GABRIEL BARYLLI FOLGE DEM GELBEN STEINWEG ... ROMAN
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 14433 Erste Auflage: November 2000 ...
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GABRIEL BARYLLI FOLGE DEM GELBEN STEINWEG ... ROMAN
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 14433 Erste Auflage: November 2000
Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe © 1991 by Nymphenburger Verlag Lizenzausgabe: Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Umschlaggestaltung: Klütsch, Köln Titelillustration: Premium Satz: hanseatenSatz-bremen, Bremen Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Fleche Printed in France ISBN 3-404-14433-3 Sie finden uns im Internet unter http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Für Dich
»Der Weg ins Freie führt durch die Tür warum nimmt niemand diesen Weg?« LAO-TSE
Als ich von allem genug hatte, beschloß ich zu gehen.
Ich verkaufte meine Wohnung, meinen Wagen, meine liebsten Kleinigkeiten und ließ alles hinter mir. Weit mußte es sein, weit weit weg mußte es sein, wohin ich wollte, und keiner sollte mich kennen oder grüßen oder mich sinnloserweise zu einer Wochenendpartie einladen und dabei hoffen, daß ich ohnehin absagen würde. Also kaufte ich mir ein Ticket nach Kairo, flog von dort nach Mittelägypten, vermied es, einsam stehengebliebene Kulturzitate einer vergangenen Zeit in Form hoher Steinsäulen zu bestaunen - sondern schiffte mich nach Assuan ein. Vier Tage kämpfte sich das Schiff den Nil hinauf, legte an, ließ mich von Bord, fuhr weiter und sah nicht mehr, daß ich eine Pferdekutsche bestieg, die mich auf dem schnellsten Weg ins »Old Cataract«-Hotel brachte, das heute noch dort steht, wo die Engländer es im Jahre 1903 vernünftigerweise hingebaut hatten.
Ein seltsames Volk, dachte ich mir, immer mit viel zu weißer Haut und unerotisch kurzen Khakihosen in viel zu heißen Ländern unterwegs und dabei alles unterjocht, was sich bewegt, aber die Hotels eben doch auf die schönsten Plätze hingeworfen, mit dem Ausblick ins Idyll des besetzten Landes, den Rücken den Sklaven zugekehrt, denen nichts anderes übrigbleibt, als so lange zu dienen, bis ein Gandhi geboren wird. Na ja - was soll's - fehlgeleitete Libido und zu enge Mieder der Frauen der oberen Führungsschicht, dachte ich, als ich durch die Schwingtüre trat, die auf die alte holzgeschnitzte Terrasse führt, von der man den einzigen wirklich imperialen Blick auf die Stromschnellen des heiligen Nil hat und setzte mich in einen Stuhl. Natürlich ist das auf dieser Terrasse nicht irgendein Stuhl, sondern ein kunstvoll gebogener, kunstvoll geflochtener Weidenholzstuhl, der beim Zurücklehnen leise seufzt und jeden Zeitfluß weise relativiert. Man sinkt zurück in diesen Stuhl,. hört ihn seufzen und kommt gleichzeitig mit ihm zu einer Ruhe, von der man gar nicht wußte, wie viele Kilometer man laufen muß, um sie zu schätzen. Ja - so ist das Tausende Kilometer muß man weg von dem Ort der Üblichkeiten, in die man hineingeboren ist, nur um in Ruhe einen Kaffee zu trinken, der einem ohne Hast serviert wird, ohne Ungeduld eines überlasteten Kellners, der nicht weiß, wie er die Ratenzahlungen für das viel zu
teure Sportkabriolett bezahlen soll, das er glaubt steuern zu müssen, um dem Serienhelden im Fernsehen noch ähnlicher zu sein, von dem alle sagen, er sei sein Zwillingsbruder. Nein - hier ist das nicht so - hier ist es anders, hier ist es still. Eine halbe Stunde mindestens kann man sitzen und erst einmal ankommen, bevor ein Mensch das Wort an einen richtet, ein Mensch, dessen Aufgabe es ist, ruhig einen Kaffee zu servieren, dessen Bohnen noch gemahlen worden sind, unmittelbar bevor das kochende Wasser aufgeschüttet wurde. Hier ist der Blick über die dunkelgrün gestrichene Holzbalustrade der Auftakt zu einer Muße, die erst einmal eine Generalpause macht, bevor die Violinen der Entspannung leise ihr Lied erzählen. Bin ich zu schwärmerisch-? Vielleicht - aber was soll man machen, besser gesagt, was soll ich machen, damit habe ich ja gerechnet, daß es nicht so schnell gehen wird - daß es nicht so einfach sein wird, ein halbes Leben voller falscher Taten, falscher Ziele und falscher Entscheidungen hinter sich zu lassen. Mein Atem braucht seinen Auslauf, mein Blick sucht sich seinen Nullpunkt, mein Herz nimmt erst Abschied, bevor meine Seele das Wort »Anfang« über die Lippen bringt. Also Ruhe also Stille -also ... Pause ... also Geduld, also Geduld, also Geduld und Geduld...
Dulden - hm... ... dulden tu' ich nichts mehr, soviel steht fest. Erduldet ist genug. Der Karotte des Zweckoptimismus ist genug hinterhergehechelt worden. Ich bin es müde, meinen Rechtfertigungen zuzuhören, die ich mir selbst ein Leben lang ins Ohr gemurmelt habe, um weiter zu funktionieren, weiter zu dienen, weiter zu schlucken, was ausgespuckt werden sollte. Lange genug war ich unterjochende Besatzungsmacht meiner wahren Sehnsüchte und meiner wahren Möglichkeit, der Mensch zu sein, der ich bin. Jetzt ist der Tag gekommen, ins Freie zu treten, ohne erst furchtsam zum Himmel zu blicken, ob dort eine Wetterwolke der Existenzangst die Sonne verdunkelt. Jetzt ist der Wendepunkt erreicht, an dem der Tatsache ins Auge geblickt werden muß, daß ich eines Tages sterben werde und angesichts dieser Premiere sollte ich doch zumindest die letzten zehn Minuten meines Lebens ohne Lügen gelebt haben. Diese zehn Minuten können aber jederzeit »jetzt« beginnen. Daher gibt es keine Ausreden mehr, sondern nur noch das Handeln. Der Leidensdruck. Der Leidensdruck ist es - warum muß der Leidensdruck immer erst an die Grenze des Unerträglichen gehen, bevor man handelt? Wieso ist das System der menschlichen Unzulänglichkeit so simpel konstruiert wie eine Dampflok, die sich auch erst dann widerwillig in Bewegung setzt, wenn der Kessel kurz vor dem Platzen steht? Ich weiß es nicht... die Trägheit des
Herzens ist es, die sich jeder Veränderung widersetzen will, bis die Unbewegtheit der Seele nur mehr in der Revolution einen Rundumschlag zu tun vermag, der befreit und niederreißt und mit einem Steppenbrand der Veränderung die alten Gewohnheiten hinwegfegt. Jeder hat seinen »Point of no return« und bis der nicht erreicht ist, verharrt man seltsamerweise lieber im Niemandsland der Unentschlossenheit, als die Diktatoren von den Balustraden der seelischen Parteitage hinwegzufegen. Mein »Point of no return« war der Abend, an dem ich Desdemona mit einer Kettensäge zerfetzen mußte. Ich weiß, es klingt seltsam, aber an dem Abend, als ich mir wieder einmal dabei zusah, wie ich als Othello in schwarzem Smoking eine Strohpuppe mit blonder Perücke mit einer kanadischen Kettensäge der Marke »Oaktree« verstümmelte und dabei »Hast du zur Nacht gebetet, Desdemona?« schrie - hatte ich plötzlich genug. Das Stroh flog mir um die Ohren, ich hatte höllische Angst mit dem Ding abzurutschen und mir ins Bein zu schneiden und das Theater war außerdem halb leer. Ist es das, Stefan - zuckte es mir plötzlich durch den Kopf, ich frage dich - Stefan Kowalski-, ist das das Ergebnis deiner Sehnsucht, etwas über die Welt zu erfahren und das Gesehene an die Menschen weiterzugeben, die man das Publikum nennt?! Wo ist der offene
Blick geblieben, mit dem ich vor vielen Jahren eines Abends an einem See gesessen bin und zugesehen habe, wie ein Fisch in unerkennbarem, aber doch vorhandenem Gesetz des Kosmos an die Oberfläche stößt und den Spiegel des Sees mit sich weitenden Ringen überzieht... Ich bin dagesessen und habe geschaut und habe gefühlt, einen leisen, warmen Wind auf den Wangen und das Licht der tiefstehenden Sonne, die erlaubt, daß man ihr ins Herz blickt, bevor sie versinkt - ich habe den Wind gesehen, wie eine Frau, die mit zarten Fingern in die Birken greift und die Zweige bewegt - die Gedanken der Vögel... das Lächeln der Stille ... Das war der Abend, an dem ich zum ersten Mal gewußt habe, daß ich das erzählen will - dieses Hineinstaunen in die Webmuster des Unendlichen, das sich als springender Fisch tarnt, der Wellenkreise zaubert. Ich wollte das weitersagen - unheimlich und heimlich-, wie einem lieben Freund weitersagen, und so bin ich zum Theater. Ich bin kein Maler und kein Schreiber und kein Bildhauer und kein Tonsetzer - ich kann nur sein, der ich bin und als der, der ich bin, habe ich gesehen, daß es Plätze gibt in der Wildnis der Unverschämtheit, auf denen sich zu schämen noch eine Tugend ist, und dort bin ich hin. Und für mich war dieser Platz das Theater.
