Ren Dhark Sonderband
Gestrandet auf Bittan
SF-Roman von
Werner Kurt Giesa In der regulären REN DHARK-Buchreihe sind ...
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Ren Dhark Sonderband
Gestrandet auf Bittan
SF-Roman von
Werner Kurt Giesa In der regulären REN DHARK-Buchreihe sind bereits erschienen: (l) Sternendschungel Galaxis – (2) Das Rätsel des Ringraumers (3) Zielpunkt Terra – (4) Todeszone T-XXX (5) Die Hüter des Alls – (6) Botschaß aus dem Gestern (7) Im Zentrum der Galaxis – (8) Die Meister des Chaos (9) Das Nor-ex greift an! – (10) Gehetzte Cyborgs ( 1 1 ) Wunder des blauen Planeten Außerdem der Sonderband: Die Legende der Nogk Sollte Ihre Bezugsquelle nicht alle REN DHARK-Titel verfügbar haben, können Sie fehlende Bände direkt beim Verlag nachbestellen.
l. Auflage Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22 56.544 Neuwied Telefon: 02.631-356.100 Fax:02.631-356.102 Internet: http://www.bernt.de © REN DHARK: Brand Erben Redaktion & Checkmaster: Gerd Rottenecker Beratung: Heinz Mohlberg Cover: S wen Papenbrock ©l 998 HJB Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930.515-92-X
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Vorwort Als wir vor einem knappen Dreivierteljahr den ersten Sonderband ergänzend zu unserer regulären Ren Dhark-Buchausgabe veröffentlichten, waren wir mehr als gespannt auf die Reaktionen unserer Leser und Leserinnen. Die Resonanz war überwältigend und hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Das hat uns ermutigt, auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Mit diesem Buch halten Sie den zweiten Ren DharkSonderband in Händen – und ein dritter ist bereits fest eingeplant und wird zum Jahreswechsel erscheinen. Im vorliegenden Roman erzählt Werner Kurt Giesa, der schon an den neugeschriebenen Bänden 6-8 der regulären Buchausgabe mitgearbeitet hat, die Geschichte der FO-12 und ihrer Crew, die auf dem Planeten Bittan eine Entdeckung mit weitreichenden Konsequenzen macht. Und es gibt ein Wiedersehen mit dem Prospektoren-Ehepaar Art und Jane Hooker, die einst gemeinsam mit Ren Dhark an Bord der GALAXIS auf Hope strandeten. Bleibt noch der Hinweis, daß die RD-Familie voraussichtlich im Oktober erneut Zuwachs erhält: Dann erscheint nämlich die erste Ausgabe des Ren Dhark Magazins, das sich in einer Reihe von Beiträgen mit Ren Dhark & Co. befassen wird. So wird es unter anderem aktuelle News zur Buchausgabe geben, ein Interview mit einem der »neuen« RD-Autoren, eine Rißzeichnung und eine Ren Dhark-Kurzgeschichte; außerdem Beiträge aus Astronomie und Raumfahrt, und, und, und… Falls Sie jetzt neugierig geworden sind, dann schauen Sie doch einfach mal rein in die erste Ausgabe des RDM! Hohberg, im Frühjahr 1998 Gerd Rottenecker Prolog Die Giants sind verschwunden, und die Gefahr, die der Menschheit von den G’Loorn drohte, konnte von Ren Dhark durch eine wagemutige Expedition ins Zentrum der Milchstraße beseitigt werden. Endlich kann man auf Terra daran gehen, sich dem Wiederaufbau dessen zu widmen, was von den giantischen Invasoren vernichtet wurde. Doch obwohl diese Aufgabe fast alle Kräfte der Menschheit beansprucht, haben Ren Dhark und seine Getreuen nicht vergessen, daß jenseits der Plutobahn eine Galaxis voller Wunder auf die terranischen Entdecker wartet. Forschungsschiffe werden ausgeschickt, um Sonnen und Planeten, Sternhaufen und Dunkelwolken zu vermessen, zu kartographieren und zu erforschen. Eines dieser Forschungsschiffe ist die FO-12, ein Kugelraumer der Wolf-Klasse, unter dem Kommando von Captain John Freemount. An Bord der FO-12 befindet sich nicht nur ein großes Team von Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Disziplinen, sondern auch das Prospektoren-Ehepaar Art und Jane Hooker, das mit seinem Flugdozer auf neuentdeckten Welten nach Bodenschätzen suchen will. Eines der Zielobjekte der FO-12 ist der Stern 404 mit seinem abnormen Strahlungsspektrum im 5D-Bereich – eine Sonne, die eigentlich gar keine Planeten besitzen dürfte. Stern 404 besitzt deren drei, und einer dieser Planeten trägt sogar Leben! Doch auf Bittan, wie der Planet getauft wird, wartet auch ein Geheimnis auf die Hookers und das Landungskommando der FO-12 -ein tödliches Geheimnis…
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1. Nach einer Kurztransition über 18 Lichtjahre kehrte die FO-12 aus dem Hyperspace ins Normalkontinuum zurück. Die großen Bildschirme zeigten die Farbenpracht des Weltraums – glitzernde Sterne vor dem Hintergrund einer gigantischen Staubwolke, die ihre Ausläufer wie die Tentakel eines Oktopoden nach allen Seiten ausbreitete. Violett und dunkles Rot beherrschten die Partikelballungen und zeichneten ein bizarres Muster. John Freemount, der Kommandant des 100-Meter-Raumers, rieb sich den Nacken. Die Transition zeigte ihre Nachwirkungen. Nur langsam verging der Schmerz, der im Moment der Entmaterialisierung entstand, wenn jedes einzelne Molekül in Bits und Bytes zerlegt und aufgelöst wurde, um am Sprungziel nach dem erfaßten Strukturmuster wieder zusammengesetzt zu werden. Bei vielen Menschen erzeugte der Transitionsschock nicht nur einen mehr oder weniger starken Schmerz, sondern panische Todesangst. Auf dem Instrumentenpult vor ihm zeigten die Kontrollen Violett. Das bedeutete, daß alle Funktionen des Kugelraumers >im grünen Bereich< waren. Die FO-12 war ein umgebautes Beuteschiff. Sie war einer der unzähligen Raumer der Giants, die nach dem spurlosen Verschwinden der selbsternannten >All-Hüter< von den Menschen in Betrieb genommen worden waren. Die terranische Eigenproduktion neuer Raumschiffe lief erst sehr langsam an; es gab in der Zeit nach der Invasion weit wichtigere Dinge, als die ohnehin stets knappen Finanzmittel Terras in den Raumschiffbau zu investieren. Zudem waren die bisher konstruierten Schiffe im Vergleich zu den Beuteraumern vorsintflutliche Kästen, in denen niemand mehr Dienst tun wollte, der einmal einen Giant-Raumer oder gar die POINT OF kennengelernt hatte, das Flaggschiff der Terranischen Flotte. Deshalb war die Industrie bemüht, auf Giant-Technik umzustellen. Nur mußte die erst mal begriffen werden. Die Grundlagenforscher hatten Hochkonjunktur. Die ersten neuen Kugelraumer waren tatsächlich schon vom Band gelaufen – und sie waren in vielen Dingen besser als ihre Vorbilder. Das lag vor allem daran, daß sie auf menschliche Bedürfnisse zugeschnitten waren. Bei den Giants hatte es sich um Zweieinhalb-Meter-Riesen gehandelt, und deshalb war alles auf ihre Körpermaße ausgerichtet. Auch sich an die Farbanzeige der Instrumentierung zu gewöhnen, war ein Problem für sich. Sicher konnte man sich damit abfinden, statt grün violett zu sehen oder die Zahlenwerte in den Symbolen der Giants zu lesen. Aber genauso sicher war, daß das nur eine Übergangslösung darstellen konnte. Natürlich arbeitete man daran, die Beuteschiffe umzurüsten. Doch das war eine Frage von Kosten, Zeit und Personal. Die Personalfrage war bei der TF ohnehin das größte aller Probleme. Man verfügte mittlerweile über wesentlich mehr Raumschiffe als Besatzungen! Immer wieder wurden von Jagdkommandos Raumer der Giants aufgespürt, die ohne Besatzung im All trieben. Sie wurden regelmäßig requiriert und nach Terra überführt. Bevor andere raumfahrende Völker auf dieses gewaltige Potential stießen, wollten die Terraner diese Schiffe in ihren Besitz bringen. Nicht nur, um damit einer möglichen Gefahr vorzubeugen, sondern auch praktisch als Schadenersatz für das, was durch die Invasion vernichtet worden war. Eine Art Reparationskosten… Theoretisch hätte die TF mittlerweile einige hundert Raumer einsetzen können. Aber die Besatzungen fehlten. 4
Die inzwischen große Zahl verfügbarer Beuteschiffe vereinfachte dafür ein anderes Problem: Noch wußte niemand genau, wie die Energieversorgung der Schiffe dauerhaft gesichert werden konnte. In dieser Hinsicht war die Giant-Technik ein Buch mit sieben Siegeln. Selbst die Unterlagen der Amphis halfen hier nicht viel weiter, und die Mysterious-Mathematik als Basis für physikalische Forschungen begriff noch immer kaum ein Mensch. So galt bis auf weiteres die Order, Beuteraumer, deren Konverter keine Energie mehr lieferten, wieder auszurangieren. Bei zwei Schiffen war dies bisher der Fall gewesen. Aus diesem Grunde wurden die Giant-Raumer im Flotten-Jargon spöttisch als >Einweg-Raumer< bezeichnet. Freemounts FO-12 war eines der optimal umgerüsteten Schiffe. Trotzdem war vieles unangetastet geblieben und nach wie vor fremdartig und ungewohnt. Rea Banks, 1. Offizier des Forschungsraumers, nickte ihrem Captain zu. »Keine Abweichungen. Distanz zum Zielsystem 0.09 Lichtjahre. Eintauchgeschwindigkeit 78 Prozent LG.« Freemount nickte. Die Ortungen des Kugelraumers scannten den Weltraum um die FO12. »Negativ…« In einer Sphäre von etwa vier Lichtjahren befand sich die FO-12 allein in diesem Raumsektor. Freemount hatte nichts anderes erwartet. Aber es war kein Grund, sich wirklich sicher zu fühlen. Das Schreckgespenst namens G’Loorn warf immer noch seine Schatten, auch wenn Ren Dhark die von diesen seltsamen Geschöpfen ausgehende Gefahr gebannt hatte und im Zentrumsbereich der Galaxis nichts mehr so war wie noch vor einem Dreivierteljahr. Trotzdem war bei vielen Menschen die Furcht geblieben, daß vielleicht andere Entitäten Terra oder andere besiedelte Welten bedrohen könnten. Innerhalb weniger Jahre hatten die Menschen mehrere Überfälle aus Weltraumtiefen erlebt – die Invasion der Giants, die Amphis, die versucht hatten, die Kolonisten auf Hope im Col-System auszulöschen, und schließlich die G’Loorn – denen das dann tatsächlich gelungen war. »Na, dann wollen wir mal«, brummte Freemount. »Fragen Sie die Sterngucker, wohin wir uns freundlicherweise bewegen dürfen.« Banks grinste. »Soll ich das so durchgeben?« Der Captain winkte ab. Immer noch grinsend, aktivierte die dunkelhaarige Frau die Bordverständigung und rief zur Astro-Abteilung durch. »Ladies und Gentlemen, besteht die Notwendigkeit, unseren gegenwärtigen Standort zu verändern?« »Wir melden uns«, kam es kurzangebunden zurück. Der Sprecher hatte es nicht mal für nötig gehalten, vor die Aufnahmeoptik zu treten oder wenigstens seinen Namen zu nennen, sondern nur aus dem Hintergrund gemurmelt. Freemount und Banks waren es bereits gewohnt. Die FO-12 war ein Forschungsraumer und kein militärisches Schiff. Und Wissenschaftler hatten in punkto Disziplin schon immer einen anderen Standpunkt vertreten als die uniformierten Vertreter der Spezies homo sapiens. Freemount war auch gar nicht böse darüber, daß es an Bord seines Schiffes einen etwas lockeren Umgangston gab. Vor der Invasion hatte er als l. Offizier auf einem Frachtraumer gedient. Dort hatte man schon immer über die >Lamettaträger< und ihren >Affenzirkus< gegrinst. Dem Teamwork an Bord der Handelsschiffe hatte es nie geschadet. Ivan Granissa von der Ortung spielte Daten auf den Hauptmonitor über Freemounts Kommandopult. Gleichzeitig wurden sie vom Suprasensor gespeichert. System 404 nach dem Katalog der TF, 3 Planeten. Entfernung von 5
Terra 1238 Lichtjahre. Die exakte galaktische Position folgte. Richtung: Galaktisches Zentrum. Klassifizierung der Sonne: nicht einzuordnen! Deshalb waren sie hier! Dieser Stern, von Leuchtkraft, Größe und Alter her ein G-Typ, war den Astronomen nicht geheuer gewesen, und den Astrophysikern ebensowenig. Schon zu Beginn des Fluges hatten sie den Cap-tain darauf aufmerksam gemacht, daß sie diese Sonne unbedingt untersuchen müßten. Sie paßte in kein Schema! Stern 404 sah zwar aus wie ein G-Typ, konnte aber keiner sein. Denn diese Sonne, auf den ersten Blick völlig harmlos und normal, war im 5-D-Bereich ein kleines Ungeheuer! Sie besaß im Hyperbereich ein Spektrum, das eigentlich gar nicht existieren konnte. Freemount verstand zu wenig von diesen Dingen, um zu erfassen, was die Physiker und Astrophysiker meinten, wenn sie sich im Streitgespräch gegenseitig Fachbegriffe um die Ohren schlugen, die teilweise aus der Terminologie der Amphis oder Mysterious stammten. Jedenfalls war Stern 404 abnorm! Es durfte ihn eigentlich überhaupt nicht geben, und erst recht durfte er nach Meinung der Physiker keine Planeten besitzen. Davon hatte er jedoch gleich drei! Als die Astronomen diese Planeten aus Lichtjahr-Distanzen beobachtet hatten, hatten sie sich damit die Physiker zu Todfeinden gemacht; Freemount fragte sich, was diese Todfeinde nun dazu sagten, daß die Ortungsgeräte der FO-12 alle drei Planeten bestätigt und ihre Umlaufbahnen und -zeiten exakt bestimmt hatten. Hinter Freemount flog das Hauptschott auf; es knallte ohrenbetäubend, als die beiden Hälften in den Wandbettungen verschwanden. Nicht nur der Captain fragte sich, ob die Giants, diese synthetischen Konstrukte, in der Lage gewesen waren, ihre Gehörgänge auf Durchzug zu schalten. Auf anderen Beuteraumern hatte er diese Geräuschkulisse auch schon erlebt, ebenso wie den Gestank, der an einen Raubtierkäfig erinnerte. Der ließ sich ausfiltern; der Lärm nicht, der bei hoher Beanspruchung der Maschinen jede Schallisolierung durchbrach. So laut war es noch nicht einmal auf den letzten Seelenverkäufern der Handelsflotte vor der Invasion gewesen. Freemount schwenkte seinen Sessel herum, der terranischer Fertigung entstammte und das Giant-Original ersetzt hatte, in dem ein Mensch völlig verschwunden wäre. Andre Bittan und Aliza Behzanpur hatten die Zentrale der FO-12 betreten. Jeder von ihnen schleppte gleich zwei Doktortitel mit sich herum, aber das war auch alles, was sie miteinander verband. Der temperamentvolle Bittan leitete die astronomische Abteilung. Die ausgeglichene Behzanpur, deren Wiege in einem kleinen Dorf nahe Teheran gestanden hatte, war als Chefphysikerin seine »natürliche Feindin«, zumindest was das 404-System betraf. »Die meyselsche Wahrscheinlichkeitsrechnung beweist, daß…« begann Bittan. Behzanpur winkte ab. »Sie fallen schon wieder mit der Tür in dieHundehütte, Doktor«, seufzte sie. »Chef, hören Sie nicht auf ihn. Die Rechnung muß einfach falsch sein. Die starke 5-D-Strahlung, deren Spektrum im zensganischen Oktran um mindestens siebenhundert Fak zu hoch liegt und…« »Das beweist doch überhaupt nichts!« fauchte Bittan sie an, »auch mit Ihrer amphischen Physik kommen Sie nicht an der Realität vorbei! Meysel…« »Verschonen Sie mich mit Ihrem Meysel! Der war Kosmobiologe, kein Physiker! Und die Physik…« Bittan hielt ihr den Mund zu. »Captain…« »Jetzt ist aber Ruhe!« verlangte Freemount und erhob sich. »Schluß! 6
Aus! Wenn Sie sich unbedingt prügeln wollen, machen wir eine Freizeitveranstaltung daraus! Calgor…« Dessen Platz war leer. Der 3. Offizier, zuständig für die Gestaltung der Dienstpläne, hatte Freiwache und war seit einer halben Stunde nicht mehr in der Zentrale. »Banks, rufen Sie Calgors DienstplanDatei ab und schauen Sie nach, wann unsere beiden streitbaren Eierköpfe gemeinsam Zeit haben, sich zu verhauen. Wir verteilen Boxhandschuhe, kassieren einen halben Galax Eintritt von jedem Zuschauer und finanzieren davon das nächste Bordfest…« »Wie haben Sie uns genannt?« fuhr Bittan ihn an. »Eierköpfe? Ich muß doch sehr bitten, Captain…« »Wir sind nicht streitbar!« protestierte Behzanpur, die Bittans Hand vor ihrem Mund wieder entfernt hatte. »Und wir prügeln uns nicht!« ergänzten beide gleichzeitig. Freemount grinste. »Wie praktisch. Dann haben Sie ja schon eine Gemeinsamkeit. Wäre es dann eventuell möglich, daß Sie, sobald Sie sich über die Reihenfolge geeinigt haben, in allgemeinverständlichen Worten erklären, aus welchem Grund Sie die Zentrale erstürmt haben?« Andre Bittan trat vor und breitete die Arme aus, um Behzanpur zu blockieren. »Es geht um dieses Sonnensystem«, sagte er. »Worum sonst?« murmelte Banks. »Die meyselsche Wahrscheinlichkeitsrechnung besagt, daß der erste Planet Leben tragen muß«, sagte Bittan. »Und?« »Die Rechnung sagt nichts über die Art der Lebensformen aus. Intelligenz wäre allerdings möglich. Deshalb sollten wir uns diesen Planeten unbedingt aus der Nähe ansehen.« »Vergessen Sie’s lieber, Chef«, warf Behzanpur ein. »Diese Rechnung enthält garantiert einen Fehler. Das Spektrum der Sonne – der fünfdimensionale Bereich des Spektrums – verhindert durch seine Zusammensetzung das Entstehen von Leben. Die Strahlung, die von 404 ausgeht…« »Aber das ist doch blanker Unsinn!« protestierte Bittan. »Hören Sie, Captain. Ich weiß selbst, daß die Theorien sich widersprechen. Aber haben die Physiker nicht behauptet, 404 könne gar keine Planeten haben? Hat 404 Planeten oder nicht? Wenn wir in diesem Punkt recht haben, warum dann nicht auch in Hinsicht auf die Entwicklung von Leben?« »Hat eigentlich schon mal jemand die Biologen und Chemiker um ihre Meinung zu diesem Thema gefragt?« erkundigte sich Freemount katzenfreundlich. »Sicher erhalten wir dann weitere Theorien oder wenigstens Abwandlungen der bisher aufgestellten…« »Sehen Sie, Aliza?« wandte sich Bittan an die Physikerin. »Mit dem Captain läßt sich nicht vernünftig reden, das habe ich Ihnen doch schon vor Stunden gepredigt. Der ist ein…« »Für Sie immer noch Doktor Behzanpur!« fauchte sie zurück. »Ach, bitte, Doktor Bittan, was wollten Sie hinsichtlich der Person des Captains artikulieren?« fragte Freemount spöttisch. Bittan zuckte zusammen. »Daß Sie eben kein Wissenschaftler sind.« »Vermutlich«, sagte Freemount bedächtig, »würde ich Sie beide empfindlich kränken, wenn ich andeuten würde, daß ich darüber recht froh bin. Aber weil ich Sie nicht kränken will, deute ich das natürlich nicht an.« »Und jetzt räumen Sie bitte die Zentrale«, warf Banks ein. »Beide. Der Zutritt ist unautorisierten Personen grundsätzlich untersagt und bedarf einer ausdrücklichen Genehmigung durch die Schiffsführung. Was Sie uns vorzutragen haben, können Sie auch über die Bordverständigung erzählen – und zwar hübsch nacheinander. Raus hier, Leute!« Bittan schnappte nach Luft. »Sie haben gehört, was mein IO gesagt hat.« Freemount lächelte dünn. »Machen Sie Ihre Arbeit und verschonen Sie die Schiffsfüh7
rung mit Ihrem Streit. Wenn Sie Wünsche haben, äußern Sie sie, wenn Sie Ergebnisse haben, stellen Sie sie vor. Das war’s.« Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen und schwang mit ihm zurück vors Kommandopult. »Können Sie mich nicht auch zur unautorisierten Person erklären, Banks?« flüsterte er. »Das kann nur der Captain«, flüsterte sie zurück. »Das müssen wir ändern«, raunte Freemount und rief den beiden Wissenschaftlern zu: »Und schließen Sie die Tür bitte leise.« Worauf die Schotthälften giantisch laut gegeneinanderknallten. »Verstehen Sie jetzt, weshalb ich unautorisiert sein möchte?« seufzte Freemount. »Irgendwann bringt mich dieses Türenknallen noch um. Ich hasse diese Wegwerf-Raumer.« »Wir könnten eine Drehtür einbauen lassen«, schlug Rea Banks vor. Drei Stunden später stritten sich die Experten immer noch über den Stern, den es ihrer Meinung nach gar nicht geben durfte. Dem Captain war das weitgehend egal; er fühlte sich eher für das Funktionieren des Raumschiffs und ein reibungsloses Zusammenleben von Crew und Forschungsteams zuständig. Zum Forscher und Entdecker fühlte er sich nicht berufen. Wenn er den Raumer sicher dorthin brachte, wo seine Wissenschaftler irgendwelche Phänomene studieren wollten, und sie alle anschließend heil wieder nach Terra zurückbrachte, war sein Ehrgeiz befriedigt. Er rief die jüngsten Daten aus dem Suprasensor-Verbund ab. Immerhin wollte er zumindest halbwegs auf dem laufenden sein, wenn es zur nächsten Diskussion mit den Experten kam. Aber die Dateien beinhalteten überwiegend noch die Messungen, die von der AstroAbteilung vorgenommen worden waren. Auswertungsergebnisse waren immer noch als >vorläufig< und >fragwürdig< gekennzeichnet und mit ellenlangen, spekulierenden Kommentaren versehen. »Nichts Neues«, brummte Freemount, begriff aber langsam, warum den Wissenschaftlern so viel an Stern 404 gelegen war. Die Kommentare und Spekulationen sprühten regelrecht vor fantastischen Ideen und Überlegungen, nur widersprachen sie sich extrem. Das war jedoch bei den erzielten Meßdaten kaum anders zu erwarten; soviel verstand sogar Freemount von der Materie. Schließlich hatte er, bevor er sein Kapitänspatent erhielt, eine Menge Astronomie und Astrophysik pauken müssen. Das meiste davon hatte er allerdings längst verdrängt, weil er es nicht ständig brauchte und jederzeit auf die Datenbänke oder das Wissen anderer zurückgreifen konnte. Granissa von der Ortung meldete sich. »Sir, wetten, daß die Physiker und Astros gleich wieder aus der Haut fahren? Da…« »Meldung, Granissa!« fuhr Freemount ihn an, der zwar viel von einem lockeren Umgangston hielt, aber auf ein Minimum an Disziplin trotzdem nicht verzichten wollte. Und was Granissa da gerade von sich gegeben hatte, war alles, nur keine vernünftige Meldung. Der Ortungsspezialist zuckte regelrecht zusammen. »Starke hyperenergetische Emission auf Rot 3:018, Sir! Der Brent-Grak-Wert erreichte kurzzeitig siebzehn Einheiten.« »Zu mir überspielen, Ivan!« verlangte Freemount. »Spektrum analysieren!« »Wurde schon an die Astro weitergeleitet.« »Na, wenigstens etwas«, brummte Freemount und sah dann auf seinem Monitor den Brent-Grak-Strang auftauchen. Grak war ein Begriff aus der Giant-Terminologie, Brent der Astrophysiker, dem es vor knapp zwei Monaten erstmals gelungen war, diese Terminologie ins Angloter zu übersetzen und innerhalb der terranischen Astrophysik verständlich darzustellen. Blitzschnell aktivierte Freemount ein zweites Terminal und griff auf entsprechende Info-Dateien zu. Hatte Brent damals nicht behauptet, die einzelnen Grak-Linien könnten einen Wert von 10 nicht überschreiten, weil die Strahlungskomponenten zwar starke Ähnlichkeiten im Frequenzgang 8
