FLATLINERS Ein Roman von LEONORE FLEISCHER nach dem Drehbuch von PETER FILARDI
Leonore Fleischer
FLATLINERS Der Roma...
85 downloads
442 Views
801KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
FLATLINERS Ein Roman von LEONORE FLEISCHER nach dem Drehbuch von PETER FILARDI
Leonore Fleischer
FLATLINERS Der Roman zum Film Ins Deutsche übertragen von Wolfgang Neuhaus
Scanned by Doc Gonzo
Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Allgemeine Reihe Band 13312 Erste Auflage: Dezember 1990 Zweite Auflage: April 1991 Dritte Auflage: August 1991 Vierte Auflage: Oktober 1991 Fünfte Auflage: März 1992 Sechste Auflage: September 1992 Siebte Auflage: Juni 1993 Achte Auflage: Juni 1995 Columbia Pictures präsentiert Eine Stonebridge Entertainment Production Einen Joel Schumacher Film: FLATLINERS Kiefer Sutherland, Julia Roberts, William Baldwin, Oliver Platt und Kevin Bacon. Musik: James Newton Howard; Schnitt: Robert Brown; Kamera: Jan de Bont; Ausführende Produzenten: Scott Rudin, Michael Rachmil, Peter Filardi; Buch: Peter Filardi Produktion: Michael Douglas und Rick Bieber Regie: Joel Schumacher Im Verleih der Columbia Tri-Star FLATLINERS a novel by Leonore Fleischer based on the motion picture written by Peter Filardi © Copyright 1990 by Columbia Pictures Industries, Inc. All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1990 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Flatliners Lektorat: Edgar Bracht Titelfoto: Columbia Tri-Star Film GmbH Umschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg Satz: KCS GmbH, 2110 Buchholz/Hamburg Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Fleche, Frankreich Printed in France ISBN 3-404-13312-9
Prolog Schon vor vielen Jahren hatte sich der Gedanke in seinem Hirn eingenistet. Damals war er zwölf Jahre alt gewesen; ein hochintelligentes, von seltsamer innerer Unruhe erfülltes frühreifes Kind ohne Freunde, aber mit außergewöhnlich stark entwickelter, hyperaktiver Vorstellungskraft und Phantasie. Stunden um Stunden verbrachte er allein in der Bibliothek der Anstalt; nie las er, nie spielte er, nie hörte er Musik — meist saß er vor dem einzigen Personalcomputer, der den dreihundert als schwer erziehbar eingestuften Jungen zur Verfügung stand, und tippte hektisch auf der Tastatur, starrte auf den Monitor, stellte dem Gerät Fragen, auf die es keine Antworten gab. »Was ist das Geheimnis des Lebens?« befragte er den Computer, aber das Gerät blieb stumm. »Wird das Gute über das Böse siegen?« — »Gibt es einen Gott? — »Existiert intelligentes Leben auf fremden Planeten?« Und schließlich die quälendsten Fragen von allen: »Was geschieht nach dem Tod?« — »Warum kann ich nicht ewig leben?« Falls der Computer die Antworten wußte — so verschwieg er sie. Und in den dicken Bibliothekskatalogen war keine Software verzeichnet, mit deren Hilfe man das Gerät zum Reden hätte bringen können; genausowenig konnte der Zwölfjährige ein Paßwort finden, um in die Geheimnisse des PCs einzudringen. Er starrte auf den Monitor, bis seine Augen schmerzten; jene seltsamen blaßgrünen Augen, in denen sich tiefe Verzweiflung spiegelte, während er vergeblich auf Antworten wartete; sein weizenblondes Haar war zerwühlt und dunkel von Schweiß, und heiße Wut verzerrte seine weichen, jungenhaften Gesichtszüge. Bis er schließlich, zitternd und erschöpft, vor dem spöttischen Schweigen des Computers kapitulierte und sich einem anderen komplizierten Spiel zuwandte, einem Spiel mit Kerkern und Drachen, Schwert und Magie, bei dem er sämtliche Rollen übernahm und alle Waffen, alle Macht, alle Geheimnisse in seiner Hand vereinte. Aber in der Nacht, wenn er im gedrängt vollen Schlafsaal allein in seinem gräßlichen Kinderbett lag, auf dieser schwan-
