Matthias Kühn · Robert Fröming · Volker Schindler Fußgängerschutz
Matthias Kühn · Robert Fröming Volker Schindler
Fußgängerschutz Unfallgeschehen, Fahrzeuggestaltung, Testverfahren
Mit 159 Abbildungen und 40 Tabellen
123
Dr.-Ing. Matthias Kühn Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) Abteilung Unfallforschung Leiter des Fachbereichs Fahrzeugsicherheit Friedrichstraße 191 10117 Berlin, Germany
[email protected] Dipl.-Ing. Robert Fröming Prof. Dr. rer. nat. Volker Schindler TU Berlin Institut für Land- und Seeverkehr Gustav-Meyer-Allee 25 13355 Berlin, Germany
[email protected] [email protected] Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
ISBN-10 3-540-34302-4 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-34302-8 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007 DieWiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne derWarenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte in diesemWerk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oderAktualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen. Satz: Digitale Druckvorlage des Autors Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Einbandgestaltung: medionet AG, Berlin 68/3100/YL – 5 4 3 2 1 0
Gedruckt auf säurefreiem Papier
Danksagung
Die Erarbeitung der neuen Inhalte, die in diesem Buch dargestellt werden, war die Leistung eines Teams in den Jahren 2000 – 2006. Besonderer Dank gilt Herrn Wilfried Butenhof, Frau Alexandra Schulz sowie Herrn Florian Weyer. Herr Butenhof und Frau Schulz übernahmen die grafische Gestaltung der Tabellen und Abbildungen und haben so das Erscheinungsbild des Buches zum großen Teil geprägt. Frau Schulz führte zudem die Beiträge der Autoren zusammen und gab darüber hinaus durch ihre Sachkenntnis wertvolle Impulse für die lesergerechte Präsentation der Buchinhalte. Herr Prof. Dr.-Ing. Volker Meewes, ehemaliger Leiter des Verkehrstechnischen Institutes der Deutschen Versicherer, hat die Entstehung dieses Buches sehr gefördert. Ihm gilt an dieser Stelle ein herzlicher Dank. Außer den Autoren haben eine ganze Reihe von Studenten der Fahrzeugtechnik der TU Berlin im Rahmen ihrer Studien- und Diplomarbeiten und als studentische Mitarbeiter Beiträge zum Thema Fußgängersicherheit geleistet. Zu nennen sind Alexander Eisenach, Daniel am Ende, Darius Friedemann, Andy Heinrich, Till Heinrich, Ingo von Hübbenet, Erik Janata, Andreas Kampa, Markus Lindemann, Sergej Meinzer, Tibor Passek, Stephan Raming, Arnd Rose, Alexandra Schulz, Hagen Siegler, Sebastian Weber, Mario Wendt, Florian Weyer. Natürlich haben viele weitere Personen durch ihre Diskussionsbeiträge einen Anteil daran, wie die Ideen gereift sind und umgesetzt wurden. Des Weiteren bedanken wir uns bei den Firmen und Institutionen, die mit dem bereitgestellten Bildmaterial zum besseren Verständnis der Inhalte beigetragen haben. Berlin, Juli 2006
Die Autoren
Vorwort
Unter Fahrzeugsicherheit wurde noch bis vor wenigen Jahren der reine Insassenschutz verstanden. Um den motorisierten Individualverkehr sicherer zu gestalten, wurden über die letzten Jahrzehnte große Anstrengungen unternommen. Diese hatten Erfolg und führten zu einem sehr hohen Sicherheitsniveau für die Insassen von modernen Fahrzeugen. Die Wirkung des Fahrzeugs auf ungeschützte Verkehrsteilnehmer hatte keine besondere Priorität. Auch die Infrastruktur wurde mit großem Aufwand verbessert und verkehrssicherer gemacht. Es entstanden u. a. Empfehlungen zur Anlage von Querungshilfen für Fußgänger, für Aufpflasterungen zur Reduktion der Fahrgeschwindigkeit von Fahrzeugen etc. Weitere Verbesserungen betrafen die Erziehung aller am Straßenverkehr beteiligten Personen und das Rettungswesen. In der Summe haben diese Entwicklungen zu einer Verminderung der Zahl der Unfallopfer unter den ungeschützten Verkehrsteilnehmern auf Europas Straßen geführt. Trotz positiver Tendenz besteht aber weiterhin Handlungsbedarf im Bereich der fußgängerverträglichen Gestaltung der Fahrzeuge. Diese Problematik entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem der meist diskutierten Themen zur Fahrzeugsicherheit auf nationaler und internationaler Ebene. Es wurden Maßnahmen auf diesem Gebiet gefordert, die inzwischen u. a. in eine seit 2005 geltende, europäische Richtlinie zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern mündeten. Die Richtlinie beinhaltet ein Prüfverfahren, das die Fahrzeugfront mittels eines Komponententests bewertet. Die Aussagkraft für das reale Unfallgeschehen und damit die unfallfolgenmindernde Wirksamkeit eines solchen Tests ist allerdings nicht unumstritten. Zudem hat es beträchtliche Auswirkungen auf die Gestaltung der Fahrzeugfront und in manchen Ausführungen auch auf Herstell- und Betriebskosten. Vor dem Hintergrund der Entwicklung und Einführung von intelligenten Sicherheitssystemen, die viele Formen von drohenden Unfällen erkennen und möglicherweise sogar verhindern können, müssen rein passive, nur auf den Schutz von Fußgängern gerichtete Maßnahmen am Fahrzeug bezüglich ihres Nutzens
VIII
Vorwort
neu bewertet werden. Es wäre wünschenswert, wenn der Beitrag einzelner Maßnahmen zum Fußgängerschutz quantifizierbar gemacht werden könnte, um die wirkungsvollsten Maßnahmen zu erkennen und die beschränkten Mittel der Fahrzeugkunden im Schwerpunkt auf deren rasche und breite Einführung zu richten. In diesem Buch werden vor allem die fahrzeugseitigen Aspekte der Fußgängersicherheit betrachtet. Es wird jedoch auch ein Überblick über die zahlreichen weiteren Maßnahmen gegeben, die ebenfalls wesentliche Beiträge zur Verbesserung der Verkehrssicherheit leisten. Sie reichen von der Erziehung der Verkehrsteilnehmer über die Gestaltung des Straßenraums und dessen Betrieb bis zum Rettungswesen. Erst unter Ausschöpfung vieler Möglichkeiten lassen sich die Zahlen der Unfallopfer weiter absenken.
Inhaltsverzeichnis
1 Gesellschaftliche Aspekte ....................................................................... 1 1.1 Zur Entwicklung der Fahrzeugsicherheit ........................................... 1 1.2 Unfallgeschehen ................................................................................. 7 1.2.1 Europa ....................................................................................... 8 1.2.2 Internationaler Vergleich......................................................... 24 1.3 Unfallanalyse.................................................................................... 32 1.4 Verletzungsmuster............................................................................ 44 1.4.1 Verletzungsursachen ............................................................... 46 1.4.2 Verletzungsursache - Fahrbahnaufprall .................................. 51 1.4.3 Zusammenfassung und internationaler Vergleich................... 53 1.5 Unfallkosten ..................................................................................... 55 Literatur .................................................................................................. 59 Tabellenanhang....................................................................................... 62 2 Mechanismen des Fußgängerunfalls ................................................... 71 2.1 Die Pre-Crash-Phase......................................................................... 71 2.2 Die In-Crash-Phase........................................................................... 74 2.2.1 Der Einfluss der Fahrzeugfrontgeometrie ............................... 77 2.2.2 Kategorisierung der Fahrzeugfronten...................................... 80 2.3 Die Post-Crash-Phase ....................................................................... 92 Literatur .................................................................................................. 95 3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern......................................... 97 3.1 Infrastrukturmaßnahmen .................................................................. 97 3.2 Verkehrserziehung.......................................................................... 105 3.3 Verkehrsüberwachung .................................................................... 108 3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit ................................................ 110 3.4.1 Systeme zur Bremsassistenz.................................................. 113 3.4.2 Automatische Notbremsfunktion .......................................... 117 3.4.3 Systeme zur automatischen Kollisionsvermeidung............... 118 3.5 Passive Strukturmaßnahmen .......................................................... 120 3.5.1 Allgemeines zum Schutz des Fußgängers ............................. 121
X
Inhaltsverzeichnis
3.5.2 Gestaltung des Frontends ...................................................... 127 3.5.3 Fronthaube ............................................................................ 133 3.5.4 Frontscheibenbereich ............................................................ 138 3.5.5 Aktive Strukturmaßnahmen .................................................. 141 3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen .... 147 3.6.1 Kontaktbasierte Sensorik ...................................................... 147 3.6.2 Kontaktlose Sensorik ............................................................ 152 3.7 Globale Nutzenabschätzung ........................................................... 162 Literatur ................................................................................................ 165 4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz ....................... 169 4.1 Straßenseitige Maßnahmen ............................................................ 170 4.2 Untersuchungsmethoden zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz .................................................................................. 176 4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz ........................................... 185 4.3.1 Gesetzgebung in Europa ....................................................... 185 4.3.2 Gesetzgebung in Japan.......................................................... 200 4.3.3 Weltweite Technische Regelung........................................... 202 4.3.4 EuroNCAP ............................................................................ 204 4.3.5 Japan NCAP .......................................................................... 209 4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen...................... 211 4.4.1 Die VERPS-Bewertungsmethodik ........................................ 211 4.4.2 Anwendung von VERPS zur Bewertung von Maßnahmen der passiven Sicherheit.............................................. 219 4.4.3 Bewertung von Maßnahmen der aktiven Sicherheit ............. 222 4.4.3 Fazit und Ausblick ................................................................ 235 Literatur................................................................................................ 240
1 Gesellschaftliche Aspekte
Zu den Risiken, die der motorisierte Individualverkehr mit sich bringt, gehören auch die Unfälle. So ereignete sich der erste registrierte tödliche Verkehrsunfall im Jahre 1899 in New York / USA. Dabei wurde ein die Straßenbahn verlassender Mann von einem vorbeifahrenden Motorfahrzeug erfasst. Die Stadt New York sah sich bald darauf gezwungen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Sie erließ am 30. Oktober 1903 die weltweit erste Straßenverkehrsordnung und vergrößerte die berittene Verkehrspolizei von drei auf sechs Mann (Marshall 1988).
1.1 Zur Entwicklung der Fahrzeugsicherheit Stand zu Beginn des Zeitalters des Automobils noch die Betriebssicherheit im Vordergrund, so sahen sich die Automobilhersteller bereits Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgrund steigender Verkehrsdichten gezwungen, die Brems- und Fahrsicherheit der Fahrzeuge zu verbessern (Braess et al. 1996). Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der politischen Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Aufschwung stieg das Verkehrsaufkommen in allen industrialisierten Ländern der Welt weiter stark an. Eine Folge davon waren kontinuierlich steigende Unfallzahlen. Ende der 60er Jahre erreichten die Unfallzahlen in vielen Ländern einen Höhepunkt. Es bedurfte konzentrierter Maßnahmen, um das Problem anzugehen. Als eines der ersten Länder ergriffen die USA die Initiative und erließen 1966 das Verkehrssicherungsgesetz. Damit war ein nationales, umfassendes und koordiniertes Verkehrssicherheitprogramm verbunden. Dabei war auch die Fußgängersicherheit mit dem Erlass vom 2.11.1968 ein integraler Bestandteil (Marshall 1988). Dieser umfassende Ansatz zur Unfallvermeidung vereinigte die Bereiche der Erziehung, der Legislative und der technischen Maßnahmen. Gegen Ende der 60er Jahren verschob sich dies hin zu einem partiellen Ansatz mit technischen Maßnahmen als Schwerpunkt (Marshall 1988). Das äußerte sich u.a. darin, dass die Regierung der USA 1968 ein weltweites Programm zur Entwicklung von so genannten „Experimental Safety Vehicles“ (ESV) ins Leben rief. Hieran wa-
2
1 Gesellschaftliche Aspekte
ren die Länder Westeuropas und Japan beteiligt. Bereits in den 50er Jahren wurden Sicherheitsfahrzeuge entwickelt, wie das Survival Car I und II (s. Abb. 1.1), oder das New York State Sicherheitsfahrzeug 1968 (Braess et al. 1996). Das Survival Car war eines der ersten Sicherheitsfahrzeuge der Welt. Es wurde auf Initiative der Liberty Mutual Insurance Company in Kooperation mit der Cornell-Universität entwickelt. Es basiert auf einem Chevrolet Bel Aire aus dem Jahre 1961 und beinhaltet 65 Sicherheitsideen zur aktiven und passiven Sicherheit, u.a. Beckengurte, eine energieabsorbierende Lenksäule, eine laminierte Windschutzscheibe, Knie- und Beinschutzeinrichtungen und energieabsorbierende Stoßfänger (Bryan 1995).
Abb. 1.1 Experimentalfahrzeug der Liberty Mutual Company (Bryan 1995).
Im Jahre 1971 fand in Paris dann die erste ESV-Konferenz unter der Schirmherrschaft der NATO CCMS1 statt. Aus den Ergebnissen der Arbeiten der 1. Phase des ESV-Programms ließen sich u.a. auch Fragestellungen zur Erhöhung der Fußgängersicherheit ableiten. So konnten methodische Fragen bezüglich der speziellen Auslegungs- und Testverfahren von Fahrzeugen zum Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer formuliert werden. Als Folgeprogramm präsentierte die NHTSA2 das RSV-Programm (Research Safety Vehicle). Dessen Erkenntnisse waren u.a. auch, dass beim Fußgängerschutz deutliche Verbesserungen möglich sind und die Testdummys (sog. Anthropromorphic Test Devices, ATD) für die Fußgängerkollision wesentlicher Verbesserungen bedürfen. Mittlerweile sind die alle zwei Jahre stattfindenden ESV-Konferenzen eine etablierte Plattform zum 1
2
NATO CCMS – North Atlantic Treaty Organisation, Committee on the Challenges of the Modern Society. NHTSA – National Highway Traffic Safety Administration; Verkehrssicherheitsbehörde der USA, www.nhtsa.dot.gov.
1.1 Zur Entwicklung der Fahrzeugsicherheit
3
internationalen Austausch von Forschungsergebnissen im Bereich der Fahrzeugsicherheit. Als Reaktion auf die ESV-Entwicklungen in den USA gründete sich im Oktober 1970 das European Experimental Vehicle Committee (EEVC)3. Das EEVC, bestehend aus Regierungsvertretern, hat sich zum Ziel gesetzt, die Sicherheit für Fahrzeuginsassen, Fußgänger und Zweiradfahrer auf der Grundlage von eigenen Forschungsarbeiten zu erhöhen. Dabei werden die Arbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen durchgeführt. Bereits die Arbeitsgruppe 1 (1974) hatte die Wichtigkeit von Fußgängerverletzungen im Unfallgeschehen erkannt. Die Arbeitsgruppe 7 (1982) führte diese Arbeiten weiter. Darüber hinaus wurde in einer ad hoc Arbeitsgruppe der Einfluss der Fahrzeugfrontgestaltung auf Verletzungsmuster des Fußgängers analysiert. Die Arbeitsgruppe 10 erarbeitete von 1987 bis 1994 einen Vorschlag für ein Testverfahren zum Schutz von Fußgängern bei Fahrzeugkollisionen. Dieser Vorschlag wurde von der Arbeitsgruppe 17 von 1997 bis 1998 überarbeitet und galt seitdem für Europa als Diskussionsgrundlage für ein zukünftiges Testverfahren (EEVC WG 10 1994; EEVC WG 17 1998). Aktuelle bedeutende Forschungsprojekte im Bereich der Fahrzeugsicherheit sind z. B. das nationale INVENT4-Projekt und das europäische APROSYS5-Projekt. Sie nutzen aktuelle technische Entwicklungen im Bereich der Elektronik, Sensorik und Aktuatorik sowie Werkstoffkunde, um ein Maximum an Sicherheit im Straßenverkehr zu erzielen (APROSYS 2003; INVENT 2005). Gleichzeitig rückt der Aspekt der Unfallvermeidung und Unfallfolgenminderung durch Warnsysteme und Fahrerassistenzsysteme stärker in den Vordergrund (PREVENT 2006). Fußgängerschutz und seine Relevanz im Unfallgeschehen
Einer Aufbruchstimmung hin zu einem neuen Sicherheitsbewusstsein folgte bei der Umsetzung der Ideen zur Erhöhung der Sicherheit von ungeschützten Verkehrsteilnehmern Ernüchterung. Das Thema erreichte seinen Höhepunkt Anfang der 80er Jahre mit der Vorstellung des Uni-Car, das sehr viele sinnvolle und innovative Lösungen aufzeigte (s. Abb. 1.2). Von 1978 bis 1982 wurde im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) an vier deutschen Universitäten ein Forschungsfahrzeug entwickelt, das im Rahmen der Sicherheitsauslegung EEVC – http://eevc.org. INVENT – http://www.invent-online.de. 5 APROSYS – Advanced Protection Systems, http://www.aprosys.com. 3 4
4
1 Gesellschaftliche Aspekte
speziell den Fußgänger- und Radfahrerschutz sowie Fragen der Kompatibilität allgemein fokussierte. Dieses Fahrzeug beinhaltete u.a. sehr innovative technische Lösungsvorschläge zum Schutz des Fußgängers, die auch heute noch Gültigkeit besitzen (s. auch Kapitel 3), (Appel et al. 1982; BMFT 1983). Die Ideen stammten aus Grundlagenuntersuchungen, die an der TU Berlin durchgeführt wurden (Kühnel u. Rau 1973, 1974, 1978; Kühnel 1980).
Abb. 1.2 Im Forschungsfahrzeug Uni-Car wurden zahlreiche Maßnahmen zum Fußgängerschutz wie gepolsterte Front-, Hauben- und Scheibenrandbereiche prototypisch umgesetzt (BMFT 1983).
Allerdings folgte dann nicht die Umsetzung der technischen Lösungen in die Serienproduktion der Fahrzeuge. Das Thema wurde in den folgenden Jahren bis zum Ende der 90er Jahre nur noch am Rande behandelt. In den letzten 25 Jahren Sicherheitsforschung dominierte der Schutz der Fahrzeuginsassen. Mit dem Mandat des EEVC WG 106 und später WG 17 ein zulassungsrelevantes Testverfahren zum Schutz der Fußgänger bei einem Fahrzeuganprall zu entwickeln, kam Bewegung in die Diskussion um die Auslegung der Fahrzeugfront, die bis dahin den Selbstschutz fokussierte. Die Automobilhersteller sahen sich spätestens seit den Ergebnissen der Arbeit der WG 17 im Jahre 1998 (EEVC WG 17 1998) der neuen Herausforderung gegenüber, die bisherigen Auslegungsprinzipien neu zu definieren. Seit 6
EEVC WG 10 – European Enhanced Vehicle Safety Committee, Working Group 10, ab 1998 Working Group 17.
1.1 Zur Entwicklung der Fahrzeugsicherheit
5
dieser Zeit rückte das Thema des fahrzeugseitigen Fußgängerschutzes, und hier speziell die Frage nach einem geeigneten Testverfahren für Fahrzeuge, in den Mittelpunkt des Interesses vor allem auf europäischer Ebene (HDT 2001, 2002; VDA 2001). Als Reaktion auf die Bestrebungen zur Entwicklung eines gesetzlichen Testverfahrens unterbreitete die europäische Automobilindustrie (ACEA)7 2001 im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung ihren Vorschlag für ein zulassungsrelevantes Testverfahren. Das Testverfahren basiert auf dem Komponententest nach EEVC WG 17 (Commission 2001). Parallel dazu führten Tests zur Bewertung der Fußgängersicherheit im Rahmen der Euro NCAP8–Verbrauchertestreihen zu einem zusätzlichen öffentlichen Interesse. Im Zuge dieser Entwicklungen haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union im November 2003 die Richtlinie 2003/102/EG zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen erlassen (Europäische Union 2003). Die Diskussionen der letzten Jahre wiesen neben fachlichem auch politischen Charakter auf (Engelbrecht 2001). In Erwartung eines Entschlusses seitens der Europäischen Union zur Festlegung eines zulassungsrelevanten Testverfahrens stellte sich die Situation bei deutschen Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung in einer Befragung aus dem Jahr 2001 zwiespältig dar (Kühn 2001): Es herrschte allgemein kein Konsens über durchzuführende Maßnahmen zum Fußgängerschutz am Kraftfahrzeug. Die Argumentationen wurden sehr interessenbehaftet geführt, so dass sich nur schwer ein objektives Bild der Problemfelder aufzeigen ließ. Gegenstand der Diskussion war nicht die Frage, ob es notwendig ist, Fußgänger zu schützen – dies steht außer Frage – vielmehr stand die Frage der Umsetzung mit technischen Mitteln und deren Nebeneffekten wie Kosten, Designauswirkungen, Zuverlässigkeit und Kundenakzeptanz im Vordergrund. So wurden nicht nur technische Maßnahmen am Fahrzeug selbst gefordert, sondern auch Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und zur Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer durch Verkehrserziehung. Dabei wurden von verschiedenen Gruppen Maßnahmen favorisiert, die Unfälle vermeiden helfen. Aufgrund der physikalischen Gegebenheiten der 7
8
ACEA – Association des Constructeurs Européens d’Automobiles, Verband der europäischen Automobilindustrie. Euro NCAP – European New Car Assessment Programme; gegründet 1997; bietet Verbrauchern eine unabhängige vergleichende Bewertung der Sicherheitseigenschaften für in Europa verkaufte Fahrzeuge. Eine Bewertung nach abweichend definierten Testprotokollen erfolgt auch in Japan (Japan NCAP), in Australien (Australia NCAP) sowie den USA (US-NCAP).
6
1 Gesellschaftliche Aspekte
Kollisionspartner stellen aktive Maßnahmen am Fahrzeug zur Unfallvermeidung natürlich die Ideallösung dar. Für solche Systeme werden PreCrash Sensoren notwendig. Allerdings mangelt es den vorgestellten Systemen an der notwendigen Auslösesicherheit. Ein Problem bei der technischen Umsetzung bildet hier die Sensorik für eine sichere Fußgängererkennung, auch in urbanen Gebieten. Dabei sind auch rechtliche und zulassungstechnische Fragen wie z. B. der Verantwortungshoheit beim Fahrzeugführen oder auch Produkthaftungsfragen bei der möglichen Einführung von Assistenzsystemen zu beachten (Hartlieb 2001; RESPONSE 2006). Allgemein kritisierten die Befragten den sehr mühsamen und langwierigen Entstehungsprozess der Ergebnisse der EEVC-Arbeitsgruppen 10 und 17. Das hatte zur Folge, dass zum Zeitpunkt der Diskussion über die obligatorische Einführung von Fußgängerschutzmaßnahmen das Ausgangsdatenmaterial bezüglich der Unfallsituation und der Fahrzeugpopulation als Basis für diese Entscheidungen seine Gültigkeit bereits verloren hatte. Gleichzeitig sollten die getroffenen Entscheidungen 10 und mehr Jahre in die Zukunft reichen. Dem vorgeschlagenen Komponententestverfahren wurde aufgrund seines hohen Abstraktionsgrades und der ungenügenden Abbildung des Einflusses der Fahrzeugfront auf die Kinematik des Fußgängers von den Befragten eine nur mäßige Realitätsnähe und damit geringe Wirkung auf das Unfallgeschehen vorausgesagt. Dies ging sogar so weit, dass von verschiedenen Befragten negative Auswirkungen auf die Fußgängersicherheit bei der Einführung des Testverfahrens befürchtet wurden. Mit dem in diesem Buch vorgestellten VERPS+-Index können diese Aussagen objektiviert werden. Als Hilfsmittel zur Bewertung stellte der Globaltest prinzipiell für die Mehrheit der Befragten ein theoretisches Optimum dar. Als alternatives Testverfahren allerdings lässt er sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht diskutieren. Hauptproblem ist der Mangel an geeigneten Fußgängerdummys, die mangelnde Reproduzierbarkeit und der erhöhte Durchführungsaufwand. Die numerische Simulation stellte für viele das zukünftig aussagekräftigste Bewertungshilfsmittel dar. Sie ist derzeit aber als alleiniges gesetzliches Testverfahren aufgrund des Rechenaufwandes und noch bestehender methodischer Probleme noch nicht geeignet. Ein kombiniertes Testverfahren schien vielen zumindest denkbar. Allgemein wurden designneutrale Maßnahmen am Fahrzeug zum Fußgängerschutz als Reaktion auf ein mögliches Testverfahren an der Fahrzeugfront bevorzugt (z. B. aufstellende Haube, Airbagsysteme). Aufpolsterungen und damit einhergehende Designveränderungen wurden dagegen als schwer durchsetzbar angesehen. Bei den aktiven, designneutralen
1.2 Unfallgeschehen
7
Maßnahmen am Fahrzeug ist das Problem der Aktivierung und Sensierung zu lösen. So lässt sich die Einführung eines geeigneten, zulassungsrelevanten Testverfahrens zur Bewertung des Fußgängerschutzes an Fahrzeugen als das Hauptproblem in der Diskussion der letzten Jahre identifizieren. Es war notwendig, ein Testverfahren zu etablieren, das die Fußgängersicherheit auf einer geeigneten Abstraktionsstufe reproduzierbar und vergleichsweise unaufwendig bewertbar macht. Dabei sollten die neuen Möglichkeiten der rechnergestützten Entwicklung im Fahrzeugbau genutzt werden. Darüber hinaus besteht Forschungsbedarf bei der Quantifizierung des Beitrages von Maßnahmen zum Fußgängerschutz vor allem aus dem Bereich der Unfallvermeidung, aber auch seitens der Infrastruktur oder der Verkehrserziehung. Die Analyse der Effekte in der Unfallstatistik ist schwierig, da technische Änderungen an der Fahrzeugfront, notwendig geworden aufgrund der möglichen neuen Anforderungen durch ein Testverfahren, schlagen sich wenn überhaupt erst Jahre später statistisch signifikant in den Unfalldaten nieder.
1.2 Unfallgeschehen Die Ableitung von Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit benötigt eine statistisch fundierte Basis, mit deren Hilfe Problemfelder aufgedeckt und Lösungsansätze entwickelt werden können. Die europaweite Betrachtung und Analyse des Verkehrsunfallgeschehens setzt die gleichgerichtete Unfallerhebung in allen Teilnehmerstaaten voraus. Alle Staaten der EU-259 haben ein mehr oder weniger leistungsfähiges System zur Erfassung von Unfalldaten, dennoch ist der internationale Vergleich schon allein durch unterschiedliche Erhebungsmethoden, Definitionen und Erhebungszeiträume sehr schwierig. Im Zuge der europäischen Harmonisierung werden im Rahmen von SafetyNet10 und der CARE11-Unfalldatenbank soEU-25 = Europäische Union; Mitgliedsstaaten: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Dänemark, Irland, Vereinigtes Königreich, Griechenland, Portugal, Spanien, Finnland, Österreich, Schweden, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern. 10 SafetyNet – EU-Projekt zur Entwicklung eines Europäischen Verkehrssicherheits-Observatoriums, http://safetynet.swov.nl/index.htm. 11 CARE – Communiy Road Accident Database - internationale Unfalldatenbank der Europäischen Union, http://ec.europa.eu/transport/care/index_en.htm. 9
8
1 Gesellschaftliche Aspekte
wie durch EUROSTAT12 selbst Unfalldaten erhoben. Trotz allem bedeutet derzeit der innereuropäische Vergleich von Unfallzahlen noch immer einen großen Aufwand zur Zusammenstellung aktueller Statistiken. 1.2.1 Europa Der Trend im Unfallgeschehen in der Europäischen Union (EU) stellt sich wie folgt dar: Auf den europäischen Straßen ereignen sich jährlich 1,3 Mio. Unfälle mit mehr als 40.000 getöteten Menschen und 1,8 Mio. Verletzten. Dadurch entstehen der EU Kosten in Höhe von rund 160 Mrd. Euro. Dies entspricht ca. 2 % des Bruttosozialproduktes. Diese Zahlen haben die Kommission der Europäischen Gemeinschaft veranlasst, das Ziel vorzuschlagen, bis 2010 die Zahl der Verkehrstoten um 50 % zu verringern. Insbesondere die Einbeziehung der Verletzungsfolgekosten ergänzend zu den Getötetenzahlen in die Betrachtungen zur Verkehrssicherheit ist ein bisher neuer Ansatz in der Verkehrssicherheitspolitik. Das dazu notwendige Aktionsprogramm beinhaltet einen umfassenden Ansatz, der die Verkehrsteilnehmer, die Fahrzeuge selbst und die Infrastruktur durch konkrete Maßnahmen einbezieht (Kommission 2003). Pkw-Insassen bilden den größten Anteil der im europäischen Straßenverkehr verletzten Verkehrsteilnehmer, gefolgt von den Motorradfahrern und den Fußgängern (s. Abb. 1.4). Betrachtet man die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Verkehrsteilnehmer (s. Abb. 1.3), so sind die Fußgänger nach den Pkw-Insassen am zweithäufigsten betroffen. Die Gruppe der ungeschützten Verkehrsteilnehmer insgesamt (Fußgänger, Rad- und Motorradfahrer) war im Verkehrsraum der EU-25 mit ca. 30 % an der Gesamtzahl der getöteten Personen im Straßenverkehr vertreten. Fußgänger bilden innerhalb der Gruppe der ungeschützten Verkehrsteilnehmer die größte Untergruppe. Insgesamt ist bei Betrachtung der EU-25 im zeitlichen Verlauf ein Abwärtstrend der Getötetenzahlen zu erkennen (s. auch Abb. 1.24). Es bleibt zu hoffen, dass dieser auch bei fortschreitender Motorisierung in den osteuropäischen Staaten fortgeführt werden kann. Ein rascher Anstieg der Motorisierung ohne entsprechende Anpassungen von Infrastruktur und Nutzerverhalten könnte tendenziell höhere Unfallzahlen hervorrufen, wie man in den fünf neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung beobachten konnte. 12
EUROSTAT – Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaft, http://www.europa.eu.int/comm/eurostat/.
1.2 Unfallgeschehen
9
Abb. 1.3 Im Straßenverkehr verletzte Personen in der EU-25 unterteilt nach Art der Verkehrsteilnahme (Zahlenwerte s. Tabelle A.1).
Abb. 1.4 Im Straßenverkehr getötete Personen in der EU-25 unterteilt nach Art der Verkehrsteilnahme (Zahlenwerte s. Tabelle A.2).
Betrachtet man die Zahl der im Straßenverkehr verletzten Personen (s. Abb. 1.4), so ist eine Stagnation auf hohem Niveau festzustellen. Im Jahr 2001 wurden im Gebiet der EU-25 ca. 1,9 Millionen Personen im Straßenverkehr verletzt, davon ca. 185.000 Fußgänger. Ungeschützte Verkehrsteilnehmer haben mit ca. 650.000 Verletzten auch hier einen Anteil von ca. 30 %. Fußgänger bilden in der Gruppe der verletzten Straßenver-
10
1 Gesellschaftliche Aspekte
kehrsteilnehmer einen Anteil von ca. 10 %. Es ist zu erkennen, dass die Zahl der im Straßenverkehr verletzten Personen noch nicht von der zunehmend verbesserten (passiven) Sicherheitsausstattung der Fahrzeuge profitieren konnte. Als Ursachen sind hier der gegenläufige Trend der steigenden Verkehrsleistung sowie der starken Nichtlinearität zwischen Fahrzeugsicherheit und Verletzungsvermeidung zu sehen. Die Zahl der getöteten Straßenverkehrsteilnehmer konnte durch die erhöhte passive Fahrzeugsicherheit und auch durch die Verbesserungen im Rettungswesen und der anschließenden medizinischen Versorgung reduziert werden. Eine signifikante Absenkung der Unfallzahlen und damit auch der Verletztenzahlen wird sich nur durch unfallvermeidende Sicherheitssysteme (wie z. B. ESP oder Bremsassistenzsysteme) erreichen lassen. Erste Untersuchungen scheinen dies zu beweisen (Lie et al. 2005; Kreiss et al. 2005). Der Modal Split13 des europäischen Personenverkehrs stellt sich uneinheitlich dar (s. Abb. 1.5). Von Land zu Land existieren sehr unterschiedliche Verteilungen des Transportaufkommens.
Abb. 1.5 Anteil der drei Modi des Personenverkehrs in ausgewählten Ländern Europas (Zahlenwerte s. Tabelle A.3).
Ein sehr hoher Anteil des MIV14 kann zum einen auf ein unterentwickeltes öffentliches Verkehrssystem schließen lassen, andererseits haben geraModal Split: Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsträger (Modi). 14 MIV: motorisierter Individualverkehr; Kraftfahrzeuge zur individuellen Nutzung. 13
1.2 Unfallgeschehen
11
de wirtschaftlich höher entwickelte Länder steigende MIV-Anteile zu verzeichnen, da sich dort immer mehr Menschen einen Pkw leisten können und ihn alltäglich nutzen. In nahezu allen wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern hat der MIV eine überragende Bedeutung bei der Bewältigung von Personentransporten (s. auch Abb. 1.20, USA mit 89,4 % Straßenverkehrsanteil). In der folgenden statistischen Analyse wurden Maßzahlen erarbeitet, die einen Vergleich des Straßenverkehrsgeschehens in den einzelnen Ländern der EU-25 erlauben. Die Straßennetzlänge, die Einwohnerzahl und der Pkw-Bestand eines Landes stellen wichtige Bezugsgrößen dar, um absolute unfallstatistische Kennzahlen in vergleichbare Maßzahlen zu wandeln. Im Anschluss soll die Relevanz des Fußgängerunfalls anhand einiger ausgewählter Maßzahlen diskutiert werden. Die Länge des Straßennetzes der einzelnen Länder ist in erster Näherung proportional zur flächenmäßigen Ausdehnung (s. Abb. 1.6). Wie auch in der europäischen Unfallerfassung gibt es Unterschiede in der Erfassung der Straßennetze in den einzelnen Ländern. Frankreich und Spanien weisen als flächenmäßig vergleichsweise große europäische Länder laut Statistik mit Abstand das größte Straßennetz auf. Das deutsche Straßennetz besitzt den größten Anteil an Autobahnen, einer Straßenart, die Pkw- und Lkw-Verkehr sehr effizient und sicher abwickelt und definitionsgemäß durch u.a. die Sperrung für Fußgänger und Radfahrer die Wahrscheinlichkeit für Fußgängerunfälle minimiert (s. Abb. 1.7). Die bauliche Trennung oder die geschickte Routenführung einzelner Nutzergruppen auf höherrangigen Straßen ist für die allgemeine Verkehrssicherheit sehr dienlich. Durch die Einführung von Ortsumgehungsstraßen kann so z. B. das innerstädtische Verkehrsaufkommen reduziert werden.
12
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.6 Länge des Straßennetzes in ausgewählten Ländern Europas.
1.2 Unfallgeschehen
13
Abb. 1.7 Anteil der einzelnen Straßenklassen am Gesamtstraßennetz in ausgewählten Ländern Europas (Zahlenwerte s. Tabelle A.4).
14
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.8 Der Fahrzeugbestand in den Ländern Europas unterteilt nach Fahrzeugart (in Tausend), (Zahlenwerte s. Tabelle A.5).
1.2 Unfallgeschehen
15
Betrachtet man den Fahrzeugbestand in den einzelnen Ländern, so führt nach absoluten Zahlen Deutschland (50,9 Mio. Pkw) vor Italien (41,4 Mio. Pkw) und Frankreich (38,3 Mio. Pkw) (s. Abb. 1.8). Bezogen auf die Einwohnerzahl führt jedoch Luxemburg vor Italien und Deutschland (s. Abb. 1.9). In allen drei Ländern besitzt mehr als jeder zweite Einwohner ein Pkw. In den Staaten des ehemaligen Ostblocks besitzt ca. jeder dritte bis vierte Einwohner einen Pkw. Langfristig wird voraussichtlich auch in diesen Ländern ein westeuropäisches Niveau erreicht werden.
Abb. 1.9 Pkw-Dichte in ausgewählten Ländern Europas für das Jahr 2001.
16
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.10 Verkehrsleistung des MIV (nur Pkw) in ausgewählten Ländern Europas für das Jahr 2001.
Deutschland und die folgenden größeren westeuropäischen Länder können im europäischen Vergleich ihre führende Stellung im Fahrzeugbestand auch in der Verkehrsleistung behaupten (s. Abb. 1.10). Insgesamt kann in den folgenden Diagrammen gezeigt werden, dass die Zahl der getöteten oder verletzten Verkehrsteilnehmer nicht zwingend proportional zur Fahrzeugdichte oder Verkehrsleistung ist. Bezieht man die Zahl der getöteten oder verletzten Fußgänger auf die Einwohnerzahl oder auf den Pkw-Bestand des jeweiligen Landes, so ergeben sich Maßzahlen, die näherungsweise als Unfallrisiko interpretiert werden können.
1.2 Unfallgeschehen
17
Insbesondere in den ehemaligen Ostblockstaaten ist trotz geringerem PkwBestand und Verkehrsaufkommen das Risiko, einen Unfall mit tödlichem Ausgang zu erleiden, stark erhöht. Ein derart erhöhtes Unfallrisiko lässt sich gerade beim Fußgängerunfall nicht allein durch fahrzeugseitige Effekte erklären. Es lässt u.a. darauf schließen, dass in den westlichen Ländern unfallvermeidende Maßnahmen wie Verkehrserziehung und Infrastruktur erfolgreich umgesetzt werden konnten und ein entsprechend effizientes Rettungswesen die Unfallfolgen weiter reduzieren kann. Zusätzlich wirkt sich der modernere Fuhrpark in den westlichen Ländern positiv aus. Diese Erfahrungen gilt es auch in Ländern mit entsprechenden Defiziten in der Verkehrssicherheit umzusetzen. Die Staaten in den Abb. 1.11 und 1.12 sind entsprechend des Anteils getöteter bzw. verletzter Fußgänger geordnet. Sie zeigen den prozentualen Anteil der getöteten bzw. verletzten Verkehrsteilnehmer nach Art der Verkehrsbeteiligung. Generell muss in diesem Kontext auf die innerhalb Europas sehr unterschiedlichen Definitionen von Getöteten und Verletzten hingewiesen werden. Dadurch sind im Einzelfall Verzerrungen möglich. In Westeuropa werden die Insassen von Personenkraftwagen bei Verkehrsunfällen am häufigsten verletzt. Betrachtet man zusätzlich die Getöteten, so verschiebt sich das Verhältnis zu Ungunsten der Fußgänger. Sie sind ungeschützt und die Folgen von Unfällen wirken sich direkt in schwereren Verletzungen aus. Der hohe Anteil an motorisierten Zweirädern im Fahrzeugbestand z. B. von Griechenland wirkt sich auch auf die Zahlen der Verletzten und Getöteten Zweiradfahrer aus. Griechenland ist eines der wenigen Länder mit einem höheren Anteil an getöteten Zweiradfahrern als an getöteten Fußgängern in der Statistik. In der Verletztenstatistik verschiebt sich das Verhältnis noch weiter in Richtung der motorisierten Zweiradfahrer. Es verletzen sich dort mehr als dreimal so viele motorisierte Zweiradfahrer wie Fußgänger. Damit werden in Griechenland fast genauso viele Fahrer motorisierter Zweiräder verletzt wie Pkw-Insassen. Der Anteil der verunglückten Fahrradfahrer ist in vielen Ländern verglichen mit anderen Arten der Verkehrsteilnahme am geringsten. Die Niederlande haben – unter den europäischen Ländern – den größten Anteil sowohl bei den getöteten als auch den verletzten Fahrradfahrern. Als eines von wenigen Ländern übersteigen diese Zahlen die Werte für die Fußgänger. In allen Ländern Osteuropas kommt dem Fußgängerunfall sowohl bei den verletzten als auch bei den getöteten Straßenverkehrsteilnehmern eine überragende Bedeutung zu. Dieser Trend besteht auch bei Bezug der Getöteten- und Verletztenzahlen auf den Fahrzeugbestand, die Einwohnerzahl und die Verkehrsleistung.
18
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.11 Getötete Personen im Straßenverkehr in ausgewählten Ländern Europas unterteilt nach Art der Verkehrsteilnahme für das Jahr 2001. Die Zahl neben dem Diagramm gibt die Zahl aller im Straßenverkehr getöteten Personen an (Zahlenwerte s. Tabelle A.6).
1.2 Unfallgeschehen
19
Abb. 1.12 Verletzte Personen im Straßenverkehr in ausgewählten Ländern Europas unterteilt nach Art der Verkehrsteilnahme für das Jahr 2001. Die Zahl neben dem Diagramm gibt die Zahl aller im Straßenverkehr verletzten Personen an (Zahlenwerte s. Tabelle A.7).
20
1 Gesellschaftliche Aspekte
Um den Ort für das Auftreten von Fußgängerunfällen – unterschieden nach innerorts und außerorts – zu analysieren, ist die Zahl der innerorts getöteten Fußgänger zu der Zahl der insgesamt getöteten Fußgänger ins Verhältnis gesetzt (s. Abb. 1.13). Auffällig ist, dass in allen Ländern außer Spanien die Mehrzahl der tödlichen Fußgängerunfälle innerorts geschieht. Trotz geringerer Geschwindigkeiten sind die Unfallfolgen bei einem Unfall innerorts schon ausreichend, um ungeschützte Passanten tödlich zu verletzen. Gerade im innerstädtischen Geschwindigkeitsbereich um 40 km/h (s. Abb. 1.30) sollen die technischen Maßnahmen zur Erfüllung der aktuellen Europäischen Richtlinie zum Fußgängerschutz verstärkt positiv wirken.
Abb. 1.13 Anteil der innerorts getöteten Fußgänger für ausgewählte Länder Europas für die Jahre 1992, 1995, 1998 und 2001 (Zahlenwerte s. Tabelle A.8).
Setzt man die Zahl der getöteten und verletzten Fußgänger in Bezug zur Einwohnerzahl, zum Pkw-Bestand oder zur Verkehrsleistung eines Landes, so wird das Unfallgeschehen vergleichbar (s. Abb. 1.14). Man erhält einen Wert für das Risiko, als Fußgänger im entsprechenden Land verletzt bzw. getötet zu werden. Die höchsten Zahlen für getötete Fußgänger pro 1 Million Einwohner liegen ausnahmslos in osteuropäischen Staaten. Die Russische Föderation hat bezogen auf die Zahl der Einwohner, den PkwBestand (s. Abb. 1.15) als auch bezogen auf die Fahrleistung (s. Abb. 1.16) die höchste Zahl an Getöteten. Schweden, Dänemark, die Slowakei und die Niederlande haben bezogen auf die Einwohnerzahl die wenigsten getöteten Fußgänger in Europa. Während man in den „alten“ EU-Ländern auf eine
1.2 Unfallgeschehen
21
gut ausgebaute, über Jahrzehnte bzgl. der Fußgängersicherheit optimierte Verkehrsinfrastruktur und eine stärker an den Verkehr gewöhnte Bevölkerung verweisen kann, sind im Falle der Slowakei die Gründe für die erfreulich niedrige Zahl an verletzten und getöteten Fußgängern mit großer Wahrscheinlichkeit im geringen Verkehrsaufkommen zu finden. Bezogen auf die Fahrleistung ist das Risiko als Fußgänger getötet zu werden in den Niederlanden am geringsten, gefolgt von Deutschland und Schweden (s. Abb. 1.16). Die Kennzahl der verletzten Fußgänger bezogen auf die Einwohnerzahl variiert über die verschiedensten Länder und scheint keinen direkten Zusammenhang mit den Getötetenzahlen aufzuweisen (s. Abb. 1.14). Deutschland, bei den absoluten Zahlen noch das Land mit den meisten verletzten Verkehrsteilnehmern (s. Abb. 1.12), erreicht gemessen an der Zahl der verletzten Fußgänger pro Million Einwohner einen Platz im Mittelfeld. Hierin kann man besonders die Wirksamkeit der unfallvermeidenden Maßnahmen wie z. B. Infrastrukturmaßnahmen und Verkehrserziehung ablesen. Setzt man vergleichbares Unfallgeschehen, Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeugflotten voraus, so wird das Verhältnis von getöteten zu verletzten Fußgängern im Wesentlichen durch die Effizienz des Rettungswesen und der Qualität der unfallmedizinischen Behandlung bestimmt.
22
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.14 Verunglückte Fußgänger pro 1 Million Einwohner für ausgewählte Länder Europas im Jahr 2001.
1.2 Unfallgeschehen
23
Abb. 1.15 Verunglückte Fußgänger pro 1 Million Pkw für ausgewählte Länder Europas im Jahr 2001.
24
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.16 Verunglückte Fußgänger pro 1 Milliarde Fahrzeugkilometer für ausgewählte Länder Europas im Jahr 2001.
1.2.2 Internationaler Vergleich International bilden Fußgänger die größte Gruppe unter den Unfallopfern im Straßenverkehr. Schätzungen der Weltbank gehen von weltweit ca. 760.000 bei Verkehrsunfällen getöteten Fußgängern aus. Die Nutzergruppe der Fußgänger bildet somit mit ca. 65 % den größten Anteil der im Stra-
1.2 Unfallgeschehen
25
ßenverkehr getöteten Personen15. Vor allem in Entwicklungsländern bilden die ungeschützten Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Radfahrer, Motorradfahrer) die Gruppe mit den meisten tödlichen Verletzungen16. Beispielsweise sind im Libanon 62 % aller Verkehrstoten Fußgänger. Auch in den Industrieländern differiert der Anteil der Fußgänger unter den Verkehrstoten stark (s. Tabelle 1.1). Insgesamt werden in den Industrieländern aber nur in Einzelfällen Werte von über 30 % erreicht. Tabelle 1.1 Verkehrstote nach Art der Verkehrsteilnahme. Japan United Kingdom Portugal Griechenland Spanien USA Deutschland Italien Kanada Frankreich
Pkw-Insassen Fußgänger 28 % 28 % 50 % 27 % 38 % 23 % 42 % 22 % 53 % 17 % 52 % 13 % 61 % 13 % 55 % 13 % 54 % 13 % 63 % 12 %
Der Bezug der Opferzahlen auf die Einwohnerzahlen lässt auch in den gut entwickelten Verkehrsräumen USA, Europa und Japan einen weiteren Handlungsbedarf zum Schutz der Fußgänger erkennen (s. Abb. 1.17).
Abb. 1.17 Getötete Fußgänger pro 1 Million Einwohner im internationalen Vergleich. 15 16
http://www.worldbank.org/transport/roads/safety.htm. http://www.globalroadsafety.org/problem.html.
26
1 Gesellschaftliche Aspekte
Diesem wurde fahrzeugseitig in Europa und Japan durch die Verabschiedung von entsprechenden Prüfrichtlinien entsprochen. In den USA wird das Thema Fußgängerschutz am Fahrzeug bisher nicht angegangen. Hier priorisiert man eher Maßnahmen im Bereich der Verkehrserziehung und der Infrastruktur. China liegt aufgrund der noch geringen Motorisierung hinsichtlich der Fußgängerunfallopfer pro 1 Million Einwohner auf noch moderatem Niveau, wird sich mit steigendem Grad der Motorisierung jedoch auch verstärkt dem Problem der Verkehrssicherheit stellen müssen. USA
Innerhalb der USA nimmt der Straßenverkehr eine überragende Stellung im Verkehrsaufkommen ein. Der Anteil des Schienenverkehrs ist nahezu unbedeutend, größere Entfernungen werden in den USA zumeist mit dem Flugzeug überwunden, so dass nahezu 10 % des Verkehrsaufkommens über diesen Verkehrsträger abgewickelt werden (s. Abb. 1.20).
Abb. 1.18 Getötete Fußgänger in den USA (NHTSA 2006).
Sowohl die Zahl der verletzten als auch der getöteten Fußgänger weist in den USA einen abwärts gerichteten Trend auf. Dieser Trend konnte trotz des starken Anstiegs der Zulassungszahlen von SUV und Light Trucks erreicht werden, obwohl diese Fahrzeuge hinsichtlich der Fußgängerkompatibilität ohne besondere Schutzmaßnahmen tendenziell problematisch sind. Die Zahl der im Straßenverkehr verunglückten oder getöte-
1.2 Unfallgeschehen
27
ten Fußgänger konnte dennoch im Zeitraum von 1991 bis 2003 um ca. 20 % gesenkt werden. (s. Abb. 1.18 u. Abb. 1.19).
Abb. 1.19 Verletzte Fußgänger in den USA (NHTSA 2006).
Im Gegensatz zu China weist der Modal Split in den USA einen quasi bedeutungslosen Schienenverkehr auf (s. Abb. 1.20). Der motorisierte Individualverkehr ist wie auch in Europa unangefochtener Spitzereiter. China weist als verkehrliches Entwicklungsland noch einen starken Anteil Schienenverkehr auf, wobei aber wie in den westlichen Industrieländern das zukünftige Wachstum des Verkehrsaufkommens wahrscheinlich vom Straßenverkehr getragen wird.
Abb. 1.20 Vergleich des Modalsplit zwischen den Verkehrsträgern in den USA und China (USA 2005; China 2005).
28
1 Gesellschaftliche Aspekte
China
Vergleicht man die Zahl der getöteten Fußgänger pro 10.000 Fahrzeuge, so kommt man für die EU-25 im Jahr 2001 auf 2,4 und für China auf 15,5. Bezieht man die getöteten Fußgänger auf 1 Million Einwohner, so erhält man für die EU-25 den Wert von 19,2 Getöteten (s. auch Abb. 1.17) und für China 5,4. In China werden demzufolge relativ zur Einwohnerzahl weniger Fußgänger im Straßenverkehr getötet als in Europa. Bezogen auf den Fahrzeugbestand ist das Risiko in China im Straßenverkehr getötet zu werden allerdings ca. sechsmal größer als in Europa. Die hohe Zahl an Getöteten im Vergleich zu den Verletzten deutet auf eine schlechte Straßenverkehrssicherheit und medizinische Versorgung in China hin. Im zeitlichen Verlauf kann eine Senkung der Zahl der verletzten und getöteten Fußgänger beobachtet werden. Im Rahmen der Motorisierung Chinas ist somit bereits der Ansatz zu einer Entkopplung zwischen Verkehrsaufkommen und der Zahl der verletzten und getöteten Fußgänger erkennbar.
Abb. 1.21 Zahl der im chinesischen Straßenverkehr verletzten und getöteten Fußgänger (China 2005).
Japan
Im Jahr 2003 wurden in Japan 85592 Fußgänger im Straßenverkehr verletzt, 2332 Fußgänger wurden getötet. Fußgänger bilden mit ca. 30 % Anteil an der Zahl der Getöteten die größte Gruppe der ungeschützten Verkehrsteilnehmer. Das Verhältnis von getöteten zu verletzten Fußgängern
1.2 Unfallgeschehen
29
(Tötungsrisiko) ist mit 2,7 % mehr als viermal höher als der Durchschnitt über alle getöteten und verletzten Verkehrsteilnehmer (s. Abb. 1.22 u. Abb. 1.23). Sie werden daher auch als „most vulnerable road user“ bezeichnet (IRTADA 2005). Hinsichtlich der historischen Entwicklung der Getöteten- und Verletztenzahlen in Japan kann eine Entwicklung beobachtet werden, die ebenfalls Anlass zur Sorge bereitet. Trotz eines bereits sehr hohen Motorisierungsgrades der japanischen Gesellschaft steigt die Zahl der verletzten Fahrzeuginsassen weiter an.
