Fritz H. Frimmel Margit B. Müller Heil-Lasten Arzneimittelrückstände in Gewässern
Fritz H. Frimmel Margit B. Müller Herausgeber
Heil-Lasten Arzneimittelrückstände in Gewässern 10. Berliner Kolloquium der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung
Mit 55 Abbildungen
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Professor Dr. Fritz H. Frimmel Universität Karlsruhe (TH) Engler-Bunte-Institut Bereich Wasserchemie Engler-Bunte-Ring 1 76131 Karlsruhe Deutschland
Dr. Margit B. Müller Universität Karlsruhe (TH) Engler-Bunte-Institut Bereich Wasserchemie Engler-Bunte-Ring 1 76131 Karlsruhe Deutschland
E-mail: Fritz.Frimmel
E-mail: Margit.Mueller
@ebi-wasser.uka.de
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ISBN 10 3-540-33637-0 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 13 978-3-540-33637-2 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.com © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in The Netherlands Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg Herstellung: Almas Schimmel, Heidelberg Satz: Druckreife Vorlage der Herausgeber Gedruckt auf säurefreiem Papier 30/3141/as 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Der Einsatz synthetischer Pharmaka ist in der industrialisierten Welt fester Bestandteil medizinischer Diagnostik und Therapie, und ihm sind viele Heilerfolge zu verdanken. Er hat darüber hinaus aber auch ‚Nebenwirkungen‘, die im Beipackzettel nicht erwähnt sind: Bis zu 95 Prozent der verabreichten Wirkstoffe werden vom Menschen wieder ausgeschieden und gelangen zusammen mit Arzneimittelrückständen aus der pharmazeutischen Forschung und Produktion in den Gewässerkreislauf. Hinzu kommen Antibiotika aus Tiermedikamenten, die über die Ausscheidung, z.B. über das Ausbringen von Gülle auf die Felder, in die Umwelt gelangen. Diese Stoffe, aber auch Substanzen aus Kosmetika und UV-Filter aus Sonnenschutzmitteln können in den Kläranlagen nicht vollständig entfernt oder abgebaut werden. Noch ist ungeklärt, ob und in welchem Maße Arzneimittelrückstände im Wasser ein Risiko für Mensch und Natur darstellen. Eine unmittelbare Gefährdung wird von vielen Wissenschaftlern zwar ausgeschlossen, die langfristigen Auswirkungen aber sind noch nicht erforscht. Die Autoren des vorliegenden Buches befassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit diesem Thema. Forscher aus Hochschulen und Industrie sowie Wissenschaftler aus Verbänden und der Wasserwirtschaft beleuchten Fragen der Produktion von Arzneimitteln und ihres Verbrauchs, der Krankenhaushygiene, der Wirkungen von Arzneistoffen auf die Umwelt und der Abwasserreinigung bzw. der (Trink-)Wasseraufbereitung. Auf dem 10. Berliner Kolloquium der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung am 17. Mai 2006, aus dessen Anlass dieses Buch erscheint, werden die Autoren ihre Beiträge zur Diskussion stellen. Seit 1997 erörtern die Berliner Kolloquien aktuelle wissenschaftliche Fragen. Eingeladen hierzu sind Wissenschaftler und Experten aus Politik, Wirtschaft oder Verwaltung. Gemeinsamer Bezugspunkt dieser Themen sind die „Wechselbeziehungen zwischen Mensch, Umwelt und Technik“. Die Stiftung hat das Ziel, durch die Förderung von Wissenschaft und Forschung zur Klärung dieser Wechselbeziehungen beizutragen.
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G. Frhr. zu Putzlitz, R., Dietrich, D. Schade
Die Stiftung richtet das 10. Berliner Kolloquium gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Wasserchemie am Engler-Bunte-Institut der Universität Karlsruhe und der Wasserchemischen Gesellschaft, Fachgruppe in der Gesellschaft Deutscher Chemiker, aus. Wir danken Professor Fritz Frimmel vom Engler-Bunte-Institut für die wissenschaftliche Leitung der Tagung und – gemeinsam mit Dr.-Ing. Margit Müller – für die Herausgabe dieses Buches. Unser Dank geht auch an alle Autoren und Referenten, die das Kolloquium möglich gemacht haben.
Prof. Dr. Gisbert Frhr. zu Putlitz Prof. Dr. Rainer Dietrich Dr. Diethard Schade Vorstand der Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung
Inhaltsverzeichnis
Autorenverzeichnis .............................................................................. XIII Einführung ................................................................................................. 1 Fritz Frimmel.......................................................................................... 1 Demographische Entwicklung und Heilmittelverbrauch....................... 3 Theo Dingermann ................................................................................... 3 Einleitung ........................................................................................... 3 Verlauf und Faktoren der demographischen Entwicklung ................. 4 Warum werden Menschen älter? .................................................... 4 Der Rückgang der Sterblichkeit ..................................................... 5 Die Alterung der Gesellschaft ........................................................ 6 Konsequenzen der demographischen Entwicklung ............................ 7 Konsequenzen für den Arzneimittelmarkt und -konsum................ 7 Verschiebung des Krankheitsspektrums: Multimorbidität und Zunahme der Bedeutung chronischer Erkrankungen ..................... 8 Selektives Überleben ...................................................................... 9 Die Spreizung der Zeitspanne zwischen Morbidität und Mortalität ............................................................................... 10 Die steigende Anspruchshaltung der Bevölkerung auf der Basis eines umfassenden Versicherungsschutzes............. 10 Die steigende Bedeutung an Vorsorgemedikation mit der Konsequenz der „pharmakotherapeutischen Behandlung Gesunder“................................................................. 11 Die Nachfrage nach „Lifestyle-Medikation“, die biologische Entwicklungen verlangsamt oder korrigiert ........ 12 Das Heilmittelangebot in einer sich demographisch wandelnden Bevölkerung ................................................................. 14 Heilmittelgebrauch in verschiedenen Lebensabschnitten............. 14 Entwicklungstendenzen für neue Arzneimittel............................. 16 Wirkstoffe, die die Physiologie des Zentralnervensystems beeinflussen .................................................................................. 17 Arzneimittel, die auf das Herz/Kreislaufsystem wirken............... 22 Arzneimittel zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen ...... 24 Antiinfektiva................................................................................. 24 Antitumor-Mittel (Zytostatika)..................................................... 25 Zusammenfassung ............................................................................ 26 Literatur ............................................................................................ 27
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Abfall- und Abwassermanagement bei der Arzneimittelproduktion der Schering AG................................ 29 Hans-Peter Böhm.................................................................................. 29 Einleitung ......................................................................................... 30 Gesetzliche Anforderungen .............................................................. 31 Integriertes Managementsystem der Schering AG ........................... 32 Managementsysteme .................................................................... 32 Das Integrierte Managementsystem der Schering AG ................. 33 Stoffstrommanagement ................................................................ 34 Interne Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltschutz-Audits.......... 34 EG-Öko-Audit (EMAS) und Zertifizierungen nach der Umweltmanagementnorm ISO 14001.......................................... 34 Abfallmanagement in der Schering AG ........................................... 35 Abfälle aus der Wirkstoffproduktion............................................ 35 Abfälle aus der pharmazeutischen Produktion ............................. 36 Röntgenkontrastmittelhaltige Abfälle .......................................... 37 Abwassermanagement in der Schering AG...................................... 38 Wirkstoffproduktion Bergkamen.................................................. 38 Die Behandlung von Abwässern im Werk Bergkamen................ 39 Umgang mit Abwässern aus speziellen Wirkstoffsynthesen........ 42 Abwässer aus der Mikronisierung von Wirkstoffen..................... 44 Abwassermanagement in der Arzneimittelproduktion ..................... 44 UV-aktivierte Oxidation für Abwässer aus der Tablettenproduktion ..................................................................... 45 Die Membran-Filtration zur Behandlung von RKMReinigungslösungen ..................................................................... 45 Aktivitäten außerhalb Europas ..................................................... 46 Zusammenfassung ............................................................................ 47 Danksagung ...................................................................................... 48 Literatur ............................................................................................ 49 Pro und Contra der Antibiotikagabe in der Krankenhaushygiene..... 51 Christiane Höller................................................................................... 51 Einleitung ......................................................................................... 51 Krankenhaushygiene vor der Entdeckung der antibakteriellen Chemotherapeutika ................................................. 51 Krankenhaushygiene nach der Entdeckung der antibakteriellen Chemotherapeutika ................................................. 53 Nosokomiale Infektionen ................................................................. 55 Antibiotikaanwendung im Krankenhaus und im ambulanten Bereich.............................................................. 58 Antibiotikaresistenzen und nosokomiale Infektionen ...................... 59
Inhaltsverzeichnis
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Multiresistente Erreger ..................................................................... 61 Maßnahmen bei Auftreten von multiresistenten Erregern................ 65 Sinnvolle Antibiotikagabe bzw. Antibiotikaprophylaxe .................. 66 Alternativen zur Antibiotikagabe ..................................................... 68 "Antibiotic policy"............................................................................ 68 Literatur ............................................................................................ 69 Arzneimittelrückstände in Gewässern – eine Herausforderung für die Toxikologie ............................................ 73 Tamara Grummt ................................................................................... 73 Einleitung ......................................................................................... 73 Komplexität der biologischen Systeme ............................................ 75 Teststrategie – ein pragmatischer Ansatz für neue Umweltschadstoffe ........................................................................... 76 Das Beispiel der Gentoxizitätsprüfung von Arzneimittelmetaboliten ............................................................ 78 Theoretisches Konzept ................................................................. 78 Substanztestung ............................................................................ 81 Wissenschaftliche Bewertung ...................................................... 84 Beispiel – Schutzgut „menschliche Gesundheit“ ............................. 86 Vorkommen und Herkunft von Arzneistoffen in Fließgewässern....... 89 Thomas Ternes, Hansruedi Siegrist, Adriano Joss ............................... 89 Zusammenfassung ............................................................................ 89 Einleitung ......................................................................................... 90 Belastung von kommunalen Kläranlagenabläufen und Fließgewässern .......................................................................... 91 Kommunale Kläranlagenabläufe .................................................. 91 Fließgewässer ............................................................................... 91 Eliminationsprozesse in der kommunalen Kläranlage ..................... 97 Dank ............................................................................................... 102 Literatur .......................................................................................... 102 Tierarzneimittel in der Umwelt: Vorkommen, Verhalten, Risiken .......................................................... 105 Gerd Hamscher ................................................................................... 105 Einleitung ....................................................................................... 105 Eintragspfade für Tierarzneimittel in die Umwelt...................... 105 Gesetzliche Grundlagen für den Einsatz von Tierarzneimitteln ........................................ 106 Verbrauchserhebungen ............................................................... 108
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Detaillierte Untersuchung verschiedener Eintragspfade für Tierarzneimittel......................................................................... 109 Eintrag von Antibiotika in Wirtschaftsdünger ........................... 109 Eintrag und Verhalten von Tierarzneimitteln in Böden ............. 111 Transfer von Antibiotika in Nutzpflanzen.................................. 114 Eintrag von Tierarzneimitteln in die aquatische Umwelt........... 114 Eintrag von Antibiotika in Stallstaub ......................................... 116 Mögliche Effekte und Risiken von Antibiotika in Gülle, Boden, Grundwasser und Stallstaub............................................... 117 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen................................... 118 Literatur .......................................................................................... 119 Ökotoxikologische Wirkungen von Pharmazeutikarückständen auf aquatische Organismen................................................................... 125 Karl Fent ............................................................................................. 125 Zusammenfassung .......................................................................... 125 Einleitung ....................................................................................... 126 Pharmazeutika in der Umwelt ........................................................ 127 Wirkungsweise von Pharmazeutika bei Mensch und Tier ............. 131 Ökotoxikologische Effekte ............................................................. 133 Akute Toxizität........................................................................... 134 Chronische Toxizität .................................................................. 136 Wirkungen in Modellökosystemen................................................. 140 Toxizität von Arzneimittelmischungen .......................................... 140 Vergleich von Umwelt- und Wirkungskonzentrationen................. 141 Regulatorische Aspekte .................................................................. 143 Diskussion und Schlussfolgerungen............................................... 144 Dank ............................................................................................... 147 Literatur .......................................................................................... 147 Arzneimittelrückstände und Gewässerschutz..................................... 155 Harald Irmer, Hans-Dieter Stock, Rolf Reupert, Annegret Hembrock-Heger ................................................................ 155 Einleitung ....................................................................................... 155 Humanarzneimittel ......................................................................... 157 Veterinärarzneimittel ...................................................................... 161 Zur chemischen Analyse von Arzneimittelrückständen ................. 163 Gewässerbelastungen in Nordrhein-Westfalen und deren Reduktion....................................................................... 168 Fazit ................................................................................................ 171 Literatur .......................................................................................... 173
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Verhalten von Arzneimittelrückständen bei der Abwasserreinigung ................................................................... 175 Thomas Heberer ................................................................................. 175 Einleitung ....................................................................................... 175 Vorkommen und Entfernbarkeit von Arzneimittelrückständen in konventionellen Kläranlagen...................................................... 178 Stand der Klärwerkstechnik ....................................................... 178 Abbaubarkeit pharmazeutischer Rückstände in konventionellen kommunalen Kläranlagen............................ 180 Konzentrationen pharmazeutischer Rückstände in den Abläufen kommunaler Kläranlagen................................. 186 Frachten an Pharmakarückständen in kommunalen Abwässern 189 Verwendung zusätzlicher Reinigungsverfahren zur verbesserten Entfernung von Arzneimittelrückständen aus kommunalen Abwässern .......................................................... 192 Ozonung ..................................................................................... 193 Membranfiltration ...................................................................... 195 Abschließende Betrachtungen ........................................................ 202 Literatur .......................................................................................... 203 Verhalten von Arzneimittelrückständen bei der Trinkwasseraufbereitung ......................................................... 207 Christian Zwiener ............................................................................... 207 Einleitung ....................................................................................... 207 Vorkommen von AMR................................................................... 208 Verfahrensstufen der Trinkwasseraufbereitung.............................. 211 Verhalten von AMR bei der Uferfiltration und Untergrundpassage .............................................................. 212 Verhalten von AMR bei der Flockung – Filtration .................... 213 Verhalten von AMR bei der Adsorption an Aktivkohle............. 214 Verhalten von AMR bei der Oxidation ...................................... 215 Verhalten von AMR bei der Desinfektion – Chlorung............... 218 Zusammenfassung .......................................................................... 220 Literatur .......................................................................................... 222
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Inhaltsverzeichnis
Fazit......................................................................................................... 225 Fritz Frimmel, Margit Müller ............................................................. 225 Einleitung ....................................................................................... 225 Identifizierung wichtiger Schaltstellen in den Stoffströmen der Arzneimittel ............................................. 226 Produktion .................................................................................. 226 Gebrauch .................................................................................... 227 Entsorgung.................................................................................. 228 Verbleib ...................................................................................... 230 Ausblick.......................................................................................... 232 Literatur .......................................................................................... 232
Autorenverzeichnis Dr. Hans-Peter Böhm Schering AG, Werg Bergkamen Ernst-Schering-Straße 14, 59192 Bergkamen
[email protected] Prof. Dr. Theo Dingermann Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum Universität Frankfurt Marie-Curie-Straße 9, 60439 Frankfurt
[email protected] PD Dr. Karl Fent Institut für Ecopreneurship, Hochschule für Life Sciences, Fachhochschule Nordwestschweiz St. Jakobs-Straße 84, CH-4132 Muttenz
[email protected] Prof. Dr. Fritz H. Frimmel Engler-Bunte-Institut, Bereich Wasserchemie Universität Karlsruhe (TH) Engler-Bunte-Ring 1, 76131 Karlsruhe
[email protected] Dr. Tamara Grummt Forschungsstelle Bad Elster Umweltbundesamt Dr. Heinrich-Heine-Straße 12, 08645 Bad Elster
[email protected] XIV
Autorenverzeichnis
PD Dr. Gerd Hamscher Institut für Lebensmitteltoxikologie und Chemische Analytik, Zentrum für Lebensmittelwissenschaften, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover Bischofsholer Damm 15, 30173 Hannover
[email protected] PD Dr. Thomas Heberer FG55: Rückstände von Arzneimitteln Bundesinstitut für Risikobewertung Thielallee 88-92, 14195 Berlin
[email protected] Prof. Dr. Christiane Höller Sachgebiet Hygiene (GE1) Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Veterinärstraße 2, 85764 Oberschleißheim
[email protected] Dr. Harald Irmer, Dr. Hans-Dieter Stock, Dipl.-Ing. Rolf Reupert, Dr. Annegret Hembrock-Heger Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen Wallneyer Straße 6, 45133 Düsseldorf
[email protected] Dr.-Ing. Margit B. Müller Engler-Bunte-Institut, Bereich Wasserchemie Universität Karlsruhe (TH) Engler-Bunte-Ring 1, 76131 Karlsruhe
[email protected] Autorenverzeichnis
PD Dr. Thomas Ternes Bundesanstalt für Gewässerkunde Kaiserin-Augusta-Anlagen 15-17, 56068 Koblenz
[email protected] PD Dr. Christian Zwiener Engler-Bunte-Institut, Bereich Wasserchemie Universität Karlsruhe (TH) Engler-Bunte-Ring 1, 76131 Karlsruhe
[email protected] XV
Einführung Fritz Frimmel Universität Karlsruhe (TH), Karlsruhe
Die Bedeutung der Medizin in unserer heutigen Zeit ist unübersehbar. In den Medien erscheinen täglich Berichte über brisante Themen wie die Vogelgrippe, den Ärztestreik oder auch über die Reformierung des Gesundheitssystems. Bei all diesen Themen spielen Arzneimittel – ob direkt oder indirekt – eine Rolle. Sie sind in unserer industrialisierten Gesellschaft allgegenwärtig und werden von ihr in hohem Maße genutzt. Die Heilung kurzzeitiger Erkrankungen, die Behandlung chronischer Leiden, Chemotherapien, die Bekämpfung von Epidemien, aber auch Operationen mit intensivmedizinischer Hilfe – all dies wäre ohne Arzneimittel nicht möglich. Neben dem therapeutischen Bereich gibt es – teils innig mit ihm verwoben – das Einsatzfeld von pharmazeutischen Produkten für die Krankenhaushygiene, für die medizinische Diagnostik und die Fertilitätskontrolle. Die verbreitete und vielseitige Anwendung von Arzneimitteln führt dazu, dass sie über verschiedene Eintragspfade den Weg in die Umwelt, und hierbei insbesondere in die aquatischen Systeme, finden. Die Untersuchungen verschiedener Gewässer auf das Vorliegen von Pharmaka ergab Konzentrationen von wenigen Milliardstel Gram bis zu Millionstel Gramm in einem Liter Wasser. Was bewirken diese Spuren in den Gewässern? Für viele Wirkstoffe ist diese Frage nach wie vor unbeantwortet, vor allem was längerfristige Effekte angeht. Das Beispiel einiger Steroidhormone, für die gezeigt werden konnte, dass sie schon in extrem niedrigen Konzentrationen nachteilige Effekte auf bestimmte aquatische Organismen ausüben können, mahnt jedoch zur Vorsicht. Es ist daher davon auszugehen, dass unsere derzeitigen Kenntnisse trotz zahlreicher Forschungsarbeiten immer noch nicht ausreichen, um das Risiko, das von solchen „Spuren“ für aquatische Lebewesen, aber auch für die menschliche Gesundheit, resultiert, abschließend zu bewerten. Es ist somit unverzichtbar, den Problemen nachzuspüren, die sich aus der Heilnotwendigkeit medizinisch nutzbarer Syntheseprodukte einerseits und der aus ihrer Produktion und Anwendung abzuleitenden Belastung unserer Lebensräume andererseits ergeben. Ihre Erörterung erhält durch die demographische Entwicklung und die zumindest in Zentraleuropa ver-
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breitete Einstellung: „Gut älter werden durch mehr Arzneimittel“ eine besondere zukunftsgerichtete Aktualität. In dieser Erkenntnis hat die Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung mit dem 10. Berliner Kolloquium zum Thema „Heil-Lasten – Arzneimittelrückstände in Gewässern“ das Forum für einen Diskurs geschaffen, bei dem Fachleute auf den Gebieten der Produktion und des Gebrauchs von Arzneimitteln sowie der Umweltanalytik, der Toxikologie, der Wasseraufbereitung und des rechtlichen Umweltschutzes über den aktuellen Stand der Dinge berichten und Fakten liefern. Die transdisziplinäre Diskussion dieser Fakten soll eine zukunftsverträgliche Entwicklung des Umgangs mit Pharmaka sichern helfen. Die Bereitschaft der Autoren, die Herausforderung anzunehmen und sich auf das Experiment interfachlicher Auseinandersetzung einzulassen, zeugt von einem hohen ökologischen und sozialen Verantwortungsbewusstsein, wie es auch vom Mitveranstalter des 10. Berliner Kolloquiums, der Wasserchemischen Gesellschaft, seit geraumer Zeit praktiziert wird. Als Fachgruppe in der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) befasst sich die Wasserchemische Gesellschaft sowohl mit dem Stoffhaushalt der Gewässer als auch mit verschiedensten Verfahren zur Wasseraufbereitung und somit auch zur Entfernung von Problemstoffen wie Arzneimittelrückständen. Dies gilt auch für den Lehrstuhl für Wasserchemie des Engler-Bunte-Instituts der Universität Karlsruhe (TH) an dem seit vielen Jahren die Grundlagen der Wasseranalytik und –aufbereitung erforscht werden. Gesamtziel der Beiträge zum Kolloquium ist eine Standortbestimmung zur derzeitigen Praxis im Umgang mit pharmazeutischen Produkten und zu ihrem Verbleib, um rechtzeitig Fehlentwicklungen erkennen und Handlungsempfehlungen ableiten zu können.
Demographische Entwicklung und Heilmittelverbrauch Theo Dingermann Universität Frankfurt, Frankfurt
Einleitung Die deutsche Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten erheblich schrumpfen. Gleichzeitig wird es eine dramatische Verschiebung zwischen den verschiedenen Altersklassen geben. Einem Rückgang der Gesamtbevölkerungszahl, der in erster Linie aus den niedrigen Geburtenraten resultiert, wird ein deutlicher Anstieg der Zahl älterer Mitbürger entgegenstehen (Abb. 1).
Abb. 1. Bevölkerungspyramiden für Deutschland aus dem Jahren 1950 und 2050 [Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland].
Die Zunahme ist besonders ausgeprägt für die Gruppe der Hochaltrigen (80 Jahre und älter), deren Zahl sich binnen 50 Jahren mehr als verdoppeln und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung sich mehr als verdreifachen wird (Abb. 2). Im Jahr 2050 wird mehr als jeder 11. Einwohner Deutschlands 80 Jahre oder älter sein. Auf Hundert 20- bis 59-jährige werden min-
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Theo Dingermann
destens 80 Personen im Alter von 60 oder mehr Jahren kommen (gegenüber 43 im Jahre 2000) (Statistisches Bundesamt 2000).
Abb. 2. Vorausgeschätzte Entwicklung der Gesamtbevölkerung Deutschlands nach Altersklassen. Im Jahre 2000 entfielen auf 100 Menschen im Alter von 20 bis 60 Jahren 43 Menschen im Alter über 60 Jahre. Im Jahr 2050 werden es mindestens 81, wahrscheinlich über 90 sein (Birg 2000).
Diese Entwicklung ist natürlich nicht auf Deutschland beschränkt. Alle Industrienationen – und nach und nach auch die Entwicklungsländer – sehen sich mit diesem Trend konfrontiert.
Verlauf und Faktoren der demographischen Entwicklung Warum werden Menschen älter? Die Existenz spezifischer Gene, die das Altern aktiv fördern, ist unwahrscheinlich. Altern ist nicht programmiert, sondern resultiert größtenteils in der Anhäufung somatischen Schadens. Schaden kann so lange abgewendet oder begrenzt werden, so lange Systeme funktionieren, die Fehler korrigieren oder schädliche Einflussparameter inaktivieren. Werden diese Korrektur- und Abwehrsysteme selbst geschädigt, beschleunigt sich der Alterungsprozess. Obwohl Langlebigkeit somit nur indirekt von Genen gesteuert wird, besitzt auch das Altern – ebenso wie Krankheit – ein genetisches Korrelat, das sich molekular ausprägt und somit durch Moleküle
Demographische Entwicklung und Heilmittelverbrauch
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beeinflusst werden kann. Diese Moleküle sind Arzneimittel, die entweder eingesetzt werden können, um die Kontroll- und Abwehrsysteme zu stärken (beispielsweise durch die Gabe von Vitaminen, Immunmodulatoren oder Antioxidantien) oder um in Krankheiten manifest gewordene Schäden zu korrigieren bzw. deren Auswirkungen zu modulieren. Aus diesem Grund stehen das zunehmende Altern der Bevölkerung einerseits und Qualität wie Quantität von Arzneimittel andererseits mindestens zum Teil in einem direkten Zusammenhang. Der Rückgang der Sterblichkeit Hunger, Seuchen und Infektionskrankheiten, an erster Stelle die Malaria und die Tuberkulose, haben über die Zeit mehr Todesfälle verursacht als alle Kriege der Menschheitsgeschichte. An Malaria starben noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts jedes Jahr mehrere Millionen Menschen. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Anwendung von Brechwurz und Chinarinde die einzigen therapeutischen Optionen zur Behandlung der Malaria. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts standen im Wesentlichen die Acetylsalicylsäure (Aspirin®), das Aminophenazon (Pyramidon®), das Arsphenamin (Salvarsan®), die Diethylbarbitursäure (Veronal®), ein Diphtherieserum, Morphin, das Procain (Novocain®), das Strophanthin (Kombetin®) sowie zahlreiche Phytopharmaka zur Verfügung. Dramatisch vollzog sich danach in den entwickelten Ländern der Rückgang der Sterblichkeit. Hier einige Zahlen für den Zeitraum von 1965 bis 2000. x Die Säuglingssterblichkeit nahm in diesen 35 Jahren um 80 % ab. x An rheumatischem Fieber und rheumatischen Herzerkrankungen verstarben 75 % weniger Patienten. x Atherosklerose und Hypertonie führen jeweils zu 68 % seltener zum Tod. x Todesursachen durch Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür nahmen um 61 % ab. x Und an ischämischen Herzkrankheiten und Emphysem verstarben im Jahre 2000 41 % bzw. 31 % weniger Patienten als noch 1965. Beeindruckend ist auch der Rückgang um 60 % bei der Sterblichkeit von an Leukämie erkrankten Kindern in den letzten 25 Jahren. Die Menschen werden immer älter (Abb. 3). Seit 1986 ist die durchschnittliche Lebenserwartung der US-Amerikaner um zwei Jahre gestiegen. 40 % dieses Anstiegs sind auf die Entdeckung und/oder auf die Ent-
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wicklung immer besserer und spezifischer wirksamer Wirkstoffe und Arzneimittel zurückzuführen (Lichtenberg 2003).
Abb. 3. Entwicklung der Lebenserwartung für Männer und Frauen in einem Zeitraum von 1960 bis 2050 [Quelle: Eurostat].
Darüber hinaus belegen Studien, dass rationale Arzneimitteltherapien Krankenhausaufenthalte verkürzen und dadurch die Gesundheitssysteme signifikant entlasten. Diese Ersparnisse übersteigen bei weitem die Kosten für moderne Medikamente, obwohl dies von vielen Versorgungsträgern so nicht akzeptiert oder auch ignoriert wird – auch, weil die Ausgaben im Gesundheitswesen nicht global sondern in hohem Maße partikulär verwaltet werden. Die Alterung der Gesellschaft Waren für den Rückgang der Sterblichkeit eine deutliche Verbesserung des Gesundheitswesens mit einem dramatischen Rückgang der Kindersterblichkeit und die enormen Fortschritte in der Medizin – insbesondere die Fortschritte bei den Arzneimitteln, in der Anästhesie und in der Chirurgie verantwortlich, so lag der Grund für die langsame aber stetig steigende Verformung der Alterspyramide nach oben hin vor allem in der bewussten und unbewussten Geburtenkontrolle. In allen westlichen Industriestaaten liegen die Geburtenraten unter den Raten, die erforderlich wären, um eine „gesunde“ Alterspyramide zu gewährleisten. Eine Geburtenrate, die das Älterwerden der Bevölkerung gerade zu kompensieren in der Lage wäre, müsste für Industrienationen der-
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zeit bei mindestens 2,1 Kindern für jede Frau im gebärfähigen Alter liegen. Das ist allerdings praktisch nirgendwo mehr der Fall. Fast überall in der Welt wächst der Anteil der Bürgerinnen und Bürger, die 65 Jahre und älter sind, schneller als der jeder anderen Altersgruppe. Die größte relative Wachstumsgeschwindigkeit zeigt die Gruppe derjenigen, die 80 Jahre und älter sind. Dies ist letztlich eine Folge des so genannten double ageing, dem Resultat aus einer gestiegenen Lebenserwartung und einer fallenden Geburtenrate.
Konsequenzen der demographischen Entwicklung Konsequenzen für den Arzneimittelmarkt und -konsum Derartige Perspektiven für den Wandel der Altersstrukturen haben für die Abschätzung der Heilmittelqualität und des Heilmittelverbrauches enorme Bedeutung: Bevölkerung und Patienten mit ihren spezifischen Bedürfnissen, Präferenzen und nicht zuletzt auch Zahlungsbereitschaften werden in den kommenden Jahren einer der wichtigsten "Treiberfaktoren" für Entwicklungen im Gesundheitswesen sein. Änderungen in der Altersverteilung in einer Gesellschaft und die Arzneimittelentwicklung korrelieren nicht nur, sie befördern sich auch gegenseitig. Sobald neue Medikamente für bis dahin unmet medical needs entwickelt und zugelassen werden, hat dies Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur. Umgekehrt wird sich auch der Wandel in der Bevölkerungsstruktur auf die Arzneimittelforschung – und damit auf den Arzneimittelgebrauch – auswirken. Keineswegs spielt dabei nur der steigende Anteil an „Alten“ die entscheidende Rolle. Auch die Jüngeren werden neue Ansprüche und Bedürfnisse geltend machen, und wer gestern noch als „alt“ galt, wird sich morgen „noch jung“ fühlen und Ansprüche stellen, die teilweise nicht mehr kongruent mit der biologischen Entwicklung verlaufen. Wir werden mit der Zeit immer stärker zu differenzieren haben zwischen dem „gefühlten Alter“ und dem „biologischen Alter“, wobei das „gefühlte Alter“ die Ansprüche bestimmt. Andererseits lassen sich aber Konsequenzen des „biologischen Alters“ nur bedingt kompensieren, so dass das für das Alter so typische Auftreten mehrerer Leiden – und vor allem das häufig gleichzeitige Auftreten körperlicher und psychischer Erkrankungen (hierbei insbesondere demenzieller und depressiver Erkrankungen) – derzeit noch nicht zu verhindern ist. Dies ist für die medizinische Versorgung älterer und sehr alter Menschen von größter Bedeutung. Oft geht eine solche Koinzidenz mit einer erschwerten Diagnosestellung somatischer Erkrankungen, einer verminderten compliance im Rahmen der Therapie sowie mit einem be-
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trächtlich erhöhten Bedarf an medizinischen und pflegerischen Behandlungsressourcen einher. Eine Vielzahl von Gründen lässt sich anführen, warum sich das Spektrum der Arzneimittel und deren quantitativer Einsatz als Konsequenz aus der demographischen Entwicklung ändern werden, ohne dass signifikante Teile des derzeit verfügbaren Arzneimittelschatzes vom Markt verschwinden. Es wird nicht etwa eine „Anpassung durch Ersatz“, sondern mit großer Sicherheit eine Ausweitung der Heilmitteloptionen geben. Dabei werden wir einen Trend zur Individualisierung des Arzneimitteleinsatzes erleben, der ganz besonders auch dem stetig steigenden biologischen Alter mit seinen physiologischen Konsequenzen Rechnung trägt, was heute noch weitgehend ignoriert wird. Verschiebung des Krankheitsspektrums: Multimorbidität und Zunahme der Bedeutung chronischer Erkrankungen Neben der mit dem Alter zunehmenden Inzidenz und Prävalenz vieler chronischer Erkrankungen ist das gleichzeitige Auftreten verschiedener chronischer Erkrankungen, die Multimorbidität, ein wichtiges Charakteristikum des älteren Menschen. Fast jeder alte Mensch (Alter 70+) ist behandlungsbedürftig krank. Dies unterstreicht der Befund, dass bei 96 % aller Studienteilnehmer der Berliner Altersstudie mindestens eine behandlungsbedürftige internistische, neurologische, orthopädische oder psychische Erkrankungen diagnostiziert wurde. Immerhin 30 % der Studienteilnehmer litten an fünf oder mehr behandlungsbedürftigen Krankheiten (Steinhagen-Thiessen und Borchelt 1996), von denen jede einzelne im Rahmen der zumeist auf eine „Hauptdiagnose“ fokussierten medizinischen Betreuung nur selten ausreichend behandelt wird. Charakteristisch ist zugleich jedoch die teilweise sehr starke Diskrepanz zwischen objektiven Diagnosen und subjektiven Beeinträchtigungen. Während beispielsweise unter den objektiven Diagnosen die Herz-KreislaufErkrankungen und ihre Risikofaktoren im Vordergrund stehen, sind unter den als subjektiv deutlich relevanter eingeschätzten Erkrankungen Leiden des Bewegungsapparates (insbesondere Arthrosen, Dorsopathie und Osteoporose) am häufigsten. Chronische Erkrankungen im höheren Lebensalter gehen häufig mit funktionellen Defiziten einher, deren Art und Ausprägung für die Lebensqualität der Betroffenen und die Inanspruchnahme von medizinischen und pflegerischen Leistungen vielfach sehr viel entscheidender ist als die genaue medizinische Diagnose. Bei der Ermittlung des medizinischen und pflegerischen Versorgungsbedarfs finden sie jedoch
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vielfach keine adäquate Berücksichtigung (Brenner et al. 1996, Kliebsch et al. 1998, Kliebsch et al. 2000). Selektives Überleben Nicht bei allen chronischen Erkrankungen ist eine Zunahme der Prävalenz bis in die höchsten Altersstufen zu verzeichnen. So nimmt beispielsweise die Prävalenz der Hyperlipidämie oder der arteriellen Hypertonie in den höchsten Altersstufen wieder ab, was zumindest teilweise durch einen selektiven Überlebensvorteil von Personen ohne diese Erkrankungen zu erklären ist. Ferner leben immer mehr Menschen gesünder, indem sie das Rauchen aufgeben und sich gesünder ernähren. Dadurch beugen sie möglicherweise Altersbehinderungen vor. Darüber hinaus lässt sich körperlicher Verfall durch Korrekturen aufhalten, die auf der Basis schwerer Defekte einen erstaunlichen Grad an Aktivitäten zulassen, ohne die der Alterungsprozess dramatisch schneller fortschreiten würde. Hierzu zählen beispielsweise Interventionsmöglichkeiten wie das Einsetzen von Herzschrittmachern oder von künstlichen Hüft- und Kniegelenken.