7
kenden Insel inmitten eines Meeres voller Ungeheuer, richtete sich all seine geistige Kraft immer wieder unwillkürlich auf den Tod — voller Haß, voller Furcht und in dem bitterem Eingeständnis seiner Unabwendbarkeit. Ja, eines Tages würde der Tod sogar ihn besiegen, würde ihn dazu verdammen, irgendwo einsam und vergessen in der feuchten Erde zu liegen; das Fleisch würde ihm von den Knochen faulen, sein Haar und die Nägel eine Zeitlang weiter wachsen, während das kostbare Ich, das er einst gewesen war, sich in ein Skelett und schließlich in ein Nichts verwandelte. Er würde nichts mehr sehen, nichts mehr fühlen, nichts mehr wissen. Es waren quälende Gedanken, die der zwölfjährige Junge aber nicht verdrängen, nicht abwenden konnte, im Gegenteil, Nacht für Nacht kehrten sie zurück, begleitet von gräßlichen Bildern, die ihm körperliche Übelkeit bereiteten. In seiner Vorstellungswelt war das Leben wie ein endloses Fließband; alle Menschen auf Erden standen darauf, in einer einzigen, gigantischen Kette und in der Reihenfolge ihres Todes. Kleine Kinder und alte Leute, kräftige junge Männer und hübsche Frauen, wahllos und bunt zusammengewürfelt und nur durch die Gewißheit ihres Todes miteinander verbunden. Und das Fließband rollte und rollte, trug einen nach dem anderen fort, unerbittlich, unaufhaltsam, immerwährend und ohne das Tempo zu verlangsamen. Und wenn dieses Fließband des Lebens die große Endstation TOD erreichte, kippte es seine Passagiere in die Tiefe. Ohne Würde, ohne Mitleid, ohne Gnade. Und ohne Rückfahrkarte. Schluß. Aus. Was aber, wenn der Tod gar nicht das unwiderrufliche Ende bedeutete? Was, wenn dort draußen irgend etwas war, mehr als das Nichts? Was, wenn es ihm selbst eines Tages gelingen würde, als erster einen Blick auf dieses Etwas zu werfen und dann mit einer Antwort auf all jene Fragen zurückzukehren, mit denen sich Generationen von Forschern, Denkern und Philosophen beschäftigt hatten, Fragen, die dem Menschen Angst eingejagt hatten, seit er ein vernunftbegabtes Wesen war? Der Tod konnte nicht das vollkommene Nichts sein. Dort draußen war irgend etwas und wartete. Es mußte so sein. Die Wesenheit, die er, der Zwölfjährige, verkörperte, konnte nicht einfach zu existieren aufhören wie ein Fingerschnippen der Ewigkeit. Das
8
konnte nicht sein, durfte nicht sein. Das wäre so sinnlos. Ja. Eines Tages würde er auf das Fließband steigen, freiwillig, um einen Blick auf dieses Etwas zu werfen, einen Blick ins Jenseits ...
9
l In der vergangenen Nacht hatte in der Notaufnahme ein noch größeres Chaos geherrscht als für gewöhnlich: so düster und grauenerregend wie der dritte Höllenkreis in Dantes >göttlicher KomödieBettpfannen-Patrouille< schickte. Eigentlich sollte sie heute morgen die Flure schrubben und sich nicht mit den Patienten unterhalten. Aber Rachel hatte etwas anderes vor. Heute hielten sich ausgerechnet jene drei Patienten im schäbigen Gemeinschaftszimmer des Krankenhauses auf, die Rachel am meisten faszinierten — eine seltene und außergewöhnlich günstige Gelegenheit. Normalerweise mußte sie sich einen dieser Patienten nach dem- anderen schnappen, wann immer sie ein paar Minuten erübrigen konnte, und für gewöhnlich traf Rachel sie in den Krankenzimmern an, wo die Patienten kaum oder nur wenig Privatsphäre hatten und man sich
17
