Brian Carisi STAR FORCE 1 – Fluchtpunkt Mars
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Der Mars tauchte als große, rötlich schimmernde Kugel vor dem Sichtfenster der ARMSTRONG auf. Wie eine Orange mit ein paar Schimmelstellen, ging es Jeff Larson durch den Kopf. Jeff Larson, sechsundvierzig Jahre alt und Sergeant der Star Force der Westunion (WU) blickte hinaus und kniff dabei die Augen etwas zusammen. Für Kanäle hatte man die überraschend regelmäßig wirkenden Linien gehalten, die von der Erde aus auf der Marsoberfläche zu erkennen waren. Aber diese Formationen waren ebensowenig künstlichen Ursprungs wie die außerirdischen Gesichter, die die UfoGläubigen des 20. Jahrhunderts auf Oberflächenfotos der MarsSonden zu erkennen vermeint hatten. Die angeblichen Riesenstatuen waren nichts weiter gewesen, als ein gestaltpsychologisch erklärbarer Irrtum des menschlichen Gehirns, das im Chaos des Universums um jeden Preis Vertrautes wiederzuerkennen versuchte. Doch vor einigen Wochen war genau das geschehen, wovon die Ufo-Jünger alter Zeit immer geträumt hatten. Menschen waren auf ein nach einem Raumkampf auf dem Mars havariertes Schiff einer außerirdischen Lebensform getroffen.
Doch seitdem hatten sich die an dieser Mission beteiligten Männer um Star Force Commander John Darran nicht mehr gemeldet. Mochte der Teufel wissen, worin der Grund dafür lag. Vielleicht existierten sie gar nicht mehr. Es hatte Anzeichen für Kampfhandlungen gegeben. Möglicherweise waren Darran und seine Männer einfach der vermutlich überlegenen Waffentechnik der Fremden zum Opfer gefallen. Oder aber Darran und seine Männer hatten andere Gründe sich nicht mehr zu melden. Gründe, über die man nur spekulieren konnte. Jedenfalls hatte Robert Berringer, der Präsident der Westunion, entschieden, eine zweite Star Ship-Flotte loszuschicken, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sechs Wochen hatte die Reise zum Mars gedauert. Das Star Ship ARMSTRONG und ihre drei baugleichen Schwesterschiffe ALDRIN, COLLINS und SHEPHARD (alle nach Astronauten aus der Frühzeit der Raumfahrt benannt) waren mit ihrem heiklen Auftrag Richtung roter Planet geschickt worden. Und Larson gefiel dieser Auftrag nicht...
"Träumen Sie, Sergeant?" fragte Commander Pat Gonzalez, der an Bord der ARMSTRONG die Befehlsgewalt innehatte. Pat Gonzalez war jünger als Larson. Fast zehn Jahre jünger. Aber irgendwie hatte er es geschafft, auf der Karriereleiter in der Star Force schneller hinaufzukommen als Larson. Muß wohl daran liegen, daß er einfach stromlinienförmiger ist als einer wie ich! ging es Larson durch den Kopf. Und mit dieser Vorraussetzung hatte man natürlich in einer auf Befehl und Gehorsam basierenden militärischen Organisation wie der Star Force bessere Karten. Gonzalez grinste, während er schwerelos durch die Kommandozentrale schwebte und sich dann an einem der Haltegriffe festhielt. "Waren Sie nicht schon oft genug hier draußen, um vom Anblick des Mars nicht gleich eine Art Hypnose-Schock zu bekommen." Er lachte heiser. Larson nickte. "Ich war oft hier draußen", bestätigte er. "Aber nach meinem Geschmack immer noch nicht oft genug." "Ach, nein?"
"Es ist immer wieder auf's Neue faszinierend. Und wegen dieser Faszination bin ich zur Star Force gegangen..." Gonzalez zuckte die Achseln. "Wir werden hier einen knochentrockenen Job zu erledigen haben", erklärte er. "Ich hoffe, Ihre Gedanken sind dann da, wo sie sein sollten." "Keine Sorge, Sir." Der Kommandant der ARMSTRONG wandte sich an Lieutenant Celine Durant, die Funkerin. "Gibt es inzwischen irgend eine Reaktion auf unsere Signale, Lieutenant?" "Nein, Sir, keinerlei Antwort." "Verdammt, was denkt dieser Darran sich..." "Sie gehen davon aus, daß er noch denken kann, Sir", mischte sich Larson ein. "Um Ihre Meinung habe ich nicht gebeten, Sergeant Larson", erwiderte der Kommandant der ARMSTRONG eisig. Er wirkte angespannt. Die ganze Sache ging ihm ziemlich auf die Nerven. Larson musterte seinen Vorgesetzten einige Augenblicke lang nachdenklich. Der Commander hatte dunkle Ringe unter den Augen.
Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, überlegte Lieutenant Jeff Larson dann. Gonzalez fühlt sich genauso unwohl in seiner Haut wie ich - aber er würde das niemals zugeben, weil es einfach nicht zu seiner Vorstellung davon gehört, wie ein Commander zu sein hat. "Eine Meldung des HQ", sagte jetzt Lieutenant Celine Durant und wandte dabei den Kopf. Sie trug ein Head-Set, dessen Bügel gleichzeitig verhinderte, daß ihre Haare in der Schwerelosigkeit buchstäblich zu Berge standen. Gonzalez' Gesicht wirkte konzentriert. Ein Muskel zuckte unkontrolliert. Die Nasenflügel blähten sich leicht. Die Lippen bildeten einen dünnen Strich. "Und?" fragte der Commander der ARMSTRONG Celine Durant lächelte. "Im Orbit bleiben und auf Befehle warten." "Na, so etwas habe ich gerne!" "Tut mir leid, Sir, daß ich Ihnen keine besseren Nachrichten übermitteln kann..." "Ist ja nicht Ihre Schuld, Lieutenant. Außerdem weiß man im Voraus nie, was sich am Ende als das ''Bessere' herausstellt." "Sie sagen es..."
"Trotzdem, mir gefällt das nicht... Verdammt, warum kann sich da unten auf dem blauen Planeten keiner zu einer eindeutigen Entscheidung durchringen?" "Sie können ja mal nachfragen, Sir!" sagte Celine Pioncheval. Eine Bemerkung, die locker dahergesagt klingen sollte, aber genau den gegenteiligen Eindruck vermittelte. Auf Befehle warten, echote es in Larsons Hirn. Die Befehle, auf die sie warten sollten, konnten unter Umständen bedeuten, auf die eigenen Leute zu schießen... Jedenfalls galt das für den Fall, daß Darran und seine Leute nicht umgekommen oder gefangengenommen waren, sondern schlicht und ergreifend eine Meuterei angezettelt hatten. Dann gab es verschiedene Optionen. Entweder Darran und seine Leute vom Weltraum aus vernichten oder hinunter auf die Planetenoberfläche gehen, um den Job dort zu erledigen. Verdammt, ich bin nicht zur Star Force gegangen, um mich für so etwas herzugeben! wurde Larson in diesem Augenblick bewusst. Aber jetzt war er hier, hunderttausende Kilometer von der Erde entfernt, an Bord eines Raumschiffs, das einen Auftrag hatte, von dem
der Sergeant alles andere als überzeugt war. In der Klemme, dachte Larson. So nennt man das wohl. �
*
Vor unendlich langer Zeit musste ein Gesteinsbrocken von gigantischen Ausmaßen auf den Mars eingeschlagen sein. Nur einer von Hunderttausenden solcher Brocken, die ohne Bahn durch den Weltraum irrten, willfährige Spielbälle der Gravitationskräfte größerer Körper. Von Planeten zum Beispiel. Aber dieser eine Brocken hatte eine Spur hinterlassen, die bis heute sichtbar war. Den Lowell-Krater. Es gab auch Krater vulkanischen Ursprungs auf dem Mars, wie etwa den Olympus Mons. Aber dieser Krater war durch einen gewaltigen Einschlag entstanden. Der Mars war übersäet davon. Vielleicht, so überlegte John Darran, während er auf die Bilder blickte, die der Bildschirm vor ihm zeigte, vielleicht war dieser Krater in der Frühzeit des Mars sogar mit Wasser gefüllt gewesen. Ein Binnenmeer, so wie es nach geologischen Erkenntnissen mehrere
geben hatte. Möglicherweise sogar einen Ozean. Aber das war drei Milliarden Jahre her. Eine unvorstellbar lange Zeit. Damals mochte der Mars vielleicht sogar primitive Formen von Leben getragen haben. Fossile Überreste im Gestein sprachen dafür. Aber um höherentwickelte Lebensformen zu entwickeln waren die Bedingungen auf dem roten Planeten nicht lange genug günstig gewesen. Er hatte den Großteil seiner Atmosphäre in den Weltraum verloren, die Temperatur war gefallen und die Meere gefroren. Selbst wenn die Temperatur jetzt wieder angestiegen wäre, wäre der Atmosphärendruck einfach zu gering gewesen, um flüssiges Wasser zu halten. Vielleicht kommen jetzt ja wieder bessere Zeiten für den Mars, dachte Darran. Mit Hilfe der Technologie der Fremden, die die von Robotern bemannten Schiffe gebaut hatten. Warum nicht? dachte Darran. Raumhäfen, regelrechte Städte auf dem Mars. Vor seinem inneren Auge konnte er sie schon vor sich sehen. Durch die RoboterTechnologie war das alles keine reine Utopie mehr. Es war in den Bereich des Möglichen gerückt. Was war dagegen doch ein so armseligesGebilde wie die Station Gamma, die die Menschheit im
Lowell-Krater bislang unterhalten hatte... Nein, das war kein Vergleich. Die Technologie der Fremden lässt sich für verschiedene Zwecke einsetzen, ging es ihm durch den Kopf. Aber die Zwecke die sein eigenes Land, die Westunion, damit vermutlich im Sinn hatte, entsprachen nicht dem, was John Darran sich vorstellte. Eine Chance für die Menschheit, dachte er. Viel zu schade, um sie kleinkarierten Machtspielen auf der Erde zu opfern. Und genau das wird passieren. Jeder, der auch nur einen Funken Verstand hat, kann das deutlich erkennen... 'Die Staaten, sie sind kalte Ungeheuer', erinnerte sich Darran an ein Zitat des Philosophen Friedrich Nietzsche. Das galt auch für jenen Staat, in dessen Diensten Darran offiziell immer noch stand. Innerlich aber hatte er den Dienst in dem Moment quittiert, in dem ihm die Konsequenzen klargeworden waren. Nach vorne blicken, John! Das Schwierigste steht dir noch bevor. Und du weißt es nur zu gut... Die EXPLORER II senkte sich langsam auf die Marsoberfläche. Rötlicher Staub wirbelte auf. Er würde eine ganze Weile in der Atmosphäre bleiben, sich erst mit gewisser Verzögerung wieder auf
den Boden senken. Eine Folge von niedriger Gravitation und geringem Atmosphärendruck. Die Landung selbst war sehr sanft und ein äußerer Betrachter hätte kaum glauben können, daß der Pilot gerade erst den zweiten Flug mit dem ehemaligen Beiboot des havarierten und im Kampf stark beschädigten 200-m-Raumers der Fremden absolviert hatte. Die Induktiv-Schulung, die John Darran und seine Männer über sich hatten ergehen lassen, machte es möglich, daß jeder von ihnen zumindest jetzt wenigstens über einen Teil des Wissens jener Wesen verfügten, die den von Robotern bemannten 200-m-Raumer geschickt hatten. Darran hatte im Kommandosessel auf der Brücke der EXPLORER II platzgenommen. Er wirkte gelassen. Die innere Anspannung war ihm nicht anzusehen. Bald wird der Moment der Entscheidung kommen! überlegte er. Aber dieser Moment musste sorgfältig abgewartet werden. Ein einziger Fehler und die Leute werden dir nicht mehr folgen, John Darran! Das Risiko war immens. Für die Menschheit, für sein Land, die Westunion und für ihn persönlich. Denn was er vorhatte lief letztlich auf Meuterei hinaus... Man konnte es drehen und wenden wie man
wollte. Schon jetzt hatte er Vabanque gespielt, in dem er alle Anfragen der Star Force Kommandos einfach ignoriert hatte. Ein Ritt auf der Rasierklinge. Eine Mission, die nicht gelingen konnte, wenn er die Unterstützung seiner Leute verlor. Dieser Punkt ist der wichtigste! wurde ihm klar. Sein Blick war auf den Hauptschirm gerichtet, der die felsige Marslandschaft zeigte. Daneben waren Anzeigen über einen größeren Ausschnitt der Marsoberfläche zu sehen. In südwestlicher Richtung deutete sich einer der gefürchteten Stürme an, die durch die extrem dünne Marsatmosphäre tobten und dabei Unmengen von Sand bewegten. Von diesem war allerdings anzunehmen, daß er sich nur lokal auswirkte und vielleicht ein Gebiet von der doppelten Größe der Vereinigten Staaten buchstäblich durcheinanderwirbelte. Jedenfalls war der Bordrechner der EXPLORER II dieser Meinung. Und dessen Rechnerkapazitäten überstiegen alles, was es auf der Erde an Vergleichbarem gab. War also zu hoffen, daß seine Wettersimulationen etwas zuverlässiger waren als das, was die irdische Wettervorhersage so zu stande brachte. Der Sturm wird kommen, dachte Darran. So sicher wie die Erde durch das Auftauchen der fremden Raumer in den Strudel von
Ereignissen galaktischen Ausmaßes gerissen wurde. Die Menschheit befand sich in einer Gefahr, von der auf der Erde noch kaum jemand etwas ahnte. John Darran hatte innerlich längst die Konsequenzen daraus gezogen. Er atmete tief durch, ließ den Blick schweifen. "Wie wäre es, wenn Sie mich mal loben würden, Sir", meldete sich Lieutenant Rollins zu Wort. John Darran blickte auf. "So wenig Selbstbewusstsein, Lieutenant?" fragte er. Mit den Gedanken war er jedoch nicht ganz bei der Sache. Der Pilot grinste zufrieden. "War doch eine Musterlandung, meinen Sie nicht auch? So etwas soll mir erst einmal jemand nachmachen!" Darran lächelte milde. Die Worte seines Piloten hatten ihn wieder aus seinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt gerissen. "Sie haben recht, Lieutenant", fand er. "Ihre Landung war meisterhaft! Aber wenn Sie nicht der beste Pilot der Star Force wären, hätten Sie auch nicht die Ehre bekommen, diesen historischen Flug durchführen zu dürfen..."
Sein Gesicht wurde ernst. "Sir, ich bin mir dieser Ehre vollkommen bewußt!" erklärte er. "Natürlich." "Dieses Raumschiff hat ungeahnte Möglichkeiten, Commander!" Rollins kratzte sich am Kinn. Seine Augen glänzten. Die Faszination, die er empfand, war ihm anzusehen. "Wir haben erst einen Bruchteil wirklich ausprobiert... Meine Güte, ich darf gar nicht daran denken, daß die EXPLORER II nur ein Beiboot ist." Darran nickte. "Gebaut für einen 'lokalen Einsatz', Lieutenant!" "Ja, nur, dass die Robot-Piloten wohl unter einem 'lokalen Einsatz' etwas verstehen, was für unsere Star Ships schon einer Reise ans Ende des Universums gleichkäme!" "Sie sagen es." "Das Mutterschiff dürften wir kaum wieder hinbekommen", meinte jetzt Captain Bert Vandoren, der für sein legeres Verhalten gegenüber Vorgesetzten berüchtigte Schiffsingenieur. "Leider!" gab Rollins seinem Bedauern Ausdruck. "Wenn ich an die Möglichkeiten denke, die sich daraus ergeben könnten!"
Jetzt meldete sich Lieutenant Marc Johannsen zu Wort, der an Bord der EXPLORER II die Funktion eines Funkers und Navigators erfüllte. "Commander, das Hauptquartier..." "Ja, ich weiß", unterbrach Commander Darran. "Bei allem Respekt, Sir - warum haben Sie bisher alle Anfragen des Oberkommandos ignoriert? Die machen sich Sorgen um uns, fragen sich ob wir überhaupt noch existieren..." John Darran spürte auf einmal, wie sich die Blicke aller auf ihn richteten. Jetzt ist er also gekommen, dachte Darran. Der Moment der Entscheidung. Er hatte ihn noch etwas aufschieben wollen, aber in Anbetracht der Umstände war das wohl nicht möglich. Er erhob sich aus dem Kommandosessel, verschränkte die Arme. "Was soll ich antworten, Commander?" fragte Lieutenant Johannsen. "Oder soll ich auch diese Anfrage einfach ignorieren - wie so viele zuvor?" Rollins blickte Darran beinahe fassungslos an. "Ist das wahr, Commander? Sie haben Anfragen des HQ ignoriert?"
"Bei allem Respekt, aber ich denke, wir können eine Erklärung erwarten, Commander", sagte Marc Johannsen. Sein Gesichtsausdruck vermittelte Entschlossenheit. Darran sah Johannsen an, hob die Augenbrauen. Der Commander begriff, daß Johannsen es sehr ernst meinte. Jetzt läßt es sich nicht länger aufschieben, dachte Darran. Er hob die Augenbrauen, sah Johannsen offen an. "Was würden Sie vorschlagen, Lieutenant Johannsen?" erkundigte er sich. "Ich?" Johannsen war irritiert. Mit einer derartigen Gegenfrage hatte er nicht gerechnet. Er zuckte die Achseln, wandte dann den Blick kurz zu Rollins, der genauso verwirrt schien. Rollins kratzte sich am Hinterkopf. Eine Verlegenheitsgeste. Darrans Tonfall blieb gelassen. "Ja, Sie, Lieutenant Johannsen!" beharrte er. "Aber im Grunde ist das eine Frage, die auch jeden anderen von Ihnen angeht! Sie könnten dem Oberkommando mitteilen, daß wir mit Hilfe der Induktivschulung ein Beiboot des havarierten Raumers beinahe so perfekt bedienen können, wie es eine Besatzung der Originalspezies
vermögen würde! Wir könnten stolz berichten, daß wir das größte Machtmittel in Händen halten, das jemals in der Geschichte der Menschheit existiert hat... Keine Macht der Erde kann es mit uns aufnehmen. Die Waffentechnik der EXPLORER II hat zwar bislang noch keine echte Feuerprobe zu bestehen brauchen, wir können aber getrost annehmen, daß nicht einmal in den Geheimlabors von Westunion und PAZIV etwas auch nur halbwegs Vergleichbares entwickelt wurde..." "Und wir wurden ausgeschickt, um diese Technologie für die Menschheit nutzbar zu machen", stellte Johannsen fest. "Für die Westunion", korrigierte Darran. "Meinetwegen: Für die Westunion", gestand Lieutenant Marc Johannsen zu. Darran fuhr fort: "Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß unsere Regierung bereit wäre, diese Errungenschaften mit der Pazifischen Vereinung zu teilen --- oder beurteilen Sie das anders?" Johannsen zuckte die Achseln, verschränkte dann die Arme vor der Brust. "Warum auch?" meinte er. "Es wäre ja auch wohl gerade zu töricht, unseren Feinden das Messer in die Hand zu geben, mit denen
sie uns die Gurgel durchschneiden können... So verflucht lange ist der große Krieg von 2031 schließlich auch noch nicht her!" "Sehr richtig... Und jetzt denken Sie mal einen Schritt weiter! Wir bringen die EXPLORER II auf die Erde, landen damit vor dem Regierungssitz und sagen zu Präsident Berringer: Bitteschön, hier hast du ein tolles Spielzeug, mit dem du der PAZIV eins auswischen kannst! Haben Sie auch schonmal darüber nachgedacht, was dann geschehen wird?" Schweigen herrschte. Einige volle Sekunden lang sagte niemand ein Wort. "Es wird Krieg auf der Erde geben", war schließlich Ron Sohlbergers unmißverständliche Analyse der Lage. "Entweder wird unsere eigene Regierung übermütig oder die PAZIV-Regierung schlägt zu, weil sie glaubt, daß sie hoffnungslos ins Hintertreffen gerät, wenn sie nicht bald etwas unternimmt..." Darran nickte. Eins zu null, dachte er. Captain Ron Sohlberger schien seine Argumentation verstanden zu haben. "Außerdem müssen wir damit rechnen, daß das Schiff, das den 2000-m-Raumer kampfunfähig geschossen hat, wieder hier im Sol-
System auftaucht", war James O'Donnell, der Computerspezialist überzeugt. Shebulaan, so nannte sich diese Spezies, wie sie aus den Speichern der Induktiv-Schulung wußten. Und da diese Shebulaan sich mit den Robotern, die den havarierten Kugelraumer bemannt hatten, offenbar im Krieg befanden, bedeutete daß, das zumindest eine der beiden Parteien der Menschheit feindlich gesonnen war. Rollins nickte. "Und vermutlich wird das Shebulaan-Raumschiff nicht allein kommen. Wahrscheinlich werden diese Außerirdischen uns als Feinde betrachten... Schließlich fliegen wir mit einem Raumer ihrer Feinde durchs All, da liegt der Schluß ja auch nahe." "Als Feinde?" zweifelte Captain Ron Sohlberger, der Waffenspezialist unter Darrans Leuten. Sohlberger schüttelte den Kopf. "Vielleicht eher als eine Art störendes Ungeziefer, das man beseitigen muß... Die militärischen Möglichkeiten der Westunion sind ein Nichts gegen die Macht dieser Außerirdischen. Und dasselbe gilt natürlich für die PAZIV! In dem interstellaren Krieg, der offenbar da draußen tobt, wären wir kein Machtfaktor. Noch nicht einmal jemand, den man überhaupt beachten müßte."
Darran war mit dieser Analyse der Lage durchaus einverstanden. "Wir stehen kurz davor, in einen galaktischen Konflikt hineingezogen zu werden... In einen Konflikt, bei dem wir nicht die geringste Ahnung von den Hintergründen haben. Wir bewegen uns praktisch wie Blinde auf galaktischem Parkett. Und bislang sind wir so gut wie völlig schutzlos." "Wen bezeichnest du jetzt als 'wir'?" fragte Major Net Rovan, ein Duzfreund Darrans. Seine Spezialität waren waghalsige Kommandounternehmen. Darran drehte sich zu ihm herum. Er wechselte einen kurzen Blick mit dem Major. "Wir? Das ist die Menschheit, Net", erklärte der Commander dann. "Und die Westunion?" fragte Rovan zurück. Darran zuckte die Achseln. Erkennst du das wirklich nicht, Net? dachte er. Nein, es widerspricht allem, worauf er gedrillt wurde. Allem, wofür er gelebt hat. Es gibt verdammt viel Gedankenmüll, den wir alle über Bord schmeißen müssen und ich kann nur hoffen, daß möglichst viele von uns das schaffen. Genug jedenfalls, um diese Sache durchzuziehen...
"Was bedeutet der Konflikt zwischen Westunion und PAZIV schon angesichts dessen, was da draußen auf uns wartet?" sagte Darran schließlich. Eine rhetorische Frage. Die Anwesenden schiegen. Nach einer kurzen, effektvollen Pause fuhr Commander John Darran dann fort: "Nichts! Im kosmischen Maßstab gesehen bedeutet dieser Konflikt gar nichts! Er ist ein völlig bedeutungsloser Faktor, ein Kampf zwischen Kleinstaaten auf einem PrimitivPlaneten! Mehr nicht!" Darran atmete tief durch. Er sah die Zweifel in den Augen seiner Leute. Und er konnte sie sogar verstehen. Schließlich hatten sie alle einen Eid geleistet, der Westunion loyal zu dienen. Und das, worauf Darrans Gedanken letztlich hinausliefen, war nicht mehr und nicht weniger als pure Meuterei... So langsam begann das auch seinen Männern zu dämmern. Und normalerweise wäre die Reaktion bei einigen von ihnen ziemlich heftig gewesen. Normalerweise... Aber es war nicht irgend jemand, dessen Gedanken praktisch auf Meuterei hinausliefen.