Abb. 1.22 Zahl der im japanischen Straßenverkehr getöteten Verkehrsteilnehmer (IATSS 2004).
Abb. 1.23 Zahl der im japanischen Straßenverkehr verletzten Verkehrsteilnehmer (IATSS 2004).
30
1 Gesellschaftliche Aspekte
Die Zahl der verletzten Fußgänger bleibt dagegen auf einem konstanten Niveau. Im Zuge der verbesserten passiven Sicherheit der Fahrzeuge und der verbesserten Notfallmedizin konnte jedoch die Zahl der getöteten Fahrzeuginsassen und Fußgänger nach einem Zwischenhoch Anfang der 90er Jahre wieder auf das Niveau von 1979 gesenkt werden. Fazit
Die konzentrierten Anstrengungen zur Erhöhung der Sicherheit des MIV seit Mitte des letzten Jahrhunderts spiegeln sich in Europa und den USA in deutlich gesunkenen Opferzahlen wieder. Diese positive Entwicklung wurde gegen den Trend eines ständig steigenden Verkehrsaufkommens erreicht. Den weiter bestehenden Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts auf diesem Gebiet soll dabei durch umfassende Maßnahmen auf europäischer Ebene begegnet werden. Das Potenzial einzelner passiver, stark wirksamer Maßnahmen ist beinahe ausgeschöpft (z. B. Sicherheitsgurt, optimierte Karosseriestruktur, Airbags). Es müssen daher zahlreiche, jeweils für sich relativ wenig wirksame Maßnahmen kombiniert eingesetzt werden. Sie werden allerdings bei beträchtlichen Kosten einen tendenziell immer geringeren Nutzen aufweisen. (Braess et al. 1996; Marshall 1988; Hahn 2001). Es kommt daher zukünftig darauf an, aus den vielen möglichen Maßnahmen zur Steigerung der Verkehrssicherheit die kosteneffizientesten Möglichkeiten zu identifizieren. Betrachtet man die Gesamtheit der dargestellten Maßzahlen zur Unfallstatistik, so lässt sich feststellen, dass innerhalb der EU insbesondere in den ehemaligen Ostblockstaaten ein hohes Potenzial zur Steigerung der Verkehrssicherheit vorhanden ist. Das gilt sowohl gemessen an absoluten Zahlen als auch an den relativen Vergleichsgrößen. Ein ungünstiges Verhältnis von Getöteten zu Verletzten in diesen Ländern kann als Zeichen von überwiegend schweren Unfällen gedeutet werden. Dazu tragen mangelnde Sicherheitssysteme der teilweise veralteten Fahrzeugflotte genauso bei wie schlechte straßenseitige Infrastruktur, mangelnde Erfahrung mit dem steigenden Verkehrsaufkommen, einer im Allgemeinen schlechteren Verkehrsdisziplin und einer stark verbesserungswürdigen Notfallmedizin. Dies alles führt zu einem Unfallgeschehen ähnlich dem in Deutschland vor einigen Jahrzehnten. Die Zeitreihen für ausgewählte Länder Europas zeigen insgesamt eine positive Entwicklung bei den Getötetenzahlen. Trotz vieler technischer Maßnahmen zur Steigerung der Verkehrssicherheit ist es dennoch schwierig, unter ein bestimmtes Niveau an Getöteten zu gelangen. Katastrophen-
1.3 Unfallanalyse
31
unfälle führen auch bei modernster Sicherheitsausstattung zu schweren Verletzungen oder gar Todesfällen. Vielmehr muss auch an die geistige Einstellung der Fahrer appelliert werden und das Verhalten in Gefahrensituation sollte schon im Rahmen der Fahrschulausbildung erlernt werden. In den osteuropäischen Staaten liegen große Sicherheitspotenziale in der Verbesserung der straßenseitigen Infrastruktur, einer sicheren Verkehrsführung und regelmäßigen Verkehrskontrollen. Die passive und ganz besonders die aktive Fahrzeugsicherheit werden jedoch auch zukünftig wesentlichen Anteil an der Steigerung der Verkehrssicherheit haben und sollten ständig weiterentwickelt werden.
Abb. 1.24 Zeitverlauf der getöteten Verkehrsteilnehmer in der EU-25.
Im Weißbuch 2010 der Europäischen Kommission (Europäische Kommission 2001) wurden umfangreiche Handlungsempfehlungen auf allen relevanten Gebieten gegeben. Trotz Allem ist insbesondere das Ziel der Halbierung der Unfalltoten bis 2010 als sehr anspruchsvoll anzusehen (s. Abb. 1.24). Selbst im Kerngebiet EU-15 stellt es die Fahrzeugentwickler und Verkehrsplaner vor große Probleme, während insbesondere in den ehemaligen Ostblockstaaten gegen den Trend des steigenden Verkehrsaufkommens kurzfristig eine sehr starke Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht werden müsste.
32
1 Gesellschaftliche Aspekte
1.3 Unfallanalyse Zur Bestimmung der Verletzungsmuster und -häufigkeiten reicht die Analyse der polizeilichen Unfallstatistik nicht aus. Die genaue Art der Verletzungen ist zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme oft noch nicht bekannt, ferner hat die polizeiliche Datenerfassung eher die Feststellung der Schuldfrage zum Ziel. Die Analyse der Verletzungen wird daher idealerweise in so genannten „In-Depth“-Untersuchungen vorgenommen. Hierbei wird eine gegenüber amtlichen Unfallstatistiken weitaus geringere Zahl von Verkehrsunfällen sehr eingehend analysiert, die dabei erfassten Datenmengen sind dementsprechend deutlich größer als bei polizeilichen Unfallaufnahmen (s. Abb. 1.25). Die Sicherstellung der Repräsentativität der untersuchten Stichprobe bedarf grundsätzlich einigen Aufwandes und wird z. B. in der GIDAS-Studie durch entsprechende Wichtungsfaktoren sichergestellt.
Abb. 1.25 Aussagefähigkeit und Repräsentativität internationaler Unfalldatenbanken im Vergleich (nach Appel et al. 2002).
Um die Vielschichtigkeit der Aussagen zur Fußgängerschutzproblematik für die Zwecke dieses Buches zu objektivieren bzw. nachvollziehbar zu gestalten, werden an dieser Stelle Schwerpunkte des Fußgänger-FahrzeugUnfalls anhand umfassend dokumentierter deutscher Unfalldaten analysiert. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse wird es möglich, die Aussagen und Ableitungen der darauf folgenden Kapitel auf eine fundierte Basis zu stellen. Mit Hilfe der Daten des Statistischen Bundesamtes lassen sich nur allgemeine Angaben z. B. über Kollisionsgegner bei Fußgängerunfällen ableiten. So ist mit 72 % der Pkw der dominierende Kollisionsgegner bei töd-
1.3 Unfallanalyse
33
lichen Fußgängerunfällen und mit 76 % auch bei Fußgängerunfällen mit Personenschaden. Der Lkw ist in dieser Betrachtung sowohl bei den getöteten als auch bei den verletzten Fußgängern der zweithäufigste Kollisionsgegner (17 % und 11 % s. Abb. 1.26). Detaillierte Fragestellungen können durch so genannte „In-Depth“Unfalldatenerhebungen, die in Deutschland in Kooperation zwischen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und der Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) betrieben werden (GIDAS17) beantwortet werden (Otte et al. 2003). Basierend auf den detailliert erhobenen und rekonstruierten Daten von 663 Fußgänger-Pkw-Unfällen aus dem Raum Hannover ab dem Jahr 1994 wurden die Schwerpunkte des Unfallgeschehens für den Fußgänger bei der Kollision mit einem Pkw genauer untersucht (Kühn 2004). Zur Überprüfung der Repräsentativität der „Stichprobe“ der Unfalldaten für das gesamtdeutsche Unfallgeschehen bietet sich der Vergleich ausgewählter Sachverhalte mit der Unfallstatistik des Statistischen Bundesamts an.
Abb. 1.26 Kollisionsgegner bei tödlichen Fußgängerunfällen (StBA 2003) (links) und Kollisionsgegner bei Fußgängerunfällen mit Personenschaden (StBA 2003) (rechts).
17
GIDAS – German In-Depth Accident Study. Innerhalb dieser Studie werden in den Großräumen Dresden und Hannover detailliert Unfalldaten erhoben.
34
1 Gesellschaftliche Aspekte
Als wichtige Indikatoren, die sowohl in den Daten des Statistischen Bundesamtes als auch in den vorliegenden Unfalldaten der MH Hannover erfasst werden, kann die Ortslage, sowie das Tötungs- und Verletzungsrisiko herangezogen werden. Mit durchschnittlich 93,2 % innerorts verunglückten Fußgängern in der Unfallstatistik des Statistischen Bundesamts bzw. 93,4 % in den analysierten Unfalldaten lässt sich kein signifikanter Unterschied feststellen. Auch aus dem Anteil der getöteten Fußgänger, der durchschnittlich bei 2,8 % bzw. 3,2 % liegt und auf die Unfallschwere schließen lässt, zeigt eine gute Übereinstimmung. Dies gilt auch für den Anteil der verletzten Fußgänger, der eine gute Übereinstimmung zeigt. Der vorliegende Datensatz von Fußgängerunfällen kann somit als repräsentativ für das Fußgängerunfallgeschehen in Deutschland betrachtet werden. Bei der Auswertung der „In-Depth“-Unfalldaten wurden im Folgenden fünf Teilaspekte analysiert18: x x x x x
typisches Unfallgeschehen Fahrzeug Fußgänger Verletzungen Verletzungsursachen
Bei der Analyse der Einzelaspekte lag ein Schwerpunkt auf dem Anstoß des Fußgängers durch die Fahrzeugfront. Die Untersuchung dieser Anstoßkonstellation wird u.a. für die Bewertung und Ableitung von Testverfahren an der Fahrzeugfront benötigt. Die Verletzungsschweregrade wurden für die folgende Auswertung anhand der AIS-Skala19 in unverletzt (AIS 0), leichtverletzt (AIS 1-2), schwerverletzt (AIS 3-5) sowie getötet (AIS 6) zusammengefasst (s. auch Tabelle 1.2).
18 19
Weiterführende Ergebnisse finden sich in (Heinrich 2003). AIS – Abbreviated Injury Scale, medizinische Klassifizierung der Verletzungen in einer Ordinalskala von 0 bis 6 mit zunehmender Verletzungsschwere. Dabei ist der Grad der Lebensbedrohung das wichtigste Beurteilungskriterium. (Appel et al. 2002, AAAM 2005).
1.3 Unfallanalyse
35
Tabelle 1.2 Festlegung der Verletzungsschweregrade (nach Kramer 1998).
2
mäßig
3
schwer
4
bedeutend
5
kritisch
6
tödlich verletzt
Verletzungen (Beispiele)
leicht verletzt
0 1
Schweregrad unverletzt gering
schwer verletzt
AIS
Letalitätsrate 0,00 % 0,00 %
Schürfung, Schnittwunden, Stauchungen, Prellungen Großflächige Schürfungen und Prellungen, 0,07 % ausgedehnte Weichteilverletzungen, leichte Gehirnerschütterung mit Amnesie Schädelfraktur ohne Liquoraustritt, Gehirn- 2,91 % erschütterung mit Bewusstlosigkeit, Pneumothorax Schädelfraktur mit Liquoraustritt, Gehirner- 6,88 % schütterung mit Bewusstlosigkeit bis 24 Stunden, Perforation des Brustkorbes Schädelfraktur mit Hirnstammblutung, Or- 32,32 % ganriss oder –abriss Massive Kopfquetschung, Hirnstammlazera- 100,00 % tion, Schädelbasisfraktur, Thoraxquetschung, Aortaruptur und -durchtrennung, Trennung zwischen Thorax und Becken
Typisches Unfallgeschehen – Ortslage
Ca. 94 % der Fußgängerunfälle passieren innerorts20. Bei den 6 % der außerorts verunfallten Fußgänger ist ein deutlich höherer Anteil Schwerverletzter und Getöteter zu verzeichnen. So tragen außerorts nur 4,4 % der verunfallten Fußgänger leichte Verletzungen davon. Dagegen werden 11,7 % schwer verletzt und 71,4 % erleiden tödliche Verletzungen (s. Abb. 1.27).
20
untersuchter Datensatz der Medizinischen Hochschule Hannover: nges,leichtverletzt=544, nges,schwerverletzt=103, nges,getötet=7.
36
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.27 Darstellung der Verletzungsschwere (MAIS21) in Abhängigkeit von der Ortslage.
Typisches Unfallgeschehen – Verkehrsregelung und Unfalltyp
Die Verkehrsregelung beschreibt die Vorfahrtsregelung am Unfallort. Unfälle ohne Verkehrsregelung (z. B. die gerade Straße ohne Einmündung) sind mit 68 % von 642 Unfällen am häufigsten vertreten. Der größte Anteil verkehrsgeregelter Unfallstellen bei Fußgängerunfällen sind Lichtzeichenanlagen (22 %). Der Unfall am Fußgängerüberweg (Zebrastreifen) ist der zweithäufigste verkehrsgeregelte Ort des Unfallgeschehens (6 %). In 80 % der Fußgängerunfälle handelt es sich um „Überschreiten-Unfälle“, das heißt, der Unfall wurde ausgelöst durch einen Konflikt zwischen einem Fahrzeug und einem Fußgänger auf der Fahrbahn, sofern dieser nicht in Längsrichtung ging und sofern das Fahrzeug nicht abgebogen ist. Dabei ist der von rechts die Fahrbahn überquerende Fußgänger mit 308 Fällen (59 %) am häufigsten vertreten und übertrifft den von links kreuzenden (41 %) um fast ein Drittel.
21
MAIS – Maximum Abbreviated Injury Scale, bei polytraumatisierten Patienten gibt der MAIS den Schweregrad der schwersten Einzelverletzung an (größter AIS-Wert).
1.3 Unfallanalyse
37
Typisches Unfallgeschehen – Anstoßkonstellation
Beschränkt man die Datenmenge auf Frontalunfälle22, zeichnet sich ein deutliches Muster in der Anstoßkonstellation zwischen Fußgänger und Fahrzeug ab. Die mit 77,6 % häufigste Anstoßkonstellation nimmt der links- bzw. rechtsseitige Anstoß des Fußgängers durch die Fahrzeugfront ein (62,6 % ohne Beschränkung auf Frontalunfälle). Dabei bewegt sich der Fußgänger in etwa senkrecht zur Bewegungsrichtung des Fahrzeugs (s. Abb. 1.28).
Abb. 1.28 Darstellung eines linksseitigen Anstoßes des Fußgängers durch die Fahrzeugfront unter einem Winkel von 90° (Draufsicht).
Fahrzeug – Anprallbereiche
Die Fahrzeugfront ist im untersuchten Datensatz mit 70,6 % (nges=646) die am stärksten involvierte Fahrzeugregion (s. Abb. 1.29). Die seitlichen Beschädigungen sind mit 15,9 % (rechte Seite) und 7,3 % (linke Seite) die nächst häufigeren beschädigten Regionen des Fahrzeugs. Das Heck ist mit 5 % Beteiligung eher von untergeordneter Bedeutung23.
Frontalunfälle - Hauptbeschädigung am Fahrzeug liegt im Frontbereich. Es gilt zu beachten, dass seitliche Beschädigungen vor der A-Säule zum Seitenbereich zählen. 23 Untersuchungen der Unfallforschung der Deutschen Versicherer zeigen, dass in 66,5 % der Unfälle die Fahrzeugfront getroffen wird, in 24,6 % die Fahrzeugseite und in 8,7 % das Fahrzeugheck (Kühn 2006). 22
38
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.29 Darstellung der Verteilung der Hauptbeschädigungen am Fahrzeug (n=646) und Darstellung der Position des Fußgängers vor dem Fahrzeug zum Zeitpunkt des Erstkontaktes (n=467).
Entlang der Fahrzeugfront können aus der Unfallstatistik keine ausgeprägten lokalen Häufungen bezüglich des Anstoßes des Fußgängers an der Fahrzeugfront festgestellt werden (s. Abb. 1.29). Es zeigt sich vielmehr, dass die gesamte Breite der Fahrzeugfront Anstoßort für den Fußgänger ist. Fahrzeug – Kollisionsgeschwindigkeit
82 % aller Fußgängerunfälle ereignen sich mit einer Kollisionsgeschwindigkeit bis 40 km/h (s. Abb. 1.30). 87,8 % der Fußgängerunfälle mit leichten Verletzungen finden bis zu dieser Geschwindigkeit statt. Das Risiko schwerer Verletzungen steigt mit höheren Geschwindigkeiten. So haben im Geschwindigkeitsbereich bis 40 km/h lediglich 61,4 % der Unfälle schwere Verletzungen der Fußgänger zur Folge. Bis zu einer Kollisionsgeschwindigkeit von 50 km/h treten keine tödlichen Verletzungen in der betrachteten Datenmenge auf24.
24
Untersuchungen der Unfallforschung der Deutschen Versicherer zeigen, dass sich 63 % der Unfälle bis zu einer Kollisionsgeschwindigkeit von 30 km/h, 75 % bis 40 km/h und bereits 91 % bis 50 km/h ereignen. Dabei wurde das Fahrzeug in 47 % aller Fälle als Reaktion auf den nahenden Unfall gebremst (Kühn 2006).
1.3 Unfallanalyse
39
Abb. 1.30 Summenhäufigkeit für verschiedene Verletzungsschweregrade in Abhängigkeit von der Kollisionsgeschwindigkeit
Da 70,6 % der Fußgänger mit der Fahrzeugfront kollidieren, müssen entsprechende Schutzmaßnahmen diesen Bereich abdecken und dabei die spezielle Charakteristik dieser Unfallkonstellation berücksichtigen. In Abb. 1.31 sind die Fahrzeugkollisionsgeschwindigkeiten frontal erfasster Fußgänger als summierte Häufigkeit dargestellt (n=364).
Abb. 1.31 Summenhäufigkeit der Kollisionsgeschwindigkeiten für frontal erfasste Fußgänger in Abhängigkeit von der resultierenden Verletzungsschwere.
40
1 Gesellschaftliche Aspekte
Fast 90 % aller auftretenden Kollisionsgeschwindigkeiten liegen unter vK=45 km/h. Mit dieser Kollisionsgeschwindigkeit werden ca. 70 % der Schwerverletzten (AIS 3+) und über 95 % der Leichtverletzten (dAIS 2) angesprochen. Getötete traten in diesem Datenbestand erst bei Kollisionsgeschwindigkeiten größer 60 km/h auf. Fußgänger – Altersgruppen
Bei den an den Unfällen beteiligten Fußgängern überwiegt der Anteil von Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren mit 39 % (nges=631). An zweiter Stelle stehen Kinder zwischen 6 und 12 Jahren mit 24 %, gefolgt von Älteren ab 65 Jahren mit 19 %. Jüngere Kinder im Vorschulalter (0-5 Jahre alt) sind mit 10 % ebenso wie Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren mit 8 % seltener vertreten. Eine detailliertere Unterscheidung in einzelne Lebensjahre und die Unterscheidung des Geschlechts kann weitere Erkenntnisse liefern (s. Abb. 1.32). So fällt die hohe Zahl betroffener Kinder zwischen 3 und 12 Jahren auf. Gerade Jungen im Alter von 6 Jahren führen mit 23 aufgenommenen Unfällen diese Statistik an. In diesem Alter beginnt die Schulpflicht, so dass man auf die besondere Bedeutung der Schulwegsicherung (s. Kap. 3.2) schließen kann.
Abb. 1.32 Darstellung der Altersverteilung der verunfallten Fußgänger.
Für das Jahr 2005 zeigt die amtliche Statistik, dass 27,2 % aller verletzten Fußgänger 15 Jahre oder jünger sind und 19,1 % älter als 65 Jahre sind. Auch bei den Getöteten werden diese Risikogruppen identifiziert. Hier
1.3 Unfallanalyse
41
sind 6,1 % aller Getöteten 15 Jahre oder jünger und 49 % älter als 65 Jahre (StBA 2006). In Abb. 1.33 ist die Größenverteilung der frontal angestoßenen Fußgänger sowie die daraus resultierende Summenhäufigkeit aufgetragen. Es lässt sich zeigen, dass 50 % der verunfallten Fußgänger zwischen 1,60 m und 1,80 m groß sind. Dieser relativ enge Größenbereich der verunfallten Fußgänger hat einen großen Einfluss auf die Wirksamkeit fahrzeugseitiger Strukturmaßnahmen zum Schutz des Fußgängers.
Abb. 1.33 Summierte Größenverteilung frontal erfasster Fußgänger.
Fußgänger – Kontrast der Kleidung
Das frühzeitige Bemerken des Fußgängers durch den Fahrzeugführer kann einen großen Teil aller Fußgängerunfälle verhindern. Ein wesentlicher Beitrag dazu ist der Kontrast der Kleidung des Fußgängers zu seiner Umgebung, besonders in der Dunkelheit. Während sich bei Unfällen am Tag (n=51) der mangelnde Kontrast der Kleidung nicht als möglicher Indikator verstärkter Unfallhäufungen erwies, konnte bei Dämmerung und Nacht (n=77) ein ausgeprägter Einfluss festgestellt werden. So liegt die Zahl verunfallter Fußgänger mit dunkler Kleidung bei Dämmerung und Nacht um das Sechsfache höher als bei Personen mit heller Kleidung (14 % zu 86 %). Fußgänger – Gehgeschwindigkeit
Die als Gehgeschwindigkeit bezeichnete Größe ist aus der Bewertung der Beteiligten oder durch Zeugenaussagen des Unfallgeschehens ermittelt
42
1 Gesellschaftliche Aspekte
worden (Otte u. Nehmzow 2001). Dabei sind Faktoren wie Relativbewegungen zwischen dem Beobachter und der beobachteten Person, Sichtverhältnisse und -winkel des Zeugen sowie die Interpretation des Beobachters zu beachten. Kurze schnelle Schritte werden möglicherweise eher mit einer schnelleren Bewegung assoziiert als raumgreifendere Schritte.
Abb. 1.34 Bewegungszustand aller verunfallten Fußgänger zum Kollisionszeitpunkt.
Ausgehend von 609 Fällen war der Fußgänger unmittelbar vor der Kollision in 94 % aller Fälle in Bewegung25. 152 der Unfallopfer (ca. 25 %) sind unmittelbar vor der Kollision gerannt (s. Abb. 1.34). Von der mit 59,7 % größten Kategorie „gegangen“ können ein Drittel als „schnell gegangen“ und 26 % als „langsam gegangen“ genauer beschrieben werden. War der Fußgänger in Bewegung, ohne dass eine genauere Beschreibung erfolgen konnte, sind diese Fälle unter „ja, o.n.A.“ zusammengefasst. In lediglich 6 % aller Unfälle wurde dem Fußgänger keine Bewegungsgeschwindigkeit zugeordnet. Für von der Fahrzeugfront erfasste Fußgänger lässt sich feststellen, dass der Fußgänger in 82 % aller Fälle unmittelbar vor der Kollision in Bewegung war. Davon rannte er in 23 % der Fälle, und in 59 % der Fälle ist er gegangen (s. Abb. 1.35). Anhand weiterer Untersuchungen zur Bewegungsgeschwindigkeit von Fußgängern können für den Fußgänger eine mittlere Gehgeschwindigkeit von 1,5 m/s sowie eine Laufgeschwindigkeit von 3,1 m/s ermittelt werden (Himbert u. Eberhard, 1977). 25
Untersuchungen der Unfallforschung der Deutschen Versicherer zeigen, dass 88 % der Fußgänger vor der Kollision in Bewegung waren. Davon sind u.a. 63 % gegangen und 16 % gerannt (Kühn 2006).
1.3 Unfallanalyse
43
Abb. 1.35 Bewegungszustand der frontal erfassten Fußgänger zum Kollisionszeitpunkt (n=456, links) und Darstellung der altersabhängigen Bewegungsgeschwindigkeiten gehend und rennend (rechts, nach Himbert u. Eberhard, 1977).
Fußgänger – Stellung zum Fahrzeug
In ca. 92 % der Fälle geht dem Fußgänger-Fahrzeug-Unfall ein Kreuzen des frontal erfassten Fußgängers voraus. Das hat zur Folge, dass der Fußgänger seitlich von rechts oder von links angestoßen wird. In 83 % dieser Fälle wird er dabei in 3 Uhr- und 9 Uhr-Position von der Fahrzeugfront erfasst (s. Abb. 1.36). Der allgemein seitliche Anstoß (2-4 und 8-10 Uhr) ist bei 92 % der durch die Fahrzeugfront erfassten Fußgänger anzutreffen.
Abb. 1.36 Darstellung der 3 Uhr- und 9 Uhr-Anstoßposition (75° bis 90° zur Fahrzeuglängsachse) entsprechend der Codierung (Otte u. Nehmzow, 2001) sowie der anhand dieser Codierung ermittelten Stellung des Fußgängers zum Fahrzeug.
44
1 Gesellschaftliche Aspekte
1.4 Verletzungsmuster Die Verletzungsschwere ist der primäre Parameter für die Bewertung der Auswirkungen von Verkehrsunfällen. Dies gilt selbstverständlich auch für den Fußgängerunfall. In 84 % aller Fußgängerunfälle mit bekanntem MAIS (nges=657) erlitten die Unfallopfer leichte Verletzungen. Von diesen sind 56 % MAIS 1 und 28 % MAIS 2 zugeordnet. Schwer verletzt wurden 15 %, davon 11 % mit MAIS 3 und je 2 % mit MAIS 4 und MAIS 5. MAIS 6 entspricht den getöteten Fußgängern (s. Abb. 1.37 rechts). Die betrachteten Unfalldaten beinhalten sieben Unfälle, bei denen der Fußgänger getötet wurde, was 1 % Prozent aller Fälle entspricht. Der zur Codierung von Mehrfachverletzungen gebildete ISS-Wert26 untermauert die Tendenz, sehr oft einen Unfallausgang mit leichten Verletzungen (AIS 1, s. auch Tabelle 1.2) vorzufinden (s. Abb. 1.37). So sind mit einem Anteil von über 83 % ISS-Werte von 1-8, d.h. leichte Verletzungen an bis zu drei Körperteilen, vertreten.
Abb. 1.37 Darstellung der Verletzungsschwere nach dem Injury Severity Score (ISS) (links) sowie nach MAIS-Graden (rechts). In beiden Darstellungen wird die Häufigkeit von leichten Verletzungen deutlich.
26
ISS - Injury Severity Score; ISS= AISI2 + AISII2 + AISIII2; Er dient zur Bewertung von Mehrfachverletzungen und wird aus der Summe der Quadrate der drei am schwersten verletzten Körperregionen gebildet, wobei die Quadrierung die Progressivität der AIS-Skala widerspiegelt (Appel et al. 2002).
1.4 Verletzungsmuster
45
Verletzungshäufigkeiten nach Körperteil
Betrachtet man die Häufigkeit der verletzten Körperregionen, so ergibt sich die in Abb. 1.38 dargestellte Verteilung. Die untere Extremität (35 %) und der Kopf (33 %) sind erwartungsgemäß am häufigsten von Verletzungen durch das Fahrzeug betroffen. Analysen der Deutschen Versicherer sowie internationale Unfallanalysen bestätigen diese Verteilung (s. Tabelle 1.5). Analysen der DEKRA-Unfalldatenbank weisen bei Fußgängerunfällen ebenfalls den Anteil der Kopfverletzungen mit ca. 35 % und der unteren Extremitäten mit 30 % aus (Berg 1997).
Abb. 1.38 Prozentuale Verteilung der Verletzungen nach Körperregion im Unfalldatenbestand. In Klammern befinden sich Angaben von Unfallauswertungen der Deutschen Versicherer (Kühn 2006).
Analysiert man nun die Verletzungen der einzelnen Körperregionen genauer, so ergeben sich für den Kopf 89 % (76,8 %) leichte, 10 % (22,3 %) schwere und 1 % (0,6 %) tödliche Verletzungen innerhalb der analysierten Datenbasis. Die Daten der Deutschen Versicherer zeigen eine ähnliche Verletzungsverteilung (Werte in Klammern) unter den einzelnen Körperregionen. Allerdings ist hier ein Trend hin zu schwereren Verletzungen festzustellen. Insbesondere bei Betrachtung von tödlichen Fußgängerunfällen wird die besondere Bedeutung der Kopfverletzungen deutlich. Diese bilden in Unfallanalysen der DEKRA mit über 60 % die häufigste Todesursache (Berg 1997).
46
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.39 Darstellung der Verletzungsschwere in Abhängigkeit von der Körperregion. In den Klammern befinden sich Angaben von Unfallauswertungen der Deutschen Versicherer (Kühn 2006).
1.4.1 Verletzungsursachen Abbildung 1.40 zeigt die Verletzungsschwere aller verletzten Körperregionen beim Primäranprall bezogen auf das verletzungsverursachende Fahrzeugteil. Die vordere Stoßstange ist das primäre verletzungsverursachende Teil und ruft die meisten schweren Verletzungen hervor. Die Fronthaubenfläche und die Frontscheibe sind die zweithäufigsten Verletzungsursachen am Fahrzeug und induzieren annähernd die gleichen Verletzungshäufigkei-
1.4 Verletzungsmuster
47
ten- und schweren. Die Hinterkante der Fronthaube, die A-Säule und das Dach treten als Ursache für Verletzungen nur vereinzelt auf.
Abb. 1.40 Darstellung der Verletzungsschwere und des verletzungsverursachenden Fahrzeugteils.
Verletzungsursachen – Kopfverletzungen
Bei der Betrachtung aller Fahrzeugteile, die eine Kopfverletzung hervorrufen, dominiert die Frontscheibe mit 44,3 %27. Diese ist somit mehr als doppelt so häufig Ursache für Verletzungen im Kopfbereich wie die Fronthaubenfläche und induziert etwa dreimal so häufig schwere Verletzungen. Allgemein werden von den Anstoßstellen überwiegend leichte Verletzungen verursacht. Eine Ausnahme bildet die A-Säule. Bei einem frontalen Kopfanprall in dieser Region stellen sich in 82 % der Fälle schwere Kopfverletzungen ein (s. auch Abb. 1.41).
27
Untersuchungen der Unfallforschung der Deutschen Versicherer zeigen, dass bei frontal erfassten Fußgängern die Frontscheibe mit 69,6 % der Fälle das klar dominierende verletzungsverursachende Fahrzeugteil für den Kopf ist. Dabei ist der untere Scheibenbereich mit 43 % am häufigsten betroffen. Die Frontscheibe wird gefolgt von der Fronthaube mit 17,7 % (Kühn 2006).
48
1 Gesellschaftliche Aspekte
Abb. 1.41 Darstellung des Kopfverletzungen verursachenden Fahrzeugteils in Abhängigkeit von der Verletzungsschwere.
Verletzungsursachen – Becken- und Oberschenkelverletzungen
Schwere Beckenverletzungen treten am häufigsten als Folge des Überrolltwerdens, das heißt bei einem Tertiäranprall auf. Bei Betrachtung von Fahrzeugen neueren Baujahres nimmt die Bedeutung der Haubenvorderkante als verletzungsverursachendes Fahrzeugteil ab (s. Abb. 1.42). Oberschenkelverletzungen werden primär von der vorderen Stoßstange, der Haubenvorderkante und der Fronthaubenfläche hervorgerufen (s. Abb. 1.43). Dabei verursacht die Stoßstange am häufigsten schwere Verletzungen. Der Anstoß an die Haubenvorderkante als Ursache schwerer Verletzungen der betrachteten Körperregionen (Becken und Oberschenkel) ist bei Fahrzeugen ab Baujahr 1990 nicht mehr im Datenmaterial aufzufinden. Es ist ein tendenzieller Rückgang der Verletzungshäufigkeit und -schwere an der Region Becken/Oberschenkel bei neueren Pkw zu erkennen (s. Tabelle 1.3 und Tabelle 1.4).
1.4 Verletzungsmuster
49
Abb. 1.42 Beckenverletzungen verursachende Fahrzeugteile für alle Fahrzeuge der Datenbasis in Abhängigkeit von der Verletzungsschwere.
Abb. 1.43 Oberschenkelverletzungen verursachende Fahrzeugteile für alle Fahrzeuge der Datenbasis in Abhängigkeit von der Verletzungsschwere.
50
1 Gesellschaftliche Aspekte
Tabelle 1.3 Zeitliche Veränderung der Verletzungshäufigkeit und –schwere für Oberschenkelverletzungen. Becken- und Oberschenkelverletzungen gesamt Baujahr des UnAnzahl der Anteil an schweren fallfahrzeugs Unfälle Verletzungen
prozentuale Verletzungshäufigkeit
Alle 1985-1989 1990-1993 Ab 1994
32 % 41 % 29 % 28 %
663 131 159 144
21 % 32 % 15 % 17 %
Tabelle 1.4 Einfluss der Haubenvorderkante als verletzungsverursachendes Fahrzeugteil auf Becken- und Oberschenkelverletzungen. Becken- und Oberschenkelverletzungen durch die Haubenvorderkante Baujahr des UnAnzahl der Anteil an schweren prozentuale Verfallfahrzeugs Unfälle Verletzungen (AIS3+) letzungshäufigkeit alle 663 8% 4% 1985-1989 131 13 % 6% 1990-1993 159 0% 3% ab 1994 144 0% 3%
Verletzungsursachen – Unterschenkel
Die meisten Verletzungen (66,2 %) am Unterschenkel werden durch den Kontakt mit der Stoßstange induziert. 11,5 % der Läsionen treten durch Kontakt mit der Fahrzeugfront allgemein auf, andere verletzungsverursachende Teile treten mit unter 5 % Verletzungshäufigkeit nicht in den Vordergrund der Betrachtung28 (s. Abb. 1.44).
28
Für frontal erfasste Fußgänger zeigen Untersuchungen der Unfallforschung der Deutschen Versicherer, dass in 60,8 % der analysierten Fälle der vordere Stoßfänger und Spoiler zu den Verletzungen an den unteren Extremitäten führten. Die Scheinwerfer und der Kühlergrill folgen mit 16,7 % (Kühn 2006).
1.4 Verletzungsmuster
51
Abb. 1.44 Unterschenkelverletzungen verursachende Fahrzeugteile für alle Fahrzeuge der Datenbasis in Abhängigkeit von der Verletzungsschwere.
1.4.2 Verletzungsursache – Fahrbahnaufprall Die häufigste Verletzungsursache beim Fahrbahnaufprall (Sekundäranprall) ist mit knapp 90 % der Anprall auf die ebene Straßenoberfläche. Dabei werden der Kopf (37 %), die obere Extremität (23 %) und das Knie (11 %) überdurchschnittlich oft verletzt. Eine Abhängigkeit von der Kollisionsgeschwindigkeit oder der Fußgängergröße konnte innerhalb des hier untersuchten Datenmaterials nicht festgestellt werden. Eine weitere Untersuchung kommt nach einer detaillierten Analyse von „In-Depth“Unfallmaterial zu dem Schluss, dass bei höheren Anprallgeschwindigkeiten mehr Verletzungen des erwachsenen Fußgängers dem Primäranprall zugeordnet werden können als dem Sekundäranprall (Otte u. Pohleman 2001). Bei niedrigeren Geschwindigkeiten fällt der Anteil an Sekundärverletzungen allerdings höher aus. Somit wird der bereits 1979 in Abb. 1.45 postulierte Zusammenhang zwischen Kollsionsgeschwindigkeit und Verletzungsschwere beim Primär- und Sekundäranprall tendenziell bestätigt
52
1 Gesellschaftliche Aspekte
(s. auch Ashton u. Mackay 1979). Die fahrzeugseitigen Fußgängerschutzmaßnahmen werden zukünftig vor allem den Primäranprall als Verletzungsursache positiv beeinflussen und somit das Augenmerk der Unfallforschung stärker auf den Sekundäranprall richten.
Abb. 1.45 Postulierter Zusammenhang zwischen Kollisionsgeschwindigkeit und aus Primär- und Sekundäranprall resultierender Verletzungsschwere (Ashton u. Mackay 1979).
Abb. 1.46 Maximaler Verletzungsschweregrad MAIS hervorgerufen durch den Primär- und Sekundäranprall. Schwere Verletzungen entstehen häufiger durch den Primäranprall (Otte u. Krettek 2001).
1.4 Verletzungsmuster
53
Entsprechend der oben genannten Untersuchung ruft der Primäranprall etwa doppelt so viele Verletzungen wie der Sekundäraufprall hervor, bei hohen Geschwindigkeiten sogar dreimal so viele. Besonders häufig treten Kopf- und Unterschenkelverletzungen beim Aufprall auf die Straße auf. Verletzungen der Hände und der Knie nehmen bei steigender Kollisionsgeschwindigkeit zu. Die Verletzungen durch den Kopfanprall erscheinen primär genauso schwer wie sekundär, bei allen anderen Körperregionen überwiegt die Verletzungsschwere durch den Primäranprall (s. auch Abb. 1.46). Für die Pontonform haben die Länge der Fronthaube und der Winkel der Frontscheibe keinen erkennbaren Einfluss auf die resultierenden Verletzungen des Sekundäranpralls laut dieser Untersuchung. Dagegen wurden als wesentliche Einflussfaktoren der Verletzungsschwere des Sekundäranpralls die Höhe der Fronthaubenvorderkante, die Wurfweite des Fußgängers sowie die Kollisionsgeschwindigkeit ermittelt. 1.4.3 Zusammenfassung und internationaler Vergleich Der internationale Vergleich der Verletzungshäufigkeiten und -ursachen bestätigt die aus der Analyse von deutschen In-Depth-Unfalldaten gewonnenen Erkenntnisse. In allen betrachteten Ländern bilden Kopf und Beine, gefolgt vom Brustkorb die am häufigsten verletzten Körperregionen (s. Tabelle 1.5). Beckenverletzungen treten in allen Ländern weitaus weniger häufig auf. Tabelle 1.5 Internationaler Vergleich der Verletzungshäufigkeiten unterschiedlicher Körperregionen, Verletzungsverteilung (AIS 2-6) in % (Mizuno 2005). Körperregion Kopf Gesicht Hals Brustkorb Unterleib Becken Arme Beine Unbekannt Gesamt
USA 32,7 3,7 0 9,4 7,7 5,3 7,9 33,3 0 100
Deutschland 29,9 5,2 1,7 11,7 3,4 7,9 8,2 31,6 0,4 100
Japan 28,9 2,2 4,7 8,6 4,7 4,4 9,2 37,2 0 100
Australien 39,3 3,7 3,1 10,4 4,9 4,9 8,0 25,8 0 100
Gesamt 31,4 4,2 1,4 10,3 5,4 6,3 8,2 32,6 0,2 100
Ein Blick auf die in der Pedestrian Crash Data Study (PCDS) gewonnenen Erkenntnisse zeigt, dass auch in den USA schwere Verletzungen des Fußgängers vor allem durch die Windschutzscheibe, den Stoßfänger sowie
54
1 Gesellschaftliche Aspekte
die Haubenfläche und Haubenkante verursacht werden (s. Abb. 1.47). Der Sekundäranprall auf den Boden scheint nach Analyse der Daten in den USA eher leichte Verletzungen hervorzurufen. Besonders kritisch zeigen sich auch hier die Scheibenrandbereiche in Form der A-Säulen und des Stirnwandbereiches. Werden diese Bereiche durch den Fußgänger getroffen, sind schwere Verletzungen sehr wahrscheinlich. Abbildung 1.48 zeigt die an den einzelnen Fahrzeugregionen und beim Sekundäranprall verursachten Verletzungen. Der Stoßfänger verursacht vor allem Frakturen von Schien- und Wadenbein. Oberschenkelfrakturen treten in weitaus geringerer Zahl im Wesentlichen nur an der Haubenvorderkante auf. Die besonders häufig auftretenden Verletzungen des Großhirns sowie eine Bewusstlosigkeit des verunfallten Fußgängers werden zum größten Teil durch die Windschutzscheibe verursacht. Weitere wesentliche Verletzungsursachen sind die Haube und die A-Säulen sowie die Straßenoberfläche, seltener der Kotflügelbereich.
Abb. 1.47 Verletzungsverursachende Teile bei Fußgängerunfällen in den USA (Chidester u. Isenberg 2001).
1.5 Unfallkosten
55
Abb. 1.48 Zuordnung von Verletzungsmustern und verletzungsverursachenden Fahrzeugteilen bei Fußgängerunfällen in den USA (Chidester u. Isenberg 2001).
1.5 Unfallkosten Zur Beschreibung und zum Vergleich von Ausschnitten des Unfallgeschehens können Anzahl und Schwere der Straßenverkehrsunfälle betrachtet werden. Absolute Zahlen sind hier meist wenig hilfreich. Deshalb werden relative Unfallkenngrößen gebildet. Solch eine Unfallkenngröße stellen die Unfallkosten dar. Sie messen die volkswirtschaftlichen Verluste durch Straßenverkehrsunfälle, fassen Anzahl und Schwere der Unfälle zusammen und ermöglichen somit Vergleiche der Verkehrssicherheit zu einem Preisstand. Mit Hilfe der Unfallkosten kann das Unfallgeschehen beschrieben werden, z. B. in Abhängigkeit des Unfalltyps, der Unfallart und der Verkehrsbeteiligung. In der nachstehenden Tabelle 1.6 sind die entsprechenden Zahlen für Autobahnen, Landstraßen und innerörtliche Straßen für das Jahr 1998 mit Preisstand 2000 zusammengestellt. Dabei werden Unfälle mit Personenschaden und schwerwiegendem Sachschaden mit Fußgänger- und Radfahrerbeteiligung betrachtet. Betrachtet man alle Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern innerorts (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen sowie Gemeindestraßen), so kann festgestellt werden, dass 46 % (4,6 Mrd. Euro) aller Unfallkosten innerorts (ca. 9,9 Mrd. Euro) pro Jahr auf diese Gruppe entfallen. Betrachtet man den Unfalltyp des „Überschreiten-Unfalls“ auf den o.g. Straßen innerorts, so nimmt dieser Unfalltyp 17,9 % der Unfallkosten ein (s. S. 36). Untersucht man die Unfallart und betrachtet nur den
56
1 Gesellschaftliche Aspekte
Zusammenstoß mit einem Fußgänger, so wird deutlich, dass diese Unfallart 22,2 % der gesamten Unfallkosten von 9,9 Mrd. Euro pro Jahr abdeckt. Tabelle 1.6 Unfallkosten und Unfallschwere zum Preisstand 2000 (ESAS 2002).
Die Unfallschwere unterstreicht den leider bedeutenden Stellenwert der Fußgänger und Radfahrer im Unfallgeschehen. Auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen innerorts liegt die Unfallkostenrate für Fußgänger bei 88.000 Euro pro Unfall, für Radfahrer bei 40.000 Euro. Zum Vergleich hierzu soll die Unfallkostenrate für Pkw dienen, die mit 35.000 Euro pro Unfall deut-
1.5 Unfallkosten
57
lich niedriger liegt. Auf den innerörtlichen Gemeindestraßen liegt diese Zahl für Fußgänger bei 50.000 Euro pro Unfall respektive 33.000 Euro für Radfahrer. Auf Grund der höheren gefahrenen Geschwindigkeiten außerorts ist die Unfallschwere hier deutlich höher als innerorts. Fazit
Wie in den vorhergehenden Ausführungen gezeigt werden konnte, wird das Unfallgeschehen des Fußgängers von einer großen Vielfalt von Einflussfaktoren bestimmt. Fasst man nun die bestimmenden Unfallparameter des Fußgänger-Fahrzeug-Unfalls der hier analysierten Datenbasis zusammen, so können folgende Aussagen getroffen werden: x 94 % der Fußgängerunfälle ereignen sich innerorts. 34 % der verletzten Fußgänger sind jünger als 13 % Jahre. Fußgängerunfälle außerorts sind tendenziell schwerer und führen häufiger zu schweren öder tödlichen Verletzungen. Fußgängerunfälle stellen 46% der Unfallkosten innerorts dar. x Bei Trockenheit ist die Anzahl der Unfälle mit Fußgängern um das Fünffache höher als bei Niederschlag. x 45 % der Unfälle geschehen bei Tageslicht, 35 % während der Dämmerung und 20 % nachts. Der Anteil an schwerverletzten und getöteten Fußgängern ist bei Nacht deutlich höher. Die Anzahl bei Dunkelheit verunfallter Fußgänger mit dunkler Kleidung liegt um das Sechsfache höher als mit heller Kleidung. x In 80 % der Unfälle überquerten die Fußgänger die Fahrbahn (Überschreiten-Unfall), 25 % der Fußgänger rannten vor der Kollision. 82 % aller Fußgängerunfälle ereignen sich bis zu einer Kollisionsgeschwindigkeit von 40 km/h (USA: 78 %, JAPAN: 68 %). x 70,6 % der Hauptbeschädigungen am Fahrzeug sind an der Front. Seitliche Beschädigungen wurden zu 23,2 % ermittelt, 5 % der Beschädigungen liegen am Fahrzeugheck. Die Anzahl der Beschädigungen von Frontscheibe, A-Säulen und Dachrahmen nimmt mit steigender Kollisionsgeschwindigkeit zu. x 84 % der Fußgänger wurden leicht, 15 % schwer und 1 % tödlich verletzt. In 58 % der Unfälle erlitt der Fußgänger Kopfverletzungen, davon waren 10 % schwer und 1 % tödlich. x Hauptverletzungsursachen am Fahrzeug sind der Stoßfänger, die Windschutzscheibe und auch die Fronthaube. Ein Anprall an den Scheibenrandbereich führt sehr häufig zu schweren Verletzungen.
58
1 Gesellschaftliche Aspekte
Vor allem die Fahrzeugfront muss in einem Testverfahren zum Fußgängerschutz bewertet werden. Wie gezeigt werden konnte, weist die Kollision des Fußgängers mit der Fahrzeugfront eine spezielle Charakteristik hinsichtlich der Anstoßkonstellationen und der Verletzungsfolgen des Fußgängers auf. Diese Charakteristika gilt es in ein Testverfahren einfließen zu lassen. Insbesondere die Verletzungen der unteren Extremitäten im Stoßfängerbereich sowie Kopfverletzungen durch Kontakt mit der Windschutzscheibe und der Fronthaube müssen von gesetzlichen oder Konsumententestverfahren zum Fußgängerschutz durch entsprechende Prüfvorschriften adressiert werden. Die statistische und biomechanische Aussagekraft muss durch entsprechend gewählte Prüfbedingungen und Bewertungsmaßstäbe sichergestellt werden.
Literatur
59
Literatur AAAM (2005) Abbreviated Injury Scale 2005 Manuals, Association for the Advancement of Automotive Medicine, 2005. Appel H, Breuer B, Essers U, Helling J, Willumeit HP (1982) Uni-Car – Der Forschungs-Personenwagen der Hochschularbeitsgemeinschaft. Sonderdruck in ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 84, 1982. Appel H, Krabbel G, Vetter D (2002) Unfallforschung, Unfallmechanik und Unfallrekonstruktion. 2. Auflage, Kippenheim, Verlag Information Ambs GmbH, 2002. Aprosys (2003) Projekt homepage. www.aprosys.org, Zugriff: 18.11.2003. Auswertung von Straßenverkehrsunfällen Teil 1: Führen und Auswerten von Unfalltypensteckkarten. Empfehlung des Instituts für Straßenverkehr (ISK) Nr. 12, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Berg A, Dettinger J, Grandel J. (1997) Personenkraftwagen/Fußgänger-Unfälle – Erkenntnisse aus neueren Untersuchungen und Crash-Tests mit besonderer Berücksichtigung moderner Kompaktfahrzeuge. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik 9, 1997. BMFT (1983) Uni-Car – Der Forschungs-Personenwagen der Hochschularbeitsgemeinschaft. Abschlußbericht des BMFT, Juli 1983. Braess HH, Appel H, Friedel B (1996) 25 Jahre ESV-Entwicklung – Chancen und Risiken von regierungsseitig vorgegebenen Zielen. Automobilrevue, 1996. Bryan FR (1995) Henry’s Attic – Some Fascinating Gifts to Henry Ford and His Museum. Ford Books, Michigan, 1995. Chidester A, Isenberg R (2006): Final Report – The Pedestrian Crash Data Study, 17. ESV-Konferenz, Tagungsband, 2001. China (2005) China Statistical Yearbook 2005 http://www.stats.gov.cn/ tjsj/ndsj/2005/indexeh.htm. Commission of the European Communities (2001) Communication from the Commission to the Council and the European Parliament – Pedestrian Protection: Commitment by the European Automobile Industry. Brüssel, 11.7.2001. http://europa.eu.int/comm/enterprise/automotive/pagesbackground/pedestrian protection/index.htm. EEVC WG 10 Report (1994) Proposals for Methods to Evaluate Pedestrian Protection for Passenger Cars. Final Report, November 1994. EEVC WG 17 Report (1998) Improved Test Methods to Evaluate Pedestrian Protection Afforded by Passenger Cars. Final Report, Dezember 1998. Empfehlung für das Sicherheitsaudit von Straßen (ESAS). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Arbeitsgruppe Straßenentwurf, FGSV Verlag GmbH Köln, Ausgabe 2002. Engelbrecht PO (2001) Gesetzgebung Fußgängerschutz. VDA Technischer Kongress, Bad Homburg, 2001, S. 1-9. Europäische Union (2003) Richtlinie 2003/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.11.2003 zum Schutz von Fußgängern und anderen un-
60
1 Gesellschaftliche Aspekte
geschützten Verkehrsteilnehmern vor und bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG des Rates. Amtsblatt der Europäischen Union, Der Verlag der Europäischen Union, http://europa.eu.int/comm/enterprise/automotive/pagesbackground/pedestrian protection/index.htm, Zugriff Dezember 2003. Hahn W (2001) Fußgängerschutz – Von der Unfallanalyse zur Entwicklungsanforderung. VDA Technischer Kongress, Bad Homburg, 2001, S. 23-41. Hartlieb M (2001) Fußgängerschutz – Möglichkeiten und Potenziale zukünftiger Technologien. VDA Technischer Kongress, Bad Homburg, 2001, S. 65-69. HDT (2001) Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw. Tagungsband, Haus der Technik e.V., München, 2001. HDT (2002) Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw. Tagungsband, Haus der Technik e.V., München, 2002. Himbert G, Eberhard W (1977) Laufgeschwindigkeiten von Fußgängern. Der Verkehrsunfall, 4/1977. IATSS (2004) White Paper on Traffic safety in Japan 2004 http://www.iatss.or.jp/ english/. Invent 2005, Projekthomepage des INVENT-Projektes, http://www.invent-online.de/. IRTADA (2005) http://www.itarda.or.jp/english/info50/50top.html Kommission der Europäischen Gemeinschaft (2003): Europäisches Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit. Mitteilung der Kommission, KOM (2003) 311, Juni 2003. Kreiss J-P, Schüler L, Langwieder K (2005) The Effectiveness of primary Safety Features in Passenger Cars in Germany, 19. ESV-Konferenz, Tagungsband, Washington, 2005. Kühn M (2001) Bewertung von Maßnahmen zur Verbesserung des Fußgängerschutzes – Stand der Diskussion, Möglichkeiten und Potenziale. Interner Forschungsbericht, TU Berlin, unveröffentlicht, 2001. Kühn M (2004) Weiterentwicklung von Komponententests, Dissertation, VDIVerlag, TU Berlin, Berlin, 2004 Kühn M (2006) Analyse des realen Fußgänger-Pkw-Unfallgeschehens. Interner Forschungsbericht, Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) unveröffentlicht, 2006. Kühnel A (1980) Der Fahrzeug-Fußgänger-Unfall und seine Rekonstruktion. Dissertation, TU Berlin, Berlin, 1980. Kühnel A, Rau H (1973) Einfluss der Eigenbewegung eines Fußgängers auf die Verformung des Fahrzeugvorbaus beim Zusammenstoß Fahrzeug-Fußgänger. Forschungsbericht Nr. 183, Institut für Kraftfahrzeuge, TU Berlin, 1973. Kühnel A, Rau H (1974) Der Zusammenstoß Fahrzeug-Fußgänger unter Berücksichtigung der Eigenbewegung des Fußgängers. Der Verkehrsunfall, Heft 1und 2, 1974. Kühnel A, Rau H (1978) The Fidelity of Dummies in Pedestrian Collisions. IRCOBI-Konferenz, Tagungsband, Lyon, 1978.
