S&K by DerDritteMann
SCIENCE FICTION Herausgegeben von Wolfgang Jeschke
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S&K by DerDritteMann
SCIENCE FICTION Herausgegeben von Wolfgang Jeschke
S&K by -DerDritteMann-
S&K by DerDritteMann
ARNOLD FEDERBUSH
EIS! Science Fiction-Roman
Deutsche Erstveröffentlichung
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
S&K by -DerDritteMann-
HEYNE-BUCH Nr 3771 im Wilhelm Heyne Verlag, München
Titel der amerikanischen Originalausgabe ICE' Deutsche Übersetzung von Walter Brumm
Redaktion Wolf gang Jeschke Copyright © 1978 by Arnold Federbush Copyright © 1980 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München Printed in Germany 1980 Umschlagbild Eddie Jones Umschlaggestaltung Atelier Heinrichs & Schutz, München Gesamtherstellung Mohndruck Graphische Betriebe GmbH Gütersloh ISBN 3-453-30672-4
Der letzte der Wettersatelliten war der weitaus Komplizierteste — und erfolgreichste — einer Serie, die1960 mit TIROS begann. Er umkreiste die Erde von Pol zu Pol im rechten Winkel zur Erdrotation, und seine Geschwindigkeit war so bemessen, daß er täglich den ganzen, unter ihm vorbeiziehenden Planeten überwachte. Er registrierte die Luft- und Meeresströmungen und verfolgte ihre gewundenen Bahnen vom Äquator zu den Polregionen, aber er beobachtete mit Augen, die bei weitem schärfer, vielseitiger und subtiler aufzeichneten, als menschliche Augen es vermocht hätten. Bestimmte Sensoren waren auf unsichtbare Segmente des Spektrums eingestellt, andere waren dem Weltraum zugekehrt und registrierten die Strahlungen der Sonne und Sterne und des Weltraumes selbst. Alle bekannten Einflüsse auf Wettergeschehen und Klima wurden gemessen, aufgezeichnet und unverschlüsselt an Empfangsstationen überall auf der Erde gesendet. Da seine Sonnenbatterien unaufhörlich Energie lieferten und seine Umlaufbahn vollkommen ausbalanciert war, hatten die Techniker guten Grund, damit zu prahlen, daß er im schützenden Vakuum des Weltraumes Tausende von Jahren funktionieren würde, selbst wenn man ihn nicht mehr benötigte oder durch weiter vervollkommnete Typen ablöste, ein rastloser Roboter, der ununterbrochen seine Datenvielfalt ausstrahlte, unbekümmert darum, ob er ein Publikum hatte oder nicht. Bei Nacht leuchtete er, von der Sonne angestrahlt, ein scheinbarer Stern, der sich jedoch durch seine Geschwindigkeit und Bahn von allen anderen unterschied. Irgendwann einmal mochte ein Angehöriger eines primitiven Stammes bei der Betrachtung des Nachthimmels von diesem seltsamen Licht Notiz nehmen und sich seine Gedanken darüber machen. GRÖNLAND, 35 MEILEN SÜDWESTLICH VOM HUMBOLDT-GLETSCHER Das Eskimodorf lag am Fuß der Berge, abgeschirmt gegen die arktischen Winde, und so war die Nacht still. Zwischen den Iglus und den wenigen barackenartigen Fertighäusern, die, erst in den sechziger Jahren errichtet, wegen der unerschwinglich gewordenen Heizungskosten schon wieder unbewohnt standen oder als Lagerräume dienten, schliefen die Schlittenhunde im Freien. Ihr
Atmen und ein gelegentliches unterdrücktes Knurren und Husten im Traumgeplagten Schlaf waren die einzigen Geräusche weit und breit. Einer der Hunde erwachte, hob schläfrig den Kopf und blinzelte hinüber zu dem benachbarten Iglu, dessen Schneewände vom Lichtschein der im Inneren brennenden Tranlampe matt durchglüht wurden. Die wechselnden Schatten ließen darauf schließen, daß jemand wach war und sich bewegte. Er ließ den Kopf wieder auf die Pfoten sinken, schloß die Augen und kehrte zurück zu seinen Träumen. Drinnen nähte die alte Frau ihre Kleider fertig. Es war eine lange und mühsame Arbeit gewesen, denn sie nähte die Pelzstücke in der traditionellen Art mit unzerreißbarem Faden aus Tiersehnen, der nur mit einer eigens dafür geschnitzten und geschärften Nadel verarbeitet werden konnte. Außerdem waren ihre Finger steif, die Augen trübe, und die Zähne, mit denen sie das Unterleder weich gekaut hatte, waren fast bis auf das Zahnfleisch abgenutzt — diejenigen Zähne, die sie noch hatte. Aber die Liebe zu ihrer Arbeit verringerte den Schmerz, denn dies waren ihre schönsten Kleider, ihre letzten Kleider, reich bestickt, weich, dick und bequemer als alle anderen, denn in diesen Kleidern gedachte sie zu sterben. Plötzlich wurde die Stille von einem Geräusch wie einem Kanonenschuß zerrissen, das mit nachhallenden Echos durch das Tal schlug. Die alte Frau ließ die Hände sinken und lauschte. Es folgte ein scharfes Splittern, aber so tief und durchdringend, daß sie es in sich fühlen konnte. Darauf kam eine Serie von Kanonenschüssen, vermischt mit splitterndem Krachen, die sich zu rollendem Donner verstärkte, der den Boden erzittern machte. Sie sah sich nach der schlafenden Familie um. Einige der Schläfer regten sich, wälzten sich auf die andere Seite, wachten aber nicht auf. Die Geräusche, obgleich furcht erregend laut, waren ohne Bedeutung für sie und wurden daher ignoriert, geradeso wie eine schlafende Mutter die von der Straße hereindringenden Geräusche unbeachtet läßt, aber bei der geringsten Unruhe ihres Kindes sofort hellwach ist. Für die alte Frau aber hatten die Geräusche eine große und unmittelbare Bedeutung. Sie blickte zu ihrem Sohn und der Schwiegertochter, die kräf-
tig und gesund waren, und zu ihren Enkelkindern, für die gut gesorgt war. Und sie gedachte ihrer eigenen Mutter, wie auch sie sich in ihre letzten und besten Kleider gehüllt hatte, als der Stamm die Sommersiedlung verlassen hatte und südwärts zu den winterlichen Jagdgründen gezogen war, während sie allein zurückgeblieben war, um auf den Tod zu warten, sollte er in sanft einschläfernder Entkräftung kommen, oder in der Gestalt des großen weißen Bären. Es war richtig und natürlich, daß der Mensch, der nicht länger jagen oder nähen oder zum Überleben der Familie beitragen konnte, zurückgelassen wurde, um zu sterben. Und obgleich der Anlaß ein freudiger war, obwohl dieser Mensch wußte, daß er oder sie bald in den Geist alles Seienden gehen und mit jenen wiedervereint sein würde, die gestorben waren, gab es dennoch Traurigkeit über den Abschied von den Lebenden. Generation um Generation war es so gewesen, und nun war endlich sie selbst an der Reihe, aber mit einem bedeutsamen Unterschied. Würdig oder unwürdig, ihr war es bestimmt, einen Tod höherer Art zu erleiden. Das Eis selbst würde sie aufnehmen und in den Geist alles Seienden überführen. Dann würde sie ihre Eltern und Großeltern wiedersehen und nicht länger von den Gebrechen des Alters geplagt sein. Sie lächelte bei dem Gedanken, und dann bemerkte sie, daß der ferne Lärm verstummt und die Nachtstille zurückgekehrt war. Liebevoll faltete sie die Kleidungsstücke zusammen und legte sie sorgfältig weg. Bald, bald würde sie sie tragen. NEW YORK CITY: »Gott ist mein Zeuge, ich bin zu alt, um zu kämpfen«, seufzte Guzman und wischte sich die Stirn in der Hitze. Die Mitglieder des Kollegiums blickten einander an und wußten, daß die Nachricht nicht gut sein konnte. »Herrschaften, ich möchte Ihnen sagen, daß ich alles in meinen Kräften Stehende für uns getan habe. Wirklich. Viel hat nicht gefehlt, und ich hätte mich auf die Knie geworfen und die gefalteten Hände empor gestreckt. . . Unglücklicherweise . . .« Er zuckte die Achseln. Die um den Tisch Versammelten blickten mißmutig auf ihre Notizen. Mark Haney betrachtete die Muster der abblättern-
den Wandfarbe und glaubte in einem seltenen Anflug von Fantasie die fransigen Umrisse von Altokumulus auszumachen. »Also wurden wir wieder getauscht?« »Sehen Sie, es sind lausige Zeiten, und nicht nur für uns. New York ist ein einziger großer Sozialfall das brauche ich Ihnen nicht zu sagen und die Universität ist von den Folgen nicht harter betroffen als jeder andere.« »Nun, jedenfalls treffen sie die Fakultät harter als jeden anderen.« »Was wollen Sie, ich habe den Leuten alles erklärt: Meteorologen sind gefragt, es ist ein großes Arbeitsgebiet, es gibt eine Menge Wetter, womit man sich tagaus, tagein beschäftigen kann, es hört nie auf ..« »Ja, das übliche. Vielleicht hört man uns nicht, weil wir unten im Keller sind.« »Man wird hören, wenn Sie sich rühren, Haney « »Aber das tue ich ja!« »Ich meine, nicht vor mir, und auch nicht vor dem Verwaltungsrat. Ich meine mit einer Veröffentlichung, einem Projekt, irgend etwas. Stellen Sie Ihren Namen heraus, treten Sie ins Rampenlicht.« »Gut, beschaffen Sie nur ein paar Glühbirnen.« »Sehr komisch.« »Ich meine Ausrüstungen, Zeug, womit ich arbeiten kann. Abteilungen wie Werbepsychologie und Marktforschung kriegen den Computer, und wir bekommen nicht mal Rechenzeit daran.« »Da gibt es einen Unterschied, Haney. Werbepsychologie und Marktforschung bringt Geld ein und ist sexy.« »Und oben die Geologie, die Leute bekommen Bewilligungen wie verrückt, dazu Ausrüstungen. Seit wann ist Geologie sexy?« »Seit der Energieknappheit Das gleiche gilt für Geographie, Ozeanographie und die anderen Abteilungen oben.« »Wo die Klimaanlage ist.« Lew Fink meldete sich zu Wort. »Mark, wenn du etwas gegen das Wetter unternehmen wurdest statt bloß darüber zu reden ...« »Ja«, sagte Professor Guzman »Da haben sie diesen neuen Sa-
telliten hinauf geschossen, und Sie haben Ihren Radioempfänger. Hören Sie sich an, was er zur Erde funkt.« »Was nutzt das Anhören? Ohne Ausdruckstation ist es bloß ein endloses da-dit-dit.« »Nun, Haney, Sie haben den Radioempfänger gebaut. Bauen Sie sich eine Ausdruckstation dazu. Improvisieren Sie Ziehen Sie ein Kaninchen aus dem Zylinder.« »Zuerst brauche ich den Zylinder.« Guzman lächelte hinterhältig. »Ah, jetzt kommen wir darauf. Ich habe die gute Nachricht bis zuletzt aufgespart « Er griff unter den Tisch und zog ein hübsch eingeschlagenes Päckchen hervor. »Für einen neuen Ausrüstungsgegenstand konnte ich beim Verwaltungsrat Geld locker machen. Und ich fragte mich, wer sollte es bekommen? Wer ist das junge Genie, das am ehesten mit dieser großartigen Veröffentlichung aufwarten kann, die uns alle in die Schlagzeilen bringen wird?« Alle Gesichter wandten sich in offensichtlicher Eifersucht Mark zu. »Es freut mich, daß wir uns alle einig sind. Hier ist es also, Haney, und es gehört Ihnen ganz allem. Ich vertraue darauf, daß Sie uns andere gelegentlich auch einmal heranlassen werden.« Mark war bereits dabei, das Packpapier aufzureißen. »Soweit ich verstehe«, sagte Guzman, als Mark den Gegenstand für alle sichtbar auf den Tisch stellte, »wird das Wetter gut, wenn Hansel und Gretel herauskommen. Und wenn es schlecht wird, dann ist es die Hexe.« »Nun, wie lautet die Vorhersage?« fragte Fink, nachdem er ein Prusten unterdrückt hatte. Mark blickte mißmutig auf das kleine Wetterhäuschen. Die Hexe war bereits auf dem Weg heraus. »Mann, ist das echt, Papa?« »Klar, ist das echt. Du hast sie doch im Film gesehen. Eins von diesen großen Dingern wird lebendig, trampelt über den Times Square und bringt achtstockige Häuser zum Einsturz, als waren sie aus Bauklotzen. Ja, das ist echt, kannst dich darauf verlassen.« Der Junge blickte zu dem riesenhaften Skelett auf. Das Ungetüm stand auf den mächtigen Hinterbeinen, im Gleichgewicht gehalten von seinem schweren Schwanz, und die grinsenden
