komprimiert war, kam es uns jetzt doch wesentlich deftiger vor. Martina meinte darauf: „Ach, vielleicht musste das alles sein, damit wir endlich Hand an die Weiche legen, die uns auf das richtige Gleis in den dritten Lebensabschnitt stellen.“. Da meinte ich lachend: „Jawohl Oma, soll ich dir über die Straße helfen.“. „Quatsch,“, legte sie jetzt fröhlich los, „du weißt sehr wohl, wie ich das mit dem dritten Lebensabschnitt gemeint habe. Das ist doch keine Frage des Alters. Natürlich sind wir noch ein Stück vom Rentenalter entfernt. Aber wie es aussieht haben wir das Glück, dass wir es uns jetzt schon leisten können, unser Leben nicht durch Konventionen und Zwängen bestimmen zu lassen sondern das wir es frei gestalten können. Mir tun die Leute, die so arm dran sind, dass sie es, entweder aufgrund ihrer schlechten Versorgung oder aufgrund ihrer Fantasielosigkeit bei ihrer Lebensgestaltung, nicht können. Mit Ersterem meine ich die Armen und die Fantasielosen sind meist ganz betucht und/oder mächtig. Letztere merken, wenn sie sich in die verdiente Hängematte legen, dass sie nicht bedeutender gewesen sind als ihr Fahrer oder Pförtner – und das Gefühl ist für humanitäre Existenzen vernichtend ... aber zu ihrem Pech die Wahrheit.“. Diese Aussage brachte mich dann auch noch zu einer allgemeinen Ausführung: „Du sagtest wir hätten jetzt das Glück, unser Leben frei von Zwängen gestalten zu können. Da fällt mir auf, dass bei allen Diskussionen um Arbeitslosigkeit, Absenkung des Rentenniveaus und Heraufsetzung des Rentenalters es immer umgekehrt dargestellt wird. Wir leben doch nicht um zu arbeiten sondern umgekehrt. Was geht unserer Gesellschaft alles verloren weil sich die Menschen nicht frei entfalten können. Innovationen werden von den Zwängen und Rhythmen konventioneller Arbeitsformen erschlagen. Sicher würde alles zusammenbrechen wenn jeder immer nur das machte, was ihm gerade in den Sinn kommt. Da ist nichts mehr berechenbar und steuerbar. Aber das kann doch im Gegenzug nicht dazuführen, dass der Mensch total zum Rädchen in der Wirtschaft abdegradiert wird. Sollte man nicht darüber nachdenken, wie man vorhandene Arbeit ... auch die sonst nichts einbringt aber uns allen nutzt, zum Beispiel im sozialen und ökologischen Bereich, auf alle verteilt wird und man den Menschen den Rest ihrer Zeit zur Lebensgestaltung lässt.“. Martina lächelte mich an: „Du bist nun mal ein lieber Utopist. Wenn du so etwas vorschlägst werden dich alle gleich fragen, wie du das finanzieren willst.“. „Da hast du recht,“, antwortete ich ihr, „aber Finanzieren ist lediglich eine Frage der Bewertung des Tauschhilfsmittels Geld und andererseits seiner Verteilung. Wir müssen aufhören dem Geld einen gottgleichen Wertestatus einzuräumen. Wir müssen die Ressourcen, Waren und Dienstleistungen, die wir miteinander tauschen, verwenden um allen Menschen auf der Welt ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Wir müssen es für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. Die Wirtschaft hat den Menschen, den Gott nach seinem Bilde schuf, zu dienen und nicht umgekehrt. Das Ansinnen, dass der Mensch der Wirtschaft zu dienen habe, ist doch nur die schwachköpfige Ausgeburt der hohen, irrgläubigen Priester des Gottes Mammons. Aber der Herr ist unser Gott und wir sollen keine anderen Götter neben ihnen haben. Wenn ich sage, dass wir uns Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit nicht mehr leisten können, lästere und verachte ich im höchsten Maße Gott, dem allein alle Ehre gebührt.“. Wie man an dem vorangegangenem Beispiel sieht, verstehen Martina und ich unter Zweisamkeit nicht nur Turteln und ausschließlich privaten Plausch. Wenn man alle „großen Dinge“ aus seinem geistigen Umfeld verdrängt bleibt bald nicht mehr viel über das man sich unterhalten könnte. Auch wenn man im Einzelnen an den Dingen nichts ändern kann bringt einen der geistige Umgang damit sehr viel. Der Mensch lebt eben nicht nur vom Brot allein. Insgesamt war unser Hüttenleben also ausgefüllt und wir hätten es bestimmt länger als bis Dienstag, dem 2. Januar 2001, ausgehalten aber unsere Vorräte waren langsam aufgebraucht. Wir hatten jetzt die Qual der Wahl diese dort wieder aufzufüllen oder diese in unserem ehelichen Heim im Dorf zu machen. Auch in
Hinsicht auf Martinas Arbeit bestand kein Zwang unsere Idylle abzubrechen, denn sie hatte noch ganze drei Wochen Urlaub. Da sie Ende März aus den Diensten ihres Brötchengebers ausscheiden wollte galt es ihr Urlaubstagekonto auf Null zu setzen. Wir entschieden uns für unseren Daueraufenthalt für das Haus im Dorf. Martina meinte, dass unser letzter Hüttenaufenthalt so einen Hauch des Besonderen ausgestrahlt hätte. Dieses sollten wir uns auch für die Zukunft so bewahren. Auf jeden Fall sollten wir, wenn wir unseren Schlüssel am Hexenberg ausgegraben und mit ihm fortgezogen sind, diese Hütte in unserem Bestand lassen. Immer wenn wir uns dann zwischendurch mal hier in heimische Gefilde gezogen fühlten sollte dieses unser Domizil sein. Dann wäre es schön, wenn die ganze Sache diesen besonderen Flair hätte. Der würde aber verloren gehen, wenn wir es jetzt mit den dortigen Aufenthalten übertreiben würden – dann würde es für uns alltäglich. Dieses war nun der Hintergrund von ein paar Gesprächen, die wir im Laufe der Woche miteinander führten. Wenn wir von hier fortgehen lassen wir ja einiges auch zurück. Haus, Hütte und Kneipe konnten wir ja wohl schlecht mitnehmen. Wie schon geschrieben wollten wir die Hütte für unsere Heimataufenthalte behalten aber es muss jemand geben, der sich darum kümmert. Bei der Kneipe könnte es ja so bleiben wie es ist. Verpachten kann man auch aus der Ferne. Aber auch hier muss ab und an mal nach dem Rechten gesehen werden. Verkaufen wollte Martina nicht, denn dieses, ihr Erbstück, war eingebetet in ein Haus, das ihr Bruder geerbt hatte. Den wollte sie nun nicht in den Rücken fallen. Nur wenn Bernd selbst kaufen wolle wäre sie zum Verkauf bereit. Später erfuhren wir von Bernd, dass ein Patt der Erben dem Dorf Hexenberg seine Kneipe erhalten hatte. Er wollte das Haus nämlich nicht verkaufen weil Martinas Kneipe darin war. Die einzigste Käuferin die für Bernd in Frage gekommen wäre war Martina. Na ja, bis zum heutigen Tage, Juni 2002, ist es dabei geblieben. So stand nur noch Martinas Haus zur ausführlichen Debatte. Da kamen wir auch wieder auf mein kombiniertes Hochzeits- und Weihnachtsgeschenk an Steffi und Christof zurück. Martina schlug vor, das Haus im Zuge der Schenkung Steffi zu übertragen, da sie dieses ohnehin eines Tages mal erben würde. Zunächst merkte ich jetzt am eigenen Leibe was ich Martina mit meiner Geschenkidee zugefügt hatte. Jetzt wäre es umgekehrt, das Geschenk käme von Martina und ich würde nur einen guten Eindruck machen. Na ja, ein Bekannter von mir sagt immer: „Wo ein Willi ist, ist auch eine Walli.“. Gemeint ist natürlich der bekannte Spruch, dass immer dort ein Weg ist wo ein Wille ist. Martina schlug vor, dass dann, wenn es soweit ist, wir ihnen das Haus komplett neu nach ihrem Geschmack ausstatten sollten. Und das sollte mein Part sein. Jetzt war die Sache beidseitig akzeptabel. Während wir darüber sprachen tönte dann Martina plötzlich: „Ich habe jetzt auch eine Lösung für die Hüttenaufsicht. Ich kann doch die Schenkung mit einer Auflage verbinden. Steffi muss sich um die Hütte kümmern und was dabei in Mark und Pfennig (die hatten wir ja 2001 noch als gültige Währung) anfällt hast du natürlich auszugleichen.“. Und dann hatte sie auch gleich einen Vorschlag für die Kneipenaufsicht: Ihr Bruder Bernd, der sich ja ohnehin um sein Haus, in dem diese ist, kümmere, könnte diese Angelegenheit ja übernehmen. Jetzt hatten wir eine Lösung für alles und praktisch noch zwei offene Probleme: Einmal musste ich unseren „Altersruhesitz“ finden und zweitens wollten wir die „Kinder“ beglücken, aber die hatten uns den kühlen Rücken zugekehrt. Mit denen lebten wir im Kriegzustand. Ich habe ja bereits berichtet dass Karl Hermann Waymann die große Wende eingeleitet hatte, was allerdings nur das Verhältnis zwischen ihm und den jungen Leuten betraf. Bewusst hatten wir uns darauf verständigt, dass wir unseren Part selbst übernehmen würden. Zunächst galt es nun die Mission Waymanns abzuwarten und dann auch nicht gleich in auffälliger und durchschaubarer Weise loszuschlagen. Weiter vorne im Kapitel habe ich ja geschrieben, dass, wenn Waymann Erfolg haben sollte, mein Part einsetzen sollte. Ich schloss den Satz mit einem „aber“ und drei Punkten. Da haben Sie, werte Leserin, werter Leser, bestimmt gedacht, dass eine nächste Katastrophe wieder einen Strich durch die Rechnung machen würde. Aber nein, das Gegenteil war der Fall. Was, das erzähle ich gleich; zuvor erst einmal mein Plan, der, wie bereits geschrieben, Elvira und Martina nicht begeisterte aber trotzdem von ihnen mitgetragen wurde. In der Regel erledigte Martina Dienstags oder Mittwochs und immer Freitags nach Dienstschluss in Wollerst die Einkäufe bei ALDI und EDEKA Schöller. Der Grund war ganz einfach: Sie war nun einmal in Wollerst und wir brauchten uns deshalb nicht extra auf den Weg zu machen. Hexenberg gehört zwar zu Saßmannshausen aber ist von eigentlichen Städtchen gute 7 Kilometer entfernt und außerdem sind dort die Einkaufsmöglichkeiten nicht so besonders, weshalb fast alle da entweder Wollerst oder Neuheim bevorzugen. Da war es schon ganz zweckmäßig wie Martina diese Angelegenheit erledigte. Seit Ostern 2000 bis zum Sexbombenskandal, wo ich letztmalig des Hauses verwiesen wurde, hatte ich diese Geschichte ab und zu auch übernommen. Ich nutzte dann immer die „verkehrsärmere“ Zeit in den Läden am späteren Vormittag – ich hatte da als unabhängiger „Tagedieb“ halt die besseren zeitlichen Möglichkeiten wie meine „schaffensfrohe“ Gattin. Aber jetzt ging das schlecht, denn meinen Führerschein hatte ich ja dem Teufel Alkohol geopfert. Diesen Umstand wollte ich jetzt nutzen um auf Steffis „Mitleidsdrüse“ zu drücken. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln wollte ich, obwohl das im ländlichen Räumen üblicher Weise mit einem urlaubsreiseähnlichem Aufwand verbunden ist, nach Wollerst fahren um bei EDEKA einkaufen. Natürlich mehr als ich im Bus hätte heimwärts transportieren können. Angesichts eines überfüllten Einkaufswagens wollte ich Steffi ansprechen. Ich wollte ihr sagen, dass wir sie bei dem ganzen Zirkus, den wir
mit uns selbst veranstaltet hätten, sie vernachlässigt und sogar schlecht behandelt hätten. Und dann wollte ich sie fragen, ob sie mir trotzdem helfen könne und uns die Waren, wenn sie Feierabend habe, nach Hexenberg bringen könne. Ich rechnete dann mit der Frage warum Mutti das denn nicht machen würde. Darauf wollte ich dann so ein Bisschen schwindeln und ihr sagen, dass die ganze Sache, wie sie gelaufen ist, Martina so mitgenommen habe, dass sie nicht so gut dran wäre. Damit hätte ich erstens den ersten Schritt getan, denn ich wollte ja den „Zirkus“ auf uns nehmen, und zweitens hätte ich sie an einer Stelle getroffen, wo sie sich nach meinen Erinnerungen nie versagt hatte: Wir brauchten sie. Das wäre natürlich eine nicht ganz saubere Trickserei gewesen und daher waren die Frauen von der Idee nicht so begeistert. Elvira schmeckte es auch nicht so sehr das sie praktisch von einem Mitnahmeeffekt profitieren sollte. Wir gingen nämlich davon aus, dass, wenn wir durch den Trick Steffis Sturheit durchbrochen haben, sich die Angelegenheit zwischen Christof und seiner Mutter von alleine lösen würde, zumal sein Opa noch nachhelfen würde. Aber es kam, zum Glück, ganz anders. In Phaphos auf Zypern, dem Ort wo der griechischen Sage nach die Liebesgöttin Aphrodite aus dem Meeresschaum geboren wurde, hatte sich bei den beiden Jungverheirateten auch das Gewissen eingestellt. Sie empfanden jetzt die Angelegenheit mit Elviras Verlobung gerade noch vertretbar aber ihre heimliche Hochzeit fanden sie jetzt selbst unter der Gürtellinie liegend. Ihr Problem war nun, wie sie selbst ohne Gesichtsverlust aus der Sache rauskämen. Auch die Beiden beschäftigten sich mit dem Thema Sturheit. Allerdings fasste sich jetzt Steffi nicht an die eigene Nase sondern sah diese jetzt auf Seiten ihrer Mutter und fürchtete jetzt, dass durch die der Fall, wenn sie vorpreschen würde, wieder hoch kochen könnte. Christof hatte es auf seiner Seite scheinbar einfacher. Er musste „nur“ mit seinem Opa ins Reine kommen und der würde die Sache mit seiner Mutter schon regeln. Was Opa Waymann anbelangte hieß es für die Beiden nur, dass sie etwas finden mussten, damit nicht der falsche Eindruck einer Erbschleicherei entstünde. Wie froh waren sie dann, als sie nach ihrer Rückankunft den Brief des Opas vorfanden. Damit hatte sich der erste wichtigste Schritt von allein getan. Nun hätten sie, nach ihrer Meinung, postwendend bei Elvira antreten können und die Sache in der Richtung wäre in Ordnung gewesen. Damit hätten sie aus ihrer Sichtweise aber möglicher Weise uns auf den Schlips getreten und dann neue, schwer zu überwindende Probleme gehabt. Es war ihnen nach ihrer Meinung klar, dass sich nur alle zusammen an einem neutralen Ort versammeln müssten. Gleichgültig ob ihr erster Schritt zu uns führt oder ob sie ihre Eltern zusammen einladen würden, dürfte – so dachten sie - Martinas Sturheit eine hohe Barriere darstellen. Ihre Idee war es jetzt den guten Karl Hermann Waymann in ihre Dienste zunehmen, und zwar nicht als Vermittler sondern als Kundschafter. Gleich an ihrem ersten Arbeitstag sprachen sie ihren Opa darauf an, ob er nicht mal ganz „unauffällig“ erkunden könne, ob wir auch alle – und insbesondere Martina – zu einer „Entschuldigungs- und Versöhnungsfeier“, zu der sie einladen wollten, erscheinen würden. Da konnte der alte Waymann ihnen dann eine Riesenfreude damit bereiten, indem er ihnen sagte, dass er nichts zu erkunden brauche, da sich ihre Eltern genau die gleichen Gedanken wie sie machen würden. Wir täten dieses, weil wir sie sehr lieb hätten. Auch für den Versammlungsort hatte er einen Vorschlag: Seine Wohnung. Dieser Vorschlag kam allseits insbesondere wegen der Person des Hausherrn gut an. Bei diesem Treffen dürften doch einige Knackpunkte in der Luft bereit liegen und dann ist es gut, auf einem Moderator, der alle Beteiligten mag, zurückgreifen zu können. Nur der von Waymann „festgesetzte“ Termin löste nur halbe Begeisterung aus. Unser Meeting sollte nämlich „erst“ am darauffolgenden Samstagabend stattfinden. Die Flitterwöchner und die Mütter – na, sind wir ehrlich: auch ich – hätten am liebsten den gleichen Abend gesehen. Nun, Martina kürzte daraufhin ein Wenig ab. Am Donnerstag wurde ich in ihren neuen Daimler gepackt und ab ging es zum Einkauf nach Wollerst. Als wir dann bei EDEKA Schöller im Laden standen, kam schon so etwas wie Enttäuschung auf, denn unsere Tochter war nicht zu erspähen. Das erklärte sich dann aber sehr schnell. Eine junge Verkäuferin, die noch nicht lange in diesem Geschäft arbeitete, trat fragend auf uns zu: „Frau Schreiber, Herr Schreiber ... Das sind sie doch?“. Als wir das bejaht hatten fuhr sie fort: „Frau Schöller bittet sie ins Büro zu kommen.“. Na ja, Steffi, das ist ja jetzt die junge Frau Schöller, hatte clever gehandelt. Sie hatte uns auf den Eingang zusteuern sehen und war vorsorglich ins Büro geflüchtet. Richtiger Weise ging sie davon aus, dass dieses „Wiedersehen“, wobei es möglicher Weise nicht ohne Tränen abgeht, unnötiges Aufsehen erregen könnte. Da hatte sie auffallend recht, wobei ich jetzt auch gestehen muss, dass es nicht nur bei den Frauen sondern auch bei mir feuchte Augen gab. Und dabei war ich nicht der einzigste Vertreter des männlichen Geschlechts, der mit Tränen zur Zusammenkunft beitrug. Etwa zur Hälfte des, etwas über eine Stunde dauernden Büroaufenthaltes gesellte sich auch unser Schwiegersohn Christof zu uns und auch bei ihm wurden dabei die Tränendrüsen angeregt. Damit war sehr vieles, was für den Samstag vorgesehen war, vorweggenommen. Zumal es kurz nach Mittag dann noch eine weitere entsprechende Runde gab. Die eigentliche Chefin des Ladens, Elvira Schöller, ließ es sich, nachdem sie erfahren hatte was wir erlebt hatten, nicht nehmen noch etwas im Büro zu erledigen zu haben. So wurde dann der Samstagabend zu so einer Art Nachfeier von Verlobung, Hochzeit und Weihnachten zugleich, bei der sich über das junge Ehepaar Schöller ein wahres Füllhorn ergoss. Jeder hatte etwas beizutragen.
Das Elvira ihr Haus gab und ich die Neuausstattung zusicherte, wissen wir ja bereits. Aber Elvira stand auch nicht mit leeren Händen da, sie glich die Hochzeitsreise aus und legte noch „etwas“ drauf. Opa Waymann überraschte mit der Erklärung, dass er im zweiten Halbjahr endgültig aus dem Geschäftsleben ausscheiden will. Zum Nachfolger als Hauptgesellschafter und Geschäftsführer hatte er seinen Enkel Christof auserkoren. Selbst Marc ließ es sich nicht nehmen sich an der großzügigen Aktion zu beteiligen. Natürlich schlug er nicht so zu wie wir, die wir ja „leiblich“ mit den jungen Leuten verbunden sind, aber immerhin, seine Sache konnte sich sehen lassen. In Neuheim war mal wieder ein Computerladen „über die Wupper geschossen“. Beim letzten des Räumungsverkauf durch den Insolvenzverwalters gab es doch glatte 50% und er hatte zugeschlagen. Er hatte zwei Topp-PCs mit allem Drum und Dran, wie Drucker, Scanner und so weiter erstanden. Ein Komplettsystem für sich und das andere für die jungen Leute. Na ja, das hätte ich mir auch gefallen lassen. Dieses war eigentlich das letzte Highlight bei dem wir unsere Tochter und unseren Schwiegersohn als „unsere Kinder“, als eng an uns gebunden, empfanden. Danach stellten sie doch so eine Art eigene Einheit da. Ich weiß es jetzt nicht anders zu beschreiben aber Sie werden sicherlich verstehen was ich meine. Schließlich sind wir alle mal aus dem Elternhaus ausgezogen. Einige von Jetzt auf Gleich und andere so nach und nach aber geschafft haben wir es hoffentlich alle. Junge Ehen, bei denen ein oder beide Partner noch an ihren Eltern kleben haben in der Regel keine große Zukunftsperspektive. Allerdings haben wir sehr gute Beziehungen zu dem jungen eigenständigen Ehepaar. Bei meinen letzten Worten möchte ich insbesondere „eigenständigen“ hervorgehoben sehen. Allerdings sind die Beiden in dieser Geschichte noch für zwei Höhepunkte, die auch uns betrafen, gut. Aber warten wir es mal wieder erst mal ab. Nach diesem Versöhnungssamstag stellte Martina fest, dass wir nun unseren Glücksschlüssel am Hexenberg ausgegraben hätten und es jetzt an der Zeit wäre, damit von dannen zu ziehen. Sie ermahnte mich, dass ich mich nun intensiv um unseren „Altersruhesitz“ zu kümmern habe, zumal sie ja ihr „Häuschen“ inzwischen verschenkt habe. Aber ich wäre nicht Reiner Schreiber, wenn ich nicht noch einmal Verwirrung und Aufregung in die Sache gebracht hätte. Ich kümmerte mich zwar um einen Altersruhesitz, aber nicht so wie sich Martina und anfänglich auch ich uns das vorgestellt hatten. Wir sind noch nicht am berühmten Happy End angekommen; es wird noch mal turbulent – aber nicht mehr tragisch. Sorry Leute, Sie müssen noch ein paar Seiten lesen.
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Reiner will unter die Bauern gehen In Sonntagsreden werden die Presse und die elektronischen Medien immer als vierte Macht im Staat und als Hüter der Demokratie glorifiziert aber in Wirklichkeit erscheint die Macht der Medien in unserer Gesellschaft als Totengräber von Pluralismus und wirklicher Demokratie. Eine Mediengesellschaft ist nicht mehr demokratisch sondern demokratistisch. Man zelebriert noch die Kulte einer demokratischen Ordnung, wie freie Wahlen oder Parlamentsabstimmung, aber letztlich handelt es sich nur um die Kür des besten Populisten und um „Arme unter Fraktionszwang hoch“ bei genauester Beobachtung durch Fernsehkameras. Drei Faktoren scheinen mir die unumstößlichen Vorgaben unserer heutigen demokratischen Mediengesellschaft zu sein: Besitzstandswahrung, Heiligerklärung des Mammonismus und Sensationsmache. Wie so das so ist, lässt sich allerdings leicht nachvollziehen. Die Alliierten versuchten nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland eine demokratische Mediengesellschaft hochzuziehen. In der britischen Zone bekamen nur die, von den Briten als demokratisch erachteten Parteien eine Lizenz zum Zeitungsdrucken. Das war pluralistisch und demokratisch. In der Bundesrepublik Deutschland konnte die Wirtschaft, dank amerikanischen Kapitalbesitzes und Marshallplan, eine Superentwicklung durchlaufen. Schon Anfang der 50er-Jahre sprach man vom Wirtschaftswunder. Na ja, die Profiteure dieses Wunders wussten wie sie sich die Medien untertan machen konnten. Wer nicht das schrieb, was ihnen passte, wurde mit so einer Art unabgesprochen Anzeigenboykott bestraft. So ging, insbesondere linken und linksliberalen Zeitungen langsam die Luft aus und ihnen blieb nichts anderes, als an reiche private Medienmacher, die es ja insbesondere nach amerikanischen Vorbild gab, zu verkaufen oder mindestens mussten sie ihre Zeitung in deren Konzerne einbringen. So wie hier im Kreis Neuheim alle Käseblättchen zuerst im Neuheimer Kreisboten verschwanden und letzterer tauchte dann in die Neue Landeszeitung NLZ ein. Diese Geldmenschen, denen die Mediengiganten gehören, haben ein maßgebliches Interesse an das, was wir auf der einen Seite Besitzstandswahrung und auf der anderen Seite Profitmaximierung nennen können. Es ist natürlich legitim wenn sie das, was sie geerbt oder aufgebaut haben, behalten und erhalten möchten. Auch gegen die Absicht damit Geld zu verdienen darf im Prinzip nichts gesagt werden, aber das dieses Geldverdienen ohne Rücksicht auf Verluste dem Zwecke dient, dass deren Vermögen ein der Vernunft überschreitendes Ausmaß erhalten muss, ist der fixe Wahn, den der Teufel in Gestalt des Gottes Mammon in sie gepflanzt hat. Da behaupten doch die an der Spitze stehenden Hummannoiden, dass nur Investitionsanreize auf Dauer Wohlstand und „Blabla“ erhalten. Investitionsanreize sind dicke Dividenden und die dürfen doch nicht durch Lohn- und Lohnnebenkosten gebeutelt werden. Da befürworten doch Multimillionäre lieber den sozialen Kahlschlag: Absenkung des Rentenniveaus, Beteiligung Kranker an den Kosten ihrer Behandlung, Kürzung von Sozialhilfe und weitere Horrorvorschläge, obwohl unter ihnen welche sind, die für ein zehnminütiges Sektbad mit Silikon-Euter-Annie bereit sind die Jahreseinkünfte eines Sozialhilfe-Empfängers zu zahlen. Wie gesagt, Investitionsanreize gehen über Menschlichkeit. Nun diese „neuen Presseherren“ ließen und lassen ja alle möglichen Meinungen zu; nur nicht die, die gegen ihre eigenen Interessen gerichtet sind. Also heißt die Grundvorgabe bei allen Medienunternehmen, das derjenige, der nicht für die Globalisierung, Sozialabbau und öffentliche Streitmächte zur Verteidigung des Privateigentums (innere Sicherheit) ist, sich gar nicht erst bei ihnen bewerben brauch. Den Gegnern der Globalisierung, an der, laut Hurra-Neoliberale Marke Schröder, Hombach, Stoiber und anderer Besser- beziehungsweise Originalschwarzer, niemand vorbeikommt blüht sogar noch als Staatsverächter und Demokratiefeind dargestellt zu werden. Und so entstanden dann die neoliberalen Einheitsmedien und der Chor des Mobs, den ich gerne „Los Papageios“ nenne, sang das Lied der Mammonisten. Man kann sich der entsprechenden Propaganda auch nicht entziehen, denn aus allen etwas über flach hinausgehenden Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie aus allen Printmedien tönt einem das Hohe Lied der Liberalen und Globalisierer entgegen – pausenlose Propaganda. Gegenmeinungen werden entweder verächtlich gemacht oder man drängt diejenigen, die diese vertreten in die Ecke der Staatsfeinde bis hin zu Terroristen ab. Das hat natürlich auch ungeheuren Einfluss auf unsere Politiker. Wer möchte nicht gerne bestens bezahlt in Designeranzügen vor jeder Kamera die Vorzüge der globalisierten und entmenschlichten Welt sowie Sozialabbau preisen. Auf Sozialschwache kann man ja fröhlich einschlagen, dann kriegt man Beifall von den Besetzern von Stammtischen und Unternehmerzirkeln. Auf die ist man ja beim Wahlen genannten PöstchenLotto angewiesen, während die Betroffenen an der Wahlurne kaum eine Alternative zu ihren Gunsten haben und deshalb auch fern bleiben. Es geht nicht mehr um Programme und Ideen sondern um Medienstars, die sich der Wahlherde am Besten verkaufen können. So sind unsere Politikusse abhängig von Medienbesitzern und –lenkern geworden. So haben wir die Einheitspolitik des Liberalismus und deren Vertreter sind so eine Art Medienkasper. Aber alles nur aus einem Brei hat natürlich den Haken, dass man sich irgendwo von den Anderen abheben muss. Entweder ist man mit einer Aufsehen erregenden Sache der Erste oder man weiß mehr alles alle anderen. Dann gibt es noch die Möglichkeit jemanden nach Strich und Faden fertig zu machen. Das freut den sadistischen Mob ja immer von ganzem Herzen, wenn einer so richtig fertig gemacht wird. Na ja, man kann es auch kürzer sagen:
