Fahr zur Hölle, Ninguno!'
Aus den Aufzeichnungen des Federico
de
Arroyo erzählt von F. W. BROOK ILTIS - V ER LA G
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Fahr zur Hölle, Ninguno!'
Aus den Aufzeichnungen des Federico
de
Arroyo erzählt von F. W. BROOK ILTIS - V ER LA G
D ÜSS ELDO R F
Verlagsnummer 153 Printed in Germany.
Alle Rechte vorbehalten Iltis-Verlag.
Düsseldorf Gesamtherstellung: A. Pisters K.-G., Kückhoven / Erkelenz
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verlor das einst so glorreiche Spanien als Seemacht an Gel tung. England und die Niederlande schickten sich an, an seine Stelle zu treten . . . und die Macht und der Wohlstand des Königreiches sanken unter dem schwachen, von Günstlingen irregeleiteten Herrscher Philipp III. immer weiter. Aufstände in den überseeischen Kolonien taten das ihre . . . und die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung griff schließlich auch auf die bis dahin
königstreuen
Offiziere
über
.
.
.
zumindest auf viele von ihnen, und so war es nicht weiter verwunderlich, daß manch einer jener
kühnen,
verwegenen
Kapitäne
der
einstmals so ruhmreichen Flotte abtrünnig wurde und seinen Eid vergaß. Korruption, Ungerechtigkeit, Neid und Kabalen ließ in diesen Männern immer mehr den Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit wach werden.
Sie, die jahrelang in treuester Pflichterfüllung dazu beigetragen hatten, den Ruhm des könig lichen
Banners
zu
mehren
und
die
Schatzkammern in Madrid mit unübersehbaren Schätzen anzufüllen . . . sie sahen sich plötzlich betrogen.
Haß
begann
in
ihren
ehrlichen
Herzen zu keimen. Sie warfen die Kaperbriefe mit dem Herrscher siegel buchstäblich über Bord und begannen, auf eigene Faust die Meere zu durchpflügen. Die Reichtümer, die sonst in die Bleikammern und unteririschen Lagerräume des Escorial gewandert waren . . . sie stapelten sich von nun an in den massigen Rümpfen der Galeonen, der Barks und Schnellsegler, von deren Masten die schwarze Flagge mit dem weißen Totenkopf wehte ... Spanien verlor an Ruhm, Ehre und Ansehen. Die Welt empörte sich . . . aber alle Anstrengungen des einst so mächtigen Reiches, unter den Großmächten wieder die Stelle einzunehmen, die ihm gebührte, waren vergebens.
Man schrieb das Jahr 1599. Die Anlage des Stadtgefängnisses von Brozano glich der einer befestigten Wasserburg. Ein mehr als mannstiefer Graben umspannte das aus rohen Quadersteinen errichtete, alte Gemäuer ... ein Graben, in dem tropisch-warme Brühe gluckerte und in weitem Umkreis die Luft verpestete. Das schmutzig-schwarze Wasser starrte vor Unrat, über den Graben führte eine Fallbrücke in den Innenhof des Gefängnisses.
Die Brücke wurde
abends, wenn die Nachtwächter die elfte Stunde ausriefen, eingezogen. Das stadtwärts gelegene Ufer war mit dichtem Unterholz und hier und da mit Gruppen schlankstämmiger Zedern bestan den... Das Gefängnis von Brozano, einem mittelgroßen Hafenstädtchen oberhalb von Savanna la Mar an der Südwestküste Jamaicas, war ein Ort des Grauens, den jeder mied, der nicht gerade mit
dem alten, düsteren Bauwerk was zu tun hatte . . . Händler also, die der Besatzung dies und das ver kauften ... na ja, und schließlich die Wache selbst, Soldaten der Garnison, die dem spanischen Obersten Enrique de Funchal unterstand . . . einem — wie man wissen wollte — guten Freund des Gouverneurs der Insel, wegen seiner verbre cherischen Willkür der bestgehaßte Mann Ja maicas. Die Musketiere, die zum Wachdienst abkom mandiert wurden, sahen darin eine Bestrafung. Widerwillig taten sie ihre Pflicht und waren froh, wenn sie abgelöst wurden. Das passierte alle acht Tage. Heute war Wachablösung. Daran mochte es liegen, daß das Gefängnis eine bedrückende Stille ausstrahlte. Sonst hallte die Luft wider von den Angstschreien der gequälten, mißhandelten Opfer, von denen kaum einer wie der die Freiheit erlangte. Oberst de Funchal war stolz darauf, daß von zehn eingelieferten Gefan genen neun vor der offiziellen Hinrichtung. . . .
„starben" . . . so nannte er es, wenn er abends im Kasino der Offiziere mit höhnischem Grinsen von den „Heldentaten" seiner Wachtposten erzählte. Und da Brozano selbst — ein unbedeutender Hafen
—
reichlich
uninteressant
war,
bildeten die Vorkommnisse im Gefängnis so ziemlich
den
einzigen
Gesprächsstoff.
Die
Angehörigen der spanischen Verwaltung und die
Soldaten
der Garnison
sahen
in
der
willkürlichen Hinmetzelung der Gefangenen nichts weiter als eine korrekte Handlung, die der
Dienst
im
Heer
Seiner
Katholischen
Majestät von ihnen verlangte . . . die Bürger Brozanos aber — die ehrbaren Fischer und Handwerker ebenso wie die unzähligen Unter getauchten — fluchten und wetterten und bissen
die
Fäuste
und
Zähne
zusammen,
ballten
die
schickten heimlich verstohlene
Flüche hinter den gewalttätigen Kolonialherren her . . . aber es änderte sich nichts! Der Mond hing wie ein runder Lampion über dem Hauptturm' des Gefängnisses — sein fahler
Schein
brach
sich
matt
in
den
metallen
glänzenden Helmen und Brustharnischen der Wachsoldaten, die auf dem Wehrgang der äußeren
Umfassungsmauer
ihre
Runden
abschritten. Noch verband die niedergelassene Fallbrücke
die
Gefängnisfestung
mit
dem
Stadtgebiet. Vom offenen Meer her wehte eine kühle Brise landeinwärts, aus den Schenken Brozanos drang gedämpft das polternde Ru moren
angeheiterter
Musketiere
und
Seeleute. Im Graben quakten hier und da ein paar Frö sche. Das Schilf und das Unterholz am Ufer kni sterte, trockene Zweige knackten . . . im nahen Wald lärmten Papageien und Affen . . . Plötzlich stieg aus dem dichten Gestrüpp der schrille Warnruf eines Reihers auf, übertönte gellend die Geräusche der Nacht. Im selben Augenblick erschien oben — über den Zinnen der Gefängnismauer — ein weißer, kaum erkennbarer Fleck, der ein paarmal rasch auf- und niedertanzte und wieder verschwand.
Limpio ließ die Zweige des Oleanderbusches zurückschnellen. Ein befriedigtes Lachen huschte lautlos um seinen schmallippigen Mund, und mit der ihm eigenen, eitlen und selbstbewußten Geste strich er die dünnen Enden seines gepflegten Schnurrbartes. „Er hat uns gehört, Galgenvogel", brummte er fröhlich und packte nach dem Arm des Mannes, der neben ihm im Gesträuch lag. „Du weißt also genau, was du zu tun hast, amigo, he?" Der Mann, der auf den seltsamen Namen .Gal genvogel' hörte, nickte eifrig und sein verschla genes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, bei deren Anblick Limpio ein unbehagliches Frösteln überlief. Zum Henker, dem Kerl möchte er nur ungern im Dunkeln begegnen, und es schien durchaus ratsamer, ihn nicht auf der Seite des Feindes zu wissen. „Also .. . komm, Galgenvogel, erzähl's dem guten Onkel noch mal, damit er sich getrost trollen kann, um dich allein zu lassen. In wenig mehr als einer halben Stunde muß es soweit sein. Es
kommt darauf an, daß du zur rechten Minute schießt, companero, verstehst du?!" „Ich bin ja nicht blöde, Limpio", knurrte der Mann. Dann steckten die beiden die Köpfe zu sammen und tuschelten. Oben auf dem Wehrgang drehten die Posten ihre Runden. Der Lärm der Stadt ebbte allmählich ab . . . und knapp fünfzehn Minuten später kam vom anderen Ende Brozanos der erste
Trompetenstoß, der
die elfte
Abend
stunde ankündigte. „Also, bueno, Galgenvogel. Die Stunde hat ge schlagen. Rauf auf den Baum mit dir, und . . . . beim Henker . . . ziel' gut!" Limpio tauchte im Dunkel der Büsche unter. Geduckt lief er in ihrem Schutz längs des Was sergrabens dahin, bis er sich in der Höhe der Fallbrücke wähnte. Vorsichtig teilte er das Laub des Unterholzes. Vor ihm — im Licht des Mondes — lag die holprige Fahrstraße, die von der Stadt zum Gefängnis führte. Im Schatten der niedrigen Mauer, die die Straße säumte, huschte er bis zum Ufer des Grabens, klemmte sich tief in den
Winkel zwischen Mauer und Brücke. Eine eiskalte Ruhe befiel ihn . . . er fühlte, wie seine Muskeln sich spannten, wie die Nerven sich dehnten. Behutsam tastete er nach dem Dolchgriff, der aus seiner dunkelblauen Schärpe ragte. So lag er da und wartete ... zählte die Sekun den... Das Horn des Nachtwächters kam näher. Un deutlich verstand er den Ruf des Wächters, glaubte sogar die hallenden Schritte zu vernehmen... aber das war ein Irrtum. Das Geräusch der Schritte kam aus dem Torweg des Gefängnisses. Es war soweit! Vorsichtig hob Limpio den schmalen Körper. Für den
Bruchteil
eines
Augenblicks
blitzte
der
goldene Ring an einem Ohr auf . . . das Rot seines Kopftuches glänzte matt. Ohne es zu wissen, zupften seine Finger an den Schnurrbartenden. Er zog das linke Knie weit unter den Leib, be reitete sich vor zum Sprung...
Zwischen den Grashalmen, die das Mauersims deckten, sah er im Torweg zwei der Musketiere herankommen. Ihre Harnische blinkten . . . bei je dem Schritt setzten sie die Hellebarden mit dumpfem Ruck auf die glatten Steine. Gleich darauf rasselte mit ohrenbetäubendem Gepolter das Fallgatter nieder... und in eben dem gleichen Moment
drang
das
knirschende,
reibende
Schleifen der Seilwinden an Limpios Ohr. Langsam — Zoll um Zoll — hob sich die Fallbrücke — die Ketten kreischten rostig . .. die uralten, teils halbvermoderten Bohlen der Brücke quietschten . . . und Zoll um Zoll stieg die Brücke höher. Der Spalt zwischen dem gemauerten Ufer und dem obersten Querbalken wurde immer größer — zusehends! Fast sechs Fuß mochten es schon sein. Die Brücke selbst warf — je höher sie sich hob — einen
langen,
schwarzen
Schatten
auf
den
Fahrweg. Jetzt!' flüsterte es in Limpios Schädel. Mit einem jähen Ruck stieß er sich vom Boden ab, wälzte sich der Länge nach über die niedrige
Mauer, rollte wieselflink in den Schatten der auf steigenden Fallbrücke. Hier konnte er von den Wehrgängen aus nicht gesehen werden — das wußte er genau. Wenn er bisher unbemerkt ge blieben war . . . dann war alles Weitere ein Kin derspiel, maledito. Sekundenlang zögerte er, hielt den Atem an, lauschte angestrengt zum Gefängnis hinüber... Nichts! Und schon rannte er los . . . vier, fünf Fuß . . . sechs, acht ... setzte zum Sprung an, schnellte sich förmlich in die Höhe, flog federleicht nach vorn, wirbelte durch die Luft und . . packte zu, krallte sich mit den Fingern in das morsche Holz des Querbalkens, baumelte über dem Graben, wurde höher und höher gezogen, hing wie ein schwerer Sack an der aufsteigenden Fallbrücke. Er fühlte, wie seine Pulse hämmerten, wie ihm der Schweiß auf die von der Anstrengung erhitzte Stirn trat, wandte den Kopf nach rückwärts . . . dahin, wo das gegenüberliegende Ufer immer weiter zurückblieb.
Das Knirschen der Ketten drang quälend und nervenzerfetzend in sein Bewußtsein. Mit ausge streckten Armen hangelte er sich zum äußersten Rand der Brücke ... Und dann war es soweit! Mit einem hohlen Ruck rastete die jetzt senkrecht schwebende Brücke in den Ausschnitt des großen Gefängnistores ein. Ein weit vorragendes Sims schützte ihn gegen Sicht von oben. Geschafft! Mit einem erleichterten, unterdrückten Seufzer schwang Limpio sich auf einen Mauervorsprung, zog sich von da auf eine schmale Rüste, die an die vier Fuß unterhalb der Zinnen längs der Um fassungsmauer verlief, und drückte sich, um Atem zu schöpfen, dicht an die von der Sonne noch glühwarmen Steine. Tief unter sich blinkte das brackige Wasser des Grabens ... auf der Fahrstraße, die irgendwo hinter den Bäumen im Dunkeln verschwand, lag das milchige Licht des Mondes.
Limpio warf einen flüchtigen Blick in die, Rich tung, in der er .Galgenvogel' wußte. Der hockte
also jetzt auf irgendeinem Baum. . . .
hoffentlich,
maledito!
spitzbübischen eingefädelte
Halunken
Plan
sang-
Ohne fiel und
diesen der
klanglos
fein in
dieses verdammte stinkende Wasser da unter ihm. In der Ferne sah er undeutlich das Meer glit zern. über sich hörte er den dumpfen, rhythmischen Schritt der Wachen. In vier Stunden war Ablö sung, schoß es ihm durch den Kopf. Er wartete noch ein Weilchen — nichts rührte sich . . . Vorsichtig richtete er sich auf, und mit ge krümmtem
Rücken
schob
er
sich
auf
der
schmalen Rüste an der Mauer entlang. Seine Finger bohrten sich tief in die Steinfugen. Er kam nur langsam vorwärts . . . immer wieder verhielt er, suchte nach der Stelle drüben, wo
.Galgenvogel' lauerte.. Hier mußte es sein. Er kauerte sich fest gegen die Wand, duckte sich nieder,
formte die Hände wie einen
Trichter über den Mund und wiederholte den Warnruf
des
Reihers.
Fast
im
gleichen
Augenblick plumpste direkt unter ihm ein kleiner Stein den Wassergraben. Das mit .Galgenvogel' verabredete Zeichen. Der Bursche war also auf seinem Platz. Der Tanz
konnte
weitergehen,
infierno!
Die
vermaledeiten Rundschädel in Brozano sollten sich umsehen und sich h i n t e r die Ohren schreiben, daß ein Korsar wie nicht
lange
in
den
Manzanillo
gastfreundschaftlichen
Gemächern dieses miserablen „Hotels" bleiben würde. Augen sollten sie machen, diese Trottel, daß sie ihnen aus den leeren Schädeln auf das Pflaster fallen und zerspringen sollten, por diablo! Limpio grinste schadenfroh in sich hinein, und wieder zwirbelten seine Finger die Bartenden.
„Bei allen Heiligen", fluchte er belustigt vor sich hin, als er sich darauf ertappte, „Kann ich dieses verflixte Rumspielen denn wirklich nicht lassen?!" Dann streckte er sich zu seiner vollen, imponie renden Länge auf, packte nach der Mauerkante und zog sich mit einem kraftvollen Schwung nach oben. Sekundenlang stand er aufrecht auf den Zinnen . .. .Galgenvogel' sah ihn und setzte sich zurecht. Noch einmal überprüfte er die Festigkeit der Kno ten, riß an den Schlingen, mit denen die starken Seile mit dem mächtigen Ast des Baumes verbun den waren — dann zog er gemächlich einen der langen indianischen Pfeile aus dem Köcher und band eines der Seile mit seinem anderen Ende daran fest. Mit dem zweiten Seil verfuhr er genau so. Zum Schluß seiner Vorbereitungen kontrollierte er zum hundertsten Male den elastischen Bogen. Dann wartete er... Limpio schlich im Schatten der aufstrebenden Mauer dahin. Das vierte Fenster von dem zer bröckelten Simsstück an gerechnet... das mußte
es sein. „Eins — zwei — drei .. . " zählte er in Gedanken. „Vier!" Er warf einen schnellen Blick zurück. Der Rundlauf lag still und verlassen da. Er preßte sich eng an die Mauer, beugte sich zu der Fensteröffnung hin. „He, Capitan", flüsterte er atemlos. „Ich bin's, Limpio! Hört Ihr mich?" In dem dunklen Ausschnitt tauchte bleich und hell ein Gesicht auf. „Hölle und Schiffszwieback", flüsterte Jose Manzanillo ebenso leise zurück. „So bist du's also wirklich, Langer?! Verflucht, du bist ein Teufelskerl, Limpio. Wie hast du das nun wieder zustande gebracht, he?" „Fragt nicht so viel, Capitan", gab Limpio zu rück und zwirbelte geschmeichelt seinen Bart. „Ich
habe
Euch
in
diese
vertrackte
Lage
gebracht. . . also ist es wohl meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Euch wieder aus diesem stinkenden Schlund herauszuholen, schätze ich, wie?! — Wie fühlt Ihr Euch? Das zu
wissen ist jetzt wichtiger. Seid Ihr stark genug, eine Luftreise zu unternehmen?" Während er sprach,
ließ
er
keinen
Augenblick
den
Wehrgang aus den Augen. „Zu allem bereit, Limpio, und wenn es gilt, dem Satan seinen Bocksfuß im Schlaf zu stehlen . . . ich bin dabei." „Bien", murmelte Limpio sichtlich erleichtert. „Ich
dachte
schon,
die verdammten Kerls
hätten Euch Euer Fell in Streifen geschnitten und . . ." „Hätten sie bestimmt, Langer, aber ich bin noch nicht lang genug hier. Aber zum Henker, ich denke darüber können wir später bei einem Becher Wein in Estrellas Bodega schwätzen, he?! Nun
sag
mir
schon,
wie
dieses
Zauber
kunststückchen zu Ende geht, und laß endlich deinen
vermaledeiten
Fliegenfänger
aus
den
Fingern. Verdammt, was ist denn, Limpio . . .?" fügte er hastig hinzu, als der andere schwieg. „Pssst, Capitan", zischte Limpio. „Da taucht einer
auf, der uns unseren Spaß verderben will. Wartet einen Augenblick und gedulde!. Euch! Seid Ihr gefesselt?" „Nein, Limpio!" „Umso besser, Capitan, nehmt inzwischen Ab schied von den Ratten. Hasta la vista!" Jose Manzanillo wich ins Dunkel seiner Zelle zurück. Limpio wand sich wie eine Schlange an der Mauer entlang und tauchte in einer winzigen Nische unter. Das Mondlicht fiel prall und breit auf die großen, klobigen Steinquadern des Wehr ganges. Aus der Richtung, wo das Haupttor des Gefäng nisses lag, näherten sich Schritte — langsam, mo noton klopften die eisenbeschlagenen Stiefel des Musketiers die Steine . . . rhythmisch schlug der Schaft der Hellebarde den Boden... Limpio sah ihn rankommen. Er hielt den Atem an, ließ keinen Blick von dem Gesicht des Soldaten. Tranig und gemächlich schlenderte der Musketier näher, schläfrig, den Kopf gesenkt... und das wäre
Limpio fast zum Verhängnis geworden. Plötzlich blieb der Soldat stehen, starrte gebannt in Limpios Richtung, dahin, wo dessen Füße sein mußten. Den langen Korsaren überlief ein eisiger Schreck. Blitzschnell sah er an sich hinunter — und das Blut gefror ihm in den Adern. Seine Fußspitzen ragten über den Schattenrand hinaus, lagen deutlich sichtbar im hellen Licht des Mondes da .. . geradezu herausfordernd... Das weitere, was nun geschah, wickelte sich in Blitzesschnelle ab. Der Musketier senkte seine Hellebarde. Die zackige Spitze wies direkt auf Limpios Herz. Der Korsar riß den Dolch aus der Schärpe, duckte sich zum Sprung, wartete . . . „Quien vive?" stieß der Musketier hervor. „Wer da?" In Limpios Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was tun? Zum Satan, was zauderte er? Da gab's doch kein überlegen! Entweder er oder dieser gepanzerte Hanswurst... entweder Joses Befreiung,
oder er selbst — Limpio — hing ebenfalls in zweimal zwei Tagen am Galgen. Und als er soweit gekommen
war,
warf
er
sich
mit
einem
Pantersprung nach vorn, riß im Vorwärtsstürmen den Dolch hoch ... und verfehlte sein Ziel. Mit allen Anzeichen des Entsetzens wich der Soldat bis zum Mauersims zurück, faßte sich aber im Nu, senkte erneut die Hellebarde und rannte gegen den Angreifer, der ihm wie ein Gespenst vorkam. Limpio warf sich mit einem unterdrückten Fluch zur Seite, duckte sich nieder, ließ sich auf die Hände fallen, wirbelte wie ein Kreisel über die Steine und packte im Aufspringen den schlanken Schaft der Hellebarde. Kurz darauf wälzte er sich mit dem Musketier in verzweifeltem Ringkampf am Boden. Der Mann wehrte sich mit aussichtsloser Tapferkeit. . . Angst stand brennend in seinen Augen . . . wie
wild
schlug er um sich, suchte Limpios freien Hals zu erwischen, doch der entging mit der Geschicklich keit eines Wiesels der tödlichen Umklammerung. Brustpanzer und Raupenhelm des Musketiers
kreischten schrill und metallen, wenn sie mit den Steinen in Berührung kamen . . . das Lederzeug knarrte... aber immer wieder entkam der Spanier den Händen des Korsaren . . . „Maledito", zischte Limpio und biß die Zähne aufeinander. „Wenn du nicht anders willst, du Hundsfott, du elendiger . .. dann kann ich dir nicht helfen. So fahr denn zum Teufel in die Hölle ... hättest es mit mir ja nicht anders gemacht." Mit voller Wucht warf Limpio sich herum, kam auf den Spanier zu liegen . . . der Atem der beiden Kämpfenden ging keuchend . . . ihre Augen glühten… Da stieß Limpio zu — mit aller Kraft bohrte er dem anderen von unten her den Dolch unter den Brustharnisch — einmal, zweimal, dreimal . . . Ein Zucken flog durch den Körper des Mannes, ein wildes, röhrendes Stöhnen kam über seine Lippen — dann war es vorbei. Limpio richtete sich auf, sah bedauernd auf den Toten hinab, zuckte mitleidig die Schultern.
„Bist's selber schuld, du Tölpel!" knurrte er und zwirbelte seine Bartenden. „Aber lieber du — als Jose und ich, das mußt du schon einsehen, he?! Maledito, so ein blöder Kerl, mit mir anzubandeln . . . . por diablo!" Wieder zuckte er die Schultern, strich eitel die zerzausten Locken aus der Stirn. „Sprichst du schon wieder mit dir selbst, Langer?" drang da Joses Stimme an sein Ohr, Limpio
fuhr
erschrocken
herum,
grinste
verlegen, beugte sich dann wortlos nieder und warf sich den Soldaten wie ein Bündel über die Schulter. „Gut, daß Ihr schon von selber gekommen seid, Capitan
und
gut,
daß
die
Spanier
ihr
verdammtes Gefängnis als so sicher betrachten, daß sie nicht einmal Gitter vor den Fenstern anbrachten. Die Arroganz und der Hochmut dieser
Ausbeuter
und
Unterdrücker
ist
bewundernswert." Limpio knurrte geringschätzig. „Ich weiß, daß hier über kurz oder lang die Hölle los sein wird.. na, bitte, fängt schon an. . . der Zauber.
.!"
Vom Ende des Wehrganges her näherten sich erneut Schritte. Rufe wurden laut, kamen näher, wurden deutlicher. Noch war niemand zu sehen. „He, por dios, Cappuzzo, wo steckst du denn, zum Teufel? He, Cappuzzo . . . Cappuzzo . . .!" „Los, Capitan", stieß Limpio hervor. „Es wird Zeit!" Ohne sich länger um Jose Manzanillo zu kümmern, hastete er den Wehrgang hinunter — bis zu der zerbröckelten Stelle im Sims. Ein Ruck, und der schwere Körper des Toten sauste in hohem Bogen in den Wassergraben. Ein Aufspritzen — vorbei . . .! Limpio und Jose hockten niedergekauert auf der
Mauer.
Das
Rufen
Wehrganges dauerte an.
am
Ende
des
Limpio riß einen
weißen Fetzen Stoff aus dem Hemd, winkte damit zu den Baumkronen auf der anderen Seite ...
.Galgenvogel1 sah die dunklen Schatten auf der Mauerbrüstung, sah auch den in rasendem Sturz niedersausenden Körper des Musketiers, in des sen Panzerblechen der Mond sich spiegelte . . . und sah auch gleich darauf den flatternden Stoff fetzen. Gelassen legte er den ersten der beiden Pfeile in den Bogen, stemmte sein linkes Knie mit aller Macht gegen einen der dicken Äste, spannte ... zielte... Zischend schnellte der Pfeil von der Sehne — sausend, mit leisem Brummen schlängelt sich hinter ihm das Seil durch die Luft . . . und zielsicher bohrte sich
das
seltsame
Geschoß
in
eine
der
Mauerfugen, einen knappen Fuß unterhalb der Stelle, wo Jose und Limpio rittlings auf dem Sims turnten. Klatschend fraß sich der zweite Pfeil in die Fuge . . . wie zwei Lianenwülste baumelten die beiden Seile über dem Wassergraben. „Jetzt gilt's, Capitan!" schrie Limpio dem Befreiten ins Ohr und packte schon nach einem der beiden Seile,
schlang
es kräftig
um seinen linken
Unterarm... stand wenig später hochaufgerichtet auf der Mauer. „Toller Einfall, Langer", flüsterte Jose Manzanillo anerkennend und griff nach dem zweiten Seil. „Also los!" Fast gleichzeitig stießen die beiden Korsaren sich ab, winkelten die Arme an, streckten die Beine nach vorn und sausten in hohem Bogen quer über den Graben. Jose sah das undurchdringliche, pechschwarze Unterholz auf sich zurasen, hörte hinter sich — oder über sich? — das wilde Geschrei eines spanischen Postens, gleich darauf den Knall einer Muskete . . . sah links von sich einen zweiten
Klumpen
durch
die
Luft
segeln.
Limpio! Vor ihm stand wie eine Wand das Gesträuch . . . die dichten Baumkronen . . . und er schloß die Augen, zog den Kopf eng zwischen die Schultern, spannte alle Muskeln, um den Aufprall abzufangen.,. Dann
peitschten
Zweige
sein
Gesicht
—
Dornen rissen an seinen Kleidern . . . er hörte einen dumpfen Aufprall, als wenn jemand zu Boden
gesprungen
wäre,
und
ließ
sich
ebenfalls los. Berstend und krachend fiel er mitten
in
das
Unterholz,
kugelte
sich
zusammen, rollte aus und — lag still. Der Lärm im Gefängnis nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Gleich darauf stand Limpio neben ihm . . . kurz danach tauchte auch ,Galgenvogel' auf, dessen Augen trotz der Dunkelheit zufrieden aufleuchteten. „Alles klar, Capitan?" hörte er Limpio fragen. Jose rappelte sich vom Boden hoch, befühlte argwöhnisch seine Glieder, strampelte mit den Beinen
und
grunzte
teils
belustigt,
teils
mürrisch: „Oh, por diablo, ich will lieber bis an mein se liges Ende verfaultes Dörrfleisch fressen, als eine so vermaledeite Himmelsreise noch mal machen. Maledito, das war kein schlechter Spaß, Limpio, und wenn ich . . . "
„Verzeiht, Capitan, um Euch bei Eurem eigenen Wort zu nehmen ... wollen wir das nicht lieber bei der süßen Estrella und einem guten Becher noch besseren Weines bequatschen, he? Noch ist die letzte Runde dieses Tänzchens nicht gedreht, infierno! Hier, streift Euch das über — und dann die Beine unter den Arm und auf und hinein nach Brozano!" Jose fühlte, wie ihm der andere etwas HaarigRauhes in die Hände drückte, erkannte es im Nu und zog es sich lachend über den Kopf. Die bei den anderen taten dasselbe. Dann warf ,Galgen vogel' den Bogen geringschätzig in den Wasser graben . . . und wenige Sekunden später schlugen die drei sich in die Büsche . . .
Polternd rasselte die Zugbrücke nieder — das Fallgatter flog nach oben, und fast gleichzeitig stob eine Kavalkade von annähernd zehn berit
tenen Musketieren aus dem Gefängnishof auf die Fahrstraße. Die Bohlen der Brücke donnerten unter den Hufen der galoppierenden Pferde . . . Staub wirbelte in Wolken auf . . . und hinter den Reitern ergossen sich drei, vier Trupps nach außen, die sich sogleich längst des Wassergrabens links und rechts in die Büsche stürzten. Die Suche nach dem auf so tollkühne Art befrei ten Korsarenkapitän Jose Manzanillo hatte be gonnen.
Da, wo ein Fußweg von der Küste in die Fahr straße
einbog,
sah
der
Anführer
der
Kavalkade drei seltsam vermummte Gestalten dahin ziehen. „Da sind sie", brüllte er mit sich überschlagen der Stimme. „Los, drauf und packt sie, diese verdammten Halunken." Er stieß seinem Hengst rücksichtslos die Sporen in die Flanken. Das gepeinigte
Tier
wieherte
gequält
bäumte sich hoch und stürmte davon.
auf,
„He, stehen bleiben!" schrie der Offizier. Die drei
Gestalten
blieben
ohne
zu
zaudern
stehen. Dann war der Trupp Reiter heran . . . und die Soldaten sahen ebenso verdutzt auf die drei Vermummten, wie ihr Anführer seinen Zorn runterschluckte. „Oh, verzeiht, ehrwürdige Padres", murmelte der Offizier betreten. „Wir dachten, Ihr seid . . ." „Wir sind Bettelmönche aus dem Kloster San Cristobal droben in den Bergen, mein Sohn", fiel
ihm
Grabesstimme
Limpio
mit
weihevoller
ins Wort und zog die rauhe
Kapuze tiefer in die Stirn. Gleichzeitig
bemühte
er
sich,
kleiner
zu
erscheinen, als er war . . . ein Unterfangen, das ihm bei seiner riesigen Länge nicht ganz leicht fiel. „Ja, ich seh's, ehrwürdige Fratres", entschuldig te sich der Offizier. „Verzeiht die Belästigung, aber ich dachte, ihr wäret. . . nun, ja, aus dem Ge
fängnis ist soeben ein verdamm . . . " „Aber, mein Sohn", rügte Limpio. „Man flucht doch nicht! Das ist eine üble Sünde. Jeder Fluch bedeutet einen Tag Fegefeuer . . . denk' daran!" Jose und .Galgenvogel' verbissen sich mit Mühe ein Lachen, und auch Limpio wäre am liebsten 'rausgeplatzt. „Verzeih, Vater!" Der Führer des Trupps wurde immer verlegener. „Wir sind auf der Suche nach einem entflohenen Sträfling. Er kann nicht allein sein. Habt Ihr wen gesehen?" „Nein, wir haben keinen Menschen gesehen, mein Sohn", antwortete Limpio gemessenen Tones. „Und nun laß uns unseres Weges ziehen. Du störst unser Gebet." Er wandte sich ab. „Entschuldigt, Vater, wenn wir Euch verwechselt haben!" stammelte der Offizier. „Aber ja, aber ja, mein Sohn! Irren ist menschlich. Ziehe in Frieden, und Gott sei mit dir!" „Muchas Gracias, Padre!" Der Offizier gab seinem Pferd erneut die Sporen,
und in einer hoch aufwirbelnden Staubwolke preschte die Kavalkade in Richtung Brozano! Das dreistimmige Gelächter, das hinter den spa nischen Soldaten herscholl, trieb der Wind in den nahen Wald. Dann setzten sich auch die drei „Mönche" wieder in Trab . . . und auch sie wandten sich Brozano zu. Trotz der verhältnismäßig frühen Vormittags stunde
brannte
die
Sonne
heiß
vom
wolkenlosen Himmel. Die Luft flimmerte, das Gras am Wegesrand war ausgetrocknet und gelb.
Bei
jedem
Schritt
Staubfontänen
auf,
sich
brodelnd
beiden
den
die
wirbelten
stik-kig
Wanderern
auf
und die
Lungen legten. Die lang wallenden Kutten der beiden Mönche schlugen ihnen beim Gehen hindernd um die Beine, und die ihnen entgegenkommenden Landleute, die zum Markt in die Stadt fuhren, mochten sich nicht wenig darüber wundern, daß die zwei Padres bei dieser Höllenhitze die dicken Kapuzen übergestülpt hatten.
„Gott zum Gruß, ehrwürdige Padres!" diener ten die Bauern, und salbungsvoll kam es zurück: „Gott mit euch, liebe Kinder!" Und scheinbar in stilles Gebet vertieft, zogen die beiden Kloster leute ihren Weg. Nach einer Weile gelangten sie in ein Agaven gehölz. Der Weg schlängelte sich oberhalb eines sanft abfallenden Hanges an der Küste entlang. Vor ihnen erstreckte sich das weite Meer. „Hölle und Schiffszwieback, Capitan", fluchte Limpio.
„Diese
Affenhitze
kann
ein
gewöhnlicher Mensch ja kaum noch ertragen. Ich will Euch was sagen — ich habe nichts gegen die Sonne, aber so viel ist einfach ungesund. Ich denke, wir machen hier im Schatten eine kleine Rast -— was haltet Ihr davon?" Er wartete die Antwort gar nicht erst ab und warf sich aufatmend in das schüttere Gras. „Hast recht, Limpio", gab Jose Manzanillo
schmunzelnd zurück. „Eine Verschnaufpause kann nicht schaden. Du hättest dir vielleicht ja auch et was anderes einfallen lassen können als ausge rechnet einen Fußmarsch von dieser Länge in solch dicken, schweren Kutten, he?!" „War die beste Möglichkeit, ungeschoren aus der Stadt raus zu kommen, Capitan", verteidigte sich der Lange und räkelte sich wohlig. „Stimmt auch wieder! Mönchen gegenüber sind diese Herren von einer ausgewählten Höflichkeit. War verdammt ein guter Einfall von dir, Limpio, meine Anerkennung... und im übrigen meinen herzlichsten Dank. Ich glaube, das hab' ich im Eifer des Gefechts ganz vergessen. War großartig, deine Befreiung, Limpio. Bist und bleibst ein Teufelskerl." Jose lachte. „Na, na, macht nicht soviel Worte, Capitan... schließlich hatte ich Euch in diese vertrackte Si tuation gebracht. Ohne mich hätte man Euch ja wohl kaum gefangen nehmen können, wie?! Was
wunder, wenn ich Euch auch wieder raus gehauen habe. Also laßt uns von was anderem sprechen." Jose grinste noch immer vor sich hin, dann setzte er ein gespielt vorwurfsvolles Gesicht auf. „Zum Henker, Limpio . . . es ist aber auch schon was dran. Ich sag's ja schon immer: Mit deinen vermaledeiten Weibergeschichten bringst du uns noch mal allesamt an den Galgen, por diablo!" Er riß einen Grashalm aus und begann daran zu kauen. „Ich habe eben Glück bei den Frauen, Capitan", erwiderte Limpio stolz und kleinlaut zugleich und strich eitel seinen dünnen Schnurrbart, während er seine überlangen Beine weit von sich streckte und sich die Kapuze in den Nacken stülpte. „Ja, ich weiß, mein teurer Schürzenjäger . . . die Frauen fliegen nur so auf den langen Limpio", lachte Jose Manzanillo und hieb dem Gefährten wohlwollend die Faust auf die Schulter. „Nicht w a h r . . . ? ! " wurde der Lange munter. „Habt Ihr bemerkt, was für Augen mir diese
zuckersüße
Estrella
im
,Rostigen
Anker'
gemacht hat? Ich weiß nicht, Senior, wenn ich nicht
wirklich
eingesehen
hätte,
daß
es
ratsamer war, die Stadt nach der Befreiung sofort zu verlassen . . . ich..." „Du wärst gern noch ein bißchen in der Bodega geblieben, he?" „In der Tat, Capitan, eine solche Gelegenheit auszulassen, verdient Strafe und Blindheit auf beiden Augen. Denn wozu — beim Satan — hat ein Mann seine Augen im Kopf, he? Um schönen Frauen feurige Blicke zuzuwerfen, stimmt's?" Limpio redete sich in Eifer . . . wie immer, wenn von Frauen die Rede war. „Ja, stimmt, Langer. . . aber zu noch etwas an derem, schätze ich!" Jose unterdrückte ein Schmunzeln. „Zu noch was?" tat Limpio erstaunt. ,.Ja! Um einen Degen sicher zu führen, alter Schwerenöter . . . dazu braucht ein Mann gute Augen. Ich verwette fast mein Seelenheil, daß
du
unseren
Spezialstich
kaum
noch
beherrschst... die Weiber spuken dir ein bißchen viel in deinem geschniegelten Schädel herum, maledito!" Er hatte seinem Ton absichtlich eine gewisse Schärfe beigelegt, und richtig fiel Limpio
darauf
herein.
Empört
wandte
er
seinem Kapitän das Gesicht zu. „Por diablo und bei allen Haien der Karibischen See, Senor . . . so was solltet Ihr nicht sagen — und wäret Ihr nicht mein Kapitän, ich würde Euch
mit
meinem
Degen
ein
wenig
das
Springen beibringen." Zornig rollte er die Augen. Jose brach in tosendes Gelächter aus. „Also los, Bohnenstange, heraus mit deinem Degen und zeig's mir . . . na, worauf wartest du, he!?" „Auf den Degen, Senor — ich hab' ja keinen!" Limpio wies mit einer komisch-hilflosen Geste an seiner Kutte hinunter. „Also verschieben wir's, Limpio, bis wir auf der Esperanza' sind. Demonio, Weidengerte,
ich..." „Senor Capitan", unterbrach ihn Limpio in hoch näsig-abweisendem Tone, „darf ich Euch unter tänigst bitten, mich nicht ständig mit solch beleidigenden Beinamen zu belegen. Ich heiße, sofern Ihr's vergessen haben solltet, Limpio . . . und nicht Bohnenstange, Weidengerte oder Langer. Ihr wißt, das kränkt mich, Senor, und meine . . . " „Deine Eitelkeit, Limpio, ich weiß schon. Also, bueno, Namen
ich
will
nicht
mich mehr
bemühen, mit
deinen
anderen
zu
verwechseln, wenngleich es verdammt schwer fällt, dich Limpio zu nennen. Wenn man deinen hochgeschossenen lebenden Leichnam sieht, dann drängen sich solche Vergleiche auf — und man kann nicht dagegen an, Flaggenmast... ich meine: Limpio." Der lange Korsar wandte seinem Kapitän be leidigt und schmollend den hageren Rücken zu. Jose grinste wohlwollend-herzlich dessen Kehr-seite an. Dann schweiften seine Blicke
weit über das ebene, trockene, ausgedörrte Land, das staubüberzogen und verkrustet sich weithin erstreckte. In seine Augen trat ein ernster Ausdruck. Nachdenklich kaute er an einem der mageren, dürren Grashalme. Limpio! Er liebte den hochaufgeschossenen, spindeldür ren Kerl wie einen Bruder, und er erinnerte sich heute noch genau so gut wie damals — das lag nun mehr als vier Jahre zurück — an den Tag, da sie einander kennen gelernt hatten. Er — Jose, damals noch so 'ne Art stellvertretender Steuermann auf der ,Esperanza', einem schwer bestückten
Schnellsegler,
einem
der
schnittigsten Klipper unter Gottes glutheißer Tropensonne, dessen Kapitän er heute war — ...
nun,
er
war
stecknadelkopfgroßen
damals Insel
auf
einer
nordostwärts
Puerto Rico an Land gegangen, um eine Frisch wasserquelle ausfindig zu machen. Bei dieser Excursion war er auf den langen Limpio gestoßen. Der arme Kerl hing zu der
Stunde bereits mit einem seiner dünnen Beine im
Himmel
der
Fahrensleute
aller
Schattierungen, und wäre er — Jose — auch nur zwei Minuten später auf der Lichtung des kleinen Olivenhains aufgetaucht, so hätten die aufgebrachten hageren
Eingeborenen
Limpio
den
Sebastiano
eitlen, Querron
kurzerhand in Stücke gehauen. Bueno — das unsaubere
Spielchen
hatte
er
den
braungebrannten Wilden versalzen . . . nun, und seit jener Stunde hing Limpio in äffischer Zuneigung
an
seinem
Befreier
und
Lebensretter. Ein prachtvoller Bursche — dieser Limpio Se bastiano Querron, maledito! Ein Raufbold und Haudegen par excellence, ein Hans Dampf in allen Gassen, ein Fechter, wie es kaum einen zweiten gab zwischen Maiacaibo und New Orleans . . . zwischen der Ostküste von Mexiko und den Zwerginseln Barbuda oder Anguilla, diesen winzigen Klecksen ausgedörrter Erde im nördlichen Ausläufer der Inseln über dem
Winde . . . in der Tat, es gab kaum einen, der es im
Kampf
an
Finten
Hinterhältigkeiten
und
mit
dem
gewagten langen,
bohnenstangendünnen Korsaren aufgenommen haben würde. An die Dutzend Mal hatte der Lange seinem jetzigen Kapitän das Leben gerettet — und ebenso oft hatte er ihn in die ärgste Bedrängnis gebracht, ein Umstand, den der treuherzige Bursche hinterher kaum verwinden konnte. Jose Manza-nillo lächelte dann jedesmal so spöttisch, daß der lange Limpio fuchsteufelswild wurde und w i e ein Tavernenwirt aus Sevilla in der Gegend herum-fluchte. Limpio war eitel wie ein Pfau und hielt sich 'ne Menge Eindruck
darauf er
zugute,
welch
offensichtlich
auf
gewaltigen das
zarte
Geschlecht auszuüben imstande war. Auch hierüber konnte Jose nur milde und gequält grinsen.
Jose
Behauptungen
seines
hielt
diesbezügliche
ständigen
Begleiters,
Freundes und Kampfgefährten für — gelinde
ausgedrückt — selbstbewußte, eitle, aber ver ständliche wohlwollende
Übertreibungen,
die
Entschuldigung
eine schon
verdienten. Wohlwollend deshalb, weil man s i c h wahrhaf tigen Gottes nicht vorstellen konnte, daß die glutäugigen Schönen ausgerechnet an einem Mann Gefallen finden sollten, der so aussah wie Limpio. Jose Manzanillo grinste leise in sich hinein, während er sich erhob und ein paar Schritte auf und ab ging. Die lange härene Kutte ärgerte ihn, wütend, dabei seinen Gleichmut nicht verlierend, trat er auf den Saum seines Mönchgewandes, Lim-pio sah es und lachte schallend auf. Die vergleichenden Bezeichnungen, die Jose Manzanillo für seinen Gefährten zu finden beliebte, waren keineswegs übertrieben. Er war in der Tat über alle Maßen lang — an die sechs Fuß und einige Zoll mehr. Seine Hände, schlank
und
sehnig,
glichen
den
langen
Patschen, mit denen die Leute auf dem Land die Fliegen zu jagen pflegten. . . seine Beine hatten keine geringe Ähnlichkeit mit den stockdünnen
Stäben,
die
Laufstelzen
verwenden
.
die .
.
Störche und
als
die
ja
schließlich auch Beine genannt werden und auch welche sind. Was zwischen seinen Beinen und Armen war — das, was man schlechthin Körper nennt — war nichts weiter als eine ebenso hagere wie zähe Verbindung seiner Gliedmaßen, mit denen er — kam er in Erregung, was nicht selten geschah, besonders, wenn eine schöne Frau sei-nen Weg kreuzte — in der Gegend
herumruderte,
Windmühlenflügel
oder
als
seien
es
die
überlangen
Riemen, mit denen die Eingeborenen der Süd see ihre Auslegerboot vorantrieben. Und dann sein Gesicht — es zierte die Vorder seite
eines
schlechtem
Schädels,
Licht
den
unschwer
man
bei
mit
dem
Zuckerhut von Rio de Janeiro verwechseln konnte. Das Gesicht selbst erinnerte an einen
ausgehungerten Aasgeier, der in einem Jahr nichts mehr zu fressen gefunden h a t t e . Die Nase sprang gut drei bis vier Zoll vor, war dünn wie die Schneide eines geschliffenen Stoßdegens und hing an ihrer Spitze ein wenig nach unten. Der
Mund,
unentwegt
schmallippig zu
einem
und
farblos,
verbindlichen
war
Grinsen
verzogen, hatte dabei einen stets spöttischen, her ablassenden Ausdruck und war fast immer ein bißchen aufgestülpt oder zugespitzt, als wolle Limpio küssen . . . eine Beschäftigung, der er nicht eben wenig Reiz abzugewinnen wußte. Die Frauen, denen er begegnete, wußten über dieses sein Gelüste 'ne Menge zu berichten. Zwi schen Mund und Nase nun war jenes unüberseh bare Requisit angebracht, das seinem Träger von Seiten Jose Manzanillos und der Mannschaft der .Esperanza' manche wohlgemeinte Spötterei ein brachte: sein Schnurrbart. Ein Ding von martiali schem Aussehen — dünn wie sein Herr, und ebenso lang, hing an den beiden Mundwinkeln nach unten . . . bis weit übers Kinn. Diese sinkende
Tendenz seines Bartes verlieh Limpio einen ge wissen schwermütigen, melancholischen Ausdruck, der durch den warmen Glanz seiner dunklen Au gen, die etwas Schwärmerisches hatten, nur noch verstärkt wurde. Das war Limpio Sebastiano Querron — eine romantische, märchenhafte Erscheinung, ein küh ner, verwegener Korsar, ein gefürchteter Kämpfer und Frauenheld. Von all dem war allerdings um diese Stunde, da die Sonne erbarmungslos auf das ausgedörrte Agavengehölz niederknallte, nicht viel zu sehen. Die braune Mönchskutte verdeckte all das, was Limpio so imposant machte. „Ich schätze, wir ölen unsere müden Knochen mit
einem
kräftigen
Schluck
aus
dem
Ziegenledernen und machen uns dann wieder auf den Weg, he?!" unterbrach der junge Kapitän die Stille. „Bueno, Senior Capitan", grunzte Limpio eilig und grinste zufrieden. „Ein guter Vorschlag,
maledito! Und ich muß sagen, auch ich verspüre langsam
eine
wilde
Sehnsucht
nach
der
,Esperanza', por dios. Kann es kaum abwarten, die vor Freude strahlenden Gesichter der Leute zu
beäugen,
wenn
sie
ihren
Herrn
und
Gebieter wieder sehen, den sie — ich verwette mein Seelenheil — längst abgeschrieben haben. Also kommt, Capitan, stärkt Euch — und dann auf!" Limpio raffte seine Kutte hoch, kramte mit einer seiner riesigen Hände herum und brachte schließlich einen ziegenledernen Weinschlauch zum Vorschein, den er seinem Gefährten mit der
eleganten
Grandezza
eines
spanischen
Höflings hinüberreichte. Jose Manzanillo nahm einen langen Schluck. Prustend und mit sichtlichem Wohlbehagen setzte er den Schlauch ab, wischte sich mit dem Handrücken den triefenden Mund und ächzte vor Vergnügen. „Ah, bei der Madonna von Santa Barbara, das tat gut, maledito. Aber ich will gehenkt werden,
wenn das bißchen Zeugs in dem Sack langen soll, um diesen mörderischen Weg und diese Affenh i t z e bei Gesundheit zu überstehen. Der Schlauch ist ja fast leer. Die schöne Estrella aus dem ,Rostigen Anker' hätte ihn besser füllen sollen. Beim
Henker, wie weit ist es denn
noch, Limpio, he?" „Eine gute Stunde, Senor Capitan, nicht mehr . . nun, eine oder zwei Meilen könnt Ihr dazu tun, dann aber langt's, bei Gott. Ich sagte Euch doch: kurz hinter Savanna la Mar — in der kleinen Bucht, die Ihr doch kennt — dort wartet die ,Esperanza' auf die Rückkehr ihres Herrn. Wenn wir uns sputen, schaffen wir's auch in weniger als einer Stunde.“ „Bueno,
Bambusrohr,
marschieren
wir
also
munter fürbaß", nickte Jose Manzanillo und setzte sich in Trab, ohne sich länger um seinen Gefährten zu kümmern. Der Lange eilte sich, an die Seite seines Kapitäns zu gelangen. Eine ganze Weile schritten die beiden schweigend nebeneinander her, und keiner, der ihnen begegnet
wäre, hätte sich einfallen lassen, in den zwei Wanderern etwa keine Mönche zu sehen. Die Hitze wurde immer unerträglicher — die Sonne stand jetzt in ihrem Scheitelpunkt, und die Erde knisterte vor Trockenheit und Dürre. Bei jedem Schritt wirbelten kleine Staubwolken unter ihren sandalenbewehrten Füßen auf, legten sich schwer und lästig auf ihre Lungen. Die Lippen waren aufgesprungen, die Zungen drückten schwer und spröde gegen ihre puLvertrockenen Gaumen. Der Schweiß rann ihnen in Strömen in den Nacken, floß in kleinen Bächen über ihre Rücken. „Was gibt's denn eigentlich neues auf der ,Es peranza', Limpio?" unterbrach Jose nach geraumer Zeit das Schweigen. „Nichts, Senor, gar nichts.' Die Leute sind alle aufrichtig traurig, daß die verdammten Spanier ihren Kapitän erwischt haben, und hätten sie ge ahnt, daß..
hm... daß ich Eure Gefangennahme
verschuldet habe, sie hätten mich wahrscheinlich an den höchsten Mast geknüpft, por diablo — das hätten sie. Ihr wißt, Senor, daß die Crew
der
,Esperanza'
eine
verschworene
Gemeinschaft ist und für Euch selbst in die Hölle
einfährt,
um
Beelzebub
drei
seiner
Schwanzhaare zu stehlen, wenn Ihr's verlangt. Ich habe also wohlweislich geschwiegen und auf
eigene
Faust
nach
einer
Gelegenheit
gesucht, Euch wieder herauszuholen . . . was mir ja wohl auch gelungen ist, will mir scheinen. Deshalb auch habe ich mir diesen Kerl aus Brozano gekauft, diesen ,Galgenvogel', wie er genannt wird. Auf dem Schiff haben sie keine Ahnung
von
meinem
privaten
Abenteuer,
übrigens, Senor, dieser ,Galgenvogel' bat mich, nachdem er zufällig gehört hatte, wer Ihr seid, bei Euch ein gutes Wort einzulegen, um ..." „Nun, warum?" fragte Jose zurück und wischte sich mit dem Saum seiner Kutte die nasse Stirn. „Er möchte auf die .Esperanza', Senor. Er sagt, es stinke ihm zum Halse heraus, länger an Land zu bleiben, als er es nun ohnehin schon
ist. Er behauptet, ein früherer spanischer Seesoldat zu sein, der desertiert ist, weil er den Zwang an Bord der spanischen Galeone nicht länger hätte ertragen können. Es ist glaubhaft, was er sagt... und somit wäre er — genau genommen — ein Kollege von uns, nicht wahr, Senor Capitan?! Ich bin dafür, wir tun ihm den Gefallen, maledito, und ich schätze, wir können ihn gebrauchen. Er ist — beim Henker — ein verwegener Bursche." „Du hast ihm doch wohl nicht gesagt, wo er die ,Esperanza' finden kann, Langer?!" „Hölle und Schiffszwieback, wollt Ihr mich äffen , oder haltet Ihr mich wirklich für einen solch ausgemachten Trottel, Senor? Natürlich habe ich ihm nichts gesagt. Ich habe mit ihm verabredet, in ein paar Tagen abends in den ,Rostigen Anker' zu kommen und ihm zu sagen, was Ihr beschlossen habt. Zudem . . . " „Zudem bist du mit der schönen, liebreizenden Estrella verabredet, wie!" unterbrach ihn Jose und lachte heimlich in sich hinein. Der Lange er
rötete unter seiner Kuttenkapuze wie ein Schul junge. „Ihr habt es erraten, Senor Capitan", gab er schließlich zu. „Oh, Limpio", rügte Jose in gespieltem Groll. „Ich kann nur wiederholen, was ich schon so oft gesagt
habe:
Du
bringst
uns
mit
deinen
verdammten Weibergeschichten noch mal alle an den Galgen und auf den Schindanger, por diablo. Und ich sage dir, wenn du dir noch ein einziges Mal durch die falschen, verlogenen Blicke
einer
Frau
Herumscharwenzeln
und derart
ihr den
blödes Schädel
verwirren läßt, daß du deine besten Freunde in Gefahr bringst — so spalte ich dir eigenhändig deinen hölzernen Kopf, maledito. Und zu diesem so genannten ,Galgenvogel' sei dir gesagt, daß du ihn also holen kannst. Der Bursche hat sich prächtig gezeigt, und ich wette, ich bin ihm Dank schuldig. Also, in Dreiteufelsnamen, geh in den ,Rostigen Anker' und schaff diesen Kerl herbei. Dabei verlange ich von dir, daß du der schönen
Estrella Adios sagst — und zwar für immer. In drei oder vier Tagen stechen wir in See. Ich bin der Meinung, daß die Ruhepause — wenn auch unfreiwillig — lange genug gedauert hat — und
im
übrigen
gilt's,
unsere
Vorräte
aufzufüllen, he?!" „Ihr habt recht, Senor Capitan", grinste Limpio und striegelte mit den ausgestreckten Fingern seiner Rechten den dürren Schnurrbart. „Die Leute werden begeistert sein. Und . . . hm . . . und . . . nun, verlaßt Euch im übrigen darauf, daß ich mich nach Eurem Gebot richten werde. Estrella ist vergessen, wenngleich es mir . . . maledito . . . von Herzen leid tut. Eine Frau wie Estrella findet sich nicht so bald wieder. . . " Als ob er einen Widerspruch erwartete, schiel te er unter seiner Kapuze hervor den jungen Kapitän an. Jose aber kümmerte sich nicht länger um ihn. Seine Gedanken eilten ihm voraus — hin zur ,Esperanza' . . . zu den Leuten seiner Mannschaft . . . zu den Plänen für die nächsten
Kaperfahrten,
deren
erfolgreiche
Durchführung verlangten.
umsichtiges
Nun,
daran
Handeln
sollte
es
nicht
scheitern. Den Listen und Segelkünsten der spanischen
Kapitäne
war
er
durchaus
gewachsen, wenn nicht gar überlegen. Nicht umsonst war er einer der erfolgreichsten Kapitäne der königlichen Flotte gewesen. Das lag zwar bereits eine Reihe von Jahren zurück, aber was änderte das schon an der Tatsache? Ganz im Gegenteil — in den Jahren, die zwischen dem heutigen Tage und jenem lagen, an dem er sich entschlossen
hatte,
den
lästigen, drückenden Zwang der königlichen Ordres
abzuwerfen,
hatten
sich
seine
Fähigkeiten eher noch verbessert. Jose
Manzanillo,
einst
angesehener,
viel
gepriesener, reich dekorierter Seeoffizier Seiner Katholischen Majestät, dabei unverbesserlicher Individualist und deshalb nicht selten von seinen Vorgesetzten gerügt, hatte eines schönen Tages nicht länger den einengenden Druck seitens
seiner
vorgesetzten
Dienststellen
ertragen
können.
