Und dies ist die Geschichte von Erik Hellauge, Thorgrimurs Sohn; von Gudruda der Schönen, Asmunds Tochter; von Swanhild...
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Und dies ist die Geschichte von Erik Hellauge, Thorgrimurs Sohn; von Gudruda der Schönen, Asmunds Tochter; von Swanhild der Vaterlosen, Atlis Weib; und von Ounound, genannt Skallagrim Lammschweif, dem Berserker, Eriks Knecht, die alle lebten und starben, bevor Thangbrand, Wilibalds Sohn, den Weißen Christus auf Island predigte. Vom einfachen Bauernjungen bringt es der gewitzte und tapfere Erik Hellauge binnen kurzer Zeit zum berühmtesten Wikingerführer Islands. Doch als er nach jahrelanger Abenteuerfahrt auf seine Heimatinsel zurückkehren will, um die schöne Gudruda zu freien, nimmt das Schicksal seinen Lauf: die habgierige Hexe Groa, deren eifersüchtige Tochter Swanhild und der eitle Wikingerführer Ospakar Schwarzzahn verbünden sich, um Eriks Lebensweg mit Hilfe der Schwarzen Magie und eines heimtückischen Plans abzukürzen. Zusammen mit seinem Blutsbruder Skallagrim, einem bärenstarken und trinkfesten Berserker, nimmt Erik den Kampf mit den Mächten des Schicksals auf ... Henry Rider Haggard (1856 -1925) zählte zu den größten Abenteuerschriftstellern der Weltliteratur. Er verbrachte lange Jahre seines Lebens in Afrika, studierte Rechtswissenschaften, und schrieb zahlreiche Romane, um dem tristen Büroalltag zu entfliehen.
Henry Rider Haggard
Erik der Wikinger Titel der Originalausgabe: ERIC BRIGHTEYES Aus dem Englischen übersetzt von Uwer Anton Deutsche Erstausgabe
Lektorat: Martin Compart & Ronald M. Hahn Ullstein Buch Nr. 21019 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin - Wien Umschlaggestaltung: Hansbernd Lindemann Umschlagillustration: Stiftung Preußischer Kulturbesitz Alle Rechte vorbehalten Copyright © dieser Ausgabe 1986 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin - Wien Printed in Germany 1986 Gesamtherstellung: Eisnerdruck, Berlin ISBN 3 548 21019 8
WIDMUNG An Ihre Kaiserliche Majestät Viktoria, Kaiserin von Deutschland 27. November 1889. Madame, Ihr habt mir großmütig die Auskunft erteilt, daß ein Prinz, dessen Andenken alle Menschen zu ehren haben, der Kaiser Friedrich, während der beschwerlichen Wochen, die er weit entfernt von seiner Heimat verbrachte - schwankend zwischen Hoffnung und Furcht, leidend und vom Tod versucht -, Vergnügen daran fand, meine Geschichten zu lesen; daß sie ihn »interessierten und faszinierten. Während die Welt Tag für Tag am Krankenbett des Kaiserlichen Gatten Ihrer Majestät wachte, während sich viele von uns bemühten, sich in ihrer höchsten Not angesichts des Schauspiels dieser heroischen Geduld in Mut zu üben, konnte ein unbedeutender Schriftsteller nicht wissen, daß es sein Glück gewesen war, solch einen Leidenden eine Stunde lang Leid und Schmerz vergessen zu lassen. Dieses Wissen ist einem Schriftsteller viel teurer als jedes Lob, und in tiefer Dankbarkeit wage ich es, mit der Erlaubnis Eurer Majestät, Euch die Geschichte von Erik Hellauge zu widmen. Der verstorbene Kaiser, im Herzen ein friedliebender Mensch, doch durch die Pflicht ein wahrer Soldat, hätte sich vielleicht selbst für einen Krieger aus grauer Vergangenheit interessiert, einen Helden unserer nordischen Herkunft, der seine Tage im Kampf verbrachte und dessen letztes Verlangen die Rast war. Aber es soll nicht sein; wie der blonde Erik dieser Sage, und auf noblere Art, ist er durch die Hundert Tore ins Walhalla des Ruhms geschritten.
Euch, Madame, widme ich also dieses Buch, so leicht und unwürdig es als Zeugnis meines tiefsten Respekts und Mitgefühls auch sein mag. Ich verbleibe als gehorsamster Diener Ihrer Majestät, H. RIDER HAGGARD
EINFÜHRUNG ERIK DER WIKINGER ist ein Roman, der auf den isländischen Sagas beruht. Was ist eine Saga? - Ist sie ein Märchen oder eine wahre Geschichte? Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach. Denn solche Sagas wie die von Burnt Njal und Grettir dem Starken haben sowohl etwas von der Wahrheit als auch von bloßer Erfindung an sich: die Historiker streiten noch über die Anteile. Und so ist die Saga gewachsen: In den frühen Tagen der isländischen Gemeinschaft - jener Aristokratenrepublik -, etwa zwischen den Jahren 900 und 1100 unserer Zeitrechnung, kam es zwischen zwei großen Familien zum Streit. Im Fall der NjalSaga zum Beispiel war dessen Ursache wahrscheinlich das üble Werk einiger Adelsfrauen. Dieser Streit führte zu einem Totschlag. Dann rief das Blut nach Blut, und augenblicklich setzte eine Blutrache ein, die erst durch den gewaltsamen Tod der Mehrheit der Schauspieler des Dramas und eine große Anzahl ihrer Anhänger ein Ende fand. Im Lauf der Fehde traten Männer von heroischer Kraft und Gesinnung an die Front und vollbrachten Taten, die des Eisernen Zeitalters, das sie hervorgebracht hatte, würdig waren. Auch Frauen halfen dabei, die Geschichte zu gestalten, jeweils nach ihren natürlichen Eigenschaften und Charakterzügen zum Guten oder zum Schlechten. Schließlich wurde die Tragödie vom Tod und der Zeit bedeckt und hinterließ nur ein paar verbeulte Wappenschilde und verwunschene Hünengräber, die von jenen erzählten, die die Hauptrollen gespielt hatten. Aber ihr Ruhm lebte im Geiste der Menschen weiter. Von Generation zu Generation wanderten Skalden durch den winterlichen Schnee, so wie Homer in seinen Tagen vielleicht über die griechischen Berge und durch die Täler gewandert ist, um wegen der Geschichte aus alter Zeit, die sie zu erzählen hatten,
an jedem Ort willkommen geheißen zu werden. Hier saßen sie Abend für Abend am Herd und vertrieben die Müdigkeit der tageslosen Dunkelheit mit Geschichten aus jener Zeit, in der die Männer ihr Leben selbst in die Hand nahmen und es für gut verbracht hielten, wenn der Nachwelt ein Lied über sie in Erinnerung blieb. Die Geschichte zu verändern war eins der größten Verbrechen: der Skalde mußte sie wiederholen, wie er sie vernommen hatte; doch zweifellos erfuhren die Sagas nach und nach eine Veränderung. Die Fakten mochten die gleichen bleiben, doch um sie herum braute sich ein Dunst aus wundersamen Geschehnissen und Legenden zusammen. Ein Beispiel von vielen: der Bericht über das Niederbrennen von Bergthorsknoll in der Njal-Saga ist nicht nur ein Stück erzählende Literatur, dessen lebendige, einfache Kraft und Einsicht (abgesehen von Homer und der Bibel) kaum anderswo erreicht wird, er entspricht auch offensichtlich der Wahrheit. Beim Lesen spüren wir, daß kein Mensch diese Geschichte erfunden haben kann, obwohl einige große Skalden sie in ihre Form gebracht haben. Daß die Erzählung wahr ist, kann der Verfasser von »Erik« bezeugen, denn er ist - mit der Sage in der Hand - an Ort und Stelle jedem Akt des Dramas gefolgt. Wer auf dem einsamen Hügel gräbt, von dem man über die Ebene und die See bis zu den Westman-Inseln blicken kann, wird vielleicht noch Spuren des Brandes finden und entdecken, was möglicherweise der schwarze Sand ist, mit dem vor etwa neunhundert Jahren Bergthora und ihre Frauen den Lehmfußboden bestreut haben, und vielleicht sogar die fettigen, zu Klümpchen geronnenen Überreste der Molke, die sie auf die Flammen schütteten, um sie auszulöschen. Er entdeckt vielleicht auch die Orte, wo Flossi sein Heer aufstellte, wo Skarphedinn singend starb, während man ihm die Beine vom Leib brannte; wo Kari von der in Flammen stehenden Ruine sprang, und das kleine Tal, in dem er zur Ruhe gebettet wurde. - Kurz gesagt, bei jedem Schritt wird die
Wahrheit der Erzählung immer offensichtlicher. Und doch hat man der Geschichte Dinge hinzugefügt (es sei denn, wir glauben, daß manche Menschen mit dem Zweiten Gesicht gesegnet sind), denn wir können die prophetische Vision nicht für wahr halten, die Runolf, Thorsteins Sohn, kam; oder die Njals, der am Vorabend des Gemetzels wie Theoklymenus in der Odyssee die ganze Tafel und das darauf liegende Fleisch als »eine einzige Masse aus geronnenem Blut« sah. So entspricht also in dem Nordischen Roman, den ich den Lesern nun anbiete, die Geschichte Eriks und seiner Taten der Wahrheit; aber Asmunds Traum, Swanhilds Zauberei, der Zwischenfall mit dem sprechenden Kopf und Eriks und Skallagrims Visionen verdanken ihren Ursprung der Phantasie nachfolgender Skaldengenerationen; und schließlich hat man dann im 15. oder 16. Jahrhundert die Geschichte mit all ihren übernatürlichen Hinzufügungen niedergeschrieben. Der menschliche Geist - und besonders der der nordischen Völker - neigt dazu, un- und außergewöhnliche Gründe für Handlungen und Tatsachen zu liefern, die ausreichend durch das Wirken der Naturgesetze geklärt sind. Swanhild hätte keinen »Schutzgeist« gebraucht, der sie in ihre bösen Pläne einführt; Erik hätte keinen Liebestrank gewollt, der zu seiner Niederlage führen sollte. Unsere allgemeine Erfahrung als die Menschen, die wir sind - im Gegensatz zu den Menschen, die zu sein wir uns rühmen -, reicht aus, um uns zu lehren, daß die Leidenschaft des einen und die menschliche Schwäche des anderen genügten, um zu diesen Ergebnissen zu führen. Die natürliche Magie, die Schönheit und inhärente Macht einer solchen Frau wie Swanhild ist viel mächtiger als alle Zaubersprüche, die die Magier erfunden, oder als jeder Dämon, den sie vielleicht zu ihrer Unterstützung beschworen haben. Doch keine Saga wäre ohne die Erfindung solcher äußerer Mächte vollständig: man hat schon immer gefühlt, daß man sie braucht, sei es, um die Taten der Helden und Heldinnen her-
vorzuheben oder um ihre Persönlichkeit mit größerer Bedeutung zu schmücken. Selbst Homer verspürte diesen Drang und zögerte nicht, nicht nur das Zweite Gesicht, sondern auch Götter und Göttinnen einzuführen und deren übernatürliche Handlungen direkten Einfluß auf die Persönlichkeiten seines Gesangs nehmen zu lassen, und zwar viel freier als in jeder nordischen Saga. Vielleicht ist noch ein Wort er Erklärung nötig über das Erscheinen von »Schutzgeistern« in Tiergestalt, das sich zum Beispiel auch in dieser Geschichte finden läßt. Wie heute die Finnen und Eskimos, glaubten damals die Isländer, daß Leidenschaften und Begierden von Zauberern sichtbare Gestalt in Geschöpfen wie Wölfen oder Ratten annahmen. Diese nannte man dann »Sendboten«, und es gibt in den Sagas viele Anspielungen auf sie. Eine andere Eigenschaft der Sagas, die man als überaus charakteristisch bezeichnen kann, ist ihre Schicksalhaftigkeit. Beim Lesen scheinen wir die Stimme des Verderbens ständig dröhnen zu hören. »Die Dinge werden geschehen, wie das Schicksal es bestimmt hat«, das ist der wichtigste Schlüsselsatz. Der nordische Geist hatte nur wenig Vertrauen in den freien Willen, noch weniger, als wir es heutzutage haben. Männer und Frauen wurden mit gewissen Charaktermerkmalen und Vorlieben geboren, die sie erhalten hatten, damit ihr Leben in vorbestimmten Wegen verlief und ihre Taten zu einem vorbestimmten Ende führten. Sie tun diese Dinge nicht aus eigenem Antrieb, obwohl ihre Begierden sie zu den Taten drängen: sie tun sie, weil sie sie tun müssen. Die Nornen, wie sie das Schicksal nennen, haben ihren Weg schon vor langer, langer Zeit bestimmt; sie bewegen sich auf ihm und müssen ihm bis zum Ende folgen. Dies war die Schlußfolgerung unserer skandinavischen Vorfahren - ein Glaube, der ihnen aufgezwungen wurde durch ihr empfindsa-
mes Erkennen der Sinnlosigkeit der menschlichen Hoffnungen und Pläne, des Schreckens und der Tragödie des Lebens, der Anmaßung ihrer Begierden, der unbeschrittenen Finsternis und des traumlosen oder traumreichen Schlafes, der auf sein Ende folgt. Obwohl die Sagas sowohl als Beispiele einer in der Welt fast einzigartigen Literatur als auch wegen ihrer lebendigen Bedeutung mitreißen, sind sie der englischsprachigen Öffentlichkeit kaum bekannt. Dies ist leicht zu erklären: es fällt schwer, die Welt des neunzehnten Jahrhunderts dazu zu bringen, sich für Menschen oder Ereignisse zu interessieren, die vor tausend Jahren lebten beziehungsweise geschahen. Darüber hinaus stellen die Sagas zweifellos einen schwierigen Lesestoff dar. Die archaische Natur des Werkes, der Brauch des nordischen Sagaerzählers, endlose Nebenhandlungen zu weben, und die Beharrlichkeit, mit der er die Herkunft und die Abenteuer der Vorfahren eines jeden unwichtigen Charakters einführt, entsprechen nicht dem Geschmack des modernen Lesers. ERIK HELLAUGE wurde daher dieser Eigentümlichkeiten beschnitten und bis zu einem gewissen Ausmaß in die Form des Romans unserer heutigen Zeit gebracht, wobei Archaismen soweit wie möglich vermieden wurden. Der Autor wäre dankbar, sollte es ihm gelungen sein, Interesse am beschwerlichen Leben unserer nordischen Vorfahren erweckt zu haben, und glücklich, sollte sein schwieriges Experiment den Sagas, den Prosaepen unserer Rasse, neue Leser bringen. Zu umfangreich, zu weitschweifig, zu detailversessen, können sie sich in der Tat nicht mit den Epen Griechenlands messen; aber mit ihren Bildern des einfachen und heroischen Lebens stehen sie hinter keiner anderen Literatur der Welt zurück, abgesehen allein von der Iliade und der Odyssee.
I WIE ASMUND DER PRIESTER DIE HEXE ÖROA FAND Es lebte ein Mann im Süden, bevor Thangbrand, Wilibalds Sohn, den Weißen Christus auf Island predigte. Er trug den Namen Erik Hellauge, Thorgrimurs Sohn, und in jenen Tagen gab es keinen, der ihm an Kraft, Schönheit und Wagemut gleichkam, denn in all diesen Belangen war er der erste. Aber er war nicht der erste, was das Glück betraf. Zwei Frauen lebten im Süden, nicht weit von jener Stelle, wo sich die Westman-Inseln aus dem Meer erheben. Gudruda die Schöne war der Name der einen, und Swanhild, genannt die Vaterlose, Groas Tochter, war die andere. Sie waren Halbschwestern, und es gab keine wie sie in jenen Tagen, denn sie waren die schönsten aller Frauen, obwohl sie nichts gemeinsam hatten bis auf ihr Blut und ihren Haß. Diese beiden schönen Frauen sahen das Licht der Welt in der gleichen Stunde. Aber Erik Hellauge war fünf Jahre älter als sie. Eriks Vater war Thorgrimur Eisenzehe. Er war ein mächtiger Mann gewesen; aber bei einem Kampf mit einem Berserker, der ihn überfiel, als er vom Weizensäen nach Hause ging, hatte er einen Fuß verloren, so daß er danach auf einem mit Eisen beschlagenen Holzbein ging. Dennoch erschlug er den Berserker, indem er auf einem Bein stand und sich gegen einen Felsen lehnte, und für diese Tat verehrten ihn die Leute sehr. Throgrimur war ein wohlhabender freier Bauer; er erzürnte nicht schnell, war gerecht und reich an Freunden. Ziemlich spät in seinem Leben nahm er sich Saevuna, Thorods Tochter, zur Frau. Sie war ihm ein gutes Weib, willensstark und mit dem Zweiten Gesicht gesegnet, und mit so langen Haaren, daß sie sich gänzlich darin einhüllen konnte. Aber diese beiden liebten einander nicht allzu sehr, und sie hatten nur ein Kind, Erik, der
geboren wurde, als Saevuna schon in die Jahre gekommen war. Gudrudas Vater war Asmund Asmundson, der Priester vom Middalhof. Er war der weiseste und der wohlhabendste aller Männer, die in jenen Tagen im Süden Islands lebten. Er besaß viele Landgüter, und auch zwei Handelsschiffe und ein Kriegslangschiff, und er hatte gegen Zinsen viel Geld verliehen. Er hatte seinen Wohlstand durch Wikingerarbeit gewonnen, indem er auf Raubzügen die englische Küste heimgesucht hatte, und von den Taten in seiner Jugend an den Küsten erzählte man sich düstere Geschichten, denn er war ein »rothändiger« Wikinger. Asmund war ein stattlicher Mann mit blauen Augen und einem langen Bart; und darüber hinaus war er sehr erfahren in Fragen der Rechtsprechung. Er liebte das Geld sehr und wurde von allen gefürchtet. Doch er hatte viele Freunde, denn mit zunehmendem Alter wurde er freundlicher. Er hatte Gudruda zur Frau genommen, die Tochter Björns, die sehr lieblich und von Natur aus freundlich war, so daß sie alle Gudruda die Sanfte nannten. Dieser Ehe waren zwei Kinder entsprungen. Björn und Gudruda die Schöne; aber Björn wuchs auf wie sein Vater in seiner Jugend, stark und hart, und begierig auf Gewinn, während Gudruda abgesehen von ihrer wunderbaren Schönheit ganz und allein nach ihrer Mutter geriet. Die Mutter Swanhilds der Vaterlosen war Groa die Hexe. Sie war eine Finnin, und man sagte ihr nach, daß das Schiff, auf dem sie segelte, bei dem Versuch, im Schutz der WestmanInseln bei einer steifen Brise aus Nordost Fahrt zu machen, auf einem Felsen zerschmetterte und alle Menschen an Bord im Netz von Ran* gefangen wurden und ertranken, abgesehen von Groa selbst, die sich mit ihren magischen Künsten rettete. Wahr ist zumindest, daß Asmund der Priester am Morgen nach dem Sturm das Ufer nach ein paar streunenden Pferden absuchte und dabei eine wunderschöne Frau fand, die einen purpurnen Umhang und einen großen Gürtel aus Gold trug, wobei sie auf einem Felsen saß, ihr schwarzes Haar kämmte und sich dabei
singend die Zeit vertrieb; und zu ihren Füßen lag, in einem Tümpel hin und her gespült, ein Toter. Er fragte, woher sie käme, und sie antwortete: »Aus dem Schwanenbad.« Danach fragte er sie, wo ihre Sippe sei. Aber sie deutete auf den Toten und sagte, das allein wäre von ihr noch übrig. »Wer war dieser Mann?« sagte Asmund der Priester. Sie lachte erneut und sang dieses Lied: Groa segelt empor vom Schwanenbad, Die Todesgötter ergreifen die Hand des Toten. Sieh, wo ihr glückloser Gatte liegt, Ein kühnerer Meereskönig schwang nie das Schwert! Asmund, behalte den Rockträger, Denn letzte Nacht riefen die Nornen, Und Groa dachte, sie erzählen von dir, Ja, von dir und ungeborenen Kindern. »Woher kennst du meinen Namen?« fragte Asmund. »Die Seemöwen riefen ihn, als das Schiff sank, deinen und andere - und man wird sie in Geschichten hören.« »Dann ist dies das beste Glück«, sprach Asmund; »aber ich glaube, du hast das Zweite Gesicht*.« »Ay«, antwortete sie, »und schön bin ich obendrein.« »Wahr genug, daß du schön bist. Was sollen wir mit dem Toten machen?« »Laß ihn in Rans Armen. So mögen alle Gatten ihre Ruhe finden.« Da man sah, daß sie eine Hexe war, wechselte man zu dieser Zeit kein Wort mehr mit ihr. Aber Asmund nahm sie mit nach Middalhof und gab ihr ein Stück Land, und sie lebte dort allein, und er zog viele Vorteile aus ihrer Weisheit. Nun geschah es, daß Gudruda die Sanfte mit einem Kind schwanger ging, und als ihre Zeit kam, schenkte sie einer Tochter das Leben - einem sehr schönen Kind mit dunklen
Augen. Am gleichen Tag brachte Groa die Hexe ein Mädchen zur Welt, und die Leute fragten sich, wer der Vater war, denn Groa hatte keinen Mann. Die Frauen munkelten, Asmund der Priester sei auch der Vater dieses Kindes; aber als er dies hörte, wurde er wütend und sagte, keine Hexe würde je ein Balg von ihm tragen, wie schön sie auch sei. Nichtsdestotrotz sagte man immer noch, das Kind sei das seine, und es stimmt, daß er es liebte, wie ein Mann sein eigen Fleisch und Blut liebt; aber von allen Dingen kann man dies am schwersten wissen. Als man Groa befragte, lachte sie düster, wie es ihre Art war, und sie sagte, sie wisse nichts davon, sie habe das Gesicht des Kindesvaters, der des Nachts aus dem Meer gestiegen sei, nie gesehen. Und aus diesem Grund hielten ihn einige für einen Zauberer oder den Geist ihres toten Mannes; andere aber sagten, Groa lüge, wie es viele Frauen bei solchen Angelegenheiten schon getan hätten. Aber von all diesem Gerede blieb nur das Kind übrig, und es bekam den Namen Swanhild. Doch nur eine Stunde, bevor das Kind Gudrudas der Sanften geboren wurde, ging Asmund von seinem Haus zum Tempel, um das heilige Feuer zu schüren, das Tag und Nacht auf dem Altar brannte. Als er das Feuer gerichtet hatte, setzte er sich auf die Querbank vor den Schrein und schlief ein, wobei er das Bild der Göttin Freyja betrachtete. Er träumte einen sehr bösen Traum. Er träumte, daß Gudruda die Sanfte eine Taube zur Welt brachte, die wunderschön anzusehen war, da all ihre Federn aus Silber waren; aber daß Groa die Hexe eine goldene Schlange zur Welt brachte. Und die Schlange und die Taube wohnten zusammen, und stets versuchte die Schlange, die Taube zu töten. Und schließlich kam ein großer weißer Schwan über den Kaltrücken-Berg geflogen, und seine Zunge war ein scharfes Schwert. Nun sah der Schwan die Taube, und sie gefiel ihm, und der Taube gefiel der Schwan; aber die Schlange richtete sich auf und zischte und wollte die Taube töten. Aber der
Schwan bedeckte sie mit seinen Schwingen und trieb die Schlange mit Hieben davon. Dann kam er, Asmund, hinaus und vertrieb den Schwan, wie der Schwan die Schlange vertrieben hatte, und er schwang sich hoch in die Luft empor und flog nach Süden, und die Schlange schwamm durchs Meer davon. Aber die Taube ließ den Kopf hängen; sie war nun blind. Dann kam ein Adler aus dem Norden und hätte die Taube geschlagen, aber sie floh schreiend stets im Kreis herum, und immer kam der Adler näher. Schließlich kam aus dem Süden der Schwan zurück; er flog schwerfällig, und um seinen Hals schlängelte sich die goldene Schlange, und mit ihr kam ein Rabe. Und er sah den Adler und trompetete laut und schüttelte die Schlange ab, so daß sie wie ein goldener Schimmer ins Meer stürzte. Dann trafen sich der Adler und der Schwan im Kampf, und der Schwan drängte den Adler hinab und besiegte ihn mit seinen Schwingen, woraufhin er zur Taube flog und sie tröstete. Aber die im Haus liefen hinaus und schössen mit Pfeilen auf den Schwan und vertrieben ihn, doch nun war er, Asmund, nicht dabei. Und wieder ließ die Taube den Kopf hängen. Wieder kam der Schwan zurück, und mit ihm der Rabe, und ein großes Heer wurde gegen sie aufgestellt, darunter alle Männer aus Asmunds Familie und Stamm, und die Männer seines Hauses und ein paar aus seiner Priesterschaft, und viele, die er dem Gesicht nach nicht kannte. Und der Schwan flog zu seinem Sohn Björn. Er ließ das Schwert seiner Zunge vorschießen und tötete ihn; dann erschlug er noch viele Männer auf diese Art. Und der Rabe, mit einem Schnabel und Klauen aus Stahl, tötete auch viele Männer, so daß Asmunds Verwandtschaft floh, und der Schwan bei der Taube lag. Aber als sie schliefen, kroch die goldene Schlange aus dem Meer und zischte etwas in die Ohren der Männer, und sie erhoben sich und folgten ihr. Sie kam zu dem Schwan und wand sich um dessen Hals. Sie biß die Taube und tötete sie.
Dann erwachten der Schwan und der Rabe, und sie kämpften, bis alle, die von Asmunds Verwandtschaft und Volk übrigblieben, tot waren. Aber die Schlange wand sich noch immer um den Hals des Schwans, und schließlich fielen Schlange und Schwan ins Meer, und weit draußen auf hoher See brannte eine Feuerflamme. Und Asmund erwachte zitternd und verließ den Tempel. Als er nun ging, lief ihm weinend eine Frau entgegen. »Spute dich, spute dich!« rief sie. »Dir wurde eine Tochter geboren, und dein Weib Gudruda liegt im Sterben!« »Ist dem so?« sagte Asmund. »Nach schlechten Träumen schlechte Nachrichten.« Nun lag in der Bettkammer der großen Halle von Middalhof Gudruda die Sanfte, und sie lag im Sterben. »Bist du da, Mann?« fragte sie. »Gerade gekommen, Weib.« »Du kommst in einer bösen Stunde, denn es ist meine letzte. Nun höre. Du nimmst das neugeborene Kind in deine Arme und küßt es, und du gießt Wasser über es und benennst es mit meinem Namen.« Dies tat Asmund. »Höre, mein Mann. Ich bin dir eine gute Frau gewesen, obwohl du nicht immer gut zu mir warst. Aber so sollst du dafür büßen: du sollst schwören, daß du es nicht aussetzt, obwohl es ein Mädchen ist. Vielmehr wirst du es pflegen und aufziehen.« »Ich schwöre es«, sagte er. »Und du sollst schwören, daß du nicht die Hexe Groa zur Frau nimmst, noch daß du etwas mit ihr zu tun haben wirst, und das zu deinem eigenen Wohl - denn wenn du es doch tust, wird sie dein Tod sein. Schwörst du?« »Ich schwöre es«, sagte er. »Es ist gut; aber, Mann, wenn du deinen Eid brichst, entweder in Worten oder im Geist der Worte, wird das Böse dich und dein ganzes Haus überkommen. Nun grüße mich zum Ab-
schied, denn ich sterbe.« Er beugte sich über sie und küßte sie, und man sagt, daß Asmund in dieser Stunde weinte, denn auf seine Art hatte er seine Frau geliebt. »Gib mir das Kind«, sagte sie, »damit es einmal an meiner Brust liegen kann.« Man gab ihr das Kind, und sie schaute in dessen dunkle Augen und sagte: »Die schönste der Frauen sollst du sein, Gudruda - so schön, wie keine andere Frau auf Island je vor dir war; und du sollst mit einer starken Liebe lieben - und du sollst verlieren - und im Verlust sollst du wiederfinden.« Nun heißt es, daß ihr Gesicht so hell wie das eines Geistes wurde, als sie diese Worte sprach, und als sie sie gesprochen hatte, fiel sie tot zurück. Und man legte sie in die Erde, aber Asmund betrauerte sie sehr. Doch als alles vorbei und geschehen war, lastete der Traum, den er geträumt hatte, schwer auf ihm. Nun war von allen Traumdeutern Groa die erfahrendste, und als Gudruda sieben volle Tage unter der Erde war, ging Asmund zu Groa - wenn auch wegen seines Eides nur zögernd. Er kam zu dem Haus und betrat es. Auf einer Liege in der Kammer lag Groa, und sie gab ihrem Kind die Brust und war sehr schön anzusehen. »Seid gegrüßt, Herr!« sagte sie. »Was wollt Ihr hier?« »Ich habe einen Traum geträumt, und du allein kannst ihn deuten.« »Das mag schon sein«, gab sie zurück. »Es ist wahr, ich habe einige Erfahrung mit Träumen. Wenigstens anhören werde ich ihn mir.« Dann breitete er ihn ihr Wort für Wort aus. »Was willst du mir geben, wenn ich deinen Traum deute?« sagte sie. »Was verlangst du? Mich deucht, ich habe dir schon viel ge-
geben.« »Ja, Herr«, und sie schaute auf das Kind an ihrer Brust. »Ich erbitte auch nur wenig: daß du dieses Kind in deinen Arm nimmst, Wasser über es gießt und ihm einen Namen gibst.« »Die Männer werden reden, wenn ich dies tue, denn es ist die Aufgabe des Vaters.« »Es bedeutet nicht viel, was die Männer sagen: Geschwätz vergeht, wie vom Winde verweht. Überdies sollst du ihnen die Lüge in des Kindes Namen geben, denn es soll Swanhild die Vaterlose heißen. Dies und nicht weniger ist mein Preis. Bezahle ihn, wenn du willst.« »Deute mir den Traum, und ich werde dem Kind einen Namen geben.« »Nein, zuerst wirst du das Kind benennen: denn dann wird ihm von deiner Hand kein Schaden drohen.« So nahm Asmund das Kind, goß Wasser über es und gab ihm den Namen. Dann sprach Groa: »Dies, Herr, ist die Deutung deines Traumes, oder aber ich gehe irre mit meiner Weisheit: Die silberne Taube ist deine Tochter Gudruda, die goldene Schlange ist meine Tochter Swanhild, und diese beiden werden einander hassen und gegeneinander ringen. Aber der Schwan ist ein mächtiger Mann, den beide lieben werden, und der doch, wenn er nicht beide liebt, beiden gehören wird. Und du wirst ihn fortschicken, aber er wird zurückkehren und Unglück über dich und dein Haus bringen, und deine Tochter wird blind vor Liebe für ihn sein. Und am Ende wird er den Adler erschlagen, einen großen Herrn aus dem Norden, der versuchen wird, deine Tochter zu heiraten, und viele andere wird er töten, mit der Hilfe dieses Raben mit dem stählernen Schnabel, der bei ihm sein wird. Aber Swanhild wird über deine Tochter Gudruda triumphieren, und dieser Mann, und die beiden, werden von ihrer Hand sterben, und die anderen ... Wer kann es schon sagen? Aber dies ist wahr - daß der mächtige Mann dein gan-
zes Geschlecht zu einem Ende bringen wird. Nun siehe, ich habe deinen Traum gedeutet.« Da wurde Asmund sehr erzürnt. »Du hast gut daran getan, mich zu überreden, diesem Bastardkind einen Namen zu geben«, sagte er. »Ansonsten hätte ich es noch in dieser Stunde getötet.« »Dies kannst du nicht mehr, Herr, denn du hast es in deinen Armen gehalten«, gab Groa lachend zurück. »Gehe lieber und setze Gudruda die Schöne auf dem Kaltrücken-Hügel aus; so wirst du dem Bösen ein Ende bereiten, denn Gudruda selbst wird die Wurzel allen Übels sein. Erfahre überdies auch noch, daß dein Traum nicht alles verrät, denn du selbst mußt auch noch eine Rolle im Schicksal spielen. Geh, setze das Kind Gudruda aus und sei beruhigt.« »Dies kann nicht sein, denn ich habe geschworen, es aufzuziehen, und zwar mit einem Eid, den ich nicht brechen kann.« »Es ist gut«, lachte Groa. »Die Dinge werden geschehen, wie das Schicksal sie vorhergesehen hat; lasse sie also geschehen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Es ist Platz für Hügelgräber auf dem Kaltrücken, und das Meer kann seine Toten verschlingen!« Und zornigen Herzens ging Asmund von dannen.
II WIE ERIK GUDRUDA IM SCHNEE DES KALTRÜCKENS SEINE LIEBE GESTAND Nun muß berücksichtigt werden, daß fünf Jahre vor dem Todestag Gudrudas der Sanften Saevuna, Thorgrimur Eisenzehes Weib, im Sumpf des Flusses Ran einem Sohn das Leben schenkte, und als sein Vater kam, um das Kind zu betrachten, rief er laut aus: »Hier haben wir ein wunderbares Balg, denn sein Haar ist gelb wie Gold, und seine Augen leuchten hell wie Sterne.« Und Thorgrimur nannte ihn Erik Hellauge. Nun liegt der Kaltrücken einen Stundenritt vom Middalhof entfernt, und es geschah im Lauf der Jahre, daß Thorgrimur zum Middalhof kam, um das Julfest zu halten und im Tempel zu beten, denn er war in der Priesterschaft von Asmund Asmundson, und den Jungen Erik mit sich brachte. Auch Groa und Swanhild waren dort, denn sie lebten nun auf Middalhof; und die drei hübschen Kinder durften in der Halle zusammen spielen, und die Leute hielten es für ein großes Vergnügen, ihnen zuzuschauen. Nun hatte Gudruda ein hölzernes Pferd und ritt darauf, während Erik das Pferd schob. Doch Swanhild stieß sie vom Pferd und rief Erik zu, kräftig zu schaukeln; doch er tröstete Gudruda und wollte nicht schieben, und daraufhin wurde Swanhild wütend und stieß hervor: »Du mußt schieben, wenn ich es will, Erik.« Da stieß er das Pferd zur Seite, und zwar mit solcher Wucht, daß Swanhild fast ins Herdfeuer gefallen wäre. Sie sprang auf, griff sich einen Feuerscheit und warf ihn nach Gudruda, deren Kleider versenkten. Die Männer lachten darüber; aber Groa, die sich von ihnen abgesondert hatte, runzelte die Stirn und stieß Hexensprüche hervor. »Warum schaust du so düster drein, Haushälterin?« fragte
Asmund, »der Junge ist hübsch und frohen Herzens.« »Ah, er ist hübsch wie kein anderes Kind, und er wird sein ganzes Leben hübsch bleiben. Dennoch wird er sich nicht gegen sein Unglück erheben können. Dies sage ich ihm voraus: Frauen werden ihm sein Ende bereiten, und er wird den Tod eines Helden sterben, aber nicht von der Hand seiner Feinde.« Und nun verstrichen die Jahre in Frieden. Groa lebte mit ihrer Tochter Swanhild auf Middalhof und war die Geliebte Asmund Asmundsons. Doch obwohl er seinen Schwur soweit vergessen hatte, wollte er sie doch niemals zur Frau nehmen. Das Hexenweib war erzürnt deswegen und schmiedete viele Pläne und Intrigen, um Asmund dazu zu bringen, sie zu heiraten. Doch er wollte es nicht, obwohl sie ihn bei allen anderen Dingen wie an einem Strick führte. Zwanzig volle Jahre waren vergangen, seit man Gudruda die Sanfte zur Ruhe gelegt hatte; und nun waren Gudruda die Schöne und Swanhild die Vaterlose erwachsene Frauen. Auch Erik war ein Mann von fünfundzwanzig Jahren, und zwar ein Mann, wie noch nie einer auf Island gelebt hatte. Denn er war stark und groß von Statur, sein Haar war gelb wie Gold, und seine grauen Augen leuchteten mit dem Glanz von Schwertern. Er war sanft und liebevoll wie eine Frau, und selbst als Junge kam seine Kraft schon der von zwei Männern gleich; und es gab keinen in der ganzen Nachbarschaft, der es beim Springen, Schwimmen oder Ringen mit Erik Hellauge aufnehmen konnte. Die Männer hielten ihn hoch in Ehren und sprachen gut von ihm, obwohl er sich bislang noch keiner großen Taten rühmen konnte, sondern zu Hause auf dem Kaltrücken lebte und sich um den Hof kümmerte, da Thorgrimur Eisenzehe, sein Vater, mittlerweile tot war. Aber die Frauen liebten ihn sehr, und das war sein Fluch - denn von allen Frauen liebte er nur eine, Gudruda die Schöne, Asmunds Tochter. Er liebte sie von Kindheit an, und zwar nur sie, bis zum Tage seines Todes, und auch sie liebte keinen außer ihn. Denn nun war Gudruda die
begehrteste aller Jungfrauen, wunderschön anzusehen und süß anzuhören. Ihr Haar war blond wie das Eriks, und sie war weiß wie der Schnee auf dem Hekla; aber ihre Augen waren groß und dunkel, und schwarze Wimpern beschatteten sie. Ansonsten war sie groß und kräftig und gut gebaut, von fröhlichem Gesicht und doch schlank, und die geistreichste aller Frauen. Swanhild war auch sehr schön; sie war schlank, feingliedrig und von dunklerem Teint. Ihre blauen Augen waren so tief wie das Meer, und ihr braunes, lockiges Haar war so üppig, daß sie sich bis zu den Knien damit bedecken konnte. Niemand wußte, was es mit ihrem Geist auf sich hatte, denn obwohl sie sich in Gesprächen offen äußerte, waren ihre Gedanken finster und geheimnisvoll. Dies war ihre Freude: die Herzen der Männer zu gewinnen und sie dann zu verspotten. Sie täuschte viele auf diese Art, denn was die Wege der Liebe betraf, war sie das listigste aller Mädchen, und sie kannte sich gut in der Kunst der Frauen aus, die Männer nicht zum Zuge kommen zu lassen. Dennoch hatte sie ein kaltes Herz und begehrte Macht und großen Reichtum, und sie studierte die Magie, in der sich ihre Mutter ebenfalls gut auskannte. Aber auch Swanhild liebte einen Mann, und das war die Fuge in ihrem Harnisch, durch die der Pfeil des Schicksals in ihr Herz drang, denn dieser Mann war Erik Hellauge, und er liebte sie nicht. Aber sie begehrte ihn so arg, daß ohne ihn die ganze Welt für sie dunkel war, und ihre Seele nichts weiter als ein Schiff, das in einer Winternacht steuerlos dahintrieb. Daher setzte sie all ihre Kraft ein, ihn für sich zu gewinnen, und belegte ihn mit Zaubereien, derer sie nicht wenige und nicht geringe kannte. Dennoch flogen sie an ihm vorbei wie der Wind, denn er träumte stets nur von Gudruda und sah keine anderen Augen als die ihren, obwohl sie noch kein Wort der Liebe untereinander gewechselt hatten. Aber Swanhild suchte in ihrem Zorn Rat bei ihrer Mutter Groa, obwohl nur wenig Zuneigung zwischen ihnen bestand;
und als sie die Geschichte des Mädchens gehört hatte, lachte Groa laut auf: »Hältst du mich für blind, Mädchen?« fragte sie. »All dies habe ich gesehen, wahrhaftig und vorausgesehen, und ich sage dir, du bist verrückt. Laß diesen Bauern Erik gehen, und ich suche dir ein schöneres Federvieh, dem du nachstellen kannst.« »Nein, das werde ich nicht tun«, sprach Swanhild; »denn ich liebe nur diesen Mann und werde ihn für mich gewinnen; und Gudruda hasse ich, und ich werde sie übertrumpfen. Gib mir deinen Rat.« Groa lachte erneut. »Die Dinge müssen so sein, wie das Schicksal es bestimmt hat. Dies ist nun mein Rat: Asmund wird einen Vorteil aus Gudrudas Schönheit ziehen wollen. Wer sie zum Weib bekommt, muß ein Mann reich an Freunden und an Geld sein; und in dieser Sache denkt Björn genauso wie sein Vater. Nun werden wir warten und die Augen offenhalten, und wenn die Gelegenheit richtig ist, werden wir Asmund und ihrem Bruder Björn Geschichten über Gudruda zutragen und schwören, daß sie ihre Sittsamkeit bei Erik überschritten hat. Darüber wird Asmund zürnen, und er wird Erik von Gudrudas Seite vertreiben. Inzwischen werde ich folgendes tun: Im Norden lebt ein Mann, der reich an allen Dingen und aufgeblasen vor Stolz ist. Er trägt den Namen Ospakar Schwarzzahn. Seine Frau ist erst vor kurzem gestorben, und er hat verkündet, daß er das schönste Mädchen Islands heiraten will. Nun beabsichtige ich, Koll den Halbgescheiten, den Leibeigenen, den Asmund mir gegeben hat, wie zufällig zu Ospakar zu schicken. Er ist ein großer Redner und sehr klug, denn bei seiner Halbgescheitheit ist er von listigerem Verstand als die meisten anderen Männer; und er wird Gudrudas Schönheit so hoch preisen, daß Ospakar hierher kommen und sie um die Ehe bitten wird; und wenn alles gutgeht, wirst du dich auf diese Art einer Rivalin entledigen, und ich mich einer, die verächtlich auf mich herabsieht. Doch wenn dieser Plan scheitern sollte, gibt es noch
zwei andere Wege, auf denen starke Füße bis zum Ende ausschreiten können; und einer dieser Wege besteht darin, daß du Erik mit deiner Schönheit für dich gewinnst, denn die ist nicht gering. Alle Männer sind schwach, und ich habe einen Trank, der das Herz so weich wie Wachs macht; aber der andere Pfad ist noch sicherer.« »Und was ist das für ein Pfad, meine Mutter?« »Er verläuft durch Blut in Dunkelheit. Neben dir liegt ein Messer, und in Gudrudas Brust schlägt ein Herz. Tote Frauen sind ungeeignet für die Liebe!« Swanhild warf den Kopf zurück und musterte das dunkle Gesicht Groas, ihrer Mutter. »Mich deucht, bei dem Preis, den es zu erringen gibt, würde ich mich nicht fürchten, diesen Pfad zu begehen, wenn es sein muß, Mutter.« »Nun sehe ich, daß du in der Tat meine Tochter bist. Das Glück gehört den Kühnen. Jedem kommt es in Ungewisser Gestalt. Einige lieben Macht, einige Reichtum und einige einen Mann. Nimm, was du liebst - bahne dir deinen Weg dorthin und nimm es, sage ich; sonst wird dein Leben nur aus Langeweile bestehen: denn welchen Nutzen hat es, Reichtum und Macht zu gewinnen, wenn du nur einen Mann liebst, oder den Mann, wenn du Gold und den höchsten Rang begehrst? Dies ist weise: die Sehnsucht deiner Jugend zu befriedigen; denn das Alter kriecht schnell heran, und dahinter liegt Dunkelheit. Wenn du daher diesen Mann begehrst, und Gudruda steht dir im Weg, dann erschlage sie, Mädchen. Mit Zauberkraft oder mit Stahl. Und nimm ihn, und in seinen Armen wirst du vergessen, daß die deinen rot sind. Aber laß uns zuerst den einfacheren Plan versuchen. - Tochter, auch ich hasse dieses stolze Mädchen, die mich als ihres Vaters Hure verachtet. Auch ich sehne mich danach, ihren blonden Kopf stumpf im Staub des Todes zu sehen, oder wenigstens diese stolzen Augen Schamestränen weinen zu sehen, weil der Mann, den sie
haßt, sie als seine Braut von dannen führt. Hätte es sie nicht gegeben, wäre ich Asmunds Frau, und wenn sie fort ist, kann ich, dies mit deiner Hilfe doch noch werden - denn er liebt dich sehr und hat auch allen Grund, dich zu lieben. Sollen wir also in dieser Angelegenheit, wenn schon in keiner anderen, Hand in Hand vorgehen und unsere fünf Sinne gegen ihre Unschuld stellen.« »So sei es«, sagte Swanhild. »Enttäusche mich nicht und fürchte nicht, daß ich dich enttäuschen werde.« Nun brach Koll der Halbgescheite zu seinem Botengang auf, und die Zeit verstrich, bis nur noch ein Monat an Weihnachten fehlte, und die Männer saßen in den Häusern, da die Jahreszeit dunkel war und viel Schnee fiel. Schließlich kam der Frost, und mit ihm ein klarer Himmel, und Gudruda unterbrach in der Halle das Spinnen und ging zur Frauenveranda. Sie sah hinaus und erkannte, daß der Schnee hart war, und es überkam sie eine große Sehnsucht nach frischer Luft, denn noch war eine Stunde Tageslicht. So warf sie sich einen Mantel um und schritt aus. Sie nahm die Straße zum Kaltrücken in den Marschen beim Fluß Ran. Aber Swanhild beobachtete sie, bis sie den Hügel überschritten hatte. Dann nahm auch sie einen Mantel und folgte diesem Pfad, denn sie beobachtete Gudruda unentwegt. Gudruda war schon seit etwa einer halben Stunde unterwegs, als sie bemerkte, daß sich die Wolken am Himmel ballten und die Luft schwer war von bald fallendem Schnee. Als ihr dies aufgefallen war, machte sie sich auf den Heimweg, und Swanhild versteckte sich, um sie passieren zu lassen. Nun fielen Schneeflocken, die so groß und weich wie Blütenblätter waren. Immer schneller kamen sie, bis die ganze Ebene ein einziges weißes Labyrinth aus Nebel war. Doch Gudruda ging unverdrossen weiter, und ihr folgte Swanhild wie ein Schatten. Und nun stellte sich auch noch Dunkelheit ein, und der Schnee fiel dick und schnell und bedeckte die Spur ihrer Schritte, und sie kam vom Weg ab, und hinter ihr folgte Swanhild, die sich nicht
zeigen wollte. Eine Stunde oder länger schritt Gudruda aus, dann rief sie laut um Hilfe, und ihre Stimme fiel schwer gegen den Schneemantel. Schließlich wurde sie müde, bekam es mit der Angst zu tun und setzte sich auf einen schrägen Felsen nieder, von dem der Schnee abgeglitten war. Nun befand sich kurz dahinter ein zweiter Felsen, und auf den setzte sich Swanhild, denn sie wollte von Gudruda nicht gesehen werden. So verging eine Weile, und Swanhilds Glieder wurden schwer wie vom Schlaf, als sich plötzlich in der Schnee erfüllten Dunkelheit etwas bewegte. Dann sprang Gudruda auf die Füße und rief. Eine Männerstimme antwortete: »Wer geht da?« »Ich, Gudruda, Asmunds Tochter.« Die Gestalt kam näher; nun konnte Swanhild das Schnauben eines Pferdes hören, und dann sprang ein Mann hinab, und dieser Mann war Erik Hellauge. »Du bist es wirklich, Gudruda!« sagte er mit einem Lachen, und seine mächtige Gestalt zeichnete sich dunkel im Schneegestöber ab. »Oh, bist du es, Erik?« antwortete sie. »Ich war nie erfreuter, dich zu sehen; denn du kommst wirklich zu einer guten Stunde. Noch eine kleine Weile, und ich hätte dich nicht mehr gesehen, denn der Todesschlaf läßt meine Augen müde werden.« »Nein, sag so etwas nicht. Du hast dich also verirrt? Nun, das habe ich auch. Ich verließ das Haus, um drei streunende Pferde zu suchen, und wurde vom Schnee überrascht. Sollen sie in Odins Ställen bleiben, denn sie haben mich zu dir geführt. Ist dir kalt, Gudruda?« »Nur ein wenig. Ja, hier auf dem Felsen ist noch Platz für dich.« So setzte er sich neben sie auf den Stein, und Swanhild kroch näher; denn nun hatte alle Müdigkeit sie verlassen. Aber der Schnee fiel immer noch in dicken Flocken. »Es kommt mir in den Sinn, daß wir beide hier sterben kön-
nen«, sagte Gudruda plötzlich. »Glaubst du das?« fragte er. »Nun, ich will dir sagen, ich könnte mir kein besseres Ende erbitten.« »Es ist ein schlechtes Ende für dich, Erik: vom Schnee erstickt zu werden, bei all den Taten, die du noch zu vollbringen hast.« »Es ist ein gutes Ende, Gudruda, an deiner Seite zu sterben, denn so werde ich glücklich sterben; aber ich trauere um dich.« »Trauere nicht um mich, Hellauge, schlimmere Dinge könnten geschehen.« Er rutschte näher an sie heran, und dann legte er den Arm um sie und zog sie an seine Brust; und sie gebot ihm keinen Einhalt. Swanhild sah es und richtete sich hinter ihnen auf, aber für eine Weile hörte sie nichts außer dem eigenen Herzschlag. »Höre, Gudruda«, sagte Erik schließlich. »Der Tod kommt immer näher, und bevor er uns ereilt, möchte ich dir etwas sagen, wenn ich sprechen darf.« . »Fahre fort«, flüsterte sie an seiner Brust. »Dies möchte ich dir dann sagen: ich liebe dich, und ich möchte mir kein besseres Schicksal erbitten, als in deinen Armen zu sterben.« »Zuerst sollst du mich in deinen sterben sehen, Erik.« »Sei sicher, wenn dem so sein sollte, werde ich nicht lange zögern. Oh, Gudruda, seit ich ein Kind war, habe ich dich mit einer großen Liebe geliebt, und nun bist du alles für mich. Besser, so zu sterben, als ohne dich zu leben. Also spreche, solange noch Zeit ist.« »Ich werde nicht vor dir verbergen, Erik, daß deine Worte süß in meinen Ohren klingen.« Und nun schluchzte Gudruda, und die Tränen quollen schnell aus ihren dunklen Augen. »Nein, weine nicht. Liebst du mich also?« »Ay, gewiß genug, Erik.« »Dann küsse mich, bevor wir sterben. Ein Mann sollte so
nicht sterben, und doch sind Männer schon auf schlimmere Art gestorben.« Und so küßten die beiden sich zum ersten Mal draußen im Schnee auf dem Kaltrücken, und dieser erste Kuß war lang und süß. Swanhild lauschte, und das Blut kochte in ihr, wie Wasser in einer heißen Quelle kocht, wenn das Feuer unter ihm zum Leben erwacht. Sie legte die Hand auf ihren Gürtel und umklammerte das Messer an ihrer Seite. Sie zog es zur Hälfte heraus und schob es dann wieder zurück. »Kälte tötet so sicher wie Stahl«, sagte sie sich. »Wenn ich sie töte, kann ich mich oder ihn nicht retten. Sollen wir in Frieden sterben, und soll der Schnee unseren Kummer bedecken.« Und wieder lauschte sie. »Ah, mein Schatz«, sagte Erik, »selbst inmitten des Todes gibt es noch Hoffnung auf Leben. Schwöre mir also, daß du mich immer lieben wirst, wie du mich jetzt liebst, falls wir durch Zufall überleben sollten.« »Ay, Erik, dies schwöre ich, und zwar gern.« »Und schwöre, mag da kommen was will, daß du nur mich heiraten wirst.« »Ich schwöre, daß ich nur dich heiraten werde, Erik, wenn du mir treu bleibst.« »Dann bin ich deiner sicher.« »Prahle nicht zu viel, Erik: Wenn du überlebst, hast du noch alle Tage vor dir, und mit der Zeit kommen Versuchungen.« Nun wirbelte der Schnee schneller und dicker hernieder, bis die beiden, die sich Brust an Brust umklammert hielten, nur noch ein weißer Hügel waren; und auch das Pferd war völlig weiß, und Swanhild war fast vom Schnee begraben. »Wohin gehen wir, wenn wir sterben, Erik?« sagte Gudruda. »In Odins Haus ist kein Platz für Jungfrauen, und wie sollen meine Füße mich ohne dich tragen?« »Nein, mein Schatz, meine Maid; Walhalla verschließt seine
Tore vor mir, einem Mann, der keine Taten aufzuweisen hat. Auf Bifrösts Regenbogenbrücke darf ich nicht reisen, denn ich darf nicht mit dem Harnisch auf der Brust und mit erhobenem Schwert sterben. Zu Hei werden wir gehen, und zwar Hand in Hand.« »Bist du sicher, Erik, daß Männer diese Gefilde finden? Um die Wahrheit zu sagen - manchmal bringe ich ihnen diesen Argwohn entgegen.« »Ich bin mir nicht so sicher, daß ich nicht auch zweifeln würde. Aber ich weiß immerhin dies: Wohin du gehst, dort werde auch ich sein, Gudruda.« »Dann sind die Dinge ja gerichtet, und die Nornen haben ihr Werk gut getan. Doch Erik, plötzlich habe ich das Zweite Gesicht, denn es überkommt mich, daß ich zwar nicht in dieser Nacht, aber dennoch in deinen Armen und an deiner Seite sterben werde. Da, ich sehe es auf dem Schnee! Ich liege schlafend neben dir, und jemand kommt mit ausgestreckten Händen. Schlaf fällt von ihnen wie ein Nebel - bei Freyja, es ist Swanhild! Oh! Es ist verschwunden.« »Es war nichts, Gudruda, nur ein Trugbild des Schnees - ein unzeitiger Traum, der vor dem Schlaf kommt. Mir wird kalt, und meine Augen werden schwer; küsse mich noch einmal.« »Es war kein Traum, Erik, und ich werde Swanhild immer Argwohn entgegenbringen, denn ich glaube, auch sie liebt dich, und sie ist schön und mein Feind«, sagte Gudruda und legte ihre schneekalten Lippen auf die seinen. »Oh, Erik, erwache! Erwache! Sieh, es hat aufgehört zu schneien.« Er stolperte auf die Füße und sah sich um. Über den Himmel flackerten die wilden Nordfeuer und warfen ihr Licht auf die Dunkelheit. »Nun scheint es mir, daß ich das Land kenne«, sagte Erik. »Sieh, dort liegen die Goldenen Fälle, wenn wir sie wegen des Schnees auch nicht hören können; und dort, draußen im Meer, erheben sich die Westman-Inseln; und dieses dunkle Ding ist
der Tempelhof, und dahinter befindet sich die Stätte. Wir sind gerettet, Gudruda, und insofern hattest du wirklich das Zweite Gesicht. Nun erhebe dich, bevor deine Glieder steif werden, und ich werde dich auf das Pferd setzen, wenn es noch laufen kann, und dich zum Middalhof hinabführen, bevor die Hexenlichter uns wieder im Stich lassen.« »So soll es sein, Erik.« Nun führte er Gudruda zum Pferd - das schnaubte und den Schnee abschüttelte, als es seinen Herrn sah, da es noch nicht erfroren war -, setzte sie auf den Sattel und legte den Arm um ihre Taille, und sie schritten langsam durch den tiefen Schnee. Und auch Swanhild kroch aus ihrem Versteck, da der brennende Zorn das Leben in ihr bewahrt hatte, und folgte ihnen. Viele Male fiel sie, und einmal wurde sie beinahe von einer Schneewehe verschluckt und schrie in ihrer Furcht laut auf. »Wer hat da gerufen?« fragte Erik und wandte sich um. »Ich dachte, ich hätte eine Stimme gehört.« »Nein«, gab Gudruda zurück, »es hat nur ein Nachtfalke geschrien.« Nun lag Swanhild still in der Verwehung, aber sie sagte leise zu sich: »Ay, ein Nachtfalke, der deine dunklen Augen ausreißen wird, meine Feindin!« Die beiden gingen weiter, und schließlich kamen sie zu dem überhöhten Weg, der am Tempel vorbei zu Asmunds Halle führte. Hier verließ Swanhild sie und gelangte, indem sie über die Torfwand zur Wiese hochstieg, um die Außengebäude herum zum westlichen Ende des Hauses, das sie dann, von niemandem bemerkt, durch die Männertür betrat. Denn alle Leute hatten sich, als sie ein Pferd kommen und eine Frau darauf sitzen sahen, vor der Halle versammelt. Doch Swanhild lief zu dem Bett, in dem sie schlief, und legte, nachdem sie den Vorhang geschlossen hatte, ihre Kleider ab, schüttelte den Schnee aus dem Haar und zog einen Unterrock aus Leinen über. Dann
ruhte sie eine Weile, da sie müde war, und ging schließlich in die Küche, um sich am Feuer zu wärmen. Mittlerweile waren Erik und Gudruda zum Haus gekommen, und dort begrüßte Asmund sie herzlich, da er sich tief im Herzen Sorgen um seine Tochter gemacht hatte und sehr froh war, sie lebendig zu sehen; wegen der Dunkelheit und des Schnees hatten die Männer gerade erst nach ihr zu suchen angefangen. Nun erzählte Gudruda ihre Geschichte, aber nicht alles, und Asmund bat Erik ins Haus. Dann fragte jemand nach Swanhild, und Erik sagte, er habe nichts von ihr gesehen. Asmund war traurig deswegen, denn er liebte Swanhild. Aber als er allen Männern auftrug, aufzubrechen und sie zu suchen, kam eine alte Frau und sagte, daß Swanhild in der Küche sei, und während das Gesindeweib noch sprach, kam sie in die Halle, in Weiß gekleidet, sehr bleich und mit leuchtenden Augen und schön anzusehen. »Wo bist du gewesen, Swanhild?« sagte Asmund. »Ich dachte schon, du wärest mit Gudruda im Schnee umgekommen, und wollte alle Männer auf die Suche schicken, während die Hexenlichter noch brennen.« »Nein, Pflegevater, ich bin im Tempel gewesen«, log sie zur Antwort. »So ist Gudruda nur knapp dem Schnee entkommen, dank diesem Hellauge dort! Ich freue mich sehr darüber, denn wir würden unsere liebe Schwester sehr vermissen.« Und sie trat zu ihr und küßte sie. Doch Gudruda sah, daß ihre Augen wie Feuer brannten, und sie fühlte, daß ihre Lippen kalt wie Eis waren, und schreckte verwundert zurück.
