Umschlagtext Für Jake Sisko und seinen Freund Nog wird das Leben auf Deep Space Nine noch interessanter, als ein neuer ...
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Umschlagtext Für Jake Sisko und seinen Freund Nog wird das Leben auf Deep Space Nine noch interessanter, als ein neuer Student auf der Station auftaucht: ein Bajoraner namens Riv Jakar, dessen Eltern von Cardassianern getötet wurden.Riv hält das Studium für Zeitverschwendung und möchte lieber heute als morgen auf seiten der bajoranischen Freiheitskämpfer gegen die Cardassianer antreten.Während Jake, Nog und ihre Freunde Ashley und T’Ara mysteriöse Vorkommnisse auf der Station untersuchen, entdecken sie einen blinden Passagier an Bord: ein Mädchen. Sie ist die Tochter eines hohen cardassianischen Würdenträgers, der Deep Space Nine mit acht Kriegsschiffen bedroht und die Herausgabe seiner Tochter fordert. Doch Riv hat andere Pläne mit der Cardassianerin, und das könnte Krieg und die Vernichtung der Station bedeuten.
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HEYNE SCIENCE FICTON & FANTASYBand 06/6507Titel der OriginalausgabeSTAR TREK: DEEP SPACE NINE # 3PRISONERS OF PEACEÜbersetzung aus dem Amerikanischen vonUWE ANTON Redaktion: Rainer Michael Rahn
Copyright © 1994 by Paramount Pictures
Erstausgabe bei Pocket Books, a divison of Simon & Schuster, Inc., New
York
Copyright © 1995 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Printed in Germany 1995
Umschlagbild: Alan Gutierrez
Innenillustrationen: Todd Cameron Hamilton
Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München
Technische Betreuung: M. Spinola
Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels
Druck und Bindung: Ebner Ulm
ISBN 3-453-09.056-X
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Für Donna Chisholm
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STAR TREK: DEEP SPACE NINE
Die Hauptpersonen
JAKE SISKO – Jake ist Teenager und der einzige menschliche Junge, der ständig auf Deep Space Nine wohnt. Jakes Mutter starb, als er noch sehr klein war. Er kam mit seinem Vater auf die Raumstation, fand dort aber nur sehr wenige Kinder in seinem Alter vor. Er erinnert sich nicht an das Leben auf der Erde, mag aber Baseball und Schokoriegel und würde sich am liebsten vor seinen Hausaufgaben drücken. Sein Vater billigt seine Freundschaft mit Nog nicht. NOG – Ein junger Ferengi, dessen wichtigstes Ziel im Leben es ist, Geld zu verdienen. Darin unterscheidet er sich nicht von den anderen Mitgliedern seiner Spezies. Es stört ihn nicht, daß sein Vater Rom häufig geschäftlich unterwegs ist und sein Onkel Quark dann auf ihn aufpaßt. Nog hält die Menschen mit ihren Vorstellungen von Vertrauen, Hilfsbereitschaft und Freundschaft für seltsam. Er versteht Jake nicht immer, doch da sein Vater ihm den Umgang mit dem Jungen von der Erde verboten hat, sind Nog und Jake die besten Freunde. Nog spielt anderen gern Streiche, versucht aber immer, Odo aus dem Weg zu gehen. COMMANDER BENJAMIN SISKO – Jakes Vater wurde von Starfleet Command als Befehlshaber der Raumstation und Verbindungsoffizier zwischen der Föderation und Bajor nach Deep Space Nine versetzt. Seine Frau kam bei einem Angriff der Borg ums Leben, und er zieht Jake allein groß. Er hat stets sehr viel zu tun, bemüht sich jedoch, mehr Zeit für seinen Sohn zu finden. ODO – Der Sicherheitsoffizier wurde vor vielen Jahren von bajoranischen Wissenschaftlern gefunden und weiß nicht, 6
woher er ursprünglich stammt. Er ist ein Gestaltwandler und kann daher für eine gewisse Zeit jede beliebige Form annehmen. Normalerweise bewahrt er ein menschenähnliches Äußeres, doch etwa alle sechzehn Stunden fällt er in seinen natürlichen flüssigen Zustand zurück. Gesetzesbrechern bringt er keine Nachsicht entgegen, und Ferengi noch weniger. MAJOR KIRA NERYS – Kira war während der Besetzung Bajors durch die Cardassianer Freiheitskämpferin im bajoranischen Untergrund. Nun vertritt sie auf der Station die Interessen Bajors und ist Siskos Erster Offizier. Ihr Temperament ist geradezu legendär. LIEUTENANT JADZIA DAX – Eine alte Freundin von Commander Sisko und Wissenschaftsoffizier. Dax ist eine Trill und besteht in Wirklichkeit aus zwei miteinander verbundenen Wesen. Im Wirtskörper einer jungen Frau lebt ein Symbiont mit eigenständigem Bewußtsein. Sisko kannte den Symbionten Dax in dem vorhergehenden Gastkörper, der männlich war. DR. JULIAN BASHIR – Der abenteuerlustige Dr. Bashir zählte zu den besten Studenten seines Jahrgangs und bat darum, auf einen Außenposten am Rand des Föderationsraums versetzt zu werden. Seine Begeisterungsfähigkeit bringt ihn manchmal in Schwierigkeiten. MILES O’BRIEN – Früher Transporter-Chef an Bord der USS Enterprise und nun Leiter der technischen Abteilung auf Deep Space Nine. KEIKO O’BRIEN – Keiko war auf der Enterprise Bo tanikerin, zog aber mit ihrem Ehemann und ihrer kleinen Tochter Molly auf die Station um. Da es für eine Botanikerin auf Deep Space Nine kaum etwas zu tun gibt, hat sie eine 7
Schule eröffnet und unterrichtet alle Kinder, die ständig oder auch nur zeitweise auf der Station wohnen. QUARK – Der Ferengi ist Nogs Onkel und Geschäftsmann. Ihm gehört ein Restaurant, dem ein Spielkasino und HoloKammern angeschlossen sind. Es befindet sich auf der Promenade, dem zentralen Schauplatz zahlreicher Aktivitäten auf der Station. Quark hat bei jedem Geschäft, das an Bord gemacht wird, die Hand im Spiel und schafft es fast immer, dem Gesetz – normalerweise in Gestalt von Odo – einen Schritt voraus zu bleiben.
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»Ist das nicht der beeindruckendste Anblick, den du je gesehen hast?« fragte Jake Sisko. Er stand an einem der großen Fenster auf der oberen Ebene der Promenade und schaute in den Weltraum hinaus. Es lag für ihn eine immer wiederkehrende Faszination darin, die Sterne zu betrachten. Anderen Menschen und Fremdwesen kam die Aussicht ge nauso attraktiv vor. Auf der oberen Ebene befand sich etwa ein Dutzend Personen, die entweder begeistert ins All schauten oder zumindest interessierte Blicke hinauswarfen. Doch in diesem Augenblick gab es viel mehr als nur Sterne zu sehen. Deep Space Nine – die Raumstation, auf der Jake und ein paar hundert Menschen, Bajoraner und Mitglieder anderer Spezies lebten – lag am Rand des Asteroidengürtels von Denorios im bajoranischen Sonnensystem. Die Station war wegen des Wurmlochs hierher verlegt worden. Man konnte nur schwer erklären, was genau das Wurmloch war. Es stellte eine Art Tunnel dar, der den Subraum durchdrang und diese Stelle im bajoranischen System mit einer anderen verband, die fast eine halbe Galaxis entfernt war. Ein Raumschiff konnte das Wurmloch in ein paar Minuten durchfliegen und gelangte dabei von Bajor in den GammaQuadranten – ein Flug, für den selbst ein riesiges Raumschiff wie die USS Enterprise bei höchster Warpgeschwindigkeit über siebzig Jahre benötigt hätte. Die meiste Zeit über war das Wurmloch mit dem bloßen Auge nicht auszumachen, doch wenn ein Schiff es passierte, wurde es plötzlich und auf spektakuläre Art und Weise sichtbar. Es hatte den Anschein, als würde ein riesiger, funkelnder Strudel sich im All drehen und in allen Farben, die man sich vorstellen konnte – und in einigen weiteren –, leuchten und pulsieren. Dabei entstand der Tunnel, und das Schiff, das durch das Wurmloch flog, näherte 9
sich dann der Station. Anschließend brach das Wurmloch mit einem Farbgestöber wieder in sich zusammen und verschwand.
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Jake hatte genau diesen Vorgang gerade beobachtet, als ein Frachter durch das leuchtende Farbnetz gekommen war. Es war ein spektakulärer Vorgang, und ein Schauer lief über seinen Rücken, lediglich weil er ihn hatte beobachten dürfen. »Ist das nicht der beeindruckendste Anblick, den du je gesehen hast?« wiederholte er, als sein bester Freund nicht antwortete. »Was?« Nog riß den Kopf hoch und schaute aus dem Fenster. Bei einem Grinsen entblößte er spitz zulaufende Zähne. »Allerdings«, stimmte er zu. »Ein bajoranisches Handelsschiff! Und wie es sich bewegt, ist es auch voll beladen.« Er rieb sich die Hände. »Das ist eine Gelegenheit, ein wenig Geld zu verdienen.« Jake seufzte. Natürlich hatte Nog geglaubt, daß er über Geld und nicht über die Schönheit des Wurmlochs gesprochen hatte! Er mochte Nog sehr, aber manchmal fragte er sich, warum. Nog war ein junger Ferengi im gleichen Alter wie Jake, aber abgesehen davon hätten sie nicht verschiedener sein können. Jake war groß, schlank und dunkelhäutig und trug normalerweise einen Overall. Nog war nach menschlichen Maßstäben klein, und wenn man noch nie einen Ferengi gesehen hatte, brauchte man eindeutig eine Weile, um sich an ihn zu gewöhnen. Aus seinem haarlosen Kopf ragten überdimensionale Ohren hervor. Knochige Beulen und dicke Stirnwülste ließen diesen Kopf übergroß wirken. Nogs Klei dung war prachtvoll und maßgeschneidert. »Ich habe das Wurmloch gemeint«, erklärte Jake. »Es ist doch wirklich phantastisch, nicht wahr?« Nog zuckte mit den Achseln. »Ja, ich glaube schon«, stimmte er gelangweilt zu. »Aber wir können keinen Profit aus ihm ziehen.« »Denkst du eigentlich an nichts anderes als Geld?« fragte Jake. »Natürlich!« erwiderte Nog. »An mehr Geld!«
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Jake wußte, daß es eigentlich nicht seine Schuld war. Die Ferengi waren eine Spezies, deren Lebensinhalt es war, Geld zu verdienen. Sie waren Händler und Geschäftsleute, die sich überall einfanden, wo es etwas zu verdienen gab. Nogs Onkel, Quark, war der Besitzer der Bar, die die Promenade der Station beherrschte. Des weiteren nahm man an, daß er seine Hand in jedem Geschäft hatte – ob nun legal oder illegal –, das auf Deep Space Nine getätigt wurde. »Im Augenblick können wir sowieso keinen Profit machen«, sagte Jake zu ihm. »Wir müssen in die Schule.« Nog runzelte die Stirn. »Scharwenzeln wir doch«, schlug er vor, während er den sich nähernden Frachter nicht aus den Augen ließ. »Du meinst wohl schwänzen«, erwiderte Jake grinsend. »Hast du vergessen, daß Mrs. O’Brien gesagt hat, sie würde deinen Onkel benachrichtigen, wenn du nicht am Unterricht teilnimmst? Und was der mit dir machen wird, weißt du ja.« Keiko O’Brien war ihre Lehrerin. Jake mochte sie, und es schien ihr zu gefallen, die unteren Klassen zu unterrichten. Nog war jedoch eine Art Problemschüler. Zum einen mochten Ferengi nicht, daß Frauen ihnen sagten, was sie zu tun hatten. Zum anderen ließen sie sich leicht vom Unterrichtsstoff ablenken – sie mußten nur an Geld denken. Nog zuckte zusammen. »Ja«, sagte er zögernd. »Und ich werde ziemlich blöd aussehen, wenn er mir wirklich ein Ohr abreißt und mich zwingt, es zu essen, nicht wahr?« Als sie zum Klassenzimmer gingen, fügte er hinzu: »Ob er das wirklich ernst meint?« »Keine Ahnung«, erwiderte Jake. »Aber du kannst es ganz einfach herausfinden. Du mußt nur den Unterricht schwänzen. Willst du ein Ohr dafür riskieren?« Nog legte schützend die Hände auf die Ohren. Ferengi waren sehr eitel, was ihre großen, überaus empfindlichen Ohren betraf. »Auf keinen Fall!« 13
»Hab ich mir gedacht.« Insgeheim glaubte Jake nicht, daß Quark seine Drohung wirklich ernst meinte, aber wenn sie dazu beitrug, daß Nog auch weiterhin die Schule besuchte, spielte er gern mit. Außerdem hatte Jake von seinem Vater erfahren, daß Quark über die Ausbildung, die Nog zukam, nicht besonders begeistert war, vor allem, da er bei einer Erdenfrau in die Schule ging. Aber Quark war – wie alle Ferengi – Geschäftsmann und sah die Vorteile, die es mit sich brachte, auf jemanden zurückgreifen zu können, der die menschliche Denkweise verstand. Besonders, wenn es sich bei diesem Jemand um ein Familienmitglied handelte. Das würde es be trächtlich vereinfachen, einen menschlichen Kunden zu übervorteilen. Jake gefiel es in der Schule größtenteils eigentlich ganz gut. Mrs. O’Brien war nicht immer Lehrerin gewesen – als sie und ihr Mann auf der US S Enterprise gedient hatten, war sie Botanikerin gewesen, die sich auf außerirdisches Pflanzenleben spezialisiert hatte. Sie hatte also ein paar tolle und gleichzeitig wahre Geschichten zu erzählen und gestaltete den Unterricht in der Tat oft so, daß sie von ihren eigenen Abenteuern berichtete. Das machte ihn viel interessanter. Er und Nog trafen als letzte ein. Mrs. O’Brien unterrichtete nur ein Dutzend Schüler, und Jake war der älteste. Der jüngste war sechs Jahre alt. Abgesehen von Nog konnte Jake nur mit zwei anderen Schülern etwas anfangen – einem menschlichen Mädchen namens Ashley Fontana und einer Vulkanierin namens T’Ara. Die anderen waren einfach zu jung. Ashley war eine große Zehnjährige mit langem blondem Haar, das bis über ihre Schulterblätter fiel. Ihre Mutter war Technikerin, die mit Mrs. O’Briens Ehemann zusammenarbeitete. Ashley verehrte ihre Mutter abgöttisch und war entschlossen, ebenfalls Technikerin zu werden, wenn sie erwachsen war. Daher sprach sie gern darüber, wie man Geräte auseinandernahm und reparierte. Auf Deep Space Nine gab es 14
jede Menge Maschinen, die oft ausfielen. Die Station war von den Cardassianern erbaut worden, nachdem sie den Planeten Bajor erobert hatten, aber sie hatten keine besonders gute Arbeit geleistet. Ashley verstand sich eigentlich ziemlich gut darauf, etwas zu reparieren, wenngleich sie keineswegs so brillant war, wie sie manchmal glaubte. T’Ara war ein ganz anderer Fall. Sie war erst sieben Jahre alt, aber da sie Vulkanierin war, kam sie einem viel älter vor. Jake wußte, daß Vulkanier geistig viel schneller reiften als Menschen, so daß sie sich etwa auf einer Entwicklungsstufe mit ihm, Nog und Ashley befand. Andererseits war es manchmal nicht ganz einfach, mit ihr auszukommen. Die Vul kanier glaubten, es sei ein Fehler, Gefühle zu zeigen, weil man damit zuviel durcheinanderbringen konnte. Statt dessen benutzten sie mentale Übungen, um ihre Emotionen zu unterdrücken und ein Leben zu führen, das auf dem System der Logik beruhte. T’Ara war noch so jung, daß sie ihre Ausbildung manchmal vergaß und ihre Gefühle offenbarte. Das war ihr jedoch stets peinlich, und sie schämte sich dann zutiefst. Die meiste Zeit über kam man jedoch gut mit ihr aus. Wie viele Vulkanier hatte sie dunkles Haar, das auf der Stirn ganz gerade geschnitten war, ihre spitzen Ohren freiließ und dann bis auf den Nacken fiel. Ihre Brauen schwangen sich von der Nasenwurzel nach oben. Jake und Nog rutschten leise auf ihre Stühle vor den beiden Mädchen. Mrs. O’Brien sah sie an, sagte aber nichts, und sie aktivierten ihre Schulcomputer. Die Lehrerin stand vor der Klasse, um den Schülern einen Neuankömmling vorzustellen. Jake betrachtete ihn interessiert. Es handelte sich offensichtlich um einen jungen Bajoraner – die Furchen auf seinem Nasenrücken sprachen eine deutliche Sprache, und der Ring in seinem rechten Ohr war der letzte Beweis. Alle Bajoraner schienen Ohrringe zu mögen. Sie trugen sie wie Orden oder Trophäen. Der Junge schien in ihrem 15
Alter zu sein, und auf seinem schmalen Gesicht lag ein verdrossener, gelangweilter Ausdruck. Er sah sehr mager aus, als würde er nicht genug essen. Auf der rechten Seite seines Halses lief eine dünne, weiße Narbe hinab, die dann unter dem oberen Ende seiner Kleidung verschwand. Sein dunkles, lockiges Haar schien vor kurzem geschnitten worden zu sein. Er erweckte den Eindruck, als wolle er überall sein, nur nicht hier.
»Nachdem jetzt alle Schüler hier sind«, sagte Mrs. O’Brien betont zurückhaltend, »möchte ich euch Jakar Riv vorstellen. Er ist gerade auf die Station gekommen und wohnt bei seinem Onkel.« Sie lächelte den Jungen freundlich an. »Vielleicht möchtest du uns etwas von dir erzählen, Riv?« Jake wußte natürlich, daß bei den Bajoranern die Familiennamen zuerst und die Vornamen an zweiter Stelle 16
kamen. Daher nannte die Lehrerin den Jungen auch nicht Jakar, sondern Riv. Riv schaute auf und gähnte dann absichtlich. »Nein«, antwortete er. »Ich will nicht auf die Schule gehen und habe nicht vor hierzubleiben.« Er sah die anderen Schüler an. »Und ich will ganz bestimmt keinen dieser Schwächlinge kennenlernen.« Er verzog das Gesicht. »Was für ein Haufen von Verlierern.« Jake fühlte, wie er angesichts dieser absichtlichen Beleidigung rot anlief, bewahrte aber die Ruhe. Eine der Bajoranerinnen, Laren Marn, war nicht so zurückhaltend. Sie sprang auf und funkelte Riv mit wütendem Gesicht an. »Das nimmst du besser zurück«, fauchte sie. Riv lachte nur. »Und wenn ich es nicht tue?« verhöhnte er sie. »Wie willst du mich dazu zwingen?« »Das reicht jetzt!« Mrs. O’Brien trat vor Riv und drehte sich dann zu Marn um. »Setz dich«, befahl sie. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle Marn ihr nicht gehorchen, doch dann runzelte sie die Stirn und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Die Lehrerin drehte sich wieder zu Riv um. »Das war absicht lich unhöflich«, sagte sie eisig. »Ich werde so etwas in meinem Unterricht nicht dulden.« Riv zuckte völlig unbeeindruckt mit den Achseln. »Dann schicken Sie mich doch nach Hause«, schlug er vor. »Sie wollen mich nicht hier haben; ich will nicht hier sein. Warum kann ich nicht einfach gehen?« »Weil du hier etwas lernen sollst«, antwortete Mrs. O’Brien. »Und als erstes mußt du ein paar Manieren lernen. Du kannst deine Mitschüler nicht einfach beleidigen.« »Sie sind nicht wie ich«, sagte Riv verdrossen. »Sehen Sie sie doch an! Verweichlicht, fett und faul, das sind sie! Ich wette, keiner von ihnen hat sich je vor einer cardassianischen Patrouille verstecken oder etwas zu essen stehlen müssen, nur um zu überleben.« 17
»Das stimmt«, gab Nog ihm unerwartet recht. »Ich stehle Essen, weil es Spaß macht.« Er brach in lautes Gelächter aus. Riv runzelte angesichts dieser Unterbrechung die Stirn. Am meisten schien ihn zu ärgern, daß Jake und Ashley versuchten, nicht zu kichern. Jake wurde klar, daß der junge Bajoraner die Vorstellung nicht mochte, sie würden sich über ihn lustig machen. Jake kämpfte gegen den Drang zu lachen an, der in ihm immer stärker wurde, und schaffte es tatsächlich, den Bajoraner zu fragen: »Du mußtest dich also verstecken?« »Allerdings«, sagte Riv, und das eindringliche Funkeln in seinen Augen lud sie ein, erneut zu lachen – und eine Faust ins Gesicht zu bekommen. »Meine Eltern waren beide im bajoranischen Untergrund. Ich wurde dazu erzogen, gegen die Cardassianer zu kämpfen. Keiner von euch Schwächlingen hat je so etwas getan. Während ihr euer ABC gelernt habt, habe ich mit einem Phaser um mein Leben gekämpft!« Jake begriff allmählich, warum Riv so wütend war. Er hatte das Leben eines Flüchtlings geführt und nie ein ordentliches Zuhause gehabt. »Was ist mit deinen Eltern passiert?« fragte er. »Meine Mutter wurde bei einem Angriff getötet«, erwiderte Riv. In seiner Stimme lag starker Schmerz. »Und meinen Vater haben die Cardassianer gefangengenommen. Er starb in einem cardassianischen Gefängnis. Sie brauchten drei Monate, um ihn zu töten.« Er berührte die dünne Kette, die an seinem Ohr baumelte. »Die hat früher ihm gehört. Sie ist das einzige Erinnerungsstück an ihn, das mir geblieben ist. Er hat sie mir geschenkt, bevor er zu seiner letzten Mission aufbrach, um mir damit zu zeigen, daß ich als Mann galt.« Der Junge tat Jake leid, doch er verstand nun teilweise, wieso er sich so benahm. »Meine Mutter wurde von den Borg getötet«, sagte er. »Ich weiß, wie schwer das ist. Und jetzt wohnst du bei deinem Onkel?« 18
»Bei ihm?« rief Riv. »Nur, weil man mich dazu gezwungen hat! Er hat nicht für unseren Planeten gekämpft! Er ist ein Feigling, und ich hasse ihn!« Der Bajoraner sah sich in dem Klassenzimmer um. »Genauso, wie ich euch hasse!«
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Nach einem Augenblick des verlegenen Schweigens sagte Mrs. O’Brien: »Schön, daß du dich auf den Unterricht freust, Riv.« Einige Schüler lachten leise über die Bemerkung. »Ich halte es für das Beste, wenn du vorerst neben Jake sitzt«, fuhr sie fort. Da jede Menge Pulte unbesetzt waren, wurde Jake klar, daß sie diese Entscheidung aus einem bestimmten Grund getroffen hatte. Eine Minute lang sah es so aus, als würde Riv sich weigern. Dann zuckte er gleichgültig mit den Achseln. »Ja, warum nicht?« sagte er und ließ sich auf den Stuhl neben Jake fallen. »Danke«, sagte die Lehrerin. »Kannst du den Computer bedienen? Wenn nicht, wird Jake dir sicher gern helfen.« »Damit komme ich schon klar«, sagte Riv und funkelte Jake wütend an. »Mir braucht keiner zu helfen, bei nichts!« Er drückte auf die Kontrollfläche, und der Bildschirm erhellte sich. »Sehen Sie?« »Sehr schön«, sagte Mrs. O’Brien. »Heute fangen wir mit dem Biologieunterricht an, Kinder. Ich möchte euch bitten, die Datei über die Gorn aufzurufen.« »Ich würde lieber etwas über die cardassianische Biologie lernen«, murrte Riv. Jake grinste. »Ist die interessanter?« fragte er. »Könnte schon sein«, erwiderte Riv. »Vielleicht finde ich eine neue Möglichkeit, einen umzubringen.« »Das reicht jetzt«, sagte Mrs. O’Brien nachdrücklich. »Riv, der Krieg ist vorbei, und du mußt lernen, wieder ein normales Leben zu führen und etwas aus dir zu machen.« »Ich möchte lediglich damit weitermachen«, erwiderte Riv, »womit meine Eltern angefangen haben. Alles andere ist mir egal. Ich will nur dafür sorgen, daß die Cardassianer für das bezahlen, was sie angerichtet haben.« 20
»Es gibt noch andere Dinge im Leben«, antwortete Mrs. O’Brien. »Du solltest wirklich versuchen, dich damit abzufinden. Aber wenn du das nicht möchtest, laß wenigstens die anderen etwas lernen.« Riv zuckte mit den Achseln. »Mir doch egal, was sie machen.« »Wie freundlich von dir«, sagte die Lehrerin. »Na schön, wenn ihr alle die Datei gefunden habt, werdet ihr feststellen, daß die Gorn eine reptilienähnliche Spezies sind. Die erste Begegnung mit ihnen...« Jake versuchte sich auf den Unterricht zu konzentrieren, doch seine Aufmerksamkeit richtete sich immer wieder auf Riv. Der bajoranische Junge saß über sein Pult gebeugt und schaute gelangweilt und verärgert drein. Offensichtlich wäre er lieber woanders gewesen. Er war voller Wut und Schmerz. Jake konnte das verstehen. Riv mußte jahrelang vor den cardassianischen Soldaten geflohen sein – immer müde, immer hungrig und immer in Gefahr. Er hatte bei den Kämpfen beide Eltern verloren und wohnte jetzt bei einem Onkel, den er eindeutig verachtete. Es würde ihm schwerfallen, sich an dieses neue Leben anzupassen – einmal vorausgesetzt, er versuchte es überhaupt. Das schien im Augenblick nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Wenigstens störte Riv nicht mehr den Unterricht. Er blieb den Rest des Morgens über verdrossen und still. Schließlich war es an der Zeit für das Mittagessen, und Mrs. O’Brien schickte sie in die Pause. Jake und Nog gingen zu dem kleinen Replikator, der sich in der Ecke des Klassenzimmers befand. Ashley und T’Ara begleiteten sie. Riv versuchte, uninteressiert zu wirken, schlenderte jedoch hinter ihnen her. »Hoffentlich funktioniert das Ding jetzt«, beschwerte sich Nog.