Andeutungen von Ahnungen habe ich gesucht, aber meine Hauptsorge wollte nie sein, ob genügend Benzin in der Kettensäge ist, wenn ich zur Schlußszene schreite. Was soll's - der Regisseur war ein junger Mensch, der ganz einfach erkannt hat, daß er niemals auffallen würde, wenn er die letzte Szene zwischen Othello und Desdemona als Tragödie eines verirrten Herzens inszenieren würde. So einfach ist die Erkenntnis, die er hatte und danach hat er gehandelt. Es ist nämlich ganz einfach so, daß es mehr Aufsehen erregt, Omas Lieblingsvase aus der Ming-Dynastie vom Kaminsims zu stupsen, als sich in ihrer Schönheit zu verträumen. Wir sind nicht mehr in der Epoche, in er es um das Wahre, Gute und Schöne geht, sondern wir suchen die Scherben unserer besten Möglichkeiten, um sie - wahrscheinlich waren wir es auch nie - ich meine, in der Epoche des Wahren, Guten und Schönen -und jetzt wird uns das nur schlicht und einfach bewußt, und nur hoffnungslose Romantiker, wie ich einer bin, entdecken Zusammenhänge zwischen dem Jadegrün der alten Tempellöwen auf Burma und dem Schwirren der Schwungfedern des Paradiesvogels, der eben jetzt an meiner Terrasse in Assuan vorbeigeflogen ist. »Your coffee - Sir-«... Wo war ich - wo bin ich - ah ja - typisch - wieder einmal verloren in den keltischen Labyrinthen auf dem Fußboden der Kathedrale meiner überspitzten Sehn-
Süchte. Wann werde ich es lernen, dort zu sein, wo ich bin und der zu sein, der ich sein könnte? »Your coffee, Sir.« - das ist es, was zählt. Diese ruhige, ruhige Stimme dieses dunklen Herrn, der ein Messingkännchen vor mich hinstellt, eine Schale voll Zukkerstückchen, einen Teller mit gesüßten Pistazien und ein Glas Wasser. Natürlich ist es Mineralwasser, aber es kommt in einem Glas und stört auf diese Weise nicht das Ensemble, das er auf meinem Tisch aufbaut. Ein geflochtener Korbtisch mit Messingplatte obendrauf, mit Gravuren innendrin und Silbereinlagen noch dazu. Jedes, in den Städten so übliche Herzeigen, welche Mineralwassermarke derzeit wichtig zu sein hat, verbietet sich hier auf das Selbstverständlichste. Hier geht es nämlich nicht um die Abgrenzung zum Nebentisch-nachbar, der vielleicht so verspätet ist, noch Perrier zu trinken oder gar San Pellegrino, hier geht es darum, ein Wasser zum Kaffee zu bekommen, um den Magen zu schonen, die Gesundheit zu schonen, den Durst zu löschen, um den Blick frei zu haben. In der Wüste ist Wasser ein Zeichen, an Wert so mächtig wie Gold. Es ist Gastfreundschaft und Vertrauen, mir dieses Glas Wasser zu geben. Vielleicht lerne ich es hier, spricht eine Stimme in meinem Kopf, vielleicht wird eine Kette von Tagen eine Kette der Übungen werden, die alle nur einen Sinn haben, zu schauen, wo ich bin, zu fühlen, was ich erlebe und zu erkennen, wo die Lüge beginnt, die ver-
hindert, daß die Fenster zwischen mir und der Welt so geputzt sind, wie sie von »ihm« geplant worden sind, als er alles erschuf, was ist, war oder sein wird. Jetzt wird auf jeden Fall gleich ein Zuckerstück in meiner Tasse sein, vielleicht auch ein zweites oder ein drittes und dann, dann werde ich langsam den Kaffee über den Zucker rinnen lassen, nachdem ich ihn geklopft habe, so wie es hier üblich ist. Kann man Kaffee klopfen? - o ja, man kann - vor allem dann, wenn es ein richtiger, ein türkischer Kaffee ist, den man in einem Kännchen aus Messing serviert bekommt, in dem der Kaffee, etwas Zucker und Wasser zum Kochen gebracht worden sind, bis die Mischung zu steigen beginnt und auf diese Weise ankündigt, daß das Fest eröffnet wird. Von diesem Steigen bleibt eine Insel gestockten Kaffeepuddings an der schlanken oberen Öffnung des Kännchens zurück und das hat zur Folge, daß derjenige, der in den Genuß des Kaffees kommen möchte, das Kännchen an seinem waagrecht abstehenden Holzgriff nehmen muß und es einige Male sacht auf den Tisch klopfen wird, um diesen Kaffeepulverdamm aufzulösen und zum Sinken zu bringen. Dann allerdings - dann steht nichts mehr im Wege, um das schwarze, süße Gift in die Tasse fließen zu lassen, in der einige Zuckerstücke darauf warten, diese Essenz noch sündiger zu machen. Ach ja — die tägliche Sünde als Erinnerung, wie schön das Leben sein könnte, wenn es nicht so wäre, wie es ist. Ich nahm einige der
süßen, gerösteten Pistazienkerne und vermischte ihren Geschmack mit dem Kaffee und blickte auf das gegenüberliegende Nilufer, an dem einige Ziegen weideten und mit den nächstliegenden Dingen in ihrem Leben, dem Essen und Trinken, überhaupt keine Probleme hatten. Wo könnten wir sein, dachte ich, wenn wir die einfachsten Dinge gelernt hätten, auf unserer Laufbahn über diesen Planeten. Aber nichts, nichts, nicht einmal das ABC des täglichen Lebens haben wir gelehrt bekommen und staunen trotzdem, daß wir die Enzyklopädie unseres Daseins nicht entziffern können. Wann werden wir aufwachen und einen neuen Nullpunkt vereinbaren? Wann werden wir von ihm ausgehend gemeinsam ein neues Koordinatensystem entwerfen können, das uns ein Wegweiser ist, unsere wirklichen Bedürfnisse zu leben und vor allem zu erleben -wann?! Noch die Generation unserer Väter hat im Erschlagen des Nächsten die einzige Lösung der selbstgemachten Probleme gesehen, und von denen geht eine nahtlose Traditionskette zurück, bis zu Lucy, der Urmenschin, die irgendwann einmal vor Millionen von Jahren beschlossen hat, den Schritt aus dem Paradies hinein in die Kette von Irrtümern zu tun, die als logisches Endglied zur Folge hat, daß der Papst ein Waffenhändler ist. Gibt es ein Entkommen?! Wie weit muß die Reise sein, die man antritt, um die Endstation Sehnsucht hinter sich zu lassen? Wer hat die Antwort ... irr-
lichternde Ausflüchte, sagte ich zu mir und sah einem jungen Araber zu, der sein Segelboot gegen den Wind kreuzte und keine andere Sorge kannte, als daß sein Kollege nicht vor ihm am Landungssteg sein möge, an dem zwei erlebnishungrige Ausländer darauf warteten, auf die andere Seite des Nils übergesetzt zu werden, auf der das Abenteuer eines Kamelrittes in das absolute Nirgendwo wartete. Wahrscheinlich werde ich noch viele Tassen Kaffee und viele übersetzende Segelboote an mir vorbeiziehen lassen, um den Motor der inneren Unrast zum Abkühlen zu bringen, dachte ich und dehnte meine Arme nach beiden Seiten, beugte den Kopf zurück und versank in dem Anblick des alten weißgeflügelten Ventilators, der sich an der Decke der Terrasse drehte und mit gütiger Geduld über die heißgedachte Stirne des Gastes strich, der sich unter ihm zu entspannen begann. Ein ähnliches Ding hatte ich zuletzt auf der Schauspielschule gesehen, die der erste Markierungspunkt auf der Rennstrecke war, auf die ich mich eingelassen hatte, als ich Menschendarsteller werden wollte. Interessant ist das, was man für Projektionen laufen hat, wenn man in einer Sache noch nicht drinnen ist, noch nicht weiß, daß jedes Aufnehmen des Fadens zur Folge hat, daß man sich darin verstricken wird. So eine blödsinnige, überschäumende, alle Ängste zerschmelzende Freude hatte ich nie zuvor in meinem Leben gekannt, und auch nach dem Tag, als ich als Schüler der Schauspielkunst angenommen war, war je-
des »Hurra« angesichts meines Triumphes nur das synchronisierte Echo dieses Jubelschreis, den ich ausstieß, als ich genommen wurde. Diese Aufnahmeprüfung, die als Ergebnis hatte, daß ich mit elf anderen in einer Reihe auf einer Bühne stand und der Direktor uns mitteilte, daß wir der neue Jahrgang seien - diese Aufnahmeprüfung war der Beginn zu einem Leben, in dem so viele eines Tages sagen werden: »Hätte ich nur was Anständiges gelernt.« Haben sie aber nicht und darum müssen sie weiter Schauspieler bleiben und sich und dem Zuschauer die Zeit stehlen, die sie in einem anderen Beruf schwänzen. »Ihr seid der neue Jahrgang. Seid wie guter Wein - reifet in Würde«, hatte der Leiter der Schauspielschule gerufen, und an diesem Tag verwandelte ich sein hohles Pathos in meinen Ohren zu Engelschören der Hoffnung auf ein Leben in Würde und Dienst an der Kunst. Wozu - wozu das alles, frage ich mich im nachhinein. Was ist los in einer Welt, die Menschen braucht, die anderen Menschen etwas vorspielen, was ohnehin keiner glaubt. Ich habe einmal einen klugen Satz gesagt, von dem ich im ersten Moment überhaupt nicht wußte, wie klug er wirklich ist. Dieser Satz lautet: »Ich möchte in einer Welt leben, die meinen Beruf nicht nötig hat.« Furchtbar - ich meine, es ist furchtbar, wenn man sich Dinge sagen hört, die eine Konsequenz in sich tragen. Dieser Satz hat die Konsequenz, daß ich jetzt in einem
Wüstenhotel sitze und nicht genau weiß, wie lange meine Ersparnisse reichen werden, obwohl ich gehört habe, daß das Fladenbrot hier sehr billig sein soll. »Eine Welt, die meinen Beruf nicht nötig hat...« Eine Welt, in der nicht fünfhundert bis siebenhundert Menschen abends in einen Raum gehen und in zu engen Sesselreihen sitzend, einer Handvoll Leuten zusehen, die ihnen Leben vorspielen. Wozu?! Zum Zeitvertreib?! Grausamer Gedanke wo doch die Zeit das Kostbarste ist, was es in dieser Form der Existenz im Angebot gibt - um Gefühle mitzuerleben, die nicht die eigenen sind?! Noch grausamerer Gedanke - das wäre ja so, als würde man versuchen, Zahnpasta in eine Tube zurückzuquetschen, die an allen Enden verlötet ist noch dazu, wo man ja weiß, daß jeder da oben, daß jedes da oben auf der Bühne vorgespielte Gefühl ohnehin nur schaumgebremst im Parkett ankommen darf — weil ja der wirklich vehemente Aufruf zur Lebendigkeit Lebendigkeit zur Folge hätte - was wiederum nach sich ziehen müßte, die Theater zu schließen. Also bleibt es bei der Behauptung der Bewegung, der Übereinkunft zwischen denen da oben und denen im Zuschauerraum, daß Langeweile herrschen darf, ja herrschen muß, damit die Dinge nur ja nicht wirklich explodieren. Es ist - um es auf den Punkt zu bringen - wie bei der Fernsehpredigt am Samstagabend vor dem Hauptfilm, da sagen zwar die Worte des Pfarrers, man möge seinem Nächsten vergeben - der Klang der Stimme aber gibt das Signal an die
Zuschauer, jetzt endlich in die Küche zu gehen und das Bier aus dem Eis zu holen. Man stelle sich vor, an einem einzigen Abend würde die Aussage mit der Art, wie es gesagt wird, identisch sein. Unser Wirtschaftssystem würde kollabieren, weil die Menschenherzen und -hirne eröffnet worden wären und nach anderen Dingen Sehnsucht erleben würden, als nach Diät-Coke. Um das zu verhindern, bleibt alles so, wie es besprochen ist. Die Bühne - ganz egal, welche - bleibt der Hort der Lüge und die, die zuhören, wärmen sich an der Übereinkunft zur Mittelmäßigkeit, die die Dinge so beläßt, wie sie zur Zeit sind. Schief, verfahren, engherzig, kalt und grausam, lieblos, unbarmherzig, verletzend, ordinär, plump und dumm, häßlich, zerstörerisch, verhindernd, niederdrükkend und von lügnerischer, vereinbarter Politur, die sich nicht einmal die Mühe macht, die Lüge, die sie darstellt, mit Können zu verbergen, sondern das Grauen der Mittelmäßigkeit zur Methode erhebt. Ja, das Grauen - denn anders kann man diesen Einheitsbrei an Verbrechen an der Zärtlichkeit nicht nennen, der von früh bis spät in unsere Augen und Ohren und Herzen gekippt wird und einen Berg an Mauern um die Möglichkeit schließt, wirklich zu leben. Man stelle sich vor, was geschehen würde, wenn es eines Tages jemandem tatsächlich gelingen sollte, Othello so darzustellen, wie es gemeint ist. Die Menschen müßten von ihren Sitzen aufspringen und versuchen, das Entsetzliche abzuwenden, das auf Desdemona wartet. Sie