Kiefer mit Dutzenden von spannenlangen scharfen Zähnen ragten so hoch auf, daß man sie nicht mehr genau sehen konnte. »Aber ich meine, könnte es passieren?« »Nein, es kann nicht passieren. Die sind tot. Das sind Knochen, bloß Knochen. Die werden nicht mehr lebendig.« »Du sagtest, sie seien echt.« »Sind sie auch, aber tot. Seit ich weiß nicht wie vielen Jahren. Sehr vielen Jahren.« Der Junge rang mit dem Unterschied zwischen >nicht echt< und >totWohlfahrtspersonen< tun können.« »Wir leben in einem freien Land, Mr. Haney.« »Ich werde mit Ihnen nicht über Gesetze diskutieren, Mrs. Magnusson. Mit Danny steht nicht nur ein Menschenleben auf dem Spiel, sondern eine kostbare Intelligenz. Sie können eifern und toben, soviel Sie wollen, aber das Jugendamt kann Sie vor Gericht bringen, und dafür sorgen, daß Danny ein ordentliches Zuhause bekommt.«
»Er hat ein ordentliches Zuhause! Er . . . das würden Sie nicht tun.« »Ich werde es tun, Mrs. Magnusson, darauf können Sie sich verlassen. Ich weiß, was hier auf dem Spiel steht, selbst wenn Sie es nicht zu wissen scheinen.« »Auf dem Spiel steht. . . ich ... Was für ein Land ist das? Weshalb sind Sie alle hinter mir her, was wollen Sie alle von mir? Das ist doch eine Verschwörung, nicht wahr? Ist es nicht so?« Er antwortete nicht, und als sie weiter sprach, geschah es in einem ganz anderen Ton, unnatürlich ruhig, beinahe berechnend. »Mr. Haney, wo ist Danny?« »Ich sagte Ihnen, er ist in der Bücherei.« »Sie . . . Sie haben noch nichts unternommen?« »Ich wollte erst mit Ihnen sprechen, Mrs. Magnusson. Offen gesagt, ich bin nicht allzu glücklich mit dem, was ich höre.« Ihre Panik begann zurückzukehren. »Wir sollten reden . .. Wir müssen noch einmal miteinander reden . . . Sie haben kein Recht...« Sie hörte sich an, als wäre sie wieder im Begriff, in Wut zu geraten, aber sie fing sich. »Wir sollten wenigstens darüber reden ... Sie werden nichts unternehmen, bis wir geredet haben, Mr. Haney ...« »Gut.« »Könnten Sie hierher kommen?« Mark hatte eine plötzliche Vision von sich selbst, allein mit einer hysterischen Paranoikerin, die diese riesige Peitsche zur Hand hatte, und ohne Zeugen. Er überlegte fieberhaft. Er brauchte ein öffentliches Lokal, wo die Anwesenheit anderer dämpfend wirkte und wo es für den Fall, daß sie einen Anfall bekäme, Hilfe geben würde. »Nein, es wäre mir lieber, wenn wir uns in der Universitätsmensa treffen könnten.« »Das . .. das ist ein seltsamer Ort, um ein Gespräch zu führen.« »Wirklich nicht, Mrs. Magnusson. Glauben Sie mir, man sitzt dort recht angenehm.« Neunzehntausend Kilometer höher schlössen sich elektrische Kontakte, und ein Wechselstrom wurde erzeugt. Spezielle Anordnungen von Antennen und Verstärkern richteten und ver-
stärkten das Signal und strahlten es erdwärts aus. In ihm waren Milliarden von Informationsbits enthalten, Beobachtungen einer so immensen Wettermaschine, daß sie an einem einzigen Tag sechzigtausend Gewitter bewältigen konnte, zugleich aber so empfindlich war, daß vergleichsweise geringfügige Eingriffe wie das Abbrennen einer Hecke in Australien, das Ausspülen von Ölrückständen durch einen Tanker im Atlantik oder die Rodung einer Trasse für den Straßenbau in einem Land Europas Veränderungen hervorriefen, deren Wirkungen sich allmählich auf der molekuralen Ebene ausbreiteten, um schließlich das Wetter in Amerika oder Sibirien zu beeinflussen. Als der Satellit auf seiner Bahn von Pol zu Pol südwärts zog, ließ er New York unter sich zurück und überflog die Hauptstadt des Landes. Das Radiosignal wurde von einer komplexen Anordnung von Stangen und Stäben aufgefangen, die sorgfältig auf den Empfang dieses und keines anderen Signals eingestellt war. In millionenfachen Schwingungen pro Sekunde erzeugten die Antennen ihr eigenes, korrespondierendes Signal, und dies wurde festgehalten, umgeformt und verstärkt und dann von anderen Antennen über die Chesapeake Bai zu einem Empfänger gesendet, der es schließlich an die größte Computeranlage der Welt weitergab. Alle Mechanismen arbeiteten gehorsam und fehlerlos. Niemand sonst konnte dieses Datenmaterial auswerten oder ihm mehr Sinn abgewinnen als die Vögel, die unbeeinflußt durch den Sendestrahl flogen. Das Signal des Satelliten berichtete von den wachsenden atmosphärischen Anomalien des Planeten, der Zunahme an Staub, Kohlendioxid, Wärme, von den Verlagerungen der atmosphärischen Höhenströmungen und des Golfstroms, dem Rückgang der Gletscher in den Hochgebirgen der nördlichen Halbkugel, vom Vorrücken der Wüste in der Sahelzone. Es brachte Nachricht von astronomischen Einflüssen, die auf die Umlaufbahn des Satelliten einwirkten, aber auch von kosmischen Strahlen, alles mit einer Klarheit und Vollständigkeit, die erdgebundenen Beobachtern verwehrt blieb. Dieses unablässig gesammelte und empfangene Material wurde mit den Daten integriert, die bereits in die Speichereinheiten des Computers Eingang gefunden hatten. So füllten sie Lücken aus, interpretierten Prozesse neu, präzisierten Definitionen.
Ausgerüstet mit dem neugewonnenen Verständnis, rekonstruierten die Wissenschaftler abermals das Wettergeschehen in allen Teilen der Erde an einem nicht lang zurückliegenden Wintertag, und setzten ihr Erdmodell in Bewegung. Als die grünen Frontenlinien über die elektronischen Wetterkarten wanderten, stimmten sie vollkommen mit den tatsächlichen Wetterkarten jener Tage überein. Innerhalb von Minuten wiederholte sich im Modell das Wettergeschehen von Tagen, der Januar wurde zum Februar, dieser zum März. »Es hält!« Jahreszeiten wechselten, Stürme kamen und gingen, alle zur rechten Zeit und am rechten Ort, und mit jedem Monat, der die Genauigkeit der Computerprojektion bestätigte, brach erneuter Jubel aus. Endlich holte das Modell die Gegenwart ein und zeigte das Wetter, das draußen tatsächlich herrschte. »Verdammt will ich sein, heiß und trocken wie bestellt!« Man entkorkte ein halbes Dutzend Sektflaschen und stieß auf den Erfolg an. »Aufgepaßt, Kinder, jetzt kommt der historische Augenblick!« Das Computermodell überschritt die Grenze in die Zukunft, ins Unbekannte. »He, da kommt eine Veränderung«, sagte jemand, als das Computermodell das Ende der Hitzewelle prophezeite. »Wird auch Zeit!« Auf allen Gesichtern war ein Lächeln. Das Lächeln verging ihnen, als die angezeigten Werte des Wettergeschehens einen unerwarteten Verlauf nahmen, als der Sommer in den Herbst und dann in den Winter überging. Sie konnten nichts mehr tun als sprachlos auf die elektronischen Wetterkarten starren, bis jemand die bleierne Stille mit einem unfreiwilligen Ausruf unterbrach. »Mein Gott!« In der folgenden Zeit sollten sie den Prozeß selbstverständlich überprüfen, Feldstudien vornehmen und direkt an Ort und Stelle Messungen durchführen. Die Verifikation war hier besonders wichtig, aber niemand zweifelte wirklich an den schreckenerregenden Implikationen der veränderlichen grünen Linien. Wetterinformationen waren seit langem die internationalste aller Sprachen gewesen, die zugänglichste und offenste Regie-
rungsinformation. Noch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges tauschten die staatlichen Wetterämter der Russen, Amerikaner, Chinesen, Inder und Franzosen unbeeinflußt von aller Politik ihre Meßwerte und Beobachtungen aus. Keine andere Information war so unpolitisch und zugleich so lebenswichtig. Aber dies war eine andere Sache. Es war zu wichtig, um die Entscheidung darüber den beteiligten Wissenschaftlern zu überlassen, sagten einige, und andere meinten, es sei unverantwortlich, den Politikern die Entscheidung in die Hände zu geben. Alle aber waren sich darin einig, daß die neu gewonnene Erkenntnis zu wichtig sei, um geheim gehalten zu werden, und viel zu schrecklich, um sie bekannt zumachen. Doch wußten alle Beteiligten, daß die Entscheidung ihnen bald aus den Händen genommen würde. Wettervorhersagen als solche würden natürlich auch weiterhin gemacht. Der Satellit würde seine Botschaften allen mitteilen, die sie empfangen und entschlüsseln konnten, wenn auch in verzerrter oder unvollständiger Form. Aber die auf einer unendlich genauen Auswertung aller denkbaren Faktoren beruhende Projektion der Daten, die langfristige Wettervorhersage, mußte geheim bleiben, bis über geeignete Aktionspläne entschieden werden konnte. Nach und nach mußte die Wahrheit auch für den Rest der Welt von selbst evident werden, aber zu diesem Zeitpunkt würde ihr Schicksal bereits besiegelt sein. Die Mensa war laut und voll. Sie war klimatisiert, doch hatten die Konstrukteure der Klimaanlage bei ihren Berechnungen der Kühlenergie offenbar die körpereigene Wärmeentwicklung der Menschenmenge unbeachtet gelassen. Hätte man Fenster eingebaut, die sich öffnen ließen, so wäre es bei weitem kühler gewesen. Aber natürlich waren die Fenster versiegelt und nicht zu öffnen. Mark wog die Möglichkeiten seines Auftretens ab, von verständnisvoll bis streng, bittend bis fordernd. Die angemessene Verhaltensweise mußte sich natürlich nach der Art von der Frau richten, mit der er zu tun hatte. Er hielt nach einer großen, grobknochigen Person mit harten Gesichtszügen Ausschau. Wäre nicht ihr seltsames Benehmen