Sensationen müssen her. Und da alle am Werke sind, kann es passieren das eine Sensation die andere jagt. Da kann man sich immer nur wundern, was für Hypergenies doch Politiker zu sein vorgeben. Immer wenn eine völlige neue Sensation auf dem Tisch kommt äußern sie sich expertenhaft zu dem Thema obwohl sie tatsächlich zum ersten Mal davon hören und sie in der Kürze der Zeit da noch nie drüber nachgedacht haben können. Man kann ja Schnelldenker sein aber auch als so solcher kann man in fünf Minuten kein komplexes Thema durchdenken. Deshalb reden die Media-Polit-Stars auch so häufig absoluten Murks, der dann später von ihren rhetorisch perfekten Pressereferenten gerade gebogen werden muss. Aber eines ist inzwischen Standard geworden: Wenn es schief gegangen ist, dann wird mit der brutalstmöglichen Aufklärung der Schuldige gesucht und harte Bestrafung wird zugesagt. Ist aber etwas positiv, dann muss man richtig vor Ehrfurcht vor ihnen in die Knie gehen, denn erst dank ihrer bestmöglichen Politik soll dieses, laut ihrem Geschwätz, möglich gewesen sein. Wer mit Logik und Verstand die Politikerreden überdenkt kommt nicht selten zu dem Schluss: Absoluter Blödsinn. Das Ganze was ich hier schrieb gilt natürlich parteiübergreifend. Alle sind sie gleich und liefern sich nur ihrer Pöstchen halber Schaukämpfe in den Medien. Nur gut, dass sich nach kurzer Zeit einstellende neue Sensationen den vorhergehenden Politkäse bei der Masse vergessen macht. Sonst wäre es um das Ansehen der „Polithänschen“ noch schlechter bestellt als es ohnehin schon ist. Die gehören nämlich nur nach ihrer Selbsteinschätzung und den Streicheleinheiten, der sie beeinflussenden Bosse zur Elite. Ende 1999 bekamen wir ja ein echtes Musterbeispiel für so etwas geliefert. Erinnern Sie sich noch an die BSEGeschichte? Seit über einem Jahrzehnt kannte man diese Geschichte von der englischen Insel. Unsere Politikusse warfen mit allerlei Schlamm auf die britischen Bauern und gaben unserer Landwirtschaft den Heiligenschein, dass so etwas bei uns nicht passieren kann. Der Spruch „Aus deutschen Landen“ wurde als Gütesiegel propagiert. Es wurden dann allerlei Behauptungen aufgestellt: Angeblich wurde die Schafskrankheit Scrappy, die für Menschen absolut ungefährlich sein soll, über Tiermehl auf Rinder übertragen und heißt dort BSE. Über Rindermark oder –gehirn soll sich dieses dann auf Menschen übertragen lassen und dann Kreutzfeld-Jakob heißen. Reichlich verwirrend. Scrappy kann nicht auf Menschen übertragen werden aber BSE was seinen Ursprung im Scrappy hat – klingt nicht ganz logisch. Na ja, alles höchst verwirrend und wissenschaftliche Beweise gibt es nicht – in keine Richtung. Und dann passierte das, was eigentlich gar nicht passieren konnte: Deutschland hatte seinen ersten BSE-Fall und das war dann, wie es sich herausstellte, nicht einmal eine Ausnahme. Oh je, oh je, in Deutschland sah es fast ähnlich wie in Großbritannien aus. Sofort hatte unsere Regierung einen Schuldigen: Die Vorgängerregierung hat verharmlost und nichts unternommen. Natürlich guckte man auch in den eigenen Reihen jemand aus, der die Verantwortung dafür tragen sollte, dass man nach der Regierungsübernahme selbst auch nichts getan hatte: Der Landwirtschaftsminister nahm seinen Hut. In der Nachfolge des Landwirtschaftsministers trat eine Verbraucherschutzministerin an. Frau Kühnast, eine echte Großstadt-Alternative, deren Feinde offensichtlich die konventionellen Bauern, die bisher die Bevölkerung mit guten und bezahlbaren Nahrungsmittel versorgt haben, sind. Die hergebrachte Landwirtschaft stellt aber einen Segen für Rentner, untere Einkommensschichten und Arbeitslose sowie Sozialhilfeempfängern, bei denen ohne konventionelle Landwirtschaft oft Schmalhans der Küchenmeister sein müsste, dar. Na ja, die Biobauern bekamen dann aus Regierungskreisen Toppmarketing frei Haus geliefert. Frau Kühnast und in NordrheinWestfalen Frau Höhn rührten ja kräftig die Bio-Bauern-Werbetrommel. Diese Art von Landwirtschaft, deren Produkte eigentlich nur von besserverdienenden regelmäßig gekauft und verzerrt werden können – KlassenVerbraucher-Schutz - erhielten somit kräftig subventionierte Werbung. Alternative aus Großstadtschluchten haben offensichtlich noch nichts davon gehört, dass man für biologische Landwirtschaft wesentlich größere Anbauflächen und sehr großen Arbeitsaufwand benötigt. Daraus resultiert auch der zurecht höhere Preis für Bioprodukte. Wo wollen wir die Flächen hernehmen und wer will den Aufwand betreiben. Aber Frau Kühnasts Bio-Propaganda brachte aber den Erfolg, dass diese Art von Landwirtschaft nach guten Profiten roch und schon gibt es Bio-Puten-Mäster mit über tausend Tieren und die müssen mangels ausreichender Futteranbaufläche zufüttern wie konventionelle Bauern auch. Na, und jetzt, im Jahre 2002 haben wir die Nitrofen-Geschichte. Was soll’s Frau Kühnast; weniger wäre wohl in diesem Fall mehr gewesen. Wie sich die BSE-Geschichte auf wackere konventionelle Bauern auswirkte kann ich aus familiären Erleben berichten. Es betraf meinen Schwager Bernd Scheuermann. Er war mit seinem kleineren Betrieb überwiegend im Bereich Viehwirtschaft tätig. Etwa ein Drittel seines Betriebes entfiel auf die Milchwirtschaft und zwei Drittel auf die Mast (Schlachtvieh). Dann war er auch mit von der Partie, in 1999 hatte er einen BSE-Fall und sein Viehbestand (8 Milchkühe und 22 Mastviecher) wurde gekeult. Sicherlich hatte er da irgendwelche Gelder erhalten aber der Aufbau einer neuen „Herde“ ist zu kostspielig und dauert drei bis vier Jahre. Und während der Zeit gibt es in so kleinen Unternehmen gegenüber den Kosten keine ausreichenden Einnahmen mehr. Ihm reicht es jetzt, nun will er aufgeben. Damit beendet er die, schon seit seinem Urgroßvater bestehende Scheuermannsche landwirtschaftliche Tradition. Natürlich habe ich die ganze Geschichte mitbekommen, da es sich ja um die Hinterlassenschaft meiner Schwiegereltern handelte. Ich habe auch ein paar Mal meinen Schwager Bernd Scheuermann gefragt ob ich ihm irgendwie helfen könne. Zumal auch Martina auch diesbezüglich öfters wehmütig an ihre Kindheit und Jugendzeit auf diesem Hof nachdachte. Aber Bernd lehnte immer, mit der
Begründung, dass sich die ganze Landwirtschaft nicht mehr lohne und er, der 5 Jahre älter als Martina ist, sich nach Abschluss der Sache, so wie ich, frühzeitig zu Ruhe setzen wolle. Der Erlös aus dem Besitz würde schon bei richtiger Anlage für einen Frühruhestand ausreichen. Näher hatte ich mich bis Mitte Januar 2001 nicht in diese Sache reingehangen. Dann wurde ich aber durch einen Bericht auf der Saßmannshauser Lokalseite des Neuheimer Kreisboten hochgerissen. Da stand doch glatt, dass die Stadt Saßmannshausen den Scheuermannschen Besitz kaufen und in Bauland umwandeln wolle. Beim Studium der Zeitung schrie ich richtig auf: „Man haben die Lokalpolitikusse denn einen Knall. Wie kann man denn eine der landschaftlich am schönsten gelegenen Anwesen mit Bruchbuden zupflastern. Und Trends und Zukunfts-perspektiven interessieren die wohl nicht.“. Mit Letzterem spielte ich darauf an, dass man für Deutschland an Hand der Geburtenraten ein Bevölkerungsrückgang bis 2050 von derzeitig 82 Millionen auf 65 bis zu 48 Millionen prognostiziert hat. Die Bundesregierung geht derzeitig von 70 bis 58,8 Millionen, je nach Zuwanderungsüberschuss, aus. Die Zahl der Bauanträge, sowohl für den Mietwohnungs- wie Eigenheimbau, sinkt im gesamten Bundesgebiet offensichtlich in Folge des vorgenannten Trends von Jahr zu Jahr. Immer mehr Wohnraum steht immer länger leer, auch in unseren Nachbarkommunen und sogar schon in unserer Stadt Saßmannshausen. Diese Trends belegen einen immer geringeren Bedarf an Wohnraum und in deren Folge führen Überangebote nach dem marktwirtschaftlichen Grundsatz, das sich der Preis nach Angebot und Nachfrage reguliert, zu Wertverlusten bei Wohnimmobilien. Woher sollen jetzt die „Baumutigen“ kommen, die das „Verbraten von Haushaltsgeldern“ für die Vorleistungen bei der Planung, Erschließung und gegebenenfalls auch Ankauf von Flächen für neue Baugebiete rechtfertigen? Und dafür soll jetzt der Scheuermannsche Hof verbraten werden? Und dabei biete der Hof doch so viele landschaftliche Anreize, die man besser für Naherholung oder gar Tourismus verwenden sollte. Da kam ich auf den Gedanken eines kleinen Ferienbauernhofes, insbesondere für Kinder geeignet. So mit 5 Kühen, ein paar Schweinen, Hühnern und Gänsen. Die schöne Weide am Kerlsener Weg, mit der wunderbaren Fernsicht, dachte ich mir für eine Kleingolfanlage, einem Wellnesspfad und gegebenenfalls für einen Reitplatz besser geeignet als für Einfamilienhäuschen für Stadtflüchtige, die bei der mageren Infrastruktur von Saßmannshausen ohnehin nicht hierher kommen wollen. Die Wiese im Wald am Hexenberg könnte man doch für ein FKK-Gelände verwenden. Und so weiter und so fort. Ich hatte die tollsten Vorstellungen. Alles wäre besser als kleinsinnige Bebauung gewesen. Am meisten empörte mich noch die Aussage des CDU-Fraktions- und Bau-Ausschuss-Vorsitzenden, dessen blöden Spruch, dass es sich um einen Bauausschuss und um keinen Bauverhinderungsausschuss handle, mich schon in der Zeit als ich noch Lokalredakteur war immer auf 180 brachte, auf. Er „quakte“ nämlich, dass man auf jeden Fall bei dem Gelände am Kerlsener Weg prüfen müsse ob man hier nicht ein Gewerbegebiet, an dem es in Saßmannshausen mangle, durchsetzen könne. Was wollen die Leute denn noch atmen, wenn die Landschaft zu betoniert ist? Da sind dann keine Pflanzen mehr die Kohlenstoff in Sauerstoff assimilieren. Wenn das, was solche Leute proklamieren Fortschritt sein soll, dann möchte ich doch ganz gerne zurück in die Steinzeit. In der Zeit ist zwar nichts so bequem wie heute aber das Leben ist auf jeden Fall möglich. Mein eben erwähnte Aufschrei hätte ich ruhig noch lauter sein können, es hätte ihn sowieso keiner gehört – ich war allein im Haus. Martina war auf ihrer Arbeitsstelle. Auch ich verließ jetzt das Haus, und zwar in Richtung des Scheuermann Hofes. Und damit begann der nächste Reiner-Schreiber-Streich. Ich hatte zwar von Martina „den Auftrag“ mich nach einem „Altersruhesitz“ für uns umzusehen, dass das aber ihr Elternhaus mit allem Drum und Dran sein könnte, hat sie dabei wohl beim besten Willen nicht bedacht. Und wer mich in Sachen Lokalfernsehen den Seifenblasen hat nachlaufen sehen, weiß was jetzt ins Rollen kam. Was in den letzten zwei Jahren das Lokalfernsehen für mich war stellte jetzt der Ferienbauernhof dar. Postwendend begann ich mit meinem Schwager in Verhandlung zu treten. Der wehrte erst mal ab, da ich die Sache zunächst mal mit Martina durchsprechen sollte. Er meinte, dass ich jetzt wohl ein Wenig über die Sache, die auch ihm nicht so ganz passe, aufgedreht sei aber man letztlich doch die Kirche im Dorf lassen müsse. Auch er habe so etwas, was ich jetzt vorhabe, schon überdacht. Das rechne sich hinten und vorne nicht. Dann käme es durch eine Pleite ohnehin zu dem, was jetzt anläge. Nur das er – in diesem Falle ich – dann Pleite wäre und die Stadt das, wofür sie jetzt richtige Steuergelder für hinblättern wolle, dann im Ramsch kriegen würde. Letztlich hatten wir uns ein Wenig heiß geredet und er erklärte mir, dass er nur an mich verkaufen würde, wenn ich ihm ein wirtschaftliches Konzept, von dem auch er überzeugt wäre, vorlegen würde. Na ja, Martina fiel auch aus allen Wolken, als ich ihr, nachdem sie vom Dienst nach Hause gekommen war, meinen neuesten Splin offeriert. Zunächst kommentierte sie noch halbwegs freundlich: „Meinem Reiner geht’s offensichtlich zu wohl und deshalb will er unter die Bauern gehen“, aber dann wurde es zunehmendst zünftig. Es war sogar fast schon wieder der Punkt erreicht, dass ich wieder einmal zur Hütte ziehen wollte. Aber wie bereits geschrieben hatten wir beide gelernt und spulten vor dem Knall doch um ein paar Takte zurück. Durch Martinas Vorschlag, dass wir uns eine Woche zum Überdenken Zeit nehmen sollten und dessen Beachtung trat erst mal wieder Frieden in unserem Hause ein. Aus Erfahrung wusste ich ja, dass es bei Beamtokraten und Politikusse
bekannter Maßen nicht so schnell geht. Was ich allerdings nicht wusste war, dass doch schon länger – schon in der Zeit vor dem BSE-Fall – zwischen Bernd und der Stadt Saßmannshausen verhandelt wurde und das bereits einige Weichen gestellt waren. Der BSE-Fall hatte lediglich Bernd dazu veranlasst sein Hochpokern zu beenden. Da war man sich im Prinzip schon praktisch einig. Zu meiner Zeit als Lokalredakteur hätte ich das alles schon gewusst, aber seit einiger Zeit beschäftige ich mich in der Regel mit allem möglichen Dingen, nur nicht mit dem kommunalpolitischem Geschehen. Allerdings wusste Martina auch nichts und hatte auch erst durch meinem „Überfall an der Haustür“ bei ihrer Heimkehr vom Dienst davon erfahren. Zwei Tage später suchte sie daraufhin ihren Bruder auf. Eigentlich wollte sie sich nur hinsichtlich der Auseinandersetzung mit mir sachkundig machen. Dann gab es doch einen zünftigen Geschwisterstreit. Martina bestätigte Bernd zwar, dass er auf dem Hof alleiniger Herr sei und daher alles machen könne was er für richtig halte. Schließlich sei sie, so wie ihre Eltern es ihr zugedacht hätten, ausgezahlt worden. Aber in dieser Angelegenheit hätte sie ihr Bruder ruhig frühzeitig informieren können, denn schließlich handle es sich ja auch um ihr Elternhaus, an dem auch ein Wenig Herzblut von ihr klebe. Darüber kam es dann zum Geschwisterstreit, der dann dank der Sturheit, die sie beide ihr Eigen nannten, durchaus furchtbar in die Länge hätte gezogen werden können. Durch diesen Streit und diesmal Bernds Sturheit wäre ich beinahe in Mitleidenschaft gezogen worden. Zumindestens musste ich über zwei Wochen darum kämpfen, dass er wieder bereit war mit mir, dem Mann seiner „bösen“ Schwester, zu sprechen. Als ich glaubte es geschafft zu haben, kam es prompt zu einem Knall zwischen den Schwägern. Da erklärte doch Bernd mit dem Ton der Überzeugung, dass ich eine Riesenmacke habe. Darauf war ich beleidigt und steuerte meinem nächsten Ehekrach zu. Ich ging nach Hause und erzählte Martina, dass mich ihr Bruder beleidigt habe. In diesem Fall gab es dann geschwisterliche Übereinstimmung: Martina schloss sich der Meinung ihres Bruders an. Dieses veranlasste mich schon wieder zu den Koffern mit den Gedanken an die Hütte zu schielen. Diesmal war es Martina, die gleich in zwei Richtungen klein beigab. Sie entschuldigte sich sowohl bei mir wie bei ihrem Bruder und schlug vor, dass wir uns in dieser Sache mal ganz in Ruhe miteinander besprechen könnten. Inzwischen war es jedoch Mitte Februar geworden und die Stadt Saßmannshausen drängte, so wie es für mich aussah aber nicht zutraf, auf die Unterschreiberei. Zu meiner Überraschung teilte Bernd jetzt aber der Stadt Saßmannshausen mit, dass es nun einen weiteren Interessenten gäbe, mit dem er erst noch verhandeln wolle. Ich hatte also eine Chance erhalten. Mir gab er dann den Rat, mich aber an zwei Leute zu wenden: Der erste sollte ein Jurist meiner Wahl sein und dann benannte er mir einen Experten für solche Projekte, wie ich es vorhabe, bei der Landwirtschaftskammer. Obwohl Martina jetzt „stinksauer“, insbesondere gegen ihren Bruder, mit dem sie anschließend kein Wort mehr sprach, war beherzigte ich Bernds Rat. Ich beauftragte Dr. Wimmer, Monikas ehemaligen Anwalt, der seit meiner Erbschaft auch mein Vertreter bei solchen Anlässen ist, mit Bernd und auch dem anderen Kaufinteressenten, der Stadt Saßmannshausen, zu verhandeln. Außerdem begab ich mich höchstpersönlich zur Landwirtschaftskammer und sprach mit dem benannten Herrn. Jetzt bekam ich die Bestätigung, dass mir Bernd nichts vorgemacht hatte, denn der vorgeschlagene Experte bei der Kammer sagte mir, er habe die ganze Sache auch schon durchdacht. Er hatte nämlich für Bernd bereits ein einschlägiges Gutachten erstellt. Wir vereinbarten, dass er es für mich aktualisieren solle. Allerdings sagte er mir von vornherein, dass „mein Projekt“ mit erheblichen vorhersehbaren Risiken verbunden sei und er würde mir empfehlen, keinen weiteren Aufwand zu betreiben und von der Sache Abstand zu nehmen. Nach meinem Kammerbesuch setzte ich mich, inzwischen etwas verwirrt, mit Dr. Wimmer zusammen. Er schlug vor, dass er zwar konkret verhandeln wolle aber auf der anderen Seite Zeit schinden wolle, damit ich erst meine Chancen wahren und dann nach Eintreffen des Gutachtens endgültig entscheiden könne. So lange nichts unterzeichnet ist kann man ja noch alles wieder abblasen. Ich dachte jetzt fairer Weise Bernd von „meiner Strategie“ unterrichten zu müssen. Der reagierte darauf mit einem „Gott sei Dank“ und begründete mir dieses damit, dass ich wohl nach Vorliegen des Gutachtens feststellen müsse, dass ich einem wirtschaftlichen Harakiri entgegengesteuert wäre. Er betonte, dass er immer noch der Eigentümer sei und unter keinem Bankenknebel stünde. Er könne jederzeit frei entscheiden wem er den Zuschlag geben würde. Da ich sein Schwager sei, wolle er mir auf der einen Seite eine faire Chance einräumen und auf der anderen Seite mich nicht ins offene Messer laufen lassen. Deshalb wolle er den Hammer erst dann zum dritten Mal auf den Tisch schlagen, wenn ich ihm meine endgültige Entscheidung mitgeteilt hätte. Ab diesem Moment fanden dann die Verhandlungen ohne meine persönliche Beteiligung statt. Sowohl Dr. Wimmer wie auch Bernd erachteten es für besser wenn die Leute von der Stadt Saßmannshausen nicht wüssten wer hinter der Sache stecke. Dr. Wimmer verhandelte für seinen „vorläufig ungenannten“ Mandanten und die Stadt Saßmannshausen glaubte an ein größeres Immobilienunternehmen. Damit haben sich Bernd und ich im Nachhinein sehr unbeliebt gemacht. Am Dienstag, dem 3. April 2001, bekam die Stadt Saßmannshausen den endgültigen Zuschlag. Zwei Tage zuvor hatte mein Schwager zu meinem
Geburtstag seine Aufwartung gemacht und sich bei der Gelegenheit mit seiner Schwester wieder versöhnt. Inzwischen hatte ich auch das Gutachten vorliegen. Der Gutachter hat sich nicht nur auf das fragliche Anwesen „festgefressen“ sondern dazu noch eine Arbeit eines wissenschaftlichen Tourismusexperten, der Erwartungen von Touristen untersucht hatte, herangezogen und die mit den Gegebenheiten in Saßmannshausen und Umgebung abgeglichen. Er kam zu dem Schluss, dass diese Gegend außer schöner Landschaft, nur sehr wenig in Richtung kultureller, sportlichen und sonstiger Freizeiteinrichtungen zu bieten habe, was Leute ins „Dorf“ locken könnte. Die vorhandenen Hotelkapazitäten seien demgegenüber schon überdimensioniert aber nur durch ein kleineres ausgelastete Hotel, welches ich dem von mir geplanten Unternehmen unbedingt angliedern müsse, könne ich davon ausgehen zumindestens rentabel zu arbeiten. Mit einer Rendite, die man langläufig als guten Profit bezeichnen könne, wäre aber zu keinem Zeitpunkt zurechnen. Als ich dieses las fiel bei mir dahingehend der Groschen, dass die Stadträte und Verwaltungen im Kreis Neuheim wie zu Preussenszeiten emsig im Ausweisen von Bau- und Gewerbegebieten waren aber in Sachen Infrastruktur immer auf ihren knappen Haushalt geschielt haben. Nun ist hier auf gut deutsch hier „der Arsch begraben“, was sich natürlich jetzt nachteilig auf alles, Bau-, Gewerbe- und Tourismusvorhaben, auswirkt. Mit der Schlaf-Städte-Struktur kann man ja kaum noch die jungen Leute hier halten, bewahre dann noch welche von Außen hinzuholen. Unsere Politikusse und Beamtokraten hatten sich mal wieder als typische Klugscheißerchen erwiesen: Das, womit sie sich rühmen wollen, haben sie selbst mit ihrem Spartick kaputt gemacht. Und da klotzen die „Traumtänzer“ im Kommunalwahlkampf damit der beste Sparer zu sein – das „Kaputt“ vor „Sparer“ unterschlagen sie wohl bei ihren Wahlphrasen. Unser Bürgermeister, vor der Verwaltungsreform war er hier in Saßmannshausen der Stadtdirektor, hielt sich für einen „cleveren Geschäftsmann“ und war nach dem Auftreten des BSE-Falles bei Bernd auf die Idee gekommen, die Angelegenheit mit dem Scheuermannhof auf die lange Bank schieben zu müssen um dadurch den Preis noch deutlich zugunsten des Haushaltes drücken zu können. Das hatte er auch, natürlich in Absprache mit den Fraktionsvorsitzenden im Rat, als Marschroute für die Verwaltung ausgegeben. Als Bernd denen mitgeteilt hatte, dass es einen weiteren Interessenten gab und dieser auch in Gestalt von Dr. Wimmer auftrat bekamen die Herren von der Stadt aber kalte Füße und verhandelten jetzt mit Hochdruck. Dabei verbesserte sich deren Angebot sogar noch ein Wenig nach oben. Als Bernd am 3. April zu erkennen gab, dass er der Stadt den Zuschlag geben wolle drängten die Verwaltungs- und Ratsvertreter in dieser Verhandlungsrunde auf eine sofortige Unterschrift. Anschließend, ein paar Tage darauf, erkundigte sich der Bürgermeister bei Bernd und bei Dr. Wimmer wer denn der andere Interessent in Wirklichkeit gewesen sei. Als Bernd dann ehrlich mit meinen Namen rausrückte, fiel unser „Herr Bürgermeister“ aus allen Wolken. Er beschuldigte mich und Bernd, wir hätten nur ein gemeinsames Verhandlungspoker gegen die Interessen der Stadt geführt. Mag sein, dass Bernd das wirklich gemacht hat – ich weiß es nicht – aber ich war und bin diesbezüglich wirklich unschuldig. Unser „Stadtoberhaupt“ war der Meinung, dass man da juristisch einiges dran machen könne, was aber nicht im Interesse der Stadt läge und schloss darauf ein Stillschweigeabkommen mit uns Beiden ab. Sein Beweggrund dürfte aber in seinen Wiederwahlchancen, die beim Bekannt werden eines solchen „Deals“ sicherlich tief in den Keller gesunken wären, gewesen sein. Das kann man ja bei Leuten, die von Wählerstimmen abhängig sind, immer annehmen und auf diese Art und Weise bleiben so manche krumme Touren unentdeckt. Wie man sieht, hatte „Uns Reiner“ mal wieder ein volles Aktionsprogramm, was auch entsprechend Wirbel ausgelöst hatte. Dabei wackelte einige Male im Hause Schreiber der Haussegen; wovon ich hier nur die wichtigsten Punkte genannt habe. Es war insbesondere Martina, die mich einerseits nicht verlieren wollte und andererseits wohl am Meisten aus der Vergangenheit gelernt hatte, zu verdanken, dass es dabei nicht wieder zu einem Konflikt größeren Ausmaßes kam. Aber was mich betraf war ich offensichtlich noch nicht bekehrt; ich hatte lediglich das Wort „Lokalfernsehen“ gegen „Ferienbauernhof“ ausgetauscht. Ich kann aber den Leserinnen und Lesern an dieser Stelle verraten, dass dieses mein letzter Streich dieser Art war. Nun hatte ich auch kapiert, dass ich von meiner Veranlagung zu gut für die Geschäftswelt bin. Im Geschäft zählen keine Vernunft und Ideale sondern nur kalter profitorientierter Realismus. Gelobt sei was Geld macht und eine heile, menschliche Welt ist doch nur eine Träumerei. Erst setzte ich mich für Meinungsvielfalt und dann für ein bisschen Umwelt ein. In beiden Fällen bin ich an den Leuten gescheitert, deren oberste Prämisse der Tauschwert des Geldes ist. Na ja, ab diesem Zeitpunkt stellte ich alles in solche Richtungen ein und konzentrierte mich in erster Linie auf Martina und mich sowie in zweiter Linie auf die Menschen, die mich umgeben. Eines ist allerdings total unter meiner Absicht unter die Bauern zugehen untergegangen: Unser Altersruhesitz. Klar, wenn ich in Hexenberg „bauern“ will ziehe ich nicht nach „Irgendwo“. Na ja, pünktlich zum Quartalsende war Martina vom Stand der Groß- und Einzelhandelskaufrau in den der Hausfrau – zu ihrem Hausmann – übergewechselt und wir wären formaljuristisch obdachlos gewesen, denn zum 1. April sollte eigentlich die Schenkung an unsere verheiratete Tochter Stefanie wirksam werden. Aber das stellte ja keine besondere Tragödie da, denn Steffi gehört zu den nachsichtigen Zeitgenossen und würde uns bestimmt nicht das Asyl verwehren, insbesondere dann nicht, wenn ich mich schuldig bekenne und deren, wahrscheinlich nicht mehr eingeplante Miete übernehme. Martina übernahm es, mit unserer Tochter zu sprechen und bekam eine einerseits
befriedigende und andererseits ein Wenig zum Nachdenken anregende Antwort: „Ist doch klar, Mutti, dass ich meine Eltern nicht auf die Straße setze. Bring du mal deinen Mann und meinen Vater richtig auf Trapp, damit es jedenfalls bis zum September klappt.“. „Wieso ausgerechnet bis September?“, wollte Martina wissen. „Kannst du nicht abwarten?“, konterte Steffi lachend, „Die Lösung halten wir uns für unsere Osterbesuchstour auf.“. Was wir darauf vermuteten sollte sich wirklich zu Ostern bestätigen. Diese Besuchstour am Ostersonntag hatten Steffi und Christof generalstabsmäßig angelegt. Zum Mittagessen wollten sie uns besuchen und danach wollten sie zirka drei Stunden bei uns bleiben. Dann, zum Kaffeetrinken, wollten sie zu Elvira und Marc wechseln und auch denen ebenfalls drei abschließende Stunden widmen. Der Abend letztlich sollte „ihrem Opa“, dem alten Waymann, gewidmet sein. Auch diese Terminisierung sprach für unsere Mutmaßung. Aber wie sie es machten führte dazu, dass Martina gespannt wie ein Flitzebogen war. Während des Festtagsessens versuchten die jungen Leute den Eindruck zu erwecken, als läge nichts besonderes an. Aber ich glaube auch ihnen angemerkt zu haben, dass sie innerlich darauf brannten ihre Sache doch bald loszuwerden. Martina erzählte mir später, dass sie auch immer drauf und dran gewesen sei unsere Tochter auf den Kopf zu nach ihrem Verdacht zu befragen, sie aber auch die Einstellung des jungen Paares so wie ich bewertet habe und sie sich gezwungen habe dem „Ehepaar Schöller“ nicht den Spaß zu verderben. Natürlich wirkte sich das auf das Tischgespräch aus, denn es war mal dieser und mal jene mit den Kopf nicht bei der Sache. Als sich Martina dann zum Abräumen erheben wollte kam Bewegung in die Angelegenheit. Auch Steffi stand, zunächst den Eindruck helfen zu wollen, auf. Aber dann zog sie plötzlich ihren T-Shirt nach Oben bis zum unteren BH-Beginn und dann ihren Rock mit samt dem Slipper bis zum oberen Schamhaaransatz nach Unten und fragte: „Ach Vati, Männer haben dafür keinen Blick ... aber Mutti siehst du schon was?“. Martina nahm unsere Tochter spontan in ihre Arme und fragte: „Was wird es denn ... weißt du das schon?“. Da griff auch Christof ins Geschehen ein: „Laut Ultraschall ist das unser Lars.“. Darauf erntete er als Dank meine kumpelhafte Umarmung, die er freundlich mit „Hallo Opa Reiner“ quittierte. Jetzt konnte Martina doch noch einen wichtigen Teil unseres Verdachtes loswerden: „Ich gehe jetzt mal davon aus, dass ihr die letzte Weihnacht in dieser familienplanerischen Angelegenheit genutzt habt. Dann müsste es also Anfang September soweit sein.“. Dieses wurde von Steffi damit bestätigt, dass sie uns mitteilte, das der vorausberechnete Termin der 10. September sei. Martina hatte ihre Mutmaßung aus dem Gespräch hinsichtlich der Schenkungs-Übergabe gezogen. Darauf kam sie dann auch gleich zurück und ermahnte mich jetzt mich ohne weitere Flitzen auf die Suche nach einer Bleibe für uns umzusehen. Auch wenn wir Oma und Opa wären dürften wir fürs Altersheim noch zu jung sein. Steffi „tröstete“ sie: „Ach Mutti mach dir mal keine Gedanken, ich setze doch meine Eltern nicht auf die Straße.“. Da griff ich dann jedoch ein: „Töchterchen, Kompromisse kommen für dich jetzt nicht mehr in Frage. Zur Not ziehe ich mit Mutti in unsere Hütte ... aber ich werde die Sache schon schaukeln. Vermutlich seit ihr schon weit vor September hier auch körperlich die Hausherren. Ab sofort habe ich nichts Wichtigeres mehr zu tun als mich um diese Sache zu kümmern. Die Zeiten wo ich Fernsehdirektor oder Bauer werden wollte sind endgültig vorbei.“ Mit der Aussage machte ich nicht nur die jungen Leute sondern insbesondere auch Martina glücklich. Diesem Kapitel kann ich, obwohl noch ein paar Seiten zulesen sind, ein Happy End verpassen. Jetzt schien fast alles klar zu sein: Ich wollte nun nicht mehr unter die Bauern gehen und mich stattdessen auf einen dritten Lebensabschnitt mit Martina konzentrieren. Schließlich steht der Tag wo wir Großeltern werden schon auf dem Kalender. Auch unsere Tochter hatte Grund sich mit ihrem Mann zufreuen, denn sie wussten, dass sie schon sehr bald eine richtige Familie im eigenen Haus sein würden. Dieses Glück bestimmte auch die Atmosphäre während des gesamten Besuches. Was sich bei Martina und mir dann auch über das gesamte restliche Osterfest fortsetzte. Hoffen wir jetzt, dass es diesmal auch dabei bleibt, wie wir uns das gedacht haben.