müßten in Tränen ausbrechen, weil sie nicht mit ansehen können, wie bestialisch Jago seine Intrigen spinnt, und müßten dem Mohren zurufen: »Halt - glaub ihm nicht - dieses Schwein belügt dich und bringt dich um das wertvollste Gut deines Lebens - die Liebe zu deiner Frau ...!« Ja natürlich - natürlich kennen wir diesen Impuls. Wir kennen ihn von den Kindern, die wir zur Kasperl-bühne begleitet haben, und wir sehen, daß diese Kinderherzen es nicht ertragen, daß sich das böse Krokodil in liebloser Absicht von hinten nähert, und wir sehen, daß sie vor Verzweiflung aufschreien, weil Kasperl ihre Warnrufe so lange nicht hört, bis es fast zu spät ist. Das ist der Sinn des Theaters, dieses wirkliche, hervorbrechende Mitfühlen zu provozieren, die wirkliche Katharsis, die aus der Fähigkeit herrührt, wirklich noch auf den zartesten Saiten unserer Seele berührt zu werden und nicht abgestumpft darüber zu resümieren, ob jetzt die Interpretation des Herrn Y effizienter war, der Othello als Buren zeigt, oder die des Herrn X, der einen Werbevertrag mit »Oaktree«-Kettensägenherstellern geschlossen hat. »Kasperltheater als Kulturvorbild unserer Gesellschaft« -mokieren sich jetzt einige zurückgelehnt am Leben Vorbeigehende, »jetzt reicht's aber-.«
Nein, jetzt fängt es erst an - denn dort - in diesem Kasperltheater, in diesem Brennpunkt der seelischen Möglichkeiten, sitzen ja diejenigen, die so sind, wie wir alle sein wollen - »wie die Kinder...«, so mögen wir doch werden - oder? Wie?! Was? Bitte?! Hat er etwa nicht gesagt »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...«? Was also ist so befremdlich an diesem Vergleich? Entweder baut unsere gesamte gesellschaftliche Ethik auf diesen Kindern auf, oder sie tut es nicht. Und da beginnt es auch schon. Weil sie es nicht tut, sondern nur behauptet, daß sie es tut, ist dieser Vergleich, ist diese Aufforderung auch wirklich lachhaft, so lachhaft und lächerlich wie der Glaube, man könne aus Wasser Wein machen oder vom Kreuz heruntersteigen. Nein, nein - da nennen wir lieber einen Atomunterseebootkreuzer »Corpus Christi«, um unsere wahre Gesinnung zu zeigen, und hoffen, daß den Kindern das Lachen und Weinen schon eines Tages vergehen möge. Und wenn es ihnen nicht von selbst vergeht, dann werfen wir sie eben oben in einen Trichter und als intellektuell gebildete Oberschichtbürger haben wir dann angesichts der grauen Würste, die unten wieder rauskommen, wenigstens guten Grund, die Vereinheitlichung unserer Gesellschaft zu beklagen. Ja - und das ist es, wozu ich keine Lust mehr habe. So schwer es auch ist, die liebgewordenen Süßigkeiten der Verlogenheit hinter sich zu lassen, sie machen dick und träge und dazu, denke ich, sind wir nicht auf
diese Welt gekommen. Sicher gibt es hundert Erklärungen, warum wir da sind, aber keine einzige von ihnen darf zum Ziel haben, uns das Lügen als Lebensziel zu verherrlichen und die Abgestumpftheit als Tugend zu verbrämen. Immer noch drehte sich der Propeller des Ventilators über meinem Kopf, und eines der dreieckigen Segel, das den Nil überquerte, war schon fast am anderen Ufer angekommen. Strohhutgedeckte Passagiere an Bord, denen bald klarwerden wird, warum die Einwohner dieser Länder die Wüste als etwas betrachten, das man vermeiden muß. Was suchen die wohl -dachte ich mir, als ich die beiden hellgekleideten Punkte beobachtete, die jetzt den Hügelkamm erkletterten und sich dort oben von einer, nur auf solche Idioten wartenden Horde von Eseltreibern auf zwei dieser Tiere setzen ließen, um anschließend durch den Sand zu reiten. Was suchen die? Na ja - die kulturelle Begegnung mit den Zeugen der Vergangenheit - war eine der Antworten, die ich auf Band hatte. Da drüben hinter den Sanddünen lag nämlich ein altes, verfallenes Kloster, in dem man noch die unendlich kleinen Zellen der Gottessucher bestaunen konnte, mit ihren kargen, aus dem rohen Fels geschlagenen Schlafstellen. Das wird sie wahrscheinlich anziehen — dachte ich mir — magisch ... magisch anziehen und ein Schauer der Ehr-
furcht wird sie oder ihn sagen lassen: »Was für eine Entbehrung - nicht - was für eine Entbehrung ...«, und er oder sie wird antworten: »Ja, unglaublich... diese Entbehrung...«, dann werden sie durch die kleinen Fensterchen der eingestürzten Kapelle blicken und beschließen, wieder zum Boot zurückzureiten. An Bord wird ihnen leicht übel werden, weil die Sonne auch am Nachmittag hier immer noch kräftiger ist, als bei uns im August, aber das macht ihnen nichts, weil schon der nächste Kontakt mit dem Unfaßbaren auf dem Terminkalender steht, in dem für jede Begegnung mit dem kulturellen Erbe ein kleiner Punkt mit rotem Filzstift zweimal angekreuzt ist. Seltsames Spiel - dachte ich. Was steckt dahinter? Woher kommt dieser Trieb, sich Dingen zu nähern, die im tiefsten Inneren eine Sprengkraft tragen, die man mit Tonnenangaben von TNT überhaupt nicht beschreiben kann, und gleichzeitig mit dieser Näherung eine Absicherungsschaltung zu aktivieren, die jede wirkliche Nähe verhindert. Ich weiß, wovon ich rede - ich war nämlich auch einmal in diesem verfallenen Wüstenkloster dort drüben, und ich staune, daß ich von dort jemals wieder weggekommen bin. Das war vor vielen Jahren, als ich zum ersten Mal hierher an diesen eigenartigen Weltpunkt geführt worden bin. Natürlich auch auf Eselsrücken über Sanddünen gewogt bin und auch durch die kleinen Fensterchen der verfallenen Kapelle geblickt habe.
Vielleicht war mein Vorteil, daß ich diesen Ritt erst am frühen Abend angetreten habe - zu einem Zeitpunkt, an dem die Sonne schon eine Handbreit über dem Horizont steht und einen nicht mehr dafür bestraft, daß man den Schatten verlassen hat, sondern eine Aufforderung darstellt, sich ... - ja ... ja, was was für eine Aufforderung war das, in diesem Moment? Ich fühle es noch heute in meiner Haut. Ich saß auf dieser schmalen, aus dem Fels gehauenen Liegestatt eines Mönches, der vor tausend Jahren hier die Sonne versinken gesehen hat, und es war still, lebensstill war es und atmend. Die Mauer, an der mein Rücken lehnte, strahlte die gesammelte Sonnenkraft in meinen Körper, der schon zu viele Verspannungen in zu vielen nordischen Herbsten und Wintern angesammelt hatte und nur langsam bereit war, sich dieser erlösenden Wärme zu öffnen. Meine Hände lagen auf dem Granit dieses ehemaligen Bettes, auf dem nicht nur einer, sondern zwei, drei, siebenundfünfzig einsame Mönche gelegen hatten, und langsam umarmte mich der Abendwind, der sich in diesen Momenten zu drehen beginnt, wenn die Nacht ihr Violett aufzieht und das Purpur des sinkenden Gottes über dem Bindestrich zwischen heute und morgen langsam zerfließt. Still war es in der Zelle, die aufhörte klein und eng zu sein und mit jedem Blick weiter, breiter, reicher und ewiger wurde. Ich versank in die Kleinigkeit, die die
Realität meiner Existenz war, die nur eine Weltsekunde lang auf der Anzeigetafel der Ewigkeit aufleuchtete, und Schweigen war alles, was statthaft war. Je länger aber das Wachsen des kleinen Raumes um mich herum andauerte und je länger der Seelenmittelpunkt meines Ichs auf seine wirkliche Kleinheit verdeutlicht wurde, um so glücklicher und erlöster wurde ich von den sinnlosen Anforderungen meiner Prägung, mehr zu sein, als ich bin. Wahrscheinlich habe ich bloß einen Sonnenstich mit dazupassender Kreislaufschwäche, sagte ich zu mir und sprang kurz vor dem Augenblick auf, in dem die Wand, an der ich lehnte, die Reste meines Ichbewußtseins zur Gänze aufgelöst hätte. Ich atmete tief durch und kam »wieder zu mir —« Die Haut über den Wangenknochen spannte ein wenig von dem austrocknenden Wind, die Beine taten mir weh vom Sitzen auf dem harten Stein, und außerdem hatte ich Durst und Hunger und wollte in mein Hotel zurück, in dem das Abendbuffet sicher schon unter silbernen Warmhaltekuppeln auf mich wartete. »Erst duschen, dann kämmen, dann parfümieren, dann ein Aperitif, dann das Essen, dann ein Digestiv, dann die Kapelle in der Halle, dann ein Blick in die Sterne, dann zu Bett - so, das war's.«
Das ist der Ablauf eines Tagesausklangs eines erwachsenen Bildungsbürgers und nicht das sinnlose Versinken im alten Gemäuer, das nur als Bakschischfalle für kulturmüde Gruppenreisende dient, die im Sog des Wertewandels in jedem erkalteten Lavabrocken das Echo des Urknalls singen hören. Ich riß mich los, eilte zu meinem Führer, der mit Goldzahn lächelnd bei seinen Eseln saß und seine Zigarette in den Sand drückte, als er mich herbeieilen sah und mir auf den Esel half und mich zum Boot brachte, mit dem ich zu meiner Rettung zurückfuhr, ohne mich umzudrehen. Tja — was wäre wohl geschehen, wenn ich mich umgedreht hätte ...?! Wäre eine Salzsäule am anderen Ufer im Boot gelegen, die dem Mann am Steuer unseres Schiffes einige Erklärungsschwierigkeiten gebracht hätte? Hätte ich ihm vielleicht gesagt, er möge doch wieder umkehren - ich möchte gar nicht duschen und wieder brav sein, ich möchte viel lieber dort bleiben, wo »Dasein genügtJa, mein Gemahl« —
und aus den Augenwinkeln erkannte ich, daß auch diese völlig neue Interpretation des Geschehens das Publikum nicht erreichte. Es ist eine eigenartige Sache, auf einer Bühne zu stehen. Man sitzt wie auf einer Schaukel und auf der anderen Seite sitzt das Publikum. Es sitzt dort als Ganzes, wie eine große, runde Kaugummiblase, die sich aufbläht oder in sich zusammenfällt. Die versammelten Einzelauren all dieser Menschen, die da im Dunkeln darauf warten, endlich wieder nach Hause gehen zu dürfen, sind wie eine große Gruppenseele, die bei Interesse rosafarben und rund aufblüht und zur Bühne drängt, oder aber sie platzt und wird ein Klatsch zähen Breis, der zwischen den Stuhlreihen versickert. Letzteres war an diesem Abend der Fall, und ich bemerkte, daß ich dieses Phänomen in den letzten Jahren fast ausschließlich empfunden hatte. Es gab kein Aufblühen mehr, wie ich es in Erinnerung hatte, an dem Abend, an dem ich als kleiner Junge ... Es gab kein Vibrieren, kein Wissenwollen mehr - keine Hoffnung, kein-. Hie und da gelang es durch geschickte Medienpolitik, Erregungen zu schüren und Trupps von Claqueuren zu Bravo- und Buhrufen zu animieren, aber dieses Feuerwerk, das nur dazu diente, dem Intendanten das nächste Engagement zu sichern, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß das, was wir da trieben, Leichenschändung war. Nichts be-
wegte unsere Herzen auf der Bühne, weil wir ohnmächtig geworden waren, und in der Folge blühte uns auch nichts entgegen, forderte uns auch nichts mehr auf, das Äußerste zu verschenken, was es zu verschenken gibt - unsere Wahrheit. Ich schaltete meine Motorsäge ab und ging zur Rampe. Auf diesem kurzen Weg liefen all die Bilder durch meinen Kopf, die zu den Grundmauern meines Lebens gehörten, und machten mir Mut, das zu tun, was zu tun war. Ich sah den Winterabend meines ersten Theaterbesuches vor mir - sah den Blick jener Schauspielerin, der der erste Kuß meines Lebens geworden war — sah das Lächeln meiner Lehrerin, die mir die Hand voller Wärme auf meinen Körper legte, ich sah den Tod, der mir in einem kurzen Moment von zwei Minuten gezeigt hatte, was uns alle eines Tages zwingen wird, die Wahrheit zu sagen, ich sah die Verzweiflung meiner ersten Liebe, die Hoffnung meiner ersten Nacht voller Zärtlichkeit, die ich im jugendlichen Übermut gegen Karriere eingetauscht hatte, ich hörte, wie es »Laß aus —« in mir sagte und fühlte meinen Freund neben mir, der lächelnd an meiner Seite stand, weil er wußte, was ich vorhatte. Ich stand da und blickte in den Zuschauerraum und es war ganz still.