Tabellenanhang
61
Lie A, Tingvall C, Krafft M, Kullgren A (2005) The Effectiveness of ESC (Electronic Stability Control) in reducing real life crashes and injuries, 19. ESVKonferenz, Tagungsband, Washington, 2005. Marshall RL (1988) Unfallgeschehen und Verkehrssicherheitsarbeit in den Vereinigten Staaten von Amerika. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 34, 1988. Mizuno Y (2005), Summary of IHRA Pedestrian Safety WG Activities (2005) Proposed Test Methods to Evaluate Pedestrian Protection Afforded by Passenger Cars, 19. ESV-Konferenz, Tagungsband, 2005. NHTSA (2006), Fatality Analysis Reporting System (FARS) Web-Based Encyclopedia, http://www-fars.nhtsa.dot.gov/, Zugriff 21.06.2006. Otte D, Krettek Ch (2001) Unfallerhebungen vor Ort. Hannover, Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw. Tagungsband, Haus der Technik e.V., München, 2001. Otte D, Nehmzow J (2001) Codierungs-Katalog zur Dokumentation von Verkehrsunfällen – Im Rahmen der Erhebung am Unfallort Hannover und Dresden. Im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen, 2001. Otte D, Pohlemann T (2001) Analysis and Load Assessment of Secondary Impact to Adult Pedestrians after Car Collisions on Roads. IRCOBI-Konferenz, Tagungsband, 2001. Prevent (2006) Homepage des integrierten Forschungsprojektes PReVENT, http://www.prevent-ip.org, Zugriff 21.06.2006. RESPONSE (2006) The Integrated Approach of User, System and Legal Perspective: Final Report on Recommandations for Testing and market Introduction of ADAS. http://docs.adase2.net/response, Zugriff 12.03.2006. StBA (2003) Homepage des Statistischen Bundesamtes, http://www.destatis.de/ themen/d/thm_verkehr.php. StBA (2006) Unfallgeschehen im Straßenverkehr. Destatis, Pressebroschüre, http://www.destatis.de/themen/d/thm_verkehr.php. USA (2005) Bureau of Transportation Statistics, National Transportation Statistics 2005, http://www.bts.gov/publications/national_transportation_statistics/2005/ VDA (2001) Technischer Kongress 2001. Tagungsband, Verband der Automobilindustrie, Bad Homburg, 2001.
62
1 Gesellschaftliche Aspekte
Tabellenanhang Tabelle A.1 Verletzte Personen nach Art der Verkehrsteilnahme in der EU-25 (s. Abb. 1.3). 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
Insgesamt 1.899.316 1.833.080 1.855.260 1.885.331 1.868.262 1.910.919 1.940.621 1.972.738 1.928.993 1.917.470
Fußgänger 220.560 207.817 210.030 208.672 203.535 202.628 197.921 194.076 190.826 184.372
Fahrräder 169.365 161.183 166.369 165.401 156.068 164.427 157.063 164.752 163.427 152.020
Mot. Zweiräder 294.356 276.575 283.467 287.686 276.301 299.850 303.574 317.756 313.933 313.343
Pkw 1.112.703 1.090.418 1.081.085 1.124.035 1.123.489 1.130.680 1.164.132 1.179.029 1.155.622 1.151.328
Tabelle A.2 Getötete Personen nach Art der Verkehrsteilnahme in der EU-25 (s. Abb. 1.4). 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001
Insgesamt 61.997 59.754 57.493 56.947 53.838 55.027 53.995 53.405 52.229 49.888
Fußgänger 13.135 12.506 12.319 12.557 10.701 10.782 10.531 10.033 9.613 8.798
Fahrräder 4.168 3.893 3.885 3.922 3.479 3.572 3.527 3.630 3.387 3.308
Mot. Zweiräder 8.270 8.019 7.796 7.749 7.037 7.467 7.126 7.393 7.457 7.365
Pkw 32.770 32.190 30.617 30.964 29.185 29.270 29.057 29.013 28.670 27.163
Tabellenanhang
63
Tabelle A.3 Modalsplit Personenverkehr in ausgewählten Ländern Europas (s. Abb. 1.5). Land
Jahr
Schiene
1998 2001
Straße - Öffentli- Straße - privater cher Verkehr Verkehr (Mio.Fzg.-km) (Mio.Fzg.-km) 190 4.734 4.197 51.133
Albanien Norwegen Vereinigtes Königreich Finnland Schweden Spanien Portugal Schweiz Niederlande Slowakei Tsch. Republik Republik Moldau Türkei Rumänien Ungarn Estland
1999
45.000
621.000
46.000
2002 2001 2001 1998 2002 1999 2002 2002 2002 2002 2001 2002 2002
7.700 7.200 51.712 11.550 4.750 29.900 8.236 24.838 356 80.316 7.073 12.900 2.330
59.200 90.700 359.667 75.600 90.000 164.000 24.998 65.217 942 83.011 3.411 400 0,4
3.300 10.625 20.828 4.602 14.600 14.879 2.682 6.597 355 5.204 10.966 9.600 177
(Mio.Fzg.-km) 116 3.208
64
1 Gesellschaftliche Aspekte
Tabelle A.4 Straßennetzlängen 2001 (in km, s. Abb. 1.6 und 1.7). Land
insgesamt
Belgien 148.216 Bulgarien 37.296 Dänemark 71.888 Deutschland 230.848 Estland 51.411 Finnland 78.059 Frankreich 1.004.660 Griechenland 116.707 Irland 95.714 Italien 480.092 Lettland 73.202 Litauen 75.243 Luxemburg 5.189 Malta 2.254 Niederlande 125.785 Österreich 132.999 Polen 364.656 Portugal . Rumänien 198.603 Schweden 422.961 Slowakei 42.716 Slowenien 20.236 Spanien 664.649 Tschechische 127.727 Republik Türkei 344.398 Ungarn 158.788 Vereinigtes 371.913 Königreich Zypern 11.585
Autobahnen 1.727 328 971 11.786 94 591 10.068 707 103 6.478 417 114 2.291 1.645 358 1.660 113 1.507 296 435 11.152
Haupt-/ Natio- Regionale nalstraßen Straßen 12.600 1.349 3.012 3.827 689 9.988 41.228 86.838 3.803 12.537 12.671 28.447 26.050 359.231 9.100 31.300 5.326 11.628 46.556 114.909 7.011 13.312 1.307 19.588 837 1.891 185 196 6.650 57.500 10.280 23.086 17.709 28.381 11.991 58.990 14.711 63.791 13.842 82.892 3.222 3.826 1.101 4.796 24.458 139.341
Andere Straßen 132.540 30.129 60.240 90.996 34.977 36.350 609.311 75.600 78.657 312.149 52.879 53.931 2.347 1.873 59.400 98.000 318.208 . 119.988 324.720 35.372 13.904 489.698
517
20.727
34.183
72.300
1.773 448
31.417 30.060
29.693 23.057
281.515 105.223
3.605
48.194
113.105
207.256
257
2.178
.
8.973
Tabellenanhang
65
Tabelle A.5 Fahrzeugbestand 2002 nach Ländern (in Tausend, s. Abb. 1.8). Land Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Irland Island Italien Kroatien Lettland Litauen Luxemburg Malta Mazedonien Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Rumänien Russische Föderation Schweden Schweiz Serbien und Montenegro Slowakei Slowenien Spanien Tschechische Republik Türkei Ungarn Vereinigtes Königreich Weißrussland Zypern
Personenkraftwagen 4.725 2.086 1.888 44.657 401 2.195 29.160 3.656 1.448 160 33.706 1.244 620 1.181 287 201 310 6.855 1.900 3.987 11.029 3.885 3.226 20.353 4.043 3.701 1.499 1.327 874 18.733 3.647 4.600 2.630 28.484 1.548 280
Lastkraftwagen 543 246 354 2.619 80 320 5.687 1.077 220 20 3.666 139 97 94 23 42 22 880 431 320 2.163 1.541 419 4.401 409 290 130 164 83 3.949 323 1.274 355 2.961 68 117
Krafträder und Mopeds 301 526 151 3.657 7 224 2.440 2.439 33 2 4.037 65 21 20 12 12 4 461 225 597 869 371 277 6.329 221 753 13 48 51 1.483 1.194 1.047 98 1.136 524 42
66
1 Gesellschaftliche Aspekte
Tabelle A.6 Getötete Personen 2001 in ausgewählten Ländern Europas nach Art der Verkehrsteilnahme (s. Abb. 1.11). Land
insgesamt Fußgänger Fahrrad
Belgien 1.486 Bulgarien 1.011 Dänemark 431 Deutschland 6.977 Estland 199 Finnland 433 Frankreich 7.720 Griechenland 2.037 Irland 411 Italien 6.682 Kroatien 647 Lettland 517 Litauen 706 Luxemburg 70 Mazedonien 107 Niederlande 1.085 Norwegen 275 Österreich 958 Polen 5.534 Portugal 1.466 Republik Moldau 420 Rumänien 2.499 Russische Föderation 30.916 Schweden 583 Schweiz 544 Slowenien 278 Spanien 5.517 Tschechische Republik 1.334 Türkei 4.386 Ukraine 5.984 Ungarn 1.239 Vereinigtes Königreich 3.450 Weißrussland 1.594 Zypern 98
158 311 49 900 60 62 778 375 89 929 142 186 253 11 29 117 45 117 1.867 296 167 1.185 13.677 87 104 42 846 322 833 2.661 355 826 706 21
128 55 56 635 18 59 242 22 12 329 56 40 92 1 4 226 6 55 672 44 26 193 664 43 38 17 100 141 68 548 196 138 137 1
Mot. Zweirad 210 54 55 1.102 7 23 1.437 502 50 1.300 57 30 22 6 5 171 33 144 169 362 35 23 2.339 47 116 50 833 95 200 462 103 583 112 24
Pkw 899 505 242 4.023 102 262 4.998 891 230 3.710 345 217 308 51 55 503 167 570 2.438 543 155 929 12.265 373 245 92 3.148 716 1.738 2.063 502 1.749 531 52
Tabellenanhang
67
Tabelle A.7 Verletzte Personen 2001 in ausgewählten Ländern Europas nach Art der Verkehrsteilnahme (s. Abb. 1.12). Land
insgesamt Fußgänger Fahrrad
Belgien Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Griechenland Irland Italien Kroatien Lettland Litauen Luxemburg Mazedonien Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Republik Moldau Rumänien Russische Föderation Schweden Schweiz Slowenien Spanien Tschechische Republik Türkei Ukraine Ungarn Vereinigtes Königreich Weißrussland Zypern
67.961 7.984 8.465 494.315 2.443 8.411 153.945 30.763 10.222 334.679 22.093 5.852 7.103 1.176 1.830 42.810 11.522 56.265 68.194 57.044 3.390 6.315 187.790 22.330 30.160 12.673 149.599 33.676 116.203 38.196 24.149 309.859 6.401 3.528
3.515 2.063 864 37.101 585 725 17.458 3.663 1.113 18.049 2.618 1.657 2.141 99 405 2.213 900 4.494 18.323 7.687 1.241 2.986 71.721 1.376 2.603 864 12.212 5.090 16.049 14.090 3.851 39.751 2.515 307
6.655 382 1.513 71.079 176 992 5.259 270 351 10.153 1.001 313 530 26 97 8.916 697 5.486 7.200 1.335 109 428 4.024 2.165 3.121 801 2.037 3.715 2.162 2.630 3.188 18.976 365 54
Mot. Zweirad 11.309 513 1.573 56.432 83 789 38.041 11.529 1.034 84.515 2.105 272 301 101 205 10.552 1.091 8.041 1.528 12.755 156 109 16.950 1.986 5.920 1.129 37.151 2.390 9.040 3.219 2.212 28.227 511 821
Pkw 42.769 4.363 4.017 306.427 1.446 5.185 88.029 12.878 6.803 206.148 15.065 3.266 3.688 904 999 18.206 7.768 35.470 36.162 26.941 1.463 2.421 82.687 15.275 17.371 5.933 85.923 20.544 55.085 16.351 12.840 201.053 2.453 2.346
68
1 Gesellschaftliche Aspekte
Tabelle A.8 Zahl der innerorts getöteten Fußgänger insgesamt für ausgewählte Länder Europas (s. Abb. 1.13). Land EU-15 Belgien Dänemark Deutschlamd Griechenland Spanien Frankreich Irland Italien Luxemburg Niederlande Österreich Portugal Finnland Schweden UK
1992 4.683 135 74 1.234 296 437 827 67 888 7 89 122 447 63 90 1.115
1995 3.961 88 77 890 302 480 700 60 733 6 81 96 390 42 46 832
1998 3.539 101 44 732 252 503 680 70 667 1 74 110 258 36 43 709
2001 2.412 108 24 622 250 377 539 42 10 71 105 222 33 49 617
Tabellenanhang
69
Tabelle A.9 Verunglückte Fußgänger 2001 in ausgewählten Ländern Europas (s. Abb. 1.14). Land
Einwohner getötete in Mio. Fußgänger Albanien 3,09 111 Belgien 10,26 158 Bulgarien 7,97 311 Dänemark 5,35 49 Deutschland 82,01 900 Estland 1,38 60 Finnland 5,17 62 Frankreich 59,45 778 Griechenland 10,94 375 Irland 3,84 89 Italien 56,31 929 Kroatien 4,38 142 Lettland 2,41 186 Litauen 3,49 253 Luxemburg 0,44 11 Mazedonien 2,04 29 Niederlande 15,93 117 Norwegen 4,52 45 Österreich 8,07 117 Polen 38,58 1867 Portugal 10,36 296 Republik Moldau 4,29 167 Rumänien 22,39 1185 Russ. Föderation 144,66 13677 Schweden 8,83 87 Schweiz 7,17 104 Slowakei 5,38 49 Slowenien 1,99 42 Spanien 39,92 846 Tsch. Republik 10,29 322 Türkei 67,63 833 Ukraine 49,11 2661 Ungarn 10,20 355 UK 59,54 826 Weißrussland 10,15 706 Zypern 0,79 21
Verletzte Fußgänger 62 3515 2063 864 37101 585 725 17458 3663 1113 18049 2618 1657 2141 99 405 2213 900 4494 18323 7687 1241 2986 71721 1376 2603 987 864 12212 5090 16049 14090 3851 39751 2515 307
Getötete/Mio. Verletzte/Mio. Einwohner Einwohner 36,0 20,1 15,4 342,5 39,0 258,7 9,2 161,5 11,0 452,4 43,6 424,8 12,0 140,2 13,1 293,6 34,3 334,8 23,2 289,8 16,5 320,6 32,4 597,6 77,3 688,7 72,5 613,3 25,0 225,0 14,2 198,1 7,3 138,9 10,0 199,1 14,5 557,2 48,4 475,0 28,6 742,3 39,0 289,6 52,9 133,4 94,5 495,8 9,8 155,8 14,5 363,0 9,1 183,5 21,2 435,3 21,2 305,9 31,3 494,5 12,3 237,3 54,2 286,9 34,8 377,6 13,9 667,6 69,6 247,9 26,6 388,6
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
Der Ablauf eines Fußgängerunfalls kann in aufeinander folgende Zeitabschnitte unterteilt werden (s. Abb. 2.1). Zu jedem Zeitpunkt können theoretisch sicherheitssteigernde Maßnahmen ergriffen werden. In den letzten Jahren wurden vor allem Maßnahmen zur Optimierung des FußgängerFahrzeug-Kontaktes während der In-Crash-Phase diskutiert, während Maßnahmen der aktiven Sicherheit in der Pre-Crash-Phase unfallvermeidend (z. B. Warnsysteme) oder zumindest unfallfolgenmildernd wirken können (z. B. Bremsassistent).
Abb. 2.1 Zeitliche Gliederung der Phasen eines Fußgängerunfalls.
2.1 Die Pre-Crash-Phase Im Rahmen einer umfassenden Betrachtung des Fußgängerunfalls bedarf es zur Einführung neuartiger Assistenz- und Fahrsicherheitssysteme einer Analyse des Zeitraums, der unmittelbar vor dem Erstkontakt zwischen Fahrzeug und Fußgänger liegt. Definitionsgemäß ist in dieser Phase der Unfall für den Fahrer und den Fußgänger bereits unvermeidbar geworden. Die Feststellung, ob eine solche Situation vorliegt ist elementar wichtig für die Ansteuerung von Collision Mitigation Systemen1 und reversiblen Fußgängerschutzsystemen. Kenngröße für die Ausdehnung der Pre-CrashPhase ist der Zeitraum bis zum Kollisionsbeginn TTC2. Sie ist stark abhängig von fahrdynamischen Kenngrößen und von Bewegung und Position 1
2
Collision Mitigation Systeme – Systeme, die die Unfallschwere und damit auch die Unfallfolgenschwere durch eine möglichst optimale „Gestaltung“ des unvermeidbaren Unfalls minimieren können. TTC - Time to Collision, Zeit bis zur Kollision.
72
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
des Fußgängers. Im Regelfall beträgt sie zwischen 0,2 s und 0,5 s (s. auch Abb. 3.17). Wenn ein Ausweichen nur in eine Richtung möglich oder ganz unmöglich ist, kann die TTC weiter ansteigen und erreicht im Maximalfall den gesamten Zeitraum vom Gefahreneintritt bis zum Stillstand des Fahrzeugs. Aufgrund der Bewegungsmöglichkeiten des Fußgängers ist sein zukünftiger Aufenthaltsort nur schwer vorhersehbar. Unter Berücksichtung der durch den Fußgänger maximal erreichbaren Beschleunigungen und Geschwindigkeiten kann gezeigt werden, dass erst ab einer TTC < 0,2 s eine auch durch den Fußgänger nicht mehr vermeidbare Kollision auftreten kann (Fürstenberg 2005; Friedemann 2005). Dies ist beim Design von zukünftigen Warn- und Pre-Crash-Systemen zu berücksichtigen. Fahrerverhalten in der Pre-Crash-Phase
Der eigentliche Bremsvorgang bildet nur den Schlusspunkt einer Reihe von Aktionen, die bewusst oder unbewusst vom Fahrer im Vorfeld eines Unfalls durchgeführt werden (s. Abb. 2.2). Die Analyse des Fahrerverhaltens in Unfallsituationen kann Aufschluss über die zweckmäßige Gestaltung von Assistenz- und Warnfunktionen im Fahrzeug geben. In-DepthUnfalldaten (s. Kap. 1.3) zeigen, dass in nur 64 % der Unfälle, in denen der Fußgänger frontal erfasst wurde, eine Bremsung durch den Fahrer erfolgte. Im Folgenden wird auf Basis von eigenen Fahrversuchen und anhand von Literaturangaben das Fahrerverhalten in Unfallsituationen näher beschrieben.
Abb. 2.2 Teilphasen des Notbremsvorganges (nach Schulz 2006).
2.1 Die Pre-Crash-Phase
73
Das Eintreten einer objektiv kritischen Situation führt erst nach dem Durchlaufen der Reaktionszeit zu einer Aktion des Fahrers. In dieser Zeit wird die Situation vom Fahrer wahrgenommen, sie wird als kritisch klassifiziert und eine adäquate Handlung wird ausgewählt. Nach der Reizleitungszeit erfolgt mit dem Bewegungsbeginn des Fahrers die erste fahrzeugseitig messbare Reaktion auf den Gefahreneintritt. Untersuchungen zeigen auch, dass die Blickbewegung kein alleiniger Indikator für eine bevorstehende Reaktion des Fahrers ist (Kühn et al. 2005). In der Literatur werden die Einflussgrößen auf die Reaktionszeit in Reizintensität, Persönlichkeitsvariablen und äußeren Einflüsse unterteilt (s. Tabelle 2.1). Tabelle 2.1 Einflussgrößen auf die Reaktionszeit. Persönlichkeitsvariablen x Drogenkonsum x Alter und Geschlecht x mentaler und physischer Zustand x Intelligenz
Reizart
x visuell x auditiv x taktil
Äußere Einflüsse Vorwarnung Ablenkung Sichtverhältnisse Fahrumgebung Bestrafung und Angst
x x x x x
Abb. 2.3 Zeitstrahl der Reaktionszeiten (links) und Umsetzzeiten (rechts) aus Literaturangaben und eigenen Untersuchungen (Schulz 2006).
Durch die Vielzahl der bei diesem Vorgang im Fahrer ablaufenden Prozesse ist die Reaktionszeit als solche mit einer großen inter- und auch intraindividuellen Streubreite behaftet. Anhand von Literaturangaben und eigenen Untersuchungen kann zumindest ein Intervall angegeben werden,
74
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
im dem sich die für einen Fußgängerunfall typische Reaktionszeit fast immer befindet (s. Abb. 2.3). Die Zeitspanne vom Lösen des Fußes vom Gaspedal bis zum Berühren der Bremse wird als Umsetzzeit bezeichnet. Zuvor ist in der Reaktionszeit des Fahrers die kritische Situation bereits als solche identifiziert worden, jedoch kann aufgrund psychomotorischer Beschränkungen des Fahrers noch keine Bremsreaktion erfolgen. Anhand von Literaturangaben und der Auswertung eigener Versuche kann festgestellt werden, dass die Umsetzzeiten bei Aufforderung zur Vollbremsung nur innerhalb eines schmalen Intervalls von ca. 0,2 s-0,3 s streuten (Schulz 2006). Der Zeitraum vom Berühren der Bremse bis zum Erreichen von 75 % des maximalen Bremsdruckes wird als Schwellzeit bezeichnet. Er ist direkt von der Pedalkraft und -geschwindigkeit abhängig. Die Aufgabenstellung an die Versuchsfahrer bzw. die Verkehrssituation hat einen großen Einfluss auf die ermittelten Schwellzeiten. Eine Untergrenze von ca. 0,2 s scheint aber auch für geübte Fahrer zu bestehen. Aufgrund zu schwacher und zu langsamer Pedalbetätigung kann von Normalfahrern der maximale Bremsdruck oftmals nicht voll aufgebaut werden (s. Abb. 2.4).
Abb. 2.4 Schwellzeiten aus der Literatur und Untersuchungen der TU Berlin (links) bei denen die ermittelte Streubreite von Bremsdrücken angegeben ist sowie die in eigenen Versuchen ermittelte Streubreite von Bremsdrücken angegeben ist (rechts, Schulz 2006).
2.2 Die In-Crash-Phase Die In-Crash-Phase beginnt mit dem Erstkontakt des Fußgängers am Fahrzeug. Sie wird in die drei Phasen Kontakt, Flug und Rutschen unterteilt (s. Abb. 2.5, nach Kühnel 1980).
2.2 Die In-Crash-Phase
75
Abb. 2.5 Phasen der Fußgänger-Fahrzeug-Kollision (nach Kühnel 1980).
In der ersten Phase des Fußgängerunfalls, auch als Primäranprall oder Kontaktphase bezeichnet, stößt der Fußgänger auf das Fahrzeug und wird annähernd auf Fahrzeuggeschwindigkeit beschleunigt. Die hierbei aufgenommene kinetische Energie muss im Sekundär- bzw. Tertiärstoß wieder abgebaut werden (Kühnel 1980). Die Kontaktphase ist besonders im Hinblick auf Maßnahmen zum Fußgängerschutz von übergeordneter Bedeutung, da in dieser ab ca. 30 km/h und vermehrt mit zunehmender Geschwindigkeit die tendenziell schwereren Verletzungen im Vergleich zum Sekundäraufprall zu erwarten sind (s. Abb. 1.45 und 1.46). Der Ablauf der Kontaktphase gliedert sich gewöhnlich in drei wichtige Schritte: Zuerst erfolgt der Anprall der Unterschenkel an die vordersten Fahrzeugstrukturen, also in der Regel an den Stoßfänger. Mechanisch stellt dieser Anstoß bezogen auf den Fußgänger einen außermittigen Stoß dar. Das bedeutet, dass eine Drehbewegung des Fußgängers um seine horizontale Achse eingeleitet wird. Anschließend erfolgt je nach Größe des Fußgängers ein Anprall des Oberschenkels oder auch der Hüfte an die Haubenvorderkante. Da der Schwerpunkt eines Menschen in der Abdomenregion und damit bei herkömmlichen Fahrzeugen oberhalb der Haubenvorderkante liegt, bewirkt dieser Anstoß eine Verstärkung der Drehbewegung des Körpers um die Horizontale. Danach wickelt sich der Oberkörper des Fußgängers entlang der Motorhaube ab und rutscht dabei weiter auf das Fahrzeug auf. Die Kontaktphase wird durch den Anprall des Kopfes auf die Fahrzeugstruktur abgeschlossen. Der Kopfanprall kann je nach Größe des Fußgängers in unterschiedlichen Fahrzeugregionen liegen. Bei geringen Kollisionsgeschwindigkeiten unter 20 km/h kann er auch ganz ausbleiben. Während eines Streifstoßes wird der Fußgängers nur teilweise von der Fahrzeugfront erfasst und rutscht weiter auf die Fahrzeugfront auf. Die seitlichen Bereiche der Fahrzeugfront weisen bei herkömmlicher Bauweise eine erhöhte Steifigkeit auf (Kotflügel-Hauben-Übergang, A-Säule etc.), so dass von einem erhöhten Verletzungspotential für den Fußgänger bei einem Streifstoß ausgegangen werden muss.
76
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
Wird das Fahrzeug während des Primäranpralls gebremst, löst sich der Fußgänger vom Fahrzeug und prallt nach einer stärker oder schwächer ausgeprägten Flugphase auf die Straße, wo er rutschend oder rollend zur Ruhe kommt. Die Flugphase beginnt mit dem Lösen bzw. Abwerfen des Körpers vom Fahrzeug. Den Aufprall auf die Straße nach der Flugphase bezeichnet man als Sekundäranprall. Während des Fluges oder beim Rutschen auf der Straße kann der Fußgänger gegen ein Hindernis (z. B. Bordsteinkante, parkendes Auto) prallen oder von weiteren Fahrzeugen überfahren werden. Hier spricht man dann vom Tertiäranprall (Kühnel 1980). Bei geringer Kollisionsgeschwindigkeit oder geringer Fahrzeugverzögerung kann sich der Vorgang des Lösens auch als ein Abrutschen des Fußgängers entlang der Fronthaube darstellen. Bei einer ausgeprägten Abwurfbewegung löst sich der Körper vom Fahrzeug, fliegt entlang einer ballistischen Kurve und führt dabei die in der Kontaktphase aufgeprägte Drehbewegung fort. Bei hohen Kollisionsgeschwindigkeiten ab ca. 80 km/h oder ungebremsten Kollisionen kann sich der Fußgänger auch über das Fahrzeug bewegen und hinter dem Fahrzeug zum Liegen kommen (Karnahl 1996). Beim Anprall auf die Straße und in der Rutschphase baut der Körper die kinetische Energie ab, die ihm in der Kontaktphase vom Fahrzeug aufgeprägt wurde. Beim Anprall führt dies häufig zu Knochenbrüchen und Quetschungen. Im Rutschen erfolgt die Energieumwandlung durch Reibung des Körpers auf der Straße, durch viskose Dämpfung in der weichen Struktur des Körpers, durch Muskelarbeit aber nicht zuletzt auch durch plastische Verformung z. B. von Skelettstrukturen. Die Rutschphase ist beendet, wenn der Körperschwerpunkt zum Stillstand gekommen ist. Die Strecke zwischen dem Kollisionsort und der Endlage des Fußgängers in Fahrzeuglängsrichtung wird als Längswurfweite (swx) bezeichnet. Sie wird im Wesentlichen durch die Kollisionsgeschwindigkeit bestimmt. Ihr kommt daher in der Unfallrekonstruktion eine große Bedeutung bei der Bestimmung der Kollisionsgeschwindigkeit zu. Neuere Untersuchungen belegen einen zusätzlichen Einfluss der Fahrzeugfrontgeometrie auf die Längswurfweite (s. Abb. 2.6 sowie Bhalla 2002).
2.2 Die In-Crash-Phase
77
Abb. 2.6 Grafische Darstellung ermittelter Wurfweiten in der Simulation für drei Beispielfahrzeuge (s. auch Abb. 2.7 und 2.8 bzw. Tabelle 4.10) und von PMTO3Versuchen (Lenz et al. 1982) sowie Vergleich mit dem Wertekorridor aus der Unfallrekonstruktion (nach Dettinger 1997).
2.2.1 Der Einfluss der Fahrzeugfrontgeometrie Die Fahrzeugfront hat entscheidenden Einfluss auf den Ablauf eines Fußgänger-Fahrzeug-Unfalls und damit auf die Verletzungssituation des Fußgängers. Bereits in den Anfängen der Forschung zum Fußgängerunfall wurde ihr bedeutender Einfluss herausgestellt (Appel et al. 1978). Die Stoßstange, die Fronthaubenfläche und die Frontscheibe stellen die am häufigsten Verletzungen verursachenden Fahrzeugteile dar. Die Frontscheibe induziert dabei fast die Hälfte aller Kopfverletzungen (s. Abb. 1.41). Die heutige Fahrzeugpopulation auf deutschen Straßen wird zunehmend von einer Vielzahl verschiedenster Fahrzeugkonzepte geprägt, die unterschiedliche Fahrzeugfrontgeometrien aufweisen. Die Kinematik des Fußgängers wird primär durch die Form und die globale Steifigkeit4 der Fahr-
3
4
PMTO – Post Mortales Test Objekt; Bezeichnung für Leichen als Versuchsgegenstand bei Crashtests. globale Steifigkeit - beinhaltet die „durchschnittlichen“ Steifigkeitseigenschaften einer Fahrzeugregion, ohne lokale Besonderheiten im Detail zu berücksichtigen.
78
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
zeugfront beeinflusst. Lokale Steifigkeiten5 sind für die Kinematik nur von sekundärer Bedeutung. Sie beeinflussen dagegen entscheidend die Verletzungsschwere des Fußgängers. (BASt 2001; Kühn et al. 2003). In der Abb. 2.7 und der Abb. 2.8 wird mit Hilfe der numerischen Simulation beispielhaft der Einfluss der Fahrzeugfrontform auf die Lage des Kopfaufschlagpunktes bei drei verschiedenen Kollisionsgeschwindigkeiten für vier verschiedene Fußgängerpercentile dargestellt (Kühn 2004). Die Abhängigkeit der Kinematik von der Fahrzeugfrontform, der Kollisionsgeschwindigkeit und des Fußgängerpercentils lässt sich am Beispiel der Aufwurfweite deutlich ablesen. Gleiches gilt für andere Parameter zur Beschreibung der Fußgängerkinematik, wie die Kopfaufprallgeschwindigkeit, den Kopfaufprallwinkel und die Zeit bis zum Kopfanprall (Kühn 2004).
Abb. 2.7 Darstellung der Seitenansichten der analysierten Frontgeometrien der Beispielfahrzeuge (nicht maßstäblich).
5
lokale Steifigkeit - detaillierte Steifigkeitsbeschreibung eines Fahrzeugbereichs mit all seinen lokalen Besonderheiten.
2.2 Die In-Crash-Phase
79
Abb. 2.8 Darstellung der Kopfaufprallpunkte für drei Kollisionsgeschwindigkeiten (30, 40 und 50 km/h) für alle fünf Fahrzeugmodelle. Es bilden sich vier Punktwolken (vier Fußgängergrößen) mit je drei Punkten (drei Kollisionsgeschwindigkeiten) auf der Fahrzeugfront. Zur Orientierung sind die Abwickellängen bei 1 m, 1,5 m und 2,1 m durch unterschiedliche Grauwerte markiert.
80
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
2.2.2 Kategorisierung der Fahrzeugfronten Es gibt zwei Möglichkeiten, den Einfluss der Fahrzeugform auf den Fußgänger-Fahrzeug-Unfall zu untersuchen. Zum einen können Unfalldaten benutzt werden. Zum anderen können mit Hilfe der rechnerischen Simulation Modelle des Fahrzeuges und des Fußgängers erstellt werden, die wiederum den Einfluss der Fahrzeugkontur beschreiben helfen. In beiden Fällen muss die Vielzahl der Fahrzeugformen sinnvoll vereinfacht und zusammengefasst werden. Bisherige Kategorisierungen von Fahrzeugen beschreiben überwiegend die Form des Gesamtfahrzeugs (Bosch 1995). Diese Einteilung ist für die speziellen Betrachtungen des Fußgängerunfalls allerdings nicht zielführend. Erste Ansätze, diesen Mangel zu beseitigen, lassen sich schon in den Anfängen der Fußgängerunfallforschung finden (s. Abb. 2.9, Bez et al. 1979).
Abb. 2.9 Frontformkategorisierung nach Bez (Bez et al. 1979).
Dabei wird die Fahrzeugfront in drei Grundformen unterschieden und anhand der drei geometrischen Parameter Rückversatz der Haubenvorderkante (l), Radius der Haubenvorderkante (r) und Neigung der Front (a) beschrieben. Diese Unterteilung wird u.a. aufgrund der geringen Anzahl an Geometrieparametern der heutigen, deutlich veränderten Fahrzeugpopulation nicht mehr gerecht. Eine Einteilung anhand der Frontform benutzt auch die DEKRA (Berg et al. 1997). Diese Einteilung wurde auf Basis der DIN 75204 erstellt und wie folgt erweitert:
2.2 Die In-Crash-Phase
81
Tabelle 2.2 Parameter der Fahrzeugkategorien der DEKRA (nach Berg et al., 1997). Keilform
Trapezform
Pontonform Kastenform
Höhe Haubenvorderkante d 0,7 m, Haubenneigung d 20° 1 mit flacher Haube Neigungswinkel Front d 70°, Neigungswinkel Haube d 20° 2 mit steiler Haube Neigungswinkel Front d 70°, Neigungswinkel Haube > 20°, 3 mit ellipsenförmigem Bug (R > 0,25 m) Neigungswinkel Front > 70° gerade Stoßfläche bei Bus oder Lkw
Allerdings wird auch hier deutlich, dass diese Grundeinteilung (Keil-, Trapez-, Ponton- und Kastenform) überholt ist, da viele moderne Fahrzeuge keine ausgeprägten Haubenvorderkanten mehr aufweisen. Eigene statistische Analysen haben z. B. gezeigt, dass sich unter den untersuchten Fahrzeugen keines der Pontonform entsprechend der DEKRA-Einteilung zuordnen lässt. Alle untersuchten Fahrzeuge weisen hier einen Frontwinkel von 20° 185° 1900 mm 3x2x3x5
3 2 3
5 90
Die Zuordnung ergab, dass lediglich 16 von 90 Kategorien durch vermessene Fahrzeuge besetzt sind. Hierbei fallen vier größere Gruppen auf. Es handelt sich um die Geländefahrzeuge (u.a. Mercedes M-Klasse), die Sportwagen (u.a. Porsche 993), die Vans (u.a. VW Sharan) und die „normalen“ Fahrzeuge von klein (u.a. Opel Corsa) bis groß (u.a. BMW 7er). Für weiterführende Zwecke wurden die Kategorien zu Klassen zusammengefasst (s. Abb. 2.13) und repräsentative Klassenbezeichnungen definiert. Es ist allerdings zu beachten, dass die frei gewählten Namen zum besseren Verständnis ein ganzes Fahrzeugkonzept beschreiben und nicht zwangsläufig nur die Geometrie der Fahrzeugfront spezifizieren. Das Vorgehen erschien hier aber sinnvoll, da in den meisten Fällen durch das Fahrzeugkonzept auch eine entsprechend geformte Fahrzeugfront festgelegt wird. Aufbauend auf den abgeleiteten Fahrzeugklassen kann nun der Einfluss der Fahrzeugfront mit Hilfe der numerischen Simulation dargestellt werden. In den folgenden Abbildungen 2.14, 2.15 und 2.16 sind für die drei Kollisionsgeschwindigkeiten 30, 40 und 50 km/h die Anprallregionen verschiedener Körperteile für Erwachsene und Kinder dargestellt.
86
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
Abb. 2.13 Darstellung der neun Fahrzeugklassen mit den beschreibenden Geometrieparametern (Kühn 2004).
2.2 Die In-Crash-Phase
87
Abb. 2.14 Darstellung der Anprallregionen für erwachsene Fußgänger (Gruppe von der 5 % Frau bis zum 95 % Mann) an der Fahrzeugfront unterteilt nach Körperregionen.
88
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
Abb. 2.15 Darstellung der Anprallregionen für ein 6-jähriges Kind an der Fahrzeugfront unterteilt nach Körperregionen.
2.2 Die In-Crash-Phase
89
Abb. 2.16 Vergleich der Kopfanprallregionen an der Fahrzeugfront für ein 6jähriges Kind und die Gruppe der Erwachsenen.
90
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
Die Anprallregionen der Erwachsenen und Kinder ergeben sich dabei aus der Vereinigungsmenge der ermittelten Anprallpunkte für die drei Kollisionsgeschwindigkeiten. Bei den Erwachsenen wird die Vereinigungsmenge der Anprallpunkte zusätzlich durch die Größenbereiche der 5% Frau und des 50%–95% Mannes bestimmt. Man erkennt deutlich, dass die Anprallregion für den Kopf über die gesamte Fahrzeugfront inklusive der Windschutzscheibe und teilweise des vorderen Dachbereichs verteilt ist. Andere Arbeiten zeigen, dass Änderungen an der Frontgeometrie des Fahrzeuges zur Verbesserung des Fußgängerschutzes bei vertretbarem Aufwand nur bis ca. 45 km/h Nutzen zeigen (Schlumpf 1985). Der Einfluss der Fahrzeugfront wird ab dieser Geschwindigkeit geringer, da die dem Fußgänger aufgeprägte Energie sehr groß wird und die Belastungen des Fußgängers stark ansteigen. Damit steigt auch das Risiko für den Fußgänger tödliche Verletzungen zu erleiden. Ergebnisse numerischer Simulationen deuten darauf hin, dass auch beim Sekundäranprall fahrzeugspezifische Besonderheiten bestehen. Die unterschiedliche Frontgeometrie führt je nach Fußgängergröße, Kollisionsgeschwindigkeit und Fahrzeugform zu einer unterschiedlich ausgeprägten Drehbewegung des Fußgängers. Bei der numerischen Analyse des Sekundäranpralls wurde der im Uhrzeigersinn codierte Anprallwinkel des Fußgängers auf die Straßenoberfläche ermittelt (s. Tabelle. 2.4). Werte zwischen 10 Uhr und 2 Uhr bedeuten ein hohes Risiko für einen Anprall des Kopfes auf die Straße (s. Abb. 2.17). Bei Kollisionsgeschwindigkeiten ab 40 km/h führt der Fußgänger aufgrund der längeren Flugphase die Rotation länger fort und das Risiko für einen Kopfanprall auf die Straße erhöht sich.
Abb. 2.17 Einteilung des Aufprallwinkels im Uhrsystem.
2.2 Die In-Crash-Phase
91
Tabelle 2.4 Anprallwinkel des Fußgängers beim Sekundäranprall im Uhrsystem (s. Abb. 2.17).
92
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
2.3 Die Post-Crash-Phase Die Überlebens- und Rehabilitationschancen von Unfallopfern werden entscheidend durch das Rettungssystem beeinflusst. Die am Rettungswesen beteiligten Personen und Einrichtungen müssen bestmöglich mit Informationen versorgt werden, um effektiv handeln zu können. Kurze Alarm- und Ausrückzeiten helfen, den verunfallten Fußgänger noch in der so genannten „Golden Hour7“ medizinisch zu versorgen. Wenn der verunfallte Fußgänger diesen Zeitraum überlebt und medizinisch behandelt wird, ist ein Überleben des Unfalls wahrscheinlich. Weltweit ist das medizinische Rettungswesen sehr unterschiedlich organisiert. Generell werden zwei unterschiedliche Einsatzstrategien unterschieden (s. Tabelle. 2.5). Beide Strategien haben ihre spezifischen Vorund Nachteile und müssen auf vielfältige landesspezifische Gegebenheiten Rücksicht nehmen (Sefrin 2004). Tabelle 2.5 Die beiden grundlegenden Einsatzstrategien des medizinischen Rettungswesens im Vergleich (Sefrin 1998). „scoop and run“ Patient wird für einen Transport stabilisiert und schnellstmöglich ohne Vor-Ort-Notfallmaßnahmen in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht, Vor-Ort-Versorgung nur bei polytraumatisierten Patienten bevorzugte Einsatzstrategie im englischsprachigen Raum und in Japan
“stay and play” Patient wird bereits am Unfallort notfallmedizinisch behandelt und danach in ein Krankenhaus gebracht. bevorzugte Einsatzstrategie in Europa
In Deutschland existiert ein sehr engmaschiges Netz von ca. 330 Rettungszentren um eine adäquate notfallmedizinische Behandlung sicherzustellen. Dennoch bildet die intensivmedizinische Behandlung nur das letzte Glied in der so genannten Rettungskette (s. Abb. 2.18). Sie beginnt in Deutschland gemäß der „stay and play“-Strategie im Idealfall mit den medizinischen Sofortmassnahmen durch Ersthelfer, danach oder parallel erfolgt der Notruf durch weitere Verkehrsteilnehmer. Zeitgleich zum Anrücken des Rettungsdienstes wird der verunfallte Fußgänger weiter mit Erste-Hilfe-Maßnahmen versorgt. Mit dem Eintreffen des Rettungsdienstes
7
Golden Hour – Schlagwort für den Zeitraum bis 60 min nach einem Unfall. Erfolgt in diesem Zeitraum eine intensivmedizinische Behandlung im Krankenhaus, ist ein Überleben des Unfallopfers sehr wahrscheinlich.
2.3 Die Post-Crash-Phase
93
erfolgt die professionelle medizinische Behandlung und die Überführung in die intensivmedizinische Behandlung im Krankenhaus.
Abb. 2.18 Bestandteile der medizinischen Rettungskette.
Die Effizienz der Rettungskette hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Zahl der getöteten Fußgänger in Deutschland. Insbesondere die Reduktion der Getötetenzahlen vor der Einführung spezifischer fahrzeugseitiger Maßnahmen zum Fußgängerschutz wird zu einem Großteil der Verbesserung des Rettungswesens zugeschrieben (Glaeser 1998). Untersuchungen der Deutschen Versicherer haben gezeigt, dass in 93 % der untersuchten Fälle der verletzte Fußgänger innerhalb von 10 Minuten nach dem Unfall gerettet wurde, d.h. die Erstversorgung durch Dritte begann. In 46 % aller untersuchten Fälle wurde die medizinische Versorgung am Unfallort durch den Notarzt vorgenommen, in 35 % der Fälle durch einen Sanitäter. Der Verletztentransport erfolgte in 77 % der Fälle mit einem Rettungstransportwagen (RTW) oder einem Notarztwagen (NAW). Das private Kraftfahrzeug (12 %), der Krankentransportwagen (6 %) und der Rettungshubschrauber spielen nur eine untergeordnete Rolle. Aktuelle Untersuchungen zeigen (Unfallverhütungsbericht 2006), dass die Hilfsfrist8 für die Jahre 2004 und 2005 im Bundesdurchschnitt für Verkehrsunfälle bei 8,3 Minuten liegt. 95 % aller Notfallereignisse sind nach 17,1 Minute bedient. Es gibt deutliche Unterschiede in der Hilfsfrist bei Verkehrsunfällen, die sich außerorts oder innerorts ereignen. Außerorts beträgt die durchschnittliche Hilfsfrist 10,3 Minuten. Innerorts beträgt sie 7,6 Minuten. Ereignet sich ein Verkehrsunfall zwischen 6 Uhr morgens und 22 Uhr dauert es im Schnitt 8,4 Minuten bis Hilfe eintrifft. Während der Nachtstunden (22 Uhr bis 6 Uhr) dauert es dagegen im Schnitt mit 9,6 Mi8
Hilfsfrist – Zeitspanne, die mit Beendigung des Meldegesprächs beginnt und mit dem Zeitpunkt des Eintreffens des ersten Rettungsmittels am Einsatzort endet.
94
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
nuten länger bis Hilfe vor Ort eintrifft. Wird ein Notarzt zur Unfallstelle gerufen, beträgt die durchschnittliche Hilfsfrist 11,8 Minuten. In 95 % der Fälle ist der Notarzt spätestens nach 25,8 Minuten vor Ort. Allgemein zeigen diese Werte eine leichte Verschlechterung im Vergleich zu den Jahren 2000 und 2001. Andere Untersuchungen zeigen, dass in städtischen Gebieten fast immer Eintreffzeiten von unter 15 min erreicht werden, während in ländlichen Gebieten die Eintreffzeiten des Notarztes geringfügig höher liegen (s. Abb. 2.19, Schmiedel 2002). Insbesondere in Flächenländern (z. B. USA) stellen die größeren Entfernungen zur Rettung von Unfallopfern zusätzliche Anforderungen an das Rettungswesen. Insbesondere hier können Systeme zur automatischen Notrufgenerierung und Verletzungsschwereschätzung den Einsatzkräften Unterstützung bieten (Issing et. al. 2005). Im Rahmen der eCall-Initiative9 soll die Einführung von automatischen Notrufsystemen in Europa gefördert und initiiert werden.
Abb. 2.19 Verteilung der Eintreffzeit des Notarztes in der Bundesrepublik Deutschland (nach Schmiedel 2002).
9
eCall - “Pan-European automatic emergency call system”. fahrzeugseitiges System zur manuellen oder automatischen Übermittlung von Unfallinformationen an die zuständigen Notfalldienste, http://www.escope.info/en/ecall_toolbox/.
Literatur
95
Literatur Appel H, Rau H, Kühnel A, Hofmann J (1978) Biomechanik des Fußgängerunfalls. Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) Schriftenreihe Nr. 7, Frankfurt/Main, 1978. Ashton SJ, Mackay GM (1979) Car Design for Pedestrian Injury Minimisation. 7. ESV-Konferenz, Tagungsband, 1979. BASt (2001) Optimierte Fahrzeugfront hinsichtlich des Fußgängerschutzes. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft F 38, Juli 2001. Berg FA, Dettinger J, Grandel J (1997) Personenkraftwagen-Fußgänger-Unfälle – Erkenntnisse aus Untersuchungen und Crash-Tests mit besonderer Berücksichtigung moderner Kompaktfahrzeuge. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, 9 und 10/1997, 247-286. Bez U, Hoefs R, Stahl HW (1979) The V-Shaped Vehicle Front – Its Influence on Injury Severity in Pedestrian Accidents and Side Collisions. 7. ESVKonferenz, Paris, 1979. Bhalla K, Montazemi P, Crandall J, Yang J, Liu X, Dokko Y, Takahashi Y, Kikuchi Y, Longhitano D (2002) Vehicle impact velocity prediction from pedestrian throw distance: Trade-offs between throw formulae, crash simulators, and detailed multi-body modeling. IRCOBI Conference on the Biomechanics of Impacts. Bosch (1995) Kraftfahrtechnisches Taschenbuch. 22. Auflage. Düsseldorf: VDIVerlag, 1995. Dettinger J (1997) Beitrag zur Verfeinerung der Rekonstruktion von Fußgängerunfällen – Abwicklungsdifferenz, Anstoßfaktor, Längswurfweiten von Fußgängern, Lage von Glassplittern. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, 12/1996 und 1/1997, 324-330; 25-30. Glaeser KP (1998) Der Anprall des Kopfes an die Fronthaube von Pkw beim Fußgängerunfall, Forschungsberichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, 1998. Issing,M., Pfeiffer, S., Nguyen-Dobinsky, T., Schindler, V. (2005) Automatische Prognose der Verletzungsschwere zu Optimierung der Dispositionsentscheidung des Rettungsdienstes. VDI-Berichte, 1911, VDI Verlag GmbH, Düsseldorf, 2005. Karnahl T (1996) Untersuchung von Pkw-Fußgänger-Kollisionen bei hoher Geschwindigkeit mit Anstößen von vorn und hinten gegen den Fußgänger, Studienarbeit an der TU Berlin, 1996. Kühn M (2004) Weiterentwicklung von Komponententests, Dissertation, VDIVerlag, TU Berlin, 2004. Kühn M, Kampa A, Schindler V (2005) Die Blickbewegungsanalyse als alternatives Werkzeug im Bereich der Fahrzeugsicherheit, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik Heft 10, Vieweg-Verlag, Wiesbaden 2005. Kühn M, Fröming R, Schindler V (2003) A Development Tool for Improved RealLife Pedestrian Safety. 9. EAEC-Konferenz, Tagungsband, Paris, 2003.
96
2 Mechanismen des Fußgängerunfalls
Kühnel A (1980) Der Fahrzeug-Fußgänger-Unfall und seine Rekonstruktion. Dissertation, TU Berlin, Berlin, 1980. Lenz KH, Appel H, Cesari D, Tarriere C (1982) Joint Biomechanical Research Project - KOB, Forschungsbericht, BASt, 1982. Mizuno Y, Ishikawa H (2001) Summary of IHRA Pedestrian Safety WG Activities – Proposed Test Method to Evaluate Pedestrian Protection Afforded by Passenger Cars. 17. ESV-Konferenz, Tagungsband, 2001. Muser MH, Walz FH (2001) Bewegungsablauf und biomechanische Aspekte beim Pkw-Fußgänger-Unfall. Tagungsband: Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw, Haus der Technik e.V., München, 2001. Otte D, Pohlemann (2001) Analysis and Load Assessment of Secondary Impact to Adult Pedestrians after Car Collisions on Roads. IRCOBI-Konferenz, Tagungsband, 2001. Schlumpf M (1985) Einfluss von Kollisionsgeschwindigkeit und Fahrzeugfront auf Ablauf und Schweregrad von Fahrzeug-Fußgänger-Kollisionen. Dissertation, ETH Zürich, 1985. Schmiedel R (2002) Optimierung von Rettungsdiensteinsätzen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 140, Wirtschaftsverlag N. W. Verlag für neue Wissenschaft GmbH, 2002. Schulz A (2006) Untersuchung der Reaktionszeiten beim Fußgängerunfall unter Berücksichtigung verschiedener Reaktionstypen. Studienarbeit TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, 2005. Sefrin P (2004) „Scoop and Run“ or „Stay and Play“; The Internet Journal of Rescue and Disaster Medicine; 1998, Volume 1, Number 1; http://www.ishub.com; Download Februar 2004. Unfallverhütungsbericht (2006) Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfallverhütung im Straßenverkehr 2004 und 2005, Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/2100.
