Mathilde Gräfin Stubenberg Gabriel von Herrenburg Eine epische Dichtung in vierzehn Gesängen
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Nach der Ausgabe Mathilde Gräfin Stubenberg – Gabriel von Herrenburg Eine epische Dichtung in vierzehn Gesängen Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn, 1902 Mit Illustrationen von Ferdinand Dorsch Leider stellten wir zu spät fest, dass wir Ihnen aus urheberrechtlichen Gründen bis 1. Januar 2009 die Illustrationen von Ferdinand Dorsch nicht anbieten können; wir haben sie deshalb unkenntlich gemacht. Sehen Sie geduldig dem Jahr 2009 entgegen.
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© 2007 Peter M. Sporer für ngiyaw eBooks. Földvári u. 18, H – 5093 Vezseny (
[email protected]). © 2007 Scott Cumming für die Coverillustration. Erstellt mit Corel Ventura 10, das die Corel Deutschland GmbH. freundlich zur Verfügung gestellt hat. Gesetzt in der Baskerville Book.
Meiner Tochter Marie zu eigen.
Leitspruch: Des Menschen Höchstes sei die Plicht, und ob er drob zusammenbricht, So fällt er doch als Held im Kampf; Umklammert hält im Todeskrampf Die starre Hand mit letzter Kraft Des Banners unversehrten Schaft.
1.
Geopfert.
Z
u Herrenburg im stolzen Grafenschlosse Lag krank und siech des Hauses letzter Sprosse. Die Mutter weint’, der Vater rang die Hände, Doch unaufhaltsam näher rückt’ das Ende, Von fernsten Gauen rief man Ärzte, Weise, Und keiner scheute die Gefahr der Reise, Denn fürstlich ward ein jeder aufgenommen. Und reicher ging er, als er hergekommen. Was nur an Schätzen bargen die Gelasse, Mit vollen Händen warf man’s auf die Straße, Da auch das Volk durch Buße und Gebete Genesung für den kranken Sohn erflehte. Und als zu Ende Edelstein und Gold, Ward Vieh und Roß noch aus dem Stall geholt.
Und Opfer flossen in der Klöster Kassen, Die reiche Fülle konnten kaum sie fassen. Doch alles schien umsonst, der Knabe lag So still dahin, ward bleicher Tag um Tag, So wie der Reichtum schwand mit jeder Stunde; Im Volke flüsternd ging’s von Mund zu Munde: »Will nicht der Herrgott hier ein Wunder zeigen. So nennt der Graf die Burg nur mehr sein Eigen!« Und diese läßt er nicht, der Ahnen Wiege, Die stolze Zeugin von so manchem Siege. Von Sohn auf Sohn, seit so viel hundert Jahren, Warb sie vererbt, des Namens Träger waren Von edlem Blut; Graf Arbo ließ’ sein Leben Wohl eher, als die Burg dahinzugeben; Und wenn er jetzt im Schmerze todesbang Ums Leben des geliebten Sohnes rang. War’s Liebe nicht allein, auch der Gedanke, Daß nun mit ihm sein stolzer Stammbaum wanke. Daß mit dem Sohn, blieb unerhört sein Flehen, Der Name »Herrenburg« müßt’ untergehen. — Da, eines Abends, eilig und verstaubt. Bat an dem Thor ein Pilger, ob erlaubt Ihm würde, gleich zu sprechen noch den Herrn; Man meldet ihn, der Graf empfängt ihn gern. Doch seltsam, — ist es Täuschung, die ihn narrt. Da auf den Fremden er nun sprachlos starrt?
Äfft ihn ein Spuk? Ihm ist’s, der Pilger trüge In seinem Antlitz seine, Arbos Züge, Ein Spiegelbild, von dem er ganz gebannt. Wie Aug’ in Aug’ er ihm genüberstand. Ihm graut, es pocht das Herz ihm scheu beklommen: Von wannen ist er plötzlich hergekommen? Er fragt ihn rasch nach Herkunft und Begehr, Ob für den Knaben er ein Retter wär’. Verspricht ihm Schätze, kostbares Gestein; Der Pilger aber sagt ganz leise: »Nein, Versprecht, Graf Arbo, nichts. Ihr seid zu Ende; Nichts habt Ihr mehr als Eures Schlosses Wände, Nichts mehr ist Euer als des Hauses Dach, Geleert ist jede Truhe, jedes Fach, Und ärmer seid Ihr bald als Euer Knecht, Nicht halten könntet Ihr, was Ihr versprecht!« Der Graf erbleicht, schaut finster vor sich hin: »Wer sagt es dir, daß ich am Ende bin? Ich gab und gäbe heut’ mein letztes Gut, Mein Leben gäb’ ich dir dahin, mein Blut, Willst du, o Freund, aus sichern Todesketten Den kranken Sohn mir, den geliebten, retten!« »Wohlan, ich fordre denn der Dinge drei. Versprecht zu geben, was es immer sei; In dreien Malen hol’ ich mir das Pfand. So hebt zum Eide, Graf, nun Eure Hand! Und haltet Ihr getreulich Euren Schwur,
Am Dritten Tage schwindet jede Spur Der Krankheit, die das Liebste Euch bedroht. Und Ihr entreißt das Kind dem nahen Tod!« Da hebt Graf Arbo schwörend seine Rechte: »So wahr mein Gott mir helfe, der Gerechte, Verlange immer, was du willst, an Gaben, Ich sag’s dir zu, du sollst es sicher haben!« Jetzt trat zur Thür ein blondes Mädchen ein. Der Pilger spricht: »So sei das Töchterlein Das erste Pfand, das ich von Euch begehre.« Heiß quillt vom Auge des Gequälten Zähre: »Das Mägdlein soll ich geben? Nein, ach nein! Das kann nicht, kann nicht, Freund, dein Wille sein.«»Nun denn, so stirbt der Sohn noch diese Nacht; Ihr habt, was Ihr gelobt, doch wohl bedacht? Dem Mägdlein soll, ich schwör’s, kein Leid geschehen; Doch dürft Ihr niemals mehr es wiedersehen.« Da geht ein Zittern durch des Vaters Glieder, Doch kämpft er mannhaft die Bewegung nieder. Und wie des holden Mädchens Blick verwirrt Vom Vater zu dem Fremden angstvoll irrt. Stößt Jener rasch sie in des Pilgers Arme Und stöhnt: »Daß sich der Himmel mein erbarme!« Er eilt hinaus, gejagt von düsterm Grauen, Mit keinem Blicke thät er rückwärts schauen Und wirft sich hin ans Lager seines Sohnes. Im brünstigen Gebet harrt er des Lohnes,
Den ihm das Opfer seines Kindes brächte. Er ruft sie an, des Himmels stumme Mächte, Und auf den Knieen liegt er bis zum Morgen, Schaut auf den Sohn in Hoffen und in Sorgen; Doch nichts verrät das nahende Genesen, Und alles bleibt, wie’s ehedem gewesen. Nur eine leise Röte färbt die Lippe. Am Bett Freund Hein mit Stundenglas und Hippe Meint schon, der Raub, er würde ihm entgehen. Umhaucht das Kind mit seines Odems Wehen. Da pocht es wieder an des Schlosses Pforte Und draußen hört man flüsternd leise Worte. Graf Arbo greift an seines Schwertes Knauf; Schon naht ein Knappe dort im raschen Lauf, Ihm auf dem Fuße folgt der fremde Mann; Doch blickt der Graf ihn finster drohend an: »Sieh hin, umsonst hast du mich schnöd beraubt. Weh mir, daß ich dir allzu rasch geglaubt! Es stirbt mein Sohn, die Tochter gab ich dir: Nun sprich. Verwegner, sprich, was willst du hier?« »Das zweite Pfand,« spricht jener leis’ und hohl »Graf Arbo, ei doch. Ihr besinnt Euch wohl Auf das durch Eid bekräftigte Versprechen: Wollt Ihr dem Himmel Euern Schwur nun brechen?« Es schweift sein Blick zum nahen Krankenlager; Mit bleichen Zügen, abgehärmt und mager. Aufhorchend dort des Knaben Mutter steht.
In stummer Frag’ ihr heißes Auge fleht. Und schwanken Schrittes, lautlos durch den Saal Naht sie den beiden: »Sprecht, o mein Gemahl, Was ist’s mit Euch? Was sucht der Fremde hier? Verschweigt mir nichts, sagt alles, alles mir! Nicht tiefer kann der Schicksalsgott verwunden: Am Tod der Sohn, die Tochter jäh verschwunden. Was kann ein Mutterherz trostloser quälen? Sagt alles mir, nichts dürft Ihr mir verhehlen!« Da — zögernd erst, in schlecht verhaltnem Grimme, Dann immer rascher mit erhobner Stimme, Gibt seinem Weib Graf Arbo jetzt Bericht. Wird blässer auch im Lauschen ihr Gesicht, Nur auf den Fremden blickt sie fragend nun. Sie spricht ganz schlicht: »Und was ist jetzt zu thun?« Der Pilger faßt der hohen Herrin Hand, Vergebung heischend, sieht er unverwandt Ins milde Auge ihr; die Worte stocken. Er schüttelt leise die ergrauten Locken: »Was jetzt zu thun? Ihr fragt, erhabne Frau? Nun, da ich fest auf Euern Mut vertrau’. So sprech’ ich’s aus — Euch selbst kam ich zu holen!« — »Verräter!« keucht der Graf, »du hast bestohlen Uns um die Tochter, unsers Hauses Zier, Und nun, ja wahrlich, es bedünkt mich schier. Daß ich vergebens deinem Worte glaube. Du kamst hierher wohl nur zu feigem Raube.
Mein Sohn, sieh hin, liegt bald in letzten Zügen, Laß dir das eine Opfer denn genügen. Umsonst gab ich mein Alles dir dahin. Daß ich am Ende dreifach elend bin.« »Graf Arbo, thut nach Euerem Gefallen; Doch soll ich Euch aus blut’gen Todeskrallen Den Sohn erretten, haltet Euern Schwur, Den hohen Preis kauft Ihr mit Opfern nur. Die edle Mutter, weiß ich, wird nicht zaudern. Mag auch ihr Herz vor dem Gedanken schaudern; Will Rettung sie in meinem Wort erkennen. Wird sie von Euch sich, von dem Sohne trennen. Ein Gotteswille stellt die Wahl Euch frei: Wählt zwischen beiden, wer Euch teurer sei!« Graf Arbo schwankt, sein Weib will er umklammern. Nicht weiß er, soll er wüten, soll er Jammern, Nicht weiß er, ob er träume, ob er wacht; Ihm graut vor seines Doppelgängers Macht. Doch sieh, aus seinen Armen losgerungen Hat sich sein Weib; denn an ihr Ohr gedrungen Ist ihres Sohnes schmerzvoll leises Wimmern. In ihrem Antlitz der Verklärung Schimmern, Reicht sie dem Fremdling ihre Hand entschlossen: »Weh mir, daß so viel Zeit indes verflossen! Wo wär’ die Mutter, die nicht alles gäbe, Auf daß ihr Kind gesunde, daß es lebe? Nicht soll der Tod sein knospend Sein verderben;
Ich will, wenn’s gilt, für unser Glück auch sterben!« Ein letztes Mal beugt sie sich stumm zum Kranken, Sie küßt ihn segnend; aufrecht, ohne Schwanken, Reißt sie sich los aus ihres Arbo Armen; Der rast und fleht den Fremden um Erbarmen. Und eh’ Graf Arbo noch sich selbst gefunden. Sind Weib und Pilger seinem Blick entschwunden. Die Nacht durchwachte Arbo im Gebete; Doch wie verzweifelnd er auch weinte, flehte. Der nächste Morgen brachte kein Genesen, Und alles blieb, wie’s ehedem gewesen. Nur daß ein Rot des Knaben Wangen färbte. In seines Vaters Stirn stets tiefer kerbte Mit ehrnem Griffel sich der Gram sein Mal, Und Stund’ um Stund’ im totenstillen Saal Harrt er des Fremden, der Erlösung bringe, Und horcht, ob noch kein Schritt im Flur erklinge. Da endlich pocht’s, schon will der Tag sich neigen; Graf Arbo fährt empor aus düsterm Schweigen. Der Knappe meldet schon den sondern Mann, Doch kaum hört Arbo seine Worte an; Er stürmt hinaus und holt den fremden Gast Und gönnt dem Müden Ruhe nicht noch Rast: »O komm und schreite immer nur herein; Denn heute muß der Qual ein Ende sein!
