BRIAN FOX
FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR Western-Roman Deutsche Erstveröffentlichung
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
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BRIAN FOX
FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR Western-Roman Deutsche Erstveröffentlichung
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE-BUCH Nr. 2292 im Wilhelm Heyne Verlag, München
Titel der amerikanischen Originalausgabe A DOLLAR TO DIE FOR Deutsche Übersetzung von Hans Maeter
Scanned by Doc Gonzo
Copyright © 1967 Produzione Europee Associate SAS 1967 Printed in Germany 1972 Umschlagbilder: Constantin Film Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs, München Gesamtherstellung: Ebner, Ulm
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l Der Sheriff von Nogales war sauer auf seinen Job, sauer auf das Land und sauer auf sein Gehalt. Und wenn er all seine Sorgen zusammenzählte, so hieß das Resultat: Kopfgeldjäger. Es war sein eigenes Vorrecht, aus seinem kühlen Büro in die glühende, öde, von Ungeziefer wimmelnde, wasserlose Steinwüste des Grenzlandes hinauszureiten und eine Kugel aus dem Hinterhalt zu riskieren, während er versuchte, jeden Verbrecher zu fangen, dessen Gesicht auf den Steckbriefen abgebildet war, die an den Wänden seines Büros hingen. Es war sein Privileg, sie einzufangen und die dafür ausgesetzte Belohnung zu kassieren. Die verdammten Kopfgeldjäger drängten sich in sein ureigenstes Territorium. Sie ritten vor sein Büro, eine Leiche hinter sich auf dem Sattel, und er mußte blechen. Zwar nicht mit seinem eigenen Geld; aber es lag schließlich in seinem Safe, und er war der Meinung, daß es eigentlich ihm gehörte. Sie hielten ihn in Armut! Der Kummer darüber machte ihm Durst, und er war der beste Kunde der Cantinas. Und dieses ständige Ertränken seines Kummers ließ ihm nur wenig Zeit, hinter den Verbrechern herzujagen. Er überlegte gerade, ob er nicht Kates Saloon besuchen sollte, als die schwere Bohlentür aufgestoßen wurde und ein Mann hereinwankte. Seine Arme waren ihm auf den Rücken gebunden, und er hatte einen Strick um den Hals. Das andere Ende des Strickes hielt ein Mann, der hinter ihm in das Büro trat. Der Mann, der den Strick hielt, war ein Riese, der kaum durch die Tür paßte und den Kopf einziehen mußte. Das heißt, er war über einsneunzig groß. Seine langen, schlanken Beine besaßen die geschmeidige Kraft einer Riesenschlange. Seine tiefliegenden Augen glänzten. Er sagte kein Wort. Sein breiter, dünnlippiger Mund war fest geschlossen. Wortlos drängte er seinen Gefangenen mit
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der Mündung seines schweren Vierundvierzigers zum Schreibtisch des Sheriffs. Dem Sheriff war diese nahe Gegenüberstellung mit Jan Hantz, Verbrecher, Mörder und Vergewaltiger, der seinen Tabak in einem Lederbeutel aufbewahrte, der aus der gegerbten Haut einer Frauenbrust angefertigt worden war, ausgesprochen unangenehm. Hantz' Fotografie war die unterste in dem Haufen, die der Sheriff sich in der Reihenfolge zurecht gelegt hatte, in der er sie vielleicht zu erledigen gedachte. Irgendwann. Die auf Hantz ausgesetzte Belohnung war verlockend, aber der Mann stand in dem Ruf, dem besten Schützen des Westens gewachsen zu sein. Der Sheriff fragte sich, wie der hochgewachsene Kopfgeldjäger ihn erwischt haben mochte. Hantz mußte stockbetrunken gewesen sein oder geschlafen haben. Oder beides. Er wünschte, er hätte Hantz nicht ausgerechnet zu ihm gebracht. Hantz hatte schon oft hinter Gittern gesessen, war aber stets wieder ausgebrochen und hatte dabei Sheriffs und Deputies erschossen, die sich ihm in den Weg gestellt hatten. Hantz lehnte sich gegen den Schreibtisch, wandte den Kopf und spuckte nach dem Mann, der ihn hergebracht hatte. Er traf nicht. Jetzt konnte der Sheriff sehen, daß eine von Hantz' gebundenen Händen in einem blutigen Verband steckte. Vielleicht ein Unfall. Aber der Sheriff glaubte das nicht. Der schwere Revolver bewegte sich nicht, als Hantz' Wächter einen Schritt zur Seite trat. Der Mann mußte verdammt gut sein, wenn er Hantz die Waffe aus der Hand geschossen hatte. »Sperren Sie ihn ein.« Der Sheriff zuckte zusammen. Dann stand er mühsam auf, fummelte nach seinen Schlüsseln und öffnete widerwillig eine der Gittertüren. Er trat zur Seite, während der Kopfgeldjäger Hantz in die Zelle trieb. Er sah zu, als der Kopfgeldjäger den Strick, der um Hantz' Hals lag, festzog und sein Ende am Fenstergitter verknotete. Hantz mußte völlig ruhig und aufrecht stehen, wenn er nicht erdrosselt werden wollte. »Das sollte reichen, bis ihr dazukommt, ihn aufzuhängen. Und jetzt zur Kasse.« Der Sheriff schloß die Zellentür ab und widmete sich dann
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der Tätigkeit, die ihn am meisten wurmte: er öffnete den Safe und zählte fünftausend Dollar auf den Tisch. Der Kopfgeldjäger schenkte ihm nicht einmal einen Blick. Er starrte zur Wand und auf einen Steckbrief. Er hatte den Wortlaut: GESUCHT TOT ODER LEBENDIG PINKY ROEBECK 7 500.- DOLLAR Der Kopfgeldjäger fragte, ohne sich umzuwenden: »Suchen Sie den immer noch? Oder ist er tot?« Der Sheriff brummte. »Er wird immer noch gesucht. Sonst würde die Fahndung doch nicht mehr da hängen.« Der große Mann riß das Plakat von der Wand, faltete es zusammen und steckte es in die Tasche seines Ponchos. Irgendwie regte er den Sheriff mehr auf als alle anderen Männer seiner Art. »Okay, Mister. Fangen Sie Pinky. Er steckt unten in Mexiko, in der Sierra Madre bei den Indianern. Die Apachen lieben ihn wie einen Bruder, und die Yaquis nennen ihn den >Bruder-mit-den-BlutaugenTuco der Schreckliche< genannt zu werden. Aber nun war er hier, Mitglied eines kleinen Reitertrupps, der halb verdurstet dem grünen Canyon zustrebte. Tuco überlegte, welchem günstigen Schicksal er es zu verdanken hatte, gerade diesem Trupp zugeteilt worden zu sein. Er war nicht der einzige Bandit in Juarez' Armee. Viele der Gesetzlosen hatten sich den >Befreiern< angeschlossen; nicht aus plötzlich erwachtem Patriotismus, sondern aus reinem Ge schäftskalkül. Ein Krieg schuf immer ein Chaos und gab Ge legenheit zum Rauben und Plündern. Es war viel sicherer, im Namen der Revolution zu stehlen, als auf eigene Rechnung. Und es war auch ehrenhafter. Bis jetzt war für ihn nicht sehr viel dabei herausgekommen. Das Land war zu arm. Aber Tuco dachte an die reiche Beute, die jetzt vor ihm lag. Er hatte Glück gehabt, daß er der B-Kompanie von Diaz' zweiter Kavalleriebrigade als Sergeant zugeteilt worden war.
