GEORG
KUBIAK
FREUNDSCHAFT AM SCHEIDEWEG
V E R L A G
N E U E S
L E B E N
B E R L I N
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Copyright by Verla...
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GEORG
KUBIAK
FREUNDSCHAFT AM SCHEIDEWEG
V E R L A G
N E U E S
L E B E N
B E R L I N
1 9 5 9
Copyright by Verlag Neues Leben Berlin 1959 — Lizenz Nr, 303 (305 9759) Umschlagzeichnung und Illustrationen: Ilse Unterstein, Leipzig Druck: (HO) Neues Deutschland, Berlin N 54 • 7581 ES
9 D 4,5
Ein steiniger Weg zwängt sich aus der Schlucht und erklimmt die Terrasse des Tafelberges. Am Abhang der Terrasse, unter dem Schutz verstreuter Eukalyptusbäume, haben sich schmutzigbraune Tukule* wie Kegelpilze festgekrallt. Hinter dem Dorf fällt der Weg steil ins Tal und entschwindet im Schachbrett der Felder. Sengende Mittagsglut lastet auf dem Hochland und hat jeden Laut erstickt. Ein leises Summen läßt auf einmal die Luft erzittern. Ein Hund erklettert den Abhang, bleibt am Rande des Weges stehen und hebt witternd den Kopf. Er knurrt, dreht sich träge um, springt dann wieder zurück. Das Summen schwillt an und wird zum Gedröhn. Ohrenbetäubender Lärm erfüllt die Gegend. Schwere LKW, mit Planen bedeckt, arbeiten sich mühsam die Terrasse herauf. Bremsen kreischen. Türen schlagen. Schritte. Laute Kommandorufe ertönen. Ein krummbeiniger Feldwebel eilt zum ersten Wagen. „Sind wir endlich da, Herr Leutnant?" Der Offizier wendet den Blick von der Karte, die auf dem Kotflügel liegt, und zuckt die Achsein. „Der Teufel kenne sich hier aus!" • Worterklärungen Heues
am
Schluß
des
„Madie di Dio, Leutnant. Ich habe mir den Empfang in Abessinien anders vorgestellt." Der Leutnant nimmt seine Mütze ab und fährt mit der Rechten durch das dichte schwarze Haar. „Freunde empfängt man mit Wein. Auf ungebetene Gäste kläfft der Köter" Er kehrt dem Feldwebel den Rükken zu. „Das müßte der Tafelberg sein ..." Er dreht sich wieder um. „Das Tal . . . Hm ..." Der Leutnant schiebt die Pistole nach vorn und geht entschlossen auf die Tukule zu. Etwas abseits, mit einem Unterbau aus behauenen Feldsteinen, erhebt sich ein Tukul, der größer und ansehnlicher wirkt als die übrigen. Dorthin lenkt der Leutnant seine Schritte. In der dunklen Öffnung des Tukuls erscheint eine hohe schlanke Gestalt. Der Offizier bleibt zögernd stehen. „Taklu?" Die Gestalt löst sich von der Türöffnung. „Taklu!" Der Angesprochene greift zu der dunkelblauen Halsschnur, nestelt unschlüssig an ihr herum. „Gio ..." „Ja, wahrhaftig, Taklu!" Der Leutnant erfaßt Taklus Hand und schüttelt sie. Ein Wortschwall ergießt 3
sich über den Abessinier. Dann bricht der Offizier plötzlich ab und lacht: „Ich singe hier italienisch und du verstehst kein Wort. Tigrina muß ich ja sprechen." Die letzten beiden Sätze, in Taklus Muttersprache geradebrecht, bringen diesen zum Lachen. Dann sitzen sich die beiden gegenüber. Der Leutnant auf dem Trittbrett des LKW Taklu auf einem Stein. Musternd betrachtet Taklu die gutsitzende Uniform. „Du bist wohl ein richtiger Azmatsch." Der Leutnant überlegt: „Azmatsch . . . Azmatsch . . . Ach General. Aber nein, Taklu. Nur ein kleiner Leutnant." Taklus Blick verweilt auf der Pistole. Der Leutnant fragt unvermittelt: „Hast du eigentlich noch den Dolch, den ich dir geschenkt habe?" Taklu rafft die Schamma hoch. Im Bund der kurzen Hosen steckt ein Dolch. Er zieht ihn heraus und betrachtet ihn sinnend. Beide schweigen, und die Gedanken beider eilen Jahre zurück. Damals . . . Vor einigen Jahren folgten Taklu und sein Oheim Gran im Grenzgebiet der italienischen Kolonie Eritrea der Spur eines Leoparden. Es gelang ihnen, den „Sohn der Berge" zu stellen, aber Grans Flinte versagte. Das gereizte Tier setzte schon zum Sprung an, und die Jäger schienen verloren. Da fiel ein Schuß. Der Sohn der Berge verendete vor den Füßen der beiden um ihr Leben bangenden Abessinier. Tiefe Dankbarkeit fühlten sie für ihren Rette? Giovanni Conconi, den Sohn 4
eines italienischen Kolonisten. Taklu und Gio, die gleichaltrig waren, wurden Freunde. In vielen gemeinsamen Eskapaden, denen sie den Namen „kleiner Grenzverkehr" gaben, schlössen sie sich immer mehr aneinander an. Aber eines Tages hieß es Abschied nehmen, denn Gio mußte zum Studium nach Italien. Sie schworen sich ewige Freundschaft. Zur Erinnerung daran erhielt Taklu einen Dolch als Geschenk. . . „Wieviel Regenzeiten mag das nun schon her sein?" sagt Taklu leise. Conconi antwortet nicht. Ihn beschäftigt ein Plan. Seit Adi, dem italienischen Grenzfort, macht er sich Gedanken, wie er den Waffen- und Munitionskonvoi schnellstens nach Sokota bringen kann. Hier stehen die italienischen Truppen im erbitterten Kampf gegen die Abessinier. Ohne zuverlässigen Führer aber ist der Transport durch das unwegsame Hochland der Provinz Tigre kaum zu bewältigen. Dieser Führer könnte Taklu sein. Wenn er sich aber weigert? denkt Conconi. Ich muß an seine Freundschaft appellieren, dann wird er es schon tun. Er war immer stolz auf unsere Freundschaft. „Jahre mögen vergehen, aber die Freundschaft bleibt", sagt er. „Ich habe die Freundschaft gehütet, Gio, wie den Zahn des Elefanten." „Könntest du mir jetzt helfen?" Etwas Feierliches liegt auf Taklus bronzenem Gesicht, als er antwortet. „Jederzeit! Ich bin doch in deiner Schuld, Gio!" „Bist du bereit, mich durch das Hochland zu führen?"
Taklu ahnt, daß sich mehr hinter dieser Forderung verbirgt. „Nur dich?" fragt er. „Ja, mich . . . das heißt . . . die ganze Nachschubkolonne." Taklu schweigt betroffen. Er sollte den Feinden helfen. Aber Gio war sein Freund, und er war in Glos Schuld . . . in Gios Schuld . . . Argumente, Beteuerungen und Bitten prasseln auf Taklu nieder. Der Leutnant spricht von Glück und Wohlstand, Kultur und Bildung, die mit den Italienern Einzug halten würden. „Unser Duee hat an euch gedacht. Das Jahr 1935 ist der Beginn einer neuen Zeit für euch, der Ära der Zivilisation." Mit trauriger Stimme sagt Taklu: ..Zivilisation . . . muß sie so teuer bezahlt werden? Mit dem Blut Unschuldiger?" Als der Leutnant ihn fragend anschaut, fügt er hinzu: „Im Namen rJer Zivilisation wurde mein Vater vor sieben Sonnenuntergängen erschossen!" Er heftet den Blick auf die unruhigen Augen Conconis. ..Nur weil er sich geweigert hat, die eingefallenen Truppen durch das Hochland zu führen." Der Leutnant erhebt sich ruckartig vom Trittbrett. Er ist verärgert wie ein Schüler, dem ein Schabernack mißlingt. Wütend fährt seine Hand durch das schwarze Haar. Er zündet sich eine Zigarette an und geht zum Heck des Wagens. Dann hat er sich gefangen. „Im Krieg muß oft ein Unschuldiger dran glauben. Es tut mir leid, Taklu, wirklich . . ." „Wir haben den Krieg nicht gewollt!" Nur mühsam beherrscht sich Con6
coni. Hat er es nötig, mit einem Wilden über Recht und Unrecht zu diskutieren! Der Duce wußte schon, was er tat. Diese Sklaven brauchten einen Herrn. Am Kühler müßte man diesen widerspenstigen Abessinier festbinden! Mit dem Gewehrlauf im Nacken würde er den Weg schon zeigen. Für einen winzigen Augenblick schämt er sich seiner Gedanken, als er die zusammengekauerte Gestalt betrachtet. Aber er verscheucht diese Anwandlungen: Ph, Jugendromantik! Er bleibt vor Taklu stehen und legt seine Linke auf dessen Schulter. Mit gespielter Enttäuschung sagt er: „Du willst einem Freund also nicht helfen?" Taklu hebt den Kopf. Würgend bringt er hervor: „Ich . . . ich will dir ja hellen . . . aber es ist so schwer . . . Gio, gib mir etwas Bedenkzeit . . ." Der Totenacker des Dorfes lag auf der Platte des Tafelberges, zu der ein geröllbedeckter Pfad hinaufführte. Noch nie hatte JTaklu den Weg als so beschwerlich Empfunden wie nach diesem Gespräch. Was sollte er tun? Gios Bitte entsprechen, hieße Verrat an der Heimat üben. Er hatte doch im Lager der Freiheitskämpfer geschworen, unerbittlich gegen die Eindringlinge zu kämpfen. Aber Gio hatte ihm und seinem Oheim das Leben gerettet. Er war sein Freund. Sollte er sich dieser Freundschaft unwürdig erweisen? Nun stand Taklu vor der kreisrunden P5'ramide, die aus zerschlagenen Granitstücken errichtet war. Er hoffte, hier in stummer
Zwiesprache mit seinem Vater einen Ausweg zu finden. Aber gab es denn einen Ausweg? „Beim Becher Met ist bald ein Freund gefunden. Nur Treue suchst du weit und breit. Wer dir das Leben neu geschenkt, ist Freund für alle Zeit", hatte der Vater immer gesagt. Gilt das auch jetzt noch, wo Gio als Feind in das Land gekommen war? Wo solche wie Gio den Vater ermordet hatten?