Was ist’s? Was forderst du? Ich will’s dir geben; Ich habe nichts mehr als mein armes Leben, Doch dein sei’s, wenn mein Kind durch dich gerettet. Daß nicht der Tod es zu den Schatten bettet. Du schweigst? Du schaust mich heut’ so seltsam an?« »Nicht doch, o Herr!« der Fremde min begann, »Nicht Euer Leben ist’s, nach dem ich trachte; Was Euch bisher um allen Reichtum brachte, Ist Euer Wunsch, den Sohn Euch zu erhalten. Ihr trotzt und ringt mit des Geschicks Gewalten, Löscht selbst die Flamme aus dem heim’schen Herd: Ist Euer Sohn auch solcher Opfer wert? Und wißt Ihr denn, ob je der Dank Euch werde? Ob Schlimmres nicht des Knaben Sein gefährde Als jetzt ein früher Tod ohn Fehl’ und Sünde? Ob Euch nicht einstens tiefres Weh erstünde. Bleibt er am Leben? O bedenkt es, Herr. Tragt Ihr an Euerm Kummer nun auch schwer. In dunkeln Rätseln spricht zu uns das Leben. Und wollen blind wir nach dem Glücke streben, Und meinen wir, das Höchste zu erringen. Wie mancher fluchte später dem Gelingen, Da ihm das Glück in gleißend glatter Schale Ein tückisch Gift nur bot zum Freudenmahle! Gesprochen ist noch nicht das letzte Wort; Kehrt um! ein Truggebilde reißt Euch fort.«
»Was faselst du mit deinen Hirngespinsten? Und wärst du selbst dem Beelzebub zu Diensten, Ging’ mit dem Sohn ich einstens ins Verderben: Hörst du’s? Mein Sohn, er darf und soll nicht sterben!« »Nun denn, das letzte, das noch Euch zu eigen, Die Burg gebt her!« — »Verwegner, willst du schweigen? Die Herrenburg, die meiner Väter Erbe, Sei meines Sohnes Teil, wenn einst ich sterbe; Sie lassen hieße meinen Namen schänden. Wohin auch sollt’ ich mit dem Kind mich wenden? Die Heimat könnt’ ich nimmermehr entbehren. Nicht freudig atmen hinter fernen Meeren; Die Scholle nur, wo wir gelebt, gelitten. Das Land, um das wir kühn gekämpft, gestritten. Der Boden, der uns nährte, soll uns decken. Wenn wir uns einst zur letzten Ruhe strecken. Das schönste Land, es hätt’ mir nichts zu sagen. Wenn es kein Liebstes mir im Schoß getragen; Das Gold der reichsten Stadt würd’ ich verschmähen. Wollt’ lieber auf der Heimaterde stehen Als Bettler und im Schatten dieser Mauern, Eh’ sie zusammenbrechen, sterbend kauern!« »Lebt wohl!« — Der Fremdling will die Hand ihm reichen, Da — lautlos durch die offne Thüre schleichen Sieht Arbo schaudernd eine Spukgestalt. Von grauem Linnen ist der Leib umwallt. Der Schädel kahl, mit heißen, hohlen Augen,
Wie ein Vampir, um warmes Blut zu saugen. Schwebt er dem Kranken zu auf leisen Schwingen. Nicht kann Graf Arbo seine Wut bezwingen; Es saust sein blankes Schwert in grimmen Streichen, Er keucht, er kämpft, den Würger zu erreichen — Umsonst! — Da streckt der Pilger seine Hand, Und beide Streiter stehen wie gebannt: »Ein letztes Wort, Herr Arbo, eh’ ich scheide; Das Kind ich mach’s gesund und frei von Leide, Wenn Ihr die Burg mit allem, was Euch bleibt Zur Stunde jetzt dem Himmel noch verschreib!« Herr Arbo schweigt, es kämpft ein stolz Erinnern Den allerletzten Kampf in seinem Innern; Dann klar und fest spricht endlich er die Worte: »Dein sei die Burg und werde dem zum Horte, Dem je ein Wahn das Leben hat vergiftet; Dem Heimatlosen sei dies Haus gestiftet. Es finde hier der Gute seinen Frieden; Der Frevler, der in Schuld gewallt hienieden, Hier mag er sühnen, was er einst verbrochen; Umsonst soll keiner an die Pforte pochen. Und krümmen soll ein jeder seinen Rücken, Beim Eintritt sich zur Erd’ in Demut bücken; Drum in das Thor baut einen Einlaß klein. Wer sich erniedrigt, der nur darf herein. Ich selbst will mit dem Sohn das Ferne suchen, Und möcht’ ich nie dem Augenblicke fluchen,
Dem ich dies letzte Opfer nun gebracht. Das mich vom Mächtigen zum Bettler macht!« »So möge Gott Euch, Arbo, gnädig werden. Erzwingt Ihr also seine Huld auf Erden. Ich stehe vor Euch heut’ zum letztenmal; Die höchste Macht ist’s, die mich herbefahl. Kein Fremder bin ich Euch; wenn Ihr mich schaut. Ist bald mein Antlitz Euch bekannt, vertraut: Blickt in Euch selbst, stets seht Ihr innen streiten Zwei Wesen, die allüb’rall Euch begleiten; Ein Ich, das, von dem andern Ich geschieden. In jeder Menschenbrust sich regt hienieden; Ein Ich, das fremd der eigensten Empfindung Und doch in ganz untrennbarer Verbindung Mit Euch, in Euerm Innern lebt und waltet. Das eigne Selbst im Widerstreite spaltet. So daß an Euch gar oft Ihr irre werdet. Wenn sich das Ich im Gegensatz gebärdet Zu dem, was Ihr, zum Frommen Euch, empfindet. Ob für die That Ihr auch den Mut nicht Weil jene Kraft, die in Euch wogt und kocht. Das bessere Ich bezwingt und unterjocht. So meint Ihr heute, was Ihr mir gegeben, Sei nimmer Euer selbstisch sünd’ges Streben, Ein Fremder, glaubt Ihr, sei ich hergekommen, Hält’ Pfand um Pfand aus Eurer Hand genommen; Mit nichten, Herr: ich bin nur Euer Wahn,
Was ich vollbracht, das habt Ihr selbst gethan! Nur weil es Euerm Wesen feind. Euch graut, Habt Ihr in mir die fremde Macht geschaut. Ich bin nur Ihr, der Ihr da vor mir steht. Und sterbe nur, wenn Ihr einst untergeht. Bis heute wollt’ es nimmer Euch gelingen. Das zweite Ich, das Euch verwirrt, zu zwingen. So mögt Ihr Euch nur selbst als Schuld’gen schmähen. In Euch allein den Keim des Unheils sehen. Ihr habt Erfüllung jetzo Euch erpreßt Von Gott, der Euch für diesmal nicht verläßt: Seht hin nach Euerm vielgeliebten Knaben, Ihr sollt den Lohn nun für die Opfer haben!« Dann tritt der Fremdling an des Lagers Ende, Dem Kranken reicht er lächelnd beide Hände, Zieht ihn hervor aus fieberheißen Kissen. Das Kind, schon halb dem Erdensein entrissen. Erwacht beglückt, schlürft dürstend neues Leben, Und um den Sohn, der wieder ihm gegeben. Füllt Arbos Aug’ die warme Dankeszähre; Nach seinem Retter schaut er — doch ins Leere Schweift nur sein Blick: der Pilger war verschwunden.
Und keiner konnte seine Spur erkunden. Graf Arbo floh, sowie er es geschworen. Fern war er schon dem Ort, wo er geboren. Bevor der nächste Morgen noch gegraut — Die Herrenburg hat nie mehr er geschaut.
II.
Vom Fluche ereilt.
J
ahre gingen, Jahre kamen.
Unerkannt mit fremdem Namen Thät in Frankreich Wurzel fassen. In Bayonne sich niederlassen Arbo mit dem Sohne. Dort in nimmermüdem Fleiße Zahlt sein Brot er mit dem Schweiße, Ob er fast den Müh’n erlag. Doch er hoffte auf den Tag, Wo sein Kind ihm’s lohne. Diesem war’s geheim geblieben.
Wie der Vater ward vertrieben. Denn kein Sterbenswort davon Selbst zu Gabriel, dem Sohn, Arbo jemals spricht. Jener, jedem Zeichen blind. Wähnte sich ein fränkisch Kind, Das allhier im Land geboren; Spielend, träumerisch verloren, Dacht’ er weiter nicht. Prächtig blüht’ heran der Knabe, Seinem Vater eine Labe, Blüht’ stets prächtiger heran; Ward zum Jüngling, ward zum Mann, Herrlich anzuschauen. Schlank von Wuchs und braun die Wange Und sein Wort von ehrnem Klange; Seine Locken rabendunkel, Augen, sprühend wie Karfunkel, Liebesnot den Frauen. Doch sein Herz glich nicht dem Bilde, Kannte Güte nicht und Milde, Ließ in jedem Zug es lesen. Daß beklagenswert sein Wesen Bösem zugethan. Was sein Vater hoffend schaute. Sich in Zukunftsträumen baute Als sein Glück der spätern Jahre,
Eh’ er schlummert auf der Bahre, Wies sich als ein Wahn. Arbo faßte banger Kummer; Lange Nächte ohne Schlummer Sann er drüber, sann und sann, Wie er alles wenden kann Und zum Guten führen. Und er sprach mit seinem Kinde, Drohend jetzt, jetzt weich und linde; Doch ob es ihm auch gelauscht, Schnell war jedes Wort verrauscht. Ohne es zu rühren. Sündhaft blieb des Sohnes Leben; Was ihm die Natur gegeben, Zu gefallen, zu bestricken. Ob mit Worten, ob mit Blicken, Das mißbraucht’ er nur. Liebte nicht im Seelentausche, Nur zu kurzem Sinnenrausche; Frauenherzen, voller Sehnen, Frauenaugen, voller Thränen, Folgten seiner Spur. Wie nur war es so gekommen? Alles schien in ihm verglommen. Was der Mensch an edlem Feuer Treulich hegt und was ihm teuer Als sein Hort, sein Halt.
Nur genießen ohne Schranke War sein einziger Gedanke; Nichts vermocht’ ihn abzuschrecken. Nichts ihm Reue zu erwecken. Was es immer galt. Völlig pflicht- und gottvergessen. Wie vom bösen Geist besessen. War der lasterhaft Entbrannte, Und wohin er je sich wandte, Händel gab’s und Streit. Es verspielte Gabriel Bei den Karten seine Seel’, Suchte in verrufnen Schenken Sein Gewissen zu ertränken, Toll in Lustbarkeit. Was des Vaters Müh’ erworben, Hat vergeudet er, verdorben; Ist mit lockeren Genossen, Die sich gern ihm angeschlossen, Nachts umhergeschweift. Sie erdachten schlimme Streiche, Ausgesäckelt ward der Reiche; Trieben’s arg beim Spielen, Zechen, Ob sie manchmal das Verbrechen Auch schon hart gestreift. — Arbo sah’s mit Händeringen, Ließ nicht ab, in ihn zu dringen;
Doch er mochte flehen, mahnen. Abwärts auf des Unheils Bahnen Ging des Sohnes Schritt, Bis er einst, um Geld zu schaffen, Wollte fremdes Gut erraffen. — Heute galt es frevle Wette: Nach geweihter Andachtsstätte Schlichen sie zu dritt Nachts zu schnödem Kirchenraube; Fromme Sitte, ernster Glaube Waren Dinge, die vor Zeiten Er schon wagte zu bestreiten, Lächelnd zu bedauern. Sie erbrachen Thor und Kasse; Einer spähte nach der Straße, Um durch leisen Pfiff zu künden. Sollt’ auf ihrem Weg der Sünden Jemand sie belauern. — Eben schlug die zwölfte Stunde, Und dem Wächter, der die Runde Machte, schloß sich plaudernd an Ein ergrauter fremder Mann, Ernst und abgehärmt. An des Kirchhofs dunkler Ecke Stand der Horcher im Verstecke. Von den beiden, die da gingen. Hörte einer sondres Klingen:
»Horcht doch, wer da lärmt In des Kirchhofs stillen Mauern? Täuscht mich’s nicht, seh’ dort ich kauern Eine menschliche Gestalt; Durch des Thores offnen Spalt Seh’ ich Lichter schimmern!« Und der Wächter greift zum Schwerte, Schleicht zur Pforte — sein Gefährte Folgt ihm lautlos auf dem Fuße. Da — ein Pfiff — ein Gott zum Gruße! Und ein leises Wimmern; Denn bei dem bekannten Zeichen Brachen gleich mit grimmen Streichen Auf die beiden ein die Diebe, Und es fiel beim ersten Hiebe Sterbend hin der Wächter. Hohl erklang sein letztes Ächzen, Mischt’ sich mit des Käuzchens Krächzen, Dessen Ruf im Schutz der Äste Äfft’ der ungebetnen Gäste Frevles Hohngelächter. Um den andern fremden Mann War’s nun auch gar bald gethan; Gabriel mit seinem Degen Eilte diesem schon entgegen, Stieß ihn achtlos nieder. Eben wollt’ er schaudernd eilen.
Doch zu zögerndem Verweilen Bannte ihn ein leises Wort; Flehend sprach’s der Wunde dort, Sprach es immer wieder. Zuckend irrt das Licht der Fackel Übers offne Tabernakel, Züngelt weiter an den Wänden Wie mit fahlen Geisterhänden; Der Getroffne stöhnt. Gabriel durchrieselt’s kalt; Klagend durch die Kirche schallt Wie aus angstgeschnürter Kehl’: »O mein armer Gabriel!« Wer ist’s, der ihn höhnt? Kaum mehr mächtig seiner Sinne, Ob ihn nicht ein Spuk umspinne, Reißt er vom Altar das Licht, Leuchtet jäh ins Angesicht — Wehe! — seinem Vater. — Zischend löschten aus die Flammen, Stöhnend brach er da zusammen In Verzweiflung und in Grauen: »Vater, Vater, einmal schauen Mußt du noch!« so bat er. Und Graf Arbo hebt die Lider, Zieht den Sünder zu sich nieder. Blickt ihn gramdurchzittert an:
»Kind, wie hast du das gethan? Alles war vergebens! Hast für jede Opfergabe, Die ich hingegeben habe. Glück und Reichtum, Gut und Geld Mir das Dasein nur vergällt, Fluch du meines Lebens!« — Konnt’ bisher ihn nichts bekehren, Den Mißratnen nichts belehren, Der im Leichtsinn zäh verharrt: Jetzt vernichtet und erstarrt Bis ins Mark der Knochen, Kann er seine That nicht fassen, Jetzt fühlt er sich gottverlassen! Wie gefrevelt er auch immer, Dennoch faßt er nimmer, nimmer, Was er hier verbrochen. Und er ruft: »Ist’s, wie ich’s ahne? Sprachst du nicht im Fieberwahne, Hast du mehr noch mir zu sagen, Vater, aus vergangnen Tagen? Sprich! Es eilt die Stunde!« Doch Graf Arbo haucht im Sterben: »Sohn, nichts kann ich dir vererben; Was verborgen dir geblieben, Hab’ ich sorglich aufgeschrieben.«
Sprach’s mit blassem Munde. Eh’ sich’s Gabriel bewußt. Sank erbleichend auf die Brust Sterbend Arbos Haupt herab, Und er flüstert: »Ich vergab, Kind, dir deine Sünde.« Wie von Furien gejagt. Irrt der Mörder, bis es tagt. Schrickt empor oft wie im Traume, Meint, daß rings an jedem Baume Parririda stünde. Schleicht gen Morgen sich nach Haus, Nach den Schriften späht er aus. Wie der Vater es geboten; Dann noch einmal zu dem Toten Kehrt er schnell zurück. Schluchzend thät er niederbrechen: »Nein, kein Ird’scher soll sie rächen, Biese düstre Frevelthat! Selbst will ich die gift’ge Saat Zahlen mit dem Glück; Will, so schwör ich’s vor dem Herrn, Jeder Erdenfreude fern, Fürder meine Zeit verbringen, Büßend nach Verzeihung ringen Bis zu meinem Tod. Selbst will ich mein Richter werden
Und geächtet sein auf Erden!« Rief’s, als er die Leiche küßte, Und entfloh — denn leise grüßte Fern das Morgenrot.
III.
Geborgen vor dem Sturme.
