Atlan - Der Held von Arkon Nr. 233
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 233
Eine Welt für Akon-Akon Sie landen auf dem siebten Planeten - der Wunsch des Psycho-Tyrannen ist ihnen Befehl von Marianne Sydow Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, die in ihrer Habgier und Korruption das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hat Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Vaters, gegenwärtig eine neue Waffe gegen Orbanaschol, die bereits mehrmals erfolgreich zum Einsatz gelangte. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Heiler, kommt es auf Atlans Raumschiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besatzungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden. Der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommen wurde, entpuppt sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Jeder seiner Wünsche wird zum absoluten Befehl, und er fordert EINE WELT FÜR AKON-AKON …
Eine Welt für Akon-Akon
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Die Hautpersonen des Romans: Akon-Akon - Der Psycho-Tyrann läßt sich zu einem Planeten bringen. Atlan - Der Kristallprinz gelangt von einer Gefangenschaft in die andere. Algonla Helgh - Atlans Begleiterin. Gerlo Malthor und Jörn Asmorth - Besatzungsmitglieder der ISCHTAR. Keljos - Ein »Spitzkopf«.
1. »Endlich!« seufzte Fartuloon erleichtert und strich dabei zufrieden seinen Bart glatt. »Ein Sonnensystem mit zwei brauchbaren Planeten! Jetzt haben wir es bald geschafft.« »Hoffentlich irrst du dich nicht«, murmelte ich skeptisch. Vor uns lag eine riesige blaue Sonne, die von achtundzwanzig Planeten umkreist wurde. Zwei davon waren Sauerstoffwelten, lagen innerhalb der Lebenszone und waren nach arkonidischen Maßstäben bewohnbar. Damit hatten wir Akon-Akons Auftrag, eine Welt für ihn zu suchen, fast gelöst. Für unser persönliches Problem galt das nicht. Es reichte nicht, den Jungen einfach abzusetzen. Er war zum Herrschen geboren, und um seiner Bestimmung zu folgen, brauchte er Untertanen. Darum würde er uns zwingen, bei ihm zu bleiben und ihm zu dienen. Leider hatte er die Macht dazu. Die Erfahrungen der letzten Tage hatten gezeigt, daß es praktisch unmöglich war, gegen seinen Willen zu handeln. »Mir wird schon etwas einfallen«, behauptete Fartuloon leichthin. »Nach der Landung verbessern sich unsere Chancen. Solange er an Bord ist, können wir nichts gegen ihn unternehmen, aber ein Planet sollte uns genug Möglichkeiten bieten, ihn loszuwerden.« »Wenn er noch einmal von mir verlangt, daß ich vor ihm auf die Knie fallen soll«, knurrte Ra aus dem Hintergrund, »bringe ich ihn um!« »Versuch's doch!« empfahl Fartuloon trocken. Ra schwieg. Er wußte natürlich, daß Akon-Akon unangreifbar war.
In Gedanken verfluchte ich die Idee, auf der Welt der Goltein-Heiler zu landen, denn damit hatte das ganze Unglück angefangen. Aber ich hatte gehofft, meinem Vater helfen zu können, der nach seiner Wiedererweckung als seelenloses Wesen dahinvegetierte. Meine Hoffnungen hatten sich nicht erfüllt, statt dessen fanden wir Akon-Akon und nahmen ihn mit. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns ziemlich wenig dabei gedacht, denn der Junge befand sich in einer Art Tiefschlaf, aus dem niemand ihn wecken konnte. Erst während des*. Fluges war er dann aus irgendeinem Grunde zu sich gekommen, und seitdem er aktiv war, glich die ISCHTAR einem Tollhaus. Er beherrschte uns restlos. Uns war noch immer nicht klar, warum wir ihm gehorchen mußten, auch wenn sich alles in uns dagegen sträubte. Er mußte über geheimnisvolle Kräfte verfügen, denen wir nichts entgegenzusetzen hatten. Selbst Vorry, der Magnetier, der beim besten Willen nicht als übermäßig sensibel zu bezeichnen war, konnte sich der Ausstrahlung des Jungen nicht entziehen. »Wir müssen ihn benachrichtigen«, brummte Fartuloon mißmutig. »Ich bin gespannt, welchen der Planeten er sich aussucht. Wer meldet sich freiwillig?« Wir sahen uns unbehaglich an, denn jeder von uns scheute sich, Akon-Akon persönlich gegenüberzutreten. Mit viel Mühe hatten wir uns so weit von ihm freigemacht, daß wir das Raumschiff steuern konnten. Ein einziger Blick in die übergroßen roten Augen konnte uns wieder in willenlose Untertanen des Jungen zurückverwandeln. »Die Frage erübrigt sich«, bemerkte Karmina Arthamin, die dem Schott am nächsten war. »Der hohe Herr beliebt selbst zu kom-
4 men.« »Ich bin im Beobachtungsraum zu finden!« stieß Algonia Helgh hastig hervor und verließ fluchtartig den Raum. Ich grinste versteckt, denn die Astronomin bot einen ziemlich merkwürdigen Anblick. Wir hatten sie mit sanfter Gewalt aus Akon-Akons Gefolge losgeeist, aber ihre Bordkombination war spurlos verschwunden, und so lief sie immer noch in dem flatternden Fetzen herum, den die Frauen auf Befehl des Jungen tragen mußten. Algonia Helgh war zweiunddreißig Arkonjahre alt, trug ihr Haar entgegen der modischen Gepflogenheiten kurz und unterstrich damit die Herbheit ihres Gesichts. Zu ihr paßte diese Kleidung daher besonders schlecht. Aber ich hatte sie in den letzten Tagen schätzen gelernt. Sie war ungeheuer intelligent und verfügte über einen trockenen Humor, den sie selbst in den aussichtslosesten Situationen nicht verlor. Den Jungen haßte sie wie die Pest, und zum Davonlaufen hatte sie allen Grund: Akon-Akon hatte aus irgendeinem Grund einen Narren an ihr gefressen und machte ihr zu jedem unpassenden Zeitpunkt unzweideutige Anträge. Daß sie ihm bisher widerstanden hatte, sprach für ihre Willenskraft. Algonia Helgh war kaum durch ein Seitenschott verschwunden, da sprang auch schon der Vorbote des nahenden Zuges zum Haupteingang herein. »Der Herrscher naht!« schrie er mit überschnappender Stimme und tanzte wie besessen durch den Kommandoraum. Dazu schwenkte er ein Bündel bunter Stoffstreifen durch die Luft. Die Tücher waren mit duftenden Essenzen präpariert und verströmten die verschiedensten Gerüche. Fartuloon hielt sich demonstrativ die Nase zu, und Ra verdrehte die Augen. Der Bote Akon-Akons achtete nicht darauf. Er drehte sich wie ein Kreisel um seine eigene Achse, sprang dann auf ein Instrumentenpult und breitete die Arme aus, um seine Botschaft zu verkünden. »Macht Platz für Akon-Akon. Bereitet euch vor auf den Anblick seiner Herrlichkeit und verbannt aus euren Herzen alles Düste-
Marianne Sydow re, damit ihr seinen Glanz nicht mit schmutzigen Gedanken befleckt …« »Du wirst gleich selbst befleckt sein«, versprach Ra grimmig. »Nimm deine plumpen Füße von den Schaltknöpfen, sonst könnte es passieren, daß ein paar Sicherungen durchbrennen. Oder willst du uns AkonAkons Herrlichkeit im Dunkeln präsentieren?« Der junge Mann blickte den Barbaren verblüfft an, stieg von dem Pult herunter und fuhr mit seinem Monolog fort. Aber die Unterbrechung hatte ihm etwas von seinem Schwung genommen, und außerdem gingen seine Worte rasch in einem zunehmenden Getöse unter. In der kurzen Zeit, die dem Jungen während der Suche nach einem Planeten geblieben war, hatte er es fertiggebracht, seiner »Würde« einen beeindruckenden äußeren Rahmen zu verleihen. Eine Schar von Frauen führte den Zug an. Sie tanzten in flatternden, hemdartigen Kleidern herein, schwangen bunte Tücher um sich herum und sangen ein altes arkonidisches Kampflied. Die Begleitung lieferte die nachfolgende Kapelle. Bis auf eine Ghad-Flöte, die einem unserer Maschinisten gehörte, gab es an Bord der ISCHTAR kein einziges Musikinstrument, aber unter Akon-Akons Einfluß waren allerlei Geräte zweckentfremdet worden. Leere Behälter verschiedener Größe, mit dünnen Fäden an einem metallenen Rahmen befestigt, bildeten ein Glockenspiel. Aus einem metergroßen Trichter drangen urwelthafte Laute, Metallplatten schlugen rasselnd und scheppernd zusammen, und das Dröhnen improvisierter Trommeln lieferte den Rhythmus zu dieser »Musik«. Der Kapelle folgten die Leibwächter des Jungen. Es war kaum zu glauben, daß es sich bei diesen wild aussehenden Männern um zivilisierte Raumfahrer handelte. Sie waren bis auf winzige, blutrote Lendenschurze völlig unbekleidet. Ihre Körper glänzten von den Ölen, mit denen sie sich eingerieben hatten. Bunte Farbstreifen ver-
Eine Welt für Akon-Akon wandelten die Gesichter der zwanzig Männer in boshafte Grimassen. Jeder von ihnen hatte sich mit einem Speer und einem langen, leicht gebogenen Schwert bewaffnet, und um ihre Fußgelenke schlangen sich geflochtene Lederbänder, an denen kleine Glocken hingen. Die Wächter verteilten sich schnell und schweigend und nahmen an den Wänden Aufstellung. Vor der nüchternen, technisch orientierten Umgebung dieses Raumes wirkten sie geradezu lächerlich, außerdem war ihr Auftritt völlig überflüssig. Niemand vermochte es, Akon-Akon anzugreifen. Warum also diese Demonstration? Er ist unsicher geworden, raunte mein Extrahirn mir zu. Die Erkenntnis, nicht am vorbestimmten Ort erwacht zu sein, war ein Schock für ihn. Außerdem mißtraut er vor allem dir und Fartuloon. Ihr habt zuviel Initiative bewiesen. Von dumpfen Trommelwirbeln begleitet, hielt Akon-Akon endlich Einzug in die Zentrale. Sechs Raumfahrer trugen eine schwere, glänzende Metallplatte, in deren Mitte der Junge mit untergeschlagenen Beinen auf einem Haufen bunter Kissen saß. Seine riesigen Augen schweiften gelassen umher, sein edel geformtes Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Auf einen kaum merkbaren Wink hin setzten die Träger die Sänfte ab. AkonAkon erhob sich und trat auf uns zu. Vergeblich bemühte ich mich, ihn als das zu behandeln, was er war: Ein ungebetener Gast an Bord, der sich eine Menge Frechheiten herausnahm und uns bereits einmal durch seine Arroganz in direkte Gefahr gebracht hatte. Die riesigen roten Augen fingen mich ein und zwangen mich auf die Knie. Akon-Akon war etwas kleiner als ich, hager, ohne schwächlich zu wirken, und schätzungsweise sechzehn Arkonjahre alt. Unter normalen Bedingungen hätte er in einem Kampf gegen mich keine Chance gehabt – aber die Bedingungen waren eben nicht normal. Ich war nicht einmal mehr fähig, den Kopf zu bewegen und mich nach seinen Gefährten umzusehen.
5 »Ihr habt eine Welt gefunden?« Akon-Akon wandte sich an Fartuloon und mich, denn er sprach Altarkonidisch, und nur wir beide beherrschten diese Sprache. Allerdings brauchte er viele seiner Befehle nicht direkt auszusprechen und übersetzen zu lassen. Seine »Untertanen« gehorchten inzwischen so gut, daß er sie mit Blicken zu lenken vermochte. Seine Stimme drang wie durch eine Watteschicht an meine Ohren. Ich konnte nur stumm nicken. »Wie sieht sie aus?« »Es sind zwei Planeten«, begann ich stockend. »Wir warten auf deine Entscheidung. Du mußt uns sagen, welcher von ihnen dir besser gefällt.« »Ich möchte diese Planeten sehen!« Ein Teil der psychisch bedingten Lähmung fiel von mir ab. Ich suchte die graphischen Darstellungen heraus und überreichte sie dem Jungen. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf die Folien. »Damit kann ich nichts anfangen«, protestierte er. »Gibt es keine besseren Bilder?« »Wir sind noch zu weit entfernt.« »Dann fliegt näher heran!« »Die beiden Planeten befinden sich, relativ zur Sonne gesehen, an entgegengesetzten Punkten ihrer Umlaufbahn«, mischte Fartuloon sich ein. »Wir müssen uns jetzt entscheiden, welchen wir anfliegen wollen, oder wir verlieren Zeit.« Akon-Akon wurde unsicher. Ich merkte es daran, daß ich mich freier bewegen konnte. Fartuloon blinzelte mir zu und legte wie zufällig die Hand auf sein Skarg. Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Die Wächter beobachteten uns argwöhnisch, und bei der ersten falschen Bewegung würde auch AkonAkon sich wieder voll auf uns konzentrieren. »Erkläre mir die Bedeutung dieser Zeichen«, wandte der Junge sich an mich. Ich setzte ihm Punkt für Punkt die Unterschiede auseinander, die sich anhand der Daten für die beiden Welten ergaben. Es handelte sich um den siebenten und den achten Planeten. Nummer acht war uns am
6 nächsten und befand sich innerhalb der Lebenszone, aber das Klima war vermutlich recht rauh und unterlag starken Schwankungen. Nummer sieben schien mir für eine Landung besser geeignet zu sein, obwohl der größte Teil seiner Oberfläche von Wasser bedeckt war. Die mittleren Temperaturen lagen etwas unter Arkonnorm, waren aber erträglich. Auch die Schwerkraft war normal, soweit wir das aus dieser Entfernung beurteilen konnten. »Gibt es auf einem der Planeten intelligente Wesen?« Ich starrte Akon-Akon entgeistert an, dann fiel mir wieder ein, daß der Junge von Dingen dieser Art so gut wie nichts verstand. »Wir können diese Frage jetzt noch nicht beantworten«, erklärte ich ihm. »Intelligenz läßt sich mit der Fernortung nicht messen. Wenn wir näher heran sind, können wir vielleicht Spuren einer Besiedlung optisch ausmachen, aber wenn es dort Wilde gibt, die sich auf den Bau von Laubhütten beschränken, werden wir sie erst dann kennenlernen, wenn wir ihnen gegenüberstehen.« »Das ist schlecht«, bemerkte der Junge von Perpandron gelassen, legte die Folien auf eine Konsole und kletterte wieder auf seine Sänfte. Er machte es sich auf den Kissen bequem und ließ sich dann zu weiteren Befehlen herab. »Ihr werdet den günstigsten der beiden Planeten ansteuern. Es liegt in eurem eigenen Interesse, keine Fehler zu machen, denn ihr selbst werdet schließlich darunter leiden müssen. Benachrichtigt mich, wenn wir uns der neuen Welt so weit genähert haben, daß ich sie betrachten kann.« Die Träger wuchteten die Metallplatte in die Höhe und trugen Akon-Akon hinaus. Die Leibwächter marschierten würdevoll hinterher, dann machte die Kapelle ihre Runde, und der letzte, der von dem Gefolge des Jungen schließlich noch übrigblieb, war der junge Arkonide mit den duftenden Tüchern. Er stand neben dem Schott und schien nicht recht zu wissen, was er jetzt tun sollte.