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Ashley errötete. Der Nahrungsmittel-Replikator im Klassenzimmer war fast jeden Tag kaputt. Ashley hatte darauf bestanden, ihn reparieren zu können – und es bislang sechsmal versucht. Chief O’Brien hatte es ihr erlaubt, weil sie »es nicht noch schlimmer machen kann, als es schon ist«. Jedesmal, wenn der Replikator instand gesetzt wurde, fiel er kurz darauf wieder aus. »Er funktioniert ganz bestimmt«, versprach sie. »Ich bin gestern nach dem Unterricht hiergeblieben und habe ihn auseinandergenommen. Ich habe alles überprüft. Er wird jetzt ganz bestimmt richtig arbeiten.« »Das hast du gestern auch schon gesagt«, murrte Nog. »Und vorgestern ebenfalls.« »Na ja, vielleicht hat sie ihn ja wirklich repariert«, sagte Jake zu seinem Freund. Ashley war ihr ständiges Scheitern schon peinlich genug; auf Nogs Beschwerden konnte sie verzichten. »Wir können es ja mal versuchen.« Er baute sich vor dem Gerät auf und sprach den Computer an. »Ich hätte gern eine Limonade, einen Hamburger und Kartoffeln«, sagte er. Es folgte eine kurze Pause, und dann schimmerte etwas in der kleinen Kammer. Auf dem Vorsprung erschien eine Schüssel.. »Ist ja toll!« knurrte Riv. »Was ist denn das?« Ashley errötete heftig; ihr Gesicht lief tomatenrot an. »Eintopf und Käsekuchen«, zischte sie. »Schon wieder.« Der junge Bajoraner starrte es an. »In einer Schüssel?« Angewidert streckte er die Zunge heraus. »Ich habe schon Besseres gegessen, als ich auf den Müllkippen nach Nahrung gesucht habe.« »Das sollte das Gerät auch nicht produzieren«, informierte T’Ara ihn. »Ehrlich nicht?« Riv grinste Ashley gehässig an. Ashley war der Fehlschlag zu unangenehm, als daß sie wegen dieser unangemessenen Beleidigung allzu wütend 22
geworden wäre. »Ich verstehe es einfach nicht«, beklagte sie sich. »Ich war überzeugt, das Gerät repariert zu haben.« »Ich verstehe es dafür sehr gut«, sagte Riv. »Du bist einfach ein nutzloser Trottel, wie alle anderen hier auch.« »Das reicht jetzt«, sagte Jake nachdrücklich. »Ashley gibt ihr Bestes. Also hacke nicht auf ihr herum.« »Und wie willst du das verhindern?« sagte Riv herausfordernd und drehte sich zu ihm um. Er schien sich liebend gern prügeln zu wollen. »Na los – versuch’s doch!« Bevor Jake reagieren konnte, trat Mrs. O’Brien dazwischen. »In meinem Unterricht wird es keine Schlägerei geben«, sagte sie. »Riv, bitte höre auf damit, alle zu beleidigen. Jake, vielleicht könntest du mit Nog in mein Büro gehen, und ihr holt aus dem Replikator dort uns allen etwas zum Mittagessen?« Jake funkelte Riv an. Der andere Junge sollte begreifen, daß er keine Angst vor ihm hatte. Dann nickte er. »Sicher«, stimmte er zu. Sie hatten es schon die gesamte Woche über so gehandhabt. »Das verstehe ich nicht«, beklagte Ashley sich erneut. Sie schüttelte den Kopf. »Ich nehme ihn nach dem Unterricht wohl lieber noch mal auseinander.« T’Ara nickte ernst. »Ich werde dir helfen«, bot sie an. Riv verdrehte lediglich voller Abscheu die Augen. Aber er sagte Jake, was er zum Mittagessen haben wollte, und fiel dann heißhungrig darüber her, als Jake und Nog mit dem Essen zurückkamen. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, regelmäßige Mahlzeiten einzunehmen; soviel stand fest. Der Rest des Unterrichts verlief ziemlich glatt, hauptsächlich, weil Riv sich schwer bemühte, den Anschein zu erwecken, er würde ihn verschlafen. Mrs. O’Brien ließ sich davon nicht provozieren und tat so, als würde er ihr seine volle Aufmerksamkeit schenken. Jake war sich nicht sicher, ob sie bei Riv etwas erreichte, doch zumindest half sie damit allen anderen. 23
Nach Unterrichtsschluß ›erwachte‹ Riv plötzlich und schoß zur Tür hinaus. Ashley und T’Ara traten zum Replikator, um ihn erneut auseinanderzunehmen. Jake und Nog gingen gemeinsam zur Promenade zurück. »Was hältst du von Riv?« fragte Jake seinen Ferengi-Freund. »Nichts«, erwiderte Nog. »Ich habe nicht die Absicht, überhaupt an ihn zu denken. Ich denke viel lieber an den Frachter, den wir heute morgen gesehen haben.« »Er scheint sehr unglücklich zu sein«, fuhr Jake fort. »Glaubst du, er wird sich an das Leben hier gewöhnen?« Nog zuckte mit den Achseln. »Das wäre besser für ihn. Aber wen interessiert das schon?« Er grinste. »Sprechen wir über wichtige Dinge. Über Geld zum Beispiel.« »Nog, das ist wichtig«, erwiderte Jake. »Menschen«, murmelte Nog. Bei ihm klang das Wort wie eine Beleidigung. »Hör zu, Rivs Onkel arbeitet für meinen Onkel in der Bar. Ich habe den Mann kennengelernt – er ist ein fetter Faulpelz und hat die Persönlichkeit eines toten Fisches. Kein Wunder, daß Riv den Burschen nicht mag. Auch sonst kann keiner ihn leiden. Also denke ich, daß Rivs Probleme die seinen sind; mein Problem ist es, etwas Geld aufzutreiben. Warum konzentrierst du dich nicht darauf?« Jake seufzte. Nog war offensichtlich nicht interessiert. Er wußte nicht genau, warum ihm selbst etwas an dem jungen Bajoraner lag, doch Riv tat ihm einfach leid. Er hatte ein schweres Leben geführt, und jetzt hatte es ihn hierher verschlagen. Vielleicht konnte er ihm irgendwie helfen – aber wie? Ashley biß sich auf die Unterlippe und konzentrierte sich auf die Computerplatine, die sie untersuchte. Eine Strähne ihres blonden Haars fiel ihr in die Augen. Sie schob sie zur Seite und bemerkte nicht einmal, daß ihre Finger einen dunklen, öligen 24
Streifen auf ihrer Haut zurückließen. Irgend etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. »Hast du das Problem gefunden?« fragte T’Ara und zog eine ihrer geschwungenen Brauen hoch. »Ich glaube schon«, erwiderte Ashley. »Ich habe diesen Chip gestern überprüft. Er gehört zum Kommando-KodeMechanismus. Zwischen diesen beiden Punkten war eine kleine Querschaltung. Ich habe sie entfernt, und danach hätte das Gerät funktionieren müssen.«
T’Ara sah auf die Platine hinab. An der Stelle, auf die Ashley zeigte, machte sie eindeutig ein metallenes Schimmern aus. »Anscheinend ist die Querschaltung noch vorhanden«, stellte sie fest. »Nicht noch«, stellte Ashley klar. »Schon wieder.« Sie schlug mit der Platine auf ihre Handfläche. »Weißt du, wie das
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für mich aussieht? Ich glaube, jemand sabotiert meine Reparaturen absichtlich.« T’Ara zog erneut eine Braue hoch. »Bist du sicher?« fragte sie. »Das ist die einzige logische Antwort«, erwiderte Ashley. »Ich habe versucht, ein beschädigtes Teil oder ein anderes Problem zu finden. Ich dachte, das Gerät sei einfach schon wieder kaputt. Aber das ist kein Zufall. Jemand hat die Querschaltung absichtlich eingebaut, denn ich weiß ganz genau, daß ich sie gestern herausgenommen habe.« Das vulkanische Mädchen runzelte leicht die Stirn. »Aber wer würde so etwas tun?« wandte sie ein. »Und warum?« »Keine Ahnung«, gestand Ashley ein. »Aber wenn ich es herausfinde, wird derjenige, der mir das eingebrockt hat, dafür bezahlen. Das verspreche ich dir. Er oder sie wird es bedauern.«
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Jake blieb vor dem Wohnquartier stehen, das er sich mit seinem Vater teilte. Trotz der Tatsache, daß Commander Benjamin Sisko das Kommando über Deep Space Nine hatte, waren ihre Räume auf der Station kleiner als diejenigen, die sie woanders – hauptsächlich auf Raumschiffen – gehabt hatten. Jake hielt das Quartier nicht für sein ›Zuhause‹ – es waren nur Räume, in denen man schlief, lernte und Sachen verstaute. Er warf einen Blick auf das Computerpaneel und stellte fest, daß sein Vater noch etwa eine Stunde lang Dienst haben würde. Das bedeutete, daß er selbst noch eine Stunde Freizeit hatte. Er schaute zu dem Baseball und dem Fängerhandschuh auf seinem Tisch hinüber. Ein Spiel in einer Holo-Kammer? Nein, danach stand ihm im Augenblick wirklich nicht der Sinn. Vielleicht nach dem Abendessen. Momentan konnte er nur an eins denken: an Jakar Riv. Der Junge tat ihm noch immer leid, und er fragte sich, was er tun konnte, damit der Bajoraner sich auf DS Nine etwas mehr zu Hause fühlte. Zu Hause! Jake schüttelte den Kopf. Er selbst war eigentlich auch nicht der Ansicht, die Station sei sein Heim. Wie wollte er da Riv helfen? Schließlich war Commander Sisko auf vier Raumschiffen und zwei planetarischen Basen stationiert gewesen, an die Jake sich erinnern konnte. Starfleet konnte ihn von einem Tag zum anderen erneut versetzen, und Jake würde seinen Vater dann begleiten und all seine Freunde auf der Station zurücklassen müssen. Riv hingegen schien hier festzuhängen, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Jake entschloß sich, zu Quarks Spielkasino hinüberzugehen. Nog würde dort sein, also würde er zumindest mit jemandem reden können, und vielleicht würde er auch Riv begegnen. Ob das nun gut oder schlecht war, konnte Jake nicht sagen. 27
Im Zentrum von Deep Space Nine befand sich die Promenade. Sie war eine Art Einkaufszentrum im Weltraum. Nogs Onkel Quark gehörte dort ein großes Unternehmen, das eine Bar, ein Restaurant, ein Spielkasino und zahlreiche HoloKammern umfaßte. Besucher und Personal konnten dort essen, trinken und spielen und gaben oft eine Menge Geld aus. Wie alle Ferengi liebte Quark es, Geld zu verdienen. Wie üblich war es sehr voll dort, als Jake das Restaurant betrat. Er erblickte Nog etwa zur gleichen Zeit, als der junge Ferengi ihn bemerkte. »Ist Rivs Onkel hier?« fragte Jake ihn. Nog verzog das Gesicht. »Sind wir jetzt wieder bei diesem Thema? Ich weiß gar nicht, warum du an diesen schrecklichen Satansbraten auch nur denkst.« Jake mußte unwillkürlich grinsen. »Das haben auch alle zu mir gesagt, als ich mich mit dir angefreundet habe.« »Das ist etwas ganz anderes«, beschwerte Nog sich. Dann zeigte er mit dem Finger durch die Bar. »Da drüben, das ist er – der Typ, der wie eins dieser Erdgeschöpfe aussieht, die wir im Unterricht durchgenommen haben. Du weißt schon, ein Walroß.« Rivs Onkel arbeitete an einem der Spieltische, und Jake wurde klar, warum Nog ihn Walroß genannt hatte. Der Bajoraner war sehr groß und dick, und unter der gefurchten Nase trug er einen gewaltigen, stachlig aussehenden Schnurrbart, der auf beiden Seiten des Gesichts mehrere Zentimeter hervorstand. Mit seinem dunklen Haar und den kleinen Augen ähnelte der Mann tatsächlich einem Walroß an einem Strand. Und sein ewiges Stirnrunzeln wirkte auch nicht gerade ermutigend. »Er sieht nicht besonders freundlich aus«, sagte Jake. »Ist er auch nicht«, sagte Nog mürrisch. »Mir ist klar, wieso Riv Probleme mit ihm hat.«
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»Das ist nur ein Grund«, sagte Riv. Jake wirbelte herum. Er hatte gar nicht gemerkt, daß der junge Bajoraner sich angeschlichen hatte, bis er unmittelbar hinter ihm stand. »Du hast mich erschreckt!« sagte er. »Ich habe dich gar nicht kommen hören.« »Ich war im bajoranischen Untergrund«, erinnerte Riv ihn. »Da lernt man es, leise zu sein. Wenn man es nicht ist, ist man sehr schnell tot. Schon zufrieden? Oder willst du noch etwas herumschnüffeln und dich in mein Privatleben einmischen?« Jake fühlte, daß er errötete. »Ich wollte dir nur helfen«, murmelte er. »Tja, hilf mir lieber nicht!« schnaubte Riv. »Ich habe schon genug Hilfe bekommen. Wären diese Wohltäter nicht gewesen, die sich überall einmischen, wäre ich noch auf Bajor. Statt dessen hänge ich jetzt auf dieser blöden Raumstation herum, muß mit einer Menge dummer Trottel eine blöde Schulbank drücken und wohne bei einem Onkel, der mich haßt. Verstehst du jetzt, warum es mir hier nicht gefällt?« Jake nickte. »Ja«, sagte er. »Es hätte für dich wohl kaum viel schlimmer kommen können, was?« Er lächelte. »Warum versuchst du statt dessen nicht, es dir etwas besser zu machen? Nog und ich würden dich gern zur Arkade mitnehmen.« Er stieß seinen Ferengi-Freund unauffällig an. »Nicht wahr?« »Ja, klar«, sagte Nog ohne die geringste Begeisterung. »Ich hänge gern mit asozialen Parasiten rum, die sich nicht benehmen können.« Nog war ihm ja eine schöne Hilfe! »Das war nur ein Scherz«, sagte Jake zu Riv und hoffte inbrünstig, der Bajoraner würde ihm glauben. »Klar. Ich habe schon viel vom Sinn der Ferengi für Humor gehört.« Er lächelte bissig. »Es heißt, man muß einen Ferengi in sehr kleine Stücke schneiden, um ihn zu finden.« Das würde offensichtlich nicht klappen. »Hör mal«, sagte Jake seufzend, »das Angebot steht. Wenn du einen Freund 29
brauchst... du weißt, wo du mich findest. Bis dahin...« Als er merkte, daß Riv ihm gar nicht zuhörte, hielt er mitten im Satz inne. Der Bajoraner hatte die Augen zusammengekniffen und zischte leise, während er an Jake und Nog vorbeischaute. Verwirrt drehte Jake sich um; er wollte feststellen, was Rivs Aufmerksamkeit erregt hatte. Es war Garak, der Schneider. Er war als einziger Cardassianer zurückgeblieben, als die Besatzungsarmee Deep Space Nine verlassen hatte. Wie alle Cardassianer war Garak groß und schlank. Sein langer Hals endete in einem entfernt reptilienähnlichen Kopf, dessen Haut grau war und einen minimalen Hauch von Schuppen aufwies. Trotz seines grausa men Äußeren hatte er tiefliegende Augen, in denen gelegentlich mehr als nur ein Funke Humor aufblitzte. Jake hatte sich bislang nur einmal mit ihm unterhalten, mochte ihn aber ganz gut leiden. »Es sind noch immer Cardassianer auf dieser Station?« flüsterte Riv, und sein Mund zuckte an den Rändern wütend. »Ihr habt sie nicht alle umgebracht?« »Wir haben keinen von ihnen umgebracht«, erwiderte Jake. »Der Krieg ist vorbei. Schon vergessen? Bis auf Garak sind alle abgezogen. Ihm gehört das Bekleidungsgeschäft auf der Promenade.«
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»Ihr habt gut reden, daß der Krieg vorbei ist«, sagte Riv wütend. »Eure Eltern haben die Cardassianer ja nicht ermordet. Man sollte ihn aus der nächsten Luftschleuse werfen, damit er Vakuum atmet.« »Garak ist in Ordnung«, erwiderte Jake. »Er ist kein Soldat, sondern Ladenbesitzer.« »Alle Cardassianer sind gleich«, fauchte Riv. »Mörder. Es heißt, wir oder sie.« Er kniff die Augen erneut zusammen. »Und ich werde das regeln.« Jake gefiel der Klang dieser Drohung nicht. Riv schien eine Person zu sein, die wirklich zu Ende brachte, was sie sich vornahm. »Mach keine Dummheiten«, warnte er ihn. »Dumm war es, eins dieser Ungeheuer auf die Station zu lassen«, knurrte Riv. Dann stürmte er davon. Einen Augenblick lang herrschte Stille, und dann grinste Nog. »Du hast damit wohl bewiesen, daß Riv tatsächlich so schlecht ist, wie sein Onkel behauptet. Können wir jetzt etwas Interessantes unternehmen? Es muß eine Möglichkeit für mich geben, Geld zu verdienen. Wenn ich nur wüßte, welche...« Jake schenkte ihm keine große Aufmerksamkeit. Wollte Riv dem Schneider tatsächlich etwas antun? Und wenn ja – was? Sollte er es seinem Vater sagen, damit der Riv unter Beobachtung stellen ließ? Oder war das genau das, was Riv wollte? Falls er es seinem Vater sagte, bestand nicht mehr die geringste Aussicht, daß Riv ihn eines Tages als Freund akzep tieren würde. Er seufzte. Was auch immer er tat, es würde sich wahrscheinlich als das Falsche erweisen. Wie konnte man in solch einer Lage überhaupt eine Entscheidung treffen? Am folgenden Morgen trafen Jake, Ashley und T’Ara fast gleichzeitig im Unterrichtsraum ein. »Habt ihr den Replikator reparieren können?« fragte er sie. »Ja«, erwiderte Ashley. »Aber wir haben eine wirklich interessante Entdeckung gemacht. Jemand hat das Gerät so manipuliert, daß es nur Eintopf und Käsekuchen herstellt.« 32
»Aber wer sollte so etwas tun?« fragte Jake verwirrt. »Die Antwort darauf konnten wir noch nicht herausfinden«, erwiderte T’Ara. »Aber Ashley ist eine Möglichkeit eingefallen, das Problem zu lösen.« »Ist ja toll«, sagte Jake anerkennend. Doch bevor er weitere Fragen stellen konnte, betrat Mrs. O’Brien das Klassenzimmer. Nog folgte ihr und rutschte auf seinen Platz. Die beiden Mädchen setzten sich ebenfalls. Als sie alle ihre Computer einschalteten, schlenderte Riv herein; er hatte die Hände in den Taschen stecken und schaute ausgesprochen gelangweilt drein. Jake war ziemlich verblüfft, daß der junge Bajoraner überhaupt zum Unterricht erschienen war, nickte ihm jedoch zu. Riv ignorierte ihn jedoch und nahm auf dem Stuhl Platz, auf dem er auch am Vortag gesessen hatte. »Also schön«, sagte Mrs. O’Brien. »Heute steht Geschichte auf dem Unterrichtsplan. Wer kann mir sagen, wer den Warpantrieb erfunden hat?« Ashleys Hand schoß in die Luft. »Zephram Cochrane«, sagte sie. »Im Jahr 2061.« Sie grinste. »Das war ganz einfach. Eigentlich...« Sie hielt inne, als die Tür sich zischend öffnete. Zwei Erwachsene betraten den Raum. Der eine war Garak, der cardassianische Schneider, der ziemlich unglücklich dreinschaute. Der andere war Odo. Odo war durchaus nett, hatte aber etwas sehr Unheimliches an sich. Er war der Constable der Station und hielt Gesetz und Ordnung aufrecht. Er trug stets eine braune Uniform, hatte ein ernstes Gesicht aufgesetzt und sah einigermaßen menschlich aus, wenn auch auf unvollendete Art und Weise. In seinem Ge sicht gab es zum Beispiel keine einzige Falte, und mit seinen Ohren stimmte auch etwas nicht. Sein Haar sah wie eine Perücke aus, und seine Augen schienen ein wenig zu tief zu liegen. Der Grund dafür war ganz einfach: So sehr Odo sich auch bemühte, menschenähnlicher konnte er einfach nicht 33
aussehen. Er war nicht ganz das, was er zu sein schien. In seinem natürlichen Zustand sah er wie eine Gallertpfütze aus. Aber er war imstande, jede Gestalt anzunehmen, die ihm beliebte, indem er sich einfach darauf konzentrierte. Er schaute stets grimmig drein. Jake vermutete, daß das Amt des Polizisten der Station nicht gerade der Beruf war, bei dem man unentwegt lächelte. Odo erweckte jedoch den Anschein, als hätte er nie gelernt, wie man lächelte. Im Augenblick sah er so wütend aus, daß man glauben mochte, er könnte Milch mit einem einzigen Blick sauer werden lassen. »Entschuldigung«, sagte er höflich, aber nachdrücklich zu Mrs. O’Brien. »Aber ich muß ein paar Worte mit Ihren Schülern wechseln.« »Natürlich.« Die Lehrerin schaute verwirrt drein. »Stimmt etwas nicht, Odo?« »Allerdings.« Sein Blick glitt durch den Raum und über die schweigenden Schüler. »Anscheinend gibt es hier einen Dieb.« Sein Blick richtete sich direkt auf Nog.
