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Fritz-Otto Busch Korvettenkapitän a.D.
Gneisenau - Scharnhorst - Prinz Eugen
Der Marsch durch den Kanal 12. Februa...
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Fritz-Otto Busch Korvettenkapitän a.D.
Gneisenau - Scharnhorst - Prinz Eugen
Der Marsch durch den Kanal 12. Februar 1942
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Landser-Großband 67 Copyright by Erich Pabel Verlag
Bemerkung : Die Karte ist mit freundlicher Genehmigung des Adolph Sponholtz Verlages, Hannover, dem Buch des Verfassers „Schwerer Kreuzer ,Prinz Eugen’“, Die Geschichte des fröhlichen Schiffes, entnommen. Alle Uhrzeiten sind deutsche Uhrzeiten. Sämtliche vorkommenden Namen sind echt. Da die deutschen Originaltexte nicht vorlagen, mußten mehrere Sitzungsberichte, Memoranden, Aussprüche usw. aus dem Englischen ins Deutsche rückübertragen werden.
Alle Namen und Personen in diesem Roman sind, soweit es sich nicht um Personen der Zeitgeschichte handelt, frei erfunden. Eine Namensgleichheit oder Ähnlichkeit mit lebenden Personen wäre rein zufällig und weder vom Verfasser noch vom Verlag beabsichtigt. Ein Verzeichnis lieferbarer Ausgaben ist in Band 64 erschienen Der LANDSER-Großband erscheint 14täglich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden) Pabel-Haus (Mitglied des Remagener Kreises e.V.). Einzelpreis 1,- DM. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 10. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Verantwortlich für die Herausgabe und Inhalt in Österreich: Eduard Verbik; Alleinvertrieb und -auslieferung in Österreich: Zeitschrittengroßvertrieb Verbik & Pabel KG - alle in Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. - Printed in Germany. Ti: Lo; III: Zee; L: mha/schr; R: schr; K: I
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EINFÜHRUNG Der Durchbruch der drei Schweren Einheiten SCHARNHORST GNEISENAU und PRINZ EUGEN durch den Englischen Kanal am 12. Februar 1942 ist wohl neben der unglücklichen BISMARCKUnternehmung die am meisten bekannt gewordene deutsche Flottenoperation des Zweiten Weltkrieges. Der Rückmarsch dieser Schiffe von Brest in die Heimat ist im Schutz zahlreicher Leichter Seestreitkräfte und unter dem schirmenden Dom, den deutsche Jäger über der Flotte bildeten, erfolgreich ausgeführt worden. Er bildet ein Musterbeispiel für sorgfältige Planung, vorzügliche Geheimhaltung bis zum letzten Augenblick und für beste Zusammenarbeit von Luftwaffe und Marine. Unbedingte Geheimhaltung und sicherer Schutz gegen feindliche Angriffe aus der Luft waren neben kühner Führung und höchstem Einsatz der tapferen Besatzungen Vorraussetzungen, ohne deren Erfüllung das Unternehmen niemals hätte glücken können. Hinzu trat die begreifliche Verwirrung der oberen englischen Befehlsstellen, fehlende Zusammenarbeit von Royal Navy und RAF, mangelhafte, bzw. ganz ausfallende Befehlsübermittlung und weitere für die Engländer unglückliche Umstände, die im Verlauf des Berichts Erwähnung finden werden. Die Engländer ahnten seit langem, daß die deutschen Schiffe die Kanalpassage wählen würden. Sie hatten umfangreiche Vorbereitungen getroffen und wurden dennoch völlig überrascht. Schuld trugen neben den oben erwähnten Gründen lächerliche Zufälligkeiten, wie sie gerade im Seekrieg so oft auftreten: eine herausgeflogene Sicherung, ein feucht gewordener, nicht passender Stecker, die Furcht eines Beobachters, die befohlene Funkstille zu brechen, und nicht zuletzt die irrige englische Annahme, die deutschen Schiffe würden unbedingt bei Nacht die Dover-Enge passieren. Die Schuld für diese Schlappe lag nicht bei den wenigen eingesetzten englischen Verbänden, vor allem nicht bei den Torpedoflugzeugen des, durch seinen Angriff auf BISMARCK bekannt gewordenen, englischen Squadron Leaders Lieutenant-Commander Esmonde. 6
Er und sein Swordfish-Geschwader fanden bei einem todesmutig durchgeführten Angriff ihr Ende. Die tapferen Männer wurden von unseren Besatzungen und dem englischen Volk gleichermaßen bewundert. Schuld trugen auch nicht die veralteten englischen Torpedoboote, die mit dem gleichen Schneid wie die Torpedoflieger die großen Schiffe angriffen und zurückgeschlagen wurden. Für England war der Durchbruch der deutschen Schiffe mit ihrem starken Geleit von Zerstörern, Schnellbooten, Torpedobooten, Minensuchern und Vorpostenbooten ein Schlag, der das ganze Volk weit tiefer erregte, als der zu gleicher Zeit erfolgte und viel wichtigere Fall von Singapore, durch den die Engländer nach eigenem Urteil für alle Zeiten bei den Fernostvölkern ihr Gesicht verloren hatten. Die Welt horchte auf; ungehindert läuft die deutsche Flotte durch den Englischen Kanal, unglaublich! Die Royal Navy und die RAF sind nicht imstande, einer ganzen Flotte die Benutzung des Englischen Kanals zu versagen! Ich hielt es für besonders interessant, nicht nur die Vorbereitungen und den Verlauf des Durchbruchs selbst, sondern auch die Vorgeschichte der Operation zu schildern. Dies ist bisher meines Wissens außer in rein militärischen Werken und Berichten noch nicht geschehen. Die Entstehung des kühnen Gedankens, die Folgen, die ein Vorschlag, den Kanal zu benutzen, auslöste, der Meinungsstreit zwischen den Admiralen und der Obersten Führung, das langwierige Hin und Her, das Für und Wider bei den Besprechungen im FHQ schienen mir der ausführlichen Darstellung wert. Als die deutschen Einheiten nach erfolgtem Durchbruch ungehindert ihren Marsch zur Elbe fortsetzten, rief der Erste Seelord, Admiral Sir Dudley Pound, den Premierminister Winston Churchill an. Er benutzte eine Privatleitung, die Admiralität und Downing Street Nr. 10 verband. Es war ein außerordentlich unangenehmer Augenblick für den Admiral, und die im Kartenraum versammelten Stabsoffiziere studierten angelegentlich die an der Wand hängenden Seekarten, um nicht das Gesicht des Admirals, der diese bittere Nachricht weitergeben mußte, zu sehen. „Es tut mir leid, Sir“, meldete Admiral Pound, „ich muß melden,
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daß die feindlichen Schlachtkreuzer (die Engländer bezeichneten die beiden Schlachtschiffe als Schlachtkreuzer) jetzt die Sicherheit ihrer Heimatgewässer erreicht haben dürften.“ Während der kurzen Pause, in der Sir Dudley die Antwort empfing, herrschte Totenstille im Raum. Der Admiral legte plötzlich den Hörer zurück und beantwortete den fragenden Blick eines der anwesenden Admirale: „Ich glaube, diese Geschichte wird allerhand Unannehmlichkeiten zur Folge haben. Der Premierminister schwieg eine Weile, dann sagte er lediglich ,Why — warum?’ und knallte den Hörer auf die Gabel!“ Ich habe versucht, die Antwort auf die Frage, warum unsere Schiffe den Kanal nahezu ungehindert passieren konnten, auf Grund englischer Berichte und Bücher sowie des Ergebnisses des erwähnten Untersuchungsberichtes zu geben.
The Bower Cottage Pebble Hill Limpsfield Surrey / England
Fritz-Otto Busch Korvettenkapitän a. D.
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Die Vorbereitungen Brest: ein Abend in der Offiziersmesse der PRINZ EUGEN „Wie kommen wir hier wieder raus?“ Der französische Kapitänleutnant-Werftarbeiter-Agent Am 2. Juni 1941 liegt der Schwere Kreuzer PRINZ EUGEN in einem der Docks des Handelshafens von Brest. Von der BISMARCKUnternehmung kommend, waren wir am Spätnachmittag des vorherigen Tages eingelaufen und sofort ins Dock gegangen. Gründe: Störung am Hauptlager der Niederdruckturbine der Backbordmaschine, ungenügende Kühlung der Mittelmaschine, Geräusche bei der Steuerbordschraube. Vor allem die Schraube kann nur im Dock untersucht und repariert werden. Schon morgen soll ich über Paris nach Berlin zurückfahren. So sitzen wir Abschied feiernd nach dem frühen Abendessen in der Messe. Die beiden AO’s: der I AO, Korvettenkapitän Jasper, genannt Paulus, der II AO, Kapitänleutnant Schmalenbach. Dazu der NO, Korvettenkapitän Beck, der Gefechtswachhabende und Rollenoffizier, Kapitänleutnant Reckhoff, der I TO, Kapitänleutnant Reimann und unser Maler, der Sonderführer J. C. Schmitz. In der Spielecke beim Radio hocken die Bordflieger bei ihrem ewigen Doppelkopf, den der BNO, Kapitänleutnant v. Schultz, als Kiebitz mit kritischen Bemerkungen begleitet. Unser tüchtiger Zivilsteward Fiedler hat alle Hände voll zu tun, Bier für den I AO und Schum für uns andere herbeizumannen. Es ist noch hell draußen, aber dämmrig in der Messe. Große Tarnnetze werden über das lange Schiff, über Oberdeck und Aufbauten gespannt. Sie werden mit Laub, Ästen, Kiefernzweigen und Ginsterbüscheln verkleidet. Kleine Bäume liegen an Deck klar zum Aufstellen. „Toll, diese Tarnung!“ meint der AO. „Habt ihr das gesehen, wie beiden Schlachtschiffe getarnt sind? Ich wollte einen freundlichen Winkspruch an meine Kumpels von der Artillerie machen und konn9
te trotz allen Suchens diese Schliffe nicht entdecken!“ „Sie meinen den Spruch, den der Signalmaat der Wache meldete, als wir mit den Schleppern rumfummelten?“ erkundigt sich der lange TO. „Genau den: ‚Willkommen am Busen der Jade!’“ Der BNO, der das Gespräch mit anhörte, meldet sich von seinem Kiebitzposten: „Ist hier verdammt nötig, diese Tarnung, Herr Kapitän. Die Schiffe liefen am 22. März ein. Am 28. März hatte die RAF ihre Anwesenheit festgestellt...“ „Oder die Burschen an Land“, wirft Paulus ein, „die Mädchen in den Bistros und all die tausend Agenten, die hier bestimmt rumlaufen und schnüffeln!“ „Gewiß, Herr Kapitän“, gibt der BNO zu, „hier wimmelt’s natürlich von diesen Brüdern. Aber die RAF hat sich tatsächlich auch gemeldet. Bereits am 6. April wurde GNEISENAU, als sie die Nase mal rausstreckte, von einem Torpedoflieger angegriffen, der ihr einen Aal verpaßte, fünf Tage später kriegte sie nicht weniger als vier Bomben, und das scheint dauernd so weiterzugehen. Wird wohl hier
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sehr ungemütlich werden.“ „Na, denn Prost, Herr Kapitän!“ grinst der Rollenoffizier und hebt sein Schaumglas. „Sie fahren morgen los, nicht?“ „Leider, ich bliebe tausendmal lieber hier an Bord, wahrhaftig!“ Der schwarzhaarige Kapitänleutnant lacht: „Na, wir haben Ihnen ja auch allerhand geboten, in den vierzehn Tagen! Aber hören Sie, würden Sie mir einen Gefallen tun?“ „Gern, wenn ich kann. Was ist’s?“ „Sehen Sie, man kann und darf ja so gut wie nichts schreiben und meine Mammie möchte doch gern wissen, was wir gemacht haben. Sie hat ja keine Ahnung, wo wir uns rumtreiben. Den Namen unseres Dampfers habe ich ihr bisher nie genannt. Sie ist eine richtige Marine-Mammie und kann erstaunlicherweise den Mund halten. Würden Sie die mal aufsuchen?“ „Klar, mache ich. Und wo?“ „Berlin, Wilmersdorfer Straße. Ich schreibe Ihnen Telefonnummer und Adresse auf. Melden Sie sich vorher an, dann backt sie Ihnen irgend etwas, darin ist sie trotz Lebensmittelkarten und so ganz groß! Sie wird dann Admiral Assman einladen, mit dem wir befreundet sind. Sie wissen doch, den vom Marinearchiv. Der hört bestimmt gern etwas von einem Augenzeugen über die Grönlandgeschichte mit der HOOD.“ „Großartig! Admiral Assmann kenne ich gut. Briefe mitzunehmen?“ „Bei diesem Trubel hier mit der Werft? Noch keine Zeit zum Schreiben gehabt, Herr Kapitän! Wenn ,Unser Otto’ mich hier feiern sieht, kriege ich eine Zigarre!“ „Unser Otto“ ist der Erste Offizier, Fregattenkapitän Stoss, der jetzt überall im Schiff herumkriecht und absolut keine Zeit zu einer fröhlichen Feier hat. Der Maler, klein, dunkelhaarig mit nervös blinzelnden Augen wendet sich an den NO: „Wie sollen wir eigentlich hier herauskommen, Herr Kapitän, wenn die Reparatur beendet ist?“ Korvettenkapitän Beck hebt die Schultern:
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„Das wissen die Götter, Schmitz! Entweder neue Atlantikunternehmung mit den beiden Großen oder Rückmarsch mit ihnen. Wie? Dänemarkstraße wahrscheinlich. Hat die HIPPER ja gekonnt.“ Paulus schüttelt den Kopf: „Viel zu gefährlich, NO. In Scapa liegt die ganze Home-Fleet samt Flugzeugträgern. Wie sollen wir da klarkommen? Denkt euch was anderes aus, Kameraden! Hier, Fiedler! Noch ein kleines Gelbes bitte!“ „Jawohl, Herr Kapitän, ein Helles“, verbessert der untadelige Fiedler, „soll ich nicht lieber ein großes bringen?“ „Natürlich!“ fährt Paulus herum. „Hab ich etwa ein kleines gesagt? Ich werde alt, Fiedler! Ein großes selbstverständlich! Also: was meint ihr, wie sollen wir raus aus dieser Mausefalle?“ „Durch den Kanal“, erkläre ich, „den kürzesten Weg natürlich, durch den Englischen Kanal...“ Lautes Gelächter. Paulus sieht mich geradezu bedauernd an: „Sie sind verrückt, Fritz-Otto! Entschuldigen Sie! Aber das ist unmöglich! Denken Sie allein an die englischen Küstenbatterien so um Dover herum. Ganz zu schweigen von der Royal Air Force, mein Lieber!“ „Die Batterien habe ich erlebt, als ich an der Küste war, als der ,Seelöwe’ steigen sollte. Da feuerte eine nach einem Ort, wo wir gerade waren, Wisant- oder so ähnlich hieß er. Zwischen Calais und Gris Nez war das. Nicht sehr beeindruckend, sie langten nur gerade eben über die Küste. Alan müßte natürlich überraschend durchlaufen...“ „Und die englischen Flugplätze, die sie überall haben? In Kent, Sussex usw. Torpedoflieger, Bomber, Sturzbomber?“ Die ruhige, tiefe Stimme des II AO mischt sich ein: „Immerhin haben wir ja allerhand Flak auf den Schiffen!“ stellt Kapitänleutnant Schmalenbach fest. „Aber trotzdem...“ Paulus nimmt einen langen Schluck, zieht eine zerknüllte Zigarette aus der Tasche und steckt sie an: „Nein, Rückmarsch durch den Kanal scheint mir unmöglich, dann schon besser irgendwo oben durch. Küstengeschütze gegen Schiffe!
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Sie kennen doch den Spruch darüber?“ Er setzt das schon wieder geleerte Bierglas hart auf den Tisch und sieht mich fragend an. „Klar! ,Un canon sur terre vaut un bateau sur mer — eine Kanone an Land wiegt die ganze Artillerie eines Schiffes in See auf!’ Na, lassen wir das. Irgendwie müssen die Schiffe ja doch einmal hier raus.“ Ich sehe, wie der Maler nachdenklich zu mir herüberblickt, die Augen zukneift und zustimmend nickt. Er ist augenscheinlich meiner Meinung. „Wir sprechen uns wieder, wenn ihr glücklich durch den Kanal gekommen seid!“ sagte ich. Sie lachen und schütteln die Köpfe: „Unmöglich, Herr Kapitän! Unsinn, Busch, ganz ausgeschlossen!“ Der gute Fiedler, der mich seit den Tagen der Reichsmarine kennt, als er Steward auf dem Kleinen Kreuzer HAMBURG war, lächelt und läßt den Korken einer weiteren Schumpulle springen. Keiner von uns ahnt, daß genau drei Tage vorher der Admiral Frankreich einen Vorschlag nach Berlin sandte, die Schiffe durch den Englischen Kanal zurücklaufen zu lassen! „Hauptsache“, meint Paulus nach einer Weile, „sie lassen uns hier ungeschoren, bis wir wenigstens unsere Schäden klariert haben. Weiß einer, wie lange das dauern wird?“ Kapitänleutnant (Ing.) Grathoff, einer der Maschineningenieure gibt die Antwort: „Doch, Herr Kapitän. Bis Anfang Juli wahrscheinlich. Der LI hatte schon eine Besprechung mit Dr. Ing. Strobusch und Marinestabsingenieur Flemming. Hoffen wir, daß die Tommies uns nicht zu früh hier entdecken.“ Die deutschen Schiffe bleiben trotz der ausgezeichneten Tarnung nicht lange unentdeckt. Unter den französischen Werftarbeitern, die neben deutschen Spezialisten die Reparaturen der Schiffe ausführen, gibt es u. a. einen englischen Agenten. Er ist ehemaliger Lieutenant de vaisseau (Kapitänleutnant) der französischen Marine, der nun bei der Werft in Brest
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angestellt, alles beobachtet und der Londoner Admiralität weitermeldet, was er für wichtig hält. In veröltem und schmutzigem Arbeitsanzug radelt dieser Franzose zuweilen nach einem anstrengenden Arbeitstag aus Brest hinaus. Irgendwo, fünf Meilen außerhalb der Stadt, liegt zwischen blühendem Ginster — zwischen Feldern und Heide ein bretonisches Bauernhaus. Der Bauer hat eine hübsche Tochter, mit der dieser Werftarbeiter offensichtlich ein Verhältnis hat. Ungehindert passiert er die Straßenposten, warum auch nicht? Seine Papiere sind in Ordnung, wenn es ihm Spaß macht, abends noch aufs Land zu fahren, nun, ein Mädchen wird dahinterstecken, das kann jeder Landser verstehen, der an den Sperren die Zivilisten kontrolliert. Das Bauernehepaar empfängt ihn freundlich, läßt ihn auf dem Sofa der blondhaarigen, blauäugigen Tochter scherzen. Wenn irgendwelche Gestapomänner vorbeikommen und schnüffeln, sehen sie durch die breiten Fenster ein Liebespaar, nichts weiter daran auffällig, als höchstens die schlanken Beine der hübschen Bretonin. Daß beide nachher in den Keller steigen, der die dickbäuchigen Cidrefässer beherbergt, den Stolz jeder bretonischen Farm, bemerkt so leicht niemand. Im Keller zwischen hölzernen Äpfelgestellen, Steinguttöpfen, halb verrostetem Werkzeug und leeren Weinflaschen ist ein kleiner Geheimsender verborgen. Nach dem Diktat des ehemaligen Seeoffiziers beginnt das Mädchen mit flinken Fingern eine kurze Chiffre-Nachricht zu morsen. So kommt es, daß die Anwesenheit des Schweren Kreuzers in Brest bereits vier Tage nach dem Einlaufen, am 4. Juni im großen Admiralsstabsgebäude am Trafalgar Square in London bekannt ist. Bald danach setzen die ersten Bombenangriffe auf PRINZ EUGEN ein. In der Nacht vom 1. / 2. Juli 1941 schlägt die RAF nach wiederholten, vergeblichen Versuchen erneut zu und — trifft den Kreuzer. Die Bombe, eine schwere Panzerbombe mit Wandstärke bis zu 51 mm, haut an Backbordseite etwa unter der Achterkante Brücke in
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den Wassergang. Sie gleitet innen die schräge Bordwand hinunter, durchschlägt verschiedene Längsspanten, wird am Querspant umgelenkt, durchschlägt das Panzerdeck und den Boden des obersten Plattformdecks und explodiert erst im unteren Plattformdeck. Mitten im Herzen der Schweren Artillerie, in der vorderen Schalt- und Rechenstelle. Die Bombe tötet siebenundvierzig Menschen, denen in wenigen Tagen dreizehn weitere in den Tod folgen. Unter ihnen befindet sich außer dem hervorragenden Ersten Offizier, Fregattenkapitän Otto Stoss, und seinem treuen Läufer, dem Matrosengefreiten Heinrich Knüttel aus Essen-Steele, der eben von seiner Hochzeit aus der Heimat zurückgekehrte Bordfliegerleutnant Hane, ferner Leutnant Ziembinski, sowie der Oberfähnrich Burckhardt, der Sohn des Ministerialrats, der den Schweren Kreuzer PRINZ EUGEN entwarf und baute. Sie alle hielten sich während des Fliegeralarms auf ihren Gefechtsstationen in der Schiffszentrale und in den angrenzenden Räumen der Artillerie- und Torpedorechenstelle auf. Wenige Tage nach dem Angriff stehen siebenundvierzig Särge auf dem Friedhof von Brest in langen Reihen. Matrosengefreiter Knüttel wird auf Befehl des Kommandanten unmittelbar neben seinem Ersten Offizier zur Ruhe gebettet. Drei Salven krachen über die Gräber. Streit der Meinungen im FHQ Der Kanaldurchbruch: Für und Wider Die Vorgeschichte des berühmten Durchbruchs unserer Flotte durch den Englischen Kanal erstreckt sich über eine lange Zeit. Sie muß aber zum Verständnis der umfangreichen Vorbereitungen und des Verlaufs der Operation näher erläutert werden. Hierbei ist vor allem ein kurzes Eingehen auf die betreffenden Besprechungen im FHQ erforderlich. Nach dem unglücklichen Ausgang der BISMARCK-Unternehmung liegen drei schwere Einheiten der deutschen Kriegsmarine
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in Brest: die Schlachtschiffe SCHARNHORST und GNEISENAU und der Schwere Kreuzer PRINZ EUGEN. „SCHARNHORST“ geht nach vollendeter Maschinenüberholung im Juli 1941 von Brest nach La Pallice. Alle drei Einheiten hatten großen Besatzungswechsel vorgenommen und sind nun bestrebt, die neuen Mannschaften auszubilden und die Schiffe einzufahren. Das ist in Brest wegen der ständigen Luftangriffe der RAF und der UBootsgefahr zu gefährlich. Das nördlich der Gironde gelegene La Pallice scheint als Stützpunkt sicherer. Die RAF, die die Bewegungen der drei Schiffe scharf überwacht, hat die Verlegung sehr bald erkundet und greift mit ihren Bombern an. SCHARNHORST wird von drei Blindgängern und zwei leichten Bomben getroffen und beschädigt. Das Schlachtschiff muß mit 3 000 Tonnen Wasser im Schiff und starken Schäden in der Kabelanlage zur Reparatur in die Werft von Brest zurücklaufen. Dort mehren sich trotz bester Tarnung, sehr starker rings um Hafen und Stadt verteilter, ausgezeichneter Flak und großer Rauch- und Nebelanlagen die Angriffe der englischen Bomber. Die Lage der drei Schiffe in Brest wird unerträglich. Sie wird neben anderen Fragen der Seekriegsführung am 13. November 1941 im FHQ, in der sogenannten Wolfsschanze bei Rastenburg in Ostpreußen, besprochen. Im Verlauf der Sitzung taucht zum ersten Male der Gedanke eines Durchbruchs durch den Englischen Kanal, wenn auch zunächst nur für PRINZ EUGEN auf. Großadmiral Raeder meldet die drei Einheiten für Februar 1942 materiell einsatzbereit. Atlantikoperationen seien dann möglich und würden sicherlich günstige strategische Auswirkungen zeitigen. Eine Heimkehr durch das Seegebiet um Island sei wegen der Nähe Scapa Flows gefährlich. Sie könne nur als Überraschungsunternehmung durchgeführt werden. Die Schiffe weiter in Brest zu halten, sei wegen der ständig wachsenden Gefahr aus der Luft nicht zu empfehlen. Allerdings zwinge schon allein die Anwesenheit der Schiffe den Gegner zu stärkerem Schutz seiner Atlantikkonvois. Der Oberste Befehlshaber stimmt zu und bemerkt, er würde die
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Schiffe, falls nötig, gern zu einem Angriff auf die Azoren benutzen. Im Anschluß hieran stellt er plötzlich eine unerwartete Frage: er erkundigt sich, wie die Chancen für einen überraschenden Rückmarsch durch den Englischen Kanal seien? Großadmiral Raeder antwortet nach kurzem Nachdenken: „Bei PRINZ EUGEN halte ich das für möglich, bei den Schlachtschiffen nicht. Die Frage müsste genauer überlegt und geprüft werden.“ Im Lauf des Dezember des gleichen Jahres tauchen an Hand englischer Kommando-Unternehmungen auf norwegische Küstenplätze im FHQ Befürchtungen wegen eines englischen Angriffs auf die deutschen Nachschub- und Transportlinien nach Nordnorwegen, auf. Norwegen müsse besonders stark verteidigt werden. Eine Besprechung, die vor allem dieser Frage gilt, findet am 29. Dezember 1941 wiederum in der Wolfsschanze statt. Großadmiral Raeder meldet die drei Einheiten materiell gefechtsklar: PRINZ EUGEN zum 31. Dezember des gleichen Jahres, SCHARN-HORST für den 5. und GNEISENAU für den 10. Januar 1942. Bis zu diesen Daten könne nur theoretische Ausbildung der Besatzungen erfolgen, danach müsse auf Reede und in See ausgebildet und die Schiffe eingefahren werden. Er führt danach die Schwierigkeiten einer Kanalfahrt näher aus, die er für undurchführbar erklärt. Hierauf werden vom Obersten Befehlshaber wieder die Argumente eines angeblich bevorstehenden englischen Angriffs auf Nordnorwegen vorgebracht. Man kann sich unschwer vorstellen, mit welchen Gefühlen der Großadmiral und der ebenfalls anwesende Vizeadmiral Fricke die nun folgenden Ausführungen anhören! Wenn die Briten die Sache richtig anpackten, meint Hitler, würden sie an verschiedenen Stellen der norwegischen Küste zugleich angreifen, Sie würden durch einen Großeinsatz ihrer Flotte in Nordnorwegen versuchen, Truppen zu landen und die deutschen Besatzungsstreitkräfte hinauszuwerfen. Das könne für den Kriegsausgang entscheidend werden. Die deutsche Flotte müsse sämtliche Streitkräfte zur Verteidigung Norwegens einsetzen. Die Rückkehr der
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Schiffe aus Brest sei demzufolge höchst wünschenswert. Sie könnte am besten durch den Kanal erfolgen, da dies den Feind völlig überraschen würde. Ausbildungsfahrten wären zu unterlassen und schlechtes Wetter für die Unternehmung zu wählen, das Luftangriffe ausschlösse. Die Admirale sehen sich an. Bei schlechtem Wetter? Da pflegen die navigatorischen Schwierigkeiten einer Kanaldurchfahrt am größten zu sein. Sie hören weiter. Es wird nochmals betont, daß jedes Auslaufen zu Ausbildungszwecken ausfallen müsse, weil die Briten stets ausgezeichnet durch ihren Intelligence Service unterrichtet seien und dann vermehrte Torpedo- und Bombenangriffe ausführen würden. Die Admifale nicken zustimmend, aber auf das, was nun folgt, sind sie nicht gefaßt! Der Oberste Befehlshaber betont, wenn ein überraschender Durchbruch durch den Kanal unmöglich sei, dann solle man besser die Schiffe außer Dienst stellen und Geschütze und Besatzungen zur Verstärkung der norwegischen Stellungen verwenden! Der Großadmiral, dessen Lebenswerk der Ausbau der Flotte war, schweigt. Er verfärbt sich, die Ungeheuerlichkeit des eben Gehörten läßt ihn verstummen. — Während eine Debatte über den Wert der Torpedoflugzeuge anhebt, blitzt dem Großadmiral eine Erinnerung durch den Kopf. Kanaldurchbruch? Wie war es doch? Richtig, schon am 31. Mai dieses Jahres 1941, noch ehe die PRINZ EUGEN in Brest einlief, hatte der Admiral des Marinegruppenkommandos West aus Paris ein Memorandum nach Berlin gesandt. In ihm war zum ersten Male für die beiden Schlachtschiffe (die „Ugly Sisters — die häßlichen Schwestern“, wie die RAF nach ihren nicht sehr erfolgreichen Angriffen diese schönen Schiffe nannte) eine Rückfahrt durch den Kanal erwähnt und empfohlen worden. Man müßte diese Möglichkeit sorgsam prüfen, hatte der Admiral geschrieben. Der Gedanke, durch den Kanal zurückzukehren, war damals vollkommen neu, und der Großadmiral hatte dem Vorschlag zwar nicht viel Wert beigemessen, aber immerhin angeordnet, daß eine solche
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Möglichkeit sorgfältig geprüft werden solle. Alle Marinegruppenkommandos wurden ersucht, ihre Ansicht mitzuteilen und Operationspläne für den Durchmarsch eines Kreuzers auszuarbeiten. Unabhängig vom Ergebnis der für die Gruppenkommandos befohlenen Prüfung war der Stab der SKL (Seekriegsleitung) der Meinung, daß man zur Zeit einem Durchbruch durch den Englischen Kanal nicht zustimmen könne. Er, der Großadmiral selbst, hatte die Schlußfolgerung gezogen und geschrieben, daß die SKL einen unbeobachteten und sicheren Rückmarsch durch den Kanal für unmöglich halte. Und jetzt? Wenn der Oberste Befehlshaber nun die Schiffe außer Dienst zu stellen befiehlt? Es ist bemerkenswert, daß selbst das englische Seekriegswerk bei der Darlegung der Ausführungen Hitlers bemerkt, daß dies „für den Schöpfer der deutschen Flotte eine sehr bittere Pille sei“. Nach der Debatte über die Torpedoflugzeuge entsteht ein Disput über den Wert oder Unwert der Schlachtschiffe. Großadmiral Raeder horcht auf. Natürlich: der Wert der schweren Einheiten wird wieder einmal abgestritten! Hier darf er nicht schweigen, was verstehen schon diese kontinental eingestellten Männer des OKW vom Seekrieg, geschweige denn von Schlachtschiffen, die in diesem Krieg immer noch ihre gewichtige Rolle spielen? Er sieht auf, räuspert sich und beginnt seine Meinung zu dieser Frage klar, überlegt und unmißverständlich darzulegen. An der Erwiderung des Obersten Befehlshabers, der mehrfach die Notwendigkeit des Schutzes für Norwegen betont und seine Entscheidung bis zur Klärung der Lage in Nordnorwegen hinauszögern will, erkennt der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, wie wenig seine Verwaltungen genutzt haben. Er ist entschlossen, es nicht zur Außerdienststellung des Brestgeschwaders kommen zu lassen. „Dann bitte ich um Erlaubnis, daß diese Fragen noch einmal genauestens geprüft werden, ehe eine Entscheidung getroffen wird!“ Er erhält die Erlaubnis. Die Furcht der Obersten Führung vor einer englischen Invasion Nordnorwegens hält auch im Anfang des folgenden Jahres, 1942, in dem der russische Feldzug die Gedanken der Führung von den west-
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lichen Gegnern ablenkt, an. Am 3. Januar 1942 erhält der Großadmiral ein Schreiben des Admirals Frankreich, in dem nunmehr vor einem Rückmarsch der Schiffe durch den Kanal dringend gewarnt wird! Kurz danach äußert sich der Admiral Norwegen, weit entfernt, der Ansicht des Obersten Befehlshabers zuzustimmen, in ähnlicher Weise. Auf diese, seiner eigenen Ansicht entsprechenden Schreiben der beiden Admirale macht Großadmiral Raeder dem Obersten Befehlshaber den Vorschlag, die Schiffe in Brest zu belassen und so den strategischen Vorteil nicht aus der Hand zu geben. Die Einheiten dürften weder außer Dienst gestellt noch ihrer Armierung beraubt werden. Hitler bleibt bei seiner Meinung. Obwohl der Großadmiral nach wie vor die Bedrohung Norwegens nicht ernst nimmt, ist er nunmehr gezwungen, einen Plan für den Rückmarsch durch den Kanal ausarbeiten zu lassen. Gleichzeitig beruft Hitler, dem der ständige Widerstand der Admirale gegen seine Befürchtungen betreffs Norwegens mißfällt, eine Zusammenkunft der Stäbe der drei Wehrmachtsteile. Sie findet am 12. Januar 1492 in der Wolfsschanze statt und soll die strittigen Fragen der Verwendung der drei Einheiten von Brest klären. Von der Marine sind außer dem Großadmiral anwesend: der Chef des Stabes der SKL, Vizeadmiral Fricke, der Befehlshaber der Schlachtschiffe, Vizeadmiral Ciliax, der Befehlshaber der Sicherung West, Kapitän zur See und Kommodore Ruge, sowie der Chef des Stabes des BdS. Die Luftwaffe ist durch Generalleutnant Jeschonnek und Oberst Galland vertreten. Es wird eine Sitzung, in deren Verlauf sich wieder sehr klar der Gegensatz der Meinungen über das Für und Wider einer Rückkehr der Brest-Schiffe und die Abneigung der führenden Admirale gegen einen Durchbruch durch den Englischen Kanal zeigen. Der Großadmiral selbst leitet die Sitzung mit einem Vortrag über den gesamten Fragenkomplex ein. Alle hierfür in Frage kommenden Stellen hätten den Rückmarsch durch den Kanal reiflich geprüft. Trotzdem und gerade auf Grund der Untersuchungen glaube er, von
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einem solchen Unternehmen abraten zu müssen. Falls dennoch die Ausführung befohlen würde, müßte sie sich streng an die ausgearbeiteten Operationspläne halten. Vizeadmiral Ciliax und Kommodore Ruge würden über Spezialfragen vortragen. Ehe die Genannten ihre Vorträge beginnen können, ergreift der Oberste Befehlshaber selbst das Wort. Nach Ausführungen über die Brester Luftangriffe erklärt er, er sei geneigt, zu überlegen, ob die Schiffe im Atlantik eingesetzt werden sollten, wenn er wüßte, daß die Lage in Norwegen sich ändere, und außerdem garantiert sei, daß die Schiffe vier bis fünf Monate hindurch in Brest unbeschädigt liegen könnten. Da das nicht zu erwarten sei, wäre er entschlossen, die drei Einheiten aus Brest auslaufen zu lassen. Der Kern der deutschen Seestreitkräfte müsse nach Norwegen verlegt werden. Infolge dieser grundlegenden Ausführungen hält nun auf einen Wink des Großadmirals der BdS seinen Vortrag über die für den Rückmarsch der Schiffe notwendigen Vorbereitungen und Planungen. Er betont vor allem die Notwendigkeit starken Jägerschutzes. Eine Pause folgt, in der die Oberste Führung die Meinung der Sachverständigen über die Möglichkeit eines Rückmarsches über die nördlichen Seewege einholt. Es sei völlig gleich, auf welchem Wege die Schiffe zurückkämen, solange die Gewähr geboten würde, daß sie in norwegische Gewässer verlegt werden könnten. Alle drei anwesenden Admirale erklären, die nördlichen Seewege seien aus verschiedenen Gründen abzulehnen. Hiernach hält Kommodore Ruge seinen Vortrag über das Verteidigungssystem an der französischen Atlantik- und Kanalküste und über die Minensituation. Großadmiral Raeder, der die Vorträge schweigend anhört, stellt nochmals fest, daß Erfolg oder Mißerfolg dieses Unternehmens von der strengsten Geheimhaltung des Vorhabens abhänge. Er weist ferner noch einmal auf die Forderungen hin, die betreffs Sicherung aus der Luft gestellt werden müßten. Das bisher Gesagte wird noch einmal vom Obersten Befehlshaber zusammengefaßt: Betonung des Überraschungsmomentes, die Schiffe dürften Brest nicht am Tage verlassen und müßten die Doverstraße
