Dikken Zwilgmeyer
Freundinnen
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Als Vorlage diente:
Barbara Henrikke Daae Zwilgmeyer
Freundinnen
Aus dem Norwegischen übertragen von Ida Holst
aus: Das Magazin für Litteratur, Siebenundsechzigster Jahrgang
Verlag Siegfried Cronbach, Berlin, 1898, Spalte 185-189
Coverillustration der amerikanischen Ausgabe "What happened to Inger Johanne" entnommen.
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Dikken Zwilgmeyer
Freundinnen
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Ich habe große Anlage für Freundschaften. Hundert Freundinnen habe ich gewiß wenigstens gehabt. Aber dann rechne ich sie auch alle mit von der Zeit an, als ich Mamsell Einarsens Schule besuchte, die Buchstaben lernte und mit »Schornsteinfegers« Ellef Paradies hüpfen spielte in dem kleinen schmutzigen Hinterhof oben unter der Berghalde. Wenn mich damals jemand fragte, wer meine beste Freundin sei, antwortete ich immer: »Schornsteinfegers Ellef ist meine beste Freundin.« Ellef war leichenblaß und rotznasig und aß immer an großen Brot-Knusten, die wir brüderlich teilten. Ellef war gewiß meine beste Freundin ein ganzes Jahr, bis jemand kam und ihn verdrängte. Später sprach ich ihn nie, aber ich hatte merkwürdiger Weise immer etwas wie
ein schlechtes Gewissen, wenn ich sein blasses Gesicht sah. Ich dachte an all die Knusten, die wir geteilt hatten, und in meinem innersten Herzen hatte ich ein Gefühl, daß es eigentlich schlecht von mir sei, daß wir nicht mehr Freunde waren, und ich fand, daß er so wunderlich geworden war. Voriges Jahr stand er bei der Konfirmation, klein und leichenblaß und in viel zu großen Kleidern. Die Aermel reichten ihm bis zu den Fingerspitzen und seine Nase war naß wie immer. Dann ging er zur See, und ich bin froh; jetzt kann ich ihm wenigstens nicht mehr begegnen — Schornsteinfegers Ellef war meine erste Freundin. Dann kamen all die Kinder des Kranzhofes, der großen Arbeiterwohnung, die mit zur Werfte gehörte. Es war ein altes rotes Gebäude mit langen Gängen und feuchten dunklen Balkenwänden und vielen Türen auf beiden Seiten der Gänge. Und hinter jeder Tür wohnte eine Familie, und jede Familie hatte fünf, sechs Kinder. Und da hatte ich Dutzende von Freundinnen. Da war Axeline mit dem feuerroten, wirren
Haar, und Hanna, die zwei kleine Zwillingsschwestern hatte, und die immer mit einem Zwilling auf jedem Arm spielte. Und Adora, die eine irische Mutter hatte, die so zornig sein konnte, wie ich sonst niemand gesehen habe. Adoras Vater war Matrose und war in Irland gewesen — da hatte er Adoras Mutter so lieb gewonnen, daß er sie mit sich nahm und sie im Schiffsraum versteckte. Mitten auf der Nordsee kam sie hervor, und da war der Schiffer hübsch genötigt, sie mit nach Hause zu nehmen. Und das war auch etwas rechtes im Schiffraume zu verstecken und deshalb so viel Aufhebens zu machen. Adoras Mutter wurde böse, wenn man sie nur ansah, und Adora war beinahe auch so. Dann kam Jama, die entzündete Augen hatte und nicht aufblicken konnte, und Ellefine, die immer Zahnweh hatte, und Gina, die so schön singen konnte, daß es wie eine Engelstimme übe den ganzen Kranzhof klang, wenn sie die langen Sommerabende ihren Gesang oben von der Berghalde ertönen ließ.