E
s wettert und prasselt um Zinnen und Turm, Es fegt um die Dächer der heulende Sturm, Es zucken die Blitze durch schattende Nacht, In dröhnenden Liedern es donnert und kracht. Die Wipfel, sie ächzen gebogen im Winde Und stöhnen verwundet mit klaffender Rinde. Es rauschen thalabwärts in schäumenden Wellen, Vom Sturme entfesselt, verborgene Quellen; Rings nachtschwarze Wolken in eilendem Fluge; Vom Horste verscheucht, in fliehendem Zuge, Da kreisen mit Kreischen und flatterndem Flügel Die Vögel des Waldes um Berg und um Hügel. Das Kloster, erhaben auf felsigem Sitze, Schaut ernst, durch das Dunkel im Scheine der Blitze;
Mag draußen es wettern und strömen der Regen, Im Innern ist Ruhe, ist Frieden, ist Segen. Und durch die matterhellten Hallen Sieht man die Mönche lautlos wallen Zum Psalmensang nach der Kapelle; Der alte Abt ist auch zur Stelle. Eintönig von den Lippen quillt es. Zu leiser Klage mächtig schwillt es: »Domine, labia mea aperies. Et os meum annuntiabit laudem tuam. Deus in adjutorium meum intende. Domine ad adjuvandam me festina. Amen!« Versunken ganz in Andachtsschauern Sieht dort man knieen rings und kauern In dichten Reih’n die Frommerglühten. Sie lauschen nicht dem Sturmeswüten; Die Welt mit allem, was sie barg, Vertauschten sie mit einem Sarg, Mit einer Zelle eng und klein; Die schließt ihr ganzes Hoffen ein. Ein irres Flackern hellt das Licht, Huscht über manches Angesicht, Das, bleich vom Beten und vom Büßen, Kein Lächeln mehr je wird versüßen. Und Junge schaut man hier und Alte, Und eine stumme Kummerfalte,
Sie zeigt bei allen, die hier weilen, Daß eine Wunde, nicht zu heilen, In Weltflucht einst sie hergetrieben. Auf ihrem Antlitz steht geschrieben Das ew’ge Lied von Leid und Schmerz; Doch die Entsagung, himmelwärts Trägt sie in segnender Gewährung Empor die Seelen zur Verklärung. Da — jäh ertönt es in schrillem Klange, Das Glöckchen des Pförtners, und stört im Gesange Der betenden Mönche aufhorchende Schar — Und wieder durchzittert es gellend und klar Den Frieden der Kirche mit drängender Macht. »Wer wagt es, zu stören die Psalmen der Nacht? Geh, Pförtner, zu schauen, wer Einlaß begehrt! Ein irrender Wandrer, vom Wetter versehrt’? Ein eilender Bote? Wer mag es wohl sein?« So grübelt der Abt »Wer will jetzt herein?« Doch schlürfenden Schrittes der Pförtner sich naht: »Ein Jüngling, Herr Abt, ist es, der sich erbat, Noch heute zu sprechen Euch, würdiger Herr; Nicht sagt’ er mir weiter, was sein Begehr!« »Mit Euch geh’ ich, Pförtner, zu öffnen das Thor!« Und grüßend entläßt er den schweigenden Chor. Er eilt an die Pforte, — da steht, ganz durchnäßt. Ein Pilger, das Haupt an die Mauer gepreßt.
Nicht Frost ist’s, der schauernd den Leib ihm durchbebt, Ein Schluchzen, das krampfhaft die Schultern ihm hebt; Ein stöhnendes Klagen aus zuckendem Mund, Aus ringendem Herzen, todeswund. Zu Boden gefallen war Stab und Hut, Die Kutte zerfetzt von des Sturmes Wut, Die flatternden Locken verwirrt und ergraut. So hat ihn der Abt durch die Luke erschaut Im mächtigen Thore vom Stamme der Eichen, Mit rostigen Angeln und ehernen Speichen, Da hatte ein niedriges Pförtchen man auch Gezimmert, wie’s hier der Trappisten Brauch. Dies öffnet der Abt und spricht durch das Gitter: »Schütz, Fremdling, dich hier vor Sturm und Gewitter, Und krümme am Eingang zur Erde den Kücken, Die Blumen der Demut, die lerne hier pflücken; Nur wer sich erniedrigt, der darf hier herein. So setzte der Stifter des Klosters es ein!« — Der Jüngling mit den ergrauenden Locken Fühlt jäh bei den Worten die Thränen jetzt stocken; Er hebt erst vom Boden den Hut und den Stab Und starrt von dem Felsen zum Thale hinab; Dann beugt er im Thore zur Erde sich tief, Ein Schauer die Glieder des Pilgers durchlief. Abt Markus nimmt liebreich ihn gleich bei der Hand, Als hätt’ er den Fremden seit langem gekannt. So schreiten sie schweigend durch Hof und durch Gänge
Und hören verhallen der Beter Gesänge. Sie steigen empor auf modernden Stufen, Und lautlos ist’s rings, kein Sprechen, kein Rufen. Es züngelt ein Lämpchen mit spärlichem Schein Am Ende der Treppe. »Hier müßt Ihr herein!« Sagt freundlich der Abt und öffnet dem Gast Die knarrende Thür: »Hier findet Ihr Rast!« Schon bringt ihm der Pförtner gar wärmenden Trank, Es schlürft ihn der Jüngling mit freudigem Dank; Dann stammelnd zu Füßen sinkt er dem Abt, Doch wehret ihm dieser: »Was immer Ihr habt, Nicht sollt Ihr es beichten, da kaum Ihr gekommen; Geduld, bis die Bürde von Euch ich genommen! Es braucht nicht der Worte wohl zwischen uns beiden. Ich les’ Euch im Auge verschuldetes Leiden; Ihr sucht hier nun Ruhe, sie sei Euch beschieden. Durch Buß’ und durch Beten findet Ihr Frieden. Noch sprech’ ich von Pflicht nicht, Gelübden und Weihen, Verdient Euch nur vorerst ein himmlisch Verzeihen. Ich nehme Euch auf in die Schar der Oblaten, Könnt mühn Euch im Garten mit Sichel und Spaten, Zur Stunde des Betens dann folgen den andern, Ihr könnt auf dem Felsen, beliebt’s Euch, lustwandeln. Doch strenge begrenzt von mächtigen Mauern Ist ringsum die Burg, nicht sollt Ihr’s bedauern. Ihr floht ja die Welt, was wollt Ihr sie schauen? Ihr müßt eine Welt nun im Herzen Euch bauen
Und, läuternd die Seele von Fehl und Verderben, Vom Himmel erzwingen ein seliges Sterben,« Bevor eine Antwort der Jüngling noch fand. Der Abt im Dunkel der Thüre verschwand.
IV.
Zwischen zwei Kronen.
E
s hatte Gabriel der Länder viele Nach seiner Flucht durcheilt, bis er am Ziele; Hat für das Wams die Kutte eingetauscht, Hat aus des Vaters Schriften auch erfahren, Was seine Eltern, seine Ahnen waren. Des Flusses Namen, der vorüberrauscht Am Fels, wo man die Herrenburg erbaute, Die weit ins Land mit ihren Zinnen schaute, Von ihrem Sitz beherrschend Wald und Flur. Und Monden lang in bitterster Entbehrung Schritt er dahin, im Antlitz die Verheerung Der Reu’, des Grams in tiefgegrabner Spur. Doch endlich konnt’ er Herrenburg erkunden. Im Schein der Blitze hat er heimgefunden. Und als der Abt verlassen ihn im Saal, Ließ er den Blick im düstern Raume schweifen:
Gestickte Wände in verblaßten Streifen, Vermorscht die Möbel und die Polster fahl; Farblos die Bilder, aus zerfressnen Rahmen Da schauten Männer und geputzte Damen. Des Raumes Decke eichenes Gebälk, In tiefer Wölbung bleigefaßte Scheiben, Die klirrend bebten in des Sturmes Treiben, Und wehende Gardinen, dünn und welk. Doch an des Saales Mittelwand stand mächtig Ein hölzern Bett, mit Schnitzereien prächtig Ringsum geziert, von seltner Kostbarkeit; Vom Baldachin fiel in verblühten Farben Der seidne Vorhang, der mit seinen Narben Beredter Zeuge der vergangnen Zeit. Verstaubt hing eine Ampel von der Decke An rost’ger Schnur und quer in dunkler Ecke Ein altes Kruzifix aus Ebenholz. Da hob Erinnerung nun sacht den Schleier Vom Auge Gabriels in stiller Feier: Hier lag einst er, der Eltern Glück und Stolz! Ja, ja, jetzt ward es licht in seinem Innern, Aus jedem Gegenstand grüßt ein Erinnern An eine ferne, längst versunkne Welt. Mit einem Male ziehn der Kindheit Tage Dem Blick vorbei mit wehmutsüßer Klage. Der holden Schwester sah er sich gesellt. Die Mutter schaut’ er mit den schmalen Wangen —
Da übermannt ihn mächtig das Verlangen Nach ihrem Schutze, ihres Segens Kuß. Und auf das Lager wirft er sich in Thränen, Und sieht sie bald in holdem Traumeswähnen Zu sich geneigt mit warmem Liebesgruß. Die Monde schwanden und der Frühling nahte. Und Gabriel war eifrig als Oblate Bestrebt, stets seinen Pflichten zu genügen. Den Ordensregeln stündlich sich zu fügen. Wollt’ jeder Arbeit gern sich unterziehen. In seiner Zelle lag er auf den Knieen; Doch fleht’ er nicht um Milde und Verzeihen, Nur Kraft zur Sühne sollte Gott ihm leihen. Denn daß ihn hier in dieses Klosters Hallen, Wo friedlich nur die Büßer lautlos wallen, Der Strafe Wucht nicht schwer genug getroffen, Die Weltflucht nicht erfüllt sein ganzes Hoffen, Das nagt’ an ihm noch tiefer als die Reue. Er sann und sann und quält’ sich stets aufs neue, Bis er sich endlich einen Plan erdachte. Der neuen Mut in seine Seele brachte: Arm war das Kloster, konnte kaum sich nähren, Und manches kam, sein Dasein zu erschweren. Im Hauch der Jahre bröckelten die Mauern, Kaum würden sie viel Stürme überdauern; Es fingen an die Pfeiler rings zu bersten,
In Wind und Wettern litt am allerschwersten Des Schlosses Dach, es klang in seinen Sparren Bedrohlich schon ein Knistern und ein Knarren. Des Turmes Wände waren längst geborsten, Und Eulen, Dohlen sah man drinnen horsten — Die Herrenburg ging dem Verfall entgegen, Und keiner konnte sich ins Mittel legen; Der Abt war selber nur ein armer Mann, Und was er konnte, hatt’ er schon gethan. Nur spärlich flossen manchmal milde Spenden, Des Klosters Schicksal schien nicht mehr zu wenden. Da trat nun Gabriel am Ostermorgen Zu seinem Abte, der in tiefen Sorgen Im dunklen Kreuzgang hin und wider schritt; Sein ernstes Antlitz zeigte, was er litt. Um Hilfe hatte er nach Rom geschrieben, Bis heute war die Antwort ausgeblieben. Und was der Brief ihm endlich jetzt berichtet, Hat auch sein letztes Hoffen ganz vernichtet. In Rom, so hieß es, mangelt auch das Geld, Die Burg gewiß noch manches Jahr sich hält; Man solle selber nach den Schäden sehen. Mit kleinen Kosten wird gewiß es gehen. Doch daß der Herr zum Besten es mög’ lenken. Will im Gebete täglich man gedenken Der fernen Brüder notbedrängter Schar —
So ungefähr des Schreibens Wortlaut war. »Verzeiht, Abt Markus, mir die dreiste Störung,« Sprach Gabriel, »gebt meiner Bitt’ Erhörung! Unziemlich ist’s, daß ich das Schweigen breche, Das uns zur Pflicht; gestattet, daß ich spreche, Daß in der Beicht’ ich Euch mein Herz enthülle Und meine Sehnsucht heute sich erfülle.« Es ging der Abt mit ihm in die Kapelle, Und in des Morgens frost’ger Dämmerhelle Da kniete Gabriel mit heißen Wangen, Und von sich wälzt mit drängendem Verlangen Er seiner Frevel drückend schwere Last. Er beichtet rasch, mit fieberhafter Hast, In blut’gen Farben malt er seine Sünden, Ihm ist’s, als ob sie neu vor ihm erstünden. Und als der düstere Bericht zu Ende, Da ringt er flehend vor dem Abt die Hände: »Abt Markus, hört! Nun müßt Ihr Rat mir schaffen; Ich kämpfe hier, doch nur mit stumpfen Waffen, Nicht Sühnung ist es, die bei Euch ich finde, Die Strafe, Abt, ist wahrlich zu gelinde. Vor aller Welt und ihrer Lust geborgen. Leb’ ich hier Tage ohne Wunsch und Sorgen; Wär’ nicht die Reu’, die stündlich an mir nagte. Um ein verlornes Leben mit mir klagte, Wär’ einmal nur der erste Schmerz verwunden, Hätt’ ich den Trost und Frieden schon gefunden.
Doch seht, das such’ ich nicht, ich suche Rache, Ja, an mir selbst, und unter diesem Dache, Von den Versuchungen des Daseins fern. Dien’ ich zu leicht in Demut meinem Herrn; Unfühlbar fast ist diese geist’ge Buße, Ich suche Dornen unter meinem Fuße, Ich suche Klippen, meine Kraft zu messen. Nicht, weltfern hier, ein seliges Vergessen. Was ficht mich denn in diesen Mauern an? Die Gottespflicht, wie gern ist sie gethan! Wenn der Versuchung ich ins Auge blicke. In Zweifel mich und irren Wahn verstricke. Wenn mich die Lockung lächelnd rings umschwebt. Mein ringend Herz im Widerstreite bebt, Und wenn ich dann in banger Stunde siege. Dem bösen Feind nicht machtlos unterliege, Dann hab’ ich mir den Himmel kühn erzwungen, Die Schuld gesühnt, mein schweres Kreuz umschlungen. Ja, nur im Kampfe und im Sturmestoben Brech’ ich die Bahn zum letzten Ziel — nach oben!« »Was schmäht Ihr, Freund, die heilige Gemeine, Die unter meinem Schutz ich hier vereine? So leicht Euch’s dünkt, ist’s manchem nicht gewesen. Im Herzen könnt Ihr freilich keinem lesen. Bedenket nur, wie manches junge Leben Der Einsamkeit sich klaglos hingegeben. Ein Jüngling oft in voller Daseinskraft,
Im heißen Drange ird’scher Leidenschaft Der frohen Welt entflohn für jetzt und immer. Um hier im Dunkel ohne Freudenschimmer, In totem Schweigen hinter düstern Mauern Sein ganzes Dasein büßend zu vertrauern, In strenge Fesseln seinen Geist gebannt. Hat er den Willen Gottes hier erkannt; Ob Thränen ihm sein brechend Aug’ gefeuchtet. Sein Beispiel war’s, das Hunderten geleuchtet! Ein Bild der Pflicht in mutigem Ertragen, Ein Märtyrer in duldendem Entsagen; Ob er auch nie sein Opfer ganz verwunden. Er ward entsühnt in seinen letzten Stunden. Wenn Ihr auch anders nach der Krone strebt. Wer so gebüßt, hat nicht umsonst gelebt!« »Ich schmähe nicht, ein jeder sucht sein Heil Auf seine Weise; mir ward’s nicht zu teil, Erlösung in der Weltflucht nur zu finden; Doch dem’s gelingt, ich achte sein Empfinden. Mich aber, Abt, laßt folgen meinem Drange, Und hört, weshalb ich von Euch fort verlange. Und wie ich, grübelnd stündlich Tag und Nacht, Mir meine Sühne endlich ausgedacht: Da Ihr nun wißt, wem einst die Burg zu eigen. Will ich Enterbter mich Euch dankbar zeigen, Will rastlos in der Welt mich sorgen, mühen, Und Segen möge meinem Werk erblühen.