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am Tage passieren. Er glaube an Hand früherer Erfahrungen nicht, daß die Engländer imstande seien, plötzliche und durchschlagende Entschlüsse zu fassen und auszuführen. Die Luftwaffen- und Marineführer stimmen zu. Aber das Lächeln auf den Gesichtern der Admirale verschwindet bei dem, was anschließend gesagt wird: die Lage in Brest sei mit der eines an Krebs leidenden Patienten zu vergleichen, der ohne Operation dem Tode verfallen würde. Eine Operation aber würde immerhin — selbst, wenn sie einen schweren Eingriff bedeute — Hoffnung auf Erhaltung des Lebens des Patienten geben. Das Passieren des Englischen Kanals sei eine solche Operation. Sie müsse daher versucht werden. Großadmiral Raeder stellt die Frage, was geschehen solle, wenn eins oder zwei Schiffe vorher durch Bomben beschädigt würden? Es wird entschieden, daß die Schlachtschiffe, wenn beide seeklar und der Schwere Kreuzer nicht auslaufklar sei, auslaufen sollen, ebenso etwa ein Schlachtschiff und der Kreuzer. Keinesfalls aber sollte PRINZ EUGEN allein den Durchbruch fahren. Nachdem diese Entscheidung festgelegt ist, meldet sich Vizeadmiral Fricke mit der Frage, was mit TIRPITZ geschehen solle? Die Antwort erfolgt — wie bei der Einstellung der Obersten Führung nicht anders zu erwarten war: „Das Schlachtschiff ist sofort nach Norwegen zu verlegen!“ Als alle schon die Besprechung als beendet betrachten, tönt nochmals die Stimme Hitlers durch den schmucklosen Raum: mit einem Belassen der Schiffe in Brest sei nichts gewonnen. Sollte die Kampfgruppe mit dem Kanaldurchbruch Erfolg haben, so bestünde die Chance, sie später immer noch mit gutem Erfolg einzusetzen. Solange sie jedoch in Brest blieben, wären sie nichts als Zielscheiben für die RAF. Der Gegner müßte sich ja geradezu verpflichtet fühlen, sie anzugreifen! In dem Moment jedoch, in dem sie ernstlich beschädigt werden sollten — und das könne jeden Tag eintreten — würde der Engländer seine Angriffe einstellen. Diese Tatsache mache den Vorteil, dessentwegen man ein Verlassen von Brest nicht für ratsam halte, zunichte. Mit Rücksicht auf alle diese Umstände entschiede er nunmehr endgültig, daß die Operation im Sinne des Vortrags des
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Großadmirals durchzuführen sei. Hiermit findet die denkwürdige Besprechung des 12. Januar 1942 ihr Ende. Planung und Geheimhaltung Im Laufe des Januar mehren sich die — wahrscheinlich vom Gegner lancierten — Gerüchte über angebliche Vorbereitungen zu einer Landung der Engländer in Nordnorwegen. Hitler ist mehr denn je davon überzeugt, daß eine solche Landung unmittelbar bevorsteht. Er beeilt sich, dieser möglichen Gefahr mit militärischen und politischen Maßnahmen zuvorzukommen. Truppen, Seestreitkräfte und Luftwaffeneinheiten werden bewegt und verlegt. Eine Besprechung über die Verteidigung Norwegens, den „Schicksalsraum des ganzen Krieges“, wie der Oberste Befehlshaber meint, wird einberufen. Sie findet am 22. Januar statt. Der Chef des Stabes der SKL, Vizeadmiral Fricke, berichtet später dem Großadmiral. Dieses Memorandum des Stabschefs spiegelt die völlig unbegründete Furcht Hitlers vor einer englischen Invasion Norwegens in aller Deutlichkeit wieder. Sie bleibt auch der Hauptgrund zum Rückmarschbefehl für das Brestgeschwader, den die Oberste Führung nun auszuführen anordnet. Er soll unter Ausnutzung aller leichten Seestreitkräfte stattfinden. Nur Schnellboote seien im Kanal zu belassen, alle anderen verfügbaren Kriegsschiffe sollen in Norwegen verwandt werden. Es sei wiederholt betont worden, daß äußerste Beeilung und außergewöhnliche Leistungen von größter Bedeutung wären. Hitler sei — so schließt der Bericht — zutiefst davon überzeugt, daß unangenehme Entwicklungen in Norwegen schwerste Folgen für den Gesamtverlauf des Krieges haben würden. Eine Nachschrift des Vizeadmirals besagt: „Zu dem Brennstoffproblem, das ich als sehr ernst vor allem in Bezug auf die geplante Operation schilderte, hatte der Oberste Befehlshaber nichts zu bemerken.“ Man kann sich leicht vorstellen, mit was für einem Gesicht der Stabschef diesen Bericht dem Großadmiral überreicht und was dieser
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zu den einzelnen Punkten, wie der Desarmierung der Ostseeschiffe oder dem unmöglichen Verlangen, die Marine müsse eine der Luftwaffenaufklärung gleichwertige Erkundungstätigkeit bei schlechtem Wetter entfalten, zu sagen hat! Diese Besprechung vom 22. Januar bleibt die letzte, die vor Ausführung des Kanaldurchbruchs in Gegenwart von Vertretern der SKL stattfindet. Die Operationspläne selbst sind zum Beginn des Februar fertig auesgearbeitet. Vizeadmiral Ciliax soll die Seestreitkräfte, Oberst Galland die zur Verfügung gestellten Streitkräfte der Luftwaffe führen. Es ist ihm gelungen, eine ausreichende Zahl von Kurz- und Langstreckenjägern aufzubringen. Mehr als zweihundertfünfzig Jäger des Generalfeldmarschalls Sperrle werden für die Schiffe den Schutz aus der Luft übernehmen. Die Geheimhaltung der zu den vorbereitenden Operationen gehörenden kleineren, aber sehr notwendigen Unternehmungen wird strengstens beachtet. Sie werden getarnt ausgeführt. So läßt man die Minensucharbeiten, bei denen der gesamte Weg durch den Kanal mehrfach abgesucht werden muß, in folgender Weise ausführen: die einzelnen Minensuch- und Räumbootsflotillen fahren mit ihren Geräten unter den verschiedensten Vorwänden Teilstücke ab, aus denen sich der Gegner kein Bild des Ganzen machen kann. Dabei werden die gefundenen Sperren geräumt oder der Kurs des Weges abseits von den Minenfeldern verlegt. Die sogenannte Prachtstraße von Brest bis zur deutschen Küste ist frei! In knapp vier Wochen geräumt. Die zum Geleit der drei schweren deutschen Einheiten bereitgestellten leichten Seestreitkräfte sind so verteilt, daß ihre zahlenmäßige Stärke mit dem Ablauf der Unternehmung sich steigert. Im ersten Abschnitt, beim Auslaufen aus Brest, sollen sechs Zerstörer und drei Torpedoboote die Kampfgruppe sichern. Nach Passieren Cherbourgs haben zwei Schnellbootsflottillen mit zusammen zehn Booten den Befehl, zum Verband zu stoßen, desgleichen acht Torpedoboote, die alle aus Le Havre auszulaufen haben. Vor Passie-
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ren der engsten Stelle zwischen Dover und Kap Gris Nez haben fünfundzwanzig weitere Schnellboote aus Le Touquet, dazu Torpedoboote, Minensucher und Vorpostenboote die Geleitstreitkräfte auf insgesamt dreiundsechzig Einheiten zu verstärken. Zum gleichen Zeitpunkt soll auch der Jägerschutz, den Oberst Galland von Le Touquet aus leitet, seine größte Stärke erreichen, Bomber sollen auf Wartestellung über den Wolken stehen, bereit, sich auf etwa erscheinende feindliche Schiffsziele zu stürzen. Oberst Galland verteilt seine Jäger so, daß während des Marsches der Flotte entlang der Kanalküste stets ein Schirm von rund sechzehn Jagdflugzeugen über den großen Schiffen steht. Jede Welle bietet einen Schutz von 35 Minuten Dauer. Jede ablösende Welle hat zehn Minuten vor dem Rückflug der gerade Schutz fliegenden Jäger zu erscheinen, so daß demgemäß zu jeder Stunde etwa zwanzig Minuten lang nicht weniger als zweiunddreißig Jagdflugzeuge über dem Verband kreisen. Diese Maßnahme erlaubt ferner, daß genügend starke Gruppen auf den Flugplätzen bereit stehen, die bei stärkeren feindlichen Angriffen sofort starten können. Der Oberst hat ferner jeder der drei großen Einheiten einen Jägerleitoffizier an Bord gegeben, der mit Kurzwellen-Sprechfunkgerät ausgerüstet, die Jäger ansprechen kann. Der Älteste dieser Verbindungsoffiziere, Oberst Ibel, wird auf der als Flaggschiff bestimmten SCHARNHORST eingeschifft. Er kann nun bei etwa sich entwikkelnden Angriffen den Einsatz seiner Jäger leiten. Die Hauptleitstelle der Jagdgeschwader, Oberst Galland in Le Touquet, ist mit zwei Hilfsleitstellen, Caen und Schiphol bei Amsterdam verbunden, die ihrerseits in Verbindung mit den dort liegenden Jagdflugplätzen stehen. Die Luftwaffe läßt in den ersten Februartagen zum Einspielen dieses komplizierten Verbindungsnetzes nicht weniger als vierhundertfünfzig Scheinangriffe fliegen. Sie werden unter den Bedingungen eines Kanaldurchbruchs ausgeführt und zwar so geschickt, daß die Engländer keinerlei Verdacht schöpfen. Der Deckname für diese Unternehmungen lautete „Frühlingsanfang“. Geheimhaltung, absolute Geheimhaltung ist oberster Grundsatz.
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So wird befohlen, daß nur ein paar Männer, die unbedingt Bescheid wissen müssen, eingeweiht werden dürfen. Der Chef des Stabes der 3. Luftflotte bestimmt, wer einzuweihen ist und läßt eine Liste aufsetzen, die von den Betreffenden „in gut leserlicher Handschrift“ zu unterzeichnen ist. „Die Geheimhaltung“, heißt es in dem Befehl, „wird erst mit dem Tage X aufgehoben und zwar in dem Augenblick, wo es als sicher angesehen werden kann, daß der Gegner die Schiffe gesichtet hat.“ Am 30. Januar meldet Vizeadmiral Ciliax nach Berlin: „GNEISENAU hat ihre erste Probefahrt ausgeführt. Regnerisches Wetter verringerte die Sicht so, daß ein geplantes Übungsschießen nicht durchgeführt werden konnte. Maschinenanlagen sind vollkommen betriebsklar.“ Drei Tage später läuft auch SCHARNHORST aus und kann bei besserem Wetter einen Tag lang in der Iroise-Bueht, an deren Ende Brest liegt, mit neunundzwanzig Meilen Fahrt Artillerieschießen mit allen Kalibern abhalten. Arn 4. Februar hat auch PRINZ EUGEN ihre Probefahrten und Schießübungen erfolgreich abgeschlossen. Am gleichen Tage setzt der Befehlshaber der Schlachtschiffe, Vizeadmiral Ciliax, seine Flagge auf SCHARNHORST und erläßt seine Operationsbefehle für den Marsch durch den Kanal. In der Einleitung zu den Ausführungsanordnungen steht ein Befehl, der fordert, daß die Führer der Geleitflottillen nicht eher Durchschläge des Operationsbefehls bekommen sollen, bis das Geheimwort „Ganges“ — Tarnname für eine angebliche Unternehmung in den Pazifik — gegeben wird. Nach Ausführung der Unternehmung sind die Operationsbefehle zu vernichten. Sie lauten: 1) Zweck ist die Ausführung dieses Marsches nach Osten unter Ausnutzung der höchsten Geschwindigkeit des Verbandes. Die Unternehmung wird bei Neumond ausgeführt. Sie wird unternommen, wenn auch nur ein Schlachtschiff am Tage der Ausgabe des Geheimworts auslaufbereit ist, sie fällt aus, wenn nur PRINZ EUGEN seeklar sein sollte. 2) Es ist eine für die deutsche Marine kühne und unerhörte Ope-
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ration. Sie wird Erfolg haben, wenn diese Befehle genauestens befolgt werden. Die Auslegung der Befehle hat keinen Spielraum, sie müssen jederzeit genau innegehalten werden. 3) Ich erwarte während der Durchführung der Unternehmung Angriffe aus der Luft, Angriffe durch leichte Seestreitkräfte und Minengefahr. Ich betrachte einen Angriff durch schwere feindliche Einheiten für sehr unwahrscheinlich. Er würde nur dann aus den schottischen Häfen erfolgen, wenn der Gegner unser Vorhaben zu einem sehr frühen Zeitpunkt bereits erfahren hat und gewillt ist, ein großes Risiko auf sich zu nehmen. Feuer durch die Küstenbatterien ist während des Passierens der Doverstraße wahrscheinlich. 4) Die Schiffe werden in folgender Reihenfolge auslaufen: SCHARNHORST, GNEISENAU und PRINZ EUGEN. Die Geleitstreitkräfte werden gemäß ihrer Befehle außerhalb des Hafens ihre Stationen einnehmen. 5) Gefechte sind nicht anzustreben, der Gegner ist nur dann anzugreifen, wenn die Operation ohne einen solchen Angriff nicht durchzuführen ist. Die Aufgabe, so schnell wie möglich ostwärts zu kommen, geht allem anderen vor. — Aus den vielfachen Besprechungen im FHQ, den Unternehmungen, die vorbereitend durchgeführt werden mußten, den Operationsbefehlen für Luftwaffe und Marine geht hervor, welche Unsumme von Arbeit zu leisten ist, ehe eine derartige Unternehmung zum Anlauf kommen kann. Das Bestreben, die absolute Geheimhaltung sicherzustellen, treibt die seltsamsten, aber erfolgreiche Blüten. Geheimhaltung ist nötig, um die Vorbereitungen und das Auslaufen selbst den Späheraugen des stets über dem Hafen Brest hängenden britischen Aufklärers, den draußen liegenden englischen U-Booten und nicht zuletzt den zahllosen feindlichen Agenten in und um Brest zu verbergen. Die französischen Werftarbeiter und die französische Bevölkerung, die männliche — und nicht zu vergessen! — die weibliche steht selbstverständlich auf Seiten des Gegners, auch wenn sie nicht direkt in der Widerstandsbewegung tätig ist. Jede Bewegung der drei Schiffe wird beobachtet und weitergegeben. Aber die Geheimhaltung gelingt voll-
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kommen! Zu den Vorbereitungen gehört auch die Verbreitung falscher Nachrichten. Im Einvernehmen mit den Marinestellen werden von der deutschen militärischen Abwehr III F, Paris, irreführende und falsche Mitteilungen zum englischen Geheimdienst lanciert. Auf allen nur möglichen Wegen spielt man kleine und sehr wahrscheinlich klingende Meldungen über den Zustand der Brestschiffe: schwere Beschädigungen durch Bombentreffer, langdauernde Reparaturzeiten usw., an den englischen Nachrichtendienst. Der Chef des Stabes des Befehlshabers der Schlachtschiffe, Kapitän zur See Reinicke, führt eines Tages ein Telefongespräch mit dem Marinegruppenkommando West in Paris. Der Erfolg sind drei Einladungen an die Kommandanten der drei Schiffe. Der Befehlshaber der Gruppe West bat sie hinausgehen lassen. Einladungskarten zu einer Treibjagd in Fontainebleau. Auf Hasen. Und zum darauffolgenden Diner natürlich. Uhrzeit 20 Uhr am 18. Februar. Auf PRINZ EUGEN wird diese höchstoffzielle Angelegenheit, die selbstverständlich keiner der Kommandanten ablehnen kann, auf folgende Weise bekannt. Kapitän Brinkmann, der Kommandant des Schweren Kreuzers, läßt — da er eingeweiht ist — absichtlich die Einladungskarte auf seinem Schreibtisch liegen. Wenig später klingelt er seinen Aufklarer herbei. Der Seemann erscheint und nimmt verdutzt eine Schrotflinte entgegen, die der Kapitän ihm in die Hand drückt. „Hier, der Artilleriemechaniker soll den Vogel mal überholen. Visier nachprüfen usw. Scheint irgendwie verkantet zu sein. Los, ab dafür!“ Mit der Schrotflinte am Riemen über der Schulter läuft der Aufklarer in der Artilleriewerkstatt dem Obermechaniker direkt in die Arme. „Diese Kanone soll überholt werden, Herr Obermechaniker. Befehl vom Kommandanten.“ „Schön, machen wir leicht. Wann soll die Donnerbüchse klar sein?“ „Der Alte sagt, er müsse am 18. abends nach Paris fahren. Treib-
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jagd. Er will aber vorher noch ein bißchen am Strand ballern, um sich vor den hohen Herren nicht allzu sehr zu blamieren.“ Mit dem Brustton der Überzeugung gibt der Obermechaniker die allgemein übliche, leider irrige Ansicht über hohe Stäbe zum besten: „Natürlich, in Paris haben sie bestimmt mehr Zeit zum Üben! Wer hat denn eingeladen? Doch nicht der Admiral?“ „Genau der, Gruppenkommando West. Ich habe die Einladung selbst gesehen: hochfeines Papier. Admiralsflagge drauf, Unterschrift vom Admiral persönlich. Der Alte hat dann auch gleich am Strand von Porspoder auf Kaninchen gefeuert. Die Fischer werden vielleicht gestaunt haben! Erfolg... na, schweigen wir darüber. Muß am Visier gelegen haben, meinte der Alte, verkantet oder so, soll besonders nachgesehen und ad - ad...“ „Adjustiert werden!“ ergänzt der Obermechaniker mit der Miene des ausgekochten Fachmanns. Er grinst. „Kannst dem Alten einen Vers sagen, mein Junge, werde ihn dir nachher aufschreiben. Anleitung für Artilleristen auf Hasenjagd. Die Geschichte von der Schrotflinte des Kommandanten ist mit Windeseile im ganzen Schiff herum. Und bei den kleinen Französinnen und Bretoninnen, von denen manche — weil sie nämlich jede Nachricht begierig aufschnappen und weiterleiten — besonders gerne mit den deutschen Seelords scherzen. Sie merken sich vor allem das Pariser Datum bei der Jagdgeschichte. Es dauert nicht lange, dann ist die Nachricht in London und die Herren am Trafalgar Square reiben sich die Hände: „Die Deutschen denken noch nicht an Auslaufen. Sie werden in frühestens anderthalb bis zwei Wochen in See gehen!“ Damit ist der Zweck dieser prächtigen, und prunkvollen Einladung restlos erreicht. Im Schiff selbst nebenbei ebenfalls. „Aha!“ meint der Oberstückmeister Pietzka von der Leichten Flak, als sie in der Oberfeldwebelmesse die Einladung für ihren Kommandanten besprechen. „Heute ist der 10. Februar, wir haben also noch gut eine Woche, vielleicht sogar zwo Wochen Zeit, bis wir auslaufen. Wenn über-
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haupt“, setzt er ein wenig mißmutig hinzu. Oberfunkmeister Wehlen stimmt zu: „Leider scheinst du recht zu haben. Liegt absolut nichts Besonderes an. Verdammter Mist!“ „Anliegen tut der große Ball an Land!“ grinst Oberpumpenmeister Wetzel. „Unsere Rheinländer sind schon ganz verrückt auf den, ist doch Karnevalszeit für die!“ Richtig, der große Karnevalsball an Land! Den hatten sie, die meist Norddeutsche sind, fast vergessen. Der Seekommandant Brest hat zu diesem Ball die französischen Behörden, die Prominenz der Stadt und die Bevölkerung eingeladen. Ein Riesenfest soll das werden. „Der Stab vom Seekommandanten hat mehrere Säle requirieren und alle Omnibusse für die zahlreichen Gaste bereitstellen lassen!“ sagt der blonde, große Stabsobersteuermann Worthmann. „Das geht natürlich auf die Flaggen und Wimpel vom Stabssignalmeister!“ „Die rück’ ich erst im letzten Augenblick raus!“ ruft der entrüstet. „Ist genug buntes Tuch gekauft worden, und vorgestern erst hat der IO die Dekorateure unter den Seelords ausgesucht, die beim Ausschmücken helfen sollen. Auch so’n Bohnchen für die lieben Drükkeberger. Ich hab gar nicht gewußt, daß wir so viele Dekorateure unter unseren Männern haben!“ Vor dem Schiff auf der Pier stoppen eines Tages ein paar große Lastwagen. Voller Khakizeug, Tropenuniformen und andere Dinge, die man unter heißer Sonne braucht: Leibbinden, leichtes Unterzeug und dergleichen. Obendrein wird bekannt, daß die Verwaltungsoffiziere Riesenmengen von Tropenhelmen bestellt haben. Mit der Weisung an die hocherfreutem französischen Lieferanten, diese Aufträge doch bitte geheim zu halten. Es sei keineswegs nötig, daß jedermann in Brest davon Wind bekomme. „Certainement, Monsieur, mais certainement, mon capitain!“ hätten die Geschäftsleute mit todernster Miene versichert. Damit ist sichergestellt, daß diese auffälligen Aufträge am gleichen Tage überall in der Hafenstadt verbreitet und dementsprechend auch mit Sicherheit nach London weitergegeben werden.
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Eine weitere Maßnahme, die zur Sicherung des Durchmarsches durch den Kanal getroffen wird, liegt auf rein technischem Gebiet. Den Soldaten und Ingenieuren des Luftwaffengenerals Martini, der unter anderem den Störsendereinsatz unter sich hat, gelingt eine neue, sehr geheimgehaltene Methode, die zahlreichen an der südenglischen Küste aufgebauten Radargeräte des englischen Luftwarndienstes zu stören und damit auszuschalten. Seit den ersten Februartagen werden diese Stationen systematisch täglich zu bestimmten Zeiten gestört. Das geschieht meist während der Morgendämmerung für wenige Sekunden, die sich langsam zu Minuten steigern. Das fiel weiter nicht besonders auf. Der Gegner hält es zunächst für atmosphärische Störungen, die allmählich längere Zeit anzuhalten pflegen. Die Bedienungsmannschaften der Radargeräte gewöhnen sich daran und schreiben die Ursache der Wetterlage zu. Alle Geräte, vom Elfmeterbereich bis zu den 80 cm-WellenGeräten fallen vorübergehend aus. In den betreffenden Zeiten versagt das gesamte englische Luftwarnsystem. Als sich diese Störungen im Laufe der ersten zehn Februartage über immer längere Zeiträume erstrecken, erwartet man drüben einen Massenangriff der deutschen Luftwaffe. — Eine Maßnahme, die der Armeebefehlshaber von Brest trifft, zieht einen lückenlosen undurchdringlichen Ring um die ganze Stadt. Er läßt einen Truppenkordon aufziehen. Jede aus Brest hinausführende Straße, jeder Feldweg wird durch Posten gesperrt. Nur als absolut vertrauenswürdig bekannte Franzosen dürfen passieren. Die Kontrolle wird äußerst streng gehandhabt. Damit sind Stadt und Hafen von der Außenwelt abgeschnitten, versiegelt und stumm gemacht. Nun ist endlich alles klar zur Ausführung des Unternehmens: die Schiffe selbst, die Streitkräfte der Luftwaffe, der Großeinsatz der Störsender, die Abriegelung von Brest. „Cerberus“ und „Donnerkeil“, der Marsch über die vierhundert Seemeilen lange Strecke des Englischen Kanals kann beginnen.
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Fliegerangriff und Auslaufen Am 11. Februar 1942 liegen SCHARNHORST, Flaggschiff des Befehlshabers der Schlachtschiffe, Vizeadmiral Ciliax, Kommandant Kapitän zur See K. C. Hoffmann, GNEISENAU, Kommandant Kapitän zur See Fein und PRINZ EUGEN, Kommandant Kapitän zur See Brinkmann, an der sogenannten Flottenpier des Brester Kriegshafens. Die Kommandanten sind zu einer letzten, kurzen Besprechung beim Admiral auf SCHARNHORST versammelt. Gegen 18 Uhr abends ist die Sitzung beendet. Vizeadmiral Ciliax wünscht den Offizieren Glück und entläßt sie zu ihren Schiffen. Auf dem schwarzen Brett bei der Wache des Schweren Kreuzers ist der Dienstplan angeheftet. In ihm heißt es u. a.: „19 Uhr 30 gefechtsgruppenweise auf der Schanz antreten zum Gefechtsbild.“ Der Bootsmannsmaat der Wache sieht den gelangweilt am Laufsteg stehenden wachhabenden Leutnant an: „Also Nachtübung, Herr Leutnant, mit Kanonen — schwof!“ „Störungseinlagen, Lecksicherungsdienst und all das, können wir bald im Schlaf, was?“ grinst der junge Offizier. „Darum auch fiel der Landgang aus, sind die paar Männer zurück, die Sonderauftrag hatten?“ „Jawohl, Herr Leutnant!“ beeilt sich der Fallreepsgefreite zu versichern. „Alles an Bord!“ Der LI, Korvettenkapitän (Ing.) Graser hat für die Übung um 16 Uhr Dampfaufmachen befohlen. Die Kesselraumlüfter laufen schon, sie begrüßen das Antreten der seemännischen Divisionen auf der Schanz mit tiefem Brummen. Sie laufen aber merkwürdigerweise auf allen drei Schiffen! Über das stille Hafenwasser tuckern Schlepper mit ihren weißen, grünen und roten Positionslaternen. Sie halten sich in der Nähe der hintereinander an den Liegeplätzen vertäuten Schiffen klar. Ein paar Männer der Wachdivision schlagen die Telefon- und Dampfzuleitungen ab, die von den Schiffen an Land führen. Befehle hallen durch die Nacht, Bootsmannsmaatenpfeifen schrillen, von der Brücke der
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SCHARNHORST blinkt ein Signalgast einen Privatspruch des IO an den Ersten Offizier des Schwesterschiffes. Auf PRINZ EUGEN schlängelt sich der Stabsoberstückmeister Janssen, Turmführer eines der schweren Zwillingstürme, unauffällig an den AO heran: „Herr Kapitän, haben die anderen beiden heute abend auch Klarschiff zur Übung?“ „Nanu, wie kommen Sie auf diese Idee?“ „Die qualmen doch auch so leise weinend vor sich hin. Genau wie wir“, meint Janssen. „Und daß sie seeklar machen, sieht doch jeder Rekrut!“ Paulus, einer der wenigen eingeweihten Offiziere, umgeht die Beantwortung der verfänglichen Frage: „Zufall, Janssen. Aber was ich sagen wollte: teilen Sie gleich ein Leinenkommando aus den unteren Plattformdecks ab. Die Maschine will törnen. (Die Schrauben probeweise drehen). Wir müssen die Festmacheleinen durchsetzen, damit wir nicht an der Pier auf und ab segeln!“ Der erfahrene Turmführer sieht seinen AO schräg von der Seite an Der nimmt mich auf den Arm, denkt er, sagt aber laut: „Jawohl, Herr Kapitän!“ und verschwindet. Es ist stockdunkel, und so dauert es eine Weile, bis die Klarmeldungen von allen Gefechtsstationen einlaufen. Stabsobersteuermann Worthmann führt, wie immer bei derartigen Übungen, einen Uhrenvergleich mit allen Gefechtsstationen durch. Monoton, ein wenig gelangweilt, ruft der Waffeneinsatz-BÜ die Zeiten aus: „In dreißig Sekunden ist es 19 Uhr 55... noch zwanzig Sekunden ... noch zehn Sekunden... Achtung! Nullll: 19 Uhr 55!“ Die Männer sind unruhig. Da stimmt doch irgend etwas nicht, denken sie. Sie haben gesehen, wie die auf Reede liegenden sechs großen Zerstörer in den Hafen kamen, in der Abenddämmerung wieder loswarfen und draußen sammelten. Dann heulten fern, aber deutlich durch den zum Hafen hereinstehenden Wind vernehmbar ihre Heuler auf, also machen sie seeklar. Weiß der Teufel, was da los ist! Plötzlich meldet sich in die Vorbereitungen zur Gefechtsübung
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hinein die Luftnachrichtenzentrale. Die Meldung wird durch Sprachrohr zur Brücke hinaufgegeben, gelangt von dort zum Fla-Einsatzstand im Vormars: „Feindverband im Anflug aus Norden!“ Kapitänleutnant Schmalenbach, der II AO und Fla-Einsatzleiter lacht auf, als diese Meldung bei ihm eintrifft. Er hält sie für den Beginn der Gefechtsübung: „Unsinn! Heute ist Gefechtsbild vier dran. Keine Zieldarstellung aus der Luft!“ „Denkste, mein Junge!“ mischt sich Paulus ein. „Dies ist leider echt und die RAF rückt wieder mal an!“ Matrosengefreiter Hertel, der die Vorwarnung heraufgab, meldet nun laufend die Kurse der Bomberverbände, die von den deutschen Warnzentralen verfolgt und an die Küstenbatterien und die Flak gegeben werden. Sehr bald meldet die Luftsicherung: „Verstärkte Vorwarnung! Vermutliches Angriffsziel Brest!“ An Land heulen die Sirenen ihre an- und abschwellende Warnung über die Dächer der Hafenstadt. Bei den Flakbatterien ringsum tönen die Alarmgongs und -glocken. An Bord der drei großen Schiffe gellt das längstgewohnte nervenzerreißende Schrillen der Alarmglocken durch alle Decks. „Verdammter Mist!“ flucht Paulus und schlägt mit der Faust auf die Reling des Vormarsstandes. „Bis Mitte Januar allein rund dreihundert Bombenangriffe und nun ausgerechnet heute!“ Alle Mann eilen auf die Fliegeralarmstationen, sausen die Niedergänge hoch an ihre Flakgeschütze, zur Brücke, zu den Leitständen oder quetschen sich durch die ovalen Luken, die vom Zwischendeck zu den unteren Plattformen der vier Türme führen. Die schwere Flak meldet ihrem Einsatzleiter, Kapitänleutnant v. Stülpnagel, der dem II AO meldet. Die leichte Flak ist klar, der II AO gibt die Meldungen dem AO weiter, der nun neben ihm auf dem Fla-Einsatzstand auf das Kommende wartet. „Feuern werden wir wahrscheinlich nicht“, meint Paulus, „werden uns hüten, zu verraten, wo wir liegen!“ An den Arbeitsstellen der Organisation Todt werden alle Lichter gelöscht. Die Fässer der ringsum im Hafen verteilten Nebelanlagen
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sind offenbar auch bereits angestellt. Aus allen Ecken quellen die weißlichen Schwaden hervor, verwischen die Umrisse der vor dem Kreuzer liegenden Schlachtschiffe und die schlanken Formen der Zerstörer draußen. Ausgerechnet in diesem Augenblick verholen die Schlepper, dikken, schwarzen Rauch über ihren Schornsteinen, näher heran, kommen längsseits und rufen nach den Schleppleinen. „Schleunigst ablegen, Befehl kommt später!“ brüllt eine Stentorstimme durchs Megaphon verstärkt. Paulus beugt sich über die hohe Relingwand: „Funktioniert doch ganz gut mit dem Nebel, Schmalenbach! Sehen Sie, dauert gar nicht mehr lange, dann sind wir vollkommen eingedeckt. Kratzt bloß ekelhaft im Hals, das Zeugs. Aha, da geht’s los!“ Irgendwo in der Ferne bellen die ersten Geschütze der Küstenflak. Mündungsfeuer strahlt von unten her den dickzähen Nebel rötlich an, daß er aufglüht in magischer Beleuchtung. Immer mehr Landbatterien fallen ein, lassen pausenlos die Blitze ihrer Abschüsse aufzucken. Scheinwerfer leuchten auf, fingern mit grellweißen Strahlen nach den Bombern. Stumm stehen die beiden AO’s nebeneinander. Vor einigen Stunden haben sie dienstlich erfahren, was geplant ist. Vorläufig müssen sie noch schweigen, wie die wenigen anderen Eingeweihten auch, die zornig über die Verzögerung diesen Luftangriff abzuwarten haben. 20 Uhr 55 leuchteten die ersten Scheinwerfer. Über dem Hafen steht das fahle Licht von fünfzehn britischen Leuchtbomben. Um 21 Uhr bricht die Hölle los. Ungeheuer ist das Feuerwerk, das die nachfolgenden Bomber empfängt und das länger als eine Stunde über dem Hafen dröhnt. Flakfeuer ringsum. 21 Uhr 11 fallen Backbord voraus die ersten Reihenwürfe in die vernebelte Werft. Viele Reihen folgen, deren Lage bei dem dichten Nebel nicht auszumachen ist. Feuerschein, Blitze, Heulen und das schmetternde Krachen der Einschläge. Abgeblendet, an der Abwehr ebenso unbeteiligt, wie auch die Schlachtschiffe, liegt PRINZ EUGEN. Ärgerlich lehnt der Komman-
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dant in der Brückennock. Neben ihm der NO. „Das hat gerade noch gefehlt“, knurrt Kapitän Brinkmann wütend, „ein einziger Treffer und die ganze Geschichte fällt ins Wasser!“ Noch während des Fliegerangriffs wirft sich der General der Flieger Koller in seinen Wagen und jagt durch den widerlich dicken Nebel zum Flaggschiff. Ihm ist eine ausgezeichnete Idee gekommen, die er dem ungeduldig wartenden Admiral Ciliax persönlich vortragen will. Der sieht den schlanken General in der hechtblauen Uniform, der da mitten in der Nacht gemeldet wird, erstaunt an. „Wie ist das“, erkundigt sich der Luftwaffengeneral, „können Sie auch bei Nebel auslaufen?“ Der Vizeadmiral zögert einen Augenblick, dann meint er nachdenklich: „Doch, allerdings, das würde gehen... “ „Hören Sie, das ist auszeichnet! Wenn die Bomber abgeschwirrt sind, gebe ich Ihnen Bescheid und Sie laufen aus. Den Alarm und die Vernebelung lasse ich bestehen. Bis morgen früh, meinetwegen auch bis morgen mittag. Wollen mal sehen, ob dann der Aufklärer vom Dienst oder die tausend Agenten Ihr Auslaufen bemerken!“ „Großartig!“ muß der BdS zugeben. „Machen wir!“ Um 22 Uhr 14 sind die letzten Bomber abgeflogen. Auf PRINZ EUGEN tritt der BÜ zum II AO: „Von Kommandant an II AO: sofort melden, wenn bei SCHARNHORST etwas zu erkennen ist!“ Auf dem Haupteinsatzstand sehen sich die Männer erstaunt an: Stabsoberbootsmann Krause, die Einsatz-BÜ’s, die Bedienungen der 2 cm-Flakwaffen und die Leutnants der Flak. Dazu der Oberleutnant Schlegel, den sie den „Abkomm-Oesau“ („Abkommrohre“ werden bei Vorübungen zum Kaliberschießen zur Schonung der Geschützrohre eingesetzt. 20,3 cm Kaliberrohre haben z. B. 8,8 cm Rohre als Abkommrohre) nennen, weil er mehrfach bei dem berühmten Jagdgeschwaderkommodore Oesau auf dem Flugplatz Brest-Nord war, um sich in die Geheimnisse des Jägersprechverkehrs einweihen zu lassen. „Was in aller Welt soll auf dem Flaggschiff bei diesem Waschküchennebel zu erkennen sein?“ fragt Oberleutnant Tillessen.