Marianne Sydow Ra, der sehr stark unter dem demütigenden Gefühl litt, wie ein Sklave behandelt zu werden, ging langsam auf ihn zu, betrachtete ihn von oben bis unten, schnupperte an den Tüchern und ließ sich plötzlich auf den Boden fallen. »Bote des Herrschers!« winselte er, tastete nach dem rechten Bein des Arkoniden und zwang den Raumfahrer, ihm den Fuß auf die Schulter zu setzen. Verblüfft sah der »Herold« auf den demütig vor ihm kauernden Barbaren hinab. »Bist du jetzt auch übergeschnappt?« fragte Vorry interessiert. Ra lachte übermütig und richtete sich abrupt auf. Der Bote Akon-Akons flog in einem fast perfekten Salto rücklings durch das geöffnete Schott. »Guten Flug«, knurrte Ra grinsend. »Und die allerbesten Grüße an den Herrn der Welten!« »Das war nicht nötig«, bemerkte ich, als der Bote davongeschlichen war. »Der arme Kerl kann schließlich nichts dafür. Er wird von Akon-Akon beeinflußt, genau wie wir auch.« »Unsinn!« brummte Ra. Seine gute Laune war verflogen.»Ein paar von den Kerlen spielen sehr gerne mit. Hast du das noch nicht gemerkt?« Ich schwieg bedrückt. Ra hatte den wunden Punkt getroffen. Ich machte mir große Sorgen um die Mannschaft der ISCHTAR. Es schien wirklich so, als wären einige von unseren Leuten voll auf den Kurs des Jungen eingeschwenkt. Die Hingabe, mit der sie diesen rätselhaften Fremden bedienten, ließ sich nicht mehr nur mit Akon-Akons unheimlichen Fähigkeiten begründen. Es steckte mehr dahinter. »Ist er weg?« Algonia Helgh betrat vorsichtig den Raum und sah sich nach allen Seiten um. Dann erst erkundigte sie sich nach den Ereignissen während des Besuchs. »Er hat uns also die Wahl gelassen«, meinte sie. »Wenn es nach mir ginge, würden wir Nummer acht ansteuern. Am besten
Eine Welt für Akon-Akon einen der Pole. Wenn ihm die Zähne klappern und die Finger frieren, wird er seine Arroganz schon vergessen!« Fartuloon schüttelte den Kopf. »Der nicht. Er wird uns eher zu Eisklumpen erstarren lassen, als selbst auch nur die leiseste Erkältung in Kauf zu nehmen. Atlan, was gedenkst du zu tun?« Ich war der Kommandant dieses Schiffes, auf dem sich gut sechshundert Personen aufhielten. Zugegeben, Algonias Vorschlag hatte seine Reize, aber das Risiko, daß nicht Akon-Akon der Leidtragende wäre, war mir zu groß. »Nummer acht«, entschied ich, »fällt aus. Wir steuern die Wasserwelt an.« Wir gingen an unsere Plätze, und wieder einmal wunderte ich mich darüber, daß wir es tatsächlich schafften, mit den wenigen Leuten, die Akon-Akon uns zur Verfügung gestellt hatte, dieses Raumschiff zu beherrschen – dies allerdings nur in technischer Hinsicht. Wir brachten die ISCHTAR auf eine elliptische Bahn, die uns mit relativ geringem Energieverbrauch an den Planeten heranbringen mußte. Wir befanden uns in einem von dicht stehenden Riesensonnen geprägten Abschnitt der Galaxis, über dessen Position wir bisher nur Vermutungen anstellen konnten, wußten also nicht, was uns erwartete. Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, empfahl das Extrahirn. Deine nächste Zukunft wird nicht durch die Energiereserven des Raumschiffs geprägt, sondern von AkonAkon bestimmt. Du mußt ihn unschädlich machen! Das weiß ich auch, dachte ich ärgerlich zurück. Kannst du mir auch verraten, wie ich das anstellen soll? Das Extrahirn schwieg.
* Da wir mehrere Stunden brauchten, um den Planeten zu erreichen, benutzte ich diese einigermaßen ereignislose Zeit dazu, uns allen wenigstens eine kurze Pause zu ver-
7 schaffen. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wann ich das letztemal geschlafen hatte, und den anderen ging es nicht viel besser. Fartuloon protestierte zwar, als ich ihn für die erste Freiwache einteilte, aber das half ihm wenig. Vorry blieb bei mir – das Tonnenwesen brauchte nur wenig Schlaf. »Ob es auf dem Planeten auch genug Eisen gibt?« erkundigte er sich besorgt. »Ich habe einen Bärenhunger. Eigentlich könntest du mir als altem Freund wenigstens ein Gleiterchen servieren!« Ich musterte schläfrig die Kontrollen. Es war alles in Ordnung. »Du bist und bleibst ein Vielfraß«, murmelte ich. »Aber wie wäre es, wenn du deinen Hunger nutzbringend anwendest und Akon-Akons Kabinenwände anknabberst?« »Ich wüßte nicht, was ich lieber täte. Leider geht es nicht. Einer von seinen Leibwächtern hat mir vorhin sein Schwert wie einen Köder vor die Nase gehalten, und ich hätte so gerne zugeschnappt, aber ich konnte es nicht. Was wirst du tun, wenn wir auf dem Planeten gelandet sind?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte man ihn in die Schleuse stellen und ihm von hinten einen Tritt geben. Und dann – Alarmstart. Aber das sind Wunschträume.« »Ein Roboter wäre seinem Einfluß nicht unterworfen. Ich hasse es, wenn Grundnahrungsmittel verschwendet werden, aber in diesem Falle heiligt der Zweck die Mittel.« »Ich habe versucht, eine Maschine so zu programmieren, daß sie den Jungen betäubt«, seufzte ich. »Und ich habe es nicht fertiggebracht. Es sieht so aus, als müßten wir uns mit Akon-Akon noch einige Zeit abfinden.« Das Gespräch versandete, und endlich kam die Ablösung. Ich wankte in meine Kabine, ließ mich, so wie ich war, ins Bett fallen und war sofort eingeschlafen. Als Fartuloons dröhnende Stimme mich aus dem Schlaf riß, hätte ich ihn am liebsten hinausgeworfen, aber der Bauchaufschneider hielt sich vorsichtshalber außerhalb meiner Reichweite auf.
8 »Unser Gast wird ungeduldig«, erklärte er. »Er fragt ständig nach, ob wir unserem Ziel nicht endlich nahe genug wären, um es optisch erfassen zu können.« »Was habe ich damit zu tun? Schaltet die Bildübertragung ein, dann kann er selbst nachsehen.« »Das reicht ihm nicht. Er hat dich allem Anschein nach ins Herz geschlossen. Er möchte von dir persönlich über die Lage aufgeklärt werden.« Wütend kletterte ich aus dem Bett, rückte meine Kleidung zurecht und machte mich auf den Weg. Vor dem Schott zum Kommandoraum blieb Fartuloon stehen und hielt mich am Arm fest. »Ich muß dich etwas fragen«, murmelte er. »Was hältst du eigentlich von diesem seltsamen Namen? Akon-Akon – erinnert dich das an gar nichts?« »Doch, natürlich. Die Akonen! Aber was sollten die mit dem Auftauchen dieses Jungen zu tun haben? Nach den Unabhängigkeitskriegen sind sie verschwunden, und niemand hat seitdem etwas von ihnen gehört.« »Das hat nicht viel zu bedeuten. Wir wissen nichts über ihr Schicksal. Es heißt, daß sie vernichtend geschlagen wurden, aber genaue Unterlagen fehlen. Sie könnten sich zurückgezogen haben, um von einem vergessenen Winkel der Galaxis aus erneut gegen Arkon vorzugehen.« Ich war zu müde, um mich mit Spekulationen dieser Art zu beschäftigen. Außerdem war seit den Unabhängigkeitskriegen so viel Zeit vergangen, daß die Berichte über die damaligen Ereignisse vielfach verfälscht und mythologisch verbrämt waren. »Akon-Akon könnte eine Waffe sein«, fuhr Fartuloon hartnäckig fort. »Stell dir vor, welchen Wirbel es gäbe, wenn dieses herrschsüchtige Bürschchen nach Arkon I käme!« Im ersten Moment war die Vision recht erheiternd. Selbst Orbanaschol wäre einem Akon-Akon nicht gewachsen. Er müßte genauso nach der Pfeife des Jungen tanzen wie die gesamte Besatzung der ISCHTAR. Aber
Marianne Sydow meine Heiterkeit verflog schnell, denn ich begriff, was ein solches Zusammentreffen für das Große Imperium bedeuten mußte. Der Junge mit seinen unheilvollen Fähigkeiten wäre imstande, die Macht über das gesamte Sternenreich an sich zu reißen. »Wir werden uns wohl oder übel mit dieser Frage beschäftigen müssen«, murmelte ich bedrückt. »Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Jungen und den alten Akonen gibt. Wenn sie den Krieg als Volk überlebt haben sollten, hätten wir ihnen irgendwann begegnen müssen. Und welchen Grund sollten sie wohl haben, nach so langer Zeit noch gegen uns zu kämpfen?« »Der Junge spricht Altarkonidisch. Ich glaube, er sollte schon viel früher zum Einsatz kommen.« »Mag sein«, wehrte ich ab. »Reden wir später darüber, ja? Sonst schickt er uns am Ende wieder eine ganze Abordnung von Untertanen in die Zentrale.« Fartuloon gab brummend nach. Es gelang mir, Akon-Akon zu beruhigen, obwohl ich dafür sehr viel Geduld brauchte. Der Junge verstand von der Raumfahrt so gut wie gar nichts. Er war absolut darauf eingestellt, auf einem Planeten zu erwachen, dort eine funktionierende Zivilisation vorzufinden und sie unter seine Herrschaft zu zwingen. Darüber hinaus war er fest davon überzeugt, nahezu allwissend zu sein – ein Umstand, der die Verständigung mit ihm ungeheuer schwer machte. Er hatte nicht die leiseste Absicht, etwas hinzuzulernen, und meine rein sachlichen Erklärungen waren ihm eigentlich gleichgültig. Ihn plagte nur die Angst, daß wir ihn hintergehen könnten – einfach weil wir von Dingen sprachen, die er nicht verstand. Endlich gab er sich mit dem Angebot zufrieden, das weitere Geschehen auf dem Bildschirm zu verfolgen, bestand aber darauf, daß die Sprechverbindung zwischen ihm und uns ständig nach beiden Seiten offen blieb. Das war ausgesprochen lästig. Nach mehrmaligem Quartierwechsel hatte
Eine Welt für Akon-Akon er es sich in einem umgebauten Lagerraum gemütlich gemacht. Dort gab es eine Reihe kleinerer Zimmer, die er mit allem verfügbaren Luxus ausgestattet hatte – seine Gemächer, in die er sich zurückzog, wenn er ruhen wollte. Was leider viel zu selten vorkam, denn Akon-Akon verfügte über schier unerschöpfliche Energie. Der Rest der Halle war unter beträchtlichem Arbeitsaufwand in eine Art Arena verwandelt worden. Von einer pomphaft geschmückten Galerie aus beobachtete AkonAkon seine Leibwächter, die dort unten trainierten, und ab und zu gab es auch blutige Schaukämpfe, zu denen alle seine Untertanen eingeladen wurden. Zwischendurch mußten die weiblichen Besatzungsmitglieder unserem »Herrscher« huldigen, indem sie für ihn sangen und tanzten. Akon-Akon hatte sehr exotische Vorstellungen über Tänze und Musik. Unsere Raumfahrerinnen waren in dieser Richtung kaum vorbelastet. Sie waren kampferprobt und tapfer, klug und tüchtig – aber keine von ihnen brachte Erfahrungen aus der Unterhaltungsbranche mit. Daher fielen ihre Darbietungen ziemlich kläglich aus, was man durch eine überlaute Geräuschkulisse auszugleichen versuchte. Und diesen ganzen Lärm mußten wir nun im Kommandoraum über uns ergehen lassen. Erst als wir dem siebenten Planeten so nahe gekommen waren, daß wir auch mit der Normaloptik Einzelheiten der Oberfläche auf die Schirme projizieren konnten, ließ Akon-Akon das Programm in der Halle unterbrechen. »Warum landen wir immer noch nicht?« wollte er wissen. »Wir befinden uns jetzt in einer Umlaufbahn«, erklärte Fartuloon ihm so geduldig, als spräche er mit einem kleinen Kind. »Bevor wir zur Landung ansetzen, müssen wir einen geeigneten Platz finden. Unser jetziger Kurs führt uns auf einer genau berechneten Bahn mehrmals um den Planeten herum, so daß wir nichts übersehen können.« Akon-Akon schwieg. Sein Gesicht, das von einem Schirm auf uns herabstarrte, zeig-
9 te einen beinahe verächtlichen Ausdruck. Unter uns zogen riesige Meere vorbei. Es gab einen großen Hauptkontinent und mehrere Inseln von beträchtlicher Ausdehnung, die zum Teil durch Ketten kleiner Inseln miteinander in Verbindung standen. Blaugrüne Flächen auf dem Festland zeigten das Vorhandensein von Vegetation an. Wir sahen auch einige tätige Vulkane und schneebedeckte Gebirgsketten, aber das alles war nebensächlich, denn auf den Meeren trieben Dinge, die uns in helle Aufregung versetzten. Es waren riesige schwimmende Gebilde, die offensichtlich nicht auf natürliche Weise entstanden waren. Leider hingen ausgerechnet über diesen künstlichen Inseln dichte Wolkenfelder, so daß wir nur wenige Einzelheiten erkennen konnten. Aber was wir sahen, reichte aus. Dort unten gab es eine Zivilisation, die restlos fremdartig war und einen relativ hohen Stand der Technik erreicht haben mußte. Auf den Landflächen selbst gab es keine sichtbaren Spuren einer Besiedlung. Das ließ den Schluß zu, daß es sich bei den Eingeborenen um Wasserbewohner handelte. Da sie sich schwimmende Städte gebaut hatten, die ziemlich hoch über die Meeresoberfläche hinausragten, mußten sie imstande sein, sich auch außerhalb des nassen Elements für längere Zeit wohl zu fühlen, aber sie entfernten sich vermutlich nicht gerne allzu weit vom Wasser. Dennoch waren sie dabei, auch das Festland zu erforschen. An den Küsten gab es zahlreiche kleinere Anlagen, Brückenköpfe einer wassergebundenen Zivilisation am Rand der Kontinente. »Das sieht nicht sehr einladend aus«, brummte Fartuloon mißmutig. »Hoffentlich bekommen wir keinen Ärger mit den Fremden. Ich möchte wetten, daß sie ein kriegerisches Volk sind.« »Was bringt dich auf diese Idee?« »Du brauchst dir nur die Anlage ihrer Städte und Brückenköpfe anzusehen. Solche Gebilde entstehen nur in einer straff durchorganisierten Gesellschaft, in der das
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Marianne Sydow
Schicksal einzelner unwichtig ist.« »Das mag in vielen Fällen zutreffen, aber hier sollten wir mit unseren Schlußfolgerungen vorsichtig sein. Es sind fremde Wesen. Sie haben ein anderes W'eltbild und andere Auffassungen davon, was nützlich oder schön ist. Außerdem scheinen sie sich auf die Meere und einen schmalen Küstenstreifen zu beschränken. Wenn wir im Zentrum des Hauptkontinents landen, werden wir kaum mit ihnen in Berührung kommen.« »Und wenn sie uns angreifen? Sie könnten die Landung beobachten und nach uns suchen.« Ich sah ihn verwundert an. So kannte ich den alten Bauchaufschneider ja gar nicht! Fartuloon strich sich verlegen durch den Bart und zuckte die Schultern. »Ich habe ein ungutes Gefühl«, gab er zu. »Wahrscheinlich ist es besser, uns einen anderen Planeten auszusuchen.« »Das kommt nicht in Frage!« meldete Akon-Akon sich überraschend. »Es hat lange genug gedauert. Ich möchte endlich meine Welt in Besitz nehmen.« »Und die Eingeborenen?« »Ich habe keine Angst vor ihnen. Wir landen!« Damit war die Entscheidung gefallen. Fartuloon betrachtete das Bild auf den Schirmen noch immer mit größter Abneigung, und auch ich hatte plötzlich das Gefühl, einen schwerwiegenden Fehler zu begehen, aber gegen Akon-Akons Befehl kam keiner von uns an. Wir wählten ein breites, langgezogenes Tal im Herzen des Hauptkontinents aus. Es gab dort einen Fluß und relativ reiche Vegetation, und die felsigen Hügel ringsum boten eine gute Deckung gegen mögliche Angreifer. Wir setzten am frühen Morgen auf, und ich gab dem neuentdeckten Planeten den Namen Ketokh. Wir hatten Akon-Akons Auftrag erfüllt und eine Welt für ihn gefunden.
2.
»Wir verlassen das Schiff!« verkündete der Junge von Perpandron. »Versammelt euch vor der Schleuse. Ich werde euch sagen, was ihr zu tun habt. Du kommst sofort zu mir.« Die ISCHTAR dröhnte vom Geräusch hastiger Schritte, als ich mich gehorsam auf den Weg zu Akon-Akon machte. Niemand vermochte sich dem Befehl zu widersetzen. Mir fiel auf, daß keiner der Raumfahrer daran dachte, die Ergebnisse der üblichen Analysen abzuwarten. Es nahm auch niemand Gepäck oder Waffen mit nach draußen. Schweigend strömten sie nach unten, der Hauptschleuse entgegen. Die meisten wirkten mißmutig, aber auf einigen Gesichtern entdeckte ich auch den Ausdruck einer fast hysterischen Freude. Besorgt stieß ich die Tür zum Lagerraum auf. Akon-Akon saß auf einem Kissenstapel und sah dem geschäftigen Treiben seiner Untertanen zu. Die zwanzig Leibwächter standen hinter ihm. Alle anderen, die gerade in der Halle waren, packten Kissen, Decken und Dekorationsstücke zusammen, verfrachteten alles in Kisten und schleppten diese keuchend nach draußen, als gäbe es an Bord keine Roboter, die diese Arbeiten übernehmen könnten. Kein Zweifel – auch AkonAkon zog um. Er entdeckte mich und winkte mich zu sich heran. »Du wirst übersetzen, was ich sage«, teilte er mir mit. Ich begegnete dem Blick seiner Augen. Es war, als tauchte ich in warmes Wasser, das mich mit wohliger Müdigkeit ausfüllte und jede Initiative hinwegspülte. Verzweifelt riß ich mich zusammen. »Alle Leute verlassen das Schiff«, sagte ich mühsam. »Das ist sehr unvorsichtig. Wenigstens die Beobachtungsstationen sollten besetzt bleiben.« »Wir werden das Schiff nicht mehr brauchen. Dies ist meine Welt, und sie ist groß genug – jedenfalls für die nächste Zeit. Du hast selbst festgestellt, daß die Eingeborenen in der Nähe der Küstenstationen bleiben.