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Und sein Glück war es auch, daß der Indianerläufer seinem Kompaniechef, Capitan Alvarez, den Befehl überbracht hatte, einen französischen Offizier zu verfolgen, der mit einer Viertelmillion in Gold nach Norden flüchtete. Die Erwähnung dieses Schatzes hatte aus Tuco einen mu sterhaften, eifrigen Soldaten gemacht. Er half Alvarez, die Männer bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit vorwärtszutreiben und die vermutlichen Fluchtwege de Cabronets abzusuchen. Dann wandten sie sich nach Süden, nach Chihuahua, dem einzigen anderen Ort, wo sich die Flüchtlinge aufhalten konnten. Sie fanden den Gouverneur in heller Wut. »Ihr habt versagt!« schrie er Alvarez an. »Sie sind schon fort! Vor sechs Stunden waren sie hier! Warum waren Sie da nicht hier?« Tuco wäre am liebsten sofort weitergeritten, den Flüchtenden nach. Es wurmte ihn, daß er warten mußte, bis Alvarez' Debatte mit dem Gouverneur zu Ende war. »Warum haben Sie die Leute nicht selbst aufgehalten?« fragte der Capitan den Gouverneur. »Es waren sieben Männer, Capitan, und alle schwer bewaffnet. Sie sind in weitem Bogen um die Stadt herumgeritten. Ein Peon von Almaldens Hacienda hat mich davon benachrichtigt. Aber was konnte ich tun? Ich konnte doch nicht allein hinter ihnen herreiten. Sie hatten ja alle Soldaten mitgenommen.« Alvarez beugte sich wütend vor und hieb dem Gouverneur die Reitgerte ins Gesicht. Er hatte keinen Respekt vor Jua-rez' angeheirateter Verwandtschaft. »Hund! Du wagst es, mir die Schuld für dein Versagen zuzuschieben? — Wohin sind sie geritten?« »Zur Royal Road«, murmelte der Gouverneur. Er spuckte Blut in den Sand und fuhr mit der Hand über seinen aufgeschlagenen Mund. »Und woher weißt du, daß es wirklich die Männer waren, hinter denen wir her sind?« »Der Peon sagte, ihr Führer trägt die Uniform des fremden Kaisers und einen silberbeschlagenen Säbel.« Tuco hustete bescheiden. »Sollten wir uns nicht gleich auf den Weg machen?«
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Capitan Alvarez sah den Sergeanten kühl an. »Noch habe kh hier das Kommando. Und zwar deshalb, weil ich denken kann. — Leutnant Sanchez, der Franzose schlägt vielleicht nur eine Finte, um uns von seiner Spur abzubringen. Nehmen Sie zehn Mann und reiten Sie die Royal Road entlang. Ich bleibe mit dem Rest der Leute hier und lege einen Hinterhalt, falls er zurückkommen sollte.« Tuco schickte ein stummes Stoßgebet zu seinem Schutzpatron, der alles so einrichtete, wie er, Tuco, es wollte. Er drängte sein Pferd ein paar Schritte auf den Capitan zu. »Ich melde mich freiwillig für den Spähtrupp, Capitan. Und Pepe und Ruiz und Santos ebenfalls.« Er sah, daß Leutnant Sanchez ihn mißtrauisch anblickte. Kein normaler Soldat würde sich freiwillig für einen Ritt in die Hölle der Sierra Madre melden. Und das war auch zumindest einer der Gründe, warum Capitan Alvarez es vorzog, in Chihuahua zu warten. Und auch Sanchez war von dem Auftrag alles andere als begeistert. Nur Tuco der Schreckliche zitterte vor Aufregung. Sanchez würde sich Männer auswählen, denen er vertraute. Aber jetzt machte sich sein bisheriger Eifer bezahlt. Er gehörte zu den Männern, die Sanchez benannte. Elf Männer gegen die sieben Leute de Cabronets. Und sobald die erledigt waren, würde Tuco der Schreckliche die Sache in die Hand nehmen. Mit Sanchez würde er leicht fertig werden. Tuco kannte die Macht der Gier. Er würde Hilfe brauchen, um das Gold in ein sicheres Versteck zu bringen. Pepe, Ruiz und Santos gehörten auch zu den zehn Männern des Spähtrupps. Er würde ihnen einfach die Kehlen durchschneiden, wenn sie schliefen. Dann brauchte er das Gold mit niemandem zu teilen. Leutnant Sanchez kannte die Sierra Madre nur vom Hörensagen. Er war ein mißtrauischer, vorsichtiger Mann. Graf de Cabronet hatte sechs Männer bei sich, alles gute, ausgebildete Soldaten. Sanchez wollte einen offenen Kampf um jeden Preis vermeiden. Er wollte die Gegner in einen Hinterhalt locken und abknallen, bevor sie überhaupt wußten, was los war. Er sandte einen Späher voraus, der die Flüchtigen suchen
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und melden sollte. Er selbst folgte mit dem Rest der Männer in großem Abstand. Vier Tage lang ritten sie durch die wilde, öde Berglandschaft, ohne eine Menschenseele zu entdecken. Es war, als ob de Cabronet und seine sechs Männer vom Erdboden verschluckt worden wären. Aber am fünften Tag kam der Späher zurück und meldete, daß er den Franzosen in einem Canyon entdeckt habe. Er und seine Männer hätten dort Camp gemacht und nicht einmal Wachen aufgestellt. Sanchez führte seine Männer zu dem Canyon und postierte sie an dessen oberem Rand. Er sah die sechs Männer des Franzosen zwischen den Bäumen herumlaufen und Früchte von den Ästen pflücken. Er sah, daß sie ein Feuer gemacht hatten, und für einen flüchtigen Augenblick roch er den würzigen Hirschbraten. Eine rasche Bewegung neben sich ließ ihn aufblicken. Tuco wischte Speichel von seinem Mund und beklagte sich darüber, daß er seit der Belagerung von Mexico City nichts als kalte Bohnen gegessen hätte. Sanchez befahl ihm zu schweigen und starrte wieder in den Canyon hinunter. Er prägte sich die Lage des Camps, den Standort der Pferde, des Feuers genau ein. Als es völlig dunkel geworden war, ließ er einen Mann bei den Pferden zurück und begann mit den anderen, den steilen, gefahrvollen Pfad hinabzusteigen. Es war Neumond, und die Sterne verbreiteten nur ein schwaches Licht. Mit äußerster Vorsicht krochen sie den engen, steilen Bergpfad hinab. Sie achteten darauf, daß die über den Rücken gehängten Gewehre nicht gegen den Fels schlugen und sie verrieten. Sie hatten ihre Sporen abgeschnallt, und Sanchez hatte ihnen gedroht, jedem Mann die Ohren abzuschneiden, der einen Kiesel in den Abgrund stieß. Der Franzose mochte sich sicher fühlen, aber er war bestimmt kein Narr. Kurz nach Mitternacht erreichten Sanchez' Männer den Boden des Canyon. Nicht einer von ihnen griff nach den Früchten, als sie zwischen den Bäumen hindurch auf das Camp zuschlichen. Die Männer de Cabronets lagen im tiefen Schlaf völliger Erschöpfung um das verglimmende Feuer. Dunkle Gestalten krochen wie Schatten auf sie zu, und lange Messer stachen
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hart und sicher in die Kehlen. Keiner der Männer erwachte, kein Schrei ertönte, nicht ein einziger Schuß fiel. Und dann war alles vorbei. »Jetzt könnt ihr essen!« rief Sanchez, als der letzte von de Cabronets Männern ermordet worden war. Er wollte sich als verständnisvoller Offizier zeigen und winkte triumphierend mit seinem blutigen Messer. Die anderen Männer stießen ein Freudengeheul aus und warfen frisches Holz auf das Feuer. Dann stürzten sie sich auf die Reste des Hirschbratens und nahmen sich kaum Zeit, ihre blutverschmierten Messer am Gras sauberzuwischen. Sanchez ließ sie essen, bis sie satt waren. Dann schnitt er einen der schweren Packen auf, und die Goldmünzen rannen zu Boden. Die Männer sollten sehen, daß sie wirklich den Schatz zurückgewonnen hatten. Dann ließ er den Packen wieder zunähen und das Gold einfüllen. Sergeant Tuco bekam den Auftrag, den Schatz zu bewachen. »Und wenn morgen früh auch nur ein einziger Peso fehlen sollte«, sagte Sanchez zu Tuco, »dann schicke ich Ihre Leber an General Diaz.«
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5 Hundert Fuß oberhalb des Flußufers, in einem dichten Ge strüpp wilder Cottonwoodbäume, schlief der Mann-OhneNamen. Pinky Roebeck lag neben ihm. Seine Hände waren gefesselt, und ein Seil lief um einen Baumstamm herum zu seinen ebenfalls gefesselten Füßen. In der vergangenen Nacht hatten sie es bequemer gehabt. Sie hatten im grünen Canyon kampiert, bis de Cabronets Männer am Rand des Canyons erschienen waren und sie vertrieben hatten. Pinky, der Albino, hatte zufrieden im Gras gesessen, die reifen, süßen Früchte gekaut und sich auf einen ruhigen Nachmittag gefreut. Er hatte den ersten Schock der Gefangennahme überwunden und war sicher, sehr bald eine Gelegenheit zur Flucht zu finden. Es war noch ein weiter Weg bis nach Nogales, und er führte zum größten Teil durch das Gebiet der Apachen und Yaquis, seiner Freunde. Er hatte de Cabronets Männer im gleichen Augenblick entdeckt, als auch der Mann-Ohne-Namen sie sah. »Wer, zum Teufel, sind denn die?« Der Mann-Ohne-Namen hatte ihm nicht geantwortet, sondern war sofort aufgebrochen. Er wollte vor allem verhindern, daß Pinky verletzt oder befreit wurde. Er war mit ihm auf einen Hügel geklettert und hatte von dort aus den Abstieg von de Cabronets Trupp beobachtet. Er und Pinky hatten angewidert zugesehen, wie die Männer schreiend und lachend über die Früchte hergefallen waren und dadurch möglicherweise beutegierige Indianer anlockten, wie sie schließlich satt und zufrieden einschliefen, ohne Wachen aufzustellen. »So was sollte man überhaupt nicht frei herumlaufen lassen«, hatte Pinky schließlich gesagt und ausgespuckt. »Wir wollen jetzt essen. Das Zusehen hat mich hungrig gemacht.« Der Mann-Ohne-Namen hatte Hartbrot und Dörrfleisch aus der Satteltasche geholt. »Wir müssen heute kalt essen«, sagte er.
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»Haben Sie etwa Angst, Feuer zu machen?« sagte Pinky verächtlich. »Die Kerle würden nicht mal einen Waldbrand bemerken.« Aber der Kopfgeldjäger gab nicht nach, und Pinky war schließlich fluchend eingeschlafen. Mitten in der Nacht wurden sie von Sanchez' Triumphschreien geweckt. Pinky richtete sich laut fluchend auf. »Geben die Clowns noch immer keine Ruhe?« Der Mann-Ohne-Namen blickte aufmerksam in den Canyon hinab. »Das sind nicht die gleichen Männer«, sagte er. »Was wollen Sie damit sagen, nicht die gleichen?« »Die anderen wurden von einem Mann in der Uniform Kaiser Maximilians geführt, und es waren nur sieben. Erinnern Sie sich nicht? — Jetzt sind es fast ein Dutzend Leute, alle in Baumwollhosen und Strohhüten.« »Na und? — Binden Sie mich los, damit ich mir die Sache genauer ansehen kann.« Und als der Kopfgeldjäger ihm großzügig das lange Seil gelockert hatte, sagte der Albino: »Wer sind die Kerle? Was ist eigentlich passiert?« »Ich glaube, wir haben eine Schlacht verschlafen, Pinky. Ich glaube, die anderen Männer hatten gestern ihr letztes Abendessen.« Pinky nickte nachdenklich. »Sieht aus, als ob Sie recht haben. Sie hätten nicht so einen Krach machen sollen. Ich möchte nur wissen, wer die Neuen sind.« »Wollen Sie runtergehen und sie fragen?« »Danke. Ich kann warten. Aber wir sollten sie im Auge behalten. Soll ich Wache halten?« »Das würde ich Ihnen niemals zumuten, Pinky. Ich werde mit Ihnen wachen.« Pinky Roebeck knurrte, und ein leiser Schauer lief über seinen Rücken. Grund dafür war nicht nur die Nachtkühle, sondern auch die erste, dumpfe Ahnung, daß er sich vielleicht doch nicht befreien können würde. Auch Tuco Ramirez fröstelte. Seine nackten Füße wurden vom Feuer gewärmt, und er hatte sich in den Poncho einge-
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rollt. Ihn fröstelte vor Aufregung. Die Nacht schien ihm endlos. Beim ersten Dämmern stand er al utlos auf und schlich zwischen den schlafenden Männern hin und her. Er sammelte alle Gewehre ein. Nur seinen drei Freunden ließ er die Waffen. Dann weckte er sie, einen nach dem anderen, und preßte ihnen gleichzeitig die Hand auf den Mund, um jeden überraschten Ausruf zu ersticken. Sie begannen, das lautlose Schlachten zu wiederholen. Aber diesmal verließ sie ihr Glück. Als der dritte Mann den Stahl des Messers an seiner Kehle spürte, wachte er auf und schrie gellend. Leutnant Sanchez fuhr auf. »Was ist los?« rief er schlaftrunken. Tuco rief: »Jemand will das Gold stehlen!« Sanchez sprang auf die Füße. »Wer? Wo?« Tuco lachte und schoß ihm eine Kugel in den Kopf. Tucos drei Freunde schössen die anderen Männer nieder. Einer von ihnen kam auf Händen und Knien auf Tuco zugekrochen. »Tuco, mein Freund, laß mich leben. Ich habe eine Frau und zwölf Kinder.« »Dann muß der Tod ja direkt eine Erlösung für dich sein«, sagte Tuco und schoß ihm ins Auge. Der Kopfgeldjäger und Pinky Roebeck blickten einander an. Beide hatten die Szene mit dem Interesse des Profis beobachtet. Sie waren zu weit entfernt, um das Gesicht des bärtigen Mannes erkennen zu können, der augenscheinlich das Kommando der blutigen Aktion geführt hatte. »Zumindest ist er sehr gründlich«, sagte der Kopfgeldjäger mit einiger Bewunderung. Pinky nickte zustimmend. »Ja. Ein sehr guter, gründlicher Job. Das muß man ihm lassen.« Tuco und seine drei Genossen machten sich zunächst über ihre ermordeten Kameraden her und räumten ihnen die Taschen aus. Dann warfen sie die Leichen über die zerbröckelte Mauer der Hazienda. Anschließend nahmen sie sich die Leichen des Grafen und seiner Männer vor.
