Meilensteine der Nationalökonomie
Meilensteine der Nationalökonomie F. A . H a y e k ( H r s g . ) · Beiträge zur Gel...
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Meilensteine der Nationalökonomie
Meilensteine der Nationalökonomie F. A . H a y e k ( H r s g . ) · Beiträge zur Geldtheorie XVI, 511 Seiten. 2007 (Reprint von 1933). ISBN 978-3-540-72211-3 F. M a c h l u p · Führer durch die Krisenpolitik XX, 232 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72261-8 O. Morgenstern · Die Grenzen der Wirtschaftspolitik XII, 136 Seiten. 2007 (Reprint von 1934). ISBN 978-3-540-72117-8 E. Salin · Geschichte der Volkswirtschaftslehre XII, 106 Seiten. 2007 (Reprint von 1929). ISBN 978-3-540-72259-5 G. Schmölders · Finanzpolitik XVI, 520 Seiten. 2007 (Reprint von 1970). ISBN 978-3-540-72213-7 W. S o m b a r t · Die Ordnung des Wirtschaftslebens XII, 65 Seiten. 2007 (Reprint von 1927). ISBN 978-3-540-72253-3 F. W. Taylor, A. Wallichs · Die Betriebsleitung insbesondere der Werkstätten X, 158 Seiten. 2007 (Reprint von 1919). ISBN 978-3-540-72147-5
Günter Schmölders
Finanzpolitik Reprint der 3., neu überarbeiteten Auflage Berlin, Heidelberg, New York, 1970
Mit 6 Abbildungen und 15 Tabellen
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Ursprünglich erschienen in der Reihe: Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft
ISBN 978-3-540-72213-7 Springer Berlin Heidelberg New York
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134/3180YL - 5 4 3 2 1 0
Gedruckt auf s¨aurefreiem Papier
Enzyklopadie der Rechts- und Staatswissenschaft Begriindet von F. von Liszt und W. Kaskel
Herausgegeben von W. Kunkel • P. Lerche • W. Mieth • W. Vogt
Abteilung Staatswissenschaft
Finanzpolitik von
Dr. Dr. h. c. Giinter Schmolders o. Professor der Wirtschaftlichen Staatswissenschaften an der Universitat zu Koln
Dritte, neu iiberarbeitete Auflage
Mit 6 Abbildungen und 15 Tabellen
Springer -Verlag Berlin • Heidelberg • New York 1970
Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begrundeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nadidruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, audi bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfaltigungen fiir gewerbliche Zwecke ist gemafi § 54 UrhG eine Vergutung an den Verlag zu zahlen, deren Hohe mit dem Verlag zu vereinbaren ist. (c) by Springer-Verlag Berlin • Heidelberg 1955, 1965 and 1970. Library of Congress Catalog Card Number 78-126894. Titel-Nr. 4433
Vorwort zur dritten Auf lage Die vorliegende Neuauflage halt an der Grundkonzeption des Buches unverandert fest; gegeniiber der zweiten Auf lage ist sie durchgehend auf den neuesten Stand gebracht und inhaltlich nur dort erweitert worden, wo es unumganglich war. Im Gegenteil ging mein Bestreben dahin, die Darstellung nach Moglichkeit zu straffen, um den Umfang des Buches trotz Berucksichtigung der neuen Aspekte nicht weiter anschwellen zu lassen. Wie im Vorwort zur zweiten Auflage begriindet, fiihlte ich mich veranlafit, an einigen Stellen, an denen es besonders angebracht erschien, die theoretischen Aspekte noch starker als bisher zu betonen. Unter diesem Gesichtspunkt sind auch die teilweise recht umfangreichen Fufinoten zu sehen, in denen die weiterfiihrende Literatur zusammengestellt ist, um ein tieferes Eindringen in diese Probleme zu erleichtern. Straflich vernachlassigt wird heute in den meisten gangigen Lehrbuchern die Geschichte der offentlichen Finanzen und die historische Entwicklung unserer finanzpolitischen Institutionen. Es erschien mir daher angezeigt, dem Leser wenigstens in den Hauptabschnitten jeweils auch die fniheren Losungen unserer Probleme vor Augen zu fiihren, aus denen vieles zu lernen ist, was abstrakte Modelle schlechterdings nicht vermitteln konnen. Auch bei der Neubearbeitung konnte ich wieder auf viele Anregungen und sowohl kritische als auch zustimmende Stellungnahmen zurlickgreifen, vor allem auch auf die systematische Durcharbeitung des gesamten Stoffes in hunderten von Seminarveranstaltungen, Arbeitsgemeinschaften und Symposien. Aus der Arbeit unseres Kolner Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts, das inzwischen in das funfte Jahrzehnt seines Bestehens eingetreten ist, sind allein in der Neuen Folge liber 40 Bande an Forschungsarbeiten hervorgegangen *; auch diese Untersuchungen haben in dem vorliegenden Buch ihren Niederschlag gefunden. Besonderen Dank schulde ich fur treue Mitarbeit an der vorliegenden Neuauflage Herrn Dipl.-Kfm. Bert Riirup sowie alien Mitarbeitern im Institut und Seminar. Koln, im Februar 1970
Glinter Schmolders
1 Siehe hierzu: Finanzwissensdiaftlidie Forsdiung und Lehre an der Universitat zu Koln 1927—1967, Berlin 1967.
Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage Im Vorwort zur ersten Auflage ging es darum, den finanzpolitischen Aspekt der Finanzwissenschaft als selbstandigen Stoff- und Lehrbereich abzugrenzen und zu rechtfertigen. In den zehn Jahren, die seither vergangen sind, hat sich das neue Fachgebiet in Schrifttum und Lehre uberraschend schnell und umfassend durchgesetzt, so dafi es fiir die zweite Auflage keiner Rechtfertigung mehr bedarf. Gleichzeitig hat sich herausgestellt, dafi die „Finanz theorie", die seinerzeit als besonderer Band dieser Enzyklopadie angekiindigt worden war, bislang nicht erscheinen konnte; aus diesem Grunde ist die finanztheoretische Problematik in der vorliegenden Neubearbeitung in den entsprechenden Abschnitten weitgehend mitberucksichtigt worden. Wenn dadurch auch der Umfang des Buches nicht unbetrachtlich angewachsen ist, so hat doch seine Lesbarkeit, so hoffe ich, darunter nicht gelitten; der finanzwissenschaftlich und finanzpolitisch Interessierte findet dafiir jetzt Theorie und Politik zu den wichtigsten Problemen an Ort und Stelle miteinander vereinigt. Zusammen mit der „Geldpolitik unmittelbar an Bundestag und Bundesrat richtete (nach Hennis, W.: Verfassungsordnung und Verbandseinfluft, in: Politische Vierteljahresschrift, 2. Jg., H. 1, 1961, S. 25). 184 Gast, Lademann, Meinhold: Gesetz iiber die Investitionshilfe, Schriftenreihe des Deutschen Industrie- und Handelstages, H. 16, April 1962.
§16. Der vorparlamentarische Raum
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Gesetzentwurfs iiber die Investitionshilfe zugunsten der Grundstoffindustrie, der schliefilich trotz verschiedener interessengebundener Gegenstromungen nicht zuletzt audi aus den Reihen des Bundestages und des Bundesrates die Gesetzgebungshurde n a h m und fur viele Jahre seine angefeindete Existenz behauptete 185 . Vielleicht noch beispielhafter fur die finanzpolitische T a k t i k von Interessenvertretungen w a r die Durchsetzung des Landwirtschaftsgesetzes durch die Bauernverbande. Ausgehend vom Paritatsgedanken, der dem Agrarsektor einen hoheren oder zumindest gleichbleibenden Anteil am Sozialprodukt sichern sollte und der zum ersten Male in einer Denkschrift des Deutschen Bauernverbandes im J a h r e 1950 auftauchte, dann aber in der Prasidialentschliefiung des Deutschen Bauerntages 1951 konkret formuliert wurde, fuhrte der Weg alsbald unmittelbar zur Kontaktaufnahme mit der Regierung. Als sich die Regierung in der Folgezeit jedoch passiv verhielt, anderte der Bauernverband seine Taktik. Durch Einholung von Gutachten w u r d e die maximale Zielforderung des Paritatsgedankens in ihrer stark agitativen Form abgeschwacht, wissenschaftlich fundiert und in einer ZweckMittel-Argumentation konkretisiert; dieser Wandel in der Taktik, verbunden mit der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes und erleichert durch ein Meinungsclearing zwischen dem Deutschen Bauernverband und dem Bundesverband der Deutschen Industrie, brachte mit der Verabschiedung des L a n d wirtschaftsgesetzes den gewunschten Erfolg 186 . Diese Beispiele zeigen deutlich, dafi der vorparlamentarische R a u m seinen Eintritt in die Arena der politischen Gewalten vollzogen hat und dort seinen Einflufi anschaulich demonstriert 1 8 7 . Neben den Verbanden und Berufsorganisationen treten heute audi die grofien Unternehmungen und Konzerne als selbstandige Akteure hinter den Kulissen der politischen Buhne in Tatigkeit; eine eigene „Verbindungsstelle" in Bonn zu unterhalten, der die Pflege der Beziehungen des eigenen Hauses mit den Bundesbehorden und den 185 Siehe hierzu: Podzus, G.: Der „vorparlamentarische Raum" als treibende Kraft der Gesetzgebung, dargestellt am Beispiel der Entstehung des Investitionshilfegesetzes, unveroffentlichte Diplomarbeit, Koln 1955. 186 Hierzu besonders: Puvogel, C : Der Weg zum Landwirtschaftsgesetz, BonnMiinchen-Wien 1957; Hansmeyer, K. H.: Finanzielle Staatshilfen fiir die Landwirtschaft, a.a.O., S. 60 flf.; Bethusy-Huc, Viola Grafin v.: Demokratie und Interessenpolitik, Wiesbaden 1962, S. 1 fF. 187 Um diese Enrwiddung im einzelnen naher zu untersuchen, hat die Gesellschaft fiir Wirtschafts- und Sozialwissensdiaften (Verein fiir Socialpolitik) eine umfassende Forschungsarbeit in die Wege geleitet, deren Ergebnisse inzwischen z. T. schon vorliegen; darunter „Das Selbstbild der Verbande" (Wissensdiaftliche Leitung: G. Schmolders) (NF. Bd. 38, Berlin 1965); Esenwein-Rothe, J.: Die Wirtschaftsverbande von 1933 bis 1945, ebenda, NF. Bd. 37, Berlin 1965; Verbande und Wirtschaftspolitik in Dsterreich (Wissensdiaftliche Leitung: Th. Piitz), ebenda, NF. Bd. 39, Berlin 1966; Buchholz, E.: Die Wirtschaftsverbande in der Wirtschaftsgesellschaft, Tubingen, 1969; vgl. auch Hondrich, K. O.: Die Ideologien von Interessenverbanden, Berlin 1963, und Petzold, G.: Der Wettbewerb der Verbande um die Mitwirkung an der Wirtschaftspolitik, Dissertation, Koln 1963.
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Die finanzpolitisclie Willensbildung
Parlamentariern obliegt, gehort beinahe schon zu den legitimen Organisationserfordernissen des modernen Grofiunternehmens 188 . Die gesetzliche Fundierung und Institutionalisierung des Einflusses der Verbande ist in den westlichen Demokratien sehr unterschiedlich. Es lassen sich dabei zwei Verfahren unterscheiden, einmal die mehr oder minder zwanglose Konsultation der Verbande durch den Staat, wie in der Schweiz und in Schweden, in Grofibritannien und in den USA, zum anderen das System der zentralen Wirtschafts- und Sozialrate wie in Osterreich und den Niederlanden, Frankreich, Belgien, Luxemburg und Italien 189 . In der Bundesrepublik Deutschland ist die Form der offentlichen und auch nichtoffentlichen „Hearings" der Interessenvertreter und Sachverstandigen in den Geschaftsordnungen des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesministerien geregelt 1 9 0 . Von der Moglichkeit offentlicher Anhorung von Interessenvertretern durch die Ausschiisse des Bundestages ist bisher nur wenig Gebrauch gemacht worden m . Auch die Ausschiisse des Bundesrates lassen infolge der Kurzfristigkeit ihrer Gesetzesdurchgange den Stellungnahmen der Interessenvertretungen verhaltnismafiig wenig R a u m . Lediglich die durch § 23 der Gemeinsamen Geschaftsordnung der Bundesministerien legitimierte Stellungnahme von Interessenten bei der Ausarbeitung von Gesetzesentwiirfen spielt eine gewisse Rolle; bei der Ausarbeitung seiner Denkschrift zur Reform der Umsatzsteuer zog das Bundesfinanzministerium alle in Betracht kommenden Verbande und Gruppen zu Rate. Das Problem, Mifibrauche und Auswiichse der Einflufinahme der Interessenverbande auf die politische Willensbildung zu verhindern, ist bisher nur in den Vereinigten Staaten gesetzgeberisch aufgegriffen worden. In dem 188 Allein in Bonn, Beuel und Bad Godesberg wurden bereits Mitte 1952 Euros von mindestens 270 Organisationen gezahlt, die dort seit der Wahl Bonns zur Bundeshauptstadt wie Pilze aus dem Boden schossen und sich u. a. AusschuE, Bund, Gemeinschaft, Gesellschaft, Institut, Kammer, Kreis, Rat, Kuratorium, Ring, Tag, Verband nennen (Breitling, R.: „Pressure Groups" in Bonn?, in: Wort und Wahrheit, Januarheft 1954, und derselbe: Die Verbande in der Bundesrepublik, a.a.O., S.5).
189 Y g ^ hierzu d i e mit reichhaltiger Literatur versehene Studie von U t h m a n n , K. J.: Institutionelle Formen der Zusammenarbeit zwischen Staat u n d Wirtschaf tsverbanden im Ausland, in: D e r Staat und die Verbande, a.a.O., S. 56 ff.
190 § 73, 1 und 2 der Geschaftsordnung des Bundestages: Die Beratungen der Ausschiisse sind nichtoffentlich. Der nichtorTentlichen Sitzung konnen auf Beschluft des Ausschusses offentliche Informationssitzungen vorangehen. Zu diesen sind nach Bedarf Interessenvertreter, Auskunftspersonen und Sachverstandige, die Presse sowie sonstige Zuhorer zugelassen, soweit es die Raumverhaltnisse gestatten. § 40 III der Geschaftsordnung des Bundesrates: Die Ausschiisse konnen Sachverstandige anhoren. § 23 der Gemeinsamen Geschaftsordnung der Bundesministerien, besonderer Teil (gekiirzt): Zur Beschaffung von Unterlagen fiir die Vorbereitung von Gesetzen konnen die Vertretungen der beteiligten Fachkreise herangezogen w e r d e n . . . Verbande, deren Wirkungskreis sich nicht iiber das gesamte Bundesgebiet erstreckt, sind im allgemeinen nicht heranzuziehen. 191 Krumholz, W.: Wie ein Gesetz entsteht, Berlin-Miinchen 1961, S. 106.
§ 16. Der vorparlamentarische Raum
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Reformgesetz von 1946 192 ist ein besonderer Abschnitt als „Federal Regulation of Lobbying Act" enthalten (Section 301—311), in dem alle Personen, die sich aus irgendeinem G r u n d e oder in irgend jemandes Auftrage damit befassen, „to influence the passage or defeat of any legislation by the Congress of the United States", einer Anmeldepflicht unterworfen werden; unter Androhung hoher Strafen sind diese Personen gehalten, ihre Einnahmen aus derartigen Auftragen, soweit sie 500 $, und alle ihre Aufwendungen dafiir, soweit sie im Einzelfalle 10 $ iiberschreiten, laufend zu melden und ihre Auftraggeber genau zu bezeichnen, widrigenfalls ihnen unter anderem der „Ausschlufi von jeglicher Mitarbeit bei der Gesetzgebungsarbeit" angedroht wird. Die anscheinende N a i v i t a t dieser Bestimmungen wird nur verstandlich, wenn m a n sie im Zusammenhang mit den jahrzehntelangen Bestrebungen der englischen und amerikanischen Gesetzgebung sieht, der weitverbreiteten politischen Korruption H e r r zu werden; 1854 erging in England der erste „ C o r r u p t Practices Act", dem 1884 und mehrfach noch weitere Gesetze auf diesem Gebiete folgten, in den U S A beispielsweise 1925, 1940 und 1941. Zugrunde liegt diesen gesetzgeberischen Mafinahmen das Prinzip, denjenigen, der sich im politischen Kampf unlauterer Machenschaften bedient, dadurch ins Unrecht zu setzen, dafi er formale Anmeldepflichten u. dgl. aufier acht lafit; wegen einer solchen Ordnungswidrigkeit kann sodann Anklage erhoben oder ein parlamentarischer Untersuchungsausschufi eingesetzt werden, ohne dafi das schwere Geschutz der Korruptionsbeschuldigung, liber die sich im Verfahren ohnehin alsbald Naheres ergibt, gleich im Anfang aufgefahren werden mufi. Mit der Tatsache, dafi starke materielle Interessen an der finanz- und steuerpolitischen Willensbildung mitwirken, hat sich der amerikanische Staatsbiirger inzwischen wahrscheinlich weithin abgefunden 1 9 3 ; die sog. „Pork-Barrel-Legislation" („Speckverteilung") ist ein nie versagendes Thema der Kritik an Parlament und Regierung. Auf der anderen Seite zeigt die periodisch durch die immer wiederkehrenden Skandalaffaren aufgerlittelte offentliche Meinung die Grenzen an, die derartigen Machenschaften durch die gesunde Reaktion des staatsblirgerlichen Rechtsempfindens gezogen sind; die offentliche Meinung als letzte Instanz der an der finanzpolitischen Willensbildung mitwirkenden Krafte bedarf daher noch besonderer Erwahnung. 192
Legislative Reorganization Act 1946. "In all ages and countries, with amazingly few exceptions, the power of the well-to-do has strongly influenced the course of public affairs. It must inevitably be so and I am not sure that its being so is a matter for either regret or critizism . . . Democracy is the most expensive form of government known to man; its cost increases as the square of the degree of direct popular participation in i t . . . The money power is no myth in American political life; it is an active, relentless, and for the most part an invisible factor there. But a good deal of the popular antipathy to it rests upon a myth — on the illusion that its activities are invariably detrimental to the best interests of the people as a whole." (Munro, W. B.: The invisible Government, a.a.O., S. 113 ff.) 193
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Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
Die finanzpolitische Willensbildung
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§ 17. Die offentliche Meinung Fur die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Grade audi die offentliche Meinung zu den treibenden Kraften der finanzpolitischen Willensbildung zu rechnen ist und welche spezifischen Einfliisse von ihr ausgehen, bedarf es zunachst einer anschaulichen Vorstellung vom Wesen und Wirken der offentlichen Meinung und ihrer besonderen Bedeutung in den Fragen des Finanz- und Steuerwesens, deren Sachinhalte der iiberwiegenden Mehrheit der Bevolkerung in der Regel fremd, wenn nicht gar einigermafien verdachtig oder geradezu verhafit zu sein pflegen. Dabei kann davon ausgegangen werden, daft die offentliche Meinung eines Landes sich zwar aus einem recht vielstimmigen Chor unterschiedlicher Einzel- und Gruppenmeinungen zusammensetzt, daft sich aber iiber diesen divergierenden Stimmen ein mehr oder weniger allgemeiner Einklang vernehmen lafit, der sich als besondere oder doch iiberwiegende offentliche Meinung kennzeichnen lafit; es handelt sich „ nicht um eine Addition von Einzelmeinungen, sondern um eine Gesamtmeinung, die sich im Gegenteil als Fluidum iiber die Einzelmeinungen legt" 194. J. H. Kaiser macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dafi es „die Offentlichkeit" als gewissermafien arithmetisch bestimmbare Grofie nicht gibt. Derjenige, der „etwas an die Offentlichkeit bringt", macht damit noch keine offentliche Meinung; es kann sich ja dabei um ganzlich belanglose Dinge handeln, von denen kaum jemand Kenntnis nimmt. „ Offentlichkeit in konkretem Sinn entsteht durch Kenntnisnahme; offentliche Meinung entsteht durch Interessennahme." 195 Die Erkenntnis, dafi die Bildung einer bestimmten offentlichen Meinung zumindest schon eine gewisse Informiertheit voraussetzt 196 , gibt der Forschung iiber Entstehung und Eigenart der offentlichen Meinung neue und vielseitige Impulse; offenbar gibt es Unterschiede zwischen der uninformierten und der informierten „Meinungf
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Die finanzpolitische Willensbildung
Modifiziert wird diese Ausgleichsmefizahl noch durch den Einbau sogenannter „veredelter Einwohnerzahlen" 289 . Ausgleichsberechtigt (ausgleichspflichtig) sind nur die Lander, deren Steuerkraftmefizahl im Rechnungsjahr die Ausgleichmefizahl nicht erreicht (iibersteigt) 290 . Fur das Jahr 1970 werden sich bei diesem neuen Verfahren die in der Tabelle 2 auf S. 161 ausgewiesenen Beitrage ergeben; das Ergebnis des Finanzausgleichs lafit sich aus dieser Obersicht einmal in den Steuereinnahmen pro Kopf und zum anderen in der letzten Spake, dem Ergebnis in Prozent des Landerdurchschnittes, ablesen. Obwohl die Einnahmen jedes ausgleichsberechtigten Landes auf 9 5 % der Ausgleichsmefizahl aufgefiillt werden, erreichen die Steuereinnahmen des ^armsten" Landes Rheinland-Pfalz nur 9 2 % des Landerdurchschnittes. Dies liegt daran, dafi einerseits 5223 Millionen DM gemeindliche Steuereinnahmen nicht berucksichtigt wurden und andererseits die erheblich bessere Finanzausstattung der Stadtstaaten den Landerdurchschnitt hebt und damit die relative Steuerausstattung der Flachenstaaten driickt. Tiefergehende Schliisse auf die Effizienz der Finanzausgleichsregelung lafit dieser quantitative pro-Kopf-Vergleich aber nicht zu, da er die Sonder289 j ) e r BegrifF der veredelten Einwohnerzahl geht davon aus, dafi die Gemeindeausgaben gemafi dem „Brechtschen Gesetz" mit steigender Gemeindegrofie uberproportional ansteigen; demzufolge werden bei der Ermittlung der Ausgleichsmefizahl die Einwohnerzahlen von Bremen und Hamburg mit je 135% angesetzt, wahrend die Einwohnerzahlen der iibrigen Lander mit 100% gewertet werden. Weiterhin werden bei der Entwicklung der Mefizahlen zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Gemeinden die Einwohnerzahlen der Gemeinden eines Landes mit folgenden Ansatzen je Einwohner gewertet: 5 000 Einwohner einer Gemeinde mit 100 v. H., die ersten die weiteren 15 000 Einwohner einer Gemeinde mit 110 v. H., die weiteren 80 000 Einwohner einer Gemeinde mit 115 v. H., die weiteren 400 000 Einwohner einer Gemeinde mit 125 v. H., die weiteren 500 000 Einwohner einer Gemeinde mit 125 v. H., die weiteren Einwohner einer Gemeinde mit 130 v. H . Fur Gemeinden mit mehr als 500 000 Einwohnern werden dem Land dariiber hinaus bei einer Dichte von 2000 bis 3000 Einwohnern je Quadratkilometer 4 vom Hundert der Einwohnerzahl, bei einer Dichte von 2000 bis 3000 Einwohnern je Quadratkilometer 4 vom Hundert der Einwohnerzahl hinzugerechnet. (Vgl. § 9 Abs. 3 Finanzausgleidigesetz 1969.) 290 Ausgeglichen werden 100% des Betrages, der an 92 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl eines Landes fehlt und 37,5% des Betrages, der von 92 bis 100 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl fehlt. Zur Berechnung der Ausgleichsbetrage der ausgleichspflichtigen Lander schreibt § 10 Abs. 2 Landerfinanzausgleichsgesetz 1969 vor: „Die Ausgleichsbetrage der ausgleichspflichtigen Lander werden mit einem einheitlichen Hundertsatz von den Betragen errechnet, um die ihre Steuerkraftmefizahl ihre Ausgleichsmefizahl iibersteigt. Hierbei bleibt die Steuerkraft, die zwischen 100 und 102 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl liegt, aufier Ansatz; die Steuerkraft, die zwischen 102 und 110 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl liegt, wird mit 70 vom Hundert, und die 110 vom Hundert der Ausgleichsmefizahl iibersteigende Steuerkraft voll angesetzt. Der Hundertsatz von den ausgleichpflichtigen Betragen wird so bemessen, dafi die Summe der Ausgleichsbetrage mit der Summe der Ausgleichszuweisungen iibereinstimmt."
