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Edition Akzente Herausgegeben von Michael Krüger
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Paul Virilio Fluchtgeschwindigkeit Essay Aus dem Französis...
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Edition Akzente Herausgegeben von Michael Krüger
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Paul Virilio Fluchtgeschwindigkeit Essay Aus dem Französischen von Bernd Wilczek
Carl Hanser Verlag
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Titel der Originalausgabe: La vitesse de liberation © Editions Galilee, Paris 1995 Inhalt
Offener Himmel ................................ Erster Teil Das dritte Intervall ..................................19 Die Perspektive der Echtzeit ..................37 Die große Optik ......................................54 Zweiter Teil Das Gesetz der Nähe ..............................71 Graue Ökologie ......................................83 Kontinentalverschiebung .......................98 Dritter Teil Die Begehrlichkeit der Augen ...............125 Von der Perversion zur sexuellen Diversion . . . 143 Fluchtgeschwindigkeit ..........................165 Anmerkungen .......................................201
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ISBN 3-446-18771-5 Alle Rechte an der deutschen Ausgabe vorbehalten: Umschlag: Nach einem Entwurf von Klaus Detjen unter Verwendung einer Fotografie aus: Raymond Kurzweil: KI. Das Zeitalter der künstlichen Intelligenz. Hanser, 1993 © 1996 Carl Hanser Verlag München Wien Gesamtherstellung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germane
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Ein Tag der Tag wird kommen oder der Tag wird nicht kommen
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Offener Himmel Der Azur ist die optische Dichte der Atmosphäre, die große Linse des Erdballs, seine leuchtende Netzhaut. Vom Azurblau bis jenseits des Himmels trennt der Horizont die Transparenz von der Undurchsichtigkeit, und durch den Sprung bzw. das Abheben, mit deren Hilfe die Erdanziehung für einen Augenblick überwunden werden kann, ist es auch nur ein Schritt von der Erdmaterie bis zum Lichtraum. Allerdings ist der Horizont, d. h. die Horizontlinie, nicht nur ein Absprungsockel, sie ist gleichfalls die allererste Küstenlinie, die vertikale Küstenlinie, die eine vollkommene Trennung zwischen der »Leere« und der »Fülle« bedingt. Die Bodenlinie, diese unbemerkt gebliebene Erfindung der Kunst, jede »Form« und jeden »Hintergrund« zu malen und voneinander zu unterscheiden, ist eine frühe Vorwegnahme des Küstenstrichs, des »azurnen Horizonts«, d. h. der horizontalen Küstenlinie, wegen der wir so oft die zenitale Perspektive aus dem Auge verlieren. Die gesamte Geschichte der Perspektiven während des Quattrocento ist übrigens nichts anderes als ein von hartnäckigen Geometern geführter Kampf, eine Schlacht für das Vergessen der Unterscheidung zwischen »oben« und »unten«. Bleiben soll allein die Unterscheidung von »nah« und »fern«, der Fluchtpunkt, der diese Geometer buchstäblich fasziniert, während unsere Anschauung doch an und für sich durch unser Gewicht, die Erdanziehung, die klassische Unterscheidung zwischen Zenit und Nadir bestimmt ist. Nicht die am Horizont zusammenlaufenden Fluchtlinien sind also der erste Orientierungspunkt unseres
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Blickes, so wie es die italienischen Meister behaupteten, sondern der leichte Druck einer universellen Anziehung, die uns ihre Ausrichtung auf den Erdmittelpunkt und die Gefahr des Falls aufzwingt. Schon Victor Hugo erklärte: Das Seil hängt nicht, die Erde zieht. Im Zeitalter der Verschmutzung der Atmosphäre wäre es angebracht, endlich über eine Erneuerung unserer Wahrnehmung der Erscheinungen nachzudenken. Wenn man die Augen zum Himmel richtet, so könnte dies angesichts dieser Tatsache etwas anderes sein als ein Zeichen der Ratlosigkeit oder des Zorns. Denn oben verbirgt sich tatsächlich eine geheime Perspektive. Über den Wolken ereignet sich nicht nur die Zerstörung der Ozonschicht. Der nur wenige Sekunden dauernde Flug der Gebrüder Wright am Strand von Kitty Hawk oder der Start der Apollo ii-Rakete von Cap Canaveral weisen uns den Weg zu einer merkwürdig anmutenden Umgestaltung des Blicks, die dem möglichen Fall nach oben schließlich doch noch Rechnung trägt, der durch die noch junge Errungenschaft der »Fluchtgeschwindigkeit«, die 28.000 km/h beträgt, bewirkt wurde. Da wir gegen Ende dieses Jahrhunderts zu sehr damit beschäftigt sind, die absolute Geschwindigkeit der modernen Übertragungsmittel in Echtzeit weiterzuentwickeln, vergessen wir nur zu häufig die historisch genauso bedeutsame Höchstgeschwindigkeit, mit deren Hilfe wir dem Realraum unseres Planeten entkommen und folglich »nach oben fallen« konnten. Dieser umgekehrte Schwindel veranlaßt uns vielleicht dazu, unsere Vorstellung von der Landschaft und des menschlichen Lebensraums zu verändern. Unsere Generation hat nicht nur ein Loch in der
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dünnen Ozonschicht entdeckt, die uns früher vor der UV-Strahlung schützte, sondern sie hat noch ein zweites Loch in den Azur gegraben, denn nunmehr flüchtet unser Himmel. Der Fluchtpunkt zum Horizont des Quattrocento wird jetzt ergänzt um den Fluchtpunkt des Novecento: heute gibt es oben einen Ausgang. Eine künstliche GegenAnziehung ermöglicht es dem Menschen, der Erdanziehung, dieser Stabilität des Raums der Schwerkraft, zu entkommen, die seinen gewohnten Tätigkeiten immer schon die Richtung wies. Gegen Ende unseres Jahrhunderts gerät alles ins Wanken, und zwar nicht nur die geopolitischen Grenzen, sondern auch die Grenzen der perspektivischen Geometrie. Alles wird auf den Kopf gestellt! Die Dekonstruktion ist sowohl eine der äußeren und künstlerischen Erscheinungen als auch eine der plötzlichen Transparenz der gesellschaftlichen Landschaft. Bald wird man lernen müssen, im Äther zu fliegen bzw. auf dem Äther zu schwimmen. Wenn wir unseren Alltagspraktiken eine neue Richtung geben wollen, dann müssen wir bald unsere Orientierungen ändern, die Markierungen von »unten« nach »oben« verlegen. Wenn der Verlust der unzugänglichen Weiten Hand in Hand geht mit einer medialen Nähe, die sich ausschließlich der Lichtgeschwindigkeit verdankt, dann müssen wir uns sehr bald auch an die Verzerrungseffekte der äußeren Erscheinungen gewöhnen, die durch die Perspektive der Echtzeit der Telekommunikationstechnologien verursacht werden. Bei dieser Perspektive zieht sich die alte Horizontlinie in den Rahmen des Bildschirms zurück, und die Elektro-Optik verdrängt die Optik unserer Brillen!
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Bis es soweit ist, wird noch die letzte große Überraschung der Astrophysik ans Tageslicht kommen: Jen seits der Erdanziehung gibt es keinen Raum mehr, der diesen Namen verdient, sondern nur noch Zeit! Eine Zeit, die ganz allein die kosmische Realität ausmacht. Behaupten im übrigen nicht schon einige Astronomen und Mathematiker, daß der Zeit ein Trägheitsmoment zueigen sei und daß sie eine Materie, eine andere Form von Material, sei?' Wenn die Astrophysiker schon nicht mehr nur von der »Raumzeit«, sondern von »Raumzeit-Materie«' sprechen, dann tragen sie dazu bei, die Ausdehnung und die Dauer in das Netz einer anderen Form von kosmischer Materialität einzubinden, die keine Beziehung mehr zu unserer Erfahrung der Dreiteilung zwischen Materie, Raum und Zeit aufweist. Wenn sie zudem neben den »Raum-« und »Zeitintervallen« ein drittes Intervall »Licht« einführen, dann bewirken sie die Entstehung eines letzten Zeitbegriffs, der nicht mehr ausschließlich von der klassischen chronologischen Zeitfolge geprägt ist, sondern auch von der (chronoskopischen) Belichtungszeit der Dauer der Ereignisse durch die Lichtgeschwindigkeit, was im übrigen einige Autoren von Kriminalgeschichten schon seit langem geahnt haben. Wenn es sich tatsächlich so verhält, wie der Untersuchungsbeamte bei I3mile Gaboriau sagt, daß nämlich »die Zeit eine zusätzliche Unklarheit darstellt«, die nach und nach die Indizien verwischt und schließlich die wahren Fakten verschleiert, dann ist die Geschwindigkeit das Licht der Zeit, ihr einziges »Licht«, und die Dauer-jede Dauer und jede Ausdehnung - kann nicht mehr ohne die Unterstützung der absoluten Geschwindigkeit des Lichts betrachtet werden, das die Wahrnehmung der Zeit verändert. Folglich gesellt sich heute zur langsam vergehenden Zeit eine augenblicklich belichtete Zeit hinzu. Hierbei
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handelt es sich um die sehr kurzen Zeiten aus den Bereichen des Elektromagnetismus und der Schwerkraft. Es fällt nicht schwer, sich die grundlegenden Veränderungen, die sich aus diesem neuen »Weltbild« ergeben, seine Auswirkungen auf das Wesen der PERSPEKTIVE und folglich auf die Ausrichtung der menschlichen Aktivitäten vorzustellen: Wenn die Zeit Materie ist, was ist dann der Raum? Er ist nicht mehr der »geographische« Raum der hell schimmernden Hügel der Toskana unter der Sonne der italienischen Renaissance, dieser »geometrische« Raum, der mittels der perspektivischen Tiefenwirkung ein dauerhaftes Bild der nahegelegenen Welt zu prägen wußte, sondern der Raum jenseits des Himmels und des Azurblaus, der sogenannte »Weltraum«, dessen Dunkelheit weniger durch das Fehlen der Sonne bedingt ist als vielmehr durch die Nacht einer Zeit ohne Raum und ohne meßbare Ausdehnung, es sei denn die der »Lichtjahre«, die keine Jahreszeiten haben. Anders gesagt, der Wechsel von Tag und Nacht wird nunmehr durch einen Wechsel zwischen dem irdischen Raum und seiner außerirdischen Abwesenheit ergänzt. Auf diese Weise würde das Licht der Zeit unserer Materienjahre ergänzt werden durch die Dunkelheit des abwesenden Raums der Lichtjahre, die finstere Herrschaft einer fehlenden Materie, die schließlich mit der universalen Zeit gleichgesetzt würde, d. h. mit einer außerweltlichen Zeitlichkeit, die keinerlei Beziehung mehr zum notwendigerweise »raum-zeitlichen« Wesen unserer Aktivitäten innerhalb des Raums eines Planeten aufwiese, der in der Zeit verankert ist; es handelt sich um den Äther einer »Lichtzeit«, die nichts mit unserer
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gewohnten Bewertung der Dauer und der geophysikalischen Ausdehnung zu tun hätte. An dieser Stelle möchte ich einen Physiker zitieren, der ein Fachmann für die vielzitierte fehlende Masse ist: »Aus welchen Partikeln besteht die fehlende Masse, dieser große, lichtlose Teil des Universums? Es wäre verführerisch anzunehmen, daß die dunklen Halos aus überschüssigen Baryonen gebildet sind. Und diese Baryonen sich als die kompakte Form kleiner dunkler Sterne - der braunen Zwerge - erweisen sollten, aber bedauerlicherweise können diese Himmelskörper nur einen kleinen Teil der dunklen Materie des Universums ausmachen.«' Könnte es sich beim »übrigen Teil« dieser kosmischen Dunkelheit, der so beträchtlich ist, daß er die Phantasie der Wissenschaftler anregt, nicht um die fehlende Masse der Zeit handeln? Um eben jene kosmische Zeit, die sich unserer astronomischen Beobachtung in genau demselben Maße entzieht, wie sie sich der absoluten, aber begrenzten Geschwindigkeit des Lichts entzieht? Eine universale Zeitlichkeit, die im »Schatten« einer auf 300.000 Kilometer pro Sekunde beschränkten Beschleunigung verharrt. Unter diesen hypothetischen Bedingungen wäre die gegenwärtige Erforschung des vielzitierten Bi(; BANG eine Täuschung, eine optische Täuschung der Kosmologie! Wie anders sollte man sich ernsthaft der Hoffnung hingeben können, mit Hilfe von Indra, der neuen technischen Anlage des größten französischen Schwerionenbeschleunigers, die 15 Milliarden Jahre zurückliegende Entstehung der Raumzeit-Materie direkt zu beobachten, wo doch die Trägheit der universalen Zeit jede Beobachtung allein schon wegen des endlichen Wesens der Lichtgeschwindigkeit, dieser LICHT-ZEIT verhindert, die zwar die Ereignisse beleuchtet, allerdings nicht dazu imstande ist, sich selbst zu beleuchten?
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Indem die Wissenschaftler die technische Anlage für die Aufzeichnung der ursprünglichen Signale nach der wedischen Gottheit des Himmels, Indra, benannten, sind sie außerdem über den Unterschied hinweggegangen, den es offenbar zwischen der den Gesetzen der Erdanziehung unterliegenden Raumzeit einerseits und derjenigen des außerirdischen Jenseits andererseits gibt. Sollten sich unsere heutigen Wissenschaftler nach dem »Anthropozentrismus« und dem »Geozentrismus« vielleicht einer neuen Art von Illuminismus oder eher von LuMINOZENTRISMUS verschrieben haben, der sie möglicherweise über das tiefere Wesen des Raums und der Zeit täuscht? Es ist davon auszugehen, daß sich die aus dem Quattrocento stammende Perspektive des Realraums immer noch der Perspektive der Echtzeit eines horizontlosen Kosmos in den Weg stellt ... Zum Abschluß dieser im höchsten Maße hypothetischen Ausführungen möchte ich zu unserem neuen »azurnen Horizont« zurückkehren, dem zenitalen Küstenstrich, der auf so eindeutige Art und Weise die Sphäre einer der Erdanziehung unterworfenen RaumMaterie von der außerirdischen Licht- Zeit trennt, deren Tiefe sogar die Dichte der Zeit verschleiert, wobei die schwarze Masse der universalen Zeit schließlich auch der optischen Dichte unseres Planeten ihre azurne Farbe verleihen würde. Wenn die Natur die Leere verabscheut, dann gilt das für die natürliche Größe gleichermaßen. Ohne Gewicht und Maß gibt es keine Natur mehr, genauer gesagt,
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keinen Naturbegriff. Ohne fernen Horizont besteht keine Möglichkeit mehr, die Realität zu erkennen, und wir stürzen in die Zeit eines Falls, der demjenigen der gefallenen Engel ähnelt, womit der Horizont der Erde dann nichts anderes als eine weitere »Engelsbucht« wäre. Eine philosophische Enttäuschung, bei der mit dem Naturbegriff der Aufklärung im Zeitalter der Lichtgeschwindigkeit der Realitätsbegriff verschwömme.
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Erster Teil
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Das dritte Intervall »Ohne weggegangen zu sein, ist man schon nicht mehr da.« Nikolaj Gogol Begriffe wie etwa kritische Masse, kritischer Augenblick oder kritische Temperatur sind mittlerweile durchaus eingeführt, sehr viel seltener aber ist vom kritischen Raum die Rede. Welchen anderen Grund sollte es hierfür geben, als den, daß wir die Relativität, den Begriff der Raumzeit, noch nicht wirklich verarbeitet haben? Und doch ist der kritische Raum, die kritische Fläche, nunmehr aufgrund der Beschleunigung solcher Verkehrsmittel allgegenwärtig, die wie das ÜberschallFlugzeug Concorde den Atlantik verschwinden lassen, wie der Airbus Frankreich zu einem Viereck verkleinern, das man in eineinhalb Stunden hinter sich gelassen hat, oder wie der TGV 1, der Zeit an der Zeit spart. Diese verschiedenen Werbeslogans veranschaulichen in hervorragender Weise die Unterschlagung des geophysikalischen Raums, von der wir zwar profitieren, deren unbewußte Opfer wir aber auch zuweilen sind. Die Telekommunikationsmittel hingegen bescheiden sich nicht damit, die Weite einzuschränken, sie zerstören auch jede Dauer, jede Verzögerung bei der Übertragung von Nachrichten und Bildern. Das ig. Jahrhundert war gekennzeichnet von der Revolution der Massenverkehrsmittel, das 20. Jahrhundert von der Revolution der Übertragungstechniken. Eine tiefgreifende Veränderung im ersten Fall, eine Kommutation im zweiten, die sich in der Weise sowohl auf den öffentlichen als auch auf den privaten Raum auswirken, als wir uns hinsichtlich ihrer Reali
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tät nicht mehr sicher sind, denn nach der Urbanisierung des Realraums erleben wir mit der Einführung der Technologien für die Teleaktion anstelle der klassischen Fernsehtechnologien den Beginn der Urbanisierung der Echtzeit. Dieser plötzliche Technologietransfer vom Ausbau der Infrastrukturen des Realraums (Häfen, Bahnhöfe, Flughäfen usw.) auf die Umweltkontrolle in Echtzeit, der sich den interaktiven Teletechnologien (Schaltstellen für die Datenfernverarbeitung) verdankt, ist verantwortlich für die heutige Erneuerung der kritischen Dimension. Die Frage nach dem realen Augenblick der unmittelbaren Teleaktion konfrontiert uns in der Tat von neuem mit den philosophischen und politischen Problemen, die traditionellerweise mit den Begriffen von AroPIE und UTOPIE in Verbindung standen. Heute spricht man in diesem Zusammenhang zwar bereits von TELETopIE, die Paradoxe, die sich aus ihr ergeben, sind aber deshalb nicht aufgehoben. Hierzu gehört, SICH ÜBER GROSSE ENTFERNUNGEN HINWEG ZU VERSAMMELN oder TELEPRÄSENT ZU SEIN, d. h. gleichzeitig hier und andernorts zu sein. Die sogenannte »Echtzeit« ist nichts anderes als eine reale Raumzeit, denn die verschiedenen Ereignisse finden tatsächlich statt, auch wenn der Ort, an dem sie stattfinden, letztlich der Nicht-Ort der teleoptischen Techniken (Schnittstelle Mensch/Maschine, Leitstelle bzw. Knotenpunkt der Datenfernübertragung usw.) ist. Direkte Teleaktion, unmittelbare Telepräsenz. Dank der neuen Fernsende- und Fernübertragungsverfahren wird das ferngesteuerte Handeln enorm erleichtert. Auch die technischen Spitzenleistungen im Bereich des Elektromagnetismus und die Qualität der radioelektrischen Bilder dessen, was nunmehr als ELEKTROOPTIK bezeichnet wird, tragen wesentlich hierzu bei. Da die
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perspektivischen Fähigkeiten des menschlichen Körpers eine nach der anderen zunächst auf Maschinen und seit kurzem vor allem auf Kollektoren, Sensoren und sonstige Detektoren übertragen wurden, durch die sich der zwangsläufige Wegfall des Tastempfindens durch die Entfernung kompensieren läßt, wird die allgemeine Fernsteuerung in allernächster Zeit die permanente Fernüberwachung vervollständigen. Kritisch werden dadurch nicht in erster Linie die drei räumlichen Dimensionen, sondern vor allem die vierte, die zeitliche Dimension, genauer gesagt, die der GEGENWART. Wir werden nämlich sehen, daß die »Echtzeit«, entgegen der Behauptung der Elektroniker, nicht der »verzögerten Zeit«, sondern ausschließlich der »Gegenwart« entgegensteht. Schon Paul Klee erklärte, daß man die Gegenwart tötet, wenn man sie für sich allein genommen bestimmen will. Und genau das tun die Teletechnologien der Echtzeit: Sie töten die »Gegenwart«, indem sie sie von ihrem Hier und jetzt isolieren zugunsten eines kommutativen Anderswo, das nichts mehr mit unserer »konkreten Gegenwart« in der Welt, sondern nur noch etwas mit einer vollkommen rätselhaften »diskreten Telepräsenz« zu tun hat. Es läßt sich einfach nicht übersehen, in welchem Maße die neuen Funktechniken (des digitalen Signals, des Videosignals und des Funksignals) in nächster Zeit nicht nur das Wesen der Lebenswelt des Menschen, seines territorialen Körpers, von Grund auf verändern werden, sondern vor allem das Wesen des Individuums und seines animalischen Körpers, denn die Raumordnung auf der Grundlage großer materieller Infrastrukturmaßnahmen (Straßen, Schienennetze usw.) weicht zunehmend der beinahe immateriellen Umweltkontrolle (Satelliten, Glasfaserkabel), die den menschlichen Körper schließlich in ein Terminal ver
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wandelt und den Menschen zu einem interaktiven Wesen macht, das Sender und Empfänger zugleich ist. Tatsächlich besteht die Urbanisierung der Echtzeit zunächst einmal in der Urbanisierung des individuellen Körpers, der an unterschiedliche Schnittstellen (Tastatur, Kathodenbildschirm, Datenhandschuh bzw. -anzug) angeschlossen ist, die allesamt Prothesen sind, die aus dem überrüsteten Nicht-Behinderten eine fast perfekte Entsprechung des mit Prothesen versehenen Behinderten machen. Zeichnete sich die Revolution der Verkehrsmittel des ig. Jahrhunderts durch die Entwicklung und zunehmende Verbreitung motorbetriebener dynamischer Vehikel (Zug, Motorrad, Auto, Flugzeug usw.) aus, so bedingt die gegenwärtige Revolution der Übertragungstechniken die Entstehung des letzten, des audiovisuellen statischen Vehikels. Diese Revolution markiert den Beginn einer Verhaltensträgheit des Senders/ Empfängers, den Übergang der vielzitierten Netzhautpersistenz, die die optische Täuschung der Filmvorführung ermöglichte, zur Körperpersistenz des zum Terminal gewordenen Menschen. Damit bildet sie die Voraussetzung für die Möglichkeit der plötzlichen Mobilisierung der Illusion einer jederzeit uneingeschränkt telepräsenten Welt, in der der individuelle Körper des Zuschauers zum letzten urbanen Territorium wird. Die gesellschaftliche Organisation und die spezielle Form der Konditionierung, die früher auf den städtischen und familiären Raum beschränkt waren, wirken jetzt direkt auf den animalischen Körper ein. Somit wird auch der Zerfall der familiären Lebensgemeinschaft besser verständlich, dieser zunächst erweiterten, dann atomisierten Familie, die heute schon häufig nur noch aus einem alleinerziehenden Elternteil besteht, wobei der Individualismus offenbar weniger die Folge eines freieren Lebenswandels als viel
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mehr der Entwicklung der Gestaltungstechniken des öffentlichen und privaten Raums ist, denn je mehr die Stadt wächst und sich nach allen Richtungen ausbreitet, um so kleiner und unbedeutender wird die familiäre Einheit. Da auch die jüngste MEGAPOLITANE Überkonzentration (Mexiko, Tokyo usw.) das Ergebnis des immer schnelleren Warenverkehrs ist, scheint es notwendig zu sein, sich erneut sowohl mit der Bedeutung der Be griffe BESCHLEUNIGUNG und VERLANGSAMUNG (die Physiker sprechen von positiver bzw. negativer Beschleunigung) als auch mit der Bedeutung der weniger einleuchtenden Begriffe TATSÄCHLICHE und vIRTUELLE GESCHWINDIGKEIT (die Geschwindigkeit unerwar teter Vorkommnisse wie beispielsweise Krisen oder Unfälle) zu beschäftigen, um die Tragweite des »kritischen Übergangs«, dessen machtlose Zuschauer wir heute sind, auch wirklich zu erfassen. Man wird sich daran erinnern, daß die Geschwindigkeit kein Phänomen an sich ist, sondern die Beziehung zwischen Phänomenen, anders gesagt, die Relativität selbst. Hieraus ergibt sich die Bedeutung der Konstante der Lichtgeschwindigkeit nicht nur für die Physik und die Astrophysik, sondern für das alltägliche Leben, sobald wir, im Anschluß an das Zeitalter der Verkehrsmittel, in das Zeitalter der elektromagnetischen Organisation und Konditionierung des Territoriums eintreten. Genau das ist die »Revolution der Übertragungstechniken«, die Umweltkontrolle in Echtzeit, die nunmehr an die Stelle der traditionellen Gestaltung eines realen Territoriums tritt. In der Tat dient die Geschwindigkeit nicht ausschließlich der einfacheren Fortbewegung, sie dient in erster Linie dazu, die gegenwärtige Welt zu sehen, zu hören, wahrzunehmen und folglich intensiver zu erfas
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sen. In Zukunft wird sie darüber hinaus dazu dienen, über Entfernungen hinweg, jenseits des Wirkungsbereichs des menschlichen Körpers und seiner Verhaltensergonomie, zu handeln. Wie sollte sich dieser Sachverhalt anders erfassen lassen, als durch das Auftauchen eines neuen Typs von Intervall, des INTERVALLS DER ART LICHT (Nullzeichen)? Tatsächlich ist die relativistische Erfindung dieses dritten Intervalls bereits für sich genommen eine Art unbemerkt gebliebene kulturelle Entdeckung. Genauso wie das Zeitintervall (positives Vorzeichen) und das Raumintervall (negatives Vorzeichen) mittels Geometrisierung der ländlichen und städtischen Gebiete (Parzellierung und Kataster) sowohl die Geographie als auch die Geschichte dieser Welt gestalteten, haben auch der Kalender und die Zeitmessung (die Uhr) zu einer umfassenden chrono-politischen Regulierung der menschlichen Gesellschaften beigetragen. Infolgedessen bedeutet die allerjüngste Erscheinung eines dritten Intervalltypus für uns einen qualitativen Sprung, eine tiefgreifende Veränderung der Beziehung zwischen dem Menschen und seiner Lebensumwelt. Weder die ZEIT (die Dauer) noch der RAUM (die Ausdehnung) sind fürderhin denkbar ohne das LICHT (die Höchstgeschwindigkeit), ohne die kosmologische Konstante der LICHTGESCHWINDIGKEIT, diese absolute philosophische Kontingenz, die nach Einstein an die Stelle der Absolutheit tritt, die dem Raum und der Zeit von Newton und vielen anderen vor ihm zuerkannt wurde. Man könnte sagen, daß seit Beginn dieses Jahrhunderts die absolute Grenze der Lichtgeschwindigkeit
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gleichzeitig den Raum und die Zeit beleuchtet. Nicht mehr so sehr das LICHT erhellt die Dinge (das Objekt, das Subjekt, die Strecke), sondern die Konstanz seiner HÖCHSTGESCHWINDIGKEIT bedingt die Wahrnehmung der Dauer und Weite dieser Welt. Bezüglich der Logik der Partikel bemerkte ein Physiker: »Eine Darstellung ist bestimmt durch eine vollständige Einheit meßbarer, kommutierender physikalischer Größen.«' Die makroskopische Logik der Techniken der ECHTZEIT dieser plötzlichen »teleoptischen Kommutation«, die das bisher durch und durch »topische« Wesen der menschlichen Stadt ergänzt und vollendet, läßt sich nicht besser beschreiben. Somit sind sowohl die Stadtplaner als auch die Politiker hin- und hergerissen zwischen den fortwährenden und seit langem bestehenden Notwendigkeiten der Organisation und Planung des Realraums und den damit verbundenen grundlegenden Problemen auf der einen Seite, d. h. den geometrischen und geographischen Zwängen des Zentrums und der Peripherie, sowie andererseits den neueren Notwendigkeiten der Echtzeitordnung der Unmittelbarkeit und Allgegenwart mit ihren Zugangsprotokollen, ihrer komprimierten Datenübertragung, ihren Viren, den chronogeographischen Zwängen, die sich aus der netzartigen Struktur und dem Verbundsystem der Netze ergeben. Das topische und architektonische Intervall unterliegt den Gesetzen der Langzeit, das TELETOPISCHE Intervall (das Netz) denen der kurzen, sehr kurzen, eigentlich nicht mehr existierenden Zeit. Wie kann man diesem Dilemma entkommen? Wie lassen sich diese grundlegenden raumzeitlichen und relativistischen Probleme einordnen? Betrachtet man die schlechte Stimmung an den internationalen Finanzplätzen und die verhängnisvollen
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Auswirkungen der unverzüglichen und automatisierten Kursnotierungen durch das Program Trading, das verantwortlich ist für das wachsende wirtschaftliche Durcheinander sowie den Börsenkrach im Oktober 1987 und den gerade noch abgewendeten im Dezember 1989, dann rührt man an die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Situation. Demnach ist es nicht übertrieben, von einem KRITISCHEN ÜBERGANG zu sprechen: hinter diesem Wort verbirgt sich eine echte Krise der zeitlichen Dimension des unmittelbaren Handelns. Nach der Krise der »ganzheitlichen« räumlichen Dimensionen und der wachsenden Bedeutung der »zersplitterten« Dimensionen hätten wir es damit, kurz gesagt, mit einer Krise der zeitlichen Dimension des gegenwärtigen Augenblicks zu tun. Die LICHTZEIT (oder, wenn man so will, die Zeit der Lichtgeschwindigkeit) dient nunmehr als absoluter Maßstab für das unmittelbare Tun, die unmittelbare Teleaktion. Mit anderen Worten, von nun an beherrscht die intensive Dauer des »echtzeitlichen Augenblicks« die Dauer, die extensive und relativ leicht zu kontrollierende geschichtliche Zeit, d. h. den langen Zeitraum, der noch die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft umfaßte. Und genau dieser Sachverhalt ließe sich als ZEITLICHE KOMMUTATION bezeichnen, eine Kommutation, die zudem einer Art ERSCHÜTTERUNG der gegenwärtigen Dauer ähnlich ist, dem Unfall eines vorgeblich »realen« Augenblicks, der sich jedoch unversehens von seinem angestammten Platz, seinem Hier und Jetzt löst, um in einer (zugleich elektrooptischen, elektro-akustischen und elektro-taktilen) elektronischen Verblendung aufzugehen, bei der die Fernsteuerung die frühere Fernüberwachung dessen, was weit entfernt und außerhalb unserer Reichweite ist, vollenden würde.
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War für Epikur die Zeit das Akzidens der Akzidenzien, so treten wir mit den Datenfernübertragungstechniken der allgemeinen Interaktivität in das Zeitalter des UNFALLS DER GEGENWART ein, wobei die jede Entfernung nivellierende, vielzitierte Telepräsenz immer nur die plötzlich eintretende Katastrophe der Realität dieses gegenwärtigen Augenblicks darstellt, der sowohl unser einziger Zugang zur Dauer als auch - und das ist jedem seit Einstein bekannt - zur Weite der realen Welt ist. Demnach bezieht sich die Echtzeit der Telekommunikationstechniken nicht mehr ausschließlich auf die »verzögerte« Zeit, sondern auch auf ein Jenseits der Chronologie. Aus diesem Sachverhalt leitet sich mein oft gemachter Vorschlag ab, die Chronologie (vorher, während, nachher) um die DROMOLOGIE oder, wenn man es vorzieht, die CHRONOSKOPIE (unterbelichtet, belichtet, überbelichtet) zu ergänzen. Da das Intervall der Art Licht (die Schnittstelle) nunmehr das Raum- und Zeitintervall verdrängt, verdrängt der Begriff der Belichtung im Rahmen der gegenwärtigen Dauer tatsächlich denjenigen der Aufeinanderfolge und im Rahmen der unmittelbaren Fläche denjenigen der Ausdehnung. Aus diesem Grunde könnte die Belichtungsgeschwindigkeit der Lichtzeit eine Neuinterpretation der »Gegenwart«, des »echtzeitlichen Augenblicks« ermöglichen, der, vergessen wir das nicht, die Raumzeit einer sehr wohl realen Handlung ist, die heute erleichtert wird durch die Leistungsfähigkeit der Elektronik und in Zukunft durch diejenige der Photonik, d. h. durch die Spitzenleistungen der elektromagnetischen Wellen und des Lichtquantums, dem Grenzwert für den Zugang zur Realität der wahrnehmbaren Welt (vgl. in diesem Zusammenhang den Lichtkegel der Astrophysiker).
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Die Fragen, die sich heute aus den teleoptischen Techniken ergeben, stehen im Mittelpunkt des Interesses eines jeden Planers, denn die mittels der jüngsten Revolutionierung der Übertragungstechniken bedingte Urbanisierung der Echtzeit führt zu einer radikalen Umkehrung in der Ordnung der Fortbewegung und des physischen Transports. Ermöglicht nämlich die Fernkontrolle tatsächlich die Aufwertung der durch und durch immateriellen Wellenzüge der Fernüberwachung und der unmittelbaren Fernsteuerung auf Kosten des schrittweisen Wegfalls der materiellen Infrastrukturen, mit denen das Territorium ausgestattet war, dann geschieht dies, weil die STRECKE sowie sämtliche ihrer Komponenten eine echte Veränderung/Kommutation durchmachen. Setzte die physische Fortbewegung von einem Punkt zu einem anderen früher eine Abfahrt, eine Reise und eine Ankunft voraus, so führte die Revolution der Verkehrsmittel bereits im letzten Jahrhundert zu einer zunehmenden Verringerung der Dauer und des Wesens der Reise, obwohl die Ankunft am Bestimmungsort aufgrund der Dauer, die die Fahrt in Anspruch nahm, immer noch eine »eingeschränkte Ankunft« blieb. Mit der Revolution der Techniken für die unmittelbare Übertragung erleben wir gegenwärtig die Anfänge einer »allgemeinen Ankunft«, bei der alles ankommt, ohne daß es notwendig wäre wegzugehen. Der Niedergang der Reise (d. h. des Raum- und Zeitintervalls) im r9. Jahrhundert wird zum Ende des 20. Jahrhunderts von der Eliminierung der Abfährt begleitet, so daß der Strecke zugunsten der Ankunft diejenigen Komponenten verlorengehen, die sie überhaupt erst ausmachten. Diese ALLGEMEINE ANKUNFT erklärt auch die un glaubliche Erfindung des nicht mehr nur audiovisu
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ellen, sondern auch taktilen und interaktiven (radioaktiven, optoaktiven, interaktiven ...) statischen Vehikels. Nichts anderes ist der »Datenanzug« des Amerikaners Scott Fisher, der für die NASA an der Entwicklung einer Ausrüstung für den Körper des Menschen arbeitet, mit deren Hilfe sein Handeln und seine Empfindungen übertragbar sind, mit anderen Worten, mit deren Hilfe er aus der Distanz präsent sein kann, und zwar vollkommen unabhängig von der Entfernung, denn die NASA verfolgt mit diesem Projekt das Ziel, die vollständige Fernhandhabung eines automatisierten Doubles auf der Oberfläche des Mars zu ermöglichen. Damit verwirklicht die nationale Luft- und Raumfahrtbehörde der USA eine echte Telepräsenz des Individuums, das zugleich hier und anderswo ist, eine Verdoppelung der Persönlichkeit des Manipulators, dessen »Vehikel« dieser interaktive und unmittelbare Vektor wäre. An dieser Stelle möchte ich mich nochmals auf die warnenden Worte von Paul Klee beziehen, der sagte, daß die Hauptaktivität des Zuschauers zeitlich sei. Und auch über die Interaktivität des Teleakteurs läßt sich wohl sagen, daß die Aktivität, genauso wie diejenige des nunmehr klassischen Fernsehzuschauers, weniger eine räumliche als vielmehr eine zeitliche ist. Das der Bewegungslosigkeit hingegebene interaktive Wesen überträgt seine natürliche Bewegungs- und Fortbewegungsfähigkeit an Sonden und Detektoren, die es auf Kosten seiner eigenen Fähigkeit der Realitätserfassung unmittelbar über eine weit entfernte Realität informieren, ganz so wie bei einem Para- oder Tetraplegiker, der, entsprechend dem Modell der Domotik und der »intelligenten Gebäude«, die all unsere Wünsche erfüllen, dazu in der Lage ist, seine häusliche Umwelt fernzusteuern. Auf diese Weise hätte sich der
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zuerst mobile und dann automobile Mensch zu einem motilen Menschen entwickelt, der den Einflußbereich seines Körpers freiwillig auf einige wenige Gesten und Impulse wie das Zappen beschränkt. Diese kritische Situation läßt sich mit derjenigen vieler Gehbehinderter vergleichen, die aufgrund der Sachzwänge - der kritischen Sachzwänge der Technik - zu Modellen des neuen Menschen und Bewohners der zukünftigen teleoptischen Stadt werden, d. h. der METASTADT einer gesellschaftlichen Entregelung, deren transpolitisches Wesen schon hier und da bei einer Vielzahl meist unerklärt gebliebener großer Unfälle und kleiner Störfälle zutage tritt. Wie läßt sich diese Übergangssituation, Physiker würden von einem »Phasenübergang« sprechen, begreifen? In seiner Biographie über Nikolaus von Kues zitiert Giuseppe Bufo eine philosophische Analyse des deutschen Philosophen und Kirchenpolitikers wie folgt: »Obwohl das Akzidentielle, sobald man es der Substanz beraubt, verschwindet, so ist es doch kein reines Nichts. Wenn es vergeht, so deshalb, weil es zu seinem Wesen als Akzidens gehört, sich einer anderen Realität zuzuordnen. Das Akzidentielle trägt soviel zur Substanz bei, daß es, obwohl es sein Wesen einzig durch die Substanz erhält, keine Substanz ohne Akzidens geben kann. « s Wie wir gesehen haben, ist das Problem des Akzidentiellen heute vom Raum der Materie auf die Zeit des Lichts übergegangen. Das Akzidens ist in erster Linie das Übertragungsakzidens der Höchstgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen, d. h. derjenigen Geschwindigkeit, die es von nun an nicht mehr nur möglich macht, über große
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Entfernungen hinweg zu hören und zu sehen, so wie es beim Telefon, Radio oder Fernseher der Fall war, sondern auch aus der Ferne zu handeln. Und genau hieraus ergibt sich die Notwendigkeit eines dritten lntervalltyps (mit dem Vorzeichen Null), um somit unter Umständen den Ort des Nicht-Ortes einer Teleaktion erfassen zu können, der nicht mehr mit dem Hier und Jetzt des unmittelbaren Tuns zu verwechseln ist. Das Übertragungsakzidens der Interaktivität führt also nicht nur zu einem Technologietransfer von der zeitverzögerten Kommunikation zur echtzeitlichen Kommutation, sondern vor allem auch zu einem politischen Transfer, der die zentralen Begriffe unseres Zeitalters in Frage stellt: den der Dienstleistung und den der Öffentlichkeit. Es stellt sich in der Tat die Frage, was vom Begriff der Dienstleistung übrigbleibt, wenn man geknechtet wird. Und was vom Begriff der Öffentlichkeit, wenn das öffentliche Bild (in Echtzeit) an die Stelle des öffentlichen Raums tritt. Wenn bereits jetzt der Begriff des öffentlichen Verkehrs Stück für Stück demjenigen des Fortbewegungsbandes weicht und sich damit die Kontinuität gegen die Diskontinuität durchsetzt, was bedeutet dann erst der Anschluß der Privatwohnung an die domotischen Hausgeräte, das intelligente und interaktive Gebäude, ja sogar die interaktive Stadt wie Kawasaki beispielsweise? Indem die Krise des Begriffs der physischen Dimension auf diese Weise die alte Geopolitik erfaßt, erfaßt sie darüber hinaus sowohl die Politik als auch die Verwaltung in vollem Ausmaß. Wenn die Schnittstelle das klassische Intervall ersetzt, dann verlagert sich die Politik ihrerseits ausschließlich in die gegenwärtige Zeit. Demzufolge steht nicht mehr so
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sehr das Problem des Verhältnisses zwischen dem GLOBALEN und dem LOKALEN oder zwischen dem ÜBERNATIONALEN und dem NATIONALEN im Vorder grund, vielmehr ist es dasjenige der plötzlichen zeitlichen Kommutation, bei der nicht nur innen und außen sowie die Fläche des politischen Territoriums verschwinden, sondern auch das Vorher und Nachher seiner Dauer, seiner Geschichte, und das einzig zu gunsten eines ECHTZEITLICHEN AUGENBLICKS, auf den niemand einwirken kann. Um sich hiervon zu überzeugen, genügt es, die unlösbaren geostrategischen Probleme zu betrachten, die verursacht werden von der Unmöglichkeit, heutzutage deshalb nicht mehr eindeutig zwischen Offensive und Defensive unterscheiden zu können, weil die unmittelbare und mehrpolige Strategie sich nunmehr im Rahmen von, wie die Militärs es nennen, »vorgreifenden« Maßnahmen entfaltet. Somit tritt an die Stelle der antiken Tyrannei der Entfernungen zwischen den geographisch verstreut lebenden Menschen zunehmend die Tyrannei der Echtzeit, von der nicht ausschließlich die Reisebüros betroffen sind, wie die Optimisten behaupten, sondern vor allem das Arbeitsamt, denn je mehr sich der Handelsverkehr beschleunigt, um so größer und massiver wird die Arbeitslosigkeit. Die menschliche Muskelkraft wurde seit dem ig. Jahrhundert durch die »Werkzeugmaschine« entlastet, und mit dem jüngsten Aufschwung der Computer, der »Übertragungsmaschinen«, wurde dann das Gedächtnis des Menschen, sein Bewußtsein, endgültig in die Arbeitslosigkeit entlassen, wobei die Automatisierung der post-industriellen Produktion noch begleitet wird sowohl von der Automatisierung der Wahrnehmung als auch von der computergestützten
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Planung, die der Softwaremarkt ermöglicht, der eine Vorstufe zum Markt der künstlichen Intelligenz darstellt. Gewinnt man der »verzögerten« Zeit Echtzeit ab, so bedeutet dies, daß man sich auf ein rasch zum Ziel führendes Verfahren einläßt, mit dessen Hilfe das Objekt und das Subjekt physisch eliminiert werden zum ausschließlichen Vorteil der Strecke, allerdings einer Strecke ohne Weg, die damit zwangsläufig unkontrollierbar ist. Da die echtzeitliche Schnittstelle tatsächlich endgültig das Intervall ersetzt, das einst die Geschichte und Geographie unserer Gesellschaften gestaltet und organisiert hatte, kommt es zur Entstehung einer wirklich paradoxen Kultur, in der alles ankommt, ohne daß es notwendig wäre, sich physisch fortzubewegen oder überhaupt nur wegzugehen ... Wie sollte man hinter diesem kritischen Übergang nicht die zukünftige Konditionierung der menschlichen Lebenswelt vermuten? Wenn schon die Revolution der Verkehrsmittel im letzten Jahrhundert europaweit zu einer grundlegenden Veränderung des städtischen Territoriums geführt hatte, dann bedingt die gegenwärtige Revolution der (interaktiven) Übertragungstechniken ihrerseits eine Kommutation der städtischen Umwelt, bei der sich das Bild gegen die Sache durchsetzt, deren Bild es ist. Dabei wird die alte Stadt langsam zu einem paradoxen Ballungsraum, denn an die Stelle der Beziehungen unmittelbarer Nähe treten die mittelbaren Fernbeziehungen. Die Paradoxe der Beschleunigung sind tatsächlich zahlreich und verwirrend, insbesondere das erste dieser Paradoxe: In demselben Maße wie die »Ferne«
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näherrückt, entfernt einen das vom »Nächsten«, Freund, Verwandten oder Nachbarn. Auf diese Weise werden alle diejenigen zu Fremden, ja zu Feinden, die einem nahestehen: die Familie, Arbeitskollegen oder Nachbarn. Diese Umkehrung der gesellschaftlichen Praxis, die bereits in der Planung der Verkehrsmittel (Hafen, Bahnhof, Flughafen usw.) zum Ausdruck kam, verstärkt und radikalisiert sich noch durch die neuen Telekommunikationsmittel (Schaltstellen für die Datenfernübertragung usw.). Einmal mehr können wir also eine Trendwende beobachten: Führte die Motorisierung des Verkehrs und der Information zu einer allgemeinen Mobilisierung der Bevölkerung, die in den Strom der Massenwanderung erst zu den Arbeitsplätzen und dann zu den Urlaubszielen hineingerissen wurde, so verursachen die Techniken für die unmittelbare Übertragung im Gegensatz dazu eine sich zunehmend vergrößernde Trägheit, da das Fernsehen - und noch weniger die Fernhandlung - nicht mehr der Mobilität des Menschen, sondern seiner Mobilität auf der Stelle bedürfen. Teleshopping, Telearbeit zu Hause, verkabelte Wohnungen und Häuser, KOKONISIERUNG, wie man sagt. Auf die Urbanisierung des Realraums folgt also die Urbanisierung der Echtzeit, die letztlich diejenige des individuellen Körpers des Stadtbewohners, dieses Terminal-Bürgers, ist, der schon bald mit interaktiven Prothesen überrüstet sein wird und dessen pathologisches Modell der »Gehbehinderte« darstellt, der über entsprechende Hilfsmittel verfügt, um seine häusliche Lebenswelt zu kontrollieren, ohne sich physisch fortbewegen zu müssen. Der Terminal-Bürger ist das Katastrophenbild einer Persönlichkeit, die zusammen mit ihrer natürlichen Bewegungsfähigkeit ihre Fähigkeiten der unmittelbaren Teilhabe eingebüßt hat. Man
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gels Alternativen übereignet sich diese Persönlichkeit der Leistungsfähigkeit von Kollektoren, Sensoren und allen möglichen Detektoren für die Fernsteuerung, die aus ihr ein der Maschine unterworfenes Wesen machen, das sich, wie man sagt, mit der Maschine in einem ständigen Dialog befindet.4 Dienen oder unterwerfen, genau das ist die Frage. Es besteht die Gefahr, daß an die Stelle der früheren öffentlichen Dienstleistung eine häusliche Knechtung tritt, deren Vollendung die Domotik wäre. Die allgemeine Durchsetzung der Techniken für die Umweltkontrolle bedeutete die Verwirklichung einer häuslichen Bewegungslosigkeit und würde als solche zu isolationsbedingten Verhaltensweisen, zur Verstärkung eines Inseldaseins führen, das die Stadt immer schon bedroht hat, weil die Unterscheidung zwischen »Insel« und »Ghetto« nicht eindeutig ist. Die veröffentlichten Beiträge eines vor kurzem in Dünkirchen abgehaltenen Kolloquiums, das sich mit dem Problem der Körperbehinderung befaßte, weisen merkwürdigerweise viele Ähnlichkeiten mit der hier beschriebenen kritischen Situation auf. Es scheint, als bewirkten die neuesten technischen und wirtschaftlichen Imperative der Erzeugung eines Kontinuums, eines Netzes, genau da, wo es noch Diskontinuitäten gab, ein Amalgam, eine Mischung der unterschiedlichen städtischen Bewegungstypen. Und aus eben diesem Umstand erklärt sich auch die bereits beschriebene Vorstellung, den Begriff der öffentlichen Verkehrsmittel durch den viel weiter gefaßten Begriff der Fortbewegungsbänder zu ersetzen. Fran~ois Mitterrand brachte die bei diesem Kolloquium geäußerten Vorstellungen mit folgenden großherzigen Worten auf den Punkt: »Die Städte müssen sich an ihre Bürger anpassen und nicht umgekehrt.