Eine Welt für Akon-Akon Wer also sollte uns angreifen? Das, was ich zu sagen habe, betrifft alle Personen an Bord. Jeder soll es hören.« Damit war das Thema für ihn beendet. Mir dagegen wurde klar, daß wir vom Regen in die Traufe geraten waren. Solange die ISCHTAR sich im Raum befand, hatte Akon-Akon sich auf unsere Hilfe verlassen müssen. Dadurch waren wir innerhalb der gegebenen Grenzen frei gewesen. Jetzt änderten sich die Machtverhältnisse. Mir gefiel diese Entwicklung ganz und gar nicht, und ich spielte sogar mit dem Gedanken, bei der Übersetzung einige absichtliche Fehler einzuflechten, aber bei dem Gedanken blieb es dann auch. Als alle anderen das Schiff verlassen hatten, gab Akon-Akon den Sänftenträgern einen Wink. Sie wuchteten die Platte hoch. Ich hatte die Ehre, gleich hinter dem »Herrscher« in den Zug eingereiht zu werden. Ganz vorne tanzten wieder etliche in weiße Tücher gehüllte Frauen dahin, dann kam die Kapelle. Die Sänfte wurde von den martialisch aussehenden Wächtern umringt, dann kam ich, und hinter mir johlte der Kern der persönlichen Diener des Jungen. So marschierten wir unter ungeheurem Getöse zur Schleuse. Die Tänzerinnen und die Kapelle wurden mit lautem Jubel begrüßt. AkonAkon wartete, bis der Höhepunkt der Spannung erreicht war, dann brachte er mit einer leichten Handbewegung die Kapelle zur Ruhe. Die »Musiker« und die Frauen wichen zur Seite, die Leibwächter verteilten sich schnell. Die Rufe der draußen wartenden Leute rissen ab, eine erwartungsvolle Stille trat ein. Ich beobachtete dieses Theater mit gemischten Gefühlen. Der Junge verstand zweifellos sein Handwerk. Als die Sänfte in die Schleusenkammer getragen wurde, ertönten die ersten Hochrufe. Sie steigerten sich zu einem Orkan der Sympathiekundgebung, als Akon-Akon sich erhob und an den Rand der Schleuse trat. Sekundenlang stand er regungslos da. Ich sah, wie seine unheimlichen Augen leuchte-
11 ten. Er genoß es, sich bejubeln zu lassen, obwohl er wissen mußte, daß dieser Jubel größtenteils erzwungen war. Akon-Akon hob beide Arme, und schlagartig herrschte wieder Ruhe. Er winkte mich heran, und ich übersetzte, was er sagte, – natürlich wortgetreu. »Ihr werdet an diesem Platz eine Siedlung bauen. Auf dem niedrigen Hügel dort drüben werdet ihr das Hauptgebäude errichten. Eine breite Straße soll bis zum Fluß führen, am Ufer werdet ihr eine breite Treppe anlegen. Die Arbeit hat sofort zu beginnen, die Fertigstellung der Siedlung ist mein erstes und vordringlichstes Ziel. Ihr werdet dieses Tal nicht verlassen und auch das Schiff nur betreten, wenn ihr Werkzeug und Geräte holen müßt, die für die Bauarbeiten dringend benötigt werden. Ihr alle werdet eure volle Kraft einsetzen, um das Ziel so schnell wie möglich zu erreichen!« Akon-Akon hob erneut die Hände. Jubel – künstlicher Jubel – brandete auf. Der Junge ließ die Arme sinken, und die Rufe verstummten. Die Sänftenträger hoben die Platte auf und trugen sie über die Rampe einem Hügel entgegen. Akon-Akons persönliche Dienerschar folgte wie ein Haufen gehorsamer Marionetten. Noch ehe der Junge den Gipfel des Hügels erreicht hatte, auf dem er sich für die Dauer der Bauarbeiten einzurichten gedachte, waren die ersten Werkzeuge ausgegeben. Die Arbeit begann.
* Ächzend richtete Fartuloon sich neben mir auf, rieb sich mit schmerzverzogenem Gesicht den Rücken und schob die Maske vor seinem Gesicht zurück. »So geht das nicht weiter!« beschwerte er sich, während er die dicken Schweißtropfen wegwischte, die sich auf seiner Stirn gebildet hatten. »Wir müssen uns schleunigst etwas einfallen lassen. Ich habe keine Lust, für den Rest meines Lebens Sklavenarbeiten für diesen eingebildeten Kerl zu verrichten.« Ich ließ den heißen Energiestrahl langsam
12 weiterwandern und schaltete das Gerät erst ab, als die beiden Kunststoffplatten fest miteinander verbunden waren. Nachdenklich sah ich mich um. Überall dasselbe Bild: Die Mannschaft der ISCHTAR arbeitete mit Feuereifer. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit veränderte sich die Umgebung. Eine ganze Anzahl von Häusern waren im Rohbau bereits fertiggestellt. Die meisten Gebäude wurden aus Platten zusammengesetzt, die wir aus dem Schiff geholt hatten, andere jedoch bekamen solide Steinwände. Eine Gruppe von Raumfahrern zerschnitt die dicken Baumstämme, die sie gestern herantransportiert hatten, in saubere Bretter und Balken, andere verarbeiteten das Holz zu Türen und Möbeln. Wege wurden angelegt, und die breite Treppe, die zum Fluß hinunterführen sollte, war bereits halb fertig. Neben den gelben Erdhaufen türmten sich Stapel sauberer Steinplatten. Es gab keinen Widerstand gegen AkonAkons Befehl, obwohl wir nicht die geringste Lust hatten, uns auf diesem Planeten anzusiedeln. Der Ort, der hier entstand, war keineswegs als Übergangslösung geplant. Es sollte eine solide Stadt werden, die der gesamten Mannschaft Platz bot. »Einen Vorteil hat diese Schufterei«, murmelte ich. »Es gibt keine Schaukämpfe mehr.« »Dafür unterliegen immer mehr Leute endgültig dem Einfluß des Jungen. Es ist nur noch eine Frage von wenigen Wochen, dann ist die letzte Chance zum Widerstand verpaßt.« »Wir können nichts tun, das weißt du selbst. Wir können nur warten und hoffen, daß Akon-Akon sich irgendeine Blöße gibt. Er muß doch auch einen wunden Punkt haben!« »Dieser miese kleine Schmarotzer!« schnaufte Fartuloon verächtlich und warf einen wütenden Blick in die Richtung des Hügels, auf dem Akon-Akon saß und das Treiben seiner Untertanen beobachtete. »He, du da!« Wir fuhren beide herum. Hinter uns stand
Marianne Sydow ein Mann, an dessen Namen ich mich erst nach einigem Nachdenken erinnerte. Er hieß Ferentok. Er war mir einmal ziemlich unangenehm aufgefallen, und meine Ahnung schien sich zu bestätigen – Ferentok gehörte zu denen, die sich auch ohne künstliche Beeinflussung zu Akon-Akon bekannten. Seine Treue war offensichtlich belohnt worden. Er spielte den Aufseher. Ein schwerer Impulsstrahler baumelte an seiner Hüfte. In der rechten Hand hielt er einen langen, biegsamen Stock. »Hier wird gearbeitet, nicht geredet!« brüllte er. »Paßt auf, daß ich euch nicht noch einmal beim Herumtrödeln erwische. Ich werde gut auf euch achten!« »Mach, daß du weiterkommst!« empfahl Fartuloon verächtlich. »Und hüte deine Zunge. Vergiß nicht, daß du zur Besatzung der ISCHTAR gehörst. Der Kommandant des Schiffes ist immer noch Atlan!« »Wir sind aber nicht mehr im Schiff, und wir brauchen keinen Kommandanten mehr. Ihr solltet euch daran gewöhnen, daß die alten Zeiten vorbei sind. Wir widmen unser Leben einem neuen Ziel. Los jetzt, an die Arbeit, oder soll ich euch Beine machen?« Ruhe bewahren! mahnte das Extrahirn. Dieser Mann ist nicht repräsentativ für die Meinung der Besatzung. Fartuloon besaß keinen lautlosen Partner, und es hatte schon zu lange in ihm gebrodelt. Mit zwei schnellen Schritten erreichte er Ferentok, riß ihm den Stock aus der Hand und schleuderte ihn zur Seite. »Du hast einen Eid geschworen!« zischte er den Aufseher an. »Für Atlan und Arkon – auf Leben und Tod. Du scheinst ein wenig vergeßlich zu sein, darum will ich dich daran erinnern, daß dort dein Kommandant steht. Nimm Haltung an und entschuldige dich für dein Verhalten!« Ferentok wich einen Schritt zurück. Für einen Augenblick schien es, als würde er sich besinnen, aber dann fuhr seine Hand nach unten. Plötzlich hielt er den Strahler in der Hand. Fartuloon war schneller. Die Hand des Arkoniden hatte den Strahler noch
Eine Welt für Akon-Akon nicht einmal angehoben, da blitzte es kurz auf. Ferentok stieß einen gellenden Schrei aus und ließ die Waffe fallen. Aus einer Wunde am rechten Arm sickerte Blut und durchtränkte den hellgrünen Stoff der Uniform. Fartuloon steckte das Schwert gelassen wieder weg, wandte sich um und blinzelte unwillig. »Diese Ratten«, murmelte er. Der Schrei lockte einige Neugierige herbei. Zwei Männer nahmen sich Ferentoks an und führten ihn schweigend weg. AkonAkons Aufseher erging sich in Flüchen und wilden Drohungen. Er hatte Pech. Einer seiner Helfer befahl ihm, den Mund zu halten, und als Ferentok nicht darauf reagierte, hielt der andere ihm ein langes Messer vor die Nase. »Sei endlich still!« sagte er drohend. »Sonst könnte es passieren, daß ich deine Wunde versehentlich erweitere!« Ich sah den Männern und Frauen nach, die langsam wieder an ihre Arbeit zurückkehrten, und die Wut stieg in mir hoch. Sie alle waren plötzlich Fremde, Leute, mit denen ich kaum noch etwas gemeinsam hatte. Ich hatte immer geglaubt, ein gutes Verhältnis zu ihnen zu haben. Einige von ihnen kannte ich sehr gut, hatte mit ihnen schon allerlei Abenteuer durchgestanden und sie als großartige Kameraden schätzen gelernt. Jeder einzelne hatte für sich allein die Entscheidung getroffen. Sie hatten den Eid auf das Skarg abgelegt – und an diesem Schwert klebte nun das Blut eines Mannes, der trotz allem zu meinen Leuten gehörte. Das war der schlimmste Punkt an diesem unangenehmen Vorfall. Bis zu unserer Bekanntschaft mit Akon-Akon waren wir eine verschworene Gemeinschaft gewesen. An Bord unserer Raumschiffe herrschte Disziplin, genau wie auf den Schiffen der arkonidischen Flotte – und doch war alles ganz anders. Disziplin war notwendig, denn ohne sie wurde jeder Raumflug zum Himmelfahrtskommando, aber es gab bei uns keine unüberwindbaren Mauern zwischen den ein-
13 zelnen Mannschaftsgraden. Gerade dadurch, daß wir unsere Kräfte nicht bei internen Intrigenspielen zersplitterten, hatten wir uns bisher gegen Orbanaschol behaupten können. Diese Leute, die jetzt mit gesenkten Köpfen über die Baustelle schlichen, waren für mich keine Werkzeuge. Wenn es sein mußte, hätte ich für jeden von ihnen mein Leben eingesetzt, und sie wußten das. Sie hatten sich bedingungslos auf meine Seite gestellt, weil sie sicher sein durften, daß sie sich auf mich verlassen konnten. Und jetzt war das alles zerbrochen. Voller Haß starrte ich zu dem Hügel hinüber, auf dem Akon-Akon saß, der Junge von Perpandron, der drauf und dran war, die Arbeit von Jahren mit einem Schlag zu vernichten. Nach einigen Minuten blieb ein Mann neben uns stehen, Jörn Asmorth, ein Techniker. Er war groß und schlank, und seine Hände tasteten nervös an seiner Uniformjacke entlang. »Wir können nicht viel tun«, sagte er nervös. »Sie dürfen das alles nicht zu ernst nehmen. Im Grunde hassen wir den Jungen alle, aber die meisten können es nicht mehr zum Ausdruck bringen.« Er hob seine Last von Brettern wieder auf und ging weiter. Fartuloon grinste böse. »Immerhin«, murmelte er, während er sich wieder an die Arbeit machte, »scheint es doch noch ein paar Leute zu geben, die den Verstand nicht völlig verloren haben.« »Mehr als du glaubst. Das Dumme ist nur, daß uns das nicht weiterhilft. Du siehst es ja an uns. Wir haben den festen Willen, AkonAkon nicht zu unterstützen, und trotzdem bauen wir diese verdammte Hütte auf.« »Wir müßten den Versuch machen, aus seiner Reichweite zu kommen. Er hat verboten, daß wir das Tal verlassen – ich bin sicher, daß er seine Gründe hatte. Er kann uns nicht auf unendliche Entfernung beherrschen. Wenn wir weit genug weg kämen, wären wir wahrscheinlich frei.« »Er hat befohlen, die Siedlung zu bauen. Keiner von uns ist psychisch dazu fähig, die-
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Marianne Sydow
sen Platz zu verlassen, ehe Akon-Akon nicht den Befehl dazu gibt. Wenn wir wenigstens mit ihm sprechen könnten! Es gibt genug legale Gründe, um ihm eine Erkundung des gesamten Tales schmackhaft zu machen. Aber er läßt ja niemanden an sich heran!« »Das wird sich bald ändern«, sagte Fartuloon. »Die Arbeit geht immer langsamer voran, die Leute sind erschöpft. Er wird wissen wollen, was man dagegen unternehmen kann. Wie ich ihn kenne, wird er dich rufen lassen. Wenn er dich ruft – nun, du weißt selbst, worauf es ankommt!«
* Noch am selben Abend traf genau das ein, was Fartuloon vorhergesagt hatte. Ein Bote brachte mir die Nachricht, daß ich sofort zu Akon-Akon kommen sollte. Ich hatte ihn seit der Szene in der Schleusenkammer nur noch von weitem gesehen. Unsere Dolmetscherkünste hatte er in dieser Zeit nicht gebraucht. Seine Diener und Dienerinnen wußten auch so, was sie zu tun hatten. Er hatte auf dem Hügel ein Schutzdach errichten lassen. Darunter saß er wie eine Statue mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Kissenstapel und rührte sich kaum vom Fleck. Er schien keinen Schlaf zu brauchen, jedenfalls hatten wir noch nicht bemerkt, daß er sich jemals ausruhte. Es war schon fast dunkel, als ich den Anfang des schmalen Pfades betrat, an dessen Ende Akon-Akon auf mich wartete. Starke Scheinwerfer tauchten die Baustelle in grelles Licht. Die Arbeit ging auch während der Nacht weiter. Akon-Akon konnte zufrieden sein. Die Männer und Frauen von der ISCHTAR arbeiteten, bis die Müdigkeit sie übermannte, und schufteten weiter, sobald sie wieder aufwachten. Mahlzeiten im eigentlichen Sinne gab es nicht. Wer Hunger oder Durst hatte, lief zu einem Versorgungszelt und verzehrte seine Ration auf dem Rückweg zum Arbeitsplatz. Wir alle waren der totalen Erschöp-
fung nahe. Mein Weg führte in eine andere Welt. Der Pfad schlängelte sich zwischen einigen Büschen hindurch, führte dann über einen mit kurzem, hartem Gras bewachsenen Hang und endete vor einem von der Natur geschaffenen Podest aus grauem Gestein. Der aromatische Rauch brennender Duftkräuter wehte mir entgegen. Jemand spielte auf der Ghad-Flöte eine sanfte, heitere Melodie. Im rötlichen Schein der Kräuter in den Glutpfannen sah ich weißgekleidete Arkonidinnen, die auf nackten Füßen lautlos hin und her huschten und Schalen und Becher vor dem Jungen absetzten. Eine Frau kam mit einem schweren Krug ganz nah an mir vorüber, und der betäubende Duft einer besonders kostbaren Weinsorte, die Fartuloon in den Lagerräumen des Schiffes verwahrt hatte, stieg mir in die Nase. Die Wut in mir wuchs. Während meine Leute sich kaum noch auf den Beinen halten konnten, trank Akon-Akon in aller Ruhe unseren Wein und dezimierte darüber hinaus unsere ohnehin spärlichen Vorräte an frischen Nahrungsmitteln. Unten im Tal gab es nur fade Konzentrate und klares Wasser. Meine Hände begannen zu kribbeln. Ich wünschte mir, diesen hageren Jungen nach allen Regeln der Kunst verprügeln zu können – statt dessen blieb ich am Rand der steinernen Plattform stehen und wartete demütig, bis er mich zu bemerken geruhte. »Die Arbeit geht nicht schnell genug voran«, sagte Akon-Akon mit vollem Mund. »Nach dem, was in den ersten zwei Tagen geschafft wurde, hätten heute viel mehr Häuser fertig werden müssen. Warum trödelt ihr so herum? Gefällt euch mein Plan nicht mehr?« »Er hat uns noch nie gefallen, und das weißt du sehr gut. Du zwingst uns, nach deinem Willen zu handeln, aber unsere Gefühle kannst du nicht beseitigen.« »Du bist unverschämt.« Akon-Akon hob die Hand und winkte der Arkonidin zu, die mit dem vollen Weinkrug neben einer Glutpfanne wartete. Die Stern-
Eine Welt für Akon-Akon symbole auf den Innenflächen seiner Hände leuchteten schwach rötlich. Die junge Frau huschte eifrig herbei und füllte den Becher des Jungen. Er sah ihr lächelnd nach, ehe er sich wieder mit mir beschäftigte. »Ich glaube nicht, daß ich dich später werde gebrauchen können«, fuhr er im Gesprächston fort. »Obwohl du sicher ein guter Sklave wärst, wenn man dir deine Unarten abgewöhnen könnte. Aber das hat noch Zeit. Ich will heute nur von dir wissen, warum die Arbeit sich verzögert. Gib Antwort!« »Die Leute sind erschöpft. Sie arbeiten Tag und Nacht, kommen kaum zum Schlafen und erhalten minderwertige Nahrung. Was erwartest du also von ihnen?« »Willst du damit sagen, daß ich ein schlechter Herrscher bin?« Akon-Akon blitzte mich zornig an. Ich mußte trotz allem lächeln. Es war absurd. Dieser Bursche übte die totale Macht über uns aus, aber im Grunde genommen war er unglaublich dumm. Du irrst dich, bemerkte mein Extrahirn. Er ist nicht dumm, sondern zu stark auf das ihm mitgegebene Wissen fixiert. Dadurch wird seine Lernfähigkeit wenigstens vorübergehend eingeschränkt. Das gibt dir eine Chance. An Bord akzeptierte er dich und einige andere Leute als Berater, weil er sonst hilflos gewesen wäre. Du kannst diese Position wieder erreichen. Stelle dein Wissen heraus, zeige ihm, daß du ihm auch hier überlegen bist. Aber sei vorsichtig! »Auch der beste und weiseste Herrscher kann sich nicht um alles selbst kümmern«, sagte ich also. »Er braucht Leute, die ihn beraten und die Ausführung seiner Pläne überwachen. Die Arbeit im Tal ist zum Teil sehr schlecht organisiert. Die vorhandenen technischen Mittel werden nur ungenügend genutzt, und dadurch wird viel Arbeitskraft verschwendet. Vorhandenes Fachwissen wird fast gar nicht berücksichtigt. Da sind hochqualifizierte Techniker damit beschäftigt, Steinplatten zu behauen, während andere Männer sich mit Dachkonstruktionen herumplagen, von denen sie nichts verstehen.