aufwiesen, aber nicht miteinander harmonierten, weil sie sich gegenseitig störten und teilweise aufhoben? Und jetzt zeigte der Strang 17 an? »Zerlegen, Granissa!« verlangte Freemount. »Kann ich nicht, Sir. Das ist eine Sache für die Astrophysiker! Meine Instrumente stellen nur den gesamten Strang dar, aber ich kann die einzelnen Linien nicht trennen! Die Alpha- und Eta-Linien liegen zu dicht beieinander…« Über die Bordsprechanlage rief Freemount die Astrophysiker. »Eine kurze Frage: Kann uns dieser Strahlungsausbruch gefährlich werden?« »Kann er nicht, Captain, selbst wenn er uns gezielt trifft!« »Hat er uns gezielt getroffen?« wollte Freemount von Granissa wissen. Der antwortete mit einem klaren Ja. »Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob es sich nicht um eine Fehlfunktion meiner Instrumente handelt! Lieber Himmel, Captain, ein Brent-Grak-Wert von 17 ist doch völlig ausgeschlossen!« Das behaupteten die Astrophysiker jetzt auch. »Es muß eine Fehlmessung sein! Vielleicht hervorgerufen durch eine Störung von 404! Auf der Sonnenoberfläche gab es zum fraglichen Zeitpunkt eine starke Fleckeneruption. Die daraus resultierende 5-D-Strahlung kann die Instrumente unseres Raumers empfindlich stören.« »Kann oder hat?« hakte der Captain mißtrauisch nach, dem nicht gefiel, wie der Astrophysiker sich vor einer klaren Aussage drücken wollte. »Kann oder hat!« konterte Dr. Josip Czoran. »Granissa, unterziehen Sie Ihre Instrumente einer Überprüfung!« verlangte Freemount daraufhin. Der Ortungsspezialist gehorchte mürrisch. Er war sicher, daß mit seinen Geräten alles in Ordnung war, was die Prüfroutine dann auch ergab. Trotzdem blieb der Captain mißtrauisch. Er ordnete an, den Forschungsraumer insgesamt einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Das dauerte eine Weile. Zwischendurch meldete sich Dr. Czoran wieder. »Captain, diese Brent-Grak-Strahlung haben wir in einem Modellversuch leicht abgeändert, und raten Sie mal, was dabei herauskam: Ein überlichtschneller Ortungsimpuls!« Rea Banks hob die Brauen. »Soll das heißen, wir sind von der Sonne aus geortet worden, Doc?« »Selbstverständlich nicht. Das wäre Unsinn.« »Nicht, wenn eine Station oder ein Raumschiff sich im Ortungsschutz dieser Sonne aufhält«, behauptete Banks. »Bei dieser abnormen 5-D-Strahlung könnte niemand in einem solchen Schiff überleben. Zumindest nicht, wenn er sich so nahe an 404 befindet, daß wir das Objekt nicht mehr anmessen können«, brummte Dr. Czoran. »Vergessen Sie nicht, daß die Strahlung im Hyperbereich wirksam wird. Das heißt, sie geht ungebremst durch jede Art von Materie hindurch, und höchstwahrscheinlich durchdringt sie auch Schutzschirme, sofern die nicht ihrerseits fünfdimensional strukturiert sind. Was an Unglaublichem von dieser Sonne abgestrahlt wird, benutzt den Hyperspace, um dann…« »Stop!« warf Banks ein. »Dann dürften wir dieses Unglaubliche doch überhaupt nicht anmessen können! Unsere Meßgeräte befinden sich im Normalraum, und was sich im Hyperraum abspielt, bleibt für uns deshalb unsichtbar…« »Wenn Sie mich ausreden lassen, erkläre ich’s Ihnen«, sagte Dr. Czoran gönnerhaft. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Um dann im Normalraum wirksam zu werden. In welcher Form, wissen wir noch nicht, auch nichts über die Reichweite. Aber wenn wir davon ausgehen, daß jede Strahlung mit dem Quadrat ihrer Entfernung abnimmt, 9
wird sie trotz Hyperspace nur theoretisch unendlich weit gelangen können, weil sie vorher schon unendlich schwach wird. Ob das Rechenexempel mit dem Quadrat der Entfernung, wie es in der normalen Physik gilt, auch im 5-D-Bereich gültig ist, können wir mangels entsprechender Theorien nicht sagen, da hilft uns die AmphiMathematik nicht weiter. Es kann ein kürzerer, aber auch ein längerer Ausdehnungsbereich sein. Wie auch immer, diese Strahlung ist hier, im unmittelbaren Einflußbereich von 404, sehr stark und überall vertreten.« Auf einem weiteren Monitor schaltete sich die Funk-Z ein. »Captain, die Brent-Grak-Strahlung in ihrer von den Astrophysikern modifizierten Form haben wir bei uns ebenfalls untersucht, und wahrscheinlich wird es auch Doktor Czoran interessieren, daß es, modifiziert, tatsächlich so etwas wie eine überlichtschnelle Ortung sein könnte. Sie ähnelt der Echo-Kontrolle der POINT of!« Und die diente dazu, vom Ringraumer aus festzustellen, ob eine fremde Funkstation sendeklar war oder nicht. »Wie kommen Sie darauf, Nomote?« fragte Freemount schnell. »Haben Sie Erfahrungen mit dieser Echo-Kontrolle?« »Ich habe eine Abhandlung von Leutnant Glenn Morris gelesen, der Funker an Bord der POINT OF ist und sich mit dieser Technik näher befaßt hat, Sir.« »Könnte es also sein, daß doch jemand uns zu scannen versuchte, um festzustellen, ob bestimmte technische Geräte aktiv sind?« »Nicht in dieser direkten Form«, versuchte Nomote sich zu retten. »Wir gehen ja nur von der modifizierten Strahlung aus. Was die ursprüngliche bewirkt, darüber können wir nicht mal spekulieren. Wenn Sie mich fragen, Sir, ist die Wahrscheinlichkeit für eine künstlich erzeugte Ortungsstrahlung ziemlich gering.“ »Wie gering?« Darauf wollte Nomote sich nicht festlegen. »Ich liebe diese unglaublich klaren Antworten«, brummte Freemount ironisch. »Diese Sonne beginnt, mir Spaß zu machen. Ich bin gespannt, wie es auf den Planeten aussieht. Mittlerweile überrascht mich hier kaum noch etwas.« »Soll das heißen, daß Sie ein Landungskommando hinunterschikken?« fragte Banks. »Noch nicht. Ich will erst sicher gehen, daß dieses Landungskommando nicht von irgendwelcher Hyperstrahlung gefährdet wird. Mal sehen, was unsere… Experten noch herausfinden.« Er grinste Dr. Czoran an, dessen Gesicht immer noch auf dem Monitor der Bordverständigung zu sehen war. »Danke, Doc. Wenn Sie mehr wissen, teilen Sie es mir bitte mit, okay?« »Es wäre schön, wenn wir noch Vergleichswerte bekämen«, sagte Dr. Czoran. »Dieser eine Strahlungsausbruch hilft uns nicht. Wir werden wahrscheinlich nicht viel mehr herausfinden können als wir bereits wissen.« »Vielleicht wiederholt sich der Ausbruch ja«, überlegte der Captain. »Das wäre sehr schön«, stellte der Astrophysiker fest. »Dann hätten wir endlich mehr Daten, mit denen wir arbeiten könnten. Je mehr, je besser.« Aber das Phänomen wiederholte sich nicht. Einen halben Tag später kam man überein, die seltsame Strahlung nicht als vielleicht künstlichen Effekt anzusehen, sondern als einen natürlichen Ausbruch von 5-D-Strahlung. In unregelmäßigen Abständen erfolgten Sonnenflecken-Eruptionen, die immer von 5-DStrahlungsschauern begleitet wurden, die aber jedesmal eine andere Struktur hatten als bei der ersten Messung und auch weitaus weniger intensiv waren. Ob es bei jenem ersten Phänomen ebenfalls eine Recken-Eruption gegeben hatte, ließ sich nachträglich leider nicht mehr feststellen. Auch in diesem Punkt blieb die Sonne ein Unikum, das eigentlich gar nicht existieren durfte, denn die 5-D-Strahlung löschte jedesmal die entsprechende Aufzeichnung, so daß die Astronomen 10
nur anhand ihrer Erinnerung sagten konnten, an welchem Punkt eine wie starke Eruption stattgefunden hatte. Zuerst hatten die Wissenschaftler an einen Defekt in der Suprasensorik geglaubt – warum sonst sollten Sonnenflecken-Eruptionen zwar beobachtet und vermessen, aber nicht gespeichert werden können? Aber nach und nach kamen sie zu der Erkenntnis, daß die 5-DStrahlung, die bei jedem Vorgang eine andere Charakteristik aufwies, für den Speicherverlust verantwortlich war. Denn zu jedem anderen Zeitpunkt gab es mit der Speicherfunktion der Suprasensoren keine Probleme. Noch einmal fragte Captain Freemount nach, ob diese Strahlungswellen für den Forschungsraumer gefährlich werden könnten, und diesmal kam das Nein schon deutlich entschiedener. Die FO-12 hatte, durch ihren Energieschirm geschützt, bereits mehrmals im Wirkungsbereich der 5-D-Strahlung gelegen, ohne daß es zu Schäden an Mensch und Material gekommen war. Die Biologen schlössen auch eine Langzeit-Wirkung aus. »Hyperstrahlung ist generell so hart und konzentriert, daß wir nach den sechs oder acht Stunden, die wir uns bereits in der Nähe von 404 befinden, längst Reaktionen haben müßten«, behauptete ein Mediziner. »Es spricht also nichts dagegen, auch weiter in Sonnennähe zu bleiben und diese Phänomene zu erforschen.« »Wenn sie sich erforschen lassen«, brummte Rea Banks. »Und noch etwas, Captain. Ich glaube diesen Medizinmännern kein Wort. Wenn diese Hyperstrahlung die Suprasensoren so beeinflußt, daß sie bestimmte Speicherungen verweigern, geht sie doch glatt durch den Schutzschirm hindurch! Da stimmt was nicht.« »Aber hier drinnen konnten wir die Strahlung nicht feststellen, nicht in einem einzigen der bisherigen Fälle«, widersprach Freemount. »Es gibt sie, Hyperspace hin oder her, nur außerhalb des Schiffes, außerhalb des Schutzschirms. Ich denke, wir können es riskieren, noch näher heranzugehen, damit unsere Wissenschaftler feststellen können, ob Planet l wirklich Leben trägt oder nicht.« Banks wollte daran nicht glauben. »Die meyselsche Wahrscheinlichkeitsrechnung in allen Ehren, aber Planet l besitzt keinen Schutzschirm, der die Hyperstrahlung fernhält. Da wird es kein Leben geben können.« »Oder es wird sich uns in einer Form zeigen, die wir vielleicht nicht einmal erkennen«, murmelte Freemount prophetisch. »Na schön, schauen wir erst einmal, ob wir es mit einer toten Welt zu tun haben, oder mit einem Planeten, der von Leben nur so wimmelt. Wenn es auf l tatsächlich Leben gibt, schicken wir ein Team hinunter.« 24 Stunden nach der Ankunft der FO-12 im System 404 erteilte Captain Freemount dann die Genehmigung für ein Landungsteam, sich Planet l einmal näher anzusehen.
2. »Ich schätze, wir haben ein Problem«, seufzte Rea Banks. Kopfschüttelnd sah sie zu dem Monstrum hinüber, das im Beiboot-Hangar des Kugelraumers stand. »Sind Sie sicher, daß Sie das Ding da mit nach unten nehmen wollen?« »Das ist kein Ding, sondern ein Flugdozer«, erklärte Jane Hooker. »Flugfähig in jeder Art von Atmosphäre, tauchfähig, vakuumdicht, außerdem…« »So genau wollte ich das eigentlich gar nicht wissen«, unterbrach Banks die Prospektorin. »Was mich interessiert, ist: Wie wollen Sie dieses Ding nach unten bekommen? In die Beiboote paßt es nicht, und die FO-12 wird auf keinen Fall landen – zumindest jetzt noch nicht. Sie sollten die Maschine zunächst noch an Bord lassen, bis wir sicher sein können, daß es sich lohnt…« »Wir werden sie auf Planet l benötigen«, sagte Jane. »Ich habe da 11
auch schon eine Idee. Wir könnten den Dozer mit seinen Greifern an einer der Linsen verankern.« Rea Banks starrte sie entgeistert an. »Sind Sie verrückt?« stieß sie hervor. »Das klappt vielleicht im Vakuum, aber beim Eintritt in die Atmosphäre verglüht das Ding doch! Mal ganz abgesehen von den Strömungsturbulenzen! Die Linsen sind atmosphärenflugtauglich, aber der Flugdozer stört nicht nur die Aerodynamik, er vernichtet sie regelrecht…« »Die Linse wird eben langsam eintauchen müssen«, erklärte Jane energisch. »Es wird funktionieren, wenn der Pilot ein Spitzenkönner ist. Wir…« »Der Pilot bin ich«, sagte Rea. Jane lächelte. »Dann wissen Sie ja jetzt, was Sie erwartet. Im Ernst, Banks, wir brauchen den Dozer. Und ich würde diesen Vorschlag bestimmt nicht machen, wenn ich eine Gefahr darin sähe. Es gibt nur noch dieses eine Modell von allen, die jemals gebaut worden sind, und es wird vermutlich nie wieder so ein Spezialgerät entwickelt werden. Unser Flugdozer ist somit einmalig in der Galaxis. Unbezahlbar. Ich würde ihn nur dann opfern, wenn es wirklich um Leben und Tod ginge. Aber für einen simplen Abstieg zur Planetenoberfläche ist er durchaus geeignet. Wenn die Atmosphäre dichter wird, werden wir uns vermutlich ohnehin abkoppeln. Mit den Staustrahltriebwerken können wir auch in größerer Höhe noch einigermaßen manövrieren. Es wird vielleicht etwas haarig werden, aber wir schaffen es.« »Und wie wollen Sie den Aufstieg wieder schaffen, wenn wir zurück zur FO-12 fliegen?« erkundigte sich Rea Banks skeptisch. »Ich bin ziemlich sicher, daß das nicht nötig sein wird. Die FO-12 wird landen können, dann erledigt sich das Problem von selbst. Oder wir entdecken verwertbare und abbaufähige Bodenschätze, dann werden wir vermutlich ohnehin eine Weile hier bleiben.« »Wie bitte?« stieß Rea hervor. »Hierbleiben? Eine Weile?« »Natürlich. Art und ich sind Prospektoren. Wir leben davon. Wir werden natürlich selbst keinen Abbau vornehmen. Aber wir werden planen und vorbereiten müssen, und das dauert seine Zeit. Zeit, die Sie eigentlich nicht haben. Da draußen warten Hunderttausende von Sonnensystemen auf ihre Katalogisierung und Untersuchung. Gerade Systeme wie dieses, mit extremen physikalischen oder hyperphysikalischen Verhältnissen, bringen oft die erstaunlichsten Dinge hervor. Und nach diesen Dingen suchen wir. Wir werden sehr schnell herausfinden, ob die Suche sich lohnt. Falls ja, bleiben wir eine Weile hier. Falls nein – geht’s eben weiter. Nebenbei dürften auch die beiden anderen Planeten interessant sein. Verwertbare Bodenschätze findet man schließlich nicht nur auf lebentragenden Sauerstoffwelten, sondern überall.« Rea seufzte und zuckte mit den Schultern. Es war das Risiko der Hookers, ihr Universalgerät zum Planeten hinunterzubringen, wenn sie es dort haben wollten. Abschätzend betrachtete sie die große Maschine mit den breiten Plastikraupen. Der Flugdozer war eigens dafür entwickelt worden, auf lebensfeindlichen Welten verwendet zu werden. Zwei bis drei Personen konnten sich tagelang darin aufhalten. Allerdings würde sie eine Menge damit zu tun haben, die Maschine auf den Boden zu bringen. Zwangsläufig würde die Linse aus dem Gleichgewicht geraten. Die beachtliche Masse des Flugdozers ließ sich auch mit dem A-Grav nicht völlig neutralisieren. Das Schlimmste würde der Luftwiderstand werden. Sie legte Jane Hooker die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie«, sagte sie. »Wir werden mal sehen, wo wir Ihr verflixtes Ding am besten ankoppeln, damit es uns nicht alle zerreißt.« Während Art Hooker noch damit beschäftigt war, die Vorräte des Flugdozers zu ergänzen, lenkte seine Frau Jane die schwere Maschine an die Linse heran. Im Innern des Beiboothangars konnte sie den Do12
zer nur auf seinen Plastikraupen bewegen. Das war ein erhebliches Handicap beim Bemühen, die Maschine an eines der kleinen Beiboote anzukoppeln. Dazu kam, daß der Hangar mit den drei Linsen und dem Dozer restlos überfüllt war und es kaum Platz zum Manövrieren gab. Der Kugelraumer der Wolf-Klasse mit seinen 100 Metern Durchmesser war in dieser Hinsicht mit Platz nicht gerade gesegnet. Auf den ersten Blick war ein Raumschiff dieser Größenordnung ein Gigant. Wenn die FO-12 auf ihren Teleskopstützen stand, ragte sie wie ein Gebirge empor. Das Schiff war kilometerweit zu sehen, und sein Rauminhalt war in der Theorie mehr als ausreichend. In der Praxis sah das alles anders aus. Einen großen Teil dieses Rauminhaltes nahmen Antrieb und Energieversorgung ein. Die As-OnenTriebwerke sowie das gewaltige Transitions-Aggregat füllten einen beachtlichen Bereich aus, die Konverter und Speicherbänke belegten zusammen mit den Triebwerken mehr als ein Drittel des Volumens. Sehr viel Platz beanspruchten auch die Waffensysteme. Man hatte sie dem 100-Meter-Schiff gelassen, obgleich es vornehmlich zu Erkundungszwecken eingesetzt wurde und keine Verwendung als Kampfschiff mehr fand. Dennoch sollten sich auch die Forschungsraumer der Terranischen Flotte im Ernstfall verteidigen können. Bei den großen 400-Meter-Kreuzern der Planetenklasse sah das Raumverhältnis schon anders aus. Die Triebwerkssektoren dieser Titanen, die in gelandetem Zustand bis in die Wolken hinaufragten, waren nicht sehr viel größer als die kleinerer Schiffe. Das lag daran, daß die zu bewegende Masse durch Antigrav-Technologie nur noch eine untergeordnete Rolle spielte; die Masseträgheit ließ sich bis auf annähernd Null reduzieren, und die Beschleunigung durch die AsOnen-Triebwerke war dann nur noch spielerischer Natur. In den Kreuzern konnte man sich verlaufen; in den 100-MeternRaumern oder den 50-Meter-Sternschnuppen kaum noch. Deshalb war der Beibootbereich in diesen kleineren Schiffen auch nicht sonderlich groß. Sechs Linsen, verteilt auf zwei Hangars, das war alles, was der FO-12 zur Verfügung stand. Im Extremfall würden diese sechs Beiboote nicht ausreichen, die komplette Besatzung des Raumers zu evakuieren. Aber darauf hatten die Giants wohl nie Wert gelegt. Ihnen bedeutete die eigene Existenz nichts. Also brauchten sie auch keine Überlebenshilfen zu installieren. Die linsenförmigen Beiboote hatten daher wohl eher normalen Transportzwecken gedient. Hier, überlegte Jane Hooker, gab es noch einigen Nachholbedarf in Sachen Umrüstung. Selbst die GALAXIS, jener Kolonistenraumer, mit dem sie einst nach Hope geflogen waren, war da besser ausgestattet gewesen. Was die Beuteraumschiffe der Giants brauchten, wurde in den neuen Raumern terranischer Fertigung bereits berücksichtigt – größere, bessere Beiboote und entsprechende Hangarräume; außerdem Schweber für den Atmosphärenflug. Denn es war beinahe Unsinn, innerhalb einer planetaren Atmosphäre mit den As-OnenTriebwerken der Linsen zu manövrieren. Hundertprozentig sauber waren diese Antriebe nicht; auch darüber schienen sich die Giants niemals Gedanken gemacht zu haben. Jane mußte sich jetzt Gedanken darüber machen, wie sie den Flugdozer am besten an der Linse verankerte. Rea stand draußen und winkte sie näher heran. Sie ahnte vermutlich nicht, daß Jane über ihren Monitor und die eingeblendeten Distanzwerte viel exakter erfuhr, wie nahe sie an die Linse heranmanövrieren konnte. Jane spielte mit den Lenkhebeln, die den Dozer steuerten. Die Motoren, die die Raupenketten bewegten, arbeiteten im kleinsten Kriechgang. Schließlich berührte der Dozer die Linse. Jetzt widmete Jane sich den Greifarmen. Die Arme schwenkten aus, die mächtigen Zangen tasteten sich an die Stellen heran, die Banks angegeben hatte. Mit diesen Greifern ließ sich ein Hühnerei aus dem 13