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Sie zogen ihnen als erstes die Uniformen aus. Die Männer des Grafen waren, weitaus besser gekleidet als die Soldaten der Revolution. Tuco eignete sich die Kleidung Graf de Cabronets an, die feine Tuchhose, das weiße Hemd, das blaue, rotgefütterte Cape. Er zog den silberverzierten Säbel aus der Scheide und ließ den hellen Stahl in der Sonne blitzen. »Hört zu«, sagte er zu Pepe, Santos und Ruiz, »Tuco der Schreckliche ist ab heute General Tuco. Ich erwarte von euch den entsprechenden Respekt, oder ich schneide euch eure verdammen Zungen heraus.« Die drei Männer lachten und salutierten spöttisch. Tuco gürtete sich den Säbel um seinen dicken Bauch. Nach dem Frühstück luden die vier Männer die Packen mit dem Gold auf die Tragtiere, suchten sich die besten Reitpferde aus und ließen die anderen Tiere frei. Tuco führte sie nicht den Weg, den sie gekommen waren. Sollte der Pferdewächter dort oben warten, bis er schwarz wurde. Er führte seine kleine Truppe den Canyon entlang direkt nach Süden, in die Wüste hinein. Und noch jemand verfolgte sie mit den Blicken, als sie aufbrachen. Rico Estaban, der als Wache bei den Pferden zurückgelassen worden war, war des Wartens müde geworden. Er hatte erwartet, daß man ihn im Laufe der Nacht rufen würde, um die Pferde in den Canyon zu bringen. Aber bis zum Morgen hatte sich dort unten nichts gerührt. Er war an den Rand der Schlucht gekrochen und hatte ins Tal gestarrt. Was er dort sah, war so gräßlich und so unerwartet, daß er wie gelähmt war. Er sah die Körper seiner Kameraden in ihren weißen Baumwollhosen und Hemden reglos auf dem Boden liegen, und vier Männer in blauen Uniformen tanzten triumphierend um sie herum. Offenbar war Sanchez' Plan mißglückt, der Leutnant und seine Männer waren getötet worden, und der Goldschatz befand sich noch immer in Händen der Feinde der Revolution. Rico sah, wie die vier Männer in den blauen Uniformen die schweren Packsättel auf die Tragtiere luden und dann in Richtung Westen davonritten.
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Rico Estaban war ein loyaler Soldat, seinen Vorgesetzten treu ergeben. Er hatte nur eine Möglichkeit: Er mußte nach Chihuahua zurückreiten und Capitan Alvarez Meldung machen. Alvarez wollte ihm anfangs nicht glauben und ließ den treuen Estaban ins Gefängnis sperren. Capitan Alvarez brauchte einen Tag und eine Nacht, um sich mit dem Gedanken abfinden zu können, daß seine Soldaten getötet worden waren. Dann fiel ihm ein, daß das Gold in jeder Minute weiter nach Norden, immer weiter von ihm fort, gebracht wurde. Nun entwickelte er plötzlich eine hektische Geschäftigkeit. Er sandte Reiter aus und ließ die Männer seiner Kompanie in ihren Quartieren alarmieren. Kurz vor dem Aufbruch fiel ihm Rico Estaban ein, und er ließ ihn aus dem Kerker holen, damit er sie zum Canyon führen konnte. Dann ritt er an der Spitze seiner Truppe nach Norden, ein rächender Engel, entschlossen, den Schatz zu erobern, den die Revolution so nötig brauchte. Der Kopfgeldjäger wartete im Canyon, bis die blauen Uniformen den gewundenen Pfad hinauf verschwunden waren. Dann half er Pinky in den Sattel, verknotete das Ende des Stricks, mit dem der Gefangene gefesselt war, am Sattelhorn und ritt zum verlassenen Camp hinunter. Die Erde war blutgetränkt, und die ersten Geier zogen ihre erwartungsvollen Kreise am Himmel. Der Mann-Ohne-Namen zählte vier Tote, die man nackt ausgezogen hatte. Die anderen trugen die traditionellen weißen Hemden und schmutzigen Baumwollhosen der Mexikaner. Es war fast Mittag und drückend heiß, und von den Toten stieg schon ein stickiger, süßlicher Fäulnisgeruch auf. Pinky Roebeck grunzte. »In einer Stunde kriegt man hier keine Luft mehr«, sagte er. »Ziehen wir weiter.« »Ich denke, wir bleiben eine Weile hier, damit die anderen einen kleinen Vorsprung haben«, sagte der Kopfgeldjäger. »Ich habe nicht die Absicht, mich mit denen einzulassen, während ich Sie mit herumschleppen muß. Oder haben Sie es plötzlich so eilig, nach Nogales zu kommen?« »Nein, zum Teufel.« Er grinste. »Glauben Sie im Ernst,
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daß Sie mich bis nach Nogales bringen, Freund? Früher oder später machen Sie einen Fehler. Sie werden mich niemals aus Mexiko hinausbringen.« »Darauf würde ich nicht wetten. Ich habe schon härtere Burschen als Sie im Kittchen abgeliefert.« »Diesmal werden Sie aber kein Glück haben. Ich sage Ihnen das nur, damit Sie sich 'ne Menge Arbeit und Ärger sparen.« Der Kopfgeldjäger lächelte leicht. »Wirklich nett von Ihnen, Pinky. Aber Sie sind siebentausendfünfhundert Dollar wert, und ich kann das Geld gerade sehr gut brauchen. Was haben Sie eigentlich gemacht, um dem Gesetz so viel wert zu werden?« »Das gleiche wie Sie: mein tägliches Brot verdient. Ich arbeite für jeden, der jemanden umlegen will und dafür bezahlt. Bis jetzt habe ich achtzehn Kerben an meinem Revolver.« »Einen nach dem anderen?« »Einen nach dem anderen.« »Pinky, Sie sind ein Anfänger. Sehen Sie sich mal an, was die vier lausigen Mexikaner in einer Nacht erledigt haben.« Er blickte zu dem Obstgarten hinüber. »Ich glaube, wir sollten ein paar Früchte pflücken und uns auch etwas Fleisch besorgen. Wir werden bis zum Morgen warten, bevor wir weiterziehen.« Er wandte sein Pferd. Als er das Geräusch hörte, dachte er zuerst, das Tier sei auf einen Stein getreten. Aber das Ge räusch kam wieder, und er blickte auf die leblosen Körper. Hatte einer von ihnen gestöhnt? Oder, war es nur der Wind, der durch die zerbröckelnden Wände der Hazienda strich? Er blickte auf die Toten hinab. Der Fuß eines der vier nackten Männer zuckte ein wenig. Der Mann-Ohne-Namen stieg ab, band sein Pferd an einen Baum und trat zu dem am Boden liegenden Mann. Sein Ge sicht war nicht mexikanisch. Es war schmal, weiß und trug einen sorgfältig gepflegten Spitzbart. Der Kopfgeldjäger beugte sich über ihn und starrte auf den blutverschmierten Hals des Mannes. Eigentlich hätte er tot
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sein müssen, aber noch immer kam leises Stöhnen aus seinem Mund. Der Mann-Ohne-Namen nahm ihn auf seine Arme und trug ihn zum Bachufer. Er wusch das verklebte Blut von der Wunde. Man hatte ihm den Hals durchgeschnitten, aber das Messer hatte nicht die Luftröhre durchtrennt. Es war in die starke Halsmuskulatur gedrungen und von ihr nach unten, in den Schultermuskel, abgeleitet worden. Daß der Mann noch lebte, war ein Wunder, und wahrscheinlich würde er nicht mehr lange am Leben bleiben. Trotzdem, bei ein wenig Pflege, konnte er lange genug das Bewußtsein wiedererlangen, um ihm zu berichten, warum man ihn und seine Männer überfallen hatte und was er von den vier Mexikanern wußte, die nach Westen fortgeritten waren. Pinky Roebeck blickte vom Pferd aus den Bemühungen des Kopfgeldjägers zu und lächelte ironisch. Er deutete die Fürsorge für einen anderen Menschen als ein Zeichen von Schwäche, die er zu gegebener Zeit ausnutzen würde. »Was haben Sie eigentlich vor?« fragte er spöttisch. »Wollen Sie sich eine Fahrkarte für den Himmel verdienen?« Der Mann-Ohne-Namen beachtete ihn nicht. Er trug den bewußtlosen Körper in den Obstgarten, legte ihn in das Gras, verband die klaffende Wunde und flößte dem Mann vorsichtig Wasser ein. Dann schlug er leicht mit der Hand auf die Wangen. Aber auch das brachte den Mann nicht ins Bewußtsein zurück. Der Kopfgeldjäger stellte ein paar Schlingen auf, fing zwei Rebhühner und briet sie über dem Feuer. Dann verbrachte er den ganzen Nachmittag bei dem einzigen Überlebenden des Massakers und schlief in der Nacht neben ihm. Pinky war in der Nähe an einen Baum gefesselt. Ein leiser Schrei riß den Kopfgeldjäger mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Er war sofort hellwach und griff nach seinem Revolver. Aber er brauchte ihn nicht. Der verwundete Mann war aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht. »Das Gold . . . das Gold . . .«, rief er und hob die Hand. Dann sank die Hand wieder kraftlos herab, und der Mann lag still.