Wohin
er
sah...
Verrat,
Korruption, Bestechung, Klüngel — Zwang, Erniedrigung und Protektion. Seine Ideale war dahin geschmolzen wie Schnee an der Sonne. Die Freiheit, von der er geglaubt hatte, daß sie das Höchste und Hehrste sei, das der Spanische König zu verteidigen hatte — sie gab es überhaupt nicht. Er aber hatte sie gesucht, seit er begonnen hatte, darüber nachzudenken. Die Freiheit war ihm alles — sie bedeutete ihm das
wirkliche
Leben
.
.
.
Freiheit
und
Menschenrechte... Er wurde bitter enttäuscht. Seine Kraft, die er in den Dienst der Sache gestellt hatte, und das mit jugendlichem Elan und glühender Leidenschaft, hatten einem Scharlatan gedient und dazu beigetragen, die Rücksichtslosigkeit zu
verstärken
und
die
Geldsäcke
der
Staatsbeamten zu füllen. Da hatte er seinem geleisteten Eid abgeschwo ren — wie viele vor ihm und viele nach ihm — und war unter die Korsaren gegangen. Bei
ihnen gab es die Freiheit, die er gesucht. Und hier
hatte
er
sie
endlich
finden
können,
wenngleich es manches gab, das er in tiefster Seele verabscheute. Und heute war Jose Manzanillo einer der tap fersten
und
gefürchtetsten
Piraten
.
.
.
gefürchtet von den Besatzungen der spanischen Kauffahrer, anderer
beneidet
von
Korsaren-schiefe,
den gehaßt
Kapitänen von
den
Mannschaften der spanischen Kriegsgaleonen, geliebt aber von seinen eigenen Leuten, denen er ein gerechter Vorgesetzter war. Und die ,Esperanza', einst Besitz des Königs, verbreitete Schrecken und Furcht, wo immer ihre schwarzen Segel die Kimmung des Ozeans überragten.
Um diese Stunde verließ eine geschlossene Kutsche das nördliche Stadttor von Brozano und jagte in rasender Fahrt über die staubige Straße, die nach Savanna la Mar führte. Der
Mann auf dem Bock hieb wie irr auf die vier Pferde ein. Immer wieder zuckte die schwere Peitsche hoch und fiel klatschend auf die schweißglänzenden Tierleiber nieder. . . so, als säße dem Gespann der Leibhaftige im Genick. Den Gäulen hingen die Zungen weit aus den Mäulern,
Schaumflocken
hingen
wie
Wattebälle an ihren Nüstern, flatterten wolkig nieder und netzten den Dreck der Landstraße. Ab und an warf der Mann auf dem Bock einen flüchtigen Blick hinter sich, ließ seine Augen in hastigem Flug über die Straße zurückgleiten . . . dahin, wo Brozano im Dunst der Mittagshitze längst entschwunden war. Dann wieder neigte er sich
weit
zur
Seite,
beugte
den
kopftuchverziert e n Schädel tief nach unten — in dem
Bemühen,
ein
paar
Fetzen
dessen
aufzufangen, was da hinter ihm im Fond des Wagens
gesprochen
wurde.
Dann
wieder
richtete er sich auf, fuhr blitzschnell mit der Zungenspitze
über
seine
von
der
Hitze
aufgesprungenen Lippen und schlug noch wilder auf die Pferde ein. D e r Wagen flog fast über die Straße, die im Grunde
nichts
weiter
war
als
ein
pulvertrockener Feldweg . . . mit Furchen und Schlaglöchern,
in
die
die
hohen
Räder
krachend eintauchten und rumpelnd wieder herausschnellten. Die Achsen des Gefährts ächzten und stöhnten. Die Fenster waren trotz des aufwirbelnden Staubes weit geöffnet. Im Innern der Kutsche saßen,
weit
in
die
weichen
Polster
zurückgelehnt, ein Mann und eine junge Frau, die sich angeregt miteinander unterhielten . . . so, als säßen sie in den luxuriösen Fauteuils eines Madrider Salons und nicht in dem sich aufbäumenden,
ratternden,
stoßenden
Fond
einer Kutsche. Die Frau, ein junges Geschöpf von nicht mehr als zwei-, dreiundzwanzig Jahren, war städtisch gekleidet, und ihre Gewandung verriet Ge schmack
und
Reichtum.
Auf
der
samten
getönten, dunkel schimmernden Haut ihres Halses, der makellos aus dem weiten, gewagten Ausschnitt ihres Seidenkleides aufstieg, ruhte ein
kostbarer,
unwahrscheinlich
großer
Diamant, gehalten von einer dünnen, goldenen Kette.
Das
Haar,
lang
und
von
mattem,
rötlichem Glanz, fiel wellig auf ihre Schultern. Ihr
Antlitz
war
gewöhnlichen
von
einer
Schönheit,
kühnen,
und
nur
un die
sonnenbraune Tönung unterschied es von den blassen,
gepflegten
Gesichtern
ihrer
Schwestern, die in den Städten wohnten. Ihre Augen aber waren das Auffälligste. Sie hatten den morastigen Glanz eines unergründlichen tiefen Sumpfes und zeigten eine Farbe der man nur selten begegnete. Sie waren nicht blau, nicht grün, nicht braun — und hatten doch von allem ein wenig. Sie blickten sanft und weich und konnten im Augenblick darauf einen solchen annehmen mochte.
harten, daß
unerbittlichen der
Beschauer
Ausdruck erschrecken
Jetzt war ihr Antlitz von einem hauchzarten, staubüberzogenen Schleier verdeckt,
der ihre
Schönheit eher herausstrich als verhüllte. Mit der Rechten, die einen bunt schillernden Fächer hielt, versuchte sie die Hitze des Mittags ein wenig zu mildern
und
sich
Kühlung
zu
verschaffen. Gelangweilt blickte sie über das vorüberhuschende Land. Der Mann an ihrer Seite musterte sie unverhohlen, und das gierige Verlangen, das in seinen schwarzen Augen glühte, wäre selbst einem unaufmerksamen Beobachter kaum entgangen. Flackernd irrten seine Blicke über die schlanke Gestalt seiner Begleiterin, bohrten sich tief und begehrlich in den Ausschnitt ihres Kleides, während seine Mundwinkel leise zuckten. Ein unmerkliches Zittern überlief seine herkulischen Schultern, seine Hände bebten, zuckten verhalten, als wollten sie die Frau an sich reißen. Auch der Mann trug die Kleidung nach der Art, wie es jetzt in den Städten Mode war, und doch schien es, als fühle er sich in seiner
eleganten,
stutzerhaften
Aufmachung
nicht
sonderlich wohl. Nervös zerrten seine Hände an den Spitzenmanschetten, die aus den Ärmeln seines Samtwamstes hervorlugten, schoben dann wieder das Spitzenjabot zurecht, das seinen Hals schmückte, oder er rückte an dem fransen-verzierten Dreispitz, der auf seinem Kopf thronte... ein Kopf übrigens, der wie aus
dunklem Marmor gemeißelt von einer
antiken männlichen Schönheit . . . mit einer edlen, steil aufsteigenden Stirn, einer kühnen, leicht geschwungenen Nase. Er machte den Eindruck eines wahren Edelmannes, und die beiden, rötlich schimmernden Narben, die seine linke Wange spalteten, zeugten von kämpferischem
Mut
und
überstandenen
Gefahren. Sein Mund war voll und doch schmallippig, ein wenig arrogant, und verriet Hochmut und Kälte, seine Augen, schwarz wie Kohlen, hatten einen stechenden, eisigen Blick. Er war eine imponierende Erscheinung, bei des sen
Anblick
zweifelsohne
manches
Jungmädchenherz höher schlagen mochte. Daß er dies wußte, sah man ihm an. Immer noch geisterten seine Augen über den makellosen Körper seiner schönen Gefährtin. Plötzlich haschte er nach einer ihrer Hände und zog sie blitzschnell an seine Lippen, ehe sie ihm diese verwehren konnte. Bei der jähen und unerwarteten Berührung zuckte das Mädchen zusammen — aber nur für den Bruchteil einer einzigen
Sekunde.
Mit
einer
ungestümen
Bewegung, entzog sie ihm ihre Linke — in ihre eben
noch
so
sanften
Augen
trat
ein
flammendes, vernichtendes Feuer. Sie setzte sich hoch auf, ihre Blicke waren hart, und messerscharf und verweisend kam es von ihren rosenroten Lippen: „Wie oft soll ich dir noch sagen, daß ich derlei nicht
wünsche.
Laß
diese
vermaledeiten
Gefühlsduseleien, Ninguno! Sie stehen einem Korsaren-kapitän nicht an. Du machst dich lächerlich, und — zum Teufel — gewöhne dir endlich an, daran zu denken, daß ich nichts
weiter bin als eine Freibeuterin wie du . . . und keine Frau, der du fade Komplimente machen kannst und mit der du schön tust wie mit diesen dummen,
albernen
Gänschen
in
den
Stadtschenken. Mit ihnen aber stellst du mich gleich, wenn du dich wie ein Pfau gebärdest . . . und das beleidigt mich. Maledito, wie oft soll ich dir das noch sagen müssen, Ninguno?!" Sie schüttelte seine Hand von der ihren und maß ihn höhnisch von oben bis unten. „Du weißt, daß ich dich liebe, Manuela, und du darfst mir. . . " Das zynische Lachen des jungen Mädchens ließ ihn beleidigt verstummen. „Du liebst mich, Ninguno? Verzeih, wenn ich es nicht glaube. Du begehrst mich, du willst mich besitzen — das ist es und nicht mehr. Es stört dein
besitzergreifendes,
Bewußtsein, Versuche
daß
bislang
deine ohne
männliches diesbezüglichen
jeglichen
Erfolg
geblieben sind . . . und es stört dich weiterhin,
daß da an Bord des ,Lobo' ein junges Mädchen lebt, dessen Schönheit dich verwirrt . . . doppelt verwirrt, da es offenbar kein Interesse an Männern hat. Denn daß ich schön bin, das weiß ich nicht erst, seit du es mir fast täglich gegen
meinen
Willen
sagst.
Zum
Teufel,
Ninguno, gebärde dich nicht immer wieder wie
ein
liebestoller
Lateinschüler
aus
Barcelona. Es steht dir nicht! Es gibt tausend andere Frauen, die sich glücklich schätzen würden, könnten sie deine Gunst erringen. Ich aber — Manuela Vadorro — zähle nicht zu diesen läppisch-dummen, augenverdrehenden Ziegen. Widme dich also gefälligst ihnen und spar dir endlich deine blöden Versuche, mich davon
zu
überzeugen
zu
wollen,
daß
ausgerechnet ich die Frau sein soll, für die dein schwarzes,
gefühlloses Herz
schlägt.
Und nun Schluß damit." Manuela Vadorro tat, als sei nichts geschehen. Mit unnachahmlicher Gelassenheit wandte sie ihr Antlitz wieder dem Fenster zu. Innerlich
barst sie fast vor Vergnügen, ihren Galan so zurechtgewiesen zu haben. Sie vernahm seinen keuchenden
Atem,
wußte,
daß
er
einem
wilden, jähzornigen Ausbruch nahe war, und die Aussicht, er könne sich wirklich vergessen, bereitete ihr sichtliches Behagen. Ninguno, wie sie den Mann an ihrer Seite ge nannt hatte — oder besser: Capitan Ninguno, Korsar und Herr der ,Lobo', einer geraubten ehemaligen spanischen Kriegsgaleone, lief rot an wie ein Truthahn. Seine Augen schossen Blitze, und sekundenlang sah es so aus, als wolle er sich ganz einfach auf sie stürzen — doch er bezwang sich. Ein kühles, nahezu verbindliches
Lächeln
huschte
um
seinen
verkniffenen Mund. „Bueno", zischte er leise vor sich hin, „wie du willst, Manuela. Du verschmähst mich, nun gut. Aber ich sage dir: Du wirst es eines schönen Ta-ges bereuen! Verlaß dich darauf! Und du willst eine Frau sein? Du bist ein eiskaltes, herzloses Geschöpf und verdienst es überhaupt
nicht, Frau zu sein." „Ich will es auch nicht sein", entgegnete Manuela kurz angebunden. „Ich b i n wie ein Mann aufgewachsen, und die Zeit, die ich jetzt schon auf deinem elenden Kasten zubringe, war nicht
dazu
angetan,
in
meinem
Herzen
irgendwelche Gefühle zu erwecken. Daran trägst du nicht geringe Schuld, das weißt du. Und wenn du annimmst, ich sei herzlos und kalt und ohne Gefühl, so liegt auch das nicht zuletzt an dir und dem Leben, das ich unter deinen Piraten führe. Ich mache dir keine Vorwürfe — im Gegenteil, ich bin dir dankbar! Was ich liebe . . . nun, das ist die See, die Freiheit der Korsaren, der Kampf. Für Männer habe ich keine Zeit... und außerdem fehlt mir jegliches Verlangen nach zärtlichen Abenteuern. Das Abenteuer des Meeres, das Abenteuer einer Kaperfahrt, das Abenteuer eines Kampfes mit diesen spanischen Marionetten — das alles genügt mir. Aber was erzähle ich dir da schon.. du weißt es genau. Und nun halt endlich deinen Mund von diesen Dingen, Ninguno!"
Ehe noch der Mann eine Erwiderung finden konnte, fuhr sie in völlig anderem Tone fort: „Wie lange wird es noch dauern, bis wir da sind?" „Eine Stunde vielleicht. Möglicherweise
auch
weniger — bei dem Tempo, das Alberto aus den Gäulen herausschlägt. Kannst du es nicht erwar ten?" „Nein! Ich brenne darauf, diesen verteufelten Plunder und diesen ganzen Seidenflitter herunter reißen zu können. Ich habe ein unbändiges Ver langen nach dem Duft von Jod und Tang und Salzwasser, nach meinen zerrissenen Hosen und. . ach, zum Henker, ich will endlich wieder Schiffs planken unter meinen Füßen spüren. Und noch etwas, Ninguno! Verlange nicht noch einmal, daß ich eine solche Aufgabe lösen soll wie diese, die ..." Ninguno brach jäh in ein lautes Gelächter aus, schlug sich amüsiert die Schenkel. „Wer sonst als du wäre imstande, dem Hafen
offizier von Brozano Schmeicheleien zu sagen? Ohne dich hätten wir kaum herausbekommen, wann das nächste Goldschiff nach Sevilla in See sticht . . . und wenn ich schon, was mich betrifft, verfluche, daß du eine Frau bist, so bin ich andererseits wiederum sehr dankbar, daß du kein Mann geworden bist, hahahaha." Nach einer winzigen Pause fuhr er mit gepreßter, unheilschwangeren Stimme fort: „Verdammt, ich
beneide
diesen
Laffen,
diesen
Hafenoffizier!" Manuela Vadorro wandte ihm erstaunt ihr Ant litz
zu.
Um
ihre
Mundwinkel
zuckte
es
höhnisch. „Ach, sieh an, der hohe Herr bedauern wohl, den dem König von Spanien geleisteten Eid ge brochen und fahnenflüchtig geworden zu sein. Der
stolze,
gefürchtete
hochgestellte
Herkunft
fadenscheinigen
Namen
Korsar,
der
hinter verbirgt
seine einem
und
sich
Capitan Ninguno nennt. . . Kapitän Niemand . . . der
hohe
Herr
haben
wohl
bürgerliche
Anwandlungen, wie?!" Ihre Stimme, dunkel und weich wie der Klang einer angeschlagenen Gitarrenseite, troff vor Hohn. „Capitan Ninguno beneidet den Hafenoffizier, hoho! Gewiß, ein hübscher, erstrebenswerter Posten — ohne jede An-strengung.
Geh
doch
hin…
zu
deinem
halbverrückten König... und bitte ihn kniefällig um Verzeihung! Vielleicht nimmt er seinen abtrünnigen Diener in Gnaden wieder auf. Der Weg bis zum Posten eines Hafenoffiziers in den überseeischen Besitzungen ist dann nicht mehr weit, und du. . ." „Por diablo, halt endlich deinen lästerlichen Mund, Manuela", unterbrach sie Ninguno und verschloß ihr mit schmerzendem Griff die Lippen. „Du weißt genau,
wie
ich's meine,
Hölle
und Teufel!" „Aber nein, mein teurer, liebestoller Kavalier, aber nein, ich weiß keineswegs, wie du's meinst!" gab sie ruhig zurück, nachdem sie verächtlich seine Hand abgeschüttelt hatte.
„So will ich es dir sagen", brüllte er los, daß sich seine Stimme fast überschlug. „Du willst mir doch nicht einreden wollen, daß du die Auskunft
über
den
Auslauftermin
des
Goldschiffes nur auf Grund deines schönen Lärvchens bekommen hast, he? Ich verwette meinen Kopf, daß du dich in diesem Falle daran erinnert hast, daß du deine weiblichen Waffen einsetzen mußtest, um die Nachricht aus dem hirnlosen Schönling herauszupressen, stimmt's?! Du hast dich mit diesem verdammen Burschen in eine Amour eingelassen, gib's ruhig zu. Ihm gegenüber hast du dich bestimmt nicht so spröde angestellt, wie du es bei mir zu tun beliebst, wie?! Oh, bei allen Haifischen der karibischen See, ich werde diesen Hanswurst er w ü r g e n ! Erzähl mir nur nicht, es sei nicht so gewesen . . . ich könnte . . . " „Was könntest du?" Manuela maß ihn so verächtlich,
daß
er
schillernden Augen bist
eifersüchtig,
jäh
verstummte.
Ihre
glänzten belustigt.
„Du
amigo“,
fuhr
sie
herausfordernd fort. „Ein bißchen spät will mir scheinen,
he?!
Das
hättest
du
dir
früher
überlegen sollen, mein teurer Ninguno. Ich erinnere mich gut, daß du es warst, der diesen Plan hatte, nicht wahr?! Du hast mir — zwar versteckt, aber dennoch offen genug —- nahe gelegt, mit allen…ich betone: mit allen Mitteln aus
dem
Hauptmann
der
Hafenwache
herauszuholen, wann das Goldschiff Brozano verläßt. Bueno, das habe ich getan. Somit ist der Auftrag, den du mir zu übertragen beliebtest, zur vollen Zufriedenheit erfüllt. Was also willst du jetzt? Zu Vorwürfen ist es zu spät, mein Verehrter, und so darf ich dich höflich aber bestimmt ersuchen,
mich mit
deinem
überflüssigen Gerede zu verschonen." Und nach einer kleinen Pause, während der sie ihn eingehend musterte: „Deine Eifersucht kommt ein wenig spät, großer Ninguno!" Damit wandte sie sich erneut von ihm ab. „Dein Spott ist unangebracht", gab er scharf zu rück.
„Und
wenn
du
glaubst,
ich
sei
eifersüchtig, so irrst du dich gewaltig, über eine derartige Unterstellung kann ich nur lachen, Manuela!" „So tu's!" kam es trocken aus ihrem lächelnden Munde. Ihre sachliche, ungerührte Kühle verschlug ihm die Sprache. Eine Weile war es jetzt still zwischen den bei den. Der Wagen ratterte in unvermindertem Tempo über die Straße. Alberto auf dem Bock schlug immer noch unentwegt auf die Gäule ein — dabei pfiff er die Melodie eines frechen Korsarenliedes, das Manuela, ohne es zu wissen, l e i se mitsummte. Die Hitze wurde von Sekunde; zu
Sekunde
unerträglicher.
Die
Kutsche
schaukelte und schwankte wie eine Brigg bei schwerer See. Manuela brach jäh ab, neigte sich plötzlich aus dem Fenster, wandte sich dann zu Ninguno zu rück. „Da stehen zwei Mönche, amigo", bemerkte sie
amüsiert.
„Sie winken und wollen wohl
mitge-nommen werden. Ich bin dafür, daß wir ihrer Bitte entsprechen. Es macht sich gut, Gottesmän-nern einen Gefallen zu erweisen — und zudem beruhigt eine milde Tat das Gewissen . . . so eines vorhanden", fügte sie spöttisch hinzu. „Laß also halten, Ninguno!" „Du bist nicht gescheit, Manuela", ereiferte sich Ninguno. „Das fehlt auch noch, Kuttenmänner mitzunehmen." „Ich bestehe darauf", forderte sie bestimmt. „Du hast verrückte Einfälle, amigo, verzeih, wenn ich's sage." „Ich habe meine Gründe!" „Und die wären?" Manuelas
Augen
schmalen Schlitzen.
schlossen
sich
Unter ihren
zu schweren
Lidern hervor warf sie ihm einen raschen Blick zu. „Die Gegenwart der beiden Mönche wird dich
wohl ein wenig ernüchtern, schätze ich. In ihrem Beisein wirst du dir kaum einfallen lassen, mich
auf
dieser
Fahrt
noch
einmal
zu
belästigen." Ihr gurrendes Lachen ließ Ninguno erbleichen, und als er jetzt einen lästerlichen Fluch hören ließ, l a c h t e Manuela nur noch lauter. „Also?" fragte sie leise. »Bei allen gehenkten Korsaren", stieß er her vor, „Ich glaube, daß ich dich eines Tages umbrin-gen werde, maledito. Du bist ein Satansweib, aber..." …du liebst mich, nicht wahr, mein Süßer?!" Er
wollte
aufbrausen,
besann
sich
eines
anderen, klopfte gegen die Wand, die das Wageninnere vom Kutschbock trennte, und befahl Alberto, zu halten. Der zog an den Zügeln — die Pferde schraken zusammen, bäumten sich hoch auf in ihrem Geschirr, wurden langsamer, fielen in Trab, dann in Schritt und hielten schließlich.
Direkt neben
den beiden Mönchen kam der
Wagen zum Stehen . ..
„Na, seht Ihr, Senor Capitan", grunzte Limpio selbstzufrieden, „und Ihr wolltet nicht, daß ich winke. Jetzt können wir den Rest der Strecke noch elegant wie Staatsbeamte in der Karosse zu rücklegen." Der lange Korsar rieb sich spitzbü bisch die hageren Hände. Jose Manzanillo grinste vor sich bin. „Ich will nicht hoffen, daß du ausgerechnet den Polizeipräfekten von Brozano angehalten hast. Das könnte uns teuer zu stehen kommen, amigo." Limpio machte eine wegwerfende Handbewegung. „Aaah, Senor, Ihr seid ein Schwarzseher. Vergeßt nicht, daß wir Ordensleute sind. Einen besseren Mummenschanz als in diesen Kutten könnten wir gar nicht abdrehen. Gebärdet Euch so fromm Ihr eben vermögt, und im übrigen denkt daran, daß es bis Savanna la Mar ein lächerlicher Katzensprung ist."
Sein Gesicht nahm plötzlich einen strengen, ehrfürchtigen, salbungsvollen Ausdruck an. Dann hielt die Karosse neben den beiden Korsaren. „Steigt
ein,
ehrwürdige
Padres",
forderte
Manuela die beiden Gefährten mit verhaltenem Lächeln auf. „Es wird uns eine Ehre sein, Euch ge-f ä l l i g sein zu können", fügte sie demütig hinzu. Ninguno verbiß seinen Groll und mußte sich bemühen, nicht laut hinauszulachen. Auch Limpio und Jose konnten sich nur mit Mühe
ein
Hoheitsvoll Ton
in
belustigtes und
mit
Grinsen
verbeißen.
zitternd-frömmelndem
der Stimme dankten sie Manuela für
deren Gefälligkeit. „Gott wird es dir vergelten, meine Tochter", pries Limpio die Nächstenliebe der schönen Frei beuterin. Dann wandte er sich zu Jose um und forderte ihn mit einer untertänigen Handbe wegu n g zum Einsteigen auf. „Bitte, erlauchter Vater Prior,
steig ein",
sagte
er leise und
stieß Jose in einem unbeobachteten Augenblick die Faust in die Seite. Wenig später rollte der Wagen wieder an. Und erneut drosch Alberto auf seinem Bock wie wild a u f d i e abgehetzten Gäule ein. Im Wageninnern herrschte dumpfes Schweigen. Jose und Limpio hielten, als seien sie ins Gebet vertieft, ihre Köpfe gesenkt, musterten dabei aber verstohlen aus dem Schatten ihrer Kapuzen hervorblinzelnd, ihre Reisegefährten. Der Mann sah gut aus, in der Tat, aber er interessierte sie nicht im geringsten; einer dieser eitlen, hohlköpf i g e n Gecken, von denen es in Brozano und den übrigen Städten der Kolonien nur so wimmelte . . . Aber die Frau! Limpio leckte sich genüßlich die Lippen, senkte den Kopf noch tiefer auf die Brust und hatte so Gelegenheit,
sein
schönes
Gegenüber
ausgiebig zu betrachten. Maledito — ein Weib, wie er schö-ner und verführerischer noch keines
zu Gesicht bekommen hatte. Der lange Korsar begann unruhig auf seinem Polstersitz hin und her zu rutschen. Jose bemerkte es, grinste vor sich hin und stieß seinen Freund unmerklich mit dem Ellbogen an — dann aber nahm auch ihn der liebreizende Anblick der zauberhaft schönen, anmutigen und reizvollen Frau aufs neue gefangen. Unentwegt starrte er Manuela Vadorro an. Hat te er je etwas Berückenderes gesehen? Jose spürte, wie sein Herz schneller zu klopfen begann — eine Feststellung, die er an sich noch nie hatte wahrnehmen können, und die ihn in äußerste
Verwunderung
versetzte.
Zum
Henker, was ging da mit ihm vor? Seit wann gehörte er zu jenen Männern, die beim Anblick eines
hübschen
Weiberlärvchens
einen
rascheren Pulsschlag bekamen? Hatte er sich etwa auf den ersten Blick...? Ach was, bei allen gekaperten spanischen Kauf fahrteischiffen, und selbst bei denen, die ihm hof
fentlich noch vor die Breitseiten der .Esperanza' kommen würden... so einer war er doch wahr haftigen Gottes nicht. Hatte er nicht noch vor we nigen Stunden Limpio wogen dieser Schwäche Vorwürfe gemacht. .. he, hatte er es etwa nicht? Und nun war er selber drauf und dran, sich von einem schönen Gesicht das Herz umgarnen zu lassen. Zum Henker und bei den Ratten im Kielraum seines
Klippers,
er
würde
nicht
darauf
hereinfallen! Sollte sich Limpio in sie vergaffen — bei dem war er es gewöhnt, und wie es den Anschein hatte, war der Lange feste dabei, sich Hals über Kopf in diese unbekannte Schöne zu verlieben. Hm... verstehen konnte er — Jose — es, maledito! Er verschränkte die Arme noch fester in den weiten
Ärmeln
seiner
kratzenden
Kutte,
setzte sich zurecht und beschloß, die Zeit bis Savanna la Mar ein bißchen zu durchdösen, kam aber nicht dazu . . . Kaum war er eingenickt — und das rumpelnde Rattern der Räder
verhalf mühelos zu einem kurzen Schläfchen — da schreckte er wieder auf. Er hob die Lider und sah mitten hinein in die glutvollen Augen der Schönen. Irrte er sich, oder betrachtete sie ihn wirklich
so
aufmerksam,
daß
es
ihn
aufgeweckt hatte? Ach, zum Satan, Einbildung — nichts weiter. Vorsichtig blinzelte er zu Limpio hinüber, der auf Teufel-komm-raus mit der schönen Frau ko kettierte. In der Tat, Limpio verdrehte seine Augen wie ein verliebter Schafhirt von den Hängen der Py renäen. Er drehte und wendete sich wie ein Pfau und schien über dem Eifer, mit dem er seinen
Lie-b e s g e l ü sten
anhing,
völlig
vergessen zu haben, daß er hier in der Kutsche doch eigentlich einen frommen Klosterinsassen zu spielen hatte. Vorsichtig stieß Jose seinen liebestollen Genos sen in die Seite. Limpio zuckte zusammen und sah blitzschnell
und
mit
andächtigem Gesichtsausdruck zum
Fenster hinaus. Manuela Vadorro beobachtete schon eine ge raume Weile mit höchstem Erstaunen das ver liebte Getue der beiden frommen Männer. Frei
und
ungezwungen
aber,
wie
sie
aufgewachsen war, ledig aller Bindungen, ganz gleich, welcher Art sie immer sein mochten, nahm
sie
es
auf
gewisse
Weise
ganz
selbstverständlich hin . . . und auch der Umstand, daß diese zwei hier die Kutten von Klosterleuten trugen, schien ihr keineswegs ein Hinderungsgrund für die beiden Männer zu sein, ihr — einer schönen Frau — die Cour zu schneiden. Sie wußte genug über die verwerflichen Ge schehnisse in der Welt, und die Zustände, die angeblich in manchen Klöstern herrschten, waren auch ihr zu Ohren gekommen. Das Ganze amüsierte si e höchlichst. So setzte sie ein gespielt unschuldig-harmloses Gesicht auf, wobei sie sich bemühte, hinter dieser naiven Un
schuld ein gewisses Maß a n erfahrener Koketterie durchschimmern zu lassen, die nichts weiter be zwecken sollte, als die beiden Mönche ein wenig mehr zu verwirren. Damit tat sie Limpio einen prächtigen Gefallen. Der Lange vergaß jegliche Hemmung und ließ sich nunmehr ungeniert auf e i n keckes Blickge plänkel mit der schönen Manuela e i n . . . ein Vor gehen, das jetzt nicht mal mehr Ninguno verborgen bleiben konnte. Der Korsar geriet in ziemliche Wut, und die brodelnde Eifersucht, die in ihm tobte, ließ ihn auch jetzt nichts anderes vermuten, als das Manuela ihn mit ihrem eitlen, verspielten Geziere ihrem herausfordernden Getue, das sie den Mönchen gegenüber an den Tag Iegte, nur von neuem reizen wollte. Wütend wandte er sich von ihr ab, zwang sich zu freundlicher Verbindlichkeit. „Wohin
gedenkt
ihr
zu
reisen,
viel
edle
Padres?" fragte er und gab sich den Anschein,
als wolle er eine Unterhaltung beginnen, um die Langeweile zu vertreiben. „Oh , weit, mein Sohn", gab Limpio mit Grabesstimme zur Antwort. „Nach Montego wollen wir, und es wäre nicht auszudenken, wenn Ihr bis dorthin fahren würdet." Erwartungsvoll hob er den Blick und sah in diesem Augenblick recht treuherzig und einfältig aus. Jose mußte doch erneut ein Grinsen verbeißen. „Nein, wir
fahren
nur
bis Savanna la Mar",
entgegnete Ninguno höflich. „Aber ihr werdet si-cher auch für eure restliche Strecke eine Fahr- gelegenheit finden." Der HERR wird es so fügen", versicherte Lim pio überzeugt und nickte,
nicht
Manuela w i ed eru m
feurigen Blick
einen
ohne
zugeworfen zu h a b e n . D i e F r e i b e u t e r i n verwunderte sich nun doch allmählich und blitzschnell hatte sie plötzlich den Verdacht, daß es mit diesen beiden Mönchen eine Bewandtnis haben müsse . . . sie hätte es
nicht zu erklären
vermocht, aber das Gefühl,
daß mit diesen beiden frommen Männer seine Richtigkeit vermissen lasse, blieb. Sie schalt sich töricht und
verwarf
ihre
Gedanken,
wenngleich sie es nicht verhindern konnte, daß jeder neue Blick aus den Augen der beiden Klostermänner den Verdacht, etwas könne nicht stimmen, wieder auftauchen ließ. Die Gesichter dieser beiden Männer waren kei neswegs die Gesichter von Mönchen. So sahen einfach keine Ordensleute aus . . . sie wäre bereit, sich in Stücke hauen zu lassen, sollte sie sich irren. Wer aber mochten sie sein? Aaah, was ging es sie an? Selbst dann, wenn es einfache Wegelagerer wären, die die Kutten nur zur Vereinfachung ihrer Überfallmethoden angelegt hatten . . . was tat es . . .? Ninguno und sie — sie beide würden spielend leicht mit ihnen fertig werden. Besonders der eine der beiden . . . der kleinere, der mit dem hübschen Gesicht. . . der war kein Mönch, maledito! Gut sah er aus, zum Henker. . . und schöne Augen hatte er . . . und der andere, der lange,
hagere, der war komisch . . , in der Tat. Und wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich sein wollte, so mußte sie sich eingestehen, daß die beiden ihr gefielen. Und — zum Teufel — das blieb auch so, und wenn sie tausendmal und in Wirklichkeit Mönche sein sollten. Der Wagen rollte jetzt in voller Fahrt in einen Hohlweg ein. Steile Abhänge türmten sich zu bei den Seiten, bestanden mit dichtem Unterholz und undurchsichtigem Gestrüpp. Der Weg war eng, gerade breit genug, die Wei terfahrt zu gestatten. Die Räder berührten jedoch fast die Hänge. Alberto schnalzte mit der Zunge. Zischend fuhr seine schwere Peitsche hoch,
sauste
klatschend
und ledern auf die schweißtriefenden Rücken der Gäule. Und plötzlich geschah's! Der Schuß brach sich donnernd zwischen den Bäumen, hallte vielstimmig wider, verrollte in der
Ferne...
die
Pferde
bäumten
sich
aufgeschreckt
im
Geschirr,
wieherten
angsterfüllt, versuchten, auszubrechen, fanden sich im Hohlweg eingeengt u n d jagten wie irr die
Straße
entlang.
Der
Wagen
schwankte
bedrohlich — knirschend rieben sich d i e Räder am Sand der Böschungen -— jetzt links dann rechts . . . wieder links . . . Manuela wurde von dem jähen Ruck in die Ecke geschleudert, prallte zurück, fiel nach vorn
und
fand
sich
in
den
Armen
des
kleineren der beiden Mönche wieder, der sie hilfreich umfing. Und Jose ritt der Teufel. Er nutzte die Verwirrung, die der plötzliche Schuß im Wageninneren ausgelöst hatte. Mit einem raschen Blick gewahrte er, daß der Beglei-t e r dieser wunderschönen jungen Dame zum
Fen-ster
schnellte
und
sich
weit
hinausbeugte. Keine Gefahr, schoß es ihm durch den Sinn, und sein Mund verzog sich zu einem schelmischen Lächeln.
Noch fester legte er seine Arme um den blut warmen Körper der Schönen, beugte sich rasch v o r . . . und ehe sich Manuela wehren konnte, ruhten
seine
leidenschaftlichen Mund,
der
sich
Lippen
in
einem
K u ß auf ihrem zuckenden unter
der
unerwarteten
Zärtlichkeit widerspenstig sträubte und sich herb verschloß. Jose lachte sieghaft, preßte sie an sich, daß ihr die Luft verging... und wieder senkte sich sein Mund auf den ihren ... und plötzlich erfolgte etwas, das ihn fast verwirrte . . . zumindest aber sein Herz wie rasend schlagen ließ. Er fühlte plötzlich zwei weiche Arme hinter seinem Nacken, spürte, wie sich das schöne Mädchen hingebungsvoll in seine Umarmung drängte . . . wie ihr eben noch störrischer Mund weich wurde . . . und dann erwiderte sie seine Küsse . . . so glühend, so feurig, daß es ihm den Verstand zu rauben schien... Das Donnern der Wagenräder drang wie aus
weiter Ferne an sein Ohr. Die Nähe des schönen
Weibes
beraubte
ihn
fast
seines
Verstandes . . . trunken genoß er den Rausch ihrer Küsse . . . hörte ihre verhalten flüsternde Stimme an seinem Ohr: „Ihr verwirrt mich, ehrwürdiger Vater", hauchte Manuela, und der Spott in ihren Worten ließ ihn leise auflachen. Noch fester schlang er seine Arme um sie. „Du bist eine gelehrige Schülerin, meine Toch ter", versetzte er in gespielter Würde . . . und ihre
leuchtenden
Augen
glänzten
so
verheißungsvoll, daß es ihn schauderte. Das alles geschah im Bruchteil weniger Se kunden. Das rumpelnde Rollen der stoßenden Wagenrä der drang nur unbewußt in sein Sinnen. Dann vernahm er plötzlich Limpios Stimme, und der vorwurfsvolle
Ton,
den
der
Gefährte
anschlug, ließ ihn erneut heiter auflachen. „Ihr vergeßt Euch, Mitbruder!" rügte Limpio
und
schüttelte
vorwurfsvoll
den
hageren
Kopf. Im
selben
Augenblick
fiel
draußen
ein
zweiter Schuß. Fast gleichzeitig erfolgte ein dumpfer Fall . . . und gleich darauf schrie Ninguno, der immer noch bis zum halben Oberkörper aus dem Fenster hing: „Por diablo, Alberto, warum antwortest du denn nicht? Was ist denn los, zum Henker?" Die Antwort auf seine Fragen konnte er sich wenige Sekunden später selber geben . . . Ningunos Ruf nach Alberto verhallte ohne Er widerung. Stattdessen fielen in rascher Folge noch fünf oder sechs Schüsse, deren Echo sich an den dicken Stammen des Waldes brach und vervielfältigt zurückbrandete. Jose und Limpio sahen durch das linke Wagen fenster die winzigen blauen Rauchwölkchen, die von den Terzerols aufstiegen, mit denen die Wegelagerer
die
Karosse
immer
noch
beschossen. Einer der abgegebenen Schüsse durchschlug den Aufbau
der
Kutsche und
bohrte sich
mit
widerlich dumpfem Laut in das Polster der Bank . . . direkt neben Manuela, die darüber zum Verwundern der beiden Freunde keineswegs die Nerven verlor. Die vier Pferde brachten den schlingernden Wa gen
endlich
zum
Stehen.
Im
selben
Augenblick stieß Ninguno die Tür auf, wandte sich . . . schon auf dem sandigen Wege stehend . .. nach rückwärts und riß unter dem Sitz einen kunstvoll verzierten Stoßdegen hervor. Gleich darauf
war
er
den
Blicken
der
Zurückbleibenden entschwunden. „Was macht er?" fragte Limpio verwundert und zwirbelte
—
drohender
selbst
in
Gefahr —
diesem
Augenblick
selbstgefällig seinen
Schnurrbart. „Frag nicht so dumm, Langer", erwiderte Jose in
einem
Tone,
dessen
Burschikosität
keineswegs der hoheitsvollen Würde eines Mönches
entsprach,
ein
Umstand,
den
Manuela — ebenfalls der Gefahr nicht achtend —
mit
einer
gewissen
Befriedigung
registrierte. „Er ist ausgestiegen, um Mäuse zu fangen, du Trottel." „Nennt
mich nicht
Limpio,
„ich
könnte
Trottel", auf
ereiferte sich
den
Gedanken
kommen, daß Ihr mich beleidigen wolltet. . . und solches
Unterfangen
bekäme
Euch
äußerst
schlecht." „Halt keine Reden, alter Fuchs, und sieh zu, daß unseren gastfreundlichen
Herrschaften kein
Haar gekrümmt wird. Steig aus und steh dem Herrn bei. Wenn mich meine Sinne nicht trügen, so handelt es sich hier um nichts weiter als einen zünftigen
Überfall
durch
irgendwelche
Strauchdiebe. Nun mach schon, Bohnenstange!" Jose stieß Lim-pio unsanft in die Rippen, riß die Tür auf der anderen Seite auf und schubste ihn nach draußen. „Und Ihr, Senor?" empörte sich Limpio. „Was
macht Ihr inzwischen, he?" „Ich beschütze diese junge Dame, du Tolpatsch, wenn du's genau wissen willst!" Manuela lächelte geheimnisvoll. „Oh, das braucht Ihr nicht, ehrwürdiger Vater", entgegnete sie mit sanfter Stimme. „Ich weiß mich meiner Haut selber zu wehren . . . und außerdem habt Ihr ja keine Waffen." Sie lächelte spöttisch . . . brach dann aber in ein schallendes
Gelächter
aus,
als
sie
Joses
verblüfftes Gesicht sah. „Ihr habt recht, schöne Unbekannte", räumte Jose
ein
und
kratzte
sich
betroffen
den
Kopf. „Aber das macht nichts, meine Tochter..." Er grinste sie unverhohlen an. „Die Straßenräuber werden sich nicht erdreisten, einen Klosterinsas sen auch nur anzutasten, glaubt mir!" „Verzeiht, Vater, wenn ich Euch widerspreche... aber Ihr scheint die Straßenräuber hierzulande schlecht zu kennen, und ich rate Euch, Euch nicht
allzu sehr auf Eure Ordenstracht zu verlassen." Manuela lachte heiter. Limpio sah es mit gelindem Schmerz und wandte sich gekränkt ab ... im rechten Augenblick, um einem wild heranstürmenden Banditen auszuwei chen, der wie ein gereizter Stier auf ihn eindrang. „He, amigo", entrüstete sich der lange Korsar. „Du scheinst nicht recht bei Sinnen, einen unbe waffneten Ordensbruder mit der blanken Klinge anzugehen, he? Wart, ich will dich lehren, den ehrlichen Limpio zu bedrängen!" Joses Lachen, das aus dem Wageninneren an sein Ohr drang, beflügelte ihn nur noch . . . und wutentbrannt stürzte er sich dem Angreifer entgegen, duckte sich blitzschnell, unterlief den heranstürmenden Gegner, prallte mit der linken Schulter gerade in dem Moment hoch, da der Bandit über ihm war . . . gleich darauf wälzten sich Limpio und sein An greifer im Sand der Straße . .. aber nur für wenige Sekunden . .. Blitzschnell zuckte Limpios eisenharte Rechte hoch, fiel wie ein Hammer nieder,.. einmal, zweimal,
dreimal, krachte donnernd gegen die Schläfe des verdutzten Räubers, der wohlweislich seinen Geist kurz entschlossen für eine halbe Stunde ins Jenseits auf Besuch schickte. Triumphierend richtete sich Limpio auf. In seiner Rechten blitzte der Degen, den er dem Wege lagerer abgenommen hatte. Sieggewohnt ließ er die Waffe über seinem kapuzengeschmückten Schädel kreisen — ein Anblick, der Jose im Innern des Wagens zu einem neuerlichen Gelächter hinriß. Davon fühlte sich Limpio angespornt. . . und ohne Aufforderung stürzte er sich auf zwei jetzt auf ihn anstürmenden Banditen entgegen. Was übrig blieb, war das sausende Klirren und Scheppern der Degen, die funkenstiebend aufeinander prallten. Blitzend brachen sich die Sonnenstrahlen in den Klingen. Weiter oberhalb erwehrte sich Ninguno mit dem
Mut
eines
tollkühnen,
zu
Tode
verwundeten Löwen seiner Angreifer, die in hellen Scharen auf ihn eindrangen.
Jose lehnte sich aus dem Fenster und sondierte die Situation. Mit einem einzigen Blick informierte er sich . . . und es war ihm ein Leichtes, festzustellen, daß die Angreifer in der Überzahl waren. Es sah brenz-lich aus, maledito! „Verdammt", knurrte er ernst. „Und in so was schliddert man hinein und hat nicht mal 'ne Waffe in der Hand." „Aber, Vater", rügte Manuela, und ihre dunk len Augen funkelten belustigt. „Ihr dürft doch nicht fluchen! Ich bin entsetzt! Nehmt Euch ein Beispiel an Eurem Mitbruder . . . der kämpft ja, als hätte er Zeit seines Lebens nichts anderes getan . . ." „Du hast gut reden, meine Tochter",
grinste
Jose und warf ihr einem feurigen Blick zu. „Hast du schon mal jemanden gesehen, der mit der blo-ßen
Faust gegen einen Wald von
klirrenden Degen angekämpft hat, he?" „ N e i n . . . aber das braucht Ihr auch nicht! Greift
getrost unter den Sitz! Dort findet Ihr, was Ihr braucht . . . und wenn es nur daran liegt, so habt ihr
jetzt Gelegenheit, zu zeigen, was Ihr
könnt." Mit diesen Worten beugte sich Manuela nieder und
zerrte unter dem Polster zwei wohl
geschlif-fene Stoßdegen hervor, von denen sie einen
Jose
hinüberreichte,
der
ihn
sofort
fachmännisch über-prüfte.. „Bueno", nickte er zufrieden. „Also auf. . . doch . wollt Ihr?" Ohne es zu bemerken, verfiel er plötzlich in die höfliche Anrede „Ihr". Seine Rolle Klostermann hatte er jäh vergessen, und daran lag es auch, daß er das belustigte Lächeln des schönen Mädchens falsch auslegte. Manuela war es nicht entgangen . . . und erneut machte sie sich Gedanken über die Echtheit dieser beiden Klosterleute, die den Degen führten, als hätten sie nie etwas anderes getan. Dabei sprang sie elastisch aus dem Wagen, riß die Waffe hoch und lief leichtfüßig um den
Wagen
herum,
Limpio
in
dorthin, heftigen
wo
Ninguno
Kampf
mit
und den
Wegelagerern standen. Jose folgte i h r . . . riß im Vorwärtsstürmen die Waffe hoch und warf sich kampflüstern gleich dreien der Räuber entgegen. Einen Bruchteil später war der Hohlweg der Schauplatz
eines
wilden,
unerbittlichen
Handge-menges. Klirrend prasselten die Degen aufeinander — Funken
stoben,
flirrten
im
Glast
der
niedergehenden Sonne wie Glühkäfer, tanzten auf und nieder . . . der keuchende Atem der ringenden
Männer
abgespannte
erfüllte
Stille
...
das
die
atemlose,
Röcheln
der
Verwundeten mischte sich darein . . . Staub wirbelte unter den stampfenden Füßen auf, legte
sich
weiß
und
breiig
auf
die
Kämpfenden. Über der Lehne des Kutschbocks hing leblos Alberto.
Sein
linker
Arm baumelte nach
unten, als sei er aus Gummi, und aus seiner rechten Schläfe sickerte ein dünner Blutfaden. Die
Pferde
tänzelten
nervös
im
Sand,
schreckten jedesmal scheu auf, wenn die Sonne sich funkelnd in den wirbelnden Degenklingen brach, deren metallenes Klirren weithin durch den Wald schallte. Als Jose um den Wagen herum nach vorn stürzte, konnte er sich beim Anblick seines Freundes eines Lächelns nicht erwehren . . . und in der Tat, es sah zu komisch aus, wie der lange Kerl, angetan mit der bis auf den Boden reichenden Kutte, die Kapuze auf den hageren Schädel, schimpfend und fluchend gleich drei der Wegelagerer in Schach hielt. Weiter unterhalb focht Ninguno, und an seiner Seite kämpfte Manuela so gewandt, als sei sie ein Mann. Sie sah prächtig aus, wie sie mit glühenden
Augen,
mit
vor
Erregung
und
Kampfeslust gerötetem Antlitz auf die Räuber eindrang, die unter ihren heftigen Streichen immer mehr zurückwichen.
Die Frau wußte, was sie tat. . und Hilfe brauch te sie keineswegs — das übersah Jose sofort, und eine flammende Bewunderung für das schöne Mädchen erfüllte ihn. Zum Henker, das Frauenzimmer verstand, die Klinge zu führen, als sei sie statt mit Puppen mit einem Degen aufgewachsen. Das
Gekeuche
der
Kämpfenden
war
das
einzige Geräusch, das in den Mittag stieg . . . nur das Klirren der Waffen, und dann und wann ein Aufstöhnen,
wenn
einer
der
Banditen
getroffen war, mischte sich darein. Jose wandte sich wieder dem Langen zu. „He, wart, Bohnenstange, ich helf dir, diesen ausgefransten Caballeros Manieren beizubrin gen", schrie er, raffte die lange Kutte hoch und stand
mit ein paar Sätzen neben seinem
Gefährten Zischend fuhr sein Degen hoch, schwebte drohend über den Köpfen der Angreifer, die beim Anblick eines zweiten so streitlustigen Mönches
völlig verdattert dreinblickten, sich dann aber mit erneuter Wut und schrillem Haßgebrüll in den Kampf warfen. Der ganze Tanz, wie Limpio den Zwischenfall nannte, dauerte nicht länger als eine knappe Vier-telstunde. Wie Dreschflegel, die jahrelang untätig in der staubigen
Ecke irgendeiner
leeren Tenne herumgestanden hatten und beim unerwarteten
Anblick
einer
Fuhre
Weizen
Verlangen nach Arbeit bekommen. . . so warfen sich die beiden Mönche auf die Wegelagerer, die vor dem unerzurückwichen.
warteten Angriff entsetzt
Ungläu-biges
Staunen
stand
ihnen in den verschlagenen Vogelgesichtern. Ihre Paraden wurden müder, ihre Hände konnten
den
blitzschnellen
Finten,
den
rasenden Aus-fällen der beiden Kuttenmänner kaum noch zuvorkommen. „He, Bohnenstange", rief Jose mit lachendem Gesicht, umspielte gleichzeitig mühelos die vor prellende Waffe seines Gegners, fiel in einen eleganten Passato Sotto, wobei er über die
Hinderlichkeit seines Mönchgewandes lästerlich fluchte, und stieß kurz und zielsicher zu. „He, Limpio . . . was hältst du davon, wenn wir diesen
beiden
sauberen
Caballeros
unser
Wappen aufdrückten, he?" Mit einem kühnen Sprung warf er sich pfeilge schwind zurück, kam mit dem Rücken an einen meterdicken
Baumstamm
zu
stehen
und
wartete, den Degen leicht und spielerisch gegen die
staubige
Straße
gerichtet,
auf
seinen
Gefährten. Auch Limpio löste sich mit ein paar brillanten Finten von seinem Kampfpartner. Gleich darauf stand er neben Jose. „Bueno, Senior", kicherte er genießerisch. „Auf denn . . . drücken wir ihnen unser Siegel auf." „Por favors, Limpio . . . gib acht! Eins — zwei. ." Die beiden Freunde gingen elastisch in die Knie, hoben die Degen, lächelten verbindlich, als stünden
sie
Patrizierhauses
plaudernd in
am
Madrid,
Kamin
eines
fixierten
ihre
Gegner, denen tölpelhaftes Verwundern aus
den böse blitzenden Augen blickte. Auch Manuela und Ninguno unterbrachen für Sekunden ihr Gefecht. Eine seltsame Spannung wogte
über
dem
Kampfplatz.
Die
Pferde
wieherten leise. „Drei!" rief Jose in die lastende Stille. Und nun geschah etwas, was sowohl Ninguno und Manuela als auch die noch lebenden Wege lagerer höchlichst in Erstaunen versetzte. Keiner von ihnen hätte später zu erzählen gewußt, wie sich alles abgespielt hatte. So etwas jedenfalls halten sie alle noch nicht miterlebt. Mit einer Gleichheit der Bewegungen, die wie einstudiert wirkte, preschten Jose und Limpio n a ch vorn. Ihre Degenklingen blitzten drei viermal zuckend im Sonnenglast dieses heißen Mittags , wirbelten wie Schlangen hoch über den Köpfen der betroffen dreinschauenden Banditen, schlugen wilde Kapriolen, zischten, f l i r r t e n . . . . begleitet von dem leisen Lachen der beiden „Mönche" ...
Dann — ein Vorstoßen . . . zwei heftige, kurze Stiche . . . zwei laute Schreie . . . Die beiden Räuber taumelten zurück . . . ihren kraftlosen
Händen
entglitten
die
Waffen,
rasselt e n polternd zu Boden Sie fuhren wie betrunken mit den Händen hoch, ruderten mit den Armen in der Luft herum . . . ihre Augen
verdrehten
sich,
wurden
glasig...
dumpf brachen sie zusammen — ein letztes Aufbäumen, dann lagen sie still im Dreck der staubigen Straße. „Eine gerechte Strafe", stellte Limpio lakonisch fest.
„Heimtückische
Straßenräuber,
die
wehrlose Reisende überfallen, gehören bestraft, gerichtet. Der
Tod allein sühnt!" Der Lange
sagte es sehr salbungsvoll, wandte den Kopf und
sah
grinsenden
mitten Augen
hinein
In
die
Ningu-nos,
spöttisch der
seine
Bewunderung für die Fechtkünste der beiden Mönche nicht ganz verbergen konnte. Die übrigen Banditen — noch drei an der Zahl — starrten wie gelähmt auf ihre getöteten Genos
sen und wandten sich zur Flucht, panisches Ent setzen
in
ihren
verschmierten
Visagen.