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Wir müssen die Städte den Behinderten zugänglich machen. Ich fordere, daß eine globale Behindertenpolitik einer der Schwerpunkte des sozialen Europas ist.« Das unumstößliche Recht der Behinderten darauf, wie die NichtBehinderten und mit den Nicht-Behinderten zu leben, steht vollkommen außer Zweifel. Dennoch ist es aufschlußreich festzustellen, wie viele Gemeinsamkeiten es nunmehr zwischen der eingeschränkten Mobilität des mit entsprechenden Hilfsmitteln ausgerüsteten Behinderten und der zunehmenden Bewegungslosigkeit des überrüsteten NichtBehinderten gibt. Es scheint, als führte die Revolution der Übertragungstechniken zum selben Ergebnis, unabhängig vom körperlichen Zustand des Patienten, dieses TERMINAL: BÜRGERS einer immer schneller sich entwickelnden teleoptischen Stadt. Am Ende unseres Jahrhunderts bleibt nicht mehr viel von der Ausdehnung des Erdballs übrig, der nicht nur verschmutzt, sondern auch geschrumpft ist, auf ein Nichts reduziert durch die Teletechnologien der allgemeinen Interaktivität.
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Die Perspektive der Echtzeit »Die Aufhebung des Abstands ist tödlich.« Rene Char Neben der Luft-, der Wasser- und all den anderen Arten von Verschmutzung gibt es eine unbemerkt gebliebene Verschmutzung der Fläche, die ich als Verschmutzung der DROMOSPHÄRE bezeichnen möchte (aus griech. dromos »Lauf«). In der Tat sind nicht nur die Elemente, die natürlichen Substanzen, die Luft, das Wasser, die Fauna oder die Flora vergiftet, sondern auch die Raumzeit unseres Planeten. Die durch die verschiedenen unmittelbaren Verkehrs- und Kommunikationsmittel zunehmend auf ein Nichts reduzierte geophysikalische Umwelt erfährt eine beunruhigende Disqualifizierung ihrer »Tiefenschärfe«, die das Verhältnis des Menschen zu seiner Lebenswelt schädigt. Die optische Dichte der Landschaft schrumpft rapide und bedingt eine Verwechslung zwischen dem sichtbaren Horizont, gegen den sich jedes Ereignis abhebt, und dem tiefen Horizont unserer kollektiven Imago. Und all das zugunsten eines letzten Horizonts der Sichtbarkeit, des hindurch-sichtbaren Horizonts, der das Ergebnis der optischen (elektrooptischen und akustischen) Verstärkung der natürlichen Umwelt des Menschen ist. Infolgedessen ist der Revolution der Verkehrsmittel eine verborgene Dimension zu eigen, die die Dauer, die gelebte Zeit unserer Gesellschaften in Mitleidenschaft zieht. Ich glaube, daß genau hier eine bestimmte Form der »Ökologie« an ihre Grenzen stößt und ihre theoreti
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sche Beschränktheit offenbart, da sie auf eine Beschäftigung mit den Formen der Zeitlichkeit verzichtet, die mit den verschiedenen »ÖkoSystemen« verbunden sind, insbesondere solchen, die der industriellen und post-industriellen Technosphä~re entstammen. Als Wissenschaft der endlichen Welt verzichtet die Wissenschaft der menschlichen Umwelt scheinbar freiwillig auf ihre Beziehung zur psychologischen Zeit. Nach dem Muster der von Edmund Husserl' gebrandmarkten »universellen« Wissenschaft setzt sich die Ökologie nicht wirklich mit dem Dialog zwischen Mensch und Maschine, der engen Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Wahrnehmungsformen sowie den kollektiven Kommunikations- und Telekommunikationspraktiken auseinander. Mit einem Wort, die Ökologie geht den Auswirkungen der Maschinenzeit auf die Umwelt nicht in ausreichendem Maße nach und überläßt diese Sorge der Ergonomie, der Ökonomie und sogar der »Politik«. Immer wieder stößt man auf den verheerenden Mangel an Verständnis für das relativistische Wesen der menschlichen Aktivitäten im Zeitalter der industriellen Moderne. Und an genau dieser Stelle setzt nunmehr die DROMOLOGIE an. Es genügt nicht, die Ökologie als öffentliche Verwaltung der Verluste und Gewinne der Substanzen zu betrachten, d. h. der Bestände, die die menschliche Umwelt ausmachen, denn diese Disziplin kann sich nur unter der Voraussetzung wirklich weiterentwickeln, daß sie auch die Zeit der interaktiven Aktivitäten und ihre schnellen Veränderungen berücksichtigt. Wenn es nach Charles Peguy keine Geschichte, sondern nur eine öffentliche Dauer gibt, dann müßten der Rhyth
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mus und die Geschwindigkeit der Ereignisse dieser Welt nicht nur, wie vom Dichter behauptet, zu einer »wahren Soziologie« führen, sondern vor allem zu einer authentischen »öffentlichen Dromologie«, denn - und das sollten wir niemals vergessen - die Wahrheit der Phänomene wird tatsächlich immer von der Geschwindigkeit ihres Auftauchens begrenzt. Kehren wir jetzt aber zu den wahrscheinlichen Ursprüngen dieser Fehleinschätzung der öffentlichen Rhythmik zurück. Auf einem begrenzten Planeten, der nichts weiter als eine große Bodenfläche darstellt, ist die kollektive Nicht-Wahrnehmung der Verschmutzung der Dromosphäre damit zu erklären, daß das Wesen der Strecke vergessen wird. Trotz der jüngsten Untersuchungen und Debatten zu den Auswirkungen der durch Internierungen, Haftstrafen o. ä. bedingten Bewegungslosigkeit (in totalitären Regimen, in Strafsystemen, bei Blockaden oder Ausgangssperren), sind wir scheinbar nicht dazu in der Lage, uns eingehend mit dem Problem der Strecke auseinanderzusetzen, außer in den Bereichen Mechanik, Ballistik oder Astronomie. Subjektivität und Objektivität sind zwar von Bedeutung, nicht aber die Strecke. Trotz der ganz entscheidenden anthropologischen Frage nach der Bedeutung des Nomadismus einerseits und der Seßhaftigkeit andererseits, die ein Licht auf die Entstehung der Stadt als eine der wichtigsten politischen Formen der Geschichte wirft, gibt es nur wenig Verständnis für das vektorielle Wesen der wandernden Gattung, die wir sind, für ihre Chorographie. Zwischen der Subjektivität und der Objektivität gibt es allem Anschein nach keinen Platz für die Strecke, das Sein der Bewegung von hier nach da, vom einen zum anderen, ohne das wir niemals ein tiefergehendes
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Verständnis der unterschiedlichen Wahrnehmungsformen der Welt erlangen werden, die im Laufe der Zeit aufeinander folgten. Diese Wahrnehmungsformen der Erscheinungen sind verbunden mit der Geschichte der Fortbewegungstechniken und -arten, d. h. des Fernverkehrs, denn die Beschaffenheit der Geschwindigkeit der Verkehrs- und Übertragungsbewegungen verursacht nicht nur eine Entwicklung der Wanderungssysteme bzw. der Besiedlung des einen oder anderen Gebietes der Erde, sondern auch eine tiefgreifende Veränderung der »Tiefenschärfe«2 und damit der optischen Dichte der menschlichen Umwelt. Folglich ergibt sich heute das Problem der verbliebenen Weite der Erdoberfläche angesichts der Übermacht der Verkehrs- und Telekommunikationsmittel: Höchstgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen auf der einen Seite, und andererseits Beschränkung, drastische Verkleinerung der Ausdehnung der geophysikalischen Fläche infolge der Unterschall-, Überschall- und bald auch Hyperschall-Verkehrsmittel. In diesem Zusammenhang erläuterte der Physiker Zhao Fusan kürzlich: »Die heutigen Reisenden halten die Welt für immer weniger exotisch, dennoch täuschen sie sich, wenn sie glauben, sie werde eintöniger.« Das Ende der Außenwelt ist gekommen, und die ganze Welt wird mit einem Mal »endotisch«. Dieses Ende beinhaltet sowohl das Vergessen des räumlichen als auch das des zeitlichen Äußeren (now future) zugunsten des »gegenwärtigen« Augenblicks, d. h. des echtzeitlichen Augenblicks der unmittelbaren Telekommunikationstechniken. Wann wird es endlich gesetzliche Einschränkungen geben, wann eine Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt? Nicht aufgrund der Wahrscheinlichkeit eines Verkehrsunfalls, sondern wegen der Gefahr des voll
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ständigen Abbaus der zeitlichen Distanzen und des daraus resultierenden Risikos des Stillstands, anders gesagt, des Parkunfalls. »Was nützte es dem Menschen, die Welt zu gewinnen, wenn er dabei seine Seele verliert?« Erinnern wir uns daran, daß gewinnen auch bedeutet anzukommen, ein Ziel zu erreichen, zu erobern oder zu besitzen; und seine Seele - die anima - zu verlieren heißt, das Sein der Bewegung zu verlieren. Historisch gesehen befinden wir uns also an einer Art Schnittstelle der Erkenntnis des Da-Seins: Auf der einen Seite steht der Nomade der Frühzeit, für den der Weg und der »Übergangscharakter« des Seins überwiegen. Auf der anderen Seite der Seßhafte, für den Subjekt und Objekt vorherrschend sind, die Tendenz zur Immobilität, die Trägheit, die den seßhaften und städtischen »Zivilisten« im Gegensatz zum nomadisierenden Krieger auszeichnet. Aufgrund der Techniken der Fernsteuerung und Telepräsenz nimmt diese Tendenz heute noch weiter zu und mündet schon bald in einen Zustand der endgültigen Seßhaftigkeit, bei dem sich die Umweltkontrolle in Echtzeit gegen die Gestaltung des territorialen Realraums durchsetzen wird. Hierbei handelt es sich um die definitive und ultimative Seßhaftigkeit, die praktische Folge aus dem Auftauchen eines dritten und letzten Horizonts der indirekten Sichtbarkeit (nach dem sichtbaren und dem tiefen Horizont), des hindurch-sichtbaren Horizonts. Er ist die Frucht der Telekommunikationstechniken und eröffnet die unglaubliche Möglichkeit einer »Kultur des Vergessens« im Rahmen einer Gesellschaft der Direktübertragung (live coverage), die weder Zukunft noch Vergangenheit kennt, da sie weder Weite noch Dauer hat; eine allerorts intensiv gegenwärtige Gesellschaft, mit anderen Worten, der ganzen Welt telepräsent.
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Zum Verlust der Erzählung über die Strecke, und damit jedweder Interpretationsmöglichkeit, kommt noch der plötzliche Gedächtnisverlust, oder besser gesagt, der Aufschwung eines paradoxen unmittelbaren Gedächtnisses, das mit der Allmacht des Bildes verknüpft ist. Ein Bild in Echtzeit, das keine konkrete (explizite) Information mehr wäre, sondern eine diskrete (implizite), eine Beleuchtungsart der faktischen Realität. Nach der sichtbaren Horizontlinie, diesem ursprünglichen Horizont der Weltszenerie, würde also der quadratische Horizont des Bildschirms (der dritte Horizont der Sichtbarkeit) das Gedächtnis des zweiten Horizonts, dieses tiefen Horizonts unserer Erinnerung an die Orte, und folglich unsere Orientierung in der Welt beeinträchtigen, womit es zu einer Verwechslung von nah und fern, innen und außen, einer allgemeinen Wahrnehmungsstörung käme, die sich sehr nachteilig auf das Denken selbst auswirken würde. Entstand die topische Stadt einst um das »Tor« und den »Hafen«, so tut dies nunmehr die teletopische Metastadt um das »Fenster« und die Schaltstelle für die Datenfernübertragung, den sogenannten Telehafen, d. h. den Bildschirm und die Sendezeit. Es gibt keinen Aufschub und keine Tiefenwirkung mehr, nicht mehr das Volumen macht die Realität der Dinge aus, denn die Realität verbirgt sich jetzt in der Oberflächlichkeit der Bilder. Von jetzt an bildet die natürliche Größe nicht mehr den Maßstab für die Wirklichkeit, die sich in der Verkleinerung der Fernsehbilder versteckt. Wie eine Frau, die sich ihrer Schwangerschaft und der daraus resultierenden Leibesfülle schämt, scheint es die Realität zu bedauern, Tiefenwirkung und Dichte zu besitzen. Wenn das Intervall dadurch klein, sogar kleiner als
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klein wird, daß es plötzlich zur Schnittstelle wird, dann gilt dies auch für die Dinge, die wahrgenommenen Gegenstände. Sie verlieren ihr Gewicht, ihre Dichte. Mit dem (elektromagnetischen) »Gesetz der Nähe« setzen sich die Ferne gegen die Nähe und die Bilder ohne Dichte gegen die in Reichweite befindlichen Dinge durch. Der auf dem Standbild wahrgenommene belaubte Baum verweist nicht mehr auf den Baum aus dem Pflanzenreich, sondern die stroboskopische Wahrnehmung läßt ihn nur noch undeutlich an einem vorbeiziehen. »Diejenigen, die glauben, daß ich zu viel male, betrachten meine Bilder zu schnell«, schrieb Van Gogh. Auch die klassische Fotografie ist nur noch ein Standbild. Mit dem Niedergang der Ausdehnungen und der Weite der Landschaft wird die Realität sequentiell, und das kinematische Vorbeiziehen der Bilder läßt das Statische und die Festigkeit der Materialien hinter sich. Es wurde oft behauptet, der Schwindel werde durch den Anblick der fliehenden Vertikalen verursacht. Sollte die Perspektive des Realraums der italienischen Renaissance die erste Form eines Schwindels sein, den der sichtbare Horizont bewirkt, ein horizontaler Schwindel, der durch einen Zeitstillstand am Schnittpunkt der Fluchtlinien hervorgerufen wird? Giulio Carlo Argan schrieb in einem bedeutenden Text aus dem Jahre 1947: »Noch bevor das Prinzip des Schnittpunktes auf den Raum angewendet wurde, wurde es auf die Zeit angewendet - und vielleicht ist diese neue Raumvorstellung sogar einfach nur die Folge des abrupten Zeitstillstands.«3 Wäre also die berühmte perspektivische Tiefenwirkung des Quattrocento möglicherweise nur ein Schwindel gewesen, der vom Zeitstillstand im echtzeitlichen Augenblick des Fluchtpunktes verursacht wurde?
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Stünde infolgedessen die Unbeweglichkeit dieses PUNCTUMS an der Schnittstelle der Fluchtlinien am Ursprung der Perspektive des Realraums? Allerdings herrscht diese Perspektive nur noch für kurze Zeit vor. Die Tiefenwirkung ist die Seele der Malerei, schrieb Leonardo da Vinci. In diesem Zusammenhang sei an das Streitgespräch erinnert, das Auguste Rodin und Paul Gsell über den Wahrheitsgehalt der fotografischen Momentaufnahme führten. Der Bildhauer sagte: »Nein, der Künstler ist wahr, und die Fotografie lügt, denn in Wirklichkeit steht die Zeit nicht still.«4 Die Zeit, von der hier die Rede ist, ist die chronologische Zeit, die nicht stillsteht und immer weiterläuft, es ist die gewohnte lineare Zeit. Was nun aber die Techniken der Lichtempfindlichkeit an wirklich Neuem mit sich brachten und was Rodin nicht bemerkt hatte, war, daß die Definition der fotografischen Zeit nicht mehr die der vorübergehenden Zeit war, sondern zunächst und vor allem diejenige einer Zeit, die sich belichtet, die »zur Oberfläche« wird, eine Belichtungszeit, die infolgedessen die klassische Zeit der historischen Abfolge ablöst. Die Zeit der plötzlichen Aufnahme ist also von Anfang an die LICHTZEIT. Die Belichtungszeit der Fotoplatte ist demnach nichts anderes als die Belichtung der Zeit, der Raumzeit ihrer lichtempfindlichen Materie in Lichtgeschwindigkeit, das heißt letztlich, in der Frequenz der Wellen, die die Photonen tragen. Was der Bildhauer also noch nicht bemerkt, ist, daß die Zeit der Darstellung der Bewegung ausschließlich durch die Oberfläche der Aufnahme zum Stillstand gebracht wird. Mit dem unmittelbaren Fotogramm, das die Erfindung der kinematographischen Bildfolge ermöglicht, steht die Zeit nicht mehr still. Das Filmband bzw. die Filmrolle und später die echtzeitliche Videokassette der permanenten Fernüberwachung werden die unge
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heure Neuerung einer kontinuierlichen Lichtzeit veranschaulichen, anders gesagt, die seit der Entdeckung des Feuers herausragendste wissenschaftliche Erfindung, die eines indirekten Lichts, das das direkte Licht der Sonne oder das elektrische Licht ersetzt, wie dieses seinerzeit das Tageslicht ersetzt hatte. Heutzutage ist der Bildschirm der echtzeitlichen Fersehsendungen kein monochromer Filter mehr, so wie es noch der Filter der Fotografen war, der nur eine Farbe aus dem natürlichen Spektrum des Sonnenlichts hindurchläßt, sondern ein monochroner Filter, der nur die Gegenwart sichtbar macht. Eine intensive Gegenwart, das Ergebnis der Höchstgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen, die sich nicht mehr in die chronologische Zeit - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft einschreibt, sondern in die chronoskopische Zeit: unterbelichtet, belichtet, überbelichtet. Allein durch den Stillstand des gegenwärtigen Augenblicks gibt es die Perspektive der Echtzeit des hindurchsichtbaren Horizonts des Videos; die Perspektive des Realraums des sichtbaren Horizonts des Quattrocento dagegen existierte nur aufgrund einer Synkope, eines Zeitstillstands, des Schwindelgefühls eines Körpers, über den Maurice Merleau-Ponty sagte: »Der eigene Leib ist in der Welt wie das Herz im Organismus: er ist es, der alles sichtbare Schauspiel unaufhörlich am Leben erhält, es innerlich ernährt und beseelt, mit ihm ein einziges System bildend.«' »Zeitstillstand« im Schnittpunkt der Fluchtlinien der perspektivischen Geometrie. Zeitstillstand in der fotografischen Unmittelbarkeit und schließlich Zeitstillstand im echtzeitlichen Augenblick der Fernsehdirektübertragung. Es scheint, als sei die Tiefenwirkung der Welt (oder genauer gesagt, ihre Hochauflösung) lediglich der Effekt einer nicht wahrnehmbaren Fixierung der Gegenwart. Eine pyknoleptische Starre, ein unend
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licher Mangel an Dauer, ohne den das Schauspiel des Sichtbaren schlichtweg nicht stattfände. Sollte unsere Wahrnehmung der Tiefenwirkung eine Art von Blickfall sein, der mit dem Fall der Körper nach dem universellen Gravitationsgesetz vergleichbar wäre? Etwa so wie beim Licht weit entfernter Sterne, das durch eine große Masse abgelenkt wird und so die Täuschung der Gravitationsoptik begünstigt? Wenn dies zuträfe, wäre die Perspektive des Realraums des Quattrocento der erste wissenschaftliche Hinweis darauf. Seit dieser historischen Epoche wird die Optik tatsächlich kinematisch, und Galilei erbrachte allen Widersachern zum Trotz den Beweis hierfür. Mit den Perspektivisten der Renaissance »fallen« wir buchstäblich auf eine gravitierende Art und Weise in das Volumen des sichtbaren Schauspiels hinein, die Welt öffnet sich uns einen Spalt breit. Sehr viel später entdeckten die Physiologen, daß, je schneller man sich fortbewegt, sich der Punkt, an dem die Augenanpassung stattfindet, um so weiter nach vorne verlagert. Von da an ist der oft erwähnte »Schwindel der Fluchtlinien« noch, verbunden mit der Projektion der Einstellung des Blicks. Zur Veranschaulichung dieser sich aus der Erhöhung der Geschwindigkeit ergebenden plötzlichen Erweiterung des Sehens möchte ich den Bericht eines Fallschirmspringers, eines Spezialisten für den freien Fall, zitieren: »Der Blickfall besteht darin, während des Falls jederzeit die Entfernung, in der man sich zum Boden befindet, visuell abzuschätzen. Die Abschätzung der Höhe sowie die genaue Einschätzung des Moments, in dem man den Fallschirm öffnen muß, resultieren aus einem dynamischen visuellen Eindruck. Wenn man mit einem Flugzeug in 6oo Meter Höhe fliegt, hat man nicht denselben visuellen Eindruck wie beim vertikalen
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Fall mit großer Geschwindigkeit in derselben Höhe. Befindet man sich in 2000 Meter Höhe, merkt man nicht, daß der Boden näher kommt. Wenn man jedoch bei 8oo bis 6oo Metern angekommen ist, sieht man, wie er auf einen »zukommt«. Das Gefühl wird sehr schnell beängstigend, denn der Boden stürzt auf einen zu. Die sichtbare Größe der Dinge wächst immer schneller, und mit einem Mal hat man das Gefühl, daß sie nicht mehr näher kommen, sondern sich plötzlich entfernen, so, als würde der Boden bersten.«'' Dieser Bericht ist deshalb so wertvoll, weil er auf eine wirklich gravitierende Weise den Schwindel der Perspektive, ihre scheinbare Schwere veranschaulicht. Bei diesem »Blickfaller« erscheint die perspektivische Geometrie als das, was sie niemals aufgehört hat zu sein: eine Übereiltheit der Wahrnehmung, bei der die Schnelligkeit des freien Falls das fraktale Wesen des Sehens offenbart, das aus der schnellen Augenanpassung resultiert. Beim freien Fall kommt der Boden von einer bestimmten Entfernung, einem bestimmten Moment an nicht mehr auf einen zu, sondern er entfernt sich, er birst und wandelt sich urplötzlich von einer »einheitlichen« Dimension ohne Fluchtlinien zu einer »gebrochenen« Dimension, in der sich einem das sichtbare Schauspiel eröffnet. Auch wenn es für den Menschen nicht möglich zu sein scheint, diesen Blickfall bis zum Ende auzuprobieren, so ist es doch klar, daß das Sehen dabei in höchstem Maße von der Schwerkraft abhängt. Die übereilte Perspektive ist nicht mehr in erster Linie die vertikale oder horizontale Perspektive des Realraums der italienischen Geometer, sondern sie ist vor allem diejenige der Echtzeit des Falls der Körper. Vor seinem endgültigen Auseinanderbrechen hängt der für den »Springer« sichtbare Horizont wesentlich von
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der Schnelligkeit seiner Augenanpassung ab, die Einstellung sowie der unmerkliche Stillstand der Zeit hängen von der Masse seines Körpers ab. Das Sein der Strecke bestimmt die Wahrnehmung des Subjekts durch die Masse des Objekts. Der Fall des Körpers wird plötzlich zum Körper des Falls. Wenn die Isolation die Perspektive verzerrt, dann ist die Isolation hier diejenige des Augenblicks einer Übereiltheit in der Erdanziehung, und die Perspektive ist nicht so sehr eine räumliche als vielmehr die Perspektive der verbleibenden Zeit, der »Fallzeit«, die in hohem Maße von der Schwerkraft abhängt. Mit einem Mal scheinen alle geometrischen Dimensionen ineinanderzulaufen: Zunächst scheint der Bo den auf einen ZUZUKOMMEN, um sich dann zu ÖFFNEN. Auf das Näherrücken einer Oberfläche folgt das Wegrücken der Fluchtlinien eines Volumens, während der Auftreffpunkt auseinanderbricht, und der Mensch selbst ist die Linie, das Sein der Strecke eines vollkommen ungehinderten freien Falls.'' Eine gefährliche Übung, um den dynamischen visuellen Eindruck zu testen, mit anderen Worten, die KINEMATISCHE OPTIK. Merkwürdigerweise üben heutzutage die Leere und die durch sie hervorgerufenen extremen Empfindungen auf immer mehr Menschen eine große Anziehungskraft aus: Bungee-Springen, Wolken-Surfen, Base jump usw. All das erweckt den Eindruck, als hätte sich die beschleunigte Perspektive bereits gegen die passive der Perspektivisten durchgesetzt, denn es handelt sich um selbstmörderische Experimente mit der Bewegungslosigkeit eines Körpers, der ohne jeden Halt - außer dem der Luft - zu dem einzigen Zweck von seiner eigenen Masse in den relativen Wind einer schwindelerregenden Fortbewegung hineingerissen
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wird, um die Erfahrung der Schwere des Körpers zu machen. Auf der Erde beträgt die Fluchtgeschwindigkeit 11,2 km pro Sekunde. Unterhalb dieser Beschleunigung unterliegen alle Geschwindigkeiten dem Einfluß der Erdanziehung, eingeschlossen die Geschwindigkeit unserer Wahrnehmung der Dinge. Zentrifugal- und Zentripetalkraft auf der einen Seite, Vortriebswiderstand auf der anderen, jede horizontale oder vertikale Bewegung zur physischen Fortbewegung hängt also von der auf der Erdoberfläche herrschenden Gravitationskraft ab. Demnach bietet es sich geradezu an, den Versuch einer Einschätzung der Wechselbeziehung zwischen der Gravitation und unserer Wahrnehmung der Weltszenerie zu unternehmen. Wenn das Licht in der Nähe einer großen Masse durch die universelle Gravitation abgelenkt wird, müßte dann nicht eben diese Anziehung (deren Geschwindigkeit, daran sei erinnert, mit derjenigen elektromagnetischer Wellen identisch ist) auch die Erscheinungen der Welt beeinflussen, das Schauspiel des Sichtbaren, von dem Merleau-Ponty sprach?. Wie kann man sich nach dem Wegfall der Bezugspunkte »unten« und »oben« einerseits und dem des Abstands zwischen »nah« und »fern«, d. h. ohne den Vortriebswiderstand, überhaupt noch irgendeine räumliche oder atmosphärische Perspektive vorstellen? Die Astronauten haben bei ihren Aufenthalten im Weltraum schon die durch die Schwerelosigkeit hervorgerufene Verwirrung der Sinne und der Orientie
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rung erprobt. Trägt man heute diesem Sachverhalt Rechnung, dann bedeutet dies, den Versuch einer Neuinterpretation der Perspektive der italienischen Renaissance zu machen. Wenn seit dem Quattrocento das sichtbare Schauspiel am Schnittpunkt der Fluchtlinien eröffnet wird, dann geschieht das durch die Kraft der Erdanziehung und nicht allein durch einen Konvergenzeffekt, den Strabismus einer Metrik der wahrnehmbaren Erscheinungen, auf den die italienischen Künstler ganz versessen waren. Die Organisation dieses neuen sichtbaren Horizonts hing bereits von der Zeit ab, jenem Zeitstillstand des Fluchtpunktes, den Argan so meisterhaft analysiert hat. Die gegenwärtig stattfindende Neuorganisation der Erscheinungen und das baldige Auftauchen eines von der Transparenz der unmittelbar über große Entfernungen übertragenen Erscheinungen gebildeten letzten Horizonts der Sichtbarkeit sind nur dann zu verwirklichen, wenn dieser aus der Kraft der Gravitation resultierende Zwang überwunden wird. Im Gegensatz zur Perspektive des Realraums der Geometrie unterliegt die Perspektive der Echtzeit nicht mehr dem Zwang der Erdanziehung. Der hindurchsichtbare Horizont des Bildschirms der Fernsehdirektübertragung entgeht der Gravitation, da er auf der Lichtgeschwindigkeit basiert. Wenn der Bildschirm - genau wie die Bilder, die er unmittelbar überträgt - über optische und geometrische Eigenschaften verfügt, die ihn einem Fenster oder einem Bilderrahmen annähern, dann hängt die Beschaffenheit seiner videoskopischen Information vor allem von einer nicht durch die Gravitationskraft von 300 00o km pro Sekunde beschränkten Beschleunigung ab. Der »Zeitstillstand« am Schnittpunkt der Fluchtlinien des Quattrocento weicht also einem nicht wahr
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nehmbaren Video-Raster (vgl. in diesem Zusammenhang die Suche nach einer möglichst hohen Auflösung von Bildern), und der einzige Stillstand, den es noch gibt, ist folglich der einer pyknoleptischen Abwesenheit des gegenwärtigen Augenblicks, was auch den nicht wahrnehmbaren Stillstand der Aufmerksamkeit des Fernsehzuschauers beinhaltet, der ihm die Halluzination einer endlosen Bildfolge erspart. Einstein bemerkte einmal, daß man sich daran gewöhnen müsse, daß es keinen Fixpunkt im Raum gebe, d. h., nur der Stillstand des realen Augenblicks verleiht der lebendigen Gegenwart Form. Eine psychologische Dauer, ohne die es kein Weltverständnis und keine Weltszenerie gäbe. Kehren wir nun aber zu dem Ursprung der letzten Form von Verschmutzung zurück, zur Verschmutzung der Dromosphäre. Auch wenn sich auf unserem Planeten der hegemoniale Einfluß der technischen Kultur ausbreitet und durchsetzt und eine scheinbare territoriale Ausdehnung herbeiführt, so gibt es doch eine verborgene Seite dieser Entwicklung. Genau das brachte auch Samuel Beckett zum Ausdruck, als er sagte, daß die Kunst nicht auf Ausdehnung, sondern auf Schrumpfung ausgerichtet sei. Der Aufschwung der Vehikel sowie der verschiedenen Fortbewegungsvektoren bedingt eine nicht wahrnehmbare Schrumpfung der Erdoberfläche und unserer unmittelbaren Umwelt. Der nicht wahrnehmbare »Zeitstillstand« am Schnittpunkt der Fluchtlinien der Perspektive weicht also einem »Weltstillstand«, d. h. einer nicht wahrnehmbaren Vorenthaltung der Ausdehnung und der regionalen Verschiedenartigkeit. Wurde der Schwindel des Realraums verursacht durch den Anblick der sich verjüngenden Vertikalen - den Blickfall -, die durch die Vorwegnahme eines Falls ins
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Leere beschleunigte Perspektive, so ist der Schwindel der Echtzeit, den der extrem schnell Sehende-Reisende, vor allem aber der Fernsehzuschauer, heute empfindet, durch den Stillstand, die an Ort und Stelle stattfindende Schrumpfung des Körpers des ZuschauersPassagiers bedingt. Die Geschwindigkeit der neuen elektrooptischen und akustischen Umgebung wird zur letzten LEERE (der Leere der Geschwindigkeit), die nicht mehr vom Abstand zwischen den Orten und den Dingen, also der Ausdehnung der Welt abhängt, sondern von der Schnittstelle einer unmittelbaren Übertragung weit_ entfernter Erscheinungen, einer geographischen und geometrischen Vorenthaltung, bei der jedes Volumen und jede Tiefenwirkung verlorengehen. Es handelt sich um die Krise oder, genauer gesagt, den Unfall der optischen Dichte des sichtbaren Schauspiels und der Landschaften. Ganz in diesem Sinne bemerkte Theodore Monod: »Nichts ist bedrückender, als den Ort, den man erst am Abend oder am nächsten Tag erreicht, bereits von dem Ort aus zu sehen, den man verläßt.« Sehverlust oder, besser gesagt, »Erdverlust« durch eine neue Art von Fall, der gleichzeitig eine Form von Verschmutzung der Fläche darstellt, dieser » Kunst des Weges«, die der Nomade ausübte und die eine besondere Form des Schwindels war, den die Tiefenschärfe des sichtbaren Horizonts des Schauspiels der Welt verursachte. Mit der zeitgenössischen Seßhaftigkeit der großen Metropolen betrifft die an Ort und Stelle stattfindende Schrumpfung nicht mehr nur den Bereich der Fortbewegung und der produktiven Aktivität, sie betrifft in allererster Linie den Körper dieses mit interaktiven Prothesen überriSsteten Nicht-Behinderten, dessen Vorbild der Behinderte geworden ist, der mit entspre
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chenden Hilfsmitteln ausgestattet ist, um seine Umwelt kontrollieren zu können, ohne sich physisch fortzubewegen. Die dromosphärische Verschmutzung ist folglich eine Art von Verschmutzung, die die Lebhaftigkeit des Subjekts und die Beweglichkeit des Objekts betrifft, indem sie die Strecke soweit verkümmern läßt, bis sie unnütz geworden ist. Eine Schwerbehinderung, die zugleich aus dem Verlust des lokomotorischen Körpers des Passagiers und Fernsehzuschauers sowie aus dem Verlust des festen Bodens, der Erdoberfläche, des Schauplatzes resultiert, an dem das Abenteuer der Identität des Menschen auf dieser Welt stattfindet.