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Ein unendlicher Urlaub beginnt Am Nachmittag des Ostermontags des letzten Jahres (2001) fühlte ich mich berufen Martina einen privaten philosophischen Vortrag zu halten: „Mäuschen weiß du was mir jetzt nach den letzten 2 ½ Jahren aufgefallen ist?“, begann ich meine Rede, „Als Einzelner kannst du durch Taten überhaupt nichts ändern. Du kannst dich abstrampeln soviel du willst, allein gegen alle geht immer in die Hose. Da wollte ich doch ein demokratisches und pluralistische Lokalfernsehen aufbauen, während die andern ganz etwas anderes wollten. Zwo Komma Fünf Anläufe führten immer dazu, dass ich einen auf die Nase kriegte. Dann versuchte ich mich als Landschafts- und Umweltschützer. Wieder war es der Kampf Allein gegen Alle und wieder kriegte ich einen auf die Nase. Sofern es sich um tätigen Kampf handelt kannst du immer sagen, dass gegen Dummheit selbst Götter vergebens kämpfen. Statt der Taten sollte ich es lieber mit Worten versuchen. Es waren immer Worte, die die Welt verändert haben. Wenn Worte den Denkapparat der Anderen in Bewegung setzen und Denken führt zu gemeinsamen Handeln und das kann zum Erfolg führen. Der Weg hat für den Einzelnen nur den Nachteil, dass alles etwas länger dauert, Erfolge nicht auf Anhieb sichtbar sind und ihm anfänglich der Mob, der denken lässt, zunächst für einen Spinner hält.“. „Mensch Reiner,“, antwortete mir Martina entsetzt, „dass heißt doch nicht, dass du nun wie Ernst Schöller abgedreht bist und jetzt als Wanderprediger durch die Welt ziehen willst.“. Ich lachte und stellte dann die Sache klar: „Eu, damit habe ich jetzt wohl in die falsche Richtung geschossen. Ich wollte eigentlich damit nur ausdrücken, dass ich ab sofort nicht mehr Don Quichotte sein möchte; dass ich ab sofort nicht mehr gegen Windmühlenflügel kämpfen will. Wenn es um Taten geht will ich die künftig nur noch gemeinsam mit dir in Angriff nehmen. Gemeinsam sind wir stark. Und dann habe ich mir überlegt ob ich, wenn wir unseren endgültigen Ruhesitz gefunden haben, es nicht mal mit der Schriftstellerei versuchen sollte. Was soll’s, ich muss damit ja nicht berühmt und reich werden. Aber ich habe jedenfalls bereitgestanden und habe dann insbesondere auch etwas für mein Ich getan.“. Diese Aussage gefiel Martina offensichtlich ganz gut, denn sie bekundete schmunzelnd: „Daraus schließe ich, dass nun keine neuen Zicken von dir zu erwarten sind. Da du dich nicht generell gegen Taten sondern gegen Einzeltaten ausgesprochen hast, nehme ich an, dass du mit gemeinsam mit mir doch noch tätig sein willst. Also gehen wir jetzt gemeinsam auf die Suche nach einer passenden Immobilie für Oma und Opa Schreiber. ... Und was deine Idee mit der Schriftstellerei anbelangt kann ich dich nur ermuntern. Während du schreibst werde ich malen ... Das habe ich immer schon gerne gemacht. Dann sind wir wieder beide gemeinsam tätig und unser Erfolg wird es sein, dass wir nicht geistig träge werden. Zwar gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass man durch kontinuierliches Geistestraining der Alzheimer vorbeugen kann aber Wissenschaftler rechnen der Annahme eine hohe Wahrscheinlichkeit zu. Mehr als kreative Beschäftigung kommt wohl, zumindestens bei meiner naiven Malerei, nicht heraus. ... Aber was soll’s, Reimund (Heimann) sagt immer dass es in der Endabrechnung grundsätzlich nur auf unser einzelnes, persönliches Seelenheil ankommt. Ein Jeder ist immer nur bezüglich seiner Seele gegenüber Gott Rechenschaft schuldig aber unsere Taten zielten meist darauf ab, dass wir den anderen gegenüber einen geschönten Rechenschaftsbericht ablegen wollten – wir wollen uns den Menschen gegenüber einen Namen machen – und nicht selten beflecken wir dann damit den realen Bericht, den wir Gott schulden. Wir haben uns einen Namen unter den Menschen gemacht aber sind vor Gott in die Bedeutungslosigkeit gefallen. Die Ersten werden die Letzten sein.“. Im übertragenem Sinne könnte man diese Unterhaltung als Zusammenfassung unserer Dritte-Lebens-AbschnittsPlanung, auch aus religiöser Sicht, bezeichnen. Wir wollten also jetzt nicht mehr zu großen Taten, mit denen wir uns eigentlich nur einen Namen voreinander und gegenüber Dritten machen wollten, schreiten. Dieses gilt insbesondere für mich. Dann wollten wir ab sofort alles nur noch gemeinsam unternehmen; mal auf der gleichen Schiene und mal auf Parallelschienen. Eigentlich wollten wir das von Anfang an, aber wir hatten dazu erstens nur nicht die richtigen Vorstellungen und zweitens waren durch unsere unterschiedlichen beruflichen Wege die Möglichkeiten mal mehr und mal weniger eingeschränkt. Das wurde jetzt, da auch Martina in den wesentlich vorgezogenen „Ruhestand“ getreten war, erst richtig möglich. Aber einrosten wollten wir nicht, wir wollten geistig sehr rege bleiben. Dieses sollte einmal die gemeinsame Beschäftigung mit Gott und der Welt und zum anderen die Beschäftigung mit Worten beziehungsweise Bildern – Schriftstellerei und Malerei – sein. Das klappt auf einer gemeinsamen Schiene nicht so gut, da muss man schon auf Parallelgleise ausweichen. Aber es gab trotzdem dabei immer noch Möglichkeiten der Gemeinsamkeit: Das Beisammensein und es dem Anderen vortragen. Und andererseits bleibt es ja nicht aus, dass man sich gerne mal, um sich letztendlich nicht doch noch gegenseitig auf den Wecker zufallen, vorrübergehend zurückziehen möchte und das ist bei dem vorgenannten Konzept auch möglich.“. Jetzt mussten wir nur den ersten Schritt in die richtige Richtung unternehmen. Mao sagte mal, dass jeder lange Marsch immer mit dem ersten Schritt begänne. Dieser besagte Schritt war für uns das Auffinden einer passenden Immobilie, den wir aber jetzt gemeinsam unternehmen wollten. Martina meinte aber dann, dass Hektik und Panik alles mögliche nur keine Lösung bringe. Wir sollten, bevor wir mit Fullpower ans Werk gehen, erst einmal
ein paar Tage Urlaub machen und dann ginge, wie sie meinte, alles wie von alleine. Na ja, das Wort „Urlaub“ kann man jetzt mit zwinkerndem Auge betrachten, denn durch unseren weit vorgezogenen Ruhestand haben wir ja Tag für Tag bis an unser Lebensende Urlaub. Aber Urlaub ist ja nicht nur die gesamte Zeit alles frei und individuell gestalten zu können sondern es ist ja, wenn es richtig erholsam sein soll, insbesondere auch mit einem Ortswechsel verbunden. Und auf Letzteres zielte Martina ab. Aber warum lange überlegen? Martina griff zur Osterausgabe des Neuheimer Kreisboten, nahm den Reiseteil heraus und studierte in diesem die Kleinanzeigen. Sie konzentrierte sich dabei auf nicht allzu weit gelegene Gegenden, die uns so für zwei bis drei Wochen gefallen könnten. Normalerweise sagt man, dass ein richtiger Ortswechsel einen Kontrast, zum Beispiel aus den Bergen ans Meer, enthalten müsse. Aber wir waren der Meinung, dass es für unseren Zweck auch „Hexenberg in Grün“, also eine absolut vergleichbare Gegend, tun würde. Wir wollten ja nur mal raus aus dem Alltag, wir wollten nur mal ein Wenig die Seele baumeln lassen und dabei von niemanden gestört werden. Falls es möglich ist, wäre es dann ja auch noch wünschenswert, wenn man sich mal richtig außer der Reihe verwöhnen lassen könnte. Da fand sie auf Anhieb eine Anzeige in der Ferien auf einen Bauernhof in Heismar, einem kleinen Dörfchen im hessischen Bergland, angeboten wurden und fragte mich, ob das wohl was für uns wäre. Dabei wies sie mich nachdrücklich auf die Schlagzeile der Anzeige hin: „Lassen Sie sich auf unserem Bauernhof verwöhnen.“. Nachdem ich Martina zu erkennen gegeben hatte, dass ich nicht abgeneigt sei, schritt sie gleich zum Telefon. Als Bauern- und Gastwirttochter wusste sie, dass solche Leute mit großer Wahrscheinlichkeit auch am Ostermontag erreichbar sind. Dann hatte sie noch zusätzliches großes Glück, nämlich dass wir, wie sie es ins Auge gefasst hatte, am Freitag, dem 28. April 2001, anreisen und auch drei Wochen bleiben konnten. So etwas ist ja, wenn man sich spontan und kurzfristig zu etwas entschließt, gar nicht so selbstverständlich – aber sie hatte, wie geschrieben, Glück. Am Telefon erfuhren wir auch, was unter „verwöhnen“ zu verstehen war. Breuers, so der Name der Vermieter, boten Bett- und Sanitärwäsche, Stubenreinigung und Frühstück inklusive im Vermietungspreis an. Gegen gesonderte Berechnung, allerdings zu niedrigsten Preisen, konnte man auch ein Mittag- beziehungsweise Abendessen haben. So etwas ist ja bei privater Vermietung oder Ferienwohnungen gar nicht so selbstverständlich und daher war das Wort „verwöhnen“ schon richtig angewendet. Alles war in den ersten Minuten des über eine halbe Stunde dauernden Gespräches abgewickelt. Die Länge des Gespräches entstand dadurch, das „das Elke“, wie man in der Gegend um Heismar sagt, Martina auch noch erzählen wollte, was sie alles auf dem Bauernhof erleben konnte. Worauf ihr Martina dann verriet, dass sie selbst Bauerntochter sei und ihr Bruder gerade ihren Hof veräußert habe. „Das Elke“ war nicht eingeheiratet sondern selbst die Hoferbin, also sie saß auf dem Hof ihrer Eltern, und so konnten die beiden Frauen Fach-Kindheits-Erlebnisse austauschen. Dieses Gespräch war dann auch die Ursache dafür, dass sich sowohl Gastgeber wie Gäste aufeinander freuten. Jetzt habe ich schon zwei Mal „das Elke“ geschrieben, so als wären wir gute Bekannte. Das war natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht der Fall aber später wurden Martina und die gleichaltrige Elke Breuer dicke Freundinnen. Klingt verheißungsvoll – oder? Gar nicht so wie bei einem dreiwöchigen Urlaub. Na ja, was dabei herauskam konnten wir im Vorfeld auch nicht ahnen; alles sieht doch sehr nach einer Bestimmung aus. Also reisten wir am letzten Aprilwochenende in Heismar an. Dieses ist ein kleines Dörfchen, etwa so groß wie Hexenberg, das aus einer Kirche, einer Gaststätte und lauter kleinen Bauernhöfen besteht. Keiner dieser Höfe ist auch nur halb so groß wie der Scheuermannhof. Unser Ferienhof Breuer gehört unter denen sogar noch zu kleinsten. Zur Zeit unseres Besuches hatten Breuers fünf Kühe, zwei Kälber und zwölf Schweine sowie ein paar Hühner. Davon kann man natürlich nicht leben und so verdingt sich Herr Breuer noch als Mauerer bei einem größeren Bauunternehmen. Weil sie noch etwas krisenfester sein wollten bauten sie Anfang der 90er-Jahre eine kleine Pension mit fünf kleineren und zwei größeren Gästezimmern. Man könnte sagen, dass es sich um sieben Doppelzimmer, von denen bei zwei Zimmern ein Kinderzimmer angegliedert ist, handelt. Da Heismar, genau wie unser Hexenberg, nicht gerade ein touristisches Highlight ist, bieten Breuers den „Verwöhnservice“ an, mit dem es ihnen gelingt doch über Kleinanzeigen die Leute in ihre Pension zu locken. Während der Saison sind sie sogar mit Stammgästen fast ausgebucht. Das liegt aber auch wohl an der netten, herzlichen und überwiegend fröhlichen Art der Breuers. Rühren wir doch einmal ein Wenig die Werbetrommel für einen Urlaub in Heismar. Das Ganze ist natürlich nichts für erlebnishungrige junge Leute und auch nichts für die typischen Vertreter unserer Spaß- und Geldgesellschaft. Wer aber mal ein wenig in Ruhe die Seele baumeln lassen möchte, ist hier goldrichtig. Es gibt wunderschöne Gelegenheit zu Spaziergängen durch Wald und Flur. Im Gegensatz zu vergleichbaren Gegenden sind die Waldwege hier noch im guten Zustand; aber natürlich kein Großstadtpflaster – das wäre ja wirklich zuviel verlangt. Im kleinen Wäldchen am nördlichen Dorfrand liegt idyllisch in einer Schlucht ein kleiner See, der bei schönen Wetter zum Baden genutzt wird. Die Dorfbewohner sind nicht prüde und so ist am See alles erlaubt: von FKK über Oben ohne bis zum Badekostüm anno 1900. Wie in Hexenberg auch, kennt hier jeder jeden und wo die Leute aufeinandertreffen gibt es ein kleines Schwätzchen. Dieses gilt auch für die Dorfkneipe neben der Kirche, die hier noch im Mittelpunkt des dörflichen Lebens steht. Gäste, die zu erkennen geben, dass
sie ansprechbar sind, werden natürlich in die Kneipenrunden einbezogen. Wer dabei sein möchte ist für die Heismarer kein Fremder. Zur Gaststätte gehört auch ein Saal, in dem zu bestimmten Anlässen das Tanzbein, in der Regel nach der Musik einer Wumtata für Jung und Alt, geschwungen wird. Ein solcher Anlass war ja gleich zu Beginn unseres Aufenthaltes gegeben. Am 30. April tanzte man in den Mai. Zusammen mit unseren Vermietern gingen auch wir zu dieser Festivität. Weder Martina noch ich ahnten, dass dieses unser Schicksalstag werden würde. Als wir in den „Tanzsaal“ kamen waren nur noch 2 oder 3 Tische überhaupt nicht besetzt und an einem Tisch saß nur ein einzelnes Paar in unserem Alter. Diesen Tisch steuerte „das Elke“ direkt an: „Na ihr Beiden, seit ihr auch mal wieder im Lande? Können wir uns zu Euch setzen?“. „Na klar, doch Elke“, tönten beide im Chor. Dann wurde wir miteinander bekannt gemacht und erfuhren die Story von Dieter Grass, also des Herrn, den wir gerade kennen gelernt hatten. Bis vor einem dreiviertel Jahr gehörte er zu den Dorfbewohnern und dann bekam er, der als Ingenieur in der Sanitärbranche tätig ist, nach 2 ½ Jahren Arbeitslosigkeit einen Job in Baden-Württemberg und war aufgrund der Distanz zwischen seinem Heimat- und Arbeitsort dorthin gezogen. Ursprünglich hatte auch Dieter Grass einen der Kleinbauernhöfe geerbt und den hatte er auch neben seiner Tätigkeit als Ingenieur in einer etwa 30 Kilometer von Heismar entfernten Sanitärmittelfabrik bewirtschaftet. Dann machte er aber in der Sanitärfirma Kariere. Zunächst wurde er der Leiter der Entwicklungsabteilung, in der er zuvor selbst tätig gewesen war, und dann stieg er noch zum Betriebsleiter auf. Das ließ sich dann aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr mit der Nebenerwerbs-Landwirtschaft vereinen. Er veräußerte seine Ländereien an seine Nachbarn, seine Scheune und seinen Stall ließ er abreißen und das eigentliche Bauernhaus wurde zu einem schmucken Einfamilienhaus umgebaut. Dann passierte das, was nicht zu vermeiden war: Die Firma bei er beschäftigt war ging in die Insolvenz und er in die Arbeitslosigkeit. Wie er erzählte hat er im Radius von 120 Kilometer um Heismar sich um eine Stelle bemüht. Zirka 150 Bewerbungen hat er auf die Reise geschickt. Ein großes Handicap für ihn war seine Spezialisierung auf den Sanitärbereich, zu der es eigentlich kein passendes Unternehmen in der größeren Umgebung gab. Nur im etwas weiter entfernten märkischen Sauerland gibt es ein paar Unternehmen dieser Art, die aber keinen entsprechenden Bedarf hatten. Er wäre auch, wenn es sich nicht anders ergeben hätte, sowohl hierarchie- wie einkommensmäßig ein oder zwei Stufen tiefer auf einem Arbeitsplatz angefangen. In ländlichen Gegenden gibt es viele solcher Schicksale. Im Osten, also in den sogenannten neuen Länder, soll es sogar großflächig solche Strukturen geben. Ob da die Polit-Medien-Stars dran denken, wenn sie für ihre einfaltslose Politik, sprich Binnenmarkt zugunsten der Exportindustrie kaputtsparen, die Betroffen verantwortlich machen wollen und deshalb diese als Faulenzer diffamieren? Aber dann klappte es gegen Ende 2000 für Dieter Grass doch, allerdings im weit entfernten Schwabenländle. Da war ein älterer Unternehmer mit einer Sanitärarmaturenfabrik, der auf der einen Seite gesundheitlich nicht mehr so sehr in Schuss ist, er hatte bereits den zweiten Herzinfarkt, und auf der anderen Seite keinen Nachfolger hat. Dort ist dann Dieter Grass praktisch als „Ladenschmeißer“ angefangen. Einkommensmäßig hat er sich sogar gegenüber früher noch deutlich verbessert. Darüber, was mal ist, wenn sein Boss endgültig von der Bühne abtritt, was ja bei dessen Gesundheitszustand nicht auszuschließen ist, wollte Dieter nicht nachdenken. Er meinte, dass es immer irgendwie weitergehen würde. Er erzählte uns, das er sich jetzt wie Hans im Glück fühlen würde, wenn er sein Haus in Heismar loskriegen könnte. Aber da sah er schwarz. Wer zieht schon dahin, wo es keine moderne Infrastruktur und obendrein keine Arbeitsplätze gibt? Da war auf einmal Martina oben auf: „Sagen sie das nicht Herr Grass. Wir sind unabhängig und suchen für uns ein Plätzchen wo es sich leben lässt. Und was die Infrastruktur anbelangt kann ich ihnen sagen, dass wir selbst Landeier sind. Ich bin eine Bauerntochter und wir kommen von so einem Dorf wie dieses hier. Wollen sie uns nicht mal ihr Haus zeigen. Wenn es uns gefällt kauft ihnen mein Mann das sofort ab.“. Dann drehte sie sich mir zu: „Das tust du doch Schnuckelchen ... oder?“. Na ja, eigentlich hatten wir ja so etwas vereinbart und daher hatte ich keinen Grund ihre Frage abschlägig zu beantworten. In diesem Moment herrschte erst mal ein verdutztes Schweigen am Tisch. Unsere Gesprächspartner waren sich offensichtlich nicht sicher, ob wir jetzt etwas übel scherzten oder ob wir die Wahrheit sagten, denn ich habe mir bis heute noch kein Schild umgehangen, dass ich ein reicher Mann bin. So besonders ist das ja auch nicht, denn ich habe ja außer von meiner ersten Frau erben nichts besonderes dafür getan. Nun da mussten wir die Leute aufklären, aber mit der vollen Wahrheit wollte ich jetzt auch nicht rausrücken. Schließlich gedachten wir unauffällig und glücklich zu leben und deshalb erzählte ich: „Na ja, wir gehören zu den Leuten, die etwas mehr Glück hatten. Das Martina auch von einem Hof kommt und da natürlich mitgeerbt hat ... sie ist ja nicht leer ausgegangen - hat sie doch schon erzählt. Was sie geerbt hatte war aber nicht nur der Hof sondern meine Schwiegereltern hatten auch so eine Kneipe wie diese hier. Die hat Martina alleine geerbt und die ist jetzt gut verpachtet und läuft auch noch ganz gut. Ich selbst habe eine Druckerei geerbt. Die ist verkauft und der Erlös gut angelegt. Mit unseren Pacht- und Zinserträgen können wir ganz gut ... sogar mehr als gut, leben. Unsere Tochter hat letztes Jahr geheiratet und bekommt ein Baby. Voraussichtlich im September treten wir beide in den Stand der Großeltern ein. Martina hat unserer Steffi jetzt ihr Haus geschenkt und wir
haben beschlossen in einer anderen Gegend, die aber mit unserer Heimat vergleichbar sein sollte, schon mal etwas vorzeitig in den Ruhestand zugehen. Da sind wir jetzt also auf der Suche ... und sie kommen uns tatsächlich wie gerufen. Wenn ihr Haus was für uns ist können wir uns die ganze weitere Suche sparen. Also, wann können wir uns ihr Häuschen ansehen. ... Ich habe so ein verdammt komisches Gefühl als könnten wir uns einig werden.“. Dieter Grass strahlte schon vor Glück. Am Liebsten wäre er gleich auf der Stelle mit uns losgezogen, aber der nächste Mittag, auf den wir uns dann einigten, dürfte wohl doch der passendere Termin gewesen sein. Jetzt tanzten wir erst mal in den Mai beziehungsweise plauderten uns, sofern die Musik und die übrige Geräuschkulisse dieses zuließen, durch die Nacht. Dieser Abend ist für mich auch in einer ganz anderen Hinsicht bemerkenswert. Zum ersten Mal habe ich die kompletten Vorräte einer Gaststätte „weggesoffen“. Na, das Wort scheint mir doch allzu salopp zu sein; ich nicht gesoffen sondern getrunken – aber trotzdem. Ich war auch an diesem Abend meinen „neuerlichen“ Vorsätzen, die ich mir im Krankenhaus vorgenommen hatte, treu geblieben und hatte ausschließlich nur alkoholfreies Bier getrunken. Als ich dann am Morgen des 1. Mai so gegen halb Vier noch mal ein Fläschen davon bestellte, wurde festgestellt, dass man auf einem solchen Spitzenumsatz von „kastriertem“ Bier nicht eingestellt war; ich musste auf Cola umsteigen. Aber nicht so schlimm, wir wollten ohnehin kurz darauf aufbrechen – die Musik hatte ja auch schon bereits seit Drei ihre Ruhe. Ansonsten ist nur noch zu erwähnen, dass wir Sechs, also die drei Paare Breuer, Grass und Schreiber, das Du miteinander vereinbart hatten und damit war ein weiterer Schritt in Sachen Freundschaft von Elke und Martina vollzogen worden. Jetzt waren wir gerade mal ein langes Wochenende in Heismar und die gesamte Signalstellung sah nach einem unendlichen Urlaub aus. Sollten wir etwa in Heismar kleben bleiben? Da Martina und ich uns in der Festnacht ziemlich des Alkohols enthalten hatten, ich hatte überhaupt keinen und Martina hatte lediglich 3 Glas Wein getrunken, waren wir am Mittag, obwohl wir am Morgen erst kurz vor halb Fünf in unseren Betten lagen, relativ frisch wieder auf unseren Beinen. Das galt aber nicht im gleichen Maße für die Anderen. Breuers mussten ja erst ihre morgendlichen Besorgungen im Stall erledigen, bevor sie ins Bett gehen konnten. Vieh, Schweine und Hühner können kein Verständnis für die Feierlust der Menschen aufbringen, die haben am 1. Mai den „gleichen Hunger“ wie weihnachten Ostern oder einem x-beliebigen Tag. Ein wesentlicher Grund warum sich heutzutage kaum noch Leute für die Landwirtschaft begeistern können. Hoferben suchen oft jahrelang, und in jedem dritten Fall sogar vergebens nach Partnerinnen oder Partner. Immer wieder machen männliche Jungbauern die Erfahrung, dass sich auf ihre Anzeigen und aufgrund der Vermittlung einschlägiger Anbannungsinstitute meist tierliebende Damen melden. Die finden die Kälbchen und Fohlen so süß. Dann lernen sie bei ihren ersten Besuchen, oft sogar schon bei ihrem allerersten Besuch, den bäuerlichen Alltag kennen. Das ist harte Arbeit: Stall- und Feldbestellung, schließlich sind Rinder, Hühner, Schweine und so weiter Lebewesen, die ihrer einfachen biologischen Existenz willen versorgt werden müssen. Die Feldarbeit ist stark wetterabhängig. Da sind die Freizeit- und Urlaubsmöglichkeiten arg eingeschränkt. Dann müssen die Liebhaberinnen der „süßen Tiere“ immer wieder hören, dass man, wenn man selbst wirtschaftlich überleben will, die Tiere auch schlachten muss. Will man allen seinen Tieren das Gnadenbrot geben, dann kosten sie viel, viel Geld und man nimmt dem gegenüber nichts ein. Ein Bauer der es nicht fertig bringt seine Tiere zu schlachten ist zur Super-Über-Schuldung und damit zur Pleite verurteilt. Letztlich kommt sehr oft, wie hier in Heismar, die ländliche Abgeschiedenheit dazu. Und weg sind sie dann die Heiratswilligen. Auf Dauer sieht das sehr trübe für die deutsche Landwirtschaft aus. Na ja, kaufen wir doch unser Geflügelfleisch in Polen, Rindfleisch in Argentinien und Getreide in den USA. Warum sollten wir alles selbst erzeugen, denn schließlich kann man anderen ja mal was zu verdienen geben. Pflastern wir stattdessen lieber die Deutschlandkarte mit Bau- und Gewerbegebieten zu, dann könnten Poeten den schönen Spruch „Oh du wunderschreckliches unlebenswertes Deutschland, wie bist du hässlich bebaut“ kreieren. Aber woher exportieren wir dann nur unsere Atemluft her? Am Besten downloaden wir uns die aus dem Internet. Soweit der Grund für Breuers mittägliche Unpässlichkeit. Aber auch Familie Grass kam nicht auf die Beine. Die Hoffnung ihr Haus doch loszuwerden hatte sie derartig emotional in Schwingung gebracht, dass sie doch ein paar Gläser mehr als vorgesehen und leicht verkraftbar war kosteten. Das kann man ja auch durchaus verstehen. Wer ist nicht happy, wenn in eine, praktisch schon verloren gegebene Angelegenheit, plötzlich Bewegung kommt. Leerstehende Häuser sind Fässer ohne Boden. Fixkosten wie Grundsteuern und Versicherungen laufen gnadenlos weiter. Auch wenn die Häuser leer stehen müssen sie im ausreichenden Maße beheizt und belüftet werden sonst frisst sie der Schwamm abbruchreif. Dieses auch als Tipp an Mieter: Schauen sie sich länger leergestandene Wohnungen genau an. Ist die Luft bei der Besichtung schon etwas klamm, dann spricht das nicht dafür, dass der Vermieter für ein ausreichendes Heiz-Lüftungsverhältnis gesorgt hat. Dann schauen sie mal in den Raumecken unten am Boden und oben unter der Decke nach, nehmen Sie insbesondere solche Ecken, die einem Fenstern sehr nahe liegen, nach. Sieht es da etwas feucht aus lassen sie besser die Wohnung weiter leer stehen, denn die Schwammpilzkultur ist bereits angesetzt worden. Vorsichtig, sie sehen nur kleine Stellen; richtig los geht es erst wenn die Räume bewohnt und beheizt werden. Dann ist es so ein bekannter Vermietertrick, Ihnen seine Dummheit, nämlich das falsche Heiz-Lüftungs-Verhältnis in die Schuhe zu schieben.