Kochtopf nehmen, in den Eierbecher setzen und sorgfältig von seiner Schale befreien – wenn man richtig mit ihnen umzugehen verstand. Jane verstand ihr Geschäft. Sorgsam verankerte sie die Greifer. Dabei erhöhte sie den Druck noch ein wenig über den Wert hinaus, den Rea Banks ihr genannt hatte. Das Material, aus dem die Linse bestand, würde es aushallen, und wenn nicht, dann gab es eben ein paar Dellen und Kratzer. Wichtig war nur, daß der Flugdozer nicht weggerissen wurde, wenn der Luftwiderstand beim Eintauchen in die Atmosphäre den Druck der Greifer überstieg. Schließlich schaltete sie die Maschinen ab. Was sie tun konnte, war getan. Jetzt hing es vom Geschick der Pilotin ab, Linse und Flugdozer in eine Höhe zu bringen, in der gefahrlos abgekoppelt werden konnte. Das Innenschott der Druckschleuse glitt auf. Art Hooker trat ein. Er setzte ein paar Plastikbehälter ab, die er übereinander gestapelt hereinbalanciert hatte. Er trat zu seiner Frau, die sich jetzt im Pilotensitz entspannte, und küßte sie auf die Wange. »Alles klar?« Sie lächelte. »Klarer als vor Jahren, als wir nach Hope flogen.« Der Prospektor grinste flüchtig. Es war eine verrückte Geschichte gewesen. Sie hatten den Flugdozer eigentlich illegal mitgebracht. Die Schiffsführung des Kolonistenraumers hatte nichts davon gewußt. Art und Jane hatten die große Maschine in all ihre Einzelteile zerlegt und an Bord gebracht, um sie ebenso heimlich auf Hope auszuladen und an einem verschwiegenen Ort außerhalb der Siedlerstadt Cattan wieder zusammenzubauen. Das hatte jeweils einen halben Monat gedauert. Aber es hatte sich gelohnt. Wenn sie die Frachtkosten hätten bezahlen müssen – es wäre unmöglich gewesen. Auf den Asteroiden und auf Luna hatten sie gerade mal genug verdient, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können; sie hätten den Dozer zurücklassen müssen, als sie sich einschifften. Und fort hatten sie gemußt. Die Vergangenheit hätte den ehemaligen Captain Art Hooker beinahe wieder eingeholt. Wenn er Schwierigkeiten vermeiden wollte, war ihm nur die Flucht nach vorn geblieben – weg aus dem Sol-System, irgendwohin, auf einen fremden Planeten. Dorthin, wo niemand auf die Idee kommen würde, ihm mit Intrigen zuzusetzen, weil sie in der Wildnis einer fremden Umgebung, die erst erobert und bezwungen werden mußte, alle aufeinander angewiesen waren. Jetzt, nach der Invasion, spielte das alles keine Rolle mehr. Die Menschheit hatte praktisch am Punkt Null wieder neu begonnen. Es war eine einmalige Chance, mit allem aufzuräumen, was einmal gewesen war. Auch mit dem Rebellentum des aufrührerischen Captains, der Art Hooker einst gewesen war. Es lag lange zurück. Und heute würde niemand mehr danach fragen, was damals gewesen war. Seine und Janes Verdienste auf Hope überwogen alles andere. Aber auf Hope gab es für sie nicht mehr viel zu tun. Es zog sie hinaus zu neuen Welten. Deshalb flogen sie jetzt mit dem Forschungsraumer. Auf Hope hatten sie den Flugdozer in die FO-12 verladen. Es hätte auch jedes andere Schiff der Forschungsflotte sein können. Der Zufall wollte es, daß sie dieses System ansteuerten, dessen Sonne eine extreme Charakteristik aufwies, die nahezu unmöglich schien. Hier waren sie richtig. Wie Jane vorhin im Gespräch mit Rea Banks formuliert hatte: Extreme Sterne sorgten oft dafür, daß es auf ihren Planeten zu interessanten Entdeckungen kam. Weder Art noch Jane Hooker hofften auf eine solche Entdeckung, wie 14
sie Achmed Tofir auf Hope und ein Besatzungsmitglied der point of auf Jump gemacht hatten – eine Entdeckung wie das transurane Schwermetall Tofirit mit seinen fantastischen Eigenschaften. Aber schon Kleinigkeiten konnten ausreichen. Irgendwie mußten sie ihren Lebensunterhalt schließlich auch jetzt bestreiten. »Wann geht es los?« fragte Jane. Art warf einen Blick auf sein Chrono. »Schätzungsweise in einer Stunde. Man läßt sich Zeit. Kann auch gar nicht schaden. Die Damen und Herren Wissenschaftler streiten sich noch, wer von ihnen als erster Bittans Boden betreten darf.« »Bittans Boden?« »Tja«, schmunzelte Art. »Unser Ober-Sterngucker hat für sich das Privileg in Anspruch genommen, dem Planeten seinen Namen zu geben. Womit jeder, der von Bittan spricht, jetzt erst mal erklären muß, ob er Planet Nummer l oder Bordastronom Nummer l meint.« »Und niemand hat Einwände erhoben? Ich meine, >Hookers Welt< klänge doch auch recht brauchbar«, lächelte Jane.: »Mit solchen Kleinigkeiten geben wir zwei uns doch nicht ab«, meinte er schmunzelnd. »Wir werden Galaxien nach uns benennen lassen. Ich denke, wir sollten die Zeit nutzen und den Dozer noch einmal durchchecken. Vor allem, was unsere Vorratsliste angeht. Wer weiß, wie lange wir da unten bleiben werden.« Er ahnte nicht, wie gut er als Prophet war…! Anderthalb Stunden später starteten zwei Einsen. Das wissenschaftliche Team, das sich auf die beiden Beiboote verteilt hatte, meuterte. Die kleinen Boote, die kaum genug Platz für die Menschen boten daß sie auf die Körpergröße der Giants ausgelegt waren, spielte dabei nicht einmal eine Rolle –, waren zusätzlich bis zum Bersten mit Ausrüstungsmaterial vollgestopft. Entsprechend eng ging es an Bord der Kleinraumer zu. Es gab praktisch keine Bewegungsfreiheit. Lediglich die Piloten hatten Platz. Den mußten sie haben. Rea Banks flog die Linse, an der der Flugdozer wie ein riesiges, böses Insekt festhing. Sicher hätte es genug andere Piloten gegeben, aber Rea wollte einfach mal ‘raus aus dem Schiff und etwas anderes hören als Freemounts ständiges Genörgel über das knallende Hauptschott der Zentrale… Freemount hatte ihr die Freistellung gern gewährt. Er kannte ihren Drang, zwischendurch immer wieder mal nach draußen zu kommen. Dafür verzichtete sie meistens auf den Landgang, wenn die FO-12 Terra anflog, und hielt an Bord die Stellung, während der Captain und die anderen Offiziere die Raumhafenbars unsicher machten. Verwandte besuchten oder einfach nur irgendwo ein paar Tage Urlaub machten. Der Landeplatz auf Bittan war vom Orbit aus bestimmt worden; der Kurs lag fest. Rea sah sich um, vorbei an den Wissenschaftlern durch die Sichtkuppeln der Linse. Wie ein drohendes Ungeheuer, das an dem Raumboot fraß, ragte der Flugdozer auf. Rea konnte in der erleuchteten Kabine hinter den Panoramafenstern aus Sicherheitskunstglas die beiden Hookers sehen. Sie zumindest hatten ausreichend Platz und Bewegungsfreiheit in ihrer Maschine. Jemand hatte vorgeschlagen, einen Teil der Ausrüstung in den Dozer zu packen. Aber damit war Rea nicht einverstanden gewesen. Wenn der Dozer abriß und in der Atmosphäre zerstört wurde, war die Ausrüstung verloren. Sie hoffte zwar, daß das nicht passierte, und Jane Hooker hatte sich absolut davon überzeugt gezeigt, daß die Greifer halten würden. Dennoch blieb ein Gefühl der Unsicherheit. Rea hatte noch mehrmals versucht, die Hookers von ihrem Vorhaben abzubringen, den Dozer bereits jetzt nach unten zu bringen. Vergeb15
lich. Sie wollten das Risiko, das in ihren Augen keines war, auf jeden Fall eingehen. Rea und Jane hatten die möglichen Flugmanöver dann durchgesprochen. Wenn es keine unvorhergesehenen Turbulenzen im Luftraum gab, mußte es funktionieren. Der Captain hatte signalisiert, daß er keine Verantwortung für dieses Flugmanöver übernahm. Schließlich wurden die transparenten Einstiegsluken, die gleichzeitig als Sichtfenster dienten, geschlossen. Die Maschinen wurden hochgefahren. Im Hangar glommen Warnsignale auf. Die Innenschotts wurden verriegelt, die Luft abgepumpt. Dann glitt das Außenschott auf. Übergangslos sahen die Menschen in den beiden Linsen und im Flugdozer durch die transparenten Scheiben in den Weltraum hinaus, der merkwürdig zweigeteilt war – hier die samtene Schwärze mit den gestochen scharfen Lichtpunkten der fernen Sterne, dort die Farbenpracht der interstellaren Staubwolke. Sorgsam dosierte Pressorstrahlen setzten ein und schoben die beiden Linsen aus dem Hangar ins Freie. Die zweite Linse wurde normal von der Automatik hinausgeblasen, wie es im Raumfahrerjargon hieß, bei Rea Banks’ Boot indessen mußte der Pressorstrahl manuell gesteuert werden, um den angehängten Flugdozer nicht schon in der Startphase zu zertrümmern. Denn der Dozer befand sich eigentlich im Bereich der Strahlbahn… Rea versuchte, die Stimmen der Wissenschaftler zu ignorieren, die durch das Innere der Linse summten. Sie konzentrierte sich auf die Steuerung. Die BzB-Funkverbindung zum Flugdozer stand. Jane Hooker war bereit, auf jede Schwankung und Abweichung sofort zu reagieren und gegenzusteuern. Eine Rückkehr in den Hangar wird in dieser Form auf keinen Fall möglich sein, überlegte Rea Banks. Dafür war die Linse mit dem angehängten Dozer zu schwer zu manövrieren, sobald sie sich im Schwerefeld des Kugelraumers befand. Sie würde beim Einflug sofort durchsacken; Schäden waren unvermeidbar. Aber das waren Dinge, an die sie jetzt keinen Gedanken verschwenden mußte. Es gab einen leichten Ruck nach >obenGepäck< heil durchzukommen. Immer wieder sah sie sich nach dem Dozer um. Die Greifer hielten ihn tatsächlich fest, als seien sie verschraubt oder verklebt. Aber die Farben veränderten sich; der Feuerschein der aufglühenden und lodernden Luftmassen hüllte den Dozer in ein unwirkliches Licht. Die Vibrationen wurden immer stärker. »Es zerreißt uns«, preßte einer der Wissenschaftler zwischen klappernden Zähnen hervor. »Verdammt, Banks, gehen Sie wieder hoch, es hat keinen Sinn! Diese verdammte Maschine bricht auseinander…« »Ruhe an Bord«, verlangte Rea. »Wir sind nicht in Gefahr!« Ganz sicher war sie allerdings nicht. Sie spielte mit den Steuerschaltern und Tasten. Jede Korrektur gab sie vorher an die Hookers durch, damit Jane sich darauf einstellen konn17
te. Inzwischen war außerhalb der Linse nur noch gleißender Feuerschein zu sehen. »Unsere Geräte!« schrie einer der Experten. »Die Vibrationen zerstören die…« Rea winkte ab. »Gleich ist es vorbei!« »Gleich? Wir sind noch…« der Exobiologe trat hinter sie und sah auf die Instrumente, »zehntausend Meter hoch, sehe ich das richtig? Das schaffen wir niemals…« »Setzen Sie sich wieder, oder ich paralysiere Sie!« warnte Rea ihn und grinste innerlich, als der Mann erschrocken zurückwich. »Das wird ein Nachspiel haben«, fauchte er. »So können Sie mit mir nicht umspringen!« »Wieso? Klappt doch ganz gut«, murmelte sie fast unhörbar. »Was sagten Sie?« »Daß ich bei der nächsten Wahl für das Amt des Commanders der Planeten kandidiere«, erwiderte sie vergnügt. »Ich hoffe auf Ihre Stimme. Festhalten jetzt – Hooker, Höhe neun-fünf! Abkoppeln bei neun, schafft Ihr Ding das?« »Bei acht-fünf!« gab Jane zurück. »Das hatten wir doch schon geklärt!« Etwas knallte ohrenbetäubend. »Was war das?« »Wir explodieren! Wir stürzen ab!« Großer Saturnring, dachte Rea. Wenn die jetzt in Panik ausbrechen, muß ich sie vielleicht wirklich schocken, und wer lädt dann nach der Landung den ganzen Krempel aus? »Banks?« meldete sich Art Hooker. »Was ist passiert?« »Einer der Greifer hat sich gelöst. Bei dem Orkan draußen bekomme ich ihn nicht wieder fest. Wie hoch sind wir noch? Hier oben und in diesem atmosphärischen Chaos funktioniert unser Höhenmesser noch nicht.« »Neun-zwo, Hooker!« »Ich wußte, daß es schiefgeht!« keuchte der Exobiologe. »Warum sind Sie dann überhaupt mitgeflogen?« erkundigte sich eine Kollegin gelassen. Banks sah, daß der Dozer sich in seiner Position verschoben hatte. »Ich versuche gegenzusteuern«, vernahm sie Jane Hookers Stimme aus dem Funkgerät. »Aber die Luft ist hier noch zu dünn für die Triebwerke…« Wieder knallte etwas metallisch. War jetzt auch der zweite Greifer abgerissen? Aber der Dozer hing noch an der Linse. »Ich hab’ ihn wieder festgeklammert«, meldete Art Hooker trocken. »Verdammt, nun halten Sie die Linse doch endlich mal stabil!« »Sie können ja ‘rüberkommen und meine Arbeit machen«, erwiderte Rea lakonisch. Sie war längst nicht so gelassen, wie sie sich gab. Die Linse mit ihrer Zusatzlast stabil zu halten, war Schwerstarbeit. Sie beschloß, sich nicht noch einmal auf einen solchen Flug einzulassen. Falls die Hookers ihren Flugdozer jemals wieder auf irgendeinen fremden Planeten bringen wollten, auf dem die FO-12 noch nicht direkt landete, dann sollten sie ihn eben zerlegen und unten wieder zusammensetzen, so wie sie es auf dem Flug nach Hope getan hatten! »Acht-neun, Hooker!« gab sie nach einem Blick auf ihre Instrumente durch. Mit einem jähen Ruck wurde die Linse herumgewirbelt. Rea verlor die Kontrolle. Die künstliche Schwerkraft setzte aus. Etwas krachte und dröhnte ohrenbetäubend. Plötzlich tauchte ein Greifer des Flugdozers übergroß vor einer der Sichtkuppeln auf. Nein! durchfuhr es Rea entsetzt. Nein, nicht das… Der Greifer knallte gegen das Material. 18
Ein haarfeiner Riß entstand. Dann war der Dozer plötzlich verschwunden. »Hooker!« schrie die Pilotin ins Funkgerät. »Meldet euch! Was ist passiert?« Keine Antwort. Aber die Instrumente zeigten den Flugdozer! Er war doch abgerissen und trudelte jetzt haltlos in die Tiefe. Und das mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit, die ihm die Linse mitgegeben hatte! Entsetzt starrte Rea auf den kleinen Bildschirm, der ihr die Katastrophe anzeigte! Nicht als plastisches Bild, sondern als blinkenden Lichtpunkt mit Kurs- und Distanzeinblendungen in giantischen Schriftsymbolen! Und die beschädigte Sichtkuppel begann zu knistern und zu knakken! Wie still es plötzlich in der Linse geworden war! Niemand schrie! Niemand stöhnte! Und niemand trug einen Raumanzug! Rea fing die Drehbewegung der Linse wieder ab und kippte sie dann in einen steileren Winkel. Jetzt, ohne den Flugdozer, konnte sie es riskieren. Sie mußten so schnell wie möglich nach unten! Rea war heilfroh, daß die Katastrophe nicht früher eingetreten war. Die gesprungene Sichtkuppel wäre unter dem Innendruck geborsten. Auf das Anlegen der Raumanzüge hatte man verzichtet. Sie waren zu klobig und zu unbequem in der ohnehin drangvollen Enge an Bord der Linse. Terranische Fertigung aus der Zeit vor der Invasion: die praktischen, filmdünnen und nahezu unzerstörbaren Raumanzüge der Mysterious, die ihren Trägern optimale Bewegungsfreiheit gewährten, gab es nur in recht beschränkter Zahl. Sie waren den Besatzungen der Kampfschiffe vorbehalten. Das machen wir nicht noch einmal, dachte Rea. Beim nächsten Mal fliegen wir nicht in solcher Enge, sondern nehmen alle Linsen! Dann verteilt sich alles besser… oder wir fliegen mehrmals hin und her! Verdammt, warum ist Freemount so mißtrauisch, nicht mit der FO-12 zu landen? Die Ortung zeigte ihr den Flugdozer nicht mehr an. Der Funk war auch tot. Und Rea Banks jagte die Linse dem Boden entgegen! Rea Banks landete die Linse in der Nähe eines großen Flusses. Das Räumboot federte auf seinen Landebeinen kurz durch und kam dann zur Ruhe. Unter dem flachen Flugobjekt war der Boden schwarz verbrannt. Das andere Beiboot stand ein paar Dutzend Meter entfernt. Vom Flugdozer war nichts zu sehen, nicht einmal Trümmer. Natürlich nicht; bei der Höhe, aus der er abgestürzt war, ließ sich nicht einmal annähernd abschätzen, wo die Überreste eingeschlagen waren. Vielleicht Hunderte von Kilometern entfernt, vielleicht über Dutzende von Kilometern verstreut. Rea sah auf ihr Chrono. Noch etwa vier oder fünf Minuten bis zum nächsten Strahlungsausbruch der Sonne, die weißgelb vom Himmel strahlte. Wohlweislich waren sie auf der Tagseite des Planeten gelandet. Das breite Flußtal war von allerlei seltsam wirkenden Pflanzen bewachsen. Gräser, Sträucher, niedrige Bäume, die nach Osten hin größer wurden und sich zu einem wahren Dschungel entwickelten, der einen leichten Berghang empor wucherte. Weiter entfernt ragte ein Gebirge in den Himmel. Aus den Messungen, die die FO-12 vom Orbit aus vorgenommen hatte, wußte Rea, daß die höchsten Erhebungen dieses Planeten nicht über 3800 Meter aufragten. Bittan war eine relativ flache, möglicher19
weise schon sehr alte Welt. Gegen das hohe Alter sprach allerdings, daß es hier keine sonderlich hoch entwickelten Lebensformen zu geben schien. Zumindest hatten sie vom Orbit aus keinerlei Merkmale entdeckt, die auf intelligentes Leben hinwiesen. Keine Bauwerke, keine Straßen… Die Atmosphäre war für Menschen atembar. Ein recht hoher Sauerstoffgehalt von 25% konnte beinahe schon wieder gefährlich werden; die Edelgase waren harmloser Natur und nur in geringem Maße vorhanden. Die Schwerkraft lag bei 0,8 g. Das wirkte zwar dem hohen Sauerstoffgehalt entgegen, weil es weniger körperliche Anstrengung bedeutete und damit weniger tiefes Einatmen, konnte aber nach Reas Ansicht leicht zu übersteigerter Euphorie führen. Selbst ohne die extreme Hyperstrahlung der Sonne wäre Bittan für die Besiedelung durch Menschen nicht geeignet. Die Rotationsdauer betrug knapp über 27 Stunden. Durch die relativ geringe Achsneigung des Planeten konnten die Jahreszeiten nicht besonders ausgeprägt sein. Ein Bittan-Jahr ließ sich mit 359 Tagen berechnen und war damit beinahe erdgleich. Monate zu unterscheiden, war schwierig, weil Bittan über keinen Mond verfügte. Entsprechend fehlten die Gezeiten; die Meere waren sehr ruhig. Die Durchschnittstemperatur lag mit 19“ C recht hoch. Das förderte chemische Reaktionen und Wachstum. Eigentlich hätte Bittan eine dampfende Dschungelwelt sein müssen, aber die Meere waren kleiner als auf der Erde; entsprechend weniger Wasser verdunstete, entsprechend weniger Niederschlag gab es. Tiere konnte Rea nicht entdecken. Es gab sie sicher, aber die Landemanöver der beiden Linsen hatten sie garantiert nachhaltig aufgeschreckt und verscheucht. Es war alles andere als ruhig und leise zugegangen. »Wir warten den Strahlenschauer ab«, entschied sie. »Wer meint, die Linse unbedingt vorher verlassen zu müssen, tut das im Raumanzug! Aber, meine Damen und Herren, denken Sie daran, daß Ihre Anzüge keine Energieschirme besitzen. Die Hyperstrahlung könnte sie durchdringen. Welche Wirkung das auf den menschlichen Organismus hat, weiß niemand.« »Halten Sie uns für kleine Kinder?« knurrte der Exobiologe, der vorhin keine besonders gute Figur abgegeben hatte. Rea antwortete nicht. Sie dachte an die Hookers und ihren Flugdozer. Sie hätte diesen Verbundflug nicht zulassen dürfen. Aber Jane hatte mit Engelszungen geredet. Und Rea hatte schließlich auch geglaubt, es würde funktionieren. Jetzt aber… »Banks an FO-12. Die Linsen sind gelandet. Frage an Ortung: Gibt es Hinweise, daß der Flugdozer den Absturz überstanden haben könnte?« »So präzise arbeiten unsere Scanner nicht«, kam es zurück. »Wir können nichts feststellen. Weder positiv noch negativ.« »Danke«, bestätigte Rea unfroh. Freemount schaltete sich in die Funkverbindung. »Wie haben Sie den Flugdozer verloren, Banks?« »Ich werde einen Bericht schreiben, Captain«, erwiderte sie bitter. »Er ist einfach abgerissen. Die Greifer konnten nicht fest genug zupacken. Hören Sie, ich muß selbst erst mal damit fertig werden. Zwei Menschenleben… Lassen Sie mich eine Weile in Ruhe, ja?« »Natürlich, Banks. Aber Sie dürfen jetzt nicht…« Knistern und Rauschen überlagerte die Verbindung. Der Strahlungsausbruch! Rea sah durch die gesprungene Sichtkuppel nach oben. Der Himmel war klar. Das Sonnenlicht unverändert grell. Der Sonne war nicht anzusehen, was sich gerade auf ihrer Oberfläche abspielte. Nicht einmal der Energieschirm um das Raumboot knisterte oder zeigte Lichtreaktionen. Es war, als sei draußen alles völlig normal. 20
Prachtvolles Sommerwetter strahlte rings um die beiden Linsen! Langsam erhob Rea Banks sich aus ihrem Sitz. Ihre Fingerspitzen strichen über den Riß in der Sichtkuppel. Das ließ sich verkleben. Der Rückflug war nicht gefährdet. Vorsichtshalber, beschloß sie, hatte dann aber jeder seinen Raumanzug zu tragen und sich an seinem Sitz oder sonstwo festzuschnallen, um nicht hinausgewirbelt zu werden, wenn die Kuppel doch platzen und es zu einer Dekompression kommen sollte. Die Minuten vergingen. Dann funktionierte der Funk wieder. Die FO-12 gab Entwarnung. Der Strahlensturm klang ab. Wenn die Astronomen recht behielten, würde der nächste 5-D-Ausbruch noch geraume Zeit auf sich warten lassen. Zeit genug, ein Basislager zu errichten. Rea straffte sich. Sie versuchte die Bilder zu verdrängen; Bilder eines davonwirbelnden Flugdozers, der im Glutstrom verdrängter und erhitzter Luftmassen zerschmolz oder an dichteren Atmosphäreschichten zerschellte. »Ich denke, wir können jetzt aussteigen«, sagte sie. »Es gibt eine Menge zu tun.« Immer wieder sah sie die Gesichter der Hookers vor sich. Auch die Arbeit, in die sie sich stürzte, konnte daran nichts ändern. John Freemount hatte die Ellenbogen auf die Sessellehnen gestützt und legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander. »Ich glaube es einfach nicht«, murmelte er. »Es ist nicht Banks’ Schuld«, sagte Calgor, der 3. Offizier, leise. »Sie ist eine sehr gute Pilotin. Sie lenkt Ihnen die FO-12 durch einen Spalt, der gerade mal 2 Meter breiter ist als das Schiff, und mit den Linsen wird sie spielend fertig. Ich denke, es hätte funktionieren können.« »Das haben die Hookers scheinbar auch gedacht«, murmelte der Captain. »Aber offenbar haben sie sich verkalkuliert. Vielleicht hätte der Dozer anders befestigt werden müssen. Vielleicht hätte man ihn verschrauben oder verschweißen müssen.« »Vielleicht, vielleicht… aber es ist nun mal passiert. Wir müssen uns damit abfinden.« »Ich lehne es ab, mich damit abfinden zu müssen«, sagte Freemount. »Wir haben zwei Menschen verloren. Ich kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich verstehe Banks, daß sie noch nicht darüber reden kann. Verdammt, so ein Unfall darf einfach nicht passieren. Wie viele Planeten haben wir bisher untersucht, Calgor? Vierzig, fünfzig? Es müssen mehr sein. Und wir hatten bisher keinen einzigen Ausfall. Nur einmal hat sich ein Botaniker das Bein gebrochen. Und jetzt das hier… Ich hätte mit dem Schiff landen sollen. Oder einfach das Ausschleusen des Flugdozers verbieten.« »Hinterher ist man immer schlauer, Sir. Sie mußten doch ebenso wie Banks davon ausgehen, daß die Hookers ihre Maschine kannten und das Risiko einzuschätzen wußten. Daß der Anpreßdruck der Greifer nicht ausreichte…« »Ich hatte bisher immer den Ehrgeiz, möglichst niemanden zu verlieren«, knurrte Freemount. »Und jetzt gleich zwei Menschenleben auf einmal! Das ist zuviel! Dazu wertvolles Gerät!« »Es hätte ihnen ebenso auf dem Planeten etwas zustoßen können. Jede Landungstruppe ist verwundbar, wenn sie eine fremde Welt betritt. Gerade deshalb warten wir doch stets mit der Landung des Raumers, bis ein Außenteam erste konkrete Daten gewonnen hat, die wir vom Orbit aus nicht erhalten können.« Freemount schüttelte den Kopf. »Es hätte nicht sein müssen«, sagte er. »Es ist meine Schuld. Ich hätte es einfach nicht genehmigen dürfen. Und mit meiner Genehmigung habe ich nun auch noch Banks in diese fatale Lage gebracht. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.« »Captain«, sagte der 3. Offizier leise. »Es ist schlimm, zwei Menschen zu verlieren. Aber wenn Sie eines der Kampfschiffe der TF 21