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Da leuchtet im gleichen Moment im Vortopp der SCHARNHORST die rote Manöverlaterne auf und linst wie ein entzündetes Auge durch den Dunst. „Meldung von II AO an Kommandant: SCHARNHORST legt ab!“ ruft Kapitänleutnant Schmalenbach dem BÜ zu.
Mit dieser Meldung, die an Bord von sämtlichen Einsatz-BÜ’s mitgehört und weitergegeben wird, fällt der erste Schleier von dem seit dem Silvestertag sorgsam gehüteten Geheimnis. „Wir laufen aus! Raus aus dem Mauseloch, ran an den Feind, vielleicht noch in dieser Nacht!“ flüstert Hertel, der Sprachrohr- und Telefonposten zum Vormars dem Haupt-BÜ-Gefreiten Friebe zu. Der nickt strahlend: „Gott sei Dank! Wohin ist piepegal, bloß raus aus der Falle!“ Sie legen ab, Schlepper zerren die großen Schiffe von der Pier, drehen sie, werfen los und verschwinden im Nebel, der immer noch über Hafen und Stadt geistert. Sie laufen aus, das „Bombenzielgeschwader“, sie drehen auf Reede zu, vermehren Fahrt. Vorbei an den U-Bootsbunkern geht es, Klappbuchsen (mit Trockenbatterien betriebene Handmorseapparate, die mit Grau- oder Blaufilter abgeblendet werden können) blinken
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von den Brücken. Hier und da gleiten geheimnisvolle Schatten vorüber. Von den beiden Schlachtschiffen ist nicht viel zu sehen, sie steuern irgendwo voraus ihren Kurs, sind verschluckt, aufgesogen vom Dunst und dem Dunkel der Nacht. Schwach nur glänzt ihr Schraubenwasser. Schlanke, niedrige Schemen tauchen auf, huschen vorbei, einer hinter dem anderen wie hagere graue Wölfe, die dem Leitwolf folgen. „Siehst du?“ sagt Friebe leise zum Läufer Kommandant. „Die Zerstörer! Sechs Stück, Mann! Und ein paar Torpedoboote hab ich auch gesehen! Die laufen mit!“ „Klar doch! Sicherung!“ Es ist sehr dunkel. Schwacher Wind weht vom Meer her und auf den Brücken der Schiffe, an den Geschützen, den Leitständen und Scheinwerfern hüllen sich die Männer in ihre Schafpelze und Wachmäntel, schlagen die Kragen hoch und starren in die Finsternis. Als die letzten felsigen Küstenstreifen ins Dunkel zurücksinken, pflügt der Verband, mit fünfundzwanzig Meilen Fahrt durch eine kaum bewegte See. Wohin es geht, weiß außer dem Admiral, den Kommandanten und dem Zerstörerführer niemand. Nur ein paar Stabsoffiziere, NO’s und AO’s sind eingeweiht. Auf der Schanz der PRINZ EUGEN stehen einige wachfreie Offiziere, palavern und raten, und wissen doch nicht mehr, als was der Küstenklatsch an diesem Tag an Bord trug. Die Kriegswache ist aufgezogen, die Flakwaffen sind besetzt. Munitionsaufzüge rattern, die Bereitschaftsmunition wird an die Geschütze befördert. Ein Gespensterzug gleitet dahin, eine stahlgraue Phalanx geballter, energiegeladener Kraft, ein Stoßkeil, der nur auf den Augenblick wartet, feuerspeiend, brüllend und alles zerreißend in den Feind zu fahren. Sie haben Brest um 22 Uhr 45 verlassen und es ist eine glückliche Fügung, daß dem britischen Aufklärer ebenso wie seiner Ablösung das Radar versagt. Aber da ist noch dieser als Werftarbeiter getarnte ehemalige französische Kapitänleutnant. Er hat Gerüchte gehört, als Fachmann die
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Vorbereitungen in der Werft beobachtet, gesehen, daß die Schiffe aus den Docks an die lange Flotillenpier gingen. Und heute, am 11. Februar bemerkt sein geschultes Auge, daß sie seeklar sind und Dampf aufmachen. Die Leinenkommandos, die von ihren Liegeplätzen herbeidampfenden Schlepper und dann, mein Himmel, die Sirenen dieser Zerstörer draußen auf Reede! „Die laufen nicht zu Übungen aus“, murmelt er vor sich hin, „die bereiten eine Unternehmung vor. Mit Begleitzerstörern. Dies ist unerhört wichtig, das muß London sofort wissen!“ Er schwingt sich auf sein Rad, strebt einer der Ausfallstraßen zu. Aber da stehen Posten, die ihn nicht durchlassen. Er bittet, er fleht: „Ma petite, ma pauvre petite, Monsieur! Je vous pris de tout mon coeur!“ Die Posten bleiben unerbittlich. Er versucht eine andere Straße, Feldwege, nichts zu machen. Hindernisse, Posten überall. Ein Feldwebel, dem er in bewegten Worten, unterstrichen mit Handbewegungen und Gesten klarzumachen versucht, daß ein Mädchen auf ihn wartet, schüttelt mitleidig den Kopf. „Unmöglich, impossible, Monsieur!“ Bis Mitternacht versucht der verzweifelte Agent sein Glück, dann gibt er auf und kehrt zornbebend zurück. Gerade als der zweite Angriff, diesmal mit über hundert Bombern, über die Stadt dröhnt. Niemand in London erfährt, daß die deutschen Schiffe Brest verlassen haben. Die mit dem ersten Angriff geflogenen Aufklärer haben fotografiert wie immer. Aus den Bildern ersieht die Admiralität, daß die drei Schiffe an der Pier liegen und keinerlei Anzeichen darauf hinweisen, daß sie beabsichtigen, in See zu gehen. Spät nachts gibt der Befehlshaber der Schlachtschiffe die neue Aufgabe bekannt. Knapp, soldatisch ist dieser Befehl, den alle mit freudiger Genugtuung vernehmen: „An die Besatzungen der Brest-Gruppe! Wir sind vor neue Aufgaben gestellt, die wir einsatzbereit zu lösen haben. Unsere Aufgabe ist der Marsch durch den Kanal nach der Deutschen Bucht. Das bedeutet restlosen Einsatz. Ich führe...“ „Meine Herren! Das ist ja allerhand!“ wendet sich der Wach-
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habende, Kapitänleutnant Reckhoff, an den IO. „Wie lang ist diese Strecke eigentlich?“ „Von Brest bis Terschelling 575 Meilen.“ „Können sie uns da erwischen, wenn sie uns rechtzeitig bemerken? Ich meine von Scapa Flow aus?“ erkundigt sich der lange TO. Korvettenkapitän Beck lacht: „Hab ich alles schon ausgerechnet, Reimann! Von Terschelling bis Scapa sind es 450 Meilen, das schaffen sie nie. Jedenfalls nicht rechtzeitig. Im übrigen werden wir die verlorenen Stunden mit Höchstfahrt aufholen, um die Doverenge zur festgelegten Zeit zu passieren. Wir haben außerdem den im Kanal ja sehr starken Gezeitenstrom von vier bis fünf Meilen mit uns. Springflut ist bei dem augenblicklichen Neumond auch, also weniger Minengefahr auf flacherem Wasser bei unserer hohen Fahrt.“ „Sie werden uns mit ihren Funkmeßgeräten entdecken...“ „Wir machen morgen den ganzen Tag Groß-Störeinsatz, d.h.“, verbessert er sich mit einem Blick auf seine Armbanduhr, „heute. Außerdem reichen die englischen Geräte wahrscheinlich nur bis zu fünfunddreißig Meilen, wir laufen also größtenteils außerhalb. In der Doverenge natürlich nicht.“ „Gut. Und der Kurs? Ziemlich schwierige Navigation, nicht?“ „Nein, bis etwa auf die Höhe von Boulogne laufen war im tiefen Fahrwasser. Da kann normalerweise nicht allzuviel passieren. Außerdem hat der BdS noch Funkfeuer angefordert, die wir zur Standortbestimmung anpeilen können. Danach allerdings fahren wir nur etwa zwei Meilen nördlich der französischen Küste. Aber der ganze Weg ist abgesucht und durch Markboote bezeichnet, die zu je zwei Booten in Zwischenräumen zu Anker liegen: Sieben im eigentlichen Kanal und neun Paar auf der Strecke von Dover bis zur Deutschen Bucht. Zufrieden?“ „Ferner“, grinst Paulus, „haben die Häfen längs unserer Parade Befehl, sich für den Fall von Beschädigungen als Nothäfen klarzuhalten: Cherbourg, Le Havre, Vlissingen und Hoek van Holland.“ *
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Ein klarer Sternenhimmel ist herausgekommen, als der Verband sich gegen Mitternacht der Bretonischen Insel Ushant-Ouessant am Südwesteingang des Englischen Kanals nähert. Nur dicht über der See liegt zuweilen eine leichte Dunstschicht, die aber bald verschwindet. Die Männer, die auf den deutschen EM-Stationen an Land sitzen, und auf ihren Bildschirmen die ostwärts wandernden gelbgrünlichen Punkte verfolgen, sehen sich erstaunt an: „Meine Herren! Die laufen ja fast einunddreißig Meilen!“ In Wirklichkeit läuft der Verband siebenundzwanzig Meilen, die durch den sehr starken, vom Atlantik hereinstehenden Gezeitenstrom um fast fünf Meilen vermehrt werden. Auf PRINZ EUGEN läßt der neue Erste Offizier, Fregattenkapitän Neubauer, die zum Kriegswachwechsel gepurrte Freiwache in einer Abteilung sammeln. Er gibt noch einmal ausführlich Sinn und Ziel der Unternehmung bekannt. Auf den Zerstörern sprechen die Kommandanten durch die Lautsprecheranlagen zu ihren Männern. Alles hatten sie erwartet, nur dies nicht! Keiner ist auf den Schiffen, der nicht die Größe der Aufgabe, die Kühnheit der Planung und den Wagemut dieser Operation begriffe. Ernst eilen sie überall auf ihre Kriegswachstationen. Ungeheure Spannung liegt auf den Gesichtern, Spannung und Stolz, daß der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, der Admiral und die Kommandanten ihnen, den keineswegs fertig ausgebildeten Besatzungen, dieses Wagnis zutrauen. Mit Aufziehen der neuen Kriegswache wird um 04 Uhr Klarschiff zum Gefecht befohlen. Die sechs Begleitzerstörer und drei Geleittorpedoboote bilden eine ringförmige U-Boots- und Flasicherung um den Verband. Wie überall, sprechen sie auch auf dem vorderen Gefechtsverbandsplatz des Schweren Kreuzers über die möglichen Ereignisse der nächsten Stunden. Sanitätsmannschaften, Hilfskrankenträger wie Musiker und Zivilpersonal, Stewards und Handwerker, der Oberstabsarzt Dr. Witte und der Sanitätsfeldwebel. „Ist dies nicht was wie ein Rückzug?“ fragt der Feldwebel.
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Der Schiffsarzt verneint: „Stures Festhalten einer Stellung um jeden Preis ist nicht immer der beste militärische Entschluß, Ramm!“ „Hätten wir nicht ins Mittelmeer gehen können?“ wirft der Sanitätsobergefreite Neugard ein. Vom Haufen der gestapelten Transporthängematten, auf denen sich die meisten gelagert haben, tönt die sonore Stimme des Stewards der Offiziersmesse, Fiedler: „Warum im Mittelmeer rumkurbeln? Denk doch an die englischen Streitkräfte in Gibraltar und Alexandrien! Die würden uns schnell erledigen: Schlachtschiffe und Flugzeugträger. Wir dürfen den Engländer nie unterschätzen. Ich erfahre doch in der Messe eine Menge. Du hättest einmal hören sollen, was unsere Offiziere nach dem HOOD-Gefecht alles der Führung vorwarfen, die geglaubt hatte, die englischen Schiffe hätten noch kein Funkmeß! Nein: ich bin dafür, die paar Eimer, die wir haben, dort anzusetzen, wo sie wirklich gebraucht werden und auch Erfolg haben können. Also erst mal in die Heimat zurück. Wo sie uns dann hinschicken — na, das weiß ich auch nicht. Das wird die SKL schon richtig hinkriegen.“ Der Oberstabsarzt nickt dem Steward zu. Er kennt ihn als ruhigen älteren Mann, der überall bei Offizieren und Besatzung wegen seiner Besonnenheit und Diskretion Achtung genießt. Gegen 06 Uhr 30 passiert der Verband das Cap de la Hague der Halbinsel Cotentin und hier wird gemäß dem Operationsbefehl die strenge Funkstille ganz kurz unterbrochen. Die Führungsstellen an Land müssen wissen, wo die Schiffe stehen, ohne daß der Gegner etwa das kurze Funksignal als von der Flotte ausgehend erkennt. Ein Funkgefreiter, der sonst seinen Dienst beim Marinenachrichtenoffizier Cherbourg tut, ist nur zu diesem Zweck an Bord eines der Begleitzerstörer der SCHARNHORST kommandiert worden. Der Verband steht nun von England aus gesehen genau auf der Peillinie zur Marinefunkstation Cherbourg. Der Funkgefreite, dessen „Handschrift“ beim Senden drüben bekannt ist, gibt das verabredete Kurzsignal, das dem Admiral in Paris und den Befehlshabern in Berlin den Standort der Schiffe anzeigt.
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Das Signal gibt gleichzeitig den Startschuß für die in ihren Horsten bereitstehenden Verbände der Luftwaffe. Als erste starten die Nachtjägerstaffeln, die den Verband in der Morgendämmerung auf der Höhe von Le Havre erreichen. Das Kurzsignal, das den Standort des Brestgeschwaders meldete, veranlaßt den Admiral des Marinegruppenkornmandos West, eine Warnung zu senden. Die 1. Minensuchflottille, Korvettenkapitän Bergelt, hat auf der Höhe von Dieppe eine während der letzten Nacht von der Royal Navy geworfene neue Sperre kurz vor Hellwerden entdeckt und räumt nun mit nur vier Booten eine Lücke, durch die der Verband passieren kann. Seit dem Morgengrauen stehen die ersten Focke-Wolff- und Messerschmitt-Jäger über den Schiffen. Sie lösen sich von nun an zusammen mit den Zerstörerflugzeugen laufend ab und übernehmen die Sicherung aus der Luft. Überall schimmern die in der aufgehenden Sonne blitzenden Tragflächen der schnellen Me 109. Seitlich und nach Norden hin vorstoßende Zerstörerflugzeuge brummen in Keilformation wie schmale Bleistifte im Blau. Immer mehr Flugzeuge erscheinen, von den Besatzungen der Schiffe mit Jubel begrüßt. Auf der Höhe von Le Havre wird die Sicherung durch acht Torpedoboote und zehn Schnellboote verstärkt. Die Schnellboote, darunter die 4. Schnellbootsflottille, übernehmen die Sicherung nach Norden. Inzwischen sind die weiteren Geleitstreitkräfte aus ihren erheblich weiter östlich liegenden Stützpunkten ausgelaufen, um rechtzeitig ihre befohlenen Positionen einnehmen zu können. Schon seit Tagen haben die Schnellboote zu irgendeinem geheimen Unternehmen klargemacht. Die Besatzungen sind gewohnt, daß es fast bei jedem Wetter hinausgeht, wenn ein Geleitzug an der englischen Ostküste oder im Kanal in Reichweite der schnellen Boote gemeldet oder vermutet wird. In den Motorenräumen bastelt das technische Personal an den sehr empfindlichen, hochtourigen Motoren, Torpedos werden geregelt, Munition für die Flawaffen herbeigeschafft und klargelegt. Angriffe englischer Kampfflugzeuge sind das tägliche Brot des Schnellbootsfahrers! Jedermann ahnt, daß etwas Besonderes anliegen muß.
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Nur das Wetter, meine Herren! Bei den aus den weit östlich Dover befohlenen Flottillen bläst ein gehöriger Wind. Grober Seegang ist aufgekommen. Draußen vor den Molen der Einfahrt schlagen die Brecher steil und gischtend wie Artillerieaufschläge gegen die tangbewachsenen Steinquadern. Klagend jault und heult der Wind durch die Hafengassen, als die Männer noch während der Dunkelheit zu den Bunkern gehen, in denen die Schnellboote, sicher vor feindlichen Bomben liegen. Schon laufen die vorgewärmten Motoren, Boot nach Boot wird hinausgebracht und dann kämpfen sich die Flottillen nach Passieren der Außenmolen durch eine harte, schwer rollende See. Schwerfällig sich wälzend, Back und Vorschiff oft unter Brechern begraben, die das ganze Boot in wehende Schaumschleier hüllen und die an den Flawaffen stehenden Männer trotz Ölzeug und Lederhosen bis auf die Haut durchnässen, schlingern sie dahin, westwärts, der Doverenge entgegen. Minensuchboote werden passiert, die in breiter Suchformation mit ausgebrachtem Gerät gegen die See stampfen. Vorpostenboote, moderne, scharf gebaute Fischdampfer mit starken Maschinen und hochragenden Brücken, ihre Flawaffen auf Back und Schanz besetzt, werden überholt. Auch jene streben ihren Positionen zu. Flach auf die See gedrückt wirbelt braunschwarzer Rauch aus ihren hohen Schornsteinen. Hinter den schweren Geschützen der Fernkampfbatterien bei Cap Griz Nez, an den Flakanonen und Flawaffen der langen, deutschbesetzten Kanalküste warten seit den frühen Morgenstunden die Marine-, Heeres- und Luftwaffenbedienungen in erhöhter Bereitschaft. Die Störsender, die unter Leitung des Oberpostrates Werner Scholz u.a. in Ostende, Boulogne, Dieppe und Cherbourg aufgestellt sind, warten auf ihr Zeichen. Ab 10 Uhr sollen die Radargeräte der südenglischen Küste schlagartig gestört werden. In den Leitstellen der Luftwaffe laufen ununterbrochen die Meldungen der abgelösten Jäger ein. Offiziere greifen zu Zirkel, Lineal und Kursdreieck und verzeichnen jeden durchgegebenen Standort auf den großen Karten. Sie setzen das Bild zusammen, das den Vor-
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marsch des Flottenverbandes von Stunde zu Stunde ergibt. Gegen 10 Uhr vormittags am 12. Februar steht der Verband zwischen Fécamp und Dieppe. Es ist ein Morgen mit strahlendem Sonnenschein, stahlblauem Himmel und einer dunkelgrünen See, die in der Ferne blau leuchtet, wie draußen im Atlantik. Auf PRINZ EUGEN setzt der AO das schwere Doppelglas ab, mit dem er die vorauf marschierenden Schlachtschiffe, die an den Seiten sichernden Zerstörer und die im Morgengrauen hinzugestoßenen kleinen und schnellen Torpedoboote mustert, die sich leise wiegend unbeirrbar ihren Kurs steuern. Lächelnd wendet er sich zum NO, dessen rote Haare in der Vormittagsbrise flattern, während die Gefechtsmütze unter den Arm geklemmt bleibt. Korvettenkapitän Beck lacht: „Hier ist’s ziemlich wurscht, was wir für Wetter haben, mein Lieber! Unsere eigenen Flieger sind ja da!“ Auf dem Hauptflakeinsatzstand steht als Gast der Fliegeroberleutnant Rothenberg mit umgehängtem UK-Fernsprecher. Der Apparat ist auf die Jägerwelle geschaltet. Bisher ist nichts durchgekommen, die Jäger halten vorbildliche Funkdisziplin. Auch in der Luft scheint sich nichts zu ereignen. Sie ahnen an Bord der Schiffe nicht, daß sie nicht weniger als vier Sicherungslinien der Engländer unglaublicherweise völlig unbemerkt durchbrochen haben und erst viel später, um 11 Uhr 42 gesichtet, noch später gemeldet und sehr viel später als Brestgeschwader erkannt und angegriffen werden! Wie war das möglich? Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, die Vorbereitungen, die englischerseits gegen einen Ausbruch der drei Einheiten aus Brest getroffen wurden, wenigstens auszugsweise zu schildern. Das Unternehmen lief unter dem Tarnnamen „Operation Fuller“.
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Englische Sicherungsmaßnahmen Die Stop Channel Forces. „Operation Fuller“, „Sealion“, „Stopper“, „Line SE“, „Habo“, „Jim Crow“ und „Roadstead” Die laufenden Meldungen des Brester Werftarbeiters über die Tätigkeit der Schiffe werden in London mit den Nachrichten anderer Agenten und den Aufklärungsergebnissen der Flieger zu einem Mosaik zusammengefügt. Admiralität und RAF entscheiden, es muß etwas mehr geschehen als die normalen Unternehmungen, die seit April 1941 mit den sogenannten Stop Channel-Streitkräften ausgeführt werden. Diese Streitkräfte, ein Blenheim-Bombergeschwader vom Flugplatz Manston in Kennt, das mit dem Jägerkommando und den leichten Seestreitkräften von Dover zusammen gegen deutsche Geleite operiert, die Tag und Nacht durch den Kanal gehen, reichen nicht aus, diese Straße zu sperren, zumal die Seestreitkräfte aus ganzen 6 MTB’s (Motortorpedobooten) bestehen. Die Folge verschiedener Besprechungen zwischen Admiralität und Luftministerium ist ein Brief vom 29. April 1941 — also noch vor der BISMARCK-Unternehmung! — den das Luftministerium an die drei Luftkommandos hinausgehen läßt: „Es besteht Grund, zu erwarten, daß SCHARNHORST und GNEISENAU mit einer Fahrt durch den Kanal versuchen werden, zwischen dem 30. April und 4. Mai einschließlich, einen deutschen Hafen zu erreichen. Es wird als wahrscheinlich erachtet, daß die Doverstraße bei Dunkelheit durchlaufen wird.“ Hierauf erhält das Coastal Command den Befehl, von Abend- bis Morgendämmerung Aufklärung über und um Brest zu fliegen. Das Jägerkommando richtet Flüge den Kanal abwärts ein, d. h. in Richtung Atlantik, die hauptsächlich den feindlichen Küstenverkehr überwachen. Das Bomberkommando wird angehalten, Bomberstreitkräfte bereit zu halten, für den Fall, daß die Aufklärung melden sollte, die beiden Schiffe hätten Brest verlassen. 46
Diesen Befehlen war ein überraschender Nachsatz beigefügt: „Es wird als unwahrscheinlich betrachtet, daß der Gegner etwa ein Passieren von Dover bei Tage versucht. Sollte dies trotzdem eintreten, so würde unseren Überwasserstreitkräften und der RAF eine einmalige Gelegenheit geboten, die feindlichen Schiffe während des Passierens der Doverenge mit starken Streitkräften anzugreifen.“ Zehn Monate vor dem Kanaldurchbruch machen Admiralität und Luftfahrtministerium ihre Streitkraft auf einen möglichen Kanaldurchbruch nicht nur aufmerksam, sondern ziehen sogar ein Passieren während des Tages in Betracht! Der Plan, einer derartigen Unternehmung des Gegners entgegenzutreten, erhält den Tarnnamen „Operation Fuller“. Schon am 1. Mai 1941 legt der C-in-C, Air Marshall Sir Richard Peirse, den Befehl für das Bomberkommando fest: „Wenn der Durchbruch der Schiffe versucht wird, werden sie am Tage durch Überwasserstreitkräfte und Flieger angegriffen. Ein Nachtangriff durch Flugzeuge ist nicht beabsichtigt. Die Unternehmung erhält das Code-Wort ,Fuller’, der Ausführungsbefehl wird lauten: ,Executive Fuller’.“ Das bedeutet, daß eine Gegenoperation in England bereits geplant ist, ehe von deutscher Seite überhaupt an die Unternehmung gedacht wird! Der gemeinsame Plan der Royal Navy und RAF liegt Ende Mai fertig vor. Er bleibt in Kraft, als der zwischen 30. April und 4. Mai 1941 erwartete Durchbruch nicht stattfindet. Am 8. September 1941 gibt der Air Chief Marshall des Coastal Command, Sir Philip Joubert, eine operative Anleitung heraus: „Wir werden möglicherweise keine vorherige Warnung erhalten. Absicht ist, die Schweren Einheiten des Gegners während seines Marsches von Brest zu einem deutschen Hafen zu vernichten. Wenn möglich, soll ein Torpedoangriff durch Flieger von Thorney Island — bei Portsmouth — mit einem Bomberangriff zeitlich zusammengelegt werden, um den Vorteil des Jägerschutzes für die Bomber mit wahrzunehmen.“ Auf Bitten der Admiralität beginnt nun das Bomberkommando
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seine nächtlichen Bombenoffensiven gegen die Schlachtschiffe in Brest. Diese Angriffe steigern sich im Dezember. Die Resultate der Aufklärungsflieger und die laufenden Meldungen des ehemaligen französischen Kapitänleutnants scheinen Vorbereitungen zum Auslaufen der Schiffe anzudeuten. Am 2. Januar 1942 kann der sogenannte eiserne Ring um Brest, den die U-Boote der Royal Navy als erste Sicherungslinie gelegt hatten, nicht mehr aufrechterhalten werden. Hohe Verluste im Mittelmeer und Ausbildungsschwierigkeiten zwingen dazu, die U-Boote zurückzurufen. Ihre Aufgabe der Hafenüberwachung müssen die Aufklärer des Coastal Command übernehmen. Nebenbei mußten die Angriffe verringert werden, als die Verluste durch das — englischerseits zugegebene — „höchst gefährliche und tödliche Abwehrfeuer von Land, durch Jäger und Fesselballons“ sich mehrten. Ende Dezember 1941 wird das bei Freund und Feind berühmte Swordfish-Torpedobombergeschwader des Lieutenant-Commanders Eugene Esmonde, das mit der Torpedierung der ARK ROYAL im Mittelmeer unterging, in Lee on Solent neu formiert. Dieses 825. Geschwader hat nur sechs Swordfish mit sieben Flugzeugführern, sechs Beobachtern und sechs Bordschützen. Die Hälfte dieser Männer ist ausgebildet, der Rest ist Ersatz. Esmonde ist noch dabei, sein Geschwader personell und maschinenmäßig aufzufüllen, als Ende Januar alle Geschwaderführer, darunter auch der vom Geschwader 829 zu einer Besprechung in die Admiralität befohlen werden. Höhere Marineoffiziere und ein Flaggoffizier des Luftstabes sind anwesend. „Alles, was hier verhandelt wird, ist geheim!“ Damit beginnt die Besprechung. Der vortragende Offizier teilt mit, daß die Brestschiffe möglicherweise einen Ausbruch vorbereiten und fährt fort: „Wir halten einen Durchbruch durch den Kanal für kurz bevorstehend. Wir nehmen an, daß der Gegner versuchen wird, die Doverenge zwei Stunden vor der Morgendämmerung zu durchlaufen und zwar zu einer Zeit, wo die Gezeiten und der Hochwasserstand am günstigsten sind. Die einzige Möglichkeit, ihn daran zu hindern und
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ihn zu vernichten, besteht darin, daß wir die größtmögliche Zusammenballung von Torpedowaffen sowohl der Luft- als auch der Seestreitkräfte gegen ihn zur Wirkung bringen. Daher sollen Torpedoflugzeuge des Fleet Air Arm und Torpedoflieger des Coastal Command klarstehen, um die leichten Seestreitkräfte zu unterstützen.“ Der Offizier macht eine Pause und lächelt: „Es wird ein toller Tanz werden, Gentlemen, wenn die Geschichte losgeht! Aber unter dem Schutz der Dunkelheit und der Verwirrung, wenn alles gleichzeitig geschieht, werden die Swordfish eine Chance haben, ihre Torpedos anzubringen und zum Rückflug abzudrehen. Wir wollen erreichen, daß die großen Burschen angeschlagen und dann von schweren Einheiten nach Belieben vernichtet werden.“ Der Vortragende läßt das Blatt sinken und sieht die Swordfishgeschwaderführer der Reihe nach an: „Es ist entschieden worden, zu dieser Aufgabe kein Geschwader zu befehlen, sondern wir wollen einen Geschwaderführer haben, der sich selbst als freiwilliger Führer, auch im Auftrag seiner Männer, meldet.“ Esmonde meldet sich zusammen mit sämtlichen Geschwaderführern. Der kleine, großäugige Ire wird mit seinem erst halb aufgefüllten 825. Geschwader angenommen. Der Plan „Fuller“ ist — nach englischem Urteil — eine Mißgeburt. Die in ihm aufgeführten Streitkräfte sind winzig. Der Plan beruht auf der Annahme der Admiralität, daß ein simples Gefecht, ein Hineinwerfen aller verfügbaren Kräfte in einem „Massenangriff“ genügen und den Tag retten würde. Die Streitkräfte würden — sagt die gleiche englische Quelle — nicht ausreichen, die kleinste südamerikanische Republik zu schützen! Im Laufe des Januar 1942 gehen Nachrichten über vermehrte Tätigkeit der Schiffe von Brest in London ein. Jäger und Coastal Command berichten über Zerstörer- und Schnellbootsflottillen, die in Richtung Atlantik den Kanal durchlaufen. Sie melden, daß die Minensuchaktionen unter der französischen Küste ein außergewöhnliches Maß erreicht haben. Am 22. Januar zeigt das Foto eines Luftaufklärers drei große Zer-
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störer und sechs Schnellboote im Hafen von Brest vor Anker. Am 23.1. entdeckt die Luftaufklärung die TIRPITZ in Drontheim. Die Admiralität erklärt die letztere Tatsache als ein Manöver, die Aufmerksamkeit von Brest abzulenken, und gibt demzufolge eine Erklärung heraus: „Das Auslaufen von SCHARNHORST und PRINZ EUGEN kann nach dem heutigen Datum, 24. Januar, täglich erwartet werden. GNEISENAU ist nicht voll seefähig und kann erst gegen Ende Januar auslaufen. Es wird angenommen, daß die Schiffe nicht voll ausgebildet und gefechtsklar sind.“ Am 25. Januar läuft, wie gemeldet wird, die 5. Zerstörerflottille aus der Nordsee kommend durch den Kanal westwärts. Vor Dover sinkt der Zerstörer BRUNO HEINEMANN durch Minentreffer. Am gleichen Tage sendet der Befehlshaber der U-Boote, Admiral Sir Max Horton, ein Signal an alle U-Boote: „In Erweiterung der befohlenen U-Bootspatrouillen vor der norwegischen Küste werden zwei U-Boote in die Biskaya befohlen.“ Nach einem Alarm am 31. Januar, der ein Auslaufen der Schiffe aus Brest annahm, wird das Swordfish-Geschwader Esmondes nach Manston in Kent verlegt. Es soll durch Patrouillenflüge die Stop Channel-Streitkräfte unterstützen und näher zur Hand sein, falls die Brestschiffe die Doverstraße durchlaufen. Anfang Februar ist die Admiralität überzeugt, daß die deutschen Schiffe auf Brest-Reede üben. Sie gibt am 2. Februar erneut als Warnung eine Anweisung an alle betreffenden Kommandos heraus. Nach Mitteilungen über das Brestgeschwader gibt die Anweisung die Entfernung Brest—Cherbourg mit 240, die von Cherbourg nach Dover mit 120 Semeilen an und stellt fest, daß es unmöglich sei, die Gesamtstrecke in einer einzigen dunklen Nacht zu durchlaufen. Die Vermutung wird ausgesprochen, daß der Gegner trotz allem die Kanalfahrt, vor allem im Hinblick auf seine bewährten Zerstörer und Jagdflieger, wagen wird. Er wisse genau, daß mit englischen Schweren Streitkräften im Kanal nicht gerechnet zu werden brauche. Sie, die Engländer, hätten lediglich die sechs MTB’s von Dover und nur ein paar veraltete Zerstörer in Harwich. Die Bomber hätten zudem
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gezeigt, daß man ihnen größere Beschädigungen der Schiffe kaum zutrauen dürfe, während nur neun Torpedoflieger beim Coastal Command vorhanden seien. Falls man alle diese Faktoren berücksichtige, käme man zum Schluß, daß die deutschen Schiffe den Kanal mit Ostkurs unter kleinerem Risiko passieren könnten, als irgendeine Atlantikoperation zu unternehmen! Die Anweisungen zeigen, daß die Admiralität nicht nur einen Kanaldurchbruch für möglich, sondern auch einen deutschen Erfolg für wahrscheinlich hält. Aber sie unternimmt, abgesehen von der Verlegung der Swordfish nach Manston und der Bereitstellung der DoverMTB nichts, den Kanal gegen die deutschen Schweren Einheiten zu sichern! Die einzige Maßnahme, die noch getroffen wird, bleibt die Entsendung des U-Bootes „Sealion“ vor die Einfahrt von Brest. Noch am gleichen Abend findet eine Besprechung statt. Die drei Verbindungsoffiziere der Royal Navy zu den drei Air Commands: Bomber-, Fighter- und Coastal Command, erhalten einen Vortrag über die oben angeführte Anweisung. Einer der Offiziere hat eine sehr verständliche Frage vorzubringen: „Wäre es nicht möglich, daß die Home-Fleet oder wenigstens ein Teil von ihr weiter südlich an der Ostküste stationiert würde, von wo sie den Gegner vor der holländischen Küste erreichen könnte, wenn er den Kanal durchlaufen haben sollte?“ Die Antwort auf diese durchaus logische Frage wird nur unwillig gegeben: „Der Erste Seelord hat ausdrücklich festgelegt, daß wir auf keinen Fall Schwere Einheiten nach Süden bringen, wo sie feindlichen Luftangriffen ausgesetzt sind und Gefahr laufen, auf eigenen oder feindlichen Minenfeldern Schaden zu nehmen.“ Aber der Offizier ist nicht so leicht abzuweisen. „Die verfügbaren Leichten Streitkräfte sind doch völlig ungeeignet, es mit der feindlichen Schlachtschiffsflotte aufzunehmen?“ „Wir haben alles zusammengekratzt, was im Augenblick verfügbar ist!“ lautet die ausweichende Antwort. — Funksprüche des Brester Werftarbeiters veranlassen in der glei-
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chen Nacht des 2. Februar den Befehlshaber der U-Boote, Admiral Horton, ein top-secret (ganz geheimes) Signal an die U-Boote der Heimatgewässer auszusenden: „Sehr geheime Quellen deuten an, daß die Brestschiffe klar zum Inseegehen sind!“ Die Admiralität gibt ebenfalls an alle Marine- und Luftkommandos einen Funkspruch ähnlichen Inhalts. Das U-Boot „Sealion“, Lieutenant-Commander Colvin, ist schon am Nachmittag nach Brest ausgelaufen. Aufgabe: die Schlachtschiffe anzugreifen, sowie sie in den Atlantik auslaufen oder einen anderen Biskayahafen ansteuern. Für Force H (die Gibraltarstreitkräfte) wird verschärfte Bereitschaft befohlen, während das Bomber Command seine Minenwurftätigkeit auf der Höhe der Friesischen Inseln in verstärktem Maße fortsetzt. Am 4. Februar wird von Admiralität und Luftministerium das verabredete Kennwort „Executive Fuller“ ausgegeben, das Alarmbereitschaft bedeutet. Rear-Admiral Power, der für die Unternehmung die Verbindung zwischen Royal Navy und RAF unterhält, hat mehrere eilige Besprechungen mit dem Air Chief Marshall Joubert des Coastal Command. Beide Flaggoffiziere sind der Ansicht, daß der Marsch des Brestgeschwaders unmittelbar bevorstehe und daß die Doverenge bei Nacht passiert werden wird. Am 5. 2. rast der Admiral nach Dover, um die Ansicht des Luftmarschalls dem dortigen Befehlshaber, Admiral Ramsay, zu unterbreiten. Letzterer ist der gleichen Meinung. Am 6. Februar entscheidet die Admiralität, daß sechs veraltete Zerstörer von Harwich sich zu einem Angriff im Rahmen der Operation „Fuller“ klarhalten und sechs Swordfish, die nächtliche Aufklärung über dem Kanal fliegen, desgleichen unter „Fuller“ zu operieren haben. Ferner werden sechs weitere MTB’s nach Ramsgate verlegt, um einen Angriff in der Doverenge zu unterstützen. Diese Seestreitkräfte kommen unter den Befehl des Dover-Adamirals Ramsay. Welch weite Auswirkungen jede Unternehmung zur See auszulösen pflegt, zeigt eine weitere Maßnahme. Da sammelt ein wichtiger Truppentransport, WS 16, im Clyde zur Fahrt nach dem Mittelosten.