Es war John Darran. Und das natürliche Charisma des Commanders sorgte dafür, daß die Männer sich solche Äußerungen überhaupt anhörten. Vielleicht hat der eine oder andere von ihnen ebenfalls bereits daran gedacht, überlegte Darran. Marc Johannsen zum Beispiel. Johannsen hatte ja Gelegenheit genug dazu gehabt, das Hauptquartier der Star Force eigenmächtig zu informieren. Er hatte es nicht getan. Und das gewiß nicht ohne Grund. John Darran hielt das für ein gutes Zeichen. Schließlich lagen die Konsequenzen ja auf der Hand, auch wenn vielleicht bislang noch nicht alle bereit waren, sie sich auch einzugestehen. "Du traust unserer Regierung nicht, John", stellte Net Rovan fest. Sein Tonfall klang klirrend kalt. John Darran registrierte das ganz genau. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß Net je so mit ihm geredet hatte... John Darran nickte. "Ganz recht", nickte er. "Ich mißtraue der Regierung der Westunion in dieser Situation. Was würde denn passieren, wenn wir Ihnen die EXPLORER II und ihr Schwesterschiff, an dem unsere
Leute gerade herumbasteln, überließen? Es wäre genau wie Captain Sohlberger es vorhin analysierte: Krieg oder Präventivkrieg!" "Die verdammte PAZIV bekäme endlich mal eins auf die Nuß!" meinte Bert Vandoren, der offenbar so viel gar nicht gegen eine derartige Entwicklung einzuwendfen hatte. Vielleicht entsprang seine Bemerkung aber auch einem Gewissen Hang zum Sarkasmus. Er hatte das ziemlich flapsig dahingesagt, aber im Moment schien keinem der Anwesenden nach Humor dieser Art zu Mute zu sein. Captain Vandoren zuckte einfach nur die Schultern, kratzte sich im Nacken. Wieder folgte eine Pause. Die Stille wurde nur durch einen piepsenden Signalton an einer der Konsolen unterbrochen. Ein nervtötendes Geräusch in dieser Situation. "Wir wissen alle, was das bedeuten würde", meinte schließlich Ron Sohlberger. "Wie man es auch dreht und wendet, es läuft auf Krieg hinaus. Und was das bedeutet, haben wir 2031 gesehen. Zumindest diejenigen, die alt genug sind, sich daran zu erinnern. Und damals hatten wir Glück, weil die ganz großen ballistischen Hammer
in den Silos blieben... Sonst würden wir diesen Außerirdischen jetzt nur eine Strahlenwüste bieten." "Für die Roboter vermutlich kein Problem!" meinte Marc Johannsen. Sein Grinsen wirkte gezwungen. Innerlich fühlte er sich längst nicht so locker, wie er tat. Es war einfach ein Versuch, die geradezu beklemmende Stimmung aufzubrechen, die sich an Bord der EXPLORER II breitgemacht hatte. Eine Stimmung, die daher rührte, daß im Endeffekt von jedem einzelnen eine Entscheidung verlangt werden würde. Eine Entscheidung, die einschneidende Konsequenzen für jeden an Bord nach sich ziehen würde. Und für die Menschheit im ganzen. "Und darüber sind wir uns doch wohl alle einig: In der gegenwärtigen Situation wäre ein Krieg auf der Erde so etwas wie ein Selbstmord der Menschheit!" stellte John Darran fest. "Mit einem so glimpflichen Verlauf wie 2031 können wir nicht noch einmal rechnen. Die Waffenarsenale haben sich weiterentwickelt. Vielleicht können PAZIV und Westunion nicht mit der Waffentechnik der Kugelraumer mithalten, aber ihr Arsenal reicht imer noch aus, um mehr oder weniger die gesamte Menschheit zu vernichten."
"Und wie soll das Ihrer Meinung nach verhindert werden?" fragte Johannsen. "Durch Meuterei vielleicht?" Er ist der erste, der es offen auszusprechen wagt! registrierte Darran. Aber er war sich sicher, daß Johannsen sich über diese Konsequenz im Grunde schon länger klar war. Commander John Darran nickte leicht. "Sie sagen es, Lieutenant Johannsen", stellte er fest. Klar und eineutig. Es gab keine Ausflucht mehr. Kein Drumherumreden. Die Alternativen lagen auf der Hand. Für jeden von ihnen. Augenblicke lang herrschte Schweigen. John Darran musterte nacheinander die Gesichter seiner Männer. Manche wichen seinem Blick aus. "Das ist nicht Ihr Ernst!" protestierte schließlich Bert Vandoren. "Ich sehe keinen anderen Weg. Wir dürfen die Beiboote des Roboter-Schiffs nicht aus der Hand geben", nickte John Darran. Rollins fuhr sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht. "Und dann?" fragte er. "Wie soll es dann weitergehen? Sollen wir hier auf dem Mars vielleicht so etwas wie eine unabhängige Macht gründen?"
"Warum nicht?" gab Darran zurück. Seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. "Wir haben wahrscheinlich nicht viel Zeit..." "Und die Konsequenzen?" fragte Johannsen. "Ich meine die Folgen, die so ein Unternehmen für jeden von uns persönlich hätte!" Darran hob die Augenbrauen. "Wären die Folgen nicht unter Umständen viel schlimmer, wenn wir einfach den Befehlen des Star Force Oberkommandos folgen und ihm die Waffen der EXPLORER II zu Füßen legen?" "Das klingt fast, als hätten Sie sich das gut überlegt, Commander!" versetzte Johannsen schneidend. Darrans Augen wurden schmal. "Seit wir zum ersten Mal den Kugelraumer betraten, denke ich an nichts anderes mehr", bekannte Darran. "Ich weiß, daß ein gewisses persönliches Risiko für jeden von uns dabei ist, aber ich sehe keine Alternative. Mit der Marsstation im Lowell-Krater haben wir etwas, das wir als eine Art Basis ausbauen können, von der aus wir operieren. Die Technologie der Roboter wird uns dabei helfen..." Der Commander ging auf Henson zu. Einige Augenblicke lang sahen sich
die beiden Männer von Angesicht zu Angesicht an. "Wollen Sie noch immer das Oberkommando der Star Force informieren, Lieutenant?" Johannsen biß sich auf die Lippen, die zu einem schmalen Strich geworden waren. Er schüttelte schließlich den Kopf. "Nein, Sir", murmelte er tonlos. Darran hatte keine andere Antwort erwartet. "Und was ist mit den anderen?" Der Commander der EXPLORER II drehte sich herum. "Wie ist Ihre Meinung? Bei dem, was ich vorhabe, bin ich auf jeden einzelnen von Ihnen angewiesen. Allein kann ich nichts ausrichten. Wenn Sie also der Meinung sind, daß Ihr Commander den Verstand verloren hat, dann verhaften Sie mich und liefern mich der Star Force aus. Johannsen braucht nur einen einzigen Knopf zu drücken..." Wieder herrschte Schweigen. Schließlich war es Rollins, der es als erster brach. "Verdammt, Sie haben recht, Commander. Ich bin dabei!" Er drehte sich herum. "Und was ist mit euch?" Einer nach dem anderen nickte oder brachte ein halblautes "Ich auch" heraus.
Schließlich war die Reihe an Johannsen. "Ich glaube, wir machen einen Fehler", sagte er. "Aber vielleicht machen wir einen noch größeren Fehler, wenn wir Commander Darran nicht folgen." Ein erleichterter Ausdruck erschien auf Darrans Gesicht. Der Damm ist gebrochen, dachte er. "Ich hoffe, Ihnen ist klar, daß es kein Zurück von dieser Entscheidung gibt..." Captain Ron Sohlberger meldete sich zu Wort. "Sie müssen eine Vollversammlung aller unserer Leute einberufen", meinte er. "Schließlich müssen wir uns auf jeden einzelnen verlassen können." Sohlberger dachte natürlich vor allem an den Teil von Darrans Truppe, der zur Zeit noch immer damit beschäftigt war, das zweite 40-m-Beiboot des Kugelraumers instandzusetzen. "Und was soll mit jenen geschehen, die unsere Entscheidung nicht mittragen können?" fragte Johannsen. "Wir werden einen Weg finden, sie zur Erde zurückzuschicken", erklärte Darran. Net Rovan, der alte Haudegen, atmete tief durch. Er verzog das Gesicht zu einem ziemlich gezwungen wirkenden Lächeln. Das Ganze
ging ihm gehörig gegen den Strich, das lag auf der Hand. Andererseits sah aber auch er keine Alternative, als John Darrans Plan zu folgen. "Wer hätte das gedacht," murmelte er dröhnend. "Werde ich doch tatsächlich noch auf meine alten Tage zum Renegaten!" Darran lächelte dünn. "Mit 42 sollten Sie noch nicht damit anfangen, mit dem Alter zu kokettieren, Major!" fand er. Rovan grinste. Aber selbst ihm, den sonst auch die brenzligste Situation nicht zu erschrecken vermochte, war anzusehen, wie mulmig er sich fühlte. "Ein kleiner Haufen gegen die Welt und den Rest des Universums!" meinte er. "Das kann ja heiter werden..." "Ich sehe keine andere Möglichkeit, Net!" meinte Darran ernst. Rovan verschränkte die Arme. Es war ihm anzusehen, wie unwohl er sich in diesem Augenblick in seiner Haut fühlte. "Ich fürchte, du hast recht, John! Aber es gefällt mir ganz und gar nicht." "Glaubst du mir?" "Es wird ein Tanz auf der Rasierklinge." Darran lächelte matt. "Für dich wohl kaum der erste, Net!" "Ein schwacher Trost."
"Wo bleibt dein Optimismus?" "Ich weiß, daß es keinen anderen Weg gibt. Aber ich weiß auch, daß ich die Hosen gestrichen voll habe bei der Sache. Und wenn du ehrlich bist, dann geht es dir nicht anders!" "Dann werde ich heute mal nicht ehrlich sein", erwiderte Darran.
*
John Darran ließ eine Vollversammlung aller seiner Leute einberufen. Sie trafen sich in der Kommandozentrale des Kugelraumers, dessen Beiboot Darran in EXPLORER II umbenannt hatte - benannt nach einem der vergleichsweise primitiven irdischen Star Ships, mit denen sie gekommen waren. Es herrschte eine eigenartige Stimmung, während sich die Kommandozentrale mit den Männern der Star Force füllte. Net Rovan betrachtete Darran von der Seite, bemerkte die Anspannung im Gesicht des Commanders.
Ein entscheidender Moment lag vor ihnen allen. Darran mußte auch jene überzeugen, die während des letzten Problefluges der EXPLORER II auf dem Mars zurückgeblieben waren. Die meisten von ihnen waren damit beschäftigt gewesen, auch das zweite Beiboot des Kugelraumers wieder instand zu setzen. Nachdem sie der Induktiv-Schulung unterzogen worden waren, war das ein lösbares Problem geworden. Er muß alles auf eine Karte setzen, dachte Net Rovan, während sein Blick noch immer auf dem Commander ruhte. Eine andere Möglichkeit bleibt ihm nicht. Er hat sich jetzt so weit vorgewagt - für ihn gibt es kein Zurück mehr. Rovan atmete tief durch. Er konnte sich nicht erinnern, jemals bei irgendeinem Kommandounternehmen oder in einer anderen brenzligen Situation, in die er als Angehöriger der Star Force geraten war, ein derart mulmiges Gefühl in der Magengegend empfunden zu haben. Hängt vielleicht damit zusammen, daß du in solchen Augenblicken nie Zeit genug zum Nachdenken hattest! überlegte Rovan.
Die Star Force Männer sahen Darran erwartungsvoll an. Gemurmel entstand unter jenen, die noch nichts von John Darrans Plan wußten. Darran wandte den Kopf. Sein Blick traf sich mit dem Net Rovans. "Was machen wir, wenn einige nicht bereit sind, ihr ganzes irdisches Leben hinter sich zu lassen und Ihnen zu folgen, Commander?" raunte Rovan. Darran hob die Augenbrauen. "Dann werden wir das akzeptieren müssen!" "Sollen wir sie einfach davonziehen lassen?" "Sie könnten ein Star Ship nehmen und damit zur Erde zurückfliegen. Aber warten wir erstmal ab!" "Viel Glück, John!" sagte Rovan dann. Darran nickte nur leicht. Davon werde ich jetzt eine ganze Menge grauchen, dachte er. Schließlich waren sie alle vollzählig. Totenstille herrschte in der Kommandozentrale des Kugelraumers. Alle Augen waren auf den Commander gerichtet. Jeder der Anwesenden spürte, daß dies keine gewöhnliche Dienstbesprechung
war. Keine Besprechung wie Dutzende andere zuvor. Deutliche Ansopannung machte siuch bei den Star Force-Leuten bemerkbar. Jeder im Raum wußte, daß etwas sehr wichtiges bevorstand. "Wir haben ein Problem", begann Darran. "Und deswegen habe ich Sie alle hier zusammengerufen. Vielleicht wird sich der eine oder andere von Ihnen auch bereits Gedanken darüber gemacht haben. Spätestens seit Sie die Induktivschulung absolviert haben und die wahre Macht der außerirdischen Technologie abzuschätzen in der Lage sind." Und dann setzte John Darran ihnen seine Gedanken auseinander wie zuvor schon den Männern an Bord der EXPLORER II. Er sprach mit ruhiger, überlegt klingender Stimme, brachte die Argumente mit der nötigen Nüchternheit vor - ließ aber auch die Zweifel erkennen, die ihn geplagt hatten. Zweifel, die er jetzt zu Gunsten einer klaren Entscheidung in den Hintergrund gedrängt hatte. Das mußte einfach sein. Die Zeit des Zögerns und der Übelegung mußte zu Ende gehen. Jetzt mußte gehandelt werden. Bevor andere handelten. Nachdem John Darran geendet hatte, herrschte einige Augenblicke lang wieder Stille.
Einigen der Gesichter sah man an, wie schockiert sie waren. Ein Commander der Star Force rief sie alle zu nichts weniger auf als zum Ungehorsam gegenüber jener Organisation, der sie alle dienten. Zum Hochverrat gegenüber der Nation, der sie dienten – der Westunion, die für sie alle die Freiheit und den Fortschritt symbolisierte. "Das ist Meuterei!" rief jemand. "Schlicht und ergreifend Meuterei! Es mit einem anderen Begriff zu bezeichnen wäre Verharmlosung!" Darrans Blick schwenkte herum. Er sah in das schreckverzerrte Gesicht von Sergeant Pablo Maranas. Ein Gemurmel entstand. Hier und da regte sich Zustimmung und Empörung. "Ich weiß, was ich verlange, vor welche Wahl ich Sie stelle", erklärte Darran und das Gemurmel legte sich wieder. Die natürliche Autorität Darrans zeigte Wirkung. "Jeden einzelnen von Ihnen... Und ich weiß auch, daß ich im Grunde von jedem hier erwarte, daß er alles Bord wirft, woran er sein bisheriges Leben lang geglaubt hat. Von der Karriere und solchen banalen Dingen mal ganz abgesehen, daß ist ein anderes Kapitel. Aber auch das will ich nicht unterschätzen!"
Darran registrierte, daß seine Autorität noch ihre Wirkung zeitigte. Aber ihm war sehr wohl bewußt, daß die Stimmung im Handumdrehen kippen konnte. Alles stand auf Messers Schneide. "Verdammt nochmal, warum glauben Sie eigentlich, besser dafür geeignet zu sein, über das Schicksal der Erde zu entscheiden als unsere Regierung?" rief Maranas erbost. Einige andere Männer knurrten etwas, das wie verhaltene Zustimmung klang. "Ja, wie kommt er eigentlich dazu?" "Hält er sich für einen Übermenschen oder so etwas?" "Verdammt, setzen wir ihn fest und stecken ihn in eine Arrestzelle!" Darran blieb gelassen. Er verstand diese Leute nur zu gut. Was er ihnen vorgeschlagen hatte, mußte geradezu ungeheuerlich in ihren Ohren klingen. "Bis unsere Regierung den Ernst der Lage wirklich erkannt hat, wird es längst zu spät sein. Wir müssen jederzeit damit rechnen, daß die fremden Angreifer, die den Kugelraumer kampfunfähig
geschossen haben, zurückkehren... Und bis dahin müssen wir alles tun, um vorbereitet zu sein." "Das ist doch illusorisch!" meinte Sergeant Norman Coburn kopfschüttelnd. Darran kannte ihn gut. Coburn war eigentlich ein gutmütiger Mensch, aber man tat besser daran, seine Reizschwelle nicht zu überschreiten... Aber diesmal konnte ich ihm das nicht ersparen! dachte Darran. Der Commander bedachte den Sergeant mit einem ruhigen Blick. Die sonore Stimme strahlte Sicherheit aus. Viel mehr Sicherheit, als Darran selbst in diesem Moment empfand. Aber nach außen hin durfte er jetzt keine Schwäche zeigen, durfte keinerlei Zweifel an seiner Entschlossenheit aufkommen lassen. Nur so konnte er diese Leute überzeugen. Stärke zeigen, das ist es... "Wir müssen es versuchen", erklärte Darran. "Jedenfalls bin ich fest entschlossen dazu. Ich bin nicht bereit, einfach die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, was passiert. Wir wissen so gut wie nichts von dem, was da draußen in der Galaxis vor sich geht... Aber was unten auf der Erde mit dem Wissen der Fremden passieren wird, daß läßt sich an den Fingern einer Hand ausrechnen. Die PAZIV und die Westunion werden sich zerfleischen, um in den Besitz der Alien-
Technologie zu kommen... Es geht um die Menschheit, Sergeant Coburn!" Ein anderer Sergeant meldete sich Wort. Er hieß Rufus Blackwood, war 39 Jahre alt und eine Art Mädchen für alles, was technische Dinge anging. Seine Ärmel waren hochgeschoben, so daß man die tätowierten Unterarme sehen konnte. "Ich hatte immer einen verdammt großen Respekt vor Ihnen Commander", erklärte er, räusperte sich dann und druckste etwas herum. Mit einer nervösen Geste fuhr er sich über das Gesicht. Dann endlich sprach er weiter. "Ich nehme an, daß jeder von uns Angehörige unten auf der Erde hat. Menschen, die uns wichtig sind, die wir lieben... Haben Sie daran mal gedacht, Commander?" Commander Darran nickte. "Ja, das habe ich. Es geht mir da nicht anders als Ihnen allen." "Wir werden lange nicht zurückkehren können, wenn wir Ihnen folgen, Commander." "Das ist nicht auszuschließen. Aber wenn wir es nicht tun, dann gibt es 'da unten' wie Sie sich ausdrückten vielleicht schon bald niemanden mehr... Jeder von Ihnen hat eine Induktiv-Schulung hinter sich. Und wenn Sie damit auch nicht das komplette Wissen jener
Spezies besitzen, die den Kugelraumer ursprünglich benutzte, so wissen Sie doch mehr als genug, um sich vorzustellen, was ein Schiff wie die EXPLORER II in den falschen Händen bedeutet..." "Der Commander hat recht!", mischte sich nun Sergeant Cole Indish ein, ein dunkelhaariger Mechaniker, von dem Darran wußte, daß man sich absolut auf ihn verlassen konnte. "Wir dürfen es einfach nicht zulassen..." Coburn war noch immer skeptisch. "Wir müßten Verstärkung haben! Mit dieser Handvoll Leute können wir kaum etwas ausrichten." "Das stimmt", gab Darran zu. "Wir werden uns verstärken müssen." "Und wie soll das geschehen?" "Wir werden früher oder später mit der EXPLORER II oder ihrem Schwesterschiff auf der Erde landen und alle diejenigen aufnehmen, die sich uns anschließen wollen. Manche werden wir gezielt ansprechen müssen. Fachkräfte, Wissenschaftler, Techniker... Mit Hilfe der Technologie des Kugelraumers werden wir hier eine neue Macht aufbauen, die vielleicht verhindern kann, daß für die Erde der jüngste Tag anbricht."
"Und wo sollen all diese Leute wohnen?" fragte Rufus Blackwood. "Hier im Wrack des Kugelraumers vielleicht? In der Station im Lowell-Krater dürfte es auch ziemlich eng werden..." "Und wenn die Feinde der Roboter zurückkehren, dann dürfte ein einziger Schuss genügen, um dieser 'neuen Macht' ein Ende zu setzen!" kommentierte Cole Indish ziemlich bissig. Gemurmel brandete durch den Raum. John Darran hob die Hände. Es dauerte eine Weile, bis die Anwesenden sich wieder einigermaßen beruhigt hatten. "Wir werden diese Station mit Hilfe der fremden Technologie, die uns in die Hände gefallen ist, umbauen", kündigte Darran an. Er machte eine Pause, ging ein paar Schritte nach vorn und blieb dann stehen. Sein Blick musterte die Gesichter seiner Leute. Schließlich fuhr er fort: "Wir werden daraus Port Mars machen, eine unabhängige Stadt auf dem Mars, die es mit jeder Macht der Erde aufnehmen und in einiger Zeit vielleicht sogar Bedrohungen von außerhalb des Sonnensystems die Stirn bieten kann..." Port Mars - ein Name, der wie ein Programm klingt! dachte Net Rovan, während er den Worten des Commanders zuhörte.
Es wird nie wieder so werden wie es war, ging es ihm dann durch den Kopf. Die Zeiten, in denen der Mensch annehmen konnte, allein im Kosmos zu sein waren vorbei. Und damit auch die Zeiten, in denen sich die Menschheit vor allem darauf konzentriert hatte, sich selbst an den Rand des Abgrunds zu bringen... Seltsam, dachte Rovan. Jeden anderen, der so daherredet wie der Commander, hätte ich für einen Spinner gehalten. Aber bei ihm klingt es so, als gäbe es gar keine Alternative. "Ich kann niemanden dazu zwingen, sich meinem Plan anzuschließen", sagte Darran. "Wenn jemand von Ihnen dagegen ist, soll er es sagen. Wir werden für diejenigen, die sich uns nicht anschließen wollen, versuchen, eine Möglichkeit zur Rückkehr zu finden..." Niemand meldete sich. "Dann gehe ich davon aus, daß ich mich weiterhin so auf Sie verlassen kann, wie bisher." Zustimmendes Gemurmel ertönte. Net Rovan trat näher an Darran. "Ich glaube, du hast gewonnen, John!" Aber John Darran schüttelte den Kopf.
"Dies ist der Anfang", sagte er. Ihm war bewußt, daß die tatsächlichen Bewährungsproben erst noch vor ihm lagen. Und darum wollte sich ein Gefühl der Erleichterung auch nicht einstellen.