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Die Sicherheit von Fußgängern im Straßenverkehr wird durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Teilaspekten bestimmt. Um die anspruchsvollen Ziele zur Senkung der Opferzahlen zu erreichen, müssen sie alle betrachtet werden. In der Vergangenheit wurden bereits durch Infrastrukturmaßnahmen und Verkehrserziehungsmaßnahmen große Erfolge für die Fußgängersicherheit erreicht. Die Verkehrssicherheitsmaßnahmen lassen sich in die drei klassische Felder („Three E’s“) unterteilen: x Engineering: x Education: x Enforcement:
Beseitigung von Gefahrenstellen und Stellen mit Unfallhäufungen, sowie fahrzeugseitige Maßnahmen Verkehrsaufklärung und -erziehung Verkehrsüberwachung
Mit Einführung von gesetzgeberischen Maßnahmen zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz rückten auch die fahrzeugtechnischen Aspekte der Fußgängersicherheit stärker in den Vordergrund. Im Folgenden soll durch die Vorstellung der Maßnahmen aller drei Felder die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes zum Fußgängerschutz hervorgehoben werden.
3.1 Infrastrukturmaßnahmen Für den Bereich der Straße erarbeitet die Forschungsgesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen (FGSV) Empfehlungen und Regelwerke für die Gestaltung von Verkehrsanlagen in Deutschland. Ihr Hauptziel ist es, die technischen Erkenntnisse im gesamten Strassen- und Verkehrswesen weiterzuentwickeln. So befasst sich auch eine Empfehlung mit den Anforderungen des Fußgängerverkehrs an die Planung von Verkehrsanlagen (EFA 2002). Im Fußgängerlängsverkehr ist aufgrund nahezu vollkommen fehlender physischer Kompatibilität eine weitgehende Trennung vom Fahrverkehr sinnvoll. Allgemein lässt sich sagen, dass in beidseitig ausgebauten Straßen Maßnahmen getroffen werden sollten, die den grundsätzlich entlang der gesamten Straße zu erwartenden, linienhaften Querungsbedarf der
98
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Fußgänger unterstützen. Eine Bündelung des Querungsbedarfs (z. B.: Fußgängerüberwege, Fußgängerlichtsignalanlagen (LSA)) sollte aus Akzeptanzgründen erst auf vom Kfz-Verkehr hoch belasteten Straßen geschehen. Der Fußgängerverkehr ist sehr umwegeempfindlich. Die Anlagen sollten daher netzschlüssig sein und auf Straßen mit geringer Trennwirkung geführt werden. Sie sollten außerdem umwegefrei in einer Ebene umgesetzt werden. Allgemein gilt, dass alle Widerstände in Form von Hindernissen auf dem Gehweg und insbesondere in Form von Wartezeiten an LSA so gering wie möglich gehalten werden sollten. Dabei sind Unterund Überführungen möglichst zu vermeiden, um u.a. dem Sicherheitsempfinden der Menschen entgegen zu kommen. Aus Sicht einer optimalen Verkehrssicherheit stellen die Über- und Unterführungen allerdings die wirksamste Möglichkeit zur Trennung von Fußgängern und Fahrzeugen dar (EFA 2002). Eine isolierte Betrachtung des Fußgängerverkehrs bei der Planung ist nicht sinnvoll. Es müssen alle Verkehrsarten mit einbezogen und die Wechselwirkungen der spezifischen Maßnahmen geprüft werden. Da sich Unfälle zwischen Fußgänger und Pkw überwiegend beim Queren der Fahrbahn ereignen, schlägt die EFA drei Klassen von Maßnahmen vor, die einzeln oder auch kombiniert angewendet werden können (EFA 2002): 1. Bauliche Maßnahmen (s. Abb. 3.1 bis 3.5) x Veränderung der Fahrbahnbreite (Verengung der Fahrbahnen im Bereich der Querungen, Verschmälerung der Fahrstreifen, Rücknahme der Fahrstreifenanzahl)
Abb. 3.1 Verengung der Fahrbahn im Bereich der Querung (links). Vorziehen der Seitenräume und Vorziehen der Seitenräume im Bereich der Querungsstelle (rechts).
3.1 Infrastrukturmaßnahmen
99
x Fahrbahnteiler (Mittelstreifen/Mittelinsel)
Abb. 3.2 Durchgehender Mittelstreifen bei linienhafter Fußgängerquerung (links) und Mittelinsel bei vornehmlich gebündeltem Queren (rechts).
x Teilaufpflasterungen auf der Strecke, Plateaupflasterungen
Abb. 3.3 Teilaufpflasterungen in Asphalt mit S-förmigen Rampensteinen (links) und Plateaupflasterung mit Rampensteinen (rechts).
x Gehwegüberfahrt an Anschlussknoten
Abb. 3.4 Gehwegüberfahrt an Anschlussknoten (links). Nicht abgerückte Querungsanlagen an Knotenpunkten (rechts).
100
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
x Seitenstreifen vor Parkplätzen neben der Fahrbahn
Abb. 3.5 Seitenstreifen vor Parkplätzen neben der Fahrbahn zum Schutz der Fußgänger beim Queren.
2. Betriebliche Maßnahmen x Fußgängerüberwege (§ 26 StVO, s. Abb. 3.6 links) x LSA-Regelung (§ 37 StVO, s. Abb. 3.6 rechts)
Abb. 3.6 Fußgängerüberweg kombiniert mit einer Mittelinsel als sichere Querungsstelle für Fußgänger (links) und LSA-Regelung zur sicheren Querung von Fußgängern (rechts).
3. Zusätzliche Maßnahmen x Geschwindigkeitsüberwachung (s. Abb. 3.7 links) x Erhöhung der Aufmerksamkeit vor und im Bereich der Querungsstelle (s. Abb. 3.7 rechts)
3.1 Infrastrukturmaßnahmen
101
Abb. 3.7 Stationäre Geschwindigkeitsüberwachung im Haltestellenbereich (links) und Erhöhung der Aufmerksamkeit des Fahrzeugführers durch Verkehrszeichen auf der Fahrbahn und am Fahrbahnrand (rechts).
Allerdings ist zu beachten, dass selbst bei vorschriftsmäßiger Umsetzung eine Maßnahme nicht immer geeignet ist. Der Einsatz von Fußgängerüberwegen kann zum Beispiel die Gefahr für Fußgänger beim Queren erhöhen, wenn er auf Strecken angewendet wird, wo zu schnell gefahren oder überholt wird. Für Fußgänger haben Straßen eine trennende Wirkung. Gerade entlang der Hauptverkehrsachsen von Städten konzentriert sich das städtische Leben in besonderer Weise. Hier sind Dienstleistungsbetriebe, Geschäfte und Infrastruktureinrichtungen für gewöhnlich beidseitig der Straßen angesiedelt. Der Fußgänger empfindet hier die trennende Wirkung der Straße als besonders ungünstig, zumal er für gewöhnlich mehrere Erledigungen in einem Gang durchführt. Die linienhafte Verteilung von Fußgängerquerungen in Straßen mit besonderer Verkehrslast, birgt besonders hohe Risiken für den Fußgänger in sich (Maier 1984). Die trennende Wirkung einer Straße wird mittels der Zeitverluste (Wartezeiten) bei der Querung für den Fußgänger beschrieben. Es ist entscheidend für eine Analyse der Problematik und für das Auffinden von Gegenmaßnahmen, die Straßen zu kategorisieren: Anliegerstraßen (Erschließungsstraßen, Wohnstraßen) dienen ausschließlich der Erschließung der an ihr liegenden Wohnbebauung. Sie werden für den Durchgangsverkehr nicht benötigt. Verkehrsstraßen (Verbindungsstraßen) dagegen dienen dem örtlichen oder überörtlichen Durchgangsverkehr und sind Bestandteil der gesamtstädtischen Verkehrsplanung. Es hat sich gezeigt, dass die beiden Straßentypen ein unterschiedliches Querungsverhalten von Fußgängern zur Folge haben (Maier 1984). So werden Anliegerstraßen spontan, d.h. zufällig, an beliebiger Stelle und oft schräg überquert. Verkehrsstraßen dagegen werden überwiegend geplant
102
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
überquert: Wenn eine ausreichende Lücke zwischen zwei Fahrzeugen wahrgenommen wird, geschieht das Queren zielstrebig und auf dem kürzesten Weg. Untersuchungen ergaben, dass das Risiko für einen Fußgänger bei der Überquerung von Anliegerstraßen ca. zehn Mal geringer ist als beim Queren einer Verkehrsstraße (Maier 1984). Bei Verkehrstraßen führt eine große Straßenbreite zu erhöhter Unfallschwere und Unfalldichte. Mangelhafter Sichtkontakt zwischen Fahrzeugführer und Fußgänger spielt eine große Rolle beim Entstehen von Fußgängerunfällen. Kinder sind hier besonders häufig auf Anliegerstraßen in Unfälle mit Pkw verwickelt. Für den Fußgänger ist die Gefahr der Straßenquerung an Knotenpunkten ca. zwei Drittel geringer als an Streckenabschnitten von Straßen (Maier 1984). Die Wartezeiten, die das Verhalten von Fußgängern bei der Querung von Straßen beschreiben, variieren zwischen den beiden Straßentypen. An Verkehrsstraßen warten 50 % der beobachteten Fußgänger nur bis zu 4 s und queren dann die Straße (Maier 1986). An Anliegerstraßen werden dagegen keine Wartezeiten beobachtet. Basierend auf Untersuchungen konnten Maßnahmen abgeleitet werden, die der Erhöhung der Sicherheit des Fußgängers im Straßenverkehr dienen (Maier 1984). So ist es auf Verkehrsstraßen sinnvoll, viele Fußgänger an Knotenpunkten zu bündeln und sie mittels Lichtsignalanlage (LSA) bei der Querung zu schützen. Weiterhin können hier folgende Maßnahmen greifen (Maier 1984): x Reduzierung der zu überquerenden Straßenbreite durch Einengungen oder Mittelinseln x Verringerung der zu beachtenden Verkehrsströme durch z. B. Mittelinseln x Verminderung der Kraftfahrzeugverkehrsstärke x Verringerung der Geschwindigkeit der Kraftfahrzeuge Auf Anliegerstraßen sollten zur Erhöhung der Sicherheit des Fußgängers folgende Maßnahmen ergriffen werden (Maier 1984): x Die Kraftfahrzeugstärke auf das unbedingt notwendige Maß reduzieren x Den Sichtkontakt zwischen Fußgänger und Kraftfahrzeugführer sicherstellen, z. B. durch Ordnung des ruhenden Verkehrs, Vermeidung von Sichtbehinderungen an Knotenpunkten (s. Abb. 3.8) x Verringerung der Geschwindigkeit der Kraftfahrzeuge
3.1 Infrastrukturmaßnahmen
103
Abb. 3.8 Sichtbehinderung durch Fahrbahnparken (links) und Freihalten des Sichtfeldes durch Pfosten als Abhilfemaßnahme (rechts).
Alle Einzelmaßnahmen lassen sich verschiedenen grundlegenden Strategien zuordnen (Maier 1984): x Verringerung der Anzahl von Fußgängerquerungen (z. B. Absperrgitter) x Verringerung der Gefährdung für Fußgänger beim Überqueren der Fahrbahn durch Bündelung des Querungsbedarfs x Verminderung der Unfallschwere durch Reduzierung der Fahrzeuggeschwindigkeit Insbesondere der Verringerung der Geschwindigkeit der Fahrzeuge in besonders sensiblen Bereichen mit vielen Fußgängerquerungen kommt große Bedeutung zu. Nach bisherigen Erfahrungen ist davon auszugehen, dass die Fußgänger bei der Planung des Überquerungsvorgangs die Fahrzeuggeschwindigkeit und die Entfernung von Fahrzeugen häufig falsch einschätzen und berücksichtigen (Maier 1986; Unger 2004, 2005). Speziell in Erschließungsstraßen (Wohnstraßen), wo die Querung der Fußgänger eher ungeplant und zufällig erfolgt, ist eine der erfolgversprechendsten Maßnahmen, die Geschwindigkeit der Fahrzeuge zu reduzieren und vor allem Durchgangsverkehr zu vermeiden. Eine Analyse hat gezeigt, dass die Verkehrsgefahren für Kinder in Wohngebieten mit Erschließungsstraßen um bis zu 80 % reduziert werden konnten, wenn Durchgangsverkehr vermieden und der Autoverkehr am Gebietsrand gesammelt wird (Pfund et al. 1975). Die bloße Einrichtung von Mischflächen (Zeichen 325 StVO „Verkehrsberuhigter Bereich“) führt im Allgemeinen nicht zur Einhaltung der Schrittgeschwindigkeit, die als Voraussetzung für das Miteinander von
104
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Fahrzeugen, Fußgängern und Radfahrern in Wohngebieten angesehen wird. Mischflächen zeichnen sich dadurch aus, dass alle Flächen allen Verkehrsteilnehmern gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden. Fußgänger und Kinder erhalten auf ihnen den Vorrang vor Kraftfahrzeugen (Meewes 1989). Es zeigte sich überdies, dass sich die Maßnahmen zur Umgestaltung des Verkehrsraumes mittels Baumtoren, Verschmälerung der Fahrbahnen oder optische und bauliche Einengung nicht zu einer Geschwindigkeitsreduktion der Fahrzeuge außerhalb von Mischflächen eignen. Die Einführung von Geschwindigkeitsbeschränkungen für einen größeren Bereich („Zonen-Geschwindigkeits-Beschränkung“) hat sich auch nur bedingt zur Durchsetzung angemessener Geschwindigkeiten bewährt. Es ließ sich in Versuchen nicht erreichen, dass die 85 %-Geschwindigkeit1 auf die geforderte Geschwindigkeitsbeschränkung zurückgeht (Meewes 1989). Versuche haben gezeigt, dass eine Beschilderung allein nicht zu der gewünschten Geschwindigkeitsreduktion führt. Vielmehr bewirken erst zusätzliche gezielte bauliche Veränderungen im Streckenbereich den gewünschten Effekt. So eignen sich Fahrgassenversätze2, Teilaufpflasterungen und Plateaupflasterungen sehr gut, um in Erschließungsstraßen geringere Geschwindigkeiten zu erzwingen (s. Abb. 3.9).
Abb. 3.9 Linksversatz einer Fahrgasse in Kombination mit Aufpflasterungen am Knotenpunkt.
Entscheidend für die Wirksamkeit der Aufpflasterungsmaßnahmen ist allerdings der richtige Abstand zwischen den baulichen Maßnahmen. Um 85% Geschwindigkeit (V85) – Geschwindigkeit, die von 85 % der Fahrzeugfahrer eingehalten wird. 15% der Fahrzeugfahrer überschreiten sie. 2 Fahrgassenversatz - Fahrgassentiefe größer als die Fahrgassenbreite. 1
3.2 Verkehrserziehung
105
aus Gründen der Geräusch- und Schadstoffemission ein möglichst gleichmäßiges Fahrverhalten in Erschließungsstraßen zu erreichen, sollte ihr Abstand nicht größer als 50 m sein. Dadurch kann eine Überlagerung der Wirkbereiche der jeweiligen Einzelmaßnahme erreicht werden (Meewes 1989).
3.2 Verkehrserziehung Ein entscheidender Punkt für mehr Verkehrssicherheit ist das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer. Damit kommt der Erziehung und Aufklärung eine wesentliche Aufgabe zu. Hier ist besonders die Risikogruppe der Kinder hervorzuheben. Ziel der Verkehrsaufklärung ist die Behebung individueller Defizite im sicherheitsrelevanten Wissen und in den Einstellungen der Verkehrsteilnehmer (Funk u. Wiedemann 2002). Verkehrserziehung kann als die Gesamtheit aller Maßnahmen betrachtet werden, die das Verhalten des Menschen als Verkehrsteilnehmer direkt positiv beeinflussen. So sollen vor allem junge Verkehrsteilnehmer zu verantwortlichem Handeln im Straßenverkehr erzogen werden. Um den breiten Zugang zur Zielgruppe der Kinder herzustellen, bieten sich für verkehrserzieherische Maßnahmen besonders die Institutionen zur Kinderbetreuung (Kindergarten, Tagesmütter) und zur Bildung und Erziehung (Grundschule, Sekundarstufen) an. Darüber hinaus muss vor allem die Familie, als die kleinste und am direktesten wirksame soziale Einheit zur Vermittlung von Wissen und Handlungsweisen, ihre Verantwortung in diesem Zusammenhang übernehmen. Zahlreiche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass vor dem Hintergrund des natürlichen kindlichen Verhaltens und der vielfältigen Maßnahmen die Verkehrserziehung (Education) an ihre Grenzen stößt. Umso mehr muss das Augenmerk auf die bewusste Gestaltung einer kindgerechten Verkehrsumwelt gerichtet werden (Engineering, Funk u. Wiedemann 2002). Auf diesem Gebiet wird den Verkehrsplanern durch die Deutschen Versicherer eine Empfehlung zur Gestaltung von Schulwegen an die Hand gegeben (Empfehlung Nr. 14 2004). Ziel ist es, den Verkehrsplaner für die Belange der Schulwegsicherung zu sensibilisieren und ihn auf entsprechende gestalterische Maßnahmen hinzuweisen. Unter anderem werden folgende Empfehlungen gegeben: x Beschilderungen sind nur eine Sofortmaßnahme. x Langsame Fahrweise kann nur durch bauliche Maßnahmen erreicht werden.
106
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
x Sichtkontakt zwischen Kraftfahrern und Schulkindern erhöht die Sicherheit. x Mittelinseln und Lichtsignalanlagen erleichtern das sichere Überqueren der Fahrbahn. x Radwege helfen bei höherer Verkehrsbelastung. x Überwachung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erhöht die Verkehrssicherheit. Der Schulwegsicherung gebührt hohe Aufmerksamkeit (s. Abb. 3.10): Im Jahr 2002 wurden den öffentlichen Versicherungsträgern 62.221 Schulwegunfälle gemeldet. 47,7 % der Kinder verunglückten mit dem Fahrrad, 21,8 % der verunglückten Kinder waren Mitfahrer/innen im Auto, 9,3 % waren Fußgänger und 5,1 % benutzten den Schulbus (BUK 2003). Setzt man die Angaben des Statistischen Bundesamtes in Bezug zur Gesamtzahl der 6- bis 14-jährigen Kinder, so verunglückt jährlich ca. 1 % aller Kinder im Straßenverkehr.
Abb. 3.10 Straßenverkehrsunfälle auf dem Schulweg je 1.000 Versicherte (BUK 2003).
Neben den Verkehrssicherheitsmaterialien, die in Lehrplanform für Kindergärten und Schulen angeboten werden, sind auch Hilfsmittel notwen-
3.2 Verkehrserziehung
107
dig, die die Eltern bei der Vermittlung von verkehrssicherem Verhalten unterstützen. Die Deutschen Versicherer stellen ein Informationsheft speziell für Eltern zur Verfügung (Elternheft 2004). Hier werden Verhaltensgrundregeln für Kinder im Straßenverkehr dargelegt und deren praktische Umsetzung verständlich erklärt. Ein wichtiger Aspekt ist auch das richtige Verhalten der Kinder auf dem Weg zur Schule in all seinen Facetten (zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto, mit dem Bus, s. Abb. 3.11).
Abb. 3.11 Richtiges Verhalten auf dem Weg zur Schule zu Fuß, mit dem Rad, mit dem Auto und mit dem Bus.
In den Lehrplänen der Schulen hat die Verkehrserziehung im Grundschulalter einen festen Platz. Dagegen fehlen in den Sekundarstufen entsprechende Angebote. Gerade jugendliche Verkehrsteilnehmer bilden eine Risikogruppe im Straßenverkehr, die es für Verkehrssicherheitsfragen zu sensibilisieren gilt. Besonders ab dem 15. und 16. Lebensjahr, wenn viele Jugendliche vom Fahrrad auf das Mofa/Moped oder das Leichtkraftfahrzeug umsteigen, gelten sie als besonders gefährdet. Gleiches gilt noch einmal verstärkt ab dem 17. bzw. dem 18. Lebensjahr mit dem Erwerb des
108
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Pkw-Führerscheins. Untersuchungen haben gezeigt, dass gerade in den Sekundarstufen der Schulen für diese Risikogruppe Verbesserungsbedarf besteht (Weishaupt et al. 2004). Es zeigt sich u.a., dass Lehrer unmotiviert in Bezug auf Verkehrssicherheitsfragen sind, sich die Ausstattung der Schulen sich diesbezüglich nicht verbessert hat und der Kontakt zu außerschulischen Einrichtungen im Rahmen der Verkehrserziehung (Polizei, DVR, etc.) zu gering ist. So kommt eine Untersuchung zu dem Schluss, dass bei der Verkehrserziehung zwischen 1980 und 2002 in den Sekundarstufen I und II wenig Fortschritte erreicht worden sind (Weishaupt et al. 2004). Neben den Schulen kann auch die außerschulische Verkehrserziehung einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit leisten. So zeigt eine Untersuchung den positiven Effekt von solchen Maßnahmen zur Verkehrserziehung in verschiedenen Ländern Europas (Neumann-Opitz 1996). Dabei sollte beachtet werden, dass alle Maßnahmen, die eng zusammenhängen, gleiche Zielvorstellungen verfolgen müssen, um sich zu ergänzen und in ihrer Wirkung zu verstärken.
3.3 Verkehrsüberwachung Die Kollisionsgeschwindigkeit und damit auch die Fahrgeschwindigkeit ist eine der entscheidenden Größen bei einer Fußgänger-Fahrzeug-Kollision. Dementsprechend kann es zielführend sein, den Fahrzeugführer bei seiner Geschwindigkeitswahl zu unterstützen oder auch zu kontrollieren. Solche Systeme werden unter dem Begriff „Intelligent Speed Management (ISM)“ zusammengefasst. Unter ISM versteht man automatisch ablaufende Prozesse, die den Zusammenhang zwischen der vom Fahrer gewählten aktuellen Geschwindigkeit eines Fahrzeugs und der für den befahrenen Streckenabschnitt geeigneten Geschwindigkeit (z. B. zulässige Höchstgeschwindigkeit) überwachen und informieren oder warnen oder beraten/assistieren oder korrigieren/eingreifen, wenn dieser Zusammenhang gestört ist. Eine Systematisierung der möglichen ISM-Systeme kann anhand folgender Parameter erfolgen (Bauer u. Seeck 2004): x x x x
Art der Geschwindigkeitsbeschränkung, Art der Steuerung, Übersteuerbarkeit, Freiwilligkeit der Nutzung bezüglich Installation und Nutzung.
3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit
109
Dabei kann die Art der Geschwindigkeitsbeschränkung statisch, dynamisch oder variabel sein. Die Art der Einflussnahme kann informierend, warnend, beratend/assistierend oder korrigierend/eingreifend sein. Bei der Übersteuerbarkeit kann zwischen übersteuerbaren und nicht übersteuerbaren Systemen unterschieden werden. Bezüglich der Freiwilligkeit der Nutzung kann bei der Installation und bei der Nutzung selbst in freiwillig oder obligatorisch unterschieden werden. Eine andere Möglichkeit der Systematisierung von ISM-Systemen wäre: x Warnsystem (nur informativ, offenes System) x Abschaltbares, halb offenes System (z. B. haptisches Gaspedal, Fahrer bleibt in voller Fahrverantwortung) x Nicht übersteuerbares, geschlossenes System (Eingriff ins Motormanagement, ISA („Intelligent Speed Adaptation“), Fahrverantwortung geht teilweise auf das ISM-System über). ISM-Systeme wurden in verschiedenen europäischen Studien untersucht. Hierzu zählen das MASTER3-Projekt, die EVSC4-Projekte und das PROSPER5-Projekt, das seit Anfang 2002 u.a. die politische Durchsetzbarkeit von ISM-Systemen untersucht. Eine Erkenntnis der EVSC-Projekte war, dass erst mit intervenierenden Systemen eine Geschwindigkeitsreduzierung und somit eine Konfliktvermeidung erreicht werden kann. Darüber hinaus wurden Unfallvermeidungspotenziale zwischen 10 % und 60 % ermittelt. Untersuchungen der Deutschen Versicherer zeigen einen Rückgang der Unfälle mit schweren Folgen durch ISM von ca. 30 % bis 60 % im Bereich von Erschließungsstraßen und innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen sowie Landstraßen und Autobahnen (Meewes u. Köppel 2003). Diese Zunahme an Verkehrssicherheit kommt natürlich auch den ungeschützten Verkehrsteilnehmern zugute. Voraussetzung für einen Einsatz von ISMSystemen sind allerdings die zuverlässige Datenübertragung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ins Fahrzeug, die Klärung von Fahrerakzeptanzproblemen und Fahrerfehlreaktionen, sowie die endgültige Klärung noch offener rechtlicher Fragen.
MASTER - Managing Speeds of Traffic on European Roads (MASTER 1998). ESVC - External Vehicle Speed Control (Carsten u. Fowkes 2000). 5 PROSPER - Project for Research on Speed Adaptation Policies on European Roads. 3 4
110
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit Trotz aller Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsumfeldes und des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer besteht weiterhin ein Risiko für Fußgängerunfälle. Es stellt sich daher die Frage, wie weit dieses durch fahrzeugseitige Maßnahmen verringert werden kann. Fahrzeugseitige Schutzmaßnahmen für Fußgänger lassen sich grundsätzlich in unfallvermeidende und unfallfolgenmindernde Maßnahmen kategorisieren (s. Abb. 3.12). Unfallvermeidende, fahrzeugseitige Maßnahmen betreffen u.a. Felder der klassischen aktiven Sicherheit wie Sichtfeld (Gestaltung von A-Säulen und Scheibenbereichen, Straßenausleuchtung, Tagfahrlicht) sowie die Fahrerkonditionierung (Klimatisierung, Sitz- und Bedienkomfort, Ergonomie). Sie wirken sich recht unspezifisch auf alle Aspekte der Fahrzeugsicherheit aus. Auf diesen Gebieten wurden und werden im Rahmen der Komfortund Sicherheitsforschung große Fortschritte erzielt. Unfallvermeidend wirkende, vollautonome Fahrdynamikeingriffe sind dagegen nach derzeitiger Rechtsauffassung nicht realisierbar, da hier die Verantwortung vom Fahrer auf das Fahrzeug übergehen würde. Aus Gründen der Produkthaftung kann somit eine Vollbremsung oder ein Ausweichmanöver durch das System erst dann eingeleitet werden, wenn eine Kollision bereits unvermeidbar geworden ist. Untersuchungen zur Vermeidbarkeit von Fußgängerunfällen zeigen aber, dass es abhängig von der Position des Fußgängers für einen Fahrer noch bis etwa 300 ms vor der Kollision möglich ist dem Fußgänger auszuweichen (Fürstenberg 2005; Friedemann 2005, s. Abb. 3.17). Da Systeme zur vollautomatischen Unfallvermeidung derzeit nicht realisierbar sind, stellen unfallfolgenmindernde Maßnahmen die Hauptstoßrichtung der Sicherheitsbemühungen von Herstellern und Gesetzgeber dar. Sie sollen die Folgen des Primäranpralls des Fußgängers an die Fahrzeugfront mildern. Dies kann sowohl durch Maßnahmen der aktiven Sicherheit wie Fahrdynamikeingriffe zur Senkung der Kollisionsgeschwindigkeit und / oder zur Optimierung der Anprallkonstellation des Fußgängers als auch durch Maßnahmen an der Fahrzeugstruktur geschehen. Eine Beeinflussung des Sekundäranpralls ist dagegen weitaus schwieriger und kann nur in Grenzen über die Geometrie der Fahrzeugfront und eventuell durch Dissipation von Bewegungsenergie beim Primäranprall erreicht werden.
3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit
111
Abb. 3.12 Kategorisierung von fahrzeugseitigen Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer mit Beispielen für technische Realisierungen.
Die Einführung von Fahrerassistenzsystemen wie ABS6, ESP7 und Bremsassistenten ermöglicht neue Ansätze zum Fußgängerschutz. Noch vor dem tatsächlichen Eintreten eines bereits unvermeidbar gewordenen Zusammenstoßes mit einem Fußgänger kann die kinetische Energie im System reduziert und so der Unfall weniger gefährlich gestaltet werden. Der Blick wird vom konkreten Unfallablauf auch auf den Zeitraum vor dem ersten Kontakt der Unfallgegner erweitert. Dies findet seinen Ausdruck in Systemen wie z. B. „Integrated Safety“, APIA8, PreSAFE9 oder ABS – Antiblockiersystem, verhindert Blockieren der Räder beim Bremsen und erhöht die Lenkfähigkeit beim Bremsen. 7 ESP – Elektronisches Stabilitätsprogramm, minimiert Über- oder Untersteuertendenzen des Fahrzeugs durch radselektive Bremseingriffe. 8 APIA – Active Passive Integration Approach (Conti 2006). 6
112
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
CAPS10, die von Automobilherstellern und -zulieferern geprägt wurden, um die Zusammenführung von Elementen der aktiven und passiven Sicherheit im Fahrzeug zu bezeichnen. Basierend auf den Eingriffsmöglichkeiten des Fahrers zur Verhinderung des drohenden Unfalls lässt sich für den Fußgängerunfall die Pre-CrashPhase in fünf Teilbereiche gliedern (s. auch Abb. 3.13). x eine Kollisionswarnung ist noch möglich und sinnvoll (abhängig von Reaktions- und Bremsverhalten des Fahrers in der Praxis sWarn>25 m) x Kollisionsvermeidung durch alleiniges Bremsmanöver noch möglich (sBrems~7 m) x Kollisionsvermeidung nur durch alleiniges Lenkmanöver noch möglich (sLenk~6 m) x Kollisionsvermeidung noch möglich durch ein kombiniertes Brems- und Lenkmanöver (sBrems/Lenk~5 m) x Kollision bereits unabwendbar, aber Optimierung der Kollisionsphase noch möglich
Abb. 3.13 Aus Fahrversuchen ermittelte zeitliche Gliederung eines Fußgängerunfalls im Geschwindigkeitsbereich um 40 km/h (Fröming 2006).
Aktive Sicherheitssysteme können grundsätzlich in jeder Phase vor dem Anprall des Fußgängers an die Fahrzeugfront wirken. Inwieweit diese Potenziale genutzt werden können, hängt von den Randbedingungen ab, die durch Technik, Kundenakzeptanz und rechtliche Regeln gesetzt werden. Derzeit werden noch die technischen Anforderungen und Wirkungsgren9
PreSAFE – preventive safety (DaimlerChrysler 2006). CAPS – Combined Active and Passive Safety (Bosch 2006).
10
3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit
113
zen zukünftiger Assistenzsysteme ausgelotet, während später rechtliche Rahmenbedingungen und Kosten über die Serieneinsatz und die konkrete Ausprägung von Fahrerassistenzsystemen entscheiden werden11. 3.4.1 Systeme zur Bremsassistenz Die Bremsung als Reaktion des Fahrers auf einen drohenden Unfall wird oftmals nur von geübten Fahrern so ausgeführt, dass die Maximalverzögerung schnell erreicht und auch gehalten wird. Die zögerliche Reaktion des Fahrers verschenkt somit wertvollen Bremsweg.
Abb. 3.14 Aktivierungskennfeld eines konventionellen mechatronischen Bremsassistenten. Die Zuschaltschwelle beschreibt die Betätigungsgeschwindigkeit des Bremspedals, ab der der Bremsassistent aktiviert (zugeschaltet) wird (Kiesewetter et al. 1997).
11
Trotz des Potenzials, ca. 70 % aller Lkw-Auffahrunfälle zu vermeiden, werden vom Kunden nur ca. 5 % aller neuen Sattelzugmaschinen mit ACC-Systemen bestellt (AMS 2006).
114
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Das konventionelle Bremsassistenzsystem erkennt anhand von Parametern wie Betätigungsgeschwindigkeit und Bremsdruckanstieg eine Notbremssituation. Abbildung 3.14 zeigt die Auslöseschwellen in einem solchen Kennfeld. Der Fahrer wird somit in einer Unfallsituation durch einen optimierten Bremsvorgang mit verkürzter Schwellzeit und höherer mittlerer Verzögerung (s. Abb. 3.15) sinnvoll unterstützt. Auf diese Weise kann die Kollisionsgeschwindigkeit reduziert oder der Unfall sogar gänzlich verhindert werden.
Abb. 3.15 Bremsdruckverlauf eines zögerlichen (1), eines durchschnittlichen (2) und eines geübten Referenzfahrers (3) mit und ohne Bremsassistenz (Weisse 2003).
Durch die Ergänzung des klassischen Bremskraftverstärkers mit einer Wegsensorik und einem zusätzlichen Magnetventil kann relativ einfach eine Bremsassistenzfunktion realisiert werden (s. Abb. 3.16). Zur Verwendung in preiswerteren Fahrzeugklassen wurden vollmechanische Bremsassistenten entwickelt, die ohne elektronische Steuerlogik einen Vollbremswunsch des Fahrers erkennen sollen. Untersuchungen im Fahrsimulator zeigen, dass nur in ca. 50 % der gebremsten Fußgängerunfälle eine Auslösung des Bremsassistenten erfolgte (Unselt 2004). Für die Unfallkonstellationen, in denen der Bremsassistent ausgelöst wurde, konnte jedoch eine signifikante Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit festgestellt werden.
3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit
115
Abb. 3.16 Schnittbild eines pneumatischen Bremskraftverstärkers mit Bremsassistenzfunktion (Conti 2006).
Grundsätzlich muss die alleinige Auslegung auf Pedalbetätigungswege und -geschwindigkeiten immer Rücksicht auf den Bedienkomfort und die Kundenakzeptanz eines sehr breiten Benutzerkreises nehmen. Das führt zu einer Auslegung, die nicht alle Notbremssituationen erkennen kann. Es ist daher wünschenswert, die Fahrsituation durch Umfeldsensorik zusätzlich zu überwachen. Durch die gegenseitige Plausibilisierung von Bremsassistent und Umfeldsensorik können kritische Fahrsituationen, die eine Vollbremsung rechtfertigen, mit hoher Zuverlässigkeit erkannt werden. Somit kann eine Verbesserung der Aktivierungsrate des Assistenzsystems im Realunfallgeschehen erwartet werden. Weitere Fortschritte in der Entwicklung von Bremsassistenzsystemen sind demnach in einer verbesserten Adaptivität der Auslöseschwellen zu sehen. Wenn zuverlässige Informationen über die Fahrzeugumgebung und die Fahrsituation vorliegen, kann die Funktions- und Eingreifschwelle des Bremsassistenten besser an den Fahrerinput und die Verkehrssituation angepasst werden. Erste Systeme dieser Art wurden bereits realisiert. Im Bremsassistent+ (BAS+) der Firma DaimlerChrysler kann so unter Zuhilfenahme des Radarechos eines ACC12-Systems eine Notbremssituation deutlich sicherer erkannt und der Bremsdruck- und Verzögerungsverlauf in Sinne einer Zielbremsung an das detektierte Hindernis geregelt werden. Der zur Verfügung stehende Bremsweg kann somit optimal genutzt werden. Gleichzeitig wird durch die adaptive Eingreifschwelle des BAS+ die Aktivierungs12
ACC – Adaptive Cruise Control; Tempomat mit automatischer Abstandsregelung unter Zuhilfenahme von Umfeldsensorik. Bisher werden Radarsensoren verwendet.
116
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
rate im Realunfallgeschehen erhöht. Im besten Fall kann somit in jedem Unfall, in dem der Fahrer eine Bremsreaktion initiierte, eine positive Beeinflussung durch das Assistenzsystem erfolgen. Somit kann durch eine geeignete Umfeldsensorik in kritischen Situationen die Auslöseschwelle auf nahezu 100 % erhöht werden, wobei die Verantwortung für die Initiierung der Bremsung noch immer beim Fahrer liegt. In einem ersten Schritt scheinen jedoch Auslösequoten im Fußgängerunfall von nur etwa 85 % der Unfälle mit Fahrerbremsung realistisch, da eine Fehlauslösung unbedingt vermieden werden muss (Fröming et al. 2005). Als früheste, fahrzeugseitig auswertbare Reaktion des Fahrers kann der Beginn der Umsetzbewegung vom Gaspedal auf das Bremspedal angesehen werden (s. Abb. 3.14). Ansätze, bereits anhand der Blickbewegung des Fahrers den Grad einer kritischen Fahrsituation zu bestimmen, waren bisher nicht erfolgreich (Kühn et al. 2003, 2005). Mit Beginn der automatisch ausgeführten Vollbremsung zum Start der Umsetzbewegung vom Gas- auf das Bremspedal kann die Kollisionsgeschwindigkeit signifikant gesenkt werden. Bis zu 25 % der Unfälle mit Fußgängern können so gänzlich verhindert werden (Fröming et al. 2006, s. auch Tabelle 4.13). Dies würde das Maximum an Adaptivität des Bremsassistenten darstellen, die den Fahrer noch in der Fahrverantwortung belässt. In 36 % der Fußgängerunfälle in Deutschland erfolgt keine Bremsreaktion des Fahrers vor dem Unfall13. Eine Situation, bei der innerhalb der nächsten Sekunde mit einer Kollision zu rechnen ist, kann jedoch schon als gefährlich eingestuft werden und eine Bremsung mit begrenzter Verzögerung rechtfertigen. Auch bei einigen bereits heute als Sonderausstattung erhältlichen automatischen Abstandsregeltempomaten wird eine moderate vollautonome Teilbremsung vollzogen, wenn die Differenzgeschwindigkeit zum vorausfahrenden Fahrzeug zu groß ist (ATZ 2005). Im Rahmen des Projektes SAVE-U14 wurde ein Bremsassistenzsystem entwickelt, das ab 1 s vor der Kollision mit einer moderaten Verzögerung und ab 300 ms vor der Kollision mit maximaler Verzögerung bremst (Meinecke et al. 2005). Auch dieses System verringert die Geschwindigkeit allein aufgrund eines von der Umfeldsensorik erkannten Hindernisses. Es können somit auch Unfälle positiv beeinflusst werden, in denen der Fahrer keine adäquate Reaktion zeigte. Untersuchungen zeigen, dass mit zukünftigen, voraus13 14
Analyse von In-Depth-Unfalldaten, s. Kap. 1. SAVE-U – Sensors and system Architecture for VulnerablE road Users protection; EU-Forschungsprojekt zur Erhöhung der Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmer durch Assistenzsysteme, http://www.save-u.org.
3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit
117
schauend adaptiven Bremsassistenzsystemen ca. 50 % aller Fußgängerunfälle vermieden werden könnten (Fröming 2006, s. auch Tabelle 4.13). 3.4.2 Automatische Notbremsfunktion Die automatische Notbremsfunktion löst auch ohne Zutun des Fahrers eine Vollbremsung aus, wenn eine Kollision mit einem Fußgänger unvermeidbar geworden ist. Eine Reaktion oder Aktion des Fahrers ist im Gegensatz zum Bremsassistenten nicht notwendig. Im Vorfeld des Eingriffzeitpunktes kann bereits ein Anlegen der Bremsbeläge und eine Vorspannung der Bremsanlage erfolgen, um die Schwellzeit des Bremssystems zu minimieren. Durch den autonomen Eingriff in die Fahrdynamik geht zum Eingriffszeitpunkt die Fahrverantwortung vom Fahrer auf das System über. Daher ist zur Darstellung solcher Systeme eine leistungsfähige Detektion und Klassifizierung der Fahrzeugumgebung zwingend notwendig. Der zur Verfügung stehende Zeitraum, in der eine Kollision auch durch kombiniertes Bremsen und Lenken nicht mehr verhindert werden kann, hängt stark von den fahrdynamischen Parametern und der Lage und Ausdehnung des Hindernisses ab (Friedemann 2005). Die in Abb. 3.17 angegebenen Zeiträume wurden in Fahrversuchen mit einem Messfahrzeug (m = 1800 kg) für eine 60 cm breite, vor dem Fahrzeug stehende Fußgängerattrappe ermittelt. Für eine mittige Position des Fußgängers kann ein Ausweichvorgang bei 40 km/h noch bis zu einem Abstand von ca. 6 m (TTC = 0,5 s) erfolgreich vom Fahrer durchgeführt werden. Für einen außermittig stehenden oder gehenden Fußgänger sowie für Fahrzeuge mit besserer Queragilität verkürzen sich diese Zeiträume weiter (s. auch Fürstenberg 2005). Es lässt sich feststellen, dass der letztmögliche Ausweichzeitpunkt tendenziell eher von der Position des Hindernisses als von der Fahrgeschwindigkeit abhängt. Mit steigender Fahrgeschwindigkeit muss auch das Ausweichmanöver mit größerem Abstand beginnen, sodass der Zeitraum TTC bis zum Erreichen des Hindernisses relativ konstant bleibt. Im für Fußgängerunfälle wichtigen Geschwindigkeitsbereich von 30 bis 50 km/h kann somit der Fahrer einen drohenden Unfall noch sehr spät durch beherztes Ausweichen und Bremsen verhindern. Eine automatische Vollbremsung mit einer Verzögerung von 1 g und einer Dauer von 0,3 s kann die Kollisionsgeschwindigkeit um ca. 10 km/h verringern.
118
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Abb. 3.17 Letztmögliche Ausweichzeitpunkte TTC (s) für ein 60cm breites und unterschiedlich positioniertes Hindernis y (m) vor dem Fahrzeug (links) für ein rechtsseitiges Ausweichmanöver (rechts).
Trotzdem kann aufgrund des stark nichtlinearen Zusammenhangs zwischen Kollisionsgeschwindigkeit und Verletzungsschwere das Risiko für schwere Verletzungen nicht unbedingt auch in entsprechendem Maße gesenkt werden (s. auch Abb. 4.39 sowie Busch 2004 u. Fröming 2006). Notbremssysteme, die vollautonom in der letzten Phase vor dem Fußgängerkontakt ohne Lenkeingriff wirken, sind daher hinsichtlich ihres Nutzens begrenzt. Gegenüber dem prognostizierten Nutzen von intelligenten Bremsassistenzsystemen kann durch den zusätzlichen Einsatz einer vollautomatischen Notbremsfunktion kein dem Aufwand für das fortgeschrittene Fahrerassistenzsystem adäquater zusätzlicher Sicherheitsgewinn erzielt werden. Gleichzeitig ist mit der Einführung vollautonomer Fahrdynamikeingriffe eine enorme Steigerung der Anforderungen an die Umfeldsensorik verbunden. Im Hinblick auf Produkthaftungsaspekte und die zu erwartende Systemkomplexität sollten daher zuerst die Schutzpotenziale von Warn- und Fahrerassistenzsystemen genutzt werden. 3.4.3 Systeme zur automatischen Kollisionsvermeidung Systeme zur automatischen Kollisionsvermeidung stellen einen sehr weit gehenden Eingriff in die Verantwortungshoheit des Fahrers über das Fahr-
3.4 Maßnahmen der aktiven Sicherheit
119
zeug dar. Sie gehören bereits zur Gruppe der unfallvermeidenden Maßnahmen (s. Abb. 3.12). Die Erweiterung einer automatischen Notbremsfunktion zu einem System, welches kritische Fahrsituationen erkennen, analysieren und vermeiden kann, benötigt dafür detaillierte Umfeldinformationen. Sie müssen vollautomatisch analysiert werden und bilden die Basis für ein darauf aufbauendes, bezogen auf die angestrebte Funktion vollständiges Bild der aktuellen Verkehrslage. Das Assistenzsystem muss also ständig im Hintergrund „mitfahren“ und die Konsequenzen der Fahrmanöver des Fahrers in der unmittelbaren Zukunft prognostizieren und hinsichtlich ihres Unfallrisikos bewerten. Im Ernstfall müssen vollautonome Brems- und Lenkmanöver von der Fahrzeugaktuatorik vollzogen werden können. Somit werden nahezu zwingend X-by-Wire-Technologien vorausgesetzt. Hinsichtlich der Komplexität der notwendigen Technologien ist die automatische Kollisionsvermeidung mit der Herausforderung des vollautomatischen Fahrens nahezu gleichzusetzen. Die Rückgabe der Fahrverantwortung vom Assistenzsystem an den Fahrer kann nur bei Stillstand des Fahrzeuges erfolgen, daher müssen alle autonomen Fahrdynamikeingriffe mit dem Stillstand des Fahrzeugs enden. Der Übergang der Fahrverantwortung vom Fahrer auf das Assistenzsystem stellt neben der technischen Komplexität derzeit ein schwieriges, noch nicht zufriedenstellend gelöstes, juristisches Problem dar. Es wird sich nur dann ein Konsens zur Einführung solcher Systeme erreichen lassen, wenn zuvor eindeutig geklärt wurde, dass die positiven Wirkungen eventuelle Nachteile bei weitem übertreffen. Eine ähnliche Logik wird im Zusammenhang mit Airbags seit Langem auch in den USA akzeptiert. Der Umfang an benötigten Informationen zur vollautomatischen Fahrzeugführung im Verbund mit umgebenden Fahrzeugen ist derzeit noch nicht voll bekannt. Im Jahr 2005 konnten bei der DARPA15 Grand Challenge erstmals mehrere autonom agierende Fahrzeuge eine Strecke von 210 km absolvieren, die durch Wüstengelände führte. Hierbei wurde deutlich, dass neben der zweifellos notwendigen Umfeldsensorik auch die Softwarekomponente zur Verarbeitung der Informationen und zur Handlungsauswahl wesentlich über die Funktionalität und den Erfolg des Systems entscheidet (VDI 2005). In einer Fortsetzung dieses Wettbewerbes soll die Leistungsfähigkeit dieser Techniken in einem urbanen Szenario unter Beweis gestellt werden.
15
DARPA – Defence Advanced Research Projects Agency; Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums.
120
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Abb. 3.18 Siegerfahrzeug der DARPA Grand Challenge 2005. Auf dem Fahrzeugdach sind mehrere Laserscanner sowie GPS-Antennen erkennbar (Quelle: http://www.stanfordracing.org).
3.5 Passive Strukturmaßnahmen Beim Primäranprall wird der Fußgänger innerhalb kürzester Zeit auf das Geschwindigkeitsniveau des Fahrzeugs beschleunigt. Der Ausgleich der Geschwindigkeitsdifferenz zwischen dem zunächst betroffenen Körperteilen des Fußgängers und dem Fahrzeugteil beim Anprall verursacht Beschleunigungen, deren Werte in Abhängigkeit vom zur Verfügung stehenden Verformungsweg und den biomechanischen Grenzen des menschlichen Körpers variieren. Zur Minderung der Verletzungsschwere muss eine großflächige Krafteinleitung in den Fußgänger gewährleistet werden. Große Relativbewegungen der Körperteile sollten nur dort auftreten, wo Gelenke Körperteile verbinden und deren Bewegungsgrenzen nicht überschritten werden. Grundsätzlich müssen an den Kontaktstellen des Fußgängers an der Fahrzeugfront Möglichkeiten zur Energieaufnahme bereitgestellt werden. Aus biomechanischen Untersuchungen wurden Belastungsgrenzwerte für einzelne, besonders häufig verletzte Körperregionen abgeleitet, aus denen entsprechende Anforderungen an die betroffene Fahrzeugregion abgeleitet werden können. Die konstruktiven Umsetzungen dieser Anforderungen können mit den in diesem Kapitel vorgestellten technischen Maßnahmen erfolgen.
3.5 Passive Strukturmaßnahmen
121
3.5.1 Allgemeines zum Schutz des Fußgängers Die bisher realisierten Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern beim Primäranprall leiten sich im Wesentlichen aus den Erkenntnissen der Unfallforschung der 70er und 80er Jahre ab. Die Fortschritte in der passiven Insassensicherheit legten ein Übertragen der dort entwickelten Denkweisen auf den Fußgängerschutz nahe. Eine Adaption der Insassentestverfahren mit Dummys wurde für Fußgänger aber lediglich zu Forschungszwecken durchgeführt, vor allem um Kenntnisse über die Anprallkinematik des Fußgängers an die Fahrzeugfront zu gewinnen. Derzeit wird das Konzept der Full-Scale Testverfahren noch von HONDA im Rahmen der Forschung zum Fußgängerschutz verfolgt (s. Kap. 4.2.1). Als am stärksten dem Risiko von Verletzungen ausgesetzte Körperpartien wurden bei damaligen Fahrzeugen die Beine, die Hüfte sowie der Kopf identifiziert. Dementsprechend wurden fahrzeugseitige Maßnahmen zum Schutz der unteren Extremitäten, des Beckens und des Kopfes entwickelt und in den entsprechenden Arbeitsgruppen (z. B. EEVC WG 10) Grenzwerte und Testverfahren diskutiert. Bei Betrachtung der heutigen Fahrzeugflotten verlieren einige Erkenntnisse aus der damaligen Zeit an Bedeutung. Insbesondere die Relevanz von Hüftverletzungen hat stark abgenommen, seit die Fahrzeugfront besonders unter aerodynamischen Gesichtspunkten entwickelt wird (siehe Kap. 1.4, Tab. 1.3 und 1.4). Der Beinanprall
Für den Anprall von Unterschenkel und Knie an die Fahrzeugfront existieren biomechanische Belastungsgrenzwerte vor allem für die Biegung und Scherung des Bänderapparates im Kniegelenk. Gleichzeitig darf eine Beschleunigung von 150g nicht überschritten werden. Die Limitierung der Biege- und Scherbelastung ist äußerst designrelevant und führt zwingend zu einer Glättung und Integration des Stoßfängers in die Fahrzeugfront. Die Limitierung der Beschleunigungen wird durch die Schaffung von Deformationsraum an der Fahrzeugfront erreicht. Bei der Annahme einer idealen, vollplastischen Energieaufnahme in der Fahrzeugfront ermittelt sich der Deformationsweg bei konstanter Beschleunigung entsprechend Gl. 3.1 zu den in Tabelle 3.1 angegebenen Werten. Bei Berücksichtigung des Energieabbaus durch Rotation können im Einzelfall noch geringere Deformationswege möglich sein.
122
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
s
'v 2 2 a max,tibia
(3.1)
Gl. 3.1 Minimal erforderlicher Deformationsweg zur Einhaltung einer Maximalbeschleunigung (Rechteckkennung, vollplastische Energieaufnahme). Tabelle 3.1 Mindestens erforderliche Verformungswege für den Tibiaanprall bei Einhaltung von amax < 150 g für unterschiedliche Anstoßgeschwindigkeiten. Unterschenkel (Tibia) v [km/h] s [mm]
30 24
40 42
45 54
50 66
Die errechneten Deformationswege sind konstruktiv in die Gestaltung der Fahrzeugfront einzubeziehen. Das hier unterstellte, idealisierte Deformationsverhalten führt zu Referenzwerten, denen sich die Praxis durch eine geschickte Wahl der Materialien und Geometrien lediglich angenähern kann. Gleichzeitig sind im Bereich der Fahrzeugfront eine Vielzahl weiterer Lastfälle zu berücksichtigen, die z. B. auch das Schadenverhalten und die Reparaturkosten betreffen (Redlich 2005). Diese stehen teilweise im Widerspruch zu den Anforderungen des Fußgängerschutzes. Der Anprall von Oberschenkel und Hüfte
Die Belastungen beim Anprall von Oberschenkel (Femur) und Hüfte (Pelvis) an die Fahrzeugfront werden stark durch die Fahrzeuggeometrie beeinflusst. Die Höhe und der Versatz der Haubenvorderkante beeinflussen dabei wesentlich den Energieeintrag in den Fußgänger. Bei den heute vorherrschenden abgerundeten Haubenvorderkanten erfolgt ein Aufrutschen des Fußgängers auf die Fahrzeugfront. Der Energieeintrag in Beine und Hüfte ist dabei durch den außermittigen Anstoß und die dadurch eingeleitete Rotation des Fußgängers deutlich geringer als bei Fahrzeugen mit einer stärker ausgeprägten und/oder höheren Haubenvorderkante. Die diskutierten Komponententests zur Prüfung des Haubenvorderkantenbereiches berücksichtigen dementsprechend die Höhe und den Versatz der Haubenvorderkante in den Prüfbedingungen (s. Abschn. 4.3). Gleichwohl scheinen bisher die Prüfergebnisse und die Auftretenshäufigkeiten von Femurund Pelvisverletzungen im realen Unfallgeschehen nur unzureichend zu korrelieren (Hahn 2006). Die Durchführung des Komponententests als geführter Stoß spiegelt zudem nicht das real auftretende Aufrutschen und Abrollen des Fußgängers am Fahrzeug wieder.