uciüus suiaute Taklu ins Tal. Die massiven Berggipfel, die den Talkessel umsäumten, nahmen langsam die Farbe einer in ranziger Butter getränkten Schamma an. Die untergehende Sonne bedeckte die Felder noch immer mit einem wärmenden Mantel. Aber die Terrasse lag schon im Schatten des mächtigen Tafelberges. Von dem Lagerfeuer der Italiener stieg senkrecht der Rauch in die Höhe. 7
Wäre der Vater noch am Leben, dachte Taklu, hätte ich das Lager nicht zu verlassen brauchen. Dann wäre ich Gio nicht begegnet. Aber ich könnte ja einfach zurückgehen . . . „Vater! Du entbindest mich von der Freundschaftsverpflichtung. Die Heimat ist in Gefahr!" Eei diesen Worten blickte er auf den Granithügel. Die Schicht aus Quarzstücken fehlte noch. Sie wird so lange fehlen, bis der Tod des Vaters gerächt ist. Denn so lange mußte die Seele des Vaters als Eule umherirren. Die Rache ist Aufgabe des Sohnes. Taklu fiel auf die Knie und legte seinen Kopf auf die kühlenden Steine. Lange verweilte er in dieser Stellung. Als er sich erhob, hüllte sich das Hochland in Dämmerung. In seinem Gesicht lag kühle Entschlossenheit. Nächtlicher Nebel schwebte über der Terrasse, als Taklu Gios Zelt verließ. Das flackernde Lagerfeuer warf gespenstische Schatten gegen die dunkle Felswand des Tafelberges. Taklu zog die Schamma noch fester um seinen Körper, denn mit dem Nebel kam auch die Kälte. Er wollte seinen Oheim Gran besuchen. Erst nach vielen Für und Wider hatte er sich dazu entschlossen. Aber mit wem sollte er sich sonst beraten? Alle waffenfähigen Männer waren bei der Armee oder im Partisanenlager. Nur Greise, Frauen und Kinder waren im Dorf zurückgeblieben. Sein Oheim Gran. Der bindet sogar dem Ochsen beim Dreschen das Maul fest — so charakterisierten die 8
Dorfbewohner Grans Geiz. Aber sie fürchteten ihn. Nicht nur wegen seines starken linken Arms, dem er den Beinamen „Gran" verdankte. Gran galt als Zauberer. Er war ursprünglich Debtera gewesen. Ein Debtera nahm eine Zwischenstellung zwischen den koptischen Priestern und den Laien ein. Abessinien war seit Jahrhunderten christlich. Allerdings war der Glaube stark mit Aberglauben, mit den Sitten und Gebräuchen der Urväter durchsetzt. Die Stellung als Debtera warf nicht viel ab, und Gran suchte sich zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Er fertigte Amulette an, stellte Zaubersprüche auf und verkaufte allerlei Zaubermittel. Beides ließ sich für die Dauer nicht miteinander vereinbaren, und Gran wurde als Debtera abgesetzt. Da Taklus Vater auch des Lesens und Schreibens kundig war, wurde er Grans Nachfolger. Seit dieser Zeit war Gran der geschworene Feind seines Bruders. Er warf sich ganz auf die Zauberei, denn er glaubte auf diese Weise das Ansehen des Debtera übertreffen zu können. Seine Raffgier stieg ins unermeßliche. Seit Ausbruch der offenen Feindschaft zwischen den beiden Brüdern hatte Taklu seinen Oheim gemieden. Trotz seiner Erziehung fürchtete er im geheimen die übernatürlichen Kräfte Grans, wenn er den Oheim auch seiner Gewinnsucht wegen verachtete. Doch jetzt, angesichts des Überfalls der Italiener, mußte Gran ja die persönlichen Streitigkeiten vergessen, so meinte Taklu, und deshalb wollte er sich vom Oheim Rat holen.
GransTukul lag fast an der Sohle des Abhanges. Ähnlich wie bei Taklus Hütte war der Unterbau aus Felssteinen, auf dem ein Kegeldach aus Stroh und geflochtenem Rohr ruhte. Im Dorf erzählte man sich, daß Gran von seinem Tukul aus einen geheimen Gang in den Fels gehauen hatte, wo er seine Schätze verwahrte. Taklus Herz pochte vor Aufregung, als er vor der Türöffnung stehenblieb. Erst nach geraumer Zeit schob er den Fellvorhang beiseite. Auf dem festgestampften Lehmboden brannte ein offenes Feuer, und Gran hockte davor. Er drehte »einen kahlen Schädel und blickte aus zusammengekniffenen Augen auf den Eintretenden. Taklu glaubte schon, er sei unwillkommen, dann fielen ihm die Worte seines Vaters ein: Der Geiz hat Gran die Augen verschlossen. Gran beschrieb mit dem linken Arm eine einladende Geste, dann griffen seine Finger in eine Konservendose. Schmatzend sagte er: „Unser Fleisch schmeckt besser, aber von KonseKven bekommt man keine Würmer." Er wischte sich die Finger an der Schamma ab und faßte in seinen krausen Bart. „Ja, der Gio. Hat seine Freunde nicht vergessen. Ein paar Büchsen hat er mir geschenkt . . . du fährst doch morgen mit ihm?" Enttäuschung bemächtigte sich Taklus. Warum hat Gio Gran von dem Gespräch am Mittag erzählt? War es nicht ihr Geheimnis?! Aber vielleicht hatte Gio geglaubt, Gran würde ihm helfen, den Freund zu überreden.
„Es ist ein schwerer Entschluß, Oheim." Taklu erzählte von seinem inneren Kampf und von seinen Bedenken. Gran wiederholte seine Frage von vorhin: „Du fährst also mit?" „Ja, Oheim, aber . . ." „Es ist richtig so, Taklu. Du bist noch jung, glaube einem alten Mann: Die Freundschaft muß man stets in Ehren halten, noch dazu die Freundschaft mit einem weißen Mann." Gran nahm einige getrocknete Kosoblüten aus einer Tonschüssel und steckte sie in den Mund. Kauend sagte er: „Wenn Gio nicht gewesen wäre, säßen wir uns jetzt nicht lebend gegenüber. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet, vergiß das nicht, Taklu." Er beugte sich vor und lächelte, seine Augen fast ganz schließend. „Dein Vater wäre jetzt stolz auf dich, Taklu." Taklu überhörte die Schmeichelei. Sollte er Gran seinen Plan doch mitteilen? Wird der ihn überhaupt verstehen können? Unschlüssig sah er sich im Räume um. Jetzt, da sich seine Augen an das Spiel von Licht und Schatten gewöhnt hatten, flößten ihm die weißen Schädel der erlegten Tiere an der Wand keine Angst mehr ein. Und über die zahlreichen irdenen Töpfe mit den Zauberkräutern mußte er jetzt lächeln. Plötzlich tat ihm der einsame Gran leid. Er ist gar nicht so schrecklich, wie man ihm nachsagt. Ein alter Mann, der immer noch um sein Ansehen kämpft. Wenn ich ihm meinen Plan unterbreite, wird er bestimmt ja sagen. Weil er helfen soll und dadurch sein Ansehen wachsen würde. „Wir sind doch schlecht bewaffnet. S
Oheim. Ein paar Flinten, sonst nur Speere, Schwerter und Keulen", sagte Taklu. Voller Spannung ruhten die zusammengekniffenen Augen Grans auf ihm. „Wenn ich den Waffen transport bis zur großen Sykomore führe und du währenddessen die Partisanen benachrichtigst, dann . . ." „Dann?" Gran schien nicht gleich zu verstehen. „Dann können sie den Transport überfallen, und wir haben alles, was wir brauchen." In Grans, von ledrigen Runzeln durchzogenem Gesicht spiegelte sich Überraschung: „Alle Achtung . . . listig wie ei-n Schakal bist du, aber . . ." „Wir haben doch Krieg. Oheimsie sind unsere Feinde." Gran kraulte sich unschlüssig den Bart. „Die große Krankheit über unsere Feinde. Aber Gio? Was soll ihm geschehen?" „Ihm soll kein Haar gekrümmt werden. Wir beide bürgen für Gio." Taklu atmete auf. Nun war es gesagt. Ungeduldig schaute er auf Gran. „Und wenn Gio doch etwas zustößt? Nein, Taklu, so kann man nicht handeln." Taklu redete erneut auf Gran ein. Er sagte, daß er stets an die Sicherheit Gios gedacht habe. Dann erinnerte er an den Tod seines Vaters, der noch nicht gerächt war. Gran schien nicht zuzuhören. Er war ganz in Gedanken versunken. Plötzlich hob er den Kopf. „Gut, Taklu. Dein Plan ist wagemutig, aber ich werde dir helfen, weil sie unsere Feinde sind." Sie vereinbarten, daß Gran vor dem Morgengrauen zum Lager, das
unweit des Klosters Debra Dame lag, aufbrechen sollte. Dann würden die Partisanen bis Mittag das Gebiet um die große Sykomore erreichen können. Taklu würde don mit der Nachschubkolonne eine Rast einlegen. Der Ort war günstig für einen überraschenden Angriff. Zum Schluß spie Gran Taklu dreimal an — das soll Glück brin gen —, und Taklu schlich sich vor sichtig aus dem Tukul. Die LKW-Karawane kam nur langsam vorwärts. Schnaubend und heulend kletterten die Fahrzeuge die Pässe hoch, um dann wieder mit gedrosselten Motoren in scharfen Kurven ins Tal zu fahren. Die Landschaft wechselte häufig. Es ging durch fruchtbare Täler, in denen Weizen, Hirse und Mais gediehen. Dann kam das üppige Dikkicht der Quolla oder die Klammen, Traversen und Grate der braunen Berge. Und am Horizont erblickte man eine nicht abreißende Kette von Gipfeln und Kämmen. Noch lag das Land in der Morgendämme rung, aber die Sonne zwängte sich schon durch die aufsteigenden Nebel. Im ersten Wagen fuhren Taklu und Giovanni Conconi. Concon! schien gut gelaunt, denn er scherzte mit dem Fahrer, der immer wieder über den schlechten Weg fluchte. „Jeden Meter ein Hindernis." Taklu schwieg, beeindruckt von seiner ersten Fahrt mit einem Wagen, der sich ohne Tierkraft vorwärtsbewegte. Mit unverhüllter Achtung beobachtete er die schwarzbehaarten Hände des Fahrers,die das Lenkrad umklammcr11