III WIE ASMUND ERIK ZU SEINEM JULFEST BAT Nun war es Essenszeit, und die Männer saßen beim Fleisch, während die Frauen sie bedienten. Aber während Gudruda hin und her eilte, sah sie unentwegt Erik an, und Swanhild beobachtete die beiden. Als sie mit dem Essen fertig waren, setzten die Leute sich um den Herd, und nachdem Gudruda abgeräumt hatte, kam sie zu Erik und setzte sich neben ihn, so daß sie mit ihrem Arm den seinen berühren konnte. Sie sprachen kein Wort, aber sie saßen beieinander und waren glücklich. Swanhild bemerkte es und biß sich auf die Lippe. Nun saß sie neben Asmund und dessen Sohn Björn. »Sieh, Pflegevater«, sagte sie, »dort sitzt ein hübsches Paar!« »Das kann man nicht bestreiten«, gab Asmund zurück. »Man muß viele Tage reiten, um einen anderen Mann wie Erik Hellauge zu finden, und zwischen Middalhof und der Stadt London blüht keine so schöne Maid wie Gudruda, abgesehen von dir, Swanhild. Nun, ihre Mutter hat gesagt, daß es so sein soll, und zweifelsohne hatte sie bei ihrem Tod das Zweite Gesicht.« »Nein, nenne mich nicht mit Gudruda in einem Atemzug, Pflegevater; neben diesem weißen Schwan bin ich nur eine graue Gans. Aber diese beiden werden sicher heiraten, und das wird eine gute Partie für Erik sein.« »Laß deine Zunge nicht so schnell vorauseilen«, sagte Asmund scharf. »Wer hat dir gesagt, daß Erik Gudruda haben soll?« »Niemand hat es mir verraten. Aber ehrlich gesagt, ich bin mir dessen sicher. Schließlich habe ich Augen und Ohren«, erwiderte Swanhild. »Sieh sie dir doch an; sicher tragen nur Verliebte solche Gesichter.« Nun hatte Gudruda durch Zufall das Kinn auf ihrer Hand ab-
gestützt und sah unter dem Schatten ihres Haars Erik in die Augen. »Mich dünkt, meine Schwester erstrebt höheres, als einen einfachen Bauern zu heiraten, wenn er auch so groß wie zwei andere Männer ist«, sagte Björn mit einem Schnauben. Nun war Björn eifersüchtig auf Eriks Kraft und Aussehen und mochte ihn nicht gut leiden. »Vertraue nichts, das du siehst, und wenig, das du hörst, Mädchen«, sagte Asmund und riß sich aus seinen Gedanken, »dann werden deine Vermutungen gut sein. Erik, komm her und sage uns, wie du Gudruda im Schnee gefunden hast.« »Ich sitze nicht so schlecht, daß ich nicht bleiben könnte«, flüsterte Erik leise; aber Gudruda sagte: »Geh.« So erhob er sich und erzählte seine Geschichte; aber nicht alles, denn er hatte vor, Asmund am Morgen um Gudrudas Hand zu bitten, obwohl ihm sein Herz kein Glück bei dieser Sache prophezeite und er daher nichts überstürzen wollte. »Damit hast du mir und den meinen einen guten Dienst erwiesen«, sagte Asmund kalt und musterte Eriks Gesicht mit seinen blauen Augen. »Es wäre schade, wenn meine schöne Tochter im Schnee umgekommen wäre, denn wisse dies: Ich habe vor, den Preis für ihre Ehe hoch anzusetzen, ihrer Ehre und der Ehre meines Hauses wegen, und so wäre irgendeinem reichen und edlen Mann eine große Freude verlorengegangen. Aber nehme du nun dieses Geschenk im Andenken deiner Tat, und Gudrudas Gatte wird dir an dem Tag, da er sie zu seiner Frau macht, noch einen geben.« Und mit diesen Worten zog er einen goldenen Ring von seinem Arm. Als Erik dies hörte, erzitterten seine Knie, und ihm wurde wie vor Furcht schwach ums Herz. Aber er antwortete klar und deutlich: »Dein Geschenk wäre ohne deine Worte besser gewesen, Ringgeber; aber ich bitte dich, ihn zurückzunehmen, denn ich habe nichts getan, um es mir zu verdienen, obwohl vielleicht
die Zeit kommen wird, da ich dich um ein größeres bitten werde.« »Man hat meine Geschenke noch nie zurückgewiesen«, sagte Asmund, der nun wütend wurde. »Dieser wohlhabende Bauer glaubt, das Gold habe nur einen geringen Wert. Es ist närrisch, Fische ins Meer zu werfen, mein Vater«, schnaubte Björn. »Nein, Björn, das nicht«, gab Erik zurück; »aber wie du sagtest, ich bin nur ein Bauer, und seit mein Vater, Thorgrimur Eisenzehe, starb, gingen die Dinge nicht allzu gut am Fluß Ran. Aber wenigstens bin ich ein freier Mann, und ich werde keine Geschenke nehmen, die ich nicht erwidern kann. Daher werde ich den Ring nicht nehmen.« »Wie du willst«, sagte Asmund. »Stolz ist ein gutes Pferd, wenn du klug reitest«, und er schob den Ring über seinen Arm zurück. Dann legten sich die Leute zur Ruhe; aber Swanhild suchte ihre Mutter auf und berichtete alles, was ihr zugestoßen war, und Groa lauschte interessiert. »Nun werde ich einen Plan machen«, sagte sie, »denn diese Dinge kommen uns gelegen, und Asmund ist jetzt in der richtigen Stimmung. Erik wird nicht mehr nach Middalhof kommen, bis Gudruda von dannen gegangen ist, fortgeführt von Ospakar Schwarzzahn.« »Und wie soll ich Eriks Gesicht sehen, wenn er nicht mehr hierher kommt? Denn, Mutter, ich sehne mich nach diesem Anblick.« »Das ist deine Sache, du liebeskranke Närrin. Wisse dies: wenn Erik weiterhin kommt und mit Gudruda spricht, wird dies das Ende deiner Hoffnungen sein; denn so schön du auch bist, sie ist zu schön für dich. Und so stark du auch bist, auf gewisse Weise ist sie zu stark. Du hast gehört, daß diese beiden sich lieben, und eine solche Liebe spottet über den Willen der Väter. Erik wird bekommen, was er will, oder unter den Schwer-
tern von Asmund und Björn sterben, wenn diese Männer gegen seine Kraft bestehen können. Nein, der Wolf muß vom Lamm ferngehalten werden, bis er hungrig wird. Dann soll er die Schafherde suchen und dich erblicken, denn wenn das Beste verschwunden ist, wird er das Gute verlangen.« »So sei es, Mutter. Als ich auf dem Kaltrücken hinter Gudruda zusammengekauert im Schnee hockte, hatte ich mich halbwegs dazu entschlossen, ihr Liebesgeflüster mit diesem Messer zu beenden, damit ich endlich frei von ihr gewesen wäre.« »Ja, und schnell in dein Verderben geeilt wärest, du Wildkatze. Die Götter helfen diesem Erik, wenn du ihn versuchst. Nein, warte auf deine Zeit, und wenn du zuschlagen mußt, schlage im geheimen und unbeobachtet zu. Vergiß auch nicht, daß Klugheit mächtiger ist als Kraft, daß Lügen tiefer stechen als Schwerter, und daß Zauberei gewinnt, wo Ehrlichkeit scheitern muß. Nun werde ich zu Asmund gehen, und er wird ein zorniger Mann sein, bevor der Morgen kommt.« Dann ging Groa zu der Bettstelle, wo Asmund der Priester schlief. Er saß auf dem Bett und fragte sie, weshalb sie käme. »Aus Liebe zu dir, Asmund, und zu deinem Haus, obwohl du mich schlecht behandelst, der du so großen Gewinn aus mir und meiner Voraussicht gezogen hast. Sage nun: willst du, daß diese deine Tochter, Gudruda die Schöne, die Hure dieses langbeinigen freien Bauern werden soll?« »Das liegt nicht in meinem Sinn«, sagte Asmund und strich sich über den Bart. »Weißt du, daß an diesem selbigen Tag deine weiße Gudruda im Schnee auf Eriks Schoß saß, während er sie hätschelte, wie es seinem Herzen beliebte?« »Wahrscheinlich, um sich zu wärmen. Männer träumen in der Stunde ihres Todes nicht von der Liebe. Wer hat dies gesehen?« »Swanhild, die hinter ihnen stand und sich aus Scham verborgen hielt. Daher dachte sie auch, diese beiden müßten bald
heiraten! Ah, jetzt bist du ein Narr, Asmund. Junges Blut macht sich nicht viel aus Kälte oder Tod. Bist du blind, oder siehst du nicht, daß diese beiden sich einander zuwenden wie Vögel in der Nistzeit?« »Sie könnten Schlimmeres tun«, sagte Asmund, »denn sie sind ein hübsches Paar, und mich dünkt, daß beide füreinander geschaffen wurden.« »Dann ist ja alles gut. Doch es ist schade, eine solch hübsche Maid wie einen verfaulten Köder ins Wasser geworfen zu sehen, nur um diese kleine Forelle von Bauer zu fangen. Du hast Feinde, Asmund; du bist zu wohlhabend, und es gibt viele, die dich wegen deiner Stellung und deines Reichtums hassen. Wäre es nicht klug, dieses dein Mädchen zu benutzen, um eine Wand um dich herum gegen den bösen Tag zu errichten?« »Ich bin es gewohnt, Haushälterin, eher meinem eigenen Arm als gekauften Freunden zu vertrauen. Doch sage mir, denn zumindest hast du den Vorausblick, wie soll dies geschehen? Obwohl ich heute abend hart zu ihm gesprochen habe, bin ich, wie die Dinge liegen, geneigt, Erik Hellauge Gudruda zur Frau nehmen zu lassen. Ich habe den Jungen schon immer gemocht, und er wird es weit bringen.« »Höre zu, Asmund! Sicher hast du von Ospakar Schwarzzahn gehört - dem Priester, der im Norden lebt?« »Ay, ich habe von ihm gehört, und ich kenne ihn; es gibt keinen Mann, der ihm an Häßlichkeit, Kraft, Reichtum oder Macht gleichkommt. Vor vielen Jahren segelten wir auf einem Wikingerzug zusammen, und er tat Dinge, bei denen sich mein Blut abwandte, und in jenen Tagen hatte ich nicht gerade das Herz eines Hühnchens.« »Mit der Zeit ändert sich der Charakter der Männer. Wenn ich mich nicht irre, wünscht sich dieser Ospakar mehr als alles andere, Gudruda zur Frau zu nehmen, denn nun, da er alles hat, bleibt ihm nur übrig, darum zu bitten - die schönste Frau auf Island zur Gemahlin. Bedenke, wer könnte sich, mit Ospakar
zum Schwiegersohn, dir noch entgegenstellen?« »Ich bin mir dieser Sache nicht so sicher, Groa, noch traue ich dir besonders. Wahr scheint mir zu sein, daß du irgendein Interesse am Ausgang dieser Sache hast. Dieser Ospakar ist böse und häßlich. Es wäre eine Schande, ihm Gudruda zu geben, wenn sie sich einen anderen ausgesucht hat. Weißt du, daß ich geschworen habe, sie zu lieben und zu behüten, und wie deckt sich dies mit meinem Eid? Wenn Erik auch nicht reich ist, so ist er doch von guter Abstammung und Herkunft und darüber hinaus ein Prachtkerl von Mann. Wenn er sie nimmt, wird Gutes dabei herauskommen.« »Es paßt zu dir, Asmund, stets denen zu mißtrauen, die ihre Tage damit verbringen, Pläne für dein Wohlergehen zu schmieden. Tue, was du willst: soll Erik doch deinen Schatz nehmen - für den Grafen ihren Rang geben würden -, damit du es später bereuen wirst. Aber ich sage dies: Wenn du ihn sich hier mit dieser Taube herumtreiben läßt, wird dir die Angelegenheit bald entgleiten, denn diese beiden begehren einander, und junges Blut ist heiß und kann schlecht warten, und es fällt nicht immer Schnee. So verlobe sie miteinander oder schicke ihn fort. Und nun habe ich gesprochen.« »Deine Zunge ist zu schnell. Der Mann hat sich noch nicht beweisen können, und ich werde ihm eine Gelegenheit geben. Morgen werde ich ihn von meiner Tür weisen; dann werden die Dinge geschehen, wie das Schicksal sie bestimmt hat. Und nun Friede, denn ich bin deines Geschwätzes überdrüssig, und darüber hinaus ist es falsch; denn es mangelt dir an einem - ein wenig Ehrlichkeit, um all deine Kunst zum Reifen zu bringen. Ich frage mich, welche Belohnung Ospakar dir bezahlt hat. Du zumindest hättest den Goldring heute abend niemals abgelehnt, denn du würdest viel für Gold tun.« »Und mehr für die Liebe, und am meisten für den Haß«, sagte Groa und lachte laut; und in dieser Nacht sprachen sie nicht mehr über diese Angelegenheit.
Nun stand Asmund früh am Morgen auf und ging in die Halle, um Erik zu wecken, der bei der großen Feuerstelle schlief, und ihm zu sagen, daß er unter vier Augen mit ihm sprechen müsse. Dann folgte Erik ihm aus der Halle. »Sag nun, Erik«, sprach er, als sie allein im grauen Tageslicht vor dem Haus standen, »wer hat dich gelehrt, daß Küsse an Schneetagen die Kälte fernhalten?« Nun errötete Erik bis zu seinem blonden Haar, doch er antwortete: »Wer hat dir verraten, Herr, daß ich diese Medizin versucht habe?« »Der Schnee verbirgt viel, aber es gibt Augen, die den Schnee durchdringen können. Nein, du wurdest gesehen, und dabei wollen wir es bewenden lassen. Nun wisse dies - ich mag dich gut leiden, aber Gudruda ist nicht für dich; sie steht weit über dir, der du nur ein tatenloser Bauer bist.« »Dann ist meine Liebe umsonst«, sagte Erik. »Ich sehne mich nur nach einem, und das ist Gudruda. Ich hatte vor, dich heute zu bitten, sie mir in die Ehe zu geben.« »Dann, Junge, hast du die Antwort, bevor du gefragt hast. Sei dir eines sicher: Wenn ich dich noch einmal allein bei Gudruda finde, wird dich meine Axt küssen, und nicht ihre Lippen.« »Den Beweis mußt du mir noch erbringen, Herr«, sagte Erik und wandte sich um, um sein Pferd zu suchen, als plötzlich Gudruda erschien und sich zwischen sie stellte. Und als er sie sah, schlug sein Herz schneller. »Höre, Gudruda«, sagte Erik. »Dies ist deines Vaters Wort: Wir beide dürfen nicht mehr miteinander sprechen.« »Dann ist dies ein schlimmer Befehl für uns«, sagte Gudruda und legte eine Hand auf ihre Brust. »Ob guter oder schlechter Befehl, so lautet er, Mädchen«, gab Asmund zurück. »Und du wirst ihn auch nicht mehr küssen, ob im Schnee oder im Blumenfeld.« »Nun scheine ich Swanhilds Stimme zu hören«, sagte sie. »Aber gut, solche Dinge sind schon besseren Leuten gesche-
hen, und der Wunsch des Vaters ist für eine Jungfrau, was der Wind fürs Gras ist. Doch die Sonne steht hinter einer Wolke, und eines Tages wird sie wieder scheinen. Bis dahin, Erik, lebe wohl!« »Ist es nicht dein Wille, Herr«, sagte Erik, »daß ich zu deinem Julfest kommen soll, wie du mich in diesen zehn Jahren immer eingeladen hast?« Nun wurde Asmund wütend und deutete mit der Hand auf die Goldenen Fälle, die den Hügel namens Steinberes hinabdonnerten, der hinter Middalhof lag, und höhere Wasserfälle gibt es auf ganz Island nicht. »Ein Mann kann zwei Wege vom Kaltrücken nach Middalhof nehmen, Erik: den Reitweg über den Kaltrücken oder die Goldenen Fälle hinab. Nun bitte ich dich, zu meinem Fest auf dem Weg über die Goldenen Fälle zu kommen; und wenn du diesen Weg kommst, verspreche ich dir dies: Wenn du überlebst, werde ich dich freundlich willkommen heißen, und wenn ich dich tot im großen See finde, werde ich dir deine Höllenschuhe umschnüren und dich in die Erde legen, wie es sich für einen Nachbarn gehört. Aber wenn du auf irgendeinem anderen Weg kommst, werden meine Knechte dich an meiner Tür mit ihren Schwertern erschlagen.« Und er strich sich über den Bart und lachte. Nun sprach Asmund so spöttisch, weil er es nicht für möglich hielt, daß irgend jemand den Pfad über die Goldenen Fälle nehmen könnte. Erik lächelte. »Ich nehme dich beim Wort, Herr«, sagte er. »Vielleicht werde ich beim Julfest dein Gast sein.« Aber als der Wind sich drehte, hörte Gudruda das Donnern der mächtigen Fälle. »Nein, nein«, rief sie; »es wäre dein Tod!« Doch Erik hatte sein Pferd gefunden und ritt durch den Schnee davon. Nun muß berichtet werden, daß Koll der Halbgescheite
schließlich nach beschwerlicher Reise durch den Schnee hoch im Norden den Schweinsberg erreichte. Hier hatte Ospakar Schwarzzahn seine große Halle, in der sich Tag für Tag hundert Männer zur Fleischtafel niedersetzten. Nun betrat Koll die Halle, als Ospakar beim Nachtmahl war, und betrachtete ihn mit großen Augen, denn er hatte noch nie einen so wundervollen Mann gesehen. Er war groß von Gestalt - sein Haar war schwarz, und schwarz auch der Bart, und auf seiner Unterlippe lag ein großer schwarzer Fangzahn. Seine Augen waren schmal und eng, aber seine Wangenknochen lagen weit auseinander und hoch, wie die eines Pferdes. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen, dachte Koll und hielt ihn für einen Troll. Er bekam es wegen seines Botengangs mit der Angst zu tun, denn in seiner Halbgescheitheit lag viel List - sie war der Mantel, in den er sich hüllte. Doch als Ospakar auf dem Thron saß, gekleidet in einem purpurnen Umhang mit seinem Schwert Weißfeuer auf den Knien, sah er Koll und rief mit lauter Stimme: »Wer ist dieser rote Fuchs, der in meine Erde kriecht?« Denn Koll war wirklich sehr wie ein Fuchs anzuschauen. »Mein Name ist Koll der Halbgescheite, Groas Leibeigener, Herr«, gab er zurück. »Bin ich hier willkommen?« »So soll es sein. Aber warum nennen sie dich halbgescheit?« »Weil ich mich manchmal vor der Arbeit scheue, Herr.« »Dann sind all meine Knechte deine Brüder. Sag, was führt dich hierher?« »Dies, Herr. - Unten im Süden erzählen sich die Männer, du würdest dem eine große Belohnung geben, der die schönste Jungfrau auf Island für dich entdeckt. So erbat ich von meiner Herrin, eine Reise antreten zu dürfen, um dir von ihr zu berichten.« »Dann hat man dir eine Lüge erzählt. Doch ich liebe es, von schönen Jungfrauen zu hören, und ich suche eine zur Frau zu nehmen, wenn sie nur schön genug ist. So spreche weiter, Koll der Fuchs, aber ich warne dich! Lüge mich nicht an, sonst
werde ich dir aus deinem roten Kopf prügeln, was an Gescheitem noch darin ist.« So griff Koll die Geschichte auf und lobte Gudrudas Schönheit sehr; aber sie war ja auch wirklich so schön, daß er sie trotz all seines Geredes gar nicht genug loben konnte. Er erzählte von ihren dunklen Augen und ihrer weißen Haut, vom Edelmaß ihrer Gestalt und dem Gold ihres Haars, von ihrer Klugheit und Sanftheit, bis Ospakar schließlich darauf brannte, diese Blume aller Jungfrauen zu sehen. »Bei Thor«, sagte er, »wenn das Mädchen nur halb so schön ist, wie du behauptest, Koll, dann ist das Glück ihr hold, denn sie wird die Frau Ospakars werden. Aber wenn du mir etwas vorgelogen hast, dann sieh dich vor! Sonst wird bald ein Bursche weniger auf Island leben.« Nun erhob sich ein Mann in der Halle und sagte, daß Koll die Wahrheit spreche, denn er habe Gudruda die Schöne, Asmunds Tochter, auch gesehen, und es gäbe auf ganz Island kein zweites Mädchen wie sie. »Dann werde ich dies tun«, sagte Schwarzzahn. »Morgen werde ich einen Boten nach Middalhof schicken und Asmund dem Priester sagen lassen, daß ich vorhabe, ihn zur Zeit des Julfestes zu besuchen; dann werde ich sehen, ob mir das Mädchen gefällt. Mittlerweile, Koll, nimmst du einen Platz unter den Knechten ein, und hier ist etwas für deine Mühen.« Und er nahm den purpurnen Umhang ab und warf ihn ihm zu. »Ich danke Euch, Goldverstreuer«, sagte Koll. »Es ist weise, bald nach Middalhof zu gehen, denn einer solchen Blüte wie dieser Maid mangelt es nicht an Bienen. Es gibt einen Jüngling im Süden namens Erik Hellauge, der Gudruda liebt, und sie liebt ihn auch, glaube ich, obwohl er nur ein Bauer kleinen Reichtums und erst fünfundzwanzig Jahre alt ist.« »Ho! Ho!« lachte der große Ospakar. »Und ich bin fünfundvierzig. Aber dieser Grünschnabel kommt mir besser nicht ins Gehege, sonst werden ihn die Männer Erik Hohlauge nennen!«
Nun kam Ospakars Bote nach Middalhof, und seine Worte gefielen Asmund, und er richtete bereitwillig ein großes Fest aus. Und Swanhild lächelte, aber Gudruda fürchtete sich.
IV WIE ERIK DIE GOLDENEN FÄLLE HINABKAM Nun ritt Ospakar am Tag vor dem Julfest auf dem Middalhof ein. Er war prächtig gekleidet, und mit ihm kamen seine beiden Söhne, Gizur der Gesetzesmann und Mord, vielversprechende junge Männer, und viele bewaffnete Knechte und Diener. Gudruda, die von der Frauentür aus zusah, erblickte sein Gesicht im Mondlicht und verabscheute ihn. »Was hältst du von ihm, der da kommt, um dich zur Frau zu nehmen, Stiefschwester?« fragte Swanhild, die neben ihr stand. »Mich deucht, er ist wie ein Troll. Mag er suchen, was er will, mich wird er nicht finden. Ich würde lieber im See unter den Goldenen Fällen liegen als in Ospakars Halle.« »Das muß sich noch zeigen«, sagte Swanhild. »Wenigstens ist er reich und von Adel, und der größte Mann, den ich je gesehen habe. Es würde Erik nicht gut ergehen, würden diese Arme ihn umklammern.« »Dessen bin ich mir nicht so sicher«, sagte Gudruda. »Aber es ist ja kaum wahrscheinlich, daß wir es erfahren werden.« »Kommt Erik über den Weg der Goldenen Fälle zum Fest, Gudruda?« »Nein. Kein Mann kann diesen Weg nehmen und ihn lebendig überstehen.« »Dann wird Erik sterben, denn er wird es riskieren.« Nun dachte Gudruda nach, und ein großes Feuer brannte in ihrem Herzen und strahlte aus ihren Augen. »Wenn Erik stirbt«, sagte sie, »dann liegt auf dir sein Blut, Swanhild - auf dir und deiner finsteren Mutter, denn ihr habt Pläne geschmiedet, dieses Unheil über uns zu bringen. Was habe ich dir getan, daß du mir das Böse wünschst?« Swanhild wurde weiß und blickte erzürnt drein, denn die Leidenschaft überkam sie. Sie schaute Gudruda ins Gesicht und
gab zurück: »Was du mir getan hast? Gewiß werde ich es dir sagen. Deine Schönheit hat mich Eriks Liebe beraubt.« »Es wäre besser, dich Eriks Liebe zu rühmen, wenn er sie dir gestanden hat, Swanhild.« »Du hast sie mir gestohlen, und dafür hasse ich dich, und dafür werde ich dich an Ospakar ausliefern, den du verabscheust ja, und dann werde ich Hellauge für mich gewinnen. Bin ich nicht auch schön, und kann ich nicht auch lieben, und soll ich zusehen, wie du mir meinen Liebsten wegschnappst? Bei den Göttern, niemals! Bevor es so kommt, werde ich dich tot sehen, und Erik mit dir! Aber zuerst will ich dich entehrt sehen!« »Deine Worte geziemen sich nicht für die Lippen einer Jungfrau, Swanhild! Aber sei dir in einem sicher: Ich fürchte dich nicht, und ich werde dich niemals fürchten. Und eins weiß ich ganz sicher: Ob du nun obsiegst oder ich, am Ende wirst du die größere Schande ernten, und in zukünftigen Zeiten werden die Menschen von dir voller Haß sprechen und dich übel beschimpfen. Darüber hinaus wird dich Erik niemals lieben; von Jahr zu Jahr wird sein Haß auf dich größer werden, obwohl es gut sein mag, daß du ihm den Tod bringen wirst. Und nun danke ich dir, daß du mir all deine Gedanken verraten und mir gezeigt hast, was du wirklich bist!« Und Gudruda drehte sich verächtlich um und schritt davon. Nun ging Asmund der Priester auf den Hof hinaus, um Ospakar Schwarzzahn herzlich zu begrüßen, obwohl er dessen Erscheinung nicht mochte. Und er nahm ihn bei der Hand und führte ihn in die Halle, die prächtig mit Wandbehängen geschmückt war, und ließ ihn an seiner Seite neben dem Thron Platz nehmen. Und Ospakars Knechte brachten gute Geschenke für Asmund, der dem Geber angemessen dankte. Nun war Essenszeit, und Gudruda kam herein, und ihr folgte Swanhild. Ospakar musterte Gudruda genau, und der starke Wunsch überkam ihn, sie zu seiner Frau zu machen. Doch sie schritt kühl an ihm vorbei und würdigte ihn keines Blickes.
»Ist dies also deine Tochter, von der ich so viel gehört habe, Asmund? Ich will dir sagen: eine schönere Frau wurde nie geboren.« Dann aßen die Männer, und Ospakar trank viel Ale, aber die ganze Zeit über starrte er Gudruda an und lauschte ihrer Stimme. Aber immer noch sagte er nicht, weshalb er gekommen war, obwohl alle von seiner Absicht wußten. Und seine beiden Söhne, Gizur und Mord, hefteten die Blicke auch auf Gudruda, denn sie hielten sie für überaus schön. Aber Gizur hielt auch Swanhild für schön. Und so verlief der Abend, bis die Zeit zum Schlafen kam. Am selben Tag brach Erik von seinem Hof am Fluß Ran auf und nahm die Straße zum Gipfel des Kaltrückens, bis er zum Steinberg kam. Nun erstreckten sich zwischen dem Kaltrücken und dem Steinberg steile Klippen gen Süden, die immer höher werden, bis man zu jenem Punkt kommt, wo der Goldene Fluß über sie fällt, unten seine Wasser teilt und nach Osten und Westen weiterfließt. Der östliche Arm trägt den Namen Ran und der westliche heißt Laxä - denn diese beiden Flüsse umschließen die reiche Ebene von Middalhof, bis sie schließlich zum Meer gelangen. Aber inmitten des Goldenen Flusses, am Rand der Klippe, ragt eine Felsmasse mit dem Namen Schafsattel hervor, die die Fluten des Wasserfalls teilt, und darüber schäumt die Gischt und schiebt sich im Winter das Eis, aber den Fluß bedeckt sie nicht. Der große Fall ist dreißig Klafter tief und wie ein Hufeisen geformt, dessen Spitzen zum Middalhof deuten. Wenn man den Schafsattel-Felsen, der den Fluß in der Mitte teilte, besteigen könnte, könnte ein kräftiger und kühner Mann etwa fünfzehn Klafter von dieser Höhe hinabklettern, ohne sich dabei auch nur die Füße naß zu machen. Nun trafen sich hier am Fuß des Schafsattel-Felsens die Doppelbögen aus Wasser und stürzten in einem Strom in den darunterliegenden grundlosen See. Aber etwa drei Klafter unter diesem Punkt, wo sich die Wasser trafen, genau dort, wo die
Biegung am tiefsten war, durchschnitt eine einzelne Klippe - so groß wie ein Trinktisch - die Gischt, und wenn ein Mann sie erreichen könnte, könnte er von ihr etwa zwölf Klafter in die Tiefe springen, geradewegs in die darunter befindliche gischtverhangene Grube, um dort entweder zu versinken oder zu schwimmen. Diese Klippe trug den Namen Wolfsfang. Nun stand Erik lange am Rand des Wasserfalls und schaute hinab, wobei er alles mit den Augen maß. Dann stieg er nach oben, wo der Fluß den Abgrund hinabstürzte, und schaute erneut, denn von diesem Ufer aus mußte er den teilenden Inselfels Schafsattel erreichen. »Kaum ein Mensch würde das Wagnis eingehen; doch ich will es versuchen«, sagte er schließlich zu sich selbst. »Wenn ich überleben sollte, wird man mich für diese Heldentat verehren, und wenn ich sterbe - nun, dann hat es ein Ende, sich über Mädchen und all die anderen Dinge den Kopf zu zerbrechen.« So ging er nach Hause und saß an diesem Abend schweigend da. Nun war seit Thorgrimur Eisenzehes Tod sein Hausweib, Saevuna, Eriks Mutter, kurzsichtig geworden, und obwohl sie von ihrem Platz an der Feuernische spähte und spähte, konnte sie das Gesicht ihres Sohnes nicht sehen. »Was fehlt dir, Erik, daß du so still dasitzt? War das Fleisch des Nachtmahls nicht nach deinem Geschmack?« »Doch, Mutter, das Fleisch war gut, wenngleich man es ein wenig länger hätte räuchern können.« »Nun sehe ich, daß du nicht du selbst bist, Sohn, denn du hattest kein Fleisch, sondern nur Stockfisch - und ich kannte noch nie einen Mann, der schon am Abend nicht mehr wußte, was er gegessen hatte, es sei denn, er war heftig erregt oder arg verliebt.« »War dem so?« sagte Hellauge. »Was bekümmert dich, Erik? - Dieses hübsche Ding dort unten?« »Ay, ein wenig, Mutter.«
»Und was mehr dann?« »Daß ich morgen die Goldenen Fälle hinabsteige und nicht weiß, wie ich vom Schafsattel-Fels zur Wolfsfang-Klippe gelangen und dabei das Leben behalten kann; und nun bitte ich dich, ermüde mich nicht mit Worten, denn mein Verstand ist träge, und ich muß ihn benutzen.« Als sie dies hörte, schrie Saevuna laut auf, warf sich vor Erik und bat ihn dringlich, sein verrücktes Unterfangen aufzugeben. Aber er wollte nicht auf sie hören, denn er faßte nur langsam einen Entschluß, doch wenn er ihn einmal gefaßt hatte, konnte nichts ihn wieder ändern. Und als sie dann erfuhr, daß er beabsichtigte, sein Leben wegzuwerfen, um seinen Blick auf Gudruda richten zu können, war sie sehr wütend. Sie verfluchte sie und all ihre Verwandten und Stammesgenossen. »Es ist wahrscheinlich genug, daß du Grund haben wirst, solche Worte zu verwenden, bevor diese Geschichte zur Gänze erzählt ist«, sagte Erik. »Dennoch, Mutter, unterlasse es, Gudruda zu verfluchen, die in keiner Weise Schuld an diesen Ereignissen hat.« »Du bist ein treuloser Sohn«, sagte Saevuna, »der du ums Leben kommen wirst, nur um mit deiner Maid sprechen zu können, und der du deine Mutter kinderlos zurücklassen wirst.« Erik erwiderte, es schiene in der Tat so, aber er habe es gelobt und müsse dieses Kraftstück nun wagen. Dann küßte er sie, und sie ging weinend zu Bett. Nun war es der Tag des Julfestes, und die Sonne schien erst eine Stunde vor Mittag. Aber nachdem Erik seine Mutter geküßt und sich von ihr verabschiedet hatte, rief er einen Knecht, Jon mit Namen, gab ihm einen Beutel aus Seehundsfell mit seinen besten Kleidungsstücken und bat ihn, nach Middalhof zu reiten und Asmund dem Priester zu sagen, daß Erik Hellauge eine Stunde nach Mittag die Goldenen Fälle hinabkommen würde, um sich zu seinem Fest zu gesellen; dann solle er zum Fuß der Goldenen Fälle gehen, um ihn dort zu erwarten. Und
der Mann ging verwundert, denn er hielt seinen Herrn für verrückt. Dann nahm Erik ein gutes Seil und einen eisenbeschlagenen Stab, und sobald das Tageslicht ausreichte, bestieg er sein Pferd, durchschritt den Fluß Ran und ritt den Kaltrücken hinauf, bis er zur Mündung der Goldenen Fälle kam. Hier blieb er eine Weile, bis er schließlich am Middalhof, tief unter sich, viele Leute den Schnee aufwirbeln sah, darunter zwei Frauen, bei denen es sich der Gestalt nach um Gudruda und Swanhild handeln konnte. Neben ihnen war ein großer Mann, den er nicht kannte. Dann zeigte er sich auf einem Vorsprung am Rand des Abgrundes und lenkte sein Pferd flußaufwärts. Die Sonne schien hell am Horizont, aber der Frost war scharf wie ein Schwert. Dennoch mußte er sich seiner Kleidung entledigen, bis er nichts mehr trug als Schaffellschuhe, Hemd und Hose. Er sprang ins Wasser. Nun strömt der Fluß hier mit großer Gewalt, und er mußte volle dreißig Klafter wirbelnden Wassers durchqueren, bevor er den Schafsattel erreicht hatte, und wehe ihm, wenn sein Fuß auf den Flußsteinen ausglitt dann mußte er mit Sicherheit über den Rand gespült werden. Erik senkte den Stab auf den steinigen Grund, legte sein Gewicht darauf und schwang sich über den Fluß, und er war so stark, daß er sich gegen ihn behaupten konnte, bis er ihn zur Hälfte durchquert hatte und das Wasser ihm bis zu den Schultern ging. Dann wurde ihm der Boden unter den Füßen fortgerissen, und er ließ den Stab treiben und schwamm um sein Leben, und zwar mit solch mächtigen Stößen, daß er nur wenig von der eisigen Kälte des Wassers spürte. Flußabwärts wurde er getrieben - nun lag der Rand des Wasserfalls nur noch drei Klafter zu seiner Linken, und schon kochte das grüne Wasser neben ihm. Ein Klafter von ihm entfernt lag die Ecke des Schafsattels. Wenn er ihn ergreifen konnte, war alles gut; wenn nicht, würde er sterben. Drei mächtige Schwimmzüge, und er hielt ihn umklammert.
Seine Füße wurden über den Rand des Falls gezerrt, aber er hielt sich voller Grimm fest, zog sich mit der Kraft seiner Arme auf den Felsen und ruhte einen Augenblick. Doch schon bald erhob er sich, weil die Kälte anfing, an ihm zu nagen, und die Leute unten wurden sich bewußt, daß er den Fluß oberhalb der Fälle durchschwömmen hatte. Sie riefen und jubelten, denn dies war eine große Tat. Nun mußte Erik sich anschicken, den Schafsattel hinabzusteigen, und dies war keine leichte Aufgabe, denn der Fels war sehr glatt und schlüpfrig vom Eis, und auf beiden Seiten donnerte und strömte das Wasser hinab und schleuderte seine blendende Gischt auf ihn, als es in die Tiefen stürzte. Er schaute hinab und betrachtete den Fels; und als er merkte, daß er es mit der Angst zu tun bekam, machte er dem Zögern ein Ende, umfaßte mit beiden Händen einen Felsvorsprung und schwang sich mehr als eine Körperlänge hinab. Nun kletterte er viele Minuten lang den Schafsattel hinab, was eine schwere Aufgabe war, denn das Dröhnen des Wassers, das ihn auf beiden Seiten wie das Holz eines Bogens einschloß, verwirrte ihn sehr, und der Fels selbst war steil und schlüpfrig. Doch er legte die ganzen fünfzehn Klafter zurück, ohne zu stürzen, obwohl er dem Absturz zweimal sehr nahe war. Die Zuschauer unten bewunderten seine Kühnheit. »Wo sich die Wasser treffen, wird es ihn zerreißen«, sagte Ospakar. »Er kann die Wolfsfang-Klippe niemals erreichen, und wenn er sich jetzt einfach abstößt und in den See springt, wird das Gewicht des Wassers ihn in die Tiefe drücken und ertränken.« »Dies ist sicher richtig«, sprach Asmund, »und ich bedaure es sehr; denn es war mein Scherz, der ihn zu diesem gefährlichen Abenteuer trieb, und wir können solch einen Mann wie Erik Hellauge nicht entbehren.« Nun wurde Swanhild weiß wie der Tod; aber Gudruda sagte: »Wenn ein großes Herz und Kraft und Geschicklichkeit überhaupt etwas bewirken können, dann wird er den Wasserfall
sicher hinabkommen.« »Du Närrin!« flüsterte Swanhild ihr ins Ohr, »wie könnte ihm das helfen? Nicht einmal ein Troll könnte in diesem Wasserkessel überleben. Erik ist tot, und du bist der Köder, der ihn in den Tod gelockt hat!« »Erspare dir deine Worte«, gab sie zurück, »denn es wird geschehen, wie die Nornen es bestimmt haben.« Nun stand Erik am Fuß des Schafsattels, und innerhalb einer Armeslänge trafen sich die mächtigen Wasser, schüttelten ihre gelben Wellen durcheinander und brodelten gewaltig, als sie in den gischtverhangenen Abgrund schössen. Er beugte sich vor und spähte durch die Gischt. Drei Klafter unter ihm teilte der Felsen Wolfsfang das Wasser, und wenn er bis dorthin kam, konnte er einfach in den darunterliegenden See springen. Nun rollte er das Seil auf, das er sich um den Leib geschlungen hatte. Er verknotete ein Ende fest an einem Felsvorsprung was schwierig war, denn seine Hände waren steif vor Kälte und steckte das andere durch seinen ledernen Gürtel. Dann schaute Erik noch einmal, und ihm wurde schwach ums Herz. Wie sollte er sich dieser kochenden Flut ausliefern, ohne zerschmettert zu werden? Aber als er schaute, wuchs ein Regenbogen aus dem Wasserspiegel, und eines seiner Enden fiel auf ihn. Das andere fiel, wie ein Schein der Götter, voll auf Gudruda, die ein wenig abseits stand und ihn vom Fuß der Goldenen Fälle aus beobachtete. »Siehst du«, sagte Asmund zu Groa, die an seiner Seite war, »die Götter errichten ihre Bifröst-Brücke zwischen diesen beiden. Wer soll sie jetzt noch voneinander fernhalten?« »Deute dieses Omen so«, gab sie zurück: »Sie werden vereint sein, aber nicht hier. Dort drüben ist eine Brücke der Geisterwelt, und siehe, die Wasser des Todes schäumen und fallen zwischen ihnen.« Auch Erik sah das Omen und hielt es für ein gutes, und alle Furcht verließ sein Herz. Überall um ihn herum donnerten die
Wasser, aber er träumte, inmitten des Getöses eine Stimme rufen zu hören: »Sei guter Hoffnung, Erik Hellauge; denn du sollst leben, um mächtigere Taten als diese zu vollbringen, und zur Belohnung wirst du Gudruda gewinnen.« So wartete er nicht länger, sondern faßte das Seil, zog mit aller Kraft daran und sprang dann zu dem Wasserbogen hinaus. Das Wasser prallte gegen ihn, und er flog davon wie ein Stein aus einer Schleuder; wieder stürzte er auf das Wasser, und wieder wurde er davongeschleudert, so daß sein Gürtel riß. Erik fühlte, wie er nachgab, und er klammerte sich heftig am Seil fest. Und siehe da, mit dem Innenschwung fiel er auf den Wolfsfang, wo nie zuvor ein Mann gestanden hatte und nie wieder ein Mann stehen wird. Erik blieb einen kurzen Moment auf dem Fels liegen, bis er wieder zu Atem gekommen war; er lauschte dem Tosen des Wassers. Dann erhob er sich auf Hände und Knie und kroch zu der Felsspitze, da er kaum stehen konnte, weil der Stein noch unter dem Stoß seines Sturzes zitterte; und als die Leute unten sahen, daß er nicht tot war, hoben sie laut ihre Stimmen, und der Lärm ihrer Rufe drang durch das Rauschen des Wassers zu ihm herüber. Nun lag zwölf Klafter unter ihm die Oberfläche des Sees; aber wegen der Gischtwolken konnte er sie nicht sehen. Dennoch mußte er springen, und zwar schnell, denn er fing an zu frieren. So erhob sich Erik plötzlich zu seiner vollen Größe, und mit einem lauten Schrei und einem mächtigen Satz sprang er von der Spitze des Wolfsfangs weit in die Luft, über die niederstürzenden Fluten hinaus, und flog mit dem Kopf voran dem Abgrund entgegen. Während seines Sturzes hielten die Männer, die ihm zusahen, den Atem an, und so gewaltig war der Ort und so tief der Sprung, daß Erik durch die Gischt nur wie ein großer weißer Stein auszumachen war, der zum Antlitz des Wasserbogens niederstürzte. Er war verschwunden. Die Zuschauer eilten zum Fuße des
Sees, denn dort mußte er, wenn überhaupt, wieder aus den Tiefen auftauchen. Swanhild konnte nicht mehr hinsehen, sondern sank zu Boden. Gudrudas Gesicht war vor Zweifel und Qual steinern. Ospakar sah es, verstand die Bedeutung, und dachte bei sich: »Nun gewähre mir Odin, daß dieser Jüngling nicht mehr auftaucht, denn die Maid liebt ihn innigst, und er ist zu sehr ein Mann, um einfach beiseite getan zu werden.« Erik fiel in den See. Er sank tief ein, und tiefer und tiefer denn das Wasser, das von so weit oben stürzt, muß fast den Grund des Bodens erreichen, bevor es wieder aufsteigen kann, und er mit ihm. Nun berührte er den Grund, aber nur sehr sanft, und fing langsam an, wieder aufzusteigen, und dabei wurde er von der Strömung getragen. Aber es dauerte noch lange, bevor er atmen konnte, und es kam ihm vor, als würden ihm die Lungen platzen. Doch er kämpfte sich hinauf und machte dabei mächtige Schwimmstöße mit den Beinen. »Erik, lebe wohl«, sagte Asmund, »er wird jetzt nicht mehr auftauchen.« Doch noch während er sprach, deutete Gudruda auf etwas, das weiß und golden unter der Oberfläche der Strömung aufleuchtete, und siehe da, es erhob sich Eriks helles Haar aus dem Wasser, und er holte tief Luft, schüttelte den Kopf wie ein Seehund und strebte, wenn auch nur langsam, den Untiefen am Fuße des Teiches entgegen. Nun fanden seine Füße Halt, doch er wurde von der heftigen Strömung umgerissen und schnitt sich an einem Stein die Stirn auf, und diese Narbe trug er bis zu seinem Tod. Wieder erhob er sich, und mit einem Satz erklomm er ohne Hilfe das Ufer und fiel auf den Schnee. Nun versammelten sich die Leute schweigend und erstaunt um ihn, denn noch nie hatten sie eine solch große Tat gesehen. Und schließlich öffnete Erik die Augen und schaute auf, und Gudrudas Blick traf den seinen, und es lag etwas darin, das ihn froh und glücklich machte, den Weg über die Goldenen Fälle gewagt zu haben.