3.5 Passive Strukturmaßnahmen
123
Das Prüfverfahren gemäß der europäischen Richtlinie sieht eine Erfassung von Kräften und Biegemomenten im Prüfkörper beim Beschuss der Haubenvorderkante vor. Die Begrenzung der Biegemomente soll mit großen Radien versehene Fahrzeugfronten hervorbringen. Die Kraftbegrenzung auf 5 kN führt zu nachgiebigen Fahrzeugstrukturen im Prüfbereich. Bei einer Prüfmasse von 12,9 kg und einer Prüfgeschwindigkeit von 40 km/h (Ekin = 800 J) bedeutet dies einen minimal notwendigen Deformationsweg von 16 cm. Dies hat großen Einfluss auf Design und Package des Frontends. Entwicklungen von TNO und HPBO demonstrieren aber die grundsätzliche Erfüllbarkeit der durch das Testverfahren gestellten Anforderungen und die damit einhergehende Einengung des Gestaltungsspielraums (Opperbeck et al. 2006). Trotzdem bleibt die statistische und biomechanische Grundlage der Oberschenkelprüfung weiterhin fragwürdig. Der Kopfanprall
Kopfverletzungen führen bei Fußgängerunfällen zu den schwersten Verletzungen und sind bei Weitem die wichtigste Ursache für Todesfälle. Dem besseren Schutz des Kopfes beim Fußgängerunfall kommt daher die höchste Bedeutung zu. Im Zuge der Erforschung eines verbesserten Insassenschutzes wurde bereits viel biomechanische Grundlagenarbeit geleistet, um Belastungsgrenzwerte für den Kopf formulieren zu können. Hierbei stand und steht die messtechnisch reproduzierbare Erfassung im Vordergrund, weshalb bis heute nahezu ausschließlich translatorische Beschleunigungen und deren Derivate als Belastungsgrößen für den Kopf verwendet werden. Biomechanische Forschungsarbeiten zeigen aber deutlich, dass auch rotatorische Belastungen relevant für das Entstehen von Verletzungen sind. Mit der Einführung numerischer Menschmodelle und dem weiter verstärkten Einsatz von FE-Methoden zur Fahrzeugauslegung könnte zukünftig die Verwendung von verbesserten Verletzungskriterien praktikabel werden. Als gebräuchlichste Schutzkriterien des menschlichen Kopfes haben sich der HIC-Wert16 sowie der a3ms-Wert etabliert (Kramer 1998). Beide Kenngrößen zielen vor allem auf die Entstehung von Hirnverletzungen durch translatorische Beschleunigungen ab und haben Schwächen bei der realitätsgetreuen Bewertung punktueller Steifigkeiten und formaggressiver Fahrzeuggeometrien. Diese können zu schwersten Verletzungen der knöchernen Schädelstruktur führen. In der aktuellen Gesetzgebung zum Fußgängerschutz wird nur der HIC15-Wert betrachtet, daher soll dieser im Fol16
HIC-Wert – Head Injury Criterion.
124
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
genden kurz dargestellt werden. Alternativ wird auch die Bezeichnung HPC17 verwendet. Der HPC-Wert entspricht dem HIC für die Dauer des Kontaktes. Beim Anprall des Kopfimpaktors im Rahmen der Komponentenprüfung gemäß der europäischen Richtlinie werden die einwirkenden Beschleunigungen in allen drei Raumrichtungen gemessen. Anschließend wird aus diesen Werten durch Vektoraddition der Betrag der resultierenden Beschleunigung ermittelt. Zur Beurteilung von Niveau und Einwirkdauer dieser resultierenden Beschleunigung wurde der HIC-Wert gemäß Gl. 3.2 entwickelt. Der HIC-Wert ist der Maximal-Wert des Integrals innerhalb des betrachteten Zeitintervalls. Die Integrationsgrenzen werden dabei so gewählt, dass der HIC-Wert ein Maximum erreicht. Beim HIC15 darf jedoch der Integrationsbereich eine Breite von 15 ms nicht überschreiten.
HIC15
2 ,5 t2 ª ½ º ° 1 ° max ®« a ( t ) dt t t » 2 1 ¾ res ³ °¯¬« t2 t1 t1 °¿mit ( t t ) d15ms ¼» 2 1
(3.2)
Gl. 3.2 Berechnung des HIC-Wertes aus den resultierenden Beschleunigungen ares [g] über dem Zeitintervall t2-t1 [s].
Zur Abschätzung des minimal notwendigen Deformationsweges wird der derzeit gültige Grenzwert HIC15 < 1000 als Berechnungsgrundlage herangezogen. Die Anprallgeschwindigkeit des Kopfimpaktors wird mit 40 km/h (11,1 m/s) angenommen. Die Berechnung des nötigen Verformungsweges basiert auf kinematischen Beziehungen. Der Beschleunigungsverlauf wird idealisiert als rechteckförmig vorausgesetzt, die Energieaufnahme der Haube erfolgt vollplastisch. Als Beschleunigungsniveau soll vorerst ein Wert von amax = 80 g für die Verzögerung des Kopfprüfkörpers gelten. Dies stellt die allgemein anerkannte Obergrenze einer über einen Zeitraum von wenigen Millisekunden gerade noch tolerablen Kopfbeschleunigung dar (a3ms 25 ms (ungedämpft)
Je nach Sensier- und Aktuatorkonzept können somit Aufstellzeiten zwischen 40 und 100 ms erreicht werden (Goseberg 2005). In der Praxis wird für die gesamte Aufstellzeit eine Zielgröße von 40 - 60 ms diskutiert. Gesetzliche Anforderungen existieren derzeit nicht. Ziel der Haubenaufstellung ist die Bereitstellung von Deformationsraum für den Fußgänger, insbesondere für den Kopf. Der Prüfbereich der gesetzlichen Testverfahren beginnt bei einer WAD19 von 1,0 m. Bei Anhebung an den hinteren Haubenscharnieren kann bei besonders langen Fronthauben aufgrund der geometrischen Gesetzmäßigkeiten ein sehr langer Aufstellweg nötig sein, um auch im Kopfanprallbereich um WAD ~ 1,0 m ausreichend Deformationsweg sicherzustellen. Im Jaguar XK wurde aus diesen Gründen ein pyrotechnischer Aufstellmechanismus gewählt, der die Haube im hinteren Bereich um 150 mm anhebt.
19
WAD – Wrap Around Distance; beschreibt das Abwickeln des Fußgängers um die Fahrzeugfront. Sie wird gemessen von der Aufstandsfläche des Fußgängers entlang der Fahrzeugkontur bis zur Lage der tiefsten Kopfbeule am Fahrzeug.
3.5 Passive Strukturmaßnahmen
143
Tabelle 3.3 Mögliche Aufstellmechanismen einer aktiven Fronthaube.
Airbag mit Fangband
Hubkolben mit Dämpfung
Hubkolben o. ä.
Prinzip Umsetzung reversibel: hydraulischer, elektrischer, elektromagn. Federaktor, pneumatischer Muskel irreversibel: pyrotechn. Aktuator wie Hubkolben, jedoch mit Dämpfungselement
Vorteile (+) und Nachteile (-) + einfache Realisierung + kann reversibel ausgelegt werden - lange Aufstellzeiten bei reversibler Auslegung - Haubenstrukturverstärkungen im Federbereich ergeben lokale Steifigkeitserhöhungen - Nachschwingungen der Haube + + + -
pneumatische Aufstel- + lung durch Airbag unter der Haubenfläche + + + -
einfache Realisierung kann reversibel ausgelegt werden kurze Nachschwingzeit lange Aufstellzeiten bei reversibler Auslegung Strukturverstärkungen im Feder- u. Dämpferbereich ergeben lokale Steifigkeitserhöhungen kurze Aufstellzeiten durch flächenhaften Energieeintrag keine Haubenstrukturverstärkungen nötig kurze Nachschwingzeit Schutz angrenzender Fahrzeugstrukturen möglich irreversibel komplexe Realisierung hoher Kostenaufwand
Denkbar sind auch Aufstellkinematiken, die die Fronthaube sowohl im hinteren als auch vorderen Bereich anheben. Hierzu sind unter Umständen mehrere Aktuatoren notwendig. Mögliche Formen sind:
x vertikale Anhebung der hinteren Haubenkante x vertikale Anhebung der gesamten Haube x vertikale Anhebung der hinteren Haubenkante mit gleichzeitiger horizontaler Verschiebung der gesamten Haube in Fahrzeuglängsrichtung x vertikale Anhebung der hinteren Haubenkante mit verzögerter vertikaler Anhebung der vorderen Haubenkante zur Vermeidung des Abrutschens Die bisher diskutierten Konzepte beziehen sich allein auf die Fronthaube. Mit aktiven Systemen können aber auch weitere kritische Regionen geschützt werden. Es ist entscheidend, die Systemgrenzen der verschiedenen Aufstellkonzepte zu definieren, da sie den Wirkbereich und letztendlich
144
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
das Schutzpotenzial der Maßnahme am Fahrzeug festlegen. Die Systemgrenzen der Konzepte können sich wie folgt unterscheiden:
x Haubenfläche x Haubenfläche und Haubenspaltabdeckung x Haubenfläche und Haubenspaltabdeckung sowie Abdeckung des unteren Scheibenbereichs x Haubenfläche und Haubenspaltabdeckung sowie Abdeckung des unteren Scheibenbereichs und der unteren A-Säulenregionen x Abdeckung der vertikalen Kotflügelflächen durch einen seitlich aus dem Haubenspalt heraustretenden Airbag Fahrzeuggeometriespezifische Nutzenabschätzung der aufstellenden Fronthaube
Um den Einfluss einer aufstellenden Haube auf die Kinematik von Fußgängern unterschiedlicher Größe für die verschiedenen Fahrzeugklassen beim Primäranprall bewerten zu können, wurde ein Benotungssystem eingeführt. Die Abschätzung des Nutzens erfolgt auf der Basis der Aufprallorte der Körperteile an die Fahrzeugfront. Dabei werden der Kopf, die Schulter und das Becken in die Betrachtungen einbezogen. Die Bewertung basiert auf dem Schulnotensystem. Eine Bewertung von 1-2,9 steht für einen Nutzen durch das System, eine Bewertung von 3,0 für keine Veränderung durch das System und eine Bewertung von 3,1-6 für eine Verschlechterung der Verhältnisse für den Fußgänger bei der Primärkollision im Vergleich zu einer nicht aufstellenden Haube. In die Nutzenabschätzung gehen diese Noten gewichtet bezüglich der Auftreffenshäufigkeit des entsprechenden Körperteils an der Fahrzeugfront im realen Unfallgeschehen ein (Kühn 2004).
Abb. 3.33 Beispielhafte Anprallsituation eines erwachsenen Fußgängers am hinteren Haubenbereich. Durch die Abdeckung des Aufstellspaltes z. B. mit einem Airbag können in diesem Beispiel die Kopf- und Halsbelastungen deutlich gesenkt werden.
3.5 Passive Strukturmaßnahmen
145
Die Nutzenabschätzung bezieht sich immer auf die entsprechende Fußgänger-Fahrzeug-Konstellation ohne implementiertes Schutzsystem. Sie wird für ein System mit Airbag und ohne Airbag durchgeführt (s. Abb. 3.33). Die dargestellten Ergebnisse haben nur bei einem Anprall an eine bereits aufgestellte Haube Gültigkeit. Dies würde bei manchen Fahrzeugkategorien eine Aufstellung durch ein Pre-Crash-System erfordern, um die Haube rechtzeitig zum Kopfanprall des Fußgängers in eine aktivierte Position zu führen. Für das System mit aufstellender Haube ohne Airbag existiert keine Fahrzeugklasse, die für alle Fußgängerperzentile einen Nutzen nach der vorgegebenen Definition bieten kann. Bei der 5 %-Fußgängerin erweist sich das aktive System ohne Airbag in mehr als der Hälfte der Fahrzeugklassen als ungünstiger, was durch eine durchschnittliche Bewertung mit der Note 3,1 ausgedrückt wird. Es wird nur für das Kind ein deutlicher Vorteil erzielt (s. Tabelle 3.4). Die Bewertung zeigt aber auch, dass die bereits auf dem Markt erhältlichen Systeme an Citroen C6 („große Klasse“) und Jaguar XK („große Klasse“) eine positive Bewertung von 2,2 erhalten. Dies zeigt, dass bei sinnvoll auf das Fahrzeug abgestimmten Systemen mit einem Nutzen für den Fußgänger zu rechnen ist. Dagegen wird für die aufstellende Haube mit Airbag deutlich, dass sie sich über alle Fußgängerperzentile in allen Fahrzeugklassen positiv auswirkt. Dabei existiert ein Schutzpotenzial unabhängig von der Kollisionsgeschwindigkeit. Den größten Nutzen entfaltet das System in der Klasse der großen Fahrzeuge („große Klasse“). Ausschlaggebend dafür sind die lang gezogene, flache Fronthaube und der damit vorhandene größte Wirkbereich. Es bleibt zu beachten, dass aufstellende Fronthauben die Abwurfkinematik und damit den Sekundäranprall des Fußgängers beeinflussen. Untersuchungen haben gezeigt, dass dieser Einfluss abhängig von der Fahrzeugklasse, der Fußgängergröße und der Kollisionsgeschwindigkeit positiv oder negativ sein kann (Kühn 2004).
146
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Tabelle 3.4 Bewertungsmatrix der aufstellenden Haube mit und ohne Airbag für die verschiedenen Fußgängerperzentile gemittelt über die Kollisionsgeschwindigkeiten von 30, 40 und 50 km/h.
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
147
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen Sensoren zur Ansteuerung irreversibler Maßnahmen an der Fahrzeugstruktur erfordern eine sehr hohe Zuverlässigkeit und Erkennungssicherheit zur bestmöglichen Vermeidung von Fehlauslösungen. Auch zukünftig wird trotz immer besser werdender kontaktloser Sensorik mindestens eine vereinfachte Kontaktsensorik im Fahrzeug Anwendung finden müssen, um die Entscheidung zur Auslösung irreversibler aktiver Strukturmaßnahmen abzusichern. 3.6.1 Kontaktbasierte Sensorik Die zweifelsfreie Erkennung einer bevorstehenden Kollision mit einem Fußgänger ist momentan mit einem Umfeldsensor noch nicht möglich, demzufolge werden andere, so genannte Kontaktsensoren benötigt. Irreversible Schutzsysteme werden aktiviert sobald ein Zusammenstoß mit einem Fußgänger erkannt wird. Die Hauptaufgabe von Kontaktsensoren ist demzufolge eine Kollision mit einem Fußgänger möglichst schnell zu erkennen und weitere Informationen über den Unfall zur Verfügung zu stellen. Besondere Aufmerksamkeit muss der Senkung der Erkennungszeit geschenkt werden. Die Zeit vom ersten Kontakt mit dem Fußgänger bis zum Kopfanprall ist abhängig von der Fahrzeuggeometrie, wird aber selten größer sein als 100 ms (Kühn 2004). Weitere Einflüsse sind die Größe des Fußgängers und die Kollisionsgeschwindigkeit. Für die meisten Fahrzeuggeometrien wird eine Aktivierungszeit von 60 ms als ausreichend angesehen. In diesem Zeitfenster muss der Unfall erkannt und das Schutzsystem vollständig aktiviert werden. Informationen wie die Auftreffenergie oder die Masse des Kollisionspartners, wie sie manche Sensoren zur Verfügung stellen können, sind hilfreich für die Unterscheidung zwischen Fußgängern und anderen Objekten.
148
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Für die Kontaktsensierung kommen verschiedene Sensorprinzipien in Frage. Im Wesentlichen werden entweder direkt Kräfte in der Kontaktzone oder die davon hervorgerufenen Deformationen und Beschleunigungen gemessen. 1. Lichtleitsensoren (Fibre Optical Sensors (FOS)): Sie sind je nach Ausführung fähig, die Intrusionstiefe und den Ort der Kontaktzone zu bestimmen, einfachere Ausführungen wirken als Kraftsensor. 2. Beschleunigungssensoren: Messung von Beschleunigungen im Stoßfänger während einer Kollision mit einem Fußgänger. 3. PVDF-Sensoren (Polyvinylidenfluorid-Folien) und Force Sensing Resistors (FSR): Sie können Kontaktdrücke in der Fahrzeugfront direkt erfassen. Lichtleitsensoren
Lichtleitsensoren oder Faseroptische Sensoren (FOS) werden zur Messung von Deformationen der Fahrzeugfront genutzt. Ein Lichtleiter ist an den gegenüberliegenden Enden mit einem Sender und einem Empfänger von Licht ausgestattet (s. Abb. 3.34). Der Sensor wird im Stoßfänger verbaut und gibt ein Signal, wenn eine Kollision stattfindet. Eine Deformation kann erkannt werden, da der Lichtweg bei einer Deformation des Leiters so verändert wird, dass insgesamt mehr oder weniger Licht den Leiter passiert (s. Abb. 3.35). Durch die segmentweise Veränderung der optischen Eigenschaften der Faser kann der verformungsbedingte Lichtaustritt gezielt beeinflusst werden. Die Messung der Intensität des am Empfänger ankommenden Lichts gibt daher Aufschluss über die Verformung der Kontaktzone. Zusätzliche Informationen können durch die Auswertung des Lichtspektrums gewonnen werden. Durch die Verwendung mehrerer Fasern kann eine örtliche Auflösung der Deformationsmessung erreicht werden. Die Anzahl der Segmente und der verwendeten Fasern ist kostenrelevant. Es muss daher versucht werden, mit einer minimal möglichen Anzahl von Fasern und Segmentierungen auszukommen. Gleichzeitig sinkt aber die Erkennungssicherheit, sodass u. U. ein zusätzlicher Safing-Sensor erforderlich ist. Im Gegensatz zu 1-Segmet-FOS kann beim MehrsegmentFOS eventuell eine Plausibilitätsprüfung entfallen. Eine Unterscheidung zwischen einem Fußgänger und Nonfire-Lastfällen (z. B. Stein- oder Vogelschlag) ist durch die direkte Messung der Deformationen der Fahrzeugfront bereits relativ frühzeitig nach wenigen Millisekunden möglich.
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
149
Abb. 3.34 Prinzipieller Aufbau eines Faseroptischen Sensors (Goseberg 2002).
Abb. 3.35 Wirkprinzip eines Lichtleitsensors zur Messung von Deformationen.
Die im Citroen C6 verbaute FOS-basierte Kontaktsensorik zur Auslösung der aufstellenden Fronthaube ist zur Unterstützung der Biegebewegung während eines Kontaktes in ein entsprechend gezahntes Umfeld integriert (s. Abb. 3.36). So wird eine gute Signalqualität proportional zur Krafteinwirkung sichergestellt. Zusätzlich wird durch zwei Beschleunigungssensoren eine Plausibilisierung der Messung des faseroptischen Sensors vorgenommen.
150
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Abb. 3.36 Integrationsbeispiel eines Faseroptischen Sensors in die Fahrzeugfront. (Citroën 2006).
Beschleunigungssensoren
Durch den Kontakt mit dem Fußgänger tritt im Stoßfänger eine Beschleunigung auf. Sie kann mit Hilfe von entsprechenden Sensoren gemessen werden. Beschleunigungsaufnehmer werden in großem Umfang in den Bereichen Fahrzeugdynamik und passive Sicherheit eingesetzt. Die zu Beginn der Entwicklung eingesetzten mechanischen Masse-Feder-Sensoren wurden im Zuge der Miniaturisierung und der Einführung neuer Produktionsprozesse von weiterentwickelten Beschleunigungsaufnehmern abgelöst, die kostengünstig neue Einsatzgebiete eröffneten. Derzeit werden Beschleunigungssensoren in Massenproduktionsprozessen analog zum CMOS20-Prozess hergestellt (Grieco et al. 2004). Diese Produktionsprozesse erlauben eine kostengünstige Fertigung und somit den Einsatz von Sensorarrays im Automobilbau. Bei einem Fußgängerunfall treten in Abhängigkeit von der Gestaltung der Stoßfängeraußenhaut und des Deformationselementes Beschleunigungen in der Stoßfängerstruktur auf. Üblich ist die Messung direkt in der Stoßfängeraußenhaut zur Diskriminierung der angestoßenen Körper oder 20
CMOS – Complementary metal oxide semiconductor; besonders kosteneffizientes und großserientaugliches Fertigungsverfahren für integrierte Schaltungen.
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
151
auch ergänzend dazu - die Messung im Bereich des Querträgers, wenn die Signale, die in der Außenhaut gemessen wurden, auf Plausibilität geprüft werden sollen. So werden z. B. die Signale des Faseroptischen Sensors im Citroen C6 durch Beschleunigungssensoren im Bereich des Querträgers auf Plausibilität geprüft. PVDF- und FSR-Sensoren
PVDF Sensoren sind piezoelektrische Folien aus einem speziellen Kunststoff, die Kontaktkräfte mithilfe des piezoelektrischen Effekts messen können (s. Abb. 3.37). Der piezoelektrische Effekt beruht darauf, dass eine auf einen Piezo-Kristall wirkende Kraft eine Deformation des Kristallgitters und der in ihm enthaltenen elektrischen Ladung bewirkt. Zwischen den Enden des piezoelektrischen Kristalls kann somit eine Spannung gemessen werden. Vorteile dieses Prinzips sind vor allem im Package und der Montagemöglichkeit zu sehen. Sensoren aus PVDF-Folien sind hochbelastbar, dünn, flexibel und leicht. In Versuchen konnte gezeigt werden, dass die messbare Spannung an PVDF-Sensoren mit der Geschwindigkeit und Masse des stoßenden Körpers korreliert (Hoffman u. Kretzschmar 2001). Eine Kontaktsensierung ist bereits nach 2 ms möglich. Die Bestimmung von Energie und Masse des Kollisionspartners benötigt lediglich 8 ms, wenn die eigene Geschwindigkeit bekannt ist. Die Masseschätzung ist jedoch fehlerbehaftet, sodass auf fehlertolerante Maßnahmen und Algorithmen zurückgegriffen werden sollte. Derzeit erfüllen PVDF-Folien nicht die Anforderungen hinsichtlich Temperatur- und Alterungsbeständigkeit, die der Einsatz in der automobilen Serienfertigung erfordert. Verfahren zur künstlichen Alterung der PVDF-Folien oder der Einsatz temperaturstabilerer Copolymere können zukünftig zu Verbesserungen führen (Zander 2003).
Abb. 3.37 Prinzipdarstellung eines PVDF-Sensors (nach Fischer et al. 2002).
152
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
FSR-Sensoren basieren im Gegensatz zu PVDF-Sensoren auf einer Widerstandsänderung im aktiven Bereich, die gemessen werden kann. Spezielle, aufgedruckte, leitfähige Medien vergrößern unter Krafteinwirkung ihre aktive Oberfläche und senken so den ohmschen Widerstand. Somit kann eine der Krafteinwirkung proportionale elektrische Größe gemessen werden. Vorteilhaft für die FSR-Sensoren ist die Tatsache, dass diese Technologie bereits breite Anwendung in der Sitzbelegungserkennung findet und somit eine in der automobilen Massenproduktion bewährte Technologie darstellt. 3.6.2 Kontaktlose Sensorik Erst durch die Einführung von kontaktloser Sensorik kann ein Fußgänger bereits in der Pre-Crash-Phase detektiert werden. Dazu wird eine Sensorik benötigt, die spezielle Merkmale des Fußgängers erfassen und von der Umgebung sicher unterscheiden kann. Als trennscharfe Merkmale zur Klassifizierung von Fußgängern wurden z. B. die Form, die Größe, die Bewegung und das Radarrückstrahlverhalten identifiziert (s. Tabelle 3.5). Der Schlüssel beim Entwurf von kontaktlosen Sensoren zur Detektion von Fußgängern liegt in der intelligenten Auswahl spezieller Attribute des Fußgängers, die von Sensoren erfasst werden können. Diese Attribute sollten einerseits komplementär sein, um die Erkennungsrate zu erhöhen, aber auch redundant sein, um die Fehlerrate zu minimieren. Diese gegenseitige Ergänzung kann durch die Auswahl unterschiedlicher Attribute und deren zugehörigen Sensierprinzipien erreicht werden (s. Tabelle 3.5). Tabelle 3.5 Charakteristische Eigenschaften von Fußgängern im Straßenverkehr und zugehörige Sensierprinzipien. charakteristische Eigenschaft des Fußgängers Gehbewegung Abstrahlung von Wärme Gehgeschwindigkeit Typische Form Wassergehalt
passendes Sensorprinzip Videoanalyse oder Laserscanner mit hoher örtlicher Auflösung Far infrared camera (FIR) Radar, durch Tracking auch Laserscanner, Computer Vision Videoanalyse, Sichtbares Licht oder Nahinfrarot (NIR) Radar (Detektion durch unterschiedliches Rückstrahlverhalten)
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
153
Die Kombination unterschiedlicher Sensoren zu Umfelderfassung macht eine Fusion der Sensordaten notwendig. Je nachdem, wie weit die Vorverarbeitung der Sensordaten fortgeschritten ist, wird zwischen High-LevelDatenfusion und Low-Level-Datenfusion unterschieden (s. Abb. 3.38).
Abb. 3.38 Schematische Darstellung der Sensordatenfusion zwischen dem VideoSystem und den Radarsensoren im SAVE-U-Demonstratorfahrzeug (SAVE-U 2005).
Zwischen den unterschiedlichen Sensorsystemen werden Daten und Metadaten über die Fahrzeugumgebung ausgetauscht und ein konsistentes virtuelles Modell der Fahrzeugumgebung erzeugt. Die in der Sensordatenfusion zusammengeführten Umgebungsinformationen können z. B. aus Objektlisten oder auch so genannten ROI21 bestehen. Basierend auf diesem
21
ROI – Regions of Interest, Bildregionen, in denen ein Fußgänger vermutet wird und eine Bildauswertung erfolgen sollte.
154
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Modell der Fahrzeugumgebung werden dann Eingriffsentscheidungen für die unterschiedlichen Assistenzsysteme getroffen. Insgesamt stellt sich das Feld der Umfeldsensorik sehr vielschichtig dar. Im Folgenden sollen vielversprechende Sensierprinzipien zur Detektion von Fußgängern kurz vorgestellt werden. Videoanalyse
Durch die Videoanalyse können Objekte voneinander unterschieden und anhand ihrer Form klassifiziert werden. Grundsätzlich bildet die Bildauswertung den menschlichen Sehsinn nach, über den der Fahrzeugführer den weitaus größten Anteil der erforderlichen Informationen aufnimmt (Sivak 1996). Entsprechende technische Systeme können die Grenzen des menschlichen Sehsinns hinsichtlich der auswertbaren Wellenlängen und Sichtbereiche überschreiten und damit den Fahrer mit Zusatzinformationen zum Verkehrsgeschehen unterstützen.
Abb. 3.39 Nachtsichtassistent mit aktiver Nah-Infrarot-Beleuchtung der Fahrbahn (DaimlerChrysler 2006).
Der in Abb. 3.39 dargestellte Nachtsichtassistent wurde zur Verbesserung der Sicht bei Dunkelheit für den Fahrer entwickelt. Dabei beleuchten spezielle Scheinwerfer die Szene mit Infrarotlicht. Eine Infrarotlichtkamera am Fahrzeug setzt das reflektierte Licht in den sichtbaren Bereich um und stellt es auf einem Monitor dar. Durch eine Anpassung der Kontraste und
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
155
Helligkeiten des Infrarotbildes kann die Wahrnehmung von Hindernissen für den Fahrer erleichtert werden. Die Auswertung der Bildinformationen wird hierbei dem Fahrer überlassen. Ein Bilderkennungssystem muss Strukturen im Videodatenstrom identifizieren und mit Attributen belegen können. Das stellt eine erheblich größere Anforderung an die Bildverarbeitung als die bloße Unterstützung beim Sehen. Die maschinelle Bilderkennung vor bewegten Hintergründen ist besonders komplex und rechenintensiv. Im Rahmen von Forschungsprojekten und Produktvorentwicklungen wurden bereits seit ca. 20 Jahren eine ganze Reihe von Prototypen von kamerabasierten Assistenzsystemen zur Spurverlassenswarnung oder Distanzregelung vorgestellt (Hoffmann 2005). Erste Anwendungen haben kürzlich den Weg in die Serienproduktion gefunden. Das optische Erkennen von Fußgängern ist besonders problematisch. Es kann durch Verkettung von Bildinformationen wie Form oder Silhouette, Oberflächentextur, Bewegung und Erkennen des typischen Gangmusters des Fußgängers realisiert werden.
Abb. 3.40 Grundsätzlicher Ablauf der Signalverarbeitung einer vollautomatischen Videoanalyse (SAVE-U 2005).
Einen Überblick über die Nachbearbeitung und automatische Auswertung von Videosignalen gibt die Abb. 3.40. Aus den erzeugten Konturbildern können dann z. B. Fahrzeuge und Fußgänger klassifiziert werden.
156
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Beim Auffinden relevanter Bildregionen kann auch auf Zusatzinformationen von anderen Sensoren zurückgegriffen werden. Klassische videobasierte Systeme werden ebenso wie die menschliche Sehwahrnehmung von Licht und Wetterbedingungen beeinflusst. Durch die Verwendung von Infrarotlicht - rein passiv oder aktiv beleuchtet - können die Systemeigenschaften auch bei Dunkelheit und über eine größere Reichweite sichergestellt werden. Wärmebildkameras arbeiten im langwelligen Teil des infraroten Spektrums (FIR) und könnten zur Detektion von Körperwärme der Fußgänger eingesetzt werden. So genannte Multispektralkameras decken diesen Bereich mit ab. In einem bei HONDA erhältlichen System werden die Videosignale aus dem infraroten Bereich einer Mustererkennung unterzogen (s. Abb. 3.41). So ist das System in der Lage, vor Fußgängern im Gefahrenbereich vor dem Fahrzeug zu warnen (Simister 2005).
Abb. 3.41 Datenverarbeitung von Ferninfrarotaufnahmen innerhalb eines Fußgängerwarnsystems (nach Honda 2006).
Radar
Aufgrund der Möglichkeit Frequenzen über 10 GHz zu nutzen, ist die Radartechnologie für die Fahrzeugapplikation vor allem unter dem Gesichtspunkt der angemessenen Größe der Bauteile geeignet (s. Abb. 3.42). Grundsätzliche Vorteile von Radartechniken zur Umfeldsensierung bestehen in der robusten Bauweise der Sensorik und der relativ einfachen und unauffälligen fahrzeugseitigen Integration hinter Plastikbauteilen. Bei den heutigen Radarsystemen gibt es zwei Frequenzbereiche, denen in der Forschung und Anwendung hohe Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Bereich um 77 GHz kommt bei Anwendungen zum Einsatz, die eine
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
157
große Reichweite abtasten und einen kleinen Abtastwinkel haben. Die Frequenzen um 24 GHz werden für kürzere Distanzen und größere Abtastwinkel genutzt, wobei die Sende- und Empfangskomponente dieses Systems zwar größer, aber billiger sind als die der 77 GHz Ausführung (Mende 1999). Die Nutzung von Frequenzen um 24 GHz hat sich als guter Kompromiss zwischen Antennengröße, Kosten und technischer Nutzbarkeit erwiesen. Im Rahmen des Frequenzzuteilungsverfahrens wurde der Automobilindustrie eine zeitlich befristete Nutzung des 24 GHz-Bandes zugestanden. Langfristig soll aber das 77 GHz-Radar in der Automobiltechnik Einzug halten.
Abb. 3.42 Beispiel eines 24 GHZ FMCW Radarsensors mit Antenne und Elektronik (SAVE-U 2005).
Einer der Hauptvorteile von Radar Systemen ist die Fähigkeit die relative Geschwindigkeit von Objekten direkt zu messen. Es ist nicht nötig diese aus zwei Messungen zu berechnen. Der Tracking-Algorithmus kann einfacher und weniger rechenintensiv gestaltet werden. Radarsysteme sind weniger wetterabhängig als optische Sensoren und arbeiten auch bei eingeschränkter Sicht. Für Frequenzen um 30 GHz liegt die Dämpfung durch Regen oder Nebel bei rund 0,3 dB/km. In Bezug auf den Einsatz in Fahrzeugen sind nur Anlagen mit einer Reichweite bis zu 200 m von Interesse. Die Fähigkeit dieser Systeme Objekte zu erkennen, die außerhalb des optischen Wahrnehmungsbereiches des Fahrers liegen, sollte jedoch kritisch betrachtet werden, denn sie könnte den Fahrer zu allzu sorglosem Fahren verleiten. Nachteilig wirken sich bei den Radarsensoren die Empfindlichkeit auf Stördaten und Reflexionen der Fahrbahnoberfläche und die schlechte Winkelauflösung im Vergleich zu optischen Verfahren aus. Auch eine Blendung des eigenen Radars durch andere Fahrzeuge kann nicht ausgeschlossen werden. Herkömmliche Fahrzeugradarsysteme können die Position
158
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
eines Objektes nicht genau bestimmen. Sie erkennen lediglich unscharf die Reflexionszone. Die Unterscheidung zwischen relevanten Objekten auf der Fahrbahn und anderen Objekten über der Fahrbahn ist unmöglich, da das Radar eine schlechte Auflösung in vertikaler Richtung besitzt. Es gibt unterschiedliche Funktionsweisen von Radarsystemen, die ihre jeweiligen Vor- und Nachteile haben. Die am häufigsten eingesetzten Systeme im Automobilbau werden im Folgenden vorgestellt: Beim Pulse-Doppler-Radar kann über eine Antenne zeitversetzt sowohl gesendet als auch empfangen werden. Hierzu wird kurzzeitig (~1 ns) ein Signal von der Antenne ausgesandt. Nachdem der Impuls gesendet wurde, schaltet die Antenne auf Empfang. Objekte auf kurze Entfernungen zu erkennen, ist aufgrund der Zeitspanne zum Umschalten vom Sende- in den Empfangsmodus unmöglich. Die erforderliche Länge des Impulses ist direkt verknüpft mit der Distanz (1ns ~ 30cm). In einem FMCW-Radar (Frequency Modulated Continous Wave) wird das Senden und Empfangen über zwei getrennte Antennen realisiert. Das gesendete Signal ist frequenzmoduliert, womit über die Frequenz des Empfangsignals seine Laufzeit genauer bestimmt werden kann. Die präzise Frequenzmodulation macht dieses Radarsystem kostenintensiver als andere Bauarten. Aufgrund der Modulation des abgestrahlten Signals kann jedoch die örtliche Auflösung des Systems verbessert werden. Das FSK-Radar (Frequency Shift Keying) ist eine Abwandlung des FMCW-Radars. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass zwischen einer Gruppe vorher festgelegter Sendefrequenzen geschaltet wird. Das FSK-Radar ist im Vergleich zum FMCW ist die preiswertere Bauweise. Die Detektion von Fußgängern wird auch zukünftig nur eine „Zusatzaufgabe“ für bereits aus anderen Gründen im Fahrzeug vorhandene Radarsysteme sein. Die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten im Fußgängerschutz werden sich daran orientieren, wie sicher und zuverlässig eine implementierte Fußgängererkennung sein kann. Für den Einsatz bei fußgängererkennenden Systemen ist das Radar, vor allem durch seine Fähigkeit, Objekte auch bei schlechten Sichtverhältnissen wie Regen oder Nebel zu sensieren, interessant. Derzeit können Fußgänger bis auf eine Entfernung von 60 125 m detektiert werden (Rohling et al. 2004, Kryshtopin 2003). Die Anforderungen hinsichtlich der Reichweite können somit erfüllt werden.
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
159
Laserscanner
LIDAR-Sensoren (Light Detection and Ranging) senden Laserpulse aus und detektieren das zurückgestreute Licht. Aus der Laufzeit der Signale und der Lichtgeschwindigkeit wird die Entfernung zum reflektierenden Hindernis berechnet. Für Geschwindigkeitsmessungen sind daher wiederholte Entfernungsmessungen erforderlich. Die zeitliche Auflösung bei der Laufzeitmessung des Laserpulses entscheidet über die Genauigkeit der Entfernungsmessung. Eine Entfernungsauflösung von 30 cm entspricht einer zeitlichen Auflösung der Laufzeitdifferenz von 1 ns, die das Messsystem erfassen muss. Die Winkelauflösung von Laserscannern wird durch die Zahl der gesendeten Laserpulse während einer Umdrehung des Ablenkspiegels definiert (s. Abb. 3.43).
Abb. 3.43 Bild eines rotierenden Laserscanners (IBEO 2006).
In der Praxis werden örtliche Auflösungen bzgl. Winkel und Entfernung von einigen wenigen Zentimetern erreicht. Scannende Lasersysteme tasten in vertikaler Richtung nur eine begrenzte Zahl von Ebenen ab und halten auf diese Weise das Datenaufkommen überschaubar. Für die in diesen Ebenen vorliegenden Datenpunkte existieren nach der Signalauswertung genaue Winkel- und Entfernungsangaben. Zur Klassifikation des Hindernisses und zur Bestimmung der Annäherungsgeschwindigkeit muss ein Tracking-Algorithmus entwickelt werden, der zwischen festen Hindernis-
160
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
sen, anderen Fahrzeugen und weiteren Verkehrteilnehmern unterscheiden kann (s. Abb. 3.44). Derzeit scheinen zwei Bauarten von Laserscannern geeignet, die Anforderungen der Automobilindustrie hinsichtlich Winkelauflösung und Sample-Rate zu erfüllen. Man unterscheidet zwischen rotierenden und oszillierenden Systemen. Eine Winkelbewegung des Ablenkspiegels erlaubt mit nur einem Laser ein „Abtasten“ der Fahrzeugumgebung und somit eine recht hohe Winkelauflösung. Gleiches kann auch durch ein definiertes Oszillieren des Lasers erreicht werden. Feststehende Anordnungen von mehreren, unter definierten Winkeln angeordneten Laser und Empfänger finden Verwendung in Bereichen, in denen keine hohe Winkelauflösung und Sichtweite gefordert wird (z. B. Systeme zur Anwendung in automatischen Geschwindigkeitsregelungen).
Abb. 3.44 Detektion und Klassifizierung eines Fußgängers mithilfe eines rotierenden Laserscanners (nach IBEO 2006).
Bewertung von Umfeldsensorik
Die Leistungsfähigkeit der Umfeldsensorik hat - neben der Kundenakzeptanz und der rechtlichen Bewertung - einen sehr großen Einfluss auf die Marktfähigkeit von bestimmten Assistenzsystemen. Die Bewertung der hier aufgeführten Sensorprinzipien geht von der Applikation der Sensoren in einem intelligenten Bremsassistenzsystem aus, welches vollautonom eine Teilbremsung durchführen kann. Bei Loslassen des Gaspedals oder Bremsbetätigung in einer kritischen Situation soll jedoch immer eine Vollbremsung erfolgen. Der Fußgänger muss demnach mit einer bestimmten
3.6 Sensorik zur Steuerung von aktiven und passiven Maßnahmen
161
Sicherheit detektiert werden. Seine Position und Bewegung muss so genau festgestellt und nachgeführt werden, dass entschieden werden kann, ob eine kritische Situation vorliegt oder nicht. In Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass eine Sensorreichweite von 20 m ausreicht, um 90 % aller Fußgängerunfälle mit einem intelligenten Bremsassistenten positiv zu beeinflussen (Fröming 2006). Eine kurze Bewertung der Eignung verschiedener Umfeldsensoriken zur Detektion von Fußgängern im Straßenverkehr ist in Tabelle 3.6 aufgeführt. Vielversprechend zur automatischen Detektion von Fußgängern sind optische Verfahren sowie Laserscanner, die eine hohe Winkelauflösung der Messdaten bereitstellen können. Radarbasierte Verfahren bieten eindeutige Vorteile in der Witterungsunabhängigkeit und der Robustheit der Sensoren. Zukünftige Assistenzsysteme zum Schutz von Fußgängern werden wahrscheinlich mehrere Sensorprinzipien nutzen, die durch Sensorfusion ihre systemimmanenten Nachteile kompensieren und ihre Vorteile in das Gesamtsystem einbringen können. Dadurch steigt die Erkennungsrate und die Fehlerrate sinkt. So kann man automotiven Anforderungen zum Einsatz in vollautonom agierenden Assistenzsystemen gerecht werden. Tabelle 3.6 Bewertung verschiedener Umfeldsensoriken zur Verwendung in aktiven Fußgängerschutzsystemen (++ - sehr gut, + - gut, o – befriedigend, Fröming 2006). Messgröße
erforderliche Leistung
Computer vision
scanning Lidar
++ + o
++ + +
Reichweite Geschwindigkeit Objektverfolgung
20 m ± 1 km/h hilfreich
++ o +
Visible and near Infrared ++ o +
Positionsbestimmung
± 0,1 m
+
+
+
++
min. 10 Hz 85 % 95 %
o + o
o + o
++ o o
++ + o
Samplingrate Erkennungsrate
Far Infrared
Radar
162
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
3.7 Globale Nutzenabschätzung Nach der Vorstellung von Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern und notwendigen Sensorsystemen, soll an dieser Stelle eine vorläufige Bewertung von ausgewählten Systemen vorgenommen werden. Basierend auf den in diesem Buch dargestellten Erkenntnissen werden die fahrzeugseitigen Fußgängerschutzmaßnahmen hinsichtlich ihres prognostizierten Sicherheitsgewinns im realen Straßenverkehr und nach ihrer voraussichtlichen Markteinführung systematisiert (s. Abb. 3.45). Alle derzeit auf dem Markt befindlichen Fußgängerschutzsysteme tragen zur Sicherheit der Fußgänger im Straßenverkehr bei. Mit den technischen Maßnahmen im Uni-Car konnte bereits in der Vergangenheit gezeigt werden, welches Schutzpotenzial durch passive Strukturmaßnahmen allein erreicht werden kann. Ein optimiertes Design und energieabsorbierende Materialien im Fahrzeugfrontbereich können heute ein gegenüber dem Uni-Car weiter verbessertes Schutzpotenzial bieten. Die aufstellende Haube stellt insbesondere bei Fahrzeugen mit längerer Fronthaube einen Sicherheitsgewinn dar (s. Tab. 3.4). Dieses Schutzkonzept kann mit einem Airbag zur Abdeckung steifer Bereiche im Scheibenbereich sinnvoll ergänzt werden. Somit bietet sich ein hohes Potential zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz, welches durch passive Schutzmaßnahmen erreicht werden kann. Mit der Verfügbarkeit von Kontaktloser Sensorik kann das Einsatzgebiet aktiver Strukturmaßnahmen auch auf Fahrzeugkonzepte erweitert werden, für die aufgrund der benötigten kurzen Aktivierungszeiten eine kontaktbasierte Auslösung nicht in Frage kommt. Das zusätzliche Schutzpotenzial adaptiver Frontends wird als gering eingestuft, da bereits durch passive Strukturmaßnahmen ein guter Schutz der unteren Extremitäten erreicht werden kann und die dort trotzdem auftretenden Verletzungen nur sehr selten sehr schwer oder lebensbedrohlich sind. Es zeigt sich aber auch, dass Einzelmaßnahmen sowohl aktiver als auch passiver Natur teilweise nur einen begrenzten Sicherheitsgewinn für den Fußgänger darstellen. Ein konventioneller Bremsassistent oder auch Warnsysteme können den großen Anteil der Fußgängerunfälle innerorts aufgrund der kurzen Reaktionszeiten und Bremswege nicht adäquat adressieren. Durch die Einführung intelligenter Bremsassistenten mit volladaptiven Eingreifschwellen und vorgezogenem Bremsbeginn schon während der Umsetzbewegung kann auch innerorts das Schutzpotenzial von Bremsassistenten zukünftig deutlich verbessert werden. Dennoch müssen auch intelligente Fahrerassistenzsysteme zumindest durch grundlegende passive
3.7 Globale Nutzenabschätzung
163
Strukturmaßnahmen ergänzt werden, um einen Sicherheitsgewinn durch die reduzierte Kollisionsgeschwindigkeit erzielen zu können.
Abb. 3.45 Qualitative Bewertung und voraussichtlicher Zeitpunkt der Einführung von fahrzeugseitigen Maßnahmen zum Fußgängerschutz.
Warnsysteme, die eine frühere Fahrerreaktion bewirken können, ergänzen die intelligenten Bremsassistenten und passiven Schutzmaßnahmen weiter. Die Kombination unterschiedlicher aktiver und passiver Maßnahmen ist deutlich wirkungsvoller als die jeweiligen Einzelmaßnahmen. Trotzdem werden durch die Gesetzgebung und EuroNCAP derzeit nur einzelne passive Maßnahmen im Front- und Haubenbereich honoriert. Eine Berücksichtigung von Fußgängerschutzmaßnahmen im Scheibenbereich
164
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
oder auch von Maßnahmen der aktiven Sicherheit erfolgt noch nicht. Für Kombinationen von aktiven und passiven Fußgängerschutzmaßnahmen ergeben sich große Schutzpotenziale. Diese setzen jedoch eine zuverlässige Umfeldsensorik voraus, sodass mit diesen Systemen nicht in naher Zukunft gerechnet werden kann. Zudem spricht die rechtliche Bewertung von vollautonomen Fahrdynamikeingriffen derzeit gegen die Einführung sehr weit fortgeschrittener Bremsassistenzsysteme. Aktive Maßnahmen zur Senkung der Kollisionsgeschwindigkeit und Optimierung der Anstoßkonstellation sind jedoch in näherer Zukunft auch zum Schutz der Fußgänger zu erwarten. Die Entwicklung und Optimierung solcher Systeme kann durch geeignete Bewertungsmethoden wie dem im nächsten Kapitel erläuterten VERPS+-Index (s. Abschn. 4.4) zielgerichteter verlaufen. Der Sicherheitsgewinn im realen Unfallgeschehen kann somit maximiert werden. Die Sicherheit von Fußgängern im Straßenverkehr kann durch eine Vielzahl von Maßnahmen erhöht werden. Das weite Feld der Möglichkeiten von Infrastrukturmaßnahmen, Verkehrserziehung und –überwachung sowie der fahrzeugseitigen Schutzmaßnahmen bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass es kein Patentrezept für optimalen Fußgängerschutz geben kann. Vielmehr muss länderspezifisch ein Bündel an Maßnahmen erarbeitet werden, mit dem die Sicherheit der Fußgänger im Straßenverkehr verbessert werden kann. Insbesondere die Rettung und medizinische Versorgung der Unfallopfer birgt große Schutzpotenziale in Ländern, die diesbezüglich noch Defizite aufweisen. In Ländern, in denen sich die Straßeninfrastruktur noch im Aufbau befindet, sollten unbedingt die vorhandenen Erkenntnisse zur Gestaltung sicherer Straßen umgesetzt werden. Sowohl in diesen Ländern als auch in jenen mit bereits gut entwickelter Straßeninfrastruktur muss das Bewusstsein der Straßennutzer durch Schulungen und Verkehrserziehung geschärft werden. Insbesondere eine verbesserte Wahrnehmbarkeit von Fußgängern im Straßenverkehr kann das Unfallrisiko für diese Nutzergruppe deutlich senken. Die Unterstützung der maschinellen Fußgängererkennung durch technische Merkmale am Fußgänger selbst22 ermöglicht ebenfalls sehr große Schutzpotenziale, jedoch steckt die Forschung zu diesem Thema noch in den Kinderschuhen (Nissan 2005).
z. B. RFID-Tags in der Kleidung des Fußgängers (Radio frequency identification devices; Funketiketten, derzeit vor allem in der Logistik zur Nachverfolgung und Ortung von Gütern eingesetzt).
22
Literatur
165
Literatur Appel H, Rau H, Kühnel A, Hofmann J (1978) Biomechanik des Fußgängerunfalls. Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) Schriftenreihe Nr. 7, Frankfurt/Main, 1978. AMS (2006) Auto, Motor und Sport 13/2006, S. 134f ATZ (2005) Die neue S-Klasse von Mercedes-Benz. Sonderausgabe von ATZ und MTZ, Vieweg Verlag, Wiesbaden, 2005. Bachem H, Friesen F, Hilfrich E, Schwarz D, Wohlecker R (2002) ClosuresKonzepte aus Stahl. ATZ 6/2002 Jahrgang 104, 2002. Bauer, A., Seeck, A. (2004) Geschwindigkeitsmanagement mit Hilfe von Fahrerassistenzsystemen. VDI-Berichte Nr. 1864, Düsseldorf, 2004. BMFT (1983) Uni-Car – Der Forschungs-Personenkraftwagen der Hochschularbeitsgemeinschaft. Schlussbericht, Darmstadt, 1983. BUK (2003) Statistik-Info zum Schülerunfallgeschehen 2002, Bundesverband der Unfallkassen, München 2003. Busch S (2004) Entwicklung einer Bewertungsmethodik zur Prognose des Sicherheitsgewinns ausgewählter Fahrerassistenzsysteme. Fortschritt-Berichte VDI Reihe 12 Nr. 588, Wolfsburg 2004. Carsten O, Fowkes M (2000) External Vehicle Speed Control. Executive Summary of Project Results, July 2000. DaimlerChrysler (2002) Schwierige Suche nach dem Königsweg. Hightechreport Forschung und Technik, Ausgabe 2/2002, DaimlerChrysler, 2002. EFA (2002) Empfehlung für Verkehrsanlagen (EFA). Forschungsgesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen, Arbeitsgruppe Straßenentwurf, 2002. Elternheft (2004) Schulwegsicherung. Informationen für Eltern. Verkehrstechnisches Institut, Berlin 2004. Empfehlungen Nr. 14 (2004) Planerheft: Schulwegsicherung. Empfehlungen Nr. 14, Verkehrstechnisches Institut der Deutschen Versicherer, Berlin 2004. EuroNCAP (2006) European New Car Assessment Programme (EuroNCAP) – http://www.euroncap.com/images/results/executive_cars/car_235_2005/Citroe n%20C6%20Datasheet%202.pdf. Fischer J, Böheim J, Hoffmann J (2002) Systems approach to fulfill the pedestrian protection according to ACEA Phase I; Haus der Technik - München 21.11.2002. Friedemann D (2005) Simulation eines Fahrzeugs mit Querdynamik und Aufbaubewegung zur Untersuchung aktiver Systeme zum Fußgängerschutz, Diplomarbeit, Technische Universität Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, 2005. Fröming R (2003) Experimentelle Umsetzung des Hybridtestverfahrens zum Fußgängerschutz und Ableitung eines Gefährdungsindex für Fahrzeugfronten. TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, Diplomarbeit, 2003. Fröming R, Schindler V, Kühn M (2005) Ein Verfahren zur objektiven Bewertung fahrzeugseitiger Maßnahmen zum Fußgängerschutz. VDI-Berichte 1911, VDI-Verlag, Düsseldorf, 2005.