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»Gold hat er gesagt«, kam Pinkys Stimme aus dem Dunkel. »Das klingt ja mächtig interessant.« Der Kopfgeldjäger legte sich wieder hin. »Das ist nur Fiebergeschwätz.« »Vielleicht.« Pinky lachte. »Ich hoffe nur, daß er noch mal aufwacht und uns sagt, wovon er eigentlich redet.« »Uns? — Ich wüßte nicht, was Ihnen das Gold noch nützen könnte, Pinky.« »Ich würde an Ihrer Stelle nicht so verdammt sicher sein. Ich finde bestimmt noch Gelegenheit, es auszugeben.« Im matten Sternenlicht sah Pinky, daß der Kopfgeldjäger ihn nachdenklich anblickte, und er überlegte, daß er vielleicht seine angebliche Schwäche falsch interpretiert hatte. Jetzt stand der andere auf und flößte dem Verwundeten wieder Wasser ein. Dann legte er eine kalte Kompresse auf die fieberheiße Stirn. Pinky sagte nachdenklich: »Die Packen, die die Mexikaner den Mulis aufgeladen haben, sahen verdammt schwer aus. Was, glauben Sie, war wohl darin?« Der Bewußtlose stöhnte und bewegte sich. Der Kopfgeldjäger beugte sich über ihn und schrie ihm ins Ohr: »Was ist mit dem Gold, Mister?« Keine Antwort. Der Kopfgeldjäger und der Killer hielten den Atem an. Aber der Bewußtlose blieb still. Der Kopfgeldjäger setzte sich wieder. »Vielleicht stimmt das mit dem Gold«, sagte er nach einer Weile. »Aber denken Sie doch einmal nach: Warum sollte man nur eine Handvoll Soldaten losschicken, wenn es sich wirklich um einen nennenswerten Betrag handelte? Sie sind für mich siebentausendfünfhundert Dollar wert. Ich ziehe sichere Sachen vor.« Pinky fluchte. »Dann halten Sie ihn wenigstens so lange am Leben, bis Sie wissen, daß Sie hier eine sichere Sache haben. Ich brauche Geld, wenn ich Ihnen entwischt bin.« Der Kopfgeldjäger lächelte amüsiert. »Okay. Wollen wir wetten? Vielleicht kann ich ihn am Leben halten. Haben Sie dazu irgendwelche Vorschläge?« »Meine alte Tante Emma hat mir immer Rindfleischstücke
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an die Fußsohlen gebunden, wenn ich Fieber hatte. Sie haben die Hitze herausgezogen.« »Ich habe schon davon gehört.« Der Kopfgeldjäger stand auf. »Leider haben wir kein Rindfleisch da. Aber vielleicht geht's auch mit Hirschlende.« Er zog sein Gewehr aus dem Gewehrschuh, überprüfte die Fesseln des Gefangenen und ging langsam am Bachufer entlang, bis er auf Wildspuren stieß. Die vielen Fußabdrücke im weichen Ufersand verrieten ihm, daß die Tiere hier zur Tränke kamen. Er hockte sich ins dichte Gestrüpp und wartete. Das erste fahle Licht des neuen Tages färbte den Ostrand des Canyons, als er leise Schritte auf dem Graspfad hörte. Die Hirschkuh war ziemlich klein, aber für seinen Zweck reichte sie. Er schoß sie, schwang den leblosen Tierkörper auf die Schulter und ging ins Camp zurück. Er schlachtete das Tier, schnitt zwei dicke Fleischstücke aus der Lende und band sie unter die Fußsohlen des Verwundeten. Anschließend fachte er ein rauchloses Feuer an, rammte zwei Astgabeln in den Boden, zog mehrere Fleischstücke auf einen grünen Zweig und hängte sie zwischen den Astgabeln über das Feuer. Während das Fleisch briet, pflückte er Früchte von den Bäumen, legte ein paar davon neben Pinky auf den Boden und begann zu essen. Dann war das Fleisch gar, und sie aßen den Braten. Dabei ließen sie den Bewußtlosen keine Sekunde aus dem Auge. Das Fieber schien nicht zu sinken. Hin und wieder kam erregtes Murmeln aus seinem Mund, und immer wieder das Wort >GoldGold< ließ Alvarez' Wut sofort abklingen. Er ließ Tucos Schulter los und folgte ihm zu dem großen Fels block, hinter dem Tuco seinen Schatz verborgen hatte. Tuco überlegte, ob er ihm nur die beiden Satteltaschen geben sollte, im Vertrauen darauf, daß Alvarez die Satteldecke nicht
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untersuchen würde. Aber ein Blick in das Gesicht des Capitans belehrte ihn eines Besseren. Er holte die schweren Satteltaschen einzeln aus ihrem Versteck und legte sie Alvarez zu Füßen. Alvarez öffnete eine davon, griff hinein und ließ die Goldmünzen durch die Finger gleiten. Seine Wut verwandelte sich in plötzliche Ekstase. »Das Gold — das Gold —« Die Soldaten waren von den Pferden gesprungen und drängten sich um ihn. Der Offizier sah, daß sich daraus eine gefährliche Situation entwickeln konnte und schickte sie zurück zu ihren Pferden. Sie gehorchten ihm nur widerwillig, und erst, als er seinen Revolver auf sie richtete. Erst dann öffnete er die zweite Satteltasche und überprüfte ihren Inhalt. Dann sah er auf und sah Tuco mit neu erwachtem Mißtrauen an. »Ist das alles, Tuco? Wo ist der Rest?« Es tat ihm fast körperlich weh, als er sagte: »Dort drüben.« Er deutete mit der Hand nach der zusammengerollten Decke. Alvarez stürzte darauf zu, riß sie auf und starrte auf die Goldmünzen. Dann richtete er sich majestätisch auf, legte Tuco beide Hände auf die Schultern und küßte ihn feierlich auf beide Wangen. Tuco war so erstaunt, als wenn sich plötzlich die Himmelstür geöffnet hätte. »Ausgezeichnet, Leutnant Tuco! Die Revolution ist Ihnen zu höchstem Dank verpflichtet.« Die Worte überraschten Tuco mehr als die Umarmung. Leutnant? Na, bitte. Vielleicht hatte sich die Arbeit doch gelohnt. Ein Mann mit seinen Fähigkeiten konnte es in der Armee weit bringen. Alvarez trat einen Schritt zurück und sagte: »Und jetzt, Leutnant, berichten Sie mir, was geschehen ist.« Tuco holte tief Luft und begann eine wunderbare Ge schichte. Er berichtete, wie er zusammen mit den anderen Soldaten in den Canyon hinuntergestiegen ist und sie die Männer des Kaisers nach schwerem Kampf besiegt hätten. Wie er im Laufe des Kampfes ins Feuer gestoßen worden sei und sich die Kleidung des toten Offiziers der kaiserlichen Truppe angeeignet habe. Wie später ein Teil der Leute die
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Sache der Revolution verraten, die loyalen Männer ermo rdet und sich mit dem Gold aus dem Staub gemacht hätten. »Sie hatten mich für tot liegengelassen, Capitan, und ich war geistesgegenwärtig genug, sie bei dem Glauben zu lassen. Aber sobald es hell wurde, habe ich mich auf ihre Spur gesetzt und bin ihnen gefolgt. Ich wollte sie, einen nach dem anderen, aus dem Hinterhalt erledigen und das Gold für die Revolution retten. Aber sie wurden von Apachen überfallen . . .« Der Capitan biß erwartungsvoll auf seine Unterlippe. »Apachen? Wie sind Sie denen entkommen?« Tuco nahm sich Zeit mit der Antwort. Er mußte jetzt genau überlegen. Er wußte nicht, daß die Apachen tot waren. Zuletzt hatte er sie gesehen, als sie ihren Rausch ausschliefen. »Ich blieb in Deckung, solange sie mit den anderen beschäftigt waren. Ich sah, wie sie sie fingen und marterten. Sie haben sie auf Ameisenhaufen festgebunden.« »Das haben sie auch verdient«, sagte Alvarez mit Genugtuung. »Das sollte sie lehren, sich nicht an den Gütern der Revolution zu vergreifen. — Aber wie haben Sie den Apachen das Gold wieder abnehmen können?« Tuco fühlte die Versuchung, sich noch weitere Heldentaten zuzuschreiben. Aber zu viele der Männer kannten die Einstellung der Indianer. Er zuckte wegwerfend die Achseln. »Sie machen sich nichts aus Gold. Sie haben keine Verwendung dafür. Ich habe sie beobachtet, bis sie wieder aufbrachen und in den Bergen verschwanden. Dann bin ich einfach hinuntergeritten, habe das Gold aufgeladen und mich auf den Weg nach Chihuahua gemacht, um es Ihnen dort zu übergeben.« Der Capitan blickte Tuco an. »Mit anderen Worten, diese Wilden treiben sich immer noch hier in der Gegend herum?« Tuco fühlte ein echtes Frösteln auf seinem Rücken, als er nickte. »Wie viele sind es?« »Fünfzig — mindestens.« »Dann sollten wir lieber hier verschwinden. Wir sind nur zwanzig Mann.«
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Er ließ das Gold von ein paar Soldaten auf Tragtiere verladen und half Tuco auf sein Pferd. Dann führte er seinen Trupp zum Grünen Canyon zurück. Graf de Cabronet wartete, bis die Hufschläge im Dunkeln verhallt waren. Dann richtete er sich in seinem Versteck auf. Er war den Bergpfad entlanggeritten, als er plötzlich Tu-cos Lagerfeuer voraus sah. Er war abgestiegen, hatte sein Pferd angebunden und war zu Fuß weitergegangen, um den Banditen zu überraschen. Doch als er ihn fast erreicht hatte, sah er einen Reitertrupp aus der anderen Richtung auf ihn zukommen. Er war hinter einem großen Felsblock in Deckung gegangen und hatte jedes Wort der Story mitgehört, die Tuco dem Capitan erzählt hatte. Mit widerwilliger Bewunderung mußte er zugeben, daß er noch nie einen so einfallsreichen Lügner wie Tuco erlebt hatte. Jetzt, wo sie fortgeritten waren, fühlte er sich unsicher und ratlos. Es war ein hoffnungsloses Unternehmen, zwanzig Mann angreifen zu wollen. Es sah wirklich sehr düster aus. Er saß ohne einen roten Centavo inmitten eines feindlichen Kontinents. Was sollte er tun? Er war Berufssoldat. Sonst hatte er nichts gelernt. Und für einen Mann wie ihn gab es in der Revolutionsarmee sicher keinen Platz, selbst wenn er sich dazu bereitfinden würde, in diesem zerlumpten Banditenhaufen zu dienen. Er konnte natürlich nach Norden reiten, in die Vereinigten Staaten. Aber da ergab sich wieder das gleiche Problem: Was sollte er, mittellos wie er war, dort anfangen? Er erreichte sein Pferd und wollte sich gerade in den Sattel schwingen, als er leisen Huf schlag hörte. Einen Augenblick nahm er an, es wäre einer von Alvarez' Männern, der aus irgendeinem Grund zurückkam, dann aber fiel ihm ein, daß dieser Reiter aus der anderen Richtung kam, aus dem Westen. Er fühlte plötzlich eine wilde, neue Hoffnung. Bis jetzt war er allein gewesen und hilflos. Jetzt hatte er wieder einen Gefährten. Es konnte nur ein Mann sein, der dort auf ihn zukam, der Mann-Ohne-Namen.