»Meine Damen und Herren«, sagte ich in diese Stille, die wußte, daß endlich einmal etwas geschehen würde, das man nicht mehr so bald wiederholen könnte. »Meine sehr verehrten Damen und Herren - ich danke Ihnen, daß Sie mir helfen, die Vorstellung jetzt abzubrechen. Wissen Sie - ich stehe hier oben und ich fühle, daß wir Sie mit dem, was wir hier tun, nicht erreichen. Sie hören uns nicht zu und Sie haben völlig recht damit - wir haben Ihnen nämlich auch nichts zu sagen. Ich wollte eine Bühne immer nur betreten, um Ihnen mein Herz zu zeigen, aber mit dem, was ich hier tue und wie ich es tue - damit geht es nicht. Ich habe keine Geschichte zur Verfügung, die ich Ihnen erzählen will, und es gibt auch wirklich Wichtigeres zu tun, als unsere Zeit mit Märchen totzuschlagen. Jetzt, in diesem Augenblick, ist die Hälfte der Menschheit am Verhungern und wartet auf unsere Hilfe. Wie aber sollen wir helfen, wenn wir unsere Zeit und unsere Kraft in sinnlose Ablenkungen verschwenden, in sinnlose Ablenkungen, wie es diese Premiere heute abend ist. Alles, was unser Leben lebenswert macht, ist in diesem Moment dabei, zugrunde zu gehen, und wir treiben diesen Untergang mit jedem Tag voran, indem wir etwas anderes tun, als unser Leben zu ändern und endlich aufzuwachen. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, daß Sie mir jetzt zugehört haben, und jetzt werde ich gehen.«
Dann habe ich vorsichtig meine Säge auf den Boden gelegt und bin gegangen. Interessant war, daß mich niemand aufgehalten hat, weil die Überraschung doch recht groß war, über diesen Auftritt. Einige dachten, es sei ein neuer Regieeinfall, aber nachdem der Vorhang endlich gefallen war und der Assistent des Regisseurs, der einen Nervenzusammenbruch bekommen hatte, vor dem Vorhang erklärt hatte, daß ich der Anspannung nicht gewachsen war und daß hiermit Schluß sei, erkannten die Leute im Publikum, daß ich es ernst gemeint hatte. Man wußte nicht so recht, was zu tun war - einige klatschten halbherzig, um dann genauso wie die anderen zur Garderobe zu eilen, um eben schon etwas früher beim Abendessen zu sitzen. Tja - das war das Ende einer wunderbaren Karriere. Aber ist es nicht Gott sei Dank so, daß der Tod eines Zustandes nur die Geburt einer Erweiterung darstellt? Leicht gesagt, wo wir doch alle so eine tiefe Angst vor Abschied haben, so eine tiefe Angst, den Sprung durch den Reifen zu wagen, den das Schicksal uns vorhält. Garantie gibt es keine, daß die Ziegel, die auf das Papier dieses Reifens aufgemalt sind, nicht doch vielleicht echte Ziegel sind. Aber was soll's angesichts der Tatsache, daß wir nur einmal leben, scheißen wir
uns viel zu oft in die Hose. Nur wer aufbricht, kann ankommen, dachte ich mir, zahlte mein Essen und machte mich auf den Heimweg. Die Straßen des Bazars waren noch immer so belebt wie der Markusplatz während der Taubenfütterungszeit, aber ich war schon wieder einen kleinen Schritt weiter in den Rhythmus dieses Landes eingetaucht und hatte keine großen Schwierigkeiten, den Wettbewerb des Einanderausweichens mit einer guten Plazierung zu bestreiten. Ich näherte mich dem Standplatz der Kutschen, unter deren Fahrern sich offenbar herumgesprochen hatte, daß ich die Spielregeln kannte, weil es nicht die geringste Mühe kostete, für drei Pfund zum Hotel gefahren zu werden. Ich hatte keine Lust, gleich aufs Zimmer zu gehen, und so wanderte ich über die Terrasse, über die in den Fels gehauenen Treppen, die zum Ufer führten, über die Seile der fest angebundenen Segelboote, die auf den neuen Morgen warteten, und setzte mich ans Wasser.
Der Nil zog langsam an mir vorbei und auf dem gegenüberliegenden Ufer brannten ein paar offene Feuer, an denen sich die Schiffer wärmten, die Tag für Tag über alle Stromschnellen kreuzten, um den staunenden Ausländern das Erlebnis zu verschaffen, sich samt dem Boot ein paarmal im Kreis zu drehen. Eine Pulsbeschleunigung war das Ergebnis - eine schaurige Erzählung und zwei oder drei Fotos mehr, wenn man wieder daheim war, um von der Ferne zu berichten. Daheim... Langsam kam ich zu der Einsicht, daß es das lange Zeit nicht mehr für mich geben würde. Daheim Eine Burg mit hohen Mauern der Gewohnheiten, das warme Feuer der Überraschungslosigkeit, die be-
schützende Decke des Nichtwissenwollens, was außerhalb der Schutzzone für wilde Tiere ihre Kreise zogen. Daheim Der Ort, wo der Wasserhahn funktionierte und der Strom aus der Steckdose kam. Was sind wir nicht alle bereit, für dieses Wort zu opfern, all die Beweglichkeit, die wir als Kinder hatten, verschenken wir beidhändig auf der verzweifelten Suche nach dem Zustand, den wir von Anfang an geschenkt bekommen haben. Alles ist falsch. Auf diesen einfachen Nenner kann man sämtliche unserer Bemühungen bringen. Alles, was wir tun, ist von Grund auf falsch und hat keine Zukunft. Wir sind abgekoppelt von der Wahrheit, die das Leben in jeder einzelnen Blume an uns heranträgt und zappeln wie taumlig gewordene Nachtfalter in die Flammen unserer fehlgeleiteten Lebensenergie. Warum sitze ich jetzt hier in Ägypten? Warum sitze ich, mitten in der Nacht am langsam flie-
ßenden Nil und habe keine Lust, ins Bett zu gehen und weiß nicht genau, wohin mit mir? Warum bin ich überhaupt hier, in diesem Land und nicht zum Beispiel in Kaschmir? Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß der Boden unter mir eine große Wellenbewegung machte und mich durch die Luft wirbeln wollte. Was bleibt von uns, wenn wir uns von all dem lösen, was unsere Identität ausmacht? Wenn wir die Eckpunkte unserer Persönlichkeit auf dem Koordinatennetz der heimatlichen Gesellschaft ausradieren - was bleibt dann noch? Was bin ich hier in diesem Land, an diesem Ufer dieses langsam fließenden Flusses ohne den gewohnten Boden meiner Verkleidungen? Verflucht - habe ich mich zu weit vorgewagt - dachte ich plötzlich, bin ich wieder einmal zu schnell gewesen - zu unüberlegt, bin ich sicher, daß ich auf der Suche nach der Wahrheit nicht angefangen habe, mir selbst die größte und letzte aller meiner Rollen vorzuspielen, ist alles, was ich tue, vielleicht eine gigantische Sünde, für die mir die Rechnung schon noch präsentiert werden "wird?
Was mache ich mit der eitlen Selbstherrlichkeit, mit der ich hier aus dem Flugzeug gestiegen bin und Pistazienkuchen bestellt habe, wenn mir ganz schlicht und einfach das Geld ausgehen wird? Und es muß mir ja eines Tages ausgehen, weil es hier kein Publikum für mich gibt, dem ich im Notfall Gedichte vorlesen kann, weil hier keiner meine Sprache spricht und weil die hier sicher eine Gewerkschaft haben, die Ausländern das Betreiben eines Ein — Mann — Theaters verbietet. Absturz - Panik - Krise - Furcht... Jetzt schon - dachte ich mir - eben erst angekommen und den heißen Wüstenwind gefühlt und schon sitzt die Faust der Existenzangst mit knochigem Griff an meinem Nacken, die beginnen wollte, das Wort Freiheit zu buchstabieren? Na vielen Dank - das kann ja heiter werden, dachte ich mir und hielt mich an dem Felsen fest, der sich in einen Strudel verwandelte, in den all meine Hybris hineingezogen wurde wie lau gewordenes Badewasser. Ruhig bleiben - sagte ich zu mir - nur ruhig bleiben. Das ist der Kreislauf, der eine Zeitlang braucht, um den Klimawechsel zu verkraften ... Aber tief drinnen wußte ich ganz genau, daß das eine Lüge war. Ich belog mich so jämmerlich, um nicht einer Wahrheit ins Auge zu
schauen, die da heißt: »Wenn du das tust, was du willst, schicken wir dir die Programmierung der Todesangst auf den Hals und ins Herz.« Die Programmierung, die die Umstände unseres gewohnten Lebens um unsere Seelen gelegt haben wie rostige Fangeisen, in denen sich jeder Fluchtreflex zu Tode zucken soll. Angst vor Lebendigkeit, Angst vor der Freiheit, Angst davor, der zu werden, der wir sein könnten. Das ist die Ernte, die uns zuteil wird, wenn wir aufstehen und sagen wollen: »Ich will nicht mehr-ich will nicht mehr mitspielen, in dem Spiel, in dem es darum geht, der Stärkere zu sein. Ich will nicht mehr mitspielen, wenn es darum geht, das Mitleid aus meinem Herzen zu verbannen, weil es meine Wettbewerbsfähigkeit schmälert. Ich will nicht mehr dabeisein, bei der Platzverteilung in der Arena, in der unsere Sehnsucht den Löwen der täglichen Umstände vorgeworfen wird.« Ich konnte kaum atmen und mein Hals wurde ganz trocken. Das hatte aber überhaupt nichts mit dem Klima zu tun, sondern mit der plötzlichen Formlosigkeit meines Lebens, in die ich mich selbst gestoßen hatte. Ich war dabei, den Gummizug zu zerschneiden, der mich an die Wichtigkeiten der seelischen Provinz festbinden wollte, die unser aller Heimat darstellt und die jedes Erwachsenwerden verhindern möchte. Wir dür-
fen nämlich nicht wirklich wählen, ab unserem achtzehnten Lebensjahr, wir dürfen nur vollziehen, was uns einprogrammiert wurde, und dieses Programm heißt: »Zerstöre dich und deine Seele mit all den Perversionen, die wir angehäuft haben, um dir den Abschied von dir selbst so süß wie -möglich zu machen.« Es gibt keine Freiheit in unserer freien Welt, es gibt nur die Wahl zwischen den unterschiedlichsten Methoden, uns selbst zu zerstören. Die wirkliche Macht liegt in den Händen der Freizeitgestalter, die immer neue Methoden erfinden, um unsere Augen und Ohren zu verschmieren. Sich lächerlich machen - das ist die größte Angst, die wir haben. Sich lächerlich machen mit dem Bekenntnis, etwas anderes zu wollen, Liebe zu wollen, Nähe zu wollen, Zärtlichkeit zu wollen, Gott zu wollen, Wahrheit zu wollen. Welche Wahrheit gibt es denn noch, außer dem Spiel, das wir uns gegenseitig vorspielen und dessen Text lautet: »Es geht mir gut - es geht mir gut ...« LügeDas ist alles Lüge -
Es geht uns nicht gut. Es geht uns nicht gut und wir haben nicht den Mut, es zu sagen, wir haben nicht den Mut, den Satz auszusprechen: »Es geht mir nicht gut und ich will nicht mehr.« Mit dem Mund wagen wir es nicht, diesen Satz zu sagen, obwohl alles an uns diesen Satz pausenlos hinausschreit. Die verzweifelten Blicke der Menschen auf den Straßen unserer Städte, ihre zerstörten, eingesperrten Stimmen, die nicht aus ihnen herausfinden, ihre panzerartigen Körper, die an den Schultern, im Rücken, im Bauch, in den Beinen, in den Geschlechtsorganen ihre Angst einzementieren ... alles das ist der verzweifelt geschriene Satz: »Ich habe Angst.« »Es geht mir nicht gut —« »Ich sehne mich nach Liebe.« »Ich möchte lieben und geliebt werden.« »Ich möchte so weich sein und so stark, wie mich mein Gott geplant hat, und ich brauche Hilfe ...« Lächerlich, nicht? - Furchtbar lächerlich und viel zuwenig cool - aber der Damm, hinter dem wir uns alle
aufstauen, fängt schon an zu knistern und die Springflut, die dahinter wartet, wird eine Revolution in Gang setzen, die die Welt noch nicht erlebt hat. Mut! Mut brauchen wir, um uns aus der abwartenden Haltung loszulösen, in die wir uns mit verschränkten Armen geflüchtet haben und darauf warten, wer so lächerlich ist und der Erste sein wird, der zusammenbricht. Ich meine, offen zusammenbricht, offen weinend zusammenbricht und bekennt, falsch gelebt zu haben. Die Krankenhäuser werden immer voller, obwohl wir doch angeblich immer weiter fortschreiten im Kampf gegen alles Ungesunde. In diesen geschlossenen Anstalten wird der verspiegelte, offene Zusammenbruch unserer Lügen immer weiter fortschreiten, bis uns die Krankheiten, die nur das Ergebnis unseres falschen Lebens sind, zwingen werden, in die Knie zu gehen. Als Ganzes werden wir in die Knie gezwungen werden, um unsere Sünden zu bereuen. Die Sünde der Lustfeindlichkeit. Die Sünde der Selbstbeherrschung. Die Sünde des Kampfes der Geschlechter.