Abb. 4. Die Rektangularisierung der Mortalitätskurve. Die durchgezogenen Linien beschreiben den prozentualen Anteil der Bevölkerung in Abhängigkeit vom jeweiligen Alter für die Jahre 1889 und 1992) (Heinzen 2003). Die gestrichelt gezeichneten Linien markieren die entsprechenden Morbiditätskuren.
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Als Konsequenz dieser Entwicklung verschob sich die Mortalitätskurve in den letzten 100 Jahren signifikant nach rechts und änderte zudem noch ihren charakteristischen Verlauf. Man spricht hier von einer Rektangularisierung der Mortalitätskurve (Abb.4). Die Spreizung der Zeitspanne zwischen Morbidität und Mortalität Die Verschiebung der Mortalitätskurve macht es allerdings erforderlich, zusätzlich einen genaueren Blick auf die Morbiditätskurven zu werfen (siehe Abb. 4, gestrichelte Linien), da diese von entscheidender Bedeutung für das Gesundheitssystem sind. Sobald sich nämlich die Morbiditätskurve nicht in gleichem Umfang nach rechts bewegt, wie die Mortalitätskurve (compression of morbidity), steigen die Anforderungen an das Gesundheitssystem. Dass genau dieses im Verlauf der Jahre 1889 bis 1992 passiert ist, lässt sich daran erkennen, dass die Lücke zwischen Mortalitätsund Morbiditätskurve erheblich größer geworden ist (expansion of morbidity). Starben früher die Leute quasi „gesund“ – oder anders ausgedrückt: „wer erkrankte, starb kurze Zeit später“ – haben wir heute dank hervorragender Medikamente die Möglichkeit, auch krank – und dies bedeutet in aller Regel chronisch krank – noch erheblich länger zu leben. Und dieser Trend wird sich weiter ausprägen – nicht nur, weil die Therapieoptionen weiter verbessert werden, sondern weil Krankheiten künftig eigentlich neu definiert werden müssen. Evidenz-basierte medizinische Daten weisen eindeutig darauf hin, dass man von einigen medikamentösen Interventionsstrategien signifikant profitieren kann, wenn man mit der Intervention zu einem Zeitpunkt beginnt, an dem man sich subjektiv noch völlig gesund fühlt, an dem aber Biomarker bereits eindeutig ein Problem erkennen lassen. Krankheiten neu zu definieren, wäre zweifelsohne konsequent, wenn man die Daten konsequent interpretieren würde – dies allerdings mit der Konsequenz, dass sich die Morbiditätskurve noch weiter nach links und die Mortalitätskurve wahrscheinlich noch weiter nach rechts verschieben würde – ein Horrorszenario für Gesundheitsökonomen. Die steigende Anspruchshaltung der Bevölkerung auf der Basis eines umfassenden Versicherungsschutzes Für Überlegungen hinsichtlich des Heilmittelgebrauchs wird es relevant sein, nicht nur die Bedürfnisse zu betrachten, sondern auch die Ansprüche. Aus einer steigenden Anspruchshaltung gegenüber einer Inanspruchnahme
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von Gesundheitsleistungen, die vor allem durch den umfassenden Versicherungsschutz geschürt wird, resultiert nicht nur ein gewaltiges Verschwendungspotential dringend notwendiger Ressourcen, sondern auch eine potentielle Belastung mit Xenobiotika, die der Organismus gar nicht benötigt. Ein Grund, dieses Problem ernst zu nehmen, liegt darin, dass sich die Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich ihrer Therapiebedürfnisse immer weniger von Fachleuten „leiten“ lassen, sondern darauf bestehen, sich größtenteils auch selbst zu therapieren. Wirkstoffe aller Qualitäten werden durch die steigende Freizügigkeit in den Handelswegen immer leichter zugänglich und immer weniger kontrolliert verteilt. Dieser Trend wird dadurch verstärkt, dass in einigen Ländern (beispielsweise den USA) auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel – also Arzneimittel, die auch bei korrekter Anwendung schwere Nebenwirkungen verursachen können – direct to consumer-Werbekampagnen nicht nur gestattet sind sondern auch in großem Stil durchgeführt werden. Nicht wenige Bürger lassen sich durch derartige Kampagnen „krank reden“, und nicht wenige Fachleute (Ärzte und Apotheker) werden sich überreden lassen, diesem Anspruchsdenken nachzugeben und überflüssige Arzneimittel zu verordnen oder zu verkaufen. Die steigende Bedeutung an Vorsorgemedikation mit der Konsequenz der „pharmakotherapeutischen Behandlung Gesunder“ Vorsorgemedizin wird ein immer stärkeres Gewicht bekommen, da Möglichkeiten, Risiken in Form geeigneter Biomarker zu detektieren, immer stärker genutzt werden (siehe weiter oben). Je nach dem Zeitpunkt einer präventiven Intervention spricht man heute von Primär-, Sekundärund Tertiärprävention (Fischer et al. 2005). x Eine Primärprävention zielt darauf ab, die Eintrittswahrscheinlichkeit für eine Krankheit (die Inzidenz) zu senken. x Bei der Sekundärprävention versucht man Frühstadien einer Krankheit zu erkennen und diese bereits zu therapieren, um die Inzidenz manifester bzw. fortgeschrittener Erkrankungen oder Krankheitsstadien zu reduzieren. x Unter Tertiärprävention versteht man die Behandlung einer Krankheit mit dem Ziel, ihre Verschlimmerung zu vermeiden oder zu verzögern oder Einschränkungen und Funktionseinbußen, die aus einer Krankheit resultieren, zu kompensieren (Rehabilitation).
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Alle drei Präventionsformen werden künftig stärker genutzt. Dabei stellt sich allerdings die Frage, welche präventiven Strategien verfolgt werden sollen. ‚Präventionskampagnen‘ zielen häufig auf die Modifikation verhaltensbezogener Risikofaktoren wie Tabak- und Alkoholkonsum, Fehlernährung und Mangel an Bewegung. Diese Maßnahmen sind hinsichtlich der Kosten überschaubar, erfordern aber Motivation bei den Betroffenen. Mögen solche Maßnahmen im Bereich der Primärprävention nach als ausreichend angesehen werden, wird spätestens im Bereich der Sekundärprävention eine z.T. komplexe medikamentöse Interventionsmaßnahme in Betracht zu ziehen sein. Und da die Übergänge von der Primärprävention zur Sekundärprävention nicht scharf zu definieren sind, wird man davon ausgehen können, dass mit wachsendem Erkenntnisgewinn der Eintritt in die Sekundärprävention immer früher als sinnvoll – wenn nicht gar als notwendig – erachtet werden wird. Diese Entwicklung wird sich beschleunigen, wenn sich Methoden der prädiktiven Diagnostik weiter etablieren. Zwar wird dieser Art der Diagnostik, die zu großen Teilen als Gendiagnostik angelegt ist, noch mit erheblicher Skepsis begegnet. Dies wird sich aber ändern, wenn Variationen in den Genomen besser verstanden werden und wenn das dadurch stetig steigende Potential dieser relativ neuen Methoden besser bekannt wird. Als Konsequenz wird sich ein langsamer Übergang von der ausschließlichen Behandlung Kranker zur Behandlung „Gesunder“ einstellen, weil man in der Lage ist, zu erkennen, dass diese „vermeintlich Gesunden“ genetische Risiken tragen, die durch eine prophylaktische Therapie möglichst klein gehalten werden sollten. Dies wird – wie weiter oben schon angesprochen – bereits heute im Zusammenhang mit der Festlegung neuer „Normwerte“ beispielsweise für Serumlipide oder für den Blutdruck diskutiert. Künftig werden genetische Marker hinzukommen, die sich phänotypisch (noch) nicht äußern, die aber für Vorsorgestrategien – auch im Sinne einer medikamentösen Intervention – relevant sein können und relevant werden sollten, will man die zur Verfügung stehenden Optionen umfassend nutzen. Die Nachfrage nach „Lifestyle-Medikation“, die biologische Entwicklungen verlangsamt oder korrigiert Ein wesentliches Segment des Heilmittelkonsums in einer sich demographisch ändernden Bevölkerung wird von so genannten LifestyleMedikamenten eingenommen werden. Derartige Medikamente korrigieren nicht Krankheits–, sondern Alterungsphänomene, mit denen man sich aber
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nicht abfinden muss oder abfinden will. Es werden Wirkstoffe eingesetzt, die körperliche Fitness und Aussehen positiv korrigieren. Zu dieser Gruppe von Medikamenten werden Wirkstoffe gehören, die eine sexuelle Aktivität auch in fortgeschrittenem Alter ermöglichen. Dazu zählen die PDE5-Hemmer und andere Wirkstoffe gegen erektile Dysfunktion, deren potentielles Patientenklientel beispielsweise in den USA auf 10-30 Millionen Männer im Alter von 40-70 Jahren und in Deutschland auf 5-10 Millionen Männer geschätzt wird. Dazu zählen Östrogen-Präparate, die nicht nur eingesetzt werden, um die Beschwerden des so genannten klimakterischen Syndroms zu behandeln, ein heterogener Beschwerdekomplex, der von psychovegetativen über vasomotorischen bis zu organischen Symptomen mit dem Leitsymptom Hitzewallungen (hot flushes) reicht (Birkhauser 1997, Freedman 2002, Bachmann und Leiblum 2004). Neben der Kurzzeittherapie des klimakterischen Syndroms werden Östrogen-Präparate – obwohl aufgrund neuerer Daten zunehmend kritischer betrachtet (Million Women Study Collaborators 2005) – auch im Sinne von Lifestyle-Medikamenten eingesetzt, die erwiesenermaßen viele der physiologischen Folgen des abrupten Abfalls der ovariellen Hormonproduktion zu kompensieren vermögen. Dazu zählt auch die Vorbeugung chronischer Alterskrankheiten durch eine HRT (hormone replacement therapy), weil in verschiedenen Studien den Östrogenen ein protektiver Effekt bei der Senkung des Erkrankungsrisikos (z.B. bei Herz-Kreislauf-Krankheiten, bei Osteoporose und Morbus Alzheimer) nachgewiesen werden konnte (Magri et al. 2005). Eine ganze Palette (meist illegal eingesetzter) Hormonpräparate werden auf der Welle der Körperertüchtigung mit großen gesundheitlichen Risiken in Fitness-Studios konsumiert, um dem Ideal eines schönen Körpers möglichst schnell und mit möglichst geringem Trainingsaufwand näher zukommen. Es werden höchstwirksame Neurotoxine gespritzt, um Falten zu glätten oder eine überaktive Schweißproduktion zu normalisieren. Und es wird einen steigenden Bedarf an Wirkstoffen geben, die nach übermäßigem Genuss von Lebensmittel und Alkohol den normalen Stoffwechsel so modifizieren, dass sich die Konsequenzen dieser unvernünftigen Ernährung gemäßigt auswirken. Teilweise sind diese Wirkstoffe bereits verfügbar. Mit Sicherheit werden wir in diesem Sektor aber erstaunliche neue Optionen realisiert sehen.
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Das Heilmittelangebot in einer sich demographisch wandelnden Bevölkerung Man kann davon ausgehen, dass das derzeitige Spektrum an Wirkstoffen und Arzneimitteln auch bei einer sich wandelnden Altersstruktur weitestgehend erhalten bleibt. Man kann aber auch davon ausgehen, dass dieses Wirkstoff- und Arzneimittelspektrum deutlich erweitert wird, wobei sich diese Erweiterung an den so genannten unmet medical needs orientieren wird, die auch bestehen würden, wenn die relative Alterstruktur weitgehend konstant bleiben, die Lebensspanne jedoch aufgrund des Fortschritts steigen würde. Heilmittelgebrauch in verschiedenen Lebensabschnitten Wegen einer zunehmenden Morbidität mit steigendem Alter ändert sich auch der Heilmittelgebrauch. Dies betrifft sowohl die Art als auch die Menge der eingenommenen Arzneimittel. Die aktuellste Analyse liefert der Arzneiverordnungsreport 2005 (Nink und Schröder 2006), in dem Arzneimittelverordnungen mit der Zahl der GKV-Versicherten in unterschiedlichen Altersgruppen korreliert wurden (Abb. 5). Danach wurden im Jahre 2004 in Deutschland im Durchschnitt 8,1 Arzneimittelpackungen mit 376,2 definierten Tagesdosen (DDD) für jeden GKV-Versicherten verordnet. Je nach Altergruppe variierte der Arzneimittelkonsum zwischen 59 DDDs bei den 20- bis unter 25-Jährigen bis zu 1.120 DDDs bei den 80- bis unter 85-Jährigen. Dies korrespondiert mit 0,2 bis 3,1 Tagesdosen pro Tag. Hinsichtlich der Kosten bedeutet eine solche Ungleichverteilung, dass auf ca. 10 % der Versicherten bereits 53 % der Arzneimittelausgaben entfallen (Berg 1986). Versicherten mit einem Lebensalter ab 60 Jahren, die 2004 (noch) lediglich 26,6 % der Gesamtpopulation darstellen, wurden 54,9 % des gesamten GKV-Fertigarzneimittelumsatzes verschrieben. Im Durchschnitt wird jeder über 60-Jährige mit knapp 2,4 Arzneimitteln (DDD) täglich als Dauertherapie behandelt. Auf jeden Versicherten in der Altersgruppe 65 bis 75 Jahre entfielen 2004 im Mittel 17 Arzneipackungen im Wert von 697 € (Nink und Schröder 2005).
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Abb. 5. Arzneimittelverordnungen (DDD) der GKV-Versicherten aufgeschlüsselt nach Altersgruppen (5-Jahresschritte) [Quelle: Arzneiverordnungsreport 2005].
Besonders häufig werden im Alter Betablocker/Calciumantagonisten/ Angiotensinhemmstoffe, Antihypertonika, Diuretika, Lipidsenker und Koronarmittel verordnet, die vor allem zur Behandlung von Herz-KreislaufErkrankungen eingesetzt werden. Häufig eingenommen, wenn auch immer weniger von den Krankenkassen erstattet, werden Thrombozytenaggregationshemmer. Weitere bedeutsame Wirkstoffgruppen für 70- bis unter 75Jährige sind Antidiabetika, Analgetika/Antirheumatika, Broncholytika/ Antiasthmatika und Magen-Darm-Mittel. Der Verbrauch all dieser Arzneimittel nimmt mit steigendem Alter nicht gleichförmig zu. Während er bei Analgetika/Antirheumatika, Diuretika, Koronarmitteln und Magen-Darm-Mitteln mit steigendem Alter weiter ansteigt, nimmt er bei Lipidsenkern und Antidiabetika mit steigendem Alter ab. In den übrigen genannten Wirkstoffgruppen bleibt der Gebrauch weitgehend konstant. Das ist keineswegs rational – besonders was den geringeren Einsatz von Lipidsenkern und Antidiabetika betrifft – sondern lässt vielmehr auf eine Unterversorgung schließen. Hier erweist sich der alte Mensch als schwaches Glied in der Gesellschaft. Viele Autoren sehen den demographischen Wandel nicht unbedingt als die treibende Kraft für den steigenden Arzneimittelgebrauch. Dieser steigt
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– unabhängig vom Alter – besonders mit der Nähe zum Tod (Braun et al. 1998, Zweifel 2001, Nink und Schröder 2003). Da jedoch mehr Bürgerinnen und Bürger immer länger leben, wird die Todesnähe ins höhere Alter verschoben, so dass der demographischen Entwicklung vor allem hinsichtlich der größeren Lebenserwartung sehr wohl eine Steigerung des Heilmittelkonsums geschuldet werden muss. Entwicklungstendenzen für neue Arzneimittel Im Folgenden sollen exemplarisch einige der unmet medical needs andiskutiert werden, ohne dass diese Darstellung einen Anspruch auf Vollständigkeit einfordern würde. Tabelle 1. Behandlungsoptionen ausgewählter Erkrankungen (nach Mutschler 2004). Krankheit oder Symptom Bakterielle Infektionen Virale Infektionen Pilzerkrankungen Schmerz Parkinson’sche Krankheit Demenz Psychische Erkrankungen Epilepsie Autoimmun-Erkrankungen Blut-Hochdruck Koronare Herzkrankheit Herzversagen Schlaganfall Dyslipidämie Gicht Diabetes mellitus Bronchialasthma Krebs
Behandlung symptomat. kausal +++ + ++ +++ +++ +++ + +++ +++ ++ +++ +++ + +++ + +++ +++ + +++ + +++ + ++ +
Behandlungsdefizite + ++ + + ++ +++ +++ ++ ++ + ++ ++ +++ + + + +++
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Wirkstoffe, die die Physiologie des Zentralnervensystems beeinflussen Psychopharmaka Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie es in einer “Nervenheilanstalt” zuging, bevor die modernen Psychopharmaka zur Verfügung standen. Hier kann man den Wandel, den diese neuen Wirkstoffe ausgelöst haben, durchaus als revolutionär bezeichnen. Und trotzdem ist die derzeitige Situation keineswegs als befriedigend zu bezeichnen. Denn fast alle derzeit verfügbaren Wirkstoffe vermögen zwar Symptome teils erstaunlich gut zu behandeln, die Ursachen bleiben jedoch bestehen. Und noch längst nicht gehört das Attribut „der chemischen Keule“, mit dem man die ersten Psychopharmaka zu apostrophieren pflegte, der Vergangenheit an. Dieser Konflikt ließe sich mit beliebig vielen Beispielen belegen. Stellvertretend soll hier das Antidepressivum Fluoxetin genannt sein, das 1988 von Lilly als Prozac® eingeführt wurde. Zu diesem Arzneimittel existieren mehr als 10 populärwissenschaftliche Bücher mit teils extrem kontroversem Inhalt. Während Peter Kramer in seinem Buch „Listening to Prozac“ aufzeigt, wie gut dieser Wirkstoff Depressiven hilft, mit ihrer Persönlichkeit wieder besser „in Einklang“ zu kommen (Kramer 1993), stellt Peter Breggin in seinem Buch „Talking back to Prozac“ Nebenwirkungen, Risiken und besonders das Suchtpotential von Fluoxetin in den Vordergrund und kritisiert den Wirkstoff, das Unternehmen Eli Lilly und die FDA in äußerst polemischer Form (Breggin und Breggin 1995). Hier zeigen sich auch die Herausforderungen. Wir brauchen Psychopharmaka, die noch besser verträglich sind, die ein noch geringeres Suchtpotential besitzen und die sich so dosieren lassen, dass alte wie junge Menschen gleich gut behandelt werden können. Da Psychopharmaka nicht selten zusätzlich zu anderen Medikamenten eingesetzt werden, ist der Aspekt der Kompatibilität zu anderen Wirkstoffen relevant. Gerade unter diesem Aspekt ist ein deutliches Verbesserungspotential bezüglich der derzeit verfügbaren Wirkstoffe gegeben. Stehen derart optimierte Wirkstoffe künftig zur Verfügung, ist davon auszugehen, dass der Arzneimittelverbrauch steigen wird, denn derzeit ist die Versorgung in diesem Bereich als suboptimal anzusehen. Sicherlich wurde auch mit den modernen Neuroleptika ein neues Kapitel der Therapieoptionen bei der Behandlung Schizophrener geschrieben. Hier handelt es sich nicht zwingend um ein Patientenkollektiv alter Menschen. Bei den Neuroleptika wird zwischen konventionellen und den neueren, „atypischen“ Antipsychotika, sowie zwischen hoch- und niederpotenten Antipsychotika unterschieden. In unterschiedlicher Ausprägung zeigen
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die Substanzen Nebenaktivitäten, die meist nicht gewünscht sind. Das Profil der neueren atypischen Antipsychotika zeichnet sich aus klinischer Sicht durch weniger oder fehlende extrapyramidalmotorische Wirkungen, einer verbesserten Wirkung auf die so genannte „Negativsymptomatik“ sowie auf kognitive und affektive Symptome aus. Das Risiko extrapyramidaler Nebenwirkungen ist gerade für ältere Patienten bedeutsam, da die Vulnerabilität gegenüber Parkinsonismus und tardiven Dyskinesien mit dem Alter zunimmt. Clozapin als Substanz ohne extrapyramidale Nebenwirkungen hat wiederum Nachteile, da sedierende Effekte und selten Agranulozytose auftreten können, die eine besondere Überwachung der Patienten notwendig machen. Obwohl die neuen Wirkstoffe als wesentlich besser verträglich und wirksamer einzustufen sind, so dass vor allem auch viele der noch jüngeren Patienten wieder ins Berufsleben eingegliedert werden können, erkennt man durchaus ein Potential für Innovationen. Anti-Parkinson-Mittel Die modernen Behandlungsoptionen der Parkinson-Krankheit verdeutlichen, wie wichtig Grundlagenforschung ist und wie konsequent man die Erkenntnisse aus dieser Forschung in Therapiestrategien umsetzen kann. So steht erfreulicherweise mit Levodopa, Dopaminrezeptor-Agonisten, Amantadin, Budipin, Catechol-O-Methyl-Transferase-Hemmern (COMTHemmer), Monoaminooxidase-B-Hemmer (MAO-B-Hemmer) sowie mit den Anticholinergika ein beachtliches Arsenal an sehr unterschiedlich angreifenden Wirkstoffen zur Behandlung der Parkinson-Krankheit zur Verfügung. Und dennoch ist noch immer nicht zu verhindern, dass die Krankheit weiter fortschreitet. So rücken bei der Therapie von Patienten im fortgeschrittenen Stadium Faktoren wie das Alter, die Schwere der Symptomatik, die Ausprägung der Kardinalsymptome, die Krankheitsdauer und Progredienz, insbesondere aber die Begleiterkrankungen, die Begleitmedikation sowie die persönliche Situation des Patienten, die Verträglichkeit der Medikamente und deren Kosten Therapie-bestimmend in den Vordergrund Wie wichtig eine stetig zu optimierende Behandlung der ParkinsonKrankheit ist, kann man aus einer Aussage der Englischen ParkinsonSelbsthilfeorganisation ableiten, die sinngemäß sagt, „dass die ParkinsonKrankheit zwar nicht tötet, einem aber das Leben nimmt“. Die Herausforderung der Zukunft liegt daher in der Neuroprotektion. Denn ähnlich wie bei der Alzheimer-Krankheit ist die Parkinson-Krankheit eine neurodegenerative Erkrankung, die erst dann erkannt wird, wenn der Schaden bereits immens ist.
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Erste Ansätze zu einer neuroprotektiven Intervention sind bereits gemacht. Dazu zählt die Entwicklung von Wirkstoffen, die mit einer bestimmten Gruppe von Glutamat-Rezeptoren – den so genannten NMDARezeptoren – interagieren. Antidementiva Die stetig steigende Zahl der im Alter an einer Demenz erkrankten Patienten signalisiert ohne Zweifel eines der größten Herausforderungen, will man dem Ziel näher kommen, Menschen ein „Altern in Gesundheit“ zu ermöglichen. Was heute zur Behandlung dieser zweiten großen neurodegenerativen Erkrankung zur Verfügung steht, ist alles andere als optimal. Moderne Therapieansätze sind auch hier durchaus rational: x So greifen die meisten heute verfügbaren Wirkstoffe – die Cholinesterase-Inhibitoren Donepezil (Aricept®) Rivastigmin (Exclon®) und Galantamin (Reminyl®) – dort ein, wo das biochemische Problem liegt, indem sie den Abbau der nicht mehr ausreichend verfügbaren Neurotransmitter-Substanz Acetylcholin zu blockieren versuchen. x Alternativ kann durch Einsatz des Glutamatmodulators Memantine (Axura®, Ebixa®) in physiologischer Weise der NMDA-Kanal blockiert werden, so dass dieser zwar für Glutamat-vermittelte Lern- und Gedächtnisvorgänge noch voll verfügbar ist, gleichzeitig aber gegen die exzitotoxischen Wirkungen von pathologisch erhöhten Glutamatkonzentrationen geschützt ist. Die sich hieraus ergebende Neuroprotektion ist gut belegt (Reglia und Winblad 2003). Dennoch sind neue Strategien dringend erforderlich. Eine dieser Strategien zielt dahin, die Synthese des ß4-Amyloids zu inhibieren. Hierbei handelt es sich um ein Protein, das ganz maßgeblich an der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung und an deren Fortschreiten beteiligt ist. Auch wird versucht, die Aggregatbildung dieses Proteins zu verhindern, denn letztlich sind es die enormen Ablagerungen der ß4-Amyloid-Aggregate, die ein Absterben der Neuronen in den betroffenen Hirnaggregaten zur Folge haben. Nach allem, wie man die Krankheit aber heute einzuschätzen vermag, scheint ein wirklicher Durchbruch erst dann möglich zu sein, wenn ein früheres Erkennen des Krankheitsgeschehens möglich ist. So sind beide großen neurodegenerativen Erkrankungen – die Alzheimer-Krankheit und die Parkinson-Erkrankung – Beispiele dafür, dass Fortschritte von einer besseren Diagnostik und/oder von effizienteren Präventionsstrategien abhängen werden, was weiter oben unter dem Stichwort
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„Behandlung Gesunder“ diskutiert wurde und was für den zukünftigen Heilmittelkonsum extrem relevant sein wird. Die Behandlung von Schlafstörungen Schlafstörungen werden auch in Zukunft junge wie alte Bürgerinnen und Bürger betreffen. Für den Einsatz bei älteren Patienten kommen im Prinzip die gleichen Stoffgruppen in Frage wie bei jüngeren. Noch immer dominieren hier – besonders bei älteren Patienten – die BenzodiazepinHypnotika, auch weil sie relativ preiswert sind. Gerade bei dieser Patientengruppe ist allerdings die Benzodiazepin-Behandlung mit speziellen Risiken verbunden, die über das allgemeine Nebenwirkungsprofil (Abhängigkeitspotential, Rebound-Insomnie bei plötzlichem Absetzen, Interaktion mit Alkohol) dieser Stoffgruppe hinausgehen. Die muskelrelaxierende Wirkung erhöht die Sturz- und damit die Frakturgefahr beim nächtlichen Aufstehen. Häufiger als bei jungen Patienten kann es zu paradoxen Reaktionen mit Antriebssteigerungen und Erregungszuständen kommen. Dieses Risiko ist bei Demenzpatienten besonders hoch. Die atemdepressive Wirkung kann eine bestehende, eventuell unerkannte Atemregulationsstörung (z. B. Schlafapnoe-Syndrom) verstärken. Durch den veränderten Metabolismus im Alter kann es auch bei Substanzen mit mittellangen Halbwertszeiten zur Kumulation und zu Überhangeffekten kommen. Die neueren Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten Zopiclon, Zolpidem und Zaleplon sind chemisch nicht mit den Benzodiazepinen verwandt. Gerade bei älteren Patienten weisen sie gegenüber den Benzodiazepinen eine günstigere Nutzen-Risiko-Relation auf: Bei vergleichbarer hypnotischer Potenz sind Muskelrelaxation und Atemdepression geringer ausgeprägt, Abhängigkeit und Rebound-Insomnien nach Absetzen treten seltener auf. Sedierende Antidepressiva kommen bei sekundären Schlafstörungen auf dem Boden einer Depression, aber auch bei chronischen psychophysiologischen Insomnien in Betracht. Die schlaffördernde Wirkung dieser Medikamente tritt schon in den ersten Behandlungsnächten ein, deutlich vor dem antidepressiven Effekt. Speziell bei älteren Patienten ist der Einsatz trizyklischer Antidepressiva als Schlafmittel jedoch limitiert durch die ausgeprägten anticholinergen Eigenschaften dieser Stoffgruppe. Auch niederpotente Neuroleptika haben ihren Platz in der Behandlung von Schlafstörungen bei älteren Patienten. Neben dem schlaffördernden Effekt ist ihnen die Wirkung auf psychomotorische Erregungszustände, Verwirrtheit und Agitiertheit gemeinsam. Liegen ausgeprägte nächtliche Verhaltensauffälligkeiten vor, so sind auch hochpotente Neuroleptika indiziert.