166
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Fröming R, Kühn M, Schindler V (2006) Requirement Engineering for Active Safety Pedestrian Protection Systems based on Accident Research, Tagungsband zur Tagung “Advanced Microelectronics for automotive Applications”, 26.-27. April 2006, Berlin. Funk W, Wiedemann A (2002) Verkehrssicherheitsmaßnahmen für Kinder. BAStBericht M 139, Wirtschaftsverlag NW, ISBN 3-89701-839-X, Bergisch Gladbach 2002. Fürstenberg K (2005) Pedestrian Safety based on Laserscanner Data, Tagungsband zur Tagung “Advanced Microelectronics for automotive Applications”, April 2005, Berlin. Goseberg F (2003) Aktives Fußgängerschutzsystem, Tagung „Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw“, Haus der Technik, München 21.-22. November 2005. Hahn W (2006) Fußgängerschutz: Entwicklungswerkzeuge – biomechanische Bewertung und Anwendung, Tagungsunterlagen zur Praxiskonferenz Fußgängerschutz, Bergisch Gladbach, 2006. Heinrich T (2003) Bewertung von technischen Maßnahmen zum Fußgängerschutz am Kraftfahrzeug. Studienarbeit, TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, Berlin 2003. Hoffmann J, Kretzschmar A (2001) Aktiv-reversible Schutzkonzepte zur Erfüllung der Fußgängerschutzanforderungen nach EEVC WG17; VDI Berichte , 2001. Hoffmann I (2005) Replacing Radar by an Optical Sensor in Automotive Applications, Tagungsband zur Tagung “Advanced Microelectronics for automotive Applications”, April 2005, Berlin. Kalliske I (2001) Optimierte Fahrzeugfront hinsichtlich des Fußgängerschutzes. BASt-Bericht F 38, Wirtschaftsverlag NW, Bergisch Gladbach 2001. Kiesewetter W, Klinkner W, Reichelt W, Steiner M (1997) Der neue Brake-Assist von Mercedes-Benz – aktive Fahrerunterstützung in Notsituationen. ATZ Automobiltechnische Zeitschrift 99. Kramer F (1998) Passive Sicherheit von Kraftfahrzeugen. Vieweg Verlag, Ingolstadt, 1998. Kryshtopin A, Sevskiy G, Markov K, Heide P, Nalezinski M, Roskosch R, Vossiek M (2003) Cost-minimized 24GHz pulse oscillator for short-range automotive radar applications; 33rd european microwave conference 2003. Kühn (2004) Weiterentwicklung von Fußgänger-Komponententests. FortschrittBerichte VDI Reihe 12 Nr. 573, VDI Verlag, Düsseldorf 2004. Kühn M, Rose A, Seifert K (2003) Untersuchung des Fußgänger-FahrzeugUnfalls hinsichtlich des Fahrerverhaltens. Online-Journal MMI-interaktiv, Nr.6, ISSN 1439-7854, März 2003. Kühn M, Kampa A, Schindler V (2005) Die Blickbewegungsanalyse als alternatives Werkzeug im Bereich der Fahrzeugsicherheit. Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik Heft 10, Vieweg Verlag/GWV-Fachverlage, Wiesbaden, 2005. Maier R (1984) Fußgängersicherheit in Städten. Mitteilungen der Beratungsstelle für Schadenverhütung, Nr. 24, März 1984.
Literatur
167
Maier R (1986) Zeitverluste für Fußgänger beim Queren von Straßen als Maß für die Trennwirkung. Artikel in Straßenverkehrstechnik, Heft 4/1986. Master (1998) Managing Speeds of Traffic on European Roads. Final Report, December 1998; VTT Finnland. Meewes V (1984) Sicherheitsdefizite in Städten und Gemeinden ; Unfall- und Sicherheitsforschung, Heft Nr. 49, Köln, 1984. Meewes V (1989) Geschwindigkeiten in Erschließungsstraßen. Artikel in Straßenverkehrstechnik, Heft 2/1989. Meewes V., Köppel, W. (2003) Geschwindigkeitsbegrenzer in Kraftfahrzeugen – Mögliche Auswirkungen auf Geschwindigkeiten und Verkehrssicherheit. Zeitschrift für Verkehrssicherheit 49 (2003) 2. Meinecke M, Obojski M (2005) Potentials and Limitations of Pre-Crash Systems for Pedestrian Protection, 2nd International Workshop on Intelligent Transportation, Hamburg, 2005. Mende R (1999) Radarsysteme zur automatischen Abstandsregelung in Automobilen; Dissertation TU-Braunschweig, 1999. Muser, M. H., Walz, F. H. (2001) Bewegungsablauf und biomechanische Aspekte beim Pkw-Fußgänger-Unfall. Tagungsband: Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw, Haus der Technik e.V., München, 2001. Neumann-Opitz N (1996) Außerschulische Verkehrserziehung in Ländern Europas. BASt-Bericht M 54, Wirtschaftsverlag NW, ISBN 3-89429-678-X, Bergisch Gladbach 1996. Nissan (2005) Expanded IC Tag Child Protection Service Developed. http://www.nissan-global.com/EN/NEWS/2005/_STORY/051116-01-e.html. Opperbeck G, Hassdenteufel K, Krasenbrink C, Cheron H (2006) Hochintegriertes Frontendmodul; Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ) 01/2006 Jahrgang 108, Vieweg Verlag, Wiesbaden, 2006. Otte D (1999) Einfluss der Fahrzeugfront auf die Verletzungssituation von verunfallten Fußgängern – eine Auswertung aus Erhebungen am Unfallort Hannover. In: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, 1999. Pfundt K, Meewes V, Eckstein K (1975) Verkehrssicherheit neuer Wohngebiete Unfall- und Strukturanalyse von 10 Neubaugebieten; Mitteilungen der Beratungsstelle für Schadenverhütung, Nr. 12, Köln 1975. Redlich J (2005) Zielkonflikte von Fußgängerschutz und Repairability – Grundsätzlicher Gegensatz oder Lösungsmöglichkeiten? Tagung, Schutz der Fußgänger bei Kollision mit Pkw, HdT, München 2005. Rohling, H., Kruse, F., Fölster, F., Ahrholdt, M. (2004) Target-Classification with Narrowband 24GHz Radar System; WIT TU-Hamburg Harburg, 2004. Save-U D6 (2005) SAVE-U - Deliverable D6: Strategies in Terms of Vulnerable Road User Protection. EU-Project SAVE-U, http://www.save-u.org. Sivak M (1996) The information that drivers use : is it indeed 90 % visual?, Perception 1996, Bd 25. Schimmelpfennig u. Becke (1992), „Die Abwehr des Kfz-Versicherungsbetruges“, Seminar, 1992.
168
3 Maßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Schulwegsicherung (2004) Informationen für Eltern: Schulwegsicherung. Verkehrstechnisches Institut der Deutschen Versicherer, Berlin 2004. Simister J (2005) Testing to extreme. Automotive engineer, 12/2005. Thomson D (1992) Entwicklung einer Motorhaube mit verbessertem Schutz für äußere Verkehrsteilnehmer, Diplomarbeit der FH Hamburg, Hamburg, 1992. Unger M (2004) Verbesserung der Wahrnehmbarkeit motorisierter Zweiradfahrer im Straßenverkehr. Studienarbeit 04/04, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, TU Berlin, 2004. Unger M (2005) Konzeption, Bewertung und Darstellung von Tagfahrlichtfunktionen für motorisierte Zweiräder. Diplomarbeit 06/05, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, TU Berlin, 2005. Unselt T, Breuer J, Eckstein L (2004) Fußgängerschutz durch Bremsassistenz, Conference Proceedings of „Aktive Sicherheit durch Fahrerassistenzsysteme“. München, 2004. VDI-Nachrichten (2005) Uni Stanford gewinnt mit VW-Touareg Millionenpreis. VDI-Nachrichten, 14. Oktober 2005, Nr. 41. Weishaupt H, Berger M, Saul B, Schimunek FP, Grimm K, Pleßmann S, Zügenrücker I (2004) Verkehrserziehung in der Sekundarstufe. BASt-Bericht M 157, Wirtschaftsverlag NW, ISBN 3-86509-098-2, Bergisch Gladbach 2004. Zander A (2003) Alternative Sensierungskonzepte zur Seitencrash-Erkennung. Fortschritt-Bericht VDI Reihe 12 Nr. 560, Halberstadt 2003.
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Die Sicherheit im Straßenverkehr ergibt sich aus dem Zusammenspiel von aktiver und passiver Sicherheit, jeweils in den drei Ebenen Mensch, Fahrzeug und Umwelt (s. Abb. 4.1). Bisher wurden nur für einzelne Teilgebiete der Straßenverkehrssicherheit Bewertungsmethoden entwickelt, die den Beitrag einzelner Maßnahmen überprüfbar machen. Als am fortgeschrittensten ist hier neben den Bewertungsverfahren zur passiven Sicherheit von Kraftfahrzeugen die Bewertung von straßenseitigen Verkehrssicherheitsmaßnahmen anzusehen. Schutzmaßnahmen wirken auf den verschiedenen Ebenen ganz unterschiedlich. Sie sind aber alle mit Kosten verbunden und bergen ein gewisses Risiko an Fehlfunktionen oder Fehlbenutzung.
Abb. 4.1 Übersicht über Teilgebiete der Verkehrssicherheit mit Bezug zum Fußgängerschutz und deren Bewertungsmethoden.
170
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
In der politischen Diskussion wäre es höchst wünschenswert, alle diese Maßnahmen auf einer gemeinsamen Skala quantifizierbar zu machen. So könnten die zur Verfügung stehenden, begrenzten volkswirtschaftlichen Mittel auf das effektivste und kostenwirksamste Bündel an Maßnahmen konzentriert werden. Verfahren, die aktive und passive Sicherheit in gleicher Weise bewerten, fehlen aber bisher.
4.1 Straßenseitige Maßnahmen Generell gilt: Um die Wirksamkeit einer verkehrsicherheitsbezogenen Maßnahme zu überprüfen, ist es wichtig, Verfahren zur Verfügung zu haben, die in der Lage sind, Sicherheitsdefizite aufzuzeigen und zu bewerten. Dies sollte in allen sicherheitsrelevanten Bereichen des Verkehrs geschehen, vor allem im Bereich des Fahrzeugs selbst, aber auch im Bereich der Straße. In Deutschland wurde 1999 damit begonnen, ein Sicherheitsaudit für Straßen zu entwickeln, das für die deutsche Planungs- und Verwaltungspraxis geeignet ist. In der Vergangenheit hat sich nämlich gezeigt, dass immer wieder Straßenbaumaßnahmen geplant und realisiert wurden, bei denen die Möglichkeiten der geltenden technischen Regelwerke für eine verkehrssichere Gestaltung nicht ausgenutzt oder sogar missachtet wurden. Im Jahre 2002 wurde mit den Empfehlungen für Sicherheitsaudits von Straßen (ESAS) ein formalisiertes Verfahren eingeführt, mit dem Sicherheitsdefizite bei Planung und Entwurf von Straßen vermieden werden sollen (ESAS 2002). Im Ausland wurden bereits beginnend in den 80iger Jahren Erfahrungen mit solchen formalisierten Verfahren, so genannten „Road Safety Audits“, gemacht (Großbritannien, Dänemark, Australien). Diese sollen Sicherheitsmängel bei Planung und Entwurf von Straßen vermeiden helfen. Sie sind in ihren Grundzügen gleich, weisen aber länderspezifische Besonderheiten auf. Das Ziel des Sicherheitsaudits in Deutschland ist es, Straßen beim Neu-, Um- oder Ausbau für alle Verkehrsteilnehmer so sicher wie möglich zu gestalten, um damit Unfallgefahren so gering wie möglich zu halten. Der Fokus des Audits liegt also im Bereich der Verkehrssicherheit.
4.1 Straßenseitige Maßnahmen
171
Allgemein müssen aber in einem Abwägungsprozess beim Entwurf einer Straße auch alle übrigen Belange beachtet werden, wie z. B.: x x x x
Verkehrsablauf Wirtschaftlichkeit Straßenraumgestaltung Umfeldverträglichkeit
Das Sicherheitsaudit kann in verschiedenen Phasen in den Planungsablauf eines Projektes integriert werden: x x x x
Auditphase 1: Vorplanung Auditphase 2: Vorentwurf Auditphase 3: Ausführungsentwurf Auditphase 4: Verkehrsfreigabe
Allgemein gilt: je früher mit dem Auditprozess begonnen wird, desto geringer ist der Aufwand bei den folgenden Auditphasen. Im Gegensatz zum im Ausland oft praktizierten Audit bestehender Straßen (Betriebsaudit), enthält das vom BMVBS1 vorgeschlagene deutsche Audit diese Phase nicht. Hier greifen die gesetzlich verankerten Verfahren der so genannten Verkehrsschau und die örtliche Unfalluntersuchung. Die eigentliche Auditdurchführung gliedert sich in 4 Arbeitsschritte: 1. Sichtung der Unterlagen, Prüfung auf Vollständigkeit 2. Auditierung der Planunterlagen durch - „virtuelle Benutzung“ der Verkehrsanlage aus Sicht der verschiedenen Verkehrsteilnehmer - Überprüfung der sicheren Gestaltung wichtiger räumlich-funktionaler Situationen, wie z. B. Ortseingangsbereiche, Überquerungsstellen, Haltestellenbereiche - Überprüfung der Planung auf mögliche missbräuchliche Benutzung, z. B: Gehwegparken 3. „Selbstkontrolle“ mit Hilfe der ESAS-Checklisten - Ortsbesichtigung in Form teilnehmender Beobachtung, Prüfung der Planung vor Ort, Ergebnisprotokoll mit Fotodokumentation 4. Anfertigen eines Auditberichtes mit Angabe von - Projektdaten - Grundsätzlichen Entwurfsdefiziten - Detaildefiziten
1
BMVBS – Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung
172
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Die bisher durchgeführten Audits zeigen, dass bei insgesamt hoher Akzeptanz der Auditergebnisse die Bereitschaft für die Umsetzung der Änderungen in den frühen Auditphasen größer ist als in den späteren. Viele der festgestellten Defizite sind dabei sicherheitsrelevante Abweichungen von den Regelwerken (s. Abb. 4.2). Dies zeigt u.a. den Bedarf an Weiterbildungsmaßnahmen für Planer.
Abb. 4.2 Festgestellte Defizitbereiche bei den Sicherheitsaudits im Land Brandenburg (SAS 2002).
Abb. 4.3 Festgestellte Defizite bei auditierten Ortsdurchfahrten im Land Brandenburg (SAS 2002).
Speziell bei Audits für Ortsdurchfahrten die im Land Brandenburg durchgeführt wurden, konnte festgestellt werden, dass keine oder nur unzureichende Maßnahmen zur Geschwindigkeitsreduzierung durchgeführt
4.1 Straßenseitige Maßnahmen
173
wurden. Weitere Defizite waren u.a. nicht gesicherte Haltestellen, nicht ausreichende Sichtverhältnisse bei Grundstückszufahrten sowie fehlende oder falsch angeordnete Parkstände. So betrafen z. B. 25 % der Defizite den Radverkehr und 8 % die Fußgänger (s. Abb. 4.3). Entscheidend für die Motivation der Durchführung einer Maßnahme allgemein ist deren Nutzen/Kosten-Verhältnis. Bisherige Erfahrungen in Deutschland und im Ausland zeigen, dass der Nutzen eines Sicherheitsaudits weit höher ist als die Kosten. Die Kosten eines Sicherheitsaudits werden im Wesentlichen durch den Zeitbedarf des Auditors bestimmt. Er kann, je nach Umfang des Projektes, zwischen einem und mehreren Tagen liegen. Dagegen ist der wesentliche Nutzen dieses Sicherheitsaudits die Reduzierung der Unfallkosten (SAS 2002). Die Qualität des Sicherheitsaudit hängt entscheidend von der Qualifikation der Auditoren ab. Sie müssen über vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich des Entwurfs und der Beurteilung der Verkehrssicherheit von Straßenverkehrsanlagen verfügen. Grundqualifikation ist u.a. ein abgeschlossenes einschlägiges Hochschulstudium. Die Auditoren sollten unabhängig sein, um die Projekte unvoreingenommen und unbeeinflusst bewerten zu können (SAS 2002). Monetäre Bewertungsansätze für Infrastrukturmaßnahmen zum Schutz von Fußgängern
Im Rahmen einer französisch-englischen Kooperation wurde im Jahr 1998 auf Anregung des Verbandes der europäischen Automobilhersteller (ACEA) eine Studie zur Bewertung der Effizienz von Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt (ORI 98). Insgesamt wurden 346 Örtlichkeiten untersucht, an denen Fußgängerunfälle aufgetreten sind und nachträglich zwölf Typen von Infrastrukturmaßnahmen eingeleitet wurden. Die statistische Analyse umfasste einen Untersuchungszeitraum von sechs Jahren, geteilt in jeweils drei Jahre vor und drei Jahre nach Einführung der Infrastrukturmaßnahme. Die Örtlichkeiten wurden in sechs Typen entsprechend des Fahrzeug- und Fußgängeraufkommens unterteilt. Als Bewertungskriterien dienten: x Reduktion der Zahl der verunglückten Fußgänger (s. Tab. 4.1) x First Year Rate of Return (Nutzen/Kosten-Analyse bezogen auf das erste Jahr nach Maßnahmeneinführung, s. Tab. 4.2) x Severity Index (Zahl der Getöteten und Schwerverletzten pro Unfall)
174
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Tabelle 4.1 Reduktion der Zahl der verunglückten Fußgänger durch die Einführung von Infrastrukturmaßnahmen (ORI 1998), zitiert in (SAVE-U D6 2005).
Tabelle 4.2 Nutzen/Kosten-Quotient für das erste Jahr (FYRR - First Year Rate of Return) nach Einführung der Infrastrukturmaßnahme (ORI 1998), zitiert in (SAVE-U D6 2005).
Im Untersuchungsgebiet konnte durch die Einführung von Infrastrukturmaßnahmen die Zahl der verunglückten Fußgänger um 46 % (Getötete: -63 %, Verletzte: -34 %) gesenkt werden. Andere Unfalltypen konnten um 30 % reduziert werden. Die erreichte Reduktion der Zahl der verunglückten Fußgänger (s. Tabelle 4.1) sowie die Ergebnisse der Nutzen/Kosten Analyse (s. Tabelle 4.2) zeigen deutlich die hohe Effizienz der getätigten Infrastrukturmaßnahmen. Fast alle umgesetzten Infrastrukturmaßnahmen konnten die Zahl der verunglückten Fußgänger als auch die Zahl der Un-
4.2 Untersuchungsmethoden zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz
175
fälle überhaupt reduzieren. Als effektivste Infrastrukturmaßnahmen wurden Verkehrsinseln, Straßenbeleuchtung, Fußgängerüberwege und Schutzplanken identifiziert. Bei Betrachtung aller umgesetzten Maßnahmen in allen Gebieten konnte im ersten Jahr ein Nutzen/Kosten-Quotient von 145 % erreicht werden. Insgesamt wurden durch die Einführung der Infrastrukturmaßnahmen volkswirtschaftliche Kosten von 200 Millionen Euro gespart. Die Reduktion der Verunglücktenzahlen und auch der Nutzen/Kosten-Quotient hängen weniger von der Verkehrsdichte des untersuchten Gebietes ab, vielmehr muss im Einzelfall entsprechend der lokalen Gegebenheiten eine passende Maßnahme umgesetzt werden.
176
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
4.2 Untersuchungsmethoden zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz Die Frage, wie fahrzeugseitige Maßnahmen zum Fußgängerschutz entsprechend der Biomechanik des Fußgängerunfalls ausgelegt und angemessen getestet werden können, ist schon seit längerem Gegenstand von Untersuchungen. In der Fahrzeugsicherheit allgemein haben sich mit dem Full-Scale-Test und dem Komponententest zwei verschiedene Prüfphilosophien entwickelt. Beide lassen sich auch im Bereich der Fußgängersicherheit anwenden, haben allerdings hier spezifische Vor- und Nachteile. Im Bereich der Bewertung von Fußgängerschutzmaßnahmen am Kraftfahrzeug befassen sich nahezu alle aktuellen internationalen Aktivitäten mit dem Komponentenprüfverfahren, wobei der Prüfumfang variiert. 4.2.1 Der Full-Scale-Test
In Full-Scale-Tests, auch Globaltest genannt, wird angestrebt, das Unfallgeschehen möglichst umfassend und realitätsgetreu abzubilden. Letztendlich wird der Mensch im Unfallgeschehen durch ein Testwerkzeug ersetzt. Die dazu erforderlichen Dummys sind mechanisch komplex, erfordern eine umfangreiche Messtechnik und der Versuchsaufbau ist sehr aufwendig. Gleichzeitig sind die so entwickelten Dummys nur für einen genau definierten Einsatzzweck einsetzbar und validiert. Im Bereich der Insassensicherheitsforschung hat dies zu einer Vielzahl verschiedener Dummymodelle und -familien zur Untersuchung von Frontal-, Seiten- und Heckcrashes geführt. Frühe Ansätze zur Erforschung des Fußgängerunfalls und seiner Kinematik und Biomechanik waren durch das Fehlen spezieller Fußgängerdummys bestimmt. Man versuchte sich dem realen Fußgänger durch die Umrüstung von geeignet erscheinenden Insassendummys anzunähern. Diese wichen jedoch in wichtigen Eigenschaften von der Biomechanik des Menschen ab. Die Eigenschaften verfügbarer, modifizierter Erwachsenendummys stimmten nicht mit den Beobachtungen in PMTO-Tests überein (Glaeser 1984). Die benutzten Fußgängermodelle weisen u.a. eine zu hohe laterale Steifigkeit auf, so dass sich eine wenig realitätsnahe Anprallkinematik einstellt. Dies führt u.a. dazu, dass die Kopfanprallstellen aus Versuchen mit Dummys und PMTOs) deutlich auseinander liegen (Heger u. Appel 1980; Glaeser 1995; Hahn 2001). Bereits zu Beginn der 80er Jahre wurden deshalb Modifizierungen an bestehenden Erwachsendummys vorgenommen. So ergänzte Glaeser bestehende Dummys mit u.a. „Seitendummy“–Brustkörben und seitlich beweglichen Kniegelenken. Die Ver-
4.2 Untersuchungsmethoden zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz
177
besserungen führten zu einer besseren Abbildung der Abwickelbewegung des Dummys um die Fahrzeugkontur (Glaeser 1984). Auch Fredriksson (Fredrikson et al. 2001) verfolgte diesen Ansatz für seine Untersuchungen. Er fügte die Extremitäten eines Hybrid III – Dummys mit dem Kopf und Hals des EURO-SID, dem Oberkörper des US-SID und dem Hybrid IIStehbecken zu einem Fußgängermodell zusammen. Dabei wurde das Knie mit Biegeelementen, ähnlich den Eigenschaften des EEVCBeinprüfkörpers (EEVC WG 17 1998), versehen. Insgesamt bleibt die Qualität dieser Art von Fußgängerdummys hinsichtlich der Biofidelität deutlich hinter speziellen Fußgängerdummys zurück. Die Reproduzierbarkeit von Full-Scale-Tests zum Fußgängerschutz ist mit diesen Dummys bisher nicht gewährleistet (Stürtz 1984, Eggert 1998). Selbst die Abwickellänge kann im Vergleich zu Versuchen mit PMTO nicht zuverlässig nachgebildet werden. Belastungswerte streuen außerdem sehr stark aufgrund großer lokaler Steifigkeitsunterschiede typischer Fronthauben und können nicht reproduzierbar erfasst werden. Teilweise Abhilfe kann hier möglicherweise durch die Verwendung des POLAR-Dummys geschaffen werden (s. Abb. 4.4). Dennoch bleibt auch bei einer optimalen Abbildung der Biofidelität des Fußgängers ein Grundproblem bei der Verwendung von Fußgängerdummys bestehen. Die Wahl der Kopfanprallorte ist durch die Dummygröße und die sich im Versuch ergebende Aufwurfweite festgelegt. Somit kann auch bei Verwendung mehrerer Dummygrößen nicht jeder beliebige Punkt an der Fahrzeugfront einer Kopfanprallprüfung unterzogen werden. Der Polar II - Fußgängerdummy
Für die Analyse von speziellen Problemstellungen zur Fußgängersicherheit sollten in der rechnerischen Simulation möglichst Fußgängermodelle Anwendung finden, die durch reale Versuche validiert wurden. Dies ist bei der Verwendung von numerischen Menschmodellen nur durch die Verwendung von PMTO möglich und im Versuchsalltag nicht anwendbar. Ein speziell entwickeltes Hilfsmittel zur Untersuchung von Fußgängerunfällen existiert erst seit kurzem mit dem POLAR II-Dummy von Honda (s. Abb. 4.4). Er wurde zur Bewertung von Fahrzeugen im Full-Scale-Test entwickelt (Akiyama et al. 1999a; Akiyama et al. 1999b; Sugimoto 2002). Es existiert ein validiertes FE–Modell des POLAR II (Okamoto et al. 2000; Akiyama et al. 1999b).
178
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Abb. 4.4 POLAR II - Dummy der Firma Honda (links, Honda 2006). Einzeln dargestellt sind der Aufbau des Thorax (mitte) und des Kniegelenkes (rechts). Im Kniegelenk wird durch die Anordnung der Stahlbänder entsprechend der menschlichen Anatomie eine hohe Biofidelität erreicht (Honda 2006).
Das Full Body Pedestrian Model
Die numerische Simulation bietet u.a. die Möglichkeit, Erkenntnisse über Problembereiche des Fußgänger-Fahrzeug-Unfalls und mögliche Prüfverfahren zu gewinnen. Mit ihrer Hilfe können spezielle Fragestellungen beantwortet werden, ohne kosten- und zeitintensive Experimente durchführen zu müssen. Hierfür gibt es speziell für die Zwecke der numerischen Simulation entwickelte Fußgängermodelle. Nach Sicherstellung der Validität der verwendeten Modelle können aus den Erkenntnissen der numerischen Simulation Handlungsfelder und Maßnahmen zum Fußgängerschutz abgeleitet werden. In der Simulationswelt der Mehrkörpersysteme existieren Menschmodelle kommerzieller Anbieter und universitäre Eigenentwicklungen (Yang 1997; Winata 1998). Allgemein führt die Verwendung der Mehrkörpersystemtechnik (MKS) zu kürzeren Rechenzeiten, verglichen mit den FEM2-basierten Fußgängermodellen. Die Aussagekraft der Mehrkörpermodelle ist den Modelleigenschaften entsprechend begrenzt, in vielen An2
FE – Finite Elemente Methode; Zerlegung eines Kontinuums in Substrukturen (Finite Elemente), die geschlossen mathematisch behandelt werden können. Somit wird die numerische Analyse sehr komplexer Zusammenhänge möglich.
4.2 Untersuchungsmethoden zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz
179
wendungsfällen aber dennoch zielführend (s. Tab. 4.3). Durch die Modellierung des menschlichen Körpers mit der Methode der finiten Elemente kann zukünftig die Aussagekraft der numerischen Simulation hinsichtlich der zu erwartenden Verletzungen des Fußgängers deutlich gesteigert werden, allerdings unter Inkaufnahme deutlich längerer Rechenzeiten. Die Firma TNO vertreibt eine u.a. an PMTO-Versuchen validierte MKS-Fußgänger-Modellfamilie. Besonderes Augenmerk wurde hier auf eine gute Wiedergabe der Anprallkinematik gelegt. Die Beine des Modells verfügen über die Möglichkeit, an der Tibia und dem Femur zu brechen. Dadurch kann die Anprallkinematik und Energieaufnahme eines Fußgängers exakter nachgebildet werden. Zusätzlich stehen an mehreren Stellen Messpunkte zur Auswertung von Beschleunigungen, Kräften und Momenten bereit. Es existieren 5 verschiedene Modelle, die eine so genannte Modellfamilie bilden (s. Abb. 4.5).
Abb. 4.5 Die Familie der Full Body Pedestrian Modelle mit Angaben zu Größe und Gewicht (Lange u. Happee 2001).
Das Fußgängermodell ist primär auf den lateralen Lastfall ausgelegt worden (Lange u. Happee 2001). Die Realitätsnähe der mit dem Modell gewonnenen Ergebnisse kann anhand eines mitgelieferten Datenblattes eingeschätzt werden (s. Tab. 4.3). Aussagen zur Anprallkinematik und Aufwurfweite des Fußgängers können sehr gut mit diesem Modell getroffen werden, die Kopfanprallgeschwindigkeiten werden im Trend richtig abgebildet. Konkrete Aussagen zu Verletzungen an bestimmten Körperteilen können mit diesem Modell nicht getroffen werden, da das benutzte
180
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Starrkörperkontaktmodell in MADYMO3 nur mit globalisierten Kräften arbeitet. Tabelle 4.3 Validierungstand und Abbildungsgüte des TNO Pedestrian Models (nach Hahn 2006, s. auch Hoof, 2006).
FE-Menschmodelle
Modelle des Menschen auf Basis der Methode der finiten Elemente (FEMethode) finden immer öfter Anwendung, um die Verletzungsmechanik als Fahrzeuginsasse oder Fußgänger numerisch zu analysieren. Durch die 3
MADYMO – Mehrkörpersimulationssystem der Firma TNO
4.2 Untersuchungsmethoden zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz
181
Eigenschaften der FE-Methode können z. B. lokale Verletzungen (Brüche, Quetschungen etc.) besser als mit Mehrkörpermodellen vorhergesagt werden (Koch 2002). Das Versagen der Struktur kann direkt im Modell beobachtet werden und muss nicht aus entsprechenden Belastungsgrößen gefolgert werden. FE-Modelle bieten den Vorteil, bei entsprechend genauer Modellierung, vielfältige Lastfälle abdecken zu können. Das FEMenschmodell THUMS (Total Human Model for Safety) ist ein besonders hoch entwickeltes Modell (s. Abb. 4.6). Es wurde zur besseren Abbildung des Menschen für Fahrzeuginsassensimulationen und Fußgängeranwendungen von Toyota entwickelt.
Abb. 4.6 Das von Toyota entwickelte THUMS-Fußgänger-Modell. Besondere Beachtung fand die realistische Modellierung des Bänderapparates im Knie, um Verletzungen durch Biegung und Scherung realistisch abbilden zu können (Toyota Central R&D Labs 2006).
Das Modell besteht aus 60000 Knoten, die 83500 Elemente verbinden. Dabei kommen 1000 verschiedene Materialgruppen zum Einsatz. Speziell für die Fußgängeranwendung wurde THUMS auf den lateralen Lastfall durch die Kollision mit einer Fahrzeugfront validiert. Das entstandene Fußgängermodell soll es ermöglichen, Verletzungen der unteren Extremitäten und die Gesamtkinematik des Fußgängers genauer vorherzusagen
182
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
(Maeno u. Hasegawa 2001; Muser 2006). Neuere Untersuchungen mit dem THUMS-Modell belegen den signifikanten Einfluss der Fahrzeugfrontgeometrie auf die Entstehung von Bein- und Beckenverletzungen (Muser 2006). Auch auf europäischer Ebene entstanden FE-Menschmodelle im Rahmen der Forschungsprojekte HUMOS uns HUMOS2. 4.2.2 Der Komponententest
Komponententests bilden im Gegensatz zu den Full-Scale-Tests nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtunfallgeschehens ab. Nur fundierte Kenntnisse über das Unfallgeschehen und seine Biomechanik lassen sinnvolle Rückschlüsse aus den Ergebnissen auf das Gesamtgeschehen zu. Bei einfachen Zusammenhängen liefern Komponententests gute Ergebnisse und sind in der Fachwelt etabliert. Ein Beispiel ist die Überprüfung der Gurtverankerungspunkte im Fahrzeuginnenraum mittels eines statischen Zugversuchs nach ECE-R144. Die heutigen Komponententestverfahren zum Fußgängerschutz beschränken sich auf die Abbildung des Kopf-, Bein- und Beckenanpralls an die Fahrzeugfront (s. Kap. 4.3). Bei einem kinematisch komplizierteren Vorgang wie dem Fußgängerunfall sind die herkömmlichen Komponententests mit starren Prüfparametern für manche Konstellationen nicht zutreffend und können das Fußgängerunfallgeschehen mit seiner Vielzahl von Variationen nicht ausreichend genau abbilden. Die richtige Wahl der Masse des Prüfkörpers in einem Komponententest ist eine entscheidende Grundvoraussetzung, um realitätsnahe Prüfergebnisse zu erzielen. So hängt die Kopfprüfkörpermasse von der Größe des Fußgängers ab und es ergeben sich mit steigender Aufwurfweite (WAD) zunehmende Prüfkörpermassen. Entsprechende Untersuchungen zur Anthropometrie des Menschen wurden vor allem in der Sportmedizin durchgeführt und können bei der Wahl der Prüfkörpermassen berücksichtigt werden.
4
ECE-R14 – Economic Commission for Europe – Regulation 14: Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Personenkraftwagen hinsichtlich der Verankerung der Sicherheitsgurte.
4.2 Untersuchungsmethoden zum fahrzeugseitigen Fußgängerschutz
183
Abb. 4.7 Zusammenhang zwischen Körpergröße und Kopfmasse für verschiedene Regressionsverfahren. Zusätzlich sind Kopfmassen (inkl. 50 % der Halsmasse) aktueller TNO-Dummymodelle eingetragen (nach Fröming 2003).
Ein bisheriger Kritikpunkt am Prüfverfahren nach EEVC WG 17, Phase II, ist die Prüfung der Fronthaube mit zwei Kopfprüfkörpern unterschiedlicher Masse. Die Prüfkörpermasse von 2,5 kg repräsentiert nur einen kleinen Ausschnitt der verunfallten Kinder und dementsprechend nur einen kleinen Anprallbereich an der Fahrzeugfront. Der in der Phase I im Haubenbereich verwendete, 3,5 kg schwere Kopfprüfkörper repräsentiert die Kopfmassen der im Haubenbereich auftretenden Kopfanprallorte besser. Wendet man den in Abb. 4.7 gezeigten Zusammenhang zwischen Fußgängergröße und Kopfmasse auf das In-Depth-Unfalldatenmaterial (s. Abschn. 1.3) an, so lassen sich aus den Körpergrößen der verunfallten Fußgänger ihre mittleren Kopfmassen bestimmen. Mit den in der derzeit gültigen Phase I der Fußgängerschutzgesetzgebung verwendeten Prüfkörpermassen von 3,5 kg im Haubenbereich und 4,8 kg im Scheibenbereich können bereits über 77 % der verunfallten Fußgänger durch adäquate Prüfkörpermassen abgedeckt werden5. Die Verwendung eines 4,5 kg schweren Erwachsenenkopfprüfkörpers anstelle des 3,5 kg schweren Prüfkörpers zeigt mit 81 % eine geringfügig verbesserte Abdeckung der im realen Unfallgeschehen auftretenden Kopfmassen. Unter der Annahme üblicher Aufwurfweiten konnte in Untersuchungen ein statistisch fundierter Einsatzbereich der 3,5 kg Prüfkörpers bis zu einer WAD von 1,77 m ermittelt werden. Die Prüfung des Haubenbereiches mit einem 3,5 kg Prüfkör-
5
Hierbei wird ein Vertrauensbereich von ±0,5 kg angenommen, innerhalb dessen der Impaktor noch die theoretisch notwendige Prüfkörpermasse repräsentiert.
184
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
per ist somit für die meisten Fahrzeuge praktikable Annäherung an die Realität (Fröming 2003). Fazit
Die in Tabelle 4.4 zusammengetragenen Haupteigenschaften der beiden grundlegenden Prüfphilosophien sind systemimmanent, und auch Weiterentwicklungen lassen nicht auf eine grundsätzliche Beseitigung der jeweiligen Nachteile hoffen. Tabelle 4.4 Vergleich der beiden grundlegenden Prüfphilosophien (Kühn 2002). Kosten pro Versuch Zeitaufwand Reproduzierbarkeit
Vorhersagbarkeit der Versuchsergebnisse durch numerische Simulation Wissensbedarf über das zugrunde liegende Unfallgschehen
Full-Scale-Testverfahren hoch hoch, viel Vor- und Nachbereitungszeit erforderlich mäßig, besonders bei Fußgängerdummys, starke Einschränkungen bei der Wahl der Prüforte mäßig, geringe Abweichungen in der Kinematik führen aufgrund lokaler Steifigkeitsunterschiede zu sehr unterschiedlichen Messungen gering, Test liefert im Idealfall z. B. Kinematikwissen
Komponententestverfahren niedrig niedrig sehr gut, Prüforte z. B. für den Kopfanprall können vollkommen frei gewählt werden gut, da Prüfbedingungen genau festgelegt sind
hoch, für realistische Prüfbedingungen muss Kinematikwissen unabhängig ermittelt werden
Der Komponententest stellt heutzutage unter den aufgezeigten Randbedingungen die sinnvollste Prüfmöglichkeit für die Fahrzeugfront dar. Durch den Mangel an kurzfristig einsetzbaren, genügend biofidelen Fußgängerdummys ist der Full-Scale-Test zurzeit keine sinnvolle Alternative, was sich auch mittelfristig nicht ändern wird. Die Biofidelität der verwendeten Prüfkörper und die Realitätsnähe der Prüfbedingungen muss im Vorfeld der Einführung von Komponententestverfahren durch umfangreiche anthropologische, biomechanische und unfallstatistische Untersuchungen sichergestellt werden.
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
185
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz Die Nachfrage des Marktes ist ein wirkungsvoller Anreiz für die Schaffung von Angeboten zur Verbesserung der Fahrzeugsicherheit. Beispiele hierfür sind die Einführung von ABS, ESP und anderen Fahrdynamiksystemen sowie die Erfolgsgeschichte des Airbags. Hinzu kommt der Einfluss von Zeitschriften und Verbraucherorganisationen. Trotzdem sind gesetzliche Regelungen weiterhin sehr wichtig. Sie dienen dazu, einen Mindeststandard für alle Fahrzeuge festzulegen, der später in der Praxis von vielen Produkten bei weitem übertroffen wird. Die Entwicklung solcher Regelungen auf europäischer Ebene erweist sich als sehr schwierig. Global gültige Regelungen sind erst in Einzelfällen zustande gekommen. In den letzten Jahren werden alternativ oder ergänzend industrielle Selbstverpflichtungen diskutiert, die schneller und flexibler zum Einsatz kommen können. 4.3.1 Gesetzgebung in Europa Am 17.11.2003 haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die Richtlinie 2003/102/EG zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern vor und bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen erlassen (Europäische Union 2003). Sie trat am 1. Januar 2004 in Kraft. Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet „Fahrzeug“ jedes Kraftfahrzeug der Kategorie M16 mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 2,5 Tonnen und N17 abgeleitet von M1 –Fahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 2,5 Tonnen. Neuzertifizierungen8 müssen bereits seit Oktober 2005 die Anforderungen der Phase I erfüllen und ab September 2010 die Anforderungen der Phase II (s. Abb. 4.8). Ab Dezember 2012 ist in den Mitgliedstaaten dann die Zulassung, der Verkauf und die Inbetriebnahme von Neuwagen untersagt, wenn diese die Komponententests der Phase I nicht erfüllen. Schließlich müssen alle Neuwagen ab dem 1. September 2015 den Komponententest der Phase II erfüllen, um eine EUTypzulassung oder eine nationale Typzulassung zu bekommen. Kategorie M-Fahrzeuge - Alle Fahrzeuge mit vier Rädern, die dem Zweck dienen Personen zu transportieren; M1-Fahrzeuge: Fahrzeuge zum Personentransport mit max. acht Sitzen, ausgenommen dem Fahrersitz. 7 Kategorie N-Fahrzeuge –Fahrzeuge mit mindestens vier Rädern, die dem Zweck dienen Güter zu transportieren; N1-Fahrzeuge: Fahrzeuge die dem Zweck dienen Güter zu transportieren mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 3,5t. 8 Neuzertifizierungen – Homologation eines neuen Fahrzeugmodells, Facelifts und abgeleitete Karosserievarianten gelten i. d. R. nicht als Neuzertifizierungen. 6
186
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Die Richtlinie bezieht sich auf die Frontfläche von Fahrzeugen. Sie enthält einen zweistufigen Ansatz ähnlich der ACEA-Selbstverpflichtung (Europäische Union 2003). Die Prüfungen in der Richtlinie entsprechen in der ersten Phase den Vorschlägen nach ACEA. In der zweiten Phase entsprechen sie noch den Bedingungen der Arbeitsgruppe 17 der EEVC. Derzeit unterliegt die zweite Phase einer Überprüfung. Basierend auf einem Vorschlag der Kommission (Preliminary Draft Proposal 2005) der sich aus einer Befragung zur Machbarkeit der zweiten Phase der Richtlinie im Sommer 2004 ergab (TRL 2004), wird der Inhalt hinsichtlich der Ausrüstung aller Fahrzeuge mit Bremsassistenten und bezüglich spezieller Regelungen zu den Testbedingungen überprüft (Europäische Union 2005). Der erste Vorschlag der Kommission für die Ausgestaltung der Phase II wurde vom Parlament abgelehnt, so dass sich der Prozess bis voraussichtlich Ende 2006 verzögern wird.
Abb. 4.8 Zeitplan zur Einführung von Phase I sowie Phase II der europäischen Fußgängerschutzgesetzgebung (DaimlerChrysler 2006).
Phase I
Seit Oktober 2005 müssen alle neuen Fahrzeugtypen (Neuzertifizierungen) die Anforderungen der Komponententests der Phase I erfüllen, um eine EC-Typzulassung oder eine nationale Zulassung zu bekommen (s. Abb. 4.9 u. 4.10). Die Prüfung der Haubenvorderkante und des Windschutzscheibenbereiches erfolgt lediglich zur Beobachtung und ist nicht zulassungsrelevant.
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
187
Abb. 4.9 Komponententest der Phase I. Die Kopf- und Beinprüfungen entsprechen dem ACEA-Vorschlag. Der Oberschenkel- und die Erwachsenenkopfprüfung im Scheibenbereich erfolgen nur zur Beobachtung und sind nicht zulassungsrelevant.
Abb. 4.10 Komponententest der Phase I für Fahrzeuge mit einer Stoßfängerunterkantenhöhe von mehr als 500 mm. In diesem Fall kann anstatt des Beinprüfkörpers der Oberschenkelprüfkörper gegen den Stoßfänger geschossen werden. Der Oberschenkel- und die Erwachsenenkopfprüfung im Scheibenbereich erfolgen auch hier nur zur Beobachtung und sind nicht zulassungsrelevant.
188
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Phase II
Ab September 2010 müssen alle neuen Fahrzeugtypen (Neuzertifizierungen) die Komponententests der Phase II erfüllen, um eine ECTypzulassung oder eine nationale Zulassung zu bekommen. Weiterhin legt die Richtlinie fest, dass die Kommission den industriellen Fortschritt auf dem Gebiet des Fußgängerschutzes überwachen wird. Bis zum 1. Juli 2004 wurde eine unabhängige Bewertung der Durchführbarkeit der Bestimmungen des von der EEVC WG 17 aufgestellten Komponententests der II. Phase und speziell alternativer Maßnahmen durchgeführt. Ein Ergebnis dieses Prozesses ist ein alternativer Vorschlag für bestimmte Parameter des Komponententests der Phase II der Europäischen Gesetzgebung (s. Abb. 4.11, Preliminary Draft Proposal 2005). Die Prüfbedingungen für die Kopfanprallprüfung wurden gelockert und der Oberschenkeltest an der Haubenvorderkante dient weiterhin nur zur Beobachtung. Im Gegenzug sollte der Einsatz des Bremsassistenten in allen neuen Fahrzeugen ab 2008 vorgeschrieben werden. Dieser Vorschlag stellte einen Kompromiss dar, um die Durchführbarkeit des Tests zu gewährleisten (TRL 2004). Er wurde vom EU-Parlament allerdings nicht angenommen. Somit gilt bis auf weiteres die ursrpüngliche Fassung der Phase II der Richtlinie 2003/102/EG (s. Abb. 4.12 u. 4.13).
Abb. 4.11 Kompromissvorschlag für einen Komponententest der zweiten Phase. Die Oberschenkelprüfung ist nur zur Beobachtung und nicht zulassungsrelevant.
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
189
Abb. 4.12 Komponententest der Phase II, wie er in der Richtlinie 2003/102/EG beschrieben ist. Die Kopf-, Oberschenkel- und Beinprüfungen entsprechen dem EEVC WG17-Vorschlag. Alle vier Tests sind zulassungsrelevant.
Abb. 4.13 Komponententest der Phase II für Fahrzeuge mit einer Stoßfängerunterkantenhöhe von mehr als 500 mm, wie er in der Richtlinie 2003/102/EG beschrieben ist. In diesem Fall kann anstatt des Beinprüfkörpers der Oberschenkelprüfkörper gegen den Stoßfänger geschossen werden. Alle vier Tests sind zulassungsrelevant.
190
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Beschreibung der Komponententests gemäß der europäischen Richtlinie 2003/102/EG
Das in der Richtlinie beschriebene Prüfverfahren ist als Komponententest konzipiert. Hierbei werden Prüfkörper zur Beurteilung der Fahrzeugfront herangezogen, die den Kopf, den Oberschenkel und das Bein eines Menschen repräsentieren. Damit soll der typische Anprallvorgang eines Fußgängers mit dem Fahrzeugvorderwagen simuliert werden: x Anprall des Beines eines Erwachsenen von der Seite an den Stoßfänger x Anprall des Oberschenkels und der Hüfte eines Erwachsenen von der Seite an die Haubenvorderkante x Anprall des Kopfes von Kindern und Erwachsenen auf die Haube Die gewählten Prüfkörper und Prüfbereiche sollen dabei die häufigsten Verletzungen und deren fahrzeugseitige Ursachen erfassen. Insbesondere Oberschenkel- und Hüftverletzungen durch die Haubenvorderkante sind jedoch bei neueren Fahrzeugen kaum mehr anzutreffen, obgleich die Prüfung der Haubenvorderkante nach Vorschrift heutige Fahrzeuge vor große Probleme stellt. Anprall des Beinprüfkörpers
Voraussetzung für eine realistische Prüfung ist die Abbildungsgüte des Prüfkörpers. Da besonders das Knie im realen Unfallgeschehen häufig verletzt wird, muss sich dieser Umstand auch in der Konstruktion des Prüfkörpers wieder finden. Die Relevanz dieses Komponententests kann im Hinblick auf den herausragenden Einfluss der vorderen Stoßstange als ersten Berührungspunkt des Fußgängers mit dem Fahrzeug, als hoch eingestuft werden. In der Fachwelt wird aktuell die Diskussion über die Biofidelität des Beinprüfkörpers vor dem Hintergrund der Entwicklung neuer, flexibler Beinimpaktoren in Japan geführt. Diese sind derzeit noch in der Erprobung und werden kontinuierlich weiterentwickelt. Der Beinprüfkörper gemäß der europäischen Fußgängerschutzrichtlinie wurde vom französischen Forschungsinstitut INRETS9 entwickelt. Er besteht aus zwei Segmenten (Tibia und Femur) mit einer Gesamtlänge von 926 mm. Beide Segmente sind durch zwei stählerne, deformierbare Knieligamente miteinander verbunden (s. Abb. 4.14). Der Prüfkörper ist mit einer Schaum- und Neoprenschicht umhüllt und wiegt 13,4 kg. Der Stoßkörper wird mit 40 km/h frei fliegend auf die Fahrzeugfront geschossen. 9
INRETS - Institut National de Recherche sur les Transports et leur Sécurité
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
191
Gemessen werden der Biegewinkel und die Scherung im Knieelement sowie die Beschleunigung im unteren Segment (Tibiabeschleunigung).
Abb. 4.14 Gemäß der Richtlinie zu verwendender Beinprüfkörper (Europäische Union 2003).
Die Prüfung mit dem Beinprüfkörper wird unabhängig von der Fahrzeugfrontgeometrie immer mit den gleichen Parametern durchgeführt. Es sind mindestens drei Tests je Fahrzeug vorgeschrieben. Die Festlegung des Prüfbereiches ist in der Richtlinie detailliert beschrieben. Der Stoßfängerprüfbereich wird in drei gleiche Teile geteilt, so dass je ein Test in jedem Drittel (mitte, rechts, links) durchzuführen ist. Die ausgewählten Testpunkte sollen verschiedene Strukturen im Stoßfängerbereich hinsichtlich ihrer Fußgängerkompatibilität bewerten. Die Prüfprozedur sieht u.a. vor, dass die Testpunkte mindestens 132 mm voneinander entfernt sind und sich in einem Abstand von mindestens 66 mm zu den vorher festgelegten Stoßfängerecken befinden. Falls die untere Stoßfängerhöhe an der ausgewählten Stelle 500 mm überschreitet, kann der Test ausgelassen werden und es wird alternativ ein Oberschenkel-Stoßfängertest durchgeführt. Dies ist ein horizontaler Oberschenkeltest, der mit 40 km/h durchgeführt wird. Dazu wird der herkömm-
192
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
liche Oberschenkel-Prüfkörper mit einer Masse von 9,5 kg benutzt (s. Abb. 4.15 und 4.16). Anprall des Oberschenkelprüfkörpers
Der Stoßkörper für den Oberschenkel wurde von TRL10 entwickelt. Er wird oft auch als Hüftimpaktor bezeichnet. Er besteht aus einem 350 mm langen Rohr mit 50 mm Durchmesser. Das Rohr ist von einer 50 mm dicken Schaumschicht umgeben, die wiederum von einer Neoprenschicht umhüllt wird (s. Abb. 4.15). Ausgewertet wird die Kraft zwischen Rohr und Führungseinheit, also die Summe aus den an den beiden Rohrenden gemessenen Kräften. Weiterhin wird das Biegemoment im Rohr an drei verschiedenen Stellen gemessen. Dieser Test ist in Phase I nicht zulassungs-relevant. Die Tests werden zur Beobachtung durchgeführt, um ungünstige Entwicklungen in diesen Bereichen der Fahrzeugfront zu erkennen. Es sind mindestens drei Tests je Fahrzeug vorgesehen (mitte, rechts, links). Es sollen die Prüfstellen gewählt werden, von denen nach Meinung des Prüfers die größte Gefahr ausgeht. Dabei wird u.a. in der Prüfvorschrift festgelegt, dass die Prüfstellen mindestens 150 mm auseinander liegen und sich mindestens 75 mm innerhalb der geometrisch festgelegten Grenzen befinden (Europäische Union 2003). Der entscheidende Unterschied zu den anderen Prüfprozeduren ist hierbei, dass die Masse, die Geschwindigkeit und der Aufprallwinkel des geführten Stoßkörpers von der Fahrzeugfrontgeometrie abhängen. Diese Werte werden in Abhängigkeit der Höhe der Haubenvorderkante und des Haubenrückversatzes vorgegeben. (s. Abb. 4.15 und 4.16). Die unzureichend nachvollziehbare Entstehung der Nomogramme und die unzureichende Abbildung der Aufrutschkinematik des Fußgängers werden oft als Kritikpunkte des Oberschenkel-Prüfverfahrens genannt. Auch das mit den Oberschenkelprüfungen erzeugte Deformationsbild am Fahrzeug sowie die ermittelten Belastungsgrößen korrelieren nur unzureichend mit Beobachtungen im realen Unfallgeschehen.
10
TRL – Transport Research Laboratory, Großbritannien.
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
193
Abb. 4.15 Gemäß der Richtlinie zu verwendender Oberschenkelprüfkörper (links) und anzuwendende Prüfgeschwindigkeit (rechts) in Abhängigkeit der Fahrzeugform (Europäische Union 2003)
Abb. 4.16 Kinetische Energie (links) und Prüfwinkel (rechts) des Oberschenkelprüfkörpers beim Anprall in Abhängigkeit der Fahrzeugform. Aus der Prüfgeschwindigkeit und der kinetischen Energie wird die Masse des Prüfkörpers errechnet (Europäische Union 2003).