*
Robert Berringer, seines Zeichens für acht Jahre gewählter Präsident der Westunion, nahm die Datenbrille von den Augen und legte sie auf den Schreibtisch. In der letzten halben Stunde hatte er sich mit Hilfe der Brille die Ermittlungsergebnisse angesehen, die den jüngsten Attentatsversuch auf General Wilbert T. McCloud, den Chef der Star Force, betrafen. Die Angelegenheit hatte Berringer ziemlich mitgenommen. Nicht in erster Linie aus persönlicher Anteilnahme, sondern weil der Vorfall
gezeigt hatte, wie leicht das Sicherheitsnetz reißen konnte, daß die höchsten Stellen der Westunion umspannte. Im Fall der Fälle steht jeder aus der Führung doch wie auf dem Präsentierteller da! ging es dem Präsidenten durch den Kopf. Es war eine schlichte, grausame Wahrheit. Absolute Sicherheit gab es nicht. Sie existierte einfach nicht. Bestensfalls war sie eine Illusion. Eine Illusion, die jetzt verblaßt ist! ging es Berringer durch den Kopf. Ein leicht melancholischer Zug machte sich in seinem Gesicht breit. Wirst du auf deine alten Tage jetzt etwa weinerlich? Du hast doch noch so viel vor. Spar dir diese Art von Gefühlen für deinen Ruhestand auf... Vielleicht kannst du sie dir dann leisten! Offenbar hatte die von der PAZIV gesteuerte Spionage Ausmaße erreicht, die Berringers furchtbarste Alpträume in dieser Hinsicht bei weitem übertrafen. Die PAZIV hatte sich in erster Linie auf die Erschließung der Meere für den Menschen verschrieben. Die Besiedlung anderer Planeten war von den dortigen Machthabern mehr oder minder als utopisch angesehen worden. Etwas, das in absehbarer Zeit nicht zu
verwirklichen war. Vorhandene Weltraumprogramme in Indien und China waren danach mehr und mehr eingestellt und schließlich auf ein Minimum zurückgefahren worden, das gerade noch ausreichte, Satelliten in stabile Umlaufbahnen zu schießen und dort zu halten. Anders die WU. Sie hatte die Zukunft der Menschheit immer im Weltraum gesehen. Die Stationen auf dem Mond und dem Mars legten davon Zeugnis ab. Aber die überlegene Weltraumtechnik der WU ließ sich natürlich auch wunderbar für den Einsatz auf U-Booten oder in den Unterwasserstädten der PAZIV anwenden. Ganz abgesehen von der Möglichkeit, sie in der Waffentechnik einzusetzen. Es war also alles andere als verwunderlich, daß die PAZIV schon seit Jahren versucht hatte, ein dichtes Spionagenetz über die gesamte WU auszubreiten. Aber das, was nun geschehen war, ging über alles bisherige hinaus. Das ist Krieg! dachte Berringer. Ein verdeckter, unerklärter Krieg, geführt mit den Mitteln der Spionage... Ein Krieg der kleinen bis mittleren Nadelstiche. Immerhin vermied diese Form der Auseinandersetzung den Einsatz des großen Nuklear-Hammers.
Wenn Berringer auch sonst nichts Positives darin zu sehen vermochte, so beruhigte ihn doch die Tatsache etwas, daß das derzeitige Niveau der Eskalation immer noch verhältnismäßig niedrig anzusiedeln war. Berringer würde darauf reagieren müssen. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, unterdrückte ein Gähnen. Bei dem Mann, der jetzt den Raum betrat, handelte es sich um Darius Carrow, einen der zahlreichen Sicherheitsberater des WUPräsidenten. Er war klein und drahtig. Das gelockte Haar hing ihm bis in die Stirn. Die Anzüge, die er trug, waren von einem Schneider in Mailand nach Maß angefertigt worden. "Guten Morgen, Sir", sagte Carrow. Berringer nickte ihm zu, wies auf einen der dunklen Ledersessel im Raum. "Setzen Sie sich, Carrow." "Danke, Sir." "Einen Drink?" "Nein danke, Sir." "Aber Sie haben nichts dagegen, wenn ich mir einen genehmige..." "Natürlich nicht."
Berringer stand auf, ging zu einem gut getarnten und perfekt an das Ambiente angepaßten Getränkeschrank und holte sich eine Flasche Bourbon heraus, dazu ein Glas. Carrow registrierte, daß die Flasche bereits halb leer war und fragte sich, innerhalb welchen Zeitintervalls der Präsident den fehlenden Rest wohl geleert haben mochte. Manche Dinge lassen sich wohl nur mit chemischer Unterstützung ertragen, dachte Carrow zynisch. Er hatte Berringer während des Wahlkampfes erlebt und wußte, daß der Präsident in Krisensituationen zum Bourbon griff. Angemerkt hatte man das Berringer nie. "Gibt es irgend etwas neues über diese Dean-Berkewitz-Sache?" fragte der Präsident schließlich. Carrow schüttelte den Kopf. "Nein, Sir. Wir nehmen an, daß der Spionagering um Berkewitz zerschlagen ist." "Es muß doch Verbindungen zu anderen Gruppen geben! Läßt sich da denn nicht..." "Unsere Sicherheitsorgane verstehen ihr Handwerk, Sir", versicherte Carrow. "Aber sie verfügen nicht über die Fähigkeit der Zauberei. Sämtliche Spuren wurde sorgfältig verfolgt. Vor allem
natürlich Datenspuren, die die Mitglieder dieses Rings in den Kommunikationssystemen hinterlassen hatten." "Und?" Carrow zuckte die Achseln. "Ich nehme an, daß diese Leute einfach sehr geschickt waren. " "Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, daß sich so etwas wie dieses versuchte Attentat auf General McCloud wiederholt?" erkundigte sich der Präsident. Carrow machte ein unbestimmtes Gesicht. Er hat Angst, der nächste zu sein, der auf der Liste des PAZIV-Geheimdienstes steht, überlegte Carrow. Eine sehr verständliche, naheliegende Angst, die Carrow gut nachvollziehen konnte. Die Arme des PAZIVGeheimdienstes schien buchstäblich überall hin zu reichen. Jede noch so abgeschottete Institution schien vom Feind unterwandert. Überall lauerten Agenten im Verborgenen, die nur darauf warteten, im Interesse ihrer Auftraggeber loszuschlagen... Oder ist es etwas anderes, was ihn so verunsichert erscheinen läßt? ging es Darius Carrow durch den Kopf. Carrow kannte den Präsidenten wie kaum ein zweiter. Und er gehörte zu den wenigen Menschen, die das Vertrauen des mächtigsten
Mannes der Westunion besaßen. Carrow hatte schon zu Berringers Team gehört, als der jetzige Präsident noch ein mehr oder minder bedeutungsloser Provinzpolitiker gewesen war, der sich mit aller Kraft nach oben zu strampeln versuchte. Carrow war mit ihm 'nach oben' gespült worden. Bis ins Zentrum der Macht. Eigenartigerweise war ihm Berringer auf diesem langen gemeinsamen Weg immer fremder anstatt vertrauter geworden. "Ich kann Ihnen Ihre Frage nicht beantworten, Sir", sagte Carrow schließlich. "Wir haben die Informationsbeschaffung im Raum der PAZIV seit langem völlig vernachlässigt. Das ist nicht Ihre Schuld, sondern vor allem Ihren Vorgängern zuzuschreiben..." Berringer lehnte sich zurück, stützte den Kopf auf der Handfläche. "Ich weiß", sagte er. Die Westunion hatte stets auf ihre technologische Überlegenheit gesetzt. So hatten ihre Nachrichtendienste seit Jahren schon kaum noch Agenten 'vor Ort'. Man hatte sich vor allem auf Überwachung der elektronischen Datenströme und umfangreiche Abhörmaßnahmen verlassen, um über Entwicklungen im PAZIV-Machtblock informiert zu sein. Ein Fehler, wie sich jetzt langsam herausstellte.
Die PAZIV war den klassischen Weg gegangen, hatte von langer Hand ihre Agenten im anderen Machtblock etabliert. So etwas ließ sich natürlich nur über einen Zeitraum vieler Jahre aufbauen. "Wir können diesen strukturellen Nachteil auf unserer Seite nicht im Handumdrehen ausgleichen, Sir", erläuterte Carrow. "Leider muß ich Ihnen recht geben." "Ich habe eine detaillierte Gefahrenanalyse in Auftrag gegeben", erklärte Carrow. "Sobald die vorliegt, können wir uns darüber unterhalten, welche Konsequenzen gezogen werden müssen. Bis dahin würde ich an Ihrer Stelle mit dem Schlimmsten rechnen." Berringer hob den Kopf. Seine Züge veränderten sich. Tiefe Furchen bildeten sich auf seiner Stirn. In seinen Augen flackerte es unruhig. Er trank das Bourbon-Glas leer, schenkte sich sogleich nach. "Mit dem Schlimmsten?" echote er. Carrow nickte. "Maulwürfe und Saboteure selbst in den höchsten Rängen. Der PAZIV-Geheimdienst hatte wahrlich Zeit genug, um sein Spionagenetz aufzubauen. Und wie der Attentatsversuch auf General McCloud zeigt, können sie überall zuschlagen..." "Für McCloud galt schließlich auch Sicherheitsstufe eins..."
"So ist es." "Offenbar ist auf nichts mehr Verlaß." "Sie müssen vorsichtiger sein denn je." "Wem sagen Sie das!" Berringers Finger tickten nervös auf der Sessellehne herum. Er schien ins Nichts zu blicken und über irgend etwas nachzudenken. Ein harter Gesichtsausdruck dominierte seine Züge. Vielleicht bedauert er insgeheim, daß das Attentat gescheitert ist! überlegte Carrow. Abwegig war dieser Gedanke nicht. Berringer war ein eiskalt kalkulierender Machtmensch. Und wenn McCloud aus dem Weg gewesen wäre, hätte das im Moment für Berringer einiges an Problemen gelöst. Insbesondere, was die John Darran-Expedition anging. Der General hatte immer seine Hand über Darran gehalten. Wenn es nach Berringer gegangen wäre, hätte man Darran niemals die Leitung dieser Mission anvertraut, sondern jemandem, der in den Augen des Präsidenten zuverlässiger war. Berechenbarer. Jemand, der keine Extra-Touren machte, der Befehle bindungslos ausführte, ohne nach dem Grund zu fragen oder sich irgendeinen
eigenständigen Gedanken zu der Angelegenheit zu machen. Aber McCloud hatte anders entschieden. Ein Fehler, wie in Berringers Beurteilung längst feststand. Ein Fehler, dessen ungeheure Tragweite noch gar nicht absehbar war. "Da Sie gerade den Namen McCloud erwähnten", begann der Präsident. Carrow erriet Berringers Gedanken. "Sie denken an Darran." "Hat er sich inzwischen gemeldet?" "Nein, hat er nicht. Die Star Ships warten im Orbit und warten auf Ihre Befehle." "Ein unhaltbarer Zustand." "Dann ändern Sie ihn!" Berringer atmete tief durch. "Was glauben Sie, was auf dem Mars geschehen ist?" "Jede Äußerung dazu wäre reine Spekulation, Sir!" versuchte Carrow sich aus der Bredouille zu ziehen. Berringer lächelte matt. "Dann spekulieren Sie mal!" forderte er seinen Sicherheitsberater auf. "Na, los! Was schwirren in Ihrem von Intelligenz nur so berstenden Schädel für Gedanken herum?"
Carrow quittierte diese Bemerkung mit Gleichmut. "Niemand weiß, was auf dem Mars geschehen ist, Sir. Möglich, daß die Außerirdischen - oder auf wen immer Darran und seine Leute in dem fremden Raumschiff getroffen sind - unsere Crew niedergemacht haben. Für diese Version spricht auch, dass im Anschluß daran ein weiteres Schiff der Außerirdischen ein paar Flüge im Bereich zwischen Erde und Mars durchgeführt hat..." Berringer nickte leicht. Das fremde Schiff war unter anderem auch auf die Star Force Flotte getroffen, die Darrans Crew hinterhergesandt worden war. "Ja, was Sie sagen hat was für sich", murmelte er etwas abwesend, blickte dabei gedankenverloren auf das Etikett seiner BourbonFlasche. Er hörte Carrows Worten zu, der fortfuhr: "Bei diesem - deutlich kleineren! - Raumschiff handelt es sich vermutlich um ein Beiboot der auf dem Mars havarierten Einheit. Jedenfalls ergeben das alle Untersuchungen, die diesbezüglich angestellt wurden." "Das bedeutet, daß es Überlebende auf dem havarierten Raumer gab!" stellte Berringer fest.
"Richtig. Und ob die unsere Leute mit offenen Armen empfangen haben, möchte ich doch stark bezweifeln." "Es gäbe auch noch eine andere Erklärung", sagte Berringer gedehnt. Er machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und sah seinem Sicherheitsberater direkt in die Augen. "Und die wäre?" fragte Carrow. "Hielten Sie es für abwegig, daß John Darran und seine Leute es vielleicht geschafft haben, eines der Beiboote des havarierten Raumers flugtauglich zu machen und es zu benutzen?" Ach, darauf läuft es hinaus! dachte Carrow. Er mißtraut Darran! Von Anfang an war das der Fall. Ich frage mich, wieso er nicht verhindern konnte, daß ein Mann die Leitung der Mars-Expedition übernimmt, dem der Präsident offensichtlich ALLES zutraut... Carrow hob die Augenbrauen. "Wenn es Darran und seine Leute waren, die in dem fremden Raumer saßen - warum haben Sie dann keine Signale gegeben?" "Ebenfalls eine interessante Frage, Carrow." "Sie denken an Meuterei?" "Sieht es für Sie nach etwas anderem aus!"
Carrow mochte es nicht, wenn man eine Frage mit einer Gegenfrage beantwortete. Er mochte es auch nicht, wenn jemand dadurch versuchte, ihn zu manipulieren. Berringer schien darin ein Meister zu sein. Erprobt in hunderten von Fernsehauftritten, die er als Politiker zu absolvieren gehabt hatte. Wie viele Male hatte Carrow das schon erlebt! Zu oft, um es nicht sofort zu bemerken. Bei Auftritten vor den Medien konnte es überlebenswichtig sein, unangenehmen Fragen möglichst geschickt aus dem Weg zu gehen und den Gesprächspartner in die Richtung zu manipulieren, in die man das Gepräch sich entwickeln lassen wollte. Berringer bemerkte die Überraschung in Carrows Gesicht. Ein dünnes Lächeln bildete sich um die Mundwinkel des Präsidenten herum. "Was würden Sie tun, wenn Sie durch Zufall in den Besitz des größten Machtmittels gelangen würden, daß im Umkreis von mindestens einem Lichtjahr existiert?" fragte er und sein Blick schien Carrow dabei geradezu zu durchbohren, so intensiv wirkte er in diesem Augenblick. Carrow zögerte. "Nun..."
Der Sicherheitsberater war niemand, der schnell aus der Deckung kam. Nicht einmal gegenüber einem Mann wie Berringer, den er so lange kannte. Präsident Berringer fuhr den Zeigefinger seiner linken Hand wie eine Waffe aus und richtete ihn auf den Sicherheitsberater. "Denken Sie einen Augenblick darüber nach, Carrow, bevor Sie antworten. Sie müssen zugeben, daß die Versuchung gewaltig ist." Carrow lehnte sich zurück, rutschte etwas auf seinem Sessel herum. "Von welcher Versuchung sprechen Sie?" fragte er dann. "Meinen Sie, Darran sitzt im Beiboot eines außerirdischen Raumschiffs und versucht uns eines Tages damit zu erpressen? Glauben Sie das wirklich?" "Das wäre eine Möglichkeit." "Ich weiß nicht, Sir!" "Oder er verkauft dessen Technologie an unsere Feinde - womit er derart reich werden könnte, daß sein Einfluß zwangsläufig größer wäre als der jeden anderen lebenden Menschens." Carrow versetzte es einen Stich.
Er bezeichnet die PAZIV bereits als 'unsere Feinde'! ging es dem Sicherheitsberater siedend heiß durch den Kopf. Er hat nicht 'Gegner' oder 'die andere Seite' gesagt, sondern wirklich 'Feinde'... Das ließ für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Carrow stand jeder Form kriegerischer Auseinandersetzung gegenüber auf rein emotionaler Basis reserviert gegenüber. Mehrere Mitglieder seiner Familie waren im großen Krieg von 2031 ums Leben gekommen. Ein Trauma, das bis heute an ihm nagte. Hat er damit nicht eigentlich recht? meldete sich eine andere Stimme in Carrows Kopf. Die PAZIV – unser Feind... Der Präsident hat doch nur ausgesprochen, was der Realität entspricht. Carrow wußte das am besten. Schließlich gehörte er, was Sicherheitsfragen anging, zu den bestinformierten Personen des ganzen Planeten. Wenn er Berringer im Grunde auch recht geben mußte, so blieb doch ein Rest an Unbehagen. Zuerst erkannte Carrow nicht gleich, womit dieses Unbehagen zu tun hatte, doch dann begriff er es: Berringer machte nicht einmal den Versuch, zu verhindern, daß alles auf eine Konfrontation mit der PAZIV hinauslief. Er hatte dies als
feststehende Größe der zukünftigen Entwicklung vollkommen akzeptiert. Für ihn ist die Frage nur noch, wann es zum großen Knall kommt und wie gut die Westunion darauf vorbereitet ist! erkannte Carrow. Und du? Bist du nicht irgendwan einmal in den Dunstkreis der Politik gegangen, um genau so etwas zu verhindern? Hast du dicht nicht genau aus diesem Grund zu einem Spezialisten für Sicherheitsfragen ausbilden lassen? Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, alles hinzuwerfen... Mit einemmal war es Carrow klar, daß er bei Berringer nicht mit Klugheit und Besonnenheit rechnen konnte, wenn es um den Umgang mit der PAZIV ging. Berringer würde nichts dafür tun, um das aufzuhalten, was Carrow für eine Katastrophe hielt. Wie hast du je etwas anderes glauben können? dachte er. Reines Wunschdenken wahrscheinlich. Er bemerkte Berringers auf sich gerichteten Blick. Carrow zuckte beinahe etwas zusammen. In seinem Inneren herrschte ein Gedankenchaos.
Wenn du jetzt die Brocken hinwirfst, wird alles nur schlimmer! � dachte er. Vielleicht kannst du die Entwicklung so gut es geht beeinflussen... "Wie sollen wir Ihrer Meinung nach reagieren?" fragte Berringer. "Unsere Star Ship Flotte hat den Mars erreicht und dort befindet sich auch das Beiboot, von dem ich annehme, daß sich an Bord ein gewisser John Darran mit seinen größenwahnsinnigen Renegaten befindet." "Eine Annahme, die bisher nichts weiter als Spekulation ist!" gab Carrow zu bedenken. "Eine sehr begründete Spekulation", erwiderte der Präsident und lehnte sich dabei zurück. Carrow wurde klar, worauf der Präsident der Westunion hinaus wollte. Wenn Berringers Vermutung der Wahrheit entsprach, dann stellte John Darran und seine Leute eine massive Bedrohung der nationalen Sicherheit dar. Und das widerum hatte zur Konsequenz, daß man sie eliminieren mußte, um Schlimmeres zu verhindern. Ein Schluß, der sich aufdrängte. Er will, daß ich es bin, der das ausspricht, dachte Carrow.
"Reicht die Bewaffnung der Star Ships aus, um überhaupt etwas gegen die Waffen der Fremden auszurichten?" fragte Carrow. "Das ist noch nicht ausprobiert worden!" "Bei einem Angriff setzen wir das Leben unserer Leute aufs Spiel und möglicherweise kommt überhaupt nichts dabei heraus", gab Carrow zu bedenken. "Die Leute kennen das Risiko. Sie sind schließlich bei der Star Force und nicht bei den Pfadfindern." Die Besatzungen der Star Ships und ihr Schicksal sind ihm vollkommen gleichgültig! erkannte Darius Carrow. Dann fragte er: "Wo befindet sich dieses 'Beiboot'?" "Auf dem Mars. Unweit des Lowell-Kraters, wenn man den Berichten unserer Star Ships glauben schenken kann." "Ist es möglich aus dem Orbit heraus das Beiboot des AlienSchiffs zu vernichten?" "Wir wissen nichts über die Abwehrmöglichkeiten, die die Fremden in ihren Schiffen installiert haben." "Gegen die ballistischen Sprengköpfe an Bord unserer Star Ships dürfte es kaum eine wirksame Abwehr geben, Carrow."
Er hat sich wahrscheinlich längst entschieden! dachte Carrow. In � Wahrheit braucht er nur jemanden, mit dem er die Verantwortung teilen kann. Jemanden, der ihm zustimmt und ihn in dem bestärkt, was er ohnehin getan hätte. Aber Carrow hatte keine Lust, in diesem Spiel seine Rolle klaglos einzunehmen. In seinem Hirn arbeitete es. Was konnte er tun um diesen Zug, der sich schon in Bewegung gesetzt zu haben schien, noch aufzuhalten? Was..? "Stellen Sie vorsichtshalber erst ein Ultimatum", riet Carrow. Berringer schien überrascht zu sein. Ein flüchtiges Lächerln flog über sein Gesicht, so als wollte er sagen: Carrow, du alter Zauderer! "Sie haben bisher nicht reagiert. Weder Darran noch das fremde Schiff." "Das ist richtig, Sir." "Warum sollten sie es also jetzt tun? Es gibt keinen vernünftigen Grund, das anzunehmen, Carrow." "Was kostet Sie ein Versuch, Sir?" "Nun..." "Sie erhalten sich damit eine Option..." "Welche?"
"Das fremde Schiff doch noch für die Westunion technologisch auszubeuten. Wenn Sie es erst einmal zerschossen haben – vorausgesetzt, das ist mögllich! – dürfte das schwierig werden!" Berringer hob das Kinn. Er bedachte Carrow mit einem nachdenklichen Blick. "Vielleicht haben Sie recht", murmelte er. "Also ein Ultimatum. Sorgen Sie für eine Formulierung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt." "Wird erledigt", versprach Carrow. "Darran kann was erleben, wenn er wirklich dahinterstecken sollte und uns alle an der Nase herumgeführt hat!" knurrte der Präsident. Seine Augen wurden schmal dabei. Die Mundwinkel zogen sich nach unten. Ein düsterer Zug machte sich in seinem Gesicht breit.
*
Commander Pat Gonzalez hangelte sich durch einen der Korridore an Bord des Star Ships ARMSTRONG. Er gähnte.
Gonzalez hatte gerade eine Ruhephase hinter sich, aber gut geschlafen hatte er offensichtlich nicht. Angesichts der angespannten Lage war das auch nicht weiter verwunderlich. "Na, wie steht's?" knurrte er, als er die Kommandozentrale der ARMSTRONG erreichte. "Keine Neuigkeiten, Sir", meldete Celine Durant, die Funkerin. Gonzalez verzog das Gesicht. "Die Warterei geht mir auf die Nerven!", brummte er, während hinter ihm Jeff Larson in den Raum schwebte. Auch er hatte eine Schlafphase hinter sich. Celine rieb sich die Augen. "Wird Zeit, daß ich mich aufs Ohr haue", meinte sie. "Wann kommt Sergeant Montgommery endlich, um mich abzulösen?" Jeff Larson grinste. "Der ist nicht auf seiner Liege festgeschnallt. Könnte noch 'ne Weile dauern, bis er wirklich wach ist!" Celine verdrehte die Augen. "Mein Gott, das ist eine Dienstauffassung!" Die ARMSTRONG befand sich jetzt zusammen mit ihren Schwesterschiffen auf der sonnenabgewandten Seite des Mars. Die
Sonne schob sich als gleißende Sichel hinter dem dunklen Schatten hervor, den der Planet warf. Celine hatte gerade ihr Head-Set abnehmen wollen, als sie plötzlich mitten in der Bewegung erstarrte. Ihr Gesicht wirkte angestrengt. "Wir bekommen gerade etwas herein...", murmelte sie. "Befehle... sämtlich verschlüsselt, aber das haben wir gleich..." Jeff Larson warf ihr einen fragenden Blick zu. Einige Sekunden mußten sie darauf warten, daß der Computer die Signale entschlüsselt hatte. "Wir sollen dem fremden Schiff, das inzwischen wieder auf dem Mars gelandet ist, ein Ultimatum stellen!" flüsterte Celine und nahm jetzt endgültig ihr Head-Set ab. Sie wandte sich an den Commander der ARMSTRONG. "Sie müssen sich das unbedingt selbst anhören, Sir... Ich kann es einfach nicht glauben!" "Was können Sie nicht glauben, Sergeant?" hakte Commander Pat Gonzalez nach. "Unten auf der Erde geht man offenbar davon aus, daß sich John Darran und seine Leute an Bord dieses Beibootes befunden haben." "Was sollte das für einen Sinn machen?" zweifelte Larson.