15 Die Arbeitszeit ist völlig ungeregelt, es gibt keine Ruhepausen, keine Möglichkeit, sich zu erholen. Nicht einmal für regelmäßige Mahlzeiten ist gesorgt. Wir haben kaum Unterkünfte, die Leute schlafen oft genug auf dem blanken Boden. Das alles schwächt ihre Kondition. Wenn es so weitergeht, werden sie bald so erschöpft sein, daß sie überhaupt nichts mehr tun können.« Akon-Akon musterte mich nachdenklich. »Du wirst diese Aufgabe übernehmen«, sagte er. »Du wirst die Arbeit so einteilen, daß die vorhandenen Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden, und auch für alles andere sorgen. Ich bin schließlich kein Unmensch. Natürlich darf es keine Trödeleien geben, aber kranke Untertanen sind für mich wertlos.« Das war ja köstlich! Ausgerechnet ich sollte nun dafür sorgen, daß die Wünsche dieses Tyrannen voll und ganz erfüllt wurden. Aber andererseits brachte mich das genau in die Position, von der das Extrahirn gesprochen hatte. Vielleicht ergab sich sogar eine Möglichkeit, Fartuloons Gedanken in die Tat umzusetzen und einen ausgedehnten Ausflug zu unternehmen. Ich überlegte bereits, wie ich Akon-Akon in dieser Richtung beeinflussen konnte, aber der Junge nahm mir die Arbeit ab. »Mir scheint, du hast manchmal ganz brauchbare Ideen«, bemerkte er. »Sprich dich nur aus: Was ist noch notwendig, um unser weiteres Leben auf diesem Planeten angenehm zu gestalten?« »Wir müssen die Umgebung erforschen. Wir haben Vorräte, aber die reichen nicht sehr lange. Es ist daher wichtig, rechtzeitig einheimische Nahrungsquellen zu erschließen. Unsere Kenntnisse über diesen Planeten sind insgesamt ungenügend. Wir wissen fast nichts über die Jahreszeiten, wann der Winter kommt und wie lange er dauert, wie viele Vorräte also herbeigeschafft werden müssen. Wenn die Siedlung sich ausdehnt, werden wir Rohstoffe brauchen. Wir sollten nach ihnen suchen, ehe die Notlage gegeben ist. Wir müssen Untersuchungen darüber an-
16 stellen, welche spezifischen Krankheiten Ketokh für uns bereithält und wie wir uns vor ihnen schützen können. Sobald wir auf geeignete Pflanzen und Tiere gestoßen sind, können wir uns durch die Landwirtschaft von der Natur unabhängiger machen, aber auch dazu sind Vorarbeiten nötig, Bodenuntersuchungen, die genaue Vermessung der Umgebung, die Ausarbeitung von Bewässerungsplänen und so weiter, aber das hat noch etwas Zeit. Vorrangig ist die Erkundung des Tales und die Bestimmung der Tier- und Pflanzenarten, die für uns eßbar sind. Außerdem wäre es interessant zu erfahren, ob uns von den Eingeborenen her Gefahren drohen und wie wir uns ihnen gegenüber verhalten sollen.« Akon-Akon hatte aufmerksam zugehört. Ich war verblüfft darüber, daß diese Aufzählung solchen Eindruck auf ihn machte. Es handelte sich ja um die simpelsten Grundlagen jeder Siedlungstechnik. Jedes arkonidische Schulkind hätte dem Jungen diesen Vortrag halten können. »Der letzte Punkt ist vorerst unwichtig«, sagte er schließlich. »Die Eingeborenen kommen erst viel später dran. Aber alles andere leuchtet mir ein. Ich sehe, du hast Erfahrungen auf diesem Gebiet. Du wirst also auch diese Arbeiten leiten. Aber der Bau der Siedlung bleibt vorrangig. Ich muß meine Bestimmung erfüllen, und ich kann es nicht tun, ehe nicht die Voraussetzungen für das Gelingen geschaffen sind.« Ich wollte ihn fragen, wovon er eigentlich sprach, aber meine Zunge war wie gelähmt. Wenn ich mich wie jetzt in unmittelbarer Nähe dieses Jungen befand, wurde der Zwang, der von ihm ausging, fast unerträglich. Akon-Akon trank den Becher Wein aus und lachte fast übermütig. »Es wird eine Mustersiedlung werden!« rief er vergnügt. »Und du, als der Organisator, wirst stolz auf sie sein dürfen. Vielleicht lasse ich mir sogar eine kleine Belohnung für dich einfallen, wer weiß?« Er zwinkerte mir zu und warf bedeutsame
Marianne Sydow Blicke auf die Frauen, die ihn zu bedienen hatten. Abrupt wechselte seine Stimmung. Herrisch streckte er den rechten Arm aus. »Geh an deine Arbeit! Schicke ein Dutzend Männer herauf. Sie sollen Holz und Kräuter bringen, es wird mir zu kühl! Dharana, komm her und reibe meine Füße, sie sind kalt wie Eis. Wo bleibt der Wein, mein Becher ist leer und meine Zunge trocken. Bewegt euch, ihr faulen Weiber …« Es störte ihn nicht, daß seine Dienerinnen kein Wort von dem verstanden, was er rief. Ich hörte ihn hinter mir in der Dunkelheit schimpfen, während ich im Laufschritt ins Lager zurückeilte. Erst als ich den Fuß des Hügels erreichte, schwächte sich der Einfluß des Jungen so weit ab, daß ich ein normales Tempo einzuschlagen vermochte. Fartuloon kam mir entgegen. Er machte ein noch düsteres Gesicht, als ich es von ihm gewöhnt war. »Während du mit unserem hochverehrten Herrscher geplaudert hast, gab es hier den ersten schweren Unfall«, teilte er mir mit. »Einem Mann ist eine schwere Steinplatte aufs Bein gefallen. Der Knochen ist völlig zersplittert, und wir haben nicht einmal die richtigen Medikamente, um seine Schmerzen zu lindern. Die Leute sind total übermüdet.« Ich zog ihn mit mir und kletterte in das erstbeste Fahrzeug, das mir in den Weg kam. Das Signal zum Sammeln dröhnte über die Baustelle. »Es wird sich einiges ändern«, erklärte ich dem Bauchaufschneider, während von allen Seiten Akon-Akons erschöpfte »Untertanen« herbeiwankten. »Ich habe ein ganzes Bündel von Vollmachten bekommen.« In Stichworten berichtete ich von dem Gespräch mit dem Jungen. Fartuloon nickte zufrieden. »Was willst du als erstes tun?« »Dafür sorgen, daß wir morgen einigermaßen ausgeruht sind. Wir haben viel Arbeit vor uns. Als erstes werden wir die Arbeit
Eine Welt für Akon-Akon hier in der Siedlung organisieren, und dann müssen wir die Kommandos zusammenstellen, die sich mit den verschiedenen Forschungsarbeiten befassen. Zu einer Gruppe werden wir beide gehören.« Fartuloon grinste. Ich griff nach dem Mikrophon und erklärte den draußen Wartenden, daß ich in AkonAkons Auftrag für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen hatte. Mein Entschluß, eine allgemeine Schlafpause einzulegen, wurde von allen mit Begeisterung aufgenommen. Weniger erfreut war man über den Befehl, alle, die sich noch halbwegs auf den Beinen halten konnten, sollten sich am Rand des Lagers zusammenfinden. Die Begründung dafür hellte die Gesichter dann aber wieder auf. Zwei Stunden später hatten wir genug Zelte, aufblasbare Notunterkünfte, Decken und Kissen aus der ISCHTAR herbeigeschafft, um allen ein leidlich bequemes Nachtlager zu garantieren. Obwohl wir bisher mit den einheimischen Tieren keine unangenehmen Überraschungen erlebt hatten, teilte ich Wachen ein. Die erste Gruppe bestand aus dem unverwüstlichen Vorry, Ra, Fartuloon und mir. Von einem in zehn Metern Höhe schwebenden Gleiter aus behielten wir die Umgebung im Auge und berieten uns über unser weiteres Vorgehen. Als unsere Ablösung verschlafen herbeitrabte, hatte sich im Lager nichts ereignet, was uns zum Eingreifen gezwungen hätte.
3. Erstaunlicherweise ordneten sich selbst die überzeugten Parteigänger des Jungen meinen Befehlen unter. Ich hatte zumindest mit Reibereien gerechnet, wurde jedoch angenehm enttäuscht. Vielleicht lag das aber auch daran, daß trotz des langen Schlafes die Müdigkeit noch allen in den Knochen steckte. Die erste Maßnahme an diesem Morgen betraf wiederum unser leibliches Wohl. Ich schickte einen Trupp Leute in das Schiff und ließ aus den Automatküchen Unmengen von
17 heißen Getränken und Frühstücksrationen herbeischaffen. Selbstverständlich wäre es weniger umständlich gewesen, gleich geschlossen in der ISCHTAR zu essen, aber der Befehl Akon-Akons, der ISCHTAR fernzubleiben, wenn es irgend ging, ließ sich nicht so einfach umgehen. Immerhin war das die erste vernünftige Mahlzeit seit drei Tagen – von heißen Getränken ganz zu schweigen. In einer Plastikhütte bauten wir ein paar Tische und Stühle auf. Die Experten aller Fachrichtungen wurden gerufen, ihre Vorschläge und Erfahrungen protokolliert. Als wir über die laufenden Arbeiten eine ausreichende Gesamtübersicht hatten, konnten wir endlich ein genaues Programm aufstellen. Fartuloon begab sich mit diesen Listen in die ISCHTAR und traktierte dort das Bordgehirn mit diesen Problemen. Da es genaue Unterlagen über die besonderen Fähigkeiten jedes Mannschaftsmitglieds gab, hatten wir bald die Leute herausgepickt, die für den jeweiligen Aufgabenbereich am besten geeignet waren. Jede dieser Gruppen wurde in vier Schichten aufgeteilt, in denen immer ein Schichtleiter für seine Leute verantwortlich war. Eine weitere Plastikhütte wurde mit allen erforderlichen Mitteln ausgestattet und zum Sanitätszentrum erklärt. Einer der vorhandenen Ärzte mußte sich immer dort aufhalten, andere wurden den übrigen Gruppen zugeordnet, mußten sich jedoch nach einem genauen Dienstplan für Notfälle bereit halten. Wir waren rund sechshundert Personen. Fünfzig Mannschaftsmitglieder, fast ausschließlich Frauen, beanspruchte AkonAkon als feste Dienerschar. Weitere fünfzig wurden den Erkundungstrupps zugeordnet. Alle anderen arbeiteten weiterhin am Aufbau der Siedlung, wobei jedoch mehr Gewicht auf für uns lebenswichtige Dinge wie den Bau fester Wohnbaracken und die Trinkwasserversorgung gelegt wurde. Alles in allem erledigten wir an diesem einen Vormittag ein ungeheures Arbeitspensum.
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Marianne Sydow
Akon-Akon beobachtete unser Treiben von seinem Hügel aus. Er mischte sich nicht ein, und das war mehr, als ich erwartet hatte. Am späten Nachmittag hatten wir dann auch die Pläne für unsere Expeditionen fertig. Ra, Fartuloon und ich standen auf der letzten Liste. Wir hatten uns entschlossen, Jörn Asmorth und Gerlo Malthor mitzunehmen. Beide machten einen zuverlässigen Eindruck. Malthor, ein schon etwas älterer Arkonide, war Navigator und gehörte zu denen, die schon auf der ISCHTAR eine bemerkenswerte Widerstandskraft gegen Akon-Akon gezeigt hatten. Wir wagten es nicht, weitere Mitglieder unserer Kerntruppe aufzustellen, denn dann wäre Akon-Akon am Ende doch mißtrauisch geworden. Bei Sonnenuntergang legten wir müde und ausgelaugt die langen Listen mit Daten und Namen zur Seite. Am nächsten Morgen wollten wir aufbrechen. Unser offizielles Ziel war die Erkundung der Hügel in nördlicher Richtung. Inoffiziell war es unsere Absicht, so weit zu laufen wie möglich. Wir rechneten damit, daß ein von Akon-Akon erzeugter innerer Zwang uns an einem bestimmten Punkt zum Umkehren zwingen würde, aber wir wollten es wenigstens versuchen.
* Zu beiden Seiten des Flußlaufs stieg der Boden sanft an, bildete weiche Wellen und niedrige Hügel. Dahinter bildeten Bäume und Buschgruppen dunkle Klumpen, zwischen denen die letzten Fetzen des Morgennebels hingen. Noch weiter entfernt lag das von Felsen durchsetzte Gebiet, das unser eigentliches Ziel war. Wir kamen gut voran. Der Boden war mit niedrigem, hartem Gras bewachsen, das uns beim Gehen nicht behinderte. Auch hier gab es Gebüsch und verkrüppelte Bäume, aber sie bildeten nur vereinzelte, voneinander isolierte Vegetationsinseln, die sich leicht umgehen ließen.