Was ich erringe, mir nicht zum Genusse Sei es erworben; opfernd meiner Buße, Will jeden Heller ich dem Kloster geben. Zu neuem Glanz die Herrenburg erheben. Jedoch ich selber will in Eurem Geiste Ein einsam Leben führen; was ich leiste, Sei nimmer Sucht nach Ansehn und nach Ehren, Für Euer Wohl soll sich mein Reichtum mehren. Ich schwör’ Euch’s zu, jedwedes Glück zu meiden. Mich von der Weltlust freien Muts zu scheiden; Doch gönnt mir Eins: zu ruhen nach dem Werke Alljährlich nur bei Euch, um neue Stärke Und Demut auch von neuem stets zu lernen. Drum laßt mich ziehen, Abt, nach jenen Fernen, Laßt meine Bitte Euch das Herz bewegen. Nicht mir, euch allen werd’ es einst zum Segen!« — Abt Markus lauscht ihm mit geschlossnen Lidern, Noch zögert er, dem Jüngling zu erwidern; Ob ihn sein Bußgeist völlig auch umsponnen. Der kühne Streiter hat sein Herz gewonnen. Und siehe, lautlos, auf verborgnem Grunde, Fühlt brennen er die eigne Lebenswunde, Ja, er hat einstens nicht den Mut besessen, Im Daseinskampfe seine Kraft zu messen; Schiffbrüchig auf dem Weltmeer unsres Lebens, Rang mit der eignen Schwachheit er vergebens, Bis endlich hinter dieses Klosters Schwelle,
Im stillen Dunkel seiner engen Zelle, Nach Kampf und Drang er wieder sich gefunden. Ob er so schnell die schöne Welt verwunden. Ob ihn besiegt die Meisterin, die Zeit — Abt Markus liebt jetzt seine Einsamkeit. — Aus seinem Sinnen fährt er jäh empor. Ihn schreckt der Traum, in den er sich verlor. Mit nassem Blick zu Gabriel gewandt. Legt er aufs Haupt ihm zitternd seine Hand: »So geht mit Gott hinaus nach fernen Weiten; Mein Segen, Freund, wird allorts Euch geleiten! Doch sollten jemals Euch die Kräfte schwinden, Enttäuschung Ihr, vereitelt Hoffen finden In Euern kühnen, hochgemuten Träumen, Ich harre Euer hier in diesen Räumen. Hält strenge Zucht den Mund uns auch verschlossen, Willkommen seid Ihr Brüdern und Genossen!« Abt Markus sprach’s, und Gabriel, beglückt, Die welke Hand an seine Lippen drückt. Mit neuem Mut eilt er aus der Kapelle, Die lang’ zurückgestaute Lebenswelle Sie überflutet seine bleichen Wangen: Nein, nein, es wird ihm vor dem Kampf nicht bangen! »Heiß wallt sein junges Blut ihm in den Adern. So eilt er auf des Kreuzgangs lichten Ouadern; Auf seinem Antlitz spielt das Morgenlicht,
Die Brüder, die ihm nahn, er sieht sie nicht, Schrickt erst auf ihren dumpfen Gruß empor: Memento mori! schallt’s im düstern Chor. Memento mori — ja, es war gesprochen, Der Zauber ist im Augenblick gebrochen: Memento mori! wird, wo er mag schreiten, Allüberall ihn mahnend hinbegleiten. Und sollt’ er je in seinem Vorsatz schwanken, Vernichtend wird den irrenden Gedanken, Eh’ sie als reife Frucht vom Baume fallen, Der Geistergruß — Memento mori! schallen. In seiner Zelle rafft er seine Habe, Zum Mantel greift er und zum Wanderstabe, Er drückt sich durch die Pforte, eng und klein — Und steht betäubt im hellen Sonnenschein. — Eh’ er ins Thal den raschen Schritt mag lenken, Will er noch einmal seine Blicke tränken Vom höchsten Gipfel in der stillen Flur, Und hier, im Gottesfrieden der Natur, Dem Werk der Sühne fürder zu gehören, Dem eignen Ich den Schwur der Treue schwören. Der Burg zu Häupten ragt ein Felsen kühn Ins Land; uralter Epheu, immergrün, Hält ihn mit Liebesarmen fest umsponnen, Und morgenfrisch zu Tage quillt ein Bronnen Aus dunklem Spalt, von weichem Moos bekränzt. Der rings in tausend Tropfen sprühend glänzt.
Nach diesem Ziel eilt Gabriel beflügelt. Ein jubelnd Sehnen, das er nicht mehr zügelt, trägt ihn empor nach jenem Felsenthrone, Der stolz und ernst, wie eine mächt’ge Krone, Die Herrenburg mit ihren Zinnen krönt. In hellen Klängen sanft verzitternd tönt Vom Kloster her das Glöckchen für das Ave, Und rauschend wogt in tiefer Schlucht die Save, Die Lerche schmettert ihren Ostergruß. Aufatmend nun setzt Gabriel den Fuß Zum letzten Schritte auf des Felsens Rand Und blickt hinaus ins schlummerstille Land. Bezwungen ganz von dieser Schönheitsmacht, Ward in der Brust ein Flunke ihm entfacht. Er steht am Felsen, tief im Traum versunken, Sein Blick vom Schauspiel, das sich bietet, trunken: Es dehnt die Landschaft sich im weiten Ringe, Und eine blaugrün sachtgewundne Schlinge, Fließt dort die Save, sich der Sann vermählend, Das ganze Thal befruchtend und beseelend, Im Hügelland, dem grünen, wipfelreichen, Wetteifern Buchen, Fichten rings und Eichen, Breitästig wiegend ihre stolzen Kronen, In deren Schutze Waldesvögel wohnen. Saatfelder grünen ihrem Gold entgegen, Im Schoße bergend reichen Erntesegen, Und Wiesen schimmern, hell und frisch bethaut,
Und wo der Blick nach lichtem Osten schaut, Da liegen Berge, ferne, duftgetränkte, Und Dörfer, Städte, in das Bild versenkte, Hierzu als Rahmen blau das Himmelszelt: So schaut von neuem Gabriel die Welt. Ein Andachtsschauer, den er nie gekannt, Hält ihn mit süßer Zauberkraft gebannt; Er kniet zur Erde mit entblößten Locken Und betet bei dem Klang der Osterglocken:
»Laß, Herr, den rechten Pfad uns finden. Wenn wir in Sünden abgeirrt. Verkläre, lautre das Empfinden, Das unser Erdensein verwirrt. Nicht dämpfe mit Vernichtungsschauern Das Übermaß an Lebenskraft Im Hassen, Lieben, Jubeln, Trauern, Im raschen Drang der Leidenschaft Erkenn’s, wenn ohne Tugendwächter Ein tapfres Kind im Kampfe siegt. Sei mild, wenn doch, o Allgerechter, Ein schwaches Menschenherz erliegt.
Laß uns in Lieb’ und nicht mit Zittern Dein Kreuz umschlingen, ohne Angst; Erleuchte nicht nur in Gewittern Dein Volk zu dem, was du verlangst. Wir sind das Werk nur deiner Hände, Wir sind die Frucht nur deiner Saat — Sei mild, o Schöpfer, bis zum Ende, Und richte nicht nach unsrer That.« Dann hat er von den Knieen sich erhoben Und streckt zum Schwure seine Hand nach oben »Der du, o Gott, in deiner Allmacht Glanz Die Welt geschaffen dir zum Siegeskranz, Laß mich inmitten dieser schönen Welt, In die du mich als dein Geschöpf gestellt, Laß mich zu dir in dieser Stunde schwören, Und wolle gnädig meinen Schwur erhören: In deinem Geist und in des Klosters Sinne Will fürder leben ich; was ich beginne, Was ich zu schaffen Großes mich erkühne, Ich weih’ es meiner schweren Schuld als Sühne. In allen Kämpfen, allen Müh’n der Erden Will ich mir selbst der strengste Richter werden. Ein Sünder, der nicht teil hat an dem Glanze, Und fördernd doch die Kräfte leiht fürs Ganze. Nichts soll im Leben mir die Last versüßen,
Entsagend will ich leiden, will ich büßen. Und wenn die Burg vor dem Verfall gerettet, Will ich, für ewig an mein Wort gekettet, Zur Ehre dir, o Gott, an dieser Stelle, Zum Dank erbauen eine Sühnkapelle!« Er ruft’s hinaus, vom Sonnenlicht umflossen. Die Augen wie ein Träumender geschlossen; Ihm spielt der Wind im Dunkel des Gelocks, Weht um die Falten seines Pilgerrocks. Verklärung ist’s, die ihm im Antlitz leuchtet, In Freudenthränen seine Wange feuchtet. Dann rasch, nach seinem Wanderstab sich bückend. Den breiten Hut auf seine Stirne drückend, Springt er zu Thal den Pfad, von Stein zu Stein; Bald auf der Straße, wie ein Pünktchen klein, Sieht man ihn rüstig in die Ferne schreiten. — So möge Gott den Wanderer geleiten!
V.
Von Stufe zu Stufe.
J
ahre waren hingegangen, Gabriel in treuen Mühen Sah die Keime ernster Arbeit knospend seinem Blick erblühen. Da in Frankreich er erzogen, lenkte er dahin den Schritt,
Ob er oft auch im Erinnern eben dort wohl doppelt litt. Rang in sorgenvollen Tagen mit Entbehrung erst und Not, Und im bittern Daseinskampfe fristet’ er sein täglich Brot. Oftmals wollt’ der Mut ihm sinken, lächelt nirgends ihm das Glück; Doch er brach durch Stein und Dornen seinen Pfad sich Stück für Stück. Arbeit war ihm fremd gewesen, führt’ als Junker nur den Degen, Rosse tummeln, fischen, jagen konnt’ er und im Tanz sich regen, Auch was er geschaut im Kloster, war nur Kinderspiel zu nennen, Jetzt erst konnt’ er seines Opfers ganze Größe recht erkennen. Und die Tage, Wochen flohen, Jahre schwanden, Jahre kamen; Gabriel mit ehrnem Willen kämpfte, ohne zu erlahmen, Mocht’ er vieles auch versuchen, anfangs wollt’ ihm’s nimmer glücken, Mußte sich, vergeblich mühend, über manche Arbeit bücken.
Überall fand man den Jüngling für das Fach, das er erwählt, Nicht geschult und nicht verständig, und von neuem stets verfehlt, Sah er alle seine Pläne, zog von Stadt zu Stadt durchs Land, Bis als Seidenweber endlich in Lyon er Arbeit fand, Wo ihm bald nach wen’gen Monden durch den Fleiß, den er bezeigt, Sich das Herz ihm seines Herren voll Vertrauen zugeneigt. Pierre Sauveur, dem Kaufmannsstande angehörend, hochgeachtet, Hatte sinnend oft den Jüngling bei der Arbeit still betrachtet; Forschte bald nach seinem Leben, forscht’ nach seinem Thun und Treiben, Mocht’ an seiner Seite plaudernd manches Viertelstündchen bleiben. Gabriel hat klugheitshalber, als nach Frankreich er gekommen, Gabriel Trappist als andern, neuen Namen angenommen. Wohnt ganz schlicht in einem Stübchen, einer armen Witwe eigen, Muß fünf dunkle, steile Treppen täglich zur Mansarde steigen.
Ohne Freunde und Genossen, ferne jedem Spiel und Tanz, Lebt er streng nur seiner Arbeit, weiht sich seinen Pflichten ganz. Frau Vertieux mit Sohn und Tochter hat für sich zwei Kammern, klein; Emsig spinnend sitzt sie täglich bis zum späten Abendschein. Ghela hilft bei jeder Arbeit ihrer Mutter treulich aus. Und es klingt ihr helles Lachen wie ein Lenzhauch durch das Haus. Auch Bertrand, ein muntrer Knabe, ist der Mutter Stolz und Glück, Bringt er freudig aus der Schule seines Fleißes Lohn zurück. Und sie lieben Herrn Trappist und schätzen hoch sein ernstes Wesen, Denn in seinem dunklen Auge ist so manches Weh zu lesen; Sorgen, daß der Hausgenosse sich bei ihnen heimisch fühle. Kehrt er heim am späten Abend nach des Tages Last und Schwüle, Und die Kinder sitzen lauschend ihm zu Füßen in dem Stübchen, Märchen weiß er zu erzählen Ghela und dem muntern Bübchen.
Frau Vertieux schafft unermüdlich in der Küche unterdessen, Rüstet, ob in schlichter Weise, für den Freund das Abendessen. Ghela schmückt mit frischen Blumen seine Stube stets aufs neue, Daß sein Blick sich jeden Morgen an dem Blütengruß erfreue. Dankbar sieht solch treues Walten Gabriel um sich bemüht, Und er wärmt sich an dem Strahle, der sein einsam Herz durchglüht; Freut sich unbewußt im stillen, daß sein Herr ihm zugethan. Spornt zu doppelt regem Eifer freudig seine Kräfte an. Ist der erste stets am Platze, spät der letzte noch beim Weben, Weiß den andern Kameraden stets ein gutes Wort zu geben. Und er spart an seinem Lohne, gönnt das Nötigste sich nur, Denkt bei jeglicher Verlockung unbeirrt an seinen Schwur. Ärmlich sind die Liebesgaben, die er in die Heimat schickt; Doch wie tief der Dank des Abtes dann des Jünglings Herz erquickt!
Also lebt er pflichterfüllend manches Jahr in ernstem Streben, Bis ein seltsames Ereignis Wendung brachte in sein Leben. Eines Tages ließ der Kaufherr Gabriel zu sich berufen; Dieser zu den prächt’gen Räumen steigt empor auf Marmorstufen, Reich verziert mit Kostbarkeiten sind die schimmernden Gelasse, Durch die hohen Fensterscheiben schaut man das Gewühl der Gasse. Pierre Sauveur am Arbeitstische blickt dem Kommenden entgegen, Dessen Herz nun ahnungsbange pocht in überlauten Schlägen: »Gabriel, ich ließ Euch rufen, manches von Euch zu erfahren; Sprecht mir doch von Eurer Heimat, sagt, wer Eure Eltern waren. Daß Ihr’s wißt, mir liegt im Sinne vieles, das Euch möchte frommen.« »Meine Eltern? Meine Heimat?« Gabriel fragt’s scheu beklommen. »Ja doch, junger Freund, gebt Auskunft! Laßt von Euch mich Nähres wissen.«
»Herr Sauveur, die Eltern beide hat der Tod mir längst entrissen; Heimat nenn’ ich jetzo Frankreich, wollt nicht weiter in mich dringen. Düster war mein frühres Leben, schweigen laßt mich von den Dingen, Die mit meinen jetz’gen Pflichten keinerlei Berührung haben; Was verwunden, sei vergessen, und was tot, das bleib’ begraben!« »So verschlossen, wackrer Junge? Ei doch, eines müßt Ihr beichten: Sagt, wie kommt es, daß die Jahre Euch so früh die Locken bleichten? Steht Ihr doch in jungen Jahren, wie ein Baum in vollem Saft.« »Herr Sauveur, ich ward zum Greise, als das Schicksal mich bestraft. Manches Menschenherz birgt Wunden, die sich scheu der Welt verschließen, Thränen auch weint manches Auge, die nach innen lautlos fließen. Fragt nicht, was der Seele Dunkel an geweihten Gräbern deckt. Fraget nicht, denn weh dem Rufer, der die Toten auferweckt!