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§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
belastungen und Belastungsunterschiede nicht beriicksichtigt. Verstandlich wird an H a n d einer solchen quantitativen Betrachtungsweise aber die Kritik der steuerschwachsten Lander an der vorgesehenen Regelung. A u d i die Regelung des kommunalen Ebenen a b ; hier geht es um
Finanzausgleichs
spielt sich auf zwei
1. die nivellierende Wirkung des Austausches von ca. 4 0 % des Gewerbesteueraufkommens gegen die 14%ige Beteiligung an der Einkommensteuer 2 9 1 und 2. die Zuweisungen der Lander an die Gemeinden auf G r u n d Art. 106 Abs. 7 G G .
von
Nach § 1 des Gesetzes zur N e u o r d n u n g der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz) erhalten die Gemeinden „14 vom H u n d e r t des Aufkommens an Lohnsteuer und an veranlagter Einkommensteuer" ihres Landes 292» 293 . Mittels dieses Beteiligungsverhaltnisses nehmen die Gemeinden infolge der grofien Aufkommenselastizitat dieser Steuer in hohem Mafie am wirtschaftlichen Wachstum teil. Der Anteilssatz von 1 4 % bezieht sich auf das gesamte Aufkommen dieser Steuer im Lande; der Anteil einer Gemeinde hieran ergibt sich aus der Multiplikation dieses Betrages mit der Schliisselzahl dieser Gemeinde. Diese Schliisselzahl ist der in einer Dezimalzahl ausgedriickte Anteil dieser Gemeinde an dem proportional (zu 1 9 % ) zu versteuernden Einkommen bis 8000 D M p.a. fiir Ledige bzw. 16 000 D M p.a. fiir zusammen veranlagte Ehegatten 294 . Ab 1972 sollen sich diese Grenzen auf 80 000 bzw. 160 000 D M p.a. erhohen 2 9 5 ; damit werden dann 7S°/o des Einkommensteueraufkommens bei der Berechnung der Gemeindeanteile
291 Bei der Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer handelt es sich zwar um eine verfassungsmafiig verankerte Ertragshoheit dieser Korperschaften, somit nicht um eine eigentliche Frage des Finanzausgleichs; die Auswirkungen dieser Regelung (in Verbindung mit der Gewerbesteuerumlage der Gemeinden an Bund und Lander) auf die finanzielle Situation der Gemeinden im Verhaltnis zu den iibergeordneten Gebietskorperschaften und untereinander lassen es aber ratsam erscheinen, diese Zusammenhange an dieser Stelle zu erortern. 292 py r B e r li n u n c l Hamburg gelten besondere Vorschriften. 293 Da es eines der Hauptziele der Gemeindefinanzreform war, die erheblichen Steuerkraftunterschiede der Gemeinden auszugleichen, versuchte Schleswig-Holstein im Bundesrat zu erreichen, dafi der Einkommensteueranteil der Gemeinden nicht landermafiig, sondern bundesmaftig ermittelt wird. Dieser Antrag wurde aber abgelehnt, so da£ in Zukunft zwar die Steuerkraftunterschiede innerhalb eines Landes, nidit aber zwischen gleichartigen Gemeinden in einkommensteuerschwachen und einkommensteuerstarken Landern vermindert werden (Schmidt, W.: Das Gemeindefinanzreformgesetz im Bundestag, in: Kommunale Steuer-Zeitschrift, Nr. 3, Marz 1969, S. 46). 294 Die Korrektur moglicher Fehler in der Ermittlung der Schliisselzahl erlaubt § 4 Gemeindefinanzreformgesetz innerhalb von 6 Monaten nach der Festsetzung des Schlussels. 295 Ygj # § 3 Ab>s# 2 G e m e i n d e f i n a n z r e f o r m g e s e t z .
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Die finanzpolitische Willensbildung
beriicksichtigt, womit die unterschiedlichen Einkommensstrukturen der einzelnen O r t e sich erheblich starker bemerkbar machen diirf ten 296 . Das regionale Einkommensteuerauf kommen und die ihm zugrundeliegende Einkommensstruktur werden in einem Turnus von drei Jahren auf G r u n d des Gesetzes iiber Steuerstatistik 297 ermittelt. D a die Aufstellung eines derartigen Zahlenwerkes gut 2V2 J a h r e in Anspruch nimmt, datiert die bisher einzig verfiigbare Statistik aus dem J a h r e 1965. Dies bedeutet, dafi fur die erste Berechnung 298 der Gemeindeanteile im Jahre 1970 ein Schliissel herangezogen werden mufi, der auf 5 Jahre zuriickliegenden Verhaltnissen basiert. Nach Schatzungen von Mitte 1969 sollen den Gemeinden aus dieser Beteiligung an der Einkommensteuer ca. 6,8 M r d . D M 2 " zufliefien. Ein weiteres Element des Gemeindefinanzreformgesetzes ist die in § 6 verankerte Gewerbesteuerumlage von ca. 4 0 % des gesamten Ist-Aufkommens
296 j n we lchem Mafie weldie Gemeinden von einer stufenweisen Erhebung des Beteiligungssockels betroffen werden, zeigt StrauiS, F. J., Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 149. 297 Vgl. BGB1 I, S. 666 vom 6. 12. 1966. 298 Beispiel fur die Berechnung eines Gemeindeanteils an der Einkommensteuer (entnommen, Sdimidt, W.: Das Gemeindefinanzreformgesetz im Bundestag, a.a.O., S. 47). Die Steuerbetrage aus dem proportionalen Sockel der Einkommensteuer betragen fiir das Land A 5753 Mio. und fiir die Gemeinde B 157 000 DM. Die Schlusselzahl fiir B ist demnach bei Abrundung auf 7 Stellen hinter dem Komma mit 157 000 5 753 000 000 = 0,0000273
anzusetzen.
Wenn sich nun das Aufkommen aus dem den Gemeinden iiberlassenen Teil der Einkommensteuer (14°/o des Gesamtaufkommens) fiir 1970 im Monat X auf 516 716 370 DM belauft, erhalt die Gemeinde B fiir den Monat X 516 716 370 X 0,0000273 = 14 106,35 DM. Unterstellt man ferner, dafi das Jahresaufkommen der Einkommensteuer gerade das Zwolffache des Aufkommens im Monat X sei, erhalt B im Jahre 1970 14 106,35 X 12 = 169 276,20 DM. Aus diesem Beispiel und aus dem Wortlaut des Gemeindefinanzreformgesetzes geht hervor, daft der Vorschlag variabler Hebesatze, die die Gemeinden auf die urspriingliche ortliche Einkommensteuerschuld anwenden konnten (vgl. Gutachten iiber die Finanzreform in der BRD, a.a.O., Tz. S. 17 ff.), nicht akzeptiert wurde, obwohl diese Moglichkeit in Art. 106 Abs. 5 GG vorgesehen ist. Dies beruht im wesentlichen auf zwei Griinden: 1. Man traut den Gemeinden — zumindest fiir die nahe Zukunft — nicht zu, „eine sachgerechte Entscheidung iiber die Hohe der Hebesatze zu treffen...". — 2. Das Hebesatzrecht der Gemeinden wurde erhebliche steuerrechtliche und vor allem steuertechnische Probleme aufwerfen, da schon bei der Erhebung und Abfiihrung der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommensteuer jeder Steuerbetrag in einen Staats- und Gemeindeanteil, auf den sich das Hebesatzrecht bezogen hatte, hatte aufgeteilt werden miissen. In diesem Falle ware aber eine Berechnung des Gemeindeanteils auf Grund des mit Hilfe der Steuerstatistik ermittelten Schliissels in der oben skizzierten Weise nicht mehr moglich, so dafi das Steuerzuteilungsverfahren mit einem immensen Verwaltungsaufwand verbunden ware. (Heckt, W.: Die Gemeindefinanzreform, in: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 17 vom 8. 2.1969, S. 135.) 299 Vgl. Obert, G : Die Finanzreform 1969, Sonderdruck aus dem Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 65 vom 21. 5. 1969, S. 14.
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
165
der Gewerbesteuer, die zu gleichen Teilen an Bund und Lander abzufiihren ist. Diese Gewerbesteuerumlage macht die Gemeindefinanzen nicht nur konjunkturunempfindlicher, sondern iibt audi auf die gemeindliche Finanzausstattung eine nivellierende Wirkung aus. Die Gewerbesteuerumlage, die jede Gemeinde an das fur sie zustandige Finanzamt abzufiihren hat, berechnet sich wie folgt: Das Ist-Aufkommen der Gewerbeertrag- und Gewerbekapitalsteuer wird durch den von der Gemeinde festgelegten Hebesatz dividiert 800 . Der sich aus dieser Division ergebende Grundbetrag wird mit 120 multipliziert und ergibt die abzufiihrende Umlage 301> 302 . Der positive NettoefFekt der kommunalen Beteiligung an der Einkommensteuer nach Abschopfung der Gewerbesteuer betragt etwa 1,4 Mrd.
300
Ist
-A»fkommen
=
Gnmdbetrag
.
301 Beispiele: (1) Die Gemeinde A hat ein Aufkommen an Gewerbeertrag- und Gewerbekapitalsteuer von 4,5 Mio. DM p. a. bei einem Hebesatz von 300%.
4 5 Mio . - = 1,5 Mio. Grundbetrag; 1,5 Mio. X 120% = 1,8 Mio. DM abzufiihrende -' Umlage. Die Umlage betragt in diesem Fall genau 40% des Aufkommens. (2) Die Gemeinde B hat das gleiche Aufkommen bei einem Hebesatz von 250%. 4 5 Mio 2 ^
= 1,8 Mio. X 120% = 2,16 Mio. DM.
Die abzufiihrende Umlage betragt hier ca. 4 8 % vom Aufkommen. (3) Die Gemeinde C hat wiederum ein Gewerbesteueraufkommen von 4,5 Mio., dies aber bei einem Hebesatz von 350%. 4,5 Mio. 350%
1,285 Mio.; 1,285 X 120 = 1,54 Mio.
In diesem Fall sind nur ca. 34,3% des Steueraufkommens als Umlage abzufiihren. Hatte eine Gemeinde dagegen einen eigenen Hebesatz von weniger als 120%, miifite sie mehr abfiihren als ihr zuflosse. Dies verhindert § 6 Abs. 3 Gemeindefinanzreformgesetz, der fur diesen (theoretischen) Fall vorsieht, dafi dieser Gemeinde der Differenzbetrag zwischen Umlage und Aufkommen durch das zustandige Finanzamt erstattet wird. Die Lohnsummensteuer wurde deshalb nicht, wie noch im ersten Gesetzentwurf vorgesehen, mit einem differenzierten Gesetzentwurf zur Umlage herangezogen, da sonst die Gemeinden, die Lohnsummensteuern erheben — und dies sind in der Regel die finanziell schwadieren — im Verhaltnis zu den „reichen" Gemeinden, die nur die Gewerbekapital- und Gewerbeertragsteuer erheben, relativ starker belastet worden waren. Vgl. hierzu audi StrauE, F. J.: Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 151. 302 § 7 des Gemeindefmanzreformgesetzes bestimmt als Sondervorschriften fur Berlin und Hamburg: „In Berlin und Hamburg steht der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer dem Land zu. Die Lander Berlin und Hamburg fiihren den Bundesanteil der (Gewerbesteuer-)Umlage nach § 6 an den Bund ab."
Die finanzpolitische Willensbildung
166
DM 303, um welchen Betrag die Gemeindefinanzmasse verstarkt wird; allerdings verhalt sich dieser Zuwachs etwa umgekehrt proportional zur Einwohnerzahl des Ortes 304. Im Zuge dieser finanziellen Neuordnung der kommunalen Finanzen wurde der bisherige horizontale Finanzausgleich in Form eines Gewerbesteuerausgleichs zwischen Wohn- und Betriebsgemeinden abgeschafft; der in Art. 106 Abs. 7 GG verankerte vertikale Finanzausgleich zwischen Landern und Gemeinden fugt sich infolgedessen nahtlos an die erste Stufe der Einnahmenumverteilung an, um die noch verbleibenden Finanzlucken der Gemeinden aufzufullen. Dieser „vertikale" Finanzausgleich zwischen Landern und Gemeinden 305 ist ein System variierender Zuweisungen, durch die ein angemessener horizontaler Ausgleich der Finanzkraftunterschiede der Gemeinden entsteht, und tragt deshalb in der Terminologie des Finanzausgleichs die Bezeichnung vertikaler Finanzausgleich mit horizontalem Effekt. Die Berechnung der im kommunalen Finanzausgleich anfallenden Zuweisungen erfolgt durch Verwendung von Normgrofien, den sogenannten Schliisseln; die Zuweisungen tragen deshalb die Bezeichnung „Schliisselzuweisungen". Die Schlussel haben die Aufgabe, einen Vergleich zwischen Bedarf und 303
Obert, G.: Die Finanzreform 1969:, a.a.O., S. 14.
Gemeindegroftenklasse (Gemeinden mit . . . bis unter . . . Einwohner)
Steueraufkommen in DM/Einwohner vor der nach der Reform Reform
Verstarkung der Gemeindefinanzmasse DM/Einw. in v. H.
unter 1 000 1 000— 3 000 3 000— 5 000 5 000— 10 000 10 000— 20 000 20 000— 50 000 50 000—100 000 100 000—200 000 200 000 und mehr ohne Hamburg, Berlin (West) Hamburg, Berlin (West) Gemeinden insgesamt
93 121 157 181 205 242 278 265
107 136 172 197 222 258 291 283
14 15 15 16 17 16 13 18
15,1 12,4 9,6 8,8 8,3 6,6 4,7 6,8
309 256 210
328 269 226
19 13 16
6,1 5,1 7,6
Die Staffelung der Steuereinnahmen nach der Gemeindegrofie verringert sidi dadurdi von 1:3,33 auf 1:3,06. 304
StraufS, F. J.: Die Finanzverfassung, a.a.O., S. 158. Ein horizontaler interkommunaler Finanzausgleich nach dem Vorbild des Landerfinanzausgleichs scheiterte bislang schon an seiner technischen Undurchfiihrbarkeit; erst die Computer der jiingsten Generation sind in der Lage, eine dazu notwendige Matrix mit ca. 25 0002 Elementen — es gibt etwa 25 000 Gemeinden in der Bundesrepublik — simultan zu berechnen. 305
§ 20. Die Technik des Finanzausgleichs
167
Steuerkraft einer Gemeinde zu ermoglichen. Dabei ist der Bedarf eine besonders schwer fafibare Grofie, da es kaum moglich ist, den individuellen Finanzbedarf einer Gemeinde im einzelnen objektiv zu analysieren und zu beriicksichtigen; vielmehr mufi dieses Merkmal „Bedarf" darauf beschrankt bleiben, einige allgemeine und regional vergleichbare Lasten zu erfassen. Eine vollige Nivellierung der Finanzkraftunterschiede aller Gemeinden ist, ebenso wie bei den Landern, schon aus okonomischen und politisch-soziologischen Griinden keineswegs wiinschenswert; ein gewisser Finanzkraftunterschied zwischen den Gemeinden wird sich ohnehin, solange die Gemeinden auch nur in geringem Umfang eigene Steuerquellen ausschopfen, niemals beseitigen lassen. Ziel der Bedarfsmessung kann es daher nur sein, einen den „durchschnittlichen Ausgabenbedarf" reprasentierenden „Normalbedarf" zu ermitteln, der in der Ausgangsmefizahl quantifiziert und der Steuerkraft, ausgedruckt durch die Steuerkraftmefizahl, gegeniibergestellt wird. Dabei kann und soil auch hier nur eine durchschnittliche Steuerkraft, gewissermafien eine „Normalsteuerkraft", ermittelt werden; dies geschieht dadurch, dafi die zur Ermittlung der Steuerkraft herangezogenen Realsteuern weitgehend mit fingierten Hebesatzen angesetzt werden, die die starke Unterschiedlichkeit der tatsachlichen Hebesatze in gewissem Grade nivellieren. Die DifFerenz zwischen Ausgangsmefizahl und Steuerkraftmefizahl bildet den Schltissel; iiberwiegt die Steuerkraftmefizahl, erhalt die Gemeinde keine Schliisselzuweisungen, iiberwiegt die Ausgangsmefizahl, so erhalt sie die Halfte der DifFerenz als Schliisselzuweisung aus der jahrlich neu im Landeshaushalt festgelegten Ausgleichs- oder Schliisselmasse vergutet. Wahrend die Berechnung der Steuerkraftmefizahl einer Gemeinde keine besonderen Schwierigkeiten verursacht, ist die Ermittlung der Ausgangsmefizahl ungleich schwieriger. Sie gliedert sich zunachst in einen Hauptansatz, der von der Einwohnerzahl der Gemeinde ausgeht, und verschiedene Erganzungsansatze (Bevolkerungsansatz nach der alters- und berufsmafiigen Zusammensetzung der Bevolkerung, Fliichtlingsansatz, Grenzlandansatz, Arbeitslosenansatz u. a. m.), die von Land zu Land in verschiedener Form beriicksichtigt werden. Hauptansatz und Erganzungsansatze ergeben zusammen den „Gesamtansatz
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§ 2 1 . Der Tatbestand
175
wertung macht jedoch die nominellen Ausgabenbetrage in sich und untereinander unvergleichbar. Audi bei Beriicksichtigung der Geldentwertung bieten die Zahlen der Gesamtausgaben des Staates allerdings keine Aussage liber das Verhaltnis des offentlichen zum privaten Sektor; gerade darin liegt aber die Bedeutung des Wagnerschen Gesetzes, das ja nicht nur die absolute Zunahme der Staatstatigkeit und damit der offentlichen Ausgaben feststellt, sondern zugleich audi voraussagt, dafi sich „die staatlidie Gesamtwirtschaft gegeniiber den anderen Wirtschaften ausdehnen wird" 4. Es geht also um das relative Wachstum der offentlichen Ausgaben, gemessen am Bruttosozialprodukt oder Volkseinkommen; noch deutlicher wird die Entwicklung, wenn man sie in Beziehung zum Bevolkerungswachstum setzt 5 . Die Zahlen der Tabelle 5 (S. 176) lassen deutlich erkennen, dafi die offentlichen Ausgaben im Deutschen Reich bzw. in der Bundesrepublik Deutschland im Verhaltnis zum Volkseinkommen und ebenso pro Kopf der Bevolkerung steil gestiegen sind 6 ; statistische Angaben fur die USA zeigen auch hier eine parallele Entwicklung 7. Fur Grofibritannien hat Ursula Hicks eine graphische Darstellung veroff entlicht 8, nach der die Staatsausgaben von 1900 bis 1910 rd. 1 5 % des Volkseinkommens ausmachten, wahrend des Ersten Weltkrieges fast 25°/o, in den 20er und 30er Jahren uber 30°/o, im Zweiten Weltkrieg zeitweise bis zu 80% stiegen und sich in den 50er Jahren auf etwa 4 0 % einpendelten; abgesehen von den starken Schwankungen infolge der Kriege lafit sich auch in den Friedensjahren ein deutlicher Trend nach oben feststellen. Bei der Beobachtung empirischer „Gesetzmafiigkeiten" in der Entwicklung der Staatsausgaben mufi allerdings berucksichtigt werden, dafi nur ein 4
Wagner, Adolph: Grundlegung . . . , a.a.O., S. 884. Die in den Vereinigten Staaten haufige Methode der Messung der Tatigkeit des Staates an seiner Beanspruchung der einzelnen Produktionsfaktoren (Kapitalausriistung, Beschaftigte oder Kaufe von Gutern und Diensten), also des „input" (vgl. Fabricant, S.: The Trend of Government Activity in the United States since 1900, Publications of the National Bureau of Economic Research, Inc., Nr. 56, New York 1952, S. 10 ff.; Due, J. F.: Government Finance, 3. Ed., Homewood, 111., 1963, S. 43 ff.; Buchanan, J. M.: The Public Finance, a.a.O., S. 30 ff.), kann wegen fehlender statistischer Unterlagen hier nicht angewandt werden. Die Verwendung des Sozialprodukts als Mafistab der Staatstatigkeit ist auch insofern problematisch, als diese Grofie bereits den iiber die Staatsausgaben gemessenen und bewerteten Beitrag des Staates zum gesamtwirtschaftlichen Ertrag mit umfafit. Vgl. Recktenwald, H. C. : Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben in der Bundesrepublik, in: Wandlungen der Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Heinz Konig, Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 26, Berlin 1962, S. 206; Buchanan, J. M.: The Public Finance, a.a.O., S. 33. 6 Vgl. hierzu Andic und Veverka: „The Growth of Government Expenditure in Germany since the Unification" in: Finanzarchiv NF. Bd. 23 (1963/64) S. 169 ff. 7 Vgl. hierzu Woytinsky: World Commerce and Governments, New York 1955, S. 688/689, zit. nach Piitz, Th.: Wirtschaftliche Entwicklung und zunehmende Staatstatigkeit, in: Zeitschrift fiir Nationalokonomie, Bd. 20, Wien 1960, S. 64. 8 Hicks, Ursula, K.: British Public Finances, Their Structure and Development 1880—1952, London 1954, S. 11. 5
Die Ausgabenpolitik
176
Tabelle 5. Anteil der Staatsausgaben am Vblkseinkommen und pro Kopf der Bevolkerung in Deutschland Jahr
Anteil der unmittelbaren Ausgaben am Volkseinkommen in °/o
Unmittelbare Ausgaben pro Kopf in M, RM und DM
1913 1 1925 1930 1935 1949 I 9 1953 1955 1957 1959 1961 1 0 1967 1 1
15,7 24,2 28,9 31,8
119,8 232,5 316,6 281,4 513,3 915,4 1006,4 1262,7 1473,5 1755,4 2772,0
38,1 40,1 36,1 38,5 39,5 40,9 45,5
Teil, wenn audi der grofiere Teil des Staatsbedarfs, statistisch zu erfassen ist, wahrend der sogenannte „versteckte offentliche Bedarf" keiner amtlichen Statistik zuganglich ist. „Zum versteckten Staatsbedarf gehort jene Inanspruchnahme der Einzelwirtschaft durch den Staatsbedarf, die nirgends als solche eine Benennung oder gar einen anderen Ausdruck findet" 12. Er umfafit alle Leistungen, die der Staatsbiirger auf Grund gesetzlicher Bestimmungen und Verwaltungsverordnungen oder als Folge der komplizierten Gesetzgebung fur die Zwecke der offentlichen Hand unentgeltlich zu erbringen hat, vom Militar- und Arbeitsdienst iiber die j^hrenamter" als Schoffe und Geschworener, als Amtsvormund oder Beisitzer bis zu seiner Mitwirkung an der Ermittlung und steuerlichen Veranlagung des eigenen Einkommens und Vermogens sowie des Einkommens seiner Arbeiter und Angestellten. Im Zuge der modernen Entwicklung der Steuertechnik wird ein immer grofierer Teil der durch die Veranlagung, Errechnung und Einziehung der Steuern entstehenden Verwaltungsarbeit den Steuerpflichtigen selbst aufgebiirdet; diese unsichtbare Belastung erfahrt audi durch die immer umfassender werdende soziale Gesetzgebung eine zusatzliche Erhohung. Ebenso wie die Lohnsteuer, die Kapitalertragsteuer und die Kirchensteuer miissen die Sozialversicherungsbeitrage fiir jeden Angestellten und Arbeiter errechnet, verbucht und abgefuhrt werden, ganz abgesehen von den erforderlichen Eintragungen 9
Nach: Recktenwald, H. C.: Die Entwicklung der offentlidien Ausgaben in der Bundesrepublik, a.a.O., S. 208/209. 10 Statistisches Jahrbuch fiir die Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 21, S. 430, S. 538. 11 Statistisches Jahrbuch fiir die Bundesrepublik Deutschland 1969, S. 25, 394, 496 12 und Finanzbericht 1968, S. 34. Jessen, J.: Deutsche Finanzwirtschaft, 2. AufL, Hamburg 1944, S. 38.