kaum ungestört unterhalten konnte. Ausnahmsweise plärrte diesmal der Fernseher im Aufenthaltsraum auch nicht mit voller Lautstärke, denn Charlie Raymond, der sechzig Jahre alte Farbige im Rollstuhl, der sich sonst mit Vorliebe Familienserien anschaute, wenn er nicht gerade vor sich hin döste, richtete diesmal seine Aufmerksamkeit auf das Gespräch. Auch Terry Saunders, die hübsche blonde Studentin, die bei einem furchtbaren Autounfall durch die Windschutzscheibe des Wagens geschleudert worden war, hatte sich inzwischen so weit von ihren Verletzungen und vom Schock erholt, daß sie sich an der Diskussion beteiligen konnte, obwohl ihr Kopf noch immer dick bandagiert war und ihr das Reden schwerfiel. Und schließlich war da Roseanne Rizzo, eine zweiunddreißig Jahre alte Hausfrau, die vor kurzem eine Fehlgeburt gehabt hatte. Sie berichtete der kleinen Gruppe gerade über ihr Sterbeerlebnis, ihre Erfahrung im Grenzbereich des Todes. Rachel hörte ihr fasziniert zu; die Eintragungen in ihrem Notizbuch wurden länger und länger. Während sie redete, schien Roseannes Gesicht von innen heraus zu leuchten; es gab keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit ihrer Worte — so wenig wie an der Echtheit ihres Erlebnisses. »Und plötzlich sah ich mich selbst, obwohl ich im Koma lag... als würde ich mich von oben betrachten, versteht ihr? Ich blickte hinunter und sah meinen Körper und die Geräte und alles andere auf dem Bett liegen... Ralph, mein Mann, weinte. Und der Arzt sagte ihm gerade, daß ich im Sterben liege... und dann bin ich... wie soll ich sagen? ... ich bin fortgeschwebt, hinaus auf den Flur und in diesen Tunnel... auf dieses Licht zu. O ja, das Licht. Es war wunderschön... das schönste Licht, das ich jemals gesehen habe...« >Wunderschönes LichtIch nehme dein Baby, aber dich lasse ich zurückkehren. < Und dann,bin ich aufgewacht, und da standen Ralph und der Arzt neben meinem Krankenbett...« Ihre Stimme wurde leiser, schwächer, und das Licht; das auf
18
ihrem Gesicht gelegen hatte, erlosch; sie war jetzt wieder eine völlig normale, ja ein wenig mitleiderregende Frau. »Ich war anderthalb Minuten klinisch tot«, sagte jetzt Charlie Raymond, der alte Farbige, »aber ich hab' weder 'nen Tunnel noch 'n Licht gesehen...« »Oh, aber ich!« unterbrach Terry, die junge Studentin, ihn eifrig. »Und es stimmt, was Roseanne gesagt hat. Es war unglaublich. So wunderschön, daß ...« »Ich war in diesem Garten, wißt ihr«, fuhr Charlie unbeirrt fort, aber Terry war nun in Fahrt gekommen und ließ ihn erst gar nicht weiterreden. Rachel notierte sich das Wort >Gartenheute abend< kaute Randy Steckle nachdenklich auf seiner fleischigen Unterlippe und blickte plötzlich sehr beunruhigt drein. »Nelson, was heute abend betrifft - du bist ein netter Kerl, und du bist einer meiner besten Freunde. Und weil das so ist, muß ich aus moralischen Gründen ablehnen. Gibt es denn draußen in der Welt nicht schon Greuel genug? Muß du auch noch deine eigene kleine Welt des Entsetzens erschaffen?« Nelson hob die Brauen, und seine blaßgrünen Augen begannen zu funkeln. »Entsetzen?« wiederholte er spöttisch und zog das Wort dabei betont in die Länge. »Randy, es ist die Unwis senheit, die wir fürchten. Und an welchem Punkt überschreitet denn das Streben nach Wahrheit und Wissen die Schwelle zu einer Welt des Entsetzens? Für einen Wissenschaftler... ein Genie? Besonders für ein Genie, wie du es bist?« Nelson nahm sich selbst ein Skalpell und machte zwei Einschnitte am Fuß des Leichnams. Als er das Wort >Genie< benutzte, errötete Randy, und sein rundes, eulenhaftes Gesicht spiegelte kindliche Glückseligkeit wider. »Eene meene mu, und — weg — bist — du«, lästerte Nelson und machte einen dünnen, feinen Schnitt durch die drei Sieges-
25