Bin ich auch ein schlichter Weber, mein ist meine Innenwelt, Keinem muß ich sie enthüllen, wenn es so mir nicht gefällt! Herr, verzeiht die dreiste Rede, fort riß mich der Augenblick, Und ich weiß, in Euern Händen ruht nun fürder mein Geschick!« »Niemand des Trappisten Namen treffender wie Ihr wohl trägt, Wahrt nur schweigend das Geheimnis, das Ihr stolz im Busen hegt; Nimmer sollen meine Lippen, Gabriel, Euch fragend kränken. Will, da Euern Stolz ich achte, doppelt Euch Vertrauen schenken Und von heut’ ab Euch als Ersten an der Leute Spitze stellen. Denn Ihr werdet nicht, wie andre, mir des Schaffens Müh’ vergällen; Sollt Raoul nun, meinen Sohn, auch des Geschäftes Rätsel lehren, Tritt er einst an meine Stelle, kann er dieses nicht entbehren. Müßt den allzu flücht’gen Knaben bald zu ernstrern Wollen zwingen;
Was vergeblich ich versuchte. Euch, mein Freund, mag es gelingen. Frau Sauveur, die zart und leidend, sie verwöhnt ihr einzig Kind, Und ich selbst bin rastlos thätig, kaum daß nur der Tag beginnt. Sollt auf seinem Lebenswege mir Raoul, den Sohn, bewachen; Aus dem tollen, wilden Junker müßt Ihr einen Mann mir machen. Ich vertrau’ Euch, Freund Trappist, so wie ich keinem je vertraut; Alle Zweifel müssen schwinden, wenn man Euch ins Auge schaut. Für den Sold laßt mich nur sorgen; glaubt, Ihr werdet nicht verkürzt. Wenn Ihr, lebend Euern Pflichten, durch Geschick die Arbeit würzt!« Und mit diesen frohen Worten hat er Gabriel entlassen. Der, betäubt vom jähen Wandel, heimwärts eilt durch dunkle Straßen.
VI.
Dornen.
G
ar hoch in Ansehn und in Ehren Stieg Gabriel von Jahr zu Jahr, Nicht konnt’ Sauveur ihn mehr entbehren. Der seines Hauses Stütze war. Vom Diener ward zum Hausgenossen Und zum Vertrauten er gar bald, Bei allen Mühen unverdrossen, Und schlicht trotz aller Herrschgewalt. Der Kaufherr bat ihn, doch zu wohnen Behaglich unter seinem Dach; Doch er will darben, er will fronen. Sein Schwur ist stündlich in ihm wach. In seine enge kleine Kammer, Ins Giebelhaus, fünf Treppen hoch, Trägt er alltäglich Müh’n und Jammer,
Lebt kümmerlich und einsam noch. Zehn Jahre sind nun bald verstrichen. Seit Gabriel vom Kloster schied; Noch mehr ist jetzt sein Haar verblichen, Doch tapfer er ins Leben sieht Erst brachte er die blut’gen Heller Dem Kloster, die er treu gespart, Bis immer reicher, immer schneller Zu Gold die Opfergabe ward. Und jedes Jahr am Ostermorgen Kehrt müd’ zur Herrenburg er ein, Lebt Friedenstage still verborgen, Will Büßer unter Büßern sein. Dann sieht man ihn in Demut wallen Im weißen wehenden Talar, Im Garten und in stillen Hallen, Gesellt der frommen Brüder Schar. Und siehe da, die Wetterschäden, Die mit Verfall die Burg bedräut, Durch goldne, unsichtbare Fäden, Die emsig Gabriel erneut, Sind alle schon dem Blick entschwunden. Und stattlich ragt die Burg ins Land; Des alten Vaterhauses Wunden Heilt Gabriel mit treuer Hand. So war ihm mancher Trost beschieden, Doch ward er dessen nimmer froh;
Ihm bangte vor dem eignen Frieden, Er wollte lieber, es bedroh’ Gefahr, Versuchung seine Seele. Noch schien ihm jede Sühne fern; Ihn quält, daß er sein Ziel verfehle. Harrt sehnend auf den Rettungsstern, Doch in dem Dunkel spann die Norne Die Rachefäden des Geschicks; Bald ritzt sich Gabriel am Dorne, Den er erflehte feuchten Blicks. Frau Vertieux hat schon seit Jahren Von ihrer Arbeit kargem Lohn Durch kluges, sorgliches Gebaren Gespart in Treuen für den Sohn, Indes in einem Hafenstädtchen Bei ihrem Vormund, Herrn Huarde, Ihr Töchterlein, das schmucke Mädchen, Der Mutter fern, erzogen ward. Nun faßt’ die Mutter oft ein Sehnen Nach ihrem fernen teuern Kind; Zur Ewigkeit schien sich zu dehnen Die Zeit jetzt, da sie einsam spinnt. Bertrand hat sich dem Hausgenossen, Dem ernsten, milden Gabriel, Mit warmer Liebe angeschlossen; Die Mutter nimmt es ihm nicht scheel,
Ob auch für sich sie manche Stunden Den Knaben wehmutsvoll entbehrt; Durch solchen Freund, den er gefunden. Bleibt doch sein Herz ihm unversehrt, Gar vieles, das den Sinn ihm weckte, Lernt nun Bertrand vom altern Mann, Im Wald, der rings die Hügel deckte, Da wandeln sie, im nahen Tann. Und Gabriel pflanzt bald dem Knaben Den Keim des Guten in das Herz, Weiß ihm den Geist mit Licht zu laben, Lenkt seine Blicke himmelwärts. Hier fällt die Saat auf reichen Boden; Nicht so ergeht’s ihm bei Raoul, Da gibt’s nur Unkraut auszuroden. Ihn graut vor dieses Leichtsinns Pfuhl; Und sorglich sucht er zu vermeiden, Daß dieser sich Bertrand gesellt; Denn allzu ungleich sind die beiden, Wie Licht und Schatten in der Welt. Er hofft, der Witwe Dank zu zollen; Für ihrer Freundschaft sorglich Mühn Lehrt er den Sohn ein ernstes Wollen, Lehrt er für Edles ihn erglühn. — Da eines Tages nun erkrankte Frau Vertieux. Man wußt’ nicht Rat; Bertrand, ob anfangs er auch schwankte,
Als flehend ihn die Mutter bat, Beruft er seine ferne Schwester, Indessen er am Lager wacht, Und keinen Augenblick verläßt er In treuer Sorg’ sie Tag und Nacht. Und Gabriel ist auch nicht müßig, Läßt ihm die Pflege nicht allein, Fühlt später erst sich überflüssig, Trifft endlich dann die Tochter ein. Doch als die nächste Zeit geschwunden, Blieb immer ferner er dem Haus, In frühen nur und späten Stunden Schleicht wie ein Dieb er ein und aus; Denn was in ihm jetzt wogte, brannte In edler Glut zum erstenmal, Als bebend er sein Herz erkannte, Das ward ihm bald zur bangen Qual Ja, Ghela steht in ihrer Schöne, In ihrer holden Weiblichkeit, Ob selber sie auch nichts argwöhne, Vor seiner Seele allezeit. Sie ist das Elend seiner Tage, Ist seiner Träume Lichtgestalt, Mit Graun bei jedem Herzensschlage Empfand er seines Fluchs Gewalt. Und Ghela war hold anzuschauen Und Ghela war auch liebenswert;
Mit ihrem Aug’, dem sanften, blauen, Hat sie schon manches Herz versehrt. Blond rahmen widerspenst’ge Löckchen Das blasse, schmale Antlitz ein. So vornehm in dem schlichten Röckchen Konnt’ eben nur dies Mädchen sein. Was hatten nun die wen’gen Jahre Aus diesem Kinde doch gemacht! Wohl sind’s dieselben goldnen Haare, Dieselben Klänge, wenn sie lacht; Doch jetzt, zur Blüte licht entfaltet, Erkennt sie Gabriel nicht mehr, Er fühlt nur, daß sein Schicksal waltet Und auf ihm lastet bleiern schwer. Was hat er einst in tollen Zeiten Gefrevelt an dem höchsten Gut, Wie konnt’ er lästernd doch bestreiten, Daß Edles berge solche Glut; Wie hat vergeudet er die Schätze In manch unwürd’gem Liebesarm, Bedacht nur, daß er sich ergetze Für kurze Stunden sinnenwarm; Indes so manche, die ihm innig Ein echtes Frauenherz gebracht, Die tugendsam und hold und minnig, Er schnöd’ verraten und verlacht! Und nun, da er durch Schwur gebunden
Für ew’ge Zeit sich Herz und Hand, Nun höhnen ihn die Liebesstunden, Die er im Bann der Sünde fand. Jetzt weiß er, was es um die Liebe, Die höhren Welten, die sie birgt, Und er im wirren Weltgetriebe Hat diesen Schatz des Glücks verwirkt. Gequält, fühlt er nun immer bänger Des einst’gen Schwuren ganze Wucht, Ihm ist es, er erträgt’s nicht länger, Und fände Heil nur in der Flucht, — Die Flucht? So feig mit einem Male? Die Flucht im Kampfesaugenblick? Erkenn’s an diesem Rettungsstrahle; Denn jetzt erfüllt sich dein Geschick. Harr aus, du streitest nicht vergebens. Harr aus noch diese Leidenszeit, Ersehnt hast du den Kampf des Lebens, Nun zahl’s mit deiner Seligkeit! Und siehe da, der kühne Streiter, Ob er auch Folterqualen litt, Ob todeswund, das Auge heiter, Er treu den Weg der Pflichten schritt. Ja, weiter noch wollt’ er es bringen. Nicht meiden der Geliebten Näh’, Der Pfeil, er sollt’ ihn ganz durchdringen; Und oftmals überkommt’s ihn jäh,
Am Tag ins Stübchen einzutreten. In sich zu saugen neues Gift; Dann kämpft er stumm mit leisem Beten, Wenn ihn ihr sinnend Auge trifft. Wenn sie das Wort mit holder Frage An ihn dann richtet arglos ganz, Da regt es sich in ihm wie Klage, Und schmerzlich drückt der Dornenkranz, Ob Ghela auch ein leises Glühen Für Gabriel, den Freund, empfand? Verrätrisch war der Wange Blühen, Reicht’ sie ihm manchmal scheu die Hand, Doch nimmer durfte dies geschehen; Er mußte leiden, doch ihr Herz Das sollte nicht zu Grunde gehen: Für sie das Glück, für ihn der Schmerz, Um Jedes Irrsal abzuwenden, Ward er mit ihr oft frostig hart, Wollt’ keinen Blick der Süßen spenden, War rauh in ihrer Gegenwart. — Nachdem er schlaflos und in Sorgen Einst eine lange Nacht durchwacht, Und ihm ein warmer Junimorgen Ins kummerstille Stübchen lacht, Hört staunend er ein zages Klopfen, Und Ghela tritt zur Thür herein Mit einem Strauß voll tau’ger Tropfen,
Mit einem Blick wie Frühlingsschein, Laut pocht sein Herz in freud’gen Schlägen: »Schön guten Morgen, Herr Trappist! Darf auf den Tisch den Strauß ich legen, Der frisch für Euch gebunden ist?« »Wie kannst du fragen? Gib die Blüten!« Das Wort entschlüpft ihm unbedacht. Da auf den Wangen, den erglühten, Ein Lenzgruß ihm entgegenlacht. Schon faßt er nach dem roten Bändchen, Das um den Strauß gewunden war, Und streift dabei das zarte Händchen, Schaut tief ihr in das Auge, klar. Heiß will es ihm zum Herzen fluten, Wie sie holdselig vor ihm steht, Zu Füßen ihr möcht’ er verbluten, Von ihrem reinen Hauch umweht. Es braust und klingt ihm in den Ohren Wie jubelnd lauter Lerchensang … Halt ein, halt ein, eh’ du verloren! Bezwing des Herzens glühnden Drang! Halt ein! — So hört er’s flüsternd raunen. Zu Boden fällt der Strauß herab; Erblassend, zu schön Ghelas Staunen, Kehrt wortlos er sein Antlitz ab. — Du wagtest jetzt um sie zu werben? Bedenk, Unsel’ger, deinen Eid,
Verstricke sie nicht ins Verderben, In hoffnungsloses Liebesleid! Er ringt mit seiner Sehnsucht Flammen, Und Ghela steht befremdet dort; Die letzte Kraft faßt er zusammen: »Nimm, Kleine, jenen Strauß nur fort! Was soll ich, Mädchen, mit den Blumen? Nimm rasch sie fort, ihr Duft betäubt!« Und jählings will sein Wort verstummen, Das sie zu kränken bang sich sträubt, Er sieht die angstvoll stumme Frage, Die süße Unschuld ihres Blicks, Und fühlt entsetzt mit einem Schlage Die Rachestunde des Geschicks. »Geh, geh! Was willst du hier mich stören? Nimm fort die bunten Blumen, Kind, Die besser wohl zu dir gehören. Und jetzo mach dich fort geschwind! Doch merk es wohl, in meine Kammer Dringst, Mädchen, du sobald mir nicht!« Und da sie geht — in tiefem Jammer Sein bebend Herz zusammenbricht. Laut stöhnend mit gerungnen Händen, Wirft er sich auf sein Lager hin: »Hilf, Herrgott, hilf! Wie soll das enden? Weh mir, daß ich ein Sünder bin!«
VII.
Höher als die Liebe.