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ten. Der schwere Wagen reagierte auf jede Bewegung dieser Hände. Er stöhnte zwar manchmal vor Anstrengung oder knurrte unzufrieden — aber er gehorchte. Bei der Ausfahrt aus einer Schlucht erblickten sie einige Maulesel, deren Rücken mit Salztafeln beladen waren. Die begleitenden 12
Abessinier drängten die Tiere zur Seite. „Wie zu Urgroßvaters Zeiten", wandte sich Conconi an Taklu. „Bald wird es anders werden. Wir bauen neue Asphaltstraßen, und unsere ,Fiat' bringen euch alles, was euer Herz begehrt." „Wer weiß, ob meine Brüder die-
ses neue Leben mit ihrer Freiheit vertauschen wollen", sagte Taklu leise. Der Leutnant wollte aufbrausen. Aber dann zündete er sich eine Zigarette an und tat, als hätte er Taklus Worte überhört. Nach einer Weile fragte Taklu: „Weißt du, Gio, warum sich zwei Esel, wenn sie einander begegnen, mit ihren Mäulern berühren?" Conconi antwortete nicht, und Taklu fuhr fort: „Die Esel haben einst einen starken Esel zu Gott gesandt, er möge sie doch von der Tyrannei der Menschen befreien. Wenn sich nun zwei Esel begegnen, so fragen sie'einander: Ist unser starker Esel bereits zurückgekehrt?" Der Leutnant lachte schallend und übersetzte das eben Gehörte dem Fahrer. Sie machten sich über Taklu lustig. „So etwas kann nur hinter euren engen Stirnen entstehen." Mitten in das Gelächter sagte Taklu ernst: „Siehst du, selbst die Kreatur sehnt sich nach Freiheit." Das Lachen erstarb. Ärgerlich zerdrückte Gio seine Zigarette und fuhr sich durcli das dichte Haar. Du wirst unsere Freiheit, kennenlernen, dachte er, schneller, als es dir lieb sein wird. Er wollte dieser, Gedanken aussprechen, aber er bezähmte sich. Er richtete eine Bemerkung an den Fahrer, und dieser erwiderte säe mit gurgelndem AufSachen. Durch das Gedröhn der Motoren klangen plötzlich Schüsse. Eins. Zwei. Eine ganze Salve. Taklu zuckte zusammen. Sollten die Freunde schon dasein? Er klemmte
seine Hände zwischen die Knie und lauschte angespannt. Der Fahrer stoppte. Mit gezogener Pistole sprang Conconi aus dem Fahrerhaus. Der Fahrer zerrte mit fliegenden Händen an der Revolvertasche. Taklu saß geduckt da. Sprungbereit. Doch Conconi winkte bereits ab und steckte die Pistole wieder ein. Der krummbeinige Feldwebel klärte die Situation auf. Ein LKW hatte Reifenschaden. Da das Hupen überhört worden war, hatte man das Fahrzeug durch einige Schüsse zum Halten gebracht. Taklus Spannung ließ nach. Während die Mannschaft des betroffenen Wagens in aller Eile die Räder wechselte, zog der Leutnant die Karte hervor und studierte sie aufmerksam. Bald war der Schaden behoben. Ein lautes „Avanti!" und die Fahrt ging weiter. Augenscheinlich hatten die Schüsse Gio zur Vorsicht gemahnt. Er hatte seine Waffe nach vorn geschoben, und auf seinem Schoß lag die ausgebreitete Karte. Ungeduld und Unruhe erfüllten Taklu. Aufmerksamer verfolgte er den Weg, um die Abzweigung nach Osten, die zur großen Sykomore führte, nicht zu verfehlen. Er überlegte, wie c den Italienern am besten erklären könnte, warum er vom Weg abwich, aber gerade jetzt mußte ihn Conconi in ein Gespräch verwickeln. Der Leutnant schien Taklus Anspielung auf die Freiheit vergessen zu haben. Er verlor sich in Erinnerungen an die schönen Stunden der Freundschaft. Tfk'u hatte es schwer, kühl und 13
nüchtern das Bevorstehende zu überdenken. Je länger Conconi sprach, um so stärker bemächtigte sicn seiner die Scham, den Freund hintergehen zu wollen. Und au» der Furcht, Gio könnte dennoch bei dem Angriff etwas zustoßen, sagte er: „Gio . . . ich bin dein Freund . . . ja! Wenn auch . . ." Er wußte nicht, wie er ihm sein Inneres offenbaren sollte, ohne sich zu verraten. Er berührte Gios Arm. Dir darf nichts pausieren, dachte er. Taklus Gefühlsausbruch setzte den Leutnant in Verwunderung. „Was wolltest du sagen, Taklu?" fragte er. „Wenn auch . . . sprich doch weiter." Taklu druckste herum. „Wegen vorhin, vielleicht hast du mich mißverstanden." Conconi gab sich mit der Antwort zufrieden. Natürlich wisse er, daß Taklu die Entscheidung nicht leicht gefallen sei, sagte er. Für einen wahren Freund aber dürfe es keine andere Entscheidung geben. Die Kolonne verließ gerade eine Serpentine, die in ein Tal auslief. Die Vegetation wurde etwas üppiger. Kugeldisteln, Akazien, hie und da Affenbrotbäume — sie wirkten in dem Geröll wie farbige Tupfen. Jäh endete das Geröll. Felder und Weiden flogen an den Wagen vorbei. Schwerfällig hoben die Rinder ihre Köpfe mit den breiten Horngabeln. Am Rande der Felder hatten sich Tukule niedergekauert, deren Wände mit dunklen Punkten besprenkelt waren: Kuhmist, der in der Sonne trocknete, um später als Brennmaterial zu dienen. Taklu erwog seine Chancen. Das 11
Tal zog sich wie ein Schlauch nach Süden. Am Ende dieses Schlauchtales stieg der Weg an, bog nach dem Westen und führte in Richtung Sokota. Kurz davor verengte sich der Schlauch zu einer Rinne, auf deren beiden Seiten kleine Berge emporwuchsen. Diese Rinne beschrieb einen Bogen nach dem Ostern Für einen flüchtigen Betrachter konnte es keinen Unterschied zwischen den beiden Wegen geben. Ich strecke meinen linken Arm aus, dachte Taklu, und der Fahrer, der bisher meine Zeichet» befolgte, wird einbiegen. Dann haben wir es nicht mehr weit bis zur großen Sykomore. Vor Anspannung zog Taklu die Zehen zusammen, daß die Waden schmerzten. Nur noch wenige Meter. Jetzt! Der linke Arm schnellte empor. Zitterte er nicht ein wenig? Der Fahrer nickte mit dem Kopf und riß das Lenkrad links herum. Geschafft! Plötzlich beugte sich Conconi vor und schrie etwas auf italienisch. Der Fahrer blickte flüchtig nach rechts und bremste den Wagen. Taklu sah es nun auch: ein Wegweiser! Sie verließen den Wagen. Hinter ihnen hielten die anderen LKW. Stimmen wurden laut. Die Aufmerksamkeit aller Italiener galt diesem Schild: gekreuzte Fasces, darunter „Sokota" und irgendwelche Zahlen. Nun ist es aus, dachte Taklu. Wie kann ich sie jetzt überzeugen, daß ich sie auf den richtigen Weg führen wollte. Dieses dreimal verfluchte Schild! Der Leutnant studierte aufmerk-
sam die Karte, beriet sich dann mit dem Feldwebel. Die umstehenden Soldaten verhielten sich abwartend. „Warum läßt du uns nach links abbiegen?" Gios Stimme klang scharf. „Nach der Regenzeit ist dieser Weg unpassierbar." Taklu wunderte sich, wie schnell ihm die Ausrede, nach der er so lange gesucht hatte, nun eingefallen war. „So, unpassierbar! Und wie erklärst du dir den Wegweiser unserer Vorausabteilungen?" Eine Antwort, sofort eine Ant-
wort! . . . „Sie haben es nicht gewußt!" „Aber unser Duce hat es gewußt! Oder glaubst du, er hätte den Krieg mitten in der Regenzeit begonnen, damit wir steckenbleiben? Woher willst du das denn überhaupt, so genau wissen? Warst du schon nach der Regenzeit dort?" „Nein, aber es ist jedes Jahr so." „Unsere Truppen haben den Wegweiser nicht zum Spaß aufgestellt. Wir fahren rechts!" Der Feldwebel schlug die Hacken zusammen, die Soldaten liefen zu den Fahrzeugen. 15