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Leise rief er ihn an. Der andere zügelte sein Pferd. Dunkel und Stille. Dann sagte die Stimme des Kopfgeldjägers leise: »Franzmann?« Der Graf fühlte eine namenlose Erleichterung. Er war nicht mehr allein. Eilig ging er auf den anderen zu. »Sie kommen zu spät.« Das Gesicht des Kopfgeldjägers war ein undeutlicher Schatten. »Wieso zu spät?« »Das Gold ist verloren. Für immer!« »Was, zum Teufel, soll das heißen?« Hastig berichtete de Cabronet, was er gesehen und gehört hatte. Der andere hörte ihm schweigend zu. Dann fragte er: »Wie weit ist es bis zu Tucos Camp? Wir können auch beim Essen weiterreden. Ich bin nicht aus dem Sattel gekommen, seit ich Pinky verlassen habe.« »Sie haben ihn gefunden? Hat er noch gelebt? Ich habe ihn extra für Sie hängengelassen. Wie haben Sie ihn getötet?« »Gar nicht. Ich habe ihn auch hängenlassen. Der kann warten.« »Was? — Ich dachte, Sie würden ihm den Bauch aufschlitzen und ihm die Eingeweide herausreißen.« »Das wären verdammt teure Spaghettis. Für siebentausendfünfhundert Dollar.« »Sie wollen also immer noch versuchen, ihn über die Grenze zu schaffen?« »Natürlich. Aber erst holen wir uns das Gold von diesen Revoluzzern.« De Cabronet hielt den Atem an. »Es sind zu viele, um sie angreifen zu können.« »Wie viele?« »Ich weiß nicht. Ich habe sie nicht gezählt. Ich war zu fasziniert von Tucos wilden Geschichten.« Der Mann-Ohne-Namen band sein Pferd an ein Gestrüpp und ging neben de Cabronet auf Tucos Camp zu. Das Feuer war niedergebrannt. Sie warfen neues Holz in die Glut. Der Franzose machte sich immer noch Gedanken über Tucos Story.
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»Ich glaube, er weiß wirklich nicht, daß die Apachen tot sind.« »Er kann es auch gar nicht wissen. Sie lebten ja noch, als Pinky ihn aus Tyopa fortschleppte.« »Ja, richtig. Jedenfalls schien die Vorstellung, daß sie sich noch hier in der Gegend herumtreiben, den Capitan ziemlich aufzuregen. Er konnte gar nicht schnell genug von hier wegkommen.« »Das verstehe ich sehr gut«, sagte der andere. »Die Apachen haben eine besondere Vorliebe für mexikanische Skalps.« Er preßte die Lippen aufeinander und starrte ins Feuer. Eine Viertelmillion war nur ein paar Meilen voraus auf diesem Bergpfad, bewacht von einer unbekannten Anzahl mexikanischer Soldaten. Die Soldaten würden zwei weiße Männer nicht fürchten. Aber vor Indianern hatten sie eine Heidenangst. Er nickte langsam. »Franzmann. Sie werden sicher einen bildschönen Apachen abgeben. Sie haben ja neulich gesehen, wie die Leute operieren. Sie müssen verdammt überzeugend wirken, wenn es klappen soll.« De Cabronet blickte ihn verständnislos an. Dann begriff er, und ein Ausdruck des Entsetzens trat in seine Augen.
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14 Capitan Alvarez fühlte sich etwas sicherer, als seine Männer den Boden des Grünen Canyons erreicht hatten. Drei Männer hatte er am Rand des Canyons als Wache zurückgelassen. Kein Indianer konnte ungesehen an ihnen vorbeikommen. Die Männer waren müde, hungrig und unruhig. Bei dem nächtlichen Abstieg war ein Pferd auf dem schmalen Pfad ausgeglitten und mit seinem Reiter in die Schlucht gestürzt. Der schrille gellende Todesschrei des Mannes hallte immer noch in ihren Ohren. Alvarez wandte sich an Tuco: »Sie kennen das Land, Leutnant. Glauben Sie, daß wir hier sicher sind?« Tuco nickte. Er hatte keine Ahnung, wo die Apachen stecken mochten. Aber sicher würden sie ohne Pferde nicht so weit gekommen sein. »So sicher wie in einer Kirche, Capitan.« Tuco hatte keine besonders hohe Meinung von Kirchen. Einer seiner Brüder war Priester. »Dann wollen wir hier zwei Tage Rast machen und die Pferde grasen lassen. Holen Sie sich etwas zu essen, und gehen Sie dann zu den Wachen hinauf. Schicken Sie sie einzeln zum Essen herunter.« Tuco salutierte flüchtig. Seine Gedanken waren schon wieder mit dem Problem beschäftigt, wie er sich das Gold wieder aneignen und den Soldaten entkommen konnte. Unglücklicherweise hatte man alle Pferde bachabwärts getrieben, wo die Weide besser war. Ihm fiel kein plausibler Grund ein, zwei von ihnen ins Camp zurückzubringen. Und er fand auch keine Möglichkeit, das Gold später, wenn die Leute schliefen, den Pfad hinauf und an den Wachen vorbeizubringen. Dennoch gab er die Hoffnung nicht auf. Tuco der Schreckliche hatte sein ganzes Leben lang nur von der Hoffnung gelebt. Er ging zum Feuer, hockte sich neben den großen Bohnenkessel, rollte eine Tortilla zusammen und benutzte sie als Löffel, um Bohnen in seinen Mund zu schaufeln.
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Es war schön, wieder regelmäßig sein Essen zu bekommen. Morgen früh würden sie vielleicht einen Hirsch schießen. Er aß, bis er nicht mehr konnte, dann ließ er sich von seinem Nachbarn ein Maisblatt und etwas Tabak geben, rollte sich eine Zigarette und blickte nachdenklich in die Flamme des Lagerfeuers. Nach einer Weile stand er seufzend auf, warf die Kippe ins Feuer und ging langsam zum Pfad zurück. Sein neuer Dienstgrad hatte auch seine Nachteile. Als Offizier der Wache erwartete man von ihm, die ganze Nacht wachzubleiben. Als er nach langem, mühseligem Marsch den Rand des Canyons erreicht hatte, sandte er zuerst einen, später den zweiten Mann nach unten. Als alle drei Posten gegessen hatten und zurückgekehrt waren, verteilte er sie auf seiner Ansicht nach strategisch wichtige< Punkte, suchte sich einen gemütlichen Platz hinter einem Felsblock und machte es sich dort bequem. Die Nacht schien endlos. Und nichts geschah. Er hatte es auch nicht anders erwartet. Kurz nach Sonnenaufgang wurde die Wache abgelöst, und Tuco ging in den Canyon hinunter und frühstückte. Dann rollte er sich zufrieden und erleichtert zusammen und schlief den ganzen Tag über. Bei Dunkelwerden wachte er wieder auf und stellte befriedigt fest, daß jemand inzwischen eine Hirschkuh geschossen hatte. Es gab frisches Fleisch zum Abendbrot. Die Soldaten waren zufrieden und ausgeruht. Alvarez sprach davon, daß sie morgen in aller Frühe nach Chihuahua aufbrechen wollten. Tuco war bedrückt, als er ein paar Stunden später den Pfad hinaufstieg, um seine Nachtwache anzutreten. Wenn sie Chihuahua erreicht hatten, war das Gold für immer verloren. Er lehnte sich gegen den Felsblock und starrte niedergeschlagen zu den Sternen hinauf. Die Sterne wurden matter und schienen schließlich ganz zu verlöschen. Er war eingeschlafen. Er erwachte mit einem Schock. Eiserne Finger umklammerten seinen Hals und drückten ihm die Luftröhre zu. Und eine Stimme, die er nur zu gut kannte, sagte leise auf spanisch: »Eine Bewegung, Tuco, und du bist tot.« Tuco lag völlig reglos. Der Mann, der über ihm kniete, war der Kopfgeldjäger. Und er lebte!