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In Deutschland werden relativ häufig Phytopharmaka als Schlafmittel verordnet. Die relativ spärlich vorliegenden Untersuchungen zur Wirksamkeit dieser Substanzen zeigen einen vergleichsweise schwach ausgeprägten Effekt bei weitgehendem Fehlen von Toxizität oder unerwünschten Wirkungen. Behandlung von Schmerzen Der Behandlung chronischer Schmerzen wird in Deutschland immer noch nicht adäquat Rechnung getragen. Offensichtlich hat die häufig (noch) bei Patienten und Ärzten anzutreffende Überzeugung, Schmerz sei ein unabdingbarer Begleiter des hohen Lebensalters und daher schicksalhaft zu akzeptieren, einen negativen Einfluss auf die diagnostischen und therapeutischen Bemühungen genommen. Die Zahl älterer Menschen, die über ständig vorhandene oder rezidivierende Schmerzen klagen, liegt nach Schätzungen zwischen 25 % und 50 % (Basler 1993). Aber natürlich sind auch jüngere Menschen betroffen. Bei der Behandlung chronischer Schmerzen gilt es als Kunstfehler, Medikamente nach Bedarf und nicht nach einem festen Zeitschema zu verordnen (Tölle 2003). Daraus leitet sich ab, dass eine Schmerztherapie, wird sie denn lege artis durchgeführt, eine sehr geordnete Dauertherapie darstellt, wobei der Typ und die Menge an Wirkstoffen jedoch sehr unterschiedlich sein können. Da die Probleme bei der Behandlung von Schmerzen prinzipiell erkannt sind, kann hier wohl mit deutlichen Veränderungen gerechnet werden, was sich wieder auf den Heilmittelgebrauch auswirken wird. Behandlung des ADHS-Syndroms Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine biologische Störung des Gehirns, von der nicht nur Kinder sondern auch immer mehr Erwachsene betroffen sind. Man nimmt an, dass sie auf ein Ungleichgewicht verschiedener Botenstoffe zurückgeführt werden kann (Krause et al. 1998). Die Symptome von ADHS schließen sowohl hyperaktive/ aggressive Verhaltensweisen als auch Aufmerksamkeitsdefizite ein. Die meisten Personen mit ADHS haben eine Mischung dieser Symptome, andere hingegen können lediglich hauptsächlich eine Art davon haben (Dulcan et al. 1997). Neben nichtmedikamentösen Therapiemaßnahmen, Bildungs- und Lifestyle-Änderungen, wird die medikamentöse Therapie einen stetig steigenden Stellenwert erlangen. Derzeit stehen als Optionen Stimulanzien, trizyklische Antidepressiva mit ausgeprägtem noradrenergem Wirkmechanismus, Lithium, andere Antidepressiva (Atomoxetin, Bupropion), Phenyl-
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alanin, Nikotinpflaster und Nikotin-Rezeptor-Agonisten zur Verfügung. Allerdings wird derzeit nur die Stimulanzienbehandlung mit Methylphenidat bei den gegebenen Optionen mit der Evidenzstufe 1 B als wirksam bewertet und als medikamentöse Therapie der 1.Wahl empfohlen. Die anderen pharmakologischen Therapien sind nach Expertenkonsens aufgrund des Nebenwirkungsprofils oder wegen geringerer oder fehlender Wirksamkeit bzw. nicht ausreichender Datenlage in der klinischen Praxis 2.Wahl oder nicht empfehlenswert (Leitlinien der DGPPN 2003). Daraus wird ersichtlich, dass in diesem Bereich ein großer Innovationsbedarf besteht. Seit März/April 2005 steht in Deutschland mit dem Wirkstoff Atomoxetin eine völlig neue Behandlungsmöglichkeit der ADHS zur Verfügung. Das Medikament muss nur einmal täglich eingenommen werden und wirkt dann über den ganzen Tag bis zum nächsten Morgen auf die Kernsymptome der ADHS – Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Atomoxetin ist auch für Kinder und Jugendliche zugelassen und das bislang einzige Medikament zur Behandlung der ADHS, das nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt. Der neue Wirkstoff ist ein hochselektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der im Gehirn die beiden Neurotransmitter Noradrenalin und Dopamin reguliert, die bei der Entstehung der ADHS eine zentrale Rolle spielen. Anders als bislang eingesetzte Medikamente wie Methylphenidat ist Atomoxetin kein Psychostimulanz und besitzt kein Abhängigkeitspotential. Die Wirksamkeit von Atomoxetin scheint aber mit der von Metylphenidat vergleichbar zu sein. Arzneimittel, die auf das Herz/Kreislaufsystem wirken Antihypertensiva Werden diese Medikamente bei entsprechender Indikation konsequent eingenommen, sind sie in der Lage, die Inzidenz von Herzinfarkten um 30 bis 40 % und die von Schlaganfällen um 50 % zu senken. Das ist eine gewaltige Zahl, und die Tatsache, dass dies so betont wird, macht deutlich, dass es mit der compliance bei der Einnahme dieser Medikamente längst nicht zum Besten steht. Das liegt auch daran, dass sich die Patienten subjektiv kaum krank fühlen. Tatsache ist aber, dass diese Medikamente mehr Menschenjahre retten könnten, als dies der Fall wäre, wenn man alle Tumorerkrankungen heilen könnte. Und dennoch geht die Suche nach noch besseren Antihypertensiva unvermindert weiter, weil alle verfügbaren Wirkstoffe auch ihre spezifischen Nebenwirkungen haben, aber auch, weil der Markt für diese Wirkstoffe riesig ist und weiter wächst. Eine interessante Wirkstoffklasse, die die Behandlungsoptionen der Hypertonie erweitern könnte, sind so genannte Endothelin-Antagonisten (Tostes und Mus-
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cara 2005). Endothelin ist eine körpereigene Substanz, die zur Verengung von Blutgefäßen führt. Endothelin-Antagonisten werden mit diesem Biomolekül um die Bindung an den spezifischen Rezeptor konkurrieren und somit dessen Wirkung abschwächen. Pharmakotherapie bei Herzversagen Eine moderne Behandlung des Herzversagens ist heute eine komplexe Kombinationstherapie. Hier hat es in den letzten Jahren mehrere Paradigmenwechsel gegeben, was unterstreicht, dass die Medizin in weiten Bereichen eine empirische Wissenschaft ist, die aber sehr wohl auch bereit ist, neue Erkenntnisse bedingungslos in stetig zu optimierenden Leitlinien umzusetzen. Heute wird die Herztherapie geleitet von einer Entlastung des Herzens und von der Hemmung der Überstimulation des sympatischen Nervensystems, des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und des VasopressinSystems. Der Paradigmenwechsel bestand u.a. darin, dass man heute mehr und mehr davon absieht, das geschwächte Herz zu stimulieren. Im Gegenteil: der gefürchteten Hypertrophie des Herzens als Folge eines immer stärker arbeitenden Herzens, die im Fachjargon als Remodelling bezeichnet wird, versucht man mit modernen Aldosteron-Antagonisten wie dem Spironolacton und dessen Analoga entgegenzuwirken (Croom und Perry 2005). Dies hat nicht nur therapeutische Fortschritte gebracht, die sich in physiologischen Parametern niederschlagen. Durch diese neuen Strategien wurde auch die Lebensqualität der Patienten erheblich verbessert. Und dennoch sind auch hier dringend neue Strategien erforderlich, die beispielsweise darin bestehen könnten, die Geschwindigkeit des myocardialen Zelltods zu verlangsamen und so die Progression der Krankheit, die sich ähnlich auswirkt wie eine Tumorerkrankung, zu reduzieren. Behandlungsoptionen für den Schlaganfall Die Behandlungsoptionen für einen Schlaganfall sind alles andere als zufrieden stellend. Nur wer sehr schnell nach einem Schlaganfall einer Spezialtherapie zugeführt wird, hat eine Chance, mit moderaten Hirnschäden davonzukommen. Als Optionen stehen heute thrombolytische Therapieregime an erster Stelle, um so schnell wie möglich die Ischämie, d.h. die Unterversorgung des betroffenen Hirnareals mit Blut, zu korrigieren. Diese Option hat aber auch ihre Kehrseite, denn verständlicherweise ist die Gefahr einer therapieinduzierten Blutung durchaus gegeben. Gelingt es,
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für diese Indikation neue Therapieoptionen zu entwickeln, werden diese sicherlich den Heilmitteleinsatz gewaltig beeinflussen. Arzneimittel zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen Chronisch entzündliche Erkrankungen, wie Rheumatoide Arthritis, oder Morbus Crohn, sind therapeutische Herausforderungen für die Zukunft. Zwar kann man in diesem Indikationsfeld, das in jüngster Zeit durch viele rekombinante Wirkstoffe signifikant bereichert wurde, den Fortschritt quasi „erleben“. Aber dennoch kann man noch längst nicht von einem Durchbruch sprechen. Basis für die neuen Entwicklungen war auch hier eine intensive Grundlagenforschung, die zu einem detaillierten Verständnis der Pathomechanismen auf molekularer Ebene geführt hat. Dies war die Basis für die Zulassung gentechnisch hergestellter Antagonisten für Signalmoleküle, die in diesem Krankheitsgeschehen unphysiologisch stark produziert werden und die somit einen circulus viciosus aufrechterhalten. Gentechnisch hergestellte Wirkstoffe wie Infliximab (Remicade®), Etanercept (Enbrel®) und Adalimumab (Humira®) neutralisieren sehr effizient den Tumornekrose-Faktor-D (TNF-D), einen der Hauptakteure in diesem fehlgesteuerten Kommunikationsnetzwerk. Zwar sind diese gentechnisch hergestellten Moleküle sehr gute Wirkstoffe. Sie sind aber nur bedingt gute Arzneimittel. Denn alle Proteine müssen parenteral appliziert werden, sie sind chemisch labil und müssen daher besonders vorsichtig gelagert werden. Ferner sind sie wegen des sehr aufwendigen Herstellungsprozesses extrem teuer. So bietet auch dieses sehr große Indikationsfeld viel Raum für Innovationen, z. B. in Form von TNF-D- oder IL-1-Synthesehemmern oder von Inhibitoren des Interleukin-1-converting Enzyms (ICE, Caspase1) (Randle et al. 2001). Zu Bedenken ist aber auch, dass alle modernen Strategien in das sehr subtile immunologische Netzwerk eingreifen, so dass alle bisher verfügbaren Therapieoptionen als Immunsuppressiva zu klassifizieren sind. Der Einsatz solcher Substanzen hat auch seine Nachteile, die u.a. darin bestehen können, dass die Inzidenz für die Bildung eines Tumors steigt. Antiinfektiva Antibakterielle Wirkstoffe (Antibiotika) Wie weiter oben bereits diskutiert, hat die Entdeckung der Antibiotika die Behandlung bakterieller Infektionen revolutioniert, und dies mit unglaublichen Konsequenzen für die Lebenserwartung. Und dennoch gibt es
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keinen Grund sich zurückzulehnen. Denn die Entwicklung von Multiresistenzen in einer dafür prädestinierten Umgebung wird zu einem immer relevanteren Problem. Verlieren wir den Kampf gegen die Mikroorganismen? Diese Frage ist völlig offen. Dringend und ständig benötigen wir neue Wirkstoffe. Eine dieser neuen Gruppen sind die Oxazolidinone mit dem ersten Wirkstoff Linezolid. Ein anderer Ansatz besteht darin, die Bakterien biologisch zu „entwaffnen“, indem man versucht, die Virulenzfaktoren zu inaktivieren (Hung et al. 2006). Antivirale Wirkstoffe (Virustatika) Die Entwicklung von Virustatika ist sicherlich in besonderem Maße durch die AIDS-Epidemie vorangetrieben worden. Die Fortschritte, die die entsprechenden Wirkstoffe gebracht haben, sind außerordentlich beeindruckend. Und dennoch bleibt der Druck, neue Wirkstoffe zu entwickeln, extrem hoch, denn immer wieder entkommen die Viren wegen ihres enormen Mutationspotentials den Interventionsstrategien. Hinzu kommt, dass andere virale Erkrankungen keineswegs so gut therapierbar sind, wie die HIVInfektion. Aktuell droht eine Pandemie, die ebenfalls durch ein Virus mit einem RNA-Genom verursacht werden könnte. Die Erreger der Vogelgrippe und der Influenza sind so ähnlich, dass sie zu neuen, extrem gefährlichen Virus-Spezies kombinieren könnten. Zwar stehen hier mit den Neuraminidasehemmern Zanamivir und Oseltamivir interessante Wirkstoffe zur Verfügung. Ob diese sich jedoch bei einer Pandemie bewähren, ist noch unbekannt. Antitumor-Mittel (Zytostatika) Je älter die Bevölkerung wird, um so mehr wird die Behandlung von malignen Erkrankungen zur Herausforderung. Denn eines der größten Risiken, an einem Tumorleiden zu erkranken, ist nun einmal das Alter. Auf diesem Gebiet erleben wir derzeit auch einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel, der allerdings auch dringend geboten ist. So genannte smart drugs drängen in den Markt. Diese zielen nicht „nur“ darauf ab, Tumorzellen zu töten, sondern sie unterbinden das Tumorwachstum, indem sie wichtige Signaltransduktionswege blockieren, Systeme inaktivieren, die der Tumorzelle einen selektiven Wachstumsvorteil verleihen oder wichtige Versorgungsstränge unterbrechen. Vielfach handelt es sich hier um rekombinante Proteine. Allerdings wurden auch verschiedene niedermolekulare Wirkstoffe für die Behandlung bestimmter Tumoren zugelassen. Dazu
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zählen die Tyrosin-Kinase-Inhibitoren (z.B. Gefitinib, Erlotinib oder Imatinib), oder auch der Proteasom-Inhibitor Bortezomib. Ähnlich wie die antivirale Therapie, ist auch die zytostatische Therapie eine komplexe Kombinationstherapie, da auch Tumoren ein enormes Mutationspotential besitzen und immer wieder Interventionsstrategien entkommen. Eine große Herausforderung wird darin bestehen, optimale Kombinationspartner zu identifizieren und diese zeitlich optimal zueinander abgestimmt einzusetzen. In diese Kombinationstherapien sind selbstverständlich klassische Zytostatika mit einzubeziehen.
Zusammenfassung Der Wandel der Altersstrukturen in unserer Gesellschaft ist nicht mehr aufzuhalten. Dies wird sich auswirken auf die Heilmittelqualität und auf den Heilmittelverbrauch. Neben Patienten werden auch in immer stärkerem Maße (noch) Gesunde Arzneimittel konsumieren. Denn Dank neuer diagnostischer Verfahren, die gezielt auch zum Erkennen von Krankheitsrisiken entwickelt und eingesetzt werden, wird das Bewusstsein für eine individuelle Gesundheitsvorsorge steigen. Änderungen in der Altersverteilung in einer Gesellschaft werden auch die Arzneimittelentwicklung beeinflussen, und umgekehrt wird sich eine noch bessere Arzneimittelversorgung auch wieder auf die Alterstruktur auswirken. Dabei wird nicht nur der steigende Anteil an „Alten“ die entscheidende Rolle spiele. Auch die Jüngeren werden neue Ansprüche und Bedürfnisse geltend machen, und wer gestern noch als „alt“ galt, wird sich morgen „noch jung“ fühlen. Lifestyle-Medikamente werden antreten, diese Diskrepanz so gut wie möglich zu überdecken. Trotz der vielen zu erwartenden Neuentwicklungen ist kaum abzusehen, dass signifikante Teile des derzeit verfügbaren Arzneimittelschatzes vom Markt verschwinden werden. Es wird nicht etwa eine „Anpassung durch Ersatz“, sondern mit großer Sicherheit eine Ausweitung der Heilmitteloptionen geben. Dabei werden wir einen Trend zur Individualisierung des Arzneimitteleinsatzes erleben, der ganz besonders auch dem stetig steigenden biologischen Alter mit seinen physiologischen Konsequenzen Rechnung trägt, was heute noch weitgehend ignoriert wird.
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Abfall- und Abwassermanagement bei der Arzneimittelproduktion der Schering AG Hans-Peter Böhm Schering AG, Bergkamen
Kurzfassung Die pharmazeutische Industrie – Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion – ist reguliert wie wenige andere Bereiche. Die zu beachtenden Gesetze und Verordnungen gehen in die Tausende, besonders für international tätige Hersteller. Die Einhaltung aller Anforderungen wird ständig sowohl durch nationale und internationale Behörden als auch durch Kunden überprüft. Wer im Pharma-Markt bestehen will, vor allem unter den bekannt kritischen Augen der deutschen Medien, kann sich keine 80 %-Mentalität nach dem Motto "merkt schon keiner" leisten. Als Dienstleister in Sachen Gesundheit ist die pharmazeutische Industrie über rechtliche Anforderungen hinaus in besonderem Maße dem Leben und der Umwelt verpflichtet. Deswegen haben zahlreiche Firmen „Nachhaltigkeit“ in ihre Unternehmensziele aufgenommen. Die Umsetzung dieser papierenen Willenserklärung in die Praxis wird belegt durch die Zertifizierung nach ISO 14001 und/oder die Validierung nach EMAS (EG Öko Audit) durch unabhängige Stellen. In diesem Zusammenhang haben alle großen Pharmahersteller beträchtliche Investitionen getätigt. Technologisch optimale Lösungen zur Abluftund Abwasserbehandlung werden in Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden realisiert; in manchen Fällen sogar öffentlich gefördert. Der Erfolg ist messbar: Aus der Wirkstoff- und Arzneimittelherstellung werden inzwischen umweltrelevante Stoffe nicht mehr oder nur noch in um Größenordnungen reduzierten Konzentrationen in die Umwelt abgegeben. Im Abwasserbereich geht es grundsätzlich um firmenspezifische Lösungen, im Abfallbereich ist häufig eine Kooperation mit spezialisierten Entsorgungsunternehmen die wirtschaftlichere Lösung. Nicht unerwähnt bleiben soll eine weitere Triebfeder für die systematische Rückhaltung von Reststoffen: Die allgemeine Preissteigerung für
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Rohstoffe zwingt die Hersteller, wenn irgend möglich, wertstoffhaltige Stoffströme zurückzuhalten und aufzuarbeiten. Iod als kontrastgebendes Element in den Röntgenkontrastmitteln ist dafür ein prominentes Beispiel.
Einleitung "Arzneimittel1 in der Umwelt" sind seit den frühen 90er Jahren im Gespräch und die Besorgnis über die Auswirkungen dieser Substanzen führte zu zahlreichen Diskussionen und Untersuchungen im internationalen und nationalen Rahmen. So haben auf EU-Ebene viele Mitgliedsstaaten z. B. hormonell wirkende Chemikalien und Wirkstoffe als Problem erkannt, was Ausdruck findet in der "Gemeinschaftsstrategie für Umwelthormone" vom 17.12.1999 (Europäische Kommission 1999). Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung im August 2000 gebeten, den Eintrag von Chemikalien, die nachweislich auf das endokrine System wirken, über das Abwasser in Gewässer stufenweise drastisch zu reduzieren (Bundestagsdrucksache 14/1471 2000). Endokrin wirksame Substanzen in Abwässern können sowohl aus dem industriellen als auch aus dem kommunalen Bereich stammen. Relevante Substanzen sind Chemikalien unterschiedlichster Stoffklassen, Pharmazeutika sowie in besonderem Maße natürliche und synthetische Estrogene. In den letzten Jahren sind die chemisch-analytischen Voraussetzungen geschaffen worden, um in Wasser-, Schlamm- und Sedimentproben die gesuchten Substanzen bis in den ng/L-Bereich (ppt) nachweisen zu können. Angesichts dieser analytischen Empfindlichkeit gibt es praktisch nichts mehr, was nicht messtechnisch nachgewiesen werden kann. In den letzten 10 Jahren sind auf dieser Basis unzählige Untersuchungen von Behörden, Universitäten und anderen Forschungsinstituten zum Auftreten von Wirkstoffen in der Umwelt (Gewässer, Sedimente) durchgeführt und publiziert worden, so dass heute eine gute Übersicht vorliegt, welche Wirkstoffe in welchen Konzentrationen und in welchen Kompartimenten in der Umwelt auftreten. Während die qualitative und quantitative chemische Bestimmung von pharmazeutisch wirksamen Stoffen in Kläranlagenabläufen weitgehend sicher möglich ist, ist für die meisten dieser Stoffe noch ungeklärt, ob ihr Vorkommen Wirkungen auf die Biozönose in den Gewässern hat, in die diese Abläufe einmünden. Im Folgenden wird die Vermeidung des Eintrags von pharmazeutischen Wirkstoffen in die Umwelt im Laufe der Herstellung beleuchtet. Mit den 1
eigentlich Arzneimittelwirkstoffe als aktive Bestandteile, hier fortan als Wirkstoffe bezeichnet
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aus der bestimmungsgemäßen Verwendung von Arzneimitteln zur Therapie oder Diagnose resultierenden Einträgen in Umweltmedien beschäftigen sich andere Beiträge dieses Bandes.
Gesetzliche Anforderungen Die Herstellung von Arzneimitteln (= Darreichungsformen) unterliegt in Deutschland dem Arzneimittelrecht und wird im Detail geregelt durch die Betriebsverordnung für pharmazeutische Unternehmer. In dieser Vorschrift werden vorwiegend Qualitätsanforderungen beschrieben. Eine Ausdehnung der Betriebsverordnung auf den Bereich der Wirkstoffherstellung ist aktuell in der Diskussion, ein Entwurf liegt vor. International tätige Unternehmen müssen darüber hinaus den im ICH-Prozess2 festgelegten Qualitätsanforderungen für Arzneimittel genügen. Über die Anforderungen des Arzneimittelrechts hinaus ist von den Herstellern der Arzneimittel und Wirkstoffe eine Vielzahl weiterer gesetzlicher Anforderungen zu erfüllen, für die im Zusammenhang mit (möglichen) Emissionen in die Umwelt Anforderungen aus Immissionsschutz-, Gewässerschutz-, Bodenschutz-, Abfall-, Chemikalien- und Gefahrgutrecht gelten. Die Anforderungen an Bau und Betrieb der Produktionsanlagen sind hinsichtlich der umweltrelevanten Anforderungen im Bundesimmissionsschutzgesetz und seinen Verordnungen festgelegt. Die Genehmigungsbescheide mit den zugehörigen Nebenbestimmungen stellen die dauerhafte Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen sicher. Für den Fall, dass bei der Herstellung Abwasser anfällt, welches in ein Gewässer eingeleitet werden soll, ist darüber hinaus eine Einleitungserlaubnis gemäß Wasserhaushaltsgesetz notwendig. Für die Wirkstoffproduktion sind im Anhang 22 zur Abwasserverordnung die Anforderungen hinsichtlich der Summenparameter CSB/TOC und AOX, für Phosphor und Stickstoff sowie für einige Schwermetalle festgelegt. Dazu kommen die Anforderungen in Form der Gx-Werte3 und des umu-Tests4, die auch die ökotoxikologische Wirkung pharmazeutischer Wirkstoffe erfassen.
ICH = International Conference on Harmonization; seit 1990 laufender Abstimmungsprozess zwischen Europa, Japan und USA 3 Gx-Werte beschreiben toxikologische Wirkungen auf im aquatischen Bereich lebende Organismen (Algen, Leuchtbakterien, Daphnien und Fischeier) 4 umu = uv-Mutagenese; mit dem umu-Test kann die gentoxische Wirkung von chemischen Substanzen und komplexen Stoffgemischen erfasst werden 2
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Individuell kann die Behörde darüber hinaus einzelstoffbezogene Begrenzungen in die Einleitungserlaubnis aufnehmen, die sich aus den Anforderungen des Anhangs X der Wasserrahmenrichtlinie und der Gewässerqualitätsverordnung ergeben. Die behördlichen Zulassungen für die Abwassereinleitung, den Kläranlagenbetrieb, den Betrieb von Produktions- und Abfall-/Abwasserbehandlungsanlagen einschließlich aller Nebenbestimmungen zum Schutz der Umweltmedien sind für den Betreiber verbindlich. Ihre Einhaltung wird durch die zuständige Aufsichtsbehörde regelmäßig kontrolliert. Verstöße werden ordnungs- bzw. strafrechtlich geahndet. Die von den Behörden durchgeführten Kontrollen beziehen sich aber nicht nur auf die Inhalte der Genehmigungsbescheide, sondern auch auf die Erfüllung des Standes der Technik bzw. der europaweit geltenden Anforderungen bezüglich der Best Available Techniques (BAT). Im Falle deutlicher Weiterentwicklungen im Rahmen der BAT können die Aufsichtsbehörden auf dem Wege der nachträglichen Anordnung eine Nachbesserung bestehender Anlagen fordern und auch durchsetzen.
Integriertes Managementsystem der Schering AG Managementsysteme Die EU Kommission beschreibt im BAT-Dokument Managementsysteme als das Instrument der Wahl für die Erfassung von und den Umgang mit umweltrelevanten Emissionen (Amtsblatt der EU 2003): „Umweltmanagement ist eine Strategie zum Umgang mit der Freisetzung (oder deren Vermeidung) von Abfallstoffen aus den Tätigkeiten der (chemischen) Industrie unter Berücksichtigung der lokalen Bedingungen, durch die die integrierte Leistung eines Chemiestandortes verbessert wird. … Ein Umweltmanagementsystem besteht in der Regel aus einem sich kontinuierlich wiederholenden Prozess, dessen einzelne Schritte sich auf eine Reihe von Managementinstrumenten stützen …“ Dieser repetitiv zu durchlaufende Prozess findet sein Pendant in den Inspektionssystemen EMAS5 und ISO 14001, die zwecks Aufrechterhaltung der Validierung bzw. Zertifizierung ebenfalls periodisch erneut absolviert werden müssen.
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EMAS = Environmental Management and Audit Scheme
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Das Integrierte Managementsystem der Schering AG Schering als weltweit tätiges Unternehmen mit Niederlassungen in ca. 140 Ländern hat für die Erreichung der Unternehmensziele eigene hohe Qualitätsstandards festgelegt und überprüft regelmäßig deren Einhaltung. Alle relevanten Anforderungen, die sich durch die Qualitäts-, Sicherheitsund Umweltschutzstandards ergeben, beschreibt das Integrierte Managementsystem (IMS), das Schering bereits 2001 konzern-, d. h. weltweit, eingeführt hat (Schering AG 2002). Es berücksichtigt internationale Standards wie z. B. die Normenreihe ISO 9001 (für Qualität) und ISO 14001 (für Umweltschutz). Dieses integrierte System dient zugleich als Orientierung und Maßstab für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Abb.1).
Handbuch
Richtlinien
Konzern-SOPs
lokale SOPs
Abb. 1. Hierarchie von Vorgaben im IMS-System.
Zum besseren Verständnis des Managementsystems wurde weltweit ein klar formuliertes Handbuch eingeführt. Mit ihm können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnell und umfassend über die Grundsätze und Regeln informieren und nachgeordnete Richtlinien und SOP’s6 recherchieren. Das Handbuch liegt in Englisch, Deutsch und Spanisch vor. Um ein gemeinsames Verständnis der Standards sicherzustellen, werden alle Produktionsstandorte in die kontinuierliche Aktualisierung der internen Regeln einbezogen. 6
SOP: Standard Operating Procedure; Standardablaufbeschreibung
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Stoffstrommanagement Am Standort Bergkamen – dem größten Standort für die Wirkstoffproduktion der Schering AG – wird der Verbleib der Reststoffe (Abfall, Abwasser) durch die Funktion Stoffstrom- und Entsorgungsmanagent geregelt. Diese Funktion gewährleistet die praktische Umsetzung des IMSSystems. x x x x x
Recycling Nutzung als Brennstoff betriebsnahe Vorbehandlung vor Ableitung in die Abwasserbehandlung direkte Ableitung in die Abwasserbehandlung Verbrennung (intern oder extern).
Interne Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltschutz-Audits Um überall auf der Welt einen vergleichbaren Standard der ScheringProduktionsstätten sicherzustellen, führen interne Experten regelmäßig Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltschutz-Audits durch. Audits sind eine systematische und dokumentierte Methode zur Überprüfung der Managementsysteme und dienen der Einhaltung interner und gesetzlicher Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltschutz-Vorgaben sowie zur Ermittlung von Schwachstellen und Verbesserungspotenzialen. Im Rahmen dieser Audits werden alle sicherheits- und umweltschutzrelevanten Bereiche überprüft: Produktionsanlagen, Technikumsanlagen, Laboratorien, Läger, Energieund Wasserversorgungsanlagen, Abfallentsorgungsanlagen, Abluft- und Abwasserreinigungsanlagen. EG-Öko-Audit (EMAS) und Zertifizierungen nach der Umweltmanagementnorm ISO 14001 Neben der Durchführung von internen Sicherheits- und UmweltschutzAudits wurde im Jahr 2000 mit der Zertifizierung der Produktionsstandorte nach ISO 14001 begonnen. Die Funktion Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltschutzaudit, die die Zertifizierungsaktivitäten unterstützt, hat einen ISO 14001-Leitfaden erstellt, der an alle Produktionsstandorte verteilt wurde. Die Produktionsstandorte in Weimar und Bergkamen sind sowohl nach ISO 14001 zertifiziert als auch nach EMAS validiert. Der wesentliche Unterschied beider Testate besteht darin, dass die Umweltdaten und die
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selbstverpflichtenden Ziele bei dem EMAS-Verfahren in einer schriftlichen Umwelterklärung für jedermann transparent zu machen sind. Die Bergkamener Erklärung fasst die Ergebnisse der umfangreichen Prüfung durch den Gutachter des TÜV Rheinland zusammen. Neben europäischen Schering-Standorten sind auch bereits etliche Standorte in Lateinamerika nach ISO 14001 zertifiziert.
Abfallmanagement in der Schering AG Seit 1999 existieren bei Schering für die nachsorgende Abfallwirtschaft weltweit gültige Standards. Die Umsetzung der Konzernstandards vor Ort erfolgt durch standortspezifische Regelungen in der Landessprache, wobei zusätzlich auch nationale Vorschriften berücksichtigt werden. Bereits zu Beginn der 90er Jahre wurde die „Schering Reststoffbörse“ gegründet, die nicht mehr benötigte sortenreine Reste von Chemikalien und anderem Material mit Hilfe des Intranets weitervermittelt. Größere Bestände werden darüber hinaus auch extern angeboten. Ziel der Reststoffbörse ist die konsequente Umsetzung des Grundsatzes „Verwertung vor Entsorgung“. Abfälle aus der Wirkstoffproduktion Große Mengen verschiedenster Abfälle fallen in der (chemischen) Wirkstoffproduktion an. Da diese Abfälle zum Teil als besonders überwachungsbedürftige Abfälle eingestuft sind, wurde u. a. zur Vermeidung von externen Transporten bereits 1977 am größten Standort in Bergkamen eine Sonderabfallverbrennungsanlage gebaut. Diese wurde in der Zwischenzeit mehrfach nachgerüstet, um neueren Erkenntnissen zu Spurenemissionen aus Verbrennungsanlagen (z. B. zur Vermeidung von Dioxinen) Rechnung zu tragen und um bei der Verbrennung iodhaltiger Abfälle eine Freisetzung elementaren Iods zu vermeiden (s. u.). Die Anlage wird heute in erster Linie für die Verbrennung fester Abfälle aus der Wirkstoff- und der Arzneimittelproduktion eingesetzt und für die Iodrückgewinnung aus Abfällen der Röntgenkontrastmittel- (RKM) Produktion. Im standorteigenen Kraftwerk werden seit 2001 in einem speziellen Kessel flüssige Abfälle thermisch verwertet und tragen so in nicht unerheblichem Maße zum Ersatz von Primärbrennstoffen bei. Dadurch hat sich die Struktur der Abfallentsorgung deutlich zugunsten der thermischen Verwertung von Abfällen verändert (Abb. 2).
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11%
stoffliche Verwertung
39% 26%
thermische Verwertung
Verbrennung
Deponierung
24% Abb. 2. Kategorien der Abfallbeseitigung 2004.
Abfälle aus der pharmazeutischen Produktion Bei der Herstellung von formulierten Arzneimitteln (Darreichungsformen) fallen in erster Linie hausmüllähnliche Verpackungsreste an, die über externe Partner entsorgt werden. Daneben entstehen aber auch wirkstoffhaltige Abfälle, die wegen ihres pharmakologischen Potenzials einer gesonderten Behandlung bedürfen. In diese Kategorie fallen auch Rückstände aus der Arzneimittelproduktion oder Rücklieferungen von Arzneimittelchargen. Neben das Risiko der Kontamination von Bearbeitern und Umwelt mit Wirkstoffen bei unsachgemäßer Entsorgung tritt bei derartigen Abfällen die Gefahr des Missbrauchs für Arzneimittelfälschungen. Um diesen Risiken sicher vorzubeugen, sind strikte Vorgaben erlassen worden: Einzig zulässiger Entsorgungsweg ist Shreddern in einer werkseigenen Anlage und anschließende Verbrennung, intern oder bei einem vertraglich gebundenen Partner7. Die weltweite Einhaltung dieser Vorgaben wird laufend überprüft.
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Nur ausnahmsweise ist die Verbrennung ohne vorherige Zerstörung zulässig, dabei muss aber der externe Transport bis zur Entladung in die Verbrennungsanlage unter Aufsicht eines verantwortlichen Schering-Mitarbeiters erfolgen.
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Röntgenkontrastmittelhaltige Abfälle Bereits seit 1997 ist die Abfallverbrennungsanlage in Bergkamen durch Nachrüstung der Rauchgaswäsche in der Lage, iodhaltige Abfälle zu verbrennen, ohne dass es zu Iodemissionen im Abgas kommt. Durch geeignete Steuerungsmaßnahmen ist der integrierte Abgaswäscher in der Lage, das freigesetzte Iod quantitativ zu binden. Die so gewonnene Iodidlösung wird auf dem Weltmarkt verkauft, so dass eine echte stoffliche Verwertung möglich geworden ist. Feste und flüssige Abfälle aus der Röntgenkontrastmittelproduktion sowie Rücklieferungen von RKM-Fertigwaren werden auf diese Weise umweltneutral entsorgt und das enthaltene Iod dem Markt erneut zugeführt8. In Coslada bei Madrid befindet sich die Produktionsanlage der Schering AG für das weltweit bedeutendste ionische Kontrastmittelmolekül. Die bei der Synthese anfallenden wirkstoffhaltigen Abfälle wurden bis 2004 deponiert. Seit 2005 werden sie in Bergkamen unter Iodrückgewinnung verbrannt, so dass das Deponieaufkommen gegenüber 2004 zurückgegangen ist. Abbildung 3 zeigt die zunehmende Verwertung von Produktionsabfällen über die letzten 5 Jahre. Die Tendenz ist deutlich, der Anteil der Verwertung (stofflich und thermisch) ist in den 5 Jahren von ca. 50 % auf 75 % gestiegen: 80 70
Verwertung
Beseitigung
60
[%]
50 40 30 20 10 0 2001
2002
2003
2004
2005
Abb. 3. Verwertung vs. Beseitigung im Zeitraum 2001 bis 2005. 8
Ein direkter Einsatz des zurückgewonnenen Iods in der RKM-Produktion ist unter dem Gesichtspunkt der Guten Herstellungspraxis („GMP“) nicht möglich.