Das Gesicht des Commanders hingegen wurde zu einer starren Maske. Die Augenbrauen zogen sich zusammen, bildeten jetzt eine geschlängelte schwarze Linie mit einer kleinen Unterbrechung in der Mitte. Larson registrierte, wie sich die Hände des Commanders unwillkürlich zu Fäusten zusammenkrampften. "Es macht Sinn", war der Commander überzeugt. "Dann sollen wir also tatsächlich auf unsere eigenen Leute schießen!" stellte Larson fest. Er konnte es noch immer nicht richtig fassen. War diese Entwicklung wirklich so überraschend? fragte er sich. Das ist doch genau das, was du von Anfang an befürchtet hast. Und nun ist es eingetreten. Viel schneller, als du gedacht hast. Selbst der Commander ist offensichtlich schockiert. Und das will bei Gonzalez schon etwas heißen. Die Gedanken rasten nur so in Larsons Kopf. "Darran und seine Leute sind Renegaten", erklärte Gonzalez dann kühl. "Welche Möglichkeit bleibt der Führung der Star Force denn sonst noch, um das Schlimmste zu verhindern..."
"Es war übrigens nicht der Code der Star Force, der bei der Verschlüsselung der Nachricht verwendet wurde", meldete Sergeant Durant. Pat Gonzalez hob die Augenbrauen. "Sondern?" "Der Code des Geheimdienstes der Westunion." "Das bedeutet, daß dieser Befehl direkt aus dem Hauptquartier des Präsidenten kam!" flüsterte Gonzalez. "Hätte ich mir auch kaum denken können, daß Major Wilbert T. McCloud seinen alten Freund John Darran so einfach im Regen stehen läßt!" knurrte Jeff Larson. Das mulmige Gefühl, das sich schon lange in seiner Magengegend bemerkbar gemacht hatte, war jetzt zu einer ausgewachsenen Übelkeit mutiert. Ganz sicher kein Fall von Weltraumkrankheit! durchzuckte es Larsons Hirn. Wahrscheinlich war sein Magen einfach ein bißchen sensibler als sein Hirn. Larson war immer gut damit gefahren, seine Instinkte nicht gering zu schätzen. Du kannst nichts machen, dachte er. Alles läuft einfach seinen Gang, du bist nur Einzelner und kannst nichts ausrichten...
"Ich frage mich, weshalb Berringer so hart reagiert", erklärte Celine Durant. Pat Gonzalez hob die Augenbrauen. "Ich hoffe nicht, daß das eine ernsthafte Frage ist, Sergeant Durant." Der tadelnde Unterton war nicht zu überhören. "Andernfalls hätte ich sie nicht gestellt." Celines Erwiderung war schneidend. "Es sieht ganz so aus, als hätte sich Darran den größten Machtfaktor des Sonnensystems unter den Nagel gerissen", flüsterte Gonzalez. "Und das rechtfertigt jede Maßnahme. Ich wiederhole: jede. Und jetzt spielen Sie mir den vollständigen Befehl ab, Sergeant!" "Aye, aye, Sir!"
*
Sergeant Case Lester zerschnitt mit dem Energiemesser die metallisch wirkende Platte. Mit einem leisen Surren ging das Messer durch das ultraharte Material durch, zerteilte es, als ob es sich um gepresste Pappe handeln würde. Als er fertig war, deaktivierte Lester das Energiemesser. Er wandte den Kopf nach links. Sergeant Larian Sjöberg hatte ihm bei der Arbeit zugesehen. Die beiden trugen Druckanzüge und befanden sich in einem der vier Beiboothangars des auf dem Mars havarierten Kugelraumers der Alpha-Klasse. Auch sie hatten eine Induktiv-Schulung hinter sich und verfügten nun in einigen Teilbereichen über das komplette Wissen der Fremden. Jetzt gehörten sie zu einem Trupp, der damit beschäftigt war, eines jener 40-m-Beiboote des Kugelraumers auszuschlachten, die nicht mehr zu retten sein würden. Die EXPLORER II hatte ja bereits ihre Flugtauglichkeit unter Beweis gestellt, als John Darran mit einigen seiner Leute damit einen Probeflug unternommen hatte. Und die Arbeiten an dem zweiten Beiboot machten gute Fortschritte.
Die restlichen zwei Beiboote waren allerdings wohl zu sehr geschädigt, als daß man noch hoffen konnte, sie in absehbarer Zeit Instand zu setzen. Schließlich drängte die Zeit. Sowohl die Erbauer der Roboter, die sich im Kugelraumer befunden hatten, als auch deren geheimnisvolle Gegner, mit denen sie sich eine Art Raumschlacht geliefert hatten, als deren Ergebnis der Kugelraumer havariert war, konnten jederzeit ins Sol-System zurückkehren. Und dann wollte John Darran vorbereitet sein... Lester blickte kurz zu dem Außenschott hinüber, der ein Loch aufwies. Aus diesem Grund war die atembare Atmosphäre aus dem gesamten Hangar entwichen. Es herrschte Mars-Atmospäre. Für irdische Verhältnisse also ein ziemlich gutes Vakuum mit ein paar Spuren Kohlendioxid und Wasserdampf. Lester und Sjöberg waren daher gezwungen, Druckanzüge zu tragen. Rötlicher Staub drang immer wieder in Schüben durch die Öffnung herein. Der Wind wehte draußen mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 Kilomtern pro Stunde. Für irdische Verhältnisse ein Orkan, für den Mars nicht weiter der Rede wert. Ein laues Lüftchen.
Die gefürchteten Sandstürme hatten Geschwindigkeiten bis zu 500 Kilometer pro Stunde. Die Temperatur im Inneren des Hangars betrug etwa Minus vierzig Grad Celsius. Draußen im Freien war es natürlich noch wesentlich kälter. Lester wollte zu einem weiteren Schnitt an der Metallplatte ansetzen, aber Sjöbergs Stimme hielt ihn zurück. Sie flötete Lester über Helmfunk direkt ins Ohr. "Warte mal!" "Was ist denn?" "Augenblick..." Lester ließ das Energiemesser wieder sinken, deaktivierte es. Von draußen drang erneut ein Schwall von rotem Staub ins Innere des Hangars. Die beiden Männer wandten für einen Moment den Blick dorthin. "Was hältst du von John Darrans Plan?" fragte Sjöberg. Lester hob den Blick. Das Helmvisier seines Gegenübers spiegelte leicht, so daß er Schwierigkeiten hatte, Sjöbergs Gesicht genau zu sehen.
Worauf will er mit dieser Frage hinaus? fragte sich Lester. Sein Puls berschleunigte sich. Wieder drang Sjöbergs Stimme über den Helmfunk an Lesters Ohr. "Wir kennen uns eine Ewigkeit, Case." "Ja, seit unserer Kadettenzeit auf der Star Force Akademie." "Ich denke, da kann man ehrlich miteinander reden." "Ich war immer ehrlich zu dir!" "Ja, sicher..." Lester atmete tief durch. Für Sekundenbruchteile beschlug das Innere seines Helms etwas. Aber die internen Systeme des Anzugs regelten das innerhalb kürzester Zeit. "Was meinst du damit?" fragte Lester. Weißt du es wirklich nicht? echote es in seinem Bewußtsein. Es ist eigentlich doch nur eine rhetorische Frage, nichts weiter. Schließlich kannst auch du zwei und zwei zusammenzählen... "Mach mir nichts vor, Case! Dir stinkt Darrans Kurs doch genauso wie mir! Ich hab' doch recht, was?"
Case Lester musste schlucken, so genau hatte sein Gegenüber mit seiner Bemerkung ins Schwarze getroffen. Vorsichtig! Sämtliche Alarmglocken in ihm waren jetzt aktiv geworden. "Wir sollten uns auf einem separaten Kanal unterhalten", schlug er dann im Tonfall kühler Sachlichkeit vor. "Okay." "Dann los!" "Einen Moment noch..." Case Lester griff an den Helm, betätigte einen Schalter. Sjöberg vollführte dieselbe Bewegung mit einer Verzögerung von etwa einer Sekunde. "Jetzt können wir sprechen, ohne dass man uns abhören kann", stellte Sjöberg fest. "Das war ganz schön leichtsinnig von dir...", monierte Lester. "Nun mal den Teufel nicht an die Wand!" erwiderte Sjöberg. Seine Atmung ließ den Helmfunk etwas übersteuern. "Ist doch wahr!" rechtfertigte sich Lester. "Ich wusste gar nicht, daß du so schwavche Nerven hast, Case!" "Darüber kann ich nicht lachen." "Case, wir haben einen Eid auf die Westunion geschworen."
"Ja, ich weiß." "Wir alle! Auch Commander Darran!" "Aber den scheint das im Moment nicht mehr sonderlich zu kümmern!" "Und was ist mit dir, Case? Glaubst du noch an die Dinge, die dir mal wichtig waren oder hast du deine Meinung auch einfach so über Bord geworfen, weil ein gewisser Commander John Darran es dir gesagt hat?" Case Lester schwieg einen Augenblick. Ja, was war mit ihm? Wie sollte er sich zu dieser Sache stellen? Das war die Frage der Fragen, die hinter allem stand. Aber bislang hatte er sich noch nicht einmal getraut, das offen zu formulieren. Wie sollte er sich da entscheiden? Sjöberg fuhr indessen fort: "Dir ist doch klar, worauf das ganze hinausläuft..." "Du wirst es mir sicher gleich sagen." "Klar." "Ich bin ganz Ohr." "Wir befinden uns in einer Gruppe meuternder Star Force-Leute, angeführt von einem Größenwahnsinnigen. So jedenfalls sehe ich das."
"Und warum hast du auf der Versammlung nichts davon gesagt?" fragte Lester. "Verdammt nochmal, kein Schwein hat auch nur einen kritischen Ton herausgebracht. Alle schienen mir von den Argumenten John Darrans vollkommen eingelullt zu sein!" Lester atmete tief durch. "Du hast auch nichts gesagt", erinnerte ihn Larian Sjöberg dann. "Ja, ich weiß..." "Vergiß das nicht! Und vermutlich gibt es noch andere, die geschwiegen haben. Entweder, weil ihnen erst nach und nach klar wurde, worauf sie sich eingelassen haben oder..." Sjöberg stockte. "Oder?" hakte Lester nach. Sjöberg hob den Arm zu einer unbestimmten Geste. "John Darran hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Leute... Er hat die meisten so manipuliert, daß sie seinen Argumenten auf den Leim gegangen sind. Und wer wollte da schon als einziger aufstehen und den Spielverderber geben?" Sjöberg schüttelte den Kopf. "Außerdem ist er der Commander, alle vertrauten ihm..." Eine kurze Pause folgte, ehe Sjöberg dann fortfuhr. Sein Tonfall war gedämpft. Selbst über
den Helmfunk kam diese Nuance deutlich herüber. "Darran hat von Anfang an alles geplant." "Wie kommst du darauf?" fragte Lester. "Er hat systematisch jeden Kontakt zum Oberkommando der Star Force unterbunden. Ich habe mit einem der Funker gesprochen. Darran ist ein eiskalter Rechner, der genau weiß, was er tut. Darauf kannst du Gift nehmen!" "Wirklich?" meinte Lester zweifelnd. "Ich glaube, wenn dem wirklich so wäre, wäre mir insgesamt wohler." "Wie meinst du das?" "Wenn er wirklich so kühl rechnen würde: Wie kann er dann auf die Idee kommen, daß er zusammen mit einer Handvoll Renegaten mehr gegen einen eventuellen Angriff der Fremden ausrichten kann, als es der geballen Macht der Westunion möglich wäre!" "Du vergißt die Machtmittel, die er nun in den Händen hält... Sehr bald wird er über zwei Raumschiffe verfügen, deren Möglichkeiten alles, buchstäblich alles, übersteigen, wozu die irdische Raumfahrt bisher in der Lage war!" "Aber um wie vieles wirksamer wäre dieses Machtmittel in den Händen der Westunion!"
"Da gebe ich dir recht!" "Ich weiß nicht, was Darran letztlich bezweckt... Will er die Herrschaft auf der Erde an sich reißen?" "Gut möglich." "Die Menschheit erpressen?" "Ich traue ihm alles zu!" "In einem hat er jedenfalls recht. Diese Außerirdischen werden früher oder später wieder hier auftauchen. Und ob wir es nun wollen oder nicht - die Menschheit ist jetzt nicht mehr allein im Universum. Da draußen gibt es Lebewesen, für die wir offenbar kaum mehr Bedeutung haben, als es irgendein unentdecktes Steinzeitvolk am Amazonas oder auf Papua-Neuguinea im letzten Jahrhundert für die moderne Zivilisation hatte." Eine erneute Pause entstand. Dann sagte Sjöberg: "Wir müssen etwas unternehmen, Case! Oder willst du alles so treiben lassen?" "Nein..." "Eines Tages wird man uns alle vor ein Gericht stellen und fragen, was wir getan haben, um den Amoklauf dieses Comanders zu unterbinden..."
"Möglich..." "Glaub's mir, so wird's kommen!" "Hast du einen Vorschlag?" "Den habe ich. Und außerdem sind wir mit Sicherheit nicht die einzigen, die so denken..." Eine Gestalt tauchte jetzt auf. Ein Mann in einem Druckanzug. Langsam und etwas unbeholfen bewegte er sich vorwärts. Die geringere Marsgravitation ließ irdische Raumfahrer immer wieder dazu neigen, sich zu kraftvoll zu bewegen. Das Resultat waren dann ungelenke, sprunghafte Bewegungsabläufe. Man konnte einem sofort ansehen, ob er zum ersten Mal hier auf dem roten Planeten war oder schon mehrere Fahrten hinter sich hatte. Lester und Sjöberg wechselten einen kurzen Blick. Bei dem Ankömmling handelte es sich um Sergeant Cole Indish. Er machte Zeichen. Sjöberg und Lester schalteten ihren Helmfunk wieder auf die allgemeine Frequenz. "Was ist los mit euch?" dröhnte Indishs Stimme jetzt aus den Helmlautsprechern der beiden anderen. "Wieso benutzt ihr einen separaten Kanal? Habt ihr Geheimnisse?" Indish lachte. Er war im
Inneren des zerstörten Beibootes gewesen und vermutlich war es ihm eigenartig vorgekommen, die beiden plötzlich nicht mehr reden zu hören. "Alles klar, Cole!" meinte Lester. Dem trauen wir besser nicht! überlegte er dabei. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, dann muß der Kreis der beteiligten Personen so klein wie möglich bleiben.
*
Jay Sindraman, Vier-Sterne-General und Leiter der verschiedenen PAZIV-Geheimdienste, setzte die Datenbrille ab. Eigentlich hatte er damit Dossiers bearbeiten sollen, aber statt dessen hatten er sich einen Hollywood-Film aus der dekadenten Westunion angesehen. Die dortige Filmproduktion war jener im PAZIV-Bereich nach wie vor
überlegen, auch wenn Hollywood inzwischen durch Bombay ('Bollywood') erhebliche Konkurrenz bekommen hatte. Das allgegenwärtige World Wide Web machte es möglich, an jedem Punkt des Globus jeden Film downzuloaden. Inzwischen war es selbst hier, in der geheimen viertausend Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Sicherheitszentrale der PAZIV möglich, Kontakt zum erdumspannenden Datennetz herzustellen. Und jemand vom Rang General Jay Sindramans ließ es sich nicht nehmen, davon ausgiebig Gebrauch zu machen. Mochte es sich dabei nun um Produkte der dekadenten Gegner auf der anderen Seite des Globus handeln oder nicht. Jay Sindraman mußte schmunzeln. So starr und undurchlässig die Grenzen auf politischer Ebene auch geworden waren, die Datenströme des World Wide Web waren einfach nicht zu kontrollieren. Natürlich hatte es in den vergangenen gut sechzig Jahren seit Installierung des Internet immer wieder Versuche gegeben, das Netz politisch zu bevormunden. Es hatte sich als unmöglich erwiesen. Länder, die versucht hatten, sich von der Netz-Gemeinde abzukoppeln, hatten das in der Vergangenheit stets teuer bezahlt. Mit Rückständigkeit und dem Abgeschnittensein von
Handel und Know-how. Nichteinmal der große Krieg von 2031 hatte daran etwas geändert. 'Es bleibet dabei, die Bits sind frei...', ging Sindraman die leicht abgeänderte Fassung eines alten deutschen Liedes durch den Kopf. Sindraman hatte als junger Mann ein paar Jahre in Deutschland verbracht, als dort zu Beginn des Jahrhunderts Computerspezialisten gesucht worden waren. Eine Ewigkeit ist das her, ging es Sindraman durch den Kopf. Inzwischen war er ein Mann von beinahe neunzig Jahren. Aber er dachte nicht im Traum daran, sich aus seinen Funktionen zurückzuziehen. Körperlich war er fit und geistig konnte er es mit seiner immensen Erfahrung, die er in all den Jahren gesammelt hatte, ohnehin mit jedem Rivalen aufnehmen. Alles steuert auf einen großen Krieg zu, ging es Sindraman durch den Kopf. Wer weiß, wie lange in Hollywood überhaupt noch Filme produziert werden können... Schon sehr bald könnten die Studios in Schutt und Asche liegen. Die ballistischen Raketen lagern nur in ihren Silos und warten darauf, das die Knöpfe gedrückt werden... Auf beiden Seiten! Und von den chemisch-biologischen Waffen ganz zu schweigen, die ebenfalls einsatzbereit sind.
Es gab einige wenige Orte auf der Erde, die sicher waren. Sicher vor jedweder Vernichtungswaffe, ob es sich nun um Raketen, Atomsprengköpfe, Laserwaffen oder chemisch-biologische Kampfmittel handelte. Und an einem dieser Orte befand Sindraman sich jetzt. Ein schwacher Trost angesichts der gegenwärtigen politischen Entwicklung auf diesem geschundenen Planeten, dachte er. Das Hauptquartier des Sicherheitsdienstes der Pazifischen Vereinigung, kurz PAZIV genannt. Es handelte sich um eine Unterwasserstation von gigantischem Ausmaß, die tief in den Meeresboden hineingegraben worden war. Sie hatte noch nicht einmal einen offiziellen Namen. Und selbst die 'andere Seite' wußte nur, daß dieser Ort existierte. Irgendwo im Pazifik oder im Indischen Ozean. Der genaue Ort war unbekannt. Und das war gut so. X-Point nannten die Geheimdienstler der Westunion diese Geheimstation. Sindraman wußte das, weil er Agenten in wichtigen Positionen der Westunion installiert hatte und so über ein hervorragendes Informantennetz verfügte.
X-Point --- dieser Name hatte sich im internen Gebrauch inzwischen sogar bei Sindraman und seinen Leuten eingebürgert. Wenn es einen Ort gab, an dem man günstigste Überlebenschancen für jede Art von Katastrophen hatte, dann war es X-Point. Eine Stimme meldete sich über das Interkom auf dem Schreibtisch. "Major Sung ist eingetroffen und mit ausreichendem SecurityFaktor identifiziert!" erklärte die Stimme. Es handelte sich um die Kunststimme des Computersystems, das die Iris- und Handflächenscans bearbeitete, die jeder über sich ergehen lassen mußte, der zu General Sindraman vordringen wollte. "Major Sung soll hereinkommen", antwortete Sindraman. "Ich warte schon auf ihn." Eine Schiebetür öffnete sich mit einem surrenden Laut. Major Sung betrat den Raum. Der Chinese war halb so alt wie Sindraman, von kleiner Statur aber sehr drahtig. Das Haar war blauschwarz, was in gewissem Gegensatz zu den Falten stand, die sich im Gesicht des Majors bereits gebildet hatten. Zweifellos waren sie gefärbt oder er trug ein organisches Haarteil. Jay Sindraman
amüsierte die Eitelkeit seines Gegenübers. Kein graues Haar durfte zu sehen sein. Auf den Inder wirkte das lächerlich. Das Alter wird in der chinesischen Kultur verehrt - aber niemand niemand möchte alt aussehen! ging es Sindraman mit einem sarkastischen Lächeln um die Mundwinkel durch den Kopf. Er hatte das oft erlebt. Ein Inder hatte keine Probleme damit, sich mit grauen Haaren oder Halbglatze zu zeigen. Ein Chinese versuchte das um jeden Preis zu vermeiden. Major Sung nahm Haltung an. Unter dem linken Arm trug er ein winziges Laptop, auf dem vermutlich seine Unterlagen gespeichert waren. "Stehen Sie bequem, Major und setzen Sie sich!" "Danke, General!" Sindraman deutete auf einen der schlichten Bambussessel in seinem Büro. Er hatte darauf geachtet, in dieser weitgehend künstlichen Umgebung, tief unter der Meeresoberfläche, so oft wie möglich natürliche Materialien zu verwenden. Materialien, die ihn an das Leben 'da oben' erinnerten. Lebendig begraben unter Milliarden von Kubikmetern Salzwasser wollte der General den Kontakt mit der 'dort oben' nicht ganz verlieren.