§ 21. Der Tatbestand
177
auf den Lohnsteuer- und Versicherungskarten und der Abrechnung der einbehaltenen Betrage. Auch die Aufwendungen fur die durch die zunehmende Komplizierung der Steuergesetzgebung notwendig gewordene Inanspruchnahme der kostspieligen Dienste von Steuerberatern, Steueranwalten und Wirtschaftspriifern sowie fiir Steuerliteratur, Lohnsteuertabellen u. dgl. miissen dem versteckten offentlichen Bedarf hinzugerechnet werden; endlich belasten die verschiedenen statistischen Erhebungen die Betriebe mit betrachtlichen Kosten, die bei einer Untersuchung des offentlichen Finanzbedarfs nicht ubersehen werden durfen. Sorgfaltige Schatzungen iiber die Hohe dieses versteckten offentlichen Bedarfs lassen den Schlufi zu, dafi die Wagnersche Prophezeiung auch fiir diesen Teil des Finanzbedarfs gilt; die Zunahme des Finanzbedarfs ist daher in Wirklichkeit noch wesentlich kraftiger, als sie sich aus den vorliegenden Statistiken ablesen lafit 13 . Aus Tabelle 4 wird insofern eine gewisse Unterbrechung der geschilderten Entwicklung ersichtlich, als der Anteil der offentlichen Ausgaben am Nettosozialprodukt im Zeitraum von 1949—1959 erstmalig relativ konstant geblieben ist; auch in den Jahren 1955—1959 weist er eine nur geringfiigige Steigerung auf, um aber dann wieder verstarkt anzuwachsen. Aus einer gelegentlichen Abflachung der relativen Zuwachsrate lafit sich somit keineswegs der Schlufi ziehen, dafi „es sich in sakularer Sicht um einen historischen Bruch in der Entwicklung handelt" oder dafi etwa „das gesetzmafiige Wachstum . . . ein Maximum, einen Plafond erreicht (habe), der in Friedenszeiten nicht mehr uberschritten" werde 14. Einmal ist der Zeitraum, dem die Beobachtung gilt, viel zu kurz, um langfristige Entwicklungen daraus abzuleiten, zum anderen sind die genannten Jahre fiir eine grundlegende Analyse des Phanomens insofern ungeeignet, als sie von einem ganz uberdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum begleitet waren, das die Vergleichsbasis „Volkseinkommen" schlagartig erhohte. Dies wird durch eine Untersuchung K. Littmanns iiber die Entwicklung der staatlichen Aktivitat in der Bundesrepublik Deutschland von 1950—1970 bestatigt, in der die Staatsausgaben unter den alternativen Voraussetzungen eines um 2%, 3,4—4,4°/o und 6%> wachsenden Sozialprodukts prognostiziert wurden. Dabei ergab sich bis 1970 fiir die 13 Untersuchungen der Finanzwirtsdiaftlichen Abteilung des Instituts fiir Mittelstandsforschung in Koln lassen erkennen, dafi sdion fiir das Jahr 1957 die Milliardengrenze iiberschritten sein diirfte. VgL: „Der versteckte offentliche Bedarf", Institut fiir Mittelstandsforsdiung, Koln, Januar 1959, als Manuskript vervielfaltigt. Zu beaditen ist, dafi der versteckte offentliche Bedarf die internationale und zeitliche Vergleichbarkeit der Ausgabeziffern stark beeintrachtigt. Zum versteckten offentlichen Bedarf s. ferner Engelhardt, G. und Striimpel, B.: Steuerbelastung und Belastungswirkungen beim selbstandigen Mittelstand, vervielfaltiges Manuskript, Koln 1965; Striimpel, B.: Steuermoral und Steuerwiderstand der 14 deutschen Selbstandigen, a.a.O. S. 27 ff. Recktenwald, H. C : Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben . . . , a.a.O., S. 210 u. 211.
12 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
178
Die Ausgabenpolitik
ersten beiden Werte eine iiberproportionale Zunahme der offentlichen Ausgaben; erst bei einem jahrlichen Wachstum des Sozialprodukts urn 6%) bleibt der Staatsanteil relativ zuriick 15 . N i m m t m a n zu dem ausgewiesenen offentlichen Bedarf das — freilich statistisch k a u m exakt nachzuweisende — starke Anwachsen des versteckten offentlichen Bedarfs hinzu und beriicksichtigt man den gleichzeitigen Anstieg der von den Parafisken beanspruchten M i t t e l 1 6 , so lafit sich demnach durchaus die Annahme rechtfertigen, dafi das Wagnersche „Gesetz" auch heute noch Gultigkeit besitzt; der Finanzbedarf der offentlichen Korperschaften ist absolut und relativ nach wie vor im Steigen begriffen. Allerdings hat sich die Finanzwissenschaft immer dagegen gestraubt, die durch das Wagnersche Gesetz bezeichnete Entwicklung als unentrinnbare, gewissermafien naturgesetzliche Schicksalsfugung hinzunehmen oder gar eine zwangslaufige Entwicklung zum Kommunismus oder Kollektivismus darin zu e r k e n n e n 1 7 ; sie bemiiht sich im Gegenteil von jeher darum, im einzelnen festzustellen, ob und inwieweit sich die Staatsausgaben auf G r u n d innerer Zwangslaufigkeiten, notwendiger Zusammenhange oder wechselseitiger A b hangigkeiten entwickeln, die in den Haushaltsplanen und finanzpolitischen Beschlussen der Staatsorgane nur ihren letzten, aufieren Niederschlag finden, oder ob sie „in A r t und Umfang willkurlichen, d. h. nicht determinierbaren politischen Entscheidungen der fiskalischen Willenstrager" 18 gehorchen. Soweit dies zutrifft, miifite es moglich sein, der geschilderten Aufwartsentwicklung der offentlichen Ausgaben eines Tages doch noch Einhalt zu gebieten oder sie sogar gelegentlich einmal etwas zunickzuschrauben; die Finanzgeschichte kennt Beispiele fur derartige Perioden der „Austerity". Diese vertiefte Analyse k a n n ihre Ergebnisse jedoch nicht aus der Beobachtung der Gesamtsumme der offentlichen Ausgaben ableiten; die Globalgrofie Staatsausgaben mufi dazu vielmehr in ihre einzelnen Komponenten aufgegliedert werden, um den fur ihre Entwicklung verantwortlichen Ursachen im einzelnen nachgehen zu konnen.
15 Littmann, K.: Strukturen und Entwicklungen der staatlidien Aktivitat in der Bundesrepublik Deutschland 1950—1970, Vortrag, gehalten am 20. September 1962 auf der Tagung des Vereins fur Socialpolitik in Luzern, Sdiriften des Vereins fur Socialpolitik, NF. Bd. 30/11, Berlin 1964, S. 801 ff. 16 Die nicht aus offentlichen Haushalten gespeisten Einnahmen der Trager der offentlichen Sozialleistungen (Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung fiir Arbeiter und Angestellte, Knappschaftliche Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Familienausgleichskasse und Lastenausgleichsfonds) stiegen von 6,03 Mrd. DM 1949 auf 28,7 Mrd. DM 1960; in Prozent des Nettosozialprodukts zu Faktorkosten von 9,6% 1949 uber 10,6% 1953, 11,4% 1956 und 12,7% 1959 auf 12,9% 1960 und 12,8% 1967. (Errechnet nach Angaben der Statistischen Jahrbiicher der Bundesrepublik Deutschland.) 17 Lotz, W.: Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 198 ff.; Jessen, J.: Deutsche Finanzwirtschaft, a.a.O., S. 40. 18 Littmann, K.: Entwicklungen der staatlichen Aktivitat . . . , a.a.O., S. 16.
§ 21. Der Tatbestand
179
Eine erste Deutung des Tatbestandes, mit dem wir es bei der „wachsenden Ausdehnung der offentlichen, insbesondere der Staatstatigkeiten" zu tun haben, hat Adolph Wagner seinerzeit selbst gegeben: „Die Finanzwirtschaft hat dem Staate die sachlichen Hilfsmittel (Sachguter, Geld) zu beschaffen, welcher dieser zu seiner Funktion als Gesamtwirtschaft bedarf. Daraus folgt mit Notwendigkeit, dafi der aufiere Umfang der Finanzwirtschaft von dem Umfang und der Art der jeweiligen Aufgaben und Tatigkeiten des Staates bestimmt wird." 19 Sowohl der Umfang als auch die Art der offentlichen Aufgaben haben in der Tat durch ihre Ausdehnung zur Steigerung des Finanzbedarfes beigetragen; einmal entfalten sich die herkommlichen Ausgabekategorien des offentlichen Haushalts zu immer umfangreicherem Volumen, zum zweiten treten mehr und mehr neue Aufgaben der offentlichen Hand hinzu, deren Finanzbedarf insgesamt weit iiber die Aufwendungen fur die ursprunglichen Staatszwecke hinauswachst. Heinrich Rau, dessen Lehrbuch der Finanzwissenschaft Adolph Wagner bearbeitet und in immer neuen Auflagen schliefilich zum eigenen Lebenswerk ausgestaltet hat, teilte die offentlichen Ausgaben gemafi ihrer Zweckbestimmung in „Verfassungs"- und „Regierungs"-ausgaben ein; als Verfassungsausgaben galten ihm diejenigen fiir Regierung und Volksvertretung, als Regierungsausgaben dagegen die nach den einzelnen Staatsaufgaben gegliederten Aufwendungen. Bei Wagner wurde daraus die Einteilung der offentlichen Ausgaben in solche, die sich aus dem „Rechts- und Machtzweck", und solche, die sich aus dem „Kultur- und Wohlfahrtszweck" des Staates ergeben; was mit beiden Unterscheidungen gemeint war, wurde der heutige Sprachgebrauch der Betriebswirtschaftslehre vielleicht als „Verwaltungsgemeinkosten" und als „Einzelkosten" der verschiedenen „Betriebsabteilungen" eines wirtschaftlichen Unternehmens bezeichnen. Die Finanzstatistik hat es freilich bis zu einer zahlenmafiigen Aufgliederung dieser „Gemeinkosten" nicht gebracht. Sie unterteilt die Ausgaben von Bund, Landern, Gemeinden und parafiskalischen Gebilden iiblicherweise nach Ausgabenbereichen und Ausgabenarten, dazu die Bundes- und Landerhaushalte nach den Kriterien des Gruppierungs- und Funktionenplanes 20. Daneben unterscheidet die Statistik zwischen „verm6genswirksamen" und „vermogensunwirksamen" Ausgaben 21, was „eine wesentlich bessere Diagnose der Finanzlage" zulaf5t; „vermogenswirksam sind diejenigen Finanzvorfalle, die als Zu- oder Abgange in der Schuldenubersicht zu verbuchen sind, mithin ihren Niederschlag in der Finanzierungsiibersicht finden. Von den 19 20 21
Wagner, Adolph: Finanzwissenschaft, a.a.O., S. 63 f. Vgl. § 10; Das Statistisdie Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland gliedert in „Verwaltungs- und Zweckausgaben" und „Ausgaben der Vermogensbewegung". 12*
Die Ausgabenpolitik
180
Ausgaben sind dies die Investitionen, die Tilgung von Schulden und die Zufiihrung an Rucklagen . . . Vermogensunwirksam sind . . . die laufenden personlichen und sachlichen Ausgaben" 22 . Diese Gliederung entspricht in vieler Hinsicht der seit langem im schwedischen Staatshaushalt gebrauchlichen Einteilung im Betriebsbudget und Kapitalbudget, einer Einteilung, die in gewisser Hinsicht bei dem deutschen Verwaltungs- und Finanzhaushalt Pate gestanden hat. Neben dieser aus Haushaltsrecht und Haushaltstechnik abgeleiteten Unterscheidung der Staatsausgaben hat sich auch die Volkswirtschaftslehre seit langem bemiiht, Einteilungskriterien mit Hilfe okonomischer Kategorien zu finden 23 . Eine solche Gliederung ist beispielsweise diejenige in „produktive" und „unproduktive" Ausgaben; „die P r o d u k t i v i t a t offentlicher Ausgaben ergibt sich aus einem Vergleich zwischen dem gesellschaftlichen Wert des aus der Staatstatigkeit hervorgehenden Gutes und dem gesellschaftlichen Wert der Guter und Dienste, die fiir jene Tatigkeit beansprucht w e r d e n " ; sie „bemifit sich nach ihrem Beitrag zur regelmafiigen und harmonischen Entwicklung des Sozialprodukts" 24 . Ein solcher Produktivitatsbegriff lafit sich freilich nicht recht quantitativ ausdriicken; er ist nicht viel mehr als der ehrwurdige Sammelbegriff fiir „Ausgaben, die eine Vermehrung des N a t i o n a l reichtums bedeuten" 25 . Eine im G r u n d e ebenso unergiebige Einteilung trennt zwischen „rentablen" und „unrentablen" Ausgaben (B. Moll) 2 6 ; fafit man die Forderung nach Rentabilitat im Sinne einer „Umwegsrentabilitat" auf, d. h. der Verwendung der orTentlichen Mittel in einer A r t und Weise, d a £ dabei auf dem Umweg iiber eine Steigerung der volkswirtschaftlichen Leistungskrafte letzten Endes auch Steuerkraft und Steuerleistung eine Zunahme erfahren 27 , so diirften andere als in diesem Sinne „rentable" Ausgaben im G r u n d e letztlich gar nicht zulassig sein, eine Folgerung, die analog ebenso fiir den Gesichtsp u n k t der „ P r o d u k t i v i t a t " der Staatsausgaben gilt. G. Colm 28 unterscheidet die offentlichen Ausgaben nach ihrer Beziehung zur Marktwirtschaft. 22
Herrmann, K. A., Art. Finanzstatistik, in: Handworterbuch der Sozialwissensdiaften, Bd. 3, a.a.O., S. 650. 23 Eine knappe, aber ausreichende Ubersicht iiber die bekanntesten Gliederungskriterien gibt Kullmer, L.: Kriterien der Abgrenzung offentlicher Ausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik NF. Bd. 47. Berlin 1967, S. 10 ff. 24 Masoin, M.: Die offentlichen Ausgaben, in: Handbuch der Finanzwissensdiaft, 2. Aufl., Bd. 2, a.a.O., S. 4. 25 Abgeleitet von dem Begriff des Sozialprodukts identifiziert Buchanan produktive Ausgaben mit den im folgenden besdiriebenen „Leistungsentgelten" (Kaufen), vgl. Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 31. 26 Moll, B.: Probleme der Finanzwissenschaft, Leipzig 1924, S. 45. 27 Dobretsberger, J.: Das Geld im Wandel der Wirtschaft, Bern 1946, S. 148 ff. 28 Colm, G.: Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben, Tubingen 1927, S.17ff.
§ 21. Der Tatbestand
181
Colm kommt zu folgenden vier Kategorien: 1. Ausgaben zur Erhaltung und Sicherung der staatlichen Existenz, die nach dem Inhalt ihrer Leistungen in keiner unmittelbaren Beziehung zur Marktwirtschaft stehen (Tatigkeit der Staatsorgane, Rechtspflege, innere Verwaltung). 2. Ausgaben, die als „Produktionsfaktoren hoherer Ordnung" Voraussetzung fiir die freie Entfaltung der Marktwirtschaft sind und die entweder generell alien Unternehmen zugute kommen oder als spezielle Leistungen bestimmten Gruppen Vorteile bringen. Zu den ersten zahlen Ausgaben fiir die Ordnung des Geldwesens, fiir die Sicherung des Eigentums u. a., zu den zweiten etwa das Aktienrecht, „das die Kreditfahigkeit bestimmter Unternehmungen, der Aktiengesellschaften, hebt". 3. Ausgaben, die in Konkurrenz mit dem marktwirtschaftlichen Organisationsprinzip stehen oder es erganzen, in erster Linie die Ausgaben fiir Staatsleistungen auf den Gebieten des Schulwesens, des Verkehrs, „der Public Utilities" u. a. m. 4. Ausgaben, die als Eingriffe in die Marktwirtschaft den marktwirtschaftlichen Prozefi verandern sollen, vor allem dann, wenn prinzipielle Unzulanglichkeiten des marktwirtschaftlichen Systems zu volkswirtschaftlich unerwiinschten Entwicklungen fiihren wiirden; hierbei handelt es sich vornehmlich urn Ausgaben zur Vermeidung von Raubbau, zur Forderung von Investitionen mit extrem langer Ausreifezeit, aber auch um die Staatstatigkeit auf dem Gebiet der Sozial- und Kulturpolitik usw. Auch bei dieser Einteilung ist es „allerdings sehr schwer, nun im einzelnen empirisch zu entscheiden, welche wirtschafts- und sozialpolitischen Mafinahmen im einzelnen der Eigenstruktur der Marktwirtschaft entsprechen, ihr also Kosten bzw. Unkosten ersparen, und welche Mafinahmen um politischer oder kultureller Ziele willen in die Marktwirtschaft eingreifen" 29. Die Entwicklung der herkommlichen Finanz„wirtschaft" zur modernen Finanz„politik", d. h. von der blofien Deckung des Finanzbedarfs zum Einsatz der Finanzmittel fiir die allgemeine Wirtschafts-, Sozial- und Konjunkturpolitik, ist zum Teil einfach dem Anwachsen der Grofienordnungen, zum anderen aber dem Aufkommen neuer Arten von offentlichen Ausgaben zuzuschreiben; einige summarische Zahlenangaben aus verschiedenen Landern geniigen, um diesen Vorgang anschaulich zu machen (vgl. Tabellen 5 u. 6). Wenn auch die Abgrenzung der Ausgabekategorien von Land zu Land durchaus unterschiedlich ist, so lafit sich doch feststellen, dafi die Ausgaben fiir die Verteidigung einerseits, fiir die sozialen Dienste andererseits durch-
Colm, G.: Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben, a.a.O., S. 32.
182
Die Ausgabenpolitik Tabelle 6. Die Staatsausgaben einiger Lander 1938 bzw. 1939 und 1967 30 1967
1938
Ausgaben 1967 31 in Prozenten v. 1938
1. Groftbritannien und Nordirland ( in Mill. £) 1 105,9 217,6 0,0 165,7 274,8
Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Soziale Dienste Verteidigung
12 736 1041 476 3 527 3 069
1 152 477
— 2 128 1 117
2. Niederlande (in Mill. Gulden) Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Verteidigung
97,0 14,0 0,0 29,0
22 253 1242 2 813 3 238
2 445 1044 2 038 2 280
3. Italien (in Mrd. Lire) Gesamtausgaben Schuldendienst Soziale Dienste Verteidigung
40,7 6,8 1,3 14,4
8 169,4 430,1 855,4 1 091,5
20 072 6 325 6 580 7 580
5 827,9 235,2
604 221
4, Schweiz (in Mill. Franken) Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Soziale Dienste Verteidigung
965,4 106,2 60,4 48,7 519,3
— 840,2 1 702,1
— 1728 328
5. USA (in Mill. %)32 Gesamtausgaben Schuldendienst Subventionen Zuwendungen an Kriegsteilnehmer Soziale Dienste Verteidigung Auslandshilfe
30
8 966 941
— 559 3 559 1077 2
158 414 12 548 4 377 5 921 40 084 70 092 4 650
1761 1333
— 1059 7170 6 508 232 500
Berechnet nach dem Statistischen Jahrbuch fur die Bundesrepublik Deutschland, 1953, S. 102 if., und 1969, S. 69 ff. sowie nach Statistical Yearbook, United Nations 1967. 31 Anderungen des Geldwertes in der Vergleichszeit sind nicht ausgeschaltet, so daft die hohen Steigerungssatze, besonders fur Frankreich und Italien, neben der realen Steigerung der Ausgaben auch die Geldentwertung widerspiegeln. 32 1966.
§ 21. Der Tatbestand
183
Tabelle 6. Fortsetzung 1939
1967 33
Ausgaben 1967 in Prozent v. 1939
6. UdSSR (in Mill. Rubel) Gesamtausgaben Erziehung Gesundheit Sozialversicherung Verteidigung Kapitalzuwendungen an die Volkswirtschaft
153 100 20 300 8 200 9 836 39 200
110 200 19 700 7 400 15 800 14 500
720 970 902 1606 370
60 460
46 900
776
weg starker gestiegen sind als die Gesamtausgaben 34 . Wahrend die hohen Verteidigungsausgaben vor allem durch die zunehmende Technisierung der modernen Kriegfuhrung bedingt sind, aufiert sich in den Sozialausgaben die Wandlung der Staatsauffassung, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte durchsetzte und die dahin tendierte, immer groCere Aufgabengebiete vom einzelnen und von der Familie auf den Staat zu ubertragen 35 . Die in diesen Vergleichen erkennbare Verlagerung des Schwergewichts der Staatsausgaben auf zwei Hauptkategorien, die gesamte Eigenfinanzwirtschaft des Staates einschliefilich seiner Verteidigung und die Korrektur 33
Neue ( = schwere) Rubel, 1 neuer = 10 alte Rubel. Zu Einzelheiten dieser Entwicklung in den USA und England vgl.: Colm, G. und Helzner, M.: Rapport americain, in: L'importance et la structure des recettes et des depenses publiques, Institut International des Finances Publiques, Briissel 1960, S. 58 ff., und Peacock et Wiseman: Rapport anglais, ebenda, S. 224 ff. Fur Deutschland s. Andic und Veverka a.a.O. Besonders hervorzuheben ist die Untersuchung von A. T. Peacock und J. Wiseman (The Growth of Public Expenditure in the United Kingdom, Princeton 1961), aufgrund deren die beiden Autoren ihre „Displacement Effect"-(=Niveauverschiebungs-)Hypothese formulieren; zu ihrem Ergebnis, dafi sich nach Kriegen die realen Staatsausgaben pro Kopf der Bevolkerung nach oben verschieben, gelangen sie durch folgende Erkenntnis: 1. durch Kriege erhoht sich die steuerliche Belastbarkeit der Bevolkerung, was nach den Kriegen 2. eine Befriedigung neu entdeckter Kollektivbediirfnisse erlaubt, somit aber gleichzeitig ein Absinken der offentlichen Ausgaben auf den Vorkriegsstand verhindert. Diese Niveauverschiebungsthese wurde bei Aufspaltung der Gesamtausgaben (z. B. ohne Verteidigungsaufgaben und Wiederaufbaukosten) von S. P. Gupta (Public Expenditure and Economic Growth — A Time Series Analysis, in Public Finance/Finances Publiques Bd. 22 Nr. 4 (1967)) und J. M. Bonin, B. W. Fench und J. B. Waters (Alternative Tests of the displacement Effect" Hypothesis, ebenda, Bd. 24 Nr. 3 (1969)) getestet und im wesentlichen bestatigt. Zu den Problemen eines empirischen Tests des Wachstums der Staatsausgaben s. Hoffman, I. J.: On the Empirical Testing of "Wagner's Law": A Technical Note, in: Public Finance 1968, S. 359 ff. 35 Vgl. § 19. 34
Die Ausgabenpolitik
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§ 21. Der Tatbestand
185
des volkswirtschaftlichen Verteilungsprozesses mittels Sozialausgaben und Subventionen, findet ihren Niederschlag in der heute allgemein bevorzugten Zweiteilung der Staatsausgaben, die auf A. C. Pigou zuriickgeht 37 und in ahnlicher Form auch in Deutschland schon vor 30 Jahren von G. Colm 3 8 vorgeschlagen worden war. Pigou bezeichnet solche Ausgaben, die mit einer Inanspruchnahme von Produktionsfaktoren seitens des offentlichen Sektors verbunden sind, als „ exhaustive expenditures" 39, wobei er jedoch darauf hinweist, dafi der Ausdruck „exhaustive" keineswegs etwa so zu verstehen sei, als handele es sich dabei um unwirtschaftliche Aufwendungen oder um solche, die im Interesse des Gemeinwesens besser unterblieben waren 4 0 ; es sind einfach die Aufwendungen fur die vom offentlichen Sektor beanspruchten Arbeitskrafte, Sachguter und Dienstleistungen, die der privaten Wirtschaft durch staatliche „Kaufe" auf den verschiedenen Markten gegen Entgelt entzogen werden (Leistungsentgelte). Die zweite Gruppe von Staatsausgaben ist nach Pigou dadurch gekennzeichnet, dafi „ihre Zunahme direkt keine Umlenkung der Produktivkrafte von den Privaten auf die Staatswirtschaft, sondern nur eine Umverteilung der Einkommen innerhalb der privaten Sphare auslost" 41 . Diese sog. „Transferzahlungen" konnen formal definiert werden als „Einkommensteile in bar oder in geldwerten Sach- oder Dienstleistungen, die nicht Gegenleistungen fur irgendwelche Giiter, Dienste oder Werte derjenigen Personen oder Gruppen sind, denen sie zufliefien" 42. Empfanger solcher Einkommensiibertragungen sind sowohl private Haushalte, die Pensions-und Rentenleistungen, Kriegsopferversorgungs-, Wiedergutmachungs-, Kranken- und Arbeitslosenleistungen, allgemeine Fiirsorge, Kinder- oder Mutterschutzgelder oder Schuldendienstzahlungen der offentlichen Hand erhalten 43 , als auch Unternehmen, die finanziell durch Subventionen, Investitionszuschiisse oder Entschadigungen fur Kriegsverluste gefordert werden oder als offentliche Unternehmen Gewinne erzielen, die sie nicht an die offentlichen Kassen abfuhren 44. 37
Pigou, A. C : A Study in Public Finance, London 1928, S. 19 ff. Colm, C : Volkswirtschaftliche Theorie der Staatsausgaben, a.a.O., S. 17 ff., und ders.: The Theory of Public Expenditures (1936), in: Essays in Public Finance and Fiscal Policy, New York 1955, S. 27 ff. 39 In spateren Auflagen „real expenditures" (2. Aufl. 1929) und „non transfer expenditures" (3. Aufl. 1947/60); es handelt sich dabei lediglich um terminologische Unterschiede. 40 Pigou, A. C : A Study in Public Finance, a.a.O., S. 19 f. 41 Littmann, K.: Zunehmende Staatstatigkeit und wirtschaftliche Entwicklung, Koln u. Opladen 1957, S. 99. 42 Rolph, E.: The Theory of Fiscal Economics, a.a.O., S. 58 (iibersetzt vom Verfasser). 43 Genau genommen sind Beamtenpensionen und Zinsen Leistungsentgelte fur die Vergangenheit, doch empfiehlt es sich der Einfachheit halber, sie zu den Transferzahlungen zu rechnen, da sie mit den „Staatsleistungen" der Gegenwartsperiode wenig zu tun haben. Vgl. Due, John F.: Government Finance, a.a.O., S. 67. 44 Vgl. Recktenwald, H. C.: Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben . . . , a.a.O., S. 226. 38
Die Ausgabenpolitik
186
Diese Einteilung der Staatsausgaben in Leistungsentgelte und Einkommensiibertragungen ohne Gegenleistung spiegelt zugleich die Hauptentwicklungsrichtung wider, die sich aus den Zahlen ablesen lafit; treten in Aufriistungs- oder Kriegszeiten die Leistungsentgelte in Gestalt von Aufwendungen fur Riistungsguter und Dienste in den Vordergrund, so verschiebt sich im Frieden das Schwergewicht auf die Transferausgaben insbesondere im Bereich der Sozialpolitik und der Subventionen. Auch der Verwaltungsaufwand der offentlichen Hand steigt mit dem Wachstum der Gesamtwirtschaft absolut und im Verhaltnis zur Bevolkerung standig weiter an 45. Der Anteil der Staatsbediensteten an der Bevolkerung im Ganzen und insbesondere an der Gesamtzahl der „Erwerbspersonen" entwickelte sich in Deutschland wie folgt: Tabelle 8. Bevolkerung und Verwaltungspersonal 1925—1968 Jahr
Erwerbsbevolkerung in 1000
Verwaltungspersonal
Verw,,-Personal in°/o der Erwerbsbevolk.