Ninguno und Manuela nutzten die Chance. Drei Minuten später waren die Banditen ent waffnet, drückten sich ängstlich gegen die Kut sche. Eitel und aufgebläht stolzierte Ninguno heran, tupfte sich mit einem seidenen Tüchlein die er hitzte Stirn. Vor den beiden Toten blieb er stehen, sah angeekelt auf sie herunter. Sein Gesicht verzerrte sich wütend. „Schweine", preßte er zwischen den Zähnen her vor, spie dann aus und wälzte mit leidenschaft lich unbeherrschten Tritten die Körper der beiden Räuber auf den Rücken. Seine Augen weiteten
sich.
Rasch
flogen
seine
Blicke
zwischen den beiden „Mönchen" und den hingestreckten Räubern hin und her, und in diesen
Blicken
funkelte
es
ängstlich
und
bedrohlich zugleich. Seine Lider verengten sich zu schmalen Schlitzen. Leise pfiff er durch die Zähne.
„Maledito und bei allen Teufeln, das nenn ich gekonnt", stieß er hervor. Jose und Limpio lächelten geschmeichelt. Ma nuela kam langsam näher, und auch in ihre Augen trat ehrliche Bewunderung. Und es war zweifellos ungewöhnlich, was da zu sehen war... Der gleiche Stich, als wäre er von einem und nicht von zwei Fechtern angebracht, hatte die beiden Räuber erledigt. An ihren Nasenwurzeln, mitten zwischen den Bögen der Brauen ... wie abge-zirkelt und ausgemessen . . . leuchtete je ein dunkler, fleckig-roter Punkt — so groß wie ein Vierteldublonenstück . .. und aus diesem Punkt rann dick und ölig ein dünner Faden Blut. Mit einem Ruck wandte sich Ninguno den bei den Freunden zu. „Dafür, daß Ihr Ordensleute seid, ehrwürdige Padres . . ." Er grinste hämisch, als er diese An rede gebrauchte, „. . . nun, dafür versteht ihr
meisterlich, mit dem Degen umzugehen. Ich hatte bisher geglaubt, das Kreuz und der Rosenkranz seien eure Waffen." Der Argwohn war unverkennbar. Limpio und Jose ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie machten ernste, gottesfürchtige Ge sichter und spielten ihre Rollen ungeniert weiter. „Oh, edler Senor", erklärte der Lange mit flü sternder, monotoner Stimme, als spräche er ein Gebet. „Die Verhältnisse in diesem Lande verlangen von uns Klosterleuten, die wir als Missionare hier weilen, mehr als von unseren Ordensbrüdern in Spanien. Die hohe Kunst des Fechtens wird bei uns seit jeher schon aufs sorgfältigste gepflegt, und daß es vonnöten war, uns auch in der Handhabung des Degens zu
unterrichten,
hat
sich
soeben
erneut
bestätigt. Ich bin erstaunt, mein Sohn, daß Ihr davon nichts gewußt habt." Jose neigte seinen Kopf noch tiefer, um das La chen nicht zu zeigen, das in ihm aufstieg.
„So ist es", bestätigte er die Worte seines Ge fährten und fügte schnell hinzu: „Ich hoffe, daß wir Euch und der jungen Dame, die nicht weniger tapfer gefochten hat — ein Anblick übrigens, der mir bisher unbekannt war. . . Ich habe nicht gewußt, daß junge Damen, die zudem so anmutig sind wie . . . " Er verneigte sich mit einer vollendeten
Grandezza.
„Was
wollt'
ich
sagen", fuhr er fort. „Ach so . . . ja, ich hoffe, daß mein Mitbruder und ich Euch einige Hilfe bringen konnten." Manuela lächelte geschmeichelt und lauschte dem warmen Klang seiner Stimme nach. Erneut regten sich Zweifel in ihr . . . Zweifel über die Echtheit dieser beiden Klosterbrüder. Jose fing ihren Blick auf und gab das Lächeln ungeniert und sogar ein wenig herausfordernd zurück. „Oh", ergriff er von neuem das Wort. „Ich hätt's nun fast vergessen, meine
Tochter!" Jetzt
sprach er wieder in der salbungsvollen Art. in der Mönche gemeiniglich zu sprechen pflegen.
„Ja, ich habe bisher nicht gewußt, daß auch junge Mädchen den Degen zu führen wissen, und nicht schlecht, wie ich beobachten konnte. Du bist sehr tapfer und wagemutig, meine Tochter." Er beugte sich zu ihr vor und suchte ihren Blick. Jetzt war es Limpio, der sein Lachen verbergen mußte. Andererseits empfand er eine gelinde Wut auf Jose, der in seiner Gegenwart und ohne Rücksicht
auf
ihre
Verkleidung
derart
hemmungslos mit einer schönen jungen Frau herumkokettierte. „Hölle und Schiffszwieback", brummte er vor sich hin. „Wie meintet Ihr?" wandte sich Ninguno an ihn. „Oh, ich sagte . . . hm . . . Heil und Segen dem Umstand, daß wir den unliebsamen Zwischenfall gesund überstanden haben."
Und er schlug
das Kreuz und schickte einen dankbaren Blick gen Himmel.
Ninguno sah ratlos zwischen den beiden und Manuela hin und her. Er machte sich so seine Gedanken, und hatte schon Manuela Zweifel gehegt, so begann sich in ihm heftiger Argwohn breitzumachen.
Zum
Henker,
mit
diesen
beiden Kerls war nicht alles so, wie sie es ihm und Manuela weismachen wollten. ,Wenn diese Burschen Mönche sind', schoß es ihm durch den Kopf, ,dann bin ich der Abt des Klosters,
in
dem
diese
beiden
windigen
Caballeros hausen!' In diesem Augenblick entstand an der Kutsche ein heftiges Lärmen. Die drei entwaffneten Wegelagerer, die sich plötzlich unbeaufsichtigt sahen, hatten die Gelegenheit ergriffen, sich aus dem Staube zu machen. In langen Sätzen hetzten sie die Straße hinunter, teilten sich und machten sich gerade daran, die Böschung zu erklimmen. „Dreimalverfluchte Bande", wetterte Ninguno, warf
sich
herum
und
jagte
hinter
den
Entfliehenden her. Wild fuchtelte er mit dem
Degen herum, besann sich eines anderen, riß das
silberbeschla-gene
Terzerol
aus
seiner
Schärpe, zielte und drückte ab. Der Mann, schon auf halber Höhe, die Hände nach den Büschen ausgestreckt, hielt im Lauf jäh inne. Mit einem gurgelnden Aufschrei stürzte er hinterrücks den Hang hinab, und schlug schwer auf die Straße. Auch Jose und Limpio hatten sich an die Ver folgung gemacht. In langen Sprüngen hastete Limpio den Weg hinunter,
bückte sich
im Vorwärtsstürmen,
packte einen mittelgroßen Stein und schleuderte ihn
unvermittelt
nach
einem
der
beiden
Banditen. Der Stein traf den Mann von hinten am Schädel und riß ihn zu Boden. Der andere tauchte im Un terholz unter und entkam. Ningunos
Gesicht
war
kreideweiß
und
verzerrt. Wütend rollten seine Augen, sein Mund zuckte haßerfüllt, und ohnmächtig vor
Wut stieß er immer wieder die Stiefelspitze dem von Limpio getroffenen Räuber in den Rücken. Manuelas Augen verdunkelten sich vor Zorn, als sie es sah. „Ich bitte dich, laß das!" forderte sie mit blit zenden Augen. „Halt deinen Mund, Frauenzimmer", schrie Nin guno zurück, und wieder traf sein Stiefel schmerzhaft den Verletzten. „Saukerl", schrie er mit sich überschlagender Stimme, „Hundsfott. . . wart, ich will dich lehren, was es heißt, hinterhältig einen Reisewagen zu überfallen." Plötzlich
verklärte
sich
sein
Gesicht,
ein
schwelendes, grausames Flackern trat in seine Augen, sein Mund verzog sich zu einem brutalen Grinsen. „Ich werde ihn schleifen", stieß er grimmig her vor. „Ich werde ihn von den Gäulen zu Tode schleifen lassen, bis ihm sein stinkendes Fell in Fetzen von den Knochen fällt, maledito, das
werde ich . . . eine Kugel ist viel zu schade für diesen Mistkäfer, verdammt!" Er beugte sich nieder, zerrte den Mann hoch und zog ihn mit unwahrscheinlicher Kraft hinter sich her — zum Wagen hin. Manuela war entsetzt. Sie zweifelte keinen Au genblick daran, daß Ninguno sein Wort wahr machen würde. Die Grausamkeit, die in seinen Augen hockte, ließ sie erschauern. Wie gebannt sah sie, daß Ninguno von irgendwo aus der Kut sche einen starken Strick hervorkramte. „Nein", schrie sie auf, „Das wirst du nicht tun, ich verbiete es dir!" Sie stürzte auf ihn zu und fiel ihm in die Arme. Mit einem Ruck schüttelte Ninguno sie ab, daß sie kraftlos zurücktaumelte. Das sadistische, brutale Funkeln in seinem Blick wuchs noch. Geschickt schlang er das Seil dem Verletzten unter den Armen durch, wickelte es ein paarmal um dessen Oberkörper, wodurch dem Mann die Arme fest an den Leib gepreßt wurden, und machte sich schon daran, das Ende des Seils um die Hinterachse zu winden, als ein donnerndes
„Halt!" ihn jäh zusammenfahren ließ. Wütend richtete er sich auf. Direkt neben ihm stand Jose, ein paar Schritte hinter ihm reckte sich Limpio drohend empor. „Que hay?" ereiferte sich Ninguno. „Was soll das heißen, he? Ihr wollt Euch doch nicht einfallen lassen, mir Vorschriften zu machen oder etwa doch?" Gereizt neigte er sich nach vorn, den Kopf zwischen die Schultern gezogen . . . in der Linken das Seilende, den Fuß auf der Brust des gefes selten Banditen. Neben ihm im Sand stak der Degen, wiegte sich mit dem schweren Korb leicht hin und her. „Allerdings lasse ich mir das einfallen, verehrter Freund", erwiderte Jose grollend. Er hatte längst bei sich beschlossen, die Mönchsrolle aufzugeben. Es hatte nicht länger Sinn, sich mit diesem äffischen Getue zu umgeben. „So, sieh einer an", lachte Ninguno frech. Seine Hand mit dem Seilende ballte sich zusammen. In seine blitzenden Augen trat ein gefährliches
Funkeln. „Der streitlustige, wehrhafte Pfaffe wagt es also, sich gegen mich zu stellen und ..." „Ich kann nicht erkennen, wieso das etwas so Besonderes sein soll", gab Jose höhnisch zurück. „Ich habe bislang keine Ahnung, mit wem ich es zu tun habe . . . aber Ihr könntet selbst der Gouverneur von Jamaica sein — es würde mich nicht davon abhalten, Euch an einem Tun zu
hindern,
das
ich
nur
als
verwerflich
bezeichnen kann. Es stimmt: Der Mann hier hat seine gerechte Strafe verdient — er soll sie haben. Schafft ihn also nach Savanna la Mar und übergebt ihn den Gerichten. Keineswegs aber dulde ich, daß Ihr ihn eigenhändig und zudem noch auf eine solch bestialische Weise umbringt. Wenn Euch so sehr nach seinem Blut gelüstet, so hättet Ihr versuchen sollen, ihn
im offenen
Kampf zu
besiegen
und
meinetwegen auch zu töten, wenn es nicht anders gegangen wäre. Das, was Ihr vorhabt, ist aber Mord — kalter, verdammenswerter Mord,
den ich zu verhindern weiß, verlaßt Euch drauf. . . wer immer Ihr auch sein mögt." Jose maß sein Gegenüber von oben bis unten, und es entging ihm nicht das verschlagene, heimtückische Funkeln
in
den
Augen
des
anderen. Er witterte Gefahr — und sollte sich nicht getäuscht sehen. Plötzlich ließ Ninguno das Seilende fallen, griff blitzschnell
nach
links,
bekam
den
Handschutz des Degens zu fassen, machte einen Satz nach hinten, die Degenspitze direkt auf das Herz Joses gerichtet. „So, amigo. . . hochwerter Mönch, wenn du auch jetzt noch Lust verspürst, dich gegen mich aufzulehnen, so werde ich dich zusammen mit diesem Halunken hier auf die Reise in die Hölle schicken. Und wer ich bin — nun, ich schätze, das geht dich einen Dreck an. Und nun . . . schick dein letztes Gebet zum Himmel, du Hanswurst!" Ninguno warf sich nach vorn — der schwere
Stoßdegen
zerschnitt
zischend
die
Luft.
Manuela schrie leise auf. Im letzten Augenblick wich Jose der vorprellenden Waffe durch eine geschickte Bewegung aus. Sekundenlang sah er direkt vor sich das wutverzerrte Gesiebt seines
Widersachers,
der
infolge
seines
kraftvollen Stoßes leicht taumelte, sich aber sogleich wieder herumschleuderte, um in einem neuerlichen Ausfall Jose zu treffen. Jose sah ihn auf sich zukommen. Maledito, es war kein Vergnügen, sich wehr- und waffenlos einem gereizten, degenschwingenden Gegner gegenüber zu sehen. Fieberhaft überlegte er, wie er dem Angriff begegnen könne. Doch da kam schon Hilfe. „He, Senior", drang Limpios Stimme an sein Ohr. „Fangt . . . und dann zeigt's ihm, diesem eitlen Laffen!" Jose hörte ein Summen in der Luft, sah ein blitzendes Etwas auf sich zukommen . . . und griff instinktiv zu. Fest schmiegte sich seine Rechte um den Degengriff.
Ninguno stieß einen lästerlichen Fluch aus. „So, Excellenza", höhnte Jose und ließ spie lerisch die Klinge auf und abtanzen. „Nun los! Vergeßt
nicht,
daß
Ihr
eben
noch
außerordentlich mutig wart. Nun zeigt, daß Ihr den Degen ebenso zu führen wißt wie die Zunge. Hallohopp, kommt nur!" Manuela und Limpio verfolgten teils atemlos, teils amüsiert den Zweikampf, der jetzt ent brannte. Sie waren blendende Fechter, mit allen Wassern gewaschen, in allen Sätteln der Fechtkunst ge recht, mit allen Finten und Schlichen vertraut. . . eins mit ihren Waffen, und so sah der Kampf nicht danach aus, daß er bald beendet sein würde. Schwer und prasselnd donnerten die Klingen aufeinander, Funken sprühten . . . der Atem der Ringenden ging schwer, keuchend . . . Paraden wechselten mit ungestümen, verwegenen Ausfällen und Attacken .. . Jose blutete aus einer leichten Kratzwunde, die
der Degen Ningunos in seine linke Wange geritzt hatte . . . ein Vorkommnis, das Jose keineswegs irritierte. Lächelnd wich er aus, unterlief kraftvoll seinen Gegner, schnitt ihm kunstvoll die Kleider in Streifen vom Körper, so, als mache es ihm Spaß, den anderen zu narren. „Hö, Limpio . . . paß auf, ich hab' nicht länger Lust, mich mit dem . . . hm, mit dem Gouverneur von Jamaica herumzuschlagen. Was hältst du davon, wenn ich das Siegel anbringe, he?" Er lachte leise vor sich hin, wich einem heftigen Stoß Ningunos leichtfüßig aus. Limpio stimmte herzhaft in das Gelächter seines Gefährten ein. „Si, madre de dios, bueno, Senor . . . verpaßt i h m das Zeichen. . . aber ich schlage vor, Ihr tut es so, daß er Gelegenheit hat, sich bis an das Ende seines Lebens daran zu erinnern . . . jedesmal,
wenn
hahahaha!"
er
in
den
Spiegel
schaut,
„Einverstanden", rief Jose heiter zurück. „Sammle du inzwischen die herumliegenden Waffen und achte darauf, daß unsere anmutige Schöne keine Dummheiten macht. Zerbrich die Degen, Limpio!" „Bueno!" Manuela war unfähig sich zu rühren . . . erst, als sie erkannte, was dieser ,Mönch' vorhatte, schrie sie leise auf. Jose wandte sich zwischen zwei eleganten Pa raden an seinen Gegner. "„Verzeiht, Excellenza", sagte er mit ausgesuch ter Höflichkeit, wobei sein Mund sich spöttisch verzog. „Ich habe nicht länger Lust, und außer dem fehlt mir die Muße, mich mit Euch herumzuschlagen, und ich halte es dafür an der
Zeit,
unser
nicht
ungefährliches
Gesellschaftsspielchen abzubrechen. Oh, nicht so w i l d . . . " fügte er gelangweilt hinzu, drehte mit einer raschen Wendung zur Seite und schlug von unten her den Degen Ningunos
nach oben. Ningunos Gesicht war krebsrot vor Wut. Tau melnd fing er sich aus dem Vorstürmen ab, warf sich herum und setzte zu einem neuen Ausfall an. „Ihr habt Euch..." fuhr Jose in demselben amüsierten Tone fort, „Ihr habt Euch vorhin eingehend die
beiden niedlichen
Löchlein
zwischen
Augenbrauen
Banditen
den
der
angesehen. Was haltet ihr davon, wenn ich Euch dasselbe Andenken vermache, he? Oh, keine Angst... ich will Euch nicht in die Hölle befördern,
wenngleich
ich
persönlich
überzeugt bin, daß es keinen geeigneteren Platz
gibt,
an
dem Ihr
Euch
ein
wenig
ausspannen könntet. . . doch genug davon . . . paßt auf und achtet auf die Stelle zwischen Euren Augen!" Das Gesicht des jungen Korsarenkapitäns wur de plötzlich ernst. Ein gespannter Ausdruck trat in seine Züge, Sammlung . . . alle Kräfte konzentrierte er auf sein Vorhaben. Äußerlich
jedoch zeigte er dieselbe Leichtigkeit seiner fechterischen Bewegungen. In Ningunos Augen trat die nackte Angst. Und dann war's schon geschehen . . . Fassungslos starrte Manuela auf Ninguno. Der breitschultrige, herkulische Mann, dessen Arro ganz und Überheblichkeit sie stets, wenn auch widerwillig, bewundert hatte, war plötzlich ein geschlagenes, schäbiges Häuflein Mensch. Mit einem wilden Schrei grill Ninguno mit bei den Händen in sein Gesicht. — der Degen entglitt seiner Rechten, klirrte nieder. . . Zwischen seinen Brauen genau an der Na senwurzel . . . wie abgezirkelt und ausgemessen . . glänzte ein dunkler, roter Fleck, aus dem sich langsam ein einziger Tropfen Blut löste und über seine Nase rollte . . . Ninguno
verspürte
einen
ohnmächtigen
Schmerz, weniger, weil die Verletzung wehtat . . . als vielmehr aus Zorn, Beschämung und Haß ...
Beim Satan, was war dieser verdammte ,Mönch' für ein Fechter! Der Kerl mußte mit dem Leib haftigen im Bunde stehen! Verdammt, er — Nin guno — galt als einer der besten Degenkämpfer.. seit eh und j e . . . und ließ sich derart überrum peln. Wie hatte das nur geschehen können? H i l f l o s sanken seine Arme nach unten, eine starke
Übelkeit
überfiel
ihn,
die
Knie
schwankten, und wurden weich... die Beine vermochten ihn kaum noch zu tragen. Er torkelte zur Kutsche hinüber, lehnte sich schwer gegen deren Aufbau... «Bravo, Senor", klatschte Limpio Beifall. „Das . . na, ja, wie hätte es anders sein können, er hat sein Andenken, bueno . . . und jetzt bin Ich dafür, daß wir uns trollen, was meint Ihr?" „Ist recht, Limpio! Aber vorher wollen wir die Herrschaften in ihre Staatskarosse verfrachten, damit sie endlich nach Savanna la Mar kommen" Ninguno leistete keinen Widerstand, als Lim pio ihn in den Fond der Kutsche schubste.
Manue l a g i n g aus freien Stücken. In ihren schönen
Augen
stand
unverhohlene
Bewunderung, und der Blick der Jose traf, war so verführerisch und so voller Glut, daß der junge Mann
nicht
anders konnte, in jähem
Impuls riß er das schöne Mädchen an sich, umfing sie mit seinen Armen und küßte sie. Manuela fühlte sich von seinen leidenschaftlichen Gefühlen weggetragen. Gegen ihren Willen gab ihre h i n längliche Widerspenstigkeit auf, und er quittierte es mit einem frechen Lächeln, als ihre
vollen,
glühenden Kuß
warmen
Lippen
erwiderten
.
.
.
seinen für
den
Bruchteil einer Sekunde. Dann drängte sie ihn weg, lehnte sich weit in die dunkle Ecke des Wageninnern zurück. Fun kelnd
leuchteten
ihre
Augen
aus
dem
Dämmern. Limpio war tief beleidigt von der Eigenmächtig keit Joses, das schöne Mädchen einfach zu küs sen. Das war etwas, was der eitle Limpio nicht
ertragen konnte. Jose
sah
seinen
schmollenden
Gesichtsausdruck und brach in schallendes Gelächter aus. „Diesmal habe ich dich ausgestochen, wie mir scheint",
grinste
Handpferd
mit
er der
und
versetzte
flachen
dem
Klingenseite
einen kräftigen Schlag auf die Hinterhand. Rumpelnd zogen die Tiere an, und in rascher Fahrt rollte der Wagen davon, entschwand hinter der nächsten Wegbiegung den Blicken der beiden Freunde. „Ob sie die Geliebte dieses Schurken ist?" fragte Limpio unvermittelt. „Es wäre ein Jammer um dieses phantastische Weib!" Der lange Korsar zwirbelte
bedauernd
seinen
dünnen
Schnurrbart. Jose zuckte die Achseln. Der Gedanke, den Limpio da eben ausgesprochen hatte, war auch ihm schon gekommen . . . und zu seinem eigenen Befremden mußte er feststellen, daß
ihm dieser Gedanke keineswegs behagte. Er spürte immer noch den warmen, zärtlichen Druck ihrer Lippen auf seinem Mund, den weichen Druck ihrer Hand, als er sie flüchtig berührt hatte. Hölle und Schiffszwieback! Da begegnete ihm endlich einmal eine Frau, bei deren Anblick sein Herz höher schlug . . . und das Pech wollte es, daß diese Frau einem anderen gehörte. Daran bestand ja nun kein Zweifel! Und was für einem sie gehörte.. pfui Deibel, war dieser Bursche widerlich gewesen. Insgeheim bedauerte Jose,
diesen
brutalen
Kerl
einfach
laufen
gelassen zu haben. Aaaah, bah, zum Henker! War er denn ein Schul-junge,
irgendeinem
Frauenzimmer
Tränen nach-zuweinen? Por dios, es gab unzählige schöne Frauen. Also Weg mit der Erinnerung an diese . . . und im übri-gen. . . „Reden wir nicht darüber, Limpio. Betrachten
wir die Begegnung als eine nette Unter brechung unseres langweiligen Fußmarsches. Und
jetzt, meine treue Bohnenstange. . ." Er
lächelte. „Jetzt wollen wir uns sputen, damit wir
endlich
dahin
kommen,
wohin wir
gehören... a n . . . " „An Bord der ,Esperanza', Senor Capitan!" Limpios
Augen
bekamen
einen
verklärten
Glanz. „Jawohl, an Bord der .Esperanza', Bambusrohr! Nun auf!" Beide erklommen die Böschung, durchquerten das Unterholz und sahen wenig später unter sich Savanna la Mar liegen. Sie umgingen die Stadt und trotteten an der Küste entlang. * Nur wenige Meilen oberhalb der Bucht, in der Jose Manzanillos ,Esperanza' vor Anker lag, be fand sich in der Steilküste ein flaschenförmiger Einschnitt, der — eine Viertelmeile tief — zum offenen Meer hin durch eine Felsbarriere gegen
Sicht geschützt war. Diese winzige Ausbuchtung war der Schlupf winkel von Ningunos Piraten, hierhin segelte der ,Lobo', die einstige spanische Kriegsgaleone, die Ninguno in kühnem Handstreich an sich gebracht und zu seinem Schiff gemacht hatte . . . hier suchte der ,Lobo' — der Wolf — Zuflucht, wenn
die
spanischen
Kriegsschiffe
ihn
verfolgten Hier feierten die Korsaren Ihre Siegesorgien, wenn ihre Raubzüge und Kaperfahrten von Erfolg gekrönt waren. Ninguno hockte breitbeinig in seiner Kabine, die stiefelbewehrten Füße auf dem Tisch, und ertränkte seine Wut über die schmachvolle Nie derlage im Rum. Ab und zu kühlte er das winzige Wundmal zwischen seinen Augen mit einem naßkalten Fet-zen
Leinen.
Sein
zusammengekniffen,
Mund seine
war Augen
finster vom
reichlich genossenen Rum blutunterlaufen und
glasig. Maledito und beim Pferdefuß Luzifers . . . wie ein Trottel, wie ein Dreikäsehoch, der noch grün hinter den Ohren ist, hatte er sich benommen ... er — Ninguno — einer der gefürchtetsten
Seeräuber
des
Karibischen
Meeres — hatte sich von zwei lächerlichen Mönchen übers Ohr hauen lassen, was von einem
dieser
Wichte
im
Zweikampf
jämmerlich besiegt worden, trug jetzt zwischen den Augen eine dreimal verfluchte Wunde, deren Narbe ihn zeit seines Lebens an die Lä cherlichkeit dieses
Geschehens
erinnern
würde. Und all das ihm — Ninguno, der sich der „Herr der Karibischen See“ genannt hatte, dessen
Leute
auf
den
Knien
vor
ihm
herumkrochen, wenn er es so wollte. Verdammt! Ninguno stand mit einem Satz auf den Füßen. . er schwankte, um ihn drehte sich die ganze Ka bine. Schwerfällig stakte er zu den geöffneten Kabinenfenstern, beugte sich weit hinaus und at-mete in gierigen Zügen die frische würzige
See-l u f t .
Über ihm flirrten die Sterne am
nächtlichen Tropenhimmel. . . er sah sie doppelt, und das Glitzern und Funkeln tat seinen Augen weh. Mit einem wilden Fluch stampfte er mit dem Fuß a u f , wandte sich wieder zurück. „Verdammt!
Dreimal
verdammt!“
Lächerlich
hatte er sich gemacht... lächerlich, vor den Augen
Manuelas,
verächtliches
Lächeln
deren ihn
spöttisches, noch
mehr
geschmerzt hatte als der Degenstich. Kein Wort hatte sie mit ihm gewechselt . . . war stumm in ihre Kabine gegangen, nachdem sie den ,Lobo' erreicht hatten. Manuela! In seinen Blicken flackerte es vor unbändigem Verlangen . . . gleichzeitig verzerrte sich sein Mund zu einem krampfhaften, heimtückischen Lä cheln. Nicht nur diese vermaledeiten Klosterbrüder, die keine waren, woran er nun nicht länger zweifelte .
. . nein, auch Manuela hatte ihn genarrt, ihn behandelt, als sei er der letzte Dreck. Er knirschte mit den Zähnen, als er daran dachte, wie dieser verfluchte Mönch die schöne, begehrte Frau in seiner Gegenwart ganz einfach geküßt hatte! Und Manuela? Die hatte sich nicht gewehrt. . . im Gegenteil...Im Gegenteil? Ah, por diablo, die größte aller Beleidigungen! Sie sollte es ihm büßen — sie, und dieser verkappte Ordensbruder.
Hätte
er
ihn
doch
zusam
mengeschlagen, bevor er sich in diesen erniedri genden Handel eingelassen hatte! Jetzt war es zu spät, maledito! Ninguno taumelte gegen die Tischkante, daß die Flaschen klirrten. Wütend griff er nach einer vollen, schlug ihren schlanken Hals kurzerhand gegen die Tischkante, daß das rote Getränk sich wie Blut auf den Boden ergoß. Gierig und in langen Schlucken kippte er sich den Rum in die Gurgel, prustete, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Seine Augen wurden
noch
glasiger,
seine
Bewegungen
träge. Er schwankte, starrte sekundenlang auf die Tür. Plötzlich
erhellte
sich
sein
finsteres
verkniffenes Gesicht. Ein Einfall war ihm gekommen, und einen Atemzug lang zögerte er, durchzuführen, was ihm da in
den Sinn
geschossen war. Manuela, hämmerte es hinter seinen Schläfen. Immer wieder Manuela . . . Manuela Vadorro lag wach in ihrer Kabine und
betrachtete
gedankenverloren
Stückchen Sternenhimmel,
das
durch
das das
winzige Fenster sichtbar war. Ohne daß sie es selber gewußt hätte lag um ihren schönen, vollen
Mund
ein
kleines,
vergnügtes,
verträumtes Lächeln. Sie konnte diese Augen nicht vergessen, diese dunklen,
glühenden
Augen
unter
der
Mönchska-puze... sie nicht und auch nicht die leidenschaftliche Glut seiner beiden Küsse, die sie noch jetzt auf ihren Lippen zu spüren
glaubte.
Dann
eilten
Ninguno — und ihr
ihre
Gedanken
zu
Antlitz umwölkte sich
jäh. Ein Ekelschauer überlief ihren schlanken Körper — sie empfand quälende Übelkeit... Ein Geräusch auf dem Niedergang ließ sie aufs c h r e c k e n.
Atemlos lauschte sie zur Tür hin,
vor der das Geräusch erstarb...
schwerfällig
tappende S ch r i t t e, hastiges Atmen, Keuchen . . . Gleich darauf
flog die Tür auf, schlug
krachend gegen die Holztäfelung im Innern — Ninguno trat ein, warf mit einem wilden Ruck die Tür hinter sich zu, stand, teuflisch grinsend, auf schwankenden
Beinen
vor
Manuelas
Liegestatt. Mit gierigen Augen tastete er das schöne Mädchen ab, an seinen Lippen perlten winzige Tröpfchen Rum. Aus der Flasche, die er in der Linken hielt, schwappte das scharfe Gesöff auf die Dielen. Manuela saß reglos da. Nichts in ihrem Verhalten verriet Furcht. . . nicht das kleinste Anzeichen von
Schreck und Angst zeigte sich. Durchbohrend sah sie
den
betrunkenen
Mann
an,
der
jetzt
schleppend auf sie zukam. Langsam glitt Manuelas Rechte über die Decke ihres Lagers, schob sich stetig, aber unmerklich unter das Kissen. Sie sah seine unterlaufenen Augen immer näher kommen . . . wie drohende Irrlichter in nächtlichem Walde . . . sie spürte seinen stinkenden, alkoholschwangeren Atem . . . und es ekelte sie so, daß sie sich nur mit Mühe eines Brechreizes erwehren konnte. Dann umspannten ihre Finger den kühlen Griff ihres Dolchmessers, das sie seit jener Nacht, in der einer der besoffenen
Mannschaft
sie
hatte
belästigen
wollen, stets unter dem Kissen verbarg. Der kühle Griff übertrug Sicherheit und Ruhe. Ihr Mund verengte sich zu einem schmalen Strich — in ihre Augen trat ein harter Glanz. Sie war willens, alles zu riskieren, wenn dieser stocktrunkene Kerl auf sie eindringen sollte . . . sie würde ganz einfach zustechen — sie wußte es. . . Ninguno blieb plötzlich stehen, so als ahne er, was
ihm bevorstand. Argwöhnisch betrachtete er sie . . . sekundenlang
ruhten
ihrer
beider
Augen
ineinander... wie hungrige Raubtiere maßen sie sich,
geduckt zum Sprung. . . bereit zuzuschla
gen...
Manuela löste die Spannung,
die sie
umfing. „Zum Satan, Ninguno", zischte sie ihn an und bemühte sich, ihrer Stimme Festigkeit zu verlei hen. „Was ist in dich gefahren, du versoffenes Schwein, he? Scher dich zum Teufel, schlaf deinen Rausch aus und komm zur Besinnung." Sie be schloß, ihn zu reizen — sie wollte ihn treffen, de mütigen, beleidigen. „Die Begegnung mit den beiden Mönchen ist dir wohl in die Knochen ge fahren! Ich weiß, du .. . " „Halt's Maul, oder ich . . . " Er taumelte wieder. „Oder.
..
was?"
fragte
sie
herausfordernd.
Furchtlos hielt sie seinem Blick stand. „Aaah, bah", machte er und goß sich einen ge waltigen Schluck Rum in die Kehle. Prustend setzte er die Buddel ab . . . sein Oberkörper wiegte leicht
hin und her. Plötzlich strafften sich seine Gesichtszüge, seine Augen verloren den glasigen, verschwommenen Ausdruck. Mit einer ungebärdigen, heftigen Be wegung schleuderte er die halbleere Flasche in eine Ecke, wo sie splitternd zerschellte. Manuela packte den Dolch noch fester. Keinen Blick ließ sie von ihm. Er sah es und lachte urplötzlich los,
als habe er den dreckigsten,
verworfensten Witz des Jahres vernommen... völ lig unmotiviert brüllte er los. Dann tat er, als schlenderte er zur Tür zurück... Manuela atmete schon auf — doch zu früh. Es ging dann alles so schnell, daß sie dem jähen Ansturm
des
starken
Mannes
nicht
gewachsen war. Wie ein verwundeter Puma warf sich Ninguno herum, duckte sich, prellte nach vorn . . . und ehe Manuela den Dolch herausreißen konnte, fühlte sie ihre Arme von seinen
Händen
wie
von
Eisenklammern
umspannt. Sie stöhnte leise auf, spürte den wahnsinnigen Druck, mit dem er sie nieder
preßte, bäumte sich auf, versuchte, ihm die angewinkelten Knie in den Leib zu stoßen . . . Umsonst — vergebens! Sein
triumphierendes,
teuflisches
Lachen
machte sie halb irr vor Verzweiflung . . . und der Haß, den sie in diesem Augenblick gegen den Mann empfand, verlieh ihr übernatürliche Kräfte. Mit einer wilden Anstrengung gelang es ihr, die rechte Hand aus der Umklammerung zu befreien. Hemmungslos, besinnungslos vor Zorn und gekränkter Eitelkeit, beleidigt von der gierigen Rücksichtslosigkeit, m i t
der er sie
bezwingen wollte, schlug sie ganz einfach zu . . . immer wieder, wahllos . . . ganz gleich wohin, mitten in sein Gesicht. . . immer wieder...Seine Flüche erschienen i h r wie Musik — und fester trommelte sie mit der geballten Faust auf ihn ein, warf sich gleichzeitig hin und her . .. sah plötzlich sein Ohr dicht vor si ch ... und biß zu. . . Mit einem Wutgeheul ließ er von ihr ab, rich tete sich auf. Sie nutzte die Gelegenheit, warf sich herum und stieß ihm mit voller Kraft
den Fuß in den Magen. Ninguno prallte zurück, schlug schwer und dumpf
gegen
die
Wand.
Seine
Augen
verengten sich zu schmalen Schlitzen . . . sekundenlang sah es aus, als wolle er sich nun erst recht mit Gewalt das holen, was sie ihm verweigerte. Doch der blitzende Stahl in ihrer Hand ließ ihn zur Besinnung kommen. Er beschloß in einem Anfall von Schwäche einzulenken und machte ein zerknirschtes Gesicht. „Verzeih, Manuela", stotterte er in gespielter Zerknirschung. „Ich hab' wohl ein bißchen zuviel getrunken, schätze ich." Sie würdigte ihm keiner Antwort, wies stumm mit der ausgestreckten Hand zur Tür. „Hinaus!" Nur dies eine Wort kam von ihren Lippen.. . scharf wie ein Messer, schneidend, eiskalt. Er wand sich, verfluchte seinen Einfall, in dieser Verfassung zu ihr gegangen zu sein, verwünschte seine Hemmungslosigkeit. Por diablo, das war nicht
die
Art,
einer
Manuela
Vadorro
hingebungsvolle
Zärtlichkeiten
zu
entlocken.
Trottel, der er war . . . das hätte er sich vorher an allen zehn Fingern abzählen können, maledito! Wie sie ihn anblitzte, dieses Teufelsweib. Er mußte es anders anstellen, wollte er je zum Ziele kommen. Er zwang sich zu einem fast herzlichen Lächeln. Es mißlang ihm gründlich, und sein trunkenes Ge sicht hatte etwas maskenhaft Starres. Der spöttische Glanz in ihren dunkel glühenden Augen machte ihn fast rasend. Er beschloß, ihren Hohn zu übersehen. Langsam näherte er sich ihr wieder, und seine Bewegungen
hatten
plötzlich
etwas
Weiches,
Katzen-haftes. Zumindest seiner körperlichen Sicherheit sah man nicht mehr an, daß er im Grunde stock- betrunken war. Manuela duckte sich — zum Sprung bereit. . . zur Abwehr . . . mit allen Mitteln. „Manuela", flüsterte er mit rauher Stimme. „Ich bin ein Tollpatsch, ich weiß es . . . nimm mir mein
Verhalten von eben nicht übel, ich bitte dich!" „Hinaus!" Messerscharf fiel das eine Wort in den dämmrigen Raum. „ I c h . . . ich liebe dich, Manuela!" Er ließ sich nicht beirren. Die Worte kamen ihm schwer über
die
Zunge.
Im
Grunde
lachte
er
innerlich über sein sentimentales Geständnis. Lauernd musterte er das schöne Mädchen. Sekundenlang war es ganz still. Dann begann Manuela unvermittelt zu lachen — erst ganz leise, verhalten, dann immer lautet, bis sie sich schließlich vor Lachen fast schüttelte. Eisig, hohnvoll, kalt und voller Verachtung brandete dieses Lachen in der engen Kabine gegen d i e Wände, brach sich überlaut und gellte in den Ohren. Ningunos Augen wurden schmale Schlitze, sein Mund ein dünner Strich. Seine Hände bebten, kreisrunde Flecken standen plötzlich auf seinen Wangen.
Er
fühlte,
wie
die
Wut
ihn
zu
übermannen drohte, wie sein Herz schneller
schlug. Ninguno war hart im Nahmen . . . ebenso gefühllos wie brutal und grausam . . . Aber hier galt es seine Eitelkeit — und die war angegriffen! Hier ging es um seinen männlichen Stolz, wenn Stolz etwas war, was er überhaupt besaß... und dieser männliche Stolz
wurde
einfach
in
von
den
einem Frauenzimmer ganz
Dreck,
getreten,
verhöhnt,
ausgelacht, und das ihm — Ninguno, dem gefürchtetsten Piraten unter Gottes Sonne, die nur
den
Guten
scheinen
sollte
und
die
Schandtaten der Bösen sah...Ninguno zitterte am ganzen Leibe — seine Hände ballten sich zu Fäusten — langsam neigte sich sein schwerer Körper nach vorn, bereit, sich erneut auf sie zu stürzen. Manuela sah es, und ein Grauen überlief sie. Blitzschnell übersah sie die Gefahr — fieberhaft überschlugen sich ihre Gedanken. Und sie handelte schnell. Ihr schönes, betörendes Antlitz verklärte sich, um ihre vollen Lippen spielte jäh ein
verführerisches Lächeln, zusammengesetzt kindlich mädchenhafter Wissen
Naivität
und
aus dem
um frauliche Waffen. Sie lächelte ihn
an, tapfer, ganz auf i h r gefährliches Spiel eingestellt... innerlich
jedoch lodernd vor
Angst. Sie war alles andere als ängstli c h . . . sie war kühn, verwegen, eine blendende Streiterin, gerissen und mit allen Wassern gewaschen. Nicht
umsonst
war
sie
unter
Korsaren
aufgewachsen — nicht umsonst hatte sie von Kindesbeinen an fast die Schliche und Ränke der Freibeuter kennen gelernt... Hier aber — diesem besoffenen, rücksichtslosen Menschen gegenüber schmolz ihre selbstbewußte T a p f e r k e i t wie Schnee an der Sonne. „Ninguno“, hauchte sie und suchte seine Au gen. Du mißverstehst mich, Ninguno. Glaub' nicht, dass ich dich etwa auslache . . . oh, nein. Verlegen bin ich und . . . ach . . . " Und sie schlug in gespielter Scham die Augen nieder. „Ich weiß, daß du mich liebst, Ninguno . . . lange weiß ich es schon . . . "
„Mach mir nichts vor", brüllte er sie an. Mit einem Satz stand er neben ihr, packte sie brutal am Handgelenk, daß sie leise aufschrie und sich vor Schmerz krümmte. „Mach mir nichts vor, verdammtes Luder, ich breche dir deine Knochen einzeln. Du hast dich lange genug geziert, mein' ich, und ich habe keine Lust, länger zu warten. Was hast du dir denn gedacht, wo du hier bist, he? In einem Internat für vornehme junge Mädchen . . . in Madrid, oder in Barcelona oder Sevilla, he? Du weißt genau, was ich von dir verlange, und ich kann mir denken, daß es dich kaum verwundert, wie?! Du bist schließlich lange genug unter Korsaren, bist, selber eine von uns, solange du zurückdenken k a n n s t ... Und wieso kommst du also
dazu,
dich
wie
eine
von
diesen
parfümierten Gänsen zu benehmen, die in den Salons herumscharwenzeln und auch nichts an deres in ihren gepuderten Köpfen haben als das, von dem du offenbar nichts wissen willst,' he?! Du weißt genau, was ich will. . . " Er brachte
sein Gesicht ganz nah an das ihre. Sein stinkender Atem streifte heiß und eklig Ihre Wangen. „Dich will ich, Manuela, dich allein." Er versuchte sie zu küssen. Nur mit Mühe konnte sie ausweichen. Sie rang mit sich, ihm nicht ins Gesicht zu spuken. Sie durfte es nicht tun — sie wußte es. Es kostete sie Mühe, weiterhin die holdselig Lächelnde zu spielen. Noch mehr senkte sie ihre Stimme. „Ich weiß, Ninguno", flüsterte sie in scheinba rer Ergebenheit. „Aber ich will dir freiwillig an gehören, nicht so . . . im Suff und mit Gewalt. Vergiß nicht, daß auch ich meinen Stolz habe. Du würdest mich demütigen, erniedrigen . . . Ninguno, das kannst du nicht wollen. Ich würde dich hassen!" Oh, bei allen Heiligen, sie haßte ihn schon jetzt, hatte ihn wohl immer gehaßt. „Verdammt", schrie er sie ungerührt an. „Frei willig, hahahaha! Das erzählst du mir schon seit Monaten,
seit
du
auf
dem
,Lobo' fährst.
Freiwillig, daß ich nicht lache. Das wird nie sein ■— erzähl mir nichts! Ich habe lange genug Geduld geübt, denk1 ich . . . und mir scheint, du brauchst etwas lange zum überlegen. Dieser verdammte Mönch, he . . . der hat dir wohl besser gefallen, wie?" Da ritt sie der Teufel. „Ja, du hast recht", schrie sie ihn mit flammen den Augen an. „Er hat mir besser gefallen — ein Mann von Manieren, wie ich sehen durfte, wer er auch immer sein mochte . . . denn daß er wirklich ein Mönch ist, das hast wohl auch du nicht geglaubt. Und welcher Fechter. . . du kannst dich eingraben lassen, Ninguno . . . laß dir dein Lehrgeld zurückgeben oder häng den Mann an den höchsten Mast, der dir beigebracht hat, den Degen zu führen." Manuela geriet immer mehr in eine wilde Er regung. Sie hatte längst die Gefahr vergessen, in der sie schwebte. Zum Henker mit diesem dummen, einfältigen Getue. Sie fühlte auch nicht den eisenharten Griff seiner Hände, mit
der er nach ihren Schultern packte. Sie sah nur sein widerlich aufgedunsenes Gesicht dicht vor sich, diese begehrlichen Augen. Eine heiße, lodernde Wut überfiel sie, ein namenloser Haß. Da spuckte sie ihn an, riß sich gleichzeitig los, war mit einem Sprung unter ihm durchgeschlüpft, hatte plötzlich eine schwere, zinnerne Kanne in
der
Hand
und
schlug
sie
ihm
in
ohnmächtigem Groll auf den Schädel. „Hinaus jetzt, du Schwein!" schrie sie, und ihre eben
noch
so
sanfte
Stimme
war
heiser.
„Hinaus!" In ihrer Hand blitzte matt der metallen schim-mernde Lauf eines Terzerols. Sie spannte den Hahn. Es war ihr jetzt alles gleichgültig. Ningunos Gesicht verzerrte sich. Eine Spannung erfüllte den kleinen Raum, daß es knisterte. Sie maßen sich wie blutgierige Hyänen, die ein Aas umschleichen. Dann gab er klein bei. Einen gottesjämmerlichen Fluch stieß
er aus, stampfte den Boden. „Ich verwünsche den Tag, da ich dich in meine Mannschaft aufgenommen habe", brüllte er. „Und ich den Tag, da die ,E1 Sol' in den Klippen von Lunta zerschellte und ich gezwungen war, diesen
elenden
Seelenverkäufer
zu
besteigen. Bei der Madonna von Santa Barbara —- ich hatte dem Vorschlag Don Ellnos folgen sollen und mich mit der ,E1 Sol' aus deinem Verbände lösen sollen. Meine Leute wären mit einem donnernden ,Ole' gefolgt. Ich hasse dich, Ninguno!" Sie spie ihm direkt vor die Füße. „Ich hätte dich gefunden", stieß er hervor. „Wo immer du dich verkrochen hättest." Dann verzog sich sein Gesicht plötzlich zu einem breiten Grinsen.
Und das du mich hassest,
meine Teure, berührt
mich
kaum.
Verlaß
dich drauf, du wirst doch mein . . . so oder so. Du wirst noch auf den Knien angerutscht kommen und um meine Gunst betteln,
du
Satansweib. Und jetzt laß ich dich a l lein , En tw i sch en k ann st du mi r ja n i cht . Wir st e che n noch heute nacht in See." Er machte eine
über-trieben
Verbeugung.
ehrfurchtsvolle
„Adios,
meine
Schöne,
Leidenschaftliche, und buenas noche Hinter ihm fiel die Tür ins Schloß. Manuela atmete auf,
schob den Riegel
vor, stand dann noch eine ganze Weile an dem
winzigen
Kommandos Anker-ketten
Fenster,
schall e n , sich
hörte
von
hörte,
durch
die
Deck
wie
die
Klü sen
h och wand en, d as h art e Knatter n der fal lenden
Segel,
das
Knirschen
der
Taljeblöcke, das Kreischen des Ruders . . . und immer wieder Kommandos, dazwischen die versoffene, rauhe Stimme Ningunos. S i e st ar r t e i n s Wa sser ,
das unter ihr
d a v o n g l i t t. . .
sah den schwarzen Strich der
Küste in den
Dunstwolken untertauchen,
atmete den frischen
Ruch
des
Meeres... nach Tang, Salz, Jod ...
offenen
Sie verfluchte ihr Los! Ja,
zum Henker,
sie haßte Ninguno . . .
seine maßlose Brutalität und seine einfalls reiche Grausamkeit, seine lüsterne Freude, andere zu quälen, zu peinigen, zu foltern, schreckten
sie
ab.
Andererseits
i mp oni er t en ihr sein e Tap ferk eit und seine verwegene,
draufgängerische
Kühnheit.
Aber seit sie hier an Bord des ,Lobo' war, begann sie zu vergessen, was sie einst so an ihm bewundert hatte. Die ,El Sol', eine großartige Bark, deren Kapitä nin sie gewesen war, seit das Schiff im Verband Ningunos fuhr, war in einem fürchterlichen Sturm zerschellt. . . nicht einmal im Kampf mit einem mutigen Gegner untergegangen. Und das war es, was das stolze, schöne Mädchen am meisten bedrückte. Wie oft hatte Ninguno ihr das Mißgeschick vorgeworfen. Sie war als einzige mit einer kleinen Handvoll ihrer Leute gerettet worden. Seitdem hockte sie untätig auf dem ,Lobo' herum, sah sich unentwegt den
gemeinen Nachstellungen Ningunos ausgesetzt. Maledito, das war kein Leben! Sie liebte den Kampf, das Abenteuer, die kühne Tat. . . sie liebte ihre Freiheit! Sie war gewöhnt, Befehle zu erteilen und nicht zu empfangen. Hier aber — auf dem ,Lobo' — war Ninguno der alleinige Herr. Die Stunden, in denen sie, den blanken Degen
in
der
Hand,
sich
in
wildes
Kampfgetümmel stürzen konnte . . . diese Stünden waren die einzigen, die sie mit ihrem faden Leben versöhnte. Por dios, sie brauchte wieder ein eigenes Schiff . . . jetzt erst recht! Seit sie Ninguno ins Gesicht geschleudert hatte, daß sie ihn hasse, war einer von ihnen beiden zuviel an Bord der Galeone. Sie würde keine ruhige Minute mehr haben. Und in dieser Stunde, da der ,Lobo' unter vol ler Takelung in die See hinausfuhr — neuen Abenteuern entgegen. . . in dieser Stunde be
schloß Manuela Vadorro, Ninguno und sein Schiff zu verlassen. „Maledito", flüsterte sie entschlossen, „bei der ersten Gelegenheit, por diablo!" ________________________________________
Als die Sonne am Morgen des neuen Tages aus dem Meer aufstieg, lag Jamaica schon weit zurück. Der Bug des ,Lobo' zeigte auf die Südküste von Cuba . . . irgendwohin, auf eine Stelle zwischen Cabo de Cruz und der Bucht von Guantanamo. Ninguno lehnte oben auf der
Kampanje
neben dem Steuermann, döste vor sich hin und ließ d i e warmen Strahlen der Frühsonne ins Gesicht, scheinen. Sein Kopf dröhnte wie eine Indiotrommel. vergangenen
Der
Rausch
der
Nacht machte ihm gehörig zu
schaffen, und er verfluchte seine Wut auf diesen verflixten Mönch, dessentwegen er sich mit Rum vollgegossen hatte, wie auf Kommando
begann
die
Einstichstelle
zwischen seinen Augenbrauen zu schmerzen. Wütend
drückte
er
einen
Fetzen
wassergetränkten Linnens an die Stelle, warf dann einen drohenden rollendend Blick zur Reling hinüber, auf der Manuela saß und unbeweglich aufs Meer hinausschaute. Von neuem überfiel ihn eine brennende Be-, gierde, als er das Mädchen so da sitzen sah...in
dem
Kopf-tuch,
das
unvollkommen
flatternden, ihre
schwarze
bändigen
konnte,
knallroten Mähne in
dem
pechschwarzen Hemd mit den weiten Ärmeln, das
ihren makellosen
Hals
entblößte, den
eng anliegenden Hosen, die in den weichen Lederstiefeln
endeten
und
ihre
schlanke,
großartige Figur so phantastisch zur Geltung brachte. Er riß sich von ihrem Anblick los, stampfte die Planken, wandte sich jäh an seinen
Steuermann. „He, Juan, ich rate Euch, nicht am Rad zu schlafen, amigo. Verpassen wir das Goldschiff aus Brozano, so rollt Euer verdammter Schädel . . . oder aber ich werfe Euch gehackt und gesalzen den Haien vor!" Der grundlose Angriff seines Kapitäns kam Juan Pedillo, dem Steuermann, gerade gelegen. Zum Henker, schließlich war er kein lächerlicher Mann aus der Crew — immerhin war er Steuermann auf dem ,Lobo' und nach den Geflogenheiten der christlichen
Seefahrt
so
was
wie
'ne
Art
Schiffsoffizier. Demnach brauchte er sich so halt lose, willkürliche Zurechtweisungen nicht bieten zu lassen. Juan Pedillo war einst in der königlichen Flotte gefahren. Daher seine wenig korsarenhafte Vergleiche. „He, Senior Capitan", raunzte er, und er wußte, daß er es sich erlauben konnte. „Habt Ihr schlecht geschlafen, so haut Euch in Eure Koje, maledito, oder aber . . . " Er grinste über sein ganzes Gesicht. „Oder aber schickt die Seniorita nach unten. Ihr scheint ihren Anblick nicht ertragen zu können, hahahahaha."
Ninguno zuckte zusammen. „Ihr werdet frech, Pedillo", entgegnete er düster. „Hütet Euch!" Ehe Juan Pedillo seine Entgegnung, die ihm auf der Zunge lag, anbringen konnte, wurde
beider
Aufmerksamkeit
durch
den
Ausguck im Mars abgelenkt, „Backbord voraus Schiff in Sicht", sang der Mann, daß es weithin hallte. Sein Ruf ließ das ganze Schiff lebendig wer den. In Klumpen drängten sich plötzlich die Piraten an der Reling — gruppenweise hockten sie auf den Aufbauten, in den Wanten, auf der Reling, bis Ninguno dazwischenfuhr. „Schert euch zum Teufel", brüllte er sie an. „Haltet nicht Maulaffen feil, maledito. Los, ver dammt, auf eure Plätze, es gibt zu tun! Wo sind die Geschützmeister?" „ H i e r , Senior Capitan!" „Was steht ihr da herum, he? Wißt ihr nicht, daß i h r im Batteriedeck zu sein habt? Los, ihr Hunde, Pulver an Deck, Lunten bereitgelegt.
Ich schätze, ihr habt lange genug gefaulenzt, he?! Tut was dafür, daß ich euch Fressen und Beute ver-schaffe, ihr vermaledeiten Tagediebe!" Grollend und murrend trollten die Mannschaf t e n sich auf ihre Kommandostellen. Ninguno
lachte
breit
vor
sich
hin.
„Schlapp-schwänze ... hol sie der Leibhaftige!“ Er
nahm
das
minutenlang
Glas
den
auseinander,
fremden
Segler,
musterte dessen
Takelage direkt auf der Kimmung im Südosten dahin glitt. Kein Zweifel, es mußte das Goldschiff sein, das am gestrigen Abend Brozano verlassen hattet... wenn Manuela ihn nicht an der Nase herumführte. Mit einem entschlossenen Ruck schob er das Fernglas zusammen, wandte sich um, stakte mit langen,
elastischen
Schritten
zu
Pedillo
hinüber. „Den Kahn seht Ihr wohl, Juan, wie? Bueno, ihn suche ich! Also los, der Kurs ist wohl klar, he?"
