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Hanna Reitsch: Ein deutsches Fliegerleben (Armin Preuß ) 26. April 1945. Die von der roten Armee eingeschlossene Reichshauptstadt ist nach unzähligen alliierten Bombenangriffen und unter dem rasenden Trommelfeuer russischer Batterien nur noch ein rauchendes Trümmerfeld. Inmitten dieses Höllenspuks landet plötzlich wie ein im Sturm verirrter Vogel dicht vor dem Brandenburger Tor ein durch starken Erdbeschuß durchlöcherter Fieseler Storch. Eine kleine schmächtige Frau entsteigt der Maschine. Unter großer Mühe gelingt es ihr, einen verwundeten, halb bewußtlosen Generaloberst der Luftwaffe aus dem Flugzeug zu zerren. Hinter aufgetürmten Betonbrocken suchen sie Schutz vor dem feindlichen Feuer. Stunden scheinen inmitten des sie umgebenden Grauens zu vergehen, bis endlich ein einsames deutsches Fahrzeug auftaucht und die beiden verlorenen Gestalten aufnimmt. Unter den Einschlägen der sowjetischen Artillerie fahren sie ihrem befohlenen Ziel entgegen: zur Meldung bei Hitler im Führerbunker der Reichskanzlei.
Ein Mädel wird Segelfliegerin Hanna Reitschs Heimatort war das malerische Hirschberg in Schlesien, eingebettet zwischen dem nahen Riesengebirge und den Bober-Katzbachbergen. Ihr Vater war Augenarzt, ein sanfter, künstlerisch begabter Mensch und leidenschaftlicher Cellospieler. Die Mutter, zu der Hanna Zeit ihres Lebens ein besonders inniges Verhältnis hatte, entstammte einer Tiroler Adelsfamilie. Die Kinder durften sich somit scherzhalber als "Tiroler-Preußen" ausgeben . Es war eine glückliche Kindheit. Zur Geborgenheit im Elternhaus trug das allabendliche Cellospiel im Musikzimmer bei. Doch vollständig wurde das Familienglück erst durch die Mutter mit ihrer stets heiteren ausgeglichenen Art, gütig und klug, "liebend, geduldig und nie ermüdend, tröstend und lehrend" wie Hanna sie in ihrer Autobiographie FLIEGEN MEIN LEBEN (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1951) beschreibt. Sie verstand es ausgezeichnet, das Leben ihrer Kinder wunderbar zu bereichern, ihnen früh das Erlebnis der Natur zu vermitteln, die Blumen, die Vögel, die Sterne... Hanna und ihre Geschwister wurden von der Mutter zu gerechtem und liebevollem Denken gegen ihre Mitmenschen angehalten. "Freundlichkeit gegen jedermann," so hatte sie Moltkes Wort in ihr Tagebuch geschrieben, "ist die erste Lebensregel... Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit sind der wahre Schutz gegen die Kränkungen und die Zurücksetzungen dieser Welt." Der Vater, der Arzt aus innerer Berufung und wegen seiner Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft bekannt und beliebt war, vermittelte den Kindern ein ausgesprochenes Ehrgefühl. Ehre war für ihn ein Grundelement menschlichen Daseins, eine echt preußische Einstellung. Hanna war unter den Geschwistern das empfindsamste Kind, dazu lebhaft und phantasiebegabt. Schon früh reizte es die spätere Fliegerin, Höhen aufzusuchen. Statt am Pult pflegte sie ihre Schulaufgaben oft in der Krone eines Baumes zu machen. Sie war sportlich
und schwindelfrei. Hanna lernte leicht, aber sie war nie eine Musterschülerin. Sie liebte ihre Schule, die Lehrer und ihre Mitschülerinnen, besonders ihren Musiklehrer Johl, der ihnen ein Schatzkästlein schönster Lieder vermittelte. So ergänzten sich Schule und Elternhaus vortrefflich. Und noch eines lehrten Schule wie Elternhaus: Die Liebe zur Heimat und zum Vaterland. Durch den Studienaustausch mit fremden Ländern förderten die Eltern bei ihnen Aufgeschlossenheit und Unvoreingenommenheit. Aber gerade im Ausland sollten sie die Echtheit ihre Liebe zur ihrem Vaterland erproben. Wegen ihrer Lebhaftigkeit und ihres Übermutes erhielt Hanna in der Schule manchen Verweis, der ins Klassenbuch eingetragen wurde. Als sie nach der Verleihung des Eisernen Kreuzes später zum Ehrenbürger von Hirschberg gemacht und dabei den Schülern als Muster an Fleiß und Betragen hingestellt wurde, fanden neugierige Schülerinnen zu ihrem Ergötzen diese Verweise beim Durchblättern der alten Bücher. Doch die Schule hatte Humor. Die leidigen Blätter wurden aussortiert und ihr gesondert zur Erinnerung überreicht. Märchen und Naturbeobachtungen, gepaart mit kindlicher Phantasie, hatten in Hanna früh den Wunsch genährt, Missionsärztin zu werden, und zwar eine fliegende. Ihre Eltern hofften, daß sich diese Absicht mit der Zeit verflüchtigen würde. Doch der Wunsch zu fliegen wuchs weiter in ihr bis zu sehnsüchtigem Verlangen, das sie nie mehr losließ. Ihr Vater versucht es mit einem kleinen Trick. Er verspricht ihr, wenn sie bis zum Abitur kein Wort mehr vom Fliegen erwähnt, so kann sie zur Belohnung an einem Segelflugkurs in Grunau teilnehmen. Die heimliche Hoffnung ihres Vaters geht nicht in Erfüllung. Hanna zeigt schon in der Tertia, daß sie über eine ungewöhnliche Selbstdisziplin und Zielstrebigkeit verfügt. Die "Geistlichen Übungen" von Ignatius von Loyola fallen ihr in die Hände, und mit ihrer Hilfe geht sie mit jugendlichem Eifer daran, ihren Willen zu meistern. Sie lernt auch zu schweigen. Als sie das Abitur bestanden hat, will ihr Vater ihr zur Belohnung eine goldene Uhr schenken. Doch Hanna weist seine Uhr zurück und erinnert ihn an sein Versprechen. Vor Beginn ihres Studiums geht sie, dem Wunsch ihrer Eltern entsprechend, auf die Kolonialschule nach Rendsburg, dicht am Ufer des Kaiser-Wilhelm-Kanals. Eine Missionsärztin mußte auch diese praktische Seite ihrer Aufgaben kennen. Nach allerlei drolligen Erlebnissen - sie hat z.B. alles mögliche Viehzeug, darunter auch angriffslustige Schweine zu versorgen - geht in den Herbstferien endlich ihr heißer Wunsch in Erfüllung: Ein Lehrgang an der Segelflugschule in Grunau. Auf dem Galgenberg steigt sie unter der Leitung von Pit van Husen zum ersten Mal auf den offenen Sitz einer "Grunau 9". Hanna, nur 1.54 m groß und kaum 45 kg schwer, wird von den umstehenden Jungen mit manchem Spottwort bedacht. Und beim ersten Versuch geht alles schief. Zuerst zieht sie die Kiste zu steil nach oben. Dann, um ihre "Himmelfahrt" auszugleichen, wieder zu steil nach unten. Es gibt eine unsanfte Landung. Die Gurte reißen, doch zu ihrem großen Glück war wenigstens die Kiste heil geblieben. Ein Mädchen sollte lieber hinterm Kochtopf bleiben, johlen die Jungen. Das konnte sie noch überstehen. Aber der Anpfiff von Pit van Husen wegen ihres Ungehorsams läßt sie zusammenzucken: "Untauglich zum Fliegen, drei Tage Startverbot!" Bis zum Abend ist sie völlig zerknirscht. Aber dann regt sich der Trotz. Sie wird es ihnen schon zeigen!
In der schier endlosen folgenden Nacht wird ihr bewußt, daß beim Fliegen oberstes Gebot ist, alle Regeln mit peinlichster Genauigkeit zu befolgen. Nur dieser ihr in Fleisch und Blut übergegangenen Regel hat sie es zu verdanken, daß sie auch später im Krieg selbst die waghalsigsten Experimente überlebt. Doch zunächst muß etwas geschehen, um dem aufgebrachten Pit van Husen zu beweisen, daß es ihr mit dem Fliegen blutiger Ernst ist. In ihrem Zimmer sucht sie nach einem Stock, der als Steuerknüppel dienen kann. Mit dessen Hilfe übt sie im Bett Stunde um Stunde die für den Flug notwendigen Steuerbewegungen, bis sie diese wie im Schlaf beherrscht. Ihre nächtlichen Exerzitien zahlen sich aus. Wenig später starten die Lehrgangsteilnehmer zur A-Prüfung. Hannas Flug wird ein voller Erfolg. Dreißig Sekunden setzt die Prüfung voraus. Sie war 39 Sekunden in der Luft geblieben. Dusel! Reiner Zufall! witzeln ihre männlichen Mitschüler wieder. Aber als sie noch einmal fliegen darf, vergeht ihnen der Spott. Aus 18 Männerkehlen erklingt das "huah, huah" - Prüfung bestanden! Wolf Hirth, der Altmeister des Segelflugs, hatte Hanna nach ihrem anfänglichen Pech vom Lehrgang aussperren wollen. Doch jetzt will er sich dieses Mädel einmal anschauen. Zur Belohnung für einen unter seinen Augen gelungenen Start läßt er sie noch einmal von einer höheren Stelle starten. Wieder etwas länger in der Luft! Und nun lernt sie unter seiner Leitung die für die B-Prüfung erforderlichen flachen, steilen und S-Kurven. Wolf Hirth ist beeindruckt von ihrer Fähigkeit zur Konzentration. Konzentration macht die besten Flieger! Hanna verschweigt ihm allerdings noch, daß sie diese Gabe den Anleitungen von Loyola und ihren beharrlichen nächtlichen Übungen verdankt. Wie zu erwarten, schafft sie bald auch die CPrüfung, bei der mindestens fünf Minuten über Starthöhe im Aufwind zu segeln sind. Bei einem ihrer nächsten Flüge bleibt sie über 20 Minuten in der Luft. Um dem nächsten Schüler Zeit zu sparen, landet sie, entgegen der Vorschrift, auf dem Landeplatz statt auf der Zielwiese. Wieder gibt es, diesmal eine mit Lob gemischte Rüge: "Disziplin muß sein," sagt Wolf Hirth, als er Hanna leicht am Ohr zupft. "Doch rein fliegerisch war die Sache einwandfrei." Ein neues Flugzeug, der Stolz der Schule, ist nur für Wolf Hirth und die Fluglehrer vorgesehen. Doch Hanna wird als erstem Schüler erlaubt, so lange wie sie will mit ihm in der Luft zu bleiben. Es werden fünf Stunden! Glückwünsche und Blumen treffen im elterlichen Haus ein. Hanna ist voller Jubel. Aber am Abend findet sie einen Brief ihrer Mutter auf ihrem Bett. "Bist Du Dir voll Dank bewußt, daß es die Gnade des Glücks gewesen ist, die Dir den Erfolg schenkte?" Zuerst kam der Trotz auf. Wieso "Gnade des Glücks", nachdem sie Wind und Regen, Kälte und Schnee hatte durchstehen müssen? Doch je mehr sie über die Zeilen ihrer Mutter nachdenkt, um so mehr erkennt sie den Sinn ihrer Worte. Ja, der Wind war ihr Glück gewesen. Und zu dem berechtigten Stolz gesellt sich ein Gefühl der Dankbarkeit und Bescheidenheit. Als zukünftige fliegende Ärztin in Afrika, überzeugt sie ihre Eltern, muß sie auch das Motorfliegen beherrschen. Ihre Eltern respektieren zwar ihren Wunsch, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Aber sie möchten vermeiden, daß ihre Tochter zu einer oberflächlichen Rekordjägerin wird. Die Kosten des Lehrgangs, das ist die Bedingung, muß sie von ihrem Studienwechsel bestreiten!
Sie meldet sich in Berlin-Staaken an, einer der drei in Deutschland existierenden Sportfliegerschulen. Wieder ist sie das einzige Mädchen unter Männern, die fast alle schon im Beruf stehen: Direktoren, Kaufleute, Ingenieure, und auch der bekannte Schauspieler Matthias Wiemann, der ihr ein echter Fliegerkamerad wird. Typisch für Hanna, will sie mit ihrer Begeisterung nicht nur das Motorfliegen beherrschen, sondern auch den Motor, das Herz des Flugzeugs, bis in alle Einzelheiten verstehen. Immer wenn nicht geflogen wird, ist sie in der Werkstatt bei den alten erfahrenen Motorwartmeistern. Dumme Frager, dazu noch eine Frau, sind in wenigen Werksbetrieben gern gesehen. Aber Hanna läßt sich nicht einschüchtern, und zum Dank für alles Gelernte hilft sie die Flugzeuge putzen. Eines Tages stellt sie der Werkmeister auf die Probe, ob sie wirklich all den technischen Kram gelernt hat und sich auch vor schmutziger Arbeit nicht bange macht. Sie soll einen alten, nicht mehr verwendbaren Motor auseinandernehmen. Gesagt, getan. Aber am Sonntag, als die Werkstatt verlassen ist, setzt sie sich daran, den Motor wieder heil zusammenzubauen. Als hätte sie eine Prüfung in Anatomie abzulegen, hatte sie beim Zerlegen des Motors fortlaufend Skizzen angefertigt. Die Männer, die am Montag früh ihr Werk sehen, schütteln voll Staunen den Kopf. Nach dieser Leistung, bei der sie sich die Hände blutig gerissen und über und über mit Öl und Schmutz bedeckt hatte, ist sie einer der ihren geworden. Kein Sonntagsflieger, sondern ihr Kamerad! Sie beläßt es nicht bei dieser praktischen Unterweisung. Nebenher verschlingt sie alles an Fachliteratur, was ihr über Motoren und Motorflugzeuge in die Hände fällt. Es macht ihre Fortschritte im Fliegen mühelos und leicht. Anfangs fliegt ihr Fluglehrer, Otto Thomsen, noch am Doppelsteuer mit. Auch dieser Lehrer geht nicht gerade sanft mit ihr um. Doch Hanna lernt ihn als hervorragenden Ausbilder schätzen. Zur Erreichung des Lehrgangszieles ist eine harte Schule notwendig. Der Tag zum Start für ihren Höhenprüfungsflug kommt. Die alte "Klemm", mit einem Motor von ganzen 20 PS ausgestattet, braucht für das Klettern auf die vorgeschriebene Höhe von 2.000 m allein schon eine runde Stunde. Hanna ist alles andere als eine Sportfliegerin, der es nur um Ruhm und Erfolg geht. Die Schilderung ihres Höhenerlebnisses zeugt von ihrem Feingefühl, ihrer Naturliebe und ihrer Achtung vor Gottes Schöpfung. Freude und Dankbarkeit mischen sich mit Demut. Während ein anderer Schlag von Fliegern zu überheblichem Prahlen neigt, wächst bei ihr die Ehrfurcht im Blick auf die Weite des Himmels und nach unten auf unsere schöne Erde. Für ihr weiteres Leben stimmt Wolf Hirth mit ihren Eltern überein, daß Fliegen kein Beruf für sie ist und daß sie ihr Medizinstudium fortsetzen soll. Er gibt ihr bei einer Aussprache eine Aufgabe, die sich einmal für sie als wahres Himmelsgeschenk erweisen soll. Wegen eines Beinverlustes hatte Wolf Hirth sich eingehend mit den Funktionen des Oberschenkels und des Kniegelenks befaßt. Über dieses Thema soll Hanna einen medizinischen Vortrag halten, ehe er ihr die Erlaubnis gibt, wieder zu fliegen. Da es ihr glühender Wunsch ist, weiter zu fliegen, setzt sie die ganze Nacht daran, alle greifbaren Bücher durchzuackern und diesen Stoff zu beherrschen. Auf der Fahrt nach Grunau will Wolf Hirth sie über das aufgetragene Thema prüfen. Aber irgendwie werden die beiden tief in ein Gespräch über Flugprobleme verwickelt. Das medizinische Pensum ist völlig vergessen.
In Grunau darf sie dann den ganzen Vormittag fliegen. Und hier erlebt sie wieder, nachdem sie auch den Rausch des Motorfluges schätzen gelernt hatte, die Erhabenheit, das einzige Gefühl des Segelflugs, das Einssein mit der Natur, den Sieg über die Schwere, die man sich bei diesem Vogelflug "Meter um Meter erkämpfen muß". Zu ihrem zweiten medizinischen Semester soll Hanna sich auf Wunsch ihres Vaters in Kiel einschreiben lassen, wo auch ihr Bruder als Fähnrich bei der Marine steht. Weil die Kieler Fakultät sehr überlaufen ist, müssen die Studenten sich vor der Zulassung einer Prüfung in der Anatomie unterziehen. Hanna hatte im ersten Semester absolut nichts für ihr Studium getan. All ihre Beteuerungen, daß sie in Kiel wegen völliger Unkenntnis mit Glanz durchfallen würde, helfen nichts. Ihre Eltern wollen es ihr einfach nicht abnehmen, daß sie so unvorbereitet sein könnte. Das Versäumte nachzuholen, bleibt keine Zeit mehr. Zerknirscht denkt sie daran, wie sie das Vertrauen ihrer Eltern mißbraucht und nur ans Fliegen gedacht hatte. Mit Zittern und Bangen, von Alpträumen verfolgt, stellt sie sich der Prüfung. "Die Schande anständig zu tragen, schien mir jetzt wichtiger als diese Prüfung zu bestehen," schreibt sie. Nicht wenige der Prüflinge fallen durch. Andere werden unsicher, vom Spott des prüfenden Professors begleitet. Endlich hört Hanna ihren Namen. All ihre Willenskraft zusammennehmend, tritt sie ruhig und sicher vor. Der Professor mißdeutet ihre Ruhe und hält sie für den Beweis von Wissen. Freundlich sieht er sie an und stellt seine erste Frage. Hanna fällt aus allen Wolken als sie ihn hört: "Sie übernehmen den Oberschenkel!" Glück muß der Mensch haben. Auf ihr Telegramm kommt die Antwort der Eltern: "Wir haben es gewußt." Sie hatten keine Ahnung wie sehr diese Worte ihre Tochter bedrücken. Sie hatte ihre Güte und Großzügigkeit in Anspruch genommen und ihnen um ein Haar Schande gebracht. Im Mai 1933 ist Hanna während ihrer Semesterferien wieder in Hirschberg. Wolf Hirth will sie in den Flug nach Instrumenten einführen. Blindflugübung! Wieder geht Hanna mit ihrer unbändigen Lernbegierde daran, zunächst rein theoretisch mit Hilfe eines "Kartenspiels" alle Möglichkeiten des die Fluglage angebenden Wendezeigers wie im Traum zu beherrschen. Als der Tag kommt, ist der Himmel sonnenklar und ruhig. Vergebens sucht sie den notwendigen Aufwind. Mal findet sie nur schwachen Aufwind, mal die Kiste niederdrückenden Abwind. Plötzlich fühlt sie sich in einem starken Aufwindfeld. Mit drei bis vier m/Sek. wird sie nach oben gezogen. Auf 900 m gestiegen, entdeckt sie, einmal von den Instrumenten wegblickend, über sich eine riesige, dunkel dräuende Gewitterwolke. Die Vorschrift für jeden Anfänger lautet, unter diesen Umständen sofort den Flug abzubrechen. Doch im Vertrauen auf ihre neuen Fertigkeiten setzt sie den Flug fort. 1.000 .., 1.100 ... 1.200 m ... bald wird sie von den ersten Fetzen der Wolke aufgenommen. Immer schneller geht es nach oben mit 5 m, 6 m, bald 7 m Auftrieb pro Sekunde. Jetzt, bei gut 1.600 m Höhe glaubt sie sich außer Gefahr. Die Schneekoppe muß nun unter ihr liegen. Plötzlich ein wahres Trommelfeuer auf ihren Flügelflächen. Ein dramatischer Kampf mit den entfesselten Elementen entbrennt. Durch schon halb vereiste Fenster sieht sie Regen und Hagelkörner auf sie herabprasseln. Bei dem immer rasender werdenden Aufwind ist sie bald bis 3.000 m hochgerissen. Die Instrumente versagen. Alles ist vereist. Plötzlich geht,s in jähem Sturzflug nach unten. In ihrem Sommerkleid schlottert sie an allen Gliedern. Mit Gewalt bezwingt sie ihre Angst in dem brodelnden Inferno. Auf einmal durchstößt sie den Rand der Wolke und hat wieder freie Sicht.
Es ist schon spät am Nachmittag, als sie mit ihrem "Grunau-Baby" auf einer Skiwiese landet. Ihren Gewitterflug hatte sie mit einem Riesenglück heil überstanden. Doch jetzt kommt das zweite Gewitter auf sie zu. Wolf Hirth brüllt sie am Telefon an, daß ihr der Flugzeugführerschein entzogen werden soll, weil sie ohne Erlaubnis in der Sperrzone nahe der tschechischen Grenze gelandet war. Hanna ist wie zerschmettert. Fliegen ist ihr Leben, und ohne Fliegen zu dürfen fühlt sie sich wie zum Tode verurteilt. Doch als Wolf Hirth sie in der Nacht mit seinem Wagen abholt, ist das Gewitter verrauscht. Er ist froh, daß sie die Kiste heil heruntergebracht hat. Sie ist so beglückt über diese Wendung, daß ihr unfreiwilliger neuer Höhenweltrekord ihr unwesentlich erscheint. Kurze Zeit später wird Wolf Hirth zum Leiter der neuen Segelfliegerschule auf dem Hornberg bei Schwäbisch Gmünd ernannt. Hanna fürchtet um das Ende ihrer Fliegerei, da sie ohne ihren Schutzpatron und ohne Geld nicht weitermachen kann. Doch wieder einmal kommt ihr das Glück zu Hilfe. Wolf Hirth erwirkt bei ihren Eltern die Erlaubnis, ein Studiensemester auszusetzen und als Fluglehrer mit ihm zu gehen. Ihre Stellung als Fluglehrer ist keine leichte. Hat sie doch als Mädchen eine Schar erwachsener Männer auf die C-Prüfung vorzubereiten. Aber sie findet eine Lösung für das männliche Mißtrauen gegen einen weiblichen Fluglehrer. Statt als Autorität aufzutreten, macht sie den Unterricht zur Gemeinschaftsarbeit. Alle werden gleichmäßig mitbeteiligt. Am besten kommen natürlich Hannas Erfolge an, und so lernen ihre Schüler von ihren Erlebnissen, auch wenn diese von einer Frau herrühren.
Als Segelfliegerin auf Auslandsexpedition Als Deutschland aufgrund des Versailler Diktats das Motorfliegen verboten worden war, entdeckte Oskar Ursinus, mit der Sehnsucht zum Fliegen im Herzen, die Rhön als ein ideales Segelfluggebiet. Auf der Wasserkuppe treffen sich junge Segelflieger Sommer für Sommer. Mit hohem Idealismus bringen sie Opfer an Zeit und Geld. Fliegen ist ihnen wichtiger als ihre Karriere, und manch einer findet bei den ersten halsbrecherischen Flügen den Tod. Im Sommer 1933 nimmt Hanna zum ersten Mal am Rhönwettbewerb teil. Ihr "Grunau-Baby" ist keine Konkurrenz für die Leistungsmaschinen der anderen Wettbewerber. Auch das Gelände ist ihr unbekannt. Ihre Flüge auf der Wasserkuppe werden zu einer einzigen Pechsträhne. Bei der Preisverteilung ist sie mit am Schwanz, und zum großen Gelächter aller schenkt die Preiskommission ihr - eine Küchenwaage und einen Fleischwolf! Trotzdem endet ihr Rhönerlebnis auf einer positiven Note. Der "Segelflugprofessor" Georgii fragt sie nach der Preisverteilung, ob sie an seiner geplanten Südamerikaexpedition teilnehmen wolle. Der Professor und Oskar Ursinus waren von Hannas Durchhaltevermögen beeindruckt. Obwohl dauernd "abgesoffen", war sie doch immer wieder gestartet. Und "nicht der Sieg, sondern der Geist entscheidet beim Segelfliegen." Für die Südamerikafahrt muß sie aus eigener Tasche 3.000 RM beisteuern. Sie greift daher auf ein früheres Angebot der UFA zurück, als "double" bei einem Segelfliegerfilm mitzuwirken. Die Aufnahmen sollen in Rossitten gemacht werden. Eine Anfängerin
darstellend, findet sie ihre Rolle einfach herrlich. Denn hier darf sie einen Bruch nach dem andern machen, was sie sich sonst nie hätte erlauben dürfen. Darüber hinaus kann sie ihre Freizeit für private Flüge benutzen. Und welch eine Gelegenheit! Einmal bleibt sie dabei 9, ein andermal 11 Stunden und 20 Minuten in der Luft. Zwei neue Frauenweltrekorde! Am 3. Januar 1934 startet die Expedition von Hamburg aus. Professor Georgii hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Aufwindverhältnisse in Südamerika zu erforschen. Daneben fällt der Expedition, ohne daß es im Programm steht, eine andere wesentliche Aufgabe zu: Die Herzen der Menschen in den angesteuerten Ländern für den Segelflug und für Deutschland zu gewinnen. Die deutschen Flieger und ihre Leistungen finden bei den temperamentvollen Südländern eine wahrhaft überwältigende Anteilnahme. Am meisten interessiert sich das Publikum für Kunstflüge. Obwohl es Hanna nicht liegt, mit dieser Kunst zu glänzen, fügt sie sich der Rolle, ihre Loopings und Wendungen zum Entzücken der Zuschauer vorzuführen. Über Sao Paulo gibt es um Haaresbreite ein Fiasko. Sie hatte sich zu früh ausgeklinkt. Zu ihrem Entsetzen gerät sie in einen Abwind, der sie dicht auf das unter ihr liegende Häusermeer mit seinen von Menschen und vom Verkehr wimmelnden Straßen herunterdrückt. Als sie schon Tote und Verletzte bei einer Straßenlandung befürchtet, entdeckt sie im letzten Moment ein Sportfeld. Aber auf diesem Feld ist gerade ein Fußballspiel in vollem Gange. Statt der anrauschenden Maschine aus dem Wege zu springen, halten Spieler und Zuschauer ihren Tiefflug für eine kontrollierte Schau. Begeistert winken sie ihr zu. Schweißtriefend vor Schreck reißt sie das Fenster auf. Aus voller Kehle brüllt sie ihr cuidado, cuidado, und in jähem Begreifen werfen die Spieler sich im letzten Augenblick auf die Erde. Mit klopfendem Herzen kann sie ihren Segler aufsetzen. Auch die argentinische Regierung läßt der Expedition jede erdenkliche Hilfe zukommen. Auch hier ist die Begeisterung ungeheuer, besonders als Wolf Hirth mit 76 Loopings einen neuen Rekord aufstellt. "Alemana" rufen Kinder und Erwachsene bewundernd, als sie sich die Segelflugzeuge, in denen manch einer einen versteckten Motor vermutete, nachher anschauen: "Die Deutschen können alles!" Südamerika hat Hannas Wunsch noch verstärkt, ihr Leben der Fliegerei zu widmen. Auf der Heimreise steht sie, diesem Gedanken nachhängend, mit Prof. Georgii an der Reling. Sie fällt aus allen Wolken, als sie ihn plötzlich sagen hört: "Jetzt lassen wir Sie aber nicht mehr los. Sie gehören zu uns nach Darmstadt an die Forschungsanstalt." Bis Mai 1945 gehörte Hanna Reitsch dieser Anstalt an. Außerhalb ihrer offiziellen Aufgaben gelingt ihr in den ersten Wochen ihres Darmstadtaufenthalts noch ein Streckenflug von Griesheim nach Reutlingen. Mit 160 km ein neuer Frauenweltrekord! Ein knappes Vierteljahr später erläßt die finnische Regierung eine Einladung an deutsche Segelflieger, um das finnische Volk mit dem Segelflug vertraut zu machen. Die Expedition wird von Graf Ysenburg geleitet. Neben anderen prominenten Segelfliegern gehört auch Hanna Reitsch zu den Eingeladenen. Hanna und ihre Kameraden sind zutiefst beeindruckt von der unendlichen Weite der finnischen Landschaft mit seinen dunklen Wäldern und den unzähligen Seen. Und ebenso vom finnischen Volk. "Schweigsam. stolz, wahrhaftig und gewissenhaft, vor allem aber gesund," beschreibt sie diese Menschen. Ihre Schüler sind Zivilisten und Soldaten. Hanna widmet sich ihrer Aufgabe mit ihrem üblichen Enthusiasmus und Pflichtbewußtsein. Jede freie Stunde steht sie außerhalb der
Lehrzeiten ihren Schülern zur Verfügung. In Finnland verläuft alles glatt. In der ganzen Zeit kein Unfall, kein Absturz! Vom Luftfahrtministerium wird Hanna eine Auszeichnung angetragen. Doch auf Dekorationen legt sie keinen besonderen Wert. Statt dessen erbittet sie sich die Teilnahme an der Verkehrsfliegerschule in Stettin, um auch das Fliegen mit großen Maschinen zu erlernen. Die Schule für Verkehrsflieger wird straff männlich, fast militärisch geführt. Einem Mädchen scheinen hier wenig Chancen offenzustehen. Die Ordnung ist in der Tat so stramm soldatisch, daß Hanna bei jedem Schritt Angst hat, alles falsch zu machen. Und genau das tut sie auch. Es gibt Anpfiffe, es gibt sogar Strafexerzieren. Sie hat den Eindruck, daß man einen Grund sucht, sie nach Hause zu schicken. Mehr aus Schalk als aus Böswilligkeit hecken Offiziere wie Mannschaften ständig etwas aus, um sie irgendwie reinzulegen. Doch sie nimmt nichts übel und zeigt ihr stets gleichbleibendes Gemüt. So kommt sie letzten Endes gut mit ihren Fliegerkameraden aus. Die spartanisch strenge Disziplin in diesem Betrieb hatte auch durch die Anwesenheit einer jungen Frau nicht gelitten. Alle merken, daß sie sich mit dem gleichen Ernst und der gleichen Hingabe dem Fliegen verschrieben hat wie sie. Vor Abschluß des Lehrgangs hat sie noch ein ebenso peinliches wie belustigendes Erlebnis. Nach einem Kunstflug mit ihrem Fluglehrer im Doppeldecker "Stieglitz" fordert er sie auf, es anschließend allein zu versuchen. Glücklich über dieses Vertrauen tollt sie sich in allen erdenklichen Kapriolen: Loopings, Turns, Rollen nach Herzenslust. Sturzflug, dann wieder steil nach oben, bis es ihr plötzlich schlecht wird. Auf gar keinen Fall will sie die Maschine verschmutzen. Die Sticheleien ihrer Kameraden hätten kein Ende gefunden. In ihrer Verzweiflung nimmt sie erst ihren linken, dann als der Brechreiz unvermindert anhält, auch den rechten Handschuh als "Abfalltüte" zu Hilfe. Rauswerfen kann sie die fatalen Dinger nicht. Ein Finder hätte sie garantiert als die ihren erkannt. Kurz entschlossen steckt sie sie in ihre Manteltaschen. Nach der Landung geht sie frisch und unbekümmert und nun wieder mit Appetit zum Kasino, wo Berge von Kuchen auf sie warten. Ihren Mantel hatte sie im Flur aufgehängt. Alle Anwesenden blicken sie erwartungsvoll an. Sie freuen sich schon auf den Spaß, daß sie nach diesem tollen Flug doch noch "madig" geworden sein muß. Aber Hanna tut als sei nichts vorgefallen und langt munter zu. Als der Kommandeur in Begleitung einiger Offiziere den Raum betritt, setzt es einen gehörigen Anpfiff: "Welch ein entsetzlicher Gestank im Flur! Sofort für Beseitigung sorgen!" Stillschweigend macht Hanna sich bei der ersten besten Gelegenheit mit ihrem Mantel aus dem Staube. Erst bei der Abschiedsfeier beichtet sie ihren Kameraden diese Geschichte, die natürlich ein unbeschreibliches Gelächter auslöst. Ihren ersten Nachtflug führt Hanna mit der Motormaschine He 46 aus. Er verläuft ohne Zwischenfälle. Anders geht es bei ihrem Flug über Genf, Lyon, Avignon nach Lissabon zu, wo im Mai 1935 die "Festivas Lisboa" stattfinden. In diese Festspiele soll auch ein internationaler Flugtag und dabei zum ersten Male ein Segelflugzeug eingeschoben werden. Hanna soll Deutschland im Segelflug vertreten. Mit einem Segelfliegerkameraden startet sie in einer kleinen Sportklemm. Deutschland hatte gerade die Allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, und die internationale Lage ist gespannt. Hanna ist sich bewußt, daß ein gutes Abschneiden bei den Festspielen und auch ein reibungsloser Anflug durch die Nachbarländer unbedingt wichtig sind. Die deutsche Teilnahme soll zum friedlichen Völkerverständnis und zu internationaler Fliegerkameradschaft beitragen. Doch eine unfreiwillige Zwischenlandung auf einem Militärflughafen in der Nähe von Lyon
wird ihr beinahe zum Verhängnis. Trotz strengen Verbotes hatte ihr Fliegerkamerad (seinen Namen verschweigt sie fairerweise) eine Leica in seinem Gepäck mitgeschmuggelt. Sie werden vom französischen Flugplatzkommandanten als Spione angesehen und entsprechend hart behandelt. Erst durch einen deutschfreundlichen jungen Franzosen gelingt es, heimlich mit dem deutschen Konsul in Lyon Verbindung aufzunehmen. "Wir Jungen," sagt der unerwartete Helfer, "verstehen Euch, die Ihr jung seid in Deutschland. Diese da sind alt und blind." In der Nähe von Avignon, wo eine weitere Zwischenlandung stattfindet, sehen sie am Horizont den deutschen Zeppelin auftauchen. "Kein Deutscher, der sein ruhiges majestätisches Dahinziehen in fremdem Land erlebt hat," schreibt Hanna, "wird diesen Anblick vergessen können, auch nicht das Gefühl des Stolzes und Beglücktseins in der Verbundenheit des gemeinsamen Vaterlandes." Die Flugtage in Lissabon werden ein voller Erfolg für Veranstalter, Teilnehmer und Besucher. Von den sich auf den Straßen abspielenden bunten Szenen verdient ein spannungsgeladenes Begebnis festgehalten zu werden. Das Tragen von langen Hosen war in Portugal für Frauen streng verpönt. Als Hanna einmal im Fliegerdress nichtsahnend auf die Straße geht, wird sie plötzlich von zwei "Landsknechten" gestellt und festgenommen. Man führt sie in eine Art Gefängnis und anschließend vor ein Richtertribunal in einem großen Zelt. Zuerst ergreift ihr Verteidiger das Wort. Er hält eine Lobrede auf die berühmte deutsche Fliegerin. Noch immer ist Hanna sich nicht sicher, ob hier Ernst oder Scherz gespielt wird. Dann spricht der Richter. Und jetzt wird ihr klar, daß hier ein Schauspiel abläuft. Der Richter wendet sich nicht allein an Hanna Reitsch. "Sein Lob galt vor allem Deutschland, den deutschen Menschen, die nach einem verlorenen Krieg Tatkraft und Mut zu neuem Aufstieg gefunden hatten. War es ein Wunder, daß ich mich glücklich und stolz fühlte?" Auf seine Aufforderung muß sich dann das Publikum erheben, um das deutsche Volk und Hanna Reitsch als Fliegerin zu begrüßen. Und als sie das Zelt verläßt, wird ihre Hand fast lahm von all dem Drücken und Schütteln.
Ein Flieger für Zivil- und Militärmaschinen Als Angehörige des von Hans Jacobs geleiteten Instituts für Segelflug findet Hanna sich 1936 in der Rolle des Einfliegers. Wieder einmal war ein Zufall am Werk gewesen. Der für diese Aufgabe vorgesehene Ludwig Hoffmann war durch eine plötzliche schwere Erkrankung verhindert. Hanna fühlt sich zwar auf dem Gebiet der technischen Konstruktion gänzlich unerfahren. Dafür verfügt sie jedoch um so mehr über Fluggefühl und genaue Beobachtungsgabe, ganz zu schweigen von ihrem Interesse und ihrer Begeisterung. Der Einflieger muß ein in seinen Flugeigenschaften und seiner Flugsicherheit noch unbekanntes Flugzeug bis an die äußerste Grenze seiner Leistungs- und Belastungsfähigkeit erproben. Das erfordert begreiflicherweise nicht nur ungewöhnlichen Mut, sondern darüber hinaus ein systematisches Durchspielen aller zu erwartenden Flugmanöver. Dazu ein lückenloses. genaues Aufzeichnen sämtlicher durch Auge, Ohr und Gefühl wahrnehmbarer Reaktionen des Flugzeuges. Die hohe Zahl der oft tödlichen Unfälle redet eine beredte Sprache über den gefahr- und opfervollen Beruf des Einfliegers. In dieser nervenaufreibenden Zeit, als Hanna mehr als einmal ihr Leben in die Schanze schlägt, erhält sie jeden Morgen einen Brief ihrer Mutter. Wie alle Mütter bangt sie um das
Leben ihres Kindes, obwohl sie weiß, daß Hanna nicht leichtsinnig ist. Sie möchte aber auch verhindern, daß ihre Tochter durch ihre unbestreitbaren Erfolge der Gefahr der Eitelkeit erliegt. Und noch etwas anderes drückt sie in ihren am späten Abend geschriebenen Briefen aus: Daß jeder Versuchsflug dem Leben anderer und dem Namen Deutschlands dient! Es naht ihre bisher schwerste und gefährlichste Prüfung. Nach anfänglichen hochriskanten Versuchen des Sturzflugs hatte Hans Jacobs zur Stabilisierung der Maschine spezielle Bremsklappen entwickelt. Der nächste Test mit diesen "Bremsen": ein senkrechter Sturz aus 6.000 m Höhe! Kein Mensch wird in solchen Augenblicken frei von Angst und Zweifel sein, ob die Maschine dabei diesem ungeheuren Druck standhalten wird und nicht auseinanderfällt. Hanna bezwingt diesen Anflug von Furcht. Wieder und wieder setzt sie zum Sturz in die Tiefe an. Beim letzten Versuch stürzt sie senkrecht aus einer Höhe von 3.000 m, und erst 200 m über dem Boden fängt sie die Maschine ab und landet. Das Blut hämmert ihr noch in den Schläfen. Diese Versuche mit Sturzflugbremsen werden namentlich für die junge deutsche Luftwaffe von grundlegender Bedeutung. Die neue Erfindung wird Ernst Udet, General v. Greim und anderen Generalen der Luftwaffe auf dem Flugplatz von Darmstadt-Griesheim vorgeführt. Hanna wird nach den gelungenen Vorführungen von Udet zum Flugkapitän ernannt, das erste Mal, daß dieser Titel einer Frau verliehen wird. Nach der triumphalen Überquerung der Alpen von fünf deutschen Segelfliegern, darunter auch Hanna Reitsch in ihrem "Sperber Junior", wird sie im September 1937 von Ernst Udet an die Flugerprobungsstelle für Militärmaschinen nach Rechlin berufen. Ihr Auftrag ist, mit den neuen Bremsvorrichtungen ausgestattete Kriegsflugzeuge auszuprobieren. Sie ahnt damals noch nicht, daß sie für die folgenden Jahre unauslöslich in die Militärfliegerei einbezogen wird. Die Erprobung von Stukas, Bombern, Jagdmaschinen usw. wird für sie eine patriotische Aufgabe, die sie als größere Ehre empfindet als Titel und Auszeichnungen. Doch auch hier spürt sie zunächst wieder die schlecht verhohlene Ablehnung des "stärkeren Geschlechts". Nicht nur wegen ihres überlegenen Könnens, sondern seltsamerweise auch wegen ihres selbstlosen Idealismus. Wer ihr heute vorwerfen möchte, daß sie damit zur "Vorbereitung eines Angriffskrieges" beitrug, sollte ihre eigenen Worte beherzigen: "Wir jungen Menschen wollten den Frieden, aber den gerechten, der uns leben ließ. Das deutsche Volk wollte ihn, auch wenn es die Welt heute nicht mehr wahrhaben will. Ein Volk, das in der Mitte zwischen anderen Völkern einen engen Wohnraum hat und jetzt, nach den Jahren der Armut und Unsicherheit, wieder Brot sah und einen Aufstieg erlebte und wußte, daß in der Welt stets der Schwache bedroht sein wird, und weil es glaubte, wie alle ein Recht auf Schutz zu haben, sah es in der wehrmässigen Erstarkung ein Erstarken seiner Kraft und die Möglichkeit, den Frieden zu wahren. Welches andere Volk in der Welt hätte dabei nicht berechtigten Stolz empfunden?" ... 'Wenn Du den Frieden willst, sei für den Krieg vorbereitet' "So sah ich sie, ohne daß ich an dieses Wort der Römer gedacht hätte: die Stukas, die Bomber, die Jäger - Wächter vor den Toren des Friedens. Und so flog ich sie, jeden Flug mit dem Gefühl, mit meiner Vorsicht und Zuverlässigkeit jene zu schützen, die nach mir als Piloten in der Kanzel sitzen würden, und daß wiederum jeder einzelne von ihnen allein durch sein Dasein jenes Land schützen würde, das ich eben im Flug unter mir sah: Land mit Äckern und Feldern, mit Bergen und Hügeln, Wäldern und Wassern. Land, das es auf der Erde vielleicht großartiger gab und doch nur dieses eine für mich, weil es
meine Heimat war. War es nicht wert, dafür zu fliegen?" So mußten sich auch in Rechlin jene, denen "Weiber" ein Greuel waren, an ihr Wirken gewöhnen. Leistung imponierte letztlich immer. Bei den exotischen, unter dem Reklamewort KISUAHELI stattfindenden Festlichkeiten im Februar 1938 in Berlin stand auch Hannas Name als letzte Nummer auf den Plakaten: "Hanna Reitsch fliegt den Hubschrauber." Vor diesem grellen Hintergrund, inmitten von allerhand Varieteevorstellungen schien manchem ihr Auftreten eines Flugkapitäns unwürdig zu sein. Doch es handelte sich dabei - die Idee kam von Udet - um eine sehr ernsthafte Angelegenheit. Zum ersten Mal in der Welt sollte in der Deutschlandhalle ein Hubschrauber vorgeführt und gezeigt werden, daß diese Lösung von Deutschen gefunden worden war (entwickelt von Professor Focke in Bremen). Nach den ersten, von Karl Franke aus Rechlin und Hanna durchgeführten Versuchsflügen mit dem noch gänzlich unbekannten Hubschrauber stattete der berühmte amerikanische Flieger Charles Lindbergh, bekannt durch seinen wagemutigen Transatlantiksoloflug, Deutschland einen Besuch ab. Dieser sympathische, schlicht-natürliche Mann nannte den ihm vorgeführten Hubschrauber sein bisher stärkstes technisch-fliegerisches Erlebnis. Vor ihrem Auftritt treten noch einmal alle Widersacher gegen diese "billige Revue" auf den Plan. Auch Hannas Eltern sind zunächst ehrlich entsetzt, daß ihre Tochter in einem Milieu von Clowns, Fakiren und Seiltänzern erscheinen soll. Aber der Gedanke, durch ihren Flug mit dem Hubschrauber, den Namen DEUTSCHLAND groß auf dem Rumpf, das Ansehen ihres Landes zu heben, läßt sie ihre Abneigung überwinden. "Denn meine Eltern liebten Deutschland mit der Innigkeit von Menschen, die - der Welt gegenüber großzügig in Auffassung und Geist - in der Heimat den Widerhall ihres eigenen Herzens fanden und ihr zugetan waren, wie Kinder es natürlicherweise Vater und Mutter gegenüber sind. Der Dienst an diesem Vaterland war ihnen deshalb eine so hohe Pflicht, daß sie ihn ganz in den Vordergrund stellten. Diese Einstellung gab den Ausschlag." Die Berliner sind anfangs - nach den Schlagworten der Reklame von "300 Sachen" - vom langsamen Hubschrauber enttäuscht. Doch die Erregung und Bewunderung aller Fachleute pflanzt sich schließlich auch auf das breite Publikum fort. Zudem gibt es ein erfreuliches Echo in der Presse aus aller Welt. "So wurde die Vorführung des Hubschraubers zuletzt doch noch, was sie hatte werden sollen: Ein Lob deutschen Geistes und deutscher Technik. Der Flug in der Deutschlandhalle war eine geschichtliche Festlegung des Anspruchs auf ein Erstrecht." Flüge in Amerika und Nordafrika August 1938. International Air Races in Cleveland, Ohio. Ernst Udet, der die Amerikaner schon bei früheren Veranstaltungen mit seinem Können begeisterte, soll wieder dabei sein. Doch er ist dienstlich verhindert und schlägt daher seinen amerikanischen Freunden vor, an seiner Stelle Hanna Reitsch herüberzuholen. Neben Hanna gehen noch zwei deutsche Fliegerkameraden, Graf Hagenburg und Emil Kropf mit nach Amerika. Wie so viele Bekannte sind auch Hannas Eltern besorgt, daß ihre Tochter als Europäerin in diesem wesensfremden Land Schwierigkeiten haben wird. Nur Ernst Udet ist anderer Meinung. Mit seinem Humor und seiner Ursprünglichkeit, neben seinem als früherer
Kunstflieger ausgesprochenen Sinn für "publicity" , hatte er sich bei den sportbegeisterten Amerikanern immer wie zu Hause gefühlt. Auch Hanna ist von dem Erlebten und der Freundlichkeit der Amerikaner beeindruckt. (Was sie, wie jeder Kurzbesucher nicht wissen kann, ist, daß amerikanischer Beifall und Ekstase zumeist Eintagsangelegenheiten sind). Den amerikanischen Humor erlebt sie schon in den ersten Tagen ihres Aufenthalts, als den deutschen Fliegern zu Ehren ein Empfang in New York gegeben wird. Da Hanna von den drei Deutschen das beste Englisch spricht, fällt ihr die Rolle zu, sich für all die Reden und Trinksprüche zu bedanken. In ihrer lebhaften Art sprudelt sie ihre Begeisterung für Amerika heraus. Sie kommt mehr und mehr in Fluß und endet zuletzt mit einem bei ihrer Ankunft von den Hafenarbeitern immer wieder gehörten Wort: "What the hell goes on..." Die Wirkung ist wie eine Bombe. Donnerndes Lachen und rasender Beifall! Denn was sie nicht wußte - dieser Ausspruch war einfach nicht "ladylike"! Bei den "Air Races" findet ein für die deutsche Mannschaft beinahe tödlicher Unfall statt. Graf Hagenburg, ein vorzüglicher Kunstflieger, wird beim Rückenflug in Bodennähe plötzlich durch eine Böe nach unten gedrückt. Die Maschine überschlägt sich beim Aufprall in einer Riesenstaubwolke. Atemlose Stille, die Musik bricht ab, Fahnen gehen auf Halbmast. Doch den Trümmern entsteigt plötzlich - Graf Hagenburg. Er läßt seine Verletzungen von Sanitätern verbinden, steigt in eine andere Maschine und fliegt weiter (wie Frh. v. Wangenheim bei der Olympiade 1936 in Berlin trotz Schlüsselbeinbruch weiterritt und damit den Sieg der deutschen Military-Mannschaft sicherte!). Graf Hagenburg ist mit einem Schlag der populärste Mann der Veranstaltung. Nichts hätte größere Bewunderung hervorrufen können. Nach dem Zielabspringen mit Fallschirmen muß Hanna zum Schluß der Veranstaltungen den von Hans Jacobs konstruierten "Habicht" vorführen, das ein Segelflugzeug, mit dem man Kunstflüge ausführen kann. Es war nicht einfach, nach dem Donnern und Heulen der Motoren auf dem Abstellen aller störenden Geräusche zu bestehen. Denn der lautlose Segelflug kann in seiner Schönheit nur in Abwesenheit allen ablenkenden Lärms empfunden werden. Einen größeren Gegensatz als den zwischen dem lautlosen Flug des schimmernden schlanken Vogels und dem vorhergegangenen Dröhnen der Hochleistungsmotoren konnte es nicht geben. Hanna fliegt alle nur möglichen Kunstflugfiguren und landet schließlich mitten im Zielkreis unter dem tosenden Jubel der Menge. Alle folgenden Einladungen des gastlichen Landes müssen abgesagt werden, da die deutsche Mannschaft wegen der Krise in der Tschechoslowakei telegraphisch zurückgerufen wird. Im Februar 1939 startet abermals eine Segelflugexpedition unter Prof. Georgii. Diesmal geht es in das italienische Nordafrika. Die Expedition hat strenges Verbot, in die Wüste zu fliegen. Die Teilnehmer müssen sich an die alten Karawanenstraßen halten. Aber es bleibt nicht aus, daß sie den Saum der Wüste streifen. Hanna ist fasziniert von der Unendlichkeit des Sandmeeres unter ihr. Einmal bekommt sie den Auftrag, eine der mitgeführten Motormaschinen nach Garian zu verlegen, einem westlich Tripolis in Richtung Tunis gelegenen Ort. Beim Start ist der heiße afrikanische Himmel wolkenlos. Stundenlang genießt sie beim monotonen Summen des Motors die wie tote, flimmernde weiße Fläche unter ihr. Noch immer kein Wölkchen am Himmel. Da, wie urplötzlich ein grelles Fanal am Himmel, der sich in Minutenschnelle schwefelgelb färbt. Fast im gleichen Augenblick setzt der Sturm ein. Die Wüste ist in Aufruhr. Sturmfluten von Sand werden hochgejagt, greifen nach dem Motor und dem Gesicht des Piloten. Bald sind
Nase, Ohren und Augen mit feinem Flugsand verstopft. Der Motor fängt an zu stottern, und plötzlich streikt er ganz. Im Gleitflug geht es inmitten der wirbelnden Sandmassen nach unten. Zu Hannas Glück auf einen Platz, der nicht mehr weit von Garian entfernt ist. Am nächsten Tag herrscht wieder Stille. Auch die anderen Maschinen und Transportwagen treffen ein. Über der Wüste dehnt sich wie zuvor der seidenblaue Himmel. Ihr für eine Frau bedenklichstes Abenteuer erlebt sie nach einem mehrstündigen Segelflug in Buerat el Sun, wo sie von der Dunkelheit überrascht wird. Zwei plötzlich auftauchende Karabinieri bieten ihr Schutz in einer nahen Steinhütte an. Zunächst beobachten die beiden mit südländischem Charme die einer Dame gegenüber angebrachten Formen. Aber mit dem Fortschreiten der Nacht nimmt das italienische Temperament zunehmend Überhand über die männliche Ritterlichkeit. Hanna muß ihre bei ihren Flügen so oft erprobte Geistesgegenwart einsetzen. Ihr ständiger Redestrom, ein Gemisch aus italienischen, französischen und lateinischen Brocken, vermag nicht länger die immer deutlicher werdenden Aggressionsgelüste der beiden Männer abzuwehren. Nun erzählt sie ihnen, daß sie zu Marschall Balbo weiterfliegen muß. Sie lobt ihr vorbildliches Betragen und verspricht, es bei Balbo vorzubringen. Sicherlich wird er sie dafür mit einem Orden beehren. Das Zauberwort "Orden" versetzt die Italiener in Entzücken. Sie benehmen sich wieder mustergültig, und Hanna ist durch diese kleine Notlüge gerettet. Zwischen 1937 und 1939 stellt Hanna einen Streckenweltrekord von der Wasserkuppe nach Hamburg, einen Weltrekord im Zielflug mit Rückkehr zum Startplatz von Darmstadt zur Wasserkuppe und zurück auf. Daneben wird sie als einzige weibliche Teilnehmerin Sieger beim großen Zielstreckensegel- flugwettbewerb von Westerland auf Sylt nach Breslau. Und im Juli 1939 fliegt sie einen Weltrekord im Zielflug von Magdeburg nach Stettin.