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»Warum sehen Sie mich an?« fragte der Ferengi trotzig. »Ich habe nichts getan!« »Habe ich das etwa behauptet?« fragte Odo. »Vielleicht hast du ein schlechtes Gewissen?« Bevor Nog antworten konnte, hob er die Hand. »Garak kam heute morgen mit einer Beschwerde zu mir, und ich gehe ihr nach. Anscheinend hat jemand mehrere Kleidungsstücke aus seinem Laden gestohlen.« »Ich habe nicht gesehen, wer es war«, warf Garak ein und rang unbehaglich die Hände. »Nur eine kleine Gestalt in der Dunkelheit. Als ich im Laden Licht gemacht hatte, war der Täter verschwunden.« »Falls überhaupt jemand etwas gestohlen hat«, sagte Riv schnaubend. »Wir haben dafür nur sein Wort – und ich würde einem Cardassianer nur so weit vertrauen, wie ich einen anspucken kann.« Odo musterte den jungen Bajoraner. »Ah, ja – Jakar Riv, nicht wahr? Ich habe schon viel von dir gehört. Allerdings nichts Gutes.« »Und ich habe schon viel von Ihnen gehört«, erwiderte Riv. »Sie haben für die Cardassianer gearbeitet, als sie diese Station führten, nicht wahr? Und jetzt helfen Sie einem dieser Ungeheuer, uns des Diebstahls zu bezichtigen.« »Meine Aufgabe ist es, den Frieden zu bewahren und Gerechtigkeit zu schaffen«, antwortete Odo. »Es spielt keine Rolle, wer die Leitung über die Station hat – ich sorge für Gerechtigkeit. Und ich habe nicht nur Garaks Wort. Ich habe seine Computerdateien überprüft, und die betreffenden Gegenstände fehlen tatsächlich. Bekleidung für ein Mädchen – gestohlen von einem kleinen Dieb.« »Sehen Sie mich doch nicht an!« protestierte Nog. »He! Sie haben gerade gesagt, Bekleidung für ein Mädchen sei 35
gestohlen worden. Vielleicht war es eine von ihnen!« Er zeigte durch das Klassenzimmer, ohne den Finger auf jemanden zu richten. »Herrje, vielen Dank«, sagte Ashley sarkastisch. »Glaubst du etwa, ich würde Kleidung stehlen? Nichts da!« »Und Vulkanier stehlen nicht«, fügte T’Ara hinzu und schaute trotz ihres angeblichen Mangels an Emotionen etwas selbstgefällig drein. »Und sie lügen auch nicht«, pflichtete Odo ihr bei. Dann musterte er sie eindringlich. »Aber wenn eine Vulkanierin zu dem einen fähig wäre, wäre sie auch zu dem anderen imstande, nicht wahr?« Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich an Laren Marn. »Was ist mit dir?« fragte er. »Was soll mit mir sein?« erwiderte sie und runzelte die Stirn. »Glauben Sie etwa, ich hätte diesem Cardassianer etwas gestohlen? Ich würde seine Waren nicht mal anfassen.« Odo schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht erwartet, von dem Dieb ein Geständnis zu bekommen. Aber wer auch immer es war, ich verspreche euch, ich werde diese Person fassen. Und bestrafen.« Er sah sich wieder langsam in dem Raum um. »Also seid gewarnt. Sollte es noch so einen Zwischenfall geben, werde ich sehr verärgert sein.« Mit einem höflichen Nicken in Mrs. O’Briens Richtung marschierte er aus dem Raum. Garak zuckte hilflos mit den Achseln und folgte ihm. »Ich bin noch immer der Ansicht, daß er lügt«, murmelte Riv, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. »Das ist der Volkssport der Cardassianer. Er versucht nur, uns Scherereien zu machen.« »Warum sollte er das tun?« fragte Jake verwirrt. »Weil er ein Cardassianer ist, du Idiot!« fauchte Riv. »Es macht ihnen einfach Spaß, andere Leute in Schwierigkeiten zu bringen.« »Dann mußt du ein verkleideter Cardassianer sein«, sagte Ashley kalt. »Denn etwas anderes machst du auch nicht.« 36
Riv erbleichte. »Nimm das zurück«, schnaubte er. »Oder ich breche dir das Genick.« »Ach ja?« Ashley rümpfte die Nase. »Ich habe keine Angst vor dir.« »Das reicht!« unterbrach Mrs. O’Brien sie ruhig, aber nachdrücklich. »Ashley, es besteht kein Grund, mit Riv Beleidigungen auszutauschen. Und für dich besteht kein Grund, eine Prügelei anzufangen, Riv. Ihr müßt lernen, mit anderen Leuten auszukommen. Sogar mit Cardassianern«, fügte sie hinzu. Riv beruhigte sich etwas. »Oh, ich komme mit Cardassianern aus«, erwiderte er und grinste. »Mit toten. Und diesem verlogenen Schneider werde ich es schon zeigen. Warten Sie nur ab.« »Das werde ich«, sagte die Lehrerin, »aber jetzt ist erst mal Unterricht angesagt – für euch alle.« Jake schaute wieder auf den Computermonitor, doch seine Gedanken konzentrierten sich noch immer auf Riv. In den Augen des Jungen hatte ein Blick gelegen, der zu besagen schien, daß er es ernst meinte. Jake war überzeugt, daß Riv sich bereits eine Möglichkeit ersonnen hatte, es Garak heimzuzahlen. Sein Haß auf die Cardassianer war nicht schwächer geworden. Wenn überhaupt, schien er ständig stärker zu werden. Und sein Zorn schien sich nun auf Garak zu richten. Dann war da noch dieser Diebstahl. Er glaubte zwar nicht, daß Nog der Täter war, aber... na ja, Nog könnte es vielleicht doch gewesen sein. Er hatte den gesamten vergangenen Abend davon gesprochen, Geld verdienen zu wollen. Oder Riv hatte es getan, um sich an einem Cardassianer zu rächen. Aber warum sollte einer der beiden Mädchenkleidung stehlen? Je mehr er darüber nachdachte, desto größer wurde seine Über zeugung, daß Riv sich nicht mit so einer Kleinigkeit abgab. Und was Nog betraf – er wollte Geld verdienen. Angenommen, 37
er hatte die Kleidungsstücke tatsächlich gestohlen – an wen wollte er sie verkaufen? Nun wußte doch jeder, daß es sich um Diebesgut handelte. Das war einfach nicht logisch. Und er konnte sich nicht vorstellen, daß eins der Mädchen in seiner Klasse den Diebstahl begangen hatte. Ashley wäre zwar fähig, die Alarmanlage auszuschalten, doch er konnte sich nicht vorstellen, daß sie einen Diebstahl beging. Und was T’Ara betraf – sie tat niemals etwas ohne einen guten, logischen Grund. Marn verabscheute Garak zu sehr, um sich seinem Laden auch nur zu nähern. Und die anderen Mädchen waren einfach zu jung, um auch nur an einen Diebstahl zu denken oder ihn gar durchzuführen. Schließlich kam die Mittagspause. Mrs. O’Brien betrachtete ziemlich nervös den Replikator. »Hast du dieses Ding repariert, Ashley?« fragte sie. »O ja«, versicherte Ashley ihr. »T’Ara und ich haben es gestern gemeinsam in Ordnung gebracht.« »Dann wird es jetzt funktionieren?« fragte die Lehrerin. »Das bezweifle ich«, sagte Ashley fröhlich. »Außer, Sie bestellen Eintopf und Käsekuchen.« Bevor Mrs. O’Brien sie fragen konnte, was sie damit meinte, ging sie zu dem Replikator hinüber. »Blaubeerkuchen und Schokoladeneiscreme«, bestellte sie. Nach einer kurzen Verzögerung materialisierte langsam eine Schüssel in der Kammer. Jake starrte sie an. Heißer, dampfender Eintopf, in dem ein Stück Käsekuchen schmolz...
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Seltsamerweise schien Ashley gar nicht wütend zu sein. Statt dessen löste sie die Schalttafel auf der Seite des Geräts. Mit einer Sonde zog sie eine der Platinen heraus. »Wie ich es mir gedacht habe«, sagte sie zufrieden und deutete auf einen kleinen Draht, der um die Kontakte gewickelt war. »Aber du hast diesen Draht gestern abend doch entfernt«, sagte T’Ara und bemühte sich, ihr Gesicht unbewegt zu halten. »Und jemand hat ihn wieder dort angebracht«, sagte Ashley. »Das beweist, daß die Probleme mit dem Replikator kein Zufall sind.« »Ist ja toll«, sagte Jake. »Aber das hilft uns nicht, endlich herauszufinden, wer es getan hat.« »O doch«, sagte Ashley selbstgefällig. »Als ich überzeugt war, daß der Replikator absichtlich sabotiert wird, habe ich ein Programm geschrieben und eingefügt. Wer auch immer diesen 39
Chip neu verdrahtet hat, er muß ihn dabei berührt haben. Das Programm hat das Bioprofil des Schuldigen gespeichert.« Sie zog einen kleinen Tricorder aus ihrem Gürtel. »Ich habe Zugang zu den Dateien jeder Person an Bord der Station bekommen und muß sie nur noch mit den Meßergebnissen von diesem Chip vergleichen. Dann wissen wir, wer der Irre ist, der Eintopf mit Käsekuchen essen will.« »Clever«, gestand Jake ein, von ihrem guten Einfall beeindruckt. »Ich habe eben was auf dem Kasten«, pflichtete Ashley ihm bei. Sie schob den Chip in den Tricorder und drückte auf einen Knopf, um die Überprüfung in Gang zu setzen. Kurz darauf runzelte sie die Stirn. »Das ist komisch.« »Stimmt was nicht?« fragte Riv grinsend. »Hast du die Sache verpatzt? Vielleicht bist du doch nicht so clever, wie du glaubst.« Ashley ignorierte seine höhnische Bemerkung und starrte ungläubig auf den Bildschirm des Tricorders. »Es liegt nicht die geringste Übereinstimmung vor.« Nog zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat der Chip gar kein Muster gespeichert?« fragte er. Ashley schüttelte den Kopf. »Nein, er enthält eindeutig eins«, sagte sie. »Aber der Computer kann es keiner der Dateien zuordnen.« »Vielleicht liegt es daran«, schlug Marn vor, »daß die Dateien seit einiger Zeit nicht mehr auf den neuesten Stand gebracht worden sind.« Sie funkelte Riv an. »Ich wette, er ist noch nicht darin enthalten.« Riv warf ihr einen kalten Blick zu. »Beschuldigst du mich, das Gerät durcheinandergebracht zu haben?« sagte er. »Warum sollte ich mich damit abgeben?« »Außerdem«, fügte Jake hinzu, »hat der Replikator schon nicht richtig funktioniert, bevor Riv auf die Station kam.«
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»Aber wir wissen nicht, ob der Replikator auch damals schon sabotiert worden ist«, fuhr Marn fort. »Vielleicht war es am Anfang ja ein echter Fehler. Und wir alle haben gesehen, wie gut Riv mit Computern umgehen kann.« »Soll ich dir mal zeigen, wie gut ich mit meinen Fäusten umgehen kann?« fauchte der junge Bajoraner. Mrs. O’Brien trat zwischen sie. »Das reicht jetzt«, sagte sie energisch. »Beruhigt euch wieder. Es sieht so aus«, fügte sie seufzend hinzu, »als müßten wir uns das Mittagessen wieder aus meinem Büro holen.« Nach Schulschluß zog Jake Nog zur Seite. »Riv hat irgend etwas vor«, sagte er. »Ich weiß nur noch nicht, was. Hast du gesehen, wie er auf Garak reagiert hat?« »Wen interessiert das?« fragte Nog. »Das ist entweder Mrs. O’Briens oder Odos Problem, aber nicht unseres. Wir sollten uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern. Es bringt keinen Profit, sich in die Probleme anderer Leute einzumischen.« »Es könnte auch uns betreffen«, sagte Jake. »Er scheint einen Groll gegen uns alle zu hegen. Er könnte uns alle in Schwierigkeiten bringen.« Nog war unschlüssig. »Das ist doch nur eine Vermutung«, wandte er ein. »Aber eine gute und begründete.« Jake erkannte, daß er seinen Freund so sehr beunruhigt hatte, daß er mitmachen würde. »Halten wir einfach die Augen offen und finden heraus, was er vorhat, einverstanden? Mehr verlange ich ja gar nicht.« »Na schön«, erklärte Nog sich schließlich bereit. Er ging mit Jake zur Promenade weiter. »Solange es nicht zu viel Zeit kostet.« »Riv ist nicht sehr geduldig«, sagte Jake. »Was auch immer er im Sinn hat, er wird es bald ausführen.« Er wünschte nur, er hätte irgendeine Ahnung, was das sein könnte. 41
»Na schön«, sagte Ashley, als sie mit T’Ara allein im Klassenzimmer war. »Mein erster Plan hat nicht funktioniert.« Sie grinste. »Zeit für Plan B.« »Und was ist Plan B?« fragte T’Ara. Ashley zeigte ihr den Computerchip. »Ich habe den Draht erneut entfernt, aber diesmal habe ich einen kleinen Sender eingebaut. Wenn der Übeltäter den Draht wieder einbaut, strahlt er ein Signal aus.« Sie drückte die Platine an Ort und Stelle zurück und schloß den Deckel. »Und wenn das geschieht, wird mein Mini-Computer mich darauf aufmerksam machen. Wir müssen nur in der Nähe bleiben, bis der Alarm losgeht. Dann schnappen wir uns den Schuldigen.« T’Ara nickte ernst. »Das ist ein guter Plan«, erklärte sie. »Und wenn wir den Schuldigen gefaßt haben?« »Wir übergeben ihn Odo«, sagte Ashley. »Aber vorher...« Sie lächelte breit. »Vorher fordere ich ein letztes Mal Eintopf mit Käsekuchen an... und drücke seinen Kopf hinein!«
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»Das ist doch langweilig«, sagte Nog. Er saß auf der oberen Etage der Promenade, ließ die Füße hinabbaumeln und trat hin und her. Das Kinn drückte er gegen das Geländer, das verhinderte, daß er sechs Meter tief auf die Hauptebene hinabfiel. »Das sagst du jetzt schon zum siebenten Mal«, beklagte Jake sich. Er saß neben Nog und langweilte sich nicht minder. »Aber nur, weil es wirklich langweilig ist«, murrte Nog. »Wir sitzen jetzt schon den ganzen Abend hier und verschwenden unsere Zeit damit, Riv zu beobachten, wie er absolut nichts anstellt. Wir hätten Geld verdienen können, aber nein, du mußt ja unbedingt diesen langweiligen Bajoraner beobachten. Jetzt schließen alle Geschäfte, und wir haben nicht das geringste herausgefunden.« »Riv hat irgend etwas vor«, beharrte Jake. »Ja«, stimmte Nog ihm zu. »Er versucht, uns zu Tode zu langweilen! Geben wir auf und gehen nach Hause.« »Nein«, sagte Jake starrköpfig. »Er wird irgend etwas anstellen. Ich weiß es.« Während er sprach, ergriff er Nogs Schulter und zeigte nach unten. »Da ist er! Er geht über die Promenade.« Dort unten war nur noch etwa ein Dutzend Leute unterwegs, und es fiel ihnen nicht schwer, den kleinen Bajoraner im Auge zu behalten. Nog runzelte die Stirn. »Na und? Wahrscheinlich wird er sich noch einen gefrorenen Yashi kaufen.« Er leckte sich bei dem Gedanken über die Lippen. »Und das ist gar keine schlechte Idee.«
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»Die Bude hat geschlossen«, antwortete Jake. »Außerdem hält er sich in den Schatten.« Riv ging ganz langsam und sah sich immer wieder kurz um. Jake fiel auf, daß der junge Bajoraner ein kleines Stoffbündel trug. »Da«, sagte er leise. »Er hat irgend etwas dabei. Und er geht zu Garaks Laden.« Ihm kam eine Idee. »Vielleicht sind das die gestohlenen Kleidungsstücke, und er will sie zurückgeben?« »Dafür ist es jetzt ein bißchen spät«, warf Nog ein. »Sie wurden bereits als gestohlen gemeldet.« »Vielleicht will er Garak nur als Trottel hinstellen?« schlug Jake vor. »Es so aussehen lassen, als wären die Sachen gar nicht gestohlen worden?« Er erhob sich. »Komm, folgen wir ihm.« Während Nog hinter seinem Freund hertrottete, dachte er über dessen Vermutung nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Darauf würde Odo nie reinfallen«, sagte er leise. »Er hat doch die Computerdateien überprüft.« »Ja, wir wissen, daß man Odo damit nicht überlisten kann«, stimmte Jake zu. Er zuckte zusammen, als er an ein paar Streiche dachte, die er und Nog ausgeheckt und die Odos Zorn auf sie gelenkt hatten. »Aber Riv ist nicht so klug wie wir, oder?« »Niemand ist so klug wie wir«, erwiderte der Ferengi. Dann verzog er das Gesicht. »Außer Odo vielleicht.« Jake hielt Nog fest, und sie drückten sich gegen die Wand. Die Promenade war jetzt bis auf sie beide und Riv leer. Der junge Bajoraner hatte Garaks bereits geschlossenen Laden erreicht und sah sich um. Als er nichts ausmachte, was dazu angetan war, ihn zu beunruhigen, gab er etwas in die kleine Computer-Schalttafel neben dem Laden ein. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Zischen, und Riv glitt hinein.
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»Er hat den Sicherheitskode außer Kraft gesetzt«, sagte Nog. In seiner Stimme lag Bewunderung. »Ob er mir den Trick verrät?« »Komm schon«, sagte Jake und ging langsam über die Promenade voraus. Sie blieben neben der offenen Tür stehen, und Jake warf einen schnellen Blick in den Laden. Er wurde von einer schwachen Notbeleuchtung erhellt, die gerade so viel Licht spendete, daß man die Kleiderständer als Schatten ausmachen konnte. Jake machte Riv am anderen Ende des Raums aus, in der Nähe des Ladentisches. Mit einer Kopfbewegung bedeutete Jake seinem Freund, daß sie in das Geschäft schlüpfen sollten. Jake bewegte sich schnell und leise, kauerte sich dann hinter einem Kleiderständer nieder. Durch die Lücken zwischen den Gewändern sah er, daß Nog hinter einem anderen Ständer in Deckung gegangen war. Auf merksam beobachteten sie Riv. Der junge Bajoraner wickelte das Bündel aus, das er mitgebracht hatte. Bei der schwachen Beleuchtung konnte Jake nicht genau erkennen, was Riv tat, doch es hatte den Anschein, als würde er an einer kleinen Maschine oder einem Gerät herumbasteln. Leise klickte ein Schalter, und Riv sprang auf. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht eilte er zum Eingang zurück. Er ging an Jake und Nog vorbei, die in ihren Verstecken praktisch unsichtbar waren. Riv blieb kurz stehen, gab einen anderen Befehl in das Sicherheitspaneel neben der Tür ein und eilte dann davon, als die Tür sich wieder zischend schloß. Nun, da sie allein waren, trat Jake auf den Gang hinaus. Nog gesellte sich zu ihm, und beide sahen zum Ladentisch. Davor lag der Mantel, den Riv mitgebracht hatte, und in den Falten des Stoffes konnte Jake einen kleinen Kasten ausmachen. Selbst in der schwachen Beleuchtung war das Funkeln von Metall unverkennbar. »Was könnte das sein?« fragte Jake. 46
»Finden wir es doch heraus«, sagte Nog grinsend. Er huschte vor und bückte sich. Als Jake zu ihm trat, wäre Nog fast aus der Haut gefahren. »Es ist eine Bombe!« rief er. Jakes Herzschlag raste. »Eine Bombe?« fragte er nervös. »Bist du sicher?« »Ja.« Nog deutete auf den kleinen Kasten. An ihm war ein flaches, stumpfes Päckchen angebracht, und ein Draht verlief von dort zu einem kleinen, runden Zifferblatt auf dem Kasten. »Das ist Vebrit – ein bajoranischer Sprengstoff. Er ist nicht sehr wirksam, brennt aber wie verrückt. Es wird höchste Zeit, daß wir von hier verschwinden!« Jake hielt ihn fest, bevor er wegrennen konnte. Ihm war nicht wohl zumute, so dicht neben einer Bombe zu stehen, aber er konnte nicht einfach davonlaufen. »Wir können sie doch nicht einfach explodieren lassen«, sagte er. »Ach nein?« fragte Nog. »Dann paß mal auf.« Obwohl Nog sich heftig wehrte, ließ Jake ihn nicht los. »Ein paar Minuten lang sind wir noch in Sicherheit«, argumentierte er. »Riv wird die Bombe so eingestellt haben, daß ihm genug Zeit bleibt, um von hier zu verschwinden.« Er betrachtete das kleine Zifferblatt. Es war eine Uhr, die auf bajoranische Zeit geeicht war. Er rechnete schnell nach. »Wir haben noch jede Menge Zeit – mindestens fünf Minuten.« »Toll«, sagte Nog. »Dann können wir ja im Spielkasino meines Onkels sein, wenn das Ding hochgeht.« »Wir sollten Odo informieren«, sagte Jake. »Rufe du Odo. Ich sehe dich dann morgen.« Jake fiel etwas ein. Er ließ Nog los. »Na schön, zieh Leine.« Trotz des flauen Gefühls in seinem Magen brachte er ein winziges Lächeln zustande. »Als Riv ging, hat er die Tür wieder verschlossen. Kannst du den Kode in fünf Minuten knacken?« Dieser Gedanke war Nog offensichtlich noch nicht gekommen. Der kleine Ferengi erstarrte, und sein Gesicht 47
wurde noch blasser. »Äh... nein.« Er nagte nachdenklich an seiner Lippe. »Hast du eine bessere Idee?« Jake wünschte, er hätte einen der kleinen Kommunikatoren, die sein Vater und die anderen Starfleet-Offiziere trugen. »Ist hier irgendwo in dem Laden ein Kommunikator oder etwas, womit wir um Hilfe rufen können?« Nog zuckte mit den Achseln. »Woher soll ich das denn wissen? Ich bin nur selten hier. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mir neue Kleider verpaßt.« Jake teilte dieses Gefühl – obwohl er jetzt wünschte, es wäre anders. Wahrscheinlich befand sich irgendwo in Garaks Laden ein Kommunikator – aber wo? »Vielleicht können wir eine Schaufensterscheibe einschlagen?« meinte er. »Das müßte Odo oder eine seiner Sicherheitswachen herlocken. Und wir könnten durch das Loch rausklettern.« »Sinnlos«, sagte Nog seufzend. »Nach Abzug der Cardassianer und den folgenden Unruhen haben sie alle Scheiben durch bruchsicheres Plastahl ersetzt. Die Ladenbesitzer waren es leid, ständig die Scherben aufkehren zu müssen. Um die Schaufenster zu beschädigen, braucht man jetzt mindestens einen Phaser.« In Jakes Magen breitete sich ein schrecklicher Schmerz aus. Er wußte, daß es Furcht war. Mit einer tickenden Bombe in einem Laden eingeschlossen zu sein, stand ganz bestimmt nicht ganz oben auf der Liste seiner beliebtesten Freizeitaktivitäten. »Äh... ich bin für alle Vorschläge offen«, sagte er. »Na klar«, murmelte Nog. »Du bringst mich in diesen Schlamassel und erwartest, daß ich uns da raushole.« Er verdrehte die Augen. »Na schön, such du nach einem Kommunikator. Ich will mal sehen, ob ich etwas mit der Bombe anstellen kann.« »Du willst versuchen, sie zu entschärfen?« fragte Jake schockiert.