Na ja, leerstehende Häuser werden auch nicht besser. Natürlich nagt an denen gerne der Zahn der Zeit genauso oder sogar noch schlimmer wie an bewohnten Häusern. Und wenn zu allem Übel die Grundschuld noch nicht ausgelöst ist, laufen Zins und Tilgung munter weiter. Mit letzteren hatten Grass natürlich nichts zutun, da sie dieses Häuschen aus den Erlösen aus der Landveräußerung gegen Bares gebaut hatten - aber alle anderen Kosten hatten sie schon am Hals. Da kann man schon nachvollziehen, dass sie sehr, sehr happy waren als sich ein Hoffnungsstrahl am Horizont zeigte. Mit Breuers hatten wir schon am Vorabend abgesprochen, dass sie an diesem Tag das Mittagessen auf den Nachmittag verschieben wollten. Das stellte für uns jedoch keiner Weise ein Problem dar, denn bei den Mahlzeiten hatten sich Martina und ich noch zu keiner Zeit die berüchtigte treudeutsche Pünktlichkeit andressiert. Auf jeden Fall hatte Elke uns in ihre Küche eingewiesen, damit wir uns im Notfalle, falls die Mägen doch auf Grundeis gehen sollten, selbst versorgen konnten. In dieser Woche waren wir deren einzige Gäste und so sprach auch sonst nichts dagegen, dass sie nach der Festnacht erst einmal ausschliefen. Anders bei Grass, mit denen wir zum Mittag verabredeten waren. Als ich nach Mitternacht Befürchtungen hinsichtlich der Fähigkeit der korrekten Termin-Einhaltung von Dieter oder dem Ehepaar Grass hatte, vereinbarte ich schon einmal sicherheitshalber mit Karin Grass, dass sie erst einmal in der Pension anrufen sollten bevor sie losgingen. Sie wohnten bei ihrem Cousin, da ihr eigenes Haus inzwischen nicht mehr möbliert war. Um halb Eins am Mittag kam auch Karins Anruf, aber sie wollten nicht losgehen sondern sie teilte uns mit, dass Dieter nicht aus den Federn käme. Aber was soll es, wir hatten ja „Urlaub“ und folglich auch eine Menge Zeit und konnten uns so auf eine Verschiebung auf 17 Uhr einlassen. Martina drückte es jedoch irgendwo recht mächtig; sie war neugierig. Und so machten wir uns schon mal alleine zur Außenbesichtigung auf den Weg. Auf Anhieb konnten wir feststellen, dass der äußere Gesamteindruck ganz unserem Geschmack entsprach. Der Standort ließ sogar unser Herz deutlich höher schlagen. Von Standort des Hauses hat man wirklich eine wunderbare Rundumfernsicht. Alles, einschließlich der Außenanlage machte einen sehr gepflegten Eindruck. Wenn wir nicht genau gewusst hätten dass das Haus leer stände, hätten wir sogar für die gegenteilige Aussage die Hand ins Feuer gelegt. Dieter war es offensichtlich bewusst gewesen, dass, wenn er sein Häuschen hätte herunterkommen lassen, es wohl möglich hätte nie loswerden können. Martina meinte: „Wenn es Innen keine großen Überraschungen gibt, dann nehmen wir es. Darüber gibt es bei mir überhaupt keine Diskussion.“. Die besagte Innenbesichtigung am Spätnachmittag brachte allerdings dann doch große Überraschungen. Aber nicht so, dass wir von unserer Kaufabsicht hätten Abstand nehmen müssen sondern das Gegenteil war der Fall. Auch im Inneren des Hauses war alles in Schuss gehalten worden; so dass man aus dem Stand hätte einziehen können. Dieter hatte nach seinem Auszug extra noch einen Innenanstrich ausgeführt. Er begründete mir das damit, dass er bei der Lage in Heismar schon etwas mehr tun müsse als städtische Häuserhändler dieses zutun gedächten. Martina begeisterte sich über den zweckmäßigen und trotzdem noch gemütlichen Zuschnitt der Wohnung. Das war aber nicht alles womit wir im Inneren überrascht wurden. Da gab es noch zusätzlich einige Extras. Das Haus hatte im Erdgeschoss zwei Wohnzimmer. Ein größeres mit großer Terrassenfenstertür zum Garten und ein kleineres, gemütliches mit einem echtem offenen Kamin. Dann hatte Dieter in einem kleinen Anbau, der mal als sogenannte Schweinekühe gedient hatte, eine Sauna und ein Swimmingpool angelegt. Unter dem Dach hatte er auf der Südseite eine Dachterrasse mit einfahrbaren Dach und Glasseitenwänden angelegt. Also dieses „Zusatzzimmer“ konnte bei schlechter Witterungslage als Wintergarten genutzt werden. Als weitere Pluspunkte muss man die kombinierte Erdwärme- und Mehrstoff-Heizung (Mehrstoff = Öl oder Koks) und die Regenwasseraufbereitung für Toilette, Swimmingpool und Gebrauchswasser – die Küche wurde ausschließlich durch örtliche Leitungsnetz versorgt – nennen. Am Ende der Verkaufsbesichtung ging es dann noch um den Preis. Wie beim Schacher um kleinere Gebrauchtwagen schoben Dieter und ich uns gegenseitig den Schwarzen Peter des Erstnenners zu. Nach paarmaligen Hin und Her ließ ich mich doch hinreißen, dass erste Wort zu sagen. Ich machte zunächst mal einen Abzug von dem Richtwert, den ich mir Anfang des Jahres gesetzt hatte, und nannte ihm dann das Ergebnis. Der schaute mich ganz erstaunt an und fragte „Im Ernst?“. „Ja was dachtest du denn?“, antwortete ich ihm in „banger“ Erwartung. Dieter war erst etwas verlegen und nahm dann noch einen kleinen Abschlag von meinem Vorschlag vor und schon konnten wir das Geschäft schon mal mit Handschlag besiegeln. Damit hatten wir offensichtlich unsere Frauen glücklich gemacht, denn beide jubelten auf und fielen sich in die Arme. Das Ganze sah nach einem echten Freudentänzchen aus. Im Anschluss begleiten uns Grass noch zu den Breuers, wo wir uns im Gästezimmer zunächst mal zu Viert zusammensetzen. Später stießen dann die Breuers noch zu uns – aber mit dieser Sache gedenke ich eigentlich das nächste Kapitel zu beginnen und daher hier nur der Report von unserer Viererkonferenz. Es galt ja noch dem geschäftlichen Ablauf abzusprechen. Dieter war daran gelegen eben dieses Geschäftliche noch in der laufenden Woche zu erledigen, denn dann brauchte nicht extra er wieder aus Schwaben anzureisen. Es ist ja doch ein kleines „Ende“ von dort bis hier nach Heismar. Jetzt gibt es natürlich bei solchen Sachen, wie dem Handel mit Immobilien, einige Hemmnisse. Ich, der Käufer muss seine Liquidität nachweisen, der Notar muss ein Vertrag
aufsetzen und unterzeichnen lassen und letztlich muss der Besitzübergang im Grundbuch verewigt werden. Dieter hatte einen Rechtsanwalt und Notar, mit dem er zur Schule gegangen war, bei der Hand. Den glaubte er flott machen zu können, dass der Vertrag noch in der besagten Woche geschlossen und beurkundet, werden könne. Ich bat ihm, dass uns dieser möglichst schon am nächsten Tag ein Notaranderkonto benennen solle, auf dass ich meine Zahlung leisten könne. Ich wollte mich dann bei meiner Bank dafür verwenden, dass die Zahlung postwendend erfolgt. Dadurch erübrigt sich ja der ganze Tamtam mit dem Liquiditätsnachweis und so weiter. Obwohl Dieter ja erst nach der Grundbuchumschreibung über das Geld auf dem Notaranderkonto verfügen kann – was ja bei der berühmten Schneckengeschwindigkeit von Santa Justitia einiges dauern kann – war Dieter damit einverstanden, dass wir praktisch schon ab der „Minute“ der Vertragsunterzeichnung über „unser“ Häuschen verfügen könnten. Und was soll man dann noch groß berichten: Es klappte alles wie wir es uns erhofften. Am darauffolgenden Freitag, des Nachmittags um halb Fünf, war ich stolzer Hausbesitzer in Heismar. Und ab diesem Zeitpunkt mussten Martina und ich gewaltig umdisponieren. Da war jetzt nichts mehr mit dem ruhigen, trauten Urlaub vorab, den wir uns ja eigentlich vorgenommen hatten. Schon das „Vorab“ ist fehlplatziert, denn das, was nach dem „Vor“ kommen sollte, lag nun bereits hinter uns. Wir brauchten jetzt nicht mehr gemeinsam auf Immobiliensuche gehen; wir hatten eine gefunden – sogar eine bessere wie wir uns das in unseren kühnsten Träumen ausgesponnen hatten. Statt spazieren zu gehen, mussten wir uns jetzt einerseits um die Räumung des Hexenberger Hauses und andererseits um die Einrichtung des Heismarer Hauses kümmern. Das dann auch noch einiges an beamtokratischer Formalkleckerei zu erledigen war brauche ich ja wohl nicht weiter ausführen. Wir einigten uns darauf, dass Martina erst mal wieder nach Hexenberg fuhr und ich in Heismar bleiben sollte. Sie war für den Auszug und ich fürs Gegenteil zuständig. Natürlich hätten wir, wenn ich im Besitze meiner Fahrerlaubnis gewesen wäre auch umgekehrt machen können – jetzt war es aber so herum besser. Zunächst musste ich unsere Buchung bei den Breuers von 3 auf eventuell 5 Wochen verlängern, da sich in einen uneingerichteten Haus bekanntlich schlecht wohnen lässt und dann konnten wir erst einmal in unserer zweiten vollen Heismarer Woche die nahe gelegenen Einrichtungshäuser abklappern. Das mussten wir dann gemeinsam machen, denn es bringt ja nichts, wenn er entscheidet und es ihr nicht gefällt. Und wie im Fall von Hexenberg oder Heismar war ich auf Martina als Fahrerin angewiesen. Bei unserem Zug durch die „Einrichtungsparadiese“ konnten wir dann feststellen, dass wir für die sogenannte bessere Qualität, also für die teuere Ware, einiges an Lieferzeit hätten in Kauf nehmen müssen während wir die sogenannten Mitnahmemöbel, wie der Name schon sagt, noch am gleichen Tag hätten aufstellen können. Da aber üblicher Weise ein Zusammenhang zwischen dem Preis und der Qualität nur in den Aussagen der Marketingstrategen und nur im Glauben der Konsumidioten besteht, konnte wir uns ohne Weiteres, durchaus für die Dinge, die man einfach mitnehmen kann entscheiden. Da es aber in diesem Bereich doch tatsächliche Unterschiede von Ausstellungspappe bis gute brauchbare Möbeln gibt und wir nicht die Qualifikation zur diesbezüglichen richtigen Entscheidung haben, waren wir auf eine fachmännische Beratung angewiesen. Die sollte allerdings nicht bei Verkäufern, die ihr Zeug loswerden wollen, gesucht werden. Hier aber auch der Vorteil der kleinen Dörfer, in dem jeder jeden kennt und ein Jeder auf einem anderen Gebiet Spezialist ist. Elke vermittelte uns Karl Falbert, einem Rentner aus dem Dorf, der in seiner aktiven Zeit gleichzeitig Bauer und Möbelschreiner war. Wie so gut wie alle hier hatte er neben seiner bäuerlichen Tätigkeit also noch einen „richtigen“ Beruf. Der konnte schon in Sachen Möbel ein X von einem U unterscheiden und außerdem hatte ich einen Experten, der mir in der Woche wo Martina „allein“ in Hexenberg war, beim Aufbau half. Sorry, jetzt habe ich etwas falsch geschrieben: Umgekehrt ist richtig, er hat aufgebaut und ich habe ihm geholfen. Handwerklich bin ich nun mal ein kleiner Doppellinkshänder. So hätten wir eigentlich schon am 18. Mai 2001 in unser Altersdomizil in Heismar einziehen können. Ich persönlich konnte das einen Tag darauf, also am 19., tatsächlich halbwegs schon. An diesem Samstag, „besuchte“ mich Martina mit unserem Schwiegersohn. Christof brachte uns im Klein-LKW, der zur Firma EDEKA Schöller gehört, Hausrat, Geschirr, Bücher, Kleidung und so weiter. Fast alles hatte er dank der Packkünste seiner und meiner Frau in einem Rutsch transportieren können. Den „Rest vom Schützenfest“ wollte Martina in der darauffolgenden Woche mit ihrem Daimler transportieren. Und damit wäre die Sache gelaufen gewesen. Christof hatte bei seinem Besuch richtig den Schalk im Nacken; immer wieder trumpfte er mit lockeren Sprüchen auf. Tönte er doch bei seiner Ankunft munter: „Danke Schwiegervater, dass du mich dieses Wochenende vor der Arbeitswut deiner Tochter und meiner Mutter bewahrt hast. Da helfe ich doch lieber euch ... da sind jedenfalls keine Möbel, die von einer Ecke in die andere geschoben werden müssen, dabei – und euch kann ich es im Gegensatz zu meiner Frau auch noch recht machen. Da überlasse ich doch lieber den maskulinen Part in Hexenberg meiner Stiefpapa in spe, einem gewissen Marc und den männlichen Rat meinen Opa. Auf diesen Gebiet sind die Beiden prädestinierter wie ich. Die können sich gegenüber den Weibern besser durchsetzen als ich. Wenn die sagen, dass der Schrank dort wo er steht am Besten stände ist es gut, aber ich muss den zum Beweis der Richtigkeit meiner Behauptung, den erst einmal Hin- und Herschieben.“. Martina hing dann noch an: „Hast ja auch schon genug getan mein Junge.“. Und mir zugewandt: „Christof hat alles was sich bei uns im Haus befand entweder nach meinen Anweisungen zum Verpacken bereit gelegt oder entrümpelt. War ja eine
Menge Kram was sich im Laufe der Jahre bei uns angesammelt hat. Unsere Möbel allerdings wollen unsere ‚Hausnachfolger’ erst noch nutzen. Steffi hat ja jetzt eine Doppelbelastung ... mit Lars im Bauch muss sie ihre Abschlussprüfung ablegen. Da wollen sie vorher nicht ihr Haus endgültig ausstatten. Und danach hat, laut Christofs Ansicht, erst mal das Jahresendgeschäft seinen Vorrang.“. Da mischte sich Lars wieder ein: „Ja Mensch, danach müssen wir dann erst mal den Euro einführen. Dank dem Gelulle, was Presse und Fernsehen mit der Kleinigkeit machen reden sie den Leuten Angst ein und den Händlern Arbeit auf. Und so muss zwangsläufig unsere endgültige Einrichtung bis zum nächsten Frühling warten. So verschaffe ich meinem Schwiegervater Zinsgewinne ... Aber bitte keine Freude zu früh mein lieber Reiner, ums Bezahlen kommst du jedoch nicht umhin. ... Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“. Und damit war ich auf lockere Art und Weise schon bei deren Ankunft über alles was in Hexenberg lief informiert. Alles was mir vor Ostern noch irgendwie Sorgen machte hatte sich somit im Mai von alleine erledigt. Als Christof und Martina, die natürlich auch noch ihr Auto nach Heismar holen wollte, erst mal wieder abreisten, sprach unser Herr Schwiegersohn das passende Schlusswort: „Eins muss ich euch sagen. Wenn ich noch einmal auf die Welt komme sorge ich dafür, dass meine Schwiegereltern nie mehr in den Urlaub fahren können. Da lerne ich sie doch kennen wo sie getrennten Kurzurlaub machen und dann lassen sie alles in Scherben fallen. Wenn dann alles wieder gekittet ist und man meint man hätte sie aus dem Gröbsten raus, fahren sie in den Urlaub und kommen nicht mehr wieder. Nee, nee, einfach einen unendlichen Urlaub beginnen.“. Wie recht er hatte. Praktisch begann alles als er uns auf Sylt, Martina in Westerland und mich in Hörnum, in Flagranti erwischte und jetzt scheint es so, als ginge unsere Geschichte doch noch glücklich mit einem unendlichen Urlaub zuende. Und wenn ich mir nachträglich so alles überlege, musste wohl alles so, wie es gekommen ist, kommen damit es am Ende gut wird. Offensichtlich ist nichts im Leben sinnlos und alles ist am Ende gut. Was für eine wunderschöne Welt, was für ein herrliches Leben.
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Ein Traum erfüllt sich von alleine Wenn man anderen etwas erzählt sollte man möglichst überhaupt nicht Vor- und/oder Zurückspringen, denn der Zuhörer beziehungsweise die Leserin kann dann allzu leicht in den Zeiten durcheinander geraten. Wenn dann etwas Vergangenes in der Gegenwart oder umgekehrt wirkt, ergibt sich oft ein ganz anderer Sinn. Bekanntlich gibt es aber keine Regel ohne Ausnahme, also so etwas, wo es hinsichtlich des Sinnes angebracht erscheint mal einen „Zeithopser“ zu machen. So berichtete ich im vorangegangenen Kapitel dass wir am Abend des 1. Mai 2001, dem Tag wo wir unser Heismarer Häuschen erstanden, zunächst zu Viert, Käufer- und Verkäuferehepaar, zusammen gesessen hätten und Breuers später hinzugestoßen wären. Dann machte ich aber einen großen Sprung und wies daraufhin, dass ich dann von der Sextett-Runde in diesem Kapitel berichten wolle. Dieses geschah natürlich nicht willkürlich sondern ich machte dieses aus dem besagtem Grunde, dass sich so erzählt der sinnvolle Zusammenhang besser verstehen lässt. Aus der Begegnung und dem späteren Geschehen, nach dem Einzug in unser Haus, entwickelte sich nämlich eine nette eigenständige Geschichte, die dann zu guter Letzt zu der Erfüllung meines großen Traumes, allerdings in einer anderen erfrischenden Art, führte. Nach dieser Einleitung also jetzt aber wieder Eines schön nach dem Anderen. Grass und wir waren uns also über das Häuschen handelseinig geworden und Dieter Grass brachte nach einem Toilettengang unser Pensionswirtspaar, die Breuers, mit. Elke tönte dann in ihrer, von uns später sehr geschätzten fröhlichen Art: „Leute, das ist ja richtig famos. Ihr seid euch einig geworden und wir bekommen Reiner und Martina in den Kreis der exklusiven Heismarer Bürgerschaft. Ich kann euch sagen, dass mich das super freut.“. „Kann ich mir vorstellen.“, hakte jetzt Breuers Karl ein, „Du hoffst wohl, dass dann dein Mittwochsspäßchen nackedie und nackedei wieder aufleben kann.“. „Du etwa nicht?“, konterte seine bessere Hälfte prompt, „Wie ich dich kenne kannst du es gar nicht abwarten Martina im Naturgewand zu sehen.“. Karl setzte dann noch keck oben drauf: „Vielleicht will ich ihr ja nur mal was Richtiges zeigen.“. Das klang zwar alles in eine bestimmte Richtung aber stellte trotzdem ein gewisses Rätsel für uns da. Das Rätsel wurde auch nicht dadurch gelöst das Karin Grass jetzt sagte: „Ach Karl, dass finde ich jetzt richtig gemein von dir. Hast du deine holde Venus Karina von Grass schon vergessen. Aus den Augen aus den Sinn, ... das hätte ich wirklich nie von dir gedacht.“. Aufgrund unserer ratlos erstaunten Gesichter, die ja bei einer solchen Unterhaltung nicht ausbleiben, bedachten uns die anderen doch mit einer Aufklärung. Der Schlüssel zu diesem Rätsel lag in der Sauna und dem Swimmingpool des jetzt uns gehörenden Hause. Grass und Breuers hatten sich, als Letztere auch noch in Heismar wohnten, immer des Mittwochsabends zu einem gemeinsamen Saunaabend getroffen. Die beiden Paare konnten es gut miteinander und, abgesehen von der gegenseitigen Flachserei, ist es dabei nie etwas anders zugegangen als es in öffentlichen Gemeinschaftssaunen auch zulässig gewesen wäre. Also beim besten Willen war dabei absolut nichts Anrüchiges passiert. Nun, wir waren zu diesem Zeitpunkt gerade mal den fünften Abend in Heismar und daher in unseren persönlichen Beziehungen noch nicht soweit, dass man annehmen könnte, das die Breuers jetzt ernsthaft daran gedacht hätten, diese Tradition mit uns sofort ab Einzug in unser neues Heim fortsetzen zu wollen. Karl sagte mir später mal, dass er zwar an diesem Abend schon gehofft habe, dass sich mit der Zeit ein vergleichbares Verhältnissen zwischen ihnen und uns entwickeln würde, wie es zuvor mit den Grass bestanden hätte. Aber davon ausgegangen wäre er an diesem Abend beim besten Willen noch nicht. Jetzt war es Martina, die in dieser Angelegenheit die Siebenmeilenstiefel anzog und los stürmte. Sie verkündete großspurig: „Ich habe ja schon an diversen Einzugspartys teilgenommen aber an noch keiner mit nacktem Popo. Man muss doch alles mal miterlebt haben. Einmal muss es ja das erste Mal sein. Wie wäre es diesbezüglich, wenn wir unsere Einzugsparty in unserer Sauna geben würden.“. „Au jau“, tönte jetzt Karl Breuer munter, „endlich mal frisches Blut in unserem langsam verknöcherndem Lande.“. Weil der Leser die Gestik und die Art des Betonens natürlich nicht mitbekommen kann, muss ich darauf hinweisen, dass bisher allseits nur als Spaß aufgefasst worden war. Aber das Gespräch, das sich daraus entwickelte, gab der Angelegenheit zunehmendst einen ernsteren erotischen Anstrich. Es ging um das Thema Nacktheit. Übereinstimmend waren wir alle der Meinung, dass an Nacktsein alleine nichts Schlimmes sei. Dieter Grass meinte treffend: „Versaute Gedanken kannst du bekanntlich auch im Nonnengewand haben. Das geht sogar eher als wenn du nackt bis, denn im Pinguinkostüm kann man alles verstecken, was perverse Gedanken verraten würde.“. „Och,“, meinte jetzt Martina ganz keck, „wie kommst du gerade auf ein Nonnengewand. Wir Frauen haben da doch etwas weniger Probleme als ihr Männer. Was meinst du unter wie vielen Bischofskostümen diverse Dinge eisern stehen. Ich glaube nicht das die zölibatären Herren entmenschlicht und bereits total vergeistigt sind.“. Nach einem allgemeinen Gelächter meinte Elke: „Das ihr immer zuerst an so etwas denken müsst. Mir macht es nicht aus am Schluchtsee ganz nackt zu sonnen und zu baden. Und in euerer Sauna ist es ja alles noch ein Tick harmloser. Ich habe nichts zu verstecken. Und wenn man davon ausgeht, dass jeder zweite Mensch eine Frau ist, hat die halbe Menschheit in etwa das Gleiche aufzubieten wie ich. Und weiteres kommt dabei für mich absolut nicht in Frage.
Ich weiß, was ich an meinem Kalli habe und möchte davon nichts verlieren. Und unter Nachbarn und Freunden sind für mich sogar ansonsten harmlose Annäherungsversuche ausgeschlossen. Gute Nachbarschaft und Freundschaft ist für mich was fürs Leben und wie schnell kann man das leichtfertig durch so etwas aufs Spiel setzen.“. Jetzt musste aber auch ich mal „meinen speziellen Senf“ dazu geben: „Also Elke, du kannst mir viel erzählen aber das du alles so ganz normal, so wie einen kleinen Stadtbummel, wegsteckst, kannst du mir nicht weiß machen.“. „Das habe ich auch überhaupt nicht versucht.“, rechtfertigte sich Elke, „Natürlich empfinde ich was prickelndes beim Nacktsein. Ich bin ja keine Politikerin und schwebe schon über den Dingen. Klar finde ich das ganz geil wenn mich andere Männer so ‚unverschämt’ anschauen. Auch bei Frauen empfinde ich was; nämlich jede Menge Stolz. Sieh mal: Ich bin etwa genauso groß wie Martina oder Karin und unsere Figuren kannst du auch in etwa miteinander vergleichen. Aber schau mal meine Oberweite. Ich glaube, dass ich alleine in etwa so viel aufzubieten habe wie die Beiden zusammen. Natürlich sackt bei dem Gewicht alles, wenn ich den BH abnehme, etwas ab, aber im Großen und Ganzen ist doch noch alles verhältnismäßig stramm. Warum sollte ich darauf nicht ein Wenig stolz sein.“. Bevor ich Elke jetzt weitererzählen lasse, muss ich erst mal bestätigen, dass ihre Selbsteinschätzung tatsächlich den Realitäten entsprach. Wenn ich Elke mit anderen mir nahestehenden Damen vergleichen sollte, würde ich sagen, dass sie die schlanke, aber gut geformte Figur von Martina und die Oberweite von unserem Pummelchen Elvira hat. Wo ich schon mal dabei bin, beschreibe ich sie gleich noch ein Wenig weiter. Martina hat einen deutlich glätteren Teint wie Elke und wirkt dadurch etwas jünger – sagen wir mal so zirka 5 Jahre - wie unsere neue Freundin, was aber hinsichtlich der ausgestrahlten Erotik durch die Naturbräune von Elke weitgehendst wettgemacht wird. Besonders gefielen mir die langen schwarzen Haare unserer Gastgeberin, die über den Rücken bis zur Gürtellinie herunter reichten. Also, Alles in Allem auch eine Dame, bei der ich, der ich kein Kostverächter bin, gerne hinschaute. Jetzt lassen wir aber Elke weitersprechen: „Und nicht nur das ich gerne das zeige, was ich anzubieten habe. ... Ich schaue auch ganz gerne mal genau hin. Nicht wahr Martina, nicht war Elke, ist doch was feines so ein Männerknackärschen und so manches Stümmelchen kann einen auch erfreuen. Aber das heißt doch nicht, dass ich deshalb mehr machen muss als mich daran zu erfreuen. Wenn ich mehr haben will habe ich doch meinen Kalli ... und das reicht mir voll und ganz. Da brauche ich keine anderen Kerls.“. Man sah es Karl Breuer an, dass ihm die so vorgetragenen Worte seiner Frau glücklich machten. Jetzt kam Martina aber mit einer Aussage, die mich im ersten Moment verwunderten: „Ich habe mich bisher nur bei Reiner gänzlich nackt gezeigt.“. Aufgrund meiner Verblüffung rutschte mir, obwohl ich eigentlich nicht unsere Vorgeschichte ausbreiten wollte, etwas raus: „Und was war denn in Westerland?“. Aber Martina rettete die Situation: „Als ich damals mit Steffi dort war, hatte ich zwar vor, auch mal an den Nacktbadestrand zugehen. Aber wegen unserer Tochter habe ich es dann doch nicht getan. Im Stillen dachte ich mir: „Da habe ich doch ein braveres und keuscheres Weibchen als ich selbst dachte.“. Das sie bei ihrer Behauptung verständlicher Weise Reimund Heimann unterschlagen hat, wollen wir ihr in diesem Falle mal verzeihen. Wenn sie das behauptet hätte, hätte ich ihr das beim besten Willen nicht abgekauft. Reimund und Martina haben bestimmt nicht immer zugeknöpft bis zum Hals Händchen haltend da gesessen. Diese Behauptung würde ich ihr beim besten Wohlwollen nicht abnehmen. Karl Breuer versuchte jetzt die Situation zu retten und ihr entgegen zu kommen: „Martina, versteh uns jetzt nicht falsch. Das mit euerer Sauna und uns stimmt schon. Wir haben fast jeden Mittwoch bei Grass ganz normale Saunagänge vorgenommen. Wie gesagt, war das immer wie in einer öffentlichen Sauna in der Stadt auch. Heute Abend sind wir nur ein Wenig zum Scherzen aufgelegt. Klar freut das ‚das Elke’ und mich auch wenn Breuers Dieter sein Hausproblem losgeworden ist. War ja eine furchtbare Belastung, auch für ‚das Karin’. Und dass das Ganze an so nette Leute wie euch geht, macht die Angelegenheit noch zu einer doppelten Freude für uns. Wir wollen dich aber nicht, wenn dir nicht danach ist, dazu überreden jetzt mit uns in die Sauna zu gehen?.“. Martina fragte darauf kurz zurück: „Aber wenn ich es wollte, würdet ihr aber bestimmt nicht Nein sagen?“. „Nee, warum auch?,“, antwortet ihr Elke postwendend. Und jetzt schloss dann Martina die Angelegenheit verbindlich ab: „Ja, dann kann ich euch ja sagen, dass ich das mit der Einweihungsparty, auch wenn es nicht so klang, ernst gemeint habe. Und ehrlich gesagt, hatte ich dabei auch so prickelnde Hintergedanken, wie sie Elke eben beschrieben hat. Wenn ich es auch noch nicht gemacht, kann doch jetzt ruhig das erste Mal sein. ... Also abgemacht?“. Na ja, es war abgemacht und da kamen wir nun natürlich auch nicht mehr raus. Durch den ganzen Trubel mit dem Hauskauf und dem Umzug, den ich im vorrangegangenen Kapitel beschrieben habe, kam das Thema vorläufig nicht auf den Tisch des Hauses. An dem Dienstag als Martina dann aus Hexenberg zum endgültigen Verbleib in Heismar zurückkam, stand ich gerade mit den Breuers vor unserem neuen Haus zusammen. Ich hatte ihnen die Vollendung meines Einzugswerkes vorgeführt. Da war doch die erste Frage meiner besseren Hälfte: „Na Reiner, bist du den inzwischen in die Bedienung der Sauna und des Pools soweit eingewiesen, dass wir morgen Abend unsere ausgelobte Einweihungsparty feiern können?“ Ich war es natürlich noch nicht aber schließlich war da jetzt Karl Breuer, der in Folge von Kurzarbeit einen blauen Dienstag hatte. Der kannte sich damit aus Grass Zeiten bestens aus. Und es war, wenn wir den nächsten Abend ins Auge
fassten, auch der richtige Zeitpunkt um schon mal alles soweit vorzubereiten, dass es am nächsten Tag nach einer notwendigen Vorlaufzeit von etwa zwei Stunden auch alles klappt. Es soll ja auch schließlich für uns alle recht angenehm sein. Pünktlich um halb Acht standen dann auch Elke und Bernd bei uns auf der Matte. Martina und ich wussten jetzt im ersten Augenblick auch nicht so recht was wir jetzt machen sollten und führten unsere Gäste erst einmal ins Wohnzimmer. Elke fragte: „Ziehen wir uns jetzt gleich hier aus oder sollen wir das im Bad machen?“. „Wie habt ihr das denn früher gemacht?“, wollte ich wissen. „Wir haben uns hier gemeinsam ausgezogen.“, klärte uns Karl auf, wir haben dann auch immer die Liegen auf der Terrasse für ein kurzes Luftbad nach einem Saunagang genutzt und ansonsten haben wir zwischen den einzelnen Saunagängen, meist nackt, hier im Wohnzimmer gesessen und haben ein Wenig gequasselt. Und im Zuge dessen, konnten wir uns dann nach dem dritten und letzten Saunagang dann auch hier wieder anziehen.“. „Und dann?“, wollte Martina wissen, worauf sie von Elke erfuhr, dass sie dann mal angezogen noch weiter geplaudert hätten aber auch mal, je nachdem was am nächsten Tag anlag, gleich heimgegangen wären. Na ja, dann fiel auch bei uns an Ort und Stelle gleich der Startschuss zum vierfachen Striptease. Elke ging es ganz unbekümmert an. Ruckizucki, hatte sie ihren T-Shirt über den Kopf gezogen, ihren BH aufgeklippt und abgenommen und ihre Jeans und ihren Slipper zog sie in einem Rutsch runter. Praktisch schon nackt setzte sie sich in den Sessel und entledigte sich sitzender Weise der heruntergezogenen Sachen und ihrer Socken. Wie man merkt hatte ich sie dabei genau beobachtet und war selbst bis jetzt selbst nur oben ohne. Als ich merkte, dass sie ihren Blick auf mich richtete, zog ich auch schnell alles was ich unten herum anhatte ruckartig in Richtung meiner Füße und stand dann ebenso blank aller Textilien da. Was mir jetzt doch höchst peinlich war, ist dass sich bei mir etwas rührte. Jetzt schaute ich auf die beiden bisher von mir unbeobachteten Anderen, die im Gegensatz zu Elke und mir doch offensichtlich etwas mehr Probleme hatten. Karl hatte noch seine Hosen an und Elke war noch nicht einmal oben freigelegt. Mir wurde es jetzt hinsichtlich meines offensichtlichen Ständers zunehmenst peinlich aber dann zog Karl auch seine Hosen flugs nach unten und ich konnte feststellen, dass bei ihm bereits das vollendet war, was bei mir noch im Werden begriffen war. Deshalb hatte er also mit seinen Hosen gezögert. Als er dann jedoch bemerkte, dass ich die gleichen Probleme wie er hatte entschloss er sich auch seine Peinlichkeit zu offenbaren. Im Laufe des Abends sagte er zu mir von Mann zu Mann: „Mensch, in einer öffentlichen Sauna wären wir Zwei deshalb auch mit Recht raus geflogen. Aber intim unter zwei Männern und zwei Frauen, davon eine mit Superformat, die man erstmalig so erlebt, bleibt das gar nicht aus ... aber peinlich war es mir doch.“. Auch den Frauen war unsere Not nicht entgangen, aber das erfuhr ich erst nach dem Abend als Martina und ich wieder unter uns waren. In diesem Moment sagte niemand etwas dazu, weil auch niemand von uns Interesse an einem in einem solchen Fall leicht möglichen Ausufern hatte. Da nun alle, außer Martina, nackt waren, wurde sie in die Lage gedrückt, uns eine Stripteaseshow liefern zu müssen oder zu dürfen – je nach Standpunkt der Betrachterin. Keiner von uns drei anderen schaute offiziell hin aber unsere Augenwinkel waren alle auf sie gerichtet, was sie auch, wie sie mir später gestand, natürlich bemerkte. Jetzt könnte man sagen, dass dieses ihr jetzt das Ausziehen noch schwerer machen würde. Aber nein, sie genoss die Situation und zog sich genüsslich und langsam aus, was Karl in seiner Notlage gar nicht so hilfreich empfand. Es regte ihn so wohl an wie auf, was Martina, wie sie mir später sagte, richtig antörnte. Aber letztendlich hatte sie es doch geschafft und der erste Saunagang konnte „endlich“ beginnen. Ab diesem Moment ging es dann zwar locker aber absolut sittsam zu. Dieses gilt auch für die vielen Mittwochabende, die dem ersten noch folgen sollten und auch in Zukunft noch folgen sollen. Wir hatten also die Tradition der Grass voll in unser Programm übernommen. Auch im Sommer am See präsentierten sich Martina und Elke häufig so wie Gott sie geschaffen hatte. Vielfach waren sie die Ersten, die alle Hüllen fallen ließen und sehr schnell fanden sich dann auch immer Nachahmerinnen und auch Nachahmer. Martina sagte mir mal, dass sie diese Art von Erotik wirklich schön und angenehm empfände aber in Hexenberg hätten sie keine tausend Pferde dazu bringen können. Woran das lag wusste sie allerdings selbst nicht zu begründen. Sie wusste nur, dass sie, wenn sie diese Hexenbergerin oder insbesondere jener Hexenberger nackt gesehen hätte, wäre sie vermutlich vor Scham im Boden versunken. Nach dem dritten Saunagang am Einweihungsabend, so zirka 9 Uhr, zogen wir uns auch alle wieder an und saßen danach bis bald Elf zusammen im Wohnzimmer. Die Breuers führten uns dabei in das dörfliche Leben in Heismar ein. Die Leute hier wären alle scheinbar nicht prüde. Es gäbe sogar zwei Bäuerinnen, die zeitweilig auch oben Ohne die Feldarbeit erledigen würden. Da könne man gar nicht verstehen, dass man im Grunde dann doch puritanisch sittenstreng hier lebe. Sie könnten sich lediglich an eine einzige Ehescheidung hier im Dorf erinnern. Über die jungen Leute würde man adlerhaft wachen, damit sie nicht so ein lodderhaftes Leben wie die jungen Städter führten. Das würde wahrscheinlich eine Art Kombination aus moderner freier Auffassung und einer puritanischen Lebensweise, die die Hugenotten hierher gebracht hätten, sein. Zu Letzteren wäre aber dann der magere Kirchenbesuch am Sonntag schon wieder ein neuer Widerspruch. Wenn außer den Konfirmanden mal zehn Leute in der Kirche wären, würde der Pastor vor lauter Glück über den riesigen Zulauf durchdrehen.