Proben mit dem Lastensegler Nach den Versuchen mit den Sturzflugbremsen geht das Institut nun daran, sich mit der Konstruktion eines Großsegelflugzeuges zu befassen. Die Idee des Lastenseglers wird geboren. Das erste Großsegelflugzeug wird im Schleppflug hinter einer dreimotorigen Ju 52 erprobt. Hanna ist am Steuer. Es stellt sich heraus, daß der völlig geräuschlose Lastensegler sich auch im steilen Sturz bewährt. Da er in der Lage ist, Menschen und Material zu befördern, gewinnt er mit diesen Eigenschaften auch militärische Bedeutung. Die sich ergebenden vielseitigen Möglichkeiten erwecken das Interesse der deutschen Luftwaffenführung. Bei der Vorführung vor der Generalität sind u.a. Udet, Kesselring, Ritter v. Greim und Milch zugegen. Mit einer kriegsmäßig ausgerüsteten Gruppe Infanterie läßt Hanna sich auf eine Höhe von 1,000 m schleppen. Dann stürzt sie im Steilflug nach unten, landet zwischen den Büschen hinter der Generalität, während die Soldaten aus dem Segler springen und sofort in Stellung gehen. Die Generale sind hingerissen. Wie ein Mann bestehen sie darauf, diesen Sturzflug sofort zu wiederholen. Diesmal mit den hohen Herren daselbst als Besatzung! Hanna schlägt bei diesem Ansinnen und dieser Verantwortung das Herz zum Halse heraus. Doch ihre Einsprüche werden beiseite geschoben. Auch dieser zweite Flug klappt ohne Zwischenfälle. Nur die Fallschirmtruppe ist von der neuen Konkurrenz wenig begeistert. Bei einem "Wettbewerb" zwischen Lastenseglern und Fallschirmjägern, die beide ein bestimmtes Ziel
anzusteuern haben, erweisen sich die Lastensegler als eindeutig überlegen. Sie landen genau am Ziel, und ihre Mannschaften sind im Nu einsatzbereit. Die Fallschirmjäger dagegen werden an diesem sehr windigen Tag teilweise weit vom Ziel abgetrieben. Der erste Kriegseinsatz der Lastensegler erfolgte bekanntlich gleich zu Beginn des Frankreichfeldzugs. Mit ihrer Hilfe wurde das bis dahin als uneinnehmbar geltende belgische Fort Eben Emael ohne nennenswerte Verluste erstürmt. Nur die besten Segelflieger werden als Piloten der Lastensegler ausgewählt. Ihr Gefreitendienstsgrad entspricht allerdings keineswegs ihren Fähigkeiten. Ihre Vorgesetzten können zwar auf ihren Rang pochen, haben aber so viel wie keine Ahnung vom Segelfliegen. Die Piloten sind tief deprimiert, weil ihre Forderung nach den notwendigen Übungsflügen für künftige Einsätze glatt abgewiesen wird. Sie wissen, daß dieses Versäumnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu katastrophalen Folgen führen wird. In ihrer Verzweiflung wenden sie sich an Hanna Reitsch. Hanna zerbricht sich den Kopf darüber wie sie, eine Frau, in der militärischen Hierarchie etwas für ihre Kameraden bewirken kann. Ein Brief an General v. Richthofen bleibt erfolglos. Auch bei weiteren Vorstößen läuft sie wie gegen eine Mauer. Doch das drohende Schicksal ihrer Kameraden, die Gefahr von Fehlschlägen mit hohen Verlusten wegen ungenügender Vorbereitung, lassen sie nicht los. Endlich, sie hat schon fast die Hoffnung aufgegeben, gelingt durch einen Fürsprecher eine Besprechung mit General v. Greim. Er bewilligt einen großangelegten Probeeinsatz. Das befürchtete Ergebnis: Nur wenige Lastensegler erreichen das befohlene Ziel, und dazu noch um Stunden zu spät! In einem umfangreichen Trainingsprogramm, auch bei Nacht, können solche Pannen gerade noch rechtzeitig beseitigt werden. Hanna Reitsch schreibt dazu: "Daß ich eine Frau war, störte viele, denen das Privileg des Mannes wichtiger war als die Not der Stunde. Mir hat diese Einstellung viele Kämpfe eingebracht, und sie hätte auch die Erfüllung wichtigster Aufgaben oftmals verzögert, wenn nicht einige verantwortungsbewußte Männer wie Udet und Ritter v. Greim, denen die sachliche Aufgabe mehr galt als der Kampf der Geschlechter um den Vortritt, kraft ihres Amtes und ihrer militärischen Stellung meinen Einsatz durchgesetzt hätten. Ich selbst litt natürlich unter dieser Einstellung, jedoch hätte sie mich nie von der Erfüllung meiner Pflicht abbringen können. Und so sind die Jahre des Krieges, dessen Schrecken und Grauen sich mir unauslöschlich eingeprägt haben, für mich Jahre schwerer und ernstester Arbeit geworden." Und weiter, im Zusammenhang mit der gefährlichen Erprobung eines unbemannten Benzinträgers: "Diese Versuche kosteten aber nicht nur Überwindung der körperlichen Schwäche, von der ich angefallen wurde, sondern auch der Angst - häßlicher, primitiver Angst. Doch wenn sie mich überfiel, dann dachte ich an die Männer draußen und schämte mich, weniger bereit zu sein als sie." Eine neue Versuchsserie läuft an. Mit Hilfe von Seilen soll auf dem kleinsten Deck eines Kriegsschiffes gelandet werden. Die Versuche bleiben erfolglos und werden eingestellt. Es folgt ein sehr gefährliches Experiment: Das Kappen von Ballonseilen. Diese Drahtseile hatten den deutschen Maschinen über England manche Verluste beigebracht, indem sie die Tragflächen durchsägten. Hans Jacobs konstruiert einen die Motoren schützenden "Abweiser". Mit seiner Hilfe sollen die Seile abgedrängt und dann abgeschnitten werden. Hanna sagt dazu: "Diese Erprobungen hatten mich wie kaum eine Aufgabe zuvor innerlich erfüllt und mitgerissen; denn ich wußte, daß ich jeden Versuch für das Leben meiner Kameraden flog, die im Einsatz standen. Es war ein harter Kampf mit der Gefahr."
Bewundernswert, wie sie in diesen Tagen trotz heftiger Kopfschmerzen und Fieber dennoch weiter fliegt, bis sie mit Scharlach nach Berlin ins Virchow-Krankenhaus eingeliefert werden muß! Zum Scharlach gesellt sich Gelenkrheumatismus. Auch ihr Herz ist in Mitleidenschaft gezogen. Die Angst ergreift sie, nie wieder fliegen zu können. Doch es geht gut. Drei Monate später kann sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. Sofort nimmt sie die gewagten Anflüge wieder auf. Bei ihrem letzten Versuch, bei dem auch Udet zugegen ist, hat sich der Ballon quer zum Wind gestellt. Das Ergebnis ist, daß das Seil durch die Abtrift viel zu flach ansteht. Mit gemischten Gefühlen fliegt sie den Draht an. Und schon kracht es. Splitter des Metallpropellers fliegen in die Kabine. Sie hat Glück, daß der Motor nicht durch die Unwucht herausgerissen und damit unweigerlich den Absturz verursacht hätte. Ein Wettlauf mit dem Tod beginnt. Es gelingt ihr jedoch, ihre Do 17 im Gleitflug zu halten und nach unten zu bringen. In höchster Erregung erwarten die Beobachter die Detonation des Aufschlags. Udet begibt sich sofort in seinem Fieseler Storch zur vermeintlichen Bruchstelle. So bleich hatte Hanna ihn noch nie gesehen. Ohne ihr ein Wort zu sagen, fliegt er nach Berlin, wo er Hitler berichtet. Daraufhin erhält Hanna das Eiserne Kreuz 2. Klasse. Am 27. März 1941 wird Hanna von Göring in seinem Haus empfangen. In Anerkennung für ihre gefahrvollen Versuche überreicht er ihr das goldene Militärfliegerabzeichen mit Brillanten. Wegen ihrer geringen Körpergröße hatte Göring die Eintretende zuerst glatt übersehen, bis Udet ihn schmunzelnd darauf aufmerksam macht, daß der erwartete Gast schon vor ihm steht. "Wie? Das soll unser großer, berühmter Flugkapitän sein? Ist das alles? Wie können Sie kleine Person überhaupt fliegen?" Hanna ist etwas pikiert, aber keineswegs eingeschüchtert. Mit einem Arm Görings Körperfülle beschreibend, antwortet sie schlagfertig: "Ja, muß man denn dazu so aussehen?" Für einen Moment ist sie erschrocken über ihre impulsive Geste. Aber noch bevor sie sich erholt hat, gibt es ein großes Gelächter, in das auch Göring einstimmt. Am folgenden Tag wird sie von Hitler zur Verleihung des EK II in der Reichskanzlei empfangen. Hitler unterhält sich eingehend mit ihr über ihre Versuche, und Hanna ist beeindruckt von seiner höflichen Art und seinen Kenntnissen auf fliegerisch-technischem Gebiet. Die Anteilnahme des deutschen Volkes an dieser Auszeichnung ist überwältigend. Seit seiner Stiftung im Jahre 1813 war das EK II nur einmal einer Frau, der Krankenschwester Johanna Krüger, verliehen worden. "Meine Heimat Schlesien vergaß nicht, daß ich ihr Kind war... so erlebte ich es in diesen Tagen und fand darin ein tiefes Glück, das nur der verstehen kann, der sein Volk liebt... Die Dörfer hatten geflaggt, Menschen säumten die Straßen und warfen uns Blumen zu, standen an den Türen und grüßten, und noch vor Hirschberg mußten wir oftmals halten, um die Lieder der Schulkinder an- zuhören... Aus jedem und allem sprach Schlesiens Liebe! Aus den Kinderaugen, die uns entgegenleuchteten, aus den dankbaren Blicken greiser Männer und Frauen, die uns mit welken Händen zuwinkten, aus den Begeisterungsrufen der Jungen, den Blumen und Fahnen, die Hirschberg schmückten." Nach dem ersten Empfang berichtet sie weiter: "Der Jubel... bestätigte mir, daß es im deutschen Volk eine Liebe gab, deren Kraft aus Quellen stammt, welche die Vernunft nicht berechnen kann. Aus den Bergen, die hier auf uns niederschauten. Aus den Wiesen und Äckern, die sich vor der Stadt ausbreiteten. Es waren die Bilder, welche die Seele des einfachen Soldaten füllten, der vorn im Graben stand, es waren die Träume der Frauen und Mütter, welche die Entbehrungen des Krieges allein zu tragen hatten: es war Heimat!"
Im Ratsherrensaal wird ihr der Ehrenbürgerbrief der Stadt verliehen. "Es war nicht die Ehre, die mich an diesem Tag zutiefst bewegte, sondern die Verbundenheit mit meiner Heimat, deren Liebe mich umschloß... Sie würde mich, wenn ich nun zu meiner Arbeit zurückging, wie ein Kraftquell begleiten." Im Oktober 1942 fliegt Hanna für die Firma Messerschmidt in Augsburg die Me 163a und b, ein schwanzloses Flugzeug mit Raketenantrieb, das sich bewährt hat und als Einsatzmaschine weiterentwickelt werden soll. Die dem Raketenflugzeug zugedachte Aufgabe ist, feindliche Bomberpulks zu zersprengen, um den Abschuß zu erleichtern. Nach Abheben vom Boden erreichte die Rakete eine Geschwindigkeit von 400 km/St. Nach Abwurf des Fahrwerks in 8-10 m Höhe stieg die Geschwindigkeit in wenigen Sekunden auf 800 km. Bei einem Steigwinkel von 60-70° konnte die Maschine in 1 Minuten eine Höhe von 10,000 m erklimmen. Die Me 163 besaß zudem noch hervorragende Flugeigenschaften. Ihr großer Nachteil war, daß sie wegen des enorm hohen Brennstoffverbrauchs nur 5-6 Minuten in der Luft bleiben konnte. Eine weitere Komplikation ergab sich aus der sehr hohen Landegeschwindigkeit - nach verbrauchtem Brennstoff im Gleitflug bis zu 240 km! Heini Dittmar, der Einflieger dieser Maschine, hatte mit ihr die 1,000 km Grenze überschritten. Da Dittmar wegen einer Verletzung der Wirbelsäule im Krankenhaus gelandet war, fallen die weiteren Probeflüge Hanna Reitsch und einem Kameraden zu. Bei einem Probeflug ohne Triebwerk im Schlepp einer 2-motorigen Me 110 passiert es. Als Hanna in niedriger Höhe versucht, das Fahrwerk abzuwerfen, läuft plötzlich ein starkes Zittern und Brummen durch die ganze Maschine. Von unten rote Leuchtkugeln. Gefahr! Gleichzeitig Signale aus dem MG-Stand der vorausfliegenden Me 110. Etwas war mit ihrem Fahrwerk nicht in Ordnung. Der Pilot der Me 110 begreift sofort, daß sie schnell Höhe gewinnen muß. Er schleppt sie bis zur Wolkenbasis, wo sie in 3,500 m Höhe ausklinkt. Trotz waghalsiger Flugmanöver gelingt es ihr nicht, das leidige Fahrwerk abzuschütteln. Das Vibrieren in ihrer Maschine verstärkt sich. Aber sie verwirft den Gedanken, mit dem Fallschirm abzuspringen und die kostbare Maschine abschmieren zu lassen. Sie vertraut ihrem Stern und hofft, doch noch auf dem vorgesehenen Landeplatz aufsetzen zu können. Doch plötzlich sackt die Maschine durch und reagiert auf keine Steuermanöver mehr. Instinktiv duckt sie sich zusammen, als die Me mit hoher Fahrt auf einen Acker zusaust und sich krachend überschlägt. Sie hat noch die Kraft, das Kabinendach zu öffnen. Vorsichtig tastet sie ihr Gesicht ab. Wo vorher die Nase saß, ein breiter blutiger Spalt! Bei jedem Atemzug quellen Luft- und Blutblasen hervor. Als sie versucht, ihren Kopf seitwärts zu drehen, wird es ihr schwarz vor den Augen. Unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte geht sie daran, auf einem Notizblock Ursache und Verlauf des Sturzes festzuhalten. Es ist die Pflicht des Einfliegers, die beim Probeflug gemachten Erfahrungen nicht verloren gehen zu lassen. Erst jetzt verbindet sie ihr Gesicht mit einem Taschentuch, um den herbeieilenden Mannschaften dessen Anblick zu ersparen. Dann verliert sie das Bewußtsein. Die Röntgenaufnahmen im Krankenhaus zeigen einen vierfachen Schädelbasisbruch, zwei Gesichtsschädelbrüche, einen verschobenen Oberkiefer, eine Gehirnquetschung und die gespaltene Nase. Am nächsten Morgen kniet ihre Mutter an ihrem Bett. Die Ärzte betrachten ihren Zustand als sehr bedenklich, aber beim Anblick der geliebten Mutter fühlt sie sich geborgen.
Die folgenden Wochen und Monate zählen zu den qualvollsten ihres Lebens. Nicht wegen der Schmerzen, sondern weil sie hilflos liegen muß, während die Nachrichten von den Fronten sich laufend verschlechtern. Ohne ihre Mutter wäre sie verzweifelt. Über fünf Monate verbringt sie in diesem Lazarett. Und bei dem aufopfernden Bemühen der Ärzte und Schwestern, und nicht zuletzt dank der Liebe ihrer Mutter, kommt sie langsam, für sie viel zu langsam, wieder zu Kräften. Wenige Tage nach ihrem Absturz war ihr das EK I verliehen worden. Da sie um nichts in der Welt ihre Flugversuche aufgeben will, zwingt sie sich mit eiserner Energie, ihre heftigen Kopfschmerzen und Schwindelanfälle zu bekämpfen. Vorsichtig klettert sie auf das Hausdach. Sie muß sich am Schornstein festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Diese Übung wiederholt sie Tag für Tag. Anfangs ist sie von diesen Kletterpartien völlig erschöpft. Doch allmählich lassen die Schwindelgefühle nach, und vier Wochen später gelingt es ihr, schwindelfrei über den Dachfirst zu rutschen. Danach verlegt sie ihre Kletterübungen auf in der Nähe stehende Bäume wie sie es in ihren Kindertagen getan hatte. Eines Tages - die Ärzte dürfen auf keinen Fall davon erfahren überredet sie den Kommandeur der Luftkriegsschule Breslau-Schöngarten, sie eine Segelmaschine fliegen zu lassen. Mit diesem Erlebnis, das Herz voll Dankbarkeit, daß sie wieder Höhenluft schmecken kann, ist ihr das Leben neu geschenkt. Es dauert nicht lange, und sie fliegt wieder alle Kunstflugfiguren wie in alten Zeiten. "Denn mein Ziel war, in den Einsatz zurückzukehren. Die Ungewißheit über Deutschlands Schicksal wuchs täglich angesichts der immer schwächer werdenden deutschen Front und lag wie ein schwerer Druck auf mir. Die Gedanken bewegten mich Tag und Nacht. Ich hatte mich niemals mit strategischen oder politischen Fragen befaßt. Ich wollte nur bis zur letzten Stunde meiner Heimat helfen; denn ein verlorenen Krieg bedeutet für ein Volk furchtbares Unglück. Deshalb fragte ich auch nicht danach, ob die Überlegenheit des Gegners noch entscheidend zu schwächen war. Ich fragte mein Gewissen. Und nach meinem Gewissen handelte ich, wenn ich alles daran gesetzt hatte, wieder in den Einsatz zurückkehren zu können."
Mit Ritter von Greim in Rußland Nachdem sie mit ihren Probeflügen an der Heimatfront unentwegt im Einsatz gewesen war, wird sie von Generaloberst v. Greim gebeten, ihn an der Ostfront aufzusuchen. Von Greim ist im Mittelabschnitt als Flottenchef eingesetzt. Nach ihrer Gesundung hatte Hanna sich bei Göring zurückgemeldet. Er lädt sie in sein Haus auf dem Obersalzberg ein. Das Gespräch kommt bald auf das Raketenflugzeug und Hannas Absturz. Hanna ist entsetzt, daß Göring, in völliger Verkennung der wirklichen Lage, diesen Typ bereits in Serienherstellung wähnt. Er will damit die Terrorangriffe der Anglobomber zurückschlagen. Als Hanna ihn korrigiert, verläßt Göring zornig das Zimmer. Er wollte sich also lieber belügen lassen als den Realitäten ins Auge sehen! Zutiefst deprimiert in Anbetracht seiner offensichtlichen Unbedarftheit verläßt Hanna Görings Haus. Welch ein Unterschied zwischen dem zu Großmannssucht neigenden Göring und v. Greim! Von Greim ist wahrlich ein Ritter ohne Furcht und Tadel, hochverehrt von seinen Männern wie von seinen Offizieren. Er vereinigt in seiner Person Tapferkeit und Lauterkeit der Gesinnung. Von seinen Soldaten verlangt er nichts, was er nicht selber zu geben bereit ist. Er hätte nie jemand sinnlos in den Tod geschickt.
Im November 1943 trifft Hanna in v. Greims Hauptquartier in der Nähe von Orscha ein. Die Frontlage ist äußerst ernst. Von Greim hofft, die Moral seiner Truppen durch den Frontbesuch einer Frau zu stärken, die das Ehrenzeichen des Soldaten trägt. In der ersten Nacht liegt Hanna lange schlaflos unter dem Eindruck des unaufhörlichen Geschützdonners von der nahen Front. Im Morgengrauen des folgenden Tages fliegt sie mit v. Greim in einem Fieseler Storch zu seinen in vorderster Linie eingesetzten Flakbatterien. Ein sowjetischer Angriff steht bevor. Bei eisiger Kälte erlebt Hanna den Krieg unmittelbar aus der Sicht des deutschen Russlandkämpfers. In einem Panzerwagen geht es von der Landestelle bis dicht an die HKL. Gerade haben sie ihr Ziel erreicht, als das Trommelfeuer der Sowjets einsetzt. Die Einschläge der russischen Granaten brüllen, die eigene Flak mischt sich in den ohrenbetäubenden Lärm. Sowjetische Schlachtflieger stoßen auf die deutschen Gräben mit Bomben und Bordwaffen. Dazwischen das Schreien von Verwundeten. Hanna scheint es, daß keiner hier lebend herauskommen kann. Die Angst würgt sie. Doch der Gedanke an die Soldaten, die dies alles fast täglich miterleben müssen, läßt sie ihre Angst überwinden. Der Angriff der Sowjets wird abgeschlagen. Während der anschließenden Feuerpause hilft Hanna die Verwundeten betreuen. Zu den benachbarten Flakstellungen will man Hanna nicht mehr mitnehmen. Doch sie liest in den Augen der Männer, was ihre Gegenwart ihnen gegeben hat. Sie besteht darauf, trotz der Gefahren mitzugehen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und so kann sie bald, von einem Unteroffizier unterwiesen, die Art der Artilleriegeräusche, Abschüsse, das Heranheulen der Granaten, dann naher und entfernter Einschläge unterscheiden und sich danach verhalten. Unauslöschlich ist für sie das Zusammensein mit ihren "Frontkameraden", die ihr ihre Sorgen und Hoffnungen mitteilen. Wie gern hätte sie ihnen einen Hoffnungsschimmer gegeben! Aber es widerstrebt ihr, die Propagandaparolen aus der Heimat zu wiederholen, die mehr und mehr die Wirklichkeit verkennen. Sie versucht, das rechte Wort über den Sinn des Ausharrens zu finden. Auch das englische Volk hatte nach Dünkirchen nicht verzweifelt (Und noch weniger Stalin nach den schweren Niederlagen im Sommer 1941), sondern den Kampf mit um so größerer Entschlossenheit weitergeführt. "Drei Wochen war ich fast täglich zu Besuch bei den im Kampf stehenden Verbänden mit dem Fieseler Storch. Überall wohin ich kam, erlebte ich die Freude einer inneren Verbundenheit, wie sie in gemeinsamer Not entsteht. Die Flüge unter grauem Himmel über weite, mit Partisanen besetzte Strecken, die Gespräche und das Zusammensein in primitivsten Unterkünften und Erdlöchern, der Händedruck, den ich von dem Landser erhielt, - dies alles verdichtete sich von Tag zu Tag zu einem einmaligen Erlebnis, dessen Aussergewöhnlichkeit ich gerade als Frau empfand."
Der Plan zum Selbstopfereinsatz Schon vor ihrem Russlandbesuch hatte Hanna nach ihrer Genesung im Haus der Flieger in Berlin eine Unterredung mit zwei alten Freunden. Das Gespräch der drei ergab sich aus den Sorgen um die Zukunft Deutschlands. Sie wußten, daß die Zeit nicht Deutschlands Verbündeter war - daß, als die Fronten ständig zurückwichen und eine deutsche Stadt nach der andern in Schutt und Asche sank, etwas geschehen müsse, um die drohende Vernichtung des Reiches zu verhindern. Der Morgenthauplan war bekannt geworden. Diese und zahlreiche andere junge Menschen waren willens, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dieses für jeden Patrioten entsetzliche Verhängnis zu verhindern. Aber was konnten sie tun?
Mit dieser Frage hatte Hanna sich schon monatelang auf ihrem Krankenbett befaßt. Es war erstaunlich, daß ihre Kameraden etwa zu der gleichen Erkenntnis gekommen waren wie sie. "Deutschland war nach unserer damaligen Meinung aus einer ausweglosen Situation nur dann zu retten, wenn es gelingen würde, eine günstige Verhandlungsbasis für ein schnelles Kriegsende dadurch zu schaffen, daß man die wichtigsten Schlüsselpositionen des Gegners und die Zentren seiner Widerstandskraft in schnell aufeinander folgenden Schlägen unter Schonung der feindlichen Zivilbevölkerung (im Gegensatz zu den Methoden unserer Gegner! d. Hsg.) zerstörte. In Frage kamen u.a. große Elektrizitätsanlagen, Wasserkraftwerke, wichtigste Produktionsstätten und, im Falle einer Invasion, Schiffseinheiten. "Unsere Überlegungen sagten uns, daß das nur zu erreichen war, wenn sich Menschen fanden, die bereit waren, sich mit einem technisch geeigneten Mittel auf das Punktziel zu stürzen, um es in seinem Zentrum zu treffen und damit jede Ausbesserung und Wiederinstandsetzung unmöglich zu machen. Bei einem solchen Einsatz würde es keine Chance für das eigene Leben geben. ...Der Selbstopfereinsatz verlangte Menschen, die bereit waren, sich selbst zu opfern in der klaren Überzeugung, daß kein anderes Mittel mehr Rettung bringen konnte. "Mit falschem Idealismus hatte diese Einstellung nichts zu tun; denn sie war nicht allein eine Frage der inneren Bereitschaft, sondern zugleich auch der nüchternsten Berechnung. Der Gedanke durfte nur dann verwirklicht werden, ... wenn erwiesenermaßen eine Waffe vorhanden war, die den Erfolg garantierte. Es hätte der Idee dieses Einsatzes widersprochen, wenn nur ein einziges Menschenleben leichtfertig und sinnlos aufs Spiel gesetzt worden wäre." Von den japanischen Kamikazefliegern ist den Deutschen zu dieser Zeit noch nichts bekannt. Zu Hannas Erstaunen gibt es in Deutschland inzwischen zahlreiche Menschen, die von ähnlichen Gedanken bewegt sind. Keine hirnlosen Fanatiker, sondern durchweg glückliche, kerngesunde Menschen, die jedoch davon überzeugt sind, daß nur durch ihr Opfer Land, Frauen und Kinder gerettet werden können. Sie sind überzeugt, daß eine solche Selbstopferung, selbst wenn sie das Leben von Hunderten fordern würde, Hunderttausende, wenn nicht Millionen unserer Soldaten und der dem Terror alliierter Bomber und der Roten Armee ausgesetzten Zivilbevölkerung das Leben retten könnte. Nach gründlichem Durchsprechen mit Wissenschaftlern und Technikern der Akademie der Luftfahrtforschung wird dieser Plan grundsätzlich für durchführbar mit guten Erfolgschancen befunden. Als Zielbombe soll eine bemannte Gleitbombe dienen, und zwar die Me 328, eine schon vorhandene Konstruktion. Als Alternative ist die V 1 vorgesehen. Um den Auftrag zur Entwicklung dieser Waffen zu erlangen, ist es notwendig, bis zur höchsten Spitze zu gehen und Hitler selbst für ihren Plan zu gewinnen. Keiner ihrer Kameraden hat mit diesem Vorhaben Glück. Ein Zufall kommt ihnen zu Hilfe. Ende Februar 1944 wird Hanna auf den Berghof gerufen, um aus Hitlers eigener Hand nachträglich eine besondere Urkunde zur Verleihung des EK I zu empfangen. Nur Hitlers Luftwaffenadjutant, Oberst v. Below, ist bei ihrem Gespräch zugegen. Es nimmt einen dramatischen Verlauf. Hitler lehnt zunächst die Idee des Selbstopfers rundweg ab. Zu ihrem Befremden vernimmt Hanna, daß er die militärische und politische Lage Deutschlands in einem viel zu rosigen Licht sieht. Die vielen geschichtlichen Parallelen, die er in einem
langen Monolog zu diesem Thema anführt, erscheinen ihr keineswegs stichhaltig. Sie wendet ein, daß die gegenwärtige Lage Deutschlands mit diesen Beispielen nicht vergleichbar ist. Nun versucht Hitler, sie mit seinen Plänen für den Großeinsatz von Spezial-Düsenbombern zu beeindrucken. Erschrocken hört Hanna seinen Wunschträumen zu. Hitlers Autorität vergessend, unterbricht sie ihn plötzlich vehement mit der Bemerkung: "Mein Führer, Sie sprechen von den Enkeln eines Embryo!" Oberst v. Belows Gesicht ist wie erstarrt. Seines Wissens hatte es noch niemand gewagt, Hitler so schroff zu widersprechen. In genauer Kenntnis dieser noch in der Entwicklung steckenden Maschinen hatte Hanna seine Vision zerstört. Hitler ist verärgert, bleibt aber höflich. Trotz der gereizten Stimmung kommt Hanna mutig auf ihr Anliegen zurück. Schließlich gibt Hitler ihr zu verstehen, er wolle ihren Plan im Auge behalten, aber im Augenblick noch keine Entscheidung treffen. Die weiteren Planungen liegen in der Hand des Chefs des Generalstabes der Luftwaffe, General Korten. Die Me 328 soll als bemannte Gleitbombe ohne Triebwerk verwendet werden. Zu diesem Zweck muß dieser Einsitzer im Huckepackschlepp auf der Tragfläche des Bombers Do 17 auf die vorgesehene Höhe getragen werden. Der Pilot muß sodann entkuppeln und die Maschine im Gleitflug dem angestrebten Ziel zusteuern. Es bleibt jedoch bei den im April 1944 abgeschlossenen Versuchen. Aus unerklärlichen Gründen (Sabotage? der Hsg.) wird die Produktion nicht aufgenommen. Keine einzige Maschine wird jemals einsatzbereit! Als Zweitlösung bleibt ihnen noch die V 1. Doch wer soll in der Lage sein, die Arbeit mit dieser Waffe vorwärtszutreiben? Die Hilfe kommt unerwartet durch den Mussolinibefreier Otto Skorzeny. Dieser Hüne mit den warmen freundlichen Augen, gepaart mit bewiesener Unerschrockenheit und männlicher Härte, kommt direkt von Himmler. Der Gedanke der Verwendung der V 1 war ihm unabhängig von Hanna Reitsch und ihren Kameraden gekommen. In den Weg tretende Hindernisse und Bedenken fegt er einfach mit der Behauptung hinweg, daß er mit allen Vollmachten ausgestattet sei und Hitler laufend zu berichten habe. Durch seine ans Abenteuerliche grenzenden Manöver gelingt es den zur Verfügung stehenden Konstrukteuren und Ingenieuren, die V 1 in wenigen Tagen für den geplanten Zweck umzukonstruieren. Die neue Waffe wird streng geheim gehalten und läuft unter dem Decknamen "Reichenberg". Hanna stellt sich sofort zur Erprobung zur Verfügung. Doch Rechlin besteht darauf, diese mit eigenen Piloten durchzuführen. Zusammen mit Otto Skorzeny wohnt Hanna den ersten Versuchen bei. Zwei der Piloten verunglücken, zum Glück nicht tödlich. Danach übernehmen Hanna und Heinz Kensche vom Reichsluftfahrtministerium die weiteren Versuche. Nach zehn gelungenen Flügen löst sich bei einer erreichten Geschwindigkeit von 850 km ein im Rumpf verzerrter Sandsack, der das Höhenruder blockiert. Nur einer virtuosen Fliegerin wie Hanna Reitsch ist es möglich, durch besondere Kniffe beim Landen mehr oder minder heil aus der zersplitterten Maschine auszusteigen. Ein andermal wird ein mit Wasser gefüllter Tank zur Erreichung voller Last eingebaut. Auch diesmal hat sie unverschämtes Glück. Das Wasser, das unbedingt vor der Landung abgelassen werden mußte (der Pilot hätte sich andernfalls beim Aufprall das Rückgrat verletzt), war beim Höhenflug überfroren, die Tanköffnung vereist. Nach verzweifelten Anstrengungen gelingt es ihr in letzter Minute, schon dicht über dem Boden, den Hahn zu öffnen und den größten Teil des Wassers abzulassen.
Die V 1 hatte, von der schwierigen Landung abgesehen, ausgezeichnete Flugeigenschaften. Sie hätte von durchschnittlichen Piloten geflogen werden können. Doch die Zeit war über die Entwicklungs- und Erprobungsarbeit hinweggerollt. Die Invasion hatte begonnen. Weder die Me 328 noch die bemannte V 1 kamen jemals zum Einsatz. Der Heroismus der zum Selbstopfer bereiten Freiwilligen konnte das Schicksal nicht mehr wenden. Es war zu spät. Im Oktober 1944 wird Hanna auf dem Wege zum Luftschutzbunker bei einem Bombenangriff auf Berlin verwundet. Wieder einmal ist sie ans Krankenbett gefesselt, diesmal im Luftwaffenlazarett des Flakbunkers am Zoo. Heimlich, als Arzt und Krankenschwester sie auf einem "Genesungsspaziergang" im Garten vermuten, entwischt sie, um zu einem abgestürzten Einfliegerkameraden zu fliegen. Nach ihrer Rückkehr wird ihr verboten, das Lazarett zu verlassen. Immer vorausdenkend, beschäftigt sie sich nun mit einem Problem, das sie zusehends mit Sorgen erfüllt. Wegen einer Beinamputation liegt gerade Oberst Rudel im selben Lazarett. Mit ihm bespricht sie, wie man sich als Flieger in dem immer mehr in Qualm und Feuer eingehüllten Berlin orientieren könne. Die Stadt wird aller Wahrscheinlichkeit nach noch härtere Prüfungen über sich ergehen lassen müssen. Verwundete müssen abtransportiert, Sonderaufträge geflogen werden. Als Peilmarke scheint ihnen der Flakturm auf dem Zoobunker auch bei schwierigster Sicht am geeignetsten. Nach ihrer Entlassung aus dem Lazarett macht Hanna es sich sofort zur Aufgabe, bei jedem Wetter in ganz niedriger Höhe von weit sichtbaren Anhaltspunkten am Rand der Stadt aus den Flakturm anzufliegen. Von diesen Punkten aus prägt sie sich genau den Kompaßkurs in Richtung Zoobunker ein. Sie kann damals nicht ahnen, wie wichtig sich nur drei Monate später diese Orientierungsflüge erweisen sollen. Ende Februar 1945 fliegt sie noch einmal, entgegen Hitlers ausdrückliches Verbot, in wahren Heckensprüngen in einem Fieseler Storch in das von den Sowjets eingeschlossene Breslau. Schmerzerfüllt erlebt sie das ganze Leiden ihrer im Endkampf gegen die rote Sturmflut stehenden Heimat. Auf dem Rückflug über Hirschberg erreicht sie ein Funkspruch, der sie nach München ruft. Im Raum Kitzbühel soll sie Notlandeplätze für Verwundetentransporte erkunden. Einen Tag darf sie bei ihrer inzwischen nach Salzburg evakuierten Familie verbringen.
Mit Sonderauftrag nach Berlin Am 25. April erhält Hanna die Nachricht, daß sie sich dem Generaloberst v. Greim für einen Sonderauftrag zur Verfügung stellen soll. Von Greim war durch Funkspruch befohlen worden, sich in der Reichskanzlei in dem inzwischen völlig eingeschlossenen Berlin bei Hitler zu melden. Von Greim fragt zuerst Hannas Eltern um ihre Zustimmung. In preußischer Pflichtauffassung geben sie diese ohne Zögern. Noch einmal sieht Hanna ihre lieben Eltern und die im Schutzkeller schlafenden Kinder. Eine Ju 188 bringt Hanna und v. Greim nach Rechlin, wo sie am frühen Morgen des 26. April eintreffen. Die Nachrichten sind schlecht. Nur ein einziger Flugplatz im Raum Berlin, Gatow, ist noch in deutscher Hand. Der für ihren tollkühnen Flug in die zerbombte, im Geschützfeuer der russischen Artillerie liegende Reichshauptstadt vorgesehene Hubschrauber ist bei einem Bombenangriff auf den Flugplatz Rechlin ausgefallen. Eine einsitzige FW 190, deren
Gepäckraum zu einem zweiten Sitz umgebaut war, muß für den Flug nach Gatow herhalten. Hanna, die die letzte Phase von Gatow zur Reichskanzlei fliegen soll, wird mit Hilfe von Kameraden in den hinteren Teil des Rumpfes eingefädelt. Während der 30-minutigen Flugzeit bis Gatow ist jederzeit mit einem Angriff sowjetischer Jäger zu rechnen, die den Luftraum über Berlin beherrschen. Doch der die Maschine steuernde Feldwebel hat schon manchen Einsatz nach Berlin hinter sich und kennt die Taktik der Russen. Ohne Zwischenfall bringt er sie bis dicht ans Ziel. Plötzlich stellt er die Maschine auf den Kopf. In ihrem dunklen Verlies glaubt Hanna, daß sie abgeschossen sind, als der Pilot in senkrechtem Sturzflug nach unten braust. Erst kurz über dem Flugplatz Gatow fängt er den Jäger zur Landung ab. Nach vielen vergeblichen Versuchen kann v. Greim endlich Verbindung zur Reichskanzlei aufnehmen. Ein Adjutant wiederholt, daß Hitler ihn in wichtiger Angelegenheit unbedingt sprechen muß. Zugleich teilt er ihm mit, daß alle Zufahrtstrassen in die Stadt und große Teile der Stadt selbst bereits in russischer Hand sind. Der Befehl erscheint nahezu unausführbar. Doch v. Greim fühlt sich verpflichtet, zu gehorchen. Er und Hanna beschließen, es mit einem Fieseler Storch zu wagen und am Brandenburger Tor zu landen. Der erste Storch fällt kurz vor dem Start durch einen Artillerietreffer aus. Der zweite und einzig verbliebene ist erst gegen 18 Uhr startklar. Von Greim besteht darauf, den Storch selbst zu steuern. Wie in dumpfer Vorahnung versucht Hanna noch vor dem Start, über v. Greims Schulter hinweg Gashebel und Steuerknüppel zu erreichen - für alle Fälle! Die Maschine fliegt in niedrigster Höhe. Unter ihnen wimmelt es von russischen Panzern und Soldaten. Ein mörderisches Feuer richtet sich auf die einsame deutsche Maschine. Einschläge rechts und links, bis es auf einmal furchtbar kracht. Zur selben Zeit leuchtet eine Flamme neben dem Motor auf. Von Greim ist getroffen. Ein Panzersprenggeschoß hat seinen rechten Fuß durchschlagen. Fast mechanisch ergreift Hanna von ihrem Sitz aus den Steuerknüppel und hält den Storch in Abwehrbewegungen. Von Greim hat momentan das Bewußtsein verloren. Benzin rinnt aus den Flächentanks. Jeden Moment kann die Maschine explodieren. Jedesmal, wenn er aus seiner Ohnmacht aufwacht, versucht v. Greim mit eiserner Energie inmitten der weiteren Einschläge, die Führung zu übernehmen. Jetzt werden Hannas frühere Trainingsflüge über Berlin ihre Rettung. Mit dem Kompaßkurs zum Flakbunker gewinnt sie die Ost-West-Achse mit der Siegessäule. Den Tank fast leer, setzt sie den Storch dicht vor dem Brandenburger Tor auf.
Die letzten Tage Am Eingang des Luftschutzbunkers der Reichskanzlei werden sie von SS-WACHEN empfangen. Sie schaffen den Generaloberst in den Operationsbunker zur ärztlichen Behandlung. Auf der Treppe zum zwei Stockwerke tiefer liegenden Führerbunker werden die beiden, v. Greim jetzt auf einer Tragbahre liegend, von Frau Goebbels begrüßt. Weinend schließt sie Hanna in ihre Arme. Im Führerbunker begrüßt Hitler sie mit fast tonloser Stimme. Sein Körper ist stark vornübergebeugt, die Arme zittern ununterbrochen. Sein Blick scheint gläsern. Die Riesenverantwortung bei den sich ständig steigernden Rückschlägen und Dr. Morells
Injektionen hatten offenbar ihr Werk getan. Jetzt erfahren sie, warum er v. Greim gerufen hatte. Er fühlt sich von Göring verraten und hat ihn von allen seinen Ämtern enthoben. Mit gleichzeitiger Beförderung zum Generalfeldmarschall soll v. Greim sein Nachfolger werden. Hanna blickt in das unbewegliche Gesicht des neuen Feldmarschalls, dessen Lippen vor Schmerzen zusammengepreßt sind. Ritter von Greim muß diese Ernennung wie ein Wahnbild erscheinen. Ein Luftwaffenbefehlshaber ohne Luftwaffe! Hanna versieht den Krankendienst bei v. Greim. Ihre freie Zeit widmet sie den Kindern der Familie Goebbels. Sechs schöne Kindergesichter im Alter von vier bis zwölf Jahren schauen der berühmten Fliegerin aus neugierigen Augen entgegen. Sie findet die Geschwisterliebe unter den Kleinen ergreifend und jedes einzelne entzückend "in seiner natürlichen, klugen und aufgeschlossenen Art." Hanna erzählt von ihren Flügen, lehrt sie Jodler und mehrstimmige Lieder. Das Krachen der Einschläge stört sie nicht. In ihrem, wohl vom Vater eingeprägten kindlichen Glauben meinen sie, der "Onkel Führer" werde die Feinde doch noch besiegen. "Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt," singt Hanna vor dem Schlafengehen mit den Kleinen. Und die bange Frage bewegt sie, ob sie noch einmal geweckt werden. Während draußen in den Straßen Berlins ein verzweifelter Kampf gegen eine entsetzliche Übermacht tobt, lebt der enge Kreis um Hitler in einer Traumwelt. Noch immer hofft man auf Rettung durch irgendein Wunder. Hanna und v. Greim, die mit den Realitäten des Todeskampfes des Reiches vertraut sind, fühlen sich von den Bunkereinsiedlern mit ihren Illusionen wie von einer fremden Welt getrennt. Die Wucht des sowjetischen Artilleriefeuers steigert sich von Stunde zu Stunde. Die Russen haben sich auf die Reichskanzlei eingeschossen. Unter dem Trommelfeuer erzittert der Bunker. Selbst in den untersten Räumen regnen Mörtel und Staub von Decken und Wänden. Am zweiten Abend ihres Aufenthalts im Bunker läßt Hitler Hanna in sein Arbeitszimmer rufen. Er scheint noch blasser und noch stärker in sich zusammengesunken als zuvor. Er erklärt ihr, daß er mit Eva Braun freiwillig aus dem Leben scheiden wird, wenn sich die Hoffnung auf den Entsatz Berlins durch General Wenk nicht erfüllt. Dann befiehlt er Hanna, v. Greim mit einer bereitgestellten Arado 96 aus Berlin zum Stabe von Großadmiral Dönitz nach Plön zu fliegen. Eine Rettung für sich selbst aus der sterbenden Stadt lehnt er ab. Im Krankenzimmer des Generalfeldmarschalls breitet er eine Karte aus. "Wenn es gelingt," sagt er, "durch einen Bombenangriff die (sowjetischen) Bereitstellungen auf den Zufahrtsstraßen zur Reichskanzlei zu vernichten, so können wir mindestens 24 Stunden Zeit gewinnen und dadurch General Wenk ermöglichen, noch rechtzeitig bis hierher vorzudringen..." Bis zuletzt läßt er sich seine Wunschbilder nicht durch die rauhe Wirklichkeit zerstören. Hanna und der sich mühsam auf Krücken haltende Feldmarschall werden von Oberst v. Below nach oben geleitet. Beißende Schwaden von Brand und Schwefel, gemischt mit Mörtelstaub, umgeben sie je höher sie steigen. Über der Voßstraße ist der Himmel ein einziges gelbrotes Flammenmeer. Durch das Heulen der Granaten und Krachen der Einschläge, über die Trümmer der Voßstraße hinweg, gelangen sie gegen alle Wahrscheinlichkeit bis zur Flugleitung an der Siegessäule, die noch in deutscher Hand ist.
Die Arado steht in einer Splitterbox. Wie durch ein Wunder ist es dem Piloten, demselben, der sie nach Gatow geflogen hatte, gelungen, sie in diesem wahnsinnigen Feuer zu landen. Eine fliegerische Meisterleistung! Zu dritt müssen sie in dem Zweisitzer starten. Nach letzten Meldungen sollen noch knapp 400 m frei von Bomben- und Granattrichtern sein. In einer kurzen Pause zwischen den ständig die Straße abtastenden Scheinwerferbündeln kann die Arado ungesehen vom Boden abheben. Doch schon am Brandenburger Tor ist sie von den Sowjets erkannt. Ein Hagel von Leuchtgeschossen greift nach der deutschen Maschine. Doch Hannas Glückstern verläßt sie auch diesmal nicht. Sie erreichen eine rettende Wolkenschicht. Dann ist der Himmel wieder mondhell und klar. Unter ihnen sehen sie die silbern glänzenden märkischen Seen und - in scharfem Kontrast zu diesem friedlichen Bild - den roten Schein brennender Dörfer. Von Rechlin fliegen sie nach einer kurzen Pause weiter zu Großadmiral Dönitz und von dort weiter nach Dobbin zu Feldmarschall Keitel, überall dicht am Boden, von Wald zu Wald, über Hecken und Zäune springend, um den feindlichen Jägern zu entgehen. In der Nacht vom 30. April hören sie von Hitlers Tod. Von Greim drängt, zu seinen Truppen zu kommen, die in Böhmen liegen. Doch als er in Königgrätz nach vier Tagen Bewußtlosigkeit mit hohem Fieber aufwacht, erreicht ihn die Nachricht von der bevorstehenden Kapitulation. Er ist noch bettlägerig im Lazarett Kitzbühel, als der Einmarsch der Amerikaner erfolgt. Den ihn gefangennehmenden Amerikanern ist der soldatische Ehrbegriff ein Fremdwort. Sie behandeln ihn in unwürdiger Weise. Generalfeldmarschall Ritter v. Greim, unerschrockener, aufrechter, untadeliger deutscher Offizier, wählt den Freitod. Hanna Reitsch bleibt 15 Monate lang als "high criminal person" Gefangene der Amerikaner, zum Teil unter brutaler Behandlung. Nichts mehr von den Freundlichkeiten aus dem Jahre 1938! Ihre Schuld war es, daß sie ihr Vaterland heiß geliebt und bis zum Letzten tapfer ihre Pflicht erfüllt hatte.
Nachwort Hanna Reitsch darf unter den verantwortungsvollsten und opfermutigsten Frauengestalten der deutschen Geschichte eingereiht werden. Von der Leidenschaft des Fliegens ausgehend, wurde sie in der Vorkriegszeit wie in den nachfolgenden harten Jahren des deutschen Schicksalskampfes ein mutiger und unermüdlicher Streiter für die Ehre und Freiheit ihres Landes. Ihr Opfer war nicht das einzige, das von deutschen Frauen in den bitteren Jahren des Krieges und danach gebracht wurde. Unvergessen sind das stille Heldentum der Frauen und Mütter auf der Flucht bei eisigem Wetter vor einem bestialischen Gegner, ihr tapferes Ausharren im Bombenhagel feindlicher Terrorgeschwader, oder ihre Leistungen bei der anschließenden Trümmerbeseitigung in den zerstörten deutschen Städten. Was Hanna Reitsch auszeichnete, war ihr Einsatz auf einem Gebiet, das bis dahin allein der Männerwelt vorbehalten war. Mit ihren wagemutigen Flügen und Versuchen im Dienste ihres Vaterlandes stellt sie einen Typus dar, der sich wesentlich von den Karrieredamen der liberalen Ära unterscheidet.
Ihr Leben war nicht Eigensucht , sondern Dienst an der Gemeinschaft. Nicht Glückstreben oder verbissener Prestige- und Gelderwerbskampf, sondern in höchstem Maße Erfüllung in bescheidener, selbstloser Pflicht.
Prince Eugen, der edle Ritter (von Armin Preuß) Er war klein von Gestalt, sein Gesicht eher häßlich als edel. Von seinem Herrscher, dem eitlen, schönheitsdürstigen Sonnenkönig, widerfuhr ihm statt wohlwollender Förderung nur Verachtung. Aber dieser "schwächliche Gnom" sollte einst als Retter des Abendlandes vor der Türkenflut aus dem Osten in das Album der großen Heroen und Staatsmänner der Geschichte eingehen als der "heimliche Kaiser des Reiches", wie Friedrich der Große ihn einmal genannt hat. Prinz Eugen von Savoyen wurde am 18. Oktober 1663 im Palais Soisson, einem Palast der Könige von Frankreich, geboren. Seine Mutter war die geistvolle Olympia Mancini, eine Nichte Mazarins, des allmächtigen Nachfolgers von Kardinal Richelieu. In ihrer Jugend war sie die Gespielin des fast gleichaltrigen Ludwig XIV. gewesen. Sie wurde auch seine erste Geliebte. Eine Meisterin im Wechselspiel der am Hof von Versailles gängigen Kabalen und Intrigen, wußte sie sich auch nach ihrer Vermählung mit dem Prinzen von Savoyen-Carignan die Gunst Ludwigs zu erhalten, der sie zur Obersthofmeisterin machte. Durch die Verstrickung in eine Giftmordaffäre verscherzte sich Olympia die Gunst des Königs. Als Eugen gerade 17 Jahre alt war, sah sie sich gezwungen, vermutlich mit stillschweigender Duldung Ludwigs, über Nacht in die Niederlande zu entfliehen. Eugen war der jüngste von fünf Söhnen. Wie beim in rauschenden Festen und Lustbarkeiten schwelgenden Hofe damals üblich, hat sich die Mutter um ihre Kinder wenig gekümmert. Liselotte von der Pfalz, die Schwägerin des Königs, berichtet, daß Eugen wie ein Gassenjunge herumgelaufen sei. Dem Brauch der Zeit entsprechend, war er als Jüngster für den geistlichen Stand bestimmt. Früh erhielt er den Titel "Abbe von Savoyen",` und neben der Tonsur mußte er sogar geistliche Kleider tragen. Für einen begabten jungen Mann, der schon als Kind von kriegerischem Ruhm träumte (in Adelskreisen seinerzeit die natürlichste Sache der Welt) und dessen Vorbild Alexander der Große war, eine unerträgliche Demütigung! An eine seinem Ehrgeiz entsprechende Karriere in französischen Diensten war für "Le Petit Abbe", wie Ludwig ihn geringschätzig nannte, nicht zu denken. Von seinem König zurückgestoßen, entschloß Eugen sich, zusammen mit einem Freund, Frankreich den Rücken zu kehren und in die Dienste Kaiser Leopolds I. zu treten, ein Entschluß, der ihm um so leichter fiel, als die Savoyischen Herzöge noch in einer Art Lehnsverhältnis zum deutschen Kaiser standen.
Es war damals unter der adligen Jugend Europas große Mode, sich "im Dienste der Christenheit" am Abwehrkampf gegen die türkische Bedrohung zu beteiligen. Doch Ludwig schätzte es nicht, daß seine Untertanen sich unter die Fahnen des Kaisers scharten. Er ließ die Rheingrenze für die Flüchtigen sperren und verbot bei Todesstrafe jegliche Hilfe beim Übersetzen über den Strom.
Die Flucht nach Wien Ludwigs Befehl kam zu spät. Mittellos, aber mit dem Vorzug erlauchten Geblütes, traf Eugen als 20-Jähriger in Wien ein. Durch die Fürsprache seiner beiden Vettern, Markgraf Hermann von Baden, damals Hofkriegsratspräsident, und dessen Bruder Ludwig von Baden, dem späteren "Türkenlouis", wurde der Kaiser bewogen, Eugen als Volontär in sein Heer aufzunehmen. Weder der Kaiser noch Eugen ahnten damals, daß mit diesem Schritt eine Sternstunde der deutschen Geschichte angebrochen war, und daß Prinz Eugen dem nächsten halben Jahrhundert seinen Stempel aufprägen würde. Ludwig hatte Frankreichs Chance verspielt. Dafür sollte Kaiser Leopold in Eugen den getreuesten und fähigsten Diener seines Reiches finden. In seinem Bewerbungsschreiben an den Kaiser führt der Prinz aus: "Ich versichere Euch, allergnädigster Kaiser, meiner unverbrüchlichen Treue, und daß ich all meine Kraft, all meinen Mut und notfalls meinen letzten Blutstropfen dem Dienst Eurer Kaiserlichen Majestät . . . widmen werde." Mit diesem Schwur, den Eugen bis zu seinem Tode gehalten hat, wurde nach Alfons von Czibulka, "die erste Seite jenes Bandes der Geschichte aufgeschlagen, den man ohne Übertreibung Österreichs Heldenzeitalter nennen darf." Schon bald sollte der junge Prinz zeigen, was in ihm steckte. Wegen seiner Tapferkeit vor dem die Tore Wiens belagernden Türkenheer überreicht ihm Herzog Karl von Lothringen, der Befreier Wiens, ein paar goldene Sporen. Eugen hatte überall, wo es am heißesten zuging, "wie ein gereizter Löwe" gekämpft. Und er faßte den festen Vorsatz, dereinst zu zeigen, "daß er wohl klein an Gestalt, aber groß an Seele und Geist, wohl schwächlich an Körperkraft, aber riesenhaft an Tapferkeit, wohl an Jahren fast noch ein Knabe, aber an Heldenmut ein ganzer Mann sei zum Wohle des Reiches deutscher Nation."
Mit 20 Jahren Regimentskommandeur Auf die Fürsprache des Lothringers sowie eines weiteren Vetters, des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern, wird Eugen mit 20 Jahren zum Oberst eines durch den Tod seines Kommandeurs freigewordenen Dragonerregiments ernannt. Schon bald machen die Savoydragoner durch eine Reihe ungewöhnlicher Waffentaten von sich reden, insbesondere durch des Prinzen Handstreich gegen das Berglager von Harsan. Gleich zu Anfang seiner militärischen Karriere beweist er seine Neigung zu unorthodoxer Kriegführung. Gegen alle Reiterregeln führt er seine abgesessenen Dragoner, immer vorn an der Spitze, zu Fuß gegen die feindlichen Schanzen. Die Flucht vom Versailles Ludwig XIV. zum Wiener Hof war für Eugen anfangs keineswegs ein glanzvoller Wechsel. Neben dem strahlenden Sonnenkönig wirkte der feinfühlige, gebildete und kindlich-fromme Leopold unbeholfen und "voller Zweifel an sich und der Welt". Der mit ewigen Finanznöten ringende Kaiser hatte sich neben der ständigen Bedrohung durch türkische Aggressionen gegen die brutalen Raubgelüste seines
französischen Nachbarn zu wehren. Die gemeinsamen Ambitionen von Türken und Franzosen hatten sich wie ein lebensbedrohender Würgegriff um das Herz Europas gelegt. Ähnlich wie im 30-jährigen Krieg war Deutschland in Gefahr, das Schachbrett zu werden, auf dem fremde Mächte ihr Spiel trieben. Eine gewaltige Zange, von Versailles und Stambul ausgehend, drohte das Habsburger Reich zu erdrücken.