Die Sünde, den Schrei nach Zärtlichkeit der Lächerlichkeit preiszugeben. All diese Sünden werden uns unaufhaltsam hinunterdrücken, bis wir am Boden liegen und um Gnade flehen. Ja - um Gnade flehen-, auch wenn wir diesen Ausdruck schon gar nicht mehr kennen, werden wir ihn kennenlernen müssen, weil sich die Natur rächen wird. Es wird eine große Rache geben, an unserem Irrtum, stärker zu sein als der Strom des Lebens, der ungehindert in uns fließen möchte. Es wird eine große Rache geben, weil wir geglaubt haben, die Vergewaltigung, mit der wir leben, würde ohne Folgen bleiben. Eine Rache wird es sein, die uns zerbricht und unsere Formen zerstört, bis wir erkennen müssen, daß kein Damm der Welt das Fließen des Lebens aufhalten kann. Die Worte, für die wir uns jetzt noch schämen, werden wir aussprechen müssen, um nicht zu ersticken, und aus den Worten, die wir hinausschreien werden, wird vielleicht ein Echo entstehen, das uns zur Hoffnung werden kann - aber noch ist es lange nicht so weit.
Noch ist der Höhepunkt nicht erreicht. Der Leidensdruck, den wir täglich erhöhen, ist noch immer nicht unerträglich genug, um unsere Panzerungen zu zerquetschen - und bevor wir nicht das Gewicht auf ein unerträgliches Maß erhöht haben, wird es uns noch nicht völlig zu Boden zerren. Noch wird es eine Zeit geben, in der wir glauben, die Stärkeren zu sein - und diese Zeit wird die letzte aller Masken zu sehen bekommen, die wir uns aufsetzen können, die Maske der Zuversicht, aus der Sackgasse wieder herauszufinden, in die wir uns selber hineingetrieben haben. Wir werden auf den Spiegel, der am Ende der Sackgasse aufgestellt ist, zurasen und jeder wird versuchen, der Erste zu sein. Wir werden unseren Schrei noch hören, bevor die Woge der Veränderung über uns zusammenschlagen wird, und dann wird 'wieder Stille herrschen. Ich saß da und hatte die Augen geschlossen. Hart trafen mich die Schläge all der nicht gesagten Worte, die ich in den Jahren meines Lebens hinuntergeschluckt hatte, hart schlug es mich auf den Kopf, daß ich zu feig gewesen war, schon früher aufzubrechen, zu feig, früher schon den Verrat zu beenden, zu feig, zuzugeben, daß ich mich nach Liebe, Ruhe und Zärtlichkeit sehne. Wie oft habe ich die Chance ge-
habt, die Richtung zu ändern und wie oft habe ich mich weitergetrieben ohne die Bereitschaft, still zu werden und voller Demut zu bekennen, daß ich nichts weiß und nichts kann? Es wird uns nicht leichtgemacht. Wo soll man Gleichgesinnte finden, wenn einem an allen Ecken entgegengeschrien wird, daß man verrückt ist, wenn man eine Frage stellt, eine Frage die da heißt: »Wollen wir nicht aufhören?!« »Wollen wir nicht aufhören, alles zu zerstören, was die Wurzel unseres Lebens darstellt und uns beschützen könnte vor unserem irrsinnigen Todestrieb?!« Ich saß da und wußte, daß ich jetzt kämpfen mußte. Ich mußte den größten Kampf meines Lebens führen -größer, als es der Kampf gegen das Ertrinken gewesen war, größer, als es der Kampf um den ersten Atemzug auf dieser Welt gewesen war. Ich mußte den Kampf aufnehmen gegen den Feind in meinem Inneren, der mich zwingen wollte umzukehren, der Feind, der mir die Sicherheit des monatlichen Bankauszuges, auf dem meine Gage ausgewiesen wurde, verlockender darstellen konnte als das Nicht-
wissen, ob mein Leben noch einen Sinn finden würde. Der Feind kam nicht in Gestalt von Erklärungen und Gedanken, er kam in der Gestalt der sprachlosen Angst vor der Freiheit. Er schlug mir in den Bauch und ließ meine Hände zittern. Ausgesetzt - ausgesetzt fühlte ich mich plötzlich in diesem fremden Land, in diesem stillen Erwachen, in dem noch keine Blume zu finden war, nachdem ich den König meiner Vergangenheit getötet hatte. Das ist die größte Falle, die wir für uns selber bereithalten. Die Unsicherheit, ob wir auf einer neuen Ebene etwas finden werden, für das es sich lohnt, das Bekannte unseres Daseins zu verlassen. Wer garantiert mir denn, daß ich Verständnis finden werde für das Wegwerfen aller Errungenschaften meines Erfolges? Wer garantiert mir denn, daß sich die Hand der Freundschaft auf meine Schulter legen wird und ich die Worte hören werde: »Ich verstehe dich - ich verstehe, was du getan hast und warum du es getan hast -hier ist deine neue Heimat, deine neue Freundschaft, deine neue Liebe ...« Wer garantiert mir, daß ich mich selbst wiederfinden
werde, wenn ich die Brücken abgebrochen habe zu den gewohnten Tagesabläufen? Das ist es, dachte ich mir, das ist die große Bremse, die jeden Aufbruch verhindert, die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit, die Sehnsucht, verstanden und geliebt zu werden, läßt uns bleiben, wo wir sind, und wenn die Berührungen, die wir erleben, Schläge sind und keine Zärtlichkeit, ist uns die gewohnte Enge immer noch lieber als die beängstigende Weite des Alleinseins, wenn wir uns an die Geburt unserer wahren Natur wagen. Applaus brauchen wir. Applaus für die Sicherheiten, die wir einander um den Hals hängen, bis wir vor lauter Lebensversicherungspolicen keine Luft mehr bekommen und jämmerlich absaufen im Morast unserer Wohlstandsverwahrlosung. Wir alle sind mitschuldig am Untergang unserer Art, der schon längst begonnen hat, obwohl die Geburtenrate das Gegenteil auszudrücken scheint. Aber auch Lemminge brauchen erst den Overkill an überflüssigen Geburten, bis sich der Selbstzerstörungsmechanismus, für alle erkennbar, in Gang setzt. Hilfe!
Hilfe schrie es in mir und die Strafe war, keine Antwort zu erhalten. Der innere Zuschauer, der mich bewundert hatte für meinen Mut, öffentlich zuzugeben, daß ich auf die Suche nach der Wahrheit gehen wollte, war verschwunden. Ruhig bleiben - sagte ich zu mir - ruhig bleiben und langsam werden. Das ist es - sprach ich in die Nacht hinein, das ist es -langsam werden... Und als ich meine Stimme hörte, fing ich an, einen ersten kleinen Ruhepunkt zu finden, um den ich mich wieder sammeln konnte. Langsam werden - sprach ich zu mir und wußte, daß es genau das war, was mich in die Panik getrieben hatte. Mein Fuß hatte das seelische Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten, um den Schwung zu bekommen, sich aus der Trägheit der Unkündbarkeit zu lösen, und plötzlich hatte meine Tat, mein Entschluß, wirklich zu gehen, die Gänge meiner Lebensroutine ausgekuppelt. Mein innerer Motor heulte auf, weil es plötzlich keinen Berg mehr gab, auf dessen Gipfel ich vorstoßen wollte, und dieses Aufheulen der überflüssigen Energie ließ mich zusammenzucken. Langsam werden- den Fuß vom Gaspedal nehmen ... runter schalten ... auslaufen ... langsamer werden ... ankommen ...