Damit hatte es sich aber mit den Sonderlichkeiten der Heismarer; ansonsten wären hier alle ganz normale Menschen wie du und ich auch. Und so auffällig, dass man deshalb ein Fernsehteam herbestellen müsse, wäre das Ganze ja auch nun wieder nicht. Für die Kombination aus nicht prüde und puritanisch brachte uns Elke ein Beispiel, was bei mir, allerdings aus einem ganz anderem Grunde, alle Glocken läuten ließ. Elke erzählte: „Guillaume, Nachfahren von Hugenotten hier im Dorf, sind begeisterte FKK-Fans. Letztes Jahr waren sie da irgendwo im ehemaligen Jugoslawien in so einem Nudistencamp. ... Würde mir auch mal Spaß machen aber aufgrund des Hofes und er Pension kommen wir ja nicht von hier weg. Guillaumes habe dann einen Videofilm mit allen netten Details von fast zwei Stunden Dauer gedreht. Den haben sie anschließend im Dorffernsehen gezeigt.“. Weiter kam Elke jetzt nicht, denn was ich da gerade gehört hatte, musst ich jetzt erst mal etwas breit nachplappern: „Dorffernsehen?“. Eigentlich wollte Elke uns berichten wie man sich damals im Dorf über die Guillaumes moralisch aufgeplustert hatte, aber stattdessen musste Karl mich aufgrund meines Zwischenrufes auf dem Gebiet meiner Leidenschaft aufklären: „Ja, als in der 80er-Jahren die Bundespost ihr Kabelnetz über die Republik ausgeworfen hatte, hat man Heismar wohl gewogen und zu leicht befunden. Seht euch doch das kleine Dörfchen an. Natürlich haben wir hier keine städtischen Häuserschluchten, wir haben noch eine lockere, zum darin leben anreizende Bebauung. Wenn du hier zum Fenster hinaus schaust siehst doch noch etwas von dieser wunderschönen Welt und schaust nicht vor des Nachbars graue wettergeschädigte Wand. Um bei deinem Gegenüber zu spannen brauchst du hier noch mindestens ein Kinderfernglas, eine Brille mit der richtigen Doktrin reicht dazu nicht wie in der Stadt aus. Für die Beamtenschar bei der Bundespost bedeutete das aber, dass sie ein paar Pfennige mehr für Kupferdraht bei dem Schwager des damaligen Postministers hätten bezahlen müssen.“. Karl spielte damit auf den damaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling an, dessen Frau aus der Familie, der die Berliner Kabelfabrik Krone gehörte, stammte. Es halten sich ja immer noch in einschlägigen Kreisen, die nicht alles gleich wieder vergessen, die Gerüchte, dass es dem damaligen zuständigen Minister zu verdanken sei, dass man unsere Republik mit der älteren Kupferkabeltechnologie statt mit der doch mehr zukunftsweisenderen Glasfasertechnik versorgte. Ich persönlich schließe aber eher auf etwas anderes: Auf beamtokratische Pfennigfuchserei. Wenn der Meter Glasfaserkabel einen Pfennig, das entspricht etwa einen halben Cent, mehr als Kupferkabel kostet, kann man keinen eingefleischten deutschen Beamten davon überzeugen, dass das kaum merkbar teuere Produkt das wirtschaftliche ist. Beamte und eine Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind Dinge aus zwei Welten, auch wenn ein Obrigkeits-Staats-Befürworter immer das Gegenteil weiß machen wollen. Aber lassen wir unseren Karl Breuer aber ruhig noch ein Wenig weiter erzählen: „Also wir waren zu wenige und wohnten außerdem zu weit auseinander und da wollte die Post bei Biegen und Brechen nicht ran. Wir sind zwar Landeier aber wir verzichten deshalb nicht freiwillig auf alle Annehmlichkeiten der Neuzeit. Und so wandten wir uns an die MHS ... ich glaube, das heißt Media Heim- oder Home-Services oder so ähnlich; ist ja auch Schnuppe. Die MHS nimmt bei großen Mietghettos in den Städten und so bei diversen Siedlungen, also das was Bau- und Siedlungsgesellschaften beziehungsweise –genossenschaften ‚verbrechen’, die Innenverkabelung, also ab Übergabepunkt Bundespost, vor. Ja, die waren dann bereit unser Dorf doch zu verkabeln und mussten dann aber erst einmal den Kampf gegen die beamtete Denkkunst aufnehmen. Aber was soll man sagen, schon Galilaeus stellte, als er den typischen deutschen Beamten untersucht hatte, fest, dass er sich doch bewege – und wenn es nur ab und zu mal ist. Und so konnte uns die MHS dann zu unserer Freude auch verkabeln. Mit der Folge, dass wir damals hier in Heismar ein moderneres Kabelnetz wie die Leute in Berlin oder Frankfurt hatten. Natürlich bekamen wir hier auch nur das normale Kabelangebot ... also die dreißig Kanäle wie woanders auch, zusehen. Aber in unserem Netz ist da von vornherein noch ein Bisschen mehr Platz gewesen. Wie uns die MHSLeute erzählt haben, wird diese Sache in den städtischen Wohnsilos, wo es ein paar mehr Türken wie gewöhnlich gibt, dazu genutzt um türkische Satellitenprogramme über Schüssel einzufangen und zu verteilen. Da wirkt man dann so hässlichen Schüsselwäldern entgegen. Das ist hier aber nicht nötig, denn hier in Heismar gibt es nur eine einzige türkische Familie ... und die fallen in der Masse noch nicht einmal auf.“. Was Karl da ansprach ist etwas typisches für deutsche Lande. Wenn Leute aus x-beliebigen Ländern vereinzelt unter der herkömmlichen Bevölkerung angesiedelt werden, integrieren die sich blitzartig. In Gegenden wo viel und stark Mundart gesprochen wird, fallen sie oft nur dadurch auf, dass sie besser Deutsch wie die einheimische Bevölkerung sprechen. Dann putzen diese Leute auch keine Sonderheiten heraus sondern mischen wie alle anderen auch im Dorfleben mit. Ein typischer Vertreter dieser voll integrierten Leute ist ja der grüne Bundestagsabgeordnete Chem Özdemir, der ja aus einer ländlichen schwäbischen Gegend kommt. In den Städten fercht man unsere sogenannten ausländische Mitbürger aber in Ghettos, meist die schlechteren Wohngegenden oder in Sozialbunkern, die aufgrund der Kinderzahl von keinen einheimischen WBSBerechtigten bezogen werden kann, zusammen. Und dann passiert das, was eigentlich, wenn man nur ein Bisschen denken kann, logisch ist; was allerdings auch passiert, wenn man Deutsche irgendwo auf der Welt zusammenpackt. Die Menschen sind halt gleicher als sie diesbezüglich selbst wahrhaben wollen. Man unterhält sich der Einfachheit halber überwiegend in seiner herkömmlichen Sprache, die man dummer Weise auch Muttersprache nennt. Da gibt es Leute die deutsche Schulen besucht haben und zu Schulzeiten gar nicht so
schlecht in Deutsch waren, die aber im Ghetto das Erlernte aber wieder so verlernen als hätten sie davon noch nie etwas gehört. Während eines solchen Prozesses versuchen die Leute auch ihre eigenständigen, vermeintlich nationalen und kulturellen Sonderheiten herauszuputzen. Sehen Sie sich mal normale Straßenszenen in einem beliebigen türkischen Fernsehprogramm, zum Beispiel TRT, Show oder ATV, an und vergleichen diese mit „türkischen Wohngegenden“ in Deutschland. Hier laufen die Damen wie ihre eigenen Großmütter vor Kemal Atatürks Zeiten mit Kopftüchern und Kleidern beziehungsweise mit Mänteln in Straßenkehrlänge herum und in der Türkei sind die Damen auf der Straße modern und zeigen, wie deutsche Frauen auch, was sie der Männerwelt zu bieten haben. Das Leben in den Ghettos führt zur Entfremdung und zwar in zwei Richtungen: Sie entfremden sich von der Gesellschaft in der sie leben und auch von der der sogenannten Herkunftsländer. Nirgendwo sind sie zu Hause; sie leben in einer weltfremden Parallelgesellschaft. Soweit meine kleine Zwischenbemerkung. Jetzt lassen wir aber Karl Breuer endgültig mal zuende berichten: „So brauchten wir diese Kanäle also nicht fürs türkische Fernsehen und konnten diese Möglichkeit dann für unser Dorffernsehen nutzen. Wir haben also unser kleines Dorffernsehen Heismar eingerichtet, was sporadisch aber nicht selten genutzt wird um Privatvideos, meist Urlaubsfilme, vorzuführen oder um rein im Studio sitzend Dorfklatsch zu verbreiten und breit zu quatschen. Dahinter steckt natürlich überhaupt keine Absicht damit Geld zu verdienen. Es ist ein reiner Spaß für uns alle. Ein Bisschen kostet das Ganze natürlich doch aber das decken wir mit geringen monatlichen Beiträgen ab. Wir haben die Beiträge sogar ein Wenig sozial gestaffelt. Eine arme Oma oder unseren Arbeitslosen zahlen nichts und wer etwas betuchter ist, ... so wie du, zahlt halt 20 Mark (etwa 10,50 €). Aber das ist auch alles ... und es macht einen Heidenspaß. In der Regel haben wir eine „sehr hohe Einschaltquote“; wie das bei den großen Sendern heißt. Praktisch schauen sich fast alle, auch wenn sie bei der Aufzeichnung dabei gewesen sind, die ‚Sendungen’ an. Wir prahlen unter uns öfters von einer Einschaltquote von 99,9%. Und es wird auch grundsätzlich immer nachträglich über die einzelnen Beiträgen geplaudert und geklatscht. Also wirklich eine sehr feine Gaudi. Schau es dir doch Freitagabend mal an. Da kommt dann eine Aufzeichnung von der letzten Bauernversammlung. Das Thema wird dich wohl nicht so sehr interessieren ... aber du siehst mal ein Beispiel dafür, was bei uns so läuft. Anschließend kannst du mir ja mal verraten ob du mit 20 Mark im Monat mitmischen willst ... Ich bin nämlich der Kassenwart vom Fernsehverein und muss daher auch was fürs Geschäft tun.“. Da musste doch Martina gleich einhaken: „Mensch Reiner, dein Traum erfüllt sich ja von alleine. Wie ich dich kenne willst du jetzt gar nicht erst die Schnuppersendung ansehen sondern gleich beitreten. Bisher war ich immer gegen deine spinnernden Fernsehpläne aber in diesem Fall hast du meinen Segen. ... mach ruhig.“. Da hatte mir doch meine bessere Hälfte aus der Seele gesprochen und ich ließ mich postwendend in den Verein aufnehmen und bezahlte auch gleich meinen Jahresbeitrag. Dann hatte ich aber doch noch eine Frage an Karl: „Aber sage mal, um Fernsehprogramme zu veranstalten muss man doch eine Genehmigung haben. Und wenn du nicht gerade ein Mediengigant bist machen sich doch die Behörden lieber in die Hose als dir diese zu erteilen. Sendet ihr schwarz oder wie habt ihr das hingekriegt?“. Auch darauf bekam ich dann eine erschöpfende Auskunft: „Natürlich brauchten wir den ‚Segen von Oben’. Ohne dem läuft ja in Old Germany bekanntlich so gut wie nichts. Die Genehmigung hat uns die MHS besorgt. Dann bekamen wir so eine kilometerlange Latte von Auflagen, was wir dürfen und was nicht, serviert. Aber alles Blödsinn, da uns alles das, was wir ohnehin nicht machen wollen ... und wenn wir es wollten nicht könnten, verboten wurde. Ohne Willen brauchst du keinen Weg. Oder wie sollen wir Fernsehfilme produzieren oder Sport- beziehungsweise Showveranstaltungen live übertragen? Wir dürfen eigentlich nur Privatvideos aus dem Urlaub oder vom Dorfleben ausstrahlen. Aber gerade das macht ja den Spaß aus. Der dickste Hammer, der seit Bestehen unseres Dorffernsehens gelaufen ist, war tatsächlich die Geschichte mit den Guillaumes. Wenn du Anita Guillaume und ihre Tochter kennen gelernt hast, kannst du verstehen warum alle Männer hier im Ort ihren Spaß hatten ... ich nehme mich da nicht aus - und warum sich die Weiber so fürchterlich aufregten. ... Ach Elke, du wolltest doch vorhin vom Aufstand der Suffragetten berichten, dass kannst du ja jetzt machen.“. Und damit hatte Karl zum ursprünglichen Ausgangspunkt zurückgeführt. Na ja, so ein Moralisten- und Berufsfrömmler-Gezeter hat wohl jeder schon einmal mitbekommen und deshalb brauche ich wohl nicht groß davon berichten, was uns Elke zum speziellen Fall berichtete. Dann erzähle ich lieber mal wie ich persönlich beim Dorffernsehen aktiv wurde. Am darauffolgenden Sonntag begaben wir uns auch zum Gottesdienst in die Kirche. Dabei hatten wir ehrlich gesagt rein weltliche Ambitionen. Wir wollten Pastor Schmidt mal kennen lernen und uns ihm als seine neuen Schäflein vorstellen. Die Breuers hatten wirklich nicht übertrieben. Pastor Schmidt hätte tatsächlich mit den Worten „Wenn Zwei oder Drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter euch“ beginnen können. Besonders peinlich ist mir in einem solchen Fall das Absingen von Liedern. Ich konnte schon in der Schule keine Melodie halten und so etwas hört man bei wenigen Leuten immer so auffällig raus. Aber nicht mitzusingen ist mir dann auch immer ein wenig peinlich. Aber wenige Kirchenbesucher haben auch einen Vorteil. Pfarrer Schmidt konnte die ganze Geschichte aus der Kirche heraus in seinen Garten verlagern. Statt einer Frontalpredigt von der Kanzel gab es dann ein seelsorgerliches Rundgespräch, was ich ehrlich gesagt wesentlich effektiver finde als den liturgischen
Kirchentrallala. Keine Stehaufmännchen-Plappergebete, kein Leiergesang zum Orgelgedröhne und keine zusammenhanglosen Bibelstellenlesungen. Wenn diese Liturgiefreakies noch ihre alt- und neutestamentliche Lesungen im Zusammenhang mit der Predigt stellen würden, würde ich ja noch nichts sagen. Aber so wie es gehandhabt wird, muss der Pastor immer noch Einen draufsetzen, in dem er auch noch zusätzlich, zur Verwirrung der ohnehin mit den Gedanken woanders seienden Gemeindemitglieder, den Predigttext vorließt. Da sagte seinerzeit mal Reimund Heimann zu Monika: „Durch den Glauben werden wir selig. Aber ob liturgisches Plappern und Leiern was mit Glauben zutun hat ist eine zweite Frage. Ich habe immer die Befürchtung, dass man mit diesem kultischen Klimbim nur die Leute, insbesondere die Jüngeren, aus der Kirche treibt.“ Ich konnte ihm darauf nur sagen: „Nach meiner Meinung hast du hundertprozentig recht. Dieses Liturgie zelebrieren hat mich nach meiner Konfirmation auch erst einmal in die Welt getrieben. Ich glaube zwar an Gott aber nicht an den Kirchenzirkus. Im Glaubenbekenntnis lasse ich neben dem Jungfrauenmärchen auch immer mein Bekenntnis zur Kirche aus. Kirche ist ganz nüchtern etwas weltliches, dessen Anbetung sich für mich verbietet.“. Nun, bei Pastor Schmidt im Garten ging es richtig erfrischend zu; eine richtig erbauende Bibelstunde. Nachdem wir zum Abschluss gemeinsam das Vater unser gebetet hatten und der Pfarrer uns Gottes Segen erbeten hatte, hielt ich mit meinem Lob nicht hinter dem Berg. Dabei tönte ich dann: „Schade, dass jetzt niemand eine Videokamera zur Hand genommen hat. Dann hätten wir diese Runde aufzeichnen und im Dorffernsehen ausstrahlen können. Dann hätte das ganze Dorf etwas davon. Der Pastor war ganz begeistert: „Das ist ja die Idee. Wir könnten ja alle 14 Tage uns in einer solchen oder ähnlichen Runde treffen. Mal hier im Garten, aber auch mal am Waldrand und bei schlechtem Wetter innerhalb eines Gebäudes, zum Beispiel im Konfirmandensaal ... und wenn es in einer Scheune oder gar nebenan in der Gaststätte ist. Wenn wir das mit einer Kamera aufnehmen und im Fernsehen zeigen, bringen wir den Leuten den Gottesdienst ins Haus. Wir feiern diesen dann zwar nicht gemeinsam, wie es mal der Vater des Gedankens war, aber wir erreichen bei der üblichen Zuschauerzahl fast alle Leute hier in Heismar. Wenn das nicht im Sinne von Mission ist, dann weiß ich nicht, was das denn sonst sein soll.“. In diesem Zusammenhang berichtete man mir jetzt, dass man schon überlegt habe Gottesdienste aufzuzeichnen und diese auszustrahlen. Man hatte dabei aber die Befürchtung, dass dann erstens noch weniger Leute in die Kirche kämen und andererseits wusste man nicht, inwieweit so etwas nicht unter dem Begriff „veranstalte Programme“, die laut Genehmigung verboten sind, einzuordnen wäre. Aber die Aufzeichnung einer „Bibelstunde“ dürfte wohl nichts mit einem veranstalten Programm zutun haben. Es gab nun kein langes Vorgeplänkel und Gedöns mehr; die Idee wurde in die Tat umgesetzt. Ich betätige mich nun hier in Heismar als Produzent, Coregisseur, Regisseur war natürlich der Pastor, und Kameramann dieser 14tägigen Sendung. Wir hatten richtigen durchschlagenden Erfolg. Der Inhalt dieser Bibelstunden wird im Dorf, sogar in der Kneipe, diskutiert. Mehr und mehr Leute finden auch von Veranstaltung zu Veranstaltung zu uns – wir werden immer mehr. Im Stillen konnte ich für mich feststellen, dass der Mensch offensichtlich doch von Herdentieren abstammt. Einige Menschen nehmen nämlich in einer üblichen Dorfhierarchie kleinere oder größere Leithammelfunktionen ein. Denn nach dem bestimmte Leute zu uns gefunden hatten, kamen gleich eine Menge anderer nach der Devise „Wenn der kann, kann ich auch“ hinzu. So sind wir ein ganz schön frommes Dorf geworden. Ein solche Anteilnahme am religiösen Gemeindeleben dürfte man sonst, außer in der griechischen Mönchsrepublik Athos, wohl kaum irgendwo in Europa finden. Na ja, dass habe ich jetzt mit dem Spaß, den ich bei der ganzen Sache habe, gemeint. Ich bin dabei richtig stolz und glücklich. So etwas ist doch eine sinnvolle und ausfüllende Zeitgestaltung. Also ich bin auch jetzt, im Juni 2002, immer noch mit wachsender Begeisterung bei der Sache. Ich verspreche mir davon allerdings keine besonderes Seelenheil von der Geschichte, denn das sind ja Taten; und die zählen vor Gott bekanntlich nicht. Vor Gott zählt allein nur der Glaube. Aber gerade dem tat das Ganze natürlich keinen Abbruch, denn jede seelische Aufrüstung kommt dieser auch zu gute. Ich will mal ehrlich sein, dass mein Startmotiv nicht in meinem Glauben begründet war. Das war mehr oder weniger Spaß an der Freude. Dass das aber meinen Glauben geschadet habe kann man aber nicht sagen. So war mein großer Traum vom „kleinen Fernsehen“ von alleine in Erfüllung gegangen. Es war im Grunde zwar was anderes als ich mir ursprünglich darunter vorgestellt hatte – was aber der Sache überhaupt keinen Abbruch tat. Ursprünglich wollte ich ja im Sinne des Pluralismus ein Gegengewicht zur gewaltigen Medienmeinung setzen. So etwas hätte hier in Heismar aber auch keinen Sinn ergeben. Hier stand die Meinung der Medienherren nicht besonders hoch im Kurs. Das liegt aber nicht daran, dass die Heismarer klüger oder dümmer als andere wären, sondern allein, dass es in ausschließlich ländlich orientierten Gegenden ganz andere Probleme als in städtischen Räumen gibt. Was bedeuten schon die Probleme einer Industriegesellschaft in Landstrichen in denen die Agrarordnung, die kaum einen Städter interessiert, von wesentlich größer Bedeutung ist. Während den Stadtbewohnern die Preise im ALDI-Laden interessieren stehen die Landeier mehr auf den Erzeugerpreisen, die man ihnen zubilligt. Wenn die Stadtmenschen über Zivilisationskrankheiten, die sie sich dank falscher Ernährung, Bewegungsmangel und Überhygiene zugelegt haben, stöhnen geht es der bäuerlichen Bevölkerung darum auch mal am städtischen Müßiggang teilnehmen zu können. Sie möchten auch mal täglich zwei bis drei Stunden auf der Couch vor der Glotze liegen können. Aber das lässt der Hof, der nach Rundumversorgung durch
die Bäuerin oder den Bauern schreit, nicht zu. Na ja, die Probleme der Landeier sind nicht die Probleme der Medienfürsten – und aufgrund ihrer Masse und zeitlich bedingter schlechten Erreichbarkeit durch Werbung lässt sich mit Ländlern auch nicht das große Geld verdienen. Daher sind die Leute auf dem Dorf weniger der Meinung, dass auch sie das, was alle sagen, auch sagen müssten. Jetzt muss ich, um nicht in einen falschen Verdacht zu geraten, auch noch etwas klarstellen: Ich möchte auf keinen Fall die Landbewohner über die Stadtbevölkerung erheben. Zuvor wollte ich nur verdeutlichen, dass auf dem Lande die Uhren etwas anders, nicht schlechter und nicht besser, wie in der Stadt gehen. Die Medien wenden sich an die Millionenmassen in den städtischen Regionen und vernachlässigen das offene Land. Die Hintergründe liegen darin, dass man sich auf das konzentriert, womit man das große Geschäft machen kann. Sicherlich gibt es auf den Dörfern im Gegenzug eine ganze Menge Übel, dem kein städtisches Gegenstück gegenüber steht. Aber man mag es mir, der ich mich auch zu den Landeiern zähle, dieses hier jetzt nicht ausbreiten möchte. Dabei geht es mir nicht darum, dass ich kein Nestbeschmutzer sein möchte sondern ich möchte nicht, ohne dafür einen gesellschaftlichen Grund zu sehen, Vorurteile gegen die Landbevölkerung aufbauen. Wer mal als Tourist zu uns kommt sieht später ohnehin alles mit anderen Augen an – und das sehe ich selbst gar nicht so ungern.
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Die Offenbarung vom 11. September Während meiner Kindheit in den 50er-Jahren gab es beim NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk), der seinen Sitz in Köln und Hamburg hatte – später wurden daraus der NDR und der WDR –, des Nachmittags nach dem Schulfunk immer die Sendung „Alte und neue Heimat“. Mir sagte das damals herzlich wenig und der Titel ist mir wie andere, zum Beispiel „Echo des Tages“ oder „Funklotterie mit Just Scheu“ aufgrund der vielen Wiederholungen – Tag für Tag; und das über Jahre – irgendwo hängen geblieben. Das ist der berühmte Auswendiglerneffekt, den sich ja auch die Werbebranche zu nutze macht. Viele Jahre später, nämlich im letzten Jahr 2001, ging mir dieses „Alte und neue Heimat“ doch häufiger wieder durch den Kopf. Der äußere Anlass war unsere alte Heimat Hexenberg und die neue Heimat Heismar. Durch diese Gedanken angeregt plauderten Martina und ich auch mal ausführlich über den Begriff „Heimat“ im Allgemeinen. Wir stellten übereinstimmend fest, dass man mit diesem Wort je nach ideologischen Standpunkt recht flott und daher auch beliebig umgeht. Für uns fanden wir eine recht einfache persönliche Definition für diesen Begriff: Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt. Und das ist für uns jetzt Heismar – fertig und aus. Allerdings gab es noch massig Bindungen nach Hexenberg, was zuvor mal unsere Heimat war. So hatten wir zum Beispiel regelmäßigen telefonischen Kontakt mit Steffi und Christof sowie mit Elvira und Marc. Letztere also, Elvira und Marc, besuchten uns im August mal für ein Wochenende in Heismar. Natürlich musste Martina ihrer Besucherin auch unsere Sauna in Aktion vorführen. Davon kann ich jedoch nichts berichten, denn die beiden Frauen hielten es schön sittsam mit einer Damensauna. Während Martina und Elvira saunten konnte ich Marc meinen erfüllten Traum, das Dorffernsehen, mal in Aktion vorführen; erzählt hat ich ihm davon schon am Telefon. Just an jenem Samstagnachmittag, als unser Besuch uns beehrte, lief auch ein „Programm“, das so ganz nach dem persönlichen Geschmack von Marc war. Es war ein Urlaubsvideo, das eine Heismarer Familie in Langweer, einem kleinen Dörfchen im niederländischen Friesland gedreht hatte. Marc war auch mal als Kind in dem besagten Ort. Er hatte dort in den Ferien eine Segelschule besucht. Inspiriert durch das Heismarer UrlaubFernseh-Video kam er auf den Gedanken, dass er im nächsten Jahr mal mit Elvira dorthin fahren wolle und mit ihr auf den Langweerer Wielen, so heißt der See an dem Ort liegt, hinaussegeln könnte. Er hatte nur Angst, dass er nicht mehr segeln könne und sich so vor seiner Frau blamiere. Es war ja doch schon ein Bisschen her, dass er das segeln dort erlernte und danach hatte er nie wieder eine entsprechende Gelegenheit. Als ich das Wort „Frau“ aus seinem Munde hörte wurde ich doch etwas hellhörig und fragte, ob das dann deren Hochzeitsreise sein sollte. Darauf antwortete er mir munter und locker: „Das kann man so sagen. Allerdings sind wir, wenn wir in den Urlaub entfleuchen, schon ein paar Tage verheiratet. Nach heutigem Standard kann man sagen, dass wir dann schon ein ‚altes Ehepaar’ sind. Wir haben uns nämlich einen ganz tollen Tag, an dem das Saßmannshauser Standesamt ausnahmsweise mal an einem Samstag geöffnet ist, ausgesucht. Wir haben beschlossen, am Zwoten, Zwoten, Zwo zu heiraten. Ist doch toll – oder nicht? Ihr werdet natürlich dabei sein, das ist doch wohl klar. Diese Ankündigung ist einer der Hauptgründe, warum wir jetzt euere Gastfreundschaft heraus gefordert haben.“ Na ja, aus heutiger Sicht kann ich schon mal sagen, dass die Kampmannsche Hochzeit unser dritter Hüttenaufenthalt in Hexenberg, seit unserer Einbürgerung in Heismar, werden sollte. Ich gehe jetzt mal von Hinten nach Vorne, also vom Dritten zum Ersten, vor. Das zweite Mal war unser Familienbesuch zu Weihnachten und vom ersten Mal möchte ich in diesem Kapitel etwas ausführlicher berichten. Zu unserem ersten Besuch in der sogenannten „alten Heimat“ reisten wir am Sonntag, dem 2. September 2001, an. Wir wollten zwischen zwei und vier Wochen in den Gefilden, die mal unser Zuhause waren, bleiben. Unsere Aufenthaltsdauer, wie ich sie gerade genannt habe, ist ja nun wirklich eine präzise Zeitangabe – oder etwa nicht? Ja, das lag ganz einfach daran, dass man bei unserem eigentlichen Reisegrund den genauen Termin, wenn man nicht nachhilft, nicht so genau bestimmen kann. Wir wollten bei der Geburt unseres Enkels – was es laut der Auskunft Christofs anhand der Ultraschallaufnahmen ja werden sollte - vor Ort sein. Und anschließend wollten wir noch mit den neuen Erdenbürger und unserer Tochter eine Woche lang in „Freiheit“, also außerhalb des Krankenhauses, verbringen. Der anvisierte Termin für Lars Geburtsstunde war der 10. September und Martina meinte, dass es nicht schaden könne schon eine Woche früher vor Ort zu sein. Und da uns ansonsten heutzutage keine „Dates“ mehr quälen konnten wir das Ganze natürlich nach hinten offen lassen. Sollte Steffi wider Erwarten ein paar Tage länger im Krankenhaus bleiben müssen oder sollte unser Enkel noch ein paar Tage Zuschlag in der schützenden Gebärmutter nehmen, hätten wir dieses dank unserer flexiblen Planung voll und ganz abgefangen. Gleich bei unserer Ankunft an beziehungsweise in der Hütte erlebten wir eine Überraschung. Wir hatten vorher nur kurz an unserer Heimstätte im Dorf Station gemacht. Nur um mal ganz kurz „Guten Tag“ zu sagen und um das junge Paar für zwei Stunden später zu uns an oder in die Hütte einzuladen. Dabei haben die beiden jungen Leute absolut nichts über den Zustand der Hütte, der uns erwartete, gesagt. So wie wir diese jetzt vorfanden habe ich sie noch nie zuvor angetroffen. Alles sauber und in einem Toppzustand. Als wir Steffi und Christof später bei
ihrem Besuch unsere Freude darüber mitteilten, erklärte Steffi ganz munter: „Och, nun macht daraus aber jetzt keine große Schau. Alle 14 Tage kommen wir mal für ein Stündchen, und wenn wir nichts anderes vorhaben auch mal für zwei, hieraus und machen ein Bisschen Ordnung. Wenn man immer am Ball bleibt, ist das überhaupt keine Arbeit. Das macht sogar ein wenig Spaß.“. Martina äußerte sich darauf besorgt: „Mädchen, aber nicht dass du dir mit dem Kind zuviel zugemutet hast.“. Worauf Steffi dann mit dem Ton der Überzeugung äußerte: „Kann es denn für mein Kind und mich was Besseres geben, als mich hier in beruhigender Waldumgebung mit dem herrlich frischen Tannenduft zu bewegen? Das hat uns beiden sicher immer ganz gut getan.“. Das brachte Martina dann auf den Gedanken, dass diese sicher auch in den „letzten Tagen“ noch zutreffe. Deshalb solle sie ruhig, wenn Christof seiner Tätigkeit als Geschäftsführer von EDEKA Schöller nachkäme, zur Hütte kommen. Ihr täte es bestimmt gut und uns würde es freuen. Wir hängen uns ja neuerdings nicht mehr so oft auf der Pelle, dann bekommt das Zusammensein doch einen etwas besonderen Hauch. Steffi nahm unser Angebot an und erschien in der Folgewoche des Morgens immer zwischen Neun und Elf und wurde des Abends von ihrem „Göttergatten“ zwischen Sieben und Acht abgeholt. Dafür gab es allerdings keinen handfesten Grund und Christof kam auch immer zu Fuß zur Gattinnenabholungen. Aber dieser kleine Abendspaziergang machten ihnen halt immer ein Wenig – oder sogar noch ein Bisschen mehr - Spaß. Auch uns taten diese unbeschwerten Tage mit unserer Tochter richtig gut. So erschien Steffi auch am Freitag dem Siebten morgens um Zehn ganz munter bei uns in der Hütte. Als sie ankam bemerkte sie fröhlich: „Na ja, dann wollen wir mal die letzten zwei oder drei Tage kosten. Ich habe das komische Gefühl, dass mein Sohnemann pünktlich sein wird.“ Worauf ich ihr erst einmal eine Bestätigung dahingehend verabreichen konnte, dass wir erstens die Tage kosten sollten und das auch ich an die Pünktlichkeit meines Enkels glaubte. Dann fuhr ich fort: „Pünktlich heißt demnach nicht heute. Ich glaube daher, dass ich dann Oma und Mutter also mal für ein oder zwei Stündchen allein lassen kann. Marc hat heute frei und dann kann ich mich ja zu einem kleinen Small Talk zu ihm begeben. ... Oder habt ihr was dagegen?“. Sie hatten keine Einwände und ich zog wie angekündigt los. Ein bis anderthalb Stunden später durfte ich dann eine Überraschung in Kauf nehmen. Ich hatte mein Handy zwar eingesteckt aber nicht eingeschaltet. Ich habe diese Instrument ja in erster Linie um anrufen zu können und nicht um auf Anrufe zu warten. Ich leide noch nicht, wie die meisten Mitmenschen in unserer Zeit unter einem Erreichbarkeitswahn. So wichtig und unabkömmlich bin ich doch wohl nicht. Auf meine Nachlässigkeit wurde ich durch einen Festnetzanruf auf Marcs und Elviras Anschluss aufmerksam gemacht. Das Telefon schellte und Marc ging daran. Als Marc, nachdem sich die Anruferin gemeldet hatte, „Hallo Martina“ sagte, erhob ich mich gleich, denn der Anruf dürfte wohl mir gelten. Ich bekam auch gleich den Hörer in die Hand gedrückt und meldete mich: „Hallo Maus. Soll ich dir von Elvira was mitbringen oder aus einem anderen Grund wieder zurück zur Hütte kommen.“. „Ja,“, antwortete Martina, „zur Hütte kannst du gehen ... Aber erst einmal schöne Grüße von deinem Enkel Lars. Er hat gerade gefragt wann denn der Opa zu seiner Begrüßung kommt. – Also zurück zur Hütte solltest du ruhig mal gehen. Da liegt nämlich Steffis Hausschlüssel auf dem Tisch. Dann könntest du in unser ehemaliges Haus wechseln und mal ins Schlafzimmer gehen. Da steht Steffis für alle Fälle gepackte Tasche. Die schnappst du dir zu erst und dann schnappst du dir Marc und kommst hierher ins Kreiskrankenhaus. Du bist zwar jetzt Opa, aber so verkalkt, dass ich dir sagen muss, das du uns auf der Entbindungsstation findest, bist du wohl nicht.“. Bei den letzten Worten lachte sie zunehmendst herzlich. Als sie sich von ihrer Lache erholt hatte und wir uns gegenseitig beglückwünscht hatten, erzählte sie mir noch, dass es, kaum das ich weg gewesen sei, losgegangen sei. Sie habe mich auf dem Handy erreichen wollen aber da habe sich nur meine Mailbox gemeldet und mit der habe sie nicht sprechen wollen. Steffi habe aber in dem Moment auf sie auch den Eindruck gemacht, als sei es inzwischen eilig und deshalb sei sie gleich zum Kreiskrankenhaus abgedüst. Sie lobte sich zurecht richtig gehandelt zu haben, denn Steffi habe sich noch gar nicht richtig im Kreißsaal eingefunden als Lars schon den ersten Schrei von sich gegeben habe. Da habe sie – Martina – auch richtig Pech gehabt, denn sie hätte bei der Geburt dabei sein können, dass war schon abgeklärt. Aber als sie so ein paar Formalitäten hinsichtlich der Aufnahme ihrer Tochter erledigt hatte, war es passiert; sie war schon Großmutter. Unsere Tochter und unser Enkel hatten es wohl auf einmal verdammt eilig. Ich fragte noch, was denn mit dem Vater und der anderen Oma wäre. Die hatte Martina selbstverständlich zuerst informiert und die waren bereits auf den Weg ins Krankenhaus. Also konnte ich mir, wie mir gewiesen worden war verfahren, mir Marc schnappen und meinen übrigen Auftrag erledigen. Zu Marc ist noch zu sagen, dass er zwar nur der „Stiefopa in spe“ war aber dieser überglücklich war und sich gefreut hat als wäre er der leibliche Großvater. So kam es dann in Neuheim zu einem Treffen, das man mit dem Namen des chinesischen Gerichtes „Glückliche Familie“ überschreiben könnte. In so geballter Form sind wir allerdings nur am Geburtstag von Lars Schöller, unserem Enkel, aufgetreten. In der Woche, in der Steffi mit ihrem Sohn noch im Krankenhaus war, gingen wir dann an den folgenden Tagen etwas „geplanter“ vor. Grundsätzlich legten Martina und ich unsere Besuche auf den Vormittag, denn wir hatten gegenüber den anderen, die beruflich noch volleingespannt waren, die meiste Zeit. Elvira und Marc bevorzugten den Spätnachmittag nach Marcs Dienstschluss. Und der junge Herr Vater ging natürlich öfters, so wie er es sich einrichten konnte – was als Geschäftsführer natürlich besser als wie