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Die Verbrennungsanlage in Bergkamen bietet noch freie Kapazität zur Iodrückgewinnung, daher wird diese Kapazität inzwischen auch anderen Herstellern angeboten. Somit haben auch kleinere Firmen die Möglichkeit, ohne eigene Investitionen RKM-haltige oder andere iodhaltige Rückstände umweltgerecht und kostengünstig zu entsorgen.
Abwassermanagement in der Schering AG Die bereits 1994 formulierten Anforderungen zur Reinhaltung der Gewässer wurden 1998 in einer für den Gesamtkonzern gültigen Gewässerschutzrichtlinie zusammengefasst und so die Mindestanforderungen an den Gewässerschutz für alle Standorte weltweit vorgegeben. 1996 begann die jährliche konzernweite Datenerhebung zum Wasser (Verbrauch, Belastung, Reinigungsanlagen, Programme im Gewässerschutz usw.). Wirkstoffproduktion Bergkamen Das Werk Bergkamen ist der größte Produktionsstandort im ScheringKonzern, dort wurde mit wenigen Ausnahmen die schering-eigene Wirkstoffproduktion zusammengeführt. Das Produktionsprogramm umfasst ca. 300 verschiedene Wirkstoffe und Zwischenprodukte. Dabei werden in Kampagnen wechselnde Produktionen gefahren, wobei für jeden Wirkstoff eine Vielzahl von Synthesestufen erforderlich ist. Aufgrund dieser Fahrweise ist die Zusammensetzung des Gesamtabwassers ständigen Schwankungen unterworfen. Typischerweise wird Wasser im Wirkstoffbetrieb in folgenden Bereichen eingesetzt: x Innerhalb der Produktion als Lösemittel, als Reagenz, zur Fällung bzw. Reinigung der Produkte und als Extraktionsmittel. x Zur Reinigung der Anlagen und zur Reinigung des Gebäudes. x Zur Abluftwäsche und im Abluftsammelsystem (wassergefüllte Tauchungen als sicherheitstechnische Einrichtungen). x Als Betriebsmittel zur Unterdruckerzeugung in Wasserringvakuumpumpen. Die Abwässer werden im Stoffstrom- und Entsorgungsmanagement nach Inhaltsstoffen bewertet und einer geeigneten Aufarbeitung zugeführt.
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Die Behandlung von Abwässern im Werk Bergkamen Am Standort Bergkamen sind neben Schering auch die Firmen Chemtura/Crompton und Huntsman mit ihrer Produktion von Industriechemikalien ansässig. Die Abwasserbehandlung erfolgt mehrstufig (Abb. 4): x firmen- und abwasserspezifische Vorbehandlung x chemische und mechanische Vorklärung (Neutralisation und Flockung) x mikrobiologische Behandlung.
Schering
Crompton Chemtura
PWA
v un
mo
d
nd erä
ert
4 00 t2 ier s i ern
Huntsman
Dezentrale Vorbehandlung
Dezentrale Vorbehandlung
Zentrale Vorbehandlungsstufe: Neutralisation und Primärschlamm-Abtrennung
Biologische Stufe (PAA-Membran-Belebungsanlage)
Abb. 4. Schematische Darstellung der Abwasserbehandlung im Werk Bergkamen. PWA: Prozesswasseraufarbeitungsanlage, PAA: partiell aerob-anaerob.
Prozesswasseraufarbeitungsanlage (PWA) Belastete Prozessabwasserströme werden aus den Schering-Wirkstoffbetrieben zunächst der 1993 in Betrieb genommenen zentralen Prozesswasseraufarbeitungsanlage zugeführt, in der die verunreinigten Prozesswässer aufgearbeitet werden. Dafür werden die Prozesswässer getrennt nach Inhaltsstoffen in 4 separaten Leitungssystemen angeliefert und in 100-m³-Tanks zwischengelagert, um sie den spezifischen Aufbereitungs-
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verfahren zuführen zu können. Es werden Lösemittel, geruchsintensive und biologisch schwer abbaubare Stoffe aus dem Prozesswasser separiert, so dass insgesamt eine deutliche Reduzierung der CSB-Fracht des zur Werkskläranlage zur Endreinigung abgeleiteten Abwassers erreicht wird. Der anzuwendende Aufarbeitungsprozess wird durch die Eigenschaften bzw. die Zusammensetzung der jeweiligen Prozesswässer bestimmt und ist auf eine optimale Abtrennung der abwasserbelastenden Komponenten ausgerichtet. Hierzu ist die PWA mit folgenden Teilanlagen ausgerüstet: x x x x
Stripper für chlorierte Kohlenwasserstoffe Rektifikationsanlagen für Niedrigsieder Extraktionsanlage für Fällwässer mit hochsiedenden Lösemitteln und Schlammbehandlungsanlage (Dünnschichtverdampfer, Dekantierzentrifuge und Rührbehälter).
Die in der Prozesswasseraufarbeitung abgetrennten Stoffe werden separiert und – soweit möglich und wirtschaftlich sinnvoll – zum Wiedereinsatz aufgearbeitet. Nicht wieder einsetzbare Stoffe werden nach Möglichkeit thermisch oder stofflich verwertet oder entsorgt. Die PWA mit den apparativen Ergänzungen der letzten Jahre hat insgesamt Investitionen von rund 23 Millionen Euro erfordert. Die jährlichen Betriebskosten liegen bei 3,7 Mio. €. Die Zentrale Abwasserbehandlungsanlage (ZABA) der Schering Wirkstoffproduktion Der ZABA werden sämtliche Prozess- und häuslichen Abwässer zugeleitet, die bei den auf dem Werksgelände angesiedelten Firmen anfallen. Bis Mitte 2004 war das Werk Bergkamen Indirekteinleiter in die Lippe. In dieser Zeit wurde das Betriebsabwasser in der Werkskläranlage nicht vollständig biologisch abgebaut. Die endgültige Reinigung erfolgte in der kommunalen Kläranlage des zuständigen Abwasserverbands (Lippeverband). Die geklärten Abwässer wurden anschließend in die Lippe eingeleitet. Im Zuge des vom Land NRW beschlossenen Vorflut-Renaturierungsprogramms wurde die Schering AG in Absprache mit der oberen Wasserbehörde zum Direkteinleiter. Seit Mitte 2004 wird das gereinigte Abwasser des Standorts Bergkamen durch eine Druckrohrleitung unmittelbar in die Lippe eingeleitet. Die hierfür notwendige Abwasserqualität wurde durch die Erweiterung der bestehenden Kläranlage um das von Schering entwickelte „PAAMembran-Belebungsverfahren“ zur biologischen Abwasserreinigung erreicht. PAA (partiell aerob - aerob) bezeichnet eine spezielle Betriebsweise
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der biologischen Behandlungsstufe (Abb. 5). Diese wird ergänzt um eine Membranfiltration mit Hohlfasermembranen zur vollständigen Rückhaltung der Biomasse (Achtabowski und Neuhaus 2005).
Zweistufiges PAA-Belebungsverfahren Zulauf
Partiell-Aerob
Aerob
CSB-Abbau
Nitrifikation
+ Denitrifikation
Membran Ablauf (Filtrat)
Luft Rezirkulation + Rücklaufschlamm
¾ Partiell-A erob betriebene Hochlaststufe (CSB-Abbau bei simultaner Denitrifikation) ¾ Aerob betriebene Schwachlaststufe (Nitrifikation) ¾ Biomasserückhaltung durch nachgeschaltete Membranstufe
Die Rückhaltung ermöglicht Biomassegehalte in der Anlage von 9 - 13 g TS/L und damit .... Ö ... eine Reduzierung der Schlammbelastung und der Überschussschlammproduktion Ö... eine geringere Empfindlichkeit der Biologie gegenüber toxischen Substanzen Ö… die Rückhaltung von Abbauspezialisten
Die durch das hohe Schlammalter (> 25 d) mögliche Anreicherung der Abbauspezialisten .... Ö ...bewirkt einen verbesserten Abbau von schwer abbaubaren Stoffen in der Biologie
¼ Das in die Vorflut abgegebene Wasser (Filtrat) ist frei von Feststoffen
Abb. 5. Das PAA-Membran-Belebungsverfahren.
Die in der Anlage eingesetzten Membranmodule bestehen aus flexiblen Hohlfasern, die jeweils in mehreren Kassetten zusammengefasst sind und die direkt in das Abwasser-/Belebtschlammgemisch aus der Nitrifikationsstufe eingehängt werden. Aufgrund des Porendurchmessers von ca. 0,1 Pm werden die Mikroorganismen des Belebtschlamms in der Membranstufe vollständig zurückgehalten, was zu einer deutlichen Erhöhung des Schlammalters führt. Das aus der Membrananlage ablaufende Abwasser ist frei von Feststoffen und weitgehend keimfrei. Der CSB, der die Anlage verlässt, wird nur noch durch biologisch nicht mehr abbaubare Stoffe verursacht. Die ZABA ermöglicht die Kombination von hoher Biomassekonzentration, hohem Schlammalter und dem Wechsel zwischen partiell-aeroben und aeroben Bedingungen und kann daher zur Etablierung von Abbauspezialisten führen. Diese sind in der Lage, im Vergleich mit konventionellen Belebungsverfahren zusätzliche Abwasserinhaltsstoffe abzubauen.
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Hans-Peter Böhm
In Abbildung 6 ist die Gesamtleistung der Abwasserbehandlung dargestellt; lediglich 2 % des in den Rohabwässern enthaltenen CSB werden in die Lippe abgegeben:
Leistung der integrierten Abwasserbehandlung 100%
100%
52% 50%
46%
2% 0%
CSB-Fracht Elimination Rohabwasser PWA
Elimination ZABA
CSB-Fracht zur Vorflut
Abb. 6. CSB-Eliminationsleistung (Zeitraum Juli bis Dez. 2004).
Umgang mit Abwässern aus speziellen Wirkstoffsynthesen Abwasser aus der Estrogenproduktion Im Werk Bergkamen werden verschiedene estrogene Wirkstoffe hergestellt. Dabei geht es um vergleichsweise geringe Mengen; die hohe biologische Aktivität dieser Verbindungen macht aber eine separate Betrachtung sinnvoll. Die wichtigsten Wirkstoffe sind Estradiol und Ethinylestradiol. Estradiol ist ein körpereigenes Hormon; das für die Herstellung von Kontrazeptiva verwendete Ethinylestradiol ist synthetischer Natur. Während die Halbwertszeit des natürlichen Estradiols in der Natur rund vier Tage beträgt, liegt die für das synthetische Ethinylestradiol um einen Faktor 10 höher (Schering AG 2004). Aus diesem Grunde wurde bereits 1998 beschlossen, alle Abwässer aus der Herstellung von Ethinylestradiol separat zu sammeln und zu verbrennen. 2003 wurde die Verbrennung auf Abwässer aus der Herstellung von Estradiol- und Testosteronderivaten ausgedehnt. Diese Vorgehensweise gilt bis heute, da bisher keine Erfahrungswerte über die Abbauleistung der ZABA in Bezug auf Estrogene vorliegen.
Abfall- und Abwassermanagement bei der Arzneimittelproduktion
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Die Emission von estrogenen Komponenten aus der Wirkstoffproduktion wird durch diese Sonderbehandlung sicher vermieden. Der jährliche Sonderaufwand für die Verbrennung (im Vergleich zur „normalen“ Abwasserbehandlung) beläuft sich – je nach Produktionsplan - auf mehrere Hunderttausend Euro. Abwasser aus der Röntgenkontrastmittelproduktion In Bergkamen wird der Wirkstoff Iopromid für das nichtionische Röntgenkontrastmittel Ultravist® für den weltweiten Bedarf hergestellt9. Die iodierten Kontrastmittel sind als Diagnostika wirkungsbedingt biologisch inert10. Der Nachweis der ökotoxikologischen Unbedenklichkeit hat seinen Niederschlag im Anhang 22 zur AbwasserVO derart gefunden, dass von der Begrenzung des Summenparameters AOX, adsorbierbare organische Iodverbindungen (AOI) aus der Kontrastmittelherstellung nicht erfasst werden. Trotz der ökotoxikologischen Unbedenklichkeit wird in Bergkamen das Abwasser jeder Iopromid-Stufe separat bewertet. Je nach Zusammensetzung wurden in den letzten Jahren für die wesentlichen Abwässer spezifische Behandlungsverfahren (Adsorption, Verbrennung, Thermolyse) entwickelt, die den Eintrag von Iopromid-Stufen in die ZABA drastisch vermindern und gleichzeitig die stoffliche Verwertung des enthaltenen Iods ermöglichen. Diese Verfahren werden sukzessive nach Installation notwendiger Zurüstungen eingeführt.
Ein weiteres, mengenmäßig unbedeutendes RKM ist Isovist® mit dem Wirkstoff Iotrolan 10 Jodhaltige Röntgenkontrastmittel-Rückstände in der Umwelt: Zur Abschätzung möglicher Umweltreaktionen, die der Eintrag jodhaltiger KontrastmittelRückstände bewirken könnte, führte Schering in den Jahren 1998 bis 2002 Studien zu Umweltverhalten und Umwelteffekten des Wirkstoffs Iopromid durch. Aus den Forschungsergebnissen lässt sich schließen, dass sich die Substanz weder in Wasserorganismen noch in Klärschlamm oder Sedimenten anreichert. Iopromid zeigte keinerlei toxische Effekte in Kurz- und Langzeit-Tests mit Bakterien, Algen, einer Krustentierart und zwei Fischarten - weder bei Konzentrationen von zehn Gramm pro Liter (in Kurzzeit-Tests) noch einem Gramm pro Liter (in Langzeit-Tests). Auf der Basis mehrjähriger ökotoxikologischer Untersuchungen durch Schering-Wissenschaftler lässt sich sagen, dass aufgrund des diagnostischen Einsatzes und der anschließenden Ausscheidung durch die Patienten nach derzeitigem Kenntnisstand keine Risiken für Mensch und Umwelt entstehen (Steger-Hartmann et al. 2002, 2001 und 1999). 9
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Abwässer aus der Mikronisierung von Wirkstoffen Die von Schering in „Hormonpräparaten“ (z.B. Antikontrazeptiva) eingesetzten Steroid-Wirkstoffe sind i. d. R. extrem schlecht wasserlöslich. Um die Bioverfügbarkeit im Körper zu erhöhen, werden die Wirkstoffe mikronisiert, d. h. auf Partikelgrößen < 20 µm gemahlen. Die Mahlung erfolgt aus historischen Gründen nicht in der Wirkstoffproduktion Bergkamen, sondern am Standort Berlin Charlottenburg. Der rein physikalische Mahlvorgang erzeugt kein Abwasser, allerdings fallen bei der Reinigung der Anlagen wirkstoffhaltige Spülwässer an. Zur Eliminierung dieser Wirkstoffanteile wurde 2004 eine UV / H2O2-Oxidationsanlage in Betrieb genommen. Die Technologie der UV-aktivierten Oxidation Die Eignung der Technologie der UV-aktivierten H2O2-Oxidation für den Abbau von Ethinylestradiol, Levonorgestrel und anderen SteroidWirkstoffen wurde gemeinsam von Schering und einem Anlagenhersteller nachgewiesen. Durch die UV-Bestrahlung entstehen aus zudosiertem H2O2 im Abwasser Hydroxylradikale. Deren starke Oxidationswirkung baut Schadstoffe im Abwasser schneller und vollständiger ab als konventionelle Klärtechnik oder H2O2 allein. Das Abwasser wird in die Bestrahlungskammer so eingespritzt, dass eine rotierende Wassersäule entsteht. Durch die starken Verwirbelungen werden die Inhaltsstoffe des Abwassers nahe an der UV-Strahlerquelle vorbeigeführt und gleichzeitig erfolgt eine nahezu ideale Vermischung des zugesetzten H2O2 mit dem Abwasser. Die Investitionssumme betrug ca. 200.000 €. Die jährlichen Betriebskosten liegen bei 30.000 €.
Abwassermanagement in der Arzneimittelproduktion Im Vergleich zur Wirkstoffproduktion fallen bei der eigentlichen Arzneimittelherstellung (Formgebung und Verpackung) keine prozessbedingten Abwässer an. Die Herstellung von Tabletten und anderen festen Arzneiformen erfolgt weitgehend wasserfrei, während bei der Herstellung von RKM Wasser zwar als Lösemittel verwendet wird, abgesehen von Restvolumina aber keine Abwässer anfallen.
Abfall- und Abwassermanagement bei der Arzneimittelproduktion
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Aufgrund der hohen Hygieneanforderungen an die zum Einsatz kommenden Anlagen (mindestens 1 x tägliche CIP11-Reinigung) fallen jedoch unabhängig von der Arzneiform große Mengen Spüllösungen an, die zwar Wirkstoffe nur in geringen Konzentrationen enthalten, gemäß der Selbstverpflichtung zum Verantwortlichen Handeln aber nicht unbeachtet bleiben durften. Für die verschiedenen Arzneimittelproduktionen der Schering AG sind zu diesem Zweck in den letzten Jahren unterschiedliche Verfahren zur Abwasserbehandlung entwickelt und etabliert worden. UV-aktivierte Oxidation für Abwässer aus der Tablettenproduktion Um vermeidbare Belastungen für die Umwelt auszuschalten, hat Schering am Produktionsstandort Weimar zur Zersetzung von Hormonwirkstoffen, v.a. des schwer abbaubaren Ethinylestradiols eine Anlage für die UV-aktivierte Oxidation mit H2O2 installiert, die nach dem gleichen Prinzip arbeitet, wie die bereits für den Mikronisierungsbetrieb am Standort Charlottenburg beschriebene. Der Ablauf der Anlage wird regelmäßig durch ein externes Labor kontrolliert, die Konzentration von Ethinylestradiol liegt unter der Nachweisgrenze. Die Membran-Filtration zur Behandlung von RKM-Reinigungslösungen Im sogenannten Supply-Center in Berlin werden iodhaltige Röntgenkontrastmittel formuliert und abgefüllt. Zur dezentralen Aufreinigung der beim Reinigen der Produktionsanlagen anfallenden Abwässer wird eine Membranfiltration als physikalisches Trennverfahren eingesetzt (Abb. 7). Die RKM-haltigen Abwässer werden unter hohem Druck über zwei Stufen aufkonzentriert. Das Konzentrat kann dann gesondert entsorgt bzw. dem Iod-Recycling zugeführt werden.
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CIP = cleaning in place; Reinigung durch eine Vielzahl von Sprühdüsen ohne Demontage der Anlagen
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Konzentrierung Feed 1000 ppm
Grenzwerteinhaltung
1. Stufe
Permeat 100 Pg/kg ergibt, die Halbwertzeit der Stoffe im Boden länger als 60 Tage ist und weniger als 90 % des Wirkstoffes innerhalb eines Jahres im Boden abgebaut werden. Die erhobenen Befunde mit maximalen Tetracyclinkonzentrationen von > 500 Pg/kg Boden (Hamscher et al. 2003c) sollten daher Anlass sein, eine ökotoxikologische Neubewertung für die „AltTierarzneimittel“ der Tetracycline durchzuführen.
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Transfer von Antibiotika in Nutzpflanzen Tracerstudien von Langhammer et al. (1990) zeigten am Beispiel von mit Sulfamethazin dotierten Bodenproben eine geringe Aufnahme der Radioaktivität in die Wurzeln von Pflanzen (3–15 %) und eine minimale Verlagerung in den Sproß (0,04 %). Aktuelle Studien aus Deutschland (Grote et al. 2005) und den USA (Kumar et al. 2005) stellten allerdings erstmalig fest, dass Chlortetracyclin von Pflanzen aufgenommen werden und sogar bis in die Körner von Winterweizen (44 Pg/kg, Grote et al. 2005) und Mais (ca. 2 Pg/kg, Kumar et al. 2005) gelangen kann. Da bei beiden Untersuchungen vergleichsweise hohe Chlortetracyclinmengen dem Boden über die Gülle zugeführt wurden, sollte die Relevanz dieser Ergebnisse bzgl. einer möglichen Belastung von pflanzlichen Lebens- und Futtermitteln mit Antibiotika durch Monitoring-Studien, z. B. an Getreideproben aus dem Handel, abgesichert werden. Eintrag von Tierarzneimitteln in die aquatische Umwelt Für Tetracyclin konnte am Beispiel der bereits vorgestellten relativ hochbelasteten Fläche gezeigt werden, dass diese Substanz nach vierjähriger Studiendauer trotz der starken Sorption im Oberboden auch in das oberflächenahe Grundwasser (1,40 m) gelangen kann (Hamscher et al. 2005b, Tab. 2). Untersuchungen des gleichen Standortes von April 2002 bis 2005 auf Sulfamethazin zeigten, dass trotz einer sehr niedrigen Konzentration dieses Stoffes im Oberboden (im Mittel < 1 Pg/kg) ein kontinuierlicher Eintrag in das oberflächennahe Grundwasser in Konzentrationen von bis zu 0,24 Pg/L erfolgte (s. Tab. 3, Hamscher et al. 2005a und laufende Untersuchungen). Tabelle 3. Maximale Konzentrationen verschiedener Tierarzneimittel in Grundwasser. Tierarzneimittel Sulfamethazin Tetracyclin
Max. Konzentration Literatur [Pg/L] 0,16–0,24 Hirsch et al. 1999, Kolpin et al. 2002, Hamscher et al. 2005a 0,13 Campagnolo et al. 2002, Hamscher et al. 2005b
Das in den USA weit verbreitete Anlegen von sogenannten GülleLagunen stellt hinsichtlich der Gefährdung des Grundwassers möglicherweise ein spezifisches lokales Risiko dar. Allerdings konnten im Grund-
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wasser-Bereich dieser Anlagen bislang Tetracyline nur von Campagnolo et al. 2002 nachgewiesen werden, während Meyer et al. (2000) und Zhu et al. (2001) diese Substanzklasse nicht detektieren konnten. Die Sulfamethazin-Ergebnisse der von Hamscher et al. (2005a) durchgeführten Grundwasser-Untersuchungen decken sich im wesentlichen mit den Ergebnissen von Monitoring-Studien in Deutschland und kürzlich erschienenen Daten aus den USA. Hirsch et al. (1999) fanden in keiner von 69 Grundwasserproben Tetracycline und in zwei von 69 Proben Sulfamethazin in einer Konzentration von 0,16 Pg/L. In Oberflächengewässern werden Tierarzneimittel häufiger und in höheren Konzentrationen gefunden als im Grundwasser (s. Tab. 4). Lindsey et al. (2001) zeigten, dass Sulfonamide und Tetracycline in 9 von 144 Grundund Oberflächengewässern in Konzentrationen von 0,07–15 Pg/L nachweisbar waren. Nur in einer Grundwasserprobe wurde Sulfamethoxazol, nachgewiesen (0,22 Pg/L). Allerdings wird diese Substanz in der Regel nur in der Humanmedizin eingesetzt. Tetracycline wurden nur in Oberflächengewässern nachgewiesen (Oxytetracyclin 0,15 Pg/L, Tetracyclin 0,07–1,34 Pg/L und Chlortetracyclin 0,11 Pg/L). Die Autoren dieser Arbeit erachten einen Abfluss („Run-off“) der Substanzen in die Oberflächengewässer wahrscheinlicher als einen Eintrag in das Grundwasser durch Auswaschen der Böden. Tabelle 4. Maximale Konzentrationen verschiedener Tierarzneimittel in Oberflächengewässern. Tierarzneimittel
Max. Konzentration Literatur Pg/L]
Tetracycline Chlortetracyclin
0,11–0,69
Doxycyclin Oxytetracyclin
0,07 0,15–1,34
Tetracyclin Sulfonamide Sulfadimethoxin
0,11 0,08–15
Sulfamethazin
0,06–0,22
Sonstige Wirkstoffe Chloramphenicol Lincomycin Tylosin
0,06 0,73 0,28
Lindsey et al. 2001, Kolpin et al. 2002, Yang et al. 2004 Yang et al. 2004 Lindsey et al. 2001, Kolpin et al. 2002, Yang et al. 2004 Kolpin et al. 2002 Lindsey et al. 2001, Yang et al. 2004 Kolpin et al. 2002, Yang et al. 2004 Hirsch et al. 1999 Kolpin et al. 2002 Kolpin et al. 2002
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Gerd Hamscher
Aktuelle Studien zeigen, dass ein Run-off von Tierarzneimitteln in der Regel nur dann erfolgt, wenn in zeitlicher Nähe zur Gülleausbringung ein Starkregenereignis erfolgt (Burkhardt et al. 2005, Kay et al. 2005, Kreuzig et al. 2005). Daher verhindert ein schnelles Unterpflügen der Gülle in den Boden – wie es z. B. in Deutschland vorgeschrieben ist – einen Eintrag von unerwünschten Stoffen aus der Gülle in die Oberflächengewässer. Der Einsatz von Tierarzneimitteln in Aquakulturen stellt einen unmittelbaren Eintrag von Tierarzneimitteln in die aquatische Umwelt dar, da zur therapeutischen Behandlung die Wirkstoffe über das Futter oder direkt in das Wasser gegeben werden. Begründet in dieser speziellen Anwendungsform werden die Pharmazeutika kaum metabolisiert und aufgrund der relativ niedrigen Umgebungstemperaturen nur langsam abgebaut (Jacobsen und Berglind 1988). Der geschätzte Antibiotikaanteil, der sich direkt über das Fischfutter oder über die Ausscheidungen der Fische in den Sedimenten niederschlägt, liegt bei ~75 % (Richardson und Bowron 1985; HallingSørensen 1998). Einer der weltweit am häufigsten in der Aquakultur eingesetzten Wirkstoffe ist das Tetracyclinantibiotikum Oxytetracyclin. So detektierte Samuelson (1992) im Sediment einer Fischfarm nach einer Medikation diese Substanz in einer beträchtlichen Konzentration von 285 mg/kg. Andere Forschergruppen berichteten ebenfalls von Rückständen in marinen Sedimenten, allerdings mit deutlich niedrigeren Konzentrationen (Jacobsen und Berglind 1988; Capone et al. 1996). Diese Befunde deuten auf einen weit verbreiteten Eintrag von Oxytetracyclin in dieses Umweltkompartiment hin. Eintrag von Antibiotika in Stallstaub Ein bislang unbekannter Eintrag von Antibiotika in die Umwelt mit einem möglicherweise größeren Risiko für den Menschen wurde kürzlich für Stäube aus der Schweinehaltung entdeckt (Hamscher et al. 2003a). Die Belastung von Stäuben – die vom Institut für Tierhygiene, Tierschutz und Nutztierethologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover in den Jahren 1981–2000 gesammelt wurden – mit bis zu fünf verschiedenen Substanzen konnte gezeigt werden. Als Quellen für Antibiotika in Stallstäuben sind getrocknete Güllepartikel und Tierfutterbestandteile anzusehen, die in Stallstäuben neben Hautpartikeln, Bakterien und Silikaten enthalten sein können (Hartung 1997 und 1998). In 80 % der Proben konnte Tylosin und in 65 % der Proben Sulfamethazin nachgewiesen werden. Beide Stoffe sind als Allergene bekannt und könnten somit zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Landwirtes
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durch die Inhalation von Stallstaub beitragen. Auch die zeitweilige Exposition gegenüber Chloramphenicol, dessen Einsatz insbesondere wegen seines genotoxischen Potenzials seit 1994 EU-weit in der Tierhaltung verboten ist, konnte über die Analyse von Staubproben nachgewiesen werden. Von einer amerikanischen Arbeitsgruppe wurde kürzlich gezeigt, dass 80 % der kultivierbaren Bakterien aus Stäuben tylosinresistent waren (Zahn et al. 2001).
Mögliche Effekte und Risiken von Antibiotika in Gülle, Boden, Grundwasser und Stallstaub Wiederholt wurde über Störungen beim Betrieb von Fermentern und Biogasanlagen bei der Verwendung antibiotikahaltiger Güllen berichtet (Massé et al. 2000; Lallai et al. 2002). Da dies auch zu beträchtlichen wirtschaftlichen Schäden führen kann, wäre eine Reduktion des Eintrages von Antibiotika in die Gülle ein prioritäres Ziel. Untersuchungen zur ökotoxikologischen Wirkung von Tetracyclinen auf Bodentiere, vor allem auf Regenwürmer, Collembolen und Enchyträen, ergaben beispielsweise für Oxytetracyclin sehr hohe NOEC-Werte (no effect concentration) der Mortalität und Reproduktion von 1000 bis 5000 mg pro kg Boden (Baguer et al. 2000). Da Tiere jedoch nicht die direkte Zielgruppe der eingesetzten Antibiotika sind, sind die vergleichsweise hohen Effektkonzentrationen nicht überraschend. Mögliche Effekte von Antibiotika in Böden können insbesondere Änderungen der Struktur bzw. der Funktion mikrobieller Biozönosen sein. Auch eine Erhöhung der Antibiotika-Resistenzgene im Genpool der Bodenmikroorganismen mit weiteren Auswirkungen auf die Zusammensetzung mikrobieller Gemeinschaften könnte auftreten (Nwosu 2001; Tolls 2001; Kümmerer 2003; Thiele-Bruhn 2003, Kümmerer 2004). Mittlerweile wurde gezeigt, dass Antibiotika trotz der starken Sorption im Boden biologisch aktiv bleiben (Chander et al. 2005). Darüber hinaus konnten einige der oben postulierten Effekte in Labor- und Felduntersuchungen auch nachgewiesen werden (Halling-Sørensen et al. 2005; ThieleBruhn 2005; Thiele-Bruhn und Beck 2005; Kong et al. 2006) allerdings lagen die eingesetzten Antibiotikakonzentrationen z. T. deutlich über denen, die bislang in Monitoring-Studien von landwirtschaftlichen Nutzflächen beschrieben worden sind (Hamscher et al. 2000, 2002 und 2005; Höper et al. 2002). Im Falle einer möglichen Induktion von Resistenzen in Bodenbakterien durch antibiotikabelastete Gülle zeigen erste Feld- und Mikrokosmenuntersuchungen, dass Resistenzen in erster Linie durch die
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Gerd Hamscher
mit der Gülle aufgebrachten (z. T. resistenten) Bakterien übertragen werden und auch in der Regel nur temporär auftreten (Sengelov et al. 2003; Schmitt et al. 2006). Im Falle des Sulfamethazins könnten allerdings die wiederholten Einträge in das Grundwasser im subtherapeutischen Konzentrationsbereich zu einer Resistenzbildung bei aquatischen Bakterien beitragen. Der erstmalige Nachweis von Tetracyclin in Grundwasserproben unterhalb einer seit vielen Jahren hochbelasteten landwirtschaftlichen Nutzfläche zeigt, dass auch der Faktor Zeit bei der zukünftigen Durchführung von Feldstudien eine wichtige Rolle spielen wird. Der erstmalig nachgewiesene Eintrag von Antibiotika über Stallstäube stellt möglicherweise – im Gegensatz zu den Einträgen von Humanarzneimitteln in Gewässer und von Tierarzneimitteln in Böden – ein unmittelbares Risiko für den Menschen dar. Aufgrund der retrospektiv analysierten Staubproben muss von einer langfristigen Exposition von Landwirten z. B. gegenüber allergen wirksamen Stoffen wie Tylosin und Sulfonamiden sowie gegenüber dem genotoxischen Chloramphenicol ausgegangen werden. Insofern sollten diese Erhebungen Grundlage sein für weitergehende Untersuchungen z. B. bezüglich des Allergie- oder Resistenzstatus von Personen, die im landwirtschaftlichen Bereich beschäftigt sind.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen Antibiotika aus der intensiven Tierhaltung können aufgrund ihrer Persistenz über die Wirtschaftsdünger in beachtlichen Konzentrationen in die Böden gelangen sowie in Pflanzen und Grundwasser verlagert werden. Im Sinne eines vorbeugenden Verbraucher-, Boden- und Grundwasserschutzes sollte daher eine Reduzierung des Antibiotikaeintrages in die Wirtschaftsdünger realisiert werden. Dies würde auch zu einer Reduktion der Antibiotikagehalte in Stallstäuben führen. Einen wichtigen Beitrag hierzu könnten die „Leitlinien für den sorgfältigen Umgang mit antimikrobiell wirksamen Tierarzneimitteln“, die von der Bundestierärztekammer und der Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Veterinärbeamten erstellt wurden, liefern (Anonymus 2000). Diese Leitlinien beinhalten wichtige Mindestanforderungen zum Einsatz von Antibiotika. Es werden die Auswahlkriterien für das richtige Antibiotikum festgelegt und Hinweise für die richtige Dosierung und Therapiedauer gegeben. Darüber hinaus beinhalten sie auch allgemeine Empfehlungen, um insbesondere die Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen zu vermindern. Durch das EU-weite Verbot antibiotischer Leistungsförderer in der Tier-
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mast ab 2006 wurde insbesondere diesem Aspekt auch von Seiten des Gesetzgebers bereits Rechnung getragen. Durch eine hohe Tiergesundheit in den Beständen lässt sich der Tierarzneimitteleinsatz ebenfalls weiter reduzieren. Dies kann nicht nur durch eine Optimierung von Haltungs- und Managementbedingungen erreicht werden sondern auch durch gezielte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen aller in diesem Bereich tätigen Personen.