Die durch Akon-Akon gesteuerte hektische Aktivität hatte uns bisher kaum Zeit gelassen, uns mit unserer Umgebung zu befassen. In dieser Region Ketokhs herrschte Spätfrühling, und die Landschaft war durchaus reizvoll. Zwischen den Grashalmen leuchteten winzige Blüten in allen nur denkbaren Farben. Auch die Büsche und Bäume blühten, und einige sahen wie zu groß geratene Sträuße aus. Die Blumen waren fremdartig in ihrer Form, zeigten aber alle Anzeichen einer hochentwickelten Pflanzenwelt. Damit verbesserte sich die Chance, später auch genießbare Früchte ernten zu können. Nur vereinzelt sichteten wir Tiere. Die meisten von ihnen hatten wohl das Tal verlassen, als die ISCHTAR sich aus dem kobaltblauen Himmel herabsenkte. Je weiter wir uns vom Lager entfernten, desto häufiger bemerkten wir aber schnelle, graubraune Schatten, die in wilder Flucht über das Gras flitzten und blitzschnell in den Schutz der Büsche tauchten. »Das gefällt mir gar nicht«, meinte Ra, als eben wieder eines dieser etwa einen halben Meter hohen Tiere mit lautem Geraschel hinter den sparrigen, blütenübersäten Zweigen eines Strauches verschwunden war. »Du wirst dich bei der Jagd eben ein wenig anstrengen müssen«, bemerkte ich gleichmütig. »Dein Gehirn scheint durch diesen Jungen immer noch vernebelt zu sein«, mischte Fartuloon sich spöttisch ein. »Sonst hättest du längst begriffen, was Ra meint. Die Tiere werden gejagt!« Ich schluckte den Verweis stumm hinunter. Wir waren an keines der Tiere näher als auf etwa fünfzig Meter herangekommen. »Die Fluchtdistanz ist ungewöhnlich groß«, gab ich zu. »Aber wir kennen die hiesigen Raubtiere nicht. Die Burschen werden schon wissen, warum sie sich rechtzeitig in Sicherheit bringen.« »Zweifellos«, nickte Ra. »Ich glaube nicht daran, daß sie uns mit Raubtieren verwechseln. Wenn es welche gibt, dann jedenfalls nicht hier. Wir haben keine Spuren ge-
Eine Welt für Akon-Akon funden, auch keine Knochen oder Kotballen. Diese Tiere haben bereits mit Waffen Bekanntschaft gemacht. Sie wissen, daß aufrecht gehende Wesen Gefahr bedeuten, auch wenn diese nicht direkt neben ihnen auftauchen.« Fartuloon nickte zustimmend. »Die Eingeborenen halten sich ganz offensichtlich gerne am Wasser auf. Sie könnten Jagdexpeditionen den Fluß heraufschicken. Nach allem, was wir gesehen haben, dürfte die Bevölkerungsdichte in den schwimmenden Städten sehr hoch sein. Warum sollten sie sich also nicht von den Kontinenten zusätzliche Nahrung beschaffen?« »Aber das hieße, daß die Fremden uns ähnlich sehen«, machte Jörn Asmorth sich bemerkbar. »Sonst könnten die Tiere uns nicht mit ihnen verwechseln.« »Ähnlich – das ist ein weitläufiger Begriff«, murmelte Fartuloon. »Wie Ra schon andeutete, könnte es ausreichen, daß wir aufrecht gehen. Doch etwas anderes macht mir mehr Sorgen. Die Angst der Tiere könnte bedeuten, daß die Fremden dieses Tal regelmäßig besuchen. Wären sie nur einmal hierhergekommen, dann hätte sich das den Tieren nicht so stark eingeprägt. Wir müssen also ständig damit rechnen, daß wir Besuch bekommen.« Wir sahen uns an. Die Probleme waren offensichtlich. Wir konnten Akon-Akon warnen. Welche Folgen das hatte, ließ sich kaum vorhersagen, aber vermutlich würde er sich in seiner typischen Arroganz darüber hinwegsetzen. Hielten wir dagegen den Mund, dann bot sich uns eine Chance, den Jungen loszuwerden. Vielleicht gelang es uns, mit den Fremden zu reden und sie zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. In den Lagern der ISCHTAR befanden sich genug Dinge, mit denen wir eine solche Hilfestellung bezahlen konnten. Gehörten die Fremden dagegen jener Kategorie von Intelligenzwesen an, die zuerst schossen und dann erst Fragen stellten, dann bot sich im Durcheinander eines Angriffs sicher die Möglichkeit, den Jungen zu paralysieren oder sonstwie
19 vorübergehend auszuschalten. Durften wir ein solches Risiko eingehen? Wir wußten nichts von den Fremden, außer daß sie schwimmende Städte bauten und das Wasser liebten. Wenn sie die richtigen Waffen entwickelt hatten, würde ein Angriff auf das Lager zahlreiche Opfer fordern – ein hoher Preis für die Freiheit. »Wir werden uns später darüber einigen, was wir unternehmen«, brach Fartuloon das Schweigen. »Wir müssen weiter. Bei Anbruch der Dunkelheit sollen alle Gruppen ins Lager zurückkehren. Wir wissen nicht, wie weit wir noch von der Grenze entfernt sind.« Die Täler wurden tiefer, die Hänge der Hügel steiler. Zwischen dem graugrünen, von bunten Farbtupfern durchsetzten Gras tauchten helle Kiesflecken auf. Sie schlossen sich zu größeren Flächen zusammen, dann stieg das Gelände steil an und wurde so steinig, daß nur noch wenige Pflanzen in ihm Halt fanden. Die Sonne stieg höher, und es wurde heiß. Zwischen mannshohen Dornenhecken und zerklüfteten Felsblöcken arbeiteten wir uns dem höchsten Punkt der langgestreckten Hügelkette entgegen. Wir umrundeten einen letzten Steinquader und fanden uns plötzlich am Ziel. Ein leichter Wind trocknete den Schweiß von unseren Gesichtern, und ein unbeschreiblicher, zarter Duft hüllte uns ein. Wie auf ein unhörbares Kommando blieben wir stehen und sahen uns erstaunt um. Wir führten ein bewegtes Leben, das nicht eben arm an Eindrücken war, aber dieser Anblick war tatsächlich einzigartig. Hinter uns dehnte sich das Tal in seiner herben Schönheit, weite, graugrüne Flächen, von den Blüten war aus dieser Entfernung nicht viel zu sehen. Der Fluß war ein Band aus geschmolzenem Silber, von schneeweißen Sandflächen und giftiggrünen Sumpfwiesen gesäumt. Mitten in diesem kargen Land stand wie eine riesige glänzende Murmel die ISCHTAR. Gleißende Sonnenreflexe tauchten das Raumschiff in eine Hülle aus Licht, die es fast wie eine Geistererscheinung wirken ließ.
20 Vor uns lag ein tiefer Graben, der etwa zwei Kilometer breit war und auf beiden Seiten von steilen Felswänden begrenzt wurde. Der Boden dieses Tales war fast völlig von Blüten bedeckt. Sie waren zu weit entfernt, um als einzelne Gebilde sichtbar zu werden. Wie eine schillernde Decke breiteten sie sich vor uns aus. Nur an einigen Stellen durchbrachen glänzende Wasserflächen das Meer von Blüten, deren Farben vom reinsten Weiß über alle Schattierungen von Rosa und Violett bis zum tiefsten, fast schwarzen Purpur variierten. Neben mir holte Fartuloon deutlich hörbar Luft. »Phantastisch!« flüsterte er. Seine kleinen, gelben Augen glänzten begeistert, und er strich sich durch den Bart, wie immer, wenn er in höchstem Maße zufrieden war. Neben ihm lehnte Gerlo Malthor an einem Felsen und starrte mit einem glücklichen Lächeln die Blütenpracht an. Malthor war mittelgroß und neigte zu ziemlicher Körperfülle. Ich kannte ihn als einen Mann, dessen Schweigsamkeit sprichwörtlich an Bord der ISCHTAR war. Sein Benehmen war zumindest noch verständlich. Aber daß auch Jörn Asmorth, der vor lauter Nervosität selten länger als eine Sekunde auch nur die Hände stillhalten konnte, versonnen in das Tal hinabstarrte, machte mich stutzig. »Kein Wild«, bemerkte Ra neben mir trocken und wandte sich mißmutig ab. Fartuloon und die anderen nahmen davon keine Notiz. Es sind die Farben, meldete sich mein Extrahirn, Der Duft verstärkt ihre Wirkung noch. Die Blüten an sich dürften völlig harmlos sein, aber auf das Gehirn eines Arkoniden wirkt diese Zusammenstellung hypnotisierend. Ein leichter Windhauch brachte die Blüten in Bewegung. Das Schillern der Farben wurde intensiver. Warum wirkt es dann bei mir nicht? fragte ich lautlos zurück.
Marianne Sydow Du hast mich! lautete die lakonische Antwort. »Was ist los?« fragte Ra ungeduldig. »Gehen wir nun endlich weiter?« »Du hast wohl gar keinen Sinn für die Schönheiten der Natur«, knurrte ich und stieß Fartuloon an. Der Bauchaufschneider gab ein unwilliges Brummen von sich, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. »Solange diese Schönheiten nicht eßbar sind, kann ich nicht viel mit ihnen anfangen.« »Vielfraß!« Ich zog Fartuloon am Arm, aber auch das konnte ihn nicht beeindrucken. Schon früher hatte ich bemerkt, daß ein großer Prozentsatz der Arkoniden auf Farbspiele in ähnlicher Weise reagierte, aber mir kam es merkwürdig vor, daß auch der Bauchaufschneider in den Bann dieser Blumen geraten war. »Sie sind wie in Trance«, erklärte ich Ra. »Die Farben haben sie regelrecht verzaubert.« Der Barbar, der eigentlich diese Bezeichnung längst nicht mehr verdiente, begriff. Schließlich hatte er lange genug unter Arkoniden gelebt und kannte deren Schwächen. Mit vereinten Kräften versuchten wir, zuerst Fartuloon hinter den Felsen zu ziehen, wo er vor dem Anblick der Blüten sicher war. Das Ergebnis unserer Bemühungen fiel einigermaßen überraschend aus. »Laßt mich in Ruhe!« knurrte der Bauchaufschneider und schlug wie nebensächlich mit der linken Hand zu. Ich taumelte nach hinten, stolperte über einen Stein und setzte mich in die Dornen. Ra schnappte nach Luft, als Fartuloons rechter Ellbogen ihn in der Magengrube traf. Der dunkelhäutige Barbar ließ Fartuloons Arm los, und damit war für diesen der Zwischenfall erledigt. Der Bauchaufschneider sah sich nicht einmal nach uns um. Er widmete sich weiterhin der Aussicht, als wäre nichts geschehen. »Verdammt!« sagte Ra aus vollem Herzen. »Was machen wir jetzt? Sollen wir sie betäuben und zurückschleppen?« »Das ist die letzte Möglichkeit«, wehrte
Eine Welt für Akon-Akon ich ab. »Wir würden zuviel Zeit verlieren. Außerdem können wir sie nicht alle drei auf einmal wegbringen, und einen unbewacht auch nur für kurze Zeit zurück …« Ich verstummte, als Ra mich hart am Arm packte. Er starrte wie gebannt auf das Dorngestrüpp, aus dem ich mich eben herausgearbeitet hatte. Jetzt bemerkte ich es auch. Es raschelte leise. Die Zweige, die dem Felsen am nächsten waren, bewegten sich. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich etwas Schwarzes zwischen den Blättern auftauchen. An einer mehrere Meter entfernten Stelle wiederholte sich der Vorgang. Wir verständigten uns mit einem kurzen Blick. Ich nahm den Impulsstrahler in die Hand, während Ra behutsam das lange, scharfe Messer aus dem Gürtel zog, das er seltsamerweise zu seiner Lieblingswaffe erkoren hatte. Mein Daumen rutschte über die Rändelschraube, dann zielte ich auf den Punkt, an dem sich jetzt abermals die Zweige bewegten. Aber ich zögerte noch. Das Gestrüpp war zundertrocken und würde durch den Energiestrahl sofort in Brand geraten. Das Tier, das sich hinter den Zweigen verbarg, würde mit Sicherheit nicht regungslos abwarten, bis es verbrannt war. Bis jetzt war nur zu erkennen, daß es sehr groß sein mußte. Immer öfter schoben sich spitze, schwarze Dinge zwischen den Blättern hervor, und ihr fast gleichzeitiges Erscheinen ließ den Schluß zu, daß sie von einem zentralen Nervensystem gesteuert wurden. Die Orte, an denen sie sich zeigten, lagen mehrere Meter voneinander entfernt. Die Aussicht, dieses Wesen auszuräuchern und ihm auf diese kurze Entfernung entgegenzutreten, gefiel mir gar nicht. Ra stand zwei, drei Schritte von mir entfernt. Er blickte lauernd auf das Gebüsch, das Messer wurfbereit in der Hand. Jetzt schien er den Punkt errechnet zu haben, an dem sich der Körper unseres unsichtbaren Gegners befand. Er hob das Messer leicht an – und da geschah es. Ein schwarzer Schatten huschte durch die Luft. Ra sprang wie von der Sehne ge-
21 schnellt hinter einen Stein, schrie noch im Sprung auf und rollte sich zur Seite. Sein Messer fiel auf den Boden. Vor mir brach die Hölle los. Ein Wust von dornigen Zweigen flog auf mich zu. Ich bückte mich und sprang ebenfalls in Deckung. An der Stelle, an der ich mich befunden hatte, krachte es, einer der schwarzen Schatten schrapte mit häßlichem Knirschen über den felsigen Boden. Paralysator! Ich zielte vorsichtig über den Rand des Steines hinweg. Der lähmende Energiestrahl bohrte sich in das Dickicht, aus dem ein wildes Röhren ertönte. Immer wieder zuckten lange schwarze Dinger daraus hervor. Sie bewegten sich so schnell, daß ich ihre Form nur unvollkommen ausmachen konnte. Ra stöhnte, aber ich hatte keine Zeit, mich nach ihm umzusehen. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die Paralysestrahlen wirkten. Nur allmählich wurde es ruhiger. Dann zerbrachen mit lautem Getöse die dürren Äste, und ein mindestens sechs Meter langer, dünner schwarzer Arm streckte sich zitternd senkrecht in die Luft. Noch immer hielt ich den Daumen auf den Auslöser gepreßt, und erst nach Sekunden begriff ich, daß der Kampf vorbei war. Irgendeine Wirkung hatte das Blütenmeer wohl auch auf mich ausgeübt, denn meine Reaktionen waren sonst entschieden besser. Ra betrachtete verwundert einen langen, schwarzen Stachel, der sich in die Innenseite seiner Hand gebohrt hatte. Auf seiner rechten Schulter war die Uniformbluse zerrissen, und darunter wurde eine lange, blutende Wunde sichtbar. »Was um alles in der Welt ist passiert?« dröhnte Fartuloons Stimme durch die plötzliche Stille. Ich warf noch einen Blick auf den Arm, der regungslos in den Himmel deutete, und schluckte kurz. Dann kümmerte ich mich um Ra, der wie benommen dahockte und anscheinend noch gar nicht ganz begriffen hatte, daß er verwundet worden war. Als ich den Stachel aus der Hand des Barbaren zie-
22 hen wollte, schob Fartuloon mich mit einem unwilligen Grunzen zur Seite. »Das ist meine Arbeit.« Er sah ziemlich mitgenommen aus. Offensichtlich hatte ihn eine Ladung Dornen getroffen, aber die zahlreichen Kratzer waren nur oberflächlich. Immerhin hatte das Ereignis auch eine gute Seite, denn das Kampfgetöse hatte ihn aus seinen glücklichen Träumen gerissen. Auch die beiden anderen Arkoniden erwachten allmählich aus ihrer Befangenheit. Als Fartuloon Ras Wunden versorgt hatte, waren ihre Gehirne so weit klar, daß sie anfingen, Fragen zu stellen. »Später!« wehrte ich ab. »Wir sollten zusehen, daß wir diese ungastliche Stätte schnellstens verlassen. Erstens weiß ich nicht, wie lange die Lähmung bei diesem Monstrum anhält, und zweitens könnten zwischen den Felsen noch ein paar Artgenossen von diesem Biest herumsitzen.« »Wollen wir nicht wenigstens nachsehen, was für ein Tier das ist?« fragte Malthor. »Ich habe es gesehen«, machte Ra sich bemerkbar. Er hatte ein schmerzstillendes Mittel eingenommen und schien sich wieder ganz wohl zu fühlen. »So etwas wie eine Spinne, auf keinen Fall eine eßbare Beute.« »Selbst wenn das Biest eßbar sein sollte, möchte ich es nicht mitschleppen müssen«, knurrte ich angewidert. »Es ist riesig – und ekelhaft dazu!« Der mit zottigen Haarbüscheln und scharfen Krallen besetzte Arm senkte sich langsam und bohrte sich knirschend zwischen zwei Felsen. Das gab den Ausschlag. Ra weigerte sich entschieden, jetzt umzukehren. »Mit dem kleinen Kratzer laufe ich euch noch dreimal davon«, murrte er. »Und ich kann notfalls auch mit der linken Hand sehr gezielt schießen.« Wir gingen weiter, achteten von nun an jedoch sorgfältiger auf alles, was sich in dieser Wildnis bewegte. Die Riesentiere ließen sich nicht mehr blicken – es blieb bei dieser einen Begegnung. »Sie sind feige«, behauptete Ra. »Das