194
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Anprall des Kopfprüfkörpers
Unfalldaten haben gezeigt, dass der Kopf die Region des Körpers ist, die am häufigsten lebensbedrohlich schwere Verletzungen erleidet. Dies gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Die Köpfe realer Personen unterscheiden sich aber erheblich im Gewicht und stellen damit unterschiedliche Anforderungen an die Steifigkeit der Fahrzeugstrukturen. Aus diesem Grund werden für Kinder- und Erwachsenenkopf unterschiedliche Prüfkörper angewendet, die jeweils auf verschiedene Stellen der Motorhaube geschossen werden. Dabei werden in den beiden Phasen der Richtlinie nochmals unterschiedliche Prüfkörper für den Kinderkopf vorgeschrieben. In der ersten Phase wird für den zulassungsrelevanten Test der Motorhaube ein 3,5 kg schwerer Prüfkörper verwendet. Er hat einen Durchmesser von 165 mm (s. Abb. 4.17). Dieser Prüfkörper soll Kinder und kleine Erwachsene repräsentieren. Unabhängig von der Fahrzeugfrontgeometrie wird der Test mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h unter einem Winkel von 35° durchgeführt.
Abb. 4.17 In Phase I zu verwendender Prüfkörper mit einer Masse von 3,5 kg und einen Durchmesser von 165 mm (links) und beispielhafte Darstellung des Prüfbereiches der Haube (rechts) mit den Zonen A und B (Europäische Union 2003).
Die Haube wird vom Fahrzeughersteller in zwei Zonen A und B unterteilt, die 2/3 bzw. 1/3 der Fläche der Haube einnehmen. Im Bereich der Zone A ist ein Grenzwert von HIC = 1000 und in der Zone B ein Grenzwert von HIC = 2000 einzuhalten. Unter den 18 durchzuführenden Tests sollen 12 in der Zone A und 6 in der Zone B liegen. Die Prüfvorschrift sieht u.a. vor, dass die Prüfpunkte mindestens 165 mm auseinander liegen und sich mindestens 82,5 mm innerhalb der seitlichen Prüfbereichsbegren-
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
195
zung sowie 82,5 mm vor der Haubenhinterkante befinden. Außerdem sind die Prüfpunkte so zu wählen, dass sie 165 mm hinter der Haubenvorderkante liegen. Nicht zulassungsrelevant ist ein weiterer durchzuführender Test eines Kopfprüfkörpers gegen die Frontscheibe, er dient ebenfalls der Beobachtung. Dabei wird ein 4,8 kg schwerer Prüfkörper mit einem Durchmesser von 165 mm gegen den Prüfpunkt in einem definierten Bereich der Frontscheibe geschossen (s. Abb. 4.18). Die Testparameter sind fahrzeugfrontunabhängig auf einen Anprallwinkel von 80° und eine Prüfgeschwindigkeit von 35 km/h festgesetzt.
Abb. 4.18 In der Phase I zur Prüfung im Scheibenbereich zu verwendender Kopfprüfkörper mit einer Masse von 4,8 kg und einem Durchmesser von 165 mm (links) sowie sein Prüfbereich auf der Frontschutzscheibe (rechts) für den in der Phase I durchzuführenden, nicht zulassungsrelevanten Kopfprüfkörpertest (European Union 2003).
Europäische Richtlinie über die Verwendung von Frontschutzsystemen an Fahrzeugen
Untersuchungen haben gezeigt, dass ungeschützte Verkehrsteilnehmer bei Unfällen mit Geländefahrzeugen, die mit Frontschutzbügeln ausgestattet sind, deutlich stärker gefährdet sind als bei Kollisionen mit herkömmlichen Fahrzeugen (s. Abb. 4.19). Eine Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen konnte nachweisen, dass bei solchen Fahrzeugen eine deutlich erhöhte Gefährdung für den Kopf von Kindern und für die Oberschenkel und das Becken von Erwachsenen besteht (Zellmer u. Schmid 1995).
196
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Abb. 4.19 Darstellung der Größenverhältnisse an einer Pkw- und Geländewagenfront für ein Kind und einen Erwachsenen (nach Zellmer u. Schmid 1993).
Demnach ist für den Kopfanprall bei einer Anprallgeschwindigkeit von 20 km/h an Fahrzeuge mit Frontschutzsystemen mit gleichen Belastungen zu rechnen, wie bei einem Kopfanprall an ein Geländefahrzeug mit einer Anprallgeschwindigkeit von 30 km/h bzw. an einen normalen Pkw bei einer Anprallgeschwindigkeit von 40 km/h. Vergleichbare Belastungen ergeben sich für den Anprall des Oberschenkels bzw. des Beckens eines Erwachsenen bei Anprallgeschwindigkeiten von 25 km/h an ein Fahrzeug mit Frontschutzbügel und bei 40 km/h an einem Geländefahrzeug oder einem normalen Pkw. Diese Ergebnisse unterstreichen die Beobachtungen bei Realunfällen, dass bei Kollisionen ungeschützter Verkehrsteilnehmer mit Geländefahrzeugen, die mit Frontschutzsystemen ausgestattet sind, bereits bei niedrigeren Kollisionsgeschwindigkeiten schwere Verletzungen auftreten können (Zellmer u. Schmid 1993). Um die Sicherheit von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern bei Kollisionen mit solchen Fahrzeugen zu erhöhen, wurde auf europäischer Ebene eine Richtlinie erlassen (Richtlinie zu Frontschutzsystemen 2005). Die Anforderungen dieser Richtlinie sind im Zusammenhang mit der europäischen Richtlinie 2003/102/EG zum Schutz
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
197
von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern vor und bei Kollisionen bei Kraftfahrzeugen zu sehen (s. S. 185 ff.). Die Richtlinie über die Verwendung von Frontschutzsystemen an Fahrzeugen bezieht sich dabei auf Systeme, die als Originalteile an Fahrzeugen angebracht sind oder als selbstständige technische Einheiten in den Handel kommen. Sie gilt für Fahrzeuge der Klasse M1 und jedes Kraftfahrzeug der Klasse N1. Als selbstständige technische Einheit werden Frontschutzsysteme bezeichnet, die zum Einbau und zur Verwendung in einem oder mehreren Fahrzeugtypen bestimmt sind (Zubehörteile). Ab November 2006 müssen Neufahrzeuge, die mit Frontschutzsystemen ausgestattet sind, diese Richtlinie erfüllen. Gleiches gilt für Frontschutzsysteme die als selbstständige technische Einheit in den Handel kommen. Die Richtlinie unterscheidet zwischen Vorschriften für Konstruktion und Anbau sowie Prüfvorschriften. Für die Konstruktion und den Anbau wird die Einhaltung der folgenden Vorschriften gefordert (Richtlinie zu Frontschutzsystemen 2005): x Die Bauteile des Frontschutzsystems müssen so beschaffen sein, dass alle starren Oberflächen, die von einer Kugel mit 100 mm Durchmesser berührt werden können, einen Abrundungsradius von mindestens 5 mm aufweisen. x Die Gesamtmasse des Frontschutzsystems einschließlich aller Träger und Halterungen darf nicht mehr als 1,2 % der Masse des Fahrzeugs, für das es konstruiert ist, höchstens jedoch 18 kg betragen. x Ein an einem Fahrzeug angebrachtes Frontschutzsystem darf die Bezugslinie der Fronthaubenvorderkante an keinem Punkt um mehr als 50 mm in der Höhe überragen, gemessen an einer senkrechten Längsebene durch das Fahrzeug in diesem Punkt. x Das Frontschutzsystem darf die Breite des Fahrzeugs, an das es angebaut ist, nicht vergrößern. Beträgt die Gesamtbreite des Frontschutzsystems mehr als 75 % der Fahrzeugbreite, müssen die Enden des Frontschutzsystems nach innen auf die Außenflächen zugebogen sein, um die Gefahr eines Hängebleibens auf ein Minimum zu beschränken. x Der Zwischenraum zwischen den Bauteilen des Frontschutzsystems und der unter ihm liegenden Außenfläche darf höchstens 80 mm betragen. Etwaige Unterbrechungen der allgemeinen Kontur, der darunter liegenden Karosserie (wie z. B. Öffnung in den Gittern, Lufteinlässen usw.), bleiben unberücksichtigt. x Um die Schutzwirkung des Fahrzeugstoßfängers zu erhalten, darf der Längsabstand zwischen dem Vorderteil des Stoßfängers und dem vor-
198
x
x
x
x
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
dersten Teil des Frontschutzsystems an keinem seitlichen Punkt des Fahrzeugs mehr als 50 mm betragen. Die Wirksamkeit des Stoßfängers darf durch das Frontschutzsystem nicht nennenswert vermindert werden. Diese Anforderung gilt als erfüllt, wenn nicht mehr als zwei vertikale und kein horizontales Bauteil den Stoßfänger überdeckt. Das Frontschutzsystem darf nicht vor die Senkrechte geneigt sein. Die oberen Teile des Frontschutzsystems dürfen von der Bezugslinie der Fronthaubenvorderkante aus nicht mehr als 50 mm nach oben oder nach hinten reichen. Die Einhaltung der Anforderungen der anderen Richtlinien für die Fahrzeugtypgenehmigung darf durch das Anbringen eines Frontschutzsystems nicht beeinträchtigt werden. Frontschutzsysteme als selbstständige technische Einheiten dürfen nur vertrieben, zum Verkauf angeboten oder verkauft werden, wenn eindeutige Montageanleitungen und eine Liste der Fahrzeugtypen beigefügt sind, für die sie typgenehmigt sind.
Außerdem fordert die Richtlinie das Einhalten von Prüfvorschriften, die sich an den Komponententests für die Typzulassung von Fahrzeugfronten (Richtlinie 2003/102/EG) orientieren. Dabei werden ein Beinprüfkörper, ein Hüftprüfkörper und ein Kopfprüfkörper auf das Frontschutzsystem geschossen (s. Abb. 4.20 und 4.21). Darüber hinaus bietet die Richtlinie Ausnahmen für Fahrzeuge an, die in diese Richtlinie fallen und mit Frontschutzsystemen ausgestattet werden, allerdings nicht nach der Richtlinie zur Prüfung der Fahrzeugfront hinsichtlich des Fußgängerschutzes (2003/102/EG) zugelassen werden müssen. Für diese Fahrzeuge gelten abgeschwächte Grenzwerte, da bestimmte Prüfanforderungen möglicherweise technisch nicht eingehalten werden können.
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
199
Abb. 4.20 Komponententest zur Prüfung von Fronschutzsystemen gemäß der Richtlinie 2005/66/EG.
Abb. 4.21 Komponententest zur Prüfung von Fronschutzsystemen gemäß der Richtlinie 2005/66/EG für Fahrzeuge mit einer Stoßfängerunterkantenhöhe von mehr als 500 mm.
Die Kommission wird die Umsetzung dieser Richtlinie überwachen. Bis 2010 überprüft die Kommission bezüglich des technischen Fortschritts und der gewonnenen Erfahrungen die technischen Vorschriften dieser Richtlinie. Insbesondere werden die Bedingungen des Anpralls des Hüftprüfkör-
200
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
pers, die Aufnahme einer Prüfung mit einem Erwachsenenprüfkörper und die Spezifikation einer Prüfung mit dem Kinderkopfprüfkörper gegen das Frontschutzsystem überprüft. Diese Richtlinie ist Teil des europäischen Aktionsprogramms für die Straßenverkehrssicherheit und bildet gemeinsam mit der Richtlinie zur fußgängerverträglichen Gestaltung von Fahrzeugfronten ein Maßnahmenpaket, um die Sicherheit von ungeschützten Verkehrsteilnehmern auf europäischen Straßen zu erhöhen. Damit wurden zum ersten Mal zulassungsrelevante Prüfvorschriften an Fahrzeugen hinsichtlich des Schutzes von ungeschützten Verkehrsteilnehmern erlassen. Allerdings bestehen in Fachkreisen auch Zweifel, ob eine Komponententestprüfung die komplexen kinematischen Verhältnisse im realen Unfallgeschehen bei einer Kollision zwischen einem Fußgänger und einem Fahrzeug hinreichend realitätsnah abdecken kann. Es ist möglich, dass Konfigurationen entstehen, die zwar die Prüfungen erfüllen können, aber das reale Unfallgeschehen nicht nennenswert positiv beeinflussen. Darum ist es dringend notwendig, die Wirkung dieser Richtlinien durch die Analyse des realen Unfallgeschehens kritisch zu begleiten und ggf. Änderungsvorschläge zu unterbreiten. 4.3.2 Gesetzgebung in Japan Seit September 2005 dürfen in Japan nur noch Fahrzeuge zugelassen werden, die eine Prüfung der Fahrzeugfront erfolgreich bestehen (s. Abb. 4.22). Damit war Japan das erste Land, das dem Fußgängerschutz zulassungsrelevante Bedeutung gab. Dies betrifft im ersten Schritt alle neu typgeprüften Pkw-Modelle. Ab 2010 müssen dann alle neu zugelassenen Pkw die Regelung erfüllen. Ab September 2007 gilt die Regelung dann auch für neue Sport Utility Fahrzeugmodelle (SUV) und neue Fahrzeugmodelle mit einer geringen Höhe (Sitzreferenzpunkt 475 mm). Ab September 2012 gilt die Regelung für alle neu zugelassenen Fahrzeuge der eben genannten Kategorien. Das Japan MLIT11 hat in Zusammenarbeit mit der JAMA12, dem JARI13 und der Unterstützung der Arbeitsgruppe der IHRA14 einen gesetzlichen Kopfaufpralltest entwickelt, der die Fahrzeugfronthaube bewertet. Das japanische Testverfahren verzichtet auf eine Prüfung mit dem Bein- und Japan MLIT – Japan Ministry of Land, Infrastructure and Transport JAMA – Japan Automobile Manufacturers Association, Inc. 13 JARI – Japan Automobile Research Institute 14 IHRA – International Harmonized Research Activities 11 12
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
201
Oberschenkelprüfkörper. Sowohl der 3,5 kg schwere Kinderkopfprüfkörper als auch der 4,5 kg schwere Erwachsenenkopfprüfkörper werden mit einer Geschwindigkeit von 32 km/h auf die Fahrzeugstruktur geschossen. Der Aufprallwinkel ist von der Fahrzeugfrontgestaltung abhängig, die in drei Kategorien eingeteilt wird: x Limousine x SUV-Typ x One-Box-Typ Der Prüfbereich teilt sich in den des Kinderkopfes und den des Erwachsenenkopfes auf. Dabei erstreckt sich der Prüfbereich für den Kinderkopf auf eine Abwickellänge von 1000 mm bis 1700 mm Für den Erwachsenenkopf liegt der Prüfbereich bei einer Abwickellänge von 1700 mm bis 2100 mm. Das zu erfüllende Kopfschutzkriterium ist ein HIC < 1000 auf 2/3 der Prüffläche und ein HIC < 2000 auf 1/3 der Prüffläche.
Abb. 4.22 Komponententest gemäß der Japanischen Gesetzgebung zum Fußgängerschutz (JAMA 2005)
202
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
4.3.3 Weltweite Technische Regelung Die für die passive Sicherheit zuständige Abteilung der UNECE15 wurde beauftragt, eine globale technische Vorschrift (Global Technical Regulation - GTR) aus den bereits existierenden Forschungsergebnissen anderer Organisationen zu erarbeiten (GRSP 2006). Der entwickelte Vorschlag für ein Testverfahren orientiert sich sehr stark an den der europäischen Richtlinie zu Grunde liegenden Erkenntnissen (s. Abb. 4.23 sowie 4.9). Die Masse des derzeit innerhalb des Richtlinienentwurfs der GTR verwendeten Kinderkopfprüfkörpers beträgt 3,5 kg, die des Erwachsenenkopfprüfkörpers 4,5 kg. Die Aufprallwinkel sind unabhängig von der Fahrzeugfrontgeometrie. Im zu prüfenden Kinderkopfbereich der Motorhaube beträgt der Impaktoraufprallwinkel 50°. Für Erwachsene wird der zu prüfende Motorhaubenbereich unter einem Winkel von 65° beschossen. Bei der Kinderkopfprüfung muss bei der Hälfte des Prüfbereichs ein HIC < 1000 eingehalten werden. Bei 2/3 des gemeinsamen Kinder- und Erwachsenenkopfprüfbereichs darf der HIC den Wert von 1000 nicht überschreiten. Im restlichen Bereich des Kinder- und Erwachsenenprüfbereichs darf der HIC nicht höher als 1700 sein. Eine Prüfung der Windschutzscheibe wurde viel diskutiert, letztendlich aber nicht in den Richtlinienentwurf aufgenommen. Die GTR sieht weiterhin eine Prüfung der Fahrzeugfront (Stoßfänger) mit dem von INRETS entwickelten Beinprüfkörper vor. Darüber hinaus erfolgt eine Prüfung des Stoßfängerbereichs mit dem Oberschenkelprüfkörper, der auch in der europäischen Richtlinie vorgeschrieben ist. Die Prüfung erfolgt, wenn die untere Stoßfängerhöhe 500 mm oder mehr von der Fahrbahnoberfläche entfernt ist. Bei einer unteren Stoßfängerhöhe zwischen 425 und 500 mm kann der Hersteller zwischen der Bein- oder der Oberschenkelprüfung wählen.
15
UNECE – United Nations Economic Commission for Europe, www.unece.org
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
203
Abb. 4.23 Komponententest gemäß der GTR-Richtlinie zum Fußgängerschutz (oben) sowie für Fahrzeuge mit einer Stoßfängerhöhe über 500 mm (unten, GRSP 2006).
204
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
4.3.4 EuroNCAP Bereits seit 1978 in den USA aktiv, werden seit Mitte der 90iger Jahre die Interessen der Verbraucher auf dem Gebiet der Sicherheitseigenschaften von Fahrzeugen durch das New Car Assessment Programme auch in Europa gestärkt. Mittlerweile sind die Euro NCAP-Anforderungen an die Sicherheit von Fahrzeugen nicht mehr aus den Lastenheften der Hersteller wegzudenken. Alle neuen Fahrzeugmodelle müssen gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitstests bestehen, bevor sie zugelassen werden. Daneben haben Tests eine große Bedeutung erlangt, die von Verbraucherorganisationen durchgeführt werden. Sie wurden im New Car Assessment Programme (NCAP) zusammengeführt und beträchtlich erweitert. Weitere Programme gibt es in Europa (EuroNCAP), in Japan (JNCAP) und in Australien (ANCAP). In Europa, Japan und Australien schreiben die NCAP-Protokolle auch Prüfungen zum Fußgängerschutz vor. In NCAP-Tests geht es nicht – wie bei den gesetzlichen Vorschriften – um die Frage der Erfüllung von Grenzwerten. Es soll vielmehr eine Rangfolge unter den getesteten Fahrzeugen hergestellt werden. Die Prüfkriterien sind häufig deutlich anspruchsvoller als die gesetzlichen Tests und hinsichtlich ihrer Regularien deutlich flexibler an geänderte Rahmenbedingungen anpassbar. So gibt es z. B. starke Bestrebungen, den Beitrag von aktiven Sicherheitsmaßnahmen zur Insassen- und Fußgängersicherheit mit in die Bewertung einzubeziehen. Dafür müssen zusätzliche Bewertungsmaßstäbe entwickelt werden. Optimal wäre eine lineare Skala, die das Risiko von Verletzungen durch das Fahrzeug im realen Gebrauch beschreibt. Dieses Ziel wurde bisher nur näherungsweise erreicht. Der Prüfung zum Fußgängerschutz im Rahmen des Euro NCAPTestprotokolls über die passiven Sicherheitseigenschaften von Fahrzeugen liegt das Testverfahren der EEVC Arbeitsgruppe 17 zu Grunde (s. Abb. 4.12). Es werden alle Eigenschaften ähnlich der zweiten Phase der aktuellen Gesetzgebung untersucht und auf einer Punkteskala bewertet. Die Prüfung zum Fußgängerschutz im Rahmen von Euro NCAP ist bereits seit 1997 in der praktischen Anwendung (s. Abb. 4.24 und 4.25).
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
205
Abb. 4.24 Komponententest gemäß den Euro NCAP-Bedingungen. Gleiche Prüfbedingungen gelten auch für das australische NCAP (nach EuroNCAP 2004; ANCAP 2005)
Abb. 4.25 Prüfbereiche des Komponententests gemäß der Euro NCAPBedingungen und beispielhaft ausgewählte Prüfpunkte (nach EuroNCAP 2004)
Das Testverfahren unterscheidet sich bei den einzuhaltenden Grenzwerten für die Bein- und Oberschenkelprüfungen und bei den Kopfprüfungen nur geringfügig von den Grenzwerten der EEVC Arbeitsgruppe 17. Die Testbedingungen der Kopfprüfungen weichen jedoch in der Anzahl der
206
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
durchzuführenden Prüfungen und in der Festlegung der einzelnen Prüfbereiche ab (s. Abb. 4.25). Bei der Wahl der Prüfpunkte im Rahmen von Euro NCAP wird der Fahrzeughersteller beteiligt. Prüfpunkte, die ein besonders gutes Ergebnis versprechen, können vom Hersteller zusätzlich zu den vom Prüfinstitut gewählten Prüforten nominiert werden. Bei der Wahl der Prüfbereiche liegt der bedeutendste Unterschied in der Einbeziehung des Windschutzscheibenbereiches und der A-Säule in die Kopfanprallprüfung. Die Ergebnisse der Komponententests werden einer Gewichtung unterzogen: Für den Fußgängeranprall können für jeden der 18 Prüfpunkte (3 Bein, 3 Oberschenkel, 12 Kopf) maximal zwei Punkte vergeben werden. Insgesamt können also 36 Punkte erreicht werden. Dabei wird jedem Prüfbereich gemäß seiner erreichten Punktzahl die Farbe Grün, Gelb oder Rot zugeteilt (s. Tabelle 4.5). Tabelle 4.5 Zusammenhang zwischen Farbzuordnung und Punktzahl je Prüfbereich (nach Zander 2006).
Sollte sich der Hersteller entscheiden weitere Tests durchführen zu lassen, so berechnet sich die Gesamtpunktzahl nach einer modifizierten Formel (EuroNCAP 2004). Diese Gesamtsumme der Punkte wird gerundet und in die Anzahl der zu vergebenden Sterne umgerechnet. Die Grenzen für die Sternbewertung sind in Tabelle 4.6 zusammengefasst. Tabelle 4.6 Zusammenhang zwischen erreichten Testpunkten und Sternen gemäß Euro NCAP (EuroNCAP 2004a). Punktzahl 28-36 Punkte 19-27 Punkte 10-18 Punkte 1-9 Punkte 0 Punkte
Sterne ËËËË ËËË ËË Ë 0 Sterne
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
207
Leider stellt sich auch beim Euro NCAP-Verfahren – ähnlich wie bei den gesetzlichen Prüfungen – die Frage, ob der Test wirklich eine Aussage über das tatsächliche Verhalten im Unfall möglich macht. Das australische New Car Assessment Programme stellt seit 1992 interessierten Verbrauchern die Ergebnisse von Untersuchungen zur Sicherheit ausgewählter Fahrzeugmodelle zur Verfügung. Seit Mitte 1999 hat das australische NCAP die Testbedingungen an das europäische NCAP angepasst (ANCAP 2005). Somit entsprechen auch die Tests zum Fußgängerschutz denen in Europa. Der Verbraucher kann im Internet unter http://www.euroncap.com die getesteten Fahrzeuge und ihre Sicherheitseigenschaften abrufen und dies zur Grundlage seiner Kaufentscheidung machen. Dabei erhält er die Ergebnisse in Form einer Sternbewertung, die zusätzlich von den Testergebnissen und erläuternden Grafiken gestützt werden (s. Abb. 4.26).
208
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Abb. 4.26 Euro NCAP-Ergebnispräsentation für alle an einem Fahrzeug durchgeführten Tests – hier des Citroen C6 - auf einen Blick unter http://www.euroncap.com.
4.3 Gesetzgebung und Verbraucherschutz
209
4.3.5 Japan NCAP Die Prüfprozedur zum Fußgängerschutz des Japan NCAP orientiert sich stark an der japanischen Gesetzgebung und wurde 2003 in das Testprogramm des Japan NCAP aufgenommen. Der Komponententest beschränkt sich - wie auch die japanische Gesetzgebung - nur auf die Prüfung des Kopfes auf der Fahrzeugfront (s. Abb. 4.27). Allerdings wird der Scheibenbereich zusätzlich in die Prüfung einbezogen. Die Auftreffwinkel der Kopfprüfkörper sind fahrzeugkategorieabhängig. Dabei entsprechen die drei Fahrzeugkategorien denen der japanischen Gesetzgebung.
Abb. 4.27 Komponententest gemäß der Japan NCAP-Bedingungen (nach JNCAP 2005).
Die Einteilung der Prüfbereiche in 15 Teilflächen ist in der Abb. 4.28 dargestellt. Die ermittelten HIC-Werte werden mit Hilfe einer Gleitskala in Bewertungspunkte für jeden der Teilbereiche umgerechnet. Dabei entspricht ein HIC-Wert von 650 dem Höchstwert von vier Punkten und ein HIC-Wert von 2000 erhält keinen Punkt (s. Abb. 4.29). Es entsteht eine mittlere Bewertung für alle drei Prüfbereiche, die in eine Bewertung des gesamten Prüfbereiches mündet. Die Punktbewertung des gesamten Prüfbereiches wird dann entsprechend der Gleitskala in Abb. 4.29 zurück in einen mittleren HIC-Wert konvertiert. Anhand dieses mittleren HIC-Wertes lässt sich durch einen linearisierten Zusammenhang eine Aussage über die Verletzungswahr-
210
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
scheinlichkeit für schwere Kopfverletzungen (AIS4+) in fünf Bewertungsstufen ableiten (s. Abb. 4.30).
Abb. 4.28 Einteilung der Prüfbereiche entsprechend des Japan NCAPKomponententests (nach JNCAP 2005).
Abb. 4.29 Umrechung der HIC-Werte in Bewertungspunkte mittels einer Gleitskala (nach JNCAP 2005).
Dieser Ansatz der Überführung von Messwerten in Verletzungswahrscheinlichkeiten ist vergleichbar mit dem der Bewertungsfunktion des später vorgestellten VERPS-Index, enthält aber noch keine Wichtung der Prüfbereiche entsprechend der Relevanz im realen Unfallgeschehen (s. Abb. 4.30).
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
211
Abb. 4.30 Bewertung des mittleren HIC-Wertes hinsichtlich der Verletzungswahrscheinlichkeit für AIS4+ - Kopfverletzungen. (nach JNCAP 2005)
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen Größe und Gewicht des Fußgängers, seine Stellung und Bewegung zum Fahrzeug, dessen Geschwindigkeit sowie die Form der Fahrzeugfront bestimmen im Wesentlichen die Anprallkinematik des Fußgängers bei einer Kollision mit einem Fahrzeug. Bisherige Prüfverfahren berücksichtigen den fahrzeugspezifischen Charakter dieser Zusammenhänge kaum. Dies reflektiert die bisherige Schwierigkeit, den Einfluss dieser Größen fahrzeugspezifisch mit angemessenem Aufwand zu ermitteln. Außerdem wird die Auslassung des Frontscheibenbereiches in vielen der bisherigen Prüfverfahren neueren Erkenntnissen der Unfallforschung nicht gerecht. Deswegen wird die Erweiterung des Prüfbereiches bereits seit geraumer Zeit diskutiert. 4.4.1 Die VERPS-Bewertungsmethodik Der Kopfanprall führt zu den bei weitem schwersten Verletzungen bei einer Fußgänger-Fahrzeug-Kollision, dementsprechend bilden Kopfverletzungen auch die häufigste Todesursache. Diese Unfallcharakteristika werden als Basis für das im Folgenden dargestellte Bewertungsverfahren VERPS (Vehicle Related Pedestrian Safety) verwendet. Das Verfahren konzentriert sich darauf, das fahrzeugspezifische Risiko für schwere Kopfverletzungen bei einer Frontalkollision mit einem Fußgänger zu erfassen
212
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
und prognostizierbar zu machen. Die Grundidee besteht darin, die vier Module „Unfallanalyse“, „Kinematikanalyse“, „Komponententest“ und „Quantifizierung der Fußgängersicherheit“ miteinander zu koppeln (s. Abb. 4.31).
Abb. 4.31 Darstellung der Methodik zur Bewertung des fahrzeugseitigen Fußgängerschutzes.
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
213
Im Ergebnis entsteht der VERPS-Index, der auf einer linearen Skala und nahezu unabhängig von ad-hoc-Annahmen eine Aussage über den passiven fahrzeugseitigen Fußgängerschutz ermöglicht. Die Modularität des vorgestellten Bewertungsverfahrens ermöglicht die Integration neuer Erkenntnisse und Methoden aus der Biomechanik, Unfallanalyse und der numerischen Simulation. Die Unfallanalyse
Die Analyse des realen Unfallgeschehens stellt sicher, dass die für die numerische Simulation der Kinematik des Fußgängers beim Fahrzeuganprall gesetzten Randbedingungen die Schwerpunkte des heutigen FußgängerFahrzeug-Unfallgeschehens korrekt abbilden. Sie liefert die Ausgangsbasis für alle weiteren Ableitungen. Für die Bestimmung der Eingangsparameter für die rechnerische Simulation wurden die In-Depth-Unfalldaten herangezogen (s. Abschn. 1.3). Deren Analyse zeigt, dass sich ca. 90 % aller Unfälle bis zu einer Kollisionsgeschwindigkeit von 45 km/h ereignen. In ca. 71 % der Fälle kollidiert der Fußgänger mit der Fahrzeugfront. Die Fußgänger werden dabei in 92 % der Fälle seitlich von rechts oder von links vom Fahrzeug erfasst und sind in 94 % der Fälle vor der Kollision in Bewegung. Die Kinematikanalyse
Für die rechnerische Simulation wurde ein Prozess unter Verwendung des Mehrkörper-Simulationssystems MADYMO entwickelt. Für die Abbildung des Fußgängers wird das Full Body Pedestrian Model der Firma TNO (s. Abschn. 4.2.1) verwendet. Die Fahrzeuge werden mittels FESchalenelementen modelliert und besitzen nur globale Steifigkeiten (z. B. für Stoßfänger, Frontklappe, Frontscheibe, Scheibenrahmen und A-Säule). Trotz dieser Vereinfachungen ist eine Abbilddung der Anprallkinematik des Fußgängers während des Primäranpralls sehr gut möglich, wie der Vergleich mit gut rekonstruierten Realunfällen gezeigt hat (Kühn 2004, Strzeletz et al. 2004, s. auch van Hoof et al. 2003). Eine Vorhersage von Verletzungsmustern ist in diesem Schritt nicht beabsichtigt und wegen der Modellierung mit globalen Steifigkeiten und der Begrenzungen des Pedestrian Models auch nicht möglich. Aus der Kombination aller Eingangsparameter (s. Tabelle 4.7) ergeben sich 32 relevante Anstoßkonstellationen, die für das jeweils zu bewertende Fahrzeugmodell analysiert werden müssen (Kühn 2004). Die Kollisionsge-
214
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
schwindigkeit wurde auf 45 km/h festgelegt und deckt damit 90 % aller Unfälle hinsichtlich der Kollisionsgeschwindigkeit ab. Die vier verwendeten Fußgängergrößen repräsentieren den Größenbereich der verunfallten Fußgänger zu ca. 76 %, wenn man einen Gültigkeitsbereich von ±10 cm um die jeweilige Modellgröße annimmt. Die Berücksichtigung des 75°Anstoßwinkels des Fußgängers erlaubt einerseits die Abbildung repräsentativer Unfallkonstellationen, andererseits wird in dieser Anstoßkonstellation ein Abstützen der Schulter des Pedestrian Models auf der Motorhaube vermieden. Tabelle 4.7 Die in der Kinematikanalyse untersuchten Unfallkonstellationen ergeben in der Summe 32 Kombinationen. Eingangsgröße Größe des Fußgängers Anstoßposition des Fußgängers Geschwindigkeit des Fußgängers Winkel zwischen Fußgänger und Fahrzeug
Wertebereich 1,16 m (6-jähriges Kind), 1,52 m (5%-Frau), 1,74 m (50%-Mann), 1,91 m (95%-Mann) Fahrzeugmitte und 40 cm seitlich davon 1,5 m/s (gehend) und 3,1 m/s (rennend) 75° und 90°
Die für eine Reihe von sehr unterschiedlichen Fahrzeugen mit Hilfe des Simulationsmodells abgeleiteten Prüfbedingungen für den Komponententest zum Kopfanprall innerhalb von VERPS zeigen, dass die Anprallbedingungen tatsächlich erheblich variieren. Sie reflektieren die Geometrie des untersuchten Fahrzeugs und unterscheiden sich zum Teil beträchtlich von denen der gültigen europäischen Gesetzgebung (s. Kap. 4.3.1 sowie Kühn 2004). Der Komponententest
Für die Bewertung des Kopfanpralls werden - wie im Verfahren nach EEVC WG 17 und ACEA - Ergebnisse von Versuchen mit freifliegenden Kopfprüfkörpern verwendet. Im Unterschied zu den eben genannten Prüfverfahren wird hier das jeweils zu prüfende Fahrzeug mit einem in der Kinematikanalyse individuell berechneten Satz an Prüfbedingungen getestet. Die Masse des verwendeten Prüfkörpers muss dem für die jeweilige Aufschlagstelle repräsentativen Durchschnitt an möglichen Fußgängern entsprechen. Tabelle 4.8 zeigt die anhand biomechanischer Modelle abgeleiteten Werte (s. auch Abb. 4.7). Sie unterscheiden sich zum Teil deutlich von den heute verwendeten Prüfkörpern.
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
215
Tabelle 4.8 Anhand anthropometrischer Analysen ermittelte, theoretische Prüfkörpermassen und Zuordnung existierender Prüfkörper für die Kopfanprallprüfung innerhalb des VERPS-Bewertungsverfahrens (Fröming 2003).
6-jähriges Kind 5 %-Frau 50 %-Mann 95 %-Mann
h [m] 1,16 1,53 1,74 1,92
Errechnete, wirksame Kopfmasse mE [kg] 3,5 4,0 4,8 5,9
zugeordnete Prüfkörpermasse mP [kg] 3,5 (ACEA) 3,5 (ACEA) 4,8 (EEVC WG 17) 4,8 (EEVC WG 17)
Jeder Komponententest ergibt einen HIC-Wert für eine bestimmte Kopfmasse an einer bestimmten Stelle auf der Fahrzeugfront. Die Fronten heutiger Fahrzeuge sind durch ein typisches Muster potentiell gefährlicher Regionen gekennzeichnet, die prinzipiell bei allen nicht optimierten Fahrzeugen zu finden sind: x x x x
der Frontscheibenrahmen (Unter- und Oberkante, A-Säulen), die Haubenhinterkante und die Spritzwand, der Übergang Haube – Kotflügel, einige Strukturen im Frontklappenbereich.
Der Gefährdungsgrad durch diese Regionen kann je nach Fahrzeug durch unterschiedliche Geometrie und Steifigkeitsverteilung stärker oder schwächer ausgeprägt sein. Die verschiedenen Bereiche der Fahrzeugfront werden beim Kopfanprall mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit getroffen. Deshalb ist eine Wichtung der Prüfergebnisse an einer Fahrzeugfront anhand ihrer Relevanz im realen Unfallgeschehen erforderlich. Der VERPS-Index
Im Folgenden wird ein Index entwickelt, der zunächst den fahrzeugseitigen Schutz des Kopfes für den frontal angestoßenen Fußgänger bewertet. Er macht Unterschiede zwischen einzelnen Fahrzeugen quantitativ bewertbar und erlaubt den Vergleich technischer Lösungen zum Fußgängerschutz an Fahrzeugfronten. Dieser Fußgängerschutzindex für den Kopfanprall stellt das bewertende Modul „Quantifizierung der Fußgängersicherheit“ in der vorgeschlagenen Methodik dar (s. Abb. 4.31). Entsprechend seiner Funktion als linearer Bewertungsmaßstab fahrzeugseitiger Fußgängerschutzmaßnahmen wird dieser mit VERPS-Index (Vehicle related Pedestrian Safety Index) bezeichnet. Der VERPS-Index wird in drei Schritten aus den ermittelten Messwerten Mij des Komponententests abgeleitet:
216
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Tabelle 4.9 Herleitung des VERPS-Index. 1. 2.
3.
Abbildung des Messwertes Mij auf den Erfüllungsgrad Eij mittels einer Bewer- E ij B §¨© M ij ·¸¹ tungsfunktion B (Mij). Wichtung des Erfüllungsgrades Eij anhand seiner Relevanz für das reale Un- R i ,WAD R j , Front E ij fallgeschehen mittels Ri, WAD und Rj, Front Summierung der mit Relevanzfaktoren m n versehenen Erfüllungsgrade über alle VERPS ¦¦ Ri,WAD R j ,Front Eij Teilbereiche der Fahrzeugfront zum i 1 j 1 VERPS-Index
Die Fahrzeugfront wird in Teilbereiche zerlegt, denen dann individuelle HIC-Werte zugeordnet werden (s. Abb. 4.34). Im Idealfall stammen möglichst viele dieser HIC-Werte aus direkten Messungen, im Standardfall werden aber eine Vielzahl aus Ähnlichkeitsbetrachtungen angrenzender Strukturen geschätzt. Der Teilindex i charakterisiert die Fahrzeuglängsrichtung und der Teilindex j die Fahrzeugquerrichtung. Die Größe der Teilbereiche orientiert sich an den Abmessungen der Prüfkörper und beträgt in Fahrzeuglängsrichtung 165 mm. In Fahrzeugquerrichtung werden in der Praxis durch die Erzeugung von neun Teilbereichen Breiten von 170 mm - 200 mm je nach Fahrzeugbreite erreicht. Bei der Untersuchung von besonders schmalen Fahrzeugen wie z. B. Einspurfahrzeugen oder besonders breiten Fahrzeugen (z. B. Busse und Lkw) kann die Zahl der Teilbereiche in Fahrzeugquerrichtung auch abweichen. Die Bewertungsfunktion B stellt einen funktionalen Zusammenhang zwischen einem Messwert M (HIC-Wert) und einem Erfüllungsgrad E her. Der Erfüllungsgrad beschreibt dabei das Risiko für das Auftreten von schweren Kopfverletzungen AIS3+. Der Zusammenhang ist stark nichtlinear und wurde anhand empirischer Untersuchungen mittels eines Sförmigen Funktionsverlaufes approximiert (s. Abb. 4.32 und ISO 13232).
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
217
Abb. 4.32 Empirischer Zusammenhang zwischen gemessenem HIC-Wert und der Wahrscheinlichkeit des Eintretens von AIS3+-Kopfverletzungen (ISP - Injury Severity Probability) (ISO 13232). Zum Vergleich sind die Bewertungsskalen des EuroNCAP und JNCAP eingetragen.
Abb. 4.33 Mittels der Kinematikanalyse durchgeführte Transformation der Fußgängergrößenverteilung in eine errechnete fahrzeugspezifische Verteilung der Aufwurfweiten (WAD) für Kinder über 12 Jahre sowie Erwachsene für die Beispielfahrzeuge F, G und H.
Die Wichtung der Erfüllungsgrade Eij für die Prüforte erfolgt anhand ihrer Relevanz im realen Unfallgeschehen. Entsprechend der Größenverteilung der Fußgänger ergeben sich in Fahrzeuglängsrichtung fahrzeugspezi-
218
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
fisch unterschiedliche Anprallbereiche an der Fahrzeugfront. Dies wird durch die Einführung des Relevanzfaktors Ri,WAD berücksichtigt (s. Abb. 4.33). Die WAD-Verteilung ergibt sich dabei aus der Abbildung der Verteilung der Körpergrößen auf die fahrzeugspezifische Geometrie und die anschließende Klassierung entsprechend der WAD-Bereiche in 165 mm Schritten (Kühn 2004). In Fahrzeugquerrichtung wird eine durch Unfalldaten bestätigte Gleichverteilung der Anprallorte frontal erfasster Fußgänger angenommen (Rj,Front = 1/9). Abbildung 4.34 zeigt die Einteilung der Fahrzeugfront in Teilbereiche und die Relevanzgewichtung der Abschnitte der Fahrzeugfront für das Beispielfahrzeug F. Man erkennt, dass basierend auf der Größenverteilung der verunfallten Kinder bis zwölf Jahre die Bereiche der Haube deutlich relevanter sind als die der Scheibe. Diese Wichtung kehrt sich - bezogen auf das untersuchte Beispielfahrzeug - für Kinder über zwölf Jahre und Erwachsene nahezu um (s. auch Abb. 4.33).
Abb. 4.34 Einteilung der Fahrzeugfront in Teilbereiche und beispielhafte Darstellung des Relevanzfaktors in Fahrzeuglängsrichtung (Ri,WAD) für das Beispielfahrzeug F.
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
219
Der VERPS-Index wird hier getrennt für Kinder unter zwölf Jahre sowie für Erwachsene und Kinder über zwölf Jahre berechnet. Dies berücksichtigt die unterschiedlichen Anforderungen an Fußgängerschutzsysteme für Kinder und Erwachsene, die sich aus den unterschiedlichen Körpergrößen ergeben. Natürlich sind auch andere Abgrenzungen von speziellen Personengruppen möglich. Durch das Einsetzen der Bewertungsfunktion B(Mij) (s. Abb. 4.32) und der Festlegung des Relevanzfaktors in Fahrzeugquerrichtung v (Rj, Front = 1/9) ergibt sich der Index zu: VERPS
m
¦R i 1
§ HICij 500 · § 9 ¨ ¸ © 1990 ¹ 1 e i ,WAD ¨ ¨¦ j 1 ©
4,5
· ¸¸ / 9 ¹
(4.1)
Gleichung 4.1 Berechnungsformel für den VERPS-Index mit eingesetzter Bewertungsfunktion B(HICij) und ausgeklammertem Relevanzfaktor Rj,Front=1/9.
Der VERPS-Index kann Werte zwischen Null und Eins annehmen. Der Wert VERPS=0 bedeutet, dass kein Risiko für AIS3+-Kopfverletzungen während des Primäranpralls besteht. VERPS=1 steht für ein maximales Risiko für AIS3+-Kopfverletzungen für alle Fußgängergruppen, d.h. bei der untersuchten Kollisionsgeschwindigkeit von 45 km/h führt jeder Kopfanprall zu AIS3+-Verletzungen am Kopf. Ein Fahrzeug, das in allen Teilbereichen einen nach heutigen Erkenntnissen tolerablen HIC-Wert von 1000 aufweist, wird mit VERPS = 0,24 bewertet. In diesem Fall würden bei einer Kollisionsgeschwindigkeit von 45 km/h in 24 % aller Fälle AIS3+Kopfverletzungen auftreten. Das Verfahren ermöglicht somit eine Bewertung von Fahrzeugfronten auf einer linearen Skala – innerhalb der Grenzen der Genauigkeit der Annahmen. 4.4.2 Anwendung von VERPS zur Bewertung von Maßnahmen der passiven Sicherheit Der für drei Beispielfahrzeuge F (mittlere Klasse16), G (kleine Klasse) und H (mittlere Klasse) berechnete VERPS-Index zeigt, dass der fahrzeugseitige Fußgängerschutz für Kinder und Erwachsene getrennt bewertet werden sollte. Aufgrund der unterschiedlichen Bereiche, die von Kindern und Erwachsenen beim Kopfanprall getroffen werden, können sich einzelne Maßnahmen auf die Personengruppen ganz unterschiedlich auswirken. Beispielhaft wird der Serienzustand der beiden oben genannten Fahrzeuge mit zwei Varianten von aktiven Haubenaufstellungen verglichen. In 16
Fahrzeugklassen entsprechend der Einteilung in Abb. 2.13
220
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
der ersten Variante wird die Haube im hinteren Bereich aufgestellt. In der zweiten Variante deckt ein Airbag zusätzlich die kritischen Bereiche der A-Säule und des unteren Scheibenrahmens ab. Tabelle 4.10 Bewertung technischer Maßnahmen zum Fußgängerschutz mit Hilfe des VERPS – Index.
Serienzustand aufstellende Haube aufstellende Haube mit Airbag
Fahrzeug F (mittlere Klasse)
Fahrzeug G (kleine Klasse)
Fahrzeug H (mittlere Klasse)
Kinder 0,54
Erw. 0,63
Kinder 0,63
Erw. 0,24
Kinder 0,57
Erw. 0,35
0,22
0,60
0,43
0,24
0,22
0,35
0,08
0,25
0,11
0,17
0,09
0,14
Bei allen Fahrzeugen kann das Risiko für AIS3+-Kopfverletzungen durch technische Maßnahmen am Fahrzeug stark gesenkt werden. Für Fahrzeug F ergab sich für die Gruppe der Erwachsenen eine Verbesserung des VERPS-Index von 0,63 auf 0,25, für Kinder sogar von 0,54 auf 0,08 (s. Tabelle 4.10). Das Fahrzeug G erreicht schon im Serienzustand einen vergleichsweise guten Wert von 0,24 für Erwachsene. Dies ist darauf zurückzuführen, dass alle für den Kopfanprall relevanten Teilbereiche auf der Windschutzscheibe liegen. Sie werden als unkritisch hinsichtlich der HIC-Werte beurteilt, sofern nicht der Scheibenrandbereich oder die ASäule berührt wird (Fröming 2003). Aufgrund der Fahrzeugfrontgeometrie kann bei diesem Fahrzeug eine aufstellende Haube allein nur einen sehr geringen Teil der erwachsenen Fußgänger schützen. Ein zusätzlicher Airbag am unteren Scheibenrahmen ermöglicht zwar zusätzlichen Schutz für kleinere Personen, aber die relevanteren WADBereiche im oberen Scheibenbereich werden auch dadurch nicht abgedeckt. Entsprechend gering ist auch die Absenkung des VERPS-Index für Erwachsene von 0,24 auf 0,17. Für Kinder schneidet das Fahrzeug G im Serienzustand mit VERPS=0,63 schlechter ab als für Erwachsene, da mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kopfanprall im Bereich der hinteren Haubenkante und des unteren Scheibenrahmens erfolgt. Durch beide Modifikationen kann dieser Wert vermindert werden. So sinkt der VERPS-Index
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
221
von 0,63 für die einfache aufgestellte Haube auf 0,43 und für die aktive Haube mit zusätzlichem Airbagschutz auf 0,11. Ergänzend zu den real durchgeführten Tests an den Fahrzeugen F und G wurden numerische Komponententests am Fahrzeug H durchgeführt. Die Frontgeometrie dieses Fahrzeugs konnte ebenfalls der mittleren Klasse zugeordnet werden, obwohl es eine kürzere Fronthaube als das Fahrzeug F besitzt. Aufgrund der flacheren Front und der kürzeren Haube befinden sich beim Fahrzeug H ähnlich wie beim Fahrzug G für Erwachsene relevante Kopfanprallbereiche in der Windschutzscheibenregion. Die Kopfanprallregionen für Kinder liegen auch hier vermehrt im Haubenbereich. Die Implemtierung einer aufstellenden Haube hat ähnlich wie beim Fahrzeug G nur für Kinder eine Schutzfunktion. Die harten Kopfanprallbereiche der Erwachsenen in den Scheibenrandbereichen können erst durch die Verwendung einer aufstellenden Haube mit Airbag addressiert werden. Die starke Reduktion des VERPS-Index für Kinder zeigt das große Potenzial aktiver Schutzmaßnahmen bei entsprechender Auslegung auf die Fußgängergröße. Anprallbereiche, die vermehrt von Erwachsenen getroffen werden, konnten nur wirksam durch eine aufstellende Haube in Verbindung mit einem Airbag zur Abdeckung des unteren Scheibenrahmens und der A-Säule geschützt werden. Nahezu alle Trendaussagen zum Schutzpotenzial aktiver Strukturmaßnahmen aufgrund der Anprallkinematik und der Fahrzeuggeometrie konnten bestätigt werden (s. Abschn. 3.5, Tabelle 3.4). Die mittels des VERPSIndex ermittelten Sicherheitsgewinne verifizieren somit allein anhand der Anprallkinematik des Fußgängers postulierte Nutzenbetrachtungen zur aufstellenden Haube. Auch dort konnte gezeigt werden, dass für den Großteil der Fahrzeugfrontgeometrien eine signifikante Schutzwirkung für den Kopfanprall von Erwachsenen erst durch den Einsatz von Airbags erreicht wird, die den Spalt zwischen augestellter Haube und dem unteren Scheibenrahmen abdecken sollten. Jedoch konnten zuvor ohne den VERPS-Index keine Aussagen zur konkreten Gestaltung und Auslegung dieser Schutzmaßnahmen getroffen werden. Die Trendaussagen zum Sicherheitsgewinn aktiver Strukturmaßnahmen konnten somit mit Hilfe des VERPS-Index weiter quantifiziert und in konkrete Anforderungen an die Fahrzeugstruktur überführt werden.
222
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
4.4.3 Bewertung von Maßnahmen der aktiven Sicherheit Die bisherige Bewertung von Fahrzeugeigenschaften betrachtete nur Systeme der passiven Sicherheit. Systeme der aktiven Sicherheit wie z. B. ESP beeinflussen aber nachweislich das Unfallgeschehen ebenfalls positiv (Lie et al. 2005, Kreiss et al. 2005). Auch für den Bremsassistenten wird ein deutliches Schutzpotenzial vorhergesagt. Die wesentlichen Eigenschaften von Maßnahmen der aktiven Sicherheit sind die Unfallvermeidung und die Senkung der Kollisionsgeschwindigkeit. Der konkrete Sicherheitsgewinn von Assistenzsystemen konnte aber bisher nur retrospektiv durch die Unfallanalyse nachgewiesen werden. Die retrospektive Abschätzung des Nutzenpotenzials bezieht sich aber immer auf Fahrzeugflotten, in die noch keine passiven Schutzmaßnahmen gemäß Phase I der Fußgängerschutzgesetzgebung integriert sind. Mit Einführung dieser Maßnahmen können aber bereits einige Schutzpotenziale für den Fußgänger erreicht werden, die dann den Zusatznutzen von Assistenzsystemen schmälern könnten. Daher war man bisher auf grobe Abschätzungen angewiesen, wenn zwischen der Einführung von aktiven Sicherheitsmaßnahmen oder dem Ausbau der passiven Schutzmaßnahmen entschieden werden sollte. Mit der auf VERPS aufsetzenden Bewertungsmethodik VERPS+ lassen sich prospektiv die Sicherheitsgewinne von Assistenzsystemen bewerten und mit Maßnahmen der passiven Sicherheit hinsichtlich ihrer Wirkung im realen Unfallgeschehen vergleichen. Die Kollisionsgeschwindigkeit ist noch vor der konstruktiven Gestaltung der Fahrzeugfront die wichtigste Haupteinflussgröße auf das Verletzungsrisiko des Fußgängers. Die Analyse von Unfalldaten gibt Aufschluss über die Verteilung der Kollisionsgeschwindigkeiten bei Fußgängerunfällen in Deutschland. Durch die Einführung von Fahrerassistenzsystemen zur Unfallvermeidung wird sich diese Verteilung der Kollisionsgeschwindigkeiten sicher ändern. Zunächst soll daher der Einfluss der Kollisionsgeschwindigkeit auf die Verletzungsschwere des Fußgängers fahrzeugspezifisch ermittelt werden, bevor das Schutzpotenzial bestimmter Assistenzsysteme ermittelt wird. Hierzu wird die erweiterte Bewertungsmethodik VERPS+ genutzt.