V WIE ERIK DAS SCHWERT WEISSFEUER ERRANG Nun beugte sich Asmund der Priester hinab, und Erik sah ihn und sprach: »Du hast mich zu deinem Julfest gebeten, Herr, und über diesen schlüpfrigen Weg bin ich gekommen. Heißt du mich nun willkommen?« »Dich lieber als alle anderen«, sprach Asmund. »Du bist ein mutiger Mann, wenn auch ein tollkühner; und du hast eine Tat vollbracht, von der man sich erzählen wird, solange Skalden singen und Menschen auf Island leben.« »Mach Platz, mein Vater«, sagte Gudruda, »denn Erik blutet.« Und sie löste den Schal von ihrem Hals, legte ihn um seine verletzte Braue, zog ihren dicken Mantel aus und legte ihn auf seine Schultern, und keiner gebot ihr Einhalt. Dann führten sie ihn zur Halle, wo Erik sich ankleidete und ruhte, und er schickte den Knecht Jon zum Kaltrücken zurück und trug ihm auf, Saevuna, Eriks Mutter, auszurichten, daß er wohlauf sei. Aber er war den ganzen Tag über noch etwas schwach, und das Geräusch des Wassers dröhnte in seinen Ohren. Nun waren Ospakar und Groa nicht darüber erfreut, welchen Verlauf die Dinge genommen hatten; aber alle anderen freuten sich sehr, denn Erik war bei den Männern gut gelitten, und sie hätten getrauert, wenn das Wasser den Sieg über seine Kraft davongetragen hätte. Aber Swanhild war sehr verbittert, denn Erik würdigte sie keines einzigen Blickes. Die Stunde des Festes kam näher, und dem Brauch nach wurde es im Tempel abgehalten, und dorthin gingen alle Männer. Als sie im Hauptschiff des Hofes Platz genommen hatten,
wurde der fette Ochse hereingeführt, den man zur Opferung vorbereitet hatte, und vor den Altar gezerrt, auf dem das heilige Feuer brannte. Nun tötete Asmund der Priester ihn unter völligem Schweigen vor den Standbildern der Götter mit dem Schwert, fing sein Blut in der Blutschale auf und besprenkelte den Altar und alle Andächtigen mit den Blutruten. Dann wurde der Ochse aufgeschnitten, und die Figuren der allmächtigen Götter wurden mit dem geschmolzenen Fett gesalbt und mit sauberem Leinen wieder abgewischt. Danach wurde das Fleisch in den Kupferkesseln gebraten, die über den Feuern hingen, die man überall im Hauptschiff angezündet hatte, und das Fest begann. Nun aßen die Männer und tranken viel Ale und Met, und alle waren fröhlich. Aber Ospakar Schwarzzahn wurde nicht froh, obwohl er viel trank, denn er sah, daß Gudrudas Augen unentwegt Eriks Gesicht beobachteten und die beiden einander anlächelten. Darüber war er erzürnt, denn er wußte, daß der Köder gut und die Schnur stark sein mußte, die diesen schönen Fisch an seine Angel bringen würde. Als er dort saß, lösten seine Finger unwissentlich die Friedensschnüre seines Schwertes Weißfeuer, und er zog die Klinge halb, so daß ihre Helligkeit im Licht der Feuer aufflammte. »Du hast dort eine wunderschöne Klinge, Ospakar!« sagte Asmund, »obwohl dies kein Ort ist, sie zu ziehen. Woher stammt sie? Mich deucht, solche Schwerter werden heute nicht mehr geschmiedet.« »Ay, Asmund, wirklich eine wundersame Klinge. Es gibt keine zweite davon auf der Welt, denn die Zwerge haben sie in alten Zeiten geschmiedet, und wer sie hebt, soll unbesiegbar sein. Dies war König Odins Schwert, und es trägt den Namen Weißfeuer. Ralf der Rote nahm sie aus König Eriks Hünengrab in Norwegen, und er stritt lange mit dem Grabbewohner, bevor er es seinem Griff entwinden konnte. Aber mein Vater gewann die
Klinge und erschlug Ralf, obwohl er dies nie hätte tun können, hätte Ralf Weißfeuer gegen ihn erhoben. Doch Ralf der Rote war betrunken, als sich die Schiffe im Kampf trafen, und er kämpfte mit einer Axt, woraufhin er von meinem Vater getötet wurde. Seitdem war Weißfeuer das letzte Licht, das die Augen vieler Häuptlinge gesehen haben. Schau es dir an, Asmund.« Nun zog er das große Schwert, und die Männer waren erstaunt, als er es hob und die Klinge aufblitzte. Sein Griff war aus Gold, und blaue Steine waren darin eingelassen. Von der Griffstange bis zur Spitze maß es zweieinhalb Ellen, und die breite Klinge war so hell, daß keiner sie lange betrachten konnte, und über ihre gesamte Länge verliefen Runen. »Wahrlich eine wundervolle Waffe!« sagte Asmund. »Was bedeuten die Runen?« »Ich weiß es nicht, und auch kein anderer Mann - sie sind uralt.« »Laß sie mich ansehen«, sagte Groa, »ich kenne mich mit Runen aus.« Nun nahm sie das Schwert, hob es hoch, betrachtete die Runen und sagte: »Wahrlich, eine seltsame Schrift.« »Was bedeutet sie, Haushälterin?« fragte Asmund. »Dies, Herr, wenn meine Kenntnisse mich nicht trügen: Weißfeuer ist mein Name - Zwergenvolk schmiedete mich - Odins Schwert war ich - Eriks Schwert war ich - Eriks Schwert werde ich sein Und wo ich falle, dorthin muß er mir folgen.« Nun schaute Gudruda Erik Hellauge fragend an, und Ospakar sah es und wurde sehr wütend. »Schau nicht so, Mädchen«, sagte er, »denn es wird ein anderer Erik als dein junger Spund sein, der Weißfeuer hält, obwohl es gut sein könnte, daß dein Erik seine Schneide fühlen wird.« Nun biß sich Gudruda auf die Lippen, und Erik errötete bis zu den Augenbrauen und sprach: »Es ist nicht gut, Herr, wie eine zornige Frau Spott auszustreuen. Du bist groß und stark, und doch könnte ich es wagen, dich herauszufordern.«
»Friede, Junge! Du kannst einen Wasserfall geschickt besteigen, dies bestreite ich nicht; aber sei auf der Hut, bevor du es darauf ankommen läßt, deine Kräfte mit den meinen zu messen. Sage nun, welchen Kampf willst du mit Ospakar ausfechten?« »Ich werde mit dir auf den Holmgang gehen, im Harnisch oder ohne Rüstung, und mit der Axt oder dem Schwert gegen dich kämpfen, oder ich werde mit dir ringen, und Weißfeuer dort soll der Preis des Siegers sein.« »Nein, ich werde kein Blutvergießen hier auf Middalhof dulden«, sagte Asmund streng. »Kämpft mit den Fäusten, oder ringt, wenn ihr wollt, denn solche Belustigungen lassen wir uns gern gefallen; aber es werden keine Waffen gezogen.« Nun wurde Ospakar rasend vor Zorn und Trunkenheit - und er grinste wie ein Hund, bis die Männer den roten Gaumen hinter seinen Lippen sahen. »Du willst mit mir ringen, Jüngling - mit mir, den noch kein Mann auch nur von den Füßen gehoben hat? Gut! Ich werde dich aufs Gesicht legen und auspeitschen, und Weißfeuer wird der Preis sein - ich schwöre es beim heiligen Altarring; aber was hast du gegen das kostbare Schwert zu setzen? Deine elende Hütte und das bißchen Land sind viel zu wenig.« »Ich setze mein Leben darauf«, sagte Erik. »Wenn ich Weißfeuer verliere, soll Weißfeuer mich töten.« »Nein, das will ich nicht, und ich bin Herr in diesem Tempel hier«, sagte Asmund. »Denke dir einen anderen Preis aus, Ospakar, oder lasse ab von diesem Kampf.« Nun grub Ospakar den schwarzen Fangzahn in seine Lippe und dachte nach. Dann lachte er laut und sprach: »Hell ist Weißfeuer, und du trägst den Namen Hellauge. Nun siehe: Ich setze das große Schwert gegen dein rechtes Auge, und wenn ich den Kampf gewinne, werde ich es selbst herausreißen. Willst du diesen Kampf mit mir kämpfen? Wenn dein Herz dich im Stich läßt, laß es bleiben; aber ich werde keinen
anderen Preis gegen mein gutes Schwert akzeptieren.« »Augen und Glieder sind der Reichtum des armen Mannes«, sagte Erik. »So sei es. Ich setze mein rechtes Auge gegen das Schwert Weißfeuer, und wir werden den Kampf morgen ausfechten.« »Und morgen wirst du Erik Einauge genannt werden«, sagte Ospakar - woraufhin einige seiner Knechte lachten. Aber die meisten Männer lachten nicht, denn sie hielten dies für einen unseligen Kampf und einen schlechten Scherz. Nun ging das Fest weiter, und Asmund erhob sich von seinem Hohesitz in der Mitte des Hauptschiffs, sah zur linken Hand auf den Altar hinab und sprach die heiligen Trinksprüche. Zuerst tranken die Männer ein volles Horn auf Odin und baten um den Sieg über ihre Feinde. Dann tranken sie auf Freyr und baten um Reichtum; auf Thor, um Stärke im Kampf; auf Freyja, Göttin der Liebe (und auf sie trank Erik besonders herzlich); zum Andenken an die Toten; und zuletzt auf Bragi, den Gott aller Freuden. Als dieser Becher getrunken war, erhob sich Asmund und erkundigte sich, den Sitten entsprechend, ob niemand einen Eid schwören wolle, eine Tat zu begehen, die getan werden müsse. Eine Weile kam keine Antwort, aber dann erhob sich Erik Hellauge. »Herr«, sagte er, »ich möchte einen Eid schwören.« ; »Dann ergreife in dieser Sache das Wort«, sagte Asmund. »Es ist dies«, sprach Erik. »Auf dem Moosberg, drüben beim Hekla, lebt ein Berserker, über den niemand etwas Gutes zu sagen weiß, denn es gibt nur wenige, denen er keinen Schaden zugefügt hat. Sein Name ist Skallagrim; er ist ein mächtiger Mann und hat viel Unglück über die südlichen Lande gebracht. Er hat viele Männer getötet und noch mehr ihrer Habe beraubt, denn keiner kann gegen ihn bestehen. Doch ich schwöre dies: Wenn die Tage wieder länger werden, werde ich allein zu ihm gehen und ihn zum Kampf herausfordern. Ich werde ihn besie-
gen oder fallen.« »Dann, du gelbschöpfiger Welpe, wirst du mit einem Auge gegen einen Berserker mit zweien antreten«, grollte Ospakar. Die Männer achteten nicht auf seine Worte, sondern riefen laut, weil Skallagrim sie schon seit langem heimgesucht hatte und es keinen mehr gab, der es wagte, sich auf einen Kampf mit ihm einzulassen. Nur Gudruda sah mißtrauisch drein, denn es schien ihr, daß Erik zu schnell einen Eid leistete. Dennoch stieg er zum Altar hinauf, ergriff den heiligen Ring, setzte den Fuß auf den heiligen Stein und leistete seinen Eid, während die Festgäste applaudierten und mit ihren Bechern auf den Tisch schlugen. Und danach ging das Fest fröhlich weiter, bis alle Männer betrunken waren, außer Asmund und Erik. Nun ging Erik zur Ruhe, aber zuerst rieb er seine Glieder mit Robbenfett ein, denn er war noch wund von der Gewalt des Wassers, und sie mußten am Morgen sehr geschmeidig sein, wenn er sein Auge behalten wollte. Dann schlief er fest und erwachte gestärkt und ausgeruht, und er ging zu dem Fluß hinter dem Hof, badete und fettete sich die Glieder noch einmal ein. Ospakar jedoch schlief wegen des Ales, das er getrunken hatte, nicht gut. Als Erik nun vom Baden zurückkam, traf er in der Dunkelheit des Morgens Gudruda, die auf ihn gewartet hatte, und da keiner zu sehen war, küßte er sie mehrmals; sie aber schalt ihn wegen des Kampfes, den er mit Ospakar verabredet, und des Eides, den er geschworen hatte. »Gewiß wirst du dein Auge verlieren«, sagte sie, »denn dieser Ospakar ist ein Riese und stark wie ein Troll; auch ist er gnadenlos. Doch du bist immer noch ein mächtiger Mann, und ich werde dich mit einem Auge genauso lieben wie mit zweien. Oh, Erik, mich deucht, ich wäre gestern beinahe gestorben, als du vom Wolfsfang gesprungen bist! Das Herz schien mir in der Brust stehenzubleiben.« »Und doch habe ich sicher das Ufer erreicht, Liebste, und
dieser Kuß entlohnt mich für alles, was mir widerfahren ist. Und was Ospakar betrifft, so fürchte ich ihn - wie jeden anderen Mann - nur wenig, falls es mir gelingen sollte, nur einmal diese Arme um ihn zu legen. Und ich begehre sein Schwert wirklich sehr. Aber morgen können wir schon mit mehr Gewißheit von diesen Dingen sprechen.« Nun umarmte Gudruda ihn und erzählte ihm alles, was ihr widerfahren war. Sie berichtete auch von den Taten und Worten Swanhilds. »Sie tut mir mehr Ehre an, als mir zusteht«, sagte er, »wo mir doch gar nichts an ihr liegt, sondern nur an dir, Gudruda.« »Bist du dir dessen so sicher, Erik? Swanhild ist schön und klug.« »Ay, und böse. Wenn ich Swanhild liebe, dann sollst du Ospakar lieben.« »Das ist ein Handel«, sagte sie lachend. »Das Glück sei beim Ringen mit dir.« Und mit einem Kuß verließ sie ihn, damit sie nicht gesehen ward. Erik ging in die Halle zurück und setzte sich neben die große Feuerstelle, da alle Männer, schwer des Trankes, noch schliefen. Und kurz darauf kam Swanhild und begrüßte ihn. »Du bist begierig, Taten zu vollbringen, Erik«, sagte sie. »Gestern kamst du auf einem Weg hierher, den noch kein Mensch begangen hat, heute ringst du mit einem Riesen um dein Auge, und schon bald trittst du gegen Skallagrim an!« »Dies scheint wahr zu sein«, sagte Erik. »Nun tust du all dies für eine Frau, die einem anderen versprochen ist.« »All dies tue ich des Ruhmes willen, Swanhild. Überdies ist Gudruda keinem anderen versprochen.« »Bevor ein weiteres Julfest vergangen ist, wird Gudruda Ospakars Frau sein.« »Das werden wir noch sehen, Swanhild.« Nun schwieg Swanhild für eine Weile. Danach sprach sie:
»Du bist ein Narr, Erik - ja, trunken vor Torheit. Nur Böses wird dir aus deinem Wahnsinn entstehen. Vergiß es und pflücke das, was sich deiner Hand bietet.« Und sie schaute ihn süß an. »Man nennt dich Swanhild die Vaterlose«, gab er zurück, »doch ich glaube, daß Loki, der Gott der Arglist, dein Vater war, denn es gibt niemanden, der dir in List und Boshaftigkeit gleichkommt, und in der Schönheit nur eine. Ich kenne deine Pläne gut, und auch das Leid, das du über uns gebrachst hast. Doch jeder sucht die Ehre auf seine eigene Art; so suche du sie, wie es dir beliebt, doch finden wirst du nur Verbitterung und leere Tage, und deine Pläne werden auf dich selbst zurückfallen - ja, auch wenn sie Gudruda und mir Kummer und Tod bringen.« Swanhild lachte. »Ein Tag wird dämmern, Erik, da du, der du mich haßt, mich lieben wirst, und dies verspreche ich dir. Und noch etwas verspreche ich dir: Gudruda wird dich niemals Gatte nennen.« Aber Erik antwortete nicht, denn er fürchtete, daß er in seinem Zorn Dinge sagen würde, die besser unausgesprochen blieben. Nun erhoben sich die Männer und setzten sich an die Fleischtafel, und alle sprachen von dem Ringen, das nun kommen solle. Aber am Morgen bereute Ospakar, sich auf den Kampf eingelassen zu haben, denn wie wahr ist es, daß Ale einen zu einem anderen Menschen macht, und Männer mögen dies nicht an dem Morgen, der am gestrigen Abend noch in so weiter Ferne zu liegen schien. Er entsann sich, daß er Weißfeuer mehr schätzte als alles andere und daß Eriks Auge für ihn keinen Wert hatte, abgesehen davon, daß der Verlust des Auges Eriks Schönheit verderben würde, so daß sich Gudruda vielleicht von ihm abwandte. Es wäre sehr schlimm, wenn er den Kampf verlieren sollte - obwohl er davor keine Furcht hatte, denn man hielt ihn für den stärksten Mann von Island und den erfahrens-
ten in allen Kampfarten - und bestenfalls konnte er aus der Niederlage eines tatenlosen Mannes und dem Herausreißen seines Auges nicht einmal Ruhm gewinnen. So geschah es, daß er, als er Erik sah, mit mächtiger Stimme zu ihm sagte: »Höre mich an, Erik, du.« »Ich höre dich, Ospakar, du«, erwiderte Erik, um ihn zu verspotten, und die Leute lachten, während Ospakar wütend grinste und sagte: »Du mußt Manieren lernen, Welpe. Doch ich finde keine Ehre darin, sie dich auf diese Weise zu lehren. Letzte Nacht haben wir zuviel getrunken und einen Kampf vereinbart, und ich setzte mein großes Schwert Weißfeuer und du dein Auge. Es wäre schlimm, würde einer von uns Schwert oder Auge verlieren; was sagst du also, sollen wir es dabei belassen?« »Ay, Schwarzzahn, wenn du dich fürchtest; aber zuerst gibst du mir als verwirktes Pfand dein Schwert.« Nun wurde Ospakar sehr wütend und schrie: »Du wirst in der Tat gegen mich im Ring stehen! Ich werde dir in kurzer Zeit das Rückgrat brechen, Jüngling, und dir danach das Auge ausreißen, bevor du stirbst.« »Vielleicht geschieht es so«, gab Erik zurück, »doch große Worte machen noch keine großen Taten.« Schließlich kam das Licht, und die Knechte gingen mit Spaten hinaus und räumten den Schnee in einem Kreis von zwei Ruten Durchmesser. Sie brachten trockenen Sand und verstreuten ihn auf dem gefrorenen Boden, damit die Kämpfenden nicht ausglitten. Und sie häuften den Schnee zu einer Mauer um den Ring. Aber Groa kam zu Ospakar und sprach abseits von den anderen mit ihm. »Weißt du, Herr«, sagte sie, »daß mein Herz für diesen Kampf Böses ahnt? Erik ist ein starker Mann, und obwohl du hochgewachsen bist, glaube ich, daß du tief vor ihm fallen wirst.«
»Es wird schlimm sein, wenn mich ein unerprobter Mann besiegt«, sagte Ospakar und war sehr beunruhigt, »und es würde überdies noch schlimmer sein, das Schwert zu verlieren. Für keinen Preis würde ich es dazu kommen lassen.« »Was wirst du mir geben, Herr, wenn ich dir den Sieg bringe?« »Ich werde dir zweihundert in Silber geben.« »Stelle keine Fragen, und es gilt«, sagte Groa. Nun trat Erik hinaus, um den Boden im Ring zu begutachten, und sofort rief Groa den Leibeigenen Koll den Halbgescheiten, den sie zum Schweinsberg geschickt hatte, zu sich. »Siehst du«, sagte sie, »drüben an der Wand stehen die Ringschuhe von Erik Hellauge. Beeile dich nun, nehme Schmalz und reibe die Sohlen damit ein; dann halte sie in die Hitze des Feuers, damit das Fett einsinkt. Tu dies schnell und verstohlen, und ich werde dir zwanzig Kupfermünzen geben.« Koll grinste, tat, was man ihm aufgetragen hatte, und stellte die Schuhe genauso zurück, wie sie vorher gestanden hatten. Kaum hatte er dies getan, als Erik kam und sich für den Kampf fertigmachte, indem er sich die eingeschmierten Schuhe an die Füße band, denn er fürchtete keinen Betrug. Nun gingen alle hinaus zum Ring, und Ospakar und Erik zogen sich für den Ringkampf aus. Sie trugen beide enge Wollwämse und Hosen, und an den Füßen waren Schaffellschuhe. Sie benannten Asmund als Schiedsrichter, und sein Wort mußte für beide Gesetz sein. Erik verlangte, daß Asmund das Schwert Weißfeuer halten solle, das der Preis sei, doch Ospakar widersprach und sagte, wenn er Weißfeuer Asmund in Verwahrung gäbe, müsse Erik ihm auch sein Auge geben - und darüber stritten sie heißblütig. Nun brachte man die Sache vor Asmund, der ja Schiedsmann war, und er gab Erik recht. »Denn«, so sagte er, »wenn Erik sein Auge in meine Hand legt, kann ich es nicht mehr zurück in seinen Kopf stecken, wenn er gewinnt; aber wenn Ospakar mir das gute Schwert gibt und
obsiegt, ist es ein leichtes für mich, es ihm unbeschadet zurückzugeben.« Die Männer sagten, daß dies ein gutes Urteil sei. Dann wurden die Kampfesregeln erlassen. Ospakar und Erik mußten dreimal ringen, und zwischen jeder Runde würde es eine Pause von der Dauer geben, die ein Mann brauchte, um bis tausend zu zählen. Mit der Hand, dem Kopf, Ellbogen, Fuß oder Knie durften sie weder schlagen noch stoßen oder treten; und es durfte kein Fall gezählt werden, wenn nicht Kopf und Hüfte des Gefallenen gleichzeitig den Boden berührten. Wer zwei Stürze erlitt, galt als besiegt und hatte sein Pfand verloren. Asmund verkündete diese Regeln laut in Gegenwart von Zeugen, und Ospakar und Erik erklärten, sie würden sie als bindend anerkennen. Ospakar zog ein kleines Messer und gab es seinem Sohn Gizur zur Verwahrung. »Du wirst bald wissen, Jüngling, wie Stahl in deinem Augapfel schmeckt«, sagte er. »Wir werden bald vieles wissen«, gab Erik zurück. Nun warfen sie ihre Umhänge ab und standen im Ring. Ospakar war größer, als ein Mann es rechtens sein konnte, und seine Arme waren wie die Glieder einer Ziege mit schwarzem Haar bedeckt. Unter seinen Schultergelenken waren sie beinahe so dick wie die Schenkel eines Mädchens. Seine Beine waren auch mächtig, und die Muskeln erhoben sich in knotigen Beulen von seinem Körper. Er wirkte ganz wie ein Riese und wild wie ein Berserker, aber auch ein wenig rund um den Körper und schwerfällig in den Bewegungen. Von ihm schauten die Männer zu Erik hinüber. »Sieh da! Baidur und der Troll!« sagte Swanhild, und alle lachten, da dem in der Tat so war; denn wenn Ospakar schwarz und häßlich wie ein Troll war, so war Erik schön wie Baidur, der schönste der Götter. Er war um eine halbe Hand größer als Ospakar, und in der Brust genauso breit. Doch hatte er seine größte Kraft noch nicht erreicht, und obwohl seine Glieder gut
mit Muskeln versehen waren, wirkten sie vor denen Ospakars wie die eines Kindes. Aber er war schnell wie eine Katze und geschmeidig; sein Hals und die Arme waren weiß wie Molke, und unter seinem goldenen Haar leuchteten die hellen Augen wie Speere. Nun standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, die Arme ausgestreckt, und warteten auf Asmunds Wort. Er gab es, und sie umkreisten einander nun mit gesenkten Armen. Augenblicklich machte Ospakar einen Ausfall, packte Erik an der Hüfte und wollte ihn hochheben, doch es gelang ihm nicht. Dreimal versuchte er es und versagte, dann bewegte Erik den Fuß, und siehe da, er glitt auf dem sandbestreuten Boden aus. Wieder bewegte Erik sich, und wieder glitt er aus. Und er glitt ein drittes Mal aus, und bevor er sich erholen konnte, lag er voll auf dem Rücken und war rechtens geworfen. Gudruda sah es, und ihrem Herzen war traurig zumute, und die um sie herum sagten, es falle nicht schwer, sich zu denken, wie der Kampf enden würde. »Habe ich nicht gesagt«, sprach Swanhild, »daß es Erik schlecht ergehen wird, wenn Ospakar die Arme um ihn legt?« »Noch ist nicht alles vorbei«, gab Gudruda zurück. »Mich deucht, Eriks Füße glitten höchst seltsam aus; als habe er auf Eis gestanden.« Aber Erik war im Herzen sehr verletzt und konnte nichts daraus machen - denn er war ja nicht mit Kraft besiegt worden. Er saß auf dem Schnee, und Ospakar und seine Söhne verspotteten ihn. Aber Gudruda näherte sich ihm und flüsterte ihm zu, guten Mutes zu sein, denn noch könne das Glück sich ja wenden. »Mir scheint, ich wurde verhext«, sagte Erik traurig; »meine Füße haben keinen Halt auf dem Boden.« Gudruda legte die Hand vor die Augen und dachte nach. Dann sah sie schnell auf. »Ich glaube Arglist hier zu sehen«, sagte sie. »Wirf einen Blick auf deine Schuhe.«
Er gehorchte, und indem er die Schnüre löste, zog er einen Schuh von den Füßen und betrachtete die Sohle. Die Kälte des Schnees hatte das Fett erhärten lassen, und da war es, ganz weiß auf dem Leder. Nun erhob sich Erik voller Zorn. »Ich glaubte«, rief er, »ich hätte es mit Männern ehrenwerter Gesinnung zu tun und nicht mit betrügerischem Gesindel. Seht her! Es ist kein Wunder, daß ich ausgeglitten bin, denn man hat Fett auf meine Schuhe geschmiert! Bei Thor, ich werde den Mann, der dies getan hat, bis zum Kinn aufschlitzen.« Und als er dies sagte, blitzten seine Augen so schrecklich, daß das Volk vor ihm zurückwich. Asmund nahm die Schuhe und musterte sie. Dann sprach er: »Hellauge sagt die Wahrheit, wir haben einen Spitzbuben unter uns. Ospakar, kannst du dich von dieser üblen Tat freisprechen?« »Ich werde beim heiligen Ring schwören, daß ich nichts davon weiß, und wenn irgendein Mann in meinem Zug die Hand im Spiel hatte, wird er sterben«, sagte Ospakar. »Das werden auch wir schwören«, riefen seine Söhne Gizur und Mord. »Das ist eher das Werk einer Frau«, sagte Gudruda und schaute Swanhild an. »Es ist nicht mein Werk«, sprach Swanhild. »Dann geh und frage deine Mutter danach«, gab Gudruda zurück. Nun riefen alle Männer laut, daß dies von höchster Schande sei und der Kampf neu angesetzt werden müsse; nur Ospakar besann sich auf die zweihundert Silberstücke, die er Groa versprochen hatte. Er sah sich um, aber sie war nicht dort. Doch er widersprach Erik in dem Punkt, daß der Kampf neu angesetzt werden müsse. Da rief Erik in seinem Zorn, daß er den Wettstreit so stehen lassen wolle, wie er stand, da Ospakar sich von der schändlichen Tat freisprach. Die Männer hielten dies für ein verrücktes
Wort, aber Asmund sagte, es solle so sein. Doch tief in seinem Herzen schwor er sich, daß Erik kein Auge verlieren sollte, selbst dann nicht, wenn er besiegt wurde - und auch nicht, wenn man die Schwerter zog, um es ihm zu nehmen. Denn von allem schändlichen Betrug schien ihm dies der schlimmste. Nun sahen sich Ospakar und Erik wieder im Ring gegenüber, aber diesmal waren Eriks Füße nackt. Ospakar griff an, um ihn zu umklammern, aber Erik war zu schnell für ihn und sprang zur Seite. Wieder stürmte er vor, doch Erik bückte sich und griff ihn um die Taille. Nun standen sie Gesicht zu Gesicht und zerrten aneinander wie Bären, bewegten sich aber kaum. Dies ging eine ganze Zeit so, während Ospakar versuchte, Erik zu heben, ihn aber nicht von der Stelle bekam. Dann aber ließ Erik plötzlich seine Kraft spielen, und sie torkelten durch den Ring und zerrten aneinander, bis ihnen die Wamse in Fetzen vom Leib hingen und sie bis zur Hüfte fast nackt dastanden. Auf einmal schien Erik nachzugeben, und Ospakar schob den Fuß vor, um ihn zu Fall zu bringen. Aber Hellauge war wachsam. Er umfaßte den Fuß mit der linken Beinkrümmung und verlagerte sein Gewicht nach vorn auf Schwarzzahns Brust. Der ging zurück und fiel mit dem dumpfen Aufprall eines Baumes auf den Schnee, und da lag er am Boden und Erik über ihm. »Ein Sturz! Ein guter Sturz!« riefen die Männer da und waren sehr froh, denn der Kampf kam ihnen doch höchst ungleich vor. Die Ringer trennten sich schwer atmend voneinander. Gudruda warf einen Umhang über Eriks nackte Schultern. »Das war sehr gut getan, Hellauge«, sagte sie. »Der Kampf ist noch auszufechten, mein Schatz«, keuchte er, »und Ospakar ist ein starker Mann. Ich brachte ihn durch Geschicklichkeit und nicht durch Kraft zu Fall. Beim nächsten Mal muß es durch Kraft geschehen, oder gar nicht.« Nun war die Zeit des Atemschöpfens vorbei, und wieder standen sich die beiden von Angesicht zu Angesicht gegen-
über. Dreimal griff Ospakar an, und dreimal schlüpfte Erik davon, denn er wollte, daß Schwarzzahn seine Kraft vergeudete. Wieder stürmte Ospakar vor, brüllend wie ein Bär, und Feuer schien aus seinen Augen zu kommen, und sein dampfender Atem stieg empor und hing in der frostigen Luft wie der Atem eines Pferdes. Diesmal konnte Erik nicht entkommen, sondern wurde von Ospakars mächtigem Griff hochgerissen. »Nun hat es mit Erik ein Ende«, sagte Swanhild. »Noch liegt der Pfeil auf dem Boden«, gab Gudruda zurück. Schwarzzahn spielte seine Kraft aus und wirbelte im Ring herum, wobei er Erik mit sich riß. Nach hier und nach da drehte er sich, und Mal für Mal wurde Eriks Bein vom Boden gehoben, aber so, daß man ihn nicht werfen konnte. Nun standen sie fast still, während die Männer wie verrückt schrien, denn solch einen Ringkampf hatte es in den Südlanden noch nicht gegeben. Grimmig klammerten sie sich fest und zerrten an dem anderen; es war wahrlich prächtig anzusehen. Grimmig klammerten sie sich aneinander fest, und ihre Muskeln spannten sich und knackten, aber sie konnten den anderen noch immer um keinen Zoll bewegen. Ospakar bekam es mit der Angst zu tun, da er mit diesem Jüngling nicht sein Spiel treiben konnte. Schwarzer Zorn schwärte in seinem Herzen. Er kniff die Lippen zusammen und dachte sich eine List aus. Neben seinem Fuß schimmerte der nackte Fuß Eriks. Plötzlich trat er so heftig darauf, daß die Haut platzte. »Schandwerk! Schandwerk!« riefen die Leute; aber in seinem Schmerz bewegte Erik den Fuß. Und siehe, da war er unten, aber noch nicht ganz, denn er saß noch auf dem Gesäß und umklammerte Schwarzzahns Schenkel und schlang die Beine um dessen Knöchel. Nun versuchte Ospakar mit all seiner Kraft, Hellauges Kopf zu Boden zu zwingen, aber er konnte es nicht, da Erik sich an ihn klammerte wie eine Schlingpflanze an den Baum.
»Eine Niederlage für Erik«, sagte Asmund, und als er sprach, wurde Hellauge zurückgedrückt, bis sein gelbes Haar fast den Sand berührte. »Da schrien Ospakars Leute triumphierend auf, doch Gudruda rief laut: »Laß dich nicht bezwingen, Erik! Löse dich und spring beiseite.« Erik hörte sie und löste ganz plötzlich seinen Griff. Er fiel auf seine ausgestreckte Hand und stand nach einer Seitwärtsrolle und einem Satz wieder auf den Beinen. Ospakar kam auf ihn zu wie ein Stier, den man bis aufs Blut mit dem Stachelstock gereizt hatte, aber er konnte nicht mehr laut toben. Sie bekamen einander zu fassen, und diesmal hatte Erik den besseren Griff. Eine Weile kämpften sie sich durch den Ring, bis ihre Füße den gefrorenen Boden aufrissen. Dann standen sie sich wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Nun waren beide fast erschöpft; doch Schwarzzahn sammelte seine Kräfte und riß Erik von den Füßen, doch der fand wieder Halt. Rasend vor Zorn packte er ihn und drückte ihn fast zu Tode, bis das Weiße von Eriks Haut mit dunklen Blutergüssen übersät war. Ospakar wurde immer rasender, bis er schließlich in seinem Zorn die Zähne in Hellauges Schulter schlug und zubiß, daß das Blut nur so spritzte. »Schlecht geküßt, du Ratte!« keuchte Erik, und mit dem Schmerz und dem Stöhnen des Blutes gewann er seine Kraft zurück. Schnell verlagerte er seinen Griff. Nun war seine rechte Hand unter Schwarzzahns Kniekehle, und seine linke auf dessen Hohlkreuz. Zweimal hob er ihn. Zweimal verlor Ospakars mächtiger Körper den Boden unter den Füßen. - Eine dritte mächtige Anstrengung - so mächtig, daß Eriks Stirnband riß und Blut über sein Gesicht strömte - und siehe da, der große Schwarzzahn flog durch die Luft. Hoch flog er, und rücklings fiel er in die Schneebank. Dort wurde er fast bis zu den Knien begraben.
VI WIE ASMUND DER PRIESTER MIT UNNA VERLOBT WURDE Für einen Augenblick herrschte Stille, denn die ganze Gesellschaft war über die Größe der Tat wie vom Blitz getroffen. Dann jubelte und jubelte sie, und Erik kam es vor, als schliefe er, und als vernehme er den Lärm des Geschreis nur schwach, als höre er ihn wie durch Schnee. Plötzlich erwachte er und sah, wie ein Mann mit erhobener Axt auf ihn zustürmte. Es war Mord, Ospakars Sohn, der über die Niederlage seines Vaters vor Zorn raste. Erik sprang beiseite, sonst wäre der Schlag sein Verderben gewesen, und beim Sprung ballte er die Faust und setzte sie über dem Ohr heftig gegen Mords Kopf, so daß die Axt seinen Händen entglitt und er bewußtlos auf seinen Vater im Schnee fiel. Nun blitzten die Schwerter auf, und die Männer bildeten einen Kreis um Erik, um ihn zu schützen, und es wäre fast zu Blutvergießen gekommen, denn Ospakars Leute knirschten mit den Zähnen, weil ein großer Held von einem Jüngling besiegt worden war, während die Leute aus dem Süden, vom Middalhof und dem Fluß Ran, laut jubelten, denn Erik war ihren Herzen teuer. »Nieder mit den Schwertern«, rief Asmund der Priester, »und schleift euren Helden vom Schnee.« Dies taten sie dann, und Ospakar setzte sich auf und holte tief Luft; das Blut rann ihm aus Mund und Ohren, und er war übel anzusehen, denn mit dem Blut und dem Schnee und dem Zorn glich sein Gesicht dem des Kobolds vom Schweineberg. Aber Swanhild sprach Gudruda ins Ohr: »Hier«, sagte sie und sah Erik an, »haben wir beide einen Mann, der es wert ist, geliebt zu werden, Stiefschwester.« »Ay«, gab Gudruda zurück, »ein Mann, der dies mehr als
wert ist!« Nun trat Asmund näher und küßte vor allen Männern Erik Hellauge auf die Braue. »Wahrhaftig«, sagte er, »du bist ein starker Mann, Erik, und der Ruhm des Südens. Ich prophezeie dir, du wirst Taten vollbringen, die noch nie auf Island vollbracht worden sind. Man hat dir übel mitgespielt, denn ein unbekannter Spitzbube fettete dir die Schuhe ein. Jener dunkelbehaarte Ospakar dort drüben, der mächtigste aller Männer auf Island, konnte dich nicht besiegen, obwohl er wie ein Wolf seine Zähne in dich schlug und dir wie ein Feigling auf den nackten Fuß trat. Nimm dieses große Schwert, das du errungen hast, und trage es würdig.« Nun nahm Erik Schnee und wischte sich das Blut von der Braue. Dann ergriff er Weißfeuer und zog es aus der Scheide, und hoch über seinem Kopf blitzte die Kriegsklinge auf. Dreimal wirbelte er sie durch die Luft, dann sang er laut: Hinab die Goldenen Fälle Kam Erik zu deinem Fest, Asmund, Vater von Gudruda, Die er gern umarmen möcht'. Doch heute mit dem Riesen Schwarzzahn Tat er eine große Tat: Schleuderte ihn hoch in den Schnee Und gewann Weißfeu'r als Preis. Und wieder sang er: Herr, wenn du nun wirklich dankest Hellaug' ist ein würd'ger Mann, Schwöre, ihm, dem kräft'gen Freier Gibst du deiner Tochter Hand: Sie zu gewinnen, eilte er Sehr geschwind durch Frost und Gischt; Und um Weißfeu'r zu bekommen Setzte er sogar sein Äug'. Die Männer hielten dies für gut gesungen und wandten sich zu Asmund, um dessen Antwort zu hören; und sie mußten nicht
lange warten. »Erik«, sagte er, »ich werde dir dies versprechen: Wenn du weitermachst, wie du angefangen hast, werde ich Gudruda keinem anderen Mann zur Frau geben.« »Das ist eine gute Botschaft, Herr«, sagte Erik. »Dann sage ich dir noch dies: In einem Jahr werde ich dir eine volle Antwort geben, ob du dich in dieser Zeit als würdig erwiesen hast, denn es ist kein kleines Geschenk, das du erbittest; auch dürft ihr, wenn ihr wollt, euch nun die Treue schwören, denn wenn dieser Eid gebrochen wird, wird die Schande auf dich zurückfallen und nicht auf mich, und ich gebe dir meine Hand darauf.« Erik nahm die Hand, und Gudruda hörte die Worte ihres Vaters, das Glück strahlte aus ihren dunklen Augen, und ihr wurde ganz schwach vor Freude. Und nun drehte sich Erik zu ihr um, noch verschrammt und blutig vom Kampf, das große Schwert in der Hand, und er sprach: »Hast du die Worte deines Vaters gehört, Gudruda? Nun scheint's mir, daß zwischen uns beiden keine große Not besteht, den Treueeid zu leisten. Doch ich frage dich hier vor allen Männern, ob du mich liebst und bereit bist, mich zum Mann zu nehmen?« Gudruda sah ihm voll ins Gesicht und antwortete mit einer süßen, klaren Stimme, die von allen vernommen werden konnte: »Erik, ich sage nun zu dir, was ich zuvor gesagt habe; daß ich allein dich als Mann lieben werde und, wenn es meines Vaters Wunsch ist, keinen anderen heiraten werde, wenn du mir treu bleibst und mich weiter lieb hältst.« »Dies sind gute Worte«, sagte Erik. »Nun spreche diesen Eid zum Gelöbnis auf mein Schwert, das ich gewonnen habe.« Gudruda lächelte, sprach, indem sie das große Weißfeuer in die Hand nahm, die Worte noch einmal und küßte zum Gelöbnis die leuchtende Klinge. Dann nahm Erik das Kriegsschwert zurück und sprach: »Ich
schwöre, daß ich dich lieben werde, und nur dich, Gudruda die Schöne, Asmunds Tochter, die ich seit meiner Jugend begehrt habe; und wenn ich diesen meinen Eid nicht einhalte, dann ist unser Verlöbnis zu Ende und du sollst heiraten, wen du willst.« Und auch er legte die Lippen auf das Schwert, während Swanhild beobachtete, wie sie den Eid leisteten. Nun hatte sich Ospakar vom Kampf erholt, und er saß mit gesenktem Kopf im Schnee, da er sehr wohl wußte, daß die größte Schande über ihn gekommen war und er sowohl Frau als auch Schwert verloren hatte. Finsterer Zorn erfüllte sein Herz, als er zuhörte, und er sprang auf. »Ich kam hierher, Asmund«, sagte er, »um um die Hand deiner Tochter anzuhalten, und mich deucht, es wäre eine gute Partie für sie und für mich gewesen. Doch ich bin durch die Hexerei dieses Mannes in einem Ringkampf besiegt worden und habe dadurch meinen guten Ruf verloren; und nun muß ich mir auch noch anhören, wie er vor meinen Augen dieser Jungfrau versprochen wird.« »Du hast richtig gehört, Ospakar«, sagte Asmund, »und dein Werben ist schon zu Ende. Gehe dorthin zurück, woher du gekommen bist, und suche dir eine Frau in deinem eigenen Land, denn von Alter und Anblick her taugst du nicht dazu, eine solch schöne Maid zur Frau zu haben. Überdies halten wir hier im Süden nicht viel von Männern, wie reich und mächtig sie auch sein mögen, die sich nicht schämen, den Versuch zu wagen, einen Gegner mit schmutzigen Mitteln zu besiegen. Mit eigenen Augen habe ich dich auf den nackten Fuß von Erik, Thorgrimurs Sohn, treten sehen; mit eigenen Augen sah ich, daß du wie ein Wolf deinen schwarzen Fangzahn in ihn schlugst. Da kannst du noch die Wunde sehen; und was die eingefetteten Schuhe angeht, so weißt du am besten, ob deine Hand dabei im Spiel wai.« »Sie war nicht im Spiel. Wenn dies jemand getan hat, war es Groa die Hexe, deine finnische Bettgefährtin. Und was die
anderen Dinge angeht, so war ich zornig und wußte nicht, was ich tat. Aber höre, Asmund: Schlecht wird es dir und deinem Haus ergehen, denn ich werde stets dein Feind sein. Und ich werde dennoch deine Tochter heiraten. Und nun höre, auch du, Erik: Ich werde noch einen Kampf mit dir ausfechten. Dieser hier war nur ein Streit unter Knaben; aber wenn wir uns wieder begegnen - und dies wird nicht lange dauern -, werden wir das Schwert ziehen, und du wirst erfahren, wie ein Mann kämpft. Ich verspreche dir, daß ich dich töten und dir die schreiende Gudruda aus den Armen reißen werde, damit sie meine Frau wird! Ich verspreche dir, mit deinem guten Schwert Weißfeuer werde ich dir den Kopf abschlagen!« Und er hustete und hielt inne. »Du bist viel Schaum und wenig Wasser«, sagte Erik. »Wie wahr diese Versprechen sind, können wir leicht feststellen. Wenn du willst, werde ich morgen zu einem Holmgang mit dir antreten, und dort können wir ausfechten und beenden, was wir heute angefangen haben.« »Das kann ich nicht, denn du hast mein Schwert; und bis ich mit einer anderen Waffe vertraut bin, werde ich keinen Holmgang kämpfen. Doch fürchte nicht: Wir werden uns bald mit gezogenen Waffen und Harnischen auf der Brust gegenüberstehen.« »Diese Stunde kann gar nicht zu früh kommen, Schwarzzahn«, sagte Erik und ging, indem er sich auf der Ferse umdrehte, in die Halle, um sich frisch anzukleiden. Auf der Schwelle der Männertür begegnete er der Hexe Groa. »Du hast Fett auf meine Schuhe geschmiert, alte Hexe, die du bist«, sagte er. »Das ist nicht wahr, Hellauge.« »Du lügst. Aber all dies werde ich dir heimzahlen. Noch bist du nicht Asmunds Frau. Und du wirst es auch nicht werden, wenn mir in den Sinn kommt, wie ich es verhindern kann.« Groa sah ihn seltsam an. »Wenn du so sprichst, achte besser
auf das, was du ißt und trinkst«, sagte sie. »Nicht umsonst wurde ich unter den Finnen geboren; und wisse, ich habe immer noch vor, Asmund zu heiraten. Und was deine Schuhe betrifft, so wünschte ich bei den Göttern, daß es Höllenschuhe wären, die ich dir jetzt an deine toten Füße binden könnte.« »Ah! Die Katze läßt das Mausen nicht«, sagte Erik. »Aber wisse dies: Du magst mir Fett auf die Schuhe geschmiert haben - die richtige Arbeit für ein Hexenweib! -, aber du wirst sie mir niemals binden. Du bist eine Hexe und wirst das Ende aller Hexen finden; und was deine Tochter ist, das werde ich nicht sagen.« Und er schob sich an ihr vorbei und betrat die Halle. Sofort kam Asmund herbei, der Erik schon gesucht hatte, und bat ihn, zu seinem Hof am Fluß Ran aufzubrechen. Ospakars Pferde hatten sich losgerissen und streunten herum, und er mußte auf Middalhof bleiben, bis man sie gefunden hatte; aber wenn diese beiden, und das wußte Asmund genau, unter ein und demselben Dach verweilten, würde es zu Blutvergießen kommen. Erik stimmte dem zu, und als er eine Weile geruht hatte, küßte er Gudruda, nahm sich ein Pferd und ritt zum Kaltrücken zurück, wobei er das Schwert Weißfeuer mit sich nahm, und für eine Weile sah er nichts mehr von Ospakar. Als er nach Hause kam, begrüßte seine Mutter Saevuna ihn wie jemanden, der von den Toten auferstanden ist, und sie umarmte ihn. Dann erzählte er ihr alles, was sich ereignet hatte, und sie hielt es für eine wunderbare Geschichte und war betrübt, daß Thorgrimur, ihr Mann, nicht mehr lebte, um sie auch zu hören. Erik grübelte eine Zeitlang, dann ergriff er wieder das Wort. »Mutter«, sagte er, »nun ist mein Onkel Thorod von Grünberg tot, und seine Tochter, meine Base Unna, hat kein Zuhause. Sie ist eine schöne Frau und erfahren in allen Dingen. Es kommt mir in den Sinn, daß wir sie bitten sollten, hier bei uns zu wohnen.«
»Nun, ich dachte, du wärest Gudruda der Schönen versprochen«, sagte Saevuna. »Warum willst du dann Unna zu uns holen?« »Aus diesem Grund«, sagte Erik, »denn mir scheint, daß Asmund der Priester Groas müde ist und eine andere Frau nehmen würde, und ich möchte die Bande zwischen uns enger ziehen, wenn dies möglich ist.« »Groa wird es übelnehmen«, sagte Saevuna. »Die Dinge zwischen uns können nicht schlimmer werden, als sie jetzt schon sind, und daher fürchte ich Groa nicht«, gab er zurück. »Es soll sein, wie du es wünschst, mein Sohn; morgen werden wir nach Unna schicken und sie herbitten, falls sie kommen möchte.« Nun blieb Ospakar drei weitere Tage auf Middalhof, bis man seine Pferde gefunden hatte und er wieder reisen konnte, denn Erik hatte ihn übel zerschunden. Aber er wechselte kein Wort mit Gudruda und nur wenige mit Asmund. Doch er sah Swanhild, und sie bat ihn, guter Stimmung zu sein, denn er würde Gudruda doch noch bekommen. Denn nun, wo das Mädchen keine Notiz von ihm nahm, sann Ospakar nur darauf, wie er sie gewinnen konnte. Auch Björn, Asmunds Sohn, sprach Worte des Trostes zu ihm, denn er neidete Erik seinen großen Ruhm und glaubte, der Kampf mit Schwarzzahn würde gut werden. Und so ritt Ospakar schließlich mit seiner ganzen Gesellschaft zum Schweineberg; aber Gizur, sein Sohn, ließ sein Herz zurück. Denn Swanhild war inzwischen auch nicht untätig gewesen. Ihr Herz war zwar betrübt, aber sie mußte ihrer Boshaftigkeit nachgeben, und so hatte sie auf ihre Waffen als Frau gesetzt und Gizur betört, sie zu lieben. Aber sie liebte ihn überhaupt nicht, und die Laune von Asmund dem Priester war so schlecht, daß Gizur es nicht wagte, ihn um ihre Hand zu bitten. So wurde über diese Angelegenheit nicht gesprochen.
Nun kam Unna zum Kaltrücken, um bei Saevuna, Eriks Mutter, zu wohnen, und sie war eine schöne und dralle Frau. Sie war schon einmal verheiratet gewesen, aber schon im ersten Monat ihrer Ehe war ihr Mann nicht mehr vom Meer zurückgekehrt, und dies lag schon zwei Jahre zurück. Zuerst war Gudruda etwas eifersüchtig, weil Unna zum Kaltrücken gekommen war; aber Erik erklärte ihr, was er im Sinn hatte, und sie stimmte dem Plan zu, denn sie haßte und fürchtete Groa sehr und wünschte sich, sie endlich loszuwerden. Seit Groa Eriks Ringschuhe mit Fett eingeschmiert hatte, empfand Asmund tiefen Abscheu vor ihr, und er dachte oft an jene Worte, die seine Frau Gudruda die Sanfte gesprochen hatte, als sie im Sterben lag, und er bedauerte, daß er seinen Eid zum Teil gebrochen hatte. Er wollte nun zwar nichts mehr mit Groa zu tun haben, aber er konnte sie auch nicht loswerden; und Swanhild liebte er immer noch, da er nichts von ihren bösen Taten wußte. Aber Groa wurde dürr vor Boshaftigkeit und Zorn, und sie wanderte umher und blickte durchdringend mit ihren großen schwarzen Augen, und die Leute haßten sie mehr und mehr. Nun stattete Asmund dem Kaltrücken einen Besuch ab, und dort sah er Unna, und sie gefiel ihm, denn sie war eine schöne und muntere Frau. Am Ende bat er Erik um ihre Hand; worauf Hellauge froh war, aber sagte, er müsse wissen, was Unna denke. Unna wurde gefragt und sagte nicht nein, denn wenn Asmund an Jahren auch etwas vorangeschritten war, so war er doch immer noch ein kräftiger Mann, wohlhabend an Land, Gütern und Geld, das er verliehen hatte, und er hatte viele Freunde. So schworen sie sich Treue, und das Hochzeitsfest sollte im Herbst nach der Heuernte sein. Nun ritt Asmund etwas besorgt zum Middalhof zurück, denn er mußte Groa diese Botschaft überbringen und fürchtete sie und ihre Hexerei. Er fand sie, als sie allein in der Halle stand. »Wo bist du gewesen, Herr?« fragte sie.
»Auf dem Kaltrücken«, gab er zurück. »Vielleicht, um Unna, Eriks Base, zu sehen?« »Dem ist so.« »Was bedeutet Unna dir, Herr?« »So viel, daß sie nach der Heuernte meine Frau werden wird, und das ist eine schlechte Nachricht für dich, Groa.« Nun wandte sich Groa um und fuhr mit ihren dünnen Händen wild durch die Luft. Ihre Augen wölbten sich vor, Schaum stand auf ihren Lippen und in ihrem Zorn zitterte sie wie eine Birke im Wind. Sie sah so böse aus, daß Asmund ein paar Schritte zurücktrat und sagte: »Nun fällt ein Schleier von dir, und ich sehe dich, wie du bist. All diese vielen Jahre hast du einen Zauber über mich geworfen, und nun ist er fort.« »Vielleicht, Asmund Asmundson - vielleicht kennst du mich; aber ich sage dir, du wirst mich vor deiner Hochzeit mit Unna in noch schlimmerer Gestalt sehen. Ha! Habe ich die größte Schande ertragen, all diese vielen Jahre neben dir zu liegen, und soll ich jetzt einfach zusehen, wie eine junge und schöne Rivalin in allen Ehren an meine Stelle kriecht? Das werde ich nicht, solange Runen Macht haben und Bannsprüche das Böse bewirken können! Ich rufe das Verderben auf dich und die Deinen herab - ja, und auch auf Hellauge, denn er hat all dies in Gang gebracht. Der Tod hole euch alle! Soll dein Blut nicht länger mehr in sterblichen Adern auf dieser Erde fließen! Geh zu Hei hinab, Asmund, und sei vergessen!« Und sie murmelte schnell einige Runen. »Nun wurde Asmund weiß vor Zorn. »Gib dein böses Geschwätz auf«, sagte er, »oder du wirst als Hexe in den Goldfuchs-See geworfen.« »In den Goldfuchs-See? Ja, dort werde ich vielleicht liegen. Ich sehe es! Mir ist, als würde ich meinen Körper dorthin fallen sehen, wo das Wasser am heißesten kocht - doch deine Augen werden es niemals erblicken! Deine Augen sind geschlossen, und geschlossen sind Unnas Augen, denn ihr seid zuvor dahin-
geschieden! - Ich folge euch nur nach.« Und dreimal schrie Groa laut auf, warf die Arme empor und fiel dann mit Schaum vor dem Mund auf den mit Sand bestreuten Boden. »Eine böse Frau und eine Seherin!« sagte Asmund, als er das Gesinde zu ihrer Hilfe herbeirief. »Es wäre besser für mich, wenn ich ihr dunkles Gesicht nie gesehen hätte.« Nun muß berichtet werden, daß Groa zehn volle Tage ohne Bewußtsein niederlag und Swanhild sie pflegte. Dann kam sie wieder zu Sinnen und bat darum, Asmund sehen zu dürfen, und sprach so zu ihm: »Mir scheint, Herr, falls dies nicht nur eine Vision meiner Träume war, daß ich zornige und wahnsinnige Worte gegen dich gesprochen habe, bevor mich die Krankheit befiel, weil du Unna, Thorods Tochter, die Treue versprochen hast.« »Dem ist wahrlich so«, sagte Asmund. »Dann habe ich dies zu sagen, Herr: Ich flehe bescheiden um Vergebung für meine bösen Worte und bitte dich, sie aus deinem Geist zu streichen. Ein gekränktes Herz bringt gekränkte Worte über die Lippen, und du weißt sehr gut, daß ich dich, wie groß auch meine Fehler sind, immer geliebt und immer für dich gelitten habe, und mir scheint, daß du deinen Reichtum in gewisser Weise meiner Weisheit verdankst. Als meine Ohren daher vernahmen, daß du mich wirklich beiseite geschoben hattest und daß eine andere Frau kommt, um als dein Weib in allen Ehren auf Middalhof zu herrschen, vergaß meine Zunge die Höflichkeit, und ich sprach Worte, die von allen Worten meinem Geist am fernsten liegen. Denn ich weiß sehr wohl, daß ich alt werde und die Schönheit verloren habe, wegen der ich einst von dir begehrt wurde, und daß du zu mir gehalten hast. >Altes Weibaltes Weib< bin ich - eine alte Hexe, mehr nicht! Nun, vergib mir, und lasse mich eingedenk all dessen, was zwischen uns gewesen ist, an meinen Platz am Herd kriechen und weiterhin über dich wachen. Ich will dir und den Deinen dienen, bis meine
Kraft erschöpft ist. Aus Rans Netz kam ich zu dir, und ich sage dir, wenn du mich vertreibst, werde ich mich niederlegen und auf deiner Schwelle sterben, und wenn du in die Jahre kommst, wird die Erinnerung daran dich gewiß betrüben.« So sprach sie und weinte viel, bis Asmunds Herz sich erbarmte und er sagte, wenn auch mit zweifelndem Verstand, es solle so sein, wie sie es wünsche. So blieb Groa auf Middalhof, erfüllte ihre Dienste und sprach kaum noch.