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Tierarzneimittel in der Umwelt: Vorkommen, Verhalten, Risiken
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Ökotoxikologische Wirkungen von Pharmazeutikarückständen auf aquatische Organismen Karl Fent Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Life Sciences, Muttenz, und Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich, Zürich, Schweiz
Zusammenfassung Pharmazeutika gelangen als Stoffwechselprodukte oder unverändert meist über das Abwasser in die Umwelt. Da in der Kläranlage meist kein vollständiger Abbau erfolgt und einige Pharmazeutika recht persistent sind, finden sich Spuren davon im geklärten Abwasser und in Oberflächengewässern in Konzentrationen von einigen ng/L bis Pg/L. Kaum bekannt sind mögliche unerwünschte Wirkungen auf Gewässerorganismen. Im Falle von natürlichen und synthetischen Steroidhormonen aus der Empfängnisverhütungspille können sie zu estrogenen Wirkungen bei Fischen und zur Verschiebung des Geschlechterverhältnisses führen. Das männliche Steroidhormon Trenbolon, in den USA Rindern verabreicht, führt zur Vermännlichung von Fischen in Bächen, die an Rinderfarmen angrenzen. Im Weiteren wurde die Entwicklung einer Antibiotika-Resistenz in und nahe von Kläranlagen und wegen der Verwendung von Antibiotika in der Tierzucht und Fleischproduktion, in terrestrischen Ökosystemen beobachtet. Bisher sind erst wenige Arzneimittel auf ihre Toxizität auf aquatische und terrestrische Organismen untersucht worden. Akute Effekte sind nur bei Unfällen zu erwarten. Sehr wenig ist jedoch bekannt über die chronische Toxizität und die Langzeitwirkungen von Pharmazeutika auf Wasserund Bodenorganismen. Auch die Wirkung von Mischungen ist kaum bekannt, obwohl dies die normale Umweltsituation darstellt. Die wenigen chronischen Toxizitätsdaten bei Algen, Zooplankton und Fischen zeigen, dass die gemessenen Effekte erst bei Konzentrationen auftreten, die etwa zwei Größenordnungen höher liegen als die maximal im geklärten Abwasser gefundenen Werte. Ausnahmen sind jedoch 17D-Ethinylestradiol, Di-
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clofenac, Propranolol und Fluoxetin, bei denen chronische Effekte bei solchen Konzentrationen auftreten, die im Bereich von maximal im Abwasser gemessenen Werten liegen. Allgemein sind die chronischen Wirkungen nur zu einem kleinen Teil bekannt, denn Toxizitätsstudien erfassen in der Regel die allgemeine Toxizität und sind nicht darauf ausgerichtet, die Wirkungsweise und Zielorgane der Organismen gezielt zu betrachten. Zudem werden nur einige wenige Spezies untersucht. Klassische Toxizitätstests sind daher nicht in der Lage, die chronischen Wirkungen auf die Umwelt im gewünschten Masse zu charakterisieren. Es braucht gezieltere Untersuchungen, die den Wirkungsmechanismus berücksichtigen, die auf chronische Effekte gerichtet sind und auch solche, die ökologisch realistischer sind, wie beispielsweise Studien mit Modellökosystemen. Immerhin lassen aber Reproduktionsstudien Schlüsse auf die Auswirkungen auf Populationen zu. Die Betrachtung spezifischer Toxizitätsparameter liefert eine bessere Einschätzung von möglichen unerwünschten Wirkungen von Pharmazeutika. Sie sind für eine aussagekräftige ökologische Risikoanalyse entscheidend. Aufgrund der vorliegenden, vor allem akuten Daten, scheint das Umweltrisiko auf einzelne Arzneimittel beschränkt zu sein. Große Kenntnislücken bestehen jedoch in der kombinatorischen Wirkung von Arzneimittel-Mischungen. Zukünftige Studien sollten vermehrt die Wirkungsweise von Arzneimitteln, bisher bekannte Nebenwirkungen beim Menschen und die chronischen Wirkungen gezielter berücksichtigen.
Einleitung Es war eine große Überraschung als im Jahre 2004 bekannt wurde, dass Rückstände des schmerz- und entzündungshemmenden Arzneimittels Diclofenac in Tierkadavern für den Populationsrückgang von drei endemischen Geierarten (Gyps bengalensis, G. indicus, G. tenuirostris) auf dem Indischen Subkontinent verantwortlich sind (Green et al. 2004; Oaks et al. 2004; Prakash et al. 2003). Ein weiträumiger, massiver Populationseinbruch von über 95 % begann in den 1990er Jahren (Risebrough 2004). Die Geier sterben infolge Nierenversagen und Gicht im Magen-DarmTrakt und im ganzen Körper lagerte sich Harnsäure ab. Abgesehen von diesem völlig überraschenden Effekt eines Nutztieren verabreichten Mittels sind mögliche ökotoxikologische Wirkungen von Arzneimittelrückständen auf Organismen in der Umwelt weitgehend unbekannt. Pharmazeutika werden zunehmend in der Human- und Veterinärmedizin verwendet; in der EU sind etwa 3'000 verschiedene Substanzen im
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Gebrauch. Aufgrund ihrer therapeutischen Anwendung haben sie biologische Aktivität und müssen eine bestimmte Verweilzeit im Körper aufweisen. Arzneimittel werden teilweise unverändert, zum großen Teil aber als Metaboliten ausgeschieden und gelangen ins Abwasser. Krankenhausabwässer sind dabei besonders belastet (Hartmann et al. 1998). Eine Quelle stellt aber auch die unsachgemäße Entsorgung im Haushalt über die Toilette dar, einschließlich abgelaufener Präparate (Bound and Voulvoulis 2005). Auch in der Veterinärmedizin ist der Gebrauch von Arzneimitteln steigend, vor allem bei Antibiotika und antiinflammatorischen Pharmaka. Allgemein sind Krankenhausabwässer, häusliche Abwässer und Abwässer aus der Pharmazeutikaproduktion Quellen von Arzneimittelrückständen, jedoch können auch Deponiesickerwässer belastet sein. Zudem gelangen Tierarzneimittel über die Jauche auf Böden und können über Abschwemmungen in Gewässer gelangen. Auch Antibiotika werden in hohen Mengen konsumiert. Im Jahre 1996 waren es über 10’000 t in der EU, wobei etwa die Hälfte in der Veterinärmedizin und als Wachstumsförderer eingesetzt wurden (Kümmerer 2001). Letzteres wurde größtenteils verboten. Die Entwicklung von Antibiotikaresistenz bei Mikroorganismen ist eine wichtige Folge des breiten Antibiotikaverbrauchs, was auch große Bedeutung für den Menschen hat. Tatsächlich wurden in Kläranlagen, Gewässern, Sedimenten und Böden resistente Keime festgestellt (Guardabassi et al. 1998; Witte 1998). Über die Wirkungen von Arzneimittelrückständen auf Gewässerorganismen ist sehr wenig bekannt (Fent et al. 2006). In diesem Kapitel wird ein Überblick über die heutigen Kenntnisse der ökotoxikologischen Wirkungen von Arzneimittelrückständen aus der Humanmedizin gegeben. Veterinärarzneimittel und Antibiotika werden nur am Rand betrachtet, da einige Übersichtsartikel darüber Auskunft geben (Boxall et al. 2003; Daughton and Ternes 1999; Halling-Sorensen et al. 1998; Hirsch et al. 1999; Montforts et al. 1999).
Pharmazeutika in der Umwelt Seit rund zehn Jahren werden verstärkt Umweltvorkommen und ökotoxikologische Wirkungen von Arzneimitteln untersucht. Rückstände werden in Gewässern überall dort gefunden, wo danach gesucht wird; z.B. im Po (Calamari et al. 2003), in der Elbe (Wiegel et al. 2004) und auch in der Nordsee und in Küstenbereichen (Thomas and Foster 2004; Weigel et al. 2004a; Weigel et al. 2004b; Weigel et al. 2002), genauso wie in Brasilien (Stumpf et al. 1999), Japan und vielen Flüssen der USA (Kolpin et al.
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2002; Kolpin et al. 2004). Über 100 verschiedene Wirkstoffe und deren Abbauprodukte, die medikamentös behandelte Menschen und Tiere ausscheiden, konnten bisher nachgewiesen werden, wie entsprechende Übersichtsarbeiten zeigen (Daughton and Ternes 1999; Fent et al. 2006; Halling-Sorensen et al. 1998; Heberer 2002; Kümmerer 2001; Kümmerer 2004). Eine breit angelegte Monitoringstudie in 139 Fliessgewässern der USA zeigt die hohe Frequenz des Auftretens (Kolpin et al. 2002). Mit der Weiterentwicklung der Analysetechnik werden in Zukunft wohl weitere der rund 3000 zugelassenen Wirkstoffe in der Umwelt gefunden. Die Konzentrationen von Schmerzmitteln, Lipidsenkern, Beta-Blockern, Psychopharmaka, Antibiotika und anderen Arzneien sind am höchsten im Abwasser (Ternes et al. 2004; Ternes 1998; Ternes et al. 1999) und bewegen sich meist zwischen wenigen und einigen hundert ng/L. Maximale Konzentrationen erreichen jedoch Werte im Mikrogrammbereich (Abb. 1). Obwohl die Konzentration von synthetischen Steroidhormonen gering sind, haben sie eine sehr große Bedeutung, weil sie schon in Spuren negativ auf die Geschlechtsentwicklung und Reproduktion von Fischen wirken können. Laut einer neuen Studie in Italien wiesen von den 26 analysierten Arzneien neben den Antibiotika Ciprofloxacin, Ofloxacin und Sulfamethoxazol auch Atenolol, Ibuprofen, die Diuretika Furosemid und Hydrochlorthiazid, Ranitidin und der Lipidsenker Bezafibrat die höchsten Umweltkonzentrationen auf (Castiglioni et al. 2006). Zusätzlich zum (geklärten) Abwasser finden sie sich auch in Fliessgewässern und Seen, wo Konzentrationen von wenigen ng/L auftreten. Die Abbildungen 1 und 2 zeigen die Konzentrationen verschiedener Medikamentenrückstände in Abwasser und Oberflächengewässern. Besonders verunreinigt sind kleine Flüsse und Kanäle in dicht besiedelten Gebieten, die oft einen hohen Abwasseranteil haben. Neben der Verdünnung des Abwassers, der Klärtechnik und der Abbaubarkeit der jeweiligen Substanz beeinflusst auch der saisonal und regional unterschiedliche Medikamentenverbrauch die Rückstandskonzentrationen. Im Gewässer selbst scheinen Sorption und Biodegradation die wichtigsten Eliminationsprozesse zu sein. Dabei spielt auch der Photoabbau bei gewissen Arzneien (z.B. Diclofenac) an der Wasseroberfläche eine Rolle (Buser et al. 1998).
Ökotoxikologische Wirkungen von Pharmazeutikarückständen Acetylsalicylsäure Salicylsäure Dextropropoxyphen Diclofenac Fenoprofen Ibuprofen Indometacin Ketoprofen Mefenaminsäure Naproxen Paracetamol Phenazon Acebutolol Metoprolol Nadolol Oxprenolol Propranolol Atorvastatin Bezafibrat Clofibrinsäure Fenofibrat Gemfibrozil Carbamazepin Diazepam Fluoxetin Cyclophosphamid Ifosfamid Tamoxifen Albuterol Koffein Cotinin Ethinylestradiol
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Abb. 1. Konzentrationen (als Maximal-, Median- oder Mittelwerte) von nachgewiesenen Pharmazeutikarückständen im Kläranlagenablauf (verändert nach Fent et al. 2006).
Auch Medikamente aus der Veterinärmedizin oder Fischzucht (HoltenLützhoft et al. 1999) gelangen in die Umwelt. Veterinärarzneimittel erreichen über Jauche und Mist aus Wiesen und Feldern die Gewässer. Tierarzneimitteln gelangen jedoch zur Hauptsache in die Böden. Von dort können sie ins Grundwasser gelangen. Punktuell können dabei Rückstände bis zu einigen Pg/L auftreten, sonst ist das Grundwasser aber nur gelegentlich mit Spuren kontaminiert. Medikamente aus der Humanmedizin können jedoch auch über den Klärschlamm auf den Boden gelangen. Zudem können sich Pharmazeutika im Boden anreichern, wenn dieser mit geklärtem Abwasser bewässert wird (Kinney et al. 2006).
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Karl Fent Acetylsalicylsäure Salicylsäure Diclofenac Fenoprofen Ibuprofen Indometacin Ketoprofen Mefenaminsäure Naproxen Paracetamol Phenazon Metoprolol Propranolol Bezafibrat Clofibrinsäure Gemfibrozil Carbamazepin Diazepam Fluoxetin Tamoxifen Albuterol Koffein Cimetidin Codein Cotinin Metformin Ranitidin Ethinylestradiol
Max Medianwert Mittelwert
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Konzentration (ng/L)
Abb. 2. Konzentrationen (als Maximal-, Median- oder Mittelwerte) von nachgewiesenen Pharmazeutikarückständen in Oberflächengewässern (verändert nach Fent et al. 2006).
In der Kläranlage sind zwei Prozesse zur Elimination von Arzneimitteln wichtig: Adsorption an den Klärschlamm und Biodegradation, vor allem im aeroben Belebtschlamm. Während ersteres aufgrund der relativ geringen Sorption für Pharmazeutika weniger wichtig ist, spielt der aerobe Abbau die entscheidende Rolle, vor allem bei hohem Alter des Belebtschlammes. Trotzdem finden sich Pharmazeutikarückstände im Klärschlamm (Tauxe-Wuersch et al. 2005), die bei Verwendung von Klärschlamm als Dünger auf landwirtschaftliche Felder ausgebracht werden. Die Eliminationsraten in der Kläranlage variieren je nach Konstruktionsprinzip, Art der Klärstufen, Verweilzeiten und Zustand der Anlage. Studien zeigen eine mittlere Eliminationsrate von einigen Arzneimitteln im Bereich von 60 % (Carballa et al. 2004; Stumpf et al. 1999; Ternes 1998), bei anderen jedoch von weniger als 40 % (Castiglioni et al. 2006). Allgemein ist der Abbau ist variabel und reicht von 7 % für Carbamazepin (Clara et al. 2004; Heberer et al. 2002; Ternes 1998) bis 80 % für Acetylsalicylsäure, 96 % für Propranolol und 99 % für Salicylsäure (Heberer et
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al. 2002; Ternes 1998). Röntgenkontrastmittel werden kaum abgebaut. Je nach Kläranlage können für ein bestimmten Wirkstoff auch verschiedene Eliminationsraten auftreten, wie die Werte von Diclofenac von 17 % (Heberer et al. 2002) bis 100 % (Thomas and Foster 2004) zeigen. Auch eine neuere Studie zeigt variable Abbauraten für Arzneimittel von 21 bis 72 % (Castiglioni et al. 2006). Die Antibiotikakonzentration in Krankenhausabwässern kann recht hoch sein. Ciprofloxacin wurde bis zu einer Konzentration von 125 Pg/L (Hartmann et al. 1999), Ampicillin bis zu 80 Pg/L gemessen (Kümmerer 2001). Antibiotika sind in Pg/L-Bereich in kommunalen Abwässern, aber auch in Oberflächen- und Grundwässern gefunden worden (Kümmerer 2001). Auch Jauche kann relativ stark belastet sein; die Antibiotikakonzentration in Schweinegülle kann bis zu einigen mg/L betragen. Nach dem Austrag treten sie auch in Böden auf. Tetracycline sind bis zu einer Konzentration von 0,2 Pg/kg im Boden gefunden worden (Hamscher et al. 2002). Viele Antibiotika sind in der Umwelt recht persistent und werden nur langsam abgebaut, wodurch sich Antibiotikaresistenzen bei Mikroorganismen entwickeln können. Auch Rückstände von Veterinärarzneimitteln, insbesondere Antibiotika, können im Bereich von 0,02 bis 50 Pg/L in Gewässern auftreten. Im Dung können bis gegen 10 mg/kg Ivermectin und einige 100 Pg/kg Doramectin gefunden werden (Boxall et al. 2003). Zusammengefasst zeigt sich, dass Rückstände von vielen Arzneimitteln im Abwasser und abwasserbelasteten Gewässern weit verbreitet auftreten, weil die Elimination in der Kläranlage nicht vollständig erfolgt.
Wirkungsweise von Pharmazeutika bei Mensch und Tier Viele Pharmazeutika sind in ihrer Wirkungsweise beim Menschen untersucht, ob sie aber auf dieselbe Weise bei niederen Wirbeltieren oder gar Wirbellosen oder Pflanzen wirken, ist praktisch nicht bekannt. Meist haben Pharmazeutika bestimmte Zielorgane und Zielmoleküle, jedoch sind diese entweder nicht bei allen Arzneimitteln oder nur zum Teil bekannt. Analgetika und nichtsteroidale antiinflammatorische Arzneimittel (NSAID) hemmen eine oder beide Isoformen der Cyclooxygenase (COX-1, COX-2). NSAID hemmen auch die Prostaglandinsynthese und Nebenwirkungen beim Menschen gehen in der Regel auf diesen Prozess zurück. COX-2Enzyme wurden auch in Fischen gefunden (Roberts et al. 2000; Yang et al. 2002; Zou et al. 1999). Inwieweit diese durch entsprechende Arzneimittelrückstände auch bei Fischen gehemmt werden, ist jedoch nicht bekannt.
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Beta-Blocker wirken als kompetitive Inhibitoren von beta-andrenergen Rezeptoren und werden in der Behandlung von Bluthochdruck und nach Herzinfarkten angewandt. Das adrenerge System ist in vielen physiologische Funktionen involviert wie z.B. in der Regulation des Herzschlags, und der Vasodilatation von Blutgefässen. Beta-Adrenoceptoren sind auch bei Fischen gefunden worden (Nickerson et al. 2001); sie zeigen eine hohe Homologie zu jenen in Säugern (Ruuskanen et al. 2005). Inwieweit BetaBlocker auch entsprechende Wirkungen auf Fische haben, ist jedoch noch nicht bekannt. Bei Daphnien jedenfalls zeigt sich eine Erhöhung der Herzschlagfrequenz in tiefen und eine Verlangsamung bei hohen Konzentrationen (Villegas-Navarro et al. 2003). Als Lipidsenker werden Statine und Fibrate verwendet. Beide führen zu einer Senkung der Chlolesterinkonzentration im Blutplasma oder der Triglyceride (Fibrate). Statine hemmen die Chlolesterinsynthese über die Hemmung der 3-Hydroxymethylglutaril-Coenzym-A-Reduktase. Fibrate hingegen bewirken eine Veränderung der Transkription von Genen, welche den Lipoprotein-Metabolismus kontrollieren. Sie aktivieren wahrscheinlich die Lipoprotein-Lipase, die für die Umwandlung der „low density lipoproteins“ in „high density lipoproteins“ verantwortlich sind und damit die Plasma-Triglycerid-Konzentration heruntersetzen. Fibrate binden auch an die Peroxisom-Proliferator-aktivierenden-Rezeptoren (PPAR), die eine wichtige Rolle im Lipidstoffwechsel spielen. Diese Rezeptoren wurden auch in Fischen gefunden (Ibabe et al. 2005a; Ibabe et al. 2005b; Ruyter et al. 1997). So induzieren Fibrate beispielsweise PPARJ in der Leber von Lachsen (Ruyter et al. 1997). Antiepileptika und Antidepressiva sind wichtige Pharmazeutika, die auf das Zentralnervensystem wirken. Antiepileptika senken entweder die allgemeine neuronale Aktivität über eine Hemmung von Natriumkanälen von erregenden Neuronen (z.B. Carbamazepin), oder durch Erhöhung inhibitorischer Effekte auf den GABA-Neurotransmitter. Andrerseits können sie auch über die Bindung an den entsprechenden Rezeptor wirken, wie dies bei Diazepam der Fall ist, einem Vertreter der Benzodiazepine. Das GABA-System existiert in Fischen ebenfalls. Das Antidepressivum Fluoxetin hemmt die Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin, welcher in vielen physiologischen Prozessen eine Rolle spielt. Serotonin kommt als Neurotransmitter auch bei niederen Wirbeltieren und Wirbellosen vor, wobei seine Wirkung verschieden sein kann. So ist Serotonin in endokrinen Funktionen bei aquatischen Organismen involviert (Fong 1998; Fong et al. 1998). Allgemein ist noch wenig darüber bekannt, inwieweit Pharmazeutika auf wildlebende Organismen identisch wirken oder ob und in welchem Masse auch andere Mechanismen eine Rolle spielen.
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Ökotoxikologische Effekte Organismen in der Natur können Arzneimittelspuren wesentlich stärker ausgesetzt sein als der Mensch. In abwasserverschmutzen Habitaten ist dies bei Wasser- und Sedimentbewohnern gar ständig der Fall. Dabei ist die Abschätzung ihrer Wirkungen noch schwieriger als die Analyse von Arzneimittelspuren in der Umwelt. Prinzipiell können ökotoxikologische Wirkungen von Arzneimittelrückständen auf denselben Wirkmechanismen beruhen wie beim Menschen, falls entsprechende Rezeptoren und ähnliche physiologische Prozesse bei Tieren oder gar Pflanzen vorliegen. Dabei sind nicht nur die therapeutisch erwünschten Wirkungen, sondern auch die unerwünschten Nebenwirkungen der Medikamente zu betrachten, die entsprechend auch bei aquatischen Organismen auftreten können. Auch wenn die entsprechenden Rezeptoren und Zielorte bei niederen Organismen fehlen, können Effekte an verwandten Zielorten auftreten. Direkte Rückschlüsse von den pharmakologischen Wirkungen bei Säugern auf die Ökotoxikologie sind jedoch schwierig, da Arzneimittel in der Natur ganz anders wirken können. So ist etwa der Serotonin-WiederaufnahmeHemmer Fluoxetin beim Menschen gegen Depressionen wirksam, bei Muscheln kann dieser Wirkstoff dagegen eine frühzeitige Freisetzung der Larven auslösen (Fong et al. 1998). Auch bei anderen wasserlebenden Organismen scheint die Fortpflanzung beeinflusst zu sein. Im Weiteren sind auch indirekte Effekte zu berücksichtigen, wie sie im ökologischen Kontext von Nahrungskettenbeziehungen und ökologischen Interaktionen auftreten (Fent 2003). Von besonderer Bedeutung sind dabei die Bioakkumulation und die Wirkungen auf die Reproduktion, da diese Auswirkungen auf der Populationsebene haben. Gewisse Übereinstimmungen der Wirkungen finden sich dagegen beim Schmerz- und Entzündungshemmer Diclofenac, wie das Geiersterben auf dem Indischen Subkontinent zeigt: Das Nierenversagen der Greifvögel ist durch die Aufnahme von mit Diclofenac belasteten Kadavern bedingt (Oaks et al. 2004). Auch beim Menschen kommen Nierenschäden als Nebenwirkung des Schmerzmittels vor. Ebenso reagieren Regenbogenforellen auf Diclofenac-Spuren von 5 Pg/L im Wasser mit Veränderungen in den Nieren, aber auch in den Kiemen und der Leber (Schwaiger et al. 2004). Trotz dieser Tatsache sind die bisherigen ökotoxikologischen Untersuchungen aber nur in seltenen Fällen auf die Wirkungsmechanismen der Pharmazeutika ausgerichtet. Meist umfassen sie akute Toxizitätstests, chronische Studien gibt es wenige und nur selten werden In-vitro-Untersuchungen durchgeführt. Zudem werden mathematische Modelle für die
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Abschätzung der ökotoxikologischen Wirkungen verwendet, wie das ECOSAR-Programm (Sanderson et al. 2003). Für eine Risikoabschätzung sind diese aber zu ungenau. Dazu sind chronische Toxizitätsdaten nötig, da sie eine bessere Abschätzung des ökotoxikologischen Potentials von Pharmazeutika zulassen. Im Folgenden wird ein Überblick über die akute und chronische Toxizität von ausgewählten Pharmazeutika gegeben. In einem weiteren Schritt sollen dann diese Toxizitätswerte mit der Umweltkonzentration in Beziehung gesetzt werden, um das potentielle Umweltrisiko abzuschätzen. Akute Toxizität In der Regel wird die akute Toxizität in OECD-Tests an Algen, Daphnien und Fischen bestimmt. Akute Toxizitätsdaten von etwa 100 Arzneimitteln sind in Übersichtsarbeiten publiziert (Halling-Sorensen et al. 1998; Webb 2001). Generell sind bei den einzelnen Wirkstoffen große Speziesunterschiede zu finden, was für Chemikalien typisch ist (Fent et al. 2006). Bei den verschiedenen Arzneimittelkategorien variiert die akute Toxizität zwischen einzelnen Arzneimitteln, aber auch bei einem einzelnen Wirkstoff in der Regel um 1-3 Größenordnungen zwischen verschiedenen Spezies (Abb. 3). Die größten Artenunterschiede finden sich bei Propranolol und Diazepam. Unter den Analgetika und NSAID zeigt Diclofenac die größte Toxizität und die größten Speziesunterschiede finden sich bei Paracetamol. Beta-Blocker und Lipidsenker sind nicht gut untersucht, die wenigen Daten zeigen eine akute Toxizität im mg/L-Bereich. Unter den neuroaktiven Substanzen hat der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer Fluoxetin bei Algen eine Toxizität im Bereich von 0,024 bis 2 mg/L (Brooks et al. 2003). Soweit bekannt, weisen 17 % der untersuchten Pharmazeutika eine akute Toxizität unter 100 mg/L auf, bei Fluoxetin hingegen liegen alle Werte weit darunter. Andererseits zeigen 38 % der getesteten Arzneimittel wie z.B. Acelysalicylsäure, Betaxolol, Sotalol, Gemfibrozil, Cimetidin und Ranitidin akute Toxizitätswerte von über 100 mg/L. Bei den restlichen Substanzen ändert sich die akute Toxizität stark zwischen den einzelnen Spezies. Beispielsweise variiert die akute Toxizität um 3-4 Größenordnungen bei Propranolol oder Diazepam. Dies liegt weniger an der Variabilität von Labortests, sondern hauptsächlich an der unterschiedlichen Empfindlichkeit verschiedenen Spezies.
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Phytoplankton
Acetylsalicylsäure Salicylsäure Diclofenac Ibuprofen Naproxen Paracetamol Metoprolol Propranolol Atenolol Betaxolol Sotalol Clofibrat Clofibrinsäure Bezafibrat Fenofibrat Gemfibrozil Carbamazepin Diazepam Fluoxetin Metformin Methotrexat Cimetidin Ranitidin Koffein
Benthos Zooplankton Fisch
00
00 00 10 0
10
0
00 10
10
10
1
1 0.
Konzentration (mg/L)
Abb. 3. Akute Toxizitätswerte (LC50- und EC50-Werte) verschiedener Pharmazeutika bei verschiedenen Spezies aquatischer Organismen (verändert nach Fent et al. 2006).
Daphnien und Fische scheinen gegenüber der Antibiotikagruppe der makrocyclischen Laktone sehr empfindlich zu sein, variieren doch die EC50-Werte (48 h) von 0,025 Pg/L für Ivermectin bis 45 Pg/L für Eprinomectin (Boxall et al. 2003). In der Regel liegen aber die LC50-Werte im mg/L-Bereich (Halling-Sorensen 2000; Halling-Sorensen et al. 1998). Gewisse Blaualgen reagieren jedoch sehr empfindlich auf Antibiotika. So liegen die EC50-Werte für Amoxicillin und Sarafloxacin bei Microcystis aeruginosa unter 100 Pg/L, diejenige für zwei andere Blaualgen aber 2 bis 3 Größenordnungen höher (Holten-Lützhoft et al. 1999). Das Bakterizid Triclosan hat eine hohe Verbreitung in verschiedensten Produkten. Es findet sich in aquatischen Systemen, in Fischen und sogar in der Muttermilch von bis zu 300 ng/mL (Lipidgewicht) (Adolfsson-Erici et al. 2002). Im Klärschlamm wurden 1 bis 8 mg/kg gefunden (Bester 2003). Triclosan hemmt ein Enzym, das in der bakteriellen Lipidsynthese involviert ist. Die akute Toxizität ist recht hoch; die LC50-Werte liegen für Regenbogenfo-
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rellen bei 0,35 mg/L, bei Daphnia magna bei 0,39 mg/L und bei Algen wurde ein EC50-Wert von 1,5 Pg/L beschrieben (Ciba 1998). In der Regel wird die akute Toxizität von Arzneimitteln wohl durch eine unspezifische Wirkung auf die Zellmembran und die Zelle als Ganzes hervorgerufen. Diese kann einhergehen mit weiteren spezifischeren Wirkungen wie z.B. oxidativem Stress. Die Membrantoxizität ist meist mit der Hydrophobizität der Substanz korreliert. Infolge ungenügender Datenlage konnte dieser Zusammenhang jedoch bei Arzneimitteln nicht gezeigt werden (Fent et al. 2006). Zusammengefasst kann der Schluss gezogen werden, dass bei den gemessenen Umweltkonzentrationen akute Effekte durch Pharmazeutika wenig wahrscheinlich sind, da die bekannten akuten LC50- und EC50-Werte etwa 100- bis 1000-mal höher liegen. Daher sind akute Wirkungen nur bei Unfällen oder allenfalls an stark kontaminierten Stellen zu erwarten. Auch wenn diese Ergebnisse beruhigend klingen, bleiben weiterhin wichtige Fragen offen: Welche unspezifischen und spezifischen chronischen Wirkungen rufen Arzneimittelspuren bei ständiger Belastung hervor? Wie beeinflussen die Substanzen den Organismus in besonders hormonempfindlichen Entwicklungsstadien wie etwa in der Embryonalentwicklung? Wie wirken die Abbauprodukte der Arzneimittel und welche Kombinationseffekte von Arzneimittelmischungen sind zu erwarten? Damit möchte ich mich im Folgenden befassen. Chronische Toxizität Aquatische Organismen sind ständig und über ihren ganzen Lebenszyklus Pharmazeutikarückständen ausgesetzt, falls ihr Habitat durch Abwasser belastet ist. Daher ist die Langzeitwirkung geringer Arzneimitteldosen von größter ökotoxikologischer Bedeutung. Die aktuelle Datenlage trägt dem jedoch in keiner Weise Rechnung: Die chronische Toxizität von Pharmazeutika ist praktisch nicht bekannt. Die vorhandenen Daten wurden zudem im Rahmen von OECD-Tests gewonnen. Weitergehende Untersuchungen, die auch auf den Wirkungsmechanismus ausgerichtet sind, fehlen weitgehend. Untersuchungen über die Wirkungen in verschiedenen Lebensstadien sind zudem nicht publiziert. Im Folgenden sei die aktuelle Datenlage für verschieden Arzneimittelklassen betrachtet (Abb. 4). Von größter ökotoxikologischer Bedeutung sind Rückstände von natürlichen und synthetischen Steroidhormonen, weil sie in Spurenkonzentrationen von wenigen ng/L bereits unerwünschte Wirkungen auf die Geschlechtsentwicklung, das Geschlechterverhältnis und die Reproduktion von Fischen haben können. In Kläranlagenausläufen auftretende Spuren
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von 17D-Ethinylestradiol (EE2) aus der Empfängnisverhütungspille können bei juvenilen und männlichen Fischen zur Induktion des Dottervorläufer-Proteins Vitellogenin führen (Fent 2003; Länge et al. 2001). EE2 ist bei Regenbogenforellen etwa 20- bis 30-mal aktiver als das natürliche Hormon 17E-Estradiol (Brian et al. 2005). Die geringste Effektkonzentration bei Fischen liegt bei 0,1 ng/L EE2 (Purdom et al. 1994). Konzentrationen von 0,1 bis 15 ng/L können die Geschlechtsdifferenzierung und –entwicklung stören (Metcalfe et al. 2001; Van Aerle et al. 2002). Bei Zebrafischen, die in der Embryonalentwicklung an 4 ng/L EE2 exponiert wurden, führte dies zur Entwicklung von zwitterartigen Gonaden, indem im Hodengewebe Oozyten gebildet wurden (sog. Ovotestis). Das Geschlechterverhältnis verschob sich in Richtung Weibchen und die Fekundität wurde negativ beeinflusst (Länge et al. 2001). Eine Exposition von Zebrafischen über zwei Generationen mit 5 ng/L zeigte bei der F0-Generation keine Reduktion des Reproduktionserfolgs. Hingegen wurde bei der F1-Generation eine 56 %ige Reduktion in der Fekundität und ein Populationseinbruch beobachtet, weil keine Befruchtung erfolgte. Ursache war die Störung der Geschlechtsdifferenzierung mit Männchen ohne funktionale Hoden und mit undifferenzierten oder Intersex-Gonaden (Nash et al. 2004). Gerade diese hormonellen Wirkungen im Niedrigdosisbereich mit Populationsauswirkungen sind von großer ökologischer Bedeutung. Trenbolonacetat und E-Trenbolon (Metabolit) finden als Anabolika in den USA in der Rinderaufzucht Verwendung, um ein schnelleres Wachstum zu erzeugen, sie sind in der EU aber verboten. Trenbolonacetat führte bei einer Exposition von weiblichen Dickkopfelritzen mit 30 ng/L zu morphologischen Veränderungen, die für geschlechtsreife Männchen charakteristisch sind. Auch unterhalb von Abschwemmungen von großen Rinderherden werden wildlebende Dickkopfelritzen-Weibchen mit männlichen Merkmalen sowie Männchen mit abnormal kleinen Hoden beobachtet (Wilson et al. 2002). Das antiandrogene Arzneimittel Flutamid und der Aromatase-Hemmer Fadrozol wurden auch in Fischen untersucht. Flutamid reduzierte in männlichen Fischen die sekundären Sexualmerkmale und erniedrigte die Fekundität bei 500 Pg/L (Jensen et al. 2004). Fadozol hemmte das Eierstockwachstum bei Weibchen bei 50 Pg/L und induzierte die Synthese des Dotterproteinvorläufers Vitellogenin bei Männchen (Panter et al. 2004). Die Fekundität wurde nach 21 Tagen bei Konzentrationen von 10 Pg/L reduziert (Ankley et al. 2002).