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Die große Optik »Je
weiter
die
Entwicklung
der
Teleskope
fortschreitet, desto mehr Sterne gibt es.« Gustave Flaubert Welche Bedeutung hat eigentlich die Zweiteilung des Sehens, das Auftauchen einer zweiten Optik, die heute die VIDEOKONFERENZ zwischen Tokyo und Paris möglich macht? Es gibt Leute, die in diesem Zusammenhang schon vor geraumer Zeit von einem Loch im Raum sprachen, in jüngerer Zeit sprachen andere von einem Loch in der Zeit, der Echtzeit der unmittelbaren Übertragung historischer Ereignisse, insbesondere des Golfkrieges. Diese sprachliche Unsicherheit scheint bezeichnend zu sein einerseits für die Wahrnehmungsstörung, von der unsere Gesellschaften nunmehr angesichts der Fortschritte der Teletechnologien betroffen sind, und andererseits für den Bedeutungsverlust der geometrischen Optik, der passiven Optik des Raums der Materie (des Glases, des Wassers, der Luft usw.), die letzten Endes ausschließlich der unmittelbaren Nähe des Menschen Rechnung trägt. Diese passive Optik möchte ich als kleine Optik bezeichnen, um der Wellenoptik, der AKTIVEN OPTIK der Zeit der Lichtgeschwindigkeit den Titel der großen Optik vorzubehalten, denn sie geht weit über den klassischen Begriff des Horizonts hinaus. Es ist klar, daß die Elektrooptik der Wellen, die das Videosignal transportieren, tatsächlich zu der Frage der Digitalisierung dieses Signals hinführt, über deren Bedeutung nicht nur für den Bereich der astronomischen Beobachtung mit den technischen Spitzenlei
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stungen der sogenannten »adaptiven« Optik, sondern vor allem für die jüngste Entwicklung der Räume der virtuellen Realität Einigkeit besteht. Da die Optik derjenige Bereich der Physik ist, der sich mit den Eigenschaften des Lichts und folglich mit den Phänomenen der Visualisierung beschäftigt, kommt zur Zweiteilung des Sehens noch die Zweiteilung des Lichts selbst hinzu, und zwar nicht mehr nur wie früher die zwischen natürlichem (die Sonne) und künstlichem (die Elektrizität) Licht, sondern auch die zwischen direktem (Sonne und Elektrizität) und indirektem (Videoüberwachung) Licht, die sich aus dem Wechselspiel der Echtzeit mit den optischen Phänomenen und der Elektronik ergibt. Und genau hieraus erklärt sich auch der Begriff der OPTOELEKTRONIK. All das hat zur Folge, daß man jetzt nicht mehr wie die Philosophen des klassischen Zeitalters ausschließlich von der Ausdehnung und der Dauer des Raums der Materie spricht, sondern darüber hinaus von der optischen Dichte der Lichtzeit und ihrer »opto-elektronischen« Verstärkung, die die Überwindung der geometrischen Perspektive der italienischen Renaissance mittels einer elektronischen Perspektive notwendig machen, und zwar derjenigen der Echtzeit der unmittelbaren Sendung und des unmittelbaren Empfangs der Audio- und Videosignale. Angesichts der jüngsten Erneuerung der geometrischen Optik der Lichtstrahlen durch die Wellenoptik der elektromagnetischen Strahlung der Partikel, die das Sehen und das Hören transportieren, erleben wir die Entstehung einer letzten Form von Transparenz: die Transparenz der unmittelbar über große Entfernungen hinweg übertragenen Erscheinungen. Diese HINDURCHSICHTBARKEIT vervollständigt (vollendet gewissermaßen) die natürliche Transparenz der Erdatmosphäre
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und bedingt gleichzeitig eine Art stereoskopische Zweiteilung der wahrnehmbaren Erscheinungen, des Weltbildes und damit indirekt der Ästhetik. Zur Ästhetik der Erscheinung von Objekten oder Menschen, die sich gegen den sichtbaren Horizont der Einheit der Zeit und des Ortes der klassischen Perspektive abheben, kommt die Ästhetik des Verschwindens weit entfernter Personen, die auf dem abwesenden Horizont eines Kathodenbildschirms auftauchen, wo sich die Einheit der Zeit gegen diejenige des Ortes der Begegnung durchsetzt. Anders gesagt, die Perspektive der Echtzeit der großen Optik verdrängt endgültig die Leistungen der Perspektive des Realraums; der Fluchtpunkt für die Bündelung der Lichtstrahlen büßt seine Vormachtstellung gegenüber der Flucht aller Punkte (Pixel) des Fernsehbildes ein. Von nun an ergänzen sich die direkte Transparenz des Raums, die es einem jeden ermöglicht, seine Nachbarn unmittelbar wahrzunehmen, und die indirekte Transparenz der Zeit der Geschwindigkeit elektromagnetischer Wellen, die unsere Bilder, unsere Stimmen und in Zukunft, daran besteht kein Zweifel, unser aufeinander bezogenes Tun übertragen. Diese Neuerung verdankt sich dem Datenanzug (DATA SUIT), der nicht nur das Fernsehen und das Fernhören möglich macht, sondern auch die allgemeine Fernhandlung (Teleaktion). Bevor ich mich eingehender mit der zukünftigen TELEEXISTENZ befasse, möchte ich nochmals auf die elektromagnetische große Optik zurückkommen, dank derer wir uns schon heute an weit voneinander entfernten, an den entgegengesetzten Punkten der Erdkugel befindlichen Orten versammeln können. Zur direkten Beleuchtung durch das Sonnengestirn,
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die den Fluß der Jahre in die vielen verschiedenen Tage unterteilt, kommt nunmehr noch die indirekte Beleuchtung hinzu, das »Licht« einer Technologie, die einer Art Persönlichkeitsspaltung Vorschub leistet: Auf der einen Seite die Echtzeit unseres unmittelbaren Tuns, bei der wir hier und jetzt handeln, und auf der anderen Seite die Echtzeit einer medialen Interaktivität, die das »Jetzt« der Sendezeit der Fernsehsendung auf Kosten des »Hier«, d. h. des Raums, in dem sich der Ort der Begegnung befindet, begünstigt. Ein Beispiel hierfür ist die Videokonferenz, die mit Hilfe der Satelliten zwar stattfindet, paradoxerweise jedoch nirgendwo auf dieser Welt. Wie kann man noch wirklich leben, wenn es kein Hier mehr gibt und wenn alles jetzt ist? Wie kann man den unmittelbaren Einschlag einer allgegenwärtig gewordenen Realität überleben, die in zwei gleichermaßen reale Zeiten zerfällt: die der Gegenwart hier und jetzt einerseits, und andererseits die einer den Horizont der wahrnehmbaren Erscheinungen überschreitenden Telepräsenz über weite Entfernungen hinweg? Wie ist es möglich, vernünftig mit der Spaltung nicht nur zwischen virtueller und aktueller Realität, sondern auch zwischen dem sichtbaren Horizont und dem hindurch-sichtbaren Horizont eines Bildschirms umzugehen, der plötzlich eine Art zeitliches Fenster öffnet, um andernorts und oftmals weit entfernt zu interagieren? Wenn man nicht wie Marvin Minsky die Bedeutung der »analogen« Optik und demzufolge des Horizonts der Erscheinungen in Abrede stellt, muß man nun mehr zwingend das STEREOSKOPISCHE Wesen nicht nur der »Tiefenwirkung der Erscheinungen« und der dritten räumlichen Dimension einer Betrachtung unterziehen, sondern vor allem die vierte, die durch die Spaltung zwischen der räumlichen und der zeitlichen
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Nähe verursachte zeitliche Tiefenwirkung, die Tiefenwirkung einer nunmehr mittels der elektrooptischen Verstärkung ihrer Tiefenschärfe überbelichteten Welt. »Die Gegenwart ist Gegenwart nur aus der Ferne, und diese Ferne ist absolut, das heißt unaufhebbar«, schrieb Maurice Blanchot. Nachdem heute in der Physik der Begriff der »Ferne« durch den einer unmittelbaren »Sendeleistung« ersetzt wurde, führt die Wellenoptik zu einem »Fluktuieren der Erscheinungen«, bei dem die Ferne nicht mehr, so wie der Dichter es sich wünschte, die Tiefe der Gegenwart darstellt, sondern nur noch ihr Aussetzen. Da das Raumintervall (negatives Vorzeichen) und das Zeitintervall (positives Vorzeichen) seit kurzem ihre Vormachtstellung gegenüber dem Intervall mit dem Vorzeichen Null der Lichtgeschwindigkeit der Wellen eingebüßt haben, die die Information transportieren, müssen wir uns jetzt mit den Problemen auseinandersetzen, die im Zusammenhang stehen mit der Neuerung einer »Digitalisierung der (audiovideo und taktilen) Signale«, die nicht nur wie früher die Ästhetik der Erscheinungen die Abbildung der wahrnehmbaren Wirklichkeit leisten, sondern dank der Kollektoren, Sensoren und allen möglichen Ferndetektoren für das, was man als Telepräsenz bezeichnet, auch ihre wahrhaft unangebrachte Darstellung. Nebenbei möchte ich daran erinnern, daß es eine wirkliche Gegenwart in der Welt - in der Welt der sinnlichen Erfahrung - nur durch die EgoZentrierung eines Lebendig-Gegenwärtigen gibt, anders gesagt, durch die Existenz eines lebendigen Körpers hier und jetzt. Auch wenn es den Kognitivisten mißfallen mag, so ist
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die Frage der intermittierenden »Telepräsenz über weite Entfernungen hinweg« mit einer ganzen Reihe von Fragestellungen verbunden, die denjenigen ähnlich sind, mit denen sich die Physik durch die berühmte »Plancksche Länge« konfrontiert sieht: Wenn an die Stelle der extremen räumlichen Distanz plötzlich die extreme Nähe der Echtzeit des Warenverkehrs tritt, bleibt trotzdem ein untilgbarer Abstand erhalten. Obwohl das Nicht-Vorhandensein des Realraums der Begegnung das Fehlen des Intervalls bedingt, verhindert die Schnittstelle mit dem Vorzeichen Null der elektromagnetischen Wellen die übliche Verwechslung von hier und jetzt, da die Unmittelbarkeit der Interaktivität niemals den Unterschied zwischen der Handlung und dem Handeln über große Entfernungen hinweg aufzuheben vermag. Dasselbe gilt im übrigen für die gemeinschaftliche Tele-Existenz, und das unabhängig vom Grad der Nähe der weit voneinander entfernt versammelten Teleakteure. Demnach gibt es neben dem Gebrauch des Datenhelms (VPL) und des Datenanzugs (Dxrn Surr) auf dem Gebiet des virtuellen Raums (CYBERSPACE), die eine erste Persönlichkeitsspaltung der Zeit in wirkliche und virtuelle Zeit bedingen, auch noch eine Praxis der elektro-ergonomischen Ausrüstung, die den wirklichen Raum des Austauschs über große Entfernungen hinweg betrifft: die Praxis des Fernbedieners (oder, wenn man es vorzieht, des Telemanipulators), die sich den jüngsten Fortschritten auf dem Sektor des Fern-Tastsinns verdankt, bei dem das »Hochrelief« des Ferntastens die akustische »high fidelity« und die optische »Hochauflösung« ergänzt. Hieraus ergibt sich die baldige Entstehung eines rein »zeitlichen« Volumens und damit das Aufkommen einer Perspektive des Tastsinns in Echtzeit, die diejenige
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der klassischen Visualisierung der Perspektivisten und demzufolge die Weltsicht des kommenden Jahrhunderts von Grund auf verändern wird. Darüber hinaus ist festzustellen, daß die große Wellenoptik sich nicht mehr ausschließlich mit der Sichtweite abgibt, sondern daß sie die gesamte Wahrnehmung der wahrnehmbaren Erscheinungen, den Tastsinn hierin eingeschlossen, mit einbezieht, und das, weil sich die Zeit, die Echtzeit des dritten Intervalls der Art Licht der elektromagnetischen Wellen endgültig gegen den Realraum der Materie, gegen die Ausdehnung, die Dauer der Substanzen durchsetzt, aus denen die unmittelbare menschliche Umwelt besteht. Dank der sogenannten Techniken der »Kraftrückführung«, des Feedbacks des seit kurzem im Handel erhältlichen Datenhandschuhs TELETACT und des demnächst vertriebenen vollständig teletaktilen Overalls, bei dem das Tastempfinden sich auf den gesamten Körper überträgt, werden wir zu Zeugen der industriellen Produktion einer Zweiteilung der Persönlichkeit, des unmittelbaren Klonens des lebenden Menschen, der technischen Verwirklichung einer der ältesten Mythen: der Erzeugung des DOUBLES, eines elektro-ergonomischen Doubles mit spektraler Präsenz, was nichts anderes ist als eine andere Bezeichnung. für den Geist bzw. den lebenden Toten. Es ist in der Tat unmöglich, die Dramaturgie, die dieser Art neuer Technologien zu eigen ist, nicht zu schildern. Da nicht nur das Kind, das Subjekt, vom Geburtstrauma betroffen ist, sondern auch das Objekt, das entstehende Instrument, müssen wir versuchen, den »ursprünglichen Unfall« ausfindig zu machen, der kennzeichnend ist für diese Art der technischen Neuerung. Wenn wir nicht willentlich die Erfindung des
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Schiffbruchs bei der Erfindung des Schiffes oder des Eisenbahnunglücks bei der Entstehung der Eisenbahn vergessen, müssen wir die verdeckte Seite der neuen Technologien überprüfen, bevor diese sich uns gegen unseren Willen offenbart. Zwar ist die Virusverseuchung bereits eine erste Antwort auf die Frage der Negativität elektronischer Schaltkreise, aber noch eine andere Fahndungsspur drängt sich auf, nämlich die der Umweltverschmutzung. Es geht nicht nur um die Verschmutzung von Luft, Wasser und anderer natürlicher Substanzen, sondern auch um die unbemerkt gebliebene Verschmutzung der »Entfernungen«, die DROMOSPHÄRISCHE Verschmutzung der Zeitabstände, die die Oberfläche eines in der kosmischen Leere schwebenden kleinen Planeten auf ein Nichts, oder fast ein Nichts, verkleinert. Nachdem die Menschen sich berechtigterweise den Kampf gegen die Verschmutzung der NATUR zur Aufgabe gemacht haben, wäre es da nicht angebracht, uns auch mit der Verschmutzung der NATÜRLICHEN GRÖSSE auseinanderzusetzen, die durch den Aufschwung der Technologien der Echtzeit verursacht ist? Während die geometrische KLEINE OPTIK es möglich machte, dank der Ausdehnung des Realraums der Erscheinungen die Welt als »Fläche« und »Dauer«, d. h. als geographische Größe wahrzunehmen und sich vorzustellen, löst heute die GROSSE WELLENOPTIK im Gegensatz hierzu die Weite der menschlichen Lebenswelt auf. Da die Sende- und Empfangsleistung der verschiedenen Signale in Echtzeit das Wesen der Zeitabstände entfremdet, beutet die aktive Optik der elektromagnetischen Wellen die Tiefenschärfe, die Realität der Welt, in einem solchen Maße aus, daß sie zu einem Nichts, oder fast zu einem Nichts, verkleinert wird, wodurch
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sie bei einer buchstäblich ihres Horizonts beraubten Menschheit das verheerende Gefühl des Eingesperrtseins hervorruft. Da, wo sich die passive kleine Optik des Raums der Materie - der Luft, des Wassers, der Linsengläser - damit zufriedengab, die GROSSE WELT der Erscheinungen für die Betrachtung freizugeben, führt die aktive große Optik der Zeit der Lichtgeschwindigkeit jenseits jedes Horizonts zur intermittierenden Wahrnehmung der KLEINEN WELT der Transparenz der Wellen, die die unterschiedlichen Signale transportieren. Sie bedingt eine »Hindurch-Sichtbarkeit«, die die übliche Grenze der Horizontlinie zum ausschließlichen Nutzen des Bildschirmrahmens, des »quadratischen Horizonts« einer Art zweigeteilten perspektivischen Realität, auflöst; eine STEREOREALITÄT also, bei der die »Tiefen« und »Höhen« der akustischen Tiefenwirkung der High-Fidelity zum einen ersetzt würden durch die Schwere, das Gewicht der Körper und folglich der realen Entfernungen einer ganzheitlichen Welt, und zum anderen durch die fehlende Schwere und das fehlende Gewicht, die Signale einer Art visuellen und taktilen Hochauflösung, die sich in den exotischen Bereich der elektromagnetischen Felder einschreiben. Da die natürliche Größe der physischen Entfernungen auf diese Weise unter die Gesetzmäßigkeit der mikrophysikalischen Leistungsstärke der Wellen fällt, die das Hören, das Sehen und bald schon auch das Tasten übertragen, besteht geradezu die Verpflichtung, die damit für die Menschheit verbundene Gefahr ins Bewußtsein zu rufen, ihre eigene Welt zu verlieren. Infolge dieser Tatsache ist zu befürchten, daß beim Menschen, der in einer Umwelt lebt, die sowohl ihres Horizonts als auch ihrer optischen Dichte beraubt ist,
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von nun an ein tiefgreifendes Gefühls des Eingesperrtseins entsteht. Als man Edgar Degas gegenüber einmal den romantischen Satz Amiels zitierte, daß die Landschaft ein Seelenzustand sei, erwiderte dieser: »Nein, die Landschaft ist ein Augenzustand!« Wäre es nicht angemessen, angesichts der heutigen Sorge um die Aufrechterhaltung des aufs schwerste durch die industriellen Abfälle bedrohten Gleichgewichts einer natürlichen Umwelt die Zielsetzungen der grünen Ökologie um diejenigen einer grauen Ökologie zu ergänzen, die sich dem postindustriellen Verfall der Tiefenschärfe der Weltlandschaft widmete? Die am 2. März 1972 gestartete Raumsonde Pioneer io ist das erste vom Menschen geschaffene Objekt, das unser Sonnensystem verläßt, sie ist aber auch und vielleicht vor allem eine Art Prüfmaß der unterschiedlichen kosmischen Größen. Von ihrer jeweiligen Position in ungefähr 8 Milliarden Kilometer Entfernung von der Erde sendet die amerikanische Raumsonde täglich Signale, die sieben Stunden benötigen, um von den Antennen der NASA empfangen zu werden. Solange das Teleskop und die technischen Geräte der Raumsonde betriebsfähig sind, entspricht die »Echtzeit« der von Pioneer übertragenen Botschaften in etwa dem Zeitunterschied zwischen Tokio und Paris. Dieser echte elektronische Sensor für die Weite des Universums setzt uns fortwährend und mit einer leicht zeitversetzten Rückkopplung über die zunehmende Schrumpfung der Erdoberfläche in Kenntnis. Als Gustave Flaubert schrieb: »Je weiter die Entwicklung der Teleskope fortschreitet, desto mehr Sterne gibt es«, unterschlug er die Auswirkungen der plötzli
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chen optischen Erweiterung: Je weiter die Wahrnehmung des Weltalls fortschreitet, desto weniger Welt, ganzheitliche Erde gibt es! Je weiter die Mittel für die Kenntnis dessen entwikkelt werden, was sich jenseits des Horizonts befindet, desto mehr schrumpft die Erdoberfläche, die »Dauer« der Welt der sinnlichen Erfahrung. Das, was man gemeinhin als den begrenzten Horizont bezeichnet, wird auf ein Nichts reduziert, genaugenommen sogar auf weniger als nichts! Wurde die kleine geometrische Optik einst deshalb durch Galilei berühmt, weil er den Menschen wieder in Erinnerung rief, daß sich die Erde dreht, so macht die große elektronische Optik deutlich, daß das Universum sich ausdehnt. Zwei Zeiten, zwei Zeitalter der Wahrnehmung und zwei vollkommen verschiedene Bewegungen. Kehren wir aber wieder zu unserer Raumsonde zurück, deren Aufgabe darin besteht, die Planeten unseres Sonnensystems zu beobachten, insbesondere Jupiter. Angetrieben durch die Gravitationskraft dieses Planeten setzt der amerikanische Flugkörper unbeirrt seinen Weg in die Unendlichkeit mit einer Geschwindigkeit von 46000 km/h fort. Um welche Stunde und welche Kilometer handelt es sich aber eigentlich angesichts der Tatsache, daß sich die Sonde seit 2 3 Jahren von jedem geographischen Bezugssystem entfernt? Die Isoliertheit dieser sich tatsächlich im Nirgendwo befindlichen automatischen Sonde läßt sich daran ermessen, daß diejenigen Männer, die ihren Start bewerkstelligt haben, heute in den Ruhestand getreten sind. Einer von ihnen, B.J. O'Brian, erklärte hierzu: »Es ist beeindruckend, es ist eigentlich zum Verrücktwerden! « Trotz des rationalen, wissenschaftlichen Aspekts jenes Gesetzes der universellen Expansion, das vor beinahe 6o Jahren von Edwin Hubble und einigen ande
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ren aufgestellt würde, ermißt niemand ernsthaft die Auswirkungen dieser Bewegung auf die übliche Wahrnehmung und die unmittelbare Erfahrung, während heute die reale Geltung der irdischen Erscheinungen von einem mächtigen Anziehungs- bzw. Aufsaugphänomen absorbiert wird. Aus lauter Sorge um die Verflüchtigung der vielzitierten »Ozonschicht« nimmt niemand die fortschreitende Entwirklichung des irdischen Horizonts wahr, diese andere »Verflüchtigung«, die sich aus dem künftigen Primat der PERSPEKTIVE DER EcHTZEIT der Wellenoptik gegenüber der Perspektive des Realraums der geometrischen Optik des Quattrocento ergibt. Und das trotz der Tatsache, daß dieser BIG-VIEW logischerweise den berühmten Bi(;-BANG der modernen Astrophysik vollenden wird. Man darf sich heute zu Recht fragen, ob Edwin Hubble, einer der Gründerväter des Prinzips der Expansion des Weltalls (das sich nicht zuletzt der Leistungsstärke des Mount Wilson-Teleskops verdankt), nicht das erste Opfer der von Flaubert angekündigten optischen Täuschung war, wie schon Albert Einstein seinerzeit vermutete. Auch die jüngsten Anhänger des BIG-BANG könnten die Opfer vor dem Hintergrund einer aufgrund der Übertragungsgeschwindigkeit der Signale der Teleskope und Radioteleskope gewachsenen astronomischen Transparenz sein. Vergrößerung, optische Verkleinerung, DopplerEffekt der Rotverschiebung der Spektrallinien von Galaxien sind andere Bezeichnungen für die Beschleunigung und die Verlangsamung der Erscheinungen, bei denen die DROMOSKOPIE die Lichtgeschwindigkeit - die wahrnehmbare Realität buchstäblich beleuchtet. Die STEREOSKOPISCHE TIEFENWIRKUNG dieser Realität verursacht schon jetzt eine ganze Reihe von Wahrnehmungsstörungen, denen endlich Rechnung getragen
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werden müßte, da sie vermutlich schon bald den Begriff der »physischen Nähe« grundlegend verändern werden. Und auch die GROSSE OPTIK, die es möglich macht, noch die größte astrophysikalische Entfernung zu bemessen, trägt, allerdings in umgekehrter Weise, dazu bei, noch die engste physikalische Nähe zu annulieren. Zur Bestätigung dieser Aussage möchte ich darauf hinweisen, daß es die Verantwortlichen vor dem Start der Pioneer-Raumsonde vor 24 Jahren für angebracht hielten, eine Erkennungsmarke an dem Flugkörper anzubringen. Neben der Darstellung des Sonnensystems mit dem Planeten Erde sowie den Umrissen eines Mannes und einer Frau, fügten die Amerikaner noch das Modell eines Wasserstoff-Atoms hinzu, um möglichen außerirdischen Lebewesen eine Vorstellung unserer Dimensionen zu vermitteln: der Abstand zwischen dem Kern und seinem einzigen Elektron sollte die Maßeinheit darstellen. Während also die Aufgabe der gestarteten Sonde darin bestand, die Maßlosigkeit der kosmischen Expansion zu ermessen, wiesen die Forscher dem Begriff des »kleinsten Abstands« wieder seine eigentliche Funktion zu, nämlich die NATÜRLICHE GROSSE abzuschätzen, in der wir tatsächlich ursprünglich zu Hause sind. Ob man es will oder nicht, für jeden von uns ist die Spaltung der Welt und infolgedessen ihrer Realität eine unumstößliche Tatsache, d. h. die Aufspaltung zwischen Aktivität und Interaktivität, Präsenz und Telepräsenz, Existenz und Teleexistenz. Angesichts des stereoskopischen Wesens einer zwischen Optik und Elektrooptik, Akustik und Elektroakustik, Tastsinn und Fern-Tastsinn aufgeteilten Wirklichkeit sind wir dazu aufgefordert, unsere gewohnten Sehund Denkweisen aufzugeben, um uns einer neuen
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Form von »Tiefenwirkung« bewußt zu werden, die den praktische Nutzen des Begriffs des Horizonts und damit der Perspektive in Frage stellt, die es uns bisher ermöglichten, uns hier und jetzt zu erkennen. Und das, weil die einzige frühere »Lichtquelle« und folglich die einzige Quelle der Realität sich ihrerseits aufgespalten hat, denn der (direkte) Schatten der Sonnenstrahlen bzw. der Lampe wird jetzt ergänzt um die (indirekten) »Schattenzonen« ohne elektronische Sendesignale, wobei die Fernüberwachung mit einem Mal an die Stelle der Beleuchtung der Dinge, d. h. die Wahrnehmung durch persönliche Anschauung des gewöhnlichen Beobachters, tritt. Wir sind die erste Generation in der Geschichte, die neben der Eroberung des Weltraums und besonders derjenigen der Echtzeit der Unmittelbarkeit auch die Entdeckung einer letzten Energieform erlebt, der KINEMATISCHEN ENERGIE, einer Energie in »Bildform« oder, wenn man es vorzieht, in »Informationsform«, die somit noch zur potentiellen und kinetischen Energie hinzukommt. Diese dritte Energieform ermöglicht nicht mehr nur ausschließlich die GEOMETRISIERUNG der Weltsicht nach dem Vorbild der Perspektivisten der italienischen Renaissance, sondern auch ihre DIGITALISIERUNG, denn das von den Anhängern der »passiven« Optik des Raums und der Materie ausgearbeitete Kunsthandwerk der Wahrnehmung tritt vor der Industrie der »aktiven« (elektrooptischen) Optik der Lichtzeit zurück. Wenn der zeitgenössische Relativist des Einsteinschen Zeitalters den Begriff der »Entfernung« durch den einer unmittelbaren physikalischen »Sende- und Empfangsleistung« ersetzt und damit zugleich den alten Primat der perspektivischen Konzeption des galileischen Zeitalters zerstört - indem er den klassischen
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Intervallen der Art »Raum« und »Zeit« ein drittes Intervall der Art »Licht« hinzufügt-, dann verursacht er in der Tat eine tiefgreifende Veränderung des Realitätsprinzips, bei der das automatische Wesen der Darstellungen einer Normierung der Wahrnehmung gleichkommt, die ermöglicht wird durch die Nutzung der künstlichen Energie der elektronischen Bilderzeugung sowohl im Bereich der »analogen« als auch der »digitalen« Darstellungen. Darüber hinaus läßt sich feststellen, daß die perspektivische TELEPRÄSENZ und damit die allgemeine TELEEXISTENZ jenseits der Grenzen der gewohnten Nähe nicht nur die sichtbare »Horizontlinie« zugunsten der fehlenden Linie eines tiefen und imaginären Horizonts zerstört, sondern daß sie zudem den Begriff der TIEFENWIRKUNG, den Tastsinn, in Frage stellt. Das TAST EMPFINDEN ÜBER WEITE ENTFERNUNGEN HINWEG beein trächtigt nämlich nicht nur ganz entschieden die von den Anhängern des Cyberspace vorgenommene Unterscheidung zwischen »aktuell« und »virtuell«, sondern auch die Wirklichkeit der Nähe und der Ferne selbst, womit es einerseits unsere Gegenwart hier und jetzt in Frage stellt, und andererseits die notwendigen Voraussetzungen der sinnlichen Erfahrung von dieser Gegenwart abkoppelt.
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Zweiter Teil
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Das Gesetz der Nähe »Alles wird vom Blitz bestimmt.« Heraklit »Sehen Sie diese Mücke? Mit ihren winzigen Sensoren, die die Blutgefäße aufspüren, ist sie ein wunderbares Ding. Mit einer mikroskopisch kleinen Säge macht sie einen Schnitt in die Haut, und mit bemerkenswerter Präzision saugt sie das Blut. Wenn man eine Maschine diesen Typs bauen würde, könnte man Blutentnahmen und Untersuchungen durchführen, ohne daß Sie irgend etwas von einem Einstich spürten. Bald schon wird man Mikro-Roboter herstellen, die Forschungsreisen durch den menschlichen Organismus unternehmen«, er klärte der Vize-Präsident des Forschungslabors von Toyota-Motor. Es steht fest, daß der menschliche Körper in nächster Zukunft zum Übungsplatz für Mikromaschinen wird, die ihn, so sagt man, kreuz und quer durchstreifen, ohne Schmerzen zu verursachen. Das sind sie also, die letzten Prothesen, die neuen Automaten: ANIMATEN, die unseren Organismus bevölkern, werden wie wir selbst den Raum des Erdkörpers bevölkert und gestaltet haben. Heute, wo gg% der mikroelektronischen Produktion aus Kollektoren und Sensoren besteht und wo die zukünftigen automobilen Fahrzeuge mit ungefähr fünfzig Detektoren jeder Art bestückt sein werden, um die Druckverhältnisse, Erschütterungen oder Schläge zu kontrollieren, entwickelt man intelligente Pillen für den menschlichen Organismus, die dazu in der Lage sind, Informationen über die Nervenfunktionen oder den Blutkreislauf fernzuübertragen. Als nächstes steht
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dann die Herstellung von Mikro-Robotern an, die sich durch unsere Arterien bewegen, um das kranke Gewebe zu behandeln. »Die Industrie hat bereits die notwendigen Mikroprozessoren und Sensoren produziert, wir brauchen jetzt nur noch die Arme und Beine hinzuzufügen«, erklärte Professor Fujita von der Universität Tokio. In diesem Entwicklungsstadium der post-industriellen Maschine ist die Miniaturisierung ihrer Komponenten ein für die Analyse der Topographie der Technologien ganz wesentlicher Aspekt. Während wir durch die Technikgeschichte mittels der Eisenbahnlinien, Kabel, Hochspannungsleitungen oder Autobahnnetze daran gewöhnt wurden, die wachsende volumetrische und geographische Bedeutung der industriellen Maschinen zu bewerten, erleben wir mit einem Mal den genau umgekehrten Prozeß: die technologische Verkleinerung betrifft allmählich alle Gebiete des Verkehrswesens wie der Telekommunikation. Das Gesetz der mechanischen Nähe, das wesentlich dazu beigetragen hatte, die menschliche Lebenswelt, die »exogene« Umwelt unserer Gattung, zu gestalten, tritt hinter ein elektromagnetisches Gesetz der Nähe zurück, über das es noch alles zu entdecken und zu verstehen gilt, bevor wir als mehr oder weniger passive Zeugen die bevorstehende Eroberung unseres Körpers, die Kontrolle einer »endogenen« Umwelt, erleben werden, d. h. die Eroberung unserer Gedärme und Eingeweide mittels der interaktiven Spitzenleistungen einer biotechnologischen Miniaturisierung, die den Aufschwung der großen Massenverkehrsmittel vollenden wird, von denen unsere Gesellschaft schon heute beherrscht ist. Somit hätte die Genealogie der Techniken dank der Entwicklung der Wassernetze und der Arbeiten im Zusammenhang mit der Flurgestaltung der Erde
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schrittweise von der Kontrolle der geophysikalischen Umwelt zur Kontrolle der physikalischen Umwelt mit der Mechanik und der physikalischen Chemie der für die Verkehrsund Kommunikationsvektoren notwendigen Energie geführt, bevor sie heute in die Kontrolle der mikro-physikalischen Umwelt nicht nur des Klimas, sondern auch der menschlichen Physiologie eingemündet ist, die sich jedoch weniger der traditionellen Pharmakopöe als vielmehr der interaktiven Leistungsfähigkeit solcher Übertragungsmittel verdankt, die der Mensch bald schon möglicherweise in sich aufnimmt und sogar verdaut ... Tatsächlich erleben wir die Anfänge einer dritten Revolution: Nach der Revolution der Verkehrsmittel im ig. Jahrhundert, aus der der Aufschwung des Eisenbahnsystems, des Automobils und später des Flugverkehrs hervorging, wurden wir im 20. Jahrhundert dank des Einsatzes der unmittelbaren Übertragungseigenschaften der elektromagnetischen Wellen bei Funk und Video zu Zeugen der zweiten Revolution, und zwar der Revolution der Übertragungstechniken. Gegenwärtig bereitet man hinter den verschlossenen Türen der Labors die Revolution der Transplantationstechniken vor, bei der es nicht mehr nur um die Transplantation von Leber, Nieren, Herz oder Lungen geht, sondern um die Implantierung neuer Stimulatoren, die sehr viel leistungsstärker sind als Herzschrittmacher. Es geht um die bevorstehende Transplantation von Mikro-Motoren, die dazu in der Lage sind, die fehlerhafte Funktionsweise des einen oder anderen natürlichen Organs zu ersetzen und bei vollkommen gesunden Personen sogar das vitale Leistungsvermögen des einen oder anderen physiologischen Systems mit Hilfe von unmittelbar aus der Ferne abfragbaren Detektoren zu verbessern.
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Auch hier stoßen wir erneut auf das die Topographie der Technologien betreffende Problem. Ich möchte in diesem Zusammenhang von der tiefgreifenden Veränderung des vielzitierten »Gesetzes der Nähe« oder, wenn man es vorzieht, vom Gesetz des geringsten Aufwands oder des kürzesten Weges sprechen. Wenn man die Wirkungsdistanz in einem solchen Maße verringert oder gar aufhebt, daß die Maschine, das unmittelbare Kommunikationsmittel, direkt in den menschlichen Körper eingeführt wird, dann ergeben sich daraus entscheidende Fragen in bezug auf das neue technische Umfeld, d. h. die postindustrielle »Technosphäre« . Das Wesen des Intervalls, aus dem dieser Abstand besteht, wird durch die Fernhandlung in der Tat problematisch: Das Intervall der Art RAUM (negatives Zeichen) für die geometrische Gestaltung und die Kontrolle der geophysikalischen Umwelt. Das Intervall der Art ZEIT (positives Zeichen) für die Kontrolle der physikalischen Umwelt, die Erfindung der Verkehrsmittel. Und schließlich das Intervall der Art LICHT (NullZeichen), das dritte und letzte Intervall (Schnittstelle), für die unmittelbare mikrophysikalische Umwelt mittels der neuen Telekommunikationsmittel. Bevor ich zu der Notwendigkeit einer Neubestimmung des Gesetzes der Nähe komme, die sich der Unmittelbarkeit der interaktiven Teletechnologien verdankt, möchte ich noch anmerken, daß, wenn die einstige Kontrolle der geophysikalischen und physikalischen Umwelt unlösbar mit dem absoluten Charakter des Raums und der Zeit des Newtonschen Zeitalters verbunden war, die Kontrolle der mikrophysikalischen Umwelt unlösbar mit dem absoluten Charakter der Lichtgeschwindigkeit des Einsteinschen Zeitalters verbunden ist. Wenn heute also die Fernhandlung der Teletechno
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logien die Transplantation der Informationsquellen in das Innere der Lebewesen selbst zur Folge hat, dann ist das deshalb so, weil das Gesetz der »elektromagnetischen« Nähe endgültig das Gesetz der »mechanischen« Nähe verdrängt und die Teleaktion nunmehr an die Stelle des unmittelbaren Handelns tritt. Wenden wir uns nun der Entwicklung der Transportund Verkehrsmittel in ihrem Verhältnis zum Status des Körpers des Passanten bzw. Passagiers zu, dem dann der Empfänger »interaktiver« Implantate folgen wird. Bei der Aufzucht und Domestizierung von Zugtieren, die dazu in der Lage sind, ein Gespann zu ziehen oder eine Nutzlast zu tragen, hält der Mensch sich zunächst an das Maultier, an Ochsen oder Pferde, die er führt, um dann nach der Erfindung des Rads in einen Wagen zu steigen und diese Tiere zu lenken. Später entdeckt der Mensch die Verbindung mit dem Tiervehikel, dem Streitroß. Er steigt auf das Pferd, das von diesem Zeitpunkt an zu einem Reitpferd und bald zu einem Tier mit Sattel wird, das damit kein einfaches Lasttier mehr ist. Hieraus ergibt sich die Eroberung der unermeßlichen Weite der Territorien sowie die zunehmende Kontrolle der geographischen Umwelt der Menschheit. Nach der Erfindung des Segelschiffs, mit dessen Hilfe der Mensch die Ozeane eroberte, entwickelte er schließlich ein nicht mehr »metabolisches«, sondern technologisches automobiles Vehikel - die Lokomotive und die dazugehörigen Waggons, das Auto, das Flugzeug-, in dem er sich auf Dauer einrichten sollte, so daß das »Fahren im Innern« nunmehr die Oberhand über das alte Streitroß gewann. Mit der Revolution der Übertragungstechniken, die
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schon bald auf die der Verkehrsmittel folgen sollte, paßten sich die Telekommunikationsmittel dem mit Medienprothesen ausgestatteten menschlichen Körper an: Handy, Walkman, tragbarer Fernseher, Notebook, Elektroden, ganz zu schweigen vom Datenhandschuh bzw. -anzug. Als nächstes steht dann die Revolution der Transplantationstechniken und die damit verbundene Einpflanzung von Mikromaschinen an, mit anderen Worten, die technologische Versorgung des menschlichen Körpers, bei der die Zutaten, die eingenommenen Substanzen nicht mehr ausschließlich aus sogenannten »stärkenden« physikalisch-chemischen Lebensmitteln bestehen, sondern aus Mikroprozessoren, mehr oder weniger biologisch abbaubaren »stimulierenden« Implantaten, Mikromaschinen, Zellautomaten, die, so sagt man, dazu in der Lage sind, bestimmte unserer Fähigkeiten zu verbessern. Genauso wie die Dichte dieser neuen Materialien mit verschiedenen Netzen, Glasfasern, in gegossene, gewobene oder hitzegeformte Substanzen integrierte Kabel bzw. Mikroprozessoren angereichert wird, schickt sich die Intimsphäre der Eingeweide des menschlichen Körpers an, durch eine »innerorganische« Mikromaschinerie ergänzt zu werden, die dazu imstande ist, nicht mehr nur wie die Elektroden des berühmten Doktor Delgado, sondern wie eine Fernbedienung auf ihn einzuwirken, d. h., es kommt zu einer Art Zappen der Lebensfunktionen, die wie Alkohol oder Aufputschmittel »einen Toten wieder zum Leben erwekken« können. Der menschliche Körper steckt gewissermaßen in einer biotechnischen und nicht mehr nur biochemischen Zwangsjacke, mittels derer die Verhaltenspsychophysiologie des Menschen ständig an die unmittelbare Informationsleistung gekoppelt ist. Er ist mit einem elektronischen Leitungsnetz ausgestattet, das in einem solchen Maße eine Verlängerung seines
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Nervensystems darstellt, daß einige Forscher bereits davon sprechen, Molekülfür Molekül vollkommen neue Materialien zu entwickeln, wobei sich ihrer Ansicht nach die Nanomaschinen erst in einem allerersten Entwicklungsstadium befänden, die von den einfachen Zellen zu den komplexesten Organismen führen wird. Dieser »endogene« Maschinenbetrieb wird also die Spitzenleistungen des »exogenen« Maschinenbetriebs verdrängen, mit dessen Hilfe es möglich war, die geophysikalische Umwelt der Menschheit zu kontrollieren. Kehren wir nun zum letzten Gesetz der Nähe und seinem Verhältnis zum Prinzip des geringsten Aufwandes zurück. Aus der jüngsten Entwicklung der postindustriellen Maschinen ergibt sich, daß WENIGER MEHR IST-, und das nicht nur in bezug auf das Volumen, die physischen Abmessungen des Objekts, sondern auch in bezug auf das Material und die innere Beschaffenheit des mikroskopischen Geräts. Infolgedessen muß eine Antwort auf die Frage gegeben werden: Bis zu welchem Punkt gilt, daß weniger mehr ist? Bis zur Virtualität, jenem Bild, jener virtuellen Realität, die am Ende ausschlaggebender ist als die Sache, deren Bild sie doch lediglich ist? Da die gegenwärtige Miniaturisierung zugleich eine Entmaterialisierung der Geräte bedingt, ist es angebracht, sich zu fragen, ob es eine Quanten- oder irgendeine andere Grenze des Verkleinerungsund Virtualisierungsprozesses des zeitgenössischen technischen Objekts gibt. In der Tat ist es so, daß der gegenwärtige oder, genauer gesagt, »telepräsente« Mensch nicht mehr die Energie einer beliebigen Maschine beherrscht, sondern daß er, ob willentlich oder nicht, unmittelbar von der Energie beherrscht und gesteuert wird. Hierbei handelt es sich um eine radikale Umkehrung des Prinzips des
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geringsten Aufwandes, das bisher die Geschichte der Gesellschaften geprägt hat. Darüber hinaus liegt das Ziel der bevorstehenden Revolution der Transplantationstechniken klar auf der Hand: Nun geht es darum, die Welt zu miniaturisieren, nachdem ihre Komponenten, die technischen Objekte, die sie seit dem Aufschwung der industriellen Entwicklung enthielt, verkleinert und miniaturisiert wurden. Wie steht es infolgedessen um die Zukunft der Architektur, dieses häuslichen Raums, in dem die alltägliche Nähe sich sowohl im Abstand zwischen den Wohnräumen als auch im etagenförmigen Aufbau des Gebäudes niederschlug? Wenn die Möglichkeit, unmittelbar zu handeln, ohne sich physisch fortzubewegen -beispielsweise, um Fensterläden zu öffnen, das Licht einzuschalten oder die Heizung zu regulieren -, teilweise dazu führte, den praktischen Wert der räumlichen und zeitlichen Intervalle dank der Errungenschaften der Revolution der LIVEÜBERTRAGUNGEN aufzuheben zugunsten des Geschwindigkeitsintervalls der Fernsteuerung, welche Konsequenzen wird es dann nach sich ziehen, wenn diese Form der Handlungsmöglichkeit oder, besser gesagt, diese Möglichkeit der unmittelbaren Interaktion mit Hilfe der biotechnologischen Revolution der Transplantationstechniken die Dichte der verkabelten Wohnungswände bzw. -decken verläßt, um sich nicht mehr nur an den Körper des Bewohners zu heften, sondern um in das Innere seines Organismus, in die geschlossenen Kreisläufe seines Lebenssystems einzudringen und sich dort niederzulassen?
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An dieser Stelle möchte ich nochmals an das besondere Wesen jenes Gesetzes des geringsten Aufwandes erinnern: Wenn es direkt neben einem Aufzug oder einer Rolltreppe eine normale Treppe gibt, um in die höhergelegenen Stockwerke eines Gebäudes zu gelangen, nimmt niemand die Treppe. Dasselbe gilt für die langen Verbindungsgänge der Pariser Metro, in denen sich Laufbänder für die Fahrgäste befinden: Alle nehmen das Laufband. Für die Telekommunikation gilt dasselbe Prinzip: Es ist besser, einen elektrischen Impuls zu übertragen, als ein Blatt Papier zu transportieren, aber einen Brief, Post zu transportieren, ist besser, als einen Boten auf den Weg zu schicken.' Dieses Prinzip gilt selbst für die in der Architektur zentralen Begriffe von INNEN und AUSSEN, die allmählich ihre Bedeutung verlieren. Durch die Immaterialität der elektromagnetischen Strahlen wird sogar die für den Bau von Häusern so zentrale Unterscheidung von OBEN und UNTEN aufgehoben! In einem jüngeren Interview erklärte der Architekt Kazvo Shinohara: »In der zukünftigen Stadt wird sich die Freude am Intervall Ausdruck verschaffen.« Um welches »Intervall« handelt es sich aber, nachdem die Zeitabstände und damit die Notwendigkeiten der physischen Fortbewegung weggefallen sind? Mit der Vorherrschaft des Intervalls der absoluten Geschwindigkeit (drittes Intervall der Art Licht mit dem NullZeichen) der elektromagnetischen Wellen, die die Voraussetzung schaffen für die Interaktivität und damit für die plötzlich einsetzende Relativierung des Raumund Zeitintervalls (negatives und positives Vorzeichen), brechen sämtliche konzeptionellen Grundlagen der Architektonik buchstäblich in sich zusammen, darin eingeschlossen das natürliche Sonnenlicht, das sich nunmehr mittels Sensoren und Glasfasern von der
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Oberfläche des Gebäudes in das Innere der Wohnräume leiten läßt, so daß der mit Glasfasern versehene Raum an die Stelle der Fensteröffnung in der Fassade des Wohnhauses tritt. Welche Auswirkungen wird die bevorstehende Einführung der Teletechnologien, diese Transplantation in das Innere des menschlichen Körpers haben, und welche Folgen ergeben sich daraus für die Ordnung seiner häuslichen Lebenswelt? Bereits mit der Revolution der Verkehrsmittel im ig. Jahrhundert wurde die tiefgreifende Veränderung im Wesen der Fortbewegung offensichtlich, denn es fand eine eindeutige Begünstigung der »Abfahrt« und der »Ankunft« am Bestimmungsort auf Kosten der »Reise« im eigentlichen Sinne statt, was sich anhand der Passivität und der Schläfrigkeit der Passagiere in den Hochgeschwindigkeitszügen oder anhand der Filmvorführungen auf den Langstreckenflügen veranschaulichen läßt. Mit der Revolution der unmittelbaren Übertragungstechniken wird nunmehr die »Abfahrt« abgeschafft zugunsten der »Ankunft«, d. h. der allgemeinen Ankunft der Daten, und das angefangen beim Fernsehen über die Telearbeit bis zur Teleaktion, die durch die Fernsteuerung der häuslichen Funktionen des intelligenten Wohnhauses ermöglicht wird. Der Bewohner der teletopischen Metastadt, der so ausgerüstet ist, daß er seine Umwelt kontrollieren kann, ohne sich physisch zu bewegen, dieser Teleakteur seiner Lebenswelt, der ohne die exotischen Prothesen auskommt, mit denen früher das Stadtviertel bestückt war, unterscheidet nicht mehr eindeutig zwischen hier und anderswo, Privatsphäre und Öffentlichkeit. Die Unsicherheit bezüglich seiner territorialen Standortbest.irnrnung greift vom Raum der eigenen Welt auf den Raren des eigenen Körpers über. Infolgedessen zielt die Seßhaftwerdung darauf ab, endgültig, absolut zu
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werden, denn die traditionellerweise über den Realraum der Stadt verteilten Funktionen füllt jetzt die Echtzeit der Ausrüstung des menschlichen Körpers aus. Die Schlüsselbegriffe des (Funk-, Video- oder digitalen) Signaleingangs bzw. -ausgangs verdrängen diejenigen Begriffe, die gewöhnlich mit der Fortbewegung von Menschen oder traditionellerweise in der Weite des Raums verteilten Gegenständen verbunden waren. Der Kurzschluß der Absicht und des Willens zum Handeln ersetzt also das Handeln mittels Gesten und Körperbewegungen. Im Gegensatz zur klassischen mechanischen Nähe ist die neue elektromagnetische Nähe weniger räumlich als zeitlich bestimmt. Die Echtzeit der Direktübertragung (live coverage) beherrscht den Realraum des Gebäudes und fordert vom Planer eine grundlegende Erneuerung seiner Konzepte unter dem Gesichtspunkt, daß die Zeit, die Dauer der Interaktivität (oder, genauer gesagt, das Nichtvorhandensein einer Dauer), die Oberhand über den geometrischen Raum des Quattrocento gewinnt. Die auf dem »absoluten« Charakter des Raum- und Zeitintervalls der Volumetrie basierende alte architektonische Konzeption ist nicht mehr gültig. Nach dem Newtonschen Zeitalter bedingt die Relativierung dieser Begriffe den Absolutismus der Lichtgeschwindigkeit und die Entstehung eines letzten Intervalltyps mit einem Null-Zeichen, der seinerseits eine neue Perspektive, und zwar die beschleunigte Perspektive der Echtzeit, sowie die Erfindung neuer architektonischer und städtebaulicher Theorien erforderlich macht.' Somit führt das Gesetz der elektromagnetischen Nähe zu zwingenden Notwendigkeiten, die nicht mehr nur
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die Ethik oder die Energiepolitik betreffen, sondern auch die Ästhetik und das Weltbild. Das plötzliche babylonische Durcheinander des globalen Dorfes, die unpassende Vermischung des Globalen mit dem Lokalen - für die der Golfkrieg ein eindeutiges Vorzeichen war - kündigen die nächste Revolution an: die Revolution der biotechnologischen Transplantationen, die Ausstattung des animalischen Körpers mit verschiedenen Leitungen und Netzen, mit denen bisher der territoriale Körper der städtischen Gesellschaften versehen war. Das letzte »Territorium«, mit anderen Worten, die menschliche Physiologie, wird somit zum bevorzugten Versuchsfeld für die Kommunikations-Mikromaschinen; Drogen, Anabolika oder Dopingmittel scheinen die klinischen Symptome dieser bevorstehenden Permutation der Sinne zu sein. Ich weiß nicht, ob, wie Shinohara auch behauptet, die Stadt der Zukunft die Schöheit der Verwirrung zum Ausdruck bringen wird, ich bin mir allerdings absolut sicher, daß sie das Drama der Fusion von »Biologie« und »Technologie« veranschaulicht.