kommandieren würden, müßten Sie bei jedem Einsatz mit noch größeren Verlusten rechnen. Denken Sie an die Schiffe, die bei der Schlacht um Hope zerstört wurden. In einem letztendlich völlig erfolglosen Kampf. Denken Sie an Cattan und die Menschen, die mit der Stadt untergegangen sind. Denken Sie an die Raumer, die versucht haben, die Giants abzuwehren, und zerstrahlt wurden, oder die abstürzten, weil ihre Besatzungen bereits zu willenlosen Idioten geworden waren…« »Das alles läßt sich nicht vergleichen«, sagte Freemount. »Lassen Sie noch eine Linse starten. Sie soll nach Überresten des Flugdozers suchen.« »Wenn es welche gibt«, murmelte Calgor. »Wenn sie nicht restlos in der Atmosphäre verglüht sind…« Freemount winkte ab. Der Tod der Hookers ging ihm nahe. Er ahnte nicht, daß das erst der Anfang war. Die breiten Raupenketten mahlten durch den weichen Boden, rissen die Grasnarbe auf und hinterließen tiefe Spuren im Erdreich der fremden Welt. Art Hooker betätigte einen Schalter. Die Rotorblätter schwenkten herum, falteten sich zusammen und verschwanden in einer Aussparung der Oberfläche der großen Maschine, als der Rotorkopf eingezogen wurde. Die Abdeckplatten schlössen sich über dem Mechanismus. Unterdessen lenkte Jane die Maschine noch ein Stück weiter bis nahe an den Fluß. Dessen Ufer sah nicht danach aus, als gäbe es hier zeitweilig Überschwemmungen. Schließlich stoppte sie und schaltete die Motoren ab, die die Kettenlaufwerke antrieben. Das Brummen der Maschinen verstummte. Nur ein leises Summen blieb; die Grundversorgung des Flugdozers. Jane hob die Brauen, lehnte sich zurück und blies die Luft durch gespitzte Lippen. »Haarig«, murmelte sie. »So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben. Was haben wir falsch gemacht? Der Dozer hätte nicht abrutschen dürfen.« Ihr Mann zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ein Berechnungsfehler des Suprasensors. Vielleicht war der Luftwiderstand oder die Geschwindigkeit um eine Kleinigkeit zu hoch. Wie auch immer -wir sollten den anderen erst mal mitteilen, daß es uns noch gibt.« Er schaltete das Bordvipho ein. »Flugdozer an Boot eins und zwei.« Es kam keine Antwort. »Die wird es doch nicht etwa erwischt haben? Vielleicht hat es Schäden an der Linse gegeben, als wir abrutschten?« »Dann müßte sich Boot zwei melden. Die sind doch heil ‘runtergekommen.« Art Hooker schaltete die Sendefrequenzen durch. »Flugdozer an FO-12! Bitte kommen.« Nur das Rauschen der Statik antwortete ihm. Der kleine Bildschirm des Viphos zeigte nach wie vor nur grauweiße, verzerrte Muster. Seufzend nahm Hooker das große Funkgerät in Betrieb und rief den Forschungsraumer. Auch hier kam keine Antwort. »Das liegt an uns!« behauptete Art. »Ich schaue mich mal draußen um.« Jane sah auf das Bordchrono. »Die 5-D-Strahlung der Sonne…« »Klingt wahrscheinlich ab«, meinte der Prospektor. »Diese Ausbrüche dauern nie lange. Wenn die Zeit stimmt, müßten die Eruption und die Strahlenemission inzwischen vorüber sein. Immerhin haben wir ja eine Weile gebraucht, bis wir landen konnten.« Es war ein Höllenflug gewesen. Jane hatte es geschafft, geistesgegenwärtig die Rotoren auszufahren und den Dozer damit aus dem Glutstrom der erhitzten Luftmassen zu lenken. Zugleich hatte sie die Staustrahltriebwerke aktiviert. Beides half in dieser Höhe zwar kaum, aber es hatte gereicht, den Dozer abdriften zu lassen, der anfangs mit der höllischen Eintauch22
geschwindigkeit, die die Linse ihm mitgegeben hatte, wie ein Stein dem Boden entgegengerast war. Es war fast ein Wunder, daß die Rotoren sich in dem Glutstrom nicht verformt hatten. Aber das Material hatte sich wohl nicht so schnell erwärmen können. Und die Luft war dort oben noch nicht so dicht gewesen, daß ihr Widerstand die Rotorblätter hätte abreißen können. Jane begriff noch nicht so ganz, wie sie es geschafft hatte, die Blätter so schräg zu stellen, daß sie die Luft teilten, ohne zuviel Widerstand zu erzeugen. Immerhin hatte dieser geringe Widerstand dafür gesorgt, daß die Greifer sich nicht mehr an der Linse hatten halten können! Art Hooker öffnete ein Fach und nahm einen Plastikgürtel mit zwei Strahlwaffen heraus. Auf unbekannten Welten war es sicherer, sich verteidigen zu können. Fauna und Flora konnten mitunter tük-kisch sein. Blaster links, Paraschocker rechts. Art trat in die kleine Druckschleuse und wartete, bis die Außenluke sich öffnete, dann beugte er sich vor, sah sich nach allen Seiten um und kletterte dann über die Raupenketten nach unten. Das also war der Planet Bittan. Die Luft roch seltsam. Es gab einen eigenartig süßlichen Duft, der den Prospektor unwillkürlich an Karamel erinnerte. Er schmunzelte. Noch ein Grund mehr, diesen Planeten als nicht besiedelbar zu erklären; wer mochte schon bei jedem Atemzug an Süßigkeiten erinnert werden? Aber natürlich könnte man sich daran gewöhnen. Er kauerte sich nieder, rupfte ein paar Halme aus, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Gras hatten. Immerhin waren sie grün; das HopeGras zeigte unter dem Licht der beiden Col-Sonnen einen starken Blauton. Hooker schnupperte an dem Gras. Von den Halmen ging der Karamel-Geruch aus. »Das wär’ was für die terranische Süßigkeitenindustrie. Ein natürlicher Stoff, der nur abgeerntet werden muß, und die Kids können nicht nur auf den Grashalmen blasen, sondern auch drauf kauen… na ja, uns bringt das nichts. Seltene Mineralien und Erze müssen für die dringend benötigten Geldlawinen sorgen…« Ringsum war alles ruhig. Ein paar Insekten surrten in der Nähe durch die Luft. Vögel oder durchs Gras raschelnde Reptilien oder Nager schien es hier nicht zu geben. Vielleicht waren die auch nur in Schreckstarre verfallen oder vor dem Flugdozer, diesem gewaltigen Ungetüm aus Stahl und Plastik, geflüchtet. Einige hundert Meter entfernt standen seltsam geformte Pflanzen. Auf den ersten Blick erinnerten sie Art Hooker an aufrechtgehende Reptilien. Aber dann sah er die Wurzeln, die sich in den Boden gruben. Die Echsenschädel waren skurril geformte Blütenkelche, die Arme Äste. Dennoch war es schon mehr als seltsam, daß diese Pflanzen, ein halbes Dutzend dicht beieinander, auf jeweils zwei Stämmen standen, deren Wurzeln im Boden verschwanden. Und die Blätter wirkten aus der Ferne wie Hautschuppen… Er schüttelte den Kopf. »Verrückt«, murmelte er. »Das wird ein gefundenes Fressen für die Botaniker. Na, mal sehen…« Er drehte sich um, betrachtete den Flugdozer. Die Außenhülle war geschwärzt. Hier und da zogen sich geflammte, graue Streifen über die Metallplastikhülle. Die Hitze hatte dem Material doch gewaltig zugesetzt. Die äußere Schicht mußte tatsächlich hier und da angeschmolzen sein. Die hochwertige, erstklassige Isolierung des Dozers hatte verhindert, daß die ungeheure Hitze ins Innere der Maschine vordrang. Als Hooker um das Universalfahrzeug herumging, sah er auch, warum keine Funkverbindung möglich war. Die Antennen waren weggebrannt. Und ohne Antennen ging eben nichts. 23
Hooker seufzte. Er kehrte zur Druckschleuse zurück und wollte eben einsteigen, als er stutzte und wieder zur Gruppe der seltsamen Pflanzen hinüber sah. Er hatte das vage Gefühl, sie seien nähergekommen. Aber das konnte logischerweise nicht sein. Verwurzelte Pflanzen bewegten sich normalerweise nicht von der Stelle. Er kletterte in den Flugdozer zurück. Jane schwang mit dem Kontursitz herum. »Hast du es auch gesehen, Art?« fragte sie. »Was gesehen?« Sie deutete auf die Sichtscheibe. »Die Pflanzen dort«. Sie wies auf genau die Pflanzen, die auch ihm aufgefallen waren. »Sie haben sich bewegt«, sagte Jane. »Sie sind näher herangekommen.« Der Pilot der zweiten Linse, der Biologe Shen Sakuro und Andre Bittan waren die einzigen, die mit anpackten, um die Gegenstände des täglichen Gebrauchs auszuladen. Die anderen Wissenschaftler interessierten sich nur für ihre eigenen, mitgebrachten Geräte und checkten sie erst einmal komplett durch, um herauszufinden, ob sie durch den abenteuerlichen Landeanflug eventuell Schaden genommen hatten. Die Zelte aufzubauen, überließen sie gern den anderen. Andre Bittan, der Chefastronom der FO-12, hatte es sich nicht nehmen lassen, den Planeten, dem er seinen Namen gegeben hatte, selbst zu betreten. Und da er hier eigentlich nichts zu tun hatte, packte er einfach mit zu, wo es notwendig schien. »Wofür brauchen wir die Zelte eigentlich?« fragte er, während er mit dem Piloten Yussuf Abuzir Stangen aufstellte und Planen ausbreitete. »Wird das hier ein festes Lager?« »Vielleicht«, erwiderte Sakuro. »Kommt darauf an, wie lange wir brauchen, um erschöpfende Erkenntnisse über Ihr Planetchen zu gewinnen.« »Planetchen?« Bittan ruckte herum. »Das ist ein ausgewachsener Planet, Sakuro-san!« »Auf jeden Fall ein verrückter Planet«, fuhr der Japaner fort. »Dieses fünfdimensionale Strahlengemisch müßte eigentlich alles Leben auf dieser Welt abtöten beziehungsweise schon seine Entstehung verhindert haben. Die Alternative besteht in einer kaum überschaubaren Vielfalt von Mutationen. Das sind die beiden konträren Ansätze, mit denen meine Kollegen und ich zu kämpfen haben. Augenscheinlich«, er wies mit ausgestrecktem Arm auf die Landschaft ringsum, »präferiert die hiesige Natur die zweite Variante. Denn es gibt hier nachweislich biologisches Leben. Wir haben jetzt herauszufinden, warum das so ist.« »Weshalb eigentlich?« fragte Abuzir. »Kann man es nicht einfach so hinnehmen, wie es ist? Schließlich existiert dieses Leben auch, ohne daß wir im Detail wissen, warum das so ist.« »Es ist doch interessant, zu erfahren, aus welchem Grund in einem System, das ständig von letalen Strahlenschauern durchflutet wird, wider alle Logik Leben existieren kann! Wir wollen herausfinden, auf welche Weise die 5-D-Strahlung dieses Leben beeinflußt. Gerade diese absolut verrückte, in ihrer Zusammensetzung widersprüchliche und eigentlich unmögliche Strahlenmischung gibt den Physikern Rätsel auf, und uns Biologen erst recht. Eigentlich kann hier gar nichts wachsen.« »Na ja, dann werden wir wohl ein paar Jahrhunderte hierbleiben«, seufzte Abuzir. »Wir sollten anfangen, feste Häuser zu bauen statt der Zelte.« »Vorerst reichen die Zelte«, sagte Shakuro. »Wenn wir die Schutzschirmprojektoren installieren, werden wir aber etwas massiver bauen müssen«, meinte Bittan. »Warum tun wir es dann nicht sofort? Ich meine, es wäre doch kein Problem, mit weiteren Transportflügen das entsprechende Material herunterzuschaffen 24
und…« »Welche Schutzschirmprojektoren?« grinste Abuzir ihn an. »Wie bitte?« entfuhr es dem Astronomen. »Wir sind hier ohne…?« Rea Banks sah von ihrer Arbeit auf. »Da stehen die Linsen. Wenn die FO-12 Strahlenalarm gibt, ziehen wir uns eben in die Boote zurück und warten dort ab. Für Schirmfeldprojektoren war nicht genug Platz. Die drei Mini-Aggregate, die wir mitgebracht haben, reichen nicht, das Basislager zu schützen.« »Wofür haben wir sie dann überhaupt mitgeschleppt?« »Für kleine Schutzzonen«, sagte Sakuro. »Nicht für das ganze Camp. Vielleicht finden wir etwas, das wir absichern müssen.« »Oder wir brauchen die Kleinstkonverter der autarken Projektoren«, ergänzte Abuzir. »Kommt mal einer mit und faßt an? Wir haben in meiner Linse noch das tragbare Hyperfunkgerät.« Bittan schloß sich ihm an. »Das klingt ja gerade so, als würde das hier doch eine feste Einrichtung. Hyperfunk? Soll das heißen, daß die FO-12 weiterfliegt, während wir hier…?« »Reine Vorsichtsmaßnahme«, sagte Abuzir. »Warum sollte die FO-12 weiterfliegen? Mann, Monsieur, wir haben alle Zeit des Universums. Ob wir in einem Kalenderjahr zwei Sonnensysteme katalogisieren oder zweihunderttausend – wen interessiert es?« »Den terranischen Steuerzahler vielleicht, der hofft, irgendwann einen brauchbaren Gegenwert für die Investitionen zu sehen, die in die TF gebuttert werden. Womit ich sowohl die Forschungsflotte wie auch die Kampfraumer meine.« »Der terranische Steuerzahler wird vielleicht in den Kampfraumern eher einen Sinn erkennen als in Ihrer Berufsgruppe, Bittan«, schmunzelte der Pilot. »Riker, Bulton und Trawler hatten es jedenfalls ziemlich schwer, gerade in der jetzigen Zeit die Forschungsflotte aufzustellen, wo alles nach schwerbewaffneten Kampfschiffen schreit, um Katastrophen wie die von Hope künftig zu vermeiden. Was dort passierte, kann sich jederzeit auf Terra wiederholen. Es gibt zwar keine Giant- oder G’Loorn-Bedrohung mehr, aber wer weiß, wer oder was da draußen noch auf uns wartet. Und es gibt zahlreiche Stimmen, die behaupten, daß wir mit unseren Forschungsflügen vielleicht nur schlafende Löwen wecken und Wesen auf uns aufmerksam machen, die glauben, leichte Beute vor sich zu sehen…« Bittan tippte sich an die Stirn. »Es ist Nonsens, zu glauben, daß andere Völker nur darauf warten, über uns herfallen zu können! Ich halte Giants und G’Loorn für die Ausnahmen. Allein vom Aufwand an materiellen und finanziellen Ressourcen, der betrieben werden muß, sind Weltraumkriege in jedem Fall höchst unwirtschaftlich.« »Sie denken immer noch in den Kategorien, die vor der Invasion galten«, sagte Abuzir. »Mit unserer damaligen Technik hätten wir einen Krieg tatsächlich nur innerhalb des Sol-Systems führen können. Kampfschiffe mit dem Time-Effekt in andere Sonnensysteme springen zu lassen, wäre mehr als unwirtschaftlich gewesen. Aber die Giant-Raumer eröffnen uns völlig neue Perspektiven. Und wenn man sich die POINT OF anschaut, dieses Wunderkonstrukt der Mysterious… stellen Sie sich mal eine Flotte von zwanzig oder hundert dieser Superraumschiffe vor! Die POINT OF hat Gefechte gegen eine dutzendfache Übermacht gewonnen, und ihre Ressourcen sind immer noch nicht verbraucht. In jedem Schiff der einstigen solaren Flotte wäre der Energiehaushalt dabei längst zusammengebrochen. Nein, Monsieur Bittan. Sternenkriege sind machbar geworden. Etwas zu leicht machbar, wenn Sie mich fragen.« Sie hatten die Linse erreicht und luden das tragbare Hyperfunkgerät aus. Als sie zu Banks und Sakuro zurückkehrten, arbeiteten die nicht mehr an den Zelten, die vorwiegend die mitgebrachte Technik vor Wind und Wetter schützen sollten, damit nicht bei jedem kleinen Regen25
schauer – so es ihn hier gab – alles wieder in die Linsen zurückgebracht werden mußte. Banks und der Biologe sahen zu einer seltsamen Pflanzengruppe hinüber. Die Pflanzen waren etwa menschengroß, teilten sich in der Mitte in zwei Stämme, die mit dem Boden verwurzelt waren, und in zwei Äste. Ihr Blattwerk wirkte wie die Schuppenhaut eines Reptils, und auf dem vereinten Hauptstamm ragte eine große Blüte auf, die irgendwie an einen Echsenkopf erinnerte. »Was ist los?« fragte Abuzir. »Das sind keine Pflanzen«, behauptete Sakuro. »Zumindest nicht nur Pflanzen. Sie haben in der letzten halben Stunde fünfmal ihre Position verändert.« »Wie soll das gehen?« fragte Bittan. »Sie sind im Boden verwurzelt.« »Sie haben sich bewegt«, beharrte der Biologe. »Und jetzt schaue ich sie mir einmal näher an.« Langsam ging er auf die Gruppe der eigenartigen Pflanzen zu. Art Hooker sah seine Frau an, dann blickte er wieder nach draußen. »Es stimmt also«, murmelte er. »Ich dachte, ich hätte mich getäuscht. Aber wie bewegen sie sich? Sie haben keine Luftwurzeln. Die Wurzeln stecken tief im Boden!« Jane erhob sich aus dem Sitz. »Das sollten wir uns mal aus der Nähe ansehen«, schlug sie vor. Vom gestörten Funk sprach keiner mehr. Jane fragte nicht, und Art hatte völlig vergessen, sie über die Zerstörung der Antennen zu informieren. Beide hatten sich von dem Phänomen fesseln lassen, daß diese verwurzelten Pflanzen offensichtlich ihren Standort gewechselt hatten. Auch Jane schlang sich einen Waffengurt um die Hüften. Dann verließen sie den Flugdozer. Mit einem schnellen Griff verriegelte Art Hooker die Einstiegluke. Er rechnete zwar nicht wirklich damit, daß jemand versuchen könnte, sich des Dozers zu bemächtigen, während sie beide draußen waren, aber Vorsicht war besser als das Nachsehen zu haben. Jene Nacht auf Hope, als Jane und er unversehens in die Auseinandersetzung zwischen Nogk und Synties geraten waren, hatten sie beide nie vergessen. Jenen Moment, in dem ein Nogk versucht hatte, in den Flugdozer einzudringen. Die Flucht mit der Maschine, der düstere Raumer, der ihnen folgte, dem sie nur zu entgehen vermochten, indem sie mit dem Dozer im Meer untertauchten; in einem Medium, mit dem die Nogk nichts anzufangen wußten, weil Wasser für sie ein feindliches Element war… Damals hatte noch niemand geahnt, wie jene auf den ersten Blick unheimlich erscheinenden Wesen einzuschätzen waren, die mittlerweile zu Bündnispartnern der Menschen geworden waren. Ein Terraner gehörte inzwischen sogar dem Rat des Nogk-Imperiums an. Colonel Frederic Huxley, der Kommandant der legendären FO-1, die noch vor der Invasion erbaut und in Dienst gestellt worden war… Hooker kannte Huxley; sie waren beide einst an der CallistoAkademie gewesen. So unendlich lange lag das zurück. Irgendwie schien alles, was vor der Invasion gewesen war, in eine ganz andere Welt zu gehören. Jane berührte den Arm ihres Mannes. »Sie haben ihren Standort schon wieder verändert«, flüsterte sie. »Ich bin sicher, daß sie wieder um ein paar Meter näher herangekommen sind, während wir ausstiegen.« Hookers rechte Hand schwebte über dem Griff des Schockers an seinem Gürtel. Sein Mißtrauen diesen Pflanzen gegenüber wuchs. Langsam schritt er den Gewächsen entgegen. Und plötzlich reagierten sie. Sie zogen ihre Wurzeln aus dem Boden! Eben noch scheinbar fest verwachsen, hoben sie sich plötzlich um bis zu einem halben Meter empor, um jetzt auf ihren Wurzeln zu stehen wie auf Tausenden von winzigen, dünnen Beinchen! Sie wandten sich um! 26
In einem aberwitzigen Tempo hasteten sie davon! Sprachlos starrten Art und Jane sich an. So etwas hatten sie bisher noch nie erlebt. Die seltsamen Pflanzen flohen vor den beiden Menschen! Und verschwanden zwischen den Bäumen des nahen Waldes… Langsam folgten ihnen die beiden Terraner bis dorthin, wo die Pflanzen eben noch im Boden verwurzelt gewesen waren. Dort gab es winzige Löcher, auf den ersten Blick im Gras gar nicht zu erkennen. Hier hatten die Wurzeln sich festgesetzt gehabt. Von hier aus gab es dann in Fluchtrichtung dieser Laufpflanzen nicht einmal Spuren im Gras. Sie hatten bei ihrer rasenden Flucht keine Halme geknickt oder umgebogen. Sie schienen einfach zwischen den dicht stehenden Gräsern hindurchgerannt zu sein! »Jetzt fehlt nur noch«, murmelte Jane, »daß sie ihre Artgenossen alarmieren und mit Verstärkung zurückkehren, um uns einzufangen und in ihre Kochtöpfe zu stecken…« »Du hältst sie doch nicht etwa für intelligent?« Art runzelte die Stirn. Sie zuckte mit den Schultern. »Wichtiger scheint mir die Frage, ob sie uns für intelligent halten…« Sakuro blieb stehen und ging in die Hocke. »Sehen Sie?« raunte er. »Was?« fragte Bittan unruhig. »Was sollen wir sehen?« Die Vorstellung, es mit Pflanzen zu tun zu haben, die ihren Standort willkürlich wechseln konnten, gefiel ihm überhaupt nicht. Er hoffte immer noch, daß der Biologe sich getäuscht hatte. »Schauen Sie dicht über den Boden«, sagte Sakuro. »In Höhe des Grases. Sehen Sie, wie die Wurzeln sich bewegen? Die stecken gar nicht so fest im Boden, wie man meinen sollte. Pflanzen auf Laufwurzeln, das findet man selten in der Galaxis.« »Tun Sie bloß nicht so, als wären Sie schon wer weiß wie weit herumgekommen«, raunte Abuzir ihm zu und grinste dabei. »Lassen Sie mir doch die kleine Angeberei«, gab Sakuro zurück. »Ich würde zu gern mal eine dieser Pflanzen untersuchen. Ich fürchte nur, die werden sich das nicht so einfach gefallen lassen.« »Was meinen Sie damit?« »Passen Sie auf.« Der Japaner grinste und sprang auf. Er wedelte wild mit den Armen, stieß einen lauten Ruf aus und rannte ein paar Meter auf die Pflanzen zu. Im nächsten Moment ergriffen sie die Flucht! Blitzschnell lösten sie ihre Wurzeln aus dem Boden und rannten davon! »Sehen Sie?« lächelte der Biologe. »Sie sind sehr schreckhaft. Ich glaube kaum, daß sie es uns einfach machen werden, ein oder zwei Exemplare zu ernten, damit wir sie unters Mikroskop legen können. Wissen Sie was, Monsieur Bittan? Mit diesem Planeten und Ihrer beharrlichen Behauptung, er befände sich nicht nur in der Biosphäre des Systems, sondern trage auch tatsächlich Leben, haben Sie sich einen Orden verdient. Was hier auf uns wartet, ist einmalig! Statt daß der Planet eine tote Wüste ist, gibt es hier Lebensformen, wie sie fantastischer nicht mehr sein könnten! Ich bin schon gespannt, worauf wir noch stoßen.« »Na«, brummte Andre Bittan, »also, mir reicht’s schon…«