Verw.-Personal pro 1000 der jew. Bevolkerung
1925 1933 1950 1955 1960 1968
32 329 32 622 21950 24 165 25 535 26 342
1 152 340 1 115 045 1 136 842 1 372 786 1 575 681 1 974 584
3,6 3,4 5,2 5,7 6,1 7,5
18 17 24 28 30 31
Quelle: Recktenwald, H. G.: Die Entwicklung der offentlichen Ausgaben . . . , a.a.O., S. 230; erganzt nach Stat. Jahrbuch der BRD 1969, S. 15, 121, 409. Auf 1000 Einwohner entfielen demnach 1968 fast doppelt soviel im offentlichen Dienst Beschaftigte wie 1925, was zum Teil wohl durch den starker foderativen Aufbau der Bundesrepublik bedingt ist; in dieser Entwicklung kommt aber wohl auch die im Vergleich zur Produktionswirtschaft geringere Rationalisierungs- und Mechanisierungsmoglichkeit der Verwaltungstatigkeit zum Ausdruck, die dazu fiihrt, daft bei jeder Mehrbeanspruchung und Arbeitszeitverkurzung Neueinstellungen notwendig werden. Die finanzpolitische Bedeutung dieser Entwicklung liegt besonders in der fatalen Starrheit der Personalausgaben, die fast stetig nach oben, aber kaum nach unten beweglich sind und nicht nur den augenblicklichen Staatshaushalt belasten, sondern in den Pensionsverpflichtungen weit in die Zukunft hiniibergreifen. Inwieweit diese Entwicklung sachlichen Notwendigkeiten der modernen Staatsfiihrung entspricht oder inwieweit es sich dabei um eine „Eigen45 Vgl. hierzu auch Fabricant, S.: The Trend of Government Activity ..., a.a.O., S. 12 ff.
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung
187
dynamik" des Verwaltungsapparates handelt, die in ahnlicher Form audi in den Grofibetrieben der privaten Wirtschaft zu beobachten ist, lafit sich exakt nicht bestimmen; vermutlich wirken dabei auch solche Erscheinungen mit, wie sie C. N . Parkinson in seinem „Gesetz" mit dem ironischen Humor des Briten treffend gekennzeichnet hat 4 6 .
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung Die im vorstehenden wiedergegebenen Zahlenangaben iiber die Entwicklung der offentlichen Ausgaben lassen keinen Zweifel daran, dafi die Voraussage Adolph Wagners iiber die Tendenz einer wachsenden Ausdehnung der Staatstatigkeit und damit des Finanzbedarfs sich in verblufrendem Ausmafie bewahrheitet hat; ob dieser Ausdehnungsprozefi sich allerdings gewissermafien zwangslaufig vollzieht, ob also die offentlichen Ausgaben wie nach einem Naturgesetz unabanderlich auch in Zukunft immer weiter ansteigen, kann nur eine nahere Analyse der Ursachen ihrer bisherigen Entwicklung lehren. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dafi ein Teil der normalen Ausgabensteigerung sich einfach aus der sakularen Geldentwertung erklart; auch die internationalen Unterschiede im prozentualen Anwachsen der Haushaltssummen spiegeln zu einem Teil lediglich das ungleiche Tempo wider, in dem die Wahrungen an realer Kaufkraft verlieren. Andererseits bleibt auch dann, wenn die Zahlen auf Geld gleicher Kaufkraft umgerechnet, die Einfliisse der Geldentwertung also aus dem statistischen Gesamtbild ausgeschaltet werden, die Wachstumstendenz der offentlichen Ausgaben unverkennbar; dies gilt nicht nur fur die Gesamtausgaben, sondern auch fur die einzelnen Ausgabenarten. S. Fabricant kommt bei seiner sehr detaillierten Untersuchung der Ausgaben der Vereinigten Staaten zu dem Ergebnis, dafi selbst jene Ausgabenkategorien, die in den letzten 40 Jahren die geringste Zuwachsrate aufwiesen, sich nominell vervierfacht haben, also um mehr als die Preissteigerung gewachsen sind 47 ; der Hinweis auf die sakulare Geldentwertung enthebt die Forschung also keinesfalls der Aufgabe, sich naher mit den Ursachen dieser Entwicklung zu beschaftigen. A. Wagner selbst sah die Ursache der zunehmenden Staatstatigkeit in dem „Fortschritt von Cultur und Volkswirtschaft", d. h. in dem mit vermehrter Industrialisierung, wachsender Arbeitsteilung und steigendem realen 46 47
Vgl. audi § 15. Fabricant, S.: The Trend of Government Activity ..., a.a.O., S. 57 f. Fur Deutschland kommen Andic und Veverka zu dem Ergebnis, daft die Staatsausgaben von 1881 bis 1958, in Preisen von 1900 (!) gerechnet insgesamt um ca. 4500% und pro Kopf der Bevolkerung um etwa 1350°/o gestiegen sind. (S. Andic, S. und Veverka, J.: The Growth of Government Expenditure in Germany, a.a.O., S. 243).
Die Ausgabenpolitik
188
Volkseinkommen verbundenen wirtschaftlichen Wachstum 48 . Fiir den Staat ergeben sich daraus sowohl auf dem Gebiete der „Rechts- und Machtfunktion" 49 als auch auf dem Gebiete des „Cultur- und Wohlfahrtszweckes" 50 neue, mit wachsenden Ausgaben verbundene Aufgaben, die das Gesetz der wachsenden Ausdehnung der Staatstatigkeiten als einen „Erfahrungssatz, d. h. die Feststellung eines geschichtlichen Sachverhalts" 51 hinlanglich erklaren. Auch in manche bisher der privatwirtschaftlichen Tatigkeit vorbehaltene Bereiche bricht der Staat ein, da sich die Privatwirtschaft in vieler Hinsicht unfahig zeige, „die ungeheuren Kapitalien des modernen Produktionsprozesses richtig zu verwalten" 52 ; eine Voraussage, die „eher einem Pladoyer fiir die zunehmende Staatstatigkeit als einer niichternen und unvoreingenommenen Analyse gleicht" 53 und wohl nur aus der prinzipiellen Skepsis des Staats- und Kathedersozialisten Wagner gegeniiber dem marktwirtschaftlichen System zu erklaren ist 54 . H. Timm hat sich in seinem Aufsatz, der auch ausfiihrlich auf die Problematik der sogenannten „Gesetze" in der Nationalokonomie eingeht, um eine theoretisch zwingende Erklarung des historischen Prozesses in der Form einer „plausiblen nachtraglichen Voraussage" bemuht; er begriindet die relative Ausdehnung der nicht kriegsbedingten Staatsausgaben „mit der Existenz und der Uberwindung mehrerer zeitlicher Verzogerungen (,lagsc) sowie der mit diesen lags verbundenen Intensivierung und Akkumulation von Bediirfnissen" 55. Die jjSuperioren" Bedlirfnisse fiir eine bessere Erziehung und Ausbildung der Kinder, fiir eine vermehrte Gesundheitsforderung und -sicherung und fiir eine erhohte Vorsorge fiir Alter und Unglucksfalle wurden danach von dem einzelnen Staatsbiirger erst dann als drangend empfunden, nachdem das Realeinkommen pro Kopf eine bestimmte Hohe iiberschritten hatte, so dafi die Befriedigung der elementaren Bediirfnisse dem einzelnen einen gewissen finanziellen Spielraum liefi (sog. „natiirlicher lag"). Erst nachdem ein solches Bediirfnis fiir hohere Kollektivleistungen von einer geniigenden Zahl von Staatsbiirgern mit geniigender Intensitat empfunden wurde, d. h. nachdem die Einkommen allgemein gestiegen waren, ergab sich die Notwendigkeit seiner Befriedigung durch die offentliche Hand.
48 49 50 61 52 53
Wagner, A.: Grundlegung ..., a.a.O., S. 908. Ders.: ebenda, S. 896 ff. Ders.: ebenda, S. 888. Gerloff, W.: Grundlegung der Finanzwissensdiaft, a.a.O., S. 51. Wagner, A.: Grundlegung ..., a.a.O., S. 902. Timm, H.: Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, Finanzarchiv, NF. Bd. 54 21, 1961, S. 220. Schmolders, G : Gesdiichte der Volkswirtsdiaftslehre, Wiesbaden 1963, S. 5855ff. Timm, H.: Das Gesetz der wadisenden Staatsausgaben, a.a.O., S. 234.
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung
189
Das Anwachsen der Masseneinkommen erfolgte jedoch mit einer dem kapitalistischen System immanenten Verzogerung, da die hoheren Einkommen erst iiber die durch hohere Gewinnchancen induzierten Investitionen erzielt und verteilt zu werden pflegen( sog. „systembedingter lag"). Endlich nimmt auch bei fortgeschrittener Demokratisierung der politischen Willensbildung die Durchsetzung neuer Steuerbelastungen wegen des ,,zahflussigen Wandels der Auffassungen iiber die Einkommensverteilung und die Wahrung des ,sozialen Besitzstandesc einige Zeit in Anspruch" 56 ; die Bereitschaft zu einer Redistributionspolitik „hinkte sowohl hinter der Entwicklung zum Verfassungsstaat als auch hinter der Einkommensexpansion her" 57 (sog. „institutioneller lag"). Weitere Verzogerungen weist H. Timm bei den offentlichen Ausgaben fur Verkehrsinvestitionen, fur Investitionen zur Vermeidung „sozialer Verluste" und fiir die Anti-Monopol-Politik nach. Charakteristisch fiir das vorige Jahrhundert sei aufierdem ein sog. „ideologischer lag", verursacht durch die liberalen Auffassungen des „Finanzklassizismus" (F. K. Mann), der sich ganz allgemein gegen jede Ausdehnung der Staatstatigkeiten wehrte. Das wirtschaftliche Wachstum bewirkte nach dieser Deutung also nicht ein sofortiges proportionales Anwachsen der Staatsausgaben; in einer ersten Phase der Entwicklung blieb vielmehr der Finanzbedarf der offentlichen Hand hinter der Einkommensexpansion zuriick. Erst mit der Uberwindung der erwahnten „lags" beginnt die zweite Phase, in der der durchschnittliche Anteil der Staatsausgaben am Volkseinkommen grofier wird als in der vorangegangenen Phase 58. Mit dieser Erklarung findet das Gesetz der wachsenden Staatstatigkeit eine interessante sozialpsychologische Begriindung; freilich liegt in ihrer Beschrankung auf eine „nachtragliche Voraussage" sowie in der Tatsache, dafi, solange es an Verhaltenskonstanten mangelt, die nachgewiesenen Ursachen keinen kontinuierlichen Entwicklungstrend der Staatsausgaben im Verhaltnis zum Volkseinkommen ergeben, das erhebliche Handikap, dafi daraus kein Schlufi auf die zukiinftige Entwicklung gezogen und nichts dariiber ausgesagt werden kann, ob die geschilderte Entwicklung jemals zu verzogern oder aufzuhalten sein wird und an welchen Stellen gegebenenfalls ein bremsender Eingriff in den Prozefi der unaufhaltsamen Ausgabenvermehrung sinnvoll und erfolgversprechend vorgenommen werden konnte 59 . 56 58 59
57 Ders.: ebenda, S. 236. Ders.: ebenda. Ders.: ebenda, S. 238 f. H. Timm lehnt eine soldie Prognose ausdriicklidi ab, da „ihre Schwierigkeiten und Gefahren . . . so grofi (sind), dafi ich vor ihr haltmadie. Wer sich an sie heranwagt, lauft Gefahr, statt eines rational plausiblen Entwicklungsgesetzes uns nicht mehr als Hypothesen und Visionen zu bescheren, die von eigenen Wunschvorstellungen und Postulaten gebildet und durchsetzt sind" (a.a.O., S. 242). Allerdings registriert er einige Impulse, die eine weitere Ausdehnung der offentlichen Ausgaben immerhin als wahrscheinlich erscheinen lassen (a.a.O., S. 241).
Die Ausgabenpolitik
190
Eine A n t w o r t auf diese Frage setzt eine eingehende Auseinandersetzung mit den fiir das Wachstum der einzelnen Staatsausgaben verantwortlichen Faktoren voraus. Einer dieser Faktoren liegt in der bereits von Adolph Wagner herausgestellten technischen Entwicklung. Das atemberaubende Tempo, mit dem umwalzende Erfindungen die wirtschaftlichen und sozialen Verhaltnisse der Volkswirtschaft einschneidend verandern und die offentliche H a n d geradezu dazu zwingen, die Voraussetzungen fiir den wirtschaftlichen Einsatz dieser Erfindungen herzustellen und/oder die mit ihrer Durchsetzung verbundenen sozialen und okonomischen Spannungen zu lindern, bringt fiir die Staatsgewalt standig neue Aufgaben mit sich. Eisenbahn und Automobil erforderten die Anlage und den laufenden Ausbau sowie die Unterhaltung eines rasch wachsenden offentlichen Verkehrsnetzes. Der Anteil der Verkehrsausgaben am Volkseinkommen wuchs von 1,9% im Jahre 1913 iiber 2 , 1 % (1932) auf iiber 3 , 4 % im J a h r e 1967; in den Nachkriegsjahren wuchs ihr Anteil an den Gesamtausgaben kontinuierlich von 5 , 3 % (1949) auf 7 , 5 % (1967) 60 . Auch die Einfuhrung des Luftverkehrs und seine E n t wicklung bis zu den modernen Uberschall-Verkehrsmaschinen trug zu dieser Steigerung der Verkehrsausgaben bei; neben der Errichtung aufwendiger Bodenanlagen verlangte das nationale Prestige trotz offensichtlicher U n rentabilitat gebieterisch nach nationalen Luftflotten, deren jahrliches Defizit dann meist von der offentlichen H a n d ubernommen werden mufite. Die „neue E t a p p e der industriellen Revolution" (Salin), die mit ihren umwalzenden Neuerungen auf dem Gebiete der Rationalisierung und A u t o mation 61 die gegenwartige technische und wirtschaftliche Entwicklung charakterisiert, stellt die offentliche H a n d von verschiedenen Seiten her v o r neue Aufgaben. Durch den Einsatz arbeitssparender Maschinen konnen Arbeitskrafte freigesetzt werden, was so zumindest solange die offentlichen Ausgaben fiir Arbeitslosenunterstiitzung erhoht, bis sie in anderen Sektoren — etwa der Maschinenindustrie selbst oder dem tertiaren Sektor — eine neue Beschaftigung gefunden haben, wobei die hierzu notwendige U m schulung in der Regel aus offentlichen Mitteln finanziert werden mufi. Wie das Beispiel der Vereinigten Staaten zeigt 6 2 , sind dieser Umschulung noch 60
Vgl. Tabelle 6 (§ 22). Buchanan z. B. zahlt die Ausgaben fiir Highway-Bau neben den Sozialleistungen zu den wichtigsten Steigerungsgriinden der nichtmilitarischen offentlichen Ausgaben (Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 46). 61 Vgl. hierzu: Zimmermann, H. W. (Hrsg.): Aspekte der Automation, Gutachten und Protokolle der Frankfurter Tagung der List-Gesellschaft, Basel und Tubingen 1960. 62 Auffallend ist hier der hohe Anteil der erwerbslosen Jugendlichen, die wegen fehlender Ausbildung keine Arbeitsstellen finden. Allen Warnungen zum Trotz verlassen viele Jugendliche mit Erreichen der Altersgrenze von 16 Jahren die Schulen, so da£ allein in der Zeit von Januar bis Mai 1963, einem Zeitraum ohne Ferien und die dadurch bedingten Besonderheiten, die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen trotz aller behordlichen Plane fiir ihre Ausbildung und Schulung von 13,9% auf 17,8%> stieg. Vgl. Die Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten, Neue Zurcher Zeitung,, Fernausgabe Nr. 191, Blatt 11, 14. Juli 1963.
§ 22. Die Ursaclien der Entwicklung
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dazu relativ enge Grenzen gesetzt; falls die Freisetzungstendenz nicht durch eine besonders starke Expansion der Gesamtwirtschaft kompensiert wird, ergibt sich die Gefahr einer strukturellen Arbeitslosigkeit mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Finanzen der Arbeitslosenunterstiitzung. In den letzten Jahren haben dariiber hinaus die Ausgaben fur Atomenergie und Weltraumtechnik in standig steigendem Ausmafie Mittel der offentlichen Hand beansprucht. Allein das Weltraumprogramm der Vereinigten Staaten kostete 1968 iiber 4,8 Mrd. Dollar, d. h. iiber 2,7% der gesamten Bundesausgaben 63. Stellt man diese Zahlen den entsprechenden Ausgaben im Haushalt 1955 gegeniiber, die mit 74 Mill. Dollar nur 0 , 1 % der Bundesausgaben ausmachten, so wird das sprunghafte Wachstum dieser Ausgabenkategorie deutlich. Vermischen sich hier bereits die Ausgaben fur den technischen Fortschritt mit solchen fur die Rustungs- und Kriegsfinanzierung, von denen spater die Rede sein soil, so stiefi die deutsche Finanzstatistik bereits nach dem Ersten Weltkrieg anlafilich der Auseinandersetzung iiber die Reparationsfrage auf eine andere Eigenart der Ausgabenentwicklung. Der internationale Vergleich der offentlichen Ausgaben, der damals in Erganzung der Steuerbelastungsvergleiche durchgefuhrt wurde, liefi die starke Abhangigkeit der Kosten fiir die allgemeine Verwaltung von der Bevolkerungsdichte erkennen; je Kopf der Bevolkerung wird der Verwaltungsaufwand progressiv hoher, je dichter besiedelt das Land ist. Industrielander sind je Kopf der Bevolkerung kostspieliger zu verwalten als Agrargebiete, Grofistadte arbeiten teurer als Mittel- und Kleinstadte, und eine Bevolkerungszunahme fuhrt infolgedessen auch im zeitlichen Verlauf zu einer progressiven Steigerung der offentlichen Ausgaben. Die Ursachen dieses Zusamenhanges sind offensichtlich; die starkere Bevolkerungskonzentration macht eine Fiille technischer Investitionen notwendig, die sich in erhohten Ausgaben niederschlagt. Schon ein oberflachlicher Vergleich der dorflichen Wege und Verkehrseinrichtungen, der mehr oder weniger privaten Strafienreinigung, der freiwilligen Feuerwehr, der einklassigen Gemeinschaftsschule und des Dorfpolizisten als Organ der offentlichen Sicherheit mit den entsprechenden Dienstleistungen einer Stadt oder gar Grofistadt erklart einleuchtend den Unterschied in dem notwendigen Aufwand 64 . Dariiber hinaus entstehen mit der fortschreitenden Zusam63
Statistical Abstracts of the United States 1967, a.a.O., S. 633. Nach Angaben des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden (Braunschweig 1969, S. 317 ff.) betrugen die Reinausgaben des ordentlichen Haushalts 1967 64
bei Gemeinden mit
je Einwohner in DM
mehr als 200 000 100 000—200 000 50 000—100 000 20 000— 50 000
852,4 742,8 730,4 595,0
Einwohnern Einwohnern Einwohnern Einwohnern
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menballung der Bevolkerung eine Reihe neuer Bediirfnisse auf sozialem und kulturellem Gebiet; Krankenhauser, hohere Schulen, Universitaten, Theater, Konzertsale, Museen, offentliche Griinanlagen u. a. werden mit wachsender Grofie eines Gemeinwesens zu notwendigen Einrichtungen. Umstritten bleibt freilich, wieweit in diesen Zusammenhangen eine zwingende Kausalitat besteht, wie sie A. Brecht 6 5 mit der Formulierung seines „Gesetzes" von der „parallelen Progression zwischen Staatsausgaben und Bevolkerungsmassierung" in Anspruch nahm. Ein Teil des Ausgabenzuwachses ist schon allein mit dem betriebswirtschaftlichen Begriff der „Sprungkosten" zu erklaren: „Das Wachstum der Bevolkerung iiber einen bestimmten kritischen P u n k t hinaus fuhrt in der Gemeinde zu ruckartigem, tiberproportionalem Ansteigen der offentlichen Ausgaben, etwa dadurch, dafi das alte Wassernetz in seinen Abmessungen zu eng geworden ist und nun durch ein neues mit entsprechender Kapazitatsreserve ersetzt werden mufi." 6 6 H i n z u k o m m t fernerhin, dafi einige Ausgabearten anstelle der von Brecht behaupteten parallelen Progression einen eher degressiven Verlauf zeigen; derartige Kostendegressionen lassen sich vor allem auf dem Gebiet des Schulwesens 6 7 und bei den Ausgaben fur Schutzpolizei und Feuerwehr feststellen 68 . Unbeschadet dieser Einwendungen haben die von A. Brecht formulierten „Gesetzmafiigkeiten" einen wesentlichen Beitrag zur Erforschung der U r sachen des standig steigenden staatlichen Ausgabebedarfs geleistet. Die quantitativen Aussagen iiber die Anderung der Bedarfsstrukturen im offentlichen Bereich bediirfen jedoch auch noch einer Erganzung in qualitativer Hinsicht; mit wachsendem Volkswohlstand steigt das Bediirfnis nach Kollektivleistungen nicht nur nach Zahl und Grofie, sondern auch die Vorstellungen iiber die qualitative Beschaffenheit dieser Leistungen unterliegen im Zuge des technischen Fortschritts einer Aufwartsentwicklung. Das „Bekanntwerden hoherer Bedarfsnormen bei besser gestellten Gemeinwesen (veranlafit) die schlechter situierten . . . diese zu ubernehmen, selbst wenn das mit der Gefahr verbunden sein sollte, iiber die eigenen Verhaltnisse — d. h. iiber die SteuerIn diesen Durdischnittszahlen verbergen sidi allerdings hochst untersdiiedlidie Entwicklungen. So betrugen z. B. die Reinausgaben pro Kopf in: Leverkusen Wanne-Eickel Sindelfingen Waltrop 65
(106167 (104 556 (37 860 (25 638
Einwohner) Einwohner) Einwohner) Einwohner)
1223,5 528,1 1403,8 334,2
DM DM DM DM
Brecht, A.: I n t e r n a t i o n a l Vergleich der offentlichen Ausgaben, in: Grundfragen der internationalen Politik, Vortrage des Carnegie-Lehrstuhls fur AufSenpolitik und Geschichte an der Deutschen Hochschule fiir Politik, H. 2, Leipzig u. Berlin 1932. 66 Hansmeyer, K. H.: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, a.a.O., S. 75. 67 So Stadtkammerer a. D. Dr. Kaiser, Herdecke, Referat gehalten am 15. November 1955 im Seminar fiir Finanzwissenschaft der Universitat Koln. 68 Buchanan, J. M.: The Public Finances, a.a.O., S. 50.