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Graue Ökologie »Der Bewegungslose steht sich selbst im Weg.« Seneca Neben der Verschmutzung der lebensnotwendigen SUBSTANZEN unserer Umwelt, mit der sich die Umweltschützer dauernd beschäftigen, gibt es noch die plötzliche Verschmutzung der ENTFERNUNGEN und der Zeitdauer, die die Ausdehnung unseres Lebensraums beschädigt. Unterschlagen wir nicht aufgrund der vorrangigen Beschäftigung mit der Verschmutzung der NATUR willentlich die Verschmutzung der NATÜRLICHEN GRÖSSE, die den Maßstab, die Dimensionen der Erde, auf ein Nichts reduziert? Wenn weder die Staatsbürgerschaft noch die Höflichkeit, entgegen den dauernden Beteuerungen, ausschließlich vom »Blut« oder vom »Boden« abhängig sind, sondern auch und vor allem von der Beschaffenheit der zwischen den menschlichen Gruppen bestehenden Nähe, wäre es da nicht angebracht, sich Gedanken über einen anderen Typus von Ökologie zu machen? Eine Disziplin, die sich weniger mit der NATUR befaßte als vielmehr mit den Auswirkungen der künstlichen Umgebung der Stadt auf den Verfall der physischen Nähe zwischen den Menschen und den verschiedenen menschlichen Gemeinschaften. Die Nähe der unmittelbaren Nachbarschaft in den Stadtvierteln. Die »mechanische« Nähe des Fahrstuhls, des Zuges oder des Automobils und schließlich, seit kurzem, die elektromagnetische Nähe der unmittelbaren Telekommunikation. Zerbrochen sind die Orientierungsmaßstäbe des Bo
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dens, der nachbarschaftlichen Gemeinschaft, des Mitmenschen, des Verwandten, des Freundes oder des unmittelbaren Nachbarn. Die MEDIALE Zäsur betrifft nicht mehr nur die Frage des zu großen Abstands zwischen dem städtischen Zentrum und seinem Umland, sondern die zwischenmenschliche Kommunikation über das Fernsehen, das Fax, das Teleshopping oder die elektronischen Briefkästen mit den Kontaktanzeigen ... Als »Weltbürger« und Bewohner der Natur unterschlagen wir allzuoft die Tatsache, daß wir auch innerhalb der physikalischen Dimensionen, im Rahmen des räumlichen Maßstabes und der Zeitdauer der natürlichen Größe, leben. Zur offensichtlichen Schädigung derjenigen Elemente, aus denen sich die (chemischen und alle möglichen anderen) Substanzen zusammensetzen und aus denen unsere natürliche Umwelt besteht, kommt noch die unbemerkt gebliebene Verschmutzung der Entfernungen, die sowohl die Beziehung zum Mitmenschen als auch zur Welt des sinnlich Erfahrbaren regeln. Hieraus resultiert die dringende Notwendigkeit, die herkömmliche Ökologie um eine Ökologie der künstlichen Verkehrs- und Übertragungstechniken zu ergänzen, die das Feld der Dimensionen der geophysikalischen Umgebung buchstäblich ausbeuten und ihre Ausdehnung beschädigen. »Die Geschwindigkeit zerstört die Farbe: Wenn das Gyroskop sich schnell dreht, wird alles grau«, schrieb Paul Morand im Jahre 1937 während seines Urlaubs ... Nachdem die extreme Nähe der Telekommunikationstechniken heute die äußerste Höchstgeschwindigkeit der Überschall-Verkehrsmittel verdrängt hat, wäre es da nicht an der Zeit, neben der GRÜNEN Ökologie eine GRAUE Ökologie einzuführen? Eine Ökolo
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gie der intelligenten und miteinander verbundenen »städtischen Archipele«, die schon bald eine Neugestaltung Europas und der ganzen Welt bedingen werden. In dem hier beschriebenen Zusammenhang einer durch die Teletechnologien der Fernhandlung von Grund auf veränderten Raumzeit kann man tatsächlich von einer URBANEN ÖKOLOGIE sprechen. Eine Ökologie, die sich eben nicht nur der Luft- oder Lärmverschmutzung in den großen Städten annähme, sondern in erster Linie der überstürzten Entstehung eines »globalen Dorfes« zum Ende unseres Jahrtausends, das vollkommen von den Telekommunikationstechniken abhängig ist. Der von Paul Morand seinerzeit gefeierte Ferntourismus würde nunmehr um eine Art »Tourismus an Ort und Stelle«, um die Kokonisierung und Interaktivität ergänzt. »Du hast die Welt zu einer Stadt gemacht«, warf der Galloromane Namatianus Cäsar vor. Seit kurzem ist dieses Projekt des Römischen Reiches zu einer alltäglichen Realität geworden, dessen ökonomische und besonders kulturelle Konsequenzen nicht mehr zu übersehen sind. Aus diesem Umstand ergibt sich nicht nur für die Dritte Welt, sondern auch für Europa das Ende des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, d. h. die Entvölkerung eines ländlichen Raums, der von Brachlegungen und Beschäftigungslosigkeit betroffen ist. Und die intellektuelle »Beschränkung«, die eine solche städtische Vormachtstellung voraussetzt, erfordert scheinbar ein anderes »Verständnis« der Künstlichkeit, und nicht nur eine andere Umweltpolitik. In genau dem Moment, in dem die notwendige direkte Transparenz der »optischen« Dichte der Erdatmosphäre begleitet wird von einer indirekten Transparenz der »elektrooptischen« (und akustischen) Dichte
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auf dem Gebiet der Telekommunikationstechniken in Echtzeit, lassen sich die Schäden des Fortschritts in einem von den Umweltschützern unterschlagenen Bereich nicht mehr länger übersehen: es handelt sich um den Bereich der Relativität, d. h. um ein neues Verhältnis zu den Orten und Zeitabständen, das die Revolution der Übertragungstechniken mit dem jüngsten Einsatz der absoluten Geschwindigkeit elektromagnetischer Wellen hervorgebracht hat. Und selbst die Revolution der Verkehrsmittel, die lediglich die relativen Geschwindigkeiten des Zuges, des Flugzeugs oder des Automobils zum Einsatz brachte, scheint die Anhänger der »Umweltwissenschaften« nur wegen der verheerenden Auswirkungen zu interessieren, die ihre jeweiligen Infrastrukturen (Autobahnen, Schienennetze für Hochgeschwindigkeitszüge oder Flughäfen) für die Landschaft haben können. Die Zeit ist nützlich, wenn sie nicht genutzt wird, behauptet die östliche Weisheit. Gilt dies nicht auch für den Raum, diese ungenutzte natürliche Größe der Ausdehnung einer unbekannten und oftmals ignorierten Welt? Wäre es nicht angebracht, angesichts des heutigen Verfalls einer in eine abstrakte Wissenschaft des Raums verwandelten Geographie und angesichts eines durch den Aufschwung des Tourismus und der Massenverkehrsmittel verursachten Verschwindens des Exotismus so schnell wie möglich nach dem Sinn und der kulturellen Bedeutung der geophysikalischen Dimensionen zu fragen? In seiner im 16. Jahrhundert verfaßten Autobiographie stellte Geronimo Cardano fest: »Ich bin in dem Jahr
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hundert geboren, in dem die gesamte Erde entdeckt wurde, wohingegen die Alten kaum mehr als ein Drittel kannten. « 1 Was läßt sich über unser ausgehendes 20. Jahrhundert, in dem die erste Mondlandung stattfand, anderes sagen, als daß wir die Zeit der endlichen Welt ausgeschöpft, die Erdoberfläche vereinheitlicht haben? Ob man es will oder nicht, der Wettlauf besitzt immer Ausscheidungscharakter, und zwar sowohl für die am Wettkampf beteiligten Konkurrenten als auch für die Umwelt, die ihrer Anstrengung zugrunde liegt. Aus diesem Umstand erklärt sich auch die Erfindung eines Schauplatzes, einer »Bühne«, auf der die Leistung der extremen Geschwindigkeit vollbracht werden kann: Stadion, Pferderennbahn oder Autorennstrecke. Eine derartige Instrumentalisierung des Raums ist ein Hinweis auf die Veränderung nicht nur des Athletenkörpers, der darauf trainiert ist, seine Grenzen zu überschreiten, oder der Rennfahrer in den verschiedenen Autorennställen, sondern auch der GEOMETRIE der Umgebung, die die Grundlage ihrer Bewegungsleistung darstellt. Dabei gibt die Integration der aufwendigen Sportausrüstungen in den geschlossenen Kreislauf einen Vorgeschmack auf die Integration einer sowohl für die Erdumlaufbahn der Satelliten als auch für sämtliche Verkehrsmittel zur Bahn gewordenen Welt in die Schleife, was ihrer endgültigen Abriegelung gleichkommt. Im Anschluß an die Auswirkungen, die das Eisenbahn- und das mittlerweile europaweite Autobahnnetz gehabt haben, nimmt somit eine letzte Form der Verschmutzung Gestalt an, und zwar die durch die Überschall-Verkehrsmittel sowie die neuen Telekommunikationstechniken verursachte Verschmutzung der geographischen Ausdehnung. Diese bedingt die Schädigung des Realitätsempfindens eines jeden von
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uns, den Sinnverlust einer nunmehr weniger GANZHEITLICHEN als vielmehr durch solche Technologien VERKLEINERTEN Welt, die im Laufe des 20. Jahrhunderts neben der »Fluchtgeschwindigkeit« der Erdanziehung (28 00o km/h) die absolute Geschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen erreicht haben. Aus diesem Umstand ergibt sich die dringende politische Notwendigkeit, zum Gesetz des geringsten Aufwands zurückzukehren, das seit jeher die Entwicklung unserer Technologien begründet. Dieses Gesetz drängt sich uns förmlich auf. Es basiert, genauso wie dasjenige der astronomischen Bewegung der Planeten, auf der Gravitation, dieser universellen Anziehungskraft, die den Objekten, aus denen die menschliche Umwelt besteht, sowohl ihr Gewicht als auch ihren Sinn und ihre Richtung gibt. Wenn das »Akzidens« tatsächlich zur Kenntnis der »Substanz« beiträgt, dann offenbart der Unfall des Falls der Körper allen die QUALITÄT unserer Lebensumgebung, ihr spezifisches Gewicht. Da es der Gebrauch ist, der den Raum, die Erdoberfläche, kennzeichnet, gibt es die Audehnung und folglich die zu durchquerende (geophysikalische) »Quantität« nur mittels der Anstrengung einer mehr oder weniger dauerhaften (physischen) Bewegung, d. h. mittels der durch den Weg hervorgerufenen Ermüdung, bei dem es die Leere lediglich aufgrund des Wesens einer Handlung gibt, die man zu seiner Bewältigung unternommen hat. Das »ökologische« Problem der NATUR unserer Lebenswelt läßt sich folglich nur dann lösen, wenn wir uns darum bemühen, auch die bestehende Verbindung zwischen »dem Raum« und »der Anstrengung«, der Dauer und dem Ausmaß einer physischen Ermüdung aufzudecken, die der Welt der sinnlichen Erfahrung
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ihren Maßstab, ihre »natürliche Größe«, verleiht. Da es durch die Teletechnologien beim Hören, Sehen oder Handeln keiner Anstrengung mehr bedarf und damit die Richtungen sowie die Weite des irdischen Horizonts zerstört werden, bleibt uns nichts anderes übrig, als nunmehr die »neue Welt« zu entdecken, die nicht mehr die Welt der weit auseinanderliegenden Orte von vor fünfhundert Jahren ist, sondern diejenige einer Nähe ohne Zukunft, in der sich die Technologien der Echtzeit schon bald gegen solche Technologien durchgesetzt haben werden, die früher dem Realraum unseres Planeten ihr Gesicht verliehen. Wenn gegenwärtig sein gleichbedeutend ist mit nah sein im physischen Sinne, dann möchte ich darauf wetten, daß die mikrophysikalische Nähe der interaktiven Teletechnologien in Zukunft dazu führt, uns zu entfernen, für niemanden mehr da zu sein, in eine auf weniger als nichts verkleinerte geophysikalische Umwelt eingeschlossen zu sein. »Die Welt ist geschrumpft, furchtbar geschrumpft. Man reist nicht mehr, man bewegt sich fort«, schrieb Jacques-Yves Le Toumelin. Diese Feststellung eines einsamen Seefahrers führt erneut zur Frage der Grenzen, der Grenzen einer dem Zweifel und der Desorientierung ausgelieferten Welt, wo angesichts der Fortschritte nicht mehr der Beschleunigung des historischen, sondern des geographischen Wissens die Orientierungs- und Anhaltspunkte nach und nach verschwinden, so daß in Anbetracht der unendlichen Zersplitterung des Standpunktes die Begriffe des Maßstabs und der physischen Dimension zunehmend ihren Sinn einbüßen. Zu Beginn unseres Jahrhunderts bemerkte Karl
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Kraus boshaft: »Ein regulierbarer Horizont kann nicht eng sein. « 1 An dieser Stelle möchte ich die Meinung eines ausgewiesenen Experten des Fernsehhorizonts zitieren. »Da der Raum des Bildschirms nicht groß ist, darf die Sendung nicht zu lange dauern.« Alles ist gesagt. Da, wo der Darstellungsraum sich verkleinert, muß der Takt erhöht werden, um in der Dauer einen abwesenden Raum zurückzugewinnen! Der Perspektive des (Real-)Raums der natürlichen Größe einer noch vollständigen, ganzheitlichen Welt stellt sich heute notwendigerweise eine relativistische Perspektive der Zeit zur Seite, und zwar die Perspektive der Echtzeit einer Unmittelbarkeit, die den endgültigen Verlust der geophysikalischen Entfernungen wettmacht. Es ist übrigens merkwürdig festzustellen, daß es in diesen Zeiten der virtuellen Navigation und des periskopischen Eintauchens in das kybernetische Universum wieder einmal die Seeleute sind, die als erste das Gefühl für die verlorene Realität vermitteln ... In seinem Tagebuch, das Gerard d'Aboville während seiner Pazifik-Überquerung mit dem Ruderboot führte, schrieb er: »Um mein Ziel zu erreichen, mußte ich mir ein geistiges Universum schaffen, in dem die zurückgelegte Strecke alles beherrscht. Ein zerbrechliches Universum, denn jetzt, da ich nicht mehr recht vorankomme, sucht mich die Versuchung heim aufzugeben.«' Verläßt einen die Kraft zur Fortbewegung, ist das gleichbedeutend mit dem Tod ... Dies ist das Gleichnis von der Geschichte der universellen Navigation, des Fortschritts in der Kenntnis der Grenzen dieser Welt, in der die Entfernung ebenso wie die Substanz der Ozeane solange der ewige Begleiter der Seeleute war, bis mit Hilfe der Beherrschung der
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souveränen Geschwindigkeit der Wellen, d. h. der elektromagnetischen Wellen, jede maritime bzw. kontinentale Ausdehnung auf unangemessene Art und Weise zerstört wurde. Nachdem die aus dem Lärm und Getöse der Ozeane bestehende geophysikalische Realität in den die Erde umgebenden Raum eingeschlossen wurde, wird schon bald die (virtuelle) mikrophysikalische Realität in die »Echtzeit« eingesperrt werden. Diese Realität ist die Frucht einer TRANSHORIZONTALEN Perspektive, einer echten »Zeitmauer«, anders ausgedrückt, sie ist die Frucht der fristlosen Zeit der Lichtgeschwindigkeit, die unversehens die Auswirkung der Überwindung der Schall- und Hitzemauer vollendet, die es dem Menschen ermöglicht hat, sich von der Erdanziehung zu befreien und auf der Oberfläche des Mondes zu landen. Früher mußte jede Generation versuchen, von neuem die Tiefe der Erdoberfläche zu entdecken, sich aus ihrer vertrauten Umgebung zu lösen, um zu weit entfernten Horizonten aufzubrechen. Reisen formt die Jugend, sagte man. In Zukunft wird jede Generation die optische Dichte einer mittels der Wirkung einer grundsätzlich zugleich »zeitlichen« und »unzeitlichen« Perspektive verkleinerten Realität erben, durch die sie (fast von Geburt an) das ENDE DER WELT, die Enge eines unabhängig von den geographischen Entfernungen unmittelbar zugänglichen Lebensraums, wahrnimmt. Aufgrund dieser Verschmutzung nicht mehr der Luft oder des Wassers, sondern der OROMOSPHÄRE verflüchtigt sich demnächst der Schein, die geophysikalische Realität des »territorialen Körpers«, ohne den weder der »gesellschaftliche Körper« noch das »Tier« existierten, denn zu sein heißt, hier und jetzt - hic et nunc - situiert zu sein - in situ.
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»Was nützt es dem Menschen, das Universum zu gewinnen, wenn er seine Seele verliert?«, seine anima, das, was ihn antreibt, was es ihm ermöglicht, von etwas beseelt und liebenswert zu sein, nicht nur den anderen, die Andersheit, anzuziehen, sondern mit Hilfe seiner Fortbewegung auch die Umgebung, die Nähe. Es verhält sich ganz so, wie es ein armenisches Sprichwort sehr schön zum Ausdruck bringt: »Was nützt die Weite der Welt, wenn mein Herz eng ist?« Die wahren Entfernungen, d. h. die wahre Abmessung der Erde, befindet sich in meiner Seele. Beim Tier ist die Entfernung immer nur ein Zeitabstand. Für den Menschen, die Eule oder die Spinne schwindet die Weite der Umwelt in der Bewegung, der Betriebsamkeit dahin. Der Erdumfang von 40000 Kilometern ist gar nichts. Das geographische Maß gibt es nur für die Geographen und Kartographen, die darum bemüht sind, den Abstand von einem Punkt zum anderen zu bestimmen. Für die Lebewesen wird dieser metrische Abstand niemals die Dimension der Welt ausmachen. Für das Seiende ist die Entfernung nur Wissen, Erinnerung und Analogie. Durch die verschiedenen (Überschall-) Verkehrsmittel- und (Hyperschall-) Übertragungstechniken werden wir in eine Lage versetzt, die mit derjenigen eines Menschen vergleichbar ist, den der Wetterbericht davon in Kenntnis setzt, daß es am nächsten Tag regnet: sein heutiger Tag, sein schöner heutiger Tag ist verdorben, schon verdorben, und er muß ihn schnell nutzen. Ähnlich wie beim kleinen Bildschirm, der eine Beschleunigung der ausgestrahlten Bildsequenzen notwendig macht, setzt sich hier die Dringlichkeit der Gegenwart durch. Das Tragische an dieser zeitlichen Perspektive jedoch ist, daß das, was auf diese Weise verschmutzt und von Grund auf beschädigt wird, nicht nur die unmittelbare Zukunft ist, das von ihr erzeugte Gefühl für die
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Zeit, sondern der bereits vorhandene Raum, das Gefühl der Abwesenheit der Umwelt, mit einem Wort, der geographische Tod. »Die Reise ist eine Art Tür, durch die man die Realität verläßt, um in eine unerforschte Realität einzutreten, die ein Traum zu sein scheint«, schrieb Guy de MauPassant. Mit dem Notstand der Zeitabstände verschwimmt dieser Traum, um bald schon durch das TELEX oder das Eintauchen in die virtuelle Realität ersetzt zu werden. Alles ist bereits gesehen, zumindest aber erforscht worden. Auf die Unmöglichkeit zu sehen folgte die Unmöglichkeit, nicht zu sehen, nicht vorherzusehen. Die allgemeine Reise ist bereits an die Stelle der Privatreise, der Reise des einsamen Seefahrers oder Entdeckers getreten. Der Tourismus des Fernsehzuschauers oder des Telearbeiters ist die ewige Wiederkehr eines Feedback, eine an ihrem Bestimmungsort angekommene »Kreuzfahrt«. Nach dem Fenster, das schon seit langem durch den Bildschirm der Fernüberwachung ersetzt wurde, ist es die Tür, die Fenstertür, die an der Schwelle des Raums der virtuellen Navigation an ihrem Endpunkt angelangt ist. Nach der Horizontlinie und der Oberfläche des transhorizontalen Bildschirms herrscht jetzt das Volumen des kybernetischen Raums vor. Auf diese Weise wird die telematische Information zur dritten Dimension, zur TIEFENWIRKUNG der wahrnehmbaren Realität, einer »Realität« allerdings, die sich dem Realraum der gewöhnlichen Geographie entzieht, um in der Echtzeit der Sendung/des Empfangs interaktiver Signale wiederaufzutauchen.
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Auf den Fluchtpunkt der ersten Perspektive (geometrische Optik) des Realraums des Quattrocento folgt die Flucht aller Punkte (Bildpunkte, Bits) in der zweiten Perspektive (Wellenoptik) der Echtzeit des Novecento. Infolgedessen ist die Information nach der Masse und der Energie nicht mehr einfach nur die dritte Dimension der Materie, wie es einmal die Pioniere der »Informatik« erläuterten, sie ist vielmehr zur LETZTEN TIEFENWIRKUNG der Realität geworden, einer genauso berechenbaren Realität, wie es die Oberfläche eines Gemäldes für die ersten Perspektivisten war, einer virtuellen Realität, die für jeden den außerordentlichen Vorteil mit sich bringt, zugleich »realer« als die Phantasie und kontrollierbarer als die konkrete Realität zu sein. Um welche »Tiefenwirkung« handelt es sich jedoch angesichts der Tatsache, daß die Welt soweit geschrumpft ist, daß die Klaustrophobie eine der größten Gefahren für die Menschheit darstellt? Wenn die Zeittiefe der Unmittelbarkeit endgültig die Tiefenschärfe des menschlichen Raums verdrängt, um welche »optische Dichte« kann es sich dann noch handeln? Eine verhängnisvolle Verwechslung zwischen dem sichtbaren Horizont, vor dem sich jedes »Ereignis« abhebt, und dem tiefen Horizont des Imaginären, die dazu führt, daß die letzte Tiefenwirkung tatsächlich einem Phantomglied ähnelt, d. h. einer virtuellen Gegenwart, die dennoch als integraler Bestandteil des versehrten Körpers wahrgenommen wird. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß im vorliegenden Fall das Vorhandensein einer Prothese bei einem Körperbehinderten noch die Wahrnehmung des tatsächlich nicht vorhandenen Körperglieds verstärkt.
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Sollte die Mutter Erde etwa zum Phantomglied der Menschheit geworden sein? Verstärkt die Entwicklung der Telekommunikationsprothesen nicht vielleicht die »schemenhafte Tiefenwirkung« eines nunmehr computergestützten Weltbildes? In diesem Zusammenhang möchte ich eine Überlegung von Franz Kafka zitieren, die er 1922 in einem Brief an Milena äußerte: »Die Menschheit fühlt das und kämpft dagegen, sie hat, um möglichst das Gespenstische zwischen den Menschen auszuschalten und den natürlichen Verkehr, den Frieden der Seelen zu erreichen, die Eisenbahn, das Auto, den Aeroplan erfunden, aber es hilft nichts mehr, es sind offenbar Erfindungen, die schon im Absturz gemacht werden, die Gegenseite ist soviel ruhiger und stärker, sie hat nach der Post den Telegraphen erfunden, das Telephon, die Funktelegraphie. Die Geister werden nicht verhungern, aber wir werden zugrundegehn.«4 Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, außer daß wir seither das Fernsehen und die Realität eines Raums erfunden haben, der es uns ermöglicht, über weite Entfernungen hinweg miteinander zu interagieren, und das unabhängig von der Entfernung, die uns von unserem Nächsten trennt. Müssen wir in Zukunft vielleicht »unseren Fernsten lieben wie uns selbst?« Und wenn dies so wäre, würde sich die Frage »bis wo« gar nicht mehr stellen, denn das Fehlen jeder Grenze mit Ausnahme derjenigen der kosmologischen Konstante der Geschwindigkeit der Realitätswellen wird uns bald dazu verleiten, die Liebe über große Entfernungen hinweg zu praktizieren. Keine »Minne« mehr wie im Mittelalter, sondern »virtuelle Liebe«, die durch die Errungenschaften des CYBERSEX im Bereich der Sinneswahrnehmung möglich wird, und das mit all den demographischen Konsequenzen, die die Erfin
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dung eines solchen UNIVERSELLEN PRÄSERVATIVS für die Menschheit mit einschließt! Was sich zwischen Himmel und Erde bewegt, lasse sich nur durch den Himmel und die Erde erklären, schrieb Ernst jünger in einer Paraphrase auf die antiken Philosophen der sublunarischen Welt. Zum Abschluß dieser Überlegungen möchte ich darauf hinweisen, daß sich unsere »graue Ökologie« letztlich nicht wesentlich von der »Ontologie« gleicher Farbe - oder vielmehr gleicher fehlender Farbe - unterscheidet. Sie ist eine Spekulation über das Sein an sich, allerdings betrifft dieses »an sich« die unmittelbare Verbindung des Seins mit dem Hier und Jetzt, d. h. die Situiertheit des Seins in dieser Welt. Die Welt der Erdanziehung ist zwar zugleich für das Gewicht und das Maß dieses Seins verantwortlich, umgekehrt aber auch für seinen Willen, sich der Schwere mittels Abflug zu entziehen, mit anderen Worten, den Willen zum Ausreißversuch eines Falls nach oben, jenseits der den Menschen auferlegten geophysikalischen Grenzen. Die Überwindung jedes »Trägheitswiderstandes« gleicht den Menschen einem Engel und das Sein einem Vogel an, denn, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß: »Alles, was nicht fällt, fliegt. « Dennoch gibt es eine unantastbare Grenze für diese historische Befreiungsbewegung, und zwar die ihrer BESCHLEUNIGUNG. Trotz der jüngsten Errungenschaft dessen, was die Astrophysiker als FLUCHTGESCHWINDIGKEIT bezeichnen, stellt die Beschleunigung, mit deren Hilfe es dem Menschen möglich ist, sich von seinem Lebensraum zu lösen, nicht die erwartete »Befreiung« dar. Diese ist nämlich nur denkbar als effektive Befreiung von jeder Art
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der Fortbewegung, d. h. durch den Einsatz der Konstante der Lichtgeschwindigkeit in der Leere, die Verwirklichung der ECIITZEITNIAUER, an der die Menschheit, nachdem sie erfolgreich die Schall- und die Hitzemauer durchbrochen hat, schließlich eine Verhaltensträgheit erreicht, durch die sie ihre Engelattribute, ihre »Flügel«, einbüßt und die sie in eine zwar relative, aber in bezug auf ihr Verhältnis zur Welt der physischen Erfahrung endgültige Totenstarre fallen (absinken) läßt. Abschließend möchte ich eine zeitgenössische Erzählung zitieren, die von diesem unerwarteten »Ende der Welt« handelt: »Während meines Flugs durch den Raum hatte ich das eigenartige Gefühl, daß sich die Zeit zusammenzieht, so als sei die Geschwindigkeit dafür verantwortlich, die Augenblicke, die ich in der Kapsel verbrachte, zusammenzupressen. Ich hatte immer den Eindruck, als würden die Ereignisse auf mich zurasen wie Tontauben in einem Schießstand und als würde ich von einem Ereignis zum nächsten stürzen« notiert Scott Carpenter in dem Tagebuch seiner Reise auf der Erdumlaufbahn mit einer Geschwindigkeit von 27 00o km/ h. Die neue Form des Zappens, die er hier beschreibt, ist kein Fernseh-Zappen mehr, sondern ein visuelles Zappen.
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Kontinentalverschiebung »Nichts ist von größerer Weite als die leeren Dinge. « Francis Bacon Selbst im Rahmen der Raumordnung setzt sich nunmehr die »Zeit« gegenüber dem »Raum« durch. Allerdings handelt es sich hierbei nicht mehr wie einstmals um eine chronologische, d. h. lokale Zeit, sondern um eine universale Weltzeit, die sowohl dem lokalen Raum der ländlichen Organisationsform einer Region als auch der Gesamtfläche eines Planeten entgegensteht, der sich in einem Prozeß der Homogenisierung befindet. Der Übergang von der Urbanisierung des Realraums der Ländergeographie zur Urbanisierung der Echtzeit der internationalen Telekommunikation führt dazu, daß der »Welt-Raum« der Geopolitik seine strategische Vorrangstellung Schritt für Schritt an die »Welt-Zeit« einer chrono-strategischen Nähe abtritt, die weder Aufschub duldet noch über einen Antipoden verfügt. Allerdings bedingt die Metropolitik, die aus dieser plötzlichen Einzigartigkeit der Welt-Zeit der unmittelbaren Telekommunikation hervorgeht, das Auftauchen einer letzten Form des Unfalls: Während die Menschen mit dem Primat der lokalen Raumzeit noch der Gefahr eines spezifischen und genau zu situierenden Unfalls ausgesetzt waren, sind wir alle mit dem Anbruch der Welt-Zeit der Gefahr eines allgemeinen Unfalls ausgesetzt (genauer gesagt, wir laufen Gefahr, durch ihn der Überbelichtung ausgesetzt zu sein). Die Delokalisierung von Aktion und Reaktion (Interaktion) bedingt notwendigerweise die Delokalisierung jeder Form von Unfall. Schließlich läßt sich sagen, daß durch die elektroma
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gnetischen Übertragungsmöglichkeiten von Bildern, Tönen und Daten der Verkehrsunfall eine Zukunft hat, da wir neben den klassischen Eisenbahn-, Flugzeug-, Schiffs- oder Autounfällen schon bald miterleben werden, daß der Unfall der Unfälle aufkommt. Anders gesagt, wir werden es mit der Verbreitung des allgemeinen Unfalls zu tun haben, der das Ausmaß des beschränkten Verkehrsunfalls im Zeitalter der Revolutionierung der Transportmittel bei weitem übersteigt. Man kann sagen, daß die atomare Katastrophe von Tschernobyl in gewisser Weise eine Vorwegnahme des zukünftigen großen Unfalls war. Genauso wie sich seinerzeit die Radioaktivität ungehindert von Ost nach West ausbreiten und dabei fast den gesamten Kontinent atomar verseuchen konnte, stellt das elektromagnetische Übertragungssystem der Interaktivität zukünftiger Datenautobahnen ein Phänomen von globaler Tragweite dar. Ohne die (einst göttlichen, nunmehr jedoch menschlichen Attribute der) Unmittelbarkeit und Allgegenwart der Aktion und Reaktion hätte es das Risiko, unbeabsichtigt einen allgemeinen Unfall zu verursachen, niemals gegeben. Mit anderen Worten: den historischen Zwischenfall des Übergangs vom Primat der lokalen Zeit des Tuns und Treibens eines jeden Menschen im Hier und Jetzt zur globalen Zeit der allgemeinen Interaktion aller, und das gleichzeitig, hätte es nicht gegeben. Dieses Phänomen, das, außer in der Theologie und der Astrophysik, nie zuvor dagewesen ist, geht Hand in Hand mit der allgemeinen Verbreitung des theoretischen Begriffs der INFORMATION auf Kosten der praktischen Begriffe von MASSE und ENERGIE, die die Geschichte hervorgebracht haben.
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Indem durch die Verallgemeinerung der Information in Echtzeit implizit die »historische« Zeit der POLITIK - genauer gesagt, der Geopolitik - zum ausschließlichen Vorteil der » anti-historischen« Zeit der MEDIEN zerstört wird, verursacht sie einen radikalen Bruch, mit dem verglichen die industrielle Revolution ein Ereignis von nachgeordneter Bedeutung war. Angesichts der Tatsache, daß schon bald die Geschichte und die Geographie nicht mehr das sein werden, was sie einmal gewesen sind, nämlich die notwendigen Grundlagen jedes zukunftsorientierten Denkens, wie sollte man da noch beabsichtigen, die Zukunft vorherzusehen? Wie sollte es noch möglich sein, irgendwelche Schlüsse aus »statistischen Tendenzen« zu ziehen, wo wir doch schon jetzt den Druck eines nie dagewesenen zeitlichen Umbruchs zu spüren bekommen und in der Furcht vor einem kurz bevorstehenden gesellschaftlichen Krachs leben, dessen Vorzeichen mit den Auswirkungen der strukturellen Massenarbeitslosigkeit und dem Zerfall der familiären Strukturen bereits hier und da erkennbar sind? In der Tat bedingt schon die globale Metropolitik der zukünftigen Informations-Datenautobahnen von sich aus den Beginn einer Gesellschaft, die nicht mehr ausschließlich zwischen Nord und Süd geschieden ist, sondern darüber hinaus zwischen zwei verschiedenen Zeitlichkeiten, zwei Geschwindigkeiten: einer absoluten und einer relativen Geschwindigkeit. Der Graben zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern wird sich über alle fünf Kontinente erstrecken und zu einem noch radikaleren Bruch zwischen solchen Ländern führen, deren wirtschaftliche Aktivitäten größtenteils im Rahmen der Echtzeit der virtuellen Gemeinschaft der globalen Stadt stattfinden, und jenen Ländern, die, ärmer als je zuvor, weiterhin im Real
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raum der lokalen Städte verweilen. Diese Städte werden sich zu einer Art Vorstadt planetaren Ausmaßes entwickeln, die in Zukunft die sehr reale Gemeinschaft derjenigen beherbergen wird, die weder über eine Arbeit noch über entsprechende Wohnverhältnisse verfügen, die eine harmonische und dauerhafte Sozialisierung ermöglichen. Während Paul Valery einst erklärte: »Es beginnt die Zeit der endlichen Welt«, müssen wir heute erkennen, daß das Gegenteil der Fall ist: Es beginnt die Welt der endlichen Zeit (der Welt-Zeit). Gleiches gilt für die philosophische Begrifflichkeit. War für die modernen Philosophen die Substanz notwendig und der Zufall relativ und kontingent, so findet nach Meinung der postmodernen Philosophen eine genaue Umkehrung der Begriffe statt, denn der Zufall wird absolut und die Substanz, jegliche Substanz, relativ und kontingent. Wie eine gewaltige Implosion breitet sich der Kreislauf des allgemeinen Unfalls der Kommunikationstechnologien aus und bringt jede Substanz zum Fließen, so daß es zu einer Interaktion im globalen Maßstab kommt. Allerdings ergibt sich hieraus für die Substanz die Gefahr, ausgelöscht zu werden und vollkommen zu verschwinden, wobei es ihr nicht anders ergeht als einer Weltwirtschaft bzw. einem Welthandel, dessen Delokalisierung der Produktion aufgrund der hohen Mobilität der miteinander konkurrierenden Produkte zusätzlich begleitet wird von der plötzlichen Delokalisierung ihrer Ansiedlung, die aus den Distributionsprinzipien des maximalen Warenflusses ohne jeden Lagerbe stand resultiert. Um dies zu veranschaulichen, möchte ich das Beispiel eines Bekleidungsunternehmens anführen, das an der Grenze zwischen den französischen Departements Maine und Loire-Atlantique ansässig ist.
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Als dieses Unternehmen im Jahre 1988 bereits die ersten Auswirkungen der Globalisierung der Märkte zu spüren bekam, entschied sich der verantwortliche Manager dazu, einen Teil der Produktion nach Südeuropa, genauer gesagt, nach Portugal, zu verlagern'. Ein Jahr später, nachdem die Löhne in Portugal um 15% gestiegen waren, wurde der französische Unternehmer bei seiner Suche nach günstigeren Lohnverhältnissen in Marokko fündig und machte den Sprung über die Meerenge von Gibraltar, wodurch er den Preis seiner Erzeugnisse zwar unter denjenigen seiner direkten Konkurrenten drücken konnte, gleichzeitig aber alle seine französischen Zulieferer in größte Schwierigkeiten brachte. In Marokko beschäftigte die Firma nahezu 300 Menschen, so lange, bis der unvermeidliche Anstieg der Lohnkosten unseren Unternehmer dazu veranlaßte, 1992 zum großen Sprung nach Asien anzusetzen und Kleidung aus Korea zu importieren, die in Bangladesh gefertigt wurde. Im Jahre 1993 wurde er schließlich in Vietnam, wo die Armee ihre Soldaten gewissermaßen als Zwangsarbeiter einsetzte, auf Werkstätten, d. h. eher auf Kasernen, aufmerksam, wo die Arbeit gerade einmal mit umgerechnet 6o Pfennigen pro Stunde entlohnt wurde. Aber es war bereits zu spät, denn die großen Aufkäufer waren vor ihm zur Stelle und blokkierten endgültig jede echte Konkurrenz. Die hier beschriebenen Wechselfälle, die genauso eindrucksvoll sind wie die Fabel vom Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel, veranschaulichen aufs beste die Entwicklung von Unternehmen im postindustriellen Zeitalter. Da die Geschäftslogistik im Dienste des Verbrauchers sich auf Kosten der Arbeiter gegen die Unternehmensstrategie durchsetzt, scheitert letztlich das industrielle Unternehmen. Die beschleunigten Waren
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flüsse im Rahmen der globalen Delokalisierung der Märkte führen - wie jede zu lange Zeit beanspruchende militärische Operation - zu einer Auszehrung der Kräfte der betroffenen Firma, und aufgrund einer spezifischen medialen Gesetzmäßigkeit führen sie sogar zum Untergang des Handels an sich. Am zukünftigen Zusammenbruch der postindustriellen Produktionsformen besteht deshalb kein Zweifel, weil der fortschreitende Zerfall der kleinen und mittleren realen Unternehmen sich allmählich auch auf die multinationalen Unternehmen und schließlich sogar auf die mächtigen virtuellen Monopole auswirkt. »Wenn die Wissenschaft gelernt haben wird, es einzubringen, dann gelingt ihr Stück für Stück die Reintegration dessen, was sie zunächst als subjektiv ausgegrenzt hat. Allerdings integriert sie es als Sonderfall der Beziehungen und Gegenstände, die für sie die Welt definieren. Folglich verschließt sich die Welt in sich selbst, und wir werden zu einem Teil oder Moment des großen Objekts geworden sein«, schrieb Maurice Merleau-Ponty gegen Ende seines Lebens. In zwanzig Jahren, wenn durch die Globalisierung der Planet in sich selbst eingeschlossen sein wird wie eine reife Frucht, wie sollte es dann noch möglich sein, die Entwicklung der geopolitischen Ordnung beispielsweise des französischen Territoriums im Rahmen des europäischen Kontinents vorherzusehen, wo doch die (interaktive) Metropolitik der Telekommunikation die Herrschaft der Echtzeit ausgedehnt haben wird und sämtliche Entfernungen des Realraums schließlich dem Fehlen jeder zeitlichen Frist einer sich verallgemeinernden Interaktion weichen? Wie hat man sich im Anschluß an das » no man's
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land« der versteppten Landstriche die »no man' s time« eines Planeten vorzustellen, wo der Zwischenraum des lokalen Raums der Kontinente seine Vorrangstellung an die Schnittstelle der Welt-Zeit der Datenautobahnen abgetreten hat? Erinnern wir uns daran, daß auf der Grundlage des »Gesetzes des geringsten Aufwandes«, das schon immer die Entwicklung der technischen Wissenschaften bestimmte, drei aufeinanderfolgende Arten von Nähe entstanden sind, die ihrerseits die geopolitische Geschichte entscheidend beeinflußten. Zunächst war es die metabolische Nähe, dann die durch die Revolution der Verkehrsmittel bedingte mechanische Nähe und schließlich die auf der Revolution der Übertragungstechniken basierende elektromagnetische Nähe. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie der Erfahrung der realen zwischenmenschlichen Nähe entgegenwirkt und damit gleichzeitig die originär politische Fähigkeit unterläuft, die Bevölkerung - eines Landes oder einer Stadt - an einem Ort zu versammeln. Dank des Kunstgriffs einer virtuellen Nähe, die nicht mehr der unmittelbaren und konkreten Präsenz der Menschen bedarf, begünstigt sie vielmehr die Zusammenkunft telepräsenter Gesprächspartner, die sich in großem Abstand voneinander befinden. Bildete die unmittelbare und konkrete Präsenz die Grundlage der Geopolitik der Nationen, so führt die Telepräsenz zu einer Metropolitik der Unmittelbarkeit, dieser Frucht der Urbanisierung der Zeit der Telekommunikationstechnologien, die auf die Urbanisierung des Raums der Regionen folgt. Die Art der METROPOLITISIERUNG, die wir im nächsten Jahrhundert zu befürchten haben, besteht also weniger in der Konzentration der Bevölkerung in dem einen oder anderen »städtischen Netz« als vielmehr in der Hyperkonzentration der Welt-Stadt, der virtuellen
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Stadt der Städte, für die jede reale Stadt letztlich nichts anderes wäre als ein Stadtbezirk, eine OMNIPOLITANE2 Peripherie, deren Zentrum sich nirgendwo und deren Peripherie sich überall befände. Die zukünftige Gesellschaft zerfällt in zwei gegensätzliche Teile: der eine Teil lebt im Rhythmus der Echtzeit der Welt-Stadt, innerhalb der virtuellen Gemeinschaft der Wohlhabenden, wohingegen der andere Teil an den Rändern des Realraums der lokalen Städte noch verarmter dahinvegetiert als heute bereits die Menschen in den Elendsvierteln der Großstädte in der Dritten Welt. Angesichts dieser plötzlichen Aufspaltung des Faktischen in »Realität« und »Virtualität«, bei der die Ferne die Oberhand über die Nähe gewinnt, machen die traditionellen Kategorien des Liberalismus einerseits und des Autoritarismus andererseits einen beachtlichen Bedeutungswandel durch: Da die mediale Darstellung die klassische politische Vertretung der Nationen vollkommen in den Schatten stellt, wird schon bald der BÜRGER dem ZEITGENOSSEN weichen.; Da der Bürger darüber hinaus nur im Rahmen des Rechts der konkreten Realität der Polis bzw. der kolonialen oder nationalen Gebilde auch tatsächlich Bürger war, resultiert aus dem sich ankündigenden Untergang der Realität der Gemeinschaft lokaler Städte zugunsten der diskreten Virtualität der Welt-Stadt der Zerfall der territorialen Grundlage des Rechtsstaates, so daß es zu einer übermäßigen Begünstigung der GLEICHZEITIGKEIT auf Kosten der STAATSRÜRGERSCHAFT kommt. Mit anderen Worten, die metropolitische Virtualität der LIVEÜBERTRAGUNG obsiegt über die geopolitische Aktualität der STADT. Unter diesen durch und durch »exzentrischen« oder, wenn man So Will, OMNIPOLITANEN Bedingungen werden schon bald die unterschiedlichen gesellschaftli
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chen und kulturellen Realitäten, die gegenwärtig noch den Reichtum der Nationen ausmachen, einer Art STEREO-REALITÄT weichen, bei der sich die Interaktion der Austauschformen nicht mehr von den heutigen automatisierten Verbindungen zwischen den Finanzmärkten unterscheiden. Hierbei handelt es sich letztendlich um Verfahren, die sehr viel Ähnlichkeit mit denjenigen der kybernetischen Systeme aufweisen und die einst von Leuten wie Norbert Wiener kritisiert wurden, weil sie eine Tyrannei der Information befürchteten. An dieser Stelle möchte ich einige Erscheinungen beschreiben, mit deren Hilfe sich die oben gemachten Analysen veranschaulichen lassen: Im Januar 1994 kündigte IBM an, seinen Firmensitz in der Nähe von New York aufzugeben. Diese plötzliche Entscheidung eines so großen Unternehmens, sich im Nirgendwo anzusiedeln, scheint eines der wichtigsten Symptome für die grundlegende Veränderung darzustellen, von der vermutlich schon bald sämtliche Arbeitsplätze im eigentlichen Sinne des Wortes betroffen sein werden, d. h. nicht nur die Fabrik oder die Büros, sondern die Bedeutung des Stadtzentrums überhaupt. Schon heute tragen mehrere Faktoren zu dieser postindustriellen Veränderung bei. Auf der einen Seite die Globalisierung der Wirtschaft, der sich die Notwendigkeit einer Wiederaufwertung der Unternehmensstrategien verdankt und die, wie zu sehen war, sowohl zu einer Umstrukturierung als auch zum Abbau des Personalbestandes führte. Andererseits - und zeitgleich hiermit - die Entwicklung der Kommunikationstechnologien, die die Ausführung der Aufträge an jedem beliebigen Ort ermöglichen. Mit der allgemeinen Durchsetzung dieser interaktiven Technologien müssen in Zukunft eine ganze Reihe
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der überkommenen Vorstellungen zur Beschäftigung und Schichtarbeit neu überdacht oder sogar verworfen werden. Insbesondere gilt dies für die Vorstellung von einer zwangsläufigen Konzentration der Masse der Arbeitskräfte in den Städten bzw. ihrer Umgebung, denn die NETZARTIGE Struktur der internationalen Telekommunikationsnetze ersetzt die ZENTRALISTISCHE Struktur der räumlichen Organisation in den Metropolen. Auch wenn die Informationsverarbeitung schon immer im Zentrum der industriellen Verwaltung gestanden hat, so ist es doch offensichtlich, daß im postindustriellen Zeitalter die außerordentlich leistungsstarken Informationsverarbeitungssysteme in Echtzeit die klassischen Verwaltungsbüros verdrängen. In der heutigen Zeit, wo »ein Büro aus all den Orten besteht, die man persönlich oder nur gedanklich, allein oder mit mehreren Personen gemeinsam aufsucht«4, ist der Sitz einer Firma nichts anderes mehr als der Knoten eines Netzes, das dazu dient, die Informationsübertragung an verstreute Geschäftseinheiten zu vereinfachen, die ihre Entscheidungen immer häufiger selbständig treffen. Aus diesem Grunde wird gegenwärtig an der Entwicklung von Gruppen-Software gearbeitet, die die gleichzeitige Teilnahme einer fast unbegrenzten Anzahl von Anwendern an Datennetzen vom Typ INTERNEr ermöglicht, das vor ungefähr fünfzehn Jahren vom Pentagon lanciert wurde. Gleichzeitig regen einige internationale Unternehmen ihre Mitarbeiter vermehrt dazu an, ihre Arbeit dort zu erledigen, wo sie sich gerade befinden, und nur noch den geringsten Teil ihrer Arbeitszeit am Firmensitz selbst zu verbringen. Diese Kategorie der sogenannten »mobilen Mitarbeiter« nimmt ihre Büroarbeit
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mit zum Flughafen, ins Flugzeug, ins Auto oder ins Hotel, wobei dieser Vorgehensweise der Gedanke zugrunde liegt, daß die Mitarbeiter sich lieber an Ort und Stelle befinden und direkten Umgang mit den Kunden haben sollen, als im Büro zu sitzen und Akten zu ordnen. Auf diese Weise entsteht eine Art »Geschäftstourismus«, der noch verstärkt wird durch die immer weiter verbreiteten »SubunternehmerVerträge«, die man einigen Führungskräften unter Androhung ihrer Entlassung aufzwingt. Und so arbeiten diese Führungskräfte mit ihrer telematischen Ausrüstung dann auch nur noch für wenige Stunden oder allerhöchstens einige Tage in den Hotels, Videokonferenz-Zentren oder Ausstellungshallen internationaler Fachmessen dieser Welt. Angesichts der Begeisterung für die »Videokonferenz« einerseits und des wachsenden Rückgangs der Passagierzahlen im Luftverkehr andererseits werden solche Stimmen immer deutlicher vernehmbar, die zu verstehen geben, daß man »wahrscheinlich bessere Geschäfte machen könnte, wenn man sich von den Geschäften entfernt«', gerade so, als wäre der Zerfall der nachbarschaftlichen Beziehungen (las Pfand für den kommerziellen Erfolg! Wenn es durch die Techniken der Telearbeit zu einer Auflösung des Verhältnisses zwischen den Angestellten und ihrer Firma kommt, dann werden in der Tat sowohl der 8-Stunden Tag als auch die spezifisch geographischen Zwänge der Fabrik zu überholten gesellschaftlichen Konzepten. Die Gesten und Orte, die noch eine Verbindung herstellten zwischen Angestellten und Gewerkschaften und ihren unterschiedlichen Stellungen innerhalb der Hierarchie der industriellen Arbeit letztlich noch so etwas wie einen Ausdruck bzw. Rahmen verliehen, erscheinen in Zukunft wie unnütze
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Rituale. Mit Sicherheit weisen die große Mobilität und die Allgegenwart der Telearbeit gewisse Vorzüge auf, aber sie haben auch eine ganze Reihe von großen Nachteilen, insbesondere den, daß es nicht mehr möglich ist, zwischen Freizeit und bezahlter Arbeitszeit zu unterscheiden. Somit besteht die Gefahr, daß die Arbeitszeit die gesamte Privatsphäre und die Zeit erfaßt, über die man frei zu verfügen glaubte. Schließlich übernimmt mit der letzten, weniger internen als vielmehr externen Form von Taylorismus jede der Strukturen des postindustriellen Unternehmens unter dem dauernden zeitlichen Druck der geschäftlichen oder börsianischen Ereignisse sowohl im Produktions- als auch im Distributionsbereich eine genau festgelegte Rolle, um das oberste Ziel der Hyper-Produktivität zu erreichen. Da die Segmentierung der geographisch zersplitterten Aktivitäten aus dem unmittelbaren Charakter der Auftragserteilung resultiert, besteht das Problem nicht mehr so sehr in der Organisation des Realraums sowie der lokalen Zeit der Fabrik, sondern in der Verwaltung der Echtzeit des globalen Raums der Reaktivität auf die Anforderungen der Auftraggeber. Anders gesagt, um den Bedürfnissen einer HyperReaktivität auf die Fernsteuerungen der nunmehr aus Zappern bestehenden Kundschaft überhaupt noch nachkommen zu können, bedingt die Organisation der postindustriellen Ausbeutung nach dem Prinzip des »maximalen Warenflusses ohne jeden Lagerbestand« die Durchsetzung eines Produktionstaktes, der schon bald zur Entstehung einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit und zur Durchsetzung einer GLOBALEN ROBOTIK führt.