Sie dürfen nicht . . . sie dürfen nicht . . ., dachte Taklu. Ich muß es noch einmal versuchen. „Du kannst nach rechts fahren, Gio. Aber als dein Freund lehne ich die Verantwortung ab. Ich kenne mein Land besser." Und er sah dem Leutnant fest in die Augen, damit der ihm glaubte. Conconi war unschlüssig. Er rief den Soldaten „Wartet!" zu. Die Soldaten blieben stehen. „Na gut! Wir wollen deinen Rat befolgen. Aber wenn du mich, deinen Freund, belogen hast, dann . . ." Die letzten Worte sprach der Leutnant italienisch, und die Soldaten murmelten zustimmend. Gio gab ein neues Kommando. Langsam fuhren die Wagen an, bogen nach links ein und ließen den Wegweiser hinter sich. Die große Sykomore trug ihren Namen zu Recht. Vom knorrigen Stamm breiteten sich schirmartig dicke Äste aus, deren Laubwerk fast die Erde berührte. Die dichte Blätterkuppel spendete weithin Schatten. Der Baum war gut zwei Jahrhunderte alt, und keine Axt hatte sich je an ihn gewagt, denn keiner wollte den Fluch Gottes auf sich laden. Nicht einmal die Früchte wurden angerührt. Für die Italiener war die Sykomore ein willkommener Rastplatz, da die Sonne bereits im Zenit stand. Sie ruhten, angelehnt an den mächtigen Stamm, oder lagen im dürren Gras. Bald aber wurde ihre Ruhe gestört. Ein wahrer Feigeniegen prasselte auf sie nieder und zwang sie auf die Beine. Sie brauchten nicht lange nach den Übeltätern zu 16
suchen. Aus hundeähnlichen Schnauzen stachen kleine, funkelnde Augen hervor. Kurze, muskulöse Arme rissen eifrig Früchte ab und warfen sie nach unten. Paviane! Einige Soldaten hatten das Spiel zur Freude der Zuschauer erwidert, und die Affen wurden noch wütender. Taklu war dieses lustige Schauspiel sehr willkommen. Die Zeit verstrich, und der Aufbruch wurde immer wieder hinausgeschoben. Die Partisanen waren immer noch nicht da. Oder lagen sie schon hinter den Felsen und beobachteten die Italiener? Seit der Auseinandersetzung am Wegweiser war Taklu unruhig. Er fürchtete, die Italiener könnten sein Spiel durchschauen. Spähend ging sein Auge durch das Gelände. Kein Zeichen. Nichts. Die Paviane gaben ihren Kampf auf. Möglich, daß ihnen die Feigen ausgegangen waren. Vielleicht hatten sie auch die Nutzlosigkeit ihres Unterfangens • eingesehen. Dafür erhoben sie jetzt ein wütendes Geschrei. Der Leutnant sah noch einmal auf die Karte. Taklu hatte inm erklärt, daß sich an einer bestimmten Stelle die beiden Wege wieder vereinen würden. Von dort aus ging es dann geradeaus nach Sokota. „Fertigmachen zur Weiterfahrt!" Conconis Stimme übertönte das Geschrei der Paviane, die, als gälte dieses Kommando ihnen, augenblicklich verstummten. Wo bleiben die Krieger nur, dachte Taklu. Ob Gran etwas zugestoßen ist? Ich muß die Italiener aufhalten. Vielleicht handelt es sich nur noch um
Minuten. Er begann, die Stimme eines Pavians nachzuahmen, und tatsächlich, aus der Krone der Sykomore kam Antwort. Der Ruf verdreifachte, verzehnfachte sich. Die ganze Umgebung war von dem wütenden Spektakel erfüllt. Die Soldaten blieben stehen, lachten, einige warfen wieder Steine nach der Baumkrone. Taklu wurde nicht müde. Er vollführte komische Sprünge, schoß, zum Gaudium der Umstehenden Kobolz. Aber während er Grimassen schnitt und Purzelbäume schlug, war er von unerträglicher Spannung erfüllt. Conconi amüsierte sich eine Zeitlang an Taklus Spaßen, aber bald trieb er erneut zur Eile an. Mit schweißbedeckter Stirn, schwer atmend, hielt Taklu inne. Seine Gedanken überschlugen sich. Länger kann ich sie nicht aufhalten. Gran muß etwas passiert sein. Darum wissen sie nichts von dem Konvoi. Was tun? Fliehen? Ja! Ich muß die Partisanen benachrichtigen. Die Kolonne kommt nicht weit, denn der Weg trifft sich niemals mit dem anderen. Sie werden sich verfahren und dann umkehren und wieder zurückfahren zum Wegweiser. Bis dahin ist es Nacht. Und in der Nacht müssen wir sie überfallen. Ich muß also weg. Sofort! Taklu schritt auf den ersten Wagen zu und prüfte den Fluchtweg. Ich habe lange Beine. Die können sicher nicht so schnell laufen wie ich. Erst den Felsvorsprung erreichen, etwas Atem schöpfen und dann durch die kleine Scharte ins Tal. Da unten beginnt das Dikkicht der Quolla. Dort bin ich in Sicherheit.
Conconi wartete am Wagenschlag. „Los, Taklu, wir haben genug Zeit vertrödelt." Taklu verzog das Gesicht und preßte seine Hände auf den Leib: „Das Springen hat m i r . . . ich muß schnell austreten." Gio fluchte etwas auf italienisch, bestieg den LKW und ließ die Tür offen. Mit zitternden Knien entfernte sich Taklu von der Kolonne und kauerte sich nieder. Er hockte so, daß er die lange Schlange der Fahrzeuge im Auge behielt. Sie sitzen schon alle drin . . . Jetzt! Seine Beine schnellten hoch. Wie eine Gazelle sprang er auf den Felsvorsprung zu. Lief um sein Leben. Die wenigen Meter schienen sich zu verlängern. Da! Gios Stimme . . . „Taaaklu! Stehenbleiben! Taklu..." Schüsse peitschten. Gio schießt! Nein, er wird doch nicht auf seinen Freund schießen. Noch immer kein Felsvorsprung? Habe ich mich in der Entfernung verschätzt? Endlich! Außer Atem nahm Taklu Deckung, spähte zur Kolonne hinunter. Tatsächlich: Gio hatte geschossen. Breitbeinig stand er neben dem Auto und feuerte aus seiner Pistole. Die Soldaten sprangen aus den LKW, brachten ihre Gewehre in Anschlag. Einige liefen auf den Felsvorsprung zu. Weiter! Taklu lief geduckt in die kleine Scharte. Kugeln pfiffen ihm um die Ohren. Steinsplitter flogen durch die Luft. Nur weiter! Nicht nachlassen. Taklu lief, lief . . . Bunt und schwerfällig war die Pflanzenwelt der Quolla. AloeSträuchern mit braunen Stacheln folgten ganze Kolonnen hoher 11
Ensetebananen. Akazien und Eukalyptusbäume wurden von gedrungenen Affenbrotbäumen abgelöst, deren gebogene Äste, an denen die langen Beutelnester der geschäftigen Webervögel hingen, fast die Erde berührten. Doch die Mittagshitze hatte auch diese fleißigen Vögel eingeschläfert. Nur hin und wieder kroch eine Eidechse träge über Taklus Weg, oder eine Viper schlängelte sich in die Sonne. Die Quolla hielt ihre Siesta. Taklu wußte nicht, wie lange er gelaufen war. Erst als sich seine Schamma an den Dornen festhakte, warf er sich erschöpft zu Boden. Er hielt den Atem an und lauschte. Nichts! Keine Schüsse, kein Stampfen von Füßen, kein Rufen. Nur das leise Knistern der Sträucher und Äste. Er kroch zu einem Eukalyptusbaum und ließ sich an dessen Stamm nieder. Er zog den aromatischen erfrischenden Geruch ein. Ich muß weiter, dachte er. Zum Lager. Er orientierte sich nach dem Stand der Sonne und schlug dann nordöstliche Richtung ein. Taklu hatte gerade eine kleine Lichtung erreicht, da entdeckte er einige Kameraden aus dem Lager. Er stieß einen Schrei aus und lief ihnen entgegen. Finstere Gesichter empfingen ihn. Esman, der aus Taklus Dorf stammte und eine Flinte sein eigen nannte, zischte ihm ins Gesicht: „Verräter!" Taklu blieb wie versteinert stehen. Ehe er sich versah, hatten die Krieger seine Hände gefesselt. Als der erste Schreck überwunden war, redete er aufgeregt auf sie ein. Die Italiener waren doch in eine Falle geraten. Man 18
könnte zuschlagen. Statt dessen nahmen sie ihn fest: Die Krieger schwiegen. Esman versetzte Taklu einen Stoß mit der Flinte und sagte: „Vorwärts! Im Lager wirst du schon sehen, was man mit dir vorhat." Als die kleine Gruppe im Lager eintraf, deutete nichts auf einen bevorstehenden Abmarsch hin. In der Mitte der halbkreisförmig angeordneten Laubhütten brannte ein Lagerfeuer. Über dem Lager, auf der Platte des mächtigen Tafelberges, schimmerten die Mauern des Klosters Debra Damo, zu dem der Zugang nur mit Seilen möglich war. Taklus Erscheinen versetzte die Krieger in Aufregung. Sie eilten aus allen Ecken herbei und empfingen ihn mit Schmährufen. Vor der Laubhütte des Partisanenführers Ato machten sie halt. Ato, schlank, fast kahlköpfig, verzog verächtlich das Gesicht. „Haben dir deine Freunde doch nicht helfen können?" Mit hastigen Worten versuchte Taklu alles zu erklären. Er fragte auch nach Gran. Atos Gesicht verfinsterte sich. „Laß deinen Oheim aus dem Spiel!" „Ich bin kein Verräter! So glaubt mir doch!" rief Taklu verzweifelt. „Das Lebaschai wird endgültig über dich entscheiden." „Aber ihr verliert doch Zeit. Ihr müßt sofort aufbrechen." Ato schnitt ihm das Wort ab: „In eine Falle w'list du uns locken, Verräter!" Dann wandte er sich an die Krieger: ..Sperrt ihn ein!" Es dauerte lange, bis Taklu