Marianne Sydow Tier muß gemerkt haben, daß wir von dem Anblick der Blumen halb betäubt waren. Es hat schließlich sehr lange gewartet, bis es sich zu rühren wagte. Ich glaube nicht, daß diese Bestien uns angreifen, solange sie nicht in die Enge getrieben werden oder annehmen, daß sie eine wehrlose Beute vor sich haben.« »Was war mit den Blumen?« fragte Fartuloon verwundert. »Ich kann mich kaum daran erinnern.« Wir erklärten ihm und den beiden anderen den Vorfall. Der Bauchaufschneider war sichtlich betroffen, daß ausgerechnet er dem hypnotischen Farbenspiel so leicht erlegen war. Mißmutig stapfte er neben mir her. Vor uns gingen Gerlo Malthor und Jörn Asmorth. Ra bestand darauf, die Spitze zu übernehmen. »Durch das Tal können wir also nicht«, knurrte Fartuloon nach einiger Zeit. »Das ist ärgerlich. Wenn diese verteufelten Blumen nicht wären, könnten wir eine Menge Zeit sparen.« Ich schwieg und konzentrierte mich auf die Umgebung. Wir bewegten uns jetzt zwischen Felsblöcken und Dornbüschen parallel zum Tal der Blüten nach Nordwesten. Das Gelände war unübersichtlich und gefährlich. Gleichzeitig machten uns die ersten Müdigkeitserscheinungen zu schaffen. Wir waren seit dem frühen Morgen unterwegs und hatten nur zweimal eine kurze Rast eingelegt. Ich verfluchte Akon-Akon und dessen Abneigung gegen Gleiter. Wahrscheinlich fürchtete er, wir könnten ihm mit so einem Fahrzeug entwischen, jedenfalls erlaubte er uns nicht, sie für die Erkundung zu benutzen. Unsere Instinkte spielten uns einen weiteren Streich. Zwischen den Büschen und Steinen, die uns nach allen Seiten hin Deckung boten, neigten wir dazu, uns rein gefühlsmäßig in Sicherheit zu wiegen. Wir mußten uns zur Wachsamkeit zwingen. Hinzu kam die Hitze, die sich zwischen den Felsen staute. Wir mußten auf jeden Schritt achten, denn die Spalten zwischen den
Eine Welt für Akon-Akon Steinblöcken waren mit lockerem Geröll ausgefüllt. Zwischen den langen, spitzen Dornen der fast blattlosen Sträucher saßen winzige Tiere, die sich bei unserer Annäherung fallen ließen und im Boden verschwanden. Wir sahen fast nichts von ihnen, aber das Geräusch, das sie verursachten, begleitete uns Meter um Meter. Es war ein leises Sirren, das ungemein einschläfernd wirkte,ein Geräusch, das aus allen Richtungen gleichzeitig auf uns eindrang und sich niemals veränderte. Ab und zu hielten wir an. Ra und ich wechselten uns bei unseren Vorstößen zum Kamm dieser langgestreckten Hügelkette ab. Immer wieder mußten wir feststellen, daß die Blüten uns nach wie vor den Weg versperrten. Wir wagten es nicht, dieses gefährliche Tal zu durchqueren, obwohl Fartuloon versicherte, ein zweites Mal würde der Einfluß der Blumen nicht über seinen Verstand siegen. Endlich erreichten wir den westlichen Abbruch der Hügelkette. Nach einer anstrengenden Klettertour standen wir in einer engen Schlucht, die quer zu unserer bisherigen Marschrichtung verlief. Feiner, weißer Kies knirschte unter unseren Füßen. An den Wänden zeichneten sich Spuren ab, die darauf hinwiesen, daß hier vor langer Zeit immense Wassermassen in das Tal hinabgeströmt waren. Jetzt war kein Tropfen mehr davon zu entdecken. Die Hitze wurde fast unerträglich. Mir kam es vor, als hätte jemand dicke Bleiplatten unter meine Füße geheftet. »Merkst du es?« fragte Fartuloon leise. Ich zuckte zusammen. Meine Gedanken waren abgeschweift, ich stapfte wie ein Automat vorwärts, obwohl ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. »Das ist Akon-Akon«, fuhr der Bauchaufschneider fort. »Ich hatte befürchtet, daß es so kommen würde.« Mit einem Schlag wurde ich hellwach. Ich beobachtete mich selbst – ich bewegte mich, als würde ich durch Sirup waten. Das Licht war unerträglich hell. Vor mir schwankten Malthor und Asmorth. Ihre Schritte waren
23 unsicher und unnatürlich langsam. Ra, der noch immer an der Spitze ging, sank plötzlich auf die Knie. Er raffte sich mühsam auf, aber schon der nächste Schritt brachte ihn wieder zu Fall. »Wir müssen durch!« stöhnte ich verzweifelt. Asmorth und der Navigator brachen zusammen und krochen auf allen vieren weiter. Dann hatte auch ich die Grenze erreicht. Ich stemmte mich mit aller Kraft gegen ein unsichtbares Hindernis. In meinem Gehirn tauchten ungerufene Bilder auf, die mir Sicherheit und Ruhe versprachen. Ich brauchte nur umzukehren und die Richtung zum Lager einzuschlagen. Dort gab es Wasser und die Möglichkeit, sich auszuruhen. Das Skarg! Fartuloon hatte schon einige Male damit Strukturlücken in scheinbar undurchdringlichen Schutzschirmen geschaffen! Der Bauchaufschneider war etwas zurückgeblieben. Ich schob mich nach hinten, und sofort spürte ich ungeheure Erleichterung. Erst jetzt merkte ich, daß ich keuchend atmete. Ich blieb ein paar Sekunden liegen, um neue Kraft zu schöpfen, dann zog ich das merkwürdige Schwert zu mir heran. Es erschien mir leicht wie eine Feder. Ich lächelte verzerrt und schob die Waffe vor mir her. Links lag Ra wie betäubt im Sand. Ich kämpfte gegen die Bilder in meinem Gehirn und zog mich verbissen vorwärts, redete mir ein, daß es gleich vorbei sein müsse. Nur noch ein paar Zentimeter … Es war sinnlos. Ich schob eine tonnenschwere Wand vor mir her. Jede Bewegung wurde zur Qual. Gib auf! warnte das Extrahirn. Du stirbst, wenn du so weitermachst. Das Skarg kann dir nicht helfen, denn das ist kein energetischer Schutzschirm! Ich rang nach Luft. Es schien, als wäre ich zwischen ungeheuren Gewichten eingeklemmt. Ich konnte mich nicht einmal mehr umdrehen, und meine Umgebung verschwamm hinter roten Schleiern. Millime-
24 terweise schob ich mich nach hinten. Endlich wich die ungeheure Last von mir. Ich drehte mich mühsam um und robbte auf dem Bauch durch den Sand. Nach einigen Metern wurde mir schwarz vor Augen. Als ich wieder zu mir kam, erkannte ich vor mir vier schwankende Gestalten, die sich von mir entfernten. Ich blinzelte verwirrt in das grelle Licht. Zweifellos hatte ich Halluzinationen, denn das Ding, das den oberen Teil der Schlucht ausfüllte, konnte gar nicht existieren. Es war rund und glitzernd wie ein Juwel. Die anderen schienen es nicht zu sehen. Sie taumelten genau darauf zu. Gebannt, immer noch in der Vorstellung befangen, eine Art Traum zu erleben, bemerkte ich, wie sich die glitzernde Wand im oberen Teil neigte, sich zusammenzog und nach unten glitt. Und dann entdeckte ich die dünnen, glänzenden Fäden, an denen das Gebilde hing. Schieß endlich, du Narr! Meine Finger zitterten unkontrolliert. Ich mußte den Arm aufstützen, um die Waffe ruhig halten zu können. Das Dröhnen und Fauchen, mit dem der Energiestrahl sich durch die Luft bohrte, zerriß mir fast die Trommelfelle. Der Schuß fuhr über meine Gefährten hinweg in den Mittelpunkt der seltsamen Wand. Das Gebilde fing Feuer und löste sich in einen Regen von brennenden Fetzen auf. Die anderen erkannten endlich die Gefahr, in der sie schwebten. Sie brachten sich hastig in Sicherheit. Über uns donnerte und zischte es zwischen den Felsen, dann rollten Steine herab. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich ein braunes, fladenförmiges Wesen, das über den oberen Rand der Schlucht verschwand, dann rumpelte es abermals, und ein Hagel von Felsbrocken ergoß sich über den vor uns liegenden Abschnitt der Schlucht. Ich zog den Kopf ein und wartete ergeben darauf, daß endlich Ruhe eintrat. Als das Prasseln um mich herum aufhörte, blickte ich vorsichtig nach oben. Jenseits der Felsbarriere brannte es. Dicke
Marianne Sydow schwarze Rauchwolken schraubten sich in den klaren Himmel Ketokhs. Wir verzichteten darauf, nach einer Erklärung zu suchen. Das Wesen, das uns fast in die Falle gelockt hätte, war aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Feuer umgekommen. Dieser Ausflug hatte uns zwei Erkenntnisse gebracht. Erstens war ein Entkommen aus dem Einflußbereich AkonAkons praktisch unmöglich. Zweitens war dieses felsige Gebiet kein sehr erholsamer Ort. Wir waren zu erschöpft, um noch weitere Vorstöße zu unternehmen. Ra konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, und Jörn Asmorth humpelte, weil ein Stein ihn am linken Oberschenkel getroffen hatte. Niedergeschlagen kehrten wir zum Lager zurück. Erst als wir lange nach Einbruch der Dunkelheit die Siedlung erreichten, stellten wir fest, daß wir uns völlig umsonst abgehetzt hatten. Akon-Akon hatte von unserem langen Ausbleiben keine Notiz genommen. Verbittert starrten wir zu dem kleinen Hügel hinauf. Im rötlichen Lichtschein aus den Glutpfannen sahen wir die Silhouetten tanzender Frauen, und der Klang der Ghad-Flöte wehte bis zu uns herüber.
4. Zwei Tage später ließ Akon-Akon mich rufen. »Du hast gute Arbeit geleistet«, lobte er mich. »Die Siedlung sieht schon sehr gut aus.« Damit hatte er recht. Die Gebäude waren fast fertig, und der Schwerpunkt unserer Arbeit lag jetzt bei der Herstellung von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen. Natürlich wären wir schneller vorangekommen, wenn wir die ISCHTAR ausgeplündert hätten, aber aus einem unerfindlichen Grund kam Akon-Akon nicht auf die Idee, den entsprechenden Befehl zu geben. Ich hütete mich, eine Andeutung in dieser Richtung zu machen.
Eine Welt für Akon-Akon »Es war übrigens sinnlos, diesen kräfteraubenden Fluchtversuch zu unternehmen«, fuhr der Junge in gleichgültigem Tonfall fort. »Du hättest mich fragen sollen, dann wäre dir klargeworden, daß niemand dieses Tal gegen meinen Willen verlassen kann. Später werde ich selbst Expeditionen ausschicken, die über die heutigen Grenzen hinausführen, aber auch sie werden zu mir zurückkehren.« Er hatte es also doch bemerkt. Seltsamerweise schien es ihn kaum zu beeindrucken. »Ich wollte mit dir über das Hauptgebäude sprechen. Du hast bemerkt, daß ich mehrere fast autarke Wohneinheiten eingeplant habe. Diese Räume sollen besonders sorgfältig ausgestattet werden. Du weißt schon, was ich meine. Vielleicht ein paar kostbare Felle an den Wänden oder Bilder. Ich denke, du kannst besser darüber entscheiden, was dem Geschmack der Frauen entspricht. Auf jeden Fall sollen sie sich dort wohl fühlen.« »Frauen?« Er sah mich amüsiert an. Seine großen Augen schienen mich zu durchdringen, und das, was er in mir entdeckte, belustigte ihn wohl maßlos. Er lachte schallend. »Ja, meine Frauen! Was dachtest du denn? Ich brauche Nachkommen, die mich in meiner Arbeit unterstützen. Du sagtest selbst, daß ein guter Herrscher Ratgeber und Helfer braucht. Es ist auf die Dauer ein unerträglicher Zustand, sich auf den Rat von Sklaven verlassen zu müssen.« So war das also! Eigentlich war es nur logisch, und ich hätte längst darauf kommen müssen. Trotzdem war es ein Schock für mich. In diesem Augenblick begriff ich endlich, was AkonAkon wirklich beabsichtigte. Er wollte nicht nur eine Siedlung aufbauen, in der er sich von vorne bis hinten bedienen lassen konnte, sondern Ketokh sollte tatsächlich seine Welt werden. Ich zweifelte nicht daran, daß seine Nachkommen seine Fähigkeiten erben würden, und die Vision einer ganzen Horde kleiner Akon-Akons, die uns alle unterjochten und wie Sklaven be-
25 handelten, war deprimierend genug. Es mußte etwas geschehen! »Ich warte auf deine Antwort!« Ich sah auf und begegnete dem neugierigen Blick seiner Augen. Es gab keine Gegenwehr. »Ich werde dafür sorgen«, murmelte ich. Der Junge lächelte freundlich und gab mir mit einer lässigen Geste zu verstehen, daß ich entlassen war. Nachdenklich kehrte ich an meine Arbeit zurück. Aber ich war nicht bei der Sache. Alle meine Gedanken kreisten nur um einen Punkt: Wie konnten wir diesem Tyrannen entkommen? Es blieb nicht mehr viel Zeit. Immer stärker veränderte die fortwährende Beeinflussung unser Leben. Die meisten von uns hatten es endgültig aufgegeben, eigene Gedankengänge zu verfolgen und gegen die Ausstrahlung des Jungen anzukämpfen. Über kurz oder lang würden sie sich mit den Zielen des Jungen so stark indentifizieren, daß sie alles andere vergaßen. Der Versuch, zu Fuß aus diesem Tal zu entkommen, war fehlgeschlagen, aber eines hatte ich daraus gelernt: Akon-Akons Einflußbereich war begrenzt. Die Grenze bestand nicht wirklich, sondern war durch ihn in unserem Unterbewußtsein errichtet worden. Wenn wir uns zu weit von ihm entfernten, sorgten die uns eingegebenen Befehle dafür, daß wir schleunigst umkehrten. Die Teilnehmer anderer Expeditionen, die nicht bewußt versucht hatten, diese Grenze zu überschreiten, hatten nicht einmal bemerkt, daß es sie gab. Sie waren – wie sie meinten – aus freien Stücken zurückgekehrt. Daß es eine solche Grenze gab, war aber auch der Beweis dafür, daß Fartuloons Theorie stimmte. Wer es fertigbrachte, eine bestimmte Entfernung zwischen sich und Akon-Akon zu legen, war frei. Das Problem war eben, daß wir psychisch nicht dazu in der Lage waren, den entscheidenden Schritt zu tun. So ist es, bemerkte das Extrahirn. Also mußt du die Grenze in einem Zustand überwinden, in dem dein Bewußtsein nichts aus-
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Marianne Sydow
richten kann. Entgegengesetzte hypnotische Befehle? Nein. Dazu ist Akon-Akon viel zu stark. Drogen kommen ebenfalls nicht in Betracht. Solange dein Körper fähig ist, sich zu bewegen, werden die Befehle des Jungen die Oberhand behalten und dich zur Umkehr zwingen. Natürlich, das war die Lösung! Ich verließ meinen Arbeitsplatz und begab mich auf die Suche nach Fartuloon.