kreuze, die er mit äußerst makabrem Humor in die Fußsohle des Leichnams geschnitten hatte. »Also, ich verlasse mich auf dich. Bis heute abend.« Rachel Mannus war nicht gerade glücklich darüber, daß ihr in der Anatomie ausgerechnet Joe Hurley als Partner beim Sezieren der Leiche zugeteilt worden war. Auch wenn er als fähiger Student mit exzellenten Leistungsnachweisen galt — Joe war einfach zu oberflächlich, ließ zu viele Wünsche offen, als daß er einen brauchbaren Laborpartner hätte abgeben können. Rachel aber war eine hingebungsvolle, ja fast besessene Studentin, und das Studium der Medizin war ein langer und dornenreicher Weg. Die Arbeit nahm all ihre Zeit und Energie in Anspruch; da blieb keine Zeit fürs Herumschäkern und für alberne Witze. Andererseits schien Joe Hurley das Fachwissen förmlich in den Schoß zu fallen; hochintelligent, brauchte er sich kaum eine Nacht über die Bücher gebeugt um die Ohren zu schlagen. Er war harte Arbeit nicht gewöhnt; statt dessen alberte und flirtete er gern und oft herum. Joe war ebenso gutaussehend wie großspurig, mit blasser Haut, jettschwarzem Haar und unglaublich blauen Augen; ein echter >Black Irishman< — verschmitzt, von gewinnender Art und wie der Teufel hinter jedem Rock her. In Anwesenheit von Frauen, zumal von jungen Frauen mit einem Gesicht und einem Körper wie Rachel, konnte Joe nicht anders: Er ließ automatisch seinen Charme spielen oder das, war er — im Gegensatz zu Rachel — dafür hielt. »Guten Morgen, Mannus«, begrüßte er Rachel, als sie, ziemlich außer Atem, etwa zwei, drei Minuten zu spät in den Saal kam. Ein blitzendes Lächeln. »Wie geht's der schönsten Medizinstudentin der Staaten denn so?« »Gut«, erwiderte sie einsilbig. Die Art und Weise, wie der Typ seine blauen Augen über ihren Körper huschen ließ, machte sie nervös. Wie immer. Joe Hurley würde wieder mal den Versuch unternehmen, sich an sie ranzumachen; das wußte sie jetzt schon. »Ich wollte dich schon längst mal was fragen, Rachel. Hast
26
du eigentlich 'nen festen Freund?« begann er in einem höchst unpassenden Moment, denn Rachel war bereits auf die andere Seite des Tisches getreten und beugte sich jetzt über den Leichnam, vollkommen in das Untersuchungsobjekt vertieft. Sie biß die Zähne zusammen, als sie einen großen Hautlappen anhob, mit dem Skalpell auf eine bestimmte Stelle wies und sagte: »Identifizieren.« »Harnblase.« Wie aus der Pistole geschossen gab Hurley die richtige Antwort, nachdem er auf die andere Seite des Tisches getreten und einen flüchtigen Blick auf den Leichnam geworfen hatte. »Hör mal, es ist doch nicht aufdringlich, daß ich mal ein paar private Worte mit dir reden möchte, oder? Manchmal tut es ganz gut, sich dem anderen ein bißchen zu öffnen. Wie unser alter Lenny hier. Guck ihn dir an. Der hat sich uns schon geöffnet.« Er zeigte auf den Toten. »Identifizieren«, sagte Rachel knapp und wies wieder mit dem Skalpell auf ein bestimmtes Organ. »Prostata. Weißt du, Rachel«, fuhr Joe fort, der nicht das geringste Interesse am Untersuchungsobjekt dieser Anatomieübung zeigte, »ich kenne alle Gerüchte über dich. All deine verwegenen Hobbys. Aber ich kann's nicht glauben.« Er blickte sie wieder mit seinem eingeübt verführerischen Lächeln an. Rachel seufzte. »Ich bin sicher«, fuhr Joe unbeirrt fort, »daß du in Wirklichkeit eine sehr temperamentvolle junge Frau bist. Warmherzig und nett. Kein bißchen schüchtern oder gar frigide oder...« Er packte das weiße Tuch, mit dem der männliche Leichnam bedeckt war, hob es an und zeigte auf die Genitalien. »Identifizieren«, sagte er grinsend. »Dein Gehirn«, erwiderte Rachel. Joes Grinsen wurde breiter. »Sehr gut. Okay, wann kommst du mich auf meiner Bude besuchen, damit wir dieses Thema ein wenig vertiefen ...« »Entschuldigung, Doktor Hurley«, unterbrach Nelson Wright ihn, bevor Rachel dazu kam, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. »Ich muß mit Doktor Mannus mal unter vier Augen sprechen.« Wright nahm Rachel beim Arm und führte sie ein paar Schritte bis zum Fenster des Anatomielabors, wo sie ungestört reden konnten. »Ich habe dir oft genug gesagt, daß ich bei deinem hirnris -