Die Bedrohung von Versailles Über 200 Jahre war Österreich in einen Abwehrkampf gegen osmanische Welteroberungspläne verwickelt, wie auch vorher schon die deutschen Lande ein Bollwerk für Europa gegen die Stürme aus den Tiefen Asiens gewesen waren. In dieser für Deutschland und die Christenheit tödlichen Gefahr hatte Ludwig auf Drängen des Papstes Innozenz XI. die Bereitstellung eines Heeres gegen die Türken versprochen. In Wirklichkeit stachelte er jedoch durch Geld und Versprechungen bei der Hohen Pforte die Türken zum Angriff auf die kaiserlichen Erblande an. Statt dem Kaiser die versprochene Hilfe zu geben, wartete der "allerchristlichste König" sehnsüchtig auf die Eroberung Wiens durch den Großwesir Kara Mustapha. Der Fall Wiens wäre für ihn die Krönung seiner Raubpolitik am Rhein gewesen. Schon vorher hatte er sich das deutsche Elsaß einverleibt und Straßburg mitten im Frieden überfallen. Ludwig war ein verschlagener, mit allen Wassern gewaschener Politiker. Die berüchtigten, noch vom Westfälischen Frieden herrührenden und auf den fadenscheinigsten und verlogensten Argumenten beruhenden "Reunionskammern" mußten als Vorwand für seine unersättlichen Ansprüche herhalten. Die Niederlage des deutschen Kaisers im Kampf gegen die Türkenflut hätte ihm die Erfüllung seines Traumes gebracht: die römisch-deutsche Kaiserkrone! Der friedliebende, den Künsten und Wissenschaften und vor allem der Musik ergebene Leopold war diesem rücksichtslos ehrgeizigen und ränkevollen Rivalen im Kampf um die Vorherrschaft in Europa kaum gewachsen. Wovon Leopold nur träumen konnte, das besaß das Frankreich Ludwigs in überreichem Masse. Frankreich war damals der fort-schrittlichste , reichste und mächtigste Staat Europas. Es verfügte trotz der verschwenderischen Hofhaltung Ludwigs über das stärkste und modernste Heer. Ludwigs Ehrgeiz war, Frankreich in jeder Hinsicht zur dominierenden Macht des Kontinents zu machen. Während die Wiener Hofkammer stets nahe dem Bankrott war, hatte Ludwigs Finanzminister Colbert es durch eine brutale Steuerpolitik verstanden, daß neben den gewaltigen Ausgaben für Hof und militärische Expansion noch bedeutende Summen als Bestechungsgelder für deutsche Fürsten bereitstanden, mit denen man sie vor den Karren Frankreichs spannen konnte! Den Staatseinnahmen Frankreichs unter Colbert von 120 Millionen Gulden standen in Österreich nur 12 Milionen gegenüber, und auch diese 12 Millionen oft nur auf dem Papier. In Wien legte das aus dem Hochadel rekrutierte innere Kabinett es vor allem darauf an, die Vorrechte von Kirche und Aristokratie unangetastet zu erhalten. Wie diese dem Kaiser die zu seiner Politik notwendigen Finanzen besorgen sollten, war zweitrangig. Zu rückhaltlosem Einstehen und Opfern für die Nation konnten sie sich auch dann nicht entschließen, wenn das Reich in äußerster Gefahr war. Mirko Jelusich nennt sie "die Scharen von Nichtstuern, die ihre Tätigkeit vollendet zu haben glaubten, wenn sie den Staatsrock mit dem Kämmererschlüssel am Hintern angelegt hatten." Nach den Berechnungen des Volkswirts Philipp Wilhelm von Hornigks hätten eine Million zusätzlicher Taler in der Staatskasse Wien
die Belagerung durch die Türken ersparen können. Der Prinz, der insgesamt unter drei Kaisern diente, hat es nie erlebt, daß die kaiserlichen Finanzen in Ordnung waren, um eine erfolgreiche Verteidigung des Reiches zu gewähren. Selbstherrliche, engstirnige und oft verräterische Reichsfürsten hatten dem Kaiser nur einen Bruchteil seiner früheren Macht im Reiche belassen. Diese sich wie der liebe Herrgott auf Erden fühlenden Landesväter waren, ganz im Sinne des von Frankreich stets geschürten deutschen Partikularismus vor allem bestrebt, selbst "Großmacht" zu spielen und nebenbei noch den französischen Hofstaat nachzuäffen. Auch der "ewige Reichstag" zu Regensburg, auf dem der französische Gesandte das große Wort führte, erging sich in endlosen Debatten, ob man dem Kaiser Gelder für ein Heer gegen das räuberische Frankreich bewilligen solle! In seiner Ohnmacht und Unfähigkeit erinnert er nur zu sehr an den vom Berliner Mutterwitz geprägten Ausdruck "Quasselbude" für den späteren Reichs- oder Bundestag. War man schließlich geneigt, den Kaiser doch zu unterstützen, dann nur um den Kuhhandel, daß man ihm die benötigten Hilfstruppen so teuer wie möglich verkaufen konnte! Diese Herren feilschten noch jämmerlicher als die Landstände um die Bewilligung von Geldern und Truppen.
Die Türken vor Wien Um dem mit über 200.000 Mann gegen die Reichsgrenzen vorrückenden Heer des Großwesirs entgegenzutreten, hatte der Lothringer ganze 40.000 unter seinen Fahnen. Max Emanuel von Bayern hatte sich nach langem Zögern dazu hergegeben, mit 9.000 Mann in aller Gemächlichkeit anzumarschieren. Kurfürst Johann von Sachsen traf mit 10.000 Mann ein. Fast alle Reichsfürsten, die sich widerstrebend bereit fanden, einen Beitrag zur Türkenabwehr zu leisten, taten dies nur unter der Bedingung weiterer vom Kaiser abgehandelter Sonderrechte. Die Rettung Wiens war keineswegs einer geschlossenen Abwehrfront seitens der deutschen Fürsten als Gefolgsmänner des Kaisers zu danken, sondern lediglich dem Opfermut und der Tapferkeit der Truppen, die man für diese Entscheidungsschlacht notdürftig zusammentrommeln konnte. Die Reaktion des Sultans auf die Niederlage seines Heeres ist eine typisch orientalische. Drei Tage lang läßt er seinen Henker wüten. Auch Kara Mustapha wird erdrosselt. Doch trotz des erlittenen Rückschlages sind die Türken keineswegs entscheidend geschwächt. Mit der zweiten Belagerung Wiens hatte das osmanische Weltmachtstreben seine größte Ausdehnung erreicht. Doch das Osmanenreich ist nicht frei von inneren Schwächen. Kaiser und Papst entschließen sich daher, in einem als "Heilige Liga" zustandegekommenen Bündnis die Türken so weit zurückzuwerfen, daß die Christenheit nicht mehr vor ihnen zu zittern braucht. Wegen der immer leeren Kassen Wiens übernimmt der Papst die Finanzierung der geplanten Operationen. Das erste Ziel, die Befreiung Budas, wird von Karl von Lothringen nicht erreicht. Die Belagerer haben vielmehr schwere Verluste zu verzeichnen, und Eugen erleidet in den Laufgräben vor der Festung seine erste Verwundung. Insgesamt wird der Prinz in seiner militärischen Karriere neun mal verwundet, vier mal davon als Feldmarschall! Im Herbst 1685 wieder in Wien, wird Eugen von Leopold zum Generalfeldwachtmeister befördert, ein Rang, der etwa dem heutigen Generalmajor entspricht.
Auch bei der zweiten Belagerung Budas kämpft der Prinz mit Auszeichnung. Er hilft einen Ausfall der Türken abblocken. Mitten im wildesten Getümmel mit fanatischen Janitscharen wird ihm sein Pferd unterm Leib erschossen. Er muß von seinen Männern herausgehauen werden. Beim Sturm auf das Schloß wird er zum zweiten Mal durch einen Pfeilschuß in die rechte Hand verwundet. Jordis von Lohausen schreibt von ihm: "Furcht kannte er nicht. Wagnis war sein Leben, Gefahr ein kristallfrisches Bad... was ihm an Kraft fehlte, ersetzte er durch Wendigkeit, Kühnheit, Überraschung." Am zweiten September wird der Generalsturm befohlen. Buda muß sich den Kaiserlichen ergeben. Im folgenden Winter lädt Vetter Max Emanuel Eugen zum Karneval nach Venedig ein. Für die höfische Jugend Europas gehören die dortigen Vergnügungen und Laster zum guten Ton. Doch der Prinz beweist schon jetzt jene Selbstbeherrschung, die ihn gegen die Verlockungen von Spielsalons und Kurtisanen immun macht. Statt dessen studiert er eifrig Venedigs berühmtes Waffenarsenal und läßt sich den Guß der Kanonen sowie den Stapellauf eines Kriegsschiffes vorführen. Als "Mars ohne Venus" ist der Prinz bezeichnet worden, obwohl er vermutlich keinem mönchisch-keuschen Leben ergeben war. Im Feldlager äußert er später einmal, daß "im Kriege eine Frau einem lästigen Möbelstück gleicht... er würde seine Pflicht vergessen, weil seine Gedanken bei ihr wären." Die Liebe erschien ihm als "eine jener frivolen Leidenschaften, denen sich ein vernunftbegabter Mann niemals hingeben dürfe." Damit stand er in krassem Gegensatz zu Max Emanuel, diesem "im Frieden wie im Kriege dem Genuß des Augenblicks verschriebenen Barockmenschen." In der Schlacht von Mohacs 1687 sowie bei der Belagerung und Einnahme Belgrads im Jahre 1688 zeichnet Eugen sich wieder durch Umsicht und Tapferkeit aus. Vor Belgrad erhält er seine dritte und eine seiner schwersten Verwundungen, von der er - zum Wundfieber gesellt sich eine hartnäckige Bronchitis - erst Mitte Januar wieder kuriert ist. Die Kaiserlichen nutzen ihren Sieg aus und stoßen noch tief in den Balkan vor. Man träumt bereits von der völligen Verdrängung der Türken aus Europa, als im Westen des Reiches die Soldaten des Sonnenkönigs plötzlich den Rhein überschreiten. Ludwigs Ziel: Die Einkreisung des habsburgischen Machtgebietes im Bund mit den heidnischen Osmanen.
Verbrannte Erde im Westen Ludwig rechtfertigt seine ungezügelte Eroberungspolitik mit den ausgeklügelsten juristischen Spitzfindigkeiten, in denen französische Politiker stets Meister waren. Der Bischof von Straßburg, Wilhelm Egon von Fürstenberg, ist ihm dabei als deutscher Steigbügelhalter behilflich. Ludwig verspricht ihm, daß er auch noch Kurfürst von Köln werden soll. Daneben erhebt Ludwig Ansprüche auf das rheinische Erbe Liselottes von der Pfalz, der Frau seines Bruders, obwohl diese ausdrücklich auf ihr Erbrecht verzichtet hatte. Czibulka bezeichnet es als "eine der großen Sünden Frankreichs gegen das Abendland, daß es immer wieder die kaiserlichen Waffen am Rhein band" und dadurch die Kräfte Wiens so zersplitterte und schwächte, daß es durch die Anstürme aus dem Osten an den Rand der Katastrophe gebracht wurde. Als der Druck der Gegner Ludwigs auf die Franzosen sich verstärkt, überredet sein Kriegsminister Louvois den König zu einer Strategie der verbrannten Erde. Es entsteht ein
Mordbrennerkrieg, der nur mit den Schrecken der alliierten Terrorangriffe des zweiten Weltkrieges auf die schutzlose Zivilbevölkerung vergleichbar ist. Über 2.000 blühende Städte und Dörfer werden von den marodierenden Franzosen ausgetilgt, mehr als 50 Schlösser eingeäschert, die Einwohner des Landes vertrieben. Das alles im strengsten Winter! Plündernd und sengend zieht das französische Kriegsvolk durch die Lande. Worms, Speyer, Mannheim und Heidelberg werden zum Teil dem Erdboden gleichgemacht. In Speyer öffnen die Franzosen die Kaisergrüfte, reißen die Skelette aus den Särgen und spielen mit den Grabkronen in den Straßen. Der mächtige romanische Dom wird eigens mit Möbeln vollgestopft, dann angezündet. Ein französischer Historiker beschreibt später Ludwigs Feldzug als "die grauenhafteste aller Bluttaten." In den Geschichtsbüchern wird die spätere deutsch-französische "Erbfeindschaft" gewöhnlich auf diese Mord- und Brandpolitik der Franzosen in der Pfalz zurückgeführt. Ein wesentlicher Faktor wird dabei allerdings übersehen. Es war immer und immer wieder England, das diesen deutsch-französischen Gegensatz nach Kräften schürte, um so, ungestört von einem in ewigem Zwist gehaltenen Kontinent seine weltweiten Piraten- und Eroberungszüge zu verfolgen! Angesichts der Verbrechen der Franzosen in der Pfalz geht ein Aufschrei durch das ganze Reich. Der Kampf gegen den "allerchristlichsten Mars", wie Gottfried Wilhelm Leibnitz ihn höhnisch nennt, wird nun zu einer heiligen Sache. Der weiterschauende und nüchtern urteilende Prinz ist jedoch Gegner dieses Zweifrontenkrieges. Wien hatte versäumt, mit der Hohen Pforte Frieden zu schließen. Hauptverantwortlich für diese, die Kräfte Habsburgs weit überfordernde Zersplitterung sind die geistlichen Berater Leopolds, denen der Kampf gegen die "Ungläubigen" mehr am Herzen liegt als eine realistische, den Sieg garantierende Gesamtpolitik. Mit noch weit tragischeren Folgen verspielen die Deutschen rund zweieinhalb Jahrhunderte später aus ähnlichem ideologischen Eigensinn den Sieg im großen Schicksalskampf des Reiches gegen den asiatischen Bolschewismus! Der Feldzug am Rhein versandet 1689 in einen Belagerungskrieg von Phillipsburg, Bonn und Mainz. Durch eine Musketenkugel am Kopf erleidet Eugen seine vierte Verwundung, die fünfte im folgenden Frühjahr in Savoyen, Frankreichs Einfallspforte nach Italien. Dort bereiten die Franzosen den verbündeten Savoyern und Spaniern eine schwere Niederlage. Nur durch des Prinzen Mut und überlegene Ruhe kommt ein geordneter Rückzug zustande. Im anschließenden Winterquartier sind seine Truppen einem gnadenlosen Partisanenkrieg ausgesetzt. Man versucht sogar, Eugen zu vergiften. Hier beweist der Prinz, wie hart er sein kann, wenn es die Sicherheit seiner Truppen verlangt. Die von ihm befohlenen Strafaktionen rauben den Guerillas ein für allemal die Lust am Töten aus dem Hinterhalt. Versorgungsschwierigkeiten und eine unwirtliche Umgebung zehren weiter in diesem unrühmlichen Feldzug an den Truppen des Kaisers. Der Prinz ist verbittert über die Unfähigkeit und Halbherzigkeit des Wiener Hofkriegsrates. Voller Zorn und Verachtung für die verzopften Wiener Hofschranzen schreibt er: "Man denkt nur an Trinken, Essen und Spielen. Die Angelegenheiten des Reiches haben während einiger Stunden den Kaiser beunruhigt, aber Gott sei Dank hat es an dem Tag eine Prozession gegeben, die alles vergessen ließ." "Wie so oft in der Geschichte dieses Reiches lehnte sich," wie Ernst Trost in seiner EugenBiographie schreibt, "ein Fremder, ein Zugereister, gegen den Wiener Schlendrian, gegen diese hochmütige Gleichgültigkeit und Verachtung allem Neuen und Tätigen gegenüber, auf.
Eugen verkörpert jene heilsame, schöpferische Unruhe, die kühne Geister aus ganz Europa in der Kaiserstadt erzeugten - als rettende Arznei."
Ernennung zum Feldmarschall Zum Glück für das Reich erkennt Kaiser Leopold trotz aller Opposition und bösen Verleumdungen unfähiger Widersacher Eugens Qualitäten. Am 25. Mai 1693 unterschreibt Leopold im Schloß Laxenberg das Feldmarschallpatent des Prinzen. Damit ist seine Stellung gegenüber den neidvollen, kleinkarierten Höflingen weiter gefestigt. In Piemont ist die Lage der Kaiserlichen unhaltbar geworden. Des Krieges müde, wechselt Eugens Vetter Victor Amadeus die Fronten und geht zu den Franzosen über. Verärgert über den Abfall des Familienchefs seines Hauses äußert Eugen: "Eines ist gewiß, daß...die Interessen meines Hauses mich nur einen Augenblick meine Ehre, meine Pflicht vergessen lassen." In Ausübung dieser Pflicht erleben wir den Prinzen bald wieder auf den Schlachtfeldern des Ostens, wo er bei Zenta in Ungarn eine seiner ruhmreichsten Schlachten schlägt. Mit 34 Jahren wird Eugen 1697 von Kaiser Leopold mit dem Oberkommando der Armee gegen die Türken betraut. Militärische Wunder erwartet man von dem "kleinen Kapuzziner", wie man den Prinzen noch gelegentlich nennt, nicht. Die Zweifler sollen bald eines besseren belehrt werden. Hätte Eugen auf den Wiener Hof gehört, wäre er jeder Schlacht ausgewichen, da ein Sieg alles andere als gewiß ist. Der Kaiser ist in einen Dreifrontenkrieg verwickelt: gegen die Franzosen am Rhein, dazu in Oberitalien und gegen die Balkanbedrohung der Osmanen. Die Kassen sind wie immer leer. Eugen sieht sich gezwungen, von seinen Offizieren Geld zu leihen, um seine Truppen mit Proviant zu versorgen! Mit stählerner Energie geht er daran, die Schlagkraft seiner Armee zu fördern. Seine gut 50.000 Mann stehen der von Sultan Mustafa II., dem "Weltbeherrscher" persönlich geführten, von einer mächtigen Donauflotte unterstützten, weit überlegenen Streitmacht des Islam gegenüber. Der Optimismus der Türken ist so groß, daß sie schon Ketten für die zu erwartenden gefangenen kaiserlichen Offiziere bereithalten. Der Prinz greift zu einem strategischen Verwirrspiel, immer das zu tun, was seine Gegner am wenigsten erwarten. Nach einem Gewaltmarsch durch die heiße, baumlose Ebene greift er überraschend das türkische Heer in einer umfassenden Operation an. Geniale Führungskunst und persönliches Beispiel führen zu einem glänzenden Sieg. 25.000 gefallene Türken werden auf dem Schlachtfeld gezählt. Die Verluste der Kaiserlichen: 28 Offiziere und 400 Mann! In seinem Siegesbericht verweist der Prinz wieder auf die längst versprochenen "Geldremissa". Dieses Thema findet sich in seiner Korrespondenz praktisch bis zum Ende seiner Karriere als Soldat. Für ihn bleiben die Sorgen um Besoldung, Verpflegung und Ausstattung der Armee stets größer als ein noch so mächtiger Feind. Die Wiener Perücken können den Triumph einer überlegenen Persönlichkeit schwer verwinden. In die allgemeine Begeisterung über seinen Ruhm versuchen sie ihren Essig zu gießen. Wiener Tratsch läuft um, Eugens Sieg sei nur einem reinen Wunder zu verdanken gewesen. Dazu schreibt Hugo von Hofmannsthal 1914 in der "Neuen Freien Presse: "Eine Welt von Feinden vor ihm; welch eine Welt aber hinter ihm: aus einer Wurzel entsprossen, dem österreichischen Erbübel: Trägheit der Seele, dumpfe Gedankenlosigkeit, die geringe
Schärfe des Pflichtgefühls, die Flucht aus dem Widrigen in die Zerstreuung..." Der Kaiser erweist sich großzügig gegen seinen unvergleichlichen Feldherrn. In die ihm vom Kaiser übertragenen Gebiete um das heutige Belje ruft der Prinz deutsche Siedler ins Land. Wie später Friedrich der Große läßt Eugen aus verwilderten Landstrichen eine ertragreiche Landwirtschaft und blühende Dörfer erstehen. Schon unter Karl V. hatten die Habsburger angefangen, eine Militärgrenze auf dem Balkan gegen die ständigen Einfälle der islamischen Türken aufzubauen. Einem unvorstellbar grausamen Partisanenkrieg ausgeliefert, flüchten Kroaten, Serben und Rumänen vor den Türken, das Herz voll Haß und Rache. Sie werden als Wehrbauern in einem tiefen, breiten Streifen entlang der bedrohten Grenze angesiedelt. Das Land wird ihnen zu Lehen gegeben und damit zu ihrer Heimat gemacht. Als freie Bauern auf freier Scholle werden sie treue Vasallen des Kaisers als rettendem Schutzherrn vor türkischer Willkür. Diese Grenzregimenter, zu denen selbst Frauen, Greise und Kinder zählen (mit eigener Verwaltung und Kommandohoheit), bewahrten das von ihnen fruchtbar gemachte Land und das Hinterland vor feindlichen Überfällen. Prinz Eugen hat später diesen Grenzstreifen mit für damalige Zeiten ungewöhnlich fortschrittlichem Verständnis sogar als "Sanitätskordon" gegen die vordringende asiatische Beulenpest benutzt. Den Schockzustand der Türken ausnutzend, jagt der Prinz sie in einem kühnen, überraschenden Ritt bis nach Sarajewo vor sich her. Parlamentäre werden ausgeschickt, um die Übergabe der Stadt zu fordern. Als die Türken statt dessen über sie herfallen, befiehlt der Prinz die Zerstörung der Stadt. Auch er kann wie die Türken ohne Humanitätsanwandlungen sein. Schon in Bosnien ist die für Eugen typische Art der Kriegführung erkennbar: "Er scheute kein Risiko, liebte überraschende Unternehmen, tauchte genau dort auf, wo man ihn nicht erwartete, ließ sich nicht von unwegsamem Gelände abschrecken... war immer an der Spitze und konnte dabei so brutal vorgehen wie die meisten Generäle seiner Zeit." Als im Sommer 1698 zwei Dragonerregimenter wegen ausgebliebener Löhnung (das ewige Dilemma der Kaiserlichen) meutern und zu den Türken überlaufen wollen, muß Eugen wieder unbarmherzige Strenge walten lassen. Zwanzig Mann werden gehenkt, 12 erschossen, die restlichen Meuterer läßt er spießrutenlaufen. Nach 16 Jahren Krieg wird am 26. Januar 1699 der Friede von Karlowitz geschlossen. "Wien lag nun, nicht zuletzt dank des Savoyer, in der Mitte eines großen Reiches."
Das spanische Erbe - eine Utopie Durch den Tod Karls II., des letzten spanischen Habsburgers, wird der Spanische Erbfolgekrieg ausgelöst, der Europa für 14 Jahre schwerste Verluste und Verheerungen beschert. Bei Karl II., vom Volk auch "Der Behexte" genannt, haben wir es mit dem Produkt jener unseligen Habsburger Heiratspolitik zu tun, die im Interesse der Machterhaltung auch vor Inzestzucht nicht zurückschreckte. Wenn auch die gekrönten Häupter Europas fast sämtlich verwandt oder verschwägert waren (was sie nicht hinderte, ihre Soldaten gegeneinander marschieren zu lassen), so war dies nirgendwo zu einem solchen Extrem entartet wie in Österreich. Ludwig fürchtet sich von Habsburg in die Zange genommen, als Leopold den spanischen
Thron für sich beansprucht, eine Forderung, die zum Angelpunkt der künftigen habsburgischen Politik wird. Somit ist der Konflikt unvermeidlich. In seinem Streben nach "gloire" sieht der Sonnenkönig sich schon als Herrn der Welt, wenn statt Leopold ihm die spanische Krone zufällt, und damit verbunden die gewaltigen spanischen Besitzungen in Übersee. Diese unerfreuliche Aussicht führt seine Rivalen auf den Plan, Holland, Brandenburg, aber vor allem England, die sich schließlich zur "Großen Allianz" zusammenschließen. Max Emanuel von Bayern, dem Kaiser Leopold nicht schnell genug zur erhofften Königskrone verhilft, schlägt sich auf die Seite der Franzosen! Ludwig verfügt über eine disziplinierte Armee, die er bald auf 450.000 aufstocken kann. Ihm gegenüber ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Alliierten mit 250.000 Mann. Prinz Eugen erhält den Oberbefehl über die 30.000 Mann starken Truppen des Kaisers. Ludwig XIV. hat drei Armeen gegen das Reich aufgestellt: Seinen Günstling Villeroy gegen Deutschland, Marschall Boufflers am unteren Rhein, den harten Catinat in Oberitalien. In dieser bedrohlichen Lage wissen die Mitglieder des Regensburger Reichstags nichts wichtigeres zu tun als sich darüber zu streiten, ob der Fürstbischof von Passau den Titel "Kardinal der Römischen Kirche" oder aber "der Heiligen Römischen Kirche" führen solle! Noch vor Eingreifen der Seemächte spielen sich die ersten Kampfhandlungen in der Lombardei ab. Eugen zeigt sich gleich zu Beginn wieder als phantasiebegabter Stratege. Er weiß den Gegner zu überraschen und wagt, was niemand für möglich hält. Die Franzosen haben alle gängigen Wege in die Lombardei versperrt. Eugen wählt den Weg über die Lessinischen Alpen, ein Unternehmen, dessen Kühnheit und Gefährlichkeit nur mit der Alpenüberquerung Hannibals verglichen werden kann. Nach einem Katz- und Mausspiel mit nächtlichen Gewaltmärschen, plötzlichen Richtungswechseln und anderen Täuschungsmanövern stellt Eugen den völlig verwirrten Catinat zur Schlacht, wobei er seine sechste Verwundung erleidet. Eine an seinem Knie eingedrungene Gewehrkugel drückt er selbst heraus, besteigt sofort wieder sein Pferd und kommandiert weiter. Ein verbitterter Ludwig kanzelt seinen alten erfahrenen Feldherrn ab, weil er sich von dem jungen Savoyer ins Bockshorn hatte jagen lassen. Er wirft ihm vor, sich an starre Normen gehalten zu haben, während der Prinz "gegen alle Regeln der Kriegskunst" gesiegt hatte. Beeindruckt vom Siegeszug des Prinzen gegen die Franzosen in Italien, treten die Engländer am 7. September auch formell der Allianz bei. Eugens Prophezeiung erfüllt sich: "Beginnen wir zu marschieren, und wir werden bald Verbündete finden." In der berühmten Geigenstadt Cremona hat Villeroy, der Nachfolger Catinas, sein Hauptquartier aufgeschlagen. Prinz Eugen stöbert ihn mit einem der tollkühnsten Kommandounternehmen der Kriegsgeschichte auf. In einer stockdunklen, regnerischen Nacht dringt eine kleine Schar durch einen nur 1/2m breiten Kanal in die Stadt ein. Der wahnwitzige Überfall wäre um Haaresbreite geglückt. Villeroy wird gefangengenommen, aber Eugens schwache Truppe findet sich überraschend frischen französischen Einheiten gegenüber. Die Franzosen können zwar Cremona behaupten, doch der Schock sitzt ihnen in den Gliedern, daß niemand mehr vor dem "teuflischen Prinzen" sicher sein kann. Eugens Husarenstück wird von Freund und Feind gleichsam bewundert. Friedrich der Große, einer der größten Verehrer des Prinzen, schreibt in seinen "Betrachtungen über Feldzugspläne": "...so hätte ein einziges
ausgehobenes Quartier die Lombardei, Mantua und Parma dem österreichischen Zepter gewonnen." Nur in Wien versuchen Eugens Widerspieler, statt sich um die notwendigste Ausrüstung seiner Armee zu kümmern, ihn weiterhin beim Kaiser in ein schlechtes Licht zu setzen. Eugen hat allen Grund, sich über "den völlig desolaten Zustand seiner Lumpensoldaten" zu beklagen. Es fehlt an Geld, an Proviant, an Futter für die Pferde. Es fehlt vor allem Munition. Die Monturen seiner Soldaten sind zerfetzt. Krankheiten und Desertierungen unterhöhlen die Kampfkraft seiner Truppen. Doch die Wiener Hofschranzen reagieren kaum. So sieht sich der Prinz gezwungen, andere als die offiziellen Kanäle zu versuchen. Zum ersten Mal zeigt er neben seinem Feldherrntalent seine Begabung für die Diplomatie. Wohl wissend um des Kaisers Abhängigkeit vom hohen Klerus scheut er sich nicht, ihn durch den Jesuitenpater Bischoff zu bewegen, seiner Armee von "18.000 zerrissener, uncontentierter und abgemagerter Miliz" gegenüber einem 80.000 Mann zählenden, wohlausgerüsteten Feind, zu helfen. Die Auffrischung seiner abgehärmten Soldaten wird um so notwendiger , als Ludwig dem Marschall Vendome, einem ausgezeichneten Soldaten und Vetter und Jugendgespielen Eugens den Oberbefehl in Italien erteilt. Auch gegen diesen Vetter versucht der Prinz einen ähnlichen Kommandoschlag wie vorher gegen Villeroy. Nur durch einen unglücklichen Zufall schlägt der Handstreich fehl. In der folgenden Schlacht bei Luzzara verliert Eugen seinen besten Freund, den Prinzen von Comomercy. Er hatte den weit überlegenen Vendome angegriffen, als dieser ihn durch eine Zangenoperation vernichten wollte. Kränkelnd und ausgelaugt kommt der Prinz nach fast zwei Jahren wieder in der Hauptstadt an. Was ihn dort erwartet, übertrifft seine schwärzesten Befürchtungen. Wien schwelgt im Karnevalsvergnügen - trotz der katastrophalen Finanzlage und Hiobsbotschaften von allen Fronten. Wieder einmal muß er um seine "nackte und bloße Armee" kämpfen. Rücksichtslos prangert er die Dummheit und Unfähigkeit von Hofkriegsrat und Hofkammer an. "Mit den Ministern des Kaisers redet man wie gegen eine Mauer", schreibt er. "Alles an diesem Hof ist von schrecklicher Nachlässigkeit und Ignoranz. Wenn nicht bald Hilfe kommt", so bedrängt er den Kaiser, "könnte nur Gott selbst durch ein Mirakel rettend wirken." Täglich innig in seiner Kapelle betend, vertraut der fromme und alternde Leopold fest auf das Eintreten dieses Wunders. Eugen erwägt schon, alles hinzuwerfen. Da ernennt der Kaiser überraschend am 27. Juni 1703 den Prinzen zum Präsidenten des Hofkriegsrates.
Präsident des Hofkriegsrates "Es war ein Schreckenstag für die Perücken," schreibt Czibulka. "Aber auch in andere Kanzleien fuhr der Sturmwind der Verjüngung." Es war höchste Zeit, denn die Hofkammer war zahlungsunfähig, der Staat bankrott. In dieser Lage gleicht die Ernennung Eugens der eines Admirals, dessen Flotte nicht mehr existiert. Die Lage Wiens ist nahezu verzweifelt. In Italien stößt Vendome nach Tirol vor. Am Rhein werden die kaiserlichen Truppen geschlagen. Max Emanuel von Bayern hat sich mit den Franzosen an der Donau vereinigt, und in Ungarn flammen Aufstände auf. Eine falsche Politik Wiens hatte den Unabhängigkeitswillen der Ungarn entfacht. Von Frankreich mit Geld und Munition versorgt, stoßen die aufsässigen Kurutzen, Bauernarmeen unter dem Fürsten
Rakoczky, gen Wien vor. Eugen nimmt alle Einwohner der Stadt von 18-60 Jahren für die Errichtung von Schutzwällen heran. Man befürchtet, daß die Türken, vom Siegesmarsch der Kurutzen ermuntert, sich dem Sturm aus dem Osten anschließen. Inmitten der täglich von allen Fronten einlaufenden Unglücksbotschaften geht der Prinz mit aller Energie an die Arbeit. Er weiß, was die Stunde erfordert: Sanierung der Finanzen des Reiches, Überholung der Verwaltung, Verstärkung des Heeres und Anhebung seiner miserablen Ausrüstung. Doch Eugen erteilt nicht nur gute Ratschläge. Er kennt auch die Mittel und Wege zur Erreichung dieser Ziele. Mehr als einmal gerät er bei dem Dämmerschlaf einer selbstzufriedenen Beamtenaristokratie mit ihren ständigen Widerständen und Intrigen in Versuchung, seinen Rücktritt anzubieten. Doch mit einem geradezu übermenschlichen Beharrungsvermögen und unter Mithilfe williger und begabter Mitarbeiter in den unteren Rängen setzt er sich durch. In der Armee schafft er den Stellenkauf ab. Künftig sollen Generäle und Offiziere nur nach ihrer Begabung und ihren Leistungen befördert werden. Um die zerrütteten Finanzen anzuheben, bewirkt er bei Leopold, daß der bis dahin weitgehend von Steuern befreite Klerus und der höhere Adel zur Kasse gebeten werden. Mit dem Steigen der Einnahmen fühlen sich auch die reichen Alliierten ermuntert, Wiens leere Kassen aufstocken zu helfen. Eugen hatte seine Fähigkeit bewiesen, mit Geduld, eiserner Selbst-beherrschung und Geschicklichkeit einen wahren Augiusstall auszuräumen. Eine gute Kunde aus Italien erhellt ein wenig die allgemein düstere Lage. Victor Amadeus von Savoyen erwägt wieder einmal einen Frontwechsel. Des anmaßenden Treibens der Franzosen in seinem Land müde, versucht er nun sein Glück von neuem an der Seite der Alliierten. Der begrüßenswerte Entschluß Victors ist nur ein geringes Gegengewicht gegen die Ansammlung einer bayrisch-französischen Armee in Süddeutschland unter Max Emanuel und General Marsin. Eine weitere Armee schickt sich zum Einmarsch nach Bayern an. Graf Wratislaw, der österreichische Gesandte in London, bemüht sich krampfhaft, die Engländer zur Verlegung ihrer in den Niederlanden stehenden Truppen in das bedrohte Süddeutschland zu bewegen. Deren Befehlshaber, der Herzog von Marlborough, stellt die Bedingung, daß Prinz Eugen mit ihm an die Front komme. Mit Freuden ergreift dieser die Chance, wieder an der Spitze einer Armee zu kämpfen, statt sich mit den Perücken des Hofkriegsrates herumzuschlagen.
Die Schlacht von Höchstädt Am 10. Juni 1704 erfolgt die erste Begegnung des Prinzen mit dem 13 Jahre älteren Marlborough., eine Begegnung, die zu einer achtjährigen Zusammenarbeit mit bedeutenden Erfolgen führen soll. Es wäre naiv anzunehmen, daß dem eleganten, wegen seiner Schönheit berühmten und als habsüchtig bekannten Engländer an der Rettung des Reiches gelegen war. Aber ein Zusammenbruch der kaiserlichen Macht hätte dem Franzosenkönig erlaubt, seine gesamten Kräfte gegen Engländer und Holländer zu werfen. Im Gegensatz zu den üblichen Rivalitäten in der Generalität der meisten Armeen ist das Verhältnis zwischen Eugen und Marlborough durch gegenseitige Achtung und Verständnis für die Handlungsweise des anderen bestimmt. Da wo er es für notwendig hält, ist Eugen im Interesse der Sache feinspürig genug, dem Briten den Vortritt zu lassen. Seine Fähigkeit zu
Kompromissen und sein taktvolles Benehmen im Interesse reibungsloser Zusammenarbeit ermöglichen eine seltene Harmonie in ihren Entschlüssen. Die erste Maßnahme Marlboroughs, die Verwüstung und Plünderung der von ihm besetzten Teile Bayerns unter bewußter Aussparung der fürstlichen Schlösser, ist ein Fehlschlag. Max Emanuel zieht es vor, seine Untertanen leiden zu lassen, statt sich durch die Not seines gebrandschatzten Landes zur Aufgabe seines Bündnisses mit den Franzosen bewegen zu lassen. Inzwischen rücken aus dem Westen zwei weitere französische Armeen an. Die Truppen Eugens und Marlboroughs stehen in der Nähe des Dorfes Höchstädt. Von einem nahegelegenen Kirchturm kann der Prinz die Stellungen des Gegners beobachten. Es ist charakteristisch für ihn, sich nie auf die Angaben anderer zu verlassen, sondern vor jeder Schlacht höchstpersönlich die Lage zu erkunden. Ebenso durchdenkt er vorher wie auf dem Schachbrett alle möglichen Risiken und Probleme, ehe er dann "wenn der Augenblick zum Handeln gekommen ist, mit voller Kraft und Aktivität dabei ist". Das Geheimnis der großen Siege des Prinzen ist neben seinem sprichwörtlichen Draufgängertum seine stets überlegene Strategie. Bayern und Franzosen sind durch die Donau, ein ausgedehntes Sumpfgebiet und schützende Wälder gedeckt. Ein Angriff gegen solche Stellungen gilt nach den Kriegsregeln der Zeit als heller Wahnsinn. Doch Eugen und Marlborough wagen den Angriff, bei dem alles zu gewinnen oder alles zu verlieren ist. Der 13. August ist ein Rasttag für das französisch-bayrische Heer. Friedlich dämmert es in den Morgen hinein. Doch erlauben die Kriegsbräuche der Barockzeit dem Gegner die Aufstellung zur Schlachtordnung, bevor die Alliierten zum Angriff schreiten. Auf dem von Eugen befehligten Flügel wogt die Schlacht hin und her. Dann läßt Marlborough in der größten Reiterschlacht des 18. Jahrhunderts 90 Schwadronen gegen den Gegner jagen, begleitet von stürmenden Infanterieabteilungen. Ludwigs Armee gerät ins Wanken. Eugen setzt sich wie immer schonungslos allen Gefahren aus. Als ein Teil seiner Kavallerie sich zur Flucht wenden will, soll er zwei seiner fliehenden Reiter mit eigener Hand erschossen haben, um die anderen zum Stehen zu bringen. "Ich habe keine Schwadron und kein Bataillon," sagt der Prinz nach der Schlacht, "welches nicht zum wenigsten vier mal angreifen mußte." Die Alliierten verlieren in dieser Schlacht 20% ihres Bestandes, der Gegner 70%. Die schmachvolle Niederlage drängt Ludwig wieder an die Ufer des Rheins zurück. In den wenigen Stunden dieses Schlachtentages wird der schon wankende Thron Kaiser Leopolds gerettet. Das vielbewunderte Heer der Franzosen dagegen verliert seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit. Der Traum Max Emanuels von einer Krone der Niederlande und eines vergrößerten Bayerns als Splittergroßmacht inmitten des Reiches ist ausgeträumt. Hätten die Alliierten über ausreichende Truppenmassen verfügt, hätten sie den Krieg in diesem Stadium zum siegreichen Ende führen können. Die Kriegsschauplätze werden nun aus dem Reich an den Rhein, nach Flandern und Frankreich verlegt. Nur wenige Tage vor Höchstädt hatten hessische Soldaten unter englischem Befehl Gibraltar gestürmt und damit Englands Seemacht im Mittelmeer begründet. Für England erwies es sich als gewinnbringend-praktische Politik, seine Eroberungen mit dem von deutschen Reichsfürsten stets freimütig gespendeten Blut auszutragen. Es war jetzt zur europäischen Großmacht geworden.
Der Tod Leopold I Nach dem Tode des 65-jährigen Leopold besteigt sein Sohn mit 27 Jahren als Joseph I. den Thron der Habsburger. Der neue Kaiser, selbstsicher, fähig, ehrgeizig und ohne die hemmende Frömmigkeit seines Vaters, verkörpert eine neue Zeit. Eine der ersten Regierungshandlungen des jungen Kaisers besteht darin, den Einfluß der Jesuiten einzudämmen. Ein Klüngel von hohen Klerikern hatte es verstanden, seinen Vater von der Außenwelt abzusperren. Von Eugen bestärkt, trägt Joseph sich ebenfalls mit dem Gedanken, zu gegebener Zeit den Reichstag und alle jene Kräfte auszuschalten, die sich wider die Einheit des Reiches stellen. Die Fürsten sollen nicht länger souveräne Herren, sondern nur noch die obersten Verwalter von Reichsgut sein! In Italien hat sich die Festung Turin unter Graf Daun mit 7.000 Mann gegen den unbehelligt operierenden Marschall Vendome gehalten. Eugens Eintreffen verbessert automatisch die Stimmung der spärlichen in Piemont verbliebenen kaiserlichen Truppen. Obwohl ganz Oberitalien von Franzosen wimmelt, zweifelt die belagerte Stadt nicht daran, daß Eugen kommen wird. Kein schönerer Lob auf des Prinzen Zuverlässigkeit und Feldherrnkunst als die Worte des englischen Gesandten am Hofe Savoyen: "Nun schlafen wir ruhig in Turin, im vollsten Vertrauen, daß Prinz Eugen zu unserer Rettung alles tun wird, was er vermag. Denn wir haben dafür sein Wort." Das Geld für die Aktion in Oberitalien beschafft Marlborough. Noch immer ist der Kaiser ohne ausreichende Mittel zur Unterhaltung seiner Armeen. Die Truppen der Reichsfürsten stehen ihm nur zu Wucherpreisen zur Verfügung. Für diese Herren ist der Schacher mit ihren Landeskindern an den jeweils Meistbietenden ein glänzendes Geschäft! Für die Reichsehre hat kaum je ein deutscher Fürst an der Seite des Kaisers gestritten. Konnten sie ihn nicht weiter für ansehnliche Summen für ihre Privatangelegenheiten erpressen, so marschierten sie einfach nach Hause! Bevor er sich zum Angriff entschließt, studiert Eugen das Festungsgelände von der 600 m hohen Supergakuppe: Die Laufgräben der Franzosen, die Schanzen, die Festungswälle, das Fünfeck der Zitadelle. Er erkennt die Schwachstellen in den Positionen der Franzosen, die sich allzusicher fühlen, und er tut den berühmt gewordenen Ausspruch: "Mir scheint, die da unten sind schon halb geschlagen." Die Franzosen hoffen noch immer, daß Eugen mit seinen 30.000 Mann gegen ihre 60.000 den Angriff nicht wagen wird. Doch der verliert keine Zeit. Im schwersten Kugelhagel rücken die Kaiserlichen neben den Preußen unter Leopold von Anhalt Dessau (dem späteren allbekannten "Alten Dessauer"), Pfälzern und Sachsen gegen die französischen Stellungen vor. Der Prinz ist wieder mitten unter den Kämpfenden und setzt sich rücksichtslos dem feindlichen Feuer aus. Sein Beispiel reißt seine Soldaten vorwärts. Neben ihm fallen ein Diener und ein Page. Sein Pferd sinkt getroffen zusammen. Er besteigt sogleich ein anderes und kämpft weiter. Die Verluste des Siegers sind höher als die der Verlierer. Aber die Herrschaft Habsburgs über die Lombardei ist gefestigt. Mit diesem, einem seiner verblüffendsten Siege, krönt Eugen den italienischen Feldzug, den Napoleon "ein Musterstück der Kühnheit, Schnelligkeit und Umsicht" genannt hat. Die Bestürzung am Hof des Sonnenkönigs ist groß. Das Prestige des "unfehlbaren" Königs ist
erschüttert. Ein Grollen geht im französischen Volk um. Doch noch immer ist keine der streitenden Parteien geneigt, diesen unseligen Krieg durch einen tragbaren Frieden zu beenden. Am 21. Februar 1707 wird Eugen als "Oberster Feldherr des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation" in die Stellung des Reichsfeldmarschalls erhoben. Auf Bestreben Englands wird der Prinz in einen Feldzug gegen die Festung Toulon verwickelt, ein Unternehmen, das ihm wegen der Unfähigkeit der englischen Flottenbefehlshaber aussichtslos erscheint. Während die Belagerungssoldaten unter Hunger und Ruhr leiden, schwelgen die hohen Herren in unglaublichem Luxus. Als "Feinde" schicken sie einander durch die Frontlinien hindurch tonnenweise die kostbarsten Leckereien. (Hier ein Vergleich - zwischen der oft hungernden und frierenden Armee des Kaisers und der der Franzosen: Ludwig mußte, um der "Not" seiner Truppen zu steuern, verfügen, daß z.B. ein Generalleutnant nicht mehr als 40, oder ein Hauptmann nicht mehr als 25 Pferde nebst Pflegepersonal bei ihren Feldzügen mitführen durften!) Wie Eugen erwartet hatte, bleibt der Sieg der Alliierten in weiter Ferne. Die englische Flotte ist nicht in der Lage, die Festung von See her ausreichend zu schwächen. Aber die Franzosen sind durch die Anwesenheit der Engländer gezwungen, zur Sperrung des Hafens ihre gesamte Flotte von 50 Linienschiffen zu versenken. England wird damit auf billige Weise die unbestrittene Beherrscherin des Mittelmeeres. Inzwischen haben die Franzosen die Initiative ergriffen und Brügge und Gent besetzt, bevor Marlborough in der Lage ist, sie daran zu hindern. Marlborough ist im Jahr 1708 von schweren Depressionen geplagt. Ungeduldig erwartet er das Erscheinen des Prinzen. Eugen ist über das Aussehen seines Freundes entsetzt. Die tiefe Niedergeschlagenheit hat vom Oberbefehlshaber auch auf die Armee abgefärbt. Erst Eugens Erscheinen gibt den alliierten Soldaten neues Selbstvertrauen. Sein Ansehen vermittelt ihnen das Gefühl, daß ihnen nun nichts mehr passieren kann.
Die Schlacht von Oudenaarde Bei Oudenaarde kommt es zur Schlacht. 160.000 Soldaten stehen sich gegenüber, 80.000 auf französischer Seite, die selbe Zahl unter Eugen und Marlborough. Eine Kavallerieattacke des preußischen Generals Natzmer drängt die Franzosen auf immer engeren Raum zusammen. Vendome kämpft zu Fuß mit der Picke in der Hand. Eine Kriegslist Eugens, die nächtliche Verwirrung unter den Franzosen anrichtet, entscheidet die Schlacht. Nach ihrem Sieg ist Marlborough für einen sofortigen Stoß auf Paris: Doch der Draufgänger Eugen ist kein Mann, der sich militärischen Phantastereien hingibt. Er denkt an die Versorgung seiner Truppen und an das Netz starker Befestigungen, die sie in ihrem Rücken lassen würden. Die stärkste davon ist Lille, der Stolz Marschall Vaubans, der die Kunst des Festungsbaus zu einer nie übertroffenen Höhe geführt hat. Am 12. August wird Lille von den Alliierten eingeschlossen. Ludwig XIV. befiehlt den Entsatz dieses bedeutenden Wirtschaftzentrums mit allen Mitteln. Lille erweist sich als eine hart zu knackende Nuß. Trotz erschreckender Verluste kommen die Angreifer nicht weiter. Ungeachtet der hohen Gefallenenziffern läßt Eugen im heftigsten Feuer stürmen und immer wieder stürmen, ein für diesen Meisterstrategen ungewöhnlich starres Vorgehen. Bei einem
erneuten Sturm wieder ganz vorn, wird der Prinz durch einen Schuß am Kopf zu Boden gerissen. Inmitten des erschreckten Aufschreis seiner Soldaten sagt er kaltblütig: "Was soll der Lärm? Sehen Sie nicht, daß nichts passiert ist?" besteigt wieder sein Pferd und führt weiter. In seinem Quartier entgeht der Prinz einem erneuten Giftmordanschlag. Entsetzt sehen seine Offiziere einen Hund verenden, dem man das für ihn bestimmte Schriftstück umgebunden hatte. Der Prinz meint dazu gelassen: "Sie brauchen sich nicht darüber zu wundern, meine Herren. Ich habe schon des öfteren Briefe dieser Art erhalten." Der Widerstand der Bürger bricht endlich zusammen, als Eugen bei der Einnahme mit drei Tagen Plünderungsfreiheit für seine Soldaten droht. Nur der tapfere Boufflers zieht sich in das Pentagon der Zitadelle zurück, um weiterzukämpfen. Eugen rückt nach, feiert das übliche Tedeum und verschont die Stadt. Bis zum 9. Dezember hält Boufflers in seiner Zitadelle aus. Bei seiner schließlichen Kapitulation erweist Eugen in wahrhaft ritterlicher Geste seinem tapferen Gegner seine Hochachtung. Er läßt ihn mit allen Verwundeten und Troßwagen abziehen (man vergleiche damit die Brutalitäten, die unsere "Befreier" von 1945 sich an wehrlosen deutschen Gefangenen und Zivilisten erlaubten!) Für Ludwig ist 1708 ein Unglücksjahr geworden. Die Welt spottet nun über den vorher so stolzen König. Der" kleine Abbe" hatte sich gerächt. Die Pfälzer Liselotte schreibt: "Frankreich hat sich zu weit ausgedehnt... unsere Nation war unverschämt und wider die Ordnung; Gott will sie strafen und erniedrigen."
Malplaqet 1709 Der Winter vor der blutigsten Schlacht des Spanischen Erbfolgekrieges ist ein ungewöhnlich harter. Das französische Volk leidet Not. Brot wird teurer, Unzufriedenheit und Unrast schwelen im Volk, das es leid ist, die schweren Kriegsbürden allein zu tragen. Colberts Steuersystem hatte die herrschende Schicht verschont und lastete um so schwerer auf dem gewöhnlichen Volk. Voll Wut und Verzweiflung stürmen Bauern in einigen Landesteilen Schlösser und Ämter und schlagen die verhaßten Steuereintreiber tot. Eine von dem greisen Vauban, der nicht nur Experte im Festungsbau war, vorgeschlagene gerechtere Steuerreform, die auch Adel und Kirche erfassen soll, erzeugt bei den Betroffenen einen Sturm der Entrüstung. Sie wird vom König abgelehnt. Vauban stirbt wenig später als verbitterter Mann. Die Versuche Ludwigs, mit den Holländern einen Separatfrieden zu schließen, bleiben ohne Erfolg, obwohl die Holländer die Bürde der Loyalität nicht allzu ernst nehmen. Dem König wird klar, daß er nicht umhin kann, die habsburgischen Ansprüche auf Spanien anzuerkennen. Dafür soll sein Enkel als Entschädigung Neapel und Sizilien erhalten. Doch die Alliierten sind blind für ihre eigenen Schwächen und verspüren wenig Neigung, sich von Ludwig Bedingungen stellen zu lassen. Der Prinz, der schon vorher sein diplomatisches Talent bewiesen hat, wird nun offiziell als Bevollmächtigter des Kaisers bei den kommenden Friedensgesprächen in Holland eingesetzt. Die Verhandlungen finden in prunkvollem Rahmen in Den Haag statt. Mit ihren starren
Friedensbedingungen wollen die Alliierten, von Hochmut und Unvernunft geblendet, den König der Franzosen demütigen. Aber damit erwecken sie nur den Trotz des alten Ludwig. Liselotte gibt die Stimmung am französischen Hof wider: "Der Alliierten Propositionen sind zu barbarisch; es ist besser verderben und sterben als solche eingehen." In Wien wiegt man sich in dem Glauben, mit einem erneuten Feldzug den Widerstand der Franzosen endgültig brechen zu können. Eugen, der die Lage klarer und ohne falschen Optimismus sieht, warnt den Kaiser, sich nicht zu sehr auf "das veränderliche Glück der Waffen" zu verlassen. Nichts sei ungewisser und zweifelhafter. "Denn gewiß ist es,... daß den ganzen Krieg hindurch kein schärferes und blutigeres Treffen, als eben das gegenwärtig bevorstehende, gewesen sein werde." Er soll bitter recht behalten. Marschall Villars steht mit einer starken Armee an der Grenze, um den Verbündeten den Weg nach Paris zu versperren. Ein Ausmanövrieren des Gegners durch Bewegung ist kaum möglich, da Flandern nach einem verregneten Frühsommer einem Schlammeer gleicht. Mit der Belagerung von Tournai verlieren die Alliierten Zeit bis in den September. Als sie sich Mons zuwenden wollen, verläßt Villars plötzlich seine Stellungen und ergreift die Initiative. Marlborough und Eugen müssen wohl oder übel die Schlacht im ungünstigsten Gelände annehmen. 110.000 Alliierte und 80.000 Franzosen finden sich auf engstem Raum zusammengeballt. Unter den obligatorischen hochgestellten Schlachtenbummlern befinden sich auch der künftige König von England sowie Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen. Zu den Kämpfenden zählen der "Alte Dessauer" und ein Oberst von Schwerin, später berühmter General Friedrichs des Großen. Auf französischer Seite kämpfen 12 Offiziere, die es sämtlich noch zum Marschall bringen. Der Löwe von Lille, Marschall Boufflers, hat sich auch ohne Kommando freiwillig zur Truppe gemeldet. Die französische Armee ist gut geführt, kampferprobt und nach dem schmählichen Diktat von Den Haag entschlossener denn je. Gut eingegraben erwartet sie den Gegner, der sich durch das morastige Gelände vorkämpfen muß. Drei Tage lang hat es ununterbrochen geregnet. Erst als die Angreifer auf kurze Entfernung herangekommen sind, eröffnen die Franzosen ein mörderisches Feuer. Reihenweise werden Deutsche, Engländer und Holländer niedergemäht. Als der Angriff infolge der schweren Verluste ins Stocken kommt, reitet Eugen an die Spitze, um seine Soldaten mit sich zu reißen. Eine Musketenkugel streift ihn hinter dem linken Ohr. Mit den Worten "am Abend ist Zeit genug dafür", weigert er sich, sich verbinden zu lassen. Durch eine massierte Reiterattacke gerät die Front schließlich in Bewegung. Villars wird getroffen vom Pferd gerissen. Boufflers übernimmt das Kommando und befiehlt schließlich den Abbruch der aussichtslos gewordenen Schlacht. Nominell sind die Alliierten Sieger geblieben. Aber was für ein Sieg! 25.000 alliierte Soldaten sind gefallen oder verwundet. Die Verluste der Franzosen werden mit 11.000 angegeben. "Das Schlachtfeld bot dem entsetzten Auge einen wahrhaft gräßlichen Anblick." Es war kein Grund zu Triumphgefühl. Auch bei den Feldherrn verstärkt sich die Sehnsucht nach Frieden, nach dem Ende dieses sinnlosen Gemetzels.