Vermutlich wird sich mit der Zeit der Begriff von 'Natürlichkeit' � verändern, ging es Sindraman durch den Kopf. Sowohl was die vielen PAZIV-Bürger angeht, die inzwischen in Unterwasserstädten lebten, als auch was die Menschen der Westunion betrifft, die versuchen den Weltraum zu erobern. Das Leben paßt sich an. So ist es seit Jahrmilliarden. An neue Lebensräume, so extrem sie auch sein mögen. Das gilt für fremde Planeten ebenso wie für den Grund des Meeres. Die PAZIV hatte dabei nach Ansicht Sindramans im Vergleich mit der Westunion das bessere Los gezogen. Daran bestand für ihn nicht der geringste Zweifel. Verglichen mit den ungastlichen Gesteinsbrocken, die außerhalb der Erdumlaufbahn durch das All zogen und sich Planeten nannten, war der Meeresgrund ein vergleichsweise freundlicher und leicht zu erschließender Ort. Ein Ort voller bislang verborgener Rohstoffe und Geheimnisse. Und voller Leben. Leben, das in seiner wahren Vielfalt bis heute noch nicht gänzlich bekannt war. Ein großer Teil der hier unten lebenden Spezies würden sich auf lange Sicht mit Sicherheit wirtschaftlich ausbeuten lassen. Etwa die besonders schnell
wachsenden Riesenkraken, von denen man sich vorstellen konnte, daß sie bei einer industriellen Nutzung zu begehrten Eiweislieferanten wurden. Kein Tier, das an der Oberfläche lebte, kein Rind und kein Schwein konnte eine vergleichbare Wachstumsrate aufweisen. Und die Gentechnik lieferte zusätzliche Möglichkeiten, an denen die Wissenschaftler der PAZIV bereits fleißig arbeiteten. So gab es unterseeische Versuchsfarmen mit gentechnisch veränderten Walen, auf deren massigen Körpern sich Eiweißknollen bildeten. Knollen, die abgeerntet werden konnten und nachwuchsen wie Fingernägel oder Haare. Außerdem versuchte man in hydroponischen Anlagen den Algenreichtum der Meere als Nahrungslieferant zu erschließen. Das war angesichts der erst in den letzten Jahren langsam zum Stillstand gekommenen Bevölkerungsexplosion im PAZIV-Gebiet auch dringend notwendig. Die Zukunft gehörte dem Meer. Und der Pazifischen Vereinigung, kurz PAZIV. Davon war General Jay Sindraman – bei aller Skepsis, die ansonsten in ihm herrschte – zutiefst überzeugt. Allerdings hatte die Fokussierung auf die Weltmeere auch ihren Preis gehabt. Die Vernachlässigung der Raumfahrttechnik. Und in der
unerwarteten, alles über den Haufen werfenden Lage, die seit den jüngsten Ereignissen auf dem Mars eingetreten war, konnte dieser Umstand durchaus ein Nachteil für die PAZIV werden. Sindraman war sich dieses Umstandes voll bewußt. Was den Großteil der übrigen PAZIV-Machtelite anbetraf, hatte der General da allerdings seine erheblichen Zweifel. Jay Sindraman wandte Major Sung einen nachdenklichen Blick zu. Verbirgt sich hinter diesen regungungslosen Zügen auch eine Meinung zu diesen Fragen? überlegte er. Oder ist da nichts, als sture Erfüllung von Befehlen? Jay Sindraman vermutetete eher letzteres. Er hat Ambitionen! erkannte der General. Auch wenn er versucht, diese Tatsache so gut es geht zu verbergen. Aber du wirst ihn im Auge behalten müssen. Sehr genau sogar... Und bevor er versucht, dich alten Mann abzuservieren, wirst du ihn stolpern lassen, wie so viele andere vor ihm. Du hast so viele kommen und gehen sehen. Major Sung wird einer von ihnen sein... "General Sindraman, die Lage spitzt sich zu", erklärte Major Sung, der jetzt sein Laptop aufklappte und aktivierte. Seine Bewegungen waren schnell und sicher. Ein Mann, der im richtigen Moment
zuzupacken weiß, dachte Jay Sindraman. Das Gerät ruhte auf seinem linken Knie. Seine Hände glitten über die Tastatur. Ein vertrautes, klackerndes Geräusch. "Einen Moment noch", murmelte Sung. Sindraman lächelte. "Sagt Konfuzius nicht 'Eile mit Weile'?" Major Sung blickte auf, schienm leicht irritiert zu sein. "Ich kenne mich mit Konfuzius nicht so aus", bekannte er. "Verwunderlich – für einen Chinesen." Sindraman amüsierte das. Major Sung war um Fassung bemüht, konnte aber seinen Ärger trotz des maskenhaften Gesichts nicht ganz verbergen. Es war die dunkelrote Gesichtsfarbe, die ihn unmißverständlich verriet. Das Gesicht wahren, dachte Sindraman. Eine chinesische Tradition, die wohl auch etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint... Zumindest, was den Grad an Perfektion angeht, mit der sie beherrscht wird! "Mir scheint, Ihnen schweben veraltete Klischeebilder vor, General Sindraman – wenn ich das bei allem Respekt bemerken darf." "Sie dürfen...", nickte General Sindraman. Er musterte das unbewegliche Gesicht des Chinesen. Bei allem Respekt! echote es in General Jay Sindramans Bewusstsein. Das
klingt beinahe wie Hohn. Bedachte man, dass Sung aus einer Kultur kam, in der die Achtung vor dem Ranghöheren einen besonderen Stellenwert hatte, war Major Sungs Bemerkung beinahe schon ein Affront. Warum tut er das? fragte sich General Sindraman. Was gibt ihm den Mut dazu? Ihm – diesem sonst so speichelleckerischen Subalternen? Es gab nur eine mögliche Erklärung dafür. Irgend jemand stand hinter ihm, protegierte ihn, deckte ihn nötigenfalls auch. Irgend jemand schickte diesen alerten Major vielleicht auch als eine Art Minenhund vor. Macht dir das wirklich Angst? ging es Sindraman durch den Kopf. Unwillkürlich machte sich ein leicht spöttisches Lächeln um seine blutleeren Lippen herum breit. Nein, dachte er, das ist einer der Vorteile deines Alters. Du stehst über diesen Dingen, über den kurzfristigen Ambitionen von Leuten wie Sung. Und am Ende wirst du sie alle überleben... Er hatte Sung nie getraut. Aber Sindramans Einfluß war letztlich nicht stark genug gewesen, um Sungs Versetzung nach X-Point zu verhindern. Der General hoffte, daß sich diese Niederlage nicht im Endeffekt als schwerwiegend herausstellte.
Offenbar gab es starke Interessengruppen in der Regierung, die Sung stützten. Kräfte von ganz oben. Kräfte, in deren Augen ein altes Fossil wie Sindraman vielleicht nicht mehr so richtig in die Landschaft paßte. Sindraman war Gegenwind gewohnt. Eine zähe Mischung aus Geduld und Härte kennzeichnete den Inder. Wer es mit ihm aufnehmen wollte, mußte einen langen Atem haben... Und wie ist es mit deinem eigenen Atem bestellt? durchfuhr es Sindraman. Wird er nicht auch kürzer, je mehr Sand bereits durch deine Lebensuhr hindurchgelaufen ist? Vielleicht war ja auch das Gegenteil der Fall. Sindraman erinnerte sich an ein Zitat von George Bernard Shaw, daß ihm aus seiner Studienzeit in Delhi in Erinnerung geblieben war, auch wenn er schon nach drei Semestern damit aufgehört hatte, sich mit englischer Literatur zu befassen. 'Beware of old men, they have nothing to loose...' Ja, genau so ist es. Der alte Shaw hatte schon recht... Er sah Sung direkt in die Augen, etwas, was der Chinese nicht ausstehen konnte.
Ich hoffe für dich, daß du dieses Shaw-Zitat auch kennst! dachte Sindraman dabei grimmig. "Beginnen Sie Ihren Bericht, Major!", forderte Sindraman den Chinesen auf. Major Sung hob die Augenbrauen. Seine Haltung wirkte steif. "Unseren Berichten nach kann es eigentlich keinen Zweifel daran geben, daß die Westunion in Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation gekommen ist. Es liegt auf der Hand, daß deren technische Errungenschaften gegen uns eingesetzt werden sollen. Unser Gegner könnte dadurch einen entscheidenden Vorteil bekommen." "Das ist mir bekannt. Heißt das, daß es jetzt definitive Bestätigungen für diese Meldungen gibt?" "Ja, General." "Für mich kommt das nicht überraschend. Ich hoffe, daß unserer obersten Führung klar ist, daß jetzt gehandelt werden muß. Und zwar überlegt..." "Da sollte sich keiner von uns beiden Sorgen machen." Sungs Tonfall war schneidend. Sindraman gefiel das nicht. In Bezug auf
Sung werde ich auch etwas unternehmen müssen, ging es ihm durch den Kopf. Und auch das wollte wohlüberlegt sein... Sindramans Gesicht bekam etwas maskenhaftes. In seinen Augen glitzerte ein kaltes Feuer. Er wäre nicht der erste, der mich unterschätzt! dachte er. Der Tonfall, in dem der General seine nächste Frage stellte, blieb absolut emotionslos und sachlich. Von dem Ärger, den er empfand, war ihm nicht das geringste anzumerken. "Ist die Westunion bereits im Besitz der fremden Technologie?" fragte er. Major Sung zuckte die Achseln, atmete tief durch. "Die Berichte sind widersprüchlich", erklärte er gedehnt, tickte dabei nervös mit den Fingern auf der Tischfläche herum. Sindraman mochte das nicht. "Und was ist mit der Star-Ship-Flotte, die der ersten Mission hinterhergesandt wurde?" erkundigte sich der General. Major Sung lehnte sich zurück. "Es scheint irgendwelche Schwierigkeiten zu geben. Was dort genau vor sich gegangen ist, konnten wir bislang nicht zweifelsfrei herausfinden." Der Major
beugte sich etwas vor. "Unter den gegebenen Umständen sollte die PAZIV einen Präventiv-Krieg beginnen." Das hätte ich mir ja denken können! dachte Sindraman grimmig. Auf solche Gedanken kommen auch nur Leute wie du... "Der würde Milliarden Opfer kosten", gab der General im Tonfall kühler Sachlichkeit zu bedenken. "Aber wir würden ihn gewinnen, denn unsere Unter-WasserSiedlungen sind vor der Stahlung weitgehend geschützt." "Sie sind ein Zyniker, Sung!" "Nein, ein Realist. Lesen Sie sich eine Bedrohungsanlayse durch, General. Je länger wir warten, desto geringer werden unsere Chancen, etwas auszurichten." "Und was ist mit den Milliarden PAZIV-Bürgern, die an Land leben? Sind Ihnen die gleichgültig, Major Sung?" "Nicht gleichgültig, aber manchmal müssen gewisse Opfer gebracht werden. Im übrigen ist die Bevölkerungszahl der PAZIV erheblich größer als die der Westunion. Ein strategischer Vorteil, den man ausnutzen sollte." Man kann nur hoffen, dass Sungs Ansichten auf oberster Ebene nicht uneingeschränkt geteilt werden! dachte Sindraman schaudernd.
"Bislang wissen wir nicht, was der anderen Seite effektiv an außerirdischer Technologie in die Hände gefallen ist und ob daraus ein Bedrohungspotential erwächst, Major!" Major Sung vollführte eine unbestimmte Geste mit den Händen. "Von letzterem können Sie getrost ausgehen, General!" , meinte er. "Es wird eine Weile dauern, bis die andere Seite mit dieser Technologie umzugehen in der Lage ist. Und wer sagt uns, ob die Fremden sie der Westunion überhaupt überlassen..." "Wenn es diese Fremden überhaupt noch gibt. Ihr Schiff ist schließlich havariert. Möglicherweise hat die erste Expedition die Überlebenden liquidiert, um sich in den Besitz des Raumschiffs zu bringen..." "Ich bin nicht für übereiltes Handeln..." "Seltsam, ich hatte Sie nie für einen Zögerer gehalten, General Sindraman." "Das war ich auch nie." "Sie wollen den Spionagekrieg also auf kleiner Flamme weiterführen?"
"Die Sache mit diesem Berkewitz war ein herber Rückschlag, aber im Prinzip ja. Eine Eskalation ist kein Problem, sie kann jederzeit ausgelöst werden." Sung beugte sich vor. "Mein Vorschlag wäre, das Programm CHAOS auszulösen, General... Wir müssen Zeit gewinnen und die Kräfte des Gegners binden!" Sindraman hob die Augenbrauen. Das Programm CHAOS. Daran hatte er auch schon gedacht. In der gesamten Westunion gab es Personen, die hypnotisch behandelt worden waren. Sie waren so konditioniert, daß sie sich regelmäßig eine bestimmte Seite im Datennetz ansahen, die völlig harmlos aussah. Eine winzige Änderung auf der Benutzeroberfläche dieser Seite löste einen posthypnotischen Befehl aus und machte aus den derart konditionierten Personen Saboteure. Selbstverständlich hatte der Geheimdienst der PAZIV darauf geachtet, diese Leute an möglichst sensiblen Positionen zu platzieren, so daß der Schaden, den sie anrichten konnten, möglichst groß war. Auf diese Weise war die PAZIV in der Lage, einen unerklärten Krieg zu führen und die andere Seite jederzeit in ein komplettes
Chaos zu stürzen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis war das Programm CHAOS noch nie erprobt worden. Jay Sindraman selbst war es gewesen, der es einst aufgebaut hatte. Er sah darin so etwas wie eine Möglichkeit, den Gegner im Krisenfall in die Knie zwingen zu können, ohne gleich auf den roten Knopf drücken zu müssen. Denn in dem Fall - das stand von vorn herein fest - waren die Opfer auf beiden Seiten enorm. Sindraman lehnte sich in seinem Sessel zurück. "Ich werde Ihren Vorschlag weiterleiten, Major Sung", versprach er. "Das hoffe ich sehr!" war die eisige Erwiderung des Chinesen. Sindraman registrierte die unterschwellige Drohung durchaus, die in diesen Worten mitschwang und in etwa lautete: Wenn du es nicht weiterleitest, werde ich das tun - über meine eigenen Kanäle. Und daß die hervorragend funktionierten und wirklich bis ganz nach oben reichten, daran bestand für General Sindraman nicht der Hauch eines Zweifels.
*
"Hier ist eine Funkmeldung!" sagte Jeff Larson, der an Bord der ARMSTRONG jetzt die Position des Funkers übernommen hatte, nachdem Celine Durant sich in die Kabine verzogen hatte, um eine Mütze voll Schlaf zu nehmen. "Die Signale kommen vom Mars..." "Von John Darran?" fragte Commander Pat Gonzalez. Sein Tonfall verriet die Erregung. Sergeant Larson schüttelte den Kopf. "Nein..." "Aber...!" "Ich schlage vor, ich spiele die Aufzeichnung einfach laut ab, Sir!" "Tun Sie das!" "Ich hoffe, es klappt.. Die Nachricht war codiert, aber unser Bordrechner müßte die Signale eigentlich problemlos umwandeln können." Larson deutete auf einen der Bildschirme, die sich in der
Zentrale der ARMSTRONG befanden. "Nehmen Sie diesen Schirm!", forderte er. Die Anzeige, die sich bisher auf dessen Oberfläche befunden hatte, verschwand. Stattdessen erschien das Gesicht eines Mannes. Die Bilder waren leicht gestört, immer wieder wurden sie von Schlieren durchlaufen. Zuerst war auch kein Ton zu hören. Larson spulte noch einmal zurück. "Das muß daran liegen, daß der Absender einen selbstfabrizierten Verschlüsselungscode benutzte - und nicht die Signalsyteme, die in der Star Force oder den Geheimdiensten der Westunion üblich sind", erläuterte Larson. "Offenbar wollte der Absender nicht, daß jemand diese Nachricht sofort versteht...", meinte der Commander. Larson ließ die Botschaft dann nocheinmal ablaufen. "Hier spricht Case Lester, Sergeant der Star Force!" begann der Mann auf dem Schirm. "Einer der Männer, die an der John Darran-Mission teilgenommen haben!" entfuhr es Commander Gonzalez unwillkürlich. Der Mann auf dem Schirm fuhr fort.
Er wirkte nervös, wie gehetzt. Die Augen flackerten unruhig. Er blickte kurz zur Seite, so als befürchtete er, dass jemand hinter ihm auftauchen könnte. "Ich befinde mich hier in der Marsstation Gamma im LowellKrater. Zusammen mit ein paar anderen Männern soll ich mir Gedanken darüber machen, wie die Station möglichst schnell mit Hilfe der Alien-Technologie umzubauen ist... Ich habe mich in den Trupp hineinmogeln können und habe jetzt die Gelegenheit, Ihnen diese Botschaft zu senden. Ich warne Sie! John Darran ist im Besitz der Alien-Technologie! Wir alle haben eine Induktivschulung durchlaufen und sind nun in der Lage, ein außerirdisches Raumschiff zu steuern und dessen technische Anlagen zu bedienen. In dem havarierten Schiff befanden sich vier Beiboote. Zwei waren zerstört, eins noch funktionstüchtig, an dem dritten wird gerade noch gearbeitet. Sie sind dem Beiboot bereits begegnet. Auf Befehl von Commander Darran gab es keinerlei Kontakt zu Ihnen oder dem Oberkommando der Star Force..." Case Lesters Gesicht lief dunkelrot an. Seine Halsschlagader trat pulsierend hervor. Der Star Force Sergeant fuhr fort: "John Darran ist ein Renegat geworden! Die meisten Männer, die an seiner Mission teilnahmen,
sind auf seiner Seite und folgen ihm! Darran denkt nicht daran, die Errungenschaften der Alien-Technologie der Westunion zu übergeben. Er will sie für sich selbst! Aus welchem Grund auch immer..." Die Aufzeichnung brach ab. Es war noch erkennbar, daß Sergeant Case Lester den Kopf herumwandte, so als wäre etwas - oder jemand! - hinter ihm. Dann war nichts mehr zu sehen. Nur noch ein flimmerndes Punktgemisch aus grau, weiß und schwarz. "Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr!" erklärte Pat Gonzalez. Sein Gesichtsausdruck war düster geworden. Die schlimmsten Befürchtungen waren Wirklichkeit geworden. Gonzalez wandte sich an Larson. "Schalten Sie mir eine Verbindung zur Erde", forderte er. Jeff Larson zögerte einen Augenblick lang, bevor er dem Befehl nachkam. Die Bombe ist scharf gemacht! durchzuckte es ihn. Sie tickt! Was jetzt geschieht, ist absehbar und wird kaum noch aufzuhalten sein!
*
Präsident Robert Berringer betrat als letzter den geradezu spartanisch eingerichteten Konferenzraum. Berringer ließ den Blick schweifen. Darius Carrow, sein Sicherheitsberater war ebenfalls anwesend und nippte gelangweilt an einer Tasse Kaffee. Ein leicht spöttischer Zug stand im Gesicht des Sicherheitsberaters, ein Zug der eine gewisse innere Distanz verriet. Außerdem gab es da die Spitzen des Militärs und nicht zu vergessen Wilbert T. McCloud, den Chef der Star Force. Alle Augen waren gespannt auf den Präsidenten gerichtet. "Ich habe Sie auf Grund einer Videoübertragung zusammengerufen, der das Star Ship ARMSTRONG vor kurzem erreicht hat", erklärte Berringer, nachdem er sich gesetzt hatte. "Ein gewisser Sergeant Case Lester hat die Aufzeichnung abgesandt!"
Berringer referierte kurz den Inhalt. "Unsere Befürchtungen haben sich also als wahr erwiesen." Er wandte sich an Wilbert T. McCloud, der vollkommen schockiert wirkte. Berringer hatte dafür gesorgt, daß sämtliche Meldungen der ausgesandten Star Force-Flotte ersteinmal über seine Leute liefen, bevor sie an den Chef der Star Force weitergegeben wurden. Information ist Macht, so hatte Robert Berringer gelernt. Und die Macht gehörte ihm, dem Präsidenten allein. In letzter Konsequenz zumindest. McCloud traute Berringer nicht. Jedenfalls nicht, was John Darran anbetraf. McCloud ist ein Weichei, läßt sich zu leicht täuschen. Außerdem gehört er zu diesen Weltraumidealisten, die eigentlich schon deshalb fehl an ihrem Platz sind, weil sie mit einer träumerischen Vision an ihre Aufgabe herangehen, anstatt mit kühlem Sachverstand. Berringer wandte sich an McCloud. "Es tut mir leid, Sir, Ihnen das sagen zu müssen. Aber wie es scheint ist Commander John Darran als Terrorist und Staatsfeind zu klassifizieren. Sie können das vorhandene Datenmaterial gerne prüfen, aber ein vernünftiger Zweifel daran dürfte so gut wie ausgeschlossen sein."
McCloud war bleich wie die Wand geworden. Er schluckte, kratzte sich verlegen am Kinn. Die ganze Aufregung um die Mars-Mission Darrans hatte ihn bereits sehr mitgenommen. Doch dies war nun ein echter Schlag, direkt in die Magengrube. McCloud hatte Darran vertraut, auf ihn gesetzt, ihn als einen loyalen Star Force-Mann betrachtet. Der General war schwer enttäuscht worden. Ein Fehler, dachte er. Ein gottverdammter Fehler war es, diesem Kerl zu vertrauen. Aber es gab Fehler, die sich nicht wieder korrigieren ließen. Und dieser gehörte zweifellos dazu. Du wirst alt, dachte McCloud. Wenn dich deine Instinkte, was Menschenkenntnis angeht, so sehr im Stich lassen, dann wirst du alt und solltest dir überlegen, ob du noch der richtige Mann für den Job eines Star Force-Chefs bist! Im Innersten mochte McCloud es noch immer nicht glauben, was er da hörte. Er nahm sich vor, jedes Detail, daß man ihm als Beweis vorlegen würde, sorgfältigst zu prüfen. John Darran war nicht der Typ, der sich aus egoistischen Motiven heraus kompromißlos für die eigenen Interessen einsetzte. Er war mit Sicherheit nicht der Typ des rücksichtslosen Terroristen, dem es nur darum ging, ein ungeheures
Machtpotential in die Hände zu bekommen, um damit die Welt zu erpressen. Dazu kannte McCloud den Commander einfach zu gut. Andererseits... Es ist unsinnig, Fakten nicht anerkennen zu wollen! ging es McCloud durch den Kopf. Und aus den Fakten mußten Konsequenzen gezogen werden. Normalerweise nichts, wovor McCloud sich fürchtete. Aber in diesem Fall war das anders. Er war lange genug in seiner Position, um sich ausrechnen zu können, worauf das alles hinauslief. John Darran, was ist nur in dich gefahren! ging es ihm durch den Kopf. Jetzt kann dich keiner mehr retten. Nichteinmal deine Freunde... Die Aufzeichnung von Case Lesters codierten Signalen wurde abgespielt. Nicht ohne die entsprechende Wirkung. "Wir müssen diesen Darran ausschalten", sagte Xavier Nestos, einer der anwesenden Generäle. "Eine andere Konsequenz ist nicht denkbar. Wir müssen in den Besitz der Alien-Technologie gelangen, koste es, was es wolle!"
"Das sehe ich genauso!" meldete sich ein anderer, ebenfalls ordenbehängter Sprecher zu Wort. "Zu dumm, daß jede Reaktion unsererseits erst mit Verzögerung ihre Wirkung zeitigen kann. Wir haben zwar Darran eine Flotte hinterhergeschickt, aber es erscheint mir doch als äußerst fragwürdig, ob diese Kräfte ausreichen, um diese Angelegenheit zu bereinigen..." Eine Angelegenheit bereinigen... McCloud mochte diesen Jargon nicht. "Glücklicherweise unterhält die PAZIV keine eigene Weltraumflotte, sonst sähen wir jetzt ziemlich alt aus", sagte Ivan Dannsor, der Chef des Sicherheitsdienstes der Navy. Er wandte sich an McCloud. "Wären die vier im Marsorbit befindlichen Star Ships dazu in der Lage, John Darrans Plänen ein Ende zu setzen?" "Das wären sie", murmelte McCloud. Er wirkte abwesend dabei. Seine Gedanken schienen meilenweit von diesem Konferenzraum entfernt zu sein. "Ich habe den Commander der ARMSTRONG angewiesen, Darran und seinen Leuten ein Ultimatum zu stellen", erklärte Berringer.
"Sie wußten bereits vorher, daß Darran zum Renegaten geworden ist?" wunderte sich General Xavier Nestos. Seine Stirn mit den ungewöhnlich buschigen Augenbrauen legte sich in tiefe Furchen, die ein eigentümliches Muster bildeten. Er trank einen Schluck Kaffee, verzog dann das Gesicht. Offenbar war das Gebräu längst kalt. Berringer lächelte dünn. Er bedachte Darius Carrow, seinen Sicherheitsberater mit einem kurzen Blick, doch dieser erwiderte ihn nicht, sondern starrte auf die Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch lagen. "Sagen wir so: Ich habe es vermutet und wollte John Darran damit aus der Reserve locken. Er sollte das Visier fallenlassen... Das Ultimatum läßt sich inhaltlich folgendermaßen zusammenfassen: Darran und seine Leute haben zwölf Stunden Zeit, um sich zu ergeben und uns das havarierte Raumschiff der Fremden und seine Beiboote zu übergeben." "Wurde dieses Ultimatum vor oder nach dem Funkspruch von Sergeant Lester abgeschickt?" "Sergeant Lesters Meldung traf ein, kurz nachdem das Ultimatum gestellt wurde."
"Könnte ein Zusammenhang bestehen?" fragte Nestos und hob dabei die Augenbrauen. Berringer lächelte kühl. Er verstand, worauf Nestos hinauswollte. "Sie meinen, daß ein paar von Darrans Männern vernünftig geworden sind? Nein, ich denke Lesters Reaktion hat damit nichts zu tun. Wahrscheinlich wußte er noch gar nichts von dem Ultimatum. Schließlich befand er sich mit einem Trupp bei der Station im LowellKrater und nicht an Bord des havarierten Schiffs. Lester muß seinen Plan vorher gefaßt haben - aber vielleicht ermutigen wir die anderen mit dem Ultimatum! Schließlich dürfte keiner dieser Männer große Lust dazu haben, dabei zu sein, wenn wir das Gebiet um das havarierte Raumschiff in eine Stahlenhölle verwandeln..." "Dann ginge ohne Zweifel auch das Wissen der Außerirdischen verloren!" stellte McCloud fest, der lange geschwiegen hatte. Berringer hob die Schultern und faltete die Hände auf dem Tisch. Seine Daumen drehten sich dreimal nervös umeinander, bevor er sprach. "Möglicherweise läßt sich das nicht vermeiden." "Das ist nicht Ihr Ernst!" ereiferte sich McCloud.