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»Die Effizienz des elektronischen Geldes basiert auf seiner Masse, die sich durch seine Zirkulationsgeschwindigkeit vergrößert«, erklären heute die Spezialisten eines automatisierten Börsensystems, das immer häufiger eine Art »virtuelle Blase« erzeugt, die zwar nicht dazu in der Lage sein mag, den Markt zu degenerieren, wohl aber, den wirtschaftlichen Ressourcen von immer mehr Ländern erhebliche Schäden zuzufügen. Im Anschluß an die Herrschaft der Masse und der Energie herrscht nun die Information, diese dritte Dimension der Realität, und damit ergibt sich die unglaubliche Möglichkeit eines neuen Typs von Schock: des Informationsschocks". Jeder Staat versucht, sich dagegen zu schützen, da es sich hierbei um die Bedrohung von den Ausmaßen eines echten »Staatsstreichs« handelt, den nicht mehr irgendein dahergelaufener politischer Diktator anzettelt, sondern der betrieben wird von der souveränen Tyrannei eines Computersystems, das dazu fähig ist, jeden Staat total zu destabilisieren. Sobald die Information über den Finanzmarkt in Echtzeit wichtiger wird als die Geldrnasse, noch wichtiger sogar als die Materialität des alten Goldstandards und die Territorialität des Realraums einer Nation, wie sollten da noch verläßliche Aussagen über die zukünftige geographische Raumordnung möglich sein, wenn wir uns weiterhin weigern, endlich die Zeitordnung, zumindest aber die demokratische Kontrolle ihres wirtschaftlichen und politischen Gebrauchs ins Auge zu fassen? Nachdem die Vereinigten Staaten den zukünftigen »allgemeinen Unfall« der Weltwirtschaft um weniges vorausgedacht haben, wurde dort nach den mit der Sicherheit des Territoriums betrauten Regierungsorganen eine Institution ins Leben gerufen, deren ausschließliche Aufgabe darin besteht, die ökonomische
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Sicherheit ihrer nationalen Interessen zu garantieren, um so die durch den technischen Integrismus der Datenfernübertragungstechniken verursachten Schäden auszugleichen. Kehren wir aber zu unserem Alten Kontinent zurück. Die fünfzehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind offenbar fest entschlossen, so schnell wie möglich ein transeuropäisches Verkehrsnetz in Betrieb zu nehmen. Wie ist es angesichts dieser Tatsache um den Begriff der Raumordnung bestellt? Läßt sich sagen, daß die Europäische Union eine Geopolitik betreibt, deren Ziel in der Zurückgewinnung eines transnationalen Territoriums besteht, das nicht nur einem Auflösungsprozeß ausgesetzt ist, sondern auch versteppt? Oder handelt es sich vielleicht im Gegenteil nicht viel eher um den Versuch der gemeinschaftlichen Ausarbeitung einer » Metropolitik« mit dem Ziel, den Einfluß der »städtischen Archipele« auf das Land noch zu vergrößern und somit die Einheit der Zeit der Städteverbindungen auf Kosten der Einheit des Ortes der Entfernungen auf dem Land noch stärker zusammenzuziehen? Es ist allgemein bekannt, daß gegenwärtig die Bedeutung der Entfernung -jeder Art geographischer Entfernung - gegenüber der ökonomischen Bedeutung der Dauer zurücktritt. Demzufolge besteht das Problem der Raumordnung unserer Erdoberfläche weniger in der Organisation der europäischen Landschaftsoberfläche als vielmehr in ihrer Zeitordnung: Ich meine hier die Echtzeit, die mit den Besonderheiten des Realraums der Regionen auch die Realität ihrer Kulturen auslöscht ... Wie anders ließe sich die jüngste
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europaweite Preissenkung auf den internationalen Fluglinien bei gleichzeitiger Verteuerung der Inlandsflüge erklären? Das gleiche gilt für die anhaltende Preissenkung für die Nutzung weltweiter Fernmeldeleitungen bei gleichzeitiger Verteuerung der Ortstarife. Angesichts der im Augenblick überall betriebenen Durchsetzung einer globalen Zeit der internationalen Transaktionen sowie der kurz bevorstehenden Einrichtung von »Datenautobahnen«, deren Zweck darin besteht, die weltweite Ausbreitung der Echtzeit der Informationsübertragung sicherzustellen, springt einem die gleichzeitige Virtualisierung des Realraums der Regionen und Länder sowie das Zusammenschmelzen des europäischen Raums geradezu ins Auge, denn die aus der unaufhörlichen Datenflut zwischen Amerika und Europa bestehende Immaterialität der »Telekontinente« bringt unseren Alten Kontinent zum Verschwinden. Wenden wir uns aber wieder der europäischen Großbaustelle sowie der politischen Bedeutung dieses ersten Programms zum Ausbau der europäischen Infrastrukturen zu. Der Bau von Brücken und Straßen, das Graben von Tunneln, die permanente Erweiterung von Schienen- und Autobahnnetzen machen deutlich, daß es ausschließlich um eine Vergrößerung der Leistungsfähigkeit des Territoriums geht, um so die Fortbewegungsgeschwindigkeit von Menschen und Gütern zu erhöhen. Da das aus dem Straßen- oder Schienennetz bestehende große »statische Vehikel« die Beschleunigung der sie benutzenden kleinen »dynamischen Vehikel« begünstigt, ermöglicht es sowohl ein ungehindertes Fließen des Verkehrs als auch das baldige Verschwinden des Widerstandes der geographischen Beschaffenheit einer Nation, die immer schon dem Fortkommen
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der beweglichen Körper im Wege stand. Außerdem beseitigt dieses »statische Vehikel« auch die topographischen Unebenheiten - Hügel oder tiefe Täler -, die einstmals die Größe und Besonderheit der durchquerten Regionen ausmachten, und all das zum ausschließlichen Nutzen eines maßlos anwachsenden großstädtischen Ballungsraumes, der ohne weiteres nicht nur die Aktivität eines ganzen Landes absorbiert, sondern auch den wesentlichen Bestandteil der Macht der europäischen Nationen. Das gegenwärtige Verschwinden der institutionellen und der natürlichen Grenzen führt demzufolge zur völligen Nivellierung des Abstandes, der früher einmal die Völker Europas von den jeweils anderen Nationen trennte. Auch das geschieht zum ausschließlichen Nutzen einer weniger topischen und territorialen als vielmehr teletopischen und extra-territorialen Metropole, bei der die geometrischen Begriffe des städtischen »Zentrums« und der städtischen »Peripherie« langsam aber sicher ihre soziale Bedeutung einbüßen. Gleiches gilt übrigens für die Begriffe »rechts« und »links« bezüglich der Bestimmung einer politischen Identität, denn im Zeitalter der Immaterialität der Netze bieten sich die MEDIEN als mögliche Alternative zur Politik der Parteien des Zeitalters der unmittelbaren Kommunikation an. Anhand des jüngsten schweizer Projekts, ein Nachfolgemodell mit der Bezeichnung Swiss METRO für das alte »Intercity«-Eisenbahnnetz zu entwickeln, läßt sich dieses zugleich monopolisierende und bündelnde Phänomen ausgezeichnet veranschaulichen. In der Zeit nach den Hochgeschwindigkeitszügen und bis zur Serienreife des deutschen »Transrapid« hat die Schweizerische Eidgenossenschaft mit dem
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Vorschlag, ihre alten Eisenbahnlinien durch eine Untergrundbahn zu ersetzen, die mit einer Geschwindigkeit von 40o kmlh in einem Tunnel verkehrt, der die neun größten schweizer Städte miteinander verbindet, die Logik der Untergrundbahn zu Ende gedacht. Diese als Swiss Metro bezeichnete Magnetschwebebahn, die in einer luftleeren Röhre verkehrt und von in regelmäßigen Abständen an den Tunnelwänden angebrachten »Statoren« (lineare Elektromotoren) angetrieben wird, könnte somit als eine Weiterentwicklung des gegen Ende des Zweiten Weltkrieges entstandenen Vorhabens zum Bau einer »elektrischen Kanone« zu verstehen sein. Dieses ursprünglich von den Deutschen entwickelte Explosivgeschoß, mit dem vom nordfranzösischen Pas-de-Calais aus England bombardiert werden sollte, fände folglich in einem 200 Meter langen U-Bahn-Zug seinen Nachfolger. Jede der auf die beschriebene Weise miteinander verbundenen Städte verlöre bald schon ihren Status als Hauptstadt eines Kantons, um zu so etwas wie einem einfachen Stadtviertel der Schweiz zu werden, die sich ihrerseits mit einem Mal in eine weniger politische als vielmehr metropolitische »Hauptstadt der Hauptstädte« verwandelt hätte. Wie schon bei der Erfindung der Untergrundbahn im ig. Jahrhundert besteht das Ziel dieses im wesentlichen durch den Bau des Kanaltunnels angeregten futuristischen Projekts offenbar immer noch darin, alles von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen, was dem Verkehr im Weg steht. Zur Zeit von Fulgence Bienvenüe, dem »Vater der Pariser Metro«, war es die zu groß gewordene Anzahl an Kutschen, und heute, zur Zeit der Swiss Metro, ist es eben die Bergkette der Alpen. Das niemals ausreichend glatte und ausreichend versteppte feste Element der Erdoberfläche scheint nun
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mehr also der Beschleunigung des Verkehrs im Wege zu stehen. So entstand in Italien die Idee, die Autobahnen mit Hilfe von Wasserbahnen zu entlasten, das heißt durch die Einrichtung von mehreren Linien für Autofähren entlang der italienischen Halbinsel. Diese beinahe ioo km/h schnellen Boote, die kaum die Wasseroberfläche berühren, ergänzen somit den »Tunneleffekt« der Europa durchziehenden Hochgeschwindigkeitszug-Verbindungen um einen »Oberflächeneffekt«. Wenn wir jetzt einmal die allerjüngsten Entwicklungen bei den Rennen in der Formel 1 betrachten, so stoßen wir hier auf dasselbe Phänomen. Nach dem tödlichen Unfall des dreimaligen Weltmeisters Ayrton Senna hält man einen Großteil der Rennstrecken für veraltet, da ihre Kurven und Streckenbeläge zu gefährlich sind für die superschnellen Rennautos. Hieraus erklärt sich der Versuch der Verantwortlichen, mit der Fernsteuerung der Fahrzeuge von den Rennboxen aus so etwas wie eine Fahrhilfe für die Piloten zu entwickeln. Schließlich sind die Rennwagen der Formel 1 bereits bestückt mit einer Vielzahl von Sensoren, die den Fahrer vor allem in den Kurven dabei unterstützen, Unfälle zu vermeiden, die auf die Gravitationskraft zurückzuführen sind. Wenn sogar schon Hochgeschwindigkeits-Rennstrecken wie die von Imola in Italien unter Zwangsverwaltung gestellt und gesperrt werden, weil sie zu gefährlich sind, dann ist wohl davon auszugehen, daß sich bald schon alle Straßen und Autobahnen nicht nur verdächtig machen, sondern zu guter Letzt auch überflüssig gemacht werden, und zwar gerade durch die fatale Leistungsfähigkeit der Rennautos, bei denen es sich weniger.um »Automobile« im eigentlichen Sinne handelt als vielmehr um rollende Prüfstände (Testwa
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gen), deren Aufgabe darin besteht, Motoren für eine Automobilindustrie zu testen, die sich am Rande einer Krise bewegt. Das Autodafe der Automobile in Imola sowie der Tod Ayrton Sennas läuten nicht nur das Ende der kurvenreichen europäischen Rennstrecken ein (wovon die viel spektakuläreren amerikanischen Rennstrecken profitieren), sondern dasjenige des Autos überhaupt, dem bereits der Zugang zu zahlreichen Städten verwehrt bleibt. Dies kommt in erster Linie den kleinen Elektroautos zugute, die nichts anderes sind als echte Prothesen für Gehbehinderte! »Das Flugzeug hat uns gelehrt, was die gerade Linie ist«, schrieb Antoine de Saint-Exupery einmal. Die Tele-Informatik wird uns eines Tages lehren, was der Punkt, der rasende Stillstand des toten Punktes ist. Es ist eine Tatsache, daß die Herrschaft der Autonomie der privaten Verkehrsmittel abgelöst wird durch die der superschnellen öffentlichen Verkehrsmittel. Trotz des bevorstehenden Baus eines »transeuropäischen« Verkehrsnetzes neigt sich ein Zeitalter seinem Ende entgegen. Auch die geplanten Autobahnen von Berlin nach Warschau, von Athen und Saloniki an die türkische Grenze oder von Lissabon nach Valladolid ändern nichts daran. Genauso wie die Geopolitik die römischen Straßen oder später die Autobahnen benötigte, so sind elektronische Datenautobahnen und Satellitennetze, mit denen die Zeiteinheit einer universal gewordenen Telekommunikation durchzusetzen ist, eine unbedingte Voraussetzung für die sich ankündigende Metropolitik. Entsprechend dem Vorbild INTERNET, das ursprünglich dazu dienen sollte, die verschiedenen amerikanischen Unternehmen des militärisch-indu
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striellen Komplexes miteinander zu vernetzen, werden die zukünftigen Datenautobahnen zu einer so allgemeinen und unmittelbar tiefgreifenden Veränderung der Gegebenheiten führen, daß es schon bald zu einer globalen Delokalisierung der menschlichen Aktivitäten kommen dürfte. Hierbei büßt der ehemalige Primat der räumlichen Gegebenheiten langsam aber sicher seine historische Bedeutung ein gegenüber einem durch die Zeit bestimmten Zugang zum Netz, der mit Hilfe des Sortierens der Information die augenblickliche Verbindung und Formatierung der Nachrichten erleichtert. An die Stelle des früheren industriellen und politischen Komplexes tritt also bald schon ein informationstechnischer und metropolitischer Komplex, der gebunden ist an die Allmacht der absoluten Geschwindigkeit elektromagnetischer Wellen, die Träger unterschiedlicher Signale sind. Hinter der alten KOSMOPOLIS, deren antikes Modell Rom war, taucht nunmehr also die Weltstadt, die OMNIPOLIS, auf. Ihr bereits etabliertes weltweites und voll automatisiertes Börsensystem ist nicht weniger als ein Krankheitssymptom, denn dieses System erzeugt in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen eine »virtuelle Finanzblase«, die ihrerseits als das Vorzeichen einer neuen und bedrohlichen Unfallform anzusehen ist: Nicht um einen lokalen und sowohl zeitlich wie räumlich genau zu situierenden Unfall wird es sich mehr handeln, sondern um einen globalen und allgemeinen Unfall, dessen Sinnbild die bei einer nuklearen Katastrophe freigesetzte Radioaktivität sein könnte. Die zunehmende Tendenz zu einer Homogenisierung der Zeit eines ganzen Planeten, der künftig der Tyrannei der Echtzeit, das heißt einer Weltzeit unterworfen sein wird, die in zunehmendem Maße die lokale Zeit der
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unmittelbaren menschlichen Aktivitäten entwertet, wird bestätigt durch ein noch ganz junges Projekt, mit dessen Hilfe man schon bald die Verfahren der weltweiten Telekommunikationssysteme zur Durchsetzung einer neuen Zeitordnung endgültig einsatzfähig machen will. Nach der Inbetriebnahme der Datenautobahnen, die mit ihren Glasfaserkabeln alle amerikanischen Metropolen durchziehen, sind die Multimedia-Unternehmen jetzt soweit, die ursprünglich für Reagans SDI-Programm bestimmten Techniken zu benutzen, um mehr als 8oo Satelliten auf eine niedrige Umlaufbahn zu bringen und damit eine weltweite und flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Dieses von Bill Gates und Greg McCaw entworfene Projekt namens TELEDESIC, ein echtes »Netz der Netze«, läßt selbst INTERNET weit hinter sich und tritt in Konkurrenz mit dem zwar bereits weiter entwickelten, aber weniger ehrgeizigen Iridiumprojekt der Firma Motorola. Sollte diese wunderbare Superstruktur erst einmal als universales Netz eingerichtet und an verschiedene Staaten vermietet sein, könnten selbst noch ihre in den abgelegensten Gegenden lebenden Bürger alle Dienstleistungen der Telekommunikation nutzen, angefangen beim Telefonieren über die Videokonferenz und die unmittelbare Datenübertragung bis hin zur Telearbeit. Einmal mehr läßt sich feststellen, daß die Beschränkungen, die sich aus der Infrastruktur der Erde ergeben, die Erhöhung der Kommunikationsgeschwindigkeit in hohem Maße behindern. Zunächst hat man durch den Bau zuerst von Wegen, dann von Straßen und schließlich von Autobahnen, durch das Graben von Tunneln durch Berge hindurch oder unter dem Meer im Laufe der Geschichte die verschiedensten Formen von Unebenheiten der Erdoberfläche eingeebnet, um so die Bedingungen für den HochgeschwindigkeitsVerkehr zu
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schaffen. Nun geht es darum, das Hindernis aus dem Weg zu räumen, das die Materialität der unterirdischen Kabel der »Informationsautobahnen« darstellt, indem man Satelliten in den Weltraum schickt, die in der Lage sind, mit ihren Strahlen die Fläche ganzer Nationen zu überziehen. Mit anderen Worten: In absehbarer Zeit wird die INFOSPHÄRE die BIOSPHÄRE beherrschen ... An der Elle des Phänomens der zunehmenden Versteppung, vor allem aber der zunehmenden Entmaterialisierung muß letzten Endes die Realität der europäischen Raumordnung gemessen werden. Selbst wenn die Europäische Gemeinschaft bereits ein zweites, weitreichenderes und anspruchsvolleres Programm ins Auge gefaßt hat, das einerseits den Transport von Energie und Information sowie andererseits die Kontrolle der Umwelt des europäischen Kontinents erleichtern soll, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß diese Globalisierung der Zeit der Information ein bisher unberücksichtigt gebliebenes Phänomen der Virtualisierung des Politischen beinhaltet. Das heißt, im Zeitalter der Telekommunikationstechniken steht der virtuelle Raum kurz davor, die Geographie der Nationen zu ersetzen. Und genau hieraus erklärt sich auch die Entstehung einer neuen, einer letzten - zugleich sozialen und politischen - Form der KYBERNETIK, die unsere Demokratien aufs höchste gefährdet. »Wichtiger, als einen Brand zu löschen, ist es, die Maßlosigkeit auszulöschen«, warnte Heraklit. Im Augenblick besteht diese Maßlosigkeit in einer mittlerweile globalen Ökonomie, die verantwortlich ist für das Abdriften des europäischen Kontinents, der den ver
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heerenden Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit auch deshalb ausgesetzt ist, weil die Technologien für die Datenfernübertragung den postindustriellen Unternehmen keine Anreize mehr dafür bieten, zur Erhöhung ihrer Produktivität neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Technologien für die Datenfernübertragung führen vielmehr dazu, daß die Unternehmen in neue Maschinen investieren oder ihre Produktion an andere Orte verlagern. Diese vom Zerfall, vom Zusammenbruch der herkömmlichen Unternehmensstrukturen begleitete globale Delokalisierung ist bedingt durch eine neue Gesetzmäßigkeit, die nicht mehr eine der Nähe ist, durch die sich etwa der Realraum einer genau zu situierenden Aktivität auszeichnet, sondern eine an die Interaktivität der Echtzeit der Transaktionen gebundene Gesetzmäßigkeit der Labilität und Vergänglichkeit. Wir haben den Punkt erreicht, an dem das virtuelle Unternehmen, das an keine Produktionsgemeinschaft und keinen geographischen Standort mehr gebunden ist, keine bloße Utopie mehr darstellt. Die Bedingungen für dessen Verwirklichung wurden bereits von einem so bedeutenden Unternehmen wie IBM getestet, einem multinationalen Unternehmen, das sich darauf vorbereitet, seinen Firmensitz in New York aufzugeben, um sich im Nirgendwo niederzulassen! Auf diese Weise ist neben der Entwicklung von Freizeitzentren, in denen die Techniken der sogenannten »virtuellen Realität« zum Einsatz kommen - in den Cyber-Parks, die in Japan und in den Vereinigten Staaten wie Pilze aus dem Boden schießen, können die Besucher mit Hilfe dieser Techniken in einen CyberRaum eintauchen und mit ihm interagieren -, auch der Aufbau von sogenannten CYBER-KÖRPERSCHAFTEN ZU erwarten, deren Produktionsaktivitäten sich nur noch innerhalb der Echtzeit der CYBER-WELT und deren
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weltweiten Transaktionen abspielen. Damit wird eine ökonomische Entregelung ausgelöst, ein echter gesellschaftlicher Krach, und zwar als Folge einer Produktions- und Distributionslogik, die da besagt: »maximaler Warenfluß ohne jeden Lagerbestand«. Diese Logik zwingt jeden Handelspartner dazu, sich immer häufiger und immer schneller in alle vier Himmelsrichtungen zu bewegen. In Zukunft wird die städtische Seßhaftigkeit in Gebieten mit einer hohen Beschäftigungszahl abgelöst von einem weltweiten Nomadismus, einer Art Geschäftstourismus, der jeden Angestellten unwillkürlich zu einem »Zulieferer« degradiert, der weniger mit einem Handelsreisenden - verstanden als eine mehr oder weniger selbständig handelnde Einzelperson - zu vergleichen ist als mit einem virtuellen Partikel eines ganz und gar inexistenten Unternehmens. Genau das ist der eben erwähnte ALLGEMEINE UNFALL, der in Zukunft nicht nur die Weltwirtschaft bedroht, sondern das politische Gleichgewicht der Nationen. Die verbindende Nähe der Raumordnung der Erdoberfläche wird abgelöst durch die auflösende Vergänglichkeit einer globalen Zeitordnung, was zu einem Zerfall der jahrhundertealten gesellschaftspolitischen Strukturen führt. Die Metapher der nuklearen Katastrophe und der dabei freigesetzten Radioaktivität ist keine bloße rhetorische Figur mehr. Sie ist im Gegenteil ein sehr treffendes Bild, mit dem sich die Schäden beschreiben lassen, die diese plötzliche Explosion/Implosion einer Interaktivität der Informatik der menschlichen Aktivität zufügt. Bereits in den fünfziger Jahren sagte Albert Einstein, daß sie nach der militärischen Nutzung der Atomenergie eines Tages wahrscheinlich die zweite Bombe sein werde.
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Dritter Teil
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Die Begehrlichkeit der Augen »Man muß die Macht des menschlichen Auges zu nutzen wissen.« Treinisch Früher mag es eine handwerklich ausgebildete Sehweise, eine »Kunst des Sehens« gegeben haben, heute aber haben wir es mit einem »Unternehmen der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen« zu tun, das die Form einer vielleicht gefährlichen Industrialisierung des Sehens sein könnte. Welches ist tatsächlich der echte Baum? Der, vor dem man stehenbleibt und dessen einzelne Äste und Blätter man ganz deutlich unterscheiden kann, der, den man in einer stroboskopischen Bildfolge durch die Windschutzscheibe des Autos oder durch das eigenartige Guckloch des Fernsehers wahrnimmt? Die Antwort auf diese scheinbar unsinnigen Fragen hat in Wahrheit eine Reihe ganz praktischer Auswirkungen auf das tägliche Leben. Die Tatsache, daß es keine Fotografie im Sinne ihrer Erfinder Niepce oder Daguerre mehr gibt, sondern nur noch Standbilder, und darum die fixierten Bilder nichts anderes sind als »Stationen« auf dem Weg der abgespulten Sequenzen, deutet darauf hin, daß uns eine Leidenschaftlichkeit des Blicks bevorsteht, bei der die Kunst des Liebhaberblicks verschwinden und einer Wahrnehmungsindustrie zum Opfer fallen wird, die sich gänzlich dem Motor, dem Sende- und Empfangsgerät der »Wellenzüge« verdankt, die in Zukunft sowohl das Video- als auch das Funksignal übermitteln. Nach der Revolution
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der Verkehrsmittel, die im letzten Jahrhundert zu einer Erhöhung der allgemeinen Mobilität führte und die noch gesteigert wurde durch die Automatisierung der Produktion und die damit verbundene Revolutionierung der Übertragungstechniken, sind wir heute mit den Ansätzen zu einer Automatisierung der Weltwahrnehmung konfrontiert. Ganz in diesem Sinne erklärt es der Videofilmer Gary Hill: »Das Sehen ist nicht mehr die Möglichkeit zu sehen, sondern die Unmöglichkeit, nichts zu sehen. Auf das Verbot der bildlichen Darstellung und den Sehverzicht bestimmter Religionen - im Falle des Islam der Verzicht, das Gesicht von Frauen zu sehen - folgt gegenwärtig geradezu ein kultureller Zwang zum Sehen, der scheinbar verbunden ist mit der Überbelichtung des Sichtbaren im Zeitalter des bewegten Bildes, die an die Stelle der Unterbelichtung im Schriftzeitalter tritt. Haben wir es mit einem optischen oder, genauer gesagt, mit einem elektrooptischen Fetischismus zu tun? Müssen wir unseren Blick abwenden, schüchtern beiseite sehen und dabei die dargebotene übermäßige Fokussierung vermeiden? All diese Fragen betreffen nicht nur die Ästhetik, sondern auch die Ethik der heutigen Wahrnehmung. Ich fürchte, daß wir es mit einer Art von Pathologie der unmittelbaren Wahrnehmung zu tun haben, die alles oder beinahe alles den jüngsten fotokinematographischen und video-computergraphischen Sehmaschinen verdankt. Da diese Maschinen die gewohnten Bilder mediatisieren, d. h. vermitteln, büßen sie schließlich all ihre Glaubwürdigkeit ein. »Seinen Augen nicht mehr zu trauen«, ist tatsächlich nicht mehr Ausdruck des Erstaunens oder der Überraschung, sondern eher Ausdruck eines »Gewissensein
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wandes«. Das Gewissen verweigert sich nunmehr der Macht des objektiven Bildes, der Macht eines Bildes, das nicht nur per Direktübertragung oder leicht zeitversetzt im Fernsehen vermittelt wird, sondern auch durch den Mißbrauch einer Mobilisierung des öffentlichen Raums, in dem die Rolltreppen und Laufbänder die Kette vervollständigen, die von den verschiedenen Privatfahrzeugen und den öffentlichen Verkehrsmitteln bis zum Aufzug der verkabelten Wohntürme reicht. Auf diese Weise wird heute die Horizontlinie, die die Perspektive unserer Reisen begrenzt, durch den quadratischen Horizont des Fernsehens, der Flugzeugluke oder des TGV begrenzt. Da das Vorüberrauschen optischer Eindrücke nicht mehr aufhört, ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, an die Stabilität des Realen, das Festhalten eines sich fortwährend verflüchtigenden Sichtbaren zu glauben, denn der nicht bewegliche Raum tritt schlagartig hinter die Instabilität eines allgegenwärtig gewordenen öffentlichen Bildes zurück. Angesichts dieser »Wahrnehmungsstörung«, die jeden von uns betrifft, müßte das Problem der Ethik der kollektiven Wahrnehmung vielleicht nochmals gründlich überdacht werden: Verlieren wir bald endgültig unseren Status als Augenzeugen der sinnlich wahrnehmbaren Realität zugunsten von technischen Substituten, (Video- oder Fernüberwachungs)Prothesen aller Art, die uns zu Hilfsbedürftigen und Sehbehinderten machen? Verursachen sie eine Art paradoxer Blindheit, die sich aus der Überbelichtung des Sichtbaren sowie der Entwicklung der blicklosen Sehmaschinen ergibt, die an das »indirekte Licht« der Elektrooptik angeschlossen sind, das mittlerweile die »direkte Optik« der Sonne oder der Elektrizität ergänzt?
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Das Kino steckt das Auge in eine Uniform, warnte Franz Kafka. Durch Videotechnik und digitalisierte Computergraphik ist diese Bedrohung heute zu einem Fakt geworden, so daß bald die Bildung einer Art »Ethikkommission der Wahrnehmung« notwendig sein dürfte, ohne die wir vielleicht die Auswüchse einer Abrichtung der Augen erleiden müßten, eines unterschwelligen, optisch korrekten Konformismus, der die Konformismen der Sprache und der Schrift vollenden würde. Die Gewöhnung an extrem gewaltverherrlichende Filme einerseits und der mißbräuchliche Umgang mit Zusammenschnitten von schnellen Bildfolgen im Fernsehen andererseits sind ein Hinweis darauf, daß wir bereits jetzt eine konstante Enteignung des Blicks erleben, die insbesondere aus der zunehmenden Machtentfaltung von Bild und Ton resultiert. Wenn wir nicht auf der Hut sind, werden wir bald schon zu wahrscheinlich unbewußten Opfern einer Art Verschwörung des Sichtbaren, eines durch die ungeheure Beschleunigung der herkömmlichen Bilder gefälschten Sichtbaren. In einer kürzlich von der Harvard Universität durchgeführten Untersuchung zur Legasthenie wird die Vermutung geäußert, daß dieser Defekt weniger auf eine Sprach- als vielmehr auf eine Sehstörung zurückzuführen sei. In dem veröffentlichten Forschungsbericht wird darauf hingewiesen, daß diese wissenschaftlich fundierte Hypothese im übrigen an die Ergebnisse einer australischen Untersuchung anknüpft, in der man zu dem Ergebnis kommt, daß Legastheniker ganz eindeutig dazu tendieren, immer dann nur ein einziges Bild sehen, wenn das menschliche Auge normalerweise zwei wahrnimmt, sobald diese Bilder sich in dieselbe Richtung bewegen oder sehr schnell vorbeiziehen. Sollte die Beschleunigung der bildlichen Darstellungen etwa zu einem Verlust ihrer
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Tiefenschärfe führen und unsere Wahrnehmung entsprechend verarmen? Diese im Moment noch nicht zu beantwortende Frage deutet in jedem Fall auf ein schwerwiegendes Wahrnehmungsproblem hin. Schließlich kommen alle gegenwärtigen Arbeiten zur digitalen Bildverarbeitung mittels algorithmischer Verfahren zur »visuellen Rekonstruktion«, die für die Erzeugung einer künstlichen Wahrnehmung notwendig sind, zu dem Ergebnis, daß es eine Art Bildenergie geben könnte, die im Wahrnehmungsprozeß gegen Null strebt. Auch in der Physik ist die Dynamik eines Prozesses häufig derart beschaffen, daß sie zu einem Gleichgewichtszustand tendiert, bei dem die vorhandene Energiemenge so gering wie möglich ist. Wie auch immer es um diese kinematische Energie beschaffen sein mag, die die kinetische und potentielle Energie ergänzt, die Standardisierung des Sehens steht auf der Tagesordnung. Wenden wir uns jetzt den jüngsten Untersuchungen im Bereich der Ergonomie der Wahrnehmung zu. Bekanntermaßen läßt sich die Augenbewegung mit Hilfe verschiedener Methoden aufzeichnen, die mechanische, elektrische oder optische Systeme benutzen. Mittlerweile hat sich die elektrische Aufzeichnung der Bewegungen des menschlichen Auges fast überall durchgesetzt: »Sie basiert auf dem Faktum, daß das Auge ein polarisiertes System ist, dessen elektrischer Dipol um die Augenhöhle herum ein elektrisches Feld induziert, das nach seiner optischen Achse ausgerichtet ist. Seine Veränderungen, die durch die Bewegungen des Auges hervorgerufen werden, können gebündelt und verstärkt werden.«' Das Signal wird vom Computer aufgezeichnet und verarbeitet, um Parameter zu
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erstellen, die den jeweiligen Anforderungen entsprechen. Somit ist das Okularmeter weniger ein Gerät, um den guten Zustand eines Augensystems zu prüfen als vielmehr eine Sonde, mit der es möglich ist, den genauen Moment des STEREOGRAPHISCHEN Sehens zu bestimmen, mit dessen Hilfe in erster Linie die Datenerfassung, die VISUELLE GNOSIS von Piloten, verbessert wird. Mittels dieser Form ergonomischer Forschung sind in jüngster Zeit sogar Verfahren entwickelt worden, durch die sich die Instrumententafel mit ihren verschiedenen Leuchtzeichen durch einen Helm, eine Art virtuelles Cockpit, ersetzen läßt, dessen durchsichtiges Visier die Flugdaten in genau dem Moment anzeigt, in dem der Pilot sie benötigt, wobei das Blickfeld des Piloten für den Rest der Zeit von überflüssigen und störenden Signalen freigehalten wird. Da diese Form der intermittierenden elektrooptischen Anzeige (in Echtzeit) schließlich eine radikale Verbesserung der menschlichen Reaktionszeit erforderlich macht, müssen auch die durch die manuellen Handhabungen entstehenden Verzögerungen vermieden werden. Aus diesem Grund nutzt man sowohl die Stimme als auch das Auge zur Steuerung der Maschine, d. h., das Flugzeug wird nicht mehr mit »der Hand«, sondern mit »dem Auge« gesteuert, indem die verschiedenen (echten oder virtuellen) Knöpfe mit dem Auge fixiert werden und man ON oder OFF sagt. Technisch möglich macht das alles ein InfrarotSensor, der die Netzhaut des Piloten abtastet und so die Blickrichtung feststellt. Ophthalmologische Verfahren finden also nicht mehr nur bei der Heilung von Defekten und Krankheiten Anwendung, sondern auch bei der intensiven Nutzung des Blicks, bei der die Tiefenschärfe der menschlichen Wahrnehmung zunehmend von solchen Techniken besetzt wird, die den Menschen zum Skla
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ven der Maschine machen. Sämtliche dieser »elektrooptischen« Techniken haben die Organisierung der unbewußten visuellen Reflexe zum Ziel, um so gleichzeitig die Aufnahmefähigkeit von Signalen und die Reaktionszeit der Testperson zu verbessern. Da die Spezialisten der computergraphischen Bilderzeugung sich nicht mehr - wie früher bei der kinematographischen Illusion bewegter Bilder damit zufriedengeben, die Persistenz der Netzhaut zu nutzen, versuchen sie heute, den Blick mit einem Motor zu versehen. In den Vereinigten Staaten beispielsweise setzt man einen LASERSCANNER ein, um die Darstellungen des virtuellen Raums (CYBERSPACE) zu verbessern. Besonders interessant ist der Versuch, die verkleinerten Flüssigkristall-Bildschirme der Helme für die Visualisierung durch einen Laser-Mikroscanner zu ersetzen. »Dieses System verwendet die in der Augenchirurgie benutzten Laser und ermöglicht ein direktes Abtasten der Netzhaut durch einen schwachen Laserstrahl, der Farbbilder moduliert.«' Dieses Verfahren, bei dem man direkt ins Auge eindringt, bietet den Vorteil, auf die bei der Erzeugung virtueller Bilder aufwendige und hinderliche optische Apparatur verzichten zu können und visuelle Eindrücke von sehr hoher Qualität zu erzeugen. »Kann man aber in diesem Zusammenhang eigentlich noch von BILDERNsprechen? Es gibt schließlich keine PIXEL mehr, da der Laser direkt die Zapfen- und Stäbchenzellen des Auges stimuliert. « s Angesichts dieses schlagartigen »Eingriffs in das Sehen«, bei dem der kohärente Lichtimpuls eines Laserstrahls das zwangsläufig inkohärente Licht der Sonne oder der künstlichen Beleuchtung zu ersetzen sucht, kann man sich mit Fug und Recht fragen, welches das noch unausgesprochene Ziel, der Zweck einer solchen
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Instrumentalisierung ist, mit der unsere Wahrnehmung nicht mehr nur durch die Linsen unserer Brillen, sondern durch den Computer unterstützt wird. Geht es darum, die Wahrnehmung der Realität zu verbessern, oder darum, die Reflexe so weit zu konditionieren, daß die bewußte Wahrnehmung der Erscheinungen selbst »beeinflußt« wird? Sind wir nach dem Objekt-Design, der seriellen Ästhetik einer industriellen Produktion und des Massenkonsums im post-industriellen Zeitalter mit den Anfängen eines Sitten-Designs, der Abrichtung der Augenreflexe, konfrontiert? Überläßt die einst von Kafka angeprangerte Uniformisierung des Sehens einer Art elektroergonomischer Zwangsjacke das Feld, mittels derer das Design der Wellenbahnen und ihre sequentielle Ästhetik für den mit einem Datenhelm ausgerüsteten Zuschauer die dunklen Kinosäle durch die Inszenierung im Augapfel ersetzten würde? In diesem Fall würde der vom Laser bestrahlte Sehnerv, der die Hirnrinde im hinteren Teil des Kopfes als Leinwand nutzt, an die Stelle des schmalen Lichtstreifens der Filinprojektoren in den Kinosälen treten ... Es ist unnütz, weiter nach den Ursachen für den Untergang der »Filmindustrie« zu suchen: Infolge der Erneuerung der früheren (fotografischen, kinematographischen oder videographischen) Sehmaschinen haben wir es mit den Anfängen eines echten »Eingriffs in das Sehen« zu tun, bei dem das direkte Eindringen der elektrooptischen Apparate in das Nervensystem zum Teil die Tatsache erklärt, daß das Publikum den - zudem immer enger gewordenen - Kinosälen fernbleibt. Anläßlich der Einweihung der Geode in Paris schrieb ich vor einigen Jahren: »Gehen Sie nicht nach La Villette4,
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denn Sie können sicher sein, daß die Geode zu Ihnen kommen wird.«5 Diese Vorahnung erfährt im Augenblick ihre Bestätigung durch die Techniken der virtuellen Räume, wohingegen die halbkugelförmigen Säle vom Typ IMAX oder OMNIMAX lediglich die kugelförmigen Kinos der Zukunft simulieren: das Kino im Augapfel! Schlußendlich läßt sich auch hier feststellen, daß die Revolution der elektromagnetischen Übertragungstechniken zu einer Transplantation in vitro von Systemen zur physiologischen Stimulierung führt. Hierbei begünstigt die Miniaturisierung der Biotechnologien die Implantation der postindustriellen Maschinerie in den menschlichen Körper selbst, wobei die Herzschrittmacher den Weg zur bevorstehenden Entwicklung emotionaler Prothesen weisen, mit denen das pharmakologische Arsenal der Dopingmittel und Halluzinogene vervollständigt werden könnte, da die Physik der Chemie diesbezüglich offensichtlich in nichts nachstehen möchte! Man sieht also, daß die zunehmende Kinomüdigkeit nicht der Ausdruck für den Untergang des »kinematographischen Obskurantismus« ist, sondern viel eher der Beginn eines »computergraphischen Illuminismus«, der, wenn wir nicht auf der Hut sind, schließlich den Status der Erscheinungen, das Realitätsprinzip unserer unmittelbaren bildlichen Darstellungen, in Frage stellen wird. »Es liegt im Wesen der Franzosen, daß sie das, was sie sehen, nicht mögen.«6 Tun sie recht oder unrecht daran? Genau das ist wohl die Frage, die Frage nach der freien Wahl der Wahrnehmung. Ist man in der Wahl dessen, was man sieht, wirklich
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frei? Offensichtlich nicht ... Ist man umgekehrt verpflichtet, entschieden gezwungen, gegen seinen Willen das wahrzunehmen, was sich den Blicken aller darbietet und schließlich aufdrängt? Sicher nicht! Während das Schauspiel der Welt früher sozusagen vom Wechsel der Jahreszeiten, des Sonnenauf- und -Untergangs vor dem wechselnden Horizont der Landschaften, begrenzt wurde, so führt die Macht der schnellen Transport- und Übertragungstechniken heute zu einer konstanten Mobilisierung unseres Wahrnehmungsfeldes, und das nicht nur in den künstlichen Gebilden der Metropolen, sondern auf der Gesamtheit der weiten Flächen, die wir dank des hohen technischen Entwicklungsstands von Landfahrzeugen und Flugzeugen durchqueren bzw. überfliegen können. Wie ist es möglich, dieser Flut visueller und audiovisueller Sequenzen, dieser schlagartigen Motorisierung der Erscheinungen zu widerstehen, die unsere Phantasie ununterbrochen heimsuchen? ... Haben wir noch die Freiheit, uns dieser (optischen oder elektrooptischen) Überflutung der Augen widersetzen zu wollen, indem wir den Blick abwenden oder dunkle Brillen tragen? ... Nicht etwa aus Scham oder aufgrund irgendeines religiösen Verbots, sondern aus Sorge um den Erhalt der persönlichen Integrität, der Gewissensfreiheit. Landkarten und andere bewegte Bilder dienen sowohl der »Kriegsführung« als auch der Auflösung des friedlichen Wesens der alltäglichen Lebenswelt. In einer Zeit, in der man in unseren Gesellschaften mit Fug und Recht die Frage nach der Meinungsfreiheit und der politischen Rolle der Medien stellt, scheint es wünschenswert, auch die Frage nach der Wahrnehmungsfreiheit sowie der Bedrohung zu stellen, die für diese Freiheit von der Industrialisierung des Sehens und Hörens ausgeht, wo doch die Lärmverseuchung sehr häufig mit einer unmerklichen Verseuchung un
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serer Weltwahrnehmung durch die verschiedenen Kommunikationsmittel einhergeht. Wäre es mithin nicht angebracht, über so etwas wie ein Recht auf Blindheit nachzudenken, so wie es schon eines auf relative Taubheit gibt, zumindest jedoch das auf Senkung des Lärmpegels im öffentlichen Raum der Städte? Müßte nicht so schnell wie möglich eine Senkung der Ausstrahlungsintensität von Bildern gefordert werden? Ich denke, die Informationstheorie könnte uns Erkenntnisse über die schädlichen Auswirkungen der rhythmischen Inflation der Sequenzen auf den Sinn, die Bedeutung unserer unmittelbaren Umwelt liefern. Wenn der Wunsch nach Welterkenntnis heute von dem Bedürfnis überholt ist, die Welt auszubeuten, sollten wir dann nicht - in Anlehnung an den Bereich der Ökologie - versuchen, diese maßlose Ausbeutung der optischen Dichte unserer sinnlich wahrnehmbaren Realität zu begrenzen? Manchmal genügt es, etwas anders zu sehen, um besser zu sehen. Angesichts der Tatsache, daß wir über das ungeheure Ausmaß und die vielfältigen Formen der Verschmutzung unserer natürlichen Ressourcen zumeist mittels der Massenmedien in Kenntnis gesetzt werden, wie sollte da noch weiterhin die Notwendigkeit einer Wissenschaft der ikonischen Umwelt, einer »Ökologie der Bilder«, zu übersehen sein? Wenn das Kino, wie Kafka sagte, das Auge in eine Uniform steckt, dann ist das Fernsehen seine Zwangsjacke, eine Abrichtung der Augen, die zu einer Sehschwäche führt, so wie die Lautstärke des Walkman zur dauerhaften Schädigung des Gehörs. Außerdem sollte darauf hingewiesen werden, daß die Ablehnung des visuellen (audiovisuellen) Konformismus auch dazu führen könnte, die Etablierung einer optisch korrekten Politik zu verhindern, mit deren
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Hilfe die Manipulation des Blicks durch die zukünftigen Massenkommunikationsmittel unter Umständen sehr schnell totalitäre Formen annimmt. Zur Veranschaulichung dieser Äußerungen über die Notwendigkeit einer Ethik der Wahrnehmung möchte ich den »Augenzeugenbericht« des europäischen Astronauten Wubo J. Ockels anführen, der zusammen mit den Amerikanern im Weltraum war: »Mein damaliges Gefühl ähnelt dem der Rückkehr an den eigenen Geburtsort bzw. dem einer Vision dieses Geburtsortes. Man möchte nicht mehr dort leben, weil man erwachsen geworden ist, man hat das Dorf verlassen und möchte jetzt lieber in der richtigen Stadt leben. Es rührt einen wie die »Mutter Erde«, aber man weiß auch, daß man nicht zu ihr zurückkehren möchte, um dort zu leben.« Es handelt sich um die Vision eines zum Planeten gewordenen Menschen, bei der der Augapfel des Zeugen im Zustand der Schwerelosigkeit die Weltkugel mit einer Art souveräner Verachtung betrachtet; die Vision einer verlorenen Welt, die dem nihilistischen Weltschmerz der westlichen Technik verwandt ist. » Wenn man befehlen will, muß man vor allem zu den Augen sprechen«, formulierte Napoleon Bonaparte klar und deutlich. Erteilt man einem Untergebenen einen Befehl, so bedeutet das in der Tat immer, seinen Blick einzuschüchtern. Wie bei einem Reptil, das seine Beute bannt, unterbindet jedes militärische Kommando den Gebrauch des freien Willens durch den Befehlsempfänger. Aus diesem Umstand erklärt es sich auch, daß für die militärische Disziplin, die die größte Stärke einer Armee ausmacht, das Sehen wichtiger ist als das Gehör.