seine Bestürzung überwinden konnte. Nein, alles war nur ein Irrtum, ein böser Traum. Gleich wird man ihn aus der Laubhütte holen, und alles hat sich aufgeklärt. Er War doch kein Verräter! Sein Entschluß diente doch der Heimat. Wie hätten denn die alten, ehrwürdigen Krieger gehandelt. Ato zum Beispiel. Was hätte Ato an seiner Stelle getan? Gran hatte sich aber zuerst auch geweigert, seinen Plan gutzuheißen. Gran . . . Wo war er bloß? Hatte er die Krieger nicht benachrichtigen können? Hoffentlich kam er bald, um Taklus Unschuld zu beweisen. Aber vielleicht war das jetzt die Strafe dafür, daß er seinen Freund Gio hatte hintergehen wollen. Taklu bog den Kopf zurück und schloß die Augen. Ruhe. Ganz ruhig überlegen. Man hatte die Kundschafter nach ihm gesandt, also kannte man den Weg der Nachschubkolonne. Irgend jemand mußte ihn verraten haben. Sollte Gran etwa? . . . Nein, Gran war sein Oheim . . . Doch Taklu konnte seinen Verdacht nicht loswerden. Wie, wenn Gran nur die halbe Wahrheit mitgeteilt hätte? Etwa: Es erfüllte ihn zwar mit tiefer Scham, aber sein Neffe führe die Italiener. Oder gar. sein Neffe führe die Italiener zwar anscheinend in die Irre, aber er wolle dadurch nur die Freiheitskämpfer in eine Falle locken. Doch warum sollte Gran so etwas tun. Das waren Hirngespinste. Am besten, er grübelte nicht weiter nach. Das Lebaschai würde ja seine Unschuld beweisen. Das Lebaschai? Hartnäckig wehrte er sich gegen die Stimme
der Vernunft, die ihm sagte, daß das Lebaschai nur ein alter Aberglaube sei. Sein Vater hatte ihn häufig vor dem Aberglauben gewarnt. Aber jetzt war das Lebaschai für Taklu eine große Hoffnung. In zwölf Stunden war es soweit. Zwölf Stunden durfte der Knabe, dessen sich der Lebaschai bediente, nichts gegessen und getrunken haben. Taklu verspürte eine bleierne Müdigkeit. Die Ereignisse der letzten Stunden, der mühevolle Weg durch die Quolla . . . Es war ein anstrengender Tag gewesen. Er streckte sich nieder und dachte im Halbschlaf: Noch zwölf Stunden, dann bin ich frei. Eingehüllt in ihre Schamma, die Speere im Arm, sitzen die Freiheitskämpfer in weitem Kreis um das Lagerfeuer. In den Klingen der Speere blitzen das kalte Licht des Mondes und der rote Widerschein des flackernden Feuers. Es ist kurz vor Mitternacht. Durch das Prasseln des brennenden Gestrüpps tönt die Stimme des Sängers. Sie verherrlicht die Taten des Kaisers Menelik, der am l.März 1896 die Italiener bei Adua vernichtend geschlagen hat. Bewegungslos lauschen die Krieger dem monotonen Gesang. In den Pausen zwischen den einzelnen Strophen hört man das Knistern des Feuers. Funkengarben sprühen in die Nacht. Manchmal ertönt aus der Ferne das häßliche Lachen der Hyäne oder das schrille Geschrei des Schakals. Die Stimme des Sängers wird zischend, haßerfüllt.Abessinier hat19
ten auf Seiten der italienischen Eindringlinge gekämpft! Diese Verräter an ihren eigenen Brüdern wurden, wenn sie in Gefangenschaft gerieten, hart bestraft; sie verloren die rechte Hand und den linken Fuß. Der Gesang bricht plötzlich ab. Eine Weile herrscht Stille. Dann erhebt sich Ato und spricht: „Nach der Sitte unserer Väter wollen wir den Schuldigen suchen. Lebaschai, walte deines Amtes!" Taklu, der zwischen den Kriegern sitzt, sieht verwundert auf. Das Lebaschai findet schon jetzt statt? Also wurde der Knabe vor meiner Festnahme darauf vorbereitet. Aber woher wußten sie . . . Eine waffenlose, hohe Gestalt löst sich aus dem Dunkel, betritt den Kreis und bleibt vor dem Lagerfeuer stehen. Die Schamma gibt die auf der Brust gekreuzten Arme frei. „Mein Oheim . . .", ruft Taklu. Feindselige Zischlaute lassen den Ruf ersticken. Entsetzen schnürt Taklus Kehle. Sein Oheim Gran ist der Lebaschai?! Er möchte schreien vor soviel Ungerechtigkeit. „Holt den Knaben!" fordert Grans krächzende Stimme. An einer Stelle öffnet sich der Kreis, und ein achtjähriger Knabe nähert sich Gran. Feuerrot glänzt sein halbnackter Körper im Schein der Flammen. Folgsam läßt er sich zu Grans Füßen nieder. Der Knabe hatte zuvor ein Zaubergetränk zu sich nehmen müssen — Milch mit einer „roten Medizin". Gran entnimmt den Falten seiner Schamma die Zauberpfeife. Sie ist mit einem „schwarzen Kraut" gefüllt. Andachtsvoll überreicht er sie 20
dem Knaben. Ein glimmender Zweig setzt sie in Brand. Mit vorgebeugtem Oberkörper verfolgen die Krieger jede Bewegung. Während der Knabe mit tiefen Zügen den Rauch einatmet, windet Gran eine Schärpe um dessen Leib und behält das andere Ende in der Hand. Noch einige Züge und die Pfeife entfällt dem Jungen. Deliriumartige Zuckungen gehen durch den Körper. Der Knabe will sich nach vorn fallen lassen, aber mit geschicktem Griff stellt ihn Gran auf die Beine. Der Knabe schwankt, läuft dann los. Gran läßt ruhig die Schärpe nach. Vor dem Kreis der Krieger bleibt der Junge unschlüssig stehen. Gespannt ruhen die Augen der Krieger auf ihm. Immer noch steht der Junge unentschlossen vor den Kriegern, als fürchte er den Wald der hochgestellten Speere. Dann dreht er sich um und läuft auf Gran zu. Irgend jemand stößt einen heiseren Kehllaut aus. Gran versetzt dem Knaben einen wütenden Stoß. Der Knabe stolpert, taumelt wie ein Betrunkener und venharrt dann reglos. In der Nähe des Lagers ertönt lautes Gekreische, daß es den Kriegern kalt über den Rücken läuft. Ein wütender Affe oder ein heimtückischer Schakal? Wie hypnotisiert setzt der Knabe plötzlich einen Fuß vor den anderen. Einen vor den anderen . . . Es ist eindeutig. Er lenkt seine Schritte auf Taklu. Bleibt eine Speereslänge vor Taklu stehen. Taumelt erneut. Nähert sich noch mehr. Berührt jetzt mit den herab-
hängenden Armen beinahe Taklus Knie. In dieser Stellung verweilt der Knabe. Niemand weiß, wie lange. „Nein!" Taklu ruft es so laut und durchdringend, daß der Knabe aus seinem tranceähnlichen Zustand augenblicklich erwacht. Taklu versucht aufzuspringen, aber kräftige Kriegerarme drücken ihn nieder. Die herrische Stimme Atos bringt wieder Ruhe: „Verräter, tritt hervor!" Taklu bleibt in angemessener
Entfernung vor Gran stehen. Ein bittender Zug liegt in seinem Antlitz. Er stammelt etwas, stockt, fängt sich wieder und schreit dann: „Nein! Brüder, ehrbare Krieger. Nein! Taklu ist kein Verräter!" Eilig, als hätte er Angst, nicht zu Ende reden zu dürfen, erzählt Taklu von seiner Freundschaft mit Gio, seinem Weg bis zur großen Sykomore und von der Vereinbarung mit Gran. „Beim Tode meines Vaters, ich sage die Wahrheit, Brüder!" 21
Die Krieger schweigen. Taklu erzählt noch einmal, wie Gio ihm und Gran das Leben gerettet hat, und ruft dann verzweifelt: „Was hättet ihr «n meiner Stelle getan? Was?" Einige Krieger senken die Köpfe. Immer noch Schweigen. Ist es Unentschlossenheit oder Scham? Taklu wendet sich an Gran. Schalten liegt über dessen Gesicht, nur das Weiße in den Augen schimmert gefährlich. „Oheim, sag die Wahrheit, sag, daß ich unschuldig bin. Ich beschwöre dich, bei unserem Glauben, dessen Künder du einst warst." Spannung schwebt in der Luft. Gran fürchtet, Taklus Worte könnten ihre Wirkung nicht verfehlen. Er fühlt das Schwanken der Krieger. Noch ein, zwei Sätze von Taklu, und die Stimmung schlägt um. Hart klingt seine krächzende Stimme: „Ehrbare Krieger! Wie wollt ihr den Feinden trotzen, wenn euch schon diese betörenden Worte schwanken machen." Gran läßt eine kurze Zeit verstreichen, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. „Aus seinem eigenen.Munde habt ihr vernommen, daß er die Italiener geführt hat. Das Lebaschai hat seine Schuld nur bestätigt. Er ist ein Verräter!" Zustimmung wird lau-ty „Seihe List ist die eines Schakals. In die Falle wollte er uns locken. Seine eigenen Brüder dem Feind ausliefern. Und er besitzt noch die Frechheit, seinen Oheim in das schändliche Spiel hineinzuziehen. Brüder! Ein Verräter in unseren Reihen ist gefährlicher als tausend Italiener!" 22