gewesen, so hätte er die schmächtige, blasse Frau in der Schlange der vor der Getränkeausgabe Wartenden überhaupt nicht bemerkt. Sie wartete einen Augenblick zu lange, bevor sie nachrückte, um die entstandene Lücke zu ihrem Vordermann zu schließen. Der Student hinter ihr stieß sie ein wenig ungeduldig an, und statt nachzurücken, überraschte sie ihn, indem sie bereitwillig zur Seite trat und ihn vorbeiließ. Mark kam der Gedanke, daß eine Schlange von Wartenden mit ihrem feinen Gespür, wann man vorwärtsdrängen und wann man stehenbleiben mußte, die Gesellschaft symbolisiere. Die junge Frau schien aus einer anderen Zeit und von einem anderen Ort zu kommen, fand sich unversehens hier hereingestoßen und war unfähig, sich in der fremden Umgebung zurechtzufinden. Der Vorgang wiederholte sich, und in dem Maße, wie die Leute hinter ihr aggressiver vordrängten, gab sie um so bereitwilliger nach, zunehmend verwirrt. Es hatte den Anschein, als käme sie niemals vom Fleck und müßte verhungern. Endlich ging Mark auf sie zu und nahm sie behutsam am Arm. »Vielleicht kann ich helfen. Was möchten Sie?« Sie wandte sich dankbar zu ihm um. »Einfach was Kaltes. Irgend etwas.« Er blieb bei ihr, bis sie an die Reihe kam und etwas bestellte. Er nutzte die Zeit, um sie aufmerksam zu mustern, und als sie das Glas mit dem Getränk in der Hand hielt, sagte er: »Sie können nicht mal in einer Schlange anstehen, ohne andere vorbeizulassen. Ich sehe nicht, wie Sie erwarteten, sie könnten Mark Haney herumschubsen.« Um ein Haar hätte sie das Glas fallen lassen. Er nahm wieder ihren Arm und sagte: »Schon gut. Setzen wir uns.« »Sie sind . ..« »Suchen wir uns erst mal einen Platz. Bei der Klimaanlage, wenn Sie wollen.« Sie nickte und folgte ihm zu einem kleinen Tisch, wo sie sich direkt in die kalte Zugluft setzte. Keiner von ihnen sagte etwas, bis sie ihr Glas leergetrunken hatte und seufzte. »Mein Gott«, sagte sie kopfschüttelnd. »Es tut mir schrecklich leid . . . Ich hätte gern einen guten Eindruck gemacht . . . Ich . . . Ich fürchte, es ist mir nicht gelungen.«
»Glauben Sie mir, er ist besser als ich erwartet hatte.« Darauf folgte eine lange, unbehagliche Pause, bis Mark schließlich entschied, daß es an ihm sei, zur Sache zu kommen. »Ich möchte von Anfang an klarstellen, daß ich nur um Dannys Wohl besorgt bin.« »Nun, was meinen Sie, ist meine Sorge?« fuhr sie auf. »Das Dumme bei der Sache ist, daß ich das nicht weiß. Sehen Sie, Danny ist ein feiner Junge, mit einem brillanten Verstand, aber er ist zart und sensibel. Er könnte jederzeit auseinander fliegen.« Sie nickte. »Ich weiß. Lieber Gott, und ob ich es weiß!« Er blickte sie scharf an. »Ich weiß nicht, wie sich das vereinbaren soll. Am Telefon waren Sie hysterisch, Sie gaben zu, daß Sie ihn vernachlässigen .. .« »Nein, nein. Sie verstehen nicht. . .« »Sagten Sie nicht, es sei Ihnen gleich, was aus ihm wird?« Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Psychologie fällt nicht in mein Fach, Danny benimmt sich wie ein Kind, das geschlagen worden ist. Und in Ihrer Wohnung hängt diese Rohlederpeitsche, zusammen mit all dem anderen unheimlichen Zeug. Aber Sie sehen nicht kräftig genug aus, um ein Rührei zu schlagen.« »Sie meinen ... Sie denken, ich ...?« »Was soll ich denken?« Sie schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte. »Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort würde es komisch sein«, murmelte sie. Sie ließ die Hände sinken und blickte auf. »Die Menschen, mit denen ich lebte, schlugen ein Kind nie, und wenn sie es anrührten, dann nur in liebevoller Zuneigung. Sie disziplinieren ihre Kinder nicht. Sie kommandieren sie nicht herum. Sie sagen ihnen nicht einmal, wenn es Zeit ist zu essen oder zu Bett zu gehen. Sie glauben, Kinder seien von Natur aus gut und weise. Sie schenken ihnen Liebe, lassen sie aber ihren eigenen Weg finden. Und diese Kinder wachsen zu den schönsten und freundlichsten Menschen auf Gottes Erde heran.« »Eskimos?« Sie nickte. »Was immer ein Kind tut, tut es aus eigenem Antrieb, und es wird die richtige Wahl sein.« »Auch wenn es Heroin schießt oder Banken beraubt?« »Keins von ihnen hat das bisher getan.«
»Warum ist Danny dann so geworden, wie er ist?« Sie zuckte traurig die Achseln. »Ich war nicht bei ihm. Wenn Sie schon die schwerste Sünde aufdecken müssen, die ich beging, dann war es die. Ich war nicht seine Mutter.« »Wer war es dann?« »Letztes Jahr das Waisenhaus. Ich weiß nicht, was dort vorging. Er spricht nicht darüber, und ich will ihn nicht drängen.« Mark wartete. Es war ein zögerndes, langsames Abwinden, doch sobald sie angefangen hatte, schien sie nur zu gern bereit, ihre Bürde zu teilen. Sie war Studentin der Anthropologie gewesen, verliebt in die Eskimokultur und ihren Professor. Gemeinsam unternahmen sie eine Studienreise nach Grönland, wo sie Feldforschung betreiben wollten. Bald darauf heirateten sie und sie brachte Danny zur Welt, doch hatte er zu der Zeit bereits ein Verhältnis mit einer anderen Studentin angefangen. »Anthropologie ist sexy«, bemerkte Mark. »Er wußte viel über die Eskimos, aber er lernte es niemals wirklich. Bei ihm war alles immer noch ein Drängen und Hasten und Jagen. Er konnte vom Wettbewerbsverhalten unserer Gesellschaft nicht loskommen. Ehe ich wußte, wie mir geschah, hatte er die Veröffentlichung, an der wir gearbeitet hatten, unter seinem eigenen Namen herausgebracht, hatte er seine neue Frau und Danny dazu. Ich war zerstört, ich verlor einfach den Kopf und rannte. Ich rannte fort, zurück nach Grönland. Die Eskimos waren mein Trost. Bei ihnen lernte ich von neuem, was wahrhaft wichtig ist, und ich fand eine Art von Glück und ...« »Das würde ich trotzdem Weglaufen nennen.« Sie zuckte müde die Achseln. »Sie sind nicht der erste.« »Wer, Danny?« Sie nickte. »Von Grönland aus kann man keine Besuchsrechte wahrnehmen. Und wer sollte sich mit ihm abgeben, geschweige denn ihn verstehen? Sein Vater war bis über beide Ohren mit seiner Karriere beschäftigt, seine Stiefmutter war ein Flittchen, und ich hatte ihn verlassen.« Es schien Mark, daß Danny sich der Wissenschaft zugewandt hatte, um dort Geborgenheit zu finden, und er fragte sich, ob er dem Jungen sagen sollte, wieviel sie verlangte und wie wenig sie dafür gab. »Und was dann?«
»Sein Vater starb.« »Wie?« »Am Vorwärtskommen . .. Nein, natürlich nicht«, schränkte sie ein. »An einem Herzinfarkt. Und seine Witwe, die ohnedies anderes im Kopf hatte, wußte mit einem Wunderkind nichts anzufangen, also suchte man mich. Es dauerte vier Monate, bis man mich gefunden und verständigt hatte, weitere sechs, bis ich zurückgekehrt war.« »Na, da haben Sie sich aber Zeit gelassen.« Sie spannte sich. »Ich war in einer der entlegensten Gegenden Grönlands. Als sie mich endlich gefunden hatten, hatte das Tauwetter eingesetzt, und wir konnten das Eis nicht überqueren. Hundeschlitten sind keine Düsenmaschinen. Aber wenn Sie es jetzt nicht verstanden, dann können Sie sich um so besser vorstellen, was Danny dachte, als er in diesem Waisenhaus gefangensaß. Es kam alles zusammen, Kulturschock, die rechtlichen Komplikationen, der Versuch, Arbeit zu finden und Danny eine Mutter zu sein, und dann Ihr Anruf.« »Es tut mir leid. Ich konnte nicht wissen ... wie sich alles das verhielt. Ich war nur um Danny besorgt. Der Himmel weiß, was aus ihm werden könnte, wenn es richtig mit ihm geht.« Sie seufzte. »Ich wünschte nur, er könnte ein Kind sein.« TUCSON, ARIZONA: Ruth Cooper war mit der dritten Klasse zu einem Ausflug in die Wüste gezogen. Eines der Kinder zeigte auf ein großes, wieselartiges Tier, das, von dem Lärm der Kinder aufgescheucht, in einiger Entfernung davonsauste. »Oh, das ist ein . . . äh . . . Ich weiß es nicht. Wenn wir zurückkommen, werde ich im Buch nachschlagen.« Die Tierenzyklopädie lieferte die Antwort: >Baummarder, Verbreitungsgebiet Alaska, Kanada und die nördlichen Vereinigten Staaten.< Neugierig geworden, rief Mrs. Cooper im Naturkundemuseum an. Baummarder hatten in der Wüste nichts verloren. Das Tier, so sagte man ihr, müsse aus einem Zoo oder dem Gehege eines Privatmannes entwichen sein. Der Kurator des Museums fand die Meldung interessant. Er wußte nichts von vermißten Tieren, sagte aber, daß in letzter Zeit mehrfach Tiere aus nördlichen Breiten in der Wüste beobachtet
worden seien. Einen Grund für dieses Auftreten konnte er nicht angeben. »Hören Sie, wer immer auf Empfang geschaltet haben mag: Ich habe keine Zeit, meine Funkkontakte durch Karten zu bestätigen. Ich komme eben von einem sterbenden Kind. Sein Bauch war geschwollen, aber sonst sah man überall die Knochen durch die Haut, es weinte nicht, das tun diese Leute nicht, aber es muß große Schmerzen erlitten haben. Es brauchte Plasma, es brauchte Antibiotika, es brauchte Lebensmittel und Wasser. Allein in diesem Lager gibt es tausend weitere, die wie dieses Kind sterben werden, und die Regierung wacht nicht auf. Es ist ihr einerlei, wie es den meisten von Ihnen dort draußen einerlei ist. Oder sie versucht nur einen der gröbsten Fehler in der Geschichte zu vertuschen. Sie wird hunderttausend Menschen umkommen lassen, ehe sie sich bereit finden wird, ihre Versäumnisse und Fehleinschätzungen zuzugeben. Darum muß die Weltöffentlichkeit mobilisiert werden. Wer nichts unternimmt, macht sich mitschuldig. Wenn nichts geschieht, werden wir hier hunderttausend Tote haben. Glauben Sie mir, ich übertreibe nicht.« Eine Pause trat ein und als er weiter sprach, klang seine Stimme müde und stumpf. »Hier spricht TL8XNT, Mali, Westafrika. Werde mich zur gewohnten Zeit wieder melden. Ende.« Das Signal verschwand und ließ nur das vertraute Zischen zurück. Mark blickte zu Danny, der neben ihm saß und die Meldung mitgehört hatte, aber keine Reaktion zeigte. Vielleicht konnte er sich unter so einer abstrakten Zahl wie hunderttausend Toten nichts vorstellen. Mark wandte den Kopf und schaute aus dem Fenster. Auf den Gehsteigen spielten Kinder, eine Gruppe umdrängte den aufgedrehten Hydranten, der verschwenderisch sein Wasser verspritzte, andere lutschten Eis vom Stand an der Ecke. Schließlich nahm Mark den Hörer ab und rief die New York Times an. Nachdem er mehrmals weiter verbunden worden war und einen Rückruf hatte über sich ergehen lassen, der bestätigen sollte, daß er tatsächlich ein Dozent an der Universität war, sprach Mark mit einem Redakteur der Abteilung Auslandsnachrichten. »Die Meldungen, die uns aus Mali erreichten, sind höchst widersprüchlich«, sagte der Mann. »Es ist ein unstabiles Land. Es