Ohne
eine
Erwiderung
abzuwarten,
begab er sich zur Brüstung der Kampanje, stellte mit Genugtuung fest, wie unten im Batteriedeck fieberhaft alles zum Überfall vorbereitet wurde. Dann suchte sein Blick erneut Manuela, die immer noch wie eben starr und unbeweglich auf der Reling hockte, die Knie bis ans Knie emporgezogen. Eine wilde Freude spiegelte sich in seinen Augen. Er würde es ihr zeigen, dieser verteufelten Hexe . . . sie sollte ihn bewundern, ihn — Ninguno — den Herrn aller Korsaren. Er würde den spanischen
Kauffahrer
ausrotten,
vernichten...bis auf den letzten Mann. __________________________________________
Erst als der Spanier auf Kanonenschußweite nä her gekommen war, erwachte Manuela aus ihrer Erstarrung. Endlich hob sie den schönen Kopf. . . in dem Augenblick, als im Batteriedeck die Stückpforten
hochgestülpt
wurden
und
die
Schlünde der Geschütze drohend nach außen ragten. Ihre Augen umfingen den spanischen
Handelssegler,
und
sie
konnte
sich
das
Entsetzen ausmalen, das die von drüben beim Auftauchen
des
Totenkopfbanners
überkommen war. Nun, das war ihr nichts Neues! Sie war das Grauen in den Augen der Besiegten gewöhnt. . . es kümmerte sie nicht — sie kannte und wußte es nicht anders. Abwechslung — das war es, was sie suchte, wonach sie sich sehnte. Kampf, Handgemenge, das Zischen der Degen, das metallene Klirren aufeinander schlagender Waffen, das Donnern der Kanonen, das Bersten zerhackter Schiffsleiber, das fetzende Geräusch zerrissener Segel. . . danach verlangte es sie. Mit einem eleganten Sprung setzte sie von der Reling hinab auf die Planken. Fest packte ihre Rechte zu, die den Degen aus der Scheide riß, ihn prüfend über die Kuppe ihres linken Daumens gleiten ließ. Befriedigt lächelte sie vor sich hin, wandte sich um, nahm in zwei langen Sätzen die Treppe, die zum Vorderkastell hinaufführte.
Eine Büchsenschußweite vor ihr schwamm der spanische
Kauffahrer
.
.
.
sozusagen
ein
Geschenk des Hafenoffiziers von Brozano an sie, seine „Freundin" Manuela. Oh, wenn der Einfaltspinsel wüßte, daß ausgerechnet sie . . . ah, zum Henker, was kümmerte es sie? Nichts!' Kampf und Beute! Diese zwei Worte bestimm ten ihr Leben. ___________________________________________
Der Bug des ,Lobo' wies mitschiffs auf den Spanier . . . von Minute zu Minute verringerte sich
die
Entfernung
zwischen
den
beiden
ungleichen Schiffen. Jäger und Wild — der bevorstehende Kampf ließ die Besatzung beider Schiffe schneller atmen. Die Sonne prallte unbarmherzig auf Meer und Menschen . . . in ihren Strahlen blitzten die Klingen der Degen. Das Meer war spiegelglatt — die Luft lag dick und drückend.
Noch einen halben Büchsenschuß weit! Da gab Ninguno mit loderndem Blick das Kom mando: „Feuer, ihr verdammten Kerls! Jagt ihnen eine Breitseite hinüber!" Ein schauerliches Lachen brandete
über
Deck.
Manuela
zuckte
zusammen. Orgelnd und heulend fuhren die Kugeln aus den
Zweiundvierzigpfündern,
schlugen
prasselnd und berstend auf den Spanier los, fraßen
sich,
Vernichtung
speiend,
in
die
Aufbauten des Kauffahrers. Wasserfontänen stiegen gischtend aus der See — zerfetzte Holzplanken verfingen
sich
wirbelten in
den
durch
die
zerrissenen
Luft, Segeln.
Schreie stiegen gen Himmel, das Deck des Spa niers färbte sich r o t . . . und in das Krachen der Kanonen mischte sich das Stöhnen der Verwun deten. „Ole!" schrien Ningunos Männer aus heiseren Kehlen und warfen ihre Mützen in die Luft.
Ninguno lachte selbstzufrieden. Manuela aber erfüllte ein neues Grauen . . . zum erstenmal, seit
sie
das
harte,
unerbittliche
Piratenhandwerk ausübte, spürte sie so etwas wie ein Gewissen. „Fertigmachen zum Entern, Companeros!" be fahl Ninguno und schwang sich auf die Reling an Backbord, packte eine frei herabhängende Schote, schlang sie um sein linkes Handgelenk. Und wieder stieg ein donnerndes „Ole" in den jungen Tag, schallte weithin über das Wasser. Noch ein Viertel einer Büchsenschußweite. Schon erkannte Manuela das Weiße in den Augen der Männer, die sich drüben auf dem Spanier
angstschlotternd
an
der
Reling
drängten. „Los, Juan Pedillo, was zögerst du, alter Freund?! Bring den ,Lobo' ran an den Königlichen, maledito!" Noch vierzig Fuß, noch dreißig. .. noch fünf. . . Knirschend rieben sich die hölzernen Bordwän
de der beiden Schiffe aneinander . . . das Holz splitterte, als sich die Enterhaken einfraßen . . . Ein Sausen in der Luft. . . wirbelnd, die Degen schwingend, stießen sich Ningunos Leute an den Seilen ab, schleuderten sich hinüber . .. Sekunden später war das Deck des spanischen Kauffahrers der Schauplatz eines gnadenlosen Kampfes ...
*
Um diese Stunde, da über den spanischen Kauf fahrer das Verderben hereinbrach, segelte an die dreißig Seemeilen weiter südwestlich Jose Manzanillos ,Esperanza'. Auch der Klipper lief auf Kurs Cuba. An Bord herrschte friedliche Heiterkeit. Die Leute
Joses
verrichteten
gemächlich
ihre
gewohnten Arbeiten, die das Leben und der Dienst an Bord eines Schiffes erforderten.
Dabei sangen sie in steter Folge ihre kecken, frivolen Shanties. Niemand drängelte sie . . . auf der ,Esperanza' regierte nicht die Knute . . . sondern
die Kameradschaft,
der
Geist
der
verschworenen Gemeinschaft diktierte das Tun aller. Die ,Esperanza' hielt unentwegt ihren Kurs . . . segelte unter halbem Zeug aufs Geradewohl mit Kurs auf Cuba. Es schien, als hätte man es in keiner Weise eilig, wenn gleich jedermann
wußte,
daß
es
keine
Vergnügungsfahrt war, sondern die dringende Notwendigkeit dahinter steckte. Die ,Esperanza' brauchte eine Auffrischung ih rer Vorräte . . . und da nun einmal Jose Manzanillo und seine Männer Korsaren waren, bestand über die Art der Vorratsbeschaffung kaum ein Zweifel. . . Jose Manzanillo, der junge, von seinen Leuten vergötterte Kapitän — jetzt seiner Mönchsklei dung wieder ledig — hockte gutgelaunt und breitbeinig auf einer Rolle Tampen, Er pfiff leise vor sich hin, sah gelangweilt dem
Tun seiner Männer zu und dachte an die schöne Frau, die er seit der Begegnung gestern nicht mehr vergessen konnte. Ob sie wirklich die Geliebte
dieses
Burschen
war?
Ah,
zum
Henker, wollte er sie nicht vergessen? Da schlich sich Limpio an ihn heran, lang, hoch aufgeschossen,
hager
und
von
zerbrechlicher Schlankheit. Eine ganze Weile druckste der lange Pirat in der Nähe her um, dann raffte er sich auf und schob sich an Jose heran, den zu stören er bei aller Burschikosität nicht recht den Mut fand. „Hallo,
Capitan",
verpackte
seine
brummelte
langen
Beine
er
und
in
den
unteren Spreizen der Reling. „Mir scheint, Ihr träumt. . . und einen Mann, der träumt, soll
man
nicht
stören.
So
jedenfalls
behaupten die Indios unten bei Mara caibo . . . ah, bei allen Heiligen, was erzähl' ich Euch das?!" Und nach einer kleinen Langen
Pause,
während
lächelnd
der
Jose
beobachtet
den
hatte:
„Schönes Wetter heute!" Er suchte den Blick Joses. „He, Limpio", erwiderte der endlich. „Was ist los? Du benimmst dich, als hättest du mir 'ne tolle Geschichte zu erzählen?! Wo drückt dich der Schuh, he?" „Ihr habt recht, Senior Capitan", gab Limpio zurück, und seine Stimme hatte einen Ton, dem deutlich anzuhören war, wie stolz er auf das war, was er vorzubringen hatte. „Ich bringe Euch eine Neuigkeit!" „Ah, rede keinen Unsinn, Bohnenstange. Woher
willst
Neuigkeiten
du
haben,
auf wie?"
hoher Jose
See lachte
herzhaft und schnitzte getrost an dem Stückchen Holz weiter, das er schon seit einer
geraumen
Weile
mit
seinem
Dolchmesser bearbeitete. Limpio
machte
eine
bedeutungsvolle
Pause, ehe er sich dazu bequemte, mit seinem Wissen herauszurücken.
„Wißt Ihr, wer der Mann war, dem Ihr gestern
das
Andenken
zwischen
die
Augenbrauen gedrückt habt, Capitan?" „Wie soll ich das wissen, Bambusrohr?" Jose zeigte sich völlig uninteressiert. „Irgendein eitler Kavalier aus Brozano oder so. . . was weiter? Langweile mich bloß nicht mit solchen Geschichten, Limpio, du weißt, ich werde wild!" „Es w ar.. . " Und wieder machte Limpio eine wirkungsvolle Pause, sah seinen Kapitän erwar tungsvoll an. „Es w a r . . . Ninguno!" Triumphie rend lehnte er sich zurück. Nicht so Jose Manzanillo. Der junge Mann fuhr, als habe ihn eine Schlange gebissen, hoch, starrte völlig entgeistert seinen Freund an. „Ninguno?" kam es in höchster Verblüffung von seinen Lippen. „Halt mich nicht zum Narren, Limpio! Der Bursche
soll
Ninguno
gewesen
sein,
jener
verteufelte Kapitän Ninguno, hinter dem ich schon seit einer kleinen Ewigkeil her bin? Du bist verrückt! Ein Mann wie Ninguno weiß besser
den Degen zu handhaben al s
jener eitle,
herausgeputzte Fant von gestern. Pah, Ninguno . ..
einer
der
gefürchtetsten,
bestgehaßten
Kapitäne der Karibischen See. Nein, Limpio, das glaube ich dir nicht." „Und doch ist es so, Capitan", blieb Limpio be harrlich. „Und von wem willst du das so genau wissen, he?" Jose wurde nun doch neugierig. „Von Menegillos, Senior!" „Dem Küchenbullen?" amüsierte sich Jose und schlug sich vor Lachen auf die Schenkel. „Und woher will der es wissen? Ich kann mich erinnern, daß Menegillos nicht dabei war. Ach, laß mich zufrieden, Weidenstengel!" Limpio ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Erinnert Ihr Euch an die beiden Narben, die Ninguno . . . maledito, oder auch der eitle Fant, mit dem Ihr Euch herumgeschlagen habt. . . die linke Wange spalteten?" Jose war verblüfft und nickte. „Na, seht Ihr", fuhr
Limpio gelassen fort. „Es war Ninguno!" Die überzeugende Selbstsicherheit, mit der Limpio seine Behauptung stur bekräftigte, versetzte Jose in nicht geringes Erstaunen. „So, so", entgegnete er. „Ich kenne 'ne Menge Männer mit irgendwelchen Narben." „Bueno . . . das geb' ich zu. Aber Ninguno trägt nun mal zwei Narben auf der linken Wange. Ich will nicht sagen, daß das jetzt die Mode ist. . . aber es war Ninguno, Senor, bei allen Heiligen! Menegillos, der Küchenbulle, war bei Ningunos Mannschaft, bevor er zu uns kam. Er kennt ihn von hinten und von vorn. Ich hab' ihm ganz zufällig von der Geschichte mit der Kutsche, die uns mitgenommen hat, und dem Überfall durch die Wegelagerer erzählt. Dabei hab' ich auch Euren Zweikampf mit dem herausgepuzten Harlekin berichtet . . . na, ja, und da hat Menegillos sofort gesagt: Das war Ninguno! Ja, so war es, Senor Capitan!" Limpio drehte an seinem Schnurrbart. „An den Narben hat Menegillos ihn erkannt."
Eine ganze Weile war es verteufelt stumm. Lim pio sah, wie es im Gesicht seines Kapitäns arbeitete. Er wußte, was seine Mitteilung Jose Manzanillo bedeutete . . . wußte genau, wie verbissen sein junger Kapitän seit langer Zeit hinter
dem
Gebieter
,Lobo'
und
seinem
war,
der
in
her
der
brutalen ganzen
Karibischen See als einer der gemeinsten, brutalsten, verworfensten Korsaren galt — ein Dorn im Auge aller Freibeuter, die wohl — gehärtet
durch
ihren
verdammt
wenig
bürgerlichen Beruf Schiffe überfielen und sich mehr
als
einmal
gegen
alle
Gesetze
versündigten, aber trotz allem — auch wenn die Anhänger Meinung Seelen
des
spanischen
vertraten waren,
Freiheitsdrang
—
die
anständige,
nur
heraus
Königs
aus ihr
andere ehrliche
unbändigem schmutziges
Geschäft absolvierten. Nicht so Ninguno . . dieser Mann, der sich .Nie mand' nannte, was allein schon genügend Grund zu allerlei Vermutungen über seine
Herkunft . . . und zudem mancherlei Argwohn Nahrung bot. Limpio wußte, daß Jose jede unnütze Grausam keit in tiefster Seele zuwider war . . . und dies war Anlaß genug, diesen Ninguno zu hassen. Jose Manzanillo war ein anständiger K e r l . . ein Korsar, wie nur noch wenige die Ozeane be fuhren . .. ein Mann, der niemals über die Stränge schlug... niemals vergaß, daß wirklich nur
sein
unbändiger
Freiheitsdrang
die
treibende Kraft gewesen war, den königlichen Dienst mit der Ungebundenheit des Freibeuters zu
vertauschen. Jose Manzanillo hielt auf
genügsame Zurückhaltung. Er nahm seinen Gegnern, die seine Opfer hätten sein können, nie mehr weg, als er für sich und seine Leute für angemessen hielt. „Ja, bei allen Teufeln", wiederholte Limpio. „Der Kerl war Ninguno, Senior!" Jose fühlte eine heftige Erregung in sich auf steigen. Maledito . . . wenn dieser ausstaffierte Bursche wirklich Ninguno gewesen war. . . .
por diablo, dann
bedauerte er von ganzem
Herzen, daß er ihn
nicht
kurzerhand
ausgelöscht
diesen
Teufel
hatte,
Menschengestalt, Schurkerei
der
scheute,
keine
seinen
in
kaltblütige
Vorteil
auszu
nutzen. . . der kein Mensch sein konnte . . . sondern der Leibhaftige selbst. .. Seit Jahren schon wartete Jose auf eine Gele genheit,
diesen
Ninguno
zum
berüchtigten Kampfe
zu
Kapitän
stellen
und
auszulöschen . . . und nun hatte er sie gehabt und — versäumt. Por diablo, da sollte doch der Geschwänzte
mit
dazwischenfahren!
Pech Mit
und einer
Schwefel ungestümen
Bewegung riß Jose seinen Degen aus der Scheide, ließ die Klinge ein paarmal zischend die Luft durchschneiden. Limpio zog grinsend seinen
Zuckerhutschädel
ein
und
strich
gelassen seinen Schnurrbart. „Ihr solltet Euren Zorn, so sehr ich ihn begreife, nicht auf diese wenig heldenhafte Art auslassen. Wozu schlag Ihr Löcher in die Luft, he? Damit
einer reinfällt und erstickt, wie?" „Ja, du!" Jose mußte lachen. Noch ehe der junge Kapitän sich erneut dem Thema ,Ninguno' zuwenden konnte, wurde seine Aufmerksamkeit durch den Ausguck im Mars abgelenkt. „ H a h o !" schrie der Mann mit lang hallender Stimme, „Steuerbordbug
voraus
treibendes
S chi ffswr ack! " Jose und Limpio standen in Sekundenschnelle an der Reling, starrten wie gebannt zu dem vor der Drift treibenden Wrack hinüber, das in einer Entfernung von nicht mehr als acht Meilen gespenstisch aus dem wogenden Dunst einer Nebelbank ,
auftauchte
und
direkt
auf
die
Esperanza' zuhielt. Es war nur noch ein einziger Trümmerhaufen,
was da antrieb . . . das festzustellen, genügte ein einziger Blick. Der Rumpf wies an vielen Stellen oberhalb
der
Wasserlinie
klaffende
Einschüsse auf. Die Masten hingen — über
Deck glatt abrasiert — in einem Knäuel von zerfetzten Holzteilen und zerrissenen Segeln quer über Aufbauten und Schanzkleid des Spaniers. Daß es ein Spanier war, erkannten die
Männer
auf
der
,Esperanza'
an
dem
zerschossenen königlichen Banner, das verloren quer über den Sturmklüver hing ... letztes sichtbares Zeichen von Stolz, einem Stolz, der ein unehrenhaftes, ruhmloses Ende gefunden haben mußte. „Ein Totenschiff!" bemerkte Limpio trocken und zwirbelte seinen Bart. „Bei denen drüben lebt keine Maus mehr, Senior! Außerdem bringt es Unglück, einem Totenschiff, das einem auf See begegnet, Beachtung zu schenken. Kümmert Euch nicht um den schwimmenden Sarg, Capitan!" Jose stand unbeweglich da — um seinen Mund zuckte es verräterisch, hinter seiner hohen, edlen Stirn arbeitete es. Limpio betrachtete ihn prüfend von der Seite. „Ninguno . . .", stieß Jose Manzanillo plötzlich heiser
hervor.
„Das
war
wieder
dieser
verfluchte
Ninguno,
Hölle
und
Schiffszwieback!" „Und wenn er's war, Senior", warf Limpio rasch ein. „Ihr könnt es nicht mehr ändern, Capitan! Meldet das Wrack!" Jose würdigte ihn keiner Antwort, wandte sich brüsk ab, stakte mit langen Schritten über die Kampanje. Dann hallten seine Befehle über Bord. „Ho, Steuermann, haltet Kurs auf das Schiff! Und ihr . . ." Er beugte sich zum Mitteldeck hin unter. „Legt die Enterbeile bereit!" __________________________________________
Eine knappe Stunde später rieben sich die höl zernen
Leiber
der
.Esperanza'
und
des
spanischen Kauffahrers knirschend aneinander, tanzten im wiegenden Rollen der Dünung sanft auf und nieder. Jose Manzanillo und seine Männer waren hart, unerbittlich, wenn es sein mußte, scheuten sich vor nichts, jagten den Teufel aus seinem
stinkenden Höllenpfuhl, wenn die Situation es verlangte,
kannten
weder
Mitleid
noch
sentimentale Gefühlchen . . . aber das hier . . . por diablo . . . das war selbst ihnen zuviel. Der Anblick, der sich ihnen bot, war schauer lich, entsetzenerregend, furchtbar, und selbst Jose und Limpio, der es sich nicht hatte nehmen lassen,
seinen
Kapitän
an
Bord
des
Totenschiffes zu begleiten, verspürten eine quälende, würgende Übelkeit im Halse, als sie sich drüben umsahen . . . Limpio hatte recht gehabt: Es lebte keine Maus mehr auf dem Spanier. Wohin ihre Augen blickten . . . nichts als Tod, Verstümmelung, Vernichtung, aufgerissene
sinnlose
Zerstörung
Warenballen,
.
.
.
angeschlagene
Rumfässer, umgestülpte Kisten, ausgeleerte Schatullen. Die Planken waren glitschig von Strömen roten geronnenen Blutes. Die Leichen der Seesoldaten, die gestern noch, vielleicht noch vor wenigen Stunden fröhlich ihren Dienst getan hatten, lagen übereinander, mit
gräßlich verzerrten Gesichtern, verkrampften Gliedmaßen. Das Schlimmste aber — und jedes, was sie sa hen, war schlimm genug — entdeckten sie im Batteriedeck,
das
im
Grunde
auf
dem
Kauffahrer gar kein Batteriedeck war. Dort hatten die vertierten Bluthunde Ningunos von einem zum anderen Ende ein starkes Tau gespannt — und an diesem Tau baumelten, mit heraushängenden Zungen, neun Leichen... der Kapitän und seine Passagiere, wie an der vor nehmen Kleidung der Toten unschwer zu erkennen war. Neben einer Frau hingen — mit den Köpfen nach unten — zwei kleine tote Kinder, zierliche, schlanke Wesen in hübschen Kleidchen
und
Haartrachten.
In
staken
die
kunstvoll ihren
frisierten
winzigen
beschlagenen
Knäufe
Körpern zweier
riesiger Fangmesser. Jose wandte sich schaudernd ab, und auch Lim pio,
an
manchen
grauenhaften
Anblick
gewöhnt, drehte sich abrupt um. Das Würgen
in seinem Halse wurde heftiger. Noch einen letzten Blick warf Jose auf das Bild des Schreckens — ein glühender Haß funkelte in seinen Augen, seine Lippen waren weiß, rote Flecken brannten auf seinen Wangen. „Ninguno“ kam es rauh aus seinem verzerr ten
Munde,
Seine
Hände
ballten
sich
zu
Fäusten. „Komm Limpio, laß uns gehen!
Aber merk' dir
was du h i e r gesehen hast!" Wortlos kehrte er sich um, und wortlos folgte ihm sein treuer Ge fährte. ----------------------------------------------------------------Als das Totenschiff in den Dunstschleiern am Horizont den Blicken Joses und seiner Mann schaft entschwand, verlor der junge Korsaren kapitän seine starre Haltung. In seinen dunklen Augen blitzte es, als er sich seinen Männern zu wandte. Seine Stimme war spröde, hatte einen harten, metallenen Klang, den seine Leute noch nie bei ihrem Kapitän wahrgenommen hatten.
„Companieros", sprach er sie an, die sich im Mitteldeck zusammendrängten. „Ihr habt alle gesehen, was ich hier nicht beschreiben will. Unser Handwerk ist hart, das wißt ihr! Und es muß hart sein. Wir alle sind weder sentimental noch gefühlsduselig, aber ich frage euch: Seid ihr der Ansicht, daß es so richtig ist, wie Ninguno an Bord des Spaniers verfahren ist, he? Ihr kennt Ninguno dem Namen nach, wenngleich dieser Name Ninguno gar kein Name ist. Ihr wißt, daß ich ihn hasse, obgleich ich ihm noch nie in meinem Leben begegnet bin . . . das heißt . . . " Er senkte seine Stimme. „Einmal . . . aber da habe ich nicht gewußt, daß es Ninguno war. Ich habe ihn gekennzeichnet — er trägt seitdem den Stempel zwischen den Augen.
Jederzeit
werde
ich
ihn
wieder
erkennen — und auch ihr werdet, wenn ihr seinen Weg kreuzt, wissen: er ist es! Noch nie
ist
ein
empfangen
Mensch, hat,
der
mit
den
Stempel
dem
Leben
davongekommen. Ihn aber habe ich laufen
lassen . . . vielleicht eine Fügung des Schicksals. Aber davon will ich euch nichts erzählen. Ihr wißt, und ich wiederhole es, ich hasse diese Bestie in Menschengestalt, und der grausige Anblick des Totenschiffes hat diesen Haß von neuem geschürt. Ninguno ist Korsar — und wir sind auch Korsaren. Nun gibt's zwischen ihm und seinen viehischen Mannschaften und uns einen großen Unterschied. Das Meer hat seine Gesetze — wir Korsaren haben die unsrigen. Ninguno mißachtet sie, und dafür verdient er den tausendfachen Tod, so wie er den Tod tausendfach vergeben hat." Jose sah seinen Leuten eindringlich in die ern sten Gesichter der Reihe nach . . . keinen ließ er aus. Erst dann sprach er weiter: „Ich als euer Kapitän bestimme, daß hiermit das Urteil über Ninguno gesprochen ist. Tod! Qualvoller, vielfacher Tod! Die .Esperanza' wird nicht früher nach Jamaica zurücksegeln, als bis Ninguno nicht mehr ist. Das Grauen, das er ver breitet, soll ein Ende haben. I h r seid lange ge
nug bei mir, Companeros, i h r kennt mich! Ich will
euch
nicht
zwingen,
mit
mir
einer
Meinung zu sein, aber ich hoffe, ihr seid es! Wenn bisher unser Schlachtruf ,Für Freiheit und Gerechtigkeit!
Jose
Manzanillo,
Ole,
Ole!'
lautete, so halte ich einen neuen bereit. Und wenn ihr einverstanden seid, so zeigt es mir dadurch, daß ihr in ihn einstimmt . . . " Die Männer verhielten sich stumm, musterten aufmerksam, aufrecht und stolz Ihren jungen Ka pitän,
für
den
sie
in
die
Tiefen
der
Karibischen See hinab gestiegen wären, hätte er es von ihnen verlangt. Nicht einer war unter ihnen, der nicht sein Leben für ihn gegeben hätte. Jose wartete noch einen winzigen Augenblick. Dann kam es dröhnend aus seinem Munde: „Fahr' zur Hölle, Ninguno! Das soll unser neuer Schlachtruf sein. Und ihn zur Hölle zu schicken, wollen wir nicht rasten. Nun, wie steht's, ami gos?"
In den Gesichtern der Piraten loderte es auf. Und dann brach es wie ein einziger Schwur von ihren Lippen; donnernd hallte es über Deck, brach sich in den Flächen der aufgeblähten Segel . . . und der Wind, der jetzt dwars einfiel, riß ihnen den Schwur von den Mündern und trieb ihn weit über das Meer, das in den Strahlen
der
Tropensonne
gleißte
und
glitzerte. „Fahr zur Hölle, Ninguno;" Und noch einmal, lauter,
schneidender:
„Fahr'
zur
Hölle,
Ninguno! Jose Manzanillo, Ole, Ole!" Knatternd und steif stand die schwarze Flagge mit dem weißen Totenkopf am Top der ,Espe ranza . . . *
„Beim Schwefelsschweif Luzifers, du verdamm tes Aas!" brüllte Ninguno außer sich vor Zorn. „Sei nicht so verflucht zurückhaltend, Pillo,
sonst könnte es passieren, daß ich einem anderen deinen Posten übertrage. Zum Henker, so was nennt sich Peitschenmeister . . . und das an Bord der ,Lobo' und unter meinen Augen. Schlag' endlich zu! Zieh ihm das Fell in Streifen vom Rücken, oder soll ich's dir vormachen, he?!" Ninguno stand breitbeinig in der Nähe der Tür zum Niedergang und ließ seine glühenden Augen
argwöhnisch
Runde
schweifen.
verkniffene
und
Gesichter,
feindselig
Ringsum
in
die
verbissene,
eingezogene
Köpfe,
rasche, haßerfüllte Blicke, wohin er sah. Oh, er wußte genau, daß diese Horde ihn lieber bei den Haien sah als an Bord der Galeone. Die Leute haßten ihn . . . eine Feststellung, die ihm nicht neu war und ihn nur lächeln machen konnte. Widerwärtiges, gemeines Pack . . . alle, den Steuermann und seine so genannten Offiziere eingeschlossen. Bei der ersten Gelegenheit, die günstig war, würden sie ihm dutzendweise die
Messer in den Rücken schleudern. Haho, aber dazu sollte es nicht kommen, por diablo! Seine Augen wanderten weiter, blieben an der Elendsgestalt haften, die mit ausgestreckten Ar men an den Hauptmast gebunden war. Der Rük ken des Gefolterten war eine klebrige, blutver schmierte Masse. Der Bursche war halb ohnmächtig vor Schmerzen — hing mehr in den Eisen klammern, die seine Gelenke umspannten, als daß er aufrecht stand. Ninguno grinste bösartig. „Schlag zu, Pillo!" wiederholte er, und seine Stimme hatte einen dröhnenden Unterton. Der Peitschenmeister wandte sich ruhig zu ihm um. „Es ist genug, Senor Capitan!" hatte er den Mut zu sagen. „Gomez ist halbtot!" „So schlag' ihn ganz tot, elender Hund! Und wieso kommst du dazu, mir Vorschriften machen zu wollen, he? Ich wette, es ist an der Zeit, dir selbst das Fell über die Ohren zu ziehen!" Mit einem langen Satz stand Ninguno neben Pillo,
entriß ihm wutschnaubend die schwere Peitsche, ließ sie klatschend auf die Planken niedersausen. „Warf, ich zeig dir's, wie man's macht!" brüllte er außer sich vor Erregung. Als er die Peitsche zum Schlage in der Luft kreisen ließ, begannen die herumstehenden Män ner offen zu murren. Ninguno fuhr herum, durch bohrte sie mit seinen Blicken. „Wem das hier nicht paßt, soll vortreten", schrie er sie an. „Gomez wird sich freuen, nicht allein in die Hölle fahren zu müssen." Seine Augen sprühten
Verachtung.
„Nun?
Ihr
seid
feige
Memmen! Los, holt einen Bottich Wasser, und gieß es dem Lumpen in die Visage!" Widerwillig gehorchte einer. Geduldig wartete Ninguno, bis Gomez zu sich kam, Dann trat er rasch auf ihn zu, riß ihn an den Haaren den Kopf zurück. „Nun, mein Jungchen, bist du immer noch der Ansicht, daß dein Kapitän die Beute ungerecht verteilt?" Gomez schüttelte willenlos den Kopf. Der arme Hund hatte nur einen Wunsch: Diese unheimlichen
Peitschenhiebe
nicht
länger
ertragen zu müssen. „Na, siehst du! Und damit du's nicht vergißt, daß Capitan Ninguno jedem das zuteilt, was ihm zusteht, so nimm noch dies . . .!" Sausend
fiel
die
Peitsche
auf
den
geschundenen Rücken des halbtot geprügelten Korsaren, riß die frischen Wunden wiederum auf. Das Blut spritzte hoch, floß in Bächen über die
gepeinigte
Haut.
Das
Stöhnen
und
schmerzvolle Schreien Gomez' hallte weithin über Deck, mischte sich grauenhaft in das Murren der Leute. Ninguno hatte nur ein teuflisches Lachen dafür. Manuela wandte sich angewidert ab, strebte hastig dem Heck zu, wo sie sich aufatmend auf einer Rolle Tampen niederließ. Die warmen Strahlen der Sonne taten ihr gut. Noch jetzt zuckte sie bei jedem leisen Geräusch in ihrer Nähe zusammen . .. wie vorhin, als jeder neue Peitschenschlag, der den unglücklichen Gomez getroffen, sie hatte erschauern lassen. Trotz der Hitze fröstelte es sie. Seit dem Überfall auf den
spanischen Kauffahrer war ihr Herz erkaltet, Der bloße Anblick von Ninguno ließ sie ihren Haß gegen ihn aufs neue auflodern. Daß er ein rücksichtsloser, grausamer Korsar war . . . nun, das hatte sie immer gewußt und wohl auch gar nicht anders erwartet. Manuela selbst war ebenfalls aus hartem Holz geschnitzt . . . beileibe kein sentimentales Gänschen. Zum Henker, ihr Handwerk war nun mal eben kein gemütliches
Zitronenverkaufen
an
einer
Straßenecke in Sevilla oder weiß der Teufel wo immer. Und
über
Anwandlungen
die
grausamen
Ningunos
hatte
brutalen sie
wohl
weislich hinweggesehen, bis . . . ja, por diablo, bis gestern . . . Manuela erbebte leise, als ihr die Erinnerung noch einmal die grausamen Szenen an Bord des spanischen Kauffahrteischiffes heraufbeschwor. Nie — nie würde sie den Anblick der gemarter ten und dann so schmachvoll aufgeknüpften Menschen vergessen . . . nie würde ihr das
gellende, hämische Gelächter Ningunos aus den Ohren
weichen,
als er
den
Kindern die Dolchmesser in
beiden die
zarten
winzigen
Körperchen bohrte, nachdem er sie vorher eigenhändig an das Seil geknöpft hatte. ,Ich hasse dich, Ninguno! Du kannst nur der Satan selber sein.' Schwere Schritte ließen sie aus ihrer Versun kenheit auffahren. Sie wandte den Kopf und er kannte Ninguno, der breit und wuchtig, den Mund zu einem spöttischen Grinsen verzogen, auf sie zukam. Manuelas Gesicht verschloß sich, wurde starr wie eine Maske. „Hierher also hast du dich verkrochen", grölte er schon von weitem. „Darf ich fragen, ob du damit zu verstehen geben willst, daß du mit meinen Maßnahmen nicht einverstanden bist, he? Hast du etwa Mitleid mit dem rebellischen Hund,
den
ich
bestrafen
ließ,
wie
er
es
verdiente, he? — Antworte, Manuela!" Das schöne Mädchen würdigte ihn keines Wor
tes. Ein eiskalter Blick aus ihren dunklen Augen
traf
ihn.
Ein
zärtliches
Schnurren
lenkte sie ab, eine zaghafte Berührung an ihren Beinen. Sie entdeckte das kleine Kätzchen, den Talisman
der
Mannschaft,
der
erklärte
Liebling der rauhen Männer . . . ein winziges Geschöpf Gottes, dem die eisenharten Piraten ihr letztes bißchen Gefühl schenkten. Manuela lächelte, tat, als stehe nicht Ninguno neben ihr. Sie bettete das Kätzchen in ihren Schoß und streichelte es, während ihre Augen gedankenverloren
über
die
unendliche
Wasserwüste wanderten. In
Ningunos Mundwinkeln
zuckte
es
verräterisch — dann nistete sich ein zynisches, unheimliches, schadenfrohes Lächeln
in
die
vielen Fältchen rund um seine Augen. „So viel Zärtlichkeit für ein blödes Vieh", höhnte er herausfordernd. „Du solltest zu mir zärtlich sein, Manuela . . . hörst du? Zu mir. Ich wüßte es dir zu danken!"
Manuela blieb stumm, streichelte unentwegt weiter das samtene Fell des Kätzchens, das sich hingebungsvoll in ihre warme Hand schmiegte. Manuela schien Ninguno völlig vergessen zu haben. Der Korsar kochte vor Wut, seine Hände zuckt en , plötzlich standen auf seinen braungebrannten Wangen wieder diese kreisrunden, grellroten Flecken — wie immer, wenn er aufs höchste er regt war. Ein Sturmzeichen! Mit einem wüsten, gotteslästerlichen Fluch ent riß er ihr in jäher Bewegung das kleine Tier und schleuderte es in hohem Bogen ins Meer. Sekundenschnell dreieckige
zerschnitt
Flosse
die
eine Fluten
mächtige .
.
.
sekundenschnell wurde der schneeweiße Leib eines
riesigen
Fisches
dicht
unter
der
Wasseroberfläche sichtbar. Hier wimmelte die Karibische See von Haien. Triumphierend und angriffslustig stand Nin guno da — mit wiegenden Hüften, die Arme herausfordernd
in
die
Seiten
gestemmt.
Manuela
war
unfähig,
sich
zu
rühren.
Entgeistert starrte sie den Mann an, der hohnlachend auf sie herabsah. In den Reihen der Matrosen, die in der Nähe arbeiteten und die neue Schikane ihres Kapitäns miterlebt hatten, rumorte es gefährlich. Ein wütendes Grollen machte sich breit, versteckte Drohungen, hastig
hervorgestoßen,
flogen
auf. . . .
haßerfüllte Blicke trafen Ninguno. Der fuhr herum, als habe eine Kugel neben ihm eingeschlagen. „Das ist Meuterei!" brüllte er, und seine Stimme überschlug sich. Mit funkelnden Blicken musterte er die Männer, die sich furchtsam umeinander scharten. Ninguno war mit drei Schritten bei ihnen. „Wer hat hier das große Wort, he? Wer hat hier zu meckern? Ihr verdammten Hunde werdet von Tag zu Tag
aufsässiger!
Ich
lasse euch alle
miteinander zusammenprügeln, wenn ihr euch nicht fügt. Was paßt euch nicht, por diablo?" Einer der Männer faßte Mut und trat kaltblütig vor. Tapfer hielt er dem bohrend brennenden
Blick seines Kapitäns stand. „Das hättet Ihr nicht tun dürfen, Senior", erklärte er sachlich. „Das Kätzchen war unser Talisman. Das bringt Unglück, daß Ihr es den Haien hingeworfen habt, und wir . . . " Er kam nicht weiter. Zweimal stieß Ningunos Faust dem Mann brutal mitten ins Gesicht, traf ihn am linken Auge und an der Nase, aus der sofort Blut schoß. Der Mann unterdrückte einen Wehlaut, taumelte zurück . . . mitten in seine Kameraden hinein, die ihn auffingen. „Ihr verfluchten Hunde", geiferte Ninguno. „Ich will euch beibringen, eure dreckigen Mäuler zu halten. Ich lasse mir von keinem von euch Vorschriften machen. Talisman, hoho? So ein kindischer Blödsinn!" Wieder kam dieses zyni sche Lachen von seinen Lippen. „Nun, noch was?" Der mißhandelte Pirat rappelte sich zusammen. Glühender Haß blinkte in seinen blutunterlaufe nen Augen. Geduckt stand er da, betrachtete feindlich seinen Kapitän. Ninguno sah es, und zum zweiten Mal ging die Wut mit ihm durch. Mit einem Satz sprang er nach vorn und trat dem
Mann mit voller Wucht den Stiefel in den Bauch, daß der Bursche zusammenknickte und wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte. „Will noch jemand was von mir?" brüllte Nin guno die anderen an. Die Männer senkten die Köpfe. Manuela sah, wie sie die Fäuste ballten. Warum fielen sie nicht über Ninguno her? Feige waren sie . . . alle! „Ich dulde keinen Wider spruch!" drang Ningunos Stimme erneut an ihr Ohr. Sie hob den Kopf und blickte zu ihm hin über. Ninguno wandte sich ab, stolperte über den zusammengeschlagenen Piraten . . . Und nun geschah etwas, was Manuela den Rest gab. Blitzschnell zuckte ihre Hand nach dem Dolchmesser in der Schärpe, riß es heraus . . . wollte sich auf Ninguno stürzen . . . aber eine . seltsame Erstarrung bannte sie an ihren Platz und ohnmächtig mußte sie mit ansehen, welch neue Grausamkeit Ninguno vor den Augen aller verübte. Der brutale Korsar bückte sich nieder, riß mit bärenstarken Armen den bewußtlosen Mann von den Planken hoch, zerrte ihn über Deck und be
förderte ihn mit einem wütenden Fußtritt ins Meer. Entsetzen ringsum! Manuela glaubte zu träumen . . . aber die dreieckigen Flossen, die weiß schimmernden Flecken der Fischleiber, das Lo dern in den Augen der Mannschaft und Nin gunos wutverzerrte Visage waren Wirklichkeit — nackte, nicht faßbare Wirklichkeit . . . Manuela schloß die Augen. Wie aus weiter Ferne drang Ningunos Stimme an ihr Ohr. „Ich schätze . . . " Seine Stimme troff vor Hohn. „Ich schätze, das wird euch verdammten Meuterern eine Lehre sein, hahahaha!" Wenig später klappte die Tür zum Niedergang hinter seiner herkulischen Gestalt zu. Die Männer der Besatzung starrten ihm nach, unbeweglich, unfähig sich zu rühren. Erst als Ninguno verschwunden war, fiel die Ohnmacht von ihnen ab. „Er ist ein Schwein — eine Bestie", zischte einer
und
drohte
mit
der
Faust
in
die
Richtung, in der Ninguno sich entfernt hatte. Zustimmendes Murmeln. Einer wandte ein: „Aber er verschafft uns gute Beute!" „Bueno, zugegeben, aber das meiste und die fettesten Happen behält er für sich!" „Dafür ist er Kapitän!" So ging es eine Weile h i n und her, und keiner von
ihnen
Vadorro
bemerkte,
leise
wie
entfernte.
sich
Nach
Manuela
fruchtlosem
Herumgerede wandten die Männer sich wieder ihrer Arbeit zu. Die Piraten auf der ,Lobo' haßten
ihren
Kapitän
mit
aller
Leidenschaftlichkeit, derer sie fähig waren . . . aber sie fürchteten ihn gleichermaßen, duckten sich, unterwarfen sich seinen Befehlen, und waren diese noch so blödsinnig, fügten sich seinen Wünschen, erduldeten seine maßlose Willkür . . . und keiner unter ihnen war stark und einflußreich genug, sich an ihre Spitze zu stellen und in einer Meuterei den verhaßten Ninguno hinwegzufegen . . .
Sie flüchteten sich, waren sie unter sich, in Sau fereien,
zerrissen
in
ihren
trunkenen
Gesprächen den Kapitän in Fetzen, schrien ihren
Haß
hinaus
und
beugten
sich
in
verzweifelter Ohnmacht. . . Und Ninguno blieb unangetastet . . .
*
Der breite, gedrungene Bug der ,Esperanza' pflügte die Wogen der Karibischen See . . . ir gendwo zwischen Cuba und Jamaica. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Wie ein glühender Feuerball stand sie dicht über der Kimmung. „Hölle und Schiffszwieback", knurrte Jose un willig. „Es soll uns also nicht gelingen, noch vor Anbruch der Dunkelheit an den Happen ranzu kommen.
Der
Kerl
hat
ja
eine
Geschwindigkeit, die einen neidisch machen kann."
Zum soundsovielten Mal hob der junge Kapi tän das auseinandergezogene Glas an
die
Augen, betrachtete prüfend den dunklen Punkt am Horizont, dessen Segel man gerade eben noch erkennen konnte. Resigniert stieß er das Glas zusammen, zuckte die Achseln. „Bueno, also denn nicht!" Limpio liebkoste seinen Schnurrbart, hob eben fall die Schultern. „Schade! Hätten ein bißchen Auffrischung gut gebrauchen können, maledito! Rumfaß
ist
fast
leer,
und
Das letzte die
Männer
verlangen was zu trinken, Senior! Aber . . . na, ja, läßt sich nichts machen!" Die Nacht brach an —- ohne Übergang wechsel te Helligkeit in Dunkelheit. Im Osten stiegen die ersten Sterne auf. In den frühen Morgenstunden schlug jemand einen
rasenden
Trommelwirbel
Kabinentür. Schlaftrunken hoch.
an
Joses
fuhr der Korsar
„Que hay?" brummte er lustlos. ,,'ne Überraschung, Senior", vernahm er Lim pios Stimme. „Nun macht schon. Es verspricht ein guter Tag zu werden. Das Schiff von gestern ist kaum mehr als vier Seemeilen steuerbord querab, segelt unter halber Takelung, als hätte es während der Nacht auf uns gewartet. Und Ihr werdet nicht raten können, wer es ist." Limpio lachte leise. „Spann' mich nicht auf die Folter!" drohte Jose und kleidete sich in fieberhafter Hast an. „Der ,Lobo'! Senior . . . Euer Freund Ninguno ist da! Kommt und lehrt ihn ein Tänzchen, hahahaj“ Krachend flog die Tür auf. Jose packte Limpio an der Brust, drehte ihm das Hemd zu einem Wulst, der dem Langen fast den Atem nahm. „Wenn du mich zum Narren halten willst, laß ich dich kielholen, amigo!" Limpio schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Maledito, Senior, kommt rauf, und Ihr werdet mir im diese gute Nachricht meinen Beuteanteil
erhöhen!" Beim Anblick des ,Lobo' befiel Jose eine toll wütige Erregung. Seine Augen strahlten nur so vor Freude, und die Aussicht auf den nahen Kampf . . . die Chance, die sich ihm hier bot, den verhaßten Ninguno . . . diesem Kapitän Niemand . . . eigenhändig zu den Haien
zu
jagen,
erfüllte
ihn
mit
einer
unbändigen Fröhlichkeit. Ohne sich einen einzigen Moment zu besinnen, war sein Plan gefaßt. „Wir greifen an, Limpio! Los, Bohnenstange, steh'
nicht
'rum!
Trommle
die
Leute
zusammen, wirf sie aus ihren Matten. Sag ihnen,
daß
es
in
ein
paar
Stunden
wahrscheinlich 'ne Menge Ruhm geben wird . . . und nicht nur Rum . . ., jede Menge Beute!" Jose rieb sich die Hände, starrte unverwandt zu der Galeone
hinüber,
die
in
mäßiger
Fahrt
steuerbord querab in der leichten Dünnung trieb.
Drüben war es ruhig. Es schien, als habe man auf dem ,Lobo' das andere Schiff überhaupt noch nicht entdeckt. Aah, was scherte es ihn. Die
verdammten
verfluchten
Kerls
mitsamt
Kapitän würden
ihrem
schon munter
werden, wenn die erste Breitseite der schweren Zweiundvierzigpfünder
in
die
Aufbauten
krachen würden. Sekunden später glich das Deck der ,Esperanza' einem aufgescheuchten Ameisenhügel, in dem man mit einem Stock rumbohrt. Die jungenhafte Freude ihres Kapitäns hatte auch die Männer der
,Esperanza“
ergriffen.
Gesichtern
schleppten
Pulverfässer
ins
Mit
sie
strahlenden Lunten
Batteriedeck.
und Die
Geschützmeister überprüften mit Kennerblick ihre matt glänzenden Kanonen . . . und schon kauerten die Männer hinter den Schanzkleidern, duckten
sich
neben
die
Stückpforten.
Ein
knapper Befehl -— und sie würden auffliegen . . die Schlünde der Geschütze würden gähnend und todkündend den Gegner anstarren . . .
Jose ließ kein Auge vom ,Lobo', der mit un verminderter
Geschwindigkeit
seinen
Kurs
hielt. „He, Steuermann", schrie Jose über die Schul ter zurück, „komm, streichle unsere geliebte ,Es peranza' und bring sie ran . . . aber so, daß wir unsere
Andenken
genau
ins
Ziel
legen
können. Du weißt schon, mit dem Bug voraus und dann . . . haho, also los!" Das Rad schwenkte herum, der Bug folgte wil lig dem Befehl . . . auf den Rahen hockten wie Affen die Segelgasten. Knatternd toste das schwere Tuch nach unten, blähte sich auf. Knirschend rieben sich die Wanten in den Taljeblöcken. Noch drei Meilen bis zum ,Lobo' — noch zwei Meilen — noch eine . . . und immer noch blieb drüben alles still. Keine Menschenseele war an Bord auszumachen. Jose winkte nach hinten . . . und schon knatter te das Totenkopfbanner im Winde.
„Ninguno soll ruhig sehen, mit wem er es zu tun
hat.
Sonst
Gedanken,
er
kommt wird
er
von
noch
auf
einem
den
Spanier
angegriffen. Aber verdammt komisch ist es schon, daß sie sich drüben so verhalten, als wollten wir Ihnen Guten Tag sagen. Was meinst du, Limpio, was das zu bedeuten h a t , he? ich bin ..." Der Satz erstarb ihm im Munde. Ungläubig starrte er zu der Galeone hinüber. Die ganze Steuerbordseite des ,Lobo' schien in grellen Flammen zu stehen — ein gewaltiger Blitz zuckte über das Meer . . . gleichzeitig stiegen drüben dunkle, brodelnde Rauchwolken auf, die der Wind in Fetzen riß und vor sich hertrieb . . . und dann war ein orgelndes, heulendes Toben in der Luft, als ritten der Satan und seine Trabanten heran. Berstend schlugen die Kugeln dicht neben der ,Esperanza'
ins
Meer.
Wasserfontänen
standen wie Pilze hoch über den Aufbauten des Klippers,
prasselten
nieder,
gischtend,
sprühend . .. weithin wehte der Wind den feinen Wasserstaub. Eine der Kugeln war dicht am Vordersteven in den Schiffsleib gefahren, hatte ein zerfetztes Loch gerissen . .. „Das hat's zu bedeuten", sagte Limpio lako nisch,
nachdem
der
tosende
Lärm
des
Feuerüberfalls sich gelegt hatte. „Kommentar überflüssig,
will
ich
meinen!"
Bedächtig
zwirbelte er seinen stolzen Bart. „Por diablo", stieß Jose ein wenig verdattert hervor. „Dieser Ninguno hat also doch nicht ge schlafen!" Er warf einen wütenden Blick zum ,Lobo' hinüber, während seine Leute ein wildes Geheul anstimmten. In diesem Augenblick pfiff die zweite Breitseite der Galeone heran, aber auch diesmal entstand an Bord des Klippers kein nennenswerter Schaden. Alberto, der Steuermann, hatte mit einem kühnen Manöver der drohenden Gefahr ausweichen können. Die Männer Joses dankten es ihm mit einem freudigen ,Ole'. Der Klipper drehte wie auf einem Teller, neigte sich unter dem dwars
einfallenden Wind weit über, gewann sofort wieder an Fahrt und scherte in weiter Kurve an der Galeone vorbei, die der raschen Wendung der ,Esperanza' so schnell nicht folgen konnte. So verpuffte die dritte Breitseite im Leeren. Acht Wasserfontänen spritzten auf . . . und dann
starrten die Piraten
fassungslos
zu
dem
auf dem ,Lobo'
Klipper
hinüber,
der
plötzlich — direkt auf der Kiellinie ihres eigenen Schiffes — wiederum eine tollkühne Wendung vollzog und nun in direkter Fahrt auf das Heck der Galeone zustrebte. Und dann geschah wieder etwas, was die Kor saren Ningunos in helles Entsetzen geraten ließ. Plötzlich blitzte es l i n k s und rechts am Bug der .Esperanza'
hell
auf,
Pulverqualm
stieg
schwarz in die gleißende Luft . . . ein Sausen und Brausen über ihren Köpfen . . . und der Besanmast des ,Lobo' neigte sich — wie ein Strohhalm geknickt — langsam zur Seite, donnerte
unter
ohrenbetäubendem
über das Hinterkastell.
Krachen
Ein wildes Wutgeheul scholl zu Joses Klipper herüber ... ein triumphierendes ,Ole' war die Antwort. Ninguno stapfte wie ein verwundeter Puma auf der Kampanje hin und her, reckte drohend die Arme, ließ die Peitsche, die er trug, immer wieder klatschend gegen die Schäfte seiner Stiefel
fallen
und
mußte
ohnmächtig
mit
ansehen, wie der feindliche Klipper sich schräg von Heck aus an den ,Lobo' heranschob, ohne daß er etwas dagegen unternehmen konnte. Und wieder schlugen aus den Bugkanonen des Klippers grelle Blitze . . . und wieder schlugen die Kugeln berstend in die Aufbauten seiner Galeone, Tod Schon
wälzten
Verwundeten,
und sich und
Verderben an ihr
Deck
verbreitend. die
Gestöhne
ersten erfüllte
wehleidig die Luft. Ninguno spuckte aus. Tatenlos mußte er mitansehen, wie der Klipper zum Entern ansetzte. Mit einem wilden Satz
stand er neben seinem Rudergast, riß das Rad herum,
daß
die
genommen,
Segel,
aus
dem
sekundenlang
Wind schlaff
herabhingen. Die Galeone lag jetzt mit der Breitseite dem heranstürmenden Feind als breites Ziel vor den Bugkanonen. Ninguno riskierte es, und er hatte Glück. Seine Ge schützmeister hatten den Vorteil, den die Situation sekundenlang bot, sofort erkannt. Noch
schwankte
der
Rumpf
der
Galeone
bedrohlich . . . da heulte aus den Schlünden ihrer Kanonen vielfacher Tod . . . und kaum war die Breitseite abgefeuert, als Ninguno zum zweiten Mal das Steuerruder herumriß. Wieder lagen die beiden kämpfenden Schiffe in Kiellinie hintereinander . . . aber die Entfer nung zwischen ihnen hatte sich erheblich verringert. Nicht mehr als eine Büchsenschußweite trennte sie voneinander. „Fertigmachen zum Entern", überbrüllte Nin-
guno den tosenden Lärm der berstenden Kugeln, das Splittern zerberstenden Holzes . . . Und „Fertigmachen zum Entern", befahl in diesem Augenblick auch Jose Manzanillo. Hoch auf gereckt stand er auf der Reling. Seine Linke um schlang eine frei herabhängende Schote, in seiner
Rechten
blitzte
die
Klinge
seines
Stoßdegens, in der sich die Sonne brach. Hinter ihm, unten im Batteriedeck, in den Wan ten, auf dem Schanzkleid hockten sprungbereit seine Piraten — und dasselbe Bild drüben auf dem ,Lobo' . .. Und dann war der Augenblick gekommen. Die ,Esperanza' stieß ihren breiten Leib, als wolle sie den Gegner rammen, mit heftigem Ruck gegen den ,Lobo'. Knirschend rieben sich die hölzernen Wände aneinander . . . und fast gleichzeitig fraßen sich die Enterhaken in die Relingen . . . von beiden Seiten schleuderten d i e Korsaren die Enterbeile, dirigierten sie an Tauen
.
.
.
Holz
splitterte,
Segeltuch zerriß
mit
widerlichem, schrillem Geräusch . . . und dann wiegten sich auf der leicht anrollenden Dünung dir beiden Korsarenschiffe, eng miteinander verbunden . . . auf Gedeih und Verderb aneinander gefesselt . . . Und wieder wechselte das Glück. Ningunos Männer schwangen sich als erste hin über . . . stießen sich schon ab, als die Enterhaken noch nicht zugepackt hatten . . . und eine der ersten, die das Deck der ,Esperanza' berührten, war Manuela Vadorro! Ihr folgten in
hellen
Scharen
die
Piraten
Ningunos.