3. 1238 Lichtjahre entfernt saß ein alter Mann in einem der Hochtäler des Himalaya auf Terra und meditierte im Schein der untergehenden Sonne. Ein schlanker, hochgewachsener Mann, dessen Nase und Ohren unharmonisch groß erschienen. Das lange, weiße Haar leuchtete wie ein Heiligenschein in der Abendsonne. Der Brahmane Echri Ezbal war schon um die Jahrtausendwende ein allgemein anerkannter Wissenschaftler gewesen. Er galt als einer der 27
bedeutendsten Genetiker, Virologen und Biochemiker. Aber seine Art zu forschen, war seinen Kollegen zu eigenwillig, und sie hatten ihn geächtet. In den zwanziger Jahren gab er den Kampf um seine Rechtfertigung auf und kehrte der Welt den Rücken. Er zog sich in die Einsamkeit zurück, um aus der Meditation neue Kräfte zu gewinnen. Wochenlang durchwanderte er das tibetische Hochland, bis er schließlich im Brana-Tal ein uraltes, verlassenes Kloster fand, das die Chinesen einst zu zerstören vergessen hatten. Und er wußte, daß dies seine neue Heimat werden würde. Dreißig Jahre später befand sich hier – größtenteils verborgen im Fels – das modernste medizinische Forschungszentrum Terras. Hier hatte Echri Ezbal geforscht, hatte das ganze, nicht unbeträchtliche Vermögen, das seine Vorfahren im Laufe der Jahrhunderte erwirtschaftet hatten, in seine Arbeit investiert, und irgendwie war selbst die Invasion der Giants beinahe spurlos an ihm vorbeigegangen. Aus der Einsamkeit gerissen worden war das Tal aber erst nach der Invasion, als jemand plötzlich begonnen hatte, sich für die CyborgForschung zu interessieren – Dr. Manu Tschobe, der sich plötzlich daran erinnert hatte, daß es einen Echri Ezbal gab, der sich ebenfalls mit diesem Forschungszweig befaßte. Das Cyborg-Projekt, in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts schon einmal in aller Munde, war schon vor Jahrzehnten eingestellt worden, und nur wenige Wissenschaftler arbeiteten noch daran. Tschobe hatte nach der Invasion alte Unterlagen wiederentdeckt, und mit denen war er zu Ezbal gekommen. Das Problem der rasend schnell alternden Robonen hatte dabei eine große Rolle gespielt, obwohl Tschobe von Anfang an geahnt hatte, daß auch das CyborgProjekt sie nicht vor dem zu frühen Tod würde bewahren können. Aber Tschobe und Ezbal traten zusammen eine Lawine los! Und Commander Ren Dhark war Träumer genug, das Projekt zu genehmigen! Unter größter Geheimhaltung flogen Lastenschweber wochenlang Spezialinstrumente und wertvolle Maschinenanlagen in das abgelegene Bergtal. Gebäude wurden errichtet, Freiflächen angelegt, für absolute, optimale Sicherheit gesorgt. Von einem Tag zum anderen überspannte ein gigantischer amphischer Energieschirm das gesamte Tal, das von da an nur noch über Transmitter zu erreichen war. Und diese Transmitterstraßen konnte nur benutzen, wer zuvor eingehend überprüft und als autorisiert eingestuft worden war! Ein medizinisches, biochemisches und gentechnisches Superzentrum entstand in diesem einst so stillen Tal, in dem von Ruhe und Beschaulichkeit nichts mehr übrigblieb. Fast nichts mehr – Ezbal schaffte es, sein privates Refugium zu einem Mittelpunkt der Ruhe zu machen und sich stille Winkel zu schaffen, in denen er abseits der Alltagshektik in der Meditation neue Kraft schöpfen konnte. Er, der 94jährige, der als kleiner Junge noch die erste Landung eines Menschen auf dem Erdmond miterlebt hatte, ohne sich viel darunter vorstellen zu können, und sich heute immer noch jung fühlte, während die Menschen Planeten betraten, die Hunderte und Tausende von Lichtjahren fern waren! Echri Ezbal, einst bewundert, dann angefeindet, war jetzt der Leiter dieser Station, weil Manu Tschobe sich schon bald wieder zurückgezogen hatte und nur noch sporadisch im Brana-Tal auftauchte, wenn er gerade einmal auf Terra war. Er war der >Sternzigeunerunter aller SauÜbersetzungHandhandgemachtCargo-Kult< durch den Kopf.« »Was bedeutet das?« Der Prospektor lächelte. »Ein Phänomen, das es auf der Erde gab, noch vor Beginn des Raumfahrtzeitalters. Damals hatte die Ära der Flugzeuge begonnen. Das waren auch hochtechnisierte Apparate. Und es gab damals wie heute Bereiche, in denen Menschen unter noch recht primitiven Bedingungen lebten. Die Papua, die Aborigines, die Yanomami, und so weiter. Jedenfalls gab es weit mehr nichttechnisierte Gemeinschaften als heute. Im Lebensbereich einer dieser nichttechnisierten Gemeinschaften tauchten irgendwann Frachtflugzeuge auf, die irgendwelche Lebensmittel oder Hilfsgüter für Forscher brachten. Und als die Forscher und die Flugzeuge nicht mehr kamen, bauten die Nichttechnisierten mit ihren Mitteln ein Flugzeug, als Modell, als eine Art Tempelanlage… Es konnte natürlich nicht fliegen, sah nur so aus wie ein Flugzeug. Sie imitierten sogar die RumpfAufschrift, die das Wort >CargoFrachtCargo-Kultmündlich< weitergegeben, wobei sie sich untereinander auf andere Weise verständigten als im halbtelepathischen Gespräch mit den Menschen. So schlichen sich in die Überlieferungen hin und wieder Unstimmigkeiten ein. Je nachdem, welcher Shecan >erzählteunnatürliche< Voraussetzungen.« »Wie soll das denn funktionieren?« warf Rea ein. »Was meinen Sie mit unnatürlichen Voraussetzungen? Viren, die fremde Genkombinationen in Zellkerne einschleusen? Dann müßte die DNS…« »Ich verstehe es selbst nicht genau«, wehrte Sakuro ab. »Ich bin Biologe, kein Genetiker. Wie es im Einzelnen funktioniert, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann nur ein Denkmodell anbieten… Allerdings bin ich absolut sicher, daß es an der Sonne liegt. Das Strahlengemisch, das sie bei ihren Eruptionen aussendet, ist ja an sich schon völlig unmöglich in seiner Zusammensetzung, und irgendein Supergenie hat auf dieser Grundlage fleißig experimentiert. Ich glaube, die Shecan sind außerhalb dieses Systems nicht lebensfähig. Sie sind abhängig von dieser Strahlung, die dafür sorgt, daß die Mischwesen so >funktionierenBatterien< laden sich auf, und die überschüssige Energie, die sie nicht mehr aufnehmen können, wird dann in Aggressionen umgewandelt. So kann ich es mir vorstellen. Das andere Extrem dürfte dann so aussehen, daß ein Wegfall der Strahlung ihre Lebensfunktionen beeinträchtigt; irgendwann ist die >Batterie< leer, die Shecan werden lethargisch, und die Gene verlieren ihre Fähigkeit, zu arbeiten, vor allem zusammenzuarbeiten. Dann werden die Shecan innerhalb kurzer Zeit sterben.« »Klingt alles ziemlich verrückt«, meinte Bittan. »Gene kann man doch nicht einfach auf diese Art, nur durch Strahlung, ein- oder ausschalten. Und wenn sie in die DNS eingefügt werden, müssen sie auch ablesbar und reproduzierbar sein. Es bedarf anderer Enzyme, eines unglaublich komplizierten Systems von…« Er brach ab und zuckte hilflos mit den Schultern. »Ach, zum Teufel, ich kann’s mir nicht vorstellen«, sagte er. »Es widerspricht einfach allem, was ich jemals gelernt habe. Auch wenn mir das Fachwissen fehlt.« »Aber können Sie sich nicht genausowenig vorstellen, wie diese 5-DStrahlung der Sonne überhaupt möglich ist? Trotz Ihres entsprechenden Fachwissens?« konterte der Biologe. Bittan lächelte. Und nickte. »Da ist noch etwas Merkwürdiges«, sagte Sakuro. »Ich habe in den mir zur Verfügung stehenden Hautblättern der Shecan einen Virus entdeckt. Einen tödlichen Virus…« »Was soll das heißen?« entfuhr es Jane Hooker. »Ein tödlicher Virus? Wollen Sie damit sagen, daß die Shecan sterben werden? Oder daß ein Kontakt für uns gefährlich ist?« »Wahrscheinlich nicht«, erwiderte der Biologe. »Den Virus gibt es in kristalliner Form überall auf diesem Planeten. Nichtkristallisiert habe ich ihn auch in anderen Pflanzen und Kaltblütern gefunden. Die aber sind daran gestorben. Die Shecan leben. Und jetzt halten Sie sich fest – der Virus zeigt sich in den Shecan in einer völlig anderen Form, die mich verblüfft: sie leben, und der Virus ist nicht kristallisiert! Es gibt insgesamt sechs Stämme, und dies ist der sechste, der letzte von mir bisher entdeckte. Er verhält sich anders als die übrigen fünf.« »Könnte es dann nicht etwas ganz anderes sein?« »Nein.« Sakuro schüttelte entschieden den Kopf. »Es gibt bestimmte Merkmale, die in allen sechs Versionen vorhanden sind, und zwar so stark, daß es keine andere Deutung gibt – es sind verschiedene, wohl durch Mutation entstandene Varianten desselben Virus. Ich halte ihn übrigens für stark krebserregend, so wie er sich in den Pflanzen und Tieren zeigte, die daran starben.« »Krebs bei Pflanzen?« brummte Bittan. Sakuro ging nicht darauf ein. »Der sechste Virus, der F-Stamm, zeigt dagegen eine völlig andere Charakteristik. Ich finde ihn auch nur in den Shecan. Wie auch immer – er bringt sie nicht um.« Rea hob die Hand. »Shen, könnte es sein, daß dieser F-Virus dafür verantwortlich ist, daß in den Shecan Pflanzen- und Reptilien-Gene so zusammenarbeiten, daß ein lebensfähiger, intelligenter Organismus entsteht?« Sakuro hob beide Hände. »Woher soll ich das wissen?« stöhnte er auf. »Ich sagte schon, ich bin auf diesem Gebiet kein Experte. Ich kann nur Vermutungen anstellen, und ich kann Ihnen nur vortragen, was ich herausgefunden habe. Wenn das dummerweise nicht dem entspricht, was wir alle in der Schule gelernt haben, haben wir eben Pech und lernen wieder etwas dazu. Ich müßte wirklich zumindest eine bessere Ausrüstung haben. 56
Was mir zur Verfügung steht, reicht vorn und hinten nicht.« »Die Shecan«, sagte Rea mißtrauisch, »haben Ihnen beim Reparieren einiger Analysegeräte geholfen. Könnte es sein, daß dabei Geräte so zusammengebastelt worden sind, daß sie fehlerhaft funktionieren?« »Darf ich Ihnen einen Stück vom Fingernagel, ein paar Hautzellen oder einen Tropfen Blut entnehmen?« konterte Sakuro. »Dann führe ich Ihnen vor, wie erstklassig und fehlerfrei diese Bastelresultate funktionieren…« Rea lachte auf. »Ich könnte es nicht einmal nachprüfen, Shen, weil ich meine eigene Gen-Datei nicht kenne! Ich will Ihr Können auch nicht anzweifeln. Ich wollte nur diese Möglichkeit zu bedenken geben. Wenn Sie sagen, daß es keinen Fehler in der Technik gibt, glaube ich es.« »Und was fangen wir jetzt mit unserem Wissen an?« fragte Jane Hooker. Und erinnerte sie alle ungewollt wieder einmal daran, daß sie auf dem Planeten Bittan gestrandet waren. Die ganzen Tage über hatte es von der FO-12 kein Lebenszeichen gegeben. Vermutlich war der Kugelraumer tatsächlich vernichtet worden. Was bedeutete, daß sie sich auf dem Planeten häuslich einrichten mußten. Natürlich war es dabei wichtig, so viel wie möglich zu wissen, zu lernen. Allein, um überleben zu können. Jane schaffte es, das Gespräch wieder auf ein anderes Thema zu bringen und die kleine Gruppe damit von der fatalen Situation abzulenken. Aber später in der Nacht, als sie und Art für ein paar Minuten allein waren, gestand sie ihm, daß sie allmählich den Punkt erreichte, an dem ihre Kraft für all das hier nicht mehr ausreichte. »Es ist alles so sinnlos«, sagte sie. »Wir suchen und untersuchen und forschen, aber wozu? Wir stecken hier noch viel endgültiger fest als damals auf Hope… wir hätten auf Hope bleiben sollen.« »Was sollten wir da noch? Der Planet brachte uns nichts mehr. Den Industriedom erforschen? Dafür gibt es bessere Leute als uns. Wir sind ruhelose Sternenzigeuner, Jane…« »Die jetzt ihren letzten Stern gefunden haben.« »Da ist das letzte Wort noch längst nicht gesprochen«, sagte er. Aber er glaubte selbst nicht so recht daran. Am folgenden Tag unterhielten Hooker und Sakuro sich wieder einmal über die mangelhafte Ausstattung an Geräten. Ein Shecan war in der Nähe und bekam das Gespräch zwangsläufig mit. Bei einem Analyseversuch war Sakuro einmal mehr an die Grenzen der vorhandenen Technik gestoßen. »Es ist zum Kotzen, daß es auf diesem Planeten keine besseren Geräte gibt!« knurrte er zornig. Es gibt sie, vernahmen sie beide das Rascheln und die halbtelepathische >Stimme< des Shecan. Hooker fuhr herum. »Wo?« stieß er hervor. Doch der Shecan eilte auf seinen Laufwurzeln davon, ohne zu antworten. Art versuchte ihn einzuholen und ihm ein Gespräch aufzuzwingen. Aber der Shecan ignorierte ihn, und andere Reptilienpflanzen schalteten sich ein und machten dem Prospektor klar, daß sein Vorgehen sehr unhöflich sei. Auf seine drängenden Fragen, was der erste Shecan mit seiner Bemerkung gemeint hatte, erhielt er keine Antwort. Einmal mehr zeigten die Mischwesen sich von ihrer rätselhaften Seite – einmal waren sie auskunftsfreudig, das nächste Mal wichen sie allen Fragen aus. So wie jetzt. Und dann kam der Tag…
7. 57
Schon am frühen Morgen spürte Art Hooker, daß irgend etwas nicht stimmte. Keiner der Shecan ließ sich in der unmittelbaren Nähe des Flugdozers blicken. Sonst bewegten sich um diese Zeit immer wenigstens drei oder vier von ihnen in der Nähe der Menschen. Warum heute nicht? Der leichte Wind brachte einen seltsamen Duft mit, der ihnen bisher noch nie aufgefallen war. Auch die Farbe des Himmels schien irgendwie anders zu sein. Aber das war, wie sich schnell herausstellte, nichts als eine optische Täuschung. Denn jeder von ihnen sah die Färbung anders. So, als würde jeder einen Farbfilter in seiner ganz persönlichen Lieblingsfarbe vor den Augen haben… »Andre, haben wir vielleicht wieder einen Strahlungsausbruch der Sonne?« erkundigte sich Rea Banks mißtrauisch. Aber der Astronom schüttelte den Kopf. »Scheint mir nicht so zu sein«, überlegte er. »Es würde nicht in den Rhythmus passen, den ich nach den bisherigen Eruptionen und den Daten berechnet habe, die ich noch im Kopf hatte.« »Wissen wir denn wirklich, ob die Sonne sich an die Berechnungen hält? Vielleicht ist sie in dieser Hinsicht ebenso unkalkulierbar wie bei ihrem Strahlengemisch, oder wie es die Gene der Shecan und dieser seltsame Virus sind.« »In diesem Fall nicht«, widersprach Bittan. »Denn das Strahlengemisch an sich ist bei jedem Ausbruch gleich. Muß es schon allein deshalb sein, um die Überlebensfähigkeit der Shecan garantieren zu können.« Er warf Sakuro einen um Unterstützung heischenden Blick zu, und der Biologe nickte. »Würde die Zusammensetzung der Strahlung wechseln, könnte sie die eigenartige Gen-Mischung der Shecan nicht stabil halten«, fuhr Bittan fort. »Da wir aber bei den bisherigen Ausbrüchen nichts gespürt haben, dürften wir auch jetzt nichts spüren. Also ist es nicht die Sonne. Keine Gefahr.« »Die bisherigen Strahlenschauer haben wir nicht ungeschützt im Freien erlebt«, gab Rea zu bedenken. »Wir hatten uns in den Flugdozer verkrochen…« »Und gehofft, daß wir die Zeit richtig kalkuliert haben«, brummte Bittan. »Lieber Himmel, wir sind dieser Veränderung jetzt schon seit ein paar Stunden ausgesetzt und spüren keine Nebenwirkungen. Was soll’s? Vielleicht gehe ich mal los und frage die Shecan, was sie davon halten. Nebenbei gefällt mir dieser Duft, den der Wind herantreibt. Mit dieser Duftnote müßte sich bestimmt ein gutes Geschäft machen lassen.« »Meinen Sie?« staunte Sakuro. »Das als Parfüm oder Luftzusatz bei Konferenzen? Sie können die besten Verträge aushandeln, weil jeder Konferenzteilnehmer sich wohlfühlt…« Das fiel auch Art Hooker auf. Er fühlte sich einfach wohl. Dabei spürte er, wie seine Vorsicht langsam nachließ. Er war bereit, Bittan zu glauben, daß keine Gefahr bestand. »Ich suche die Shecan und rede mit ihnen«, beschloß Sakuro. »Ich komme mit«, erklärte Rea Banks spontan. Jane Hooker wechselte einen schnellen Blick mit ihrem Mann. »Vielleicht«, sagte sie, »sollte noch jemand mitgehen, der sich einen geringen Prozentsatz an Vorsicht bewahrt hat. Läßt du das Bordvipho des Flugdozers auf Dauerempfang?« Er nickte. Seit ein paar Tagen verfügte die Maschine wieder über die Möglichkeit, zumindest im Bildfunkbereich zu senden und zu empfangen. Aber was half es ihnen, wenn sie den Abgrund zwischen den Sternen nicht überbrücken konnten? Immerhin waren sie m der Lage, Verbindung zwischen dem Dozer und den anderen zu halten. »Sollte tatsächlich etwas sein, kommen wir mit dem Dozer«, versprach Art. 58
Er sah den drei Suchern hinterher, wie sie durch das höher gewordene Gras davonschritten. Was sollte schon passieren? Der Duft war eine Laune der Natur. Vielleicht blühten irgendwo Pflanzen, und der Wind brachte ihre Duftstoffe hierher. Andre Bittan hatte recht; damit ließe sich auf Terra ein kleines Vermögen verdienen. Nur befanden sie sich nicht auf Terra… Sakuro und die beiden Frauen schritten zügig aus. Mittlerweile wußten sie, wo sich die Shecan bevorzugt aufhielten. Es gab eine Art Versammlungsplatz hinter dem Waldstreifen, an dessen Rand der erste direkte Kontakt zwischen Jane und einem der Mischwesen stattgefunden hatte. Je weiter sie vordrangen, desto intensiver wurde der Duft. Jane wußte, daß man sich normalerweise mit der Zeit an einen Dauergeruch gewöhnte und ihn nicht mehr bewußt wahrnahm. Wenn er hier sogar noch intensiver zu werden schien, konnte das nur bedeuten, daß die Duftstoffe jetzt eine größere Dichte erreicht hatten. Tatsächlich Blütenduft? Aber woher sollte er sonst stammen? Von Blüten war indessen nichts zu sehen. Für die Gräser, Sträucher und Kräuter schien es nicht die rechte Zeit zu sein. In den Tagen vorher hatte Jane auch bei keiner Pflanze Knospen entdeckt. Gut, das besagte nicht viel; es mochte hier Pflanzen geben, deren Knospen sich so schnell entwickelten, daß man daneben stehen und zuschauen konnte, und natürlich hielt sie nicht grundsätzlich nach solchen Vorgängen Ausschau, aber dennoch… Eine ungewohnte Leichtigkeit beherrschte sie. Rea Banks schien ihre Vorsicht vollkommen abgelegt zu haben. Auch Jane ertappte sich dabei, ihr Mißtrauen abzulegen. Sakuro benahm sich fast wie ein übermütiger kleiner Junge. Ein paar Dutzend Meter entfernt tauchte eine Echse im Gras auf. Sie zeigte sich von ihrer harmlosesten Seite. Dabei wußte Jane, daß diese Biester mit den rasiermesserscharfen Zähnen normalerweise alles, was sich bewegte und nicht wie sie selbst aussah, als Beute betrachteten. Selbst wenn sie satt waren, blieben sie gefährlich -diese Tiere jagten auf Vorrat! Jetzt jedoch machte die braungefleckte Echse keine Anstalten, anzugreifen. Im Gegenteil, sie schien sehr friedlich und zutraulich zu sein. Dicht vor ihr summte ein handspannengroßes Insekt durch die Luft, direkt vor der Nase der Echse, die aber gar nicht daran dachte, zuzuschnappen. Sie schnaufte und knurrte nur. Unter normalen Umständen hätte der Blaufalter nicht den Hauch einer Chance gehabt. Jane lächelte. Die Echse hatte wohl heute ihren sozialen Tag. Erst viel später wurde der Prospektorin klar, wie leichtsinnig sie sich verhalten hatte – sie und die beiden anderen. Die schäferhundgroße Echse hätte die Distanz innerhalb weniger Sekunden zurücklegen können. Wieso hatte Jane nicht wenigstens die Waffe in die Hand genommen? Sie konnte es nicht sagen. Etwas in ihr hemmte Reaktionen und Denkvermögen. Sie drangen in den Waldstreifen vor, durchquerten ihn. Zweimal kamen sie an geflügelten Baumschlangen vorbei, die sie aber total ignorierten. Sie flohen nicht einmal vor den Menschen; statt dessen waren sie sehr eingehend miteinander beschäftigt. Und dann standen sie auf der Lichtung, die die Shecan offenbar als Versammlungsort für ihresgleichen betrachteten. Jane erstarrte. Es mußten Hunderte von Shecan sein, die sich hier versammelt hatten. Sie waren teilweise ineinander verschlungen. Zwischen ihnen bewegten sich Tiere – Reptilien und Insekten, die normalerweise zur 59