gab eine Revolution, und die neue Regierung hat die Dinge noch nicht im Griff. Die Kommunikation ist schon immer schwierig und langsam gewesen, und zur Zeit ist sie beinahe nichtexistent. Was Dürre oder Massensterben betrifft, so dementieren die Regierungsstellen alle entsprechenden Nachrichten. Sie sagen, die Dürreperiode sei vorüber, man habe die Situation in der Hand, und in den Städten gehe das Leben wie gewohnt weiter. Auch auf dem Lande könne man nicht von verbreiteter Hungersnot sprechen.« »Nun, wenn Sie über Dürre sprechen, dann berührt das meinen Fachbereich, und ich sage, sie ist nicht vorüber.« »Ja, gut, wir alle wissen, wie Regierungen Zustände vertuschen, aber betrachten Sie es so: Wenn jemand zu uns in die Redaktion käme und uns erzählte, er habe gesehen, was Sie mir gerade erzählten, dann würden wir denken, daß diese Geschichte veröffentlicht werden sollte, aber wir würden auf jeden Fall eine Bestätigung verlangen, einen Wahrheitsnachweis.« »Aber der Mann ist nicht in Ihrer Redaktion, sondern in Mali. Er ist ein Augenzeuge.« »Nicht soweit es uns betrifft. Wir können es uns nicht leisten, unbestätigte Meldungen abzudrucken, und er ist eine körperlose Stimme aus dem Äther. Wir können nicht herausbringen, wer er ist.« »Ich kann Ihnen die Frequenz geben. Sprechen Sie selbst mit ihm.« »Das nützt nichts. Sehen Sie, vorhin rief ich die Universität an, um mich zu vergewissern, daß Sie der Mann sind, der zu sein Sie behaupteten. Wen soll ich dort anrufen? Der Wahrheitsnachweis ist alles, und zur Zeit weisen die uns vorliegenden Meldungen in die andere Richtung. Sehen Sie, Mr. Haney, der Mann könnte ein übergeschnappter Kauz sein, der unter Wahnvorstellungen leidet. Dabei spielt es keine Rolle, ob er von der nächsten öffentlichen Telefonzelle anruft, oder über Amateurfunk vom andern Ende der Welt.« »Also werden Sie nichts darüber bringen?« »Wir werden die Augen offenhalten und uns umhören, bis weitere Beweise von dort vorliegen, aber bis dahin . ..« »Ja . . . ich habe Sie verstanden.« Mark war drauf und dran, den Hörer auf die Gabel zu werfen, als der Redakteur am anderen Ende weitersprach.
»Sie sind doch Meteorologe, nicht wahr?« »Und?« »Und Sie sagen, mit dem Wetter dort unten sei etwas nicht normal?« »Sie meinen, ob es bedeutsame Klimaveränderungen gibt?« »Genau das meine ich. Was hat das zu bedeuten? Seit wann gibt es dort eine Dürreperiode, wird sie andauern, womit sonst ist zu rechnen? Wenn Sie uns darüber etwas brächten, und die Fakultät hinter sich haben, könnten wir etwas Größeres daraus machen.« »Wäre das nicht Stoff für einen Wissenschaftsredakteur?« Es gab eine Pause. »Ja, aber. ..« Mark lächelte. »Aber dann würden wir nichts haben, nicht?« »Und wir würden gern was haben, nicht?« »Ich verstehe Sie, aber es gibt ein paar Probleme. Die Fakultät zum Beispiel.« »Sie können die Leute nicht hinter sich bringen?« »Doch, zur Hochzeit des Papstes. Wenn man als seriöser Wissenschaftler anerkannt werden und vorwärts kommen will, muß man die Regeln beachten. Für fachwissenschaftliche Beiträge gibt es das Journal für Meteorologie. Zuerst schickt man die Rohfassung des Artikels ein, dann wird sie von der Redaktion verschiedenen Experten vorgelegt. Diese begutachten ihn, man argumentiert hin und her, schreibt den Artikel um und schickt ihn wieder ein. Wenn er alles das überlebt, wird er veröffentlicht und dann stürzen sich alle Meteorologen des In- und Auslandes auf die darin vertretene Theorie. Überlebt der Artikel alles das einigermaßen unbeschadet, dann gibt die Fachzeitschrift — nicht der Autor, sondern die Redaktion — ihn an die Zeitungen.« »Wenn jede Geschichte diesen Weg nähme, würden wir heute noch über den Krieg von 1812 berichten.« »Ja, nun, das ist die Art und Weise, wie es gemacht wird.« »Sie können alles das umgehen, Mr. Haney. Wir haben einen breiten Rücken und können die Prügel ertragen.« »Aber ich nicht. Ich muß mich an die Spielregeln halten.« »Gut. Aber vergessen Sie nicht, Sie haben eine Plattform, wenn Sie eine wollen.« Sie tauschten Abschiedsworte aus, und Mark legte auf. Er wandte sich um und sah, daß Danny ihn ehrfürchtig bestaunte. »Sie hätten in die Zeitung kommen können.«
»Ja in die Zeitung und aus meiner Karriere « »Warum?« »Weil man es nicht so macht Weil die Wahrheit das Ergebnis eines Mahlvorgangs ist Und weil der Zeit braucht« »Viel Zeit7« »Die meisten von uns schaffen es nie sich einen Namen zu machen Genauer gesagt die meisten von uns unternehmen erst gar nicht den Versuch « »Sie versuchen es aber nicht wahr7« Mark blickte zu seiner behelfsmäßigen Ausrüstung und dachte über die Muhe nach die es kosten wurde Daten auszuwerten an denen Computer sich heißgelaufen hatten »Ich denke Vielleicht ist es nicht der Muhe wert« Eine Stille trat ein Schließlich sagte Danny »Werden Leute sterben7« Mark schaute ihn an »Wir sollten uns erkundigen meinst du nicht7« Er begann in der Bibliothek wo er neue und altere Zeitungen aus allen Teilen des Landes heraussuchte und Tabellen der Wettermeldungen anlegte Bald dehnte er seine Untersuchung auf Städte der ganzen Welt aus und ging noch weiter in die Vergangenheit zurück Er hielt Ausschau nach Meldungen über abnorme Wetterverhältnisse und Störungen Er durchsuchte Jahrbucher persönliche Aufzeichnungen und Berichte aus anderen Sachgebieten die vom Wetter beeinflußt wurden von der Landwirtschaft bis zur Zoologie »Wonach suchen Sie?« fragte Danny »Min und Max und Norm « Danny blickte verdutzt dann hellte sich seine Miene auf »Minimum Maximum und Normal Temperatur und Niederschlage wette ich « Mark lächelte zustimmend »Ich suche nach Mustern und dann nach Abweichungen von ihnen Vorausgesetzt es gibt im Wettergeschehen überhaupt so etwas wie Muster « »Darf ich mitsuchen7« Und Danny machte sich mit kindlichem Eifer aber auch mit einer verblüffend reifen Aufmerksamkeit über alte Aufzeichnungen und Zeitungen her Bald waren sie in Zahlen untergegangen suchten in größeren Datenkomplexen nach dem Schlüssel Je mehr Information sich ansammelte desto mehr wurde Mark klar daß er eine weit brei-
tere Perspektive brauchte als geschriebene Geschichte sie liefern konnte Hideo Kashihara arbeitete über die irakischen Bohrkerne als Mark hereinkam In seiner Sorge jemand konnte ausspionieren womit er sich beschäftigte und ihm damit unlautere Konkurrenz machen deckte der Geologe seine Arbeit eilig zu und versuchte sich gleichgültig zu geben Nach der einleitenden Unterhaltung über Belanglosigkeiten sprachen die beiden Wissenschaftler über den beklagenswerten Zustand der Stadt im allgemeinen und der Universität im besonderen »Verraten Ihre geologischen Aufzeichnungen Ihnen etwas über das Klima7« fragte Mark »Doch das tun sie durchaus Ja « Kashihara ruckte ein wenig unbehaglich auf seinem Stuhl »Was mochten Sie wissen7« »Ich suche nach einem Grundmuster nach bestimmten Ele menten die gleichzeitig zusammenkommen « »So7 Und die waren7« »Ungewöhnliche Warme Zunahme an atmosphärischem Staub Zunahme oder Ruckgang der Niederschlage « Kashihara wiegte den Kopf »Ich konnte sein daß ich da was habe Es kommt mir irgendwie bekannt vor « »Können Sie nicht ein wenig präziser werden7« Es entstand ein peinliches Schweigen Endlich als es sich schon zu lange hingezogen hatte zuckte Kashihara die Achseln und sagte »Was ist dabei für mich drin7« Die Böen der vorrückenden Gewitterfront rasten über die flachen Ebenen Ohios und rissen den Weizen beinahe von seinen Wurzeln Fred Bjork mußte seine Anweisungen durch das Heulen und Fauchen des Windes brüllen um sich verständlich zu machen als sie sich abmühten den Mähdrescher aus dem Schuppen zu fahren und betriebsbereit zu machen Für einen flüchtigen Augenblick war er dankbar daß es die Heuschober-Blocke gab denn einer von ihnen gleich hinter dem Maschinenschuppen gewahrte ihnen vorübergehend Windschutz Um so deutlicher aber konnte er aus dieser Deckung sehen wie der Sturm seinen Weizen gleich einer Dampfwalze zu Boden druckte Und dann nach wenigen schweren Tropfen öffneten sich die Schleusen des Himmels und die niederstürzen-
den Wassermassen eines Wolkenbruches vollendeten das Zerstörungswerk. Bjork starrte in das Wüten der Elemente und konnte nur benommen den Kopf schütteln. Es war nicht auszumachen, ob die Nässe auf seinem Gesicht vom Regen herrührte, oder von seinen Tränen. Obwohl der Empfang durch atmosphärische Störungen und Schwund beeinträchtigt war, konnte Mark heraushören, wie heiser und erschöpft die Stimme klang. ». . . man sieht Tote und Sterbende, und für einen Arzt ist das nichts Neues ... Aber ich sehe ein Volk sterben, nur weil es kein Wasser hat... An einer Wasserstelle wurde ich Zeuge, wie Menschen, die bis dahin friedliche Nachbarn und Freunde gewesen waren, um eine Konservendose voll Wasser kämpften. Sie trampelten kleine Kinder nieder, um an das Wasserloch heranzukommen, dessen Inhalt mehr Schlamm als Wasser war ... Die Soldaten sind noch schlimmer, sie plündern und rauben, was sie wollen . . . Es gibt keine Regierung, keine Gesetzlichkeit. Ich versuche ihnen aus dem Wege zu gehen. Ich tue, was ich kann, aber ich fürchte, daß auch ich nicht lebend hier herauskommen werde. Meine Lebensmittel und Medikamente sind beinahe aufgebraucht ... Die Ebenen sind übersät mit Kadavern von Tieren und Menschen. Niemand weiß, wie viele es sind, einhunderttausend, vielleicht zweihunderttausend. . . Und überall ist Staub . ..« Er lachte bitter auf. »Ich kann nichts mehr tun. Vielleicht melde ich mich morgen zur gewohnten Zeit auf dieser Frequenz, wenn ich dann noch am Leben sein sollte ... TL8XNT meldet sich ab, Ende.« »Mein Gott«, sagte Mark. »Die Vereinten Nationen entsenden Fachleute, um Einzelheiten in Erfahrung zu bringen, und es gibt keine Einzelheiten. Sie fragen: >Was braucht ihr?< und Mali sagt: >Nichts. Alles ist in Ordnung.< Die Experten sehen sich um, und tatsächlich scheint alles seinen normalen Gang zu gehen; sie können keine Anzeichen einer Katastrophe entdecken. Wenn ein Flugzeug abstürzt, dann erfahren wir davon. Man kann den Tod von zweihunderttausend Menschen nicht vertuschen. Er ist ein Wirrkopf, ein Verrückter, der eine Amateurfunkstation bedienen kann. Vielleicht ist er nicht mal in Mali. Vielleicht ist er drüben in Brooklyn, oder eher in Bellevue.« »Ich glaube, daß er die Wahrheit sagt«, meinte Danny.
