Götter and Barbaren von Jo Zybell
Hier oben im Inneren der Kommandozentrale klang das Sirren der Teflonketten, als wür...
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Götter and Barbaren von Jo Zybell
Hier oben im Inneren der Kommandozentrale klang das Sirren der Teflonketten, als würde draußen am Rumpf des EWATs ein unendlicher überdimensionaler Reißverschluss zugezogen. Manchmal peitschten Äste von außen gegen die Kettenschienen des langen Fahrzeugs. Von Zeit zu Zeit knallte auch ein umgestürzter Baum von unten gegen den Rumpf. Das Geräusch ließ Commander Eve Carlyle jedes Mal zusammenzucken. Das dumpfe Gehämmer erinnerte sie an den Angriff der Nordmänner vor drei Tagen. Deren Axthiebe hatten ähnlich geklungen. Jedem einzelnen Besatzungsmitglied steckte der Schreck noch in allen Knochen - obwohl die primitiven Metalläxte die Außenhülle der EWATs nicht hatten durchdringen können. Sie bestand aus einer molekularverdichteten Titan-Carbonat-Legierung.
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Die Ingenieure der Community hatten nicht zu viel versprochen. Schon über viele hundert Meilen hatten sich die beiden Prototypen des neuen Expeditionsfahrzeugs bewährt. In der Luft, zu Wasser und auf festem Boden. Der Überfall der Nordmänner hatte nicht mehr als ein paar Kratzer auf der Außenhülle hinterlassen. Unwillkürlich musste Eve Carlyle auch an das denken, was die Ingenieure über die Sichtkuppeln der EWATs gesagt hatten: »Die Achillesferse« der Earth-Water-Air-Tanks hatten sie die Kuppeln genannt. Aber natürlich waren auch sie nicht mit primitiven Metallwaffen zu zerstören. Commander Eve Carlyle lauschte auf das ferne Summen des Nukleargenerators. Ein beruhigendes Geräusch. Es verkündete Zuverlässigkeit. Überlegenheit über die bedrohliche Wildnis außerhalb der EWATs. Und über die feindlichen Barbaren, die hinter der Expedition her waren. Commander Eve Carlyle liebte dieses leise Summen. Sie stand hinter dem Pilotensessel. Captain Spencer Dewlitts Finger flogen über die kleine Tastatur der zentralen Steuereinheit. Rechts und links des Fahrzeugs glitten mächtige Buchenund Eichenstämme vorbei. Der Captain steuerte den EWAT sicher durch den Urwald. Hin und wieder scharrte ein tiefhängender Ast über die Sichtkuppel. Durch die von innen glasklare und von feinen Leitungen durchzogene Kuppel hindurch blickte Carlyle seitlich in den Wald hinein. In etwa zweihundert Metern Entfernung wühlte sich der zweite EWAT durch das Dickicht zwanzig Meter lang, nicht ganz drei Meter breit und zweieinhalb Meter hoch. Das dunkelgrüne, viergliedrige Fahrzeug sah aus wie eine zu kurz geratene Riesenschlange. Und ähnlich wendigundschnellschlängelteessichzwi-schen den Stämmen der Baumriesen hindurch. Tiefschwarze Kuppeln wölbten sich am stumpfen Heck und am spitz zulaufenden Bug des EWATs. Die Sichtkuppeln waren von außen nicht einsehbar. Kaum erkennbare Teleskoplamellen verbanden die vier Fragmente des EWATs miteinander. Jedes Fragment verfügte über eine
autarke Laser-Sensoren-Navigation. Eine simple, aber in unübersichtlichem Gelände unübertroffene Technik. Die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen betrug weniger als 0,1 Prozent. »Der Wald lichtet sich.« Captain Dewlitts hohe Stimme. Carlyle hob ihren schmalen haarlosen Kopf und betrachtete das PanoramaDisplay über dem Frontbogen der Sichtkuppel. Das Display zeigte im Wesentlichen dasselbe Bild wie der Blick aus der Kuppel: Bäume, Büsche, Gestrüpp. Mit einem Unterschied: Der Navigationsrechner blendete eine fast baumlose Fläche, ein paar Hügel und ein skurril aufragendes Objekt in den Bildhintergrund ein. Commander Eve Carlyle wandte sich an den Navigator hinter ihr. Tief in seinen Schalensessel verkrochen beobachtete er den Monitor auf seiner schmalen Instrumentenkonsole. »Was ist das?«, wollte sie wissen. Die kleinen schmalen Finger des Navigators wirbelten über die Tastatur. Das Bild wurde schärfer, die Struktur des merkwürdigen Dings schälte sich aus den wuchernden Pflanzenschichten und wurde deutlicher, - man sah Verstrebungen, Gestänge, einen kastenförmigen Rumpf. »Irgendwas aus Metall«, sagte der Navigator. »Steht fast am gegenüberliegenden Waldrand.« »Das Wrack eines Schaufelradbaggers.« Wieder die hohe Stimme des Captains. Der Navigator holte eine alte Landkarte auf das Kuppeldisplay. Carlyle betrachtete sie und nickte. »Kann hinkommen. Südlich von Leipzig haben sie früher Energieträger aus der Erde gekratzt.« »Braunkohle«, bestätigte Captain Spencer Dewlitt. »Geben Sie mir ein exaktes Geländeprofil und intensivieren Sie den Infrarot-Taster«, befahl der Commander. Sie erreichten den Waldrand. Auf dem Panoramadisplay erschien eine von dichtem Buschwerk überwucherte Terrassenstruktur. Etwa dreihundert Meter vom Waldrand entfernt fiel sie in flachen Stufen ab. »Tatsächlich«, sagte Carlyle. Spuren von Tagebau.« Sie trat näher an das Display heran. An der Oberkante des Terrassenabhangs
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bewegten sich kleine Schemen. »Wärmeabstrahlungen organischer Körper!«, rief Carlyle. »Menschen.« Spencer Dewlitts hohe Stimme klang plötzlich merkwürdig heiser. »Die Nordmänner?« Die letzten Bäume des Waldes schoben sich an der Sichtkuppel vorbei. Der Gestrüppteppich einer weiten Ebene öffnete sich. Dazwischen vereinzelte Birken. »Verdammt!«, fauchte Eve Carlyle. »Sie wollen uns den Weg abschneiden! Woher kennen die unseren Kurs?!« »Drehen wir um?«, fragte der Navigator. »Wenn sie wissen, dass wir an der Stelle den Wald verlassen werden, sind sie auch hinter uns«, warf Dewlitt ein. Er wandte sich um und blickte den Com-mander fragend an. »Fertig machen zum Schwebeflug!« . Commander Eve Carlyle griff zum Bordmikrofon. »Commander an Gefechtsstand.« »Gefechtsstand hört.« »Wecken Sie die anderen beiden und fahren Sie den Geschützturm aus. Wir müssen mit Feindberührung rechnen!« »Verstanden!« »Fahre Ketten ein, baue Magnetfeld auf, spreize Gleitschwingen«, sagte Captain Spencer Dewlitt. »Kurs?« »Steuern Sie den Fluss im Wessen an!« Carlyle funkte den zweiten EWAT an. »Commander an ark 2, kommen!« »Ark 2 hört, ark l kommen.« »Verdächtige Wärmequellen zweihundertdreißig Meter vor uns! Vermutlich die Nordmänner. Gefechtsklar machen und starten, sobald Sie den Wald verlassen haben!« »Verstanden!« »Geschützkranz klar!«, kam es aus dem Gefechtsstand. »Verstanden«, sagte der Commander. »Wir feuern nur, wenn wir angegriffen werden!« »Ihr Humanismus in Ehren, Commander Carlyle.« Dewlitt zog missbilligend die Brauen hoch. »Aber diese Barbaren haben noch nicht bewiesen, dass sie so viel Rücksichtnahme verdient haben.« »Wir dürfen nichts unterlassen, was den Erfolg der Expedition sichert«, pflichtete der