"Entschuldigen Sie, Wilbert, aber wir müssen diese Sache nüchtern betrachten. Wohin uns Ihr Idealismus gebracht hat, das sehen wir ja nun." Berringers Erwiderung klang eisig. "Die Technologie der Außerirdischen ist ein Erbe der Menschheit. Es ist ein Verbrechen, das einfach zu vernichten!" sagte Wilbert T. McCloud. Er sah Berringer dabei nicht an. Die Augen des Präsidenten wurden schmal. Mit so viel Widerstand hatte er nicht gerechnet. Nicht bei McCloud, dessen Position durch die jüngsten Ereignisse ja denkbar schwach war. Er hat sich überraschend schnell von diesem Schlag erholt! ging es Berringer durch den Kopf, bevor er sagte: "Wenn wir länger abwarten, bekommt Darran eine Machtbasis, gegen die wir nichts mehr unternehmen können. Das zuzulassen wäre auch ein Verbrechen." "Und wenn er die schon hat?" fragte McCloud. "Daran möchte ich lieber nicht denken", war Berringers düstere Erwiderung. "Stellen Sie sich nur einmal vor, wenn er sich mit der Pazifischen Vereinigung PAZIV zusammentun sollte... Dann sähen wir hier alle ganz, ganz alt aus!" "Das ist reine Hypothese!" entgegnete McCloud. "Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß John Darran wirklich so etwas vorhat."
"Es gab auch keinen Grund anzunehmen, daß Darran zum Renegaten wird und die technischen Errungenschaften der Fremden für sich haben will!" gab General Nestos zu bedenken. Ein Augenblick des Schweigens entstand. McCloud wandte sich schließlich an den Präsidenten. "In Zukunft möchte ich mir jedenfalls verbitten, daß so etwas wie dieses Ultimatum an mir und meinen Leuten vorbeigeht!" sagte McCloud. Berringer bleckte die Zähne. Sein Gesicht hatte jetzt etwas Raubtierhaftes an sich. Dieser Kerl braucht jetzt eine volle Breitseite! durchzuckte es Berringer. Einen verbalen Knock-out, der ihn zum Schweigen bringt... Die Stimme des Präsidenten der Westunion klang sehr leise, war kaum mehr als ein Wispern. Ein drohender Unterton schwang in seinen Worten mit. "Man hat Sie beinahe umgebracht, General McCloud", murmelte Berringer. "Und der Grund dafür ist unter anderem, daß Ihre Behörde so undicht wie ein Schweizer Käse ist!" "Das sind Unterstellungen!"
"Fakten, McCloud! Nur Fakten! Und ich wollte einfach vermeiden, daß die neuesten Entwicklung in der Mars-Affäre brandheiß auf den Schreibtischen von X-Point landen!" McCloud schluckte. Hättest du an seiner Stelle nicht genauso gehandelt? überlegte er. General Nestos enthob ihn von der Notwendigkeit, etwas zu erwidern. "Gibt es eine Reaktion auf das Ultimatum?" erkundigte er sich. "Bis jetzt nicht. Aber ich bin mir sicher, daß es seine Wirkung nicht verfehlen wird und Darrans eigene Leute die Sache früher oder später in unserem Sinn regeln werden." McCloud mischte sich noch einmal in das Gespräch ein. "Hat eigentlich schon einmal jemand von Ihnen darüber nachgedacht, was eigentlich geschieht, wenn die Fremden zurückkehren - und wir haben möglicherweise das havarierte Schiff samt seiner Beiboote zerschossen?" Berringer verzog das Gesicht.
Sein Lächeln war sehr dünn.
"Was wäre denn Ihr Gegenvorschlag, General?" "Nun, Sir..."
"Absolute Unterordnung unter John Darrans Willen vielleicht?" schnitt der Präsident dem Star Force-Chef das Wort ab. "Das kann nicht Ihr Ernst sein!"
*
Sergeant Paul Erixon gehörte zu den Einsatztruppen an Bord der ARMSTRONG, die sich in im Mittelteil des Star Ships untergebrachten Mannschaftsquartieren aufhielten und sich die Zeit totzuschlagen versuchten. Erixon ließ sich durch den Korridor schweben, hielt sich dann an einem der Haltegriffe fest und blickte durch eines der Sichtfenster hinaus in den Weltraum. Die Erde war als keiner blauer Ballon zu sehen. Etwas heller als die Sterne, aber dennoch alles in allem ziemlich unscheinbar. Ein eigenartiges Gefühl der Unruhe hatte Sergeant Erixon seit einigen Minuten befallen. Immer wieder blickte er auf das Chronometer an seinem Handgelenk. So als stünde etwas Wichtiges bevor. Ein Ereignis, dem er geradezu entgegenfieberte...
Und was? ging es ihm durch den Kopf. Wenn dich jetzt jemand � danach fragen würde, du könntest im keine Antwort geben... "Na, Sehnsucht nach der guten alten Erde?" fragte eine sonore Stimme, deren Klang Erixon beinahe zusammenzucken ließ. Die Stimme gehörte Lieutenant Alexander Sheringham, Erixons direktem Vorgesetzten. "Schöner Anblick, Sir", stammelte Paul Erixon. "Naja, Sie brauchen ja nicht gleich sentimental zu werden..." Erixon schien den Witz nicht zu verstehen. Sein Gesicht blieb regungslos. Haltung anzunehmen war in der Schwerelosigkleit des Star Ships kaum möglich, ohne sich dabei vollendes lächerlich zu machen. Aber unter anderen Gravitationsverhältnissen hätte Erixon das zweifellos jetzt getan. "Sind Sie zum ersten Mal auf Marsmission?" fragte Lieutenant Alexander Sheringham. "Ja, Sir." "Glauben Sie mir, auch wenn Sie zum zehnten Mal fliegen, wird es Sie noch auf dieselbe Weise beeindrucken." "Wenn Sie es sagen, Sir..."
Was ist los mit ihm? dachte Shap. Erixon war ihm ansonsten als offener, ziemlich lockerer Typ aufgefallen, der für einen unbefangenen Small-talk immer zu haben war. Und jetzt? Als ob er unter Druck steht! überlegte Sheringham. Der Lieutenant zuckte die Achseln. Er hoffte, daß die Veränderungen, die er bei Erixon festgestellt hatte, nicht die ersten Anzeichen eines Raumkollers waren, wie er sich unter den beengten Verhältnissen an Bord eines Star Ships leicht ausbreiten konnte. Schließlich verlangten die Umstände allen beteiligten ein Höchstmaß an psychischer Stabilität ab. Und manchmal gelangten eben auch Personen durch die Eignungstests der Star Force,. die den Anforderungen nicht gewachsen waren. Wochenlang auf engstem Raum zusammenfgepfercht, ohne sinnvolle Beschäftigung, wenn man von dem täglichen Krafttraining einmal absah, daß jeder der Soldaten zu bewältigen hatte. Schließlich mußten die Langzeitfolgen der Schwerelosigkeit so gut es ging gemildert werden. Andernfalls würden dier Männer selbst unter der vergleichsweise geringen Gravitation des Mars erbärmlich zusammenbrechen. Paul Erixon blickte auf das Chronometer.
Er wußte nicht, zum wievielten Mal er das in der letzten Viertelstunde schon getan hatte. Noch 5 Minuten! hämmerte es in seinem Hirn. Noch fünf Minuten, dann ist es soweit. Du darfst den exakten Zeitpunkt nicht verpassen! Um keinen Preis! Er hatte das Gefühl, daß sein Leben davon abhing. Und er wußte noch nicht einmal, worum es eigentlich ging. Verzweifelt versuchte er es herauszufinden, das Chaos in seinen Gedanken etwas zu ordnen. Er wühlte in seinen Erinnerungen herum, durchforschte voller Unruhe sein Bewußtsein. Sinnlos. Es kam nichts dabei heraus. Da war nichts als eine Flut wirrer Bilder und unzusammenhängender Gedankenfetzen. Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Was ist es? hämmerte es in ihm. "Entschuldigen Sie mich jetzt bitte", sagte Erixon dann an den Lieutenant gewandt. Für ein paar Sekundenbruchteile trafen sich die Blicke der beiden Männer. Dann sah Erixon zur Seite. "Natürlich", sagte Sheringham. "Mich juckt's in den Fingern, ich will noch ein bißchen an die Simulatoren..."
"Schon klar." Erixon passierte den Korridor, Sheringham sah ihm nach. Ein paar Augenblicke später erreichte Erixon einen der Aufenthaltsräumem, die den Truppen zur Verfügung standen. Ein paar Männer spielten Karten. Die Karten hatten magnetisierte Streifen, die sie trotz der Schwerelosigkeit an der Tischoberfläche haften ließ. Ansonsten befanden sich in dem Raum noch eine Reihe von ComputerTerminals. Aus Platzersparnisgründen gab es keine Monitore sondern lediglich Datenbrillen, die über Infrarot mit dem Terminal verbunden waren. Jede Menge Simulationsspiele konnte man damit spielen, sich aber auch aus einem großen Fundus an Filmen etwas aussuchen. Die Plätze waren alle besetzt. Wie üblich. Sich zu amüsieren war schließlich nicht der erste Sinn und Zweck eines Star Ships, dementsprechend sparsam war der Fun-Sektor an Bord bestückt. Drei Minuten! ging es Erixon durch den Kopf. Und plötzlich wußte er auch, was er tun mußte. Er mußte an einen dieser Computer, die Datenbrille aufsetzen und dann eine Verbindung zum irdischen World Wide Web herstellen. Das war technisch möglich. Irgendeine warnende Stimme in Erixons
Hinterkopf sagte ihm allerdings, daß er das aus irgendeinem Grund nicht tun sollte. Eine Order, ein Befehl, eine Vorschrift... Mein Gott, was ist bloß mit dir los? ging es ihm durch den Kopf. Er konnte sich einfach nicht daran erinnern. Es war wie verhext. Hatte nicht Commander Gonzalez etwas darüber gesagt? Erixon sah Gonzalez' Gesicht plötzlich vor seinem inneren Auge, sah, wie der Commander der ARMSTRONG die Lippen bewegte und irgend etwas sagte. Aber Sergeant Paul Erixon hörte kein Wort. Irgend etwas hinderte ihn daran. Als ob ein gewisser Sektor in meinem Schädel einfach blockiert ist! dachte der Sergeant. Ein Gedanke, der ihn erschreckte. Fünf Sekunden später wußte er nicht einmal mehr, weshalb plötzlich die Schweißperlen auf seiner Stirn aufgetaucht waren. "Heh, Paul! Trainiert?" fragte einer der Kartenspieler. Rudy Talbot war sein Name. Er wohnte zusammen mit Paul Erixon auf einer Kabine. "Wieso?" gab Erixon etwas orientierungslos zurück. "Ganz schön ins Schwitzen gekommen, was?" "Ich muß an einen der Rechner!" sagte Erixon. Sein Blick wurde starr.
Talbot zuckte die Achseln. "Geht jetzt nicht, siehst du doch!" Er machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ist halt immer viel los hier! Aber das kennst du doch eigentlich... Was denkst du übrigens über die Tatsache, daß dieser Darran sich einfach nicht meldet?" Erixon hatte überhaupt kein Ohr dafür. Sein Blick glitt die Spieler entlang, die mit ihren Datenbrillen an den Konsolen saßen. Noch zwei Minuten... Verdammt... Sein Puls beschleunigte sich, schlug ihm jetzt bis zum Hals. Die innere Unruhe wurde geradezu unerträglich. Du mußt an eines dieser Terminals kommen und dann die Verbindung aufbauen... Die Verzögerung, die durch die große Entfernung zur Erde entsteht ist in deinen Zeitplan mit eingerechnet. Du brauchst also nichts weiter zu tun, als deinem inneren Programm freien lauf zu lassen. Programm? Erixon schluckte. Er hörte wie aus weiter Ferne Talbots Stimme unablässig weitersprach. "Wenn du mich fragst, Paul, dann hat dieser Darran sich die technischen Errungenschaften dieser Außerirdischen längst unter den Nagel gerissen und denkt gar nicht daran, sie mit irgend einem
anderen Menschen zu teilen! Ich würde vielleicht auch so denken, wenn's mein Fall wäre." "Wir werden ja wohl bald alle Gelegenheit dazu bekommen, Darran und seinen Leuten ihre Beute wieder abzujagen!" meldete sich einer der anderen Männer zu Wort. Die anderen Kartenspieler lachten. Aber es war ein heiseres, gequältes Lachen. Keinem von ihnen gefiel der Auftrag, der vor ihnen lag und dessen konkrete Konturen sich noch gar nicht abzeichneten. Erixon bewegte sich mit starrem Gesicht an den Kartenspielern vorbei, direkt auf einen der Männer zu, deren obere Gesichtshälfte unter einer Datenbrille verborgen war. Erixon riß sie ihm herunter. "Ich brauche den Rechner!" sagte er. Noch eine Minute! hämmerte es in ihm. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. "Heh, was soll das?" beschwerte sich der Star Force-Soldat. Erixon kannte ihn. Er hieß Marvin Dobblor und war dafür bekannt, einen besonders hohen psychischen Stabilitätsfaktor zu besitzen. Erixon drängte Dobblor vom Rechner weg. Dobblor sah den Sergeant fassungslos an, packte ihn bei den Schultern, doch Erixon schüttelte ihn ab. Er setzte sich an das Terminal.
"Spinner!" schimpfte Dobblor. "Ich hatte mein Spiel noch nicht beendet!" "Tut mir leid!" murmelte Erixon, dessen obere Gesichtshälfte bereits unter der Datenbrille verschwunden war. Seine Finger glitten wie automatisch über die Tastatur des Terminals. Er wußte plötzlich ganz genau, was er zu tun hatte. Die Verbindung zum Datennetz der Erde aufzubauen war das eine... Und dann mußte er eine Website anwählen. Eine ganz bestimmte...
*
"Sir, jemand hat unautorisiert Verbindung zur Erde aufgenommen", meldete Celine Durant. "Jemand an Bord der ARMSTRONG, um präzise zu sein." Commander Gonzalez wirbelte herum. "Was soll das denn heißen?" fuhr er auf. "Genua das, was ich sagte, Sir. Genaue Daten fehlen noch. Die Anzeige baut sich gerade erst auf."
Einige Sekunden lang sagte niemand in der Kommandozentrale der AMSTRONG ein Wort. Jeff Larson erinnerte sich noch gut daran, wie die Order ausgegeben worden war, während dieser Mission keinerlei Kontakt nach Hause aufzunehmen, es sei denn über die offiziell dafür bestimmten Kanäle. Das war der Nachteil, wenn man einer Mission teilnahm, die unter dem Schirm strengster Geheimhaltung stand. "Jemand hat eine Verbindung zum irdischen Internet aufgebaut!" stellte Celine Durant jetzt fest. "Daran kann überhaupt keinZweifel bestehen." Sergeant Jesper van Gooren, der im Augenblick den Pilotensitz innehatte, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Als ob wir nicht genug Ballerspiele in unserem Datenspeicher hätten!" meinte er. "Aber vielleicht hatte es der Betreffende ja auf ganz andere Dinge abgesehen." Jesper van Gooren kicherte. Gonzalez teilte offenbar den Humor seines Piloten nicht. Er ließ dessen Bemerkung jedoch unkommentiert und wandte sich stattdessen an Celine Durant, die Funkerin und Navigatorin der ARMSTRONG. "Verbinden Sie mich mit dem Truppendeck. Sofort!" "Ja, Sir."
"Geben Sie mir Lieutenant Sheringham." "Aye, aye." "Und am besten heute noch." Sein Tonfall war selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich barsch. Er balle unwillkürlich die Hände zu Fäusten. "Diese verfluchten Narren!" knurrte er. "Glauben die vielleicht, dass derartige HP-Orders nur so zum Spaß ergehen!" HP-Order! durchzuckte es Larson. Wie ein greller Blitz schoß die Erkenntnis durch sein Bewußtsein. HP – das war die Abkürzung für HIGH PRIORITY. Ein Begriff, der im Geheimdienst-Jargon üblich ist! überlegte Larson. Aber es war keine HP-Order, sondern nur eine ganz alltägliche Dienstanordnung! Der Gedanke ließ Larson nicht mehr los. Verdammt, mit Gonzalez stimmt irgend etwas nicht. Warum reagiert er so überreizt? Vielleicht wußte er Dinge, die der Mannschaft bisher nicht mitgeteilt worden war, ging es dem Sergeant durch den Kopf. Es war doch immer dasselbe. Gonzalez starrte auf einen kleineren Monitor. Ein Gesicht erschien darauf.
"Lieutenant Sheringham meldet sich in der Kommandozentale", sagte der Mann in einem etwas steifen Ton. Er wirkte irritiert. "Einer Ihrer Leute verstößt gegen das Kontaktaufnahmeverbot!" "Das glaube ich kaum, ich habe die Leute eingehend instruiert!" "Unsere Anzeigen irren sich nicht." Gonzalez wandte sich an Durant. "Können Sie den Herd identifizieren?" "Es ist das Truppendeck..." "Geht es exakter?" "Einen Moment, Commander... Der Fun Sektor!" Gonzalez drehte den Kopf wieder zu dem hochrot gewordenen Sheringham herum. "Sie haben es gehört, Lieutenant." "Aye, aye, Sir!" "Ergreifen Sie umgehend Gegenmaßnahmen!" "In Ordnung!" Sheringhams Gesicht verschwand. "Manchmal glaube ich, daß ich es hier nur mit Idioten zu tun habe!" knurrte Ramiurez. Larson und Durant wechselten einen Blick. Dieser Blick sprach eine deutliche Sprache. Es erschien zweifelhaft, ob der Commander
der nervlichen Belastung gewachsen war, die diese Mission mit sich brachte.
*
Paul Erixon schrie aus Leibeskräften. Er wandt sich, versuchte nach den Männern zu schlagen und zu treten, die in die Mitte genommen hatten. Jemanden unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit festzuhalten war extrem schwierig. Die Datenbrille schwebte im Raum umher. Erixon versuchte nach ihr zu greifen, als er endlich einen Arm freibekam. "Schnell!" rief einer der Star Force-Angehörigen, die den Tobenden festhielten. "Verdammt, wir können ihn nicht mehr lange halten!" Das Gesicht Paul Erixons war zu einer grimassenhaften Maske geworden. Die Augen schienen aus ihren Höhlen hervorzuquellen. Die Pupillen waren erweitert, fast wie bei jemandem, der unter
Drogen stand. Eine schreckliche Veränderung war mit Erixon vor sich gegangen. Niemand im Fun-Sektor der Truppenquartiere konnte sich das erklären. Rudy Talbot umklammerte ihn von hinten. Für einige Augenblicke wurde Erixon etwas ruhiger. Dann endlich traf Bordarzt Dr. Sorin ein. Er setzte Erixont eine Injektion. Augenblicke später sackte Erixon schlaff in sich zusammen. Er schwebte in der Schwerelosigkeit. Dr. Sorin atmete tief durch. Rhyss Sorin war ein vollkommen kahlköpfiger Mann, dessen dunkle Augenbrauen dazu in einem eigenartigen Kontrast standen. Sorin zog diese Augenbrauen jetzt zu einer Art Schlangenlinie zusammen während er die Stirn runzelte. "Was ist los mit ihm?" fragte er. Talbot sah ihn irritiert an, die anderen schienen ähnlich verwirrt. "Ich dachte, Sie sind hier der Doc", meinte einer von ihnen. Und Talbot ergänzte: "Er war schon komisch, als er hier hereinkam..." "Vielleicht wird der Stress für einige von euch langsam zu groß", vermutete Sorin. Er wandte sich dem Bewußtlosen zu, hob dessen
Augenlider etwas an. "Eigenartig...", murmelte der Arzt. Ein skeptischer Zug zeigte sich in seinem ernst wirkenden Gesicht. Unterdessen hatte Talbot die Datenbrille aufgenommen und sich auf den Kopf gesetzt. "Komisch!" meinte er. "Wieso ist ihm die Website von ElectronicWorld so wichtig, daß er deswegen einen derartigen Anfall bekommt. Dobblor hat er deswegen ja mehr oder weniger die Brille weggerissen!" "Gute Frage", meinte der Doc. "Mir scheint, er ist einfach durchgedreht. Oder wie würden Sie das sehen, Doc?" "Niemand dreht einfach nur so durch", murmelte er, mehr zu sich selbst als zu seinem Gesprächspartner. "Niemand..." Er brach ab. War das nur ein Lehrsatz? Sorin sah sich die Website genauer an. Was ist so besonderes daran? dachte er. Aber es war eine Tatsache, daß Paul Erixon den Verstand verloren hatte, nachdem er sich diese Site angesehen hatte. Ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen, versuchte der Arzt sich zu beruhigen. So wie unsere Vorfahren vielleicht einen Knochen in die Luft warfen und
daraufhin Regen einsetzte, so daß sie von jenem Zeitpunkt an � glaubten, Knochen in die Höhe zu werfen wäre ein geeignetes Ritual um die Regengötter günstig zu stimmen. Magisches denken. Jemand wie du, sollte darüber hinaus sein und sich nich ins Boxhorn jagen lassen... Eine Sekunde noch. Dann verschwand die Website von ElectronicWorld, einem der Lieferanten für Unterhaltungselektronik, von der Projektionsfläche der Datenbrille. Offenbar war die Verbindung jetzt von der Kommandozentrale aus unterbrochen worden.
*
John Darran und seine engsten Vertrauten befanden sich in der Kommandozentrale der EXPLORER II. Die Lage hatte sich auf dramatische Weise zugespitzt. Zuerst das Ultimatum, das vom Star Ship ARMSTRONG abgesandt worden war.
Und nun Augenblicke später die Funksignale, die jemand aus der Marsstation im Lowell-Krater abgesandt hatte. "Unter den Leuten, die wir zur Station geschickt haben, ist ein Verräter", erklärte Major Net Rovan ziemlich ungehalten. "Darüber kann es jetzt keinerlei Zweifel mehr geben." Darran hob die Augenbrauen und sah Net Rovan an. "Es ist immer eine Sache des Standpunktes, wer der Verräter ist", stellte er fest. "Vielleicht sind wir für ihn die Verräter." "Um ehrlich zu sein: Das ist mir im Moment ziemlich gleichgültig, Commander! Dieser Funkkontakt könnte eine Gefahr für uns alle bedeuten und dann endet unsere selbstgesetzte Mission schon kurz nachdem sie begonnen hat!" Ein Ruck ging durch Darran. "Gibt es eine Funkverbindung zur Gamma-Station?" fragte Darran. Sein Blick wandte sich an Lieutenant Marc Johannsen, den Funker. "Fehlanzeige", meldete Johannsen nach einem kurzen Blick auf die Anzeigen. "Wir haben keine Verbindung zur Station..." "Eine Störung?" "Möglich... Ich habe keine Ahnung, Commander!" Darrans Augen wurden schmal.
"Verdammt, was ist da nur los..." Insgesamt waren sechs Mann mit einem der gepanzerten Fahrzeuge, die sie mit der OBSERVER I hier her gebracht hatten, zur Marsstation gefahren. Der Ranghöchste von ihnen war Lieutenant James O'Donnell. Die Aufgaben der Gruppe wearen fest umrissen.Das Computergenie und seine Leute sollte feststellen, in wie weit die Computeranlagen der Station noch verwendbar waren beziehungsweise welche Möglichkeiten bestanden, sie auf den Standard der Fremden zu bringen. O'Donnell hatte ja ebenfalls eine Induktiv-Schulung hinter sich und wußte genauestens über die Computertechnologie der Fremden bescheid. So, als ob er damit aufgewachsen wäre. Marc Johannsen runzelte die Stirn, während er auf seine Anzeigen blickte. "Da ist irgendein Störfeld, Sir..." "Versuchen Sie, trotzdem durchzukommen." "Aye, aye, Sir." Net Rovan wandte sich an Darran. "Was machen wir mit diesem verdammten Ultimatum?" "Wir werden es über Interkom an alle unsere Leute weitergeben."