»Ich auch«, sagte Mark. »Und was nun?« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der optischen Ausdruckstation zu, ölte Teile und machte Einstellungen. Er stimmte das Radio auf die Frequenz des Satelliten ab und wartete. »Der alte Drei-Acht, wie üblich auf die Sekunde genau«, bemerkte er, als die zirpenden Pieptöne aus dem Lautsprecher drangen. Danny beobachtete gespannt, wie Mark die Trommel in Bewegung setzte. Der alte Waschmaschinenmotor schnurrte los, und das lichtempfindliche Papier drehte sich mit der Trommel und absorbierte das Signal. Als der Satellit den Empfangsbereich verlassen hatte, gingen sie in die Dunkelkammer. Danny hielt unwillkürlich den Atem an, als Mark das Papier in die Entwicklerschale legte. Die langsam aus dem leeren Weiß erscheinende Abbildung des Planeten, wie er sich dem Betrachter aus dem Weltraum zeigte, war wie Magie. Mark war weniger fasziniert. Die Identifikationszahlen waren klar, das Bild jedoch schwach und schneeig, als sähe man die Erde durch einen Dunstschleier. Er heftete die Wiedergabe an die Wand, trat zurück und musterte sie schweigend. Danny gesellte sich zu ihm. Nach einer kleinen Weile nahm Mark einen Fettstift und malte Kreise um die interessantesten Wolkenbildungen. »Die Zugbahnen der Tiefdrucksysteme verlagern sich, die Höhenströmungen, der Golfstrom ... aber was hat das zu bedeuten?« Danny versuchte darauf zu antworten. Mark lachte und zauste ihm das Haar. »Laß nur. Am Ende platzt du noch.« Er fing mit Berechnungen an der Wandtafel an, legte aber schon bald mißmutig die Kreide aus der Hand. Er nahm den Hörer ab und wählte die Nummer der Universitätsverwaltung. »Hier ist Haney, Meteorologie. Ich brauche etwas Zeit am Computer. Es ist wichtig.« »Sehen Sie, Haney, Marktforschung und Werbepsychologie sind wichtig. Auftragsarbeiten für die Industrie, die uns Geld bringen. Und glauben Sie nicht, unsere Leute, die ins feindliche Leben hinausziehen und den Speck zurückbringen, hätten es leicht. Woran arbeiten Sie?« »Das werde ich Ihnen sagen, wenn der Speck naß geworden
ist!« sagte Mark und legte auf. Er wandte sich zu Danny. »Jetzt werde ich ein Kaninchen aus einem Zylinder ziehen müssen, aber zuerst müssen sie mir den Zylinder bewilligen.« »Was? Wie?« »Ich brauche den Computer für ein mathematisches Modell, aber ich kann ihn nicht bekommen«, sagte er und ging zur Schreibmaschine, um ein Antragsformular für eine Bewilligung einzuspannen. »Also muß ich eine andere Art von Modell aufbauen.« »Das ist eine recht eindrucksvolle Einkaufsliste«, sagte Professor Guzman. »Ich brauche das Material, Sir . . . dringend. Ich habe bei der Zusammenstellung darauf geachtet, daß es so billig wie möglich wird, aber ich kann nicht die Räume ausfegen, meine eigene Kreide kaufen, Geschirr waschen und sonst was tun, um diese Dinge zu bekommen.« »Von welcher Art ist das Projekt, an dem Sie arbeiten?« »Das kann ich wirklich noch nicht sagen.« »Können Sie es oder wollen Sie es nicht sagen?« »Beides.« »Aber Sie meinen, daß es sich lohnen wird? Daß es eine große Sache ist?« Mark nickte. »Ich verstehe. Das heißt, wenn ich Ihren Ausdruck richtig deute. Ihre große Chance. Wenn Sie es schaffen, sind Sie ein Held. Geht es daneben, so sitzen Sie für den Rest Ihres Lebens hier fest.« Er lehnte sich zurück und starrte zur Decke empor. »Isaac Newton erzielte seinen Durchbruch als Mathematiker mit achtundzwanzig. Einstein veröffentlichte die Relativitätstheorie mit sechsundzwanzig. Die Wissenschaft ist ein Spiel für junge Leute.« Er ließ ein tiefes Seufzen vernehmen. »Es geht ziemlich schnell.« Guzman wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Liste zu. CHICAGO, ILLINOIS: Dem Uneingeweihten mußte die Szene wirr und chaotisch erscheinen. Ein voller Saal, erfüllt vom Stimmenlärm schreiender und mit Händen und Füßen gestikulierender Männer, die sich an keinen bestimmten Partner zu wenden schienen. Dennoch fan-
den sie irgendwie zusammen, und Aufträge zum Kauf wechselten mit solchen zum Verkauf, während die verlangten und gebotenen Preise von hemdsärmeligen Männern, die wie toll vor der großen Wandtafel hin- und hereilten, aufgeschrieben wurden. Es war normal, daß die Termingeschäfte an der Warenbörse in einem viel hektischeren Tempo abliefen als Transaktionen an den Wertpapierbörsen, aber an diesem Tag glich der Saal mehr denn je einem Tollhaus. Vor den Augen der Händler, Spekulanten und Zuschauer schnellten die Preise um zwanzig, dann um fünfzig und schließlich um hundert Prozent aufwärts. Die zuerst durch Hitze und Trockenheit und anschließend durch Unwetterschäden entstandenen Ernteausfälle wirkten sich auf die Versorgung aus. Bald sollte sich zeigen, daß sie das gesamte Wirtschaftssystem in Mitleidenschaft zogen, erste Vorläufer des kommenden großen Bebens. »Wozu ist das gedacht?« »Zur Demonstration des Haney-Effekts.« »Was ist das?« »Ich weiß es noch nicht.« Danny lauschte Marks Erläuterungen, ohne eine Miene zu verziehen. Trockeneis verkörperte die Polarregionen, Wasser die Ozeane, Ventilatoren die Luftströmungen, eine Glühbirne die Sonne. Verschiedene Hindernisse stellten die topographischen Besonderheiten der Erde dar, welche die Luftströmungen umlenkten und beeinflußten. Gewöhnlich blieben die Kräfte der Natur in einem Gleichgewicht: der von der Sonne empfangenen Strahlungswärme der Äquatorregion entsprach die Wärme der zu den Polen abfließenden Luftmassen. Nun deuteten die veränderten Strömungsrichtungen des Satellitenfotos und die Hinweise auf atmosphärische Veränderungen auf eine Störung des Gleichgewichts hin. Aber in welcher Weise, bis zu welchem Grad und mit welchen Ergebnissen? Das waren Fragen, deren Beantwortung Mark von seinem Modell erhoffte. Er schaltete die Lichtquelle ein, ließ die Ventilatoren anlaufen und injizierte einen neutralen weißen Rauch, der die Bahnen der Höhenströmungen besser sichtbar machen sollte. Erwärmt von der Lichtquelle, stieg der Rauch auf; abgekühlt vom Eis sank er
herab. Die Ventilatoren hielten den Kreislauf in Bewegung und lenkten die Strömungen nach dem Vorbild der Realität gegen die naturgegebenen Hindernisse und um sie herum. Meßfühler kontrollierten Strömungsgeschwindigkeit, Dichte, Temperatur, Feuchtigkeit und alle anderen relevanten Aspekte der Luft, die im Modell wiedergegeben werden konnten. Mark notierte die Ablesungen und verglich sie mit den rezenten Anomalien. Er verstärkte die Intensität der Lichtquelle um ein Geringes, injizierte sorgfältig berechnete Quantitäten von Staub, Sand, Kohlendioxid und Schwefelverbindungen. Der weiße Rauch verfärbte sich ein wenig dunkler, Strömungen verlagerten sich, und die Meßwerte zeigten Abweichungen. Mark notierte die neuen Ablesungen. Als Danny einen Nachmittag lang das Arbeiten des Modells beobachtet hatte, begann es ihn zu langweilen und er gähnte. »Müde?« Danny schüttelte den Kopf. »Es ist gut.« »Ich will dir was sagen. Wir führen Schichtbetrieb ein. Du kannst morgen früh nachsehen und die Ablesungen notieren, einverstanden?« Danny nickte energisch, und Mark gab ihm den Schlüssel. »Kriege ich eine Fußnote in Ihrem Artikel?« »Wenigstens.« Dannys Mund kam einem Lächeln nahe. »Das ist nett.« Er gab Mark die Hand und wünschte ihm eine gute Nacht. Mark blickte auf die Uhr und notierte ein weiteres Mal die Ablesungen. Er stellte sich die Titelseite vor. Der Haney-Effekt... Das hörte sich gut an. Die Zeit kroch dahin. Der Rauch zog in seltsamen Spiralen über das Modell hin, und die angezeigten Werte schwankten. Einige hatten sich erhöht, andere verringert, aber nirgendwo gab es bedeutsame Abweichungen. Das Haney-Syndrom ... Aber es gab kein eindeutiges Syndrom. Die Rauchwirbel und Ventilatorengeräusche waren hypnotisch. Wieder notierte Mark die Ablesungen. Diejenigen, die zuvor steigende Werte gezeigt hatten, waren jetzt zurückgegangen, und jene, die niedrigere Werte gezeigt hatten, waren im Steigen begriffen. Das Haney-Paradox . . . Nicht so gut wie ein Effekt oder ein Syndrom. Es ließ zu viele Fragezeichen, lud zu viele andere ein,
sich über die ausstehende Arbeit herzumachen, und der letzte Mann mit dem unmittelbaren praktischen Resultat heimste den Ruhm ein. Edison war am Schwanzende von Gott weiß wie vielen Forschern und Theoretikern gewesen, aber er war derjenige, dessen Erfindername hell im Ruhm erstrahlte. Nach Ablauf der festgesetzten Zeit sah er wieder nach. Das Modell glich sich aus, lief ab wie alle natürlichen Prozesse, wie das Leben selbst, wie der alte Guzman, wie die Stadt, wie Mark Haney . . . Viel Bewegung, aber niemand und nichts gelangte irgendwohin. Der Haney-Blödsinn . . . Das war es. Er sollte für immer an dieser drittklassigen Universität dahinvegetieren. Er hatte sein Leben vergeudet, wie er seine Zeit auf dieses Projekt vergeudet hatte. Er dachte zurück an die besondere Dummheit, inmitten einer Hitzewelle auf das Dach zu steigen, um eine Antenne zu montieren. Nie zuvor hatte er Hitze so intensiv empfunden, und seine Schuhe waren im schmelzenden Teer stecken geblieben. Er hatte über die Dachkante hinabgeblickt und die Düsternis der alten Gebäude gesehen, umgeben von den zu Slums gewordenen, heruntergekommenen Wohnvierteln der Gegend, die seine ganze Welt war. Er war hier hängen geblieben, wie seine Füße im Dachteer hängen geblieben waren. Die Luft war erdrückend gewesen, von keinem Lufthauch bewegt, und die Sonne hatte riesig und weiß im blassen Himmel gestanden. Niemals zuvor hatte sie so nahe ausgesehen ... Und wieder starrte Haney in diese Sonne, und war nicht geblendet. Während er sie anstarrte, kam sie näher, wurde immer heißer und gigantischer. Verzweifelt hielt er nach Schatten oder einer Zuflucht Ausschau, aber es gab weder das eine noch das andere. Er wollte schreien, aber die Hitze hatte ihn ausgelaugt, ihm alle Energie genommen, und er war allein, steckte im Teer fest und konnte sich nicht von der Stelle regen. Er konnte nur empor starren, paralysiert, und sehen, wie die zur Erde niederfallende Sonne den Himmel füllte. Dann kam der Zusammenprall. Die Sonne zersplitterte in eine Million farbiger Lichter. Er hatte nie geahnt, daß der Tod so kühl und schön sein konnte. Endlich war er von allem Schmerz befreit.