Navigator ihm bei. »Nicht weit von hier wartet eine kleineCommunity auf unsere Hilfe.« »Ich bin der Commander!« Carlyles schmales Frauengesicht verhärtete sich. »Und ich sage: Wir schießen nur zurück, wenn wir angegriffen werden.« Ein sanfter Ruck ging durch den E WAT. Langsam hob das Fahrzeug ab. Das Buschland fiel unter ihnen zurück; sie blickten auf erste Baumwipfel. In einer weiten Linkskurve steuerte Dewlitt das Gerät Richtung Westen. Carlyle sah die grüne Spitze von ark 2 aus dem Waldrand stoßen. Die Ketten des EWATs pflügten Büsche und kleine Bäume um. Aus dem Fragment hinter dem spitz zulaufenden Bugteil schraubte sich ein stumpf er Turm. Ein Dutzend Teleskoprohre bohrten sich aus seiner Oberfläche, nicht länger als einen Meter und kaum daumendick. »Ark l an ark 2, kommen!« Die Stimme des Captains im zweiten Fahrzeug klang erregt. »Ich höre!« Carlyle lauschte. »Metallene Objekte über fast sechshundert Meter am ganzen Waldrand verteilt!« »Starten Sie!«, rief Carlyle. Aus schmalen Augen belauerte sie das Panoramadisplay. »Laser! Abtasten! Vergrößern!« Sie bellte ihre Befehle an den Navigator heraus. Und dann sah sie die Objekte - in genau gleichem Abstand voneinander lagen sie am Waldrand versteckt. Kanonen der Nordleute! »O Gott!«, brüllte Dewlitt plötzlich. Er deutete nach unten. Eve Carlyle presste die Hände an die Kuppel und starrte auf die Buschlandschaft hinunter: Das Steuerfragment von ark 2 war in einer Erdrinne verschwunden. Das Fragment mit dem Geschützkranz hing schräg über ihm in der Rinne. Der Gefechtsturm hatte sich in der Steilwand der Bodenspalte verkeilt. »Eine Falle ...!« Der Captain drehte sich zu Carlyle um. »Wir sind in eine Falle geraten!« »Kümmern Sie sich um Ihre Instrumente, Captain!«, rief ihn Carlyle zur Ordnung. Fast im gleichen Moment erklangen drei, vier Detonationen am Waldrand. Geschosse schlugen etwa hundert Meter entfernt von dem havarierten EWAT im Buschland ein. Von zwei Seiten wurde das
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Fahrzeug unter Feuer genommen. »Ark 2 an ark l! Wir können die Ketten nicht mehr ausfahren!« »Magnetfeld?!« Carlyles Stimme zitterte. »Instabil! Und die Luftkissen sind nur bei den hinteren beiden Fragmenten aktivierbar! Das ist zu wenig, um den EWAT...!« »Versuchen Sie es mit den Bremsdüsen am Bug!« Wieder schlugen Geschosse im Buschland ein. Diesmal sechs Explosionen und nur noch vierzig bis sechzig Meter von ark 2 entfernt. »Eliminieren Sie die Objekte am Waldrand!«, schrie der Commander in den Bordfunk. Der Captain steuerte das EWAT ein Stück ins Buschland hinein, um die Schussposition zu verbessern. »Feuer!« An sechs, sieben Stellen schien plötzlich der Waldrand zu explodieren. Glutbälle blähten sich zwischen den Bäumen auf, Rauchpilze wuchsen über den Baumwipfeln. Die Feuerblasen zerplatzten; an den Stellen, wo der Strahler getroffen hatte, brannte der Wald. Atemlos blickte Carlyle hinunter zum zweiten EWAT. Eine Fontäne aus Erde, Glut und Qualm schoss aus der Bodenspalte. Die ineinander verkeilten Fragmente des Fahrzeugs bäumten sich auf und prallten wieder zurück in die Büsche. Der Pilot versuchte die Maschine mit den Bremsdüsen aus der Spalte zu drücken. »Sehen Sie sich das an, Commander!«, ächzte der Captain. Carlyles Hände umklammerten die Lehne seines Pilotensessels. Über seine Schulter gebeugt spähte sie zum Frontbogen der Sichtkuppel hinaus. In dicht gestaffelten Angriffsreihen liefen braun gekleidete Gestalten durch das Buschland. Sie trugen Äxte, Spieße und Schwerter. Immer mehr kletterten über die Kante der Terrassensenke. Einige zerrten Geschütze hinter sich her. »Ark 2 an ark l - wir schaffen es nicht!« Die Stimme aus dem Lautsprecher überschlug sich. »Commander an ark 2 - aktivieren sie die Selbstzerstörung und steigen Sie über das Heckfragment aus!« In der Front der Angreifer blähten sich drei Glutbälle auf. Die Besatzung des
Gefechtsstandes hatte zwei der primitiven Kanonen getroffen. Flammen schlugen an drei Stellen aus dem Buschland. Und noch einmal entstand wie aus dem Nichts ein Glutball. Aber es waren viel zu viele Angreifer. »Ark 2 an Commander - geben Sie uns auf! Der Erfolg der Expedition ist wichtiger als unser Leben! Wir eliminieren uns zusammen mit der Maschine!« »Ich sagte: Selbstzerstörung aktivieren und aussteigen! Wir holen Sie raus!« Eve Carlyle packte Dewlitt bei der rechten Schulter und beugte sich zu ihm hinab. »Landen Sie in der Nähe des Hecks!« Dann ins Bordmikro: »Schleusen aktivieren, Schutzanzüge anlegen, LP-Waffen mitnehmen!« »Das ist gefährlich, Commander...«, flüsterte der Navigator. »Was ist schon ungefährlich?« Commander Eve Carlyles Stimme klang plötzlich rau und sarkastisch. Die Kaumuskulatur wölbte sich aus ihrem schmalen bleichen Gesicht. »Stellen Sie die Zerstörungsautomatik unseres EWATs auf vierzig Minuten ein. Den Barbaren darf nicht mal ein Trümmerstück in die Hände fallen. Und setzen Sie einen Notruf an die Community ab ...« Der Navigator schluckte. Carlyle zog ihren Schutzanzug aus einer Wandbox. »Machen Sie schon!«, herrschte sie Dewlitt an. »Runter mit der Maschine!« In engen Bögen schraubte sich der EWAT zur Bodenspalte hinab. Aus dem Heck der havarierten Maschine kletterten die ersten beiden der sechs Besatzungsmitglieder. Sie trugen silbergraue Schutzanzüge. Zwei Kanonenkugeln schlugen kurz hintereinander in der Bodenspalte ein. Der EWAT bäumte sich auf und rutschte noch tiefer in die Rinne. Die Front der Angreifer war nicht einmal mehr hundert Meter entfernt. Eve Carlyle holte ihr LP-Gewehr aus der Box und entsicherte es. »Wir sehen uns wieder!«, presste sie hervor, bevor sie ihren Helm schloss. Und fügte in Gedanken hinzu: Hier oder im Jenseits ...