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Nog runzelte die Stirn. »Glaubst du etwa, ich will versuchen, sie zur Explosion zu bringen?« fauchte er. »Natürlich will ich sie entschärfen.« »Weißt du wirklich, was du tust?« fragte Jake sehr nervös. »Frag mich in knapp vier Minuten noch mal«, schlug Nog vor. »Was spielt das schon für eine Rolle, wenn wir sowieso umkommen werden? Also mach dich endlich auf die Suche, ja?« Jake antwortete nicht; ihm fiel einfach nichts ein, was er sagen konnte. In vier Minuten waren sie vielleicht tot... Er schluckte heftig und sah zu, wie Nog neben der Bombe niederkniete. Er hoffte wirklich, daß sein Freund ahnte, worauf er sich da einließ. Alles mögliche konnte schiefgehen und die Bombe vorzeitig zur Explosion bringen. Das beste wäre es wirklich, wenn er einen Kommunikator fand – und zwar schnell! Als er zum Ladentisch ging und die Schubladen darin durchsuchte, merkte er, daß er heftig schwitzte. Er fand zahlreiche kleine Geräte zum Maßnehmen, Größentabellen und Modebücher. Computerdisketten und sogar so altertümliche Instrumente wie Scheren lagen darin, aber kein Kommunikator. Er fragte sich nervös, wieviel Zeit ihnen noch blieb, ging zu einem kleinen Lagerraum hinüber und durchsuchte ihn. Er fand jede Menge Stoffe, aber keinen Kommunikator. Viel Zeit konnte ihnen nicht mehr bleiben... Er wischte sich mit einem Stoffrest den Schweiß von der Stirn und schaute dann zu Nog hinüber. Seinem Freund war es gelungen, einen Teil der Uhr auseinanderzunehmen, und mehrere kleine Einzelteile lagen auf dem Boden verstreut. Dem leisen Gemurmel zufolge, das er vernahm, klang es jedoch nicht so, als hätte Nog die Bombe bereits entschärft. Und jetzt? Sein Blick fiel auf eins der Werkzeuge, die er gefunden hatte. Ein Laserschneider, den Garak benutzte, um Grobschnitte der 49
Stoffe anzufertigen. Er hob ihn hoch und schaltete ihn ein. Der Strahl, den das Gerät erzeugte, war schwach und schmal, aber immerhin besser als nichts. Er war nur dazu gedacht, Stoffe und ähnliche Materialien zu durchtrennen, doch vielleicht konnte er ihn benutzen, um das Türschloß zu zerstören, damit sie den Raum verlassen konnten. Er öffnete schon den Mund, um Nog über seinen Fund zu unterrichten, überlegte es sich dann jedoch anders. Er umklammerte den Laser, lief an seinem Freund vorbei und zur Tür. Dann schaltete er das Gerät wieder ein und richtete es auf das Schloß. Ein paar entsetzliche Sekunden lang konnte er nicht feststellen, ob er irgendeine Wirkung damit erzielte, doch dann sah er ein schwaches Leuchten in der Tür, und etwas Metall tropfte hinab. Es funktionierte! Aber würden sie es noch rechtzeitig schaffen? Er warf einen weiteren Blick auf die Bombe. Er hätte gern gefragt, wieviel Zeit ihnen noch blieb, wagte es aber nicht, Nog abzulenken. Statt dessen konzentrierte er sich auf das Schloß. Ein weiterer glühender Metalltropfen fiel zu Boden. Es dauerte viel zu lange... »Oha«, sagte Nog. Jakes Magen drehte sich um. »Was meinst du mit oha?« rief er. »Ich meine damit, daß auf der Uhr noch fünf Sekunden bleiben.« Nog sprang auf und lief zu Jake zur Tür. »Ich glaube, mir ist es gelungen, den Zeitzünder anzuhalten. Aber ich bin mir nicht sicher.« »Sei dir lieber sicher!« rief Jake, als Nog versuchte, sich hinter ihm zu verstecken. Die Bombe gab ein sehr lautes Klicken von sich. Sonst passierte nichts. Nog spähte unter Jakes Arm hervor. »Ich bin mir sicher«, sagte er schließlich. 50
»Du hast es geschafft!« rief Jake. »Du hast die Bombe entschärft!« »Ja«, sagte Nog. Jake wäre es lieber gewesen, er hätte nicht so überrascht geklungen. »Ich bin Experte im Schlösserknacken«, erklärte er. »Das habe ich gelernt, als die Cardassianer hier waren. So etwas vergißt man wohl nie.« Er grinste und zeigte all seine spitzen Zähne. »He, vielleicht kann ich das Vebrit verkaufen?« sagte er. »Das Zeug ist ziemlich wertvoll.« Er ging zurück zu den verstreuten Überresten der Bombe, raffte sie zusammen und legte sie auf den Mantel. Jake widmete sich wieder dem Schloß. Jetzt war es zwar nicht mehr ganz so eilig, aber sie mußten trotzdem hier heraus. Schließlich knackte es dumpf, und die Tür sprang auf. »Ich hab’s geschafft«, rief er Nog zu. »Komm, verschwinden wir von hier.« »Das mußt du mir nicht zweimal sagen«, murmelte der Ferengi. Er hatte alle Einzelteile der Bombe in den Mantel eingeschlagen und klemmte ihn sich unter den Arm. »Gehen wir.«
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Jake schob die Tür auf, und sie wären fast aus dem Laden gesprungen. Dann zog Jake die Tür hinter ihnen wieder zu; sie drehten sich um und wollten loslaufen... Vor ihnen stand Odo, und er hatte seinen strengsten Gesichtsausdruck aufgesetzt. »Was haben wir denn hier?« knurrte er. »Einkäufe nach Ladenschluß, vermute ich. Laßt mich das mal sehen«, fügte er hinzu und deutete auf den Mantel, den Nog umklammerte. »Das wird Ihnen nicht gefallen«, warnte Nog ihn. »Das möchte ich doch lieber selbst beurteilen«, schnauzte der Gestaltwandler. »Zeig mal her.« Zögernd öffnete Nog das Bündel. Odos Augen wurden ganz groß. »Eine Vebrit-Bombe?« sagte er schockiert. »Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es Ihnen nicht gefallen wird«, murmelte Nog. 52
Jake zuckte zusammen. Fast wünschte er sich, die Bombe wäre explodiert. Der grimmige Ausdruck auf Odos Gesicht ließ nicht den geringsten Zweifel zu, daß er und Nog sich diesmal gewaltigen Ärger eingebrockt hatten.
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Ashley sah zum vielleicht sechzigsten Mal auf ihren MiniComputer. Noch immer keine Meldung, daß jemand versuchte, den Replikator zu manipulieren. Als sie wieder aufschaute, bemerkte sie, daß T’Ara versuchte, ein Gähnen zu verbergen, und fühlte sich augenblicklich schuldbewußt. T’Ara benahm sich viel älter, als sie eigentlich war, und Ashley vergaß oft, daß sie es mit einer Siebenjährigen zu tun hatte. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es ist schon ziemlich spät, und du mußt dich wirklich langweilen.« T’Ara gelang es, die rechte Braue hochzuziehen; damit drückten Vulkanier im allgemeinen ihre Verwirrung aus. »Langeweile ist ein Gefühl«, erwiderte sie. »Und Vulkanier haben keine Gefühle.« Das stimmte nicht ganz, wie Ashley sehr wohl wußte. T’Ara hatte Gefühle, aber Vulkanier sollten nicht zulassen, daß sie die Herrschaft über ihr Leben übernahmen, und begruben sie deshalb tief in sich. Obwohl T’Ara darin ziemlich gut war, war sie noch längst nicht perfekt. Ashley fragte sich, ob es den meisten Vulkaniern tatsächlich je gelang, ihre Gefühle völlig zu beherrschen, ganz gleich, was sie behaupteten. »Na ja, es ist trotzdem ziemlich spät«, sagte sie. »Und ich langweile mich. Das war doch völlige Zeitverschwendung, oder?« »Es war ziemlich... ereignislos«, stimmte T’Ara zu. Diese Bemerkung kam wahrscheinlich dem Eingeständnis am nächsten, daß sie sich tatsächlich fürchterlich langweilte. »Vielleicht wäre es am besten...« Plötzlich piepste Ashleys Mini-Computer mehrmals schnell hintereinander. Sogar T’Ara schien eine Sekunde lang verblüfft zu sein, bevor sie die Überraschung von ihrem Gesicht wischte. »Jemand macht sich am Replikator zu schaffen!« sagte Ashley grinsend. Also hatte sie doch keinen Mist gebaut! 54
»Komm mit!« Die beiden Mädchen standen auf und schlichen den Gang zum Klassenzimmer entlang. Sie hatten sich in einem benachbarten Korridor versteckt, damit der Übeltäter sie nicht bemerkte, und blieben nun vor der Tür stehen. Daneben war eine kleine Glasscheibe in die Wand eingelassen. Obwohl das Licht die Nacht über gedämpft wurde, um Energie zu sparen, konnte man in dem Raum noch Einzelheiten ausmachen. T’Ara war mehrere Zentimeter kleiner als Ashley und mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, doch die beiden lugten gleichzeitig in das Klassenzimmer. Dort war alles ruhig und dunkel. Zuerst waren nur die schwarzen Umrisse der Pulte auszumachen. Dann stieß Ashley einen leisen Schrei aus. Neben dem kleinen Replikator konnte sie undeutlich eine schattenhafte Gestalt ausmachen. »Sollen wir hineingehen?« fragte T’Ara flüsternd. »Noch nicht«, erwiderte Ashley. »Ich will zuerst sehen, wer es ist. Wenn die Gestalt sich umdreht, müßten wir sie erkennen können. Wetten, daß es Riv ist?« »Vulkanier spielen nicht«, antwortete T’Ara etwas selbstgefällig. »Und lassen sich ganz bestimmt nicht auf eine so schlechte Wette wie diese ein.« »Feigling«, murmelte Ashley. Sie hielt den Atem an, als die nur undeutlich auszumachende Gestalt in dem Raum die Klappe des Replikators wieder an Ort und Stelle setzte. Als der geheimnisvolle Saboteur sich dann umdrehte, holte Ashley unwillkürlich erschrocken tief Luft. Es war offensichtlich, daß es sich bei dem Übeltäter nicht um Riv handelte. Und auch nicht um einen anderen ihrer Mitschüler. Trotz des bleichen Lichts konnte man deutlich die graue, leicht schuppige Haut und das lange, zusammengebundene schwarze Haar ausmachen, das auf den Rücken des jungen Mädchens hinabfiel.
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»Es ist eine Cardassianerin!« rief T’Ara. In ihrer Ver blüffung hatte sie völlig vergessen, daß sie gerade noch behauptet hatte, keine Gefühle zu haben. »Aber... wie?« »Sei still!« zischte Ashley wütend. Mit dieser Enthüllung waren all ihre Pläne in sich zusammengebrochen. Sie hatte erwartet, daß Riv der Übeltäter war – und wenn nicht er, dann zumindest jemand, den sie kannte. Ashley hatte die Tür aufreißen, das Licht anschalten und den Schuldigen auf frischer Tat ertappen wollen. Aber diese Entwicklung hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Cardassianer konnten notfalls sehr schnell und sehr garstig sein. Wer auch immer dieses Mädchen war, es mußte sich illegal hier befinden. Wenn Ashley nun die Tür öffnete und es überraschte, war das Mädchen vielleicht so verzweifelt, daß es sie angriff. Wäre sie allein gewesen, hätte Ashley es vielleicht riskiert. Die Cardassianerin war groß und schlank und schien nicht älter oder kräftiger zu sein, als sie es war. Doch sie mußte auch an T’Ara denken. Die Cardassianerin sah sich in dem Klassenzimmer um. Ashley erstarrte. Konnte das Mädchen sie trotz des schwachen Lichts durch das Fenster ausmachen? Sie wußte nicht, wie gut die Augen der Cardassianer waren. Nach einem Augenblick schien das Mädchen jedoch beruhigt zu sein. Es gab auf der Schalttafel einen Befehl ein. Ein helles Funkeln, und die mittlerweile vertraute Schüssel mit Eintopf und Käsekuchen erschien. Das Mädchen ergriff sie und eilte dann zur Seitenwand. Ashley hatte noch nicht in diese Richtung geschaut, doch nun sah sie, daß dort aus einer Lücke in der Zimmerdecke ein dünnes Metallseil hinabhing. Mit erstaunlicher Schnelligkeit kletterte die Cardassianerin dieses Seil hinauf. Einen Augenblick später verschwand sie außer Sicht. Dann verschwand das dunkle Quadrat des Loches eben falls. Offensichtlich hatte das Mädchen die Deckenplatte, die es
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zuvor beiseite gezerrt hatte, wieder an Ort und Stelle geschoben. Ashley atmete ganz tief aus. »Sie hat meine Repa raturversuche also sabotiert«, murmelte sie. »Eine Cardassianerin, die sich über der Zimmerdecke versteckt.« »Aber... warum?« fragte T’Ara. Es war ihr endlich gelungen, ihr Gesicht wieder unter Kontrolle zu bekommen, und sie schaute so unbewegt wie immer drein. »Ich verstehe das nicht.« »Ich auch nicht«, gestand Ashley ein. »Aber wir sollten mal nachsehen, meinst du nicht auch?« »Jetzt?« T’Ara klang ein wenig besorgt. »Nein«, erwiderte Ashley. »Morgen früh. Ich wette, sie schläft tagsüber und kommt des Nachts heraus. Dann wird sie von niemandem gestört.« Sie schnippte mit den Fingern. »Natürlich! Vor einer Woche oder so hat doch ein cardassianischer Frachter hier angedockt! Ich wette, sie ist mit diesem Frachter gekommen und hält sich seitdem versteckt.« »Das ist logisch«, pflichtete T’Ara ihr bei. »Aber nicht vernünftig. Warum sollte sie das tun?« »Das finden wir heraus, wenn wir morgen mit ihr sprechen.« Ashley lächelte grimmig. »Wir weihen Jake und Nog vorher ein. Sie werden überrascht sein – und beeindruckt davon, was wir herausgefunden haben. Ich rufe Jake jetzt und sage ihm, er soll uns vor Unterrichtsbeginn treffen, damit wir das Mädchen fangen können.« Sie gab auf dem Mini-Computer seine Zimmernummer ein, doch niemand antwortete. »Ob er schon zu Bett gegangen ist?« fragte T’Ara. »Nichts da«, sagte Ashley entschieden. »Er verabscheut es, früh zu Bett zu gehen.« Sie sah sich um und erspähte an einer Wand ganz in der Nähe ein Computerterminal. Sie eilte hinüber und aktivierte es. »Computer, wo ist Jake Sisko?« Der Bildschirm erhellte sich. »Er ist in Odos Büro«, erwiderte der Computer mit angenehmer Stimme. 57
»In Odos Büro?« erwiderte Ashley verwirrt. »Was macht er denn da?« Sie hatte das eigentlich nicht als Frage gemeint, die der Computer beantworten sollte, doch das konnte das Gerät schließlich nicht wissen. »Er wird wegen einer Bombe befragt«, sagte der Computer. »Wegen einer Bombe?« T’Ara konnte das Erstaunen nicht aus ihrer Stimme halten. »Was hat er mit einer Bombe zu schaffen?« »Was hast du mit einer Bombe zu schaffen?« fragte Commander Sisko und bemühte sich dabei offensichtlich, seinen Zorn im Zaum zu halten. Jake fühlte sich ganz elend. Er mochte seinen Vater sehr; die meiste Zeit über waren sie die besten Freunde. Doch sein Vater hatte das Kommando über Deep Space Nine, und Jake wußte, er würde nicht zulassen, daß irgend etwas oder irgend jemand – nicht einmal sein Sohn – die Station in Gefahr brachte. Aber er wußte trotzdem nicht, was er darauf sagen sollte. Es war schon schlimm genug, Odos nachdrückliche und beharrliche Fragen über sich ergehen lassen zu müssen. Seinem Vater zu antwor ten – das war noch schlimmer. »Äh... wir haben sie gefunden«, sagte er schließlich. Ihm war klar, wie lahm das klingen mußte. »Ihr habt sie gefunden?« wiederholte sein Vater. »Willst du damit sagen, daß du auf dem Nachhauseweg darüber gestolpert bist?« Seine Augen funkelten fast vor Wut. »Nun ja«, sagte Odo bedacht, »das könnte schon sein... wenn ihr Nachhauseweg sie zufällig durch Garaks verschlossenen Laden geführt hat.« Er schlug mit dem Laserschneider auf seine Handfläche. Commander Sisko sah zu Nog hinab. »Was habt ihr in Garaks Laden gemacht?« fragte er. »Eine Bombe gefunden?« antwortete Nog hoffnungsvoll.
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»Ich verstehe.« Commander Sisko wandte sich wieder an seinen Sohn. »Und seid ihr nur rein zufällig darauf gestoßen, oder habt ihr gewußt, daß sie sich dort befindet?« »Na ja«, gestand Jake ein, »wir haben nicht genau gewußt, daß sich eine Bombe dort befindet. Aber wir haben gewußt, daß irgend etwas dort war. Und als wir nachgeforscht haben, stellte sich heraus, daß es eine Bombe war.« »Genau«, bestätigte Nog schnell. »Und wir haben nur unsere Bürgerpflicht getan und wollten sie gerade Odo bringen, als er uns fand.« »Ich verstehe«, sagte Commander Sisko erneut. »Und habt ihr zufällig auch gesehen, wer so unaufmerksam war, dort eine Bombe liegenzulassen, damit ihr darüber stolpert?« »Ja«, sagte Nog. »Nein«, sagte Jake schnell. Er funkelte Nog wütend an. »Wir dürfen ihnen nicht sagen, wer es war«, zischte er. Der junge Ferengi schaute einen Augenblick lang verwirrt drein. Dann legte sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. »Klug gedacht!« Er wandte sich an Jakes Vater. »Wir haben gesehen, wer es war – aber wenn Sie es erfahren wollen, wird es Sie etwas kosten.« Jake stöhnte auf. Nog suchte sich stets die falschen Gelegenheiten aus, um Geld zu verdienen. »Das habe ich nicht gemeint! Du kannst doch nicht deine Freunde verkaufen!« »Man kann alles verkaufen, wenn man weiß, wie«, erwiderte Nog. »Außerdem ist die Person, die die Bombe dort versteckt hat, nicht unser Freund. Das hat er selbst gesagt, nicht wahr?« »Erklärt mir mal, ob ich das richtig verstanden habe«, warf Commander Sisko ein. Seine Stimme war kalt wie Eis. »Ihr habt gesehen, wer es war, wollt aber, daß wir euch dafür bezahlen, damit ihr es uns sagt?« »Ja«, antwortete Nog. »Nein«, beharrte Jake. Nog funkelte ihn wütend an, doch Jake ignorierte den Ferengi einfach. »Es ist so«, sagte er zu 59
seinem Vater und überlegte, wie er es ihm begreiflich machen konnte. »Ich glaube, es wird nicht helfen, ihn zu verraten.« Sein Vater schaute auf die Überreste der Bombe hinab. »Ihm helfen oder uns helfen?« Er schüttelte den Kopf. »Jake, ich verstehe dich einfach nicht. Wer immer diese Bombe versteckt hat, er nimmt nicht die geringste Rücksicht auf Eigentum und Leben anderer Personen. Du mußt uns sagen, wer es war.« Jetzt steckte Jake fürwahr in der Klemme. Wenn er ihnen von Riv erzählte, wäre der bajoranische Junge endgültig überzeugt, daß niemand ihn leiden konnte. Es würde dann nur noch schlimmer mit ihm werden. Andererseits konnte er seinen Vater nicht im Stich lassen oder dulden, daß Riv weiteren Unsinn ausheckte, der beim nächsten Mal vielleicht noch ge fährlicher sein würde. »Ich muß noch etwas darüber nachdenken«, erwiderte er schließlich. »Denke so lange darüber nach, wie du möchtest«, schlug Odo vor. »Ich habe bereits einen meiner Männer losgeschickt, damit er mir die verantwortliche Person bringt.« Als er Jakes überraschtes Gesicht sah, hätte er fast sogar gelächelt. »Es war nicht schwer, darauf zu kommen, wer diese Bombe gebaut haben könnte und wer Probleme hat, seit er diese Station betreten hat.« Noch während er sprach, öffnete sich zischend die Tür. Der Sicherheitswächter salutierte und führte Riv und dessen Onkel Bothna hinein. Der stämmige Mann schien aus dem tiefsten Schlaf gerissen worden zu sein. Er war mürrisch und ungepflegt und nestelte noch immer an seiner Kleidung herum. Riv wirkte einerseits wütend, andererseits gelangweilt. Er schaute auf die Überreste der Bombe und dann auf Jake und Nog. »Also habt ihr gesehen, wie ich sie versteckt habe, und mich verpfiffen?« sagte er. »Na ja, das überrascht mich kaum.« »Wir haben ihnen nichts von dir erzählt«, erwiderte Jake. Seine Wangen brannten. »Odo hat vermutet, daß du es warst.«
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Diesmal lächelte der Constable tatsächlich. »Und wir alle haben gerade dein Geständnis gehört«, fügte er hinzu. Riv zuckte mit den Achseln. »Na und?« Er musterte Jake neugierig. »Du hast es ihnen nicht gesagt?« Er war eindeutig verwirrt. »Das hat er nicht«, bestätigte Commander Sisko. »Obwohl es ihn in sehr ernsthafte Schwierigkeiten hätte bringen können.« Stirnrunzelnd starrte Riv den Sohn des Commanders an. »Ich will nicht, daß jemand für meine Taten eintritt«, sagte er, drehte sich wieder zu Odo um und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe die Bombe im Laden des Cardassianers angebracht«, gestand er. »Und ich bin bereit, meine Strafe auf mich zu nehmen.« Sein Onkel erbleichte. »Du hast was?« quiekste er. »Diese Brandbombe in Garaks Kleiderladen versteckt«, erklärte Odo und tippte mit den Fingerspitzen auf die Bruchstücke auf seinem Schreibtisch. Bothna fuhr zu seinem Neffen herum. »Was hast du dir dabei gedacht?« rief er. Er schien gleichzeitig in Panik zu geraten und furchtbar wütend zu sein. Die Adern in seinem dicken Hals pochten. »Sie sind der Feind!« brüllte Riv zurück. »Und Garak hat versucht, die Leute gegen mich aufzuhetzen. Das weiß ich genau!« »Der Krieg ist vorbei«, sagte Odo fest. »Du hast im Augenblick keine Feinde. Aber ich bezweifle nicht, daß du bei deiner Einstellung bald keinen Mangel daran haben wirst.« Er funkelte Riv wütend an. »Und Garak hat sich geweigert, wegen der gestohlenen Kleidungsstücke Anzeige zu erstatten. Es war nur ein Satz, und er war der Ansicht, es würde niemandem helfen, viel Aufhebens darum zu machen.« Er hielt den Klumpen Sprengstoff hoch. »Ich frage mich, was er denken wird, wenn ich ihm davon erzähle.«
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»Was werden Sie mit diesem kleinen Terroristen machen?« fragte Bothna. »Werfen Sie ihn ins Gefängnis?« Commander Sisko schüttelte den Kopf. »Wohl kaum«, sagte er. »Im Augenblick ist es das beste, ihn in Ihre Obhut zu übergeben.« »Was?« Bothna erbleichte erneut. »Aber... Sie müssen ihn einsperren! Er ist ein potentieller Mörder!« »Er ist ein Junge«, knurrte Odo. »Und Sie sind sein Onkel – und gesetzlicher Vormund. Sie sind für ihn verantwortlich.« »Ich will nichts mit ihm zu tun haben«, beharrte Bothna. »Von Anfang an habe ich nichts mit ihm zu tun haben wollen! Er ist ein mörderischer Wilder!« Jake hatte den Mund gehalten, weil er sich nicht schon wieder in Schwierigkeiten bringen wollte, doch jetzt konnte er einfach nicht mehr still sein. »Wenn Sie etwas netter zu ihm wären, wäre er vielleicht nicht ständig so wütend«, sagte er. Bothna funkelte ihn an. »Wer hat dich denn gefragt?« fauchte er. Jake spürte, daß er erneut errötete. Sein Vater legte einen Arm um seine Schulter und musterte Bothna eindringlich. »In diesem Fall hat Jake völlig recht«, sagte er. »Der Junge braucht von Ihnen ein wenig Zuneigung und Verständnis.« »Sperren Sie mich ein!« bat Riv. »Ich bin lieber im Gefängnis als bei ihm!« Jakes Vater schüttelte den Kopf. »Wir bekommen leider nicht immer alles, was wir haben wollen«, sagte er mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. »Manchmal müssen wir akzeptieren, was am besten ist.« Odo erhob sich und trat vor Bothna. »Nehmen Sie den Jungen mit nach Hause«, knurrte er. »Und vergessen Sie nicht – Sie sind für seine Taten verantwortlich. Sollte er noch mehr Ärger machen, werde ich Ihr Fell an meine Wand nageln.« »Das ist nicht fair!« jammerte Bothna.