Auf einmal sah er alle Gesetze des Lebens und des Todes und der Materie. Er hatte alles Wissen in seiner Reichweite, aber zu spät. . . zu spät. . . Er fühlte sein Leben in weißes Nichts zerrinnen. Niemals war ihm so kalt gewesen . . . Er erwachte in fröstelnder Verwirrung. Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich orientiert hatte. Er war in seinem Arbeitsraum, in den stillen Stunden des frühen Morgens. Die Ventilatoren des Modells liefen mit ihrem gleichmäßigen schnurrenden Geräusch, die regulierbare Glühlampe brannte. Er holte tief Atem. Der Traum hatte ein Gefühl von Erregung in ihm zurückgelassen. Als er daran zurückdachte, begannen Berechnungen, Gesetze und Gleichungen sich zu einem Muster zu ordnen. Er sah jetzt, wo diese Rauchwirbel hinzogen, und er begriff, daß er den Stoff zu einer aufsehenerregenden Veröffentlichung hatte, größer als alles, was er sich hatte vorstellen können. Einige Zeit später hörte er ein Geräusch an der Tür, und Danny kam herein. »Immer noch hier?« »Mm-hm.« »Ist was passiert?« »Eine ganze Menge«, sagte Mark und erzählte ihm seine neue Theorie. Danny stand verdutzt da und wußte nicht, was er sagen sollte. »Sind Sie — sind Sie sicher?« »Nicht ganz. Ich werde alles rechnerisch nachprüfen müssen, und dann wird es notwendig sein, auf andere Fachgebiete auszugreifen und andere Gelehrte um ihre Mitarbeit zu bitten.« »Werden die darauf eingehen?« »Danny, eines mußt du den Wissenschaftlern lassen. Wenn es einen Forschungsgegenstand gibt, der größer ist als sie, der wirklich wichtig ist, dann fallen die kleinlichen Eifersüchteleien über Bord. Dann ist es die Gemeinschaft, die zählt, die gemeinsame Arbeit. Warte, bis du sie beisammen siehst, Danny. Dann wirst du Wissenschaft in Aktion erleben.« Das einzige Kunstwerk des Raumes war nur geeignet, den Konferenzsaal noch deprimierender erscheinen zu lassen. Es war ein Wandgemälde aus den dreißiger Jahren, das die Geschichte der Naturwissenschaften darstellte. Es führte in fünf Abschnitten
von den Dinosauriern bis zu den Olfördertürmen der Gegenwart. Die plump stilisierte, in braunen und ockerfarbenen Tönen gehaltene Malerei war nicht nur schlecht, sondern es war dem Künstler überdies gelungen, die Zeitalter ziemlich gründlich durcheinander zu mischen, und Riesenreptilien aus dem Jura verschlangen Säugetiere aus dem Paleozän. Trotz der offenen Fenster hing die Luft heiß und schwer im Raum. Hinausblickend sah Mark die verwahrlosten Wohnhäuser der anderen Straßenseite. Die Bewohner hatten sich vor der Hitze auf schattige Vortreppen und in zugige Hauseingänge gerettet, und die Kinder duschten an den aufgedrehten Hydranten. Danny saß still in einer Ecke und las ein meteorologisches Fachbuch. Alle paar Sekunden legte er es aus der Hand, nahm sich ein dickes Fachwörterbuch vor und schlug mühsam darin nach. Fink kam herein. »Hallo, Mark, wo ist dein Zwergenprofessor?« »Ohne Uniform wirst du ihn nicht wieder erkennen.« »Ach du meine Güte, der Pfadfinder.« Er wandte sich zu Danny. »Paß auf, Junge, was hier verhandelt wird, ist etwas für Erwachsene. Warum spielst du nicht draußen, bis wir . . .?« »Er bleibt.« Marks Heftigkeit verblüffte Fink. Doch gleich darauf hatte er sich wieder gefangen. »Ich höre, du willst in der Pfadfinderzeitschrift veröffentlichen, Mark. Der Titel lautet: >Ich bin ein Regentropfens« Guzman kam herein und blickte ostentativ auf seine Armbanduhr. »Ich hoffe, diese Besprechung wird nicht lange dauern.« »Sie wird den Zeitaufwand lohnen, Sir.« Guzman zeigte auf Danny. »Gehört das Kind Ihnen?« Danny blickte auf. »Ich kann direkt angesprochen werden.« »Mein Gott«, sagte Fink. »Er ist ein Liliputaner.« »Sind Sie verrückt, Mark?« wisperte der Archäologe, nachdem er ihn verstohlen beiseite genommen hatte. »Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten? Da ist ein Kerl hier, dem ich Geld schuldig bin. Das ganze Jahr schon gehe ich ihm aus dem Weg.« »Haney«, raunte ihm der Astronom zu, »wer ist das scharfe Weib da?«
»Das >scharfe Weib< ist eine alte Freundin aus der Philosophischen Fakultät. Geschichte.« »Haben Sie es schon mal mit ihr gemacht?« »Sie ist hier, um einen Beitrag zu leisten.« »Kann ich mir denken. Nun, wenn es Ihnen nichts ausmacht, will ich sehen, ob sie einen Beitrag zu meinem Wohlbefinden leisten kann.« Er setzte sich zu ihr und fing ein Gespräch an. Andere waren weniger herzlich und kamen sich offenbar wie die Teilnehmer einer Kriminalgeschichte vor, wo Fremde in einem einsamen Landhaus zusammengebracht werden. Die meisten bemerkten Danny nicht, oder vielleicht betrachteten sie ihn einfach als eine weitere Seltsamkeit in einer seltsamen Zusammenkunft. »Meine Damen und Herren«, sagte Mark mit lauter Stimme, »ich schlage vor, daß jeder seinen Platz einnimmt. Ich möchte anfangen.« Fink imitierte seinen Tonfall und sagte laut: »Ich nehme an, Sie werden wissen wollen, warum ich Sie heute hier zusammengerufen habe.« »Ja, das ist richtig. Nun, ich werde Ihnen die Antwort nicht lange schuldig bleiben. Andererseits möchte ich Sie nicht mit einer meteorologischen Lektion langweilen . . .« »Aber Mark, du warst immer gut für ein paar Lachsalven.« »Die überlasse ich dir«, antwortete Mark geduldig, aber mit einem mahnenden Seitenblick zu Fink. »Im Wettergeschehen zeichnen sich eigentümliche Entwicklungen ab, und das Problem ist, das zugrundeliegende Muster aufzudecken. Der größte Computer der Welt steht unten in Maryland, und der wird dieser Aufgabe gewachsen sein, denke ich, falls es den Leuten dort jemals gelingen sollte, ein fehlerfreies Funktionieren zu gewährleisten.« »Zur Sache, Haney!« »Ja. Verzeihung. Nun, was ich unterdessen ermittelt habe, ist ernst genug.« Er trat an die Weltkarte, die er mit Eintragungen der ihm bekannt gewordenen Anomalien versehen und im Konferenzsaal aufgehängt hatte. »Es mag nicht wie ein folgerichtiges Grundmuster aussehen, ist es aber. Ich habe ein mechanisches Modell gebaut, das alle relevanten Faktoren berücksichtigt: Wärme, Kohlendioxid, Staub, Schwefel- und sonstige Verbindungen. Die Resultate, zu denen ich so gelangte, waren nicht
allzu ermutigend. Um die Wahrheit zu sagen, sie waren geradezu verheerend.« Mark hielt inne und genoß ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. »Sparen Sie sich die Kunstpausen, Mark, wir sind nicht beim Theater«, sagte Kashihara. »Geben Sie uns einfach die Tatsachen.« »In Ordnung. Lassen Sie mich zuerst erklären, warum es so heiß ist.« Er zog eines der Satellitenfotos aus seiner Mappe und hielt es in die Höhe, daß alle es sehen konnten. »Dies ist eine Infrarotaufnahme; ihre Wiedergabe ist ein Wärmebild, statt eines Lichtbildes. Sie sehen, daß Großstädte darauf als heiße Stellen erscheinen.« »Das kannst du zweimal sagen, Mark.« Mark warf Fink einen unfreundlichen Blick zu und fuhr fort: »Tatsächlich sind Städte im Durchschnitt fünf bis sechs Grad wärmer als das umgebende Land.« »Dafür gibt es gute Gründe«, sagte Fink. »In der Stadt gibt es mehr Universitäten.« »Wieso sollte das relevant sein?« »Je mehr Universitäten, desto mehr akademische Grade.« »Hör zu, Fink, wenn du sonst nichts beizutragen hast. . .« Fink lehnte sich zurück und hob die Hände. »Ich versuche nur, ein wenig Stimmung in die Versammlung zu bringen.« »Ohne deine Zwischenbemerkungen wird sie nur halb so lange dauern, danke.« Fink verschloß seine Lippen mit einem pantomimischen Reißverschluß, faltete engelhaft die Hände, und Mark fuhr in seinem Vortrag fort: »Zu der industriellen Abwärme und den Menschen, die große Wärmeerzeuger sind, kommen die Verschmutzungen, die wir in die Gewässer entlassen, und mit denen wir sie erwärmen. Damit nicht genug, treiben wir unverantwortlichen Raubbau an den Wäldern der Erde, die in den vergangenen dreißig Jahren beängstigend geschrumpft sind, und vernichten das ozeanische Plankton mit Ölrückständen und riesigen Mengen unbekümmert auf hoher See abgeladener Chemikalien und Giftstoffe. Die Waldgebiete und das Plankton der Ozeane aber sind die großen Sauerstofferzeuger und wären imstande gewesen, den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre einigermaßen stabil zu halten.« »Was hat das damit zu tun?«