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Es war ihm unerklärlich, wie er sich hatte befreien können, als man ihn auf den Ameisenhaufen gefesselt hatte. Aber eigentlich, überlegte er, war es gar nicht so überraschend. Der Mann hatte schon ein paar Dutzend Situationen überstanden, die jeden normalen Menschen umgebracht hätten. Die Finger drückten noch einmal warnend zu, dann lockerte sich der Griff so weit, daß er Luft holen konnte. »Bring mich nicht um, Partner«, flüsterte er. »Ich weiß, wo sie das Gold versteckt haben.« Die Finger lockerten ihren Griff etwas mehr, und Tuco fuhr fort: »Es sind drei Wachen hier bei mir. Lassen Sie mich los. Ich werde sie einzeln erledigen.« Tuco hatte wieder einmal die Seite gewechselt. Der Mann-Ohne-Namen knurrte: »Glauben Sie etwa, daß ich Ihnen noch einmal vertraue?« »Sie können mir trauen, weil ich das Gold haben will.« Tucos Stimme wurde schrill: »Glauben Sie, Alvarez würde mir auch nur eine einzige Münze von all dem Gold geben?« »Und warum sollte ich das tun?« »Bei Ihnen hätte ich zumindest eine bessere Chance.« »Vielleicht. Kommt darauf an, wie Sie sich dieses Mal benehmen. — Erledigen Sie die Wachen.« Tuco ging zum Rand des Canyons, wo die drei Posten saßen. Sie hatten ihre Gewehre zusammengestellt und hockten mit dem Rücken an einen großen Felsblock gelehnt. Sie hatten die breitkrempigen Hüte halb über ihre Gesichter gezogen und rührten sich nicht, als Tuco sich neben sie hockte. Tuco überlegte, wie er sie töten sollte. Er konnte ihre Ge sichter im Dunkel nicht klar erkennen. Und das war gut so. Er war nicht gerade empfindlich, aber es ist doch schwer, einem Mann ins Gesicht zu sehen, während man ihm die Kehle durchschneidet. Er zog das Messer, das er sich geliehen hatte. Es hatte eine breite, schwere Klinge und war scharf wie ein Rasiermesser. Die drei Männer beachteten ihn nicht. Sie sprachen, wie Soldaten auf der ganzen Welt, von Frauen. Tuco stieß dem Mann, der neben ihm saß, den Hut vom
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Kopf, riß den Kopf an den Haaren hoch und stieß ihm das Messer in den Hals. Die anderen beiden hatten ihren Kameraden nicht angesehen. Die erste Warnung war sein Todesröcheln. Sie fuhren herum, starrten Tuco verblüfft an, und begriffen nicht, was los war. Einer von ihnen versuchte, aufzuspringen. Tuco schlug ihn nieder, warf sich auf seine Brust und stieß ihm das Messer ins Herz. Der dritte Posten war auf den Beinen. Er packte Tuco bei den Haaren und riß das Messer aus dem Gürtel. Der Mann-Ohne-Namen, der aus einem Versteck heraus alles mit angesehen hatte, sprang auf und stürzte sich, das Messer in der Faust, auf den Mann. Er umklammerte seinen Hals mit dem linken Unterarm, riß das Kinn empor und stieß das Messer in die straff gespannte Haut der Kehle. Er ließ sein Opfer fallen, als Tuco sich erhob und die blutige Messerklinge am Hemd seines Opfers sauberwischte. »Okay, mein Freund, und jetzt werden wir uns das Gold holen.«
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15 Graf de Cabronet wartete neben dem Pfad. Er hörte die leisen Kampfgeräusche und kroch, den Säbel in der Rechten, darauf zu. Plötzlich sah er die Schatten von zwei Männern und blieb reglos liegen. Der Mann-Ohne-Namen entdeckte ihn zur gleichen Zeit und rief ihn leise an. De Cabronet kam vorsichtig näher. Er erkannte den Kopfgeldjäger, aber nicht den zweiten Mann. Erst als er sich auf wenige Schritte genähert hatte, sah er, daß es Tuco war. Er entdeckte die drei Toten, die am Boden lagen und erschauerte. Er war Soldat, und das Töten im Kampf war ihm nicht fremd. Aber dies hier war nackter Meuchelmord gewesen. Er fühlte, daß er in diesem barbarischen Land niemals heimisch werden würde. Aber er sagte nichts. Tuco hielt noch immer das Messer umklammert und blickte den Franzosen voll tiefem Mißtrauen an. »Wer ist das?« Der Mann-Ohne-Namen sagte es ihm. »Und er bekommt auch einen Anteil an dem Gold?« »Ja.« Tuco gefiel das gar nicht. Aber er protestierte nicht. Es hätte auch kaum Sinn gehabt. Der Kopfgeldjäger starrte in die Schlucht des Canyons hinab. »Wie viele Männer sind dort unten?« Tuco zählte an seinen Fingern ab. »Siebzehn — mit Capitan Alvarez.« »Das ist zu schaffen.« Der Kopfgeldjäger überlegte einen Augenblick. »Sie gehen als erster hinunter. Falls einer der Leute wach sein sollte, wird er keinen Verdacht schöpfen. Kennen Sie den Eulenschrei, den Alarmruf der Apachen?« »Ja.« »Wir sind dicht hinter Ihnen. Wenn alles schläft, geben Sie
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zweimal den Eulenschrei. Schlimmstenfalls nehmen sie an, daß Indianer in der Nähe sind.« Tuco nickte und verschwand lautlos. Ein Schatten unter Schatten. Der Franzose fragte: »Wie geht's nun weiter?« »Wir greifen das Camp an.« »Mit siebzehn Männern?« »Die schlafen. Ein paar von ihnen sind tot, bevor sie aufwachen. Die anderen werden glauben, daß wir Indianer sind, und diese Leute haben vor den Apachen eine solche Heidenangst, daß sie wie die Hasen weglaufen werden.« Graf de Cabronet dachte an das Gold. Es schien eine Ewigkeit her, seit er es von den reichen Ranchern im Süden in Empfang genommen hatte, um den Kaiser zu befreien. Seitdem war viel Blut geflossen. Schweigend folgte er dem Kopfgeldjäger den steilen Pfad hinunter. Dreißig Schritte vor dem verglimmenden Camp feuer blieben sie stehen und warteten. Sie sahen Tuco wie einen Schatten auf die schlafenden Männer zugehen, zwischen ihnen entlangschleichen. Dann kam zweimal der Ruf der Eule. ( »Okay.« Der Kopfgeldjäger lief rasch in das Camp. Der Franzose folgte ihm. Tuco stand neben dem schlafenden Alvarez. Er wußte, daß der Capitan der einzige Mensch war, der vielleicht einen klaren Kopf behalten würde. Darum mußte er als erster sterben. Außerdem hatte Tuco eine ganze Reihe von persönlichen Rechnungen mit dem Offizier zu begleichen. Er stieß zu. Mitten ins Herz. Alvarez starb ohne einen Laut. Aber als Tuco sich aufrichtete, stolperte er über einen Stein und fiel auf einen der Schlafenden. Mit einem überraschten Schrei fuhr der Mann auf, und der Schrei alarmierte das ganze Camp. Schlaftrunken richteten sich die Männer auf, stellten sinnlose Fragen. Der Kopfgeldjäger griff sofort ein. Mit einem Kriegsschrei, auf den selbst Banton stolz gewesen wäre, stürzte er auf das Camp zu. Tuco schrie entsetzt: »Apachen! Apachen!«
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Ein paar Männer, die nach ihren Gewehren greifen wollten, hatten plötzlich keine Lust mehr zu kämpfen. In panischem Entsetzen stürzten sie, waffenlos und halbnackt, aus dem Camp. Tuco griff nach einem Gewehr und feuerte hinter den Fliehenden her. Er war noch nie ein guter Schütze gewesen und jetzt, in der Aufregung, konnte er nicht einmal zielen. Und auch de Cabronet war nicht viel besser. Er war mit Stichwaffen und Handfeuerwaffen völlig vertraut. Das Ge wehr aber war eine ungewohnte Waffe. Der Mann-Ohne-Namen aber schoß ruhig und regelmäßig wie eine Maschine. Und fast jeder Schuß ließ einen der flüchtenden Männer zusammenbrechen. Dabei stieß er immer noch den markerschütternden Kriegsschrei der Apachen aus. Tuco und de Cabronet fielen nach einer Weile ein, und den in wilder Panik fliehenden Mexikanern kam es vor, als wenn eine ganze Horde von Wilden hinter ihnen her wäre und sie mit wohlgezieltem Gewehrfeuer, einen nach dem anderen, abschössen. Die angepflockten Pferde waren so verängstigt von dem Lärm, von den keuchenden Männern, die sie einzufangen versuchten, durch die vereinzelten Schüsse, von denen andere Pferde getroffen wurden, von dem Schreien der angeschossenen Tiere, daß sie wild um sich schlugen und sich loszureißen versuchten. Ein paar der Männer konnten sich auf den Rücken der Tiere schwingen. Etwa zehn von ihnen ritten im Galopp zum Camp zurück, in der Hoffnung, zum Bergpfad durchbrechen zu können. Tuco war in seinem Element. Nichts machte mehr Spaß, als auf lebende Ziele zu schießen, selbst wenn diese Ziele ehemalige Kameraden waren. Trotzdem erkannte er, daß die Reiter ihn über den Haufen rennen würden, wenn er ihnen nicht den Weg freigab. Er sprang über die Mauer der Hacienda und landete in einem Knochenhaufen. Der Mann-Ohne-Namen behielt die Nerven. Einer der Männer kam direkt auf ihn zu, das Gewehr im Anschlag. Er schoß ihn aus dem Sattel. Hinter sich hörte er das Krachen von de Cabronets Karabiner. Männer und Pferde brachen in einem wilden, zuckenden Haufen zusammen.
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Die Nacht war voller Schreie und Staub und Lärm und dem Geruch des Todes. Der Mann-Ohne-Namen schoß ruhig und konzentriert. Als das Gewehr leergeschossen war, griff er nach einem von denen, welche die fliehenden Mexikaner zurückgelassen hatten. Die Reiter fielen wie die Fliegen aus den Sätteln. Nur drei von ihnen hatten überlebt. Im Galopp sprengten sie auf den Bergpfad zu. Und ausgerechnet in diesem Augenblick klickte der Schlagbolzen seines Gewehres auf eine leere Kammer. Er warf das Gewehr zu Boden und sah sich nach einem neuen um. Er sah den Franzosen ausgestreckt am Boden liegen und wußte, daß er getroffen worden war. Das Gewehr lag neben ihm. Der Kopfgeldjäger nahm die Waffe auf und feuerte hinter den drei fliehenden Reitern her. Er wußte, daß er nicht mehr treffen konnte. Er blickte sich um. Ein reiterloses Pferd stand neben der Mauer, zu verängstigt, um auch nur fliehen zu können. Er rannte auf das Tier zu und warf sich auf seinen ungesattelten Rücken. Er preßte seine Knie in die schweißbedeckten Flanken, riß das Pferd herum und trieb es durch den Canyon auf den Einstieg des steilen Bergpfades zu. Die drei Männer durften nicht entkommen! Wenn sie nach Chihuahua gelangten, würde das Land innerhalb weniger Tage von Militär wimmeln. Er mußte sie um jeden Preis aufhalten. Er erreichte den Einstieg des steilen, schmalen Pfades und begann den Aufstieg. Die Sterne waren winzige Lichtflecke am dunklen Himmel, aber ihr Schein reichte nicht bis in die Tiefen des Canyons hinab. Er mußte den Weg ertasten. Über sich hörte er das Geräusch von Hufen auf Stein und wußte, daß die Männer, hinter denen er her war, vor ihm ritten. Der Pfad war schmal und steil, und das Pferd ging langsam und widerwillig. Er trieb es nicht an. Er konnte nichts erkennen. Sein Leben hing von dem Instinkt des Tieres ab. Er konnte und wollte nichts tun, als diesem Instinkt vertrauen. Unendlich langsam ging es bergan. Die Geräusche über ihm sagten ihm, daß die drei Männer auch noch auf dem Bergpfad ritten. Es gab ja auch keine andere Möglichkeit. Eine fahle Helligkeit begann, über den Rand des Canyons
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zu kriechen. Die Sterne verblaßten. Kurz darauf war es hell genug, die Umrisse der drei Männer zu erkennen, die oberhalb von ihm ritten. Und sie entdeckten ihn ebenfalls. Einer von ihnen wandte sich um. Ein Gewehrschuß dröhnte. Die Kugel pfiff weit über ihn hinweg. Der Mann-Ohne-Namen drängte sein Pferd gegen die Felswand. Er wartete. Als er vorsichtig um den Felsen nach oben blickte, waren die drei Reiter verschwunden. Er ritt weiter. Als er die nächste Biegung des Serpentinenpfades erreicht hatte, waren die drei Reiter über den Rand des Canyons verschwunden. Langsam ritt er weiter. Und er hatte fast den Rand des Canyons erreicht, als wieder ein Schuß dröhnte. Die Kugel bohrte ein Loch in seine Hutkrempe. Er sprang vom Pferd, zog es in Deckung und fesselte seine Vorderbeine. Er wußte, daß die drei Männer in sicherer Deckung oben auf ihn warteten. Er blickte nach oben. Ein schmaler Felsspalt führte vom Pfad aus senkrecht nach oben zum Plateau. Sein oberes Ende war fast zweihundert Fuß vom Ende des Pfades entfernt. Er wußte, daß er nicht den Pfad hinaufreiten konnte, ohne ihnen genau vor die Gewehre zu kommen. Er hängte sich das Gewehr am Riemen über den Rücken, stieg in den Felsspalt und stemmte sich mit Händen und Füßen gegen die Seitenwände des Kamins. Er merkte nicht, daß es rasch heller wurde. Er dachte nur an die drei Männer, die ihn töten wollten. Zweimal wäre er fast abgestürzt, und er klammerte sich mit den Händen fest, bis er mit den Füßen wieder Halt gefunden hatte. Endlich krallten sich seine Finger über den Rand und fanden dort Halt. Vorsichtig zog er sich empor. Er hatte fast erwartet, daß man sofort auf ihn schießen würde, sobald er den Kopf über den Rand hob. Doch nichts rührte sich. Er sah, daß er von einem riesigen Felsblock gedeckt war. Er ließ sich in eine kleine Senke hinter dem Stein rollen und lag fast eine Minute reglos, um seinen keuchenden Atem und die zitternden Muskeln zur Ruhe kommen zu lassen.