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Er soll am 16. Februar auslaufen. Churchill, der Premierminister selbst, erinnert den Ersten Seelord an die Wichtigkeit gerade dieses Transports und fragt: „Was machen die Brestschiffe? Dieser Transport muß unbedingt und möglichst ungerupft durchkommen!“ Sir Dudley Pound will das Geleit durch Schlachtschiffe sichern. Ein Signal an den C-in-C Home-Fleet geht hinaus. RODNEY ist zum 15. Februar zum Clyde zu senden. Sie ist nicht klar, an ihrer Stelle läuft RENOWN zum Clyde. Außerdem erhält nun die H-Force Order, wegen der Gefahr durch das Brestgeschwader zum Schutz von WS 16 nicht später als am 15. Februar im Clyde zu sein. Alle diese Maßnahmen nur wegen der Befürchtung, das Brestgeschwader könne auslaufen und womöglich den Konvoi angreifen! Zur gleichen Zeit melden die Aufklärer eine unheimlich gesteigerte Minensuchtätigkeit der Deutschen an allen möglichen Stellen des Kanals. Ferner Zusammenziehen von Zerstörern usw. Air Marshall Joubert hält es daher für angebracht, eine ernste und dringende Warnung herauszugeben. Sie ist in ihren Ausführungen erstaunlich richtig und faßt alles bisher Beobachtete bzw. Vermutete zusammen. Nur wird auch hier wieder ein Passieren der Doverenge zwischen 04 Uhr und 06 Uhr morgens angenommen. Sie schließt mit der Folgerung, daß nach Dienstag, dem 10. Februar, jederzeit mit einem Auslaufen der Brestschiffe zu rechnen sei. Der oben erwähnte Admiral Power ist der gleichen Ansicht. Sir Philip zögert noch, seinem eigenen Memorandum zu folgen. Seine Torpedobomber liegen weit zerstreut: Geschwader 42, vierzehn Beaufort liegt in Leuchars in Schottland, um gegen TIRPITZ in Drontheim operieren zu können. Geschwader 86, fünfzehn Beaufort, liegt in St. Eval in Cornwall, von wo es einem Ausbruch der Schiffe in den Atlantik begegnen könnte und die restlichen sieben Torpedobomber des 217. Geschwaders sind auf Thorney Island bei Portsmouth stationiert. Zunächst müßten die Leuchars Torpedobomber nach dem Süden. Administrative Schwierigkeiten, Prestigefragen und Papierkrieg verzögern dies. Wieder einmal wird das Coastal Command Opfer menschlicher Unzulänglichkeiten. Die Stabsoffiziere, tief beein-
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druckt vom Stempel „Fuller“ und dem Zusatz „Top-secret!“ auf den Dokumenten, verschließen die Blätter sorgfältig in ihren Safes, ohne die Flugzeugbesatzungen zu unterrichten. Diese ahnen, daß eine „dicke Sache“ bevorsteht, aber nur ganz wenige wissen, daß sie gegen Schlachtschiffe eingesetzt werden sollen! Das Coastal Command ist auch verantwortlich für rechtzeitiges Sichten des Gegners. Es richtet drei Nachtpatrouillen von Abend- zur Morgendämmerung ein. Sie haben über folgenden Seegebieten aufzuklären: „Stopper“ von Brest bis Ushant, „Line SE“ von Ushant bis zur Nordostecke der Bretagne und „Habo“ von Le Havre bis Boulogne. Ergänzt wird diese Aufklärungstätigkeit durch die normale, täglich vom Fighter Command ausgesandte, als „Jim Crow“ bezeichnete Aufklärung von der Somme-Mündung bis Ostende. Entdeckt die letztere lohnende Ziele, so wird sie durch Angriffsstreitkräfte ergänzt, die Operation geht dann unter dem Tarnnamen „Roadstead“ — Reede-Unternehmung. Die Flugzeuge der ersten drei Aufklärungsabschnitte sind sämtlich mit Radar ausgerüstet. Für die Bomber — insgesamt dreihundert bombentragende Flugzeuge — besteht der Befehl, nur bei Tage anzugreifen. Ihre Zahl verringert sich nach dem 6. Februar auf nur hundert Flugzeuge. Den Grad der Bereitschaft dieser Bomber befiehlt der Air Officer Commanding, Sir Richard Peirse. Die Verantwortung für den Jägereinsatz trägt die Gruppe 11, sie umfaßt die Geschwader der Flugplätze Kenley, Hornchurch, Debden, Biggin Hill und Tangamere. Aufgabe für die Jäger: Schutz der Torpedobomber und Bomber, zusätzlich Angriff auf den erwarteten Jägerschirm der deutschen Luftwaffe über dem marschierenden Flottenverband. Inzwischen haben die Minenleger WELSHAM und MANXMAN tausend Magnetminen zwischen Ushant und Boulogne gelegt. Hiermit erschöpfen sich die Vorbereitungen, die englischerseits von Admiralität und RAF gegen einen Durchbruch des Brestgeschwaders durch den Kanal getroffen werden. Sie lassen einmal erkennen, wie ausgezeichnet die Engländer unterrichtet waren, wie frühzeitig ihre Planung einsetzte und zum zweiten, wie allein durch
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das Vorhandensein unserer Schiffe in Brest und die Verlegung der TIRPITZ nach Nordnorwegen die englischen Streitkräfte verzettelt werden mußten. Der Seekrieg umspannt in seinen Auswirkungen weite Räume. Dies einmal an Hand der deutschen und englischen Planung aufzuzeigen, war der Zweck der ausführlichen Schilderung der Vorbereitungen zu „Donnerkeil“, „Cerberus“ und „Operation Fuller“. Sie soll den Leser hinter den Vorhang sehen lassen, der sonst die Beratungsräume der Führungsstellen hermetisch abzuschließen pflegt. — Vier Sicherungslinien werden unbemerkt passiert: Wie ist das möglich? Am 11. /12. Februar versagen vier englische Sicherungslinien vollkommen. Grund: eine Kette rein zufälliger technischer und menschlicher Unzulänglichkeiten, wie sie im Seekrieg häufig auftreten und wohldurchdachte Unternehmungen zum Mißerfolg führen können. Bei der Tonne, die den Anfang des minenfreien Einfahrtsweges nach Brest bezeichnet, einer Heulboje, liegt seit dem 7. Februar das britische U-Boot SEALION und wartet geduldig. Tagsüber getaucht, nachts aufgetaucht. Der Kommandant, Lieutenant-Commander Colvin, erhält während dieser Zeit zwei Funksprüche seines Befehlshabers, darunter einen, der ihm sagt, er solle sich nur in die Unternehmung einlassen, wenn seiner Ansicht nach alle Umstände günstig erscheinen. Er muß grinsen, als er dies liest. „Einlassen? Ich stecke ja schon bis zum Hals drin!“ Noch dazu mit einer ziemlich unerfahrenen und nicht eingefahrenen Besatzung: der IO, Lieutenant Young, ist mit zwei anderen neu an Bord kommandierten Offizieren kurz vor dem Auslaufen an Bord gekommen. Die ganze Besatzung besteht meist aus Reservisten, zwölf Ersatzleute, darunter der Torpedo-Gunners-Mate, eine der wichtigsten Personen an Bord, stiegen ebenfalls erst am Morgen des Auslauftages ein. Kein Wunder, daß Colvin sich mehr Gedanken über den Ausbildungszustand seiner Männer als über diese Gegnerschiffe im Brester Hafen macht! 55
Am 11.2., dem Auslaufdatum der deutschen Schiffe, sagt er zu seinem I WO: „Ich will heute, Mittwoch, mit dem Gezeitenwechsel wieder an der Heulboje stehen und mit dem Flutstrom in die Bucht einlaufen. Gegen 15 Uhr mittags.“ „Gute Wettervoraussetzungen heute, Sir. Tadellose Sicht, Seegang zunehmend.“ „Wenn irgendwelche Schiffe in der Iroise-Bucht üben oder auslaufen, müssen wir sie sichten. Wann kentert der Strom?“ „Gegen 14 Uhr 40, Sir. Setzt dann Süd.“ „Also: wenn nichts bis dahin gesichtet wird: ablaufen zum Aufladen der Batterien.“ Es kommt nichts in Sicht. Mit Einbruch der Abenddämmerung steht SEALION wieder bei der Heultonne. Wartet. Klar zum Torpedoschuß. Vom Turm aus beobachtet der Kommandant. Starrt in die dunkle Nacht, „Hören Sie, Young? Motorengebrumm, und in der Ferne scheinen ersten Landbatterien zu feuern. Unsere Bomber greifen an. Das verdirbt unseren ganzen Plan.“ Während die Explosionsflammen detonierender Bomben den Himmel anleuchten, und das Abwehrfeuer der Landbatterien rollt, muß um 21 Uhr 30 — genau eine Stunde nach dem beabsichtigten Auslaufen der großen Schiffe — SEALION seine Wartestellung aufgeben und zum Aufladen ablaufen. Eine Stunde später verläßt das Geschwader Brest. Die erste englische Sicherungslinie wird dank des Bomberangriffs unbemerkt passiert! Und die drei anderen, so klug ausgedachten Linien? Da ist zunächst „Stopper“. In stockdunkler Nacht gegen 20 Uhr abends steht das betreffende Flugzeug, eine Hudson, über seinem Aufklärungsgebiet. Zur gleichen Zeit, in der die deutschen Nachtjäger starten, die vor den schweren Einheiten die Luft reinzufegen haben. Gegen 20 Uhr 25 fliegt eine Ju 88, ein Nachtjäger, unter den ersten englischen Bombern, die Brest angreifen, hinweg und stößt fast mit dem „Stopper“-Jäger zusammen. Die Ju versucht anzugrei-
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fen, der Engländer versucht, den Verfolger abzuschütteln. Während dieser Kurbelei schaltet der „Stopper“ das Radar, ein ASV-MarkGerät mit dreißig Meilen Reichweite, aus. Die beiden Jäger verlieren einander. Der englische Flugzeugführer befiehlt über das Intercom: „Radar einschalten!“ Es geschieht, aber der Bildschirm bleibt dunkel und leer. „Los, Radar einschalten, verdammt noch mal!“ „Ist eingeschaltet!“ „Unsinn, nichts zu sehen!“ Alle Versuche, den unbeliebten Kasten zum Funktionieren zu bringen, scheitern. „Bei diesem Bomberangriff“, urteilt der Flugzeugführer, „werden sie sowieso nicht auslaufen. Sehen können wir nichts, also: Kurs Heimat!“ Sie landen um 21 Uhr 40 und die herzueilenden Techniker, die Bordwarte, können den Fehler am Radar nicht finden, noch vierzig Minuten später bleibt der Ausfall ungeklärt. Sofort ein Ersatzflugzeug hochzuschicken, fällt keinem ein. Erst nach diesen vierzig Minuten kommt dem Flugplatzleiter die Erleuchtung: „Los, anderes Flugzeug, Patrouille wieder aufnehmen!“
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Das betreffende Flugzeug versagt beim Start. Wieder vergeht die kostbare Zeit, diesmal sind es fünfzig Minuten, bis sie entdecken, daß der Fehler an einem verstopften und feucht gewordenen Stecker liegt. Endlich, eine Stunde, nachdem die Schiffe Brest verließen, um 23 Uhr 48 steht wieder ein „Stopper“ über Brest. Zu spät! Als dies Flugzeug nach zwei Stunden vergeblicher Aufklärung landet, meldet der Bordwart dem herauskletternden, erstaunten Flugzeugführer: „Wir haben den Fehler an dem Radar gefunden!“ „So? Was war’s denn?“ „Rausgeflogene Sicherung. Der kaltgewordene Satz ist sofort auf AK angestellt worden, das verträgt er nicht. Muß erst langsam vorgewärmt werden.“ — Das Flugzeug der zweiten Sicherungslinie, „Line SE“, steht pünktlich um 20 Uhr 40 über seinem Gebiet. Gerade als sie dort angekommen sind, meldet der Funker: „Radar ausgefallen!“ „Verdammt! Los, untersuchen, muß doch festzustellen sein, warum?!“ Eine Stunde lang wird vergeblich gesucht und geprüft. „Nichts zu machen, der blöde Kasten reagiert nicht!“ Wütend läßt der Flugzeugführer die befohlene Funkstille brechen. „Radar ausgefallen, unter uns ohne Radar nichts zu sehen!“ Er bekommt Befehl — um 22 Uhr 13 — zu seinem Horst zurückzufliegen. Wieder wird ein Ersatzflugzeug für unnötig gehalten. Linie SE bleibt unbesetzt. Diesmal wird als Ursache des Versagers ein deutscher Störsender vermutet, was nicht stimmt, da der Störeinsatz erst am anderen Morgen um 10 Uhr beginnt, ein Befehl, der pünktlich von unseren Störsendern befolgt wurde! Sicherungslinie Nummer drei ist erfolgreich durchstoßen! — Inzwischen zeigen die von den mit den Bombern geflogenen Aufklärern gemachten Aufnahmen, daß die drei Schiffe aus den Docks gegangen und zu den Brennstoffübernahmestellen der Flottillenpier verholt haben. Bleibt das vorläufig letzte Hindernis: „Habo“, bis 08 Uhr morgens
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geflogen zwischen Le Havre und Boulogne. Hier helfen keine mysteriösen Zwischenfälle oder ein deutscher Störsender. Die Sicherung wird eine Stunde früher als gewöhnlich abgebrochen. Grund ist die Besorgnis eines Kontrolloffiziers der befahl, daß an diesem Morgen des 12.2. nur zwei Aufklärungskreise zu fliegen wären und dann zurückgekehrt werden soll. Es herrscht ziemlicher Morgendunst und es könnte Nebel aufkommen. An sich bei der Radarausrüstung der Maschinen nicht ganz verständlich, aber immerhin sind Flugzeuge knapp und ausgebildete Besatzungen ziemlich wertvoll! Daß ein rechtzeitiges Sichten des Feindes wichtiger sein könnte, kommt dem betreffenden Offizier nicht in den Sinn! Die deutschen Einheiten erreichen das Gebiet dank der Verzögerung durch den Bomberangriff auf Brest eine Stunde, nachdem das letzte „Habo“-Flugzeug aus der Gegend von Le Havre abgeflogen ist. Damit ist auch die vierte Sicherungslinie unbemerkt passiert! — Der deutsche Flottenverband steht nun gegen 11 Uhr vormittags des 12. Februar auf der Höhe der Somme-Mündung.
Der Marsch durch die Dover-Enge Radarechos und Sichtmeldungen. Sie merken nichts! Endlich: Alarm! Auf PRINZ EUGEN macht sich der Feind erst um 10 Uhr 48 bemerkbar. Die Luftnachrichtenzentrale meldet: „Luftalarm im Großtrapez 22. Das ist zwischen Calais und Ostende!“ Über dem Verband ist die Wolkendecke, die sich während des Vormittagsmarsches gebildet hatte, weiter aufgerissen. Es herrscht gute Sicht. Zwei Minuten später erscheinen weit im Norden an der Sichtgrenze zwei zweimotorige Flugzeuge, zu denen sich um 11 Uhr noch ein drittes gesellt. Der Vormars meldet dies an die Schiffsführung. Der Kommandant, Kapitän zur See Brinkmann, hebt die Linke mit der Zigarre und läßt eine Mitteilung durchgeben, die alle ver59
blüfft, die sich auf dem Hauptflakleitstand aufhalten: „Von Kommandant: ein Feindflugzeug meldet drei Schwere Einheiten mit Sicherung. Zusammen etwa zwanzig Fahrzeuge mit hoher Fahrt, Kurs Ost. Dazu unseren Standort. Aufpassen, Herrschaften, der Tanz beginnt!“ Wenige Minuten später ruft der BÜ eine neue Kommandantenmeldung aus: „Funkbeobachtung meldet, daß die britische Bodenstelle das Flugzeug anwies, die Meldung zu wiederholen, da sie unglaubwürdig sei. Ende!“ Die Männer sehen sich an, schütteln die Köpfe. Was war das? Das ist doch unmöglich! Haben denn die Engländer bisher geschlafen? Ein Läufer aus der Funkbude überreicht dem Kommandanten einen Funkspruch, den dieser schmunzelnd dem NO mitteilt: „Hören Sie, Beck: ,Im Westkanal und Doverbereich bis jetzt keinerlei Anzeichen für Entdeckung deutscher Unternehmung durch englische See- oder Luftstreitkräfte festgestellt.’ Toll, was?“ Er sieht über die See. Der Wind ist nun NWzW, Stärke vier, unter einer hohen Wolkendecke ist die Sicht mäßig, leichter Dunst liegt über dem Wasser. An Backbordseite läuft jetzt die 4. Schnellbootsflottille. „Was ist bloß mit den Engländern los?“ fragt der Kommandant verwundert. Die Antwort kann niemand geben, und wenn Kapitän Brinkmann gewußt hätte, was sich in Wirklichkeit auf der Insel während dieser Zeit abspielt, hätte er schallend gelacht. — * Das Hauptquartier des Fighter Command ist in Stanmore. Im Radarraum, in dem alle Meldungen aus den Radarstationen der Südostküste zusammenlaufen, hat gegen 09 Uhr 30 der Wing Commander Jarvis die Wache übernommen. Er sieht auf dem Bildschirm einen „plot“, ein Echo. Der gelbgrünlich scheinende bewegliche Punkt steht bei Le Havre. Er ruft Gruppe 11 an: „Flugzeug bei Le Havre. Nichts besonderes, begleitet wohl Kü60
stenfahrer. Außerdem atmosphärische Störungen, wie gewöhnlich.“ Das Flugzeug gehört zum Luftschirm des Brestgeschwaders. Fünf Minuten danach hebt Admiral Ramsay, wie üblich, den täglichen Morgenalarm seiner Streitkräfte auf. Seine MTB’s von Ramsgate haben in der Nacht ein deutsches Gebiet vor Ostende angegriffen. Es ist ihnen schlecht bekommen: deutsche Zerstörer erschienen und schlugen sie zurück. Ein MTB ist bei South Foreland aufgelaufen, drei bleiben übrig. Bei Dover hat ein anderes MTB Maschinenschaden und fällt aus. Von den zwölf MTB’s sind nur noch acht einsatzbereit. Reserven sind für die Streitkräfte der Operation „Fuller“ nicht vorgesehen. Kurz vor 10 Uhr starten die üblichen „Jim Crow“-Fighter Kontrollflüge zwischen Somme-Mündung und Ostende: zwei Spitfire von Hawkinge, von denen eine direkt Boulogne anfliegt. Der Flugzeugführer sieht Schnellboote, die dort auslaufen und auf Südkurs drehen. Die Spitfire fliegt nun Berck-sur-Mer an, dort wird ein weiteres Schnellboot mit Nordkurs gesichtet. Da Funkstille als ständiger Befehl für Jäger der RAF angeordnet ist, meldet die Spitfire nicht. Sie fliegt zum Bericht nach ihrem Horst zurück. Die zweite Spitfire klärt zwischen Griz Nez und Ostende auf. Sie beobachtet elf kleinere Fahrzeuge östlich von Zeebrügge, kehrt um, landet und meldet. Was der Flugzeugführer sah, waren deutsche Geleitfahrzeuge, die darauf warten, ihre Positionen zur Sicherung des Geschwaders einzunehmen. — Der Wachhabende Air Commodore von Stanmore ruft die Gruppe 11 in Hornchurch an. Er spricht mit dem dortigen wachhabenden Kontrolloffizier über die verschiedenen bisher durch Radarechos festgestellten feindlichen Flugzeuge, die da im Kanalgebiet herumschwirren. „Werden Seenotrettungsaktionen sein, Sir“, beruhigt der Wachhabende. „Fallen doch immer Flieger in den Bach!“ Um zehn Uhr beginnt die wegen der Wetterlage um zwei Tage verzögerte Verlegung der vierzehn Beaufort-Torpedobomber von Leuchars nach Coltishall in Ostangeln. Von der durch Kanadier besetzten Radarstation Newhaven werden
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zwei oder drei Flugzeuge — wegen verstärkter Störungen nicht genau auszumachen — gemeldet. In Stanmore vergleicht Wing Commander Jarvis diese Echos kopfschüttelnd mit den vorherigen Meldungen, „Der Konvoi, den diese Vögel offenbar geleiten, muß mit fünfundzwanzig Meilen den Kanal hinaufmarschieren! Merkwürdig hohe Geschwindigkeit!“ Der Air Commodore findet das auch sonderbar und bespricht sich telefonisch mit Gruppe 11 in Hornchurch. „Diese Störungen“, meint er schließlich, „verursachen irrtümliche Beobachtungen. Kein Küstengeleit kann diese Fahrt laufen!“ Um 10 Uhr 45 werden weitere Flugzeuge im Radar bemerkt. Sie stehen südlich von Boulogne. Die Radarexperten besprechen sich. Resultat: „Die atmosphärischen Störungen lassen keine zuverlässigen Beobachtungen zu. Unmöglich zu sagen, was diese Flugzeuge vorhaben.“ Als eine Viertelstunde danach die Station Fairlight, die ein Marine-Radargerät Typ 271 hat, erneut feindliche Flugzeuge und starke Störungen meldet, treten die Fachleute von Stanmore noch einmal zusammen. Der Älteste erklärt: „Es müssen Seenotaktionen sein oder einzelne Flugzeuge, die üben und ihre Bordwaffen einschießen. Das geschieht dauernd. Kennen wir doch!“ Wing Commander Jarvis ist damit aber nicht zufrieden. Irgendein Gefühl warnt ihn. „Draußen im Kanal stimmt etwas nicht!“ behauptet er. „Überwasserstreitkräfte laufen mit hoher Fahrt den Kanal hinauf. Mir gefällt das nicht.“ Er teilt dem wachhabenden Air Commodore seine Befürchtungen mit und ruft noch einmal Gruppe 11 an. Aber das Fighter Command hat andere Sorgen. Es ist im Augenblick damit beschäftigt, eine „Roadstead“-Operation gegen die von „Jim Crow“ gemeldeten Schnellboote auszuführen und hat gerade eine zweite Aufklärungsgruppe losgeschickt, um den genauen Standort dieser Fahrzeuge festzustellen.