bei Angestellten geht. Er ging aber nicht zu den Zeiten, wo die Großeltern angesagt waren. Das fand Steffi ganz famos, denn so hatte sie mal ihre Eltern, mal ihre Schwiegereltern und öfters ihren Mann für sich. Da lobe ich mir doch, dass Säuglinge in Intervallen von zirka 3 Stunden immer wieder Hunger haben, denn so konnten alle drei „Besuchergruppen“ regelmäßig Zeugen werden, wie Lars die Brust bekam. Es ist doch zu süß so etwas anzusehen – und wie lange ist es her, dass mir ein solcher Anblick vergönnt war. Auch am darauffolgenden Dienstag, es war der Elfte, der später zu einem Begriff und von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2001 gewählt werden sollte, waren wir des Morgens bei unserer Tochter und bei unserem Enkel. Anschließend hatten wir uns etwas, was wir lange nicht gemacht hatten, vorgenommen: Einen Bummel durch die Neuheimer Innenstadt. Das letzte Mal, als wir dieses machten, war das vor Antritt unseres „unendlichen Urlaubs“ in Heismar. Bei einem solchen „Stadtbummel“ trifft man auch immer verschiedene Leute, Freunde und Bekannte. In unserem Fall konnte man praktisch bei jedem Treffen sagen, dass man sich längere Zeit nicht gesehen habe, denn schließlich hatten wir uns aus dieser Gegend zurückgezogen. Eine der Begegnungen dieses Tages war Martina im ersten Augenblick nicht so angenehm aber gerade diese sollte dann unseren restlichen Tagesablauf maßgeblich bestimmen. Stießen wir doch plötzlich auf Reimund Heimann und Frau. Obwohl Martina ihre Angelegenheiten mit den Beiden längst in Ordnung gebracht hatte beschlich sie doch ein etwas unangenehmes beklemmendes Gefühl. Aber unsere Gegenüber machten es ihr mit ihrer netten herzlichen Art und Weise leicht doch sofort zu einer freier Kommunikation zu finden. Reimund meinte: „Martina, ich will jetzt weder dir noch jemand anderes zu nahe treten aber ein Kompliment muss ich dir machen. Damit kann ich nicht hinter dem Berg halten. Du siehst sehr gut und glücklich aus. So habe ich dich nie zuvor erlebt.“. Zum Zeichen, dass wir Reimunds Aussage richtig verstanden hatten, bestätigten sowohl Frau Heimann wie auch ich, dass es sich bei dem Kompliment um eine reale Aussage, die auch unserer Ansicht entspreche, handle. Das machte Martina dann einerseits noch ein kleines Bisschen gehemmter – sie hing sich gleich fester bei mir ein – und andererseits sehr glücklich, was man an ihrem strahlenden Gesicht erkennen konnte. Das brachte Reimund dann dazu seinem Kompliment noch etwas hinzu zu setzen: „Ich habe den Eindruck als wärest du jünger geworden.“. Worauf ich dann einen Anlass zum Einhaken in das Gespräch sah: „Und so etwas ist inzwischen schon Oma.“. Darauf strahlte auch Frau Heimanns Gesicht: „Ehrlich? Seit wann denn? Und was ist es denn, Mädchen oder Junge?“. Die drei Fragen, die sie auf einmal gestellt hatte, beantwortet ich in einem Zuge: „Sicher, letzten Freitag ist unser Enkel Lars geboren.“. In diesem Moment kamen wir Männer in die Statistenrolle, denn bei den Frauen ging es dann in die Runde „Wie groß, wie schwer und so weiter“. Dadurch wurde auch meine Martina immer aufgelöster und zwischen den Frauen ergab sich dann eine nette Plauderrunde, die dann von Reimund gebremst wurde. Er wandte sich seiner Frau zu: „Muckelchen, denkst du daran, dass wir bis Eins bei Walmann sein müssen? Ich würde vorschlagen, dass uns die beiden frühberenteten Junggroßeltern heute Nachmittag mal besuchen. Die haben Zeit genug und wir freuen uns über ihren Besuch.“. Frau Heimann setzte uns daraufhin förmlich die Pistole auf die Brust und wir kamen nicht umhin für des Nachmittags um halb Vier unseren Besuch zuzusagen. Jetzt verabschiedeten wir uns erst mal voneinander und gingen anschließend unserer jeweiligen eigenen Wege weiter. Durch die Zeitangaben, die ich gemacht habe weiß jetzt jeder schon, was anstand als wir uns dann des Nachmittags bei Heimanns trafen. Wir hatten Dienstag, den 11. September 2001. Um 8:45 Uhr New Yorker Sommerzeit flog die erste von vier Passagiermaschine in den ersten Tower des World Trade Centers in New York. Ein paar Minuten später stürzte eine zweite Maschine auf einen Flügel des Pentagon in Washington und wieder etwas über 20 Minuten später wurde auch der zweite Tower des WTC getroffen. 8:45 Uhr New Yorker Sommerzeit entspricht 14:45 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit und um 15:30 Uhr MESZ waren wir bei Heimanns verabredet. Als wir bei unseren Gastgebern ankamen waren wir absolut hinsichtlich des geschichtlichen Tagesgeschehen völlig ahnungslos. Weder in der Hütte noch im Auto hatten wir das Radio an und erst bei Heimanns, die das Fernsehen anhatten, erfuhren wir was los war. Ich konnte mich beim Betrachten der im Fernsehen gelieferten Bilder wieder richtig aufregen. In Sensationsgeiermanier wurden die schrecklichen Bilder für die Voyeurristen pausenlos wiederholt. Eine makabere sadistische Unart der Mediengesellschaft. Besonders abscheulich fand ich die Bilder von dem Mann, der offensichtlich in Todespanik aus dem x-ten Stock in die Tiefe sprang. Todesangst zur Befriedigung der sadistischen Gelüste von Telegaffern. Vor den Mikrofonen standen immer wieder beredete Leute, die mit vielen Worten erzählten, wie sprachlos sie wären. Oft palaverten sie, dass ab jetzt nichts mehr so sein würde wie es mal war. Und wer diese Leute kennt weiß, dass dieses die Typen sind, die schon dafür sorgen würden, dass alles so bleibt wie es ist. Direkt grausam empfand ich es, dass sehr viel von den Werten der westlichen Welt und von den Vorgängen an den Börsen geredet wurden aber diejenigen, die mehr Gerechtigkeit statt Globalisierung anmahnten, empört niedergemacht wurden. Wie können nur die Hirnis, denen sehr wichtig ist, dass sich die Börsen von der Kursstürzen, insbesondere bei den Versicherungs- und Airline-Werten, erholen, den Leuten, die zum Nachdenken aufrufen, mangelndes Mitgefühl vorwerfen. Es ist offensichtlich schlimmer, dass ein x-facher Milliardär ein paar Milliönchen verliert als das Tausende in Folge der gerühmten westlichen Werte verhungern. Aufgrund der Glorifizierung der Globalisierung und dem ihm gegenüber stehenden Hunger gelingt es Rattenfängern wie Hitler und Osama Bin Laden immer wieder Leute für ihr mörderisches,
menschenverachtendes Werk zu gewinnen. Manch einer, der die entsprechenden Leute als Schurken beschimpft, ist deren Steigbügelhalter gewesen. Aus dem Gefühl in einer gerechten Welt zu leben wird niemand zum Terrorist. Das Engagement für soziale Gerechtigkeit und Frieden ist der allein wirksame Antiterrorkampf. Solange es auf unserer Welt nicht gerecht zugeht wird es immer wieder Terroristen geben. Und da zukünftige Terroristen von ihren Vorgängern gelernt haben wird es auch immer brutaler zugehen. Durch Martinas entsetzte Äußerung, warum Gott so etwas zulasse, kam es dann zu dem Gespräch, welches ich später „die Offenbarung vom 11. September“ nannte. Reimund antwortete Martina: „Gott hat das nicht nur zugelassen sondern er hat das sogar vorbestimmt. Wie ihr wisst, teile ich die Ansicht des Apostel Paulus und die, auf dem Apostel beruhenden, des Reformators Johannes Calvin von der doppelten Prädestination. Gott hat alles ... ich betone alles – vorbestimmt, sowohl das vermeintlich Gute wie das vermeintlich Böse. Dieses ergibt sich auch als Konsequenz aus meinen Glauben. Es gibt nur einen Gott und nur dieser eine Gott ist der Schöpfer von Allem. Er schuf Pflanzenfresser und Raubtiere, stilles Land und tosende Meere, blühende Landschaften und Wüsten, klare Bergquellen und feuerspeiende Vulkane, die lebensspendende Atmosphäre und todbringende Materie. Er ist der Schöpfer aller Menschen, sowohl der Friedfertigen und Edlen, wie der der Bösen und Schurken. Er bestimmte die Versuchung genauso wie die Verheißung. Da es außer ihn und dem Chaos vor der Schöpfung nichts gab, ist er auch, wenn wir die Versuchung personifizieren wollen, der Schöpfer des Teufels. Einen Gegenschöpfer gibt es nicht. Folglich hat der Herr, auch das, was heute in Washington und New York passiert ist vorbestimmt. Es ist sein Wille. Wenn wir das bestreiten, leugnen wir das erste Gebot. Es gibt nur ihn, den einen Schöpfer und Herrn der Welt.“. „Welchen Sinn soll das denn geben, wenn er Terror und Krieg vorbestimmt?“, fragte Martina jetzt und erfuhr darauf von Reimund: „Das ergibt sich, wenn du dich ernsthaft mit der Schöpfung beschäftigst, von selbst. Vor der Schöpfung gab es nur ihn, die Liebe und das Glück, und neben ihn nur das Chaos, Energie und Materie. Der Zustand von vor und nach der Schöpfung unterscheidet sich vom Chaos und durch das Leben. Gott schuf das Leben damit es nie mehr vergehe. Er schuf das Leben nach seinem Bilde, dem großen unsterblichen Bewusstsein, und wollte dass es so vollkommen werde wie er ist. So sagt es Jesus in der Bergpredigt. Also ist das Leben zur unendlichen Liebe und Glück bestimmt. Aber das muss dir erst einmal bewusst werden. Stell dir vor, du weißt nicht was Liebe und Glück ist und lebst ausschließlich in diesem. Dann kriegst du letztlich gar nicht mit, dass es dich gibt. Dass es dich aber gibt, soll dir aber eine Ewigkeit bewusst sein. Deshalb verband er das Leben, die Seele, mit der Materie, dem Körper, und bestimmte vor was dich in diesem an bewusstseinsbildende Ereignisse treffen soll. Alles, auch Leiden und Unglück, dienen dem Zweck dich fit für die Ewigkeit zu machen. Sage es mit dem Apostel Paulus, der sagte: ‚Ich rühme mich meiner Leiden, denn die stärken mich in meinem Glauben’.“. „Aber eines frage ich mich jetzt,“, warf ich ein, „weshalb sollen wir uns dann an die Gebote halten, wenn Gott doch alles vorbestimmt hat. Du sagst doch selbst immer, das Gott unsere Taten, eben aus den Gründen seiner Prädestination, nicht sieht und anrechnet.“. Wieder hatte Reimund eine Antwort parat: „Genau richtig. Gott sieht deine Taten gar nicht, weder die guten noch die bösen. Der Apostel Paulus sagte im Römerbrief: „Abraham konnte sich seiner Taten rühmen, aber nicht vor Gott. Bei Gott zählt nur der Glaube’. Zum Zeichen, dass deine Taten nicht zählen und er dich von diesen freispricht, ist er selbst Mensch geworden. In Jesus Christus hat er alle Sünden auf sich genommen und ließ sich dafür kreuzigen. Du bist erlöst, du bist frei. Du musst nur seinen Freispruch annehmen ... und das heißt du musst glauben. Wenn du aber glaubst, wirst du bestimmte Dinge nicht tun ... oder sagen wir korrekter nicht tun wollen. Wenn du Gott liebst und an ihm glaubst, dann wirst du nicht in seinem Namen zaubern, schwören oder Wählerstimmen sammeln wollen. Wenn du Gott liebst und an ihm glaubst, dann wirst immer wieder Ruhezeiten einlegen und ihm ehrend gedenken wollen. Dann willst du nicht Sonn- und Feiertage wegrationalisieren wollen. Dann ist dir der Buß- und Bettage tabu um ihn zu Gunsten einer Kompensation für Arbeitgeberanteile an der Pflegeversicherung zu opfern. Wenn du Gott liebst und an ihm glaubst, dann wirst du die ältere Generation, die dir den Weg ins Leben bereitete ehren wollen. Dann steht der Eingriff ins soziale Netz und der Rentenabbau nicht auf deiner Tagesordnung. Wenn du Gott liebst und an ihm glaubst, dann wirst du nicht töten wollen, auch nicht im Krieg. Wenn du Gott liebst und an ihm glaubst, dann wirst nicht ehebrechen wollen ...“. Sicherlich hätte uns jetzt Reimund so die ganzen 10 Gebote so aufgeführt. Bis zum sechsten war er ja schon gekommen. Da unterbrach ich ihn: „Du sagst immer: ‚Dann wirst du nicht wollen’. Das schließt doch ein, dass du, obwohl du es nicht willst, es möglicher Weise doch machst.“. „Da hast du genau recht.“, fuhr Reimund fort, „Ich war eben bis zum 6. Gebot gekommen. Obwohl ich genau weiß, dass es richtig heißt: ‚Wenn du Gott liebst und an ihm glaubst, dann wirst du nicht ehebrechen wollen’, habe ich es trotzdem getan. Weil ihr es alle wisst beziehungsweise selbst daran mitgewirkt habt, fällt es mir jetzt, trotz meines furchtbar schlechten Gewissens gegenüber unserem Gott, leicht mit euch jetzt so darüber zu sprechen. Ich sage jetzt, ohne uns entschuldigen zu wollen, dass wir alle gar nicht anders konnten, da Gott dieses so vorbestimmt hat. Aber da ist noch eins: Gott verlangt von uns aber, dass uns unsere Taten, obwohl er sie vorbestimmt hat, reuen und wir uns vornehmen in
Liebe zu ihn es nicht wieder tun zu wollen. Im Falle unserer Reue lässt er uns die Gnade der Erlösung zuteil werden, dann stellt er uns unter den Sieg des Kreuzes. In dir merkst du dann die Änderung deines Bewusstseins. Anstelle des Hasses tritt die Liebe, an die Stelle der Ruhmessucht tritt die Demut, an die Stelle der Gewinnsucht tritt die Mitmenschlichkeit und so weiter. Und nach und nach füllt sich deine Seele mit Glück und Liebe, davon kannst du letztlich eine Ewigkeit zerren. Aber bis wir vollkommen sind, bis er uns zu sich ruft werden wir unserer Seligkeit halber immer wieder versucht werden und werden auch immer wieder der Sünde unterliegen.“. Jetzt meldete sich Martina mal wieder zu Wort: „Aber es heißt doch, dass uns Gott zum Gericht rufen wird. Wenn er unsere Taten nicht ansieht, über was richtet er denn dann?“. Wieder fuhr Reimund fort: „Über unseren Glauben. Er richtet ausschließlich über unseren Glauben und da gibt es erstaunliche Möglichkeiten. Stell dir vor, dass Gewissen hat Hitler in seiner letzten Stunde ergriffen und es hat ihn sehr gereut was er getan hat. Stell dir vor, er ist weinend auf die Erde gefallen und hat gebetet ‚Herr vergib mir meine Schuld und sei mir gnädig’. Dann hat er die Bedingung erfüllt, um von Gott aufgenommen zu werden. So wie der Terrorist, wie wir heute sagen, der mit unserem Herrn gekreuzigt worden ist. Als dieser zu Jesus sagte ‚Herr denke an mich wenn du in dein Reich kommst’ prophezeit ihm Gott, den auch der Sohn ist der eine Gott, dass er noch am gleichen Tage mit ihm im Paradiese sein würde. Für jemand, der vermutlich mehrfach gemordet hat, reichte ein einziges Wort der Reue und Demut im letzten Moment. Dagegen denk an die sehr fromme Familie, die mit einem Gebet aufsteht, vor und nach jeder Mahlzeit betet, keinen Gottesdienst und keine Bibelstunde auslässt, die am Liebsten jeden Sonntag zwei Mal zum Abendmahl geht. Kannst du dir vorstellen, dass man das auch aus anderen Gründen wie aus der Liebe zu Gott machen kann? Zum Beispiel, dass sie sich einen Namen machen wollen, dass sie besser als die anderen sein wollten, dass sie alles das machen, damit sie von den Menschen, über die sie sich erheben wollen, gesehen werden. Dann wird Gott sie nicht kennen, dann haben sie sich einen Namen vor den Menschen aber nicht vor Gott gemacht. Sie sind zur Hochzeit geladen aber weil sie sich nicht das Hochzeitsgewand angezogen haben werden sie hinausgeschmissen.“. Jetzt musste ich doch an das aktuelle Geschehen des Tages denken und sagte: „So ist es denkbar, dass die Täter von heute tatsächlich bei Gott sind und die unschuldigen Opfer in der Verdammnis.“. „Genau so ist es“, konnte Reimund gerade noch sagen, bevor Martina dann stutzte: „Aber die glauben doch gar nicht an den dreieinigen Gott, wie können die denn selig werden.“. Aber Reimund war in seinem Glaubensbekenntnis nicht zu erschüttern und erwiderte: „Ganz so einfach kann man sich das nicht machen. Gott spricht immer wieder zu den Menschen und offenbart sich ihnen immer wieder neu. Das ist der entscheidende Punkt, wo ich den Moslems energisch widerspreche. Kein Glaube ist vollendet, kein Glaube ist perfekt. Mohamed war nicht das letzte und siebte Siegel sondern der Herr spricht immer wieder zu uns. Immer wieder offenbart er sich uns. Gott spricht keine höhere mysterische Sprache. Er spricht kein ‚ene mene tekel’ sondern Klartext. Er spricht immer in einer Sprache in dem die Menschen ihn verstehen können. Das ist natürlich zu den verschiedenen Zeiten an den verschiedenen Orten mehr oder weniger weitergehend. Was hätte es genutzt, wenn er den Hebräer die Schöpfung beginnend mit dem Urknall offenbart hätte. Dann hätten die nur Knall verstanden und war wären wie die Kanaaniter bei ihren alten Göttern geblieben. Dadurch, dass er sich Abraham nicht als Gott Vater, Gott Sohn und Gott der Heilige Geist offenbart hat sondern als der einige allmächtige Gott, ist doch Abraham nicht verloren. Hätte Abraham aber Jesus Christus gekannt und diesen dann geleugnet um auf den einigen Gott der Väter zu bestehen, wäre er sicher im Glauben durchgefallen. Ganz einfach, Gott verlangt von dir, dass du ihn so annimmst, wie er sich dir offenbart hat. Und das kannst du ruhig individualisieren. Gott kümmert sich um jede einzelne Seele. Jedes einzelne Leben ist ihm wichtig. Wenn er sich aufgrund deiner Eltern, der dich umgebenden Gesellschaft, des dich beherrschenden Staates nicht als Gott der Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist offenbart hat, wird er dir dieses in seiner Gnade sicher nicht anrechnen. Wichtig ist nur das du an ihm, die Liebe und das Glück, glaubst und deine Seele von ihm erfüllt ist. Das ist darunter zu verstehen, wenn in der Bergpredigt steht, dass die, die geistig arm sind, selig seien. Gott kommt es nicht darauf an, wie du an ihn glaubst, sondern dass du dieses mit ganzem Herzen machst, dass du eventuell, wenn er es dir gebietet, alles dafür aufgeben willst. Du musst bereit sein, ihm das zugeben was er für dich gegeben hat: Dein Leben. ... Dieses ist übrigens die Sache, die die Verführer und Einheizer der Selbstmord-Attentäter, wie die Flugzeugführer von heute, so furchtbar uminterpretiert haben - so dass Menschen zu Mordmaschinen werden. Aber wenn die armen verführten Leute, dass dann wirklich glaubten, wenn bei der Tat ihr Herz erfüllt war von der Liebe und der Ergebenheit zu Gott, den sie Allah nennen, wird sie Gott sicherlich nicht zurückweisen. Ihre Taten sieht er nicht, aber ihren Glauben.“. „Das hört sich jetzt so an, als wolltest du uns jetzt den Multi-Kulti-Gott verkaufen.“, warf ich jetzt ein. „Aber nein,“, setzte Reimund jetzt fort, „Ich habe ja ausdrücklich auf den jeweiligen Offenbarungsstand hingewiesen. Uns hat sich der eine und alleinige Gott als Vater, Sohn und heiliger Geist offenbart. Der Vater schuf die Welt, er regiert sie mit seiner Allmacht und wird die Menschen am Ende richten. Als der Sohn lebte er unter uns, als dieser brachte er uns das Evangelium, sprich die Hoffnung, und als solcher starb er für uns am Kreuz. Als heiliger Geist lebt und wirkt er in uns allen bis ans Ende aller Tage. So hat er sich uns Christen offenbart. Machst du davon Abstriche, dann leugnest du ihn und dafür wird er auch dich leugnen wenn du zu ihm willst. Das hat
jetzt nichts damit zutun, dass die geistig armen Menschen, die einen anderen Offenbarungsstand haben, nicht selig werden können. Gott ist nicht die Strafe sondern er ist die Gnade.“. „Weshalb machen wir dann noch Mission, dann ist doch alles beim Besten?“, bekundete Martina jetzt stutzig. Aber auch dieses wusste Reimund zu beantworten: „Weil uns der Herr das geboten hat. Wenn wir Gott lieben rühmen wir uns seiner Liebe, dann rühmen wir uns unseres Glaubens, so wie es der Apostel Paulus es im fünften Kapitel seines Römerbriefes schrieb. Dann wissen wir, dass wir zu allen Menschen ... ich betone nochmals allen, also sowohl zu Atheisten, Buddhisten, Hinduisten, Juden, Moslems wie auch Katholiken und Protestanten, gehen müssen und immer wieder von unserem Glauben erzählen müssen. Er hat uns geboten, den Leuten solange von ihm zu erzählen bis sie sich zu ihm bekehren und zum Zeichen ihrer Bekehrung getauft werden möchten. Das Letzte wird von vielen missverstanden. Sie machen aus einem Missionsbefehl einen Taufbefehl. Dann kommt man auf einen solchen kultischen Klimbim Kinder in der Absicht ihnen einen Freifahrtschein in den Himmel zu verschaffen, mit einem Taufspielchen zu beehren. Und vor den Menschen machen sich die Showgläubigen und Berufsfrömmler dann damit einen Namen: Seht mal alle her, was wir für tolle Christen wir doch sind, wir lassen unser Kind taufen und wollen es christlich erziehen. Alles nur Taten, mit denen sie sich vor den anderen rühmen wollen ... aber Gott sieht diese Taten nicht. Die Taten sind irdisch und werden wie alles Irdische vergehen. Das diese Welt wieder vergehen und wieder untergehen wird, hat Gott von Anfang an bestimmt. Die Welt wird wieder vergehen aber das Leben wird ewig bestehen. Deshalb lass es, dich während deines irdischen Daseins auf Taten zu stürzen, konzentrier dich lieber darauf dein Bewusstsein für die Ewigkeit reif zu machen. Verzichte auf einen Namen unter den Mensch, verschaff dir lieber einen bei Gott dem Herrn. Auf Erden kannst du dich mit irdischen Gütern zu schütten lassen; aber was hast du davon wenn alles vergeht? Wenn unter dem ganzen Reichtum dein Bewusstsein, deine Seele gestorben ist, bist du ein sehr, sehr armer Mensch, denn du hast das ewige Leben verwirkt, du bist verdammt für immer.“. Martina führte jetzt wieder zurück auf das schreckliche Geschehen dieses Tages: „Reimund, so wie du über Taten, die Gott nicht sieht, und dem Glauben sprichst, könnte man auf den Gedanken kommen, dass du so etwas wie heute einfach geschehen lassen solltest. Gott hat es ja vorbestimmt ... Das kann es doch nicht sein?“. „Leider entsteht dieser Eindruck durch das typische Extremdenken der Menschen.“, beantwortete ihr Reimund diese Frage, „Wir gehen immer davon aus, dass, wenn etwas nicht schwarz ist, weiß sein muss. Aber so einfach ist unsere Welt nun wirklich nicht. Zwischen Schwarz und Weiß liegt die ganze Farbpalette. Wenn Gott unsere Taten nicht sehen und anrechnen will heißt das doch nicht, dass du tatenlos zuschauen sollst. Gott hat dir das Leben geschenkt und dir damit die Pflicht auferlegt, dieses zu erhalten und weiterzuentwickeln. Nicht Konsumieren und sonst Müßiggang ist deine Pflicht sondern du musst dich engagieren. Aber was du da machst, machst du für und vor den Menschen, da kannst du Gott nicht lästern und ihn mit ins Boot holen. Wenn jetzt die Terroristen vom Heiligen Krieg sprechen und die andere Seite zu einem Kreuzzug gegen diese aufruft, stehen beide Seiten auf der gleichen gottfernen Stufe. Beide wollen gegen sein Gebot ihre Probleme mit der Tötung von Menschen lösen. ... Diesbezüglich muss ich immer an diese „Klugscheißerchen“ denken, die im Zusammenhang mit dem fünften Gebot Luther immer gerne einen Übersetzungsfehler vorwerfen. Sie meinen, dass es nicht ‚Du sollst nicht töten’ sondern ‚morden’ heißt. Und dann legen sie unsere heutigen juristischen Definitionen auf dieses Gebot und sind mit ihrem Kriegshandwerk aus dem Schneider. Aber denkste: Die Hebräer unterschieden zwischen der Tötung von Tieren und dem Morden von Menschen – und nichts weiter. Also auch die Tötung eines Menschen im kriegerischen Kampf war in deren sprachlichen Gebrauch Mord. Da Luther keine Vokabelübertragung sondern eine auch inhaltliche Übersetzung vorgenommen hat, ist die Verwendung des Wortes „töten“ einzig richtig. Also gilt das 5. Gebot auch absolut uneingeschränkt für Staatsoberhäupter und Militärs. Und so bin ich jetzt automatisch auf das gekommen, was du tun sollst: Nicht zuschauen sondern du sollst deinen Mund aufmachen und an Gottes Wort erinnern. Du sollst nicht kämpfen sondern missionieren. Du sollst nicht zur Waffe greifen sondern zum Lautsprecher. Nur zuschauen sollst du nicht. Wenn du Gott liebst und ehrst, dann wirst du dein Wort erheben und seinen Ruhm verkünden ... auch wenn es dir das Leben kostet. Und stell dir vor: Unseren Talarträgern kostet es ja nicht mal das Leben ... im schlimmsten Fall mal den Job. Da siehst du wie feige die heutige Geistlichkeit ist und sich so an ihrem Auftrag vorbei stiehlt.“. An dieser Stelle mischte sich jetzt auch Frau Heimann ein: „Das ‚Verstecken auf der Kanzel’ haben heutige Theologen von ihrem großen Vorbild, dem feigen Mönch Dr. Martin Luther. Richtiger Weise kam auch er, wie die anderen Reformatoren Jan Huss, Ullrich Zwingli und Johannes Calvin auch, nach dem Studium der Schriften des Apostel Paulus darauf, dass unsere Taten nichts vor Gott zählen sondern das allein der Glaube entscheidet. Das lag und liegt überhaupt nicht im Sinne der Obrigkeit, die nur aufgrund von Taten wie Eroberungen, Ausbeuten und so weiter, existiert. Das hat Luther wohl nicht bedacht als er am Vorabend des Allerheiligentages 1517 seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug. Das brachte ihm natürlich den Zorn der Habsburger Obrigkeit ein und der Kaiser ‚von Gottes Gnaden’ zitierte ihn vor den Reichstag in Worms und verlangte von ihm, dass er widerrufen solle. Hätte es jetzt in der deutschen Fürstenschar keine Umverteiler, also die das Habsburger Vermögen lieber in der eigenen Schatulle gehabt hätten, gegeben, dann wäre Luther nichts anderes geblieben als dem Kaiser nachzugeben oder wie Jan Huss als Ketzer verbrannt zu werden. Es wird
immer so schön erzählt, wie Luther dem Kaiser mit ‚Hier stehe ich, ich kann nicht anders ... Gott helfe mir. Amen.’ geantwortet hat. Tunlichst unterschlägt man dabei dann jedoch meist, dass zwischen der Aufforderung des Kaisers und Luthers Antwort drei Tage lagen. In dieser Zeit hat er sich mit seinen Sponsoren, mächtigen deutschen Fürsten, beraten und hat sich deren Schutz zusagen lassen. Als Dank dafür schrieb er ihnen dann die den Fürsten gefällige Interpretation der Paulus-Aussage, dass ein Jeder der Obrigkeit untertan sein solle, da auch die von Gott käme, mit denen sie dann den Bauernaufstand blutig niedermetzeln konnten. Damit wurde Luther zum Begründer der staatsgefälligen Kuschkirche. Da halte ich mich doch lieber an Johannes Calvin, der lag doch eher auf der paulinischen Linie.“ Da hakte ich jetzt ein: „Mit dieser Obrigkeitsaussage von Paulus habe ich genauso Schwierigkeiten wie mit dem Jesuswort vor Pilatus, dass man dem Kaiser das geben soll was des Kaisers ist und Gott eben das was Gottes ist. Ich hatte mich in meiner Jugendzeit ziemlich stark mit der Kriegsdienstverweigerung beschäftigt. Da hörte ich von einem Bekannten im CVJM, dass die damaligen Gewissensprüfer ihn gerade mit diesen Worten ausgefilzt haben. Da ich dazu gar nichts hätte sagen können, war das mit ein Hauptgrund warum ich den bequemeren Weg ging und Panzerschütze wurde.“. „Sie hätten die Worte nur wörtlich nehmen und mit dem Leben von Paulus und des Herrn selber abgleichen müssen, dann hätten sie den Leuten die Wahrheit gesagt.“, antwortete mir Frau Heimann, „Legen sie mal Untertan wörtlich aus. Dann sollen sie sich den Leuten, die Gott in seiner Vorbestimmung auf diese Position setzte, unter tun. Das heißt, sie sollen sich nicht gegen sie erheben und schon gar nicht über sie stellen. Dieses Untertun schulden sie dem Kaiser. Aber was schulden sie Gott? Dem schulden sie Gehorsam und er gebietet ihnen, dass sie nicht töten dürfen. Ich schätze mal, dass die Ereignisse des heutigen Tages wieder die blutrünstigen Falken nach Oben schwemmen werden. Vielleicht kommen auch ein paar Obrigkeitsspieler in Deutschland auf die Idee mitmischen zu wollen. Dann Schulden sie der staatlichen Obrigkeit, dass sie sich nicht gegen sie erheben sondern ihnen untertan bleiben. Denn sonst würden sie ja genau das machen, wo gegen sie zu sein vorgeben. Aber Gott schulden sie Gehorsam ... und man kann immer nur einem Herrn dienen und gehorchen. Also verweigere ich unserer Regierung und dem Bundestag den Gehorsam und verweigere die Annahme der Waffe, die man mir in die Hand drücken will. Der Verweigerer ist seiner Obrigkeit untertan und unserem Gott gehorsam und gibt beiden das, was er ihnen schuldet.“. Dem musste ich dann doch noch etwas entgegen setzen: „Das bereitet aber den Falken letztendlich den Sieg. So doch jedenfalls die Aussage der Leute, die den Pazifisten die Schuld am 2. Weltkrieg geben wollen.“. „Das Gegenteil ist der Fall.“, begann Reimund seine weitere Ausführung, „Jeder Waffengang liefert den Grund für den nächsten. Schau mal die Geschichte genau an und nenne mir nur einen einzigen Krieg, den es gegeben hätte, wenn nicht zuvor ein vorhergehender so ausgegangen wäre wie er ausgegangen ist. Du findest kein Beispiel was ich dir nicht sofort widerlegen könnte. Wenn du aber Gotteswort, die Liebe pur, verkündest, das heißt auch Nächsten- und Feindesliebe, und dass zur Bekehrung der Menschen führt, dann müssen zwar im Laufe der Zeit, die der Menschheit noch bleibt, noch viele, viele Menschen leiden weil die Waffenklapperer einfach nicht aufhören können. Aber am Ende erreichst du den Zustand, dass es Krieg gibt und keiner mehr hingeht. Dann beginnt das Friedensreich, dass die Propheten verkündet haben. Das setzt aber voraus, dass alle Menschen, wie der Prophet Sacharja sagt, den Durchbohrten ... unsern Herrn Jesus Christus – anerkennen. Dieses besagt nämlich, dass du dem Herrn soweit gehorchen muss, dass du, wie es in der Bergpredigt heißt, die segnest, die dich töten wollen und dass du für sie betest. Wenn das alle Menschen wissen und anerkennen, hat jede menschliche Obrigkeit ihre Macht verloren. Dass es mal dazu kommt weiß ich ganz genau, denn das ist ein Bestandteil von Gottes Verheißung, die uns die Propheten übermittelt haben. Was Gott bestimmt ist unausweichlich. Im Koran steht: ‚Wenn Allah sagt es sei, so ist es’ und das können auch wir Christen ruhig glauben.“. Martina stutzte jetzt: „Wenn ich dich richtig verstehe, hättest du, wenn du in einem der entführten Flugzeuge gesessen hättest, nichts unternommen sondern für die Entführer gebetet?“. „Das weiß ich nicht.“, sagte jetzt Reimund noch nicht einmal kleinlaut, „Ich bin nur ein kleiner Mensch. Ich habe jetzt nur gesagt, was der Herr von uns erwartet. Was ich tun würde, wenn es darauf ankommt, kann ich dir leider nicht sagen. Denk doch nur an Petrus, der laut tönte, dass er seinen Herrn nicht im Stich lassen würde und der dann, als es darauf ankam, drei Mal leugnete überhaupt etwas mit ihm zutun zu haben. Trotzdem war es der Fels, auf den der Herr seine Gemeinde aufbaute. Er war es, der Pfingsten die erste Gemeinde, sprich die Schar der Jünger, um sich sammelte und aus denen dann in Windeseile viele Gemeinden rund um die damals bekannte Welt entstanden. Wenn wir uns selbst überhöhen fordern wir Taten und vernachlässigen den Glauben. Hinsichtlich dessen, was wir im Falle eines Falles tun, können wir es ohnehin nicht vorhersagen und bestimmen, da Gott unsere Taten prädestiniert hat und wir uns dem nicht widersetzen können.“. Da musste ich doch noch einmal zu Wort melden: „Wenn Gott unsere Taten prädestiniert hat, dann hat er doch auch vorbestimmt, wer selig wird und wer verdammt ist.“. Dem widersprach Reimund aber energisch: „Au, der Schluss ist vollkommen falsch. Gott hat dich ... und damit ist in erster Linie deine Seele gemeint – nach seinem Bilde geschaffen. Zu seinem Bild gehört der Eigenwille, die Freiheit des Geistes. Deine Taten hat er
vorbestimmt aber was du in deinem Bewusstsein daraus machst, liegt nur in deiner Hand. Nehmen wir doch uns als Beispiel. Die Ehebrüche, die wir begangen haben, hat er vorbestimmt und die hätten wir praktisch nicht verhindern können. Gott kann man nicht entfliehen, seinem Willen kann man sich nicht widersetzen. Aber was wir daraus machen ist unsere Entscheidung. Wir können hadern und sagen: ‚Warum musste mir das geschehen? Warum hat man mir das angetan? Ich verfluche dich Gott und will nichts mehr von dir wissen. Ich mache mir jetzt lieber ein schönes Leben.’. Du kannst aber auch sagen: ‚Herr, ich danke dir für deine Gnade, dass du mir gezeigt hast, dass du der Herr bist. Ich danke dir dafür, dass ich dadurch erfahren habe was Liebe, mit der ich es eine Ewigkeit aushalten kann, ist. Dessen will ich mich rühmen und helfe mir dabei den Versuchungen in Zukunft zu widerstehen. Führe mich bitte nicht mehr in Versuchung.’ Das was du eigenmächtig in voller Freiheit entschieden hast wird Gott mit dir im Gericht abrechnen. Deine Taten hat er erstens selbst vorbestimmt und zweitens dir durch seinen eigenen Kreuzestod vergeben. Im Gegenzug sind aber dann auch deine guten Taten vergessen. Also nicht nach den Sakramenten haschen sondern um wahren Glauben kämpfen.“. Ich halte das vorher gesagte für ein gutes Schlusswort und beende an dieser Stelle das Kapitel. Natürlich saßen wir an diesem Tag noch länger zusammen. Wir haben danach auch nach einem Übergang mehr weltliche Themen, zum Beispiel die Geburt unseres Enkels, unser neues Domizil, über Reimunds Arbeit und andere Dinge gesprochen. Aber ob die für die Leserschaft von einer solchen Bedeutung wie die soeben niedergeschriebene „Offenbarung vom 11. September“ ist, möchte ich doch bezweifeln. Ich stelle nur fest, dass unser Gespräch vermutlich ganz anders alles alle anderen, die zu diesem Anlass – 11. September 2001 - geführt wurden, war und schließe damit das Kapitel jetzt endgültig ab.