§ 22. Die Ursachen der Entwicklung
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kraft — zu leben" 69 . Diesen gewandelten Bedarfsnormen steht die offentliche H a n d ebenso auf dem Gebiet der Kollektiv- wie der Individualleistungen gegeniiber. Die Staats- und Sozialauffassung der modernen Demokratie westlicher Pragung raumt dem einzelnen in seinen N o t e n und Sorgen weit eher Rechts- und Geldanspriiche an die offentliche H a n d ein als vor 100 J a h ren 7 0 ; die Auflosung der allmahlich gewaclisenen religiosen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen durch Weltkriege und Wirtschaftskrisen sowie durch sonstige dem direkten Einfluft des einzelnen Burgers entzogene Ereignisse hat das gefestigte Selbstbewufitsein des liberalen Menschen des 18. und 19. Jahrhunderts zerstort 71 . An die Stelle der eigenen Verantwortung und der Selbsthilfe tritt mehr und mehr die als selbstverstandlich erachtete Pflicht des Staates, „die wirtschaftliche Lage solcher Gruppen der Volkswirtschaft zu verbessern, die aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, sich selbst einen angemessenen Lebensstandard zu schaffen" 72 . Auch die Ziele der Sicherung der Vollbeschaftigung und des wirtschaftlichen Wachstums, die die heutige Wirtschaftspolitik sich gesetzt hat, lassen sich aus dieser gewandelten Staatsauffassung ableiten; in dieser neuen Attitude der staatsbiirgerlichen Grundeinstellung der demokratisch-parlamentarischen Gesellschaft liegt wohl iiberhaupt die letzte Ursache fiir die erwahnte Erweiterung der Staatsaufgaben um neue Ausgabenkategorien vor allem auf dem Gebiet der Sozialleistungen und der Subventionen. Nicht nur der einzelne Burger erwartet Hilfe in alien Fallen unverschuldeter N o t als selbstverstandliche Leistung des Staates, sondern auch die erwerbswirtschaftlichen Unternehmen haben sich daran gewohnt, der offentlichen H a n d die Dbernahme solcher Risiken zuzuschieben, die sie fiir unzumutbar ansehen oder deren Grofienordnung sie beunruhigt. Exportgeschafte, Investitionen fiir Entwicklung und Forschung, fiir Atomkraft und Luftschutz, Energie und Verkehr und viele andere Aufwendungen gelten als direkt oder indirekt beihilfewiirdig und subventionierungsberechtigt; drohende Konkurse und Betriebsstillegungen werden zu Lasten der Steuerzahler abgewendet oder aufgefangen, notleidende Unternehmungen mit Staatshilfe saniert usw. Voll69
Hansmeyer, K. H.: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, a.a.O., S. 81. So konnte nodi 1887 Prasident Cleveland in den Vereinigten Staaten eine Subvention von 25 000 $ fiir Saatgut an die durch eine Diirreperiode an den Rand des Ruins gebrachte Texasfarmer mit der Begriindung ablehnen, er konne in der Verfassung keine Begriindung fiir eine solche Zuwendung finden und er glaube auch nicht, daft es zu den Pflichten der Regierung gehore, in individuellen Notstanden, die nichts mit den offentlichen Diensten oder ihrem Nutzen zu tun haben, zu helfen; „jeder Neigung, diese Grenze der Aufgabenstellung der offentlichen Hand zu iiberschreiten, mufi mit Festigkeit entgegengetreten und der Grundsatz festgehalten werden, daft zwar das Volk die Regierung, aber keineswegs die Regierung das Volk zu unterstiitzen hat." (The Writings and Speeches of Grover Cleveland, Rede vom 16. Februar 1887, zitiert nach Fabricant, S.: The Trend of Government Activity . .., a.a.O., S. 7; Ubersetzung vom Verfasser.) 71 Hansmeyer, K. H.: Der Weg zum Wohlfahrtsstaat, a.a.O., S. 84. 72 Due, J. F.: Government Finance, a.a.O., S. 46. 70
13 Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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ends die Landwirtschaft ist zum erklarten Kostganger der Steuerzahler geworden und pocht auf ihr Recht, den stadtischen und industriellen Einkommens- und Lebensverhaltnissen durch staatliche Finanzhilfen gleichgestellt zu werden 73 . Die gestiegenen Sozialaufwendungen sind in besonderem Mafie Ausdruck der vielfaltigen strukturellen Wandlungen unseres Gesellschaftsaufbaus; schon allein der veranderte Altersaufbau mufite infolge der starken Zunahme der G r u p p e der alteren Menschen bei relativer Konstanz der Mittelgruppe zwangslaufig zu einer Zunahme der Transferausgaben fiihren. Neben der durch die technische Entwicklung und die Wandlungen der Bedarfsnormen bedingten Ausgabensteigerung haben insbesondere die wachsenden Anforderungen an die Kriegs- und Riistungstechnik zu einem standigen Ansteigen der Staatsausgaben gefiihrt. A. Wagner glaubte gerade diese Kategorie der Staatsausgaben vernachlassigen zu konnen, da nach seiner Meinung die Kriege seltener und ihre Dauer kiirzer werden w i i r d e n 7 4 ; in diesem P u n k t e hat er sich als falscher Prophet erwiesen. Schon die Entwicklung der Riistungsausgaben, von den Aufwendungen fur die eigentliche Kriegsfuhrung ganz abgesehen, unterliegt in starkstem G r a d e den W a n d l u n gen der Kriegstechnik; ein Jagdflugzeug des Ersten Weltkrieges kostete einen Bruchteil von den 200 000 R M , die im Zweiten Weltkrieg fur einen normalen Jagertyp aufgewendet werden mufiten, und heute fordert die amerikanische Luftwaffe fiir einen ihrer modernsten Diisenjager mehr als das Hundertfache dieses Betrages a n 7 5 . Neben die wesentlich hoheren Investitions- und Ausbildungskosten tritt der notwendige Ersatz des durch standige Neuerfindungen veraltenden Materials, ein Vorgang, der insbesondere das Steigen der Riistungsausgaben in Friedenszeiten e r k l a r t 7 6 . 73
Vgl. § 28. Wagner, A.: Grundlegung . . . , a.a.O., S. 899. 75 Allein die erste Rate fiir den Ausbau des U.S.-amerikanischen Raketenabwehrgiirtels betragt 759 Mio $; die Kosten des gesamten Projektes sollen sidi auf iiber 11 Mrd. $ belaufen (Die Zeit Nr. 33, v. 15. 8. 1969, S. 1). Das neue 88 Phantommasdiinen umfassende Luftwaffensystem der Bundeswehr kostet 2,052 Mrd. DM, d. h. der Systempreis eines Flugzeuges belauft sich auf 23,32 Mio DM (!). (S. Kahn, H. W.: Die Russen kommen nicht, Miinchen-Bern-Wien 1969, S. 146, Johannson, K.: Vom Starfighter zum Phantom, Frankfurt/M. 1969, S. 112.) 76 Es ware audi denkbar, dafi diese ausgabensteigernde Entwicklung einmal, wenn nicht beendet, so doch stark abgemildert werden konnte. „Seitdem es KleinstAtomwaffen gibt, mit deren Hilfe aufgelockert und selbstandig kampfende KleinKampftruppen ganze Divisionen und Armeen in Schach halten und kampfunfahig machen konnen, . . . (sind) grofte auf konventionelle Kampffiihrung strukturierte Truppenverbande in Europa Fehlinvestitionen geworden." (Iffmark, B. R.: Guerillas mit Atomwaffen, in: Neue Ziircher Zeitung, Fernausgabe Nr. 214, (1963), zitiert nach Schmidt, K.: Wachsende Staatsausgaben? Erfahrungen und Alternativen, in: Ordo Bd. 15/16 (1965), S. 177.) Daraus laik sich mit Iffmark folgern, da£ man mit einer Riickkehr zu primitiveren und damit billigeren Formen der Kriegsfuhrung rechnen kann, da diese Kleinst-Atomwaffen die Kombattanten dazu zwingen, auch regulare Kriege in Guerillamanier zu fiihren. 74
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Aufier den Kriegs- und Rustungsausgaben sind es die mit dem Krieg in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Kriegsfolgelasten, die weiterhin zu der beobachteten Expansion der offentlichen Ausgaben beitragen. Auch indirekt fuhren gerade die Kriege besonders stark zur nachhaltigen Vergrofierung der offentlichen Ausgaben; fast niemals gelingt es, die durch die Katastrophensituation eines Krieges bedingte libermafiige Beanspruchung des Volkseinkommens durch den Staat nach seiner Beendigung wieder auf den Vorkriegsstand zuriickzuschrauben. Diesem Beharrungsvermogen der Biirokratie kommt auch generell fur den zunehmenden Staatsbedarf ein nicht zu unterschatzendes Gewicht zu; da die Hohe der Ausgaben eines Ressorts gewissermafien zugleich ein Gradmesser seiner Bedeutung ist, fuhrt das Behordenprinzip fast unausweichlich zu periodischer Erhohung der Ausgaben. Diesem der Exekutive eigentiimlichen Beharrungsvermogen entspricht auf der Seite der Legislative die in der politischen Rucksicht auf den Wahler begriindete Ausgabefreudigkeit der Parlamente. Schon Aristoteles kam in seinem Werk iiber die Politik zu der Ansicht, in der Demokratie werde letztlich stets eine armere Mehrheit die begiiterte Minderheit expropriieren. Es sei ein Mangel, dafi diejenigen, die die Steuern im wesentlichen aufzubringen hatten, nicht auch bestimmen diirften, was damit geschehen solle; da die Demagogen, um die Gunst der Menge zu gewinnen, die Wohlhabenden schadigten, ihr Vermogen konfiszierten und ihre Einkiinfte durch offentliche Leistungen erschopften, trieben sie damit letztlich gerade die besseren Burger zu Biindnis und Aufstand 77. Diese uralte Staatsweisheit bestatigt sich in der modernen Massendemokratie, der en Entwicklung zum Gefalligkeitsstaat das Parlament „zu einer Borse von Gruppeninteressen auf Gegenseitigkeit" 78 zu machen droht. Manche Ausgabenbewilligungen erinnern an eine Art von Kaufpreis fur zukiinftige Wahlerstimmen 79 ; da weiterhin „einmal erworbene politische oder finanzielle Rechte oder Vorteile einzelner sozialer Gruppen direkt nur durch revolutionare Akte beseitigt werden konnen" 80, miissen zur Vermeidung politischer Spannungen den zunachst weniger begiinstigten Gruppen bald die
77 Aristoteles, Politik, "Obersetzung von Eugen Rolfes, Leipzig 1943, S. 173 f. u. 215 ff. 78 Hettlage, K. M.: "Ober Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, in: Mitteilungen der Kommunalen Gemeinsdiaftsstelle fiir Verwaltungsvereinfachung, Juli 1956. 79 Hierzu schrieb J. Schumpeter: „Aber um zu verstehen, wie die demokratische Politik dem sozialen Ziel dient (wie also Gesetze und VerwaltungsmafSnahmen entstehen), miissen wir vom Konkurrenzkampf um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden, dafi die soziale Funktion, so wie die Dinge nun einmal liegen, nur nebenbei erfiillt wird — im gleichen Sinne wie die Produktion eine Mebenerscheinung beim Erzielen von Profit ist." (Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2. Aufl., Bern 1950, S. 448.) Vgl. hierzu auch § 23. 80 Littmann, K.: Zunehmende Staatstatigkeit . . . , a.a.O., S. 101.
13*
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gleichen Vorteile eingeraumt werden, die sich die anderen Gruppen erkampft haben. Die Folge ist das geschilderte liberproportionale Anwachsen insbesondere der Sozialausgaben im weitesten Sinne. Die mannigfachen Versuche, institutionelle Vorkehrungen zu schaffen, mit deren Hilfe eine mehr auf Wahlrucksichten als auf sachliche Entscheidungen bedachte parlamentarische Willensbildung in Schranken gehalten werden konnte, sind im Grunde nur die Konsequenz aus der tiefgreifenden Wandlung der Vorstellungen ilber soziale Gerechtigkeit und liber die Rolle des Staates bei ihrer immer vollkommeneren Verwirklichung, die als selbstandige Ursache fiir die Erweiterung der Staatsausgaben auf sozialem Gebiet angesprochen werden mufi. In den hier aufgezahlten einzelnen Ursachen der wachsenden Ausdehnung der Staatstatigkeit und der Staatsausgaben tritt zugleich eine vielschichtige Verflechtung der Interessen und Bestrebungen und eine immanente Eigendynamik mancher Ausgabenkategorien zutage, die auf ihrer sachlichen und zeitlichen Verbindung mit anderen oder zusatzlichen Ausgaben beruht. Jede Forderung des Wohnungsbaus zieht wie ein Echoeffekt erhohte Ausgaben fiir StraGenbau und Schulen, jede Subventionierung einzelner Wirtschaftszweige Forderungen auf Ausgleichsmafinahmen fiir benachbarte Branchen, jede Erhohung der Beamtenzahl erhohten Raumbedarf und neue Sachausgaben nach sich; je grofier und starker gegliedert der Verwaltungsa p p a r a t ist, desto mehr Krafte sind allein zum reibungslosen Funktionieren der komplizierten Maschinerie notwendig, so dafi jede Erweiterung ihres Aufgabengebietes ihrerseits progressiv neuen Personalbedarf hervorruft. Auch von hier aus wird die Tendenz zur wachsenden „Ausdehnung der Staatstatigkeit" verstandlich. Die Aufgabe der Wissenschaft, die sich aus diesen Zusammenhangen ergibt, ist es, durch verstandliche und iiberzeugende, geduldig wiederholte Aufklarung iiber die okonomischen Zusammenhange der Finanzpolitik dem im Wagnerschen „Gesetz" ausgedriickten Entwicklungsprozefi seine oft geradezu aberglaubisch akzeptierte Zwangslaufigkeit zu nehmen und der offentlichen Meinung zu der Erkenntnis zu verhelfen, daE es sich hierbei nicht um einen quasi naturgesetzlichen Vorgang 81 handelt, sondern diese Entwicklung die Folge bewufiter politischer Entscheidungen ist und die mit Hilfe einer „economic education" gesteuert werden kann 82 .
81
Daft ein relatives Riickschrauben der Staatsausgaben moglidi ist, zeigt die Tatsache, da£ die U.S.-amerikanischen Bundesausgaben von 1955—1965 von 17% bis auf 15°/o des Bruttosozialprodukts gesunken sind. (Vgl. Heller, W. W.: Das Zeitalter des Ukonomen, a.a.O., S. 85.) 82 S. hierzu die ausgezeichneten Aufsatze von Schmidt, K.: „Wachsende Staatsausgaben? Erfahrungen und Alternativen", a.a.O., sowie „Entwicklungstendenzen der offentlichen Ausgaben im demokratischen Gruppenstaat", in: Finanzarchiv, NF. Bd. 25 (1966), S. 213 ff.
§ 23. Das „optimale" Budgetvolumen
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§ 23. Das „optimale" Budgetvolumen Wurden in den beiden vorangegangenen Abschnitten Tatbestand und Griinde des Staatsanteils am Sozialprodukt untersucht, so ist jetzt die Frage zu diskutieren, ob es ein Idealbudget im Sinne eines optimalen Verhaltnisses zwischen „6ffentlichen" (vom Staat i. w. S. produzierten) und „privaten" Giitern gibt 83 . Liefie sich ein derartiges Idealverhaltnis zwischen dem Volumen des offentlichen Gesamthaushaltes und dem Sozialprodukt ermitteln, so ware damit ein brauchbarer Mafistab fur die Beurteilung der Grenzen einer Expansion des offentlichen Haushalts geschaff en 84 . Zur Bestimmung eines derartigen Optimalverhaltnisses miissen wir in zwei Schritten vorgehen; erstens ist die Frage zu beantworten „Was sind offentliche Giiter"?. Zweitens ist nach diesem qualitativen Problem das quantitative „Wieviel" dieser Giiter im Verhaltnis zu den privaten zu bestimmen. Als charakteristisch fiir die offentliche (== kollektive) Bediirfnisbefriedigung, der die offentlichen Giiter zu dienen haben, wurden in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Kriterien 85 herausgearbeitet, die sich jedoch alle als nicht recht stichhaltig herausgestellt haben. Folgt man der weit verbreiteten Definition von Musgrave und Baumol 86 , dann sind offentliche Giiter
83
Dieses „Optimalbudget" ist vergleichbar mit dem Budget der Allokationsabteilung in Musgraves multipler Theorie des offentlichen Haushalts bei optimaler Hohe des Stabilisierungs- und Redistributionsbudgets (S. Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 3—33). Ob und inwieweit ein soldies Optimalbudget realisiert werden konnte, lafk sidi nicht sagen. Schenkt man beispielsweise der GalbraithThese vom armen Staat und der reichen Gesellschaft („Gesellschaft im Uberfluft", Miinchen-Ziirich 1959, insbes. S. 220 ff.) Glauben, wird man trotz des jetzt schon beachtlichen Staatsanteils mit einer erheblichen Ausdehnung der Staatstatigkeit zu rechnen haben. Auf das Problem des Verhaltnisses zwischen der Funktionsfahigkeit einer marktwirtschaftlichen Ordnung und dem Umfang und der Struktur der offentlichen Ausgaben wird hier nicht naher eingegangen; hierzu sei auf den fundierten Aufsatz von K. Schmidt (Zur ordnungspolitischen Problematik wachsender Staatsausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 47, Berlin 1967, S. 126 ff.) sowie auf den Beitrag von H. Geyer (Kritische Anmerkungen zur Frage nach den Grenzen der staatlichen Aktivitat in der Marktwirtschaft, ebenda S. 174 ff.) hingewiesen. 84 Diese Grenze ist in doppelter Hinsicht flexibel, da sie sich einmal im Laufe der Zeit und zum anderen mit der Hohe des Sozialproduktes verschieben wiirde. 85 Als derartige Kriterien wurden angefiihrt: die gemeinsamen Anstalten und Einrichtungen (v. Hermann), die Unausscheidbarkeit (Sax), die Anwendung des gemeinwirtschaftlichen Prinzips (Wagner), die ursprunglichen Kollektivbedurfnisse (De Viti), der Umstand, dafi alle daran partizipieren (Lindahl), die Notwendigkeit staatlicher Machtmittel (v. Wieser), die passive Konsumtion und die Unteilbarkeit (M. Cassel) und schlieftlich die gemeinsame Veranstaltung (Cohn), s. Schmidt, K.: Zur Geschichte der Lehre von den Kollektivbediirfnissen, in: Systeme und Methoden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Festschrift fiir E. v. Beckerath, Tubingen 1964, S. 335 ff. 86 Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 8 ff., Baumol, W. J.: Welfare Economics and the Theory of the State, 2. Aufl., London 1965, S. 20. Zum Begriff des offentlichen Gutes vgl. auch Head, J. G : Public Goods and Public Policy, in Public
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dadurch gekennzeichnet, daS alle oder zumindest eine Vielzahl von Biirgern an ihnen partizipieren, ohne dafi der N u t z e n , den der einzelne aus dem Konsum dieser Giiter zieht, dadurch beeintrachtigt wird, dafi andere gleichzeitig in den Genufi dieser Leistungen kommen; d. h. das auf dem M a r k t geltende „Ausschlufiprinzip" (exclusion principle, Musgrave), demzufolge jeder „vom Genufi jeden Gutes oder jeder Dienstleistung ausgeschlossen (ist), sofern er nicht bereit ist, dem (Verkaufer) den festgesetzten Preis zu zahlen" 87 , gilt fiir offentliche Giiter nicht 88 , so dafi bei diesen Giitern und Bediirfnissen auch das fiir den M a r k t konstitutive Remunerationsprinzip (quid pro quo) versagen mufi. Dieses Musgrave-Baumolsche Auswahlkriterium — gleicher gemeinsamer Konsum ohne Beeintrachtigung des eigenen Konsums durch die Inanspruchnahme des gleichen Gutes durch einen anderen — zur Charakterisierung von offentlichen Giitern ist z w a r notwendig, aber noch nicht hinreichend, da diese Eigenschaft auch bei ,,Nicht-Kollektivgiitern", Fortsetzung Fufinote 86 Finance, Bd. 17 (1962); ders.: The Theory of Public Coods, in Revista dei Diritto Finanziario e Scienza delle Finanze", Juni 1968. Head, J. G., Shoup, C. S.: Public Goods, Private Goods and Ambigious Goods, in: The Economic Journal, Bd. LXX IX, Sept. 1968; Campa, G.: On the Pure Theory of Public Goods, in: Public Finance 1967, S. 401 ff.; ferner Buchanan, J. M.: The Demand and Supply of Public Goods, Chicago 1968; Wolfelsperger, A.: Les Biens Collectifs. Fondements theoriques de Peconomie publique, Paris 1969. Neben dem gemeinsamen Angebot sieht Head auch noch das Vorhandensein „externer Effekte" als charakteristisch fiir offentliche Giiter an. Dieser Ansicht ist aber schwerlich zu folgen, da auch private Giiter externe Effekte nach sich Ziehen konnen. Der Hauptzweck z. B. einer Schaufensterbeleuchtung liegt sicher darin, die Aufmerksamkeit auf die ausgestellten Waren zu ziehen; gleichzeitig dient aber dieselbe Schaufensterbeleuchtung zur Beleuchtung der Strafte vor dem Geschaft und hat somit einen externen Effekt. 87 Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 10. 88 Im folgenden sollen der Einfachheit halber nur die spezifisch offentlichen Bediirfnisse und Giiter (social wants-goods) den privaten Bediirfnissen und Giitern (privat wants-goods) gegeniibergestellt werden. Von der Diskussion der meritorischen Bedurfnisse (merit wants) und der korrespondierenden Giiter soil abgesehen werden, da sie in viel geringerem Mafie einer okonomischen Analyse zuganglich sind (vgl. Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 73 f.). Im Gegensatz zu Musgrave (Finanztheorie a.a.O., S. 73), der der Ansicht ist, da£ die merit wants schon umfangmaftig eine geringere Bedeutung hatten, sind wir der Ansicht, dafi, wiirde man z. B. eine Skala vom „Bediirfnis nach aufkrer Sicherheit" (als extremes offentliches Bedurfnis) auf der einen bis zum „Bediirfnis nach einen individuellen Haarschnitt" (als extremes privates Bedurfnis) auf der anderen Seite aufstellen, gerade die als meritorisch bezeichneten Bedurfnisse den meisten Platz einnehmen wiirden. Im Gegensatz zu den „social wants" ist bei den „merit wants" grundsatzlich eine individuelle Befriedigung durch den Markt moglich; die Produktion der „merit goods" (z. B. Miillabfuhr, Theater) ist nur deshalb in die offentliche Sphare verlagert worden, weil der Markt fiir diese Giiter durch verschiedene Faktoren gelahmt wird und vor allem von hinreichend machtigen Eliten ein hoheres als durch den Markt zu erreichendes Versorgungsniveau gefordert wird. Vgl. hierzu Musgrave, R. A., a.a.O., S. 14 ff.; ders. Fiscal Systems, New Haven, London 1969, S. 11 ff.; s. auch Head, J. G.: On Merit Goods, in Finanzarchiv NF., Bd. 25, 1966, S. Iff., ders.: Merit Goods Revisited, ebenda Bd. 28, S. 214 ff.; McLure, Ch. E.: Merit \Vants:A Normatively Empty Box, ebenda, Bd. 27, S. 474 ff.; Andel, M.: Zur Diskussion iiber Musgraves Begriff der „merit wants", ebenda Bd. 28, S. 209 ff.