Der Tod des jungen Kaisers Prinz Eugen war nicht nur Meister der militärischen Strategie. Als geborener Staatsmann
beschäftigt er sich weitblickend mit der Zukunft des Reiches und der künftigen Gestaltung der europäischen Politik. Er weiß, daß die Allianz mit den Seemächten nicht von Dauer ist. Der beste Garant für einen dauerhaften Frieden und für die Sicherheit des Reiches scheint ihm auf die Dauer ein Bündnis Österreichs mit Preußen und Rußland zu sein, so wie es dereinst in den Befreiungskriegen verwirklicht werden soll. Vor der unverhofften Krankheit des jungen Kaisers hatte Eugen Joseph bedrängt, auf Rückkehr der von Frankreich geraubten Gebiete, einschließlich Metz, Toul und Verdun zu bestehen, um durch eine Festungskette gegen den ewigen Landräuber von jenseits des Rheins gesichert zu sein. Doch nun tritt ein Ereignis ein, das schlagartig den Stern Frankreichs wieder aufgehen läßt. Erst 30 Jahre alt, stirbt Joseph I. am 17. April 1711 an den Blattern. Joseph war beim Volk beliebt gewesen, vor allem aber auch bei den grundlegende Reformen der Monarchie anstrebenden Kräften. Er hatte, von Prinz Eugen tatkräftig unterstützt, die Neuorganisation der Verwaltung und die Stärkung der Armee energisch in Angriff genommen. Sein Bruder jedoch, der als Karl VI. nach ihm den Thron besteigt - Joseph war ohne männlichen Erben gestorben - ist diesen Neuerungen keineswegs geneigt. Ihm erscheint es wichtiger, daß nichts unterlassen wird, um die Erbfolge seiner Tochter Maria Theresia zu sichern! Karl VI. ist der dritte Habsburger, unter dem der Prinz dient. Eugens Befürchtungen um die Zukunft des Reiches sollen sich bald bewahrheiten. Karl, von einer Kamarilla ehrgeiziger spanischer Emigranten umgeben, will den Schwerpunkt der Habsburger Politik nach Spanien verlegen. Indem er sich mit der Utopie eines Weltreiches wie unter Karl V. beschäftigt, gerät er automatisch in Gegnerschaft von Engländern und Holländern, die keineswegs geneigt sind, eine neue Seemacht neben sich zu dulden.
Englands Verrat Über Nacht wirft England das Ruder herum und begeht seinen Verrat an den Verbündeten. Die Friedenspartei setzt sich durch. Dem Herzog von Marlborough wird nach und nach jeder Einfluß auf die Politik genommen Alle Siege Eugens scheinen nun umsonst erstritten. Eugen wie Marlborough waren der Meinung gewesen, Ludwig mit der blutigen Schlacht von Malplaquet endgültig bezwungen zu haben. Doch wieder einmal hatten sie sich getäuscht. Der Ausgang der Schlacht hatte Ludwigs Willen zum Durchhalten nur noch weiter angefacht. Im nächsten Feldzug weicht Villars jedem größeren Gefecht aus. Die "beiden schrecklichen Zwillinge", wie die Franzosen Eugen und den Herzog nennen, können wohl Befestigungen und Städte nehmen, aber die Armee Villars bleibt intakt. Vorher haben die Verbündeten wieder in Holland mit den Franzosen verhandelt. Doch die Gespräche ziehen sich endlos hin. Eugen verliert die Geduld, als er merkt, daß die Franzosen "uns nur amüsieren und foppen" wollen. So werden die Verhandlungen schließlich abgebrochen, und man greift abermals zum Schwert. Marlborough und der Prinz können nicht ahnen, daß dies das letzte Mal ist, daß sie gemeinsam ihre Armeen führen werden. Damals, als England der Großen Allianz den Dolchstoß versetzte, entstand der Begriff des "Perfiden Albion". Sowohl Eugen wie Marlborough sollen allmählich von den britischen Innenpolitikern auf die schmutzigste Art an die Wand gedrückt werden. Wer etwa glaubt,
Lüge, Entstellung, Unterschlagung oder gezielte Desinformationen seien verhältnismäßig neue Erfindungen der Medien, der sollte die Pressekampagne verfolgen, die seinerzeit gegen Marlborough und seine Bündnispolitik geführt wurde. Die sprichwörtliche Fremdenfeindlichkeit der Engländer geschickt ausnutzend, weiß man dem Volk einzureden, es solle nicht so dumm sein, sich von den Kontinentalmächten das Fell über die Ohren ziehen zu lassen. Die Stimmung in Wien ist einer Panik nahe. Ohne das englische Geld ist Habsburg nicht in der Lage, den Krieg weiter zu führen. Eugen muß als Emissär nach England reisen, um zu versuchen, die Briten bei der Stange zu halten. Trotz der Winterstürme im Kanal, und bei schlechter Gesundheit, tritt der Prinz die beschwerliche Reise an. Er hält diesen verzweifelten Schritt für seine Pflicht, und gleichzeitig will er seine Loyalität dem Herzog gegenüber beweisen. Es fehlt nicht an öffentlichen Huldigungen und ehrlicher Begeisterung der Menge. Aber die maßgebenden Politiker versuchen, den Prinzen mit heuchlerischen Reden zu täuschen. Man geht so weit, dem Volk, das den Prinzen verehrt, weiszumachen, Eugen und Marlborough planten einen Putsch zum Sturz der Regierung, wollten London in Brand stecken, die Königin gefangennehmen und die Minister ermorden! Die Propagandagiftküche eines Sefton Delmer ist hier vorweggenommen: Psychologische Kriegführung, bedenkenlos angewendet - schon vor den Mären von abgehackten Kinderhänden, Verwertung von Kadavern zu Seife und schlimmeren Greuellügen! Wien steht derartig heimtückischen Teufeleien hilflos gegenüber. Sie entsprechen nicht deutscher Mentalität!
Endlich Frieden im Westen Beim Friedenskongress in Utrecht ist den Franzosen bekannt, daß Eugens Werben um den englischen Bundesgenossen gescheitert ist. Hinter dem Rücken seiner Bündnispartner führt England geheime Verhandlungen mit Frankreich, obwohl es sich nach außen hin weiter als Verbündeter der Allianz ausgibt. Die Verbündeten sehen sich gezwungen, noch einmal zu den Waffen zu greifen. Wieder einmal sucht man die "letzte, entscheidende Schlacht". Doch die englischen Truppen unter dem Herzog von Ormonde haben Anweisung, sich von jeder Aktion fernzuhalten. Mehr noch: Ormonde ist hinterhältig genug, die Kaiserlichen bewußt in eine verderbliche Stellung zu locken. Gleichzeitig verständigt er den französischen Befehlshaber Villars, daß er von den britischen Truppen nichts mehr zu befürchten hat! Ohne diese, für England nicht gerade seltene Niedertracht, wäre Ludwig endgültig zu Boden gerungen worden, und die Geschichte hätte einen anderen Verlauf genommen. Trotz des ehrlosen Betrugs der Engländer gelingt es dem Prinzen, tief in Frankreich einzudringen. In Paris herrscht schon Panik. Doch da vollbringt Marschall Villars, von Ormonde über die Pläne der Kaiserlichen bestens informiert, das Wunder von Denain und wird damit zum Retter Frankreichs. Die Holländer - Krämer wie die Engländer - fallen nach dem unglücklichen Ausgang dieser Schlacht ebenfalls ab. Wien fehlt wie immer das Geld, und Eugen muß an französische (!) Geldverleiher herantreten, um für unverschämte Summen Soldaten von unseren Reichsfürsten zu kaufen. So erhält der Landgraf von Hessen-Kassel für ganze zwei Schwadronen 50.000 Gulden. Der Herzog von Sachsen-Gotha für zwei Bataillone und zwei Eskadronen 300.000 Gulden! Nach über ein Jahrzehnt währenden blutigen Kämpfen und schrecklichen Verwüstungen kommt man endlich überein, einen Frieden zwischen Kaiser und König auszuhandeln. Diesmal sollen ihn nicht die Diplomaten, sondern die Feldherrn zuwege bringen. Am 26. November 1713 treffen sich Prinz Eugen und der französische Herzog Villars im Schloß
Rastatt. Villars verehrt den Prinzen nicht nur als Feldherrn, sondern auch als Menschen. Er ist tief beeindruckt von dem "kleinen, schmächtigen Eugen" , von dessen Bildung, Charakter und diplomatischen Fähigkeiten. Eugen tritt dabei mit dem für seine Zeit ungewöhnlich kühnen Gedanken auf, ein Bündnis oder wenigstens ein Abkommen zwischen Frankreich und dem Reich zustandezubringen. Seltsamerweise ist es ausgerechnet Ludwig, bis dahin der Todfeind des Hauses Habsburg, der diesen Gedanken aufgreift. Leider wird dieser für das Schicksal Europas so fruchtbare Gedanke nicht Wirklichkeit. Am 7. März setzen die beiden Feldherrn endlich ihre Unterschriften unter den von ihnen ausgehandelten Vertrag. Trotz der militärisch und finanziell schwachen Lage Habsburgs gelingt es dem Prinzen, dank seiner diplomatischen Fähigkeiten und einigem "Pokerspiel", die wesentlichsten Anliegen seines Kaisers zu erfüllen. Karl braucht auf seine spanischen Ansprüche nicht zu verzichten. Österreich hat reiche Gebiete, aber mit diversen Völkern, dazugewonnen. Der nach wie vor vom Glanz der spanischen Krone geblendete Karl ist dagegen bereit, auf die von den Franzosen geraubten Gebiete im Westen des Reiches zu verzichten. Frankreich behält das Elsaß mit Straßburg, Toul, Metz und Verdun, sogar Landau! Es scheint Karl VI. nicht aufgegangen zu sein, daß die Aufgabe dieser wertvollen und strategisch bedeutenden Reichsgebiete die Franzosen in Zukunft nur zu weiteren Raubzügen animieren wird! Seine Gedanken kreisen weiterhin mehr um seine spanischen Lande als um die Kräftigung der Mitte Europas. Den reichstreuen Prinzen haßt seine spanische Kamarilla begreiflicherweise wie die Pest. Es ist diesen, das Wiener Hofleben hispanisierenden Emigranten zu verdanken, daß die Blicke Karls immer wieder auf seinen unseligen Jugendtraum gelenkt werden, zu Ungunsten des Reiches! Am meisten jedoch hat das perfide Albion nach diesem langen Krieg gewonnen. Durch den Frieden von Utrecht wird England die führende See- und Handelsmacht der Welt. Neben neuen Kolonien und strategischen Stützpunkten wie Gibraltar und Menorca gewinnt es das enorm lukrative Monopol auf den Sklavenhandel mit den spanischen Kolonien. Die englische Flotte beherrscht die Weltmeere. Englands in den Krieg gepumpte Gelde hatten unwahrscheinliche Zinsen abgeworfen. Für England bedeuteten schon damals europäische Bruderkriege den idealen Zustand, um in fernen Erdteilen auf Beute gehen zu können. Prinz Eugen wird nach dem Friedensschluß von der Bevölkerung begrüßt wie nach einem großen Siege. Nach Jahren im Sattel, von einem Kriegsschauplatz zum andern hetzend, nach Strapazen und Verwundungen, will er sich nun endlich der verdienten privaten Ruhe hingeben. Auf ihn wartet das von Meister Hildebrandt im weiteren Ausbau befindliche Prachtschloß Belvedere, ein würdiger Wohnsitz für diesen großen Freund der Künste und Wissenschaften.
Neuer Kampf gegen die Türken Eugens Muße soll nicht lange währen. Während des Spanischen Erbfolgekrieges, der die Kräfte des Kaisers voll in Anspruch nimmt, sind die Türken zum Glück noch zu schwach, um die Bedrängnis des Reiches durch Franzosen und Kurutzen auszunutzen. Doch im Jahr 1716 glauben sie sich von den früheren Niederlagen genügend erholt. Sie wollen Rache an den verhaßten Christen nehmen und gleichzeitig ihre unruhigen Hilfsvölker beschäftigen, für die
Krieg der profitabelste Zeitvertreib ist. Das türkische Weltreich ist trotz der erlittenen Schläge noch immer ein gewaltiger Koloß. Der Sultan herrscht über drei Kontinente. Kairo, Bagdad und auch Jerusalem sind in türkischer Hand. Schon im Februar 1715 erläutert der Prinz nach gründlichem Studium die bedrohliche Lage. Ein Zehnpunkteprogramm enthält seine Forderungen für die unbedingt notwendige Verbesserung der Armee sowie den Bau einer Donauflotte. Karl VI. kann sich den Argumenten des Prinzen nicht verschließen. Zu frisch sind die Erinnerungen an die Belagerung Wiens durch die Türken. Es besteht wenig Grund, ihre Kampfkraft zu unterschätzen. Im Kriegsarchiv über die Feldzüge des Prinzen heißt es: "Die (türkischen) Soldaten waren tapfer, gehorsam, fanatisch. Ein grausamer Vernichtungswille beseelte sie, und bald wußten sie wieder wie einst, Schrecken vor sich her zu verbreiten." Der Kampf gegen die Ungläubigen war ihnen zudem religiöse Pflicht. Der Tod auf dem Schlachtfeld sicherte ihnen den Platz im Paradies mit all seinen Freuden. Ohne Kriegserklärung wälzt sich im Juli 1716 eine türkische Soldatenflut donauaufwärts, insgesamt an die 200.000 Mann, angeführt vom Großwesir Damad Ali. Ihr Ziel ist Peterwardein, das "Gibraltar an der Donau". Nur wenige Kilometer von der Festung entfernt läßt Damad Ali sein Lager aufschlagen. Ein bewaffnetes Aufklärungsunternehmen der Kaiserlichen hat einen bösen Ausgang. Die Stimmung im Lager Eugens ist gedrückt, die Angriffslust seiner Generäle schwindet angesichts der gewaltigen türkischen Übermacht. Der Prinz kommandiert nicht mehr als gut 60.000 Mann. Zudem sind die Türken im Besitz der vorteilhafteren Stellungen. Die Generäle sind für den Rückzug. Der Prinz hält nichts von einem Kriegsrat. Er ist gewohnt, seine Entschlüsse allein zu treffen, und er befiehlt den Angriff. Trotz der fanatischen Tapferkeit der Janitscharen gelingt es Eugen, wieder einmal in vorderster Reihe seine Leute anfeuernd, mit seinen gepanzerten Kürassieren die Front der Türken aufzurollen. Der Großwesir fällt durch eine Kugel. Die traurigen Reste seiner Armee fliehen über die Save. Ein grausiger Fund erwartet die Kaiserlichen im Lager der Türken: "Der Feldmarschallleutnant Graf von Breuner ist bei des Großwesirs Zelt ganz frisch zerhauen mit Eisen an Hals und Füßen, dann verschiedene unserer Leute herum... enthauptet aufgefunden worden," heißt es im Bericht des Prinzen an den Kaiser. Breuner war gefoltert worden! Die Brutalität der Türken unterschied sich wenig von der der späteren Bolschewiken und ihrer Nachahmer... Die Siegesfeiern in Wien lassen den Prinzen unbeeindruckt. Ihm ist an der Auswertung seines Sieges gelegen. Sein Fernziel ist die Rückeroberung von Belgrad, das 1690 für Habsburg wieder verlorengegangen war. Aber dafür ist seine Armee noch zu schwach. Auch fehlt ihm das unbedingt nötige Schiffsmaterial. Eugen marschiert anschließend noch in die Ebene am linken Donauufer gen Temesvar, nach Belgrad die stärkste Festung der Türken. Am 12. Oktober läßt der befehligende Pascha die weiße Fahne hissen. Eugen hat dem Kaiser das ganze Banat gewonnen. Temesvar, das "Klein-Wien", zeigt noch heute Reste seines früheren barocken Wiener Charms. Die von Eugen ins Land geholten Schwaben, die das Land zu einem blühenden
Garten machen, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auf grausame Art ausgerottet oder vertrieben. Vornehmlich aus ihren Reihen hatte sich die 7. SS-Gebirgsdivision unter ihrem fähigen Kommandeur Arthur Phleps, einem Siebenbürger Sachsen und ehemaligen k.u.k.Offizier, gebildet. Die Nationalsozialisten hatten zu Ehren des Prinzen dieser Division sowie einem modernen schweren Kreuzer seinen Namen gegeben. Der Kaiser und auch der Papst überhäufen den Marschall des Reiches nach seinem Siege mit Ehrungen. Der Kaiser wiederholt seine Ermahnungen, Eugen solle sich in Zukunft "weniger exponieren". Er will seinen einzigartigen Feldmarschall nicht durch dessen Tollkühnheit im Kampf verlieren. Eugen hat sich an diese Mahnungen nie gehalten und weiterhin, wo immer notwendig, als mitreißendes Beispiel an der Spitze seiner Truppen gekämpft. Nach Peterwardein und Temesvar müssen all die Neider Eugens, einschließlich der spanischen Parasiten, für eine Weile verstummen. Der Kaiser kann vom Prinzen überzeugt werden, daß ein Frieden mit den Türken nur dann von Dauer sein kann, wenn Belgrad wieder in seiner Hand ist.
Er ließ schlagen einen Brucken Im nächsten, den Kampf gegen die Türkenbedrohung entscheidenden Feldzug, kommt es zu jener berühmten Schlacht, die als eine der Großtaten an Feldherrnkunst und an wildem Mut von Feldmarschall, Offizier und Mann in die Geschichte eingegangen ist. Das Unternehmen unterscheidet sich von anderen auch dadurch, daß es mit der größten Sorgfalt vorbereitet wird. Unter Führung Eugens erleben wir das kaiserliche Heer auf seiner weltgeschichtlichen Höhe. Auch die Hofkasse knausert diesmal nicht mit der Finanzierung. Die Erkundigungen der Befestigungen der zwischen Save und Donau eingezwängten Festung fallen dem Grafen Mercy zu. "Belgrad war Schlüsselpunkt, Pforte, Sperriegel und Damm... zur Beherrschung des Balkans, der Meeresküsten und Istanbuls." Die Garnison ist gerade mit 30.000 Mann Janitscharen verstärkt und für einen langen Zeitraum mit Proviant aufgestockt worden. Und in Adrianopel steht ein gewaltiges Heer zum Angriff nach Norden bereit. Die Hoffnung Eugens, dieser Übermacht 100.000 eigene Soldaten entgegenstellen zu können, geht nicht in Erfüllung. Er muß sich mit 70.000 begnügen. Um so mehr Sorgfalt widmet er den technischen Vorbereitungen des Feldzugs. Die Überwindung der beiden Ströme verlangt hervorragende Brückenbauer, dazu eine schlagkräftige Donauflotte. Die Türken denken nicht einmal im Traum daran, daß der Prinz eine so unorthodoxe Strategie wählen könnte, eine Brücke über die Donau zu errichten. Die Donau ist bei Belgrad sehr breit, aber eine vorhandene Sandbank erleichtert den Brückenschlag. Ein unbekannter Soldat hat den Verlauf von Belagerung und Einnahme Belgrads in einem Lied besungen, das früher allen Schulkindern bekannt war: "Prinz Eugen, der edle Ritter, wollt, dem Kaiser wied`rum kriegen Stadt und Festung Belgerad. Er ließ schlagen einen Brucken, daß man konnt hinüberrucken mit der Armee wohl vor die Stadt." So heißt es in der ersten Strophe. Rund 150 Jahre später berichtet Ferdinand Freiligrath die Stimmung vor der Schlacht in seinem Gedicht "Zelte, Posten, Werda-Rufer...", von Carl Loewe zu der jedem Musikliebhaber bekannten Ballade vertont.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni geht es in drei Staffeln an das andere Donauufer. Das Kriegsarchiv berichtet: "Es war ein Moment hoher kriegerischer Begeisterung... Trommelschall und das Spiel der Pfeifen erfüllten die Luft und hoch flatterten die kaiserlichen Fahnen." Der Brückenkopf wird gebildet, die Kavallerie kann ungehindert über den Strom. Damit ist einer der gefährlichsten Abschnitte des Unternehmens glücklich durchgeführt. Unter dem ständigen Störfeuer der Festung geht Eugen an die Organisation der Belagerung. Er hat es eilig, denn je länger die Belagerung dauert, desto eher kann ihm das Entsatzheer Chalil Paschas in den Rücken fallen. Der Pascha allein verfügt über die doppelte Streitmacht des Prinzen. Neben der Festungsbesatzung droht noch eine weitere türkische Armee, die vom Banat aus vorstößt, um die Nachschublinien der Kaiserlichen abzuschnüren. Durch einen in seinen Diensten stehenden Spion ist Eugen ziemlich genau über die Bewegungen des Gegners informiert. Wie im Zweiten Weltkrieg Guderian (der dem Prinzen als Stratege und Truppenführer in vieler Hinsicht ähnelt), mißt Eugen der Aufklärung und dem Nachrichtendienst besondere Bedeutung bei. Vorsorglich hat der Prinz sich gleichzeitig auf Angriff und Verteidigung eingestellt. Denn am 28. Juli künden Raketen und Freudenböller aus der Festung die sich nähernden Spitzen des Entsatzheeres an. Fast täglich hat Eugen nun mit einem Angriff zu rechnen. Schlimmer noch als die Nähe des Paschas ist das aus den Niederungen der beiden Flüsse aufsteigende Sumpffieber. Auch die Ruhr tritt auf, die dieKaiserlichen weiter dezimiert. Dauerkanonaden von der Festung decken die Belagerer von zwei Seiten ein. Der Proviant wird knapp, nachdem die Türken mehrere Versorgungsschiffe gekapert haben. In Wien ist die Stunde der Schwarzseher wieder gekommen. Sollte es den Türken gelingen, Eugen in die Zange zu nehmen und zu vernichten, so kann man mit einer dritten Belagerung Wiens rechnen. Seine Widersacher nörgeln, Eugen habe zu viel riskiert. Er sei nicht Herr der Lage, immer habe er gegen alle Regeln verstoßen. All seine früheren Siege seien nur reine Glücksfälle gewesen. Die Katastrophe für seine kranke Armee vor Augen, faßt der Prinz den tollkühnen Entschluß, den Stier bei den Hörnern zu packen. Er wählt die Offensive. Wie später Friedrich der Große vor der Schlacht bei Leuthen befiehlt er seine Generäle in sein Zelt, um ihnen seinen Entschluß zu übermitteln. Er soll dabei gesagt haben: "Entweder ich nehme Belgrad, oder die Türken nehmen mich." Um Mitternacht treten 24 Kavallerie- und 52 Infanterieregimenter an. Die Türken haben nicht die geringste Ahnung vom bevorstehenden Angriff der Kaiserlichen. "Mit einem solchen Wahnsinnsentschluß, mit dieser Alles- oder Nichtstaktik des Prinzen, mit einem Angriff zwischen zwei Feuern, hatten sie nicht gerechnet." Ein dichter Morgennebel sorgt für einige Verwirrung unter den Angreifern. Als endlich die Sonne durchbricht, gelingt den Türken ein Einbruch mit starken Kräften in eine Lücke im Zentrum der Armee des Prinzen. Doch Eugen wirft sich blitzschnell an der Spitze der Kavallerie an die bedrohte Stelle. Obwohl durch einen Streifschuß am Arm verwundet, spornt er durch sein kämpferisches Beispiel seine Soldaten an, das Letzte herzugeben. Im Lied des unbekannten Dichters heißt es hier: "Prinz Eugenius wohl auf der Rechten thät als wie ein
Löwe fechten als General und Feldmarschall." Mit unwiderstehlicher Wucht stürzt sich die kaiserliche Armee nun auf den Gegner und zermalmt ihn. Ohnmächtig müssen die türkischen Verteidiger der Festung den Untergang der Armee beobachten, die sie hatte befreien sollen. Am 22. April kapituliert auch die Festung. Der Jubel in ganz Europa ist groß, und Eugen erntet den überschwenglichen Dank des Kaisers. Den Türken ist der Schock in die Glieder gefahren, und sie suchen den Frieden. Vorher muß der Prinz jedoch noch einmal mit einem erneuten Feldzug drohen, bevor es im folgenden Jahr zum Frieden von Passarowitz kommt. Genau wie Bismarck später besitzt auch Eugen einen gesunden Sinn für das Mögliche. Er rät zur Mäßigung, und von Forderungen noch größerer Gebietsabtretungen abzusehen.
Der Staatsmann Die Laufbahn des Feldherrn ist damit abgeschlossen, eines Feldherrn wie ihn die Welt lange nicht gesehen hatte, und den Friedrich der Große und auch Napoleon mit Stolz als ihr Vorbild hinstellten. Aber der Prinz war nicht nur ein großer Feldherr, sondern auch durch und durch Staatsmann. Er handelt nach dem Motto, daß Gott die Mäßigung mehr schätzt als den Übermut des Siegers! Die neuerworbenen Ländereien im Osten will er langsam mit dem Reich verschmelzen statt weitere unverdauliche Fremdgebiete anzustreben. Man hat diese weise Einstellung auf deutscher Seite im Ostfeldzug des zweiten Weltkrieges leider vermissen lassen. Übertriebener Ehrgeiz, neben sträflicher Unterschätzung einer globalen feindlichen Koalition, kosteten uns den Sieg. Eugens Palast in der Himmelpfortgasse ist nun neben der Hofburg die erste Adresse in Wien geworden. Als Philipp von Orleans, der Sohn Liselottes und Nachfolger Ludwigs XIV., die Annäherung an den Kaiser sucht, führt sein Vorstoß bezeichnenderweise über Prinz Eugen. Es spricht für die menschliche Größe des Prinzen, daß er sein enormes Prestige nie für persönliche Zwecke ausgenutzt hat. Was er tut, geschieht stets im Namen und im Interesse seines kaiserlichen Herrn. In Erinnerung an die einstige Großmachtstellung Spaniens ist sich Karl VI. nur zu sehr der Vorteile einer starken Handelsflotte mit aktivem maritimem Handel bewußt. Auf sein Betreiben wird die Ostindische Kompanie gegründet. Sie erzielt zwar fabelhafte Gewinne, verärgert aber die Rivalen Holland und vor allem England. Der Prinz hatte von Anfang an vor diesen Plänen gewarnt, da er die Reaktion der Engländer und Holländer richtig einschätzte. Ihm ist klar, daß es sich hier - wie immer- nicht um Rechte, sondern um Macht handelt! Sein Mißtrauen soll bald bestätigt werden. Als Preis der Anerkennung der Pragmatischen Sanktion zwingen die Seemächte den Kaiser dazu, die Kompanie aufzulösen. Karls Reaktion ist wiederum falsch. Erzürnt über die Anmaßung seiner Rivalen, verlegt er seine Ambitionen noch mehr nach Spanien und zerstört damit die schon in Ansätzen vorhandene Annäherung an Frankreich. Die Verbindung der habsburgischen mit der spanischen Krone war ein Unsegen für Österreich, und mehr noch für das Reich! Die Pragmatische Sanktion, d. h. die weibliche Erbfolge des Hauses Habsburg, muß gegen erhebliche Widerstände erkämpft werden. Den Ewigen Reichstag zu Regensburg kann Eugen
durch finanzielle Beeinflussung dazu bewegen, "im Namen des Heiligen Römischen Reiches" die Nachfolge anzuerkennen. Schwieriger gestaltet sich die Einholung des Einverständnisses der auswärtigen Mächte. Der Kaiser wähnt seinen Anspruch durch eine Reihe von Verträgen gesichert. Eugen hat keine solchen Illusionen. Er warnt Karl, sich nicht auf papierene Verträge zu verlassen, sondern auf eine volle Kasse und ein starkes Heer! Dafür wären allerdings die bedeutenden Reformen in der Verwaltung nötig gewesen, zu denen Karl sich nicht aufraffen kann. Mirko Jelusich urteilt über Karl VI.:"Er war ein echter Habsburger: Immer nur bemüht, Kompromisse zu schließen und das Unabwendbare hinauszuschieben, statt ihm entgegenzutreten und es zu meistern." Vierzig Jahre lang hatte der Prinz auf allen Schlachtfeldern Europas um den Bestand der Monarchie gekämpft. Er hatte Habsburgs Großmachtstellung begründet, indem er seine Kernlande um ein vielfaches vergrößerte und seiner Politik nach dem verheerenden Ausgang des 30-jährigen Krieges neue Wege wies. Er war alt geworden, aber er hatte nicht die Absicht, tatenlos zuzuschauen, wie unfähige Verwalter sein Werk gefährden und zerstören.
Eugens Geheimdiplomatie Für den gewöhnlichen Soldaten ein fremdes Umfeld, betritt der Prinz daher nach jahrelangen Kämpfen im Feld ein völlig neues Gebiet: das der Geheimdienste und der Untergrunddiplomatie. Typisch für ihn hält er sich dabei nicht an Lehrbücher, an Moralvorurteile oder gar an Völkerrechtstraktate. Ihm liegt daran, mit seinen Agenten die Absichten der Gegner des Kaisers auszukundschaften, die gegnerischen Strategien frühzeitig zu erkennen und durch Aufruhr und Verwirrung zu durchkreuzen. Seine auf militärischem Gebiet angewandten Methoden setzt er jetzt mit Erfolg in der Friedensdiplomatie ein. Mit eigenem Geld kauft er nicht nur Informationen, sondern ebenfalls habsburgischen Einfluß an allen Höfen Europas. Das Netz seiner Agenten erstreckt sich über den ganzen Kontinent. So wie sich die heutigen Geheimdienste, ob Mossad, CIA oder Secret Service, ihrer offiziellen Auslandsvertretungen bedienen, so werden auch die Botschafter des Kaisers, die zum Teil dem Prinzen ihre Stellung verdanken, die wichtigsten Träger seiner Geheimdiplomatie. Der Kaiser fördert diese unschätzbare Arbeit des Prinzen und sorgt dafür, daß niemand außer ihm eine Ahnung davon hat. Was war der Zweck dieser kostspieligen Bemühungen? Welche Ziele verfolgte der Prinz in seiner ehrenamtlichen Außenpolitik, zu der er ohne Zweifel von den großen Gegenspielern des Reiches wie Richelieu oder Mazarin angeregt worden war? Im Hinblick auf den aufstrebenden brandenburg-preußischen Staat bangt der Prinz um die Gefahr eines innerdeutschen Bruderkrieges. Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, hat zwar kaum jemals Zweifel an seiner Loyalität zum Kaiserhaus aufkommen lassen. Auch den jungen Kronprinzen, den Eugen als Gast im Feldlager kennen und schätzen lernte, hält man als Verehrer von Musen und Philosophie für unkriegerisch und ungefährlich. Außer dem kaiserlichen Botschafter in Berlin, Seckendorf, erkennt nur Eugen mit feinem Instinkt den Ehrgeiz und das Genie des Königssohns. Sein Sinnen geht nun danach, wie man diesem als dunkle Wolke über der Zukunft des Reiches drohenden Dualismus vorbeugen kann. Es ist nie erwiesen, ob ernst gemeint oder nur eine Laune. Aber einmal soll der preußische Kronprinz selbst den Vorschlag gemacht haben, sich mit Maria Theresia zu vermählen. Es bedarf einiger Phantasie, sich angesichts der
gänzlich verschiedenen Mentalität von Potsdam und Wien eine harmonische Verbindung zwischen der bedeutenden, aber betont religiösen Habsburgerin und dem Freigeist Friedrich vorzustellen. Wie schon erwähnt, schwebt dem Prinzen als Zukunftsvision ein Bündnis mit Preußen und dem immer mächtiger werdenden Rußland vor, nach Czibulka "der glücklichste staatsmännische Gedanke für den Frieden Europas, glücklicher als der spätere Dreibund" mit Italien. "Wenn Österreich, Preußen und Rußland zusammenhalten, so werden sie mit vereinten Kräften allen die Spitze bieten!" (was unsere heutigen "Freunde" mit aller Gewalt zu verhindern bemüht sind!) Noch eine andere Möglichkeit schwebt dem Prinzen zur Sicherung des Hauses Habsburg vor. Er rät seinem Kaiser, Maria Theresia mit dem allerdings um etliche Jahre jüngeren Kurprinzen des ewigen Nebenbuhlers Bayern zu vermählen. Die Verwirklichung der Fusion der beiden - neben Preußen - stärksten deutschen Staaten hätte eine bedeutende Kräftigung des deutschen Elements im Habsburger Vielvölkerstaat bewirkt. Trotz seines großen Königs wäre Preußen neben einer derartigen Machtballung schwerlich zur Großmacht aufgestiegen. In seinen "Epochen der deutschen Geschichte" vertritt Johannes Haller jedoch entschieden die Ansicht, daß der Aufstieg Preußens und sein Führungsanspruch im Reich der Deutschen von der höheren Warte der Reichseinheit unvermeidlich, notwendig und ohne Zweifel segensreich war. Denn "man vergleiche... Österreich ein buntes Mosaik, ein europäisches Staatenkonglomerat ohne Festigkeit und inneren Zusammenhang - auf allen Seiten mit internationalen Reibungsflächen versehen... dagegen Preußen: straff zusammengefaßt , auf allen Gebieten vorwärtsstrebend, in seiner Bevölkerung deutsch, an seinen Grenzen mit den eigenen Interessen zugleich die deutschen vertretend!"
Der Prinz als Kolonisator Die Anfänge der deutschen Besiedlung Ungarns gehen schon auf den Ungarnkönig Stephan den Heiligen und Kaiser Otto den Großen zurück. Das von ihnen gegen die Einfälle der Magyaren geschaffene Vorfeld wird sieben Jahrhunderte später von Prinz Eugen zum Südostsglacis Europas ausgebaut. Das große deutsche Siedlungswerk des Prinzen mit der Anwerbung von Schwaben, Elsässern, Lothringern, Franken und Pfälzern, deren Heimat durch Ludwig XIV. vernichtet worden war, erstreckt sich auf die Baranya, das Banat und die Batschka. Es zählt zu den großen Geschichtslügen, daß die Deutschen in diese Gebiete ungebeten als Eroberer eindrangen. Deutsche Ritter, Mönche, Bauern und Kaufleute, Handwerker und Gelehrte sind sowohl von Ungarn, Polen und auch nach Böhmen ins Land gerufen worden! Ungarische Historiker bestätigen, daß "die Städte Ungarns fast ausschließlich deutsche Gründungen waren." Alfons von Czibulka gibt die Schilderung eines Chronisten aus Ofen wieder, wie es in Ungarn vor der Befreiung von der Türkenherrschaft ausgesehen hatte: "Überall nur Mist, Dünger, verendete Tiere und Unflat. Die Häuser sind teils dachlos, teils haben sie verwitterte Dächer. Die Fenster sind mit Kot, Ziegeln und Stroh zugestopft. Die Kirchen sind zerfallen und zu Viehställen geworden ( wie z.B. in Ostpreußen nach der bolschewistischen "Befreiung" von 1945) "Leichen von Menschen und Tieren lagen unbeachtet herum, bis Hunde und Geier sie fraßen. Die gepriesenen Wunder des Morgenlandes nehmen sich seltsam genug aus." Und der
gleiche Chronist kommentiert dazu: "O armes Pest, dich sollte man lieber Pestilenz nennen!" Diese Zustände gelten nicht nur für die von den Türken besetzten Städte, sondern genau so für das unter ihrer Herrschaft stehende offene Land. Die von den Deutschen zu leistende Arbeit, um dieses trostlose Schlamassel in fruchtbares Land mit blühenden Gemeinwesen zu verwandeln, ist unsagbar hart. Nicht umsonst hieß es: "Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot! Allein die Zahl der von der Malaria hingerafften Fiebertoten soll größer gewesen sein als die österreichischen Verluste im Siebenjährigen Krieg. Noch zu Lebzeiten Eugens werden diese Landschaften innerhalb von nur 18 Jahren ein wahres "Wirtschaftswunder". Mit der Verwaltung hatte der Prinz den lothringischen Kavalleriegeneral Mercy betraut. Durch seine Leistungen erwarb Mercy sich den Ehrennamen "Der Vater des Banats". Im Auftrag des Prinzen holt Mercy nicht nur Siedler, sondern auch Beamte, Ärzte, Ingenieure für Aufforstung, Bergwerke und Straßenbau ins Land. Das Ergebnis ist, daß die früheren Wüsteneien nicht nur sich selbst, sondern nebenbei noch die Armee versorgen sowie große Gütermengen ausführen können. All diese Errungenschaften wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von den "Siegern" in brutalster Weise vernichtet. An der Wolga, in Polen, im Baltikum oder in Übersee hat es sich gezeigt, daß die Deutschen letzten Endes nur als Kulturdünger mißbraucht worden waren, und daß haßerfüllte Neider ihnen bei passender Gelegenheit alles abnahmen, zerstörten oder aufsogen, was sie mit ihrer Tatkraft und Tüchtigkeit in entsagungsvoller Arbeit aufgebaut hatten! Jelusich bemerkt treffend, daß "es dem Reiche nie gut getan hat, seinen Schwerpunkt außerhalb seiner Grenzen zu suchen." Die deutsche Bevölkerung in den neuen Siedlungsgebieten ist einfach zu schwach, zuweilen nicht höher als 5% der Gesamtbevölkerung, um sich auf die Dauer in einer feindseligen Umwelt behaupten zu können. Wie bei den jüngsten "ethnischen Säuberungen" auf dem Balkan eindrucksvoll demonstriert, können Völker außerhalb eines geschlossenen Siedlungsgebietes auf die Dauer nicht überleben. Absplitterungen, künstliche Trennungen, und schlimmer noch als alles andere, forcierte Durchmischung, sofern nicht rechtzeitig unterbunden und rückgängig gemacht, führen unweigerlich zur allmählichen Schwächung, und eines Tages zur Auslöschung des betroffenen Volkskörpers.
Förderer von Wissenschaft und schönen Künsten Prinz Eugen war nicht nur der Retter des Abendlandes, sondern nach Czibulka "zugleich das Urbild des abendländischen Menschen.... zum Beispiel eines wahrhaften Europäers ist Prinz Eugen von Savoyen durch seine leidenschaftliche Liebe zu geistigen Dingen und zur abendländischen Kunst geworden, die er durch seine Liebe und das Gewicht seines Namens förderte und die ihn trotz aller politischen Gegensätze Europa als eine kulturelle Einheit sehen ließ." Es bedarf keiner Erwähnung, daß das vom Prinzen verkörperte Europa nicht das mindeste mit der von aberwitzigen Gernegroßen und den Hyänen des internationalen Großkapitals erstrebten "Europäischen Union" zu tun hat! An anderer Stelle sagt Czibulka von Eugen: "....wie es die Menschen des Barock verstanden haben - Eugen ist dafür ein Beispiel - Mars und Musen zu einem Ganzen zu verbinden und so ihr Leben selbst zu einem Kunstwerk zu formen." Für Eugen trifft das Wort zu: "Der Krieger als Philosoph, der Feldherr als Freund der Weisheit, eine glückliche Verbindung von Geist und Macht." Es ist wahrhaft erstaunlich, daß
ein so sehr mit allen Problemen europäischer Politik belasteter Mann Zeit findet, ebenso viel zu lesen wie andere, die Zeit und Muße im Überfluß hatten. "Der Prinz ist über alles unterrichtet." Eugens Leidenschaft für wertvolle Bücher wurde durch seinen Generaladjutanten von Hohendorff geweckt. Die Bibliothek in seinem von erlesenem Kunstgeschmack zeugenden Schloß Belvedere umfaßte über 15.000 Bände, praktisch das gesamte Wissen der Zeit. Kirchliche Zensur scheint ihn nicht gestört zu haben. Eugen umgab sich mit Protestanten und Freigeistern. Ein Exkommunikationsdekret des Papstes gegen ihn und den Kaiser ließ ihn unberührt. Im Gegenteil! Er bestärkte den Kaiser noch, eine harte Haltung einzunehmen mit dem Erfolg, daß der Papst klein beigab. Der berühmteste Gast im Haus des Prinzen war Gottfried Wilhelm von Leibnitz, der große Philosoph, Historiker, Mathematiker, Jurist und wohl letzter Universalgelehrter. Die Freundschaft zwischen ihm und dem Prinzen (den beiden größten Männern ihrer Zeit) beruhte auf gleichen geistigen und politischen Zielen. Leibnitz war es in erster Linie, der von dem Gedanken beseelt war, die Glaubensspaltung, jenen unseligen Riß durch die deutschen Lande, rückgängig zu machen. Doch auch im Ausland, selbst im "feindseligen" Frankreich, fehlte es nicht an ehrlicher Bewunderung für Eugen. In einem ehrerbietigen Schreiben bittet die Pariser Sorbonne noch inmitten der Kriegshandlungen den "gelehrten Prinzen" wie sie ihn nannte, auch in Zukunft der Schirmherr der Künste zu bleiben. Der französische Dichter Rousseau schreibt von ihm: "Ich speise oft bei ihm...und finde ihn in seinem Privatleben noch bewundernswerter als an der Spitze seiner Armeen. Denn niemals habe ich in einem Mann so viel Größe mit so viel Schlichtheit vereint gesehen... kühl bei der ersten Begegnung, aber ungemein herzlich bei längerem Umgang, ist er ein weit größerer Bewunderer der Tugend anderer als seiner eigenen." Auch in seiner menschlichen Fürsorge ist der Prinz vorbildlich. Gegenüber seinen hunderten von Baumeistern, Architekten, Bildhauern, Malern, Maurern, Gärtnern, Stukkateuren und Handlangern beweist er sein soziales Gewissen; denn sie bleiben in seinen Diensten auch wenn es einmal keine Arbeit für sie gibt. Einem aufs Geld bedachten Verwalter, der ihm die Kosten dieses oft unbeschäftigten Heeres von Arbeitern vorrechnet, antwortet er: "Meint er, ich brauche vielleicht ihn? Braucht man irgendeinen Menschen in der Welt? Wenn er denkt, es sei gestattet, die Menschen verhungern zu lassen, die man nicht mehr braucht, wer soll denn ihn und mich vor dem Verhungern schützen?"
Elite aus dem Geist Carl Jakob Burckhardt zitiert in seinen "Gesammelten Werken" zwei bezeichnende Aussprüche Prinz Eugens, dieses "größten Herren aller Zeiten und Vorbild ritterlicher Kultur". Seinen Offizieren brannte der Prinz das Vorbild ritterlicher Gesinnung mit den Worten ein: "Meine Herren, Sie haben nur eine Lebensberechtigung, wenn Sie beständig auch in der größten Gefahr als Beispiel wirken, aber in so leichter und heiterer Weise, daß es ihnen niemand zum Vorwurf machen kann." Bruno Brehm hält diesen Ausspruch des Prinzen für das österreichische Geheimnis, das es möglich machte, 14 unterschiedliche und auseinanderstrebende Nationen jahrhundertelang zu einem gemeinsamen mitteleuropäischen Kulturkreis zu formen.
Und zu Eugens Definition des Gehorsams, an dem es für den Offizier nichts herumzudeuteln gab, meint Burckhardt: "Hier haben wir die alte libertas obedientiae (die Freiheit im Gehorsam) der kollektiven Elite, die einem obersten Prinzip zu gehorchen sich bemüht... das Rittertum nur in jenem wiedergeboren, der... sich einordnet und um das Lehen dient, das er zu erhalten hat. Mit Form und Spiegelungen ist keine Elite zu schaffen, nur aus dem Geist." Es war dieser Geist, der es dem Prinzen ermöglichte, mit unzulänglichen, oft schlecht bewaffneten und schlecht ausgerüsteten, dazu noch an Zahl weit unterlegenen Truppen die "stärkeren Bataillone" zu besiegen. So konnte er beispielsweise mit den ihm zunächst zur Verfügung stehenden verwahrlosten Haufen die dreifache Übermacht wohlausgerüsteter Franzosen aus Italien verjagen. Immer und überall war er die Seele der Truppe, ein wahrer Führer. Er forderte viel, aber niemals etwas, das nicht ausführbar war, oder das er selbst nicht zu geben bereit war. Für Eugen galt nicht die Person. Im Interesse der Sache hatte er dem eitlen Marlborough vor Höchstädt den strittigen Oberbefehl überlassen. Er lebte den Grundsatz, den Moltke später als preußischen Geist vorlebte und den Schlieffen mit den Worten umriß: Viel leisten, wenig hervortreten - mehr sein als scheinen! Dazu seine, die eigene Lebensmaxime widerspiegelnde strenge Forderung an die Jüngeren: Du darfst nicht für Dich, sondern mußt für eine große Sache leben! Im Gegensatz zu den barbarischen Handlungen von Türken und Franzosen war Eugen für eine saubere Kriegführung. So schrieb er an den Marschall Duc de Berwick, dessen Truppen wieder einmal Greueltaten an der Zivilbevölkerung begangen hatten: "Die Drangsale des Krieges haben ihre Grenzen... Ich wende mich daher an Sie, um die Beendigung von Exzessen zu erwirken, die bisher zwischen zivilisierten und christlichen Nationen unbekannt waren. Überdies versichere ich Sie feierlich,... daß ich mit äußerster Strenge sowohl Offiziere wie Mannschaften meiner Armee bestrafen ließe, wenn sie es wagen sollten, sich mit ähnlichen Unwürdigkeiten zu beflecken." In ähnlichem Sinne - anders als ihre Gegner kämpfte die Deutsche Wehrmacht, die ebenfalls bemüht war, wo immer möglich, den Krieg auf ritterliche Art zu führen. "Es war der Stolz Eugens," schreibt Czibulka, "daß selbst im Kriege der Bauer zwischen den lagernden Regimentern seinen Acker ohne Sorge bestellen konnte... und daß Wirtschaft, Handel und Wandel nicht gestört wurden." Kein Wunder, daß deutsche Soldaten niemals einen ausländischen Befehlshaber mehr verehrt haben als diesen Emigranten und Wahldeutschen aus Frankreich, den "ragendsten Vorkämpfer des deutschen Volkes und Reiches" wie Richard Suchenwirth ihn nennt.
Die letzten Jahre Der Prinz hätte wohl nicht erwartet, daß er als 70-Jähriger noch einmal in den Krieg ziehen müßte. Seit 1726 hatte Kardinal Fleury, der Erzieher Ludwigs XV., die Geschicke Frankreichs übernommen. Obwohl 10 Jahre älter als Eugen, übertrifft er die meisten seiner jüngeren Rivalen an Energie und Zielstrebigkeit. Nach Sanierung der französischen Finanzen gelingt es ihm, wieder eine schlagkräftige Armee auf die Beine zu stellen. In einem neuen Raubkrieg hofft er, Lothringen einzustecken und die Habsburger aus Norditalien zu verdrängen.
Die große Allianz besteht nur noch auf dem Papier. Die Engländer zeigen nicht die geringste Neigung, dem bedrängten Habsburg beizustehen. Sie sind viel mehr an weiteren Eroberungen in Übersee interessiert als lästige Verpflichtungen auf dem Kontinent zu erfüllen. Diese werden nur dann beachtet, wenn es in ihr Schema vom "Gleichgewicht der Kräfte" in Europa paßt! Man führt dort zwar stets die Moral im Munde, aber in der Praxis geht man - im Gegensatz zu den naiv-moralischen Deutschen - nicht gerade ängstlich mit dieser frommen Phrase um. Der Prinz, der um die Überlegenheit des Gegners weiß, warnt vor dem Krieg. Die Franzosen lassen sich jedoch nicht besänftigen, und während man in Wien noch debattiert, marschieren sie in die Lombardei und gehen über den Rhein. Wie in jedem Winter wird Eugen wieder von Grippe und Bronchitis geplagt. Trotzdem macht er sich auf den mühseligen Weg zum westlichen Kriegsschauplatz. Obwohl seine Truppen es mit einer fünffachen Übermacht zu tun haben, genügt sein bloßer Name, um die Franzosen zur Vorsicht zu zwingen. Friedrich der Große schreibt später über diese Strategie am Rhein: "Noch sein Schatten flößte den Feinden Furcht ein. Die Ruhe dieses Feldzuges ehrte den Prinzen nicht minder als seine früheren großen Schlachten." Eugen versteht es, durch geschickte Truppenbewegungen, ohne Schlachtendrama, den französischen Einfall ins Reich und damit eine größere Katastrophe zu verhindern. Wenig später berichtet Fürst Liechtenstein dem preußischen Kronprinzen nach Berlin: "Der Prinz sieht sehr schlecht aus, und ich glaube nicht, daß er den Monat März überleben wird." Der Tod kam am 20. April 1736. Ernst Trost schreibt über den Verstorbenen: "In einer Zeit, die ihre Heroen nicht in Kriegen sucht... steht ein einzelner Mann zwar nicht makellos, aber ... in grandioser Einmaligkeit vor uns. Die Geschichte wird einzig von gesellschaftlichen Kräften bewegt, heißt es. Eugen, ... dieser geniale Einzelgänger... widerlegt diese Theorie." Vom Tage seines Begräbnisses berichtet Alfons von Czibulka: "Unter dem Schlag der gedämpften Trommeln senkten sich die umflorten, in 32 Feldzügen so ruhmvoll getragenen Fahnen und die Degen vor dem Prunksarge, dessen Bahrtuch, auf das der Kaiser schon im Winter alle Siege Prinz Eugens hatte einsticken lassen, 14 hohe Generale hielten." Prinz Eugen von Savoyen, der edle Ritter, der vier Jahrzehnte lang wie ein Löwe über die Geschicke seines Wahllandes gewacht hatte, war nicht mehr. Bis zum Letzten war er seinem Eid treu geblieben im Dienste FÜR KAISER UND REICH.
Schrifttum • • • • • • •
Adolf-Auffenberg-Komarow, H. : Die besten Soldaten der Welt, FZ-Verlag 1994 Czibulka, Alfons von: Prinz Eugen, Retter des Abendlandes, Im Bertelsmann Lesering, Gütersloh Franke-Demelt: Merkbuch zur deutschen Geschichte, Moritz Diesterweg, Frankfurt a.M. 1939 Haller, Johannes: Die Epochen der deutschen Geschichte, Cotta`sche Buchhandlung, Stuttgart 1943 Jelusich, Mirko: Prinz Eugen, der Feldherr Europas, Leopold-Stocker-Verlag, GrazStuttgart 1979 Liddell Hart, Basil H.: Strategy, Praeger 1967 Lohausen, Heinrich Jordis von: Am Anfang wwar der Wille, Prinz Eugen von Savoyen, Deutsche Monatshefte 3/ 86 Pozorny, Reinhard: Prinz Eugen, der edle Ritter, DSZ-Verlag , DWZ 7.12.84
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Ströbel , Hannswolf: Prinz Eugen, der edle Ritter, Artikelserie DSZ-Verlag, DWZ, München Suchenwirth, Richard: Deutsche Geschichte, Georg Dollheimer, Leipzig 1941 Trost, Ernst: Prinz Eugen, Ullstein 1989
Ernst Moritz Arndt: Herold für Einigkeit und Recht und Freiheit Armin Preuß (Im Interesse einer Geschichte, die Vergangenes vergegenwärtigen will, stilistisch nachempfunden) Im Mai des Jahres 1995 fand im Bergischen Land einer jener dunklen Anschläge statt, die sich wie ein roter Faden durch das Chaos unserer Nachkriegsgeschichte ziehen. Die am 29. Januar des gleichen Jahres in der Gedenkstätte des Deutschen Ostens auf Schloß Burg an der Wupper, an seinem 135. Todestage enthüllte Büste Ernst Moritz Arndts, wurde in einer Nacht- und Nebelaktion von Unbekannten gestohlen und laut Bekennerschreiben dieser "Aktionsfront" in der Wupper versenkt. Warum ein solch primitives Verbrechen am Ruf eines Mannes, der zwar von Theodor Heuß in seiner Nachkriegssammlung der "Großen Deutschen" ausgegrenzt, jedoch von Gustav Sichelschmidt als der populärste deutsche Volksmann nach Luther bezeichnet wurde? Der Haßausbruch von Randgruppen, die Mangel an Intelligenz und Geschichtskenntnissen durch feige Gewalttaten zu kompensieren versuchen, sollte auf Arndts angeblichen "Antisemitismus" zurückzuführen sein. Da man beim besten Willen eine solche Einstellung in seinen Schriften vergeblich zu finden versucht, darf getrost angenommen werden, daß die Täter nicht eine einzige Zeile Arndts selbst gelesen hatten - es sei denn, jemand hätte sie mit einem Wort gereizt, das man Arndts Leben als beständiges Motto voranstellen könnte und das allein ausreichen dürfte, ihn zum geschworenen Gegner der Unterwelt zu erklären: Gott wohnt nur in stolzen Herzen, und für einen niedrigen Sinn ist der Himmel zu hoch!