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Was bisher geschah
Am 8. Februar 2012 trifft ein gewaltiger Komet die Erde und stürzt sie ins Chaos. Weite Teile von Russland werden ausradiert, die Erdachse verschiebt sich und durch den aufgewirbelten Staub legt sich ein fahles Leichentuch um den Planeten. Eine Jahrhunderte währende Eiszeit beginnt - und als sie endlich endet, ist die menschliche Zivilisation zerstört. Mutationen aller Couleur bevölkern die Länder, unheilvolle Religionen sind entstanden, Nomaden durchstreifen die verwüsteten Landschaften. Diese Degeneration der Menschheit und die zahlreichen Mutationen sind aber nicht allein mit der Katastrophe zu erklären; dahinter muss noch mehr stecken! Einige Menschen haben den Kometeneinschlag jedoch relativ unbeschadet überstanden: die Piloten einer Dreierstaffel Stratosphärenjets, die »ChristopherFloyd« beobachten und Daten über einen letzten Raketenbeschuss sammeln sollten. Durch die Druckwelle des Kometen, die das Raum/Zeit-Kontinuum verzerrt, werden die Jets in eine ferne Zukunft katapultiert - in die Zeit etwa hundert Jahre nach der Eiszeit. Einer jener Piloten ist Commander Matthew Drax, der südlich der Alpen notlandet und von einem Barbarenstamm gerettet wird. Sein Kopilot, Professor Dr. Smythe, konnte sich zuvor mit dem Schleudersitz retten. Matt Drax wird von der Kriegerin Aruula, die leichte telepathische Fähigkeiten aufweist, gesund gepflegt. Sie nennt ihn »Maddrax«. Später macht er sich mit ihr auf, seine fünf Kameraden zu suchen. Bei zweien hat er kein Glück: Captain Irvin ehester wurde von den »Göttern von Roo-ma« mit mutierten Früchten in eine hirnlose Kampfmaschine verwandelt; Matthew kann ihm nur noch einen gnädigen Tod gewähren. Smythe wurde wahnsinnig, will mit einem Volk blutsaufender Mutanten die Weltherrschaft übernehmen und stürzt sich in eine Monstergrube, als Matt seine Pläne durchkreuzt. So geht Matthew Drax' Odyssee weiter -noch hat er die Hoffnung, die restlichen Mitglieder seiner Crew auf dem ehemaligen LuftwaffenStützpunkt bei Berlin zu finden: Jennifer Jensen, Hank Williams und den Astrophysiker David McKenzie. Aruula ist bei der gefährlichen Suche an seiner Seite ... Endlich erreicht Matthew Drax seinen ehemaligen Stützpunkt bei Berlin und muss erkennen, dass sich auch hier einiges geändert hat. Unter anderem hat sich die »Frauenquote« im Reichstag stark erhöht. Denn dort herrschen die Frawen, ein Amazonenstamm, der nach jahrhundertelanger Unterdrückung den Spieß umgedreht und die Menen versklavt hat. Männer werden nur noch für die Paarung eingefangen und anschließend gleich getötet. Matt hat »Glück« - er wird als Partner für die Königin auserwählt und hat damit immerhin Anrecht auf einen besonders schnellen Tod. Nur ein Wunder kann ihn jetzt noch retten...
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Es war der vierzehnte Tag, nachdem sie das falsche Ethera verlassen hatten, das gespenstische, von Reptilienwesen beherrschte München. Dichter Wald stand am Flussufer. Auf der rechten Uferseite schob sich eine Trauerweide heran. Davor und vor allem dahinter wucherte eine Schilffläche bis ins Wasser hinein. »Dieser Fluss wird bald durch eine Stadt führen«, sagte Matt. »Vielleicht schon in weniger als zwei Stunden.« Er war mit dem Oberkörper aus seinem Pilotenanzug geschlüpft. Es war heiß. Seine nackte Haut glänzte feucht. Das Paddeln war eine schweißtreibende Angelegenheit. »Was für eine Stadt?« Eine skeptische Falte erschien zwischen Aruula schwarzen Brauen. Mit Ruinenstädten hatte sie keine guten Erfahrungen gemacht. Und nachdem sie auch noch ihr Vertrauen in das sagenhafte Ethera verloren hatte, wog dieses Misstrauen doppelt schwer. »Ich weiß nicht, ob es sie noch gibt.« Matt saß auf der rechten Seite des Floßes. »Früher hieß sie Leipzig. Der Fluss führt direkt hindurch.« In gleichmäßigem Rhythmus stießen sie die improvisierten Paddel ins Wasser. Sie benutzten abgeschälte Rindenblätter. Die Griffseiten hatten sie mit Stofffetzen umwickelt, um sich die Hände nicht an dem rauen Holz wund zu scheuern. Auch Aruula hüllte sich nur noch nachts in ihr Fell. Seit die Tagestemperatur weiter angestiegen war, trug sie nicht mehr als einen Lendenschurz aus Leder an ihrem Körper. Matt genoss das Muskelspiel unter ihrer bronzefarbenen Haut. Ihre schönen Brüste wippten bei jedem Paddelschlag. »Lieber nicht in die Stadt«, sagte sie. »Wo viele Ruinen, ist auch viel Gefahr.« Aruula verstand inzwischen fast jedes Wort, das er sagte. Begriffe, die sie nicht kannte, konnte Matt häufig mit Worten aus der Sprache der Wandernden Völker umschreiben, die er von ihr gelernt hatte. Meistens sprachen sie Englisch. Es klang noch ein bisschen holprig aus ihrem Mund. Aber sie sprach es besser als Matt das Idiom der Wandernden Völker.
Aruula zog ihr Paddel aus dem Wasser und deutete auf die rechte Uferseite. Matts Blick folgte ihrem ausgestrecktem Arm. Am Ufer, unter dem grünen Schleier der mächtigen Trauerweide erkannte er das weitausladende Gehörn und den dunkelbraunen Zottelpelz eines Waku-da-Stiers. Hinter ihm seine kleine Herde. Die wilden Rinder drängten sich ans Flussufer. Zwei Kälber waren dabei. Matt nickte und wies mit einer Kopfbewegung auf das Schilf hinter der Weide. Sie trieben an den Wukudas vorbei und paddelten auf das Schilf zu. Die Tiere nahmen kaum Notiz von ihnen. Seit fast einer Woche hatten sie kein Fleisch mehr gegessen. Zehn Tage lang waren sie von München aus nach Norden gewandert. Durch dichte Urwälder, die sich über glücklicherweise nicht allzu hohe Gebirgsketten zogen. Immer an einer Otowajii entlang, wie die Wandernden Völker die längst vom Wald überwucherten Autobahntrassen nannten. Matt schätzte, dass es sich um die Reste der A 2 handelte. Seiner Karte nach zog sich diese ehemalige Autobahn vom ehemaligen München bis zum ehemaligen Berlin in nord-südlicher Richtung durch fast die ganze ehemalige Bundesrepublik. Und Berlin war sein Ziel. Sein ehemaliger Luftwaffenstützpunkt. »Ehemalig«. Alles war ehemalig. Nach fast einem halben Jahr in dieser Alptraumwelt konnte Matt nicht mehr anders an sein altes Leben denken als an sein ehemaliges Leben, in das es keinen Weg zurück mehr gab. Am zehnten Tag ihrer Wanderung hatten sie die Otowajii verloren. Geländeaufwerfungen, Morast, Krater - die Trasse war einfach verschwunden. Matt hatte sich dafür entschieden, ein Stück nach Osten zu wandern. Seiner Karte nach verlief dort ein Flüsschen namens »Weiße Elster«. Es floss nach Norden. Er hatte den Namen nie zuvor gehört. Und tatsächlich erreichten sie den Fluss. Sie schleppten umgestürzte Bäume heran und bauten ein Floß. Matt hatte bisher nur in Abenteuerbüchern von Flößen gelesen, Aruula aber stellte sich sehr geschickt an. Es war nicht das erste Floß, das sie baute.