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„Übende feindliche Flugzeuge, weiter nichts!“ wird dem besorgten Wing Commander erklärt. Und nun tritt Beachy Head auf den Plan. Um 11 Uhr 16 meldet die dortige Radarstation Radarechos von zwei Schiffen in der Nähe von Boulogne. Das ist etwas für Admiral Ramsay in Dover. Sie versuchen, ihn telefonisch zu erreichen. Nichts zu machen, die Verbindung ist nicht herzustellen. „Nehmen Sie die geheime Leitung, die mit der Verzerrung!“ befiehlt der RAF-Stationsleiter. „Funktioniert auch nicht, Sir!“ meldet nach einem Versuch der Mann am Stöpselbrett. Inzwischen wird der Bildschirm weiter beobachtet, die Echos wandern beachtlich schnell aus, sie müssen hohe Fahrt laufen. „Los, versuchen Sie, Dover zu bekommen!“ „Sorry, Sir! Die Verbindung ist nicht herzustellen!“ Um 11 Uhr 20 startet die zweite „Jim Crow“ — Aufklärung von Hawkinge aus. Zwei Spitfire: Squadron Leader Oxspring und Sergeant Beaumont. Admiral Ramsay führt indessen mehrere Telefongespräche mit der Admiralität in London und den drei Air Commands. Sie alle sind einer Meinung, so daß der Admiral zum Schluß noch einmal feststellt: „Also: nur sehr geringe, bzw. gar keine Möglichkeit, daß die Brestschiffe am Tage durchbrechen. Es bleibt dabei: nächster Frühalarm morgen um 05 Uhr, Ende!“ Wing Commander Jarvis und sein Stab haben in der Zwischenzeit in Stanmore noch einmal die eigenartigen Störungen ihrer Radarstationen durchgesprochen. „Mir scheint allmählich“, behauptet Jarvis, „daß der Gegner die Ursache der Störung ist, nicht atmosphärische Bedingungen!“ Wissenschaftler werden zu Rate gezogen und Jarvis ruft Gruppe 11 an, erklärt und rät: „Ich schlage vor, Luftaufklärung fliegen zu lassen, ob etwa der Gegner irgendeine Bewegung im Kanal mit diesem Störeinsatz verschleiern will!“
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„Nicht nötig, wir haben Oxspring und Beaumont bereits in der Luft, sie müssen in Kürze zurückkommen und werden dann melden“, ist die Antwort. Merkwürdigerweise fühlt sich niemand veranlaßt, die Admiralität anzurufen, die wahrscheinlich die Bedeutung dieser dauernd gemeldeten Echos und den Sinn der immer stärkerwerdenden Störung sofort erfaßt hätte. In Beachy Head wird die Ursache des Versagens der Leitung nach Dover untersucht. Dabei stellt sich zum Entsetzen der Station heraus, daß die normale und die geheime, mit Verzerrung arbeitende Leitung in die gleiche offizielle Postlinie gestöpselt wurden. Jeder Zivilist, der seinen Hörer aufnimmt, kann die geheimsten Gespräche zwischen Beachy Head und dem Doveradmiral ohne weiteres mithören! Die Radarleute rufen nun Portsmouth an und bitten, die beobachteten beiden Schiffsechos an Dover weiterzumelden. Und nun geschieht etwas, was sozusagen inoffiziell endlich den Alarm auslöst. Außer den befohlenen englischen Aufklärern brummen noch zwei weitere Spitfire über dem Kanal herum. Der zu seinem Verdruß als ältester Stabsoffizier im Stabe des Air ViceMarshalls Leigh-Malory bei der Gruppe 11 in der Papierkneipe hokkende Group Captain Victor Beamish sitzt im ersten Flugzeug. Als begeisterter Jäger und berühmtes As der „Battle of Britain“ hat er Erlaubnis, zuweilen „privat“ zu fliegen. Der andere, Wing Commander Boyd, hat den Auftrag, Beamish bei seinen mehr oder weniger tollen Eskapaden zu begleiten und notfalls zu schützen. Beamish pflegt aus purer Kampflust deutsche Flugzeuge anzugreifen oder durch Beschießen ihrer Horste mit Bordwaffen zum Aufsteigen zu veranlassen. Die beiden haben ein paar Jäger gesichtet und der Group Commander gibt hocherfreut und vergnügt grinsend seinem Partner das Zeichen zum Angriff. Die Deutschen ziehen sich in Richtung Boulogne — d. h. auf ihre Station beim Luftschirm der Flotte — zurück. Die Spitfire jagen hintendran und alle vier verlieren erheblich an Höhe bei der Kurbelei. Beamish und Boyd befinden sich plötzlich zu ihrem maßlosen Erstaunen gegen 11 Uhr 33 dicht über den deutschen
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Schlachtschiffen! Sie drehen schleunigst ab und rasen, verfolgt von den Jägern des Luftschirms zu ihrem Horst zurück. Wegen des strengen Befehls, Funkstille zu halten, wagt Beamish nicht, eine Sichtmeldung zu funken. Zur gleichen Zeit, in der endlich die von Beachy Head gesichteten Schiffsechos von Portmouth nach Dover gemeldet werden, stoßen Oxspring und Beaumont fünfzehn Meilen westlich von Le Touquet mit ihren Spitfire durch die Wolkendecke. Genau unter ihnen laufen viele Schiffe und zahlreiche feindliche Jäger stürzen auf sie zu. Sie tauchen hochziehend in die Wolken zurück und fliegen ihren Horst zur Meldung an. — * Im Stabe des Admirals Dover arbeitet der Wing Commander Constable-Roberts als RAF-Verbindungsoffizier. Er hält laufend Verbindung mit dem Fighter Command, Gruppe 11 und dem Coastal Command, Gruppe 16. Als jetzt auch die Radarstation Fairlight die beiden Schiffsechos bei Boulogne meldet, ruft er sofort die Gruppe 11 an und teilt die Nachricht mit: „Das Boulogne-Gebiet muß sofort aufgeklärt werden!“ „Geht in Ordnung, Dover!“ sagt leicht gelangweilt der betreffende Offizier der Gruppe 11. „Wir halten schon seit einiger Zeit das Gebiet unter Beobachtung.“ Das genügt dem Wing Commander nicht. Er läßt den GruppenStabsoffizier ans Telefon bitten und stellt weitere Fragen. Wenn da zwei Schiffe herumfahren, muß doch die Gruppe 11, die Aufklärung fliegen läßt, besser unterrichtet sein als irgendein anderer! Bei der Fragerei merkt er bald, daß sie bei der Gruppe diese wichtige Meldung von Beachy Head und Fairlight mit den früheren über die herumsausenden Feindflugzeuge durcheinander gebracht haben. „Das müssen die ,häßlichen Schwestern’ sein, die von Westen anmarschieren! Ihr müßt schleunigst Aufklärung starten lassen!“ ruft er in den Apparat. „Mein Himmel! Wir haben schon eine weitere ,Jim Crow’ in der 65
Luft, Oxspring und Beaumont. Die müssen bald zurückkommen und melden!“ Constable-Roberts knallt wütend den Hörer auf die Gabel. Es ist bemerkenswert, daß dieser junge Wing Commander der einzige Offizier an der ganzen Südküste ist, der instinktiv das Richtige ahnt, die Gefahr erkennt und vergebens versucht, die Interesselosigkeit der Führungsstellen mit seinen dringenden Telefonanrufen wach- und aufzurütteln! Oxspring und Beaumont landen um 11 Uhr 50 in Hawkinge. „Wir haben einen Konvoi gesichtet. Vierzig oder fünfzig Schiffe, durch fünf Zerstörer oder Schnellboote gesichert“, meldet Oxspring. „Ich habe einen Dreibeinmast ausgemacht“, fügt Beaumont der Meldung seines Squadron Leaders hinzu. Der Offizier, der die Nachricht entgegennimmt, fährt überrascht auf: „Vielen Dank, Mensch! Darauf haben wir hier gewartet!“ Er geht zu einem Bücherbord, greift ein Buch mit den Silhouetten der deutschen Kriegsschiffe heraus und reicht es dem Sergeanten. „Glauben Sie, Sie können das Schiff, das Sie da gesichtet haben, unter diesen Bildern herausfinden?“ Beaumont blättert langsam die Seiten um, prüft die Bilder. Plötzlich deutet er mit dem Finger auf einen Schattenriß. Er stellt ein deutsches Schlachtschiff dar. „Das sieht aus wie der Mast, den ich sah, Sir!“ Es ist aber weder SCHARNHORST, noch GNEISENAU noch PRINZ EUGEN. Damit ist die Befragung abgeschlossen und die wichtige Meldung unter den Tisch gefallen! Wohl geht eine Nachricht an das Fighter Command, sie besagt aber nur, daß die beiden Aufklärer einen großen Konvoi sichteten, von einem Dreibeinmast ist keine Rede. Die Folge ist lediglich, daß der Angriff auf die früher gemeldeten kleinen Fahrzeuge abgeblasen und eine größere „Roadstead“-Unternehmung auf diesen angeblich großen Konvoi angeordnet wird. Niemand denkt daran, etwa „Fuller“ auszulösen! Auch Dover erfährt, daß ein großer Konvoi gesichtet wurde und daraufhin eine umfassendere „Roadstead“-Unternehmung gestartet
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werden soll. Die Nachricht erwähnt wieder nichts von einem großen Kriegsschiff mit Dreibeinmast. Aber Wing Commander ConstableRoberts behält seine Initiative. Gestützt auf eine zögernd gegebene Zustimmung Admiral Ramsays — der nach gutem Marinebrauch erst eine handfeste Sichtmeldung abwarten will — ruft er den Flugplatz Manston an und läßt Esmonde ans Telefon kommen. „Besser, Sie lassen Ihre Männer sich klarmachen, Esmonde! Ich glaube, wir haben etwas für Sie. Ich habe so ein Gefühl, es könnten die Jungs aus Brest sein. Halten Sie die Linie frei, ich werde Sie laufend informieren.“ „Soll ich die Torpedos an Bord nehmen? Tief einstellen?“ „Ja, tun Sie des. Sie werden nicht viel Zeit haben, wenn ich das Kennwort gebe!“ So kommt es, daß der erste entscheidende Schritt von einem jungen Wing Commander getan wird. Er ruft gleich danach das Coastal Command, Gruppe 16 auf Thorney Island, an. „Ich schlage vor, Sie geben den Beauforts, die von Leuchars unterwegs sind und ebenso denen von St. Eval Bescheid!“ Eigentlich will er sie auffordern, sämtliche Torpedobomber sofort nach Manston zu schicken. Aber — das übersteigt seine Dienstbefugnisse. Lieber nicht, denkt er, Kompetenzstreitigkeiten sind verdammt unangenehm, und wer die meisten Ärmelstreifen hat, bekommt erfahrungsgemäß stets recht! Es ist vielleicht die einzige Unterlassungssünde, die man dem tüchtigen Wing Commander im Licht der späteren Ereignisse vorwerfen könnte! — Endlich, um 12 Uhr 09 landen die beiden „außerterminlichen“ Flieger, Beamish und Boyd, mit ihren Spitfire, rasen zum nächsten Telefon, melden. Langatmige Rückfragen verursachen weitere Verzögerung, man will zunächst einfach nicht glauben, was sie da gesehen haben wollen. Aber schließlich läßt sich das Hauptquartier doch überzeugen. Man muß diesen Überlebenden der „Battle of Britain“, erfahrenen Männern, vertrauen. Gruppe 11, die niemals annahm, der Feind wäre verwegen genug, die Durchfahrt am hellen Tage zu wagen, gibt den höchst verblüfften Befehlsstellen die alarmierende Nachricht durch:
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„Die Brestschiffe sind unterwegs!“ Whitehall ist völlig überrascht. Die Frage ist nun, darf man diese lächerlich geringen Streitkräfte, die bei einem Nachtangriff vielleicht eine Chance gehabt hätten, bei Tage gegen den weit überlegenen Gegner und in den sicheren Tod schicken? Derjenige, der als erster die Nachricht hätte erhalten müssen, bekommt sie als letzter: Admiral Ramsay in Dover! Er empfängt sie aus dem Kartenraum der Admiralität in London. Sofort ruft Constable-Roberts die Gruppe 11 an und fordert dringendst Jägerschutz für die Swordfish. Dann läßt er sich mit Esmonde verbinden. Mittlerweile ist es 12 Uhr 25 geworden. „Es sind tatsächlich unsere Freunde von Brest! Beamish hat sie auf der Höhe von Boulogne gesichtet. Bleiben Sie am Apparat, ich werde gleich den Befehl für Sie durchsagen!“ Zur gleichen Zeit ruft Beamish selbst vom Flugplatz Kenley aus den Flugplatzleiter von Manston, Wing Commander Gleave an: „ ,Fuller’! Äußerste Beschleunigung, Tom!“ — * Um 12 Uhr 40 ruft der Kontrolloffizier der Gruppe 11 den Verbindungsoffizier der RAF in Dover telefonisch über den Jagdschutz: „Wir haben fünf Fighter-Geschwader zum Nahschutz für die Torpedobomber bereitgestellt. Drei weitere werden vor, ich betone: vor dem beabsichtigten MTB-Angriff den Schnellbootsschirm des Brestgeschwaders angreifen!“ Wenige Minuten später läßt Admiral Ramsay dem Führer der Zerstörerflottille von Harwich., Captain Pizey den Auslaufbefehl zugehen: „Auslaufen in Ausführung des früheren Befehls!“ Glücklicherweise sind diese Zerstörer zur Ausführung von UBootsjagd-Manövern bereits in See und stehen auf der Höhe von Harwich. Wie wenig Zusammenarbeit der einzelnen Befehlsstellen vorhanden ist, zeigt ein Anruf des ältesten Stabsoffiziers der Gruppe 16. Er verlangt vom Verbindungsoffizier, Wing Commander Constable68
Roberts in Dover, eine Verzögerung des Starts der Swordfish. Grund: die Gruppe wünscht einen gemeinsamen Angriff der Swordfish und Beaufort. Constable-Roberts ist wütend, er weigert sich sofort: „Das ist völlig ausgeschlossen! Wir müssen versuchen, die Gegner so schnell wie möglich zu beschädigen. Wenn gemeinsam mit den Beauforts angegriffen werden soll, brauchen wir Jägerschutz. Die Swordfish haben höchstens neunzig Meilen Geschwindigkeit, während die Beauforts Schwierigkeiten haben, weniger als hundertfünfzig Meilen Geschwindigkeit zu halten. Bedenken Sie, daß die Swordfish zweieinhalb Flugstunden brauchen, bis sie unter dauernden Angriffen feindlicher Jäger die drei Schiffe erreichen. Mit Verlusten müssen wir rechnen, wir haben mehr Chance, Überlebende aufzupicken, wenn dieser Swordfish-Angriff nur ein paar Meilen vor unserer Küste stattfindet und nicht dort, wo die Beauforts angreifen, meilenweit weg!“ Kaum ist das Gespräch beendet, als die Gruppe 11 den wahrscheinlichen Kurs und die Fahrt der Dover-MTB’s, die dabei sind, den Hafen zu verlassen, mitgeteilt bekommen muß. Er telefoniert und erhält das Versprechen: „Fighterschutz wird innerhalb von zehn Minuten gestellt.“ Glücklicherweise ahnt er nicht, daß diese Fighter niemals erscheinen werden! In Dover sind vor kurzem zwei MGB (Artillerieschnellboote) eingelaufen, sie sollen den MTB als Deckung mitgegeben werden. Sie sind jedoch aus irgendeinem Grunde noch nicht seeklar und verlassen den Hafen erst einige Zeit nach den MTB. Um 12 Uhr 55 erhält Sir Philip Joubert die Meldung, daß die Torpedobomber von Leuchars, die vielbesprochenen vierzehn Beaufort, in Coltishall gelandet sind. Das ist an sich befriedigend, aber Coltishall hat überhaupt keine Einrichtung für Torpedoflugzeuge! Das Küstenartilleriekorps, das die Fernkampfgeschütze bei Dover besetzt, wird um 13 Uhr 10 vom Doverkommando über die Lage, die sich so urplötzlich entwickelt hat, unterrichtet. Die Batterien haben erst kürzlich Ersatzmannschaften eingestellt. Als die Nachricht durchkommt, exerzieren sie gerade, während der größte Teil der aus-
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gebildeten Mannschaften ausgerechnet auf Urlaub ist. Außerdem hat sich das Wetter verschlechtert. Leichter Dunst verringert die Sicht. Mit dem Radar ist, seit der Großeinsatz der deutschen Störsender auf vollen Touren arbeitet, überhaupt nichts mehr anzufangen. Standort, Kurs und Fahrt des Gegners sind bis jetzt völlig unbekannt. Admiral Ramsay wartet ungeduldig auf die erste Feindmeldung von seinen MTB. Es kommt aber keine Meldung, Noch nicht. Dafür ruft Gruppe 11 den Doververbindungsoffizier an: „Bestätigen Sie den Befehl, daß genügender Jägerschutz für die Swordfish gestellt wird!“ „Das müssen Sie mit Esmonde selbst feststellen!“ entgegnet Constable-Roberts. Gruppe 11 tut es. Sofort. Als Esmonde sich am Telefon meldet, bekommt er folgende Zusicherung: „Sie erhalten fünf Jagdgeschwader, drei von Biggin Hill als oberen Schultz, zwei von Hornchurch sollen sich nah bei Ihnen halten und eventuelle Flakschiffe angreifen. Verabredete Zeit zum Rendezvous über Manston ist 13 Uhr 25. Ende!“ Damit scheint alles in schönster Ordnung, soweit es den Jägerschutz für die Swordfish betrifft. Über die Bewegungen des Gegners ist immer noch nichts bekannt. Weitere Aufklärungsflieger sind nicht hochgeschickt worden, obwohl es nahezu eine Stunde her ist, seitdem Beamish ziemlich unbestimmt gemeldet hatte: „Sie stehen irgendwo draußen vor Boulogne!“ Auch die Dover-MTB haben noch keine Feindberührung. Das Radar ist unbrauchbar und die Marine verläßt sich lieber auf eine hiebund stichfeste Sichtmeldung durch ihre Streitkräfte. Immerhin gibt Admiral Ramsay nun seine Meldung an die Admiralität. Sie ist für den, der die wirkliche Lage kennt, von erschütternder Tragik: „Alle in meinem Kommando vorbereiteten Maßnahmen, dem feindlichen Vormarsch zu begegnen, sind in Kraft getreten!“ Es ist wenig genug. Die deutsche Flotte hat bereits die engste Stelle der Doverstraße passiert. Erst dann eröffnen um 13 Uhr 18 die Fernkampfbatterien von Dover das Feuer, während zwei MGB (Ar-
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tillerieschnellboote) aus Dover auslaufen, um den Versuch zu machen, den äußeren deutschen Schnellbootsschirm anzugreifen und den MTB, den Torpedoschnellbooten, damit einen Durchbruch zu den großen Einheiten zu ermöglichen. So steht es beim Engländer, während die deutsche Flotte völlig ungestört mit allen ihren Einheiten, die im Dunst kaum sichtbaren Kreidefelsen der Dover-Enge langsam Backbord achteraus verschwinden sieht. Küstengeschütze, MTB und Torpedobomber greifen an! Auf PRINZ EUGEN empfängt der E-Meßoffizier einen Anruf in seinem Kopftelefon. Er legt den Sprachhebel herum: „Hier E-Meßoffizier...! Jawohl, verstanden! In dreihundert Grad nebeln eigene Schnellboote!“ Graf Matuschka zieht die Augenbrauen hoch, wiederholt dem AO die Meldung und lacht: „Jetzt scheinen sie aufgewacht zu sein, Herr Kapitän!“ Unten an den neu eingebauten 2-cm-Vierlingsflawaffen auf der Back und auf Turm Bruno geraten die für diese Unternehmung eingeschifften feldgrauen Marineartilleristen in Bewegung. Paulus sieht auf seine Uhr: 13 Uhr 10. Er begibt sich wieder an seinen Backbordzielgeber im Stand, schwenkt ihn in die angegebene Richtung. Stellt die Vergrößerung ein. Da laufen die eigenen Schnellboote in langer Linie. Und wahrhaftig: links von ihnen, schon achteraus, tauchen die weißen Kreidefelsen von Dover aus dem Dunst. Über ihnen die Gittermasten der achtzig Meter hohen Türme der „Chaine Home“, der ersten Radarkette auf zwölf Zentimeter Wellen. Links die Sende-, rechts davon die Empfangstürme. Grellweiße, wurstförmige Sperrballons schweben über der Felsenküste. Schwer zu erkennen, das Wetter ist umgeschlagen. Der Himmel bezieht sich mehr und mehr. Der Wind kommt, schärfer werdend, von vorn, aus der heimatlichen Nordsee. Der AO preßt die Augen fester an die Gummimuscheln der Optik: „Da, haben Sie gesehen? Das sind doch Aufschläge da vorn bei
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den Schlachtschiffen?“ Zusammenfallende breite Wassersäulen sind durch das Glas zu sehen. Neue wuchten aus der See hoch. „Schwere Kaliber!“ stellt Paulus fest. „Fernkampfbatterien feuern von Dover!“ Die Aufschläge leuchten schwefelgelb und grünlich, stehen weitab an Backbord. Sie liegen alle zu kurz. — Auf dem Flaggschiff SCHARNHORST hat Vizeadmiral Ciliax um 12 Uhr 55 den an Backbord als äußere Sicherungslinie laufenden Schnellbooten den Befehl zum Nebeln erteilt. „Besser, wir machen uns ein bißchen unsichtbar hier!“ sagt er zum Stabschef, Kapitän Reinicke. Sie laufen jetzt 27 Meilen, Cap Griz Nez ist passiert, als ein Verband großer Flugzeuge gesichtet wird. Oberst Ibel, der Jägerleitoffizier, dreht sich zum Befehlshaber um: „Sind eigene, Herr Admiral. Bomber, die einen Angriff auf die englische Südküste, wahrscheinlich auf Flugplätze fliegen.“ Vizeadmiral Ciliax sieht hinüber zu den nebelnden Schnellbooten: „Hier, Stabssignalmaat, an 4. Schnellbootsflottille: Nebel einstellen!“ Der Signalscheinwerfer klappert wieder und wieder. Die Morsebuchstaben, die das Anrufzeichen für die Flottille bedeuten, blitzen als kurze und lange Lichtsignale in Richtung zu den Schnellbooten. Aber der Anruf wird dort offenbar nicht bemerkt, jedenfalls kommt kein Klarzeichen und der Nebel wird immer dichter. Trotz Einsetzens aller Signalmittel gelingt es nicht, den Befehl zur 4. S.-Flottille durchzubekommen. Auf dem englischem Festland sind mehrere gewaltige Abschußblitze auszumachen. „Englische Batterien haben Feuer eröffnet!“ ruft irgend jemand. „Schiffsführung Kommandostand!“ sagt ruhig der Kommandant, Kapitän zur See Hoffmann, und geht mit NO und dem Brückenpersonal in den Stand. Backbord querab und voraus schlagen schwere Granaten in die See. Der Haupt-BÜ ruft einen neuen Befehl des Admirals aus: „An Si-
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gnalmaat, Befehl Flaggensignal. Wendung zwei Dez Steuerbord!“ Von der Signalrah der SCHARNHORST wehen die Flaggen bunt aus. Sie werden von den anderen Schiffen wiederholt; als alle Schiffe so „verstanden“ gezeigt haben, kommt von SCHARNHORST der Befehl zur Ausführung der Wendung, indem das Signal niedergeholt wird. Blitzschnell werden auch auf den anderen Schiffen die Flaggen niedergeholt und die drei großen Einheiten entziehen sich durch die Wendung dem Feuerbereich. „Aufschläge kurz 500!“ meldet der AO. „Liegen achteraus, 260 Grad!“ „Merkwürdig“, wundert sich der Kommandant, „wir liefen doch schon lange Zeit im Feuerbereich dieser Burschen, ehe sie losballerten! Nun ist’s zu spät für sie!“ „Die 5. Torpedobootsflottille stößt zum Verband!“ wird, vom Vormars gemeldet. „Markboot F auf Position, Herr Kapitän!“ stellt der NO, Korvettenkapitän Giessler, fest. „Etwa 1,5 Meilen nördlich vom Kurs.“ Vom Vormars kommt eine Meldung des II AO, die der BÜ grinsend weitergibt: „Weitere Aufschläge, Herr Kapitän! Sämtlich kurz!“ Der Kommandant nickt und hebt die Hand: „Durchgeben an alle Stellen: auf feindliche Schnellboote aus vorlichter Richtung achten!“ Wieder tritt der Haupt-BÜ zum Kommandanten: „Von Vormars, Herr Kapitän! Zerstörer meldet feindliche Schnellboote an Backbord!“ „Schotten dicht!“ Die Alarmklingeln schrillen in allen Decks die fünf kurzen Töne (macht die Schotten dicht!), die mehrfach wiederholt werden. Dieser „verschärfte Verschlußzustand“ teilt nunmehr das Schiff in wasserdichte Abteilungen und erhöht die Sinksicherheit. Kurz danach die Meldung des Ersten Offiziers aus der Zentrale: „Schotten sind dicht!“ Der I AO. Korvettenkapitän Dominik, gibt seine Beobachtungen durch: „Aufschläge der Landbatterie: kurz 3000. An Backbord Gefecht
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zwischen eigenen und feindlichen Schnellbooten!“ „Von Flotte an RICHARD BEITZEN und FRIEDRICH IHN: feindliche S-Boote abdrängen!“ Die beiden in der inneren Sicherungslinie laufenden Zerstörer drehen ab und greifen die anlaufenden MTB an. Mündungsfeuer blitzt auf, drüben feuern die eigenen Schnellboote, Leuchtspurgeschosse kreuzen ihre Bahnen, die 12,7 cm-Geschütze der Zerstörer lassen ihre Salven rollen, Pulverrauch, künstlicher Nebel und Dunst erschweren die Sicht. Plötzlich kommen Torpedoflugzeuge, Zweidecker, aus dem Qualm auftauchend heran, die eigenen Jäger schnellen ihnen entgegen, ein feindliches Flugzeug stürzt brennend ab, schlägt in die See. „Meldung vom Gefechtsstand!“ schreit der BÜ in den Lärm. „220 Grad Torpedolaufbahn!“ „Hart Steuerbord!“ ruft der Kommandant. Der Gefechtsrudergänger drückt seine Tasten, hart überlegend dreht SCHARNHORST ab. „Laufbahn kommt außer Sicht!“ meldet der Vormars. „Neuer Kurs 90 Grad!“ „Meldung vom B-Dienstraum: unbekannte Einheit meldete 13 Uhr 25 an Dover: drei Schlachtschiffe in 130 Grad, fünf Seemeilen ab, Kurs 70 Grad.“ Der NO greift zur Karte, prüft nach: „Der gemeldete Standort ist eine Meile südlich von unserem Kurs, Herr Kapitän.“ Und wieder meldet der Gefechtsbeobachter von der Vormarsgalerie herunter: „210 und 212 Grad Schnellboote!“ Kapitän Hoffmann läßt nach Backbord auf 50 Grad gehen. Da die bisherige Sprechstille mit den eigenen Jägern nun aufgehoben werden kann, wird UK eingeschaltet. Kurz danach befiehlt der Kommandant: „Schiffsführung Friedenssteuerstelle!“ Der Kommandostand wird verlassen. Von der Admiralsbrücke kommend, tritt der BdS zum Kommandanten. Admiral Ciliax war der
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erste Kommandant der SCHARNHORST, manche der Offiziere, so der NO, sind noch unter ihm gefahren und freuen sich, wenn der Befehlshaber des öfteren betont, er sei ja nun wieder auf „seinem alten Schiff“, und sich nachts fast stets, tagsüber zuweilen, auf der Schiffsbrücke aufhält. „Haben Sie bemerkt, Hoffmann, daß eine unserer Fernkampfbatterien mitgemixt hat vorhin?“ „Nein, Herr Admiral, leider nicht. Durch das Standsehrohr hat man wenig Übersicht und —“ „Ja, ich weiß!“ lächelt der Befehlshaber. „Es war die Batterie ,Siegfried’, westlich von Calais. Sie haben etwa zwölf Salven nach Dover reingefeuert. Ich habe die englischen Salven dieser Batterien an Land aufschreiben lassen, wenn sich der Stabssignalmaat nicht verzählt hat, müssen es dreiunddreißig gewesen sein, aber alle kurz beobachtet.“ „Jawohl, Herr Admiral. Soweit wir sehen konnten, lagen sie ganz gut geschlossen, aber sonst...“ Er zuckt die Schultern, ihm als altem Schiffs- und Küstenartilleristen hat das Feuer der englischen Fernkampfbatterie keineswegs imponiert! An Backbord, in 231 Grad haben die eigenen Zerstörer wieder auf feindliche Schnellboote Feuer eröffnet. FRIEDRICH IHN stößt durch den Nebel und schlägt sich offenbar mit einem ablaufenden MTB herum. Mündungsfeuer leuchten und das Krachen der 12,7 cm Zerstörergeschütze überdröhnt das trockene Bellen der 2 cm der Schnellbootskanonen. Leuchtspurgeschosse ziehen ihre Bahn, als die eigenen und die englischen Boote in ein heftiges Gefecht verwickelt sind. * Die fünf Dover-MTB, geführt von 221, Lieutenant-Commander Pumphrey, haben Dover um 12 Uhr 55 verlassen. Dann sind sie aufdrehend mit 36 Meilen Fahrt auf einen Parallelkurs zu den deutschen Schnellbooten der 4. S.-Flottille gegangen. Eine halbe Stunde später liefen auch die beiden MGB unter Füh75
rung des ältesten Kommandanten, Lieutenant Gould, aus dem Hafen. Der Rauchschleier der deutschen Zerstörer, die zwischen der Schnellbootssicherung und den schweren Einheiten laufen, verdeckt alles. Es ist ein erst allmählich dünner werdender Vorhang, der von der gröber werdenden, mit Schaumköpfen daherrollenden See bis zu den niedrig hängenden Wolken hinaufreicht. Pumphrey, der angestrengt nach dem Gegner sucht, der doch irgendwo hinter dem allmählich dünner werdenden Rauch stecken muß, dreht sich plötzlich zu seiner Nummer Eins um: „Da sind sie ja! Eben an Steuerbord achteraus! Drei große Schiffe!“ Er beugt sich zum Sprachrohr, ruft den Funker und läßt eine Sichtmeldung nach Dover geben. Es ist dieselbe Meldung, die auch auf SCHARNHORST abgenommen und entschlüsselt dem Admiral und Kommandanten gemeldet wird. Schon eröffnen die deutschen Schnellboote ihr Feuer auf die MTB. Ein laufendes Gefecht entsteht, bei dem Leuchtspurgeschosse von beiden Seiten die 1000 Meter überbrücken, die beide Gegner trennen. Das nicht mehr abreißende Geknatter hat nicht allzuviel Erfolg: mit 36 Meilen dahinrasende, über die Seen springende Boote sind keine gute Plattform für leichte Geschütze! „Verdammt!“ knurrt Pumphrey und sieht vergebens zur Wolkendecke hinauf. „Wo bleiben die Fighter? Sie haben uns doch versprochen, mit Fightern diese E-Boote (die Engländer nennen unsere Schnellboote „E-Boote“) anzugreifen, damit wir durchbrechen können!“ Das Röhren der starken Aero-Maschinen übertönt das Bellen und harte Steppen der 2 cm. Bug hoch, Bug tief im wirbelnden Schraubenwasser, preschen die fünf Boote dahin. Hinter den Kompaß seiner kleinen Brücke geklemmt, sieht der Flottillenführer achteraus: ja, sie sind noch alle da und auf Position! 219 mit dem jungen RNVRLieutenant Arnold-Foster, 45 mit Lieutenant Gamble, 44 mit dem Australier Saunders und 43 mit dem Kanadier Low. „Das ganze Empire ist vertreten!“ grinst der Lieutenant-Commander in sich hinein.
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Und dann dreht er sich um. Granattreffer erschüttern das Boot, drüben die deutschen Schnellboote haben Fahrt vermehrt und ziehen sich langsam immer weiter nach vorn. Pumphrey sieht, daß er die vorliche Stellung nie erreichen kann, die er für seine Torpedos braucht. In diesem Augenblick versagen die Motoren. Aus rasendem Lauf heraus fällt das Boot aufs Wasser zurück. Aber seltsamerweise springen sie gleich danach wieder an und gehen auf ihre höchste Umdrehungszahl. Kurz entschlossen wendet sich Pumphrey an seinen Rudergänger: „Hart Steuerbord! Durch diese E-Boote!“ Kaum dreht das MTB an, als schon wieder die Motoren versagen und nur noch Umdrehungen für fünfzehn Medien machen. Außerdem stoßen nun die ersten Jäger des Luftschirms herab und lassen die Geschosse ihrer Bordwaffen über die Decks der MTB rattern. Diese laufen sofort strahlenförmig zum Einzelangriff auseinander. „Wir lassen die E-Boote passieren“, erklärt Pumphrey dem Rudergänger, „warten bis die Schlachtwagen querab sind und drehen dann bis auf zwei Meilen ran!“ Dann kommt SCHARNHORST in Sicht. Sie drehen auf das mächtige Schlachtschiff zu, der Flochef bestimmt schnell über Daumen Fahrt und Abstand, als der laute Warnruf seiner Gunner, der Flawaffenführer, ihn auf zwei Schnellboote aufmerksam macht. Aus nur 800 Meter Entfernung behämmern sie ein Boot mit ihren 2-cmGeschützen. Er läßt sich nicht beirren, hält Kurs durch und drückt den Loshebel herunter. Zwei lange Stahltorpedos zischen aus den Rohren, klatschen auf das Wasser und surren auf ihr Ziel los. Ihre Blasenbahnen verbirgt die nun mit Schaumköpfen bedeckte hellgrüne Kanalsee. Die beiden Gunner beharken indessen die nachfolgenden deutschen Schnellboote. Geschützdonner rollt über das Wasser. SCHARNHORST legt mit der schweren Flak eine Feuersperre. Gelblichgrauer Rauch quillt aus den Rohren, verhüllt die hohen Aufbauten und Brücken und mischt sich mit dem Qualm und künstlichen Nebel, der in dichten Schwaden über die See wallt und die feindliche Flotte der Sicht entzieht. Ungeduldig sieht Pumphrey auf seine Uhr. Keine Detonation zu hören.
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„Blast! Vorbeigehauen!“ flucht er und zieht sein nur 15 Meilen laufendes Boot aus dem Gefecht. Weit vor ihm versuchen die restlichen vier Boote verzweifelt in Angriffsposition zu kommen. Schnellboote schlagen mit ihrem gutliegenden Feuer 219 und 48 zurück, die nun von einem vorstoßenden Jägerschwarm unter Beschuß genommen werden. Sie wehren sich, erwidern das Feuer und suchen sich durch wechselnde Kurse den Angreifern zu entziehen. Nur 400 Meter von der Schnellbootssicherung entfernt, machen sie unter heftigstem Beschuß ihre Torpedos ebenfalls auf SCHARNHORST los. Wieder keine Treffer. Beide Boote ziehen sich zurück, während die deutschen Schnellboote nun 45 angreifen. Gamble, der Kommandant, der schon das DSC = Distinguished Service Cross, das Verdienstkreuz besitzt, ist ein erfahrener Kämpfer. Er will hinter dem letzten Schnellboot aufdrehend an die Großen herankommen, als ihm der Zerstörer FRIEDRICH IHN vor den Bug läuft. Gamble macht kehrt und läuft an der Außenseite des Schnellbootsschirms entlang. Geschosse zerreißen die Außenhaut von 45, das beim Auftreffen der 2 cm der Schnellboote und der Bordwaffen der Jäger sich schüttelt. Aber der Kommandant hält eisern durch und dreht dann auf PRINZ EUGEN zu. Zwei Torpedos verlassen die Ausstoßrohre. Keinen Augenblick zu früh, denn FRIEDRICH IHN ist an der Innenseite entlanglaufend dabei, dem kleinen MTB den Durchbruch zu verwehren. Die 12,7 cm des Zerstörers krachen, Granaten heulen über 45 hinweg, während Gamble mit Höchstgeschwindigkeit nach Norden abläuft. Auch er hat trotz des verwegenen Angriffs keinen Treffer erzielt. Noch ist er nicht in Sicherheit, denn der große Zerstörer hat nachgedreht, bricht durch die Reihe der eigenen Schnellboote und verfolgt feuernd das mit AK laufende MTB. Aus dem Motorenraum kommt ein Anruf auf die Brücke: „Wenn wir so weiterlaufen, Sir, haben wir sehr bald keinen Brennstoff mehr!“
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Der Kommandant will wütend etwas durchs Sprachrohr zurückfluchen, als er zu seiner maßlosen Erleichterung die beiden DoverMGB sieht. Ihr Führer, Gould, hat offenbar die Lage sofort richtig erkannt. Sie scheren, heftig aus ihren leichten Geschützen den Zerstörer befunkend, zwischen ihn und das verfolgte 45. Aus ihren Hecks quillt dicker Ölrauch, der bald das kleine MTB einhüllt, das in seinem Schutz Kurs ändert und luftatmend mit verminderter Fahrt dem rettenden Hafen Dover zustrebt. Das letzte MTB, 44, ist mit Motorenschaden weit zurückgeblieben. Sowie der Schaden behoben ist, dreht der Kommandant, der Australier Saunder, auf und geht trotz ständiger Luftangriffe eben hinter dem letzten deutschen Schnellboot auf die Innenseite der Sicherungslinie. Von dort macht er in einer Gefechtspause auf 3000 Meter Entfernung seine Torpedos auf den letzten, eben noch für ihn erreichbaren Großen, PRINZ EUGEN, los. Da keine Jäger über ihm sind, wartet er kurze Zeit auf den Erfolg. Sein ungeduldiges Warten wird rauh durch das Erscheinen des Zerstörers HERMANN SCHOEMANN unterbrochen, der aus weniger als einer Meile Entfernung 44 unter Feuer nimmt. Die Aufschläge liegen nach englischen Berichten peinlich genau. Da keine Torpedodetonationen zu hören sind, macht auch dieses Boot kehrt, um abzulaufen. Der Zerstörer will ihm den Weg verlegen und sieht sich plötzlich im Kreuzfeuer der beiden MGB, die unbemerkt von achtern auflaufend sich nun zwischen 44 und den Zerstörer schieben, der unbeirrt seine Jagd fortsetzt, bis er sie schließlich bei 10 Meilen Entfernung von der französischen Küste einstellen muß, und zu seiner Sicherungsposition bei den Schlachtschiffen zurückkehrt. Während das Rollen der Sperrfeuer schießenden schweren Flak der Schlachtschiffe über die See grollt, ziehen sich die deutschen Jäger wieder als Luftschirm über die schweren Einheiten zurück. Allein 44 entschließt sich, auf dem Gefechtsfeld zu bleiben, da nun die Swordfisch-Torpedobomber Esmondes’ zum Angriff ansetzen. „Die brauchen Hilfe, falls sie abgeschossen werden!“ meint er zu seiner Nummer Eins.