»Man nennt es den Treibhauseffekt. Das CO2 in der Atmosphäre hält Sonnenlicht als Wärme fest, genau wie ein Treibhaus. Bei alledem tun wir unser Bestes, um den CO2-Gehalt zu erhöhen: wir fahren zwanzig oder dreißig Millionen Automobile, wir Verbrennen enorme Mengen Heizöl und Kohle, und blasen es mit Industrieabgasen in die Luft.« »Und dadurch, meinen Sie, wird es wärmer und wärmer?« »Nein, unglücklicherweise wird es in die andere Richtung umschlagen.« »Wieso unglücklicherweise?« »Sie werden sehen.« Mark wandte sich zu Kashihara. »Es fängt bei Ihnen an.« »Richtig. Ich habe Bohrkerne aus Mesopotamien untersucht. In einer Schichtenfolge, die ungefähr der Zeit um 4500 v.Chr. entspricht, machte ich eine in diesem Zusammenhang aufschlußreiche Entdeckung.« »Was zeigte sie?« »Ungewöhnliche Hitze, einen hohen CO2-Gehalt, vulkanischen Staub, Dürre.« Mark nickte in die Runde. »Und als Sie die darüber liegenden Ablagerungen späterer Dekaden untersuchten, was stellten sie fest?« »Eine merkliche Abkühlung.« »He, einen Augenblick!« fuhr der Archäologe fort. »Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie auf diesem Gebiet forschen?« »Sie haben mich nicht danach gefragt. Wäre eine Veröffentlichung dabei herausgekommen, hätte ich Sie erwähnt, seien Sie dessen gewiß.« »Danke für die Fußnote. Bei nächster Gelegenheit werde ich Ihnen eine Fußnote auf den fetten Hintern pflanzen, Sie .. .« »Meine Herrschaften, ich bitte Sie!« unterbrach Mark. »Können wir nicht so tun, als ob wir erwachsene Menschen und Wissenschaftler wären?« Die Historikerin meldete sich zu Wort. »Wenn Sie sagen, es habe eine >merkliche< Abkühlung gegeben ...« »Dann meine ich einen Unterschied von einigen Graden, im Durchschnitt gerechnet.« »Ist das wesentlich?« Der Archäologe nutzte die Gelegenheit, um ihr die Hand auf
die Schulter zu legen. »Sehen Sie, das war ungefähr zur gleichen Zeit, als die damalige Gesellschaft zerfiel.« »So weit gehe ich nicht zurück. Das ist ungefähr tausend Jahre vor Sumer. Warum kam es dazu?« Der Archäologe sonnte sich in ihrer Aufmerksamkeit. »Die Anhaltspunkte sind spärlich, weil uns aus der Zeit sehr wenig Fundmaterial zur Verfügung steht. Aber es muß eine Hungersnot mit allen Begleiterscheinungen gegeben haben, gefolgt von einem starken Bevölkerungsrückgang und allgemeiner Verarmung. Die Untersuchung verschiedener Fundstellen läßt den Schluß zu, daß ganze landwirtschaftliche Niederlassungen damals aufgegeben und nie wieder besiedelt wurden.« »Aber was hat alles das mit der erwähnten Abkühlung zu tun?« »Weil ich diesen Zusammenhang nicht gleich sah, dachte ich nicht daran. Mesopotamien war damals von einer Gesellschaft bewohnt, die vom Reisanbau lebte. Eine Mißernte oder gar ein Ausbleiben der Ernte mußte daher katastrophale Folgen für alle haben. Hungersnot, Aufruhr, Zusammenbruch der Gesellschaft . . . Ja, das Bild ist klar.« Er wandte den Kopf, um Kashihara einen finsteren Blick zuzuwerfen. »Das Bild ist sehr klar.« »Kommen Sie«, sagte die Historikerin mit unverhohlener Geringschätzung, »Gibbon brauchte mehrere Bände, um auseinanderzusetzen, warum das Römische Imperium zugrunde ging, und vieles spricht dafür, daß auch er nicht alle Aspekte gesehen hat. Und Sie wollen so etwas mit einem Absinken der Durchschnittstemperatur erklären?« »Warum nicht?« »Weil es eine zu grobe Vereinfachung ist. Gesellschaften sind nicht einfach. Sie können über jeden beliebigen kleinen Stamm dickleibige Manuskripte schreiben.« »Gesellschaften sind einfach. Sie haben dafür zu sorgen, daß man zu einem Bett kommt, worin man schlafen kann, zu anständigen Mahlzeiten und sexueller Zugänglichkeit.« »Hört sich gut an«, sagte Fink. »Kennen Sie so eine Gesellschaft?« »Wissen Sie, da wir das Thema schon angeschnitten haben«, sagte der Archäologe. »Es gibt einen ähnlichen Fall, den ich nie in diesem Licht betrachtet habe. Ungefähr um 2000 v. Chr. blühte die Indus-Kultur im heutigen Pakistan. Man hat lange über die
Gründe ihres Verschwindens gerätselt, und es gibt noch immer verschiedene Theorien, die den Untergang dieser alten Kultur zu erklären suchen.« »Die Indus-Kultur und, zweieinhalb Jahrtausende zuvor, die prähistorische vorsumerische Kultur Mesopotamiens hatten einiges gemeinsam«, sagte Kashihara. »Dürre, Hitze, Staub, hoher CO2-Gehalt, gefolgt von Abkühlung.« »Wie kommt es, daß Sie sich auf meinem Gebiet auskennen?« »Ich wurde neugierig und las in einigen Ihrer Bücher nach.« »Ohne mich?« »Lesen kann ich alleine.« »Sie . . . Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ein feiner Kollege sind Sie!« »Sie haben keinen Grund, sich derart aufzuplustern, Sie seltsamer . . .« Mark gelang es mit Mühe, eine Eskalation der Auseinandersetzung zu verhindern, aber es blieb ein gespanntes Schweigen zurück. Der Archäologe und sein Kollege von der Geologie starrten in verschiedene Richtungen. Mark seufzte und wandte sich zu der Botanikerin. »Wenn ich zutreffend unterrichtet bin, verfügen Sie über zuverlässige Methoden zur rückwirkenden Bestimmung von Klimaschwankungen, nicht wahr?« »Ja, wir haben die Baumringe. Anhand ihrer Breite können wir die Niederschlagsmengen und Temperaturen der Jahre beurteilen. Schlechte Jahre bringen schmale Ringe, gute Jahre breite. Es gibt auf dieser Basis Aufzeichnungen, die bis in die Zeit um das Jahr 1000 n.Chr. zurückreichen.« »Können Sie uns sagen, welche Besonderheiten sich bei der Analyse der Baumrinde gezeigt haben?« »Bis um etwa 1400 n.Chr. war es sehr warm.« »Nun, es mag weit hergeholt sein, aber es ist bekannt, daß die Wikinger ihre Entdeckungsfahrten vor diesem Zeitpunkt unternahmen«, sagte die Historikerin. »Auch die Zeit der Verbreitung des Christentums in Europa liegt davor, wie auch die Zeit des Kathedralenbaus. Alles in allem, es war ein Zeitalter der gesellschaftlichen und kulturellen Aufwärtsentwicklung.« »Dann wurde es kalt. Das dauerte bis ins neunzehnte Jahrhundert.« »Wann war es am schlechtesten?«
»Ich würde sagen, im späten siebzehnten bis ins frühe achtzehnte Jahrhundert.« »Das ist eine bemerkenswerte Koinzidenz. Um 1690 und danach gab es eine schwere Hungersnot in Großbritannien. Sie war verheerender als die Pest. Sie machte die schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen zunichte. Die skandinavischen Kolonien in Island hörten zu bestehen auf und die skandinavischen Staaten wurden niemals zu Kolonialmächten.« »Nun, ja«, meinte der Astronom. »Das SonnenfleckenMinimum.« Mark wandte sich zu ihm. »Das ist ein interessanter Gesichtspunkt, können Sie mehr dazu sagen?« »Sonnenflecken sind Stürme auf der Sonne. Wir wissen alle, daß starke Sonnenfleckenaktivität unsere Radiosendungen beeinträchtigt; die anderen Auswirkungen sind strittig. Aufzeichnungen über Sonnenfleckenaktivität beginnen um das Jahr . . .« »Erzählen Sie mir nichts«, sagte Fink. »Sie beginnen gerade zu der Zeit, von der die Rede war, als Sie unterbrachen.« »Richtig, um 1690. Die Fernrohre waren aufgekommen und man begann die Sonnenflecken zu beobachten. Minimale Sonnenflecken-Aktivität bedeutet minimale Sonnenenergie, und minimale Sonnenenergie bedeutet. . . aber das wissen Sie so gut wie ich. Damals beobachtete man auch, daß die Sonnenfleckenaktivität zyklisch ist.« »Wie lang dauert ein Zyklus?« »Elf Jahre Zunahme, elf Jahre Abnahme.« »Interessant«, sagte die Botanikerin. »Die Baumringe zeigen einen regelmäßigen und durchgängigen Zweiundzwanzig jahresrhythmus.« »Sie meinen, elf gute und elf schlechte Jahre?« »Nicht ganz. Nur ein gleichmäßiger, subtiler Rhythmus innerhalb des größeren. Wenn Sie einen Zeitpunkt wissen wollen, wo beide zusammenkamen, dann kann ich Ihnen das Jahr 1816 nennen. Es war ein wirklich schlechtes Jahr für Baumringe.« »Richtig, 1816«, sagte die Historikerin. »Man nannte es das Jahr ohne Sommer. Der Hafen von New York fror zu, die Schifffahrt kam zum Erliegen. In der Nordhälfte Neuenglands sanken die Temperaturen im Juni unter den Gefrierpunkt, und die Ernte ging verloren. Das Land hatte die Folgen des Krieges von 1812
loch nicht überwunden, und diese eine Mißernte hatte zur Folge, daß es beinahe zu einem allgemeinen wirtschaftlichen Zusammenbruch gekommen wäre.« »1816 war ein Jahr minimaler Sonnenflecken-Aktivität«, sagte der Astronom. »Das allein war nicht der Grund«, warf Kashihara ein. »Im Jahr davor hatte es einen großen Vulkanausbruch in Indonesien gegeben. Der dabei in die Atmosphäre geblasene Staub wurde um die ganze Erde getragen. Und er beeinflußte zweifellos das Wetter, nicht nur durch die regionale Erzeugung eines Treibhauseffekts, sondern auch durch die Begünstigung von Wetterverhältnissen, die zur Entstehung von Wirbelstürmen führen.« »Nach 1865 wurde es merklich wärmer«, sagte die Botanikerin. »1865: die Eroberung und Erschließung des Westens, der Anbruch des Industriellen Zeitalters, die Ära des Imperialismus, die Blütezeit der modernen Zivilisation.« »Das bringt uns zurück in die Gegenwart«, sagte Mark. »Die gleichen Faktoren: Hitze, Staub, Trockenheit, hoher CO2-Gehalt. Das Pendel schlägt wieder zurück .. . sehr beträchtlich.« »Das hat nichts zu sagen«, entgegnete Fink. »Wir sind nicht Mesopotamien oder die Indus-Kultur, oder die Wikinger. Wir sind auch nicht, was wir 1816 waren. Wir sind höllisch zivilisiert, und wenn das Klima kühler wird, brauchen wir bloß den Thermostat aufzudrehen, und die Zivilisation ist gerettet.« »Und wo soll der Brennstoff herkommen?« fragte der Geograph. »Wir leben schon so in einer Zeit der Ölknappheit.« »Wenn Sie mich fragen, dann ist diese ganze Ölknappheit zu fünfundneunzig Prozent Politik.« »Was ist für Sie Zivilisation?« »Ein warmes Bett, drei Mahlzeiten am Tag, Sex.« »Also, ich hoffe, Sie werden das Bett und den Sex haben, denn mit den Mahlzeiten wird es schlecht aussehen«, sagte der Geograph. »Ein Absinken der mittleren Jahrestemperatur um ein Grad verkürzt die Wachstumsperiode um zwei Wochen. Fast das gesamte nutzbare Land wird bereits bestellt. Wir mögen zivilisiert sein, aber wir leben in einem Zustand des labilen Gleichgewichts. Ich brauche Ihnen nicht im einzelnen zu erläutern, daß unsere industrielle Zivilisation seit ihren Anfängen auf Raubbau an den natürlichen Ressourcen beruht. Mit ihrer zunehmenden