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Und jetzt leben wir endlich Eigentlich wären wir ja durch, die Geschichte, die in und um Hexenberg handelte, ist erzählt. In der „Offenbarung vom 11. September“ hat sie, so rühme ich mich nun einmal selbst, ein sehr gutes Nachwort erhalten. Aber irgendetwas fehlt noch, oder finden sie nicht? Irgendwie ist diese Geschichte noch nicht abgerundet. Man fragt sich, was aus den Leuten, die die Handlung bestimmten, geworden ist. Ich könnte jetzt schreiben „Und jetzt leben wir endlich“, einen Punkt machen und mich nun neuen, dann aber frei erfundenen, Geschichten zuwenden. Aber damit bin ich selbst nicht zufrieden, da möchte ich das „Und jetzt leben wir endlich“ doch ein Wenig ausführlicher ab- und behandeln. Also, liebe Leserin, lieber Leser, nehmen Sie sich noch dieses eine, letzte Kapitel noch zur Brust, wie es so schön heißt, bevor sie sich vom Hexenberg ausgehend anderen Dingen zu wenden. Es gibt keine Dramatik und keine Spannung mehr; alles ist jetzt normal. In einigen Punkten geht es bei uns nicht so alltäglich und in anderen Punkten sehr alltäglich zu, aber so ist halt das leben, wenn man es lebt. Beginnen möchte ich meinen Bericht mit demjenigen, der am 7. September 2001 im wahrsten Sinne des Wortes „Und jetzt lebe ich endlich“ hätte sagen können: Unserem Enkel Lars, dem Stolz seiner Eltern und Großeltern. Zu seinem ersten Geburtstag steht ihm ein wirklich großes Geschenk ins Haus. Laut Ultraschall wird dieses, wenn alles gut geht, ein Schwesterchen sein. Damit habe ich jetzt schon geschrieben, das unsere Tochter Stefanie „schon wieder“ schwanger ist. Als uns Steffi und Christof dieses bei ihrem Besuch zu Ostern in Heismar offenbarten, viel meine mir Angetraute wortwörtlich aus den Latschen. Martina ist ja inzwischen eine „fanatische Saunawirtin“ geworden – aber dazu gleich mehr – und keiner unserer Besucher kommt umhin von den Vorzügen einer solchen heimischen Einrichtung erfahren zu müssen. Zum Glück muss dann allerdings nicht jeder darin schwitzen sondern das bleibt doch einem erlauchteren Personenkreis vorbehalten. Natürlich musste sie auch bei unserer Tochter und unseren Schwiegersohn diese Einrichtung preisen und die äußerten, für mich doch überraschend, den Wunsch diese mal mit uns zutesten. Einen solchen Wunsch lässt Martina nicht zwei Mal und sich herantragen und schon ging es los. Wir hatten uns in unseren Schlafzimmern entkleidet und watschelten, nur in Bademänteln und mit Latschen bekleidet in unser kleines Freizeitreich. Da sagte doch Steffi ganz keck: „Dann können wir ja gleich die Sache vom Vorjahr wiederholen und ihr könnt mal schauen, ob ihr schon was sehen könnt. Es kommt ja plus, minus zwei Tage genauso wieder hin.“. Martina war so verblüfft, dass sie über die eigenen Beine stolperte und so wörtlich aus den Latschen fiel. Nachdem sie den Schmerz von dem blaue Flecken erzeugenden Fall gerade überstanden hatte, bereite ihr Steffi noch einen weiteren Schock. Die „Oma“ fragte nämlich, ob sie denn jetzt Schluss machen wollten oder ob sie noch an weitere Kinder dächten, da sagte sie doch so als sei es ehrlich gemeint sei: „Mal sehen; wir können es uns doch leisten. Ein drittes Kind soll aber auf jeden Fall dazu kommen.“. Übrigens der vorausberechnete Termin 2002 liegt doch tatsächlich wieder im September. Wäre ja „ein Ding“ wenn unsere Enkelkinder zwar in verschieden Jahren geboren sind aber am gleichen Tag Geburtstag haben. Aber bis ich dazu Genaues sagen kann ist ja noch ein Weilchen hin und der letzte Tastenanschlag am Buch Hexenberg dürfte dann schon lange verhallt sein. Jetzt habe ich, wo ich doch von Lars zu erst berichten wollte, umgehend gleich einen kleinen Sprung über fast acht Monate gemacht und vom besagten Enkel handelte diese Passage nur sekundär. Im vorangegangenen Kapitel endete mein Bericht an dem zum Begriff gewordenen 11. September, also dem Tag wo Lars gerade mal 4 Tage alt und noch nicht einmal Zuhause war. Am darauffolgenden Freitag konnte ihn sein Vater mit samt seiner Mutter dann jedoch im Kreiskrankenhaus Neuheim abholen. Was dann geschah, ließ ich mir am Freitag noch gefallen, aber am darauffolgenden Samstag musste ich mir doch mal meinen Schwiegersohn zur Seite nehmen und ihn zu einen Machtwort animieren. Beide Großmütter verdrängten in ihrem Fürsorgewahn Steffi förmlich von ihrem Sohn. Alles wollten sie machen, nur beim Brustgeben mussten sie naturgegebener Weise passen. Zwar machte Steffi noch ein gute Miene zum bösen Spiel aber ich dachte mir, dass das nicht mehr lange gut gehen könne. Jetzt hätte ich mir natürlich meine Frau vorknöpfen und ihr klar machen können, dass unsere Tochter und nicht sie Lars Mutter sei. Das hätte aber wenig bei der anderen Oma, also bei Elvira, die vielleicht sogar noch ein Tick schlimmer wie Martina war, bewirkt. Außerdem war ich wohl nicht der Kompetente um Elvira etwas sagen zu können. Da war es schon besser, dass Christof dieses nach meiner Aufforderung bei beiden Damen übernommen hatte. Er machte seine Sache gut. Die Omas gaben sich einsichtig und Steffi war ganz offensichtlich glücklich. Ich glaube, dass dieses dann der Grundstein für eine glückliche Familienwoche, die wir noch wie geplant in Hexenberg verbrachten, war. Nach unserer Rückkehr war dann Lars der Grund für unsere nach oben galoppierende Telefonrechnung. Martina fielen immer wieder neue Fragen ein, die sie bezüglich ihres Enkels an ihre Tochter richteten wollte. Für eins hatte ich allerdings schon mal Sorge getragen: Ich hatte meiner holden Gattin eingeschärft mit guten Ratschlägen hinter dem Berg zu halten und nur damit rauszurücken, wenn sie nach einem solchen gefragt wird. Das ist Martina, wie sie selbst bekundete, zwar ein Wenig schwer gefallen aber sie hat es doch beherzigt. Das war, wie man uns bei unserem Weihnachtsbesuch berichtete, auf der „anderen Seite“ nicht so einfach gewesen; Elvira war halt vor Ort. Da gab es zwischenzeitig dann auch mal richtig Zoff, von dem wir in Heismar allerdings nicht so
viel, oder besser gesagt gar nichts, mitbekamen. Aber Alles in Allem normalisierte sich das Ganze geschehen nun doch und Lars konnte sich, sofern ich das aus der Ferne beurteilen kann, prächtig entwickeln. Und Vater und Mutter hatten wohl offensichtlich so viel Spaß an den kleinen Erdenbürger, dass sie gleich noch welche dazu haben wollen. Leibhaftig konnten Martina und ich „unseren“ Lars dann wieder bei unserem Weihnachtsbesuch in Hexenberg erleben. Die Freude auf das Wiedersehen mit unseren Lars verschaffte Martina und mir in der letztjährigen Vorweihnachtszeit eine ähnliche Vorfreude, wie wir sie nur aus unserer Kindheit bezüglich dieses Festes kannten. Bereits am 21. Dezember, einem Freitag, machten wir uns auf dem Weg zu unserer Hütte am Hexenberg. Martina und ich wollten dort eine richtige, zünftige Waldweihnachten feiern. Mit einer Außenlichtkette wollte ich eine unmittelbar vor dem Fenster stehende Fichte ausschmücken und das sollte alles an Weihnachtsdekoration sein. Was heißt hier ich wollte, ich habe es ja gemacht. Und in diesem Falle entfielen ja auch die Begutachtungen und Kritiken, die im Vorjahr noch für etwas dickere Luft Sorge trugen. Am Nachmittag des Heiligen Abends und am zweiten Weihnachtstag waren wir zur gleichen Zeit wie Marc und Elvira auch bei der jungen Familie Schöller zu Gast und am ersten Weihnachtstag wurden wir von den anderen besucht. In der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester blieben Martina und ich, abgesehen von einem täglichen, etwa halbstündigen Besuch bei Schöllers junior, der in erster Linie Lars galt, allein in der Hütte. Diesen Aufenthalt nutzen wir mal zum plaudern, mal zum Spazierengehen und auch öfters mal zum Schmusen nutzten. Obwohl dieses die wohl abgeschiedenste Weihnachten unserer gesamten intakten Ehezeit waren, empfanden wir sie als die schönste. Wir verspürten dieses mal richtig, dass es sich um das Fest der Liebe und Stille handelt. Dabei machten wir die für uns erstaunliche Entdeckung, dass Liebe und Stille sehr viel miteinander zu tun haben. Erst in der Stille kann sich wahre Liebe voll entfalten. Silvester war allerdings nichts mit Stille, da war eine ganz große Familienfeier angesagt. Damit der kleine Lars auch in sein eigenes Bettchen kam und dabei nicht unbeaufsichtigt bleiben sollte, wurde die ganze Feier im Hause von Steffi und Christof veranstaltet. Außer uns und dem Paar Elvira und Marc war auch der Uropa Karl Hermann Waymann eingeladen. Der konnte uns dann auch berichten, dass er seinen Ruhestand jetzt voll und ganz genieße. Richtig stolz war er auf seinen Enkel Christof, der laut seinen Worten die EDEKA-Läden sogar besser schmeiße als er selbst es jemals gemacht habe. Ein Bisschen neidisch war ich schon auf den Alten, den Lars schien einen besseren Draht zu seinem Uropa wie zu seinen Opas hatte. Was mich allerdings dann wieder stolz machte war, dass der „Kurze“ mich gegenüber Marc, den er ja täglich um sich hatte, irgendwie bevorzugte, was im Übrigen auf Martina und Elvira auch in gleicher Weise zutraf. Ich könnte mir denken, dass man bereits in einem solchen zarten Alter das Außergewöhnliche dem Alltäglichen gegenüber bevorzugt. Aber woher dann der Draht zum Uropa, den er ja ebenso wie Marc und Elvira fast täglich zu Gesicht bekam? Natürlich artete unsere Feier, auch mit Rücksicht auf Lars, nicht aus. Und auch an diesem Tage blieb ich ausschließlich beim Genuss des alkoholfreien Bieres. Lediglich um Mitternacht habe ich mit einem Glas Sekt angestoßen. Aber diesmal leistete mir nur der alte Waymann bei der abstinenten Feierweise Gesellschaft. Marc und Christof tranken unkastriertes Bier und die drei Frauen hatten sich Wein vorgenommen. Dahingehend habe ich überhaupt keine Probleme, auch nicht wenn ich in Heismar in der Kneipe sitze. Grundsätzlich kann ich sagen, dass mir das alkoholfreie Bier schmeckt und was die anderen darüber denken, ist mir eigentlich egal. Wenn alle anderen es schick finden von einer Klippe aufs Festland zu springen mache ich es noch lange nicht. Aber bei uns blieb alles im Rahmen. Zuviel getrunken hatte niemand – da war ich in frühren Zeiten meist immer der Hauptübeltäter - und trotz allem hatten wir mächtig Spaß. Vielleicht lag auch das daran, dass wir dieses Beisammensein, wie wir es in den letzten Jahren gar nicht mehr so erlebt hatten, richtig gehend genossen. Die Gemeinschaft mit Anderen ist offensichtlich doch ein größeres Erlebnis als die Supershow mit sogenannten Megastars für die man viel Geld hinblättern muss. Als Martina und ich so gegen Zwei, umarmt wie ein junges Pärchen, wieder zur Hütte zogen waren wir rundherum glücklich. Bei diesem Anlass sagte mir dann Martina erstmalig den Satz, den ich als Motto über dieses Kapitel gestellt habe: „Und jetzt leben wir endlich“, was ich ihr voll und ganz bestätigen konnte und kann. Ich musste wieder daran denken, was ich öfters und besonders intensiv von Reimund Heimann gehört habe, dass uns Gott mit den Leiden die Gnade zu Teil werden lässt unser Bewusstsein reif für die Ewigkeit zu machen. Ich muss jetzt sagen: Nicht „nur“ für die Ewigkeit sondern auch zuvor für das weitere irdische Leben. So bewusst und glücklich wie jetzt haben Martina noch nie zuvor gelebt. Unser erster Besuch im Jahre 2002 galt den Scheuermanns, Martinas Bruder und Schwägerin. Nach unserer Einschätzung waren diese momentan von einer Krise oder mehren Krisen erfasst worden. Bernd war momentan offensichtlich einer der am Wenigsten angesehenen Bürger der Stadt Saßmannshausen. Beamtokraten und Politikusse warfen ihm vor die Stadt zu Lasten des Steuerzahlers mit meiner Hilfe übervorteilt zu haben. Von alternativen Naturschützern bekam er zu hören, dass er in verantwortungsloser Weise Beihilfe zur Betonierung der Landschaft geleistet habe. Einige Hexenberger Häuschenbesitzer zogen ihn in die Mitverantwortung dafür, dass er das Vermögen ihrer Erben geschmälert haben würde. Bekanntlich bestimmt ja Angebot und Nachfrage in einer funktionierenden Marktwirtschaft den Preis; natürlich auch bei Immobilien und Grundbesitz. Bevor Bernd
seine Landwirtschaft aufgab, gab es in Hexenberg bestenfalls drei oder vier bebaubare Lücken und somit war der Preis für die Grundstücke in dem landschaftlich bevorzugten Dörfchen in der Nähe von Kleinstädten, mit einem ausreichenden Angebot von Einkaufsmöglichkeiten und Schulen, sehr hoch. Jetzt, wo der Scheuermannsche Grund zur Umwandlung in Bauland ansteht dürfte sich das Angebot-Nachfrage-Verhältnis umkehren und damit geht der Preis selbstverständlich in den Sinkflug. Bernd meinte die Leute sollten sich mal nicht so haben, denn die kommunalen Spitzen hätten in euphorischer Übereile und mit kindlicher Bauland-Ausweisungs-Wut gehandelt. Da gäbe es noch so viele „hartnäckige“ Haken und Ösen, die geöffnet werden müssen bevor hier der erste Spatenstich getan werden kann. Und ob es dann in 10 bis 15 Jahren, die solche polito- und beamtokratische Verfahren in den meisten Fällen in Anspruch nehmen, noch den Bedarf gibt, dass man überhaupt anfangen kann, schien ihm absolut fraglich. Aber dahingehend schlug ihm selbst dann das Gewissen, da er die Naivität der Kommunalpolitiker genutzt habe um Steuergelder auf sein Privatkonto umzulenken. Beim Stichwort Gewissen hakte ich ausnahmsweise dann doch mal ein. Die ganze Zeit übrige Zeit habe ich fast ausnahmslos Bernd reden lassen. Martina und ich hatten ja inzwischen gelernt, wie erleichternd und befreiend es ist Menschen zu finden, den man sein Herz ausschütten kann. Jedoch zum Thema Gewissen versuchte ich Bernd damit zu trösten, dass dieses in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich abgeschafft zu sein scheint. Ohne ein Anzeichen von Gewissensregung und Mitgefühl werden verfolgte Menschen aus fernen Ländern auf Grund formaler asylrechtlicher Bestimmungen abgewiesen. Keinem Beamten im Ausländeramt drückt das Gewissen wenn er die Abschiebung traumatisierten Menschen verwaltungsmäßig abgewickelt. Der Beamte erfüllt ja nur seine Pflicht, dass der Betreffende an seiner psychischen Erkrankung dann, auch wenn ihm ansonsten niemand etwas zufügt, stirbt ist ja nicht seine Sache. Recht und Ordnung ist immer höherrangig als Gefühlsduselei. Welchem gutbezahlten Politiker quält schon das Gewissen wenn zum Zwecke der Haushaltssanierung diverse Sozialleistungen soweit abgebaut werden, dass verschiedenen Menschen kein menschenwürdiges Dasein in unserer Gesellschaft mehr möglich ist. Man sollte dann aber auch nicht schimpfen, wenn die gesellschaftlich Ausgestoßenen dem Staat die Gefolgschaft verweigern. Es wird nur bedenklich, wenn dieses Ausgesonderten dann irgendwelchen Rattenfänger folgen – so kommen Diktatoren an die Macht. Wer sagt denn schon groß etwas, wenn das Gewissen von Beamten auf Staatstreue getrimmt wird. Da gab es doch im südwestfälischen Siegen einen Lehrer, der auf einer Gedenkfeier der Schulen für die Opfer vom 11. September sein Gewissen nicht platt drückte und zur Kriegsdienstverweigerung aufrief. Wie fiel man diesem sehr aufrechten Mann wegen seines Gewissens in den Rücken und warf ihm die Verletzung seiner beamtenrechtlichen Pflichten vor. Ich meine, dass so lange es im Grundgesetz den Absatz 2 im Artikel 12a, der es ermöglicht den Kriegsdienst an der Waffe aus Gewissengründen zu verweigern, gibt keinem Beamten einen Strick daraus drehen kann, wenn er zum Gebrauch auch dieses Grundrecht ermuntert. Ein Pfui den Labermäulern, die es umgekehrt da stellen. Die Spitze beim Abwürgen von Gewissen und Demokratie lieferte Bundeskanzler Gerhard Schröder als er eine wichtige Gewissensfrage (Kriegseinsatz in Afghanistan) einer Machtfrage (Vertrauensfrage) unterwarf. Wie schlimm ist es, dass sich grüne und sozialdemokratische, bis auf nur eine einzigste, Abgeordnete ihr Gewissen abnötigen ließen. Damit stellten sie ihre Abgeordnetendiäten über den Gehorsam zu unserem Gott. Ich habe, insbesondere nach unserem Gespräch mit Reimund Heimann am 11. September 2001, meine Konsequenz gezogen. Ich bleibe der Obrigkeit untertan und werde mich nicht gegen sie erheben aber gehorchen werde ich nur Gott unserem Herrn. Daher werde ich allen, gleichgültig ob mit gotteslästerlichen hohen „C“ davor, ob mit adaptieren Namen einer ehemals sozialen Partei oder im gelben oder grünen Trittbrettfahrertrupp, das Weitermachen dank meiner Beteiligung verweigern. Das heißt, dass ich aus Gewissensgründen am 22. September 2002 die Abgabe meiner Stimme verweigere – ich werde Nichtwähler aus christlicher Überzeugung sein. Wenn die Oberen es legitim finden in bedeutenden Fragen das Gewissen der Macht unterzuordnen, finde ich es meinerseits wiederum legitim in einer unbedeutenden Machtfrage – Pöstchenlotto von Leuten, die bis auf kleine Nuancen ohnehin gleiche Ziele verfolgen – diese meinem Gewissen unterzuordnen. Verweigern und Nichtwählen heißt nicht untätig werden und so bin ich dieses auch nicht geworden, denn jetzt weiß ich auch, dass der Gehorsam zu Gott auch die Durchführung des Missionsbefehl beinhaltet. Schon seit Oktober des letzten Jahres komme ich meinem Vorsatz der Schriftstellerei nach. Neben der Niederschrift dieses Buches „Hexenberg“, die ich zu dieser Zeit begann, schrieb ich kleine Erzählungen, die ich regelmäßig in den Bibelstunden unseres Heismarer Dorffernsehens vorlas. Jetzt weiß ich nicht, was ich damit bei den Menschen bewegt habe aber ich weiß, dass das, was ich mache, das Richtige ist. Mission heißt sich selbst seines Gottes zu rühmen und alles andere ihm zu überlassen. So wie ich mir die Schriftstellerei vorgenommen habe war es bei Martina die Malerei. Wie zuvor ausgedacht, setzte sie gleichzeitig mit mir ihr Vorhaben in die Tat um. Früher, wenn sie sich mal ihrem kreativen Hobby widmete, konnte man bei ihren Bildern von naiver Landschaftsmalerei in Wasserfarben sprechen. Aber auch in Martina hatte der Geist etwas in ihrem Inneren bewegt. Ihre Themen waren jetzt Licht und Hoffnung, die sie mit Gott gleichsetzte. Und siehe da, ihre immer heller wirkenden Bilder erhielten doch zunehmendst künstlerisches Niveau und statt von Wasserfarbenbildern zu sprechen sollte man jetzt lieber das Wort Aquarelle benutzen. Ich habe meinen Schatz auch schon mal darauf angesprochen ob wir
nicht mal ein gemeinsames Projekt in angriff nehmen sollten. Ich möchte Geschichten schreiben, mit denen man den Menschen von heute Gottes Wort verständlich machen kann und Martina nimmt die passende Illustration vor. Das wäre doch mal was, so richtig schön gemeinsam. Dieses nur mal so zwischendurch. Ich war ja eben mit meiner Erzählung noch bei dem Besuch bei meinem Schwagerpaar, bei den Scheuermanns in Hexenberg. Diese Visite dauerte von Nachmittags um Drei bis kurz nach Neun am Abend und fast 90% der Zeit haben Martina und ich nur zugehört. Das hatte den beiden Scheuermanns jedoch offensichtlich gut getan. Natürlich kann sich niemand etwas aus den Rippen schwitzen und so spiegelten sich die äußeren Krisen auch im Eheleben der Beiden wieder. Über Weihnachten hatte sich bei denen dann so auch einiges zusammengebraut. Durch unseren Besuch gab es zwischen den Eheleuten erst mal zwangsläufig ein bisschen Frieden. Wie andere auch, wollten die sich ja nicht die Blöße geben und sich vor den Augen Dritter, auch wenn es Schwester und Schwager sind, fetzen. Dann konnten sie sich auf Grund unseres Zuhörens sehr viel oder sogar fast alles vom Herzen reden. Nachdem wir gegangen waren haben die Zwei noch bis weit nach Mitternacht zusammen gesessen und sich dann unter sich, von Mann zu Frau und umgekehrt, ausgesprochen. Anfang Februar sagte mir Bernd, dass wir seine Ehe gerettet hätten, denn am nächsten Morgen wären die aktuellen Angelegenheiten weitgehendst beigelegt gewesen und für die Zukunft habe man Vertrauen und Gespräche vereinbart. Da sieht man, was es ausmacht, wenn man offen zu den Mitmenschen geht und ihnen zuhört. Beratungen, zu denen man Hilfesuchende herbestellt und bei denen man sie mit guten Rat zuschüttet bewirken ja meist das Gegenteil. Ein Rat wird nicht selten von der anderen Seite als Bekräftigung verstanden. Da hörte ich doch dieser Tage von einem Ehepaar, dass von einer Eheberatung kam und sich nach ihrem Gespräch dann richtig, nun wahrscheinlich unversöhnlich, erst richtig in die Haare geriet. Jeder hatte aus den Ratschlägen der Eheberaterin das rausgehört was der Andere falsch gemacht und nicht einsehen will. Helfen heißt Zuhören aber beim Beraten geht nicht selten der Schuss nach hinten los. Am 6. Januar dieses Jahres machten wir uns nach dem Epiphanias-Gottesdienst, an dem wir in Saßmannshausen aus dem Grunde teilnahmen, dass es möglicher Weise das letzte Mal sein wird, dass wir in unserer ehemaligen Gemeinde einen solchen besuchen werden können, und dem gemeinsamen Mittagsessen bei Schöllers junior wieder auf den Heimweg nach Heismar, was jetzt und wahrscheinlich bis zum Ende unserer Tage unser Zuhause ist. Gerade wieder zurück statteten wir erst mal einen Besuch bei unseren Freunden den Breuers ab. Bei dieser Gelegenheit lernten wir dann die Guillaumes, von denen ich ja schon im Zusammenhang mit dem Nudistenvideo im Dorffernsehen berichtet habe, näher kennen. Natürlich waren wir denen schon vorher in dorfüblicher Weise vorgestellt worden und waren uns schon öfters begegnet, aber Umgang von Mensch zu Mensch hatten wir mit denen bis jetzt noch nicht. Ich muss sagen, dass es an diesem Abend zu einer entscheidenden Beeinflussung in Martinas und meiner Denkweise hinsichtlich endlich richtig zu leben gab. Frank und Anita Guillaume und deren 22-jährige Tochter Sylvia waren zuvor ebenfalls, so wie wir, auf den Gedanken eines Spontanbesuches bei Breuers, mit denen sie es auch sehr gut konnten, gekommen. Nun, ich glaube dass jedem Mann die Nähe zu Anita und Sylvia Guillaume das Herz höher schlagen lässt. Die beiden langbeinigen und kurvenreichen Frauen stellen das da, was man langläufig unter Sexidole verstehen kann. Da ist es schon verständlich, wenn man es beim besten Willen nicht lassen kann, einen Einblick ins Dekollete zu bekommen oder wenn man dann die Lust verspürt die langen Beine unter dem Rock weiter nach oben zu verfolgen. Natürlich merken Frauen so etwas sofort und Anita machte daraus auch keinen Hehl. Sie fragte freundlich lächelnd: „Karl und Reiner, was gebt ihr euch so viele Mühe. Ihr braucht uns doch nur zu eueren Saunaabenden einzuladen, dann habt ihr es einfacher.“. Karl reagierte darauf ermuntert prompt: „Ihr könntet ja auch für uns strippen, dann brauchen wir nicht so lange bis Mittwoch zu warten.“. „Jetzt muss ich dich mehrfach enttäuschen, Karl.“, begann jetzt Anita, „Du musst noch länger wie bis Mittwoch warten. Den Abend haben wir schon anderweitig verplant. Und strippen werde ich weder jetzt und hier noch zu einem anderen Zeitpunkt woanders. Da habe ich meine ganz festen Prinzipien. Ich glaube nämlich, dass Gott nicht all die schönen Dinge, wie auch die menschlichen Körper geschaffen hat, damit wir sie verstecken sondern er schuf sie, das wir uns daran erfreuen. Ich halte Erotik im ursprünglichen Sinne ... dem überwiegend sinnlichen und ästhetischen – für eine wunderschöne Sache. Ich habe aber was gegen die reine Befriedigung körperlicher Triebe und stumpfer Begierden. Die halte ich für sumpfig und pervers. Als Beispiel könnte ich dir verschiedene Websites im Internet zeigen. Da werden einmal herrliche Aktfotos, sinnliche Gegenlichtaufnahmen, gezeigt. Immer sind die abgebildeten Personen splitternackt und die Posen erscheinen elegant und natürlich. Und dann gibt es diese widerwärtigen eindeutigen Bilder. Meist haben die Frauen noch irgendetwas wie Strapse, heruntergeklappte BHs und so weiter an. Die Frauen beugen und verrenken sich eindeutig und bei den Männer , die sich da geilig exhibitionieren, ist der Penis zum Phallus angeschwollen. Aus der Perspektive wo der Phallus aufgenommen ist, wirkt er überdimensional .. echte Brechreize; mir wird immer üble wenn ich auf solche Perversionen stoße. Ich halte das Sinnliche, das Schöne, für einen Abglanz der Herrlichkeit Gottes und die Triebbefriedigung für minderintelligente plumpe menschliche Stumpfsinnigkeit. Wenn ich mich in natürlicher Umgebung nackt unter Nackte begebe, dann hat das etwas mit sinnlicher Freude zu tun. Ich erfreue mich an den schönen anderen Körpern und freue mich darüber die eigene Schönheit zeigen zu können. Wenn ich aber strippe,