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Im folgenden möchte ich mich mit den jüngsten Entwicklungen im Bereich der waffentechnischen Forschungen und Studien befassen. Abgesehen von den seit 1991 vorrangig geförderten Entwicklungsprogrammen für die Raumfahrttechnologien verteilt sich der Großteil der 1992 vom französischen Verteidigungsministerium gewährten Forschungsmittel auf die Bereiche Elektronenoptik, Informatik und Robotik, aber auch auf die der Biologie sowie der Humanwissenschaften. Mit Hilfe einiger zufällig ausgewählter Beispiele lassen sich die wesentlichen Zielsetzungen des Rates für militärische Forschungen und Studien in Frankreich veranschaulichen. Unter der Rubrik »Biologie und Ergonomie« ist zu lesen: »Im Rahmen der Ermittlung von Signalmustern und der Signalverarbeitung im Bereich der Biologie wurde an einer bretonischen Universität eine Studie über die dreidimensionale Lokalisierung der elektrischen Gehirnaktivitäten mittels Oberflächensensoren in Auftrag gegeben. Praktische Anwendungsmöglichkeiten bestehen beispielsweise für die Lokalisierung der vorderen Gehirnzonen, in denen die Informationen verarbeitet werden, sowie für die Lokalisierung derjenigen Bereiche des Gehirns, die für die Epilepsie verantwortlich sind. « Etwas weiter, unter der Rubrik »Schnittstelle Mensch/ Maschine«, heißt es dann: »Im Bereich der Ergonomie wurde eine Studie zur Organisation der Visualisierungen des Sehraums von Piloten bei einem Labor in Auftrag gegeben. Will man die Hilfsmittel so optimal wie möglich an die Wahrnehmung eines Piloten anpassen, dann ist es in der Tat notwendig, die ursprünglich beidäugige >Oberflächenwahrnehmung< zu unterstützen, indem man versucht, ein Funktionsmodell der dritten Dimension zu entwickeln. «
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Ein weiteres militärisches Forschungsobjekt ist der LASER. Die modernen Waffensysteme verwenden immer häufiger Telemeter für die Zielvorrichtungen der Laser: »Neuere Studien zur Augenphysiologie haben den Beweis dafür erbracht, daß es Wellenlängen gibt, dei denen das Auge weniger anfällig ist. Aus diesem Grunde stellt ein Unternehmen Forschungen zu einem Laser-Telemeter an, der größere Sicherheit bietet.« Als Bestätigung der ungeheuer schnellen Entwicklung von »Kollektoren« und »Sensoren« jeder Art in der Mikroelektronik steht im Kapitel mit der Überschrift »Computer- und Robotersysteme« zu lesen: »Im Zusammenhang mit den Arbeiten über Neuronenmaschinen führt das Institut für Grundlagenelektronik von Orsay Untersuchungen über die Netzhaut und Sensoren für die Frühwahrnehmung durch, die möglicherweise dazu geeignet sind, neuronale Algorithmen für die Erkennung von Formen zu erarbeiten«.' All diese Beispiele belegen die strategische Bedeutung der Visualisierung, eines computergestützten Sehens, bei dem der Augaupfel zunehmend in den Mittelpunkt der militärisch-industriellen Entwicklung rückt, so wie früher erst die Entdeckung und anschließend die Eroberung des Erdballs die Hauptanliegen der großen militärischen Eroberer bildeten. Wie sollte man angesichts des direkten Eindringens in das Augeninnere, das die Invasion besiegter Länder verdrängt, nicht die Gründe für den abrupten Untergang der Geopolitik erahnen, an dessen Stelle eine Art IKONOPOLITIK tritt, bei der die Herrschaft des Bildes schon bald nicht mehr in erster Linie an die Zunahme der Benutzeroberflächen und Bildschirme gebunden ist, sondern an das unmerkliche, »flüchtige«, Eindringen in die zeitliche Tiefe unseres Gesichtsfeldes. Da die großen Leinwände allmählich von den klei
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nen Bildschirmen des Fernsehers in den Wohnzimmern verdrängt werden, ist die Richtung der zukünftigen Entwicklung nunmehr erkennbar: Nicht die zunehmende Nutzung von Breitleinwandsystemen in den Stadien und auch anderswo für die FernsehDirektübertragung ist das Wesentliche, sondern die unmittelbar bevorstehende nanotechnologische Miniaturisierung von integrierten Schaltkreisen, die ein ikonisches Eindringen der Information beim » Massenpublikum« gewährleisten, und zwar nicht mehr wie früher vor allem in situ, sondern in vivo, wobei die Transplantation parasitärer Bilder diejenige der verschiedenen Organe und Prothesen ergänzen wird. Angesichts der Prognosen der Gesundheitsexperten, daß bereits im Jahre 2000 »die Transplantation von Organen und die Implantation von Prothesen die Hälfte der chirurgischen Eingriffe ausmachen wird«, wie sollte man da nicht begreifen, daß der Ort der Spitzentechnologien nicht mehr so sehr der territoriale Körper ist, die geographische Fläche einer eigenen und schon seit langem mit großen Infrastruktursystemen (Kanäle, Brücken und Straßen, Stromleitungen usw.) ausgestatteten Welt, sondern der animalische Körper des Menschen, der eigene Körper des Individuums, der schon bald der Herrschaft der Biotechnologien und NanoMaschinen unterworfen sein wird, mit deren Hilfe es möglich ist, nicht mehr nur die Erdoberfläche zu kolonisieren, sondern die Dichte unseres eigenen Organismus. Ich möchte mich jetzt der Augen-Mikrochirurgie unter endoskopischer Kontrolle zuwenden. Schon seit mehreren Jahren verbreitet sich die Augenendoskopie dank des Einsatzes von Minisonden, die mit einer Videokamera ausgestattet sind und in das
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Auge eingeführt werden. Erst kürzlich ist beispielsweise ein neues Gerät auf den Markt für Augentechnik gekommen, das POLYCAM heißt und aus einer Sonde mit einem Durchmesser von z, 7 mm, einem Lichtgenerator, einem Computer und einer Videokamera besteht, mit der es möglich ist, die Strukturen des Augeninneren auf einem Bildschirm sichtbar zu machen. In dieses Mikroendoskop möchte man bald Laserfasern und Instrumentenkanäle integrieren, dank derer man über ein Gerät zur Visualisierung und ein Skalpell zugleich verfügen würde, das den Eingriff er leichtert. 8 Somit sind wir sehr weit von den großen Aufnahmekameras der Fernsehstudios oder dem Breitbandprojektor OMNIMAX der Geode im Technologiepark von La Villette entfernt, denn die Mikrokamera wird ins Auge des Patienten eingeführt. Auf diese Weise wird das Auge, wie schon gezeigt wurde, zum Schauplatz für Spezialeffekte aller Art und unterschiedliche Formen der Manipulation. Auf dem io. Europäischen Kongreß für die Starchirurgie im September 1992 in Paris wurde ein neues System vorgestellt, mit dessen Hilfe sich schon bald die Brillen oder Kontaktlinsen zur Korrektur von Sehfehlern ersetzen lassen. Das als LASER EXCIMER bezeichnete System ist ein spezieller Laser, der in der Lage ist, schadhafte Hornhautpartien mit mikrometrischer Genauigkeit neu zu formen. In diesem Zusammenhang läßt sich feststellen, daß sich die »plastische Chirurgie« mehr mit dem Blick als ausschließlich mit der Nase oder dem Doppelkinn beschäftigt und das Lifting nunmehr weniger zur Verschönerung des Gesichts als vielmehr zur Korrektur des Bildes und des individuellen Blickfeldes angewandt wird. Diese neue Art des chirurgischen Eingriffs bezeichnet man als FOTO-ABLATION.
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Darüber hinaus läßt sich feststellen, daß dem visuellen Bild dasselbe widerfährt wie der Darstellung des Objekts: es geht nicht mehr in erster Linie um das DESIGN der materiellen Formen des Endproduktes, sondern eher um die Information und die verschiedenen Stimuli. Vom multimedialen Bildschirm-Objekt zunächst zum Metadesign einer computergestützten Wahrnehmung und dann zur plastischen Chirurgie eines optisch korrekten Blicks ist es nur ein Schritt. Und zu glauben, daß dieser Schritt niemals getan wird, ist weniger eine optische als vielmehr eine ethische Täuschung! Wie läßt sich heutzutage noch ernsthaft die Möglichkeit einer neurotechnischen Behandlung der mentalen Bilder bestreiten, wo doch gegenwärtig mehr als go% des Gesamtvolumens der mikroelektronischen Produktion auf die Herstellung von unauffälligen Bauelementen (Kollektoren, Sensoren, Detektoren usw.) entfallen und wo man »intelligente Pillen« für den menschlichen Organismus entwickelt, die Informationen unmittelbar an die Nervenfunktionen eines Individuums weiterleiten können? Diejenigen, die noch an einem derartigen Abdriften der Technik und Wissenschaften zweifeln könnten, möchte ich daran erinnern, daß die Art, wie das Gehirn komplexe Informationen verarbeitet, nach wie vor eines der Hauptprobleme der Neurowissenschaften bleibt. Eine kürzlich an der Universität von Oxford durchgeführte Untersuchung vertritt die These, daß die beispielsweise für das Erkennen eines Gesichts notwendige Verschlüsselung der Information lediglich von einer kleinen Anzahl, d. h. einigen Dutzend Neuronen durchgeführt wird.' Da es sich um eine so kleine Zahl von Neuronen handelt, dürfte dies zu einem späteren Zeitpunkt mit Sicherheit weitere Entdeckun
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gen auf dem Gebiet der Verschlüsselungsverfahren mentaler Bilder begünstigen. Zudem läßt sich bereits seit zwei Jahren ein wieder auflebendes Interesse der Neurophysiologen für solche Fragen feststellen, die den zeitlichen Aspekt der Informationsverarbeitung betreffen, wobei die Zeittiefe des Stimulus größeres Interesse weckt als die Schärfentiefe und die Untersuchung der heute allem Anschein nach gut bekannten visuellen Zonen der Hirnrinde." Abschließend noch ein letzter Beleg für die bevorstehende Entwicklung eines META-DESIGNS des mentalen Bildes: Auf dem im französischen Forschungsministerium durchgeführten Kolloquium »Design 92« wurde davon gesprochen, daß das Konzept der Glasfasergewebe zu einer Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten führen solle, und zwar insbesondere im Bereich der elektrooptischen Meßsysteme. Mit der Herstellung von Sensoren für die Erhöhung der Fahrsicherheit kommen diese Meßsysteme in der Automobilindustrie genauso zur Anwendung wie in der Informatik, wo Computertastaturen entwickelt werden, die nicht mehr nach analogen, sondern nach optischen Prinzipien funktionieren. Es bleibt zu hoffen, daß wir hinsichtlich der Ethik der unmittelbaren Wahrnehmung in Ermangelung einer »übertriebenen Wachsamkeit« unsere Wachsamkeit trotzdem niemals vollständig einbüßen.
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Von der Perversion zur sexuellen Diversion »Sie glauben glücklich zu sein, weil sie bewegungslos sind.« Tristan Bernard
Im Zeitalter des Cybersex läßt man sich nicht mehr scheiden, sondern man fällt auseinander. Die Realität der eigenen und unmittelbaren Sinneseindrücke erweist sich mit einem Mal als unzureichend, da sich alles in weitem Abstand voneinander abspielt. Auf diese Weise kommt es zu einer diskreten und flüchtigen Verbindung, die nicht mehr auf Anziehung, sondern auf Abneigung, der gegenseitigen Abstoßung der beteiligten Parteien, basiert. Aufgrund dieser Vereinigung derjenigen, die schon nicht mehr als »Eheleute« vereint sind, tritt die Ästhetik des Verschwindens nun ihrerseits zurück gegenüber der Ethik des zwangsläufigen Verschwindens des »Nächsten«, des Ehegatten oder Liebhabers, zugunsten des »Fernsten«, den zu lieben uns Nietzsche einst nahelegte ... Nach der Verführung der Simulation nun also die Enttäuschung der Substitution: die Frau als Objekt aller Begierden und Phantasmen räumt unversehens den Platz für das Frauen-Objekt. Als Symptom eines weitgehenden Zerberstens der sinnlich wahrnehmbaren Realität ist die Umkehrung lediglich die Folge des Durchbrechens der »Zeitmauer«, d. h. jener Grenzzeit der Lichtgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen, die zugunsten eines plötzlich auftretenden Phänomens des Auseinanderbrechens, für das die steigende Anzahl der Scheidungen und die exponentielle Zunahme von Familien mit einem alleinerziehenden
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Elternteil unübersehbare Hinweise darstellen, nicht nur die relative Geschwindigkeit des Lebendigen entwertet, sondern jede Art von Materie, jede tatsächliche Gegenwart des anderen. Wenn man das virtuelle Wesen (den Fernsten) dem realen Wesen (dem Nächsten) vorzieht, dann bedeutet dies, eine sichere Sache für eine unsichere hinzugeben, das Abbild bzw. den Klon einem substantiellen Wesen vorzuziehen, das einem im Wege ist und das man buchstäblich auf dem Hals' hat, ein Wesen aus Fleisch und Blut eben, dessen einziger Fehler darin besteht, hier und jetzt dazusein, und nicht woanders. Die durch die Technologien mit Fernwirkung hervorgerufene tiefgreifende Veränderung wird in der Tat ausschließlich dazu beitragen, uns den Dimensionen unserer eigenen Welt entrissen zu haben. Unabhängig davon, ob es sich nun um die Dampfmaschine (bei der Eisenbahn) oder um den Verbrennungsmotor (beim Auto oder Flugzeug) handelt, die Beschleunigung der Antriebstechniken wird dafür verantwortlich sein, daß wir den Kontakt mit der sinnlich wahrnehmbaren Realität verloren haben. Schenken wir diesbezüglich der sehnsüchtigen Aussage eines Fliegers unsere Aufmerksamkeit: »Das Flugzeug reißt einen fort, setzt einen Gefahren aus, bietet einem Glück und bringt einen zurück, wenn es einen zurückbringt! Wirklich geliebt habe ich nur das Flugzeug.« (Claude Roy) Am Fuße der Zeitmauer jener Weltzeit, die an die Stelle der Ortszeit getreten ist, findet also ein weiteres Zerbersten statt, ein weiterer Überschall-KNALL, der ein Hinweis auf den Zerfall der Realität desoder derjenigen darstellt, mit dem oder der man vorgeblich zusammentreffen möchte bzw. den oder die man zu lieben vorgibt. Entsprechend dem Triebwerk bei einem Überschall
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Flugzeug geht bei der Fernliebe mit Hilfe der Kraft, den anderen wegzustoßen, alles im Rahmen der Fähigkeit vor sich, seine unmittelbare Nähe zurückzuweisen, um den Abstand zu genießen und im sinnlichen Genuß auf dieselbe Weise »voranzukommen«, wie der Düsenstrahl das Flugzeug antreibt. Ganz so wie das Abheben des Überschall-Flugzeugs dazu verhilft, Mutter Erde und die Landschaften der Kontinente zu überfliegen, ermöglicht es der »Fernvorgang« der Rückstoß-Liebe den Partnern, ihre wechselseitige Nähe ohne Anstekkungsgefahr zu überwinden, wobei das elektromagnetische Präservativ ohne weiteres den - und das muß gesagt werden - unzureichenden Schutz durch das Kondom ersetzt. Das, was bisher noch etwas »Vitales« war, die Kopulation, wird mit einem Mal zu etwas Unverbindlichem und verwandelt sich in eine ferngesteuerte Masturbationspraxis. In dem Moment, in dem man Neuerungen wie die künstliche Befruchtung oder die Gentechnologie einführt, gelangt man auch dahin, mit Hilfe einer bio-kybernetischen Ausrüstung und deren an den Geschlechtsorganen angebrachten Sensoren, den Koitus zu unterbrechen und die ehelichen Bande zwischen den beiden Geschlechtern zu lösen. »Das Tiefste am Menschen ist die Haut«, behauptete Paul Valery. Und genau hier kommt auch die letzte Perspektive ins Spiel: die taktile Perspektive des sogenannten »Ferntastsinns«, die nunmehr die klassischen Perspektiven des Sehens und Hörens abschließend ergänzt. Und ohne diese paradoxe Hautperspektive erhält man keine Vorstellung von der Überspitzheit des Cybersex. Durch das Überstreifen des »Datenanzugs« schlüpft der Mensch tatsächlich in die Information hinein, sein Körper verfügt plötzlich über eine zweite Haut, über eine Muskel- und Nervenschnittstelle, die über seine eigent
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liche Hautschicht gelegt ist. Für ihn, für sie beide, wird die Information damit zur einzigen »plastischen Oberfläche« der körperlichen Realität, zu ihrem einzigen »Volumen«. Mit diesem buchstäblich aus elektronischen Impulsen gewobenen »Überkleid«, das alle ihre Empfindungen kodiert und dekodiert, treten die Partner der virtuellen Liebe in einen kybernetischen Prozeß ein, bei dem sich das Bildschirmgerät nicht mehr damit zufrieden gibt, das Bild oder den Ton zu synthetisieren, da es jetzt die sexuellen Empfindungen organisiert. Nach der chemischen Zwangsjacke, den Psychopharmaka, nun also die elektronische Zwangsjacke, wobei die gewünschte Wirkung genau die entgegengesetzte ist, da es ja nicht mehr darum geht, einen vorübergehenden Wahnzustand zu dämpfen, sondern zu reizen, zum Wahnsinn zu überreizen. Hierbei handelt es sich um einen ansteckenden Wahnsinn, denn er überträgt sich unmittelbar, so wie auch der altehrwürdige amerikanische Psychedelic-Papst Timothy Leary angesteckt wurde, der, so sagt man jedenfalls, mit einer Japanerin Fernliebe machte, während diese sich in Tokio aufhielt. Im Zentrum dieser Cyberkultur steht das für den gesamten technischen Bereich gültige Gesetz: das Gesetz des geringsten Aufwandes. Nach der Revolutionierung der Verkehrsmittel, die einst zur Mode der Hochzeitsreisen nach Venedig oder zu anderen Orten beitrug, ist nun also das Zeitalter der Revolutionierung der Liebesleidenschaft angebrochen, die vornehmlich durch die revolutionäre Entwicklung der Mittel für die unmittelbare Übertragung begünstigt wird. Da der virtuelle Vollzug des fleischlichen Aktes für die angeschlossenen Paare das ist, was die virtuelle Ge
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meinschaft schon jetzt für die Zivilgesellschaft der INTERNET-Benutzer ist, werden wir in Zukunft zu Zeugen einer verblüffenden Trennung. Wenn die industriellen Technologien im Zuge der zunehmenden Verstädterung des letzten Jahrhunderts in der Tat den fortschreitenden Untergang der bäuerlichen Großfamilie zunächst zugunsten der bürgerlichen Familie und dann der (sehr treffend so bezeichneten) Kernfamilie begünstigt haben, dann wird das Ende der Vorherrschaft der physischen Nähe in der Megalopole des post-industriellen Zeitalters nicht nur zu einer steigenden Zahl von Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil führen, sondern es wird zudem einen noch radikaleren Bruch zwischen Mann und Frau verursachen, der unmittelbar die Zukunft der geschlechtlichen Fortpflanzung bedroht, da sich der » parmenideische« Graben zwischen dem männlichen und dem weiblichen Prinzip aufgrund der Errungenschaften der Fernliebe noch weiter vertieft. An dieser Stelle möchte ich auf die Gründe für das außerordentliche Privileg eingehen, das die Evolution der Tierarten der geschlechtlichen Fortpflanzung einräumt, wohingegen die Jungfernzeugung eine ökonomischere Lösung darzustellen scheint. Zum Abschluß einer Langzeitstudie stellten Dr. Stephen Howard und Dr. Curtis Lively von der Universität Indiana kürzlich fest, daß »dank der mit jeder geschlechtlichen Fortpfanzung verbundenen Vermischung der Gene sich die Gefahr des Aussterbens von Arten infolge unterschiedlicher Infektionserkrankungen, insbesondere aber infolge vorhersehbarer Mutationen der Arten, auf ein Minimun reduziert.« Diesem Wissen um die Zukunft der Natur ist je
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doch eine spezielle Mutation entgangen: die Mutation der Biotechnologien nämlich. Aufgrund der aktuellen Entwicklung der Technowissenschaften vom Leben - beispielsweise die Forschungen über das menschliche Genom oder das Fortpflanzungsgenom - vermischen sich Biosphäre und Technosphäre, was einerseits auf die Errungenschaften der Nanotechnologien und andererseits auf die der Informatik zurückzuführen ist. Und wir dürfen uns mit Sicherheit schon bald auf weitere Abweichungen, babylonische Verwirrungen im Bereich der genetischen Information einstellen, deren einfachste Form nicht das Retortenbaby der in-vitro-Befruchtung sein wird, sondern die uns dank der telesexuellen Interaktivität bevorstehende, über weite Entfernungen hinweg empfundene Liebe. Wir rühren hier (falls sich davon überhaupt noch sprechen läßt) an dem Paradox, das darin besteht, sich künftig zum Zwecke des Austauschs über weite Entfernungen hinweg zu vereinen. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz untersuchen, was durch die Verfahren des Cybersex verlorengeht, oder zumindest vollkommen in Vergessenheit zu geraten droht, so daß neben dem durch unsere Lebensweise ohnehin schon weitestgehend verkümmerten Wunsch, Kinder zu haben, die sexuelle Fortpflanzung an sich bedroht ist. Auch wenn heute die unmittelbare Nähe noch ziemlich klar das Dasein im Hier und Jetzt definiert, so droht dieser Sachverhalt in Zukunft auf gefährliche Weise zu verschwimmen oder ganz zu verschwinden und damit die althergebrachte Maxime des gesellschaftlichen Verhaltens: »Sag' mir, mit wem du Umgang pflegst, und ich sage dir, wer du bist.« Bevor ich fortfahre, sollte ich für einen kurzen Augenblick auf die Verführungstänze im Tierreich einge
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hen, auf die Annäherungsbewegungen und die »Verlobungszeremonien«, die früher den eigentlichen »Hochzeitszeremonien« der zur Zeugung von »Nachkommen« bereiten Partner vorausgingen. Traditionellerweise zeichneten sich Hochzeiten einerseits durch Reisen aus, die man zu ihrem Anlaß unternahm, eine gerngesehene Abwesenheit vor oder nach den Feierlichkeiten, die auf diese Weise die Erinnerung an die biologischen Risiken einer möglichen Blutsverwandtschaft der Eheleute wachhielt.z Andererseits zeichneten sie sich durch den eigentlichen körperlichen Akt aus, eine Vereinigung, die sicherstellte, daß die Ehe auch wirklich vollzogen wurde, wobei der Geschlechtsakt die Rechtsgültigkeit des Vertrages besiegelte. Gegenwärtig jedoch unterliegen auch die Hochzeitsfeierlichkeiten dem Einfluß einer Lebensweise, bei der die Überstürzung wichtiger ist als jede Überlegung, und das in einem Maße, daß die insbesondere in den Vereinigten Staaten festzustellende Zunahme der »SchnellHochzeiten« ein untrügliches Anzeichen dafür ist, daß sich nunmehr bei der Hochzeit die »Reise« gegen die »Hochzeitszeremonie« durchgesetzt hat. Und an die Stelle des beschleunigten Nomadismus der Drive-inHochzeit wird bald schon die virtuelle Hochzeit treten, die dem ähneln dürfte, was sich 1995 auf der Ausstellung des Institut National de 1'Audiovisuel in Monte Carlo ereignete, als die mit Datenhelmen und Datenanzügen ausgestatteten Telegatten sich das Jawort gaben. Von nun an obsiegt die Abwesenheit über den Brautraub. Wie bei der Videokonferenz ist das, was zählt, vor allem der Abstand, das Auseinandergerissensein der beteiligten Parteien. Weniger die Berührung, der physische Kontakt der Partner, ist wichtig als vielmehr die Zurückweisung des anderen.
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Aus diesem Umstand erklärt sich auch die Entwicklung eines Sextourismus sowie auch in diesem Fall die Schaffung weltweiter Netze der Kinderprostitution, wie etwa in Thailand, wo diese Form der sexuellen Diversion 8o% des Nationaleinkommens ausmacht. Etwa so wie beim Extrembergsteigen, wo die Besteigung eines Gipfels nunmehr weniger zählt als die Geschwindigkeit, mit der man den Berg hinaufeilt, stehen die Sexualpraktiken im Begriff zu DIVERGIEREN. Ähnlich wie ein Atomreaktor, der keine Atomenergie mehr erzeugt und kurz vor der Explosion steht, beginnt das Paar als Motor der Geschichte zu divergieren und steht kurz vor dem Auseinanderbrechen, so daß schon jetzt die gegenseitige Abstoßung einen größeren Stellenwert besitzt als die sexuelle Anziehung und Verführung ... Leichter verständlich werden somit die steigende Zahl der Klagen wegen sexueller Belästigung in den Vereinigten Staaten und die plötzliche Zunahme der Unterstellungen sexueller Belästigung von immer mehr Frauen in genau dem Moment, in dem nach der Welle erhöhter Scheidungsraten nun die Welle des reihenweisen Zerfalls des Zeugungspaares beginnt. Entgegen dem äußeren Anschein hat (lies alles nichts mit Moral oder dem permissiven Charakter der postmodernen Gesellschaft zu tun, denn es handelt sich in erster Linie um ein technologisches und anthropologisches Phänomen von ungeahntem Ausmaß. Die unmittelbare Vereinigung der Körper durch eine sich den Artefakten des Cybersex verdankende mediale Trennung potentiell zu ersetzen, das bedeutet tatsächlich, einen in der Geschichte nie dagewesenen physiologischen und demographischen Zerfallsprozeß auszulösen. Weit davon entfernt, die üblicherweise feine Unterscheidung zwischen der Sinneslust - dem l'art pour
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l'art des Geschlechtsakts - und dein zur Zeugung von Nachkommenschaft bestimmten eigentlichen fleischlichen Akt wiederzugeben, sind die Teletechnologien der Fernliebe nicht nur der Anfang einer verstohlenen Form der Geburten-Fernkontrolle, sondern sie sind gleichzeitig der Beginn einer Hyper-Scheidung, die schon in Kürze die Zukunft der menschlichen Fortpflanzung gefährdet. »Wenn man die Fakten aus dem Auge verliert, kann alles passieren«, warnte Leonardo Sciascia. Wenn die virtuelle Lust der sexuellen Telepräsenz in Zukunft wirklich die reale Lust der fleischlichen Liebe hinter sich lassen sollte, was sehr wahrscheinlich ist, dann wird es bald nicht mehr nur unterentwickelte Gesellschaften geben, sondern »medial« unzureichend ausgerüstete, um der Menschheit ihre Nachkommenschaft zu sichern. Nachdem sie die Callgirls nach dem Muster der »Strichmädchen« in die technische Arbeitslosigkeit entlassen hat, verabschiedet die Kybernetik der zukünftigen elektronischen Kontaktanzeigen schon bald auch den Mann und die Frau einer vollkommen entwerteten Menschheit zugunsten von Sexmaschinen für die mediale Masturbation. »Der Mensch des Wissenschaftszeitalters verliert seine Fähigkeit, sich als Energiezentrum zu fühlen«, stellte Paul Valery fest und durchdrang somit intuitiv einen wenig erforschten Bereich, und zwar denjenigen des Lebendigen, d. h. den Bereich der für das Lebewesen so wesentlichen Bewegung. In der Tat stellt die Bewegung der lebenden Organismen immer noch ein Rätsel dar: das Rätsel des Lebens selbst. »Die Pupillenbewegungen, die Kontraktion der Muskeln oder die Be
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schleunigung bei Läufern scheinen spontan aus dem Inneren zu kommen, wohingegen die Bewegung eines Lastwagens, Flugzeugs oder einer Rakete aus der Antriebskraft des sich plötzlich ausdehnenden Gases bei hoher Temperatur resultiert und diejenige eines Segelbootes, der Wellen oder der sich im Wind wiegenden Bäume von äußeren Elementen verursacht werden.« 3 Als Energiequellen verhalten sich lebendige Organismen also wie »biomolekulare« Einheiten, die Lichtoder chemische Energie in all das umwandeln, was für das Leben notwendig ist: Bewegung, Wärme und inneres Gleichgewicht. Bisher jedoch war dieser stoffwechselartige Umwandlungsprozeß sinnlich wahrnehmbar, denn - psychologisch gesprochen - die Ego-Zentrierung verschmolz nicht nur mit der Gesundheit, sondern mit der »Form«, beispielsweise mit der guten Form, in der man morgens ist, wenn die Nervenleitungen erwachen und uns zum Leben erwecken. Wie läßt sich das Scheitern interpretieren, das Val&y auf diesem Gebiet feststellte? Durch den Verlust, den wir mit zunehmender Passivität ängstlich in uns selbst und um uns herum empfinden? Handelt es sich vielleicht um ein vorzeitiges Altern, das auf den Streß und den beschleunigten Lebensrhythmus zurückzuführen ist, die unsere Reflexe übersättigen und die Reflexionsfähigkeit über unsere eigenen, unmittelbaren Sinneseindrücke mindern? Das ist sehr gut möglich, aber es gibt noch eine andere, auf äußeren Reizen beruhende Erklärung: sie steht im Zusammenhang mit den Steuerungsformen der Fahrzeuge, mit denen wir uns fortbewegen und derer wir uns bei unseren Reisen und Ortsveränderungen immer häufiger bedienen. Wie ich in einem früheren Buch4 schon einmal dargelegt habe, ist es zudem aufschlußreich, die histori
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sche Entwicklung der unterschiedlichen »Führerstände« einer eingehenderen Betrachtung zu unterziehen. Befand sich früher zum Beispiel der Fahrer im Freien an der frischen Luft, während er das Motorengeräusch und den Wind hörte und das Vibrieren des Motorraums spürte, so läßt sich heute feststellen, daß der Geschwindigkeitsexzeß dazu beigetragen hat, den Fahrer immer weiter einzuschließen, zunächst hinter dem Windschutz einer Brille, dann hinter der Windschutzscheibe und schließlich in der inneren Steuerung. Das »gefühlsmäßige« Steuern der Pioniere wich erst der »Instrumentensteuerung« und dann dem »Autopiloten«, ganz zu schweigen von der Fernsteuerung der unterschiedlichsten Geräte. Wie sollte man angesichts dieser Entwicklung nicht vermuten, daß die Liebesbeziehung, die kybernetische Steuerung der entzweiten Liebenden, nicht dasselbe Schicksal erleidet? Die Fernsteuerung der Empfindungen und infolgedessen der körperlichen Lust erneuert plötzlich den Kontaktverlust mit dem Körper der »Geschwindigkeitsmaschine«, deren Wollust den Fahrer in einem solchen Maße einhüllt, daß ein Fachmann wie Ayrton Senna erklären konnte, daß er nicht nur in seinen feuerfesten Formel 1-Rennanzug schlüpfe, sondern buchstäblich sein Rennauto überstreife ... Mit dem Verlust der energetischen Selbstwahrnehmung des Körpers beginnt insgesamt gesehen ein neues Kapitel in der Geschichte der Prothesen, eine Geschichte, die (das muß an dieser Stelle gesagt werden) die Theorien eines Leroi-Gourhan erschüttert, denen zufolge die unterschiedlichsten Werkzeuge und Instrumente eine Verlängerung der menschlichen Organe darstellen: der Hammer erhöht die Schlagkraft der Faust, die Zange die Greifkraft der Hand usw. Diese Behauptungen stimmen zwar ohne weiteres mit den Erkenntnissen der Mechanik überein, sie verlieren
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jedoch ihre Gültigkeit, sobald man vom Begriff der Masse zu dem der Energie (insbesondere der elektrischen Energie), erst recht aber, wenn man zu dem der Information als dritte Dimension der Materie übergeht. Die Ersetzung der mechanischen Relais durch die elektrischen Relais macht den Bruch offensichtlich. Der Körper wird soweit ausgeschaltet, daß die elektromagnetischen Impulse der neuen Fernsteuerungen zum Beispiel mit Hilfe des Zappens zur Verhaltensträgheit des Individuums führen, und in bezug auf den Cybersex bedingt das Gesetz des geringsten Aufwands schließlich die Ausschaltung des Geliebten als beseeltes Wesen. Als »biomechanische« Verlängerung einerseits und »energetische« Abtragung andererseits verliert das Individuum des wissenschaftlichtechnischen Zeitalters tatsächlich die Fähigkeit, sich als Energiezentrum zu empfinden, um am Ende angesichts der Automation seiner produktiven und perzeptiven Funktionen erst unnütz und bald auch überzählig zu werden. »Nur eine neue Kunst des Genusses kann uns retten«, verkündet ein Werbespruch der Cyberkultur. Samt-Pol Roux brachte diesen Wunsch in einem sehr kurzen Gedicht auf wunderbare Weise zum Ausdruck, als er in bezug auf die Verkehrsmittel schrieb: »Schneller zu fahren heißt, mit dem Tod zu spielen. Noch schneller zu fahren heißt, den Tod zu genießen. « s Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Fähigkeiten der unmittelbaren Übertragung. Da die Zoophilie von jetzt an den Anfängen einer Technophilie der Fernliebe weicht, hebt das »Spiel der Liebe und des Glücks« an, das Spiel einer pathologischen Trägheit, die der äußersten Bequemlichkeit und Unabhängigkeit der Gefühle verwandt ist. Für denjenigen, der verstanden hat, daß er sterblich
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ist, beginnt die Agonie, stellte Arthur Schnitzler fest. Zwar nicht den Tod, zumindest aber die Agonie seiner virtuellen Gegenwart, die zunehmende Lähmung seiner Fähigkeiten zu genießen, das ist der noch uneingestandene Einsatz der »Fernhandlungen«, bei denen die entzweiten Liebenden nur noch mittels ihrer jeweiligen Fernsteuerung gegenwärtig sind und das Sende-/Empfangsspektrum eines energetischen Signals nunmehr den Orgasmus ersetzt. Das Spiel gegenseitiger tödlicher Stromschläge, die man früher den Laborratten verabreichte, bevor man sie vivisezierte ... Betrachten wir zum Vergleich eine andere Agonie des Daseins in der Welt: die Alzheimer-Erkrankung, jenen Altersschwachsinn, der die sinnliche Wahrnehmung der Realität des Subjekts in Mitleidenschaft zieht. Da der Leidende von seinem Körper abgeschnitten ist, der sich von seinem Geist unabhängig gemacht hat, ist er für niemanden da, noch nicht einmal für sich selbst ... Ohne Bewußtsein von sich selbst und irreparablen Störungen des Gedächtnisses sowie der Orientierungslosigkeit in Raum und Zeit unterworfen, hört der Leidende auf, hier und jetzt zu existieren. Lediglich von Zeit zu Zeit erwacht er in vollkommener Disharmonie zu seiner Umwelt, die trotz der Bemühungen des Pflegepersonals bestehen bleibt, ihm während dieser kurzen Wachzeiten einige räumliche und zeitliche Bezugspunkte an die Hand zu geben, um ihn so zu zwingen, wenigstens für einen kleinen Augenblick eine Verbindung mit seinem Körper, eine Beziehung mit den ihn umgebenden Personen aufrechtzuerhalten. In genau dem Moment, in dem die Realität nicht mehr das ist, was sie einmal war, entschwindet der Leidende, ohne daß jemand wüßte, wohin. Er entschwindet in eine pathologische Virtualität, die gewisse
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Ähnlichkeiten mit der Cyberpathologie der entzweiten Liebenden aufweist, jenen Anhängern eines interaktiven Spiels, das sie innerhalb eines virtuellen Raums, den niemand anderes als sie allein jemals kennenlernen wird, voneinander entfernt. Sie sind Cybernauten einer diesmal jedoch frühzeitigen Demenz, die es jedem ermöglicht, sich an jedes beliebige Netz anzuschließen, in dem sexuelle Belästigung nicht nur erlaubt ist, sondern (per Abonnement) nachdrücklich unterstützt wird, wobei die »telesexuelle« Dezentralisierung eine vorzügliche Ergänzung der Teleheimarbeit darstellt.
Es gibt keinen Sex mehr, die Angst hat ihn ersetzt. Die Angst vor dem anderen, dem Ungleichen hat über die sexuelle Anziehung obsiegt. Nach dem Kampf gegen die Schwerkraft der Körper und den Forschungsarbeiten über die Techniken des Schwebezustandes und der Schwerelosigkeit beginnt nun ein analoger Kampf gegen die universelle Anziehung, die der menschlichen Gattung das Überleben sichert: Gentechnologie, künstliche Befruchtung usw., und für diese lebensfeindliche Versuchung gibt es zahlreiche Beispiele. Schopenhauer stellt sich in seiner »Metaphysik der Geschlechtsliebe« einmal die Frage, ob denn das Menschengeschlecht überleben könnte, wenn der Akt der Fortpflanzung sich weder einem Bedürfnis noch der Lust verdankte, sondern eine Sache der reinen Reflexion und Vernunft wäre. Hundert Jahre später werfen die kybernetischen Forschungen über sexuelle Abweichungen erneut die Frage auf, wohin uns die Trennung der Körper, die Diastase der Lebenden, führen wird.
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Nach den unterschiedlichen »widernatürlichen« Perversionen zeichnen sich hier also andere alternative Liebespraktiken ab, andere komplexe Diversionen, die nicht mehr »tierischer« oder zoophiler, sondern »maschineller« und offen technophiler Natur sind. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter diesem maßlosen Schwundbzw. Rückzugsphänomen vor dem fleischlichen Akt? Die Angst vor der Ansteckung mit Aids oder andere, uneingestandene Ängste und Befürchtungen? Merkwürdigerweise verbannt uns die Maschinenwissenschaft sowohl aus der geophysikalischen Welt als auch aus dem Körper des anderen, der meinem Ego immer entgegensteht und der nicht mehr so lebensnotwenig ist, wie er es früher einmal war, als das Tierreich mit seiner ganzen energetischen Gewalt noch jene synthetischen oder vielmehr Substitutionsenergien beherrschte, die sich heute gegen es durchsetzen. Es handelt sich um die Niederlage der Tatsachen angesichts der Verbreitung einer Information, die ihrerseits durch die Massenkommunikationsmittel über alle Maßen synthetisiert ist, da in ihnen das Bild die Oberhand gewinnt über die Sache, deren »Abbild« es immer nur ist. Es handelt sich aber auch, und darauf kommt es in unserem Zusammenhang an, um die Niederlage der Tatsache des Liebemachens hier und jetzt zugunsten einer maschinellen Täuschung, bei der die »Entfernung« wieder zur distentio wird, zum Auseinanderzerren und zur Zwietracht der Partner, wobei das Liebesspiel und das Spiel des Zufalls zu einem gewöhnlichen Gesellschaftsspiel werden, zu einer Art virtuellem Kasino, das der Wertpapierbörse ähnelt, wo sich die Händler und Golden boys auf den vielzitierten Derivaten-Märkten alltäglich einen Spaß daraus machen, die Bank zu sprengen.