Ich sprach zu mir wie zu einem kleinen Kind, das sich im großen Wald verlaufen hatte und schon den ersten Schimmer einer Lichtung sieht. Loslaufen ist der erste Gedanke, den man hat — und dann passiert es — stolpern, hinfallen, Schlüsselbeinbruch, daher - langsam werden ... ausatmen. Tatsachen sammeln ... den Kopf ausleeren ... die Realität wahrnehmen ... Ich atmete noch etwas tiefer und legte meine verspannten Finger auf den warmen Fels, der jetzt zurückzugeben begann, was ihm die Sonne einen Tag lang geschenkt hatte. Ich legte meine Hände flach auf den heißen Stein und ließ seine Wärme in meine Arme steigen — ich entspannte meine Augen und hielt mich mit ihnen an einem umgestürzten Baum fest, der in der Mitte des Flusses nach Norden trieb und wußte, daß ich keine Eile mehr nötig hatte. Jedesmal, nachdem ich ausgeatmet hatte, wartete ich eine Weile, und in diese Pause hinein hörte ich, wie mein Herz sich zu beruhigen begann und einen weichen Rhythmus schlug, der mich ruhiger und ruhiger machte. Nach einer Zeit, in der ich nur dasaß und schaute und die Wärme des Bodens unter mir spürte, sagte mein Engel leise: »Das wirst du noch oft erleben...« Ich nickte und wußte, daß er recht hatte. Das Gespenst
der Freiheit ist mindestens genauso stark, wie die Geister der Vergangenheit, und Geduld und Zeit sind die einzigen Helfer in diesem Kampf, der der einzige Kampf ist, den es sich lohnt zu bestehen. Kein Lob mehr zu brauchen, für das, was man tut, keine Bestätigung, daß die Handlungen, die man setzt, richtig sind und voller Sinn, das ist das Ziel dieses Kampfes um Unabhängigkeit. Unabhängigkeit, auch von den eigenen, liebgewordenen Kleidern, die man eintauschen muß für eine Zeit der Nacktheit, in der es keine Tarnung gibt für unsere wirkliche Nacktheit, Nacktheit, die die eigentliche, die wahre Natur unseres Lebens auf diesem Planeten darstellt. Nacktheit, die wir nicht verbergen können durch die Felle unserer sinnlosen Verpflichtungen, die wir uns aufbürden, weil man uns eingeredet hat, daß das sinnvolle Leben eines sinnvollen Erwachsenen vollgefüllt zu sein hat mit sinnvollen Verpflichtungen. Es gibt aber in Wahrheit nur eine einzige Verpflichtung, der wir nachkommen müssen. Das ist die Verpflichtung, in Ruhe und Frieden und Lebendigkeit unserer Gesundheit zu dienen und mit den anderen in Ruhe und Lebendigkeit unsere Gesundheit zu teilen. Seltsame Worte - die in unseren Ohren nur die falschen Assoziationen lostreten, weil wir nicht einmal mehr eine Sprache haben, die uns die Wahrheit sagen läßt. Die Aufforderung, in Ruhe, Gesundheit und Liebe zu leben, wird nur mehr mit Langweile verwechselt und
mit der rasenden Hast der Turnübungen vertauscht, die unser Leben zu Tode hampeln. Je weiter man vorstößt, in dem Versuch, ein einziges Wort zu sagen, das uns im Innersten aufrütteln sollte, um so mehr werden wir von den tödlichen Verwechslungen zurückgestoßen, die diejenigen vollbracht haben, die uns die Worte und ihren Sinn geraubt haben, uns unsere Wahrheiten gestohlen haben, weil unsere heiligen Worte in ihrem Mund so lange verdreht worden sind, bis wir verlernt haben, das zu hören, was eigentlich gemeint ist. Demut. Liebe. Treue. Freundschaft, Tapferkeit, Mut. Hingabe, Lust, Freude, Gott, Ewigkeit. Alles, alles ist von den Katholiken, den Nationalsozialisten, den Kommunisten, den Moslems, den Buddhisten, den Sozialisten, den Bürgerlichen, den Parteien, den Showmastern, den Vätern, den Müttern, der Kaufhauswerbung, den Schlagertextern, den Dichtern, den Malern, den Künstlern, den Theisten und Atheisten, ist von uns allen so lange pervertiert, zerstört, beschmutzt und so lange verdreht worden, bis es uns unmöglich
geworden ist, ein einziges dieser Worte auszusprechen, ohne lächerlich zu werden. Eines weiß der ganz normale Mensch von der Straße nämlich seltsamerweise immer noch, das ist, wenn mit den höchsten unserer Wörter gelogen wird. Gerne und leicht glauben wir, daß das neue Streichfett gut sei für unsere Abmagerungssucht - die Bagatellügen stützen wir noch immer mit unserem Kaufverhalten, aber bei den großen Lügen wissen wir noch immer sofort Bescheid und wechseln den Kanal, wenn die Lüge zum Sonntag beginnt. Vielleicht ist das eine unserer Hoffnungen, daß wir es noch erkennen, wie der süßliche Duft der Lüge aus diesen Sätzen trieft, die uns Gott oder dem Parteiziel nahebringen sollen. Aber was sollen wir machen, wenn wir uns darüber verständigen wollen, daß es wirklich um das geht, was diese Worte eigentlich meinen, es geht ja nur um Liebe und die Tatsache, daß es Gott ist, was wir suchen und anstreben. Wie sollen wir ihn beim Namen nennen, wenn wir bei seinem Namen nur an Hexenverbrennung und Kollektivschuld denken können? Wie sollen wir neu anfangen und wieder sprechen lernen? Vielleicht indem wir zum ersten Mal anfangen fühlen zu lernen? Keine schlechte Idee, dachte ich und streichelte den Felsen, auf dem ich saß. Er war glatt und seine Kanten waren eher Kurven als Risse, und während ich so dasaß und ihn berührte, begann ich mich abgrundtief zu schämen. Da sitze ich nun, dachte ich, und übe Felsen
zu streicheln, um in der Wortlosigkeit Augenblicks mein Vergessen zu üben.
des
»Selbstvergessen« heißt dieses schöne Wort - »ich bin selbstvergessen«. Selbstvergessen - sagte ich laut vor mich hin und wiederholte es so lange, bis es keinen Sinn mehr hatte und nur ein Satz übrigblieb: »Ich schäme mich.« Ich schäme mich, geflohen zu sein und mir das zu leisten, was sich vielleicht alle leisten möchten, aber nie die Möglichkeit dazu bekommen. Einfach aufstehen und weggehen - dem alten System nicht einmal einen Gruß zuwinken und sich auf die Reise machen. Ja, wer kann sich denn das leisten, dachte ich und blickte hinaus in die mattblaue Nacht, in der die Sterne glühten, als gelte es, den jüngsten Tag einzuleuchten. Das Los des sogenannten normalen Bürgers ist es, daheim zu bleiben, den Wegen zu folgen, die ihm seine Urlaubsberater empfehlen, wenn es im Arbeitsjahr eine Lücke von vierzehn Tagen gibt, und ansonsten ruhig zu sein. In diesen vierzehn Tagen muß dann alles so perfekt verdrängt werden, worauf man sich den Rest des Jahres gefreut hat, so perfekt muß es niederamüsiert werden, das wirkliche Bedürfnis nach dem großen Ausstieg, daß es keine Probleme gibt, wenn am Montag die Arbeit wieder beginnt.
•Na - wo waren wir denn heuer?« fragt es dann vom benachbarten Arbeitsplatz, und die Antwort wird wie immer lauten: »Im Stau« - dann lacht man ein wenig und weiter geht's. Das ist die Realität. Kein grenzenloses Sich — Fallenlassen - kein Treiben in den Möglichkeiten der Seele, von denen wir noch nie etwas gehört haben - weil sie sich vor Clubanimateuren verstecken, wie tanzende Feen vor lautstarken Wanderern - kein Sich — Vergessen während man Felsen streichelt, an denen schon Kleopatra vorbeigesegelt ist. Die Perfektion der. Selbstvergewaltigung umklammert selbstverständlich auch diesen winzigen Freiraum, der uns vom Gesetz her zusteht. Mit der Taucherausrüstung unserer Alltäglichkeit begeben wir uns in die fernen Länder, deren Wein so berauschend sein könnte, daß wir erleichtert registrieren, daß der neu eröffnete Supermarkt, der im Vorjahr noch nicht da war, endlich auch unser, aus der Heimat gewohntes Flaschenbier führt. Nur ja keine Berührung mit einem anderen Rhythmus, der etwas in uns aufbrechen könnte, das sich nicht mehr in die Flasche der Disziplin zurückdrängen läßt. Ich saß da und dachte an meine Kindheit, in der so ein •Wochenendurlaub« beinahe einmal zur Atomexplosion geführt hätte. Beinahe wäre die kritische Masse er-
reicht gewesen und der Flaschenhals wäre unpassierbar geworden. Ich war siebzehn Jahre alt, und das ist das Alter, in dem sich alles entscheidet. Die Kraft eines Menschen würde schon ausreichen, um aufzustehen und zu sagen: »Mit mir nicht diesen Schwachsinn ich werde euer Lügensystem nicht bedienen - ich gehe euch nicht in die Falle des lebenslangen Gefängnisses, das mich zum Automaten verbiegen wird.« Ja — diese Kraft hätte man schon und aus dem unbewußten Gefühl, welche Gefahr in der Welt der Erwachsenen auf das eigene Leben lauert, können sich auch schon erste, deutlich formulierte Sätze bilden, die ein Aufruf an sich selber sind. Früher war es ganz einfach. Wenn diese Altersstufe erreicht wurde, schickte man die jungen Menschen in den Krieg, damit sie sich verbluten und ihre Kraft nicht daheim dazu verwenden, ihre Väter vom Thron der Unterdrückung zu stürzen. Das ist heute etwas differenzierter geworden, heute kanalisieren wir die Kraft unserer Jugend in Massensportveranstaltungen, in denen sie sich gediegene Feindbilder und Helden zurecht-johlen können und ihre Kraft nicht gewinnbringend in eine Veränderung unserer Gesellschaft stecken. Mit vierundzwanzig Stunden Werbung machen wir ihnen klar, welche Prestigeobjekte dem richtigen Mann so
gut zu Gesicht stehen, daß er sich damit ohne weiteres das neueste Prostituiertenmodell leisten kann, dessen perfektes Styling in dreihundertteiligen Serien so lange auf die Hirnrinde getrommelt wird, bis alle von dieser Norm abweichenden Typen zu Auslaufmodellen degradiert werden, die keinen sexuellen Reizwert mehr haben. Um diese »Sehen — wollen — kaufen«-Spirale in Gang zu halten, wird die Ansaugöffnung unseres Geldsystems ganz nahe an den jungen Menschen herangeführt, damit nicht einmal ein Millimeter bleibt, zwischen der Schulzeit, in der Ansätze selbständigen Denkens rechtzeitig eliminiert worden sind, und dem Kreditsystem, in das er mit dem ersten Arbeitstag eingefügt wird wie ein Stück Brennholz. Na ja - aber das ist ja alles bekannt - bekannt ist jedoch nicht, daß dieser Ablauf ein einziges Mal beinahe schiefgelaufen wäre. Für zwanzig Menschen hatten sich beinahe einmal die Gravitationsgesetze ins Gegenteil verkehrt, und dieses Erlebnis ist mir so sehr im Gedächtnis geblieben, weil ich aus der Erinnerung daran die Kraft schöpfen kann, die Hoffnung nicht zu verlieren. Wir waren eine Klasse von zwanzig jungen Menschen und es kam die Zeit, in der das Schuljahr wieder einmal durch eine Woche intensiver körperlicher Betätigung unterbrochen werden sollte. Manchmal lag diese Woche in der Winterzeit, und dann führ man acht
Stunden am Tag lang auf seinen zwei Brettern, von der Spitze eines Berges zum Fuß eines Berges, dann wieder lag sie in der Sommerzeit und man wanderte von dem Fuß dieses Berges auf seine Spitze. Kontinuität ist eben alles, ob's stürmt oder schneit. In diesem Jahr nun, in dem alles etwas anders war, hatten wir einen neuen Psychologieprofessor bekommen. Er war ein relativ junger Mann und dieser Jugend ist wahrscheinlich auch der Umstand zuzuschreiben, daß er nicht so genau wußte, was er tat. Er fuhr nämlich mit uns auf diese elende Schilaufwoche und fragte uns am ersten Abend in unserem abgelegenen Bergdorf, in dem unsere Quartiere lagen - was wir am nächsten Tag machen wollten. »Wer nicht schifahren will, kann ruhig hierbleiben und ausschlafen«, sagte er, und das hatte zum Ergebnis, daß sich zwanzig Menschen eine Nacht lang wohl fühlten, weil sie wußten, daß am nächsten Morgen kein eisiger Schneesturm von sieben Uhr früh an ihre Muskeln verspannen würde. So saßen wir also einen Abend und eine Nacht lang beisammen und redeten. Dieser eigenartige Mensch brachte uns immer mehr dazu, Geschichten von Momenten zu erzählen, die in unserem Leben eine bedeutende Stufe gewesen waren. Er erzählte von seinem Beginn als Lehrer, von seinen Hoffnungen, jungen Menschen Kraft zu geben, sie selbst zu werden und keine Abziehbilder der Scheinrealität des Fernsehens. Er erzählte uns von sei-