Das klang wie eine glasklare Entscheindung. Nichts, worüber John zu diskutieren beabsichtigte. "Hast du dir überlegt, welche Auswirkungen das haben könnte, John? Wenn wir wirklich Verräter in unseren Reihen haben, dann werden sie Zulauf bekommen!" "Und was schlägst du vor? Es geheim zu halten?" "Nun.." "Das kommt nicht in Frage, Net! Die Männer würden sich dann betrogen fühlen. Und in den kommenden Auseinandersetzungen müssen wir uns auf sie verlassen." Er drehte sich herum und sagte dann mit Blick auf Marc Johannsen: "Ohne innere Zweifel ist wohl kaum einer von uns!" In Marc Johannsens Gesicht zuckte ein Muskel, knapp unterhalb des linken Auges. Sein Mund öffnete sich leicht, aber er erwiderte nichts. "Und wie reagieren wir auf das Ultimatum?" fragte Rollins. "Wir fordern sie auf, sich uns anzuschließen", sagte Darran. "Jeder von Ihnen weiß, daß wir viel zu wenige sind! Zu wenige, um gleichzeitig Port Mars aufbauen und zwei Raumschiffe bemannen zu können!"
"Na, bei dieser Werbeaktion wünsche ich Ihnen viel Glück", meinte Johannsen leicht sarkastisch. John Darran blieb gelassen. "Würde es Ihnen besser gefallen, auf unsere eigenen Leute zu schießen?" "Nein, natürlich nicht, Sir."
*
"He, was machen Sie da, Sergeant?" Sergeant Case Lester wirbelte herum. Bress Nolan, einer der Männer, mit denen Lester zur Marstation am Lowell-Krater gelangt war, stand in der Tür. Nolans Augen verengten sich. Lester blickte zur Seite. Er hatte die Datenübertragung gerade noch rechtzeitig unterbrochen. Aber Bress Nolan schien dennoch etwas bemerkt zu haben.
Er näherte sich.
"Was machen Sie da? Mit wem haben Sie Daten ausgetauscht..." Bress Nolan wollte sein Interkom aktivieren, um den anderen Bescheid zu sagen. Er hat erkannt, was hier vor sich geht! durchzuckte es Case Lester. Verdammt, er hat es sofort erfaßt! Lester handelte blitzschnell, fast reflexartig. Er griff nach der Waffe, die er bei sich trug. Es handelte sich um einen der stabförmigengen Energiestrahler, die die Roboterbesatzung des fremden Raumer benutzt hatten. Alles was dann geschah, erschien Lester wie ein Film. Ein Film, an dem er gar nicht beteiligt war. Es geschah wie automatisch. Er drückte ab. Der Energiestrahler entfaltete seine verheerende Wirkung. Bress Nolan riß entsetzt die Augen auf, als der Strahl ihn in Höhe des Brustkorbs traf. Innerhalb eines Sekundenbruchteils war Nolan tot.
Der Energiestrahl verbrannte ihn, löste seine Struktur auf und ließ ihn als Aschestaub zu Boden rieseln. Durch die geringere Schwerkraft des Mars geschah dies mit einer gewissen Verzögerung. Mein Gott, was hast du getan! durchzuckte es Lester. Er hatte einen seiner eigenen Leute umgebracht. Du hattest keine andere Wahl! meldete sich eine Stimme ihn ihm, die versuchte, ihn zu beruhigen. Was hättest du sonst tun sollen? Er wollte das Interkom betätigen... Case Lester schluckte, blickte einen Augenblick lang auf die sich zu einem Haufen niedersenkenden Partikel. Ich hoffe nur, daß es das auch wert war! dachte er. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er eine Bewegung. Er wirbelte herum... ...und erstarrte. Case Lester blickte in ein grimmig verzogenes Gesicht. Die blonden Haare waren etwas zu lang. Die blau-grünen Augen flackerten unruhig. Es war niemand anderes als Lieutenant James O'Donnell, der vor Lester stand. Mit einem stabförmigen Energiestrahler in der Hand.
"Legen Sie Ihre Waffe auf den Boden, Sergeant!" zischte O'Donnell. Der Computerspezialist war sonst eher ruhig und zurückhaltend. In diesem Augenblick aber hatte er sichtlich Mühe, die Beherrschung zu behalten. Er hat mitgekriegt, was passiert ist! wurde es Case Lester klar. Er muß gesehen haben, wie Bress Nolan zu Staub zerfiel... Verdammt! In Case Lesters Hirn rasten die Gedanken. Er erwog seine Chancen, sein Gegenüber auszuschalten. Eine blitzschnelle Bewegung, den Energiestrahler herumreißen und dann... Aber O'Donnell war auf jeden Fall um einen Sekundenbruchteil schneller. Keine Chance, dachte Lester. Also sei vernünftig und gib auf... Vorsichtig beugte sich Lester also nieder, kniete hin und legte den Energiestrahler auf den Kunststoffboden. Dann stand er wieder auf, hob die Hände dabei. "Warum haben Sie Nolan umgebracht, Sergeant?" "Er hat mit keine andere Wahl gelassen", verteidigte sich Lester. O'Donnell machte ein paar Schritte nach vorn, betrachtete kurz die Konsolen und die Anzeigen auf den Computerschirmen.
"Sie haben dafür gesorgt, daß uns von außen kein Funkspruch vom Kugelraumer erreichen kann", stellte er fest. "Und Sie folgen John Darran wie ein Lemming. Sehen Sie den Abgrund nicht, O'Donnell? Ich dachte, man sagt über Sie, daß Ihr Hirn aus Chips bestehen würde..." "Lassen wir den Mist." "...dann müßten Sie doch in der Lage sein logisch zu denken! Um ehrlich zu sein, es wundert mich, wie ein so intelligenter Mann John Darran auf den Leim gehen kann!" O'Donnells Stirn zog sich in Falten, als er die Anzeigen sah. Seine freie linke Hand glitt mit geradezu traumhafter Sicherheit über eine Tastatur. Weitere Anzeigen und Menuefelder flackerten auf. "Sie haben eine Nachricht an die ARMSTRONG geschickt - eines jener Star Ships, die uns die Regierung auf den Hals gehetzt hat!" "Was dachten Sie denn?" "Dann wissen die jetzt bescheid." "Genau das war der Sinn!" "Sie müssen wahnsinnig sein, Lester!" "Nein, keineswegs! Sie sind es, der schief gewickelt ist! Mit John Darran wird es bald zu Ende sein! Die Star Ships werden landen und
dann wird mit Darran und seinen Leuten aufgeräumt. Und vor dem Militärgericht der Star Force wird man Ihnen dann - wie jedem anderen hier auf dem Mars - die Frage stellen, auf welcher Seite Sie eigentlich waren!" O'Donnells Gesicht blieb eisig. "Sie haben einen unserer Leute umgebracht. Dafür werden Sie sich verantworten müssen, Lester." Dann begann er die anderen über Funk zu verständigen. Lester nutzte diesen Augenblick der Unaufmerksamkeit. Sein Fuß schnellte vor, traf haargenau die Hand, in der O'Donnell den Energiestrahler hielt. Die Waffe flog im hohen Bogen durch den Raum, prallte mit solcher Wucht gegen die Wand, daß dort ein Abdruck blieb und fiel zu Boden. O'Donnell wich zurück, wirbelte herum. Gerade noch rechtzeitig um dem zweiten Karatetritt seines Gegenübers auszuweichen, der ihn sonst mit voller Wucht am Kopf getroffen hätte.
Lester bückte sich, wollte seinen eigenen Energiestrahler wieder an sich nehmen, der vor ihm im Staub lag - jenem Staub, zu dem Bress Nolan geworden war. Lester war schnell. O'Donnell wollte sich auf ihn stürzen, aber er reagierte um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Lester riß die Waffe empor, richtete sie auf O'Donnell. Seine Augen flackerten unruhig. Sein Gesicht war eine zuckende Maske. "Verdammt, was machen Sie, da, Lester?" rief der Computerspezialist. Der Lieutenant erstarrte mitten in der Bewegung. "Tut mir leid, Sir, aber ich habe keine andere Wahl!" "Sie wollen mich umbringen! Mein Gott, was ist los mit Ihnen?" Reden! dachte O'Donnell. Nur reden! Es war seine einzige Chance, aus dieser Situation vielleicht doch noch mit heiler Haut herauszukommen. Jede physische Gegenwehr allerdings war von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Lester brauchte nur einen Sekundenbruchteil, um sein Gegenüber zu töten. Eine Zeitspanne, die O'Donnell nicht den Hauch einer Chance ließ. O'Donnell spürte den Puls bis zum Hals schlagen. Die Gedanken rasten durch seinen Kopf.
Was war nur in diesen Kerl gefahren, der ihm bis dahin wie ein ganz gewöhnlicher Star Force-Angehöriger erschienen war. Durch nichts hatte er verraten, daß er vielleicht doch nicht mit dem einverstanden war, was John Darran vorhatte. Jetzt kratze den letzten Rest an Amateurpsychologie zusammen, den du in den entsprechenden Star Force-Lehrgängen so aufgeschnappt hast! dachte O'Donnell. Er hatte gerade auf dieses Gebiet nie besonderen Wert gelegt. Rechner, Maschinen, Dinge, die logisch funktionierten standen ihm einfach näher als die chaotischen Seelen seiner Mitmenschen. Aber jetzt hing sein Leben davon ab, daß er sich genau auf diesem Gebiet bewährte... "Wie soll es weitergehen, nachdem Sie mich umgebracht haben?" fragte O'Donnell. Seine Stimme klang erstaunlich ruhig. Er selbst wunderte sich am meisten darüber. "Du willst mich nur einwickeln!" erkannte Lester. "Man kann über alles reden...." "Ein toller Spruch, O'Donnell! Hat Ihnen den John Darran beigebracht?" Sein Lachen war heiser, es klang zynisch. "Haben Sie Familie, Lester?"
"Ich wüßte nicht, was Sie das angeht." "Was Sie aufzuhalten versuchen, ist nicht aufzuhalten!" "Das werden wir ja sehen." "Von dem Tag an, als wir hier auf dem Mars landeten und das Raumschiff der Roboter fanden, ist nichts mehr, wie es vorher war." "Sparen Sie sich das Gequatsche!" Lesters Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Er hob die stabförmige Waffe, der man ansah, daß sie nicht für menschliche Hände gefertigt worden war, ein paar Grad an. Eigentlich soll man in derartigen Momenten doch sein Leben wie einen Film an sich vorüberziehen sehen, dachte O'Donnell. aber der Computerspezialist sah gar nichts. Nichts außer dem verzerrten Gesicht seines Gegenübers. Das war's wohl! dachte er. Verdammt... Ein Kloß steckte ihm im Hals. Er wollte noch etwas sagen, die letzte Chance nutzen, reden, um dem Tod zu entgehen oder ihn zumindest durch eine geschickte Bemerkung etwas herauszuzögern. Aber er brachte keinen einzigen Ton heraus. "Fahr zur Hölle!" knurrte Lester. Eine Sekunde später drückte Lester auf den kleinen Knopf in der Vertiefung an der stabförmigen Waffe.
Ein Energiestrahl zischte hervor.
Grell wie ein Kometenschweif. Beinahe schön. Und ganz gewiß tödlich.
*
General Jay Sindraman stand vor einer der transparenten Wände, die es auf X-Point, jener viertausend Meter unter dem Meeresspiegel gelegenen Unterwasserstation gab, die so etwas wie ein geheimes Machtzentrum der PAZIV darstellte. Kein Sonnenstrahl drang so tief. Eine Welt der Dunkelheit umgab X-Point. Das Licht, das von der Station ausging reichte nicht weit, war kaum mehr als eine flackernde Kerze in der Nacht. Hin und wieder konnten die Bewohner von X-Point einen Blick auf die eigenartige Fauna und Flora dieser Dunkelwelt erhaschen. Riesenhafte, bis zu zwanzig Meter lange Tintenfische gab es hier. Manchmal saugten sich eines dieser unheimlichen Geschöpfe, die
sicher so mancher Erzählung über grausame Seeungeheuer als Vorbild gedient hatten, an den transparenten Wänden fest. Auf ihrer Seite waren die Wände nicht durchsichtig. Es hat Zeiten gegeben, da hätte jeder Unterwasserforscher seinen rechten Arm für diesen Ausblick gegeben, dachte Jay Sindraman. Eine Umgebung, so fremdartig wie ein ferner Planet. Extremer Druck, niedrige Temperaturen und die fast völlige Lichtlosigkeit ergaben eine Mischung, die diese Umgebung noch fremdartiger erscheinen ließ, als die Oberfläche des Mars, deren rote Staub- und Felslandschaften ähnlich trockenen Gebieten in der Sahara oder Wüste Gobi zu ähneln schien. Das Interkom an General Sindramans Handgelenk meldete sich mit einen Piepton. Dieser Piepton sorgte gleichzeitig dafür, daß die Gedanken des Generals sich wieder dem zuwandten, was sich Tausende von Metern weiter oben, über der Wasseroberfläche abspielte. "Ja?" meldete sich Sindraman. "Die OPERATION CHAOS soll ausgelöst werden. Die oberste Führung hält das für die einzig adäquate Reaktion auf die neuesten Entwicklungen."
"Danke."
Die Verbindung wurde unterbrochen. Alles, was jetzt geschieht gleicht einer Lawine in den Bergen, ging es Jay Sindraman durch den Kopf. Es war unmöglich, die Entwicklung jetzt noch kontrollieren zu wollen. Was, so fragte sich Sindraman, werden wir tun, wenn die Außerirdischen zurückkehren? Sindraman gab sich selbst die Antwort. Sie lag auf der Hand und war von erschreckender Schlichtheit. Wir werden völlig machtlos sein, überlegte er. Spielball von Mächten, die dem Menschen so weit überlegen sind wie die HinduGötter. Die Beobachtungsstationen mit Satellitenteleskope der PAZIV würden in nächster Zeit die Grenzen des Sonnensystems mit besonderer Aufmerksamkeit im Auge behalten. Aber es wird uns im Endeffekt nicht weiterhelfen, die Gefahr zu SEHEN, dachte Sindraman. Aber so weit scheint auf den höheren Ebenen der Politik kaum jemand zu denken... Ein anderer Gedanke ging ihm durch den Kopf: Sollte man in deinem Alter nicht etwas gelassener sein? Zumal, wenn man einer
Religion angehört, die von der Unsterblichkeit der Seele und einer Wiedergeburt ausgeht... Operation CHAOS wird ausgelöst, murmelte der alte General vor sich hin. Obwohl er selbst zu den Architekten des CHAOS-Programms gehörte, empfand er nicht den Hauch von Genugtuung darüber. Sein Enthusiasmus war auf ein Minimum geschrumpft. Er fürchtete einfach, daß die Auseinandersetzung, die er jetzt begann, im Grunde eine bedeutungslose Sache war, wenn man an eine Rückkehr der Aliens dachte.
*
"Wir empfangen Signale von der Marsoberfläche", meldete Jeff Larson. "Sie sind unverschlüsselt!"
"Lassen Sie die Übertragung abspielen!" forderte Pat Gonzalez, Commander des Star Ships ARMSTRONG. Jeff Larsons Finger glitten über eine Tastatur. Die Augen aller Anwesenden waren auf einen der Bildschirme gerichtet. Eine Antwort auf das Ultimatum! dachte Larson. Diese Antwort kam verdammt schnell... Larson fragte sich, ob das ein gutes oder eher bedenkliches Zeichen war. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines etwa fünfundreißigjährigen Mannes. Die Embleme an seiner Kombination wiesen ihn als Star Force Commander aus. Das mittelange, braune Haar trug er zurückgekämmt. Die ebenfalls braunen Augen strahlten Ruhe und Gelassenheit aus. Am Kinn befand sich ein Grübchen. Das ist er also! durchzuckte es Larson. John Darran! Larson war Darran nie persönlich begegnet. Darran sprach mit ruhiger, überlegt wirkender Stimme. Er entwickelte mit logisch klingenden Argumenten seine Gedanken,
sprach von einer möglichen Rückkehr jener Fremden, die den Kugelraumer zum Absturz gebracht hatten und der InduktivSchulung, die er und seine Leute durchlaufen hatten. Dann rief er die Besatzungen der vier Star Ships, die sich im Orbit um den Mars befanden, dazu auf, sich ihm anzuschließen. "Wir brauchen jeden von Ihnen", sagte Darran. "Der Aufbau von Port Mars und die Instandsetzung des zweiten Beiboots erfordert Spezialisten, wie es sie nur unter den Angehörigen der Star Force gibt! Jeder, der sich uns nicht anschließen will, mag zur Erde zurückkehren. Aber alle anderen laden wir ein, am Aufbau von Port Mars mitzuwirken. Es bleibt uns nicht viel Zeit. Die Fremden werden früher oder später zurückkehren und spätestens dann, ist all das, was es an Rivalität zwischen den Machtblöcken auf der Erde gibt, vollkommen bedeutungslos geworden..." Larson hörte Darrans Worten fasziniert zu. Was der Commander der OBSERVER I-Mission gesagt hatte, klang vernünftig. Als Darrans Gesicht vom Bildschirm verschwand herrschte einige Augenblicke lang Stille.
Schließlich brach Lieutenant Ray Pestor das Schweigen. Pestor hatte im Moment die Funktion des Piloten an Bord der ARMSTRONG inne. "Der Mann hat Mut", meinte er. "Das muß man ihm lassen." "Für mich sieht das nach einer Art Kamikaze-Taktik aus!" meinte Commander Gonzalez. Er wandte sich an Larson. "Überspielen Sie das zur Erde." "Aye, aye, Sir!" "Bin wirklich gespannt, was man dort zu dieser Antwort auf unser Ultimatum sagt!" "Wir haben gesehen, zu welchen Flugleistungen dieses Beiboot fähig war", meldete sich jetzt Jeff Larson zu Wort. "Wahrscheinlich sind sie uns auch waffentechnisch überlegen... Möglicherweise ist unser Ultimatum überhaupt keine Drohung für Darran und seine Leute..." Commander Gonzalez bedachte Larson mit einem nachenklichen Blick. Dann sagte er: "Was ist los mit Ihnen, Larson? Sie sind doch sonst nicht so ein Angsthase!" "Ich analysiere nur unsere Lage!"
"Das überlassen Sie mal getrost denen auf der Erde."
Gonzalez' Erwiderung klang ungewöhnlich hart und abweisend. Larson lag eine Entgegnung auf der Zunge, doch entschied er sich schließlich dazu zu schweigen. Gonzalez will seine eigene Unsicherheit überspielen! erkannte Larson. Nur seine Fassade ist aus Granit - aber in ihm sieht es so aus wie in uns allen... Gonzalez atmete tief durch. "Wir warten auf weitere Anweisungen von der Erde", erklärte er. "Aye, aye, Sir", sagte Larson. John Darrans Worte hallten in seinem Bewußtsein wider. Er hat recht, ging es dem Sergeant durch den Kopf. Verdammt, gesteh es dir selbst doch ein, dieser Darran hat absolut recht! Bei dem Gedanken an die Rückkehr der Fremden konnte einem nur schaudern. Was war dagegen schon das, was die Regierung der Westunion als 'Gefährdung der nationalen Sicherheit' zu bezeichnen pflegte? Darran hat sich entschieden, dachte Larson. Er hat die veränderten Maßstäbe als gegeben hingenommen und seine Konsequenzen daraus gezogen.
Ein Weg, auf dem es kein Zurück gab. Der Point of no Return war längst überschritten. Jedenfalls für John Darran und seine Leute. Und was ist mit dir? fragte sich Larson. "Worüber brüten Sie nach?" fragte Commander Gonzalez. Seine Stimme drang wie aus weiter Ferne in Larsons Bewußtsein. Fast so, als hätte der Sergeant Watte in den Ohren gehabt. Larson vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. "Was?" "Konzentrieren Sie sich auf Ihre Aufgabe, Sergeant." "In Ordnung, Sir." Gonzalez verzog das Gesicht. "Ich hoffe nicht, daß das Geschwätz Commander Darrans Sie derart beeindruckt hat, daß Sie..." "Keine Sorgen, Sir!" unterbrach Larson den Kommandanten der ARMSTRONG.
*
Case Lester feuerte. Der Energiestrahler war dabei auf James O'Donnells Kopf gerichtet. Der Strahl zischte dicht an O'Donnells Ohr vorbei, traf auf die Wand dahinter. Ein Loch brannte sich dort hinein. Case Lester grinste, als er O'Donnells schreckensbleiches Gesicht sah. Diese Aktion war genau kalkuliert gewesen. "Keine Tricks, O'Donnell!" "Geben Sie auf, Sie machen alles nur noch schlimmer! Wollen Sie etwa noch einen Mord begehen?" Lester antwortete nicht. Er wird mich als Geisel nehmen! schloß O'Donnell. Diese Annahme drängte sich einfach auf. Lester sah plötzlich eine Bewegung an der Tür, während er gleichzeitig einen Schritt auf O'Donnell zuging. Lester wirbelte herum und feuerte sofort.
Einer der beiden Star Force-Männer, die an der Tür aufgetaucht waren, löste sich in Staub auf. Aber der zweite feuerte. Ein sehr gut gezielter Strahlenschuß, der Case Lester mit voller Wucht am Oberkörper erwischte. Lesters Gesichtszüge erstarrten, bevor ihn das Strahlungsfeld vollkommen erfaßte. Binnen eines Sekundenbruchteils war die molekulare Struktur seines Körpers vollkommen desintegriert worden. O'Donnell atmete tief durch. Er spürte, wie ihm die Knie zitterten. Der Lieutenant wandte den Kopf in Richtung der Tür. "Das war verdammt knapp...", murmelte er. An der Tür stand Lieutenant Gus Morgan. Er senkte den Energiestrahler und trat näher. Sein Blick hing wie gebannt an dem Staub, der von Lester geblieben war. "Verflucht, was ist in Sergeant Lester gefahren!" "Er hat seinen Eid auf die Westunion sehr ernst genommen", flüsterte James O'Donnell und strich sich dabei mit einer beiläufig
wirkenden Handbewegung über das Gesicht. Augenblicke später trafen auch die restlichen Angehörigen jenes Trupps ein, der die Aufgabe hatte, erste Überlegungen zum Ausbau der Marsstation anzustellen. Zu sechst waren sie hier her gefahren. Drei von ihnen waren jetzt tot. James O'Donnell hob seinen Energiestrahler vom Boden auf. Eigentlich hatten sie die Waffen der Fremden nur deswegen mit hier her gebracht, weil man jederzeit damit rechnen mußte, daß die im Mars-Orbit befindliche Star Ship Flotte landete und versuchte, die Station in Besitz zu nehmen. "Ich fürchte, Sergeant Lester ist nicht der einzige, der mit Darrans Kurs nicht einverstanden ist und das bisher nur nicht öffentlich geäußert hat!" war O'Donnells Vermutung. "Und ich kann mir eigentlich auch nicht vorstellen, daß Lester völlig auf sich allein gestellt gehandelt hat!" O'Donnell hob die Augenbrauen. "Leider können wir ihn jetzt nicht mehr ausfragen..."