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Noch einmal möchte ich in bezug auf die bevorstehende kybernetische Monopolisierung der sinnlichen Lust zitieren, was Schopenhauer über das sexuelle - und nicht mehr finanzielle - Interesse sagt: »Denn jenes Interesse an der speciellen Beschaffenheit der Gattung, welches die Wurzel aller Liebeshändel, von der flüchtigsten Neigung bis zur ernstlichsten Leidenschaft, ausmacht, ist Jedem eigentlich die höchste Angelegenheit, nämlich die, deren Gelingen oder Mißlingen ihn am empfindlichsten berührt; daher sie vorzugsweise die Herzensangelegenheit genannt wird. «' Stellen wir uns einmal vor, das älteste Gewerbe der Welt würde zum größten »multinationalen Unternehmen« werden, das es gibt, oder besser noch, die Konsumgesellschaft würde in Zukunft, indem sie diejenige Form der Konsumgesellschaft hinter sich läßt, bei der die Waren in den riesigen Supermärkten zu erwerben sind, zu einer Gesellschaft des telesexuellen Konsums werden, dann wäre die multimediale Welt nicht nur das bei den Ökonomen so sehr verschriene Kasino, sondern ein Bordell, ein KOSMISCHP'.S BoRDELL, und die erstaunliche Entwicklung der elektronischen Kontaktanzeigen würde sich dank der technischen Errungenschaften der interaktiven Telekommunikation unendlich fortsetzen. Es gibt noch einen anderen Aspekt dieser beginnenden sexuellen Diversion, der, verstärkt durch die Besessenheit der Individualisierung in Verbindung mit der demokratischen Krise, unsere Gesellschaft bedroht. Jeder weiß aufgrund seiner unterentwickelten philanthropischen Neigungen aus eigener Erfahrung: »Hingegen dem Grade nach wird sie [die Liebe] um so mächtiger seyn, je individualisirter sie ist.«' Mit anderen Worten, die Lebensbedingungen im globalen Dorf
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werden mit dem Zerfall der familiären Strukturen innerhalb der Bevölkerung die Entwicklung hin zur Autarkie eingefleischter Singleexistenzen noch beschleunigen und gerade dadurch die Suche nach intensiven Erfahrungen noch verstärken, wofür die »Extremsportarten« beredtes Zeugnis ablegen, die in der Suche nach sehr riskanten sexuellen Erfahrungen immer häufiger eine Entsprechung finden ... Wenn die Existenz des gesellschaftlichen Körpers derjenigen des animalischen Körpers, den er erzeugt, tatsächlich vorausgeht, und wenn das »Wesen an sich mehr in der Gattung als im Individuo liegt«', dann bedroht die gegenwärtige Form der Individuation den Bestand des Seins von allen Seiten. »Weil kein Thema es an Interesse diesem gleich thun kann, als welches, indem es das Wohl und Wehe der Gattung betrifft, zu allen übrigen, die nur das Wohl der Einzelnen betreffen, sich verhält wie Körper zu Fläche.«`-' Handelte es sich früher noch um die OBERFLÄCHE mit der unvergleichlichen Tiefe der Haut (Valery), so handelt es sich heute um die SCHNITTSTELLE, und das dank jener Leistungsfähigkeit der Telekommnunikation zwischen den UNGETEILTEN Körpern, die das Paradox eines TOTALITÄREN INDIVIDUALISMUS vollen den, indem sie nicht nur »Videokonferenzen« ermöglichen, sondern die telesexuelle Vereinigung genitaler Empfindungen; wir sind mit der HYPERSCHEIDUNG einer gerade durch ihre Entzweiung vereinten Menschheit konfrontiert, bei der die Interaktivität einen Zerfall der Körper hervorruft, die demjenigen entspricht, den die Radioaktivität bei den Elementarteilchen der Materie verursacht. Muß man an dieser Stelle nicht zwangsläufig versucht sein, Schopenhauer und Heidegger einander anzunähern? Wenn nach Meinung des Letztgenannten
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die Technik tatsächlich die Metaphysik vollendet, dann wird die Kybernetik die »Metaphysik der Liebe« auf Kosten der Gattung und ihrer geschlechtlichen Fortpflanzung virtuell verwirklichen. »Der CYBERFEMINISMUS ist an der Ausbildung eines feministischen Bewußtseins beteiligt und hebt die Bedeutung der Multimedialität für die Körperwahrnehmung hervor.«"' Mit diesen Worten beginnt das Manifest einer erst kürzlich gegründeten Vereinigung, und in Anlehnung an die Formulierungen eines vor zehn Jahren in der » Socialist Review« erschienen Artikels erklärt die genannte Frauengruppe weiter: »Die Kommunikations- und Biotechnologien sind wichtige Werkzeuge für die Neuerfindung unseres Körpers [...1 Der Beginn der postindustriellen Kultur wird zu einer grundlegenden Veränderung der menschlichen Gesellschaften führen. Auch die sensori sche und organische Architektur des menschlichen Körpers, die Architektur der sexuellen und kulturellen Identitäten, ja selbst die unserer Denkweisen sowie die der Stellung eines jeden werden sich verändern. « Nachdem die Verfasserin diese Tatsachenfeststellung in eine Reflexion der politischen und kulturellen Bedeutung des CYBERSPACE für die Befreiung der Sitten überführt, formuliert sie schließlich die Schlüsselfrage der Kontrolle: »Wer ist in Zukunft für die Codes und Regelungen verantwortlich, nach denen die Körper im Cyberspace dargestellt werden, wo alles eine Metapher ist? Das hängt bereits von der Art und Weise ab, in der die Cybernauten sich auf den virtuellen Körper einlassen.« Im Anschluß hieran bringt der Cyberfeminismus das gewichtige Argument der politischen Verantwortung
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bei der Erschaffung dieses Körpers, dieses »wirklich revolutionären Subjekts« vor. »Was wird im Zeitalter der codierten Metapher aus der Beziehung zwischen Gesellschaft und Sexualität, aus den sexuellen Kommunikationsformen des Körpers, was aus dem Begehren und dem Unterschied zwischen den Geschlechtern? Die Kontrolle über die Auslegung der Grenzen des Körpers ist eine echte Herausforderung für den Feminismus.« Es ist leicht nachvollziehbar, daß es in dem Moment, in dem die Grenzen zwischen der Biologie und der Technik, Mensch und Maschine eine nach der anderen wegfallen, höchste Zeit ist, die eigene Stellung neu zu bestimmen. Und so erklärt sich auch der folgende Schlußappell: »Es ist dringend notwendig, daß sich die Frauen an der Errichtung des Cyberspace beteiligen und eine CYBER-PHANTASIE ausbilden, die zum Werkzeug für die Konstruktion ihrer selbst taugt. Auch wenn die Multimedialität ein gefährliches Kontroll- und Unterdrückungsinstrument sein kann, so liegt es doch nur an uns Frauen, daraus ein Werkzeug der Emanzipation zu machen.« Dieser Text ist weniger ein Manifest des militanten Feminismus als vielmehr ein Warnruf angesichts der Bedrohung einer maschinellen Substitution, die die körperlichen Reize der Weiblichkeit ersetzen würde. Trotz der unterschiedlichsten Substitute für die Geschlechtsteile (Vibratoren, Dildos usw.) ist die Simulation tatsächlich schon nicht mehr auf der Höhe der Zeit, denn sie ist auf dem besten Wege, ihrerseits durch »alternative« Praktiken abgelöst zu werden, deren Hyperrealismus des virtuellen Körpers für das Fleisch wohl das sein mag, was die Drogen für den Geist sind. Und die tödliche Gewöhnung an die Rauschgifte gibt wohl einen Vorgeschmack darauf, was uns in Zukunft
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mit dem erbarmungslosen Imaginären des CYBERSEX erwartet.
»GESCHWINDIGKEIT: KOITUS DER ZUKUNFT«, prophe zeite vor mehr als einem halben Jahrhundert Saint-Pol Roux, der surrealistische Anhänger eines lebendigen Kinos, das eine zuschauende Menschheit entstehen lassen soll: » O Kamera, Du gebärendes Wesen, habe die Güte, wahrhaftig zu gebären! Ihr flachen Bilder, bläht Euch zum Relief auf! Laßt die Kondome liegen, haucht diesen Dummköpfen Leben ein.«" Das ist heute bereits geschehen. Dank des Datenhandschuhs (DATA GLOVE) und vor allem des Datenanzugs (DATA SUIT) wird alles vom Aufblitzen bestimmt, und der Blitzschlag der Liebe auf den ersten Blick wird für die entzweiten Liebenden unversehens zum Gnadenstoß. Es findet also ein Übergang von der erotischen Zerstreuung zunächst zur sexuellen Diversion und bald schon zu einem genauso verhängnisvollen Zerfall wie bei einem Reaktor statt, in dem eine Kernspaltung ausgelöst wird. Da der kybernetische Orgasmus sich nunmehr der Geschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen verdankt, ist der Unterschied zwischen der Ekstase und Diastase nicht nur klein, sondern winzig. Wenn die Entfernung zwischen den (interaktiven) Liebenden sie in einem solchen Maße einander nähert, daß sie den Fernsten lieben wie sich selbst, dann ist der Gegensatz zwischen Scheidung und Hochzeit ein für alle Mal aufgehoben. Um zu einer vorläufigen Zusammenfassung zu kommen, möchte ich jetzt die ersten ethischen Reaktionen auf die telematische Veränderung der Sexualität einer näheren Betrachtung unterziehen. Aus Anlaß des inter
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nationalen Jahres der Familie 1994 erklärte Papst Johannes Paul II. in einem Hirtenbrief: »Die Vereinigung und die Fortpflanzung können nicht künstlich voneinander getrennt werden, ohne die innerste Wahrheit des ehelichen Aktes zu verfälschen.« Beschränkt man sich nicht darauf, in dieser Aussage die strikte Ablehnung der Empfängnisverhütung oder den üblichen Hinweis auf die Unlösbarkeit des Ehebundes zu sehen, dann kommt eine andere Fragestellung zum Vorschein: nämlich die nach dem Wesen der KÜNSTLICHEN Trennung. Um welche Künstlichkeit han delt es sich tatsächlich, wenn zugunsten einer virtuellen Telesexualität, die die Trennung der Körper und nicht mehr nur die Scheidung ans Herz legt, sogar die Vereinigung der Körper überholt ist? Wie ist es um die Zukunft nicht nur des Sakraments der Ehe, sondern auch der Scheidung bestellt, wenn man im wahrsten Sinne des Wortes neben dem Paar auch die körperliche Vereinigung auflöst? In noch jüngerer Zeit haben katholische Experten anläßlich eines Kongresses, der im Frühjahr 1995 in Rom stattfand, einen Aufruf gegen die klar vorhersehbare Entwicklung der kybernetischen Liebe verfaßt. Die Kongeßteilnehmer in Rom verurteilten diese interaktiven Praktiken als eine »Katastrophe für die Liebe« und stellten fest, daß die Sexindustrie den Liebenden nunmehr »einen illusorischen und künstlichen Raum« anbiete, »in dem man sich der Unfähigkeit einer verantwortungsbewußten zwischenmenschlichen Begegnung leicht entziehen« 13 könne. Darüber hinaus ist die Rede davon, daß diese beste aller Welten der über weite Entfernungen hinweg unterhaltenen sexuellen Beziehungen zu einem oder mehreren Partnern niemals nur eine Verweigerung des menschlichen Zeugungsaktes sei, und auch kein Eheunglück wie der Ehebruch oder die Scheidung, sondern ein Unglück der Realität des »kör
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perlichen Aktes« selbst und infolgedessen der wahrhaften Kenntnis des anderen, denn in der Sprache der Bibel bedeutet den anderen zu kennen, ihn zu lieben. Wie wir bereits feststellen konnten, birgt die auf die industrielle Revolution folgende »Revolution der Information« Gefahren in sich, da die Schäden, die der Fortschritt der INTERAKTwrrAT anrichtet, möglicherweise schon bald genauso gefährlich sein werden wie die der RADIOAKTIVITÄT, wobei die bereits früher von Einstein verurteilte »Informationsbombe« eine neue Form der Abschreckung notwendig machen wird, die weder militärisch noch atomar ist, wie dies angesichts der ungeheuren Gefahren der »Atombombe« zwangsläufig der Fall war, sondern politisch und gesellschaftlich. Es sei denn, ja es sei denn, der gesellschaftliche Auflösungsprozeß mit seinem Zerfall der Kernfamilie und der Zunahme der Bevölkerungsteile mit alleinerziehenden Elternteilen ist bereits in eine nicht mehr umkehrbare Phase eingetreten ...
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Fluchtgeschwindigkeit
»Die Erde ist unsere Mutter, der Himmel unser Vater.« »Die Standortbestimmung ist unbarmherzig«, behauptete einst der Reisende Victor Segalen.' Ja, unbarmherzig wie das Hier und jetzt einer Tatsache. Mit der allgemeinen Durchsetzung der Interaktivität über große Entfernungen hinweg aber wird sie in Zukunft erbarmungswürdig werden. Da der Widerstand der Entfernungen schließlich weggefallen ist, wird die Erdoberfläche ihre Verteidigungswaffen namens Dauer, Ausdehnung und Horizont übergeben. »Die Erde lehrt uns mehr über uns selbst als alle Bücher, da sie sich uns entgegenstellt. Der Mensch entdeckt sich, wenn er sich an Widerständen mißt«, bemerkte der Flieger Saint-Exupery. Das gilt sowohl für die Erde als auch für den Mond, seitdem der Mensch seinen Fuß darauf gesetzt hat. Jeden Widerstand nach und nach gebrochen und jede örtliche Gebundenheit gelöst zu haben, die Gegenwehr der Dauer und der Weite zur Aufgabe zu zwingen, und zwar nicht nur diejenige der Weite des Erdhorizonts, sondern auch diejenige der Umlaufbahn unseres natürlichen Satelliten, des Mondes, genau das ist das Ziel, das die Wissenschaften und Techniken des Menschen nunmehr erreicht haben; den Abstand aufzuheben, dem Skandalon des Raum- und Zeitintervalls ein Ende zu bereiten, das den Menschen auf eine unerträgliche Weise von seinem Ziel trennte, all das ist auf dem besten Wege, vollendet zu werden, aber um welchen Preis? Doch wohl um den Preis, daß nicht nur das mit fast genereller Gleichgültigkeit
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durchreiste Land, sondern die Welt, der irdische Raum, zu etwas Erbarmungswürdigem, endgültig Erbarmungswürdigem werden. Der Passagier der verschiedenen Verkehrsmittel, der die sich in die Länge ziehende Dauer erobert', hat nach und nach jedes der Hindernisse beseitigt, denen er es gerade verdankte, hier und jetzt in der Bewegung zu existieren; er hat also nicht nur die Natur verschmutzt, sondern auch ihre Größe, ihre natürliche Größe. Wenn das OBJEKT tatsächlich das ist, was sich uns entgegenwirft lat. obiectum, Part. Perf. von obicere = entgegenwerfen -, dann ist es nicht zu trennen von der STRECKE und ihrer Übereiltheit, wobei die visuelle Perspektive für das SUBJEKT mit einer zeitlichen Perspektive verbunden ist, die von unseren Wissenschaften und Technowissenschaften der Kommunikation fortwährend verändert wurden, indem sie die Bildfolge dauernd beschleunigten. Damit gehen sie allerdings das Risiko ein, in nächster Zukunft ein Unglück der Zirkulation des Realen zu verursachen, bei dem schon jetzt alles darauf hindeutet, daß es ein niemals zuvor erreichtes Ausmaß haben wird. Seit den antiken Philosophen - und bestätigt von den modernen Physikern - weiß man aus Erfahrung, daß die Zeit die Form der sich in Bewegung befindlichen Materie ist. Man scheint jedoch zu vergessen, daß, wenn die Zeit keine »unabhängige Körperlosigkeit« darstellt, sie sofort die Einführung einer neuen Form des Unfalls notwendig macht, eines besonderen Akzidens bestimmter Zustände, die ihrerseits akzidentiell sind, wie Epikur bemerkte. Mit anderen, aber immer noch Epikurs Worten: die Zeit ist das Akzidens der Akzidenzien, da wir sie genauso mit den Tagen und Nächten sowie ihren Bestandtei
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len in Verbindung bringen wie mit dem Vorhandensein oder dem Fehlen von Gefühlen, mit der Bewegung oder der Erholung, wobei wir der Meinung sind, daß das Eintreten eines dieser Ereignisse Zeit heißt.' Mit Hilfe der Ausführungen Buzz Aldrins, der kein weltläufiger Reisender oder Flieger ist, sondern einer der Astronauten, die an der ersten Mondlandung beteiligt waren, möchte ich versuchen, eine bessere Bewertung der »Zeitkatastrophe« vorzunehmen, die von den Ereignissen unseres zu Ende gehenden Jahrhunderts nur unzulänglich kaschiert wird: »Die Eagle hat gerade aufgesetzt, die Mondfähre steht vollkommen still, was ein sehr merkwürdiges Gefühl auslöst. Für mich ist ein Raumflug gleichbedeutend mit Bewegung. Die Mondfähre jedoch bewegt sich nicht, und es scheint, als habe sie seit Urzeiten dort gestanden. « 4 In der Tat handelt es sich um einen »Anfang«, den Anfang nicht mehr nur der Eroberung des Jenseits eines außerplanetaren Raums, sondern es handelt sich um einen anderen Anfang der Zeit. Dieser plötzliche Stillstand, dieser erzwungene und paradoxe Ruhezustand der Unbewegtheit in Raum und Zeit eines anderen Planeten, ist buchstäblich beispiellos: die Zeit des Mondes ist nicht dieselbe wie die der Erde. Und bereits die Zweiteilung der Zeit, die sich den Astronauten aufgrund der so einzigartigen Trägheit des Nachtsterns offenbart, eröffnet ihnen, nur ihnen allein, den Übergriff der Erlebniszeit weit eher auf die astronomische Zeit als die lokale Zeit einer sehr treffend als Stützpunkt der Ruhe bezeichneten Mondregion. Aufgrund ihrer Unfähigkeit, sich in der Weite dieser unbekannten Landschaft zu situieren, befinden sich die Astronauten weniger auf dem Mond als in der Gravitationsträgheit eines Fixpunktes ohne räumlichen Bezug und in einer nie dagewesenen Zeitlichkeit. Jeder der beteiligten Astronauten erfährt de facto das Paradox
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des Zenon aus Elea: dasjenige der Unbeweglichkeit einer Strecke. Das, »was sich ihnen entgegenwirft«, ist plötzlich ein OBJEKT, allerdings ein beispielloses Objekt. Schließlich hat die Menschheit das seit Beginn der astronomischen Beobachtung gesteckte Ziel erreicht: sowohl die Perspektive des Quattrocento als auch diejenige des Galileischen Fernrohrs sind überholt, verdrängt durch das unvergleichliche Zutagetreten einer neuen zeitlichen Perspektive. Da sich die (ungenau als Eroberung des Weltraums bezeichnete) »Strecke« schließlich von der Bezugsachse der Mutter Erde befreit hat, findet sie zu guter Letzt einen ihr zustehenden Platz zwischen SUBJEKT und OBJEKT, wobei die Wesenhaftigkeit der außerirdischen Strecke sich neben der herkömmlichen Subjektivität und Objektivität festsetzt. Somit ist das Ziel, das mit dem Flug von Apollo ii erreicht wurde, weniger »der Mond«, dieser Satellit der Erde, als die Strecke selbst. Das Sein der Strecke der Eroberungsbewegung des Weltraums ist durch die so einzigartige Trägheit im Meer der Ruhe schließlich geadelt worden. Um die Bedeutung dieses historischen Unfalls, des Aufpralls bei der Mondlandung, der eine Weiterführung von Saint-Exuperys Feststellung, daß »wir mehr von der Erde lernen können als von allen Büchern«, im außerirdischen Raum darstellt, müssen wir drei Jahrhunderte zurückgehen, genauer gesagt zur geologischen Entdeckung der Tiefe der Zeit in der Dichte unseres Planeten. Paolo Rossi bemerkte in seinem Essay » The dark abyss of Time« sehr treffend: »Wenn die Zeitgenossen von Hooke über eine Vergangenheit von 6ooo Jahren verfügten, so waren sich diejenigen Kants über eine
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Vergangenheit von mehreren Millionen Jahren bewußt. « Dieses plötzliche Übertreffen der Geschichte, dieser Sprung in das Dunkel der Zeit zum Ende des 17. Jahrhunderts kann mit dem Sprung in die Dunkelheit der kosmischen Weite verglichen werden, die gegen Ende unseres 20. Jahrhunderts zur Landung des Menschen auf dem Mond führen mußte. In diesem weit zurückliegenden Zeitalter, das etwa mit dem Beginn des »Jahrhunderts der Aufklärung« zusammenfällt, muß die Entdeckung der Unermeßlichkeit der Zeit sicherlich wie ein Ereignis von allergrößter Bedeutung erschienen sein, ich glaube jedoch, es wäre übertrieben zu denken, daß »wir nicht darauf hoffen können, derartiges noch einmal zu erleben«', denn schließlich erleben wir heute die Emanzipation des Zeitpfeils, die Emanzipation einer universellen Zeit, die die Reisenden im »außerirdischen Raum« - wie zum Beispiel Aldrin, Armstrong und einige andere - realisiert bzw. erlebt haben, vor allem aber erleben wir das Auftauchen einer Weltzeit, die dazu in der Lage ist, die konkrete Bedeutung der Ortszeit der Geographie auszulöschen, die Geschichte überhaupt erst hervorgebracht hat. Bevor wir uns jedoch die Frage stellen, welche Auswirkungen das Fehlen der Tiefe der Gegenwart im Zeitalter einer allgemein gewordenen Kommunikation hat bzw. in Zukunft haben wird, müssen wir, so glaube ich, noch einmal auf das gewachsene Bewußtsein von einer geologischen Dichte ohne Gedächtnis und auf die Auflösung, den tellurischen Zusammenbruch des Wissens um die Tiefe der Vergangenheit zurückkommen. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kommt also die auf die neue stratigraphische Beobachtung zurückzu
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führende Idee auf, daß die Geologie eine verdeckte Perspektive enthält, die sich überall unter unseren Füßen befindet und hier und da anläßlich tektonischer Ereignisse offen zutage tritt, um hin und wieder die Masse einer Zeit ohne Gedächtnis an der Erdoberfläche zum Vorschein kommen zu lassen ... Ich möchte wetten, daß dieses schon bald zum Allgemeingut gewordene Bewußtsein seinerzeit beträchtlich dazu beigetragen hat, den an Grund und Boden gebundenen Begriff der Lokalisierung, das hic et nunc eines zunehmenden Materialismus, zu stärken. Sich hier und jetzt in senkrechter Stellung an der Oberfläche einer Erdkruste zu befinden, die Millionen von Materiejahren umschließt, hat mit Sicherheit weder dem Wert der »Natur« noch dem seiner Größe geschadet, was ganz im Gegensatz dazu die Entdeckung der Milliarden von Lichtjahren tut, die, wie man sagt, zwischen uns und dem Kollaps liegen, aus dem die Zeit geboren wurde. »Der Exotismus ist alles, was anders ist«, behauptete Victor Segalen, dieser unverbesserliche Reisende, der jede Örtlichkeit unnachsichtig beurteilte. Ich denke, man kann in diesem Zusammenhang behaupten, daß die Entdeckung der MAI ERIE ZEIT, die den Sockel für die Erfahrung der Bewegung und des Seins bildet, gemeinsam mit dem Selbstbewußtsein wesentlich dazu beigetragen haben muß, daß der »Individualismus«, dieser Fixpunkt der Trägheit, der früher jede Art von Seßhaftigkeit gerechtfertigt hatte, Wurzeln fassen konnte. Im Gegensatz dazu verschafften zu Beginn des 20. Jahrhunderts Einstein, Hubble oder Wegener mit ihrer These von der Ausdehnung des Universums in Verbindung mit der plötzlichen Kontinentalverschiebung der Bedeutung des Exotismus Geltung, wobei die LICHTZEIT dazu führte, daß wir mit einem Mal sowohl die Ausdehnung als auch die Masse der
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Zeittiefe des ursprünglichen Lebensraums vollkommen vergaßen. Folglich läßt sich feststellen, daß, wenn das Auftauchen der Zeittiefe der Materie (Geologie) von Grund auf endotisch ist, die Universalzeit des Lichts (Kosmologie) exotisch ist, sie ist eingeschrieben in ein Ausdehnungsphänomen, das unaufhörlich die raumzeitlichen Bezüge ersetzt, denn, so erläutert Stephen Hawking, »in der Relativität waren bereits mehrere gekrümmte Raumzeiten vorhanden.« Was aber in der einen wie in der anderen Form historischen Bewußtseins zum Vorschein kommt, ist nicht mehr nur der räumliche und damit materielle Katastrophismus des Einflusses des Bodens auf die Lebensweise der Menschen, sondern der zeitliche und immaterielle Katastrophismus der kosmischen Ausdehnung. Wenn das AKZIDENS tatsächlich nur das ist, was sich ereignet, und nicht wie die SUBSTANZ das, was ist, dann offenbart sich mit zunehmendem Verstreichen und Verblassen der ortsgebundenen Zeit der Geschichte ihr akzidentielles Wesen, wobei die vergangenen Jahrhunderte die Phasen dieser Apokalypse der Zeit »ans Licht« fördern, auf deren wahrscheinliches Eintreffen bereits Epikur hinwies. Auf die ursprünglich zyklische Zeit und auf die lineare (oder pfeilrechte) Zeit einer chronologischen Geschichte wird also eine sphärische Zeit folgen, die »dromosphärische« Zeit des Lichts (oder, wenn man es vorzieht, des Lichtkegels), die schon bald den alten Kreislauf der verflossenen Jahrhunderte verdrängt. Was jedoch auf diese Weise zugunsten einer GLOBALEN Zeit verschwindet, das ist schlichtweg die ORTSGEBUNDENE Zeit einer Geschichte, die sich auf der Oberfläche eines Planeten, im so einzigartigen irdischen Wechsel-von Tag und Nacht sowie unter dem Einfluß
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der spezifischen Schwerkraft eines Himmelskörpers unter anderen ereignet hat. Nachdem ich so viel von der plötzlichen Tiefe einer geologischen Zeit jenseits der Tiefe der mosaischen Zeit der jüdisch-christlichen Schriften gesprochen habe, wie sollte es da noch möglich sein, diese plötzliche zeitliche Erweiterung jenseits der ewigen Wiederkehr des Gleichen ohne Vorbehalt zu betrachten? Schon die lineare und die zyklische Zeit konfrontierte die Philosophen wegen ihrer Zweiteilung mit einer ganzen Reihe außerordentlich schwerwiegender stereoskopischer Fragen, die allerjüngste »dritte Dimension« unserer vierten zeitlichen Dimension aber wirft für uns die Frage auf, was von der Natur und was von der vergangenen Größe bleibt ... Müssen wir von nun an »die Erde bemitleiden«, wie es die Ökologie nahelegt? Um Gnade bitten für das geringe Ausmaß ihrer Fläche? Wenn die Standortbestimmung für den regungslosen und an Ort und Stelle verharrenden Navigator unseres ausgehenden Jahrtausends mit einem Mal zu etwas derart Bemitleidenswertem geworden ist, müssen wir dann deswegen auch den schon ausschließlich zugunsten der Echtzeit des unmittelbaren Austauschs in Mißkredit geratenen Realraum bemitleiden, oder müssen wir im Gegenteil entschlossen gegen diese Diskriminierung ankämpfen? »Jede vergängliche Größe ist nichts als eine Krankheit«, erklärt Herman Melville mit Bestimmtheit. Wenn diese Größe aber nicht mehr die eines hochmütigen Kapitäns ist, sondern die einer gewissenlosen Wissenschaft, um welche Art von Krankheit handelt es sich dann? Was wird in Zukunft von den letzten »Einschreibeflächen« unserer Geographie und was von der zweiten Dimension der Geometrie bleiben, wenn
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die neue »Sintflut«, die sich ankündigende Zeitkatastrophe diejenige des geologischen Raums noch verstärkt? Müssen wir uns nach dem ursprünglichen Unfall der Überflutung der Kontinente durch die Dynamik der Flüssigkeiten, von dein nicht nur alte Schriften zeugen, sondern auch unsere Formationskunde, auf den allgemeinen Unfall einer Überflutung der örtlich gebundenen Raumzeit durch die elektromagnetische und wellenförmige Dynamik der Lichtzeit gefaßt machen, darauf, daß nach den überschwemmten Erdzonen bald auch die Bedeutung der Zeitzonen verschwindet? Sollte dies tatsächlich der Fall sein, ja, dann wäre die Erde, der irdische Raum an einem bisher nie dagewesenen Gebrechen »erkrankt«, und man müßte Mitleid haben mit der Dauer, der Schwere und der Tiefe eines Raums, der durch den Kunstgriff einer Höchstbeschleunigung entwertet würde, die sowohl die Geschichte als auch die Erinnerung daran wahrhaftig auszulöschen vermag, denn die hinlänglich bekannte Versteppung der Erdoberfläche würde durch diejenige der (chronogeographischen) Dauer überholt werden, wobei die Wüste der Weltzeit, d. h. einer GLOBALEN Zeit, die von den Umweltschützern zu Recht gebrandmarkte Verwüstung der Tier- und Pflanzenwelt vollendete. Wenn wir das Meer oder die großen unfruchtbaren Wüsten betrachten, was sehen wir dann? Es gibt keine Oberfläche mehr, keine Oberflächengestalt, die diesen Namen verdiente, sondern eine Linie, eine Horizontlinie. Mit dem Beginn einer Weltzeit, dieser Parodie der astronomischen Zeit, wächst die Wüste, die Perspektive des örtlich bestimmten Raums verschwindet, und mit ihr nicht nur die sichtbare Horizontlinie, sondern die Gesamtheit der Einschreibeflächen der Bewegung.
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Infolgedessen komplettiert der Stillstand des Fixpunktes den Verlust der bewohnbaren Flächen und die Perspektive der Weltzeit, d. h. der Echtzeit der Unmittelbarkeit, ersetzt gleichzeitig sowohl diejenige des sichtbaren Raums des Perspektivismus des Quattrocento als auch diejenige der ortsgebundenen Zeit des historischen Ereignisses, das hier und jetzt stattgefunden hat. Dieser beispiellose Unfall ist ein Endspiel der Geschichte und erinnert an die bereits erwähnte Lage des Raumfahrers auf der Mondoberfläche: wie Aldrin im Jahre 1969 ist er unsicher in bezug auf die eigene Standortbestimmung und zweifelt an seiner Unbeweglichkeit. Der öde Horizont, den er unter dem nächtlichen Himmel betrachtet, gehört nicht zu einer Landschaft und erst recht nicht zu einem Land, er ist lediglich ein Gelände, eine Position, und zwar die des Zielpunktes für seine Mondlandung. Darüber hinaus veranschaulicht bereits die Bezeichnung »Meer der Ruhe« für einen Ort, dem es ersichtlich an Dynamik mangelt, das Paradox dieses plötzlichen Verlusts der »Oberflächen« zugunsten des »Punktes«, das jede außerirdische Strecke verbirgt. Merkwürdigerweise verstärkt ein anderer Aspekt der Weltraumfahrt noch die Zweideutigkeit der zeitlichen Katastrophe, die durch den Begriff der »Eroberung des Weltraums« heute nur unzureichend verdeckt wird. Die alte chinesische Weisheit lehrt, daß man die Beweglichkeit niemals der Sicherheit opfern darf. Doch genau das ist es, was vor unseren Augen einst auf dem Mond geschah und heute auf der Erde geschieht. Vor 25 Jahren erforderte die Loslösung der Strecke vom Erdboden, mittels derer die Astronauten im Meer der Ruhe landen konnten, eben dieses Opfer, um die Sicherheit der Apollo 11-Mission zu gewährleisten. Es liegt auf der Hand, daß die Notwendigkeit der Hin- und Rückreise im Gegensatz zur Katastrophe einer
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einfachen Hinreise diese grundlegende Vorsichtsmaßnahme rechtfertigte, aber ich möchte nochmals daran erinnern, daß es sich hier nicht um eine Frage des Raums, sondern um eine der Dauer handelte. Die Frage der Unumkehrbarkeit der sagittalen Zeit eroberte ihre Rechte zurück, und der Zeitpfeil der Mondmission entzog sich nicht nur dem Bezugssystem der Gravitation, sondern auch dem raumzeitlichen der Erde, um sich schließlich nur noch in das Bezugssystem der Raumfahrtgesetze einzuschreiben. »Im Universum steht nichts fest«, erklärte Einstein. Demzufolge ist der Fixpunkt der amerikanischen Astronauten im Meer der Ruhe lediglich ein Zielpunkt in der Zeit der Strecke von der Erde zum Mond, und der unerbittliche Charakter dieser außerirdischen Pseudo-Lokalisierung hängt weniger von irgendeiner POSITION innerhalb einer leicht zu durchquerenden territorialen Fläche ab als von ihrem STANDORT im Schutz der Unbeweglichkeit: dem Stillstand eines toten Punktes. Weniger auf dem Mond als vielmehr außerhalb des Gravitationsfelds der Erde müssen Armstrong und Aldrin ihre natürliche Beweglichkeit der Sicherheit opfern. Ob in bezug auf ihre Energie-, Wasser- oder Sauerstoffreserven, ihre Zeit ist gezählt, und diese Zeit, diese Dauer, ist die eines Countdowns, denn ihre Gegenwart am Ort ihrer Landung ist immer nur ein heikler oder, besser gesagt, gefängnisartiger Zustand, da das Verlassen der Mondlandefähre dieselben Schwierigkeiten mit sich bringt wie das spektakuläre Verlassen der Raumstationen, die sich im leeren Raum zwischen den Planeten bewegen.