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Sie brauchten nur einen Tag dafür. Matt wusste nicht, ob die ehemaligen Flussläufe, wie seine Karte sie verzeichnete, auf dieser »neuen« Erde noch so existierten. Sein Plan war, über die Weiße Elster in die Saale und weiter in die Elbe zu gelangen. Vielleicht existierten noch Überreste des Saale-Havel-Kanals. Dann wäre der Weg nach Berlin keine Weltreise mehr. Oder sie fanden die alte Trasse der A 2 wieder, die die Elbe überquerte und nach Berlin führte. »Hier«, flüsterte Aruula. Sie zeigte auf eine Stelle, an der das Schilf sich lichtete und den Blick auf ein flaches Uferstück freigab. Die Barbarin legte ihr Paddel in die Mitte des Floßes, neben Fellbündel, Ledersack und Matts Notcontainer. Lautlos glitt sie ins Wasser und zog das Floß ans Ufer. Matt streifte sich die Tragriemen seines Ausrüstungscontainers über die Schultern und nahm den Bogen auf, den Aruula unterwegs gebaut hatte. Sie hatte ihm das Jagen mit Pfeil und Bogen beigebracht. Matt war ein gelehriger Schüler gewesen. Aruula schnallte sich die Lederscheide mit ihrem Schwert auf den Rücken und griff sich vier Pfeile. Das musste reichen. Seite an Seite schlichen sie durch das Schilf und pirschten sich an die trinkenden Wakudas heran .. . Eine Detonation zerriss die Stille der Flusslandschaft. Die mutierten Rinder warfen sich herum und galoppierten in den Wald. Matt sprang auf und lauschte. Noch eine Detonation. Und noch eine. Es klang wie der Lärm von ... Geschütze! Das sind Geschütze! Es gibt hier Leute, die Geschütze haben ...! Aruula blickte in den trüben Himmel. »Es ist kein Gewitter«, klärte Matt sie auf. »Komm!« Er rannte in den Wald. Zweige peitschten ihm ins Gesicht, als er über Bruchholz undBaumstrünke sprang. Der Geschützlärm hatte ihn elektrisiert. Wieder der Donner der Geschütze. Es klang nicht nach moderner Artillerie -kein Orgeln, kein Pfeifen von Granaten. Es hörte sich dumpfer und trockener an; die Einschläge explodierten schon kurz nach dem Abschuss. Und dann in kurzer Folge mehrere Detonationen, die ganz anders klangen: lauter, knapper, wie berstender Fels.
Zweihundert Meter voraus lichtete sich der Wald. Matt drehte sich nach Aruula um. Sie war wenige Schritte hinter ihm. Wieder detonierten Geschosse irgendwo jenseits der grünen Wand aus Gestrüpp und Baumkronen. Keuchend hetzte Matt auf den Waldrand zu und brach durch das Unterholz des Waldsaums. Was er sah, ließ ihn für einen Moment an seinem Verstand zweifeln: Ein langes, bogenförmig gekrümmtes Fluggerät näherte sich in weiten Spiralen dem buschbedeckten Boden, vier- oder fünfhundert Meter entfernt. Es war von einem stumpfen Grün und erinnerte Matt an die überlange Lok eines Hochgeschwindigkeitszuges. Nur hatte dieses Fluggerät kurze Tragflächen, und Gleitschienen statt Räder standen schräg aus seiner Unterseite heraus. Es schien aus mehreren miteinander verbundenen Teilen zu bestehen. Matt erkannte lamellenartige Übergänge zwischen den Teilen. Sie erlaubten wohl die Krümmung. Ein stachelartiger Turm ragte aus dem Fragment hinter dem Steuerteil. Etwa fünfzig Schritte weiter wölbte sich das Dach eines zweiten Fluggeräts aus dem Buschland. Es schien abgestürzt zu sein. Die Flügel des landenden Fahrzeugs verschwanden im Rumpf; an den schräg abstehenden Kufen wurden Rollen mit Ketten sichtbar, je zwei Paar pro Fragment. Die merkwürdige Maschine streckte sich und ging zwischen den Büschen nieder. Aus dem Stachelturm zuckten Blitze. In breiter Front stürmten Gestalten auf den Landeplatz zu. Plötzlich blähte sich eine Glutkuppel zwischen ihnen auf und zerplatzte mit ohrenbetäubendem Lärm. Flammen schlugen aus den Büschen. Die Reihe der Angreifer hatte sich gelichtet. Matt duckte sich zwischen die Büsche und bedeutete Aruula das Gleiche zu tun. Er riss sich den Container vom Rücken, öffnete ihn und entnahm ihm den Feldstecher. Er sah sich um. Hundert Schritte weiter ragte ein von Gestrüpp überwuchertes Gebilde auf. Ein wuchtiger hausgroßer Klotz, aus dem sich viele Verstrebungen und ein mastartiger Pfeiler schräg in die Luft erhoben.
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Geduckt rannte Matt los und kletterte an armdicken Ranken auf das Gebilde. Es bestand aus Stahl! Zwischen dem Laub waren riesige Rostlöcher; er sah schwärzliche Verstrebungen und zerrissene Drahtseile. Es musste das Wrack eines Schaufelbaggers sein, das hier unter der Pflanzendecke vor sich hin rostete. Matt erreichte das Dach des Wracks. Auf der anderen Seite ging über flache Buschterrassen gut hundertfünfzig Meter in einen Krater hinab. Ein Braunkohlebergwerk ... Ein ehemaliges Braunkohlebergwerk, korrigierte sich Matt. Er setzte den Feldstecher an die Augen und zoomte den Kampfplatz heran. Zwischen den Büschen um die beiden Fahrzeuge herum entdeckte er etwa zwei Dutzend Angreifer. Sie trugen erdfarbene Hosen und kurzärmelige Westen der gleichen Farbe. Die meisten hatten blondes Haar und trugen Barte. Mit Äxten und Schwertern hieben sie auf die Hülle der havarierten Maschine ein, die Matt nur teilweise erkennen konnte. Von dem Rumpf lösten sich jetzt menschliche Gestalten in silbergrauen Schutzanzügen. Matt zoomte sie näher heran. Und erkannte, dass ihre Köpfe in völlig schwarzen kugelförmigen Helmen steckten. Drei der Gestalten rissen lange rohrförmige Waffen hoch. Gleißende Strahlen bohrten sich in die Büsche und trafen zwei der Angreifer, die sich verkrampften und zuckend zurück fielen. Himmel, was sind das für Menschen? fuhr es durch Matthew Drax' Hirn. Benutzen sie Lasertechnik? - Sind es überhaupt Menschen ...? Matt war wie hypnotisiert. Mit überwachen Sinnen saugte er die wirklichkeitsfremde Szene am Waldrand in sich auf. Ein Schott schob sich an der Seite der gelandeten Maschine auf. Nacheinander sprangen sechs Gestalten heraus. Ebenfalls in silbergraue Anzügen gehüllt. Matt vermutete, dass die schwarzen Helme mit einer Spezialschicht überzogen waren, die kein Licht reflektierte. Wahrscheinlich waren sie von innen durchsichtig. Die sechs Gestalten eilten ihren Gefährten zu Hilfe und eröffneten dabei das Feuer auf die Männer in der erdfarbenen Kleidung, Tödliches