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Karl Fent NOEC NOEC NOEC NOEC LOEC LOEC LOEC LOEC
Acetylsalicylsäure Salicylsäure Diclofenac Ibuprofen Naproxen
Phytoplankton Benthos Zooplankton Fisch Phytoplankton Benthos Zooplankton Fisch
Propranolol Clofibrat Clofibrinsäure Carbamazepin Fluoxetin
0 00 10 00 10 0 10
10
1 1 0. 01 0. -3 1E -4 1E
Konzentration (mg/L) Abb. 4. Chronische Toxizität von Pharmazeutika bei verschiedenen aquatischen Organismen. Dargestellt sind die lowest observed effect concentrations (LOEC) und no observed effect concentrations (NOEC) für verschiedene Organismengruppen mit verschiedenen Spezies (verändert nach Fent et al. 2006).
Acetylsalicylsäure aus der Gruppe der NSAID beeinträchtigte bei einer Konzentration von 1,8 mg/L die Reproduktion von Daphnien (Marques et al. 2004a, b). Eine chronische Exposition von Regenbogenforellen über 28 Tage an Diclofenac hat histopathologische Effekte zur Folge. Bei der tiefsten Effektkonzentration von 5 Pg/L zeigen sich Schädigungen der Niere (Degeneration von Tubulusepithel, interstitielle Nephritis) und Schädigungen in den Kiemen (Schwaiger et al. 2004). Bei 1 Pg/L sind schon geringe Veränderungen in der Zelle feststellbar (Triebskorn et al. 2004). Damit scheinen Kiemen und Nieren bei Langzeitexposition mit Diclofenac beeinträchtigt zu werden. Die Niere ist auch Zielorgan bei den Geiern auf dem Indischen Subkontinent, wo schwere Gicht und Harnsäureablagerungen im Magen-Darmtrakt mit Todesfolge auftreten (Oaks et al. 2004). Der Beta-Blocker Propranolol wirkt nicht nur auf das Herzkreislaufsystem, sondern hat auch Effekte auf die Reproduktion. Ceriodaphnia dubia zeigt eine reduzierte Reproduktion bei 250 Pg/L und Hylalella azteca bei 100 Pg/L (Huggett et al. 2002). Auch bei Fischen treten Reproduktionseinbussen und Veränderungen der Steroidhormonwerte auf. Das Fisch-
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wachstum war bei 500 Pg/L reduziert. Die Anzahl Eier und die Schlüpfrate waren schon bei 0,5 Pg/L reduziert. Diese Konzentrationen liegen im Bereich von Abwasserkonzentrationen von 1,9 Pg/L (Huggett et al. 2003). Die „Lowest observed effect concentration“ (LOEC) und die „No observed effect concentration“ (NOEC) von Pharmaka bei verschiedenen Spezies variieren um mehrere Größenordnungen (Abb. 4). Bei den Lipidsenkern wurde vor allem Clofibrinsäure untersucht, wo ein NOEC bei Rädertierchen von 246 Pg/L, bei Daphnien von 640 Pg/L und bei Fischen von 70 mg/L gefunden wurde (Ferrari et al. 2003). Beim Antiepileptikum Carbamazepin liegt der NOEC von Ceriodaphnia dubia bei 25 Pg/L (LOEC bei 100 Pg/L) und bei Frühstadien von Fischen bei 25 mg/L (LOEC bei 50 mg/L) (Ferrari et al. 2003). Der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer Fluoxetin führt bei Zebramuscheln bei extrem tiefen Konzentrationen von 0,3 Pg/L zur vorzeitigen Abgabe der Larven (Fong et al. 1998). Eine Stimulation der Reproduktion wurde bei Daphnia magna bei 36 Pg/L Fluoxetin beobachtet. Bei Ceriodaphnia dubia wurde die Fekundität reduziert (Brooks et al. 2003). Auch bei Fischen scheinen diese Wirkstoffe die Fortpflanzung zu beeinflussen (Cerda et al. 1998), was aber andere Studien nicht bestätigen konnten (Foran et al. 2004). Die chronische Toxizität von Antibiotika ist ebenfalls schlecht untersucht. Frühstadien von Fischen reagieren beispielsweise empfindlich auf das Bakterizid Triclosan. Der LC50-Wert (96 h) liegt bei Larven bei 602 Pg/L, die Schlüpfrate ist jedoch schon bei 313 Pg/L reduziert (Ishibashi et al. 2004). Bei Männchen wird schon bei 20 und 100 Pg/L Vitellogenin induziert, was vermutlich auf einen estrogenen Metaboliten zurückzuführen ist. Im Weiteren können von Nutztieren ausgeschiedene Antibiotika und Antiparasitika für die Dungfauna toxisch sein. Ivermectin und Doramectin im Dung und Monesin in Böden können in Konzentrationen auftreten, welche für gewisse Spezies toxisch sind (Boxall et al. 2003). Die Antibiotikarückstände in Abwasser, Oberflächengewässern und Böden haben eine Förderung von Antibiotika-Resistenzen bei Bakterien zur Folge, was letztlich auch für den Menschen Folgen haben könnte (Guardabassi et al. 1998; Nygaard et al. 1992; Witte 1998).
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Wirkungen in Modellökosystemen Nur sehr beschränkt wurden bisher Arzneimittel in ökologisch realistischeren experimentellen Modellökosystemen untersucht. In Freilandsystemen zeigte sich eine phytotoxische Wirkung bei Atorvastatin (Lipidsenker) und dem Antibiotikum Ciprofloxacin (Brain et al. 2004). In Mikrokosmen mit Phyto- und Zooplankton wurde eine Mischung von Ciprofloxatin, Ibuprofen und Fluoxetin für 35 Tage untersucht (Richards et al. 2004). Bei mittleren (60 bis 100 Pg/L) und hohen Konzentrationen (600 bis 1000 Pg/L) war die Abundanz und Anzahl von Planktonorganismen negativ beeinflusst. Unerwartet hoch war die Mortalität der Fische und Pflanzen, die in diesen Modellsystemen ebenfalls vorhanden waren. Veränderungen der Artenabundanz und reduzierte Biodiversität haben wichtige ökologische Auswirkungen. Diese Arzneimittel treten jedoch in Gewässern in wesentlich tieferen Konzentrationen von bis zu 1 Pg/L auf und daher scheint es weniger wahrscheinlich, dass solche Effekte in Gewässern auftreten könnten. Jedoch treten alle Effekte bei wesentlich tieferen Werten auf als die pharmakologisch wirksame Konzentration in Säugern.
Toxizität von Arzneimittelmischungen Bisher gibt es nur wenige Studien, welche die Frage der Kombinationswirkung von Pharmazeutikamischungen untersuchten. Es sind dies Toxizitätstests mit Algen und Daphnien. Eine Mischung von NSAID (Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Acetylsalicylsäure) zeigt toxische Wirkungen bei solchen Konzentrationen, bei der der einzelne Wirkstoff keine oder nur geringe Effekte zeigte (Cleuvers 2003, 2004). Die kombinatorische Wirkung folgte nach dem Prinzip der Konzentrationsaddition, d.h. die Konzentrationen der einzelnen Substanzen addierten sich zur Gesamtwirkung. Die Wirkung ergab sich aus den aufsummierten Konzentrationen und somit kann jede Substanz die andere prinzipiell ersetzen. Mischungen können damit in ihrer Aktivität stärker sein, als die Wirkung ihrer Einzelstoffe erwarten lässt. Beispielsweise machten bestimmte Konzentrationen der Clofibrinsäure (Abbauprodukt verschiedener Cholesterinsenker) und des Antiepileptikums Carbamazepin einzeln jeweils 1 % beziehungsweise 16 % von Daphnien bewegungsunfähig. Die in den gleichen Konzentrationen gemischten Wirkstoffe legten dagegen 95 % der Daphnien lahm (Cleuvers 2003). Die akute Toxizität einer Mischung von Stoffen mit unterschiedlichem Wirkungsmechanismus (Clofibrinsäure, Carbamazepin, Ibuprofen, Propranolol, Metoprolol, Diclofenac, Naproxen, Captopril,
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Metformin) zeigte, dass sich die Stoffe in Algen ebenso nach dem Prinzip der Konzentrationsaddition verhielten, hingegen war der Effekt in Daphnien stärker (Cleuvers 2003). Generell kann angenommen werden, dass sich die Mischungen der einzelnen Substanzen nach dem Prinzip der Konzentrationsaddition verhalten. Das bedeutet unter anderem, dass Stoffe in der Kombination eine Wirkung zur Folge haben können, auch wenn sie als Einzelstoff keine Wirkung hervorrufen, also unter dem NOEC-Wert liegen. Dies hat Konsequenzen für die Risikoanalyse, denn die Stoffe treten ja als Mischungen in der Umwelt auf.
Vergleich von Umwelt- und Wirkungskonzentrationen Häufig wird das Umweltrisiko abgeschätzt durch einen Vergleich der geschätzten Umweltkonzentration (Predicted Environmental Concentration, PEC) mit der geschätzten Konzentration, die keine Effekte zeigt (Predicted No Effect Concentration, PNEC). Hat der Quotient PEC/PNEC den Wert 1 oder ist er höher, muss von einem Umweltrisiko ausgegangen werden, andernfalls ist das Umweltrisiko gering. Das Hauptproblem der Risikoanalyse liegt jedoch darin, dass kaum Daten über die chronische Toxizität eines Arzneimittels vorliegen. Vermutlich sind Daten von weniger als 1 % der Stoffe publiziert und nur ein kleiner Teil auch der neuen Pharmazeutika wurde einer Risikoanalyse mittels Ökotoxizitätstests unterzogen (Sanderson et al. 2003). Die Abbildungen 5 und 6 zeigen eine Zusammenfassung und einen Vergleich der Daten über die maximale Konzentration von Arzneimitteln im geklärten Abwasser und den chronischen LOEC- und NOEC-Werten. Dies erlaubt in pragmatischer Weise eine ökotoxikologische Priorisierung von Pharmazeutika. Beim synthetischen Steroidhormon EE2 liegen die Konzentrationen im Kläranlagenablauf und in stark kontaminierten Gewässern im Wirkungsbereich. Estrogene Effekte oder gar negative Wirkungen auf die Reproduktion können daher bei Fischen auftreten. Die LOEC-Werte der anderen Pharmazeutika liegen meist um 1 bis 2 Größenordnungen höher als die maximal in Kläranlagenausläufen gemessenen Werte, bei den NOEC-Werten sind es etwa zwei Größenordnungen. Lediglich bei Diclofenac liegt die LOEC für Fische im Bereich der Abwasserkonzentration, wohingegen der LOEC von Propranolol und Fluoxetin für Zooplankton und benthische Organismen in der Nähe der maximalen Abwasserkonzentrationen liegt.
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Max. Kläranlagenauslauf Acetylsalicylsäure
Phytoplankton Benthos Zooplankton Fisch
Salicylsäure Diclofenac Propranolol Clofibrinsäure Carbamazepin Fluoxetin Ethinylestradiol
0 00 10 00 100 10 10 1 1 0. 1 0 0. -3 1E-4 1E-5 1E - 6 1E-7 1E-8 1E
Konzentration (mg/L) Abb. 5. Vergleich von gemessenen maximalen Abwasserkonzentrationen und lowest observed effect concentrations (LOEC) verschiedener Pharmazeutika bei verschiedenen Organismengruppen bestehend aus verschiedenen Spezies (verändert nach Fent et al. 2006).
Dies macht deutlich, dass der Sicherheitsabstand gering ist und in stark kontaminierten Standorten chronische Wirkungen nicht ausgeschlossen werden können, vor allem dann, wenn man beachtet, dass in der Regel weitere Pharmazeutikarückstände in kombinatorischer Weise mitberücksichtigt werden müssen. Die mittleren Konzentrationen einzelner Arzneimittelrückstände liegen jedoch tiefer und damit auch das Toxizitätsrisiko. Zusammengefasst muss aber beachtet werden, dass noch viel zu wenig Kenntnisse über die chronische Toxizität von Pharmazeutika bestehen, insbesondere auch über ihr Bioakkumulationspotential. Daher ist es noch nicht möglich, eine ökologische Risikoanalyse und abschließende Risikobewertung vorzunehmen. Neben den synthetischen Steroidhormonen lassen sich auch einige weitere Arzneimittel als potentiell risikobehaftet identifizieren.
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Max. Kläranlagenauslauf Phytoplankton Benthos Zooplankton Fisch
Acetylsalicylsäure Salicylsäure Diclofenac Ibuprofen Naproxen Propranolol Clofibrinsäure Carbamazepin Fluoxetin Ethinylestradiol
0 00 1000 100 10 10 1 1 0. 1 0 0. -3 1E- 4 1E- 5 1E- 6 1E- 7 1E- 8 1E
Konzentration (mg/L) Abb. 6. Vergleich von gemessenen maximalen Abwasserkonzentrationen und no observed effect concentrations (NOEC) verschiedener Pharmazeutika bei verschiedenen Organismengruppen bestehend aus verschiedenen Spezies (verändert nach Fent et al. 2006).
Regulatorische Aspekte Veterinärpharmaka müssen im Rahmen der Zulassung in den USA schon seit 1981 ökotoxikologische Untersuchungen durchlaufen. In der EU ist mit der Richtlinie 91/414/EWG ein genaues Prüfschema und die zu leistenden Prüfungen vorgeschrieben. Neue Humanpharmaka müssen seit 1993 auf Umweltauswirkungen hin beurteilt werden, die alten und neueren Versionen der entsprechenden Richtlinien verlangen akute oder chronische Tests. Diese Vorschriften sind zwar rechtlich noch nicht bindend. Die Direktive 2004/27/EC verlangt eine Evaluation des Umweltrisikos eines Medizinalproduktes und gilt besonders für neue Stoffe. Dazu kommt, dass die Aktivsubstanzen vor dem Hintergrund der EU-Richtlinie 92/32/EWG über Klassierung und Einstufung von gefährlichen Substanzen auf einstufungsrelevante Eigenschaften geprüft werden müssen. Die U.S. EPA hingegen
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verlangt eine Umweltbeurteilung des Wirkstoffes, wenn seine Konzentration im Kläranlagenauslauf 1 Pg/L beträgt. Der Entwurf einer neuen Richtlinie sieht eine vertiefte ökotoxikologische Prüfung der Humanarzneimittel vor, wenn die Wirkstoffkonzentration mindestens 10 ng/L im Oberflächenwasser beträgt (EMEA 2005). Dabei wird in einem stufenweisen Konzept zuerst die Exposition abgeschätzt und bei erwarteten Wasserkonzentrationen von 10 ng/L sollen StandardToxizitätstests (Algentoxizität, Daphnienreproduktion, Fischtest mit Frühstadien) sowie Umweltverbleibetests durchgeführt werden, um das Umweltrisiko mit Hilfe von Sicherheitsfaktoren abzuschätzen. In einer nächsten Stufe kommen weitergehende Tests zur Bioakkumulation und Toxizitätstests bei terrestrischen Organismen zum Zuge. Diese geplante neue Regelung würde eine wesentliche Verbesserung der Umweltbeurteilung von Arzneimitteln bringen.
Diskussion und Schlussfolgerungen Pharmazeutika werden zunehmend in klassischen akuten Toxizitätstests mit Algen, Daphnien und Fischen auf ihre möglichen Umweltwirkungen untersucht. Dabei werden jedoch nur selten chronische Toxizitätsuntersuchungen durchgeführt, insbesondere fehlen sie weitgehend bei Fischen. Da aber die OECD-Tests nur wenige Labororganismen umfassen, die zudem nicht unbedingt zu den empfindlichsten Organismen gehören, ist es schwierig, weitergehende Schlüsse über die mögliche Umweltgefährdung durch Pharmazeutikarückstände zu ziehen. Die chronischen Wirkungen von Chemikalien sind allgemein noch wenig erforscht, nicht nur bei Arzneimitteln. Denn Langzeittests sind aufwendig und teuer und außerdem fehlen vielfach die geeigneten Methoden. Deshalb wird manchmal versucht, von den einfacher zu untersuchenden akuten Wirkungen bei Algen und Daphnien auf die Langzeitwirkungen zu schließen, indem ein Sicherheitsfaktor angewandt wird. Dieses Verfahren ist jedoch inadäquat und entbehrt der toxikologischen Grundlage, denn es lassen sich keine chronischen Wirkungen aus akuten ableiten. Zudem fehlen Untersuchungen, die spezifische Toxizitätsparameter berücksichtigen. Diese würden wertvolle Hinweise auf eine mögliche unerwünschte Wirkung von Pharmazeutika liefern. Für eine Risikoanalyse ist gerade die Betrachtung spezifischer Zielorgane sowie der chronischen Wirkungen wesentlich. Zukünftige Untersuchungen sollten daher vermehrt auf den Wirkungsmechanismus gerichtet sein. Dabei ist die Kenntnis der Nebenwirkungen beim Menschen sehr hilfreich. Oft, aber nicht immer, be-
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stehen ja homologe Zielmoleküle und zelluläre Strukturen, auf welche Arzneimittel bei Mensch und Tier ausgerichtet sind. Beispielsweise sind die Steroidhormonrezeptoren, PPAR, Adrenozeptoren oder Insulinrezeptoren bei niederen Wirbeltieren und Wirbellosen homolog zum Menschen (Escriva et al. 1997; Navarro et al. 1999; Nickerson et al. 2001). Dass daher von gleichen oder zumindest ähnlichen Wirkungen bei Fischen wie beim Menschen ausgegangen werden kann, ist eine zentrale Hypothese. Im Falle von Diclofenac hat sich diese als richtig herausgestellt, da ähnliche Effekte bei Fischen, Geiern und Mensch auftreten. Solche gezielteren Untersuchungen sind besser geeignet, das ökologische Risikopotential einer Wirksubstanz zu erfassen, als dies unspezifische akute Toxizitätstests tun. Trotzdem muss aber beachtet werden, dass auch unerwartete Effekte auftreten können, die sich aufgrund der großen biologisch-physiologischen Unterschiede zwischen Tieren einerseits, und zwischen Tier und Pflanze andererseits ergeben. Als Konsequenz sollten neue Untersuchungen x auf die spezifischen Zielmoleküle und Zielorgane gerichtet sein x die bekannten Nebenwirkungen beim Menschen berücksichtigen x die Speziesunterschiede in Biologie, Physiologie und Ökologie in Betracht ziehen. Diese Strategie führt meiner Meinung nach zu spezifischeren Aussagen über die möglichen Wirkungen und Umweltgefährdung von Arzneimittelrückständen als die klassischen Toxizitätstests allein. So sollte bei den antiinflammatorischen Arzneimitteln die Hemmung der Prostaglandinsynthese und der COX-Enzyme betrachtet werden. Bei Herz-Kreislauf-Medikamenten sollte auch die Wirkung auf den Kreislauf von Wirbeltieren untersucht werden. Lipidsenker sollten auch bei niederen Wirbeltieren und Wirbellosen auf ihre Wirkungen auf die PPAR-Induktion, den Lipidstoffwechsel und die Hemmung spezifischer Enzyme getestet werden. Medikamente, die in der Tumorchemotherapie Verwendung finden, haben ein mutagenes und kanzerogenes Potential, das bei Tieren in der Natur problematisch sein könnte. Solche Stoffe sollten spezifisch auf diese Wirkungsweise hin untersucht werden. Es muss aber beachtet werden, dass es nicht genügt, allein auf den bekannten Wirkungsmechanismus abzustellen. Es gibt auch unerwartete Effekte. So hat beispielsweise der Beta-Blocker Propranolol Auswirkungen auf Geschlechtshormonwerte bei Fischen und führt zu einer Reduktion der Reproduktion bei Ceriodaphnia dubia und Hylalella azteca (Huggett et al. 2002). Ein anderes Beispiel sind die Wirkungen von Fluoxetin auf die Reproduktion von Weichtieren (Fong 1998). Zudem haben Pharmazeutika oft
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differenzierte Effekte auf verschiedene Zielorgane. Das kompliziert natürlich die Untersuchungsstrategie. Jedoch können viele der unerwarteten chronischen Effekte im Zusammenhang der chronischen Toxizitätstests identifiziert werden, wenn histopathologische Untersuchungen und Reproduktionsauswirkungen mit einbezogen werden. Im Weiteren geben Invitro-Studien bereits wertvolle Hinweise auf das Toxizitätspotential von Pharmazeutika (Fent 2001; Laville et al. 2004). Nicht zuletzt aus Gründen des Tierschutzes sollten vermehrt In-vitro-Analysen und In-vitro-Tests zur Beurteilung der Toxizität von Pharmazeutika herangezogen werden (Hutchinson et al. 2003). Die gegenwärtige Kenntnis der Umweltkonzentrationen von Arzneimittelrückständen lässt den Schluss zu, dass akute Effekte nicht zu erwarten sind, es sei denn bei Unfällen. Die Umweltkonzentrationen sind um mindestens 3 Größenordnungen tiefer als die entsprechenden LC50-Werte. Generell fehlen aber Untersuchungen zur chronischen Toxizität. Bei den Langzeitwirkungen fallen vor allem diejenigen des synthetischen Steroidhormons Ethinylestradiol ins Gewicht, denn die negativen Effekte auf die Reproduktion zeigen sich schon bei Konzentrationen, die im Abwasser und zum Teil in Oberflächenwässern gefunden werden. Aufgrund unserer jetzigen Kenntnisse scheinen bei den meisten anderen untersuchten Arzneimitteln die Konzentrationen der Einzelstoffe aber zu gering, um chronische Wirkungen wie Hemmung des Algenwachstums oder Reproduktionseffekte auf Daphnien in Oberflächengewässern zu zeigen. Hingegen gilt das nicht für alle Arzneimittelrückstände, zudem sind chronische Wirkungen auf Fische meist unbekannt. Bei Dicofenac sind hingegen Wirkungen auf Fische bei solchen Konzentrationen gefunden worden, die den maximalen Abwasserkonzentrationen entsprechen. Für Propranolol und Fluoxetin sind Effekte auf Zooplankton und Wirbellose bei Werten gefunden worden, die den Abwasserkonzentrationen nahe liegen. Ob auch für andere Pharmazeutika der Sicherheitsabstand zwischen Umweltkonzentration und Effektkonzentration so eng ist, müssen zukünftige Studien zeigen. Antibiotika haben die Resistenzbildung bei Mikroorganismen zur Folge. Vertiefte ökotoxikologische Untersuchung von Arzneimitteln, wie dies für die Zukunft vorgeschlagen wird (EMEA 2005), ist sicher ein wichtiger Schritt zur Abschätzung der Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln. Wichtig für die Risikoanalyse ist auch die Kombinationswirkung von Arzneimittelrückständen, da dies ja die normale Umweltsituation darstellt. Die Wirkung erfolgt in der Regel nach dem Prinzip der Konzentrationsaddition (Cleuvers 2003). Eine wichtige Konsequenz daraus ist die Tatsache, dass Effekte der Gesamtheit der Arzneimittelrückstände trotzdem auftreten können, obwohl das einzelne Arzneimittel keine Wirkung erzeugt. Mischungen können damit teilweise stärker schädigen, als die Wirkung ihrer
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Einzelstoffe erwarten lässt. Im ökologischen Kontext sind aber auch unscheinbare Wirkungen wie etwa auf das Wachstum, Verhalten oder die Reproduktion wichtig, da sie die Überlebensfähigkeit nicht nur eines Individuums, sondern auch der Population beeinträchtigen können. Dies kann letztlich zu schwerwiegenden Effekten auf der Populationsebene führen, wie das extreme Beispiel des Populationseinbruchs bei den Geiern auf dem Indischen Subkontinent zeigt. Heute wissen wir noch zu wenig über die chronischen Wirkungen von Arzneimittelrückständen, um das Umweltrisiko dieser biologisch aktiven Stoffe abzuschätzen. Daher ist die ökotoxikologische Wirkungsforschung über potentiell kritische Pharmazeutika, besonders über solche, die aufgrund ihrer Persistenz und ihrem Konsum in relativ hohen Konzentrationen in der Umwelt auftreten, unbedingt nötig.
Dank Danken möchte ich D. Caminada und A. Weston für die wertvolle Mithilfe bei der Datenbeschaffung und für die Graphiken, Dr. J. O. Straub (F. Hoffmann-La Roche Ltd.), Dr. A. Hartmann (Novartis International AG) und Dr. H. Galicia (Springborn Smithers Laboratories (Europe) AG) für die Unterstützung und Durchsicht des Manuskripts. Die Forschungsarbeit wird durch das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT), KTI-Projekt 7114.2 LSPP-LS, F. Hoffmann-La Roche Ltd., Novartis International AG und Springborn Smithers Laboratories (Europe) AG unterstützt.
Literatur Adolfsson-Erici M., Pettersson M., Parkkonen J., Sturve J. (2002): Triclosan, a commonly used bactericide found in human milk and in the aquatic environment in Sweden, Chemosphere 46, 1485-1489. Ankley G. T., Kahl M. D., Jensen K. M., Hornung M. W., Korte J. J., Makynen E. A., Leino R. L. (2002): Evaluation of the aromatase inhibitor fadrozole in a short-term reproduction assay with the fathead minnow (Pimephales promelas), Toxicol. Sci. 67, 121-130. Bester K. (2003): Triclosan in a sewage treatment process - balances and monitoring data, Water. Res. 37, 3891-3896. Bound J. P., Voulvoulis N. (2005): Household disposal of pharmaceuticals as a pathway for aquatic contamination in the United Kingdom, Environ. Health Perspect. 113, 1705-1711.
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Arzneimittelrückstände und Gewässerschutz Harald Irmer, Hans-Dieter Stock, Rolf Reupert, Annegret Hembrock-Heger Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen, Essen
Einleitung Sieht man von einzelnen Berichten über den Eintrag von Arzneimittelwirkstoffen in die Oberflächengewässer der Bundesrepublik Deutsch-
land aus den 70’er Jahren einmal ab, wurden die Forschungen und Erhebungen zu Arzneimittelrückständen erst Anfang bis Mitte der 90’er Jahre intensiviert. Die erste größere Studie von allgemeinem Interesse war die Untersuchung von Stan et al. (1994) und Stan und Linkenhägner (1992) über den Verbleib und das Auftreten von Clofibrinsäure in den Berliner Gewässern. Dieser Bericht, der dem Bund-Länderarbeitskreis-Chemikaliensicherheit (BLAC) vorgelegt wurde, löste dort die Fragestellung aus, ob es sich um Einzelbefunde handelt. Daraufhin beschloss im Jahr 1998 die 51. Umweltministerkonferenz, ein repräsentatives Messprogramm in Deutschland durchzuführen. Dieses wurde in den Jahren 2000/2001 durchgeführt, die Ergebnisse wurden im November 2003 veröffentlicht (BLACBericht 2003). Eine der wichtigen Erkenntnisse aus diesem Messprogramm war, dass es einen allgemeinen Eintrag von Arzneimittelwirkstoffen in die Gewässer gibt, der sich aus der Anwendung ableiten lässt. Dabei ist für sehr viele Wirkstoffe eine Konzentrationsverminderung vom Zulauf bis zum Ablauf der Kläranlage durch Abbau und Adsorption in der Kläranlage sowie Verdünnung im Oberflächengewässer bis in das Uferfiltrat feststellbar. Ob diese Elimination für den Schutz der Gewässer ausreicht, kann nur stoff- und einzelfallbezogen geklärt werden. Das Grundwasser war aber in den meisten untersuchten Fällen nicht belastet.
156
H. Irmer, H.-D. Stock, R. Reupert, A. Hembrock-Heger
Humanpharmaka
Veterinärpharmaka
Mensch
Produktion
Tier
Entsorgung
Abbau im Organismus
Abbau Abbau im im Organismus Organismus
Abwasser
Hausmüll
Kläranlage
Deponie
Abbau, Sorption
Klärschlamm
Gülle, Stallmist, Geflügelkot
Stabilisierung Abbau
Lagerung
Lagerung
Abbau
Abbau Abbau
Deponiegeklärtes Wirtschaftsdünger Klärschlamm sickerwasser Abwasser
Boden
ng, mmu chwe rung ÜbeBrsewässe ung m m hwe Absc
Oberflächenwasser
Au sw asc hu ng
Bakterien, Pflanzen, Tiere
Grundwasser
Abbau, Sorption,Verdünnung
Abbau, Sorption,Verdünnung
Aufbereitung
Trinkwasser Medien Umweltkompartimente
Mensch
Abb. 1. Übersicht zum Eintrag von Arzneimitteln in die Umwelt und deren Verbleib.
Zulassungen von Humanarzneimitteln und Veterinärarzneimitteln unterliegen unterschiedlichen Anforderungen und somit auch unterschiedlichen rechtlichen Regelungen in Bezug auf die zu berücksichtigenden Schutz-
Arzneimittelrückstände und Gewässerschutz
157
güter. Somit ergeben sich auch Unterschiede in den Möglichkeiten, ihren Einfluss auf den Boden und die Gewässer zu begrenzen. Weitere Betrachtungen führen zur Unterscheidung nach Wirkstoffen: Einerseits können Humanarzneimittelwirkstoffe über den Abwasserpfad und die kommunalen Kläranlagen in die Gewässer gelangen, andererseits können Veterinärarzneimittel-Rückstände direkt durch Ausscheidung von Weidetieren oder über Wirtschaftsdünger (Gülle, Mist, Jauche) in Böden und weiter ins Grundwasser gelangen oder durch oberflächliche Abschwemmung und Drainagen in Oberflächengewässer eingebracht werden. Ein Teil der in den Oberflächengewässern enthaltenen Arzneimittelrückstände kann bei Hochwasser in Überschwemmungsgebiete eingetragen werden und belastet Böden und das Grundwasser. Die bedeutsamen Wege und Belastungspfade zum Eintrag von Arzneimitteln in die Umwelt verdeutlicht Abbildung 1.
Humanarzneimittel Humanarzneimittel gelangen aus folgenden Quellen in die Umwelt: Über den Abwasserpfad aus der Produktion, aus der Anwendung in Haushalten und in Krankenhäusern oder in speziellen Fällen über das Sickerwasser aus Deponien. Die Einleitung erfolgt aus Kläranlagen und nur in bestimmten Situationen auch aus Mischabwasserabschlägen des Kanalnetzes. Einer der Haupteintragspfade für Humanarzneimittel ist die Einleitung über das häusliche Abwasser in die Gewässer. Humanarzneimittel gelangen in der Regel über die natürlichen Ausscheidungen wie Urin oder Faeces in das Abwassersystem. Neben der medizinischen Anwendung stellt auch die Entsorgung ungenutzter Produkte über die Toilette einen nicht zu vernachlässigenden Anteil am Eintrag von Arzneimitteln in das Abwasser dar. Zahlreiche Untersuchungen zum Vorkommen von Arzneimittelrückständen im ungereinigten und gereinigten Abwasser belegen, dass viele pharmakologisch wirksame Substanzen in der Kläranlage nur unzureichend abgebaut werden. Sie gelangen anschließend mit dem gereinigtem Abwasser in die Oberflächengewässer oder an Klärschlamm adsorbiert auf vorwiegend landwirtschaftlich genutzte Flächen und auf Deponien. Von den mit Klärschlamm beaufschlagten Flächen können die Arzneimittel durch Abschwemmung und Drainagen in Oberflächengewässer oder durch Versickerung in das Grundwasser eingetragen werden. Darüber hinaus kann das Grundwasser auch durch die weit verbreiteten Leckagen in Abwasserleitungssystemen und Kläranlagen kontaminiert werden.