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Dann richtete er sich auf, nahm das Gewehr vom Rücken und wünschte, er hätte auch einen Revolver dabei. Vorsichtig schob er sich um den Felsblock herum, das Ge wehr schußbereit. Und sah keinen Menschen. Vielleicht sind sie schon fortgeritten, überlegte er. Er nahm einen kleinen Stein und warf ihn auf den Bergpfad. Drei Gewehrschüsse krachten, fast wie eine Salve. Und sie verrieten ihm die Position der drei Männer. Sie lagen hinter mehreren Felsen zu seiner Rechten. Vorsichtig schob er sich, immer in Deckung von Geröll und Steinen, auf sie zu. Er konnte sie jetzt reden hören. »Ich glaube, wir haben ihn erwischt.« Der Kopf eines Mannes tauchte aus der Deckung und bewegte sich über den Rand des Canyons. Der Mann-OhneNamen schoß ihn hinter das Ohr und sah ihn über der Deckung zusammenbrechen. Die beiden anderen schössen auf ihn. Die Kugeln fetzten Steinsplitter aus seiner Deckung. Er lud das Gewehr nach und kroch vorsichtig weiter nach links. Dabei behielt er ständig die Deckung der beiden Männer im Auge. Aber die rührten sich nicht. Die Sonne stieg höher. Es wurde heiß. Ein Schuß krachte, und die Kugel sang dicht über seinen Kopf hinweg. Man hatte ihn entdeckt. Er ließ sich in eine kleine Senke zwischen zwei Felsen gleiten und blieb reglos liegen. Sie sollten glauben, daß sie ihn getroffen hätten. Aber dieses Mal fielen sie nicht mehr darauf herein. Sie blieben in ihrer Deckung. Er begann wieder zu kriechen, immer näher an ihre Deckung heran. Er sah ein Bein. Der Mann lag ausgestreckt hinter einem Felsen. Sein Körper war vom Stein verdeckt. Der Mann-Ohne-Namen zielte sorgfältig auf den Oberschenkel. Dann zerriß der Abschußknall die Stille. Er hörte einen Schrei und sah den verwundeten Mann aufspringen. Er schoß ihm in den Kopf, bevor er zusammenbrach. Er grinste zufrieden. Jetzt waren die Chancen gleich. Es kam nur noch auf die besseren Nerven an. Und der Mann-
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Ohne-Namen hatte sich oft und lange darin geübt, seine Nerven in der Gewalt zu behalten. Die Entscheidung fiel früher, als er erwartet hatte. Er hörte plötzlich ein leises Geräusch zu seiner Rechten und sah zu seinem Erstaunen einen Mann keine zwei Meter entfernt hinter einem Felsblock aufspringen. Bevor er das Gewehr herumreißen konnte, hatte der Mann sich auf ihn gestürzt, ein Messer in der Hand. Der Kopfgeldjäger warf sich zur Seite, und das Messer fuhr in den Boden. Dann- rangen sie um das Messer. Zweimal konnte der Kopfgeldjäger das kräftige Handgelenk des anderen Mannes umklammern. Zweimal konnte sich der andere befreien und nach seiner Kehle stechen. Der Mann-Ohne-Namen warf sich zur Seite und schlug dem anderen die Faust ins Gesicht. Dann umklammerte er wieder das Handgelenk des anderen, ließ sich zur Seite fallen und versuchte, ihm das Messer zu entwinden. Er hielt das Gelenk jetzt mit beiden Händen umklammert und drückte es zu Boden. Der Knochen brach mit scharfem Knacken. Der Mann ließ das Messer fallen. Noch bevor er einen Schrei ausstoßen konnte, rammte der Kopfgeldjäger ihm das Messer in die Brust.
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16 Tuco der Schreckliche hatte schwer gearbeitet. Sein erster Impuls war gewesen, dem Mann-Ohne-Namen den Bergpfad hinauf zu folgen. Doch dann fiel ihm etwas Besseres ein. Er nahm ein brennendes Scheit aus dem Feuer, ging von einem der am Boden liegenden Soldaten zum anderen und überzeugte sich, daß sie auch wirklich tot waren. Einer atmete noch, aber er hatte einen Lungenschuß und würde den Morgen nicht mehr erleben. Tuco kam zufrieden zum Feuer zurück und entdeckte den Grafen am Boden liegend. Er glaubte, daß er tot sei, doch als er sich über ihn beugte, merkte er, daß der Franzose immer noch atmete. Tuco überlegte angestrengt. Es wäre am besten, dem Mann einfach die Kehle durchzuschneiden und so den dritten Teilhaber auszuschalten. Aber der Mann-Ohne-Namen könnte ihm das vielleicht sehr übelnehmen. Tuco begriff nicht, daß er diesem Ausländer vertraute und anscheinend einen Narren an ihm gefressen hatte. Tuco entschied, daß es klüger wäre, den Franzosen einfach seinem Schicksal zu überlassen, sich zwei Pferde einzufangen, das Gold auf eines der Tiere zu verladen und über den Westpfad aus dem Canyon zu reiten, bevor der Kopfgeldjäger zurückkehrte. Es war schon hell geworden, als er zwei Pferde eingefangen, gesattelt und zum Camp gebracht hatte. Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Er wandte sich um und sah, daß de Cabronet sich aufgerichtet hatte. »Ich dachte, Sie wären tot.« Tuco hielt das für eine ausreichende Entschuldigung dafür, dem Verwundeten nicht geholfen zu haben. Die Stimme des Franzosen war kaum hörbar. »Wasser.«
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Tuco überlegte eine Weile, zuckte dann die Achseln und brachte Wasser vom Bach. »Wo sind Sie verwundet?« »Mein Bein. Ich glaube, es ist gebrochen. Wo ist der Kopfgeldjäger?« »Hinter ein paar Männern her, die durchgebrochen sind.« »Und wo wollen Sie hin?« »Hinter ihm her. Vielleicht braucht er Hilfe.« Er holte die Satteltaschen mit dem Gold aus dem Versteck, in dem Alvarez sie für die Nacht untergebracht hatte, und trug sie zu den Pferden. Graf de Cabronet sagte scharf: »Was haben Sie vor?« Tuco lächelte. »Ich nehme das Gold mit. Aus Sicherheitsgründen. Man weiß nie, ob sich hier nicht Banditen herumtreiben. Und Sie sind verwundet und können das Gold nicht schützen.« Der Graf wußte, daß Tuco recht hatte. Er konnte das Gold nicht schützen. Nicht einmal vor Tuco. In hilfloser Wut mußte er zusehen, wie der Bandit das Gold auf ein Pferd verlud. Vom Ostrand des Canyons kam das Knallen mehrerer Schüsse. Tuco arbeitete schneller. Er wußte nicht, ob die Schüsse irgend jemanden getroffen hatten. Aber er ahnte instinktiv, daß es nicht der Mann-Ohne-Namen war. Dieser verdammte Hurensohn. Der Kerl kommt auch immer davon. Er starrte zum Rand des Canyons hinauf und überlegte. Vielleicht war es besser, wenn er nicht das ganze Gold mitnahm. Wenn der Kopfgeldjäger ihn erwischen sollte, war er erledigt. Vielleicht sollte er ihm seinen Anteil zurücklassen. Er blickte auf die prall gefüllten Satteltaschen. Der Gedanke an die schimmernden Goldmünzen war eine zu starke Versuchung. Er warf die Satteltaschen auf das Pferd und stieg auf. Als er den Canyon halb durchquert hatte, hörte er jemand seinen Namen rufen. Er wandte sich um und sah den Kopfgeldjäger den steilen Pfad herabkommen. Und er sah auch, daß er sein Gewehr auf ihn angelegt hatte. Er zügelte sofort sein Pferd. Er wußte aus Erfahrung, daß der Mann-Ohne-Namen ihm auch aus dieser Entfernung die
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Augen aus dem Kopf schießen konnte. Er blieb reglos im Sattel sitzen, als der Kopfgeldjäger auf ihn zuritt. Der andere sah die gefüllten Satteltaschen, und er grinste den Banditen ironisch an. »Tuco, mein Freund. Wo willst du denn hin?« Tuco fand keine plausible Antwort. »Und mit dem Gold. Sieht aus, als wenn man dir nicht eine Sekunde lang trauen kann. Zurück zum Camp.« Tuco ritt zurück. Die Gewehrmündung blieb auf seinen Kopf gerichtet. Sie erreichten das Camp, und der Mann-Ohne-Namen befahl Tuco, abzusteigen. Langsam stieg der Bandit aus dem Sattel. Der Franzose saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und blickte ihn schweigend an. Der Kopfgeldjäger warf ihm einen raschen Blick zu. »Was ist mit Ihnen?« »Ich glaube, das Bein ist gebrochen.« »Ich kümmere mich darum, sobald ich diesen Vogel zusammengebunden habe.« »Mich?« sagte Tuco entsetzt. »Wir sind doch Partner! Habe ich nicht mitgeholfen, das Gold wiederzuholen?« »Stimmt. Und dann wollten Sie damit durchgehen, sobald ich den Rücken kehrte.« »Ein Mann muß schließlich seine Interessen wahrnehmen.« »Sehr richtig. Und genau das werde ich jetzt tun.« Der Kopfgeldjäger warf Tuco das Lasso über den Kopf. Innerhalb einer Minute war der Bandit wieder einmal an einen Baumstamm gefesselt. Der Kopfgeldjäger untersuchte das Bein de Cabronets. Der Oberschenkelknochen war dicht oberhalb des Knies gebrochen. Er brach zwei dünne Äste ab und schiente den gebrochenen Knochen damit. »Ein paar Tage werden Sie schon stilliegen müssen.« Der Franzose lächelte dünn. »Ich scheine Sie immer nur aufzuhalten.« »Dieses Mal nicht. Ich werde das Gold aus dem Canyon bringen und irgendwo verstecken. Dann werde ich einen Hirsch schießen und Ihnen etwas zu essen machen. Sie müssen sehen, wie Sie zurechtkommen, bis ich wieder zurück bin.«