„Nieder mit dem Verräter!" klingt es zuerst nur vereinzelt. Dann stimmen alle in den Ruf ein. Die Krieger stoßen ihre Speere in die Luft. Ato erhebt sich und geht auf Taklu zu. Die Krieger beruhigen sich. „Das Lebaschai hat das Urteil gesprochen. Taklu ist ein Verräter! Morgen erfolgt seine Bestrafung." Gran umwindet die gefesselten Hände Taklus mit einer Kordel, an der ein geweihtes Amulett hängt. Dann bringt man Taklu wieder in die Laubhütte. Das Lebaschai ist zu Ende. Mit angezogenen Beinen, den Kopf auf den gefesselten Händen, so saß Taklu in der Laubhütte. Nach dem Lebaschai bemächtigte sich seiner Apathie und Niedergeschlagenheit. Er fühlte sich gelähmt, wie von dem Gift eines Pfeiles. Taklu wußte nicht, wie lange dieses Dahinbrüten sehon gedauert hatte. Nur langsam fing das Hirn wieder an zu arbeiten. Eigentlich war das Erkennen der Zusammenhänge jetzt leichter. Je länger er aber nachdachte, um so größere Vorwürfe machte er sich. Er mußte an das Sprichwort denken: „Über Krieg berate dich nicht mit dem Furchtsamen, über Almosen nicht mit dem Geizigen, über Arbeit nicht mit dem Faulen und über Keuschheit nicht mit dem Ehebrecher." Doch ein Furchtsamer handelt nicht wie Gran. Das Sprichwort paßte hier nicht. Wo mögen nur die Gründe für Grans Verhalten liegen? grübelte Taklu . . . Gran bindet beim Dresdien dem Ochsen das Maul fest . . . Er ist geizig. Er strebt
nach Vorteil und Ansehen. Mein Vater ist tot. Es gibt nur zwei Sehriftkundige im Dorf: Gran und mich. Jetzt hat Gran eine Gelegenheit gefunden, midi auszuschalten. Dann steht dem nichts mehr im Wege, daß er wieder zum Debtera ausgerufen wird. Ich bin das Opfer meiner eigenen Leichtgläubigkeit und Unvorsichtigkeit. Je einleuchtender diese Erklärung schien, um so stärker wurde Taklus Abneigung gegen Gran, der nur an seine persönlichen Vorteile dachte, jetzt, wo das Vaterland in größter Gefahr schwebte. Taklu preßte die gefesselten Handgelenke aufeinander, daß die Hanfkordel schmerzend in die Pulsader drang. Wenn ich nur etwas tun könnte, dachte er. Aber sie glauben mir ja nicht. Und dann drängte sich wieder Gios Gestalt in Taklus Überlegungen. Wenn er wüßte, was ich für die Freundschaft erleiden muß. Und er mißtraute mir damals am Wegweiser. Nun ja, ich wollte ihn hintergehen, aber ihm sollte nichts geschehen. Mit meinem eigenen Körper hätte ich mich schützend vor ihn geworfen, denn er war mein Freund. Taklu sah Gip breitbeinig am LKW stehen, den Arm mit der Pistole erhoben — und Gio schoß. Taklu fuhr mit den gefesselten Händen übers Gesicht. So . . . so handelt ein Freund nicht. Auch wenn er zweifelt. Und . . . darf ein Freund bedenkenlos fordern, daß ich Verrat an meiner Heimat übe? Gio hat gehandelt, als habe er unsere Freundschaft nur ausnutzen wollen. Erneut versank Taklu in quä-
lende Gedanken. Er wollte sich erheben, aber die gefesselten Beine erlaubten es nicht. Er sank zurück und begann wieder zu grübeln. Ich habe die Freundschaft höher gestellt als die Liebe zur Heimal, als das Los meiner Brüder, ich habe sie zumindest gleichgestellt. Das war falsch. Gio ist einer von denen, die mein Land überfallen, meinen Vater getötet 'haben. Und ich wollte ihn immer noch als Freund behandeln. Aber wo Recht auf Unrecht stößt, kann es keine Freundschaft geben. Gio hat sich schon lange entschieden — gegen mich. Und er fühlt auch keine Freundschaft mehr, sonst hätte er nicht geschossen. Ich aber habe geschwankt, habe auf ihn Rücksicht genommen, habe zwei Herren dienen wollen. Nun bin ich selbst schuld, daß meine Brüder mich nicht verstehen können. Aber diese bittere Erkenntnis kam zu spät. Taklu konnte seinen Brüdern nicht beweisen, daß er kein Verräter war. Ja, wenn er fliehen könnte! Er würde den Transport verfolgen, ihn sicherlich auch erreichen. Dann würde er sich auf die Italiener stürzen, und wenn ihn ihre Kugeln durchbohren sollten. Vielleicht würden dann die Späher der Freiheitskämpfer, die die Kolonne sicherlich beobachteten, später melden können: Taklu war kein Verräter! Mit dem bloßen Dolch hat er sich auf die Feinde gestürzt. Tastend, voller Unruhe, glitten die gefesselten Hände zur linken Hüfte. Der Dolch ..., er war noch da! Man hatte vergessen, ihn Taklu abzunehmen. 23
Die nächsten Bewegungen waren das Werk von wenigen Sekunden. Taklu klemmte den Dolch zwischen die Knie. Schon lag die Hantkordel auf der Dolchscheide. Doch Taklu zögerte auf einmal. Der Dolch löste sich aus der Umklammerung der Knie und fiel zu Boden. Ich kann nicht. Ich darf nicht: Das Amulett! Wieder schien das Gift der Abstumpfung ihm. die Tatkraft rauben zu wollen. Es war alles umsonst. Er durfte das geweihte Amulett nicht durchschneiden. Doch auch aufs neue meldete sich der Verstand. Ich bin abergläubisch. Ich, der Sohn eines Debtera, der immer gegen den Aberglauben gekämpft hat. Hat sich das Lebaschai durch sein Fehlurteil nicht selbst gerichtet? Waren nicht all diese mystischen Riten für Gran und seinesgleichen nur ein Mittel, seine Brüder in Unwissenheit und Abhängigkeit zu halten? Taklu fühlte sich auf einmal frei und von neuer Zuversicht erfüllt. Diese feste Hoffnung verlieh ihm Stärke, aber auch Besonnenheit. Im Nu waren die Handfesseln durchschnitten, konnten sich auch die Beine frei bewegen. Vorsichtig schlich sich Taklu an die Hinterwand der Laubhütte. Er lauschte angestrengt. Nichts. Behutsam führte er den Dolch zwischen die Zweige der Hinterwand. Nur recht leise sein. Der Posten vor dem Eingang durfte nicht aufmerksam werden. Bald war ein faustgroßes Loch geschaffen. Taklu blickte hindurch. Im fahlen Mondlicht zeichneten sich die Stämme der nahestehenden Bäume ab. Nun 24
ging er daran, die Öffnung zu erweitern. Plötzlich . . . Er hielt inne. Stimmen! Ganz dicht an der Laubhütte. Taklu fühlte kalten Schweiß zwischen seinen Achselhöhlen. Sollte alles vergebens sein? „Taklu tut mir leid", sagte jemand. Taklu erkannte die Stimme Esmans. „Für Verräter gibt es kein Mitleid." Das war die Stimme des Postens. Sie fuhr fort: „Das Lebaschai hat gesprochen." Wieder Esman: „Ob auch alles stimmte? Ich kenne Gran. Er ist aus meinem Dorf." Die Stimme des Postens warnte: „Hüte deine Zunge. Willst du damit sagen, daß das Lebaschai . . ." Der Posten beendete seinen Satz nicht, denn Esman schien sich zu entfernen. Esmans Worte klangen jetzt leise: „Aus Geiz befehden sich Stämme, und da sollten nicht Familien zerschellen?" Der Posten vor der Laubhütte war wach. Soll ich nicht warten, bis er eindöst? Taklu fing an, in Gedanken zu zählen. Aber er kam nicht weit. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Ich muß eben noch leiser sein. Der Dolch setzte seine Arbeit fort. Taklu erschienen die Geräusche viel zu laut. Wenn wenigstens Wind aufkäme. Das Rauschen der Äste und Zweige würde alles übertönen. Aber die Nacht war ganz ruhig. Jetzt hielt Taklu das Loch für groß genug. Er legte die Schamma ab, rollte sie zusammen und steckte sie vorsichtig hindurch. Er wartete. Den Dolch hielt er in der Hand. Ganz langsam drückte er den Kopf nach vorn. Vor ihm war die schwei-
gende Wand der Bäume, rechts die verglimmenden Reste des Lagerfeuers. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, zwängte er seinen Körper durch die Öffnung. Die spitzen Zweige kratzten den nackten Oberkörper wund. Taklu biß die Zähne zusammen. Bald ist es. soweit . . . noch die Beine . . ., dann war es geschafft. Eine Weile blieb Taklu erschöpft liegen. Dann ergriff er die Schamma und schlängelte sich zu den Bäumen. Er hatte gerade den ersten Baum erreicht, da vernahm er erneut Stimmen. Rechts vor ihm knackten trockene Zweige. Taklu preßte sich fest an die Erde. „Hab Dank, Gran. Ich weiß, wie schwer es dir gefallen ist, deinen eigenen Neffen preiszugeben." Ato war es, der diese Worte sprach. „Du kannst auch beruhigt sein, die Feinde lassen wir nicht entfliehen. Bald brechen wir auf. Der letzte Kundschafter meldete, daß sie zur Weggabelung zurückgekehrt sind. Sie werden morgen früh den Weg nach Sokota fortsetzen wollen. Gegen Mittag müssen sie am Flußübergang sein. Dort werden wir sie angreifen. Am roten Felsen wird sich ihr Schicksal entscheiden." Grans krächzende Stimme antwortete: „Nicht meines Alters wegen gehe ich zurück ins Dorf, Ato. Aber seitdem der Debtera tot ist, muß ich den Frauen und Kindern Stütze sein." „Wenn erst die Feinde aus unserem Lande gejagt sind, werden auch deine Verdienste mit Gegenwert aufgewogen. Ich verbürge mich dafür, Gran."