V
erzehrend aber nagt an ihm das Feuer, Er sehnt sich nach der fernen Osterzeit; Im friedensstillen, düstern Burggemäuer Wär’ er gerettet, meint er, wär’ gefeit. Er hofft und wähnt, daß durch der Trennung Wochen Verglühe seiner irren Sehnsucht Brand, Will im Gebet die Liebe unterjochen, Von Ghela fern, im deutschen Vaterland. Er rüstet endlich sich zu seiner Reise Im wachen Traum mit fieberhafter Rast, Und jeder staunt ob seiner sondern Weise. Von sich wälzt er der letzten Pflichten Last, Und ohne Abschied schleicht er sich von bannen In einer hellbereiften Märzennacht, Um Ghelas Bild für immer zu verbannen. Das, ob er wacht, ob träumt, ihm lockend lacht, Er wandert hin auf frosterstarrter Erde,
Beschleunigt immer hast’ger seinen Gang; Wie Schatten ziehen Kummer und Beschwerde Zur Seite ihm den dunklen Pfad entlang. Und weh! je weiter er von ihr geschieden, Je tiefer wirkt des süßen Giftes Macht; Es raubt dem Wandernden den Seelenfrieden, Hat um Besinnung ihn und Ruh’ gebracht. Doch vorwärts, vorwärts muß er achtlos schreiten, Und Burgen, Flüsse ziehn dem Blick vorbei; Die Tage, Stunden zählt er, bis im Weiten Er schimmern sieht die Zinnen der Abtei Die Hoffnung ist’s, die auf dem Weg ihn labte, Da wie gejagt zum Vaterhaus er flieht. Und endlich kniet er schluchzend vor dem Abte, Der liebreich an sein Herz den Müden zieht: »Was ist’s mit dir? Ich schau’ zum erstenmale Seit Jahren Thränen heut’ in deinem Blick. Hast du verirrt dich in dem Jammerthale? Traf unbewehrt, mein Freund, dich das Geschick?« Da bricht der Strom, den er zu fesseln glaubte, Der Strom der Sehnsucht durch des Willens Damm, Der ihm die letzte Kraft nun völlig raubte; Vergessend, was er hier zu finden kam, Sucht er des Abtes Kniee zu umklammern, Schaut ihm ins Auge flehend und verstört; Das Wort erbebt in seinem tiefen Jammern, Nichts will er, als daß ihn der Freund erhört:
»Abt Markus, helft! Denn Euch nur ist’s gegeben. Ich hab’ gerungen, Vater, hab’ gekämpft; Vergeblich war mein Beten, war mein Streben, Die frevle Flamme hab’ ich nicht gedämpft. Abt Markus, helft! Nicht zügl’ ich mein Empfinden, Zu mächtig spricht die Stimme der Natur; Nur Ihr, Ihr könnt mich von dem Fluch entbinden. Erlöst mich Ärmsten doch von meinem Schwur! Wie andre möcht’ ich leben, möcht’ ich lieben Und möcht’ wie andre sorglos glücklich sein; Durch Klippen irrt’ vom Sehnsuchtsdrang getrieben, Mein Schifflein auf dem Weltenmeer allein. Ich liebe! liebe mit der Glut der Jugend Ein Mädchen, rein und hold von Angesicht; Ein Engel ist’s an Frömmigkeit und Tugend, Und aus dem Auge ihr ein Himmel spricht. Was ich gelobt, hab’ ich so lang’ gehalten, Erdrückend war die Bürde jener Zeit; Mag nun ein Gott verzeihend für mich walten, Er gönne mir ein Tropflein Seligkeit! Nicht soll darum dies Haus mein Gold entbehren, Ich geb’, will’s Gott, Euch reicher als bisher. Hier bring’ ich neues, Euer Gut zu mehren, Nie werde jemals Eure Truhe leer!« — Doch Markus hat in edler Zornesregung Den knienden Sünder von sich abgewehrt; Laut pocht sein Herz in mächtiger Belegung;
Sein flammend Aug’ im Grolle abgekehrt. So steht er, seines Stuhles Lehne fassend, In drohnde Falten seine Stirn gelegt, Und Gabriel weicht jäh zurück, erblassend, Da Markus ihn mit heisrer Stimme fragt: »Hiezu nun bist du diesmal hergekommen, Hast hier den Vorschub für die Schuld gesucht? Was sollte dir mein Losungswort wohl frommen? Ich diene nicht der feigen Fahnenflucht, Wie kann ich also wieder dich erkennen, Da deine Schuld nun plötzlich uns entzweit? Nicht kann ich fürder meinen Freund dich nennen, Meineid’ger, geh! Das Brautbett ist bereit! Leb frohgemuht in deines Liebchens Armen, Des Vaters Schatten weihe euern Bund, Doch möge Gott sich gnädig dein erbarmen, Verirrtes Herz, in deiner Todesstund’! Was soll dein Gold? Ich will es nicht behalten, Dies Gold, an dem das Gift der Sünde klebt; Der Himmel wird auch ferner für uns walten, Wenn unser Sinn nach reinem Gute strebt!« Mit ehrner Faust hat er vom Eichentische Zur Erd’ gefegt den Beutel mit dem Gold, Daß klingend ringsum in die fernste Nische Durch die Gewalt nun Münz’ auf Münze rollt: »Und jetzo geh, nicht Raum hat für uns beide Hier deiner Väter altehrwürd’ges Dach!
Du trafst mich gut, denn was nunmehr ich leide, Schmerzt fürder mich durchs ganze Leben nach!« Wie einst vorn Himmel leuchtend niederblitzte Auf Saulus der Erkenntnis lichter Strahl, Ob auch ins Mark der Wahrheit Dolch ihn ritzte, In Gabriel ward’s licht mit einem Mal. Zu Füßen wirft er sich dem edlen Priester, Der mit des Wortes Macht den Bann gelöst, Und bebend bald in seinem Auge liest er, Daß nimmer er den Freund von dannen stößt. Der jetzt den Abgrund jäh vor sich entdeckte Und schaudernd ihn mit klarem Blick erschaut. Der Sturm, den er in Markus’ Herzen weckte, Hat in dem eignen Busen überlaut Die Stimme des Gewissens nun mit Grauen Emporgeschreckt aus seinem sündigen Traum, Und herbe Thränen reuig niedertauen Zur Erde still, auf des Talares Saum, Den Gabriel in tiefer Ehrfurcht küssend In seinen angstverschlungnen Händen hält. Indes das Mondlicht, durch die Scheiben grüßend, Ein Herold scheint aus einer höhern Welt.
VIII.
Im Lebenskampfe.
D
es Kaufherrn Sohn Raoul, sein einzig Kind, Für dessen Fehler, ach, die Eltern blind. Bereitet Gabriel der Sorgen viele; Mit roher Willkür nur, im Trunk und Spiele Hat er die goldne Jugendzeit verschwärmt; Ob sich der Vater, Gabriel sich härmt, Der oft erkennt in dieser Seele wild Der eignen Jugend treues Spiegelbild. Raoul, der Arbeit fern, hat stets Genossen, Die gleichen Sinnes sich ihm angeschlossen. Zum Unheil war es einstens so gekommen, Daß ihn Trappist nach Hause mitgenommen In Frau Vertieux’ bescheidnes, kleines Heim, Und, ach, an diesem Tage sich der Keim Für spätres Leid tief in schön Ghelas Leben; Und kämpft sie erst mit scheuem Widerstreben,
Da oft Raoul den Weg zu ihnen fand. Knüpft enger sich und enger stets das Band Der Leidenschaft um diese jungen Herzen; Wie Gabriel auch litt, nicht wollt’ er schwärzen In der Geliebten Seele nun das Bild Raouls, ob Zorn: und Angst auch in ihm schwillt, Was Ghela einst für ihn empfinden mochte. Zur Zeit da noch in ihm die Flamme kochte Und er gefürchtet Gegenlieb’ zu nähren, Zu warmer Freundschaft sah er sich’s verklären. Er hatte wohl den Knospentraum versengt. Sein Bild aus Ghelas Seele rauh verdrängt; Der Liebe Blüten dorrten im Entfalten, Der erste Funke mußte rasch erkalten; Und glomm er je in Ghelas keuscher Brust, Sie ahnt’ es nicht, sie liebte unbewußt. Und konnte heut’ mit ruh’gen Herzensschlägen Treu ihre Hand in die des Freundes legen. Und dieser sieht mit ahnungstrüb im Bangen Des Mädchens Herz bezwungen und gefangen. Er sieht das Unheil drohend sie umschleichen Und kann zur Rettung ihr die Hand nicht reichen. Oft klügelt er und sinnt, wie er sie warne, Eh’ der Unwürd’ge völlig sie umgarne, Doch dann, wenn er in ihrem Blicke liest.
Welch tiefes Glück im Busen sie verschließt, Stockt ihm das Wort, er kann sie nicht verwunden, Ist auch in ihm die Liebe nicht geschwunden, Er hat gesiegt, ja, unter tausend Qualen, Die im Erinnern noch im Geist sich malen. Doch ängstlicher bewacht er noch in Treue Raoul, der leichten Sinnes stets aufs neue Die Menge seiner Laster täglich mehrt, Des Leibes und der Seele Kraft verzehrt. In ferner Vorstadt schaurig düstern Schenken, Wo Schuld sich birgt vor des Gesetzes Ränken, Dort kann man nachts den tollen Jüngling finden. Längst abgestumpft hat er sein zart Empfinden Für all das Rohe um ihn, das Gemeine; Ehrsame Leute fand man dort wohl keine. Doch mancherlei leichtfertiges Gesindel, Das nur in Spiel, Betrügerei und Schwindel, Bei starkem Wein und frevlem Spottgelächter Behaglich sich gefühlt. Der Ordnung Wächter, Sie hatten längst im Aug’ schon die Spelunke, Denn Händel gab es oft, geschürt vom Trunke, Da blitzte dann im fahlen Licht die Waffe; Doch ob im Streit auch manche Wunde klaffe, Verborgen ward im Dunkel der Verletzte, Und wehe dem, der von dem Vorfall schwätzte;
Ihm konnt’s geschehn, daß ihm kein Tag mehr lache, Allzu gewöhnlich war ja hier die Rache. Schon längst sah Gabriel mit banger Ahnung Auf solchem Weg Raoul, doch keine Mahnung, Kein ernster Zuspruch wollt’ dem Jüngling frommen, Bis endlich es zur Schreckenstat gekommen. Und so geschah’s, daß eines Abends eben Es dort gar blut’gen Handel hat gegeben, Und Gabriel, dem sorgend Böses schwante, Und den Erinnrung grade heute mahnte An jene düstre, unheilschwangre Nacht, Da er einst die verruchte That vollbracht, Hat unruhvoll sein Stübchen jetzt verlassen, Und ziellos geht er weiter durch die Gassen. Stets spärlicher sind ringsum die Laternen, Der Lebenspuls der Stadt verhallt in Fernen; Bald tauscht mit sumpf’ger Straße er das Pflaster, Durch krumme Gäßchen kommt er, wo das Laster Allnächtlich im Versteck sein Wesen treibt. Und endlich hinter einem Häuschen bleibt Er horchend stehn. Ein wüstes Lärmen klingt Durch die geschlossnen Läden, und es dringt Ein wohlbekannter Laut ihm an das Ohr, Und plötzlich stürzen ringend aus dem Thor An Gabriel vorüber zwei Gestalten,
Kaum konnt’ er eines Schreckrufs sich enthalten; Denn trotz des Dunkels, das ihn rings umhüllte, Schaut’ er, was ihn mit jähem Graun erfüllte: Raoul, der des Verfolgers sich erwehrte, Und dessen Mantel ihm den Kampf erschwerte; Er sah sie näher aneinander rücken. Den Fremden sich nach einem Steine bücken, Zu fassen ihn als sicheres Geschoß. In atemlosem Lauschen nun verfloß In Ewigkeitsatomen die Sekunde; Doch Gabriel, erstarrt im Herzensgrunde, Sieht nur vor seinem Geist ein süß Gesicht, Sieht Ghelas Aug’, aus dem die Thräne bricht; Er hört sie laut um den Geliebten jammern, Im Schmerz den Toten liebend noch umklammern. Und dann — und dann, wenn es nun also käme. Wenn des Geschickes Hand das Steuer nähme. Und Ghela wäre frei — vor dem gerettet, Der nur zum Unglück sie an sich gekettet? — Und dann — doch nein, ihm schwindelt der Gedanke, Er lehnt sich bebend an die morsche Planke, Der Fremde will den Arm zum Schlage heben: »Raoul Sauveur, das zahlst du mit dem Leben!« Ruft er dabei, die Waffe hoch zum Streiche, — Doch Gabriel zu Füßen sinkt als Leiche,
Der so gedroht mit zornesbleichem Munde, Den Dolch Raouls in blut’ger Todeswunde. Wie Gabriel nun beim Erstochnen kniet, Indes Raoul, der feige Mörder, flieht. Fühlt er am Arme plötzlich sich gepackt, Und eine Stimme hört er, die ihm sagt: »In des Gesetzes Nam’, wer Ihr auch seid, Verhaft’ ich Euch, und macht Euch rasch bereit! Ohn’ Widerstand folgt Ihr mir zum Verhöre, Und weh dem Schelm, der mich im Amte störe! Längst im Verrufe schon stand diese Schenke, Ihr liebt das Spiel hier, Laster und Getränke; Nun denn. Ihr sollt an einem ruh’gen Plätzchen Der Stunde denken und an Euer Schätzchen! — Nun, Freunde, gilt’s, den Toten fortzuschaffen. Und auf dem Boden sucht nach allen Waffen. Hebt mir fein sorglich aus das saubre Nest; Den einen da, den halt’ ich selber fest!«
IX. Sühne.
D
as waren trübe, martervolle Wochen, Die lang sich dehnten, bis das Urteil fiel. Was that Raoul, er, der den Mord verbrochen? War reuiges Bekenntnis nicht sein Ziel? Welch eine Blutthat! Alles sprach davon. Es war der Tote eines Edlen Sohn, Und er, der Mörder, gar Sauveurs Vertrauter, Ein allgeehrter und in Müh’n ergrauter, Still ernster Mann, und endlich überhaupt, An solchem Ort, wer hätte das geglaubt?
So schwirrt es rings von tausend müß’gen Fragen, So ward geklügelt hier in allen Kreisen; Doch Herr Sauveur in diesen Zweifelstagen Wollt’ doppelt Liebe seinem Freund beweisen, Nicht spart an Geld er, nicht an Müh’n und Worten, Den Freund, an den er dennoch glaubt, zu retten, Und alles setzt er dran, daß nicht die Pforten Des Kerkers sich erschlössen, nicht in Ketten Der Zufallstücke Gabriel verfällt, Zu dem er unverbrüchlich tapfer hält. Doch dieser, ob die Richter ihm geneigt, Befragt stets und bedrängt von allen — schweigt. Was könnt’ er sonst? Soll er die Wahrheit sprechen? Zwei Herzen, die ihm teuer, soll er brechen? Nein, nein, viel eher noch in Schmach jetzt sterben, Als so die Freiheit wieder sich erwerben! Und endlich ward der Urteilspruch gefällt: Zum Tode! ging es tonlos in der Runde — Doch da so mancher sich entgegenstellt Dem harten Spruche bis zur letzten Stunde Und sich die Stimmen mehren von Gewicht, Die Milde heischen, ändert das Gericht Das Urteil endlich nach sechs weitern Wochen: Zehn Jahre Kerker wurden ausgesprochen! — Hast, Ärmster, du’s gehört? Zehn lange Jahre!
Was bleibt vom Leben dann noch bis zur Bahre? Zehn Jahre, hörst du? ohne Licht und Wärme! Den Lenz nicht schauen und der Schwalben Schwärme Nur hören, wenn sie, kreisend ums Gemäuer Des Kerkers, schüren dann der Sehnsucht Feuer! Zehn Jahre, hörst du? thatenlos verbringen. Gefesselt selbst des Geistes kühne Schwingen! Und, ach, das Kloster! Wer wird sich der Armen In diesen langen Jahren wohl erbarmen? Und er, Abt Markus, wird auch er erheben Den Stein nun wider ihn und preis ihn geben? Wird er auch ihn für einen Mörder halten? Er trägt es nicht, ihm will’s das Herz zerspalten. Und Ghela endlich — soll Raoul sie freien? Soll sie ihr Leben einem Mörder weihen. Der, doppelt mordend durch der Feigheit Schweigen, Sich ganz erbärmlich nun dem Blick muß zeigen? Und Kummerthränen soll im Geist er schauen In Ghelas Aug’, dem seelenvollen, blauen? — Er fährt empor von seinem Schlummerkissen, Von diesen Foltern ganz die Brust zerrissen. Wer wehrt es ihm, laut an die Thür zu schlagen, Dem wachen Wächter alles gleich zu sagen? Von seinen Lippen drängt der Sehnsuchtsschrei,
Und morgen dann entfesselt, rein und frei! — Doch plötzlich fühlt er wie ein leises Wehen, Sieht seines Vaters Schatten vor sich stehen, Im Dunkel leuchtend eine Vision; Mit leisem Nicken lächelt er dem Sohn. Und dort — was schwebt im Hintergrund der Zelle? Im Herzen zittert der Erregung Welle: Sein Freund Sauveur ist’s Ghela ihm zu Füßen, Sie schaun auf ihn mit wehmutsvollem Grüßen: Nein, schwanke jetzt in dem Entschlusse nicht, Halt unerschütterlich zu deiner Pflicht. Zum zweitenmal weist Gott dir deine Pfade: Harr aus und dank dem Himmel für die Gnade! — Da sinkt er still zurück aufs harte Lager, Sein bleiches Antlitz, abgequält und mager, Dem Traumbild ist es sehnend zugekehrt. So ruht er schlummernd, friedvoll und verklärt.