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»Nein«, erwiderte Odo und ließ sich zu einem seiner seltenen Lächeln hinreißen. »Aber das hindert mich nicht daran, es zu genießen.« Sowohl Bothna als auch Riv waren offensichtlich einer Meinung – wahrscheinlich zum erstenmal in ihrem Leben. Beide wollten nichts miteinander zu tun haben. Beide funkelten Odo wütend an, drehten sich dann um und stürmten hinaus. Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, wandte Odo sich an Commander Sisko. »Ich werde morgen früh mit Garak über diese Sache sprechen«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob er Anzeige erstatten wird oder nicht. Mittlerweile repariert einer meiner Leute das beschädigte Schloß.« Er sah zu Jake hinab. »Ich weiß nicht, ob ich dir meinen Dank oder eine saftige Abreibung schuldig bin.« »Ich weiß es aber«, sagte sein Vater mit seiner frostigsten Stimme. »Wahrscheinlich ein wenig von beidem.« »He, wir haben den Laden gerettet«, sagte Nog und rieb sich die Hände. »Zählt das etwa gar nicht?« »Doch«, sagte Commander Sisko. »Das spricht im Augenblick als einziges zu euern Gunsten.« Er schaute Odo an. »Ich kümmere mich um die beiden. Ich bringe Nog zu seinem Vater, und dann werden Jake und ich ein kleines Schwätzchen halten.« Jake schluckte heftig. Er wußte, daß dieses Gespräch ihm nicht gefallen würde...
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Nachdem Jake am folgenden Morgen geduscht und sich angezogen hatte, ging er müde in die kleine Küche des Quartiers, das er sich mit seinem Vater teilte. Commander Sisko trank gerade den letzten Schluck Kaffee; gleich mußte er seinen Dienst antreten. Jake zuckte zusammen. Er hatte absichtlich getrödelt, um seinem Vater nicht mehr zu begegnen. Er hatte Angst, daß es zu einem weiteren Gespräch wie dem am Vorabend kommen würde. Sein Vater stellte die Tasse auf den Tisch und ging zur Tür. »Ich werde dir keine Gardinenpredigt mehr halten, Jake«, sagte er. »Ich weiß, du hast getan, was du für das Beste hieltest. Aber bitte versuche in Zukunft nachzudenken, und wenn du irgendwelche Probleme hast – ganz egal, was für welche –, kommst du zu mir und fragst mich um Rat. Ende des Themas – einverstanden?« »Ja«, stimmte Jake erleichtert zu. »Ich hätte wohl wirklich nicht so geheimnistuerisch sein sollen.« »Ende des Themas, habe ich gesagt«, erwiderte sein Vater und lächelte schwach. »Und dazu gehört auch, daß du dir keine Vorwürfe mehr machst. Viel Spaß in der Schule.« Er blinzelte und verließ die Wohnung. Froh darüber, daß die Sache mit seinem Vater ausgestanden war, replizierte Jake Saft und Corn-flakes. Er mochte und bewunderte seinen Vater sehr, und es war hart gewesen, von ihm dermaßen ausgeschimpft zu werden. »Warum hast du nicht einfach mich oder Odo informiert, als du gesehen hast, daß Riv in Garaks Laden einbricht?« hatte sein Vater gefragt. Jake hatte eingestehen müssen, daß er daran einfach nicht gedacht hatte. Er hatte sich völlig darauf konzentriert, den jungen Bajoraner zu beobachten – und wäre deshalb fast in die Luft geflogen. 64
Als er seinen Saft trank, fiel ihm ein aufblitzendes Licht am Wandcomputer auf; eine Nachricht lag vor. Da sein Vater schon aufgebrochen war, konnte sie nicht für ihn sein. »Computer«, rief er, »wie lautet die Nachricht?« »Sie ist von Ashley Fontana«, erwiderte der Computer. »Sie bittet dich, sie heute morgen eine Stunde vor Unterrichtsbeginn an der Schule zu treffen.« Eine Stunde früher? Das war schon in ein paar Minuten! Er verdrückte den Rest der Corn-flakes und spülte sie mit dem letzten Schluck Saft herunter. Nachdem er das benutzte Geschirr in den Recycler gestellt hatte, schnappte er sich seinen Mini-Computer und eilte los. Als er sich dem Klassenzimmer näherte, sah er, daß Ashley, T’Ara und Nog bereits auf ihn warteten. »Du kommst spät«, sagte Ashley zu ihm. »Wir haben nicht viel Zeit. Hier, halte das.« Sie hielt ihm eine kleine Taschenlampe hin, die Jake automatisch ergriff. »Zeit wofür?« fragte er verwirrt. »Wir haben die Identität der Person ermittelt, die den Replikator sabotiert hat«, erklärte T’Ara. »Ach?« fragte Nog. »Und wer ist es?« Ashley grinste, während sie den Kode eingab, mit dem man die Tür des Klassenzimmers öffnen konnte. »Niemand, den wir kennen.« Als die Tür sich öffnete, hob sie eine ausziehbare Leiter hoch. »Und du wirst nie darauf kommen, wo diese Person sich versteckt.« Jake runzelte die Stirn. Ashley hatte eine Leiter dabei und ihm eine Taschenlampe gegeben. Also irgendwo oben, und dunkel war es dort auch... »Im Zwischenraum über der Decke?« vermutete er. Ashley rümpfte die Nase. »Du hast geraten. Ja, über der Decke. Clever, was?« »Also«, sagte Nog ungeduldig. »Wer ist es?« 65
»Du wirst es gleich sehen.« Ashley grinste T’Ara verschwörerisch zu. Die junge Vulkanierin hätte das Lächeln fast erwidert, ertappte sich aber gerade noch rechtzeitig. Ashley stellte die Leiter an eine Wand und drückte auf den Knopf, der sie aktivierte. Automatisch fuhr sie sich aus, bis sie fast die Decke erreicht hatte. Ashley ergriff die nächste Sprosse und drehte sich zu Jake um. »Ich gehe zuerst, und dann du. Dann kommt Nog, und als letzte T’Ara.« Zu Jake gewandt, fügte sie hinzu: »Schalte das Licht jetzt ein, aber auf gedämpfter Stufe, ja?« »Klar«, sagte Jake. »Du hast das Kommando.« »Ich weiß.« Sie grinste. »Und jetzt seid ganz leise.« Sie stieg die Leiter hinauf und hielt unmittelbar unter der Decke an. Dann streckte sie den Arm aus und stieß gegen die Platte. Sie hob sich um zwei, drei Zentimeter und glitt dann zur Seite. In der Decke war plötzlich eine Öffnung von etwa einem halben Meter Durchmesser. Ashley schaute hinab, legte einen Finger auf die Lippen und kletterte dann leise in den Zwischenraum über der Decke. Jake folgte ihr die Leiter hinauf. Als er den Kopf in die Öffnung steckte, sah er, daß Ashley auf ihn wartete. Sie wackelte mit den Fingern, und er gab ihr die Taschenlampe. Dann schlug Nog ungeduldig gegen seine Knöchel, und er kletterte vollends hinauf und blieb neben Ashley hocken. Etwa anderthalb Meter über der ersten befand sich eine zweite Decke. Rohre und Kabelschächte verliefen durch den dunklen Zwischenraum. Durch die Öffnung fiel Licht, und Ashleys Taschenlampe war eingeschaltet, aber ansonsten war es völlig dunkel. Jake konnte nicht aufrecht stehen, und es war sehr unbequem, die Schultern und den Rücken krümmen zu müssen. Nog schlüpfte durch die Lücke zu ihnen hinauf, und einen Augenblick später folgte ihm T’Ara. Ashley nickte und deutete dann mit dem schwachen Strahl der Taschenlampe in ihrer 66
Hand voraus. Dann setzte sie sich in Bewegung, und die anderen folgten ihr auf dem Fuße. Es war unheimlich hier oben. Sie waren von zahlreichen Rohren umgeben, die schwach im Licht von Ashleys Taschenlampe schimmerten. Der Boden unter Jakes Füßen war aus Metall, aber stumpf und nicht poliert. Es handelte sich offensichtlich um irgendeinen alten Durchgang zu den inneren Geräten der Station. Da er schmal und dunkel war, konnte er nicht oft benutzt worden sein. Sie hatten schweigend acht oder zehn Meter zurückgelegt, als Ashley eine Hand hob und den Strahl der Taschenlampe darauf richtete, damit alle sehen konnten, daß sie stehenblieb. Jake schaute über ihre Schulter hinweg. Nog und T’Ara drängten sich gegen ihn. Sie hatten einen kurzen Seitengang erreicht. Ashley zeigte darauf, und Jake bemerkte, daß dort zwischen zwei Rohren ein Bündel auf dem Boden lag. Auf den Rohren lagen mehrere Schüsseln und Löffel, ein Mini-Computer und einige andere kleine Gegenstände. Und einige Bekleidungsstücke, die wie die eines Mädchens aussahen, eines sehr großen, schlanken Mädchens. Jake wurde plötzlich klar, daß es sich um die Sachen handeln mußte, die Garak als gestohlen gemeldet hatte.
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Ashley richtete den Strahl der Taschenlampe auf das Bündel auf dem Boden. Jake sah, daß es sich nicht nur um abgelegte Kleidungsstücke handelte – sondern um eine Schlafmatte, und darauf hatte sich eine dunkle Gestalt zusammengerollt. Als das Licht über die schlafende Person flackerte, öffnete sie die Augen und hob einen Arm, um sie abzuschirmen. »Alles in Ordnung«, sagte Ashley schnell. »Wir wollen dir nichts tun.« Jake pfiff vor Überraschung, als die Gestalt auf der Matte plötzlich aufsprang. Es war ein Mädchen – groß, schmächtig, mit langem, dunklem Haar, das bis auf den Rücken fiel. Aber am auffälligsten war die graue, reptilienähnliche Haut. »Das ist eine Cardassianerin«, sagte er erstaunt. Ashley grinste ihn an. »Ich hab dir doch gesagt, daß wir die Saboteurin nicht kennen.« Zu der Cardassianerin sagte sie: »Verstehst du uns?« Das Mädchen senkte die Hand; seine Augen hatten sich an das Licht gewöhnt. »Ja«, sagte es. Jake hörte die Furcht aus seiner Stimme heraus. »Was wollt ihr? Was habt ihr mit mir vor?« Es versuchte, tapfer zu sein, doch Jake wurde klar, daß es kaum älter als Ashley war. »Wir werden dir nichts tun«, sagte Jake zu ihr. »Ich verspreche es dir.« »Wir wollen nur mit dir reden«, erklärte Ashley und schüttelte erstaunt den Kopf. »Seit wann bist du schon hier?« Die Cardassianerin zuckte mit den Achseln und kratzte sich dann schläfrig am Hals. »Seit neun Tagen.« »Du hast dich aus diesem cardassianischen Frachter geschlichen, der neulich hier angedockt hat!« rief Nog. Das Mädchen nickte. »Ja.« »Aber warum?« fragte T’Ara verwirrt. Bevor das Mädchen antworten konnte, warf Jake ein: »Hör mal, ich weiß nicht, wie es mit dir ist, aber ich kriege einen steifen Rücken, wenn ich noch lange hier so stehe. Können wir 69
uns entweder setzen oder nach unten ins Klassenzimmer gehen?« Die junge Cardassianerin war noch größer als er und mußte den Kopf noch tiefer einziehen. »Ich habe nichts dagegen«, sagte sie, ergriff die Tunika neben ihrer Schlafmatte und zog sie über das T-Shirt, mit dem sie bekleidet war. »Ich würde mich gern mal wieder ausstrecken.« »Und wieder hinab«, sagte Nog seufzend. »Ich hasse dieses Klettern.« »Hör auf zu murren«, sagte T’Ara zu ihm. »Körperliche Betätigung ist gut für dich.« Sie ging diesmal voraus, zurück durch den Gang zu der Leiter, stieg sie schnell hinab, und die anderen folgten ihr. Im hell beleuchteten Klassenzimmer konnte Jake das cardassianische Mädchen zum erstenmal richtig sehen. Wie bei allen Angehörigen ihrer Spezies war ihre Haut grau, und über ihre Stirn verlief ein knochiger First. Ihre Augen waren fahlgelb. Auf beiden Seiten ihres langen Halses liefen weitere Knochenvorsprünge hinab. Ihre Hände waren lang, und ihre Finger schmal. Sie schloß sie nervös zu Fäusten und öffnete sie wieder. Sie versuchte zwar, sich tapfer zu geben, war offensichtlich aber sehr verängstigt. »Ich heiße Jake«, sagte er zu ihr. »Das sind Ashley und T’Ara, und das ist Nog. Wie heißt du?« »Kam«, erwiderte sie. »Kam Gavron. Ihr fragt euch bestimmt, was ich hier mache, oder?« »Eigentlich«, gestand Ashley ein, »hätte ich zuerst lieber eine andere Frage beantwortet. Warum hast du den Nahrungsmittel-Replikator immer wieder umprogrammiert, damit er Eintopf und Käsekuchen herstellt?« Kam schaute zu Boden. »Na ja, eigentlich habe ich etwas anderes anfordern wollen«, sagte sie. »Ich habe versucht, mein Lieblingsessen zu bekommen – wir nennen es K’aatch –, aber der Replikator stellt keine cardassianische Nahrung mehr her.« 70
Ashley nickte. »Ich weiß. Meine Mom hat Chief O’Brien geholfen, sie umzuprogrammieren. Hier mag niemand cardassianisches Essen. Es ist manchmal ziemlich widerlich.« »Na ja«, fuhr Kam fort, »Eintopf und Käsekuchen schmeckt fast wie K’aatch – wenn man nicht hinsieht. Es war das einzige, was ich hier essen konnte. Ich habe davon gelebt.« »Neun Tage lang?« fragte Nog erstaunt. »Dir muß doch langsam schlecht sein. Mir wird schon schlecht, wenn ich es nur ansehe.« »Es wird allmählich eintönig«, gestand Kam ein. »Aber entweder das oder nichts.« »Da wäre ich lieber verhungert«, murmelte Nog. »Na schön«, sagte Jake. »Nachdem wir das jetzt geklärt haben, verrätst du uns vielleicht, was du hier machst, Kam. Warum bist du zurückgeblieben, und warum hast du dich da oben versteckt?« »Das ist ziemlich kompliziert«, antwortete Kam. »Aber wenn ihr Cardassianer wärt – oder auch nur Bajoraner –, hättet ihr meinen Namen erkannt.« »Ach ja?« fragte T’Ara verwirrt. »Warum?« Kam seufzte. »Mein Vater ist Gul Gavron.« Sie sah sie an und runzelte die Stirn. »Wißt ihr nicht, wer er ist?« »Eigentlich nicht«, gestand Ashley ein. »Wir wissen nicht so besonders viel über euer Volk.« »Anscheinend.« Kam schüttelte den Kopf. »Ich bin einfach daran gewöhnt, daß jeder weiß, wer er ist. Er ist der Held von Mintos Alpha – Gul der Dritten Flotte.« »Gul?« wiederholte Jake. »Du meinst, er ist einer der obersten Leute der cardassianischen Raumflotte?« »Ja«, sagte Kam mit einem Anflug von Stolz in der Stimme. »Und sollte er je herausfinden, was ich getan habe, wird er mich wahrscheinlich töten.«
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Jake starrte das magere cardassianische Mädchen an. »Erzähle uns alles darüber«, schlug er vor. Kam nickte und nahm hinter einem der Pulte Platz. Die anderen scharten sich um sie herum. Nachdem Kam ein paar Sekunden lang auf ihre Unterlippe gebissen hatte und dabei ihre Gedanken ordnete, fing sie endlich an. »Ihr wißt wahrscheinlich nicht, wie es auf Cardassia ist«, sagte sie. Jake konnte den Schmerz in ihrer Stimme hören. »Das Militär be herrscht unsere Welt, und fast alle Leute müssen dafür arbeiten. Cardassia ist keine sehr reiche Welt, und wir bauen darauf, daß unsere Kolonialplaneten uns fast alles liefern, einschließlich der Nahrung. Wenn das Militär seine Schlachten gewinnt, haben wir von allem genug. Wenn nicht, gibt es allen möglichen Mangel – besonders an Nahrung.« Sie seufzte. »Es hat viele Tage gegeben, an denen ich fast nichts zu essen hatte. Danach schmeckt sogar Eintopf und Käsekuchen hervorragend.« »Es muß dort schrecklich sein«, sagte Ashley. »Warum ertragt ihr das? Warum hält niemand das Militär auf?« »Machst du Witze?« fragte Kam. »Sie haben alle Waffen, alle Raumschiffe – alles. Wenn man auch nur ein Wort gegen das Militär sagt, wird man vielleicht verprügelt oder sogar getötet. Selbst, wenn man den Familien der militärischen Führer angehört. Wir müssen tun, was man uns sagt. Und das Militär kontrolliert auch die Schulen. Jede Unterrichtsstunde, die wir bekommen, muß vom Kriegsrat gebilligt werden. Man erzählt uns, die Föderation sei eine Vereinigung von Kriegstreibern und habe es darauf abgesehen, alle Cardassianer zu töten und unsere Welten zu stehlen.« »Das stimmt nicht!« sagte T’Ara und vergaß, daß sie eigentlich nicht wütend werden durfte. »Die Föderation will den Frieden und daß alle Spezies einander helfen.« 72
»Ja, aber den Cardassianern sagt man das nicht«, erklärte Kam. »Würde man es ihnen sagen, kämen sie vielleicht auf den Gedanken, das Militär zu entmachten. Also erzählt man uns, was für Ungeheuer ihr seid und daß ihr Cardassianer zum Spaß tötet und foltert. Die meisten Leute glauben es und haben schreckliche Angst vor euch. Sie sind der Meinung, daß lediglich die Raumflotte sie davor bewahrt, getötet zu werden. Das ist noch ein Grund, warum alle hinter dem Militär stehen. Na ja, wie ich schon sagte, ist mein Vater einer der höchsten Offiziere in der Raumflotte. Er ist der Gul der Dritten Flotte und wirklich wichtig. Also wurden wir zu Hause etwas besser behandelt als die meisten anderen Leute. Und man hat uns ständig gesagt, was für ein großer Held er sei, und so weiter. Aber ich war mir dessen nicht immer sicher, denn manchmal kann er wirklich in Wut geraten. Wenn jemand ihn verärgert, schlägt er einfach auf ihn ein, schlägt ihn so lange, bis er zu erschöpft ist, um damit weiterzumachen. Er hat oft meine Mutter und meinen älteren Bruder geschlagen. Manchmal auch mich, aber auf mich war er nur selten so böse. Ich weiß wirklich nicht, warum, aber er schien zu glauben, daß ich ihm ähnlicher war als mein Bruder.