Ninguno selbst stand wie ein Feldherr, der die Schlacht dirigiert, auf der Kampanje des ,Lobo', die Arme über der Brust verschränkt, um seinen Mund ein siegesgewisses Lächeln. Er hatte seine gute Laune wieder gefunden. Jetzt gab es für ihn keinen Zweifel mehr am Ausgang des Kampfes. Der gewann, der als erster den Boden des anderen betrat .. . und das war er . . . das heißt, seine Leute . . . und die
würden unter Anführung Manuelas die Waffen nicht eher sinken lassen, als bis der Kampf zu ihren Gunsten entschieden war. Ningunos Augen suchten Manuela, und ein an erkennendes Augen.
Das
Leuchten
glitzerte
Mädchen
war
in
seinen
kühn,
tapfer,
verwegen . . . eine hervorragende Fechterin. Zum Henker, wenn sie auch sonst so toll wäre wie im Kampf . .. bei allen Heiligen, das wäre nicht auszudenken. Ninguno leckte sich genießerisch die Lippen. Unterdes war an Bord der ,Esperanza' der Kampf in vollem Gange. Mit dem Mut der Ver zweifelten warfen sich Joses Männer den wild und gnadenlos kämpfenden Korsaren Ningunos entgegen. Die Enttäuschung, beim Entern den andern nachgehinkt zu sein, hatte so etwas wie eine gelinde Panik unter Joses Männern entfacht, aber als diese sahen, mit welcher
Erbitterung
Jose
selbst und sein
Gefährte Limpio fochten, da kam auch ihnen wieder Mut. In wilden Ausfällen schufen sie
sich Luft . . . und nach zehn Minuten sah es keineswegs mehr so aus, als ob Ningunos Leute die Sieger bleiben würden. Ninguno stand immer noch auf dem ,Lobo'! Sein Gesicht war vor Wut verzerrt. Er hatte gedacht, leichteres Spiel zu haben. Die ,Esperanza' selbst war fast unversehrt ~ die Kugeln des ,Lobo' hatten kaum Schaden angerichtet . . , zumindest war sie voll manövrierfähig, was man vom ,Lobo' wahrhaftigen Gottes nicht gerade behaupten konnte. Der Besanmast war weggefegt, die Aufbauten wiesen arge Zerstörungen auf . .. und es gab da noch mehr, was Ninguno in helle Wut versetzte. Manuela focht mit einer spielerischen Leichtigkeit und einer Eleganz, als trainiere sie auf dem Fechtboden . . . nur so zum Vergnügen. Sie hatte sich mit einem Eifer in den Kampf gestürzt, der Ninguno nicht weniger verwundert hatte. Er konnte nicht wissen, daß Manuela die ganze Verzweiflung der letzten Tage abschütteln wollte . . . zumindest zu vergessen trachtete . . .
Manuela hielt sich drei wütend auf sie eindrin gende Burschen mit tausend Finten und fechterischen Fallen vom Leibe, preschte vor, wich aus, machte rasche, gewandte Ausfälle und haute sich eine Bahn in die Reihen der Verteidiger. Plötzlich verspürte sie einen intensiven Blick in ihrem Nacken, hörte ein leises erstauntes Lachen, das sie erschauern ließ, parierte blitzschnell einen Passato Sotto, tauchte dem Gegner unter dem vorschießenden Arm durch und wandte sich in die Richtung, in der sie das Lachen gehört hatte. Ihre Augen begegneten denen Joses ... und der junge Kapitän nahm sich die Zeit, eine tiefe Verbeugung
vor
ihr
zu
machen,
eine
Höflichkeit, die unter kämpfenden Gegnern nicht gerade üblich war und Manuela derart verwirrt, daß sie den Degen sinken ließ. Und dann rollte das Geschehen blitzschnell ab. Jose stand mit einem Sprung neben ihr, schlang seinen Arm um ihre Taille, hob sie hoch, als sei sie eine Feder und stürmte mit
ihr die Treppe zum Mitteldeck hinunter. Ungeschoren gelangte er in den Niedergang, riß seine Kabinentür auf, stieß Manuela hinein und verriegelte hinter ihr. Manuela war unfähig gewesen, sich zur Wehr zu setzen, so sehr hatte die unerwartete Begeg nung mit dem „Mönch" sie verwirrt. Sekunden später war Jose wieder an Deck. Noch immer umspielte ein Lächeln seinen Mund,
und
der
Gedanke,
dieses
schöne
Mädchen in seine Gewalt gebracht zu haben, beflügelte ihn. Wie ein Löwe warf er sich wieder in den Kampf. Seine Leute begrüßten ihn mit einem donnernden: „Ole, Jose Manzanillo!" „Fahr' zur Hölle, Ninguno!" brüllte er zurück und
stürzte
sich
in
das
Gemenge.
Und
vielstimmig schallte es aus den rauhen Kehlen seiner Piraten: „Fahr' zur Hölle, Ninguno!" Erst jetzt kam es Jose zum Bewußtsein, daß er
den gehaßten Korsarenkapitän noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Wo war Ninguno? Er brauchte nicht lange zu suchen. Eine vor Er regung
heisere
Stimme
übertönte
das
Waffenklirren, ließ für Atemzüge den Kampf erlahmen. Jose warf seinen Kopf herum und — sah ihn. Ninguno stand immer noch auf der Kampanje des ,Lobo' . . . sein Gesicht war verzerrt, seine Augen sprühten Blitze. Auch er hatte jetzt in dem jungen Mann drüben den Mönch von neulich erkannt, und diese Erkenntnis lähmte ihn einerseits wie sie ihn andererseits bis aufs Blut reizte. Aber er war in dieser Stunde machtlos, sich für die erlittene Schmach zu rächen.
Ein
einziger
Blick
in
die
Runde
überzeugte ihn von der Aussichtslosigkeit des Kampfes. Zum Henker, die Reihen seiner Leute hatten sich bedrohlich gelichtet. Und wo war Manuela? Sollte sie etwa . . . verdammt, auch das sollte ihm jetzt gleichgültig sein. So sehr er sie
begehrt hatte, er würde ihr keine Träne nachweinen. Aber den Kampf weiterzuführen war Wahn sinn, heller, nackter Wahnsinn. „Zurück!" brüllte er mit donnernder Stimme. „Sofort!" Seine Leute schienen auf einen solchen Befehl nur gewartet zu haben. In wilden Rudeln lösten sie sich aus dem Gemetzel, das Joses Piraten
unter
anschickten.
ihnen
Und
Kampfbereitschaft
mit
anzurichten letzter
gewannen
sich
tollkühner die
Piraten
Ningunos d i e Reling der ,Esperanza', stürmten zurück an Bord des ,Lobo' . . . und während die letzten
unter
ihnen
noch
Widerstand
leisteten,
kappten
bereits
Entertaue,
stießen
die
hinhaltenden die mit
ersten langen,
eisenbewehrten Stangen gegen den Rumpf der ,Esperanza" . . . Langsam lösten sich die Schiffe voneinander. Jose
schäumte
vor
Wut.
Hochaufgerichtet
stand er auf einer vorspringenden Rüste, in der Linken eine Schote, gerade bereit, sich hinüberzuschwingen. Ein warnender Hinweis Limpios ließ ihn im letzten Augenblick von seinem Vorhaben Abstand nehmen. Hinter ihm krachten belfernd die trockenen Schüsse, die seine Leute aus ihren Musketen und Terzerols den Flüchtigen nachsandten . . . und wie durch einen Schleier sah er, wie seine Geschützmeister die Bedienungen anfeuerten . . . er sah die zuckenden Flämmchen der Lunten, schmeckte den faden, penetranten Pulverseim auf seiner Zunge . . . warf erneut den Kopf herum . . . Der ,Lobo' schwamm schon an die hundert Fuß querab, trieb unter der einfallenden Brise stetig weiter. Jose sah Ninguno, der mit höhnischem Grinsen seine Enttäuschung quittierte. „Du entkommst mir nicht!" schrie Jose zu ihm hinüber. Ein Lachen war die Antwort.
„So hol mich doch, Grünschnabel!"
„Feuer!" brüllte Limpio unten.
Krachend fuhren die Kugeln aus den Rohren,
bohrten begleitet
sich von
in
den
dem
Rumpf
des
,Lobo',
Freudengeheul
seiner
Leute. Und die Entfernung wurde größer. „Fahr' zur Hölle, Ninguno!" Und wieder ein Lachen von drüben. „Sollen wir nachsetzen
und erneut
entern?"
hörte Jose sich von Limpio angesprochen.
Er
schüttelte den Kopf. „Nein, Langer, laß nur! Ein zweites Mal in so kurzer Zeit geht auch über unsere Kräfte. Aber verlaß dich drauf . . . er entwischt uns nicht!" Jose ließ seinen Degen durch die Luft sausen, verließ ohne ein weiteres Wort das Deck. Zähneknirschend sahen die Piraten der ,Espe ranza' die sichere Beute in der Ferne entschwinden. „Fahr' zur Hölle, Ninguno!" Hatte sich was mit dem
,Zur-Hölle-Fahren', wenn ihr Kapitän den fetten Happen so ohne weiteres aus den Fingern ließ. Sie verstanden sein Verhalten nicht . . . aber — zum Henker — er würde seine Gründe haben. „Fahr' zur Hölle, Ninguno!" Bueno, wenn nicht heute — dann morgen . . . oder in ein paar Tagen. Bei allen Heiligen, sie hatten es geschworen! Manuela trommelte wie wild mit den Fäusten gegen die Kabinentür, stieß mit den Füßen gegen die Holzfüllung, rüttelte an der Klinke, rannte dann wieder wie eine gereizte Tigerin, der man das Junge genommen hatte, in dem enges Raum hin und her. Dann näherten sich endlich Schritte auf dem Gang, die Tür flog auf — in ihrem Rahmen stand Jose. Manuela wich bis in die äußerste Ecke zurück, riß den Dolch aus der Schärpe, den er ihr abzu nehmen
vergessen
hatte,
sah
ihn
durchbohrend an, geduckt zum Sprung, bereit, sich auf ihn zu stürzen . . . ohne Rücksicht auf
die Folgen. Jose stand gelassen da, schloß langsam hinter sich die Tür. Auf seinem Gesicht machte sich ein belustigtes Schmunzeln breit, während seine Augen sie anerkennend von oben bis unten musterten. Er pfiff leise durch die Zähne. Irgend etwas in seinem Blick verwirrte sie. Sie sah schnell an sich herunter, entdeckte, was er so anstarrte, und schloß errötend die Bluse, die ihr im Kampf aufgerissen worden war. Er kam langsam näher. „Ihr seid sehr schön, Senorita", sagte er ehrlich, und sie wußte daß er es so meinte — ohne jeden Hintergedanken, aber es ärgerte sie dennoch. „Erspart Euch Eure Komplimente", zischte sie ihn an und mühte sich darum, ein hochnäsiges Gesicht aufzusetzen, was sein Lächeln nur verstärkte. Er ließ sich gemächlich auf der Tischkante nie der, zog zwei Becher heran und füllte sie mit ro tem Wein.
Einen der Becher hielt
er ihr
einladend hin. Sie stand starr, da trank er allein. „Euch zum Willkommen, schöne Dame", erklär te er heiter. Zum Henker, sie war wirklich so schön, wie er nie zuvor eine andere Frau gesehen hatte, und neuerlich spürte er, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Ein verdammter Jammer, daß dieses Frauenzimmer die Geliebte Ningunos war. Wahrscheinlich war sie ebenso blutgierig und grausam wie der verhaßte Feind, wenngleich er es sich nur schwer vorstellen konnte. Ihre Augen hatten etwas Weiches, Zärtliches, auch wenn sie jetzt gefährlich
funkelten
und
eiskalt
schienen.
Wirklich ein Jammer, maledito! „Der Fang, den ich mit Euch gemacht habe, trö stet mich fast darüber hinweg, daß Euer Geliebter - dieser ehrenwerte Kapitän Ninguno — mir entwischt ist! Aber ich kriege ihn noch, seid unbesorgt! Habt Ihr den Kampfruf meiner Leute gehört? ,Fahr' zur Hölle, Ninguno!' Wir pflegen an Bord der .Esperanza' zu halten, was
wir schwören. Por dios, es ist wirklich bedauerlich, daß Ihr die Geliebte dieses Mannes seid, den über kurz oder lang die Haie verspeisen werden." Ihre Augen funkelten böse. „Ich bin keines Mannes Geliebte, merkt Euch das." „Dann gefallt Ihr mir noch besser, als Ihr es ohnehin schon tut", gab er schlagfertig und ga lant zurück. Wieder errötete sie, und wieder är gerte sie sich maßlos. Jose rutschte von der Tischkante herunter, schritt langsam auf sie zu, seine Augen fest und eindringlich in die ihren gebohrt. „Kommt mir nicht zu nahe", zischte sie ihn an. Die Hand mit dem Dolch fuhr hoch, richtete sich direkt auf Joses Herz. „Ich steche Euch nieder!" Jose lachte, schritt unentwegt weiter auf sie zu. „Immer noch kratzbürstig?" fragte er leise. „Ich
erinnere mich, daß Ihr bei unserer ersten Begeg nung
in
der
Kutsche
weit
weniger
angriffslustig wart . . . im Gegenteil!" Ehe sie ausweichen konnte, schleuderte er einen schweren Zinnkrug zielsicher nach dem erhobenen Dolch. Manuela war so verwirrt, daß sie einen Augenblick lang unaufmerksam wurde.
Diesen
Moment
machte
sich
Jose
zunutze. Mit einem langen Satz stand er neben ihr, entwand ihr mühelos die Waffe und schleuderte das glitzernde Ding durch die Luke ins Meer. Seine Hand umspannte ihr Gelenk, mit der an deren umfing er sie an ihren Schultern. Ganz dicht war ihr
vor Scham und
Entrüstung
gerötetes Antlitz vor dem seinen. Er fühlte, wie ihre Nähe ihn betäubte, wie sein Blut schneller in den Adern zu fließen begann. Ihre feuchten, halbgeöffneten Lippen waren verlockend nah. Schon beugte er sich vor, um sie zu küssen, als er die Angst in ihren Augen gewahrte. Da ließ er sie los, flüchtete sich in einen leich
ten Spott. „Keine Angst, mein Täubchen, ich tue dir keine Gewalt an . . . es sei denn: Du bittest mich darum, aber dann wäre es ja keine Gewalt, nicht wahr, meine Schöne", lachte er frech. Er ging zum Tisch zurück. „Aber ich möchte gern wissen, wer du bist!" „Das geht Euch nichts an, denk' ich", entgeg nete sie schnippisch und war ihm gleichzeitig gegen
ihren
Willen
dankbar
für
sein
ehrenhaftes Verhalten. „Oho, mein Täubchen, nicht so dreist!" Barsch fügte er hinzu: „Ihr seid meine Gefangene!" „Bestimmt nicht lange", parierte sie. „Ninguno wird mich befreien!" „Liegt Euch so viel an diesem Ninguno?" Sie schwieg und blickte zu Boden. Dann schüt telte sie ehrlich den schönen Kopf. „Nein", gestand sie aufrichtig, „aber ich will nicht gefangen sein." Sie stampfte mit dem
Fuß auf. Nachdenklich betrachtete Jose sie, wie sie da stand, flammend vor Erregung — unsagbar
schön in ihrem schwarzen, wild
herabhängenden Haar, das unter dem Kopftuch hervorquoll, der schwarzen Bluse, den eng anliegenden Hosen. „Ihr seid ein sonderbares Weib", sagte er stirn runzelnd. „Und Ihr ein sonderbarer Mönch!" Jose lachte schallend auf. „Oh, das kann ich Euch rasch erklären. Ich habe einen guten Gefährten. Ihr kennt ihn — der andere Mönch, dieser lange, freche Kerl mit dem Schnurrbart. Er hat eine Schwäche — die Frauen, und ich muß sagen, wenn ich Euch so ansehe, kann ich ihn begreifen. Ihm hatte ich es zu verdanken, daß die Spanier mich in ihr reizendes Gefängnis in Brozano einsperrten. Limpio — das ist der Lange — hat mich befreit. Wir sind in den Mönchskutten geflohen. Ihr habt uns mitgenommen. Hätte ich damals
schon gewußt,
daß Euer Begleiter Ninguno
ist, Ihr wäret vielleicht heute nicht meine Gefangene." „Was habt
I h r gegen Ninguno?"
fragte
sie scharf. „ I c h hasse ihn. Er ist brutal, grausam — ein Teu fel" „Und Ihr?" Sie sah ihn herausfordernd an. „Ich bin Kapitän dieses Schiffes und freier Kor sar . . . aber nicht von der Sorte eines Ninguno." Er verbeugte sich liebenswürdig. „Ich heiße Jose Manzanillo!" „Ich heiße Manuela Vadorro", gab sie wider w i l l i g zurück. „Ein schöner Name!" „Laßt Eure Schmeicheleien!" Sie wandte ihm Ihren Rücken zu. „Bueno! Ihr werdet Euch noch einmal darüber freuen, Senorita." „Nie!"
Sein siegesgewohntes Lachen ließ sie erneut erröten. „Übrigens dürft Ihr Euch an Bord der ,Espe ranza frei bewegen. Aber macht keine Dumm heiten. Adios, meine Schöne!" Er öffnete die Tür und prallte draußen auf Limpio, der sich mit einem Ruck aufrichtete und s i c h stöhnend den Kopf hielt. Rasch warf Jose die Tür hinter sich zu. „Du hast gelauscht, Bohnenstange?" Der Lange preßte die Hand auf eine mittelgroße Beule, die auf seiner Stirn prangte und zusehends größer wurde. „Ja, zum Henker, hab' ich!" Er begann zu grin sen, neigte sich vertraulich zu seinem Kapitän vor. „Senior, ich sag' Euch, die da drin ist ganz mein Typ! Haienfraß und Dörrfleisch, das ist ein Weib!" Er schnalzte mit den Fingern und ver drehte vor Wonne die Augen. „Hast recht, Limpio", grinste Jose zurück. „Sie ist in der Tat ein Weib." Er senkte die Stimme
und fuhr eindringlich fort: „Aber ich rate dir, amigo . . . laß die Finger davon, oder ich hacke sie dir einzeln ab. Und nun weg mit dir, du ver dammter Schwerenöter! Denk' an Brozano!" Mit hängenden Schultern trollte der lange Kor sar sich. Jose sah ihm schmunzelnd nach.
*
Der ,Alcotan' war eines jener leichtbestückten spanischen zwischen
Kauffahrteischiffe, dem
Mutterland
wie und
sie den
überseeischen Besitzungen der Krone fuhren, eines jener Schiffe, die mehr Wert auf dicke Fracht und gemütlich eingerichtete Kabinen legten, in denen die Reisenden jeden Tag mit klingender Münze aufwiegen mußten, als auf Bestückung. Der ,Alcotan' war mit Gold für Jamaica unter wegs, das er auf der Herfahrt von Spanien auf den Caicos-Inseln geladen hatte.
Kapitän Ramenez war ein alter Seebär und kannte
sich
Karibischen
in
den
Gewässern
See
und
aller
der
benachbarten
Inselgruppen besser aus als in den Zimmern seiner Madrider Stadtwohnung, die er nur selten zu Gesicht bekam, sehr zum Kummer seiner Tochter Cirina, die unter Aufsicht einer entfernten
Tante
und
sozusagen
in
Abwesenheit ihres Vaters zu einem bildschönen achtzehnjährigen Mädchen aufgeblüht war. Die Mutter war lange tot. Diesmal brauchte sie nicht auf die Heimkehr ihres Vaters zu warten — diesmal zählte sie selbst zu den Passagieren der ,Alcotan'. „Nun, mein Liebling", wandte sich Ramenez an seine Tochter. „Nun hat die Ungeduld bald ein Ende. In zwei Tagen spätestens sind wir in Bro zano, und du kannst deinem Ramon selig in die Arme sinken!" Ramon Cardad, ein Offizier im Gefolge des Gouverneurs von Brozano, war der Verlobte der jungen Cirina. Das Mädchen errötete vor Verlegenheit und zog
fröstelnd den weiten Schal enger um die schlan ken Schultern. Seit dem frühen Morgen wogte dicker Nebel über der See. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen, und nur manchmal zerriß die diesige Wand und gab dem Blick weiteren Raum. Auch in diesem Augenblick. „Sieh, Papa", ereiferte sich Cirina, froh, dem Gespräch
eine
andere
Wendung
geben
zu
können. Schau nur, ein Schiff, P a p a . . . und wie dicht es neben uns hersegelt." Der alte Ramenez wandte den Kopf in die Richtung, in die Cirinas ausgestreckte Hand wies . .. und was er da zu sehen bekam, setzte ihn in nicht geringe Verblüffung . . . ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Und ebenso erging es allen an Bord, die das fremde Schiff plötzlich vor sich sahen . . . gespenstisch aufgetaucht aus der Nebelwand. Fast auf Rufweite zog die Galeone an dem ,Al cotan' vorbei, aber nicht das Schiff selbst war es,
was an Bord des spanischen Handelsfahrers nahezu eine Panik auslöste . . . sondern ein Stück Tuch . . . schwarz mit einem weißen Totenkopf,
der
höhnisch
seine
Zähne
zu
blecken schien. „Piraten!" gellte es über Deck, und wie gebannt hingen aller Augen an dem Korsarenschiff. . . . schreckerfüllt starrten alle hinüber, unfähig, sich
zu
irgendeiner
Abwehrmaßnahme
zu
entschließen . . . aber derer bedurfte es auch gar nicht, wenngleich das die Spanier nicht wissen konnten. Und so sahen sie zu ihrer Verwunderung, wie der Korsar an ihnen vorüberzog, ohne sich um sie zu kümmern... so, als hätte er den Kauffahrer überhaupt nicht bemerkt. Das schien ein Wunder! Ramenez konnte es sich nicht anders erklären. Betroffen starrte er dem Piratenschiff nach, das jetzt — ebenso spuk haft, wie es erschienen — wieder in den dunsti gen Nebelschwaden untertauchte.
Bei allen Heiligen, ein Wunder! Es war alles andere als dies, nichts von Wundern. Ninguno hielt nichts von Wundern. Mit zusammengekniffenen Lippen stand er ne ben dem zerfetzten Besanmast. . . das heißt, neben dem "widerlichen Stumpf, der davon übrig geblieben war, und starrte wütend, mit bleichen Lippen und geballten Fäusten zu dem Spanier hinüber, der stolz und seetüchtig an seinem ,Lobo' vorbeizog und wieder im Nebel untertauchte. Por diablo und beim Bocksfuß des Satans, eine solch leichte Beute — und er mußte untätig zu sehen, wie sie ihm durch die Lappen ging — viel leicht, um anschließend diesem verteufelten Mönchsbraten
und
seiner
vermaledeiten
.Esperanza' vor die Rohre zu kommen. Verdammt — er hatte eine Pechsträhne! Und dann dieser Streich mit Manuela, von der er erst angenommen hatte, sie sei im Kampf ums Leben gekommen. Später hatte er erfahren müssen,
daß dieser fremde Korsar sie ganz einfach geraubt und gefangengesetzt hatte. Beim Teufel! Er hatte sich geschworen, diese Scharte auszuwetzen . . hatte sich geschworen, die Schmach, die ihm dieser verfluchte Mönch, den er deutlich erkannt hatte, versetzt, wieder wettzumachen . . . hatte sich geschworen, keine Mühe zu scheuen, diesen verfluchten Hund zu strafen, ihn gevierteilt, gerädert, zerhackt den Haien vorzuwerfen. Und dann noch dieser kaum bewaffnete Spa n i e r , ein Fang, wie er nur selten zu machen war . . . und er — Ninguno, der gefürchtetste Korsar, der Karibischen See — mußte ihn ziehen lassen, weil der verdammte Mönch ihm die Masten zerschossen hatte, klaffende Löcher in den Rumpf gerissen und fast ein Drittel seiner Leute erledigt hatte. Por diablo! Er würde sich rächen — und wie! In vierzehn Tagen könnte der Schaden am Schiff behoben sein, und dann Gnade Gott diesem
Halunken! Er würde ihn finden, und sollte er den Erdball
umsegeln,
maledito,
das
würde
er!
Ningunos Gesicht verfinsterte sich immer mehr. Der Nebel legte sich schwer und feucht auf das Schiff, drang durch die Kleider und ließ ihn frö steln. Plötzlich brach er in ein schauerliches Ge lächter aus, das weithin übers Meer wogte, dessen Wellen dumpf brandend gegen den ,Lobo' schlu gen. Wie hatte dieser Hund geschrien? „Fahr zur Hölle, Ninguno!" Hahahaha —du wirst zur Hölle fahren, amigo! Auf dem ,Alcotan' konnte man das Glück kaum fassen, und Kapitän Ramenez, ein frommer, got tesfürchtiger Mann, faltete die Hände und sandte ein Dankgebet zum Himmel . . . ein wenig vor eilig, wie er bald erkennen sollte. Kaum eine Stunde, seit der Korsar so gespenstisch aufgetaucht und wieder verschwunden war, lichtete sich der Nebel. Die Sonne brach durch. In den Dunstschleiern klafften große Löcher . . . immer
weiter wurde der Blick aufs offene Meer. Und wieder war es Cirina Ramenez, die ihren Vater auf etwas aufmerksam machte, das den alten Seefahrer erneut in hellen Schreck versetzte ... und wieder war es ein Schiff... Und wieder wehte im Top ein schwarzes Ban ner,
auf
dem
grellweiß
ein
Totenkopf
leuchtete. „Endlich Ruhm", seufzte Limpio selig, als er den spanischen Kauffahrer entdeckte. „Por dios, es wird auch höchste Zeit. He, Senor Capitan, ich verwette mein Seelenheil. . . " „Das du längst nicht mehr besitzt", unterbrach ihn Jose gutgelaunt, dabei kein Auge von dem Kauffahrer lassend. „Alcotan", buchstabierte er den Namen am Bug des Handelsschiffes. „Scherzt nicht, Senior", entrüstete sich der Lan ge. „Jedenfalls wette ich, daß es ein lohnendes Fressen sein wird. Das sieht man dem dicken Bauch des Seglers doch an. Ich will bis in meine alten Tage nur noch von faulem Dörrfleisch
leben, wenn ich nicht recht habe. Haltet ihr die Wette?" „Red' nicht so viel, Bambusrohr! Los, runter mit dir
ins
Batteriedeck.
Befehl
an
die
Geschützmeister. Eine volle Breitseite, aber schön um den Bug verteilt. Wenn auch nur eine Kugel auf Deck aufschlägt,
dann
hagelt's
Prügel! Geschossen wird erst, wenn ich's befehle, verstanden?!" „Ich bin ja nicht taub, Senor Capitan!" Die ,Esperanza' kam rasch näher — eine Meile, e i n e halbe, eine Viertelmeile. Die beiden Schiffe lagen jetzt auf gleichem Kurs, segelten auf glei cher Höhe nebeneinander her. „Feuer!" schrie Jose. Donnernd fuhren die Kugeln aus den Rohren, orgelten dumpf über das Wasser und legten, sauber abgezirkelt, einen Sperrgürtel direkt vor den Bug des Kauffahrers. Sekunden später ging drüben am Royal die weiße Fahne hoch. „Das nenn' ich Anstand", grunzte Limpio aner
kennend. „Die Herren wissen, was sich gehört, por dios. Wenn sie nun auch beim Verteilen der Fracht so manierlich sind, so will ich in meiner letzten Stunde, die ich auf diesem Erdball verbrin ge, ihrer in einem Gebet gedenken." Jose lachte . . . wandte sich und begab sich in Manuelas Kabine. Cirina drängte sich ängstlich an ihren Vater. Sie zitterte am ganzen Leibe und starrte mit vor Schreck weit
aufgerissenen
Augen
zu
dem
Klipper
hinüber, der jetzt ganz nahe herangekommen war und in wenig mehr als sechzig Fuß backbords lag. Auf dem Korsaren wurde gerade ein
Dingi
abgefiert, das wie eine Nußschale auf den Wogen tanzte. Kurz darauf kletterten über eine aus geworfene Jakobsleiter vier Personen in das kleine Beiboot — dann noch mal vier. Atemlos, bebend vor Erregung verfolgten Cirina, ihr Vater, die Passagiere und die Männer der Besatzung das weitere. Deutlich hörten sie das antreibende ,Pull! Pull!' des Bootsmannes... sie hörten das lederne Knirschen der Riemen . . . sa
hen, wie die Ruderer sich weit auf ihren Duchten zurücklegten. Das Boot kam rasch näher?. Im Bug stand ein schlanker, hochgewachsener Mann, angetan mit der romantisch verwegenen Kleidung der Freibeuter. Cirina umklammerte noch fester den Arm ih res Vaters. Der Alte hatte Angst — nicht um sich oder sein Schiff . . . um seine Tochter, einzig um
sie. Beruhigend
streichelte
er ihr die
fieberheiße Wange. „Geh nach unten, mein Kind! Es wird schon nicht so schlimm werden!" Se nickte und wider sprach nicht. Dann wandte Kapitän Ramenez sich an die übrigen Passagiere, die sich scheu und furchtsam mittschiffs zusammendrängten. „Senoras — Caballeros", sagte er mit fester Stimme. „Auch Euch möchte ich bitten, die Kabinen aufzusuchen." Er sah ihren Gesichtern an,
daß
sie
nicht
willens
waren,
seinem
Wunsche zu entsprechen. „Ich befehle es Euch",
fügte er hart hinzu und winkte einigen seiner Matrosen, die die aufgescheuchten Reisenden unnachgiebig,
wenn
auch
höflich,
zum
Niedergang drängten. Capitan Ramenez trat zur Reling. Sein hage res, faltiges Gesicht straffte sich. Er zog seinen blauen
Rock
pelzverbrämten
zurecht, Dreispitz,
rückte
an
zog
nervös
dem an
seinem Spitzenjabot. Das Beiboot war jetzt bis auf drei Schritt her angekommen. Ramenez ließ eine Jakobsleiter niederfallen. Gleich darauf ergriff Jose die Leiter und schwang sich als erster an Bord des ,Alcotan'. . . hinter ihm stürmten Limpio und die anderen herauf. Als letzte betrat Manuela Vadorro
den
Kauffahrer.
Jose
hatte
sie
aufgefordert, mitzukommen. Sie war neugierig und hatte zugesagt, insgeheim von der Hoffnung beseelt, vielleicht einen Weg finden zu können, der aus der vermaledeiten Ka bine auf der .Esperanza' in die Freiheit führen könnte.
Kapitän Ramenez ging seinen ungebetenen Gästen würdevoll und aufrecht entgegen, verneigte sich leicht und stand abwartend da, ohne ein Wort des Willkomms oder des Grußes gesagt zu haben. Jose lächelte verbindlich. Er hatte nichts anderes erwartet. Lässig machte auch er die Andeutung einer Verbeugung. Dann ging er ohne Umschweife auf sein Ziel los. Flüchtig und kaum interessiert ließ er seine Augen über das Deck des Spaniers schweifen, er haschte die haßerfüllten Blicke der Matrosen, in deren Augen gleichzeitig eine wilde Angst flak kerte. Und Jose lächelte noch mehr. „Ihr seid in unserer Gewalt, Capitan, das wißt Ihr", sprach er Ramenez an. Der Alte bewegte sich nicht. „Ihr braucht keine Angst zu haben. Wir sind keine Unmenschen, auch wenn wir aller Bür gerlichkeit abgeschworen haben und Korsaren ge worden sind. Nachdem wir uns — in ein paar Stunden getrennt haben werden — könnt Ihr Eure Fahrt fortsetzen. Wohin seid Ihr unterwegs, Senor?"
Der alte Ramenez lauschte dem Klang dieser sympathischen Stimme nach. Nur eines hatte er deutlich in sich aufgenommen. Wenn wir uns ge trennt haben werden, könnt Ihr Eure Fahrt fort setzen!' Hieß das, daß diese Piraten . . .? Es war nicht auszudenken. So antwortete er rasch: „Der .Alcotan' segelt nach Brozano, Senor!" Jose und der lange Limpio wechselten ein bezie hungsvolles Grinsen. Brozano! „Und was habt Ihr geladen, Senor . . .?" „Ramenez", half der Spanier nicht unfreundlich. Bloß nicht diese Banditen reizen, schoß, es ihm durch den Sinn. „Kapitän Ramenez, Senor." „Bueno, und was habt Ihr also geladen? Nun? Nur heraus mit der Sprache. Ihr erspart uns die Mühe, den
ganzen
Bauch
Eures
Sardinenfängers
durchstöbern zu müssen, was wir täten! Also ist es einfacher für beide Seiten, wenn Ihr mir nichts vormacht." Der Alte druckste herum. Es war ja doch gleichgültig, beim Satan . . . wenn nur seinem Kinde nichts geschah.
„Ausrüstungsgegenstände für die Garnison in Brozano, Senor! Außerdem reisen einige Passa giere mit. Dann Postsäcke .. . einen ganzen Hau fen, meist für die Soldaten der Kolonialtruppe. Ein paar Fässer südspanischer Weine." „Das ist alles?" Jose bohrte seine Augen in die des spanischen Kapitäns. Der schlug den Blick nieder. „Ihr habt noch 'was an Bord", schoß Jose vor. ,;Nun los, por diablo, ich habe keine Lust, mich mit Euch in ein langes Palaver einzulassen. Was ist es?" Noch ehe er eine Antwort erhielt, wandte er sich zu seinen Begleitern um. „Limpio, nimm dir die Kerls und durchsuche die Kielräume. «Der alte Knacker hat seine Sprache verloren." Ramenez dachte nur an seine Tochter. Man würde sie finden . . . und dann . . . ? Der Anblick der verwegen aussehenden Piraten ließ ihn nichts Gu tes erwarten. „Gold!" stieß er heftig hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Jose und Limpio pfiffen durch die Zähne.
„So, so . . . Gold. Paßt auf, Capitan, mit uns kann
man
reden.
Wir
sind
keine
Halsabschneider. Ich sagte schon, Ihr könnt getrost Euren Weg fortsetzen, wenn Ihr auf meinen
Vorschlag
eingeht:
Ihr
gebt
nur
freiwillig ein Drittel Eurer Ladung." Jose hatte es
leichthin
gesagt,
immer
noch
das
verbindliche Lächeln auf seinen tiefbraunen Zügen. Der Alte kam aus dem Staunen nicht mehr her aus . . . und noch jemand glaubte zu träumen: Manuela. Fassungslos hatte sie dem Gespräch Joses mit dem Spanier gelauscht. Ein Drittel verlangte dieser Trottel, es war zum Lachen! Und so was nannte sich Korsar . . . ging hin und machte seinen Kaperopfern Vorschlage. Ein Drittel. . . hahahaha, wo er das Ganze haben konnte. War der Kerl verrückt? Sie stellte sich Ninguno in dieser Situation vor, versuchte
sich
auszumalen,
welche
Figur
Ninguno abgeben würde, wenn er — wie Jose —
mit
dem
Kapitän
eines
aufgebrachten
Kauffahrers in Verhandlungen kostbare Zeit um die Ohren schlüge. Einfach lächerlich! Ninguno hätte dem ,Alcotan' ein paar Breitseiten in den Rumpf gedonnert und anschließend mit wildem Geheul
das
Schiff
geentert.
.
.
geraubt,
gemordet, geplündert. . brutal, rücksichtslos, grausam . . . hätte alles niedergemacht, ohne sich von
diesen
Spaniern
erst
„Buenos
Dias"
wünschen zu lassen. Gewiß — das war nicht nach ihrem Geschmack gewesen — und sie hatte Ninguno gehaßt... aber — beim Satan — sie war selbst eine Korsarin reinsten Wassers . . . und sie kannte es nicht anders, als daß man sich nahm, was einem der Zufall bescherte. Das jedenfalls, was sie hier mitkriegte — das schlug dem Faß kurzerhand den Boden aus. Ver handeln — hoho! Jose Manzanillo mußte in der Tat ein Irrer sein . . . und ein Drittel verlan gen, ein lächerliches Drittel. Oh, es war zum Ausspeien! Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre schönen
Lippen. Jose sah es, gab dieses Lächeln zurück. „Ihr wundert Euch, meine Schöne", flüsterte er ihr ins Ohr. „Ich sagte Euch ja schon: Auf der ,Esperanza' herrschen andere Sitten, und diese Gebräuche scheinen mir nicht die dümmsten zu sein. Vergeßt nicht, daß ein Schiff, das man segeln laßt, über kurz oder lang den gleichen Weg zurücknimmt. Und dann pflegt sein Bauch wieder bis an Deck voll gepfropft zu sein.
Ein
Drittel
ist
nicht
viel.
.
.
aber
regelmäßig ein Drittel. . . das macht viele Drittel. . und wahrscheinlich mehr, als Euer Galan
Ninguno
sammenkratzen
je
in
kann.
seinem Versteht
Leben Ihr
zu
jetzt?
Außerdem erzeugt freundliches Benehmen . . . na, ja, freundliches Benehmen, und jeder, dem ich so generös entgegengekommen bin, gibt beim nächsten Mal genau so gern." Er hatte ihr das alles rasch ins Ohr geflüstert. Jetzt brachte er seinen Mund ganz nahe an ihren Hals heran und küßte sie flüchtig. Über soviel Dreistigkeit war sie fassungslos. Gleichzeitig
empfand sie ein seltsam berauschendes Gefühl. Sie schloß sekundenlang die Augen, lächelte, ohne es zu wollen . . . und zu ihrem eigenen Erstaunen fand sie die Methode, mit der Jose seine Beute einbrachte, auf einmal gar nicht so verrückt. Jose ließ sie einfach stehen, wandte sich wieder Kapitän Ramenez zu. „Nun, Senor, was haltet Ihr von meinem Vor schlag?" Der junge Korsar zog wie unbewußt sein Dolchmesser und drehte es spielerisch, wobei er gewissenhaft und mit ungeteilter Aufmerksamkeit die Schärfe der Klinge zu prüfen begann. Der alte Ramenez sah es mit Entsetzen. Limpio lachte still in sich hinein — er
kannte
diesen
plumpen
Trick
seines
Kapitäns. „Das ist doch kein Vorschlag, Senor", nahm sich Ramenez den Mut, zu entgegnen, „das ist eine Forderung!" „Nennt es, wie immer Ihr wollt!" Jose verlor
nicht einen Augenblick se i n Lächeln. „Also abge macht: ein Drittel!" „Ich bin in Eurer Gewalt!" resignierte Ramenez. „Vergeßt nicht, daß ich Euch alles nehmen könnte. Ihr verkennt die Situation völlig, mein Lieber!" Ramenez schickte sich in das Unver meidliche. Wieder wenig später lagen die beiden Schiffe eng vertäut Seite an Seite. Auf beiden Decks herrschte
ein
Lukendeckel
emsiges der
Treiben
.
Laderäume
.
.
die
waren
sperrangelweit offen . . . in langer Kette standen Joses Leute . . . in rascher Folge tauchten auf dein .Alcotan` Ballen und Ki sten und Fässer auf, gingen von Hand zu Hand und verschwanden in den Kielräumen der ,Espe ranza'. Manuela saß rittlings auf der Brüstung der Kampanje und verfolgte die Arbeit. Drüben auf dem Spanier kontrollierten Jose und Limpio den reibungslosen und korrekten Verlauf der Über nahme. Kein lautes Wort ertönte . . . nur das Keu
chen der Lasten schleppenden Piraten erfüllte die flimmernde Luft. Keiner der Spanier wurde von den Korsaren belästigt. . . und so kam es sogar so weit, daß die Matrosen des ,Alcotan' selbst mit Hand anlegten . . . sei es, um möglichst rasch die Geschichte zu erledigen . . . oder aus weiß der Teufel welchem Grunde. So etwas hatte die schöne Manuela noch nicht erlebt. Immer wieder glitten ihre Blicke zu der kraftvollen, wohltrainierten Gestalt Joses hin über, der ruhig und lächelnd seine Anweisungen erteilte . . . und wieder war da in ihrem Herzen dieses seltsame Gefühl, das sie nun schon zum wiederholten Male empfand. Sie mußte sich — wenn auch jetzt noch widerwillig — eingestehen, daß ihr Joses Vorgehen nicht wenig imponierte . . . und wieder verglich sie den jungen, edlen Mann mit dem grausamen hem mungslosen Ninguno. Daß Jose Manzanillo in der Beurteilung besser davonkam, verwunderte sie nun schon nicht mehr. Ramenez sah mit einem lachenden und einem
weinenden Auge, wie der Rumpf seines Schiffes sich leerte. Dies war fürwahr ein schwarzer Tag . . aber dennoch dankte er dem Himmel, einem sol len, fast ritterlichen Korsaren in die Hände ge fallen zu sein. Por dios, das würde ihm kein Mensch
glauben.
Zum
Henker
mit
dem
verdammten Drittel! Er kam mit einem blauen Auge davon . . . und die Hauptsache war, seiner geliebten Cirina geschah nichts. Das war es, was er am meisten befürchtet hatte. Man hatte schließlich Dinge gehört, die . . . nur nicht daran denken. Jose sah Limpio über die Schulter. Der Lange markierte jeden Sack, jeden Ballen, jede Kiste und jedes Faß mit einem Strich auf einem Fetzen Papier. „Wir haben's bald", grinste der Lange. „Bueno!" gab Jose das Grinsen zurück. „Da hast du also deinen langersehnten Wein. — He, Rosso", unterbrach er sich und steuerte auf einen riesenhaften Mann zu, der schwerfällig daher tapste und eine lange Kiste auf der Schulter ba
lancierte. „Zum Teufel, was ist in diesem Sarg, Rosso? Hast du Blei geladen? Warum läßt du dir nicht von einem der anderen helfen, he? Trottel . . . eine solche Riesenkiste allein in der Gegend herumzuschleppen. Was ist da drin?" „Keine Ahnung, Senor Capitan, der Superkargo hat
sie
mir
ausgehändigt.
Und
was
das
anbetrifft, daß sie zu schwer sein soll . . . nee, Capitan, dem Rosso ist nicht zu schwer." Er grinste stolz vor sich hin. Der Riese stellte sich dumm. „Also los, rüber mit dem Ungetüm!" Rosso
schob
sichtlich
erleichtert
weiter,
kletterte über die Reling und tauchte drüben auf der ,Esperanza' unter.
„So, Capitan Ramenez, muchas Gracias, Ihr seid ein gefälliger Mann, und wenn i h r
nach
Brozano kommt, so bestellt dem Gouverneur und
vor
all e m
Oberst
de Funchal
einen
schönen Gruß von Jose Manzanillo. Und noch was .
.
wenn
Ihr
einen
Hauptmann
der
Musketiere trefft, der eine wohl drei Zoll lange
Narbe quer übers Kinn t r ä g t . . . sagt ihm, die Mönche
damals
seien
genau
diejenigen
gewesen, die er gesucht hatte. Er wird Euch schon verstehen. Und nichts für ungut wegen der Belästigung, Senor! Aber auch wir Korsaren müssen leben. Adios!" Jose schwang sich auf die ,Esperanza` zurück — die
Taue
stemmten
fielen...
auf
beiden
Seiten
die Mannschaften lange Stangen
gegen die hölzernen Schiffsleiber. Die beiden Segler
lösten
sich
voneinander
....
die
Entfernung wurde rasch größer . . . schon lag eine halbe Meile zwischen ihnen. Hüben wie drüben wurden zusätzliche Segel gesetzt . . und in rascher Fahrt strebten der ,Alcotan' und die ,Esperanza' auseinander. -------------------------------------------------------------
Kapitän Ramenez wandte den Blick erst von dem Korsarenklipper, als Joses Schiff nur noch e i n
dunkler, verwaschener Punkt am
Horizont war. Er konnte es im Grunde noch immer nicht fas sen. War es nicht etwa doch ein Wunder? Und er verschränkte er die Hände... und zum zweiten Male dankte er dem Himmel für den gu ten Ausgang. Die Herren in Brozano sollten froh sein, wenn er
nicht mit leerem Rumpf
oder vielleicht überhaupt nicht ankam. Cirina! Das Mädchen, seine geliebte Tochter . . . sie war gerettet! Was gab es Wichtigeres? Eilig begab er sich nach unten, durchmaß mit langen Schritten den Niedergang, stieß die Tür zu Cirinas Kabine auf, sah sich suchend um. Die Kabine war leer. „Cirina!" gellte sein Ruf durch den engen Raum, brach sich dumpf an den holzgetäfelten Wänden. Cirina blieb unauffindbar. .. obwohl er das ganze Schiff auf den Kopf stellte. Kapitän Ramenez wurde fast wahnsinnig und fluchte dem Himmel, den er eben noch gepriesen hatte ...
An diesem Abend gab es an Bord der ,Esperanza' seit langer Zeit mal wieder ein Fest. Das verlangte das Gesetz der Korsaren so. Jede Beute, kaum verteilt und den einzelnen Leuten zugesprochen, wollte begossen werden. Der Wein floß in Strömen, die Stimmung war ausgelassen . . . der Taumel der Siegesfeier hatte die Korsaren Jose Manzanillos gepackt. Unter Deck tobte ein gewaltiger Lärm, und der Rudergast oben beneidete seine Kameraden und freute sich auf die Ablösung. Das Meer lag spie gelglatt — der Himmel flimmerte von dem Ge funkel der Abermillionen Sterne. Direkt über dem Bug des Klippers stand das Kreuz des Südens. Gurgelnd brach sich die Dünung an den hölzernen Planken des Schiffes, gluckerte im Rudergestänge . . . die Positionslaternen im Bug und im Heck schaukelten
leise
und
rhythmisch im Schlag der sanft anbrandenden Wogen. In den Wanten säuselte der milde Nachtwind . ..
Manuela hatte es abgelehnt, an der Siegesfeier teilzunehmen. Das schöne Mädchen saß mit an gezogenen Knien auf dem Sims des Fensters und starrte gedankenverloren über das schwarz blau-glänzende Meer. Und wieder ertappte sie sich
dabei,
daß
ihre
Gedanken
um
Jose
Manzanillo kreisten. Ein Geräusch in ihrem Rücken ließ sie in die Ge genwart zurückfinden. Sie wandte den Kopf und erkannte den, an den sie eben noch gedacht hatte. Jose trat ein und schloß hinter sich die Tür.
Das
Eisenhaken
kleine an
Öllicht, der
einen
das
in
einem
Kabinenwand
baumelte, warf bizarre Schatten über den Tisch und die zwei Schemel, lag gedämpft auf dem Lager in der Ecke. „ I h r seid es?" Manuela rutschte von ihrem lufti gen Sitz herunter. „Warum seid Ihr
nicht
bei
Euren Leuten?" „Ich war bei ihnen. Da verspürte ich den Wunsch, Euch ein wenig Gesellschaft zu leisten.
Natürlich nur, wenn es Euch recht ist. Ich stelle es mir nett vor, mit Euch gemeinsam eine Flasche Wein zu trinken." „Ihr seid recht romantisch veranlagt, Capitan", spöttelte sie und betrachtete aufmerksam sein lächelndes Gesicht, auf dem jetzt voll der Schein des Mondes lag. „Ihr sein überhaupt sehr seltsam . . . viel zu nachgiebig für einen echten Korsaren, wie mir scheint. . . und . . ." „ . . . u n d deshalb nicht weniger erfolgreich als Euer Ninguno", warf er dazwischen. Ihre Augen verdüsterten sich. „Warum sprecht Ihr immer wieder von Ningu no?" ereiferte sie sich und wandte ihm wieder den Rücken zu. „Ihr sehnt Euch doch so nach ihm . . . und da wollte ich Euch gefällig sein; deshalb spreche ich von ihm. Ihr könnt es sicherlich kaum erwarten, daß er Euch hier herausholt, wie?" Sie schwieg und gewahrte zu ihrem Erstaunen, wie ein schmerzhafter Stich ihr Herz traf.
„Ich habe Euch etwas gebracht", fuhr Jose leise fort, und sie hörte, wie er sich ihr näherte. Ihr Atem ging plötzlich rascher, ihre Pulse flogen . . . und
da
war
wieder
diese
eigenartige
Beklemmung. „So . . .", entgegnete sie mit belegter Stimme. „Wollt Ihr es nicht sehen?" Sie fühlte jetzt sei nen
Atem
unbeweglich Manuela,
in
ihrem
Nacken.
und
schloß
was bist
du
die für
Sie Augen.
ein
stand Oh,
verliebtes,
sentimentales Gänschen, schalt sie sich. Als Jose nach ihren Armen griff und sie sanft, aber bestimmt zu sich herumdrehte, erschauerte sie leise. „Doch, natürlich will ich es sehen. Was ist es denn?" Er hielt es ihr hin . . . eine schwergoldene, bril lantenbesetzte Kette, die im Licht der Sterne funkelte und gleißte. „Es ist für Euch, und ich will nicht hoffen, daß Ihr es ablehnt. Ein kleines Gastgeschenk,
wenn Ihr so wollt, und ein Zeichen, daß ich Euch gern an Bord der ,Esperanza' sehe . . . " „Soll das heißen, daß Ihr. . ." Sie schwieg ver legen. Dann hob sie die Augen zu ihm auf und lächelte ihn an. . . vielsagend, verheißungsvoll, betörend . . . und Jose fühlte, wie ihm warm ums Herz wurde, wie seine Sinne sich zu verwirren begannen. Erregt starrte er sie an, sah ihren leicht geöffneten Mund, die blitzenden, dunklen Augen, verspürte den betörenden Duft ihrer Nähe. Schon hob er die Arme, um sie an sich zu reißen, da . . . „Hilfe! Hilfe! Hilfe!" Gellend fiel der angster f ü l l t e Schrei in die kleine Kabine, zerriß die ver träumte Stimmung, der die beiden jungen Men sch e n
fast
erlegen
wären,
wie
einen
schmutzigen Fetzen Leinen. Und wieder stand dieser irrsinnige, klagende, furchtbare Schrei in der Nacht. „ Hilfe . . . Hil. . ." Dann erstarb er, röchelnd . . wie abgerissen.
J o s e war mit einem Sprung an der Tür, riß sie a u f , lauschte den Gang hinunter. Von oben und aus dem Mannschaftsraum schallte das lärmende, ausgelassene Singen der Männer zu ihm herüber. Der Schrei mußte von links gekommen sein. Dort, am En d e des Niedergangs, lag ein wenig benutztes Kabelgatt. Eine unbestimmte Ahnung sagte ihm, daß dort. .. Ein Geräusch wurde laut, ein Poltern, Rumoren, das Scharren von Füßen, so . . . als ob dort zwei miteinander kämpften. Dann kamen von rechts laufende Schritte. Es war Limpio, der mit seiner langen Gestalt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, um nicht an die niedrige Decke zu stoßen, dahergestürmt kam. „Los, mir nach, Langer!" kommandierte Jose, sah im Umwenden Manuelas schönes Gesicht se kundenlang in der Türöffnung erscheinen und rannte den Gang hinunter. Blitzartig zuckten die Gedanken durch sein
Hirn. Da hatte eine Frauenstimme um Hilfe gerufen . . . daran gab es kernen Zweifel! Wie aber kam ein Frau auf die ,Esperanza? Dann war er schon vor der Tür zum Kabelgatt angelangt. Er beugte sich nieder, lauschte. Neben ihm preßte Limpio sein Ohr an die Füllung. Stille — unheimliche, lastende, unheilschwangere Stille . . . dann wieder das wilde Keuchen einer rauhen Männerstimme . . . unterdrücktes Stöhnen . . . ein weher, langezogener Seufzer, ein Schluchzen, das Jose durch Mark und Bein drang . . . dann wieder Lärmen, umstürzende Kisten . . . scharrende Füße .. . Verdammt, da war eine Schweinerei im Gange. „Halt dein Terzerol bereit, Limpio", stieß er atemlos hervor. „Und schieß . . . ohne Rücksicht, wenn du es für notwendig hältst." Jose drückte langsam den Türgriff nieder, stieß die Tür mit einem ungestümen Ruck auf und sprang zur Seite. Das Lärmen im Kabelgatt
hörte augenblicklich auf. Stattdessen erhob sich wieder die Stimme der Frau. „Bei allen Heiligen — Hilfe!" drang es an Joses und
Limpios
Ohr.
Die
beiden
Gefährten
wechselten einen raschen Blick — und wie auf Kommando stürmten sie hintereinander durch die schmale Tür. Das, was sie hier erblickten, erzeugte in Jose eine maßlose Wut. Eine wilde Erregung ergriff von ihm Besitz, seine Augen verdunkelten sich gefährlich, schossen lodernde, zornige Blitze, seine Lippen waren nur noch ein einziger schmaler Strich. „Du Hund", brüllte Jose los, „du verdammtes viehisches Scheusal." Seine Blicke schienen Rosso wie Pfeile durchbohren zu wollen. Der Pirat rappelte sich von den Taurollen hoch, reckte seine mächtige Gestalt und sah seinen Kapitän herausfordernd an. Jose platzte fast vor Entrüstung. . . er war außer sich, und ehe er sich besann, warf er sich auf den Piraten und
stieß ihm, besinnungslos vor Zorn, die Faust mitten
ins
Gesicht...
einmal,
zweimal,
dreimal... immer wieder. Rosso taumelte unter den unheimlichen Schlä gen zurück, ruderte mit den Armen hilflos in der Luft herum, stolperte im Rückwärtsfallen über eine Rolle Tampen und schlug schwer nieder. Sein
mächtiger
kantiger
Schädel
krachte
donnernd gegen die Planken. Aus seiner Nase schoß ein heller Blutstrahl, ergoß sich über seine
behaarte
Brust,
über
der
das
Hemd
halbzerrissen weit offen stand. Jose strich sich die Haare aus der Stirn, wischte sich mit der Hand über das ganze Gesicht. Sein Blick begegnete den Augen Limpios. Der Lange stand gegen den Türrahmen gelehnt und starrte mit weitaufgerissenen, erstaunten Augen auf das junge Mädchen, das wie leblos auf dem Boden lag . . . das Kleid weit aufgerissen, die Bluse in Stücke zerfetzt. . . wehrlos hingestreckt, bewe gungslos, ohnmächtig ... Jose folgte den Augen Limpios, und der Anblick
des mißhandelten jungen Geschöpfes ließ erneut eine
unbändige
Wut
gegen
Rosso
in
ihm
aufsteigen. „Oh, dieses verdammte Schwein", stöhnte er. Noch einmal glitten seine Blicke über den .Körper des jungen Mädchens, das leise vor sich hinwimmerte, dann riß er eine Lage Persenning von einem Haken und bedeckte die Blöße des Mädchens. „Ich glaube, wir sind gerade rechtzeitig gekom men", versuchte Limpio seinen Kapitän zu trösten. Eine solche Sauerei auf der ,Esperanza' . . . maledito und
tausendmal
maledito!