Geboren aus dem kleinen Volk Ernst Moritz Arndt wurde 1769 als zweites von zehn Kindern einer Bauernfamilie geboren, im gleichen Jahr, in dem auch sein späterer großer Widersacher, Napoleon Bonaparte, das Licht der Welt erblickte. Er sagt von sich selbst: "Ich bin geboren aus dem kleinen Volk, dicht an der Erde", damit gleichzeitig seine Verbundenheit mit der Natur und bäuerlich-
volkstümlichem Wesen betonend. Aber auch die Kühnheit des Seefahrers liegt ihm im Blute, "die herbe, ungebrochene Kraft der See, ihre stürmische Freiheit, ihr Ernst und ihr männlicher Trotz in Wind und Wetter des Geschicks, und nicht zuletzt eine starke Unbändigkeit und Rauheit" wie sie in der Gewalt des Meeres leben, in dessen Nähe er geboren wurde. Wie ganz Vorpommern gehörte Rügen, die Insel seiner Geburt, zu jener Zeit noch zu Schweden. Arndt ist somit nicht nur formell als schwedischer Staatsbürger geboren, sondern er fühlt sich mit der schwedischen Nation auch geistig zeitlebens besonders verbunden. Arndts Vater, dessen Tüchtigkeit der Familie zu sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg verhilft, rückte vom Leibeigenen zum Gutsverwalter des Grafen von Putbus auf. Er galt als freundlich, lebhaft, zuweilen auch als heftig. Die geistig bewegliche Mutter sorgte dafür, daß die Kinder mehr Anregungen erhielten als sonst auf dem Lande üblich. Ihre christlichen Lehren wurden erweitert durch viele Sagen und Märchen, aber auch den damals noch weitläufigen Aberglauben, in dem manch untergründiges Heidentum fortlebte. Die Erziehung von zehn Kindern in einem Bauernhaus ließ wenig Raum zum Verwöhnen. "Jedwede Weichlichkeit war durchaus verpönt. Reiten, Schwimmen, Laufen und Abhärtungen aller Art mußten reichlich geübt werden." Das "mens sana in corpore sano" der Römer hat Arndt schon seit frühester Jugend kennen und schätzen gelernt. Diese einfache und natürliche Lebensweise verhilft ihm zu einer robusten Gesundheit, die über das 90. Lebensjahr hin währt. Trotzdem wird er nie zu einem prüden Asketen. Von seiner ersten größeren Europareise schreibt er seinem Vater einmal aus Ungarn, er habe in diesem Land "keinen Tropfen Wasser getrunken". Ihre schulischen Grundlagen erhalten die Arndtschen Kinder von Privatlehrern im Elternhause. Zur weiteren Schulausbildung schickt Vater Arndt den begabten 17-Jährigen Ernst Moritz in das nahe Stralsund. Er läßt ihn in der einfachen ländlichen Kleidung wie einen "rechten Bauerntölpel" ankommen. Arndt schreibt dazu später: "Man kann denken, mit welcher Gier die zierlichen Stadtpfauen über die so aufgeputzte Landkrähe herfuhren... Da mich einige etwas unsanft anzutasten wagten, fühlte ich mein ungeduldiges Arndtblut aufsieden, und bald lagen ein paar Burschen zusammengeknickt zu meinen Füßen". Der junge Arndt beweist schon bald die in ihm schlummernden Talente. Seine Eltern und wohlwollende Freunde raten ihm zum damals "für einen nicht unfrommen Sohn eines Landmanns" natürlichen Studium der Theologie. 1791 läßt er sich an der Universität Greifswald einschreiben, wo er sich neben der Theologie mit Naturwissenschaften, Erdkunde, Sprachen, Literaturgeschichte und vor allem der Antike beschäftigt. Im Frühjahr des Jahres 1793 geht er von dort nach Jena, wo er bis zum Herbst 1794 verbleibt. Im Herbst 1796 legt er, wieder zurück in Greifswald, sein theologisches Examen ab. Das schon im Jünglingsalter erkennbare eigenwillige Denken Arndts verleitet ihn zu wenig schmeichelhaften Kommentaren über die Philosophen, mit denen er sich beschäftigen muß. Die Philosophie habe "manchen trockenen Kopf verrückt gemacht", und er habe wenig "Scharfes und Spitzes" daraus gewinnen können. Seiner Meinung nach wird den Deutschen durch ihr vieles Philosophieren "das Gesicht für die Erde zu blöd, für den Himmel nicht hell genug." Er spricht von den "hohlen Formen, den leeren Systemen, worin man keine Mücken, geschweige denn Menschen fangen könnte." Sie (die Philosophen) "waren Ideenjäger und haben es nicht verstanden, das große Geheimnis der Erde zu erkennen." Arndt verkennt keineswegs die Gewalt von Ideen, die "reißende Feuerkraft des Geistes". Aber
er warnt vor weltfremder "Ideenbuhlerei" als "dem schlimmsten Gift für das gestaltige Leben." "Denn solches Ideengut, wie wir es getrieben haben und noch treiben, ist einer verzehrenden Flamme gleich, welche die Welt und uns selbst ausdörrt." Darin hat Arndt die tiefste Tragik deutschen Wesens erkannt und angeprangert. "Könnten Ideen allein die Welt bilden und beherrschen, so müßten wir im Himmel und auf Erden die Ersten sein... aber mit Wehmut müssen wir gestehen, daß dieser himmlische Reichtum uns irdisch arm gemacht hat, und daß andere unsere Erde zu besitzen gekommen, während wir für sie den Himmel erobern... . Solches, fährt er anklagend gegen erdentrückte deutsche Phantastereien fort, "ist nirgends so in Europa zu sehen wie bei uns... daher unsere politische Erbärmlichkeit und Hilflosigkeit, das Unnationale und Trauriggleichgültige des Volkes." Hauptverantwortlich für diese Weltabgewandtheit hält er unsere Gelehrten, für die er nicht gerade freundliche Worte findet. "Hexenmeister und Gaukler auf dem Katheder und unter unseren Folianten" nennt er sie. "Ja ich sage es kühn," schreibt er an anderer Stelle, "daß die meisten unserer sogenannten Gelehrten dümmer sind als der Bauer, der seinen Katechismus nicht lesen kann. Dieser weiß doch Bescheid, mit dem was er tut." Der Geist hat nach seiner Meinung "die Natur auf den Kopf gestellt und was unten war zu oben gemacht." Wie wenig als ein Jahrhundert später Nietzsche, gelangt Arndt schon jetzt zu einer Lobpreisung des gesunden Instinkts "als des schöpferischen Spürsinn des Leibes". Wie Hans Kern schreibt, "verkündet Arndt mit tiefer Begeisterung die frohe Botschaft vom lebendigen Leibe und verwirft mit Schärfe jede asketische Beargwöhnung und Bekämpfung des Leibes, die nach seiner Meinung weiter nichts erzielt als eine ungesunde Aufstachelung oder Verwirrung der Triebe." M.a.W., Arndt verwirft den vom Christentum vertretenen "Dualismus", Leib und Seele nicht als Einheit, sondern als Gegensatz zu begreifen und zu beargwöhnen. Arndts Gottesglauben ist frei von "Schwarmgeisterei" und frei vom Zwang kirchlicher oder jedweder Dogmen. Sein Christentum ist lebensnahe und lebensbejahend, und wie sein Vater fühlt er sich Gott näher in der freien Natur als in kirchlichen Gewölben. Auch in diesem Punkte steht Arndt seinem späteren Schirmherrn, dem preußischen Minister Frh. vom Stein, nahe, der "lieber im Abendrot oder Garten auf Gottes Stimme lauschen wollte" und einmal nach einer langweiligen Predigt äusserte: "Im Himmel wird's frischer und lustiger sein." Sein Ideal der Konfessionen wird später eine nationale Kirche, weil sie die politische Einigung Deutschlands erleichtern und alle Deutschen umfassen würde. Theologe ist er nicht geworden, seine Berufung wurde: GOTT UND VATERLAND.
Das Abenteuer der fremden Welt Als Arndt 28 Jahre alt ist, wird er der Bücher und Studierstuben überdrüssig. Sein Bauernoder vielleicht mehr noch das Entdeckerblut des Seefahrers regt sich. "Eine große Sehnsucht lockte mich, die Welt zu sehen," schreibt er. Diese Entscheidung, die die Unterstützung seines Vaters findet, wird für ihn zum einschneidenden Erlebnis seines Lebens. Bis zum Herbst 1799 reist er 1 Jahre lang "in manchen Abenteuern" zu Fuß, zu Wagen und per Schiff durch Teile Deutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs. "Ich habe diese Reise fast wie Bruder Sorgenlos gemacht," berichtet er darüber. "Indessen bin ich später gewahr geworden, daß in mir ein dunkles Ziel lag, das ich damals nicht gewahrte. Ich habe die Dinge, Menschen und Völker dieser Welt doch sehen und erkennen gelernt."
Abgehärtet, wie er durch seine Erziehung ist, reist er spartanisch. Oft übernachtet er im Freien. Mehr noch als seinen Körper nimmt er jedoch seinen Geist in Anspruch, so daß er stets mit wachen Sinnen in sich aufnimmt, was dem üblichen Reisenden nicht zum Bewußtsein kommt. Vor allem entwickelt er "einen erstaunlichen Sinn für den besonderen Zusammenhang von Natur und Menschenarbeit, Boden und Besiedlung, Landwirtschaft, Handel und Gewerbe." Zusätzlich bildet sich bei ihm jene erstaunliche Menschenkenntnis, die sich bei seiner späteren politischen und völkerkundlichen Arbeit von unschätzbarem Wert erweisen soll. In Frankreich ist er tief beeindruckt vom stolzen Freiheitssinn der Franzosen, obwohl er den reißerischen Schlagworten der revolutionären Phrasendrescher gegenüber eine kühle Distanz bewahrt, "zumal wenn diese sich moralisch gebärdeten". Den in Paris vorherrschenden Glauben an den "Endsieg der Vernunft" lehnt er mit den Worten ab: "Solange die Erde mit ihren Elementen bleibt wie sie ist, wird auch das Gute und Böse ewig wechseln, und die Notwendigkeit wird fortregieren, wie sie ewig das Regiment gehabt hat. Wir werden endlich gestehen müssen, daß wir in die Politik zu viel Moral gemischt haben, die nie in ihrer Ausübung gelegen hat." Daß er durchaus objektiv über unsere Nachbarvölker, auch die Franzosen, zu urteilen vermag, beweisen seine wohlwollenden Worte über die Soldaten Frankreichs: "Sie haben allgemein den Ruhm und das Ansehen ordentlicher und wackerer Menschen... an den Offizieren gefällt die Feinheit und Gewandtheit der Nation." Den französischen Freiheitsbegriff von 1789 zeichnet er jedoch mit skeptischer Ironie: "Nach einem neuen System des Völkerrechts plünderte man Nationen, um sie frei zu machen, und machte sie frei, um sie zu plündern." Andererseits würdigt er die Kräfte, die die Revolution in Frankreich geweckt hatte: "Das eine Wort, jeder Bürger ist ein geborener Soldat seines Vaterlandes und muß fechten, wann es nötig ist, macht eine Nation von 20-30 Mill. mobil." Schon jetzt fasziniert ihn diese Idee der allgemeinen Wehrpflicht. Hätten Österreich und Preußen dieses System - genau wie die Franzosen - in ihren jeweiligen Ländern zur rechten Zeit eingeführt, so bemerkt Arndt später, hätte Napoleon niemals seinen Siegeszug quer durch Europa antreten können. Der Unterschied zwischen dem neuen "Volksgeist" der Franzosen und den Verhältnissen in deutschen Landen bedrückt ihn. Er fragt, warum Engländer für ihr Land zu kämpfen bereit sind, und antwortet: "Um ein Volk zu bleiben und ihren uralten Nebenbuhlern nicht unter die Füße zu fallen." Wodurch wurden die Schweden groß und gefürchtet? "Weil sie den Stolz und den Sinn eines Volkes haben." Dagegen die Deutschen! "Wie mancher Deutsche an der Ostsee und Nordsee liest es als eine gleichgültige Neuigkeit, daß die Fremden Süddeutschland mit verheerenden Waffen durchziehen." Seine Antwort, die leider nicht viel von ihrer Gültigkeit verloren hat: "Weil der Nationalgeist fehlt, ist ein Volk von 3o Mill. Menschen der Spott Europas geworden." Gegen Ende seiner großen Europareise lernt Arndt die Franzosen allerdings als Besatzungsherren am deutschen Rhein von einer Seite kennen, die den Zorn in ihm aufschwellen läßt: "Ich habe in Frankreich die meisten Franzosen beklagt," schreibt er rückblickend, "viele geschätzt und einige geliebt; hier lerne ich sie hassen als Feinde und Verderber meines Volkes. Und diese predigen uns das Gesetz und Freiheit und Gleichheit."
Zornig schreibt er über die immer und überall erkennbare geduldige Langmut der Deutschen: "Wenn solches alles eine Nation ohne Murren leiden kann und ohne endlich fürchterlich auszuschlagen, so hat sie den Namen und die Ehre eines Volkes verwirkt." "Die Franzosen in ihrem Lande: Ja! Als Eroberer und Herrscher am Rhein, an der Elbe, an der Donau: Nein, Nein und abermals Nein!"
Als Dozent gegen die Leibeigenschaft 1801 heiratet Arndt Charlotte Quistorn, die natürliche Tochter eines Greifswalder Professors und gründet in Greifswald einen Hausstand. Als Privatdozent für "Historie und Philologie" hat er das Recht erlangt, Vorlesungen an der Universität zu halten. Doch noch im gleichen Jahr entreißt der Tod ihm seine junge Frau nach der Geburt eines Sohnes. Schon in seiner Habilitationsschrift erweist sich der Arndtsche Mut. Er wagt es, an dem in großer Mode stehenden Rousseau Kritik zu üben, zu der Zeit nahezu eine Gotteslästerung! Der Predigt Rousseaus von der Gleichheit aller Menschen tritt Arndt mit seiner auf Beobachtung und Erfahrung gegründeten eigenen Erkenntnis entgegen, nämlich der auffälligen Unterschiede, der verschiedenen Gebräuche, Denkungsarten und Zielsetzungen der Menschen. Schon jetzt beginnt bei ihm der Gedanke zu keimen, daß jedes Volk sich in seinem eigenen Volkstum entwickeln soll. In Preußen schon von Friedrich dem Großen abgeschafft, gilt um diese Zeit im schwedischen Vorpommern und auf Rügen noch immer die Leibeigenschaft. Für einen jungen Professor nicht gerade klug und keineswegs karrierefördernd, wagt Arndt sich trotzdem an dieses heiße Eisen, und Ende 1803 erscheint sein "Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen." "Bauern werden verkauft mit dem Gut, wozu sie gehören... Wer von Leibeigenen geboren,... ist leibeigen", heißt es u.a. darin. Besonders übel wird ihm vermerkt, daß er in seiner Schrift auch vor dem schwedischen Königshaus nicht Halt macht, dort wo es eine Schuld trifft. Sein Gerechtigkeitssinn läßt ihn bedenkenlos seine eigene Stellung aufs Spiel setzen. Wohlwollen und Vorrechte der Gutsbesitzer beiseiteschiebend, schreibt er: "Wer ist das Mark und Gebein des Staates, wer muß den Pflug in der Not und das Schwert in der Gefahr führen? Es ist der Bauer, der Handwerker, der größte und ehrwürdigste Teil einer Nation." An den Schluß seines Buches setzt er das für seinen persönlichen Mut und sein Verantwortungsbewußtsein bezeichnende Bekenntnis: "Man wird versuchen, mich zu verschreien, mir schlimme Dinge beimessen, weil ich schlimme Dinge offenbart habe. Aber wer für seine Wahrheit im schlimmsten Falle nicht auch das Schlimmste leiden kann, der ist nicht wert, daß ihm je eine Wahrheit aufgehe." Die adligen Gutsbesitzer verklagen Arndt als "Leuteverderber" und "Bauernaufhetzer" beim König. Aber Arndt zeigt sich der Lage gewachsen. Sein ihm vom Gouverneur Hans Henrik Graf von Essen (26.09.1755-28.06.1824) vorgehaltenes, mit roten Unterstreichungen versehenes Buch, unterstreicht er selbst noch mal mit Rotstift an den für ihn kritischen Stellen. Mit der Bemerkung "schicken Sie das an Seine Majestät zurück!" überreicht er von Essen die ketzerische Schrift. Der König Gustav III. von Schweden (24.01.1746 - 29.03.1792) antwortet, nachdem er
Arndts Unterstreichungen gelesen hat, "wenn dem so ist, dann hat der Mann recht." Ein Jahr danach wird die Leibeigenschaft in Vorpommern und Rügen aufgehoben.
Nordland Im Herbst 1803 erhält Arndt Urlaub von seiner Universität und reist nach Stockholm. Es reizt ihn, das Land kennen zu lernen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Hinzu kommt wohl auch die ihm im Blute liegende Nordlandsehnsucht, die in nicht wenigen Deutschen lebt. "Frei ist hier der Bauer wie der Edelmann," stellt er in Schweden fest. Je mehr er sich mit den Problemen der Bauern in seiner Heimat befaßt hatte, um so kritischer war er gegen Theologen, Philosophen und alles Kathederhafte geworden. "Am Beispiel der schwedischen Großmacht glaubt er zu erkennen", so Johannes Paul, "bis zu welcher Höhe ein Volk aufsteigen kann, bei dem sich die alte Bauernfreiheit erhalten hat." Manchmal ist er sogar geneigt, ganz in Schweden zu bleiben. "So ist der Mensch hier ganz in seiner Natur," stellt er bewundernd fest. Und dazu, für einen jungen Witwer nur zu begreiflich, haben es ihm besonders die blonden, blauäugigen schwedischen Frauen angetan. Doch so verlockend ihm die Vorstellung des Lebens auf einem schwedischen Bauernhof an der Seite einer nordischen Schönheit zuweilen ist, ein Feuergeist wie Arndt hätte sich schwerlich auf die Dauer in die Stille und Abgeschiedenheit des Landlebens einfügen können. Immer mehr bewegt ihn im geliebten Norden die Frage nach seiner eigentlichen politischen Heimat. Es erfüllt ihn mit Stolz, dem gleichen Volke wie die Geistesgrößen Goethe, Schiller, Herder, Novalis und zahlreiche andere große Deutsche anzugehören. Aber ebenso ist ihm schmerzlich bewußt, daß der deutschen Weltgeltung im Reich des Geistes kein deutsches Staatsgefühl entspricht, weil es schon lange einen wirklichen Staat aller Deutschen nicht mehr gibt. Ein Franzose konnte stolz auf sein Land als Heimat aller Franzosen sein, und das gleiche galt für andere Nationalstaaten. Nur im deutschen Sprachraum gibt es statt eines einzigen machtvollen Staates einige hundert "klitzekleine Gebilde". Und nur als Untertan eines solchen Zwergstaates fühlen sich die meisten Deutschen. In Schweden kann Arndt erleben und bewundern, wonach seine Sehnsucht geht und was er in Deutschland so sehr vermißt: "Ein Volk, dem kulturelle und staatliche Einheit eine Selbstverständlichkeit war." In diesem Umfeld beginnt sein späteres, ihn berühmt machendes Werk "Geist der Zeit" zu reifen. "Hier bin ich nun recht in meiner politischen Ansicht bestärkt worden," schreibt er, "daß der Einwurf gegen eine deutsche Monarchie, welche ich bei unserer elenden und hilflosen Zersplitterung schon früh zu träumen gewagt habe, nicht stichhaltig ist und hier auf das glänzendste durch die Erfahrung widerlegt wird." Hart geht er mit den deutschen Fürsten ins Gericht. Desgleichen mit den Geistlichen, "die selbst nicht glauben, was sie verkünden", und mit allen, die "zu klug für die Erde, zu feige für den Himmel" sind. Bei solchen Gedankengängen wird er sich gerade im Umgang mit den Schweden seines Deutschtums bewußt. Zornige Worte fließen aus seiner Feder: "Ich fühle es von Tag zu Tag mehr, es ist nichts kümmerlicheres in der Welt als dieses elendige deutsche Ding, was wir Gutmütigkeit, auch wohl Milde und Menschlichkeit nennen, was im Grunde aber weder Ja noch Nein zu sagen wagt und eitel Schwächlichkeit ist . . .
...was wollen wir unsere zerrissene deutsche Erbärmlichkeit, unser sogenanntes Humanes, wodurch unser Vaterland ebenso nichtig und den Fremden so verächtlich geworden ist, noch länger als eine höhere erklommene Menschlichkeit loben!"
Napoleon, der neue Herr Deutschlands Am 2. Dezember 1804 krönte sich Napoleon Bonaparte in Paris selbst zum erblichen "Kaiser der Fanzosen" und erklärt, er trage nun die Krone Karls des Großen! Die meisten deutschen Potentaten beglückwünschen den Korsen als neues Mitglied der europäischen Fürstenfamilie mit ausgesuchter Höflichkeit und Herzlichkeit alle anderen noch übertreffend; der preußische König Friedrich Wilhelm III. Der Papst kommt persönlich nach Paris, um Napoleon in der Kathedrale Notre Dame zu salben. Den Goldlorbeer setzt sich der neue Kaiser der Franzosen selbst aufs Haupt, damit für jedermann deutlich machend, daß er keine fremde Macht über sich duldet. In Wien ist man sich über die Gefährlichkeit der neuen Lage im klaren. Auch in Petersburg gibt man sich keiner Täuschung über Napoleons Pläne hin. Die Engländer sind, getreu ihrer Tradition , von vornherein gegen jede das Festland beherrschende Macht. Nur in Berlin träumt Friedrich Wilhelm - bei entsprechendem preußischen Wohlverhalten - von friedlichem Zusammenleben mit dem ehrgeizigen Emporkömmling. Nachdem es mit England und Rußland zu einer Koalition gekommen ist, erklärt Österreich am 3. September 1805 Frankreich den Krieg. Gleich zu Beginn tritt die deutsche Zerrissenheit deutlich zutage. Nicht nur bleibt Preußen neutral. Die Fürsten von Bayern, Württemberg und Baden gehen sogar Bündnisverträge mit dem französischen Kaiser ein, obwohl es jedem einleuchten sollte, daß Napoleons Sturz im gesamtdeutschen Interesse liegt! Die Folge ist, nach einem der kürzesten Feldzüge der Kriegsgeschichte, Napoleons Sieg in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz. Die vereinigten russischen und österreichischen Armeen werden vor den Toren Wiens geschlagen. Napoleon weiß die deutschen Fürsten da zu packen, wo sie sterblich sind. Am 1. Januar 1806 dürfen sich der bayrische Kurfürst und der Herzog von Württemberg zu Königen von Napoleons Gnaden erklären. Wenig später treten sie zusammen mit etlichen anderen deutschen Fürsten formal aus dem Reich aus. Sie gründen den sogenannten" Rheinbund" und "auf ewige Zeiten" (heute "unumkehrbar"!) ein Bündnis mit Frankreich, das sie im Kriegsfall zur Gestellung von Truppen unter dem Oberbefehl des französischen Kaisers verpflichtet! Am 6. August 1806 zieht Kaiser Franz die Folgerung aus dieser Entwicklung. Er legt unter Druck die Kaiserwürde des Deutschen Reiches nieder, das damit zu bestehen aufgehört hat. In einem überraschenden Entschluß fordert Friedrich Wilhelm III. jetzt, ein Jahr zu spät, ultimativ von Napoleon den Abzug aller fremden Truppen aus Deutschland. Die erwartete russische Hilfe bleibt aus. Statt dessen hat Napoleon auch noch den sächsischen Kurfürsten gnädigst zum König erhöht und in seinen Rheinbund aufgenommen. Voller Hohn bezeichnet Napoleon das verspätete Aufbegehren des nun völlig isolierten Friedrich Wilhelm als "einfach lächerlich". Die preußische Armee ist nicht mehr die Armee Friedrich des Großen. Sie wird in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt entscheidend geschlagen. Königin Luise, die tapfere und beherzte Gattin des ängstlichen, in verknöcherten Traditionen gefangenen Königs, wird
die Hoffnung vieler deutscher Patrioten. In einem Brief an ihren Vater zieht sie das Fazit aus den Geschehnissen: "Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen." Am 26. August 1806 wird in Braunau am Inn der Buchhändler Palm auf Befehl Napoleons erschossen, weil er die Schrift "Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung" verbreitet, den Urheber aber nicht verraten hatte. Die Franzosen waren irrigerweise der Ansicht, Arndt sei der ungenannte Verfasser gewesen.
Erste Zeichen einer deutschen Wiedergeburt Nach der Niederlage Preußens ist Napoleon der unumschränkte Herr Europas. Man stöhnt zwar unter der Härte der Besatzung, aber - wie die Massen sich zu allen Zeiten zu ducken und anzupassen verstehen - man "arrangiert" sich und macht gute Miene zum bösen Spiel. Man bemüht sich, einfach aus der Geschichte des Reiches "auszusteigen". Selbst die noch jüngst erlebte ruhmreiche Zeit Friedrichs des Großen will man vergessen, da gegen einen Mann wie Napoleon doch "kein Kraut gewachsen ist", und man sich also besser bescheiden müsse. "Geld machen und dem Bauch leben" sollen das Gewissen einschläfern, die nationale Ehre vergessen machen. Ja, schon unter Napoleons hartem Zepter wurden Idealisten und unbeugsame Patrioten , die nicht bereit waren, eines privaten Glücks wegen ihrem Land den Rücken zu kehren, beargwöhnt und mit giftigem Eifer verfolgt. Napoleon kennt die Schwächen der Menschen, und er nutzt sie skrupellos aus. Einerseits durch Terror wie beim Buchhändler Palm, andererseits durch das Spiel mit der Eitelkeit und der Charakterlosigkeit seiner Vasallen. Er beläßt die deutschen Fürsten und frischgebackenen Könige in der Furcht, daß sie jederzeit ihre Throne verlieren könnten, und er erinnert sie daran, daß sie nur noch entbehrliche Überbleibsel einer entschwundenen Zeit sind. Der Widerstand einiger weniger, der sich im Anschluß an die deutsche Katastrophe zu regen beginnt, ist zunächst planlos, ohne konkrete Ziele und ohne einen führenden Kopf. Die "Träumer" einer schließlichen Befreiung vom napoleonischen Joch machen sich hauptsächlich in der Literatur bemerkbar. Die Idee des Nationalstaates war aus der französischen Revolution herübergeweht. Und während ansonsten "Ruhe als erste Bürgerpflicht" herrscht, gärt und brodelt es im geistigen Bereich. "Das Abenteuer der deutschen Befreiung hat GEISTIG begonnen - in einer Zeit, in der es schien, als sei alles verloren!" Zu Beginn des Jahres 1806 tritt Ernst Moritz Arndt mit dem ersten Band vom "Geist der Zeit" an die Öffentlichkeit, einem der damals seltenen Bücher, die in der Sprache des Volkes geschrieben sind. Leidenschaftlich bäumt er sich gegen das scheinbar unabwendbare Schicksal der Unterdrückung auf. Es muß dabei festgehalten werden., daß Arndt nicht der Mann ist, der seinen Mut nur mit der Feder beweist. Am 12. Juli 1806 fordert er einen schwedischen Offizier zum Duell auf, nachdem dieser beleidigende Bemerkungen über Deutschland gemacht hatte. Arndt erleidet bei diesem Zweikampf eine Wunde, die nur langsam heilt. Im ersten Band vom "Geist der Zeit", dem noch drei weitere folgen sollen, setzt Arndt sich auch mit dem "Kosmopolitismus" (dem heutigen "Internationalismus") auseinander, und der damals bezeichnenderweise gerade im deutschen Raum gängigen Ansicht, die "Menschheit" sei erhabener als das Volk, also "möge das Volk verschwinden, auf daß die Menschheit
werde." Arndt stellt diesem rein persönlichen Freiheitsbegriff den übergeordneten nationalen Freiheitsbegriff gegenüber. Da Völker in Sklaverei stets verderben, ruft er nach einem Großen, der den "trüben und schlappen europäischen Dunsthimmel durch Donnerwetter erheitert". Schonungslos legt er die Dinge offen. "Deutsche kämpfen auf Wunsch und Befehl des großen Feindes gegen Deutsche und halten ihm als seine gehorsamen Knechte die Völker zu Diensten. Die deutschen Fürsten wählten das Unwürdige und vernichteten den Rest des Gemeingefühls der deutschen Nation." Durch den "Geist der Zeit" ist Arndt auf einen Schlag bekannt, aber auch gefürchtet und gehaßt. Er ist gewarnt und muß seine Vorsichtsmaßnahmen gegen die Häscher Napoleons treffen. In seinem Buch greift er "die Lauen und Leisetreter, die Überängstlichen und Drückeberger" an. Offen ruft er das Volk auf, sich zur Rettung des Vaterlandes gegen die Unterdrücker zusammenzuschließen. Gerade die Jugend wird von seiner leidenschaftlichen Anklage mitgerissen, und Arndts früherer Lehrer und späterer Freund Johann Gottlieb Fichte wird von ihm zu seinen kühnen "Reden an die deutsche Nation" angeregt, die das Feuer weiter schüren helfen. Erbarmungslos greift Arndt die Vertreter des öffentlichen Lebens an, Diplomaten und Pffffen, Fürsten und Edelleute, vor allem aber Schreiber und Redner, bei denen "der Journalismus triumphiert": "Diese feigen und wohlfeilen Seelen führen das große Wort und tun gar laut und wichtig, als seien sie die Auserwählten, um die Zeitgenossen zu bilden und zurechtzuweisen. Humanität, Bildung, Edelmut sind die ewigen Klänge. Alles wird in dem Jargon der Modesprache mit einer Menge unreifer Sentenzen oder Halblügen aufgetischt. Nichts hat die alte Kraft und den alten Verstand mehr aus der Welt gejagt, nichts die Leerheit, Pinselei und Mattigkeit des Geschlechts mehr befördert, nichts die Weiber mehr verdorben als dies elende Geschmeiß." Aber Arndt erkennt auch die Möglichkeit der Rettung: "Ist das Zeitalter durch Geist verdorben, so werde ihm durch Geist geholfen! Anders ist ihm nicht zu helfen." Seiner Ansicht nach können Völker nur dadurch gerettet werden, indem sie sich wieder "an die Gesetze der Erde" anlehnen. Der Fortschritt des Geistes darf nicht auf Kosten der Natur gehen, sondern muß sich im Rahmen der von der Natur vorgezeichneten Gesetze vollziehen. Arndt ist sich bewußt, daß er mit seinem Buch in einen politischen Kampf eingetreten ist, von dem es kein Zurück mehr gibt. Jetzt wird er nach Heinz v. Arndt (Urenkel seines ältesten Sohnes) "der Sänger von Deutschlands Einheit, der Kämpfer für eine neue Volksgesinnung. Jetzt erhebt er sich zu dem Propheten, der die Ideen einer neuen Erziehung, einer neuen Verfassung, eines neuen volksbetonten Nationalismus verkündet. Er zeigt Mut, persönlichen Mut, wie er zu allen Zeiten und immer notwendig ist, wenn Großes und Neues geschaffen werden soll." Arndt geht es weder um Ruhm noch Geld. Er ist zu jedem persönlichen Opfer bereit, und gerade deshalb kann er seine Leser mitreißen. Jeder spürt: Hier redet ein Mann, ein "Ritter ohne Furcht und Tadel", der voll und ganz zu dem steht, was er sagt, als "ein gutes altes deutsches Gewissen", frei von Eigennutz und persönlichem Ehrgeiz. Nur einem selbstlosen und feurigen Kämpfer wie Arndt wird es gelingen, sein Volk wieder an sich selbst, an seine Größe und seinen Wert glauben zu lassen. "In der Erweckung eines neuen Idealismus wird er bald auch zum Dichter. Seine ersten Kampflieder entstehen, die mit fliegenden, feurigen, hinreißenden Worten zur Tat aufrufen."
Einen solchen Rebellengeist können Napoleons Kommissare natürlich nicht auf freiem Fuß lassen. Arndt bleibt nichts anderes übrig, als zu fliehen, da es unsinnig wäre, sich von den Franzosen ergreifen und "wie einen tollen Hund erschießen zu lassen". Wieder geht er nach Stockholm, diesmal wie ein geächteter Flüchtling. Über zwei Jahre muß er in der Fremde zubringen, um von hier aus weiter gegen die napoleonische Zwangsherrschaft zu wirken. Der zweite Teil vom "Geist der Zeit" kann in Stockholm gedruckt werden. Jedoch fällt der Großteil der Sendung auf dem Wege nach Deutschland den Franzosen in die Hände. Ein Exemplar erreicht jedoch den Freiherrn vom Stein. Es macht großen Eindruck auf ihn und wird damit, was Arndt jetzt noch nicht ahnen kann, für seine zukünftige Laufbahn von ausschlaggebender Bedeutung. Seine als Bewunderer Schwedens gehegte Hoffnung, daß dieses Land der Retter Deutschlands und Europas werden könne, erweist sich leider als frommer Wunschtraum. Vor allem in den "gebildeten" sowie in führenden politischen Kreisen findet er - ähnlich wie in Deutschland - eine ihm unbegreifliche Bewunderung Napoleons und, schlimmer noch, der französischen Revolutionsideen. Enttäuscht muß er erleben, daß "dieses von mir so geliebte Land" kläglich versagt und überdies "dem Welschen Glück wünscht". Den objektiven Akademiker hatte Arndt im Folgeband vom "Geist der Zeit" nun restlos abgelegt. Ungebändigte Leidenschaft belebt seine Sprache: "Ja, ich hasse, es ist meine Lust und mein Leben, daß ich noch hassen kann... nichts hasse ich inniger und heißer als Euch faule und nichtige Gesellen, die Ihr Euch nicht schämt, in deutscher Sprache deutsche Schande auszusprechen... Wenn ein Gott alle deutschen Verräter und Buben, alle Helfer und Hehler der fremden Tyrannei nähme, sie zusammen in einen Sack steckte und versenkte im Meere, das Ungeziefer, das bei uns ist, würde bald vertilgt sein." In seinem Schlußkapitel, im "letzten Wort an die Deutschen" spricht er aus, welche Waffe zur Zeit noch als einzig mögliche und wirksame gegen den übermächtigen Fremdling eingesetzt werden kann: "Jetzt bleibt nur die Idee der geheimen Propaganda für das Vaterland, das stille Einverständnis und Zusammenwirken der besseren Herzen und Köpfe". Mit diesem Anruf wird der Entwicklung in Deutschland eine neue Richtung gegeben, die eines Tages zum Sturz der fremden Herrschaft führt. Im Herzen Europas überschlagen sich mittlerweile die Ereignisse. Im November 1808 muß der preußische Minister Frh. vom Stein, der bedeutendste politische Gegner Napoleons, auf dessen Verlangen sein Amt niederlegen. Napoleon erläßt sogar einen Ächtungsbefehl gegen ihn. Stein muß Hals über Kopf Preußen verlassen, um in Böhmen unterzutauchen. Im gleichen Jahr findet der Aufstand der Tiroler unter Andreas Hofer gegen die französische Zwingherrschaft statt. Mit Hilfe eines Verräters wird Andreas Hofer gefangen und am 20. Februar 1810 in Mantua erschossen. Mit ebenso tragischem Ausgang erfolgt im Norden die Befreiungstat des preußischen Majors Ferdinand v. Schill. Schill fällt im Straßenkampf in Stralsund. Seine gefangenen Offiziere läßt Napoleon in Wesel erschießen. Die Mannschaften werden wie Sklaven auf französische Galeeren gepreßt. Erschüttert erlebt Arndt die Leiden seines Volkes mit. Trotz drohender Verhaftung und Aburteilung will er zurück nach Deutschland, dem Land, dem er sich nun zutiefst verbunden fühlt und in dem allein er jetzt die Möglichkeit zur Überwindung der fremden Tyrannei sieht. Die Franzosen hatten zwar "über das alte Germanien ein Gewebe der Auflauerei und Späherei geworfen, in dessen weiten Falten Hinterlist und Verrat verborgen lauerten." Trotzdem gelingt es ihm, durch Annahme eines falschen Namens und geschicktes Verhalten die
nächsten zwei Jahre in Deutschland in einiger Sicherheit zu verbringen. "Ich ging nach Berlin," schreibt er, "dort hoffte ich, in dem dichten Menschengewühl mich der Welt verbergen und leben und studieren zu können. Ich hatte dort einen treuen und redlichsten Herzensfreund aus jugendlichen Jahren, den Buchhändler Georg Reimer, einen geborenen Greifswalder."
Begegnung mit Patrioten in Berlin Es sind Männer wie Stein und Hardenberg in der Verwaltung, Scharnhorst, Gneisenau, Grolmann und andere im militärischen Bereich, die die Grundlagen für die von allen Patrioten ersehnte Neugründung eines souveränen preußischen Staates schaffen. In Königsberg entsteht der sogenannte "Tugendbund", der die besten, von neuer Staatsgesinnung erfüllten Kräfte des Landes verbindet. Es sind keine verzopften Reaktionäre, sondern aufgeschlossene, die Zeichen der Zeit begreifende Köpfe, die die verschlafenen Traditionen der nachfriederiziansichen Zeit beseitigen wollen. Allen ist klar, daß das überlebte preußische Heeressystem durch ein modernes ersetzt werden muß. Dem Vorbild der französischen Wehrpflicht folgend, greift man das Prinzip des "Volkes in Waffen" auf. Allerdings muß eine preußische Neuorganisation des Heeres mit der größten Geschicklichkeit und Tarnung unter den mißtrauischen Augen der Besatzer durchgeführt werden. Nur auf der Grundlage eines schlagkräftigen Volksheeres kann die Befreiung Deutschlands jemals erfochten werden. Arndt schreibt über seine Mitstreiter in diesen Jahren: "Was in Berlin von Männern und Frauen das lebendigste, mutigste, tapferste und zornigste war, hatte sich damals in vielen einzelnen Haufen und Häuflein zusammengeschart. Ich geriet durch liebevolle Freunde auch in einen solchen Haufen, und ich glaube, in den allerbesten." Am 1. Mai 1810 erlebt Arndt die Genugtuung, wieder in sein Lehramt an der Universität Greifswald eingesetzt zu werden, also auf schwedischem Boden! Doch die Not seines Vaterlandes läßt ihm keine Ruhe. Er will zurück nach Berlin. Gewaltsam reißt er sich los von einer gesicherten Existenz, von seiner Heimat, seiner Verwandtschaft, seinem Jungen. Er gibt alles auf, nur um Deutschland zu dienen: und im Unglück nun erst recht! Auch die Liebe einer Frau, Charlotte Bindemann, die er 1803 kennen gelernt hatte und mit der er heimlich verlobt war, kann ihn nicht halten. Aber auch Charlotte kann sich nicht entschließen, ihr Schicksal mit einem Mann zu teilen, der bereit ist, "gefährlich zu leben", und von dem sie spürt, daß ihm seine Liebe zu Deutschland mehr bedeutet als seine Liebe zu ihr. Am 27. Januar 1812, als Napoleons Häscher ihm schon auflauern, geht Arndt in dunkler Nacht über die Peene nach Preußen, einem ungewissen Schicksal entgegen.
Arndts Weg zum Preußentum Obwohl Arndt in früheren Jahren dem preußischen "Zuchtsystem" wenig Bewunderung entgegenbrachte, wird er durch den Gang der Ereignisse und seine neuerlichen Verbindungen zu führenden preußischen Persönlichkeiten mehr und mehr in den Bann des Preußentums gezogen. Es wird ihm immer bewußter, daß eine Rettung Deutschlands nur durch Preußen und den preußischen Geist möglich ist.
"Sittliche Forderungen waren es," so Johannes Paul, "die den preußischen Staat zusammenhielten. In ihrer Erfüllung sahen der Große König, seine Offiziere und seine Beamten ihre Ehre. Für den verhältnismäßig kleinen Staat war dies zugleich die einzige Möglichkeit zu überleben. Preußentum ist also im Grunde defensiv, nicht aggressiv, wie oft behauptet wird. Preußentum ist weniger angeboren als anerzogen. Deshalb ist es übertragbar und wird bis zur Gegenwart in aller Welt nachgeahmt. "Preußentum ist - wo Lebensgenuß höher geschätzt wird - unbequem für den Einzelnen. Preußentum ist die Zusammenfassung aller Kräfte für den Staat. Dadurch ist es Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen gelungen, eine Staatsgesinnung zu schaffen, (die Bürger) zu einem selbstbewußten, preußischen Staatsvolk deutscher Nation zusammenzuschweißen. Nur so konnte der kleine Staat den Angriffen der Großmächte trotzen und mitbestimmend in ihren Kreis eintreten. "Das Preußentum hat das ganze deutsche Volk so weit durchdrungen, daß wir heute unter Preußentum eine Summe von Eigenschaften verstehen, die uns als DEUTSCH schlechthin erscheinen. Wenn die Ideen der französischen Revolution den preußischen Staat nicht stärker zu erschüttern vermochten, so einfach deshalb, weil der aufgeklärte Absolutismus des Alten Fritz vieles, was im Frankreich des "Ancien régime" nur Forderung geblieben war, längst durchgeführt hatte. Der preußische Staat hatte mit den seiner Zeit vorauseilenden Reformen den französischen Revolutionsideen den Rang abgelaufen." Am 12. Februar 1812 kommt Arndt wieder in Berlin an, kann aber nur einen Monat in der preußischen Hauptstadt verweilen, bevor er nach Breslau und Prag weiterreisen muß. In Berlin fühlte er sich "mitten in einem großen gewaltigen Männerbunde, der einen einzigen Gegenstand seines Bedürfnisses hatte: Haß und Abschüttelung und Vernichtung der Welschen." Von all diesen Reformern war Stein der weitaus Selbständigste und Bedeutendste. Als Arndt ihn später in Petersburg persönlich kennenlernt, ist sein erster Eindruck: "Ein heroischer Mann - wäre ein geborener Fürst und König gewesen." Stein war ein souveräner Typus, der "nicht zum Untertan geboren war". Was konnten diese "Männer der ersten Stunde" dem Sendungsgefühl der Franzosen entgegenstellen? Nur eine andere, eine bessere Idee der Freiheit, die Befreiung von einer Knechtschaft, unter der Frauen geschändet und Männer zum Dienst mit der Waffe für fremde Interessen gepreßt wurden! Die Befreiung von fremdem Einfluß und fremder Willkür unter dem einen Motto: "Weg mit der fremden Soldateska auf deutschem Boden!" Über die kläglichen Vergötterer Napoleons, für die der Ausruf "Ich habe Napoleon gesehen, und ich sah den Finger Gottes und alles soll sich beugen" das beredte Zeugnis ihrer Knechtsgesinnung ist, hatte er schon in Greifswald verächtlich gewettert: "Mochten auch andere nachkrächzende Krähen solcher Verirrten und dienstfertigen Zurechtmacher und Ausschmücker der Feigheit und Schande sein, die sich die garstigsten Ketten noch mit Blumen umwanden - es gab allenthalben noch recht zornige und hoffnungsvolle Protestanten gegen diese Lehre eines widerlichen fatalistischen Gehorsams; es gab gottlob auch in Greifswald recht viele!" Die von Arndt entfachte Kraft des Hasses und des fanatischen Verlangens nach nationaler Freiheit wird in der Tat eine Urkraft, die sich dem Elan der französischen Armee dereinst als überlegen erweisen soll. Zu Arndts Zeit gab es als Mittel der Befreiung von einem genialen
Gewaltherrscher wie Napoleon - darüber mußte sich jeder im Klaren sein - überhaupt keine andere als die militärische Lösung! Den Frühling des Jahres 1812 verlebt Arndt in Breslau "ebenso lebendig wie mein Februar in Berlin gewesen war." Hier trifft er u.a. auch Gneisenau und den alten Blücher, "der auch bei fröhlichen Gelagen etwas vom Feldmarschall hatte". Auch Scharnhorst lernt er in Breslau kennen, und er schildert ihn mit der größten Hochachtung: "Die schlichteste Wahrheit in Einfalt, geradeste Kühnheit in besonnener Klarheit, das war Scharnhorst! Er gehörte zu den Wenigen, die glauben, daß man vor den Gefahren von Wahrheit und Recht auch keine Strohhalmbreite zurückweichen soll. Er ist ein "vir innocens" im Sinne der großen Alten gewesen: Er ist (obwohl ihm später als Heeresreformator Millionen Staatsgelder durch die Hände gingen!) arm gestorben."
Petersburg - Tauroggen - Königsberg Noch in Berlin hatte sich Arndt gleich nach Neujahr vorsorglich durch den Grafen Lieven einen Paß für Rußland besorgt. Er weiß, daß dort noch ein vom fremden Eroberer freies Europa ist. Zar Alexander I. hatte sich entschlossen, sollte das Waffenglück gegen ihn entscheiden, sich nicht zu ergeben und notfalls bis Sibirien weiterzukämpfen. Napoleons erwartete Invasion Rußlands läßt nicht lange auf sich warten. Nachdem er Österreich und Preußen zu einem Bündnis gegen Rußland "überreden" konnte, steht eine Riesenarmee an der russischen Grenze. Am 9. Mai 1812 verläßt Napoleon Paris. Er zitiert die deutschen Fürsten nach Dresden - auch der österreichische Kaiser und der preußische König haben anzutreten, um seine Befehle entgegenzunehmen! Am 22. Juni überschreitet seine "grande armee", zu gut einem Drittel aus zwangsverpflichteten deutschen Hilfstruppen bestehend, die Memel, den Grenzfluß zwischen Preußen und Rußland. Inzwischen ist Stein auf Aufforderung des Zaren nach Petersburg gegangen. Er erkennt sofort die Chance, die sich ihm jetzt bietet. Der Zar muß bewogen werden, nicht nur Rußland zu verteidigen, sondern im Interesse langfristiger Sicherheit vor fremden Aggressionen, auch zur Befreiung Deutschlands beizutragen! Stein weiß, daß er Arndt jetzt für seine Zweckebraucht, und bittet ihn, als sein Privatsekretär nach Rußland zu kommen. Als Diener verkleidet, gelangt Arndt über Galizien durch die Karpathen an die russische Grenze. Während seiner wochenlangen Fahrt über Smolensk und Wjasma erlebt er überall die tiefe Religiosität und die Wogen der Begeisterung des russischen Volkes. "Die Russen leben in einem Rausch des Patriotismus." Hingerissen von dieser Stimmung ruft er aus: "Ein Volk zu sein, ist die Religion unserer Zeit!" Stein veranlaßt Alexander zu einem Aufruf an die Deutschen, der diesen Befreiung von Napoleon verheißt. Er drängt auf die Bildung einer "Deutschen Legion" aus geflüchteten Offizieren und Mannschaften, die allerdings nie über eine Stärke von 5-6,000 hinauswächst. Arndts "Geist der Zeit" wird in Rußland neu gedruckt und auf geheimen Wegen nach Deutschland geschmuggelt. Daneben läßt er mit wachsender literarischer Tätigkeit auf allerlei Umwegen Flugschriften, Aufsätze und Gedichte zur Aufweckung seiner Landsleute nach Deutschland gehen. Immer gewaltiger wird die Macht seiner Stimme. Seine Schriften sollen "wie ausgestreute Funken fliegen", und er hofft, daß sie hier und da "ein pulvergefülltes Herz finden und
zünden, damit es weiter zünde". Seinem Groll gegen die verräterischen Oberen macht er Luft mit den Worten: "Das Land und das Volk sollen unsterblich sein, aber die Herren und Fürsten mit ihren Ehren und Schanden sind vergänglich." Um den notwendigen Umschwung der Gesinnung herbeizuführen, sieht er sogar Napoleon in der Rolle eines neuen Attila und einer furchtbaren Völkergeißel als ein Heilmittel des Schicksals: "Steht noch immer der alte Weltzirkel der Geschichte," fragt er, "daß, wenn alles in Weichlichkeit, Unmännlichkeit, Überkünstelung vergeht, Verjüngung durch Zerstörung kommen muß?" Am 15. September 1812 zieht Napoleon in Moskau ein. In seinem Spätwerk "Wanderungen und Wandelungen" erzählt Arndt von jenen dramatischen Wochen, in denen sich Furcht, Verzweiflung, aber auch Hoffnung auf die große Wende mischen: "Mut, lieber Freund, Mut gilt für den Mann im Leben", gibt er als seine eigene Losung wieder. "Einen Tod kann man nur sterben." Und von Stein, dem geistigen Oberhaupt der deutschen Freiheitsbewegung, berichtet er: "Wenn die Borodiner Schlacht (in der Napoleon Sieger blieb) und der alten Hauptstadt Brand in solcher Weise die Herzen erschütterte, stand mein Ritter fest und unerschütterlich da." Die Wende tritt am 19. Oktober mit Napoleons Rückzug aus dem von den Russen niedergebrannten Moskau ein. Mit diesem weltgeschichtlichen Ereignis ist der Anfang seines Endes gekommen. Unter furchtbaren Verlusten an Gefallenen, Verhungerten und Erfrorenen schleppt sich seine geschlagene "grande armee", erbarmungslos von den nachstoßenden Russen bedrängt, gen Westen. Mit ihr gehen leider auch Tausende deutscher Soldaten als Napoleons Zwangsverbündete zugrunde. Die Zeit der "geheimen Propaganda" ist jetzt zu Ende. Nach Napoleons Katastrophe in den Weiten Rußlands beginnt für Arndt der Abschnitt des offenen, unüberhörbaren Wirkens. Als Werbung für die" Deutsche Legion" verfaßt er den "Katechismus für den deutschen Soldaten", in dem er in kühnen Worten die Kleinstaaterei der Einzelpotentaten, auf die die Soldaten noch vereidigt sind, angreift und dafür den Nationalgeist, das ganze Deutschland, als höhere Verpflichtung hinstellt. Mit hinreißenden Worten wendet er sich an Offizier und Mann: "Da ist sein Vaterland, da ist seine Freiheit, wo er nach den Sitten, Weisen und Gesetzen seines Volkes leben kann, wo, was seines Urelternvaters Glück war, auch ihn beglückt, wo kein fremdes Volk noch fremdes Gesetz über ihn gebiete." Denselben Gedanken findet man in einem Brief des Frhr. vom Stein im November 1812 an den englisch-hannoverschen Minister Graf Münster: "Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland. Mein Wunsch ist, daß Deutschland groß und stark werde, um seine Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Nationalität wieder zu erlangen. MEIN GLAUBENSBEKENNTNIS IST EINHEIT." Die traurigen Reste der "Großen Armee" konnten nach der Niederlage in Rußland seltsamerweise unbehelligt durch Deutschland zurückmarschieren. In einem Gespräch mit Stein äußert sich die Mutter des Zaren, eine geborene Herzogin von Württemberg, dazu: "Wenn jetzt noch ein französischer Soldat durch die deutschen Grenzen entrinnt, so werde ich mich schämen, eine Deutsche zu sein." Darauf Stein, der weder vor Kaiser noch König katzbuckelt, rot vor Zorn: "E. Majestät haben sehr unrecht, solches hier auszusprechen, und zwar über ein so großes , treues, tapferes Volk, welchem anzugehören Sie das Glück haben. Sie hätten sagen sollen, nicht des deutschen Volkes schäme ich mich, sondern meiner Brüder, Vettern und Genossen, der deutschen Fürsten. Hätten die Könige und Fürsten ihre Schuldigkeit getan, nimmer wäre ein französisches Heer über die Elbe, Oder und Weichsel gekommen." Und die Kaiserin nimmt seine mutige Rede mit den Worten an: "Sie mögen
recht haben, Herr Baron; ich danke Ihnen für die Lektion." Hätte nur ein Fürst, ein Volksführer, einer der Oberen im Anblick der verhaßten geschlagenen Feinde "die Trompete geblasen: Schlagt tot, schlagt tot! Von den Tausenden wäre kein Mann über die Weichsel entkommen." Weit wichtiger als die "Deutsche Legion" wird in den kommenden Wochen das Korps des preußischen Generals Yorck, das bis zum Dezember 1812 dem Oberbefehl Napoleons unterstanden hatte. Yorck faßt auf Drängen seiner Offiziere, darunter auch Clausewitz, den kühnen und epochemachenden Entschluß, ohne Einwilligung seines Königs das Bündnis mit dem Korsen zu brechen. Mit dem in Preußen geborenen russischen General Diebitsch verhandelt er die Konvention von Tauroggen und setzt damit das Fanal zu den anschließenden Befreiungskriegen. Yorck begnügt sich nicht mit diesem Neutralitätsvertrag. Am 8. Januar 1813 übernimmt er in Königsberg das Kommando über Ostpreußen, der alten Vorpostenprovinz des Reiches. Er leitet die Volksbewaffnung ein, die nun die weiteren Ereignisse mit dem Schwerpunkt in Deutschland bestimmt. Auf der langen Fahrt durch den russischen Winter von Petersburg nach Königsberg schreibt Arndt das Lied nieder, das eines seiner berühmtesten werden soll: "Was ist des Deutschen Vaterland?" Stein ist so beeindruckt, daß das Lied in Königsberg sofort in Druck gesetzt wird, um von dort seinen Siegeszug durch die deutschen Lande anzutreten. Nur ein Vers muß mit Rücksicht auf die Obrigkeit gestrichen werden: "Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! Ist,s was der Fürsten Trug zerklaubt, vom Kaiser und vom Reich geraubt? O nein! Das Vaterland muß größer sein." Aus seinem Studium der Geschichte versucht Arndt nachzuweisen, daß die Fürsten, ursprünglich bloße Reichsbeamte, ihre Selbständigkeit meist durch Verrat erkauft hätten, und daß sie diese im Zusammengehen mit auswärtigen Feinden oder dem Papsttum, dem Kaiser, dem Repräsentanten der Reichsidee, abgetrotzt hätten. Die verhängnisvolle deutsche Zwietracht sei daher letztlich ihr Werk! "Was mußt du jetzt tun, deutsches Volk?" fragt er. "Die Zeit ist gekommen, wo du erkennen solltest, daß nur Eintracht dich retten kann, wie Zwietracht dich verdorben hat. Von der Nordsee bis zu den Karpathen, von der Ostsee bis zu den Alpen, von der Weichsel bis zur Schelde muß EIN Glaube, EINE Liebe, EIN Mut und EINE Begeisterung das ganze deutsche Volk wieder in brüderlicher Gemeinschaft versammeln." So sehr ist Arndt von der Idee der Einheit durchdrungen, daß er sogar an eine "schöpferische Überwindung der kirchlichen Gegensätze" in Deutschland glaubt. "Wahrlich, ich sage euch und verkündige euch," schreibt er gemäß seiner Auffassung von Religion : "Der alte Papst und der alte Luther sind lange tot. Einer neuen Kirche und eines neuen Heils warten wir."
Das Volk steht auf Friedrich Wilhelm III. hatte schon die rebellische Konvention von Tauroggen mißbilligt.