* »Paralyse!« sagte der Bauchaufschneider verblüfft. »So müßte es gehen. Daß ich nicht selbst darauf gekommen bin!« »Du wirst eben alt«, bemerkte ich grinsend. Fartuloon tat, als hätte er nichts gehört. »Der einzige Weg ist natürlich der Fluß«, fuhr er fort. »Ihn kann Akon-Akon nicht beeinflussen, und dadurch wird er zum idealen Transportmittel. Willst du selbst gehen?« »Ich möchte schon, aber vielleicht ist das nicht ratsam. Je mehr Leute hier im Lager bleiben, die wenigstens einen Teil ihrer Aktivität bewahrt haben, desto größer wird die Chance, Akon-Akon später auszuschalten. Wir sollten erst mal einen Versuch machen. Wir bringen zwei Männer aus dieser Falle heraus. Werden sie frei, dann können wir noch mehr Leute wegschaffen, die später von außen eingreifen.« »Der Junge hat zweifellos an diesen Weg nicht gedacht, sonst könnten wir uns mit solchen Spekulationen nicht beschäftigen. Aber ich fürchte, wir werden auch keine Freiwilligen finden. Sei mal ehrlich – könntest du deinen Plan an dir selbst ausprobieren?« Ich schwieg, dann schüttelte ich bedrückt den Kopf. »Du hast mal wieder recht. Ich kann mich zwar mit dem Gedanken befassen, und ich bin sicher, daß ich es auch schaffen werde, den Paralysator abzufeuern. Aber ich könnte es nicht zulassen, daß man mich auf diesen Weg bringt.«
»Das heißt, daß jeder, den wir in unsere Pläne einweihen, dagegen kämpfen wird, auch wenn er es gar nicht will. Das wirft ein paar Probleme auf. Wir können uns mit denen, die wir dem Fluß überlassen, nicht absprechen, keine Zeichen vereinbaren, die uns beweisen, daß es geklappt hat. Wir müssen sie paralysieren, ehe sie begreifen, was eigentlich vorgeht.« »Dann müssen wir eben Leute aussuchen, die von sich aus auf die richtigen Ideen kommen.« »Das begrenzt den Personenkreis beträchtlich«, murmelte Fartuloon. »Wie wäre es mit den beiden, die uns auf unserer Expedition begleitet haben? Bei ihnen können wir ziemlich sicher sein, daß sie versuchen werden, Akon-Akon Schaden zuzufügen.« »Gerlo Malthor und Jörn Asmorth sind in Ordnung«, nickte ich. »Noch lieber würde ich allerdings Ra losschicken. Wir wissen nicht, wie es flußabwärts aussieht, und er kann sich in der Wildnis wie kein anderer behaupten.« »Wir brauchen ihn hier dringender. Er gehört zu den wenigen, die sich noch einen Rest von Initiative bewahrt haben. Wenn Malthor und Asmorth wirklich frei werden, sind sie bestimmt imstande, sich selbst zu schützen. Es sind ja keine Anfänger mehr! Aber Ra ist genau wie wir fähig, Lücken in der Befehlsgebung des Jungen zu erkennen und zu nutzen. Gerade solche Leute brauchen wir jetzt.« Ich gab mich geschlagen. Außerdem waren noch andere Fragen zu lösen. »Wir müssen die notwendige Ausrüstung für die beiden besorgen. Sie brauchen Waffen, Konzentrate, nach Möglichkeit auch Funkgeräte und vor allem Fluggeräte, damit sie beweglich genug sind. Außerdem brauchen wir eine Vorrichtung, die die Männer über Wasser hält, bis sie die Lähmung überwunden haben.« »Die Ausrüstung finden wir nur in der ISCHTAR«, murmelte Fartuloon. »Was hier draußen herumliegt, taugt nicht viel. Das bedeutet schon wieder eine Schwierigkeit.«
Eine Welt für Akon-Akon »Die ich bereits gelöst habe«, erklärte ich. »Akon-Akon war so gütig, mir höchstpersönlich eine Ausrede zu verschaffen, damit ich ins Schiff kann.« Ich berichtete von meinem letzten Gespräch mit dem Jungen. Fartuloons Gesicht wurde noch düsterer, als er von Akon-Akons Absicht hörte, in dieser Siedlung den Grundstock für ein künftiges Herrschergeschlecht zu gründen. »Ich werde ihm die Suppe versalzen«, versprach er grimmig. »Zu gegebener Zeit werde ich mich als geschickter Bauchaufschneider aufspielen und mich zu seinem Leibarzt machen lassen. Wir haben ein paar hervorragende Mittelchen an Bord, um seinen Plan zu durchkreuzen. Schließlich kann es niemand riskieren, daß während wichtiger Einsätze weibliche Mannschaftsmitglieder in Schlüsselpositionen schwanger werden – ganz abgesehen von den Eifersuchtsdramen, die sich notwendigerweise abspielen, wenn man der Natur freien Lauf läßt. Unsere Leute sind zum Glück so ausgeglichen, daß ich den Einsatz derartiger Mittel bis jetzt nicht nötig hatte, aber in dieser Situation werde ich meine Skrupel schnell vergessen. AkonAkon wird erhebliche Zweifel an sich selbst entwickeln! Keine Sorge, der Nachwuchs bleibt aus.« Ich war mir nicht sicher, daß alles so einfach ablaufen würde, aber ich wollte meinem Ziehvater den Spaß nicht verderben und kam deshalb zum Thema zurück. »Die Wohnungen der von ihm ausgewählten Arkonidinnen sollen mit allem Komfort ausgestattet werden. Ich werde nachsehen, was sich in der ISCHTAR alles anfindet und bei dieser Gelegenheit ein paar Standardausrüstungen mitbringen, vielleicht auch eines von den aufblasbaren Rettungsbooten.« »Du vergißt, daß diese Dinger mit Leuchtfarbe gestrichen sind. Die Standardausrüstungen reichen. Für eine Schwimmvorrichtung werde ich sorgen. Es ist höchste Zeit, den Fischfang im Fluß anzukurbeln. Wir haben im Materiallager Metallringe von der passenden Größe. Luftkammern sind
27 auch vorhanden. Daraus lassen sich prachtvolle Bojen bauen.« Wir grinsten uns an. Uns war entschieden wohler, seitdem wir wieder etwas zu tun hatten. Nicht, daß es uns an Arbeit mangelte – aber sie war nicht von der Art, die uns zufriedengestellt hätte. »Hast du dem Jungen eigentlich von dem Verdacht erzählt, daß die Eingeborenen unser Tal als Jagdrevier kennen?« Ich schüttelte den Kopf. »Du solltest es vielleicht nachholen«, meinte Fartuloon nachdenklich. »Wenn er Angst bekäme und diesen Ort als zu unsicher ablehnen müßte – was würde er dann tun?« »Starten!« »Genau. Damit wären wir wenigstens erst mal von diesem Planeten weg.« »Na und? Wir hätten nichts gewonnen, im Gegenteil. Er würde uns zwingen, sofort den nächsten Planeten anzufliegen, und dann geht der ganze Ärger von vorne los. Nein, Fartuloon, wir müssen eine echte Lösung finden. Alles andere ist sinnlos.« »Es ist schon eine dumme Sache, in die wir da geraten sind«, brummte der Bauchaufschneider unwillig. »Aber lassen wir das. Wir haben schon ganz andere Dinge überwunden. Es wird bald dunkel, wir können heute nicht mehr viel tun. Gehen wir lieber an die Arbeit zurück, ehe uns jemand vermißt.« Ich war bereits auf dem Weg zu der Hütte, in der ich die Nacht verbringen wollte, da fiel mir noch etwas ein. Wir konnten Malthor und Asmorth unmöglich mitten im Lager paralysieren und davonschleppen, ohne daß jemand es bemerkte. Ich mußte dafür sorgen, daß unsere beiden nichtsahnenden Opfer in der nächsten Nacht an einem günstigen Punkt Wache hielten. Das bot noch einen Vorteil: Sie wurden nicht im Schlaf überrascht, blieben also sehr wahrscheinlich bei Bewußtsein. Das gab uns die Chance, ihnen doch einige Anweisungen mit auf den Weg zu geben. Aber um die beiden aus dem Lager zu entfernen,
28 brauchte ich einen Vorwand. Nach kurzer Überlegung machte ich einen Umweg und besuchte Vorry. Der Magnetier langweilte sich maßlos. An den anfallenden Arbeiten war er kaum beteiligt. Ra hatte sein Angebot, die Jagdgruppe zu begleiten, die uns mit Frischfleisch versorgen sollte, abgelehnt, und seitdem war er mit sich und der Welt unzufrieden. »Du solltest einen Spaziergang machen«, sagte ich. »Am besten galoppierst du einmal um das Lager herum.« »Was soll das? Erstens habe ich keine Lust, grundlos in der Gegend herumzulaufen, und zweitens bin ich viel zu geschwächt. Ihr denkt immer nur an euch. Niemand gibt mir auch nur den kleinsten Leckerbissen!« »Am nördlichen Rand der Siedlung liegt ein Stapel von Stahlträgern. Sie befinden sich außerhalb des beleuchteten Geländes.« »Ich darf sie fressen?« fragte Vorry eifrig. »Langsam. Nicht alle. Du kannst einen nehmen, aber du mußt aufpassen, daß es niemand merkt. Die Träger sind nicht gezählt worden, du brauchst also nur darauf zu achten, daß keine offensichtlichen Spuren zurückbleiben. Trample ein bißchen herum. Es muß aussehen, als hätte ein großes Tier sich bei der Siedlung herumgetrieben.« »Du hast doch etwas vor.« Ich sah das unförmige Tonnenwesen nachdenklich an. Auf Vorry war Verlaß. Sollte ich ihn einweihen? Ich entschied mich dagegen. Nicht, weil ich einen unbeabsichtigten Verrat befürchtete, sondern weil ich den Magnetier nicht in Gefahr bringen wollte. Wenn etwas schiefging und Akon-Akon uns erwischte, konnte alles mögliche passieren. Die Reaktionen dieses Jungen waren völlig unberechenbar. Gerieten wir in Bedrängnis, dann war es gut, Freunde wie Vorry und Ra in relativer Freiheit zu wissen. »Versprich mir, daß du dich an unsere Abmachung hältst«, bat ich den Magnetier. Vorry machte eine bejahende Geste. »Dann eben nicht, du Geheimniskrämer«,
Marianne Sydow hörte ich ihn murmeln, als ich das Zelt verließ. Auf dem Rückweg kam ich an der Sanitätsstelle vorbei. Ich sah meinen Vater auf einer Pritsche hocken. Ein Arzt war bei ihm und nahm die routinemäßige Untersuchung vor. Es gab mir immer wieder einen Stich, und ich konnte es nicht vergessen, daß er einmal, in einem Augenblick höchster Gefahr, aus seiner Teilnahmslosigkeit erwacht war. Obwohl ich wußte, daß es sinnlos war, betrat ich die Baracke. »Sein Zustand ist unverändert«, meldete der Arzt. Ich nickte und ging zu der reglosen Gestalt hinüber. »Wie geht es dir?« fragte ich. Die seelenlosen Augen blickten durch mich hindurch. Er sah und hörte mich nicht. Er war ein Körper ohne Geist, ein leeres Gefäß. Er konnte stehen und gehen, wenn man ihn führte, aber er wäre verhungert, hätten wir ihn nicht künstlich ernährt. Bedrückt wandte ich mich ab. Ich fühlte mich elend bei dem Gedanken, daß ausgerechnet ich ihn in diese Lage gebracht hatte.
* In der ISCHTAR war es gespenstisch still. Alle Geräte waren ausgeschaltet. In den Gängen brannte nur die Notbeleuchtung. Meine Schritte hallten unnatürlich laut durch das Schiff. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, die Situation zu nutzen und Akon-Akon direkt zu bedrohen. Es war schwierig, aber keineswegs unmöglich, die ISCHTAR allein hochzubringen, in einer konstanten Umlaufbahn zu halten und dann die Bordwaffen auf die Siedlung zu richten. Dort gab es nichts, womit man einen solchen Angriff hätte abwehren können. Natürlich hatte Akon-Akon solchen Versuchen einen Riegel vorgeschoben. Je länger ich mich im Schiff aufhielt, desto stärker wurde ein unbehagliches Gefühl, Übelkeit stieg in mir auf, der Schweiß brach aus allen Poren. Ich mußte zurück ins Lager.
Eine Welt für Akon-Akon Hastig konzentrierte ich mich auf meine Aufgabe, und da diese nicht im Widerspruch zu den in mir verankerten Befehlen stand, wurde mir umgehend besser. Ich suchte zielstrebig alles zusammen, was ich für die Verschönerung des Hauptgebäudes für nötig hielt, und stapelte alle leichteren Gegenstände in der Schleusenkammer auf. Andere Dinge kennzeichnete ich und notierte mir den Raum, in dem sie zu finden waren. Dann holte ich zwei Standardausrüstungen aus einer Versorgungskammer neben der Schleuse, packte das ganze Zeug in eine große Kiste und verschloß den Deckel. Ich hätte ein paar Leute mitnehmen können, aber ich legte Wert darauf, wenigstens beim ersten Teil dieses Unternehmens nicht beobachtet zu werden. Die Kiste war zu schwer, als daß ich sie hätte tragen können. Ich beorderte eine Antigravplattform heran und wir verluden das ganze Paket. Den drei Männern, die mit der Plattform eingetroffen waren, drückte ich den Notizzettel in die Hand und befahl ihnen, alle darauf angeführten Gegenstände in die Schleuse zu schaffen. Dann schwebte ich zu einem Lagerschuppen am nördlichen Rand der Siedlung und stellte die Kiste dort ab. Niemand war in der Nähe. Rasch holte ich die Ausrüstung für Malthor und Asmorth aus der Kiste und schob die beiden Pakete in den freien Raum zwischen einem Plattenstapel und der Wand. Die Kiste rückte ich vor das Versteck und überzeugte mich davon, daß die beiden Schutzanzüge und die dazugehörenden Teile nicht mehr zu sehen waren. Die Wand der Baracke war aus Fertigteilen hastig und nachlässig zusammengesetzt worden. An der betreffenden Stelle konnte man eine Platte von außen schräg anwinkeln und so die Anzüge herausholen. Wenig später traf ich wieder in der Schleuse ein und holte den Rest der Ladung ab. Einer der drei Männer befand sich noch im Schiff und suchte nach einem Wandbehang, den ich für das Hauptgebäude vorgesehen hatte. Wir beschlossen, auf seine Rückkehr zu warten und setzten uns auf die
29 Plattform. »Wir bekommen Verstärkung!« bemerkte einer meiner Begleiter nach ein paar Minuten. Ich sah in die angegebene Richtung und erschrak. Etwa dreißig Männer marschierten genau auf uns zu. Sie waren bewaffnet, und unter ihnen befanden sich zwei von Akon-Akons Leibwächtern. Als die Gruppe näher kam, erkannte ich auch den Anführer – es war Ferentok. Ruhig bleiben! mahnte das Extrahirn. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß dieser Besuch dir gilt! Ich riß mich zusammen und setzte eine gelangweilte Miene auf. »Was sitzt ihr hier herum?« grunzte Ferentok, als er uns erreicht hatte. »Wir warten auf einen Mann, der noch im Schiff ist«, gab ich mürrisch zurück. »Er muß jeden Moment eintreffen.« »Im Schiff?« »Befehl von Akon-Akon. Wir holen verschiedene Sachen ab, mit denen das Hauptgebäude verschönert werden soll. Aber da wir schon beim Schiff sind: Was wollen Sie hier? Noch dazu mit so vielen Männern?« »Durchsucht den Kram!« befahl Ferentok seinem am nächsten stehenden Begleiter. Während der Arkonide unsere Ladung durchwühlte, wandte er sich wieder an mich. »Auch wir haben einen Befehl erhalten. In der letzten Nacht hat sich etwas am Nordrand des Lagers herumgetrieben. Vielleicht war es nur ein Tier, aber Akon-Akon will sichergehen. Wir sollen eine ständige Wache innerhalb der ISCHTAR einrichten und die Umgebung beobachten.« Mein Gesicht blieb undurchdringlich. Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, nach den Spuren zu sehen, die Vorry hinterlassen hatte. Vielleicht hatte der Magnetier übertrieben, oder der Junge war einfach noch mißtrauischer, als ich gedacht hatte. Jedenfalls paßte es mir gar nicht, daß Akon-Akon sich ausgerechnet jetzt der Beobachtungsanlagen entsann, die es in der ISCHTAR gab.
30 Gegen seinen Befehl konnte ich nichts tun, aber vielleicht ließ sich die Wachsamkeit dieser Männer abschwächen … »Sie und Ihre Leute könnten mir einen Gefallen tun«, sagte ich nebenher. »In etwa zwei Stunden kommt eine Gruppe von Dienern. Sie sollen neuen Wein für Akon-Akon holen. Sie würden viel Zeit sparen, wenn ihr das Zeug inzwischen schon hier abstellen könntet.« Auf Ferentoks Gesicht erschien ein lauernder Ausdruck, in seinen Augen glitzerte es gierig. »Und wo finden wir diese Vorräte?« Ich nannte ihm den betreffenden Lagerraum. Ferentok winkte zwei von seinen Leuten zur Seite und gab ihnen eine hastig geflüsterte Anweisung. Ich unterdrückte den Impuls, schadenfroh zu grinsen. In jenem Raum gab es nicht nur etliche Krüge mit seltenen Weinen, sondern auch einen Vorrat an hochprozentigeren Getränken. Der Mann, der die Sachen auf der Plattform durchsucht hatte, richtete sich auf und nickte Ferentok zu. Fast gleichzeitig kam der letzte von meinen Begleitern in die Schleusenkammer. Er trug den zusammengerollten Wandbehang unter dem Arm. »Endlich!« murmelte ich und schlang die Gurte um die Ladung. »Wir werden die Krüge besorgen«, versprach Ferentok grinsend. »In Zukunft wird stets einer von uns hier in der Schleuse sein. Wenn im Lager etwas gebraucht wird, braucht ihr es nur der jeweiligen Wache mitzuteilen.« Ich atmete auf, als wir uns vom Schiff entfernten. Ich hatte Glück gehabt. Wäre Ferentok nur wenige Minuten früher erschienen, dann wäre es nahezu unmöglich gewesen, die Ausrüstung zu beschaffen. Schon jetzt zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie es weitergehen sollte. War unser Versuch erfolgreich, so brauchten wir weitere Schutzanzüge und Waffen, um noch mehr Leute aus dem Tal zu entfernen. Beim Mittagessen traf ich Fartuloon. »Die Bojen sind fertig«, teilte er mir mit.