VII WIE ERIK GEGEN SKALLAGRIM DEN BERSERKER ANTRAT Nun betritt Atli der Gute, Graf der Orkney-Inseln, die Geschichte. Der Zufall wollte es, daß Atli im Herbst nach Island gesegelt war, um gewisse Ländereien zu ordnen, die ihm in der Erbfolge von seiner Mutter Helga zugefallen waren, die eine Isländerin war, und er westlich von Reyjanes überwintert hatte. Als der Frühling im Anzug war, wollte er nach Hause segeln, und als sein Schiff bereit war, stach er früh im Jahr in See. Aber das Schicksal wollte es, daß aus Südosten schlechtes Wetter aufzog, mit Nebel und Regen, so daß er sein Schiff im Schutz der Westman-Inseln in einer Flußmündung anlegen mußte. Nun fragte Atli, welche Leute in dieser Gegend wohnten, und als er den Namen von Asmund Asmundson dem Priester hörte, freute er sich, denn in alten Tagen waren er und Asmund zusammen auf viele Wikinger-Streifzüge gegangen. »Wir werden das Schiff hier zurücklassen«, sagte er, »bis das Wetter aufklärt, und nach Middalhof gehen, um bei Asmund zu bleiben.« So machten sie das Schiff sturmfest und ließen Männer zurück, um es zu bewachen; die anderen aber ritten mit Graf Atli nach Middalhof. Es muß von Atli gesagt werden, daß er der beste der Grafen war, die in jenen Tagen lebten, und er regierte die OrkneyInseln so gut, daß die Männer ihm einen Beinamen gegeben hatten und ihn Atli den Guten nannten. Man sagte ihm nach, er habe noch nie einen Armen von der Schwelle gewiesen, noch nie den Kopf vor einem starken Mann gebeugt, noch nie das Schwert ohne Grund gezogen und noch nie einen Frieden
abgelehnt, wenn man ihn anbot. Er war sechzig Jahre alt, aber das Alter hatte wenige Spuren auf ihm hinterlassen, sah man ab von seinem langen, weißen Bart. Er hatte scharfe Augen und war von Gestalt und Gesicht her wohlgeformt, ein großer Krieger und der stärkste aller Männer. Seine Frau war gestorben, ohne ihm Kinder zu hinterlassen, und dies hatte ihn mit Leid erfüllt; doch er hatte sich bislang noch keine andere zur Frau genommen, denn seine Wahlsprüche waren: »Die Liebe macht einen alten Mann blind«, »Wenn die Alten mit den Jungen laufen, werden beide stürzen« und »Tu graues und blondes Haar zusammen und verderbe zwei Köpfe«. Denn dieser Graf war ein Mann mit vielen weisen Sprüchen. Nun kam Atli zum Middalhof, gerade als die Männer sich zur Fleischtafel setzten und alle aufsprangen, als sie das Klappern der Waffen hörten, weil sie glaubten, Ospakar sei vielleicht zurückgekommen, wie er es versprochen hatte. Aber als Asmund Atli sah, erkannte er ihn sogleich, obwohl sie sich seit fast dreißig Jahren nicht mehr gesehen hatten. Er begrüßte ihn herzlich, setzte ihn auf den Hohesitz und verschaffte seinen Männern auf den Querbänken Platz. Atli erzählte allen seine Geschichte, und Asmund bat ihn, eine Weile auf Middalhof zu rasten, bis sich das Wetter aufgeklärt hatte. Nun sah der Graf Swanhild und hielt sie für überaus schön, und dies war sie ja auch, als sie in ihrem weißen Kleid verächtlich auf und ab schritt. Sanft wellte sich ihr lockiges Haar, und tief waren ihre dunkelblauen Augen. Ihre roten Lippen waren wie ein Bogen über dem Kinn mit dem kleinen Grübchen geschwungen, und ihre Zähne strahlten wie Perlen. »Ist diese schöne Maid deine Tochter, Asmund?« fragte Atli. »Sie heißt Swanhild die Vaterlose«, antwortete Asmund und wandte das Gesicht ab. »Nun«, sagte Atli und sah ihn scharf an, »wäre die Maid von mir, würde sie nicht länger den Namen >Vaterlose< tragen, denn nur wenige haben solch eine Tochter.«
»Sie ist schön genug«, sagte Asmund, »in allen Dingen, bis auf die Gesinnung, und das ist ein schweres Kreuz.« »Jedes Schwert hat einen Makel«, gab Atli zurück, »aber was hat ein alter Mann mit jungen Mädchen und ihrer Schönheit zu tun?« Und er seufzte. »Ich habe jüngere Männer gekannt, die als Brautwerber nicht so stattlich gewirkt hätten«, sagte Asmund, und für diesmal sprachen sie nicht länger über diese Sache. Nun hatte Swanhild etwas von dieser Unterhaltung gehört, und sie reimte sich noch mehr zusammen. Es kam ihr in den Sinn, daß es der beste Zeitvertreib sei, das Feuer in diesem alten Mann zu entfachen, um ihn dann zu verspotten und zurückzuweisen. So machte sie sich an die Aufgabe, wie es schon immer ihre Art gewesen war, und sie hatte leichtes Spiel. Denn den ganzen Tag lang bediente sie den Grafen mit niedergeschlagenen Augen und sanftem Blick, und dann sang sie ihm auf seine Bitte mit leiser, süßer Stimme vor, und dann sprach sie so gut und klug, daß Atli glaubte, nie zuvor habe die Erde ein derart weises Mädchen gesehen. Aber er hielt sich mit vielen weisen Sprüchen im Zaum, und eines Tages, als das Wetter wieder schön geworden war und sie zusammensaßen, sagte er, daß er mit dem Schiff bald zu den Orkney-Inseln aufbrechen werde. Und wie durch Zufall legte Swanhild ihre weiße Hand in die seine, sah ihm tief in die Augen und sagte mit zitternden Lippen: »Ah, geh noch nicht, Herr! - Ich bitte dich, geh noch nicht!« Und sie wandte sich um und lief davon. Aber Atli war tiefbewegt, und er sagte sich: »Nun ist ein seltsam Ding geschehen: Ein hübsches Mädchen liebt einen alten Mann; und doch, mich deucht, wer in diese Augen blickt, sieht tiefe Wasser.« Und er runzelte die Stirn und dachte nach. Aber Swanhild lachte in ihrer Kammer, bis ihr die Tränen aus eben diesen Augen liefen, denn sie sah, daß der große Fisch an der Angel hing und nun die Zeit gekommen war, mit ihm zu
spielen. Denn sie wußte nicht, daß die Vorhersehung es anders bestimmt hatte. Auch Gudruda hatte all dies gesehen und wußte es nicht zu deuten, denn sie war von ehrlicher Gesinnung und konnte nicht verstehen, wie eine Frau einen Mann lieben konnte, wie Swanhild Erik liebte, und doch solch ein Spiel mit anderen Männern aufzog, und auch noch aus freiem Willen. Denn ihr schwante nur wenig von Swanhilds Arglist und nichts von der Kälte, die ihr Herz allen außer Erik entgegenbrachte. Sie wußte auch nicht, daß dies die einzige Freude war, die Swanhild noch geblieben war: sich einen Spaß mit den Männern zu machen und sie in Trauer und Scham zu stürzen. Atli sagte sich, daß er dieses Mädchen gut beobachten müsse, bevor er auch nur ein Wort zu Asmund sagen würde, und er hielt sich für sehr listig, da er sich für jemanden, den die Liebe packte, sehr vorsichtig wähnte. So gab er auf sie acht, und Swanhild lächelte ständig, und er erzählte ihr Geschichten von Kriegführung und mutigen Taten, und sie schlug die Hände zusammen und sagte: »Ist seit Odin je wieder solch ein Mann auf der Erde gewandelt?« Und so ging es weiter, bis die Dienstmägde über den alten, verliebten Mann und die Klugheit jener, die ihn verspottete, lauthals lachten. Nun hatte Erik eines Tages auch das letzte Korn ausgesät und dachte wieder an seinen Eid, allein gegen Skallagrim den Berserker in seinem Lager auf dem Moosberg drüben beim Hekla anzutreten. Nun war dies eine schwere Aufgabe, denn allseits hielt man Skallagrim für einen so starken Mann, daß niemand allein gegen ihn antrat; und hin und wieder dachte Erik an Gudruda und seufzte, denn es war wahrscheinlich, daß sie zur Witwe wurde, bevor sie zur Frau gemacht worden war. Doch er mußte seinen Eid erfüllen, und überdies hatte Skallagrim kürzlich erfahren, daß ein Jüngling namens Erik Hellauge geschworen hatte, ihn eigenhändig zu töten, und hatte ihn
daraufhin zum Gespött gemacht. Denn Skallagrim war eines Nachts zum Kaltrücken am Fluß Ran hinabgeritten und hatte ein Lamm aus dem Pferch gestohlen. Mit dem Lamm unter dem Arm ging er zum Haus und schlug dreimal mit seine Streitaxt gegen die Tür, und dies war eher ein Donnern denn ein Klopfen. Danach sprang er auf sein Pferd, ritt ein Stück davon und wartete. Sofort kam Erik heraus, jedoch nur halb bekleidet, einen Schild in der einen und Weißfeuer in der anderen Hand. Als er sich umschaute, sah er im hellen Mondlicht einen riesigen, schwarzbärtigen Mann auf einem Pferd sitzen, der in der einen Hand eine große Axt und unter dem anderen Arm ein Lamm hielt. »Wer bist du?« rief Erik. »Man nennt mich Skallagrim, Jüngling«, gab der Mann auf dem Pferd zurück. »Viele Männer haben mich einmal gesehen, keiner wollte mich zum zweiten Mal sehen, und einige haben nie wieder etwas gesehen. Nun schallte es in meinen Ohren, daß du einen Eid geschworen hast, zum Moosberg hinaufzugehen und gegen Skallagrim den Berserker anzutreten, und ich bin hierher gekommen, um dir zu sagen, daß ich dich herzlich willkommen heiße. Siehst du« - und mit der Axt schlug er dem Lamm auf dem Sattelknopf den Schweif ab -, »von dem Fleisch deines Lamms werde ich mir eine Brühe kochen, und aus seinem Fell werde ich mir eine Weste machen. Nimm du diesen Schweif, und wenn du ihn wieder an das passende Fell gesteckt hast, wird Skallagrim einen Herrn haben.« Und er warf ihm den Schweif zu. »Warte doch, bis ich zu dir kommen kann«, rief Erik, »das wird mir einen Ritt zum Moosberg ersparen.« »Nein, nein. Kleinen Buben tut frische Bergluft gut«, sagte Skallagrim und ritt lachend davon. Erik schaute Skallagrim zu, wie er über die Kuppe verschwand, dann lachte auch er, obwohl er sehr wütend war, und ging hinein. Aber zuerst hob er den Schweif auf, und am Mor-
gen häutete er ihn. Nun war die Zeit gekommen, wo die Sache ausgefochten werden mußte. Erik verabschiedete sich von seiner Mutter Saevuna und seiner Base Unna, schnallte sich Weißfeuer um und setzte einen goldenen Helm mit Schwingen auf. Dann suchte er nach dem Harnisch, den sein Vater Thorgrimur - wie auch den Helm - jenem Berserker abgenommen hatte, mit dem er aneinandergeraten war. Es war ein gutes Stück, geschmiedet von den Walisern. Er schnallte ihn sich vor die Brust und nahm einen dicken Schild aus Stierhaut, den man mit Nägeln beschlagen hatte. Dann ritt er mit einem Knecht, dem starken Burschen namens Jon, davon. Aber die Frauen hegten die schlimmsten Befürchtungen über den Ausgang dieses Wagnisses; dennoch ließ sich Erik nicht aufhalten. Nun verläuft die Straße zum Moosberg am Middalhof entlang, und dort kam er vorbei. Atli, der an der Männertür stand, sah ihn und rief laut: »Ho! Dort kommt ein mächtiger Mann.« Swanhild schaute hinaus und sah Erik, und er war ein stattlicher Anblick in seiner Kriegsrüstung. Denn nun schien er von Woche zu Woche ansehnlicher und größer zu werden, da die volle Kraft des Mannesalters in ihm emporstieg wie der Saft im Frühlingsgras, und Gudruda war sehr stolz auf ihren Geliebten. Diese Nacht blieb Erik auf Middalhof und saß Hand in Hand mit Gudruda und sprach mit Graf Atli. Bald hatte Erik das Herz des alten Wikingers gewonnen, der große Freude in ihm, seiner Kraft und seinen Taten fand, und er wünschte sich sehr, daß die Götter ihm einen solchen Sohn geschenkt hätten. »Ich prophezeie dir dies, Hellauge«, rief er, »daß es diesem Berserker, den du suchst, schlecht ergehen wird - ja, und auch allen anderen Männern, die in die Reichweite deines großen Schwertes kommen. Aber vergiß nie, Junge: Schütze deinen Kopf mit dem Schild, schlage tief unter seinen Schild, wenn er einen trägt, und mähe ihm die Beine nieder. Denn immer, wenn
ein Berserker angreift, ist sein Schild oben.« Erik dankte ihm für seine guten Worte und bettete sich zur Ruhe. Aber bevor es hell wurde, stand er auf. Auch Gudruda erhob sich. Sie kam in die Halle und schnallte ihm eigenhändig den Harnisch um. »Dies ist eine traurige Aufgabe für mich, Erik«, seufzte sie, »denn woher soll ich wissen, daß die Hände des Berserkers dir nicht den Helm vom Kopf nehmen?« »Es wird kommen, wie es kommen soll, mein Liebling«, sagte er, »aber ich fürchte weder den Berserker noch irgendeinen anderen Mann. Wie geht es jetzt mit Swanhild?« »Ich weiß nicht. Sie macht diesem alten Grafen hübsche Augen, und er ist ihr zugeneigt, was über meine Sinne geht.« »Soviel habe ich auch schon gesehen«, sagte Erik. »Sollte er sie heiraten, wird es uns zugute kommen.« »Ay, und ihm zum Bösen; aber ich bezweifle, daß sie dies im Sinn hat.« Nun küßte Erik sie sanft und süß, und er brach auf, wobei er sie bat, am Tag nach dem morgigen wieder Ausschau nach ihm zu halten. Gudruda kämpfte tapfer gegen ihre Tränen an, bis er fort war, aber dann weinte sie doch ein wenig. Nun muß erzählt werden, daß Erik und sein Knecht Jon schnell den Steinberg und die Berge hinauf über den schwarzen Sand ritten, bis sie, zwei Stunden vor Sonnenuntergang, zum Fuß des Moosbergs kamen, wobei der Hekla zu ihrer Rechten lag. Es ist ein grimmiger Berg, grau von Moos, und er steht allein auf der verlassenen Ebene; aber zwischen ihm und dem Hekla liegt gutes Grasland. »Hier ist der Fuchsbau«, sagte Erik. »Nun müssen wir ihn aufscheuchen.« Er wußte etwas von dem Pfad, über den man diese Festung vom Süden aus erklimmen konnte, und daß man ihn noch ein Stück mit dem Pferd benutzen konnte. So ritten sie weiter, bis
sie schließlich zu einer ebenen Stelle kamen, wo Wasser die schwarzen Felsen hinabrann, und hier trank Erik von dem Wasser, aß und wusch sich Gesicht und Hände. Daraufhin trug er Jon auf, die Pferde zu weiden - da hier ein wenig Gras wuchs - und auf sie zu achten, bis er zurückkehrte, da er allein zu Skallagrim hochgehen mußte. Und Jon blieb mit zweifelndem Herzen die ganze Nacht dort. Denn von allem, was geschah, sah er nur eins, und das war das Licht von Weißfeuer, wie es hoch über ihm auf der Bergkuppe aufflammte, als Hellauge den ersten Schlag gegen seinen Gegner führte. Erik stieg langsam den Berserkerpfad empor, denn er wollte nicht außer Atem kommen, und das Licht schien rötlich auf seinem goldenen Helm. Immer höher stieg er, bis er schließlich an einen dunklen, engen Paß kam, der beidseitig von hohen Felsklippen begrenzt war, so daß zwei bewaffnete Männer fünfzehn Angreifer aufhalten konnten. Er spähte in den Pfad hinab, aber er sah niemanden, obwohl er von Berserkerfüßen ausgetreten war. Er schlich den Pfad entlang und bewegte sich wie ein Sonnenstrahl .durch die Dunkelheit des Passes, da sich das Licht auf seinem Helm und Schwert sammelte, bis der Pfad plötzlich eine Biegung machte und er am Rand eines Abgrundes stand, der kein Ende zu nehmen schien. Und als er hinuntersah, konnte er einhundert Klafter unter sich Jon und die Pferde ausmachen. Nun mußte Erik stehenbleiben, denn der Pfad führte lediglich zu dem schwarzen Abgrund. Außerdem verblüffte es ihn, daß er Skallagrims Lager nicht gefunden hatte. Er kroch an den Rand und schaute sich um. Da sah er, daß die Spitze eines Felsens aus den steilen Klippen hervorragte und daß sie von Fußabdrücken ausgetreten war. »Wo Berserker schreiten, darf ein Bauer folgen«, sagte Erik und packte, indem er Weißfeuer ohne weitere Umstände wieder in die Scheide zurückschob, den überhängenden Felsen. Er ließ sich zu der Spitze unter ihm hinabsinken. Nun hing er wie ein Adler über dem tiefen Abgrund, und ihm wurde schwind-
lig. Zurück wollte er nicht, und vorwärts konnte er nicht, da sich dort nur Luft befand. Neben ihm wuchs ein Birkenbusch auf dem Vorsprung. Er griff danach, um sich zu beruhigen. Der Busch beugte sich unter seinem Griff, und dahinter sah Erik ein Loch im Fels, durch das ein Mann kriechen konnte, und in diesem Gang verliefen Fußabdrücke. »Zuerst durch die Luft wie ein Vogel, dann durch die Erde wie ein Fuchs«, sagte Erik und betrat den Gang. Indem er sich niederkauerte, bis sein Helm fast seine Knie berührte, machte er drei Schritte, und siehe da, er stand auf einer großen Felsebene, so groß, daß man ein Haus mit einer gewaltigen Halle darauf hätte errichten können. Von dem nach innen gewölbten engen Paß aus war sie nicht zu sehen. Die Ebene, die von den kahlen Felsen umsäumt wurde, verlief direkt nach Süden. Von ihr aus konnte er die Hochebene sehen - und den Pfad, auf dem er gekommen war. Und nun sah er wieder Jon und die Pferde, tief unter ihm. »Fürwahr, ein prächtiger Ort und gut ausgesucht«, sagte Erik und schaute sich um. Ein paar Schritte von ihm entfernt schwelte noch ein Torffeuer auf dem kahlen Felsboden, und daneben lagen die Knochen eines Schafes. Dahinter befand sich mitten in der überhängenden Felsklippe die Öffnung einer Höhle. »Der Wolf ist daheim, oder er war es kürzlich noch«, sagte Erik. »Nun zu seinem Schlupfwinkel.« Und mit diesen Worten ging er langsam zur Höhlenöffnung und spähte hinein. Eine Zeitlang sah er nichts, aber täuschte er sich oder hörte er ein Schnarchen? Dann schlich er hinein und sah im roten Licht der glühenden Kohlen einen großen, schwarzbärtigen Mann auf einem Schaffellager ausgestreckt liegen, und neben ihm lag eine Axt. »Nun wäre es ein leichtes, diesem Höhlenbewohner ein Ende zu bereiten«, dachte Erik. »Aber das werde ich ihm nicht antun. Nein, nicht einmal diesen Berserker werde ich im Schlaf
töten.« Daraufhin trat er vorsichtig an Skallagrims Seite. Er wollte ihn mit Weißfeuers Spitze aufwecken, als sich hinter Skallagrim ein anderer Mann aufsetzte! »Bei Thor! Mit zweien habe ich keinen Handel abgeschlossen«, sagte Erik und sprang aus der Höhle. Da kam der Berserker, der hinter Skallagrim gelegen hatte, mit einem Zornesgrunzen - wie eine Bärin, der man die Jungen geraubt hat - aus der Höhle und rannte mit gehobenem Schwert direkt auf Erik zu. Erik blieb direkt vor dem Rand der Klippe stehen. Dann setzte der Berserker zu einem Schlag an, doch Hellauge fing ihn mit dem Schild ab und holte so zielsicher und wuchtig aus, daß dem Berserker der Kopf von den Schultern flog und zu Boden fiel, während sein. Körper mit ausgestreckten Armen, die haltlos in die Luft griffen, vom Rand des Abgrunds hundert Klafter in die Tiefe stürzte. Es war das Aufblitzen des mächtigen Schlages von Weißfeuer gewesen, das Jon sah, während er in dem kleinen Tal am Berghang wartete. Aber von dem Berserker sah er nichts, denn der fiel in eine tiefe Feuerspalte und wurde nie mehr gesehen, abgesehen von einer einzigen, seltsamen Begebenheit, von der noch die Rede sein wird. Dies war der erste Mensch, den Hellauge tötete. Nun berichtet die alte Sage, daß Erik laut rief: »Keine Chance hatte der hier«, und da ereignete sich etwas gar Wundersames. Denn der Kopf auf dem Felsen öffnete die Augen und erwiderte: »Fürwahr, ich hatte keine Chance gegen dich, Erik Hellauge. Doch ich will dir dieses sagen: Wohin mein Körper fiel, dorthin wirst auch du fallen, und wo er liegt, dort wirst auch du liegen.« Nun bekam es Erik mit der Angst zu tun, denn er hielt es für eine seltsame Sache, daß ein abgetrennter Kopf noch zu ihm sprach. »Hier scheine ich es mit Trollen zu tun zu haben«, sagte er, »aber dieser hier wird wenigstens nicht mehr schlagen, auch
wenn er noch spricht«, und er schaute den Kopf an, aber der erwiderte nichts darauf. Nun hatte Skallagrim dies alles verschlafen, und das Licht wurde so düster, daß Erik die Zeit für gekommen hielt, der Sache so oder so ein Ende zu bereiten. Daher nahm er den Kopf des Getöteten, obwohl er sich davor fürchtete, ihn zu berühren, und rollte ihn schnell in die Höhle. Wobei er sagte: »Nun, da du so sprachgewandt bist, sage deinem Gefährten, daß Erik Hellauge an seine Tür klopft.« Dann folgten Geräusche, als würde sich jemand erheben, und augenblicklich stürmte Skallagrim hinaus, die Axt erhoben und in der linken Hand den Kopf seines Gefährten. Er trug nur eine Hose und Eriks Lammfell auf der Brust. »Wo ist mein Freund?« sagte er. Da sah er Erik, der sich auf Weißfeuer stützte, und sein goldener Helm leuchtete im Glanz der untergehenden Sonne. »Es scheint, du hältst etwas von ihm in der Hand, Skallagrim, und was den Rest betrifft, so suche in jener Felsspalte dort.« »Wer bist du?« brüllte Skallagrim. »An diesem hier magst du mich erkennen«, sagte Erik und warf ihm den Schweif des Lammes zu, das Skallagrim vom Kaltrücken gestohlen hatte. Nun erkannte Skallagrim ihn, und der Berserker kam in ihm zum Vorschein. Er rollte mit den Augen, Schaum floß ihm von den Lippen, er verzog den Mund zu einem Grinsen und war schrecklich anzuschauen. Erließ den Kopf fallen und stürmte, die Axt weit schwingend, auf Erik zu. Aber Hellauge war zu schnell für ihn. Es wäre nicht weise gewesen, ihn zum Schlag kommen zu lassen, denn dem, dem dieser Schlag gegolten hatte, wäre es schlecht ergangen. Aber Erik sprang vor, schrie laut auf und stieß mit Weißfeuer von unten nach oben zu. Skallagrim sah das Schwert aufblitzen und fiel beinahe auf die Knie, um seinen Kopf mit der Axt zu schützen; aber Weißfeuer traf die eiserne Hälfte der Axt und schlug sie in zwei Teile, so
daß der Axtkopf zu Boden fiel. Nun war der Berserker waffenlos, aber unverletzt, und es wäre ein leichtes gewesen, ihn beim nächsten Ansturm zu töten. Aber es kam Erik in den Sinn, daß es eine unwürdige Tat war, einen waffenlosen Gegner mit dem Schwert zu erschlagen, und es kam ihm auch in den Sinn, daß er seine nackte Kraft mit der eines Berserkers im Zorn messen wollte. So warf er Weißfeuer mit der Kühnheit seiner Jugend und Kraft beiseite und rief: »Komm, versuch mich niederzuringen, Berserker!« Und er stürmte auf Skallagrim zu. »Du bist verrückt«, rief der Berserker, und dann hatten sie einander erreicht. Sie zerrten und rissen und drückten aneinander. Ospakar war stark gewesen, aber Skallagrim übertraf mit seiner Berserkerkraft die Stärke Ospakars bei weitem, und schon bald dachte Hellauge wehmütig an das Schwert, das er beiseite geworfen hatte. Erik war stärker als die meisten anderen Männer, aber er konnte sich kaum gegen diesen Tollwütigen behaupten, und bald wußte er, daß er nur eine Chance hatte. Sie bestand darin, sich an Skallagrim festzuklammern, bis seine Berserkerwut verrauchte und er wieder ein gewöhnlicher Mensch war. Aber dies war leichter gesagt als getan. Erik konnte kämpfen, wie er wollte, er fand sich schließlich auf dem Rücken wieder, und Skallagrim war auf ihm. Aber noch immer hielt er den Berserker wie mit Eisenfesseln umklammert, und Skallagrim bekam seine Arme nicht frei, so heftig er es auch versuchte. Nun rollten sie über den Felsboden hin und her, und die Dunkelheit senkte sich schnell über sie, bis Erik plötzlich sah, daß sie dem Rand der mächtigen Felsspalte nahe kamen, in die hinabzufallen ihm der abgetrennte Kopf des Höhlenbewohners prophezeit hatte. »Dann gehen wir zusammen«, sagte Erik, aber der Berserker hörte ihn nicht. Dann hatten sie die Spalte erreicht, und wie der Zufall es wollte - oder die Nornen es bestimmt hatten -, erhob sich dort ein kleiner Felsen und verhinderte, daß sie hinabstürzten. Erik lag nun zuoberst, und Skallagrim konnte sich sträu-
ben, wie er wollte, er konnte ihn nicht wieder auf den Rücken werfen. Doch Hellauges Kraft würde auch nicht mehr sehr lange währen, denn er wurde schwach, und seine Beine rutschten langsam über die Klippe, bis sich schließlich nur noch Rippen und Schulterblätter an dem kleinen Felsen rieben. Das Licht erstarb. Erik dachte an die schöne Gudruda und bereitete sich darauf vor, ebenfalls zu sterben, als plötzlich ein letzter Sonnenstrahl auf Skallagrims verzerrtes Gesicht fiel. Und Hellauge sah, wie es sich veränderte, denn die Tollwut wich aus ihm, und im nächsten Moment war der Berserker nur noch wie ein Kind in seinen mächtigen Händen. »Halt ein!« sagte Skallagrim. »Ich erflehe Frieden.« Und er löste seinen Griff. »Nicht so schnell, Bursche«, keuchte Erik. Er schwang die Beine wieder über den Rand des Abgrundes zurück, kam auf die Füße, lief zu seinem Schwert und hob es dankbar auf. »Ich bin erschöpft!« sagte Skallagrim. »Komm, zieh mich von hier fort, oder ich falle; oder aber schlage mir den Kopf ab, wenn du willst.« »So werde ich dir nicht dienen«, sagte Erik. »Du bist ein tapferer Gegner.« Und er streckte die Hand aus und zog ihn in Sicherheit. Eine Zeitlang lag Skallagrim keuchend da, dann erhob er sich auf Hände und Knie und kroch zu der Stelle, wo sich Erik gegen den Felsen lehnte. »Herr«, sagte er, »gib mir deine Hand.« Erik streckte verwundert die Linke aus, und Skallagrim schüttelte sie. Die Rechte hatte er ihm nicht gegeben, weil er eine Arglist fürchtete und Weißfeuer damit fest umklammert hielt. »Herr«, sagte Skallagrim wieder, »von allen Menschen, die je gelebt haben, bist du der stärkste. Fünf andere Männer konnten mir in meinem Zorn nicht widerstehen, aber du hast deine Waffe beiseite gelegt und mich auf edelste Art besiegt, und das allein durch bloße Kraft. Nun höre. Du hast mir das Leben
geschenkt, und von dieser Stunde an ist es bis zum Ende das deinige. Hier schwöre ich dir Lebenstreue. Töte mich, wenn du willst, oder benutze mich, wenn du willst, aber ich glaube, es wird besser für dich sein, das letztere zu tun, denn bislang hat mich nur einer besiegt, und der bist du, und ich hege die Vermutung, daß du meine Kraft wirst brauchen können, und zwar schon bald.« »Dem mag wohl so sein, Skallagrim«, sagte Erik, »und doch bringe ich Gesetzlosen und Höhlenbewohnern nur wenig Vertrauen entgegen. Woher soll ich wissen, daß du mich, wenn ich dich zu mir nehme, nicht im Schlaf töten wirst, wie ich es mit Leichtigkeit gerade noch mit dir hätte tun können?« »Was ist das, das dort von deinem Arm rinnt?« fragte Skallagrim. »Blut«, sagte Erik. »Strecke deinen Arm aus, Herr.« Erik tat wie geheißen. Und der Berserker senkte seine Lippen auf den Kratzer, saugte Blut und sprach: »Auf dieses Blut schwöre ich dir Treue, Erik Hellauge! Mag Walhalla mich zurückweisen und Hei mich holen; mag ich wie ein Fuchs von Land zu Land gehetzt werden; mögen Trolle mich foltern und Hexenmeister des Nachts ihr Spiel mit mir treiben; mögen meine Glieder schrumpfen und mein Herz zu Wasser werden; mögen meine Feinde mich besiegen und meine Knochen auf dem Stein des Verderbens zerschmettert werden, wenn ich nur einen Deut von diesem meinem Eid abweiche, den ich geschworen habe! Ich werde deinen Rücken schützen, ich werde deine Feinde töten, dein Herd sei mein Tempel, deine Ehre meine Ehre. Ich bin dein Leibeigener, und ich werde dein Leibeigener sein, und wenn du willst, werden wir ein Leben leben und am Ende einen Tod sterben.« »Es scheint, ich wollte einen Feind suchen und habe einen Freund gefunden«, sagte Erik, »und es ist mehr als wahrscheinlich, daß ich einen brauchen werde. Skallagrim, Berserker und
Gesetzloser, der du bist, ich nehme dich bei deinem Wort. Von nun an sind wir Herr und Knecht und werden Seite an Seite viele Taten vollbringen. Und zum Zeichen dafür verlängere ich deinen Namen und nenne dich Skallagrim Lammschweif. Wenn du hast, gib mir nun zu essen und zu trinken, denn ich bin schwach von diesem Kampf mit dir, alter Bär.«
VIII WIE OSPAKAR SCHWARZZAHN ERIK HELLAUGE UND SKALLAGRIM LAMMSCHWEIF AUF DEN PFERDEKOPFHÖHEN FAND Nun führte Skallagrim Erik in seine Höhle und nährte das Feuer. Er gab Erik Fleisch zu essen und Ale zu trinken. Als Erik sich den Bauch vollgeschlagen hatte, sah er sich den Berserker an. Er hatte schwarzes, von grauen Streifen durchsetztes Haar, das ihm bis auf die Schultern hinabhing. Seine Nase war gekrümmt wie ein Adlerschnabel, sein Bart wild und seine eingefallenen Augen scharf wie die eines Falken. Er war etwas gebeugt und nicht übergroß, aber von mächtiger Statur, denn mit seinen Schultern mußte er durch manche Türen seitwärts schreiten. »Du bist ein großer Mann«, sagte Erik, »und es bedeutet etwas, dich besiegt zu haben. Nun sage mir, was dich zum Berserker werden ließ.« »Man hat mir schändlich mitgespielt, Herr. Vor zehn Jahren war ich im Norden ein Bauer mit bescheidenen Reichtümern. Ich hatte nur eins, woran mir lag, und das war das schönste Hausweib in jener Gegend - Thorunna mit Namen -, und ich liebte sie sehr, aber wir hatten keine Kinder. Nun lag nicht weit entfernt von meinem Hof ein Ort namens Schweineberg, und dort wohnt ein mächtiger Häuptling namens Ospakar Schwarzzahn; er ist ein böser Mann und ein starker ...« Erik fuhr bei dem Namen zusammen. Dann bat er Skallagrim, mit seiner Geschichte fortzufahren. »Nun geschah es, daß Ospakar mein Weib Thorunna sah und sie nehmen wollte, aber zuerst hörte sie nicht auf ihn. Dann versprach er ihr Reichtum und alle guten Dinge, und sie war unseres harten Lebens müde und erhörte ihn. Doch sie wollte
nicht offen zu ihm gehen, da das Schande über sie gebracht hätte, und so schmiedete sie mit Ospakar einen Plan, daß er kommen und sie wie mit Gewalt holen solle. So kam es dann auch, daß mich, als ich eines Nachts in tiefem Schlaf an Thorunnas Seite lag, da ich etwas zuviel vom Herbstale getrunken hatte, bewaffnete Männer ergriffen, fesselten und von meinem Bett zerrten. Es waren acht, und bei ihnen war Ospakar. Dann hieß Schwarzzahn Thorunna aufzustehen, sich anzukleiden und mit ihm zu kommen, um seine Maid zu sein. Sie tat so, als würde sie darüber weinen, stimmte aber bereitwillig genug zu. Dann band sie ihren Gürtel um ihr Kleid, und daran hing ein Messer. >Töte dich, mein Schatzder Tod ist besser als die Schande.< >Nicht so, mein MannEs ist wahr, daß ich nur dich liebe, doch eine Frau findet eher eine neue Liebe als ein neues Leben.< Und ich sah, wie sie durch ihre spöttischen Tränen lachte. Nun ritt Ospakar voller Eile zum Schweineberg davon, und mit ihm Thorunna, aber seine Männer blieben eine Weile und tranken mein Ale. Und als sie tranken, verspotteten sie mich, der ich vor ihnen gebunden lag, und Stück um Stück kam die Wahrheit über Ospakars und Thorunnas Treiben hervor. Ich erfuhr, daß sie dieses Spiel geplant hatte. Da wurde mein Blick finster, und ich war allein vor Scham und Verbitterung dem Tode nah. Aber plötzlich sprang etwas in meinem Herzen empor, Feuer wüteten in meinen Augen, und Stimmen in meinen Ohren forderten Kampf und Rache. Ich war zum Berserker geworden - und wie Heugebinde sprengte ich meine Fesseln. Meine Axt hing am Wandgetäfel. Ich ergriff sie, und von dem, was dann geschah, weiß ich nur, daß, als der Wahn vergangen war, acht Männer ausgestreckt vor mir lagen und der Raum voller Blut war. Dann legte ich die Toten zusammen und stapelte Trinktische über sie und Bänke, und Torf und alles andere, was brennen
würde, und schüttete Kabeljauöl auf diesen Stapel und zündete den Hof über ihnen an, so daß sich herumsprach, all diese Männer seien bei einem Trinkgelage gestorben und ich mit ihnen. Aber ich nahm den Namen Skallagrim an und schwor einen Eid gegen alle Männer, ay, und auch gegen alle Frauen, und ging zu den Leuten in den Wäldern und brachte viel Elend über sie, denn nur wenige habe ich verschont. Und ich zog weiter, bis ich zum Moosberg kam. Hier habe ich die letzten fünf Jahre verbracht und auf die Zeit gewartet, da ich Ospakar und die Hure Thorunna finden würde, und ich habe gegen viele Männer gekämpft, aber bis du gegen mich angetreten bist, konnte keiner vor meiner Stärke bestehen.« »Fürwahr, eine seltsame Geschichte«, sagte Erik, »aber höre du nun einem Fremden zu, denn es scheint tatsächlich, daß wir uns nicht durch Zufall begegnet sind.« Und er erzählte ihm von Gudruda und dem Ringkampf, und wie er Schwarzzahn besiegt hatte. Und er zeigte ihm Weißfeuer, das er aus Ospakars Hand gewonnen hatte. Skallagrim lauschte und lachte laut. »Sicher ist dies das Werk der Nornen«, sagte er. »Sieh, Herr, du und ich, wir werden noch auf diesen Ospakar treffen. Er hat mir das Weib und hätte dir die Verlobte genommen. Soll es sein! Soll es sein! Ah, wäre ich doch nur dabeigewesen und hätte den Ringkampf gesehen. - Ospakar hätte sich niemals von seinem Schneebett erhoben! Aber wir haben noch Zeit, und ich werde noch sehen, wie sein Kopf durch den Staub rollt. Du hast sein gutes Schwert, und damit wirst du Schwarzzahn den Kopf von den Schultern fegen - oder vielleicht wird es mein Los sein.« Und damit sprang Skallagrim auf, knirschte mit den Zähnen und veranstaltete einen Ringkampf mit der Luft. »Friede«, sagte Erik. »Schwarzzahn ist nicht hier. Spare deine Wut auf, bis sie ein Schwert führen und ihn treffen kann.« »Nein, nicht hier, aber auch nicht soweit entfernt, Herr. Höre:
Ich kenne diesen Ospakar. Wenn er seine Augen voller Gier auf Gudruda, Asmunds Tochter, gelegt hat, wird er nicht eine Stunde ruhen, bis er sie hat oder tot ist; und wenn er dich mit haßerfüllten Blicken bedacht hat, dann achte darauf, wohin du gehst, und mustere jeden Pfad genau, bevor du auch nur einen Fuß darauf setzt. Bald wird ein Urteil über die Sache gefällt werden, und schon in diesem Augenblick wählen Odins Walküren, wer für sie in Frage kommt.« »Dann ist es gut«, sagte Erik. »Ja, Herr, es ist gut, denn wir beide haben auch von sechs Männern wenig zu fürchten, wenn sie uns in fairem Kampf angreifen. Aber mir gefällt deine Geschichte ganz und gar nicht. Zu viele Frauen sind darin verwickelt, und Frauen stechen einen hinterrücks nieder. Ein Mann wird mit gezogenen Schwertern fertig, aber nicht mit Betrügereien und Lügen, und der Hexerei falscher Frauen. Es war eine Frau, die deine Ringkampfschuhe mit Fett eingeschmiert hat; vielleicht wird es eine Frau sein, die dir die Höllenschuhe umbindet, wenn alles geschehen ist - ay, und die sie bereit für deine Füße macht.« »Von Frauen ist wie von Männern zu sagen«, erwiderte Erik, »daß manche gut und manche böse sind.« »Ja, Herr, aber auch, daß die Bösen ihre Pläne aus Bosheit schmieden, aber die guten aus blinder Torheit. Entsage den Frauen, und du wirst glücklich leben und in Ehren sterben. Sei ihnen zugetan - aber lebe im Elend und sterbe als Ausgestoßener.« »Dein Geschwätz ist töricht«, sagte Erik. »Vögel müssen in die Luft, das Meer zum Ufer, und Männer müssen zu den Frauen. Wie die Dinge sind, so laß sie sein, denn sie werden bald scheinen, als hätte es sie nie gegeben. Ich würde lieber meinen Schatz küssen und sterben, wenn es denn sein muß, als ihn nicht zu küssen und leben, denn letzten Endes wird doch alles gleichermaßen enden, und Küsse sind süß!« »Das ist ein guter Spruch«, sagte Skallagrim, und sie fielen
nebeneinander in den Schlaf, und Erik hatte keine Furcht. Dann erwachten sie, und die Sonne stand schon hoch, denn sie waren erschöpft und ihr Schlaf schwer gewesen. Direkt neben der Höhlenöffnung befand sich ein kleiner Brunnen, in dem sich das von den Felsen rinnende Wasser sammelte, und darin wusch sich Erik. Dann zeigte Skallagrim ihm die Höhle und den großen Vorrat an Waffen, die von jenen stammten, die er getötet und beraubt hatte. »Ein wahrhaft wunderbarer Ort«, sagte Erik, »und genau richtig für einen solchen Händler, wie du es bist; aber sage mir, wie hast du ihn gefunden?« »Ich folgte dem, der vor mir hier war, und stellte ihn vor die Wahl - entweder zu gehen oder um die Festung zu kämpfen. Aber er mußte unbedingt kämpfen, und dies war sein Schicksal, denn ich tötete ihn.« »Wer war der Mann«, fragte Erik, »dessen Kopf nun dort unten liegt?« »Ein Höhlenbewohner, Herr, den ich wegen der Einsamkeit der Winterzeit bei mir aufnahm. Er war ein schlechter Mensch, denn obwohl es gut ist, von Zeit zu Zeit ein Berserker zu sein, ist es nicht gut, mit einem zu hausen, der immer ein Berserker ist. Du hast getan, was getan werden mußte, indem du ihm den Kopf abschlugst - und nun soll er seinen Körper finden.« Und er rollte ihn über den Rand des tiefen Abgrundes. »Weißt du, Skallagrim, daß dieser Kopf zu mir sprach, nachdem er des Mannes Schultern verlassen hatte. Und daß er sagte, ich würde dorthin fallen, wohin sein Körper fallen würde, und wo er liegen würde, dort würde auch ich liegen?« »Dann, Herr, wird dies wahrscheinlich dein Schicksal sein, denn dieser Mann hatte das Zweite Gesicht, und erst in der vorletzten Nacht, als wir ausritten, um Schafe zu suchen, griff er sich an den Kopf und sagte, bevor die Sonne noch einmal unterginge, würden ihn hundert Klafter Luft mit den Schultern verbinden.«
»Dem mag so sein«, gab Erik zurück. »Als ich dort unten in deinem Griff lag, dachte ich, das Schicksal sei mir schon nahe. Und nun bewaffne dich und nimm mit, was du brauchst, und laß uns von dannen eilen, denn mein Knecht, der unten wartet, wird denken, du seist zu stark für mich gewesen.« Skallagrim trat zum Rand des Abgrundes und suchte die Ebene mit seinen Falkenaugen ab. »Kein Grund zur Eile, Herr«, sagte er. »Siehe, dort reitet dein Knecht über den schwarzen Sand, und mit ihm geht dein Pferd. Sicher glaubt er, du würdest den Pfad, den du hochgestiegen bist, nicht mehr hinabkommen, und es ist nicht die Aufgabe eines Knechtes, Skallagrim in seinem Schlupfwinkel zu stellen und ihn um eine Nachricht zu bitten.« »Die Wölfe sollen diesen Narren holen!« sagte Erik erzürnt. »Er wird zum Middalhof reiten und meinen Todesgesang anstimmen, und der wird in einigen Ohren traurig klingen.« »Es ist schön, Herr«, sagte Skallagrim, »wenn gute Botschaften den schlechten auf den Fersen folgen und das Weibervolk ein paar Tränen vergießen und etwas ärmer werden kann. Ich habe Pferde in einem kleinen Tal versteckt, das ich dir zeigen werde, und auf ihnen werden wir zum Middalhof reiten - und dort mußt du Frieden für mich erbitten.« »So soll es sein«, sagte Erik. »Nun bewaffne dich, denn wenn du mich begleitest, mußt du deinem Berserkertum ein Ende machen oder es auf die Stunde des Kampfes beschränken.« »Ich will tun, was du verlangst, Herr«, sagte Skallagrim. Dann betrat er die Höhle und setzte sich einen einfachen schwarzen Eisenhelm auf die schwarzen Locken; und um die Brust legte er sich einen schwarzen Kettenharnisch. Er nahm auch den großen Axtkopf und befestigte ihn am Stiel einer anderen Axt, die unter den Waffen lag. Dann zog er eine Geldbörse und einige goldene Ringe hervor, legte alles in eine Tasche aus Otterfell und schnallte sie um. Aber die anderen Sachen schlug er in Felle ein und versteckte sie hinter einigen
Steinen, die am Ende der Höhle lagen - für den Fall, daß er noch einmal zurückkommen und sie holen würde. Dann gingen sie auf dem gleichen gefährlichen Pfad zurück, den Erik gekommen war, und Skallagrim zeigte ihm, wie man die Felsen sicher überqueren konnte. »Ein beschwerlicher Weg«, sagte Erik, als er über die tiefe Spalte stieg. »Ja, Herr, und bis zu deinem Kommen ein solcher, den nur Buschleute beschritten haben.« »Ich möchte ihn nicht mehr begehen«, sagte Erik wieder, »und doch sagte dein Diebesgenosse, daß ich hier sterben würde.« Und für eine Weile wurde ihm schwer ums Herz. Nun führte Skallagrim Lammschweif ihn über geheime Pfade zu einem reich mit Gras bewachsenen Tal, das ganz von Bergen umschlossen war, und hier standen drei Pferde auf der Weide. Als sie dann zu einem bestimmten Felsen gingen, brachte er Zaumzeug und Sättel dahinter hervor, und sie fingen die Pferde ein, bestiegen sie und ließen den Moosberg hinter sich. Nun ritten Erik und sein Gefolgsmann Skallagrim der Berserker vier Stunden lang und sahen niemanden, bis sie schließlich zum Fuße eines Berges mit dem Namen Pferdekopfhöhe kamen. Als sie ihn überquerten, fanden sie sich plötzlich in der Mitte von zwanzig Bewaffneten wieder, die gerade ihre Pferde besteigen wollten. »Jetzt haben wir Gesellschaft«, sagte Skallagrim. »Ja, und zwar schlechte«, erwiderte Erik, »denn dort unten erspähe ich Ospakar Schwarzzahn, und seine Söhne Gizur und Mord, ay, und andere. Absitzen - und Rücken an Rücken, denn sie werden uns wenig Freundlichkeit entgegenbringen.« Dann sprangen sie zu Boden und postierten sich auf eine leichte Bodenerhebung. Die Männer ritten auf sie zu. »Bald werde ich wissen, was deine Gefolgschaft wert ist«, sagte Erik.