nen Sicherheiten, seinen Anläufen, seinen Irrtümern und legte die Maske der professionellen Autorität dabei gänzlich zur Seite. Wir waren eine Zeitlang völlig verwirrt, wie junge Löwen, die in der Arena mitansehen müssen, daß Daniel anfängt, ihnen Dornen aus den Tatzen zu ziehen, und begannen erstaunt zu schnurren. Ich erfuhr zum ersten Mal, seit ich in meine Schule gekommen war, wie es dem Mädchen, neben dem ich seit vier Jahren saß, wirklich ging, weil sie plötzlich den Mut bekommen hatte, von ihren Träumen zu erzählen, die überhaupt nichts mit Seereisen auf weißen Schiffen zu tun hatten, sondern Träume waren von Wärme und Geborgenheit, Träume waren von der Sehnsucht nach einem freien Lachen und nicht nach dem Grinsen der allzeit bereiten Verführer, in deren Taschen das nötige Kleingeld klingelt. Ich erfuhr von meinem Freund, mit dem ich in den Pausen immer auf die Toilette zum Rauchen gegangen war, daß er schon seit Monaten in ein Mädchen verliebt war, die davon keine Ahnung hatte und nun zum ersten Mal mit ihm schlafen gehen konnte, so wie sie es schon immer tun wollte. Jaja - auch das war erlaubt auf dieser Woche, weil unser Anführer uns am zweiten Abend gesagt hatte: »Bevor ihr dabei abstürzt, wie ihr versucht, durch ein Fenster zu steigen, geht doch lieber gleich gerneinsam schlafen.« Mein Gott, das war neu -
Irgendwie tat es mir leid, daß ich damals nicht verliebt war, weil sich so eine entspannte Chance wirklich nicht oft anbietet. Aber eigentlich war es mir ohnehin lieber, allein in meinem Bett zu liegen und mich gut zu fühlen. Ich fühlte mich so unendlich gut, wie wir uns alle unendlich gut fühlten in dieser Woche, in der zum ersten Mal, seit wir denken konnten, der Versuch unternommen wurde, uns wie Menschen zu behandeln. Ich lag lange wach in der Nacht und fühlte die warme, weiche Vibration der Freiheit und der Zärtlichkeit, die über diesen vier bis fünf Häusern lag, in denen wir unsere Ferienwoche verbrachten. Wir fingen an zusammenzuwachsen, zu einer kleinen Zelle der Wirklichkeit unserer Bedürfnisse. Wir schliefen, aßen, tranken, spazierten, spielten, sprachen, dachten, so wie wir es wollten, und nach kurzer Zeit leuchteten unsere Augen, weil wir nicht mehr gezwungen waren, sie zu schließen, um die Lügen der Welt besser zu überleben. Unser Lehrer war zu einem Freund geworden, der lachen konnte, wenn er ein Glas Wein getrunken hatte, und der von einer staunenden Zärtlichkeit erfüllt war, wenn ihn das Mädchen küßte, mit dem er die Nächte in diesem Tal verbrachte, das so etwas sicher noch nie erlebt hatte. Jaja - wir lebten in Sünde - weil auch das große Gebot, daß nämlich ein Lehrer seine Schülerin nicht begehren darf, nichts mehr galt. Es wäre auch zu blöd von ihm gewesen, diesen Blicken und diesem schönen runden Busen zu widerstehen, der ihm so viel
Wärme angeboten hatte, und am nächsten Morgen waren ihre Gesichter, aus denen man das Lachen nicht mehr vertreiben konnte, die beste Bestätigung, daß Liebe keine Sünde sein kann, nicht? Die Rechnung wurde uns sehr schnell präsentiert. Als wir nach dieser Woche zurückkamen, waren wir alle verändert. Was heißt - verändert - wir waren einen Schritt weit auf den Weg gegangen, der uns zu uns selber hätte führen können, und das war Sünde. Sünde gegen ein System, das für lachende Verliebte, die Raum in der kleinsten Hütte finden, keinen Platz hat. Wir wollten nicht mehr funktionieren. Wir konnten nicht mehr funktionieren. Wir mußten lachen, wenn man uns die Frage stellte, wann die punischen Kriege stattgefunden hatten und auch der Religionsunterricht brach aus allen Fugen, weil der Priester, der uns belehren sollte, völlig überfordert war, als wir ihm erklärten, er solle sich ein Beispiel an den Vögeln nehmen - die würden nicht säen und nicht ernten und der Herr würde sich trotzdem über sie freuen. Ganz im allgemeinen verbreiteten wir durch unser angstfreies Auftreten eine solche Irritation, daß man Nachforschungen anzustellen be-
gann, woher diese plötzliche Lebensfreude kam, die sich zur Systembedrohung ausweiten konnte. Das Ergebnis war zu erwarten. Der Lehrer wurde strafversetzt, unsere Gruppe getrennt und auf vier verschiedene Klassen aufgeteilt. Einige Disziplinarverfahren, Androhungen auf Wiederholung des Jahres bei nachlassender Leistung und verschärfte Strafauflagen im Fall unbegründeter Heiterkeit während einer Schulstunde genügten, um innerhalb eines Monats die Uhr wieder zurückzudrehen und die Ordnung wiederherzustellen. Ja, was denn auch sonst, soll etwa alles zusammenbrechen, was wir uns mühsam nach dem Krieg wiederaufgebaut haben? Die Frage - ob es überhaupt zu einem Krieg gekommen wäre, wenn statt Haß die Liebe regiert hätte, steht auf einem anderen Blatt, das ich aber seit dieser einen Woche immer noch bei mir trage und das mir eine Orientierungshilfe ist, wenn die Seriosität des Erwachsenenlebens mich ordentlich machen möchte. Und darum sitze ich jetzt hier und schäme mich. Weil das nämlich ganz genau die Aufgabe ist, die die Kunst eigentlich hat und die wir nicht wahrnehmen. Wir haben uns auf das Abstellgleis der Bedeutungslosigkeit drängen lassen, indem wir der Versuchung erle-
gen sind, das Kind in uns zu töten, um Mitglieder in einer Gesellschaft zu werden, die sich das Lieben verbietet. Quadratzentimeterpreise haben von uns Besitz ergriffen und alles ausgerottet, was einmal die Aufgabe des Künstlers gewesen ist. Die Verbindung zu Gott nicht abreißen zu lassen. Die Verbindung zur Ahnung nicht abreißen zu lassen, daß wir noch andere Möglichkeiten haben, außer dem Kampf um Geld und Macht. Die Verbindung nicht abreißen zu lassen, zu der Lebenskraft, die die Ordnung der Autoritäten immer wieder zerstören muß, um einem neuen Frühling der Angstfreiheit Platz zu machen. Je mehr wir ohne Zensur in die Hauptabendprogramme vorgelassen wurden, um so deutlicher hätten wir sehen müssen, daß das nur ein Zeichen dafür ist, daß wir keine Gefahr mehr darstellen. Nur verboten zu werden, ist die Garantieerklärung dafür, daß man den Finger auf eine wunde Stelle gelegt hat. Das aber — diese Sehnsucht nach dem Hinzeigen auf den Sinn des Lebens, haben wir der Parteidisziplin geopfert. Jede Gruppierung in dieser Gesellschaft hält sich ihren Lieblingsnarren, dessen Aufgabe es geworden ist, die an-
deren Gruppierungen im Auftrag der Freiheit der Kunst anzugreifen und dafür subventioniert zu werden. Es gibt keine Verweigerung mehr vor der großen, erstickenden Umarmung der öffentlichen Meinung, und selbst die künstliche Aufregung angesichts einer sogenannten Blasphemie gehört nur mehr zu hohlen Zitaten, die ablaufen wie die vorhergeplante Sprengung eines schon lange stillgelegten Industriekomplexes. Wir haben aufgehört, uns der Lächerlichkeit preiszugeben, weil wir nicht die einzigen sein wollen, die in unserer ausgepolsterten Welt neben einem kalten Blechofen sitzen, während alle anderen an der Fernwärme teilhaben dürfen, die das soziale Netz verbreitet. Aber wo ist die Sehnsucht hin - wo ist das »Nein«sagen hin, wo ist der Aufstand hin, gegen die alles zerquetschenden Symbole der Gleichschaltung, die schon nach unseren Kindern greift? Wie Roboter, die sich zu vorprogrammierten Kurzschlüssen drehen, bewegen wir uns auf dem Kunstmarkt im Kreis, und der Zenit unseres Schaffens wird nur mehr sichtbar an den Prestigeobjekten, die wir in die Kassenhallen der Banken stellen dürfen, die sich dafür das Etikett der Kunstförderung umhängen. Die Kunst ist tot. Die Kunst hat sich von den wahren Bedürfnissen der Menschen so weit entfernt, wie sich die ehemaligen
Parteizentralen im kommunistischen Osten von den Bedürfnissen der Menschen entfernt hatten. Wie kann es dazu kommen, daß die einzige, hauptsächliche Äußerung unserer Künstler darin besteht, zu verlautbaren, daß es nichts mehr zu sagen gäbe -nichts mehr zu schreiben, zu malen, zu dichten. Diese Hilflosigkeit und diese Sinnlosigkeit einzugestehen, ist ja nur das Eingeständnis, daß die Macht der Korruption alle Bereiche unseres Lebens endgültig durchdrungen hat. Wie kann man sagen, daß es nichts mehr zu äußern gäbe, als den Bericht einer Ohnmacht, wo es doch nie zuvor eine Epoche gab, in der der Aufruhr zur Revolution wichtiger war als heute. Heute - wo wir glauben, gesiegt zu haben, nur weil das menschenverachtende System des Kapitalismus das menschenverachtende System des Kommunismus in die Knie gezwungen hat, ist nichts wichtiger, als diesen sogenannten Sieg als das zu deklarieren, was er ist. Dieser Sieg ist nichts anderes als die Niederlage der Menschlichkeit vor den heiteren Symbolen der Ausbeutung der Erde und der Menschen, die nur nicht so plump agieren, wie der ehemalige Gegner im Osten.
Der Preis, den wir für diesen Sieg der freien Marktwirtschaft zahlen, die als alleinseligmachende Kraft jeden Kritiker besiegt zu haben glaubt, wird uns in spätestens zehn Jahren präsentiert werden. Wir sind im Sterben begriffen und halten unser Todesächzen für den Triumphschrei der Freiheit. Das einzige, das wir erreicht haben, ist, daß unsere Produktionskapazitäten noch einige Jahre länger Verdopplungsraten erleben werden, weil die Menschen im Osten nach den Fehlern des Kommunismus nun auch noch die Fehler des Kapitalismus wiederholen müssen. Wir aber starren nur auf die Prozente der Wirtschaftssteigerung und leben weiter nach dem Grundsatz, daß Expandieren der Sinn des Lebens sei, und verkünden dabei lautstark, daß es uns gut gehe. Das ist eine Lüge. Es geht uns nicht gut. Wir sind im Grunde unseres Herzens zutiefst verzweifelte, hilflose, alleingelassene Wesen, deren einzige Orientierungshilfe das Fernsehen geworden ist, das uns jeden Abend dazu anstachelt, mehr von den Dingen zu kaufen, deren Produktion unsere Welt zerstört
hat, nicht zerstören wird oder zerstört, sondern schon zerstört hat. Nur wer so dumm ist und erst das Aufschlagen eines Baumes als seinen Tod erkennt und nicht den Moment, in dem sein Stamm durchgeschnitten ist, kann glauben, daß wir nicht schon längst untergegangen sind. Unser Lebensnerv ist durchtrennt und wir sind fallende Riesen und halten den Luftzug, der unseren Sturz begleitet, für die Bewegung einer neuen Zeit. Und da sitzen wir Künstler mittendrin in dieser Baumkrone und bestätigen die Mächtigen in ihrer Zerstörungswut, indem wir verkünden, es gäbe nichts mehr zu sagen. Sinnloses Ausbeuten alter Formen, deren hundertzwanzigste Ausradierung das Bild nur noch schmutziger macht, ist alles, was wir uns noch erlauben. Aufrufe zur Revolution sämtlicher Lebensbereiche sind es, die wir ununterbrochen hinausschreien müßten, bis wir auf ein Echo in den Seelen der Menschen stoßen und uns die Mächtigen die Sendezeit wieder wegnehmen. Dann hätten wir geschafft, wozu es die Kunst gibt. Die Kunst ist der einzige Bereich in der Gesellschaft, der die Pflicht hätte, den Menschen den Leuchtturm zu bieten, den alle anderen verraten haben.