X.
Verlassen.
U
nd Ostern ist’s heute, es jährt sich die
kirchliche Feier,
Empor schwebt zur Höhe der Nebel licht wehender Schleier, Und schlingt um das Kloster im strahlenden Morgenglanz In schimmernder Weiße den duftigen Blütenkranz.
Hell tönt es vom Turme und zittert in klingenden Wellen Vom Felsen zu Thale, wo mächtige Glocken nun schwellen Aus Dörfern und Städten, verstreut rings in
blühenden Weiten. Die Sonne läßt blitzend die Augen im Kreise jetzt gleiten Durch Ast’ und Gezweige, durch Spalten, durch Ritzen und Scheiben. Sie horcht in die Herzen, was heute die Menschen wohl treiben; Sie schaut in den Burghof und grüßt ihn mit lächelndem Munde: »So schweigsam auch heute?« Dann macht sie im Kloster die Runde, Sie schleicht durch die Gänge auf lautlosen glitzernden Sohlen Und guckt von der Pforte ins Haus, in die Kirche verstohlen. Dort kniet schon Abt Markus, versunken in stummes Gebet; Was er wohl vom Himmel grad’ heute so brünstig erfleht? —
Ja, Ostern ist’s wieder! Der Frühling, er lauscht auf den Wegen, Und lauschend in Sehnsucht harrt Markus dem Freunde entgegen, Den jetzt er erwartet am Ostertag heut’ wie alljährlich: »Wo bleibt er so lange? Wär’ diesmal die Fahrt ihm beschwerlich? Und wenn er nicht käme? — Was sollen die Zweifel und Grillen?« So sinnt und so grübelt Abt Markus, verwundert im stillen. Stets kam er schon frühe, kaum daß man im Kloster erwachte, Und wie beim Willkommen das Herz dann des Alten wohl lachte! Nicht war es ihm drum nur, daß Gabriel wehre der Not, Denn karg ging es oft wohl zu Ende des Jahrs mit dem Brot; Doch ihn nach den Monden der Trennung dann wieder zu haben, Sich neu an dem Blicke, dem tiefen, dem ernsten, zu laben,
Ein Glück war ihm dieses; nie hat er die Sehnsucht empfunden So drängend wie heut’ in den endlos sich dehnenden Stunden. Wie war mit dem Freunde das Leben so hell ihm geworden! Ein Kind aus dem sonnigen Süden, hat Markus im Norden, Als einst er gekommen, im Froste hier doppelt gelitten. Das Heimweh, es hat ihm gar schmerzlich ins Herz geschnitten; In wachenden Träumen sah Pinien er und Cypressen, Und lachende Bläue — nun hat er’s verwunden, vergessen; Denn Gabriel ist ja für ihn nun der sonnige Faden, Der ihn noch verknüpft dieser Welt, und auf geistigen Pfaden Da wallen vereint sie; sein Hauch, seine Nähe beleben Die stockenden Pulse des Alten, die zögernd schon beben.
Erstarrt schier im Hauche der gleichförmig schleichenden Zeit; Was irdisch an Markus, dem Freund hat, dem Sohn er’s geweiht. Der Morgen war längst schon dem nahenden Mittag gewichen, Und Stund’ war um Stunde in harrender Sorge verstrichen; Bald neigt sich der Tag, und Abt Markus geht ruhlos durchs Haus, Er späht durch das Thor und durchs Fenster auch späht er hinaus. Bis endlich sich schattend aufs Kloster dann lagert die Nacht, Die immer noch nicht ihm den Freund, den ersehnten, gebracht. Und wieder ertönen die Psalmen durch schweigende Stille, Und betend haucht Markus: »Mein Gott, es geschehe dein Wille!«
XI.
Todesernte.
R
aoul hat doch, ob auch Trappist verborgen Sein tiefstes Herz, in eifersücht’gen Sorgen, An Ghelas Seite Gabriel gesehen; Wie könnt’ vor dem Rivalen er bestehen? Denn wie er auch den steten Mahner haßte. Er fühlt’, wie seiner Jugend Macht verblaßte
Vor dieser Würde in dem schlichten Mann, Der freundlich stets, doch niemals lächeln kann. Drum nicht nur Feigheit war es, Eifersucht, Die ihm nach jenes düstern Abends Flucht Die Lippen fest vor dem Bekenntnis schloß, Daß um den Freund nun Ghelas Thräne floß, Das festigte noch mehr ihn im Entschlusse, Und jeden Abend eilt mit raschem Fuße Er zu Vertieux, wo vieles ward gesprochen Von Gabriel; doch stets hat unterbrochen Erregten Tons er der Geliebten Klage, Und seine Leidenschaft mit jedem Tage Wuchs sie heran. Noch zögert er zu werben, Ein rasches Wort könnt’ alles ihm verderben. Daß er dies Mädchen durch Geduld bezwinge. In Ehren nur ihr reines Herz erringe, Das ahnt er wohl. Wie seltsam oft der Böse! Er wähnt, daß solche Liebe ihn erlöse. Wie tief er stand, Raoul in Ghelas Nähe Ist’s stets, als ob sein Schutzgeist ihn umwehe. Um jeden Preis will er an sich sie ketten. Sie kann und wird ihn vor dem Abgrund retten, Dem Vater hat er sein Gefühl gestanden. Wie er so völlig in des Mädchens Banden, Und ob Sauveur auch andere Verbindung
Für ihn erhofft, ihn leitet die Empfindung, Daß, wenn ihn echte Frauenliebe rührt. Es den Verirrten noch zum Guten führt, So kam der Tag heran, der sie verbunden Und der gezeitigt tausend Lebenswunden In Ghelas Herz; denn ob im ersten Jahr, An ihrer Brust geborgen vor Gefahr, Raoul sich wirklich auch zu bessern schien, Nach alten Wegen zog’s ihn lockend hin Das zweite Jahr, verstohlen erst und scheu; Doch später war es Ghela nicht mehr neu, Wenn sie mit Bangen seinem Schritte lauscht, Daß nachts er heimkehrt, drohend und berauscht. Dann flüchtet sie wie ein verwundet Reh; Und unbewußt in ihrem Todesweh Beschleicht die Sehnsucht nach dem fernen Bilde Des Freundes sie. Ihr ist’s, in ernster Milde Schaut sie den Dulder in der Kerkerzelle, In öder, grabesstiller Dämmerhelle, Das schöne Auge klar emporgerichtet Zu dem, der alle Lebenskämpfe schlichtet. Sechs Jahre waren also hingegangen, Die still gebleicht schon Ghelas schmale Wangen. Sie trug ihr Kreuz, all ihre bangen Sorgen
Der teuern Mutter allezeit verborgen. Wie konnte sie dies treue Herz beschweren, Des Alters Last noch durch ihr Leid vermehren? Und Frau Vertieux, die kränkelnd stets und zart, Ob sie auch manches, das sie quält, gewahrt, Was sie auch mag im stummen Gram erschauen, Sie drängt sich nicht der Tochter ins Vertrauen. Nur manchmal, wenn sie Ghela blässer fand, Streicht zitternd und liebkosend ihre Hand Dem Kinde übers blonde Lockenhaar; Dann küßt sie still sein müdes Augenpaar. Noch bleibt ein Glück ihr, denn Bertrand, ihr Sohn, Bringt ihren Mühen einen reichen Lohn, Hat sie mit keinem Kummer je gekränkt, Der Mutter stets nur Lieb’ um Lieb’ geschenkt. Doch ängstigt Ghela sich um ihn im stillen, Sieht bei Raoul ihn stets mit Widerwillen. Ihr bangt, daß er den Jüngling auch bethöre, Den reinen Klang der jungen Seele störe, Und oft drängt sie mit angstvoll flehndem Wort Den Bruder von dem Gatten schleunig fort. Dann lacht Raoul mit tückisch list’gen Blicken, Weiß rasch des Schwagers Zweifel zu ersticken. Lockt ihn gar oft in allerlei Gefahren, Lehrt ihn vor andern das Geheimnis wahren.
Und, ach! Bertrand, ob erst er tapfer blieb. Zu bald erwacht in ihm des Leichtsinns Trieb; Wer wollt’ ihn schützen, dem der Vater fehlt, Der statt Trappist Raoul zum Freund sich wählt? So schwand die Zeit, und endlich kam die Stunde, Da macht der Tod in Ghelas Haus die Runde. Erst mußte leis ihr Mütterlein erblassen, Die sterbend bat, Bertrand nicht zu verlassen. Den letzten Trost sah sie mit ihr nun sterben, Den Bruder lockt Raoul ihr ins Verderben — Das war zu viel — sie welkt, erst nach und nach, Halb zögernd, bis ihr sanftes Herz zerbrach: An einem friedensstillen Wintermorgen Ward sie von Gott in bessre Hut geborgen.
XII.
Apage Satanas!
U
nd was that Gabriel in dieser Zeit, In diesen Jahren toter Einsamkeit, Verbannt in seines Kerkers dumpfe Zelle, Wohin nur zögernd scheue Tageshelle Durch enge Sparren ehrner Gitter dringt, Wohin kein Laut vom Lebensstrome klingt?
Er trägt sein Los mit stolzem Heldenmut, Er zwingt sein Herz, er dämpft sein rasches Blut, Und wie er siecht in thatenlosem Sein, Spinnt ihn sein Geist in holde Träume ein, Und aus Gemäuer zaubert blühnde Ranken Die Märchenwelt der sehnenden Gedanken. Doch schaurig tönt der Ketten leises Klirren, Gespenstisch weht der Fledermäuse Flirren, Die durch die Luke in den Dämmerstunden Die Wege zum Gefangenen gefunden. Und wenn es dunkelt und die Sterne flimmern, Wenn an den Wänden Mondesfäden schimmern, Die rings geräuschlos Silberschleier weben, Schwingt er empor sich an den Eisenstäben, Preßt seine Stirne an die rost’gen Stangen Und starrt hinaus mit zitterndem Verlangen, Folgt mit dem Blick der Wolken Wanderlauf, Trägt ihnen Grüße für die Heimat auf. Und bald im wachen Traum auf Sehnsuchtsschwingen Wähnt er dann selbst durch dunkle Nacht zu dringen, Und Berge überfliegt er, Schluchten, Wälder, Tief unter ihm sieht wogen er die Felder; Schaut nach den Pfaden, die er einst geschritten, Wenn er an Heimweh allzusehr gelitten.
Und endlich wie vor unvergessnen Zeiten Schaut er die Burg in mondbeglänzten Weiten. Und vorwärts dringt er durch geschlossne Thüren, Die ihn auf Treppen und durch Gänge führen. Streckt längs den Mauern tastend seine Hände — Steht vor dem Freund an seines Lagers Ende. Da stiehlt ein Strahl sich durch des Fenstern Spalten, Umspielt das Haupt des schlummerstillen Alten, Um das sich spärlich nun das Haar schon legt. Auf dessen müdem Antlitz eingeprägt Der Kreislauf der durchlebten Zeit, fürwahr Sich tiefe Furchen meißelnd Jahr um Jahr. Auch Markus träumt, da er im Schlaf sich regt, Die welken Lippen flüsternd nun bewegt, Und Gabriel erlauscht den eignen Namen, Hört Seufzer, die aus Markus’ Herzen kamen, Sieht in des Abtes Fingern einen Brief, Den er gelesen wohl, noch eh’ er schlief. Und Gabriel erkennt sein eignes Schreiben, Sein letztes vor dem langen Fernebleiben, Und auf der Schrift — es ist kein eitles Wähnen — Erblickt er Spuren jüngst vergossner Thränen, Da regt der Greis im schweren Traum sich wieder, Und knisternd fällt das Blatt zu Boden nieder.
Zur Erd’ will Gabriel sich eben bücken. Die Thränenspur an seine Lippen drücken … Da bröckelt jäh ein Stein ihm unterm Fuß, Die Kette klirrt als erster Morgengruß, Und Gabriel erwacht aus seinem Traum, Blickt scheu um sich und faßt die Wahrheit kaum. Im Aug’ erlöschen der Erregung Flammen, Und lautlos sinkt der holde Spuk zusammen. So flieht die Nacht, so schleichen träg die Tage, Doch nie entschlüpft dem Dulder eine Klage; Der Wächter selbst, von mürrisch rauher Art, Brummt nur gedämpft in seinen struppigen Bart, Tritt morgens zum Gefangnen er hinein, Läßt sich sogar auf kurzes Plaudern ein, Trotz dem gestrengen, grausamen Verbot, Und schneidet heimlich größer ihm das Brot. Einstmals, als eben Gabriel erwacht, »Hat Wächter Max ihm einen Brief gebracht, An allen Gliedern zitternd, scheu, verstohlen. Die Antwort, meint er, würd’ er später holen. Vor Staunen kann sich Gabriel nicht fassen; Wenn man’s erführ’, war Wächter Max entlassen! Wie konnt’ er nur die strenge Pflicht verletzen? Den eignen Kopf wohl gar aufs Spiel hier setzen?