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»Von wo zurück?« »Von Nogales. Ich muß dem Sheriff zwei Gangster abliefern, Pinky und einen gewissen Tuco Ramirez ...« »Mich?« rief Tuco entsetzt. »Sie wollen mich verkaufen, und ...« »Nennen Sie mir einen einzigen Grund, warum ich es nicht tun sollte.« Der Kopfgeldjäger sah ihn nicht einmal an. »Sie kann man nicht länger frei herumlaufen lassen. Ich habe nur eine Wahl: Entweder erschieße ich Sie sofort, oder ich bringe Sie ins Gefängnis, damit Sie mir für 'ne Weile aus dem Weg sind. Und wenn ich Sie schon ins Kittchen bringe, kann ich mich auch dafür bezahlen lassen. Sie sind immerhin dreitausend Dollar wert. Tot oder lebendig.« Tuco schäumte vor Wut. Noch nie im Leben war er so tödlich beleidigt worden. Man wollte ihn nicht nur um seinen Anteil an dem Gold prellen, sondern ihn auch wie einen Sack Bohnen nach Nogales schleppen. Für lausige dreitausend Dollar! Dann fiel ihm etwas anderes ein. »Und was wird mit dem Gold? Sie werden es doch nicht etwa mit ihm hierlassen? Er geht damit durch, sobald er wieder laufen kann.« »Ich vertraue ihm mehr, als ich irgend jemand anderem vertraue. Außerdem nehme ich alle Pferde mit. Er weiß, daß sich in den Bergen Apachen herumtreiben. Und er hat ein gebrochenes Bein. Er wird hierbleiben.« Tuco schwieg. Er wußte, daß er endgültig verloren hatte. Hilflos mußte er zusehen, wie der Mann-Ohne-Namen das Gold aus dem Canyon schaffte und wieder zurückkam. Er sah zu, wie er die Pferde zusammentrieb, einen Hirsch schoß und über dem Feuer briet, seine Satteltaschen mit dem Fleisch füllte und den Rest für de Cabronet zurückließ. Am nächsten Morgen band der Kopfgeldjäger Tuco auf sein Pferd und trieb die anderen Tiere vor sich her auf die Westwand des Canyons zu. Tuco ahnte, daß er den Canyon nie wiedersehen würde, und, was viel schlimmer war, auch das Gold nicht. Pinky Roebeck war in besserer Verfassung, als der Kopfgeldjäger erwartet hatte. Er saß an den Baum gefesselt. Der Strick, mit dem seine rechte Hand gebunden war, ließ ihm
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gerade genug Bewegungsfreiheit, um die Wasserflasche an den Mund führen zu können. Die Wasserflasche war leer. Aber erst seit heute morgen. Roebeck sah die beiden Reiter auf sich zukommen und bemerkte, daß Tuco auf sein Pferd gefesselt war. Sie hatten kein drittes Pferd bei sich. Er wußte nicht, was das bedeuten sollte, aber seine Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Grinsen. »Also sind Sie doch zurückgekommen.« »Ich habe es Ihnen versprochen. Und ich pflege mein Wort zu halten. Ich werde doch siebentausendfünfhundert Dollar nicht einfach verfaulen lassen.« »Sie glauben also immer noch, daß Sie mich nach Nogales bringen können?« Der Kopfgeldjäger nahm die leere Wasserflasche, füllte sie im Bach und reichte sie Roebeck. »Ich glaube gar nichts, Pinky. Ich tu's nur.« Der Sheriff von Nogales war ein neuer Mann. Der Vorgänger war von einem ausbrechenden Banditen erschossen worden. Der neue Sheriff hatte sich vorgenommen, daß er sein Amt überleben würde. An diesem heißen Sommermorgen saß er allein in seinem Büro, als ein hochgewachsener Mann die Tür aufstieß und hereintrat. Der Sheriff blickte in das sonnenbraune, schmallippige Gesicht, auf das Gewehr, das der Mann in der Armbeuge hielt. »Kann ich Ihnen helfen?« »Das können Sie.« Der Mann wandte sich um und ging auf die Straße zurück. Der Sheriff zögerte. Der Fremde gefiel ihm nicht. Er schnallte den Gürtel mit den beiden schweren Revolvern um und s ah nach, daß die Walzen geladen waren. Er trat auf die Straße hinaus und sah zwei staubige, abgetriebene Pferde vor dem Büro stehen. Sie hatten einen langen Weg hinter sich. Auf einem der Pferde waren zwei Männer festgebunden. Einer von ihnen war ein Mexikaner mit langem schwarzem Bart. Der andere war weißhäutig, mit schlohweißem Haar und ohne Wimpern und Brauen. Und mit
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rosa Augen. Er saß rücklings auf dem Pferd und war mit dem anderen Rücken an Rücken gefesselt. Beide waren völlig erschöpft von dem Ritt. Und beide waren wütend. Der Sheriff starrte die beiden Männer an. Er erkannte die Gesichter von den Steckbriefen, die in seinem Büro hingen. Er blickte den Kopfgeldjäger ungläubig an. »Wer sind Sie?« Der Mann sagte: »Kopfgeldjäger. Helfen Sie mir, diese beiden Lieblinge loszuwerden. Ich habe die Nase voll von ihnen.« Tuco stieß eine Serie von Flüchen aus. Der Sheriff war ein harter Mann. Aber Flüche wie diese hatte er noch nie gehört. Zusammen mit dem Kopfgeldjäger half er den beiden Gefangenen vom Pferd, brachte sie in die einzige Zelle und ging in sein Büro zurück. »Der eine ist Pinky Roebeck«, sagte der Kopfgeldjäger. »Und Tuco Ramirez«, nickte der Sheriff. »Wo haben Sie die erwischt?« Eine Kiste Zigarren stand auf dem Schreibtisch. Der Kopfgeldjäger nahm sich eine heraus. Seit drei Wochen hatte er nicht mehr geraucht. »Im Süden.« »In Mexiko? — Wissen Sie nicht, daß es verboten ist, Leute über die Grenze zu bringen?« Der andere steckte sich eine Zigarre an. »Das geht Sie doch nichts an. Sie brauchen sich nicht darum zu kümmern, wo ich die Leute herhole. Ihr Job ist nur, mir die Belohnung auszuzahlen. Siebentausendfünfhundert für den Albino, und dreitausend für den Mexikaner. Also bitte.« Der Sheriff blickte in das hagere sonnenbraune Gesicht. Er blickte in die harten Augen, auf den schmallippigen Mund. Er wandte sich um, schloß den Safe auf und holte die eiserne Geldkassette heraus. Er mochte Kopfgeldjäger nicht, aber irgend etwas warnte ihn, sich mit diesem Mann anzulegen. Er zählte das Geld auf den Tisch. Dann zog er ein Formular aus der Schublade und begann es auszufüllen. »Wie ist Ihr Name?« »Kein Name.« Der Sheriff preßte die Lippen zusammen. Er hatte von dem 128
Mann-Ohne-Namen gehört. Und nie erwartet, ihm einmal zu begegnen. Und er hoffte, daß es bei diesem einen Mal bleiben würde. Der Kopfgeldjäger zählte das Geld langsam und sehr gründlich, als ob er dem Sheriff nicht traute. Es stimmte. Er faltete die Geldscheine zusammen und steckte sie in die Tasche. Er wandte sich um und musterte die Steckbriefe, die an der Wand hingen. Im Augenblick interessierte ihn keiner davon. Auf keinen der Männer waren mehr als tausend Dollar ausgesetzt. Er verabschiedete sich nicht. Wortlos ging er hinaus und schloß die Tür leise hinter sich. Der Sheriff starrte ihm nach, als ob er nur ein böser Traum gewesen wäre. Der Mann-Ohne-Namen stieg auf sein Pferd und ritt zum Mietstall. Dort tauschte er die beiden abgetriebenen Tiere gegen zwei frische Pferde und zwei Tragtiere. Er hielt sich nicht auf. Er vertraute de Cabronet. Trotzdem, die Beinwunde konnte rasch verheilen, und vielleicht fand der Franzose ein Pferd, das er übersehen hatte. Eine Viertelmillion Dollar in Gold konnte auch den ehrlichsten Menschen korrumpieren. Er ritt auf die Grenze zu. Er hatte sie fast erreicht, als er sich plötzlich umwandte und zurückritt. Er lenkte sein Pferd in die Seitengasse, auf die das Zellenfenster des Gefängnisses führte. Er schlang das Lasso um den mittleren Gitterstab, trieb sein Pferd an und riß das Gitter los, aber nicht ganz heraus. Dann rollte er sein Lasso zusammen und ritt im Galopp auf die Grenze zu. Es war eigentlich albern, was er getan hatte. Aber eine Welt ohne Tuco war ziemlich langweilig.
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