Und dann noch die vielen anderen, die ich nicht einmal aufrechnen kann, so viele waren es. Aber Mutter sagt, sie ist mir nicht gut gewesen, diese Freundschaft mit den Kranzhofkindern; denn von der Zeit an bin ich so hochmütig geworden und will immer die erste sein, sagt Mutter. Denn im Kranzhof wagte niemand zu müssen, sie taten alle nur was ich wollte. Und das konnte ich auch ungeheuer gut leiden. Die einzige, die mitunter muckte, war Adora, aber da kam sie auch an die rechte. Die ganzen langen, klaren Frühlingsnachmittage durch, wenn der Himmel hoch und hell war, wenn es frisch von der feuchten Erde duftete und die samtbraunen Aurikeln hinter den Gartenzäunen hervorsprossen, da spielten die Kranzhofkinder und ich Ball in der Sonne oder wir trieben uns den ganzen Tag auf der Werfte herum, wo es nach frischem Holz und Sägespan und Teer und Pech und salziger See roch. Wir spielten immer »Familie«; jeder Bretterstapel war ein Haus für sich. Ich wollte immer Mutter sein, und alle die hübschesten Kinder sollten meine Kinder sein. Alle die häßlichsten, die, wel-
che entzündete Augen und Ausschlag hatten, sollten die anderen haben; und niemand mußte auch nur ein bißchen. Aber eines Tages war es mir langweilig immer nur Mutter zu sein, und so kletterte ich auf den höchsten Bretterstapel: »Nun will ich König sein, » sagte ich. »Dann will ich Kaiser sein!« schrie Adora. Habt ihr je solche Unverschämtheiten gehört? »Dann will ich Papst sein, » sagte ich, — so sollte sie mir nicht kommen. »Ja, dann will ich Päpstin sein, » rief Adora. Natürlich wurde ich darüber rasend, sprang von dem Bretterstapel hinunter und lief der Päpstin nach, ein Ruder hoch in die Luft gehoben; hierüber erschrak sie so, daß sie laut rief: »Ich will nicht Päpstin sein, — du kannst sowol Papst als Päpstin sein!« Mitunter lagen wir auch den ganzen Tag in den Booten, plantschten, plätscherten und ruderten unten am Hafen herum, fielen ins Wasser und wurden wieder herausgezogen, und tranken Kaffee aus den Schüsseln der Arbeiter, und
ich dachte an nichts als die Kranzhofkinder, — und jetzt habe ich sie alle vergessen. Denn ich kam in die Mittelschule und bekam mit einemmale eine Menge neue Freundinnen. Denn in den Schulen ist es immer so, daß es einige giebt, mit denen alle gut Freund sein wollen, und dann sind einige da, die niemand gerne hat. Es ist zum Beispiel sehr nett, Freundinnen zu haben, die Schifferstöchter sind. Denn wenn die Schiffe von der reise zurück kommen, kriegt man eine Menge Schiffszwieback und darf jeden Tag an Bord gehen. Und das ist das lustigste, das es giebt. Wenn ich ein Junge wäre, ginge ich gleich zur See und besuchte fremde Länder; jedenfalls würde ich nie einen Küstendampfer führen; dann muß man ja nur immer zur Aufwartung den feinen, vornehmen Damen bereit stehen, und das muß langweilig sein. Teresie Terkelsen hat nur im September Freundinnen. Sie ist groß und schwerfällig, mit einem unbeweglichen Vollmondgesicht, und sie ist auch gar nicht nett; aber ihr Vater hat den größten Obstgarten in der ganzen Stadt; deshalb ist es lustig, im Herbst Teresiens Freundin zu sein,
das könnt ihr wohl wissen. Alle streiten sie sich darum, Teresie nach Hause zu begleiten, nehmen sie unter den Arm und gehen mit ihr bis in den Korridor und hinauf in den Saal, wo die Bergamotten und andere Birnen auf Zeitungen über dem ganzen großen Fußboden liegen. Da fühlt Teresie sich sehr und teilt Obst aus, und wir sind ungeheuer gute Freunde. Aber alle sind wir doch einig, daß wenn wir in den Oktober hineinkommen, wenn die Wege schlecht werden, und all das Obst verkauft ist, daß es dann doch eigentlich viel zu weit ist, Teresie jeden Tag zu begleiten. Malla Salomonsen ist beinahe die netteste von allen. Sie ist rot und rund und gut, und es ist auch angenehm ihre Freundin zu sein, weil alle Schauspieler und Zwerge, und solche die mit den Füßen essen, und zusammengewachsene Menschen immer im Hotel bei ihrer Mutter wohnen, wenn sie unsere Stadt besuchen. Und Malla kann ich es auch verdanken, daß ich Litza kennen lernte. Und nie habe ich jemand so lieb gehabt, und nie habe ich um eine andere Freundin so geweint wie um Litza. Und