Unter französischem Druck gibt er eine Zeitungserklärung gegen den General Yorck auf, die dieser jedoch mit den Worten abtut, daß "bekanntlich im preußischen Staat noch kein General seine Verhaltensbefehle durch die Zeitungen erhalten hat." Napoleon ist inzwischen in Paris angelangt und mit der Neuaufstellung der französischen Armee beschäftigt. In dieser undurchsichtigen Lage kommt alles auf die rasche Volksbewaffnung in Ostpreußen an. Nur durch eine vollendete Tatsache kann König Friedrich Wilhelm III. aus seinem Wankelmut gerissen und gleichzeitig der Zar davon überzeugt werden, daß er beim Neuaufflammen des Krieges nicht etwa die Last des Kampfes allein zu tragen hat. Arndts große Stunde bricht an. Er ruft in Ostpreußen zu von Stein und Yorck gegründeten Landsturm und Landwehr auf.: "Jeder, der mit seinem Volk nicht Glück und Unglück, Not und Tod teilen will, ist nicht wert, daß er unter ihm lebt, und muß als ein Bube oder Weichling von ihm ausgestoßen werden." Die Mobilmachung wird begleitet von seinem neuen, geharnischten Vaterlandslied "Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte!" Unter Arndts machtvoll anfeuernden Worten erhebt sich das Volk zum Sturm. Seine Flammensprache hat die gleiche Wirkung wie die trotzigen Lieder, die die deutschen Soldaten beider Weltkriege sangen - oder wie Schneckenburgers "Wacht am Rhein" und Beckers "Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein", von denen Bismarck einmal sagte, sie hätten 1840 bei dem schon zu der Zeit drohenden neuen Krieg mit Frankreich ein paar Armeekorps am Rhein ersetzt. "Das war das schönste bei diesem heiligen Eifer und fröhlichem Gewimmel," schreibt Arndt, "daß alle Unterschiede von Ständen und Klassen, von Altern und Stufen vergessen und aufgehoben waren." Und Blücher gibt die allgemeine, trotzige Aufbruchstimmung in dem ihm eignen urwüchsigen Ton in einem Brief an Scharnhorst wieder: "jetzo ist es wiedrum Zeit zu duhn, was ich schon Anno 9 angerathen, nämlich die ganze Nation zu den Waffen anzurufen, und wann die Fürsten nicht wollen und sich dem entgegensetzen, sie samt dem Bonaparte wegzujagen." Der russische Zar ist jedoch nicht geneigt, die Fürsten wegjagen zu helfen. Im Gegenteil! Er versichert Friedrich Wilhelm ausdrücklich, daß Stein sich "aller revolutionären Maßnahmen enthalten" werde. Als der in Breslau weilende Friedrich Wilhelm weiter zögert, macht Stein sich kurz entschlossen auf den Weg und trifft am 25. Februar 1813 dort ein, um den König zu sprechen, auch auf die Gefahr hin, daß der noch in Breslau stationierte französische Gesandte die sofortige Verhaftung des Geächteten fordern kann. Stein schreibt später dazu: "Der Beitritt Preußens zu dem von Rußland begonnenen Kampf war gewagt, denn seine eigenen Kräfte waren beschränkt, und die russischen noch zu schwach. Ihnen gegenüber stand Napoleon mit allen Kräften Frankreichs, Italiens und des Rheinbundes." Alle Bedenken zerrinnen jedoch schließlich, als sich die ostpreußische Erhebung auf das ganze Land ausbreitet. Dazu Arndts Schilderung: "Das war eine Begeisterung in den Städten und auf dem Lande, auf den Straßen und in den Feldern, auf den Kathedern und Kanzeln, und in den Schulen! Die heilige Begeisterung dieser unvergeßlichen Tage ist durch keine Ausschweifung und Wildheit entweiht worden ; es war, als fühlte auch der Kleinste, daß er ein Spiegel der Sittlichkeit, Bescheidenheit und Rechtlichkeit sein müsse. Ich sage nur das eine; es war plötzlich wie durch ein Wunder Gottes ein großes und würdiges Volk erstanden." Überall drängen sich Freiwillige zu den Waffen. Überall finden Arndts zündende Freiheitsund Soldatenlieder ein begeistertes Echo. Für Arndt ist es der Höhepunkt seines Lebens. Ihm
und allen Patrioten winkt das Ziel eines einigen und mächtigen Deutschland nach Abschütteln der Fremdherrschaft. Aber auch niederträchtige Elemente wie sie selbst in großen Zeiten auftreten, um ihr privates Süppchen zu kochen, "Leute, die nur an ihr kleines kümmerliches Ich dachten", tauchen inmitten der allgemeinen Begeisterung auf. Arndt prangert sie mit der gewohnten Schärfe an, vor allem den in ausländischen Diensten stehenden Schriftsteller Kotzebue, "jene Fliege, die sich auf alles setzt, die widerlichste Erscheinung, die mir in meinem Leben vorgekommen." In der Völkerschlacht bei Leipzig, vom 16.-19. Oktober 1813, wird Napoleon von den Verbündeten besiegt, kann aber nach Westen entkommen. Sachsen hatte noch auf der Seite Napoleons gekämpft. Die meisten anderen Rheinbundfürsten hatten sich, als sie Napoleons Stern sinken sahen, schnell von ihm abgewandt, "um ihre Kronen und Krönchen zu retten". Sie finden Metternich, den mächtigen Staatskanzler in Österreich, auf ihrer Seite. Er ist es, der den Traum der deutschen Patrioten von einem einigen deutschen Reich zugunsten der Territorialfürsten zunichte macht. Das Aufpeitschen der Volksleidenschaft mißhagt ihm. Vielleicht mehr noch die Ziele der Patrioten: EIN Volk, EIN Kaiser, EIN Reichsheer, EIN Reichsgericht, EIN Zollgebiet, EINE Währung." Metternich, der mehr um Österreichs nichtdeutsche Besitzungen als um ein einiges Reich besorgt ist, möchte die Franzosen weitgehend schonen. Er will sogar den Rhein als "natürliche ('sichere') Grenze" anerkennen! Arndt dagegen verficht unermüdlich die Forderung, daß die "einzig gültige Naturgrenze zwischen Völkern die Sprache sei" (daher als gegnerische Lösung die Völkerrechtsverbrechen der "ethnischen Säuberungen" seit 1945!) "Kein deutsches Dorf, kein deutsches Kleefeld" darf preisgegeben werden. Immer wieder ruft er: "Deutsche seid eins!" Arndt fühlt sich nun ganz als Preuße. In Preußen hat er seine neue Heimat gefunden. Ende März war er von Königsberg zuerst nach Kalisch zu Stein und dem Zaren gereist, dann nach Breslau und schließlich Dresden, wo er im Hause des Vaters von Theodor Körner wohnt, des jungen hoffnungsvollen Dichters, der bald darauf seine glühenden Freiheitslieder als Lützower Jäger mit seinem Tod bei Gadebusch besiegelt. Der dritte Teil vom "Geist der Zeit" wird fertig, und seiner Verbreitung steht nun nichts mehr im Wege. An einer Stelle heißt es darin: "Wo das große Herz waltet, da ist Glück; wo das kleine Herz waltet, da ist Unglück. Wer an Wunder glaubt, vollbringt sie; wen nach großen Taten gelüstet, der geht gewiß in kleinlichen Sorgen und Dingen nicht unter." Seine Propagandaschriften werden noch härter und unversöhnlicher. Sie sind für die Menge geschrieben, von unbändiger Leidenschaft gegen den Feind, an dem nichts Gutes gelassen wird. Arndt nimmt hier gleichsam die Anleitungen des Franzosen Gustave le Bon in seiner "Psychologie der Massen" vorweg. Er zeigt dem Volke aber auch, wofür es in den Krieg zieht, für welche Kriegsziele es kämpfen soll. Doch schon jetzt fließen erste Wermuthstropfen in die allgemeine Hochstimmung. Was werden die kommenden Jahre bringen, fragt sich Arndt in besinnlicher Stunde, was nach der Befreiung der deutschen Lande durch die große Begeisterung im Volke und in der Studentenschaft? Werden die Fürsten und die Mächtigen von gestern nicht versuchen, "eine hohle Herrschaft durch eine andere zu ersetzen?" Zorngewaltig richtet er sich daher gegen die Kleingläubigen, und auch gegen die "Kosmopoliten" (heute "Internationalisten"), die damaligen Prediger der Entwurzelung: "Tief
aber verachten wir jene dummen und schlechten Schwätzer, welche ohne Kenntnis der Geschichte und ohne Ehrfurcht vor dem göttlichen Willen uns Deutschen beweisen möchten, wir müßten durchaus Schutt und Asche werden, worin andere Völker, damit ihnen ein schöneres Leben erblühe, ihren Samen streuen. Jener Kosmopolitismus ist von Tyrannen und Despoten, welche alle Völker und Länder zu einem großen Schutthaufen, ja Misthaufen der Knechtschaft machen möchten." Dem "Schutthaufen" der Kosmopoliten stellt er sein Ideal entgegen: "Was wir Jahrhunderte, ja Jahrtausende besessen haben, Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Redlichkeit, Tapferkeit, Freiheit, was wir geschaffen haben, Gesetze, Wissenschaft, Sitte und Kunst, das ist unser deutsches Vaterland, und das wollen wir erhalten." Die Kriegsziele der Verbündeten werden von Stein und Arndt gemeinsam je auf ihre Weise verfochten. Stein gelingt es, den Zaren dazu zu überreden, daß nur durch einen Marsch auf Paris Napoleon gestürzt werden kann. Arndt tritt mit seiner berühmten Schrift hervor: "Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze!" Noch einmal erhebt er seine Forderung, daß "die einzig gültige Naturgrenze, die Sprache" Ziel des Kampfes sein muß! Trotz Einspruch Österreichs, das Napoleon retten will, trotz Zögern russischer Generale, trotz Bedenken seines Königs, setzt Blücher in der Neujahrsnacht 1814 bei Kaub über den deutschen Schicksalsstrom. In den folgenden drei Monaten wechselvollen Kriegsgeschehens will Metternich immer wieder den "Marschall Vorwärts" hindern, wo er kann, und versuchen, mit Napoleon Frieden zu schließen. Zum Ergebnis der Befreiungskriege darf festgestellt werden, daß es zwar die Soldaten waren, die den verhaßten Korsen besiegten, daß dieser Sieg jedoch nicht möglich geworden wäre ohne die politischen Fähigkeiten eines Stein sowie der zündenden Aufrufe und Forderungen von Ernst Moritz Arndt und gleichgesinnter Patrioten. Goethe, einer der großen Zeitgenossen dieser stürmischen Jahre, urteilt 1830 in einem Gespräch mit Eckermann rückblickend: "Vor 16 Jahren, als wir endlich die Franzosen los sein wollten, war Deutschland überall. Die allgemeine Not und das allgemeine Gefühl der Schmach hatten die Nation als etwas Dämonisches ergriffen." Das war derselbe Goethe, der noch im Juni 1813 ironisch bemerkt hatte: "Rüttelt nur an Euren Ketten, der Mann ist Euch zu groß."
Niederlage trotz Sieg der Waffen Sowohl Stein wie auch Arndt hatten im Frühjahr 1813 gefordert, daß die "Rheinbundfürsten" als abgesetzt erklärt werden sollten. Doch Zar Alexander will nicht weiter gehen, als die Verbündeten Napoleons zum Abfall aufzurufen. Der sächsische König, der noch in der Völkerschlacht bei Leipzig an Napoleons Seite gekämpft hatte, wird wieder in Gnaden aufgenommen. Schon im besetzten Paris klaffen die Interessen der Verbündeten auseinander. Steins Einfluß auf den Zaren hat sichtlich nachgelassen. Alexander zeigt sich sogar aufgeschlossen für Frankreichs Wünsche, und der verschlagene Talleyrand weiß diese meisterhaft zu vertreten. Metternichs Hauptinteresse gilt dem Wiedergewinn von Habsburgs italienischen Besitzungen. So fällt schon im ersten Pariser Frieden die Entscheidung gegen Deutschland. Nicht genug, daß Frankreich urdeutsche Gebiete wie das Saarland und das Elsaß behalten darf Deutschland, so heißt es im Vertrag vom 30. Mai 1814 - "wird aus unabhängigen Staaten bestehen, die durch ein föderatives Band vereinigt sind."
Die Entscheidung ist gegen Arndts Traum vom Reich gefallen. Er empfindet "Überdruß und Ekel an der Zeit". Seine Sprache wird noch unverblümter, und "offen wirft er allen Reichsfeinden und Reichszerstörern den Fehdehandschuh hin." Nur Preußen scheint ihm jetzt noch eine deutsche Zukunft zu verbürgen. Österreich dagegen ist mit seinem Verzicht auf alte deutsche Gebiete im Westen einerseits, und durch den Neuerwerb von Fremdgebieten wie Oberitalien und Galizien andererseits dem Reich immer mehr entfremdet. "Ich habe Preußen gelobt," schreibt Arndt, "nicht weil es Preußen heißt, sondern weil es mir das einzige Land scheint, welches die Nichtigkeit Deutschland zur Herrlichkeit erheben kann." Arndt verspürt keinerlei Neigung, am darauffolgenden "Wiener Kongreß" teilzunehmen, wo er ein "buntes Ungeheuer von einem Bundesstaat" erwartet, "zusammengeflickt wie Napoleon die Staaten nebeneinander hingeworfen hat". Stein bleibt zwar Monate in Wien, aber er muß erleben, daß der Zar an einem starken Deutschland nicht interessiert ist. Die Engländer, wie immer emsig bedacht, das europäische "Gleichgewicht der Kräfte" zu wahren, sind natürlich ebenso dagegen. Der Österreicher Metternich wie der Franzose Talleyrand sind keine Staatsmänner mit Blick auf die Zukunft, sondern mit allen Kniffen der Diplomatie um die Restauration des Vorkriegszustandes bemüht. Preußen steht somit isoliert da. Von dem berühmten Historiker Heinrich v. Treitschke stammt folgende Schilderung des Wiener Kongresses: "Der große Plebejer war gefallen, der einmal doch den Hochgeborenen bewiesen hatte, was eines Mannes ungezähmte Kraft selbst in einer alten Welt vermag; die Helden des Schwertes verschwanden vom Schauplatze, mit ihnen die große Leidenschaft, die unerbittliche Wahrhaftigkeit des Krieges. Wie Würmer nach dem Regen krochen die kleinen Talente des Boudoirs und der Antichambre aus ihrem Versteck hervor und reckten sich behaglich aus. Die vornehme Welt war wieder ganz ungestört, ganz unter sich." Trotz aller Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten verzagt Arndt nicht. Immer bleibt er tätig, und auch jetzt erklingen seine aufrüttelnden Lieder wie das Lied vom Feldmarschall "Was blasen die Trompeten, Husaren heraus" oder "Deutsches Herz verzage nicht, tu was Dein Gewissen spricht". Sein Optimismus und sein Gottvertrauen bewahren in ihm den Glauben, daß, wenn sein Traum von einem einigen starken deutschen Reich nicht heute wahr wird, er sich dann morgen erfüllen muß. Der Gedanke, daß das deutsche Volk einmal vergehen könne, ist ihm unerträglich. Statt dessen glaubt er an einen ständigen Wechsel von Höhen und Tiefpunkten im Leben seines geliebten Volkes. Seiner Meinung nach befindet Deutschland sich noch "in seinen Schlingeljahren". Es ist also nicht alt, sondern im Aufstieg. Schließlich wird in Wien das von Arndt befürchtete "Monstrum eines kraftlosen deutschen Bundes" aus der Taufe gehoben. Josef Görres, der Herausgeber des "Rheinischen Merkur", schreibt über das Deutschland jener Zeit: "Seine Krone ist zerbrochen und zu Siegelringen seiner Souveräne umgeschmolzen; das alte große Haus ist dem Boden gleich geschleift, und kleine Häuschen sind aus den Trümmern aufgeführt, worin jeder selbständig seine Wirtschaft führt. Nicht mehr heilig, sondern heillos müßte fortan zugenannt werden dieses Reich." Und Arndt dazu in einer Flugschrift "Der Deutsche Bund wider das Deutsche Reich": "Du armes, treues deutsches Volk! Du solltest keinen Kaiser haben. Sie, Deine Fürsten, wollen selbst den Kaiser spielen. Statt eines Herrn hast Du ein paar Dutzend, die, wenn es deutsche Sachen betrifft, nie einig werden können." Nach seiner Flucht aus Elba, wohin er verbannt worden war, und seiner anschließenden "Herrschaft der 100 Tage" wird Napoleon am 18. Juni 1815 mit entscheidender Hilfe des "Marschall Vorwärts", bei Waterloo endgültig besiegt. Der glühende Patriot Arndt ist im Gegensatz zu den heuchlerischen "Pazifisten" und "Humanitätsjüngern" von heute gegen jede
Art von Haßfrieden. "Wir wollen nicht Unmenschliches, und Hinterlistiges weder billigen noch raten gegen die Franzosen, wie unmenschlich und hinterlistig sie unsere Macht und unser Glück auch zu bestricken und zu zerstören gesucht haben." Der Frieden muß aber auch, so fordert er billigerweise, für die Deutschen Recht bringen. Und Recht sei, daß sie wieder die Gebiete bekämen, in denen Deutsch gesprochen wird und die Jahrhunderte hindurch deutsch waren! "Denn jedes Unrecht, sogar gegen die schlimmsten Feinde, ist zugleich eine Dummheit; das schreiendste Unrecht aber ist, wenn man bei Völkern einen unrechtlichen und unsittlichen Zustand nicht allein verlängern, sondern sogar mit absichtlicher Bosheit bereiten will." Selbst Bismarck mußte nach 1871 feststellen: "Das Versäumnis im Wiener Kongreß, der ja nationale Wünsche nicht berücksichtigt hatte, altes deutsches Gebiet zurückzuverlagen, war jetzt nicht mehr nachzuholen, ohne Wunden aufzureißen". Die von ihm gezeigte Größe und sein Weitblick sind von den kurzsichtigen und brutalgehässigen Gegnern Deutschlands weder in Versailles noch in Jalta beachtet worden. Kein Wunder, daß die Welt seitdem mehr denn je von ständigen Kriegen mit Millionen und Abermillionen Opfern erschüttert wird. Die "Bundesakte" vom 8. Juli 1815, die nicht einmal das Wort "deutsches Volk" enthält, begründet statt eines zeitgemäßen Nationalstaates einen Verein von 39 "Souveränen"! Der unausweichliche innerdeutsche Krieg, den Arndt als Folge der daraus entspringenden internen Probleme befürchtet, kommt Jahrhundert später im Rivalitätskampf zwischen Österreich und Preußen. Arndts Wunschtraum vom deutschen Vaterland bleibt indessen unverändert. Nach der großen Enttäuschung erhebt er die berechtigte Klage, daß "wir noch nicht politisch genug sind. Damit wir dies immer mehr werden, dafür muß jeder redliche Deutsche denken und streben und auf seine Weise den Kampf durchkämpfen helfen, der nicht allein auf den Schlachtfeldern entschieden werden kann." Im Hinblick auf die herrschenden Schichten in den vielen deutschen Einzelstaaten, die so sehr an der Erhaltung des alten Zustandes interessiert sind, will er jetzt seinen Beitrag leisten zur Erziehung des "seit Jahrhunderten mißleiteten deutschen Volkes zu einem allgemeinen Nationalgefühl und zu einer allgemeinen Würde gegenüber der gefährlichen Überfremdung." Er prangert den gerade in "gehobenen" Kreisen erkennbaren verderblichen Krämergeist mit den Worten an: "Dies nannten sie ihre Bildung; und damit das Geschlepp ausländischer Äffereien und Untugenden und halber Begriffe, die sich mit fremden Namen am besten ausdrücken lassen, voll Würde, mit einem vornehmen Wort: Humanität. Es war eben jenes erbärmliche, halbzierliche und halbknechtische Wesen, wovon Tacitus sagt: Die Unwissenden nannten das Humanität, da es doch ein Teil der Knechtschaft war."
Das Ende des Abenteuers der Befreiung Die Fremdherrschaft war zwar abgeschüttelt, aber das Ziel der Patrioten war nicht erreicht worden. "Um dort guten deutschen Sinn fördern zu helfen", sucht Arndt nun eine Professur an der neu zu gründenden Rheinuniversität. Nachdem das Rheinland im "Rheinbund" den Gefahren des Separatismus am stärksten ausgesetzt gewesen war, will er gerade hier seine Stimme erheben. Mit den Studenten will er die nächste Generation ansprechen. Seine Verbundenheit mit dem Rheinland hatte Arndt schon vorher in herzlichen Worten ausgedrückt, als er es "die Wiege eurer Bildung" nannte, "die Städte, wo eure Kaiser gewählt, gekrönt und gesalbt wurden, die Denkmäler eures Ruhms und eurer Größe... O mit welchen Gefühlen von Wonne und Weh über all diese Schönheit und Herrlichkeit bin ich in Straßburg
auf dem hohen Münster gestanden und habe im Osten den Schwarzwald, im Süden den Jura, im Westen den Vogesus vor mir sich bläuen sehen! Eine herrliche Stadt, und die Menschen darin wie deutsch noch! Und welche schönen kräftigen Bauerngeschlechter in diesem herrlichen Rheintal!" Die erzieherische Aufgabe, die Arndt sich in seinem neuen Wirkungsfeld an der Bonner Universität gestellt hat, läuft nicht so reibungslos ab, wie er sich das vorgestellt hatte. Metternichs Einfluß reicht in alle deutschen Lande. In seinem Bestreben, jede nationale Regung als "staatsgefährdend", als "Jakobinismus" zu verdammen, will er jeden zum Schweigen bringen, der noch vom Reich spricht und es weiterhin als Ziel aller Deutschen hinstellt. Arndt wirft im vierten Teil seines "Geist der Zeit" die beschwörende Frage auf : "Und solltest Du wieder in Nacht zurücksinken, glänzende Zeit? Sollten wir Deutschen wieder die traurigen Siebenschläfer werden, die wir Jahrhunderte gewesen?" Und zum Schluß mahnt er seine Leser: "Glaube fest an Deutschlands Zukunft; sie wird kommen." Noch immer ist er unwiderstehlich in seinem Optimismus: "Nein! nein! nimmermehr! Das darf, das soll nicht sein! Ich frage, wo sitzt jetzt die irdische Gewalt, die das Edle und Freie töten kann? Hat es den eisernen Napoleon zerknirscht und zermalmt, wird es 77 andere Napoleons zerknirschen und zermalmen." Stein gratuliert Arndt zu seinem neuen tapferen Werk. Aber jetzt beginnt die Hetze gegen den Verfasser. Diesmal wird sein Buch Friedrich Wilhelm III. mit roten Unterstreichungen vorgelegt. Auf Druck von seiten Metternichs beschließt das preußische Kabinett im Jahre 1818 - knapp fünf Jahre, nachdem Preußen nicht zuletzt durch Arndts aufopferndes Wirken befreit worden war - den Professor Arndt in Bonn zu verwarnen! Für ihre ureigensten Belange sind den Deutschen zwar die Zügel angelegt. Um so emsiger und lautstarker dürfen sie sich statt dessen für die Angelegenheiten fremder Völker einsetzen! Arndt gießt als deutscher Patriot Wasser in das Feuer der seinerzeit modischen Polenbegeisterung: "Man schreit `das ganze Polen soll es sein`! Warum ruft niemand: `Das ganzeDeutschland soll es sein,!" "Und wie haben die Polen ihr schönes fruchtbares Land heruntergewirtschaftet! Nein! Deutschland hat andere Sorgen, die ihm näher liegen als die Freiheit der Polen."
Verfolgung durch das System Metternich Um die Hitzköpfe unter den Studenten vor unklugen Aktionen zu bewahren, hatte Arndt nach der Auflösung der jungen, jetzt als "staatsgefährdend" angesprochenen Burschenschaften die akademische Jugend unzweideutig vor gefährlichen Formen von Geheimbündelei gewarnt. Trotzdem glaubt eine kleine Minderheit der sogenannten "Unbedingten", der nationalen Sache durch die Bestrafung von Verrätern dienen zu können. Ein Angehöriger dieses Kreises, der Student Sand, erschießt am 23. März 1819 den oben erwähnten Schriftsteller Kotzebue, jene "deutsche Schmeißfliege, diesen deutschen Mistkäfer", wie Arndt ihn genannt hatte. Als kurz darauf noch ein Anschlag auf den nassauischen Staatsrat von Ibell erfolgt, schlägt Metternich zu. Die sogenannte "Demagogenverfolgung", mit der Metternich den nationalen Widerstand gegen seine antinationale Staatsauffassung brechen will, schließt Arndt und manch andere deutsche Patrioten ein. Seine reaktionäre Unterdrückungswelle ist zwar letztlich zum Scheitern verurteilt, aber es wird ein viertel Jahrhundert dauern, "bis sich endlich auch hier wieder zeigt, daß Gewalt nichts über Geist vermag!"
Die Justiz macht es sich einfach; man findet nichts, was zu einer Anklage gegen Arndt ausreichen würde, aber nichtsdestotrotz wird das Untersuchungsverfahren gegen ihn weitergeführt. Arndt wird zwar nicht von Bonn verwiesen, aber man zwingt ihn zu schweigen, ein Urteil, das gerade für diesen "getreuen Eckart des deutschen Volkes" besonders hart ist. Zwanzig Jahre lang darf er seine Stimme nicht mehr erheben. Zwanzig Jahre - bis zu seinem 71. Lebensjahr - darf er nicht lehren, denn er gilt als ein "Verführer der Jugend". Erst als der pedantische Friedrich Wilhelm III. im Jahr 1840 stirbt und Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron besteigt, wird der greise Arndt wieder in seine Rechte eingesetzt. Es wird ein Fest, ein "Freudentag für die ganze Stadt"; seine Universität darf nun zeigen, was sie von ihm hält und wählt ihn zum "rektor magnificus"! Arndt ist es vergönnt, noch den Sturz Metternichs zu erleben, und im Frühjahr 1848 das Auflodern des so lange zurückgestauten Nationalgeistes. Als die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung in Frankfurt ausgeschrieben werden, stellen ihn drei Wahlkreise als ihren Kandidaten auf. Er zieht als Abgeordneter der Stadt Solingen in die Paulskirche ein, wo der Greis zwar nicht mehr in den vordersten Reihen mithält, aber noch immer in Ehren steht. In der zweiten Sitzung der Nationalversammlung, in der er nur wenige Worte spricht, erhebt sich alles spontan, um dem alten Herold von Einheit, Recht und Freiheit zu huldigen. Stehend singen die Abgeordneten sein Vaterlandslied. Österreich tanzt in Frankfurt jedoch wieder aus der Reihe. Wegen seiner zahlreichen nichtdeutschen Gebiete widersetzt es sich einer Wiedergründung des Reiches. Schlimm empfindet es Arndt, daß "die meisten Preußen mehr scheuen als Österreich." Das "alte Weltgeschichtsspiel" sieht er sich immer noch hell aufspielen: "Da reichen sich die Jakobiner und Ultramontanen, die Pffffen, wie das der Natur der Lage nach nicht anders sein kann, treu die verbrüderte Hand." Auch die Begegnung mit dem Kommunismus bleibt dem 80-Jährigen nicht erspart. "Was haben die tollen und wilden Propheten dieser Tage, die Baalspriester eines irdischen Glückseligkeitsdienstes, nicht für unendliches Traumglück bauen gewollt," warnt er seine Landsleute, "Träume, die mit den Titeln sozialistische und kommunistische Gesellschaften, die zum Teil die Aufhebung alles Besitzes und des Vermögens, ja die Gemeinschaft der Weiber und Kinder predigen!" Auch warnt Arndt vor der ethnischen Durchmischung. "Die heutige (kommunistische) Lehre einer philosophischen und kosmopolitischen Humanität," sagt er an anderer Stelle, "ist die Lehre des Pater Brei, d.h. eine Lehre, welche aus der ganzen Menschheit einen Rührbrei einer kindischen Gleichheit und Brüderlichkeit der Völker machen möchte, die Gottes lustige Schöpfung durch das fürchterlichste Einerlei der Langeweile bis zum Aussterben töten würde." Noch ein letztes Mal will Arndt als Handelnder in das politische Geschehen eingreifen. Er hofft, den preußischen König für die Reichsverfassung gewinnen und dadurch die deutsche Einheit verwirklichen zu können. Arndts Schreiben an den König bleibt erfolglos. Auch ein zweiter Vorstoß, als der greise Arndt persönlich als Mitglied einer Abordnung im Berliner Schloß beim König vorspricht, schlägt fehl. Friedrich Wilhelm IV. will die Kaiserkrone nicht von einer aus der Revolution hervorgegangenen Versammlung annehmen (vermutlich jedoch mehr noch wegen eines zu befürchtenden Konflikts mit Wien). Am 20. Mai 1849 verläßt Arndt die Frankfurter Nationalversammlung und kehrt nach Bonn
zurück. Bis zum Schluß, noch über ein Jahrzehnt, bleibt er geistig frisch, glücklich verbunden mit seiner Frau Nanna , Schleiermachers Halbschwester, die er Ende 1814 in Berlin kennen gelernt hatte, und einer Schar gesunder und fröhlicher Kinder. Er schreibt seine schon erwähnten "Wanderungen und Wandelungen", die wohl "das lebendigste und klarste Werk eines 90-Jährigen sind, das die deutsche Literatur kennt." Noch einmal tritt der alte Kämpe mit seiner Schrift "Die Frage von Schleswig-Holstein" an die Nation, nachdem diese Herzogtümer im "Protokoll zu London" von 1850 "auf immer und unauflöslich" mit Dänemark verbunden sein sollen. Durch ganz Deutschland erschallt das Trutzlied gegen die dänischen Forderungen: "Schleswig-Holstein meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht". Eine groteske Begebenheit steht ihm noch bevor: Wegen angeblicher Beleidigung eines verstorbenen bayrischen Generals wird er in Abwesenheit von einem Saarbrücker Gericht zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Arndt ignoriert das Urteil, und die Bonner Studentenschaft nimmt diese neuerliche Schikane einer Behörde zum Anlaß, geschlossen zum Arndt,schen Haus zu marschieren und ihm mit einem riesigen Fackelzug zu huldigen. Ganz Deutschland gedenkt Ende Dezember 1859 seines 90. Geburtstages. Einen Monat später, am 29. Januar 1860, schließt er für immer die Augen. Als Arndt starb, stand Bismarck bereits im politischen Leben. Und nur ein Jahrzehnt später gab es wieder ein Deutsches Reich, auch wenn es nicht, wie Arndt und die besten Deutschen es erhofft hatten, das ganze Deutschland umschloß.
Anhang Auszüge aus der HOFFNUNGSREDE (1810 für eine Greifswalder Universitätsfeier vorbereitet, aber erst 1847 zum Druck freigegeben) Uns ziemt nach so vielem Unglück und Unheil der Stolz der Wahrheit. Für diese Zeit kann ich nicht stolz genug sprechen; denn wer in ihr nicht stolz ist, der ist nichts. UNGLÜCK SOLL DIE HERZEN STOLZ MACHEN. Wir haben nicht vergessen, was wir waren; wir wollen nicht vergessen, was wir sein sollen. Wer Fremden nachäfft, wie weit er es auch bringe, offenbart immer eine nichtige Eitelkeit und einen hündischen Sklavensinn. WIE WIR UNS ACHTEN; WERDEN WIR GEACHTET WERDEN: In deutscher Kraft, in deutschem Ernst, in deutschem Sinn und deutscher Treue ist uns gegeben, groß und verehrlich zu scheinen. Wer sich selbst verläßt, der ist verlassen; Das Volk, das an sich verzweifelt, an dem verzweifelt die Welt, und die Geschichte schweigt auf ewig von ihm. Unser Volk ist in einem jeglichen von uns. Wir waren der heilige Mittelpunkt der europäischen Erde, wir sind es noch in so mancher Hinsicht. Haben wir nicht Seher und Propheten, Könige und Helden, Weise und Dichter? Große Arbeiter, Erfinder, Kämpfer jeder Art, wodurch wir uns den edelsten Völkern des Weltteils an die Seite stellen können? Der Handelnde wird geleitet durch eine dunkle Macht, durch eine Liebe, die er sich nicht erklären mag, durch jene tiefe Liebe, die in seinem Volke, seiner Sitte, seiner Sprache von
Kindheit auf mit dem innersten Kern seines Daseins unauflöslich verwachsen ist. Nur die volle brennende Seele, das ganze menschliche Gefühl, ohne an eigene Zwecke und verborgene Pläne der Vorsehung zu denken, wird in der Wirklichkeit das Große und Herrliche schaffen und vollbringen und der Zeit den Namen geben. Wir kennen die Eine Würde des Mannes: Sie heißt Mut und Arbeit und immer Mut und Arbeit. Jedem Sterblichen, der etwas Ernstes mit Ernst will, ist gegeben, groß zu sein; jeder, der treu in EINEM beharrt, erreicht seinen Zweck bis in den Tod. Ehren wollen wir die alten Sitten. Ehren die mutige, freudige Sprache. Ehren alles, was schlicht, redlich und gerecht ist, ehren und behaupten das Eigene vor dem Fremden. In einer Zeit der Knechtschaft nur zu verständlich, greift seine Ablehnung des Fremden gerade auch auf die Sprache über. Sein Streben nach einer einfachen, klaren, möglichst fremdwörterfreien Sprache spiegelt sich in diesen Worten wieder: "Als durch die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück die Leiche des Heiligen Römischen Reiches zerlegt (wurde), ward nicht die deutsche Literatur das Bild des deutschen Reichstags, die deutsche Sprache buntscheckig wie die babylonische Verwirrung des Reiches, und schnatterten sie nicht den Tönen und Lauten aller der Völker nach, die ihre Mitherrscher waren? Schämst du dich deiner heiligen und herrlichen deutschen Sprache und lallest mit selbstgefälliger Eitelkeit die deiner Plager nach?" Eine sarkastische Beschreibung der Sprachverderber, die auch heute wieder ihre Gültigkeit haben dürfte.
Der Gott der Eisen wachsen ließ Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte. Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß dem Mann in seine Rechte. Drum gab er ihm den kühnen Mut, den Zorn der freien Rede, Daß er bestünde bis aufs Blut, bis in den Tod die Fehde. O Deutschland. heil`ges Vaterland! O deutsche Lieb und Treue! Du hohes Land! Du schönes Land! Dir schwören wir aufs neue: Dem Buben und dem Knecht die Acht! Den Füchsen, Krähn und Raben! So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht und wollen Rache haben. Laßt brausen, was nur brausen kann, in hellen lichten Flammen. Ihr Deutschen alle, Mann für Mann, fürs Vaterland zusammen! Und hebt die Herzen himmelan! Und himmelan die Hände! Und rufet alle Mann für Mann: Die Knechtschaft hat ein Ende! Laßt wehen, was nur wehen kann, Standarten wehn und Fahnen! Wir wollen heut uns, Mann für Mann, zum Heldentode mahnen: Auf! Fliege stolzes Siegspanier voran den kühnen Reihen! Wir siegen oder sterben hier den süßen Tod der Freien.
Was ist des Deutschen Vaterland? Was ist des Deutschen Vaterland? Ist's Preußenland? Ist's Schwabenland?
Ist's Pommernland? Westfalenland? Ist's wo am Rhein die Rebe blüht? Ist's wo der Sand der Dünen weht? Ist's wo am Belt die Möve zieht? Ist's wo die Donau brausend geht? O nein! nein! nein! O nein! nein! nein! Sein Vaterland muß größer sein! Sein Vaterland muß größer sein! Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! So nenne mir das große Land! Ist's Land der Schweizer, ist's Tirol? Gewiß ist es das Österreich, Das Land und Volk gefiel, mir wohl; an Ehren und an Siegen reich? doch nein! nein! nein! O nein!, nein!, nein! Sein Vaterland muß größer sein. Das ganze Deutschland muß es sein! Was ist des Deutschen Vaterland? Das ganze Deutschland soll es sein! So nenne mir das große Land! O Gott vom Himmel sieh darein! So weit die deutsche Zunge klingt Und gib uns rechten deutschen Mut, und Gott im Himmel Lieder singt, daß wir es lieben treu und gut. das soll es sein! Das soll es sein! Das wack,rer Deutscher, nenne Dein! Das ganze Deutschland soll es sein!
Schrifttum • • • • • • • • • • • • •
Arndt, Heinz v. , Das Abenteuer der Befreiung, Druffel, Leoni, 1960 Deutscher Ostdienst, Arndt-Büste gestohlen, 2. Juni 1995 Geerdes, Robert, Ernst Moritz Arndt, Velhagen & Klasing Hirth´s Deutsches Lesebuch, 7A, Ferdinand Hirth, Breslau, 1940 Huttenbriefe, Dichter und Staatsmann, Nov./Dez. 1994 Kern, Hans, Ernst Moritz Arndt, Der ewige Deutsche, Eugen Diederichs, Jena,1930 Paul, Johannes, Ernst Moritz Arndt, "Das ganze Teutschland soll es sein," Musterschmidt, Göttingen, 1971 Reiners, Ludwig Der ewige Brunnen, C. H. Beck , München, 1988 Sichelschmidt, Gustav, Ernst Moritz Arndt, Preußische Köpfe, Stapp, Berlin, 1981 Völkel, Ulrich, Adler mit gebrochenem Flügel, Verlag der Nation, Berlin, 1987
Oswald Spengler Politische Pflichten der deutschen Jugend. (Gekürzt)
Rede vom 26. 02. 1924 vor dem Hochschulring Deutscher Art in Würzburg. (Quelle: Politische Schriften, C. H. Beck, 1934)
. . . Wir erleben (heute) ein Schauspiel, das noch niederdrückender ist (als der Verlust) jeden Maßstabes für Größe und Würde. Wir haben verlernt und vergessen, was wir gestern noch als Volk inmitten der Weltvölker gewesen sind. Wir sind nicht nur elend, wir sind auch ehrlos geworden. Das Mannesrecht, das jedem Zwergvolk zugestanden wird, sich mit der Waffe in der Hand zu schützen, ist uns genommen worden. Wir gehören nicht mehr in die Reihe der selbständigen Nationen. Wir sind das bloße Objekt des Willens, des Hasses und der Beutelust anderer geworden. Während rings in der Welt die Heere und Flotten für neue Entscheidungen gerüstet werden, bezahlen wir mit deutschem Geld auf deutschem Boden fremde Heere* - (* Im Original: "ein französisches Heer") das ist unser Antimilitarismus. Und wie viele unter uns gibt es, die das mit brennender Scham empfinden? Für Unzählige ist es ein Zustand, mit dem man sich abfinden muß und kann, um in seinem Schatten ein kleines Winkelglück aufzubauen. Wir besitzen seit Jahren ein System des Regierens, mit dem sich trotz des Elends und der Schande vortrefflich leben läßt - wenn man dazu gehört. Es gibt Tausende , die sich in Partei- und Staatsstellen, durch Diäten und gute Beziehungen davon nähren, und Tausende, welche die Lage für ihre Privatgeschäfte durchaus nicht so finden, daß sie eine Änderung wünschen sollten . . . Es ist unter den tröstlichen Zügen der Gegenwart vielleicht der trostreichste, daß dieses Sichabfinden mit einem schmachvollen Schicksal in keiner Schicht des Volkes so wenig Zustimmung findet wie unter der Jugend (Anmerkung: 1924!) . . . Darin liegt für mich die Hoffnung begründet, daß die Deutschen, das jüngste und das unverbrauchteste unter den Völkern Europas, durch die heranwachsende Generation einst wieder in die Lage versetzt werden wird, eine geschichtliche Rolle zu spielen, die seiner inneren Kraft, seiner trotz allem ungebrochenen Gesundheit und seinen schöpferischen Eigenschaften angemessen ist..
Wenn sich aber diese Sendung, die ihr nach meiner innersten Überzeugung vorbehalten ist, eines Tages erfüllen soll, dann muß die Jugend sich darüber klar sein, wie unendlich hart, lang und entsagungsvoll der Weg ist, wie wenig leicht man sich diese Aufgabe machen darf, und was alles man wissen und können muß, um für ein. . . Land den Aufstieg zu einer größeren Zukunft zu finden. Es ist Ihre heilige Pflicht, meine Herren, sich dafür nicht nur zu begeistern, sondern zu erziehen! Das bloße Wollen führt zu nichts. Politik ist eine schwere und schwer zu erlernende Kunst. Wer die für unser Vaterland notwendigen Ziele und Mittel erkennen will, bedarf zuerst eines sicheren Blickes auf die in ungeheuren Spannungen liegende Welt . . . Und das Schicksal Deutschlands ist bei seiner geographischen Ungunst, seiner militärischen Ohnmacht. . . in dem Grade von der äußeren Entwicklung abhängig, daß jede Beschränkung des Blicks auf innere Zustände und Ideale mit einem Mißerfolg gleichbedeutend ist . . . (Der) politischen Wendung entspricht eine wirtschaftliche von gleicher Tragweite, welche auch den wirtschaftlichen Stil des 19. Jahrhunderts ebenso verwandelt hat, wie die napoleonische Zeit den des 18. Wir sind heute noch vorwiegend der Meinung, daß "der Marxismus" der eigentliche Gegner der bestehenden sozialen und ökonomischen Ordnung sei. Das ist seit wenigen Jahren ein veraltetes Bild. Der Gang der wirtschaftlichen Entwicklung zeigt einen überraschenden Zug, sobald man sich von den Vorstellungen der durch und durch materialistischen Nationalökonomie des vorigen Jahrhunderts frei macht und die Tatsachen der letzten 200 Jahre auf ihre tiefere Bedeutung hin unbefangen prüft . . . Das völlig neue, das viel tiefer geht als alles, was Marx jemals beobachtet hat, ist die geistige Ablösung des Besitzes vom Gegenstand: Seit der französischen Revolution beginnt zwischen Menschen und Dinge das Wertpapier in Gestalt von Aktien, Anteilen , Pfandbriefen und Banknoten einzudringen . Die Eigentumsbeziehung wird unsichtbar , und im Laufe des 19. Jahrhunderts hat sich etwas herausgebildet, das früher überhaupt nicht bekannt war, die Erscheinung der beweglichen, vom Ort und den Dingen unabhängigen, in Gegenständen nur "angelegten", und zwar mit der Möglichkeit jederzeitigen Wechsels angelegten, nur durch die Höhe, nicht die Art bestimmten Vermögen. Heute wie ehemals kann eine Fabrik im Lande liegen und arbeiten, und trotzdem weiß niemand, wem sie gehört, denn die Eigenschaft des Besitzes ist in der Gestalt von einigen tausenden Papierstücken abgelöst und haftet an diesen, die im Laufe weniger Stunden aus einer Hand in die andre, aus einem Lande in das andre wandern können, und die seit Einführung des elektrischen Nachrichtendienstes auch noch unter mündlicher Ablösung der Besitzeigenschaft von der sichtbaren Werturkunde die erstere in einigen Minuten (heute Sekunden!) in fremde Erdteile zu verlegen gestatten, so daß sie nun unsichtbar und ungreifbar über die ganze Erde hin wechseln kann, während die Fabrik unabhängig davon und ahnungslos fortarbeitet. Daraus hat sich eine Tatsache entwickelt, welche heute auf der Höhe steht und nicht nur die wirtschaftliche, sondern längst auch die politische Lage völlig beherrscht. Wir haben in Deutschland wie in allen wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern heute schon mehr bewegliches als unbewegliches Vermögen. Von dem Nationalbesitz, soweit er uns geblieben ist, befindet sich zweifellos mehr als die Hälfte in der Hand von Menschen, welche die Gegenstände, zu denen sie augenblicklich im Besitzverhältnis stehen, weder bearbeiten noch überhaupt kennen, sondern die sie in Gestalt von Papieren oder gar Verabredungen nur "haben", um durch geschäftliche Veränderung dieses Habens ganz unabhängig von der an den Gegenstand gebundenen produktiven Arbeit Vorteile zu erzielen.
Nationalgut, soweit es in Dingen innerhalb der Grenzen liegt, und Nationalgut, soweit es die Summe der Volksangehörigen besitzt, sind also zwei ganz verschiedene Größen geworden. Wieviel von der deutschen Industrie Deutschland gehört, weiß niemand. Das ändert sich von einem Börsentag zum andern. Es ist demnach nicht mehr so, wie Marx es darstellt, und zwar aus dem Bedürfnis heraus, eine theoretische Unterlage für den Klassenkampf zu erhalten, daß zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein natürlicher Gegensatz bestehe; er besteht heute viel mehr zwischen den Menschen, die sichtbar produktive Arbeit leisten, ob als Führer oder Geführte, als Unternehmer, Techniker oder Werkleute, und der viel kleineren Zahl von Unbekannten, die weder dies noch jenes sind, die aber das Werk haben, für die also gearbeitet wird, obwohl sie von der Art dieser Arbeit gar nichts wissen. Diese Ablösung des Besitzes vom Werk untergräbt und vergiftet die eigentlich produktive, am Heimatboden, an Äckern, Bergwerken, Betriebsstätten haftende Arbeit der heutigen Nationen. Solange zu jedem Werk jemand gehört, der als Eigentümer dafür sorgt, läßt sich von nationaler Arbeit sprechen. Aber ein bewegliches Vermögen, das durch ein Telegramm in einem Augenblick von Berlin nach New York verlegt werden kann, ist nicht mehr national. Es hat sich vom Boden gelöst, es schwebt in der Luft, es ist eine unfaßbare Größe. Und wenn die Entwicklung in dieser Richtung bis ans Ende schreitet, so daß in den großen Wirtschaftsgebieten auch die letzten Teile der Nationalvermögen von den Dingen gelöst werden, dann ist eine Form der Wirtschaft erreicht, welche das Mark auch des stärksten Volkes rasch aufzehrt. Heute schon arbeitet der überwiegende Teil der Deutschen, Engländer und Amerikaner, vom Unternehmer bis zum Gelegenheitsarbeiter, für Menschen, die er nicht kennt und die einander unbemerkt ablösen. Auch der Erfinder und Unternehmer setzt seine Lebensarbeit für Unbekannte ein, und so vermag eine kleine Zahl von Menschen über die Erde hin mit den einzelnen Nationalvermögen und damit dem Schicksal der Nationen selbst zu spielen. Die beweglichen Vermögen, welche hinter den Banken, Konzernen und Einzelwerken stehen, haben in einem Umfange, von welchem die Öffentlichkeit nichts ahnt, die politischen Einrichtungen, Parteien, Regierungen, die Presse, die öffentliche Meinung unter ihren Einfluß gebracht. In allen Ländern mit entwickelter Industrie, Plantagenwirtschaft oder ausgedehntem Handel diktieren sie die Gesetze, die sich irgendwie auf Gewinne und Abgaben beziehen. Sie haben unter dem Schlagwort: "Belastung der starken Schultern" eine Steuerpolitik volkstümlich gemacht, die infolge ihrer Methoden die unbeweglichen, also sichtbaren und greifbaren Vermögen zugunsten der beweglichen, nicht erfaßbaren belastet; sie drängen die Wirtschaftsgesetzgebung unvermerkt in eine Richtung, die immer größere Teile des festen Nationalgutes von den sichtbaren Dingen löst und als internationales Vermögen in Fluß bringt, sei es auch nur in der Form von Krediten, um sich dann auf Kosten der am Orte haftenden Arbeit den Lasten und Pflichten zu entziehen. Es könnte eines Tages so weit kommen, daß das ganze Volk arbeitet, ohne zu wissen, für wen und wofür.... Wer das Schicksal Deutschlands wenden will, hat ohne Utopien und Hirngespinste, mit der genauesten, nüchternen Kenntnis der Wirtschaftszusammenhänge und einer großen Erfahrung in ihnen anzusetzen, um das zu retten, was unser Wohlstand seit 1870, seit wir ein Weltvolk geworden waren, uns aufzubauen gestattete, den eigentlich tragenden Teil des Volkes, der es gewohnt war, fleißig, bescheiden, ehrlich zu arbeiten, der durch sein Organisationstalent, seinen Erfindergeist, sein diszipliniertes Denken und Tun die Voraussetzung für eine Regierung mit großen Forderungen und Zielen gebildet hat. Als Drittes und Wichtigstes bitte ich Sie, endlich einmal ernsthaft und kühl das ins Auge zu fassen, was man die Kunst des Regierens nennen sollte. Der Begriff ist uns und nicht nur uns
abhanden gekommen. Wir reden von Volksrecht, Volksvertretung, Volkswillen und haben im Lärm des modernen Parteigeschwätzes völlig vergessen , daß es sich hier nicht um einen Anspruch auf Vorteile , sondern auf Ausübung sehr schwerer und seltener Fähigkeiten handeln darf. Diese Fähigkeiten müssen da sein, angeboren oder in langer Selbstzucht erworben, sonst werden Rechte zu Verbrechen. Daß ein Staat sich in dem beständigen immer härter werdenden Ringen um seine Weltgeltung, um sein Dasein in guter Verfassung befindet, nicht ob er eine Verfassung hat, entscheidet über seine Zukunft. Der Staat des 18. Jahrhunderts wurde wirklich oder scheinbar absolut von Fürsten und ihrer Umgebung regiert, und zwar nach ungeschriebenen Methoden, die sich im Laufe vieler Jahrzehnte zu einer hohen, durchgeistigten Kunst ausgebildet hatten, von der heute noch alles zehrt, was sich Diplomatie nennt. Dem Grundsatz: "Alles für, nichts durch das Volk" stellt dann die Wende von 1789 das Wort von der Souveränität des Volkes entgegen, das sofort und zwar in bezeichnend tragischem Mißverständnis für die ganze Folgezeit durch die Girondisten dahin verdreht wurde, daß die leitenden Stellen den wirklichen oder angeblichen Willen des Volkes nicht etwa auszuführen hätten , sondern daß sie mit dessen Worführern besetzt würden, gleichviel, ob diese von der politischen Geschäftsführung etwas verstanden oder nicht. An Stelle des von Fürsten berufenen Staatsrates, der auch in den schlechtesten Fällen ein hohes Niveau besaß, traten gewählte Körperschaften; die Freiheit der Fürsten wich der Freiheit der Völker - ein großer Gedanke, der seinen begeisternden Schatten über das ganze folgende Jahrhundert warf. Dieses Jahrhundert war bestimmt, das Ideal zu verwirklichen, und der heutige Parlamentarismus offenbart, wie die Idee vor der Wirklichkeit bestand. Aus Gruppen ehrlicher Schwärmer in amerikanischen Blockhütten, in französischen Salons, an deutschen Biertischen, die für ein Ideal lebten und unter Umständen starben, entwickelten sich Gruppen von Berufspolitikern und Stellenjägern, selbsternannte Volksführer, die nicht dafür, sondern davon leben wollten. Parteien waren zuerst begeisterte Einheiten des Denkens und Wollens. Heute sind sie rings auf der Erde Gewerkschaften von einigen tausend Menschen mit einem Schwarm bezahlter Parteibeamten, welche die Meinung der Völker nicht vertreten, sondern in der Richtung ihrer persönlichen Interessen hervorrufen, lenken und ausnützen. Die Freiheit der Völker, für welche die Väter ihr Blut vergossen, hat sich in eine drückende Abhängigkeit von dem Klüngel . . . verwandelt. Die fürstliche Willkür, Genußsucht und Torheit, mochte sie gelegentlich noch so schlimm sein, ist durch Schlimmeres ersetzt worden, und ein neuer Bastillesturm wäre längst gegen diese Gemeinschaften losgebrochen, hätten sie nicht alle Voraussetzungen, welche den ersten hervorriefen, die Bearbeitung der öffentlichen Meinung, die volkstümlichen Schlagworte, die Wahlmasche, rechtzeitig in ihren Besitz gebracht, um die große Masse in einer Stimmung zu erhalten, die ihnen die Fortdauer ihrer Lebensführung und Gewinne sicherte, von den Schlössern und Bestechungsgeldern französischer Abgeordneten bis zu den Autos und Aktienpaketen deutscher Proletarier und den Aufsichtsratsstellen deutscher Spießer in den bürgerlichen Parteien, die immer alles zuerst erfuhren. Eine wachsende Ernüchterung und tiefe Sehnsucht geht heute durch die Völker der Welt, von diesem Druck selbstsüchtiger und schmutziger Interessen befreit zu sein, von diesen geschlossenen Organisationen, welche die erdrückende Mehrheit trotz des Gaukelspiels allgemeiner Wahlen und einer freien Presse - die davon schweigt, wem sie wirklich dient rücksichtsloser entmündigt haben, als es je ein Fürst im Zeitalter des aufgeklärten Despotismus gewagt hätte, eine Sehnsucht danach, an Stelle dieser Gewerkschaften eine Persönlichkeit zu sehen, die nicht reich werden, sondern regieren will, aus dem Gefühl
überlegener Fähigkeiten heraus, die nach dem Worte Friedrichs des Großen endlich wieder begehrt, ein Diener des Staates zu sein, nicht dessen Nutznießer, und nicht der Geschäftsführer einer Partei. Das ist das Ende der Demokratie, nicht ihr Sturz, sondern ihr unwiderruflicher innerer Zerfall, der es künftig gestattet, ihre Formen um so sorgloser bestehen zu lassen, je weniger sie bedeuten. Vor dem Kriege wäre das nicht verstanden worden; heute dringt es in die Köpfe, wohin man blickt, in Europa wie in Amerika, wo die Farmerbewegung im Grunde dasselbe will wie der italienische Fascismus. Die besten Deutschen und nicht die Deutschen allein, warten darauf, einen Mann erscheinen zu sehen, dem man das Schicksal des Landes in die Hände legen darf, mit der Vollmacht, jeden abzuweisen, der im Interesse einzelner Gruppen diese Macht zu beschneiden sucht. Das 18. Jahrhundert war das der Fürstenfreiheit; das 19. Jahrhundert brachte die Freiheit der Völker - am Anfang als Morgenröte eines Ideals, am Ende, was unerbittlich gesagt werden muß, als Hohn auf dieses Ideal. Das 20. wird an die Stelle dessen, was aus dieser Freiheit geworden ist, die Freiheit der großen Persönlichkeit setzen, die Freiheit, welche Bismarck dem Parlament vergeblich abzuringen suchte, die Rhodes nur in Südafrika fand; an Stelle der Parteien die Gefolgschaft von Einzelnen, an Stelle des Regierens als Recht, das in Schmutz und Torheit versunken ist, das Regieren als Kunst, als Aufgabe, als Sendung . . . Hier stehen wir an der Wende zweier Zeitalter, entwaffnet, entehrt, am Abgrunde, mit einer zerbrochenen Tradition, durch eine schurkische Revolution um alles betrogen, was das Geschick und die Lebensarbeit großer Staatsmänner uns gegeben hatte, unter dem Gelächter derer, die im In- und Auslande von den Früchten dieser Revolution zehren. Was 30 Jahre Bismarckscher Weltpolitik aufgebaut hatten, ist zerstört. Die seit Friedrich Wilhelm I. entwickelte hohe Form unseres Staatslebens ist zerstört. Die Früchte eines hundertjährigen Fleißes der Nation sind zerstört. Wir müssen mehr als je ein anderes Volk wieder von vorn anfangen, und nur die in uns ruhende Kraft und der ungebeugte Wille geben uns die Bürgschaft, daß dies auch geschehen wird. Hier ist die Aufgabe der heranwachsenden Generation: Einen neuen Stil des politischen Wollens und Handelns aus den neu gestellten Bedingungen des 20. Jahrhunderts herauszuarbeiten, neue Formen, Methoden und Ideen ans Licht zu schaffen, die . . . sich als Vorbilder von einem Lande zum andern fortpflanzen, bis die Geschichte der nächsten Zeit in Formen fortschreitet, deren Ausgangspunkt dereinst in Deutschland gefunden werden wird. Hier tun sich ungeheure Fernblicke auf, und dieser Sendung gewachsen zu sein ist die Forderung, welche an die Jugend, an Sie gestellt wird, die unter den Eindrücken des Weltkrieges und der Revolution zurechtgehämmert worden sind, die danach hungern, in die Zukunft schöpferisch einzugreifen, die Zukunft als Aufgabe, als Ihr Feld zu betrachten . . . Gewiß, wir haben manches gelernt, was uns während des ganzen 19. Jahrhunderts unbekannt war. Wir haben eine Art selbständigen Handelns und Entschließens gelernt, die uns vor dem Krieg fremd war, wo jeder auf das wartete, was irgendwo und von irgend jemand gewollt wurde. Wir haben ein gutes Stück Sentimentalität verlernt, den Altweiberidealismus des deutschen Michel, der unter der Knute seiner Feinde ihre guten Eigenschaften herausfand und ihre Gründe zu verstehen suchte. Jede Stunde unseres deutschen Unterrichts erinnert peinlich daran, wie es mit diesen weltfremden Träumereien zur Zeit der Schlacht von Jena stand. Wir haben spät, aber hoffentlich nicht zu spät ein Stück nationalen Stolzes in uns entdeckt. Die Bedientengesinnung . . . - vor Höherstehenden, vor dem Ausland, vor der Gasse. . ., hat sich in den Parteiklüngel zurückgezogen, dessen. . . Außenpolitik sich ein geprügelter Hund schämen würde.