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Er verschweigt wohlweislich, daß er diesen veralteten Zweidekkern, die nun so tapfer zum Angriff sich anschicken, gegen die Flak der schweren Einheiten und die Jäger der Luftwaffe keine Chance zugesteht. In Dover wartet Admiral Ramsay auf die Rückkehr seiner MTB und einen persönlichen Bericht der Kommandanten über den Stand der Gefechte, deren Lärm herüberdröhnte. Außerdem ist er überaus zornig, daß die Swordfish zu einem Angriff gestartet wurden, aus dem es nach menschlichem Ermessen keine Rückkehr geben konnte. * Die Flotte steht nun etwa zehn Meilen nördlich Calais. Auf dem Schweren Kreuzer hat der Fliegeroberleutnant Rothenberg den Befehl des Obersten Ibel auf SCHARNHORST, des Jagdeinsatzleiters, wiederholt: „Offenes Visier!“ Das bedeutet, daß die Jäger nun sprechen, sich gegenseitig auf den Gegner aufmerksam machen und unterstützen können. Von draußen wird eine Meldung in den Stand hineingegeben: „Zwei unserer Zerstörer an Backbord haben nach Norden zu Feuer eröffnet!“ Ehe noch der Zielgeber in die angegebene Richtung geschwenkt werden kann, gellt Fliegeralarm durch das Schiff. Zwischen den hellgrauen Schnellbooten der äußeren Backbordsicherung schweben, sehr niedrig über dem Wasser fliegend, zwei, dann vier Doppeldekker heran. Zielverteilung, Feuerbefehle. In das bereits aufzuckende Feuer der Schnellboote, in das Rattern der Bordwaffen der herabstürzenden, angreifenden deutschen Messerschmitt fällt wie auf einen einzigen, gewaltigen Schlag das Feuer der Flak- und Flawaffen der drei großen Schiffe ein. „Sechs Swordfish-Torpedobomber!“ ruft der II AO, Kapitänleutnant Schmalenbach, und dann geht jedes Wort im Lärm unter. Von den Schlachtschiffen rollt der Donner der Sperre schießenden schweren Türme, Mündungsfeuer leuchten durch den dunkelbraunen 80
Rauch. Das Krachen der schweren Flak, das Bellen und stotternde Steppen der leichten Flawaffen, durch die Luft heulende Granaten, flache, farbige Bögen, von den Leuchtspurgeschossen der ununterbrochen hin und her stoßenden Rohre der Vierlinge zu den Flugzeugen blitzschnell in die Luft gemalt, Pulverrauch, das Aufklirren der Messingkartuschen auf das Holzdeck, das Detonieren der schweren Granaten, die aufs Wasser schlagend eine Abwehrmauer von schaumstiebenden Aufschlagsäulen hinhauen — es ist eine feurige, tobende Hölle, ein irrsinniger Hagelsturm von Geschossen aller Kaliber, in die nun die sechs von Esmonde geführten Swordfish mit vorbildlichem Schneid heranjagend hineinstoßen. „Der erste von linke: Flakvolltreffer!“ schreit ein BÜ. Die Messerschmittjäger stürzen von allen Seiten herbei, sitzen über, hinten, seitwärts von den Angreifern, feuern und feuern. „Verdammt noch mal! Das sind wirklich tapfere Burschen!“ schreit Paulus. „Mit diesen ollen Mühlen... mein Himmel, da stürzt wieder einer ab!“ Ein zweiter Doppeldecker schlägt brennend auf die See, der dritte dreht, von der mitschwenkenden Flak blitzschnell verfolgt, nach voraus ab und fliegt voll getroffen auseinander. Das vierte Flugzeug, erst durch einen eigenen Zerstörer verdeckt, wird ebenso wie die beiden letzten durch Focke-Wulff-Maschinen abgeschossen. Das Geschwader 825 ist vernichtet, der erste Angriff aus der Luft ist abgeschlagen. * Wie diese von Freund und Feind bewunderten tapferen englischen Marineflieger ihrem Geschwaderführer in den sicheren Tod folgten, ist wert, näher erzählt zu werden. Es sei hier auszugsweise nach dem ausgezeichneten Buch von Terence Robertson, „Channel Dash“, der die Einzelheiten nach den Berichten der fünf Überlebenden schildert, wiedergegeben. Lieutenant-Commander Eugene Esmonde, der Ire aus Tipperary von Drominagh, alter normannischer Familie entstammend, hat noch am Tage vorher in London aus der Hand seines Königs den DSO 81
empfangen. Für seinen erfolgreichen Angriff auf BISMARCK. Nun sitzt er in Manston, hat auf den ersten Anruf Constable-Roberts seine Männer alarmiert und die Bestätigung durchgesagt bekommen, daß tatsächlich das Brestgeschwader unterwegs ist. Die Fightergruppe 11 hat ihm Jägerschutz zugesagt und er freut sich, daß der besorgte Dover-Verbindungsoffizier sich noch einmal erkundigt, ob das mit dem Jägerschutz auch stimme. Admiral Ramsay ließe fragen, ob er sich in Ordnung fühle, und überlasse die Entscheidung, ob der Angriff geflogen werden solle, ihm, dem Geschwaderführer. Esmondes Antwort ist: „Natürlich greift das Geschwader an! Aber sagen Sie dem Alten, wir sind keine blutigen Helden, und Wunder erwarten wir nicht. Wo steht der Jerry jetzt? Was für Fahrt macht er?“ „Ja, das wissen wir leider auch nicht, alter Junge! Beamish sagte, nahe Boulogne, aber das ist schon eine Stunde her. Unsere MTB laufen gleich aus, dann kriegen wir hoffentlich eine Sichtmeldung.“ „Schön“, meint Esmonde. „Ich habe mit Gruppe 11 verabredet, mich um 13 Uhr 25 mit den Fightern zu treffen. Also lassen Sie uns nicht zu lange auf die Sichtmeldung warten!“ „Okay! Bleiben Sie beim Apparat. Und... Esmonde...“ „Ja, was ist los?“ Einen Augenblick zögert Constable-Roberts, dann sagt er schnell: „Wollte nur noch alles Gute wünschen, alter Junge!“ Esmonde wendet sich an die im Kontrollraum versammelten Offiziere seiner Swordfish: „Der Laden rollt. Tut mir bloß leid, daß ihr nicht gesagt bekamt, daß dies möglicherweise ein Tagangriff werden würde. Daran bin ich schuld, war meine Aufgabe, euch das zu verpassen und dafür zu sorgen, daß ihr für diese Geschichte klar seid.“ Sie alle wissen, daß er selbst nichts davon ahnte. In ihren gemurmelten Widerspruch tönt wieder die ruhige Stimme: „In ein paar Minuten starten wir. Vergeßt also alles, was ich über Nachtangriff sagte. Wir werden in sub-flights in Kiellinie aus einer Höhe von fünfzehn Metern über dem Wasser angreifen. Ziel: treffen und damit in der Fahrt verringern eins, wenn möglich alle drei gro-
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ßen Schiffe.“ Er wendet sich an einen schlanken blonden Lieutenant: „Tompson, Sie nehmen den zweitem Schwarm und folgen mir. Zwischen uns Abstand von 1000 Metern halten. Auf diese Weise teilen wir ihr Flakfeuer und lenken sie mit ein bißchen Glück von Ihnen ab. Wir werden einen Haufen Fighterschutz haben, über uns und in der Nähe als Begleiter. Ihr braucht euch also nur wenig um die feindlichen Jäger zu kümmern.“ Sie atmen hörbar auf. Das ist gut, das ist ausgezeichnet! Jägerschutz! „Wenn wir über den Sicherungsschleier — wahrscheinlich EBoote und Zerstörer — weg sind, könnt ihr selbständig angreifen. Nehmt ein Ziel, das der Abwurfstelle eurer Torpedos am nächsten steht, aber paßt auf, daß es SCHARNHORST, GNEISENAU oder PRINZ EUGEN ist! Wir müssen die Schiffe am verwundbarsten Punkt treffen. Wenn wir das fertigkriegen, haben wir eine alte Rechnung für uns Marineflieger bezahlt. Wenn es mulmig wird, denkt an die acht Skuas, die 1940 von der SCHARNHORST in Drontheim abgeschossen wurden und die beiden Swordfish, die GNEISENAU ein paar Wochen später herunterholte! Und“, grinst er plötzlich, „wenn das nichts hilft, denkt an eure eigenen Köpfe! Und jetzt saust an eure Kisten, laßt die Motoren zum Anwärmen laufen und haltet euch dann klar.“ Sie verschwinden, während das Telefon schrillt. Esmonde nimmt ab. Er hört die Stimme Constable-Roberts: „Sie stehen etwa zehn Meilen nordöstlich der Enge, laufen 21 Meilen. Der Admiral läßt sagen, es ist okay, wenn Sie starten wollen, falls Sie mit dem Jägerschutz zufrieden sind.“ Gleich danach meldet sich noch einmal Gruppe 11, das Fighterkommando. Was sie zu sagen hat, ist weniger erfreulich. „Man hat uns mitgeteilt, daß einige Formationen Ihres Jägerschutzes etwas später zum Rendezvous eintreffen werden.“ „Wieviel später?“ „Nur ein paar Minuten.“ „Na schön, wir starten um 13 Uhr 25. Sagt euren Fightern, sie
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dürften sich höchstens um zwei Minuten verspäten! Ich werde zur Küste hinauskreisen. Wird das in Ordnung gehen?“ „Jawohl, ist okay. Sie haben zwei Minuten Verzögerung gemeldet, das paßt also sehr gut.“ Esmonde knallt den Hörer auf die Gabel, stürzt hinaus. Im gleichen Augenblick landet die Swordfish W 5983, Sublieutenant Brian Rose, die von einer Torpedoabwurfübung zurückkommt. Der Flugzeugführer geht mit seinem Beobachter Lee zum Aufenthaltsraum, während sein Bordschütze die Bordwaffen durchprüft. Sie ziehen sich um und wollen zur Offiziersmesse, als die Geschwaderbesatzung auf einem Lastwagen yorbeibraust. „Dicke Sache!“ schreit einer. „Macht zu, Jungens!“ Die beiden rasen zurück, finden Esmonde, der gerade seine Fliegerausrüstung überzieht. „Hier! Die Brestschiffe haben den Nerv, die Sache zu versuchen!“ ruft er ihnen zu. „Wir gehen raus, sie abzufangen. Fliegt auf fünfzehn Meter Höhe dicht hinter mir, greift an, sowie wir die Sicherung passiert haben, und macht dann, daß ihr nach Hause kommt!“ Sie nickten, dann eilen alle drei zu ihren nahe der Straße nach Margate parkenden Maschinen. Es ist nun 13 Uhr 15. Die kleine Gestalt des Iren im dunklen Marineblau, orangefarbener Mae West-Schwimmweste und einem Fliegerhelm, von dem die R/T = Radio-Telefon-Kabel um die Beine baumelnd herabhängen, schreitet zu seiner Maschine. Gleave, der Stationsleiter, der ihm noch einmal Glück wünscht, ist tief betroffen, als er das ernste Gesicht des Todgeweihten sieht. Im Flugzeug, dessen Einzelmotor bereits läuft, sitzen schon der Beobachter, Lieutenant Williams, und der Schütze, Leading Airman Clinton, als ein Läufer aus dem Kontrollraum gerannt kommt: „Dover hat angerufen, Sir! Sie sagen, sie schätzen die Gegnerfahrt jetzt auf siebenundzwanzig Meilen!“ Esmonde schickt den Läufer los, um schnell allen Flugzeugführern diese wichtige Nachricht zu übermitteln. Er blickt noch einmal zum Himmel: vielleicht sind die ersten Fighter-Maschinen von Biggin Hill und Hornchurch jetzt zu sehen?
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Nichts. Die Swordfish rollen zum Ostrand des Flugfeldes, drehen nach Westen in den Wind. Die Motoren heulen auf. Esmonde hebt den Arm und startet. Uhrzeit: 13 Uhr 25. Sie fliegen unter einer hohen Cumuluswolke, unter deren Schatten die hellen Tragflächen sich dunkel färben. Achtzehn Männer in ihren sechs Flugzeugen — zwei direkt hinter dem Geschwaderführer, die anderen in V-Formation folgend — streben wie ein Schwarm dunkler Vögel ostwärts. In 500 Meter Höhe, eben seewärts von Manston, warten sie kreisend auf die Fighter. Vier Minuten nach Rendezvous-Zeit und immer noch nichts. Esmonde führt das Geschwader über Ramsgate, kreist weiter. Dann erscheinen zehn Spitfire von Biggin Hill. Esmonde wartet noch zwei Minuten, gibt den zehn Zeichen, sich hinter die Swordfish zu setzen und fliegt trotz des völlig unzureichenden Schutzes kurz entschlossen auf fünfzehn Meter Höhe hinabgehend auf See hinaus. Sie winden sich durch die angreifenden Mes, die von den Spitfire in Luftkämpfe verwickelt, umherwirbeln, werden beschossen, schießen selbst und formieren sich immer wieder neu. Schon flattern lange Bänder von den Einschußstellen der Tragflächen, aber die alten Swordfish können eine Menge aushalten! Es ist 13 Uhr 50, als sie auf einmal voraus im Dunst die ganze Flotte vor sich sehen: die langen Linien der Sicherung, die drei großen Schiffe, die auf die zurückgehenden MTB feuern. Und sie sehen das Schlimmste: die unzähligen deutschen Jagdmaschinen, die in 15 bis 1000 Meter Höhe über dem Verband fliegen. Niemand von den achtzehn jungen Männern hat je einen solchen Luftschutz über irgendeinem Flottenverband kreisen gesehen. Sie greifen an. Esmonde hält auf SCHARNHORST zu. Mitten hinein in die feurige Hölle, die ihnen plötzlich aus allen Rohren entgegenschlägt, während die Mes von allen Seiten die sechs Doppeldecker und die zehn Fighter angreifen. Und dann kommen die FW 190, beweglicher als die Mes und den Spitfire im Kurvenkampf überlegen. Außerdem schießen die Schlachtschiffe mit ihrer schweren Artillerie Sperrfeuer. Masthohe Aufschläge wuchten vor den Sword-
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fish eine Wassermauer aus der See, klatschen mit ihren herabbrechenden schweren Massen auf die Tragflächen, überwaschen die Motoren, füllen die hintereinander liegenden Cockpits, durchnässen die Besatzungen. Die Doppeldecker taumeln, glühendheiße Sprengstücke und Splitter durchlöchern kreischend Bespannung und Verstrebungen, flatternde Bänder wehen achteraus. Sie wissen alle, lange kann es nicht mehr dauern. In wenigen Minuten werden sie verstümmelt, verbrannt, zerschossen, ertrunken, auf jeden Fall tot sein. Hier, im Hagel der Flak, im Stahlgewitter der Bordwaffen der deutschen Jäger zeigt sich das Führertum Esmondes: sie drehen nicht ab, sie beißen die Zähne zusammen und folgen ihrem Geschwaderführer geradewegs in den Tod hinein. Brian Roses Beobachter Lee dreht sich um: hinter ihm liegt der Bordschütze tot quer über seinem MG. „Ich paß nach achtern auf!“ schreit der Sub-Lieutenant aus Ipswich, stellt sich aufrecht ins Cockpit und starrt in die Mündungen der Bordkanonen der folgenden FW 190. Er schreit seinem Flugzeugführer Ausweichmanöver zu, denn er fühlt, daß die dunklen Rohrmündungen im nächsten Augenblick Feuerstrahlen speien werden. Flight-Lieutenant Cromie, der in seiner Spitfire über Esmondes W 5984 tanzt, sieht, wie der Gunner des Geschwaderführers, Clinton, rittlings auf seinem Cockpit sitzt und mit behandschuhten Händen Feuerzungen ausschlägt, die aus der Verspannung lodern. In W 5983 beobachtet Lee einen Augenblick nach vorn, um das Ziel auszumachen, das sie ansteuern. Da bemerkt er, daß die Granate einer Bordkanone auf der Stahlplatte der Rücklehne des Führersitzes aufschlagend detoniert, Splitter dringen tief in Roses Rücken. Lee hört ihn stöhnen und fühlt, wie sich die Nase der Swordfish gefährlich nach unten senkt. „Hochziehen, Brian! Um Gottes willen, hoch!“ schreit er dem Verwundeten zu. Der zusammengefallene Körper strafft sich, Rose bringt das Flugzeug wieder unter Kontrolle. Als Lee wieder voraussieht, stellt er fest, daß sie nun die innere
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Sicherung hinter sich haben. Vor ihm fliegt immer noch Esmonde mit durchlöcherten Tragflächen. Eine neue Wasserwand staut aus der See. Eine der schweren Granaten prallt von der See ab und reißt die backbord untere Tragfläche glatt weg. Die Swordfish torkelt, aber Esmonde zwingt sie trotz allem wieder auf Kurs. Lee ruft Rose zu, Kurs auf GNEISENAU zu nehmen, die sie nun rechts voraus haben. Es sind noch 1500 Meter zu den großen Schiffen. Leuchtspurgeschosse krachen in Esmondes Cockpit, verwunden ihn am Kopf und Rücken. Hinter ihm hängen Beobachter und Bordschütze tot in ihren Sitzen. Es gelingt ihm, noch einmal die Nase der W 5984 hochzureißen und seinen Torpedo auszulösen. Dann sieht Lee, wie feindliche Jäger ihre Geschosse in die Führermaschine jagen, die brennend auf die See kracht, während der Torpedo auf das Flaggschiff zuläuft. Es gelingt Lee durch lautes Schreien, seinen nahezu bewußtlosen Flugzeugführer einzusteuern, der betäubt mit halbgeschlossenen Augen blutüberströmt den Anweisungen folgt und es fertigbringt, die W 5983 in der Luft und auf Kurs zu halten. „Nase hoch, Brian! Um Christi willen, zieh hoch! Bißchen Steuerbord jetzt! Richtig, recht so! Himmel, wir sind schon wieder getroffen!“ Ein heftiger Stoß reißt Rose aus seiner Lethargie, bringt Kraft in seine Arme zurück und befähigt ihn, die taumelnde Swordfish abzufangen. Über seine Schulter gebeugt schreit Lee: „Sieh auf den Brennstoffmesser! Er fällt!“ Rose nickt und der Beobachter beugt sieh über die Seite: eine Granate ist im Hauptbrennstofftank explodiert. Er schlägt Rose auf den Kopf, deutet auf den Anzeiger und über die Seite. Der Verwundete versteht und stellt den Reservetank an, der fünfzehn Gallonen faßt. Der Motor hustet, stottert, die Umdrehungen fallen, aber dann röhrt er wieder auf vollen Touren. Die Swordfish streift die Wasseroberfläche, als sie nun auf GNEISENAU zurast. Noch tausend Meter. „Los, Brian! Torpedo feuern!“ Der verzweifelte Ruf bringt noch einmal Leben in den Flugzeug-
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führer, mit Mühe greift er den Hebel der Auslösung, drückt ihn aufstöhnend hinunter. Die Swordfish schnellt unter dem Gewichtsverlust hoch, Lee sieht den Torpedo aufs Wasser klatschen und laufen. Er verfolgt die Blasenbahn und merkt, daß sie statt auf GNEISENAU auf FRINZ EUGEN losgemacht haben. Durch die Intercom, das Bordtelefon, tönt eine schwache Stimme: „Ich denke, wir versuchen zur äußeren Sicherungslinie zu kommen. Gib deine Anweisungen!“ Lee starrt hoffnungsvoll der Blasenbahn nach. Esmonde hat sein Ziel verfehlt, da SCHARNHORST abdrehte, vielleicht... da: nun dreht auch der Schwere Kreuzer. Lee sieht die Gesichter der Flawaffenbedienungen, sieht die Feuerstöße... der Kreuzer dreht auf die Swordfish zu! „Hoch, Brian! Schnell hoch! Wir krachen sonst in sie rein!“ Die Nase der W 5983 hebt sich, der Doppeldecker rast über das große Schiff hinweg, nah, sehr nah, und nun sind sie mitten in der Flotte! Wenn sie hier je wieder herauskommen wollen, muß Lee blitzschnell handeln. Er schreit seine Anweisungen und sie drehen ab.
Dabei sieht er, wie an Steuerbord die W5907, die Maschine des sorglosen Sub-Lieutnants Kingsmill, in schwerem Flakfeuer über den Zerstörerschirm torkelnd nun innerhalb der Sicherung fliegt. Deut-
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sche Jäger stürzen herbei. Die beiden Hauptzylinder des Einzelmotors werden weggeschossen, Motor und linke obere Tragfläche brennen. Flugzeugführer, Beobachter und Bordschütze, alle drei sind schwer verwundet, aber Kingsmill kämpft mit letzter Kraft und hält seinen Doppeldecker. 2000 Meter von PRINZ EUGEN macht er seinen Torpedo los, dreht ab und steuert das Ende der Flotte an. Als er glücklich über der Hecksee des letzten Schnellbootes steht, stoppt der Motor und die Maschine fallt buchstäblich wie ein müder Vogel aufs Wasser. Mühsam, völlig am Ende, kriecht die Besatzung aus ihren Sitzen, und läßt sich in die See hinab. Ihr Dinghy ist beim Brand der Tragfläche draufgegangen. Aber auf einem der zurücklaufenden MTB sehen sie, wie die Swordfish aufs Wasser geht, das Boot läuft heran und rettet die drei: Sub-Lieutenant Kingsmill, Sub-Lieutenant Sambles, den Beobachter, und den Gunner, Leading Airman Bunce. Inzwischen beobachtet der absichtlich auf dem Gefechtsfeld gebliebene Lieutenant Saunders, MTB 44, wie Brian Roses Swordfish unter nur mäßigem Flakfeuer über die innere Sicherungslinie torkelt. Der durch den Blutverlust völlig erschöpfte und halb bewußtlose Rose sammelt seine letzten Kräfte, um noch über die äußere Linie zu kommen. Lee hört plötzlich im Intercom die Stimme Roses, energischer als je seit Beginn des Angriffs: „Muß versuchen, sie in ‘ner Minute aufs Wasser zu setzen!“ Der Beobachter nickt nur und setzt sich, zum ersten Male seit Ewigkeiten, wie ihm scheint, in Erwartung des Stoßes in sein Cockpit. Die Maschine kommt noch über die äußere Schnellbootslinie, dann fängt der Motor an zu spucken, aber Rose hält eisern. Das Flugzeug verliert nur langsam an Höhe und macht schließlich auf der unruhigen See eine perfekte Bauchladung. Über ihm geht Tompsons Schwarm — immer noch in VFormation — zum Angriff vor. Als die deutschen Jäger heranwirbeln, stellt die Flak ihr Feuer ein. Hinter der führenden W 4523 hängen drei FW 190 und feuern aus ihren Bordkanonen. Der Schwarm überfliegt die äußere Sicherung, verliert an Höhe und nähert sich der inneren Linie. Schon halbzerschossen kreuzen sie mit durchlöcherten
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Tragflächen, von denen die Fetzen in langen Bändern weben, mit Besatzungen, die zum Teil verwundet, zum Teil längst gefallen sind, die Zerstörerlinie. Dann stürzen sie sich in die Sperrfeueraufschläge der großen Schiffe. Einen Augenblick lassen die verfolgenden Jäger von ihnen ab, als die drei letzten Swordfish mit schnurgeradem Kurs im Schwall und Schaum der riesighohen Aufschläge verschwinden. Was dann geschah, weiß niemand. Weder von den neun Männern, noch von ihren Flugzeugen wird je eine Spur gefunden. MTB 44 sucht über eine Stunde nach Überlebenden. Das Boot, das Kingsmill und seine Besatzung auffischte, gesellt sich zu ihm. Endlich, um 16 Uhr ruft ein Ausguck: „Rechts voraus Fackelfeuer, Sir!“ Im verdämmernden Licht und Dunst finden sie das gelbe Dinghy, in dem Brian Rose und Lee sitzen. Sie sind gerettet. Admiral Ramsay läßt sich von Lee berichten. Er meldet an die Admiralität: „Nach meiner Ansicht ist der tapfere Angriff dieser sechs Swordfish eins der besten Beispiele für Selbstaufopferung und Pflichtbewußtsein, das der Krieg bis heute gab.“ Lieutenant-Commander Esmonde erhielt posthum die höchste englische Kriegsauszeichnung, das Victoria Cross. * Zehn Wochen später, Ende April, wird ein Körper, den eine halbaufgeblasene Schwimmweste über Wasser hält, durch den Gezeitenstrom themseaufwärts getragen und an der Küste von Kent auf den Strand gespült. Der Tote trägt die Uniform eines LieutenantCommanders der Royal Navy. Die goldenen Schwingen auf seinem linken Ärmel künden, daß er dem Fleet Air Arm angehörte. Am kleinen. Finger der linken Hand trägt er einen Siegelring. Küstenverteidigungspatrouillen benachrichtigen die Marinebefehlsstelle in Chatham, wohin ein Krankenwagen den Toten bringt. Das Uniformjackett des Gefallenen ist blutgetränkt von einer Reihe von Maschinengewehrschüssen, die vom Hals bis zur Hüfte reichen. Nachforschungen in Lee-on-Solent stellen bald die Identität des Ge90
fallenen fest, der diesen Siegelring getragen hatte. Die See, über der das 825. Geschwader in Erfüllung seiner Aufgabe geflogen war, hatte den Geschwaderführer Eugene Esmonde, VC, wiedergegeben. Sie gab ihn dem Lande wieder, das er und seine Flieger so tapfer verteidigt hatten. Taten höchster Tapferkeit auch in aussichtslosen Lagen sind als Beispiel menschlicher Seelenstärke und Selbstüberwindung wert, für alle Zeiten festgehalten zu werden. Es ist gleichgültig, welcher Nation die Männer angehörten, die sich selbstlos opferten. Wenn von den Spartanern unter Leonidas, von den Reitern von Mars-la-Tour oder dem Endkampf der Besatzungen der BISMARCK und SCHARNHORST geredet und geschrieben wird, dürfen die achtzehn Männer der sechs Swordfish unter Esmonde nicht vergessen werden. Darum ist ihr Ende hier ausführlicher geschildert worden. — Die aus Ramsgate eine halbe Stunde nach den Dover-MTB um 13 Uhr 25 ausgelaufenen drei Motortorpedoboote bekommen zwar das Ende der Sicherung, aber nicht die Schweren Einheiten in Sicht. Das sich ständig verschlechternde Wetter und Maschinenschäden sind die Ursachen dafür, daß sie, ohne angegriffen zu haben, zurücklaufen. *
Der Durchbruch ist gelungen Torpedobomber greifen an! Minentreffer bei „Scharnhorst“: der Admiral steigt auf „Z 29’’ über. Verwirrung beim Engländer: Erfolglose Angriffe der Torpedobomber, Bomber und Fighter. Die Flotte erreicht jetzt, um 14 Uhr 43 ein Gebiet, in dem noch zahlreiche Minensuchboote arbeiten. Der Wind nimmt zu, die See wird sehr unruhig. Regen setzt ein und malt alles grau in grau. Dann wechseln die Regenschauer mit Nebelschwaden. Die Sicht wird im-
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mer schlechter. Der Himmel ist vollkommen bezogen mit schweren, vor dem Wind daherjagenden Wolkenmassen. Genau das richtige Wetter für Fliegerangriffe, denkt der Kommandant, als auch schon ein Ruf gellt: „Richtung 270 Grad, zwei Flugzeuge!“ „Feuererlaubnis!“ befiehlt Kapitän Hoffmann. Kaum haben die ersten Gruppen der Flak ihre Rohre verlassen, als ein neuer Befehl des Kommandanten das Feuer verstummen läßt: „Feuer einstellen! Eigene Jäger sind am Feind!“ Es sind zwei, drei und zuletzt ein einzelner Beaufort-Torpedobomber, die von deutschen Jägern hart bedrängt, nacheinander ihre Torpedos auslösen, denen die drei Schiffe durch harte Ausweichmanöver entgehen. Bei GNEISENAU läuft nach dem Manöver ein Torpedo nur zwanzig Meter parallel zur Bordwand harmlos vorbei. Die letzte Beaufort, die von vergeblicher Suche zurückkehrend in Manston neu eingewiesen noch einmal angriff, hat ihn losgemacht. Alle Beaufort kehren, wenn auch schwer durch deutsche Jäger zerschossen, zurück, obwohl irrtümlicherweise zwei als abgeschossen beobachtet wurden. Nach dem Angriff meldet das Torpedoboot JAGUAR dem Flaggschiff einen Toten und drei Verwundete. Auf PRINZ EUGEN haben sie die aus Wolkenfetzen und Dunstschleiern auftauchenden Flugzeuge ebenfalls sofort ausgemacht und unter Feuer genommen. Alles, was irgendwie mit eingesetzt werden kann, mannt Munition an die Flawaffen. Unheimlich schnell werden heißgeschossene Rohre und Läufe ausgewechselt. Ununterbrochen dröhnt das Feuer der schweren Flak und das harte Bellen der Flawaffen. Dann ist zum ersten Male für den Kreuzer an diesem Tage um 15 Uhr 09 der Fliegeralarm beendet. Der Kommandant, Kapitän Brinkmann, benutzt die Pause zu einer Durchsage: „Jetzt, nach dem Passieren der Straße Dover — Calais, wird der Feind alles daransetzen, uns mit weiteren Torpedoflugzeugen anzugreifen. Aufpassen!“ Gleich danach, um 15 Uhr 30, wird auf dem Kreuzer die Erschütterung einer weit entfernten Detonation gespürt.
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„Wahrscheinlich Minentreffer vorn bei den Schlachtschiffen“, urteilt der Kommandant. — SCHARNHORST hat gerade die Grenze des Befehlsbereichs der Marinegruppe West zur Marinegruppe Nord überlaufen, steht also nun unter dem BSN, als eine sehr starke Erschütterung das Schiff trifft. Sie sind nun auf der Höhe der Scheldemündung über 34 Meter Wassertiefe. 1000 Meter Backbord querab liegt das Wachboot drei. Was ist geschehen? Nacheinander laufen beim Kommandanten die Schadensmeldungen ein: „Schiffsführungselement versagt! Ruderversager! Maschinen stoppen! Echolote ausgefallen! Licht ausgefallen!“ Aber die Schiffsführungselemente erhalten sehr bald wieder Strom. Die achtere E-Kompaßanlage wird klargemeldet. Dann kommen die Meldungen des IO aus der Zentrale: „Turm Anton leichter Wassereinbruch! Mittelschiff und Abteilung I — V klar! Leichter Wassereinbruch im Backbord-Vorschiff! K 2 (Kesselraum 2) geringer Wassereinbruch!“ Der Admiral erscheint mit seinem Stab auf der Schiffsbrücke und hört die Meldung des Kommandanten über die Schäden an. Das sieht nicht so aus, als ob man das Schiff bald wieder klarhaben könnte! Alle Kessel haben Feuer aus. Er muß die Führung in der Hand behalten, er trägt die Verantwortung für den ganzen Flottenverband. Kurz wendet er sich um: „Winkspruch an ,Z 29’: längsseits kommen zur Übernahme Befehlshaber!“ Inzwischen laufen an Steuerbordseite GNEISENAU und PRINZ EUGEN vorbei. Auch bei Ausfall einer Einheit ist der Marsch befehlsgemäß unbedingt fortzusetzen. Aber SCHARNHORST muß eine Sicherung haben. Vizeadmiral Ciliax läßt einen weiteren Spruch an die 3. Torpedobootsflottille geben: „Bei SCHARNHORST bleiben!“ Von achtern kommt „Z 29“ an Backbordseite längsseits, nicht ganz einfach bei dem Seegang auf dem flachen Wasser, aber Oberbootsmann Überheide steht mit seinen Männern und Fendern klar. Der Admiral ist Seemann genug, abzuwarten, bis eine See das Vor-
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schiff des Zerstörers hochwirft und gegen die Schanz des Schlachtschiffes legt. Er jumpt hinüber und wird von ein paar Zerstörermatrosen aufgefangen. Kapitän Reinicke, der Asto, ist im gleichen Moment gesprungen und die Offiziere der Luftwaffe, der Jägerleitoffizier, Oberst Ibel und die Oberstleutnants Elle und Hentschel folgen. Der Verbandsingenieur, Kapitän zur See (Ing.) Türke bleibt an Bord der SCHARNHORST, die mit gestoppten Maschinen im Seegang schlingert. „Z 29“ jagt davon, dem Verband nach und ist bald im Dunst verschwunden. Schon während des schwierigen Übersteigemanövers hat der LI, Korvettenkapitän (Ing.) Kretschmar, dem Kommandanten eine Meldung gemacht, die alle erleichtert aufatmen läßt: „Abteilungen I — XII klar! Kessel fahren hoch!“ Und acht Minuten später: „Kraftwerk Backbordwelle wird wieder in Betrieb genommen!“ Kapitän Hoffmann lächelt: „Gut, daß uns keine englischen Flieger bei dieser Schweinerei erwischt haben! Wenn sie noch eine Weile wegbleiben, können wir’s schaffen!“
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Schon 15 Uhr 49, drei Minuten nach dem Übersteigen, geht die Backbordmaschine wieder an. Fahrt: 25 Meilen. Sie haben nur 200 Tonnen Wasser im Schiff, keine Verluste unter der Besatzung, die Drillingstürme und die gesamte Artillerie hat wieder Strom, die EMaschine läuft: eine fabelhafte Leistung des Maschinenpersonals! Gott sei Dank, denn nur drei Minuten später, um 15 Uhr 52, greifen Tiefflieger und Bomber, nunmehr am laufenden Band, wieder an. Rasendes Abwehrfeuer empfängt sie. Aus allen Rohren. Mitten im tollsten Lärm wird zur Erleichterung des Kommandanten vom LI erst die Steuerbordwelle und wenige Minuten später auch die Mittelmaschine klar zum Angehen gemeldet. Und dann geschieht alles auf einmal: feindliche Flugzeuge, ein Tiefflieger, der über die Schanz dröhnt, eine Reihe von sechs Bomben, die, während das Schlachtschiff hart und mit AK abdreht, 400 Meter Backbord querab in die See platschen, eine 150 Meter an Backbord vorbeitreibende Mine, ununterbrochenes eigenes Flakfeuer, und das harte Bellen der Flawaffen der Sicherungsboote T 13, JAGUAR, KONDOR und T 16 — der Rest der 3. T-Flottille ist im Dunst außer Sicht gekommen — neu herabheulende Bomben, Abdrehen nach Steuerbord, Aufschlagen der Bomben nur 100 Meter eben an Backbord, Messerschmitt-Jäger, die ohne Rücksicht auf die eigene Flak sich auf die Beaufort- und Hudson-Maschinen stürzen. Es ist ein rasend ablaufendes Geschehen, eine Folge von Meldungen, Befehlen, Manövern, die trotz gelegentlicher kleiner Ausfälle — Folgen des Minentreffers — abrollen. Zwischendurch wird von der Leckwehr dem IO und von diesem dem Kommandanten die genaue Lage des Lecks gemeldet: „Minentreffer in Abteilung XVI Backbord!“ Ein Funkspruch, der 16 Uhr 38 abgenommen wird, löst bei dem zu schnellen Entscheidungen laufend gezwungenen Kommandanten nur ein Lächeln und einen verschmitzten Seitenblick zum NO, Fregattenkapitän Giessler, aus. „Hören Sie, NO! Funkspruch von Marinegruppe Nord: habe Führung übernommen!“ Die zunächst aus Sicht gekommenen beiden Torpedoboote der 3.