Dieser
Rosso
ist
wirklich ein Vieh, por diablo!" Jose beugte sich über das Mädchen, strich ihr die zerzausten Haare aus der Stirn. Jetzt erst sah er, wie schön sie war. Ein zauberhaftes, liebliches Geschöpf! Aber wer war sie . . . und wie kam sie an Bord der ,Esperanza'? Man sah ihr an, daß sie aus gutem Hause stammte — sie war jung, schrecklich, beneidenswert
jung,
und
die
Unschuld
und
Unberührtheit standen ihr in dem hübschen Antlitz geschrieben.
Ein Geräusch in der Ecke, in der Rosso lag, lenkte seine Aufmerksamkeit von ihr ab. Der herkulische Korsar begann sich zu regen . . . leise stöhnend warf er sich in seiner verebbenden Ohnmacht hin und her, faßte trunken und völlig benommen mit einer seiner riesigen, dreckigen Pratzen nach seiner verquollenen, blutenden Nase. Limpio kicherte in sich hinein, streichelte eitel und selbstvergessen seinen Schnurrbart. „Den habt Ihr übel zugerichtet, Senor", stellte er sachkundig fest, aber diesmal reizte die trockene Anerkennung seines alten Kampfgefährten den jungen Kapitän nur noch mehr. Mit einem wilden Satz stand Jose auf den Füßen, war mit einem Sprung über dem Piraten, riß ihn am Halse hoch, rüttelte ihn, als sei er ein leerer Sack. „Komm endlich zu dir, du verdammter Hundsfott", brüllte Jose den Burschen an. „Ich zerbreche dir alle Knochen in deinem verfluchten Leib — he, los, reiß deine dreckigen, gemeinen Bullaugen auf. He, du willst wohl nicht, wie? Wart, ich helfe dir!"
Er packte den Kerl bei seinem Quadratschädel und benutzte ihn als Hammer. Rhythmisch schlug er ihn gegen die Planken, daß es dumpf widerhallte. Mit einem neuerlichen Stöhnen entschloß sich Rosso, wieder in die Gegenwart zurückzukehren. „Los, raus mit der Sprache, du dreimal verfluchter Bandit, wer ist dieses Mädchen!? Wie kommt sie auf die ,Esperanza'?" Rosso machte ein ver bissenes ablehnendes Gesicht und schwieg. Zum Henker, er hatte sowieso ausgespielt . . . sollte sich dieser Grünschnabel von Kapitän die Antworten auf sein blödes Gefrage irgendwo anders holen. Jose spürte, wie von neuem eine wilde Wut auf ihn einstürmte. Er zwang sich zur Ruhe, drückte gelassen seine Daumenkuppen in die Gurgel
des
Piraten,
daß
dessen
Visage
krebsrot anlief und er verzweifelt nach Luft schnappte. „Willst du jetzt antworten, verdammtes Schwein, he?"
Doch Rosso schwieg sich aus — beharrlich, stur, frech. Mit einem lästerlichen Fluch stieß Jose den Burschen zurück. „Limpio, amigo, achte darauf, daß dieser Hund keine Dummheiten macht. Wir werden ihm seine schmutzige Zunge schon lösen!" Jose erhob sich und begab sich zu dem Mädchen zurück, das gerade in diesem Augenblick seine Augen aufschlug. Fürsorglich schob er ihr die Taue unter dem Kopf zurecht, beugte sich besorgt zu ihr nieder. „Wie geht's Euch, Seniorita? Habt keine Angst — es geschieht Euch nichts mehr, und seid ver sichert, daß dieser Kerl da seine gerechte Strafe bekommen wird. Ihr braucht wirklich keine Angst mehr zu haben", fügte er eilig hinzu, als er sah, wie furchtsam sie ihn musterte. „Geht weg", verlangte sie bitter. „Ihr seid alle gleich . . . ihr . .. ihr Korsaren . . . oh, ihr seid keine Menschen! Ich möchte lieber tot als Euch länger ausgeliefert sein!" Sie warf den Kopf herum, kehrte ihm ihr Antlitz ab. Jose lächelte
verbittert. „Ihr verallgemeinert, Senorita", sagte er hei ser. „Weil dieses . . . verzeiht! . . . Schwein Euch in so furchtbarer Weise belästigt hat, glaubt Ihr, alle Korsaren sind aus dem selben Holz geschnitzt. Ihr irrt, mein Fräulein, auch wenn es Euch
schwer
fällt,
meiner
Versicherung
Glauben zu schenken. Ich schwöre Euch: Ihr seid in guter Obhut. Das hier . . . ich meine . . . nun,
also
diese
.
.
.
zum
Teufel,
diese
Schweinerei wird sich nicht wiederholen, bei allen Heiligen!" „Schwört nicht bei den Heiligen", bemerkte sie ablehnend. „Bueno!" Jose wurde trotzig. „Dann eben bei allen Teufeln, por diablo, Senorita, wenn Euch das lieber ist. Und in Gottes Namen . . . denkt von
uns,
was
immer
Ihr
wollt.
.
.
nur
beantwortet mir ein paar Fragen . . . wollt Ihr?" Sie nickte. Das Besondere in seinem Verhalten war nicht ohne Eindruck auf sie geblieben. Und dann seine Stimme . . . sie klang nicht so, als ob
sie falsch sei und lügen könne. „Fragt immerhin!" „Bien! Wer seid Ihr und wie kommt Ihr auf dieses Schiff?" „Ich heiße Cirina Ramenez und . . . " „Ramenez? So heißt doch der Kapitän des ,A1 cotan." „Ich bin seine Tochter." Jose und Limpio sahen sich verblüfft an. „Bueno . . . und wie seid Ihr auf unser Schiff gelangt?" Sie begann zu weinen, bedeckte ihr liebliches Antlitz
mit
beiden
Händen,
und
unter
Schluchzen erzählte sie, wie dieser finstere Kerl — sie wies auf Rosso — auf dem ,Alcotan' in
ihre
Kabine
gedrungen
sei,
grauenhaft
gelacht habe bei ihrem Anblick und nach ein paar Augenblicken wiedergekommen sei — diesmal mit einer Kiste. Sie habe sich gewehrt — aber umsonst. Er sei so gräßlich gemein
und brutal gewesen und habe sie ganz einfach überwältigt. . . und dann in die Kiste gesteckt. Hier in diesem Raum habe er sie mitsamt der Kiste untergebracht und sie eingeschlossen, und vorhin — sie begann erneut herzzerbrechend zu schluchzen — vorhin sei er gekommen und habe , . . und habe versucht. . . nein, sie . . . ach, es sei grauenhaft gewesen . . . Ihre Stimme wurde heiser, erstarb, und die Tränen flössen nur so aus ihren Augen. Jose erinnerte sich sofort an die Geschichte mit der Kiste, die Rosso herangeschleppt hatte, und als er sich jetzt umwandte, entdeckte er das unförmige Ding in einer Ecke. Er warf einen flammenden, bösen Blick zu Rosso hinüber, der teilnahmslos auf seinen Tampenenden hockte und an seinen Fingernägeln knabberte. „Beruhigt Euch doch, Seniorita", versuchte er aufs Neue, sie zu trösten. „Es passiert Euch nichts mehr, mein Wort darauf!" Er hielt ihr die Hand hin, und zu seiner Verwunderung schlug sie ein. Das stimmte ihn auf seltsame Art
fröhlich. „Na, seht Ihr", mischte sich da Limpio ein. „Wir sind wirklich keine Unmenschen!" „Verfluchte Schönschwätzer!" geiferte Rosso los,
aber
ehe
er
den
Mund
zu weiteren
Äußerungen öffnen konnte, trat Limpio ihm mit voller Wucht gegen den Magen, daß er zusammenklappte wie ein Buch. Jose half Cirina Ramenez auf die Beine, schob ihr den Arm hilfreich unter und streichelte ihr in einer plötzlichen Anwandlung brüderlich die Wange. Und das Mädchen dankte es ihm mit einem leuchtenden, warmen Blick. Jose gab das Lächeln erfreut zurück. Als er den Kopf hob, sah er Manuela vor sich stehen... mit hocherhobenem Haupte. Ihre schwarzen Augen sprühten Blitze, ihre Brust hob
und
senkte
leidenschaftlichen
sich
unter
Atemzügen.
heftigen, Verwirrt
beobachtete Jose die flammende Empörung in ihrem
Antlitz.
Spöttisch
und
hochnäsig
musterte
die
schöne
Korsarin
das
junge,
hilflose Mädchen, das seinen Arm um Joses Nacken geschlungen hatte. Und dann geschah es! Manuela riß sich die Kette, die sie eben erst von Jose zum Geschenk erhalten hatte, mit einer heftigen Bewegung vom Halse und schleuderte
sie
dem
jungen
Kapitän
zornlodernd ins Gesicht. Eine wilde Eifersucht hatte rote Flecken auf ihre Wangen gezaubert. Gleich
darauf
war
sie
davon
gestürzt—
krachend fiel hinter ihr die Tür ins Schloß. Jose blickte betroffen drein, aber nur für wenige Sekunden. Dann verklärte sich sein Gesicht, umspielte
und seine
ein
belustigtes
Mundwinkel.
Schmunzeln Leise
und
bedeutungsvoll pfiff er durch die Zähne. „Eure Gattin?" hörte er das Mädchen Cirina schüchtern fragen, und diese naive Frage amü sierte ihn noch mehr. „Noch nicht!" sagte er heiter, und das wieder
um versetzte Limpio in arge Verblüffung. „Hört gut zu, Seniorita", wandte sich Jose an Cirina Ramenez. „Ich schaffe Euch bei der ersten Gelegenheit an Land. Bis dahin aber müßt Ihr mit dem rauhen Leben an Bord eines Piratenschiffes notgedrungen vorlieb nehmen. Luxus ist etwas, was es bei uns nicht gibt." „Aber ich bitte Euch", lenkte Cirina ein. Rasch fügte sie hinzu: „Ich werde mich sicherlich unter Eurem Schutz wohl fühlen, Senior . . . " „Jose Manzanillo, meine schöne Dame!" „Ja, Senior Manzanillo also! Ich danke Euch für Eure Hilfe und Eure Gastfreundschaft!! Mein Vater wird es Euch nie vergessen!" „Laßt gut sein! Limpio, laß Seniorita Ramenez eine Kabine einräumen." Limpio verbeugte sich mit geschraubter Grandezza und strahlte übers ganze Gesicht. „Oh ja, Seniorita..." Jose grinste frech. „Vor diesem Kavalier muß ich Euch warnen! Er ist ein gefährlicher Herzensbrecher und Frauenheld!" Er lachte leise, und Limpio
machte ein geschmeicheltes Gesicht und strich seinen Schnurrbart. Dann reichte er ihr den Arm. „He, Limpio . . . noch was!" Er wies auf Rosso. „Dieses Schwein in Eisen legen, aber sofort, und rein mit ihm in den Bilgeraum. Kette ihn an die Schiffsrippen, damit die Ratten uns die Arbeit abnehmen! Dieser Hund verdient nicht, daß er Luft schnappt. Pfui Teufel, sich an wehrlosen Frauen vergreifen wollen, por diablo!" Rosso saß teilnahmslos da und grinste blöde und tölpelhaft vor sich hin, aber in seinen Augen schwelte der Haß. Cirina erschauerte und verließ an Limpios Seite eilig das Kabelgatt. Aus den Mannschaftsräumen drang immer noch das ausgelassene Gröhlen der Piraten ...
Drei Wochen später. In diesen drei Wochen war 'ne Menge passiert. Joses ,Esperanza' lag in der kleinen Bucht unweit Savanna la Mar vor Anker, einem abgeschiedenen Fleckchen Wasser, das nur Eingeweihten zugänglich war. Die Männer des Klippers langweilten sich bereits, und obschon sie die Maßnahmen ihres jungen Kapitäns zu billigen gewohnt waren, begannen sie allmählich zu meckern. Das lange, offenbar unsinnige Herumsitzen auf Deck der ,Esperanza' behagte ihnen nicht. . . und die Vorstellung, daß inzwischen draußen auf dem offenen Meer die fettesten Happen anderen in die Netze gingen, trug nicht gerade dazu bei, ihre gute Laune zu heben. Cirina Ramenez war gleich nach der Ankunft in Joses Schlupfwinkel von diesem an Land ge setzt worden, so wie er es versprochen hatte, und befand sich um diese Zeit längst in Brozano .
. .
bei
ihrem Verlobten,
dem
Hauptmann Ramon Cardad. In Brozano hatte sie auch ihren Vater wieder gesehen. Der
schwamm inzwischen allerdings wieder auf dem Atlantik — mit Ziel Sevilla. Manuela vertrieb sich die Zeit, so gut es ging, an
Bord
des
Klippers.
Seit
dieser
fatalen
Geschichte mit der kleinen Cirina ging sie Jose spürbar aus dem Wege . . . ein Umstand, der
Jose
selbst
teils
amüsierte,
teils
schmerzlich berührte. Limpio versäumte keine Gelegenheit, um dem schönen Mädchen feurige Blicke zuzuwerfen.
*
Ninguno hatte seinen Zorn über die vermale deite
Niederlage
keineswegs
überwunden.
Während sein Leute — von der Knute der Schiffsoffiziere
angetrieben
—
die
schwer
beschädigte Galeone instand setzten, hockte Ninguno tagaus, tagein in seiner Kabine und ertränkte seine Schmach in ganzen Fässern von Rum-. . . soff und brütete finstere Rache.
Ab und an stapfte er halbtrunken an Deck, brüllte wie ein Stier in der Gegend herum, fiel mit der Peitsche, die er neuerdings zu tragen pflegte, wie ein Berserker über seine Leute her und schlug den, den es gerade erwischte, halbtot. Das versöhnte ihn für Augenblicke mit der Wut, die er empfand, wenn er an diesen verteufelten Mönch dachte. Ja, und dann dachte er noch an Manuela . . . und der Gedanke, daß er sie vielleicht für immer verloren hatte, machte ihn wild und rasend. Und wieder tobte er wie ein Irrer durch das Schiff...
Aber eines Tages war es soweit! An einem klaren Morgen — die Sonne stieg kreisrund und glühend aus dem Meer — stach der ,Lobo' in See . . . und niemand hätte der ehe maligen
spanischen
Galeone
ansehen
können, daß sie noch vor kurzer Zeit total zusammengeschossen
und
kaum
noch
manövrierfähig gewesen war. Ninguno Brüstung
stand der
hochaufgerichtet
Kampanje,
den
an
der
flammenden
Blick weit über die See gerichtet. In seinen dunklen Augen funkelte es wollüstig und gefährlich . . . unheilschwanger war das Zucken um seine Mundwinkel. Die kleine, kreisrunde Narbe zwischen seinen Augen war fast nicht mehr zu sehen . . . nichts als ein winziger dunkler Fleck . . . So stand er da, ein diabolisches Grinsen in den Mundwinkeln.
Seine
Gedanken
galten
ausschließl i c h seiner Rache... und die versengte fast sein Inneres. „Haho . . . fahr zur Hölle, Ninguno", knurrte er gepreßt vor sich hin. „Nimm dich in acht, daß du es nicht bist, der zur Hölle fährt!"
Jose w a r gerade eingeschlafen, als es wie wild a n seine Tür pochte. Schlaftrunken taumelte er hoch, g r i f f instinktiv nach dem Degen, den er
nach alter Gewohnheit neben sich liegen hatte. „Que hay? Wer will was von mir, he?" „Ich bin's — Limpio!" ward ihm von draußen gedämpfte Antwort. „Zum Henker, komm rein!" Dann stand der Lange neben seinem Lager — atemlos, aufgeregt, völlig außer sich . . . etwas, das
Jose
an
seinem
Gefährten
noch
nie
beobachtet hatte. „Por diablo, was ist los, Limpio?" Jose strich sich die schwarzen Haare aus der Stirn. „Rosso ist verschwunden, Senor Capitan. Er ist wahrhaftig verschwunden, wenngleich ich mir nicht vorstellen kann, wie er es zustande gebracht hat, aus dem verschlossenen Bilgeraum zu entwischen. Der Kerl muß jemanden an Bord gehabt haben, der ihm die Flucht ermöglichen konnte. Wenn ich wüßte, wer es war . . . ich würde ihm — bei allen Heiligen — eigenhändig das Genick umdrehen." Limpio spuckte Gift und Galle, so wütend war er.
„Und was — glaubst du — . . . das heißt, wer kann ihm geholfen haben, Langer?" „Beim Satan, ich sagte ja, wenn ich das wüßte . . . ich würde ihn in Stücken den Haien vor werfen . .. und wenn Ihr selber es gewesen wä ret." Jose war von der unerwarteten Nachricht so mitgenommen, daß er Minuten brauchte, ehe er sich zu klarem Denken aufrappeln konnte. Fieberhaft durchjagten die Gedanken sein Hirn — umsonst . . . er kam auf keine Erklärung. „Wann hast du es entdeckt, Limpio?" „Eben — vor einer Minute oder so . . . aber er muß
schon
'ne
ganze
Weile
weg
sein.
Antonio, der ihm den Fraß brachte und sich ab und zu nach seinem Wohlbefinden erkundigte, sagte, daß Rosso sich schon seit drei Tagen nicht mehr gemeldet hat . . . was er anfangs alle paar Augenblicke tat. Er sagte, er habe sich nichts dabei gedacht. . . dieser Einfaltspinsel. Rosso kann schon über alle Berge sein."
„Na ja, und wenn schon, Langer!" Jose begann langsam sich wieder zu beruhigen. „Soll er also weg sein, in Gottes Namen. In gewissem Sinne
bin ich froh. So hat er mich der
Notwendigkeit enthoben, ihn zu bestrafen. Mach
dir
keine
Gedanken
darüber,
Bohnenstange. Und nun hau dich in die Matte. Adios und buenas noches, altes Haus!" Jose drehte sich der Wand zu und kümmerte sich nicht länger um Limpio. Der verstand den Gleichmut seines Kapitäns nicht und verließ kopfschüttelnd
dessen
Kabine.
Daß
dieser
Gleichmut Jose Manzanillos fehl am Platze war, sollte sich noch in derselben Nacht herausstellen . . . und zwar in einer Art und Weise die den jungen Kapitän und sein Schiff mitsamt der Mannschaft teuer zu stehen kam. Gegen
Mitternacht schreckte Jose erneut aus
tiefem, unruhigen Schlaf auf. Es war ihm, als habe ihn irgendein fremdes Geräusch geweckt. . . aber das, was er vernahm, war altvertraut und nichts Ungewöhnliches . . . nämlich das
Gluckern des Wassers an den Wänden des Schiffes
.
.
.
das
lederne
Knarren
des
Rudergestänges und die monotonen Schritte der Deckswache. Eine eigenartige Unruhe befiel ihn. Schließlich erhob er sich und begab sich nach oben. Auf dem Vorderkastell fand er Manuela, die gedankenverloren
auf
das
nachtschwarze
Wogen der Wellen starrte, ab und zu den Blick hob, um lange zu den Sternen hinaufzusehen, die flimmernd am Firmament standen. „Warum schlaft Ihr nicht?" wollte er wissen. Sie gab keine Antwort. Erst nach einer ganzen Weile öffnete sie den Mund. „Und warum schlaft Ihr nicht, Capitan?" Sie wartete darauf, daß er nun sagen würde . . . ihretwegen könne er nicht schlafen . . . er habe unentwegt an sie denken müssen — deshalb könne er keine Ruhe finden . . . sie ginge ihm nicht mehr aus dem Sinn, denn er liebe sie . . Irgend etwas in der Art erwartete sie von ihm
zu hören. Er aber schwieg, betrachtete sie aufmerksam und konnte nicht hindern, daß plötzlich ein wilder Argwohn von ihm Besitz ergriff. Das Verhältnis zwischen ihnen beiden war alles andere denn geklärt. . . jedenfalls, wie er die Dinge übersah. Wie also, wenn sie, die, seit sie an Bord der ,Esperanza' war, unentwegt auf ihre so genannte Befreiung und damit auf Ninguno wartete . . . wenn also sie die Finger bei der Befreiung des verfluchten Rosso mit im Spiel hatte? War es ihr zuzutrauen . . . ? Er wehrte sich gegen diese Vermutung — aber der Argwohn blieb. Eine wilde, ungestüme Ab neigung gegen das schöne Mädchen erfüllte ihn plötzlich. „Warum habt Ihr das getan?" fragte er ohne Überlegung. Sie sah ihn erstaunt an, und ihre Augen hatten im schwachen Schein des Mondes einen seltsam unwirklichen, tiefen, abgründigen Glanz.
„Was?" fragte sie zurück. Und der Zorn und die Enttäuschung
in
ihm
wurden
größer,
schwelender, intensiver . . . wenngleich er genau wußte, wie wenig stichhaltig seine Verdächtigung war. „Ihr wißt genau, was ich meine, he? Rosso!" sie war verblüffter als vorher. ,.Rosso . . . ?" Sie zog das Wort in die Lange, dehnte es fragend, so . . . als warte sie auf eine Erklärung. „Rosso ist entwischt!" Plötzlich verstand sie ihn. „Na und?" Sie legte allen Stolz, allen Hoch mut in ihre herausfordernde Frage. Da ließ er sie ganz einfach stehen . . . Manuela aber war tief beleidigt. Eine grimmige Empörung stieg in ihr auf und sie hatte plötzlich den Wunsch, sie hätte Rosso wirklich zur Flucht verholten . . . oder aber Ninguno käme endlich, um sie aus der
Gewalt
dieses
einfältigen
Jünglings
herauszuholen. Gewalt? War es das wirklich?
Sie wandte sich mit einem Ruck ab, überquerte das Vorderkastell, daß Mittschiff, erreichte den Niedergang, stieg die Treppe hinunter und strebte ihrer Kabine zu. Undeutlich und gedämpft drang das Gröhlen der Piraten an ihr Ohr, denen Jose am frühen Abend
—
zur
Beruhigung
der
erhitzten
Gemüter, wie er gesagt — eine Riesenportion Rum verabreicht hatte. Die Kerls hatten vor Freude getobt wie Jungs, denen man ein neues Spielzeug schenkt. Dann hatten sie sich über den Rum hergemacht und sich vollaufen lassen . . . solange, bis sie vor Besoffensein einfach umgefallen waren . . . genau da, wo sie eben noch torkelnd und mit glasigen Augen gestanden hatten. Das Gröhlen, das Manuela hörte, kam aus den lallenden,
speicheltriefenden
Mäulern
der
letzten Standhaften . . . und in das lärmende Tosen mischte sich das widerliche Grunzen und Schnarchen der stockbesoffenen Kerls.
Ach, es war ganz einfach zum Kotzen. Wütend schlug Manuela hinter sich die Kabi nentür zu. Minutenlang stand sie noch an den weit geöffneten Luken und starrte auf die Bucht hinaus . . . hinüber zu der Stelle, wo eine schmale Einfahrt auf das offene Meer führte. Dann
überkam
auch
sie
eine
heftige
Müdigkeit. Und wenige Augenblicke später wirkte die ,Es peranza' wie ausgestorben. Selbst der Doppel posten, der auf dem Hinterkastell Wache schob, gähnte und kämpfte vergeblich gegen die Mü digkeit ,.. In der dritten Morgenstunde brach das Unheil über die ,Esperanza' herein. Aus der engen Fahrrinne, die in Joses kleine Bucht führte, schoß in rascher Fahrt der ,Lobo' Ningunos, hielt direkt auf den Klipper zu, der friedlich
und
unbekümmert
inmitten
der
Bucht vor Anker lag. Auf der Kampanje stand Ninguno selbst und
beaufsichtigte
die
Steuermanns.
Neben
riesenhafter verschränkten
Mann
Manöver ihm
mit
Armen
seines
lehnte
über
der
am Mast.
ein Brust
In seinen
kindisch, triebhaften, einfältigen Augen hockte glühend der Haß. Den Kopf hielt er vorge neigt . . . und so suchte er die Dunkelheit zu durchdringen. Plötzlich wandte sich Ninguno zu ihm um. „Wenn es nicht stimmt, was du gesagt hast, so sei versichert, daß ich dir dein dreckiges Fell eigenhändig in Streifen über die Ohren ziehe." Rosso grinste hämisch vor sich hin, schob sich schwerfällig nach vorn, grinste und lächelte überlegen. „Es stimmt, Capitan", stieß er heiser hervor. „Zum Henker, ich bin schließlich lange genug auf der ,Esperanza' gefahren, um zu wissen, wo dieser
verfluchte
Manzanillo
seinen
Schlupfwinkel hat, he?! Wartet nur .. . ein paar
Minuten
und
Ihr
werdet
vermaledeiten Kahn selber sehen können!"
den
Es dauerte noch nicht mal ein paar Minuten. Schattenhaft tauchte aus der Finsternis ein plumper, in den Umrissen verzerrter Fleck auf . . . wurde größer und größer. Der ,Lobo' segelte in einem weit gezogenen Kreise auf diesen dunklen Fleck zu . . . Ninguno rieb sich die Hände. „Hast recht, Rosso . . . ein Schiff! Wenn es nun auch noch die ,Esperanza' ist, so ist dir der Beutel mit den Golddublonen sicher. Und Seniorita Vadorro ist in jedem Fall an Bord, sagst du? Sie lebt?" „Wenn das Mädchen, das ich gesehen habe, Manuela Vadorro heißt, so lebt sie und ist an Bord, so wahr ich Rosso heiße." Ninguno winkte ab. Der dunkle Fleck wurde immer größer. Schon konnte man deutlich die Auf bauten erkennen, die steil ansteigenden Masten, die dunklen, weit über die Reling hinausragen den Wülste der gerefften Segel. Aber, zum Satan, wie still es drüben war? Nicht
einmal eine Deckwache schien dieser Jose Man zanillo ausgestellt zu haben. Verdammt sicher fühlte der verfluchte Hund sich. Dann wandte Ninguno sich um, kletterte in ha stigen Schritten die Treppe zum Mitteldeck hin unter, wo seine gesamte Mannschaft versammelt war. Kurz und scharf erteilte er seine Befehle . . . und einen Atemzug später ließen sich Rosso und zwei der Mannschaften ins Wasser gleiten, während der ,Lobo' auf gleicher Höhe und nur fünf undzwanzig Fuß von Joses Klipper entfernt die Segel strich. Mit kräftigen Stößen legten Rosso und die beiden anderen das Stück zurück, das sie von der ,Esperanza' trennte. Rosso war der erste, der mit der Hand den hölzernen Rumpf des Klippers be rührte. Und dann ... . . . dann stürzte in rascher Folge der Ereignisse das Verderben vielhundertfach über Joses Schiff herein.
Wieselflink erklommen Rosso und seine beiden Begleiter das Deck der ,Esperanza' . . . zwei sichere, wohlgezielte Stiche mit den scharfen Dolchklingen . . . ein zweifaches, ersterbendes Röcheln . . . zweimal spritzte das Wasser an Backbord gischtend auf, verschlang gierig die toten Körper der beiden Männer, die bis vor wenigen Minuten so was wie 'ne Doppelwache auf dem Klipper dargestellt hatten. Rosso grinste und empfand keinen Augenblick lang Gewissensbisse. Sein Haß gegen Jose Manzanillo war so groß, daß er unbedenklich zwei seiner ehemaligen Kameraden opferte . . . zum Satan, es würden in weniger als einer Viertelstunde noch mehr sein. Es waren noch mehr! Kaum war eine Viertelstunde verronnen, da wimmelte
das
Deck
der
,Esperanza'
von
Ningunos Leuten, die sich blitzartig über das ganze Schiff verteilten. Und von der Besatzung merkte niemand
etwas — die lagen besoffen irgendwo in den Ecken herum und schliefen ihren Rausch aus. . . einen Rausch, aus dem viele nur noch für den Bruchteil einer einzigen Sekunde aufwachten, mal kurz zu röcheln . . . um dann für immer in das Reich der Toten abzuwandern . . . Dann gab Ninguno das Zeichen. Im Osten färbte sich bereits der Himmel rot.. . eine kurze Dämmerung — ohne Übergang — und schon erstrahlte der junge Tag, den die meisten von Joses Besatzung nicht mehr erlebten. Ninguno und seine Piraten hausten wie die Vandalen kannten
unter keinen
den
Männern
Pardon
und
Joses. gaben
Sie auch
keinen . . . Das Blut floß in Strömen — Die Leichen türmten sich buchstäblich zuhauf. . . und je mehr Blut floß und je öfter die Dolche und Degen seiner Leute zustießen, desto irrsinniger wurde Ninguno vor Freude. Der Blutrausch packte ihn . . . und als das Gemetzel zu Ende war, lebten an Bord der ,Esperanza' von der
Besatzung nur noch zwei: Jose Manzanillo und sein Freund Limpio. So und nicht anders hatte Ninguno es gewollt. Das Schiff bot ein grauenhaftes Bild sinnloser Verwüstung, mutwilliger Zerstörung — Und Ninguno stand inmitten der Toten . . . reck te sich wie ein Feldherr nach gewonnener Schlacht und ließ sich von seinen Männern feiern. Und dann kam sein großer Augenblick . . . ein Augenblick, dessentwegen es sich nunmehr ge lohnt
hatte,
vor
Wochen
der
Unterlegene
gewesen zu sein. Heute war er der Sieger . . . er allein — Ningu no, der grausamste und gefürchtetste Korsar der Karibischen See . . . ein Ehrentitel, auf den der Korsarenkapitän stolz war, wie auf nichts sonst in der weiten Welt. Jose behauptete später, er sei nie zuvor so un sanft geweckt worden wie in dieser Nacht.
Derbe Fäuste zerrten ihn von seinem Lager, schlugen auf ihn ein, rissen ihm die Kleider fast vom Leibe. Sein ganzer Körper war eine einzige schmerzende Stelle . . . geschunden und mißhandelt von unzähligen Schlägen . . . und immer noch ließen seine Peiniger nicht von ihm ab . . . Als die tierischen Kerle ihn aus der Tür, die nach unten führte, an Deck stießen, schloß er die Augen . . . vor dem grellen Licht der Sonne, vor dem furchtbaren Bild, das sich ihm bot. . . vor ohnmächtiger Verzweiflung . . . vor Wut und Haß und Enttäuschung. Als er die höhnende, gröhlende Stimme Nin gunos vernahm, überlief ihn quälender Ekel. . . ein wilder, glühender Haß überfiel ihn — und besinnungslos und der Folgen nicht achtend, riß er sich los, stürmte vorwärts . . . direkt auf Ninguno zu . . . hob im Vorwärtsstürmen die Fäuste, um sie diesem Untier in die grinsende Visage zu stopfen. Es gelang ihm nicht. Jose stolperte über das
blitzschnell vorgestreckte Bein eines der herum stehenden Korsaren, taumelte und schlug lang hin. Das schadenfrohe Gelächter der Piraten ließ ihn vor Scham und Verzweiflung erröten. Noch ehe er sich aufrappeln konnte, spürte er den wuchtigen Tritt eines derben Stiefels in seinem Rücken Stöhnend sank er in sich zusammen, wurde gleich darauf brutal hochgerissen, nach vorn gestoßen . . . und stand jetzt direkt vor seinem ärgsten Feind. Da kam Jose endlich wieder zu sich. Wie sinn los das alles war. Er hatte verspielt — was brauchte er sich noch länger einzureden, aus diesem Inferno gäbe es einen Weg zurück? Aus und vorbei! Und Jose Manzanillo schickte sich plötzlich mit
verblüffendem
Gleichmut
in
die
hoffnungslose Situation . . . so wie er sich eben noch mit all seinen Sinnen dagegen gewehrt hatte. Er richtete sich hoch auf — Stolz und bodenlose Verachtung sprachen aus seinen Augen. Wenn
dieser gemeine, grausame Ninguno nur nicht so verdammt herausfordernd grinsen würde. Jose wandte den Blick ab. ließ ihn über Deck schweifen . . . aber der Anblick der grauenhaft zugerichteten Leichen — die Verwüstung, dieses ganze Chaos des Untergangs ließ ihn erneut erschauern. Ninguno trat auf ihn zu. . . mit wiegendem Gang, eitel, aufgeblasen. Aus seinen dunklen, eiskalten Augen blitzte die Arroganz . . . der Hochmut des Siegers. Lässig ließ er die Peitsche gegen den glänzenden Stiefelschaft klatschen. „Es ist mir eine große Freude", begann Ningu no mit sanfter Stimme, in der es gefährlich und drohend
mitschwang,
Weggenossen,
der
„meinen mit
seiner
verehrten tollen
Fechtkunst mein und dieser Seniorita Leben gerettet hat, wieder zu sehen, und ich bedaure nur, daß es unter Umständen geschehen muß, die wenig schön sind!" Er wies mit einer weit ausholenden Geste ringsum auf die Toten, und seine Stimme troff vor Hohn. „Ich hoffe,
daß die Freude auf Gegenseitigkeit beruht, verehrter Mönch, wie?!" Jose stand unbeweglich, sah an seinem Wider sacher
vorbei,
als
sei
dieser
Luft.
Fast
gelangweilt blickte er in die Runde, entdeckte Limpio,
den
zwei
von
Ningunos
Leuten
zwischen sich hielten. Limpio blutete aus einer klaffenden Stirnwunde, und sein Blick, mit dem er dem Jose begegnete, war so traurig und unglücklich, daß Jose davon angesteckt wurde. Ein Würgen saß in seiner Kehle, und er mußte sich zwingen, dem Gefährten zuzulächeln. Und dann sah er auch Manuela. Das schöne Mädchen stand ein wenig abseits, kaum fünf Schritt von ihm entfernt. Sie lehnte am Haupt mast und schien nervös. Ihre schlanken Hände zuckten unentwegt, ihre Lippen zitterten, und in ihren unergründlichen Augen flackerte es unbeständig. Als er sie anschaute, senkte sie den Blick. ,Also doch!' durchzuckte es Jose. ,Und ich Trot tel hatte mir fast eingebildet, daß sie . . .'
Er kam nicht dazu, seinen Gedanken zu Ende zu spinnen. Ein fürchterlicher Faustschlag riß ihm jäh das Kinn hoch, daß er nach hinten niedergestürzt wäre, hätten die eisenharten Fäuste seiner Bewacher ihn nicht gehalten. Er schmeckte auf seinen Lippen Blut. . . warm, ein wenig ölig rann es ihm aus einer klaffenden Wunde unter dem linken Auge, wohin der zweite Schlag gezielt hatte. Wie durch einen Schleier
sah
er
das
wutverzerrte
Gesicht
Ningunos. „Du Hund, du Schwein", geiferte der Korsaren kapitän. „Willst du deinem Bezwinger nicht die Ehre erweisen, die ihm zusteht, he? Ich habe mich dazu herabgelassen, das Wort an dich zu richten, du verdammte Brut. . . also antworte gefälligst! Ich fragte dich, ob auch du dich freust, mich wieder zu sehen, he?" „Gib dir die Antwort selbst!" Jose spuckte Nin guno angewidert vor die Füße. Ninguno wurde weiß wie eine gekalkte Wand. Wutschnaubend
stand er da . . . die Peitsche zuckte hoch, kreiste wie ein giftiges Insekt sekundenlang über seinem Kopf und fiel zischend und schmetternd nieder . . . ein dumpfer, trockener Schlag ■— Joses Hemd hing in Fetzen von seinem Leib . . . und
auf
der
Haut
blutunterlaufener,
bildete
brandroter
sich
ein
Streifen,
der
zusehends anschwoll. . . dick wie ein Wulst. . . Jose biß krampfhaft die Zähne zusammen, um den irrsinnigen Schmerz zu betäuben. Ninguno lachte aus vollem Halse, bog sich in den Hüften, und seine Augen verfärbten sich wollüstig. „He, Rosso", brüllte er in plötzlicher Heiter keit.
„Komm
her,
amigo,
nimm
diese
Peitsche — und wenn dein ehemaliger Kapitän es auch weiterhin für richtig halt, mir freche, dumme Antworten zu geben, so gib's ihm? Schlag zu, daß er zollweise sein Fleisch läßt, dieser dreimal verfluchte Hundsfott! Hahahaha . . . dieses mutige, verwegene Würstchen."
Rosso schob sich näher . . . den Kopf gesenkt, den
breiten
Stiernacken
gewölbt,
mit
bleckenden Zähnen, rot unterlaufenen Augen. Mit zitternden Händen ergriff er die Peitsche, ließ sie wie im Spiel ein paarmal auf und niedersausen. Eine wilde Wollust malte sich in seinen vertierten Zügen ab . . .
aus seinem
Mund mit den gelben Zahnstummeln kam ein Knurren. Breitbeinig baute er sich hinter Jose auf, nach dem er diesem den Rest seines Hemdes mit ei nem brutalen Ruck vom Körper gerissen hatte. „Bueno!" amüsierte sich Ninguno. „So ist's recht! Und nun wieder zu dir, verehrter Jose Manzanillo.
Damit
hattest
du
wohl
nicht
gerechnet, mich sobald schon wieder zu sehen, wie? Und vor allem in so veränderter Situation . . . hahaha, ich — Ninguno — als Sieger auf dem Schiff von Euer Hochwohlgeboren,
hahaha.
Nein, damit hattest du wohl wirklich nicht gerechnet, wie . . . und obendrein mitten in deinem Schlupfwinkel, wie . . . ein köstlicher
Spaß, hahaha! Ich bin dir zuvorgekommen, amigo . . . und wie ich dir zuvorgekommen bin. Siehst du, nun brauchst du dir dein holdes Köpfchen gar nicht mehr zu zerbrechen, wie du mich erwischen könntest, hahaha. Ich — ich habe dich jetzt erwischt. . . und so erwischt, daß dir die Lust ein für allemal vergehen wird, mit deiner
blödsinnigen
pussligen,
Rache
bürgerlichen
und
deinen
Ehrbegriffen
zu
verfolgen. Und so was nannte sich mal Korsar — oh, das ist ein prächtiger Spaß. Und was sagst du nun, mein treuer Freund, he?" Jose zwang sich trotz der drohend erhobenen Peitsche dazu, auch jetzt zu schweigen. Ein Wink Ningunos . . . und Rosso schlug drauflos . . . wahllos, ohne hinzusehen . . . einmal, zweimal, dreimal . . . Jose brach in die Knie, wurde wieder hochge rissen . . . und da plötzlich begegneten seine Augen wieder denen Limpios . . . und auch von Manuela
erhaschte
obwohl halb
er
einen
besinnungslos,
Blick... und, vermochte er
festzustellen, daß die beiden ihn flehentlich ansahen, beschwörend fast. . . Und in diesem Augenblick erschien es ihm selber ein äußerst falscher Mut zu sein, zu schweigen und sich ganz einfach totschlagen zu lassen. „Ihr habt gewonnen", brachte
er
schließlich mühsam
hervor. „Na endlich . . . der Kerl bat seine Sprache wieder gefunden", frohlockte Ninguno. „Ja, in der Tat, ich habe gewonnen!" „Ich sagte es schon", gab Jose zurück. „Aber es fragt sich, ob dein Sieg von Dauer sein wird, Ninguno. Bien, du kannst mich umlegen. Kein Hahn wird mir einen Nachruf krähen aber dennoch .
.
.
auch
dein
Stündlein
wird
schlagen. Du bist ein hinterlistiger, feiger, verschlagener Hund, Ninguno . . . und ohne diesen
viehischen
Rosso
und
ohne
deine
verlogene, genau so heimtückische Geliebte . . . er wies mit dem Kinn auf Manuela... wäre es dir n i e gelungen, mich . .." Er hörte das Sausen der Peitsche über seinem
Kopf und duckte sich, spannte alle Muskeln, konzentrierte alle Sinne auf den Schlag . . . biß die
Zähne
fielen
fest
die
geschundene, Wunden.
zusammen. Lederriemen
blutende
Diesmal
Haut,
aber
Schmetternd auf
seine
rissen
neue
brach
er
nicht
zusammen. Stolz und ungebrochen richtete er sich auf, warf Manuela einen blitzenden Blick zu und spuckte angeekelt vor ihr aus. Und nun geschah etwas, das Jose in den nächsten Tagen noch erheblich beschäftigen sollte. M i t einem w i l d e n L a u t stürzte sich Manuela vor, vorbe i . . . dire kt auf J ose z u. „Du dreckiger Lump willst mich beleidigen", kreischte sie außer sich und mit schriller Stim me. „Wart du, du hast mich hier auf deinem ver dammten Schiff oft genug und lange genug ge quält. Da, nimm dies, du . . .du . . ." Jose ertrug ihre Faustschläge gelassen, ohne sie anzusehen. Ninguno und seine Horde wollt e n sich ausschütten vor Lachen . . . und in dieses Lachen hinein mischte sich plötzlich
leise und eindringlich ihre Stimme, jetzt gar nicht mehr schrill und vor Haß geifernd, sondern warm und fast weich. Jose schloß die Augen — er glaubte zu träumen. Und während Manuela ihm,
scheinbar
angefeuert
von
der
schadenfrohen Ausgelassenhe i t der Piraten, noch einmal die Faust ins Gesicht schlug, beugte sie sich ganz dicht zu ihm vor und flüsterte hastig: „Verzeih, Jose, aber anders hätte ich nicht an dich
herankommen können. Ich weiß, du
glaubst mir nicht — aber ich bin unschuldig, ich schwöre es. Und ich schwöre dir auch, daß ich alles tun werde, dir zu helfen, Jose, mein Liebster... ich b i t t e dich, glaub mir! Ich hatte keine Ahnung — Ich bin unschuldig!" Und dann fügte sie rasch hinzu: „Hat es sehr weh getan? Hast du große Schmerzen? Oh, Jo se. . . " Das Lachen ebbte ringsum ab. Jose schlug die Augen auf, sah sie an, wie sie da vor ihm stand . . , äußerlich
lodernd
vor Haß
und
Rachsucht, zornbebend die Hand zum Schlage
erhoben aber Ihre Augen . . . In ihren Augen stand Anteilnahme, Mitgefühl, warme Zuneigung. Konnte er ihr glauben? Oder war das hier wie der eine Falle? Und dann traf ihn ihre Faust — aber es tat nicht weh. Manuela sprang zurück, sah sich im Kreise von Ningunos Piraten Beifall heischend um. „Du verfluchter Hund", schrie sie noch einmal und spuckte Jose vor die Füße. „Bravo!" zollte Ninguno seine Anerkennung. „Ole, Manuela Vadorro!" brüllten die Korsa ren. „Immer noch nicht genug?" Ninguno baute sich herausfordernd vor Jose auf, verschränkte die Arme über der Brust. Jose würdigte ihn keiner Antwort. Unentwegt dachte er an Manuela und
ihre
Worte.
„Runter
mit
ihm
ins
Kabelgatt", befahl Ninguno, „ihn und den da
auch!" Er deutete auf Limpio. „Die Ratten werden
ihren
Spaß
mit
ihnen
haben,
hahahaha!" „Warum tötest du uns nicht gleich?" Jose sah seinen Todfeind stolz und überheblich an. „Warum dieses ganze überflüssige Theater? Mach doch Schluß mit uns! Ich kann mir nicht vorstellen, daß du uns überrumpelt hast, um meinem Freund und mir nun großzügig das Leben zu schenken, wie?" Ninguno bog sich vor Lachen. „Du bist ein kluges Kind, mein verehrter Jose Manzanillo! Dich am Leben zu lassen, wäre ein schlechter Spaß, will ich meinen . . . aber dich einfach an den Mast zu knüpfen oder dir einen Dolch zwischen deine Rippen zu stoßen . . . nein, das wäre ein wenig zu einfach, he?" Ninguno stolzierte wie ein aufgeplusterter Pfau um
seine
Gefangenen
herum.
„Na,
keine
Ahnung, was ich mit dir vorhabe? Bueno, so will ich's dir sagen. Du wirst mir gratulieren, amigo, auf so was muß man nämlich kommen,
haho!" Jose suchte Manuelas Augen. Fast unmerklich nickte sie ihm zu, wandte sich dann ab. Und schon war da wieder die haßerfüllte, zynische Stimme Ningunos: „Ich will dich nicht länger auf die Folter spannen, amigo. Ich habe mir für dich was ganz Besonderes ausgedacht. Der Gouverneur
von
Brozano
und
Oberst
de
Funchal, der Kommandeur der Musketiere, haben keinen sehnlicheren Wunsch, als das Fell des langgesuchten Ninguno gegerbt und blau gefärbt als Bettvorleger benutzen zu kön nen. Nun, diesen Wunsch werde ich ihnen jetzt erfüllen. Haho, noch keine Ahnung, wie?" Er blieb vor Jose stehen, stieß ihm den Zeigefinger auf
die
Brust.
„Du
bist
Ninguno,
der
berüchtigte Seeräuber. Was meinst du, wie die feinen werden,
spanischen wenn
ich
Herren ihnen
begeistert
sein
den tausendmal
gehaßten Korsarenkapitan als Geschenk vor die Füße lege, he?! Man wird mich feiern, und die Kopfprämie stecke ich obendrein noch in die
Tasche,
hahaha.
Ein
guter
Ei n f a l l ,
was,
companiero?" Ninguno wollte sich ausschütten vor Lachen. Manuela
erbleichte.
Auf
einen
solch
teuflischen Gedanken konnte in der Tat nur Ninguno kommen, und ihr Haß gegen ihn wuchs ins Unermeßliche. „Meine
Reverenz,
teurer
Ninguno",
spottete
Ninguno und machte vor Jose einen übertriebe nen Kratzfuß. Seine Piraten schrien vor Begeiste rung. Ninguno wandte sich zu Manuela. „Nun, meine Liebe, zufrieden mit mir?" Er näherte sich ihr und legte ihr vertraulich die Hand auf die Schulter, wollte sie an sich ziehen. Doch sie schüt telte seine Hand, ging mit raschen Schritten da von. Sekundenlang verdüsterte sich Ningunos Gesicht. Dann rief er ihr nach: „Und bei der Folterung werden wir zusehen, Liebste!"
*
Manuela konnte es nicht länger mitansehen. Sie raffte die Schleppe ihrer eleganten Taffetrobe hoch und wankte mehr als sie aufrecht schritt, zur Tür hin. Ihr sonst so frisches, sonnengebräuntes Antlitz war wächsern, ihre Lippen blutleer. In der Kehle verspürte sie einen widerlichen Brechreiz — der muffige, feuchte Brodem, der hier unten in den feuchten Kellergewölben des Stadtgefängnisses von Brozano wogte, legte sich beklemmend auf die Lungen und ließ sie frösteln. Sie wankte die ausgetretenen Stufen
hinauf,
fühlte sich so matt und elend, daß sie wie betäubt ihre fiebernd heiße Stirn sekundenlang gegen die kühlen Steinquadern legte. Wie aus weiter Ferne drang das leise, unterdrückte Stöhnen des Gefolterten an ihre Ohren — bei jedem Peitschenschlag, der grausam und brutal auf den nackten, gepeinigten Leib des Miß handelten
klatschte,
zusammen,
so
.
.
zuckte als
träfen
sie die
gequält starken
Lederriemen sie selbst. Zu ihren Füßen huschte eine widerwärtig große Ratte über die Steinfliesen, verschwand irgendwo in der Richtung, wo das riesige Feuer loderte, dessen Schein gespenstische Schatten durch das Gewölbe warf. Und wieder das Sausen der zuschlagenden Peitsche . .. wieder das leise, verhaltene Stöhnen . . . wieder das Aufzucken . . . Sie hob den Blick. Wie unter einem fremden Zwang wanderten ihre Augen durch den Keller, In dem seit unzähligen Jahren tagaus, tagein
Menschen
gefoltert,
gepeinigt
und
getötet wurden . . . zum Wohle Spaniens, wie es hieß. Und die, die es taten und zuließen, waren stolz darauf, treue
Anhänger
ihres
Königs zu sein. Ihre Blicke blieben an dem Mann haften, der da in der Mitte des Raumes wie eine leblose Marionette
von der Decke herabhing,
die
Gelenke mit Metallklammern umspannt, die
wiederum aus dicken Ketten waren, die an der Decke befestigt waren. Das flackernde Licht der Pechleuchten,
die
ringsum an den Wänden
steckten, warfen unheimliche Reflexe über den blutüberströmten
Körper
des
Gefolterten.
Jedesmal, wenn die eisenbeschwerte Peitsche des Henkers zuschlug, baumelte er sanft hin und her. „Oh, Jose", stammelten ihre Lippen. Nur müh sam konnte sie sich auf den Füßen halten. Ihre Augen wanderten weiter, begegneten denen des Gouverneurs von Brozano, der es sich nicht hatte nehmen lassen, dem grausigen Schauspiel beizuwohnen, das sein Oberst de Funchal ihm hier bot. Einen gefürchteten, gehaßten Mann wie den Korsaren Ninguno in seiner Gewalt zu haben, bereitete
dem
Gouverneur
sichtliches
Wohlbehagen, und immer wieder brach er in Rufe
des
Entzückens
blutverschmiertem
aus,
Mund
wenn ein
schmerzvolles Stöhnen entschlüpfte.
Joses wildes,
Neben ihm stand in der Pose eines Grandseig neurs der wahre Ninguno, ein sadistisches, scha denfrohes
Grinsen
um
den
schmallippigen
Mund. Nur mit Mühe vermochte er seinen Haß und seine Genugtuung zu verbergen. Gerade wandte sich der Gouverneur an ihn, machte eine leichte Kopfbewegung zu Manuela hin, die dem Zusammenbruch nahe war. Sie griff nach dem Türdrücker, wankte hinaus auf den Gang. „Eure Gemahlin", machte der Gouverneur sei nen willkommenen Gast dezent aufmerksam und zeigte diskret zur Tür hinüber, die sich gerade hinter Manuelas Gestalt schloß. „Eure Gemahlin scheint es nicht länger ertragen zu können, Senor de Hormosa . . . oh, ich verstehe es gut! Das ist nichts für zartbesaitete Damen." Er kicherte geziert. Ninguno lächelte verbindlich. „Sehr wohl, Excellenz. Dies hier ist Männer sache, wenn Ihr erlaubt." Er verneigte sich chevaleresk.
„Ganz recht, ganz recht, verehrter Senor de Hormosa.
Widmen
Aufmerksamkeit Halunken.
Es
beobachten", sachlich,
also
ist
unsere
weiterhin
diesem
übrigens
bemerkte
„wie
wir
er
interessant aufgekratzt
außerordentlich
viel
zu und ein
menschlicher Körper auszuhallen vermag ... findet Ihr nicht?" Ninguno nickte und verbiß sich eine freche Bemerkung. Oberst de Funchal grunzte etwas in sich hinein. „Er müßte doch eigentlich längst tot sein", fuhr der
Gouverneur
unbeirrt
fort.
„Wirklich
erstaunlich, in der Tat. übrigens, mein lieber Senor de Hormosa, der Oberst weiß noch gar nicht, wie es dazu gekommen ist, daß dieser verfluchte
Korsarenhund
nicht
länger
sein
Unwesen treiben kann. Habt doch die Güte, es dem Obristen in kurzen Worten zu berichten. Oberst de Funchal wird darüber einen Bericht nach Madrid verfassen — und Ihr könnt versichert
sein,
daß
er
Eurer
und
Eurer
umsichtigen Tatkraft gebührend Erwähnung
tun wird . . . nicht wahr, mein lieber Oberst?" Der Gouverneur hob interessiert sein Lorgnon an das rechte, kurzsichtige Auge, beugte sich vor, um ganz genau zu sehen, wie der Henker zu seinem nächsten Schlag ansetzen würde. „Sehr wohl, Exzellenz", dienerte der Oberst. „Und ich bin überzeugt, daß Seine Majestät die Verdienste
des
ehrenwerten
Senor
de
Hormosa zu belohnen wissen. Darf ich Euch nun bitten?!" wandte er sich mit übertriebener Höflichkeit an Ninguno. Ninguno zerbarst innerlich vor Lachen. Am lieb sten hatte er diesen eitlen, albernen, dummen Hohlköpfen die Knochen zerbrochen, ihnen zollweise seinen Degen in die verweichlichten, schwammigen Fettwänste gebohrt und ihnen hohnlachend in die aufgedunsenen Gesichter geschrien, daß ihm der König mitsamt seiner Brut gestohlen bleiben könne — daß er selber Ninguno sei. . . aber er beherrschte sich. So gab er die Höflichkeit spöttisch zurück: „Da ist nicht viel zu erzählen, Oberst. Ich be
fand mich auf der Überfahrt von Sevilla nach Cuba. Die ,Reina Isabella' nahm den südlichen Kurs, vorbei an den Inseln über dem Winde. In der Nahe der Südküste von Jamaica wurden wir von Piraten angefallen. Gleichzeitig kam ein Sturm auf, der beide Schiffe arg mitnahm und
in
den
zerschellen
Klippen
ließ.
Ich
von
Santa
Maria
raffe absichtlich die
Geschehnisse, mein lieber Oberst. Ich will Euch nicht langweilen. Die Piraten benahmen sich wie Berserker, zerstörten alles, töteten die gesamte Besatzung der ,Reina Isabella' und alle mitreisenden Passagiere. Meine Gemahlin und ich . . . und die drei Männer, die unten am Wagen auf mich warten . . . wir waren die einzi gen überlebenden . . . und natürlich hier dieser verdammte Korsar. Er und einer seiner Kerls überstanden
den
Sturm.