Und wir haben endlich etwas gelernt , das ich Ihnen offen nennen will: Die Fähigkeit zu hassen. Wer nicht zu hassen vermag, ist kein Mann, und die Geschichte wird von Männern gemacht. Ihre Entscheidungen sind hart und grausam, und wer da glaubt, ihnen mit Verstehen und Versöhnen ausweichen zu können, der ist für Politik nicht geschaffen. Er wird, und wenn er die edelsten Gefühle und Ziele hat, sich und sein Vaterland nur ins Verderben stürzen. Daß wir als Deutsche endlich hassen können, ist eins der wenigen Ergebnisse dieser Zeit, die für unsere Zukunft bürgen könnten. Nationale Politik ist in Deutschland seit dem Kriege als eine Art Rausch verstanden worden. Die Jugend begeisterte sich in Masse an Farben und Abzeichen, an Musik und Umzügen, an theatralischen Gelübden und dilettantischen Aufrufen und Theorien. Ohne Zweifel werden die Gefühle dabei befriedigt, aber Politik ist etwas anderes. Mit dem Herzen allein ist noch niemals erfolgreiche Politik gemacht worden. Und auf den Erfolg kommt es an - sonst hat diese Tätigkeit überhaupt keinen Sinn. Alle großen Erfolge staatsmännischer Kunst und kluger Volksinstinkte waren das Ergebnis kühlen Erwägens, langen Schweigens und Wartens, harter Selbstbeherrschung und vor allem eines grundsätzlichen Verzichtes auf Rausch und Szenen. Bedenken Sie, wie unsäglich einsam Bismarck Zeit seines Lebens gewesen ist, nur deshalb, weil er allein mitten in dem Deutschland des 19. Jahrhunderts eine weitreichende, schweigsame und kühle Tatsachenpolitik trieb. . . Als in seinem Greisenalter jedes Kind die Früchte seiner Arbeit sah, wurde er in tausend Bismarckkommersen umjubelt, aber wo war die Jugend unserer Hochschulen in all den Jahren, wo er ganz allein damit rang, das Deutschland aufzubauen, welches 1914 die Hoffnung haben durfte, den schwersten Krieg zu bestehen, dem je ein Land in der neueren Geschichte ausgesetzt war? Hätte ihn sein König und Kaiser nicht gehalten, der ihm seinen ganzen Einfluß auf die Staatsgeschäfte gegen eine Übermacht von Feinden zur Verfügung stellte, so wäre er gleich am Anfang gescheitert, und er würde heute noch Narr und Verbrecher genannt werden, wie er jahrelang von allen Parteien und allen Ständen genannt wurde. Die studentische Jugend hat ihn damals mitten in ihrem patriotischen Treiben nicht besser verstanden als jeder andere. Und man muß doch auch einmal, gerade heute, die Art der Begeisterung von 1813 kritisch ins Auge fassen. Wir sind gewohnt, auf diese Zeit der großen Leidenschaft wie auf den Grundstein von Deutschlands späterer Größe zu blicken. Aber so hart es ist, es muß doch gesagt werden: Was hat der politische Rausch dieser Jahre uns eingetragen? Die Niederlage der Franzosen, gewiß, aber sie war durch die Vernichtung der großen Armee und den spanischen Aufstand ohnehin gesichert. Blinde Begeisterung ist es nicht, womit Völker und Staaten geschaffen oder gerettet werden, weder heute noch in germanischen Urwäldern. Wofür haben sich die Schillschen Offiziere geopfert? Für England! Wofür hat unsere Jugend in den Befreiungskriegen gelitten? Für England! Und wofür arbeitet die völkische Bewegung von heute, blind wie sie ist und handelt und denkt? Für Frankreich. Nur das unbestechliche Auge Goethes sah damals das Ziellose der Freiheitsschwärmerei und ich rate Ihnen, immer und immer wieder sein erschütterndes Gespräch mit Luden vom November 1813 zu lesen. Die prachtvolle und ebenso törichte Jugend, die sich hernach an altteutschen Kostümen, altteutschen Redensarten und Tabakspfeifen, romantischen Festen auf der Wartburg und in Hambach (mit polnischen Fahnen an der Spitze, weil die freiheitliebenden Polen damals Deutsche totschlugen!) berauschte - während England durch die Vernichtung des Mahrattenreiches Indien endgültig unterwarf und seinen Blick auf das von Spanien abgefallene Südamerika richtete, und die englische Hochschuljugend über taktische Fragen der Weltpolitik und Weltwirtschaft zu debattieren begann - diese Jugend war nichts als ein Stein im Spiel der großen, vor allem der englischen Diplomatie. Sie wurde losgelassen, als
man sie brauchte, und preisgegeben, als sie ihren Zweck für fremde Mächte erfüllt hatte. Davor schützt kein Wille, keine Zahl, sondern nur die geistige und taktische Überlegenheit. Wir hatten keinen wirklichen nationalen Diplomaten, und hätten wir ihn gehabt, so würde er von der nationalen Bewegung nicht verstanden und daran gescheitert sein. Wenn Sie nicht wollen, daß auch die nationale Begeisterung dieser Jahre nur ein Werkzeug ist in den Händen der ausländischen Diplomatie und ihrer innerdeutschen Gefolgschaft, dann müssen Sie sich zu etwas anderem erziehen als zu einer Politik hemmungsloser, romantischer, weltblinder Leidenschaften. Nicht daß man gegen diese oder jene Macht Lärm schlägt, sondern daß man sie an politischem Geschick überragt, hat Bedeutung. Wenn ich heute sehe. . ., was für Versammlungen und Umzüge stattfinden, was gesungen oder geschrien wird, was für kindliche Theorien an die Stelle wirtschaftlicher Tatsachen gesetzt werden sollen, was alles man vor der breitesten Öffentlichkeit treibt und sagt, was in jedem anderen Lande mit größter Zurückhaltung erst weltpolitisch durchdacht und dann verschwiegen werden würde, so möchte ich verzweifeln. Ich frage mich immer wieder, welche feindliche Macht diese blinde , planlose, alle Tatsachen der Weltlage verachtende Schwärmerei eines Tages ausnützen und dann preisgeben wird. Gegenüber all dem, was die heranwachsende Generation. . . will, redet, denkt und tut, drängt sich mir immer wieder der alte Spruch aus dunklen Jahren der deutschen Vergangenheit auf die Lippen: "Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist !" Wir müssen uns, so hart es uns ankommen mag, dazu entschließen, Politik als Politik zu treiben, so wie man sie von jeher verstanden hat, als eine lange, schwere, einsame und wenig volkstümliche Kunst, und nicht als Rausch oder militärisches Schauspiel. Die meisten von Ihnen haben Waffen getragen. Ich erinnere Sie daran, daß Politik nichts ist als eine Kunst des Fechtens mit geistigen Waffen. Sie wissen, was Übung, Geschick und Kaltblütigkeit hierin bedeuten. Sie wissen, daß das Geheimnis des Sieges in der Überraschung des Gegners liegt. Wenn Sie im Zweikampf oder auf dem Schlachtfeld die Methoden Ihrer politischen Tätigkeit anwenden wollten, vor dem Auge des Gegners die Waffe mit Geschrei in der Luft schwingen, den Angriff in aller Öffentlichkeit verkünden und vorbereiten, so wäre der erste Schlag auch schon der letzte. Über den Erfolg entscheidet die Leidenschaft jedenfalls nicht. Leidenschaften machen abhängig . . . Wir müssen endlich lernen, daß große Politik sich ebensowenig im Organisieren und Agitieren, in Programmen und Gefühlsausbrüchen erschöpft wie andrerseits in der bloßen Lösung von Wirtschaftproblemen. Ein kluger Geschäftsmann ist noch kein Politiker - obwohl Politik die Geschäftsführung eines Staates ist - , aber Trommler und Pfeifer sind erst recht keine Feldherren. Die moderne Politik setzt ein außerordentlich hohes Maß von Übung und Wissen voraus . . . Es kommt nicht auf das Wollen, sondern auf das Können an, und Können setzt die Beherrschung des Gebietes voraus, auf dem es sich betätigen soll. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, der durch tägliches Lesen von Zeitungen und noch viel mehr durch die Masse ausnahmslos flacher und alberner Parteischriften erzeugt wird, zu glauben, daß ein jeder Politik verstehe und machen könne, wenn er nur die richtige "Gesinnung" habe. Der Wahlspruch des 19. Jahrhundert: "Die Politik dem Volke" hat Schwärmer und Schwätzer erzogen, aber die Staatsmänner um ihr Gefolge gebracht . . . Der Fascismus hat es . . .verstanden, sich mit maßgebenden Mächten der Wirtschaft rechtzeitig zu verständigen, weil es ihm auf den Erfolg und nicht auf Programme und Paraden ankam. Andernfalls wäre er an den Tatsachen bald gescheitert. Deutschland liegt mit seinen sechzig Millionen Einwohnern mitten in einer Welt von 1500 Millionen (1924). Es hat keine natürlichen Grenzen. Es kann weder auf Absatz noch Rohstoffe noch Lebensmittelimport
verzichten. Sein Schicksal ist von dem Gesamtschicksal nicht zu lösen. Es kann aktiv oder passiv sein, aber es ist in keinem Fall eine Angelegenheit für sich. Mit dem Verzicht auf einen weltpolitischen Horizont, mit dem Verzicht auf Fühlungnahme mit weltpolitischen Faktoren, was eine gleiche Höhenlage der Erfahrung , Überlegung und Taktik voraussetzt, schwinden alle Aussichten der nationalen Bewegung, geben Sie sich darüber keinem Zweifel hin. Sie können dann auch weiter den Karren ziehen, in dem Glauben ihn zu lenken, aber Sie werden das Schicksal Deutschlands, eine Provinz, eine Kolonie der Westmächte zu werden, damit besiegeln. Ich höre täglich Gespräche, die mich erschrecken, naive Vorschläge zu grundlegenden Wirtschaftsreformen von jungen Leuten, die nie ein Hüttenwerk gesehen und nie eine Abhandlung über modernes Kreditwesen gelesen haben; Ideen über Verfassungsreformen ohne die geringste Vorstellung davon, wie heute ein Ministerium aufgebaut sein muß, um arbeiten zu können, und was alles zu seiner geschäftlichen Leitung gehört. Niemand studiert die Praxis großer Staatsmänner wie Bismarck, Gladstone, Chamberlain und in Gottes Namen auch Poincaré, ihre Art, in der kleinen zähen Arbeit des Tages unscheinbare Erfolge zu erzielen, deren Gesamtergebnis dann doch im Schicksal ihres Landes Epoche macht . . . Aber wir brauchen ein beständiges Nachdenken unserer Jugend und nicht nur ein Nachdenken, sondern ein ernstes und gründliches Durcharbeiten der großen Verhältnisse der gegenwärtigen Weltwirtschaft und Weltpolitik, und zwar an der Hand von Daten und Tatsachen. Wir können keine deutsche Frage lösen, es sei welche sie wolle, wenn wir nicht genau wissen, in welche Beziehung sie sofort zu den politischen Kombinationen in England, in Rußland, in Amerika tritt, und diese Fühlungnahme sollte über das Wissen zu praktischen Beziehungen weitergehen, was auf unserer Seite Persönlichkeiten von entsprechender Stellung und Erfahrung voraussetzt, die zu gewinnen, die nationale Bewegung bis jetzt verschmäht hat. Unser Aufstieg hängt davon ab, daß wir dem Ausland an politischen Methoden gewachsen sind, wie es auf dem Gebiete der Technik und wirtschaftlichen Organisation der Fall ist, und nicht davon, daß wir es als nicht vorhanden betrachten. Und dasselbe gilt von den internationalen Mächten innerhalb Deutschlands, die mit den Schlagworten Marxismus und Börse gemeint sind. Man kann ihre Auffassungen widerlegen, aber man schafft sie damit nicht ab. Ob jemand recht hat oder unrecht, darauf kommt in der Geschichte nicht viel an. Ob er dem Gegner praktisch überlegen ist oder nicht, entscheidet über den Erfolg . . . Und damit komme ich zum Schluß: Wir Deutsche gewöhnen uns schwer daran, Politik nicht für den Ausdruck von Gefühlen und Meinungen, sondern für eine hohe Kunst zu halten, weil unsere Vergangenheit uns keinen Anlaß zu Erfahrungen gab. Lernen wir das aber nicht jetzt, so fürchte ich, daß auch die Zukunft uns keinen Anlaß mehr geben wird. Es ist die heilige Pflicht der jungen Generation, sich für Politik zu erziehen. Da wir nicht in der glücklichen Lage Englands sind, das seine jungen Leute früh und in praktischen Stellungen in alle Erdteile hinaussendet, so bleibt uns nur das Studium dieser Dinge an der Hand geschichtlichen Materials, aber das sollte mit doppeltem Ernst getrieben werden. Ich rate der Jugend, alle begeisterten Programme und Parteischriften aus der Hand zu legen und einzeln oder zusammen planmäßig die diplomatischen Akten der letzten Jahrzehnte zu studieren, wie sie etwa in den Veröffentlichungen aus deutschen Archiven oder in englischen Blaubüchern vorliegen, die Schriftstücke zu vergleichen, sich über Zwecke, Mittel und Erfolge ein Urteil zu bilden und so in die moderne staatsmännische Praxis einzudringen; die Reden und Briefe großer Politiker, die Denkschriften der besten Kenner der heutigen
Weltwirtschaft . . . sorgfältig durchzugehen, um sich zunächst ein Urteil über die Lage, die Methoden, die Bedeutung der handelnden Persönlichkeiten zu bilden, woraus sich dann wohl für den einzelnen ergeben wird, wie es um seine eigene Begabung auf politischem Gebiete steht. Berufen ist man heute nicht dadurch, daß man sich und andere begeistern kann, sondern lediglich durch Eigenschaften, die denen des Gegners ebenbürtig sind. Auch für den Geringsten findet sich noch eine Aufgabe. Es gibt Tugenden für Führer und Tugenden für Geführte. Auch zu den letzten gehört, daß man Wesen und Ziele echter Politik begreift - sonst trabt man hinter Narren her und die geborenen Führer gehen einsam zugrunde. Sich als Material für große Führer erziehen, in stolzer Entsagung, zu unpersönlicher Aufopferung bereit, das ist auch eine deutsche Tugend. Und gesetzt den Fall, daß in Deutschland in den schweren Zeiten, die uns bevorstehen, starke Männer zum Vorschein kommen, Führer, denen wir unser Schicksal anvertrauen dürfen, so müssen sie etwas haben, worauf sie sich stützen können. Sie brauchen eine Generation, wie sie Bismarck nicht vorfand, die Verständnis für ihre Art zu handeln hat und sie nicht aus romantischen Gefühlen ablehnt, eine ergebene Gefolgschaft, die auf Grund einer langen und ernsten politischen Selbsterziehung in die Lage gekommen ist, das Notwendige zu begreifen und nicht, wie es heute ohne Zweifel der Fall sein würde, es als undeutsch zu verwerfen. Das, diese Selbsterziehung für künftige Aufgaben ist es, worin ich die politische Pflicht der heranwachsenden Jugend sehe . . .
Rudolf Heß Stellvertreter des Führers und Reichsminister a.D. 26.4.1894 - 17/8.1987 (Graphic here) Aus den Schlußworten von Rudolf Heß vor dem Alliierten Siegertribunal in Nürnberg, 1946 "Ich verteidige mich nicht gegen Ankläger, denen ich das Recht abspreche, gegen mich und meine Volksgenossen Anklage zu erheben. Ich setze mich nicht mit Vorwürfen auseinander, die sich mit Dingen befassen, die innerdeutsche Angelegenheiten sind und daher Ausländer nichts angehen. Ich erhebe keinen Einspruch gegen Äußerungen, die darauf abzielen, mich oder das ganze Volk in der Ehre zu treffen. Ich betrachte solche Anwürfe von Gegnern als Ehrenerweisungen.
Es war mir vergönnt, viele Jahre meines Lebens unter dem größten Sohne zu wirken, den mein Volk in seiner tausendjährigen Geschichte hervorgebracht hat. Selbst wenn ich es könnte, wollte ich diese Zeit nicht auslöschen aus meinem Dasein. Ich bin glücklich zu wissen, daß ich meine Pflicht getan habe meinem Volk gegenüber-meine Pflicht als Deutscher, als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann des Führers. Ich bereue nichts. Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte, auch wenn ich wüßte, daß am Ende einScheiterhaufen für meinen Flammentod brennt. Gleichgültig, was Menschen tun, dereinst stehe ich vor dem Richterstuhl des Ewigen; ihm werde ich mich verantworten und ich weiß, er spricht mich frei."
1. Ein Schicksal in Stichworten 2. Stimmen zum Fall Rudolf Heß 3. Die Rudolf-Heß-Gesellschaft (e.V.) Vereinszweck Beitrittserklärung 4. Authentische Informationen zum Fall Rudolf Heß:
1. Ein Schicksal in Stichworten Rudolf Heß wurde am 26. April 1894 als ältester Sohn des Großkaufmanns Fritz Heß in Alexandrien geboren. Er nahm am Ersten Weltkrieg als Freiwilliger teil und wurde dreimal schwer verwundet. Im Dezember 1918 aus dem aktiven Militärdienst entlassen, schrieb er sich im Februar 1919 als Student der Volkswirtschaft und Geographie, später auch in der Geopolitik, in der Universität München ein. Heß beteiligte sich am Aufstand gegen die Münchener Rätherrschaft, trat nach Beendigung der Kämpfe für fünf Monate beim "Freikorps Epp"als "Zeitfreiwilliger" ein und organisierte später an der Universität München eine Studentengruppe der NSDAP, als deren Führer er an den Geschehnissen des 8./9. November 1923 teilnahm. Er wurde Ende April 1924 zur Festungshaft in Landsburg verurteilt und am Sylvester 1924 entlassen. Im Februar 1925 machte ihn Hitler zu seinem Privatsekretär und ernannte Heß wenige Wochen vor dem 30. Januar 1933 zum Vorsitzenden der Politischen Zentralkommission der NDSAP. Nach Hitlers M achtübernahme wurde am 21. April 1933 aus diesem Amt die Stellung des "Stellvertreters des Führers der NSDAP", der am 1. Dezember 1933 die vom Reichspräsidenten von Hindenburg vollzogene Ernennung zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich folgte. Am 10. Mai 1941 flog Rudolf Hess in einer vergeblichen Friedensmission nach England, um die Ausweitung des damals auf Europa begrenzten Krieges zu einem Weltkrieg zu verhindern.
England wies das Friedensangebot zurück und sperrte Rudolf Heß ein, obwohl er den Status eines Parlamentärs hatte. England lieferte Rudolf Heß im Oktober 1945 an das Internationale Militärtribunal in Nürnberg aus. Das IMT sprach Rudolf Heß frei von der Anklage, "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begangen zu haben. Es verurteilte ihn wegen "Vorbereitung eines Angriffskrieges" am 1. Oktober zu lebenslanger Haft. Am 18 Juli 1947 wurde Rudolf Hess zusammen mit 6 weiteren vom IMT zu Gefängnisstrafen Verurteilten in das alliierte Militärgefängnis in Berlin-Spandau überstellt. Dort verbrachte Rudolf Heß den Rest seines Lebens, seit dem 1. Oktober 1966 als einziger Gefangener in dem 600 Mann-Gefängnis, bis er am 17. August 1987 unter noch unerklärlichen Umständen, die jedoch alle auf Mord hindeuten, ums Leben kam.
2. Stimmen zum Fall Rudolf Heß: Churchill in seinen Memoiren: "Wenn ich über die ganze Angelegenheit nachdenke, bin ich froh, nicht für die Behandlung von Heß verantwortlich zu sein. - Was immer die moralische Schuld eines Deutschen gewesen sein mag, der Hitler nahestand, Heß hat in meinen Augen durch seine aufopfernde und fanatische Tat hirnverbrannter Gutgläubigkeit gebüßt. Er kam zu uns aus freiem Willen und obwohl er ohne Vollmachten kam, war er eine Art Botschafter..." Golo Mann: ". . . danke für die eindrucksvolle Dokumentation zum Falle vonRudolf Heß und für die Nachricht, daß die "Hilfsgemeinschaft" am 1. Dezember eine Kundgebung veranstalten wird. Ich kann dieser Kundgebung nur ein volles Echo wünschen, über die Bundesrepublik hinaus, nach Frankreich, England und den Vereinigten Staaten. Lange habe ich gehofft, die Sowjet-Regierung werde endlich, zumal nach Abschluß der sogenannten Ostverträge, ein Zeichen der Menschlichkeit geben und Gnade walten lassen. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Es bleibt nur noch die Frage, ob nicht die drei Westmächte, die die Gefangenschaft Ihres Vaters ja drei Wochen im Monat zu überwachen haben, von dieser Frist Gebrauch machen wollen, um dem Achtzigjährigen ein bescheidenes Maß von Freiheit und Erleichterung seiner einsamen, jeden Sinnes baren Qual zu verschaffen." Bundesjustizminister a.D. Dr. E. Buc her: "Ist es nicht eine Anmaßung, wenn man heute mit scheinbar moralischen Gründen auf der weiteren Vollstreckung dieses Urteils besteht wie Shylock auf seinem Papier"? Lord Shawcross, einst brit. Hauptankläger vor dem IMT:
". . . eine Verlängerung seiner Inhaftierung ist ein bloßer Akt der Rache und Vergeltung, eine Schande für große und mächtige Nationen. . . " Lord Treventin and Oarsey, ehem. Lordrichter Lawrence, Vorsitzender des IMT, Nürnberg: "Ich weiß Ihre Gefühle über die verlängerte Gefangenschaft Ihres Vaters sehr wohl zu würdigen. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten meiner Meinung Ausdruck gegeben, daß er genug gelitten hat und nun entlassen werden sollte. Ich werde diese Überzeugung erneut den zuständigen Stellen zum Ausdruck bringen, und ich hoffe sehr, daß dies von Nutzen sein wird."
3. Die Rudolf-Heß-Gesellschaft (e.V.) (Postfach 1122 - 8033 Planegg) Die Rudolf-Heß-Gesellschaft hat es sich gemäß ¶2 der Satzung (Vereinszweck) unter anderem zur Aufgabe gemacht: • • • •
Die Hintergründe des Friedensfluges von Rudolf Heß am 10. Mai 1941 aufzuklären Die Umstände seiner 46jährigen Gefangenschaft in England, Nürnberg und Berlin-Spandau zu durchleuchten Die Einzelheiten seiner Ermordung durch die Siegermächte am 17. August 1987 im alliierten Militärgefängnis Berlin-Spandau zu klären Seine Grabstätte in Wunsiedel zu pflegen und zu erhalten.
Rudolf Heß ist der große deutsche Märtyrer dieses Jahrhunderts. Die Darstellung seines Lebenswerkes und -bildes und die Nachzeichnung seines Leidensweges in 46 Jahren Haft darf nicht den Feinden Deutschlands, die auch seine Kerkermeister waren, überlassen werden. Das Leben von Rudolf Heß muß von national gesinnten Deutschen erforscht und festgeschrieben werden. Das sind wir Rudolf Heß schuldig. Diese Arbeit ist mit erheblichem Aufwand verbunden, der nur gemeinschaftlich erbracht und geleistet werden kann. Bitte helfen Sie uns dabei, indem sie entweder Mitglied der RHG werden und/oder die Arbeit der RHG mit Spenden unterstützen. Wir danken Ihnen im Voraus und grüßen Sie Rudolf Heß Gesellschaft e.V. Der Vorstand gez. W.R. Heß
Der Verein wurde am 8. Juni 1989 beim Amtsgericht München in das Vereinsregister eingetragen. Die Aufgaben des Vereins sind im ¶2 der Satzung wie folgt definiert:
Vereinszweck Die Rudolf Heß Gesellschaft ist ein internationaler Zusammenschluß von natürlichen und juristischen Personen, die es sich zur Aufgabe macht, die historische Bedeutung des politischen Wirkens von Rudolf Heß, insbesondere seiner Arbeit in Partei und Staat, und die Hintergründe seines Englandfluges am 10.5.1941 aufzuklären, die Jahre seiner Gefangenschaft in England, Nürnberg und Berlin-Spandau zu durchleuchten sowie die Umstände seines Todes im Alliierten Militärgefängnis am 17.8.1987 zu klären. Darüber hinaus soll sie das Andenken an Rudolf Heß wahren. Die Errichtung und der Erhalt einer würdigen Grabstätte gehört dazu. Schließlich bemüht sie sich um die Auffindung, Archivierung und Sicherstellung von Akten, Papieren und Büchern zum Fall Rudolf Heß, erarbeitet die Unterlagen undwirkt mit bei der Abfassung einer grundlegenden Biographie. Schließlich sorgt sie für die Sicherstellung des Lebensabends der Ehefrau von Rudolf Heß, Frau Ilse Heß. Der Verein kann auch anderen Einrichtungen, wie Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und V ereinen, finanzielle und sachliche Mittel zur Verfügung stellen, wenn diese Einrichtungen mit den Mitteln Maßnahmen des Vereinszwecks fördern. Der Vorsitzende des Vereins ist Wolf Rüdiger Heß, der einzige Sohn von Rudolf Heß. Wir bitten alle Leser dieser Drucksache, Mitglied des Vereins zu werden oder unsere Arbeit durch Spenden zu unterstützen. Graphic here Dieser Stein bezeichnet die Stelle, an der der tapfere, heroische Rudolf Heß in der Nacht vom 10. Mai 1941 mit dem Fallschirm landete, bei dem Versuch, den Krieg zwischen Britannien und Deutschland zu beenden. Der abgebildete Gedenkstein wurde am 18. November 1993 von Mitgliedern der sogenannten ANL (Anti-Nazi-League) einer militanten, marxistischen Organisation, mit einem Vorschlaghammer zerstört. Die Zerstörung war wohl vorbereitet, sie wurde vom schottischen Fernsehen gefilmt, die Presse brachte Bilder vom Akt der Zerstörung und Herr Harry Diamond von der jüdischen Gemeinde Glasgow wurde im Daily Telegraph am 19. 11. 1993 mit folgenden Worten zitiert: "Dieser Stein ist eine schreckliche Beleidigung für jeden britischen Soldaten, der im Zweiten Weltkrieg gedient hat." Den Herren Diamond und Genossen sei gesagt, daß kein britischer, und natürlich auch kein deutscher Soldat , hätte im Zweiten Weltkrieg dienen und sterben müssen, wenn das Friedensangebot, das Rudolf Heß am 10. Mai 1941 nach Großbritannien brachte, nicht von der Churchill-Regierung ausgeschlagen worden wäre. Es hätte dann nämlich überhaupt keinen Zweiten Weltkrieg gegeben. Die Heuchelei von Herrn Diamond und Genossen wird nur noch übertroffen von der Farce
der Verurteilung von Rudolf Heß vor dem sogenannten Internationalen Militärtribunal in Nürnberg (IMT): Das IMT verurteilte Rudolf Heß, den Mann, der am 10.5.1941 sein Leben in die Waagschale geworfen hatte für den Frieden, wegen "Verbrechens gegen den Frieden" zu lebenslanger Haft. Von den kriminellen Anklagepunkten "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sprachen ihn sogar die Heuchler-Richter des IMT frei. Rudolf Heß wurde 40 Jahre-davon 21 Jahre in völliger Isolierhaft-im Alliierten Militärgefängnis in Berlin-Spandau gefangen gehalten und schließlich von Agenten der britischen Regierung-im 94. Lebensjahr stehend-am Nachmittag des 17. August 1987 erdrosselt, um seine bevorstehende Freilassung zu verhindern. Die Tragödie dieses Mannes, Rudolf Heß, ist so erschütternd und gleichzeitig so markant für die Heuchelei der Kriegstreiber bzw. Sieger des Zweiten Weltkrieges, daß auch die Rabulistik der Herren Diamond und Genossen nicht wird verhindern können, daß sich gerade an seinem Schicksal die Wahrheit über die Ursachen und Folgen der Deutschlandkriege des 20. Jahrhunderts entzünden und wie ein Lauffeuer über die Welt verbreiten wird. Die Zerstörung des Gedenksteines hat hierzu in erfreulicher Weise beigetragen, indem die Inschrift des Gedenksteins um die Welt ging.
Albert Leo Schlageter.
Ein deutscher Freiheitsheld.
Hermann Billung
Hermann Billung
1. Vorschau... 2. Jugend und Weltkriegserleben 3. Kämpfe in Kurland 4. Eine Rote Armee an der Ruhr 5. Kampf um Oberschlesien 6. Polen und Alliierte mißachten die Abstimmung 7. Intermezzo in Danzig 8. Frankreich greift nach der Ruhr 9. Die letzen Tage 10. Ich hatt' einen Kameraden 11. Der Anruf; Florian Seidl 12. Schrifttum 13. Anhang
Vorschau... In einer dunklen Nacht pirscht sich ein kleiner Trupp über Gräben und Sturzäcker hinweg an die Bahnlinie DuisburgDüsseldorf heran. Sein Ziel ist die Eisenbahnbrücke bei Calcum. Es ist der 15. März 1923. Der von Schlageter geführte Sprengtrupp wird diese Brücke ausschalten, um die mit geraubter deutscher Kohle nach Frankreich rollenden Transportzüge zu unterbinden. Schritt für Schritt kriechen die Männer das letzte Stück an den sich schemenhaft gegen den Horizont abzeichnenden Bahnkörper heran. Jeden Augenblick ist mit einer französischen Patrouille zu rechnen. Nichts regt sich. Da plötzlich, sie sind schon dicht am Bahndamm, ein grelles, die Dunkelheit durchschneidendes Lichtbündel! Wie erstarrt, dicht an den Boden gepreßt, verharren sie im Kegel des Scheinwerfers. Ein befreites Aufatmen. Der Lichtkegel wandert weiter. Die letzten Schritte im Laufschritt an die Brücke. Ächzend wuchten zwei Männer die schweren Bohlen heraus. Die
Sprengladung wird eingeklemmt, die Zündschnur befestigt, die Bohlen zum Verdämmen zurückgelegt. Die Arbeit verläuft schnell und lautlos. Jeder Griff sitzt. Nur gelegentlich ein geflüstertes Wort. Die in zahllosen Gefechten erprobten ehemaligen Soldaten verstehen ihr Handwerk. "Ladung zur Sprengung fertig", meldet eine Stimme kurz. Mit einer unter seiner Jacke verborgenen brennenden Zigarette zündet Schlageter die Schnur. "In Gruppen zu zweien zurück", befiehlt er. "Verschiedene Richtungen! Treffpunkt morgen früh Essen!" Sie haben sich in dem schweren Lehmboden noch nicht weit von der Brücke abgesetzt, als eine hohe Stichflamme die Nacht hell erleuchtet. Dann ein ohrenbetäubender Knall und eine Druckwelle, die sie fast zu Boden wirft. Bohlen und Schienen wirbeln wild durch die Luft. Hier werden vorläufig keine Kohlenzüge mehr nach Frankreich rollen. Drei Wochen später. In nimmermüdem Einsatz, Tag und Nacht unterwegs, hat Schlageter Vorbereitungen für weitere gefährliche Unternehmungen getroffen, darunter die Befreiung des von den Franzosen ins Werdener Gefängnis geworfenen Prinzen Friedrich Wilhelm zur Lippe. Todmüde geht er zu Bett. Am 5. April war in Kaiserswerth ein französischer Steckbrief gegen ihn erlassen worden. Er ist in tiefem Schlaf, als es mitten in der Nacht an die Tür seines Hotelzimmers donnert. "Aufmachen, Polizei!" Pistolenläufe starren ihm entgegen. "Hände hoch! Sie sind verhaftet!" Damit beginnt das Martyrium eines deutschen Patrioten, der, wie einst Andreas Hofer, durch die Judastat eines Verräters an den Feind ausgeliefert, wenige Wochen später im Feuerhagel feindlicher Kugeln sein junges Leben beschließt.
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Jugend und Weltkriegserleben Albert Leo Schlageter wurde am 12. August 1894 als sechstes Kind einer angesehenen Schwarzwälder Bauernfamilie zu Schönau im Wiesental geboren. Zeit seines Lebens hängt er in kindlicher Liebe an seinem am Fuße des Hohen Belchen gelegenen Heimatort. Voll Heimweh nach dem Elternhof erwartet er jedesmal ungeduldig die Ferien, als er seine Gymnasialzeit in Freiburg verleben muß. Die Liebe zu Eltern und Geschwistern und die Liebe zur Heimat zeichnen sein ganzes Leben aus. Aber diese Liebe bleibt nicht auf die grünen Höhen des Schwarzwaldes beschränkt, sondern
umschließt schon früh das ganze Deutschland. Schlageter ist noch in der Oberprima, als Anfang August 1914 der Weltkrieg ausbricht. Ahnungslos war das deutsche Volk seiner Arbeit nachgegangen, unwissend, daß die es umringenden Feindmächte den durch seinen Fleiß und seine Tüchtigkeit erworbenen Besitz als verlockende Beute ausersehen hatten und diesen überlegenen Wirtschaftskonkurrenten vernichten wollten. In einem begeisterten Aufbruch erhebt sich das Volk in einer Einigkeit, wie sie sich noch nie zuvor in seiner Geschichte gezeigt hatte. Die Freiburger Studentenschaft marschiert singend durch die Straßen und tritt fast geschlossen in das Feldheer ein. Schlageter muß noch seine Notreifeprüfung ablegen. Dann meldet er sich sofort als Kriegsfreiwilliger zum 76. Feldartillerieregiment. Am 7. März 1915 rückt er an die Westfront, an der er den ganzen Krieg über von Flandern bis zu den Vogesen kämpft. Mit 23 Jahren wird er Offizier und bald Führer einer eigenen Batterie. Wegen vorbildlicher Tapferkeit erhält er das Eiserne Kreuz Erster und Zweiter Klasse. Schlageter war eine geborene Führernatur, für sich keine Schonung kennend, zurückhaltend, fast wortkarg, aber allzeit frohen Mutes. Als Vorgesetzter zeichnet er sich durch eine warmherzige Fürsorge für seine Männer aus. Mit einer ebenso treuen Anhänglichkeit halten diese zu ihrem Chef, den sie mehr neben als über sich wissen. Als ihm einmal in Ruhestellung ein Bett zugewiesen wird, während seine Männer im Stroh schlafen müssen, lehnt er das Bett mit den Worten ab: "Ich schlafe, wo meine Männer schlafen!" Seine Vorgesetzten bewerten ihn als hart, zuverlässig und für besonders schwierige Aufgaben geeignet. Bezeichnend für seinen das eigene Ich verleugnenden Mut ist ein Vorfall in Warneton, südlich des hart umkämpften Kemmel. Als Artilleriebeobachter besteigt er den weit ins Land schauenden Kirchturm, um das Feuer der deutschen Batterien zu leiten. Der Feind weiß um die Bedeutung dieses "Auges des Gegners" und deckt den Turm mit seinen Artilleriesalven ein. Schlageter weiß, daß dies ein Todeskommando ist, doch er hält aus. Da trifft ein Volltreffer den schon schiefgeschossenen Turm. Krachend stürzt er zusammen, Schlageter mit sich reißend. Man hält ihn für tot, aber er kommt mit schweren Prellungen davon. Das Schicksal hatte noch anderes mit ihm im Sinne. In schwerem, blutigem Ringen hält das Deutsche Heer im November 1918 noch immer die Front weit außerhalb der deutschen Grenzen. In der Etappe und der Heimat spielt sich dagegen zur selben Zeit ein wahrer Hexentanz der Auflösung ab.
Als Schlageter im Zuge des befohlenen Rückzuges mit seiner Batterie den Rhein überschreitet, tritt ihm einer der neugebildeten, mit roten Armbinden gekennzeichneten Soldatenräte entgegen. "Haben Sie in Ihrer Batterie schon einen Soldatenrat gebildet?" Schlageter reitet weiter, ohne den Frager eines Blickes zu würdigen. "Sprecht mit meinen Unteroffizieren!" Die sagen gar nichts, nehmen sich die Etappenschweine kurz vor, schlagen sie windelweich und werfen sie in den Graben. In seiner badischen Heimat erlebt Schlageter nochmals den Narrentanz der Novemberrevolutionäre. Auf Beschluß des örtlichen Soldatenrates soll seine in einer Schule untergebrachte Batterie entwaffnet werden. Ruhig, höflich fragt er: "Wer seid ihr?" Die Deserteure und Drückeberger werden blaß als sie die auf dem Schulhof bereitstehenden Geschütze erkennen. Sie entschuldigen sich lahm und schleichen unverrichteter Dinge davon. Nach seiner offiziellen Entlassung am 11. Dezember läßt Schlageter sich an der Universität Freiburg eintragen. Obwohl seine Mutter ihn gern als Theologen gesehen hätte, entschließt er sich zum Studium der Volkswirtschaft. Dem Frontsoldaten erscheinen die Hörsäle eng und wirklichkeitsfremd. Hier dozieren ergraute Professoren, die angesichts der chaotischen Zustände im Reich eher komisch wirken. Die Waffen schweigen zwar, aber die englische Hungerblockade geht weiter, um die Unterschrift der Deutschen unter das Schanddiktat von Versailles zu erzwingen. Der Leiter der deutschen Friedensdelegation in Versailles, Graf BrockdorffRantzau, hält den haßerfüllten Gegnern bei den Verhandlungen entgegen: "Die Hunderttausende aber [es waren zuletzt fast eine Million, vorwiegend Frauen und Kinder!], die nach dem Kriege an der Blockade zugrunde gingen, wurden mit kalter Überlegung getötet, nachdem der Sieg errungen und verbürgt war. Daran denken Sie, wenn Sie von Schuld sprechen!" (Nur zweieinhalb Jahrzehnte später beweisen die Alliierten in Dresden, Hiroshima und Nagasaki ebenfalls ihre spezielle Auffassung von "Humanität"!) Während Schlageter die trockenen Vorlesungen seiner Professoren hört, steht der Bolschewismus vor den offenen Toren des Reiches. Den geringsten Widerstand finden seine Horden in den baltischen Provinzen mit Stoßrichtung Ostpreußen. In Freiburg wird das Freikorps Medem zur Abwehr dieser Bedrohung aufgestellt. Schlageter gibt das geruhsame Studentenleben auf und folgt dem Ruf der Pflicht.
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Kämpfe in Kurland Der Novemberregierung dämmert es, daß sie mit Humanitäts- oder Menschenrechtsphrasen die Bolschewisten nicht aufhalten kann. Sie unterstützt daher wohl oder übel die Aufstellung der Freiwilligenverbände. Das lettische Kabinett Ulmanis und die deutsch-baltischen Grundbesitzer versprechen den Freikorpskämpfern ein Drittel ihres Bodenbesitzes zur Ansiedlung nach Abschluß der Kämpfe. Auch die siegreiche Entente erwartet von den Deutschen, daß sie der bolschewistischen Gefahr entgegentreten. Eine verlogene Politik, deren Zynismus erst später offenbar wird, als die deutschen Kämpfer ihr Blut für die Interessen des Westens geopfert haben, um dann schmählich verraten zu werden! Schlageter geht mit seiner Batterie nicht nach Kurland, um Haus und Hof zu erwerben, sondern einzig, um seinem Vaterland zu helfen. "Wenn die Politiker in einer Zeit wie der unseren, in der unsere Feinde an allen Grenzen stehen, um unser Land an sich zu reißen, nichts wichtigeres zu tun haben, als zu reden und Sitzungsprotokolle anzuhäufen, dann sind wir der Staat, weil nur in uns noch der Glaube an Volk und Vaterland lebendig ist," erklärt er seinen Männern. "Ihr werdet erleben, wie sie unser Land verschachern, um ihre eigene erbärmliche Macht zu sichern!" Die Herrschaft des Bolschewismus im Baltikum ist in ihrer unvorstellbaren Grausamkeit ein Vorspiel für die Dinge, die sich über die nächsten Jahrzehnte in allen Ländern abspielen, in denen er seine blutigen Fahnen entrollt. Die städtischen Gefängnisse, insbesondere in Riga, sind mit Hunderten von Geiseln überfüllt. Diese werden vor dem Einrücken der Befreier bestialisch abgeschlachtet. Frauen, besonders junge und hübsche, werden zu Tode vergewaltigt. Engelnaturen, die aus ihren bequemen Klubsesseln den Freikorpskämpfern Brutalität vorwerfen, sollten sich mit derartigen Szenen näher vertraut machen. Es ist nur zu begreiflich, daß die Freiwilligen sich nach Anblick solch viehischer Schandtaten voll heiliger Wut auf die Schlächter stürzen. Mit der Einnahme der strategisch wichtigen Hafenstadt Riga ist die Herrschaft der Bolschewisten gebrochen. In dieser Situation erleben die Deutschen die hinterhältige Politik Englands. Nachdem durch deutsches Blut Moskau verhandlungsbereit ist, sieht England seine Stellung im Osten, seine Handelsprivilegien, Schürfrechte usw. gesichert. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Auf Druck Englands verrät die deutsche Regierung ihre Freikorpssoldaten. Plakate verkünden, daß jeder, der die "Meuterer" im Baltikum unterstützt, für sie wirbt oder sie mit Geldmitteln versorgt, mit hohen Gefängnisstrafen belegt wird!
Für die deutschen Abteilungen, die trotzdem im Baltikum ausharren, beginnt eine Zeit unerhörter Leiden. Letten und Litauer nunmehr gegen sie, von der eigenen Regierung im Stich gelassen, die Roten wieder angriffsbereit, erleben sie einen Winter in eisiger Kälte, ohne Mäntel, ohne Quartiere, hungernd und frierend, doch trotz allem weiter ihrer Aufgabe treu In dieser Zeit bitterster Not werden sie Landsknechte, Gegner eines sterbenden Systems, voller Verachtung für die feige bürgerliche Gesellschaft, die diese Idealisten nie verstanden hat und nie verstehen wird. Es entsteht das später von der deutschen Jugendbewegung übernommene Lied "Wilde Gesellen vom Sturmwind durchweht, Fürsten in Lumpen und Loden..." und dem mit trotzigem Galgenhumor gesungenen Refrain "Uns geht die Sonne nicht unter!" In ihrer verzweifelten Lage stellt sich ein unerwarteter Retter ein: das Freikorps Roßbach! Unter ihrem verwegenen Führer kämpft sich eine kleine Schar zu ihren in Eis und Schnee standhaltenden Kameraden durch. Die Roßbachleute treffen bei ihrem Vormarsch auf mit entsetzlicher Grausamkeit niedergemetzelte Deutschbalten, auf Bäumen gekreuzigt, mit ausgestochenen Augen, gräßlich verstümmelt, ehe man sie erschlagen hatte. Die Erbitterung der deutschen Soldaten steigert sich bei diesem Anblick zur Siedehitze. Ein mit 16 Jahren eingerückter Freiwilliger der "Brigade Ehrhardt" schrieb damals: "Wir schlugen uns auf den Schlachtfeldern des Nachkrieges FÜR DEUTSCHLAND: singend dem Angriff entgegen, und schweigend, haßerfüllt und gnadenlos in der Schlacht." In Versailles ist inzwischen das unmenschliche Friedensdiktat unterschrieben worden. Der später wegen seiner Handlungsweise ermordete Zentrumspolitiker und Waffenstillstandsbevollmächtigte Matthias Erzberger schreibt nach vollbrachter Tat in das Stammbuch des "Goldenen Ritters" zu Weimar: "Erst mach dein Sach, dann trink und lach!" Neben großen Gebietsverlusten an fast allen deutschen Grenzen gehen auch die Kolonien verloren, das Gebiet links des Rheins kommt für 15 Jahre unter alliierte Besatzung, die Kohlengruben fallen an Frankreich... Der bereits 1918 von der Nationalversammlung Österreichs beschlossene Anschluß an das Deutsche Reich wird durch die Siegermächte verboten! Die noch im Baltikum stehenden deutschen Truppen müssen zähneknirschend das von ihnen gehaltene Land räumen. Am 13. Dezember 1919 überschreiten ihre letzten Einheiten mit wehenden schwarz-weiß-roten Fahnen und Hakenkreuz am Stahlhelm die Grenze nach Ostpreußen. Von 10.000, die ausgezogen waren, kommen nur 5.800 Mann zurück.
Seit über tausend Jahren war im Baltikum mit den Städten Riga, Mitau, Dorpat, Reval ein nahezu geschlossener deutscher Kulturund Siedlungsraum entstanden. Allein in den Jahren von 1230 bis 1410 hatte der Deutsche Orden 93 deutsche Städte und über 1.400 Dörfer gegründet. Später leistet auch die Deutsche Hanse, eine Vereinigung deutscher Kaufleute, deren Machtgebiet zu ihrer Blütezeit mit über 70 Hansestädten von London über Wilna (1400) bis Nowgorod am Ilmensee reicht, einen entscheidenden Beitrag. Schon 1201 gründete Bischof Adalbert mit Aussiedlern aus Bremen und Hamburg das Bistum Riga, 1219 erfolgt die Gründung von Reval, 1223 von Narwa und 1225 Dorpat mit seiner Universität. Die Stoßtruppen des Bolschewismus begnügen sich nicht mit der militärischen Besetzung des Baltikums. Ihr Ziel ist vielmehr, genau wie 1945 in Ostpreußen, durch systematische Ausrottung der deutschen Bevölkerung den deutschen Charakter des Landes vollständig zu vernichten! Nach seinem Einsatz im Baltikum, in dem Schlageter sich wiederum durch unerschrockenes Draufgängertum auszeichnete, liegt für ihn der Gedanke nahe, in Freiburg sein unterbrochenes Studium wiederaufzunehmen. Aber da sind noch die Männer seiner Batterie, die in Not und Tod alles für ihren Führer getan haben. Er kennt das Schicksal eines jeden von ihnen. Man gehört zusammen auf Gedeih und Verderb. Und der nächste Einsatz wartet schon auf sie.
Eine Rote Armee an der Ruhr Mit sowjetrussischem Geld wird im Ruhrgebiet eine rote Revolutionsarmee aus dem Boden gestampft. Waffen- und Munitionslager der Kruppwerke werden geplündert. Innerhalb von 24 Stunden können die Roten 10.000 Bewaffnete für den Aufstand bereitstellen, die sich schon bald auf 50.000 vermehren. Etwa zur gleichen Zeit errichten die Spartakisten unter Führung von Max Hölz in Sachsen-Thüringen ein Terrorregime, erschlagen die Angehörigen von Bürgerwehren und Polizei und rufen die Diktatur des
Proletariats aus. Sie erklären die Reichsregierung für abgesetzt und drohen für den Fall eines militärischen Gegenzuges der Reichswehr, die von ihnen besetzten Städte anzuzünden und die Bourgeoisie abzuschlachten. Den Alliierten kommt ein deutscher Bürgerkrieg, der die letzten deutschen Reserven aufsaugen würde, gerade recht, um die Deutschen dadurch um so leichter unter ihre totale Kontrolle zu bringen! Die französische Presse betreibt eine unverhüllte Hetze gegen Deutschland: "Die deutsche Einheit muß zerschlagen, das Reich muß in einen Staub von Einzelstaaten aufgelöst werden." Als der Hilferuf der Regierung an sie ergeht, wendet Schlageter sich mit bitterer Ironie an seine Männer: "Wir verachten das Bürgertum und retteten es doch mit unserem Blut! Wir sind angetreten, um die Freiheit der Nation zu sichern, und schützen eine Regierung, die das Volk und die Nation verraten hat... wir sind gegen Englands schmutzige Politik, und doch waren wir seine besten Soldaten." Gegen die stahlharten, in den Materialschlachten des Großen Krieges bewährten Soldaten kann der rote Pöbel nicht lange standhalten. Aber der entbrennende Kampf wird mit Erbitterung geführt, Bruder gegen Bruder! Bedenkenlose Agitatoren hatten das unsägliche Leid Rußlands auch für die Deutschen heraufbeschwören wollen. Doch nach der Niederlage ihrer verführten Genossen lassen sie diese im Stich und bringen ihre geraubten Gelder aus Banken und Rathäusern für ihr privates Wohlleben in Sicherheit. Im Sommer 1920 wird die Brigade Löwenfeld, in der Schlageter gekämpft hatte, im Sennelager aufgelöst. Schlageter gelingt es, seine brotlos gewordenen Männer als Landarbeiter in Pommern und Ostpreußen zu verdingen. Andere Freikorpsführer gehen nach Auflösung ihrer Einheiten zwecks Überwindung der sozialen Not zur Gründung von Firmen und landwirtschaftlichen Genossenschaften über. Waffen und Munition der verschiedenen Freikorps verschwinden in Scheunen und Kellern oder Erdhöhlen "für alle Fälle".
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Kampf um Oberschlesien Im Februar 1920 übernimmt der französische General Le Rond mit seinen Truppen die Herrschaft über das deutsche Oberschlesien. Unter seiner Verwaltung verliert das Land nicht nur seinen deutschen Namen, sondern auch sein Recht. Im "Territoire Plebiscite de la Haute Silesis" regiert jetzt für die vorgesehene Volksabstimmung eine interalliierte Kommission in Oppeln.