Gleißen strich über die heranstürmenden Angriffsreihen. Fast die Hälfte brach von den Strahlen durchbohrt zusammen. Die Restlichen aber sprangen vor und wüteten unter den Gestalten in den Schutzanzügen. Matt sah, dass einige der Angreifer schwarze Streifen an Rücken und Brust trugen. Und ein auffallend großer Mann fiel ihm auf, weil er eine Art Eispickel als Waffe über dem Kopf schwang und weil sein Haar zu einem feuerroten Pferdeschwanz gebunden war. An seiner Seite kämpfte eine schmalere Gestalt in grauem Leder, die ein Langschwert mit beiden Fäusten führte. Das furchtbare Gemetzel ging weiter. Mit Äxten, Spießen und Schwertern hieben die Erdfarbenen auf die Besatzungen ein, die der brachialen Übermacht trotz ihrer modernen Waffen nicht Herr wurden. »O Gott...«, stöhnte Matt. »Bitte nicht...« Er sah schwarze Helme splittern, sah Klingen in Brustkörbe dringen, sah die Gestalten in den Schutzanzügen nacheinander zu Boden gehen. Dann war es vorbei. Matt schüttelte fassungslos den Kopf. Seine schwitzenden Hände hatten sich um den Feldstecher verkrampft. Die Männer in Braun schlenderten auf dem Schlachtfeld umher und spähten auf den Boden, als würden sie Pilze suchen. Einige bückten sich, kamen mit den Strahlwaffen wieder hoch. Und mit anderen Gegenständen, die Matt nicht identifizieren konnte. Und dann hielt er den Atem an - zwei Angreifer zerrten eine silbergraue Gestalt vom Boden hoch. Ein Besatzungsmitglied hatte überlebt! Der Große mit den roten Haaren deutete zum Waldrand und brüllte ein paar Befehle. Matt erkannte einen gelben und einen schwarzen Farbbalken auf der Brust seiner braunen Weste. Eine Art Offiziersabzeichen, schätzte Matt. Die kleinere Gestalt mit dem Langschwert wich nicht von seiner Seite. Dem Überlebenden wurden die Hände auf den Rücken gebunden. Der Rothaarige nahm den Gefangenen persönlich in Empfang und führte ihn mit seinen Männern zum Wald. Je sechs seiner Leute kommandierte er ab, um die raupenartigen Fluggeräte zu
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durchsuchen. Durch die Schleuse drangen die Männer in das gelandete Gerät ein. Die andere Gruppe verschwand im Gebüsch um das havarierte Fahrzeug. Matt konnte das Glas nicht von den Augen nehmen. Sein Blick klebte an der schlanken Gestalt in dem Schutzanzug, bis der Wald sie und die Krieger verschluckte. Was ist dos für ein Wesen? Sie haben Fluggeräte - sie beherrschen die Lasertechnik ... Matt zog sich in die Büsche zurück und hastete zu Aruula. Er erzählte ihr, was er beobachtet hatte. »Warum halten Sie die fliegenden Menschen nicht für Götter?«, war ihre erste Frage. Eine Frage, die Matt verblüffte. Er selbst hätte sie nie gestellt. Aber sie hatte etwas für sich. Denn »Götter« hätten die braun gewandeten Krieger wohl kaum angegriffen. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich weiß nur, dass ich unbedingt mit ihrem Gefangener sprechen muss.« Aruula packte ihn am Oberarm und schüttelte energisch den Kopf. »Ich muss, Aruula. Ich will erfahren, was das für Leute sind. Ob es überhaupt Menschen sind.« Vorsichtig spähten sie über die Büsche hinweg zu den beiden seltsamen Fahrzeugen. Die Erdfarbenen schienen sich immer noch dort umzusehen. An den Maschinen vorbei strebten etwa hundert-zwanzig Krieger auf den Wald zu. In kleineren Gruppen zogen sie zehn Geschütze hinter sich her. Geschütze, die Matt an alte Haubitzen erinnerten. Es war kaum zu glauben, dass es diesem Heer mit seiner spätmittelalterlichen Waffentechnik gelungen war, zwei mit hochmodernen Waffen ausgerüstete Fluggeräte auszuschalten. Plötzlich sah Matt etwas Schwarzes zwischen den Büschen auftauchen. Es verschwand sofort wieder, erschien aber gleich darauf erneut in seinem Blickfeld, und diesmal erkannte Matt eine schwarze Kugel: ein Helm der fremdartigen Schutzanzüge! Matt konnte erkennen, dass er im Gesichtsbereich zerstört war. Die Gestalt schwankte hin und her. Dann versank sie wieder zwischen den Büschen. »Da hat noch ein Zweiter überlebt«, flüsterte
Matt. Er beobachtete das dichte Gebüsch. Nichts regte sich mehr. »Vielleicht ist er verletzt.« Er schätzte die Entfernung ab. Die Stelle war mindestens zweihundert Meter von ihrer Deckung entfernt. Genau so weit wie vom Kampfplatz. »Ich muss zu ihm ...« Matt zog seine Armeepistole aus der Uniformhose und ließ das Magazin herausspringen. Noch sieben Schuss Munition. Und es war das letzte Magazin! »Warte am Waldrand auf mich«, flüsterte er Aruula zu. Er entsicherte die Waffe und verschwand zwischen den Büschen. Immer wieder verharrte er und lauschte. Irgendwann hörte er ein leises Röcheln. Es klang nicht gut - überhaupt nicht gut. Er folgte den gequälten Atemzügen - und schließlich sah er den silbergrauen Körper am Boden zwischen den Büschen liegen. Fast gleichzeitig erschollen laute Rufe von den Maschinen her. Matt fuhr hoch. Die Erdfarbenen rannten in panischer Flucht Richtung Wald. Sogar eine Kanone ließen sie zurück. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Von einer dunklen Ahnung erfüllt wandte Matt sich um. Ein Eiszapfen schien über seinen Rücken zu streichen: Vom Krater des ehemaligen Tagebauwerkes segelte ein riesiger Schatten heran. Matt erkannte das schwarzbraune schuppige Gefieder und den gelben gekrümmten Schnabel - es war ein Eluu ...! Die fünf Männer standen am Fenster und blickten aus über hundert Metern Höhe nach Süden. Dunkelgraue Pulverdampfwolken und helle Rauchpilze standen dort über dem Wald. Das Schlachtfeld war mindestens zweihundert Speerwürfe entfernt. Man konnte kaum den Wald von der kleinen, fast baumlosen Ebene unterscheiden, an deren Rand der Rauch in die Luft stieg. * »Wen haben die Nordmänner angegriffen?« Der Mann, der diese Frage stellte, war groß und breitschultrig. Er hatte kurzes blondes Haar, das ihm in störrischen Locken in die auffällig
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gewölbte Stirn hing. Seine schmalen grauen Augen lagen tief unter den dichten Brauen verborgen. Eine scharf geschnittene Nase ragte aus seinem energischen Gesicht. Die schmalen Lippen und das trotzig vorgeschobene Kinn verrieten einen willensstarken Menschen, aber auch einen aufbrausenden Charakter. Er trug ein weites rotes Hemd aus dünnem Leinen, das ihm über die enge Schürhose aus schwarzem Wildleder hing. »Wir wissen es nicht, Lodar«, sagte Heenrich, der Schwertmeister. Er stand neben ihm. Seine hünenhafte, fast fettleibige Gestalt überragte die des Königs um einen halben Kopf. Hemd und Hosen waren grau und ein lederner Panzer hüllte seinen gewaltigen Brustkorb ein. Ein mit schmalen Riemen unter seinem Doppelkinn zugebundener Lederhelm saß auf seinem Kahlkopf. »Wir wissen nur, wen sie als Nächstes angreifen werden.« Er stützte sich auf sein Langschwert und seufzte. »Uns.« Der König wandte sich zu den drei Männern um, die hinter ihm und seinem Schwertmeister standen. »Was glaubst du Mauriz?«, fragte er den Mittleren von ihnen, einen hageren alten Mann mit hellwachen roten Augen und weichen Gesichtszügen. »Mit wem liefern sich diese gefräßigen Hunde da draußen eine Schlacht?« Mauriz, der Göttersprecher des kleinen Stadtreiches und der engste Berater des jungen Königs, neigte seinen kleinen spitzen Schädel. »Hast du die glühenden Kuppeln gesehen, Lodar?« Er trug einen gelblichen Wildlederanzug. Und darüber einen schwarzen Um-hang, der ihm bis über die nackten Unterschenkel reichte. Sein fettiges Grauhaar glänzte. Er hatte es im Nacken zu einem Dutt zusammengebunden. Sein offizieller Name lautete Mauriz von Laabsisch der Zwölfte. Seit Generationen stellte seine Familie den Göttersprecher der Stadt. »Wie aus dem Nichts blühten sie auf und dann ...« Mauriz schnippte den Fingern. »... Feuer und Rauch. Was glaubst du, Lodar, wer so etwas fertig bringt?« Eine Zornesfalte erschien zwischen Lodars Brauen. »Warum, bei Orguudoo, antwortest du immer mit Fragen?« »Damit du nachdenkst«, grinste Mauriz.