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T-Flottille, T 15 und T 17, schließen wieder heran. Neue Feindflugzeuge und rollendes Abwehrfeuer. Der Signalmaat der Wache ruft dem Kommandanten einen Blinkspruch zu: „Von 3. T-Flottille...“ „Waas? Lauter, Mensch! Nichts zu hören bei dem Krach!“ „Von JAGUAR, Herr Kapitän: bitte um Entlassung, da nur noch für fünf Stunden Brennstoff.“ „Machen Sie rüber: mitkommen, soweit Brennstofflage gestattet, dann entlassen nach holländischem Hafen!“ Offenbar überlegt der Torpedobootskommandant, der nach einer Weile nochmals anruft: „K JAGUAR an SCHARNHORST: sollte heute Rotterdam oder Amsterdam eindocken!“ Kapitän Hoffmann nickt zum Signaldeck hinauf: „Rübermachen: einverstanden!“ Eine Meldung vom achteren Gefechtsverbandsplatz wird durchgegeben: „Vier Leicht- und ein Schwerverwundeter. Alle Verletzten versorgt. Befinden des Schwerverwundeten, Oberfähnrich zur See Nasse, schwankend.“ Es sind Opfer des Bordwaffenbeschusses durch feindliche Flieger. Der Kommandant will etwas erwidern, als mehrere Feindmaschinen anfliegen und das Abwehrfeuer wieder beginnt. Gleichzeitig eine Meldung des Gefechtsbeobachters aus dem Vormars: „Richtung 230 Grad Torpedoabwurf!“ „Hart Steuerbord!“ Auch dieser Torpedo wird, wie weitere, ausmanövriert. Das geschieht um 17 Uhr, eine Viertelstunde später greifen drei Bomber an, die aus 150 bis 200 Meter Höhe abwerfen. Die Bomben klatschen 1000 Meter voraus in die See, aber eins der Sicherungsboote scheint getroffen zu sein. „T 31 hat wahrscheinlich Bombentreffer, Herr Kapitän. Starke Rauchentwicklung, dreht nach Steuerbord ab“, ruft der NO. Und dann kommt auch schon die Meldung: „Von T 13, Bombentreffer!“
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Kapitän Hoffmann sieht hinüber. „Signaldeck! An JAGUAR: mit T 13 nach Hoek van Holland entlassen!“ Kaum ist der Blinkspruch abgegeben, verstanden und von den abdrehenden beiden Booten ausgeführt worden, als eine Meldung vom vorderen Stand alle auf der Brücke aufhorchen läßt: „280 Grad ein Fahrzeug!“ Der im Grau des sehr diesig gewordenen Nachmittags nur schwer auszumachende Schatten steht Backbord querab und blinkt Morsezeichen. „Entfernung 71 Hektometer!“ läßt der AO durchgeben. Kapitän Hoffmann sieht angestrengt durch sein Doppelglas. „Könnten eigene Streitkräfte sein“, meint er. Der als Zerstörer ausgemachte Schatten taucht schon nach einer Minute wieder in den Dunst zurück. Aus der Richtung, in die er verschwand, dröhnt heftiges Flakfeuer. * Inzwischen läuft der Verband, von GNEISENAU geführt, weiter. Die See ist nun sehr grob geworden, Brecher donnern über die Vorschiffe. Auf PRINZ EUGEN müssen die dort stehenden Flawaffen geräumt werden. Die Wolkendecke ist auf 200 — 400 Meter heruntergegangen. Alle atmen auf, als der Jägerleitoffizier um 16 Uhr 30 ausruft: „SCHARNHORST hat wieder Fahrt aufgenommen!“ Kaum ist der Fliegeralarm zum zweiten Male an diesem Tage beendet, als völlig überraschend zwei Bomber über dem Kreuzer aus einer Wolkenlücke herausstürzen und angreifen. Ihre Bomben klatschen hart neben der Backbordseite der PRINZ EUGEN in die See. Die Flugzeuge selbst, von der mittleren und leichten Flak beschossen, ziehen sich schleunigst wieder in die schützende Wolkendecke zurück. Gewitzt durch den plötzlichen Angriff, schwenkt die Flak aller Kaliber nunmehr ihre Rohre so hoch wie möglich. Die schwere Flak richtet sich auf Sperrfeuer über dem Schiff ein. Schemenhaft zeichnen sich kurz danach die Umrisse weiterer 97
Bomber am wolkenverhangenen Himmel ab. Unbeirrt fliegen sie an. Auf dem Hauptflakeinsatzstand herrscht Hochbetrieb. Ein Einsatzbefehl jagt den anderen. „Dora: Einsatzbefehl auf zwei Zweimotorige, 235 Grad hoch!“ „Cäsar: Tiefflieger, 160 Grad!“ „Flugzeug über dem Schiff nach Backbord achtern fliegend!“ Während die Einsatzmannschaften die Batterien an die Ziele führen, weißt der Jägerleitoffizier die Jäger mit seinen den Seeleuten völlig unverständlichen Befehlen ein: „Radfahrer!“ „Zitrone überm Schiff!“ „Heckenzaun!“ Es geht den beiden Schiffen genauso, wie der zwanzig Meilen und mehr achteraus kämpfenden SCHARNHORST. Ein Angriff jagt den anderen. Um 16 Uhr 14 werden an Backbord Einschläge beobachtet. Kapitänleutnant Schmalenbach, der II AO hebt sein großes Doppelglas: „Keine Bomben. Sind ja im Augenblick auch keine Bomber in Sicht! Seeziele sind nicht auszumachen. Weiß der Himmel, was das wieder ist...“ Sie sollen es sehr schnell erfahren. * Die Ereignisse beim Einsatz der englischen Flugzeuge, die an den geschilderten — und späteren — Angriffen teilnahmen, zeigt die Verwirrung, die Ratlosigkeit und Lässigkeit der britischen Befehlsstellen, die jene Männer in den Kampf schickten. Da sind zunächst die vierzehn Beaufort-Torpedobomber des 42. Geschwaders von Leuchars in Schottland. Schon vor vier Tagen nach North Coates beordert, können sie wegen heftigen Schneefalls erst am Morgen des 12. Februar, des Tages des Durchmarsches, starten. Drei von ihnen haben keine Torpedos. Sie sollen in North Coates klarliegen. Der Flugplatz ist tief verschneit. Während des Fluges erhalten sie Befehl, nach Bircham Newton zu fliegen. Auch verschneit: umgelenkt nach Coltishall in East Anglia. 98
Als sie dort mittags landen, läuft gerade die Meldung ein, daß die Brestschiffe im Kanal stehen. Die nächsten Torpedos für die drei unbewaffneten Beaufort liegen bei einem Mobile Torpedo Servicing Unit = einer beweglichen Torpedoversorgungseinheit. Sie wird nach Coltishall befohlen. Polizei soll für Freihaltung der Straße und eine vorwegfahrende Begleitung der Lastwagen sorgen. Die Einheit ist mehrere Jahre nicht verwandt worden und hat keine Kampferfahrung. Sie verladen völlig unnütze Dinge. Statt Torpedos und Preßluft in einen oder zwei Lastwagen zu werfen, statten sie eine lange Kolonne aus, die sich wie zu einer Safari im afrikanischen Busch langsam in Bewegung setzt. Unnötig zu sagen, daß diese nachher „Immobile Unit“ — unbeweglicher Verband — getaufte Einheit in Cotishall eintrifft, als die deutschen Schiffe bereits in ihren Heimatgewässern sind! Beim Abflug der Beaufort können zwei nicht starten. Die übrigen neun flippen nach Manston, sie haben Befehl, sich dort mit Fightern zu treffen, die während des Flugs nach Holland Hochsicherung für die Bomber stellen sollen. Ein paar leichte Hudson-Bomber sollen nach See hinaus folgen und durch Ablenkungsangriffe die Flak der Sicherungslinien der Flotte niederhalten. Um 15 Uhr 35 stehen die Beaufort über Manston, wo schon elf Hudson in niedriger Höhe kreisen und so die Fighter, die ungeduldig über ihnen stehen, auftanken und munitionieren wollen, behindern. Die Beaufort versuchen sich hinter die Hudson zu hängen, was diese merkwürdigerweise veranlaßt, ihre Kreise abzubrechen und sich ihrerseits hinter die Beaufort zu klemmen. Der Beaufort-Geschwaderführer will seinen Befehl ausführen, bricht aus und setzt sich hinter die Hudson. Dies unsinnige Spiel wiederholt sich mehrere Male. Es dauert über eine halbe Stunde, während der Stationsleiter, Wing Commander Gleave und sein Stab vom Boden aus zornig diese Zeitverschwendung mit ansehen müssen und mit allen möglichen Mitteln vergeblich versuchen, den — wie der englische Bericht sagt — „lächerlichen Zirkus“ abzustoppen. So geschieht es, daß die Gelegenheit zum Angriff auf die nach ihrem Minentreffer bewegungslos in der See schlingernde SCHARNHORST restlos verpaßt wird.
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Um 16 Uhr 35 ist der Beaufort-Führer überzeugt, daß irgend etwas völlig verkehrt ist und er gegen den Befehl selbständig handeln muß. Er nimmt seinen Verband aus dem Kreisen heraus und steuert den — längst überholten — Standort der deutschen Schiffe an, den ihm vor einer Stunde Coltishall mitgab. Sechs Hudson folgen, fünf merken überhaupt nicht, daß die anderen abfliegen und kreisen stur bis 17 Uhr weiter über Manston. Dann fliegen sie, ohne irgend etwas getan zu haben, zu ihrem Horst Bircham Newton zurück. (Das Ganze ist — wie ein englischer Bericht feststellt — nicht den Flugzeug- oder Geschwaderführern, die ihre Befehle ausführten, zur Last gelegt worden, sondern dem Versagen der hierfür verantwortlichen Stäbe.) Sie fliegen durch dichte Wolken, die Sicht ist auch ohne die Wolkendecke außerordentlich schlecht. Die beiden Verbände, Beaufort und Hudson, verlieren einander sehr bald. Dann bekommen die Hudson Radarkontakt, stoßen hinab und sehen vor sich einen Teil der Flotte an Steuerbord. Sie greifen unter heftigem Flakbeschuß den äußeren deutschen Sicherungsgürtel an und werfen ihre Bomben. Zwei Flugzeuge werden abgeschossen. Zur gleichen Zeit bekommen sechs der Beaufort ebenfalls Fühlung mit dem Gegner. Sie machen ihre Torpedos auf GNEISENAU los. Die übrigen drei kommen im Dunst aus Sicht und beobachten nach einer Weile drei Schatten, die sie für große Schiffe halten. Sie stoßen hinunter, greifen an und machen ihre Torpedos los. Alle drei Flugzeugführer melden beim Landen, daß sie seltsamerweise von den Schiffen nicht beschossen wurden. Noch betroffener sind sie, als sie später erfahren, wen sie eigentlich angegriffen haben! — Das Geschwader 42 bleibt nicht das einzige Beaufortgeschwader, das während dieser Zeit angreift. Da sind noch die fünfzehn Torpedobomber von St. Evals in Cornwall. Sie werden — erstaunlicherweise — erst eine ganze Stunde nach der alarmierenden Meldung des Wing-Commander Beamish nach Thorney Island befohlen. Drei von ihnen befinden sich auf einem Patrouillenflug über der Biskaya. Sie nehmen nicht teil. Die übrigen zwölf landen um 15 Uhr 30 bei Portsmouth auf dem
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Flugplatz Thorney Island. Befehl: aufbomben, ehe sie zum Rendezvous mit Fightern über Coltishall fliegen. Dort kommen sie um 18 Uhr an. Nichts von Fightern zu sehen! Sie kreisen wenige Minuten über dem Platz und der Geschwaderführer entschließt sich, ohne Fightersicherung zu fliegen. Er erreicht den ihm von Thorney Island mitgegebenen Standort der Flotte um 18 Uhr 41. Aber zu diesem Zeitpunkt stehen die Schiffe schon vierzig Seemeilen weiter! Inzwischen ist die Dämmerung der Nacht gewichen und die Aussicht, die Schiffe zu finden, ist gleich null. Trotzdem suchen die Beaufort, niedrig über Wasser fliegend, noch eine Zeitlang weiter, bis sie unvermutet auf vier deutsche Minensuchboote stoßen, die sie sofort unter heftiges und konzentriertes Flakfeuer nahmen. Das Geschwader dreht ab und fliegt nach Coltishall zurück. Bei der Landung fehlen zwei Flugzeuge, sie sind entweder abgeschossen worden oder bei der unmöglichen Sicht niedrig über die See fliegend ins Wasser gerast. Damit sind die vom Coastal Command eingeleiteten Einsätze abgeschlossen. Der Mißerfolg hat seine Ursache in der an jenem 12. Februar in den Stäben herrschenden Verwirrung, die — nach englischem Urteil — jene Verzögerungen herbeiführte. Die deutschen Schiffe laufen nun bereits östlich der Höhe von Amsterdam, SCHARNHORST etwa zwanzig Meilen hinter dem Gros der Flotte. — Die Flugzeuge, die unsere Schiffe während dieser Zeit gemeinsam mit unseren Jägern abzuwehren hatten, waren aber nicht nur die Beaufort, Hudson und Fighter! Eine große Zahl bestand aus verschiedensten Bombern des Bomber-Command. „Operation Fuller“ sah vor, daß von diesen nur Tagangriffe geflogen wurden, und daß dort, wo kein Fighterschutz zu erwarten war, Angriffe nur bei ausreichender Wolkendecke zu fliegen seien. Die Vorgeschichte der Bombereinsätze ist ein endloses Hin und Her: wie viele Bomber — während der weiter durchzuführenden Angriffe auf deutsche Städte — für „Fuller“ zur Verfügung stehen können, welcher Bereitschaftsgrad anzuordnen sei, und mit welchem Bombentyp die Schächte aufgefüllt werden sollen. Panzerbrechende,
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die nur aus 2500 Meter Höhe geworfen, einen Panzer durchschlagen, oder normale Allzweck-Bomben? Welche sind zu verwenden? Bezeichnend ist, daß die Admiralität als immerhin führende Befehlsstelle zu keiner Zeit von den diesbezüglichen Befehlen des BomberCommand Mitteilung erhält! Schließlich sollen auf Befehl Sir Richard Peirses hundert Bomber aufgebombt in vierstündiger Bereitschaft für „Fuller“ klarstehen. Als Präventivmaßnahme werfen zwischen dem 2. und 9. Februar Bomber achtundneunzig Minen vor die Friesischen Inseln. Um 10 Uhr vormittags, am 12. Februar, entscheidet das BomberCommand, daß wegen der Wetterlage an diesem Tage die Befehle für „Fuller“ nicht in Kraft treten werden (!). Der Frieden des Bomber-Hauptquartiers wird um 12 Uhr 27 leicht gestört, als Meldungen anderer Befehlsstellen einlaufen, die besagen, daß im Kanal irgend etwas nicht in Ordnung sei. Der endgültige Donnerschlag, der die lässige Ruhe zerschmettert, kommt um 12 Uhr 40, als Sir Richard offiziell mitgeteilt wird, daß die drei Brestschiffe sich der Doverstraße nähern. Die Aufregung wird gesteigert, als um 13 Uhr 32 auch noch das Luftwaffenministerium alle drei Air Commands unter Schilderung der Lage auffordert, sofort alles nur menschenmögliche zu tun, um diese drei Schiffe zu vernichten. Im ganzen Lande verstreut stehen nur dreihundertzehn Bomber mit ausgebildeten Besatzungen und einsatzbereiten Motoren hierfür zur Verfügung. Fünfzig von diesen sind Whitley, die als ungeeignet für Tagangriffe erachtet werden. Mehrere Wellington-Bomber können wegen Schnee nicht starten. Als startklar werden schließlich ganze zweihundertvierzig Bomber — unter ihnen die für „Fuller“ bereitgestellten hundert! — ermittelt. Das ist alles, was auf den sehr dringenden Aufruf des Luftfahrtministeriums zusammengeholt wird. Hastige Telefonate mit dem Coastal-Command wegen Zusammenlegung der Bomber- und Torpedobomber-Angriffszeiten, und Gespräche mit dem Fighter-Command wegen des zu stellenden Fighterschutzes folgen. Wetterlage: sieben bis zehn Prozent Wolken in 250 bis 700 Meter Höhe. Äußerst ungeeignet für den Abwurf panzerbrechender Bom-
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ben. Man entschließt sich — die ersten verfügbaren Bomber haben ja vierstündige Bereitschaft! — soviel Bomber wie möglich um 15 Uhr 30 mit der ersten Welle starten zu lassen, obwohl viele von ihnen nach dem Hin und Her die falschen (nämlich panzerbrechende) Bomben in ihren Schächten haben. Man stellt fest, daß dann die zweite Welle erst gegen 17 Uhr über dem Gegner stehen kann, d. h. außerhalb der Reichweite der Kurzstreckenfighter. Die erste Welle, dreiundsiebzig aus allen Teilen des Landes herbeigeholte Bomber, darunter einige der hundert „Fuller“-Bomber, startet um 15 Uhr 20. Sie halten nicht etwa Formation ein: die Flugzeugführer fliegen einzeln oder zu zweit nach See hinaus. Zu dieser Zeit kreisen die Beaufort, mit denen zusammen sie angreifen sollen, hoffnungslos und stur über Manston! Allgemeiner Fighterschutz ist gestellt, und die ersten Bomber stehen etwa 16 Uhr über ihrem Zielraum. Jeder Bomber sucht selbständig sein Ziel. Da SCHARNHORST zur Zeit dreißig Meilen hinter dem Gros steht, wird die hinter GNEISENAU laufende PRINZ EUGEN für das zweite Schlachtschiff gehalten, und unter heftigstem Abwehrfeuer von manchen Flugzeugführern als Ziel genommen. In der zweiten Welle starten hundertvierunddreißig Bomber. Auch sie haben teils panzerbrechende, teils Mehrzweckbomben an Bord. Sie passieren während des Anflugs die zurückkehrenden Bomber der ersten Welle, von denen die meisten den Gegner überhaupt nicht zu Gesicht bekamen. Als die zweite Welle um 17 Uhr über dem Zielraum eintrifft, regnet es und die Sicht ist sehr schlecht. Die Welle ist reichlich aufgesplittert, und nur wenige bekommen die Schiffe in Sicht. Diese wenigen tragen zudem noch die falschen panzerbrechenden Bomben. Einer der Flugzeugführer findet GNEISENAU und fliegt, um sich zu vergewissern, daß er tatsächlich das Schlachtschiff vor sich hat, dicht über das Schiff hinweg. Dann steigt er mehrfach in die Wolken und wird, weil er das Ziel immer wieder verliert, seine Bomben nicht los. Zwei weitere Bomber gesellen sich zu ihm, und alle drei verabreden, ihren Angriff unter der niedrigen Wolkendecke anzusetzen. Beim ersten versagt die Bomben-Auslösevorrichtung,
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der zweite wirft aus 500, der dritte aus 70 Meter Höhe, beide verfehlen ihr Ziel. Um 17 Uhr 15 startet die dritte Welle: fünfunddreißig Bomber. Sie finden den Gegner, der schon außerhalb der Reichweite der Kurzstreckenjäger steht, um 18 Uhr 50. Die meisten verfranzen sich und kehren zurück, während die letzten in Dunkelheit, Regen und Nebel um 19 Uhr 15 den letzten, vergeblichen Versuch unternehmen. Es ist die Zeit, zu der SCHARNHORST mit Höchstfahrt den Verband einzuholen sucht. Sie wird dabei mehrfach von Bombern, die ihr Ziel viel zu weit im Süden suchten und nun auf den Nachzügler, von dem sie nichts wissen, stoßen, angegriffen. Hierbei werden einige Seeleute an Oberdeck durch Splitter verwundet. Drei Mann werden durch das Bordwaffenfeuer einer niedrig über das Schiff hinwegdröhnenden Beaufort, die ihren Torpedo noch zwischen dem Fahrgestell hängen hat, verletzt. Während der drei Stunden fünfzehn Minuten, die das Unternehmen des Bomber-Command dauert, Starten zweihundertzweiundvierzig Bomber zum Angriff. Nur neununddreißig von ihnen bekommen den Gegner, d. h. die Schweren Einheiten, zu Gesicht. Hundertachtundachtzig kehren zurück, ohne die Schiffe gefunden zu haben. Fünfzehn Bomber werden durch Schiffsflak oder Jäger abgeschossen, einer geht bei der Landung zu Bruch. So endet der Tag, den das Bomber-Command noch am gleichen Morgen für den „ruhigsten Tag des Krieges“ erklärt hatte! * Zu den vielen Flugzeugtypen, die in der Luft herumwimmeln, den Beaufort, Hampden, Halifax, Wellington, Manchester, den deutschen Dornier, Ju 88, Ju 87, Me 109 und 110 und den FW 190 treten während des ganzen Verlaufs der Kämpfe noch die englischen Kurz- und Längstreckenfighter, die Whirlwind, Spitfire und Hurricane. Die für „Fuller“ in Frage kommenden stehen unter „dem Air Vice-Marshall Leigh-Mallory als Gruppe 11 im Bereich von Lowestoft an der Ostküste bis zur Isle of Wight. Der Marshall kann, wenn nötig auf die Gruppe 10 zurückgreifen. Er selbst hat einundzwanzig Spitfi104
re und vier Hurricane-Geschwader, die im Lauf des Tages durch drei Spitfire-Geschwader der Gruppe 10 und zwei Geschwader der Gruppe 12 ergänzt werden. Im ganzen kann er notfalls vierunddreißig Geschwader mit 550 bis 600 Fightern aufrufen. Nach dem eiligen Start der Biggin Hill- und HornchurchGeschwader für Esmonde telefoniert Leigh-Mallory mit Sir Philip Joubert vom Coastal Command und Sir Richard Peirse vom Bomber Command. Er will ihre Pläne, den Fighterschutz, den er zu stellen hat, und die Zeiten, zu denen diese Sicherung gebraucht wird, wissen. Er stellt fest, daß seine Jäger für einen Generalangriff frühestens um 15 Uhr benötigt werden. In der Zwischenzeit will er sie steigernde Angriffe auf die deutschen Sicherungen fliegen lassen. So verlassen um 13 Uhr 30 zehn Hurricane-Maschinen Manston, Sie finden den Gegner nicht, fliegen nach Boulogne und schießen sich mit vier kleinen Fahrzeugen, Wachbooten, die nach Passieren der Flotte in ihre Häfen zurückkehren, herum, Küstenbatterien greifen ein und eine Hurricane wird abgeschossen. Um 14 Uhr 18 starten acht Hurricane mit einem Geschwader Spitfire als Geleit von Manston, um die Sicherungsschnellboote anzugreifen. Sie verfehlen den Gegner und kommen auf der Höhe Graveline-Dünkirchen mit ebenfalls zurücklaufenden Sicherungsfahrzeugen in ein für beide Seiten erfolgloses Gefecht. Ein weiteres Hurricane-Geschwader startet zusammen mit einem Spitfireverband um 14 Uhr 10 von Tangmere gegen die Schnellboote. Sie werden gefunden und angegriffen. Vier Flugzeuge gehen verloren. Da um 15 Uhr noch nichts von den Beaufort des Coastal- oder den Bombern des Bomber-Commands zu sehen ist, geht das 607. Geschwader mit seinen Hurricane, geleitet von zwei SpitfireGeschwadern, allein zum Angriff vor. Unterwegs treffen sie auf starke deutsche Jägerformationen und werden getrennt. Das HurricaneGeschwader fliegt weiter und trifft über der Nordsee zwei große Handelsschiffe, die es angreift. Drei Hurricane gehen verloren. Während dieser Operationen detachiert Leigh-Mallory drei Fighter-Geschwader als Sicherung für die St. Eval-Beaufort, die von
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Thorney Island nach Manston fliegend, dort um 14 Uhr 30 starten sollen. Die Fightergruppe von Kenley verfehlt die Torpedobomber und fliegt selbständig den zuletzt gemeldeten Standort des Gegners an. Nordwärts steuernd, gerät sie in Gefechte mit deutschen Jägern. Einem Geschwader gelingt es, den deutschen Luftschirm zu unterfliegen und unter starkem Beschuß die Schnellboote mit Bordkanonen unter Feuer zu nehmen, jedoch werden keine Erfolge erzielt. Luftsicherung für die Harwichzerstörer, die als letzte Hoffnung der Royal Navy nun ihren Angriff auf die immer weiter sich entfernende deutsche Flotte vortragen, ist die nächste Aufgabe der Gruppe 11. Einsatz und Gefechte dieser Fighter-Geschwader werden im Zusammenhang mit den Zerstörerkämpfen geschildert werden. Angriff der Harwich-Zerstörer. „Die Royal Navy lebt also doch noch!“ In der Maschine der „Prinz Eugen“. Letzte Versuche der englischen Flieger Es ist 16 Uhr 14, als Kapitänleutnant Schmalenbach, der II AO der PRINZ EUGEN, Aufschläge an Backbord beobachtet und fragt, was dies nun wieder sein solle... Von vorn — der Kreuzer steht nach all den Ausweichmanövern fast zwei Meilen hinter GNEISENAU — rollt das Grollen schwerer Artillerie über die See. Dann erschüttert donnerndes Krachen das eigene Schiff, Pulverqualm treibt achteraus. Die schweren Türme feuern und unterbrechen rücksichtslos die Frage des Flakeinsatzleiters. Paulus schießt auf Ziele, die Backbord voraus nur geisterhaft aus dem Dunst tauchend für Augenblicke die gelbroten Flammen ihrer Mündungsfeuer leuchten lassen. Schmalenbach zuckt die Achseln: „Einzelheiten sind nicht auszumachen. Vielleicht Leichter Kreuzer oder Zerstörer... die Royal Navy lebt also doch noch!“ setzt er fast beruhigt hinzu. Backbord querab kommen mit hoher Fahrt zwei Fahrzeuge aus
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dem wogenden Grau, drehen bei und laufen auf Parallelkurs: britische Zerstörer! Sie werden von den Türmen mit schnellster Salvenfolge unter Feuer genommen, während der Kreuzer ebenso wie GNEISENAU mit Hartruder und „Äußerster Kraft voraus!“ den losgemachten Torpedos ausweicht und gleichzeitig die wild angreifenden Flieger unter rasendes Abwehrfeuer nimmt.
„Zwei oder drei Zerstörer!“ murmelt der AO zu seinem Zielgeber, der trotz schärfster Einstellung nur sehr undeutliche Umrisse erkennen kann. Die Schatten tauchen auf, werden beschossen, verschwinden, tauchen wieder auf... oder sind es andere, die nun anlaufen? Paulus weiß es nicht, es ist auch gleichgültig; was da anläuft wird unter Feuer genommen! Mit schnellster Salvenfolge. „Bißchen mehr liiinks!“ fordert er seinen Richtungsweiser-Unteroffizier auf. „Da, gut so! Sehen Sie? Das ist ein neuer! Eine Salve!“ Die Salve fährt hinaus, schon leuchten die roten Fertigmeldelampen der acht Rohre wieder auf. „Treffer!“ ruft Paulus. „Hat ihn! Gut, schnell!“ Ein Zerstörer brennt lichterloh. Beiderseits seines Vorschiffs lo-
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dern nach vier, fünf Salven züngelnde Feuerflammen hoch. „Sieht aus, als ob das Fahrzeug glühende Ohren hätte!“ bemerkt unten auf der Brücke Kapitän Brinkmann, während Korvettenkapitän Jasper im Vormarsstand für einen Augenblick vom Zielgeber zurücktritt, als der englische Zerstörer plötzlich, wie aufgesogen vom Dunst, verschwunden ist. „Den haben wir geknackt!“ meint der AO. Das ist, wie so oft im Seekrieg, ein Trugschluß, wie er im besten Glauben gemacht wird, wenn Dunst, Nebel, Dämmerung oder Nacht herrschen und alles verzerrt und undeutlich machen. „ Bereits zwei Minuten nach den ersten Salven der schweren Artillerie hat Kapitän Brinkmann „AK voraus!“ befohlen. Alle drei Maschinentelegrafen des Kreuzers werden auf „Äußerste Kraft voraus!“ gelegt. Schnarrend springen die Quittungsanzeiger in Deckung. Aufmerksam verfolgt der Posten Maschinentelegraf den verrückenden Ausschlag der Umdrehungsanzeiger, die sich auf allen drei Skalen gleichmäßig nach rechts bewegen. „Umdrehungen aller Maschinen steigen!“ meldet er. Mit Rücksicht auf die empfindlichen Turbinen dürfen die Umdrehungen nicht zu schnell gesteigert werden. Unten stehen die Fahrmaate, erfahrene Obermaschinenmaate, an den großen Handrädern, mit denen sie den Zutritt des Dampfes in die verschiedenen Teile der Turbinenanlage regeln. Im Turbinenraum 1, dem Raum der Mittelmaschine, meistert nur ein einziger Unteroffizier die 40 000 PS. In T 2/3, dem großen Raum der beiden Seitenmaschinen, stehen zwei Obermaate fast Rücken an Rücken und überwachen die restlichen 80 000 PS. Ihre Augen verfolgen die unzähligen Anzeigeninstrumente: Öffnung der Dampfeintrittventile, Dampftemperaturen, Druck vor und hinter den einzelnen Stufen und in den verschiedenen Teilen der Anlage, Temperaturen des Hauptdrucklagers, des Kühlwassers beim Ein- und Austritt aus den Kondensatoren, Öldruck der Schmierung und viele andere Werte, die anzeigen, daß alle drei Maschinen richtig laufen. Die Gesamtanlage jedes Raumes wird vom Obermaschinisten überwacht. Sie verfolgen die Umdrehungsanzeiger, die sich nun ste-
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tig dem roten Strich nähern. Zwischendurch jagen sie mit einer Handbewegung, einem Wink, die Maschinengefreiten zu den Hilfsmaschinen, den Öl- und Luftpumpen. Die wenigen Gefreiten sausen flink umher, führen Kontrollen durch, kommen aus der Bilge hervorgekrochen oder springen leichtfüßig vom oberen Teil des Maschinenraums herab und heben die Rechte: „Alles klar!“ Bei dem höher und höher aufkreischenden schrillen und hellen Singen der Turbinen ist eine mündliche Verständigung nur möglich, wenn die Männer sich gegenseitig in die Ohren brüllen. Am Befehlsstand flackert ein Licht auf. Der Betriebstelegraf meldet sich: „Von Maschinenleitstand. Frage: Parole?“ „An Maschinenleitstand: Parole PRINZ EUGEN!“ Der Leitende Ingenieur im Maschinenleitstand lächelt: die Antriebsanlage läuft genau, wie sie laufen soll! Die Augen der Fahrmaate lassen die Zeiger nicht mehr los. Gleich muß der rote Strich erreicht sein. Da schrillen allen denen, die dort unten, eingepfercht unter dem Panzerdeck, abgeschnitten vom Geschehen an Deck, ihren Dienst tun, Warnklingeln ins Ohr. Sie beweisen ihnen, die im Vertrauen auf ihre Kameraden an den Waffen, auf der Brücke, im Kartenhaus, auf dem Signaldeck, in den Funk- und Horchräumen, in den Leit- und Einsatzständen ihre Stationen ausfüllen, daß auch sie erreicht haben, was von ihnen verlangt wird: alle drei Maschinen laufen mit der höchsten befohlenen Fahrtstufe! Die Warnglocken verbieten weiteres Steigern der Maschinenumdrehungen, * Auf der vorauslaufenden GNEISENAU ist der Kommandant, Kapitän zur See Fein, so mit der Beobachtung der angreifenden Flieger beschäftigt, daß er den Zerstöreranlauf erst bemerkt, als die erste 12 cm-Granate an Backbordseite nahe der Wasserlinie mit grüngelblichen Rauchschwaden detoniert. Die fremd riechende CorditeWolke wirbelt bis zur Brücke herauf. Fast gleichzeitig mit PRINZ EUGEN eröffnet die schwere Artille109
rie des Schlachtschiffes ihr Feuer. Die feindlichen Zerstörer machen ihre Torpedos los und gehen, soweit im Dunst zu erkennen ist, auf Parallelkurs. Für kurze Zeit wird ein laufendes Gefecht geführt. GNEISENAU, die von niedrigfliegenden Beaufort und hochfliegenden Bombern angegriffen wird, feuert fünf, sechs Salven schwerer Artillerie auf die Zerstörer, während sie die losgemachten Torpedos ausmanövriert und außerdem lebhaftes Abwehrfeuer auf die Flugzeuge unterhält. Der Kommandant beobachtet, wie zwei Zerstörer getroffen werden, einer so schwer, daß er, soweit Kapitän Fein bei der herrschenden Unsichtigkeit erkennen bann, bereits Schlagseite hat. Er wendet sieh an seinen NO: „Kein Zerstörer kann diese 28-cm-Treffer aushalten! Sehen Sie? Der eine hat genug. Nicht nötig, auf ein sinkendes Ziel Munition zu verschwenden. Befehl an AO: Schwere, Feuer einstellen!“ Die Zerstörer kommen ebenso plötzlich, wie sie erschienen sind, wieder aus Sicht. Aber sie hören, wie PRINZ EUGEN, die bei den Ausweichmanövern noch weiter absackte, mit ihren Türmen weiterfeuert. Der Kommandant läßt ein Signal an die eigenen Zerstörer machen, die irgendwo im Dunst weiter achteraus laufen: „Zerstörer angreifen!“ Bei der sehr schlechten Sichtigkeit ist nicht zu erkennen, ob die Zerstörer das Signal ausführen, d.h. den Gegner in Sicht bekommen und angreifen. Sie haben auch auf den Brücken der beiden schweren. Einheiten alle Hände voll zu tun mit Beobachtung der englischen Flugzeuge, Ausweichmanövern und Navigation! Die Ausweichmanöver sind die Ursache, daß die beiden Schiffe immer weiter auseinandergeraten und sich schließlich aus der Sicht verlieren. Den Zustand während dieses Gefechtsabschnittes kennzeichnen am besten die Aufzeichnungen, die der Oberfähnrich Wiske in der Luftnachrichtenzentrale der PRINZ EUGEN macht. Sie werden laufend dem Haupteinsatz gemeldet: 16 Uhr 35 Gegner brennt, Einschläge an Steuerbord 16 Uhr 54 Bomber über dem Schiff, kreist, zehn leichte Flak-Treffer beobachtet.