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z. B. den Darbietungen eines Freiluftzirkus zu finden ist, die Samuelson allerdings als ein offentliches Verbrauchsgut bezeichnet 89. Um nun aber die offentlichen Guter bzw. Bedurfnisse auch hinreichend beschreiben zu konnen, ist es sinnvoll, auf deren Entstehung zuriickzublicken. Die Ansicht, offentliche oder Kollektivbediirfnisse seien spezifische Bedurfnisse der Gemeinschaft90, ist unhaltbar; Trager von Bediirfnissen ist stets „der einzelne Mensch, niemals eine soziale Gemeinschaft als Ganzes genommen, der ja im Gegensatz zur Einzelperson ein erlebendes Aktzentrum fehlt" 91. Vielmehr sind „offentliche" Bedurfnisse solche Individualbedlirfnisse, die — einmal in der Existenz des Kollektivs begriindet sein konnen, d. h. dann auftreten, wenn es Gemeinschaften gibt (z. B. innere und aufiere Sicherheit) und/oder — nur von der Gemeinschaft oder zumindest Teilen von ihr befriedigt werden konnen, ohne dafi fiir den Einzelnen eine zu starke Belastung 92 auftritt (z. B Wasserregulierung, Raumfahrt) bzw. — wegen ihres weiten zeitlichen Horizonts (z. B. Aufforstung, Landgewinnung) nicht vom kurzlebigen Einzelnen, sondern nur von der „unsterblichen" Gemeinschaft befriedigt werden konnen. Diese ihre Entstehungsgrunde sind zugleich hinreichende Kriterien zur Abgrenzung der offentlichen von den Privatbediirfnissen. Die hierdurch und durch das AusschluCprinzip beschriebene Grenze ist aber nicht starr. Bildungsforderung beispielsweise war vor 100 Jahren noch durchaus ein Individualgut, ist aber heute weitgehend zu einem Kollektivgut geworden; die Sorge fiir innere Sicherheit gilt dagegen seit langem als ein offentliches Gut. Dennoch hat es immer wieder Gruppen gegeben, die mit dem Umfang der vom Staat produzierten Schulbildung und inneren Sicherheit nicht zufrieden waren; die privaten Schuleinrichtungen und die „zivilen" Leibwachen der Medici, Capponi, Pazzi, Ritti, Rucellai, Valori, Socerini, Ricci, Rudolfi und Albizzi in den oberitalienischen Stadten zur Zeit der Rennaissance legen dafiir ein beredtes Zeugnis ab. Auch heute erscheint die staatliche Produktion des Kollektivgutes „ innere Sicherheit" vielen Biirgern der USA unzureichend; der Erwerb von Waff en und der Besuch von Selbstverteidigungskursen zeigen, dafi die Produktion dieses Gutes zum Teil wieder reprivatisiert wird, so dafi also Sicherheitsvorsorge wieder starker zu einem Individual89
Samuelson, A. P,: Diagrammatic Exposition of a Theory of Public Expenditure, in: The Review of Economics and Statistics; Bd. 37 (1955), S. 350. Es fragt sich,90ob hier nicht die Realitat in eine unzureichende Definition geprefk wurde. So z. B. v. Herrmann, F. B. W.: Staatswissenschaftliche Untersuchungen, 2. Aufl., Miinchen 1870; Menger, C : Grundsatze der Volkswirtschaftslehre, 2. AufL, Wien-Leipzig 1923. 91 Jecht, H.: Wesen und Formen der Finanzwirtschaft, Jena 1928, S. 62, ahnlich Ritschl, H.: Theorie der Staatswirtschaft und Besteuerung, Bonn und Leipzig 1925,92 S. 46. Wo diese Belastungsschwelle des Individuums liegt, hangt vom Stand der Technik und der jeweils herrschenden Mentalitat ab.
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gut geworden ist 93 . Was also als Kollektivgut zu bezeichnen ist, lafit sich nicht generell beantworten; technische und gesellschaftliche Veranderungen 94 verwischen die Obergange zwischen privaten und offentlichen Giitern und den verschiedenen Bediirfnissen, die sie befriedigen sollen. „Ehie allgemeine Definition verbietet sich schon deswegen, weil verschiedene Situationen verschiedene Arten offentlicher Bediirfnisse hervorrufen" 95 . Kennt man die Merkmale offentlicher Giiter, so besteht der nachste Schritt zur Bestimmung des Optimalbudgets darin, herauszufinden, welchen Umfang die Produktion offentlicher Giiter (z. B. wieviel Sicherheit) im Verhaltnis zu der von privaten annehmen soil. Hierzu ist es zweckmafiig, von den Zielen der Staatstatigkeit 9 6 auszugehen. Hauser unterscheidet dabei „normative Ziele, d. h. solche, die nach den Vorstellungen des jeweiligen Theoretikers sinnvollerweise v o m S t a a t e gefordert werden miissen", v o n p r a g matischen Zielen, d. h. „solchen, die vielleicht nicht immer als zweckmafiig und gut anerkannt, wohl aber als realistisch und wirklichkeitsnah bezeichnet und aus diesem Grunde als realitatsadaquat unterstellt werden konnen" 97 . Als normatives Ziel des Staates sehen die meisten Autoren in der westlichen Welt die Maximierung der Wohlfahrt oder des Nutzens der Gesellschaft an. Unter dieser Voraussetzung w a r e das Optimalbudget dann erreicht, wenn der Grenznutzen der Staatsleistungen gleich dem marginalen Nutzenentgang infolge der Aufbringung der hierzu erforderlichen Mittel ist. Diese utilitaristisch orientierten Grenznutzeniiberlegungen basieren letztlich auf der Vertragstheorie des Staates, derzufolge der Staat seine Existenz einem Vertrage der Individuen zur besseren Befriedigung ihrer Individualbedurfnisse v e r d a n k t ; davon ausgehend stellte Schaffle 1880 den Grundsatz der proportionalen Befriedigung offentlicher und privater Bediirfnisse auf 98 . 93 Aus diesem Aspekt heraus ist der Ansicht Pahlkes („Bestimmungsgrunde fur offentliche Leistungen", in: Schriften des Vereins fur Socialpolitik, NF. Bd. 47, Berlin 1967, S. 124) zuzustimmen, der die Auffassung vertritt, daft es „Giiter, die stets nur mit Hilfe staatlicher Aktivitat produziert werden konnen, sozusagen „absolute Kollektivgiiter", nicht gibt. 94 Vgl. die Bedeutung des „ideologischen lags" bei der Diskussion des Wagnerschen Gesetzes. (Timm, H.: Das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben, a.a.O., s. o. S. 188 f.) 95 Musgrave, R. A.: Finanztheorie a.a.O., S. 6; ahnlich schon v. Beckerath, E.: Formen moderner Finanztheorie, in: Beitrage zur Finanzwissenschaft, Festgabe fiir G. v. Schanz, Bd. 1, Tubingen 1928, S. 2. 96 Unter Staatstatigkeit soil hier Produktion offentlicher Giiter im Sinne von Staatsleistungen verstanden werden. 97 Hauser, K.: Uber Ansatze zur Theorie der Staatsausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF. Bd. 47, Berlin 1967, S. 45. Einen leicht verstandlichen Uberblick uber verschiedene Ansatze zur Bestimmung des Ausgabenvolumens gibt W. Remy (Probleme rationaler Bestimmung der offentlichen Ausgaben, Diss., Frankfurt 1965). 98 Schaffle, A.: Die Grundsatze der Steuerpolitik, Tubingen 1880, S. 17. Diesen Grundsatz formten spater Pigou (A Study in Public Finance, a.a.O., S. 31) und Dalton (Principles of Public Finance, 9. Aufl., London 1936, Kap. 2) zu folgenden beiden Budgetprinzipien urn:
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Verfeinert wurde dieser Ansatz durch die explizite Unterstellung einer „social welfare function", einer aggregierten Funktion der N u t z e n - oder Wohlfahrtspraferenzen aller Mitglieder der Gesellschaft. Bei Anwendung der Indiff erenzkurventechnik ware das Optimalbudget durch den Tangentialp u n k t (0) einer Isoquante (I 4) der „social welfare-function" mit der Transformationskurve zwischen offentlichen und privaten Giitern d e t e r m i n i e r t " . Wiirden alle Produktionsfaktoren zur Erstellung von Privat(Kollektiv-) giitern eingesetzt, konnte jeweils eine bestimmte Menge (B bzw. A) erstellt werden. Bis zu einem gewissen Punkte (K 1 0 °, von B ausgehend) konnen gleichzeitig mehr offentliche und private Giiter produziert werden, weil ein gewisses Mindestmafi an Infrastruktur „geradezu die Voraussetzung fur die Entwicklung der Privatwirtschaft bildet, mindestens aber deren Leistungsmoglichkeit zugute k o m m t " 101 . Aufierhalb dieses Bereichs ist dagegen nur eine Produktion der einen Guterkategorie auf Kosten der anderen moglich, wobei der Beruhrungspunkt (0) der Transformationskurve mit einer Isoquante der sozialen Wohlfahrtsfunktion (I 4 ) das Optimalverhaltnis beider Giiterarten gernafi der sozialen Wohlfahrtsfunktion reprasentiert. i
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Abb. 3 0
Privatguter
1. Die offentlichen Ausgaben diirfen nur bis zu dem Punkt ausgedehnt werden, an dem der durch die letzte Geldeinheit an Ausgaben gespendete Nutzen gleich ist dem Nutzenentgang der letzten durch die Steuer erfafken Einheit. 2. Die Verteilung der Mittel im offentlichen Sektor mufi so erfolgen, daft ihr Grenzertrag in jeder Ausgabenkategorie gleich ist. — Ahnlich auch Roepke, W.: Finanzwissenschaft, Berlin-Wien 1929, S. 30. Eine graphische Bestimmung des Optimalbudgets unter diesen Bedingungen finden sich bei Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 87. 99 Der Einfachheit halber wurde angenommen, es gabe nur eine Art offentliche und privater Giiter. Die Aufgabe dieser Restriktion wiirde am Gang der Argumentation nichts andern, sondern nur die formale Losung komplizieren. 100 Bei K lage das Optimalbudget aus der Sicht der Verfechter eines extremen Liberalismus. 101 Hauser, K.: Uber Ansatze . . . , a.a.O., S. 53. Bei dieser Darstellung ist allerdings darauf hinzuweisen, daft der entscheidende Bereich (BK) der Kurve aus Punkten einer Transformationskurvenschar gebildet ist. Dies ergibt sich daraus, daft in K die Transformationsrate 0 geworden ist, d. h. Punkte unterhalb von K konnen nur zu Transformationskurven mit geringerer Kapazitat gehoren. Im einzelnen hierzu s. Mackscheidt, K.: Die Theorie des optimalen Budgets, erscheint demnachst.
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Die Ausgabenpolitik
So klar und logisch geschlossen diese Ableitung aussieht, so hat sie doch den entscheidenden Mangel, dafi sie die Kenntnis einer Wohlfahrtsfunktion voraussetzt. Selbst die rein theoretische Aggregation einer derartigen Funktion ist aber, wie Kenneth A r r o w als erster 1951 in geschlossener Form nachwies, unter Umstanden an so starke restriktive Bedingungen gekniipft, daS ihre Bestimmung nicht immer moglich ist 1 0 2 . Eben dieser Schwierigkeit der Ermittlung der sozialen Wohlfahrtsfunktion versuchen Samuelson 103 und Musgrave 104 dadurch zu begegnen, dafi sie zunachst von den als bekannt unterstellten individuellen Praferenzfunktionen der Betroffenen — insbesondere bei offentlichen Gutern eine „heroische A n n a h m e " (Recktenwald) — ausgehen und so in einem ersten Schritt fur jedes einzelne Individuum eine K u r v e unendlich vieler pareto-optimaler Kombinationen zwischen offentlichen und privaten Gutern konstruieren. Beide Autoren scheitern aber letztlich auch an der Bestimmung des „ O p t i m u m O p t i m o r u m " , d. h. der O p t i m a l situation der gesamten Gesellschaft, da hierzu eben doch wieder die Kenntnis der sozialen Wohlfahrtsfunktion notwendig ist, die aber wegen der U n m o g lichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche nicht ermittelt werden k a n n 105 . Auch wenn Samuelson der Ansicht ist, dafi sich seine „Theorie . . . als H o h e p u n k t einer hundert Jahre alten Diskussion iiber Staatsausgaben erwiesen" 106 habe, mufi man bei realistischer Betrachtungsweise zugeben, d a 6 „alle Versuche, ein optimales Verhaltnis oder Gleichgewicht zwischen staatlichem und privatem Sektor der Volkswirtschaft anhand okonomischer Kriterien global 102 ygL Arrow, K.: Social Choice and Individual Values, New York 1951, 2. Aufl. 1963; H. C. Recktenwald, (Ukonomisches Denken in der Staatswirtschaft, in: Der Volkswirt Nr. 48 (1969) S. 30 schreibt hierzu: „Trotz groiker Anstrengung und scharfsinniger Analysen gelang es aber bisher nicht, eine erwiinschte Wohlfahrtsfunktion als Ausdruck individueller und kollektiver Praferenzen zu formulieren, die dem Politiker als Maftstab dienen konnte". S. auch Coleman, J. S.: The Possibility of a Social Welfare Function, in: American Economic Review (1966) S. 1105 ff.; Pank, R. E.; Miller, D. C : Comments zu: The Possibility of a Social Welfare Function, ebenda, (1967) S. 130 ff. 103 Samuelson, P. A.: The Pure Theory of Public Expenditure, in: Review of Economics and Statistics, Bd. 36 (1954); ders.: Diagrammatic Exposition of a Theory of Public Expenditure Theory, ebenda, Bd. 37 (1955); ders.: Aspects of Public Expenditure Theory, ebenda Bd. 40 (1958). 104 Musgrave, R. A.: The Voluntary Exchange Theory of Public Economy, in: Quarterly Journal of Economics, Bd. 41, Februar 1939. In diesem Aufsatz verweist Musgrave im iibrigen auch auf die auf diesem Gebiet entscheidenden Arbeiten von Sax, Wicksell, De Viti de Marco und Lindahl. Ders.: Finanztheorie, Kap. 3, insbes. S. 63 ff. Im Gegensatz zu Samuelson geht Musgrave von einer „bestehenden richtigen Verteilung der Einkommen" aus.(S. Musgrave, R. A., Finanztheorie,a.a.O., S. 64. 105 Zur Ermittlung der Individualpraferenzen untersucht Musgrave mogliche Wahlverfahren, kommt aber zu dem Ergebnis, dafl keines der bisher bekannten Verfahren in jedem Fall dazu in der Lage ist. Vgl. Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 90 ff. und auch Arrow, K.: a.a.O. 106 Samuelson, P. A.: „Pure Theory of Public Expenditure and Taxation", gekurzt abgedruckt unter dem deutschen Titel: Eine reine Theorie der Staatsausgaben und der Besteuerung, in: Finanztheorie (Hrsg. H. C. Recktenwald) Koln-Berlin 1969, S. 159.
§ 23. Das „optimale" Budgetvolumen
203
abzuleiten, . . . theoretisch unbefriedigend (bleiben) oder . . . empirisch leer (sind)" 107 . Aufbauend auf den Auffassungen De Viti de Marcos und Schumpeters uber das Wesen der Demokratie 108 formulierten P . Herder-Dorneich (unter dem Pseudonym Fred O . H a r d i n g ) 109 und A. Downs 110 im Jahre 1957 einen, wie Hauser es nennt, „pragmatischen A n s a t z " des Budgeting by Voting, also der Bestimmung des Idealbudgets durch Wahlen 11;1. U n t e r der A n nahme, das spezifische Berufsinteresse der Politiker bestehe in ihrem Streben nach Macht 1 1 2 , versuchen diese Theorien, „die finanzwirtschaftliche Entscheidung der Staatsorgane auf (eben dieses) Selbstinteresse . . . zuriickzufuhren" 113 , wobei das Budget „als Summe wirtschaftlicher Mittel im Kampf um die politische Macht" 114 betrachtet wird. D a jede Regierung 115 die ihr von den Wahlern gegebene politische Unterstiitzung zu maximieren sucht, wird sie sich bemuhen, alle jene (nach Moglichkeit deutlich wahrnehmbaren) Ausgaben zu leisten, die ihr (ihrer Ansicht nach) die meisten Stimmen einbringen, und z w a r mit Hilfe jener (nach Moglichkeit unmerklichen) Finanzierungsmafinahmen, die sie die wenigsten Stimmen kosten. „Mit anderen Worten, die Ausgaben werden solange gesteigert, bis der durch die letzte ausgegebene Geldeinheit erreichte Stimmgewinn dem Stimmenverlust gleich ist, der durch die letzte aus den staatlichen Finanzquellen 116 entnommene Geldeinheit verursacht w i r d . " 117 Fur den empirischen Gehalt dieses Ansatzes, mit dem versucht wird, „fiir das Wirtschaftssubjekt S t a a t . . . analog zur Privatwirtschaftslehre der Unternehmung oder des privaten Haushaltes eine eigene Wirtschaftstheorie fiir den Staat zu begriinden" 118 , spricht es beispielsweise, dafi in der Bundes107
Hedtkamp, G.: Bestimmungsriinde fiir Umfang und Struktur der offentlichen Ausgaben, in: Schriften des Vereins fiir Socialpolitik, NF., Bd. 47, Berlin 1967, S. 87; ders.: Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Neuwied und Berlin 1968, S. 366 f.; vgl. auch Hauser, K.: "Ober Ansatze . . . , a.a.O., S. 57. 108 Ygi # j ) e ylt{
d e Marco, A . : Grundlagen der Finanzwirtschaft, a.a.O., Schum-
peter, J.: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, a.a.O., Kap. 21 und insbesondere Kap. 22. 109 Harding, F. O.: Politisches Modell zur Wirtschaftstheorie, Freib. i. Br. 1959. 110 Downs, A.: An Economic Theory of Democracy, New York 1957, als deutsche Obersetzung erschienen unter dem Titel: Okonomische Theorie der Demokratie, Tubingen 1968; ders.: An Economic Theory of Political Action in a Democracy, in: The Journal of Political Economy, Bd. 65 (1957) S. 135 ff. in Ygi hierzu auch Budianan, J. M.: Public Finance in a Democratic Process, Chapel Hill 1967. 112 Harding, a.a.O., S. 55, s. auch Downs, A., a.a.O., S. 25 ff. 113 Harding, a.a.O., S. 38; s. auch Downs, A., a.a.O., S. 26 f. 114 Harding, a.a.O., S. 78; s. auch Downs, A., a.a.O., S. 50 f. 115 Fiir die Opposition gilt Analoges fiir deren Schattenbudget o. a. 116 Steuern, Gebiihren, Beitrage, Kredite. 117 Downs, A.: Okonomische Theorie der Demokratie, a.a.O., S. 50. 118 Hauser, K.: Uber Ansatze . . . a.a.O., S. 62. Interessante Ansatze einer Theorie des Staates in Analogie zur Theorie der Unternehmung sind zu finden bei Buchanan, J. M., Tullock, G.: The Calculus of Consent, Ann Arbor, 1962; Tullock, G : The Politics of Bureaucracy, Washington, D. C , 1965; William, A.: The
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Die Ausgabenpolitik
republik sowohl eine gewisse Korrelation zwischen den Sozialausgaben und dem sich verschlechterndem Altersaufbau der Bevolkerung zu beobachten w a r 119 , als auch mit den heranriickenden Wahlterminen eine Kumulation in der Verabschiedung von Sozialgesetzen stattfand 120 , ebenso wie „einzelne (Steuer-) Freibetrage gerade um die Wahljahre 1953, 1957, 1961 und 1965 herum erhoht w u r d e n " m . Gegen diese pauschale Verhaltenshypothese der Politiker in ihrem Streben nach Stimmenmaximierung spricht jedoch, dafi auch in totalitaren Staaten — die Ausfiihrungen Herder-Dorneichs und Downs gelten nur fur D e m o kratien westlicher Pragung 122 — ein ahnliches Wachsen des Staatshaushaltes und seiner Komponenten zu beobachten ist 1 2 3 . Waren aber Umfang und Struktur des offentlichen Haushalts nur ein Instrument des um die Wahlergunst buhlenden Politikers, dann hatte der Haushalt in totalitaren Staaten diese Funktion nur in weit geringerem Mafie und miifite somit auch ein ganz anderes Aussehen haben; treten aber gleiche Erscheinungen bei unterschiedlichen Voraussetzungen auf, so k a n n diese Theorie allenfalls als ein monokausaler Versuch der Erklarung eines vielschichtigen Prozesses angesehen werden 124 . Eine weitere Schwache dieser oberflachlichen Theorien bildet die Vernachlassigung des pluralistischen Charakters der fmanzpolitischen Willensbildung; nirgends gibt es ein monolithisches Machtzentrum mit der unterstellten Zielfunktion, von Herder-Dorneich und Downs, die es gestatten wiirde, ihre „Gleichgewichtsl6sung" abzuleiten. Die ausgaben- und einnahmenwirksame Politik wird in unserer pluralistischen Demokratie nirgends zentral, sondern an vielen Stellen in Regierung und Parlament bei der Bundesbank, Gewerkschaften und anderen Verbanden von durchaus heterogenen Gruppen „gemacht". Die Tatsache, dafi Wahlentscheidungen keineswegs nur von der Gestaltung des Budgets abhangig sind (s. in der Ara Adenauer die wahlerwirksame Fortsetzung Fufinote 118 Optimal Provision of Public Goods in a System of Local Government, in: Journal of Political Economy, Bd. 74 (1966); McKean, R. N.: The Unseen Hand in Government, in: American Economic Review, Bd. 55 (1965); Olson, M.: The Logic of Collective Action, Cambridge/Mass. 1965 (als deutsche Ubersetzung, Logik des kollektiven Handelns, Tubingen 1968). 119 Am 31. 12. 1967 waren z. B. iiber 18% der Bevolkerung im wahlberechtigten Alter iiber 65 Jahre, wahrend dieser Prozentsatz 1955 bei nur etwa 10% lag. Berechnet nach Angaben des Statistischen Jahrbuches der Bundesrepublik Deutschland 1957 (S. 43) und 1969 (S. 35). 120 Ygi# Bank, H. P.: Sozialpolitik und Wahlpolitik, in: Berichte des Deutschen Industrieinstitutes zur Sozialpolitik Nr. 11/1968. 121 Knief, P.: Steuerfreibetrage als Instrumente der Finanzpolitik, Koln-Opladen 1968, S. 94. 122 Vgl. Downs, A.: Dkonomische Theorie, a.a.O., S. 21 ff. und Harding, F. O.: a.a.O., 2. Kapitel. 123 ygi # Statistical Yearbook of the United Nations, verschiedene Jahrgange. 124 Bei der vorliegenden Theorie diirfte es sich um einen ahnlichen Fall wie bei
§ 24. Die offentliche Hand als Arbeitgeber und Auftraggeber
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Kriegsgefangenenruckfuhrung), wird ebenso iibersehen, wie die Zeit zwischen den Wahlterminen; wenn diese Termine relativ weit auseinanderliegen, wird es dieser Theorie unmoglich, den jahrlichen Prozefi der Haushaltsaufstellung und -verabschiedung hinreichend zu erklaren. Dieser kiihne Ansatz zur Bestimmung des optimalen Budgetvolumens ist in der vorliegenden Form vielmehr eine kurzfristige „Theorie der Wahlgeschenke", der jede Bezugnahme auf die Probleme der budgetaren Eigendynamik, des administrativen Verhaltens und der weltanschaulich-normativen Bindungen des Politikers fehlt und die infolgedessen kaum mehr erklaren kann als einige krasse Sonderfalle politischer Entscheidungen in Wahljahren 125 . Die Frage nach A r t und Umfang der Staatstatigkeit ist vielmehr mit den Worten K. Schmidts „im wesentlichen ein politisches Problem, das mit Hilfe okonomischer Theoreme grundsatzlich nicht gelost v/erden k a n n ; nur flnanzsoziologische Uberlegungen konnen hier weiterfiihren". Eine solche Theorie darf allerdings nicht bei der Analyse formaler Faktoren stehenbleiben wie der Wahlsysteme, sondern mufi zu den treibenden Kraften der flnanzpolitischen Willensbildung vordringen, den Interessen und den Ideologien. „Diese Aufgaben mogen schwierig sein; haufig wird man sich dabei auf unsicherem G r u n d bewegen, und wahrscheinlich werden die Ergebnisse weniger genau sein, als wir es in der okonomischen Theorie gewohnt sind. Aber wenn wir etwas liber A r t und Umfang der Staatstatigkeit aussagen oder gar voraussagen wollen, bleibt uns kein anderer Weg." 126
B. Die offentlichen Ausgaben § 24. Die offentliche Hand als Arbeitgeber und Auftraggeber Mit den Wandlungen, die sich in der Art, der Grofienordnung und den Zwecken der offentlichen Ausgaben vollzogen haben, tritt das Problem der Mafistabe und Formen ihrer Verausgabung, erst recht aber ihrer Wirkungen auf Struktur, Konjunktur und Wachstum in den Vordergrund, deren Kenntnis die Voraussetzung dafiir ist, die Staatsausgaben als Instrumente der Struktur- und Konjunkturpolitik zum Einsatz zu bringen. Es handelt sich dabei um Probleme, die die Finanzwissenschaft des 19. Jahrhunderts weitgehend zu vernachlassigen pflegte; gait doch sogar lange Zeit hindurch die Ausgabenseite der offentlichen Haushalte uberhaupt nicht als zum legitimen Aufgabenbereich der Finanzwissenschaft gehorig, die den Staatsbedarf vielder Mehrzahl von Konjunkturtheorien handeln; jede von ihnen hat einen wahren Kern, beleuchtet gewissermaEen eine Facette der komplexen Erscheinung, ohne sie aber allein audi nur annahernd voll ausdeuten zu konnen. 125 Schmolders, G.: Besprechung von Harding, F. O. Politisches Modell zur Wirtschaftstheorie, in: Schmollers Jahrbuch 1961, Heft 5, S. 110. 126 Schmidt, K.: Zur Geschichte und Lehre von den Kollektivbediirfnissen, a.a.O., S. 362.