»Fürchte dich nicht, Herr«, gab Skallagrim zurück. »Wehre du deine Angreifer ab, und ich halte dir den Rücken frei. Wir haben uns zu einer guten Stunde getroffen.« »Ob eine gute oder schlechte, es wird wahrscheinlich eine kurze sein. Doch höre: Falls du zum Berserker werden mußt, wenn die ersten Schwerthiebe blitzen, so bleibe wenigstens stehen und sei ein Berserker, wo du bist, denn wenn du auf deine Gegner zustürmst, wird mein Rücken frei sein, und man wird mich bald durchbohrt haben.« »Es soll sein, wie du es sagst, Herr.« Nun ritten die Männer um sie herum, doch zuerst erkannten sie Erik nicht wegen des goldenen Helms, der sein Gesicht im Schatten verbarg. »Wer seid ihr?« rief Ospakar. »Ich glaube, du solltest mich kennen, Schwarzzahn«, gab Erik zurück, »denn ich habe dich erst vor kurzem Hals über Kopf in den Schnee geworfen - aber das hier wirst du zumindest kennen.« Und er zog das große Schwert Weißfeuer. »Mich wirst du vielleicht auch kennen, Ospakar«, rief der Berserker. »Skallagrim nannten mich die Männer früher, Lammschweif nennt mich Erik Hellauge, aber du nanntest mich einst Ounound. Sag, Herr, welche Neuigkeiten gibt es von Thorunna?« Nun winkte Ospakar lachend mit seinem Schwert. »Ich kam hierher, um einen Gegner zu suchen, und zwei habe ich gefunden«, rief er. »Höre, Erik: Wenn du tot bist, ziehe ich nach Middalhof weiter, um dort zu brandschatzen und alle Männer zu töten. Soll ich Gudruda deinen Kopf als Andenken mitbringen? Und dich, Ounound, dich hielt ich für tot; aber da du noch lebst, sendet Thorunna, mein süßer Schatz, dir dies.« Und er schleuderte mit ganzer Kraft einen Speer auf ihn. Doch Skallagrim fing den Speer im Flug auf und schleuderte ihn zurück. Er prallte geradewegs gegen Ospakars Schild und durchtrennte ihn, ay, und auch den Harnisch und die Schulter,
die unter dem Harnisch lag, so daß Schwarzzahn kampfunfähig war und vor Schmerz und Zorn aufheulte. »Nun geh«, sagte Skallagrim, »und bitte Thorunna, den Speer herauszuziehen und das Loch mit Küssen zu heilen.« Nun rief Ospakar, sich vor Schmerz windend, seinen Männern zu, die beiden zu töten, und der Kampf fing an. Einer stürmte auf Erik zu und hieb mit der Axt auf ihn ein. Der Schlag fiel auf Eriks Schild und zerfetzte die Seite; dann streifte er den Harnisch, aber nur leicht. Zur Antwort schlug Erik tief mit Weißfeuer zurück und trennte dem Mann das Bein zwischen Knie und Schenkel durch, woraufhin er fiel und starb. Ein weiterer stürmte vor. Bevor er zuschlagen konnte, zuckte Weißfeuer hinab, und der Schild des Burschen war geborsten, woraufhin er sich entschied, den Rückzug anzutreten und an diesem Tag nicht mehr zu kämpfen. Skallagrim tötete einen Mann und verwundete einen weiteren schwer. Ein großer Unterführer mit einer roten Narbe im Gesicht stürmte gegen Hellauge an. Zweimal schlug er Finten zum Kopf, und Erik parierte sie, dann senkte er das Schwert unter den Schutz seines Schildes und holte plötzlich gegen Eriks Beine aus. Hellauge sprang hoch in die Luft und schlug dabei mit Weißfeuer zu. Augenblicklich fiel der Angreifer mit zerfetzter Schulter und Brust zu Boden. Nun tötete Skallagrim einen weiteren Angreifer und wurde zum Berserker. Er sah so wild aus, daß die Männer vor ihm zurückwichen. Zwei stürmten gegen Erik vor, einer von jeder Seite. Das Schwert des Mannes zur Rechten prallte gegen seinen Schild und durchdrang ihn, doch Hellauge riß den gespaltenen Schild so heftig vor, daß das Schwert der Hand des Angreifers entglitt. Nun hob sich das andere Schwert hoch über ihm, und das wäre Eriks Ende gewesen, doch Skallagrim schaute sich um und sah, wie es sich senkte. Er hatte keine Zeit, sich umzuwenden, doch
er warf seinen Axtstiel, der den Schwertkämpfer am Kopf traf und denselben zerschmetterte. »Das war gut gemacht«, sagte Erik, als das Schwert zu Boden fiel. »Nicht schlecht, aber es könnte noch schlimmer kommen«, grollte Skallagrim. Schließlich zogen sich alle Männer von den beiden zurück, denn sie hatten genug von Weißfeuer und der Axt des Berserkers. Ospakar saß auf dem Pferd, den Schild an seine Schulter genagelt, und fluchte laut. »Näher heran, ihr Feiglinge!« rief er. »Näher heran! Und macht sie nieder!« Aber keiner rührte sich. Da verspottete Erik sie. »Wir sind nur zwei«, sagte er, »und keiner von euch will einen Kampf mit mir wagen? Sollen wir singen können, daß zwanzig von zweien besiegt wurden?« Dies hörte Ospakars Sohn Mord, und er wurde toll vor Zorn. Er hob den Schild und stürmte vor. Doch Gizur der Gesetzesmann folgte nicht, denn Gizur war ein Feigling. Skallagrim drehte sich um, um mit Mord zu kämpfen, doch Erik sagte: »Dieser ist für mich, Gefährte.« Und er trat vor. Mord holte zu einem mächtigen Hieb aus. Eriks Schild war gebrochen und konnte ihm nicht widerstehen. Der Hieb traf voll auf den goldenen Helm und zwang Hellauge auf die Knie. Doch sofort war er wieder auf den Beinen, und die Schläge hagelten heftig und schnell. Mord war ein starker Mann, frisch und in der Kriegskunst erfahren, und Eriks Arme wurden müde, und seine Kraft ließ nach. Mord schlug wieder zu und verletzte ihn leicht an der Schulter. Erik warf den zertrümmerten Schild beiseite und packte Weißfeuer mit einem lauten Schrei mit beiden Händen. Mord machte einen Satz, stürmte dann vor und schlug zu; Erik sprang beiseite. Wieder griff er an, und siehe da, Hellauge senkte die Schwertspitze, und sie fuhr eine volle Handbreit in
Mords Rücken, und das war augenblicklich sein Ende. Nun liefen die Männer zu ihren Pferden, bestiegen sie mit großer Eile und ritten davon, wobei sie riefen, daß sie es hier mit Trollen und nicht mit Menschen zu tun hätten. Skallagrim sah es, - und die Berserkerwut überkam ihn. Mit gehobener Axt setzte er ihnen nach, wüste Beschimpfungen ausstoßend. Ein Mann, der gleiche, den er verwundet hatte, konnte sein Pferd nicht schnell genug besteigen, und als der Berserker anstürmte, lag er immer noch auf dem Rücken seines Pferdes. Die große Axt wirbelte hoch durch die Luft und senkte sich wieder, und man erzählt von diesem Schlag, daß er so mächtig war, daß Mann und Pferd tot unter ihm zusammenbrachen, beide gänzlich gespalten. Dann verließ Skallagrim der Zorn. Er ging zurück, und sie waren allein mit den Toten und Sterbenden. Erik lehnte sich auf Weißfeuer und sprach: »Trolle dich, Skallagrim Lammschweif! Trolle dich!« »Es sei, wie du willst, Herr«, gab der Berserker zurück, »aber ich habe dich nicht so schlecht bewacht, daß du fürchten mußtest, von Schlägen getroffen zu werden.« »Ich dulde keinen Mann bei mir, der mein Wort nicht achtet, Skallagrim. Was habe ich dir aufgetragen? Etwa nicht, daß du die Berserkerwut ablegen und dort stehenbleiben solltest, wo du standest? Und siehe, du hast mein Wort schnell vergessen! Nun trolle dich!« »Es ist wahr, Herr«, sagte er. »Der, der dient, muß ganz dienen.« Und Skallagrim schickte sich an, sein Pferd zu suchen. »Bleib«, sagte Erik. »Du bist ein tapferer Mann, und ich vergebe dir. Doch durchkreuze meinen Willen nicht noch einmal. Wir haben sieben Männer getötet, und Ospakar geht verwundet von dannen. Wir haben uns Ehre gemacht und sie Verlust und größte Schande. Dennoch wird mir daraus nichts Gutes erwachsen, denn Ospakar hat viele Freunde, und er wird augenblicklich eine Klage im Althing gegen mich erlassen. Und du hast das erste Blut vergossen.«
»Hätte dieser Speer nur besser getroffen«, sagte Skallagrim. »Ospakars Zeit ist noch nicht gekommen«, gab Erik zurück, »doch nun hat er etwas, was ihn immer an uns erinnern wird.«
IX WIE SWANHILD SICH MIT GUDRUDA BEFASSTE Nun harrte Jon, Eriks Leibeigener, die ganze Nacht auf dem Moosberg aus, sah aber nichts bis auf Weißfeuers Licht, als das Schwert den Kopf des Berserkers von dessen Schultern trennte. Voller Angst blieb Jon bis zur Dämmerung dort; als er sicher zu sein glaubte, daß Erik tot war, ritt er schnell und ohne Rast zum Middalhof, wo er des Abends ankam. Gudruda hielt an der Frauentür Ausschau. Sie hielt den Moosberg im Auge, um das Licht auf Eriks goldenem Helm leuchten zu sehen, und schließlich leuchtete es tatsächlich. Jedoch weiß statt rot. »Siehe«, sagte Swanhild an ihrer Seite, »Erik kommt!« »Nicht Erik, sondern sein Knecht«, gab Gudruda zurück, »um uns zu sagen, daß Erik tot ist.« Schweigend warteten sie, während Jon ihnen entgegengaloppierte. »Welche Nachricht bringst du von Hellauge?« rief Swanhild. »Du brauchst nicht erst zu fragen«, sagte Gudruda. »Sieh dir sein Gesicht an.« Nun erzählte Jon seine Geschichte, und Gudruda lauschte und hielt sich am Türpfosten fest. Aber Swanhild verfluchte den Leibeigenen als Feigling, so daß er vor ihren Blicken zurückschreckte. Gudruda wandte sich um und ging in die Halle, und ihr Gesicht war wie das des Todes. Die Männer sahen sie, und Asmund fragte, warum sie eine solch seltsame Miene trüge. Da sang Gudruda dieses Lied: Auf den Moosberg, voller Eifer, Ritt Hellaug' mit seinem Helm. Zurück vom Moosberg kam jedoch nur sein feiger Bursch herab. Nun wird seine Gudruda nie umarmt von einem
Manne; Verwitwet ist sie - voller Leid, Denn Erik nach Walhalla zog! Und damit verließ sie die Halle, ohne nach rechts oder links zu schauen. »Laßt die Maid in Ruhe«, sagte Atli der Graf. »Trauer erträgt sich am besten allein. Aber mein Herz trauert um Erik. Es wird diesem Berserker schlecht ergehen, wenn ich ihn nur in die Hand bekomme.« »Dafür werde ich sorgen, bevor der Sommer vorbei ist«, sagte Asmund, denn Eriks Tod schmerzte ihn sehr. Gudruda ging weit, und indem sie Laxä über die steinernen Treppen erklomm, stieg sie den Steinberg empor, bis sie zum Kopf der Goldenen Fälle kam, denn wie ein verwundetes Tier wollte sie in ihrer Trauer allein sein. Aber Swanhild sah sie. Sie folgte ihr und trat zu ihr, als sie dort saß und beobachtete, wie das Wasser den mächtigen Abgrund hinabdonnerte. Schließlich fiel Swanhilds Schatten auf sie, und Gudruda schaute auf. »Was willst du von mir, Swanhild?« fragte sie. »Bist du gekommen, um mich in meiner Trauer zu verspotten?« »Nein, Stiefschwester, denn dann müßte ich mein eigenes Leid verspotten. Ich komme, um meine Tränen mit den deinen zu vermischen. Siehst du, wir haben Erik geliebt, du und ich, und Erik ist tot. Laß uns unseren Haß in seinem Grab begraben, aus dem keiner ihn zurückholen kann.« Gudruda musterte sie kalt, denn in dieser Stunde war sie keiner anderen Empfindung als der Trauer um Erik fähig. »Trolle dich hinfort«, sagte sie. »Vergieße deine eigenen Tränen und laß mich in Ruhe die meinen weinen. Mit dir zusammen werde ich Erik nicht betrauern.« Swanhild runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippen. »Ich werde kein zweites Mal mit Friedensworten zu dir kommen, meine Rivalin«, sagte sie. »Erik ist tot, aber mein Haß, der aus Eriks Liebe für dich entstand, lebt weiter und wächst, und seine
Blume wird dein Tod sein, Gudruda!« »Nun, wo Hellauge tot ist, würde ich ihm gern auf seinem Weg folgen: Stoße die Tore also weit auf, wenn es dir beliebt«, gab Gudruda zurück und beachtete sie nicht mehr. Swanhild ging, aber nicht weit. Auf der anderen Seite einer Graskuppe warf sie sich zu Boden und trauerte, wie ihr hartes Herz es zuließ. Sie vergoß keine Tränen, sondern saß stumm da. Sie schaute mit leeren Augen in die Vergangenheit und in die Zukunft, und fand nichts Gutes in ihr. Aber Gudruda weinte, als sich die Bürde ihres Verlustes auf sie legte. Sie weinte schwere, stumme Tränen und rief in ihrem Herzen nach Erik, der gestorben war. Sie rief dem Tod zu, er möge zu ihr kommen und ihr den Schlaf oder Erik bringen. So saß sie da, und so trauerte sie, bis sie keiner Trauer mehr fähig war und sich der Schlaf zu ihr schlich und sie träumte. Gudruda träumte, sie sei tot und säße nahe der goldenen Tür, die sich in Odins Haus in Walhalla befindet, durch die die Krieger für immer eintreten. Dort saß sie Äonen auf Äonen, lauschte dem Donner von tausend mal zehntausend trampelnden Füßen und beobachtete die harten Gesichter der Auserwählten, als sie in Heeren hinausmarschierten, um auf den Wiesen zu kämpfen. Und als sie dort saß, kam schließlich ein Einäugiger, der eine leuchtende Rüstung trug, und sprach zu ihr. Er war wunderbar anzuschauen und alt, und sie erkannte ihn als Odin den Allvater. »Wen suchst du, Maid Gudruda?« fragte er, und die Stimme, mit der er sprach, war die des Wassers. »Ich suche Erik Hellauge«, gab sie zurück, »der vor tausend Jahren durch das Tor schritt. Die Liebe zu ihm hat mir das Herz gebrochen.« »Erik Hellauge, Thorgrimurs Sohn?« sprach Odin. »Ich kenne ihn gut; kein kühnerer Krieger ist durch Walhallas Tore geschritten, und keiner wird sich dem Kommen des grauen Wolfes Fenrir mehr entgegenstellen. Gehe weiter und lasse ihn mit
seinem Ruhm und seinem Gott zurück.« Dann, in ihrem Traum, weinte sie bitterlich und bat Odin in Freyjas Namen, daß er ihr Erik für eine kleine Weile geben möge. »Was willst du dafür geben, Maid Gudruda?« fragte Odin. »Mein Leben«, gab sie zurück. »Gut«, sagte er, »für eine Nacht soll Erik dein sein. Dann stirbst du, und laß dies der Grund deines Todes sein.« Und Odin sang dieses Lied: Töchter, die ihr den Tod bestimmt, Höret des Allvaters Wort: Wenn mein Atem die Speere trägt, Weicht Hellauge ihnen aus, Bis er einmal geschlafen hat Mit seinem Weib Gudruda Dann soll euer Ruf erschallen; Dann erst laßt Erik fallen! Und Gudruda erwachte, aber in ihren Ohren schien der mächtige Wasserfall noch immer mit Odins Stimme zu sprechen: Dann soll euer Ruferschallen; Dann erst laßt Erik fallen! Sie erwachte aus diesem weltentrückten Schlaf und blickte auf, und siehe da, vor ihr, mit zerschmettertem Schild und über und über beschmiert mit dem roten Regen des Kriegers, stand der goldbehelmte Erik. Dort stand er, groß und ansehnlich anzuschauen, und sie betrachtete ihn zitternd und erstaunt. »Bist du es wirklich, Erik, oder ist es noch mein Traum?« fragte sie. »Ich bin gewiß kein Traum«, sagte Erik. »Aber warum siehst du mich so an, Gudruda?« Sie erhob sich langsam. »Ich dachte«, sagte sie, »ich dachte, du seist tot, gestorben durch Skallagrims Hand.« Und mit einem lauten Schrei fiel sie ihm in die Arme und ließ sich
schluchzend halten. Es war ein hübscher Anblick, Gudruda die Schöne so zu sehen, ihr goldenes Haar über Eriks kampfzerrissenen Harnisch fließend, ihre dunklen Augen feucht vor Freudentränen; aber Swanhild, die sie so sah, dachte dies nicht. Sie schüttelte sich vor eifersüchtiger Wut, schlich dann davon und versteckte sich, wo sie nichts mehr sehen konnte, denn sonst hätte der Wahnsinn sie befallen. »Woher kommst du? Ah! Woher kommst du?« fragte Gudruda. »Ich hielt dich für tot, mein Geliebter; aber nun träumte ich, ich hätte Odin angefleht, und er habe dich für eine Weile verschont.« »Nun, das hat er, wenn auch nur knapp.« Und Erik erzählte ihr alles, was geschehen war, und wie er, als er mit Skallagrim ritt, der unten noch auf seinem Pferd saß, eine Frau erspäht, die auf dem Gras saß, und die Farbe ihres Mantels erkannt hatte. Dann küßte Gudruda ihn vor schierer Freude, und sie waren glücklich, beeinander zu sein - denn von allen schönen Dingen auf der Erde ist nichts schöner als das: den Geliebten, den man für tot und längst erkaltet hält, lebendig und an unserer Seite zu finden. Und so redeten sie und waren sehr glücklich; glücklich, wie es nur Junge und Verliebte sein können, bis Erik sagte, er müsse zum Middalhof, solange das Tageslicht noch anhalte, denn er könne mit dem Pferd nicht den Weg nehmen, den Gudruda nehme, sondern müsse um die Hügelkuppe herum; und überdies sei er müde und hungrig, und Skallagrim wurde des Wartens leid. »Geh!« sagte Gudruda. »Ich werde sofort dorthin eilen!« So küßte er sie und ging, und Swanhild sah den Kuß und sah ihn gehen. »Nun, Herr«, sagte Skallagrim, »hast du genug des Küssens gehabt?« »Nicht ganz«, gab Erik zurück. Eine Weile ritten sie schweigend weiter.
»Mich deucht, die Maid war sehr schön!« sagte Skallagrim. »Es gibt Frauen, die nicht so schön sind, Skallagrim.« »Einen reichen Köder für einen mächtigen Fisch!« sagte Skallagrim. »Dies sage ich dir: du kannst so sehr gegen dein Schicksal ankämpfen, wie du willst, dieses Mädchen wird dein Untergang sein, und auch der meine.« »Vorbestimmte Dinge werden geschehen«, sagte Erik, »aber wenn du eine Maid fürchtest, gibt es eine gute Medizin: Entsage meiner Gesellschaft.« »Wer war die andere?« fragte der Berserker, »die, die sich anschlich und spähte, lauschte, dann zurückschlich, das Gesicht in den Händen verbarg und mit einem grauen Wolf sprach, der wie ein Hund zu ihr kam?« »Das muß Swanhild gewesen sein«, sagte Erik, »aber ich habe sie nicht gesehen. Sie versteckt sich stets wie eine Ratte im Stroh, und was den Wolf betrifft, so muß er ihr Schutzgeist gewesen sein; denn wie ihre Mutter Groa spielt Swanhild viel mit der Hexerei. Nun werde ich zu Gudruda zurückeilen, denn mein Herz hat Argwohn geschöpft. Bleib du hier, bis ich dich hole, Lammschweif!« Und Erik wandte sich um und galoppierte zurück zum Kopf des Goldfuchs. Als Erik sie verließ, ging Gudruda noch näher heran zur Kante der mächtigen Wasserfälle und setzte sich sogar auf deren Rand. Ihre Brust war voller Freude, und dort saß sie und ließ die Pracht des Anblicks und die Größe der donnernden Geräusche in ihr Herz eintreten. Drüben schien die untergehende Sonne, über den fernen Wipfeln der Westman-Inseln schien sie zu schweben, und hier stürzte das Wasser hernieder, und über diesen Weg war Erik zu ihr gekommen. Ja, und dort auf dem Schafsattel war der Weg, den er den Goldfuchs hinab genommen hatte. Mittlerweile hatte er einen Berserker getötet und einen anderen besiegt und zu seinem Leibeigenen gemacht. Die beiden hatten ganz allein Ospakars Trupp in die Flucht geschlagen und waren in Ehren und kaum verletzt zurückge-
kommen. Gewiß hatte noch nie ein Mann wie Erik gelebt keiner war so stattlich, stark und zärtlich gewesen; und seine Liebe machte sie überaus glücklich! Sie streckte ihm, den sie noch vor einer Stunde für tot gehalten hatte, die Arme entgegen; aber er hatte überlebt und war mit Ruhm beladen zu ihr zurückgekommen. Sie segnete seinen geliebten Namen, lachte laut in ihrer Herzensfreude und rief: »Erik! Erik!« Aber Swanhild, die sich hinter ihr versteckt hielt, lachte nicht. Sie hörte Gudrudas Stimme und konnte nur vermuten, wie glücklich Gudruda war, und Eifersucht stieg in ihr empor und erfaßte sie. Sollte diese schöne Rivalin ihr etwa den Liebsten stehlen? »Grauer Wolf, Grauer Wolf, was sagst du?« Siehe, wenn Gudruda nun tot wäre, wenn sie als Leichnam in diesen kochenden Wassern trieb, würde Erik vielleicht doch noch der ihre werden; aber auch wenn er nicht der ihre werden würde, Gudruda konnte er dann niemals haben. »Grauer Wolf, Grauer Wolf, wie lautet dein Rat?« Direkt am Rand des tiefen Abgrundes saß Gudruda. Ein Stoß, und alles wäre zu Ende. Erik war fort; es gab niemanden, der es sehen würde - niemanden bis auf den Grauen Wolf; keine Zunge konnte von der Tat berichten, die hier geschehen war. Wer könnte sie zur Rechenschaft ziehen? Die Götter! Wer waren die Götter? Was waren die Götter? Waren sie nicht nur Träume? Es gab keine Götter außer den Göttern des Bösen den Göttern, die sie kannte und mit denen sie sprach. »Grauer Wolf, Grauer Wolf, was ist dein Plan?« Dort saß Gudruda und lachte im Triumph ihrer Freude; der Glanz des Sonnenuntergangs schimmerte auf ihrer Schönheit, und dort, hinter ihr, schlich Swanhild näher - schlich, wie sich ein Fuchs an seine schlafende Beute heranmacht. Nun hatte sie sie erreicht ... »Ich höre dich, Grauer Wolf! Zurück in meine Brust, Grauer
Wolf!« Sicher hatte Gudruda etwas gehört? Sie wandte halbwegs den Kopf, senkte ihn dann jedoch wieder, um laut dem Wasser zuzurufen: »Erik! Geliebter Erik! - Ah, wird es je ein Licht geben, das dem deiner Augen gleichkommt - und gibt es je eine Freude wie die deines Kusses?« Swanhild hörte diese Worte, und ihr letztes Mitleid erstarb. Haß und Zorn überwältigten sie. Sie erhob sich auf die Knie und sammelte ihre Kraft: »Suche deine Freude dann im Goldfuchs«, rief sie laut und stieß mit aller Kraft zu. Gudruda fiel einen Klafter oder mehr; mit einem Schrei klammerte sie sich dann an einen kleinen Felsvorsprung und blieb dort hängen, die Füße auf dem Abhang ruhend. Dreißig Klafter unter ihr wirbelten, strömten und rollten die Wasser des Goldenen Falls. Ein Klafter über ihr, rot im roten Abendlicht, senkte sich Swanhilds gnadenloses Gesicht. Gudruda schaute hinauf und sah sie. Blaß vor Todesangst schaute sie auf und sah das Gesicht, doch sie sagte nichts. »Laß los, meine Rivalin; laß los!« rief Swanhild. »Es wird dir niemand helfen, und keiner kann deine Geschichte erzählen. Laß los, sage ich, und suche dein Ehebett im Goldfuchs!« Aber Gudruda klammerte sich fest und blickte mit blassem Gesicht und mitleidsvollen Augen empor. »Was! Bist du so begierig, noch einen Augenblick länger zu leben?« sagte Swanhild. »Dann werde ich dich vor dir selbst retten, denn es muß schlimm sein, so zu leiden!« Und sie lief davon, um einen Felsbrocken zu suchen. Dann fand sie einen, schleppte ihn, unter seinem Gewicht schwankend, bis zum Rand des Abgrundes und spähte hinunter. Gudruda hing noch immer dort. Unter ihr klaffte der Abgrund auf, das Wasser toste in ihren Ohren, und über ihr leuchtete der rote Himmel. Sie sah Swanhild kommen und schrie auf. Erik war da, obwohl Swanhild ihn nicht hörte, denn das Geräusch der galoppierenden Hufe seines Pferdes verlor sich im
Toben des Wassers. Aber der Schrei drang an seine Ohren, er sah den vorspringenden Felsen, und alles war ihm klar. Er sprang vom Pferd, und gerade, als Swanhild den Felsbrocken werfen wollte, packte er sie am Kleid und riß sie zurück. Der Brocken fiel zur Seite und verschwand augenblicklich im Wasser. Erik schaute hinunter. Er sah Gudrudas bleiches Gesicht in der Dämmerung leuchten. Obwohl es nicht einfach war, sprang er auf den Vorsprung hinab. »Halt dich fest! Ich komme; halt dich fest!« rief er. »Ich kann nicht mehr«, keuchte Gudruda, und eine Hand glitt vom Fels. Erik umklammerte den Fels und packte sie, sich nach unten streckend, am Handgelenk. Als ihre Hand losließ, packte er sie, und sie wurde in die Höhe gezogen - ihr ganzes Gewicht an seinem Arm. Nun mußte er sie hochziehen, und das mit einer Hand, denn der Vorsprung war eng, und er wagte es nicht, den Felsen oben loszulassen. Sie schwang über den gewaltigen Abgrund und verlor die Besinnung, hing in seinem Griff wie tot. Er sammelte seine ganze Kraft und zog. Seine Füße glitten ein wenig aus, fanden dann Halt, und wieder hing Gudruda über dem Abgrund. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, es hämmerte in seinen Ohren. Nun galt es - jetzt oder nie! Wieder hob er den Arm, und seine Muskeln wölbten sich und knirschten, und sie lag neben ihm auf dem engen Vorsprung! Aber noch war nicht alles getan. Der Klippenrand lag eine Manneshöhe über ihm. Dorthin mußte er sie legen, denn er konnte sie nicht zurücklassen, um Hilfe zu holen, weil sie vielleicht aufwachen und in den Abgrund rollen würde. Er ließ den Felsvorsprung los, wandte sich um, beugte sich über Gudruda und faßte ihr Kleid unter den Brüsten und über den Knien. Dann spielte Erik erneut seine Stärke aus. Er hob sie an seine Brust und ruhte. Erneut hievte er sie mit aller Kraft über
seinen Helmbusch und stemmte sie hoch, bis sie am Rand der großen Klippe lag. Fast wäre er bei dieser Anstrengung gestürzt, aber er rettete sich, indem er den Fels umklammerte, und mit einer letzten Mühe zog er sich hoch, an ihre Seite, und blieb dort liegen, keuchend wie ein müder Jagdhund. Von allen Proben seiner Kraft, die ihm je auferlegt wurden, war das Hochstemmen Gudrudas nach Eriks Bekunden die größte; denn sie war keine leichte Frau, und er konnte nur auf einem kleinen Felsvorsprung stehen und sich kaum irgendwo festhalten. Schließlich erhob sich Hellauge und musterte Gudruda im Licht der Dämmerung. Sie war noch immer ohne Besinnung. Dann blickte er sich um - Swanhild, das Hexenmädchen, war verschwunden. Da nahm er Gudruda in die Arme, und stolperte, das Pferd führend und nach Skallagrim rufend, durch die Dunkelheit. Der Berserker antwortete, und schließlich tauchte seine gewaltige Gestalt drohend in der Dämmerung auf. Mit ein paar Worten erzählte Erik ihm seine Geschichte. »Die Wege der Frauen sind böse«, sagte Skallagrim, »aber von allen Taten, die ich durch ihre Hände erfahren habe, ist dies die übelste. Es wäre nur angemessen gewesen, die Wolfshexe von der Klippe zu stoßen.« »Ay, nun ja«, sagte Erik, »aber dieses Lied muß erst noch gesungen werden.« Nun schwach heimgeleuchtet vom Licht des aufgehenden Mondes, trugen sie Gudruda den Hügel hinab, bis sie schließlich völlig erschöpft die Feuer des Middalhofs sahen.
X WIE ASMUND MIT SWANHILD SPRACH Während die Tage nun verstrichen, segelte Atli noch nicht, obwohl sein Schiff bereit war, denn der Graf hatte sich immer tiefer in Swanhilds Netzwerk verstrickt. Er rief sich viele weise Sprichwörter in Erinnerung, doch die halfen ihm nur wenig: denn wenn die Liebe wie die Sonne aufsteigt, schmilzt die Vernunft wie der Nebel dahin. So kam es schließlich dazu, daß Atli am Tage von Eriks Rückkehr zu Asmund dem Priester ging und ihn um die Hand Swanhilds der Vaterlosen bat. Asmund hörte zu und war froh, denn er wußte nur zu gut, daß die Dinge zwischen Swanhild und Gudruda nicht zum Besten standen, und es erschien ihm gut, daß das Meer die beiden trennen würde. Dennoch gebot es die Ehre, den Grafen zu warnen, daß Swanhild anders als andere Frauen war. »Du erfüllst meine Stieftochter und mein Haus mit großer Ehre, Graf«, sagte er. »Doch es schickt sich für mich, bei dieser Angelegenheit vorsichtig voranzugehen. Swanhild ist schön, und sie wird nicht ohne Mitgift von hinnen ziehen. Doch ich muß dir sagen, daß ihre Wege dunkel und geheimnisvoll sind, und ihre Launen seltsam und heftig, und ich glaube, sie wird Böses über den Mann bringen, der sie heiratet. Nun ja, ich mag dich, Atli, und wäre es nur um unserer Jugend willen, und es erscheint mir nicht richtig, daß du ein solches Mädchen heiratest, denn das Alter hat dich auf deinem Weg ereilt. Denn, wie du sagen würdest, die Jugend wird von der Jugend angezogen wie die Flut vom Ufer und fällt vom Alter zurück wie die Welle vom Felsen. Überlege also: Ist es gut, daß du sie nimmst, Atli?« »Ich habe schon im Übermaß darüber nachgedacht«, gab der Graf zurück und strich sich über den grauen Bart, »aber der
Sturm erfaßt sowohl alte wie auch neue Schiffe.« »Ay, Atli, und die neuen Schiffe fahren, wo die alten untergehen.« »Ein wahrer Rat, ein schwerer Rat, Asmund; doch ich bin entschlossen, über dieses Meer zu segeln, und wenn ich sinke nun, ich habe gutes Wetter gekannt! Große Sehnsucht hat mich erfaßt, und ich glaube, die Maid ist mir auch zugetan, und vielleicht gehen die Dinge zwischen uns auch gut. Ich habe vieles zu geben, was die Frauen lieben. Zumindest will ich es riskieren, Asmund, wenn du mir deine Zustimmung gibst, denn manchmal gewinnt der kühne Würfler den Einsatz. Ich sage nur eins: Wenn Swanhild unwillig ist, soll mein Werben ein Ende finden, denn ich möchte keine Braut, die sich vor meinen grauen Haaren schreckt.« Asmund sagte, dem solle so sein, und ihr Gespräch fand ein Ende, als auch das Licht erlosch. Nun ging Asmund hinaus, um Swanhild zu suchen, und fand sie schließlich in der Nähe des Gebäudes. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, und das war gut, denn es war nicht schön anzuschauen : ihr Antlitz war überaus wild verzerrt. »Wo bist du gewesen, Swanhild?« fragte er. »Erik Hellauge betrauern«, gab sie zur Antwort. »Es geziemt sich eher, daß Gudruda über Erik trauert denn du, denn ihr Verlust ist schwer«, sagte Asmund streng. »Was hast du mit Erik zu schaffen?« »Wenig, oder viel, oder alles - nimm es, wie du willst, Stiefvater. Doch nicht alle, um die geweint wird, sind verloren, noch wird um alle, die verloren sind, geweint.« »Ich verstehe nur wenig von deiner dunklen Rede«, sagte Asmund. »Wo ist Gudruda?« »Hoch ist sie, oder tief, schlafend oder vielleicht erwacht. Es kümmert mich nicht. Auch sie hat um Erik getrauert, und wir gingen fort, um unsere Tränen zu vermischen - nahe beieinander waren braune Locken und goldene.« Und sie lachte laut.
»Du hast wahrlich das Zweite Gesicht, du böses Kind!« sagte Asmund. »Ay, Stiefvater, das Zweite Gesicht. Aber dies ist nur das erste meines Weltentrücktseins. Hier fängt die Straße an, über die ich reisen muß, und meine Füße werden noch vor Ende der Reise rot sein.« »Laß dein dunkles Gerede sein«, sagte Asmund, »denn für mich ist es wie der Gesang des Windes, und höre mir zu: Ein gut Ding ist dir zugestoßen - ay, ein besseres, als du es verdient hast.« »Ist dem so? Nun, mich dürstet nach einer guten Botschaft. Wie sieht die deine aus, Stiefvater?« »Sie lautet: Atli der Graf bittet um deine Hand, und er ist ein mächtiger Mann, geehrt in seinem eigenen Land und von höherer Stellung, als ich sie für dich ersehnt habe.« »Ay«, gab Swanhild zurück, »so hoch wie der Schnee über den Wasserfällen, und in den Jahren gelegen, die schon lange tot sind. Nein, Stiefvater, dieser weißbärtige, kindische Greis ist kein Mann für mich. Soll ich denn mein Feuer mit seinem Frost vermischen, meine üppige Jugend mit der schleichenden Lähmung seines Alters? Niemals! Wenn Swanhild heiratet, wird sie nicht so heiraten, denn es ist besser, jungfräulich ins Grab zu gehen als zu verschrumpeln und über der Berührung des Alters zu verdorren. Nun ist Atlis Werben zerschlagen, und dies ist endgültig.« Asmund hörte zu und wurde zornig, denn die Sache erschien ihm seltsam, auch durfte ein Mädchen die Worte desjenigen, der über ihm steht, nicht zur Seite schieben. »Es ist nicht endgültig«, sagte er. »Ich dulde diese Antwort nicht von einem Mädchen, das von meiner Mildtätigkeit lebt. Ich sage dir ausdrücklich: Entweder du heiratest Atli, oder du gehst von dannen. Ich habe dich geliebt, und um dieser Liebe willen habe ich deine Boshaftigkeit ertragen, deine dunkle, verstohlene Art, deine bösen Worte. Aber du wirst nicht mehr
gegen meinen Willen verstoßen, Swanhild.« »Du würdest mich mit meiner Mutter Groa von hier vertreiben, obwohl du vielleicht doch mehr Grund hättest, mich liebzuhaben, Stiefvater. Keine Bange: Ich werde gehen - vielleicht weiter, als du glaubst.« Und wieder lachte Swanhild und trat dann an ihm vorbei in die Dunkelheit. Aber Asmund blieb stehen und schaute ihr nach. »Wahrlich«, sagte er sich in seinem Herzen, »schlechte Taten sind Pfeile, die den durchbohren, der sie verschießt. Ich habe Böses ausgesät, und nun hole ich die Ernte ein. Was meint sie mit ihrem Gerede über Gudruda und die anderen?« Als er darüber nachdachte, sah er, wie Männer und Pferde sich näherten, und ein Mann, dessen Helm im Mondschein glänzte, trug etwas auf den Armen. »Wer da?« rief er. »Erik Hellauge, Skallagrim Lammschweif und Gudruda, Asmunds Tochter«, gab eine Stimme zurück. »Wer bist du?« Da sprang Asmund der Priester vor, zutiefst froh im Herzen, denn er hätte nie geglaubt, Erik noch einmal zu sehen. »Willkommen und dreimal willkommen seist du, Erik«, rief er, »denn wisse, wir haben dich tot gewähnt.« »Ich bin dem Tod erst kürzlich nahe gekommen, Herr«, sagte Erik, denn er hatte die Stimme erkannt, »aber ich bin gesund und heil, wenn auch ein wenig müde.« »Was ist dir geschehen?« fragte Asmund, »und warum hältst du Gudruda in den Armen? Ist die Maid tot?« »Nein, sie ist nur ohnmächtig. Siehe, gerade eben rührt sie sich.« Und während er dies sagte, erwachte Gudruda erschaudernd, und mit einem leisen Schrei warf sie die Arme um Eriks Hals. Er setzte sie ab und tröstete sie, dann wandte er sich wieder Asmund zu: »Drei Dinge haben sich zugetragen«, sagte er. »Zum ersten habe ich einen Berserker getötet und einen anderen als meinen Leibeigenen gewonnen, und für ihn erbitte ich
deinen Frieden, denn er hat mir gut gedient. Zum nächsten sind wir beide Ospakar Schwarzzahn und seiner Gefolgschaft begegnet. Wir haben ihn im Kampf um unser Leben verletzt - und seinen Sohn Mord und sechs andere seiner Männer getötet.« »Das sind gute Nachrichten und schlechte«, sagte Asmund, »da Ospakar ein hohes Wergeid für diese Männer fordern und dich zum Gesetzlosen erklären lassen wird, Erik.« »Dies mag schon sein, Herr. Doch es bleibt noch genug Zeit, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Nun heißt es, andere Botschaften zu überbringen. Als ich ans Ufer des Goldfuchs' kam, fand ich Gudruda, meine Verlobte, wie sie meinen Tod betrauerte, und sprach mit ihr. Danach verließ ich sie und kehrte bald wieder zu ihr zurück, da ich sah, daß sie an einem Abgrund hing und Swanhild Steine auf sie warf, um sie zu zerschmettern.« »Dies sind in der Tat Neuigkeiten«, sagte Asmund, »die mein Herz gefürchtet hat! Ist dies wahr, Gudruda?« »Es ist wahr, mein Vater«, gab Gudruda zitternd zurück. »Als ich am Rand des Goldfuchs' saß, schlich sich Swanhild von hinten an und stieß mich in den Abgrund. Dort hing ich über dem Wasser, und sie holte einen Stein, den sie auf mich werfen wollte. Dann sah ich plötzlich Eriks Gesicht, und danach hat mich das Bewußtsein verlassen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.« Nun wurde Asmund wie toll. Er raufte sich den Bart und stampfte mit dem Fuß auf. »Auch wenn sie eine Jungfrau ist«, rief er, »wegen Hexerei und Mord soll Swanhilds Rücken auf dem Stein des Verderbens gebrochen werden! Ihr Leichnam soll im See der treulosen Frauen enden - dann ist sie vom Antlitz der Erde verschwunden!« Nun sah Gudruda auf und lächelte. »Es wäre schlecht, eine solche Rache über sie zu bringen, Vater«, sagte sie, »und es würde die größte Schande über dich und unser gesamtes Haus bringen. Ich bin gerettet durch die Gnade der Götter und die
Kraft von Eriks Arm, und dies ist mein Rat: Wir wollen kein Wort von dieser Geschichte verlauten lassen, doch Swanhild soll dorthin geschickt werden, wo sie uns keinen Schaden mehr bringen kann.« »Dann müssen wir sie ins Grab schicken«, sagte Asmund und fiel in düstere Gedanken. Schließlich sprach er: »Dein Gefolgsmann soll zurücktreten, ich möchte mit euch allein sprechen.« Skallagrim ging grollend davon. »So hört nun, Erik und Gudruda: Erst vor einer Stunde hat Atli der Gute mich gebeten, ihm Swanhild zur Frau zu geben. Aber nun traf ich Swanhild hier, und ihr Antlitz war zornig. Dennoch sprach ich mit ihr, doch sie wollte nichts davon hören. Nun ist dies mein Rat: daß wir Swanhild vor die Wahl stellen, entweder als Atlis Frau von dannen zu gehen, oder ihr Urteil im Ring des Verderbens zu erwarten.« »Das wird schlimm für den Grafen sein«, sagte Erik. »Mich deucht, er ist ein zu guter Mann, als daß wir ihn so übel mitspielen sollten.« »Zuerst das Kind, dann der Freund«, gab Asmund zurück. »Nun werde ich euch etwas sagen, das ich bis zu dieser Stunde vor allen verborgen habe, denn es gerät zu meiner Schande. Diese Swanhild ist meine Tochter, und daher habe ich sie geliebt und über ihre bösen Taten hinweggesehen, und sie ist deine Halbschwester, Gudruda. Ihr seht also, in welch mißlicher Lage ich mich befinde, denn ich muß die eine Tochter gegen die andere aufwiegen.« »Weiß dein Sohn Björn davon?« fragte Eric. »Bis zu dieser Stunde weiß es niemand, abgesehen von Groa und mir.« »Und doch habe ich es schon lange befürchtet, Vater«, sagte Gudruda, »und daher habe ich auch mit Swanhild gehalten, obwohl sie mich sehr haßt und versucht hat, mir den Verlobten zu nehmen. Doch kannst du nur einen Rat annehmen, und der ist: Swanhild soll zwischen diesen beiden Dingen wählen,
obwohl es unwürdig ist, Atli zu täuschen. Und im besten Fall kann nur wenig Gutes daraus entstehen.« »Und doch muß es geschehen, denn die Ehre wird oft von schwerer Not besiegt«, sagte Asmund. »Aber zuerst müssen wir deinen Gefolgsmann schwören lassen, obwohl nur wenig Treue in der Brust eines Berserkers ist.« Nun rief Erik Skallagrim herbei und trug ihm schärfstens auf, nichts über Swanhild zu sagen, und über den Wolf, den er bei ihr gesehen hatte, und wie er Gudruda über dem Abgrund schwebend gefunden hatte. »Seid unbesorgt«, grollte der Berserker, »meine Zunge ist nun die meines Herrn. Was interessiert es mich, wenn Frauen miteinander ihre bösen Spiele treiben? Sollen sie doch ihre Hexerei betreiben, sich einander hassen und hinterrücks töten, damit das Böse in der Welt geringer wird.« »Friede!« sagte Erik. »Wenn irgend etwas davon über deine Lippen kommt, bist du nicht länger mein Knecht, und ich liefere dich den Männern deines Landes aus.« »Und ich zerspalte deinen Wolfsschädel bis zu deinen Falkenaugen«, sagte Asmund. »Aber im anderen Falle gebe ich dir Frieden und halte Schaden von dir fern, Waldbewohner, der du bist.« »Meine Hände werden meinen Kopf gegen zehn Knirpse wie dich, Priester, zu schützen wissen«, lachte der Berserker. »Es gab nur einen Mann, der mich in offenem Kampf besiegen konnte, und der steht dort. Sein Wunsch ist mir Befehl. So verschwende keine Worte und spreche keine lächerlichen Drohungen gegen größere Männer aus.« Mit diesen Worten ging er in nachlässiger Haltung zu seinem Pferd zurück. »Ein starker Mann und ein grober«, sagte Asmund und sah ihm nach. »Sein Gesichtsausdruck gefällt mir nicht.« »Dennoch ist er mächtig im Kampf«, sprach Erik. »Hätte er mir nicht vor sechs Stunden den Rücken freigehalten, hätten mir die Raben inzwischen schon die Augen ausgepickt. Daher
komme um meinetwegen mit ihm aus.« Asmund sagte, so solle es sein; dann gingen sie zum Haus. Hier legte Erik seinen Harnisch ab, wusch sich und verband seine Wunden. Dann betrat er, als sich die Männer gerade zum Nachtmahl niedersetzten, gefolgt von Skallagrim, die Axt in der Hand, die Halle. Nun hatte sich schon herumgesprochen, welch mächtige Taten er vollbracht hatte - abgesehen von der Rettung Gudrudas -, und als Hellauge kam, erhoben sich alle Männer und riefen wie mit einer Stimme, bis daß das Dach der großen Halle erzitterte: »Willkommen, Erik Hellauge, du Ruhm des Südens!« Nur Björn, Asmunds Sohn, ballte die Fäuste und schwieg, denn er haßte Erik wegen des Ruhms, den der errungen hatte. Hellauge rührte sich erst, als der Lärm erstarb. Dann sagte er: »Viel Lärm um kleine Taten, Brüder. Es ist wahr, daß ich die Moosberg-Berserker besiegte. Seht, hier ist einer.« Und er wandte sich zu Skallagrim um. »Ich würgte ihn mit meinen Armen auf der Klippe des Moosbergs, und das war schon eine Tat. Dann schwor er mir die Treue. Wir sind jetzt Blutsbrüder, und daher erbitte ich Frieden für ihn, Gefährten - selbst von jenen, denen er Übel getan oder deren Verwandte er getötet hat. Ich muß euch sagen, als wir danach Rücken an Rücken standen und die Männer Ospakar Schwarzzahns erwarteten, die uns töten wollten - ay, und auch Asmund und Gudruda verschleppen wollten, damit sie Schwarzzahns Weib würde -, da kämpfte er sehr tapfer, bis sieben von ihrer Schar steif auf den Pferdekopfhöhen lagen, von uns besiegt. Darunter auch Mord, Schwarzzahns Sohn. Und Ospakar selbst wurde von Skallagrim schwer verletzt. Daher laßt diesem Mann, der ein Berserker war, aber nun mein Leibeigener ist, um meinetwillen kein Übel geschehen; und überdies erbitte ich die Hilfe und Freundschaft aller Männer in diesem Raum bei der Anklage, die im Althing wegen dieser Toten gegen mich vorgebracht werden wird. Ich gebe hiermit zu, daß sie durch meine Hand gestorben sind und
durch die Hand Skallagrim Lammschweifs, des Berserkers.« Bei diesen Worten riefen die Männer erneut ihre Zustimmung; aber Atli der Graf sprang von dem Thron, den Asmund ihm überlassen hatte, trat zu Erik, küßte ihn, zog eine Goldkette von seinem Hals, legte sie ihm um und rief: »Du bist ein ruhmreicher Mann, Erik Hellauge! Ich dachte, die Welt hätte keinen mehr von deiner Sorte. Höre meinen Wunsch: Komm zu meiner Grafschaft auf die Orkney-Inseln und sei ein Sohn für mich, und ich werde dir alles geben, was ich habe, und wenn ich sterbe, sollst du mir in meinem Amt folgen.« Aber Erik dachte an Swanhild, die als Atlis Frau von Island ziehen mußte, und erwiderte: »Du erweist mir eine große Ehre, Graf, aber ich kann sie nicht annehmen. Die Tanne muß wachsen und fallen, wo sie gepflanzt wurde. Ich liebe Island, und ich werde hier bei meinem eigenen Volk bleiben, bis man mich vertreibt.« »Dies könnte sehr gut geschehen«, sagte Atli, »denn sei sicher, daß Ospakar und seine Verwandten die Sache mit diesen Toten nicht ruhen lassen werden. Es wird dir wohl nicht viel nützen, daß du um dein Leben gekämpft hast. Begleite mich also, und sei mein Mann.« »Ich muß dorthin folgen, wohin die Nornen mich führen«, sagte Erik und setzte sich zum Fleischmahl nieder. Skallagrim setzte sich ebenfalls auf die Querbank; aber die Männer schreckten vor ihm zurück, und er bedachte sie daraufhin mit düsteren Blicken. Schließlich trat Gudruda ein, und sie wirkte bleich und schwach. Als Erik gegessen hatte, zog er Gudruda auf seine Knie, und sie setzte sich und legte ihren blonden Kopf auf seine Brust. Aber Swanhild kam nicht in die Halle, obwohl Atli ständig ihr dunkles Gesicht und ihre schönen blauen Augen suchte, und er fragte sich besorgt, ob sein Werben vergeblich gewesen war.
Doch für den Augenblick erwähnte er Asmund gegenüber nichts davon. Nun trank Skallagrim viel Ale und warf mit wilden Blicken um sich; denn er hatte die Schwäche, sich mitunter zu betrinken. Vor ihm saßen zwei Knechte Asmunds; es waren Brüder, beide hochgewachsene Männer, die Asmunds Schafe auf den Winterweiden hüteten. Diese beiden waren auch betrunken, und sie verhöhnten Skallagrim, indem sie ihn fragten, welche Sühne er für die Mutterschafe tun wolle, die er beim letzten Julfest gestohlen habe, und wie es geschehen sei, daß er, ein Berserker, von einem Unbewaffneten besiegt worden sei. Skallagrim ertrug ihre Sticheleien für eine Weile, während er weitertrank, doch dann sprang er plötzlich auf und stürmte auf sie zu, und indem er beide mit je einer Hand an der Kehle faßte, stieß er sie zu Boden und hätte sie beinahe erwürgt. Da eilte Erik durch die Halle auf ihn zu und riß den Berserker mit aller Kraft von den beiden Männern zurück. »Das ist also deine Friedfertigkeit, du Wolf!« rief Erik. »Du bist betrunken!« »Ay«, grollte Skallagrim, »das Ale ist das Verderben vieler Männer.« »Dann achte darauf, daß es nicht zu dem deinen und meinen gerät!« sagte Erik. »Leg dich schlafen; und wisse, wenn ich dich noch einmal so sehe, sehe ich dich nie wieder an.« Aber danach verspotteten die Männer Skallagrim Lammschweif, Eriks Leibeigenen, nicht mehr.