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17 Uhr 00 17 Uhr 05 17 Uhr 07 17 Uhr 10 17 Uhr 14 17 Uhr 19 17 Uhr 23 17 Uhr 32 17 Uhr 33 17 Uhr 38 17 Uhr 39 17 Uhr 42 17 Uhr 43 17 Uhr 44 17 Uhr 46
Eigener Standort: Quadrat 3363 Mitte unten Schwere Artillerie schießt auf Ziel an Backbord 330 Grad Bomber, laufend Anflüge einzelner Bomber Bomber achteraus und querab 340 Grad Bomber 350 Grad Bomber 350 Grad Bomber 0 Grad Bomber 270 Grad Bomber 180 Grad und 0 Grad Bomber 90 Grad Bomber 30 Grad Bombeneinschlag 270 Grad Flugzeug 60 Grad Bombeneinschläge, 1000 Meter ab 65 bis 230 Grad Bombenreihenwurf, Bomben 50 bis 550 Meter ab. Gegner schießt mit Bordwaffen an Steuerbord querab. Mehrere 3,7-cm- und 2-cm-Treffer beobachtet, mindestens 6 im Rumpfvorderteil 17 Uhr 48 210 Grad zwei Bomber 17 Uhr 52 30 Grad Bomber, von leichter und schwerer Flak, letztere fünfzehn Schuß, beschossen. Feuer eingestellt, da eigene Jäger am Gegner. Ziel überfliegt Schiff. Gute Treffaussichten für leichte Flak. Treffer einwandfrei beobachtet, darunter Feuer im Heck vor dem Leitwerk 17 Uhr 56 obiges Flugzeug stürzt brennend ab. Jäger am Ziel. So geht es nahezu pausenlos bis nach 19 Uhr weiter, ehe der britische Generalangriff der drei Air Commands langsam abebbt. * Die in Harwieh stationierte 21. englische Zerstörerflottille wird von Captain C. T. M. Pizey geführt. Sie besteht zur Zeit aus einem Führerzerstörer CAMPBELL und VIVACIOUS. Unter seinem Kommando stehen ebenfalls die zusammengeschmolzene 16. Flottille mit dem Führerzerstörer MACKAY, Captain Wright, WORCESTER, Lieutenant-Commander E. C. Coates, WHITSHED und WALPOLE. 111
Alle diese Zerstörer sind über zwanzig Jahre alte Veteranen, ihre Ausstoßrohre müssen auf den meisten mit der Hand in Feuerstellung gekurbelt werden. Beide Flottillen werden normalerweise als Geleit für die Ostküstenkonvois verwandt, wo sie gerade noch fähig sind, Gefechte gegen Schnellboote und U-Boote zu führen. Nun hat man sie dazu ausersehen — wie ein englischer Bericht sagt — gegen eine Schlachtschiffsgruppe zu fechten, die wohl imstande wäre, jedem damaligen britischen Schlachtschiffgeschwader eine Niederlage beizubringen! Das bereits erwähnte Alarmsignal des Dover-Admirals Ramsay erreicht die Zerstörer in See, als sie vor Harwich Übungen abhalten. Captain Pizey, der seine Boote in zwei Divisionen aufgeteilt hat: CAMPBELL, VIVACIOUS und WORCESTER in der ersten, MACKAY, WHITSHED und WALPOLE in der zweiten, läßt auf 28 Meilen gehen und läuft einen Kurs, der ihm ermöglichen soll, den Gegner abzuschneiden. Hierzu muß er durch ein eigenes Minenfeld, falls er nicht durch Umwege zuviel Zeit verlieren soll. Er führt ohne zu zögern seine Boote über die Sperre. Das wird den Besatzungen bekanntgegeben: „Wir müssen eine eigene Sperre passieren. Wer nicht unbedingt in Heizraum, Maschine und auf der Brücke zum Fahren gebraucht wird, soll sich bei den Geschützen und Ausstoßrohren mit dem Kopf nach binnenbords an Deck legen! Vermindert die Gefahr bei Minenexplosionen, Jungs!“ Um in dieser Lage die Männer auf andere Gedanken zu bringen, Männer, die letzte Briefe nach Hause kritzeln, läßt einer der Kommandanten eine gute Idee ausführen. Er läßt seinen Signalmaaten einen Winkspruch an den Vordermann machen, der dessen Kommandanten zu einem Spiel „Battleships — Schlachtschiffe“ genannt, auffordert. Das Spiel ist in der ganzen Royal Navy bekannt, und es kann von zwei Personen gespielt werden. Der andere geht sofort darauf ein und es beginnt eine Folge von Winksprüchen. Beide Besatzungen nehmen eifrigst teil und setzen Wetten auf ihre Kommandanten. Um 14 Uhr 18 sackt WALPOLE achteraus und macht ein Signal an den Führerzerstörer:
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„Kann wegen Heißlaufens der Hauptdrucklager die Geschwindigkeit nicht halten!“ Sie wird nach Harwich entlassen. Gleich darauf greifen Ju 88 und Sturzkampfbomber vom Typ Ju 87 an. Sie fliegen eben unter den Wolken und legen Bomben-Reihenwürfe quer vor den Bug der MACKAY. Endlich, um 15 Uhr, ist die fatale Minensperre passiert. Um 15 Uhr 45 läuft die Flottille in Kiellinie mit Höchstfahrt, als ein Schwarm von Flugzeugen gesichtet wird, die gerade aus einer Wolke hervorbrechen. Hinter ihnen dreht plötzlich eine einzelne Maschine auf die Zerstörer zu. Die Geschützbedienungen schwenken ihre Rohre, aber Pizey läßt ein Flaggensignal heißen: „Eigene Flugzeuge rechts voraus!“ Es ist eine Hampden, ein Bomber, der sich in nicht allzugroßer Höhe der Steuerbordseite der MACKAY nähert. Die Geschütze gehen in Ruhestellung, und die Bedienungen beobachten andere Flugzeuge, die in der Ferne auftauchen. Plötzlich ruft von der Brücke des Zerstörers einer der Offiziere entsetzt: „Die Hampden hat Bomben geworfen!“ Im gleichen Augenblick explodieren bereits die ersten Bomben so dicht in der Hecksee, daß sie die Bedienungen der achteren Geschütze mit ihren Wassersäulen durchnässen. Der Artillerieoffizier stürzt zur achteren Brückenreling und brüllt in ein Kopftelefon: „Halt! Halt! Nicht feuern! Ich wiederhole: Nicht feuern!“ Dann ruft er nicht mehr ganz so erregt unter dem Grinsen des Personals seines kleinen Leitstandes: „Dies Flugzeug ist ein eigenes, es hat bloß ‘ne komische Art von Erkennungssignal!“ Der Bomber, dem der mißlungene Reihenwurf nicht genügt, dreht auf, fliegt über WORCESTER und klatscht dieser buchstäblich seine Bomben rechts und links neben die Bordwand, die Wache auf der Brücke mit kaltem Seewasser überschüttend. Auch hier feuert niemand. Die Hampden hat ihre Bomben verbraucht und verschwindet, froh, das ihre getan zu haben, mit steilem Aufwärtsschwung in die Wolken. Einer der sprachlos dem Bomber nachstarrenden Seeleute flucht: „Blimey! Wenn die eigenen schon gegen uns sind, können uns die
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anderen wurscht sein!“ Um 16 Uhr 47 bekommt CAMPBELL bei nur vier Meilen Sicht ein Radarecho. „Die Schiffe, Sir!“ meldet strahlend der Funker. „Entfernung etwa neuneinhalb Seemeilen!“ Drei Minuten später hat der NO Kurs und Fahrt des Gegners berechnet. Ein Scheinwerferspruch Pizeys geht durch die Linie: „Beabsichtige näher ranzugehen und anzugreifen. Sowie der Gegner angegriffen wird, hat jeder freies Manöver. Alles Gute!“ Sie haben Glück: zwanzig Minuten danach sehen sie vier Meilen voraus Flakfeuer. Es ist die Backbordsicherung der großen Schiffe, die angreifende Torpedobomber abwehrt. Von den großen Schiffen ist noch nichts zu sehen, aber sie haben sie im Radar. Pizey nickt seinem NO zu: „Gut hingehauen! Genau mit den Beaufort zusammen!“ Mit 28 Meilen Fahrt durchbrechen sie den Schnellbootsschirm und dann tauchen die Riesenschatten der — wie sie annehmen — beiden Schlachtschiffe aus dem Dunst. Pizey setzt den Angriff auf GNEISENAU an, und WORCESTER und CIVACIOUS, obwohl sie freies Manöver haben, folgen im Kielwasser. 4000 Meter von den nun auf sie feuernden feindlichen Schiffen entfernt, krachen ihre eigenen 12 cm, sie drehen heran, laufen zum Gefecht auf, machen ihre Torpedos los und drehen ab. Jedenfalls der Führungszerstörer und VIVACIOUS. Ein deutscher Zerstörer fährt einen Angriff auf VIVACIOUS, sein Torpedo läuft nur fünfzehn Meter von ihrer Bordwand entfernt, bis er im Ungewissen verschwindet. WORCESTER ist, um freies Schußfeld zu haben, im letzten Augenblick aus der Kiellinie ausgebrochen und hält ihren Kurs, als die beiden Zerstörer zurücklaufen, durch. Sie steht nur 4000 Meter vom Gegner ab, aber ihr Entfernungsmesser zeigt 5000 an. Ihr Kommandant, Lieutenant-Commander Coates, läßt trotz des verheerenden Feuers, das nun beide Gegner auf den kleinen Zerstörer vereinigen, bis auf 3000 Meter heranlaufen, ehe er abdreht und seine Torpedos losmacht. Eine Turmsalve von PRINZ EUGEN schmettert in die
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Seite der WORCESTER. Sie zertrümmert die Decks und fegt die Steuerbordseite der Brücke hinweg. In kürzester Folge krachen zwei weitere Salven herein, die im 1. und 2. Kesselraum detonieren und den Zerstörer zum Stoppen bringen. Die Schreie der Verwundeten, das Zischen des aus den getroffenen Kesseln strömenden Dampfes, Befehle und Rufe verstummen, als sich der Zerstörer quer zur See legt und für das zweite große Schiff PRINZ EUGEN nun eine nicht zu verfehlende Zielscheibe bildet. Vier Salven schlagen Stahlplatten auseinander, zerfetzen die Geschütze und reißen riesige Löcher in die Bordwand. Vorn und achtern bricht Feuer aus, und das in Mengen durch die Trefferlöcher dringende Wasser verursacht eine gefährliche Schlagseite. Von der halbzerschmetterten Brücke kommt der Befehl des Kommandanten: „Klar bei alle Mann aus dem Schiff!“ Unter Deck, überall, in den Maschinenräumen und an Oberdeck wird der Befehl weitergegeben. An Deck heben sie vorsichtig die Verwundeten auf Rettungsflöße, die sie sorgsam über Bord gleiten lassen. Über ihnen ist ein undefinierbares Getümmel aller möglichen Flugzeugtypen. Englische, deutsche, Bomber, Jäger, Torpedobomber und wieder Jäger beider Seiten. Während die Seeleute, die nicht zu Geschützbedienungen gehören, sich um die Verletzten bemühen und denjenigen, die noch gehen oder schwimmen können, helfen, über die Bordwand ins Wasser zu kommen, feuern die noch übrigen Geschütze wie rasend gegen die Flugzeuge. „Verlaßt euch auf eure Schwimmwesten, Jungs!“ rufen sie den langsam vom Zerstörer Wegtreibenden zu. „Die halten euch über Wasser!“ Es ist ein unbeschreibliches Durcheinander in der Luft, eigene Flugzeuge halten die Zerstörer für feindliche, deutsche desgleichen; und dazwischen funken die letzten Salven, die PRINZ EUGEN auf das für sie kaum noch zu erkennende Ziel abgibt. Längst ist auf WORCESTER das Geschütz X ausgefallen, aber die Bedienung von Y feuert weiter, bis der letzte Mann gefallen ist. Das gleiche tun die Flawaffen, von denen zwei unter dem Befehl des
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Sub-Lieutenants der Reserve Wedge, ununterbrochen ihre Leuchtspurgeschosse gegen die Flieger hinausjagen. Weiter achtern und vor der Brücke fallen die Bedienungen der Oerlikonkanonen tot über ihre Geschütze. Eine der letzten Salven der schweren Artillerie der PRINZ EUGEN schleudert eine Gruppe Verwundeter über Bord. Der Erste Offizier, Lieutenant Winterbottom sieht es, springt über Bord und bringt einen nach dem anderen zu den Flößen. Plötzlich stellt das große Schiff das Feuer ein, verschwindet im Dunst und nur sein breitschäumendes Kielwasser ist noch eine Weile zu sehen. Während dies alles geschieht, führt MACKAY mit der 2. Division seinen Angriff durch. Sie machen ihre Torpedos auf 3000 Meter los und kommen wegen der Unsichtigkeit trotz des Feuers der Türme unglaublicherweise fast unbeschädigt davon. Ihr Ziel war PRINZ EUGEN, deren erste Salve 50 Meter vor den beiden von Captain Wright auf MACKAY geführten Zerstörern eine turmhohe, breite Wasserwand aufwirbelte. Gegen 17 Uhr laufen CAMPBELL und VIVACIOUS im Schutz des nebligen Dunstes von ihrem Angriff zurückkommend durch die nun ziemlich hochgehende grüngraue See. „Recht voraus brennendes Fahrzeug, Sir!“ meldet ein Ausguck. Alle auf der Brücke richten ihre Gläser auf das Wrack, das dort, umgeben von Flößen, Schwimmern und Trümmerstücken, hilflos quer zur See treibt. Pizey setzt das Doppelglas ab: „Das ist die WORCESTER! Full spead ahead!“ Maschinentelegrafen klingeln und die beiden Zerstörer rasen auf das offenbar sinkende Boot zu, über dem durcheinanderwirbelnde Flugzeuge englischer und deutscher Typen aller Art sich jagen, Bomben werfen und Torpedos losmachen. Unbeirrt machen sich die beiden Zerstörer daran, die Umhertreibenden, vor allem die Verwundeten, zu bergen. Dann gehen sie in die Nähe des Wracks und wollen versuchen, es in Schlepp zu nehmen. WORCESTER hat offenbar das Feuer einigermaßen unter Kontrolle bekommen, obwohl noch immer Flammen und Rauch hier und
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da auflodern. Ein Winkspruch, von der zerschossenen Brücke der WORCESTER wird abgenommen: „Bin klar zum Dampf aufmachen, versuche unter eigenem Dampf nach Hause zu kommen!“ Alle an Deck der CAMPBELL haben den laut ausgerufenen Spruch verstanden; sie sehen sich an, lachen, und drei Hurrähs bestätigen den Empfang der Meldung. Auf die drei zusammenliegenden Zerstörer stoßen jetzt feindliche und eigene Flugzeuge herab und greifen an. Bei dem völlig unsichtigen Wetter, in dem viele der englischen Flieger die Flotte verfehlten, ist es verständlich, daß sie nun annehmen, alles, was schwimmt, gehört zur feindlichen Flotte, und — angreifen! Mit Bomben, Bordkanonen und MG-Feuer. Captain Wright von der später am Ort eintreffenden MACKAY sagt in seinem Bericht, nachdem er die Typen aufzählte, die sich — deutsche und englische — über den Zerstörern umhertreiben: „Einige der Gegnerflugzeuge hielten uns für Freunde, einige unserer eigenen dachten, wir gehörten zum Feind. Wir selbst haben Feuer auf Flugzeuge eröffnet, die sich später als eigene herausstellten. Die Flieger beider Seiten müssen die ganze Lage als reichlich verworren empfunden haben!“ So geschieht es beispielsweise, daß plötzlich aus dem nebelartigen Dunst drei niedrigfliegende Beaufort auftauchen und CAMPBELL und VIVACIOUS mit Torpedos angreifen. Die Zerstörer feuern eine ausgezeichnet liegende Sperre, erkennen, daß es eigene Flugzeuge sind und stellen das Feuer ein. Worauf die Beaufort noch näher herankommen und ihre Torpedos losmachen. Einer wird im Asdic gehört, so daß Captain Pizey zu seinem Bedauern mit „Äußerster Kraft zurück!“ mit seinem Heck in die Flöße hineinfahren muß und der Torpedo kurz vor dem Bug der CAMPBELL vorbeiläuft. Glücklicherweise wird keiner der Schwimmer verletzt und sie werden danach sämtlich vom Führerzerstörer aufgenommen. Es waren die drei Beaufort von Leuchars, die diesen Angriff ausführten! Da die 2. Division jetzt auch noch mit ihren beiden Booten am
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Rettungswerk beteiligt ist, können alle bald den Rückmarsch antreten. Sie nehmen WORCESTER in ihre Mitte und laufen mit acht Meilen Fahrt, wiederum die ominöse Sperre passierend, zurück. Da die Verwundeten dringendst versorgt werden müssen, sendet der C-in-C vom Nore 4 Hunter-Klasse-Zerstörer aus, um die WORCESTER heimzugeleiten und der Harwich-Flottille, deren Boote mehr oder minder beschädigt sind, einen Rückmarsch mit 28 Meilen zu ermöglichen. Die vier modernen Hunter-Zerstörer finden die langsam laufende WORCESTER in der hereinbrechenden Dämmerung nicht. Das tapfere kleine Schiff muß allein den letzten Teil seiner Fahrt nach Harwich ausführen. Sie läuft am folgenden Morgen schwer beschädigt, aber immerhin noch schwimmend, langsam in den Hafen. Sie weist Schlepperhilfe zurück und geht ohne jede Hilfe an ihren Liegeplatz. Auf jedem Schiff im Hafen stehen die Männer an der Reling und begrüßen den tapferen kleinen Zerstörer mit brausenden Hurrähs. Kein Wunder, daß dieser Zerstörer für alle Zeiten den Ehrennamen erhielt: „WORCESTER, the ship that wouldn’t die = das Schiff, das nicht sterben wollte!“ Der Vorwurf, trotz langer Vorbereitungszeit der „Operation Fuller“ diese alten — statt modernen Zerstörer — in einen aussichtslosen Kampf geworfen zu haben, trifft allein die britische Admiralität. Mit der gleichen todesverachtenden Tapferkeit kämpfend wie die sechs Swordfish Esmondes, kamen die Zerstörer unglaublicherweise — mit Ausnahme von WORCESTER — fast unbeschädigt zurück. Der Streit, der wegen der Angriffe durch eigene Flieger zwischen Royal Navy und Luftfahrtministerium entstand, interessiert hier nicht. Über die Angriffe der Zerstörer äußerte sich die Admiralität in einer Weise, die für den trockenen, jedem Lob abholden Stil dieser Behörde bemerkenswert ist. Sie sagte, nachdem sie den Angriff als „Musterbeispiel“ bezeichnete, folgendes: „Der Angriff wurde in das feindliche Feuer hinein ausgezeichnet durchgeführt. CAMPBELL und VIVACIOUS entgingen der Vernichtung nur durch die fehlerlose Beurteilung der Lage seitens Captain Pizey und dessen tadelloser Führung der Schiffe und — ein we-
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nig Glück!“ * Es ist interessant, festzustellen, wie das Fighter-Command, Gruppe 11 die Aufgabe des Luftschirms für die Harwich-Zerstörer zu lösen suchte. Sie wird einem Whirlwind-Geschwader der Gruppe 12 anvertraut, das zwischen 14 Uhr 10 und 15 Uhr 29 in drei Schwärmen startet. Kein einziges Flugzeug dieses Geschwaders findet die Zerstörer! Sie kommen lediglich in die Nähe der Flotte — ohne sie zu sehen — und werden in heftige Luftkämpfe mit der deutschen Luftwaffe verwickelt. Dabei werden vier Whirlwind abgeschossen. Eine weitere, wichtige Aufgabe, die — wie vorher von LeighMallory geplant — eine möglichst enge Zusammenfassung der verfügbaren Fighter erfordert, ist der Schutz der ersten Beaufort-Angriffe und der ersten Bomberwelle. Uhrzeit: zwischen 15 Uhr 05 — 16 Uhr 05. Nicht weniger als fünfzehn Fighter-Geschwader werden während dieser einen Stunde in den Zielraum geschickt. Das Geschwader von North Weald startet um 15 Uhr 05 und schlägt sich über dem Zielraum mit rund fünfzig deutschen Jägern herum. Als nächste starten zwei Geschwader von Debden um 15 Uhr 09. Sie geraten über Dünkirchen zwischen rund hundert deutsche Jäger (?). Diese Luftkämpfe dauern zwanzig Minuten. Folgen die drei Geschwader des berühmten Flugplatzes Biggin Hill, die um 15 Uhr 45 zum zweiten Male starten. Ihr Flug über die See ist eine fortdauernde Reihe von Luftkämpfen, die schließlich erfolglos abgebrochen werteten, Zur gleichen Zeit starten auch zum zweiten Male die Geschwader von Hornchurch, ergänzt durch zwei Geschwader der Gruppe 12. Sie bekommen den Gegner überhaupt nicht in Sicht und kehren zurück, ohne einen Schuß abgefeuert zu haben. Um 15 Uhr 40 starten wieder drei Geschwader der Gruppe 10, sie werden von deutschen Jägern angegriffen und überfliegen die Flotte, hierbei gehen drei Flugzeuge verloren. Der Rückflug der ersten Bomberwelle wird ebenfalls durch drei Geschwader der Gruppe 12 gedeckt. Diese Flugzeuge patrouillieren 119
östlich der Küste von Norfolk. Sie sehen eine große Anzahl von Bombern auf dem Rückflug, aber keine deutschen Jäger. Die letzten Fighter, die dem Gegner folgen sollten, werden wegen zunehmenden schlechten Wetters und der inzwischen eingetretenen Dunkelheit zurückgerufen. Die letzte Maßnahme, die auf Forderung der Admiralität von der RAF — und zwar vom Bomber-Command — ergriffen wird, ist der Start von zwanzig Bombern. Er findet um Mitternacht statt. Diese Maschinen sollen Minen in der Elbmündung legen, eine Aufgabe, die zwölf der Bomber ausführen können. — Von den auf dem Papier vorhandenen 600 englischen Fightern wurden in Wirklichkeit nur 398 zum Angriff gestartet, siebzehn von ihnen wurden abgeschossen. Das Coastal Command verlor drei Beaufort und zwei Hudson, das Bomber Command neun Hampden, vier Wellington und zwei Blenheim. Die Royal Navy hatte den Verlust der sechs Swordfish Esmondes zu beklagen, ferner die schwer zusammengeschossene WORCESTER, die mehrere Monate zu ihrer Reparatur brauchte. Die MTB wurden, wie der englische Bericht es nennt, „in Fetzen geschossen“. Die erfolgreichste Waffe der Engländer, waren — wie Admiral Ruge in seinem ausgezeichneten Werk, „Der Seekrieg 1939 — 1945“ feststellt — die Minen gewesen! * Und SCHARNHORST, die mit ihrer Sicherung, dem Rest der 3. Torpedobootsflottille — T 16 vorauflaufend — einsam mit Höchstfahrt gegen die See andampfend, hinter dem Gros herläuft? Sie hören Flakfeuer, sehen zuweilen im Dunst Flugzeuge auftauchen und gleich wieder verschwinden und haben nur das eine Bestreben, wieder aufzuschließen. Siebenmal beschießen sie Flugzeuge, dreimal müssen sie mit Hartruder ausweichen, davon zweimal Torpedolaufbahnen. Um 18 Uhr 19 läuft ein Funkspruch ein, der dem Kommandanten gemeldet wird: „Von PRINZ EUGEN: bin im Gefecht mit feindlichem Zerstörer. 120
Quadrat 8578.“ Kapitän Hoffmann sieht seinen NQ, Fregattenkapitän Giessler, an. „Wann haben wir diese Schatten ausgemacht?“ Der NO verschwindet, befragt seinen Obersteuermann Hinrichs und die Karte, kommt zurück. „Um l7 Uhr 25, Herr Kapitän!“ Der Kommandant nickt. „Das waren die von PRINZ EUGEN abgedrängten Zerstörer!“ Die Sicht ist sehr gering, die Wolken hängen tief herab, grober Seegang läuft. Offiziere und Ausgucks stehen schweigend auf der Brücke, starren in den Dunst. Plötzlich eine Meldung: „Voraus zwei eigene Zerstörer! Einer davon ist Z 29!“ Gleichzeitig ist sowohl Steuerbord voraus, als auch Steuerbord achteraus Flakfeuer zu hören. Es ist 18 Uhr 35. Zwei Zerstörer? Nun ja, kein Grund, irgend etwas zu veranlassen. Daß sie beide gestoppt auf der See schlingern, wird seine Gründe haben. Wie lautet der Befehl? Ohne Rücksicht auf andere durchhalten. Na also! Fregattenkapitän Giessler beobachtet die Zerstörer. Der eine ist, wie schon gemeldet, Z 29, der andere entpuppt sich als Z 7, also HERMANN SCHOEMANN. Merkwürdig. Aber dann sieht der NO, daß bei Z 7 ein Rettungskutter längsseits liegt und in der groben See auf und nieder tanzt. Kapitän Giessler tritt zum Kommandanten: „Herr Kapitän, ich glaube, wir müssen mit der Fahrt runtergehen. Sonst wird der Admiral naß!“ Inzwischen hat Kapitän Hoffmann bereits anfragen lassen, was da eigentlich los ist, und die Antwort bekommen: „BdS steigt auf HERMANN SCHOEMANN über, Z 29 hat Ausfall Backbordmaschine!“ Maschinentelegrafen surren, SCHARNHORST vermindert Fahrt, die hohe Bug- und Hecksee fällt in sich zusammen. Tatsächlich, achtern im Kutter sitzt Vizeadmiral Ciliax, dazu Kapitän Reinicke, der Asto, und die Luftwaffenoffiziere. Der Kutter tanzt auf und nieder, der Admiral erhebt sich, greift die an der hohen Zerstörerbordwand herabhängende Jakobsleiter, schwingt sich hinauf und steht gleich danach an Deck. Sie sehen ihn zur Zerstörerbrücke gehen, von der
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kurz darauf ein Blinkspruch kommt: „Zerstörer bleiben zur Verstärkung der Sicherung bei SCHARNHORST!“ Steuerbord achteraus ist wieder Flakfeuer zu hören und gleich danach wird ein feindliches Flugzeug beschossen. Die Angriffe sind immer noch nicht beendet! Um 18 Uhr 54 bringt der Läufer einen Funkspruch von der noch weit voraus stehenden GNEISENAU auf die Brücke. Er ist an den Jagdführer gerichtet, der nun auf HERMANN SCHOEMANN mit dem BdS auf der Brücke steht: „Werde laufend von einzelnen Kampfflugzeugen angegriffen. Noch keine Treffer. Standort 17 Uhr 05: zwanzig Seemeilen SW Ymuiden.“ Erstaunt sieht Kapitän Hoffmann auf. „Sehen Sie sich das an, Giessler! Danach müssen sich GNEISENAU und PRINZ EUGEN getrennt haben?“ Der NO wirft einen Blick auf den Funkspruch. „Jawohl, Herr Kapitän, anderer Standort als PRINZ EUGEN. Kein Wunder bei der Unsichtigkeit und den ewigen Ausweichmanövern!“ Nur eine Minute danach setzen die feindlichen Luftangriffe wieder ein. Flakfeuer wird gehört, Gegnerflugzeuge werden gesichtet, Flak und Flawaffen feuern, brennend abstürzende feindliche Flugzeuge, Luftkämpfe, Bombenwürfe, Ausweichmanöver und wieder Bombenwürfe: alles wiederholt sich. Um 19 Uhr 10 rasen von achtern anfliegend zwei Bomber über das Schiff, sie werfen unter dem harten Rattern der Flawaffen erfolglos ihre Bomben. Fast ist es schon Nacht, die eigenen Zerstörerflugzeuge werden entlassen: sie sind wegen der Unsichtigkeit und der Finsternis nicht mehr von feindlichen Flugzeugen zu unterscheiden. Um 19 Uhr 50 wird noch einmal, zum letzten Male ein Flugzeug ausgemacht, das sofort wieder in der Dunkelheit untertaucht. Es ist das allerletzte, das gesichtet wird. Angriff und Abwehr, die den ganzen Nachmittag bis zum Einbruch der Dunkelheit dauernden Luftkämpfe, das alles ist nun beendet.
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Der Flak-AO meldet den Gesamtmunitionsverbrauch seiner Flak und Flawaffen: 397 Schuß 10,7 cm 864 Schuß 3,7 cm 5925 Schuß 2 cm Ein UK-Spruch unterrichtet den Kommandanten von der Absicht des BdS: „Setze mich mit HERMANN SCHOEMANN vor. KONDOR hat Befehl, Backbordsicherung, T 12 Steuerbordsicherung zu übernehmen.“ Kaum ist der Spruch gemeldet, als ein Morsespruch an den Kommandanten der SCHARNHORST allgemeines Schmunzeln hervorruft: „Von BdS an K: Das haben Sie und Ihre Besatzung ausgezeichnet gemacht!“ Es ist nun 20 Uhr 06. Die Nacht ist sehr dunkel. Wind WSW, Stärke 5, sehr diesig. Um 21 Uhr 16 wird der seit 07 Uhr 16 ununterbrochen bestehende Klarschiffzustand aufgehoben. Die Kriegswache zieht auf, der Kriegswachverschlußzustand wird hergestellt, und die Freiwache kann wegtreten. — * Um 20 Uhr 55 läuft GNEISENAU auf der Höhe von Terschelling auf eine Magnetmine der RAF. Sie verursacht glücklicherweise nur geringen Schaden und setzt lediglich die Geschwindigkeit des Schiffes auf 25 Seemeilen herab. Fast an der gleichen Stelle, noch vor den Westfriesischen Inseln, erhält SCHARNHORST um 22 Uhr 34 einen zweiten Minentreffer. Leider gibt es diesmal einen Schwerverwundeten. Das Schiff hat geringen Wassereinbruch und kann bereits um 23 Uhr 23 die Fahrt mit Mittel- und Steuerbordmaschine mit 12 Seemeilen fortsetzen. Sie steuert den Treffpunkt mit dem Sperrbreeher 17 an, der das Schiff nach Wilhelmshaven geleitet. SCHARNHORST liegt am 13. Februar um 12 Uhr mittags in der Südschleuse von Wilhelmshaven, geht von dort an ihren Liegeplatz 123
H 1, um später zur Reparatur ins Dock zu laufen.
GNEISENAU und PRINZ EUGEN laufen am 13., vormittags, in die mit Treibeis bedeckte Elbe ein. Sie gehen befehlsgemäß nach Brunsbüttelkoog, von wo GNEISENAU durch den Kaiser-WilhelmKanal nach Kiel ins Dock läuft. PRINZ EUGEN, die unbeschädigt blieb, füllt Munition und Brennstoff auf. Der gefallene Artilleriemechanikergefreite Kettermann wird von seinen Kameraden auf dem Friedhof von Brunsbüttelkoog zur letzten Ruhe gebettet. Anschließend läuft der Schwere Kreuzer zu neuen Aufgaben nach Nordnorwegen. — Die Verluste auf deutscher Seite betrugen während der Vorbereitungen zur Unternehmung: Zerstörer BRUNO HEINEMANN, Minentreffer, ein Boot der 16. Minensuchflottille, Minentreffer. Während der Unternehmung selbst: Ein Vorpostenboot, Bombentreffer SCHARNHORST, zwei Minentreffer
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„GNEISENAU, Minentreffer, Siebzehn Flugzeuge. NACHWORT Zwei Urteile des Gegners über den erfolgreichen Marsch der Flotte durch den Kanal sind bezeichnend. Die berühmte Zeitung „The Times“ schrieb am 17. Februar 1942: „Vizeadmiral Ciliax hat Erfolg gehabt, wo der Herzog von Medina Sidonia versagte. Seit dem 17. Jahrhundert geschah nichts in unseren heimischen Gewässern, was unseren Stolz auf unsere Seemacht tödlicher getroffen hätte.“ Medina Sidonia war dar führende Admiral der sogenannten Großen Spanischen Armada, die 1588 durch englische Admirale, darunter Drake, geschlagen und später bei ihrem Rückmarsch um Schottland herum durch Stürme nahezu völlig vernichtet wurde. 1690 schlug der französische Admiral Trouville bei der Isle of Wight eine englisch-holländische Flotte. Das zweite Urteil bringt das offizielle englische Seekriegswerk „The War at Sea“, Band II. In ihm heißt es: „Zusammenfassend ist es nur fair, zu sagen, daß, selbst wenn man den Vorteil der Initiative einbezieht, der in diesem Falle beim Gegner lag, seine wohlüberlegte Planung mit Geschick und Entschlossenheit durchgeführt wurde.“ Vizeadmiral Ciliax, der den Durchbruch mit plante und erfolgreich ausführte, äußerte sich 1942 — rückübersetzt aus dem Englischen, da die deutsche Version dem Verfasser nicht zur Verfügung stand —: „Unser Marsch durch die Doverstraße, der kritischste Punkt unseres ganzen Weges, war nicht schwieriger als eine Übung in heimischen Gewässern.“ Und Sir Winston Curchill? Er schrieb in seinem Bericht über den 12. Februar: „Hier ist alles schiefgegangen!“ Abschließend ist zu sagen, daß die Unternehmung, kühn geplant und verwegen durchgeführt, den Verzicht auf den Ozeankrieg mit unseren schweren Überwasserstreitkräften bedeutete. Sie „erleich-
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terte“ — wie Admiral Ruge in seinem oben erwähnten Seekriegswerk mit Recht feststellen muß — „die Lage der britischen Flotte in einer für sie besonders schwierigen Zeit.“ Dieses Urteil schmälert nicht die Leistung unserer Befehlshaber, der Kommandanten und ihrer Besatzungen, der Luftwaffenführer und ihrer Flieger. Alle an Bord unserer Schiffe und Flugzeuge vollbrachten eine Tat, die bei uns und bei den ehemaligen Gegnern, den Engländern, nie in Vergessenheit geraten wird!
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