Beute der Shecan gehörten, oder die selbst Pflanzen als Nahrung ansahen und dabei, wie die Terraner in Erfahrung gebracht hatten, auch vor Shecan nicht zurückschreckten. Zwischen ihnen allen war eine sehr intensive Vertrautheit entstanden… Jane sah, daß Reas Augen zu glänzen begannen. Sakuro befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze. »Faszinierend«, raunte er. »Das – das ist ja… unglaublich…« In dieser Form hatten sie die Shecan bisher noch nicht gesehen. Sie blühten… Der Biologe sah glücklich aus. Er begann seinen Overall zu öffnen und atmete tief durch. Er lächelte den beiden Frauen zu und ging dann langsam auf die Reptilpflanzen zu. »Kommt mit«, sagte er leise. »Sie brauchen uns… es ist so schön… so fantastisch… so wunderbar…« Rea Banks nickte. »Was ist, Jane?« fragte sie. »Warum zögerst du noch? Etwas Großartigeres kann es in der ganzen Galaxis nicht geben…« »Art«, klang es aus dem Bordvipho des Flugdozers. Janes Stimme klang gehetzt. »Art, schnell… wir… ich…« Art hörte die Stimme aus der Ferne. Einen Augenblick lang hatte er Probleme, sich zurechtzufinden. Wo war Jane? Er hörte ihre Stimme aus dem Dozer, aber er wußte doch, daß sie nicht da war… Etwas stimmt mit mir nicht, durchfuhr es ihn. Er turnte in den Flugdozer, warf sich in den Sitz vor dem Vipho. »Jane?« »Art, ich kann nicht mehr«, keuchte sie. »Du mußt… wir…« »Was ist passiert?« rief er. »Was ist mit dem Vipho?« Das Bild zeigte nicht Jane, sondern hohe Gräser. Das Bildsprechgerät mußte am Boden liegen. Aber wo war Jane? Was war geschehen? »Bist du verletzt?« Noch während er sprach, schaltete er die Maschinen hoch. Eine Strombank begann zu summen. Die Motoren des Flugdozers erwachten zum Leben. »Nein, Art, nicht verletzt… ich bin… ich bin so glücklich…« Danach klang ihre Stimme aber nicht! »Nein, nicht glücklich, Art! Hilf uns! Wir… du mußt…« »Ich bin schon unterwegs! Halte durch!« verlangte er. »Wo seid ihr? Am >Versammlungsplatz< der Shecan?« »Ich halte durch! Es ist… so schön… so… ich muß zu ihnen… Art, hilf mir!« Es war ein gellender Schrei. »Art! Ich will das nicht! Ich kann nicht mehr…« »Schon unterwegs.« Die Rotorblätter wurden ausgeklappt und gespreizt, begannen sich zu drehen. Augenblicke später hob die Allzweckmaschine ab. Art ging auf etwa fünfzehn Meter Höhe. Er schwenkte die Maschine herum. Dann setzte der Schub der Staustrahl-Turbos ein. Erst als der Flugdozer mit einem gewaltigen Ruck vorwärts schoß, fiel Art ein, daß er Andre Bittan im Lager zurückgelassen hatte. Doch er landete nicht wieder, um den Astronomen aufzunehmen. Jane und die beiden anderen befanden sich in Gefahr. Das war wichtiger. Wahrscheinlich würde Bittan sich wundern, daß Hooker im Alarmstart davonraste, und ihm später Vorwürfe machen. Aber das kümmerte den Prospektor in diesem Moment nicht. Innerhalb weniger Minuten legte der Flugdozer die Entfernung zurück, für die die Menschen gut eine Stunde gebraucht hatten. Noch vor dem Waldstreifen zwang Art den Dozer wieder auf den Boden hinunter. Dort lag ein Mensch im Gras – Jane! Er ließ die Maschine im Leerlauf. Die Rotoren drehten sich träge, bereit, den Dozer jederzeit wieder in die Höhe zu reißen. Vorsichtshalber schaltete Art den Sperrcode ein, den nur er oder Jane wieder lösen konnten und der verhinderte, daß während ihrer Abwesenheit ein anderer die Maschine benutzte. 60
Art prüfte Blaster und Schocker am Gürtel, riß die kleine First-AidBox aus dem Fach und verließ den Dozer. Er sah sich kurz um, konnte keine Bedrohung entdecken und eilte auf Jane zu, von der er ein gutes Dutzend Meter entfernt gelandet war. Sie richtete sich auf. Ihr Haar war zerzaust, Schweiß perlte auf ihrer Haut. Ihre Augen besaßen einen seltsamen Glanz, den er bei ihr bisher nur erlebt hatte, wenn… »Jane!« Er kauerte sich neben sie. Ihr Overall war halb geöffnet, als habe sie ihn ausziehen wollen. »Jane, was ist passiert?« Sie keuchte auf. »Art!« stieß sie hervor und umarmte ihn, wollte ihn küssen. So aufregend das unter anderen Umständen gewesen wäre, jetzt siegte die Vernunft – beziehungsweise das, was davon noch vorhanden war. Art löste die Umarmung. »Bist du verletzt?« »Nein«, brachte sie hervor. »Mir geht es gut, Art, ich bin so froh, daß du hier bist… ich brauche dich… ich will dich…« Sie versuchte den Magnetsaum seines Overalls zu öffnen, wollte sich wieder an ihn schmiegen. Er packte sie, wirbelte mit ihr herum und drängte sie zum Flugdozer. Als er sie in der Einstiegsschleuse abgesetzt hatte, rannte er noch einmal zurück und holte das Vipho, das einfach so im Gras lag. Bei seiner Rückkehr fiel Jane geradezu über ihn her. »Art, die Umluft«, keuchte sie dabei. »Ich… du mußt sie abschalten! Autarke Versorgung! Ich werde noch verrückt, Art, ich brenne… ich… halte es nicht mehr aus…« Sekundenlang starrte er sie verwirrt an. Dann handelte er. Zog sie mit sich in die Druckkabine, aktivierte die Schleusenfunktion und koppelte die Luftversorgung des Flugdozers von der Außenwelt ab. »Etwas ist in der Luft, nicht wahr?« stieß er hervor. »Welche Filter… egal!« Natürlich konnte ihm niemand sagen, welche Filter er vorschalten mußte, um die fremden Partikel auszufiltern. Konsequent setzte er alles ein, worüber der Dozer verfügte. Vielleicht half ja einer der Luftfilter tatsächlich. Atemlos lehnte Jane sich an ihren Mann; er packte zu und hielt sie fest. Ihre Hände glitten über seinen Körper. »Art«, keuchte sie. »Es ist gut… es ist gut, daß du hier bist. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch ausgehalten hätte. Ich bin fix und fertig, ich…« Sie küßte ihn voller Leidenschaft, und für einen ganz kurzen Augenblick war er versucht, diese Chance zu nutzen. Hier waren sie gerade mal einen Moment völlig allein; die Welt um sie herum war so abgeschottet, als existiere sie überhaupt nicht mehr. Warum also nicht…? Aber er riß sich zusammen, blockte die Gefühle ab, die ihn überschwemmten. Da waren die anderen, waren vielleicht in Gefahr, und er wußte ja noch nicht einmal, was mit Jane passiert war! Wieso war sie allein? Wo waren Banks und Sakuro? Wieso hatte Jane Banks’ Vipho bei sich? Er mußte Jane noch etwas Zeit geben. Sie befand sich in einem seltsamen Zustand zwischen Euphorie und Verzweiflung. Aber wie war es dazu gekommen? Nach einer Weile beruhigte sie sich. Auch Art spürte, daß er wieder klarer zu denken begann. Lag es wirklich an der Luft? Inzwischen mußten die Filter alles, was störte, herausgefiltert haben; die Luftumwälzungsanlage lief auf Hochtouren, und im Innern des Flugdozers mußte das Luftgemisch jetzt nahezu steril sein. Jane atmete tief durch. »Die anderen«, sagte sie leise. »Wir müssen sie herausholen, ehe sie endgültig… ach, verdammt, ich weiß nicht genau, ob es wirklich eine Gefahr darstellt oder nicht. Auf jeden Fall sind sie nicht mehr sie selbst. Mich hätte es beinahe auch erwischt. Ich habe dagegen angekämpft, aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch geschafft hätte. 61
Ich bin froh, daß du gekommen bist.« »Was ist passiert?« fragte er. Alles in ihm drängte danach, zu helfen, aber er mußte erst wissen, was geschehen war. Er hoffte, daß nun Andre Bittan nicht in Gefahr geriet, den er zurückgelassen hatte. Er hatte unverantwortlich gehandelt – sie alle hatten unverantwortlich gehandelt! Das Fernbleiben der Shecan hätte ihnen zu denken geben müssen. Hatte es ja auch. Aber dann hatten sie gegenseitig ihre Bedenken zurückgedrängt, waren leichtsinnig geworden… Was war der Grund? Der Duft? »Wir haben die Shecan gefunden«, sagte Jane leise. »Sie blühen. Und wir… weißt du, was geschieht, wenn Blumen blühen?« »Sie sind schön anzusehen. Sie duften.« »Das ist es«, sagte Jane. »Die Kopfblüten sind wunderschön anzusehen… und von ihnen geht dieser Duft aus. Dessen bin ich sicher. Aber das ist noch nicht alles. Warum blühen Blumen?« »Sicher nicht, um uns Menschen mit ihrem Anblick zu erfreuen«, murmelte Art. »Sie locken Insekten an, mit ihrer Farbenpracht und mit ihrem Duft, und… verdammt!« »Ja«, sagte Jane. »Sie vermehren sich. Entweder treibt der Wind den Blutenstaub weiter, oder Insekten tun es. Die Shecan sind auch m einer Vermehrungsphase. Erinnerst du dich, daß sie auf Sakuros Fragen zu ihrer Art der Fortpflanzung nie geantwortet haben? Ich weiß immer noch nicht, warum. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie selbst nichts darüber wissen. Vielleicht wollten sie uns absichtlich nichts darüber sagen. Jedenfalls erleben wir es jetzt. Und…« Sie verstummte. Art griff nach ihrer Hand. »Ich kann es nicht beschreiben«, sagte Jane leise. »Mir fehlen die Worte. Du mußt es dir selbst ansehen. Flieg hin. Schnell. Ich weiß nicht, ob es gut für uns Menschen ist, was dort passiert. Ich konnte mich dem Zwang entziehen, die anderen nicht. Ich konnte Reas Vipho nehmen und bin gelaufen, einfach nur gelaufen…« Art hatte den Sperrcode wieder zurückgenommen und startete den Flugdozer. Das Universalgerät schwebte über den Waldstreifen der Lichtung entgegen, auf der die Shecan sich ihrem Treiben hingaben. »Zwang?« murmelte Art. Er dachte daran, wie Jane sich ihm vorhin förmlich an den Hals geworfen hatte. Was auch immer es war, was in der Luft lag, es schien das Lustzentrum des Gehirns zu stimulieren. Und gleichzeitig hatte Jane gewußt, daß es nicht geschehen durfte – das war der Verzweiflungszustand gewesen, in dem sie sich befunden hatte. Die beiden anderen offenbar nicht. Es dauerte eine Weile, bis Art Hooker sie zwischen den Shecan und ihren tierischen und insektoiden Bestäubungshelfern entdeckte. »Kannst du die Maschine halten?« fragte Art. »Ich werde sie paralysieren. Das ist alles, was ich tun kann. Vielleicht geben die Shecan sie dann frei. Wenn ich hinuntergehe und versuche, sie zu bergen, falle ich selbst diesem Zwang anheim.« »Wir haben Atemmasken«, erinnerte Jane ihn. Art zuckte zusammen. Wieso hatte er nicht selbst daran gedacht? Scheinbar litt er immer noch unter Nachwirkungen. Oder die Gedanken an das, was gerade unter dem Dozer geschah, verwirrten ihn zu sehr, lenkten ihn ab… »Ich übernehme den Dozer«, sagte Jane. Ihre Stimme klang nicht besonders fest. Art nickte. Er erhob sich aus dem Pilotensitz. Jane schaltete die Steuerung zu ihrem Platz hinüber. Ihr Mann verschwand kurz im hinteren Teil der großen Maschine, dann kam er mit zwei Atemmasken zurück. Eine legte er neben Jane auf das Pult. »Wozu das?« fragte sie. 62
»Die Druckschleuse ist klein. Vielleicht muß ich beide Schotts öffnen. Außerdem, wenn wir Banks und Sakuro an Bord haben, werden sie atmen – ausatmen! Ich möchte das, was dann freigesetzt wird, nicht noch einmal in die Lungen bekommen, ehe es von den Filtern absorbiert wird. Und ich denke, du bist auch nicht besonders darauf erpicht.« »An einem Aphrodisiakum dieser Art bin ich wirklich nicht interessiert«, murmelte sie. »Allerdings… wir hätten vorhin vielleicht…« »Wir holen es später nach«, sagte Art. »Zu unseren Bedingungen. Wenn wir sicher sein können, daß wir alles überstanden haben und die Kontrolle über uns verlieren können, ohne dabei die Kontrolle über uns zu verlieren.« Er grinste, beugte sich vor und küßte Jane. »Ich liebe dich«, flüsterte er ihr zu. Dann streifte er sich die Atemmaske über. Jane tat es ihm gleich. Sie senkte den Flugdozer ab. Der Luftwirbel, den die Rotoren erzeugten, peitschte auf alles ein, was sich unter der Maschine befand. Die Shecan wurden zerzaust, aber sie wichen dem Dozer nicht aus. Es war, als hätten auch sie alle den Verstand verloren. Art hatte sich Rea Banks’ Vipho umgehängt. Er öffnete das Außenschott der Druckschleuse und beugte sich vor, hielt sich dabei mit einer Hand an der Griffstange fest. Er entdeckte die beiden. Sie wanden sich zwischen tastendem Wurzelwerk, schmiegten sich an Blütenköpfe und fast in diese hinein. Ein eigenartiges Gefühl erfaßte Hooker; er mußte dagegen ankämpfen. Etwas wollte ihn trotz der Atemmaske bedrängen und dazu bringen, mitzumachen. Vielleicht eine unkontrollierte halbtelepathische Ausstrahlung der Shecan? Verstärkte sie hier in unmittelbarer Nähe noch die Wirkung der Pheromone, die offenbar durch die Luft gesandt und vom Wind verbreitet wurden? Shen Sakuro war nackt und über und über von einer bunten Masse überzogen – Blutenstaub? Rea Banks trug noch ihre Stiefel und Reste ihres Overalls, den sie offenbar zum größten Teil zerrissen hatte. Auch an ihren freien Hautstellen klebte die fremde Substanz. An den Stoffresten nicht! Die waren völlig blank…! Art hob den Paraschocker und feuerte. Der flirrende Energiefächer hüllte die beiden Menschen ein, ließ sie zusammensinken. Die Shecan selbst reagierten nicht auf die Energie. Art sprang nach unten. Er schlug tastende Greifwurzeln zur Seite, trat und hieb um sich, kämpfte sich seinen Weg frei und schaffte es schließlich, Banks und Sakuro in die Luftschleuse des Dozers zu bringen. Es wurde wirklich sehr eng, aber es gelang ihm dann doch, das Außenschott zu schließen. Körper an Körper mit den beiden stand er in der winzigen Druckkammer. Er schaltete Reas Vipho ein. »Jane!« brüllte er unter der Atemmaske hinein. »Jane, kannst du mich hören?« »Ja! Was ist? Soll ich öffnen?« »Um Himmels Willen nicht!« schrie er in das Gerät. »Du mußt den Fluß anfliegen, so schnell wie möglich! Zum Fluß, Jane! Daneben landen, am Ufer… hast du verstanden?« Sie hatte. Am Andruck merkte Art, daß der Flugdozer herumschwang und Tempo gewann. Jane fragte nicht nach dem Grund für die Anweisung ihres Mannes, sondern handelte einfach danach; er hatte sicher eine Menge guter Gründe dafür. Art stand eingekeilt zwischen den beiden paralysierten Menschen. Ihm schien es, als würde die Atemmaske nicht mehr gut arbeiten; als käme der vertrackte Duft nun doch langsam zu ihm durch. Das fehlte ihm gerade noch – daß er gleich selbst handlungsunfähig wurde! Aber dann setzte der Flugdozer mit einem harten Ruck auf und bewegte sich noch weiter; diesmal auf seinen Raupenketten. Jane fuhr ihn die letzten Meter zum Fluß hinunter. Schließlich kam die Maschine mit einem weiteren Ruck zum Stehen. 63
Hooker hieb auf den Schalter, der das Außenschott öffnete. Er sprang hinaus und zog Rea und Shen nach draußen. »Bleib im Dozer«, forderte er Jane über Vipho auf. »Ich schaffe das schon.« Er hoffte, daß er sich nicht überschätzt hatte. Nacheinander schleppte er die beiden Menschen zum Wasser und tauchte sie ein. So lange, bis der Fluß auch die letzten Reste des Blutenstaubs von ihren Körpern gespült hatte. Dabei stellte er fest, daß Sakuro verletzt war. Am linken Oberschenkel und in Höhe des rechten Schlüsselbeins war seine Haut aufgeschrammt. Vorher, als sein Körper von den Pollen bedeckt war, hatte Art diese Schrammen nicht sehen können. Theoretisch waren es Bagatellwunden; sie begannen erst wieder zu bluten, als der Prospektor die schon getrocknete Blutkruste losriß; er vermutete nicht zu unrecht, daß sich auch unter der Kruste bereits Blutenstaub angesiedelt hatte. Er hoffte, daß nichts von der Substanz in die Blutbahn des Biologen gelangt war. Wenn es seinem Organismus schadete – gab es kein Gegenmittel, kein Serum, das Shen Sakuro retten konnte… Schließlich trug er die beiden in den Flugdozer zurück, schleuste sie ein und achtete dabei sorgfältig darauf, keine eventuellen Pollenreste ins Innere der Maschine zu bringen. Er atmete tief durch, als er es endlich geschafft hatte. Jane hatte sich von ihrem Sitz erhoben. Bestürzt sah sie auf die beiden Gefährten hinab. »Hoffentlich überstehen sie es ohne organische Schäden«, murmelte sie. »Was meinst du damit?« fragte Art. »Ich habe alle Pollen weggespült.« »Aber wir wissen nicht, was sie in sich tragen«, sagte Jane leise. Die Systeme, über die das Programmgehirn auch im Stand-by-Modus verfügte, registrierten nach fast hundert Zeiteinheiten doch wieder energetische Aktivität. Sie war nur gering und bodennah, aber das Energiespektrum entsprach keinem der als freundlich gespeicherten Muster. Technisch orientierte Fremdintelligenzen hielten sich auf der Oberfläche dieses Planeten auf! Das Objekt hatte sich nur dreimal in schneller Folge über extrem kurze Distanzen bewegt. Das Programmgehirn schalte die Überwachung vom passiven in den aktiven Status zurück. Wieder wurde ein Intervall von hundert Zeiteinheiten initiiert… Noch ließ sich die energetische Aktivität nicht als Gefahr einstufen. Aber das Programmgehirn setzte die neue Ortung und die Zerstörung der nicht autorisierten Fremdobjekte im Orbit und im planetaren Bereich miteinander in Verbindung. Hinzu kam der Fakt, daß die neue Ortung nach fast hundert Zeiteinheiten stattgefunden hatte. Also kurz vor dem Moment, in dem das Programmgehirn sich in den Schlaf-Modus zurückgeschaltet hätte. Dann hätte es die schwachenergetischen Impulse überhaupt nicht registriert. Hatte das Fremdobjekt sich zu früh sicher gefühlt? Das Programmgehirn zog keine weiteren Schlüsse, sondern wartete – noch – ab. Die Entscheidung, ob eine Vollaktivierung zu erfolgen hatte, bedurfte einer größeren Menge an Informationen. Stunden später tauchten draußen vor dem Flugdozer drei Shecan auf. Sie trugen ein Stoffbündel bei sich. Dabei bewegten sie sich ziemlich normal – fast. »Wenn ich es wagen kann, ihre Körpersprache mit menschlichen Verhaltensweisen zu interpretieren, dann sind sie ziemlich zerknirscht«, überlegte Jane. Art wechselte einen stummen Blick mit ihr und zuckte mit den Schultern. Sie hatte wahrscheinlich recht. Sie hatte sich am intensivsten mit den Shecan befaßt und unterhalten, mehr noch als der Hobby64
Verhaltensforscher Bittan. Jane konnte das Verhalten der Mischwesen wohl noch am ehesten deuten und richtig einordnen. Erstaunlicherweise hatte Bittan Art keine Vorwürfe wegen seines rasanten Notstarts gemacht. Er hatte sich deshalb nicht mal Gedanken gemacht, sondern die Aktion nur nebenher registriert. Er war tief in Gedanken versunken und – glücklich gewesen. Auch er war dem Einfluß der Duftpartikel erlegen und erst wieder klar im Kopf geworden, als der Flugdozer zum Lager zurückkehrte. Banks und Sakuro waren noch nicht wieder aus der Paralyse erwacht. Die Dosierung, mit der Art geschossen hatte, war sehr hoch gewesen. Er hatte nicht daran gedacht, die Strahlintensität niedriger einzuregulieren, ehe er die Waffe benutzte. »Die Orgie scheint vorbei zu sein«, sagte Jane. »Und die Kopfblüten sehen ein wenig welk aus.« Das war auch Art schon aufgefallen. Offenbar blühten die Mischwesen nicht mehr. »Können wir gefahrlos hinaus?« fragte Bittan. »Ich denke schon«, meinte Jane. »Das Verhalten der Shecan ist wie früher. Sie kommen zu uns. Als sie ihr… hm… Blütenfest feierten, sind wir zu ihnen gelockt worden. Ich gehe hinaus.« »Warte«, bat Art. »Du?« »Natürlich.« Sie berührte seinen Arm, drückte fest zu. »Ich muß es tun«, flüsterte sie und ging zum Ausstieg. Im Vorbeigehen nahm sie Banks’ Vipho mit. Er sah ihr besorgt nach. Aber vermutlich mußte sie es tatsächlich tun; mußte sich dem Geschehen und ihrer Erinnerung an das Unfaßbare stellen, um es besser verarbeiten zu können. Sie schleuste sich aus. Durch die Sichtscheiben beobachteten Art und der Astronom das Geschehen. Der Gestik zufolge schien es eine sehr angeregte, intensive Unterhaltung zu sein, die Jane mit den drei Reptilienpflanzen führte. Hin und wieder drangen verwaschene Gedankenbilder bis zu den beiden Männern im Flugdozer; was die Shecan >sagtenlaut< oder zumindest sehr eindringlich zu sein. Was es bedeutete, ließ sich aber im Innern des Dozers nicht mehr feststellen. Nach einer Weile drehte Jane sich um und wies auf das Vipho, das sie vor der Brust hängen hatte. Art schaltete das Bordgerät ein. »Alles in Ordnung«, sagte Jane. »Es ist vorbei. Keine Beeinflussung mehr. Und die Shecan haben mir erklärt, was passiert ist. Sie wollen es auch euch mitteilen und bitten um Verständnis.« »Dann sollten sie eher abwarten, bis Rea und Shen wieder wach sind«, brummte Art. »In Ordnung, wir kommen zu euch.« Bittan warf einen Blick auf die beiden Paralysierten. »Nur gut, daß sie lediglich um Verständnis, aber nicht um Entschuldigung bitten«, sagte er. »Ich bleibe an Bord, Art.« Der Prospektor nickte und schleuste sich allein aus. Er nahm sich die Zeit, ein paar Minuten einfach nur neben den Raupenketten des Dozers zu stehen, ehe er sich zu den anderen gesellte. Er atmete tief durch. Der Farbton des Himmels veränderte sich nicht, blieb normal, und Art spürte auch keine künstliche Euphorie. Die in der Luft schwebenden Pheromone schienen ihre Wirkung verloren zu haben. Die Shecan hatten Sakuros Kleidung und die Waffengürtel der beiden Menschen mitgebracht. Dies gehört euch, teilte einer von ihnen mit. Wir bedauern zutiefst, was geschehen ist, aber es ließ sich nicht verhindern. »Ihr wußtet vorher davon«, sagte Art. »Ihr seid unseren Fragen nach eurer Fortpflanzung ausgewichen. Warum habt ihr uns in diese Falle laufen lassen?« Es war keine Falle. Wir wußten nicht, daß es auch auf euch so wirkt. Die dunklen Götter der Verdammnis reagierten nie auf unsere Blütephase. 65