Wojciech Korfanty, ehemaliger Abgeordneter im Reichstag und im preußischen Landtag, dessen Ziel schon immer ein Großpolen war, sieht seine Stunde gekommen. Von der polnischen Regierung mit außerordentlichen Geldmitteln versehen, beginnt er den bewaffneten Kampf für die Losreißung Oberschlesiens an Polen. Korfantys Stärke sind die Lüge und der Krieg im Dunkeln. Agenten und Spitzel belauschen jedes deutsche Wort. Polnische Hetzblätter schießen wie Pilze aus dem Boden. Der polnische Aufstand entwickelt sich zu einem gnadenlosen Kleinkrieg gegen alles Deutsche. Seine Absicht ist, die vorwiegend deutsche Bevölkerung derart einzuschüchtern, daß sie es nicht wagt, sich bei der Abstimmung gegen Polen zu entscheiden. Die Le Rond unterstellten französischen Bataillone leisten den Polen jede erdenkliche Hilfe. Die deutsche Polizei wird aufgelöst und durch die von polnischen Mannschaften und Offizieren dominierte "APO" ersetzt. Sie kann sich voll auf die Macht der französischen Bajonette verlassen. Polnische Stoßtrupps dringen mit Messern und Gummiknüppeln in die deutschen Versammlungen. Prominente Deutsche werden auf offener Straße erschossen oder mißhandelt. Korfantys Terror arbeitet mit nächtlichen Überfällen deutscher Wohnungen, mit Bombenwürfen und Handgranatenattentaten! Wenn die Deutschen versuchen, sich gegen das Mordgesindel zu wehren, greift französische Polizei ein und verhaftet - die Deutschen! Die Gefängnisse in Oppeln und Kosel füllen sich mit diesen Opfern französischer Siegerjustiz. Korfantys organisierte Banden genießen Narrenfreiheit in Stadt und Land. Das Ziel der französischen Politik ist die völlige Zerschlagung des Reiches und seiner Wirtschaft. Erst Raub der bedeutenden Industrie Elsaß-Lothringens, dann Saar, Rheinland und Ruhr und jetzt die Bodenschätze und Industrieanlagen Oberschlesiens! Das entwaffnete und entmachtete Deutschland hat diesem polnischen Terror nichts entgegenzusetzen. Nur der Idealismus und Einsatzwille einer kleinen Schar entschlossener, unter Einsatz ihres Lebens Widerstand leistender Freiwilliger kann Abhilfe schaffen. Der Freikorpsführer Heinz Hauenstein, dem Schlageter sich anschließt, ist entschlossen, dem barbarischen polnischen Banditentum mit überlegener Strategie zu begegnen. Hauenstein bildet eine Geheimorganisation, die für den Gegenschlag im Untergrundkampf mit falschen Namen, falschen Ausweisen und wechselnden Kennworten arbeitet. Geheimhaltung und Überraschung werden der Schlüssel zum Erfolg. Der Brutalität der Polen wird mit gleicher Münze begegnet, ohne Rücksicht auf Gesetz oder Völkerrecht. Die Aktionen der Organisation werden mit wissenschaftlicher Gründlichkeit vorbereitet und durchgeführt. Eine der Hauptaufgaben Hauensteins wird die Ausschaltung deutscher Spitzel und Verräter. In diesem gnadenlosen Kampf gibt es nur eine Devise: VERRÄTER VERFALLEN DER FEME! Wenn möglich, spart man für diese Kreaturen, für die ein rascher Tod zu schade ist, sogar die Kugel. Die ausgesuchten Agenten Hauensteins tarnen sich zumeist als
Geschäftsleute oder reisende Vertreter. Es gelingt ihnen mehrere Male, mit tollkühnen Methoden bis in die Schaltzellen von Korfantys Schlägerhorden einzusickern. Mehr als einmal entgehen sie nur durch unverschämtes Glück der Gefangennahme mit Folter oder Tod. Im Wartesaal des Bahnhofs Kattowitz sitzen Hauenstein und Schlageter bei einer Einsatzbesprechung, als plötzlich sämtliche Ausgänge durch französisches Militär abgesperrt werden. Durchsuchung nach Waffen! Kaltblütig legt Schlageter seine Armeepistole unter seinen auf dem Tisch liegenden Hut. Hauenstein folgt seinem Beispiel. Sie haben Glück, die Franzosen ignorieren ihre Hüte. Im Gefängnis des Städtchens Kosel sind seit Februar 1921 siebzehn junge Deutsche von den Franzosen eingesperrt, die meisten zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Ihr Verbrechen: Sie hatten ihre Pflicht für ihr Vaterland getan! Die deutsche Regierung hat weder Die Leichen des Lehrers Skrobek, des die Macht noch zeigt sie Einsatz, Rechnungsführers Slowik und mehrerer diese jungen Menschen vor langer Arbeiter, die mit schrecklichen Verletzungen Haft oder gar der Hölle von aus dem Grenzfluß Brinitza geborgen Cayenne zu erretten. Die Befreiung wurden. (Mehr zur Tradition der polnischen Untaten wird in einer Nacht von den an Volksdeutschen hier - Anm. d. Männern Hauensteins, darunter Scriptorium) Schlageter in führender Rolle, durchgeführt, der Gefängnisleiter mit vorgehaltener Pistole aus dem Bett geholt, sämtliche bis dahin in hoffnungsloser Lage befindlichen Gefangenen in rasender nächtlicher Fahrt zur innerdeutschen Grenze gebracht. Die ist zwar auch nicht frei, aber wenigstens nicht von französischen Bajonetten beherrscht. Nicht alle Unternehmungen der Deutschen gelingen. Zwei Angehörige einer Spionagegruppe, darunter die fließend polnisch sprechende Tochter eines höheren deutschen Beamten, die sich aus glühender Vaterlandsliebe in den Dienst der Sache gestellt hat, werden von halbbetrunkenen Polen überfallen. Beide werden bis zur Bewußtlosigkeit gemartert. Man wirft sie in ein furchtbar verlaustes und verwanztes polnisches Gefängnis, wo sie wochenlang auf nacktem Boden bei Wasser und Brot liegen müssen. Nur durch einen glücklichen Zufall kann ihre Haft beendet werden. Aber sie sind von ihren schrecklichen Leiden für ihr ganzes Leben gezeichnet. Mit dem Näherrücken des Abstimmungstermins steigert sich der polnische Terror. Korfanty macht kein Hehl daraus, daß er ein für Polen ungünstiges Abstimmungsergebnis mit Waffengewalt korrigieren wird. Zur Abstimmung rollen Sonderzüge aus dem Reich in das Abstimmungsgebiet. Alte Männer, Frauen mit ihren Kindern, sogar Kranke tun ihre Pflicht für Deutschland, um mit ihrem Stimmzettel das Schicksal ihrer Heimat zu entscheiden. Doch während die deutschen Wähler von den Polen mit Stöcken und Gummiknüppeln an den Wahllokalen empfangen werden, können die Polen in den deutschen Bezirken ungehindert und ohne Furcht ihre Stimme abgeben!
Am Abend des 20. März, einem Schicksalstag Oberschlesiens, steht fest, daß die Abstimmung ein Sieg der deutschen Wähler ist. Trotz Schikanen und grausamem polnischen Terror, trotz der Millionen polnischer Wahlgelder, haben sich über 60% der Wähler für Deutschland entschieden! Noch in derselben Nacht beschließen die polnische und die französische Regierung, über den ihnen hörigen Völkerbund das Abstimmungsergebnis umzustoßen. Korfanty bereitet mit seinen bewaffneten Banden den Putsch vor. Die harmlosen Deutschen glauben in der ihnen eigenen Naivität, daß sie nach dem siegreichen Abstimmungskampf endlich wieder ihrer friedlichen Arbeit nachgehen können. Auch Schlageter glaubt annehmen zu dürfen, daß die Feindmächte das Abstimmungsergebnis respektieren werden. Zum ersten Mal seit der Novemberrevolte besucht er die geliebte Schwarzwaldheimat. Wie früher als Schüler oder wenn immer auf Urlaub, geht er seinem Vater sofort wieder in Feld und Scheune zu Hilfe. Seine Familie und Freunde sind mit Recht stolz auf seine Taten im Baltikum und Oberschlesien. Es wird sein letzter Aufenthalt in Schönau; er hat seine Heimat nie wiedergesehen.
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Polen und Alliierte mißachten die Abstimmung Korfanty weiß den Völkerbund heimlich mit sich im Bunde. Jetzt will er vollendete Tatsachen schaffen. Immer neue Güterzüge mit schweren Waffen und Maschinengewehren rollen aus Polen an. Die französischen Besatzer haben den Polen ihre volle Unterstützung zugesagt. Hohnlachend lehnen sie jeden deutschen Vorschlag zum Selbstschutz ab, selbst den, sich unter französischen Befehl zu stellen! Unter französischem Schutz dringen die polnischen Banden ungehindert in die deutschen Städte ein. Deutsche werden sogar zum Eintritt in die polnischen Formationen gezwungen. Im Weigerungsfall werden sie verhaftet, grausam mißhandelt und in Gefängnisse nach Polen verschleppt. Die Deutschen können der gewaltigen polnischen Übermacht nur mit kleinen improvisierten Gruppen begegnen; aber diese kämpfen voller Haß und Zorn um ihre heimatliche Erde. Die Berliner Regierung erreicht mit all ihren papierenen Protesten nichts. Zynisch antwortet Le Rond: "Wenn die Deutschen nicht so hartnäckig wären, würde die Ruhe längst eingekehrt sein." Schlageter erhält in seiner Heimat ein Telegramm von Hauenstein: "Zurück nach O.S. - der Pole greift an!" Schlageter weiß, worum es geht. Noch ein letztes Mal steigt er auf den Belchen. Der Bergfrühling überglänzt die Täler und Höhen seiner Heimat. Ganz fern im Westen weiß er Freiburg mit
seiner Universität liegen. Aber das ist nun vorbei. Zum zweiten Mal geht er nach Schlesien, dem Befehl des Gewissens folgend. In Neiße sind inzwischen die ersten Kameraden zusammengekommen. Hauenstein hat ein Lager besetzt, in dem auf Befehl der Entente deutsche Waffen zerstört worden waren. Schlageter gelingt es, aus herumliegenden, schon halb verrosteten Teilen ein Gebirgsgeschütz zusammenzubasteln. 50 Bergleute werden ihm zugeteilt, alle eingefleischte Sozis, aber gute ehemalige Soldaten. Schlageter findet auch bei ihnen den richtigen Ton. Er schläft bei seinen Männern, und die schenken ihm bald ihr Vertrauen. Er kann berichten: "Wenn es hart auf hart kommt, will ich mit ihnen den Teufel aus der Hölle holen!" Nördlich Bergstadt liegt der Annaberg, dessen dunkle Kuppe die ganze Gegend beherrscht. Die Polen haben sich an seinen Hängen gut verschanzt. Von hier aus unternehmen sie, von einem Panzerzug unterstützt, Überfälle gegen die Deutschen. Die strategische Schlüsselstellung Annaberg muß genommen werden. Aber Le Rond und die interalliierte Kommission verbieten jedes Vorrücken der deutschen Freiwilligen. Auch ein Vertreter der Novemberregierung findet sich ein, um die Freikorps festzunageln. "Das ist Verrat," schreit ihn ein deutscher Major an. "Jetzt, wo der Pole rennt, wollen die hohen Herren plötzlich einen Waffenstillstand. Nicht mit uns. Sagen Sie das Ihren sauberen Auftraggebern!" "Deutsche Regierung," spöttelt ein anderer Offizier und wendet sich verächtlich ab, "verschachern unsere Landsleute an den Polen." Das Sturmbataillon Heinz hat seine Angriffsstellung bezogen. Ihm gehört die Kompanie Schlageter an, die ihr zusammengestückeltes Geschütz in vorderster Front mitführt. Unweit von ihnen liegen die Steinbrüche von Gogolin. Von dort wird das Korps Oberland zum Sturm auf den Berg antreten. Während Heinz noch ruhig und unbeirrbar mitten im feindlichen Feuer seine Befehle gibt, schießt Schlageter polnische Gegenangriffe in direktem Beschuß auf kürzeste Entfernung zusammen. Zeitgleich braust plötzlich unbeschreiblicher Jubel oben vom Berg herab. Vom Turm der Michaeliskirche flattert die schwarz-weiß-rote Fahne des Freikorps Oberland! Nach der Erstürmung des Annaberges wendet sich der alte Generalstäbler Major von Löwenfeld kopfschüttelnd ob dessen tollkühnen Einsatzes an Schlageter: "Sie haben sich da eine recht merkwürdige Taktik angeeignet! Kommen Sie damit eigentlich immer aus?" Schlageter sieht den Major in seiner ruhigen und bescheidenen Art an: "Im Kampf gegen die Insurgenten entscheidet in erster Linie der moralische Eindruck, Herr Major. Mit Draufgehen erreicht man hier alles!" Die Siegeszuversicht der Polen ist endgültig gebrochen. Als Mordbanden für feige Überfälle sind sie zwar geeignet, aber die Zähigkeit und den Schneid der deutschen Kämpfer sind sie nicht gewohnt. Der Traum Pan Korfantys vom siegreichen Marsch bis an die Tore Breslaus ist ausgeträumt. Da greift Le Rond mit "diplomatischen Mitteln" zugunsten der besiegten Polen ein. Mögen die deutschen Waffen auch triumphiert
haben, er weiß den Völkerbund auf seiner Seite. Unter Verhöhnung aller Verträge werden Stadt und Gebiet um Kattowitz den Polen zugeschlagen. Der östliche Teil Oberschlesiens mit all seinen Zinn- und Bleigruben, mit 85% der Steinkohlenvorräte, mit 67% der Roheisengewinnung und mit 50% der Bevölkerung wird im Sinne Frankreichs zur weiteren Schwächung Deutschlands polnische Beute. Die "Gerechtigkeit" der Sieger! Nur der selbstlose Einsatz der Freiwilligen und der für die Freiheit ihres Volkes Gefallenen hatten noch Schlimmeres verhütet. Die Niederwerfung der Polen hatte auch die Franzosen wieder Respekt vor deutschem Soldatentum gelehrt. Während sie bislang mit ihren Reitpeitschen den Bürgersteig für sich allein beanspruchten, ziehen sie es nunmehr vor, den Straßendamm zu benutzen, wenn sie einem deutschen Freikorpskämpfer begegnen. Sie wissen, daß sie bei einem Zusammenstoß den Kürzeren ziehen würden, und daß "der Recht behält, der bereit ist, sein Leben für seine Ehre einzusetzen!" Nachdem der Völkerbund die Leiden der Deutschen unter dem brutalen polnischen Terror stets mit fadenscheinigen Ausreden übergangen hatte, schlägt plötzlich sein Gewissen, als es um die Sicherung der jüngsten polnischen "Eroberungen" geht. Unter alliiertem Druck erläßt die deutsche Regierung eine Verordnung, wonach jede Rekrutierung von Freiwilligen verboten ist. Wer eine solche Organisation gründet oder ihr angehört, wird mit Gefängnis oder einer Geldstrafe bis zu RM 100.000 bestraft! Die deutschen Freikorps werden an der Grenze von starken Polizeieinheiten entwaffnet. Kein Wort des Dankes für ihre heroischen Taten! Sie hatten gezeigt, daß deutscher Soldatengeist stärker war als alle polnische Waffenübermacht oder das Phrasengeklingel der Politiker. Solche Männer waren eine Gefahr für das System! Am 6. Juli nimmt Heinz Abschied von seinen Leuten. 2.500 junge Deutsche ziehen in einem letzten Aufmarsch an ihm vorüber. Dann ist die Truppe in alle Winde zerstreut. Wieder einmal fällt Schlageter die Aufgabe zu, für die Männer, die ihm ihr Vertrauen geschenkt hatten, Arbeit und Brot zu finden. Sie stehen jetzt mittellos auf der Straße, aber er bringt die meisten von ihnen wieder auf dem Lande unter. - Auch er empfängt kein Wort des Dankes. "Aber er hatte auch nicht um Dank seit sieben Jahren sein Leben für Deutschland eingesetzt."
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Intermezzo in Danzig Aufgrund des Versailler Diktats war unter dem "Schutz des Völkerbundes" die alte deutsche Hansestadt Danzig in einen "Freistaat" umgewandelt
worden. Da Polen in Oberschlesien seine Expansionsziele nur unvollkommen erreicht und bei Abstimmungen im südlichen Ostpreußen eine blamable Niederlage erlitten hatte,* versucht es in Danzig, mit "feineren Methoden" unter Umgehung der Völkerbundklauseln zum Ziele zu kommen. Polnische Geschäftsleute mit ihren Familien überfluten die Stadt, dazu polnisches Militär in voller Uniform, polnische Postbeamte, polnische Eisenbahner, polnische Kriegsschiffe im Hafen! Man will den unzähligen ausländischen Kommissionen, die hier aufkreuzen, vorspiegeln, daß Danzig im Grunde polnisch ist. Der unersättliche Landhunger Polens ist mit dem neugewonnenen Korridor, der Polen einen Zugang zur Ostsee verschafft, nicht befriedigt. Das blühende und aufstrebende Stadtgebiet Danzig, 1.890 qkm fast 100%ig deutsch, soll ebenfalls in den polnischen Machtbereich einbezogen werden. Um die Intrigen und geheimen Umsturzpläne der Polen auszukundschaften, geht Schlageter nach seinem Oberschlesieneinsatz als Spion nach Danzig. In einem überaus kühnen Coup gelingt es ihm, bis in die Zentrale der polnischen Nachrichtenabteilung, einer Zweigstelle des Kriegsministeriums, vorzudringen. Sie wird von dem eleganten Rittmeister Dubitsch geleitet. Das "Interview" mit Dubitsch wird Schlageter beinahe zum Verhängnis. Dubitsch durchschaut sein Gegenüber und zieht seinen Revolver. Nur Schlageters Geistesgegenwart, auf die angeblich unten auf ihn wartenden Kameraden verweisend, rettet sein Leben. Er kann sich mit einer höflich-kalten Verbeugung verabschieden. Als Folge dieses Zusammentreffens veröffentlicht die Gazeta Danska einen Steckbrief gegen Schlageter, worauf auch die deutschen marxistischen Zeitungen in infamer Weise über ihn herfallen. Schlageters Spionagetätigkeit für den deutschen Selbstschutz ist damit zu Ende. Er geht nach Berlin, um dort zusammen mit Kameraden eine Import-Exportfirma zu gründen. Doch im Geschäftsmilieu der "Goldenen 20er Jahre", in dem Schieber und Gauner den Ton angeben, ist Schlageter, der noch auf Treu und Glauben hält, zum Scheitern verurteilt. ===================== Anmerkung *
98% und mehr der Bevölkerung hatte in den verschiedenen Städten für Deutschland gestimmt! s. Anhang. ...zurück...
Frankreich greift nach der Ruhr Ende November 1922 kann Frankreich auf eine Rückständigkeit Deutschlands in den schier endlosen, die deutsche Wirtschaftskraft aufzehrenden Reparationsleistungen verweisen. Es handelt sich im wesentlichen um eine Sendung Telegraphenstangen. Auf diesen Augenblick hatte Poincaré hingearbeitet. Schon am 26. Juli 1922 hatte er vor der Presse erklärt: "Der einzige Weg, den Frieden von Versailles zu retten, heißt solcherart zu handeln, daß der besiegte Gegner seine Bedingungen nicht erfüllen kann." Der Plan zur Besetzung der Ruhr lag schon lange fertig in der Schublade. Mit einer die öffentliche Meinung aufpeitschenden Propagandakampagne bereitet die französische Regierung ihren Angriff auf das wirtschaftliche Herz Deutschlands vor, um das "Gold von der Ruhr" nach Frankreich zu schaffen. Am 11. Januar 1923 überschreiten fünf kriegsstarke Divisionen zusammen mit einem belgischen Truppenkontingent, unterstützt von schwerer Artillerie, Panzern und Flugzeugen, die Rheinbrücken bei Düsseldorf und Duisburg. Die deutsche Regierung ergeht sich in einem neuen hilflosen Protest gegen diesen eklatanten Schlag in das Gesicht des Völkerrechts. Er wird selbstverständlich von den Franzosen beiseitegeschoben. Italien beteiligt sich am französischen Raubüberfall durch Entsendung einer Gruppe italienischer Ingenieure nach Essen. Der Einfall der Franzosen mitten im Frieden wird mit der Phrase des "Schutzes einer interalliierten Ingenieurkommission" geschönt, die die "vertraglichen Lieferungen" der Deutschen zu überwachen hat. In Wahrheit verfolgt die französische Regierung den Plan, das Rheinland vom Reich abzutrennen und zusätzlich Deutschland seines wichtigsten Industriegebietes zu berauben. Nur ein Jahr nach dem Raub der oberschlesischen Industriegebiete soll Deutschland ein für allemal der Todesstoß durch Abschnürung seines bedeutendsten Wirtschaftszentrums versetzt werden! Ja, Poincarés Pläne gehen noch weiter. Ganz in der Tradition Richelieus befangen, möchte er seinen Nachbarn in verschiedene unabhängige Teilgebiete zerstückeln. Während man heute über die "EU" mit fein ausgeklügelten Methoden die Deutschen an die Kandare zu nehmen und von ihren Arbeitsleistungen abzuschöpfen versteht, herrschten nach dem Ersten Weltkrieg noch jahrelang die offen-brutalen Formen der Ausbeutung vor. Von kurzsichtigem Haß erfüllt, beging man den Fehler, seinem Opfer den Garaus machen zu wollen, statt nach vorhergehender Mästung um so
kräftiger und nachhaltiger absahnen zu können! Im Reichstag stellt Kanzler Wilhelm Cuno fest: "Recht und Vertrag sind mit dem Einmarsch der Truppen ins Ruhrgebiet gebrochen worden... Es handelt sich um jenes Ziel, das seit mehr als 400 Jahren der französischen Politik eigen ist... Es ist die Politik, die am erfolgreichsten Ludwig XIV. und Napoleon I., die aber auch andere Gewalthaber Frankreichs betrieben haben, bis auf den heutigen Tag." Während deutsche Kinder sterben, müssen für jeden französischen Besatzungsoffizier drei Liter und für jeden Besatzungssoldaten und jeden mitgebrachten französischen Hund ein Liter Vollmilch abgeliefert werden. Die Erbitterung der deutschen Bevölkerung wächst von Tag zu Tag. Die Regierung verkündet den passiven Widerstand. Geschlossen wendet die Ruhrbevölkerung sich gegen den Feind. Bergmänner, Hüttenleute, Eisenbahner, Landbevölkerung, die Bürger der Städte - alle nehmen trotzig, nur Recht und Ehre auf ihrer Seite, den Kampf mit seltener Verbissenheit auf. Die feindlichen Truppen finden keine nachgiebige Beamtenschaft oder eingeschüchterte Bürger. Sie finden überall nur Haß und Verachtung. Geschäfte schließen lieber, als an die Franzosen zu verkaufen. In Eisen- und Straßenbahnen verlassen die Fahrgäste den Wagen, wenn Franzosen zusteigen. Die Führer weigern sich zu fahren, Gastwirte weigern sich, die Franzosen zu bedienen. Der deutsche Widerstand lähmt schließlich das ganze Revier. Der Abtransport deutscher Reparationen nach Frankreich kommt zum völligen Erliegen. Die Besatzer können diese offensichtliche Schlappe nicht hinnehmen. Sie reagieren mit brutaler Gewalt. Die französischen Generale erhalten Befehl, rücksichtslos den Widerstand der Deutschen zu brechen. Mitten im Frieden, in einem unter Rechtsbruch besetzten Land, wird die deutsche Bevölkerung ungeheuerlichen Terrorakten und Niederträchtigkeiten ausgesetzt. Täglich fallen deutsche Zivilisten französischen Kugeln zum Opfer. In Essen allein müssen am Ostersamstag als blutiger Höhepunkt 13 Krupparbeiter ihr Leben lassen. Weitere 30 Verwundete wälzen sich in ihrem Blut, alles wegen der Weigerung, ihre Lastkraftwagen an die Franzosen auszuliefern. Innerhalb der ersten 19 Monate der französischen Besatzung werden nicht weniger als 137 Deutsche ermordet und 603 zum Teil lebensgefährlich verwundet. Eine halbe Million Ruhrarbeiter ehren gesenkten Hauptes beim Begräbnis ihre gemordeten Kameraden. Neue Sanktionen! Nicht gegen die für die feige Tat gegen Wehrlose Verantwortlichen, sondern gegen die Deutschen, gegen Eigentümer und Direktoren der Kruppwerke! 15 und bis zu 20 Jahren Gefängnis! In den deutschen Städten regieren die Besatzer mit der Reitpeitsche. Selbst junge Mädchen werden ins Gesicht geschlagen, wenn sie es wagen, den Bürgersteig zu benutzen. Hotels werden evakuiert, die deutschen Gäste mit dem Bajonett aus ihren Zimmern vertrieben. Das Stadttheater von Recklinghausen wird während einer Vorstellung von Schillers "Wilhelm Tell" von einer Horde Franzosen mit ihren Reitpeitschen geleert. Vor dem Essener Theater fahren Tanks auf, als das Publikum stehend den
Rütlischwur mitspricht: "Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod als in der Knechtschaft leben..." Die Gefängnisse füllen sich mit gefolterten Opfern der Besatzer. Aus purer Schikane werden die Verhafteten in schweren Ketten angeschleppt. Sie erhalten vielfach nicht einmal Geschirr für ihre Notdurft, keinen Stuhl, kein Eßgeschirr, dafür stinkendes, verdorbenes Wasser. Bei jeder Gelegenheit schlägt man wahllos auf sie ein. Insgesamt werden über 1.000 Jahre Gefängnisstrafen von den französischen Kriegsgerichten gegen Deutsche verhängt! Beamte und Angestellte, die sich weigern, mit den Franzosen zusammenzuarbeiten, werden massenweise aus ihren Häusern vertrieben. Nur was sie unterm Arm tragen können, dürfen sie mitnehmen. Spahis und Marokkaner übernehmen ihre Wohnungen, die binnen kurzem nicht mehr wiederzuerkennen sind. Alles in allem werden rund 100.000 Deutsche von den Franzosen aus ihren Heimatorten vertrieben. Zwecks Knebelung der öffentlichen Meinung werden nicht weniger als 114 Redakteure und 140 Verleger ins Gefängnis geworfen oder kurzerhand ausgewiesen, einzig und allein, weil sie sich weigern, die Propagandalügen der Besatzer zu drucken! Ein Engländer sagte im März 1923 zu einem Deutschen: "Ihr versteht euch schlecht auf Propaganda. Wäre den Franzosen geschehen, was sie euch an der Ruhr antun, die Welt würde vor Wut über euch schäumen!" Im Kampf der Wahrheit gegen die organisierte Lüge versagt die demokratische Presse im "freien Deutschland" auf der ganzen Linie. Der deutschen Beamtenschaft gereicht es zur Ehre, daß sie fast ohne Ausnahme lieber Ketten, Gefängnis oder Heimatlosigkeit erträgt als ihrem Land in den Rücken zu fallen und mit dem Feind zu paktieren! Dasselbe gilt für die Eigentümer und Werksleitungen deutscher Fabriken und für die treuen Belegschaften. Sie alle ertragen lieber die Drangsalierungen der Besatzer, als denen ihre Werkstätten und Erzeugnisse untertänig zu übergeben! Trotz der Mitwirkung von vaterlandslosen Gesellen, die sich den Franzosen als Separatisten zur Verfügung stellen, erscheint der Versuch Poincarés zur Bildung eines vom Reich losgelösten französisch dominierten Pufferstaates schon jetzt als mißlungen. Doch um diesen Plan endgültig zu vereiteln, ist eine Verschärfung des bislang rein passiven Widerstandes notwendig. Geheimorganisationen entstehen im unbesetzten Teil des Rheinlandes, Männer, die ihr Leben für die Freiheit ihres Landes in die Schanze zu schlagen bereit sind! In Elberfeld errichtet Heinz Hauenstein zusammen mit Schlageter sein Hauptquartier. Von hier aus werden die Freiheitskämpfer in die besetzten Gebiete geschleust: Zur Bestrafung von Separatisten und Verrätern, zur Befreiung deutscher Patrioten aus französischen Gefängnissen und zur Sabotage der Reparationslieferungen an die Franzosen. Schlageter übernimmt den Stoßtrupp Essen. Ihnen allen ist befohlen, bei den geplanten Sabotageaktionen nur Sachwerte zu
zerstören und Menschenleben zu schonen. Von jetzt ab haben französisch geleitete Verkaufsstellen, die mit ihren Schriften zum Separatismus auffordern, mit dem Zorn entschlossener deutscher Männer zu rechnen. In das Schaufenster des Buchladens gegenüber dem Hauptbahnhof Essen, der französische Propagandaliteratur ausstellt, knallt eines Tages ein Pflasterstein. Auf gleiche Weise nimmt das fröhliche Sektgelage der Herren Besatzer zu nächtlicher Stunde im dortigen Kasino ein jähes Ende. Die Vergeltung trifft ebenfalls deutsche Läden und Geschäfte, die gegen das ungeschriebene Gesetz des passiven Widerstandes verstoßen und mit den Franzosen kollaborieren. - Die Sabotageanschläge der deutschen Kommandos steigern den Haß der Franzosen ins Maßlose.
Schlageter werden nach seiner Verhaftung, von acht Poilus mit aufgepflanztem Seitengewehr überwacht, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Stricke bis zu den Achseln durchgezogen. Durch die nächtlichen Straßen Essens geht die Fahrt mit dem Gefangenen zur Verwaltungszentrale im Kohlensyndikat, von wo die Anwohner seit dem Einzug der Franzosen die mitternächtlichen Schreie entsetzlicher Folterungen anhören müssen. Am 14. April gelingt es Schlageter trotz der starken Bewachung, einen Brief an Hauenstein aus dem Gefängnis zu schmuggeln, in dem er ihn vor Verrätern in den eigenen Reihen warnt. Bezeichnend für ihn, denkt er auch in seiner hoffnungslosen Lage weniger an das, was ihm bevorsteht, als an seine Aufgabe und das Schicksal seiner Kameraden! Musterhaft erträgt er die Gefangenschaft. Nicht ein einziges Wort der Klage über sein Schicksal und seine Behandlung! Leider waren auch die Franzosen schon vor diesem Brief ausgiebig über die Organisation H.H. informiert. In wenigen Tagen sind auch Becker, Sadowski, Werner und weitere Mitstreiter der Gruppe Schlageter von den Franzosen aufgespürt und verhaftet. Wolfram Mallebrein schreibt zu der unheilvollen Neigung mancher Deutscher zum Verrat: "Neben strahlendem Heldentum und unverbrüchlicher Treue der heimtückische Verrat! Neben Arminius der Verräter Segestes..." Und er zitiert Napoleon: "Immer haben sie [die Deutschen] mehr Erbitterung gegeneinander als gegen den Feind gehegt", woraus alle Eroberer auf deutschem Boden stets ihren Nutzen zogen. Der seinerzeitige Kommandierende General des Brückenkopfes Düsseldorf, Simon, hat dem Verteidiger Schlageters mehr als einmal seinen Ekel und seine Verachtung gegenüber solchen Elementen zum Ausdruck gebracht nach dem bekannten Motto: Ich liebe den Verrat, aber ich hasse den Verräter! Becker und Sadowski wurden unter seltsamen Umständen verhaftet. Ein früherer Angehöriger des Stoßtrupps spielt dabei eine höchst verdächtige Rolle. Die beiden werden auf nächtlicher Straße umringt, ihre Pässe als gefälscht erklärt. Es hagelt Schläge mit Gewehrkolben über den ganzen Körper. Halb bewußtlos werden sie von den Besatzern in eine Straßenecke
geworfen. Die Vernehmungen der neuen Gefangenen sind von besonderer Brutalität, ein grausames Vorspiel für das, was vielen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg von aufgehetzten Siegern angetan wird! Faustschläge ins Gesicht, Schläge mit einem Stuhlbein über den Schädel, Drohungen, sie an Ort und Stelle zu erschießen, wenn sie sich weigern, ihre Kameraden zu verraten! Jeder der Gefangenen wird in eine Einzelzelle gesperrt, Schlageter als besonders gefährlich eingestuft. Vom täglichen kurzen Spaziergang auf dem Gefängnishof sind sie ausgeschlossen. Am 6. Mai wird Schlageter und seinen gefangenen Kameraden die Anklageschrift in französischer Sprache überreicht. Ein Dolmetscher übersetzt mühsam das 30 Seiten lange Schriftstück. Der Verhandlungstermin ist auf den 8. Mai angesetzt. Da die deutschen Verteidiger die Anklageschrift erst am 7. Mai erhalten, bleibt ihnen bewußte Tücke der Besatzer - für die juristische Einarbeitung gerade ein Tag. In eisernen Ketten werden die Gefangenen in den Gerichtssaal geführt, während ein umfangreiches militärisches Aufgebot den Zugang zum französischen Kriegsgericht absperrt. Schlageter übernimmt für seine Tat die volle Verantwortung. Er ist bemüht, seine Kameraden zu entlasten. Die "Geständnisse" von Becker und Sadowski entpuppen sich im Gerichtssaal als "unter höllischen Mißhandlungen" erzwungen (s. später Nürnberg, Dachau usw.). Mit Meineiden bestreiten die betreffenden französischen Beamten ihre Untaten. Das im Schnellverfahren als reiner Racheakt wohl schon vorher festgelegte Urteil lautet: - Schlageter wegen Spionage und Sabotage zum Tode, - Sadowski wegen Spionage und Sabotage zu lebenslänglicher Zwangsarbeit, - Becker wegen verbrecherischen Komplotts und Spionage zu 15 Jahren Zwangsarbeit. Die anderen erhalten ebenfalls hohe Freiheitsstrafen. Schlageters Mitangeklagte sind von der Härte des Urteils schockiert, aber sie bewahren Haltung. Schlageter selbst zuckt bei der Verkündung des Todesurteils mit keiner Wimper. Er hatte wohl nichts anderes erwartet. Eine riesige Menschenmenge hat sich vor dem Gerichtsgebäude in der Mühlenstraße versammelt. Schweigend verharrt sie. Ein falsches Wort kann eine augenblickliche Verhaftung, schwere Bestrafung oder Ausweisung auslösen. Als die Gefangenen in ein Auto zum Abtransport gedrängt werden, nimmt ein alter Mann seinen Hut ab. Der Urteilsspruch entfacht einen Sturm der Entrüstung im Land und erregt Aufsehen in der ganzen Welt. Die deutsche Regierung erhebt Einspruch, ebenso das Internationale Rote Kreuz, der Papst, der Erzbischof von Köln, die Königin von Schweden und unzählige andere Persönlichkeiten oder
Verbände im Ausland. Sie rechnen mit ihrem Einfluß, eine Milderung des Urteils zu erwirken. "Französische Kriegsgerichte haben kein Recht, auf deutschem Boden, den sie widerrechtlich besetzt haben, über die Freiheit oder gar über Leben und Tod von Deutschen zu befinden," heißt es in der deutschen Note an den französischen Präsidenten. Von neutraler Seite wird das fremde Militärtribunal als eine "freche Komödie zur Ermordung deutscher Vaterlandsverteidiger" bezeichnet! Die französische Zeitung Gaulois begründet das Urteil als Warnung an die Bevölkerung an Rhein und Ruhr derart, daß je mehr Frankreich gefürchtet werde, um so stärker werde es sein, um so mehr beschleunige es die Lösung, und diese Lösung sei die endliche und völlige Unterwerfung Deutschlands unter den Willen der Sieger! Es muß als eine schmerzliche Tragik unseres Kontinents angesehen werden, daß die zwischen Deutschland und Frankreich über die Jahrhunderte bestehende "Erbfeindschaft" von England im Zuge seiner "balance-of-power-Politik" bewußt geschürt und erhalten wurde. Erst in jüngster Zeit, nach vielen leidvollen Erfahrungen, scheint die Einsicht sich Bahn gebrochen zu haben, daß eine deutsch-französische Feindschaft das Ende Europas bedeutet. Die unter englischer Zensur erscheinende Kölnische Zeitung kommentiert das Verfahren der Franzosen: "Gegen den Versailler Vertrag, der Deutschland ohnedies grausam genug knebelt, brechen die Franzosen in ein Gebiet ein, und zwar mancherorts mit einer Rücksichtslosigkeit, einem offenbaren Haß, als stünden sie nicht einer ihnen mindestens gleichwertigen Kulturnation gegenüber, sondern barbarischen Stämmen irgendeines dunklen Erdteils. Wenn deshalb unter den Deutschen ein wilder Haß gegen die Eindringlinge emporflammt, so haben sich die Franzosen das selbst zuzuschreiben. Wenn die Sache umgekehrt läge, wenn die Deutschen in Frankreich in der Rolle aufträten, die die Franzosen jetzt in Deutschland tragieren, dann würde selbstverständlich die Welt überschwemmt werden mit Lobpreisungen auf den edlen Märtyrer." Man darf getrost annehmen, daß in einem solchen Falle auch die französische marxistische Presse ihre Märtyrer gefeiert hätte. In Deutschland dagegen war das Gegenteil der Fall (mit Ausnahme einer Schlageter ehrenden Rede Karl Radeks, Mitglied des Zentralkommitees der KP Sowjetrußlands und des Präsidiums der Kommintern). "Vielleicht ist dies die allerschlimmste Wirkung einer Niederlage,"- schreibt Rolf Brandt, "daß dem Gefühl für nationale Ehre in manchen Teilen des Volkes das Rückgrat gebrochen wird." Das war 1926 geschrieben. Heute müßte es leider nicht "manche", sondern "die Masse des Volkes" heißen! Dr. Marx und Dr. Sengstock, die Verteidiger von Schlageter und Sadowski, legen innerhalb der vorgeschriebenen 24 Stunden Revision ein. Doch alle ihre Revisionsgründe werden mit Stimmeneinheit der Franzosen zurückgewiesen. Die Vermutung liegt nahe, daß die Ablehnung des Antrags schon vorher feststand. Es bleibt nur noch der Versuch, auf dem Gnadenweg eine Milderung zu erreichen. Doch hier zeigt Schlageter sich in seiner ganzen menschlichen Größe und männlichem Stolz: Er lehnt jedes
Gnadengesuch kurz und bestimmt mit den Worten ab: "Lieber Herr Rechtsanwalt, ich danke Ihnen und Dr. Marx für Ihre gute Absicht. Ich kann diese Absicht nicht verwirklichen helfen. Ich bin nicht gewohnt, um Gnade zu betteln." Jetzt erst, zu diesem späten Zeitpunkt - von Schlageter selbst nie erwähnt taucht ein Brief von einem Dr. Becker aus Würzburg auf, in dem dieser als Augenzeuge schildert, wie Schlageter in Oberschlesien in ritterlicher Weise ein Dutzend Franzosen vor dem sicheren Tode gerettet hat. Ferner, daß er im Juni 1921 in Ratibor einen französischen Offizier unter eigener Lebensgefahr von einer wütenden Volksmenge befreit hatte. Dieses Schreiben war dem französischen Ministerrat vor der Entscheidung über die Begnadigung vorgelegt worden. Poincarés Rivale, Tardieu, hatte eine noch systematischere Ausplünderung der Ruhr gefordert. Am 25. Mai schloß Poincaré seine Rede vor der Kammer mit einem Überraschungsstreich: Theatralisch schmetterte seine harte Stimme seinem Gegner entgegen: "Und das wagen Sie mir zu sagen in der Stunde, da ich gerade den Befehl zur Erschießung Schlageters nach Düsseldorf gesandt habe!" Es war eine bewußte, der Erhaltung seiner Macht dienende Lüge, um den Deputierten zu beweisen, wie brutal er an der Ruhr durchzugreifen bereit war. Eine Lüge und ein schäbiger innerpolitischer Schachzug, weil dieser Befehl noch gar nicht existierte! Jetzt, nachdem er sich festgelegt hatte, gab es auch angesichts des Schlageter entlastenden Briefes für ihn kein Zurück mehr, wollte er nicht sein Gesicht verlieren. Wessen Herz nicht von Stein ist, wird nur mit Ehrfurcht die Briefe lesen, die Schlageter nach seinem Todesurteil an seine Lieben daheim richtet. Er beklagt nicht sein eigenes Schicksal, sondern denkt nur an seine Eltern, denen er diesen Schmerz zufügen mußte. "Liebe Eltern und Geschwister!" schreibt er am 10. Mai, "Seit 1914 bis heute habe ich aus Liebe und reiner Treue meine ganze Kraft und Arbeit meiner deutschen Heimat geopfert. Wo sie in Not war, zog es mich hin, um zu helfen. Das letzte Mal hat mir gestern mein Todesurteil gebracht... Liebe Mutter! Lieber Vater! Das Herz droht zu brechen bei dem Gedanken, welch gewaltigen Schmerz und welch große Trauer Euch dieser Brief bringt..." Und in einem anderen Brief: "Die Größe meiner Strafe kann mich nicht schrecken. Wäre ich allein auf der Welt, wüßte ich überhaupt nicht, was es Schöneres geben könnte, als fürs Vaterland zu sterben. Aber um Euch habe ich gebangt, Tag und Nacht. Hätte ich Euch das ersparen können, so wäre ich gern zwei- oder dreimal vor die Kugel getreten. Bleibt weiter so tapfer..." Hauenstein bleibt mittlerweile nicht untätig. Bis ins Kleinste ist eine Aktion zur Befreiung Schlageters vorbereitet, als er und zwei weitere Ruhrkämpfer plötzlich auf Befehl des preußischen Innenministers, Carl Severing, in
Barmen verhaftet werden. Nach Ansicht der Polizei verstößt Hauensteins Organisation gegen das Gesetz zum Schutz der Republik! Sogar seine zeitweise Freilassung zur Durchführung der Befreiung Schlageters wird abgelehnt. Es ist ein bitterer Geschmack für diese Patrioten, daß sie von deutscher Polizei wie Verbrecher behandelt werden. Von Deutschen, die sich zu Handlangern der Franzosen machen! Hauenstein äußert sich später zu diesen Ereignissen: "Wenn ich bis zu diesem Augenblick die in Deutschland herrschenden Regierungsgewalten abgelehnt habe, seit diesen Stunden habe ich die Gewißheit, daß eine Abrechnung mit den Verantwortlichen dieses Systems kommen muß. Und wir werden unsere Rechnung präsentieren, das sind wir unseren Kameraden und Schlageter schuldig!" Nahezu zehn Jahre nach den Ereignissen wird Hauenstein und einigen seiner Kameraden aus parteipolitischen Gründen von Paragraphenreitern der Justiz ein umständliches Strafverfahren angehängt - wegen in Oberschlesien ausgeschalteter deutscher Spitzel und Verräter! Ein trübes Kapitel deutscher Geschichte, das erst mit einer späteren Amnestievorlage beendet wird, die alle Femetäter außer Verfolgung setzt. Bei einem Erinnerungstreffen der Erstürmer des Annaberges im Großen Saal von Gogolin spricht Hauenstein die Anwesenden mit den folgenden Worten von der Bühne an: "Wir sind meist allein gestanden, nur auf uns selbst und auf wenige Gleichgesinnte angewiesen. Wir haben uns gegen unseren eigenen Staat zur Wehr setzen müssen. Das ist unser Schicksal. Unser Weg ist noch nicht beendet. Ohne nach rechts oder nach links zu schauen, geht er unbeirrbar geradeaus. Die Befreiung unseres Volkes vom äußeren und vom inneren Feind, das ist das ferne Ziel, das uns vorschwebt, und das wir durch Taten erreichen wollen, ohne Rücksicht, ob andere uns folgen oder nicht. Ruht euch nicht aus und bewundert Vergangenes, sondern reißt euch und andere vorwärts zu neuen Taten!" Die weite Halle erzittert in tosendem Beifall.
Die letzen Tage Sowohl der Gefängnispfarrer Faßbender wie Dr. Sengstock berichten, wie Schlageters Verhalten nach dem endgültigen Todesurteil selbst dem Gegner zunehmende Bewunderung abnötigt. In den kurzen Gesprächen, die ihm mit seinem Geistlichen oder seinem Anwalt in der Zelle erlaubt sind, spricht er von seinem Elternhaus, seiner Heimat, von den Kämpfen
der Freikorps, aber so gut wie nie von sich selbst. Daher wußten auch nur diejenigen von seinen Leistungen, die selbst als Augenzeugen dabeigewesen waren. Wie ein Blitz trifft Pfarrer Faßbinder in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai die Nachricht, daß Schlageter um 4 Uhr erschossen wird. Nur unter großen Schwierigkeiten erkämpft der Geistliche seine Zulassung zu Schlageters Zelle. Nur Minuten sind ihm für Beichte und Kommunion gewährt. Der französische Beamte, in dessen Händen die Vorbereitungen zur Exekution liegen, - ein Freimaurer - erklärt zynisch, eigentlich solle der Gefangene überhaupt keinen geistlichen Beistand sehen und weiter, daß nach 300 Erschießungen eine Hinrichtung für ihn nichts Neues sei und daß er ihr ruhig mit der Zigarette im Mund beiwohnen könne. Schlageter wird jäh aus ahnungslosem Schlaf gerissen. Die französischen Soldaten umstehen sein Bett, blenden ihm ins Gesicht und erklären brüsk, daß er in einer Stunde erschossen werde. Schlageter erbittet eine Minute für einen Abschiedsbrief an seine Lieben. Mit fester Hand, ohne das geringste Zittern, schreibt er seinen letzten Gruß an seine Eltern, seine Geschwister und seine Heimat. "Also dann auf ein frohes Wiedersehen im Jenseits", schließt er die wenigen Zeilen. Keines von seinen Geschwistern bleibt vergessen. Selbst das Datum fehlt nicht. Er hat sich vollkommen in der Gewalt. Keine Erregung zeigt sich in seinen männlichedlen Zügen, in denen sich Güte mit Bestimmtheit so harmonisch paaren. Sein höfliches Benehmen steigert zunehmend die Hochachtung der französischen Soldaten, die ihn jetzt ebenso höflich, fast kameradschaftlich behandeln. Auf dem Weg zur Golzheimer Heide, dem Ort der Hinrichtung, warten eine Kolonne Automobile, eine Schwadron Kavallerie und drei Infanteriekompanien. Anscheinend fürchten die Franzosen auch jetzt noch, daß Schlageters Kameraden ihn in einer Verzweiflungstat befreien könnten. Seine Begleiter, die deutschen Geistlichen und Anwälte, sind von Schlageters bewunderungswürdiger Haltung zutiefst erschüttert. Seine letzten Worte an sie: "Grüßen Sie mir meine Eltern, Geschwister und Verwandten, meine Freunde und mein Deutschland!" Dann geht er aufrecht und festen Schrittes auf den für die Erschießung errichteten Pfahl zu.
Eine Gewehrsalve zerreißt die Stille der Morgendämmerung. Ein Herz, das sein Land und sein Volk mehr liebte als sein eigenes Leben, hat aufgehört zu schlagen - ein starkes und mutiges Herz wie das des auf Befehl Napoleons erschossenen Tiroler Freiheitskämpfers, der Schillschen Offiziere oder des Buchhändlers Palm! Schlageter war gerade 28 Jahre alt. Der das Exekutionskommando befehligende französische Offizier senkt in Ehrfurcht seinen Degen vor der sterblichen Hülle des Mannes, der hunderte Male sein Leben für Deutschland gewagt hatte und der als ein wahrer Held für sein Volk gestorben war.
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Ich hatt' einen Kameraden Der bei der Exekution anwesende französische Arzt erklärt Dr. Sengstock gegenüber: "Manchen Menschen habe ich schon sterben gesehen. Aber so mutig und gefaßt wie diesen tapferen preußischen Offizier noch keinen. Wenn ich einmal auf ähnliche Weise den Tod erleiden müßte, so wünsche ich mir, daß ich so mutig und heldenhaft ihm entgegensehen kann wie er." Und der französische Staatsanwalt Dumoulin ebenfalls zu Dr. Sengstock: "Es ist unmöglich, daß ein Mann so tapfer und heldenhaft stirbt, wenn nicht sein Handeln, das ihn zum Tode geführt hat, von edelster, reinster und uneigennütziger Vaterlandsliebe diktiert ist." Dem toten Schlageter werden von einer Kugel durchbohrte Schriftstücke entnommen. Darin finden sich u.a. die Worte: "Sei was du willst, aber was du bist, habe den Mut, ganz zu sein!" Ein Ausspruch, nach dem Schlageter sein eigenes Leben gestaltete. "Denn er gehörte zu denen, die ein hohes Ziel haben und ihm mutvoll zustreben." Von einem im Baltikum in finnischer Sprache entdeckten Lied hatte er sich den Schlußvers ins Gedächtnis eingegraben:
Die Flagge muß wehen, wenn der Mann auch fällt! Die am Morgen des 26. Mai durch die Presse gehende Nachricht von der Ermordung Schlageters wirkt im In- und Ausland wie ein Donnerschlag. Am Sonntag, dem Tag nach der Erschießung, ist Schlageters Grab das Ziel einer ständig wachsenden Menschenmenge. Die Heimfahrt nach Schönau wird zu einem wahren Triumphzug. Wo der Zug hält, wird der mit der Reichskriegsflagge bedeckte Sarg Schlageters von riesigen Menschenansammlungen mit Bergen von Kränzen begrüßt. In Freiburg, der letzten Station, ist die Studentenschaft, an der Spitze Schlageters ehemalige Verbindung, aufmarschiert. An seinem Grabe in Schönau erwarten ihn die Kameraden des Feldartillerieregiments 76, wieder die Freiburger Korporationen und alle Schichten des Volkes. "Als die Fahnen sich über das offene Grab senken," schreibt Pfarrer Faßbender, "da war es, als wenn der Tote als letzte Mahnung einem jedem zugerufen habe: SEID EINIG WEIL DIE EINIGKEIT ALLEIN DEM GEKNECHTFTEN VATERLAND WIEDER AUFHELFEN KANN! Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg wurde das von Professor Clemens Holzmeister entworfene und am 23. Mai 1931 eingeweihte Schlageterdenkmal, das mit seinem aus Kruppstahl gegossenen Kreuz weit über die Golzheimer Heide ragte, nicht auf Befehl der Besatzungsmächte, sondern durch den Beschluß einer von der CDU bis zur KPD reichenden Stadtabgeordnetenversammlung dem Erdboden gleichgemacht und durch ein Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus ersetzt! Auf dem Sarkophag hatten die Worte des Arbeiterdichters Heinrich Lersch gestanden: DEUTSCHLAND MUSS LEBEN, AUCH WENN WIR STERBEN MÜSSEN! Damals waren 50.000 Menschen zu einer überwältigenden Feierstunde des Gedenkens mit einer Ansprache des ehemaligen Reichskanzlers Cuno erschienen! Auch Schlageters Denkmal in Schönau wurde im Juni 1985 von unbekannten Tätern geschändet, Ausdruck einer seelischen Verkommenheit, die in keinem anderen Land der Welt möglich wäre! Jedes Volk, das nicht charakterlich zutiefst versumpft ist, würde sich an die Taten eines Schlageter mit Stolz und Dankbarkeit erinnern. "Das Denkmal wurde vernichtet," schreibt Wolfram Mallebrein, "aber der Geist Schlageters, der Geist hingebungsvoller Aufopferung für das Vaterland wird in der heranwachsenden Jugend weiterleben."
Schrifttum Brandt, Rolf, Albert Leo Schlageter; Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg 1926. Degrelle, Leon, The Poles of Ruhr; The Barnes Review, Okt. 1996, S. 27. Faßbender, Roggendorf, Sengstock, Albert Leo Schlageter; Gesellschaft für Buchdruckerei und Verlag, Düsseldorf 1938. Glombowski, Friedrich, Organisation Heinz (O.H.); Reimar Hobbing, Berlin 1934. Höffkes, Karl, u. Uwe Sauermann, Albert Leo Schlageter; Arndt, Kiel 1983. Mallebrein, Wolfram, Albert Leo Schlageter. Ein deutscher Freiheitskämpfer; K. W. Schütz, Preußisch Oldendorf 1990. Salomon, Ernst von, Der Fragebogen; Rowohlt, Hamburg,1951. Tötter, Heinrich, Warum wir den Ruhrkampf verloren; Westdeutscher Beobachter, Köln 1940. Venner, Dominik, Ein deutscher Heldenkampf. Die Geschichte der Freikorps 1918-1923; Arndt, Kiel 1989. Volck, Herbert, Rebell um Ehre; Brunnen-Verlag, Berlin 1931.
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Anhang Das amtliche Ergebnis für das Abstimmungsgebiet Allenstein lautete nach den Angaben der Interalliierten Kommission: Allenstein Stadt 16.742 deutsch
342 polnisch
(2,00 v.H.)
Allenstein Land 31.486 deutsch 4.902 polnisch (13,47 v.H.) Johannisburg
34.036 deutsch
14 polnisch
(0,04 v.H.)
Neidenburg
22.233 deutsch
330 polnisch
(1,46 v.H.)
Lötzen
29.378 deutsch
9 polnisch
(0,03 v.H.)
Lyck
36.534 deutsch
44 polnisch
(0,12 v.H.)
Ortelsburg
48.204 deutsch
511 polnisch
(1,05 v.H.)
Osterode
46.385 deutsch 1.043 polnisch
(2.20 v.H.)
Rössel
35.252 deutsch
758 polnisch
(2.10 v.H.)
Sensburg
34.334 deutsch
25 polnisch
(0.07 v.H.)
Oletzko
28.625 deutsch
2 polnisch (0.007 v.H.)
Das Abstimmungsdenkmal in Allenstein: "Wir bleiben deutsch!"
Für das Abstimmungsgebiet Marienwerder lautete das Ergebnis: Marienburg
17.805 deutsch
191 polnisch
(1.06 v.H.)
Marienwerder 26.607 deutsch 1.779 polnisch
(6.27 v.H.)
Rosenberg
33.498 deutsch 1.073 polnisch
(3.10 v.H.)
Stuhm
19.984 deutsch 4.904 polnisch (19.70 v.H.)
N.B.: Auf Anweisung des Obersten Alliierten Rates in Paris wurden die im Grenzgebiet liegenden Dörfer Klein-Lobenstein, Klein-Nappern und
und Kleinfelde an Polen abgetreten.
Albert Leo Schlageter Ein deutscher Freiheitsheld www.wintersonnenwende.com