mache ich das um meinen Exhibitionismus und die Geilheit der Spanner abzureagieren ... aber ohne mich. Einmal habe ich diesbezüglich einen ganz dicken Fehler gemacht. Ich fand unser Urlaubsvideo aus Rovinij, einem Urlaubsort auf der istrischen Halbinsel in Kroatien so schön und glaubte die Anderen würden dieses so auch mit unseren Augen sehen und deshalb habe ich kurzerhand den Film, ohne vorher mit Frank darüber zu sprechen, im Dorffernsehen aufgelegt. Als der dann lief machte mir Frank schon gleich ein Donnerwetter, denn er hatte richtiger Weise daran gedacht, dass die Anderen es mit den Augen der Begierde sehen würden. ... Wie ich dich, Karl, einschätze kannst du mir das mit Sicherheit bestätigen. Aber etwas positives hatte es doch für mich: Frankie hat zu mir gestanden und das ‚Fett aus dem Dorf’ miteingesteckt und sich nicht damit rausgeredet, dass ich Alleintäterin war.“. Über diese Aussagen von Anita an diesem Abend haben Martina und ich in der Folgezeit öfters geplaudert oder diskutiert. Uns war dadurch unter anderem auch der Zusammenhang zwischen der modernen Freizügigkeit und der „protestantischen Prüderie“ im Dorf klar geworden. Bedingt durch die dörfliche Abgeschiedenheit und durch die natürliche Umgebung hat sich hier im Gegensatz zum städtischen Umfeld eine gewisse Ursprünglichkeit gehalten. Schöne Körper und Sinnlichkeit sind halt nicht nur schön sondern auch natürlich. Meines Erachtens beruht die Schönheit auch grundsätzlich in der Natur, sprich der Natürlichkeit. Natürlich ist aber auch die herkömmliche Werteordnung und so sind die Freude an der Erotik und Achtung des anderen Geschlechts sowie eheliche Treue kein Widerspruch. Widersprüchlich sind aber Verlogenheit und aufrichtiger Glaube; da passt beim besten Willen nicht zusammen. Wer den Menschen Moralklischees aufpresst macht dieses um, bewusst oder unbewusst, Macht über die Anderen auszuüben und um sich über diese pharisäerhaft zu erheben. Das gilt jetzt nicht nur auf dem Gebiet des Sexes sondern auf fast allen Gebieten, auch beim Denken und Handeln. Naive natürliche Gedanken sind grundsätzlich mehr wert als die von sogenannten Experten zusammengebastelten Analysen und Prognosen. Warum folgen wir dann nicht mehr dem natürlichen einfachen Denken? Um wie viel wertvoller und glaubwürdiger waren die natürlichen, auf reinem Glauben beruhenden Gedanken eines Reimund Heimann gegenüber den Auslegungen der Theologen. Obwohl die Theologen die Geschichte gängiger und staatstreuer ausgestalten, schlüssiger sind allerdings die vom Apostel Paulus hergeleiteten ursprünglichen, das heißt natürlichen Gedanken. Wenn uns an dem Bestand einer Werteordnung gelegen ist, müssen wir uns für die Natürlichkeit engagieren – und zwar auf allen Gebieten. Gegenüber der Natur ist alles künstliche von geringem Wert – und das gilt insbesondere auch im übertragenen Sinne im geistigem Bereich. Das war also der Einfluss, den Anitas Aussage auf unsere Lebensauffassung hatte. Dieser Einfluss lag also weniger im sexuellen Bereich, wie man dieses, als ich vorhin davon schrieb, vermuten konnte. Karl Breuer musste noch ein Weilchen auf seinen sinnlichen Genuss mit Anita und ihrer Tochter Sylvia warten. Erst drei Wochen später stießen sie zu uns, denn wir hatten sie natürlich am 6. Januar dazu eingeladen zu uns zu stoßen. Am ersten Abend ereigneten sich bei Karl und mir ähnliche Vorgänge wie an unserem ersten Saunaabend unter zwei Paaren. Diesmal hatten wir aber die Flucht nach Vorne angetreten und uns schon vor dem Entkleiden dazu bekannt, dass uns dieses mit großer Wahrscheinlichkeit passieren würde. Aber Anita war voll verständig und kam uns dahingehend entgegen, dass es sich dabei doch um eine natürliche Reaktion, die nicht unbedingt mit „schmutzigen“ Gedanken zusammenhängen müssten, handele. Traurig wenn es das nicht geben würde, denn dann müsste die Menschheit dank fehlendem Fortpflanzungswillen aussterben. Im Grunde würde sie im Übrigen die Freude darüber, so etwas auszulösen, doch auch ein Wenig stolz machen. Wir sollten uns deshalb nicht schämen. Dieses ist aber ganz Anitas Art. Sie ist immer natürlich und sehr vernünftig. Auch an Konsequenz lässt sie es nie fehlen, was insbesondere Karl hin und wieder mal zuspüren bekam. Karl neigt nun doch schon mal, zu lockeren Zweideutigkeiten aber ohne an eine tätliche Umsetzung zu denken. Trotzdem wurde er immer, wenn er angesetzt hatte, durch einen Blick oder eine Geste beziehungsweise durch ein Wort seitens Anita zurück in die „Box der Keuschheit“ gewiesen. Anita trat also falschen Hoffnung grundsätzlich sofort und energisch entgegen. Insgesamt waren Guillaumes eine Bereicherung für unsere Runde. Alle drei Familienmitglieder sind im Grunde stets ernsthafte und niveauvolle, aber Alles in Allem doch lebensfrohe Menschen. Grundsätzlich bestehen unsere Abende überwiegend aus netten, anregenden und sehr oft weiterführenden Gesprächen. Mir ist das wesentlich lieber als ein Beisammensein mit albernen Typen, die niemanden etwas zusagen haben. Nur Oberflächlichkeit ist auf die Dauer langweilig bis nervend. Wie halten das nur die Leute, die von einem Trallala zum anderen Flachspaß hecheln, nur aus. Ich wundere mich immer, dass sich Leute solche, Comedy genannten, FachSchotten-Drescherei im Fernsehen länger als eine Viertelstunde ansehen können. Wir trafen uns in Folge nicht nur zu den mittwöchlichen Saunaabenden sondern bei diversen Gelegenheiten. Auch bei unseren „Tele-BibelStunden“ waren die Guillaumes jetzt regelmäßig dabei. Wäre nicht die Geschichte mit dem FKK-Video gewesen, hätten sie sogar von Anfang an mitgemischt, denn sie sind auch eine sehr christlich gesinnte Familie. Aber fürchteten so zunächst die Leute – wer lässt sich schon gerne als der Buhmann vorführen und selbst in der Kirche ist man ja vor Anzüglichkeiten aus verschiedenen Richtungen nicht sicher. Auch Kirchgänger sind nur Menschen, die auch mal gerne mobben und sich an den Schlappen der Anderen beköstigen. Jetzt in letzter Zeit, wo das Wetter schon mal öfters zu Ausflügen anregt, haben wir uns mit Guillaumes öfters mal auf die Tour
gemacht. Breuers, die sonst bei jeder Gelegenheit immer mit uns von der Partie sind, können da leider wegen der Pension nicht so mithalten. Bei dem kleinen Hof, wie ihn die Guillaumes ja auch haben, gäbe es schon zwischen Aus- und Eintrieb der Kühe Möglichkeiten für gewisse diesbezügliche Unternehmungen. Wie man an diesen Schilderung sieht, sind Martina und ich durch unseren Umzug nach Heismar nicht vereinsamt sondern haben einen Freundeskreis, in dem wir uns sehr wohl und glücklichen fühlen, gefunden. Jetzt habe ich schon fast unsere ganzen derzeitigen Lebensinhalte und –form beschrieben. Diesem oder jener scheint eine solche Lebensart doch etwas eintönig zu sein. Dieses gilt insbesondere bei denen, die Action, Fun und Stress in pausenloser Folge zu konsumieren gewohnt sind. Denen können wir nur dringend anraten, mal ein Wenig Ruhe zu trainieren, den eigenen Gedanken den Vorzug vor vorkonfektionierten scheinbaren Inhalten zugeben und sich statt auf Massenvortänzer, also Stars aus Show und Sport sowie Wichtigtuer aus Politik und Wirtschaft, auf die Menschen im direkten Umfeld zu konzentrieren. Die da Oben sind meistens gemacht also künstlich, aber der Partner, die Kinder, die Nachbarn sind natürlich. Für Obenstehende sind wir Objekte und Faktoren und für den Nachbarn sind wir jemand mit dem man sprechen und scherzen kann. Die da Oben kriegen unsere sorgen und Nöte nicht mit aber der Nachbar hat sie so wie wir. Bei der Zuwendung zum Mitmenschen im wahrsten Sinne des Wortes wird man feststellen, dass einem alles viel angenehmer, sinnvoller und nützlicher als beim Obenzugucken erscheint. Weniger ist halt in diesem Fall mehr. Wir erfahren das wirkliche Leben und nehmen nicht so sehr am vorrüberziehenden Dasein teil. Wir sind ausgefüllter und zufriedener. Ich möchte auf jeden Fall nicht mehr zurücktauschen, ich will leben und nicht nur dabei sein. Diese Ansicht habe ich auch in meiner „Ansprache“ anlässlich der Hochzeit von Marc und Elvira am 2. Februar geäußert. Aus diesem Anlass waren wir in der Woche vom 1. bis 10. Februar – also von Freitags bis zum übernächsten Sonntag - bis jetzt letztmalig in Hexenberg. In dieser Woche verschenkte ich auch inoffiziell unsere Hütte, was aber nicht der Grund unseres Fernbleibens ist. Im Sommer werden wir uns bestimmt wieder ein paar Tage dort niederlassen. Ich hatte mir mit Martina schon überlegt, dass zwar die Aufenthalte in der Hütte sehr schön sind aber ob das den Instandhaltungs- und Pflegeaufwand, den Steffi und Christof aufbringen, rechtfertigen würde schien uns dagegen doch zweifelhaft. Als wir das Thema dann gegenüber den betroffenen „Hüttenpflegern“ anschnitten gab es unerwartet lange Gesichter, die Drei, also Steffi, Christof und Lars, nutzten diese Hütte am Wochenende selbst sehr gerne. Es war eben hat etwas anderes, etwas besonderes gegenüber dem alltäglichen Zuhause. Da habe ich dann die Jagdhütte der Familie Schöller kurzerhand geschenkt. Dann können sie selbst darüber verfügen und diese, wenn es ihnen mal zuviel wird auch verkaufen. Ich war schon im Begriff diese Geschichte formell über Dr. Wimmer abzuwickeln, da erklärte Christof: „Ach, was soll der ganze bürokratische Kram. Das gibt nur Laufereien, kostet Gebühren und Schenkungssteuer werden fällig. Steffis Freibetrag ist ja mit dem Haus vorerst aufgebraucht. Wir können das doch von Mensch zu Mensch regeln. Du schenkst uns die Hütte und wir nehmen sie an. Damit ist die Sache zwischen uns klar ... und was das für Amtsschimmelreiter und Gesetzeshüter ist, ist mir letztlich vollkommen wurst.“. Ich muss sagen, dass es mir eigentlich auch absolut egal ist. Bei den ganzen Beamtokratismus geht es ja nur um Geld und das ja keiner zu kurz kommt – und auf einer solchen Denkweise war ich im Grunde noch nie abgestellt gewesen und inzwischen war mir das Thema eher lästig als nützlich. Ich hatte ja dank meiner Erbschaft bei Monika genug davon – und was wollte ich noch mehr. Immer reicher zu werden ist meines Erachtens das Dümmste was man sich vornehmen kann, denn der ganze Aufwand, den man an der Verwirklichung seines Vorsatzes verschwendet, geht einem letztlich als Lebenszeit verloren. In der Regel trauert am Grab des reichen Mannes sein ungelebtes Leben am Meisten. Die Überzahl der Leute die an seinem Grab stehen hören ja nicht einmal dem Trauerpalaver zu, da sie sich mit ihren Gedanken schon damit beschäftigen, wie sie von den hinterlassenen Tauschhilfsmitteln möglichst das Meiste abbekommen oder wie sie es den Erbschleichern, wenn sie nicht dazu gehören, aus der Tasche ziehen. Natürliche menschliche Beziehungen zu reichen Leuten gibt es in der Regel aus natürlichen Gründen nicht, da die sich zu Lebzeiten hinter den Mauern von Villen, Luxushotels und Vorstandsetagen verschanzt haben. Menschliche Kontakten können so kaum entstehen. Trotzdem war das Thema Geld eines der Themen auf der Hochzeitgesellschaft. Dieses aber nicht so wie man beim ersten Lesen vielleicht annimmt. Es ging um Euro und Cent, die ja seit einen Monat Mark und Pfennig abgelöst haben. Christof konnte da von seinen Erfahrungen in den beiden EDEKA-Märkten berichten. Seiner Ansicht nach war das reibungsloser wie gedacht über die Bühne gegangen. Er könne das ganze Theater, was Politiker und Wirtschaftsführer darum gemacht hätten, in keiner Weise verstehen. Karl Hermann Waymann meinte dazu, dass die sogenannte Spitze ihre eigene Hilflosigkeit offensichtlich auf die Allgemeinheit übertragen hätten. Die Bevölkerung wäre doch klüger als Politiker glaubten und das dürften die in Zukunft auch bei den Wahlen zu spüren kriegen. Er bemerkte dann: „Sollte uns aber recht sein, denn wenn die mit ihrem Latein am Ende sind müssen andere ran und dann kann es nur besser werden.“. Christof hatte nur beobachtet, dass bezüglich des unglücklichen Umrechnungskurs (1 € = 1,95583 DEM) einiges im psychologischen Bereich auf uns zukommt. Wenn die Artikel die früher glatt eine Mark, also genau umgerechnet 0,51129 €, gekostet haben, jetzt 51 Cent kosten, dann multiplizieren die Leute der Einfachheit halber mit Zwei und kommen auf 1,02 was ja nun 2% mehr als 1,00 sind. Der Verstand sagt ihnen das alles in Ordnung ist aber die Psyche flüstert ihnen ein es
wäre alles teuerer geworden. Waymann ergänzte noch, dass dieses unsere Damen und Herren Politiker, die mit Ökosteuer plus Mehrwertsteuer, Versicherungs- und Tabaksteuer sowie im kommunalen Bereich mit glatten Gebührenrundungen nach oben – die haben ja nicht umgerechnet sondern neue Gebührenordnungen zum 1.1.02 erlassen – massiv die Teuerung, insbesondere auch im Dienstleistungssektor, eingeheizt haben, dazu nutzen könnten von ihren Taten abzulenken und dem Handel den Schwarzen Peter zu schieben könnten. „Hoffentlich fallen die Verbraucher nicht darauf rein, sondern lassen Eichel & Co, die wahren Schuldigen, am Pranger stehen.“, schloss der Senior in unserem Kreis seine Rede. Aber leider haben sich seine Hoffnungen, wie wir heute wissen, nicht erfüllt. Dank Medienunterstützung ist die Masse ihnen auf den Leim gegangen. Jetzt habe ich schon von zwei Themen unseres Besuches aber noch nicht über den eigentlichen Anlass, weshalb wir ja hergekommen waren, der Hochzeit von Marc und Elvira Kampmann. Die hatten sich einen wirklich schönen Termin ausgesucht: 02.02.02 um 10:10 Uhr. Na ja, am 3. März des nächsten Jahres können sich die heiratswilligen Paare einen ähnlich schönen Termin geben lassen. Dann dürfte allerdings insbesondere in rheinischen Gefilden die Uhrzeit 11:11 Uhr stark umkämpft sein, denn es handelt sich denn um den Rosenmontag. Das Wichtigste für Marc und Elvira war es durch ihre Trauung ihre Zugehörigkeit zueinander zu dokumentieren. Elvira flippte über die Tatsache jetzt Frau Kampmann zu sein förmlich aus und Marc war glücklich sein „Pummelchen“, wie er sie jetzt, nach dem mir dieses ihm gegenüber mal rausgerutscht hat, selbst, allerdings sehr liebevoll, nennt, ab sofort seine Frau nennen zu können. Ansonsten wurde im kleinen Rahmen gefeiert. Praktisch bestand die eigentliche Hochzeitsgesellschaft aus den gleichen Leuten wie zu unserer Silvesterfeier, also aus den Paaren Kampmann – klar die Brautleute -, Schöller – wobei wir das Junior jetzt weglassen können – und Schreiber sowie den Herren Karl Hermann Waymann und Lars Schöller. Nur in der Zeit zwischen der standesamtlichen Trauung und dem Mittagessen erschienen Mitarbeiter der Kreisverwaltung Neuheim und der beiden schöllerschen EDEKA-Märkte zu einem Sektempfang. Ein besonderer Gast, der auch zu dem Empfang erschien, war Marcs Exschwager, der Anwalt der uns damals in der Lokalfernsehgeschichte vertreten hatte. Obwohl Marc nun schon etwas länger von dessen Schwester geschieden und er ab diesem Tage anderweitig verheiratet war, hatten die beiden immer noch ein gutes Verhältnis zueinander – was ich im Grunde auch als sehr schön ansehe. Im Gespräch sagte der Anwalt zu mir: „Meine Schwester ist auch selten dämlich und lässt so ein Pfundskerl einfach laufen. Aber da das Pech der einen das Glück der anderen ist, kam man der neuen Frau Kampmann wirklich aufrichtig gratulieren.“. Ansonsten ist von der Hochzeit „des Jahres“ wenig zu berichten. Es ging halt zu wie auf vergleichbaren Anlässen andernorts auch. Das gilt wohl für alles was ich in diesem Kapitel erzähle. Nichts ist von der Bedeutung, dass ich deshalb ein Buch schreiben oder lesen würde. Es ist eben halt, wie ich eingangs schrieb, eine Abrundung der Hexenberg-Geschichte, in der ich auch ein Wenig deutlich machen möchte, dass wir es nun endlich verstanden richtig zu leben. Endlich hatten wir begriffen, was Leben überhaupt ist. Ich denke, dass uns in Zukunft nicht wieder solche Sachen wie seit 1998 passieren werden. Das liegt aber einfach nur daran, dass wir uns schlicht und einfach aus der Gefahrenzone ins Leben davongeschlichen haben und keine Neigung haben wieder zurückzukehren. Ich glaube mangels Geschehnissen nie wieder einen Erlebnisbericht dieser Art niederschreiben zu können. Sicher ist das Leben keine glatte Straße sondern ein holpriger Weg und wir werden daher sicher noch gegen diesen oder jenen Stolperstein stoßen. Aber so deftig wie in den letzten vier Jahren kann es nicht mehr werden; dafür gibt es keine Voraussetzungen mehr. Wenn ich in diesem Zusammenhang an die paulinische Prädestination, die göttliche Vorbestimmung, denke, muss ich Gott loben, was er uns hat zuteil werden lassen. Es musste alles so kommen wie es gekommen ist, sonst wäre das Glück, was wir jetzt empfinden, nicht möglich gewesen. So stimmt es wirklich: Am Ende ist immer alles gut. Aber die Wirren haben nicht nur uns, Martina und mir, genutzt sondern auch unseren „Kindern“, wie ich jetzt noch einmal schreiben möchte, einen richtigen Weg aufgezeigt. Das merkte ich insbesondere als ich mich bei deren Osterbesuch mit Christof über seine privaten und geschäftlichen Zukunftsperspektiven unterhielt. Ich wollte bei diesem Gespräch unter anderem wissen ob er noch an weitere Filialen dächte. Seine Antwort war sehr eindeutig: „Ach sieh mal Vati, (so nennt er mich seit Lars Geburt auch) sowohl meine Eltern wie auch ihr habt uns ziemlich eindeutig gezeigt, wie das ist, wenn man in geschäftiger Hektik aneinander vorbeilebt. Mein Schatzi und ich wollen deshalb die meiste Zeit auf Erden gemeinsam und mit unseren Kindern verbringen. Erst die Familie, dann das Geschäft. Eines schönen Tages werden wir den gleichen Schritt unternehmen wie ihr ihn jetzt vorgenommen habt. Das geht jetzt und in absehbarer Zeit allerdings noch nicht, dafür sind wir nun mal zu jung. Die beiden Läden kann ich, da insbesondere dank Opa alles so gut eingespielt ist, ganz gut mit meiner Familie vereinen. In dem Moment wo ich aber beginne weitere Filialen zu eröffnen, ist es damit vorbei. Dann wird mich das Geschäft von meiner Familie abhalten und Leben in Funktionieren umwandeln. Und zum anderen muss ich trotz allem ja auch ein Wenig wirtschaftlich denken. Noch kann ich mich dank Frischfleisch, Getränkemarkt und Marken-Artikel-Angebot ganz gut gegen die Discounter ALDI, Lidl und Wal-Mart durchsetzen. Aber wer bin ich und wer sind die? Weiß du, was von den milliardenschweren Unternehmen noch zu erwarten ist? Ich kann doch nicht mit einer Steinschleuder gegen Atombomben antreten. Andererseits überlege dir mal was ist wenn sich die Liberalisierer mit ihren Sonntags- und Nachtöffnung durchsetzen? Dann
kann ich die Läden auf keinen Fall mehr wirtschaftlich führen. Was meinst du, was das ein dicker Brocken auf dem Personal- und Energiekostensektor ist? Wer soll denn dann die Preise, die ich dann verlangen muss, noch bezahlen? Die Bevölkerung verdoppelt sich ja durch Sonntagsöffnung nicht. Das bereichert nur die ganz Großen, denn Otto Normalverbraucher wird von dem kleinen Laden um die Ecke, zu ihnen in die Zentren umgeleitet. Aus einem herrlichen sonntäglichen Einkaufsbummel, wie die liberalen Schwätzer gerne kakeln, wird knallharter aufgezwungener Einkaufsstress. Bei EDEKA Schöller, wo du täglich nach Feierabend mal reinspringen konntest, ist dann nicht mehr zu holen – dem Laden ist dann die Luft ausgegangen Und zwei Läden dicht machen fällt immer leichter wie drei oder mehr.“. Mit Stolz muss ich sagen, dass ich doch einen ganz vernünftigen Schwiegersohn bekommen habe. Aber auch meine Tochter schien mir doch in der Rolle als Frau und Mutter gereift zu sein. Vor unserem Wegzug aus Hexenberg konnte ich noch überwiegend das junge Mädchen in ihr erkennen und jetzt war sie ganz Frau und Mutter. Sie wirkte bis auf kleine Ausnahmen sehr vernünftig. Die Art und Weise wie sie uns bei deren Osterbesuch ihre zweite Schwangerschaft verkündete und die dann anschließende Kinderwunschprognose war jedoch eine dieser erwähnten Ausnahmen. Da sprach doch wieder ihre typische fröhliche Art, die sie als Mädchen ausgezeichnet hat, aus ihr heraus. Ich denke mal, dass sich diese doch sehr schöne Eigenart hoffentlich nie legen wird. Letztere Aussage, also die Kinderprognose, relativierte sie aber im anschließenden Saunagespräch: „Na mal sehen was ist, wenn Larissa auf der Welt ist. Sollte es etwas komplizierter ablaufen machen wir Schluss, dann reichen uns Lars und Larissa. Geht aber alles noch mal so glatt wie bei Lars dann werden alle guten Dinge drei sein. Aber dann ist wirklich Schluss, ... ich bin ja keine Gebärmaschine.“. Das beruhigte Martina dann doch wieder voll und ganz. Vorgenanntes Gespräch fand, wie zuvor geschrieben, also in unserer Sauna statt. Wie es zu diesem Saunagang kam, kann ich hier noch als letztes Beispiel für unsere neue Lebensarten erzählen und dann machen wir aber endgültig Schluss- alles muss ja mal ein Ende haben. Es war ja früher so, dass Martina doch mehr als nur ein Wenig prüde war und unsere Tochter war diesbezüglich ganz auf sie gekommen. Gegenüber mir, ihrem Vater, war Steffi noch zugeknöpfter wie gegenüber Dritten. Mit diesen Voraussetzungen wäre ein solcher Saunagang wohl vollkommen unmöglich gewesen. Die Wandlung meiner Martina, die sich ja erst in letzter Zeit vollzog, konnten wir hier im Buch ja miterleben und nachvollziehen. Da ich aber selbstverständlich nicht am Sexualleben meiner Tochter teilgenommen habe, kann ich von ihrer Wandlung natürlich nichts berichten. Zum Zeitpunkt unseres Zusammentreffens am FKK-Strand von Hörnum auf Sylt muss sich zumindestens gegenüber Dritten ihre Prüderie gelegt haben, denn sonst wäre sie wohl dort nicht erschienen. Das galt aber trotz des Augenscheins nicht gegenüber meiner Person. Sie erzählte mir später mal, dass ihre eigene Nacktheit, als sie mir unerwartet gegenüberstand das Schlimmste für sie gewesen wäre. Ihr damaliges verhalten wäre wohl als so eine Art Schockreaktion zu verstehen gewesen. Sie würde aber nie wieder an einen FKK-Strand oder in eine Sauna gehen, damit sich so etwas nicht wiederholen könne. Sowohl Monika wie Martina sagten mir mal, dass so etwas natürlich wäre und sie selbst, nicht nur in ihrer Jugendzeit sondern auch später, solcherlei Beklemmungen gegenüber ihren Vätern empfunden hätten. Auch Elvira erzählte uns hinsichtlich der Busen-Zeige-Geschichte auf ihrer Verlobung, das Schlimmste die gleichzeitige Anwesenheit ihres Vaters gewesen sei. Sie wäre froh gewesen, wenn Martina nicht so vorgeprescht wäre. Aber ich will auch ganz ehrlich sein: Ich selbst bin eher das Gegenteil von Prüde aber gegenüber Steffi empfinde ich doch auch einiges an Hemmungen. Sollte da Gott eine natürliche Barriere gegen Inzucht eingebaut haben? Aber wie verfällt es sich dann zum Beispiel bei Sylvia Guillaume, da ist diesbezüglich nichts zu merken? Das kann sich aber auch irgendeinen Grund, den ich nicht kenne, mal umgekehrt haben. Das ist ja nicht ausgeschlossen, da ich ja gerade von einer solchen Umkehrung in unserer Familie berichte. Nun gab es ja letztes Jahr die Verkündung von Lars Kommen, die Steffi durch zeigen des Bauches vom Schamhaaransatz bis zum unteren BH-Rand vornahm. Den hat sie also zwar sehr weit freigelegt aber trotzdem blieb das Letzte immer noch bedeckt. Dann kann ich das Stillen nach Lars Geburt erwähnen, was sie ja auch unbekümmert in meiner Gegenwart durchführte. Aber Stillen steht doch irgendwo auf einem ganz anderen Blatt; da ist man gedanklich ja auch wohl ganz anders gepolt. Nun ergab es sich am Nachmittag des Ostersamstags – das Wetter war nicht besonders gut -, dass Martina plaudernder Weise von unseren Saunavergnügen an den Mittwochabenden erzählte. Steffi fragte: „Wir können doch Lars Kinderwagen an den Pool stellen, da kann doch nichts passieren?“. Als wir dieses bejahten tönte sie unbekümmert: „Und warum machen wir jetzt keine Saunarunde?“. Jetzt sprach ich sie aber neugierig auf die eben beschriebene Tochter-Vater-Prüderie an. Darauf erklärte sie uns das, was ich nun als endgültiges Schlusswort hierher schreiben kann: „Alles was uns an üblen Dingen in den letzten Jahren widerfahren ist beruhte auf Unwahrhaftigkeit und auf gegenseitiges Verstecken. Mit Offenheit hätten wir alles vermeiden können. Wir sind doch eine Familie und sollten doch die Offenheit in allen Dingen pflegen können. Alle Dinge, heißt sowohl unsere Freuden wie unsere Sorgen, unsere Wünsche wie unsere Probleme aber auch was unsere Körper wie auch nur materielle Dinge. Als Kind konnte ich mir euch überhaupt nicht als geschlechtliche Wesen vorstellen obwohl ich euerer Geschlechtlichkeit mein Leben zu verdanken habe. Meiner und Marcs Geschlechtlichkeit verdankt ihr eueren Enkel. Warum verstecken wir uns
eigentlich. Wir wissen doch sowieso wie es bei den Anderen unter der Kleidung aussieht. Wenn wir es nicht vom tatsächlichen Ansehen wissen, dürfte dieses doch aus der Anatomiekunde wissen. Der Geist dürfte doch so rege sein sich das Bisschen Textil wegzudenken. Warum verstecken wir immer unsere Gedanken obwohl wir uns doch so gut kennen, dass wir ohnehin aufgrund früherer, vergleichbarer Gelegenheiten wissen was der andere denkt. Außerdem gibt es zwischen engverbundenen Menschen eine Art Kommunikation, die zwar andere nicht hören können aber einen gegenüber Partner und Eltern verraten. Ich bin jetzt für Offenheit, ganz konsequent für Offenheit, auch was unsere Körper angeht.“ Dem habe ich nichts mehr hinzufügen, außer dass diese Philosophie Martina und mir so gut gefiel, dass auch wir sie künftig zu beherzigen gedenken. Und was machen wir jetzt? Jetzt leben wir endlich! *** ENDE ***