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H. Irmer, H.-D. Stock, R. Reupert, A. Hembrock-Heger
Dass die Einleitung von Produktionsabwässern nur punktuell eine Rolle spielt, im allgemeinen aber eher von untergeordneter Bedeutung ist, ergibt sich aus den Frachtschätzungen, die im Rahmen des o. g. BLACMessprogrammes (BLAC 2003) durchgeführt wurden. Phenazon ist ein Sonderfall: Aufgrund der Befunde in NRW 2005 handelt es sich bei der in Bad Honnef gemessenen Fracht an Phenazon offensichtlich um eine produktionsbedingte Belastung. Zwischen der Rheinwasserkontrollstation Bad Honnef im Süden von NRW und KleveBimmen/Lobith im Norden ergibt sich für die meisten Arzneimittelwirkstoffe, die in den Kläranlagen nicht oder nur schlecht abgebaut werden, durch die Restmengen aus der Anwendung eine deutliche Zunahme. Dagegen nimmt Phenazon, obwohl nur mäßig bis schlecht abbaubar, auf der Rheinstrecke in NRW ab. Phenazon hat überdies dort ein gegenüber anderen Arzneimittelwirkstoffen atypisches Muster der Konzentrationen. Daraus resultiert, dass dieser Wirkstoff nicht aus der Anwendung, sondern aus der Produktion in den Rhein gelangt, zumal der Hauptproduzent als Oberlieger von NRW in den Rhein einleitet. Die Abnahme der Konzentrationen ist ein reiner Verdünnungseffekt. Weitere Untersuchungen betreffen die Abwässer einiger Produzenten in NRW an Lippe und Wupper. Die hier in Einzeluntersuchungen ermittelten Konzentrationen dienten vorwiegend der Verbesserung der Rückhaltetechnik der Betriebe. In allen Fällen konnten in Zusammenarbeit der Behörden mit den Betreibern vorhandene Techniken optimiert und damit ein verbesserter Gewässerschutz erzielt werden. Erhebliche Mengen der Stoffe Carbamazepin, Ofloxacin und Phenazon gelangen über Abläufe kommunaler Kläranlagen in die Gewässer. Sie metabolisieren nur sehr schlecht im menschlichen Körper, in Kläranlagen werden sie biologisch kaum abgebaut und lagern sich auch nicht am Schlamm an. Von diesen Wirksubstanzen konnten etwa 15 bis 25 % der verkauften Mengen im Rhein wieder gefunden werden. Sie stammen aus der Anwendung bzw. Entsorgung und nicht aus der Produktion. Bei den übrigen nachgewiesenen Stoffen handelt es sich ebenfalls um schwer abbaubare Verbindungen, die mit 1 bis 10 % der Verkaufsmengen nachgewiesen werden konnten. Im Zulauf zu den Kläranlagen werden erwartungsgemäß größere Konzentrationen gemessen. Dieses Rohabwasser wird bei größeren Regenereignissen in den Mischkanalisationen über Regenrückhalteeinrichtungen gespeichert und danach zum größten Teil zur Kläranlage geleitet. Nur bei lang anhaltendem Regen oder bei besonderem Starkregen kann es zum Abschlag von ungereinigtem Abwasser in die Gewässer kommen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir im Kläranlagenzulauf das 3 bis 10fache der Konzentration des Ablaufes vorfinden und dies auch die Konzentration ist, die über den Mischabwasserabschlag unmittelbar in die Gewässer einge-
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tragen wird, so kann man über das Verhältnis der abgeschlagenen Mengen zu den behandelten Mengen ermitteln, dass z. B. von den ca. 1.500 kg/a Sulfamethoxazol (einem Antibiotikum), die in die Gewässer NordrheinWestfalens eingebracht werden, etwa 17 % aus Mischabwasserabschlägen stammen. Dieses Verhältnis ist bei den gut abbaubaren Stoffen allerdings noch ungünstiger. Zum Beispiel ist beim Ibuprofen, das einen sehr guten Abbau aufweist, die durch die Mischabwasser-Entlastung in die Gewässer eingetragene Fracht die dominante. Nach Schätzungen werden etwa 300 kg/a nach der Behandlung in kommunalen Kläranlagen in die Gewässer eingeleitet, dagegen die doppelte Menge ungereinigt aus den Mischabwasserabschlägen. Dies zeigt die Notwendigkeit auf, die Mischabwasserabschläge vor der Einleitung in ein Gewässer zu behandeln. Techniken, die gezielt auch den Arzneimittel-Abbau angehen, wurden bereits in F+EVorhaben des Landes NRW (Werres et al. 2005) erarbeitet und könnten auf der Versuchsanlage des LUA in Neuss optimiert werden. Untersuchungen an den Medizinischen Einrichtungen der Universität Bonn (MEB) (1999 bis 2002) gingen davon aus, dass gerade im Krankenhausbereich Antibiotika in größeren Mengen eingesetzt werden und punktuell in die Kläranlagen gelangen (Färber et al. 2001). Da die MEB an die Kläranlage Bonn-Nord angeschlossen sind und dort das Abwasser aus den Krankenhauseinrichtungen einen nennenswerten Beitrag zum gesamten Abwasser darstellt, wurden die Untersuchungen von den Anfallstellen (Sammler im Bereich der medizinischen Einrichtungen) über den Zulauf zur Kläranlage, den Ablauf der Kläranlage bis in den Rhein verfolgt. Im Anschluss an die Verdünnung im Rhein wurden dann noch weitere Untersuchungen hinsichtlich des Verbleibs einzelner Arzneimittel über das Uferfiltrat bis zum Rohwasser der Trinkwassergewinnung durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass es einzelne Stoffe gibt, die nicht oder nur sehr schlecht in kommunalen Kläranlagen abgebaut werden, dass aber das Gros der eingesetzten Wirkstoffe in kommunalen Kläranlagen in deutlichem Maße reduziert wird (s. Abb. 2). Stoffe, die nach diesen Untersuchungen mit besonderer Aufmerksamkeit belegt werden sollten, waren insbesondere die Makrolide Sulfamethoxazol und Trimetoprim, die im Bereich der Antibiotika als Kombinationspräparat eingesetzt werden. Diese Stoffe konnten von einem verminderten Abbau in der Kläranlage über das Rheinwasser bis ins Grundwasser (Uferfiltrat) nachgewiesen werden.
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Abb. 2. Konzentration ausgewählter Antibiotika in Abwasser, Oberflächenwasser und Uferfiltrat.
Eine der weiteren Punktquellen sind die alten Hausmülldeponien. Hier liegen etliche Kilogramm bis Megagramm Arzneimittel aus häuslichen Abfällen, die über das Sickerwasser in den Abwasserpfad eingetragen werden. Alte undichte Deponien zeigen nach ersten Untersuchungen auch einen nachweisbaren Eintrag ins Grundwasser. Wird aber das Sickerwasser gezielt aufgefangen und einer Behandlung mit Umkehrosmose bzw. einer Aktivkohlefiltration zugeführt, lassen sich die Einträge deutlich vermindern (BLAC-Bericht 2003).
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Veterinärarzneimittel Veterinärarzneimittel gelangen mit den Ausscheidungen der Tiere als Wirtschaftsdünger (Gülle, Mist, Jauche) auf landwirtschaftliche Flächen bzw. werden von den Tieren in Weidehaltung unmittelbar in die Umwelt ausgeschieden. Von den mit Wirtschaftsdüngern beaufschlagten Flächen können Veterinärarzneimittel durch oberflächliche Abschwemmung und Drainagen in Oberflächengewässer und/oder durch Versickerung in das Grundwasser eingetragen werden. Ein Teil der in den Oberflächengewässern enthaltenen Veterinärarzneimittel kann, wie Humanarzneimittel und alle anderen in Oberflächengewässern enthaltenen Stoffe, bei Hochwasser in Überschwemmungsgebiete eingetragen werden und somit in Böden und ins Grundwasser gelangen. Bundesweite Erhebungen zu Verkaufsmengen von Veterinärarzneimitteln liegen nicht vor. Es bestehen also erhebliche Informationsdefizite darüber, in welchen Mengen Arzneimittel in der Nutztierhaltung in Deutschland eingesetzt werden. Ein Unsicherheitsfaktor bei der Erhebung der Mengen von Veterinärarzneimitteln ist der Einsatz von "pharmakologisch wirksamen Futterzusatzstoffen". Der Begriff ist EU-rechtlich nicht eindeutig definiert. Es handelt sich hier um ausgesuchte antimikrobielle Substanzen (Antibiotika, Chemotherapeutika), die in subtherapeutischen Dosen verfüttert werden. Sie unterliegen als Futtermittelzusatzstoffe nicht dem Arzneimittel-, sondern dem Futtermittelrecht und damit keiner tierärztlichen Verschreibung, wodurch eine mengenmäßige Abschätzung ihres Einsatzes nahezu unmöglich ist (Winckler und Grafe 2000). Veterinärarzneimittel sind verschreibungspflichtig. Hier handelt es sich in der Regel um Antibiotika/Chemotherapeutika oder Antiparasitika, die als Fütterungsarzneimittel zur Therapie oder aber zur Prophylaxe (z.B. "Einstallprophylaxe" bei Schweinen) eingesetzt werden. Diese Stoffe werden entweder in einem Futtermischbetrieb per Herstellungsauftrag hergestellt oder aber von einem zugelassenen Hersteller auf Verschreibung direkt an den Tierhalter abgegeben. Sowohl die Herstellungsaufträge als auch die Verschreibungen werden von der Veterinärbehörde erfasst und können daher quantifiziert werden. Neben der Verabreichung als Fütterungsarzneimittel besteht noch die Möglichkeit der Abgabe von Veterinärarzneimitteln durch den Tierarzt direkt an den Tierhalter. Diese Abgabe wird jedoch nicht zentral registriert und kann deshalb lediglich anhand von Befragungen bei Tierärzten abgeschätzt werden (Winckler und Grafe 2000). Trotz dieser schwierigen Umstände sind einige Studien zur regionalen Verschreibungspraxis in der Veterinärmedizin erschienen. Insbesondere
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Winkler und Grafe (2001) haben im Rahmen eines Forschungsprojektes des Umweltbundesamtes versucht, über Stichprobenbefragungen bei Tierärzten und Landwirten in der Region Weser-Ems Wirkstoffmengen abzuschätzen. Außerdem wurde von Linke und Kratz (2001) eine Erhebung von Veterinärarzneimittelmengen für das Land Brandenburg vorgenommen, die jedoch nur die bei den Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsämtern (VLÜA) registrierten Herstellungsaufträge berücksichtigt. Die mengenmäßig relevantesten Veterinärarzneimittel sind die Tetrazykline (39.852 kg/Jahr in der Region Weser-Ems bzw. 4.600 kg/Jahr in Brandenburg) und die Sulfonamide (13.166 kg/Jahr bzw. 900 kg/Jahr). Seltener eingesetzt werden Aminoglykoside (7.080 kg/Jahr bzw. 200 kg/Jahr) und E-Lactame (3.768 kg/Jahr bzw. 200 kg/Jahr). Erwähnenswert sind außerdem das Antibiotikum Trimethoprim (1.264 kg/Jahr bzw. 82 kg/Jahr) und das als Vitamin B4 bekannte Cholinchlorid (5.431 kg/Jahr in der Region Weser-Ems), das jedoch als Futtermittelzusatzstoff definiert ist. Untersuchungen zum Eintrag von Sulfonamiden in Böden über Gülle haben gezeigt, dass die Frachten auf dem Acker bei einer ordnungsgemäßen Gülleausbringung bis zu 1 kg/(ha a) betragen können (ZulleiSeibert und Skark 2002, Langhammer 1989). Winckler und Grafe (2001) haben eine Abschätzung über zu erwartende Gehalte von Tetracyclin in Wirtschaftsdüngern vorgenommen. Bei einer Behandlung von Mastschweinen ermittelten sie bei einer mittleren Dosierung von 65 mg Wirkstoff pro kg Körpergewicht einen Gehalt von 22,5 g/m³ Gülle. Winckler und Grafe führten anschließend ein Screening von 181 Schweinegülleproben aus der Region Weser-Ems auf Tetracycline durch. Die rechnerisch ermittelten PEC-Werte (s. u.) stimmten recht gut mit den analytisch ermittelten überein. Bei Einarbeitung der Gülle mit einem Tetracyclin-Gehalt von 22,5 g/m³ in Böden wurde von Winckler und Grafe (2001) nach einer einmaligen Gabe von 30,7 m³/ha Gülle in Tiefen bis 5 cm ein Gehalt von 900 µg/kg, bei Einarbeitung bis 30 cm Tiefe 150 µg/kg Boden festgestellt. 1998 fielen in Deutschland 215 Millionen t Frischmasse an Wirtschaftsdüngern aus der Rinder- und Schweinehaltung an, davon waren ca. 75 % Gülle (Schwab 2000). Da ebenso wie bei der humanmedizinischen Applikation große Teile der Wirkstoffe den Organismus nicht oder nur wenig verändert verlassen, können bis zu 80 % der verabreichten Mengen in den Fäkalmedien auftreten (Zullei-Seibert und Skark 2002). Über den Eintrag der Veterinärarzneimittel aus Böden ins Grundwasser liegen bisher nur wenige Kenntnisse vor. Tetracycline und Fluorchinolone werden in Oberböden stark sorbiert und stellen kein aktuelles Risiko für das Grundwasser dar. Dagegen wird Sulfamethazin trotz niedriger Gehalte
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in Oberböden (ca. 1 µg/kg Boden) wiederholt im Porenwasser nachgewiesen. Neben einem Transport mit dem Sickerwasser können verschiedene Bypass-Wege auftreten. Stoffe können an Partikel sorbieren und auf diesen Partikeln schnell verlagert werden. Ebenso können bevorzugte Fließwege entstehen (Makroporen, Trockenrisse), die die Verlagerung in tiefere Profilabschnitte und ins Grundwasser beschleunigen (Hamscher et al. 2005).
Zur chemischen Analyse von Arzneimittelrückständen Die Bestimmung von Arzneimitteln, Hormonen und medizinischen Hilfsmitteln in Wasser und Abwasser stellt nach wie vor besondere Anforderungen an die organische Spurenanalytik und wird für ein breiteres Stoffspektrum auch heute meist nur von wenigen spezialisierten Laboratorien im Umweltbereich angeboten. Insofern hat sich die Situation seit dem bundesweiten Monitoring des BLAC im Zeitraum von 08/2000 bis 09/2001 nicht wesentlich verändert. Am weitesten verbreitet ist immer noch die Analytik der sauren Arzneimittel aus den Indikationsgruppen der Lipidsenker, Antiphlogistika und Analgetika, die sich in etablierten gaschromatographische Verfahren der PSM-Analytik einbinden lassen. Auch bei den neutralen Arzneimittel aus diesen Indikationsgruppen lassen sich teilweise Verfahren der PSM-Analytik verwenden, so z. B. für die Bestimmung von Carbamazepin, die HPLC mit UV-DAD nach EN ISO 11369 bei der Untersuchung von Oberflächenwasser. Die basischen Stoffe aus den Indikationsgruppen der Betablocker und Broncholytika erfordern im Vergleich dazu schon speziellere Verfahren, was dann besonders für die Antibiotika, Röntgenkontrastmittel und Hormone zutrifft. In seinem Abschlussbericht gibt der BLAC vor dem Hintergrund der Ziele der europäischen Wasserrahmenrichtlinie an Bund und Länder die Empfehlung aus, Arzneimittelstoffe in die Gewässermonitoringprogramme einzubinden und führt hierfür insgesamt 21 Stoffe auf, die sich bei der länderübergreifenden Untersuchung als relevant erwiesen haben (BLAC 2003). Wegen der niedrigen ökotoxikologischen Wirkschwellen sollten zusätzlich einige Steroidhormone beobachtet werden. Auch wenn es sich bei der Empfehlung des BLAC um einen überschaubaren Stoffumfang handelt, ist das Spektrum der Stoffe aus chemischer Sicht nach wie vor sehr heterogen und erfordert üblicherweise die Anwendung von 5 bis 6 verschiedenen Analyseverfahren. Neben der begrenzten Verfügbarkeit der analytischen Verfahren ist der hohe analytische Aufwand ein weiterer Grund dafür, dass der Empfehlung des BLAC nur zum Teil nachgekommen werden kann.
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Die Erfahrungen aus der Beteiligung am BLAC- Untersuchungsprogramm haben im Landesumweltamt NRW dazu geführt, die Entwicklung eines Multikomponentenverfahrens mittels LC-MS/MS voranzutreiben, um den analytischen Aufwand so weit wie möglich zu reduzieren. Die unterschiedlichen Anforderungen an die Detektion erfordern dabei ein Massenspektrometer, das in der Lage ist, positive und negative Ionen simultan zu messen. Mit diesem Verfahren ist es möglich, bis auf die Röntgenkontrastmittel und Steroidhormone, die vorgenannten und weitere relevante Stoffe in einem Analysengang zu bestimmen (Tabelle 1). Um den Problemen der Ionensuppression und -verstärkung bei der Elektrosprayionisierung entgegenzuwirken, wird bei höchst möglicher Verdünnung gemessen. Bei der Untersuchung von Oberflächenwasser erfolgt die Anreicherung der Stoffe aus einem Probevolumen von 10 ml, bei Abwasser werden 5 ml eingesetzt. Bei diesen geringen Probenvolumina sind die Bedingungen bei der Festphasenextraktion unkritisch, so dass eine gemeinsame Anreicherung der Stoffe unter Verwendung einer modifizierten Polymerphase bei einem pH-Wert von 6 erfolgen kann. Dabei liegen die Wiederfindungen der Zielsubstanzen durchweg oberhalb von 80 % (Reupert und Brausen 2003, 2004). Tabelle 1. Untersuchungsumfang nach Empfehlung des BLAC und zusätzliche bestimmbare Arzneimittel. * zusätzlich im Multikomponentenverfahren berücksichtigt. Indikationsgruppe/ Stoffgruppe
Stoffe
Lipidsenker
Bezafibrat, Clofibrinsäure, Fenofibrinsäure
Antiepileptika
Carbamazepin
Antiphlogistika
Diclofenac, Ibuprofen, Phenazon, Propyphenazon, Naproxen *
Betablocker
Bisoprolol, Metoprolol, Sotalol, Atenolol*, Nadolol*, Propranolol*
Antibiotika
Clarithromycin, Erythromycin, Roxythromycin, Sulfamethoxazol , Sulfadimidin, Trimethoprim Sulfadiazin*
Röntgenkontrastmittel
Amidotrizoesäure, Iopamidol, Iopromid, Iomeprol
Steroidhormone
Estron, Estradiol, Ethinylestradiol, Mestranol
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Für die Untersuchung von Grund- und Oberflächenwasser ist das Verfahren, in Anlehnung an die PSM-Analytik, auf eine untere Anwendungsgrenze von 0,025 Pg/L ausgelegt. Bei Abwasseruntersuchungen werden Massenkonzentrationen ab 0,05 Pg/L angegeben. Das Gesamtverfahren wird über interne Standards kontrolliert (Sotalol-d6, Propranolol-d7, Phenazon-d3, Ibuprofen (Propion-13C3) und Carbamazepin-d10). Das Analysenverfahren hat sich als zuverlässig und robust erwiesen. Es wird seit 2002 im Rahmen der Gewässergüteüberwachung des Landes NRW angewandt und hat sich darüber hinaus bei verschiedenen Forschungsprojekten im Abwasserbereich bewährt. Die laborinterne Wiederholstandardabweichung liegt üblicherweise unter 5 % (siehe Abbildung 3). Die aus Standardadditionen im Abwasser abgeschätzte, erweiterte Messunsicherheit liegt im Bereich von 20 bis 30 %. Atenolol Sotalol Trim ethoprim Metoprolol Sulfam ethoxazol Carbam azepin Roxithrom ycin Bezafibrat Diclofenac Ibuprofen
OFW
0
2
4
6
KLA-ZU
8
rel. STAW, %
Abb. 3. Präzision unter Wiederholbedingungen. *)Rel. Standardabweichung von jeweils 6 parallelen Analysen in Oberflächenwasser (OFW) und im KläranlagenZulauf (KLA-ZU).
Die Analytik von Röntgenkontrastmitteln erfolgt ebenfalls mittels LCMS/MS, wobei sich die Einzelstoffe im positiven ESI- Modus empfindlich nachweisen lassen. Zur Isolierung und Anreicherung der Stoffe aus der Wasserphase wird eine Carbonphase verwendet, die eine relativ selektive Elution der Stoffe unter Verwendung eines methanolischen Acetatpuffers ermöglicht. Die aus synthetischen Proben ermittelten Wiederfindungen sind nahezu quantitativ. Das Verfahren wurde speziell für Abwasseruntersuchungen entwickelt und findet seit 2004 im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte des Landes NRW Anwendung. Bei einem Probevolumen von 10 mL liegen die unteren Anwendungsgrenzen im Bereich von
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0,1 Pg/L bis 0,5 Pg/L (Iopromid). Der Einfluss der Matrix kann zur Unterdrückung und speziell im Fall der Amidotrizoesäure auch zur signifikanten Verstärkung der Ionisation führen. Diese Matrixeinflüsse müssen über ein aufwendiges Standardadditionsverfahren kompensiert werden, da zurzeit keine geeigneten internen Standards verfügbar sind. Seit dem vergangenen Jahr wird das Verfahren auch für Untersuchungen im Oberflächenwasser eingesetzt, wobei zur Absenkung der unteren Anwendungsgrenzen von einem Probevolumen von 50 mL ausgegangen wird. Die Abbildung 4 zeigt vorläufige Ergebnisse eines Sondermessprogramms, das zurzeit an der Lippe durchgeführt wird.
3 2 µg/l 1 0
107
104
0,8
Fluss km Iomeprol
Amidotrizoesäure
Iopamidol
Iopromid
Abb. 4. Vorkommen von RKM im Verlauf der Lippe (Median, 07.12.2005, monatliche Probenahme).
Wegen der niedrigen ökotoxikologischen Wirkschwellen stellt die Bestimmung der Steroidhormone hinsichtlich Empfindlichkeit und Selektivität besonders hohe Anforderungen an die Analytik und erfordert die Anwendung von MS/MS-Techniken oder hochauflösender Massenspektrometrie, um belastbare Daten zu erhalten. Mit dem im Landesumweltamt NRW zurzeit praktizierten LC-MS/MSVerfahren ist eine Bestimmung von Estron, 17E-Estradiol und 17D-Ethinylestradiol in ungereinigtem Abwasser ab 2 ng/L und in gereinigtem Abwasser oberhalb einer Massenkonzentration von 1 ng/L für die einzelne
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Substanz möglich. Mestranol kann bei der gewählten Ionisierungsmethode (ESI, negativer- Modus) nicht erfasst werden. Zur Durchführung des Verfahrens wird die Originalprobe (100-250 ml) eingesetzt, aus der die Hormone unter den Bedingungen einer dynamischen Solvatisierung an einer Carbonphase angereichert werden. Durch verschiedene Waschschritte und einer nachfolgenden Reinigung des Eluates an Silicagel werden störende Begleitstoffe abgetrennt. Selbst bei diesem hohen Aufwand der Probenvorbereitung kann der Einfluss der Matrix in Abhängigkeit von der Abwasserbeschaffenheit beträchtlich sein und muss substanzspezifisch durch interne Standardauswertung bezogen auf deuterierte bzw. 13C-markierte Verbindungen kompensiert werden. Die laufenden Abwasseruntersuchungen bei großen, kommunal geprägten Kläranlagen des Landes haben gezeigt, dass die Massenkonzentrationen der Hormone im ungereinigten und gereinigten Abwasser, deutlich geringer sind, als zum Teil berichtet wird (Abb. 5). Im Rahmen bevorstehender Untersuchungsprogramme soll deshalb durch messtechnische Optimierung versucht werden, die Bestimmungsgrenzen auf den Bereich der ökotoxikologischen Wirkschwellen abzusenken. 100
98
85
80
70
60 ng/L 40
39 33 24 18
20 3,2
0 Z1
ß-Estradiol
1
3,1 1,1
A1
2
Z2
1,5 1,2
11
5,8
A2
2
Z3
1 1
A3
17-a Ethinylestradiol
11 2
1 1 1
Z4
A4
Estron
Abb. 5. Vorkommen von Hormonen in Kläranlagen in NRW (Maximalwerte). Z 1, A 1: Kläranlage Köln Stammheim, Probenanzahl: Zulauf (n=16), Ablauf (n=17; Z 2, A 2: Kläranlage Düsseldorf Süd, Probenanzahl: Zulauf (n=14), Ablauf (n=16); Z 3, A 3: Kläranlage Neuss, Probenanzahl: Zulauf (n=5), Ablauf (n=5); Z 4, A 4: Kläranlage Bottrop, Probenanzahl: Zulauf (n=7), Ablauf (n=7).
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Gewässerbelastungen in Nordrhein-Westfalen und deren Reduktion Die nachfolgende Abbildung 6 zeigt, dass bei den Wirkstoffen, die sich in den Kläranlagen nicht eliminieren lassen, die Fracht im Laufe der Fließstrecke deutlich zunimmt. Zwischen der Rheinwasserkontrollstation im Süden (km 640) und im Norden von NRW (km 865) wurde bei den meisten Arzneimittelwirkstoffen, die in den Kläranlagen nicht oder nur schlecht abgebaut werden, eine deutliche Zunahme festgestellt. Dahingehend ist der Beitrag der Nebengewässer des Rheins mit ihren kleineren Einzugsgebieten wesentlich geringer.
Abb. 6. Verlauf der nachgewiesenen Arzneimittelwirkstofffrachten im Rhein von km 865 bis km 640.
Leicht abbaubare Stoffe, wie das Ibuprofen, findet man kaum in den Oberflächengewässern, da diese Stoffe in den Kläranlagen bereits so gut eliminiert werden, dass sie nach Verdünnung mit dem Oberflächengewässer nicht mehr nachweisbar sind. Schwer abbaubare Stoffe wie Carbamazepin; zeigen dagegen zunehmende Frachten im Rheineinzugsgebiet, wobei die Frachten aus den Nebengewässern sich addieren.
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Die bundesweite Untersuchung des Grundwassers (BLAC 2003) hat gezeigt, dass normalerweise das Grundwasser nicht beeinträchtigt ist. Nur drei Pfade konnten identifiziert werden, die Infiltration aus undichten Kanälen, die Infiltration aus Oberflächengewässern, die belastet sind sowie die Infiltration aus undichten Altdeponien. Bezüglich der Abwassermengen, die aus undichten Kanälen ins Grundwasser eindringen, gibt es derzeit keine gesicherten Erkenntnisse. Schätzungen gehen immer von offiziell vorliegenden Informationen über den Zustand der Kanalisationen aus. Hierbei stützt man sich in erster Linie auf die Zustandsbeschreibung der Betreiber öffentlicher Kanalisationsnetze, wohl wissend, dass noch eine große Unsicherheit in dem nicht erfassten Bereich der Hausanschlüsse liegt. Insofern kann man nur das Gefahrenpotenzial aufzeigen anhand folgender Abschätzung auf der Basis der DWA-Umfrage 2004 (Berger und Lohhaus 2004): x etwa 20 % der Kanäle weisen die Zustandsklasse 0 bis 2 auf und müssen sofort bis mittelfristig saniert werden; x davon liegen die Schadenstypen Risse (17 %), undichte Muffen(11 %), schadhafte Anschlüsse (20 %) und Korrosion (7 %) vor, die maßgeblich zu einer Ex- oder Infiltration von Abwasser beitragen, insgesamt 55 % der oben genannten Schäden; Grob geschätzt sind demnach etwa 10 % der Kanalisationen von der Exund Infiltration betroffen. Da nicht alles Abwasser aus der Kanalisation verschwindet, sondern auch Fremdwasser in die Kanalisation eindringt, und der größte Teil an der Kläranlage ankommt, kann man davon ausgehen, dass etwa 1 bis 5 %, je nach Ortslage, ins Grundwasser eindringt. Das Gefahrenpotential für das Grundwasser ist somit langfristig gegeben und wurde im BLAC-Messprogramm auch aufgezeigt (BLAC 2003). Bezüglich der Infiltration von Wirkstoffen aus dem Oberflächenwasser liegen auch einige Ergebnisse vor, die sich am kontaminierten Uferfiltrat zeigen, z.B. Färber et al. (2001). Hier gelingt es nur dann die Infiltration der Wirkstoffe zu vermeiden, wenn die Gewässer insgesamt frei davon sind. Auf die Erfordernisse, Deponiesickerwasser zu behandeln, wurde bereits in Abschnitt 2 eingegangen. Nicht davon erfasst sind allerdings die undichten Altdeponien; aus denen Sickerwässer ins Grundwasser eindringen und damit das Grundwasser kontaminieren. Hierzu liegen Untersuchungen des Staatlichen Umweltamtes in Aachen vor (BLAC 2003). Es zeigte sich, dass die Stoffe, die sich bei den Untersuchungen zur Umkehrosmose als gut durchgängig erwiesen hatten, auch im Grundwasser in vergleichbaren Konzentrationen auftreten. Die höchsten Konzentrationen
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wurden für Clofibrinsäure und Carbamazepin gefunden, gefolgt von Ibuprofen und Diclofenac. Da die Arzneimittelwirkstoffe nicht zu den prioritären oder prioritären gefährlichen Stoffen des Anhangs X der Wasserrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/60/EG) zählen, ist eine unmittelbare Herleitung von Gewässerqualitätszielen nicht ohne weiteres möglich. Dennoch gehören sie zur Gruppe der synthetischen Schadstoffe, die es allgemein zu begrenzen gilt. Dieses gilt sowohl für die Humanarzneimittel als auch für die Veterinärarzneimittel. Eine Möglichkeit der Begrenzung des Eintrags besteht in der Aufstellung von Maßnahmen-/Bewirtschaftungsplänen. Dazu müssen die Belastungspunkte in den Gewässern ausfindig gemacht werden, danach die Haupteintragsquellen, um dann zu den Minderungsmaßnahmen zu kommen. Aufgrund der derzeitigen Datenlage kann man aber feststellen, dass zurzeit nur die nicht oder schwerabbaubaren Arzneimittelwirkstoffe darunter fallen, einschließlich ihrer Metaboliten. Zur Verringerung des Eintrags von Arzneimitteln in die Umwelt sind verschiedene Strategien und Maßnahmen möglich und erforderlich. Für die Humanarzneimittel wäre eine Verminderung der Verwendungsmengen sowie die Verwendung bedarfsangepasster Arzneimittelverpackungen begrüßenswert. Ebenso sollte eine bessere Entsorgung von Arzneimittelresten den Eintrag in die Umwelt verringern. Bei den Veterinärarzneimitteln stehen Ansätze im Vordergrund, die auf eine Vermeidung oder Verminderung des Einsatzes bzw. der Anwendung der Wirkstoffe abzielen. Der Wissenschaftliche Beirat Bodenschutz empfiehlt, auf den Einsatz von Veterinärzneimitteln zur Prophylaxe zu verzichten; sofern technische Maßnahmen ebenfalls eine Vermeidung oder deutliche Reduzierung des Krankheitsbefalls von Tierbeständen erreichen (WBB 2002). Ebenso sollte die Verwendung von antibiotisch oder hormonell wirksamen Substanzen als Futterzusatzstoffe zur Leistungs- und Wachstumsförderung bei der Tiermast beendet werden. Jedoch rechtfertigen die Kenntnisdefizite bei den Veterinärarzneimitteln keinen Verzicht auf den Einsatz von Wirtschaftsdüngern, sondern erfordern weitere Untersuchungen zu Stoffvorkommen und -verlagerung als Voraussetzung für eventuell notwendige Minimierungsmaßnahmen. In besonders schutzwürdigen Gebieten (z.B. Wasserschutzgebieten) sollte der Einsatz der Wirtschaftsdünger beschränkt bleiben. Die Beibehaltung bislang gültiger Restriktionen der Ausbringungsmengen nach Abfallund Düngemittelrecht begrenzt zusätzlich einen eventuellen Stoffeintrag. Die in die Oberflächengewässer eingetragenen Arzneimittel können in das gewässernahe Grundwasser gelangen. Im Uferfiltrat wurden in einigen Fällen Gehalte deutlich über 0,1 Pg/L nachgewiesen (BLAC 2003). Dies ist bei der Trinkwassergewinnung aus oberflächenwasserbeeinflussten
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Grundwässern und aus Flüssen, die als Vorfluter für Kläranlagen dienen, zu berücksichtigen. Häufig wird bei der Verminderung oder Vermeidung von Umweltbelastungen durch synthetische organische Stoffe das Verbot der Anwendung oder ein freiwilliger Verzicht der Anwendung dieser Stoffe als Möglichkeit der Vermeidung erwogen. So wurde z. B. das Verbot der Anwendung von PCP oder Atrazin schon vor Jahren durchgesetzt, bevor ein Herstellungsverbot in Erwägung gezogen wurde. Ebensolches gilt auch für die Herstellung und die Anwendung von PCB-haltigen Ölen. Im Falle der Arzneimittelwirkstoffe ist dies aber nicht möglich, da diese Stoffe nicht unter das Chemikalienrecht fallen und auch nicht durch wasserrechtliche Regelungen erfasst werden können. Sie unterliegen allein dem Arzneimittelrecht. Belange des Umweltschutzes werden zurzeit nur bei der Zulassung von Veterinärarzneimitteln berücksichtigt und können zu Anwendungsbeschränkungen führen. Bei der Zulassung von Humanarzneimitteln sind ebenfalls die Wirkungen auf die Umwelt zu prüfen. Nach EG-Richtlinie 2004/27/EG, die zum 30.11.2005 in nationales Recht umgesetzt wurde, ist es erforderlich, eine Risiko-Nutzen-Abwägung durchzuführen, die abschließend über die Zulassung entscheidet. Für Veterinärarzneimittel gilt: Ein Risiko für die Umwelt steht in der Risiko-NutzenAbwägung gleichberechtigt neben der Verbrauchersicherheit und kann zur Verweigerung der Zulassung führen. Bei den Humanarzneimitteln werden mögliche Risiken für die Umwelt in der Risikodefinition zwar genannt. Sie werden jedoch explizit von der Risiko-Nutzen-Abwägung ausgeschlossen.