Erschöpfung ist das Ende dieser Entwicklung in Sicht gekommen.« Darauf wandte sich die Historikerin an Mark. »Können Sie uns sagen, welchen Umfang die Klimaveränderungen haben werden, die Sie erwarten?« »Wollen Sie wirklich eine Antwort?« Mark wandte sich dem Geologen zu. »Wie viele Eiszeiten haben wir gehabt?« »Je weiter man in der Erdgeschichte zurückgeht, desto schwieriger wird es, die Spuren zu lesen. Aber nach dem derzeitigen Stand unseres Wissens waren es ungefähr zwanzig.« »Und wieviel Zeit lag zwischen ihnen?« »Ungefähr zehntausend Jahre.« »Und wieviel Zeit ist seit der letzten verstrichen?« »Ungefähr zehntausend Jahre.« Mark blickte in die Runde. »Ich glaube, ich brauche Sie nicht um Ihre Aufmerksamkeit zu bitten.« Er wandte sich wieder dem Geologen zu. »Was zeigt die Analyse von Bohrkernen am Ende einer Warmzeit?« »Einen hohen Kohlendioxidgehalt, zunehmende Erwärmung, Veränderungen der Niederschlagsmengen, Staubablagerungen.« Eine Stille trat ein, die nach kurzer Zeit von der munteren Stimme des Astronomen gebrochen wurde: »Falls es jemanden unter den Anwesenden interessieren sollte, wir befinden uns in einer Periode minimaler Sonnenflecken-Aktivität.« Mark nickte. Wieder wurde es still, aber nicht lange, und alle begannen durcheinander zu reden, und schließlich sprang der Archäologe auf und rief: »Soll das heißen, daß wir eine regelrechte Eiszeit vor uns haben?« »Sieht so aus.« »In der Form, daß wir Eisbären sehen können, wenn wir aus dem Fenster schauen?« »Möglicherweise.« »Ach du meine Güte«, stöhnte Fink. »Und all die Bärenscheiße auf den Straßen!« »Ich denke nicht, daß es zum Lachen sein wird.« »Dann werden wir wohl auch Mastodons und Säbelzahntiger haben.« »Wenn du ausgestorben bist, dann bist du ausgestorben.« »Ach, Unsinn, Haney. Sie reden, als käme die Eiszeit nächsten
Dienstag. Ein solcher Prozeß muß Hunderte oder Tausende von Jahren dauern.« »Das würde ich nicht sagen«, meinte Hideo Kashihara ernst. Wissen Sie, gelegentlich kommt es vor, daß man Mastodons oder Mammute im Permafrost der sibirischen Taiga begraben findet, vollkommen erhalten. Es gab sogar gedankenlose Entdecker, die für sich selbst ein paar Mammutsteaks herausschnitten und das übrige Fleisch an ihre Hunde verfütterten.« »Ich weiß«, sagte Fink, »solche Steaks hatten wir letzte Woche in der Mensa. Und?« »Wie kommt es, daß Mastodons gefunden wurden, die noch unverdautes Futter in den Mäulern und Mägen hatten, wenn so viel Zeit ist, einer hereinbrechenden Eiszeit auszuweichen?« »Wieso? Das kommt mir ziemlich logisch vor.« »Denken Sie darüber nach, Mann! Wenn Sie mit vollem Mund sterben, dann sterben Sie plötzlich. Es bedeutet, daß die Tiere überrascht wurden, von einem Schneesturm oder was.« »Was es auch war, wir sind keine Mastodons. Wir sind intelligente Menschen, Herren der Natur.« Fink wandte sich zu Mark um. »Du sagtest selbst, wir veränderten das Wetter.« »Fahrlässig.« »Dann können wir es auch vorsätzlich.« »Vielleicht später einmal.« »Nun, wir haben Zeit, nicht wahr?« »Ich weiß nicht.« »Du weißt nicht viel.« »Richtig. Ich weiß nicht viel.« »Trotzdem bist du mit Voraussagen nicht pingelig, Markus. Ist das deine Qualifikation als Diskussionsleiter?« »Sieh mal, was wir unserem Planeten antun, ist ihm noch nie angetan worden, und die Tugenden der Alten — Sparsamkeit, Selbstbeschränkung, Selbstversorgung — haben wir kurzerhand zum Fenster hinausgeworfen. Ich weiß, daß die Faktoren mit einem weit größeren Maß von Übereinstimmung zusammengekommen sind als je zuvor. Diesmal wird es viel schneller gehen.« »Wie schnell ist >viel schnellen? Fünfhundert Jahre? Einhundert? Eineinhalb Wochen?« »Ich weiß nicht, wie lang es dauern wird, bis der Zyklus sich vollendet, aber er hat bereits angefangen.«
»Sie können einem direkt Angst machen«, sagte der Astronom. »Du siehst, wie wir bereits frieren«, sagte Fink und wischte sich die Stirn. Mark heftete eine Serie von Satellitenaufnahmen an die Demonstrationstafel. »Diese Bilder sind ein wenig unscharf, weil meine Ausrüstung zu wünschen übrig läßt. Aber sehen Sie selbst. Der Golfstrom hat sich um etwa zehn Breitengrade nach Süden verlagert, was zu einem weiteren Vordringen des kalten Labradorstroms, und, damit verbunden, zu einem Vordringen kalter Luftmassen führen muß. Im Gebiet um Neufundland ist bereits eine Zunahme der Wolkenbedeckung und Nebelhäufigkeit zu verzeichnen. Die Bahnen der Tiefdruckwirbel verlagern sich gleichfalls, was zur Folge hat, daß diejenigen Länder, die bisher von den Monsunregen profitierten, in Zukunft dieser Gewißheit verlustig gehen werden. Dafür bekommen dann wir die Stürme, die bisher den Bewohnern der Aleuten um die Ohren pfiffen.« »Nun, es soll ein gesundes Klima sein, das die dort haben. Etwas feucht, vielleicht, aber viel frische Luft.« »Du kennst den Rainier-Nationalpark in Washington. Ich fürchte, wir würden nicht allzu glücklich sein, wenn wir das gleiche Klima hätten, wie es dort herrscht.« »Warum nicht? Man soll dort großartig Ski laufen.« »Kein Wunder. In einer Saison hatten sie sechsundzwanzig Meter Schnee.« »Nur zu, Mark, mach mich unglücklich.« Mark zog weitere Fotos aus seiner Mappe und hielt sie in die Höhe. »Dies alles sind Aufnahmen vom Humboldt-Gletscher in Grönland. Passen Sie auf. . .« Er zeigte sie nacheinander in der Reihenfolge ihrer Entstehung, und man sah, wie der zentrale weiße Fleck auf den Fotos lebendig wurde und sich von Bild zu Bild weiter ausbreitete. »Die Tiere reagieren bereits. Wölfe wandern von den höheren Breiten Kanadas südwärts. Auch Marder, Lemminge und Moschusochsen befinden sich auf der Wanderschaft. Vorläufer dieser Wanderungsbewegung sind in der Wüste von Arizona beobachtet worden.« Er legte die Fotos aus der Hand und hielt eine Serie von Diagrammen hoch. »Hier sind die mittleren Jahrestemperaturen ei-
niger Städte in verschiedenen Teilen der Welt dargestellt. Vergleicht man die Durchschnittswerte der letzten zehn Jahre, dann sieht man, daß sie alle ein wenig gestiegen sind, aber nun ist überall gleichzeitig ein plötzliches Absinken festzustellen. Der Knick in der Kurve ist inzwischen unverkennbar, weil der Höhepunkt bereits vor drei Monaten erreicht war.« Er blickte in die Gesichter. »Können Sie mir alle folgen?« Der Archäologe sagte: »Nehmen Sie es nicht persönlich .. .« »Dies ist nicht die Zeit, um irgend etwas persönlich zu nehmen.« »Gut. Nun, Haney, die Regierung muß mehr Informationen haben als Sie, nicht wahr?« »Das ist jedenfalls, was sie uns ständig einredet.« »Na ja, sie verfügt über die besten Köpfe, die besten Ausrüstungen. Sie muß wissen, was vorgeht.« »Daran zweifle ich nicht.« »Warum hat sie nichts verlautbart?« Mark hob die Schultern. »Sagen Sie es mir.« »Die von der Regierung müssen genauso wie wir ihre Zusammenkünfte haben«, sagte Fink. »Das schon«, meinte der Archäologe, »aber früher oder später ...« »Früher oder später werden wir es alle wissen, bloß wird es dann zu spät sein.« »Komm, Mark, du glaubst doch nicht, daß sie uns einfach werden sterben lassen, oder?« »Sie erklären Kriege und schicken uns ins Feld, wo soundso viele von uns sterben. Ich habe keine Lust zu warten und herauszufinden, was die Regierung hat, was sie weiß und wann sie es mitteilen wird. Ich bin dafür, daß wir mit dieser Sache an die Öffentlichkeit treten. Jetzt. Vergessen wir die Konventionen, die Fachzeitschriften und ihre wissenschaftlichen Redaktionsausschüsse. Ich kenne jemanden bei der New York Times. Wir könnten eine Pressekonferenz veranstalten, das Material vorlegen und zeigen, wo wir stehen ...« »Wir? Was verstehen Sie darunter >wir