»Also was glaubst du?« »Sie kämpfe gege Götte«, platzte der junge drahtige Bursche neben ihm heraus. Bis auf einen Lendenschurz war sein braungebrannter und stark behaarter Körper nackt. Schädel und Gesicht waren vollkommen zugewuchert von schwarzem Kraushaar. Bis über die Schulterblätter wallte es ihm den muskulösen Rücken herunter. »Unsinn!«, blaffte der König. Er schob sich durch die drei Männer hinter ihm. Mit energischen Schritten lief er durch den großen Raum. Vorbei an schweren Stühlen, Bänken und Truhen und einem langen Tisch marschierte er zum gegenüberliegenden Fenster. »So ein Unsinn!« »Isch sag eusch - sie kämpfe gege Götte!« Der Halbnackte fuchtelte mit den Armen herum. »Wir weit herumgekomme, viel gesehe un gehöt!« Der Mann nannte sich Pieroo. Er war der Führer eines Wandernden Stammes. Der König und der Göttersprecher hatten der fast sechzigköpfigen Horde Zuflucht vor der Verfolgung der Nordmänner gewährt. »Und was habt ihr gehört?« Mauriz lächelte verschmitzt. »Götte sin von Westmee gekomme.« Der Hordenhäuptling sprach einen weichen melodiösen Akzent; den Akzent der Völker westlich des Großen Flusses. Er verschluckte die Endkonsonanten. Manchmal faselte er ein fürchterliches Kauderwelsch zusammen. Abererbeherrschte die Sprache der Stadtbewohner immerhin so gut, dass man sich mit ihm und seinen Leuten verständigen konnte. »Habe grün Ei-seschlang, könne fliege, schwimme un krieche, die Eiseschlang . ..« »Nur Hohlköpfe glauben solche Märchen!«, herrschte der König ihn an. »Vielleicht hat Pieroo nicht ganz unrecht«, wandte Mauriz, der Göttersprecher ein. »Er hat mir erzählt, wie die Nordmänner sich nennen Disuuslach-ter.« Lodar runzelte fragend die Stirn. »Götterschlächter«, übersetzte Mauriz. »Du glaubst tatsächlich, diese gierigen Hunde haben sich da draußen einen Kampf mit Wudans Göttern geliefert?!«, brauste der König auf.
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»Das habe ich nicht gesagt.« Der Göttersprecher hob den Zeigefinger. »Vielleicht haben die Nordmänner jemanden angegriffen, den sie für göttlich halten«, sagte Heenrich nachdenklich. »... oder den andere für göttlich halten. Sehr gut, Schwertmeister!« Mauriz klopfte Heenrich auf die massigen Schultern. »Bald nenn ich dich Meister der Logik!« Der Hüne lief rot an, sein fleischiges Gesicht verzog sich zu einem stolzen Lächeln. Der junge König zog eine mürrische Miene. Er drehte sich um und ging langsam zum Südfenster zurück. »Wie dem auch sei. ..« Er starrte über die Wälder. Der Rauch hing jetzt in langen Schwaden über der kleinen Ebene. » ...wenn sie die Schlacht gewonnen haben, werden die Nordmänner uns angreifen.« Er blickte hinunter auf den doppelten Schutzwall, der die Stadt umgab. Der Außenwall bestand aus aufgeschütteten Steinen, die man aus den zahlreichen Ruinen rund um die Stadt herausgebrochen hatte. Soldaten kletterten auf der Wallkrone herum. Von hier oben sahen sie aus wie Ameisen. Die haushohe Innenpalisade hatten die Stadtbewohner aus Baumstämmen gezimmert. Auf ihrem Laufgang konnte Lodar Wachen erkennen. Zwischen Palisade und den vom Wald überwucherten Ruinen dehnte sich ein breiter, baumloser Streifen von drei bis vier Speerwürfen aus. Im Lauf von Generationen hatten die Stadtbewohner diesen Streifen von Trümmern befreit. Taratzen, wilde Tiere und Angreifer konnten sich auf diese Weise nicht näher als bis auf höchstens drei Speerwürf e an die Palisade heranpirschen. D er breite Streifen wurde sorgfältig bewirtschaftet. Die Bauern der Stadt bauten dort Tof anen und Waitz an. Im Herbst nachder Ernte dienten die Felder als Wettkämpf platze. Im Geist sah Lodar die kriegerischen Nordmänner mit ihren fürchterlichen Waffen aus dem Wald brechen, über die Felder rennen und die Palisade erklettern. »Orguudoo soll sie holen«, zischte er. »Sie bringen Krieg und Tod aus ihrem verdammten Nordland zu uns.« »Ja«, brummte der Schwertmeister. »Sie
werden uns angreifen. Alle unsere Kähne haben sie versenkt.« Der König stieß einen Fluch aus. Er wandte sich um und lief quer durch den saalartigen Baum zum Westfenster. Die anderen folgten ihm. Von der Westseite des Turmhauses aus konnte man die ganze Stadt überblicken. Wagen rollten durch die Gassen und Straßen. Auf dem Markt wimmelte es von Menschen. Knapp zwölf Speerwürfe entfernt vom Zahnturm verlief der westliche Teil des doppelten Schutzwalls. Etwa dreißig, vierzig Speerwürfe dahinter sah man das breite Band des Flussbeckens. Kein einziger der kleinen wendigen Segler ankerte mehr im Hafen. Dafür sechs klobige lange Schiffe mit breiten Rädern an den Seiten. Lange Rohre ragten aus den Mittelteilen der Oberdecks. »Wie, bei Orguudoo, können diese Schiffe sich fortbewegen ohne Segel?«, zischte der König. »Kannst du die Räder an den Seiten erkennen?«, fragte Mauriz. »Sie drehen sich, während die Schiffe schwimmen.« »Befinden sich Sklaven unter Deck, die sie ankurbeln?« Der Göttersprecher zuckte mit den Schultern. »Wir wissen nur, dass Rauch aus den Rohren quillt, während sie sich drehen. Und ein eigenartiges Stampfen kommt aus den Rümpfen.« »Wie viele Krieger sind es?« »Mindestens dreihundert«, sagte der Schwertmeister. »Wahrscheinlich mehr. Sie führen eiserne Rohre zwischen Rädern mit sich, aus denen sie große Kugeln verschießen können. Kugeln, die wie ein Blitz einschlagen und Feuer entzünden.« »Habt ihr alles für einen Angriff vorbereitet?« »Ich habe alle waffenfähigen Männer auf die Palisaden geschickt«, sagte Heen-rich. »Zweihundertfünfzig Mann. Und die Waffenschmiede arbeitet auf Hochtouren.« »Alle Bauern innerhalb der Palisade.« Zum ersten Mal meldete sich der fünfte Mann zu Wort, ein kleiner gedrungener Bursche mit quadratischem Schädel, grobem rötlichen Gesicht und dichtem braunen Stoppelhaar Walder, der Palisadenmeister. Nicht nur für die