Sie nahmen Abschied voneinander. G>*an ging in den Wald, und Ato kehrte in seine Laubhütte zurück. Mondlicht lag auf der Quolla. Die bizarren Felsen und Klüfte, Bäume und Sträucher schienen in Silber getaucht zu sein und erstarrt wie Fossilien aus einer phantasiereichen Welt. Kaum hörbar lispelte das Laubwerk, hin und wieder schrie ein aufgescheuchter Vogel. Das helle Mondlicht hatte Vorund Nachteile für Taklu. In der nächtlichen Finsternis wäre der Weg durch die Quolla viel beschwerlicher, aber in dieser opalenen Nacht war die Gefahr größer, von Gran gesehen zu werden. Bald muß er die Richtung zum Dorf einschlagen, sagte sich Taklu, während ich südwestlich gehen muß. So lange muß ich eben vorsichtig sein. Ursprünglich wollte Taklu Gran einen größeren Vorsprung gewähren, um ungehindert seinen Weg fortsetzen zu können. Er änderte seine Absicht. Unverhofft konnte Gran eine Ruhepause einlegen und dann den herankommenden Taklu entdecken. Hatte er ihn ständig vor seinen Augen, entfiel diese Gefahr. Einmal machte Gran eine kurze Rast, und Taklu konnte gerade noch rechtzeitig hinter dem Stamm eines Affenbrotbaumes Schutz suchen. In diesen Minuten des untätigen Wartens kam Taklu ein furchtbarer Gedanke. Wir sind allein. Für all die Niedertracht verdient er, daß ich ihm den Dolch . . . Schon tastete seine Hand nach der Waffe. Doch er beherrschte sich. Es war nicht seine Sache, Gran zu strafen. 25
Wenig später, als sie wieder unterwegs waren, knackte ein Zweig unter Taklus Füßen. Gran blieb erschrocken stehen. Blitzschnell warf sich Taklu auf die Erde. Er krallte seine Hände in den steinigen Boden, aber seine Muskeln waren gespannt. Er war bereit, jeden Augenblick hochzuschnellen. Dann wagte Taklu, den Kopf anzuheben. Gran schien verschwunden. Nein! Dort am Buschwerk schimmerte seine Schamma. Schließlich waren sie an der Stelle angelangt, wo Gran ins Dorf einschwenken mußte. Hier bog ein kahles Trogtal nach dem Osten ein. die Quolla brach kurz vorm Trogtal ab, nur am Fuße eines Felsens, der dem Taleingang gegesüberlag. stand weiter dichter Pflanzenwuchs-. Ich werde warten, bis Gran das Trogtal passiert hat, dachte Taklu, dann eile ich über den Fels weiter. Dieser Weg ist kürzer und leichter. Taklu verbarg sich hinter einer Akazie. Aber was war denn das? Im silbrigen Mondlicht beschritt Gran genau den Weg, den Taklu zu gehen beabsichtigte. Sollte sich Gran verirrt haben? Unmöglich. Das Trogtal war deutlich zu erkennen. Warum wählte Gran diesen Weg? Hat er mich erblickt und am Ende meinen Plan durchschaut? Aber dann hätte er mich längst in die Falle gelockt. Am Anfang folgte Taklu Gran am Rande der Quolla, um ungesehen zu bleiben. Aber Gran forcierte sein Tempo, und Taklu hatte Mühe, durch das Gestrüpp nachzukommen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den leichten Weg 28
zu wählen. Er durfte aber nur in Etappen vorrücken. Gedeckt durch Traversen und Gesimse, bewegte sich Taklu behutsam vorwärts. Jetzt war noch mehr Umsicht und körperliche Gewandtheit erforderlich. Sie erreichten die kleine Scharte, die zur großen Sykomore führte und durch die Taklu gestern die Flucht gelungen war. Gran ließ sie rechts liegen und erklomm einen gewundenen Pfad. Aha, dachte Taklu, er will den Weg abschneiden, also Zeit sparen. Und ihm wurde gleichzeitig bewußt, daß Gran die Weggabelung erreichen wollte, wo die Italiener nächtigen sollten. Aber was will er bei ihnen? Hatte er einen geheimen Auftrag von Ato, die Kolonne abzulenken? Taklu hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Weg wurde immer beschwerlicher, und Gran bewegte sich mit einer Schnelligkeit vorwärts, daß Taklu es schwer hatte, ihn unauffällig zu verfolgen. Ein unbedachter Schritt, und schon konnte sich ein Stein unter seinen Füßen lösen, der ihn dann verraten würde. Als das Schlauchtal mit der Weggabelung erreicht war, ging im Osten die Sonne auf. Rosa Dunstschleier hüllten die Kämme der Berge wie Zuckerwatte ein. Die Brüder müssen ihr Lager schon verlassen haben, wenn sie rechtzeitig am Fluß sein wollen, dachte Taklu. Das Tal war leer. Sollten sich die Kundschafter geirrt haben, oder waren die Italiener schon weitergefahren? Auch Gran verweilte auf dem Plateau, von wo aus die Weggabelung zu übersehen war.
Gran blickte nach dem Osten und setzte dann seinen Weg in hektischer Eile fort. Plötzlich war er Taklus Blid;en entschwunden, als hätte ihn ein Felsschrund verschluckt. Taklu kroch ihm auf allen vieren nach und hatte bald des Rätsels Lösung. Der Berg fiel steil ab und bildete eine Traverse. Unten zog sich eine sehmale Schlucht hin, die auf der gegenüberliegenden Seite von einer Bergwand begrenzt war. In dieser Schlucht lag die Schlange der LKW. Gran hatte die Traverse erreicht und schrie und gestikulierte. Der Posten am Lagerfeuer schoß mehrmals in die Luft. Gran winkte abwehrend mit den Armen. Leben kam in die Kolonne. Die Soldaten krochen aus den Zelten, warfen ihre Decken ab, ergriffen ihre Waffen. Mit den Armen immer noch hin und her fuchtelnd, stieg Gran die Traverse hinunter. Die Italiener verhielten sich abwartend. Da war auch Gio. Die Pistole in der Hand, verfolgte er aufmerksam Grans Kraxelei. Taklu robbte noch näher an den Rand der Schlucht heran und spähte vorsichtig in die Tiefe. Gran katzbuckelte mehrmals vor Gio, legte beteuernd seine Rechte aufs Herz. Kurz danach brachte der krummbeinige Feldwebel die Karte. Gio vertiefte sich in sie, schüttelte ungläubig den Kopf und stellte Gran Fragen. Wieder die beteuernde Geste Grans. Gios metallische Kommandostimme drang bis zu Taklu. Einige Soldaten machten sich an den Fahrzeugen zu schallen, andere brachen die Zelte ab, einer
zertrat das Lagerfeuer. Es war augenscheinlich: Die Italiener räumten fluchtartig die Sdilucht. Um vor Übeirasdiungen gesidiert zu sein, bauten sie je ein MG an der Spitze und am Ende der Kolonne auf. Taklu wußte jetzt, weshalb Gran nicht ins Dorf zurückgekehrt war. Er wollte die Italiener warnen. Eben versteckte Gran einen Gegenstand, den ihm Gio überreicht hatte, in seiner Schamma. Ein Geschenk? Der Judaslohn? Ich hätte vorhin in der Quolla nicht zögern sollen, dachte Taklu. .Seine Empörung und Verachtung steigerte sich bis zur Wut. Jetzt muß ich hier untätig herumliegen!" Welches auch immer die Beweggründe sein mochten, Gran hatte den Feinden den Angriffsplan verraten. Beide, Gio und er, wußten nur zu gut: Die Waffe der Freiheitskämpfer war das Überraschungsmoment. Schledit bewaffnet, konnten sie nur die genaue Kenntnis der Landschaft in die Waagschale werfen. Am Flußübergang stand die Natur auf ihrer Seite, ähnlich wie hier. Im offenen Feld mähten die MG der Feinde jeden Angriff nieder. Was war das? Der letzte LKW fuhr rückwärts. Zum Wenden war die Schlucht zu eng. Gio wollte also die gefährliche Falle schleunigst verlassen und im Sdilauchtal seine Verteidigung organisieren. Jetzt trat Gran auf Gio zu, um sich zu verabschieden. Er wollte sich offenbar aus dem Staube machen. Taklu freute sich, als er sah, daß Gio Gran ins Fahrerhaus steckte. 27
Taklu fühlte die wärmenden Strahlen der Morgensonne im Nakken. Der Hunger meldete sich, aber dafür war jetzt keine Zeit. Denn schon rollte der LKW aus der Schlucht. Wenn ich jetzt meine Flinte hätte. Jedem Italiener würde ich eines aufs Fell brennen oder die Reifen einzeln durchlöchern. Keinen Schritt wären sie weitergekommen. Aber sie flohen, flohen aus der Falle. Wenn ich wenigstens die Freunde warnen könnte. Ein Angriff ist jetzt Selbstmord. Soll ich zurück ins Lager? Vielleicht stoße ich unterwegs auf die Vorhut. Aber sie werden mir keinen Glauben schenken. Festnehmen werden sie mich. Für sie bin ich doch ein Verräter! Doch vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit, die Vorausabteilung aufmerksam zu machen. Taklu stemmt sich etwas vor, zieht die Schamma fest um seinen Körper. In fieberhafter Eile schiebt er Steine nach vorn. Er kriecht zurück, wälzt noch einen großen Felsbrocken heran. Nimmt wieder Deckung. Gleich ist es soweit. Laut hämmert sein Herz. Ein letzter Blick in die Schlucht . . . Gio! Mein Freund Gio. Bilder der Erinnerung jagen vorbei. Damals: die Jagd. Ihre Eskapaden... Und der Krieg? Vaters Tod . . . Entschlossenheit zeichnet Taklus Gesicht. Hier war der Scheideweg! Polternd rollt der Felsbrocken in den Abgrund. Steine prasseln hinunter. Schlagen dumpf auf die Traverse auf. Reißen Geröll mit sich. Eine ganze Lawine stürzt jetzt in die Schlucht. Taklu schnellt hoch. Reißt den Dolch hervor und 23