Fazit Human- und Veterinärarzneimittel sind bisher in vielen Umweltmedien und -kompartimenten nachgewiesen worden. Die Konzentrationen liegen in der Regel unterhalb therapeutischer Dosen und auch deutlich unterhalb der maximal zulässigen Rückstandsmengen in Nahrungsmitteln für den menschlichen Gebrauch. Die Konsequenzen einer geringen, jedoch permanenten Exposition gegenüber Arzneimittelwirkstoffen, sind humantoxikologisch und ökotoxikologisch aber weitgehend unerforscht. Für Umweltkonzentrationen einzelner Wirkstoffe (z.B. Sexualhormone) sind jedoch schädliche Auswirkungen auf aquatische Organismen bereits experimentell bestätigt worden. Außer hormonell wirksamen Stoffen sind auch andere Wirkstoffgruppen wie z.B. Antibiotika und Zytostatika aufgrund ihrer spezifischen Wirkungen kritisch zu betrachten. Im Bereich der Veterinär-
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arzneimittel ist darüber hinaus vor allem die Gruppe der Antiparasitika von ökotoxikologischem Interesse. Für die Neuzulassung von Arzneimitteln wurde die Prüfung der Wirkung von Human- und Veterinärarzneimittel auf die Umwelt erstmals durch die EG-Richtlinien 81/852/EWG und 93/39/EWG eingeführt. Die Regelungen wurden 1996 mit der 6. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) 1996 in deutsches Recht umgesetzt: Das AMG sieht Prüfungen zur Toxizität vor, die u.a. Untersuchungen der ökotoxischen Eigenschaften beinhalten. Ergeben die Untersuchungen ein Risiko für die Umwelt, entscheidet die zuständige Bundesoberbehörde im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt über Auflagen zum Schutz der Umwelt. Insbesondere Antibiotika und Antiparasitika müssen aufgrund der hohen Anwendungsmengen und ihrer Toxizität als Problemfälle für die Umwelt bewertet werden. Die erforderlichen Auflagen hatten bisher vorwiegend die Reduzierung der Umweltexposition zum Ziel, z.B. durch Beschränkung des direkten Zugangs von Weidetieren zu Oberflächengewässern und des Umgangs mit Gülle und Festmist während der Lagerung und Ausbringung (Koschorreck et al. 2002). Wie in der Stoffbewertung allgemein wird auch bei der Arzneimittelprüfung das Risiko aus dem Vergleich von Exposition und Wirkung abgeleitet. Hierzu wird eine „Predicted No Effect Concentration (PNEC)“ einer „Predicted environmental concentration (PEC)“ (gemessene oder geschätzte Konzentration der Arzneimittelwirkstoffe in Umweltmedien und – kompartimenten) gegenübergestellt. Die PNEC wird auf der Basis der mit ökotoxikologischen Tests gewonnenen Wirkwerte ermittelt. Sie entspricht der Konzentration, unterhalb derer keine schädigenden Effekte auf das Ökosystem zu erwarten sind. Der Quotient aus PEC und PNEC charakterisiert das Risiko der Substanz für die Umwelt. Ergibt der Vergleich PEC/PNEC Werte < 1, so ist davon auszugehen, dass von der betreffenden Substanz nach dem gegenwärtigen Stand kein Risiko für die Umwelt ausgeht. Liegt der Wert über 1, ist entweder eine Verfeinerung der beiden Eingangsgrößen PEC und PNEC erforderlich oder es werden Maßnahmen zur Risikovermeidung und Risikominderung erforderlich. Zur Bewertung der gefundenen Gewässerbelastung bedarf es dringend der Ableitung von PEC und PNEC-Werten für die mengenmäßig und toxikologisch relevanten, bisher in vielen Matrices nachgewiesenen und daher auffälligen Arzneimittelwirkstoffe. Darüber hinaus ist die Erarbeitung von Techniken zur Minderung der eingetragenen Frachten unter Berücksichtigung der Reinigungskosten erforderlich, auch für die Reinigung von Mischwasserabschlägen. Es gilt grundsätzlich das Minimierungsgebot!
Arzneimittelrückstände und Gewässerschutz
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H. Irmer, H.-D. Stock, R. Reupert, A. Hembrock-Heger
pharmakologischen und tierärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Tierarzneimitteln (ABl. L 317 vom 6.11.1981). Richtlinie 93/39/EWG betreffend Arzneimittel (ABl. L 214 vom 24.8.1993). Schwab, M. (2000): Wirtschaftsdüngeranfall. – Entwicklung der jährlichen Abfallmengen von Wirtschaftsdüngern aus der Rinder- und Schweinehaltung in Deutschland und deren Verteilung auf die Bundesländer. Landtechnik 55 (2), 189-190. Stan, H.-J., Heberer, T., Linkenhägner, M. (1994): Vorkommen von Clofibrinsäure im aquatischen System – Führt die therapeutische Anwendung zu einer Belastung von Oberflächen-, Grund- und Trinkwasser? Vom Wasser 83, 57-68. Stan, H.-J., Linkenhägner, M. (1992): Identifizierung von 2-(4-Chlorphenoxy)-2methyl-propionsäure im Grundwasser mittels Kapillar-Gaschromatografie mit Atomemissonsdetektion und Massenspektrometrie; Vom Wasser 79, 75-88. Werres, F. et. al. (2005): Abschlussbericht zum Projekt: „Fortführung der Säulenversuche aus dem Forschungsprojekt „Lambertsmühle“ mit dem Ziel einer Abschätzung möglicher Gefährdungspotentiale durch den Eintrag von Pharmaka in den Grundwasserleiter“ im Auftrag des MUNLV NRW. Winckler, C., Grafe, A. (2000): Charakterisierung und Verwertung von Abfällen aus der Massentierhaltung unter Berücksichtigung verschiedener Böden: Stoffeintrag durch Tierarzneimittel und pharmakologisch wirksame Futterstoffe unter besonderer Berücksichtigung von Tetracyclinen. Texte Umweltbundesamt, Berlin 44/00: 145 S. Wissenschaftlicher Beirat Bodenschutz (WBB) beim BMU (2002): Ohne Boden bodenlos. Eine Denkschrift zum Boden-Bewusstsein. Berlin. Zullei-Seibert, N., Skark, C. (2002): Gehalte an Pharmaka, Hormonen und endokrin wirksamen Substanzen in Klärschlamm, Kompost und Wirtschaftsdünger. In: Landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm, Gülle und anderen Düngern unter Berücksichtigung des Umwelt- und Verbraucherschutzes. Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft, KTBL- Schrift 406 2002.
Verhalten von Arzneimittelrückständen bei der Abwasserreinigung Thomas Heberer Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin
Einleitung Zahlreiche, in den letzten Jahren weltweit durchgeführte Untersuchungen zeigen, dass Rückstände von Humanarzneimitteln über die Abläufe kommunaler Kläranlagen in bedeutendem Umfang in die angrenzenden Oberflächengewässer eingetragen werden (Daughton und Ternes 1999, Heberer 2002). In der Humanmedizin eingesetzte Pharmaka werden entweder direkt (unresorbiert bzw. unmetabolisiert) oder nach deren Um- bzw. Abbau zu den sog. Metaboliten im menschlichen oder tierischen Organismus von diesem wieder ausgeschieden. Dies geschieht meist in Form von Konjugaten, bei denen die Verbindungen im Rahmen der Biotransformation (s.u.) zu deren besserer Löslichkeit und zur leichteren Ausscheidbarkeit an körpereigene Moleküle gebunden werden. Die Arzneimittelrückstände (ARM) gelangen somit durch den therapeutischen Einsatz über die natürlichen Ausscheidungen wie Urin oder Faeces ins kommunale Abwasser. Der Anteil der über die Toilette entsorgten nicht gebrauchten Medikamente ist hingegen nach heutiger Ansicht nur von untergeordneter Bedeutung (Heberer und Stan 1998). In den kommunalen Kläranlagen oder meist bereits im ungeklärten Abwasser werden die erwähnten Konjugate gespalten und die ursprünglichen Arzneimittelwirkstoffe bzw. deren Metabolite wieder freigesetzt (Ternes 1998), die dann über die Kläranlagen in die Oberflächengewässer gelangen können. Was die Absatzmengen von Pharmaka betrifft, so liegt oft nur unzureichendes Datenmaterial vor. Zwar gibt der jährlich erscheinende Arzneimittelreport (Schwabe und Paffrath 2006) einen groben Überblick über die in Deutschland verschriebenen Arzneimittelwirkstoffe und somit einen Hinweis über die Bedeutung des jeweiligen Wirkstoffs, aus den Angaben lassen sich jedoch nur grob die tatsächlich verbrauchten Mengen berechnen.
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Thomas Heberer
Das hängt zum einen damit zusammen, dass dort nur die verschriebenen Tagesdosen angegeben sind und die in der roten Liste (BPI 2006) genannten Werte für die Tagesdosen variieren, weshalb nur ein Mengenbereich berechnet werden kann. Zum anderen beziehen sich die im Arzneimittelreport genannten Daten lediglich auf die von den gesetzlichen Krankenkassen verschriebenen Arzneimittel, d.h. freiverkäufliche Arzneimittel, Privatpatienten verschriebene Arzneimittel und die in den Krankenhäusern verbrauchten Arzneimittel werden nicht miterfasst. Abhängig vom Arzneimittel (z.B. verschreibungspflichtig oder freiverkäuflich; Einsatz überwiegend bis ausschließlich im Krankenhaus (z.B. Zytostatika bzw. Röntgenkontrastmittel)) können die tatsächlich in die Umwelt eingetragenen Mengen deutlich von den über den Arzneimittelreport berechneten Mengen abweichen oder werden gar nicht erfasst. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die regionalen Unterschiede ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Trotz der vielen Defizite ergeben die überschlägig ermittelten Daten, dass es eine Reihe von Wirkstoffen gibt, die in Deutschland jährlich in Mengen bis zu oder über 100 Tonnen (Carbamazepin, Diclofenac, Ibuprofen) oder sogar bis zu 1000 Tonnen (Acetylsalicylsäure, Paracetamol) abgesetzt werden (Heberer 2002a). Für die in der aquatischen Umwelt zu erwartenden ARM und deren Mengen sind neben den Absatzmengen die Applikationsform (oral, rektal, subkutan, kutan) und damit zusammenhängend die Resorption des jeweiligen Wirkstoffs durch den Organismus, die Biotransformation im Organismus und das Verhalten der Verbindungen in den Kläranlagen bzw. in der Umwelt (Abbau, Persistenz, Sorption oder Bioakkumulation) entscheidend. Während über die Toilette oder den Hausmüll entsorgte Arzneimittel strukturell unverändert in die Umwelt gelangen, erfahren die eingenommenen und resorbierten Medikamente bei der körpereigenen Metabolisierung einige strukturelle Umbauten. Folglich sind in der Umwelt als mögliche Rückstände nicht nur die Ausgangsstoffe sondern auch deren Metaboliten zu erwarten. Die Umwandlungsprozesse, die Arzneimittelwirkstoffe im Organismus durchlaufen, werden als Biotransformation bezeichnet. Diese erfolgt vor allem in der Leber, aber auch in anderen Organen wie z.B. der Niere, der Milz, im Darm, im Blut, in der Haut etc. Wie in Abbildung 1 gezeigt, wird die Biotransformation in Phase-I und Phase-II-Reaktionen unterteilt, wobei als Phase-I Reaktion oxidative, reduktive und/oder hydrolytische Veränderungen bezeichnet werden, während bei den Phase-II-Reaktionen das umgewandelte Molekül mit körpereigenen Substanzen gekoppelt wird, um eine bessere Ausscheidung (Wasserlöslichkeit) zu erreichen (Mutschler et al. 2001). Als Konjugate werden hier Stoffe wie aktivierte Glucuronsäure, aktiviertes Sulfat, Glycin, Glutamin etc. vom Körper genutzt.
Verhalten von Arzneimittelrückständen bei der Abwasserreinigung
Phase-IMetabolit
Arzneistoff
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Phase-IIMetabolit Konjugation mit akt. Glucuronsäure akt. Schwefelsäure akt. Essigsäure u. a.
Oxidation, Reduktion, Hydrolyse
Abb. 1. Schematische Darstellung der Biotransformation von Arzneistoffen nach Mutschler et al. (2001).
Wie in Tabelle 1 gezeigt, konnten inzwischen mehr als 100 Substanzen im Abwasser bzw. in Oberflächengewässern nachgewiesen werden. Tabelle 1. Weltweite Nachweise von Arzneimittelrückständen im Abwasser, in Oberflächengewässern, in Grund- und Trinkwasser. Für die jeweilige Verschreibungsklasse im entsprechenden Kompartiment bislang gefundene Zahl an Verbindungen. (ergänzt aus Heberer 2002a bzw. Heberer und Adam 2005). Analyten (Verschreibungsklasse) Analgetika/Antirheumatika und deren Metaboliten Antibiotika Antiepileptika Blutlipidsenker/ Metaboliten Betablocker Röntgenkontrastmittel/ Metaboliten Zytostatika Orale Kontrazeptiva (Ethinylestradiol (EE2) und Mestranol) Andere Summe
Anzahl der bislang gefundenen Verbindungen Abwasser und Grundwasser Trinkwasser Oberflächengewässer 26 14 8 31 2 7
3 (+ 5 Spuren) 2 3
2 3
7 8
1 6
3*
2 (Spuren) 2 (Spuren)
(1) Validität zweifelhaft**
(1) Validität zweifelhaft**
21 106
4 34 (39)
16
* Nachweis von organischen Jodverbindungen im Trinkwasser meist als AOI (Summenparameter: adsorbierbare organische Iodverbindungen). ** Die Validität der positiven Nachweise von Adler et al. (2001) ist aus methodischen Gründen umstritten (Heberer 2002a), weshalb sie bei der Berechnung der Summe der Gesamtnachweise auch nicht berücksichtigt wurden.
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Thomas Heberer
Vorkommen und Entfernbarkeit von Arzneimittelrückständen in konventionellen Kläranlagen Stand der Klärwerkstechnik Heutige Kläranlagen verfügen i.A. über drei Klärstufen, bei der die kommunalen Abwässer zunächst mechanisch, dann biologisch und ggf. zusätzlich chemisch gereinigt werden (Abb. 2). Die mechanische Reinigungsstufe umfassen zumeist einen Rechen zur Entfernung von größeren Partikeln (Blätter, Gewebereste, Kunststoffteile etc.), einen Sandfang (lange Rinnen mit Strömungsgeschwindigkeiten um 30 cm je Sekunde), in dem sich in das Abwasser eingeschwemmter Sand, Kies und Steine absetzen sollen, einen Öl- und Fettfang und ein Vorklärbecken, in dem sich durch eine deutlich verlangsamte Strömung (z.B. ca. 1,5 cm je Sekunde, Verweilzeit 3) oder Verbindungen mit komplexierenden Eigenschaften werden leicht am Klärschlamm gebunden. Golet et al. (2003) beobachteten dies vor allem für Antibiotika aus der Gruppe der Tetracycline bzw. der Fluoroquinolone. Lindberg et al. (2006) bestätigten diese Beobachtungen. Sie berichten, dass die Fluoroquinolon-Antibiotika Norfloxacin und Ciprofloxacin zum überwiegenden Teil und unabhängig vom pH-Wert am Klärschlamm gebunden werden und weniger als fünf Prozent der im Zulauf gefundenen Rückstände das Klärwerk über dessen Ablauf wieder verlassen. Im Ggs. dazu beobachteten sie, dass das Antibiotikum Trimethoprim die Kläranlage unverändert in den gleichen Mengen wieder verlässt. Wie das Trimethoprim, so ist auch ein großer Teil der anderen im Abwasser gefundenen Pharmakarückstände gut wasserlöslich, so dass für diese Verbindungen die Sorption am Klärschlamm keine oder nur eine untergeordnete Bedeutung besitzt. Ob diese Verbindungen dennoch im nennenswerten Umfang abgebaut und entfernt werden, hängt neben den individuellen Eigenschaften des Stoffes auch signifikant von der eingesetzten Klärwerkstechnologie und den jeweiligen Betriebsbedingungen wie der Verweilzeit des Abwassers in der Kläranlage bzw. dem Alter des Klärschlamms ab. Kreuzinger et al. (2004) untersuchten das Abbauverhalten von endokrin wirksamen Verbindungen und Pharmakarückständen in Kläranlagen unter Berücksichtigung des Schlammalters und der Klärschlammfracht. Ihre Untersuchungen zeigten, dass die Implementierung einer nitrifizierenden Stufe die Effizienz des Abbaus dieser Verbindungen deutlich
Verhalten von Arzneimittelrückständen bei der Abwasserreinigung
181
erhöht. Clara et al. (2005a) stellten zudem fest, dass die niedrigsten Ablaufkonzentrationen dann erreicht werden, wenn das Alter des Klärschlamms mindestens 10 Tage beträgt. Tabelle 2 zeigt die Persistenz einiger Verbindungen bei der konventionellen Abwasseraufbereitung in Klärwerken mit mechanischer und biologischer Abwasserreinigung am Beispiel des Antiepileptikums Carbamazepin, des Analgetikums bzw. Antirheumatikums Diclofenac und des Arzneimittelmetaboliten Clofibrinsäure (physiologisches Abbauprodukt verschiedener blutfettsenkender Arzneimittel). Alle drei Verbindungen werden bei der Abwasserreinigung nicht oder nur zu geringen Anteilen entfernt. I. Ggs. dazu sind andere Verbindungen, die in oft noch größeren Quantitäten in der Humanmedizin verabreicht werden, wie z.B. die Analgetika Paracetamol oder Acetylsalicylsäure (Aspirin®), in den Kläranlagen leicht abbaubar (Heberer 2002a, b). Tabelle 2. Durchschnittliche Konzentrationen für drei ausgewählte Arzneimittelrückstände und für die Verbindung Koffein in den Zuläufen (n=10...20) und Abläufen (n=20...27) verschiedener Berliner Klärwerke* und die daraus berechneten Abreicherungsraten (Heberer et al. 2002a). Analyt
Carbamazepin Clofibrinsäure Diclofenac Koffein
Mittlere Zulaufkonzentration in Pg/L 1,78 0,46 3,02 230
Mittlere Ablaufkonzentration in Pg/L 1,63 0,48 2,51 0,18
Abreicherung in % 8 17 >99,9
Beprobungsserie im Mai-Dezember 1999; *Kläranlagen (KA) in Berlin: Ruhleben, Schönerlinde, Waßmannsdorf (24-Stunden Mischproben). KA Ruhleben: Verweilzeit des Abwassers in der Kläranlage ca. 18 Stunden, Klärschlammalter ca. 15 Tage.
Im Gegensatz dazu wird eine Substanz wie Koffein, die ebenfalls in Arzneimitteln verwendet wird, jedoch zu einem weit größeren Umfang aus Lebensmitteln hervorgeht, in den Kläranlagen leicht abgebaut und zu mehr als 99 % entfernt (Tabelle 2). Ein Ergebnis dieser Untersuchungen war somit auch, dass Koffein im Gegensatz zu vielen ARM und im Widerspruch zu den Beobachtungen anderer Autoren nicht oder nur schlecht als Indikator (Tracer) von Abwasserverunreinigungen in Oberflächenwässern oder sogar in Grundwässern geeignet ist. So war in einigen Oberflächenwasserproben Koffein nicht nachweisbar obwohl die Abwasseranteile bekannt und andere, besser geeignete Indikatoren (z.B. Carbamazepin, Diclofenac oder Clofibrinsäure) nachweisbar waren (Heberer et al. 2002a). Aufgrund ihrer Persistenz in den Kläranlagen und in der aquatischen Um-
182
Thomas Heberer
welt zeigte sich, dass einige Pharmakarückstände sehr gut und oft besser als Abwassermarker geeignet sind als die bislang verwendeten klassischen Organika (Heberer 2002b). Joss et al. (2005) berichten, dass die biologische Entfernbarkeit der ARM abhängig von den Eigenschaften der jeweiligen Verbindung stark variieren. Sie konnten keine Korrelation zwischen den Strukturen der acht von ihnen untersuchten Substanzen und deren Abbaubarkeit finden. Für diese Verbindungen hatte auch die Variation des Klärschlammalters (zwischen 10 und 80 Tagen) keinen Einfluss auf die Abbauraten. Joss et al. (2005) ermittelten für Ibuprofen eine Abbaurate von mehr als 90 % (Abbau bis unterhalb der Bestimmungsgrenze), weiterhin wurde Naproxen zu 50 bis 80 % und Diclofenac zu 20 bis 40 % entfernt. Carbamazepin war wie in vielen anderen Untersuchen bei der Abwasserklärung nicht (91)
n.b. (>85) n.b. (>92) n.b. (>76) n.b. (>92) n.b. (>91)
Betablocker Atenolol Sotalol Celiprolol Propranolol Metoprolol
0,36 r 0,01 1,32 r 0,14 0,28 r 0,01 0,18 r 0,01 1,68 r 0,04
0,14 (61) n.b. (>96) n.b. (>82) n.b. (>72) 0,37 (78)
n.b. (>86) n.b. (>96) n.b. (>82) n.b. (>72) n.b. (>93)
Antiepileptika Carbamazepin
2,08 r 0,04
n.b. (>98)
n.b. (>98)
Antiphlogistika Ibuprofen Naproxen
0,13 r 0,03 0,10 r 0,01
0,067 (48) n.b. (>50)
n.b. (>62) n.b. (>50)
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Fortsetzung Tabelle 5:
Indomethacin Diclofenac Blutlipidsenker Clofibrinsäure Fenofibrinsäure Natürliche Estrogene Estron (E1) Koffein
Konzentration im Abwasser in Pg/L 0,10 r 0,04 1,3 r 0,1
5 mg/L O3 Pg/L (%) n.b. (>50) n.b. (>96)
10/15 mg/L O3 Pg/L (%) n.b. (>50) n.b. (>96)
0,12 r 0,02 0,13 r 0,04
0,060 (50) 0,060 (>62)
n.b. (>59) n.b. (>62)
0,015 r 0,002 0,22 r 0,03
n.b. (>80) 0,11 (50)
n.b. (>80) n.b. (>87)
(33) (42) (0) (34)
(84) (91) (14) (90)
Iodierte Röntgenkontrastmittel Iopamidol 1,1 r 0,1 Iopromide 5,2 r 0,8 Diatrizoate 5,7 r 1,4 Iomeprol 2,3 r 0,1
Membranfiltration Membranbioreaktoren mit Mikro- bzw. Ultrafiltration Der großtechnische Einsatz von Membranen zur Abwasserreinigung wird erst seit wenigen Jahren praktiziert. In Europa wurde die erste Membranbelebungsanlage zur Reinigung kommunalen Abwassers im Jahr 1998 in England (Porlock) betrieben bevor die ersten Anlagen ein Jahr später auch in Deutschland (Rödingen, Büchel) installiert wurden (Kraume et al. 2003). Die heute in Deutschland betriebenen oder im Bau befindlichen Membranbioreaktoren (MBR) unterscheiden sich vor allem darin, dass die Membranen entweder direkt in die Nitrifikationsbecken oder in einem externen, nachgeschalteten Filtrationsbecken installiert werden. Die eingesetzten Mikro- oder Ultrafiltrationsmembranen werden dabei mit leichtem Unterdruck betrieben. Getrennte Membranfiltrationsbecken erfordern wegen der zusätzlich benötigten Rezirkulationsströme einen höheren technischen Aufwand, lassen sich jedoch einfacher chemisch reinigen, um so die Ausbildung von die Filtration störenden Deckschichten auf der Membranoberflächen (Fouling) entgegenzuwirken. Der Einsatz dieser Technik in konventionellen Kläranlagen hat auch signifikante Veränderungen der übrigen Betriebsparameter und damit der gesamten Bemessung der Klärwerke zur
Verhalten von Arzneimittelrückständen bei der Abwasserreinigung
195
Folge. In den ersten großtechnischen Membranbelebungsanlagen wurde eine vorgeschaltete Denitrifikation eingesetzt bei der das Volumenverhältnis der anoxischen zur aeroben Zone mit 50:50 % deutlich größer ist als in konventionellen Klärwerken (z. B. 20:80 %). (Zühlke 2004) Erste Untersuchungen von Clara et al. (2004a, b; 2005b) und Joss et al. (2005) zeigten, dass Kläranlagen mit integrierten MBR unter Verwendung von Mikro- oder Ultrafiltrationsmembranen was die Entfernbarkeit von organischen Spurenstoffen betrifft vergleichbare und nur selten bessere Abreicherungsraten liefern als vergleichbare konventionelle Klärwerke. Dies ist vor allem damit zu erklären, dass deren Molekülgröße im Normalfall mehr als 100 mal kleiner ist als die Porengröße der Membranen. Andererseits konnte gezeigt werden, dass die durch den Einsatz der MBR u.U. verlängerten Verweil- und Kontaktzeiten des Klärschlamms in einem verbesserten Abbau einzelner Verbindungen resultieren. Kimura et al. (2005) untersuchten die Fähigkeit von Tauchmembranbioreaktoren zur Entfernbarkeit ausgewählter Pharmakarückstände wie Clofibrinsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Ketoprofen, Mefenaminsäure und Naproxen. In diesen Versuchen zeigten die MBR im Vergleich zu konventionellen Anlagen deutlich bessere Abbauraten für Ketoprofen und Naproxen. Für andere Verbindungen waren die Abreicherungsraten vergleichbar. Kimura et al. (2005) stellten auch fest, dass die Effektivität der Abreicherung der ARM von der Molekülstruktur wie der Anzahl der aromatischen Ringe und der Substitution mit Chloratomen abhängt. Zühlke (2004) untersuchte die Leistungsfähigkeit von zwei Membranbelebungsanlagen in Bezug auf die Entfernbarkeit von estrogenen Steroiden und polaren ARM. Diese Untersuchungen wurden auf dem Gelände des Klärwerkes Berlin-Ruhleben im Rahmen des Projektes „Immersed Membrane Filtration“ (IMF) durchgeführt. Dabei wurden zwei Pilotanlagen (PP1 und PP2) parallel zur konventionellen Kläranlage betrieben und ohne Vorklärung mit dem gleichen kommunalem Rohabwasser beschickt. Der Versuchsaufbau ist in Abbildung 10 dargestellt. Er umfasste eine Vorsiebung (Trommelsieb, 1 mm), zwei biologische Reaktoren, zwei Membraneinheiten mit PVDF Modulen (Porengröße von 0,1 bis 0,2 µm, Membranflächen zwischen 8,5 u. 8,9 m2) und ein Steuerungssystem Zühlke (2004).
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Abb. 10. Schematische Darstellung der Pilotanlagen (PP1 und PP2) mit vor- bzw. nachgeschalteter Denitrifikation unter Angabe der Schlammrückführung (in %). Reproduziert mit freundlicher Genehmigung aus Zühlke (2004).
Zühlke (2004) verglich die Abbauraten der untersuchten estrogenen Steroide und verschiedener Phenazonderivate anhand der in den Zuläufen und den korrespondierenden Abläufen (Klarwasser des Klärwerks Ruhleben und Permeate beider MBRen) der drei Anlagen gefunden Rückstände. Das Schlammalter im Klärwerk Ruhleben lag bei 15 Tagen, die hydraulische Verweilzeit bei rund 18 Stunden. In den MBRen wurde das Schlammalter anfänglich auf 26 Tage eingestellt und später auf 8 Tage verringert. Die hydraulische Verweilzeit wurde entsprechend von 18 auf 11 Stunden reduziert. Wie in Abbildung 11 bzw. in Tabelle 6 gezeigt, wurden für alle drei Steroide sehr gute Abreicherungsraten erzielt. Bei der konventionellen Klärung wurde EE2 zu 78 % und die natürlichen Estrogene bis zu 90 % abgereichert. Die Entfernungsrate des in den höchsten Konzentrationen im Abwasser gefundenen E1 betrug in beiden MBRen bis zu 99% und E2 wurde lediglich in etwa 20 % der untersuchten Permeate oberhalb der Bestimmungsgrenze von 0,4 ng/L gefunden. Das synthetische Steroid („Pillenhormon“) EE2 wurde von beiden Pilotanlagen zu mehr als 88 % entfernt. Die Abreicherung der Steroide in den MBRen war somit signifikant höher als bei der konventionellen Klärung.
Verhalten von Arzneimittelrückständen bei der Abwasserreinigung 1000,0
197
Estron
100,0 10,0 1,0 0,1
Konzentration (ng/L)
100,0
10,0
Jul/Aug Sep/Oct Nov/Dec Jan/Feb Mar/Apr May/Jun Juli/Aug Estradiol 2002 2002 2002 2003 2003 2003 2003 Rohabwasser
KW Ablauf
PP1 Ablauf
PP2 Ablauf
1,0
0,1 36
24
Jul/Aug Sep/Oct Nov/Dec Jan/Feb Mar/Apr May/Jun Juli/Aug Ethinylestradiol 2002 2002 2002 2003 2003 2003 2003 Rohabwasser
KW Ablauf
PP1 Ablauf
PP2 Ablauf
12
0 Jul/Aug Sep/Oct Nov/Dec Jan/Feb Mar/Apr May/Jun Juli/Aug 2002 2002 2002 2003 2003 2003 2003 Rohabwasser
KW Ablauf
PP1 Ablauf
PP2 Ablauf
Abb. 11. Mittlere Konzentrationen von Estron (E1, logarithmische Auftragung), 17E-Estradiol (E2, logarithmische Auftragung) und 17D-Ethinylestradiol (EE2) im Zulauf und den Abläufen des Klärwerks (KW Ablauf) bzw. der MBRen (PP1 und PP2); n=7-14. Reproduziert mit freundlicher Genehmigung aus Zühlke (2004).
198
Thomas Heberer
Auch für die Pyrazolonderivate Phenazon, Propyphenazon, AAA (NAcetyl-4-AminoAntipyrine) und FAA (N-Formyl-4-AminoAntipyrin) wurden, wie in Tabelle 6 zusammengefasst, für die konventionelle Abwasserklärung generell schlechtere Entfernungsraten als bei der Membranbehandlung ermittelt, wobei auch dort eine Verringerung der Rückstände auf maximal die Hälfte der Zulaufkonzentrationen erreicht werden konnte. Tabelle 6. Mittlere Entfernung von estrogenen Steroiden und Phenazonderivaten bei der Abwasserbehandlung im Klärwerk Ruhleben ohne bzw. mit Membranbelebungsanlagen (PP1 und PP2). (Zühlke 2004). Verbindung
mittlere Entfernung PP2 [%]
mittlere Entfernung PP1 [%]
mittlere Entfernung KW [%]
Estron (E1)
98
99
94
Estradiol (E2)
>96*
>95*
>94*
Ethinylestradiol (EE2)
>89*
>88*
78
AAA
50
55
30
FAA
15
36
10
Phenazon
33
45
18
Propyphenazon
13
40
3
* Einzelwerte im Ablauf