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Für die Logistiker, anders gesagt, die Fachleute für die Sicherheit der Versorgung, steht fest: >Je mehr Bewegung, desto mehr Kontrolle«. Und diese Kontrolle erstreckt sich schließlich auf die zentralen Überlebensbedingungen der Lebewesen. Das, was sich nunmehr ringsherum ausdehnt, ausbreitet, ist nicht so sehr der »Ort«, der Umfang des Realraums eines Planeten von vielen, sondern der Umfang der Kontrolle, einer »Umweltkontrolle«, die an die Stelle der kontinentalen Oberflächen, der drei Dimensionen eines Raums tritt, der von bewegungsfähigen Lebewesen bewohnt werden kann. Ob autonomer Raumanzug, Datenanzug, Kommandokapsel mit Druckausgleich oder Raumfähre, die Verhältnisse sind nunmehr immer und überall dieselben, sowohl hier, im Meer der Ruhe, als auch da unten, unterhalb des Mondhorizonts, auf der von Menschen bewohnten Erde, die für eine gewisse Zeit ihre Bewegungsfreiheit austesten. Wenn die Kontrolle sich anschickt, systematisch die Umwelt, ihre Höhe, ihre Breite und ihre Tiefe, zu ersetzen, dann erfüllt sich in der Tat die Vorhersage des Seefahrers Herman Melville: »Jede vergängliche Größe ist nichts als eine Krankheit«, und diese Krankheit, dieses vorübergehende Gebrechen heißt Lähmung. Es handelt sich um die Lähmung einer Welt, eines »irdischen Raums«, der sich der Zeit der endlichen Welt ergiebt. Das, was in dieser paradoxen Situation »kränklich«, in jedem Fall aber beschädigt ist, das ist die Umwelt mitsamt ihren Eigenschaften. Die Unermeßlichkeit der kosmischen Leere oder diejenige der Zeittiefe behindern nur noch das verkümmerte Lebewesen, dessen Sicherheit fortan in einem solchen Maße gegenüber jeglicher Aktivität überwiegt, daß die konkrete Umgebung für es nur noch eine einzige Dimension aufweist,
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DEN PUNKT..., den Punkt und die Zeit, allerdings eine astronomische und universelle Zeit. Der Raumfahrer (bzw. der Teleakteur auf der Erde), der zwar in den Pfeil der kosmischen Zeit eingeschlossen, aber aufgrund seiner Flugbahn von der ortsgebundenen Zeit ausgeschlossen ist, ist das Opfer einer Trägheit, die deshalb beispiellos ist, weil sie unversehens mit der Vorrangstellung der Zeit gegenüber dem Realraum verschmilzt, d. h. die Interaktivität ersetzt die traditionelle Bewegungsaktivität. In einem Text, der die Nichtigkeit der Technik veranschaulichte, deren Macht Europa bald ins Chaos stürzen würde, erklärte Martin Heidegger in einer Paraphrase auf Melville, daß jede Größe im Angriff enthalten sei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stellte er jedoch klar: »Der hier gemeinte Kampf ... ist nicht bloßes Berennen von Vorhandenem. Der Kampf entwirft und entdeckt erst das Unerhörte, bislang Ungesagte und Hin-gedachte.... Wo der Kampf aussetzt, verschwindet zwar das Seiende nicht, aber Welt wendet sich weg.« Die zu einem unnützen Hindernis gewordene Welt, der man ausweicht und die von Satelliten auf ihrer Umlaufbahn umflogen wird, widersteht nicht mehr und weicht auf ganzer Linie vor dem Angriff auf das Vorhandene zurück. Unabhängig davon, was SamtExup&y dazu auch sagen würde, aber es ist nur noch ein kleiner Schritt, und die Erde lehrt uns überhaupt nichts mehr. Nachdem der Widerstand der Entfernungen weggefallen ist, entläßt uns die verlorene Welt in unsere Einsamkeit, eine vielfache Einsamkeit mehrerer Milliarden Menschen, die die Multimedien sich anschikken, auf gewissermaßen kybernetische Weise zu organisieren. Nach zwei Weltkriegen, deren Schauplatz der
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Raum war und die aufgrund der Eroberung der Luft und des Weltraums einen zunehmenden Verlust des irdischen Raums bedingten, wird der Weltkrieg auf dem Schauplatz der Zeit zu dem Verlust unserer Bewegungsfreiheit führen, einem nicht wieder gutzumachenden, aber diskreten Verlust. Im Rahmen der Weltzeit, die in Zukunft alle unsere Wünsche erfüllt, wird dieser Verlust zwar alles unangetastet lassen, jedoch qualitativ entwerten. Neben der Zeittiefe der Geologie und der Geschichte entsteht also die Oberflächenzeit der Interaktion auf Distanz, die an die Stelle der Oberflächen einer verschwundenen Weite tritt; sobald die Echtzeit der Übertragungen endgültig den Realraum der Beförderung ersetzt, erfüllt sich die Weissagung des heiligen Hieronymus: »Die Welt ist bereits voll und bietet uns keinen Platz mehr. « Tatsächlich ersetzt die »Trajektographie«'' seit einem halben Jahrhundert die »Geographie«. Von nun an gibt es eine Strecke, die unabhängig ist von jeder Örtlichkeit, vor allem aber von jeder Standortbestimmung. Es handelt sich um eine Strecke, die ausschließlich in die Zeit eingeschrieben ist, in die astronomische Zeit, die zunehmend die Vielfalt der ortsgebundenen Zeiten verseucht. Es stimmt zwar, daß bereits die Lehre von den Flugbahnen geworfener oder geschossener Körper, die Ballistik der Kugel, Granate oder Rakete, mittels einer auf den Erdmittelpunkt bezogenen Gravitations-Standortbestimmung diesen Sachverhalt vorwegnahm, aber mit dem Austritt aus der Erdatmosphäre verschwindet auch diese »Bezugsachse«. Von der ExoZentrierung eines überhalb der Erdoberfläche fliegen
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den Körpers kommen wir mit einem Mal zur EgoZentrierung: Das Zentrum befindet sich nicht mehr außerhalb, es ist vielmehr sein eigener Bezugspunkt, seine eigene »Bewegungsachse«. Das Zentrum des Stillstands besitzt die Funktion der Weltachse, einer kleinen inneren Welt allerdings, die den erstarrten Menschen zu einem Planeten macht, zu einem lebenden Planeten, der in der Leere einer kosmischen Zeit ausgesetzt wird und nicht, wie oft behauptet, in der Raumzeit des Weltalls. Um welche Art Räumlichkeit jedoch handelt es sich, wenn wir jeden Halt, jeden Auftrieb und damit jeden Positionsbezug verloren haben? Auch wenn es stimmt, daß das Problem der »Räumlichkeit« niemals mit der Notwendigkeit der meteorologischen Atmosphäre eines bewohnbaren Raums verwechselt werden darf, so ist es doch immer durch das Wesen unserer Position bei der Fortbewegung sowie ihre Ausrichtung bestimmt, denn ohne Vektorgeschwindigkeit gäbe es keine Richtung. Um welche Art von »Räumlichkeit« kann es sich nun also handeln, wenn es nur noch das Sein der Strecke gibt, einer »Strecke«, die absolut gleichzusetzen ist mit dem in Bewegung befindlichen »Subjekt« und »Objekt« und über keinen anderen Bezugspunkt verfügt als sich selbst? Genau hierin besteht das ganze philosophische Problem eines Seins, das weniger in der Welt ist als außerhalb der Welt, wobei diese Außenwelt den Anschein zu erwecken sucht, Bestandteil der realen Welt zu sein. An diesem Punkt drängt sich uns eine Frage auf, die unbeantwortet bleiben muß. Es handelt sich um eine geradezu verrückte, in jedem Fall aber furchteinflößende Frage, die eine Herausforderung sowohl an die Wissenschaft als auch die Philosophie darstellt:
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»Wenn es keine Leere ohne Fülle, kein Licht ohne Dunkelheit gibt, kann man, muß man sich dann nicht fragen, ob der Raum ohne Materie und ohne Fläche überhaupt vorstellbar ist?« Zu einem Zeitpunkt, da die Schnittstelle der unmittelbaren Übertragung der Interaktion kurz davor steht, die alte Fläche zu beherrschen, in die sich die Handlung einschreibt, ist es da nicht an der Zeit, die Begriffe des Raums und der Leere grundlegend in Frage zu stellen, wo doch die Höchstgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen sich anschickt, die menschliche Umwelt auf kybernetische Weise umzugestalten? Wenn die Zeit das ist, was sich ohne uns ereignet, und wenn diese Zeit verschmilzt mit dem (von Epikur so bezeichneten) »Akzidens der Akzidenzien« einer Übertragung, die im Begriff steht, zu einem allgemein verbreiteten Phänomen zu werden, haben wir dann nicht die Pflicht, die klassischen Begriffe der MATERIALITÄT, der RÄUMLICHKEIT und der ZEITLICHKEIT, d. h. den Begriff der »Raumzeit-Materie«, die die modernen Physiker sich bemühen, auf eine relativistische Weise nicht nur miteinander zu verbinden, sondern zu verschmelzen bzw. miteinander zu verwechseln, nochmals einer genauen Betrachtung zu unterziehen? Wenn dies der Fall ist, dann müssen wir uns auch nochmals mit dem Begriff des UNFAI.Ls befassen, demjenigen des »Übertragungsunf,Ills«, der von nun an unser Wirklichkeitsverständnis hcsiinnnnt. An dieser Stelle möchte ich auf das Problem jener »Außenwelt« der außer-planetaren Befreiung der Mondmission sowie das jüngere der Entdeckung eines virtuellen Raums (oder CYBERSPACE) eingehen: In beiden Fällen sind wir gezwungen, ein und dieselbe Herausforderung anzunehmen, und zwar die einer plötzlichen »Entwirklichung« der Raumzeit-Materie. Hierbei
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handelt es sich nicht mehr um einen lokalen, genau im Raum der Handlung und der Gegenwart hier und jetzt eines Daseins zu situierenden Unfall, sondern um einen allgemeinen Unfall, der im globalen Maßstab jede »Gegenwart« zugunsten einer »Telepräsenz« in Frage stellt, die über keine Konsistenz, vor allem aber über keine wirkliche räumliche Position verfügt, da die Interaktion eines zugleich abwesenden und doch handelnden (fernhandelnden) Wesens über weite Entfernungen hinweg den Begriff des Daseins selbst erneuert. Im Inneren dieses virtuellen Raums, wo die mediale Kontrolle (das Feedback) den Realraum der unmittelbaren Umwelt bestimmt und ersetzt, tritt der CYBERSPACE wie ein Übertragungsunfall der substantiellen Wirklichkeit zutage. Das, was verunglückt ist, ist mit einem Mal nicht mehr die Substanz, die Materialität der sinnlich wahrnehmbaren Welt, sondern ihre gesamte Beschaffenheit. Genauso wie sich der Astronaut bei seiner Mondlandung von der Realität seiner ursprünglichen Welt freimachte, verläßt der Cybernaut vorübergehend die Realität der irdischen Raumzeit, um die kybernetische Jacke des Umweltkontrollprogramms der virtuellen Realität überzustreifen. Und trotzdem ist in beiden Fällen die Krise sowohl des »Objekts« als auch des »Subjekts« offensichtlich: das, was sich letzten Endes befreit, ist die Strecke, deren Bahn rigoros durch die unmittelbare Geschwindigkeit der Sendung und des Empfangs der Informationen kontrolliert wird, die ein Computer liefert, der plötzlich zum Ordner der sinnlich wahrnehmbaren Realität geworden ist. Folglich läßt sich feststellen, daß es die Nutzung der Höchstgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen ist, die heute die virtuelle Realität der Kybernetik ins Licht setzt, deren Realismus sich anschickt, denjenigen
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der Masse und der Fläche des Realraums unserer unmittelbaren Umwelt, diesen bevorzugten Ort jeder Handlung, die diesen Namen verdient, zu erneuern. Damit wird auch deutlich, warum neben den klassischen Intervallen der Art Raum und Zeit die zwingende Notwendigkeit der Bestimmung eines dritten und letzten »Intervalls« der Art Licht besteht. Als im Zeitalter der industriellen Revolution der Verkehrsmittel die Geographie noch die wesentlichen Bestandteile der Strecken trug, entzog sich die zunehmende Beschleunigung der relativen Geschwindigkeiten tatsächlich nicht den klassischen Gegebenheiten der »Position«, des »Standortes« und vor allem der (vektoriellen) »Richtung« der sich bewegenden Körper. Mit dem Beginn der »Informationsrevolution« der Übertragung dagegen erfordert die absolute Geschwindigkeit der Interaktion über große Entfernungen hinweg eine von der Bezugsachse der Erdanziehung unabhängige Bestimmung der Flugbahnen, um die Verwaltung des unaufhörlichen Feedbacks der unmittelbar gesendeten und empfangenen Daten gewährleisten zu können. Hieraus ergibt sich das Auftauchen jenes paradoxen Intervalls der Art »Licht« (der Lichtgeschwindigkeit), mit dessen Hilfe zugleich der Hinund Rückweg der Wellenbündel berechnet wird und vor allem die Raumbzw. Zeitintervalle relativiert werden, die doch stets sowohl die Geschichte als auch die Geographie begleitet haben. Am Ende dieses Jahrhunderts entspringt der allgemeine Unfall also der dringenden Notwendigkeit eines Intervalls mit dem Zeichen Null, um die offenkundige Unzulänglichkeit der Reichweite der traditionellen Intervalle mit positivem (Zeit) und negativem Vorzeichen (Raum) auszugleichen, d. h. es besteht die Notwendigkeit eines »fraktalen« Intervalls der Art Licht, das
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plötzlich das Binom des Zeit- und des Raummaßes aufbricht. Unser Planet ist nicht nur aufgrund der materiellen Verschmutzung der lebensnotwendigen Substanzen (der Luft, des Wasser, des Bodens ...) von Grund auf entwertet, auf eine weniger offensichtliche Weise ist er es auch aufgrund der immateriellen Verschmutzung der (dromosphärischen) Entfernungen, die uns dazu verleitet, uns insbesondere mittels der Errungenschaft der sogenannten »Fluchtgeschwindigkeit« vom »irdischen Bezugspunkt« der sinnlich wahrnehmbaren Erfahrung der Geographie freizumachen, die uns aber auch zwingt, die Bezugspunkte, den Kontakt mit den materiellen Oberflächen, zu verlieren, um unser »interaktives« Tun in die Außenwelt eines schwerelosen Raums einzuschreiben, d. h. um innerhalb der kybernetischen Bahn einer zweiten Realität unmittelbar teleagieren zu können. Da die Begriffe der Tiefe und des Volumens ihre Bedeutung nicht nur für die Materie und ihre »dritte Dimension« eingebüßt haben, sondern auch für die Realität der vierten Dimension, kommt es nunmehr zur besagten »Zeitkatastrophe« - zum Unfall der Echtzeit -, die eine Steigerung der alten »materiellen Katastrophe« darstellt, deren Spur die Zeittiefe unserer »Geologie« noch in sich trägt. Neben der dauernden Ausdehnung einer weniger zyklischen als künftig vielmehr sphärischen (dromosphärischen) Zeit, weitet sich nicht mehr nur die Tiefe der Vergangenheit aus, denn wir erleben gerade die Ausweitung der Gegenwart, einer andauernden und ausgedehnten Gegenwart jedoch, die nichts anderes ist als die blitzartige Globalisierung der Echtzeit der Telekommunikation. Mit anderen Worten, sie ist nichts anderes als die oberflächliche Zeit einer Telepräsenz, die bei uns
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heute dasselbe Erstaunen, was sage ich, dieselbe Verblüffung hervorruft, wie sie die Menschen des 18. Jahrhunderts angesichts der »geologischen« Entdeckung einer Zeittiefe von mehreren Millionen Jahren empfunden haben. Es ist übrigens merkwürdig, feststellen zu müssen, daß die »topologische« Veränderung im Wesen der Zeit, die die Relativitätstheorie schließlich beinhaltet, nicht die Historiker, sondern nur die Physiker und Astrophysiker wie Stephen Hawking und einige andere Zeitgenossen der Entdeckung eines sich ausdehnenden Universums beunruhigt hat. Allerdings hätte dieser jähe Sprung der zyklischen Zeit der ewigen Wiederkehr des Gleichen zur kosmischen Ausdehnung einer sphärischen Zeit - genauer gesagt, einer Raumzeit - nicht nur diese Wissenschaftler interessieren müssen, sondern auch die Philosophen, vorausgesetzt natürlich, die Anhänger des »historischen Materialismus« lassen sich nicht von der herrschenden Ideologie einer eindimensionalen Dauer irreleiten, d. h. der Linie jener sagittalen Zeit, deren Pfeil niemals sein Ziel erreicht, wenn wir die verdeckte Seite der Zeitlichkeit unterschlagen, ich will sagen, ihren abwesenden Teil: die Ewigkeit; jene » Ewigkeit«, von der Rimbaud sagt, daß der Mensch sie ganz bestimmt wiederfindet. Kommen wir aber zur Ausdehnung der Zeit zurück, dem Anschwellen einer Dauer, die neben dem astronomischen Zurückweichen der Vergangenheit und der wahrscheinlichen Ausdehnung der Zukunft für die Erdbewohner auch die plötzliche Globalisierung der Gegenwart bewirkt, die neue Überschwemmung durch eine »Echtzeit«, die die Erde besser verdeckt als das Wasser die Tiefen der Ozeane. Da, wo die ortsgebundene Zeit, ausgehend von unserer
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Geographie, »Geschichte gemacht hat«, zerstört die globale Zeit sie wieder, zumindest ihren gegenwärtigen Standort, denn der IRDISCHE RAUM tritt vor der Zeit zurück, allerdings vor der WELTZEIT einer unmittelbaren Trajektographie ohne Bezug zum Boden oder zur Erdoberfläche, wobei die Schnittstelle der unmittelbaren Sendung und des unmittelbaren Empfangs künftig sämtliche Oberflächen ersetzt, die die Grundlage des materiellen Raums bilden. Ich glaube, daß nur wenige Denker diese schnelle Verschiebung (diese Strecke) der Begriffe des Raums und der Zeit, die sich der Einsteinschen Relativität verdankt, zu analysieren verstanden, vor allem aber haben nur wenige von ihnen die damit zusammenhängende Erneuerung der Begriffe 'der »Masse«, der »Dauer« und der »Ausdehnung« erkannt, die für uns die unerwartete globale Ausdehnung der Gegenwart darstellt.' Da, wo die interaktiven Telekommunikationstechniken einen Raum ohne Hindernisse und damit ohne Widerstände für die beschleunigte Beförderung der Dateninformation benötigen, muß eine Art SupraleiterUmgebung entstehen, die weder irgendeines tellurischen »Bodenbezugs« noch einer geophysikalischen »Einschreibefläche« bedarf, da selbst der Bildschirm erlischt und bald ganz verschwindet, und zwar zugunsten einer ganzen Serie von Übertragungen zugleich an den Datenanzug (DATASUIT) sowie den stereoskopischen Datenhelm, der den Empfänger in einen TERMINAL-MENSCHEN verwandelt, so als sei die letzte Oberfläche oder, besser gesagt, die letzte Schnittstelle diejenige des Hinterhauptkortex! Jetzt fällt es nicht mehr schwer, sich vorzustellen, daß das Verschwinden der politischen Grenzen europa und weltweit nur die Spitze des Eisberges darstellt, mit anderen Worten, das Vorzeichen einer Zeitkatastrophe, bei der neben dem Widerstand der Entfernungen
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auch derjenige der Dimensionen des materiellen Raums versinkt und verschwindet: der Punkt, die Linie, die Fläche und das Volumen büßen in zunehmendem Maße ihre klassischen geometrischen Merkmale ein zugunsten der unvermittelten Maßlosigkeit der bereits erwähnten Supraleiter-Umgebung, einer immateriellen Umwelt, in der die Dynamik der Flüssigkeiten und Gase weniger eine des Wassers bzw. der Luft ist als vielmehr eine der Wellen, die die Informationen transportieren. Somit vollzieht sich vor unseren Augen - und es ist durchaus angebracht, dies zu betonen, denn die Wellenoptik gewinnt gegenüber der geometrischen Optik die Oberhand - die abrupte Erneuerung der Begriffe des Zentrums und der Peripherie, die sich künftig weniger auf den »Raum« der Flächen und Volumen beziehen als vielmehr auf die »Zeit«, und zwar auf die Zeit der als Echtzeit bezeichneten ausgedehnten Gegenwart, die heute weltweit bestimmend ist für das menschliche Tun. In der Tat tritt zum Ende dieses ausgehenden Jahrtausends das Zentrum des Realraums seine historische und politische Bedeutung an das Zentrum der Echtzeit ab. Da, wo die NETZARTIGE Struktur der interaktiven Telekommunikation die ZENTRALE Struktur der aktiven Kommunikation ersetzt, gewinnt. die Intensität endgültig die Oberhand gegenüber der Extensität. Durch die plötzliche, aber verborgene » Ausdehnung der Gegenwart«, einer mittels der 'Ieletechnologien globalisierten Gegenwart, besetzt die gegenwärtige Zeit nicht nur die zentrale Stelle in der Geschichte (zwischen Vergangenheit und Zukunft), sondern vor allem auch in der Geographie des GLOBUS, und zwar dergestalt, daß man den neuen Begriff der LOKALISIERUNG" kreiert hat, um diese allerletzte Zentralität der Echtzeit zu bezeichnen, die nichts anderes ist als die »Supraleiter-Umgebung«, die für die Elektrodynamik der tele
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matischen Impulse keinen Widerstand mehr darstellt und deren cw Wert null ist, da sie lediglich das spektakuläre Offenbarwerden der Eigenschaften jenes dritten und letzten Intervalls mit dem Vorzeichen Null ist, von dem die Physiker heute sprechen! Die GEGENWART, die sich also dergestalt über den gesamten »irdischen Raum« ausgedehnt hat, daß der Wechsel von Tag und Nacht als normales Richtmaß der ortsgebundenen Zeit überholt ist, ist folglich diejenige des »Lichts« oder, genauer gesagt, der LICHTZEIT, die sich künftig gegenüber der MATERIE-ZEIT der Flächen, Massen oder Orte durchsetzt. Angesichts dieser weltweiten Entfaltung der gegenwärtigen Zeit erinnert man sich plötzlich an eine oftmals unberücksichtigt gebliebene Dimension der Einsteinschen Relativitätstheorie, und zwar die der EWIGEN GEGENWART. Merkwürdigerweise ist dieser unvermeidliche Begriff vergessen oder wahrscheinlich sogar unterschlagen worden, obwohl er in ganz hervorragender Weise deutlich macht, warum Einstein, genau wie Edwin Hubble und einige andere auch, sich weigerte, das Prinzip der universellen Ausdehnung des Universums anzuerkennen. Wenn es nämlich jemanden gibt, der weder Anhänger der »Konstanz« noch eines »stationären« Universums ist, dann wohl Einstein, der zu Recht äußerte: Im Universum steht nichtsfest! Sicher ist er der Letzte, den man, entgegen einer weit verbreiteten Praxis, der geistigen Trägheit bezichtigen könnte! Warum muß diese Ablehnung des »inflationären« Phänomens, das aus dem BIG BANG hervorgegangen ist, eigentlich mittels einer immer wieder aufs neue vorgebrachten nachträglichen Unterstellung so negativ gedeutet werden? Für Einstein ist die Gegenwart bereits »das Zentrum der Zeit«, die Vergangenheit des ursprünglichen BIG
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Bang dagegen ist nicht dieses alte Zentrum, kann es wissenschaftlich gesehen nicht sein. Das wirkliche Zentrum ist immer neu, es ist immerwährend, oder noch genauer gesagt, die »Gegenwart« ist eine EWIGE GEGENWART. Einstein ersetzt die drei aufeinanderfolgenden (chronologischen) Zeiten - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft - durch eine (chronoskopische oder dromoskopische) Belichtungszeit - unterbelichtet, belichtet, überbelichtet. Ihm zufolge ist der Zeitpfeil ein Lichtpfeil, der nicht identisch sein kann mit dem magische Pfeil des kosmischen Bogenschützen. Hieraus erklärt sich sein Verfahren der »kinematischen Optik« und seine Vorwegnahme der vielzitierten Gravitations-Täuschungen sowie anderer astrophysikalischer Abweichungen, die, ausgehend von der absoluten Höchstgeschwindigkeit sowohl des Lichts als auch der universellen Anziehung, d. h. 300000 Kilometer pro Sekunde, das Sehen und insbesondere die wissenschaftliche Interpretation des menschlichen Beobachters regeln. Das Zentrum der Zeit wäre demnach also das LICHT, die Geschwindigkeit der Wellen, die die Informationen transportieren. Folglich geht es nicht mehr darum, die Jahre oder Jahrhunderte auf der Grundlage des traditionellen Wechsels von Tag und Nacht zu zählen, sondern es geht nunmehr darum, die »Wissenschaft der Zeit« auf der Mauer der Beschleunigung, d. h. jener LICHTZEITMAUER zu begründen, die sowohl die »Ausdehnung« als auch die »Dauer« der dem Alterungsprozeß unterliegenden Phänomene der MATERIE-ZErr regelt. Da diese zwar endliche, aber absolute Geschwindigkeit tatsächlich kein Phänomen an sich ist, sondern die Relation zwischen den Phänomenen, kann das RAUMZEITLICHE KONTINUUM kein »Zentrum« - und erst
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recht keinen Ursprung - außerhalb der Relativität selbst besitzen, anders gesagt, außerhalb der »Lichtgeschwindigkeit« einer Belichtungszeit, die sich gegen die chronologische, historische und klassische Zeit durchsetzt. »Gebt mir die Intuition der Gegenwart, Ihr bekommt Vergangenheit und Zukunft«, forderte der Begründer des Transzendentalismus, Emerson. Stoppuhr oder Tachometer? Wie sollte es heute noch möglich sein, das lineare und vergängliche Wesen der Zeit nicht anzufechten? Dieser Zeit, die vergeht, dieses Laufs des Chronos, der sich an denjenigen der Sonne anlehnt und der durch die Pendelbewegungen der Uhr weniger logisch veranschaulicht als mechanisch dargestellt wird. Diejenigen, die an nichts anderem leiden als daran, daß die Tage vorübergehen, können unbesorgt sein: in Zukunft wird die Gegenwart nicht mehr vorübergehen, beinahe jedenfalls. Die auf die Dimensionen des Raums der Erde ausgedehnte Weltzeit läßt auf unseren Bildschirmen eine andere Zeitordnung erkennen, die weder am chronographischen Ablauf des Ziffernblattes unserer Uhren noch am chronologischen Ablauf der Geschichte orientiert ist. Die immerwährende Gegenwart, die aufgrund der durch unsere Kommunikationstechniken verursachten Erschütterung maßlos angeschwollen ist, dient plötzlich der Beleuchtung der Dauer. Indem der endlose Tag des Empfangs der Ereignisse den Wechsel von Nacht und Tag, nach dem sich früher unsere Ephemeriden ausrichteten, erneuert, erzeugt er eine unmittelbare Beleuchtung der Realität, die die gewöhnliche
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Bedeutung der Aufeinanderfolge der Fakten im Dunkeln läßt. Ihr Ablauf verliert langsam jede mnemotechnische Bewandtnis zugunsten der Blendung dieses Hyperzentrums der Zeit, das die Direktübertragung und der Direktempfang der Information so gut veranschaulicht. In seinen Erinnerungen, in denen er die erste Mondlandung beschreibt, bestätigt Buzz Aldrin auf seine Weise diese Entwertung des Sonnenlichts. Schenken wir seinen Worten unsere Aufmerksamkeit, die er von der Oberfläche des nächtlichen Sterns aus sprach: »Auch das Licht ist merkwürdig. Ohne die Atmosphäre verschwindet das Phänomen der Lichtbrechung, so daß man direkt und übergangslos von der totalen Finsternis ins Licht überwechselt. Wenn ich den Arm ausstrecke, um ihn in die Sonne zu halten, habe ich den Eindruck, die Schranke in eine andere Dimension zu überschreiten.« Es scheint, als seien Schatten und Licht für den Astronauten deshalb zwei neue Dimensionen, weil es für ihn keinen Übergang mehr gibt, wobei der Verlust der durch die Atmosphäre bedingten Lichtbrechung eine andere Realitätswahrnehmung bedingt. Auch wir Erdbewohner erleben ain Ende dieses Jahrhunderts denselben »Verlust des Übergangs«, und der plötzliche Bedeutungsschwund der Brechung des Sonnenlichts führt dazu, die verschiedenen Lichtintensitäten in Frage zu stellen, die vor der Erfindung der Elektrizität kennzeichnend waren für die Stunden des Tages oder die Tage des Jahres. Unter der Beleuchtung des indirekten Lichts der Bildschirme und anderer optoelektronischer Übertragungsformen von Ereignissen erlischt die Zeit der chronologischen Abfolge zugunsten einer chronoskopischen Zeit der unmittelbaren Belichtung, die der Härte des
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»Scheinwerferlichts« verwandt ist, von dem Aldrin sagt: »Auf dem Mond leuchtet die Sonne wie ein riesiger Scheinwerfer.« Auch wenn es sich natürlich immer um dieselbe »Sonne« handelt, so handelt es sich doch weder um dasselbe »Licht« noch um dieselbe »Zeit«. In der Tat ist die Zeit der Erde und ihrer Materie nicht mit der Lichtzeit identisch, die für die Teilnehmer an der Mondmission leuchtet, denn der durch die Atmosphäre bedingte Übergang ist verschwunden und mit ihm die Überblendung der optischen Brechung, die in der dünnen Gasschicht ihre Voraussetzung hat, dank derer wir nicht nur atmen - und damit leben -, sondern auch die Zeit berechnen, und zwar mittels des Übergangscharakters der Tage, Stunden oder Minuten, anders ausgedrückt, der sequentielle Ablauf unserer irdischen Zeit ist immer nur ein »Artefakt«, ein Film des Himmels und seiner Meteorologie. Als bereitwillige Opfer des »totalen MachbarkeitsSyndroms« , einer anderen Form des »Größenwahns«, waren unsere Astronauten die ersten, die eine Vorstel lung vom ALLGEMEINEN UNFALL erhielten, der uns allen hier auf der Erde, in diesem bereits präsenten Morgen der immerwährenden Gegenwart der Techniken der Echtzeit, bevorsteht. So war sich Armstrong nach seiner Rückkehr auf die Erde durchaus darüber bewußt, daß er das, was er »da oben« tat, in Wahrheit nicht wirklich erlebt, sondern nur ausgeführt hat. Acht lange Jahre, von 1971 bis 1979, sollte sich der erste Mensch, der seinen Fuß auf den Mond gesetzt hat, mit seiner Familie auf eine Farm in seiner Heimat Ohio zurückziehen. Und Collins, der dritte Teilnehmer der Apollo ii-Mission, hat das merkwürdige Gefühl, sowohl auf der Erde als auch auf dem Mond zugleich anwesend und abwesend gewesen zu sein,
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d. h., er erprobte für uns den Verlust des HIC ET NUNC, diesen totalen und glücklicherweise nur vorübergehenden Verlust des räumlichen Bezugs. Aldrin wurde nach zwei Depressionen, mehreren Entziehungskuren und einer Scheidung in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Es scheint, als seien die beiden berühmtesten Besatzungen der neuesten Geschichte, diejenige des Atombombers Enola Gay und diejenige der WeltraumKapsel Apollo 11, die Propheten der unglücklichen Zukunft der Menschheit gewesen. Schenken wir an dieser Stelle der Aussage des schmerzlich vermißten Jacques Ellul in bezug auf die zugleich physische und metaphysische Beziehung zwischen »Licht« und »Dauer« unsere Aufmerksamkeit: »Wenn in der Genesis steht, daß Gott zuerst das Licht schuf, will sie uns dann damit nicht. zu verstehen geben, daß es sich um die »Schöpfung der Zeit« handelt, weil Licht und Zeit unlösbar miteinander verbunden sind?«`' Und etwas weiter unten fährt er fort: »Das aus der Wahrheit hervorgegangene Licht führt buchstäblich zur Realität, denn im Text der Genesis steht, daß es die Erscheinung der Zeit ist.« Rührt man am Licht, an der Beleuchtung der Welt, dann faßt man also die Realität. Das Fehlen eines beleuchteten Ortes mündet in der Entstehung der Zeit, jener sinnlich wahrnehmbaren Zeit, ohne die es keine Realität des Ereignisses gibt. Was die Wahrheit betrifft, sie ist etwas anderes, etwas ganz anderes als die Wahrheit der vorgeblichen Wirksamkeit der Informationswissenschaften und -techniken. Aus diesem Umstand erklären sich auch die Wahrnehmungsstörungen, das pathologische Verhalten sowohl der schwerelosen Astronauten als auch
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unserer Zeitgenossen, die gegen ihren Willen einer technischen Vorherrschaft unterworfen sind, von der Jacques Ellul sagt, sie sei die größte Versuchung unserer Zivilisation: »Der Versuch der Verwechslung zwi schen REALITÄT und WAHRHEIT besteht darin, uns weiszumachen, daß das REALE und das WAHRE in ein und derselben Wahrheit zusammenfallen. « 10 Wenn jedoch diese Verwechslung nicht mehr nur die Sprache und die eine oder andere spekulative Praxis betrifft, sondern die Schlüsselbegriffe »Zeitlichkeit« und »Räumlichkeit«, dann erhält die Verwechslung ein babylonisches Ausmaß, und das, was fürderhin zu einer Bedrohung wird, ist die räumliche, vor allem aber die zeitliche Desorientierung. Schwindel einer vergangenen Gegenwart oder einer schon präsenten, schon gesehenen und schon gegebenen Zukunft, eine weniger UTOPISCHE als vielmehr TELETOPISCHE Situation, die ganz entscheidend den Begriff des Standorts und damit das Dasein in der Welt beeinträchtigt. Wenn Neil Armstrong beispielsweise meint, eine Aufgabe ausgeführt, sie aber niemals wirklich erlebt zu haben, oder wenn Mike Collins das merkwürdige Gefühl einer doppelten Abwesenheit befällt, dann weisen beide auf die verhängnisvolle Verwechslung hin, die zur Spaltung der Persönlichkeit des Subjekts führt, welche kennzeichnend ist für die Traumzustände der Trunkenheit oder der vorübergehenden Wahnvorstellungen unter Narkose, in erster Linie aber der Dementia praecox. Kann man behaupten, daß dieser plötzliche Bruch mit der konkreten Wirklichkeit für unsere Raumfahrer das Ergebnis der langen Strecke ist, die sie auf ihrem Flug zum Mond zurücklegen müssen, oder hat die Dauer der Mond-Mission bei ihnen diese Narkose der kosmischen Tiefen verursacht? Sicher nicht. Ein
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jeder wird mit mir ohne zu zögern darin übereinstimmen, daß die langen Seereisen eines Magellan weit länger dauerten als dieser kurze Ausflug, dieser Wochenendausflug auf den Mond. Nein, der Schwindel entspringt einzig und allein der Loslösung von der Erde, dem Verlust der Bezugspunkte sui generis der spezifischen Raumzeit der Erde. Anders gesagt, er entspringt der Loslösung von ihrem »Licht«, einer LICHT-MATERIE, die sowohl die Zeit als auch den Raum des »irdischen Lebensraums« betrifft, dessen Gravitation sogar unsere Physiologie geprägt hat. Somit wird leichter verständlich, daß wenn der Begriff der Information heute dazu tendiert, die klassischen Begriffe der Masse und Energie zu beherrschen, dies einzig und allein daran liegt, daß sie sich auf den Begriff der absoluten Geschwindigkeit bezieht oder, genauer gesagt, auf den der Höchstgeschwindigkeit des Lichts. Demzufolge erscheint es angebracht, nochmals auf die Definition jener LICHTGESCHWINDIGKEIT zurückzukommen, die über jede räumliche oder zeitliche »Tiefe« informiert. In der Tat, wenn die Licht-Materie eine angemessene Form der Aneignungen des Raums ist, der durch das besondere Licht der »ErdeMaterie« wahrnehmbar gemacht wird, dann ist die Lichtzeit eine maßgebliche Form der Aneignungen der Zeit, die durch die Geschwindigkeit des Lichts in der Leere sinnlich wahrnehmbar gemacht wird, wobei sich die Beschleunigungsunterschiede leicht mittels der verschiedenen Dichten der im Universum vorhandenen Materie erklären lassen. Wenn sich somit der Raum und die Zeit der Materie vereinigen, um ein relativistisches Kontinuum zu bilden, dann sollte man hinzufügen, daß eben diese Begriffe sich auch in der Zeit der Information vermischen was der Begriff der Echtzeit belegt. Folglich muß man
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von nun an berücksichtigen, daß die Zeit des Lichts und der Raum der Materie (seine Dichte) eine vertauschte Wechselbeziehung herstellen, bei der die Verringerung der materiellen Dichte einer Beschleunigung der genannten »Information« gleichkommt, während die Vergrößerung eben dieser Dichte ihrer Verlangsamung entspricht ..., und das bis hin zur größtmöglichen Härte-Beständigkeit der mineralischen Welt des Diamanten. Schenken wir nun der Weltsicht von Louis de Broglie, dem Autor von »Matiere et lumiere«, unsere Aufmerksamkeit: »Wir könnten annehmen, daß am Anfang der Zeit, kurz nach einem beliebigen göttlichen FIAT Lux, das Licht, das zunächst allein auf der Welt war, mittels zunehmender Kondensation langsam das materielle Universum erzeugt hat, so wie wir es heute dank seiner betrachten können.«'1 Trotzdem entspricht in dieser ganz und gar anthropischen Beschwörung des »großen Kondensators« der Begriff des Lichts schließlich merkwürdigerweise dem des kosmischen Lichts, obwohl de Broglie besser als jeder andere weiß, daß dieses LICHT dasjenige seiner GESCHWINDIGKEIT ist und damit dasjenige der » dromosphärischen« Kondensation der RAUMZEIT-MATERIE. Gibt sich die Zeit niemals außerhalb des Alterungsprozesses der Strukturen der Materie zu erkennen, so erlaubt es die Geschwindigkeit der Lichtzeit im Gegensatz dazu, nicht nur die Erde zu sehen und wahrzunehmen, sondern auch jenes »Universum«, das uns, die wir durch die souveräne Beschleunigung einer universellen Gravitation geprägt sind, die exakt mit derjenigen des Lichts in der Leere übereinstimmt, nicht weniger umgibt, als der Raum uns enthält.
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»Eine Stunde ist ein See. Ein Tag ein Meer, die Nacht eine Ewigkeit«, stellte Joseph Roth kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1938 verbittert fest. In seiner Folge mußte man zwangsläufig den Stillstand einer »gegenwärtigen« Zeit entdecken, der mit der Unbeweglichkeit der Orte verschmolz. Wenn die relative Geschwindigkeit letztlich für das Alter des Menschen, den beschleunigten Alterungsprozeß seiner Zellen steht, dann stellt die absolute Geschwindigkeit für ihn jene Krankheit dar, die einen Säugling zu einem Greis macht und als PROGERIA bezeichnet wird." Wenn die Intensität des echtzeitlichen Augenblicks tatsächlich die Oberhand über die Dichte der Ausdehnung des Realraums gewinnt, dann erstarrt jede Dauer und der Stillstand erreicht ungeheure Ausmaße. Mit einem Mal ist die Bewegungslosigkeit nicht mehr diejenige der Wasseroberfläche eines Sees oder der Zeittiefe der Mineralien, sondern diejenige aller möglichen Strecken. Durch die Abriegelung des sichtbaren Horizonts versperrt die Lichtzeitmauer von nun an auch den Handlungshorizont, d. h. die Realität eines Raums, in dem jede Zeitfolge verschwindet und in dem die Stunden und Tage nicht mehr zu vergehen und die Flächen sich nicht mehr auszudehnen scheinen: was sich gestern hier oder dort ereignete, kommt nun überall gleichzeitig vor. Der Unfall der Unfälle gelangt im Augenblick zur Allgemeingültigkeit, und das Zentrum der Zeit - die immerwährende Gegenwart - beherrscht endgültig dasjenige des feststehenden Raums, so daß es das Hier nicht mehr gibt und alles jetzt ist ... Das Hyperzentrum der intensiven Zeit der wellengeleiteten Wirklichkeit setzt sich ein für alle Mal gegen die frühere Zentralität des extensiven Raums der Territorien durch. Von diesem Augenblick an ist »die Summe des Lichts die Welt« (Jacques Roubaud).
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Wir sollten uns jetzt der Frage widmen, wie in naher Zukunft eine Seßhaftigkeit nicht mehr im Rahmen der Örtlichkeit eines Stadtviertels, einer Stadt oder einer Region, sondern im Rahmen der Zeit eines immerwährenden Fortbestands der Gegenwart aussehen könnte: dem zeitgenössischen Menschen gelingt nichts mehr. Das ist das Syndrom des totalen Gelingens, unter dem, man wird sich daran erinnern, bereits die Astronauten bei ihrer Rückkehr von ihrer Weltraumreise litten. Auch wenn das einengende Hier in der Fluchtgeschwindigkeit der Fernhandlung - der Teleaktion - zu existieren aufgehört hat, so bleibt nichtsdestoweniger das JETZT erhalten, ein allmächtiges und alles sehendes Jetzt, dessen Unerbittlichkeit sich nicht mit derjenigen der antiken Standortbestimmung des HIC ET NUNC vergleichen läßt. Von nun an ist der Bruch zwischen dem ORT und der STUNDE also perfekt. Die allgmeine Ankunft der Übertragungen ersetzt jetzt die eingeschränkte Ankunft der Verkehrsmittel. Wenn Josua, der Mann Gottes, den Lauf der Sonne anhielt, dann bringt heute der Wissenschaftler die Erde zum Stillstand! Ein »Standbild«, dessen interaktive Erfahrung der allgemeinen Teleaktion in Zukunft die lebenslängliche Verurteilung der Ausdehnung des Welt-Raums zum ausschließlichen Nutzen der Weltzeit des echtzeitlichen Augenblicks noch verlängern wird. Ganz in diesem Sinne ist die Warnung eines Joseph Roth zu verstehen, dessen Gefühl einer Flucht nach vorn mit dem Gefühl des Stillstands bei Kafka vergleichbar ist: »Die Welt, in der es sich noch lohnte zu leben, war dem Untergang geweiht. Die Welt, die ihr folgen würde, verdiente es nicht, bewohnt zu werden.« 13 Nein, das, was trotz allem bewohnbar bleiben wird, das ist die »Stadt«, nicht die Stadt aus der Anfangszeit der
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Verstädterung des Realraums der Kontinente, sondern die »Stadt der Städte« einer durch und durch transpolitisch gewordenen Welt, in der die Synözie nicht mehr wie einst in Griechenland im Zusammenschluß mehrerer Dörfer zu einer einzigen kosmopolitischen STADT bestehen wird, sondern im Beisammensein, was sage ich, im Zusammenprall sämtlicher Städte in einer einzigen, weniger metropolitanen als vielmehr omnipolitanen KAPITALE, die der einsame Triumph einer Seßhaftigkeit ohne Hinterland ist, durch den die Information die Masse und die Ausdehnung gleichermaßen beherrscht. Damit wird das Hyperzentrum der gegenwärtigen Zeit seinerseits zur einzigen Bezugsachse des weltweiten Handelns. Diese Axis MUNDI ist dazu in der Lage, jede Art der »Zentralisierung« zu vernichten, und zwar sowohl die städtische als auch die menschliche: »Der Mensch des Wissenschaftszeitalters verliert seine Fähigkeit, sich als Energiezentrum zu fühlen«, bemerkte Paul Valery. Ich habe bereits erwähnt, daß es seit kurzem ein neues Wort gibt, mit dem man versucht, das offensichtliche Paradox der Vermischung zwischen der ortsgebundenen Zeit eines noch exakt situierbaren Tuns und der globalen Zeit der allgemeinen Interaktivität zu benennen. Hierbei handelt es sich um den Begriff der GLOKALISIERUNG, der sich, wie man ahnt, weniger auf »multinationale« Unternehmen bezieht, die dazu in der Lage sind, ihre Geschäfte im Rahmen der beiden Dimensionen einer globalisierten Produktion und Distribution zu verwalten, als vielmehr auf jenes virtuelle GLOBALE DORF, das bereits sowohl das »geographische« Zentrum sämtlicher in ihm vereinigten realen Ballungsräume enthält als auch das »zeitliche« Hyperzentrum der Telekommunikation, die es ihm ermöglichen, über große Entfernungen hinweg zu existieren,
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d. h., sich den anderen Städten gegenwärtig zu machen, und das insbesondere dank der Errungenschaften der aufgeteilten Zeit, die heute an die Stelle der geopolitischen Aufteilung des territorialen Raums tritt, weil von nun an jede reale Stadt nichts anderes ist als die abgelegene Peripherie, die weit ausgelagerte Vorstadt jener virtuellen Stadt, von der sie vollkommen oder, eher noch, »glokal« beherrscht wird. Als eigentlicher Adressat des TELEKONTINENTS, der sich der im gleichen Maße wie die Staatsgrenzen entwerteten Fläche der KONTINENTE aufdrängt, vollendet die TELETOPISCHE METASTADT die Perfektion jener Art des »Zusammenlebens«, das einst durch die Erfindung Athens begonnen hatte. Mit dem Unterschied allerdings, daß es sich nicht mehr um den Aufschwung einer SYNÖZIE innerhalb des geographischen Raums handelt, die das Resultat einer räumlichen Konzeption des Politischen war, der IsONOMIE, des Stadtzentrums, das seine Autonomie bedeutete, sondern um eine zeitliche und transpolitische Auffassung: die ISOCHRONIE, bei der das Zentrum der Echtzeit genau die Rolle spielt, die einst das Zentrum des Realraums der griechischen Polfis innehatte: jene KRATOS (griech. »Kraft, Stärke«), der symbolisch die Achse der Welt darstellte, die Welt der Mutter Erde (Gabi), deren Autonomie und Stabilität lediglich durch ihre geozentristische Position inmitten eines Kosmos gewährleistet war, in dem die vertikale Loslösung vom Boden, d. h. das Abheben, zugleich technisch unmöglich und, wenn man nach den hebräischen Texten geht, in denen der Schatten des Turms von Babel zu erkennen ist, verboten war.
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Anmerkungen
Offener Himmel 1 Dies ist beispielsweise die 1991 veröffentlichte Theorie von Profes sor R.,1. Taylor, dem Direktor der Universität von Sussex, und von Alexander Abian vom Fachbereich Mathematik an der Universität von Iowa. 2 G. Cohen-Tannoudji und M. Spiro, La matiere-espace-temps, Paris 1986. 3 Les chemins de la science, Paris o. J., S. g. Das dritte Intervall 1 Train ä Grande Vitesse; der französische Vorläufer des deutschen Intercity-Zuges. (AdÜ) 2 G. Cohen-Tannoudji/M. Spiro, La matiere-espace-temps, Paris 1986. 3 Zitiert nach Giuseppe Bufo, Nicolas de Cues, Paris (Seghers) 1964. 4 Paul Virilio, Rasender Stilb'tand, München 1992. Die Perspektive der Echtzeit 1 Edmund Husserl, La teere ne se meut pas, Paris 1989. Die Erde bewegt sich nicht wurde 1934 verfaßt und im Jahre 1940 von Alfred Schütz in der amerikanischen Zeitschrift Philosophy anal Phenomenological Research veröffentlicht. 2 Paul Virilio, L'espace critique, Paris 1984. 3 G. C. Argan / R. Wittkower, Perspective et histoire au Quattrocento, Paris 1990. 4 Auguste Rodin, L'Art. Entretiens reunis par G. Gsell, Paris 1911. 5 Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966, 5.239. 6 M. Dufourneaux, L'attrait du vide, Paris 1967. 7 Die Fallschirmspringer, diese Spezialisten des freien Falls, tragen häufig einen kleinen Talkbeutel oder eine kleine Rakete bei sich, um den Zuschauern am Boden die Fallinie besser veranschauli chen zu könnten, bevor sie den Fallschirm öffnen.
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Das Gesetz der Nähe 1 J.-L. Marion, L'idole et la distance, Paris o. J., S. 206. 2 Der Begriff » Echtzeit« entspricht dem Primat der Lichtgeschwin digkeit, der immer noch begrenzten Höchstgeschwindigkeit, die seit Einstein eine der kosmologischen Konstanten darstellt. Graue Ökologie 1 )Dröme Cardan, Ma vie, Paris 1992. 2 Karl Kraus, Sprüche und Widersprüche, in: Aphorismen, Frankfurt am Main 1986, S. 161. 3 Gerard d'Aboville, Seul, Paris 1992. 4 Franz Kafka, Briefe an Milena, Frankfurt am Main 1983, S. 316. 5 Scott Carpenter, Le tour du monde en 8o minutes, Paris 1962. Kontinentalverschiebung 1 Der Durchschnittslohn einer Arbeiterin betrug in Portugal umgerechnet etwa 53o DM, während er in Frankreich umgerechnet bei ca. 2 too DM lag. 2 Dieser Begriff stammt von Marco Bertozzi. 3 Hierfür war der Wahlerfolg des Medienmoguls Berlusconi und seiner »Forza Italia« in Italien ein eindeutiger Beleg. 4 Janet Abrams, Lieux de travail mobile. 5 Janet Abrams, op. cit. 6 Dieser Ausdruck stammt von Emmanuel Monod, einem Ingenieur von IBM. Die Begehrlichkeit der Augen 1 L'Equilibre en pesanteur et en impesanteur, Paris 1987. 2 Les metaphores du virtuel, IMAGINA 1992, hg. vom Ministere fran~ais de la culture et de la communication. 3 op. cit. 4 Die Cite des sciences et de l' industrie in La Villette, kurz La Villette genannt, ist ein riesiger Technologie-Park im Nordosten von
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Paris, in dem sich die Geode befindet. Die Ghode ist ein 31io runder Kinosaal, dessen Innenwand die Leinwand bildet. (Ad 0) 5 Paul Virilio: L'operation de la cataracte, in: Les cahiers du cinema, August 1986. 6 Briefwechsel des französischen Königs Henri IV 7 Dokument der DGA/DRET, Juni 1992. 8 La recherche, Februar 1991. 9 La recherche, September 1992. 10 »Le cerveau en temps rhel«, in: La Recherche, September 1992.
Von der Perversion zur sexuellen Diversion 1 »Ich möchte gerne Kinder haben, aber nicht auf dem Hals«, heißt es in einem Werbeslogan des Reiseveranstalters »Nouvelles Fron tieres«. 2 Im alten China war die Entführung im Brautwagen ein wesentli cher Bestandteil der Hochzeitszeremonie. 3 Dan Urry, Les machines d proteine, in: Pour la science, Februar 1995. 4 Paul Virilio, Der negative Horizont. Bewegung, Geschwindigkeit, Be schleunigung, München 1989. 5 Saint-Pol Roux, Vitesse, Paris 1973. 6 Arthur Schopenhauer, Metaphysik der Geschlechtsliebe, in: Die Welt als Wille und Vorstellung, Zürich 1977, 2. Band, S. 655 7 Arthur Schopenhauer, a.a.O., S. 628. 8 Arthur Schopenhauer, a.a.O., S. 655 9 Arthur Schopenhauer, a.a.O., S. 625/26. 10 »En attendant«, Lettre d'infrmation de la Maison de toutes les chime res, Nr. 3, Dezember 1994. 11 Samt-Pol Roux, Cinema vivant, Paris 1972. 12 Le Monde, 23. Februar 1994. 13 P. Georges, Le Cybersexe ä l' index, in: Le Monde, 15. März 1995.
Fluchtgeschwindigkeit 1 Victor Segalen, 1iquipee, Paris o. J., S. 112. 2 Victor Segalen, a.a.O., S. 57. 3 Akzidens: Hinzukommendes; zu lat, accidere: sich ereignen. 4 Buzz Aldrin, Les hommes qui venaient de la terre. 5 Stephen Jay-Gould, Aux racines du temps
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6 Ein Ausdruck aus dem Bereich der Raumfahrt, der die Technik für die Bestimmung der Flugbahnen von Raumfahrzeugen bezeichnet. (Adti) 7 In früherer Zeit, als die Ortszeit historisch vorherrschend war, schien der Begriff der Oberfläche auszureichen. Heute dagegen, im Zeitalter der globalen Zeit, gewinnt der Begriff der Schnittstelle die Oberhand. 8 Dieser angelsächsische Begriff bezeichnet den Sachverhalt, daß das Globale nunmehr untrennbar mit dem Lokalen verbunden ist. 9 Jacques Ellul, La Parole humilide. 10 Ebd. 11 Louis de Broglie, Physique et microphysique, Paris o.J. 12 Progeria: vorzeitiger Eintritt des Greisenalters, von dem heute ein Kind pro 250000 Geburten betroffen ist. 13 Joseph Roth, Radetzkymarsch, Köln ig8q, S. 182.
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