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Palisade war er zuständig, sondern auch für die innere Sicherheit, die Waffenschmiede und das Bauwesen der Stadt. »Zwei Jagdtrupps noch in den Wäldern.« Walder sagte selten etwas. Und wenn er mal den Mund aufmachte, spuckte er nur einzelne Worte oder unvollständige Sätze aus. Ja - er spuckte die Worte und Sätze aus. Als hätte er Angst vor ihnen und wollte sie möglichst schnell loswerden. »Vorräte?«, fragte der König. »Reichlich«, bellte der Palisadenmeister. »Brunnen?« »Intakt!« »Und die Notburgen?« »Werden vorbereitet.«»Welche genau?«, wollte der König wissen. Der Palisadenmeister räusperte sich. Er warf einen hilfesuchenden Blick zu Mauriz. »Walder und Heenrich schlagen folgenden Plan vor«, sagte der Göttersprecher. »Sollte sich abzeichnen, dass die Nordmänner die Palisaden überwinden und die Stadt besetzen werden, flieht die überlebende Bevölkerung hierher in den Zahn. Zusammen mit der Hälfte der überlebenden Soldaten, um deinen Königsturm zu verteidigen. Mindestens vierzig Krieger ziehen sich in den Auerbachkeller zurück. Walder hat die Waffenschmiede dorthin verlegen lassen. Das unterirdische Gewölbe lässt sich leicht verteidigen und ist auch von den schweren Blitzkugeln sicher. Ein Viertel der überlebenden Soldaten wird sich im Altrathaus verbarrikadieren. Von dort aus sollen sie Ausfälle gegen den Feind unternehmen. Vor allem aber werden sie die Streitmacht der Nordmänner in dem Augenblick ablenken, wenn es darauf ankommt, unser Volk zu evakuieren ...« »Du klingst, als hätte der Feind bereits gesiegt!« Zornesadern schwollen an Lo-dars Schläfen. Seine Gesichtshaut verfärbte sich rot. »Ihr haltet diese verdammten Hunde wohl für Götter!«, brüllte er. »Und was soll das heißen: >Evakuieren
Gesicht ernst. »Aber bedenke, über welche Waffen sie verfügen!« »Könnte es sein, dass ihr die Tapferkeit meiner Soldaten unterschätzt?!« Der König war immer noch laut, aber er brüllte nicht mehr. »Nein.« Mauriz wandte sich ab und schritt langsam auf den Tisch zu. Schüsseln standen dort, gefüllt mit Gemüse, Brot und Geflügelresten. Und Krüge, aus denen sich Schaum wölbte. Er nahm einen Becher vom Tisch und schenkte sich eine bernsteinfarbene, schäumende Flüssigkeit ein. »Heenrich glaubt, dass die großen Kugeln vielleicht sogar den Zahn zerstören könnten ...« »Unsinn!«, brüllte der König. »...deswegen hat Walder angeordnet, dass man die äußeren Zugänge meiner Bastei mit Ruinenschutt zuschüttet...« »Waas?!« In großen Schritten stach der König zum Tisch. Als wollte er sich auf den Göttersprecher stürzen. »...und er hat einen Trupp Bauleute zusammengestellt, die den alten Geheimgang aus meiner Bastei zum Fluss instand setzen.« Der Göttersprecher kümmerte sich gar nicht um den erregten Lodar. »Im äußersten Notfall wirst du dein Volk durch den Keller des Zahns in die Maurizbastei führen.« An dem jungen König vorbei blickte er zum Fenster hinaus in den trüben Himmel. »Und von dort an den Fluss. Heenrich schickt Spione an das Flussbecken. Unsere klügsten Männer werden dabei sein. Sie sollen herausfinden, wie die Schiffe der Nordmänner funktionieren . . .« »Wahnsinn!«, rief Lodar. »Ihr seid wahnsinnig!« Er angelte sich einen Becher vom Tisch. So heftig goss er die schäumende Flüssigkeit aus dem Krug, dass sie überschwappte. Mit einem Zug leerte er den Becher. Und füllte ihn gleich wieder. Den Becher in der Hand, tigerte er vom Westfenster zum Südfenster und zurück, minutenlang. Die anderen beobachteten ihn schweigend. Mauriz lächelte still in sich hinein, als er sah, dass die Zornesadern an den Schläfen des Königs abschwollen und die Röte sich aus seinem Gesicht verzog. Er kannte Lodar von Kindesbeinen an. Seine cholerischen Gefühlsausbrüche pflegten sich genau so
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schnell zu legen, wie sie über ihn und seine Umgebung hereinbrachen. Danach konnte er in der Regel nüchtern und präzise denken. »Gut«, sagte Lodar schließlich und drehte sich zu seinen Vertrauten um. »Es ist zwar Wahnsinn, aber ihr habt nicht ganz unrecht. Tut alles so, wie ihr es geplant habt.« Er deutete auf Walder. »Lass das Bier rationieren, Palisadenmeister. Unsere Soldaten müssen einen klaren Kopf haben, wenn es losgeht.« Er wandte sich an Heenrich. »Stell einen Spähtrupp zusammen, Schwertmeister. Sieben leicht Bewaffnete. Ich will die genaue Stärke des Gegners kennen. Und ich will wissen, gegen wen sie da draußen gekämpft haben. Auch will ich mehr über ihre Wunderwaffen erfahren. Wir werden bei Dunkelheit aufbrechen.« »Wir?« Verwundert blickte Mauriz den König an. »Ich selbst werde den Spähtrupp führen«, sagte Lodar. »Das wirst du nicht!« Der Göttersprecher baute sich vor dem Größeren auf. »Du bist König! Du kannst dich nicht mit irgendwelchen feindlichen Soldaten herum prügeln!« Mauriz setzte seine strengste Miene auf. »In der Stadt ist dein Platz! Hier oben im Zahn, und unten beim Volk! Dein Verlust wäre der Anfang vom Ende .. .« Abrupt wandte Lodar sich ab. Er stieß einen leisen Fluch aus. Aber im Grunde wusste er genau, dass der Göttersprecher Recht hatte. »Also gut«, sagte er, »dann eben nicht.« Der kurze Walder reckte seinen Arm hoch. »Freiwillig!« »Isch auch dabei«, rief Pieroo, der Hordenführer. Mauriz nickte. »Wir verlassen uns auf dich, Palisadenmeister. Nimm unseren Gast ruhig mit. Und fünf weitere erfahrene Männer. Und wenn ihr Gefangene machen könnt, packt zu ...« Der Eluu schoss auf den Waldrand zu. Seine Flügelspannweite betrug mindestens dreizehn Meter. Einer der flüchtenden Krieger stolperte und schlug lang hin. Er schrie in Todesangst. Der Eluu streckte die Greife aus und drehte seine gewaltigen Schwingen so, dass sie senkrecht zum Boden standen. Die Baumwipfel