»Aber andere Lebensformen dieses Planeten reagieren. Die Insekten, die Reptilien… sie alle werden von den Pheromonen stimuliert, die von euren Blüten ausgesandt werden«, sagte Jane. Ihr seid keine Kaltblüter und keine Insekten. Es ist erstaunlich, daß ihr reagiert habt. Es lag nicht in unserer Absicht. Wir wollten euch nicht in unseren Fortpflanzungszyklus einbeziehen. »Zyklus? Einbeziehen? Bedeutet das etwa, daß…?« Art Hooker schnappte nach Luft, aber ehe er weitersprechen konnte, unterbrach ihn der Shecan mit erneutem Hautblätterrascheln und halbtelepathischen Bildern. Was geschehen konnte, ist geschehen. Befürchte nicht, daß einer von euch Nachfahren von uns reproduzieren muß. Unsere Arten sind genetisch nicht kompatibel. »Woher weißt du das?« fragte Art. Der Shecan beantwortete die Frage nicht. »Sag es mir«, beharrte Art. »Diesmal kommt ihr uns nicht so einfach davon! Diesmal wollen wir Antworten! Ihr verlaßt diesen Ort nicht, ehe wir die Antworten kennen!« Wir mögen nicht darüber reden. »Über eure Fortpflanzung mochtet ihr auch nicht reden. Muß ich euch erst zum Reden zwingen?« Jane warf ihm einen tadelnden Blick zu. Aber Art reagierte nicht darauf. Er wußte, was er tat! Er konzentrierte seine Gedanken auf eine diffuse Drohung, deren Details undefinierbar blieben, die aber deutlich zeigte, daß er die Macht besaß, die Shecan zu einer Antwort zu zwingen. Es gefiel ihm selbst nicht, mit anderen so umzugehen. Aber er fühlte sich auf übelste Art an der Nase herumgeführt. Er fühlte sich verantwortlich für die Menschen um ihn herum. Und er hatte sie nicht schützen können, weil ihm wichtige Informationen fehlten. Einmal in der Vergangenheit hatte Captain Hooker sich aus seiner Verantwortung gestohlen. Diesmal wollte Prospektor Hooker das nicht. Auch, wenn niemand ihm diese Verantwortung offiziell übertragen hatte, wenn sie offiziell immer noch bei Rea Banks lag. Du willst nicht tun, was du androhst, klang es in ihm auf. Wir erkennen das. Wir verstehen das. Deine Motive sind ehrenwert. Er zuckte zusammen. Sie hatten ihn durchschaut! Irgendwie hatten sie mit ihrer Beinahe-Telepathie seine Absichten erkannt! Oder hatten sie aus Janes Bewußtsein entsprechende Informationen gewonnen? Einmal mehr fühlte er sich an die Nogk erinnert. Mit ihren kugelförmigen Mentalübersetzern konnten sie ebenfalls Lügen durchschauen. Sie, die selbst zu keiner Lüge fähig waren, nicht einmal in der Not… Und dann wurde er von Bildern geradezu überschwemmt! Einst schufen die dunklen Götter der Verdammnis die Shecan. Unendliche Möglichkeiten in unendlicher Vielfalt… Sicher war dieser Planet nicht der einzige, auf dem die dunklen Götter ihre unheilvollen Experimente durchführten. Doch diese Sonne, deren Ausstrahlung im Hyperbereich so einmalig war, gab ihnen auch die einmalige Chance, eine völlig neue Lebensform zu schaffen. Gene wurden verbunden, und Pflanzen verschmolzen mit Reptilien zu einer intelligenten Spezies, die nur hier lebensfähig war. Die dunklen Götter der Verdammnis waren aus Weltraumtiefen gekommen, und mit sich brachten sie das Wissen um viele andere Sternenvölker. Dieses Wissen grub sich in die Erinnerungen der ersten Shecan und wurde weitergegeben, so daß sie diese Sternenvölker kannten, ohne sie jemals selbst gesehen zu haben. Nur jene, die Raumschiffe in Ringform flogen, sich aber selbst nie auf dem Planeten zeigten, kamen einst wirklich zu Besuch, den dunklen Göttern der Verdammnis gleich. Die Götter waren nicht gnädig. Sie schufen die Shecan nicht, um dem Universum eine neue Lebensform zu schenken, sondern aus eigennütziger Absicht. Sie hatten 66
gesät, und sie ernteten. Sie benötigten etwas, das sich im Blutenstaub der Shecan befand -und in ihrem Blut. Etwas, das kein Shecan begreifen konnte, das es aber in anderer Form auch in vielen anderen Lebensformen des Planeten geben mußte. Doch nur im Blut und Blutenstaub der Shecan war es für die Götter nutzbar, weil es darin eine andere Form angenommen hatte. Wozu sie es benötigten, wußten die Shecan nicht. Aber die Götter benutzten ihre Spezies, um jene Substanz regelrecht zu züchten. Doch was ihnen nützte und was die Existenz der Shecan erst ermöglichte, war in anderer Hinsicht ein Fehlschlag: 5-D-Strahlung, die auch nur geringfügig von den normalen Werten abwich, die die Sonne aussandte, störte ihre Lebensvorgänge. Durch die Abhängigkeit von dieser Strahlung hypersensibel, konnten sie schon bei geringen Abweichungen zu Amokläufern werden. Dabei richtete ihre Aggressivität sich gegen praktisch alles – gegen artfremdes Leben, gegen Technik, sogar gegen sich selbst. Abweichungen waren bereits die in bestimmten Abständen stattfindenden starken Strahlungsausbrüche der Sonne. Dann erhöhten sich die Werte, die den Shecan eigentlich erst das Überleben ermöglichten. Die Sonneneruptionen störten empfindlich, ebenso wie andere hypertechnische Ausstrahlungen. Zum Beispiel Hyperfunkfrequenzen… Zur Fortpflanzung blühten sie wie jede normale Pflanze. Um den Blutenstaub von einem Shecan zum anderen zu übertragen, wurden Hilfsorganismen benötigt. Sie hatten für eine optimale Vermischung zu sorgen, um die genetische Vielfalt der Shecan zu erhalten und Raum für neue Kombinationen zu schaffen. Einige Male im Jahr, zu Zeiten, die sie nicht vorausberechnen konnten, blühten die Shecan und sandten Pheromone aus, die von den meisten nichtpflanzlichen Lebensformen des Planeten erkannt wurden. Die Blütezeit war jeweils nur extrem kurz, um das biologische Gleichgewicht der anderen Arten untereinander nicht zu sehr zu stören. Doch die Terraner sprachen ebenfalls auf die Pheromone an! Damit hatten die Shecan nicht gerechnet. Aber selbst, wenn sie es gewußt hätten, wäre es ihnen unmöglich gewesen, die Besucher aus dem All rechtzeitig zu warnen. Die Blütezeit waren viel zu unberechenbar. Und so hatten die Dinge ihren Lauf genommen. Art brauchte eine Weile, um die auf ihn einstürzenden Gedankenbilder zu ordnen und zu verarbeiten. Es kam zu schnell. Und es erklärte einiges, wenn auch noch nicht alles. Er sah Jane an und erkannte, daß es ihr nicht anders erging. Allerdings hatte sie wohl vorher schon einen Teil dieser Informationen erhalten. »Einer von uns wurde verletzt«, sagte er. Die Shecan zeigten deutliche Unruhe. Das ist unmöglich! protestierten sie alle zugleich. Wenn wir blühen, verletzen wir niemanden! Warum sollten wir uns gegen unsere Bestäubungshelfer wenden? Und auch die Helfer verletzen sich nicht untereinander. Sie sollen ihre Funktion erfüllen, nicht sich gegenseitig töten, ehe ihre Arbeit getan ist! Sie logen nicht, das fühlte Art. Dennoch führte er die Shecan ins Innere des Flugdozers, in dem es jetzt ernsthaft eng wurde. Auch wenn die Shecan nur zu dritt waren, war ihre Gestalt doch recht ausladend. Dabei waren sie nur wenig größer als die Menschen. Sie waren nur pflanzenhaft breit. Er zeigte ihnen die Verletzungen Sakuros. Er muß sich diese Verletzungen selbst zugezogen haben, behauptete einer der Shecan. Wenn sie von uns stammten, wären die Körperzellen abgestorben, die Wunde schwarz und das Fleisch verschrumpelt. Das ist eine unserer Eigenarten, wenn wir kämpfen und 67
Beute schlagen. Unsere Wurzeln, er bewegte die feinen Fingerwurzelhärchen vor Hookers Gesicht, dringen in den Körper des anderen ein und entziehen ihm sämtliche Nährstoffe, die für unsere Art verwertbar sind. Minerale, Proteine… dieser Terraner sähe ganz anders aus, wenn ihn einer von uns verletzt hätte. Ein anderer Shecan wandte ein: Vielleicht hat er eine der Echsen berührt, und sie kratzte ihn mit ihren Extremitäten. Er hätte sich nicht häuten sollen, dann wäre er vielleicht nicht so verletzbar gewesen. Gehört es zum Paarungsverhalten eurer Spezies, vorher die Haut abzuwerfen? »Hä?« machte Art verblüfft. »Aber seine Haut ist doch…« »Er meint unsere Kleidung«, erklärte Jane. »Die Shecan kennen keine Kleidung. Sie halten unsere Overalls für unsere Haut.« Einige der dunklen Götter der Verdammnis besaßen ebenfalls Haut, die sie ablegen und wechseln konnten, andere nicht, aber die, die keine Wechselhaut trugen, hatten Augen, die leuchteten wie die Sonne, teilte der dritte Shecan mit. »Es könnte sein, daß durch die Verletzung Blutenstaub in das Blut unseres Artgenossen geraten ist«, sprach Art seine Befürchtung aus. »Kann das für ihn gefährlich sein?« Für einen Augenblick schienen die drei Shecan sich untereinander auszutauschen; irgendwie flirrte es unsichtbar zwischen ihnen, ohne daß die Terraner mehr mitbekamen als verwaschene Eindrücke und das Wissen, daß diese Eindrücke keinesfalls für sie bestimmt waren. Dann wandte sich einer der Shecan wieder an die Terraner. Wir wissen es nicht, gestand er. Aber es kann sein, daß die Strahlung unserer Sonne hilft, aus Schaden Vorteil zu gewinnen. »Das heißt, wenn er jetzt ein Kind bekommt, ist das eine Mischung aus Säuger, Pflanze und Reptil?« fauchte Bittan. »Andre!« fuhr Jane ihn an. »Er ist ein Mann! Wie soll er ein Kind bekommen?« »Soll schon vorgekommen sein«, brummte der Astronom. »Da hat im vergangenen Jahrhundert sogar mal jemand einen Dokumentarfilm drüber gedreht…« Wir verstehen das nicht, machten sich die Shecan wieder bemerkbar. Aber es kann ihm schaden oder auch nicht. Alles ist möglich. »Wenn es ihm schadet«, forschte Art, »könntet ihr ihm helfen, den Schaden abzuwenden?« Wir verstehen zu wenig vom Metabolismus der Lebendgebärenden. Wir kennen keine Säuger auf unserer Welt. Wir wissen nur, daß es sie anderswo gibt. »Woher wißt ihr das alles?« hakte Jane nach. »Das und auch viele Dinge, von denen ihr uns erzählt habt. Beschreibungen von Fremdwesen, die ihr selbst nie gesehen habt, von denen wir aber einige aus eigenen Begegnungen kennen und daher wissen, daß es sie wirklich gibt, daß sie kein Fantasieprodukt sind… eure Entstehungsgeschichte und die Sache mit der Substanz, die die dunklen Götter von euch wollen… euer Begreifen unserer Technik, obgleich ihr nie zuvor damit zu tun hattet und keine eigene Technik entwickelt habt… oder verschweigt ihr uns wieder etwas? Ist das auch etwas, worüber ihr nicht mit uns reden wollt, aus welchem Grund auch immer?« Wir wissen es nicht. Es ist einfach in uns, kam die ein wenig verwirrte Antwort. Wollt ihr uns unser Wissen zum Vorwurf machen? »Das nicht«, sagte Jane nachdrücklich. »Aber wir wollen wissen, woher es stammt. Es sind Dinge, die ihr eigentlich nicht wissen könnt. Sie passen nicht zu allem, was ihr uns bisher über euch erzählt habt. Eure Geschichten sind teilweise sehr widersprüchlich.« Es ist in uns, wiederholten die Shecan. Manchmal erinnern wir uns daran, aber wir wissen nicht, woher diese Erinnerung kommt. Sie ist einfach da. Jeder von uns hat sie, sobald seine Samenkapsel aufgeht und ihn zu einem von uns werden läßt, der wurzelt und wächst. »Genetisch aufgeprägt?« überlegte Bittan leise. »So wie Verhal68
tensmuster und Instinkte?« »Sie verlangen viel von diesen seltsamen Misch-Genen, Andre«, murmelte Art Hooker. »Na schön, lassen wir es erst mal gut sein. Ich glaube, Rea wacht gerade auf. Vielleicht sollten unsere Besucher jetzt erst mal gehen. Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn Rea gleich nach ihrem Erwachen als erstes einen Shecan sieht.« Die Mischwesen verließen den Flugdozer ohne Protest. Jane sah Art und den Astronomen an. »Es ist vielleicht besser, wenn ihr auch hinausgeht«, sagte sie leise. Art nickte. Er faßte Bittan am Ärmel. »Kommen Sie«, sagte er. »Jane hat recht, und wir haben draußen bestimmt noch allerhand zu tun.« »Was denn?« ächzte Bittan, aber der Prospektor zog ihn bereits in die Druckschleuse. Rea Banks begann sich zu bewegen. Die Paralyse ließ jetzt rasch nach. Jane wunderte sich, daß Sakuro noch nicht erwachte. Seine größere Körpermasse hätte die Wirkung des Schockstrahls noch schneller verarbeiten müssen. Aber er blieb reglos, während Rea sich halb aufrichtete. Ihre Augenlider flatterten. Sie erbrach sich mehrmals hintereinander. Jane säuberte sie und entfernte die saure Masse, die vorwiegend aus Blutenstaub bestand. Dann gab sie Rea einen ihrer eigenen Overalls und half ihr beim Anziehen. Rea kauerte sich in einen der Sitze. Jane gab ihr etwas zu trinken. »Du hattest die bessere Selbstkontrolle«, sagte Rea schließlich tonlos. »Ich bewundere dich. Du konntest dich dem Zwang entziehen. Ich wollte, ich hätte es auch gekonnt.« Sie warf einen beinahe scheuen Blick auf Sakuro, der nach wie vor reglos auf einer der Decken lag, die Art und Jane für die beiden Blütenopfer ausgebreitet hatten. »Was ist mit ihm?« »Art hat euch beide geschockt«, sagte Jane. »Gut«, sagte Rea. »Gut. Warum ist Shen noch nicht wach? Hat er eine stärkere Dosis abbekommen?« »Nein. Wir wissen es nicht«, sagte Jane. Sie setzte sich neben Rea auf die Kante des Sitzes und legte einen Arm um die Schultern der anderen Frau. »Ich glaube, ich hatte einfach nur Glück, daß ich…« »Glück?« fragte Rea mutlos. »Ich war glücklich. Es war so unglaublich schön. Es war… es war purer Sex, Jane. Hingabe, ohne zu denken, ohne Verantwortung, einfach nur so. Ich hätte bedenkenlos mit jedem von euch geschlafen, verstehst du? Mit jedem! Aber…« »Du mußt nicht darüber reden, wenn du nicht willst«, sagte Jane. »Ich wollte, ich müßte es nicht«, sagte Rea leise. »Aber ihr sollt wissen, daß ich nicht so bin. Nicht so… so wild. So zügellos. Ich bin nicht der Typ, gleich über jeden herzufallen, nur weil mir sein Gesicht oder sein Duft oder sein Hintern gefällt, verstehst du? Ich begreife nicht, was ich getan habe. Und es war…« Sie verstummte, brauchte eine Weile, bis sie wieder reden konnte. Geduldig wartete Jane ab, strich durch Reas Haar, streichelte ihre Wange. Rea wich den Berührungen nicht aus, sondern erduldete sie stumm. »Es war so verdammt schön«, stieß Rea schließlich hervor. »So unglaublich, unbeschreiblich… ich weiß, daß ich so etwas Wunderbares niemals wieder erleben werde. Wenn ich daran denke, sehne ich mich danach. Aber ich weiß, daß es falsch war.« »Mit Shen zu schlafen?« »Mit Shen?« Reas Kopf flog herum; aus großen Augen sah sie Jane an. »Aber das war es nicht, wir haben uns nicht einmal berührt! Es… es… es waren die Shecan… die Shecan! Was habe ich nur getan? Jane… ich…« »Warum versuchst du dich dafür zu entschuldigen?« »Weil es falsch war. So falsch…« »Du konntest nichts dafür. Du wurdest dazu gezwungen.« 69
»Aber du nicht. Du bist davongelaufen, rechtzeitig.« »Woher willst du wissen, daß es mich nicht trotzdem noch erwischt hat?« »Ich weiß es einfach«, sagte Rea düster. »Du hast es nicht mehr erlebt, diese unglaubliche Lust, dieses Glück, diese Erfüllung… ich wollte nichts anderes mehr. Nur noch das. Und jetzt…« Sie begann wieder zu würgen, aber da war nichts mehr, das sie von sich geben konnte. »Ich… ich bin krank, Jane. Ich bin abartig. Wie konnte ich es geschehen lassen, ohne mich so dagegen zu wehren, wie du es konntest?« »Shen konnte sich auch nicht wehren.« »Shen ist ein Mann. Männer erleben den Sex anders. Ich bitte dich um etwas, Jane.« »Schon gewährt.« »Warte erst, bis du es hörst«, sagte Rea. »Ich bitte dich: Denke niemals schlecht über mich. Ich bin nicht so, wie es ausgesehen hat. Willst du mir das versprechen?« »Warum sollte ich schlecht über dich denken?« »Denke nicht schlecht über mich«, wiederholte Rea. »Und wenn du kannst, laß es nicht zu, daß die anderen schlecht über mich denken. Behaltet mich so in Erinnerung, wie ich vorher war.« »Selbstverständlich«, versprach Jane. »Aber…« »Still«, sagte Rea. Sie zog Janes Kopf zu sich herum und küßte die Prospektorin auf die Wange. Dann zog sie den Blaster aus Janes Gürtelholster, setzte sich den Abstrahlpol an die Schläfe und betätigte den Strahlkontakt. Sie begruben sie am Fluß, an einer Stelle mit guter Aussicht über die Landschaft und im Schatten eines großen Baumes. Die Morgensonne berührte das einsame kleine Grab und hüllte es täglich in goldenen Glanz. Jane war zwei Tage lang nicht ansprechbar. Sie schaffte es nicht einmal, mit ihrem Mann zu reden, und er war klug genug, sie in Ruhe zu lassen. Sie verschwand stundenlang irgendwo in der Umgebung, immerhin vorsichtshalber mit dem Vipho, um zwar allein zu sein, aber im Gefahrenfall eine Notrufmöglichkeit zu haben. Sie brauchte das Vipho nicht; sogar die wilden Raubechsen ließen sie in Ruhe. Shen Sakuro erwachte nicht. Er blieb starr, obgleich die Paralyse längst abgeklungen war. Er wies keinerlei Lebenszeichen mehr auf. Bittan, der ihm vorher schon gern assistiert hatte, wollte ihn untersuchen. Der Astronom, der sich bereits dafür verfluchte, den Planeten betreten zu haben, dem er seinen Namen gegeben hatte, war froh, eine Aufgabe zu haben, denn als Sternbeobachter war er hier wirklich fehl am Platz. So hatte er sich Sakuro angedient und von ihm gelernt. Zusammen mit Hooker versuchte er nun, etwas über Sakuros Zustand herauszufinden. Er wollte Sakuros Blut untersuchen. Aber er konnte seinem Körper kein Blut entnehmen. Er versuchte es mit einem Schnitt, öffnete Blutgefäße und entnahm Zellproben. Sämtliche Körperflüssigkeiten waren erstarrt, gebunden. Blut und Lymphflüssigkeit eine feste Masse. Der gesamte Organismus stillgelegt. Das Herz erstarrt. Und in der starren Masse fand sich ein Virus. Jener Virus, den Sakuro entdeckt hatte. Es war jener F-Stamm, der sich nur in den Shecan fand und bei ihnen nicht tödlich wirkte, obgleich der Virus an sich in jeder Form bei anderen Lebewesen Krebs erzeugte und sich so schnell vermehrte, daß eine Infektion innerhalb kürzester Zeit zum Tod führte. Auch in Sakuros Körper hatte der Virus sich vermehrt; aber diese Vermehrung war bei einem bestimmten Punkt zum Stillstand ge70
kommen. Biologisch war Shen Sakuro tot. Aber etwas stimmte nicht. Er verweste nicht. In der Hitze, die in dieser Region vorherrschte und in der Mittagszeit weit über 30“ Celsius erreichte, hatte der Zerfallsprozeß bei Rea Banks schon sehr schnell eingesetzt. Bei Sakuro zeigte sich auch am Ende des zweiten Tages keine Veränderung. Zumindest nicht in dieser Hinsicht. In anderer schon. Seine Verletzungen, die Schrammen an Oberschenkel und Schlüsselbein, verheilten unglaublich rasch. Schon am ersten Abend war kaum noch etwas von ihnen zu sehen, eine neue Hautschicht hatte sich gebildet, und am Morgen des zweiten Tages gab es nicht einmal mehr Narben. Das paßte nicht zu einem Toten! Die Instrumente behaupteten nach wie vor, daß Sakuro keine Lebensfunktionen mehr zeigte. »Solange er nicht verwest, brauchen wir ihn nicht zu bestatten«, stellte Art Hooker trocken fest. »Warten wir einfach ab. Vielleicht werden wir ja auch doch noch abgeholt, dann können wir ihn vielleicht mitnehmen und auf Terra beerdigen…« »Du glaubst noch daran, daß wir die Erde wiedersehen?« wunderte sich Bittan. Der Prospektor lächelte. »Ich will daran glauben, Andre. Wenn wir damals auf Hope einfach den Kopf in den Sand gesteckt und uns mit allem abgefunden hätten, wären wir heute nicht hier. Aber wir – wir alle, wir Siedler von Hope, haben nicht aufgegeben. Nein, Andre. Die Hoffnung ist etwas, das ich niemals aufgeben werde. Rea hatte ihre Hoffnung verloren, und ihre Selbstachtung. Das war das Schlimmste. Aber ich glaube und hoffe, daß wir es schaffen.« »Vielleicht sollten wir diesen Planeten dann nicht >BittanHope-2< nennen«, sagte der Astronom. »Ich glaube, das wäre doch etwas überzogen und geschmacklos«, erwiderte Hooker. Bittan winkte ab. »Du hast recht. Trotzdem fällt es mir schwer, deinen Optimismus zu teilen.« Er sah wieder zu dem Instrumentensatz. »Zum Teufel, wenn wir eine bessere Ausrüstung hätten…« Art Hooker stutzte. Da war eine Erinnerung: Sakuro: »Es ist zum Kotzen, daß es auf diesem Planeten keine besseren Geräte gibt!« Shecan: ES gibt sie. Art Hooker: »Wo?« Shecan: – Keine Antwort. »Na wartet«, murmelte Art. »Da wollen wir doch mal ein bißchen nachhaken…« Tief unter dem alten Inder schössen rauschend und schäumend die Wasser des Brana-Flusses zu Tal. Gedankenverloren streichelte Echri Ezbal seinen Hund Urran; schnurrend strich die Katze Choldi um seine Beine. Sein Blick ruhte auf den schneebedeckten Gipfeln der Bergriesen. Einer seiner Assistenten trat zu ihm. »Wir sind bereit, Echri. Alles ist vorbereitet.« Ohne eine Erwiderung erhob Ezbal sich und suchte gemessenen Schrittes das Labor auf. Die pulsierende Hektik um ihn her berührte ihn kaum. Er war ein Pol der Ruhe im Geschehen. Am Haupteingang des Labortraktes wies er die beiden Tiere zurück, die ihm bis hierher gefolgt waren. »Geht!« befahl er leise. »Wenn Brahma will, sehen wir uns morgen 71