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Er hat mir immer erzählt, wie wunderbar die Schlachten waren, in denen er gekämpft hat, und wie er die Föderation 74
besiegt hat, und so weiter. Aber das hat nie so geklungen, als glaubte er wirklich daran. Versteht ihr, was ich meine? Als würde er versuchen, daran zu glauben, obwohl er es besser wußte. Ich dachte immer wieder, wenn es falsch war, daß er uns alle schlug, war es vielleicht auch falsch, daß wir gegen die Föderation kämpften. Ich habe mich immer gefragt, ob hier wirklich alle Leute so böse sind, wie er immer behauptet. Auf jeden Fall hat er mich an meinem letzten Geburtstag zu den Raumdocks mitgenommen und mir einige der Schiffe dort gezeigt. Er war sehr stolz auf sie und hat mir erklärt, wie schnell und mächtig sie sind und wie viele andere Schiffe sie zerstört haben. Er hat wohl geglaubt, ich wäre wirklich beeindruckt, aber es hat mich sehr traurig gemacht, daß sie dazu dienten, andere Wesen zu töten. Es lagen auch ein paar alte, schmutzig aussehende Schiffe dort. Als ich mich nach ihnen erkundigte, erklärte er mir, das seien Frachter, die hauptsächlich zu den verschiedenen Kolonialwelten fliegen. Dann wurde er wegen irgendeines Problems weggerufen und ließ mich bei einem seiner jungen Offiziere zurück, einem Mann namens Tak.« Sie lächelte trau rig. »Er ist sehr nett, und ich bin immer gut mit ihm ausgekommen. Hoffentlich hat er wegen mir keine Schwierigkeiten bekommen.« Jake war verblüfft. Kam klang plötzlich genau wie Riv, der auch nicht gewollt hatte, daß jemand wegen einer Sache, die er angestellt hatte, in Schwierigkeiten geriet. Seltsam! »Tak hat mir dann einen der Frachter gezeigt, die gerade beladen wurden«, fuhr Kam fort. »Er ließ mich zusehen und hat gesagt, das Schiff würde hierherfliegen, nach Deep Space Nine. Das hat mich wirklich interessiert. Zu Hause auf Cardassia heißt es nur, die Bajoraner wären ein Pack von Feiglingen und Verrätern, die sich mit der Föderation zusam mengetan hätten, um uns zu verraten. Und man sagt uns, sie hätten uns Deep Space Nine gestohlen. Aber ich habe diese 75
Geschichten nie geglaubt, denn ich habe gehört, wie mein Vater sich mit anderen Soldaten unterhielt. Ich habe sie belauscht, und sie haben gesagt, sie selbst hätten Deep Space Nine übergeben, weil die Station für sie nutzlos geworden war. Und die Bajoraner seien unschuldig, und wir hätten sie überfallen. Danach schämte ich mich, denn als Kind hatte ich die Föderation immer gehaßt. Ich war schrecklich wütend gewesen, weil ihr alle angeblich versucht, uns zu überfallen und zu töten. Dann hörte ich meinen Vater sagen, daß wir Bajor angegriffen hatten. Ich fragte mich nun, wie viele andere Lügen man mir noch erzählt hatte. Je länger ich den Frachter betrachtete, desto lieber wäre ich auf ihm gewesen. Ich wollte hierherkommen und selbst sehen, wie es wirklich war. Ich wollte erfahren, ob die Leute in der Föderation wirklich Ungeheuer sind. Ich wollte ein für allemal die Wahrheit wissen.« Kam klang sehr wütend. »Und wie bist du an Bord gelangt?« fragte Ashley. »Na ja«, fuhr Kam fort, »als mein Vater zurückkam, war er wegen irgendeiner Sache unheimlich wütend. Er hat Tak zu sich gerufen. Der arme Tak mußte dort stehen und sich anbrüllen lassen – wahrscheinlich wegen einer Sache, für die er gar nichts konnte. Niemand hat auf mich geachtet, und da nahm ich all meinen Mut zusammen und habe mich davongeschlichen. Ich schaffte es, zu einem der Container zu gelangen, die gerade verladen wurden.« Sie lächelte schwach. »Ich kann ganz gut mit Computern umgehen. So habe ich auch herausbekommen, wie ich den Replikator neu einstellen mußte. Ich versteckte mich in dem Container und wartete ab. Ich hatte schreckliche Angst, daß mein Vater oder Tak merkten, daß ich verschwunden war, und herausfinden würden, wo ich mich versteckt hatte. Aber irgendwie kam es nicht dazu. Statt dessen wurde der Container an Bord des Frachters gebracht. Kurz darauf startete das Schiff dann. Ich wartete eine 76
Weile, schlüpfte dann aus dem Container und verbarg mich im Schiff. Der Frachter brauchte etwa einen Tag, um hierherzugelangen. Als er angedockt hatte, ging ich wieder in den Container zurück und wartete einfach ab, bis er entladen wurde. Seitdem verstecke ich mich hier.« Nach einem Augenblick der Stille schüttelte Nog den Kopf. »Mann! Du mußt wirklich sehr mutig sein, so etwas zu wagen!« »Eigentlich nicht«, erwiderte Kam und lächelte schwach. »Die meiste Zeit über hatte ich schreckliche Angst.« »Aber du bist hierhergekommen«, sagte T’Ara. »Obwohl man dir ständig gesagt hast, daß wir Ungeheuer und ganz schreckliche Leute sind. Das war sehr tapfer, auch wenn du eigentlich nicht geglaubt hast, daß wir so schrecklich sind.« »Aber weshalb hast du dich in der Zwischendecke über dem Schulraum versteckt?« fragte Jake. Kam schaute ein wenig traurig drein. »Na ja, zuerst habe ich es nicht gewagt, mich zu zeigen. Aber ich weiß, wie diese Raumstationen konstruiert sind. Mein Vater hat den Bau von einigen von ihnen beaufsichtigt, und ich habe ein paar Pläne gefunden. Ich wußte, daß es hier jede Menge Orte gab, an denen ich mich verstecken konnte, aber ich wollte auch herausfinden, wie die Leute hier wirklich sind. Am ersten Tag habe ich mich in der Nähe des Andockrings versteckt. Dann sah ich dich und Nog, und mir wurde klar, daß es auf dieser Station auch Jugendliche in meinem Alter gibt. Also bin ich euch gefolgt. Ich dachte, ich könnte am besten herausfinden, wie ihr wirklich seid, indem ich euern Unterricht belausche. Und ich habe einen der Computer mitgenommen, um des Nachts lernen zu können.« Ashley runzelte die Stirn. »Und du hast ein paar Kleidungsstücke aus Garaks Laden gestohlen, nicht wahr?« Kam nickte. »Mir blieb nichts anderes übrig. Wißt ihr, wie unangenehm es ist, eine Woche lang jeden Tag dieselbe 77
Kleidung zu tragen? Ich hatte schon Angst, ihr würdet mich hier oben riechen.« Jake mußte angesichts dieser Vorstellung lachen. »Du bist wirklich verrückt«, sagte er. »Aber was hältst du denn jetzt von der Föderation?« »Hältst du uns noch immer für Ungeheuer?« fragte T’Ara. Kam schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, schon lange nicht mehr. Ihr alle kamt mir wirklich ganz nett vor. Und nachdem ich jetzt mit euch sprechen konnte, weiß ich, daß ihr nett seid.« Sie sah sie hoffnungsvoll an. »Ich würde gern eure Freundin sein – wenn ihr das auch möchtet.« »Worauf du dich verlassen kannst«, pflichtete Jake ihr bereitwillig bei. »Ganz bestimmt«, fügte Ashley hinzu. »Ich hab nichts dagegen«, sagte Nog grinsend. »Das wäre akzeptabel«, sagte T’Ara. Ashley funkelte das jüngere Mädchen wütend an, und T’Ara fügte hinzu: »Ich würde mich freuen, Kam.« Die junge Cardassianerin lächelte breit, stand dann auf und umarmte die anderen nacheinander. »Danke«, sagte sie und wischte an ihren Augenwinkeln herum. »Ich bin wirklich froh, daß wir Freunde statt Feinde sein können.« »Aber das bringt uns auch Scherereien ein«, sagte Jake. Vier Augenpaare starrten ihn an. »Na ja, wir können dich nicht einfach in den Zwischenraum über der Decke zurückbringen und so tun, als wäre nichts passiert«, erklärte er. »Mein Dad ist der Kommandant dieser Station und hat mir und Nog erst ge stern abend ins Gewissen geredet.« Ashley nickte verdrossen. »Und Mrs. O’Brien weiß, daß wir die Person ergreifen wollen, die den Replikator manipuliert hat«, warf sie ein. »Wir müssen ihr irgend etwas sagen, oder sie wird mißtrauisch.« »Und da ist die Kleidung, die du Garak gestohlen hast«, fügte T’Ara hinzu. »Früher oder später wirst du frische Kleider 78
brauchen. Und noch so ein Diebstahl wird dir wohl kaum gelingen.« Nog kicherte. »Ich weiß, was wir tun könnten«, sagte er. »Wir könnten die ganze Sache einfach Riv in die Schuhe schieben.« »Aber das wäre gelogen«, sagte T’Ara. Nog zuckte mit den Achseln. »Ja – aber wenn irgend jemand es verdient hat, Schwierigkeiten wegen etwas zu bekommen, das er nicht getan hat, dann Riv.« Kam schüttelte den Kopf. »Es ist nicht richtig, jemandem die Schuld für etwas in die Schuhe zu schieben, das ich getan habe.« »Mag schon sein«, stimmte Nog zu. »Aber es würde Spaß machen.« »Nein.« Kam seufzte. »Ich fürchte, ihr werdet mich ausliefern müssen.« Der Gedanke schien ihr nicht zu behagen. »Ob sie mich nach Cardassia zurückschicken werden? Ich hasse das Leben dort! Und ich will nicht zu meinem Vater zurück!« Ashley runzelte die Stirn. »Ob dein Vater ihr Asyl gewähren wird?« fragte sie Jake. »Dann könnte sie hierbleiben.« Jake dachte darüber nach. Normalerweise gewährte die Föderation anderen Personen Bleiberecht, wenn sie darum baten – aber das galt für Erwachsene. »Ich weiß nicht, ob er dazu befugt ist«, gestand er ein. »Schließlich ist Kam noch ziemlich jung. Dad hat vielleicht keine andere Wahl, als sie auszuliefern.« »Aber du könntest ihn doch fragen«, sagte Ashley. »Natürlich kann ich das!« rief Jake. »Und das werde ich auch – und zwar sofort!« Er wandte sich an Kam. »Ich möchte, daß du hierbleiben kannst. Und mein Dad ist normalerweise ziemlich vernünftig, was solche Dinge betrifft. Wenn es eine Möglichkeit gibt, wird sie ihm schon einfallen.«
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Kam lächelte etwas traurig. »Es muß schön sein, so einen Vater zu haben.« »Das ist es auch«, erklärte Jake. »Meistens jedenfalls. Aber wenn ich etwas Dummes tue, sagt er mir auch die Meinung.« Die junge Cardassianerin nickte. »Aber schlägt er dich auch, wie mein Vater es tut?« »Nie!« Jake wurde klar, wie glücklich er sich schätzen konnte, solch einen Vater zu haben. »Also, Nog und ich werden mit meinem Dad sprechen. Ich weiß, daß er Verständnis für dich haben wird.« Er drehte sich zu Ashley um. »Und du könntest mit T’Ara Mrs. O’Brien suchen. Sie wird uns ebenfalls helfen.« »Genau«, sagte Ashley. »Sie ist nett«, erklärte sie Kam. »Sie hilft uns bestimmt.« »Dann ist ja alles klar«, entschied Jake. »Kam, sobald wir weg sind, versteckst du dich wieder da oben. Es dauert noch eine Weile, bis der Unterricht anfängt, aber es soll niemand erfahren, daß du hier bist, bis wir es ihnen sagen.« Kam nickte. »Einverstanden.« Sie sah ihre vier neuen Freunde an. »Vielen Dank«, sagte sie schlicht. »Ich weiß wirklich zu schätzen, was ihr für mich tut. Ganz gleich, was geschieht, ich werde das nie vergessen.« Jetzt standen eindeutig Tränen in ihren Augen. »Ach«, knurrte Nog, »das wird mir zu sentimental. Das hat man davon, wenn man sich mit Mädchen einläßt.« Jake grinste, als er zur Tür ging. »Worauf wartest du?« sagte er, und Nog folgte ihm schnell. Ashley und T’Ara begleiteten sie bis zur ersten Kreuzung und schlugen dann einen anderen Weg ein, um ihre Lehrerin zu suchen. Keiner von ihnen kam auf die Idee, sich umzuschauen. Hätten sie es getan, hätten sie vielleicht Riv gesehen. Der junge Bajoraner schlüpfte verstohlen in den Unterrichtsraum. Er hatte eine geraume Weile an der Tür gelauscht, und jetzt legte sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. 80
Jake war noch nicht oft in der OPS gewesen. Das war das Kontrollzentrum von Deep Space Nine; dort befand sich das Büro seines Vaters, und von dort aus wurde die gesamte Station geführt. Als Jake und Nog aus dem Turbolift traten, schauten sie sich nervös um. Die Hauptebene war kreisrund, und in der Mitte befand sich ein großes Kontrollpult. Darüber war der Hauptschirm angebracht, der den Raum praktisch beherrschte. Im Augenblick war er nicht eingeschaltet; er sah aus wie ein großer Bogengang, der sich fast bis zur Decke erhob. Auf der Hauptebene waren noch zahlreiche weitere technische Stationen untergebracht, und gegenüber vom Fahrstuhl befand sich eine Tür, die zum Büro des Commanders führte. Überall wurden leise Gespräche geführt, und auch die Computer und anderen Geräte gaben ununterbrochen Geräusche von sich. Die Stationen waren von etwa zwanzig Personen besetzt, die allesamt sehr geschäftig wirkten. Jake erkannte Mrs. O’Briens Ehemann, Chief O’Brien, hinter einer Konsole. Dax, eine alte Freundin seines Vaters, saß hinter der wissenschaftlichen Station. Sie sah ziemlich menschlich aus – einmal abgesehen von zwei Streifen großer Sommersprossen, die an ihren Schläfen begannen und das Gesicht und den Hals hinabliefen –, war in Wirklichkeit aber eine Trill, eine vereinte Spezies. In ihr befand sich ein kleines Geschöpf, das ihren Kör per und Geist mit ihr teilte. Dax war also gleichzeitig sehr alt und eine hübsche junge Frau. In der Mitte des Raums stand Major Kira. Sie trug die bajoranische Uniform, hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und betrachtete ihre Geräte. Ihr braunes Haar war kurz geschnitten, und im rechten Ohr trug sie einen bajoranischen Ohrring. Sie hatte früher als Freiheitskämpferin gegen die Cardassianer gekämpft und schien manchmal zu 81
vergessen, daß sie heute nicht mehr gegen jeden kämpfen mußte, der ihr über den Weg lief. Ihr gegenüber stand Jakes Vater hinter der Kommandokonsole. »Jake«, rief er. »Was führt dich hierher? Solltest du nicht in der Schule sein?« Mehrere andere Leute im Raum sahen zu ihnen hinüber. Jake bemerkte, daß Dax sie kurz anlächelte. »Äh... ja, aber...« Er atmete tief ein. »Du hast mir gesagt«, fuhr er dann fort, »ich könne jederzeit zu dir kommen, wenn ich ein Problem habe.« Sein Vater sah auf die Kommandokonsole hinab. »Das ist kein guter Zeitpunkt, Jake«, sagte er. »Wir haben Schwierigkeiten mit den Sensoren. Wie dringend ist es?« »Ziemlich dringend«, sagte Jake. Commander Sisko überlegte kurz und nickte dann. »Machen Sie mit den Tests weiter, Major«, sagte er. Kira nickte. »Aye, Sir.« Sie wandte sich wieder ihren Instrumenten zu und ignorierte die beiden Jungs. Commander Sisko ging durch den Raum zu Jake und Nog hinüber. Alle anderen widmeten sich wieder ihren jeweiligen Pflichten. »Also?« sagte er und sah vom einen zum anderen. Jake wollte, daß sein Vater Kam half. »Können wir einem Cardassianer Schutz gewähren?« fragte er. Der Commander schaute verblüfft drein. »Wenn man mich darum bittet und die betreffende Person kein Verbrechen begangen hat, können wir jederzeit Asyl gewähren. Ist das nur eine theoretische Frage, oder steckt etwas dahinter?« »Na ja«, gestand Jake ein, »es steckt etwas dahinter. Wir haben eine Cardassianerin gefunden, die sich auf der Station versteckt. Sie will hierbleiben, befürchtet aber, du wirst darauf bestehen, daß sie nach Cardassia zurückkehren muß.« »Und warum glaubt sie das?« fragte sein Vater. »Ist sie eine Kriminelle? Und wieso habt ihr sie gefunden?« Jake verlagerte unbehaglich sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Sie ist nicht gerade eine Kriminelle«, sagte er. 82
»Und Ashley Fontana und T’Ara haben sie gefunden. Sie hat den Replikator manipuliert.« Sein Vater seufzte. »Nicht gerade eine Kriminelle?« wiederholte er. »Na ja, was ist sie dann?« »Sie war es, die die Kleidung aus Garaks Laden gestohlen hat«, erklärte Jake. »Aber sie hatte keine andere Wahl.« »Aha.« Langsam dämmerte es seinem Vater. »Da Kleidung für ein junges Mädchen gestohlen wurde«, sagte er, »handelt es sich bei deiner Nichtkriminellen wohl auch um ein junges Mädchen?« Jake nickte. »Jetzt begreife ich, wo das Problem liegt. Wie alt ist sie denn, Jake?« »So etwa in meinem Alter«, gestand Jake ein. Sein Vater rieb sich das Kinn. »Jake«, sagte er sanft, »das könnte ein Problem geben. Sie ist noch ein Kind, und wir können nicht zulassen, daß Kinder, die von zu Hause ausgerissen sind, einfach hier auf der Station bleiben. Wir sollten sie ihren Eltern zurückgeben.« »Sie haßt ihren Vater«, sprang Nog in die Bresche. »Sie will nicht wieder zurück.« Jake nickte. »Und ich habe ihr gesagt, du würdest versuchen, ihr zu helfen«, fügte er hinzu. »Ich weiß, daß du es versuchen wirst, Dad.« Sein Vater lächelte. »Jake, ich weiß dein Vertrauen in mich zu schätzen. Und ich verspreche dir, ich werde es versuchen. Aber...« »Commander!« rief Major Kira laut vom Kontrollpult herüber. »Einige Sensoren funktionieren wieder. Und wir haben Probleme. Große Probleme.« Dax wirbelte auf ihrem Stuhl herum. »Das muß ich bestätigen, Commander. Ich orte acht Schlachtschiffe der Galor-Klasse, die sich der Station nähern.«
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»Acht?« Commander Sisko runzelte die Stirn. »Weshalb befinden sich acht cardassianische Kriegsschiffe hier? Dax, öffnen Sie einen Kanal zu dem vordersten Schiff.« Der große Bildschirm in der Mitte des Raums erhellte sich. Jake schluckte, als er einem cardassianischen Soldaten direkt ins Gesicht sah. Der Krieger saß auf dem Hauptdeck seines Schlachtschiffs auf einem großen, thronähnlichen Stuhl. Er war schmal, grau und sah sehr wütend aus. »Hier spricht Commander Sisko von Deep Space Nine«, rief sein Vater. »Können wir etwas für Sie tun...« – sein Blick huschte über die Abzeichen auf der Uniform, die der Soldat trug – »... Gul?« »Ja«, zischte der Gul. »Sie können in der Tat etwas für mich tun, Sisko. Sie können mir meine Tochter zurückgeben.« Jake spürte, daß sein Magen sich zusammenzog. Sein Vater sah zu ihm hinab und schaute dann wieder zu dem wütend blickenden cardassianischen Soldaten auf dem Bildschirm.