27
sigen Experiment nicht mitspiele«, sagte Rachel und streifte seine Hand ab; ihr hübsches Gesicht wurde dunkel vor Wut. Nelson machte eine beschwichtigende Geste. »Sieh mal, ich habe schon dafür gesorgt, daß Hurley und Steckle mit von der Partie sind. Zwei der Top-Studenten. Und dazu zähle ich dich auch.« Rachel erwiderte nichts, schüttelte nur ablehnend den Kopf und versuchte, sich an Nelson vorbei und zurück zum Seziertisch zu drängen. Aber so leicht ließ Nelson Wright nicht locker. »Ich brauche dich doch nur für die Injektionen und zur Bedienung und Überwachung des Infusionsgerätes.« »Vergiß es!« sagte Rachel scharf und starrte ihn wütend an. Diese ganze verdammte Geschichte widerte sie zutiefst an. Ihr war schon so mancher verrückter Einfall zu Ohren gekommen, aber Nelson Wrights Vorhaben war das bei weitem Verrückteste, was sie jemals gehört hatte. Es war... krankhaft, der helle Wahnsinn. Am Eingang zum Anatomielabor entstand plötzlich Bewegung; dann kam Professor Zho in den Raum gestürmt, hektisch und wichtigtuerisch wie immer, gefolgt von zwei Assistenten des Lehrkrankenhauses, die die gefürchteten blauen Protokollarbücher mit sich führten. Allen Anwesenden war sofort klar, daß ihnen wieder mal eine der schwierigen zweigeteilten Prüfungen bevorstand: erst die schriftliche, dann die mündliche, bei der unter den kritischen, unerbittlichen Blicken Zhos die Leichen seziert werden mußten. Zho musterte die Studenten aus seinen asiatischen Schlitzaugen. »Gu ten Morgen, meine Damen und Herren. Die heutige Prüfung wird entscheidend für Ihre zukünftige Einstufung sein«, sagte er dann ohne Vorrede. »Sie ist folgendermaßen gestaffelt. Es werden drei Einser-Benotungen vergeben, fünfmal die Zwei, zehnmal die Drei. Die restlichen vier Damen oder Herren bekommen Vierer und Fünfer.« Unter den Studenten erhob sich einstimmiges Aufstöhnen, denn plötzlich ging der Hälfte der im Labor Versammelten auf, daß durch den Rausschmiß David Labraccios einer der Einser-Plätze freigeworden war, wodurch jeder eine Chance bekam, in der Hierarchie der Noten aufzusteigen. Ein Gefühl
28
schuldbewußter Dankbarkeit gegenüber David, gepaart mit schlechtem Gewissen erfüllte so manchen der Studenten, die sich nun Hoffnungen auf eine bessere Einstufung machten. Rachel wandte sich um, wollte an ihren Seziertisch zurückkehren, doch Nelson hielt sie am Ärmel ihres Laborkittels fest. »Ich beschäftige mich außerdem mit einer bestimmten... geheimnisvollen Suche«, sagte er so leise, daß nur Rachel es hören konnte. »Für eine zukünftige Ruhmeshalle der Chirurgie ...« Gegen ihren Willen war Rachel plötzlich interessiert. »Und wer wird zu den Berühmtheiten gehören?« fragte sie flüsternd. »Powell? Westheimer?« Aber Nelson legte nur den Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. »Wenn du kommst, wirst du's sehen.« »Ich möchte noch einmal betonen«, fuhr der Anatomieprofessor inzwischen fort, »daß Sie nicht im Wettstreit mit mir, Ihrer eigenen Person oder mit dieser Prüfung liegen, sondern in einem Wettstreit untereinander.« Rachel blickte Nelson an und schüttelte entschieden den Kopf. »Tut mir leid, Nelson. Ich habe kein Interesse, dabei zuzusehen, wie du dich selbst tötest.« Ein seltsames, verschlagenes Lächeln legte sich auf das Gesicht des jungen Mannes, und in seinen grünen Augen war ein eigenartiges Leuchten. »Das glaube ich aber doch«, sagte er leise. »Ist 'ne echte Live-Show, Rachel. Wäre das nicht sehr viel ergiebiger für deine Nachforschungen, als hier im Krankenhaus in deinem heißgeliebten >Zurück-von-den-Totenwir