des Waldrandes bogen sich unter den anprallenden Luftmassen zurück. Wie ein Felsblock fiel der schuppige Riesenvogel auf die Büsche. Matt spürte den Boden unter seinen Füßen vibrieren. Das Schreien des Kriegers steigerte sich zum Gebrüll eines Wahnsinnigen - und verstummte dann schlagartig. Gelähmt vor Schreck kauerte Matt zwischen den Büschen. Wenige Schritte vor ihm krümmte sich der Körper des Verletzten im Unterholz. Matt hörte ihn stöhnen. Aber er konnte seinen Blick nicht von dem Riesenvogel losreißen. Durch die Zweige und Blätter hindurch sah er die mutierte Kieseneule auf ihre Beute hinunter spähen. Dann beugte sie den Kopf. Als der schuppige Eulenschädel wieder auftauchte, hingen blutige Fetzen in seinem Krummschnabel. Sichernd drehte der Eluu den Kopf um fast hundertachtzig Grad. Dann schlang er die aus der Beute gerissenen Fleischfetzen hinunter. Matts Magen drehte sich um. Er zog den Kopf ein und atmete tief durch. Der Fremde in dem silbergrauen Schutzanzug fiel ihm wieder ein. Seinetwegen hatte er sich so nah an den Kampfplatz herangewagt! Er kroch an die zuckende Gestalt heran. Die linke Hälfte des schwarzen Kugelhelmes war vollständig zertrümmert. Rote feuchte Augen blinzelten ihn aus einem schmalen schweißnassen Gesicht entgegen - einem Gesicht, das so weiß wie Eis, aber zweifellos menschlich war! »Weg...«, röchelte der Fremde. »Sie ... Sie müssen ... weg ... die EWATs...« Für einen Moment schien alle Kraft aus Matts Gliedern zu weichen. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Der Mann sprach ihn in lupenreinem Englisch an! »Schnell...«, keuchte der Fremde, »Sie . .. Sie haben ... nur noch ... wenige Minuten...« Matt schüttelte sich. Keine Zeit verlieren - wundere dich später... Schnell schob er seine Arme unter den schmalen Körper und hob ihn hoch. Federleicht fühlte er sich an. Wie man ein schlafendes Kind hält, trug Matt ihn durch die Büsche. In gebückter Haltung huschte er auf den knapp
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hundertfünfzig Meter entfernten Waldrand zu. Immer wieder richtete er sich dabei vorsichtig auf und spähte über das Blätterdach der kaum schulterhohen Büsche zu dem Eluu hinüber. Der Riesenvogel war immer noch damit beschäftigt, seine Beute zu zerfetzen und herunter zu schlingen. Kurz vor dem Waldrand erklangen ein gewaltiges Rauschen und ein Geräusch, als würde jemand eine Zeltplane gegen eine Hauswand schlagen. Matt fuhr hoch - der Eluu hatte sich wieder in die Luft erhoben. Knapp über den Büschen flog er Matts Deckung an! »Bullshit!«, zischte Matt. Er richtete sich auf, drückte den Verletzten an seine Brust und spurtete los. Die Rieseneule hatte ihn sowieso entdeckt. Matt rannte um sein Leben. Zweige knallten gegen den zerbrochenen Helm des Fremden in seinen Armen, streiften Matts Brust, schlugen ihm ins Gesicht. Der Feldstecher um seinen Hals hatte sich auf seinen Rücken verschoben und prallte bei jedem Schritt gegen seine Wirbelsäule. Aus den Augenwinkeln sah Matt den riesigen Schatten heran flattern. Etwas surrte über seinen Kopf.
Dunkelgrün hellte sich auf, fing an zu leuchten. Von einer Sekunde auf die andere glühte es weiß auf. Und die Maschinen zerplatzten in einem Feuerball! Matt warf sich zu Boden und barg seinen Kopf unter den verschränkten Armen. Eine ohrenbetäubende Detonation ließ den Waldboden erzittern. Dann ein mächtiges Rauschen - ein nur Sekunden währender Orkan fegte durch die Bäume, und es wurde unerträglich heiß. Matthew fuhr wieder hoch. Das Buschland stand in Flammen! Matt erkannte die brennenden Konturen des Eluus. Vergeblich versuchte das Tier dem Feuer zu entkommen. »Aruula!«, schrie Matt. Er nahm den Verletzten wieder auf und rannte los - fort vom brennenden Waldrand. »Aruula!« Als er den Fluss erreichte, wurde ihm schwarz vor Augen. Er ließ den Fremden ins Schilf gleiten und schleppte sich zum Wasser. Gierig trank er und tauchte dann seinen Oberkörper in die Fluten. Wenig später tauchte Aruula im Schilf auf. Sie fielen sich in die Arme. »Danke...«, keuchte Matt. »Du hast mir das Leben gerettet...« Gemeinsam trugen sie den Fremden auf das Floß, stießen es ab und setzten über den Fluss. Am anderen Ufer sprangen sie ins flache Wasser und zogen das Floß auf die Uferböschung. Matt kämpfte gegen das Bedürfnis an, sich flach ins Gras zu werfen und seine Glieder von sich zu strecken. Er fühlte sich vollkommen ausgepumpt. Gemeinsam zogen sie den Fremden vom Floß und betteten ihn ins Gras. Weder das Material der Helmkugel noch das des Schutzanzuges kam Matt bekannt vor. Er musste drei übereinandergeschichtete Reißverschlüsse öffnen, bis er dem Verletzten endlich den zerbrochenen Helm abziehen konnte. Er war mit Blut gefüllt. Hinter dem linken Ohr des Mannes klaffte eine tiefe Wunde in seinem Schädel. Auch in der Nierengegend sickerte Blut aus einem Loch im Schutzanzug. Der Fremde öffnete die Augen. Sein Atem flog. »Danke...«, flüsterte er, »aber ... es war .. . sinnlos . . .« Weder auf dem schmalen Schädel
* Der Vogel fauchte. Im Laufen wandte Matt sich Aruulas Deckung zu. Sie stand zwischen den Büschen und spannte ihren Bogen. Wieder schwirrte ein Pfeil über ihn hinweg. Der Vogel schrie gellend auf. Matt sah den Pfeil aus seinem Schädel ragen. Hatte Aruula sein Auge getroffen? Jedenfalls drehte er ab, schraubte sich in die Höhe und stieß klagende Schreie aus. Endlich erreichte Matt den Waldrand. Seine Lungen stachen, das Herz galoppierte in seinem Brustkorb. Zwischen den Eichenstämmen ging er in die Knie und legte seine lebende Last zu Boden. Seine Schultern hoben und senkten sich; er keuchte, mit weit offenem Mund rang er um jeden Atemzug. Der Eluu war nicht weit von den beiden rätselhaften Fahrzeugen gelandet. Er hüpfte auf und ab, schlug mit den Flügeln und schrie. Plötzlich geschah etwas mit der Außenhaut der schlangenartigen Maschinen: Das stumpfe
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noch in dem kalkweißen Gesicht des Mannes wuchsen Haare. Seine Stimme war rau und klang ziemlich hoch. »Wer sind Sie?«, fragte Matt. Er legte zwei Finger an den Kehlkopf des Fremden. Der Puls der Halsschlagader fühlte sich an wie ein zitternder Faden. Der Mann öffnete die Lippen. Doch er brachte nur ein schwaches Krächzen zustanden. Matt beugte sein Ohr über den farblosen Mund. »Wer sind Sie?«, wiederholte er. »Captain ... Spencer ... Dewlitt ... Community ... London ...« Er verstummte. Matt starrte ihn an. »Was sagen Sie? London...?!« Er packte den Mann an den Schultern. »Was ist in London?« Doch der Fremde reagierte nicht mehr. Die fast durchsichtigen Lider hatten sich über seine Augäpfel gelegt. Matt war außer sich. Es gab noch Menschen in dieser Alptraumwelt, die seine Sprache sprachen! Menschen, die nicht in die Eisenzeit oder ins Mittelalter zurückgefallen waren! »Was ist das für eine >Community