Der Wächter Max, der unnahbare Mann! Wie kam es doch? Wie hat er das gethan? Gelehnt an des Gemäuers feuchte Ziegel Erbricht nun Gabriel des Briefes Siegel. Er liest und liest das Schreiben bis zu Ende, Starrt weltentrückt auf seine Kerkerwände; Er liest und liest die Zeilen immer wieder, Und stöhnend sinkt er auf sein Strohbett nieder. Dann mit dem Brief in Händen geistabwesend, Ein jedes Wort mit lauter Stimme lesend: »Ich will Euch retten, wißt, denn Ghela stirbt; Noch eh’ die eigne Seele ganz verdirbt, Sollt frei Ihr sein und heimlich heut’ entkommen. Dem Wächter wird ein Beutel Goldes frommen, Den Söldnern doch, die bei Euch Wache stehn, Soll feur’ger Cypernwein den Kopf verdrehn. Ich harre Euer nachts am letzten Thor, Will sorglich spähen rings mit wachem Ohr; Bring’ Hut und Mantel, daß ich Euch verkleide, Und so entfliehn wir unbehindert beide. Muß ich vor Ghela meine Schuld verschweigen, Daß Ihr nun frei, will ich der Ärmsten zeigen, Ein letzter Strahl sei dies auf ihrem Wege. Ob ihren Tod ich schwer zur Last mir lege, An ihrer Brust sucht’ einstens ich mein Heil,
Und meine Liebe war mein bester Teil! Nur daß mich stets der Leichtsinn übermannte Und ich zu spät in Ghelas Blick erkannte. Daß sie um mich ihr Aug’ in Thränen tränkt, Daß sie um mich sich stumm zu Tode kränkt! Die Angst um Ghela weckte mein Gewissen, Doch würd’ sie jetzt unrettbar mir entrissen, Dann mag mich ganz die gier’ge Hölle haben, Dann weih’ zur Beut’ ich meinen Leib den Raben; Dann ist’s mir einerlei, ob ich verderbe, Ob ich in Schmach auf dem Schafotte sterbe; Drum willigt Ihr in meinen Vorschlag ein, Wird’s Ghelas, wird es meine Rettung sein! Denn wißt, sie konnt’ Euch lange nicht vergessen, Ward ruhiger ihr Herz auch unterdessen, Sie hat um Euch noch jahrelang geweint, Daß oft ich eifernd zu vergehn gemeint. Doch jetzt, da ich sie zu verlieren glaube, Wird meine Eifersucht der Angst zum Raube; Ich weiß es. Eure Nähe kann sie retten, Drum werft von Euch die Kerkerlast, die Ketten! In meinem Haus will gut ich Euch verbergen, Dort findet nimmer Euch die Hand der Schergen. Und stürbe Ghela dennoch, seid gewiß, Daß ich an Eurer Statt mich richten ließ’.
Dann siegt die Wahrheit unterm Henkerbeil, Und Euch wird Freiheit, Frieden dann und Heil: Ihr sollt, wenn Ihr sogleich erhört mein Flehen, Was immer kommt, an mir den Büßer sehen!« Jetzt folgt die Unterschrift Raouls dem Brief, Und was in Gabriel bezwungen schlief An irdischer, an menschlicher Empfindung, Was mit der Seelenkraft der Überwindung Er einst in seinem Innern kühn besiegt, Vor seinem Blicke nun entfesselt liegt: Sie stirbt! Es gellt der Ruf ihm in den Ohren, Und wenn sie stirbt, ist auch Raoul verloren, Der also doch in dieser Jahre Zeit, Da Gabriel verbannt, um sie gefreit. Sie stirbt! Das Weib, um das er so gelitten. Das ihm das Schicksal grausam abgestritten. Sie stirbt! Nach einem Dasein düstrer Qual — Und Gabriel, ein allerletztes Mal Wird ihm’s gegönnt, die Liebste noch zu schauen. Doch darf er ganz dem Wort Raouls vertrauen? Ist sein die Kraft, durch seiner Mühe Walten Der Heißgeliebten Leben zu erhalten, Den Gatten ihr dem Abgrund zu entreißen? Denn wie Raoul in seinem Brief verheißen, Will er, wenn Ghela lebt, ein andrer werden,
Und spätes Glück soll dann ihr blühn auf Erden. Was zögert Er, zu folgen diesem Ruf, Der einen Sehnsuchtssturm in ihm erschuf? Darf er die Hand, die ihm die Freiheit zeigt, Ergreifen nicht? Die innre Stimme schweigt. — In Zweifeln fühlt er seine Brust sich spalten, Die rasche Glut des jähen Glücks erkalten — Was soll er dort, wo täglich er in Thaten In Ghelas Näh’ sein Lieben müßt’ verraten? Wenn er am End’ ihr reines Herz bethört, Das einem andern rechtlich angehört! Statt über ihrem Glücke treu zu wachen, Soll er die Teure doppelt elend machen? Und wie, wenn je sie nur die Wahrheit ahnte, Weshalb Raoul der Freiheit Weg ihm bahnte? Wenn dies in ihr des Mißtrauns Keim erweckt, Und sie den Schleier, der das Rätsel deckt, Das wie ein Schatten quälend sie umkreist, Dem Gatten von dem feigen Herzen reißt? Was dann, wenn dennoch sie unrettbar stirbt, Raoul sich stellt und Gabriel erwirbt Die Freiheit sich, da sich der Schuld’ge fand? Wo bleibt der Freundschaft heilig reines Band, Das ihn Sauveur verknüpft in Dankbarkeit Fürs ganze Leben, ja, für alle Zeit?
Wird er an diesem Schlag nicht sterben müssen? Und endlich — soll für den Entflohnen büßen Der Wächter Max vielleicht mit seinem Leben, Der barsche Mann, der ihm so treu ergeben? War’ dies das Ende seiner feigen Flucht? Reift seiner Qual solch späte Segensfrucht? »Nein! nimmermehr! Versucherin, entweiche! Du lockst vergeblich mich. Sirenengleiche! Vier Jahre hab’ ich trostlos noch zu schmachten Und nach Ergebung stündlich hier zu trachten, Dann sei verwunden meiner Prüfung Pein, Und möge Gott mir Armem gnädig sein!« Laut rief er’s aus und riß den Brief in Stücke — Da lag sie nun, der Freiheit Zauberbrücke, Zu Füßen ihm, zertreten und verstreut! — Ein Heldenstück, das nie sein Herz bereut. Als Wächter Max am späten Nachmittage Zu ihm dann trat mit ängstlich scheuer Frage, Klopft Gabriel ihm lächelnd auf den Rücken: »Für heute, Freund, soll Euch die Schuld nicht drücken; Ich bleibe hier, nicht sollt Ihr meinetwegen Die Ehrenkrone Pflicht beiseite legen, Bestimmt weiß ich, daß nicht des Goldes Klingen
Euch diesmal das Gewissen konnt’ bezwingen, Daß nur um mich Ihr diese That gewagt. Ja, Freund, ob Ihr die Augen niederschlagt, Ich schau’ Euch tief ins treue Herz hinein — Doch, Wächter Max, laßt solche Schwäche sein! Ob Nächstenlieb’, ob Freundschaft frei Euch spricht: Der Menschheit Höchstes ist der Stern der Pflicht!«
XIII.
Vater und Sohn.
N
ach Ghelas Tod ging’s mit Raoul zu Ende, Der Abgrund streckt nach ihm die gier’gen Hände; An Leib und Seele endlich ganz gebrochen, Zählt bald sein Leben nur nach kurzen Wochen. Sauveur hat zürnend sich von ihm geschieden, Des Sohnes Näh’ in tiefem Groll gemieden. Mit Ghela hat er stets es treu gemeint, Die edle Frau verehrend lang’ beweint. Bertrand hat rettend er die Hand gereicht, Ihn treu bewacht, ob ihn Raoul umschleicht,
Und sich bemüht, aus diesem jungen Herzen Die Saat des Unkrauts liebend auszumerzen. Was er vielleicht am eignen Sohn versäumte, Als dieser sich gen jede Fessel bäumte, Um Ghelas willen, Gabriels gedenkend, Nun den Verirrten zu der Tugend lenkend, Preßt er die Hand auf seine tiefen Wunden, Weiht er Bertrand nun alle Mußestunden Und führt ihn ein in des Geschäftes Kreise Und sorgt für ihn auf väterliche Weise. Da wird einst abends er vom Schlaf geweckt: »Verzeiht mir, Herr, wenn Euch die Kunde schreckt; Nicht will der Arzt Euch schonend mehr belügen: Euch ruft Raoul, er liegt in letzten Zügen!« Nicht zögert Sauveur und folgt stumm dem Boten, Noch lieber wohl zählt’ er den Sohn zu den Toten, Als stündlich an ihm nur Schmach zu erleben. Nie kann dem Verlornen er liebend vergeben. Und endlich zur Thür tritt der Vater nun ein — Entstellt liegt der Kranke im flackernden Schein Des spärlichen Lichtes im dumpfigen Raum, Sauveur, ach! erkennt hier den Sterbenden kaum. Doch läßt er am Lager des Sohnes sich nieder, Und dieser hebt mühsam die bleiernen Lider:
»Mein Vater!« er ruft es mit keuchender Lunge, »Mein Vater!« er flüstert’s mit stockender Zunge, »Ich fühle mein Ende, nicht häng’ ich am Leben, Kannst du mir, o teuerer Vater, vergeben?« »Was soll dir am Tod meine Milde noch frommen? Hast Glück mir und Hoffen und Glauben genommen. Zu spät ist die Reue, zu spät mein Verzeihen; Der Himmel, nicht ich kann Vergebung verleihen!« »Mein Vater!« — scheu blickt er um sich in die Runde — »Ein letztes vernimm aus des Sterbenden Munde: Der Mörder Carlottos — du wirst mich verdammen —« Sauveur fährt empor und zuckt schauernd zusammen: »Der Mörder Carlottos? Unseliger, sprich!« »Mein Vater — ich sterbe — der Mörder — bin ich!« Scheu wie ein Dieb, eh’ noch die Nacht verstrichen, Ist dann Sauveur im Dunkel heimgeschlichen. Dort saß er im versperrten Arbeitszimmer Und schrieb bis zu des Morgens erstem Schimmer. — Da plötzlich tönt durchs Haus ein sondrer Knall, Man hört ein Stöhnen, einen dumpfen Fall, Und als in das Gemach die Leute drangen, Da lag Sauveur entseelt mit fahlen Wangen.
Auf seinem Tische fand man einen Brief, Mit dem man eiligst zum Gerichte lief. Und bald schwirrt eine Kunde durch die Gassen, Daß manches Antlitz jählings muß erblassen: Raoul Sauveur in seiner Todesnacht Gestand, daß er Carlottos Mord vollbracht Sein Vater hat, von diesem Schlag vernichtet, Sich heut’ erschossen; und sein Brief berichtet, Es sei dem Dulder hinter Kerkerwänden, Des Qualen nun durch dies Bekenntnis enden, Dem edlen Menschen Gabriel Trappist Sein Haus mit allem, was ihm eigen ist, Sein Geld und Gut für sein geopfert Leben Als Sühne, wenn er frei, zu übergeben.
XIV.
Spätes Glück.
A
bt Markus hat nach all den bangen Jahren, Da er vergeblich Gabriel ersehnt, Als letztes Glück das Wiedersehn erfahren Und ist, an seines Freundes Brust gelehnt, Ein heil’ger Mann, mild lächelnd dann verschieden. Und Gabriel, der nun so lang’ verbannt, Sucht nach den Stürmen sich als Lohn den Frieden In seiner Väter Burg im Heimatland. Was ihm an Geld nach seinem letzten Willen Sauveur, der edle Mann, dereinst vermacht,
Hat, vor der Welt verborgen, er im stillen, Abt Markus für das Kloster mitgebracht. Verbringt er hier den Rest auch seines Lebens, Nach Frankreich führt alljährlich ihn die Pflicht; Noch ist er nicht am Ziele seines Strebens, Noch schaut ins Thal die Sühnkapelle nicht, Die auf dem Felsen er zu bauen schwur, Als er gekniet im Dome der Natur. Drum will er weiter sorgen und sich mühen, Bis auch dies letzte ihm gelungen sei. Mit Freuden sieht er seinen Handel blühen, Und goldne Früchte trägt die Spinnerei. Bertrand ist in Lyon nun sein Vertrauter, Der treu ihm dient, wenn Gabriel auch fern; Auf diesen als ein höhres Wesen schaut er, Der auf dem Irrweg einst sein Rettungsstern. Bald schimmern aus dem Felsen licht die Maltern Der Kirche, stetig wachsend nach und nach; Ein tiefes Glück will Gabriel durchschauern, Wölbt über Säulen endlich sich das Dach. An jedem Abend sieht man oben stehen Gespenstisch seine leuchtende Gestalt Mit weißem Mantel, der im Windeswehen Um den Talar in reichen Falten wallt. Seltsam umflattern rings in schnee’gen Flocken
Das scharfgeschnittne, edle Angesicht Die silberweißen, schmerzgebleichten Locken. Aus schwarzen Augen sprüht ein mystisch Licht, Das jeden bannt in seine Strahlenkreise; Hiezu der Stimme voller Seelenlaut, Ehrfurcht gebietend seine schlichte Weise — Ein Unvergessner dem, der ihn erschaut. Und endlich ist der schöne Bau vollendet, Der Ostertag zur Weihe eingesetzt, Nur das Altarbild war nicht eingesendet, Und harrend hofft und bangt man bis zuletzt, Daß doch gewiß der Maler sein Versprechen, Bis zu der Feier es zu schicken, hält; Wie, sollt’ sein Wort der ferne Künstler brechen, Bei dem das Bild vor Jahresfrist bestellt? Am letzten Abend vor dem großen Feste Steigt Gabriel noch einmal zu dem Bau, Das Abendrot ruht auf dem Felsenneste, Der Himmel wölbt sich drüber duftig blau. Noch hofft für heute Gabriel die Sendung, Nur einmal noch will er das Innre sehn In seiner prächtig strahlenden Vollendung — Doch wie gebannt bleibt er am Thore stehn,
Kaum wagt es Gabriel, empor zu schauen: Dort ist das Bild — doch nicht, das er bestellt — Darf er nur den erstaunten Blicken trauen? Entrückt scheint er mit einem Mal der Welt, Und näher wankt er, denn ein seltsam Beben Geht mächtig ihm durchs innerste Gemüt; Von lichtem Schein sieht er das Bild umgeben, Das wie ein Stern auf dem Altare glüht. Was zeigt das Bild? — Drei menschliche Gestalten. Im Mittel thront ein hehres Frauenbild, Zur Seite ihr ein Engel, beide halten Ein Füllhorn, dem ein Bronnen sacht entquillt; Ein Pilger kniet den beiden still zu Füßen, Der seine Stirne an der Quelle kühlt. Sie schaun auf Gabriel mit leisem Grüßen, Der wie erstarrt sich, wie entgeistert fühlt. Denn nicht das Bild allein ist’s, das ihn blendet, Ein Höhres sieht er, das ihn wortlos macht, Ein überirdisches, von Gott gesendet, Das nie ein Menschengeist je hätt’ erdacht. Er sieht — nein, nein! Das Bild ist keine Lüge, Ihn trügt er nicht, der letzte Abendschein, Er sieht der Mutter, sieht der Schwester Züge, Und dort der Pilger muß sein Vater sein. Und wirklich hört er eine Quelle rauschen,
Verborgen vom Altare strömt ihr Lauf; Mit Andachtsschauern muß dem Lied er lauschen. Ein Marmorbecken fängt die Fülle auf. Und an dem Bilde liest mit nassen Blicken Er eine Schrift: »Ihr müden Herzen, kommt! Trinkt von dem Born, er soll euch tief erquicken, Und euer wird, was euch auf Erden frommt. Zu mir sollt gläubig ihr nun fürder wallen, Entsühnt sei jeder, der hier niedersinkt, Geweiht von Gott sind dieses Domes Hallen, Und Leben werde dem, der von mir trinkt.«