schreit. Schreit, daß das Echo gefahrdrohend durch die Schlucht rollt. Dann gibt er das Zeichen zum Sturm. Und springt in die Tiefe. Panik erfaßt die Italiener. In wilder Hast suchen sie unter den Fahrzeugen Schutz. Werfen sich zu Boden, bringen ihre Gewehre in Anschlag. Ein schwerer LKW rammt die Kühlerhaube des hinteren Wagens. Scheiben klirren. Ein markerschütternder Schrei zerreißt die Luft. Das MG am Nordausgang hämmert ungestüm drauflos. Schüsse peitschen durch die Schlucht. Querschläger und Steinsplitter schwirren unheildrohend umher. Taklu erreicht gerade die Traverse, als ein stechender Schmerz durch seinen linken Oberarm geht. Er wird zu Boden gerissen. Die Italiener feuern immer noch, als wälzten sich unzählige Angreifer die steile Wand hinunter. Dann ist Stille. In großer Eile mühen sich die Soldaten erneut um ihre Fahrzeuge. Der beschädigte Wagen wird angekoppelt und nach rückwärts abgeschleppt. Taklu sieht alles wie durch einen Nebelschleier. Sein Arm brennt, er ist erschöpft von den Anstrengungen der letzten Tage. Immer noch hält er den Dolch in der Rechten, er hat ihn zuerst einstecken wollen, doch eine innere Stimme hat ihn gewarnt. Wenn sich einer 'raufwagen sollte . . . ich brauche ihn! Wieviel Zeit mag seit dem vorgetäuschten Angriff verflossen sein? überlegt Taklu. Ob die Späher oder die Vorhut die Schießerei gehört haben? Noch ist die Kolonne
nicht aus der Schlucht. Einige Soldaten räumen die sich türmenden Felsbrocken beiseite. Da! Schüsse! Diesmal außerhalb der Schlucht. Die Italiener suchen Deckung. Das MG richtet sein Feuer auf den Nordausgang. Vom Südausgang eilen Soldaten zur Hilfe herbei. Kaum sind die in Stellung gegangen, ertönen auch am Südausgang Kampfrufe und Schüsse. Am Rande der gegenüberliegenden Felswand erscheinen Gestalten. Mit wilden Rufen stürzen sie auf den Feind. Taklu begreift das Manöver der Freiheitskämpfer. Ato, das habt ihr gut gemacht! Jetzt entkommt uns keiner. Keiner... Er möchte auch hurra schreien, aber da verliert er das Bewußtsein. Taklu merkt nicht mehr, daß neben ihm Krieger auf die Traverse niederspringen und in den Kampf eingreifen. Der Tafelberg, auf dem das Kloster Debra Damo thront, scheint in Purpur gebadet. Im Schein der Abendröte treten seine Konturen plastisch hervor. Die Spalten und Risse, Felsgesimse und Schrunde schimmern wie bräunliche Reliefs. Neben dem Eingang zu Atos Laubhütte, den Rücken an die Wand gelehnt, ruht Taklu. Sein verbundener Arm ist auf einen Baumstumpf gestützt. Um ihn herum hocken Ato und einige ältere Krieger. „Deiner Flucht haben wir zu verdanken, daß wir zur rechten Zeit gekommen sind." Ato lächelt. „Ja, wahrhaftig. Um seiner Müdigkeit Herr zu werden, drehte der Posten einige Runden um die Laubhütte
und entdeckte das Loch. Im Nu war das Lager alarmiert. Eine starke Vorausabteilung folgte dir auf den Fersen." Ato reicht Taklu einen Tonkrug mit Met und fährt dann fort: „Sie haben dich gerade in die Schlucht springen sehen. Sie warteten die Schießerei ab und berieten. Den Feind sofort anzugreifen, dafür waren sie zu schwach. Sie erkannten aber die günstige Lage. Schnell war ein Zeichen an die Späher gegeben, das sich von Gipfel zu Gipfel fortpflanzte." Dann nimmt auch Ato einen Schluck aus dem Tonkrug und reicht diesen weiter. „Wir sind noch nie so schnell gelaufen wie heute früh." Einige Krieger lachen. „Ja, die Alten unter uns murrten schon. Na, und dann war alles ein Werk von wenigen Minuten. Die Italiener wurden gefangengenommen, Waffen und Munition sichergestellt. Und die LKW hat das Feuer aufgefressen." Ato macht eine Pause. Dann sagt er ernst: „Alles haben wir deinem besonnenen und tapferen Verhalten zu verdanken, Taklu. Und wir haben dich für einen Verräter gehalten. Verzeih einem alten Mann, daß er geirrt hat." Er streckt seine Hand aus. Ergriffen, aber auch stolz nimmt Taklu sie. Die Krieger senken ihre Köpfe und murmeln Entschuldigungsworte. Taklu fragt: „Und... er?" „Dein Oheim? . . . Gran haben wir gefaßt. Er schweigt wie ein Grab und stößt ab und zu irgendwelche Zaubersprüche hervor. Aber sein 29
Doppelspiel ist durchschaut." Ato macht eine Pause, dann sagt er: „Und dein Freund Gio ist gefangengenommen." Fast feierlich klingen Atos nächste Worte: „Taklu. Wir sind in deiner Schuld. Wir haben vieles gutzumachen. Und wir achten auch das Gesetz der Freundschaft. Jetzt wissen wir, wie schwer du um die Entscheidung ringen mußtest. Der Rat der Krieger hat beschlossen, daß du über Gio frei entscheiden kannst. Und über Gran sollst du richten. Als Dank für deine Tapferkeit." Zum letztenmal an diesem Tag sitzen die Krieger um das Lagerfeuer. Ihre Oberkörper sind nackt, 30
denn noch wärmen sie die Strahlen der untergehenden Sonne. Statt der Speere liegen heute die erbeuteten Gewehre quer über den Schenkeln. Patronengurte umspannen die Hüften. Esman hockt zwischen zwei MGs. Befriedigt streicht sein« braune Hand über die bronzierten Metallrücken. Das eine MG soll er bedienen, das andere Taklu — nach seiner Gesundung. Gran und Conconi werden in den Kreis der Krieger geführt. Diese stoßen einen Kampfschrei aus und schwenken die Gewehre über ihre'. Köpfen. Ato tritt auf die Gefangenen zu, neben ihm steht Takiu, den linken Arm in der Binde. Ato wendet sich an die Krieger:
„Wir danken unserem Helden!" Unbeschreiblicher Jubel bricht aus. Verlegen wendet Taklu den Kopf zur Seite. „Taklu soll entscheiden, was mit den beiden geschehen soll. Welches Urteil er auch fällen mag, wir schwören, es anzuerkennen." „Wir schwören!" rufen die Krieger im Chor, und vom Berg kommt der Ruf als Echo zurück. Vergessen sind alle Demütigungen und Strapazen. Ein nie gekanntes Gefühl erfüllt Taklus Brust. Wild hämmert das Herz vor Freude. Taklus Augen wandern von Gesicht zu Gesicht, bleiben dann auf dem ernsten Antlitz Atos haften. In diesem Augenblick denkt Taklu an seinen Vater, an den einsamen Steinhügel auf dem Tafelberg. Kurz entschlossen 'wendet er sich an Gran. Grans kahler Kopf ist gesenkt. Nach kurzem Überlegen sagt Taklu:
„Den Feinden zum Schrecken, den Wankelmütigen zur Lehre. Nach Sitte unserer Väter soll Gran, wie ein Verräter es verdient, gerichtet werden!" Ein einziger Schrei bekräftigt dieses Urteil. Nachdenklich dreht sich Taklu zu dem Leutnant um. Er scheint zu zögern. Es herrscht erwartungsvolle Stille. Nur Conconis flehendes Gestammel ist zu hören: „Taklu! Ich bin dein Freund . . . immer . . . Ich habe dir doch das Leben gerettet. Vergiß es nicht..." Gespannt ruhen die Blicke der Krieger auf Taklu. Taklu hebt stolz seinen Kopf und sagt: „Als Leutnant Giovanni Conconi die Grenze meiner Heimat überschritten hatte, starb mein Freund Gio! Er ist wie die übrigen Gefangenen zu behandeln." Und Taklu greift nach dem Dolch und schleudert ihn Leutnant Giovanni Conconi vor die Fuß«*.
Worterklärungen Debtera
Schriftgelehrter
Duce
Führer, Bezeichnung für den italienischen Faschistenführer Mussolini
Fasces
Rutenbündel mit eingeschnürtem Beil, Symbol der italienischen Faschisten
Gran
der Linkshändige
Kasoblüten
abessinisches Wurmmittel
Quolla
fruchtbares Tiefland
Schamma
grobes Leinentuch
Sykomore
Feigenbaum
Tukul
abessinische Rundhütte
Traugott Maus, vierundzwanzig Jahre alt, von Beruf Betonwerker, lebt über seine Verhältnisse, wie man so sagt. Gewiß, er ist ein tüchtiger Facharbeiter und verdient gut; aber Lederweste, Kofferradio und vor allem das schwere Motorrad — alles in kurzer Zeit angeschafft —, dafür kann der Lohn nicht reichen. Die Kollegen betrachten Traugott mit Mißtrauen, zumal er sich durch sein schroffes Wesen schon unbeliebt gemacht hat. Als im Betrieb kostbare Werkzeuge und Materialien verschwinden, ja ein Gebäude durch Brand vernichtet wird, entsteht bei den meisten sofort der VERDACHT GEGEN M — nur er kann der Dieb und Saboteur sein. Leutnant Heiseck von der Kriminalpolizei schließt sich der Meinung an und führt die Untersuchung in diesem Sinne. Hauptmann Eggner jedoch, soeben aus dem Urlaub zurückgekehrt, findet beim Studium der Akte einige Haare in der Suppe. Besteht der VERDACHT GEGEN M zu Recht, oder wird hier ein Unschuldiger verdächtigt? Aber wer ist dann der Täter? Oder gibt es mehrere? Fragen über Fragen! In vierzehn Tagen wird das Geheimnis gelöst, dann erscheint das nächste Abenteuerheft
E. R. GREULICH HEFT
VERDACHT GEGEN M
Der Stab befahl den Beginn des „heißen" Krieges. Mehrere Prophetenhosen gingen in Flammen auf, da glühende Kohlen unter dem Stuhl gelegen hatten. In allen Sälen, allen Klassen und allen Sehlafräumen wurden die Türen geschlossen. Dahinter wurden aus Bänken, Schrubbern und Stühlen Fallen gebaut. Wenn jemand die Tür öffnete und eintreten wollte, fiel ihm etwas Schweres auf den Kopf und hinterließ einen einprägsamen Denkzettel in Gestalt einer Beule oder eines blauen Flecks. Aber man muß den Lehrern Gerechtigkeit widerfahren lassen - sie hielten sich wacker. Von einem Unterricht konnte überhaupt nicht mehr die Rede sein. Es handelte sich jetzt nur noch um die Behauptung der Macht - allein darum ging der wilde, verbissene Kampf. Ob es den Propheten gelingt, der rebellierenden Zöglinge Herr zu werden ?
von Grigori Bjelych und Leonid Pantelejew • Illustriert von Eberhard Binder-Staßfurt Halbleinen 512 Seiten • 7,80 DM • Jetzt im Buchhandel erhältlich Die Autoren Bjelych und Pantelejew waren selbst einmal Zöglinge der Schkid. Das Buch ist die Chronik eines der ersten Erziehungsheime des jungen Sowjetstaates, der auf den Trümmern der alten Gesellschaft ein menschenwürdiges Leben für alle errichtete.