*
Auf dem kleinen Bildschirm in der Kommandozentrale der EXPLORER II war das Gesicht von Lieutenant James O'Donnell zu sehen. Er berichtete von Case Lesters Angriff. John Darran hörte schweigend zu. "Brauchen Sie Unterstützung oder wollen Sie abgelöst werden?" fragte Darran. "Nein, Sir. Wir haben hier alles im Griff." "Sie sind nur noch zu dritt..." "Es geht schon, Commander. Auch wenn der Schock ziemlich tief sitzt... Wir müssen mit weiteren Verrätern rechnen." "Ja, möglich, daß Sie recht haben, Lieutenant." "Seien Sie verdammt vorsichtig, Commander!" "Keine Sorge, Lieutenant." Die Verbindung wurde unterbrochen. Major Net Rovan meldete sich zu Wort. "Das Ultimatum legt wohl bei manchem die Nerven frei", meinte er. "Ich denke Lieutenant
O'Donnell hat recht. Wir müssen damit rechnen, daß Sergeant Case Lester nicht der einzige war, der deinen Kurs mißbilligt, John!" "Und?" fragte Darran erstaunlich gelassen zurück. "Was schlägst du für Konsequenzen vor?" Net Rovan zuckte die Achseln. "Leider kann man es niemandem an der Nasenspitze ansehen, was in seinen Gedanken vor sich geht..." "Völlig richtig." "Wenn ich so denken würde wie Lester..." Net Rovan stockte. "Was dann?" hakte Darran nach. Rovan atmete tief durch, bedachte die anderen Anwesenden mit einem nachdenklichen Blick, bevor er fortfuhr. "Mein Ziel wärst du, John! Du bist der Kopf des ganzen Unternehmens, daß ist auch einem potientiellen Verräter klar! Es grenzt schon an ein halbes Wunder, daß dir unsere Leute bis hier her gefolgt sind! Wer dich ausschaltet, wird damit das ganze Projekt Port Mars beenden..." Rollins meldete sich zu Wort. "Der Major hat recht", erklärte er. Darran zuckte die Achseln.
"Das ganze gleicht einem Tanz auf der Rasierklinge. Nicht nur für bei mir - das gilt für jeden von uns. Möglich, daß ein einziger Verräter alles zunichte macht... Aber wir müssen es trotzdem versuchen." "Wie wäre es, wenn wir sämtliche Handfeuerwaffen einsammeln und unter Verschluß halten?" schlug Captain Ron Sohlberger vor. Aber Darran schüttelte entschieden den Kopf. "Dann müßten sich die Männer wie Geiseln vorkommen. Das würde nur Mißtrauen säen. Und bei den kommenden Auseinandersetzungen wird es gerade der Zusammenhalt sein, auf den es ankommt!" Net Rovan nickte düster. "Vermutlich hast du recht, John..." Er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. "Wenn ich diesen Lester in die Finger gekriegt hätte..." John Darran wandte sich indessen an Marc Johannsen. "Lieutenant?" "Ja, Sir?" "Rufen Sie alle an Bord der EXPLORER II, die bei der Instandsetzung des zweiten Beibootes irgendwie abkömmlich sind." "Ja, Sir."
"Lieutenant Rollins?" Darran wandte sich an den Piloten.
"Commander?" "Treffen Sie alle Vorbereitungen für einen Start der EXPLORER II." "Aye, aye, Sir!" "Und noch etwas! Wir brauchen einen Magnetwerfer!"
*
Larian Sjöberg gelangte mit einem Trupp Star Force- Angehöriger an Bord der EXPLORER II, die damit beschäftigt waren, einen Magnetwerfer an Bord zu verfrachten. Ein Magnetwerfer war ein rechteckiger, etwa zwei Meter breiter Kasten. Die Länge betrug ungefähr drei Meter, die Tiefe 2,50 Meter. An der Vorderseite befand sich ein Monitor samt Eingabetastatur.
Dort wurden die Lagekoordinaten des jeweiligen Objekts eingegeben, auf die die Wirkung des Magnetwerfers zielen sollte. Mit Hilfe dieses - von den Robotern an Bord des Kugelraumers benutzten - Gerätes war es möglich, Gegenstände, Lebenwesen, fremde Raumschiffe und anderes regelrecht wie mit einer Art Traktorstrahl 'einzufangen' und an einen anderen Ort zu versetzen. Larian Sjöberg hatte von dem Gerät gehört, wenn gleich er auch nicht zu den Spezialisten gehörte, deren Induktivschulung so ausgerichtet war, daß er damit hätte umgehen können. Das war die Aufgabe von Major Reilly Thompson, einem großgewachsenen, etwas bullig wirkenden Mann mit dunklem Bart und beinahe schwarzen Augen. Sjöberg trennte sich rasch von Major Thompson und seinen Leuten. Die Feinheiten der Installation dieses Gerätes, daß sich ursprünglich an Bord des Mutterschiffs befunden hatte, interessierten Sjöberg nicht. Für ihn war es nur wichtig, an Bord der EXPLORER II gelangt zu sein.
Dorthin, wo sich John Darran befand.
In seine Nähe wollte er gelangen. Ihn mußte er ausschalten. Darran war der Kopf dieser in Sjöbergs Augen unseligen Meuterei. Einer muß es tun, dachte der Sergeant. Und wenn ich es nicht bin, wird es vermutlich niemand sonst wagen. Wenn Darran aus dem Weg geräumt ist, wird der ganze Spuk wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen... Sjöberg ging einen der langen Korridore an Bord der EXPLORER II entlang. Ich habe nicht mehr viel Zeit, war ihm klar. Sjöberg wußte, was Darran mit dem Magnetwerfer vorhatte. Er konnte sich an den Fingern einer Hand ausrechnen. Dazu brauchte er nichteinmal das Wissen seiner Induktiv-Schulung. Bis auf zwanzigtausend Kilometer mußte die EXPLORER II an die Star Ship Flotte herankommen, um sie 'einfangen' zu können. Aber bei der enormen Manovrierfähigkeit, die das Raumschiff bereits unter Beweis gestellt hatte durfte das eigentlich kein Problem sein.
Vielleicht gelang es den Space Spips noch rechtzeitig ihre Geschosse loszuschicken, aber deren Wirkung auf die Oberfläche des fremden Raumschiffs war höchst zweifelhaft. Nein, die empfindliche Stelle der EXPLORER II war ihr Kopf. John Darran... Eine Vibration breitete sich auf dem Boden aus. Die Ionentriebwerke im Ringwulst wurden jetzt offenbar aktiviert. Die EXPLORER II würde sich in wenigen Augenblicken vom Marsboden erheben. Aber im Gegensatz zu den Startvorgängen, die Sjöberg in irdischen Space Jets dutzendfach erlebt hatte, wirkten in den Schiffen der fremden Roboter keine mörderischen Gravo-Kräfte auf die Insassen. Dafür sorgte der sogenannte Beharrungsverzerrer oder auch kurz BV-Anlage genannt, der die bei Beschleunigungen auftretenden Kräfte neutralisierte. Sergeant Sjöberg wußte das durch seine Induktiv-Schulung. Es selbst zu erleben war dennoch erstaunlich und für einen Moment lang gab er sich diesem Gefühl der Faszination hin. Über welch eine hochentwickelte Technik und Wissenschaft mußten die außerirdischen Erbauer dieses Raumschiffs verfügen.
Der Grundriß entsprach dem des großen Kugelraumers, nur daß in der als Beiboot konzipierten EXPLORER II alles etwa um den Faktor fünf kleiner war als beim Mutterschiff. Daß dieses Raumschiff seit langer Zeit nur noch von Robotern bemannt gewesen war, machte sich unter anderem in dem Umstand bemerkbar, daß es keine Kabinen für die Besatzung gab. Aber das war leicht zu ändern. Ein paar kleinere Umbauarbeiten und das Schiff der Fremden würde auch in dieser Hinsicht an die Benutzung durch Menschen angepaßt sein. Aber es sollten nicht John Darran und seine Anhänger sein, die diesen Plan vollendeten. Das zu verhindern hatte Sjöberg sich geschworen. Eine ganze Weile hatte Sjöberg überlegt, noch weitere von Darrans Leuten ins Vertrauen zu ziehen, sie davon zu überzeugen, daß sie der falschen Sache anhingen. Aber dann hatte Sjöberg sich dagegen entschieden. Die Gefahr war zu groß, daß sein Plan aufflog. Und das durfte nicht geschehen. Darran mußte ausgeschaltet sein, bevor es zu einer Konfrontation mit der Star Ship Flotte kam. Denn in dieser Auseinandersetzung
hatten die irdischen Raumschiffe sonst nicht den Hauch einer Chance. Sjöberg war dies auf Grund seines in der Induktiv-Schulung erworbenen Wissens völlig klar - auf der anderen Seite, an Bord der Star Ships mochte man es vielleicht ahnen. Und in den Konferenzzimmern unserer Führungsstäbe gibt man sich offenbar noch seeligen Illusionen hin, was die eigene Machtfülle betrifft! ging es Sjöberg durch den Kopf. Sjöberg dachte an Case Lester, den er als einzigen ins Vertrauen gezogen hatte. Sjöberg fragte sich, ob sein Vertrauter es inzwischen geschafft hatte, seine Nachricht an die irdische Flotte abzusenden. Er hoffte es. Sofern das geklappt hatte, war zumindest ein erster Schritt vollbracht. Von der Station aus war dieses Vorhaben leichter durchführbar gewesen, als vom Kugelraumer aus. Dort befanden sich einfach zu viele Star Force-Angehörige, die Darran treu ergeben waren. Der Zug grimmiger Entschlossenheit trat in Sjöbergs Gesicht. Dein Weg zum Alleinherrscher im Sol-System wird schon bald ein jähes Ende finden, John Darran! durchzuckte es den Sergeant.
Verdammt, es würde mich nicht wundern, wenn sich am Ende herausstellte, daß du ein Agent der PAZIV bist! "Hey, Sergeant! Warten Sie!" Segeant Larian Sjöberg blieb stehen, drehte sich dann halb herum. Er bemerkte Sergeant Rufus Blackwood. "Was gibt es, Rufus?" Rufus Blackwood näherte sich. Der gut ein Meter achtzig große Blackwood musterte sein Gegenüber einen Augenblick lang stirnrunzelnd. Die Ärmel seiner Kombination trug er hochgekrempelt, so konnte man die tätowierten Unterarme sehen. "Captain Vandoren sucht dich. Hast du dein Funkgerät deaktiviert oder was ist los?" "Sorry..." "Komm schon mit, Larian!" Larian Sjöberg und Rufus Blackwood kannten sich seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der Akademie. Sie hatten auch schon mal eine Kabine miteinander geteilt und verstanden sich gut genug, um sich gegenseitig beim Vornamen zu nennen.
Allerdings emopfand Sjöberg Blackwood nicht als vertrauenswürdig genug, um ihn in seinen Plan einzuweihen. Dazu war das Risiko einfach zu groß. Zudem schätzte Sjöberg Blackwood als jemanden ein, der vollkommen der Faszination und dem Charisma erlegen war, daß John Darran umgab. Ein netter Kerl, aber ein Mann Darrans - so war Sjöbergs knappe Analyse, was den anderen anging. Rufus Blackwood schien gute Laune zu haben. Vielleicht versuchte er damit auch nur seine Anspannung zu überspielen. Schließlich lag ein sehr entscheidender Einsatz vor der Mannschaft der EXPLORER II. Dies war keine Probefahrt mehr, sondern bitterer Ernst. Jetzt erst würde sich erweisen, was die Induktivschulungen, die alle Mannschaftsmitglieder über sich hatten ergehen lassen müssen, wirklich wert war. "Was ist denn los?" fragte Sjöberg. Wenn Captain Bert Vandoren, der schon fast geniale Schiffsingenieur der OBSERVER-Mannschaft, Hilfe brauchte, dann ging es wahrscheinlich um den Magnetwerfer. Zumindest hatte
Sjöberg den Captain bei den Männern gesehen, die sich um die Installierung des Gerätes bemühten. Blackwood grinste. "Wir brauchen vielleicht deinen Teil des Induktiv-SchulungsWissens!" Jeder von ihnen hatte neben einem gewissen Allgemeinwissen ja vornehmlich Kenntnisse auf einem bestimmten Spezialgebiet erworben. Wissen, daß darüber hinausging mußte wie ehedem durch mühsames Lernen erworben werden. Es war leider nicht möglich, durch häufige Wiederholung der Induktivschulung zu einer Art Universalgenie zu mutieren. Sjöberg hob die Augenbrauen. Es paßte ihm gar nicht, daß Blackwood in quasi unter Beschlag nahm. Und daß Sjöberg sein Funkgerät deaktiviert hatte, war auch alles andere als eine Nachläßigkeit. Er wollte nicht angepeilt werden können... Der zukünftige Mörder John Darrans mußte möglichst unsichtbar bleiben...
"Die Magnetwerfer-Technik ist doch eher Captain Vandorens Gebiet! Also in meinem Mentalspeicher ist nicht viel darüber gespeichert!" "Es geht um die Recalibrierung der Systeme. Und das ist doch dein Gebiet, Larian!" "Nun..." "Und da Lieutenant O'Donnell nicht an Bord ist, sondern sich immer noch in der Marsstation befindet..." "Verstehe", nickte Sjöberg. Es hat keinen Zweck, du wirst mit ihm gehen müssen! wurde ihm dabei klar. Gemeinsam gingen sie den Korridor zurück. "Da wir gerade von O'Donnell und der Marsstation im LowellKrater reden", begann Blackwood dann. Sjöberg wurde aufmerksam. Er dachte sofort an Case Lester. "Ja?" fragte er. "Ich hab's nicht so ganz hundertprozentig mitbekommen, aber offenbar ist einer unserer Leute dort ausgerastet. Sergeant Case Lester. War doch ein Kumpel von dir, oder?"
"Ja." "Er hat zwei Mann mit dem Energiestrahler in ihre Partikel zerlegt und eine Nachricht an die Star Ship-Flotte geschickt..." Larian Sjöberg mußte unwillkürlich schlucken. Verdammt! durchfuhr es ihn. "Was ist mit Case?" hakte er dann nach, sichtlich um Fassung bemüht. "Es hat ihn auch erwischt. Ich verstehe, daß dir das nahegeht...." "Das hätte ich nie von Case gedacht!" behauptete Larian Sjöberg. Er bemühte sich dabei darum, sein Gesicht vollkommen regungslos erscheinen zu lassen.
*
Pat Gonzalez, der Commander des Star Ships ARMSTRONG blickte angestrengt durch das Sichtfenster. Das Warten zermürbte ihn.
Er hatte sich in den letzten vierundzwanzig Stunden keine Ruhephase gegönnt. Glaubst du wirklich, unersetzbar zu sein? kommentierte das eine spöttische Stimme im hinteren Winkel seines Bewußtseins. Celine Durant hatte von Sergeant Jeff Larson inzwischen wieder die Funker-Konsole übernommen. Im Pilotensitz saß Lieutenant Greg Conelli. Sergeant Jeff Larson hatte jetzt eigentlich seine Ruhephase, aber er hätte jetzt ohnehin nicht schlafen können. "Ein Objekt hebt mit unglaublicher Geschwindigkeit von der Marsoberfläche ab!" meldete Lieutenant Grayson, der an den Kontrollen der Ortungssensoren postiert war. "Das muß dieses Beiboot sein..." "Das Schiff John Darrans!" knirschte Pat Rammirez zwischen den Zähnen hindurch. "Ich frage mich, was er vorhat." "Wenn er uns angreifen sollte, werden wir den Kürzeren ziehen!" vermutete Larson. Gonzalez drehte sich zu ihm herum. "Es hat Sie niemand um Ihre Meinung gebeten, Sergeant. Was machen Sie überhaupt noch hier?" Larson kam nicht mehr in die Verlegenheit, antworten zu müssen.
Lietenant Graysons Stimme sorgte dafür, daß sich die Aufmerksamkeit des Commanders auf andere Dinge konzentrierte. "Das Objekt nähert sich. Es fliegt eindeutig auf uns zu!" "Alle verfügbaren Waffen feuerklar!" befahl der Commander. "Und dann auf Befehle warten. Lieutenant Durant..." "Ja, Sir?" "Stellen Sie mir eine Verbindung zur Erde her." "Aye, aye, Sir." "Ich frage mich wirklich, was er vorhat..." Die Bewaffnung der Star Ships diente ursprünglich dem Zweck, im Fall einer militärischen Konfrontation mit der PAZIV deren erdnahe Satelliten schnellstmöglich ausschalten zu können, um die militärische Fernaufklärung des Gegners nahezu unmöglich zu machen. Was Raumgefechte im eigentlichen Sinn anging, waren die Star Ships - außer in Übungen - bislang nicht zum Einsatz gekommen. Schließlich verfügte die PAZIV, der einzige außenpolitisch ernstzunehmende Gegner bislang über keine nennenswerte Raumfahrt. Aber selbstverständlich herrschte in den Führungsstäben der Westunion die Angst vor, daß sich das eines Tages ändern konnte. Jetzt gab es einen Gegner im Weltraum.
Allerdings einen, der haushoch überlegen war. Eine meuternde Truppe von Star Force-Angehörigen! "Ich glaube nicht, daß Darran angreifen wird", sagte Larson plötzlich. Gonzalez wandte sich erstaunt zu ihm herum. "Ach, nein?" "Ansonsten könnte er sein Angebot an uns, sich ihm anzuschließen, nicht ernstgemeint haben!" erklärte Sergeant Jeff Larson. Gonzalez hob die Augenbrauen. "Wer sagt Ihnen denn, daß er das wirklich ernst meint? Wer sagt Ihnen, daß das nicht nur ein Trick ist, um uns aus der Deckung zu locken und dann eiskalt zu vernichten..." "Das wäre doch unlogisch!" erwiderte Larson. "Warum sollte er das tun?" "Vielleicht will er den Profit, den er aus der Tatsache ziehen kann, im Besitz der Alien-Technologie zu sein, mit so wenig Menschen wie möglich teilen..." "Das glaube ich nicht." Gonzalez Blick war eisig.
"Sergeant Larson!" sagte er streng.
"Ja, Sir?" "Ich hoffe nicht, daß Sie ernsthaft in Erwägung ziehen, auf das Angebot dieses Meuterers einzugehen!" Larson wollte etwas erwidern. Er öffnete halb den Mund. Seine Lippen versuchten, Worte zu formen, aber nicht ein einziger Laut kam aus seiner Kehle. Genau in diesem Moment meldete sich Lieutenant Grayson zu Wort. Er grinste schief dabei. "Ist doch kein schlechter Gedanke!" meinte er. "Vielleicht ist es sogar die einzige Möglichkeit, Darran dieses verdammte Alien-Schiff abzunehmen!" Gonzalez Gesichtszüge wirkten einige Sekunden lang wie erstarrt. Dann erschien ein dünnes Lächeln um seine etwas blutleer wirkenden Lippen. "Wie es scheint habe ich Sie unterschätzt, Sergeant Larson", sagte er dann und in seinen Tonfall mischte sich fast so etwas wie Anerkennung hinein.
*
"Drei der vier Star Ships scheinen sich für ein Gefecht bereitzumachen", erklärte Lieutenant Marc Henson. "Unsere Anzeigen sprechen da eine ziemlich eindeutige Sprache. Die Abschußrohre ihrer Missiles sind geöffnet..." "Und bei dem Star Ship Nr. 4?" hakte Commander John Darran nach. "Bisher keine Anzeichen dafür." "Ich kann das nur bestätigen", mischte sich Captain Ron Sohlberger ein. "Sind die Schutzschirme aktiviert?" "Aktiviert", bestätigte Sohlberger. Bislang hatte niemand der an Bord der EXPLORER II befindlichen Crew jemals die Auswirkungen irdischer Waffen auf ein Raumschiff der Fremden miterlebt. Aber es war anzunehmen, daß die Waffen der Star Ships nicht allzuviel gegen die EXPLORER II
ausrichten konnte. Der um die kugelförmige Außenhaut des Raumschiffs flimmernde Defensiv- Schutzschirm würde dafür sorgen. Und darüber hinaus standen dem Beiboot das Waffenarsenal der Außerirdischen zur Verfügung. Energiewerfer, Molekularzerstörer, Gravitationsschleudern... Ihre Wirkung auf die irdischen Star Ships mußte verheerend sein. Die Männer an Bord dieser Schiffe haben keinerlei InduktivSchulung hinter sich! rief John Darran sich in Erinnerung. Aber mit einem Funken Fantasie müßten sie sich doch vorstellen können, daß ihre Chancen denkbar schlecht stehen! Sie folgen einfach ihren Befehlen! wurde es Darran klar. Es gibt für sie keine Fragen, nur ein fast automatisch ablaufendes Programm. Eine Sequenz von Handlungen, die sie hundertfach trainiert hatten. Auch wenn ihre Kampferfahrung aus dem Simulator stammte - unterschätzen durfte man das nicht. John Darran hatte nicht vor, das übermächtige Waffenarsenal der EXPLORER II an den Star Ships zu erproben. Im kosmischen Maßstab waren diese Raumschiffe nichts anderes als winzige Nußschalen, die beinahe hilflos in einem Ozean trieben.
Darran beabsichtigte möglicht viele Besatzungsmitglieder dieser Flotte in seine Renegatentruppe zu integrieren. Er brauchte jeden von ihnen. Die Personalnot war im Augenblick das größte Problem, daß er zu bewältigen hatte. Nur mit genug Leuten konnte aus Port Mars mehr werden, als eine kleine Marsstation, die von einem meuternden Star Force Commander zweckentfremdet worden war. Aber selbst wenn keines der Schiffe zu ihm überlief, so hatte er nicht die Absicht, die volle Wirkung des Waffenarsenals der EXPLORER II auf die irdischen Star Ships zu entfalten. Mit Hilfe des Magnetwerfers sollten die Star Force-Raumer auf die Marsoberfläche gezwungen werden. Zwanzigtausend Kilometer! So nah müssen wir heran! erinnerte sich Darran. "Welches Star Ship ist es, das bislang keine Angriffsvorbereitungen getätigt hat?" fragte Darran. "Es ist die ARMSTRONG unter Commander Pat Gonzalez", meldete Lieutenant Marc Johannsen. "Möglicherweise geht die ARMSTRONG auf Ihr Angebot ein, Commander!" vermutete Rollins, der Pilot. "Lieutenant Johannsen!" rief Commander Darran.
"Ja, Sir?" "Versuchen Sie eine Direktverbindung zur ARMSTRONG herzustellen." "Aye, Aye, Sir!" "Commander, sollten wir auf die Gefechtsvorbereitungen der anderen Seite nicht irgendwie reagieren?" fragte Captain Ron Sohlberger, der Waffenspezialist. Darran schüttelte den Kopf. "Nein, noch nicht. Das Ultimatum ist noch nicht abgelaufen - und bis dahin haben wir vielleicht die Möglichkeit, unsere Kameraden auf den Star Ships davon zu überzeugen, daß es für sie das Vernünftigste ist, sich uns anzuschließen..." "Vorausgesetzt, die andere Seite hält sich wirklich an das eigene Ultimatum." "Wenn nicht, werden wir damit auch fertig, Captain." Lieutenant Johannsen wandte sich jetzt an Commander Darran. "Ich habe versucht, eine Direktverbindung zur ARMSTRONG herzustellen. Leider ohne Erfolg. Wir bekommen keine Antwort." Johannsen atmete tief durch und blickte mit gerunzelter Stirn auf die Anzeigen. "Ich wüßte gerne, was dort vor sich geht..."
John Darran nickte. "Da geht es Ihnen wie mir, Lieutenant", bekannte der Commander der EXPLORER II. "Soll ich es weiter versuchen?" fragte Johannsen. "Tun Sie das", bestätigte Darran. Über Interkom meldete sich Captain Bert Vandoren, der Schiffsingenieur. "Commander, wir haben hier noch ein paar Probleme mit der Recalibrierung des Magnetwerfers. Es könnte sein, daß sich dessen Einsatzfähigkeit noch etwas verzögert." "Um welchen Faktor?" erkundigte sich Darran. "Schwer zu sagen. Vielleicht ein paar Stunden. Es ist eine verdammte Sisiphus-Arbeit und das Wissen unserer InduktivSchulung macht es auch nicht schneller!" "Versuchen Sie es trotzdem so schnell wie möglich hinzubekommen!" "Wir tun hier unser bestes, Sir!" "Tun Sie das!" Die Verbindung wurde unterbrochen.
"Noch immer kein Kontakt zur ARMSTRONG", meldete Johannsen. "Ich versuche es weiterhin auf allen Frequenzen..."