XI WIE SWANHILD SICH VON ERIK VERABSCHIEDETE Nun geschah all dies, während Asmund tief in Gedanken versunken dasaß; aber als die Männer schließlich in den Schlaf fielen, nahm er sich eine Kerze aus Talg und ging zu dem einzelnen Bett, in dem Swanhild allein schlief. Sie lag auf dem Bett, und ihre Haarlocken fielen über ihren Körper. Sie war wach, denn das Licht leuchtete in ihren blauen Augen und auf einer bloßen Klinge, die daneben auf dem Bett lag, halb verborgen von ihrem Haar. »Was willst du, Stiefvater?« fragte sie und erhob sich auf der Liege. Asmund zog die Vorhänge zu, sah sie streng an und sagte leise: »Du bist schön für ein so verwerfliches Ding, Swanhild, denn wer hätte sich schon träumen lassen, daß dein Herz mit Kobolden und Werwölfen sprechen kann - daß deine Augen es ertragen können, einen Mord zu sehen und diese weißen Hände die Kraft haben, eine Sünde zu begehen?« Sie hob ihre wohlgeformten Arme, betrachtete sie und lachte. »Ich wünschte nur, sie wären stärker«, sagte sie. »Mögen sie verrotten in ihrer Frauenschwäche! Sonst wäre die Tat vollendet worden. So aber lastet mein Verbrechen schwer auf mir, und nichts wurde erreicht. Sag, welch Schicksal mich erwartet, Stiefvater. Der Stein des Verderbens und der See, in dem die treulosen Frauen liegen? - Ah, dann hat Gudruda wahrlich Grund zum Lachen, denn ich lebe nicht mehr, um ihr Gelächter zu hören. Siehst du« - und sie ergriff den Dolch, der an ihrer Seite lag - »an dieser scharfen Kante verläuft der Weg zu Frieden und Freiheit, und wenn es nötig ist, beschreite ich ihn auch.« »Schweig«, sagte Asmund. »Gudruda, meine Tochter, die du auf verderbte Weise zu Tode bringen wolltest, ist deine eigene
Schwester, und sie ist es auch, die Mitleid mit dir hat und um dein Leben bittet.« »Ich, die ich kein Mitleid habe, will nichts von ihrem Mitleid«, gab Swanhild zurück. »Und dies sage ich dir, der du mein Vater bist: Schande über dich, der du es nicht gewagt hast, dich zu deinem Kind zu bekennen.« »Wärst du nicht mein Kind gewesen, Swanhild, und hätte ich dich nicht insgeheim als mein Kind geliebt, dies sei dir gewiß: ich hätte dich schon längst fortgejagt, denn meine Augen haben vieles gesehen, wenn sie auch geschlossen wirkten. Aber nun hat deine Bösartigkeit meine Liebe besiegt, und ich will dein Gesicht nicht mehr sehen. Hör zu: Keiner außer denen, die sie gesehen haben, hat von deiner schändlichen Tat gehört - und deren Zungen sind versiegelt. Nun stelle ich dich vor die Wahl: Heirate Atli und geh, oder stehe im Ring des Verderbens und nimm dein Schicksal an.« »Habe ich dir nicht gesagt, Vater, daß ich das letztere niemals tun werde, wiewohl mich der Tod auf andere Art ereilen kann? Noch werde ich das erste tun. Ich bin nicht von der zahmen Art wie ihr Isländer - fremdes und wilderes Blut fließt in meinen Adern. Nie werde ich mich an einen kindischen Greis in die Ehe verkaufen lassen wie eine Schindmähre auf dem Markt. Das war meine Antwort.« »Närrin! Überlege noch einmal, denn ich nehme mein Wort nicht zurück. Heirate Atli oder stirb - durch eigene Hand, wenn du willst, das werde ich dir nicht verwehren. Doch wenn du dies fürchtest, hinein in den Ring des Verderbens.« Dann schlug Swanhild die Hände vor die Augen und schüttelte sich das lange Haar aus dem Gesicht, und Asmund dem Priester, der ihr zusah, kam sie dabei wunderschön vor. Und als sie so dasaß, kam ihr in den Sinn, daß die Ehe für ein junges Mädchen nicht das Ende des Lebens war - daß alte Ehemänner auch einmal sterben würden und daß sie Atli und seine Grafschaft beherrschen und eine reiche und angesehene Frau wer-
den konnte, wenn sie die Segel so setzte, daß der Wind sie füllte, wenn er aufkam. Oder aber, sie mußte sterben - ay, in Schande sterben. Und Gudruda mit ihrem Liebsten zurücklassen. Plötzlich schlüpfte sie vom Bett auf den Boden der Kammer, umfaßte Asmunds Knie und blickte durch das Gewirr ihres Haars auf, während die Tränen nur so aus ihren wunderschönen Augen strömten: »Ich habe gesündigt«, schluchzte sie, »ich habe schwer gegen dich und meine Schwester gesündigt. Höre: Ich war toll vor Liebe zu Erik, dem ich von Kind an zugeneigt war, und Gudruda ist schöner als ich, und sie hat ihn mir weggenommen. Am tollsten war ich in dieser Nacht, als ich die schändliche Tat beging, denn ich bekam einen bösen Rat - einen Rat, um den ich nicht gebeten hatte. Und ich danke den Göttern - falls es sie gibt -, daß Gudruda nicht durch meine Hand gestorben ist. Nun sieh, Vater, ich weise das Böse von mir und reiße Erik aus meinem Herzen.« Und sie machte eine Bewegung, als würde sie sich die Brust aufreißen. »Ich werde Atli heiraten und ihm eine gute Frau sein, und ich erbitte nur eins von Gudruda: daß sie mir vergibt, was ich ihr antun wollte, denn es geschah nicht aus freiem Willen, sondern im Wahn und auf Verlangen derer, die zu kennen meine Mutter mich gelehrt hat.« Asmund hörte ihr zu, und die Quelle seiner Liebe taute in ihm auf. »Nun hast du einen guten Rat angenommen«, sagte er, »und sei dir gewiß, solange du dich auf diese Weise verhältst, wird niemand dir ein Leid tun. Und was Gudruda betrifft, so ist sie die sanfteste aller Frauen, und es ist sehr gut möglich, daß sie dir deine Sünde vergibt. So weine nicht mehr, und gib dich nicht mehr mit der finnischen Hexerei ab. Schlaf ein, und morgen werde ich Atli dein Wort überbringen, denn sein Schiff ist zum Auslaufen bereit, und du mußt schnell unter die Haube.« Er ging hinaus und nahm die Kerze mit, doch Swanhild erhob
sich vom Boden und setzte sich auf die Bettkante. Sie starrte in die Dunkelheit und erschauerte von Zeit zu Zeit. »Ich, die ich nur eines Mannes Weib sein wollte, werde bald zu Atlis Weib gemacht«, murmelte sie, »und mich deucht, ich werde schon bald eine Witwe sein. Du wolltest mich haben, närrischer Greis - nun nimm mich und dein Schicksal! Gut, gut. Es ist besser, einen Grafen zu heiraten als in Schande verstoßen und über dem Stein des Verderbens gestreckt zu werden. Oh, ihr schwachen Arme, die ihr mich in meiner Not verlassen habt, nie mehr werde ich Vertrauen in euch setzen! Wenn ich das nächste Mal jemanden verletze, wird es mit der Zunge sein, und wenn ich beabsichtige, jemanden zu töten, wird es durch eine andere Hand geschehen. Sei verflucht, du schlechter Ratgeber der Dunkelheit, der du mich schlußendlich betrogen hast! Habe ich dich dafür angebetet und dir den Eid geschworen?« Der Morgen kam, und beim ersten Licht suchte Asmund den Grafen auf. Sein Herz war schwer wegen des Betrugs, den seine Zunge verüben mußte, und sein Gesicht war so düster wie die Winterdämmerung. »Welche Neuigkeiten bringst du, Asmund?« fragte Atli. »Frühe Neuigkeiten sind schlechte Neuigkeiten, so lautet das Sprichwort und dein Gesichtsausdruck verleiht ihm Gewicht.« »Nicht unbedingt schlechte, Graf. Swanhild wird dich zum Mann nehmen.« »Aus eigenem Willen, Asmund?« »Ay, aus freiem Willen. Doch ich habe dich vor ihrem Temperament gewarnt.« »Ihr Temperament! Wenig hängt am Temperament eines Mädchens. Einmal zur Frau gemacht, und sie wird so weich dahinschmelzen wie der Schnee, wenn der Sommer kommt. Dies sind gute Neuigkeiten, Gefährte, und mich deucht, ich werde unter ihrem Odem wieder jung. Warum bist du also so verdrossen?« »Da ist noch etwas, das ich dir über Swanhild sagen muß«,
sagte Asmund. »Man nennt sie die Vaterlose, aber wenn du die Wahrheit wissen willst - nun, hier ist sie: Sie ist meine Tochter, unehelich geboren, und ich weiß nicht, wie dir das gefallen wird.« Atli lachte laut, und die hellen Augen strahlten in seinem faltigen Gesicht. »Es gefällt mir gut, Asmund, denn dann entstammt das Mädchen einem gesunden Schlag. Der Name des Priesters vom Middalhof ist weit im Süden von Island berühmt; und nie wurde auf Island eine stattlichere Maid geboren. Ist das alles?« »Noch eins, Graf. Dies verlange ich von dir: Gib auf deine Frau acht, und halte sie zurück von der Hexerei und der Beschäftigung mit bösen Dingen und Trollen der Finsternis. Sie ist von finnischem Blut, und die Frauen der Finnen sind erfahren in derartig bösem Werk.« »Ich gebe nur wenig auf Hexenwerk, Zwerge und dergleichen«, sagte Atli. »Ich habe großen Zweifel an ihrer Macht und werde Swanhild schnell von solchen Dingen abbringen, wenn sie sie wirklich ausübt.« Dann handelten sie Swanhilds Mitgift aus, die nicht gering ausfiel. Danach suchte Asmund Erik und Gudruda und berichtete ihnen, was sich ereignet hatte. Die beiden freuten sich über die Neuigkeit, wenngleich sie auch Atli den Grafen bemitleideten. Und als Swanhild Gudruda begegnete, verhielt sie sich unterwürfig, küßte ihr die Hand und erflehte unter Tränen Vergebung für ihre böse Tat, wobei sie sagte, sie sei von Sinnen gewesen. Gudruda versagte sie ihr nicht, da sie von allen Frauen die sanfteste und vergebungsvollste war. Aber zu Erik sagte Swanhild nichts. Das Hochzeitsfest mußte am dritten Tag danach gehalten werden, da Atli an diesem Tag in See stechen würde, denn seine Leute waren des Wartens müde, und das Schiff konnte nicht mehr länger vor Anker liegen. Atli der Graf war bester Laune, und Swanhild wirkte völlig verändert, denn nun schien
sie das sanfteste aller Mädchen zu sein. Sie bewegte sich wie eine, die bald zur Frau gemacht werden würde, mit leisen Worten und niedergeschlagenem Blick durchs Haus. Doch als Skallagrim sie beobachtete, dachte er an den grauen Wolf, den er beim Goldfuchs gesehen hatte, und dies gefiel ihm gar nicht. »Ich möchte nicht in der Haut dieses alten Grafen stecken«, sagte er zu Erik, als sie zum Kaltrücken ritten. »Die Launen dieser Frau ändern sich zu schnell, und nach einer solchen Ruhe kommt gewiß ein Sturm. Sie erinnert mich jetzt an Thorunna, denn sie benahm sich ebenso, bevor sie sich Ospakar und mich der Schande und den Ketten auslieferte.« »Spreche nicht vom Raben, ehe du sein Krächzen hörst«, sagte Erik. »Er ist schon im Anflug, Herr«, gab Skallagrim zurück. Nun kam Erik zum Kaltrücken in den Marschen, und seine Mutter Saevuna und Unna, Thorods Tochter und Asmunds Verlobte, hießen ihn freudig willkommen; denn seine großen Taten, der Kampf mit Ospakar und Mords Tod hatten sich schon weit herumgesprochen. Aber Skallagrim Lammschweif sahen sie von der Seite an. Doch als sie von den Taten hörten, die er auf den Pferdekopfhöhen vollbracht hatte, hießen sie ihn deretwegen willkommen. Erik blieb zwei Nächte auf dem Kaltrücken, und am zweiten Tag ritten seine Mutter Saevuna und Unna mit ihren Dienern zum Hochzeitsfest von Swanhild der Vaterlosen. Aber Erik blieb in dieser Nacht auf dem Kaltrücken und sagte, er würde innerhalb von zwei Stunden nach Sonnenaufgang auf Middalhof sein, weil er noch mit einem Schafhirten sprechen müßte, der von den Wasserfällen käme. Saevuna und ihre Gesellschaft kamen auf dem Middalhof an und wurden zuerst von Gudruda, dann von Swanhild gefragt, warum Hellauges Ankunft sich verzögere. Sie erklärte, er würde am frühen Morgen dort sein. Am nächsten Morgen, bevor es hell wurde, schnallte Erik sich Weißfeuer um, bestieg
das Pferd und brach allein vom Kaltrücken auf, denn er wollte Skallagrim nicht mitnehmen, da er fürchtete, der Berserker könne sich auf dem Fest betrinken und Blut vergießen. Es war Swanhilds Hochzeitstag; aber sie hieß ihn ganz und gar nicht mit leichtem Herzen willkommen, denn ihre Augen hatten in dieser Nacht keinen Schlaf gefunden, obwohl sie schwer von Tränen waren. Beim ersten Licht erhob sie sich, und als sie aus dem Haus schlich, ging sie durch den schweren Tau über den Pfad, auf dem Erik kommen mußte, denn sie wollte mit ihm reden. Auch Gudruda erhob sich kurz darauf und benutzte, obwohl sie dies nicht wußte, den gleichen Pfad, denn sie wollte ihren Liebsten bei seiner Ankunft begrüßen. Nun stand etwa drei Achtelmeilen vom Haus entfernt ein Wickenschuppen, auf dessen anderer Seite Swanhild wartete. Schließlich hörte sie von der abgewandten Seite des Hanges ein Singen und das Schlagen von Pferdehufen. Dann sah sie die goldenen Schwingen von Eriks Helm im Sonnenschein aufblitzen, während er fröhlich dahinritt, und große Verbitterung erfaßte sie, daß Erik an dem Tag, da sie, die ihn doch liebte, die Frau eines anderen wurde, in solch fröhlicher Stimmung war. Schließlich stand er vor ihr. Swanhild trat aus dem Schatten des Schuppens und legte die Hand auf das Zaumzeug seines Pferdes. »Erik«, sagte sie bescheiden und gesenkten Hauptes, »Gudruda schläft noch. Kannst du also die Zeit finden, meinen Worten zu lauschen?« Er runzelte die Stirn. »Mich deucht, Swanhild«, sagte er, »es wäre besser, du würdest zu dem sprechen, der dein Herr ist.« Sie ließ das Zaumzeug aus ihren Fingern gleiten. »Ich habe meine Antwort«, sagte sie, »reite weiter.« Nun rührte sich das Mitleid in Eriks Herz, denn Swanhilds Antlitz war sehr betrübt, und er sprang vom Pferd. »Nein«, sagte er, »sprich, wenn du mir irgend etwas zu sagen hast.«
»Ich habe dir dies zu sagen, Erik: Bevor wir für immer getrennt werden, bin ich gekommen, dich um Verzeihung für meine bösen Taten zu bitten - ay, und um dir und deiner schönen Liebsten alle Freude zu wünschen.« Und sie schluchzte und weinte. »Sprich nicht mehr davon, Swanhild«, sagte er, »doch hülle mit guten Taten deine schlechten ein, die nicht gering sind; so wirst du glücklich werden.« Sie sah ihn eigentümlich an, und ihr Gesicht war blaß vor Schmerz. »Wie können wir so verschieden geschaffen sein, daß du, Erik, von Glück reden kannst, während mein Herz in Trauer erstickt? Oh, Erik, ich mache dir keine Vorwürfe, denn du hast das Böse nicht willentlich über mich gebracht; aber ich sage dir, mein Herz ist tot, so tot, wie ich gern sein würde. Sieh diese Blumen: sie riechen süß, doch für mich haben sie keinen Duft. Sieh das Licht, das vom Kaltrücken zum Meer springt, vom Meer zu den Westman-Inseln, und von den Inselfelskronen hoch in den weiten Himmel. Es ist wunderschön, nicht wahr? Und doch sage ich dir, Erik, daß in meinen Augen die heulende Winterfinsternis nun ebenso schön ist. Die Freude in mir ist tot; Musik ist nur mehr ein wirrer Klang in meinen Ohren; das Essen hat keinen Geschmack mehr auf meiner Zunge, und meine Jugend ist vergangen, ehe meine Morgendämmerung zum Tag geworden ist. Nichts bleibt mir übrig, Erik, bis auf diesen schönen Körper, den du verachtest, und die Träume, die ich aus meinen Stunden des spärlichen Schlafes bekomme, und die Schande, die eine Braut befällt, die keine Liebe kennt.« »Sag dies nicht, Swanhild«, sprach er und nahm sie bei der Hand, denn obwohl er ihre Verderbtheit verachtete, war er noch jung und hatte ein weiches Herz, und es betrübte ihn, ihre Worte zu hören und ihre Seelenpein zu sehen. Denn so ist es nun einmal mit Männern - sie lassen sich leicht vom Flehen
einer schönen Frau verleiten, die sie liebt, auch wenn sie selbst sie nicht lieben. »Ja, ich werde alles sagen, wonach der Sinn mir steht, ehe meine Lippen für immer versiegelt sind. Siehe, Erik, so fühle ich mich, und du hast mir diese Krone des Leids auf den Kopf gesetzt: Du kommst singend den Hügel herab, und ich fahre weinend übers Meer! Ich bin nicht ganz so schlecht im Herzen. Es war die Liebe zu dir, die mich in die Niederungen der Sünde führte, wie mich die Liebe zu dir auch zur Heiligkeit hätte erhöhen können. Aber wie du siehst, eheliche ich, die ich dich liebe, heute einen kindischen Greis. Ich fahre als sein Hab und Gut, als seine Braut, übers Meer, und lasse dich singend auf dem Hügel zurück, neben ihr, die meine Feindin ist. Du hast große Taten vollbracht, Erik, und noch größere wirst du vollbringen; doch nur als Echos werden sie an meine Ohren dringen. Du wirst für mich sein wie ein Toter, denn Gudruda wird dir den Harnisch binden, wenn du in den Krieg ziehst, und sie wird dir diesen Helm mit den Schwingen vom Kopfe nehmen, wenn du zurückkehrst, müde vom Kampf und siegreich.« Dann hielt Swanhild inne und rang vor Traurigkeit nach Luft. Und sie fuhr fort: »So lebe denn wohl; zweifellos ermüde ich dich, und Gudruda wartet. Nein, sieh nicht auf meine törichten Tränen; sie entstammen meinem Erbe als Frau, eine jede ist sich ihrer gewiß! Solange ich lebe, Erik, wird Morgen für Morgen der Gedanke an dich zu mir kommen, um mich zu wecken, wie die Sonne jenen schneebedeckten Gipfel weckt, und Nacht für Nacht wird die Erinnerung vergehen, wie sie am Abend aus den Tälern weicht, nur um in Träumen wieder zu dämmern. Denn dich, Erik, heirate ich heute - im Herzen bin ich deine Braut, deine und nur deine. Wann wirst du eine Frau finden, die dich so liebhat wie Swanhild, die du einst kanntest? So lebe denn wohl! Ja, diesmal sollst du meine Tränen fortküssen; danach sollen sie für immer fließen. So, Erik! Und so! Und so
nehme ich Abschied von dir.« Und dann warf sie sich an seinen Hals und sah ihn mit großen, feuchten Augen an, bis ihm sehr seltsam zumute wurde und er sie küssen mußte, wenn auch nur ihrer Liebe und zarten Schönheit willen. Und so küßte er sie, und der Zufall wollte es, daß Gudruda über den Pfad kam, um ihren Liebsten zu begrüßen, als sie sich so umarmten. Sie sah die beiden und blieb erstaunt stehen. Dann wandte sie sich ab und floh, indem sie die Hände an den Kopf preßte, schnell zu dem Schuppen zurück, wo sie wartete, wobei großer Zorn in ihrem Herzen brannte; denn es war Gudrudas Schwäche, sehr eifersüchtig zu sein. Doch Erik und Swanhild bemerkten sie nicht, schließlich trennten sie sich, und Swanhild wischte sich die Augen und huschte von dannen. Als sie an dem Schuppen vorbeikam, fand sie die wartende Gudruda. »Wo bist du gewesen, Swanhild?« fragte sie. »Mich von Hellauge verabschieden, Gudruda.« »Dann bist du töricht, denn zweifellos hat er dich abgewiesen.« »Nein, Gudruda, er hat mich angehört. Hör mir zu, Schwester. Belästige mich nicht, sage ich, denn ich gehe meine Wege und du die deinen. Du bist stark und schön, und bislang hast du mich besiegt. Aber auch ich bin schön, und wenn ich weiß, wo ich zuschlagen muß, kann auch ich eine gewisse Stärke zeigen. Bete du, daß es dazu nicht kommt, Gudruda. Nun ist Erik dein. Vielleicht ist er eines Tages mein. Dies liegt im Schoß der Nornen.« »Schöne Worte von Atlis Braut«, spottete Gudruda. »Ay, Atlis Braut, aber niemals Atlis Liebe«, sagte Swanhild und ging weiter. Nach einer Weile ritt Erik heran. Er war schamesrot und betroffen im Herzen, da er Swanhilds Schönheit anheimgefallen
war und ihre zärtlichen Worte ihn aufgetaut und verführt hatten, sie zu küssen. Dann sah er Gudruda, und bei ihrem Anblick wichen alle Gedanken an Swanhild von ihm, denn er liebte Gudruda, und nur sie allein. Er saß ab und lief zu ihr. Aber sie stand stocksteif da, die dunklen Augen blitzend, den Zorn noch im Gesicht. Dennoch hätte er sie begrüßt, wie Liebende es tun; doch sie hob die Hand und winkte ihn zurück. Furcht ergriff ihn. »Was ist, Gudruda?« fragte er zögernd. »Was ist, Erik?« gab sie ohne Zögern zurück. »Hast du Swanhild gesehen?« »Ja, ich habe Swanhild gesehen. Sie kam, um mir Lebwohl zu wünschen. Was ist dabei?« »Was dabei ist? Warum hast du dich >so! und so! und so!< von Atlis Braut verabschiedet? Ay, >so und soGeh von dannen und triff mich nie mehrGudruda< nenne ich es; denn wie Gudruda hier die schönste aller Frauen ist, ist dies der schönste aller Kriegsdrachen.« »So sei es«, sagte Asmund. Dann ritten sie zum Middalhof zurück, wo Erik Hellauge verkündete, er brauche Männer, die mit ihm die Meere befahren wollten. Er fragte nicht vergeblich, denn als sich herumsprach, daß Erik auf einen Wikingerzug ging, war sein Ruhm schon so
groß, daß so mancher kräftige Bauer und so mancher hochgewachsene Bursche nach Schwert und Schild griff und zum Middalhof kam, um seine Hände in die Eriks zu legen. Zu seinem Maat nahm er einen gewissen Hall von Lithtal, deswegen weil Björn ihn darum bat, denn Hall war ein Freund Björns und hatte überdies große Erfahrung in allen Belangen der Seefahrt; schon oft war er durch die Nordmeere gefahren - ay, und um England herum zur Küste Frankreichs. Aber als Gudruda diesen Mann sah, gefiel er ihr nicht, denn er hatte scharfe Züge, unheimliche Augen und eine flinke Zunge, und sie bat Erik, sich nicht mit ihm einzulassen. »Es ist zu spät, jetzt darüber zu reden«, sagte Erik. »Hall ist ein erfahrener Mann, und was das andere betrifft, so fürchte nichts: Ich werde ihn im Auge behalten.« »Dann wird es zu Bösem kommen«, sagte Gudruda. Skallagrim mochte Hall auch nicht, noch mochte Hall Skallagrim und dessen große Axt. Schließlich waren alle beisammen; sie waren fünfzig an der Zahl, und man sagt, daß nie zuvor und nie danach eine solche Schar je ein Schiff von Island genommen habe. Nun war der große Drache bereit zum Auslaufen, und alle Vorräte befanden sich an Bord, denn Erik mußte am Morgen segeln, wenn er die guten Winde nutzen wollte. Den ganzen Tag schritt er unter seinen Männern auf und ab; er wollte nichts den anderen überlassen, und es gab kein Schwert oder Schild, das er nicht persönlich begutachtet hatte. Den ganzen Tag ging er umher, und Skallagrim Lammschweif folgte ihm, die Axt auf der Schulter, denn er wollte Erik nicht aus den Augen lassen, wenn es nach seinem Willen ging. Und die beiden waren ein mächtiges Paar. Schließlich war alles fertig, und die Männer setzten sich in der Halle von Middalhof zum Schmausfest nieder, und dies war ein großes Fest. Eriks Männer drängten sich auf den Seitenbänken, und neben dem Thron zu Asmunds Seite saß Hell-
auge. Neben diesem saßen Björn, Asmunds Sohn, Gudruda, Unna, Asmunds Verlobte, und Saevuna, Eriks Mutter. Denn Asmund und Erik hatten ausgemacht, daß Saevuna, die nun allmählich ins Alter kam, den Kaltrücken verlassen und mit Unna zum Middalhof ziehen sollte. Aber Erik setzte einen vertrauenswürdigen Gutsverwalter ein, der den Hof auf dem Kaltrücken in Ordnung halten würde. Als man die Fahrtsprüche ausgebracht und dazu getrunken hatte, sprach Erik mit Asmund und sagte: »Ich fürchte nur eins, Herr - wenn ich fort bin, wird Ospakar dir Scherereien bereiten. Ich bitte euch alle, euch vor Schwarzzahn in acht zu nehmen, denn auch ein geprügelter Hund kann noch beißen, und es scheint, er hat Gudruda noch nicht aus seinen Gedanken gestrichen.« Nun hatte Björn bislang schweigend dagesessen; er hatte viel gegrübelt und noch mehr getrunken, denn als er an diesem Tag sah, daß alle Männer Erik ehrten und sein Fortgehen betrauerten, und sein Vater nicht am wenigsten, mochte er Hellauge weniger als je zuvor. »Mich deucht, du bist es, den Ospakar haßt, Erik«, sagte er, »und an dir will er auch Rache nehmen, und dies aus keinem leichten Grund.« »Wenn das Unglück im Haus deines Nachbarn sitzt, klopft es auch an deine Tür, Björn. Gudruda, deine Schwester, ist meine Verlobte, und du bist ein Teil dieser Fehde«, sagte Erik. »Daher stünde es dir besser, ihre und deine Ehre gegen diesen Nordländer zu verteidigen, als mich für etwas zu verhöhnen, an dem ich keine Schuld trage.« Björn wurde bei diesen Worten zornig. »Sprich nicht so mit mir«, sagte er. »Du bist ein Emporkömmling, der Höherstehende über ihre Pflichten belehren will - ay, von leicht gewonnenem Ruhm hinaufgeblasen wie eine Feder vom Wind. Aber ich sage dir, dieser Wind wird nachlassen, und du wirst wieder auf den Hintern fallen. Und ich sage dir auch, wenn es nach meinem Willen ginge, würde Gudruda Ospakar heiraten, denn
er ist ein mächtiger Häuptling und kein langbeiniger Bursche, der wegen Totschlags in die Verbannung muß.« Nun sprang Erik von seinem Sitz und legte die Hand auf Weißfeuers Griff, während die Männer in der Halle murrten, denn sie hielten diese Worte Björns für schlecht. »In dir, so scheint es, habe ich keinen Freund«, sagte Erik, »und wärst du nicht Gudrudas Bruder, würdest du die richtige Antwort auf deine spöttischen Worte bekommen. Aber ich sage dir, Björn, und da kannst du zweimal ihr Bruder sein: Solltest du mit Ospakar Pläne schmieden, während ich fort bin, so wirst du teuer dafür bezahlen, wenn ich zurückkomme. Ich weiß genau, was in deinem Herzen vor sich geht: Es ist listig und giert nach Gewinn, und es ist so voll von Neid wie ein Faß mit Ale; aber wenn du es auch weiterhin in deiner Brust schlagen hören möchtest, so versuche nicht, mir zu schaden und mir Gudruda zu nehmen.« Nun sprang auch Björn auf und zog sein Schwert, denn er war bleich vor Zorn. Doch sein Vater Asmund rief: »Friede!« »Friede!« sagte er. »Nimm Platz, Erik, und achte nicht auf dieses närrische Gerede. Und was dich betrifft, Björn, bist du der Priester von Middalhof und Gudrudas Vater, oder bin ich es? Es hat mir gefallen, Hellauge mit Gudruda zu verloben, und es hat mir nicht gefallen, sie mit Ospakar zu verloben, und das reicht für dich. Und was die andere Sache betrifft, so hätte Ospakar Erik erschlagen, er aber nicht Ospakar, und so sind Eriks Hände sauber. Obwohl du mein Sohn bist, sage ich dir: Fügst du Erik Schaden zu, während er auf See ist, wirst du mit Recht die Schärfe Weißfeuers kennenlernen. Es ist eine feige Tat, Pläne gegen einen Mann zu schmieden, der in der Ferne ist.« Erik setzte sich, aber Björn verließ zornig die Halle, bestieg sein Pferd und ritt gen Süden; er und Erik begegneten sich erst wieder, als drei Jahre ins Land gezogen waren, und auch da begegneten sie sich nur noch einmal.
»Maden werden dieser Fliege entspringen, und es wird ihnen auch nicht an Fleisch mangeln, das sie nährt«, flüsterte Skallagrim in Eriks Ohr, als er Björn hinausstürmen sah. Aber Erik bat ihn zu schweigen und wandte sich Gudruda zu. »Schau nicht so traurig, Schatz«, sagte er, »denn übereilte Worte steigen hoch wie der Schaum auf dem Met und verfliegen schnell. Es erzürnt Björn, daß dein Vater mir das gute Schiff gegeben hat, aber sein Zorn wird bald vergehen. Wenn nicht, hab keine Angst vor ihm, wenn du mir treu bleibst.« »Dann hast du wenig zu fürchten, Erik«, gab sie zurück. »Doch siehe dir dein Haar an. Es wächst so lang wie das einer Frau, und das ist schlecht, denn auf See wird sich das Salz darin fangen. Sag, soll ich es dir schneiden?« r »Ja, Gudruda.« So schnitt sie ihm die blonden Locken ab, und eine davon bewahrte sie viele Tage lang über ihrem Herzen auf. »Nun sollst du schwören«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »daß kein anderer Mann und keine andere Frau dein Haar schneidet, bis du zurückkommst und ich es dir stutze.« »Das schwöre ich, und zwar bereitwillig«, gab er zurück. »Deinetwegen werde ich die Haare lang wie ein Mädchen tragen, Gudruda.« Er sprach leise, aber Koll der Halbgescheite, Groas Leibeigener, hörte diesen Eid und behielt ihn im Gedächtnis. Sehr früh am Morgen erhoben sich die Männer, bestiegen die Pferde und ritten zum Meer zurück, bis sie an den Schuppen kamen, in dem die Gudruda lag. Als dann die Flut kam, besetzten Eriks Gefolgsleute die Ruderbänke des schwarzen Schiffes und ließen es auf sein Wort mit voller Kraft auslaufen, und mit einem Aufbäumen schoß er aufs Meer hinaus. Nun mußte sich Erik von allen verabschieden, und dies tat er mit tapferem Herzen, bis er schließlich zu Saevuna, seiner Mutter, und Gudruda, seinem lieben Schatz, kam.
»Leb wohl, mein Sohn«, sagte die alte Dame. »Ich habe wenig Hoffnung, daß diese Augen noch einmal dein fröhliches Gesicht sehen, doch wurde ich für die Schmerzen deiner Geburt reich belohnt, denn nur wenige haben einem solchen Mann wie dir das Leben geschenkt. Denk hin und wieder an mich, denn ohne mich hätte es dich nie gegeben. Laß dich nicht von Frauen vom rechten Weg abbringen, noch bringe du sie vom rechten Wege ab, sonst wird dir Böses widerfahren. Sei wegen deiner großen Kraft nicht streitsüchtig, denn es gibt immer einen, der stärker als der Stärkste ist. Verschone einen geschlagenen Feind, und nimm einem Armen nicht sein Hab und Gut und einem Tapferen nicht das Schwert ab; wenn du jedoch jemanden niederstreckst, dann strecke ihn richtig nieder. So wirst du Ehre erringen, und schließlich auch Frieden, und der zählt mehr als Ehre.« Erik dankte ihr für ihren Rat und küßte sie, dann wandte er sich Gudruda zu, die ganz bleich und still dastand und an ihrem goldenen Gürtel zerrte. »Was kann ich dir sagen?« fragte er. »Sag nichts, sondern geh«, gab sie zurück. »Geh, bevor ich weine.« »Weine nicht, Gudruda, oder du entmutigst mich. Sag, wirst du an mich denken?« »Ay, Erik, bei Tag und bei Nacht.« »Und wirst du mir treu sein?« »Ay, bis zum Tod und darüber hinaus, denn solange du mir treu bleibst, werde auch ich dir treu bleiben. Ich werde eher sterben als dich betrügen. Aber bei dir bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht findest du Swanhild auf deinen Reisen und erbittest mehr Küsse von ihr?« »Erzürne mich nicht, Gudruda! Du weißt genau, daß ich Swanhild mehr als jede andere Frau hasse. Wenn ich sie noch einmal küsse, dann magst du bedenkenlos Ospakar heiraten.« »Sprich nicht so voreilig, Erik«, sagte sie, und als sie sprach,
trat Skallagrim hinzu. »Wenn du noch lange hier verweilst, Herr, wird die Flut uns kaum um die Westman-Inseln tragen«, sagte er und bedachte Gudruda mit einem Blick, als sei er eifersüchtig. »Ich komme«, sagte Erik. »Gudruda, leb wohl!« Sie küßte und umarmte ihn, erwiderte aber nichts darauf, denn sie konnte nicht sprechen.
XIII WIE HALL DER MAAT DAS ENTERTAU DURCHTRENNTE Gudruda ließ den Kopf hängen wie eine verdurstende Blume und sank schließlich zu Boden, da ihre Beine ihr Gewicht nicht mehr tragen wollten; aber Erik schritt zum Meeresufer, den Kopf stolz gehoben und mit einem fröhlichen Lachen, um den Schmerz in seinem Herzen zu verbergen. Hier stand Asmund, der ihn mit beiden Händen umarmte, ihn auf die Stirn küßte und allen Glück wünschte. »Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen werden«, sagte er, »aber wenn meine Tage gezählt sind, bevor du zurückkehrst, trage ich dir auf, dich um Gudruda zu kümmern, denn sie ist die süßeste aller Frauen, die ich je gekannt habe, und sie ist mir die teuerste.« »Da hast du nichts zu fürchten, Herr«, sagte Erik, »und ich erbitte mir von dir: Sollte ich nicht zurückkehren, was durchaus geschehen kann, so zwinge Gudruda nicht in eine Ehe, wenn sie nicht will. Und ich glaube, sie wird kaum nach einer solchen verlangen. Und ich sage auch dies: Zähle nicht zu sehr auf deinen Sohn Björn, denn sein Herz ist nicht treu; und hüte dich vor Groa, die deinen Haushalt geführt hat, denn sie mag es nicht, daß Unna mehr als ihren Platz einnimmt. Und nun danke ich dir für viele gute Dinge und sage dir Lebwohl.« »Lebewohl, mein Sohn«, sagte Asmund, »denn in dieser Stunde bist du wie ein Sohn für mich.« Erik wandte sich um, um ans Meer zu gehen und das Schiff zu besteigen, doch Skallagrim hob ihn hoch, als sei er nur ein Kind, watete ins Wasser, bis es ihm zum Gürtel stand, und hob ihn hoch, daß Erik mit den Händen die Schiffswand fassen konnte.
Dann holten sie das Ankertau ein, schoben die Riemen ins Wasser und tanzten bald über das Meer. Schließlich erfaßte sie der Wind, und sie setzten das Großsegel und jagten wie eine Möwe den Westman-Inseln entgegen. Aber Gudruda saß am Ufer und sah dem Schiff nach, bis das Licht von Eriks goldenem Helm verblich, und die Welt wurde dunkel um sie herum. Nun erfuhr Ospakar Schwarzzahn von dieser Reise und beriet sich mit seinem Sohn Gizur, und das Ergebnis war, daß sie zwei große Kriegsdrachen fertigmachten, jeden mit einer Besatzung von sechzig Mann versahen, Islands Küste zu den Westman-Inseln umsegelten und dort warteten, um Erik aufzulauern. Sie hatten Spione auf dem Festland, und von denen erfuhren sie von Hellauges Ankunft. Und so segelten sie hinaus, um ihn in dem Kanal zwischen der größeren und den kleineren Inseln zu stellen, denn sie wußten, daß er dort vorbeikommen mußte. Es wurde schon Abend, als Erik in diesen Kanal ruderte, denn der Wind hatte nachgelassen, und er wollte das offene Meer erreichen. Als sich die Gudruda schließlich der Öffnung des Kanals näherte, die zu beiden Seiten von hohen Klippen begrenzt wurde, sah Erik zwei große Kriegsdrachen - denn ihre Schiffswände waren mit Schilden geschützt - aus dem Schutz der Inseln gleiten und ihren Platz Seite an Seite zwischen ihm und dem offenen Meer einnehmen. »Dort sind schon Wikinger«, sagte Erik zu Skallagrim. »Dort ist Ospakar Schwarzzahn«, gab Skallagrim zurück, »denn ich erkenne sein Rabenbanner genau. Dies ist eine gute Reise, denn wir brauchen nicht lange zu warten, bevor es zum ersten Kampf kommt.« Erik bat die Männer, von den Riemen abzulassen. Dann sprach er: »Vor uns ist Ospakar Schwarzzahn mit zwei großen Drachen, und er ist hier, um uns zu töten. Nun bleiben uns zwei Möglichkeiten: die eine ist, das Schiff zu wenden und vor ihm zu fliehen, und die andere, weiterzusegeln und sich dem Kampf
zu stellen. Was sagt ihr, Gefährten?« Hall von Litjital, der Maat, antwortete: »Kehren wir um, sonst sterben wir. Die Übermacht ist zu groß, Erik.« Aber ein anderer Mann rief: »Als du bei Thingvalla zum Holmgang angetreten bist, Erik, standen die beiden Helden, die Ospakar ausgesucht hatte, vor dir, und doch stürzten sie sich wie aufgeschreckte Enten ins Wasser, als Weißfeuer aufblitzte. Dies war ein Omen, denn so werden auch seine großen Schiffe fliegen, wenn wir uns auf sie stürzen.« Da riefen die anderen: »Ay, ay! Es soll keiner sagen, wir wären vor Ospakar geflohen! - Schande über dein Weibergeschwätz, Hall!« »Dann sind wir alle einer Meinung, außer Hall«, sagte Erik. »Wollen wir es Ospakar also zeigen.« Und während die Männer begeistert »Ja!« riefen, wandte er sich um, um mit Skallagrim zu sprechen. Der Berserker war jedoch schon fort, da er keine Zeit mit unnützen Reden vergeuden wollte. Er hatte schon damit begonnen, die Langschilde an den Schiffsseiten zu vertäuen. Die Männer legten ihre Harnische an und richteten sie für den Kampf ein, und als alles bereit war, bestiegen Erik und Skallagrim das Achterdeck und wiesen die Ruderer an, sich ins Zeug zu legen. Die Gudruda machte einen Satz vorwärts und eilte Ospakars Schiffen entgegen. Nun sahen sie, daß diese mit einem Tau zusammengebunden waren, und doch mußten sie zwischen ihnen hindurch. Erik eilte zum Bug, und mit ihm Skallagrim. Einem großen Mann, der auf der Steuerbordseite des Schiffes stand und einen schwarzen Helm mit Rabenflügeln trug, rief er zu: »Wer bist du, daß du mir das Meer versperrst?« »Ich werde Ospakar Schwarzzahn genannt«, gab der große Mann zurück. »Und was müssen wir dir geben, um passieren zu können,
Ospakar?« »Nur eins - euer Leben!« antwortete Schwarzzahn. »Dreimal standen wir uns gegenüber, Ospakar«, sagte Erik, »und bislang scheinst du keinen großen Ruhm errungen zu haben. Nun wird sich herausstellen, ob sich dein Glück gewendet hat.« »Ist die Schulterwunde schon geheilt, Herr, die dir der Speer auf den Pferdekopfhöhen beigebracht hat?« rief Skallagrim. Als Antwort ergriff Ospakar einen Speer und schleuderte ihn direkt auf Erik, und es wäre sein Tod gewesen, hätte er ihn nicht mitten im Flug mit der Hand gepackt. Dann warf er ihn zurück, und dies mit solcher Kraft, daß er durch Ospakars Schild fuhr und das Schicksal eines Mannes besiegelte, der neben ihm stand. »Ein Geschenk für ein Geschenk!« lachte Erik. Die Gudruda eilte weiter, aber nun lag das Tau, das Ospakars Schiffe zusammenhielt, sechs Faden vor ihrem Bug, und es war zu stark, um einfach zerrissen zu werden. Erik sah sich um. Dann zog er Weißfeuer, und während sich alle Männer noch wunderten, sprang er zur Bugfigur hoch, umfaßte den goldenen Drachenkopf mit dem linken Arm, stützte die Füße auf dessen Klauen ab und wartete. Das Schiff jagte weiter, und Speere flogen nur so um ihn herum, aber Hellauge hielt sich fest. Nun erfaßte der Bug der Gudruda das dicke Tau und spannte es straff, und als es sich unter dem Gewicht des Schiffes hob, schlug Erik einmal und kräftig mit Weißfeuer zu und trennte das Tau in zwei Teile, so daß die beiden Enden mit einem lauten Klatschen ins ruhige Wasser fielen. Erik sprang aufs Deck zurück, während Steine und Speere ihn umzischten. »Das war gut gemacht, Herr«, sagte Skallagrim. »Nun haben wir reichlich Seeraum.« »Riemen einziehen, hinaus mit den Enterhaken«, rief Erik. Die Ruderer erhoben sich, und ihre Kriegsrüstungen rasselten.
Sie zogen die langen Riemen ein, und es war auch höchste Zeit, denn nun bahnte sich die Gudruda ihren Weg zwischen Ospakars Drachenschiffen hindurch und lag mit dem Bug an deren beiden Heckteilen. Auf Eriks Ruf warfen die Männer die Haken, und bald waren die Schiffe fest vertäut, und der Kampf begann. Die Speere flogen zu Häuf, und auf beiden Seiten erlagen ihnen einige Männer. Dann machten sich die Männer des Schiffes, das den Namen Rabe trug und auf der Backbordseite der Gudruda lag, zum Entern bereit. Sie kamen herangestürmt und wurden zurückgeworfen, wenn auch nur unter Mühen, denn sie waren viele, und nur wenige standen ihnen entgegen. Wieder kamen sie über die Schanzkleider geklettert, und diesmal sprangen über ein Dutzend von ihnen an Bord. Erik wandte sich vom Kampf gegen Ospakars Drachen ab und sah es. Mit Skallagrim stürmte er los, um die Entermannschaft zu stellen, die über den Schiffsraum ausschwärmte, und nichts und niemand konnte des einen Schwert und des anderen Axt widerstehen. Immer und immer wieder schlug das mächtige Paar zu; hier blitzte Weißfeuer auf, und dort senkte sich die große Axt, und bei jedem Schlag blieb ein Mann tot oder verwundet zurück. Sechs der Enterer wandten sich zur Flucht, aber gerade da brachen die Enterhaken und ihre Schiffe trieben mit der Flut aufs offene Meer hinaus, und bald schon lebte keiner der beinahe zwanzig Enterer mehr. Nun bedrängten sich die Männer von Ospakars Schiff und von der Gudruda hart. Dreimal versuchte Ospakar zu entern, und dreimal wurde er zurückgeworfen. Erik war überall, wo er am dringendsten gebraucht wurde, und bei ihm war Skallagrim, denn diese beiden eilten von Seite zu Seite und waren nun hier und nun dort, so daß der Eindruck entstand, als befände sich nicht nur ein goldener und ein schwarzer, sondern eher vier dieser Helme an Bord der Gudruda. Erik blickte sich um und sah, daß das andere Schiff aufholte,
wenn auch nur langsam, um wieder längsseits anzulegen. »Nun müssen wir Ospakar ein Ende machen, sonst haben wir mehr als nur alle Hände voll zu tun«, sagte er und sprang auf die Schanzkleider. Viele seiner Männer folgten ihm. Einmal wurden sie zurückgetrieben, aber sie griffen wieder an, und nun trieben sie alle Männer Ospakars vor sich her, bis auf die andere Seite des Decks. Am Mast standen Ospakar und sein Sohn Gizur, und Erik versuchte zu ihm zu kommen, doch zwischen ihnen standen viele Männer, und es gelang ihm nicht. Schließlich - der Kampf ging unvermindert weiter, und auf beiden Seiten fielen die Männer - spürte Hellauge, wie sich Ospakars Drache aufbäumte, und als er sich umsah, fiel ihm auf, daß sie mit den Strömungen und der Flut auf die Felsen der Inseln aufgelaufen waren. Mittschiffs klaffte ein großes Loch in den Planken, und das Wasser strömte schnell herein. »Zurück, Männer! Zurück!« rief er, und all seine Leute, die noch unverletzt waren, liefen und kletterten an Bord der Gudruda; doch Ospakar und seine Männer sprangen ins Meer und schwammen dem Ufer entgegen. Dann trennte Skallagrim die Enterhaken mit seiner Axt, und das nicht zu früh, denn kaum hatten sie sich von dem langen Kriegsschiff getrennt, als es vom Felsen glitt und sank und dabei viele Tote und Verletzte mit in die Tiefe zog. Nun standen Ospakar und einige seiner Gefolgsleute sicher auf den Felsen, und Erik verspottete sie und lud sie ein, an Bord der Gudruda zu kommen. Ospakar gab keine Antwort. Er stand nur da und biß sich auf die Hand, während das Wasser von ihm hinabrann. Nur sein Sohn Gizur verfluchte sie laut. Erik war schon entschlossen, sie zu verfolgen, und an Land zu gehen, um sie dort zu stellen; aber dies war ihm wegen der Felsen und wegen des anderen Kriegsdrachens unmöglich, der in einiger Entfernung wartete. Er kam zwar nicht näher heran, kehrte aber auch nicht um.
»Wenigstens das andere Schiff werden wir uns holen«, sagte Erik und wies die Ruderer an, die Riemen wieder auszufahren. Doch als die Männer an Bord des anderen Schiffes sahen, daß die Gudruda näher kam, legten sie sich sofort in die Riemen und ruderten schnell aufs Meer hinaus, woraufhin ein gewaltiges Gelächter über Eriks Schiff hallte. »Die werden uns nicht so leicht entwischen«, sagte Erik. »Strengt euch an, Gefährten; ihnen nach!« Doch die Männer waren so müde vom Kampf, und die Decks so mit Toten und Verwundeten bedeckt, daß Ospakars Schiff schon die Segel gesetzt hatte und im Wind lag, der nun kräftig von der Küste blies, als die Gudruda Fahrt aufgenommen und die Wasserstraße verlassen hatte. Fast eine Meile vor Eriks Bug lag das andere Schiff. »Nun werden wir sehen, wie gut die Gudruda segelt«, sagte Erik, und sie setzten ebenfalls Segel und machten sich an die Verfolgung. Dann trug Erik den Männern auf, die Decks von den Toten zu säubern und die Verletzten zu versorgen. Er hatte sieben Mann beim Kampf verloren, und drei waren verletzt worden, einer davon tödlich. Aber an Bord des Schiffes lagen dreiundzwanzig Tote von Ospakars Truppe. Als man alle ins Meer geworfen hatte, aßen und ruhten die Männer. »Wir haben uns nicht schlecht geschlagen«, sagte Erik zu Skallagrim. »Wir werden uns noch besser schlagen müssen«, sagte Skallagrim zu Erik. »Lieber hätte ich Ospakars Kopf auf dem Speigatt liegen sehen als jene seiner Männer; denn neue Krieger kann er sich besorgen, aber keinen neuen Kopf!« Nun frischte der Wind auf, bis er gegen Mitternacht kräftig blies. Der Maat Hall kam zu Erik und sagte: »Die Gudruda steckt die Nase tief in Rans Becher. Sag, Erik, sollen wir die Segel reffen?«
»Nein«, gab Erik zurück, »laß alle Segel stehen. Wohin dieser Rabe fliegt, muß mein See-Hirsch folgen.« Und er deutete auf das Kriegsschiff, das vor ihnen die Wellen zerteilte. Nach Mitternacht kamen Wolken auf, brachten Regen und verbargen das Antlitz der Nachtsonne und des Schiffes, das sie verfolgten. Der Wind wehte noch kräftiger, bis schließlich, als der Regen vorbeigezogen war und die Wolken sich gehoben hatten, das Wasser hoch im Schiff stand, und die Schöpfleute kaum mit ihrer Arbeit nachkamen. Die Männer murrten, und Hall der Maat murrte von allen am meisten; aber Erik ließ weiterhin Fahrt machen, denn keine zwei Achtelmeilen vor ihnen jagte Ospakars Drache dahin. Aber da die Besatzung nun Angst vor dem Wind und der hohen See bekommen hatte, hatte sie die Segel etwas gerefft und schien sich darauf vorzubereiten, eine Wendung zu vollführen, und nach Island zurückzukehren. »Das dürfen sie nicht«, rief Erik Skallagrim zu, »denn wenn das Schiff bei dieser schweren See einmal zur Seite rollt, hat Ran es sicher, denn es wird vollaufen und sinken.« »Das scheinen sie zu wissen, Herr«, gab Skallagrim zurück. »Sieh doch, es fährt weiter!« »Ay, aber wir sind schneller - wir haben es gleich eingeholt. Los, Männer, los, denn gleich fängt der Kampf an!« »Es ist schlecht, bei einem solchen Seegang Kampf zu suchen«, sprach Hall. »Gut oder schlecht«, grollte Skallagrim, »tu, was dein Herr dir aufträgt.« Und er hob die Axt bis zur Brust. Der Maat sagte nichts mehr, denn er mißtraute Skallagrim Lammschweif und dessen Axt. Dann bereiteten sich die Männer, so gut es ging, auf das Gefecht vor und klammerten sich, das Schwert in der Hand und mit Gischt überzogen, an der Schiffswand der Gudruda fest, die jetzt schwer schlingerte. Erik ging nach achtern zum Ruder und ergriff es. Nun quälte
sich Ospakars Schiff nur noch eine Länge voraus unter seinem kleinen Segel ab, doch die Gudruda stürmte unter vollem Segel auf sie zu. Bei jedem Satz tauchte der goldene Drache in die Brandung und schüttelte das Wasser vom Vorderdeck. »Bereitet die Enterhaken vor!« rief Erik durch den Sturm. Skallagrim ergriff ein Eisen und stellte sich neben ihn. Nun jagte die Gudruda neben der Rabe einher, und Erik steuerte so gekonnt, daß ein einziger Klafter zwischen den beiden Schiffen lag. Skallagrim warf das Eisen gut und geschickt, so daß es sich verkantete und hielt. Weiter raste die Gudruda, und das Tau straffte sich - nun küßte ihr Heck den Bug von Ospakars Schiff, als würde sie es schleppen, und für eine Weile jagten sie so durchs Wasser. Eriks Leute riefen laut und wollten Speere werfen; aber sie taten dies nur schlecht, denn das Schiff schlingerte zu sehr. Was Ospakars Männer betraf, so klammerten sie sich an die Schiffswände und taten nichts, denn all ihr Mut hatte sie verlassen, und sie wurden hin- und hergerissen zwischen der Furcht vor Erik und der entsetzlichen See. Erik rief, einer solle das Ruder halten, und Skallagrim kam zu ihm nach achtern. »Welchen Rat sollen wir nun annehmen?« sagte Erik, und als er sprach, schlug die See über ihnen zusammen - so stark war der Sturm. »Entern wir sie und machen ein Ende«, entgegnete Skallagrim. »Ein schwieriges Unterfangen; doch wir werden es versuchen«, sagte Erik, »denn wir können diese Fahrt nicht lange durchhalten, und ich bin nicht willens, sie entkommen zu lassen.« Dann rief Erik den Männern zu, ob sie ihm folgen wollten, und viele antworteten, wobei sie, so schnell sie konnten, gegen die Sturmgewalten zu ihm aufs Achterdeck kamen. »Du bist verrückt, Erik«, sagte Hall der Maat. »Durchtrenne
das Tau und ändere den Kurs, sonst werden beide Schiffe untergehen, und dann wird man später keine große Geschichte zu erzählen haben.« Erik achtete nicht darauf, sondern wartete auf seine Chance und sprang auf den Bug der Rabe, und ihm folgte Skallagrim. Noch bei seinem Sprung kam eine so mächtige Welle und wischte über ihn hinweg, so daß das halbe Schiff unter der Gischt verborgen war. Nun stand Hall der Maat neben dem Entertau, und weniger aus Furcht, sie könnten sinken, als aus Feigheit, ließ er seine Axt auf das Tau fallen und trennte es so schnell durch, daß niemand außer Skallagrim es sah. Von ihrer Last befreit, machte die Gudruda einen Satz vorwärts und jagte im Wind davon, während Erik und Skallagrim allein an Bord der Rabe zurückblieben. »Nun stecken wir in einer bösen Klemme«, sagte Erik, »das Tau ist durchtrennt.« »Ay«, gab Skallagrim zurück, »der Nichtsnutz Hall hat es getan! Ich sah, wie seine Axt fiel.«
XIV WIE ERIK EINEN TRAUM TRÄUMTE Als Ospakars Männer, die sich am Heck der Rabe versammelt hatten, nun sahen, was geschehen war, jubelten sie laut und wollten die beiden töten. Aber Erik und Skallagrim kletterten zum Mast, stellten sich rücklings dagegen und banden sich schnell mit einem Seil fest, so daß sie von den Schlingerbewegungen des Schiffes nicht über Bord gespült werden konnten. Dann kamen Ospakars Leute, um sie loszuschneiden. Aber dies war nicht einfach, denn sie konnten kaum stehen und auch nicht mit dem Bogen schießen. Überdies hatten Erik und Skallagrim, da sie sich am Mast festgezurrt hatten, beide Hände frei und nicht die Absicht, sich töten zu lassen. Daher holten sich Ospakars Leute bei ihrem Ansturm nur eins, und zwar den Tod, denn drei aus ihrer Zahl fielen unter den weit ausholenden Schlägen Weißfeuers und einer unter Skallagrims Axt. Dann zogen sie sich zurück, um Speere auf die beiden zu schleudern, aber sie verfehlten das Ziel weit, da das Schiff stark schlingerte. Ein Speer jedoch drang neben Skallagrims Kopf in den Mast. Er zog ihn heraus, wartete, bis das Schiff in einem Wellental ruhiger fuhr, und schleuderte ihn auf eine Gruppe von Ospakars Leibeigenen hinüber, und ein Mann fand dabei den Tod. Danach warfen sie keine Speere mehr. Dafür griff die Mannschaft erneut mit Schwertern und Äxten an, aber nur mit halbem Herzen, und am Ende hatten sie noch mehr Tote und Verwundete zu beklagen und zogen sich wieder zurück. Skallagrim verspottete sie mit bitteren Worten, und einer von ihnen, erzürnt von seinem Hohn, bewarf ihn mit einem schweren Ballaststein. Er traf Skallagrims Schulter und ließ sie gefühllos werden.
»Jetzt kann ich nicht mehr kämpfen, Herr«, sagte Skallagrim, »denn mein rechter Arm ist wie tot, und ich kann kaum noch die Axt halten.« »Das ist schlecht«, entgegnete Erik, »denn wir haben wenig Hilfe zu erwarten, abgesehen von der, die wir uns gegenseitig geben können, und auch ich bin recht erschöpft. Nun, wir haben eine große Tat vollbracht, und jetzt ist es an der Zeit, sich zur Ruhe zu begeben.« »Mein linker Arm ist jedoch noch heil, Herr, und ich kann die Axt eine Weile mit ihm führen. Durchtrenne das Tau, bevor sie uns zu Tode prügeln, und wir stürzen uns auf diese Wölfe und fallen im Kampf.« »Ein guter Rat«, sagte Erik, »und ein schnelles Ende; aber warte noch: Was haben sie jetzt vor?« Nun hatten Ospakars Männer, die nur noch wenig Kampfeslust im Herzen trugen, sich miteinander beraten. »Wir haben viele Wunden und wenig Ehre erhalten«, sagte der Maat. »Nur neunzehn von uns leben. Es reicht kaum, das Schiff zu führen, und es scheint, als würden wir noch weniger sein, bevor Erik Hellauge und Skallagrim Lammschweif leblos neben diesem Mast dort liegen. Sie sind in der Tat starke Männer, und mir scheint es besser, sie mit List statt mit Gewalt zu überwinden.« Die Seeleute pflichteten diesen Worten bei, denn sie waren des Anblicks der funkelnden Klinge und des Geräuschs von Skallagrims Axt, mit dem sie durch Helm und Harnisch fuhr, müde. Und als sich die Furcht in sie schlich, floh die Beherztheit aus ihnen. »Dann ist dies mein Plan«, sagte der Maat. »Gehen wir zu ihnen und bieten ihnen Frieden an. Schwören wir, daß wir sie an Land setzen werden, wenn wir nach Island zurückkommen, und legen wir sie in Ketten. Aber wenn sie gefesselt sind und schlafen, schleichen wir uns zu ihnen und werfen sie ins Meer, und hinterher sagen wir, wir hätten sie im Kampf getötet.«
»Eine schändliche Tat!« sagte ein Mann. »Dann tritt du gegen sie an«, gab der Maat zurück. »Wenn wir sie nicht töten, wird man auf ganz Island erzählen, daß die Besatzung eines Schiffes von zwei Männern bezwungen wurde, und mit dieser Schmach können wir nicht leben.« Der Mann gab Ruhe, und der Maat legte seine Waffen nieder und schlich sich allein zum Mast, gerade, als sich Erik und Skallagrim losschneiden und gegen Ospakars Leute anstürmen wollten. »Was willst du?« rief Erik. »Ist es euch bewaffnet so gut ergangen, daß ihr jetzt unbewaffnet gegen uns antreten wollt?« »Es ist uns schlecht ergangen, Erik«, sagte der Maat, »denn ihr beide seid zu stark für uns. Wir haben viele Männer verloren und werden noch mehr verlieren, bevor wie euch niedergestreckt haben. Daher machen wir euch dieses Angebot: Legt die Waffen nieder und laßt euch von uns fesseln, bis wir Island wieder anlaufen. Dort werden wir euch an Land setzen und euch die Waffen zurückgeben. Bis dahin werden wir euch freundlich behandeln und euch alles aus unseren Vorräten geben, was ihr begehrt; auch werden wir wegen denen, die ihr getötet habt, keine Klage einreichen.« »Warum sollen wir uns fesseln lassen?« fragte Erik. »Nur aus diesem Grund: Wir wagen es nicht, euch frei auf unserem Schiff herumlaufen zu lassen. Nun wählt, und wenn ihr wollt, entscheidet euch für den Frieden, den wir, und das schwören wir bei allen Gölten, nicht brechen werden. Wenn nicht, dann werden wir euch mit Planken, Riemen und Steinen angreifen und euch töten.« »Was denkst du, Skallagrim?« flüsterte Erik dem Berserker zu. »Ich denke, ich finde nur wenig Vertrauensvolles im Gesicht dieses Burschen«, gab Skallagrim zurück. »Doch ich kann nicht mehr kämpfen, und deine Stärke ist erschöpft. So scheint es mir, daß wir uns ergeben müssen, wenn wir weiterleben
wollen. Sie können kaum so niederträchtig sein, uns zu ermorden, nachdem sie uns Frieden geschworen haben.« »Dessen bin ich mir nicht so sicher«, sagte Erik. »Doch verhungernde Bettler müssen an Knochen nagen. So hört: Wir nehmen im Vertrauen auf eure Ehre die Bedingungen an. Aber ich sage euch, euch erwartet Schande und Tod, wenn ihr von ihnen ablaßt, um uns Schaden zuzufügen.« »Hab keine Angst, Herr«, sagte der Maat. »Wir sind ehrliche Männer.« »Das werden wir aus euren Taten erfahren«, sagte Erik und legte Schwert und Schild nieder. Skallagrim folgte seinem Beispiel, wenn auch mit keiner guten Miene. Dann kamen Männer mit starken Seilen und fesselten ihnen Hände und Füße, wobei sie sie so respektvoll behandelten wie Jäger einen lebendigen Bären in einem Netz. Dann führte man sie zum Bug. Dabei schaute Erik auf. Etwa zwanzig Achtelmeilen entfernt segelte die Gudruda neben ihnen. »Das nenne ich gute Kameradschaft«, sagte Skallagrim. »Uns hier in der Falle sitzen zu lassen!« »Nein«, gab Erik zurück. »Bei solch schwerem Seegang können sie nicht wenden, und zweifellos halten sie uns auch für tot. Dennoch - sollten Hall und ich uns einst wieder gegenüberstehen, werde ich Mühe haben, mich im Zaum zu halten.« »Ich werde dies gar nicht erst versuchen«, grollte Skallagrim. Nun hatten sie den Bug erreicht, und dort befand sich ein Unterdeck, das sie betreten mußten. Vor Wind und Wasser geschützt, befand sich dort ein starker Eisenring, an den die Männer sie mit Tauen fesselten, so daß sie sich kaum bewegen konnten. Man stellte ihre Helme und Waffen dahinter auf, so daß sie sie nicht erreichen konnten. Dann legte man ihnen Umhänge über die Schultern und brachte ihnen Essen und Trinken, was sie sehr nötig hatten, und behandelte sie auf jede erdenkliche Art zuvorkommend. Aber alldem vertraute Skal-
lagrim nicht ganz. »Wir hängen am Haken, Herr«, sagte er, »und sie lassen uns gewähren. Früher oder später werden sie die Angelschnur jedoch straff ziehen.« »Das Böse kommt von allein früh genug«, gab Erik zurück. »Wir brauchen ihm nicht entgegenzueilen, um es willkommen zu heißen.« Und er dachte an Gudruda und die Taten, die sie heute vollbracht hatten, bis er schließlich einschlief, denn er war sehr müde. Nun geschah es, daß Erik im Schlaf einen Traum hatte, der so eindringlich und seltsam war, daß er in ihm zu leben schien. Ihm träumte, er schliefe unter dem Deck der Rabe, und eine Ratte käme, um ihm Zaubersprüche ins Ohr zu flüstern. Dann träumte ihm, Swanhild schreite über das stürmische Meer auf ihn zu. Er sah sie in der Ferne, und sie kam schnell näher, und das Meer wurde vor ihren Füßen ruhig, und der Sturm brachte nicht einmal ihr Haar durcheinander. Schließlich stand sie neben ihm auf dem Schiff, beugte sich über ihn, berührte ihn an der Schulter und sagte: »Erwache, Erik Hellauge! Erwache! Erwache!« Es kam ihm vor, als würde er wirklich erwachen und sagen: »Was für Neuigkeiten, Swanhild?« Und sie antwortete: »Schlechte Neuigkeiten, Erik - so schlechte, daß ich von Straumey komme, um sie dir zu überbringen - ay, über das Meer gewandelt komme. Glaubst du, daß Gudruda das auch getan hätte?« »Gudruda ist keine Hexe«, sagte er in seinem Traum. »Nein, aber ich bin eine Hexe, Erik, und dies kommt dir nur zugute. Ay, ich bin eine Hexe. Scheinbar schlafe ich an Atlis Seite, doch siehe, hier stehe ich neben dir, und ich muß viele Seemeilen zurücklaufen, bevor ein neuer Tag geboren wird ay, viele Seemeilen, und alles aus Liebe zu dir, Erik! Höre, denn lange kann ich den Bann nicht aufrechterhalten. Ich habe durch meine Zauberei gesehen, daß die Männer, die dich gefes-
selt haben, in diesem Augenblick zu dir hinabsteigen, um dich, der du schläfst, und deinen Leibeigenen in die Tiefe zu werfen, damit du dort ertrinkst.« »Wenn das Schicksal es will, wird es geschehen«, sagte er in seinem Traum. »Nein, es wird nicht geschehen. Nimm all deine Kraft zusammen und sprenge die Fesseln. Dann ergreife Weißfeuer; durchtrenne Skallagrims Fesseln, und gib ihm Axt und Schild. Danach bedeckt ihr euch mit euren Umhängen und wartet, bis ihr die Mörder kommen hört. Dann erhebt euch und fallt über sie her, und sie werden vor eurer Kraft zusammenbrechen. Ich bin über die großen Tiefen gereist, um dir dies zu sagen, Erik! Glaubst du, Gudruda hätte dies für dich getan?« Und es schien ihm, als würde Swanhilds Erscheinung ihn auf die Stirn küssen, seufzen und verschwinden, wobei sie die Ratte an die Brust gedrückt hielt. Erik erwachte ganz plötzlich, als hätte er gar nicht geschlafen, und blickte sich um. Da die Sonne sehr tief stand, wußte er, daß es spät in der Nacht war und er viele Stunden geschlafen hatte. Sie waren allein unter Deck, und weit achtern hob sich der Mast mit dem Schiff über die Wellen, denn die See war immer noch rauh, obwohl der Wind etwas nachgelassen hatte. Am Mast sah Erik den Maat der Rabe auf einige Männer seiner Mannschaft einreden. Skallagrim schnarchte neben ihm. »Wach auf!« flüsterte Erik ihm ins Ohr. »Wach auf und hör zu!« Der Berserker gähnte und erhob sich. »Was ist, Herr?« fragte er. »Dies«, sagte Erik und erzählte ihm von dem Traum, den er geträumt hatte. »Das war ein überweltlicher Traum«, sagte Skallagrim, »und nun müssen wir tun, was die Erscheinung dir aufgetragen hat.« »Leicht gesagt, aber schwer getan«, sprach Erik. »Das Tau,
das uns hält, ist dick und stark.« »Ja, es ist dick und stark; und doch müssen wir es sprengen.« Nun waren Erik und Skallagrim auf diese Art und Weise gefesselt: die Hände waren ihnen auf den Rücken gebunden, und die Beine waren über den Knöcheln und über den Knien zusammengebunden. Überdies hatte man jedem ein dickes Tau um die Taille geschlungen, und diese Taue hatte man durch den Eisenring gezogen und dort verknotet. Aber der Zufall wollte es, daß unter ihren Kniebeugen ein Balken aus Eichenholz verlief, der den vorderen Teil des Drachenschiffes zusammenhielt. »Wir könnten versuchen«, sagte Erik, »uns mit den Füßen am Balken abzustützen und mit all unserer Kraft am Seil zu ziehen; dennoch glaube ich nicht, daß zwei Männer es zerreißen können.« »Dies werden wir bald wissen«, sagte Skallagrim und erhob sich. Dann stützten sie sich mit den Füßen am Balken ab und zogen, bis es ächzte; aber obwohl das Seil etwas nachgab, wollte es nicht reißen. Sie ruhten sich eine Weile aus und zogen erneut, bis ihnen der Schweiß ausbrach und das Seil tief ins Fleisch schnitt, aber es wollte immer noch nicht reißen. »Nun haben wir unseren Bezwinger gefunden«, sagte Erik. »Das ist noch nicht bewiesen«, gab der Berserker zurück. »Viele Schilde bersten beim dritten Schlag.« So stützten sie sich noch einmal an dem Balken ab und setzten ihre ganze Kraft ein. »Der Ring gibt nach«, keuchte Erik. »Wenn das Schlingern des Schiffes unser Gewicht leewärts verlagert, dann zieh, im Namen Thors!« Sie warteten und gaben dann an Kraft, was sie hatten, und siehe da, obwohl das Seil nicht riß, brach der Eisenring auseinander, und sie stürzten aufs Deck. »Wahrlich gut gezogen«, sagte Skallagrim, als er sich auf die
Knie kämpfte. »Ich werde noch viele Tage die Abdrücke des Seils um die Hüfte tragen, dies ist gewiß. Und was jetzt, Herr?« »Weißfeuer«, gab Erik zurück. Nun lagen ihre Waffen einen Klafter oder mehr von der Stelle entfernt, an der sie saßen, und direkt im Bug des Schiffes. Dorthin mußten sie also auf Knien kriechen, und dies war sehr mühselig, denn jedesmal, wenn das Schiff schlingerte, stürzten sie und konnten sich dabei nicht vor Verletzungen bewahren. Erik blutete an der Stirn, und blutig war auch Skallagrims gebogene Nase, bevor sie an die Stelle kamen, wo Weißfeuer lag. Schließlich erreichten sie das Schwert und schoben die darüberliegenden Schilde beiseite. Die mächtige Kriegsklinge steckte in der Scheide, und Erik mußte sie sich auf die Brust legen und die Waffe mit den Zähnen herausziehen. »Mit dieser Klinge sollte man sich besser nicht rasieren«, sagte er, als er sich erhob, denn die scharfe Schneide hatte ihm die Brusthaut aufgeritzt. »Dies haben schon einige gedacht, und es werden vielleicht noch mehr denken«, gab Skallagrim zurück. »Nun leg das Seil auf die Kante und schneide.« Erik tat wie geheißen, und schon bald war das dicke Tau, das sie fesselte, durchtrennt. Danach kniete sich Erik aufs Deck und drückte die Fesseln, die ihm die Beine banden, auf die Klinge, und nach ihm Skallagrim. Bis auf die Hände waren sie jetzt frei, und es war nicht leicht, die Fesseln an ihren Handgelenken zu durchtrennen. Es gelang ihnen so: Skallagrim setzte sich hin, und Erik stieß das Schwert mit den Füßen zwischen Fingern hoch. Dann erhob sich der Berserker, das Schwert haltend, und Erik wandte seinen Rücken dem Skallagrims zu und rieb mit den Fesseln seiner Handgelenke an der Klinge. Zweimal schnitt er sich, aber dann riß das Seil, und er war frei. Er streckte die Arme, denn sie waren steif; danach nahm er Weißfeuer und durchtrennte Skallagrims Fesseln. »Wie steht es mit deiner Verletzung?« fragte er.