In
der
Gefahr
vergessen die Menschen alles . . Haß, Liebe, räuberische
Absichten.
Wir
fanden
uns
jedenfalls alle in einem kleinen Beiboot wieder, das mit der Flut auf den Boden von Jamaica
geschwemmt wurde. Nun . . . ich will mich nicht herausstellen — jedes Eigenlob ist mir zuwider . . . ich überwältigte mit den drei Männern von der
,Reina
Isabella'
diesen
Korsaren
und
seinen Gefährten. So gelangten wir an Land. Hier erfuhr ich dann bald, daß ich einen guten Fang gemacht hatte. Ninguno! Nun, der Name sagte mir nichts . . . wie sollte er auch, bin ich doch nie zuvor aus Spanien heraus gekommen. Wie wichtig der Mann ist, konnte ich ja bald feststellen, als ich ihn Euch herbrachte. Das ist im Grunde schon alles, mein lieber Oberst." Ninguno konnte Am
liebsten
sich kaum beherrschen.
hätte
er
laut
herausgelacht.
Diese Geschichte, die er nun zum zweiten Male erzählte, war so phantastisch . . . daß sie einfach geglaubt werden mußte. Und zudem . . . dieser Scharlatan von Gouverneur und dieser Hanswurst von einem Offizier waren viel zu stolz auf ihren Gefangenen, als daß sie an der Erzählung Ningunos auch nur den geringsten Zweifel
hegten.
Sie
hatten
Ninguno,
das
genügte ihnen. „Und wo ist der zweite Gefangene, Senior de Hormosa?" wollte Oberst de Funchal wissen. Ningunos
Gesicht
bekam
einen
verärgerten Ausdruck. „Der ist mir leider auf der Fahrt hierher nach Brozano entwischt. Aber ich glaube, der hier ist wichtiger." Er wies auf Jose. „Natürlich!" beeilte sich der Oberst zu versi chern und bedachte seinerseits Jose mit einem haßerfüllten Blick. Ninguno dachte an den langen Korsaren, diesen Freund von Jose Manzanillo, und noch jetzt erschien es ihm völlig unglaublich, daß der hagere, dürre Kerl hatte
entkommen
können. Hätte er geahnt, daß Manuela hier bei ihre Hände im Spiel gehabt. . . er hätte das Mädchen wahrscheinlich kaltblütig erdolcht. . Manuela saß unterdes draußen im kalten Gang des Gefängnisses auf einer Steinbank und dachte
gerade
auch
an
Limpio,
dem
sie
unterwegs bei der nächtlichen Fahrt unauffällig die Fesseln hatte lösen können. Der Lange hatte Geistesgegenwart besessen und war in einem Hohlweg
aus
der
rasend
dahinsausenden
Kutsche gesprungen. . . in voller Fahrt. Was aus ihm geworden war? Sie hatte keine Ahnung . . . wünschte sich nur inbrünstig, daß ihm nichts zugestoßen sein mochte. Wenn einer Jose Hilfe und Rettung bringen konnte —- dann war nur er es. Ninguno hatte getobt und geschrien, herumge brüllt, als stecke er am Spieß. Er und seine Ge nossen, drei seiner treuesten Anhänger, die er auserwählt hatte, mit ihm und Manuela nach Brozano
zu
fahren,
hatten
den
Hohlweg
abgesucht. . . umsonst. Manuela hatte auch versucht, Joses Fesseln zu zerschneiden. Es war ihr nicht gelungen. Aus dem Kellergewölbe drang jetzt wieder das Stöhnen des Gefolterten. Das schöne Mädchen preßte sich die Hände auf die Ohren . . . sie konnte es kaum noch mit anhören.
Wie ihm helfen? Was konnte sie tun? Und wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel zuckt, durchfuhr sie eine Erleuchtung . . . so kühn, so abenteuerlich und gleichzeitig so unwahrscheinlich,
daß
sie
ganz
aufgeregt
wurde. Eine vage Hoffnung erfaßte sie . . . eine Hoffnung, die so winzig war, daß sie fast im selben Augenblick allen Mut fahren ließ . . . aber es mußte versucht werden. Wenn Joses langer Freund seinen tollkühnen Sprung aus dem fahrenden Wagen in die Finsternis des nächtlichen Hohlwegs nicht lebend überstanden hatte, so gab es nur noch diesen einzigen Weg, Jose
aus
den
Klauen
dieser
viehischen
Menschen zu erretten. Manuela beschloß zu handeln!
Keinen Atemzug lang
durfte sie
zögern. In jeder Minute konnte es zu spät sein. Cirina Ramenez, hämmerte ihr Blut, Cirina Ra menez, dieses einfältige Gänschen, das Jose so schmachtend
verliebte
Blicke
zugeworfen
hatte — sie allein konnte ihr helfen . . . und Manuela
unterdrückte
jede
Eifersucht. Sie
sprang auf, durcheilte hastig und atemlos den nicht enden wollenden Gang, erreichte den Innenhof des Gefängnisses, befand sich wenig später auf dem Wege in die Stadt. . . hin zum Gouverneurspalast, wo sie die Wohnung des jungen Mädchens zu erfragen gedachte . . . Limpio grinste über sein ganzes Gesicht, als er der schönen Manuela Vadorra ansichtig wurde. Manuela hingegen war höchlichst verblüfft, hier im Salon des Hotels .Barcelona', in dem sich
Seniorita
Ramenez
einquartiert
hatte,
Limpio anzutreffen. Der lange Korsar hatte seine Beine weit ausge streckt, und es war ihm deutlich anzusehen, wie wenig wohl er sich im Grunde in dieser eleganten
Umgebung
fühlte.
Er
streichelte
unentwegt seinen Schnurrbart, während er mit krampfhafter
Gelassenheit
vor
sich
hinlächelte. Plötzlich schien ihm einzufallen, daß diese gediegene Umgebung mit ihren Möbeln aus Edelhölzern, mit ihren seidenen und
samtenen
Vorhängen,
den
kostbaren
Tapeten und den dicken Teppichen ein anderes Benehmen
von
schwankenden
ihm Planken
verlangte der
als
die
,Esperanza'. Er
erhob sich, machte eine linkische Verbeugung, was er als einen guten Spaß ansah, und warf Manuela einen feurigen Blick zu. Sie übersah es, wollte es nicht sehen. Es ging hier um anderes. „Euch hier anzutreffen, teure Frau, zeigt mir, daß die Hilfe, die Ihr mir unterwegs botet einem edlen Motiv entsprungen ist. Außerdem ist Eure Anwesenheit im Salon der Seniorita Ramenez ein Zeichen Eurer Klugheit." Limpio war ganz Kavalier. „Laß deine Schönschwätzerei, Limpio", verwies sie ihn. „Sag mir lieber, wo ich Seniorita Ramenez finde." „Sie wird gleich wiederkommen, schöne Dame", dienerte Limpio. „Aber Ihr braucht Euch nicht weiter zu bemühen. Sie weiß längst, worum es geht. Es tut mir leid, Euch zuvorgekommen zu sein .. . aber andererseits kann ich mir denken,
daß
es
einem
außerordentlich
gewissen
freuen
wird,
Jemand wenn
er
vernimmt, wie viel Mühe Ihr Euch gebt, ihm beizustehen,
übrigens
..."
Limpio
verbarg
geschickt seine Erregung, „ . . . w i e geht es ihm? Ihr kommt doch, wenn ich richtig kalkuliere, direkt aus dem Gefängnis, he? Ihr scheint 'ne Menge für den Capitan übrig zu haben, teure Manuela." Er grinste verständnisinnig und musterte sie vertraulich. Manuela errötete. „Es ist höchste Zeit, Limpio", stieß sie aufge bracht hervor und packte nach seinem Arm.,, Wird sie uns helfen . . . diese Seniorita Ramenez? Sie hat doch Beziehungen zum Gouvernement, wie?" „Si, si, ihr Verlobter ist Hauptmann der Muske tiere . . . und wenn wir Jose aus seinem Loch be freien wollen, so geht es nur mit seiner Hilfe. Aber ich denke — er wird es tun. Schließlich ist Cirina Ramenez unserem Capitan 'ne Menge Dank schuldig, por diablo. übrigens . . . sagt mir
eins,
Manuela!
Liebt
Ihr
eigentlich
Jose
Manzanillo?" Manuela wandte den Kopf ab, um ihre Verle genheit nicht zeigen zu müssen. Sie rettete sich in Burschikosität. „Ich denke, Limpio, das geht dich einen schreck lichen Dreck an, he?" „Nun, ich dachte nur!" Wenn der Kerl doch nur nicht so unverschämt grinsen wollte. „He, Manuela . . . und noch eins! Daß Ihr Nin guno hasset. . ., das braucht Ihr nicht eigens zu betonen . . . aber eines verstehe ich nicht recht. Warum habt Ihr ihn nicht längst umgelegt. . . dieses Schwein? Er verdient's doch nicht anders . . . und Ihr hättet tausend Gelegenheiten gehabt, maledito." Manuela war überrascht. Por dios, auf diesen Gedanken war sie selber noch nie gekommen. Es hätte ihr wirklich nicht an Gelegenheit gefehlt. . . aber ob sie es gekonnt hätte? Sie
wurde aller weiterer Überlegungen enthoben. Die Tür öffnete sich. Cirina Ramenez trat ein. Beim Anblick der Korsarin verschloß sich ihr Ge sicht. Zu deutlich stand ihr die Erinnerung an dieses Mädchen im Gedächtnis. Schon wollte sie ablehnend
und
eisig
das
Zimmer
wieder
verlassen, als Limpio auf sie zueilte und ihr den Weg verstellte. Mit ein paar Worten hatte er sie aufgeklärt. „Nun gut", sagte Cirina schließlich. „Wenn Ihr wirklich sein Bestes wollt, so . . . " sie brach ab, um gleich wieder fortzufahren: „Ich bin bereit, Euch zu helfen", wandte sie sich an Limpio. „Ich glaube, das bin ich Jose Manzanillo schuldig. Wenn Ihr mich zu meinem Verlobten begleiten wollt, so kommt bitte." Hauptmann Ramon Cardad wollte erst nicht, aber
den
inständigen
Bitten
seiner
Braut
konnte er sich schließlich nicht verschließen. „Bueno, Cirina", sagte er nach einigem über legen.
„Ich
sehe
ein,
daß
dieser
Jose
Manzanillo an dir sehr viel Gutes getan hat, wenngleich es mir widerstrebt, einem Korsaren zur Freiheit zu verhelfen. . . und wenn ich es tue, so nur aus Dankbarkeit. Denn er war es ja wohl, dem ich es zu verdanken habe, daß du, meine liebe Cirina, heute hier bei mir sein kannst. Ohne sein Eingreifen wärest du . . . ach, es wäre nicht auszudenken. Beim Satan, es ist nicht ungefährlich . . . und es kann mich Kopf und Kragen kosten und das Ende meiner Laufbahn sein. Aber ich sehe ein, daß dieser Mann es nicht verdient hat, in den Folterkel lern des Gefängnisses umzukommen." Cirina schmiegte sich an ihn. „Muchas Gracias, Senior", flüsterte Manuela er leichtert, und auch Limpio bedankte sich über schwenglich. „Und wie wollt Ihr seine Flucht bewerkstelli gen, Senior?" wollte Manuela wissen. „Das wird mir noch einfallen, Seniorita. Ich hoffe nur, daß Euer Freund die heutigen
Folterungen lebend übersteht. Tut er das, so ist er bei Anbruch des neuen Tages in Freiheit. Ich riskier's, por dios! Euch aber würde ich raten, sofort ins Gefängnis zurückzukehren. Ich kann mir vorstellen, daß es nicht gut ist, wenn man Eure Abwesenheit bemerkt. Verlaßt Euch ganz auf
mich,
Seniorita.
Ihr
habt
mein
Versprechen." „Ich danke Euch, Senior . . . und auch Euch, Se niorita Ramenez!" „Es war meine Christenpflicht, Seniorita Vador ro", erwiderte Cirina bestimmt. Manuela wandte sich zum Gehen — Limpio wollte ihr folgen. „He, langer Freund", hielt Hauptmann Cardad ihn zurück. „Seid nach Mitternacht mit einem Wagen in dem Unterholz neben der Straße, die vom Haupttor des Gefängnisses nach Brozano hineinführt. Kennt Ihr die Stelle?" Limpio strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Und ob er die Stelle kannte! In dem Gehölz hatte er doch damals
mit .Galgenvogel' gewartet, um Jose aus der Patsche zu helfen. Por diablo . . . zum zweiten Male war er jetzt dabei, seinen verehrten Capitan aus diesem feuchten Hotel zu befreien. „Ja, kenne ich", entgegnete er trocken. „Bueno . .. dann bis Mitternacht!" Manuela saß kaum auf der Steinbank in dem dämmerigen Gefängnisgang, als sich die Tür zum Folterkeller öffnete und der Gouverneur er schien. Ihm zur Seite schritten Ninguno und der Oberst de Funchal. Ohne das junge Mädchen zu bemerken, gingen sie eilig den Gang hinunter. Manuela vernahm deutlich, was der kleine unter setzte Gouverneur sagte. „Ich halte es nicht für ratsam, ehrenwerte Seniores, diesen Hund schon heute zu Tode kommen zu lassen. Deshalb bin ich dafür, daß die Folterungen für heute eingestellt werden. Ein sofortiger Tod, den er nicht einmal richtig genießen kann . . . " An dieser Stelle kicherte der Gouverneur belustigt vor sich hin. „ . . . w är e eine zu milde Strafe für diesen Korsarenhund. Ich schlage vor, daß wir
ihn langsam, dafür aber nachdrücklichst und mit viel Delikatesse — gewissermaßen stückweise ins Jenseits befördern. Was haltet Ihr davon, Senior de Hormosa?" Ninguno machte notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel. Wenn es noch ihm gegangen wäre, schwämme Jose Manzanillo längst als Leiche in dem Brunnenschacht, in dem es nur so von Ratten wimmelte. Andererseits konnte es ihm völlig gleichgültig sein. Sein verhaßter Feind befand sich hier in bester Obhut, und daß er lebend aus die sem muffigen Gefängniskasten nicht mehr heraus kommen würde ... nun, darüber bestand wohl kaum ein Zweifel. „Ein trefflicher Einfall, Exzellenz!" lobdienerte er. „Nicht wahr?" Der Gouverneur spreizte geziert die goldgeschmückten
Hände
und
lächelte
ge
schmeichelt. „So machen wir's also! übrigens, mein lieber Senior de Hormosa, ich würde mich freuen, Euch und Eure schöne Gattin heute abend in meinem Hause als Gäste begrüßen zu dürfen. Ihr kommt doch?"
„Leider nein, Exzellenz. Ich bedaure aufrichtig, abschlagen zu müssen. Wir reisen heute noch nach Puerto Antonio. Wir werden dort erwartet." „Nun, so gehabt Euch wohl, mein Lieber! Und meine Empfehlung an die Gemahlin. Seid versi chert, daß ich Euch zu Dank verpflichtet bin. Ihr werdet von mir hören, und ich freue mich heute schon, Euch die Anerkennung Seiner Majestät übermitteln zu dürfen. Wo kann man Euch errei chen?" „Wenn Ihr gestattet, Exzellenz, so lasse ich Euch meine Cubanische Anschrift zukommen." „Oh, ich bitte darum — ich bitte darum...!" Noch ein paar Verbeugungen auf beiden Seiten, und die Wege der ehrenwerten Herren trennten sich, Ninguno blickte dem Gouverneur
und
seinem Trabanten mit Abscheu und Wider willen
nach,
bis
sie
hinter
einer
Ecke
untertauchten. Eine halbe Stunde später saßen Ninguno und Manuela bereits wieder in dem Wagen, der sie
zum ,Lobo' zurückbringen sollte. Ninguno war bester Laune und bemerkte so gar nicht die Ein silbigkeit Manuelas, in die sie sich hüllte. * Ihre Gedanken waren in Brozano . . . kreisten unentwegt um Jose. Würde die Flucht gelingen? Und wenn . . . würde sie jemals wieder von ihm hören? Er hatte alles verloren — sein Schiff, das jetzt in Ningunos Händen war. . . seine Mann schaft, die von den barbarischen Männern Ningunos hingemetzelt worden waren. Was würde er tun? Manuela machte in dieser Nacht kein Auge zu . . . und in dieser Nacht geschah es auch zum erstenmal wieder, daß sie betete . . . verzweifelt betete, mit Tränen in den Augen . .. bis im Osten der Morgen graute.
*
Über den Steilhängen, die die kleine Bucht, in Ükb
der Ningunos Schlupfwinkel lag, umstanden, versank
feuerrot
Dämmerung
kroch
die von
Sonne. den
Violette
bewaldeten
Hügeln . .. aus dem Schilf an den Ufern krochen Nebelschwaden über das Wasser. Im Osten schoben sich die ersten Sterne am Firmament hoch. Manuela Vadorro lehnte an einem der Fenster in der Heckkabine des ,Lobo' und starrte gedan kenverloren über die Bucht. Etwa zweihundert Fuß querab lag die ,Esperanza' vor Anker und wiegte sich sanft im rhythmischen Schlag der Wellen, die an ihren Bordwänden gluckerten. Das knirschende Geräusch des Rudergestänges drang bis zu Manuela herüber. Die Schäden auf
dem
Klipper
waren
inzwischen
von
Ningunos Männern beseitigt worden, und das Schiff sah heute wieder gut aus. Wo war Jose Manzanillo, dem einst dieser stolze Schnellsegler gehört hatte? Lebte er noch? Seit jenem Tage, da sie ihn zum letztenmal in
den Folterkellern von Brozano halbtot in den Eisenringen hatte hängen sehen, hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Täglich hatte sie gehofft, er möge ihr ein Zeichen ... eine kleine Nachricht zukommen lassen ... tagaus, tagein hatte sie sich gewünscht, er möge sich ihr bemerkbar machen .. oder wenigstens Limpio mit einem Gruß zu ihr senden. „Por diablo, ich werde sentimental wie ein Back fisch!" hatte sie sich mehr als einmal gescholten und sich vorgenommen, nicht einen einzigen Ge danken mehr an all das zu verschwenden, maledito! Umsonst! Sie hatte längst gemerkt, daß Ninguno sie mit äußerstem Argwohn betrachtete, und mehr als einmal waren ihr die Worte Limpios ins Gedächtnis zurückgekehrt... seine Frage, warum sie Ninguno nicht längst aus dem Wege geräumt habe. Damals hatte sie keine rechte Antwort gehabt. Heute aber hatte sie sie!
Ninguno gehörte Jose — ihm allein! Wenn sie nur wüßte, ob er davongekommen war. . . wäre er es nicht — sie würde keinen Augenblick lang zögern, dem verhaßten Ninguno den Dolch ins Herz zu stoßen. So aber hatte sie noch Hoffnung . . . und deshalb gehörte eben Ninguno immer noch Jose Manzanillo! Sie hatte sich eine Zeit gesetzt — ihren Geburtstag. Wenn Jose bis dahin nicht aufgetaucht sein würde . . . so wäre es an ihr, die Welt von dieser Bestie zu befreien. Das war in drei Wochen... und es graute sie, wenn sie sich vorstellte. . . es sei alles umsonst gewesen. Sie verspürte ein Würgen im Halse . .. und seit langer Zeit empfand sie heute zum erstenmal wieder den Drang nach Taten, wagemutigen, toll kühnen verwegenen Taten. . . . nach Abenteuern, nach Kampf auf Leben und Tod . . . so wie früher, als sie sich — stets eine der Tapfersten — allen voran durch die Luft auf fremde Schiffe schwang, sie enterte . . . mitreißendes Beispiel liefernd für ihre Mannschaft.
Zum Henker, damals hatte sie ein eigenes Schiff befehligt. .. und heute . . .? Heute hockte sie untätig auf dem ,Lobo' herum, heute war sie stündlich den Behelligungen durch Ninguno ausgesetzt. Er war hier der Herr — sie nichts weiter als seine Sklavin... Aber sie wollte es nicht sein — und es fiel ihr verdammt schwer genug, jedesmal erneut gute Mie ne zum bösen Spiel machen zu müssen. Hinter ihrem Rücken ging die Tür. Es lief ihr eiskalt über den Leib. Ohne sich umzuwenden, wußte sie: Ninguno! Ihr Antlitz wurde hart und unnahbar. Sie hörte, wie er näher kam. Jetzt stand er direkt hinter ihr — sein heißer, schwerer Atem strich begehrlich um ihren Nacken. Der Ge ruch von abgestandenem Rum, der ihm aus dem Mund quoll, erweckte einen jähen Brechreiz in ihr. Dann spürte sie seine Hände auf ihren Schul tern. Sie zwang sich zur Ruhe. Als er sie zu sich her umdrehte, ließ sie es geschehen. In seinen Augen stand nackte Gier... ein wildes, loderndes Auf
flammen ließ sie erschrecken. Und da hatte sie ihre
Selbstsicherheit
wieder.
Mit
einem
ungeheuren Ekel in ihrem Blick schob sie seine Hände weg, ging an ihm vorbei zum Tisch hinüber, richtete es so sein, daß der Tisch zwischen sie beide geriet, Ninguno durchschaute ihre Absicht und grinste zynisch. „Ich will dir was sagen, Manuela", begann er gefährlich ruhig und sprach so leise, daß sie ihn kaum verstehen konnte. „Ich verliere langsam die Geduld, mein Täubchen. Ich habe keine Lust mehr, mich länger von dir an der Nase herumführen zu lasen. Merk dir eins! Du gehörst mir — auch wenn du dich noch so sträubst. Ich würde dir raten, dich langsam mit diesem Gedanken vertraut zu machen. Du entkommst mir nicht. Ich habe gewissermaßen ein Anrecht auf dich, meine Süße, und ich denke nicht daran, dich einfach fahren zu lassen." Er kam allmählich näher, stemmte die Hände auf die Tischplatte und beugte sich weit zu ihr hinüber.
In Manuela arbeitete es fieberhaft. Da kam ihr plötzlich ein toller Einfall, und sie wunderte sich, daß sie nicht längst darauf gekommen war. Es reizte sie derart, daß sie sich zwingen mußte, den Mann da vor ihr nicht ganz einfach auszulachen. Hölle und Schiffszwieback — ja, so könnte sie ihn sich vom Leibe halten! Die Situation wurde all mählich brenzlich. Sie kam um den Tisch herum und ging direkt auf ihn zu, verheißungsvoll lächelnd, anschmiegsam, sich in den Hüften wiegend. Mit halbverschleierten Augen blickte sie zu ihm auf, und ihre Stimme hatte einen weichen, warmen Ton, der den Mann fast verrückt machte. „Ich will dir ja angehören", hauchte sie ergeben und dabei zerbarst sie fast innerlich. „Aber ich bin nun mal ein bißchen altmodisch", fuhr sie fort. „Die Tatsache, daß ich in Freiheit auf dem Meer unter Männern aufgewachsen bin, ändert daran nichts." Sie strich leichthin mit der Hand über seinen Arm. „Ninguno, sieh . . . ich bin nun mal kein leichtes Mädchen . . . so
eine,
wie
du
sie
dutzendweise
in
den
Kaschemmen der Häfen finden kannst. . . für ein paar Gläser Wein und eine Handvoll Peseten. Ich werde dein, weil ich weiß, daß du mich liebst. . . aber . . . aber . . . " Sie senkte in gespielter Schamhaftigkeit den schönen Kopf „Was, aber?" fragte er heiser vor Erregung und bezwang den unbändigen Wunsch, sie ganz einfach an sich zu reißen. „Du mußt mich heiraten!" Aus den Augenwin keln heraus beobachtete sie sein Gesicht. Wenn Ninguno jemals in seinem wilden, hem mungslosen Leben verblüfft gewesen war — dann jetzt. Er schnappte förmlich nach Luft, rang nach Atem. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen . . . dann gurgelte es in seiner Kehle . . . er begann zu prusten, schlug sich plötzlich die Hände gegen die Schenkel und brach in ein unbändiges
Gelächter
aus,
daß
es
sich
donnernd an den Kabinenwänden brach. „Heiraten...", brüllte er und benahm sich, als
hätte man ihm einen wüsten Witz erzählt. „Hei raten willst du, mein Täubchen? Hahaha . . . das ist das Tollste, was ich je gehört habe. Heiraten . . . hohoho! Eine Korsarenbraut sozusagen, wie? Eine Korsarin will einen Korsaren heiraten. He, du bist nicht ganz gescheit, was? Du bist hier nicht in Madrid oder weiß der Teufel wo ... sondern auf dem Schiff eines Piraten . . . und nicht etwa irgendeines Piraten, sondern auf dem Schiff Ningunos,
des
gefürchteten
Korsaren
der
Karibischen See.. und du kommst daher und erzählst mir was von Heiraten und so! Etwa mit Pfaffen und Myrthenkranz, wie?" Manuela spielte ihre jungmädchenhafte Rolle ge lassen weiter. Sie nickte ernsthaft. „Da ich sehe, daß du es lächerlich findest, Nin guno, kann ich kaum annehmen, daß deine Liebe zu mir so groß ist." Er stürzte auf sie los und riß sie an sich. Sein rumgeschwängerter Atem umflatterte ihr Gesicht, daß sie sich verzweifelt aus seinen Armen zu win den suchte. Seine brutalen Lippen suchten die ih
ren. Es gelang ihr, eine Hand freizubekommen ... und hemmungslos stieß sie ihm — wie damals — die geballte Faust ins Gesicht. Er ließ augen blicklich von ihr ab, wischte sich über die Augen. Lauernd betrachtete er sie. „Du bist — bei allen Teufeln — ein verdammtes Frauenzimmer, mein Täubchen", stieß er atemlos hervor, und seine Augen umfingen begehrlich ihre schlanke Gestalt. „Aber ich will dir was sagen: Bueno, ich heirate dich, wenn du's denn so willst." Er lachte schallend auf. Manuela erschrak zu Tode und wandte sich rasch ab. Seine Bereitwilligkeit versetzte sie jäh in neue Unruhe und Verzweiflung. Sie hatte an genommen, er würde sie für verrückt halten. Nun, das hatte er schließlich auch getan... aber auf den Gedanken, daß er auf ihren absurden Vor schlag eingehen könne, wäre sie nie und nimmer gekommen. Sie hatte zu diesem Mittel nur des halb gegriffen, um sich mit einem Schutzwall oder so was zu umgeben ... und nun sagte dieser ver fluchte Halunke auch noch ja. . .
Was nun? Sie mußte sich doch jetzt erfreut zeigen. Langsam wandte sie ihm ihr Antlitz zu und lächelte. Und dann kam ihr der rettende Einfall ... der zweite heute. Hoffentlich war er besser. „Oh, Ninguno", kokettierte sie und warf ihm einen glühenden Blick zu. „Du willst mich wirk lich . . .? Oh, ich weiß nicht, was ich sagen soll.." „Brauchst du auch nicht, mein Täubchen", unter brach er sie barsch. „Und wann soll dieser ganze Krempel steigen? Möglichst bald, denk' ich, por diablo! Ich habe keine Lust, noch lange zu warten." „In drei Wochen ist mein Geburtstag — dann! Nicht früher!" „Oh, Hölle und Schiffszwieback, du machst mich zum Narren, vermaledeites Frauenzimmer. Also meinetwegen, aber hüte dich, mich dann erneut hinhalten zu wollen. Und nun Schluß mit diesem albernen Kram. Mal ganz was anderes. Du be kommst die .Esperanza'. Der Klipper ist wieder hergerichtet. Jetzt haben wir wieder zwei Schiffe, und wir segeln im Verband. Ich gebe dir von der
Stammannschaft des ,Lobo' ein paar vertrauens würdige Männer rüber und . .. " „Was heißt das? Was bedeutet .vertrauenswürdige Männer'. ..?" begehrte sie auf. „Hast du kein Vertrauen
mehr
zu
mir?"
Er
musterte
sie
eindringlich. „Beim Satan, nein, wenn du's denn wissen willst. Aber du bist gescheiter als sie alle zusammen... und ich sage dir ganz ehrlich: Wenn ich
jemand
anderen
hätte,
dem
ich
die
,Esperanza' als Kapitän geben könnte — ich tät's. So aber bist du die einzige, die in Frage kommt. Leider. Weißt du, als Pirat bist du großartig.. . aber du hast in letzter Zeit so komische Anwandlungen . . . ach, was reden wir davon?! Basta und punktum! Du kriegst den Kahn und die Vertrauensleute dazu. Den Rest der Mannschaft werde ich dir in diesen Tagen beschaffen. In Brozanos Kaschemmen wimmelt es nur so von verwegenen Haudegen und verkommenen Halunken, die das Tageslicht scheuen und froh sind, ein par fette Spanier mit
ein paar gutgezielten Degenhieben ins Jenseits zu
befördern.
Du
wirst
eine
erlesene
Mannschaft haben . . . und daß du dir tolldreiste Burschen vom Leibe halten kannst... nun, das weiß ich ja aus eigener Erfahrung", fügte er anzüglich
hinzu.
„Die
Kerls
aus
den
Hafenkneipen kümmern sich nämlich nicht viel um die Zurückhaltung eines Weibes. Sie nehmen sich, was ihnen gefällt. Und du wirst ihnen gefallen, oder ich fresse nur noch faule Fische, maledito." „Keine Sorge, mein Lieber", entgegnete sie. „Wozu habe ich meinen Degen?" „Bueno, halt ihn gut warm. Und nun buenas noches, mein Täubchen!" In der Bodega ,Zum Rostigen Anker' gaben sich alle die ein Stelldichein, die keinen Wert darauf legten, zur so genannten menschlichen Gesellschaft gezählt zu werden . . . kleine Diebe, desertierte Soldaten aus der spanischen Garnison, Wegelagerer, Banditen aller Grade, Mörder. . . kurzum: Das gesamte menschliche
Strandgut des sechzehnten Jahrhunderts und der spanischen überseeischen Besitzungen . . . ein bunt zusammengewürfelter Haufe, eine verschworene
Gemeinschaft
von
Männern,
denen im Dunkeln zu begegnen keinem Bürger geraten erscheinen mochte. In der Bodega ,Zum Rostigen Anker' gab es für sie alle einen stillen, ungestörten Platz auf einer
wackligen
belästigte.
Das
Holzbank, wußten
sie,
wo
sie
diese
keiner rauhen,
wilden, verwegenen Burschen . . . und sie wußten auch, daß sie sich nirgendwo in ganz Brozano sicherer fühlen konnten als gerade hier .
.
.
bei
der
alten
Vettel,
dieser
aufgeschwemmten Sipulca, einem Riesenweib von unförmigen Ausmaßen, mit einem Gesicht, das einem kleinen sechsjährigen Mädchen zu gehören schien — faltenlos und einfältig. Hierher verirrte sich keine Soldatenstreife — und so war es kein Wunder, daß es in den rauchigen Kellergewölben der fetten Sipulca nur so wimmelte.
In dichten Trauben hockten die Burschen an den
weinbesudelten
Tischen,
gröhlten
besoffen und gössen sich den scharfen Rum oder den milden, aber schweren Wein aus den südlichen
Gefilden
Spaniens
gleich
gallonenweise in die durstigen Kehlen. Estrella bediente sie — die junge, graziöse, an mutige und dirnenhafte Tochter der dicken Vettel, ein Ding mit wissenden Augen und dem aufreizenden Gang einer Tigerin. In einer kleinen Nische in der Nähe der Theke saßen Jose Manzanillo und Limpio. Ab und an tranken sie aus ihren Bechern, dann starrten sie wieder zur Tür hinüber, die im hellen Schein eines Öllichts deutlich sichtbar war. Hierher aber, wo sie saßen, fiel kein Licht. Ein diffuses Dämmern lag über der Nische. Limpio verfolgte mit feurig-verliebten Blicken das Mädchen Estrella. Jose bemerkte es und grinste, konnte sich dann nicht enthalten, eine anzügliche Bemerkung zu machen.
„Laß die Finger von dem Ding, Langer", sagte er warnend. „Die Burschen, die hier so herum hocken, verschlingen sie alle, daß einem angst und bange werden kann. Und du weißt, daß
du
uns
Weibergeschichten
mit
deinen
schon
verteufelten
manchen
lästigen
Kram eingebrockt hast." Limpio machte ein empörtes Gesicht. „Hölle und Schiffszwieback", wetterte er los. „Warum sagt Ihr mir das andauernd, Senior? Ich weiß es selbst. . . aber ich schätze, es geht Euch einen Dreck an, wenn ich Estrella schöne Augen mache. Und außerdem: Das Mädchen ist in mich vernarrt. Ich bin ihr Dank schuldig, und da ist es nicht mehr als recht und billig, wenn ich auf ihre Verliebtheit eingehe." Soviel Frechheit, die Dinge zu verdrehen, raubte Jose einfach die Spra che. Er schluckte heftig und trank schnell von dem Wein. „Ja, und dann", fuhr Limpio eigensinnig fort. „Wenn Estrella nicht gewesen wäre und Euch nicht bereitwilligst aufgenommen hätte, so möchte
ich gern wissen, wo Ihr heute wäret. Wahr scheinlich werdet Ihr als Engelein mit einem Palmzweig herumschwirren, por diablo. Ihr könntet Euch ruhig ein bißchen dankbarer zeigen. Das Mädchen hat keine Mühe gescheut, als ich mit Euch hier ankam. Ihr bestandet ja nur noch aus Fellfetzen und Blut." Jose nickte. Es stimmte, was Limpio da sagte. Das war nun allerdings schon ein paar Wochen her... Als er damals zu sich gekommen war, hatte er Zunächst geglaubt, bereits in der Hölle, minde stens aber im Fegefeuer zu schmoren. Aber das Gesicht, das sich da über ihn gebeugt hatte, war alles andere als höllisch und das eines Teufels... und die Hände, die seine verklebten Haare aus der Stirn gestrichen hatten, waren weich und zärt lich gewesen. . . die Hände eines schönen, erre gend schönen und gefährlich anmutigen Mäd chens . . . und neben dem Gesicht des Mädchens war noch ein Gesicht aufgetaucht. .. und er — Jose — hatte sich sehr gewundert. Dann war er der Einfachheit halber wieder in
eine
schmerzlindernde
Ohnmacht
gefallen.
Später dann — viele Tage später — hatte er der Reihe nach alles erfahren. Das Gesicht des Mädchens
war
nämlich
immer
wieder
gekommen, und er hatte von Limpio, der auch auf einmal wieder da war. gehört, daß das Mädchen,
das
zu
diesem
Gesicht
gehörte,
Estrella sei, die er doch kenne. Und dann hatte er sich erinnert. Natürlich! Estrella! Damals, als sie als Mönche geflüchtet waren, hatten sie in der Bodega ,Zum Rostigen Anker' Station
gemacht.
anbetungswürdigste
Estrella, Punkt
im
der Limpios
verliebten Leben. Also bei Estrella im ,Rostigen Anker' war er. Und wie er hierher gekommen war, hatte er dann auch bald vernommen — in allen Einzelheiten. Das war nämlich so gewesen: Der Hauptmann Ramon Cardad ließ sich in jener Nacht die Gefängniswache zuteilen. Das war leicht! Und noch leichter war dann die Befreiung des angeblichen Ninguno. Ramon Cardad begab
sich nämlich gegen Morgen, als die Wachsolda ten in der Wachstube friedlich schliefen, ganz einfach in Joses muffige Zelle, packte ihn in einen großen Segeltuchlappen und schleppte ihn auf den Schultern durch die Gänge, über den Innenhof nach draußen zur Fallbrücke. Neben der Fallbrücke befand
sich
eine winzige
Pforte. Dort winkte er — hell vom Mond angestrahlt —.mit einem Fetzen weißen Tuches und warf das mannsgroße Bündel mit dem halbtoten
Jose
kurzerhand
in
den
Wassergraben, wohl wissend, daß nun drüben auf der anderen Seite des Grabens der lange Limpio auftauchen würde, um den Rest zu besorgen. „Wahrhaftigen
Gottes
—
keine
sonderlich
abenteuerliche Flucht! Limpio fischte seinen geliebten Capitan aus dem Graben. Das ging mühe- und reibungslos. Und
helfen
tat
ihm
dabei
mal
wieder
,Galgenvogel'! Nun, und was dann kam, war auch nicht so toll. Limpio schaffte Jose in den
,Rostigen Anker', wo die schöne Estrella auf den zukünftigen Dauergast längst vorbereitet war. Jose wurde von Limpio und Estrella gesundgepflegt. Limpio war am nächsten Tag dann noch bei dem Hauptmann gewesen. Der hatte ihm einen Beutel mit Dublonen in die Hände gedrückt — mit
einem Gruß von Cirina
Ramenez an den Capitan. Vom Hauptmann hatte Limpio auch noch erfahren,
daß kein
Mensch in der ganzen Garnison auf den Einfall
kommen
werde,
etwa
geflohenen Korsaren Ninguno
nachdem
zu
suchen,
denn er — der Hauptmann — habe am Morgen nach der Wache seinem Kommandeur berichtet, dieses Schwein von
Ninguno
sei
in der Nacht sang- und klanglos krepiert. Er — der Hauptmann — habe
das
auf
einem
Rundgang entdeckt und den Piraten, um die Sache
zu
vereinfachen,
in
den
Schacht
geworfen, in den üblicherweise alle Toten des Gefängnisses
geworfen wurden.
die Geschichte erledigt.
Damit war
Wie gesagt — alles andere als eine wilde, abenteuerliche, verwegene Befreiung. Ja, und seit dem hausten die beiden Gefährten im ,Rostigen Anker', sehr zur Freude des langen Limpio, der in der ständigen Nähe der kecken Estrella ganz aus dem Häuschen geriet und mehr als sonst seinen Schnurrbart striegelte. Jose verging vor Ungeduld. Mit jedem Tag, der, seitdem er von seinen grausigen Wunden geheilt war, untätig verstrich, wurde er nervöser. Die Enge der winzigen Kammer, in der er hauste, machte ihn fast verrückt. Er verspürte einen un bändigen Drang nach der offenen See, nach Taten und der frischen Luft, die draußen wehte .. . aber gleichzeitig wurde ihm jedesmal schmerzlich be wußt, daß er sich solche Wünsche getrost aus dem Schädel schlagen müsse. Er besaß nichts mehr! Woher ein Schiff nehmen, wenn man dazu verurteilt war, in einer Bodega herumzuhocken? Der Gedanke an den verhaßten Ninguno, der ihm das alles eingebrockt hatte, machte ihn wild. Nie war sein Haß größer als in
der Zeit, die er nun schon hier unnütz verbrachte, und sein Verlangen nach Rache, fürchterlicher Rache, ließ ihn oft nachts nicht schlafen. Und dann waren da die Gedanken an Manuela Vadorro. Als damals Limpio ihm erzählte, daß er es nicht zuletzt Manuela zu verdanken habe, wenn er heute noch von dem tollen, süffigen Wein saufen könne, den die fette Sipulca für ihre Gäste bereithielte, da hätte er am liebsten die ganze Welt umarmt. Also hatte er sich doch nicht in ihr getäuscht! Ein Schatten fiel über ihren Tisch. Rasch hob Jose den Kopf, ein Strahlen ging über sein Antlitz. „He, Galgenvogel", freute er sich. „Komm her, hock dich hin und berichte.
Hast du was über
Ninguno gehört?" Voller Ungeduld hingen seine Augen an dem Mund des Neuankömmlings, der sich hastig in die Ecke drückte. „Nee, Senior, nischt!" Galgenvogel zuckte be dauernd die Schultern. „Keine Sau weiß was von dem Burschen. Ich bin die ganze Küste rauf bis Savanna la Mar. Nichts. . . es ist anscheinend
leichter, auf ganz Jamaica den spanischen König in der Verkleidung eines Kräuterweibes zu finden, als eine Nachricht über Ninguno irgendwo aufzutun. Tut wir wirklich leid, Senior!" Jose ballte in wilder Ohnmacht die Hände zu sammen, daß die Knöchel weiß schimmerten. „Dreimal verflucht", stieß er gepreßt hervor. „So hat sich dieser Schuft also davongemacht. Aber ich schwöre, daß er mir nicht entkommt, und sollte ich darüber tausend Jahre in dieser verdammten Kaschemme herumsitzen müssen . . . ich kriege ihn." „Wenn ihn bis dahin nicht die Haie gefressen haben,
Senior",
Ausbruch
dämpfte
Limpio
den
seines Kapitäns. „Also warten wir
noch ein paar Jährchen. Ich verwette mein See . . . " Limpio blieb das Wort im Halse stecken. Entgeistert
starrte
zur
Tür
hinüber.
Er
schluckte ein paarmal heftig, rieb sich die Augen, als wolle er sich vergewissern, ob er nicht etwa träume. Dann riß er seinen Becher an
sich und kippte sich den ganzen Inhalt mit einem wilden Ruck in die Gurgel. Endlich kam er wieder zu sich. Er blickte zu Jose hinüber — der schien noch nichts bemerkt zu haben. Und nun hatte Limpio seinen Gleichmut wieder gefunden. „Ich will Euch was sagen, Senior! Ich verwette nicht mein Seelenheil. . . dafür tue ich aber was anderes. Ich schenke Euch Ninguno zum Nach tisch . . sozusagen, damit Ihr heute nacht endlich mal wieder richtig schlafen könnt. Bitte, bedient Euch!" Er wies mit der Hand zur Tür hinüber. Jose wollte sich schon über das offenbar blöd sinnige
Gewäsch
Limpios
entsprechend
auslassen . . . aber als er jetzt tatsächlich zur Tür hinüberblickte, da blieb auch ihm die Spucke weg. Auch er rieb sich fast die Augen. Da stand Ninguno — leibhaftig, in seiner vollen Größe, breitschultrig, den linken Arm her ausfordernd in die Hüfte gestemmt, herausge putzt wie ein Fant, mit einem weiten schwarzen
Umhang, den er sich malerisch um die Schultern geworfen hatte . . . auf seinem Gesicht dasselbe verdammte, höhnische, gemeine Grinsen, das Jose an ihn kannte. Es gab keinen Zweifel — es war Ninguno, und wenn es auch kaum zu glauben war. Zwischen seinen Augenbrauen glänzte matt ein winziger dunkler Fleck . . . das Überbleibsel von Joses Degenspitze. Jose merkte, wie das Blut in seinen Adern zu kochen begann. Im ersten Impuls wollte er auf springen und sich auf den verhaßten Feind stürzen, aber Limpio entging es nicht. Er hielt seinen Kapitän zurück. „Keine Dummheiten, Senior", raunte er Jose zu. „Erst abwarten, was der Bursche will. Er ist Euch jetzt ganz sicher . . . er kann Euch gar nicht mehr entwischen.
Also
abwarten,
Senior!
Ruhe, nur Ruhe! Keine unüberlegten Attacken. Der Kerl hat's faustdick hinter den Ohren, und wer garantiert Euch, daß er nicht in der verrauchten Bude 'ne ganze Menge treuer Freunde hat, he? Ihr wäret ein zerhacktes
Beefsteak oder zerlöchert wie ein Sieb, noch ehe Ihr ihm auch nur das äußerste Haar seiner rechten Augenbraue geknickt hättet. Stimmt's?" Jose fügte sich sofort. Was Limpio da einwen dete, leuchtete ihm ein. „Hier in der Ecke kann er uns nicht sehen, wenn er nicht gerade den Wunsch verspürt, bei uns Platz nehmen zu wollen, was ich nicht glaube. Ninguno ist eitel. Er will Mittelpunkt sein, also bleibt er im Licht. Hier aber ist es dunkel!" „Verdämmt, Limpio, du quatscht wie ein Win keladvokat. Ich weiß ja, daß du recht hast. . . sehe es ja ein. Also laß jetzt dein dummes, überflüssiges Gewäsch!
Was mag
er
hier
wollen?" „Wartet's ab, Capitan!" Estrella schob sich in die Nische. Ein großes Tablett mit Bechern in die Hüfte gestemmt, stellte sie sich so, daß sie Jose und Limpio verdeckte.
Galgenvogel
grinste,
langte
sich
einen vollen Becher von Estrellas Tablett und kippte ihn sich hinter das speckige Halstuch. „Ninguno ist da", flüsterte das Mädchen aufge regt über die Schulter. „Por dios, meinst du, wir hätten Bretter vor den Klüsen?" brummte Jose. Limpio ergriff die günstige Gelegenheit beim Schopf und spielte verliebt
mit
ihrem langen blauschwarzen
Haar, das ihr weit in den Rücken fiel. Estrella warf dem Langen einen feurigen Blick zu. „Bleib so stehen, meine Süße", flüsterte Jose ihr zu. „Du bist eine prächtige Deckung. So kann der Bursche uns kaum in unserem finsteren Loch ausmachen." Das Mädchen nickte und stellte sich malerisch in Positur. Ninguno kam jetzt langsam die sechs Stufen herunter, die in die Bodega führten. Aufmerksam sah er sich um, musterte die anwesenden Männer, als suche er jemanden — dann stakte er auf die Theke zu. „He", brüllte er so laut, daß sich seine Stimme
schallend an den Wänden brach. „He, Madame... eine Runde für alle. Gib den Kerls zu saufen, aber flott, flott. Den Kerls hängen ja vor Durst die Zungen aus den Mäulern. Hier, nimm dies!" Er warf Sipulca eine gefüllte Geldkatze zu, die die Dicke geschickt aus der Luft fing und hastig unter ihren weiten Röcken verschwinden ließ. Die Männer im ,Rostigen Anker' machten Stiel augen. Por diablo, das war selten vorgekommen, daß einer sie alle auf seine Kosten saufen ließ. Ein tosender Lärm erfüllte den verrauchten, muf figen Keller, ein wildes Gedränge entstand. Keiner wollte zu kurz kommen. Ninguno lehnte sich mit dem Rücken an eine gemauerte Säule und grinste. „Verdammt",
knurrte
Limpio.
„Woher
diese
Spendierfreudigkeit? Da ist doch 'ne ganze Menge faul, will mir scheinen. Ich verwette mein See lenheil, daß. . ." „Laß uns mit deinem erbärmlichen Seelenheil z u f r i e den, Bambusrohr", wehrte Jose unwillig
ab. Er ließ kein Auge von Ninguno, der mit verschlagenem Gesicht zusah, wie die Männer sich den Wein in die Gurgeln kippten. Jose verspürte
eine
wilde
Lust,
einfach
aufzuspringen und seinem verhaßten Todfeind den Dolch in die Rippen zu jagen, aber er bezwang sich . . . er wollte wissen, was dieses Theater auf sich hatte . . . wie es weitergehen würde. Er brauchte nicht lange zu warten. „He, Companeros", schrie Ninguno plötzlich in den Lärm hinein. „Auf euer Wohl! Sauft, so viel ihr könnt. Ich zahle den Dreck! Sauft, bis ihr umfallt, aber vorher müßt ihr hören, was ich euch zu sagen habe. Ganz umsonst sollt ihr das elende Gesöff nicht kriegen, hahaha. Na, wie ist es . . . habe ihr Lust, eure dreckigen Ohren ein paar Minuten zu spitzen?" Der Ton war genau richtig, den er da anschlug. Das mit den dreckigen Ohren war keineswegs eine Beleidigung — so waren die Kerls es ge wöhnt . . . und da dieser seltsame Gast so groß
zügig war . . . nun, warum sollte man ihm nicht zuhören?
Möglicherweise
gab's
was
dabei
einzusacken. Das Gebrüll verstummte. Aller Augen richte ten sich auf Ninguno, der zufrieden vor sich hin grinste. Mit dem Fuß zog er sich einen wackeli gen Schemel heran, stand mit einem kurzen Sprung oben, sah abwartend in die Runde. „Zerhackte Haienflosse, jetzt geht's los", nickte Limpio zufrieden und tätschelte Estrellas matt schimmernden Arm. Jose pfiff leise und vielsa gend durch die Zähne. „Also hört zu, Companieros. Wer ich bin, geht euch allesamt zunächst einen feuchten Kehricht an, schätz' ich, he? Nur soviel sei euch gesagt: Ich habe 'ne Menge Geld, und dieses Geld hat die
löbliche
Eigenschaft,
sich
laufend
zu
vermehren, hahaha. Einige von euch können mir dabei helfen. Es fällt ein ganz schöner Batzen für sie ab. Ich suche Männer, die schon mal zur See gefahren sind — oder auch solche, die keine Angst haben, wenn sich ein Schiff
mal ein bißchen stark auf die Seite legt . . . mit einem Wort: Mutige Landratten. Eines müßten sie aber alle gemein haben . . . Furchtlosigkeit. Ich brauche Männer, die weder den Tod noch den Teufel persönlich fürchten —und wenn ich euch so ansehe, dann denk ich . . . einige von euch wären solche Burschen, die ich gebrauchen könnte. Und noch eins: Ihr müßt den Degen handhaben können wie eure rostigen Messer, mit denen ihr euch eure gerösteten Fische in den Rachen schiebt. Gefühlchen und Gewissensbisse sind dagegen nicht sonderlich gefragt, hahaha . . . aber ich wette, davon habt ihr keinen unnützen Ballast in euren schwarzen Seelen, he? Na, wie steht's mit euch, Jungs?" Er sah in die Runde. Keiner rührte sich. Die Burschen, handfeste Kerls ohne jede Hemmung, bereit, für ein paar Peseten dem Gouverneur das Kissen unter dem Schädel wegzuziehen, ohne daß der sich in seiner Siesta gestört fühlen würde, starrten stumm und lauernd den Sprecher an.
Verdammt großspurig, dieser herausgeputzte Kerl. . . aber der Wein, den er ihnen spendierte, war nicht so ohne. Immerhin. . . Vorsicht! Sie blieben stumm. „He, habt ihr keine Mäuler zum Sprechen, ihr Tagediebe?" schnauzte Ninguno los, vergaß aber
nicht,
sie
gleichzeitig
freundlich
anzugrinsen, „übrigens . . . Rum und Wein habt ihr jeden Tag, soviel ihr wollt. Ihr braucht euch nicht sofort entscheiden, companeros. Sagen wir . . . eine Stunde, he?! Ich warte solange." Er wandte sich gelangweilt ab und sprang von seinem Schemel herunter. „Was ist das für ein Schiff, Senior?" Ein langer Kerl mit der Figur eines ausgewachsenen Klei derschrankes schob sich von seinem Platz hoch. „Das erfährst du, wenn du deinen Stiernacken zum ersten Mal in den Wind hältst, amigo! Ach so . . . ja, das sollt ihr noch wissen. Ich habe zwei Schiffe — das zweite erst seit kurzem . . . und dafür brauche ich nun also eine zünftige
Crew, die zu gegebener Zeit vergißt, daß sie Ohren zum Hören und Augen zum Sehen hat. Wir verstehen uns, wie? Und nun sauft noch was
von
diesem
prächtigen
Wein!
He,
großartigste aller Schankwirtinnen, gib den Burschen was für ihre durstigen Mäuler!?" Jose und Limpio waren bei der Erwähnung des zweiten Schiffes wie von der Tarantel gebissen zusammengezuckt. Ein zweites Schiff. . . ? „Ich will gehenkt werden, wenn da nicht von unserer
.Esperanza'
die
Rede ist,
Senior",
brummte der Lange aufgeregt. „Schätze, du hast den Nagel auf den Kopf ge troffen. Dieser Hund hat unseren guten alten Klipper wieder flott gemacht, por diablo . . . jetzt bin ich der
es mal, mein
treuer
Freund,
sein Seelenheil verwettet, wenn wir
nicht.'.." Er unterbrach sich. In seinem Gesicht arbeitete es. Hastig trank er einen Schluck, dann wieder einen, kippte schließlich den Rest in
die
Gurgel.
Seine
Augen
leuchteten
gefährlich . . . und wie zu sich selbst sagte Jose:
„Man müßte sich von Ninguno anheuern lassen, por dios, das ist es. Ein Wink des Schicksals, den verfluchten Kerl endlich aus dem Wege zu räumen
und
,Esperanza'
wieder
zu
in
gelangen."
den
Besitz
Limpio
der
machte
Augen so groß wie die Blätter der ,Victoria Regia'. Dann ging ein breites Grinsen über sein Gesicht.
Begeistert
streichelte
er
seinen
Schnurrbart. „Hölle und Schiffszwieback, Capitan, Ihr seid ein Satansbraten. Aber wie — zum Henker — wollen wir das Tänzchen wagen? Ninguno kennt uns und . . . " „Aber er hält uns für tot — wenigstens mich. Por
diablo,
Zerbrich
dir
wie
bewerkstelligen
doch
mal
deinen
wir's? hohlen
Zuckerhut, Bohnenstange, maledito." „Laßt ihn, Senior", unterbrach ihn Estrella und machte ein hochnäsiges Gesicht, indem sie Limpio
abfällig
betrachtete,
was
diesen
mordsmäßig wurmte. „Dem fällt nichts ein — der
hat
doch
nur
Grips
genug,
um
sich
auszudenken, wie er unschuldigen Mädchen nachstellen kann. Laßt ihn nur! Ich habe nämlich längst einen Einfall." „Du, Estrella?" Jose machte ein ungläubiges Ge sicht. „Ja, ich . . . was verwundert Euch so sehr dar an?" Und sie beugte sich zu dem aufmerksam lauschenden Gefährten hinunter und tuschelte ihnen erregt und hastig einiges ins Ohr. Je weiter sie kam, desto begeisterter wurde Jose . . und desto länger zog sich das ohnehin schon lange Gesicht Limpios. Galgenvogel kicherte in sich hinein und griff sich einen neuen Becher. „Na?" Estrella sah die Männer beifallheischend an. „Eine gute Idee", lobte Jose. „Eine schlechte Idee", grunzte Limpio und be tastete ängstlich seinen Schnurrbart. „Ich bin dagegen, und ich verwette mein Seelenheil, daß ..." „Halt's Maul, Langer. Dein Schnurrbart wird ja
wieder wachsen, he?!" „Also kommt, amigos!" Estrella richtete sich auf.