wieder.« Wenig später stand er im Labor. Aber etwas stimmte nicht. An seiner Stelle lag einer seiner Assistenten auf der Liegefläche, bereits entkleidet und für das Experiment vorbereitet. »Was bedeutet das?« fragte Ezbal stirnrunzelnd. »Wir haben abgestimmt, Echri«, sagte der Mann, der ihn abgeholt hatte. »Wir lassen nicht zu, daß Sie sich opfern. Shakana erbot sich, das Experiment zu wagen.« »Das kann ich nicht verantworten«, erwiderte Ezbal. »Wir können nicht verantworten, Sie zu verlieren, Echri«, sagte der Mann auf dem OP-Tisch. »Es ist mein Wille. Wir wissen, daß es Ihr großes Projekt ist, wir wissen, wie sehr Ihr Herz daran hängt. Aber Ihr Wille darf Sie nicht blenden, Echri. Wer soll Ihr Werk fortführen, wenn dieses Experiment mißlingt? Ist dieses Risiko nicht viel größer?« »Ich bin nicht wertvoller als Sie alle. Ich kann es nicht zulassen. Stehen Sie auf. Ich bin sicher, daß der Versuch gelingt, sonst würde ich ihn nicht durchführen wollen. Mißlingt er, ist in jedem von Ihnen und in meinen Aufzeichnungen genug Wissen, dieses Projekt fortzuführen.« »Aber keiner von uns hat Ihre Träume, Echri«, sagte der erste Assistent. »Wenn es wirklich so gefahrlos ist, wie Sie sagen, können Sie es auch verantworten, daß einer von uns an Ihre Stelle tritt.« Ezbal schüttelte den Kopf. »Dann wird dieser Versuch nie stattfinden«, erklärte der Assistent. Die anderen nickten. »Wir werden uns weigern, Sie zu unterstützen, und auch jeden späteren Selbstversuch unterbinden.« »Sie wissen, daß Sie damit meinen Traum zerstören würden.« »Ja«, sagte Shakana. »Doch das will keiner von uns. Echri, Sie sind der Motor dieses Projektes. Sie sind es, dessen Stimme zählt, wenn es um Verhandlungen mit der Regierung geht. Sie wird man anhören, nicht einen von uns. Deshalb dürfen Sie dieses Risiko nicht eingehen. Ich kann es. Ich bin bereit.« Echri Ezbal überlegte lange. Endlich nickte er. Shakana war bereits an die Instrumente angeschlossen. Doch diesmal war es nicht Ezbal, der zum Wandschrank ging und dem Stahlsafe das Serum entnahm. Er brachte es nicht fertig. Was er bei Urran gekonnt hatte, was er seinen Assistenten abverlangt hätte – hier und jetzt war er nicht in der Lage, es auszuführen. Es war nicht so, daß er sich um den Versuch betrogen fühlte. Es war unwichtig, ob es ihm als Versuchsperson gelang oder einem anderen. Entdeckerstolz, Ruhm und Ehre – das waren Empfindungen, die er längst hinter sich gelassen hatte. Was zählte, war nicht die Person, sondern der Erfolg. Oder der Mißerfolg. Und er war erschüttert, daß einer seiner Assistenten bereit war, das Risiko des Mißerfolgs auf sich zu nehmen. Dieser Mann trug einen ebenso großen Traum in sich wie Ezbal selbst, gepaart mit Hingabe und Vertrauen. Die Leute hatten recht. Ezbal war wichtiger als jeder von ihnen. Aber es fiel dem alten Brahmanen schwer, das zu akzeptieren. Ein Risiko, das er selbst zu tragen gewillt war, einem anderen aufzubürden, war nicht seine Art. Aber sie hatten entschieden, und er glaubte Shakana, daß die Entscheidung wirklich aus freiem Willen erfolgt war. Bandar verabreichte Shakana die Injektion. Alles lief so ab wie vor Tagen. Shakana hatte die Augen geschlossen. Er wirkte ruhig und entspannt. Die Instrumente sendeten ihre Meßwerte an den Suprasensor. Dieser Versuch lief etwas verzögert ab, was aber an der größeren 72
Körpermasse der Versuchsperson lag. Erst in der fünften Sekunde erfolgte die Meldung: Körper wird steif. Dann verlief alles im gleichen zeitlichen Rhythmus wie zuvor Atmung wird träger. Herztätigkeit läßt nach. Gehirnströme merklich schwächer. Atmung setzt aus. Herztätigkeit setzt aus. Gehirnströme nicht mehr meßbar. Exitus nach exakt 18 Sekunden. Auch das Erwachen am folgenden Tag verlief im gleichen Rhythmus. Wie bei Urran, war auch der Körper des Menschen nicht starrgefroren, sondern weich und beweglich, als er aus dem Kältebad geholt wurde. Die zweite Injektion wurde verabreicht, nachdem der Aufheiz-Prozeß begonnen hatte und die Körpertemperatur stieg. Gehirnströme erkennbar. Gehirnströme meßbar! Herzschlag setzt ein! Atmung setzt ein. Gehirnströme stärker und normal. Herztätigkeit normal. Atmung normal. In der 19. Sekunde hätte Shakana die Augen öffnen müssen. Er tat es nicht! Den Instrumenten zufolge war mit ihm alles in Ordnung. Er war wieder zum Leben erwacht – aber wieso reagierte er nicht? »Er macht einen Scherz«, vermutete Bandar, der auch diese Injektion gesetzt hatte. »Er amüsiert sich köstlich über unser Entsetzen!« Aber Shakana war kein Scherzbold. 31 Sekunden nach dem Erweckungsprozeß öffnete er endlich die Augen. Immer noch zeigten alle Instrumente normale Werte an, nur glaubte das im Labor kein Mensch mehr. »Shakana«, sagte Ezbal leise und beugte sich über seinen Assistenten. »Shakana, können Sie mich hören?« Die Reaktion war ein orientierungsloses Lallen. Das Experiment am Menschen war mißlungen. Ezbal empfand keine Erleichterung, weil nicht er die Versuchsperson gewesen war, sondern Shakana, der ganz neu leben lernen mußte. Er war entsetzt darüber, daß sein Traum verflog, zerstört worden war. Und er konnte es nicht riskieren, das Experiment unter diesen Umständen zu wiederholen, um mit einer leichten Modifikation des Serums ein anderes, vielleicht besseres Resultat zu erzielen. Denn möglicherweise gab es ein noch schlechteres Resultat! Weitere Experimente waren unverantwortlich. Organisch war Shakana völlig in Ordnung. Das Einfrieren auf minus 192,4“ hatte seinem Körper nicht geschadet. Der Virus in dem >Serumdunklen GötterBurg der dunklen Götter< zu finden war. Die Burg, nicht der Tempel. Die Shecan hatten die dunklen Götter nie verehrt, nie angebetet. Sie haßten sie. Die dunklen Götter hatten die Shecan erschaffen, aber was sie gesät hatten, das ernteten sie auch. Die letzte >Ernte< lag schon lange zurück; als sei der Planet in Vergessenheit geraten. Aber die >Burg< gab es nach wie vor… Art Hooker hatte die Shecan unter Druck gesetzt. Er hatte ihnen den Tod von Rea Banks zum Vorwurf gemacht und sie an die seltsame Totenstarre von Shen Sakuro erinnert. Beides zusammen sei ein Angriff auf die Terraner, und Art hatte den Shecan klargemacht, daß ein solcher Angriff nicht ungesühnt bleiben konnte. Dabei hatte er sich in eine derartige Aggressivität hineingesteigert, daß die Shecan bei der Unterhaltung glaubten, was er sagte. Diesmal waren sie nicht fähig gewesen, ihn zu durchschauen. Aber sie hatten etwas erkannt, das ihnen zu gefallen schien. Seinen absoluten Willen, die Schuldigen am Tod seiner Gefährten zur Rechenschaft zu ziehen! Und sie hatten sich sofort angeboten, ihm zu helfen. 74
Sie waren erleichtert, als er seinen mentalen Druck daraufhin löste. Aber ihr Angebot blieb. Sie wollten ihm helfen. Wenn du den dunklen Göttern der Verdammnis Schaden zufügst, ist dieser Schaden für uns Nutzen. Deshalb werden wir alles tun, was nötig ist, um dich bei deinem Vorhaben zu unterstützen. Und jetzt war er hier. Ihr Haß auf ihre Götter mußte unwahrscheinlich stark sein, daß sie ihn hierher geleitet hatten, und Art Hooker hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kommen mußte, die er auf jeden Fall gewinnen wollte! Dabei ging es ihm nicht um Rache, und er war auch nicht sicher, ob es gut war, sich in den internen Konflikt zwischen den Shecan und ihren Göttern einzumischen, aber er hoffte darauf, daß es in der Station ein Raumschiff gab – oder wenigstens ein Hyperfunkgerät! Jemand, der ein terranisches Landungsteam angreifen, die Linsen zerstören und die Funkverbindungen lahmlegen konnte, mußte einfach über eine entsprechende eigene Technik verfügen! Schließlich mußten die dunklen Götter ja auch irgendwie hierher gekommen sein, und die Lichtjahrdistanzen zwischen den Sternen hatten sie ganz bestimmt nicht zu Fuß zurückgelegt… Ein Funkgerät, wußte Art, würde schon reichen. Damit konnte er einen Notruf abstrahlen. Nur mußte er dazu die absolute Kontrolle über die Station erhalten, weil man ihm sonst sehr schnell wieder den Saft abdrehen würde. Daß die Fremden ihm die Kontrolle ganz sicher nicht freiwillig abtreten würden, war dabei völlig klar. Daran gedacht, diese Station zu suchen, hatte er auch schon in den Tagen zuvor, nur hatte er nicht gewußt, wo er suchen sollte. Das mögliche Areal war groß, und wenn sie gut getarnt war, konnten sie auch mit den technischen Möglichkeiten des Flugdozers wochenlang danach suchen. Fraglich, ob die >Götter< sich das lange genug ansehen würden, ohne einen Präventivschlag zu führen, so wie sie die beiden Linsen eiskalt abgeschossen hatten. Außerdem war Art lange Zeit nicht sicher gewesen, ob sich die Shecan nicht schließlich doch auf die Seite ihrer Götter stellen würden. Der Begriff hatte ihn ständig abgeschreckt und zur Vorsicht ermahnt – auch wenn er den Zusatz >Verdammnis< trug… Inzwischen schien aber klar zu sein, daß die Shecan unter diesen >Göttern< eher bösartige Dämonen verstanden… In noch respektabler Entfernung zur Station stoppte Hooker den Flugdozer und schaltete die Maschinen ab. Nur noch die Grundversorgung blieb aktiviert. Der Prospektor sah sich zu dem Shecan um, der hinter den Steuersitzen stand. Das Mischwesen hatte mit seinen Fingerwurzeln ganz leicht Arts Schulter berührt. Er hatte es trotzdem durch den Stoff seines Overalls gefühlt. Ein wenig mißtrauisch war er trotz allem noch. Seine rechte Hand hatte sich im gleichen Moment, in dem der Shecan seine Schulter berührte, in Richtung Paraschocker bewegt. Dein Mißtrauen ist unbegründet, teilte der Shecan ihm mit. Ich will dich nicht gefährden. Aber ich habe gelernt, daß körperliche Berührungen bei Terranern aufmerksamkeitserhöhend sind. Art schwenkte mit dem Sessel herum. Warum fährst du nicht näher heran? wollte der Shecan wissen. »Ich will die anderen überraschen, nicht umgekehrt. Ich werde den Rest der Strecke zu Fuß zurücklegen.« »Aber doch nicht allein!« protestierte Jane. »Du brauchst jemanden, der dir den Rücken deckt.« »Du bleibst hier«, sagte er. »Ich brauche jemanden, der den Flugdozer steuern kann. Andre kann das nicht.« Und den Shecan wollte er das erst recht nicht überlassen. Zwar traute Art ihnen auch zu, den Dozer zu bedienen. Aber er spürte ein erhebliches Unbehagen dabei, diese 75
vertraute Maschine in fremde Hände zu geben. Vor allem, wenn diese Hände gar keine Hände im menschlichen Sinn waren… »Aber Andre kann dich begleiten, Art«, sagte der Astronom etwas unsicher. »Andre ist zwar kein Kämpfer und im Grunde seines Herzens ein verdammter, elender Feigling, aber er kann zumindest versuchen, dir den Rücken freizuhalten und auf alles zu schießen, was nicht wie Terraner oder Shecan aussieht.« »Dann paß nur auf, daß du den dunklen Götter nicht Zeit gibst, auf dich zu schießen«, sagte Art. »Ich werde aufpassen«, sagte Bittan. Der Prospektor runzelte die Stirn. »Bist du sicher, daß du es dir zutraust? Wenn du dir nicht ganz sicher bist, gehe ich lieber doch allein. Ich möchte nicht, daß du etwas tust, was du eigentlich gar nicht willst.« »Ich will«, sagte Bittan. »Immerhin sitzen wir alle in einem Boot«, er korrigierte sich mit einem unechten Lächeln, »beziehungsweise in einem Flugdozer, und ich habe bisher wenig genug für unsere Gemeinschaft tun können. Wenn ich eine Chance bekomme, etwas dagegen zu unternehmen, daß wir wie die zehn kleinen Negerlein immer weniger werden, werde ich sie ergreifen, auch wenn ich dabei verdammte Angst habe. Aber vielleicht läßt mich gerade meine Angst besonders vorsichtig sein.« »Angst ist immer ein guter Ratgeber«, sagte Art. »Es gibt zwei Sorten von Menschen: Die einen sind Helden, die anderen überleben. Ich denke, wir sollten nicht unbedingt die Helden spielen.« Er streckte die Hand aus; grinsend berührte er den Shecan. »Komm, mein Freund. Du wirst uns die letzten Schritte wohl auch noch führen, oder?« Der Shecan ging voraus. Art fühlte mehr, als daß er es hörte, wie Jane erleichtert aufatmete. In der unmittelbaren Nähe der Pflanzenwesen fühlte sie Unbehagen. Wer wollte es ihr verdenken, nachdem sie beim >Blütenfest< gerade noch davongekommen war? Und Rea Banks’ Suizid hatte sie auch noch nicht richtig verkraftet. Vielleicht würde ihr das nie gelingen. Solche Erlebnisse zehren an der Substanz und bleiben als Erinnerung für alle Zeiten gegenwärtig… Mit einem Kuß verabschiedete sich Art von seiner Frau. »Komm bloß wieder«, flüsterte sie. »Ich brauche dich so sehr wie noch nie zuvor.« »Verlaß dich drauf«, sagte er. »Mich wirst du so schnell nicht los…« Dann waren sie draußen. Der Shecan führte sie die letzten Kilometer der Burg der dunklen Götter entgegen. Die Station war tatsächlich gut getarnt. Aus der Luft, nur mit den technischen Möglichkeiten des Flugdozers, wäre sie möglicherweise überhaupt nicht zu erkennen gewesen. Sie war zum größten Teil überwuchert. Nur einige wenige freie Stellen ließen erahnen, daß hier etwas Künstliches errichtet worden war. Und eine Art Pfad führte zu einer jener freien Stellen. Er war nicht so ausgetreten, wie er es auf der Erde gewesen wäre. Die Shecan trampelten nicht mit Fußsohlen alles nieder, sondern bewegten sich auf ihren Laufwurzeln gewissermaßen zwischen den Gräsern hindurch. Dennoch wurde deutlich, daß es sich hier um einen Weg handelte, der oft benutzt wurde. Vielleicht benutzten ihn sogar die dunklen Götter gelegentlich… Art Hooker duckte sich hinter hohem Gras und niedrigen Sträuchern, die mit ihren spinnennetzartig verwobenen Zweigen einen nicht ganz ungefährlichen Eindruck machten. Er hatte Bittan mit sich zu Boden gezogen. Der Shecan verschmolz beinahe mit seiner Umgebung; er war fast unsichtbar. Art suchte nach Kameras, konnte aber keine entdecken. Sollte dieser Weg nicht abgesichert sein? »Das dort ist der Eingang?« vergewisserte er sich bei dem Shecan. 76
Er wird benutzt. Es geschieht, daß die dunklen Götter der Verdammnis einige von uns zu sich rufen. Dann benutzen wir diesen Weg. Der Eingang öffnet sich, wenn wir kommen, und schließt sich, wenn wir gehen. »Aus welchem Grund rufen sie euch, und wie geschieht das?« Die gerufen werden, spüren den Drang, hierher zu kommen. Die dunklen Götter der Verdammnis entnehmen ihnen etwas von ihrer Substanz und schicken sie wieder fort. Auch ich war schon oft hier. »Pheromone«, raunte Bittan. »So, wie die Shecan Duftstoffe aussenden, um ihre Bestäubungshelfer anzulocken, werden sie selbst von den Göttern angelockt. Wie sonst sollte der Drang entstehen?« »Vielleicht geschieht es auf Para-Ebene«, überlegte Art. »Ich erinnere mich daran, wie uns auf Hope die Synties mit ihren ungeheuren Hypno-Kräften gezwungen haben, Dinge zu tun, die wir gar nicht wollten… Mit den Pheromonen gibt es außerdem ein Problem: sie würden alle in der Nähe befindlichen Shecan zu sich rufen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das wollen. Schon aus Sicherheitsgründen. Und jeden Shecan genetisch so zu trimmen, daß er nur auf einen ganz bestimmten Duftstoff anspricht, und damit Abertausende von Düften aussenden zu müssen… na, ich weiß nicht, Andre. Auf paramentale Weise läßt sich das viel leichter organisieren, man kann sie in kleinen Gruppen herbeiholen, wie’s einem gerade in den Kram paßt.« Der Astronom und Hobby-Verhaltensforscher sah den Shecan an. »Bestand deine Gruppe immer aus den gleichen Individuen, oder waren es jedesmal andere?« Wir waren stets die, die auch vorher zusammen zu den dunklen Göttern der Verdammnis gingen. »Siehst du, Art?« grinste Bittan. »Jetzt glaube ich erst recht nicht mehr an Parakräfte. Wenn man die Shecan zu Gruppen zusammenfaßt, wird die Menge der erforderlichen Duftstoffe schon erheblich eingeschränkt. Man holt sich dann jeweils eine ganz bestimmte Gruppe ins Labor.« Hooker zuckte mit den Schultern. »Werdet ihr auch in immer gleichen Zeitabständen zu den Göttern gerufen?« wollte er wissen. Einmal dauert es lange zwischen den Rufen, dann wieder weniger lange. »Schade«, sagte der Prospektor. »Ich hatte schon gehofft, deine Theorie doch noch widerlegen zu können. Bei immer gleichen Zeitabständen hätten die Shecan irgendwie darauf eingestimmt sein können, hierher zu kommen, entweder genetisch veranlagt oder durch Suggestion oder Erziehung… wie auch immer.« »Mal ‘ne Zwischenfrage«, sagte Bittan. »Wollen wir das hier und jetzt ausdiskutieren, oder wollen wir da ‘rein?« Dabei deutete er auf den Stationseingang am Ende des Pfades. »Du hast recht«, murmelte Hooker. »Wir verschenken nur sinnlos Zeit. Du bewegst dich links, ich komme von rechts. Sieh zu, daß du immer in Deckung bleibst. Irgendeine Form der Überwachung muß es geben, und ich möchte nicht, daß wir zu früh entdeckt werden.« »Vielleicht überwachen sie nicht optisch, sondern über Infrarot oder Zellkernschwingungen oder sonstwas, das sie möglicherweise anmessen können.« »Dann haben wir eben Pech«, sagte Hooker. »Los jetzt.« Der Shecan blieb hinter ihnen zurück. Die beiden Terraner bewegten sich so leise wie möglich vorwärts und waren auch bemüht, Zweige nicht so zu bewegen, daß diese Bewegung von anderen bemerkt werden konnte. Es sollte allenfalls so aussehen, als spiele der Wind mit den Sträuchern. Einige Zeit später erreichten sie die Stelle, an der der Eingang sein sollte. Die Wand war fugenlos glatt. Wo sollte hier eine Tür sein? Unwillkürlich mußte Art an die Mysterious denken. Die brachten es im Industriedom und in der POINT OF auch fertig, Metallflächen 77
fugenlos erscheinen zu lassen, obgleich sich Öffnungen darin befanden. Und diese fugenlos schließenden Türen öffneten oder schlössen sich per Gedankenbefehl! War das hier auch so? Art konzentrierte sich und versuchte sich eine Tür vorzustellen, die vor ihm aufglitt. Aber nichts geschah. Die graue Wandfläche blieb verschlossen. Nur zwei Meter neben der Tür preßte sich Art an das getarnte Bauwerk. Auf der anderen Seite sah er den Astronomen. Andre Bittan hielt seinen Blaster feuerbereit in der Hand. Art löste seinen Paraschocker aus dem Holster. Als er sicher war, daß Bittan ihn sah, gab er ihm ein Handzeichen. Dann trat er direkt vor die Stelle, an der die Tür sein mußte. Bittan tat es ihm gleich. »Hier muß doch irgendwo die Klinke sein«, brummte der Astronom, legte die Hand gegen die Wand – und war im nächsten Moment verschwunden! Der Shecan wartete nicht ab, was die Terraner taten. Er war überzeugt, daß sie zu zweit nicht viel ausrichten konnten. Er konnte auch die Angst spüren, die von dem Terraner ausging, der als Andreebittan bezeichnet wurde. Der andere, Artuker, hatte auch Angst, aber seine animalische Entschlossenheit überdeckte sie. Kurz nur fragte sich der Shecan, warum die Terraner sich einerseits als >Menschen< definierten und trotzdem jeder von ihnen noch einen eigenen Artnamen besaß. War jeder von ihnen tatsächlich der Vertreter einer eigenen Spezies – der Artuker, der Andreebittan, der Scheenhuker, der Schensakuro, der Reabenx – oder waren sie einfach nicht fähig, sich anders voneinander zu unterscheiden? Immerhin sah doch jeder von ihnen völlig anders aus als die anderen! Aber wenn sie meinten, sich unnötig viele Bezeichnungen geben zu müssen, war das ihre Sache. Für die Shecan war es höchstens verwirrend, weil sie das nicht gewohnt waren. Der Shecan kehrte zum Flugdozer zurück, in dem Scheenhuker wartete. Aber er betrat die Maschine nicht. Er spürte die Scheu, die der Terraner Scheenhuker verspürte, und respektierte sie. Deshalb wartete er draußen, zeigte nur seine Anwesenheit. Scheen, wie die anderen Terraner dieses Wesen meist nannten, tauchte in der Druckschleuse auf. »Was ist los, warum bist du zurückgekommen?« Sie sind jetzt in der Burg. Deshalb bin ich wieder hier. »Und wenn sie in Gefahr sind? Wenn sie Hilfe brauchen?« Dann werde ich für Hilfe sorgen. »Von hier aus?« Ja. Damit hatte der Shecan alles gesagt. Der Terraner war damit nicht zufrieden und drängte mit Fragen, aber der Shecan schwieg. Warum sollte er überflüssige Gedanken und Worte erzeugen? Er wußte, was er tat. Und das mußte auch allen anderen genügen. Verblüfft starrte Art Hooker die Stelle an, an der sich Bittan eben noch befunden hatte. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, aber der Astronom war nicht einfach nur unsichtbar geworden, sondern tatsächlich nicht mehr vorhanden. »Andre?« fragte Hooker leise. »Andre, wo steckst du? Kannst du mich hören, Sterngucker?« Der Astronom antwortete nicht. Er blieb verschwunden. Art erinnerte sich daran, was der Shecan ihnen mitgeteilt hatte: das Tor öffnete sich vor ihnen und schloß sich hinter ihnen wieder… Nicht alles, was die Shecan von sich gaben, war hundertprozentig wörtlich zu nehmen. Offenbar funktionierte diese Tür etwas anders. Aber warum, bei allen Sternengeistern, hatte der Shecan sich dann so 78
diffus ausgedrückt, obgleich sein Volk sich doch mit Technik auskannte, sogar mit der ihnen völlig fremden terranischen, und demzufolge auch die Technik der >GötterGötter Götter