»Besser, als ich dachte«, gab Skallagrim zurück. »Die Taubheit ist aus der Prellung gewichen.« »Das sind gute Nachrichten«, sagte Erik, »denn mir scheint, wenn Swanhild nicht umsonst über das Wasser geschritten ist, wirst du bald deine Arme brauchen können.« »Sie haben mich noch nie im Stich gelassen«, sagte Skallagrim und nahm Axt und Schild. »Was rätst du nun?« »Dies, Skallagrim: Wir legen uns nieder, wie wir lagen, und werfen diese Mäntel über uns, als wären wir noch gefesselt. Und wenn die Burschen kommen, werden wir ihnen die Überraschung bereiten, die sie uns bereiten wollten.« So gingen sie wieder dorthin, wo man sie gefesselt niedergelegt hatte, legten sich auf ihre Schilde und Waffen und zogen die Mäntel über sich. Kaum hatten sie dies getan und einen Moment geruht, als sie sahen, daß der Maat und die gesamte Mannschaft auf beiden Schiffsseiten auf sie zugeschlichen kamen. Sie trugen keine Waffen in den Händen. »Swanhild ist gerade recht gekommen«, sagte Erik. »Nun werden wir erfahren, was sie im Sinn haben. Spring auf, sobald ich es sage.« »Ay, Herr«, gab Skallagrim zurück, während er seinen steifen Arm auf und ab bewegte. »Nur wenige haben mich je in einem Kampf zurückweichen sehen.« »Was gibt es für Nachrichten, Freunde?« rief Erik, als die Männer näher kamen. »Schlechte Nachrichten für dich, Hellauge«, gab der Maat zurück, »und für deinen Berserker-Leibeigenen, denn wir müssen eure Fesseln lösen.« »Das sind doch gute Nachrichten«, sagte Erik, »denn unsere Glieder sind taub und tot, weil die Fesseln so tief eingeschnitten haben. Ist Land in Sicht?« »Nein - noch wirst du je wieder Land sehen, Erik.« »Wieso nicht, Freund? Wieso nicht? Da du uns Frieden versprochen hast, wirst du zwei unbewaffneten Männern doch
gewiß kein Leid zufügen?« »Wir haben geschworen, dir kein Leid zuzufügen, und das werden wir auch nicht, Erik. Wir werden nur dieses tun: dich gefesselt Ran ausliefern und ihr überlassen, sich mit dir abzugeben, wie sie will.« »Bedenkt doch«, sagte Erik, »dies ist eine grausame und höchst feige Tat. Wir haben uns euch gutgläubig ausgeliefert wollt ihr euer Gelöbnis brechen?« »Der Krieg kennt kein Gelöbnis«, gab der Maat zurück, »und ihr seid zu stark, als daß wir euch durch die Finger schlüpfen lassen könnten. Soll man über uns sagen, zwei Männer hätten uns alle besiegt?« »Vielleicht«, flüsterte Skallagrim erstickt. »Oh, ihr Herren, ich bitte euch«, sagte Erik, »ich bin noch jung, und eine Maid wartet in Island auf mich, und das Sterben ist so furchtbar.« Und er tat so, als würde er weinen, während Skallagrim sich in den Ärmel lachte, denn es war zu komisch, Erik Furcht vortäuschen zu sehen. Aber die Männer verspotteten ihn laut. »Das ist der große Mann«, riefen sie, »das ist jener Erik, über dessen Taten die Leute singen! Seht! Er weint wie ein Kind, wenn er das Wasser sieht. Holt ihn her, und fort mit ihm ins Meer!« »Holen braucht ihr uns nicht!« rief Erik, und siehe da, es flogen die Mäntel, die über ihm und Skallagrim lagen, zur Seite. Mit lautem Gebrüll stürmten sie vor; sie stürmten vor wie eine Bärin aus ihrer Höhle, und hoch über Hellauges blonden Locken leuchtete Weißfeuer im bleichen Licht, und daneben leuchtete Skallagrims Axt. Weißfeuer flackerte über Eriks Kopf auf, senkte sich dann und suchte das falsche Herz des Maats. Skallagrims große Axt leuchtete auf und senkte sich in die Brust des Halsabschneiders, der vor ihm stand. »Trolle!« schrie einer, »es sind Trolle!« Und er wandte sich zur Flucht. Aber wieder hob sich Weißfeuer, und dieser Mann
kam nicht weit - einen Schritt, und keinen mehr. Dann flohen die anderen schreiend, und ihnen folgten Axt und Schwert. Sie flohen, sie fielen, sie sprangen ins Meer, bis keiner von ihnen mehr fallen oder springen konnte, denn sie hatten nicht die Zeit oder den Mut, ihre Waffen zu suchen oder zu ziehen, und schließlich standen Erik Hellauge und Skallagrim Lammschweif allein an Deck - allein mit den Toten. »Swanhild ist eine kluge Hexe«, keuchte Erik, »und was sie auch Böses getan haben mag, dies werde ich ihr zu Ehren halten.« »Nur wenig Gutes entspringt der Hexerei«, gab Skallagrim zurück und wischte sich über die Stirn. »Heute hat sie für uns gearbeitet, morgen wird sie gegen uns arbeiten.« »Zum Ruder«, sagte Erik. »Das Schiff schwankt und kippt!« Skallagrim sprang zur Ruderpinne und legte all seine Kraft dahinter, und dies gerade noch rechtzeitig, denn eine große Welle schlug über Bord und ließ viel Wasser an Deck zurück. »Dies verdanken wir deinem Berserkertum«, sagte Erik. »Hättest du den Steuermann nicht erschlagen, hätten wir kein Wasser aufgenommen.« »Wahr, Herr«, gab Skallagrim zurück, »aber wenn ich die Axt erst einmal gehoben habe, scheint sie von allein zu fliegen, bis kein Feind mehr übrig ist. Welchen Kurs?« »Den gleichen, den die Gudruda hatte. Wenn wir bis zu den Farey-Inseln durchhalten, finden wir sie dort vielleicht vor Anker liegend.« »Das wäre sehr unwahrscheinlich«, sagte Skallagrim, »doch der Wind steht günstig, und wir fliegen schnell mit ihm dahin.« Dann banden sie das Ruder fest und machten sich daran, das Wasser auszuschöpfen. Sie schöpften lange, und es war ein schweres Werk, aber sie befreiten das Schiff von vielem Wasser. Danach aßen sie, denn es war schon Morgen, und mit dem Tagesanbruch frischte auch der Wind wieder auf. Drei Tage und drei Nächte blies er kräftig, und die Rabe flog
nur so im Sturmwind dahin. Die ganze Zeit über standen Erik und Skallagrim abwechselnd am Ruder oder kümmerten sich um die Segel. Zum Essen blieb nur wenig Zeit, und zum Schlafen gar keine. Sie hatten soviel zu tun und mußten sich ihre Kräfte so genau einteilen, daß sie nicht einmal dazu kamen, die Leichen über Bord zu werfen. So wurden sie sehr müde und wären mehrere Male beinahe eingeschlafen, aber es gelang ihnen, die Rabe auf Kurs zu halten. Zu Anfang der vierten Nacht schlug eine mächtige Welle auf das Schiff ein, so daß es von vorn bis achtern erzitterte. »Mich deucht, ich höre Wasser gurgeln«, sagte Skallagrim mit heiserer Stimme. Erik kletterte ins Versaufloch und hob die Bodenplanken an, und unter ihnen war ein Leck, durch das Wasser in einer dünnen Fontäne ins Schiff sprudelte. Er verstopfte die Spalte mit den Kleidungsstücken der Toten, rollte Ballaststeine darauf und kletterte wieder an Deck zurück. »Wir haben nur noch wenig Zeit«, sagte er. »Das Wasser fließt schnell ein.« »Nun, es ist an der Zeit, sich zur Ruhe zu betten«, sagte Skallagrim. »Aber siehe, Herr« - und er deutete voraus -, »was ist das für ein Land?« »Es müssen die Farey-Inseln sein«, gab Erik zurück. »Wenn wir noch drei Stunden über Wasser bleiben, können wir vielleicht doch noch an Land sterben.« Danach ließ der Wind nach, blieb aber kräftig genug, um die Rabe schnell voranzutreiben. Und das Wasser stieg im Schiffsraum immer höher. Nun waren sie nicht mehr weit vom Land entfernt, denn vor ihnen türmten sich schwarze Hügel empor; sie leuchteten schwach in der Mitternachtssonne, und zwischen den Hügeln lag eine Spalte, die ein Fjord zu sein schien. Noch eine Stunde verstrich, und sie waren keine zehn Achtelmeilen mehr von der Fjordmündung entfernt, als der Wind plötzlich nachließ und sie
im Schutz der Insel plötzlich in ruhigem Wasser trieben. Sie gingen mittschiffs und schauten sich um. Der Schiffsraum war schon halb mit Wasser gefüllt, und die Leichen von Ospakars Männern trieben darin. »Die Rabe hat nicht mehr lange zu leben«, sagte Skallagrim, »aber wenn das Boot nicht beschädigt ist, können wir uns noch retten.« Nun war achtern, neben der Ruderpinne, ein kleines Boot auf dem Halbdeck der Rabe festgezurrt. Sie gingen zu ihm und betrachteten es; es war noch heil, die Ruder darin festgebunden, aber halb voll Wasser, das sie ausschöpfen mußten. Dies taten sie, so schnell sie konnten; dann schnitten sie das kleine Boot los, hoben es, nachdem sie es mit einem Seil gesichert hatten, über die Reling und ließen es ins Meer sinken, und dies war kein weiter Weg, da die Rabe tief gesunken war. Es fiel auf ebenen Kiel, und Erik ließ sich an dem Seil hinab und rief Skallagrim zu, ihm zu folgen. »Gedulde dich noch eine Weile, Herr«, gab Skallagrim zurück, »da ist noch etwas, das ich mitnehmen will.« Und mit diesen Worten verschwand er. Erik wartete noch einen Moment und rief dann laut: »Schnell, du Narr! Schnell! Das Schiff sinkt!« Und als er rief, kam Skallagrim, und seine Arme waren voll von Schwertern, Harnischen und Rotgoldringen, die er den Toten abgenommen und aus den Kabinen geholt hatte. »Wirf alles beiseite und komm«, sagte Erik und legte sich in die Riemen, denn die Rabe schlingerte so stark, daß sie jeden Moment zu sinken drohte. »Wir haben noch Zeit, Herr, und dies ist eine gute Beute«, gab Skallagrim zurück und warf die Stücke nacheinander ins Boot. Als das letzte fiel, legte sich die Rabe quer. Da trat Skallagrim von dem versinkenden Deck ins Boot und durchtrennte das Seil, und dies keinen Moment zu früh. Erik legte sich mit all seiner Kraft in die Riemen, und er hatte
kaum fünf Faden Entfernung zwischen sich und das Schiff gebracht, als die Rabe auch schon in einem gewaltigen Sog verschwand. »Halt still«, sagte Erik, »oder wir werden ihr folgen.« Das Boot wirbelte in dem Strudel herum und sackte ab, bis das Wasser über das Dollbord floß, und einen Augenblick lang wußten sie nicht, ob sie gerettet oder verloren waren. Erik hielt den Atem an und starrte auf das Wasser, und dann hob sich langsam die Nase des Bootes, und sie waren vor dem Wirbel des untergehenden Drachenschiffes sicher. »Gier ist das Verderben vieler Männer«, sagte Erik, »und fast wäre sie auch dein und mein Verderben geworden, Skallagrim.« »Ich brachte es nicht übers Herz, die gute Beute zurückzulassen«, gab er zurück. »Und du siehst, Herr, sie ist in Sicherheit und wir mit ihr.« Dann wendeten sie das Boot und fuhren langsam in die Mündung des Fjords, wobei sie dann und wann ruhten, denn ihre Kraft war erschöpft. Zwei Stunden lang ruderten sie in einen Abgrund hinein, wie es schien, denn auf beiden Seiten erhoben sich schroffe Hügel. Schließlich öffnete sich die Wasserstraße zu einem großen See, und dort, auf seiner anderen Seite, sahen sie grüne Hänge direkt bis ans Ufer laufen, überzogen von Gerüsten, auf denen der weiße Stockfisch im Wind und in der Sonne trocknen sollte, und auf einem Hang eine große Halle und darum Hütten. Überdies sahen sie einen großen Kriegsdrachen am Ufer vor Anker liegen. Eine Weile ruderten sie weiter, immer wieder Ruhepausen einlegend. Dann sagte Erik zu Skallagrim: »Was hältst du von dem Schiff dort, Lammschweif?« »Ich denke, Herr, daß es der Gudruda gar wunderbar ähnlich sieht.« »Das ist auch mein Eindruck«, sagte Erik, »und wir hätten großes Glück, wenn sie es wirklich ist.«
Sie ruderten weiter, und schließlich fiel der erste Sonnenstrahl über die Hügel - denn es war schon drei Stunden nach Mitternacht - und tanzte, da das Schiff ein wenig auf der Flut schaukelte, auf dem Schiffsbug. Und siehe da, der goldene Drachen der Gudruda leuchtete auf. »Dies ist aber seltsam«, sagte Erik. »Ay, Herr, seltsam und erfreulich, denn nun werde ich ein Wörtchen mit Hall dem Maat reden«, und der Berserker lächelte grimmig. »Du wirst Hall nicht verletzen«, sagte Erik. »Ich bin hier der Herr, und ich muß hier urteilen.« »Dein Wille ist der meine«, sagte Skallagrim, »aber wenn mein Wille der deine wäre, dann soll er am Mast baumeln, bis die Seevögel zwischen seinen Knochen nisten.« Nun waren sie ganz in der Nähe des Schiffes, konnten jedoch niemanden sehen. Skallagrim wollte laut rufen, doch Erik bat ihn, Schweigen zu bewahren. »Entweder sind sie tot, und dein Rufen kann sie nicht aufwecken, oder sie schlafen und werden von allein wach. Wir werden unter das Heck rudern, an Bord klettern, nachdem wir unser Boot verankert haben, und uns mit eigenen Augen überzeugen.« Dies taten sie dann so leise, wie es nur ging, und sahen dabei, daß der Wind und die Wellen die Gudnida nicht gerade sanft behandelt hatten, denn ihre Schildbrüstung war abgerissen. Und sie fanden auch heraus, daß alle Männer in tiefem Schlaf lagen. Nun brannte mittschiffs noch ein Feuer, und daneben lagen Vorräte. Sie gingen dorthin und aßen, denn ihr Hunger war groß. Danach nahmen sie zwei Umhänge, die an Deck lagen, warfen sie sich um und wärmten sich am Feuer, denn sie waren ausgekühlt und durchnäßt, ay, und völlig erschöpft. Als sie dort saßen und sich wärmten, wurde einer von der Mannschaft wach, sah sie und rief, völlig erstaunt, sofort seinen Gefährten zu, es befänden sich zwei Riesen an Bord, die
sich am Feuer wärmten. Nun sprangen die Männer auf, griffen nach ihren Waffen und liefen auf sie zu, und unter ihnen war Hall der Maat. Da warfen Erik Hellauge und Skallagrim Lammschweif plötzlich die Umhänge beiseite und erhoben sich. Sie waren schauerlich und grimmig anzusehen. Ihre Wangen waren eingefallen, die Augen vor Müdigkeit weit aufgerissen. Ihre Harnische waren mit einer dicken Sole überzogen, und offene Wunden klafften ihnen an Gesicht und Händen. Die Männer sahen sie und schreckten vor Furcht zurück, denn sie hielten sie für Zauberer, die sich in Eriks und des Berserkes Körper aus dem Meer erhoben hatten. Da sang Erik dieses Lied: Schnell und sicher auf den Wellen Folgten wir dem Rabenschiff. Hob sich Rans Brust schäumend vor Wut, Schoß die Gischt jetzt durch die Luft! Doch sprang Erik kriegsbegierig An Bord mit dem Berserker! Schreiend flohen ihre Gegner! Wieso riß das Enterseil? Hall hörte dies und wich zurück, denn nun sah er, daß diese beiden wirklich Erik und Skallagrim waren, die dem Meer lebendig entronnen waren, und daß sie von seiner Niederträchtigkeit wußten. Erik sah ihn an und sang weiter: Dann jagte die Gudruda fort, Ließ den Herrn in Feindeshand; Hellauge und der Berserker Gegen eine Übermacht. War die See auch noch so schwer nun,
Standen diese beiden gut. Dann versprach man Erik Frieden, Wenn er sich nur fesseln ließ! Doch es kam die Graue Ratte, Die Hexenfrau des Grafen; Erzählte ihnen von Verrat. Sie waren nun gewappnet; Es schlichen sich die Wölfe dann Zu den beiden Befreiten; Aufgerieben wurden sie nun Bis auf ihren letzten Mann. Dann allein auf diesem Raben Trotzten sie dem stürmischen Meer. Ay, drei Tage und drei Nächte Hielten sie das Ruder fest. Sank der Drache, retteten sie Sich in jenes kleine Boot. Stehn nun hier auf der Gudruda Wer durchschnitt das Enterseil?
XV WIE ES ERIK IN DER STADT LONDON ERGING Die Männer standen erstaunt da, aber Hall der Maat schreckte zurück. »Halt, Gefährte«, sprach Erik, »ich habe dir etwas zu sagen, was man mit Liedern nicht sagen kann. Hört, meine Schildgenossen! Wir haben einander geschworen, uns die Treue zu halten, selbst bis in den Tod; ist dem nicht so? Was ist dann über den Mann zu sagen, der die Gudruda losschnitt und uns zurückließ, damit wir unter den Händen des Feindes den Tod finden?« »Wer war dieser Mann?« fragte eine Stimme. »Dieser Mann war Hall von Lithtal«, sagte Erik. »Das stimmt nicht!« sagte Hall und nahm all seinen Mut zusammen. »Das Tau riß unter dem Aufbäumen des Schiffes, und danach konnten wir wegen des starken Seegangs nicht an euch heran.« »Du lügst!« brüllte Skallagrim. »Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wie du die Axt auf das Tau fallen ließest! Ein Lügner bist du und ein Feigling! Du warst neidisch auf deinen Herrn Hellauge und hattest im Sinn, ihn auf der Rabe sterben zu lassen, um dir dann seine Schuhe an deine feigen Füße zu binden. Wenn es auch sonst keiner gesehen hat, ich habe es gesehen, und ich sage dies: Wenn es nach meinem Willen geht, werde ich dich bei lebendigem Leib mit dem gleichen Tau am Mast aufknüpfen, bis dir die Möwen dein verschlagenes Herz herausreißen!« Nun wurde Hall sehr weiß, und seine Knie zitterten heftig. »Es ist wahr«, sagte er, »ich habe das Tau durchtrennt, aber nicht, weil ich Böses im Sinn hatte. Hätte ich es nicht getan, wäre das Schiff gesunken und alle an Bord mit ihm.«
»Haben wir nicht geschworen, Hall«, sagte Erik streng, »zusammen zu kämpfen und zusammen zu fallen - zusammen zu fahren und, wenn es sein muß, die Fahrt zusammen zu beenden, und hast du darauf nicht den Eid geleistet? Sagt, Gefährten, welche Belohnung soll dieser Mann erhalten, weil er uns ein so guter Kamerad war und sich so um euer Leben gesorgt hat?« Wie mit einer Stimme antworteten die Männer: »Den Tod!« »Hörst du, Hall?« sagte Erik. »Doch ich möchte nicht so hart mit einem umspringen, dem ich kürzlich erst Kameradschaft schwor. Verschwinde von unserem Schiff, und laß uns dein Kötergesicht nie wieder sehen. Verschwinde, sage ich, bevor ich meine Gnade wieder bereue.« Dann nahm Hall unter dem lauten Geschrei der Männer seine Waffen, schlich, ohne ein Wort zu sagen, in das achtern liegende Boot der Rabe und ruderte ans Ufer; und Erik sollte sein Gesicht viele Monate lang nicht mehr sehen. »Du hast töricht daran getan, Herr, dieses Wiesel ziehen zu lassen«, sagte Skallagrim. »Eines Tages wird es dich noch einmal in die Hand beißen.« »Ob gut oder schlecht, er ist fort«, sagte Erik, »und jetzt bin ich erschöpft und möchte schlafen.« Danach rasteten Erik und Skallagrim drei volle Tage lang, und sie waren so müde, daß sie nur einen kleinen Teil dieser Zeit wach waren. Aber am dritten Tag standen sie auf, gestärkt und bis auf ihre Verletzungen und Hautabschürfungen genesen. Dann erzählten sie den Männern, was sich zugetragen hatte, und alle staunten über ihre Kraft und Kühnheit. Der Mannschaft kam Erik wirklich wie ein Gott vor, denn seit den Tagen, als die Götter auf der Erde gewandelt waren, hatte man nur wenige Taten wie die seinen vollbracht. Aber Hellauge dachte nur wenig daran - und viel an Gudruda. Manchmal dachte er auch an Swanhild und an den Hexentraum, den sie ihm geschickt hatte, denn es war verwunderlich,
daß ausgerechnet sie ihn so vor Rans Netz gerettet haben sollte. Erik wurde vom Grafen der Farey-Inseln herzlich willkommen geheißen, denn als dieser von seinen Taten hörte, veranstaltete er ein Fest zu seinen Ehren und ließ ihn auf dem Hohesitz Platz nehmen. Es war ein großes Fest, aber Skallagrim betrank sich und lief mit erhobener Axt in der Halle auf und ab und schrie nach Hall von Lithtal. Dies erzürnte Erik sehr, und er sprach viele Tage lang kaum ein Wort mit Skallagrim, obwohl der große Berserker wie ein Schatten hinter ihm herschlich oder wie ein geprügelter Hund der Ferse seines Herrn folgte und schließlich seinen Stolz so weit erniedrigte, um Verzeihung für sein Vergehen zu bitten. »Ich gewähre sie dir deiner Taten willen«, sagte Erik kurzangebunden. »Aber sei dir gewiß, wenn du noch einmal so fehlen solltest, dann könnte dies zu meinem Tod führen - ay, und auch zu dem vieler anderer.« »Zuvor sollen meine weißen Knochen verrotten«, sagte Skallagrim. »Das werden sie hinterher«, gab Erik zurück. Auf den Färöer-Inseln nahm Erik zwölf gute und ehrliche Männer an Bord, die den Platz derer einnahmen, die Ospakars Leute getötet hatten. Als die Verletzungen der Verwundeten verheilt waren (abgesehen die eines Mannes, der starb) und die Gudruda wieder in See stechen konnte, verabschiedete sich Hellauge vom Grafen dieser Inseln, der ihm zum Abschied einen guten Umhang und einen Goldring gab, und segelte fort. Nun würde es zu lange dauern, von allen Taten zu berichten, die Erik und seine Männer vollbrachten. Nie, so singen die Skalden, gab es einen Wikinger, der ihm an Kraft, Geschick und Kühnheit gleichkam, und in jenen Tagen hatte man auch noch keinen solchen Kriegsdrachen wie die Gudruda auf den Meeren gesehen. Wo immer Erik einen Kampf einging, und das war an vielen Orten, da siegte er, denn keiner konnte gegen ihn bestehen, bis schließlich die Feinde allein vor dem Schre-
cken flohen, den sein Name verbreitete, und Grafen und Könige aus weiter Ferne Botschaften schickten, um sich der Hilfe seines Schwertes zu versichern. Obendrein war er der beste und edelste aller Männer. Man sagt von Erik, daß er in all seinen Tagen nicht eine niederträchtige Tat vollbrachte, nie die Schwachen verletzte, noch denen Frieden abschlug, die ihn erbaten, noch das Schwert gegen einen gefangenen oder verwundeten Feind erhob. Von Händlern verlangte er nur einen Wegezoll an Waren und ließ sie ansonsten ziehen, und welche Beute er auch errang, er teilte sie gerecht und verlangte keinen größeren Anteil, als ihn auch der niedrigste seiner Männer bekam. Die ganze Mannschaft liebte Erik, und selbst seine Feinde respektierten ihn und sprachen gut von ihm. Nun, da Hall von Lithtal fort war, gab es keinen in seiner Mannschaft, der nicht für ihn gestorben wäre, denn die Männer schätzten ihn mehr als das eigene Leben. Auch Frauen liebten ihn sehr; doch sein Herz gehörte Gudruda, und er wandte sich selten um, um eine andere Frau anzuschauen. Den ersten Sommer seiner Ächtung kämpfte Erik vor der Küste Irlands, aber im Winter kam er nach Dublin, und eine Zeitlang diente er in der Leibwache des Königs dieser Stadt, der ihn in Ehren hielt und bat, noch länger zu bleiben. Doch Erik konnte den Frühling kaum abwarten, und als er kam und die Gudruda wieder seetüchtig war, segelte er zu Englands Küsten. Dort kämpfte er mit zwei Kriegsschiffen der Wikinger und nahm sie nach hartem Kampf. In diesem Kampf wurde Skallagrim Lammschweif fast zu Tode verwundet. Denn als sie das eine Schiff genommen hatten, ging Erik mit nur ein paar Männern an Bord des anderen, wurde zurückgetrieben und stolperte über einen Balken, und er wäre getötet worden, hätte sich nicht Skallagrim über ihn geworfen und mit dem Rücken den Schlag abgefangen, der auf Eriks Kopf gezielt war. Dies war eine große Wunde, denn die Axt durchschnitt den Stahl des Harnischs und sank ins Fleisch. Doch als Eriks Männer
ihren Anführer am Boden sahen, und Skallagrim, wie es schien, tot über ihm, da stürmten sie so heftig vor, daß die Feinde vor ihnen fielen wie Blätter vor einem Wintersturm, und am Ende erbaten die Wikinger Frieden von Erik. Skallagrim lag viele Tage krank darnieder, aber er war schwer umzubringen, und Erik pflegte ihn wieder ins Leben zurück. Danach liebten diese beiden einander wie Zwillingsbrüder und konnten es kaum ertragen, voneinander getrennt zu sein. Aber ein paar andere mochten Skallagrim genauso wenig wie er sie. Erik segelte die Themse nach London hinauf, wobei er die Wikingerschiffe mit sich führte, und lieferte deren Kapitäne in Ketten an Edmund aus, Edwards Sohn, den König, der Edmund der Großartige genannt wurde. Diese Kapitäne ließ der König hängen, denn sie hatten seinen Schiffen schwere Schäden zugefügt. Der König brachte Erik große Gunst entgegen, denn sein Ruhm war ihm schon vorangeeilt. Und so rief ihn der König zu sich, als er den Hof betrat. Erik kam in voller Rüstung, mit Skallagrim, der sich von seiner Verletzung erholt hatte. Und der König sagte, er wünsche den tapfersten Wikinger und stattlichsten Mann, der über die Meere segelte, zu begutachten, und auch den wilden Berserker, den die Männer »Eriks Todesschatten« nannten. So schritt Erik die lange Halle ab, die mit größerer Pracht ausgestattet war, als er je zuvor gesehen hatte, bis er schließlich vor dem König stand. Ihm folgte Skallagrim, der die beiden gefangenen Wikingerhäuptlinge mit der Axt vor sich hertrieb wie ein Fleischer zwei Lämmer. Nun war Hellauge in diesen langen Monaten noch viel stattlicher geworden und noch prächtiger anzuschauen als zuvor. Überdies war sein Haar jetzt so lang, daß es wie eine goldene Flut bis zu seinem Gürtel reichte, da keine Schere mehr in die Nähe seines Kopfes gekommen war, seit Gudruda ihm die Haare geschnitten hatte. Seine Locken wuchsen so schnell wie die einer Frau. Der
König musterte ihn und war verblüfft. »Wahrlich«, sagte er, »die Männer haben mir über dich nichts vorgelogen, Isländer, und auch nicht über deinen großen Wolfshund.« Und er deutete mit seinem Zepter auf Skallagrim. »Noch nie habe ich einen solchen Mann gesehen.« Und er ließ die stärksten Männer seiner Leibwache vortreten, damit er sie gegen Erik abmessen konnte. Aber Hellauge war einen Zoll größer als der größte der Männer und maß im Brustumfang eine halbe Spanne mehr als der kräftigste. »Was willst du von mir, Isländer?« fragte der König. »Herr«, sagte Erik, »ich möchte Euch eine Weile dienen, und all meine Männer mit mir.« »Das ist ein Angebot, das nur wenige abschlagen würden«, gab der König zurück. »Du wirst in meine Leibwache eintreten, und wenn es nach meinem Willen geht, wirst du mit deinem Wolfshund dort auch im Kampf neben mir stehen.« Erik sagte, daß er sich nichts Besseres wünschen könne, und brach danach mit König Edmund auf, um den Dänen von Mercia Krieg zu bringen, und er und Skallagrim vollbrachten große Taten vor den Augen der Engländer. Im Winter kehrten Erik und seine Leute nach London zurück und verweilten hochangesehen und unter vielen Ehrungen am Hofe des Königs. Nun gab es eine gewisse Hofdame mit dem Namen Elfrida. Sie war sowohl schön als auch wohlhabend, die süßeste aller Frauen und von mütterlicher Seite von könglichem Blut. Kaum hatte sie einen Blick auf Erik geworfen, da war sie auch schon in ihn verliebt und ersehnte sich nichts mehr, als seine Frau zu sein. Aber Hellauge hielt sich von ihr fern, denn er liebte nur Gudruda; und so verging der Winter, und im Frühjahr brach Erik zu Kriegszügen auf und kehrte erst zurück, als der Herbst ins Land stand. Lady Elfrida saß an einem Fenster, als Erik in der Gefolgschaft des Königs durch London ritt, und als er an ihr vorbeikam, warf sie ihm einen Blumenkranz zu. Der König sah es
und lachte. »Meine kalten Landsfrauen scheinen vor deinen hellen Augen dahinzuschmelzen, Isländer«, sagte er, »wie meine Feinde vor Weißfeuers Flamme. Nun, ich könnte ihr einen schlechteren Mann wünschen.« Und er musterte Erik mit einem seltsamen Blick. Erik verbeugte sich, erwiderte aber nichts. Als sie an diesem Abend bei der Fleischtafel im Palast saßen, ging Lady Elfrida, als König Edmund sie im Scherz bat, den Becher des Tapfersten zu füllen, an der Tafel entlang und goß vor allen Augen Wein in Eriks Becher, und als sie dies tat, hieß sie ihn mit kurzen, süßen Worten erneut willkommen. Erik wurde rot wie die Morgenröte und dankte ihr höflich; aber nach dem Fest sprach er mit Skallagrim, fragte ihn nach der Gudruda und wann sie wieder bereit sei, in See zu stechen. »In zehn Tagen, Herr«, sagte Skallagrim, »aber bleiben wir den Winter über nicht hier beim König? Es ist zu spät, um wieder zu segeln.« »Nein«, sagte Erik, »wir bleiben nicht hier. Ich wollte dieses Jahr auf den Färöern überwintern, um so nahe wie möglich bei Island zu sein. Im nächsten Sommer sind die drei Jahre meiner Verbannung vorbei, und ich möchte wieder heimwärts fahren.« »Nun, ich sehe den Schatten einer Frauenhand«, sagte Skallagrim. »Es ist sehr spät, um sich jetzt noch ins Nordmeer zu wagen, und wir können im Frühling von London nach Island segeln.« »Es ist mein Wille, jetzt zu segeln«, gab Erik zurück. »Der Weg zu den Färöern verläuft an den Orkney-Inseln vorbei«, sagte Skallagrim, »und auf den Orkneys sitzt ein Falke, mit dem verglichen Lady Elfrida nur eine Taube ist. Beim Versuch, einem Übel zu entgehen, könnten wir einem noch schlimmeren anheimfallen.« »Es ist mein Wille, daß wir segeln«, sagte Erik starrköpfig. »Wie du willst, und wie der König es will«, gab Skallagrim
zurück. Am Morgen trat Erik vor den König und erbat sich eine Gunst. »Du kannst nur wenig erbitten, Hellauge«, sagte der König, »daß ich dir nicht gern geben würde, denn bei meiner Ehr', du bist mir sehr teuer.« »Ich bin nicht gekommen, um etwas Großes zu erbitten, Herr«, gab Erik zurück, »sondern nur dies: Ich möchte dir Lebwohl sagen und mich heimwärts wenden.« »Sag, Erik«, sprach der König, »habe ich dich nicht gut behandelt?« »Gut, und mehr als gut, Herr.« »Nun, warum willst du mich dann verlassen? Ich habe im Sinn, dich zu großer Ehre zu bringen. Denn siehe, an diesem Hof verweilt eine hübsche Lady, und in ihren Adern fließt Blut, mit dem sich zu vereinen selbst einen isländischen Wikinger mit Stolz erfüllen könnte. Sie hat große Ländereien und wird bald vielleicht noch mehr haben. Glaubst du nicht, du könntest auf ihnen ein Heim finden, Hellauge?« »Nur auf Island bin ich zu Hause, Herr«, sagte Erik. Da wurde der König zornig und hieß ihn zu gehen, wann immer es ihm gefiele, und Erik verbeugte sich vor ihm und ging hinaus. Als Erik zwei Tage später in den Palastgärten spazierenging, stand er Lady Elfrida von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sie hielt weiße Blumen in der Hand und war so schön anzusehen wie die Blumen, die sie trug. Er begrüßte sie, und nach einer Weile sprach sie mit sanfter Stimme zu ihm: »Man sagt, du würdest England verlassen, Hellauge?« »Ja, Lady, ich gehe«, gab er zurück. Sie musterte ihn einmal und zweimal und brach dann in Tränen aus. »Warum kehrst du in dein kaltes Land zurück?« schluchzte sie. »In dieses verhaßte Land aus Schnee und Eis?
Ist England nicht gut genug für dich?« »Ich bin dort zu Hause, Lady, und meine Mutter wartet dort auf mich.« »Deine Mutter wartet dort auf dich, Erik? Sag, wartet dort nicht auch eine Maid mit dem Namen Gudruda die Schöne?« »Es gibt solch eine Maid auf Island«, sagte Erik. »Ja, ich weiß es - ich weiß alles«, gab sie zurück, ihre Tränen trocknend, und wurde plötzlich ganz kalt und stolz: »Erik, du bist dieser Gudruda versprochen; und du bist diesem Eid zu treu, als es für dich am besten wäre. Denn höre, Erik Hellauge, ich weiß dies: Wenig Glück wird dir die Maid Gudruda bringen. Würde ich mehr sagen, bekäme es mir schlecht; dennoch ist es wahr, daß hier, in England, großer Reichtum auf dich wartet, und in Island ein Schicksal, wie es oft Männern widerfährt, die mächtige Feinde haben. Wußtest du dies?« Erik sah sie an und gab zurück: »Lady, Männer werden nicht aus eigenem Willen geboren, sie leben und tun nur wenig aus eigenem Antrieb, sie sterben und gehen vielleicht dorthin, wohin sie besser nicht gingen. Und doch kann es einem Mann zustoßen, daß er einer begegnet, deren Hand er gern halten würde, und sei es auch nur für eine Stunde, während der Reise über ein eisiges Meer; und es ist besser, diese Hand für diese kurze Stunde zu halten, als sein ganzes Leben an der Seite einer Fremden zu verbringen.« »Vielleicht ist Weisheit in deiner Narretei«, sagte Lady Elfrida. »Doch ich sage dir erneut, auf Island erwartet dich nichts Gutes.« »Dies mag schon sein«, entgegnete Erik. »Meine Tage waren stürmisch, und die Winde brauen sich noch immer zusammen. Doch nur ein schwaches Herz fürchtet den Sturm. Lieber würde ich versinken; denn ob Feigling oder Held, sinken müssen alle einmal.« »Sag, Erik«, sprach die Lady, »wenn diese Hand, die du zu
halten begehrst, für dich verloren ist, was dann?« »Wenn diese Hand in der Kälte des Todes verloren wäre, würde ich fortan allein durch die Welt ziehen.« »Und wenn eine andere Hand als die deine sie hält?« »Dann werde ich zurück nach England fahren, Lady, und hier in diesem schönen Garten noch einmal eine Audienz bei dir erbitten.« Sie sahen einander an. »Leb wohl, Erik!« sagte Lady Elfrida. »Wir unterhalten uns vielleicht noch einmal hier in diesem Garten und wenn wir nicht mehr miteinander sprechen sollten nun, leb wohl! Die Tage kommen und gehen; die Schwalbe flieht vor dem Winter, und im Frühling zwitschert sie wieder von der Dachrinne. Und wenn diese Schwalbe nicht mehr zurückkommen würde, dann auch ein Lebwohl für sie. Die Welt ist ein großes Haus, Erik, und sie hat Platz für viele Schwalben. Aber wehe der, die einsam ist - wehe ihr!« Und sie wandte sich um und ging. Man sagt von dieser Lady Elfrida, daß sie sehr wohlhabend und wegen ihrer Sanftheit und Weisheit geehrt wurde, und daß sie, als sie alt war, eine große Kirche baute und sie Erikskirk nannte. Man sagt auch, daß sie niemals heiratete, obwohl viele Männer sie zur Frau haben wollten.
XVI WIE SWANHILD ÜBER DAS MEER SCHRITT Innerhalb von zwei Tagen war die Gudruda zum Auflaufen bereit, und Erik ging zum König, um sich von ihm zu verabschieden. Aber Edmund war so wütend auf ihn, weil er aufbrechen wollte, daß er ihn nicht empfing. Daraufhin setzte sich Erik aufs Pferd und ritt traurig vom Palast zum Flußufer, wo die Gudruda lag. Aber als er den Befehl geben wollte, die Riemen auszulegen, kam der König selbst herbeigeritten, und mit ihm Männer, die kostbare Geschenke brachten. Erik ging ans Ufer, um mit ihm zu sprechen. »Ich bin böse mit dir, Hellauge«, sagte Edmund, »doch bringe ich es nicht übers Herz, dich wortlos und ohne Abschiedsgeschenke ziehen zu lassen. Nur eines möchte ich jetzt von dir erbitten: Wenn es dir draußen auf Island nicht gut ergeht, dann komme zurück zu mir.« »Das werde ich - ich verspreche es, mein König«, sagte Erik, »denn ich werde niemals einen besseren Herrn finden.« »Und ich keinen kühneren Diener«, sagte der König. Dann gab er ihm die Geschenke und küßte ihn vor allen Männern. Auch Skallagrim überreichte er ein Geschenk - einen guten Harnisch aus schwarz gefärbtem Waliser Eisen. Dann ging Erik wieder an Bord und fuhr mit der Ebbe den Fluß hinab. Fünf Tage lang ging alles gut mit ihnen; die See war ruhig und der Wind leicht und günstig. Aber als sie in der fünften Nacht vor der Küste Ostenglands langsam die YarmouthSandbänke passierten, ging der Mond blutigrot auf, und die See wurde totenstill. »Dort hängt eine Sturmlampe, Herr«, sagte Skallagrim und deutete auf den zornigen Mond. »Wir werden bald Wasser
ausschöpfen müssen, denn die Herbststürme stehen kurz bevor.« »Warte, bis sie kommen, und spreche dann«, sagte Erik. »Du krächzt so unheilvoll wie ein Rabe.« »Und Raben krächzen, bevor schlechtes Wetter kommt«, gab Skallagrim zurück, und noch als er sprach, kam ein plötzlicher Windstoß aus Südosten, so daß das Schiff beidrehen mußte. Danach blies der Sturm ununterbrochen mehrere Tage und Nächte lang so heftig, daß ihre Kleider kaum mehr trocken wurden. Sie fuhren vor dem Sturm nordwärts und immer weiter nordwärts, ohne Land zu sichten oder Sterne zu sehen. Und während sie so segelten, wurde die Brise immer heftiger, bis die Männer schließlich erschöpft vom Wasserschöpfen und mitgenommen von Nässe und Kälte waren. Drei Männer wurden über Bord gespült, und alle waren in einem jämmerlichen Zustand. Es war die vierte Nacht des Sturms. Erik stand am Ruder und neben ihm Skallagrim. Sie waren allein, denn ihre Gefährten waren erschöpft und lagen, auf den Tod wartend, unter Deck. Das Schiff war halbvoll Wasser, aber sie hatten keine Kraft mehr, weiterhin zu schöpfen. Erik wirkte zornig und hager im weißen Licht des Mondes, und sein langes Haar stand wild von ihm ab. Noch grimmiger war Skallagrim anzusehen, wie er die Schutzbrüstung umklammerte und in die Tiefe starrte. »Das Schiff schlingert schwer, Herr«, schrie er, »und das Wasser strömt schnell ein.« »Können die Männer nicht mehr schöpfen?« fragte Erik. »Nein, sie sind erschöpft und warten auf den Tod.« »Da brauchen sie nicht lange zu warten«, sprach Erik. »Was sagen sie über mich?« »Nichts.« Da stöhnte Erik laut auf. »Es war mein Starrsinn, der uns auf diesen Kurs gebracht hat«, sagte er. »Ich gebe wenig um mich selbst, aber es ist schlimm, daß all die Männer wegen der Nar-
retei eines einzigen sterben sollen.« »Gräme dich nicht, Herr«, gab Skallagrim zurück, »das ist der Verlauf der Welt, und es gibt schlimmere Todesarten als das Ertrinken. Doch hör! Mich deucht, dort erklingt das Tosen der Brecher.« Und er deutete nach links. »Ganz bestimmt sind es Brecher«, sagte Erik. »Nun ist das Ende nah. Aber sieh, bäumt sich dort rechts nicht Land auf, oder ist es eine Wolke?« »Es ist Land«, sagte Skallagrim, »und ich bin mir sicher, daß wir in eine Flußmündung steuern. Sieh, dort kocht das Meer wie eine heiße Quelle. Halt den Kurs, Herr, vielleicht kommen wir zwischen Felsen und Land hindurch. Der Wind läßt schon nach, und die Strömung beruhigt das Meer.« »Ay«, sagte Erik, »schon kommen Nebel und Regen auf«, und er deutete voraus, wo sich dichte Wolken zur Gestalt eines Riesen zusammenballten, dessen Kopf in den Himmel ragte und sich, den Mond verhüllend, auf sie zubewegte. Skallagrim sah sich um und sprach: »Hier scheint es sich um Hexerei zu handeln. Sag, Herr, hast du je Nebel gegen den Wind ziehen sehen, wie er hier zieht?« »Nie zuvor«, sagte Erik, und als er sprach, erlosch das Licht des Mondes. Swanhild, Atlis Weib, saß in all ihrer Schönheit in ihrem Frauengemach auf der Insel Straumey und sah mit weit geöffneten Augen auf das Meer. Es war Mitternacht. Niemand rührte sich in Atlis Halle, und doch sah Swanhild aufs Meer hinaus. Nun wandte sie sich um und sprach in die Dunkelheit hinein, denn es schien kein Licht im Frauengemach außer dem ihrer großen Augen. »Bist du da?« sagte sie. »Ich habe dich dreimal mit den Worten, die du kennst, herbeigerufen. Sag, Kröte, bist du da?« »Ay, Swanhild die Vaterlose! Swanhild, Groas Tochter! Hexenkind der Hexenmutter! Ich bin hier. Was verlangst du von mir?« pfiff eine hohe Stimme, die der eines sterbenden Säug-
lings ähnelte. Swanhild schauderte ein wenig, und ihre Augen wurden heller - so hell wie die einer Katze. »Zunächst verlange ich«, sagte sie, »daß du dich zeigst. So schrecklich du auch bist, ich möchte dich lieber sehen, als mit dir zu sprechen, ohne dich zu sehen.« »Verspotte meine Gestalt nicht, meine Dame«, gab die dünne Stimme zurück, »denn sie ist so, wie du sie dir in Gedanken vorstellst. Für die Guten bin ich so schön wie der Tag; für die Bösen so verderbt wie ihr Herz. Kröte hast du mich genannt; sieh, nun komme ich als Kröte!« Swanhild blinzelte, und siehe da, in der Finsternis erwuchs ein Ring aus weißem Licht, und darin kauerte sich ein schrecklich anzusehendes Wesen zusammen. Es hatte die Gestalt einer großen, gefleckten Kröte, und darauf saß das Gesicht einer alten, häßlichen Hexe. Weiße Locken hingen zu beiden Seiten hinab, die Augen waren blutrot und eingefallen, die Zähne schwarz, und die Haut fahlgelb. Es grinste furchterregend, als Swanhild vor ihm zurückschreckte, und fuhr dann fort: »Grauer Wolf hast du mich einst genannt, Swanhild, als du Gudruda den Goldfuchs-Abgrund hinunterstürzen wolltest, und als grauer Wolf kam ich und gab dir einen Rat, den du nur schlecht befolgtest. Ratte hast du mich einst genannt, als du Hellauge vor Ospakars Schergen retten wolltest, und als Ratte kam ich, und in dieser Gestalt bin ich übers Meer geeilt. Kröte nennst du mich jetzt, und als Kröte krieche ich dir um die Füße. Nenne dein Begehr, Swanhild, und ich werde meinen Preis nennen. Aber beeile dich, denn es gibt noch andere schöne Damen, deren Wünsche ich vor Morgengrauen erfüllen muß.« »Du bist schrecklich anzusehen!« sagte Swanhild und hielt sich die Hand vor Augen. »Sag doch nicht so etwas, Herrin; sag es nicht. Sieh dir mein Gesicht an. Erkennst du es nicht? Es ist das deiner Mutter – die tote Groa hat es mir geliehen. Ich nahm es von dort, wo sie
liegt; und meine Krötenhaut zog ich deinem verderbten Herzen ab, Swanhild, und viel schrecklicher, als ich jetzt bin, wirst du eines Tages sein, so wie ich einst viel schöner war, als du es jetzt bist.« Swanhild öffnete den Mund, um zu schreien, aber kein Ton kam über ihre Lippen. »Troll«, flüsterte sie, »verspotte mich nicht mit Lügen, sondern höre mein Begehr: Wo segelt Erik jetzt?« »Schau in die Nacht hinaus, Herrin, und du wirst es sehen.« Swanhild tat wie geheißen, und die Abgründe der Dunkelheit taten sich auf vor ihrer Hexensicht. Dort, vor der Mündung der Pentland-Förde, schlingerte die Gudruda schwer in stürmischer See, und neben der Ruderpinne stand Erik und neben ihm Skallagrim. »Siehst du deinen Geliebten?« fragte der Schutzgeist. »Ja«, gab sie zurück, »klar und deutlich. Wind und Wetter haben ihn erschöpft, aber er ist stattlicher als je zuvor, und sein Haar ist lang. Sag, was würde ihm zustoßen, wenn du ihm nicht zu Hilfe eiltest?« »Nichts; er würde sicher den Fjord passieren, denn der Nebel legt sich. Er würde sicher zu den Färöern kommen, und von dort aus in Gudrudas Arme.« »Und was kannst du tun, Kobold?« »Dies: Ich kann Eriks Schiff auf Grund laufen lassen, all seine Gefährten außer Skallagrim in Rans Netz bringen und ihn selbst in deine Arme, Swanhild, Hexenkind der Hexenmutter!« Sie überlegte. Ihre Brust hob sich, und ihre Augen blitzten. »Und den Preis, Kröte?« »Du bist der Preis, Herrin«, pfiff der Kobold. »Du wirst dich mir ausliefern, wenn deine Tage gezählt sind, und frohgemut werden wir in Hels Hallen kauern, und auf ewig frohgemut werden wir des Nachts die Erde heimsuchen und Dinge tun, wie du sie jetzt von mir verlangst, Swanhild, und mit unserem Hexenwerk werden wir Leid bringen, bis es schließlich über
uns gebracht wird. Bist du einverstanden?« Swanhild dachte nach. Zweimal öffnete sich ihr Mund, doch nur Seufzer drangen über ihre Lippen. Dann erhob sie sich bleich und stumm. »Sicher wird er in den Fjord segeln«, pfiff die dünne Stimme. »Sicher wird er auf den Färöern sitzen. Sicher wird er in Gudrudas weißen Armen liegen - hihi! hihi! Denke daran, Herrin!« Da erzitterte Swanhild wie eine Birke im Sturm, und ihr Gesicht wurde aschgrau. »Ich bin einverstanden«, sagte sie. »Hihi! Hihi! Die tapfere Herrin! Sie ist einverstanden! Ah, wir Schwestern werden Spaß haben. Höre: Wenn ich dir nun helfe, ist es zum letzten Mal. Dreimal ist die Nachteule deinem Ruf gefolgt - nun muß sie fliegen. Doch es wird geschehen, wie ich es gesagt habe; deine Weisheit wird für den Rest sorgen. Vor dem Morgen wird Hellauge in Atlis Halle stehen, vor dem Frühling wird er dein Geliebter sein, und vor dem Herbst wird Gudruda in Middalshof Halle als Ospakars Braut auf dem Thron sitzen. Komm näher und gib mir deinen Arm, Schwester, damit Blut unseren Handel besiegelt.« Swanhild trat zur Kröte und streckte schaudernd den Arm aus, und dann rann da und dort das rote Blut, und ihre Schwesternschaft war besiegelt. Und als die abscheuliche Tat getan war, schien es Swanhild, als würde Feuer durch ihre Adern schießen, und Feuer schoß vor ihren Augen empor, und in dem Feuer verging weinend eine Gestalt. »Es ist vollbracht, Blutschwester«, pfiff die Stimme. »Und nun muß ich in deiner Gestalt aufbrechen, um die Aufgabe zu erledigen. Setz dich hier vor mich - so. Nun lege deine Stirn auf die meine - fürchte dich nicht, es war die deiner Mutter! Leben auf Tod! Wellige Locken auf Leichenhaar! Sieh, so verändern wir uns ... wir verändern uns. Nun bist du die Todeskröte - und ich bin Swanhild, Atlis Weib, die Eriks Geliebte
werden wird.« Da wußte Swanhild, daß ihre Schönheit in die Verderbtheit der Kröte eingedrungen war, und die Verderbtheit der Kröte in ihre Schönheit, denn vor ihr stand nun ihre eigene Gestalt, und sie krümmte sich als Kröte auf dem Fußboden. »Fort zur Arbeit, fort!« sagte eine leise, tiefe Stimme, ihre eigene Stimme, die aus dem Körper sprach, der vor ihr stand, und siehe da, schon war er verschwunden. Aber Swanhild krümmte sich in Gestalt der Kröte mit dem Hexenkopf auf dem Boden ihres Frauengemachs in Atlis Halle. Sie spürte Verderbtheit, böse Gelüste und Haß in ihrem Herzen brodeln. Sie sah sich mit ihren eingefallenen, hornigen Augen um und nahm seltsame Anblicke wahr. Sie sah Atli, ihren Herrn, tot auf dem Gras liegen. Sie sah eine schlafende Frau, und über ihr blitzte ein Schwert auf. Sie sah Middalhofs Halle rot von Blut. Sie sah einen großen Abgrund im Herzen eines Berges, und Männer, die von ihm abstürzten. Und schließlich sah sie ein Kriegsschiff, das brennend über das Meer segelte und unterging. Nun stand die alte Hexe, die Swanhilds Schönheit trug, auf den Klippen von Straumey und streckte ihre weißen Arme nach Norden aus. »Komm, Nebel! Komm, Graupel!« rief sie. »Nebel, komm, Graupel, komm! Überdeckt den Mond und blendet Eriks Augen!« Und als sie dies rief, hob sich der Nebel wie ein Riese und streckte die Arme von Ufer zu Ufer aus. »Bewege dich, Nebel! Schlage zu, Regen!« rief sie. »Bewegt euch und schlagt gegen die Brise, und blendet Eriks Augen!« Und der Nebel zog gegen den Wind, und mit ihm Graupel und Regen. »Nun bekomme ich es mit der Angst zu tun«, sagte Erik zu Skallagrim, als sie in der Dunkelheit an Deck standen, »der Sturm bläst von hinten, und doch treibt der Nebel schnell in unsere Gesichter. Was kommt nun?« »Das ist Hexenwerk, Herr«, gab Skallagrim zurück, »und bei
solchen Dingen nutzt kein noch so guter Rat. Halt die Ruderpinne fest und fahr weiter, sage ich. Mich deucht, der Sturm wird schwächer und schwächer.« So fuhren sie noch eine Weile dahin, und überall um sie herum erschallte das Tosen der Brandung. Immer dunkler wurde der Himmel, bis sie einander schließlich nicht mehr sehen konnten, obwohl sie dicht an dicht standen. »Das ist ein seltsames Segeln«, sagte Erik. »Ich höre das Tosen der Brandung, als wäre es unter dem Kiel.« »Binde das Ruder fest, Herr, dann gehen wir nach vorn. Wenn es eine Brandung gibt, können wir in der Dunkelheit vielleicht ihren Schaum sehen«, sagte Skallagrim. Erik tat wie geheißen, und sie krochen auf der Steuerbordseite bis zum Bug des Schiffes, und dort spähte Skallagrim in den Nebel und die Graupelschauer hinaus. »Herr«, flüsterte er plötzlich, und seine Stimme zitterte befremdlich, »was ist das dort auf dem Wasser? Siehst du es auch?« Erik blickte in die angedeutete Richtung. »Bei Odin!« sagte er. »Ich sehe ein Licht, das die Gestalt einer Frau hat; es kommt über das Wasser auf uns zu, und der Nebel schmilzt vor ihm dahin, und die See wird unter seinen Füßen ruhig.« »Das sehe ich auch!« sagte Skallagrim. »Sie kommt näher!« keuchte Erik. »Sieh doch, wie schnell sie ist! Bei den Toten, es ist Swanhilds Gestalt! Sieh, Skallagrim! Sieh, wie ihre Augen lodern! Sieh, wie ihr Haar im Winde weht!« »Es ist Swanhild, und wir sehen etwas, das nicht von dieser Welt ist!« sprach Skallagrim. Sie liefen zum Ruder zurück, wo der Berserker voller Furcht aufs Deck sank. »Sieh, Skallagrim, sie gleitet vor den Rammschnabel der Gudruda. Sie gleitet zurück und deutet nach dort - dort, nach rechts! Soll ich das Ruder hinablassen und ihr folgen?« »Nein, Herr, nein! Setz kein Vertrauen in Hexenkunst, sonst
wird uns das Böse holen.« Als er sprach, erschütterte ein mächtiger Windstoß das Schiff; die Musik der Brecher toste in ihren Ohren, und die leuchtende Gestalt auf dem Wasser winkte heftig mit den Armen und deutete nach rechts. »Die Brandung ruft von vorn«, sagte Erik. »Die Gestalt deutet nach drüben, von wo ich keine Meeresgeräusche vernehme. Vergiß nicht, Swanhild ist schon einmal über die Wellen gekommen, um uns zu warnen, und hat uns so vor Ospakars Männern gerettet. Sie hat geschworen, mich zu lieben; gewiß ist sie aus Liebe gekommen, um uns und unsere Gefährten zu retten. Sag, soll ich wenden? Sieh doch! Wieder winkt sie mit den Armen und deutet in diese Richtung.« Und noch während er sprach, griff er zum Ruder. »Ich habe nichts zu sagen, Herr«, sprach Skallagrim, »und ich mag kein Hexenwerk. Wir können nur einmal sterben, und der Tod ist überall; es sei so, wie du willst.« Erik drückte das Ruder mit aller Kraft hinab. Das gute Schiff antwortete, und seine Balken ächzten laut wie im Schmerz, als der Druck der See es querab erfaßte. Dann flog es wieder schnell übers Wasser, und genauso schnell glitt vor ihm Swanhilds Trugbild dahin. Nun deutete es nach dort, und dann wieder in jene Richtung, und auf jeden Fingerzeig änderte Erik den Kurs. Eine Weile wurde das Geräusch der Brandung schwächer, doch dann kam erneut ein Donnern wie das Donnern von Wellen, die gegen eine Klippe schlagen, und an den Schiffsseiten zischte das Wasser wie eine Schlange. Plötzlich riß die Gestalt die Arme hoch und schien in den Wellen zu versinken, während ein Geräusch, das wie ein gewaltiges Gelächter klang, vom Meer zum Himmel stieg. »Das Ende ist gekommen«, sagte Skallagrim, »man hat uns ins Verderben gelockt.« Bevor das letzte Wort über seine Lippen kam, lief das Schiff auf, und zwar so heftig, daß sie über das Deck rollten. Plötzlich
wurde der Himmel klar, der Mond kam hervor, und vor ihnen waren Klippen und Felsen, und hinter ihnen raste eine gewaltige Welle heran. Aus dem Schiffsraum kam ein Aufschrei, denn nun waren ihre Gefährten wach und wußten, daß der Tod sie erwartete. Erik umklammerte Skallagrim und sah nach achtern. Die Welle raste heran. Eine solche Welle hatte er wahrlich noch nicht gesehen. Sie schlug auf das Schiff ein, und die Gudruda brach unter ihrer Wucht auseinander. Aber Erik Hellauge und Skallagrim Lammschweif wurden auf ihrem Kamm emporgehoben und wußten nichts mehr. Swanhild kauerte sich in ihrer schrecklichen Erscheinung auf dem Boden der Frauengemächer in Atlis Halle zusammen und überdachte die Visionen, die an ihr vorbeigezogen waren. Plötzlich erschien eine Frauengestalt - ihre eigene. »Es ist vollbracht, Blutschwester«, sagte sie mit ihrer eigenen Stimme. »Fröhlich bin ich über die Wellen geschritten, und oh, fröhlich war der Schrei von Eriks Leuten, als Ran sie in ihrem Netz fing! Sei wieder du selbst, Blutschwester - sei so schön, wie du verderbt bist; dann erhebe dich und wecke deinen Herrn Atli auf. Geht gemeinsam zur Meeresbucht an den südlichen Klippen und seht nach, was ihr dort finden werdet. Wir werden uns nicht mehr begegnen, bis dieses Spiel zu Ende gespielt und ein neues eingeläutet ist.« Und Swanhilds Gestalt kauerte sich vor der Kröte mit dem Hexenkopf nieder und krächzte: »Geh! Geh!« Da fühlte Swanhild, wie das Fleisch zu ihr zurückkam, und im gleichen Maße, wie es an ihr wuchs, verblich die Gestalt der todesköpfigen Kröte. »Leb wohl, Blutschwester!« pfiff ihre Stimme. »Sei so fröhlich, wie du nur kannst, aber noch fröhlicher werden unsere Nächte sein, wenn du mit Erik über die Meere gesegelt bist. Leb wohl! Leb wohl! Werwolf hast du mich einst gerufen, und als Wolf kam ich. Ratte hast du mich einst gerufen, und als
Ratte kam ich. Kröte hast du mich einst gerufen, und als Kröte kam ich. Sag, wie wirst du mich zu guter Letzt rufen, und in welcher Gestalt werde ich kommen, Blutschwester? Bis dahin leb wohl!« Und die Gestalt war fort, und alles war still.