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»Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe«, sagte er. »Was hat Ihre Tochter hier zu suchen?« »Sie ist entführt worden«, knurrte der Cardassianer. »Ich will sie unverletzt zurückbekommen, und ich will, daß man mir die verantwortlichen Verbrecher zur Bestrafung ausliefert.« »Ich verstehe.« Jakes Vater nickte. »Ich werde Un tersuchungen anstellen und mich bei Ihnen melden.« »Sie werden mehr tun, als Untersuchungen anzustellen«, schnaubte der Cardassianer. »Sie werden handeln. Ich warne Sie, Sisko, wenn meine Tochter mir nicht innerhalb sechzig Ihrer Minuten wohlbehalten zurückgegeben wird, werde ich Ihre Station vernichten!« Der Bildschirm erlosch. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann murmelte Chief O’Brien: »Die nehmen wirklich kein Blatt vor den Mund, was?«
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Dax schaute zu dem Commander hinüber. »Die cardassianischen Schiffe aktivieren ihre Waffensysteme, Commander«, meldete sie mit ruhiger Stimme. »Ihre Phaser sind in Bereitschaft.« Chief O’Brien murmelte leise etwas. Lauter fragte er dann: »Soll ich unsere Schilde heben, Sir?« Jakes Vater schüttelte den Kopf. »Nein, Chief. Noch nicht. Es soll nicht so aussehen, als wollten wir sie herausfordern. Wenn seine Tochter sich wirklich auf dieser Station befindet, wird er es nicht riskieren, auf uns zu schießen, bis wir uns bei ihm gemeldet haben. Im Augenblick sind wir wohl kaum in Gefahr.« Er sah zu seinem Sohn und Nog hinab, und Major Kira trat zu ihnen. »Ich nehme an, ihr wißt, was das zu bedeuten hat?« »Wir stecken in Schwierigkeiten?« fragte Nog und warf einen Blick auf Jake. »Wieso stecken wir ständig in Schwierigkeiten?« »Nein«, sagte der Commander schnell, »das habe ich nicht gemeint.« Er sah Jake an. »Ist diese Cardassianerin, die ihr gefunden habt, seine Tochter?« »Äh... könnte schon sein«, sagte Jake. »Wenn er wirklich Gul Gavron ist.« »Gavron...«, sagte Major Kira, und ihre Stimme war fast ein Krächzen. »Wenn das Gul Gavron ist...« »Stecken wir wirklich in gewaltigen Schwierigkeiten«, stimmte Jakes Vater zu. Er seufzte. »Du erzählst uns besser alles, Jake. Und zwar von Anfang an.« »Na schön.« Jake tat wie geheißen und schloß alle Einzelheiten ein, an die er sich erinnern konnte. Als er mit seiner Geschichte fertig war, fügte er hinzu: »Aber er lügt, Dad. Kam wurde nicht entführt – sie ist davongelaufen.« »Den Anschein hat es«, sagte sein Vater und nickte. »Was denken Sie, Major?«
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Die Bajoranerin runzelte die Stirn. »Ich glaube, er ist zu stolz, um einzugestehen, daß seine Tochter so unglücklich war, daß sie ausgerissen ist. Indem er behauptet, sie sei entführt worden, kann er die Schuld anderen in die Schuhe schieben.« »Sie könnten recht haben.« Der Commander dachte darüber nach. »Aber damit haben wir ein sehr unangenehmes Problem, nicht wahr?« Kira nickte. »Er will, daß wir ihm Entführer zur Bestrafung ausliefern, die es gar nicht gibt. Wie sollen wir das machen?« »Nein, das ist unmöglich«, pflichtete Jakes Vater ihr bei. »Und wenn wir es nicht tun, greift er die Station vielleicht an, um seine Schande zu vertuschen. Cardassianer können in solchen Dingen sehr empfindlich sein.« »Wem sagen Sie das?« erwiderte Kira. »Ich habe gegen sie gekämpft. Also, was unternehmen wir nun?« »Sie haben für den Augenblick hier das Kommando«, erwiderte Commander Sisko. »Wenn Gul Gavron sich meldet und weitere Forderungen stellt, spielen Sie auf Zeit.« Er schaute zu Jake und Nog hinab. »Ihr beide bringt mich jetzt besser zu eurer jungen Freundin. Sie scheint uns das alles ja eingebrockt zu haben.« Sie waren auf dem Weg zur Schule, als Jake plötzlich Ashley, T’Ara und Mrs. O’Brien sah, die sich durch die Menge auf der Promenade drängten und ihnen entgegenkamen. Als Ashley Jake erblickte, winkte sie. »Jake!« rief sie. Ihre Stimme klang wirklich besorgt. »Es ist wegen Kam – sie ist verschwunden!«
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Jakes Vater runzelte die Stirn. »Verschwunden?« wiederholte er. »Du meinst, sie hat sich wieder versteckt?« T’Ara schüttelte den Kopf. »Das wissen wir nicht.« »Wir haben sie im Klassenzimmer zurückgelassen«, fügte Ashley hinzu. »Und als wir mit Mrs. O’Brien zurückkamen, war nichts mehr von ihr zu sehen.« »Habt ihr die Decke überprüft?« fragte Jake. Ashley sah ihn wütend an. »Natürlich haben wir das«, erwiderte sie. »Hältst du uns für dumm?« »Das«, sagte Commander Sisko, »ist nicht gut. Gar nicht gut.« Mrs. O’Brien schaute verwirrt drein. »Es ist doch sicher kein Problem, eine junge Cardassianerin zu finden, die sich irgendwo auf der Station versteckt hat?« fragte sie. »Normalerweise«, sagte Jakes Vater, »würde ich Ihnen zustimmen. Aber wir sind von acht cardassianischen Kriegsschiffen umzingelt, und ihr Vater hat das Kommando über sie. Er will Kam zurückhaben oder wird uns vernichten.« T’Ara schluckte. Dann riß sie sich sofort wieder zusammen. »Das ist unlogisch«, sagte sie. »Sie würde auch vernichtet werden.« »Damit hast du recht«, sagte der Commander zu ihr. »Aber ich glaube nicht, daß Gul Gavron sich im Augenblick für Logik interessiert. Kam hat ihm Leid zugefügt, und er möchte jemanden verletzen. Vorzugsweise uns.« »Dann müssen wir sie suchen«, sagte Mrs. O’Brien. Sie sah ihre Schüler an. »Habt ihr eine Ahnung, wo sie sein könnte?« Jake dachte nach, doch ihm fiel nichts ein. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie abgehauen ist und sich wieder versteckt hat«, sagte er. »Sie war doch einverstanden, auf uns zu warten.« 88
»Vielleicht«, schlug Nog vor, »hat ihr die Vorstellung, nach Hause zurückzukehren, dermaßen mißfallen, daß sie es sich anders überlegt hat.« »Das ist nicht logisch«, widersprach T’Ara. »Sie muß mittlerweile begriffen haben, daß wir nun, da wir von ihrer Anwesenheit wissen, die Sensoren benutzen können, um sie zu suchen.« »Eine gute Idee«, stimmte Commander Sisko zu und tippte auf den Kommunikator an seiner Brust. »Sisko an Dax.« Aus der Luft kam eine körperlose Antwort. »Hier Dax.« »Können Sie die Station mit den Sensoren absuchen?« fragte Jakes Vater. »Wir scheinen das cardassianische Mädchen vorübergehend verloren zu haben.« Es folgte eine kurze Pause, und dann trieb Dax’ Antwort durch die Luft: »Tut mir leid, Commander. Wir haben mit den Sensoren noch immer Schwierigkeiten. Wenn wir einen biologischen Scan von ihr hätten, würde es uns vielleicht gelingen, aber ohne ihr Muster haben wir wohl keine Chance.« »Toll.« Commander Sisko runzelte gedankenverloren die Stirn. »Bleiben Sie in Bereitschaft. Sisko Ende.« Er schüttelte den Kopf. »Wir könnten versuchen, ihr biologisches Muster in ihrem Versteck aufzuzeichnen«, sagte er zu Mrs. O’Brien. »Das ist nicht nötig, Sir«, sagte Ashley schnell. »Ich habe bereits ein Bioprofil von ihr. Es wurde von dem Programm aufgezeichnet, das ich in den Replikator eingab.« »Sehr gut«, sagte der Commander freundlich. »Wo ist es?« Ashley errötete angesichts des Lobes. »In meinem MiniComputer. Ich habe ihn im Klassenzimmer liegenlassen.« »Dann hole ihn«, sagte der Commander, »und bringe ihn zur OPS. Wir können ihn dort an den Hauptcomputer anschließen und dann die gesamte Station sondieren.« Ashley nickte, drehte sich um und lief zum Klassenzimmer. Jake, Nog und T’Ara folgten ihr. Als sie über die gut besuchte Promenade liefen, wurde Jake klar, daß nur sehr wenige Leute 89
von dem drohenden Angriff wußten. Das war wahrscheinlich am besten so. Eine Panik konnten sie jetzt überhaupt nicht ge brauchen. Aber falls sie Kam nicht finden sollten, mußte man es allen Personen an Bord der Station mitteilen... Sie erreichten das Klassenzimmer. Die anderen Schüler trafen gerade zum Unterricht ein. »Da ist er«, sagte Ashley und deutete auf den Mini-Computer auf ihrem Pult. Als sie hinüberlief, um ihn zu holen, schrie Nog vergnügt auf. Er huschte vor und hob etwas vom Boden auf. Jake erhaschte nur einen kurzen Blick auf etwas Leuchtendes, dann schloß Nogs Hand sich darum. »Was ist das?« fragte er neugierig. »Meins!« sagte Nog. »Ich habe es gefunden.« »Ich will es ja gar nicht haben«, erwiderte Jake. Die Ferengi mit ihren gierigen kleinen Herzen beanspruchten alles, was sie zufällig fanden, für sich. »Ich will nur wissen, was es ist.« Nog drückte argwöhnisch die Faust gegen seine Brust. Dann nickte er. »Na schön«, sagte er und öffnete die Finger ein paar Zentimeter. »Es ist ein Ohrring.« Irgend etwas an dem Schmuckstück kam Jake bekannt vor. »Den habe ich schon mal gesehen«, sagte er nachdenklich. Nog schloß die Faust wieder darum. »He, ich hab dir doch gesagt, er gehört mir. Komm mir jetzt nicht mit einer Geschichte an, du hättest ihn verloren.« »Nicht ich«, sagte Jake seufzend. »Aber ich weiß, ich habe diesen Ohrring schon mal gesehen.« »Na und?« fragte Ashley. »Ich habe den Computer. Wir können zur OPS gehen!« »Es könnte wichtig sein«, sagte Jake. »Und du bist sicher, daß er vorher nicht dort lag?« »Auf keinen Fall«, sagte Nog. »Sonst hätte ich ihn gesehen.« »Worauf du dich verlassen kannst«, pflichtete Ashley ihm bei. »Der sieht einen Schnipsel Goldstaub auf hundert Kilometer.« 90
Nog grinste angesichts der Vorstellung. »Ja. Wenn es darum geht, Schätze zu finden, ist auf mich Verlaß.« »Das ist kein Schatz«, sagte Jake, dem endlich eingefallen war, wo er das Schmuckstück schon mal gesehen hatte. »Das ist Rivs Ohrring.« »Nein, ist es nicht«, beharrte Nog. »Es ist meiner. Ich habe ihn gefunden.« »Nein, du verstehst nicht«, sagte Jake besorgt. »Es ist der Ohrring, den Riv von seinem Vater bekommen hat.« »Na und?« fragte Ashley ungeduldig. Sie wollte zur OPS. »Er muß ihn verloren haben. Mehr steckt nicht dahinter. Und jetzt kommt mit!« »Gleich«, beharrte Jake. »Dieser Ohrring war Rivs wertvollster Besitz – das einzige Andenken an seine Eltern, hat er gesagt. Wenn er ihn verloren hätte, würde er sofort danach suchen. Außer...« T’Ara grinste zuerst, zog dann aber sofort eine Braue hoch. »Außer, etwas hat ihn abgelenkt«, schloß sie. »Kam zum Beispiel.« »Genau!« Jake war überzeugt, daß er recht hatte. »Er muß hierhergekommen sein und sie gefunden haben. Und wir alle wissen, wie sehr er Cardassianer haßt...« Ashley erbleichte. »Glaubst du, er hat sie angegriffen?« »Ja.« Jake wollte über die Folgen lieber nicht nachdenken. »Und bei dem Kampf hat er den Ohrring verloren. Er hat es nicht mal bemerkt.« »Jetzt kommt endlich«, sagte Ashley wütend. »Wenn er sie entführt hat, müssen wir die Probe erst recht sofort zu deinem Vater bringen. Wer weiß, was er mit ihr anstellen wird?« Jake nickte. »Und wir wissen genau, was ihr Vater mit dieser Station anstellen wird, wenn er sie nicht zurückbekommt...« Sie liefen zum Turbolift zurück. Ein paar Passanten schimpften wütend, als sie sich durch die Menge auf der Promenade drängten, aber diesmal war Jake überzeugt, daß er 91
deshalb keinen Ärger bekommen würde. Die vier drängten sich in den Lift, und Jake rief: »OPS!« Der Fahrstuhl schien den Schacht hinaufzukriechen, und Jake ertappte sich dabei, wie er ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippte. Dann hatten sie die OPS endlich erreicht und liefen in den Kontrollraum. »Ich habe die Probe!« erklärte Ashley und hielt ihren MiniComputer hoch. »Gut.« Dax stand auf und winkte sie zu sich. »Komm damit bitte zu mir.« Sie alle gingen zu ihr hinüber. Dax bedachte sie mit einem wie stets betörenden Lächeln und nahm den Computer von Ashley entgegen. Sie zog ein Kabel aus ihrem Kontrollpult und schloß es an den Mini-Computer an. Der Bildschirm auf ihrem Pult erhellte sich und zeigte neue Muster und Daten. Dax’ Finger flogen über die Kontrollen, während sie den Hauptcomputer anwies, die Daten aus Ashleys Gerät zu holen. »Ich habe sie«, murmelte sie und gab dann weitere Befehle ein. Jake, Nog, T’Ara und Ashley beugten sich über die Bildschirme. Der Hauptschirm in der Mitte des Kontrollzentrums zeigte das cardassianische Flaggschiff – eine grimmige Erinnerung daran, was sie erwartete, sollte Dax die junge Cardassianerin nicht aufspüren können. Auf dem Monitor der kleinen Konsole wurde ein Querschnitt von Deep Space Nine dargestellt. Der Computer engte das Bild ein und zoomte dann auf eine bestimmte Stelle. »Da ist sie«, sagte Dax. »Ich habe eine deutliche Messung.« »Wo ist sie?« rief Commander Sisko. Er stand neben Major Kira an der Hauptkonsole. »Auf der Promenade«, erwiderte Dax. Dann runzelte sie die Stirn. »Nein... nicht auf der Promenade. Sie ist darüber. Sie scheint sich genau in den Versorgungsschächten über der Promenadendecke zu befinden.« »Anscheinend hat sie etwas für Decken übrig«, sagte der Commander. 92
Jake schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß es ihr dort gefallen wird«, sagte er zu seinem Vater. »Ich glaube, Riv hat sie entführt.« Sein Vater runzelte die Stirn. »Riv? Was hat er denn mit ihr vor?« Das schreckliche Gefühl, das sich in Jake breitgemacht hatte, fand endlich Worte. »Er haßt Cardassianer. Ich glaube, er hat sie dorthin gebracht, um sie zu töten.« Major Kira schaute sehr besorgt drein. »Und wenn er sie tatsächlich tötet«, sagte sie, »tötet er uns ebenfalls.« Sie deutete auf den Hauptschirm. »Diese Schiffe werden uns dann ganz bestimmt angreifen.«
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Kam schluckte und versuchte, nicht von dem schwankenden Balken hinabzuschauen. Sie kämpfte gegen den Schwindel an, der sie zu überwältigen drohte. Wenn sie losließ, würde sie zu Tode stürzen. Riv grinste sie an. Die Höhe schien ihm nichts auszumachen. »Angst, was?« schnaubte er. »Genau wie alle Cardassianer.« Sie wollte sich nicht provozieren lassen. Während sie auf Jake und seine Freunde wartete, hatte dieser seltsame junge Bajoraner sie überfallen und mitgeschleppt. Sie hatte versucht, sich zu wehren, aber er war viel stärker als sie, und es hatte nicht viel genutzt. Immerhin war es ihr gelungen, ihn zu kratzen; jetzt zierten ein paar rote Striemen Rivs Gesicht. Aber sie verspürte einen dumpfen Schmerz in ihrer Seite; dorthin hatte er sie geschlagen, um ihren Widerstand zu brechen. »Warum tust du mir das an?« fragte sie. Das schien ihn zu amüsieren. »Du jammerst schon? Nur zu, winsele um dein Leben. Man weiß ja nie, vielleicht lasse ich mich erweichen.« Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht stoße ich dich aber auch hinunter.« Er machte eine plötzliche Handbewegung. Kam schrie leise auf, schreckte vor ihm zurück und hielt sich an dem dünnen Balken unter ihr fest. Riv lachte – ein häßliches, schroffes Geräusch. Sie atmete tief ein und sah ihn an. »Ich werde nicht um mein Leben bitten«, sagte sie. »Wenn du mich töten willst, wirst du es sowieso tun. Ich will nur wissen, warum du mich tötest. Ich habe dir nichts getan.« Er runzelte die Stirn, und sein Gesicht verzerrte sich. »Dein Volk hat mir etwas getan!« sagte er wütend zu ihr. »Es hat meine Eltern getötet. Ich habe mich mein ganzes Leben lang verstecken müssen und gegen Cardassianer gekämpft.« Kam schämte sich für ihr Volk. »Das mit deinen Eltern tut mir wirklich leid. Aber warum hast du mich ausgesucht?« 94
»Leid? Dir?« Riv schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ihr Cardassianer habt keine ehrlichen Gefühle. Ihr seid nur Dreck. Und ihr werdet bezahlen – angefangen mit dir.« Kam schluckte erneut. Der Drang, nach unten zu schauen, war fast unwiderstehlich, doch sie wußte, wenn sie ihm nachgab, würde sie das Gleichgewicht verlieren und stürzen. »Also willst du mich aus Rache töten?« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich kann dir nicht mal Vorwürfe machen. Hätte ich meine Eltern so geliebt, wie du die deinen geliebt haben mußt, würde ich die Leute, die sie getötet haben, wahrscheinlich auch hassen.« »O nein«, sagte er. »Du kannst mir nicht einreden, daß du Mitgefühl hast. Das ist nur ein Trick. Aber ich werde dich nur töten, wenn es unbedingt sein muß. Ich habe dich belauscht... du hast den anderen Kindern gesagt, daß du die Tochter eines Gul bist. Lebend bist du für mich viel mehr wert.« Kam brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Ja? Dann solltest du mich von diesem Balken herunterlassen. Ich könnte jeden Augenblick hinabstürzen.« »Na und? Dann fällst du eben.« Die Vorstellung schien ihn nicht zu stören. »Ich habe versucht, mit dem bajoranischen Untergrund Kontakt aufzunehmen, um mich ihm anzuschließen. Ich will gegen die Cardassianer kämpfen, genau wie meine Eltern es getan haben. Aber bislang konnte ich nicht zu ihnen durchkommen.«
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»Der Krieg ist vorbei«, sagte Kam verwirrt. »Bajor ist befreit. Es gibt gar keinen Untergrund mehr.« Riv lachte barsch. »Das wollen mir alle erzählen, aber es stimmt nicht. Wir mögen zwar unseren Planeten zurückbekommen haben, aber wahre Bajoraner werden nicht ruhen, bis sie den letzten Cardassianer ausgelöscht haben. Es muß einen Untergrund geben. Und ich kann dich dem Widerstand übergeben, die Tochter eines Gul, die er dann als Geisel verwenden kann. Dann werden sie mich bestimmt mitmachen lassen, oder?« »Der Krieg ist vorbei«, wiederholte sie. »Wir haben Frieden.« »Frieden?« Er klang sehr verbittert. »Es wird nie Frieden geben, solange auch nur ein Cardassianer lebt. Wir sind noch immer im Krieg, ganz gleich, was die Föderation oder alle anderen sagen.« »Du bist noch im Krieg«, sagte Kam. Sie hatte Rivs Problem erkannt. Er hatte so lange ein Leben geführt, das nur aus Haß, Furcht und Kämpfen bestand, daß er gar nichts anderes kannte. Er würde nicht akzeptieren, daß die Lage sich verändert hatte. »Riv, wir müssen keine Feinde sein. Wir können Freunde sein.« Er lachte. »Man kann mit seinen Feinden lediglich Frieden schließen, indem man sie tötet.« »Vielleicht haben deine Eltern dir das erzählt«, sagte Kam leise, »aber es stimmt nicht. Es gibt eine andere Möglichkeit. Man hört auf, Feinde zu sein, und fängt damit an, Freunde zu sein.« »Freunde?« Riv betrachtete sie, als wolle er sie anspucken. »Cardassianer haben keine Freunde. Ihr seid Tiere, mehr nicht.« »Aber was ist«, fragte Kam ihn, »wenn die anderen recht haben und es keinen Untergrund mehr gibt, der den Krieg
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gegen die Cardassianer fortsetzt? Was, wenn wirklich Frieden herrscht?« »Dann solltest du dich lieber auf den Tod vorbereiten«, sagte er. »Denn du wirst diesen Balken entweder verlassen, um mit mir in den Untergrund zu gehen, oder zumindest eine Cardassianerin wird für alles bezahlen, was ihr meinem Volk und mir angetan habt.« Jemand räusperte sich. Das Geräusch erklang hinter Riv. Er drehte sich um, und Kam konnte an ihm vorbei sehen. Der Balken, auf dem sie kauerten, verlief bis zur anderen Wand und schwang sich dort zur Decke hoch. Riv hatte in dieser Wand eine Platte entfernt und sie gezwungen, hindurch und auf den Balken zu klettern. Als er ihr gefolgt war, hatte er die Öffnung nicht wieder verschlossen. Über seine Schulter konnte sie sehen, daß nun mehrere Personen in dem schmalen Versorgungsgang standen. Einer von ihnen sah durch das Loch zu ihnen hinab. Er war groß und dunkelhäutig und mit einer Starfleet-Uniform bekleidet. Sie vermutete, daß es sich bei ihm um Jakes Vater handelte. Hinter ihm standen Jake, Nog und Odo. »Hallo, Riv«, sagte der Commander leise. »Hallo, Kam. Bleibt ganz ruhig.« Riv schüttelte den Kopf. »Ich bin ganz ruhig«, sagte er. »Aber Sie sollten beunruhigt sein. Ich will mit Major Kira sprechen.« »Ich fürchte, das ist im Augenblick nicht möglich«, erwiderte Commander Sisko. »Major Kira ist auf der OPS. Wir müssen uns derzeit mit einem kleinen Problem befassen.« »Ja«, sagte Riv. »Mit mir.« Der Commander seufzte. »Ja, du gehörst dazu. Ich weiß zwar nicht, warum du dort draußen bist, aber komm bitte wieder zurück. Und laß auch Kam zurückkommen.« »Nein«, sagte Riv entschieden. »Sie haben die Wahl. Holen Sie Major Kira her, oder ich stoße diese Cardassianerin hinab. 98
Entscheiden Sie sich – aber schnell!« Er bewegte den Arm, und seine Hand schloß sich um Kams Schulter. Sie bemühte sich, nicht laut aufzuschreien und auf dem dünnen Balken zu bleiben. Jake schnappte nach Luft, als er sah, daß Riv die Cardassianerin von dem Balken stoßen wollte. Aus dieser Höhe würde Kam einen Sturz auf keinen Fall überleben. »Tu es nicht, Riv!« rief er und sah dann seinen Vater an. »Vielleicht kann ich ihn zur Vernunft bringen«, sagte er. Sein Vater dachte einen Augenblick lang darüber nach und nickte dann. »Ich bezweifle allerdings, daß irgend jemand diesen Jungen zur Vernunft bringen kann«, murmelte er. Jake drängte sich in dem engen Versorgungstunnel an seinem Vater vorbei und spähte durch das Loch. Der Balken sah von hier aus noch dünner aus, und er stellte fest, daß er sich unter Rivs und Kams Gewicht deutlich bog. Er war dazu gedacht, daß man bei Festen Verzierungen und Flaggen daran befestigte, aber nicht, das Gewicht mehrerer Personen zu tragen. Er hörte, daß sein Vater hinter ihm Odo so leise fragte, daß Riv ihn nicht hören konnte: »Können Sie Ihre Gestalt verändern und zu ihnen gehen, Odo? Als Maus oder so?« »Ich fürchte, das ist unmöglich«, erwiderte Odo. »Ich kann zwar die Gestalt und Größe einer Maus annehmen, würde mein Gewicht aber behalten. Riv hat sich diesen Ort sehr genau ausgesucht. Wenn ich dort hinausgehe, wird die Stange wahrscheinlich brechen. Einer der Jungen könnte es vielleicht schaffen, aber kein Erwachsener.« »Ich bezweifle, daß er in aller Ruhe zusehen wird, wie jemand dort hinaufkriecht«, sagte Jakes Vater seufzend. Nog räusperte sich. »Warum beamen wir sie nicht mit dem Transporter hierher?« schlug er vor.
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»Eine gute Idee«, erwiderte Commander Sisko. Nog strahlte, schaute jedoch betroffen drein, als der Commander hinzufügte: »Hätten wir nicht die Probleme mit den Sensoren. Nein, wir müssen ihn zur Aufgabe überreden.« Jake wußte, daß dies sein Stichwort war. »Hallo, Riv«, sagte er und hoffte, daß ihm etwas einfallen würde. »Bist du dieses Mal nicht etwas zu weit gegangen?« »Ein guter Witz, du Trottel«, antwortete der Bajoraner. »Ich bin wirklich ziemlich weit draußen, nicht wahr?« Jake sah die Furcht auf Kams Gesicht und in ihren Augen. Da sie den Balken krampfhaft umklammerte, vermutete er, daß sie unter Höhenangst litt. »Warum läßt du sie nicht gehen?« fragte er. »Auf keinen Fall«, sagte Riv. »Sie ist meine Fahrkarte in die Freiheit.« »Ich hätte nicht gedacht, daß du so feige bist«, sagte Jake höhnisch. »Ich bin tapferer als du!« schrie Riv verärgert zurück. Sein Gesicht lief rot an. »Ach ja?« fragte Jake. »Warum tust du ihr das denn an?« »Sie ist eine Cardassianerin!« brüllte Riv. »Und du bist nur ein Feigling!« schrie Jake zurück. Einen Augenblick lang dachte Jake, er hätte Riv dermaßen gereizt, daß der Bajoraner zurückklettern würde, nur um ihn zu verprügeln. Riv ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Doch dann schüttelte er den Kopf. »Das wird dir nicht gelingen«, sagte er. »Wenn es sein muß, werde ich sie töten. Das verspreche ich dir.« »Dann wirst du uns alle töten«, erwiderte Jake. Riv musterte ihn argwöhnisch; offensichtlich rechnete er mit einem Trick. »Was meinst du damit?« »Du weißt, daß sie Gul Gavrons Tochter ist?« fragte Jake. »Ja.« Riv grinste wieder. »Eine sehr wertvolle Geisel.« »Tja, er ist hier und will sie zurückhaben.« 100
»Was?« sagten sowohl Kam als auch Riv gleichzeitig. Jake konnte nicht entscheiden, wer überraschter zu sein schien. »Er hat die Station mit acht Kriegsschiffen umzingelt«, erklärte Jake. »Er will Kam zurückhaben, und wenn er sie nicht bekommt, wird er Deep Space Nine zerstören. Das behauptet er zumindest.« Kam schluckte, aber Riv lachte nur kurz und bellend. »So verrückt wird er wohl kaum sein!« »Du kennst meinen Vater nicht«, sagte Kam mit echtem Zorn und Haß in der Stimme. »Wenn er wütend ist, ist er zu allem fähig.« Riv dachte kurz darüber nach. »Auf dieser Station befinden sich Angehörige der Föderation«, sagte er. »Wenn der Gul die Station zerstört, würde die Föderation Cardassia den Krieg erklären, oder?« »Wahrscheinlich«, sagte Jake. »Aber das würde uns nicht mehr helfen. Wir wären dann tot.« »Mir würde es helfen«, sagte Riv. In seinen Augen lag ein ganz seltsamer Blick. »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Und wenn der Gul Deep Space Nine zerstört, wird die Föderation gegen die Cardassianer Krieg führen. Die Föderation wird gewinnen und diesen stinkenden Abschaum aus dem Universum tilgen.« Er lachte. »Für mich hört sich das ziemlich gut an.« »Was?« Kam schaute nun wütend drein, nicht mehr verängstigt, wie noch einen Augenblick zuvor. »Ist das alles, woran du denken kannst? Cardassianer zu töten? Du kannst mich töten, wenn du willst, aber ich werde nicht zulassen, daß du die anderen Leute auf der Station in Gefahr bringst. Es sind gute Leute – Jake und Ashley und T’Ara und Nog und all die anderen. Sie haben es nicht verdient zu sterben, nur damit du einen dummen Krieg auslösen kannst! Ich lasse nicht zu, daß du sie tötest!« Knurrend sprang sie Riv an.