doch habe ich sie nur acht Tage gekannt, bin nur acht Tage von meinem ganzen Leben mit ihr zusammengewesen. Denn Litza war ein kleines Mädchen, das mit einer Gauklertruppe reiste, die acht Tage in unserer Stadt war, und nachher habe ich sie niemals gesehen. Sie war das schönste Kind, das ich je gesehen habe, und arm und stand ganz allein in der Welt. Als ich Litza zum erstenmal sah, saß sie auf der Eiskiste in dem breiten Korridor des Hotels und aß Kastanien. Sie hatte große, dunkle, traurige Augen, langes, schwarzes, lockiges Haar, lange rote englische seidene Strümpfe, und ein abgetragenes, schwarzes Kleid. Nie zuvor war mir jemand so schön vorgekommen. Ich war nicht zu bewegen wegzugehen, sondern saß den ganzen Tag mit Litza auf der Eiskiste. Als wir fünf Minuten mit ihr gesprochen hatten, erzählte sie Malla und mir ihr ganzes Leben, und das war ungeheuer traurig. Sie gehörte mit zur umherirrenden Truppe mit dem Mann, der Schwerter verschluckte und dem winzig kleinen Zwerg, der Admiral war,
und sie selbst war Seiltänzerin und warf mit vergoldeten Kugeln, und der Mann mit der Samtjakke mit den bösen schwarzen Augen war ihr »Herr«, sagte sie. Sie war eine Dänin, war aber in Westindien geboren, wo ihre Mutter noch wohnte, und ihr größter Wunsch war, einmal dahin zurückzukehren. »Siehst du nicht, daß er böse Augen hat?« flüsterte Litza, als der schwarze Mann in der Samtjacke durch den Korridor ging, er quält mich den ganzen Tag, — eines Tages wird er mich töten.« Litzas große Augen wurden noch größer und ihre Nasenflügel zitterten leise. »Aber Litza, warum verließest du deine Mutter?« fragte ich leise. »Sie verkaufte mich an ihn,« sagte Litza und nickte mit dem Kopf, »sie hatte nichts zu essen, deshalb verkaufte sie mich für viele Goldstükke.« Die Tränen traten mir in die Augen, — es war ganz egal, ob Malla, ab alle Menschen sahen, daß ich weinte, — ich mußte weinen — — denkt mal, Litzas höchster Wunsch war, zu einer Mutter zurückzukehren, die sie verkauft hatte!«
Litza starrte mich lange an, plötzlich fühlte ich ihre Arme um meinen Hals, und sie rief: »Ich liebe dich — ich liebe dich,« und sie küßte meine Stiefel, meine Hände, und trocknete meine Augen mit ihren langen, schwarzen Locken. Es war alles wie ein Märchen, und ich weinte noch mehr, — da hatten wir uns eine halbe Stunde gekannt. Auf diese Weise wurden Litza und ich Freundinnen. Sie war so gut, so süß, so heftig und so wild, sie war alles auf einmal. Sie war in Valparaiso gewesen und überall, und sie erzählte die wunderbarsten Geschichten. Sie war oft über das Meer gefahren und war so krank gewesen, daß sie glaubte, sie würde sterben. Sie wollte auch gern sterben, denn ihr Leben lang mußte sie bei dem schwarzen Mann mit dem bösen Augen bleiben, der ihr »Herr« war. Er hatte sie oft geschlagen, daß sie blaue Flecke hatte, früher war das aber schlimmer gewesen; jetzt kürzlich tat er es nicht mehr so oft. Wir saßen oben auf der Berghalde hinter einem großen Stein, als Litza erzählte. Sie streifte ihren Kleiderärmel auf und zeigte mir
die blauen Flecke. Jeden Tag rechneten wir aus: Jetzt haben wir nur vier, jetzt nur drei, jetzt nur zwei Tage zusammen zu sein; und es war mir als würde ich es nicht aushalten können, daß sie fort ging, daß ich sie nie mehr sehen würde. Eines Tages kam sie zu uns, klein, schwarz und schäbig, und guckte um die Ecke in unsreren Hof. »Ich sehe es nicht gern, daß du mit dem fremden Kind bist,« sagte die Mutter. »Ach Mutter, sie ist so gut, — und niemand sonst kümmert sich um sie auf der Welt.« Darauf wollte die Mutter sie sehen, und ich holte Litza herein. Wie ein zerzauster, erschrokkener Vogel saß sie auf dem äußersten Rande des Stuhls, aber es war unmöglich, ihr ein Wort zu entlocken, während die Mutter dabei war. »Ist der fremde Mann nicht gut zu dir, mein Kind?« fragte die Mutter und streichelte sanft ihr schwarzes Haar. Litza warf der Mutter einen großen, erschrokkenen Blick zu, ihre Nasenflügel zitterten, aber sie sagte kein Wort, bis wir allein unter uns waren.
»Ich kam dich zu fragen,« sagte Litza schnell und wild, wie sie immer sprach, »ich kam dich zu fragen, ob du nicht mit uns reisen wolltest — — — aber jetzt will ich es nicht mehr — weil deine Mutter so gut ist — — deine Mutter hat so schöne Augen —« Litza sprach immer so viel von Augen. Böse sah ich sie nur ein einziges Mal. Wir kamen die Hintertreppe des Hotels hinaufgelaufen, als der Zwerg, der Admiral war, plötzlich sein großes Gesicht mit dem großen Schnurrbart durch das Geländer oben auf dem Korridor hervorstreckte. Ich mußte schreien, ich war so furchtbar erschrocken. »Caramba,« sagte Litza uns stampfte mit den Füßen — sie sagte immer »Caramba«, wenn sie heftig wurde — »willst du augenblicklich weggehen, du schlechter Mensch —« Denselben Abend gab sie mir einen kleinen silbernen Ring zur Erinnerung. Es war das letzte mal, daß ich sie sah; den nächsten Morgen, als ich hinlief, um ihr von Mutter drei Paar warme Strümpfe zu geben, war sie vor einigen Stunden abgereist.