XVII WIE ASMUND DER PRIESTER UNNA, THORODS TOCHTER, HEIRATETE Nun kehrt die Geschichte nach Island zurück. Als Hellauge aufgebrochen war, ging Gudruda die Schöne eine Weile wie eine frisch Verwitwete traurig am Strand auf und ab. Dann kam die Flut. Die Männer erzählten, daß Ospakar Schwarzzahn Erik mit zwei Langschiffen aufgelauert und daß Erik gekämpft und einen Drachen mit großem Verlust für Ospakar versenkt hatte. Sie berichteten auch, daß Schwarzzahns zweites Drachenschiff, die Rabe, vor dem Wind davongesegelt war und Erik es in einem sich zusammenbrauenden Sturm verfolgt hatte. Aber über das Schicksal der beiden Schiffe blieb viele Monate jede Nachricht aus, und man munkelte, sie seien beide im Sturm untergegangen und Erik sei tot. Aber Gudruda wollte dies nicht glauben. Als Asmund der Priester, ihr Vater, sie fragte, warum sie es nicht glaube, gab sie zurück, daß ihr Herz gewiß zu ihr gesprochen hätte, wäre Erik tot. Dazu meinte Asmund, dies könne schon sein. Als die Heuernte eingebracht war, bereitete Asmund alles für seine Hochzeit mit Unna, Thorods Tochter und Eriks Base, vor. Nun war vereinbart, daß das Hochzeitsfest auf Middalhof abgehalten werden sollte; denn Asmund wollte eine große Gesellschaft zur Hochzeit einladen, und auf dem Kaltrücken war kein Platz für so viele Menschen. Auch wurden einige aus dem Stamm Thorods, Unnas Vater, aus dem Osten und Norden zum Fest eingeladen. Schließlich war alles vorbereitet, und die Gäste kamen in großen Scharen, denn in dieser Gegend war seit vielen Jahren kein dermaßen großes Fest mehr gefeiert worden. Am Vorabend der Hochzeit sprach Asmund mit Groa. Nach-
dem sich das Hexenweib von seiner Krankheit erholt hatte, legte es ständig die gebotene Bescheidenheit zu Tage. Groa schlich wie eine Ratte durch die Nacht; sie sprach nur wenig und hielt den Blick gesenkt. Auch sie war damit beschäftigt, alles fürs Fest vorzubereiten. Als Asmund durch die Halle schritt, um sich davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung war, trat Groa an ihn heran und berührte sanft seine Schulter. »Plagen dich schwere Gedanken, Herr?« fragte sie. »Ja, Groa«, gab er zurück, »aber ich fürchte, sie gehen eher mich als dich etwas an.« »Fürchte nichts, Herr; dein Wille ist auch der meine.« »Sag, Groa, ist es dein Wunsch, hier auf Middalhof zu bleiben, wenn Unna mein Hausweib ist?« »Es ist mein Wunsch, dir so zu dienen wie zuvor«, gab sie weise zurück, »falls Unna es auch will.« »Das ist ihr Wunsch«, sagte Asmund und ging seiner Wege. Aber Groa sah ihm nach, und ihr Gesicht war wütend und böse. »Solange der Tod noch Bedeutung, die Runen noch Macht haben und meine Hand noch Kraft hat, so lange wirst du, Unna, niemals meinen Platz an Asmunds Seite einnehmen! Aus dem Wasser bin ich zu dir gekommen, Asmund; ins Wasser werde ich wieder gehen. Unruhig werde ich dort liegen; unruhig werde ich durch Hels Hallen ziehen; aber Unna wird an Asmunds Seite ruhen - in Asmunds Hügelgrab!« Dann eilte sie wieder in die Halle und bereitete alles fürs Fest vor. Aber als um Mitternacht das Licht niedrig brannte und das Volk schlief, erhob sich Groa und glitt, in einen schwarzen Umhang gekleidet und mit einem Korb in der Hand, wie ein Schatten auf die Wiese hinaus. Dort tauchte sie im Nebel unter, der über dem Flußufer hing, und pflückte leise, immer wieder über die Schulter zurückschauend, als fürchte sie einen verborgenen Feind, die Blüten der giftigen Pflanzen, die im Moor
wachsen. Mit gefülltem Korb schlich sie an Atlis Haus vorbei zu einem versteckten Tal in den Bergen. Hier wartete ein Mann auf sie, und neben ihm brannte ein Torffeuer. In der Hand hielt er einen Eisentopf. Es war Koll der Halbgescheite, Groas Leibeigener. »Ist alles bereit, Koll?« fragte sie. »Ja«, gab er zurück, »aber mir gefällt die Aufgabe nicht, die du mir erteilt hast, Herrin. Sag nun, was willst du mit dem Feuer und dem Topf?« »Nun gut, Koll. Ich will einen Liebestrank für Asmund den Priester brauen; er hat mich darum gebeten.« »Ich habe schon viele schlechte Taten für dich ausgeführt, Herrin, aber von allen gefällt mir diese am wenigsten«, sagte der Knecht zweifelnd. »Und ich habe schon viel Gutes für dich getan, Koll. Ich war es, die dich vor dem Stein des Verderbens gerettet hat, indem ich deine scheinbare Unschuld bewies - ay, du lagst schon mit dem Rücken darauf, denn du hattest einen Mann im Schlaf erschlagen. Ist dem nicht so?« »Ja, Herrin.« »Du warst also schuldig, Koll. Und ich habe dir viele gute Geschenke gemacht - ist dem nicht so?« »Ja, dem ist so.« »Dann höre - diene mir noch dieses eine Mal, und ich werde dir ein letztes Geschenk machen - deine Freiheit, und mit ihr zweihundert Silberstücke.« Kolls Augen funkelten. »Was soll ich tun, Herrin?« »Beim Hochzeitsfest heute wird es deine Aufgabe sein, die Becher vollzugießen, während Asmund die Trinksprüche vorbringt. Wenn alle Männer betrunken sind, nimmst du den Becher, mit dem Asmund verspricht, Unna zur Frau zu nehmen, während sie gelobt, ihn als Mann anzuerkennen. Wenn du eingeschenkt hast, reichst du mir den Becher; ich stehe am Fuß des Throns und werde die Braut im Namen der Dienstboten des
Haushalts begrüßen. Du wirst mir den Becher so geben, als hättest du dich geirrt. Es ist nur ein kleiner Gefallen, um den ich dich bitte.« »In der Tat, ein kleiner Gefallen«, sagte Koll, sah sie an und fuhr sich mit der Hand über sein rotes Haar. »Und doch gefällt er mir nicht. Was ist, wenn ich nein sage, Herrin?« »Sag nein oder spreche darüber, und ich werde dir nur eins versprechen, Bursche: Noch bevor der Winter kommt, werden dir die Krähen das Fleisch von den Knochen picken! Widersetze dich mir, wenn du es wagst«, sagte Groa. Und augenblicklich fing sie an, Hexenworte zu murmeln. »Nicht«, sagte Koll und hob die Hand, als wolle er einen Schlag abwehren. »Verfluche mich nicht: Ich werde tun, was du verlangst. Aber wann werde ich die zweihundert Silberstücke bekommen?« »Ich werde dir die Hälfte geben, bevor das Fest beginnt, und die zweite Hälfte, wenn es zu Ende ist, und mit ihnen die Freiheit, dorthin zu gehen, wohin du willst. Und nun verschwinde, und siehe bei deinem Leben zu, daß du mich nicht enttäuschst.« »Ich habe dich noch nie enttäuscht«, sagte Koll und ging seiner Wege. Nun setzte Groa den Topf aufs Feuer, legte die Kräuter hinein, die sie gesammelt hatte, und goß Wasser hinzu. Sofort fingen sie an zu kochen, und während sie garten, rührte sie sie mit einem Stock um, dessen Rinde sie abgeschält hatte. Dabei murmelte sie Bannsprüche. Lange saß sie an diesem düsteren und einsamen Ort, rührte das Gebräu und brachte Bannsprüche hervor, bis es schließlich fertig war. Sie hob den Topf vom Feuer und roch daran. Dann holte sie ein Fläschchen aus ihrem Umhang, goß die Flüssigkeit hinein und hielt sie ins Licht. Das Hexenwasser war weiß wie Milch, wurde aber augenblicklich klar. Sie betrachtete es und lächelte böse.
»Hier ist ein Liebestrank für eine Königin - ah, ein Liebestrank für eine Königin!« sagte sie und steckte das Fläschchen immer noch lächelnd in ihren Ausschnitt. Nachdem Groa das Feuer ausgetreten hatte, nahm sie den Topf, warf ihn in einen tiefen Teich, wo er nicht so leicht gefunden werden konnte, und schlich zum Haus zurück, bevor die Männer erwachten. Nun ging der Tag allmählich zu Ende, und es hatte sich eine Gesellschaft von fast zweihundert Gästen zum Hochzeitsfest versammelt. Unna saß auf dem Hohesitz, und die Männer hielten sie für eine hübsche Braut, und neben ihr saß Asmund der Priester. Er war ein rüstiger, starker Mann, obwohl er fast schon sechzig Winter gesehen hatte; aber seine Miene war traurig, und sein Herz schwer. Er trank Becher um Becher, um sich aufzuheitern, aber ohne Erfolg. Denn seine Gedanken eilten durch die Jahre zurück, und noch einmal schien er das Gesicht von Gudruda der Sanften zu sehen, als sie im Sterben lag, und ihre Stimme zu hören, die ihm Böses voraussagte, wenn er sich mit Groa dem Hexenweib einließe. Und nun schien es ihm, daß dieses Böse auf der Lauer lag, wenngleich er noch nicht wußte, woher es kommen würde. Er schaute auf. Dort ging Groa durch die Halle und bediente die Gäste; aber er sah, daß ihre Blicke - obwohl sie sich bewegte - stets auf ihm oder Unna ruhten. Er erinnerte sich auch an Groas Fluch, als er ihr erzählt hatte, er werde Unna heiraten, und ihm wurde vor Furcht ganz kalt ums Herz. »Ich werde meine Entscheidung aufheben«, sagte sich Asmund: »Groa wird nicht länger an diesem Ort bleiben, denn ich will ihr finsteres Gesicht nicht mehr sehen. Morgen wird sie gehen.« Nicht weit von Asmund saß Björn. Als Gudruda die Schöne, seine Schwester, ihm Met brachte, faßte er ihren Arm und flüsterte ihr ins Ohr: »Mich deucht, unser Vater ist traurig. Was lastet auf seinem Herzen?« »Ich weiß es nicht«, sagte Gudruda, doch als sie sprach, sah
sie zuerst Asmund und dann Groa an. »Es ist schlecht, daß Groa hierbleibt«, flüsterte Björn. »Es ist schlecht«, gab Gudruda zurück und glitt davon. Asmund sah, daß sie sich unterhielten. Er konnte sich den Inhalt ihres Gesprächs denken. Laut lachend erhob er sich und rief Koll dem Halbgescheiten zu, die Becher zu füllen, damit er die Trinksprüche vorbringen könne. Koll füllte die Becher. Er reichte sie Asmund, der einen Trinkspruch nach dem anderen ausbrachte. Asmund trank aus jedem einen großen Schluck, bis schließlich das Leid von ihm abfiel und er genauso fröhlich wurde wie die anderen, die dort saßen. Als letzter kam der Trinkspruch auf den Becher der Braut. Doch bevor Asmund ihn ausbrachte, näherten sich die Frauen des Haushalts dem Hohesitz, um Unna willkommen zu heißen, wenn sie trank. Gudruda stand vorn, und Groa direkt hinter ihr. Koll füllte wie zuvor den Becher; es war ein großer aus Gold, den er füllte. Asmund stand auf, um den Trinkspruch auszubringen, und mit ihm erhoben sich alle, die in der Halle waren. Koll brachte den Becher, aber er gab ihn nicht Asmund, sondern Groa. Dies fiel nur wenigen auf, denn alle lauschten Asmunds Trinkspruch, und die meisten Gäste waren schon betrunken. »Der Becher«, rief Asmund, »gib mir den Becher, damit ich trinken kann.« Da ging Groa nach vorn, und dabei schien sie zu stolpern, so daß der große Brautbecher einen Moment von ihrem Umhang bedeckt war. Dann faßte sie sich langsam wieder und reichte den Becher lächelnd weiter. Asmund hob ihn an die Lippen und trank. Dann wandte er sich um und gab ihn seiner Frau Unna, doch bevor sie trinken konnte, küßte er sie auf die Lippen. Während die Männer sie nun so lauthals willkommen hießen, daß die Halle erzitterte, und während Unna lächelnd aus dem
Becher trank, fiel Asmunds Blick auf die neben ihm stehende Groa, und siehe da, ihre Augen schienen zu leuchten, und ihr Gesicht war so abscheulich wie das eines Trolls. Asmund erbleichte und legte die Hand an den Kopf, als wolle er nachdenken, und rief dann laut: »Trink nicht, Unna! Der Trank ist vergiftet!« Und er schlug mit der Hand nach dem Becher. Er traf ihn tatsächlich, und zwar so hart, daß er ihr aus der Hand und weit durch die Halle flog. Aber Unna hatte schon einen großen Schluck genommen. »Der Trank ist vergiftet!« rief Asmund und deutete auf Groa, während alle Männer reglos dastanden und nicht wußten, was sie tun sollten. »Der Trank ist vergiftet!« rief er ein drittes Mal. »Und diese Hexe da hat ihn vergiftet!« Und er faßte sich an die Brust. Da lachte Groa so schrill, daß die Männer, die sie hörten, erzitterten. »Ja, Herr«, rief sie, »der Trank ist vergiftet, und Groa die Hexe hat es getan! Ay, reiß dir das Herz aus dem Leib, Asmund, und Unna, werde du bleich wie der Schnee - wenn meine Medizin Kraft hat, werdet ihr bald noch bleicher sein! Hört, ihr Männer! Asmund der Priester ist Swanhilds Vater, und viele Jahre lang war ich Asmunds Geliebte. Was habe ich dir gesagt, Herr? Daß ich euch beide tot sehen würde, ehe Unna meinen Platz einnimmt! Ay, und auf Gudruda die Schöne, deine Tochter, und deinen Sohn Björn, und auf Erik Hellauge, Gudrudas Liebsten, und auf viele Männer mehr wird mein Fluch fallen! Reiß dir das Herz aus dem Leib, Asmund! Unna, werde du weiß wie der Schnee! Der Trank ist vergiftet, und Groa, Rans Geschenk, Groa das Hexenweib, Groa, Asmunds Geliebte, hat ihn vergiftet.« Und noch ehe ein Mann die Hand erheben konnte, um sie festzuhalten, glitt Groa am Hohesitz vorbei und war verschwunden.
Für eine Weile standen alle stumm da. Asmund gab es auf, sich an die Brust zu fassen. Er erhob sich und sprach mit schwerer Zunge: »Nun erfahre ich, daß die Sünde ein Stein ist, der den erschlägt, der ihn wirft. Gudruda die Sanfte sprach wahr, als sie mich vor dieser Frau warnte. Frisch getraut und schon tot! Unna, lebe wohl!« Und augenblicklich fiel Asmund nieder und starb neben dem Hohesitz seiner eigenen Halle. Unna sah mit aschgrauem Gesicht zu ihm hinab. Dann griff sie sich an die Brust, sprang auf und lief schreiend durch die Halle. Die Männer machten ihr Platz, und an der Tür brach auch sie tot zusammen. Dies war das Ende von Asmund Asmundson dem Priester und von Unna, Thorods Tochter, Eriks Base, seiner frischvermählten Braut. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen in der Halle. Doch noch bevor das Echo von Unnas Geschrei erstorben war, rief Björn laut: »Die Hexe! Wo ist die Hexe?« Dann sprangen die Männer mit wütendem Geschrei auf, griffen nach den Waffen und liefen aus dem Haus. Hinaus rannten sie, und dort, auf dem Hügel, hoch über ihnen, kletterte eine schwarze Gestalt behende empor. Sie heulten wie Hunde, die eine Wolfsfährte aufgenommen hatten, und eilten den Hügel hinauf. Sie erklommen die Hügelkuppe und befanden sich nun am Rand des Goldfuchses. Und siehe da, das Hexenweib hatte das Flußbett durchquert, da wenig Regen gefallen war und das Wasser niedrig floß. Groa stand auf dem Schafsattel, und das Wasser rann aus ihrem Umhang. Auf dem Schafsattel stand die Hexe und verfluchte die Männer. Björn nahm einen Bogen und legte einen Pfeil auf die Sehne. Er schoß, und der Pfeil sirrte durch die Luft und traf sie, durchbohrte ihr Herz. Mit einem Aufschrei warf Groa die Arme
hoch. Dann stürzte sie hinab. Sie fiel auf den Wolfsfang, wo Erik einst gestanden hatte, schlug dort auf, stürzte in die brodelnden Tiefen und ward nie mehr gesehen. So heiratete Asmund der Priester also Unna, Thorods Tochter, und dies war das Ende des Festes. Danach herrschte Björn, Asmunds Sohn, auf Middalhof, und nahm auch die Stelle als Priester ein. Er ließ nach Koll dem Halbgescheiten suchen, um ihn zu töten, aber Koll versteckte sich in den Bergen und im Moor und fand nach vielen Monaten ein Schiff, auf dem er eine Passage nach Schottland bekam. Nun war Björn ein harter Mann und ein gieriger. Er war kein Freund von Erik Hellauge und drängte Gudruda unentwegt, Ospakar Schwarzzahn zu heiraten. Doch auf diesen Rat wollte Gudruda nicht hören, denn Tag und Nacht dachte sie an ihren Liebsten. Im nächsten Sommer kam die Botschaft, Erik sei in Irland in Sicherheit, und die Männer sprachen von seinen Taten und berichteten, wie er und Skallagrim allein Ospakars Schiff eingenommen hatten. Nach diesen Neuigkeiten ging Gudruda eine Weile singend auf den Wiesen spazieren, und es wuchs keine Blume auf ihnen, die nur halb so schön war wie sie. In diesem Sommer traf Ospakar Schwarzzahn beim Thing auch Björn, Asmunds Sohn, und die beiden sprachen viel in aller Heimlichkeit miteinander.
XVIII WIE GRAF ATLI ERIK UND SKALLAGRIM AUF DEN SÜDLICHEN FELSEN DER INSEL STRAUMEY FAND Swanhild, in Weiß gekleidet, als sei sie gerade aus dem Schlaf erwacht, stand, die Kerze in der Hand, neben dem Bett Graf Atlis, ihres Mannes, und rief: »Erwache!« »Was ist geschehen?« fragte Atli und erhob sich auf die Ellbogen. »Was ist geschehen, Swanhild, und warum wanderst du des Nachts allein herum und benimmst dich so seltsam? Ich mag deine dunkle Hexenart nicht, Swanhild, und ich wurde in einer schlimmen Stunde mit dir verheiratet, Frau, die du mir keine Frau bist.« »Wahrlich in einer schlimmen Stunde, Graf Atli«, gab sie zurück, »einer schlimmen Stunde für dich und mich, denn wie du gesagt hast, Alter und Jugend gesellen sich nur schlecht zueinander und gehen verschiedene Wege. Erhebe dich nun, Graf, denn ich habe einen Traum gehabt.« »Dann erzähle ihn mir am Morgen«, sprach Atli. »Es ist nur wenig Freude in deinen Träumen, die immer aufs Schlechte hindeuten, und ich hatte in letzter Zeit genug Schlechtes zu ertragen.« »Nein, Herr, so einfach kannst du meine Worte nicht beiseite schieben. So höre: Mir träumte, ein großer Kriegsdrache sei an Straumeys südwestlichen Klippen gestrandet. Die Schreie der Ertrinkenden hallten in meinen Ohren. Aber ich glaube, daß einige lebend das Ufer erreicht haben und dort besinnungslos liegen, um der Kälte zum Opfer zu fallen. Erhebe dich, nimm dir ein paar Männer und geh zu den Klippen.« »Ich werde bei Tagesanbruch gehen«, sagte Atli und ließ den Kopf aufs Kissen fallen. »Ich habe nur wenig Vertrauen in solche Visionen, und es ist zu spät für Langschiffe, um die
Durchfahrt durch den Fjord zu wagen.« »Erhebe dich, sage ich«, gab Swanhild streng zurück, »und erfülle meinen Wunsch, denn sonst werde ich die Klippen selbst absuchen.« Da erhob sich Atli murrend und schüttelte sich den tiefen Schlaf aus den Augen: denn von allen Lebendigen fürchtete er am meisten seine Frau Swanhild. Er legte seine Kleider an, hüllte sich in einen dicken Mantel, ging zur Halle, wo die Männer um die ersterbenden Feuer schnarchten, denn die Nacht war bitterkalt, und weckte ein paar von ihnen. Nun war unter den Männern, die er rief, auch Hall von Lithtal. Hall der Maat, der das Enterseil durchtrennt hatte. Denn dieser Hall, der sich fürchtete, nach Island zurückzukehren, war hierhergekommen und hatte gesagt, er sei vor den Färöern bei dem großen Kampf zwischen Erik und Ospakars Männern verwundet und dort zurückgelassen worden, um sich von seinen Verletzungen zu erholen oder zu sterben. Da hatte Atli, der nicht ahnte, daß der Kerl log, ihn Eriks willen willkommen geheißen, denn er liebte Erik noch immer von allen Männern am meisten. Aber Hall liebte die Arbeit nicht übermäßig, und erst recht keine nächtlichen Streifzüge, um Schiffbrüchige zu suchen, von denen die Herrin Swanhild zufällig geträumt hatte. So drehte er sich auf die andere Seite und schlief wieder ein. Doch auf Atlis Bitten erhoben sich einige Leute, und sie stiegen gemeinsam zu den Südwest-Klippen hinab. Doch Swanhild, die sich einen Mantel über das Nachtgewand geworfen hatte, setzte sich auf den Hohesitz in der Halle, richtete den Blick auf die nun ersterbenden Feuer, dann wieder auf die Prellungen an ihrem Arm und wartete schweigend ab. Die Nacht war kalt und stürmisch, aber der Mond schien hell, und in seinem Licht bahnten sich Atli und seine Leute den Weg zu den Südwest-Klippen, gegen die heftig das Meer anstürmte. »Was liegt dort?« fragte Atli und deutete auf etwas Schwarzes, das unter ihnen auf den Felsen lag, von den Wellen
dorthingespült. Ein Mann kletterte dort, wo die Klippen von der Natur wie in Stufen geschnitten waren, hinab und rief dann laut: »Ein Schiffsmast, Herr, frisch gebrochen.« »Swanhilds Träume scheinen wahr zu werden«, murmelte Atli, »aber eines ist mir sicher: Bei solchem Seegang ist keiner lebend ans Ufer gekommen.« Doch da rief der Mann, der die Felsen absuchte: »Hier liegen zwei große Männer, Arm in Arm. Sie scheinen tot zu sein!« Nun kletterten die Männer, so schnell sie konnten, die schlüpfrigen Felsen hinab, obwohl die Brandung sie durchnäßte, und mit ihnen ging Atli. Der Graf war ein behender Mann, obwohl schon alt an Jahren, und er erreichte die beiden als erster. Der untere lag auf dem Rücken, aber sein Gesicht war von dichtem, goldblondem Haar verborgen, das darüberfloß. »In der Tat, der Körper eines Mannes, aber die Locken einer Frau«, sagte Atli, als er die Hand ausstreckte und das Haar beiseite schob, damit das Mondlicht auf das Gesicht fallen konnte. Er musterte es und fuhr dann bis an die Felsen zurück. »Bei Thor!« rief er. »Hier liegt der Leichnam von Erik Hellauge !« Und Atli rang die Hände und weinte, denn er liebte Erik sehr. »Sei nicht gewiß, daß die beiden tot sind, Graf«, sagte einer der Männer, »ich glaube, ich habe gesehen, daß sich der große Bursche bewegte.« »Es ist Skallagrim Lammschweif, Eriks Todesschatten«, sagte Atli. »Hinauf mit ihnen, Jungs - seht, dort liegt eine Planke und in die Halle mit ihnen! Wenn Erik noch lebt, werde ich jedem von euch zwanzig Silberstücke geben.« Und mit diesen Worten knöpfte er sich den Mantel auf und warf ihn über die beiden. Mit viel Mühe lösten sie den Griff, mit dem sich die beiden
Männer hielten, und legten Skallagrim auf die Planke. Aber acht Mann trugen Erik die Klippe hinauf, und es war keine leichte Aufgabe, obwohl der Graf Hellauges Kopf hielt, von dem das blonde Haar herabhing wie Seegras von einem Felsen. Schließlich hatten sie die Halle erreicht und trugen die beiden hinein. Als Swanhild sie kommen sah, stieg sie vom Hohesitz herab. »Bringt Lampen und legt Holz auf die Feuer«, rief Atli. »Etwas Seltsames ist geschehen, Swanhild, und du hast in der Tat weise geträumt, denn hier haben wir Erik Hellauge und Skallagrim Lammschweif. Sie lagen sich wie Geliebte in den Armen, aber ich weiß nicht, ob sie tot sind oder noch leben.« Nun sprang Swanhild auf und kam schnell herbei. Hatte der Schutzgeist ihr einen Streich gespielt, und hatte sie den Preis umsonst bezahlt? Hatte man Gudruda Erik genommen und ihr gegeben - gegeben, ja aber tot? Sie beugte sich über ihn und musterte scharf sein Gesicht. Dann sprach sie: »Er ist nicht tot, sondern besinnungslos. Bringt trockene Kleider, und erhitzt Wasser.« Sie kniete nieder und löste Helm, Harnisch und Weißfeuer von Eriks Seite. Lange kümmerten sich Swanhild und Atli an dem einen Feuer um Erik, und am anderen behandelten die Dienstmägde Skallagrim. Schließlich kam von dort ein Schrei, daß Skallagrim sich rühre, und Atli lief mit den anderen hinüber, um sich davon zu überzeugen. In diesem Moment schlug auch Erik die Augen auf, und Swanhild sah, daß er sie wie benommen betrachtete. Getrieben von ihrer Leidenschaft und der Freude, daß er noch lebte, senkte Swanhild das Gesicht, bis das seine von ihrem frei fallenden Haar bedeckt wurde, und küßte ihn auf die Lippen. Erik seufzte schwer, schloß die Augen und schlief augenblicklich wieder ein. Sie trugen ihn zu einem Bett und legten warme Umschläge auf seinen Körper. Bei Tagesanbruch erwachte er, und Atli, der an seiner Seite Wache hielt, gab ihm heißen Met zu trinken.
»Träume ich?« fragte Erik, »oder ist es Graf Atli, der mich pflegt, und habe ich nicht eben gesehen, wie sich Swanhilds Gesicht über mich beugte?« »Es ist kein Traum, Erik, sondern Wahrheit. Du hast auf meiner Insel Schiffbruch erlitten.« »Und Skallagrim - wo ist Skallagrim?« »Skallagrim lebt, keine Bange!« »Und meine Gefährten - wie ist es ihnen ergangen?« »Sehr schlecht, Erik. Ran hat sie alle. Nun schlafe!« Erik stöhnte laut auf. »Ich wäre lieber gestorben, als zu leben und solch schlechte Botschaften zu hören«, sagte er. »Hexenwerk! Hexenwerk! Und dieses schöne Hexengesicht hat es begangen!« Und wieder schlief er ein und wachte nicht auf, ehe die Sonne hoch am Himmel stand. Doch Atli konnte seinen Worten keinen Sinn entnehmen. Als Swanhild von Eriks Seite wich, traf sie Hall von Lithtal, und sein Gesicht war besorgt. »Sag, Herrin«, fragte er, »wird Hellauge leben?« »Traure nicht, Hall«, gab sie zurück. »Erik wird bestimmt leben und froh sein, hier von einem Kameraden begrüßt zu werden, nachdem so viele dort geblieben sind.« Und sie deutete zum Meer. »Ich werde nicht erfreut sein«, sagte Hall und senkte den Blick. »Warum nicht, Hall? Fürchtest du Skallagrim? Oder hat Erik dir Unrecht getan?« »Ay, Herrin, ich fürchte Skallagrim, denn er hat geschworen, mich zu töten, und diese Art Versprechen hält er stets. Und wenn die Wahrheit schon herauskommen muß - ich hatte nicht gut Kirschenessen mit Erik, und von allen Männern möchte ich mit ihm am wenigsten reden.« »Fahre fort«, sagte sie. So dazu gezwungen, erzählte Hall, wie er das Tau durchtrennt hatte, wobei er sorgsam darauf achtete, seinen Worten eine
ganz bestimmte Färbung zu geben. »Nun, du scheinst ein Feigling zu sein, Hall«, sagte Swanhild, als er geendet hatte, »und das hatte ich von dir kaum erwartet.« Sie hatte sehr wohl durchschaut, daß er sie mit seinen Worten täuschen wollte. »Es wird dir übel ergehen, wenn du Erik und Skallagrim begegnest, und dies ist mein Rat: Gehe fort von hier, bevor sie erwachen, denn sie werden diesen Winter in Atlis Halle sitzen.« »Und wohin soll ich gehen, Herrin?« Swanhild musterte ihn, und dabei stiegen ihr finstere Gedanken im Herzen empor: Hier war ein Bursche, der ihren Zielen dienen konnte. »Hall«, sagte sie, »du bist Isländer, und ich kenne dich von Kind an, und daher will ich dir aus deiner Klemme helfen, obwohl du es kaum verdienst. So höre, Graf Atli hat einen Hof auf dem Festland, keine zwei Stunden Ritt von der Küste entfernt. Dorthin wirst du gehen, wenn du klug bist, und dort wirst du diesen Winter verbringen und dich vor Erik und Skallagrim verstecken. Nein, danke mir nicht, sondern höre mich an: Es kann sein, daß ich dich noch um einen Dienst bitten werde, bevor der Frühling kommt.« »Herrin, ich werde auf dein Wort warten«, sagte Hall. »Gut. Nun, sobald es hell wird, suche ich dir einen, der mit dir über den Meeresarm segelt, sobald die See sich beruhigt hat, und der Atlis Lehnsmann auf dem Hof meine Botschaft überbringt. Und wenn du Reisegeld brauchst, sollst du es haben. Lebe wohl.« So floh Hall also vor Erik und Skallagrim. Am Morgen erhoben sich Erik und Skallagrim, beide geschwächt und geschunden, aber nicht verletzt, und gingen zur Küste hinab. Dort fanden sie viele Tote ihrer Besatzung, aber keinen einzigen, in dem noch der Odem des Lebens war. Skallagrim sah Erik an und sagte: »Letzte Nacht kam der Nebel gegen den Wind; letzte Nacht sahen wir Swanhilds Er-
scheinung auf den Wellen, und dort ist der Weg, den sie zeigte. Und dort« - und er deutete auf die Toten - »ist die Blume der Hexensaat. Nun sitzen wir heute in Atlis Halle, und hier müssen wir diesen Winter an Swanhilds Seite bleiben, und in alldem liegt ein Rätsel, das ich mir nicht erklären kann.« Aber Erik schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Dann wandte er sich um, Skallagrim bei den Toten zurücklassend, kehrte allein zur Halle zurück, setzte sich auf den davorliegenden Wiesen auf einen Felsen, verbarg das Gesicht in den Händen und weinte um seine Gefährten. Als er weinte, kam Swanhild zu ihm, denn sie hatte ihn aus der Ferne gesehen, und berührte ihn sanft am Arm. »Warum weinst du, Erik?« fragte sie. »Ich weine um die Toten, Swanhild«, gab er zurück. »Weine nicht um die Toten - sie haben ihren Frieden. Wenn du weinen mußt, weine um die Lebenden. Nein, weine überhaupt nicht; erfreue dich daran, daß du hier bist und trauern kannst. Hast du kein Wort des Grußes für mich, die ich deine Stimme so viele Monate lang nicht gehört habe?« »Wie soll ich dich begrüßen, Swanhild, der ich nie wieder dein Gesicht gesehen hätte, wenn es nach meinem Willen gegangen wäre? Weißt du, daß wir gestern nacht, als wir in jenem Meeresarm kämpften, eine Gestalt sahen, die übers Wasser schritt, um uns ins Verderben zu führen? Wie soll ich dich begrüßen, Swanhild, die du eine Hexe und böse bist?« »Und wußtest du, Erik, daß ich gestern nacht aus dem Schlaf erwachte, weil mir träumte, du lägest an der Küste, und daß ich dir so das Leben rettete, wie vielleicht schon zuvor? Wenn du eine Gestalt gesehen hast, die übers Wasser schritt, dann war sie es, die dich hierher geführt hat. Wärst du weitergesegelt, zählten nun nicht nur die, um die du trauerst, sondern auch Skallagrim und du zu den Verlorenen.« »Besser so als so«, sagte Hellauge. »Weißt du auch, Swanhild, daß ich letzte Nacht, als ich in Atlis Halle wieder zu
Sinnen kam, glaubte, Atlis Frau hätte sich über mich gebeugt und mich auf die Lippen geküßt? Es war ein böser Traum, Swanhild.« »Einige hätten ihn nicht als so böse empfunden, Erik«, gab sie zur Antwort und musterte ihn befremdlich. »Doch es war nur ein Traum. Dir träumte, daß Atlis Weib hätte dir den Lebensodem zwischen die bleichen Lippen geblasen - sei gewiß, du hast nur geträumt. Ach, Erik, fürchte mich nicht mehr; vergiß das Böse, das ich in der Blindheit und Narretei meiner Jugend gesponnen habe. Nun stehen die Dinge anders mit mir. Nun bin ich eine verheiratete, meinem Herrn treu ergebene Frau. Wenn ich dich jetzt noch liebe, dann nur mit der Liebe einer Schwester. Vergiß daher meine Sünden und erinnere dich nur daran, daß wir als Kinder auf den Hügeln Islands spielten. Erinnere dich daran, daß wir als Junge und Mädchen über die Marsch geritten sind, und uns die Seemöwen umkreisten und laut klagten. Die Welt ist kalt, Erik, und wir fanden nur wenige Freunde in ihr; viele sind schon von uns gegangen, und bald wird die freundlose Dunkelheit kommen. So weise mich nicht zurück, mein Bruder und Freund; sondern laß uns für die kleine Weile, während du in Atlis Halle weilst, Hand in Hand gehen, wie wir vor langer Zeit auf Island gegangen sind und Frühlingsblumen gesammelt und beobachtet haben, wie die Mitternachtsschatten die eisigen Kuppen der Jökulle emporkriechen.« Dies sagte Swanhild überaus lieblich zu ihm, mit leiser, melodiöser Stimme, während sich Tränen in ihren Augen sammelten; sie sprach über das Island, das er so liebte, und über längst vergangene Tage, bis es Erik ganz warm ums Herz wurde. »Fast glaube ich dir, Swanhild«, sagte er und streckte die Hand aus, »aber ich weiß, daß du nie zweimal gleicher Stimmung bist, und das geht über mein Verständnis. Du hast viel Böses getan und versucht, noch mehr zu tun; auch liebe ich nicht jene, die offenbar das Meer der Nacht durchstreifen. Doch halte dich an das, was du zuletzt gesagt hast, und es wird
Friede zwischen uns sein, solange ich hier verweile.« Sie berührte flüchtig seine Hand und wandte sich zum Gehen. Doch als sie ging, sprach Erik erneut: »Sag, Swanhild, hast du Nachrichten von Island drüben? Seit über zwei Jahren habe ich kein Wort von Asmund oder Gudruda gehört.« Sie erstarrte, und ein dunkler Schatten, den er nicht sehen konnte, huschte über ihr Gesicht. »Ich habe nur wenige Neuigkeiten, Erik«, sagte sie und wandte sich um, »und diese wenigen sind, wenn ich ihnen vertrauen kann, schlecht genug. Denn dies sind die Gerüchte, die ich gehört habe: Asmund der Priester, mein Vater, ist tot; Groa, meine Mutter, ist tot - wie gestorben, weiß ich nicht; und Gudruda die Schöne schließlich, deine Liebste, ist Ospakar Schwarzzahn versprochen und heiratet ihn im Frühling.« Da sprang Erik mit einem Fluch auf und ergriff Weißfeuer. Dann setzte er sich wieder auf den Stein und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Sei nicht traurig, Erik«, sagte sie sanft, »ich setze kein Vertrauen in diese Nachrichten, denn Gerüchte ändern, wie die Schwarzrückenmöwe, oftmals die Farbe auf ihrem Flug übers Meer. Auch habe ich sie nur aus fünfter Hand vernommen. Zumindest bin ich sicher, daß Gudruda dich niemals ohne Grund aufgeben wird.« »Wenn dies wahr ist, wird es Ospakar schlecht ergehen«, sagte Erik mit grimmigem Lächeln, »denn Weißfeuer ist mir noch geblieben, und damit ein wahrer Freund.« »Eile nicht dem Unheil entgegen, Erik. Mit den Sommerblumen sollst du nach Island kommen und Gudruda treu und noch schöner als zuvor vorfinden. Weißt du, daß Hall von Lithtal, der dein Maat war, zwei volle Monate hier verweilt hat? Er ist erst heute morgen gegangen; warum, weiß ich nicht, aber er hat die Botschaft hinterlassen, daß er nicht mehr zurückkehren wird.« »Daran hat er gut getan«, sagte Erik und erzählte ihr, wie Hall
das Tau durchtrennt hatte. »Ay, er hat wirklich gut daran getan«, gab Swanhild zurück. »Hätte Atli dies gewußt, er hätte Hall mit Seegrasruten davongeprügelt. Und nun, Erik, möchte ich noch eins von dir wissen: Warum trägst du das Haar so lang wie eine Frau? Wahrlich, nur wenige Frauen haben so langes Haar wie du.« »Aus diesem Grund, Swanhild: Ich habe Gudruda geschworen, daß niemand mein Haar schneiden wird, bis sie es schneiden kann. Es ist wahrlich eine große Last für mich, denn keinem wächst das Haar so schnell und stark wie mir. Bei einem Kampf hat man mich einst am Haar gepackt, und ich hätte beinahe das Leben verloren. Doch ich werde das Gelöbnis halten, selbst wenn mir das Haar bis auf die Füße wächst.« Und er lachte ein wenig und warf seine goldenen Locken zurück. Swanhild lächelte ebenfalls, wandte sich um und ging. Doch als ihr Gesicht vor ihm verborgen war, lächelte sie nicht mehr. »Bei meinem Leben«, sagte sie sich in ihrem Herzen, »bevor der Frühlingsregen fällt, werde ich dich dazu bewegen, diesen Eid zu brechen, Erik. Ay, ich werde eine Locke aus deinem hellen Haar schneiden und sie als Liebespfand Gudruda schicken.« Aber Erik saß noch immer auf dem Felsen und dachte nach. Swanhild hatte eine böse Saat des Zweifels in sein Herz gesetzt, und sie schickte schon ihre Wurzeln aus. Was, wenn die Berichte wahr waren? Was, wenn Gudruda sich Ospakar hingegeben hatte? Nun, sollte dem so sein, dann würde sie bald Witwe sein, das schwor er sich. Dann erhob er sich und ging grimmig zur Halle.
XIX WIE KOLL DER HALBGESCHEITE BOTSCHAFTEN VON ISLAND BRACHTE Als Erik zur Halle ging, traf er Atli den Grafen, der ihn suchte. Atli begrüßte ihn. »Ich habe seltsame Dinge geschehen sehen, Erik«, sagte er, »aber nichts war seltsamer als deine Ankunft und wie sie verlief. Swanhild hat das Zweite Gesicht, und sie hat einen Traum des Verderbens geträumt.« »Ich glaube auch, daß sie das Zweite Gesicht hat«, sagte Erik. »Und nun, Graf, wisse dies: Es kann dir nur wenig Gutes widerfahren von den Händen eines Mannes, den du aus dem Meer gerettet hast.« »Ich setze kein Vertrauen in solche Altweibermärchen«, gab Atli zurück. »Hierher bist du gekommen, und es ist mein Wille, daß du hier verweilen sollst. Zumindest werde ich dir nicht dabei helfen, von dannen zu ziehen.« »Dann müssen wir auf Straumey bleiben, scheint es«, sagte Erik, »denn von all meinen Gütern und Besitztümern ist mir nur das allein verblieben.« Und er sah auf Weißfeuer hinab. »Du hast immer noch den einen oder anderen Goldreif am Arm«, gab der Graf lachend zurück. »Aber ehrlich, Erik, du möchtest doch gar nicht aufbrechen?« »Ich weiß es nicht, Graf. So höre: Es ist nur gerecht, daß ich mit dir aufrichtig bin. Einst, als du Swanhild geheiratet hast, war sie anderer Gesinnung.« »Ich habe so etwas gehört, und ich habe mir noch mehr gedacht, Hellauge; aber mir scheint, Swanhild hat sich nur wenig geändert. Sie ist so kalt wie Eis und wäre keinem Mann ein gutes Weib.« Und Atli seufzte: »>Wo die Sonne nicht scheint, da schmilzt kein SchneeKolles kann durchaus geschehen, daß du in der Stadt London Erik Hellauge treffen wirst. Nun, wenn du ihn triffst, dann trage ich dir auf, ihm dies zu sagen: Sag ihm, daß mein Vater tot ist und daß mein Bruder Björn, der an seiner Stelle herrscht, ein hartherziger Mann ist, der mich so lange gedrängt hat, Ospakar zu heiraten, bis ich schließlich keine andere Wahl mehr hatte und zustimmen mußte. Und sage Erik, daß ich tief und aufrichtig betrübt bin und daß ich, obwohl wir uns vielleicht nie mehr sehen werden, sein Andenken stets hochhalten werde.« »Es sieht Gudruda nicht ähnlich, so zu sprechen«, sagte Erik. »Sie hatte stets ein festes Herz, und dies sind feige Worte. Koll, ich spüre, daß du lügst. Und wenn ich es wirklich herausfinden
sollte, werde ich dir den Kopf vom Rumpf trennen!« »Nein, Erik, ich lüge nicht. Warum sollte ich lügen? Du hast meine Geschichte noch nicht ganz gehört. Als die Herrin Gudruda zu Ende gesprochen hatte, zog sie etwas aus ihrem Ausschnitt und gab es mir mit den Worten: >Gib dies Erik als Beweis meiner Worte.Rans Geschenk, Hels Geschenkalte Vettel