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Die Ausgabenpolitik
mehr als gegebene Grofie hinnahm, urn sich ganz auf die Fragen der Mittelbeschaffung und Mittelbereitstellung zu beschranken 127. Einnahmen und Ausgaben der offentlichen Hand gehoren aber nicht nur kausal, organisatorisch und grofienmafiig untrennbar zusammen, sondern vor allem im Hinblick auf die Eingliederung des Staatshaushaltes in den volkswirtschaftlichen Gesamtprozefi; jede Aussage iiber die volkswirtschaftlichen Folgen etwa der Besteuerung oder der Staatsverschuldung ist davon abhangig, wann, wie und wo der Staat von seinen Einnahmen Gebraucb macht. Das beliebte Schlagwort, der Staat bringe das Geld der Steuerzahler ja stets wieder „unter die Leute", darf nicht dariiber hinwegtauschen, dafi es fiir die Existenz und das Gemeinwohl einer Volkswirtschaft entscheidend darauf ankommt, ob der Staat seine eingenommenen Gelder hortet oder sofort wieder verausgabt, ob er sie fiir Leistungsentgelte und damit als Nachfrage nach am Markte angebotenen Giitern und Dienstleistungen verwendet oder ob er sie als Einkommensiibertragungen ohne Gegenleistung verausgabt, die sich in das Gefuge der Marktwirschaft nicht immer reibungslos eingliedern bzw. zu ihrer Korrektur und Aufierkraftsetzung auf einzelnen Gebieten fiihren konnen oder sogar dienen sollen; stets miissen beide Seiten des Budgets in Erwagung gezogen werden, soil sich nicht ein einseitiges und verzerrtes Bild der offentlichen Wirtschaft ergeben 128. Bedeutet demnach jede isolierte Betrachtung der Ausgabenseite des offentlichen Haushalts eine bewufke Abstraktion von der Wirklichkeit, so erscheint es nichtsdestoweniger zur klaren Herausarbeitung der Verausgabungsmafistabe und der Wirkungen der offentlichen Ausgaben unerlafilich, im theoretischen Modell zunachst von der Einnahmenproblematik abzusehen, um so einer gewissermafien „reinen
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die Besteuerungsmengenelastizitat rj By lafit sich schreiben als rj By =
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Mit Hilfe dieser Formeln lafit sich die Aufkommenselastizitat (s. Fufinote 243) uberfuhren in die Ausdriicke rj T y = I rj SB' -g 1 - + l ) -rjBy bzw. r\ Ty= (rj SB~\
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§ 38. Die Steuer im Dienste der Wirtschaftspolitik
389
audi (lurch eine Schwergewichtsverteilung zwischen Steuern, deren Besteuerungsmenge sich unter- oder iiberproportional zum Sozialprodukt verandert, erhohen k a n n 246 . Ein noch so hohes Mafi an eingebauter Flexibilitat 247 niitzt allerdings wenig, wenn es nicht gelingt, dieses zusatzliche Steueraufkommen oder grofiere Teile davon dem Kreislauf zu entziehen, also bei der N o t e n b a n k stillzulegen. Gelingt dies nicht, so verwandelt sich der theoretische Vorteil der Built-in-Flexibility in einen Nachteil; waren die Gelder nicht dem Staat zugeflossen, sondern im Privatbereich geblieben, so hatte ihre dortige Verwendung wegen der hoheren Sparquote der Privaten im Vergleich zum Staat einen geringeren expansiven Effekt gehabt, als wenn der Staat diese Mittel verausgabt. Dieser „conditio sine qua n o n " der Effizienz des ins Steuersystem eingebauten Stabilisators ist vom deutschen Stabilitatsgesetz bei der Berechnung der Konjunkturausgleichsnicklagen (§ 15) leider nicht ausreichend Rechnung getragen w o r d e n ; selbst wenn gemafi § 15 Abs. 4 Stab.Ges. der hochstmogliche Betrag auf G r u n d der Steuererhohung nach § 26 Abs. 3 in die Konjunkturausgleichsriicklage eingestellt wird, k a n n damit nur der elfte Teil der zusatzlichen, built-in-flexibility bedingten Steuereinnahmen aus Einkommenund Korperschaftssteuer stillgelegt werden 2 4 8 . die besagen, da£ rj Ty sowohl von rj SB als audi von rj By abhangig ist. (Musgrave, R. A.: Finanztheorie, a.a.O., S. 470 ff. und Pollak, H.: Steueraufkommenselastizitaten und ihre Komponenten, in: Finanzarchiv, NF. 28 (1969) S. 132 n\) 246 Albers, W.: Die automatisdie Stabilisierungswirkung der Steuern . . . , a.a.O., S. 113. 247 Unter dem Aspekt des Wadistums ist eine starke Built-in-Flexibility des Steuersystems abzulehnen, da die steuerlidie Belastung bei stetigem Wachstum des Bruttosozialproduktes und des Volkseinkommens zu schnell ansteigt, so dafi in kurzen Abstanden Steuerermaftigungen notwendig waren. 248 Dies ergibt sich aus der Formel fiir die Berechnung des einzustellenden Betrages:
ioo+^ 'El=K r=Prozentsatz, um den die Einkommen- und Korperschaftsteuer erhoht wurden £ 1 =Aufkommen an Einkommen- und Korperschaftsteuer nach Erhohung K=m die Konjunkturausgleichsriicklage abzufuhrender Betrag Beispiel I (ohne Built-in-Flexibility): £ 0 =Aufkommen an Einkommen- und Korperschaftsteuer vor Erhohung=100 r = 1 0 ° / o ; £ 1 = 110 10 K= -110 = 10, d. h. das gesamte zusatzliche Aufkommen wird stillgelegt. Beispiel II (mit Built-in-Flexibility): £ 0 = 100; 2^ = 120, d. h. aufgrund der vorhandenen Built-in-Flexibility flieiSen dem Staat iiberproportional mehr Mittel zu. K~
- 1 2 0 ^ 10,9; d. h. es wird nur ein geringer Teil, hier genau Vn, der aus der Built-in-Flexibility stammenden Steuermehreinnahmen stillgelegt. S. hierzu Geyer, H.: Linear Tax Variation in the Stabilization Law, in: Finanzarchiv NF, Bd.28 (1969) S.96fT., und besonders Neumark, F.: Zur Problematik
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Die Einnahmenpolitik
Selbst wenn diese Schwierigkeiten behoben waren, wurde die Built-inFlexibility allenfalls in der Lage sein, geringe Wirtschaftsschwankungen zu kompensieren; grofie Ausschlage bediirfen, wenn man sich in diesem Falle iiberhaupt der Steuerpolitik bedienen will, besonderer ad hoc zu treffender Vorkehrungen. Als „flankierende Mafinahme" einer konjunkturorientierten Steuerpolitik wurde demgemafi in § 26 Nr. 1 und 2 Stab.Ges. eine Erganzung des Einkommensteuergesetzes dahingehend verankert, dafi eine Anpassung der Einkommensteuervorauszahlungen auch noch in dem dem eigentlichen Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahr vorgenommen werden kann 249; dies gilt gem. § 20 KSTG entsprechend auch fiir die Korperschaftsteuer. In gleicher Weise wurde durch § 28 Nr. 1 Stab.Ges. auch das Gewerbesteuergesetz in der Richtung geandert, dafi auch bei dieser Steuer eine nachtragliche Anpassung der Vorauszahlungen an die veranderte Gewinnsituation ermoglicht wird. Ob die Mafistabe 250 , nach denen derartige Anpassungen der Vorauszahlungen durch die Finanzamter vorgenommen werden sollen, bereits hinreichend exakt sind, um die bedenkliche Verminderung der Rechtssicherheit aufzuwiegen, die dadurch herbeigefuhrt wird, bleibt allerdings zweifelhaft. Eine sinnvollere Form der Anpassung der Steuervorauszahlungen ware die Selbstveranlagung, wie sie in den USA praktiziert wird. Danach ermittelt jeder Steuerpflichtige seine Steuerschuld und ebenso die AbschluCzahlung selbst, wobei aber eine bei einer spateren Kontrolle seitens der Finanzverwaltung festgestellte Restschuld mit 6% zu verzinsen ist 251. Dieses System der Selbstveranlagung bietet die eleganteste Moglichkeit, die zeitliche Diskrepanz zwischen dem Einkommenszuflufi und der Steuerzahlung zu ver248 (Fortsetzung) einer Steigerung der Effizienz fiskalpolitischer Instrumente des Stabilitatsgesetzes, ebenda S. 100 ff. 249 §26 Abs. 1 Stab.Ges.: Das Einkommensteuergesetz in der Fassung vom 10. Dezember 1965 (Bundesgesetzbl. I S. 1901) wird wie folgt geandert: 1. Dem §35 Abs. 2 werden die folgenden Satze angefiigt: „Eine Anpassung kann auch noch in dem auf diesen Veranlagungszeitraum folgenden Kalenderjahr vorgenommen werden. In diesem Fall ist bei einer Erhohung der Vorauszahlungen der nachgeforderte Betrag innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Vorauszahlungsbescheids zu entrichten." . . . Dies war insofern notwendig, als bei der traditionellen Regelung der Vorauszahlungsfestsetzung eine Asymmetrie vorlag, da beim Abschwung umgehend Antrage auf Ermaftigung dieser Vorauszahlungen gestellt wurden, wahrend es zu einer quasi freiwilligen Erhohung dieser Zahlung im Boom nicht kam und somit die eigentlichen Steuerzahlungen prozyklisch wirkten. 250 S. hierzu Albers: Flexible Steuerpolitik — die notwendige Voraussetzung einer wirksamen Konjunkturstabilisierungspolitik, in: Konjunkturpolitik (1955/56), S. 121. 251 Kohler, D.: Das Steuerveranlagungsverfahren in den USA und Uberlegungen fiir die Reform unseres Veranlagungsverfahrens, vervielfaltigtes Manuskript S. 4. S. hierzu auch Gutachten zur Reform der direkten Steuern, . . . a.a.O., S. 44 f.
§ 38. Die Steuer im Dienste der Wirtschaftspolitik
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meiden; die vom Stabilitatsgesetz getroffene Regelung vermag diesen Effekt der Selbstveranlagung nicht zu erreichen 252. Daneben besitzt die Bundesregierung in Form einer vorubergehenden Aussetzung der degressiven Abschreibungen und von Sonderabschreibungen 253 eine weitere Moglichkeit zur steuerlichen Dampfung der privaten Investitionstatigkeit, „wenn eine Storung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingetreten ist oder sich abzeichnet, die erhebliche Preissteigerungen mit sich gebracht hat oder erwarten lafit, insbesondere wenn die Inlandsnachfrage nach Investitionsgutern oder Bauleistungen das Angebot wesentlich ubersteigt"; der Zeitraum, fiir den die Abschreibungsmoglichkeiten ausgeschlossen werden konnen, darf allerdings ein Jahr nicht iibersteigen254. Leider ist nirgendwo festgelegt, dafi die dem Staat dadurch zusatzlich zufliefienden Mittel kreislaufmafiig neutralisiert werden miissen; selbst wenn Bund und Lander untereinander vereinbaren wurden, diese Gelder stillzulegen, bleibt die Tatsache bestehen, dafi durch die Senkung der AfA-Satze auch das den Gemeinden zufliefiende Gewerbesteueraufkommen erhoht wird, fiir dessen Stillegung keine Handhabe zur Verfiigung steht. Auch fiir die Ankurbelung der Wirtschaft in Zeiten einer Rezession sind steuerliche Stimuli in Aussicht genommen. Zur Forderung der privaten Investitionstatigkeit ist in § 26 Nr. 3 a Stab.Ges. vorgesehen, dafi bei InangrirFnahme von Investitionen ein Abzug von der Einkommensteuer fiir den Veranlagungszeitraum der Anschaffung oder Herstellung bis zur Hohe von 7,5 vom Hundert der Anschaffungs- oder Herstellungskosten dieser Wirtschaftsgiiter vorgenommen werden kann. Diese Investitionspramie soil dann gewahrt werden, „wenn eine Storung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingetreten ist oder sich abzeichnet, die cine nachhaltige Verringerung der Umsatze oder der Beschaftigung zur Folge hatte oder erwarten lafit, insbesondere bei einem erheblichen Riickgang der Nachfrage nach Investitionsgutern oder Bauleistungen". Verteilungspolitisch ist diese Investitionspramie problematisch, da nur solche Unternehmer in ihren Genufi kommen, deren Gewinn hoch genug ist, eine Steuerpflicht in mindestens der Hohe der Pramie auszulosen; Unternehmen mit geringerem Gewinn oder gar mit Verlusten sind davon auto252 Arndt, K.-D.: Ein Gesetz zur Forderung der wirtsdiaftlichen Stabilitat, in: Konjunkturpolitik (1966), S. 165. 253 S. hierzu auch sdion Jahresgutachten des Sadiverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1965/66 Ziff. 199. 254 Diese Bestimmung gilt fiir bewegliche Wirtschaftsgiiter, die wahrend eines bestimmten Zeitraums angeschafft oder hergestellt werden, und fiir bewegliche Wirtschaftsgiiter und Gebaude, die in dieser Zeit bestellt werden oder mit deren Herstellung begonnen wird. Die Verordnung bezieht sich dagegen nicht auf jene beweglichen Wirtschaftsgiiter, „die vor Beginn dieses Zeitraums bestellt und angezahlt worden sind oder mit deren Herstellung vor Beginn dieses Zeitraumes angefangen worden ist". Die Durchfiihrung dieser Maftnahme bedarf der Zustimmung des Bundestages und Bundesrates [vgl. § 26 Nr. 3 b (2)].
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Die Einnahmenpolitik
matisch ausgeschlossen. Hinzu kommt, dafi derartige Investitionspramien, die gewifi einen starken Investitionsanreiz auf die Unternehmer auszuiiben vermogen, im Gegensatz zu Abschreibungen, die nur von voriibergehender Wirkung sind, einen endgiiltigen Vorteil bedeuten; sie sind infolgedessen vom fiskalischen Standpunkt aus betrachtet, erheblich „teuer" als die Sonderabschreibungen 255. Die scharfste Waffe gegen stabilitatsgefahrdende Konjunkturausschlage, uber die die Steuerpolitik verfiigt, sind endlich veritable ad hoc-Veranderungen der Steuerbelastung. Nach § 26 Nr. 3 b (3) des Stabilitatsgesetzes besitzt die Bundesregierung die Ermachtigung, durch Rechtsverordnung eine Erhohung oder Herabsetzung der Einkommensteuer einschliefilich der Lohnsteuer und der Kapitalertragsteuer sowie des Steuerabzuges bei beschrankt Steuerpflichtigen vorzunehmen 256 ; das gleiche gilt nach § 27 audi fur die Korperschaftsteuer. Die Erhohung bzw. Herabsetzung dieser Steuern darf bis zu ± 10% betragen; ihre Gultigkeit ist auf die Dauer eines Jahres beschrankt. Dieses Instrument soil bei einer eingetretenen oder zu erwartenden Storung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, die mit erheblichen Preissteigerungen verbunden ist, oder umgekehrt dann eingesetzt werden, wenn eine nachhaltige Verringerung der Umsatze oder der Beschaftigung eingetreten oder zu erwarten ist. Diese Steuermanipulationen „betreffen die veranlagte Steuerschuld, nicht die Steuersatze"; es handelt sich um Ab- und Zuschlage zu der nach dem EStG errechneten „normalen . . . Steuerschuld" 257. Von den daraus im Falle der Steuererhohung erzielten Steuermehreinnahmen sind Teile gemafi der Formel ( 1 0 0 r + r ) = £ 1 2 5 8 bei der Bundesbank als Konjunkturausgleichsriicklage stillzulegen. Die Problematik einer derartigen nichtfiskalischen Manipulation der Steuerschuld liegt neben verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen259 in den Steuerwiderstanden, die von 255 S. Vogel, H.: Die volkswirtschaftliche und finanzpolitische Bedeutung des Konjunkturgesetzes, in: Deutsdie Steuer-Zeitung (1967), S. 214. 256 Hiermit befindet sidi der Gesetzgeber im Einklang mit den meisten Finanztheoretikern, die Einkommen- und Korperschaftsteuervariationen Verbrauchsteueranderungen vorziehen. (Vgl. Neumark, F.: Fiskalpolitik, . . . a.a.O., S. 63.) Dennodi wird vereinzelt die Ansicht vertreten, audi Verbraudissteuern liefien sich in den Dienst der Stabilisierungspolitik stellen; s. z. B. Peacock, A. T., Williamson, J.: Consumption Taxes and Compensatory Finance, in: The Economic Journal, Bd. 77 (1967), S. 27 flf.; ferner Harburger, A. und Somers, H.: Hearings des Subcommittee on Fiscal Policy" des Joint Economic Committee uber „Tax changes for shortrun stabilization", S. 66 ff. und S. 100 ff. Durch das „Finance Akt" von 1961 wurde der englische Schatzkanzler bevollmachtigt, die Purchase Tax und andere Verbrauchsabgaben zur Erreichung konjunkturpolitischer Ziele bis zu 10% zu variieren. Vgl. hierzu Prest, A. R.: Sense and Nonsense in Budgetary Policy, in: The Economic Journal, Bd. 78 (1968), S. 10. 257 Stern, K., Munch, P.: a.a.O., S. 196. 258 S. o. S. 389, wo bereits auf die Problematik der nur teilweisen Stillegung des Steuermehraufkommens aus der Built-in-Flexibility eingegangen wurde. 259 S. hierzu Stern, K., Munch, P.: a.a.O., S. 197 if.
§ 39. Arten und Formen der orfentlichen Schuld
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jeder dem Steuerpflichtigen nicht unmittelbar verstandlichen Steuererhohung ausgehen miissen. Hinzu kommt die Stoning der unternehmerischen Kalkulation, die um so mehr an Bedeutung gewinnt, je langfristiger die Liefervertrage sind, bei deren Abschlufi derartige Steuermanipulationen vorhergesehen werden miifiten260. Mit den heute im Stabilitatsgesetz verankerten, steuerpolitischen Instrumenten erschopft sich die Phantasie der Finanzpolitiker keineswegs; weitere steuerliche Instrumente der Konjunkturpolitik waren z. B. die Steuergutscheine, die im Rahmen des Papen-Programms in der Weltwirtschaftskrise ausgegeben wurden, Veranderungen der verschiedenen Freibetrage 261 sowie steuerfreie Riicklagen zur Investitionssteuerung 262 , Mafinahmen, die audi in Schweden, Finnland und in der Schweiz mit Erfolg angewandt worden sind. Soil der Einsatz derartiger steuerpolitischer Hilfsmafinahmen der Konjunkturpolitik von Erfolg gekront sein, so kommt es dabei weniger auf ihre technische Perfektion als darauf an, ob sie in der Lage sind, die subjektive Liquiditat der Wirtschaftssubjekte in der gewunschten Richtung zu beeinflussen, so dafi Kauf- und Investitionsentscheidungen ausgelost werden bzw. unterbleiben; andernfalls ist die Besteuerung ein problematisches, auf jeden Fall aber ein besonders „teuresK Instrument der Stabilisierungspolitik.
D. Die Politik der offentlichen Schulden § 39. Arten und Formen der offentlichen Schuld Die Schuldaufnahme der offentlichen Hand gilt, wenn auch seit neuestem nicht mehr juristisch, so doch faktisch als „auGerordentliche Einnahme". Wie die Staatsausgaben und die Steuern lafit sich auch die offentliche Schuld als wirtschafts- und finanzpolitisches Instrument zum Einsatz bringen, insbesondere soweit es sich dabei um solche Schuldtransaktionen handelt, durch die sich die Schuldnerposition der offentlichen Hand der ubrigen Wirtschaft oder auch dem Ausland gegeniiber quantitativ und qualitativ verandert. Schuldtransaktionen zwischen den einzelnen Gebietskorperschaften (Bund, 260 Industrie- und Handelskammer zu Dusseldorf: Bemerkungen zu den vorgeschlagenen Anderungen und Erganzungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Forderung der Stabilitat und des Wadistums der Wirtschaft, 10. Februar 1967, S. 9. Als weniger wichtig, aber doch erwahnenswert lafk sich der steuerrechtliche Einwand anfiihren, da£ ein kurzfristiger Einsatz dieses Instrumentes innerhalb eines laufenden Geschaftsjahres faktisch dadurch erschwert wird, da£ zu dem Erhohungs- oder Senkungstermin Zwischenbilanzen aufgestellt werden miifken, da sonst eine ordnungsgemafie Belastung der periodenanteiligen Gewinne nicht moglich ist. 261 Knief, P.: Steuerfreibetrage als Instrumente der Finanzpolitik, a.a.C, S. 119ff. 262 S. hierzu Pfaffenberger, W.: Investitionssteuerung mit Hilfe steuerfreier Riicklagen, Berlin 1969 und die dort angegebene Literatur sowie die von F. Neumark (Fiskalpolitik..., a.a.O., S. 66) zitierten Arbeiten.
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Lander, Gemeinden) bleiben dagegen hier aufier Betracht, zumal sie streng genommen zur Politik des Finanzausgleichs gehoren 263. Sieht man zunachst von der Ausgabenseite, d. h. von der Verwendung der Schuldmittel, einmal ab, so bedeutet jede Schuldaufnahme der offentlichen Hand grundsatzlich eine Kaufkraftumleitung vom nichtstaatlichen in den staatlichen Bereich. Dies gilt audi dann, wenn die aufgenommenen Gelder nicht aus liquiden Mitteln der Privaten oder der Unternehmungen stammen, sondern aus einer Buchgeldschopfung der Geschaftsbanken; auch hier liegt insoweit eine Kaufkraftumleitung vor, als dadurch die Kreditversorgung der Privaten und der Unternehmungen eventuell geschmalert wird. Nimmt die offentliche Kreditnachfrage dagegen die „Notenpresse", d. h. eine Geldschopfung der Notenbank in Anspruch, so bedeutet dies keine Kaufkraftumleitung uno actu, wohl aber die Gefahr der Auslosung eines inflatorischen Frozesses, durch den nachtraglich auch wiederum eine Umleitung realer Kaufkraft aus dem privaten in den offentlichen Bereich herbeigefuhrt werden kann 264. Auch die Besteuerung bewirkt eine Kaukraftumleitung; der Unterschied zwischen Schuldaufnahme und Besteuerung liegt in der Freiwilligkeit der Zeichnung offentlicher Anleihen seitens der Geldgeber. Geht man von der herkommlichen Unterscheidung der offentlichen Einnahmen in erwerbswirtschaftliche und hoheitliche (Gebiihren, Beitrage, Steuern) aus, so riickt die „normale" Anleihe der offentlichen Hand in die Nahe der Erwerbseinkiinfte des Staatshaushalts. Erst wenn der Staat sich nicht damit begniigen will, als einer unter vielen Kreditnehmern an den Kapitalmarkt heranzutreten, sondern seine Hoheitsgewalt dazu ausnutzt, seine Marktchancen durch besondere Pramien oder steuerliche Begunstigungen seiner Glaubiger zu verbessern, liegt eine steuerahnliche Anleihe bzw. eine befristete Vermogensabgabe vor; das Verhalten des Staates am Kapitalmarkt ist es somit, das letztlich den Charakter der offentlichen Schuld und ihre verschiedenartigen Formen bestimmt, in denen sich im Laufe der Jahrhunderte eine bewunderswerte Erfindungsgabe der Finanzpolitiker auf dem Gebiete der Mittelbeschaffung beobachten lafit. Nach der Art ihrer Entstehung bzw. Veranlassung unterscheidet man Verwaltungsschulden und Finanzschulden. Die Verwaltungsschulden dienen in der Form der Betriebsmittelkredite oder Kassenkredite (bzw. Kassenverstarkungskredite § 13 Abs. I Ziff. 2 HGrG) zur Aufrechterhaltung der Zahlungsbereitschaft der offentlichen Hand iiber das Haushaltsjahr hin; in der Regel handelt es sich dabei um die Uberbriickung von blofien Kassendefiziten, die aus dem zeitlichen Auseinanderklaffen von Ausgaben und Einnahmen herruhren und sich daher mit Abschlufi des Rechnungsjahres aus263 Ygi Zimmermann, H . : Die Verschuldung zwischen offentlichen Korperschaften als Problem der Geld- u n d Finanzpolitik, i n : Geldtheorie u n d Geldpolitik, a.a.O., S. 241 ff.; vgl. auch § 20. 264 Vgl. § 40.