„Schnell,
drückt
euch
an
der
Wand
entlang, und dann rein in die kleine Tür neben der Theke. Ich stell mich vor euch. Ninguno wird euch nicht sehen können." . Drei Minuten später schloß sich knarrend die kleine Tür hinter den dreien. Estrella schob sich, ein Liedchen trällernd, mit wiegenden Hüften quer durch den Keller, warf Ninguno einen
leidenschaftlichen
Blick
zu
und
verschwand dann ebenfalls . . .
*
Als Jose und Limpio nach einer guten halben Stunde
wieder
den
Schankraum
betraten,
kamen sie gerade zurecht, wie Ninguno wieder auf seinen Schemel stieg. Sie drückten sich an der Wand entlang und mischten sich unauffällig unter
die
Männer,
deren
größter
Teil
inzwischen
'ne
ziemliche
Menge
Wein
verdrückt hatte . . . so viel, daß sie bedrohlich wankten und mit glasigen Augen in die Gegend stierten. Ninguno gebärdete sich wie ein Hauptmann, der auf dem Schlachtfeld mit gezogenem Degen seine lustlose Kompanie gegen den Feind führt. Er fuchtelte wild gestikulierend mit seinen Armen in der Luft herum und ließ seine Blicke wachsam und neugierig über die dicht gedrängten Männer schweifen. „Na, ihr versoffenen Kerls", schrie er. „Was ist? Habt
ihr
euch
das
Angebot
durch
eure
Hohlköpfe gehen lassen, he? Also los . . . vortreten, wer in meine Dienste treten will." Der reichlich ausgeschenkte Wein blieb nicht ohne Wirkung, und die meisten von denen, die
nun
vortraten
.mochten
wohl
daran
denken, daß es, machten sie diesen Kram mit, täglich einen zünftigen Rausch geben würde. Viele von ihnen konnten sich nur noch mit ziemlicher
Mühe
auf den
Beinen
halten.
Zwanzig waren es, die sich nun um Ninguno scharten — unter ihnen Jose, Limpio und Galgenvogel, der unentwegt leise vor sich hinkicherte und ab und zu verstohlen seine beiden Gefährten von der Seite betrachtete. „Los, in einer Reihe aufbauen", befahl Ningu no und sprang wieder zu Boden. Die Männer formierten sich. „So, ihr Saufhelden, w o l l t also Bill machen!" Ninguno schritt die Reihe ab. Estrella in ihrer Ecke hielt den Atem an, Wir gebannt hingen ihre Augen an Ninguno, der langsam an den Männern entlangflanierte. Noch drei Mann — dann kam Jose. Was würde geschehen? Würde Ninguno auf die Maskerade hereinfallen? Estrella preßte ihre Hände vor die Brust. Ihre Augen suchten die Joses und Limpios. Die beiden nickten ihr zuversichtlich zu, verbargen ein belustigtes Grinsen . . . und nun lächelte auch das Mädchen. Die beiden Freunde hatten sich toll herausstaffiert. Selbst ihre eigenen Mütter hätten sie in der Vermummung nicht
wieder erkannt. Jose trug auf dem linken Auge eine dreckige, fettige Klappe, die er mit einem Band um seinen Kopf geschlungen hatte. Der Kopf selbst war
von
einem
blutgetränkten
Verband
eingehüllt. . . nur daß das Blut kein Blut, sondern Rotwein war. Mit Kohle hatte er sein Gesicht
so
verschmiert
und
anschließend
verrieben, daß er aussah, als hätte er sich seit seiner Geburt davor gescheut, mit Wasser in Berührung zu kommen. Außerdem verzog der junge Kapitän sein Gesicht derart teuflisch, daß man es mit der Angst bekommen konnte. Die Mundwinkel hatte er brutal nach unten gezogen, das Kinn herausfordernd vorgestreckt. Seine Haltung war frech und kühn zugleich. Um die Hüften hatte er sich eine malerische Schärpe geschlungen — bis vor einer halben Stunde noch das schönste Halstuch Estrellas — seine Hosen wiesen mehr Löcher auf als Stoff und waren unten angefranst, als hätten Generationen
ganze
von Ratten darin ihr Unwesen getrieben — das Hemd hatte Flicken und stand über der Brust weit offen. Ein furchterregender Bursche — dieser Jose Manzanillo . . . und Estrella lächelte noch mehr. Aber gegen Limpio war Jose ein billiger Ab klatsch. Limpio mit seiner baumlangen Gestalt schien
plötzlich
um
zwei
Köpfe
kleiner
geworden zu sein. Er unterschied sich, was die Länge betraf, nicht mehr von anderen normal gewachsenen Männern . . . dafür aber in seinem ungewöhnlichen Aussehen. Limpio hatte hinten einen gewaltigen Buckel, den er dadurch noch mehr herausstrich, indem er sich weit und gekrümmt nach vorn gebeugt hielt. Der Buckel war ein riesiges Ding. Die ganze Lumpensammlung aus Sipulcas Schuppen hatte darin Platz gefunden. Halt gab dem fürchterlichen Auswuchs ein eng anliegendes Wams,
in
dem
der
Arme gottsjämmerlich
schwitzte. Das aber bekümmerte ihn weniger als der Umstand, daß er seinen männlichen Stolz
diesem verrückten Abenteuer hatte opfern müssen — seinen Schnurrbart. Er war überzeugt, den Verlust seines Bartes nie verwinden zu können und mit kummervoller Miene tastete seine Rechte nach der Oberlippe. Als habe eine Schlange ihn gebissen, zuckte er zurück, und sein hageres Gesicht wurde so wütend, daß Estrella fast laut losgelacht hätte. Auch er hatte seine Haut mit Holzkohle geschwärzt. Und um der ganzen Sache die Krone aufzusetzen, markierte der Lange auch noch den Steifbeinigen. Wie einen Stock zog er das linke Bein nach und humpelte so vollendet, als hätte er Zeit seines Lebens nichts anderes getan. Ninguno warf nur einen flüchtigen Blick auf die beiden und rümpfte verächtlich die Nase. Er hatte sie nicht erkannt. „Na ja . . .", raunzte Ninguno. „Ich habe mir die Besatzung der ,Esperanza' eigentlich ein bißchen anders vorgestellt und . . . " Jose und Limpio hörten gar nicht mehr zu. In
ihren Ohren dröhnte nur ein Wort: Esperanza! Dann drang wie aus weiter Ferne Ningunos Stimme wieder an ihr Ohr. „. . . wenn ihr aber denkt, daß ich euch nun so einfach anheure, so seid ihr ganz gewaltig auf dem Holzweg, ihr Tagediebe. Ich werde euch jetzt auf die Probe stellen, und dann entscheide ich mich erst. Los, macht eine Gasse, und dann auf gepaßt!" Er stakte zur Theke 'rüber und stellte eine Rum flasche auf die vordere Kante. Dann maß er fünf zehn Schritte ab, zog sein Terzerol, spannte, zielte und drückte ab . . . Ein helles Klirren . . . ein Splittern . . . Glasscherben wirbelten durch die Luft . . . und als der Pulverqualm sich verzogen hatte, stand auf der Theke keine Flasche mehr. Den Männern dröhnten die Ohren, die alte Si pulca zeterte und lamentierte. „Nachmachen, Kerls! Na, wer versucht's?" Limpio stieß Jose in die Seite und humpelte, den Buckel weit 'rausgestreckt, in die Gasse, direkt auf
Ninguno zu. Der betrachtete den Hinkenden spöttisch, be schäftigte sich gelassen und uninteressiert mit seinem Terzerol. „Gebt her", forderte Limpio mit krächzender Stimme und langte nach der Schußwaffe. „He, he, Krüppel", wehrte Ninguno belustigt ab. „Die ,Esperanza' ist kein Asyl für Gebrech liche. Scher dich zum Satan und laß dir von deiner Mutter erst erklären, daß Leute wie du keinen Platz auf dieser Erde haben. Und außerdem wirst du Löcher in die Luft schießen oder einem von diesen ehrenwerten Caballeros in den Bauch. Also verschwinde. Der Nächste!" „Ihr solltet es mit mir versuchen, Senior", maul te Limpio. „Ihr könnt ja solange 'rausgehen, wenn Ihr Angst um Euren Bauch habt." Die Männer grinsten. Ninguno lief rot an. „Wenn du frech wirst, Bursche, dann laß ich die Luft aus deinem Buckel." Er hob die Hand und wollte
Limpio
ins
Gesicht
schlagen.
Der
duckte sich blitzschnell, machte eine flinke Bewegung, prellte von unten gegen Ningunos vorschießenden Arm. Ninguno taumelte, riß verblüfft die Augen auf. Im selben Moment hatte Limpio ihm das Terzerol aus der Hand gewunden, und noch ehe Ninguno merkte, was eigentlich geschah, krachte es donnernd — und als sich der Pulverrauch verzogen hatte, war die Stelle, wo die neue Flasche gestanden hatte, leer. Limpio blies den Qualm von der Laufmündung und gab die Waffe mit einem gezierten Kratzfuß an Ninguno zurück. „Bitte, Senior, und verzeiht die Belästigung. Ich wollte Euch nur beweisen, daß ich nicht erst meine Mutter fragen muß, um zu wissen daß ich auf dieser Erde durchaus was zu suchen habe. Was habt Ihr noch an netten Kunststückchen für mich bereit, he ? " Er sah Ninguno treuherzig an. Der erholte sich nur mühsam von seinem Er staunen. „Das war Zufall", meckerte er.
„Also auf ein neues, ehrenwerter Senior", ant wortete Limpio trocken. Der nächste Flasche holte Limpio von der The ke, ehe Ninguno überhaupt richtig hinsehen konnte. Limpio hatte nicht einmal gezielt. „Hölle und Schiffszwieback, Kerl! Wenn du ge nau so mit dem Degen umzugehen verstehst, so will ich von Stund an deinen Buckel und dein Stelzbein übersehen." Er warf seinen Umhang weg, und die Männer sahen, daß er zwei Degen mit sich herumschleppte. Einen gab er Limpio. Der nahm ihn absichtlich ein wenig ungeschickt entgegen, wog ihn prüfend in der Hand, ließ ihn ein paarmal spielerisch von links nach rechts hinüberwechseln, zweimal zischend durch die Luft sausen und wippte dabei in den Knien, wobei er sein ,steifes Bein' jedesmal
wie
einen
Holzpflock
von
sich
streckte, was äußerst grotesk aussah. „Bueno", brummte der Lange. „Und was gibt's jetzt?"
„Zeig, was du kannst. Los, greif mich an." Nin guno stellte sich in Kampfstellung, winkelte seine Linke auf dem Rücken und zog winzige Kreise mit der Degenspitze. Limpio warf einen raschen Blick zu Jose hin über der ihm zulächelte. Und da ritt ihn der Teufel.
Sekundenlang
betrachtete
er
das
höhnisch grinsende Gesucht Ningunos, sah den winzigen
dunklen
Fleck
zwischen
dessen
Augenbrauen, den schmallippigen, eiskalten Mund . . . und da prellte er vor . .. Wirbelnd schnitt sein Degen durch die Luft . . . mit einer Behendigkeit, die den Zuschauern den Atem stocken ließ, schlug er eine kurze Serie von Finten, parierte, prallte zurück, machte im Bruchteil
einer
Sekunde
zwei
schnelle
Ausfälle und trieb den verdutzten Ninguno wie einen Hund vor sich her . . . quer durch die Gasse bis zur gegenüberliegenden Wand. Funken sprühten — das metallene Klirren der Degen hing schrill in dem Kellergewölbe. Mitten in einem Ausfall fing Limpio sich ab,
stand starr wie ein Standbild, wich zur Seite aus . . . Ningunos Degen stieß ins Leere, wurde von der hochprellenden Waffe Limpios kurz unterhalb des Korbs erwischt ... Ein Wirbeln, Zischen . . . Ningunos Degen stak im Holz der Theke. Mit leise singendem Ge räusch wippte der Korb auf und nieder. Fast gleichzeitig stieß Limpio nach und schlitzte Nin gunos Wams von oben bis unten entzwei. Mit treuherzigem Gesichtsausdruck ließ Limpio von ihm ab, betrachtete seine Klinge. Seine Augen blickten gespielt schuldbewußt drein, und auch jetzt machte er seinen Kratzfuß und überreichte
mit
übertriebener
Grandezza
Ninguno den Degen. „Verzeiht,
Senior",
murmelte
Limpio
und
zuckte die Schultern. Ninguno spuckte Gift und Galle. Nur mühsam konnte er sich beherrschen. Wütend blitzte er Limpio
an.
Der
Schließlich besann
aber sich
tat
völlig
Ninguno,
harmlos. daß
es
besser sei, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Maledito und bei der Madonna von Santa Barbara, bist du des Teufels, mir einen solchen Schrecken einzujagen, Kerl?" „Aber Ihr wolltet doch, daß ich Euch angreife, Senior?" „Zum Henker ja, aber doch nicht so wild. Bueno, du bist angenommen. Bist du schon mal zur See gefahren?" „Das will ich meinen, Senior, und der Buckel hat
mich
nie
behindert,
falls
Euch
das
interessiert. Das steife Bein habe ich von den verfluchten Spaniern. Ihr nehmt mich also?" „Natürlich, Mensch. Kerls wie dich kann ich gebrauchen. Noch einer unter euch, der so ist wie dieser Buckel, he?" Die Antwort gab Limpio. „Hier, Senior, mein Freund. Er hat mir sieben undzwanzigmal das Leben gerettet. Er ficht noch besser als ich . . . was 'ne Menge heißen will."
Limpio wies auf Jose, der mit seinem einen Auge gefährlich rollte. „Eingebildet bist du wohl nicht, he?" fragte Ninguno. „Wie ist dein Name? Und was sagst du . . . siebenundzwanzigmal hat der Bursche dir das Leben gerettet. Du willst mich wohl zum Narren halten, wie?" „Aber nein, Senior!" Limpio sah ihn mit einem naiven Lächeln an. „Ich heiße Totto." „Also gut, bueno, Totto, du und dein Freund . . . ihr seid angeheuert!" Jose und Limpio grinsten. Als sie eine Stunde später den „Rostigen Anker" verließen, waren sie zu zwölfen. Unter ihnen befand sich auch Gal genvogel. Jose und Limpio hielten sich vorsichtigerweise im Hintergrund, als Ninguno am nächsten Vormittag der Kapitänin die neue Mannschaft präsentierte. Die
zwölf
verwegen
aussehenden
Neuange
heuerten aus dem „Rostigen Anker" waren gegen Morgengrauen
an
der
Küste
der
Bucht
an
gekommen, die Ningunos Schlupfwinkel war. Just in dem Augenblick war die Kolonne unter Ningunos Führung aus dem Uferwald getreten, als die ersten Strahlen der Sonne über den öst lichen Grat fielen. In ihrem Schein lag voll die ,Esperanza'. Bei ihrem Anblick hatte Joses Herz schneller zu schlagen begonnen, und die wehmütig haßerfüllten Gefühle, die ihn beseligten, waren in jeder Weise dazu
angetan gewesen, aus
der Haut zu fahren. Limpio hatte ihn besänftigt und ihn beschwo ren
keine
begehen.
unüberlegten
Zähneknirschend
Dummheiten hatte
sich
zu Jose
gefügt, und zähneknirschend war er über die Jakobsleiter als erster an Bord seines Klippers geklettert. Die Gewißheit, daß sein Schiff noch existierte und zudem wieder voll seetüchtig war,
hatte
ihn
ein
wenig
mit
der
Notwendigkeit versöhnt sich vorläufig noch zusammenzunehmen. Zärtlich fast waren seine Augen über die Aufbauten der ,Esperanza' gewandert.
,Warte nur, Ninguno, jetzt entkommst du mir nicht noch einmal1, hatte er ein übers andere Mal geflüstert. ,Ich habe dir geschworen, daß du zur Hölle fährst — und du wirst es tun, verlaß dich drauf . . . mit Pauken und Trompeten wirst du deinen Einzug halten. Der Kessel, in dem du schmoren wirst, steht schon unter Feuer!' Manuela warf einen flüchtigen Blick auf die Mannschaft, die mittschiffs versammelt war. Das geringe Interesse, das sie zeigte, beleidigte Nin guno, der überlegen lächelnd an der Reling lehnte. Seine Stirn umwölkte sich. Mit ein paar raschen Schritten trat er vor. „He, companeros", wandte er sich an die Män ner. „Dies ist Seniorita Manuela Vadorro, eure Kapitänin. Mehr brauche ich euch nicht zu sagen. Sollte es einem von euch einfallen, sich ihr zu widersetzen, so hängt seine Leiche zehn Minuten später als abschreckendes Beispiel in den Rahen, verstanden?!" „Jawohl, Senior Capitan!" antworteten die Neuen.
Ninguno lächelte zufrieden, wandte sich dann an Manuela, die immer noch teilnahmslos da stand und die Männer völlig abwesend musterte. „Du scheinst mit deinen Leuten nicht sehr ein verstanden, mein Täubchen", flüsterte er ihr leise zu. „Warum nicht, he? Ich habe dir die besten mit gebracht, die ich in dem verdammten Brozano auf treiben konnte . . . Burschen, die sich für dich zer hacken lassen werden, wenn du sie richtig an packst . . . Burschen, die den Teufel aus der Hölle holen, wenn du es verlangst. Ich habe sie geprüft. Die Kerls sehen zwar alles andere als vertrauen erweckend aus, aber danach haben wir wohl nie gefragt. Sie sind hart, eiskalt . . . und das ist die Hauptsache, denk ich, he? Besonders der Bucklige da drüben, und der, der neben ihm steht . . . der mit der Augenklappe und dem Verband um seinen Schädel . . . die merk dir vor! Wilde Raufbolde, die mit dem Degen umgehen, als hätten sie von Kindesbeinen an damit ihr Essen verschlungen." Er deutete mit der ausgestreckten Hand zu Jose und Limpio hinüber.
Die beiden sahen es und zogen die Köpfe ein, schlugen die Augen nieder und kramten in ihren Hosen herum. Manuela warf einen raschen Blick zu ihnen hin und wandte sich dann ebenso ge langweilt wieder ab. „Danke, Ninguno", sagte sie obenhin. „Ich werde mir die Leute gelegentlich mal ansehen. Jetzt habe ich keine Lust. Und außerdem sind die meisten der Crew ja vom ,Lobo'. Demnach kann ja nichts schief gehen, wie?" Sie bedachte ihn mit einem spöttischen Blick und wandte sich der Treppe zu, die zur Kampanje hinaufführte. Ninguno hatte die Spitze wohl verstanden. Er lächelte hämisch und folgte ihr. „Ihr . . .", schrie er der angetretenen Mannschaft zu. „. . . könnt verschwinden. Los, schert euch auf eure Plätze. Der Steuermann wird euch sagen, was los ist und was ihr zu tun habt. He, Sabino, kümmere dich um diese Bande und mach ihnen Beine, wenn sie nicht spuren!" Dann erklomm er hinter Manuela die Treppe.
Jose sah ihnen nach. Der so heiß ersehnte und nun doch über Erwarten schnell erfolgte Anblick Manuelas hatte ihn ein wenig verwirrt, und es machte ihn fuchsteufelswild, als er bemerkte, wie rasend seine Pulse hämmerten. Eine wilde Eifer sucht erfüllte ihn. als er jetzt beobachtete, wie Ninguno oben an der Brüstung der Kampanje den Arm um Manuelas Schulter legte und sie an sich zu ziehen suchte. „Verdammter Hundsfott", stieß er zwischen seinen zusammen gepreßten Lippen hervor. „Dreimal verfluchter Halunke, laß deine dreckigen Finger von der Frau, oder ich brech dir schon jetzt sämtliche Knochen im Leibe." Er war drauf und dran, ganz einfach loszustürmen, sich auf Ninguno zu werfen. Limpio kam gerade noch zurecht, seinen Kapitän am Ärmel zu rückzuhalten. „He, Senior, reißt Euch doch zusammen! Jedes voreilige Handeln kann unser eigener Verderb sein. Entschuldigt schon, wenn ich es wage, so mit Euch zu reden, aber Verliebte sind mit ihrem
Verstand meist nicht ganz beieinander, mein' ich." Jose mußte lachen, ob er wollte oder nicht. Als er jetzt auch noch sah, wie Manuela den Arm
Ningunos
abschüttelte,
wie
war
ein
lästiges
seine
Laune
Insekt wieder
hergestellt. „Du hast's nötig, Bambusrohr, mir was von dem Verstand
eines
Verliebten
zu
erzählen.
Außerdem bin ich nicht verliebt, damit du's weißt." „Nein, natürlich nicht . . .", gab Limpio treu herzig lächelnd zu. „Nur verdreht Ihr Eure Augen jedesmal, wenn Ihr Manuela sieht, daß einem angst und bange wird, sie könnten Euch aus dem Kopf springen und ins Meer rollen." „Halt deinen frechen Mund, Bohnenstange." Limpio kicherte und rieb sich seinen Buckel. Und Jose stimmte in die Vergnügtheit seines treuen
Gefährten
ein.
Dann
kam
der
Steuermann und scheuchte sie weg . . . Manuela konnte in dieser ersten Nacht auf der
,Esperanza'
keinen
Schlaf
finden.
Der
Gedanke, daß in der gleichen Kabine, in der sie nun lebte, noch vor kurzem Jose Manzanillo gewohnt hatte . . . und die Erinnerung an den jungen Mann legte sich ihr beklemmend auf die Brust. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Plötzlich hatte sie das Gefühl, daß sie nicht mehr allein im Raum sei. Sie fuhr erschreckt hoch
und stellte
fest,
daß
sie
nun
doch
eingeschlafen sein mußte. In der Kabine war es stockdunkel. Draußen war Neumond, und man konnte nicht die Hand vor Augen sehen. Angestrengt lauschte sie in die Finsternis. Deutlich drang das Atmen eines Menschen an ihr Ohr. Behutsam und jedes Geräusch vermeidend glitt sie mit der Hand zu dem Schemel, der neben ihrem Lager stand. Der kühle Dolchgriff beruhigte sie ein bißchen. Manuela gehörte nicht zu den Frauen, die leicht
Angst
bekamen. Sie
zog
die
Knie
langsam bis ans Kinn, bereit, sich mit einem Satz auf den frechen Eindringling zu stürzen.
Er mußte jetzt ganz dicht in ihrer Nähe sein. Ninguno! schoß es ihr durch den Sinn, und ein haßerfülltes grimmiges Lächeln umspielte ihren Mund. Bueno, sie würde ihm einen heißen Empfang bereiten, an den er Zeit seines Lebens zurückdenken
sollte.
Maledito,
sollte
er
wirklich die Unverfrorenheit besessen haben, sie im Schlaf überrumpeln zu wollen, so würde sie keinen Pardon kennen. Leise ließ sie sich von ihrem Lager gleiten. Fest umspannte
ihre
Faust
den
Dolch.
Im
Nebenraum brannte ein öllicht, das wußte sie. Wenn
sie
die
Tür
aufrisse,
würde
der
hereinfallende Schein stark genug sein, den Eindringling zu erkennen . . . und dann — gnade ihm Gott. Auf bloßen Füßen huschte sie über die Dielen. Sie spürte die Nähe des anderen fast körperlich. Dann fühlte sie den Türgriff, riß ihn jäh herunter und stieß die Tür weit
auf.
Krachend
flog
sie
gegen
die
Holztäfelung . . . die Angeln quietschten schrill . ..
Gleichzeitig warf sie sich herum, preßte sich mit dem Rücken fest gegen die Wand. Das Licht der Ölfunzel fiel voll auf das wüst aussehende Gesicht eines Mannes, den sie am Morgen flüchtig unter den Neuangeheuerten gesehen hatte. Ninguno hatte sie sogar auf ihn aufmerksam gemacht . . . die Augenklappe, der blutverschmierte Kopfverband, diese dreckigen Fetzen, die ihm am Leibe herunterhingen, Eine wilde Wut erfüllte das schöne Mädchen, und ehe sie sich eines Besseren besinnen konnte, sprang sie wie eine Wildkatze auf ihn los,
klammerte
sich
mit
scharfen,
spitzen
Krallen an ihn...ihre Hand mit dem Dolch zuckte hoch, schwebte sekundenlang direkt über dem Kopf des Eindringlings, senkte sich . . . stieß zu, direkt auf sein Herz. Da fühlte sie zu ihrem Erschrecken, Zustoßen
wie
ihr
abgefangen
Arm wurde.
plötzlich
im
Ein rascher,
schmerzhafter Griff löste ihre Finger . . . klirrend polterte das Dolchmesser zu Boden . . In ihre Augen trat nackte Angst — panisches
Entsetzen packte sie . . . sie fühlte, wie ihre Kräfte erlahmten... da vernahm sie plötzlich seine Stimme, bei deren Klang sie fast laut aufgeschrien hätte. „Manuela", sagte Jose weich und zärtlich. „Du willst mich doch nicht umbringen, mein Liebes, wie? Als Leiche bin ich nur die Hälfte wert, und du hast gar nichts von mir." Er lachte leise, betrachtete mit heiterem Sinn ihre maßlos verblüfften Augen. Und dann stieß sie noch einmal einen winzigen Schrei aus, aber diesmal nicht aus Angst. Sie warf beide Arme um seinen Nacken, preßte sich fest an ihn, schmiegte ihren Kopf an seine Brust und war fassungslos vor Glück. „Jose", flüsterte sie, „Jose, oh . . . ich . . . du." Da zog er sie noch fester an sich und küßte sie auf den Mund, den sie ihm willig bot. „Und ich dachte schon, du seiest gar keine rich tige Frau", sagte er zärtlich. „Aber da habe ich mich wohl geirrt."
Sie war die erste, die in die Gegenwart zurück fand. „Jose, um Gottes willen, wie kommst du an Bord der ,Esperanza'?" „Ich denke, ich habe hier 'ne Menge zu tun .. . und außerdem vergiß nicht: Die ,Esperanza' ge hört mir, auch wenn du jetzt Kapitän auf meinem alten, guten Klipper bist." Wieder lachte er leise. „Ach, das mein' ich doch nicht", widersprach sie hastig. „Wenn Ninguno dich hier erwischt, bist du des Todes, Jose." „Er hat mich im Grunde ja schon erwischt . . . gestern, als ich mich im .Rostigen Anker' von ihm anheuern ließ. Keine Angst, er hat mich nicht erkannt und weiß nicht, wie nahe ich ihm bin . .. er ahnt nicht, daß sein letztes Stündlein bereits eingebimmelt wird . . . aber nicht von einer Glocke, sondern von meinem Degen, por diablo." Joses Gesicht war finster, und seine Augen sprühten haßerfüllte Blitze.
„Aber wie willst du ihm beikommen, Jose?" „Das weiß ich noch nicht, Manuela! Doch ich denke mir, daß es nicht allzu schwer sein wird. Ich bin ja in seiner Nähe. Ich könnte ihn einfach umlegen, auslöschen wie eine Öllaterne . . . aber dieser Gedanke behagt mir nicht. Ich will ihm offen entgegentreten. Er soll wissen, daß sein schändliches Spiel mit der Auslieferung an den Gouverneur von Brozano mißlungen ist. Er soll wissen, daß ich — Jose Manzanillo — es bin, der ihn in die Hölle schickt, so wie ich es ihm versprochen habe. Kümmere dich um nichts, Manuela. Tu so, als glaubtest du wie er, daß ich nicht mehr lebe, wenn zufällig die Rede auf mich kommen sollte. Schimpf auf mich, daß die Balken sich biegen . . . und warte ab. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem Ninguno seine schwarze Seele aushaucht . . . an dem er aufhören wird, dich mit seinen Nachstellungen zu behelligen. ,Fahr' zur Hölle, Ninguno!1 hab' ich ihm geschworen .. . und ich bin gewöhnt, meine Schwüre zu halten."
Er sah ihre leuchtenden Augen, ihren schim mernden roten Mund und vergaß jäh seinen Haß und Ninguno. Das kam später. Hier aber war Manuela Vadorro, von der er geglaubt hatte, daß sie gar keine richtige Frau sei. „Ich liebe dich, Manuela", flüsterte er in ihr duftendes Haar. Sie lächelte schelmisch. „War das ein Schwur?" fragte sie anzüglich und fühlte ihr Herz im Halse klopfen. Er mußte lachen. „Es war einer . . . " „. . . und du pflegst Schwüre zu halten, Jose . . . " „Hölle und Schiffszwieback, muß ich es wieder holen?" Sie schüttelte den Kopf. Vier Tage später stachen der ,Lobo' und die ,Es peranza' in See und nahmen Kurs auf die Windward Passage, den Meerarm zwischen Cuba und Haiti. Durch die Windward Passage segelten die spanischen
Kauffahrteischiffe,
Jamaica anliefen.
die
Cuba
und
Die ,Esperanza' fuhr im Kielwasser des ,Lobo' . . . in einer Entfernung von nicht mehr als dreihundert Fuß. Die beiden Korsarenschiffe segelten unter Vollzeug, direkt unter dem dwars einfallenden Wind, der eine schnelle Fahrt versprach. Zehn oder auch
mehr
Meilen
legten
sie
in
den
Küstengewässern zurück, ehe sie die offene See ankreuzten. In
den
Backbord-Großrüsten
schwangen
die
Lotgasten ihr Blei und riefen mit singender Stimme die
Tiefen
aus:
„Einhalb über vierzehn —
sechzehn —siebzehn .. . " Die See lag spiegelglatt vor dem Bug der Schiffe. Gischtend schäumten die Bugwellen. Der Himmel war tiefblau, und trotz der frühen Vor mittagsstunde war die Hitze unerträglich. Stetig zogen die beiden Schiffe ihren Kurs .. . und als der Abend hereinbrach, hatten sie Jamaica weit hinter sich gelassen. Das Meer war wie ausgestorben. Als auch am vierten Tag der Ausguck im Mars kein fremdes Segel hatte melden können,
begann Ninguno zu toben, schrie die Männer seiner
Crew
an,
verantwortlich
als
seien,
ob
daß
diese
dafür
ausgerechnet
in
diesen Tagen die spanischen Kauffahrer es offensichtlich vorzogen . . . überhaupt nicht oder auf anderen Routen zu segeln. Das Leben auf dem ,Lobo' wurde unerträglich. Immer neue Schikanen dachte der grausame Korsarenkapitän sich aus, und die Männer unterdrückten mehr als einmal grimmige Flüche. Manch haßerfüllter Blick schoß Ninguno nach, wenn
er
breitbeinig,
herausfordernd
und
peitschenschwingend über Deck stolzierte. Am
fünften
unheilschwangere Galeone
ihren
Tag
erreichte
Stimmung
an
Siedepunkt.
die
Bord
Am
der
späten
Nachmittag ließ Ninguno aus nichtigem Anlaß zwei
seiner
treuesten
Anhänger
blutig
prügeln und sie anschließend in den Bilgeraum
werfen.
Die
Männer,
an
harte
Behandlung gewöhnt und weiß Gott nicht zimperlich, schwuren Rache . .. und hätte
Ninguno geahnt, welches Unheil sich über seinem Kopf zusammenballte, er hätte sich nicht so gehen lassen. Als lenkte ihn ein sechster Sinn, entschloß er sich, auf die .Esperanza' umzusteigen, die breit
und
wuchtig
hinter
dem
,Lobo'
hersegelte. Die Männer der Galeone atmeten auf. Jose stand neben Manuela an der Reling, als drüben das Beiboot abgefiert wurde. Sie sahen Ninguno die Jakobsleiter herabturnen und auf einer der Duchten Platz nehmen. Dann stieß der Bootsmann ab und ließ das Dingi ganz einfach treiben. Der Wellengang spülte das kleine Boot wie eine Nußschale auf den Rumpf der ,Esperanza' zu. Manuela machte ein bekümmertes Gesicht und gab unlustig den Befehl, die Leiter fallen zu lassen. „Was mag er wollen?" fragte Jose und deutete mit dem Kinn zu Ninguno hinüber. Manuela
seufzte. „Du wirst es erleben. Trotz allem ahnst du nicht, was für ein Scheusal er ist. Ich weiß genau, was in ihm vorgeht! Er kocht vor Wut, weil die Fahrt bisher keine Beute gebracht hat. Ich kenne das! In solchen Fällen kühlt er sein Mütchen an den Leuten." „Er hat es getan", entgegnete Jose grimmig. „Stell dich nicht gegen ihn, ich beschwöre dich, Jose. Es gibt ein Unglück." Er nickte. „Da hast du recht, es wird ein Unglück geben — aber für ihn, für ihn allein. Ich habe das dunkle Gefühl, als erfülle sich heute das Schicksal
dieser
Bestie. Nur
keine Angst,
Manuela: Ninguno hat ausgespielt. Sollte er auch nur wagen, an Bord der .Esperanza' dieselben
Methoden
einzuführen,
wie
sie
anscheinend auf dem ,Lobo' üblich sind, so springt er über die Klinge, überhaupt weiß ich nicht, worauf ich noch warte. Die Zeit ist reif! Er ahnt nicht, daß er sich in die Höhle des Löwen
begibt . . . eines Löwen, der ausgehungert ist und nach Blut giert — nach dem Blut des größten Scheusals, das sich je von Gottes Sonne hat bescheinen lassen. Ich hätte ihn schon vor Tagen in der Bucht hopsgehen lassen können. Da war es aber zu riskant, wußte ich doch nicht, wie sich die Mannschaft dazu stellen würde. Heute
aber
weiß
Galgenvogel
und
ich ich
es.
Limpio haben
und längst
herausbekommen, daß die Burschen, die bisher auf dem ,Lobo´ fuhren, keinen sehnlicheren Wunsch haben, als den verdammten Ninguno den Haien vorzuwerfen. Limpio hat prächtig Stimmung gemacht, und seitdem du mich zu deinem Stellvertreter ernannt hast, weiß ich, daß die Männer auf meiner Seite stehen. Ich habe sie ausgequetscht wie Zitronen, und sie haben sich nicht gescheut, mir reinen Wein einzuschenken. Ich bin überzeugt, daß sie in einen wahren Freudentaumel geraten, wenn Ningunos Leiche über Bord geht." „Ich wüßte nicht, was mir lieber wäre, Jose! Ich
bin — zum Henker —- nicht blutrünstig, aber Ninguno tot zu sehen, wird mich mit einer unbändigen Freude erfüllen, maledito. Aber ich beschwöre dich, sei vorsichtig. Ninguno ist ein Fuchs, ein listiger, gemeiner, hinterhältiger Fuchs, der sich nicht scheuen wird, auf der Stelle mit flatternden Fahnen umzuschwenken, wenn er sieht,
daß er verspielt hat. Trau ihm
nicht! Bei der ersten Gelegenheit wird er dir hinterrücks ein Messer ins Kreuz stoßen." „Sei getrost — er wird es nicht! Leichen pflegen Lebenden keine Messer ins Kreuz zu stoßen. Also auf in den Kampf", versuchte er zu scherzen. „Er ist da!" Ninguno betrat das Deck der ,Esperanza'. Mit wiegendem Gang überquerte er das Mitteldeck, stieß einem der Männer, der in der Gegend her umstand, brutal den eisenharten Griff seiner Peit sche ins Gesicht und schickte sich an, die Treppe zur Kampanje zu erklettern. „Ich verdrücke mich", flüsterte Jose Manuela zu. „Aber ich bleibe in der Nähe. Tue harmlos, hörst
du! Limpio, Galgenvogel und die anderen liegen auf der Lauer, denk daran! Und die Alten vom ,Lobo' fallen, soweit sie immer noch auf Ningunos Seite sind, nicht ins Gewicht. Sei freundlich zu ihm, damit er sich in Sicherheit wiegt. Adios!" Dann entfernte er sich eilig, packte sich einen Eimer und begann in Manuelas Nähe die Planken zu scheuern. Manuela sah Ninguno entgegen. Sie zwang sich zu einem verbindlichen Lächeln, das er übersah. Sein Gesicht war wutverzerrt, finster. Seine Augen rollten bedrohlich, und Manuela kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er kurz vor der Explosion stand. „Ich habe mit dir zu reden", sagte er barsch. „Komm runter in deine Kabine!" Er wollte sie am Ärmel mit sich ziehen. Sie schüttelte ihn mit einer kurzen heftigen Bewegung ab. „Was wir zu besprechen haben, können wir auch hier oben besprechen, denk' ich. Und außerdem
wüßte
ich
nicht,
was
wir
zu
besprechen haben, Ninguno. An Bord der
.Esperanza 1 ist alles in Ordnung, und in diesem Zusammenhang darf ich dir sagen, daß die Männer,
die
du
ausgesucht
hast, alle
prächtige Burschen sind." Sie lächelte anzüglich. Er pfiff überrascht durch die Zähne, trat hart an sie heran und packte sie am Handgelenk. „He, Manuela", zischte er sie an. „Ich rate dir, mit mir in einem anderen Ton zu sprechen. Ver dammt,
ich
möchte
wissen,
was
in
euch
Saubande gefahren ist. Drüben auf dem ,Lobo' ist der ganze Haufen aufsässig . . . und nun komme ich hier herüber, und genau dasselbe." Er blickte sie argwöhnisch an. „Wieso bist du so kratzbürstig?" „So, bin ich das?" Sie funkelte ihn gefährlich an und versuchte, ihr Handgelenk aus seiner Umklammerung zu lösen. Er aber zog sie nur noch dichter an sich heran. „Por diablo", stieß er hervor. „Wenn wir schon keine Beute machen sollen, so will ich mir die Zeit
wenigstens
ein
bißchen
mit
dir
vertreiben, mein Täubchen. Und da wir auf offener See sind, wirst du leider auf deine Glöckchenhochzeit mit blödem Pfaffengewäsch und Schleier und Trara verzichten müssen. Also los, ich bin mit meiner Geduld am Ende. Runter mit dir in die Kabine. Glaubst du im Ernst, ich hätte dir aus purer Nächstenliebe ein Schiff gegeben, he? Also komm und bezahl, zum Satan!" Sie mußte sich zusammennehmen, um nicht laut hinauszuschreien. Nur das Bewußtsein, daß Jose in der Nähe war, ließ sie kaltblütig bleiben. Sie lachte ihm höhnisch ins Gesicht . . . lachte und lachte .. . und sagte kein einziges Wort. Das machte Ninguno nur noch wilder. Schon schlang er seine Arme um sie, um sie an sich zu reißen, als er plötzlich stechende Blicke in seinem Rücken fühlte. Wütend warf er sich herum und — starrte in Joses Augen, der ihn haßerfüllt ansah. Vor diesem Haß erschrak nun auch Ninguno. In diesem Augenblick wußte er, daß etwas in der
Luft hing . . . etwas, vor dem er nicht entfliehen konnte . . . etwas, das unaufhaltsam auf ihn zukam . . . etwas, das sein Ende bedeutete .. . Er wußte nicht, was es sein konnte . .. aber sein Argwohn war geweckt. Er witterte die Ge fahr und bereitete sich darauf vor, ihr zu be gegnen. Zunächst aber waren da diese haßerfüllten Au gen, die ihn unentwegt anstarrten. Da verlor Ninguno die Kontrolle über sich. Er ließ Manuela los, die blitzschnell ein paar Schritte zur Seite sprang. Flüchtig sah sie, wie unten
auf
dem
Mitteldeck
Limpio
und
Galgenvogel auftauchten . . . hinter ihnen das Gros der Mannschaft. Drohend kamen sie näher — wie eine Mauer schoben sie sich heran, keinen Blick von Ninguno lassend, der jetzt hochrot vor Zorn auf Jose losging.
Von der
Ansammlung der Mannschaft unten auf dem Mitteldeck hatte er noch nichts bemerkt. Ninguno hob die Peitsche zum Schlage . . . ge
fährlich nah schwebte sie über Joses Kopf. Der sah seinen Todfeind eiskalt an. Ninguno stutzte. Diese Augen, diese flammenden, funkelnden Augen . . . woher kannte er sie? Ah, zum Henker, er sah schon Gespenster. „Hund, verfluchter", schrie er mit sich über schlagender Stimme. „Was lauschst du hier herum, he? Scher dich zum Teufel, wenn ich dir nicht die Knochen zerbrechen soll. Wer ist dieser Kerl, Manuela?" „Ameche. Einer von den Leuten, die du mir ge bracht hast." Er spürte den seltsamen Unterton in ihrer Stimme. Ameche? Nie gehört. „Scher dich weg, sag ich", brüllte er wieder los. „Du hast hier nichts zu suchen, du Hund." Die Peitsche sauste nieder. Jose fing sie mit seinem Unterarm ab, entriß sie mit einer flinken Bewe gung Ningunos Hand und schleuderte sie über die Reling. „Du irrst, Ninguno", sagte Jose ruhig. „Du bist
es, der hier nichts zu suchen hat. Die ,Esperanza' gehört einem anderen und . . . " Ninguno stieß ein unheimliches Lachen aus. „Einem anderen", kreischte er. „Hahahaha, ja, einem anderen . . . sie gehörte einem anderen, aber
den
fressen
längst
die
Ratten,
du
verfluchtes Aas. Wer bist du, daß du es wagst, dich gegen deinen obersten Kapitän zu stellen, he? Wart, ich will dir zeigen, wie so etwas ausgeht." Ninguno stürzte zur Brüstung, sah die Ansamm lung der Mannschaft, war aber so erregt, daß ihm das keineswegs seltsam vorkam. Die da — das waren seine Leute, die standen zu ihm. Diesen Meuterer, diesen Rebellen würde er aufhängen — an den höchsten Mast hängen, damit jeder sehen konnte, wie es einem erging, wenn man gegen seinen Kapitän aufbegehrte. „He, ihr da, 'rauf mit euch! Legt dieses Schwein in Ketten, nein! Bindet ihn an den Mast und schlagt ihn tot, diesen Verräter. Na, wird's bald?!"
Sein Gesicht verfärbte sich. Die Männer der ,Esperanza' standen stumm und unbeweglich, rührten sich nicht, einen Zoll vom Fleck, starrten ihn an . . . und Ninguno fühlte die Woge von Haß, die ihm entgegenbrandete. Er war dem Wahnsinn nahe. Er wußte nicht mehr, was er tat. Blindwütig stürzte er auf Jose zu, besann sich, taumelte zurück, riß seinen De gen aus der Scheide. Geduckt wie ein Raubtier, das sich einer Wasserstelle nähert, um ein Opfer zu schlagen, schlich er auf Jose zu. Wirbelnd und zitternd kreiste die Spitze von Ningunos Degen. Das Wundmal zwischen seinen Brauen und seine Narben auf der linken Wange waren blutunter laufen. Noch vier Schritte trennten ihn von dem ver meintlichen Aufrührer — noch drei Schritte — noch zwei . . . die Degenspitze wies direkt auf Joses Herz. Die Augen traten Ninguno vor Mord lust aus den Höhlen, schon hob er den Degen, zielte, wollte zustoßen . . .
Ein verhaltener Schrei aus Manuelas Mund . . . Jose bewegte sich nicht. Fest hielt er den Blick, in den Ningunos geheftet, und in genau dem Au genblick, da Ninguno zustoßen wollte, riß sich Jose mit einer heftigen Bewegung den weinge tränkten Kopfverband und die Augenklappe her unter. Ninguno überlief ein Zittern — er begann zu schwanken, torkelte wie trunken zurück . .. die Degenspitze senkte sich, seine Hände bebten. Seine Augen weiteten sich vor panischem Schreck. „Ein Geist . . .", stammelte er mit blutleeren Lippen. Und wieder brach dieses irrsinnige Ge lächter aus seinem Munde. „Nein, kein Geist", sagte Jose ruhig. „Ich bin's leibhaftig . . . Jose Manzanillo, der Kapitän dieses Schiffes .. . Jose Manzanillo, den du bereits von den Ratten gefressen wähntest. Die Stunde der Rache ist gekommen, Ninguno! Dein Lichtlein erlischt!" Ninguno warf verzweifelte, hilfeflehende Blicke
auf die Männer des ,Lobo', die jetzt hier Dienst taten. Ablehnung, eiskalte, ernüchternde Ableh nung . . . Haß, abgrundtiefer Haß . . . Da war ihm alles egal. Mit einem wilden Wutgeheul stürzte er sich auf Jose und . . . brach drei Schritt vor dem Gegner zusammen. Hart schlug sein Kopf gegen die Planken. „Gut gemacht, Limpio! So einfach soll er es nicht haben! Ole, companeros, ich freue mich, daß ihr auf meiner Seite steht. Auf, bindet ihn vorerst an den Mast.
Zunächst wollen wir sehen, was der
,Lobo' zu der überraschenden Veränderung zu sagen hat. Setzt Zeichen, und wenn sie nicht wollen, dann — in Gottes Namen — muß es eben zum Kampf kommen. Ich würde es bedauern." Joses Besorgnis war umsonst gewesen. Kaum hatten die Männer auf dem ,Lobo' von der ver änderten Sachlage erfahren, als ein brausendes, jubelndes Freuden-Ole in den blauen Himmel stieg. Es gab keinen, der das Ende Ningunos nicht
aus vollem Herzen begrüßt hätte. Der Herr über die beiden Schiffe hieß von Stund an Jose Manzanillo. Der sinkende Tag sah ein grausiges, aber ge rechtes Strafgericht. Limpio und Manuela hatten alles versucht, ihren Freund und Gefährten von seinem Plan abzubringen. „Ihr seid ein Trottel, Senior Capitan", nahm sich Limpio den Mut anzubringen. Der Lange rannte immer noch mit seinem Buckel herum. „Dieses Scheusal verdient doch keine faire Behandlung, maledito.
Und
wenn
Ihr
ihn
nicht
schon
kurzerhand den Haien vorwerfen wollt, weil Ihr zu zart besaitet seid, was aber jeder auf den bei den Schiffen gierig herbeisehnt . . . so übergebt ihn in Gottes Namen, so wie er es mit Euch getan hat, den spanischen Behörden . . . aber so was, nee . . . Ihr seid nicht recht gescheit. Mit ihm offen kämpfen, heißt das Schicksal herausfordern." „Er hat recht, Jose", stimmte auch Manuela zu. „Er hat solche Fairneß nicht verdient. Denk daran, daß
er dich im gleichen Falle kaltblütig umgelegt haben würde." „Eben . . . und deshalb will ich ihm zeigen, wie man's macht. Und das soll er auf seiner Höllen fahrt verdauen . . . daran soll er sich die Zähne ausbeißen. Nein, Freunde, ich bleibe dabei. Er soll mit mir kämpfen." Rings um das freie Quadrat auf dem Mitteldeck hockten die Korsaren dicht gedrängt, auf den Brüstung der Kastelle saßen sie und baumelten mit den Beinen, in den Wanten klebten sie . . . drüben auf dem ,Lobo', der Bord an Bord mit der ,Esperanza'
lag,
dasselbe
Bild.
Eine
wilde,
neugierige Spannung lag auf den Gesichtern der rauhen Männer. Sie brannten vor Ungeduld. Das, was ihnen hier bevorstand, war so ganz nach ihrem Geschmack ... und sie waren sich alle einig, daß Jose Manzanillo ein toller Bursche war, wenngleich sie über seinen Entschluß, sich Ninguno im offenen Kampfe zu stellen, ein wenig mitleidig lächelten. Sie bangten um den jungen Kapitän, kannten sie doch die heimtückischen
Schliche des verhaßten Ninguno, dessen Schrek kensherrschaft mit dem heutigen Tage ein Ende finden sollte. Aber andererseits bangten sie um den Ausgang. Sie brauchten nicht viel Phantasie, um sich aus malen zu können, daß alles viel schlimmer wer den würde, wenn Ninguno den Sieg davontrüge. Ihrer aller Schicksal lag buchstäblich in der si cheren Hand Jose Manzanillos. Und dann war es soweit! Jose löste eigenhändig Ningunos Fesseln. „Hier, nimm den Degen", sagte Jose ruhig, und niemand merkte ihm an, wie aufgeregt er innerlich war. Zum Henker, vielleicht war er doch ein Trottel, dieses tollkühne Spiel zu wagen. „Los, nimm schon. Du hast eine große Chance, wenn du sie auch nicht verdienst. Es liegt ganz bei dir, wie das hier ausgeht. Du oder ich — für uns beide ist kein Platz. Sollte es' mir aber gelingen, dich zu erwischen, wie du es verdienst, so denk daran, daß es so aus dem Wald herausschallt, wie man
hinein ruft. Mit anderen Worten: Wenn du Haß säst, kannst du keine Liebe ernten. Aber — zum Henker — was halte ich dir Predigten. Nimm, und dann los." Ninguno erkannte mit einem Blick die Chance. Fast ein wenig zu hastig ergriff er den Degen, balancierte, ihn abwiegend, in der Rechten. Er hatte seine alte Selbstsicherheit mit einem Schlage wieder gefunden. Ein höhnisches Funkeln brannte in seinen Augen. Die Sonne stand schon weit im Westen, und die Schatten waren lang, die über die schweigende Versammlung fiel. Dann gab Limpio das Zeichen zum Beginn des Kampfes. Die Männer hielten den Atem an. In höchster Erregung folgten sie den Bewegungen der beiden Fechter. Jose und Ninguno umkreisten sich wie sprungbereite Pumakatzen, lauernd, witternd, nach der schwächsten Stelle des Gegners su chend .. .
Und dann klirrten die Degen aufeinander, fun kensprühend zischten sie durch die Luft, prellten vor, schlugen zu, trennten sich. . . in raschem Wechsel von Finte, Ausfall, Stich, Parade . . . Und dann ging alles sehr schnell. Ninguno focht mit der Verzweiflung des Ertrinkenden, der sich an einem Strohhalm klammert und genau weiß, daß der Strohhalm ihn nicht tragen kann. Ninguno wurde ungenau — er merkte es, und das machte ihn noch nervöser. Schon blutete er aus zahlreichen Wunden am linken Oberarm und am Halse. Aber auch Jose hatte seine erste Blessur davongetragen. An einer empfindlichen Stelle oberhalb des Handgelenks hatte Ninguno ihm drei Zoll lang die Haut abgezogen. Schon sahen die Männer den Ausgang des Kampfes ... Sekunden konnte es nur noch dauern, und ihre anfeuernden Rufe galten begeistert ihrem Kapitän Jose. Ninguno sprühte Haß und Gift und Galle. Immer unvorsichtiger wurden seine Attacken ... und immer gelassener Joses Abwehrschläge.
Da
machte
Ninguno
einen
verwegenen Ausfall, einen zweiten schloß er an, nachdem er den ersten zur Finte verwandelt hatte. Jose war einen Augenblick lang n i ch t ganz bei der Sache, weil er bei einer Wendung sekundenlang Manuelas angstverzerrtes Gesicht wahrgenommen hatte. Mit einem Pantersprung warf er sich aus der Stoßrichtung des gegnerischen Degens, fühlte, wie der Boden unter ihm wegsackte . . . hörte den schrillen Aufschrei der Männer . . . sah etwas grell Blitzendes auf sich zuschießen und warf sich mit letzter Anstrengung zur Seite. Da wo eben noch ein
Kopf
gelegen
hatte,
stak
Ningunos
Degenspitze im Holz der Planken. Ein ,Oooh' ging durch die gaffende Menge, ein erleichtertes Aufatmen. Hinein mischte sich das haßtriefende Wutgeheul Ningunos. Und schon stand Jose wieder sicher auf den Füßen ... und der Kampf ging weiter. Wieder blitzten die Degen hoch, wieder schlugen die Klingen in rascher Folge von Angriff und Ab wehr aufeinander.
„Mach' Schluß, Jose", schrie Limpio plötzlich und merkte gar nicht, daß er seinen geliebten Senior Capitan vertraulich beim Du anredete. „Drück ihm den Stempel auf!" Ninguno zuckte zusammen. Das hatte er schon einmal gehört. Der Stempel! Wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt, tastete er zwischen zwei Paraden zu der kleinen Narbe zwischen seinen Brauen. Jose grinste höhnisch. „Ja, genau dahin, Ninguno", zischte er. „Paß auf, jetzt . . . eins, zwei drei und . . . hopp!" Die Männer konnten dem schnellen Wirbel von Joses Klinge gar nicht folgen. Bei ,Hopp' sahen sie die Spitze direkt auf Ningunos Kopf zustoßen, hörten seinen schrillen, wahnsinnigen Schrei . . . Dann sahen sie, wie ihr ehemaliger Kapitän mitten in der Bewegung erstarrte . . . der Degen entfiel seiner kraftlosen Hand . . . ein fürchter liches Zittern überlief ihn, er stieß die Arme hilfe suchend in die Luft, tastete nach seinem Gesicht
.. . nach der Stelle zwischen seinen Augen, wo er den winzigen, vernichtenden Stich gespürt hatte. Zwei leuchtendrote Blutstropfen perlten unter seinen Fingern hervor. Er wankte hin und her, sah das Gesicht Joses auf sich zukommen, sich wieder entfernen . . . Schleier begannen vor ihm zu tanzen. Wie aus weiter Ferne drang ein orkan artiges Geräusch in seine ersterbenden Sinne, ein Heulen, Kreischen, ein Sausen und Brummen .. . Dann fiel er in sich zusammen, brach in die Knie und stürzte nach vorn. „Fahr' zur Hölle, Ninguno!" sprach Jose seinen Grabgesang. Und vielstimmig fand sein einst geleisteter Schwur sein Echo, stieg donnernd in den sinken den Abend, brach sich an den weit geblähten Se geln, verfing sich in den Wanten und Pardunen, geisterte um die Mastspitzen und wurde vom Wind davongetragen: „Fahr' zur Hölle, Ninguno!"
Und dann toste urgewaltig
ein
Siegesgeheul
über die beiden Schiffe: „Ole, Jose Manzanillo, ole!" „Ole, Manuela Vadorro, ole!"
Ende