Quantifizierung des Verletzungsrisikos für verschiedene Kollisionsgeschwindigkeiten
Der positive Effekt der Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit auf die Verletzungsschwere des Fußgängers wurde in einer Reihe von Untersu-
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
223
chungen im Umfeld der Diskussionen um die Gestaltung der zweiten Phase der Fußgängerschutzrichtlinie belegt (s. dazu Kap. 4.3.1, und auch Hannawald 2004). Drei maßgebliche Effekte spielen dabei aufgrund der veränderten Anprallkinematik des Fußgängers eine Rolle: x Mit sinkender Kollisionsgeschwindigkeit verringert sich das Risiko, dass überhaupt ein Kopfanprall an die Fahrzeugstruktur stattfindet (s. Abb. 4.36). x Die Kopfanprallgeschwindigkeit sinkt degressiv mit der Kollisionsgeschwindigkeit. x Die Aufwurfweiten der Fußgänger sinken mit der Kollisionsgeschwindigkeit (s. Abb. 4.35).
Abb. 4.35 Verschiebung der relevanten Kopfanprallbereiche für Erwachsene am Beispielfahrzeug H durch die Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit.
Durch die Auswertung von In-Depth-Unfallstatistiken kann der Einfluss der Kollisionsgeschwindigkeit auf das Risiko eines Anpralls des Kopfes an die Fahrzeugstruktur zahlenmäßig erfasst werden. Zur Ermittlung des Kopfanprallrisikos wurden wiederum die Unfalldaten aus Abschn. 1.3 und der Deutschen Versicherer ausgewertet, welche in Form eines geschwindigkeitsabhängigen Korrekturfaktors Pimpact(v) in die VERPS-Methodik einfließen (s. Gleichung 4.2). Dadurch wird der VERPS-Index zum VERPS+K-Teilindex erweitert.
224
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Abb. 4.36 Verlauf der aus Unfalldaten ermittelten Kopfanprallwahrscheinlichkeit PImpact.
Die numerische Simulation des Komponententests mittels FE-Methoden ermöglicht die vollständig virtuelle Durchführung des VERPSBewertungsverfahrens (s. Abb. 4.31). Hierzu wurden an einem frei verfügbaren FE-Fahrzeugmodell (Beispielfahrzeug H, s. auch NCAC 2006) exemplarisch neun Prüfpunkte der Fahrzeugfront für verschiedene Kopfanprallgeschwindigkeiten und -winkel untersucht. Die Prüfeingangsbedingungen wurden hierbei durch die Kinematikanalyse für verschiedene Kollisionsgeschwindigkeiten ermittelt. Für vier Prüfpunkte wurden die ermittelten Beschleunigungsverläufe mit denen aus Realversuchen am Beispielfahrzeug F verglichen. Hierbei ließ sich eine allgemeine Übertragbarkeit und Verwertbarkeit der Rechenergebnisse feststellen. Exemplarisch sind die Beschleunigungsverläufe zweier Prüfpunkte in Abb. 4.37 und Abb. 4.38 dargestellt. Eine Verringerung der Kopfanprallgeschwindigkeit führt in Abhängigkeit von der getroffenen Fahrzeugstruktur zu einer Senkung der Kopfbeschleunigung.
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
225
Abb. 4.37 Errechnete Beschleunigungsverläufe für unterschiedliche Kopfanprallgeschwindigkeiten beim numerisch durchgeführten Komponententest an der hinteren Haubenkante und der Vergleich mit einem Realversuch am Beispielfahrzeug F (mImpaktor=3,5kg).
Abb. 4.38 Errechnete Beschleunigungsverläufe beim numerisch durchgeführten Komponententest an der A-Säule und der Vergleich mit einem Realversuch am Beispielfahrzeug F (mImpaktor=4,8kg).
Hierbei lassen sich im Wesentlichen folgende Effekte beobachten: x Bei sehr steifen Fahrzeugstrukturen (z. B. der A-Säule) sinken die Spitzenbeschleunigungen. Sie bleiben aber insgesamt weiterhin auf sehr kritischem Niveau (s. Abb. 4.38).
226
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
x „Kritische“ Strukturen wie z. B. der Übergang vom Kotflügel zur Haube erfahren Verbesserungen, die aber noch durch konstruktive Maßnahmen ergänzt werden müssen. x Das „Durchschlagen“ auf steife Bereiche unterhalb der Motorhaube kann ab einer bestimmten Kopfanprallgeschwindigkeit ausbleiben und somit das Niveau der Beschleunigungen massiv senken (z. B. im Bereich der Spritzwand, Abb. 4.37). x In „unkritischen“ Bereichen werden die auftretenden Beschleunigungen weiter abgesenkt. Überführt man die errechneten HIC-Werte in Verletzungswahrscheinlichkeiten, so kann für die einzelnen Kollisionsgeschwindigkeiten unter Berücksichtigung der Kopfanprallwahrscheinlichkeit PImpact(v) der VERPS+K-Index berechnet werden und somit der Geschwindigkeitseinfluss auf das Kopfverletzungsrisiko fahrzeugspezifisch ermittelt werden. VERPS k
§ HICij ( v ) 500 · § 9 PImpact (v) ¦ R i,WAD(v) ¨¨ ¦1e ¨¨© 1990 ¸¸¹ i 1 ©j1 m
4,5
· ¸ /9 ¸ ¹
(4.2)
Gleichung 4.2 Erweiterung des VERPS-Index durch Einführung einer geschwindigkeitsabhängigen Kopfanprallwahrscheinlichkeit PImpact. Der Subindex k bringt den Bezug zu einer konkreten Unfallkonstellation zum Ausdruck.
Die Anwendung des erweiterten Bewertungsverfahrens VERPS+K auf das Beispielfahrzeug H ergibt als Teilergebnis eine quantifizierbare Reduktion des Kopfverletzungsrisikos in Abhängigkeit der Kollisionsgeschwindigkeit. In Abb. 4.39 sind zusätzlich passive Schutzmaßnahmen am Beispielfahrzeug H angesetzt und zum Vergleich mittels VERPS+ bewertet. Dabei sind die bewerteten Strukturmaßnahmen in der Tabelle 4.11 erläutert. Für Kinder bis 12 Jahre wird ausgehend von einem Wert von ca. VERPS+K = 0,5, der den Serienzustand des Fahrzeugs beschreibt, durch die Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit ein nahezu linear fallendes Verletzungsrisiko erreicht. Dies ist im Wesentlichen auf die Reduktion der Beschleunigungswerte beim Kopfanprall im Haubenbereich zurückzuführen. Im Gegensatz zu den Kindern ergibt sich bei den Erwachsenen keine durchgehende Reduktion des VERPS+-Index. Beginnend bei 50 km/h kann zunächst eine geringe Reduktion des Verletzungsrisikos erreicht werden, während bei kleiner werdenden Kollisionsgeschwindigkeiten das Verletzungsrisiko wieder ansteigt.
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
227
Tabelle 4.11 Beschreibung der numerisch untersuchten Strukturmaßnahmen. Alle HIC-Angaben beziehen sich auf eine Kollisionsgeschwindigkeit von vk=35 km/h. Die Validität und Übertragbarkeit der Ergebnisse wurde durch Vergleich mit Realversuchen sichergestellt, s. auch Abb. 4.37 und 4.38 Name
Beschreibung
Serienzustand
Originalzustand des virtuellen Fahrzeugmodells
Phase I
2/3 der Haubenfläche: HIC < 1000 1/3 des Haubenbereiches: HIC < 2000 keine Strukturmaßnahmen im Bereich der Front-
Phase II
gesamter Haubenbereich: HIC < 1000 keine Strukturmaßnahmen im Bereich der Front-
scheibe
Phase II + unterer Scheibenrahmen HIC < 2000 Phase II + Airbag für unteren Scheibenrahmen Phase II + A-Säulenairbag
scheibe gesamter Haubenbereich: HIC < 1000 unterer Scheibenrahmen durch passive Strukturmaßnahmen: HIC < 2000 keine Strukturmaßnahmen im Bereich der A-Säule gesamter Haubenbereich: HIC < 1000 unterer Scheibenrahmen durch Airbag abgedeckt: HIC < 1000 keine Strukturmaßnahmen im Bereich der A-Säule gesamter Haubenbereich HIC < 1000 unterer Scheibenrahmen sowie Teile der A-Säule durch einen Airbag abgedeckt: HIC < 1000
Die Erklärung hierfür lässt sich direkt aus der VERPS+-Verfahrenskette ableiten: Durch die verringerte Anstoßgeschwindigkeit des Fußgängers verringert sich dessen Aufwurfweite auf die Fahrzeugfront, so dass sich für viele Fußgängergrößen die Kopfanprallregion aus dem Scheibenbereich in den Bereich des unteren Scheibenrahmens und der Haubenhinterkante verlagert. In diesen Bereichen sind jedoch durchweg höhere Belastungswerte als im mittleren Scheibenbereich zu verzeichnen. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass dieser Effekt des Anstiegs des Verletzungsrisikos bei sehr niedrigen Kollisionsgeschwindigkeiten streng fahrzeugspezifisch ist und entscheidend von der Fahrzeugfrontgeometrie und der Lage der steifen Anprallbereiche (z. B. Haubenhinterkante, unterer Scheibenrahmen) abhängt. Bei Fahrzeugen mit längerer Haube ist ein Absinken des Verletzungsrisikos zu erwarten, da sich hier der Hauptanprallbereich des Kopfes aus der Region des unteren Scheiben-
228
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
rahmens/Haubenhinterkante in den Bereich der Fronthaube verschiebt. Bei Kleinwagen wird ebenfalls keine Verschiebung des Kopfanprallbereiches aus dem Scheibenbereich heraus erwartet, so dass auch hier kein Anstieg des Verletzungsrisikos bei geringen Kollisionsgeschwindigkeiten auftreten sollte.
Abb. 4.39 Beeinflussung des VERPS+K-Index durch Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit für das untersuchte Beispielfahrzeug H und Vergleich mit verschiedenen passiven Schutzmassnahmen.
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
229
Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit durch Fahrerassistenzsysteme
Ausgehend von der Annahme, dass Fahrerassistenzsysteme (FAS) nur unterstützend wirken und der Fahrer die Verantwortung über das Fahrzeug behält, sollen nun verschiedene Ausbaustufen von Bremsassistenten hinsichtlich ihrer Eigenschaft zur Geschwindigkeitsreduktion und der Auslösequote im Realunfallgeschehen klassifiziert werden. Hierzu wurden Einzelsimulationen aller vorhandenen In-Depth-Unfallkonstellationen vorgenommen und die Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit ǻvk und der Anteil der vermiedenen Unfälle für unterschiedliche Eingriffstrategien des Bremsassistenten errechnet (s. Abb. 4.40). Das Fahrzeug wird durch ein erweitertes Einspurmodell mit nichtlinearen Reifenkennfeldern modelliert. Der Simulationsprozess wurde anhand von Fahr- und Reaktionsversuchen (54 Probanden) mit einem Messfahrzeug validiert (s. auch Schulz 2006 u. Weyer 2006). Das Fahrermodell enthält Reaktionszeiten, Umsetzzeiten und Bremsdruckverläufe (s. Abb. 4.41). Der gesamte Simulationsprozess wurde automatisiert, sodass eine Vielzahl an Kombinationen von Unfallsituationen und Fahrerverhalten analysiert werden kann.
Abb. 4.40 Methodik zur automatischen fallbasierten Analyse von In-DepthUnfalldaten zur Bewertung des Geschwindigkeitsreduktionspotenzials.
230
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Abb. 4.41 Umsetzzeiten und Verzögerungsverläufen als Kenngrößen des untersuchten Fahrerkollektives der TU Berlin (Fröming 2006)
Da Bremsassistenten in ihrer Funktion und Wirkungsweise sehr unterschiedlich sein können, werden hier drei Ausbaustufen von Bremsassistenten untersucht (s. auch Tabelle 4.12): x sBAS: Vollbremsung bei Überschreiten fester Schwellwerte für die Betätigungsgeschwindigkeit der Bremseinrichtung. x aBAS I: Vollbremsung bei Loslassen des Gaspedals, wenn zusätzlich ein relevantes Hindernis detektiert wurde. x aBAS II: Vollautonome Teilbremsung mit 0,5g bei TTC < 1 s zum relevanten Hindernis und Vollbremsung bei Loslassen des Gaspedals. Tabelle 4.12 Bremsstrategien und zugehörige Zustandswahrscheinlichkeiten der analysierten Bremsassistenten (s. auch Abb. 4.43, nach Fröming 2006). Aktivierungswahrscheinlichkeit des BAS im Realunfall sBAS 47 % (Unselt 2004) aBAS I 85 % (geschätzt) aBAS II 85 % (geschätzt)
Zustandswahrscheinlichkeit Fahrer bremst Fahrer bremst nicht BAS BAS BAS BAS aktiv inaktiv aktiv inaktiv 30 % 34 % 0% 36 % 54 % 10 % 0% 36 % 54 % 10 % 31 % 5%
Intelligente Bremsassistenten mit Umfeldsensorik steigern die Auslösewahrscheinlichkeit und können durch ihr früheres Eingreifen die Kollisionsgeschwindigkeit stark herabsetzen. Dies steigert auf zwei unterschied-
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
231
liche Arten den Gesamtnutzen dieser Bremsassistenten im Unfallgeschehen. Entsprechend der Eingriffsstrategie des Standardbremsassistenten sBAS wird in drei der vier möglichen Betriebszustände keine Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit erreicht. Mit der Ausbaustufe aBAS I wird eine Eingriffstrategie definiert, die die Fahrverantwortung jederzeit beim Fahrer belässt, aber bei einem erkannten Hindernis vor dem Fahrzeug ein schnelles Loslassen vom Gaspedal bereits als Notbremswunsch des Fahrers interpretiert und eine Vollbremsung einleitet. Auf diese Weise kann bereits während der Umsetzzeit und somit ca. 0,3 s früher gebremst werden. Per Definition erfolgt beim aBAS I eine Klassifizierung des Hindernisses ausschließlich durch den Fahrer. Das erlaubt es, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für Fehlerkennungen des Sensorsystems zuzulassen und erhöht so die Möglichkeit einer Realisierung zu vertretbaren Kosten. Durch den Einsatz der aBAS I-Bremsassistenzstrategie kann die Kollisionsgeschwindigkeit gebremster Unfälle im Mittel um 11,6 km/h gesenkt werden und es können bis zu 26 % der Unfälle durch die frühzeitigere und bessere Bremsung verhindert werden (s. Tab. 4.13).
Abb. 4.42 Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeiten durch die Bremsassistenzsysteme aBAS I und aBAS II gegenüber den ursprünglichen Kollisionsgeschwindigkeiten ohne Bremsassistenz.
Erst in der Eingriffstrategie des aBAS II wird auch ohne Reaktion des Fahrers eine Teilbremsung von 0,5 g eingeleitet, wenn eine kritische Fahrsituation vorliegt. Hierbei wird angenommen, dass innerhalb der nächsten Sekunde ein Aufprall auf das Hindernis erfolgen würde. Somit kann durch die vollautonome Teilbremsung auch die Kollisionsgeschwindigkeit bei
232
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
ungebremsten Unfällen signifikant reduziert werden (s. Tabelle 4.13). Im analysierten Datenbestand waren ca. 36 % aller Fußgängerunfälle ungebremst. Insbesondere jene Unfallkonstellationen, die bisher Kollisionsgeschwindigkeiten von bis zu 40 km/h aufwiesen, profitieren besonders stark von der Einführung der aBAS II-Assistenzstrategie (s. Abb. 4.42). In diesen Unfällen erfolgt meist noch eine Bremsung durch den Fahrer. Sie wird durch den Bremsassistenten optimiert und durch die autonome Teilbremsung ergänzt. 58 % der Unfälle können sogar gänzlich verhindert werden. Das konkrete Ausmaß der verhinderten Unfälle hängt dabei stark von der Verzögerung der autonomen Teilbremsung ab. Unfälle, die bisher bei Kollisionsgeschwindigkeiten über 50 km/h stattfanden, finden überdurchschnittlich oft ungebremst statt. In diesen Situationen kann nur durch die autonome Teilbremsung die Kollisionsgeschwindigkeit reduziert werden. Tabelle 4.13 Anhand der automatisierten Einzelfallanalyse ermittelte Zahl der durch das Bremsassistenzsystem verhinderten Unfälle sowie Medianwerte der reduzierten Kollisionsgeschwindigkeiten.
sBAS aBAS I
Errechneter Anteil median ǻvk der vermiedenen bei gebremsten Unfälle Unfällen 6% 2,6 km/h 26 % 11,6 km/h
aBAS II
58 %
20,1 km/h
median ǻvk bei ungebremsten Unfällen 0 km/h 0 km/h autonome Bremsung! 17,6 km/h
Anwendung von VERPS+ zur Bewertung von Bremsassistenzsystemen
Basierend auf den Erkenntnissen der Unfallanalyse, den Veröffentlichungen zur Zustandswahrscheinlichkeit für Standard-Bremsassistenten und der errechneten Reduktion der Kollisionsgeschwindigkeit ǻvk kann nun das zu erzielende Schutzpotenzial fahrzeugspezifisch ermittelt werden. Dazu werden für die einzelnen Betriebszustände der Bremsassistenten die zugehörigen VERPS+K-Teilindizes anhand ihrer Auftretenswahrscheinlichkeit im realen Unfallgeschehen zum Fußgängerschutzindex VERPS+ (s. Tabelle 4.12 und Abb. 4.43) statistisch gewichtet zusammengefasst. Die alleinige Betrachtung der reduzierten Kollisionsgeschwindigkeiten ist hierfür nicht statthaft, da der Zusammenhang zwischen Kollisionsgeschwindigkeit und Verletzungsrisiko stark nichtlinear ist. Vielmehr muss für jede reduzierte Kollisionsgeschwindigkeit ein Verletzungsrisiko ange-
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
233
geben werden. Mit der entworfenen Methodik (s. Abb. 4.40) kann jeder analysierten Unfallkonstellation ein VERPS+K-Teilindex zugewiesen werden. Die anschließende statistisch gewichtete Mittelung zum VERPS+Index liefert so eine Aussage zum mittleren Verletzungsrisiko in allen analysierten Unfallkonstellationen.
Abb. 4.43 Schematische Vorgehensweise zur Ermittlung eines durchschnittlichen Verletzungsrisikos über alle analysierten Kombinationen (ngesamt=21762) aus Fahrern (nFahrer=54) und Unfallkonstellationen (nUnfall=403). Für den sBAS sind die Wichtungsparameter für die Betriebszustände des Assistenzsystems beispielhaft angegeben (nach Fröming et al. 2005)
Insgesamt kann für das untersuchte Fahrzeug H durch den alleinigen Einsatz des sBAS nicht das Schutzpotenzial von Strukturmaßnahmen erreicht werden, wie es in Phase I der Gesetzgebung zum Fußgängerschutz gefordert ist (vgl. Serienzustand und sBAS sowie Phase I ohne BAS, s. Abb. 4.44 und 4.45). Insbesondere Kinder profitieren sehr stark von Strukturmaßnahmen im Haubenbereich, während Erwachsene erst durch fortgeschrittene Strukturmaßnahmen im Scheibenbereich wirksam geschützt werden können.
234
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Abb. 4.44 Durchschnittliches Risiko für schwere Kopfverletzungen bei Erwachsenen abhängig von den implementierten strukturellen und aktiven Sicherheitsmaßnahmen für das Beispielfahrzeug H (TUB Fahrermodell und In-DepthUnfalldaten, Beschreibung der technischen Maßnahmen am Fahrzeug s. Tab. 4.11 und 4.12).
Abb. 4.45 Durchschnittliches Risiko für schwere Kopfverletzungen bei Kindern abhängig von den implementierten strukturellen und aktiven Sicherheitsmaßnahmen für das Beispielfahrzeug H (TUB Fahrermodell und In-Depth-Unfalldaten, Beschreibung der technischen Maßnahmen am Fahrzeug s. Tab. 4.11 und 4.12).
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
235
Mit Einführung von intelligenten Bremsassistenten, die sowohl Fahrerinformationen als auch Umgebungsinformationen verwerten, kann die Sicherheit von Fußgängern im Straßenverkehr beträchtlich gesteigert werden. Aufgrund erweiterter Eingriffsstrategien kann sowohl die mittlere Kollisionsgeschwindigkeit deutlich herabgesetzt als auch die Auslöserate von BAS-Systemen im Realunfall stark erhöht werden. Die Ergebnisse der Analysen zeigen, dass sowohl stark verbesserte Strukturmaßnahmen und fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme jeweils für sich allein ein vergleichbares Schutzpotenzial bieten (z. B. Serienzustand ohne BAS und Phase II mit Airbag für unteren Scheibenrahmen ohne BAS sowie Serienzustand mit aBAS II, s. Abb. 4.44 und 4.45). Durch das hohe Unfallvermeidungspotenzial wird für Bremsassistenten mit Umfeldsensorik in jedem Fall ein Sicherheitsgewinn nachgewiesen. Wird die Senkung der Kollisionsgeschwindigkeit noch durch fahrzeugseitige Strukturmaßnahmen ergänzt, vergrößert sich der Sicherheitsgewinn sowohl für Kinder als auch für erwachsene Fußgänger. Eine Kombination von passiven Schutzmassnahmen und Fahrerassistenzsystemen zeigt somit theoretisch eine ideale Ergänzung (s. Phase II + A-Säulenairbag und aBASII in Abb. 4.44 und 4.45, s. auch Abb. 3.45). Die Möglichkeit zur Umsetzung wird u.a. durch Kostenaspekte beeinflusst. Der Vergleich verschiedener Schutzmaßnahmen bietet die Möglichkeit, die für das untersuchte Fahrzeug effizientesten Fußgängerschutzmaßnahmen zu identifizieren und in sinnvollen Kombinationen den Nutzen vor dem Hintergrund des realen Unfallgeschehens zu maximieren. Zusätzlich ist eine Bewertung des Verletzungsrisikos während des Sekundäranpralls des Fußgängers notwendig, um das volle Schutzpotenzial von Bremsassistenzsystemen zu erfassen und für zukünftige Fahrzeuggenerationen bewertbar zu machen. Es ist möglich, dass die Senkung der Kollisionsgeschwindigkeiten die Abwurfkinematik positiv beeinflusst. 4.4.3 Fazit und Ausblick Zur Bewertung möglicher politischer Optionen bei der Gestaltung von Vorschriften zum Fußgängerschutz ist es sinnvoll, Kosten und Nutzen gegeneinander abzuwägen. Dabei ist es wichtig, das Bremsassistenzsysteme – abhängig von der Ausbaustufe – mit relativ geringem Mehraufwand realisiert werden können. Sie greifen in der Regel auf Komponenten zurück, die aus anderen Gründen bereits im Fahrzeug verbaut werden. Selbst die Sensorik scheint für Komfortfunktionen wie ACC bereits Eingang in den Markt zu finden. Optische Systeme zur Spurerkennung sind ebenfalls an-
236
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
gekündigt. Zudem schützen Bremsassistenten nicht nur Fußgänger sondern können auch viele andere Unfallsituationen positiv beeinflussen. Beim Bremsassistenten in der Anwendung auf den Fußgängerunfall handelt es sich also um eine relativ kostengünstige Technologie. Eine entsprechende Bewertung für strukturelle Maßnahmen muss fallweise erfolgen. Möglicherweise sind Modifikationen am Vorderbau mit geringen Mehrkosten möglich (s. auch von Hübbenet 2003). Wenn zusätzliche Elemente erforderlich sind, wenn Folgekosten durch erhöhte Reparaturanfälligkeit oder zusätzlichen Wartungsaufwand zu befürchten sind, kann sich diese Einschätzung ändern. Weiterentwicklungen des VERPS-Bewertungsverfahrens
Das VERPS-Bewertungsverfahren entstand mit dem Ziel, fahrzeugseitige Maßnahmen zum Fußgängerschutz möglichst objektiv und biomechanisch korrekt bewertbar zu machen. Die hierfür abgeleitete vierstufige Vorgehensweise wurde modular gestaltet, um neue Erkenntnisse und Methoden aus der Biomechanik oder der numerischen Simulation berücksichtigen zu können. Mit den verbesserten numerischen Simulationsmöglichkeiten stehen dem VERPS-Bewertungsverfahren neue Möglichkeiten zur Bewertung der Fußgängerschutzeigenschaften zur Verfügung. Hierbei kann durch weiter entwickelte biomechanische Schutzkriterien die Prognose für Kopfverletzungen des Fußgängers deutlich verfeinert und das Schutzpotenzial der damit am Fahrzeug abgeleiteten technischen Maßnahmen optimiert werden. Durch die Verwendung von FE-Fußgängermodellen kann künftig die Aufteilung in die numerische Simulation der Anprallkinematik und den virtuell oder experimentell durchgeführten Komponententest entfallen. An Stelle dessen träte vielmehr die Gesamtsimulation der menschlichen Biomechanik, die über den Kopfanprall hinaus die Optimierung einer Vielzahl weiterer Verletzungsschwerpunkte erlauben wird. Hier seien vor allem Hals, Thorax und Abdomen als weitere Verletzungsschwerpunkte im Haubenbereich genannt (s. Abb. 1.38 sowie Tab. 1.5). Hinsichtlich einer möglichen Überführung des VERPSBewertungsverfahrens in ein im praktischen Versuchsalltag anwendbares Testverfahren muss die Komplexität des Verfahrensablaufs reduziert werden. Insbesondere die fahrzeugspezifische Generierung der Prüfbedingungen bedeutet einen Mehraufwand, der schon heute durch teilautomatisierte numerische Simulationen begrenzt wird. Zukünftig wäre auch die vorherige Bestimmung der Prüfbedingungen für die in diesem Buch vorgestellten
4.4 Bewertung aktiver und passiver Schutzmaßnahmen
237
Fahrzeugkategorien denkbar (s. Abschn. 2.2.2, Abb. 2.13). Die kategoriespezifischen Prüfbedingungungen würden dann ähnlich wie beim Verfahren nach JapanNCAP aus entsprechenden Tabellen entnommen werden können.
Abb. 4.46 Strategien zur Weiterentwicklung des VERPS-Bewertungsverfahrens.
Zukünftiges Fußgängerunfallgeschehen in Deutschland
Das dargestellte Verfahren zur Bestimmung des Sicherheitsgewinns nach VERPS+ basiert auf der Verletzungsskalierung nach AIS, die sich in der Unfallforschung durchgesetzt hat. Damit kann der Sicherheitsgewinn von passiven und aktiven Schutzmaßnahmen fahrzeugspezifisch quantifiziert werden. Die Klassifikation in Verletzte und Getötete ermöglicht eine andere Beschreibung des erreichbaren Sicherheitsgewinns. Bisher wurden Aussagen
238
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
zum Nutzen von aktiven Sicherheitssystemen anhand von Risikofunktionen getroffen (Busch 2005). Hierfür müssen globale Aussagen zum Verletzungs- und Tötungsrisiko für verunglückte Fußgänger aus der Unfallstatistik abgeleitet werden. In Abb. 4.47 ist das Tötungsrisiko für frontal erfasste Fußgänger über der Kollisionsgeschwindigkeit abgeleitet aus InDepth-Unfalldaten gezeigt. Ähnliche Risikofunktionen können für das Auftreten von Verletzungen aus den In-Depth-Unfalldaten abgeleitet werden. Diese basieren jedoch auf einer gemischten Fahrzeugflotte und lassen so keine Aussagen zum Sicherheitsgewinn durch die Kombination von Maßnahmen der aktiven Sicherheit und Strukturmaßnahmen an einem konkreten Fahrzeug zu. Bei diesen Risikofunktionen kann durch den Einsatz von Bremsassistenzsystemen das mit der geringeren Kollisionsgeschwindigkeit einhergehende sinkende Tötungs- und Verletzungsrisiko auf die Zahl der verletzten und getöteten Fußgänger in Deutschland bezogen werden und somit eine Prognose des Sicherheitsgewinns durch Assistenzsysteme getätigt werden (s. Tabelle 4.14).
Abb. 4.47 Tötungsrisiko für frontal erfasste Fußgänger (Weyer 2006)
Zur Prognose des zukünftigen Unfallgeschehens ist der VERPS+-Index indirekt ebenfalls geeignet. Mit den im VERPS+-Index ermittelten reduzierten Kollisionsgeschwindigkeiten und der Berücksichtigung der durch Bremsassistenz verhinderten Unfälle kann eine Prognose zur Anzahl der Getöteten in der Bundesrepublik Deutschland angegeben werden. Der Sicherheitsgewinn durch den kombinierten Einsatz von aktiven und passiven Sicherheitsmaßnahmen kann durch die Übertragung der relativen Reduktion des VERPS+-Index (s. Abb. 4.44 und 4.45) auf die Getöteten- und Verletztenzahlen zumindest grob abgeschätzt werden.
Literatur
239
Tabelle 4.14 Prognose zur Anzahl der getöteten und verletzten Fußgänger in Deutschland bei Einsatz fortschrittlicher Strukturmaßnahmen und Assistenzsysteme (Ausstattungsquote 100%).
Maßnahmenkatalog Stand 2004 sBAS sBAS + Phase I aBAS I aBAS I + Phase II aBAS II aBAS II + Phase II + A-Säulenairbag
VERPS+ Getötete Verletzte Fußgänger Fußgänger 838 34077 819 33258 708 28478 711 28614 583 23131 556 21992 415
In-Depth-Unfalldaten Getötete Verletzte Fußgänger Fußgänger 803
31537
700
28066
501
20995
15940
Das Ziel der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr in der Europäischen Union bis 2010 zu halbieren (Kommission 2003), könnte im Bereich des Fußgängerschutzes in der Bundesrepublik Deutschland theoretisch durch den flächendeckenden Einsatz von sehr fortgeschrittenen Bremsassistenzsystemen und passiven Schutzmaßnahmen erreicht werden. Praktisch ist deren flächendeckender Einsatz bis 2010 unmöglich, daher müssen zur Erfüllung der Vorgabe weitere Maßnahmen wie infrastrukturelle Verbesserungen, Verkehrserziehung und auch Verkehrsüberwachung eingeführt bzw. ausgebaut werden.
240
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Literatur Akiyama A, Yoshida S, Matsuhashi T, Moss S, Salloum M, Ishikawa H, Konosu, A (1999a) Development of Human-Like Pedestrian Dummy. SAE paper No. 1999-01-0082, 1999. Akiyama A, Yoshida S, Matsuhashi T, Moss S, Salloum M, Ishikawa H, Konosu, A (1999b) Development of Simulation Model and Pedestrian Dummy. JSAE Spring Convention, 1999. ANCAP (2005) Australian New Car Assessment Programme, http://www.aaa.asn.au/ancap.htm. BASt (1995) Gefährdung durch Frontschutzbügel an Geländefahrzeugen. Berichte der BASt, Fahrzeugtechnik, Heft F12; ISBN 3-89429-908-8. Busch (2005) Entwicklung einer Bewertungsmethodik zur Prognose des Sicherheitsgewinns ausgewählter Fahrerassistenzsysteme. Fortschrittsberichte VDI Nr. 588, 2005, ISBN 3-18-358812-9. DaimlerChrysler (2006) Pressematerial zum Thema Fußgängerschutz an der neuen S-Klasse, 2006. EEVC WG 17 Report (1998) Improved Test Methods to Evaluate Pedestrian Protection Afforded by Passenger Cars. Final Report, Dezember 1998. Eggert E (1998) Experimentelle Untersuchungsmethoden zur passiven Sicherheit bei Fußgänger-Fahrzeug-Kollisionen. TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, Studienarbeit, 1998. Esas (2002) Empfehlungen für das Sicherheitsaudit von Straßen (ESAS). Ausgabe 2002, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Arbeitsgruppe Straßenentwurf, Köln 2002. EuroNCAP (2004) European New Car Assessment Programme (EuroNCAP) – Pedestrian Testing Protocol. Europäische Union (2003) Richtlinie 2003/102/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.11.2003 zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern vor und bei Kollisionen mit Kraftfahrzeugen und zur Änderung der Richtlinie 70/156/EWG des Rates. Amtsblatt der Europäischen Union, Der Verlag der Europäischen Union, http://europa.eu.int/comm/enterprise/automotive/pagesbackground/pedestrian protection/index.htm, Zugriff 11. Juli 2006. Europäische Union (2005) Stakeholder consultation on a preliminary draft proposal for a regulation on pedestrian protection. Summary of the results, http://europa.eu.int/comm/enterprise¬/¬auto¬motive/pagesbackground/pedest rianprotection/consultation_phase_II/summary.htm. Fredrikson R, Haland Y, Yang J (2001) Evaluation of a New Pedestrian Head Injury Protection System with a Sensor in the Bumper and Lifting of the Bonnet’s Rear Edge. 17. ESV-Konferenz, Amsterdam, 2001. Fröming R. (2003) Experimentelle Umsetzung des Hybridtestverfahrens zum Fußgängerschutz und Ableitung eines Gefährdungsindex für Fahrzeugfronten. TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, Diplomarbeit, 2003.
Literatur
241
Fröming R, Schindler V, Kühn M (2005) Ein Verfahren zur objektiven Bewertung fahrzeugseitiger Maßnahmen zum Fußgängerschutz. VDI-Berichte 1911, VDI-Verlag, Düsseldorf, 2005. Fröming R, Kühn M, Schindler V (2006) Requirement Engineering for Active Safety Pedestrian Protection Systems based on Accident Research, Conference on Advanced Microsystems for Automotive Applications, Berlin 2006. Glaeser KP (1984) Fußgängerunfall-Simulationsversuche mit verbesserten Fußgängerdummys. Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach, 1984. Glaeser KP (1995) Der Anprall des Kopfes auf die Fronthaube von Pkw beim Fußgängerunfall. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Fahrzeugtechnik, Heft 14, Bergisch Gladbach: Wirtschaftsverlag NW, 1995. GRSP (2006) Proposal for a Global Technical Regulation on Uniform Provisions Concerning the Approval of Vehicles with Regard to their Construction in Order to Improve the Protection and Mitigate the Severity of Injuries to Pedestrians and Other Vulnerable Road Users in the Event of a Collision. Working Party on Passive Safety (GRSP), World Forum for Harmonization of Vehicle Regulations (WP.29). ECE/TRANS/WP.29/GRSP/2006/2. Hahn W (2001) Fußgängerschutz - Von der Unfallanalyse zur Entwicklungsanforderung. VDA Technischer Kongress, Bad Homburg, 2001, S. 65-69. Hahn W (2006) Fußgängerschutz: Entwicklungswerkzeuge – biomechanische Bewertung und Anwendung, Tagungsunterlagen zur Praxiskonferenz Fußgängerschutz, Bergisch Gladbach, 2006. Hannawald L, Kauer F (2004) Equal Effectiveness Study on Pedestrian Protection, Technische Universität Dresden, 2004. Heger A, Appel H (1980) Reconstruction of Pedestrian with Dummies and Cadavers. 8. ESV-Konferenz, Tagungsband, Wolfsburg, 1980. Honda (2006): Pressematerial zum Thema Fußgängerschutz in Forschung und Anwendung, 2006. van Hoof J, de Lange R, Wismans J (2003) Improving Pedestrian Safety Using Numerical Human Models. Stapp Car Crash Journal, Vol. 47, Oktober 2003. von Hübbenet I (2003) Kosten-Nutzenanalyse von technischen Maßnahmen zum Fußgängerschutz am Kraftfahrzeug. TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, Diplomarbeit, 2003. ISO13232 ISO: Motorcycles - Test and analysis procedures for research evaluation of rider crash protective devices fitted to motorcycles. JNCAP (2005) Japanese New Car Assessment Programme, http://www.nasva.go.jp/mamoru/english/index.html, Zugriff 11. Juli 2006. JAMA (2005) Japan Automobile manufactures Association, http://www.jama.org/ library/ Koch W (2002) Ganzheitlicher Ansatz zur Verbesserung der Fußgängersicherheit. Tagungsband: Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw, Haus der Technik e.V., München, 2002.
242
4 Bewertung von Maßnahmen zum Fußgängerschutz
Kommission der Europäischen Gemeinschaft (2003) Europäisches Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit. Mitteilung der Kommission, KOM(2003) 311, Juni 2003. Kreiss J-P, Schüler L, Langwieder K (2005) The Effectiveness of primary Safety Features in Passenger Cars in Germany, 19. ESV-Konferenz, Tagungsband, Washington, 2005. Kühn M, Fröming R, Schindler V (2002) Anforderungskatalog eines erweiterten Prüfverfahrens für die Pkw-Fußgänger-Kollision und dessen Umsetzung mit Hilfe der rechnerischen Simulation. Tagungsband zur Tagung „Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw“, Haus der Technik e.V., München, 20./21. November 2002. Kühn (2004) Weiterentwicklung von Fußgänger-Komponententests. FortschrittBerichte VDI Reihe 12 Nr. 573, VDI Verlag, Düsseldorf 2004. Lange R, Happee, R. (2001) Madymo v5.4 Multi Body Pedestrian Models – Draft Version. TNO, Januar 2001. Lie A, Tingvall C, Krafft M, Kullgren A (2005) The Effectiveness of ESC (Electronic Stability Control) in reducing real life crashes and injuries, 19. ESVKonferenz, Tagungsband, Washington, 2005. Maeno T, Hasegawa J (2001) Development of a Finite Element Model of Total Human Model Safety (THUMS) and Application to Car-Pedestrian Impacts. 17. ESV-Konferenz, Tagungsband, Amsterdam, 2001. Muser M (2006) Simulationen mit Human-FE und MBS-Modellen zur Analyse des Fußgängeranpralls. Tagungsunterlagen zur Praxiskonferenz Fußgängerschutz, Bergisch Gladbach, 2006. NCAC (2006) National Crash Analysis Center, http://www.ncac.gwu.edu/ vml/models.html. Okamoto Y, Sgimoto, T., Enomoto, K., Kikuchi, J. (2000) Pedestrian Head Impact Conditions Depending on the Vehicle Shape and its Construction – Full Model Simulation. IRCOBI-Konferenz, Montpellier, Frankreich, 2000. ORI (1998) Study of the efficiency of infrastructural measures for pedestrian protection – final report – global study of France and U.K. sites. Orientations, L’ingeniere des deplacements, Jan 1998. Preliminary Draft Proposal (2005) Preliminary draft proposal for a regulation on the protection of pedestrains and other vulnerable road users before and in the event of a collision with a motor vehicle and amending Ccouncil Directive 70/156EEC. http://europa.eu.int/comm/enterprise/automotive/pagesbackground/pedestrian protection/consultation_phase_II/preliminary_draft_proposal.pdf. Richtlinie zu Frontschutzsystemen (2005) Europäische Richtlinie über die Verwendung von Frontschutzsystemen an Fahrzeugen (2005/66/EG). SAS (2002) Sicherheitsaudit für Straßen (SAS) in Deutschland. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft V 98, Verlag für neue Wissenschaft GmbH Bremerhaven, Bergisch Gladbach, 2002. Save-U D6 (2005) Dr. Marc-Michael Meinecke, Dr. Marian Andrzej, Obojski, Dr. Dariu Gavrila, Mr. Erwan Marc, Mr. Richard Morris,Mr. Matthias Töns, Dr.
Literatur
243
Laurent Letellier, “SAVE-U - Deliverable D6: Strategies in Terms of Vulnerable Road User Protection” EU-Project SAVE-U, http://www.save-u.org. Schulz A (2006) Untersuchung der Reaktionszeiten beim Fußgängerunfall unter Berücksichtigung verschiedener Reaktionstypen. Studienarbeit TU Berlin, Fachgebiet Kraftfahrzeuge, 2006. Strzeletz R, Kühn M, Kampa A (2004) Vergleichende Betrachtung von Simulation und Experiment am Beispiel des Fußgänger-Fahrzeug-Unfalls. Tagungsunterlagen zur EVU Tagung, Budapest 2004. Stürtz G (1984) Global- und Komponentenversuche zur Fußgängersicherheit. Forschungsvereinigung Automobiltechnik e.V. (FAT) Schriftenreihe Nr. 22, Frankfurt/Main, 1984. Sugimoto T (2002) Honda Pedestrian Research and Program. Tagungsband: Schutz der Fußgänger bei Kollisionen mit Pkw, Haus der Technik e.V., München, 2002. Toyota Central R&D Labs (2006) Internetseite zum THUMS-Modell, http://www.tytlabs.co.jp/english/tech/thums/ethumsfamily3.html, letzter Zugriff 11.97.2006. TRL (2004) A study of the feasibility of measures relating to the protection of pedestrians and other vulnerable road users. Final report, http://europa.eu.int¬/comm/enterprise/automotive/pagesbackground/pedestria nprotection/pedestrian_protection_study.pdf. Unselt T, Breuer J, Eckstein L (2004) Fußgängerschutz durch Fahrerassistenz, Tagung „Aktive Sicherheit durch Fahrerassistenz“, 11. und 12. März 2004, München. Weyer F (2006) Modellierung eines Einspurmodells zur Untersuchung des Einflusses von Bremsassistenzsystemen bei Notbremsungen. Studienarbeit, Technische Universität Berlin, 2006. Willinger R, Baumgartner D (2003) Numerical and physical modelling of the human head under impact – Towards new injury criteria. Int. J Vehicle Design, Vol.31, N1/2, 2003, pp 94-115, 2003. Winata W (1998) Entwicklung eines Fahrzeugschildes für den Fußgängerschutz an motorisierten Zweirädern und schmalen Dreiradfahrzeugen, Studienarbeit TU Berlin 1998. Yang J (1997) Injury Biomechanics in Car-Pedestrian Collisions, Chalmers University of Technology, Dissertation, 1997. Zander O (2006) Gegenüberstellung der Prüfverfahren zum Fußgängerschutz, Tagungsunterlagen zur Praxiskonferenz Fußgängerschutz, Bergisch Gladbach, 2006. Zellmer H, Schmid M (1993) Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern durch Frontschutzbügel an Geländefahrzeugen. BASt-Arbeitsprogramm-Nr. 92512, Bergisch Gladbach, 1993. Zellmer H, Schmid M (1995) Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern durch Frontschutzbügel an Geländefahrzeugen. BASt-Arbeitsprogramm-Nr. 92512, Bergisch Gladbach, Februar 1993.
Sachverzeichnis
A a3ms-Wert 123 aBAS 230, 231 aBAS I 231 aBAS II 231 Abwickelbewegung 177 Abwickellänge Siehe Wrap Around Distance (WAD) ACEA Selbstverpflichtung 186 Airbag 144 AIS 34 aktive Fronthaube 141 aktive Sicherheit 222 aktive Sicherheitsmaßnahmen 204, 222 aktive Strukturmaßnahmen 141 Aktuator 141 Altersgruppen 40 ANCAP 204 Anliegerstraßen 101 Anprallbereich 37 Anprallkinematik 142, 179 Anprallregion 88 Anstoßkonstellation 37 Anthropometrie 182 A-Säule 140 Auditdurchführung 171 Aufmerksamkeit 100 Aufrutschkinematik 192
aufstellende Haube 144 Bewertungsmatrix 146 mit Airbag 145 ohne Airbag 145 Aufstellmechanismus 143 Aufstellzeit 142 Aufwurfweite 179, 182 Auslösequote 229 B Bauweise 134 Beckenverletzung 48 Beinanprall 121 Beinprüfkörper 190 Beobachtung 186 Beschleunigungssensor 148 Bewertung Umfeldsensorik 160 Bewertungsfunktion 216 Bewertungsmethoden 169 Bewertungsverfahren 169 Biegebelastung 121 Biegemoment 123, 192 Biegewinkel 191 Biofidelität 177 Blickbewegung 116 Bremsassistent 113, 186, 222 D Dachrahmen 140
246
Sachverzeichnis
Datenfusion High-Level 153 Low-Level 153 Deformationsbild 192 Deformationselement 130 Deformationsweg 121, 134 Deutsche Versicherer 45 Durchführbarkeit 188 Durchgangsverkehr 101 E Education 97 EEVC Siehe European Experimental Vehicle Committee Enforcement 97 Engineering 97 Entwurf von Straßen 170 Erfüllungsgrad 216, 217 ESAS 170 EuroNCAP 204 European Experimental Vehicle Committee (EEVC) 3 Experimental Safety Vehicles (ESV) 1 F Fahrbahnaufprall 51 Fahrbahnbreite 98 Fahrbahnteiler 99 Fahrermodell 229 Fahrerverhalten 229 Fahrsimulator 114 Fahrzeugbestand 15 Fahrzeugfrontgeometrie 76 Fahrzeugfrontkategorisierung 80 Fahrzeuggeometrie 147 Fahrzeugklasse 85 Fahrzeugvermessung 84 Faseroptische Sensor 148 Federbein 137 FE-Menschmodell 181 FE-Modell 181 Femur 190 First Year Rate of Return 173
flexibler Beinimpaktor 190 Flugphase 76 Folgekosten 236 Formaggressivität 129 Frontend 127 Fronthaubenfläche 46 Frontscheibe 46, 195 Frontscheinwerfer 131 Frontschutz Kostruktion 197 Richtlinie 196 Frontschutzbügel 195 Frontschutzsystem 195 Full Body Pedestrian Model 178 Full-Scale-Test 176, 177 Fußgängerdummy 176 Fußgängerüberweg 98, 100 Fußgängerüberwege 100 Fußgängerverkehr 98 G Gehgeschwindigkeit 41 Geschwindigkeitsbeschränkungen 104 Geschwindigkeitsreduktion 229 Geschwindigkeitsüberwachung 100 Gesetzgebung 185 Gleitskala 209 Golden Hour 92 GRSP 202 GTR 202 H Haubenscharnier 136 Haubenschloss 132 Haubenvorderkante 83, 122, 132, 186 HIC-Wert 123, 133, 202 HPC-Wert 124 Hüftanprall 122 Hüftimpaktor 192
247 I IHRA 200 In-Crash-Phase 74 In-Depth-Unfalldatenerhebungen 33 Infrarotlicht 154 Infrastruktur 17 Infrastrukturmaßnahmen 97 Bewertungsansätze 173 Injury Severity Score (ISS) 44 Intelligent Speed Management (ISM) 108 Internationaler Vergleich 53 ISO 13232 216 ISS-Wert 44 J Japan 200 JAMA 200 MLIT 200 NCAP 209 JNCAP 204 K Kastenform 81 Keilform 81 kindgerechte Verkehrsumwelt 105 Kinematik 77 Kinematikanalyse 212, 214 Klassifizierung 160 Kleidung 41 Kollisionsgegner bei Fußgängerunfällen 32 Kollisionsgeschwindigkeit 38, 78, 222 Kollisionsvermeidung 118 Komponententest 133, 182, 212, 214 Kompromiss 188 Kompromissvorschlag 188 Kontaktlose Sensorik 152 Kontaktphase 75 Kontaktsensorik 141, 147
Kopfanprall 75, 123 Kopfanprallrisiko 223 Kopfanprallwahrscheinlichkeit 226 Kopfprüfkörper 194 Kopfprüfkörpermasse 182 Kopfverletzung 45, 47 Kopfverletzungsrisiko 226 Kotflügelhalterung 132 Kraftfahrzeugverkehrsstärke 102 Kühler 137 L Länge des Straßennetzes 11 Längswurfweite 76 Laserscanner 159 Lichtleitsensor 148 Lichtsignalanlagen 98 lineare Skala 204 linienhafter Querungsbedarf 97 M M1 185 Machbarkeit 186 MADYMO 180 MAIS 36 Markteinführung 162 Maßzahlen 11 Material 134 Mehrkörpersysteme 178 Mehrkosten 236 Menschmodell 123 Modal Split 10, 27 Modularität 213 N N1 185 Nachtsichtassistent 154 Neoprenschicht 190 Neuwagen 185 Neuzertifizierung 185 Notbremsfunktion 117 Notbremsvorgang 72 numerische Simulation 78, 178
248
Sachverzeichnis
O Oberschenkelanprall 122 Oberschenkelverletzung 48 P Package 127 Parameter der Fahrzeugfront 82 passive Strukturmaßnahmen 120 Personengruppen 219 Phase I 186 Phase II 188 Plausibilitätsprüfung 148 PMTO 177 POLAR II-Dummy 177 POLAR-Dummy 177 Pontonform 81 Post-Crash-Phase 92 Pre-Crash-Phase 71, 112 Primäranprall 75 Prüfbedingungen 122 Prüfbereich 191 Prüfinstitut 206 Prüfkörpermasse 183 Prüfphilosophie 176 Kosten 184 Reproduzierbarkeit 184 Vorhersagbarkeit 184 Wissensbedarf 184 Zeitaufwand 184 PVDF-Sensor 148 Q Quantifizierung 212, 215 R Radar 156 FMCW- 158 FSK- 158 Pulse-Doppler- 158 Reaktionszeit 73 Rechenzeit 179 Relevanz 215 Relevanzfaktor 216, 218
Reproduzierbarkeit 177 retrospektive Abschätzung 222 Rettungskette 93 Rettungswesen 17, 92 Richtlinie 2003/102/EC 190 Richtlinie 2003/102/EG 185 Risikogruppe 107 Road Safety Audits 170 Rutschphase 76 S Scherbelastung 121 Scherung 191 Schlossträger 132 Schulwegsicherung 106 Schutzmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen 169 Schutzpotenzial 233 Schwellzeit 114 Sekundäranprall 75, 91, 235 Selbstverpflichtung 185 Sicherheitsaudit 170 Defizitbereiche 172 Phasen 171 Sichtkontakt 102 Signalverarbeitung 155 Skala 170 Softnose 128 stay and play -Strategie 92 Stehbecken 177 Steifigkeit global 77 lateral 176 lokal 78 Sternbewertung 206 Stoßfänger 129 Stoßfängerhöhe 83 Straßenseitige Maßnahmen 170 Straßenverkehrssicherheit 169 Streifstoß 75 Survival Car 2 Systemgrenze 143
249 T Teilaufpflasterung 99 Teilbremsung 232 Tertiäranprall 75 Three E’s 97 THUMS 181 Tibia 190 Time to Collision (TTC) 71 TNO 179 Trapezform 81 TRL 192 TTC Siehe Time to Collision U Umfeldsensor 147 Umfeldsensorik 115 Umsetzzeit 74 UNECE 202 Unfallanalyse 212, 222 unfallfolgenmindernde Maßnahmen 110 Unfallgeschehen in der Europäischen Union (EU) 8 Unfallkonstellationen 214 Unfallkosten 55 Unfalltyp 36 unfallvermeidende Maßnahmen 110 Uni-Car 3, 128, 139 untere Extremität 45 Unterschenkelverletzung 50 V V85 104
Verbraucherschutz 185 Verhaltensgrundregeln 106 Verkehrserziehung 17, 105 außerschulisch 108 Verkehrsleistung 16 Verkehrsregelung 36 Verkehrsstraße 101 Verkehrsüberwachung 108 Verletzungshäufigkeitsverteilung 45 Verletzungsmechanik 180 Verletzungsschwere 78 Verletzungsursachen 46 Verletzungsverursachende Fahrzeugteile 46, 77 VERPS Bewertungsmethodik 211 Index 210, 213, 215 VERPS+ 232 VERPS+K 223, 226 Videoanalyse 154 VSG-Frontscheibe 138 W WAD 182, Siehe Wrap Around Distance Weiterentwicklung 236 Windschutzscheibenbereich 186 Wrap Around Distance (WAD) 142 X X-by-Wire-Technologie 119