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gleichen. Ihre Deckung durch Schuldaufnahme erfolgt dementsprechend als blofie kurzfristige Zwischenfianzierung durch Buchkredite von der N o t e n bank oder am G e l d m a r k t ; haushaltsrechtlich handelt es sich nicht urn Einnahmen 265 . Die H o h e der Kassenkredite sagt lediglich etwas iiber den Stand der Kassenhaltung, nicht aber iiber die Haushaltslage als solche aus; anders verhalt es sich bei den Finanzschulden. Sie sind in der Regel durch echte Haushaltsdefizite bedingt und werden dementsprechend langfristig in Form von Anleihen liber den K a p i t a l m a r k t finanziert. Die Einteilung in Verwaltungs- u n d Finanzschulden deckt sich formal in vieler Hinsicht mit der in schwebende und fundierte Schulden. „Schwebende" Schulden werden allerdings oft mit „kurzfristigen" Schulden verwechselt; in der Laufzeit allein beruht jedoch ihre Eigenart keineswegs. Vielmehr stammt die Bezeichnung aus der Besonderheit der offentlichen Finanzwirtschaft als Planwirtschaft; da sich die endgiiltige Ubereinstimmung zwischen Ausgaben und Einnahmen erst am Ende der Haushaltsperiode herausstellt, werden zwischenzeitlich zur Oberbriickung des entstandenen Defizits aufgenommene Schulden zunachst als „schwebende" Schulden 266 angesehen, aus denen, wenn es nicht gelingt, sie noch innerhalb des Haushaltsjahres zuriickzuzahlen, durch „Fundierung", d. h. Emission einer Anleihe, gewissermafien erst endgiiltige Schulden werden. Von diesem Idealbild weicht die Wirklichkeit jedoch in aller Regel betrachtlich ab, da haufig langfristige Projekte zunachst mittels schwebender Schulden vorfinanziert werden und dariiber hinaus, solange es nicht gelingt, diese am K a p i t a l m a r k t zu „fundieren", von H a u s haltsjahr zu Haushaltsjahr als lastige Erbschaft mitgeschleppt und dementsprechend immer von neuem prolongiert werden, so dafi die Kurzfristigkeit dieser Verpflichtungen letztlich oft nur noch auf dem Papier stent. Neben dieser in erster Linie aus der spezifischen Eigenart der offentlichen Haushaltswirtschaft herriihrenden Einteilung entstammt die formale Einteilung in Briefschulden und Buchschulden den Kriterien des Wertpapierrechts 267 . Briefschulden sind Wertpapiere iiber Forderungen, bei denen der Anspruch an den Besitz des Papiers gebunden ist. Ihre Formen sind mannigfaltig; die einfachste Form bildet der Schatzwechsel („Treasury Bill"), ein kurzfristiger Solawechsel der Staatskasse, der bei der N o t e n b a n k diskontiert oder auch von Staatslieferanten in Zahlung genommen wird. Daneben sind Schatzanweisungen („Treasury Bonds") mit Laufzeiten von einem bis zu mehreren Jahren gebrauchlich, auf den Inhaber ausgestellte Schulditel, die am K a p i t a l m a r k t untergebracht werden konnen und insofern den „fundier265 Ygj# Weichmann, H.: Art. Kassenkredit, offentlicher, in: Handworterbuch der Sozialwissenschaften, 5. Bd., a.a.O., S. 562 ff. 266 Anschaulicher englisdi: „floatingf£ debt, d. h. schwimmende Schulden; Naheres hierzu s. Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, 2. Aufl., Frankfurt 1970, S. 14. 267 Zum folgenden vgl. besonders: Dieben, W. und Ebert, K.: Die Technik des offentlichen Kredits, Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 3. Bd., a.a.O., S. 38 ff. und Hansmeyer, K. H.: Der offentliche Kredit, a.a.O., § 1.
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ten" Schulden ahnlich sind 268 ; in ihrer unverzinslichen Form („U-Schatze") haben sie starke Ahnlichkeit mit den Schatzwechseln, da audi bei ihnen die Verzinsung lediglich in der Form der Diskontierung, d. h. eines Abzuges bei der Auszahlung der Schuldsumme erfolgt. In ihrer verzinslichen Form dagegen, bei der die Zinszahlung durch beigegebene Zinsscheine verbrieft wird, ahneln sie den Schuldverschreibungen der offentlichen Hand, der dritten Form der Briefschuld. Diese Anleihen sind als die bekannteste Art der Staatsschuld in der Regel ebenfalls Inhaberpapiere, die in den verschiedenen Formen von Fall zu Fall den jeweiligen Kapitalmarktbedingungen angepafit emittiert werden. Nach den Grundsatzen der friiheren Reichsschuldenverwaltung gait der Begriff Schuldverschreibung nur fiir solche Anleihen, die einer kontinuierlichen Tilgung unterlagen, wahrend Anleihen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zuriickgezahlt wurden, als Schatzanweisungen bezeichnet werden sollten; allerdings ist diese terminologische Trennung nicht immer streng durchgefuhrt worden. In den letzten Jahren haben als besondere Art von Schuldverschreibungen im Rahmen der mittelfristigen Finanzierung die sogenannten Kassenobligationen an Bedeutung gewonnen. Durch ihre Ausstattung (Laufzeit 3 bis 4 Jahre; Stuckelung 50 000 DM und dariiber jeder durch 5000 teilbare Betrag) stellen sie einen Zwitter zwischen Geldmarkt- und Kapitalmarktpapier dar. Dem Geldmarkt stehen sie dadurch nahe, daiS sie wie Schatzanweisungen am Ende ihrer Laufzeit in einem Betrag fallig werden und dafi zeitweise die Bundesbank Kassenobligationen mit einer Restlaufzeit von weniger als 18 Monaten wie Offenmarktpapiere behandelte; Kapitalmarktcharakter erhalten sie durch ihre feste Verzinsung und ihre Borsenfahigkeit (Frei verkehr shandel). Eine letzte Form der Briefschuld schliefilich ist das Schuldscheindarlehen; im Gegensatz zu den sonst iiblichen rechtlichen Grundsatzen, nach denen die Schuld bereits durch die Darlehenshingabe entsteht, wahrend der Schuldschein lediglich eine Beweisurkunde darstellt, gilt hier die Besonderheit, dafi der Bund nur dann aus dem Darlehen verpflichtet ist, wenn von der Bundesschuldenverwaltung eine Schuldurkunde dariiber ausgestellt worden ist. In der Praxis haben sich bei den einzelnen Formen der Briefschuld mannigfache Mischtypen herausgebildet, nicht zuletzt darum, weil die Briefschuld auf Grund ihrer hochgradigen „Fungibilitatc< besonders vorteilhaft ist; ihre „Anonymitat, 1923: 4,5%). (Vgl. Schmolders, G.: Die Konjunkturpolitik der Vereinigten Staaten, a.a.O., S. 57.)
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Schmolders, Finanzpolitik, 3. Aufl.
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ErfolgsmaiSstabe der Finanzpolitik
§ 48. Probleme der internationalen Finanzpolitik Angesichts der weltpolitischen Auseinandersetzung der beiden grofien Machtblocke und ihrer Anstrengungen, die unterentwickelten Volker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in diesem Ringen auf ihre Seite zu Ziehen, gewinnt die Finanzpolitik iiber die Aufgabe der inneren und aufieren „finanziellen Stabilitat" hinaus Bedeutung fiir die Ermoglichung und Durchfuhrung der politischen und wirtschaftlichen Auslandshilfe bzw. der Entwicklungshilfe; die primar nationalwirtschaftlichen Motive einer an der eigenen Zahlungsbilanz orientierten Finanzpolitik treten in den beteiligten Landern hinter ganz neuen politischen und ideologischen Motiven aufienpolitischer Art in den Hintergrund. In dem Mafie, in dem nach dem Ende der Ara der Kolonialherrschaft die Sorge fiir die Entwicklungslander zum Prufstein der Aufienpolitik der freien Welt geworden ist, steht die Finanzpolitik vor ihrer Bewahrungsprobe als mitverantwortliche Instanz einer iiberstaatlich orientierten Weltwirtschaftspolitik, deren Reichweite sich audi daran ablesen lafit, dafi Theorie und Politik der Entwicklungshilfe nicht allein als Gegenstand der Finanztheorie und Finanzpolitik, sondern ebenso als Bestandteil der Aufienwirtschaftstheorie und -politik, der Theorie des wirtschaftlichen Wachstums und nicht zuletzt der politischen Wissenschaft schlechthin gelten miissen 144; Entwicklungshilfe und Entwicklungshilfepolitik sind heute von den Aufgaben und Problemen der „grofien Politik" nicht mehr zu trennen. Jede Erorterung der Probleme einer international ausgerichteten Finanzpolitik und ihrer vielfaltigen Beziehungen zur Wahrungs-, Weltwirtschaftsund Aufienpolitik mufi von der besonderen Rolle der Vereinigten Staaten und den neuartigen Methoden ihrer „internationalen Finanzpolitik" 145 ausgehen; aus dem Wiederaufbau der Wirtschafts- und Finanzpolitik der meisten Lander der westlichen Hemisphare sind die amerikanischen Hilfsaktionen, Geschenke, Kredite und Entwicklungsprojekte schlechterdings nicht fortzudenken. Dabei erscheint es mufiig, mit besonderem Eifer nach den Motiven zu forschen, die die amerikanische Regierung immer wieder dazu bewogen haben, die bereits wahrend des Krieges begonnene Unterstiitzung der freien Welt in einer Vielzahl von Hilfsprogrammen, Krediten und Subventionen in einem Umfang fortzusetzen, der die mit der Pacht-Leih-Hilfe zu Beginn des Krieges eingeleitete Mitwirkung an der Kriegsfinanzierung der amerikanischen Alliierten heute bereits um ein Vielfaches iiberschritten
144 Furth, J. H.: Theorie und Politik der wirtsdiaftlichen Auslandshilfe, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 4. Bd., a.a.O., S. 156 ff. 145 Der Ausdruck ist aus den jahrlichen Beriditen „Survey of United States International Finance" der International Finance Section der Princeton University (Prof. Gardner Patterson) ubernommen, auf denen audi die Darstellung im wesentlichen beruht.
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hat 1 4 6 . Einerseits spricht viel dafiir, dafi die gegeniiber der Finanzierung des Ersten Weltkrieges radikal urn 180 Grad umgeschwenkte Haltung der amerikanischen Wirtschafts- und Finanzpolitik eine positive Antwort auf die haufig gestellte Frage darstellt, ob man aus der Geschichte lernen konne; wenn die Zerruttung der Weltwirtschaft durch die einseitige Belastung der europaischen Zahlungsbilanzen eine ihrer Wurzeln in den Reparations- und Kriegsschuldenforderungen Amerikas hatte, die kein anderer als J. M. Keynes seinerzeit vernichtend kritisierte 147 , so mufi auf der anderen Seite anerkannt werden, dafi die Vereinigten Staaten sich nach dem Zweiten Weltkrieg ihrer Verantwortung fiir die monetare Weltordnung vollkommen bewufit waren und kein Opfer scheuten, uni die Wiederholung der damals begangenen Fehler zu vermeiden. Nicht zuletzt mag dazu nach dem wesentlich durch die amerikanische Hilfestellung siegreich beendeten Krieg das allgemein verbreitete Gefuhl der Verantwortung fiir die Zukunft der freien Welt und die Hoffnung auf die Verwirklichung der „One World" beigetragen haben, an deren Stelle nach den enttauschenden Erfahrungen mit der sowjetrussischen Haltung das Ziel trat, dem weiteren Vordringen des Kommunismus durch wirtschaftliche und — seit Korea — militarische Stiitzung der jeweils am starksten bedrohten Lander Einhalt zu gebieten. Zum erstenmal kam der Gedanke, den gegen die Achsenmachte im Kriege stehenden Staaten durch solidarische Mafinahmen rinanziellen Ruckhalt zu gewahren, in den Planen zur Schaffung eines Weltwahrungsfonds zum Ausdruck, die seit 1942 in den Vereinigten Staaten diskutiert wurden. Die Verlangerung und Erweiterung der Pacht- und Leih-Ermachtigung fiir President Roosevelt brachte Anfang Marz 1943 einen weiteren kraftigen Anstofi fiir die Idee dieser internationalen finanziellen Solidaritat. Noch im gleichen Jahre wurde von 47 Nationen, darunter der Sowjetunion, das sog. UNRRA 148 -Programm unterzeichnet, durch das in der Hauptsache Lebensmittellieferungen fiir die Bevolkerung notleidender Gebiete organisiert werden sollten; schon hierbei erwies sich deutlich, dafi die USA in flnanzieller Beziehung stets die Hauptlast aller dieser gemeinschaftlichen Aktionen tragen mufiten149. 146 Die gesamte Auslandshilfe der USA (Schenkungen, Beihilfen, Kredite) betrug von 1941 bis 1962 brutto iiber 160 Mrd. Dollar im Vergleich zu 48,6 Mrd. Dollar Pacht- und Leihhilfe wahrend des Krieges (vgl. Logue, R.: Die amerikanische Auslandshilfe seit dem Zweiten Weltkrieg, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., 4. Bd., a.a.O., S. 230, sowie Stat. Jahrb. der BRD 1966, S. 170; 1969, S. 146). 14 ^ „Wiedergutmachung war ihr Hauptinteresse auf wirtschaftlichem Gebiet, und sie behandelten sie als eine Frage der Theologie, der Politik, der Wahltaktik, kurz von jedem anderen Gesichtspunkt als dem der wirtschaftlichen Zukunft der Staaten^ deren Schicksal in ihrer Hand lag", warf Keynes dem Rat der Vier vor. (Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages, deutsche Auseabe, Miinchen 1920, S. 184.) 148 United Nations Relief and Rehabilitation Administration. 149 S. auch National Advisory Council on International Monetary and Financial Problems.
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Um diese Zeit, nach der Kapitulation Deutschlands und Japans, auf dem Hohepunkt der Siegerstimmung, schwebte den Befiirwortern der neuen internationalen Finanzpolitik der USA offenbar noch der Gedanke an eine Finanzsolidaritat der ganzen Welt mit Einschlufi der Sowjetunion vor; es bestand die Absicht, nach dem Auslaufen der Pacht-Leih-Hilfe und der iibrigen Programme kostenloser Hilfe („ Grants" und „ Gifts") zu normalen Methoden der Kreditgewahrung („Loans" und „Credits") zuriickzukehren, fur die die neuen Finanzinstitute Weltbank, Weltwahrungsfonds und Export-Import-Bank bereitstanden. Es zeigte sich jedoch bald, dafi von einer Wiederherstellung normaler Wirtschaftsbeziehungen mit den vom Kriege zerstorten Landern audi nach dem Ablauf der Ubergangszeit noch keine Rede sein konnte 150 ; zudem war zumindest die Sowjetunion keineswegs gewillt, an der Verwirklichung der „One World" positiv und ohne Hintergedanken mitzuwirken. Die iiber die UNRRA der Sowjetunion zufliefienden Mittel wurden nicht zur Hilfeleistung fur die notleidende Bevolkerung, sondern iiberwiegend fiir politische Zwecke verwendet; die „Gleichschaltung" der Tschechoslowakei und das Vordringen des Kommunismus im Nahen und Fernen Osten, nicht zuletzt auch der „kalte Krieg" und die Politik der DDR zeigten dariiber hinaus, dafi die Hoffnung auf eine solidarische Zusammenarbeit aller Lander der Welt zumindest verfriiht, wenn nicht eine ganzliche Fehleinschatzung der politischen Weltlage gewesen war. Unter der Wirkung dieser enttauschenden Erkenntnis kam es zwei Jahre nach dem Ende des Krieges zu einer radikalen Schwenkung in der internationalen Finanzpolitik der USA. An die Stelle des Gedankens einer Finanzsolidaritat der ganzen Welt auf Grund allseitig akzeptierter und ratifizierter Kollektivvertrage trat ein neuer finanzpolitischer Bilateralismus, der einerseits weitgehend zu dem Grundsatz kostenloser Hilfeleistungen zuriickkehrte, die Gewahrung dieser Hilfe aber von konkreten Beweisen der Kooperation abhangig machte. Gleichzeitig trat die Isolierung 151 des Kommunismus als beherrschendes Ziel der amerikanischen Aufienpolitik in den Vordergrund; die Hilfeleistungen sollten die von dem Eindringen kommunistischer Umsturzgedanken bedrohten Lander in die Lage versetzen, ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und den Lebensstandard ihrer Bevolkerung nachhaltig zu heben. Neben dem politisch vordringlichsten Hilfsprogramm fiir Griechenland und die Turkei, das militarische Hilfeleistungen und Lieferungen umfafite, ist hier insbesondere die Gewahrung wirtschaftlicher Hilfe an die Bevolkerung der deutschen Besatzungsgebiete zu erwahnen, die durch die Dienststellen der Besatzungs-
150 Die Grofibritannien 1946 gewahrte Wiederaufbauanleihe von 3,75 Mrd. Dollar war innerhalb eines Jahres fast ganz fiir Lebensmitteleinfuhren aufgebraucht worden. 151 „Containmentcc.
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truppen organisiert wurde (GARIOA) 1 5 2 ; von den 3,2 Mrd. $ ziviler Bedarfsgiiter, die von 1946 bis 1948 auf diesem Wege verteilt wurden, erhielt Westdeutschland mit 1,4 Mrd. $ den Hauptanteil 153 . Weithin sichtbar trat die neue Richtung der amerikanischen Finanzhilfe mit dem Marshallplan von 1947 in Erscheinung. Aufienminister Marshall forderte vom Kongrefi finanzielle Hilfe fiir diejenigen Lander insbesondere in Europa, die aus eigener Kraft ihrer Zahlungsbilanzschwierigkeiten nicht Herr werden konnten; diese Hilfeleistung sollte allerdings davon abhangig gemacht werden, dafi die europaischen Lander sich bereit fanden, ihrerseits wirtschaftlich zusammenzuarbeiten und ein Programm der Selbsthilfe und der gegenseitigen Hilfe in Angriff zu nehmen. Der europaische Wiederaufbau, sagte General Mashall am 5. Juni 1947 vor den Studenten der HarvardUniversitat, sei und bleibe grundsatzlich „the business of the Europeans"; doch seien die Vereinigten Staaten bereit, einen „gemeinsamen Plan" der europaischen Lander aufstellen zu helfen und seine Ausfiihrung zu unterstiitzen. Der iiberwiegende Teil der Marshallhilfe wurde an die Regierungen der Empfangerlander geschenkweise nur mit der Auflage gewahrt, dafi von dem in Landeswahrung aufzubringenden Gegenwert fiir die amerikanischen Lieferungen 5°/o den Vereinigten Staaten fiir ihre eigenen Zwecke zur Verfiigung stehen sollten; 9 5 % der Gegenwerte verblieben den Regierungen zu Investitionszwecken (sog. Gegenwertfonds), wobei sich die ECA-Missionen ein gewisses Mitspracherecht bei der Vergabe dieser Mittel vorbehielten. Als politische Gegenleistung, die 1949 nochmals ausdriicklich als Bedingung der Marshallhilfe aus der Praambel des urspriinglichen Gesetzes 154 iibernommen wurde, forderte der Kongrefi von den europaischen Empfangerlandern die Bereitschaft zu einer verstarkten europaischen Integration, zunachst im Sinne der Erweiterung und Liberalisierung des zwischenstaatlichen Handels und der Intensivierung des Wettbewerbs, aber mit dem Endziel, Europa zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zu machen und dadurch zugleich viele der bisherigen Zahlungsbilanzprobleme zu iiberwinden. Mafigebende Personlichkeiten sahen diesen ersten Programmpunkt als einen ersten Schritt der amerikanischen Aufienpolitik auf dem Wege einer auf lange Sicht geplanten Forderung der wirtschaftlichen, politischen und militarischen Vereinigung aller westeuropaischen Lander 155 ; dariiber hinaus spiegelte sich darin die Konzeption einer internationalen Norm finanzpolitischen Wohlverhaltens, die fiir alle Empfangerlander verbindlich sein sollte.
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Government Aid and Relief in Occupied Areas. U. a. erhielt Japan 1 Mrd., Italien 244 Mill., Dsterreich 94 Mill. Dollar. "It is further declared to be the policy of the people of the United States to encourage the unification of Europe." 155 Y g ^ Survey of U S International Finance, a.a.O., 1949, S. 135.
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Welchen Widerhall diese internationale Finanzpolitik der USA im europaischen Raum fand, offenbarten die Halbjahresberichte des von der OEEC eingesetzten Sachverstandigenausschusses der sieben europaischen Lander 156 uber die Fortschritte, die in Europa jeweils seit Beginn der Marshallhilfe auf dem Wege zur Erzielung der internen finanziellen Stabilitat erreicht worden waren. Die einzelnen Lander erhielten in diesen Berichten regelrechte „Zensuren" fiir ihre Finanzpolitik; um dem Ziel des Zahlungsbilanzgleichgewichts naher zu kommen, empfahl die OEEC den beteiligten Landern regelmafiig, ihren innereuropaischen Warenhandels- und Dienstleistungsverkehr durch moglichst weitgehende Liberalisierung zu intensivieren. Um die dabei erreichten Erfolge nicht wieder zu gefahrden, sollten die einzelnen Lander jedoch zunachst „ihre Haushalte in Ordnung bringen". Zu diesem Zweck schlug die OEEC in erster Linie Einsparungen im offentlichen Haushalt und einen moglichst vollstandigen Ausgleich zwischen Ausgaben und Einnahmen vor; manche Lander konnten dies durch Erhohung der Steuern erreichen, aber selten fehlte der Hinweis, dafi eine Uberspannung der Steuersatze unter Umstanden den Erwerbssinn beeintrachtigen und zu unproduktiven Ausgaben verleiten konne. Deflatorische Mafinahmen seien allerdings ebenfalls bedenklich, weil sie zur Arbeitslosigkeit fiihren und damit indirekt das Autarkiedenken wieder beleben wiirden; die Finanzpolitik der 16 Marshallplanlander sollte unter diesen Gesichtspunkten laufend weiter beobachtet werden. Das wirksamste Mittel, diesen Empfehlungen Geltung zu verschaffen, waren in der Zeit des Marshallplanes die bereits erwahnten Gegenwertfonds; da die Lieferungen der Europahilfe nur zu 5 % an die USA bezahlt zu werden brauchten, sammelten sich bei den Regierungen Gegenwertmittel im Betrage von 9 5 % des Warenwertes der Hilfslieferungen an, die jeweils von der OEEC nur fiir solche Zwecke freigegeben wurden, die der Erfullung des erwahnten Programms finanzieller Stabilitat zugute kamen. Die OEEC hatte damit ein Instrument in der Hand, mit dessen Anwendung sie sich zwar mancher Kritik aussetzte, dessen Wirksamkeit aber nicht zu leugnen war; der mafigebende Einflufi, den indirekt auch hier die amerikanischen Ratgeber ausiibten, ging trotz mancher Inkonsequenzen im einzelnen doch in der allgemeinen Richtung einer Wiederherstellung der finanziellen Stabilitat, insbesondere einer wirksamen Bekampfung der Inflation. Die Problematik dieser Entwicklung liegt insbesondere in dem Ubergang von der Gewahrung verlorener Zuschiisse („Grants