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Jake war entsetzt. Kam war so wütend, daß sie womöglich sich selbst und Riv in den Tod stürzen würde. »Hört auf!« rief er, um das Schlimmste zu verhindern. »Kam, tu es nicht!« Sie zögerte. Sie stand nun auf den Füßen, balancierte auf dem Balken. Ihre Höhenangst schien sie vergessen zu haben, so wütend war sie auf Riv. Der junge Bajoraner starrte sie an; offensichtlich war er völlig verwirrt und schockiert. »Du willst sie retten?« sagte er, und seine Stimme klang ganz seltsam. »Sie sind meine Freunde«, knurrte sie. »Und ich werde nicht zulassen, daß sie wegen dir getötet werden.« »Aber... du bist eine Cardassianerin«, sagte er. Er schien mit dieser Vorstellung zu kämpfen. »Cardassianer hassen doch jeden.« »Ich nicht!« rief sie. »Im Augenblick hasse ich nur zwei Personen. Die eine ist mein Vater, und die andere bist du.« Jake erkannte, daß Riv allmählich einsah, wie sehr er sich geirrt hatte. »Riv«, sagte er leise. »Es stimmt. Sie meint es ernst. Sie ist unsere Freundin. Mir ist es gleichgültig, ob sie eine Cardassianerin oder was auch immer ist. Sie ist eine nette Person. Und sie ist viel netter als du.« Riv drehte sich auf dem Balken um. Jake sah, daß es im Gesicht des jungen Bajoraners zuckte und arbeitete. »Komm zu uns, Riv«, rief Nog über Jakes Schulter hinweg. »Komm wieder herein. Und laß auch Kam hereinkommen.« Er zuckte zusammen und fügte dann hinzu: »Bitte!«
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Während Riv dort stand und mit sich selbst kämpfte, lachte Kam scharf auf. »Ja. Wenn du mir wirklich etwas antun willst, laß mich hineingehen. Ich werde zu meinem Vater zurückkehren müssen. Er wird mich wahrscheinlich töten, weil ich weggelaufen bin.« Jake beobachtete sie und wagte kaum zu atmen. Er spürte, daß sein Vater, Nog und Odo hinter ihm standen und die beiden ebenfalls betrachteten. Würde Riv einwilligen? Würde er zu ihnen kommen? Ashley blickte sich ehrfürchtig in der OPS um. Sie hatte schon immer hierherkommen und einige der tollen Geräte untersuchen wollen. Jetzt wünschte sie, sie wäre irgendwo anders. Auf einem schönen, sicheren Planeten zum Beispiel. Major Kira stand vor dem Hauptbildschirm. Gul Gavrons große Gestalt sah sie aufmerksam an. »Wir tun unser Bestes«, 103
sagte sie und versuchte zu lächeln. »Wir brauchen lediglich etwas länger, als wir gedacht haben, um Ihre Tochter zu finden.« »Dann ist Ihr Bestes offensichtlich nicht gut genug!« brüllte Gul Gavron. Er zischte etwas, und sein Gesicht zuckte. Ashley wurde klar, wie wütend er war. »Also werde ich Ihnen einen kleinen Ansporn geben.« Er wandte sich an einen seiner Offi ziere, der sich außerhalb des Bildschirmbereichs befand, und rief: »Feuern Sie einen Warnschuß auf die Station ab!« »Sofort, Sir«, erwiderte eine Stimme. Major Kira wirbelte herum. »Schilde heben! Alle Kampfstationen besetzen! Wir werden angegriffen!«
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Jake schaute zu Riv hinüber, der noch immer auf dem Balken stand. Der junge Bajoraner kämpfte eindeutig mit seinen Auffassungen. »Glaubst du, er wird sie gehen lassen?« fragte Jake leise seinen Vater. »Ich glaube schon«, erwiderte der Commander flüsternd. »Er muß lediglich die Wahrheit akzeptieren, daß sein Haß falsch war. Er hat sein ganzes Leben lang Krieg geführt und ist der Gefangene eines Friedens, den er nicht versteht oder akzeptiert. Er hat gelernt, alle Cardassianer zu hassen. Aber jetzt hat er herausgefunden, daß zumindest eine von ihnen eine gute Person ist. Es ist schwer, den Haß zu bewahren, wenn eine Person, die man zu hassen versucht, ein Gesicht hat – und ein gutes Herz.« Jake verstand, was sein Vater meinte. Er konnte nur hoffen, daß Riv zur gleichen Schlußfolgerung gelangen würde. Schließlich nickte der junge Bajoraner. »Na schön«, sagte er. »Wir kommen rein. Sie ist keine schlechte Person, oder?« »Toll!« Jake lächelte breit. »Du bist auch gar nicht so übel.« Riv drehte sich um. Genau in diesem Augenblick jaulten Sirenen auf. »Alarmstufe Rot!« erklang Major Kiras Stimme über das öffentliche Lautsprechersystem. »Wir werden angegriffen.« Etwas traf auf die Kraftfelder der Station. Der Energieschirm absorbierte den Treffer, aber eine Sekunde lang fiel der Strom aus, und die Trägheitsabsorber versagten. Der Boden unter Jakes Füßen zitterte wie bei einem Erdbeben. Auf dem Balken stieß Riv einen erstickten Schrei der Überraschung aus und verlor den Halt. Jake sah, wie Riv stolperte und dann fiel. Einen Herzschlag lang war er überzeugt, daß der junge Bajoraner sterben würde. Dann warf Kam sich vor. Ihre linke Hand schlang sich um Rivs Gelenk, und die andere legte sie um den Balken. Mit 105
einem Schmerzensschrei fing sie ihr Gewicht ab. Sie klammerte sich mit dem rechten Arm fest und hielt mit dem anderen den Bajoraner. Riv schwang unter ihr dreißig Meter über dem Boden hin und her. Auf seinem Gesicht ließ sich Schmerz ausmachen – und Furcht. Er schaute hinab und dann wieder hinauf. Kams Gesicht hatte sich vor Anstrengung verzerrt, und Jake wurde klar, daß sie sich nicht mehr lange an dem Balken würde fest halten können. »Laß los!« rief Riv ihr zu. »Sonst wirst du auch abstürzen! Laß mich los!« »Nein«, knurrte Kam wütend. »Ich werde dich nicht sterben lassen.« »Du kannst es nicht verhindern!« rief der Bajoraner. »Es ist doch sinnlos, daß wir beide sterben!« »Nein!« Jake stand wie erstarrt da, unfähig, sich zu bewegen. Als er nun beobachtete, wie Riv in Kams engem Griff hin und her schwang, wurde ihm klar, daß sie den Balken bald loslassen mußte. Ihr Arm war nicht stark genug, um ihr Gewicht und das von Riv halten zu können. Jake war nicht schwindelfrei, doch endlich gelang es ihm, die Füße zu bewegen. Er sprang durch die Lücke in der Decke und trat auf den Balken. Hinter ihm hörte er Nog nach Luft schnappen. Ein schneller Blick auf die Promenade tief unter ihm bewirkte, daß er den Kopf sofort wieder hochriß und zu Kam schaute. »Halte durch!« rief er. Er streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht zu bewahren, und machte kleine Schritte über den schrecklich schmalen Balken, der sich unter seinem zusätzlichen Gewicht leicht bog. Hoffentlich verkraftete er diese Belastung! »Sei vorsichtig, Jake«, rief sein Vater. Jake hörte die Besorgnis in seiner Stimme. »Odo läßt von einigen seiner Leute einen tragbaren Traktorstrahl hierherbringen.« 106
»Alles klar«, sagte er und biß dann die Zähne zusammen, damit sie nicht mehr so laut klapperten. Schritt um Schritt ging er langsam weiter und bemühte sich, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Kam konnte sich kaum noch an dem Balken festhalten, doch ihr Griff um Rivs Gelenk wurde nicht schwächer. Dann war Jake bei ihnen und ging auf dem Balken auf die Knie. Er legte den linken Arm darum, um sich festzuhalten, und griff mit der freien Hand hinab. »Gib mir deine andere Hand«, sagte er zu Riv. Der Bajoraner tat wie geheißen, und Jake umklammerte die Hand und übernahm den Großteil des Gewichts. Kam seufzte. Nun, da sie Rivs Gewicht nicht mehr allein tragen mußte, konnte sie den Griff um den Balken verstärken. »Danke, Jake«, sagte sie. Er sah ihr in die Augen und nahm Schmerz und Entschlossenheit in ihnen wahr. Er wußte, daß sie lieber gestorben wäre, als Riv loszulassen. »Du bist die Heldin«, sagte er zu ihr. »Ich versuche lediglich, ein wenig zu helfen.« Dann stellte sich ein seltsames Gefühl bei ihm ein, als würden unsichtbare Finger ihn umfassen.
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»Ich habe sie«, sagte Odo mit tiefer Befriedigung. Der Traktorstrahl mußte eingetroffen sein. »Alles in Ordnung«, rief 108
der Constable. »Ihr könnt den Balken jetzt loslassen. Wir haben euch alle drei erfaßt.« Nur selten in seinem Leben war Jake etwas so schwergefallen, wie nun den Balken loszulassen. Er hatte schreckliche Angst, daß er dann fallen und tief unten auf den Boden prallen würde. Aber er wußte, daß er Odo vertrauen konnte. Er ließ los. Und fiel nicht. Die unsichtbaren Finger hielten ihn fest. Er ließ auch nicht Riv los, genausowenig wie Kam. Sie nahm den Arm vom Balken. Die geisterhaften Finger schoben sie sanft zu der Lücke in der Wand hinüber. Jake hatte zwar keine Augen auf dem Rücken, spürte aber, daß echte Hände ihn ergriffen und hineinzogen. Dann griffen genauso starke und feste Hände durch das Loch, um Riv und Kam hereinzuholen. Die unsichtbaren Finger entspannten sich, und Jake rappelte sich auf. Die Arme seines Vaters hielten ihn, und er grinste ihn an. Sein Vater kniff ein Auge zusammen. Dann schaute er zu dem bajoranischen Jungen und dem cardassianischen Mädchen, denen Odo und einer seiner Leute gerade auf die Füße halfen. Der Commander berührte seinen Kommunikator und rief: »Sisko an Kira. Wie ist unser Status?« »Es war nur ein Warnschuß, Commander«, erstattete sie Bericht. »Er sollte unsere Suche nach seiner Tochter beschleunigen. Die Schilde haben ihn abgefangen. Kein Schaden und keine Verletzten.« »Fast hätte es welche gegeben«, sagte Jakes Vater. »Sagen Sie dem Gul, daß es ihm fast gelungen wäre, seine eigene Tochter zu töten. Aber wir konnten sie rechtzeitig bergen. Sie ist in Sicherheit. Sisko Ende.« Jake trat zu Kam und Riv. Der Bajoraner schien nicht imstande zu sein, den Kopf heben und die anderen ansehen zu können. »Wirst du zu deinem Vater zurückkehren?« fragte Jake das Mädchen.
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»Ich habe keine andere Wahl«, erwiderte es unglücklich. »Wenn ich nicht zu ihm zurückgehe, wird er die Station angreifen.« Kam sah Jakes Vater an. »Ich kann Sie jetzt nicht mehr bitten, mich hierzubehalten. Das wäre nicht fair.« Der Commander nickte. »Du bist ein sehr tapferes Mädchen. Was wird dein Vater mit dir machen, wenn du wieder bei ihm bist?« Sie zuckte mit den Achseln. »Wahrscheinlich wird er mich töten. Indem ich davongelaufen bin, habe ich ihn in der Öffentlichkeit in Verlegenheit gebracht. Ganz gleich, was er sagt, er weiß, daß ich nicht entführt wurde.« Nun sah Riv sie an. »Du gehst zu ihm zurück? Obwohl du weißt, daß du sterben wirst?« »Ich habe keine andere Wahl«, sagte sie traurig. »Wenn ich es nicht tue, wird er Deep Space Nine zerstören, und alle an Bord werden sterben.« Riv schluckte. »Ich habe mich in dir wirklich geirrt, was?« brachte er endlich hervor. »Du bist tapferer als ich – und auch viel netter.« Er runzelte wütend die Stirn. »Und ich werde nicht zulassen, daß er dir etwas tut.« Nog schnaubte. »Ich wüßte nicht, was wir dagegen tun können.« Riv grinste. »Sie ist vielleicht tapferer und netter, als ich es bin, aber ich bin offensichtlich noch immer viel klüger als ihr alle zusammen. Ich habe einen Plan.« Odo funkelte ihn an. »Den«, sagte er, »muß ich hören.« Major Kira blickte mit offensichtlicher Erleichterung von dem Hauptkontrollpult hoch. Auf dem Bildschirm sah Jake Kams Vater. Er erschauerte schon, wenn er ihn nur betrachtete. Ashley stieß einen Jubelschrei aus und rannte durch den Raum auf sie zu. T’Ara folgte ihr. Jake, Nog und Riv liefen schnell zu ihnen und fingen sie ab. Es war von grundlegender Bedeutung, daß sie nichts verrieten. »Alles in Ordnung«, sagte Jake so laut, daß der Gul ihn hören 110
mußte. »Es geht uns gut. Sie hat uns nichts getan.« Den Rücken zum Bildschirm gewandt, legte er einen Finger auf die Lippen und hoffte, daß sie mitspielen würden. Wenn Rivs Plan nur funktionierte... Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als wolle Ashley etwas sagen. Zum Glück hatte T’Ara sofort begriffen. »Wir haben uns die größten Sorgen um euch beide gemacht«, sagte sie. »Ich freue mich, daß ihr in Sicherheit seid.« Sie blinzelte kurz, und ihr Gesicht wurde wieder reglos. »Was geht da vor?« fragte Gul Gavron. »Haben Sie meine Tochter gerettet?« »Tochter?« fragte Jakes Vater und legte so viel Zorn in seine Stimme, wie es ihm möglich war. »Dann übernehmen Sie die Verantwortung für ihre Taten?« »Taten?« echote der Cardassianer verwirrt. »Wovon sprechen Sie? Sie wurde entführt.« »Entführt?« Commander Sisko schüttelte den Kopf. »Sie wissen, daß das nicht stimmt. Sie ist ein Spion. Und sie hat meinen Sohn und seine Freunde entführt und sie als Geiseln genommen.« Gul Gavron riß schockiert die Augen auf. »Was hat sie getan?« Kam nahm die Frage als Stichwort und trat vor. Sie schaute ganz elend drein. »Es tut mir leid, Vater«, sagte sie. »Ich wollte nur, daß du stolz auf mich bist. Ich habe einen Fehler gemacht.« Damit hatte der Gul offensichtlich nicht gerechnet. »Was meinst du damit? Was hast du getan?« Kam atmete tief ein. »Ich wollte einem Gul eine gute Tochter sein und habe mich an Bord eines Frachters geschlichen, der nach Deep Space Nine flog. Ich habe mich eine Woche lang versteckt gehalten und versucht, die Schwachstellen der Station zu finden. Ich dachte, du wärest stolz auf mich, wenn ich eine gute Spionin bin, aber ich habe es wohl verpatzt, oder?« 111
Gul Gavron runzelte die Stirn. »Und du hast diese drei Jungen als Geiseln genommen?« Kam breitete hilflos die Hände aus. »Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte. Als die Wachen mich verfolgten, geriet ich in Panik. Sie wollten mir sagen, daß du hier bist, aber ich dachte, sie wollten mich verhaften. Also habe ich Geiseln genommen.« »Nun ja...« Gul Gavron schaute fast stolz drein. Jakes Vater trat vor den Bildschirm. »Sie ist eine Kriminelle und eine Spionin«, sagte er laut. »Ginge es nach mir, würde sie den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen. Doch im Interesse des Friedens werde ich ihr erlauben, zu Ihnen zurückzukehren. Ich bestehe darauf, daß sie als Kriminelle behandelt und schwer bestraft wird. Ist das klar?« »Ich habe verstanden, Commander«, erwiderte der Cardassianer. »Aber Sie haben keine Befehlsgewalt über mich. Ich werde mit ihr verfahren, wie ich es für richtig halte. Und jetzt schicken Sie meine Tochter zurück!« Er unterbrach die Verbindung. Odo lachte kurz und bellend auf. »Eine wunderbare Vorstellung, Commander«, sagte er. »Sogar ich hätte Ihnen fast geglaubt.« »Die Frage ist«, sagte Jake besorgt, »hat er es uns geglaubt?« Riv schnaubte. »Machen Sie Witze? Er hat uns alles abgekauft.« Er grinste Kam an. »Die Kunst, eine wirklich gute Lüge zu erzählen, besteht darin, den Leuten zu sagen, was sie eigentlich hören wollen. Er wird sehr stolz auf dich sein, weil du versucht hast, für ihn zu spionieren.« Kam nickte. »Und da der Commander darauf bestanden hat, daß ich bestraft werde, wird er mich besser als sonst behandeln, nur um zu zeigen, daß man ihm keine Befehle erteilen kann.« Sie seufzte. »Ich erzähle solche Lügen zwar nicht so gern, nicht mal ihm, aber was bleibt mir sonst übrig?« »Nichts«, sagte Jakes Vater. »Sie haben mit den Lügen angefangen. Wenn du ihnen sagst, was du wirklich denkst, 112
würden sie dich nur bestrafen. Und damit ist niemandem geholfen, oder?« »Nein.« Kam lächelte sehnsüchtig. »Ich wünschte, ich könnte hier bei Ihnen bleiben, aber ich muß zurück. Ich werde keinen von euch vergessen. Ich verspreche, ich werde dafür sorgen, daß einige Cardassianer die Wahrheit darüber erfahren, wie ihr wirklich seid.« Riv grinste. »Das glaube ich dir gern. Ich habe großes Vertrauen in dich.« Ashley schüttelte den Kopf. »Ich habe irgend etwas nicht mitbekommen. Riv mag dich?« Der Bajoraner knuffte sie leicht gegen den Arm. »Laß es dir nicht zu Kopf steigen«, sagte er zu ihr, »aber sogar du bist mir ans Herz gewachsen.« Kam trat zu der Transporterfläche und winkte ihnen allen traurig zu. »Lebt wohl!« rief sie. »Ich verspreche, ich werde euch nicht vergessen!«
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»Leb wohl!« riefen sie im Chor, als das Mädchen verschwand. 114
Einen Augenblick später sah Dax von ihrer wis senschaftlichen Station auf. »Die Schiffe ziehen sich zurück«, meldete sie. »Sie fliegen nach Hause.« »Gut.« Commander Sisko wandte sich an Major Kira. »Beenden Sie die Alarmstufe Rot. Odo, haben Ihre Leute Bothna gefunden?« »Ja«, erwiderte der Constable. »Sie sind mit ihm bereits hierher unterwegs.« »Ausgezeichnet.« Jakes Vater schaute zu dem bajoranischen Jungen hinab. »Jetzt müssen wir nur noch eine Angelegenheit klären«, sagte er. Jake schüttelte den Kopf. »Eigentlich zwei.« Er drehte sich zu Nog um. »Ich glaube, du gibst Riv lieber seinen Ohrring zurück.« »Er gehört mir!« beharrte Nog. »Ich habe ihn gefunden!« Rivs Hand flog an sein Ohr, und er merkte, daß er das Erbstück seiner Eltern verloren hatte. »Er muß abgegangen sein, als wir gekämpft haben«, sagte er. »Es ist so viel passiert, daß ich es gar nicht gemerkt habe.« Er streckte die Hand aus. »Aber du hast ihn ja gefunden«, sagte er. »Er gehört mir«, beharrte Nog. »Ich habe ihn gefunden, also gehört er mir. Das ist die dritte Erwerbsregel.« Riv lächelte leicht. »Dann muß ich dir wohl dein Ohr durchstechen, damit du ihn auch tragen kannst«, sagte er, hob die Fäuste und trat einen Schritt vor. Nog hielt ihm den Ohrring schnell hin. »Nimm ihn«, sagte er nervös. »Die sechsundsiebzigste Erwerbsregel lautet: ›Gelegentlich sollte man Frieden erklären.‹« »Danke.« Riv nahm seinen Schatz zurück und befestigte ihn am Ohr, als der Turbolift eintraf. Zwei von Odos Leuten stießen Bothna heraus und zum Commander hinüber. »Commander Sisko!« sagte Bothna. Er schien am Rand der Panik zu stehen, doch in seiner Stimme lag ebenfalls Zorn.
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»Was hat das böse kleine Geschöpf denn jetzt schon wieder angestellt?« Jakes Vater funkelte den fetten Bajoraner wütend an. »Entführung«, fauchte er. »Erpressung. Gefährdung des Lebens aller Personen auf der Station.« Bothna schaute zufrieden drein. »Dann werden Sie ihn endlich ins Gefängnis werfen, wohin er auch gehört?« »Nein.« Odo lächelte, als Bothnas Gesicht vor Bestürzung erbleichte. »Wenn ich mich recht entsinne, habe ich Ihnen bei unserem letzten Gespräch gesagt, daß ich ihn in Ihre Obhut gebe. Und daß ich Sie für seine Taten verantwortlich mache. Sie haben mich wohl nicht richtig verstanden. Nicht ihm werfe ich diese Verbrechen vor, sondern Ihnen!« »Mir?« heulte Bothna, der kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen schien. »Aber... aber das ist nicht legal!« Odo lächelte den Bajoraner an. »Nein, das stimmt. Aber es ist gerecht.« »Ich bin nämlich überzeugt«, erklärte Jakes Vater, »daß Riv sein falsches Verhalten eingesehen und sein schlechtes Benehmen aufgegeben hat. Aber bei Ihnen bin ich nicht dieser Meinung. Sie haben sich lediglich über Riv beklagt. Sie haben ihm keine Zuneigung und Aufmerksamkeit entgegengebracht. Doch wenn Sie mir nun Ihr Wort geben, daß Sie wirklich versuchen werden, sich zu ändern und ihm ein gutes Zuhause zu bieten, werde ich Sie mit Bewährung davonkommen lassen – unter Rivs Aufsicht.« »Und wenn nicht?« fragte Bothna zitternd. Odo lächelte garstig. »Oh, etwa dreißig Jahre Gefängnis, denke ich.« »Ich akzeptiere.« Der Commander lächelte. »Das habe ich mir gedacht.« Er wandte sich an Riv. »Bist du bereit, die Verantwortung für ihn zu übernehmen?«
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»Jawohl, Sir«, erwiderte Riv. Er schaute zu seinem Onkel hoch. »Heute habe ich gelernt, daß viele meiner Vorstellungen falsch waren. Vielleicht gilt das auch für die Gefühle, die ich Onkel Bothna entgegenbrachte. Ich verspreche, ich gebe mein Bestes.« Der fette Bajoraner sah stirnrunzelnd zu seinem Neffen hinab. »Wirklich?« fragte er. Offensichtlich konnte er es kaum glauben. »Ja, Onkel«, versprach Riv. »Mir tut leid, was ich in der Vergangenheit zu dir gesagt habe.« Bothna sah zuerst ihn und dann Commander Sisko an. »Na ja, wenn Riv sich ändern kann, kann ich das wohl auch. Ich gebe Ihnen mein Wort, Commander, daß ich mein Bestes versuchen werde.« Jakes Vater lächelte. »Mehr als das kann ich nicht verlangen. Viel Glück... Ihnen beiden.« Die beiden verließen die OPS gemeinsam. Jakes Vater drehte sich zu seinem Sohn um. »Jake, ich bin sehr stolz darauf, was du heute getan hast. Du und deine Freunde, ihr wart uns eine große Hilfe.« Jake errötete. »Äh... danke, Dad.« »Doch ich glaube«, fuhr sein Vater etwas strenger fort, »heute ist ein ganz normaler Schultag. Wenn ihr nicht in zehn Minuten im Klassenzimmer seid, werde ich euch alle in Haft nehmen lassen.« Jake sah Nog, Ashley und T’Ara an. Die vier drehten sich um und liefen los. Dabei hörten sie sowohl den Commander als auch Odo kichern. »Ich glaube, er hat es nicht ernst gemeint«, sagte Jake, als sie mit dem Lift hinabfuhren. »Nein«, pflichtete Nog ihm bei. »Erwachsene können es nur nicht ausstehen, Kindern etwas schuldig zu sein.« »Zurück in die Schule«, sagte T’Ara. »Mir wird es schrecklich ruhig vorkommen, jetzt, da Riv sich benimmt und 117
Kam weg ist. Ich vermisse sie.« Als ihr dann klar wurde, daß dies verdächtig gefühlsbetont klang, fügte sie hinzu: »Sie hat uns eine ausgezeichnete Gelegenheit geboten, etwas über die Cardassianer zu erfahren.« »Ja«, pflichtete Ashley ihr bei. »Ich werde sie auch vermissen.« Dann grinste sie. »Andererseits wird der Replikator einwandfrei funktionieren, wenn ich ihn diesmal repariere. Nie wieder Eintopf und Käsekuchen!« »Ich weiß nicht«, brachte Jake mit völlig ernster Miene hervor. »Ich bin allmählich auf den Geschmack gekommen...«
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