Die Religionen, die politischen Richtungen, die Freizeitindustrie - alle ziehen sie an dem gemeinsamen Strick, der sich um unseren Hals gelegt hat und der sich mit jeder Minute enger zieht. Es geht uns nicht gut. Es geht uns nicht gut, auch wenn wir noch so bunt gekleidet über die Waldwanderwege hopsen — und der Tag wird kommen, an dem die Natur diese Revolution erzwingen wird, die die Kunst anbieten müßte, solange noch Zeit dazu ist. Es wird der Tag kommen, an dem die Minderheit der geschädigten Menschen, die keine Luft mehr bekommen, die vergiftet und verseucht in Arbeits- und Lebensunfähigkeit sich in ihren Betten winden, eine Mehrheit sein wird, die Todesangst hat. Wenn nicht mehr zwanzig Prozent unfruchtbar sein werden, sondern fünfundzwanzig, dreißig, fünfundvierzig, siebzig Prozent aller Menschen keine Kinder mehr auf die Welt bringen können und wenn die wenigen Geburten, die es dann noch geben wird, mit nicht mehr gutzumachenden Schäden auf die Welt kommen - wenn ihr Geborenwerden ein Sterben ist -, dann wird es eine Revolution geben, von all denen, die jetzt noch so klaglos funktionieren und in dem Heer der Werktätigen mitmarschieren, deren Industrieproduktionen nur überleben können, weil wir die Erde zerstören.
Noch sind die heiligen Indianerreden, in denen zu lesen steht, daß man Geld nicht essen kann, entzückende Zeigefinger, die konkurrenzunfähige Eingeborene in die Luft gehalten haben - aber bald werden ihre Prophezeiungen über unseren Untergang zum Tatsachenbericht mutieren, der aber auch zu spät kommen wird. Warum - warum haben wir uns kaufen lassen und die Sehnsucht in uns belegen, dachte ich und schämte mich, jemals dazugehört zu haben. Ich schämte mich, Künstler genannt worden zu sein, weil diese Splittergruppe die verlogenste aller Abteilungen des Vernichtungsheeres geworden ist, die in der Öffentlichkeit daran arbeitet, unsere Katastrophe mit Parfüm zu bestäuben. Jeder Waffenhändler, dessen Geschäft der perfektionierte Tod ist, ist ehrlicher mit dem, was er tut, als ein sogenannter zeitgenössischer Künstler. Das einzige Interesse so eines Menschen ist nur mehr, durch das noch nicht Dagewesene seines Auftrittes, darüber hinwegzutäuschen, daß in seinem Auftritt kein Inhalt mehr zu finden ist. Theater wird auf Berggipfel gezerrt und in Katakomben wird Poetisches gehaucht, nur um darüber hinwegzubluffen, daß es keine Aussage gibt, die unsere Welt zu dem treibt, was sie braucht -zur Veränderung.
Die Veränderung sämtlicher gesellschaftlicher Ziele ist die einzige, kleine Chance, die uns vielleicht noch bleibt, und diese Veränderung hat die Kunst auszulösen, weil niemand anderer dazu die Fähigkeit hat. Ich meine, rechtzeitig die Veränderung auszulösen, ist die Aufgabe der Kunst, weil nämlich sonst der Strom der Geschichte diese Aufgabe übernehmen wird und in unsere Siegerparty hinein den kollektiven Untergang schicken wird, um alles wegzufegen, das die Zerstörung unseres Lebens vorantreibt. Ja - ich schäme mich, mein gesamtes Erwachsenenleben damit verschwendet zu haben, auf dieser Party Witze zu erzählen. Ich bitte meine Chancen, die ich gehabt habe, etwas zu verändern - und nicht genutzt habe -, demütig um Verzeihung. Ich bitte die Hoffnung, die das Kind in mir gehabt hat, als es zu staunen begonnen hat, um Verzeihung. Ich bitte die Sentimentalität, die Zärtlichkeit, die Lächerlichkeit in mir um Verzeihung, daß ich erwachsen geworden bin im Ungeist einer Welt, die mich für den Verrat an meinen Möglichkeiten mit Applaus überschüttet hat.
Ich bitte das Nichtkönnen um Verzeihung, das Nichtwissen, und ich bitte das Wissen um Verzeihung, das Wissen, daß wir aufstehen müssen und sagen: »Es ist genug, wir haben nur dieses eine Leben, und ich will nicht teilhaben an dem Massenmord, der uns durch sein Zeitlupentempo vorgaukelt, er sei eine neue Form der Lustbarkeit.« Ich bitte die Kraft zur Verweigerung um Verzeihung, die ich betrogen habe. Ich habe die Anerkennung für die Lüge gewählt, statt mich auf die Seite des Lebens zu stellen und meine Brüder und Schwestern zum Kampf aufzurufen, und ich bitte das Leben um Verzeihung, das in mir jeden Tag darauf gewartet hat, daß ich mich zu ihm bekenne. Es ist soweit. Es ist schon längst soweit, aus der schillernden Isolation unserer Elfenbeintürme auszubrechen und deutlich zu werden. Wir müssen die Unangreifbarkeit unserer ästhetischen Spielereien vertauschen für das klare Bekenntnis, die Welt verändern zu wollen. Was sonst?! Was sonst kann die Triebkraft für unser Leben sein, als die Welt zu verbessern?
Wir aber ducken uns feige in die Errungenschaften unseres sinnlosen Lebens, weil auch dieses Wort in unserer Zeit zum Schimpfwort geworden ist. »Weltverbesserer« Das sind doch diejenigen, die die Absprache stören wollen, die wir getroffen haben, die Absprache, die da lautet: »Laßt uns das Volk ausplündern und die Quadratzentimeterpreise für unsere Überflüssigkeiten vervierfachen. Laßt uns weiter mit gespreizten Fingern kleine Häppchen schlucken und kichernd aus den Fenstern unserer Vernissagen auf die Dummköpfe zeigen, die müde von der Arbeit nach Hause kommen und nicht wissen, wie sie die Raten für ihre Sitzgruppe bezahlen sollen. Diese dummen Bauern, die die Einschaltquoten der Volksmusiksendungen in die Höhe treiben, während wir eben noch aus dem Flugzeug steigen, das uns von einer Ausstellung in New York zurückgebracht hat, wo eine neue Übereinkunft stattgefunden hat, wer in dieser Saison der Trendsetter unserer Langeweile sein wird.« Es ist genug. Es wird nicht mehr lange so weitergehen, weil diese Welt eine Verbesserung braucht und sie sich holen wird.
»Sind Sie etwa ein Weltverbesserer-?!« wird mit zynischem Grinsen gefragt, wenn irgendwo irgendeiner nicht mehr mitspielen will und sich mit dem Pöbel solidarisiert, der noch nicht einmal Kandinsky von Miró unterscheiden kann. Es ist genug. Es ist genug, und wer nicht hinweggefegt werden will, soll, so schnell es geht, aufhören mit diesem Wahnsinn. Nein - es ist nicht schick, zu sagen, daß man Fehler gemacht hat und seine Zeit vergeudet hat. Es ist nicht schick, den Pinsel hinzulegen und eine Arbeit aufzunehmen, die unserer Rettung dienen könnte. Es ist nicht schick, aber es ist notwendig. Es muß die Not wenden, in der wir bis zum Hals stecken und unseren Mund immer noch plappern hören, daß der Sinn der Kunst nicht darin liegt, politisch zu sein oder unpolitisch oder realistisch oder futuristisch oder Es ist soweit, daß der totale Krieg gegen unsere Lebensgrundlage begonnen hat, und wir können nichts anderes tun, als mit dem totalen Widerstand zu antworten. Wir müssen Widerstand leisten, bis zum letzten Atemzug, ohne Furcht vor dem zynischen Zeigefinger unse-
rer Gegner, die das Grollen des Untergangs zu überschreien versuchen. Der erste Schritt unseres Widerstandes wird ein Abschied sein. Wir werden Abschied nehmen von allen Dingen, allen Tönen, allen Farben, die wir kennen. Alles das, was unser Leben und unsere Kultur geformt hat, ist zu Ende. Wir werden den Mut haben, alles hinter uns zu lassen, was uns voneinander trennt. Alles, woran wir glaubten, war falsch, weil es uns von unserem Weg abgebracht hat. Wir haben an den falschen Gott geglaubt, und der Widerstand gegen unseren Irrtum wird ein Erwachen sein. Die Zeit der Trennungen wird zu Ende sein. Es wird keine Kultur mehr geben, die darauf aufbaut, uns voneinander zu trennen, keinen Glauben geben, der uns strafen kann für unsere Liebe zu unserem Leben, keine Politik, die uns sagt, wo unsere Feinde stehen. All unsere Kräfte, all unser Können wird nur ein einziges Ziel vor sich sehen - die Heilung dieses Planeten Erde. Die neue Kultur, die wir begründen werden, wird
eine Kultur der Heilung sein. Jedes Ding, jeder Ton, jeder Gedanke, der nicht dazu dient, unsere Fehler wiedergutzumachen, wird untergehen. Wir werden uns loslösen von dem Glauben an Parteien, loslösen von dem Glauben, Gott in den Kirchen oder den Moscheen zu finden, loslösen von unserer Kunst, die nicht dem Leben dient. Alle unsere Kräfte werden ausschließlich darauf gerichtet sein, unseren Besitz mit denjenigen zu teilen, die nichts haben. All unsere Energien werden lernen, das Verzichten zu ertragen. Wir werden lernen zu verzichten, weil unser Habenwollen der Tod unseres Nächsten ist. Unser Ziel wird es sein, die Wahrheit zu erleben. Diese Wahrheit heißt, daß wir nichts mehr zum Leben brauchen als Essen, Schlafen, Trinken und Zärtlichkeit. Alles, was mehr verlangt, ist maßlos und führt zur Verdrängung des Nächsten auf dieser Welt. Wir werden eine Weltkultur begründen, die alle Zivilisationen, die jetzt noch nebeneinander und gegeneinander leben, vereint. Es wird eine Vereinigung aller intellektuellen, politischen, spirituellen, kulturellen Kräfte geben, die das, was wir heute Grenzen nennen, niederreißen wird. Der Irrtum einer Grenze ist nichts anderes als die Aufforderung, ihn hinter sich zu lassen.
Wir werden diese Grenzüberschreitung gemeinsam tun und wir werden uns nicht aufhalten lassen von dem sterbenden Irrtum der Vergangenheit. Unser Gott wird die gemeinsame Heilung des Lebewesens Erde sein, und dieser Gott wird der erste sein, der alle Menschen verbindet, weil er ein Gott ist, ohne den wir nicht leben können. Das, was wir jetzt noch Individualität nennen, wird es nicht mehr geben. Die Todesstunde der hemmungslosen Rücksichtslosigkeit den anderen gegenüber, dem Wasser, der Luft, den Tieren, der Erde gegenüber, wird die Geburtsstunde der wahren Freiheit jeder einzelnen Seele sein, die das Ausbeuten und Zerstören der vergangenen Epochen hinter sich lassen wird. Das Dienen an einer einzigen, alles umfassenden Erneuerung wird die Freiheit sein, für die wir alle geboren sind. Wir kommen von einer langen Reise und haben das Tor erreicht, das am Anfang eines neuen Weges steht -wir werden hindurchgehen. Anfang