Marianne Sydow »Die Beschaffung von Netzen, in denen wir die Fische fangen können, wird noch etwas Zeit brauchen. Inzwischen habe ich die Schwimmkörper am Ufer lagern lassen.« »Werden sie ausreichen? Die Strömung ist stark, und die Dinger müssen ein ziemlich hohes Gewicht tragen.« »Keine Sorge, ich habe an alles gedacht. Ich sah Ferentok mit einem ganzen Haufen bewaffneter Männer zur ISCHTAR gehen. Gibt es Neuigkeiten?« Rings um uns herum saßen andere Arkoniden, die ebenfalls ihre Mahlzeit einnahmen. Wir mußten daher vorsichtig sein. »Am Nordrand der Siedlung wurden Spuren entdeckt. Wahrscheinlich hat irgendein neugieriges Tier nachsehen wollen, was hier los ist. Akon-Akon hat angeordnet, daß von jetzt an Wachen im Schiff bleiben und die Umgebung beobachten. Ich werde mir die Sache nachher mal ansehen. Vielleicht sollte ich ebenfalls eine Wache aufstellen. Wenn es sich um ein großes Tier handelt, können wir bei dieser Gelegenheit unseren Frischfleischvorrat aufbessern.« Fartuloon nickte, und wir wechselten noch einige belanglose Redensarten, bis wir getrennt wieder an die Arbeit gingen. Ich sah auf dem Dienstplan nach und stellte fest, daß Malthor und Asmorth für die Spätschicht eingeteilt waren. Der Arbeitsbericht der Gruppe war hervorragend, ich konnte es also riskieren, die beiden Männer für einen Sonderauftrag abzuziehen. Bei Sonnenuntergang ließen sie sich Waffen aushändigen, dann marschierten sie davon. Ich hatte sie angewiesen, sich neben dem Lagerschuppen auf die Lauer zu legen. Dicht davor befand sich der Stapel von Stahlträgern, und bis zum Flußufer waren es etwa dreißig Meter.
* Nach wie vor wurde auch nachts gearbeitet. Da Fartuloon und ich im Planungsstab tätig waren, hatte man sich daran gewöhnt, daß wir zu den unmöglichsten Zeiten über die Baustelle gingen. Niemand achtete auf
Eine Welt für Akon-Akon uns, als wir die Siedlung durchquerten. »Die Wachen im Schiff machen mir Sorgen«, murmelte Fartuloon. »Ich glaube nicht, daß sie in dieser Nacht ihre Aufgabe sehr genau nehmen. Ich habe ihnen verraten, in welchem Lagerraum unsere Vorräte an alkoholischen Getränken untergebracht sind.« »Hoffentlich hat es gewirkt«, brummte der Bauchaufschneider mißmutig. Gerlo Malthor und Jörn Asmorth nahmen ihre Aufgabe sehr ernst. Sie waren so auf die Beobachtung der Steppe konzentriert, daß sie uns gar nicht bemerkten. Vorsichtig schlichen wir uns bis an die Hütte heran. Fartuloon robbte bis an die Ecke, dann hob er kurz die Hand. Ich kniete mich neben die Wand und tastete die Umrisse der Platte ab. Als der breit gefächerte Strahl des Paralysators die beiden Männer erfaßte, hatte ich den Zugang zu dem Versteck bereits gefunden. Wir schleppten die beiden Männer hinter die Baracke, die uns gegen zufällige Entdeckung schützte. Falls die Männer auf der ISCHTAR auf ihrem Posten waren, würde uns dieses Manöver allerdings nicht viel nützen. Wir mußten uns beeilen, denn Malthor und Asmorth hatten nur eine schwache Dosis der lähmenden Strahlen abbekommen. Es ging nicht anders, denn bei stärkerer Dosierung wären ihre Körper so bretthart geworden, daß es unmöglich war, ihnen die Schutzanzüge überzustreifen. Wir schafften es buchstäblich im letzten Moment. Malthor gab das erste gepreßte Stöhnen von sich, als ich den Magnetverschluß zudrückte. Sofort war Fartuloon zur Stelle. Diesmal würde die Lähmung einige Stunden anhalten. Die beiden Männer waren bei Bewußtsein, sie sahen und hörten alles, was um sie herum vorging, konnten sich jedoch nicht dagegen wehren. »Wir bringen euch jetzt zum Fluß«, flüsterte ich scharf. »Wir werden euch in einen Schwimmkörper stecken und der Strömung überlassen. Wir hoffen, daß ihr auf diese Art und Weise frei werdet. Wenn der Versuch
31 gelingt, werden wir weitere Leute auf demselben Weg aus der Siedlung schaffen. Ihr müßt versuchen, uns zu helfen. Leider kann ich euch keine genauen Anweisungen geben, aber ihr kennt ja unser Problem. Wir müssen Akon-Akon unschädlich machen, damit wir diesen Planeten verlassen können. Wir wünschen euch viel Glück!« Die beiden Männer konnten nicht antworten, und auch der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich nicht. Ich hoffte, daß sie alles verstanden hatten. Hastig schleppten wir Gerlo Malthor und Jörn Asmorth zum Fluß hinunter. Die Bojen lagen bereit. Wir banden die beiden Männer an dem Metallring fest und schoben den Schwimmkörper samt seiner Fracht vorsichtig ins Wasser. Eine letzte Korrektur war nötig, um das Gewicht auszubalancieren und den beiden einen so guten Halt zu verschaffen, daß sie auch bei stärkerer Strömung nicht durch einen unglücklichen Zufall aus den Seilschlingen gleiten konnten. Dann stießen wir die Boje direkt in die Strömung. »Viel Glück«, murmelte Fartuloon. »Ihr werdet es brauchen können.« Gerlo Malthor und Jörn Asmorth befanden sich bereits außer Hörweite. Im Wasser spiegelten sich die viel zu hellen Sterne, die den Nachthimmel von Ketokh in ein grandioses Schauspiel verwandelten und den kleinen, trübroten Mond dieses Planeten fast überstrahlten. Zwischen den Lichtreflexen zeichnete sich dunkel ein Klumpen von Luftkammern ab, der rasch an Geschwindigkeit gewann und unaufhaltsam davontrieb. »Das wäre geschafft«, nickte der Bauchaufschneider zufrieden und watete aus dem kalten Wasser. »Hoffentlich gibt es keine blutgierigen Bestien in diesem Fluß.« »Nur harmlose Fische«, beruhigte ich ihn. »Ich habe die Berichte der betreffenden Forschungsgruppe genau studiert. Den beiden kann nicht viel geschehen. Bei Tagesanbruch wird die Lähmung nachlassen, und dann …« Ich blieb stehen und starrte die Lichtpunkte an, die von Akon-Akons Hügel herabflos-
32 sen und genau auf uns zukamen. »Die Leibwächter«, ächzte Fartuloon. »Los, weg von hier!« Ich warf mich verzweifelt nach vorne, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Natürlich gab es keine wirkliche Flucht vor Akon-Akon und seinen Leuten, aber wenn wir es wenigstens bis in die Siedlung geschafft hätten, wären wir vielleicht unerkannt geblieben … Fartuloon riß den Paralysator hoch. Sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung, aber er konnte nicht abdrücken. Wie gelähmt standen wir da, zu keiner Bewegung mehr fähig. Hinter den Leibwächtern, die die glänzenden Spitzen ihrer Speere auf uns richteten, nahte ein Fackelzug. Das flackernde Licht der harzgetränkten Stäbe beleuchtete eine schwankende Sänfte. Die Männer, die das schwere Ding den Hügel herabschleppten, taumelten auf dem unebenen Boden unter der Last, aber keiner von ihnen begehrte auf. Hochmütig blickte Akon-Akon auf uns herab. »Zwei Männer sind verschwunden«, sagte er. »Was habt ihr mit ihnen gemacht? Rede du zuerst!« Willenlos plauderte ich alles aus, und in mir machte sich tiefe Resignation breit. Gab es denn wirklich kein Mittel, mit dem man die Macht dieses Jungen brechen konnte? Inzwischen hatten sich zahlreiche Zuschauer eingefunden. Sie verstanden zwar kein Wort, denn Akon-Akon verstand noch immer keine längeren Erklärungen in der Umgangssprache. Er hatte sich allerdings schon einige Wörter angeeignet, und für kurze Befehle reichte sein Sprachschatz. Außerdem waren seine Gesten äußerst vielsagend, und worum es hier ging, wußte inzwischen wohl jeder. Er sah einige seiner Gefolgsleute an, dann deutete er herrisch den Fluß hinunter. Die Männer rannten los. Scheinwerferstrahlen geisterten über das Wasser. Fartuloon und ich wurden von den Leibwächtern gepackt, dann ging es zurück in die Siedlung.
Marianne Sydow Alarmpfeifen rissen diejenigen, die jetzt noch schliefen, von den Lagern. Von der ISCHTAR her näherte sich eine beleuchtete Plattform. Der freie Platz vor dem fast fertiggestellten Hauptgebäude füllte sich überraschend schnell. Die Leibwächter stießen uns vor die Sänfte. »Ihr beide werdet von nun an gehorsam sein und nichts tun, was gegen meine Interessen verstößt!« sagte Akon-Akon und blickte uns dabei voll an. Dann ließ er seine Blicke über die versammelten Arkoniden schweifen. Bis auf die Männer, die den Fluß absuchten, und eine Wachmannschaft, die auf dem Schiff geblieben war, fehlte niemand. »Du übersetzt!« befahl er mir. Akon-Akons Rede war sehr kurz. Er füllte lediglich die Lücke in seinem feingesponnenen Netz aus. »Niemand wird in Zukunft einem anderen helfen, dieses Tal gegen meinen Willen zu verlassen oder etwas anderes zu tun, was gegen meine Befehle verstößt.« Vereinzelte Hochrufe wurden laut, aber die Mehrzahl der Arkoniden blickte unbewegt vor sich hin. Als Akon-Akon sich mit seinem Gefolge wieder in Bewegung setzte, zerstreute sich die Menge schnell und schweigend. Fartuloon und ich gingen deprimiert in unsere Unterkunft. Die Tatsache, daß der Junge allem Anschein nach darauf verzichtete, uns in irgendeiner Form zu bestrafen, brachte uns unsere Unterlegenheit nur noch deutlicher zu Bewußtsein.
5. Obwohl ich todmüde war, konnte ich nicht einschlafen. Vergeblich versuchte ich es mit allen möglichen Konzentrationsübungen – meine Gedanken ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Schließlich gab ich es auf, verließ den winzigen Raum und trat vor die Tür. Es war schon weit nach Mitternacht. Aus psychologischen Gründen hatten wir so we-
Eine Welt für Akon-Akon nig Leute wie möglich für die Nachtschichten eingeteilt, und nur einzelne Teile der großen Baustelle waren von Scheinwerfern angestrahlt. Dennoch war es nicht dunkel. Die Sterne spendeten genug Licht. Ich ging langsam über das zertrampelte Gras bis an die Grenze der Siedlung und sah zur ISCHTAR hinüber. Verbittert dachte ich daran, wie wir mit diesem Schiff Kraumon verlassen hatten – erfüllt von Plänen, die sich samt und sonders mit Orbanaschol beschäftigten. Nicht im Traum dachten wir daran, daß Akon-Akon uns zu seinen Sklaven machen könnte. »Verdammtes Ding!« klang schräg vor mir eine dunkle Stimme auf. Ich schrak zusammen und entdeckte eine dunkle Gestalt, die mit der rechten Hand irgend etwas wütend schüttelte. Meine Hand zuckte zum Gürtel, dann erst fiel mir ein, daß ich nicht einmal ein Messer bei mir hatte. Dann eben nicht, dachte ich und spurtete los. Die Stimme hatte ich auf Anhieb erkannt. Ich konnte mir denken, was Algonia Helgh zu dieser Nachtzeit hier draußen machte, aber ihren Wutausbruch konnte ich mir nur damit erklären, daß irgendein Tier sie angegriffen hatte. Atemlos erreichte ich sie und entriß ihr den Gegenstand, den sie noch immer wild hin und her schüttelte. Ich spürte kaltes Metall zwischen meinen Fingern und starrte verblüfft auf eine kleine Lampe. »Was ist denn in Sie gefahren?« Ich war im Moment sprachlos, dann begriff ich endlich. Die Lampe funktionierte nicht, das war alles. Als ich der Astronomin das Mißverständnis erklärte, lachte sie schallend. »Sie sollten sich nicht so weit von der Siedlung entfernen«, bemerkte ich vorwurfsvoll, als ihre Heiterkeit sich gelegt hatte. »Ein paar gefährliche Tiere gibt es schließlich auch hier unten.« »Reden Sie keinen Unsinn. Erstens bin ich denen viel zu zäh, und zweitens muß ich im Lager ständig damit rechnen, daß irgend-
33 ein Trottel über mich stolpert. Erst gestern Nacht hat einer von Akon-Akons Dienern mich fast umgerannt. Er sollte Wein holen. Wein! Wenn dieser Bengel davon wenigstens einen Rausch bekäme, aber nein, der gießt das Zeug in sich hinein, als wäre es Wasser. Wenn er mir wenigstens erlauben wollte, meine Untersuchungen an Bord der ISCHTAR durchzuführen. Ich komme mir vor wie in der Steinzeit mit dem Zeug hier!« Jetzt mußte ich lachen. Es kam selten genug vor, daß sich jemand in diesen Tagen so freimütig Luft machte. Algonia Helgh starrte wütend in den Himmel hinauf. Plötzlich holte sie überrascht Luft. »Nanu«, murmelte sie. »Ein Meteor! Das ist der erste, den ich bis jetzt hier gesichtet habe!« Auch ich entdeckte die Leuchtspur, aber im Gegensatz zu der Astronomin brauchte ich keine Sekunde, um zu erkennen, daß es sich keineswegs um eine natürliche Erscheinung handelte. Ich riß die Arkonidin zu Boden. Sie wollte protestieren, aber da hörte sie das leise Pfeifen, das schnell zu einem wilden Heulen anschwoll. Direkt über der Siedlung explodierte das Geschoß. Es gab einen ohrenbetäubenden Krach, und eine grelle Lichtflut ergoß sich über die Hütten, Häuser und Zelte. Funken regneten herab, aber sie richteten kaum Schaden an. Aber das war auch nicht der Zweck dieser Aktion. Das dumpfe Donnern aus der Richtung des nächsten höheren Hügels ließ mich die Lage klar erkennen. »Kommen Sie!« Ich zog Algonia Helgh hoch und rannte mit ihr zum Lager zurück. Wir brauchten Waffen, und außerdem sagte mir eine ungewisse Ahnung, daß Akon-Akon auf derartige Situationen nicht vorbereitet war. Im Lager schrillten die Alarmpfeifen los. Gleichzeitig flammten die Scheinwerfer auf. »Diese Narren!« stieß ich hervor, registrierte ein unheilvolles Pfeifen direkt über uns und warf mich ins Gras. Etwa zwanzig Meter vor uns krachte ein Explosivgeschoß
34 in einen Lagerschuppen. Pastikteile wirbelten brennend in die Höhe, ein infernalischer Gestank breitete sich aus. Auch an anderen Stellen der Siedlung schlugen Bomben ein. Verwirrte Arkoniden rannten zwischen brennenden Hütten herum und wußten offensichtlich nicht, was sie tun sollten. Jetzt machte sich der unheilvolle Einfluß AkonAkons deutlich bemerkbar. Er unterdrückte jede Eigeninitiative, und die Mannschaft der ISCHTAR, durchaus fähig, sich ihrer Haut zu wehren, stand dem Angriff hilflos gegenüber. »Da kommen wir nicht durch«, keuchte Algonia Helgh hustend. Vor uns loderte der Schuppen wie ein riesiger Scheiterhaufen. Dunkel erinnerte ich mich daran, daß wir in ihm Unmengen sauberer Holzplatten gestapelt hatten, die als Täfelung für Akon-Akons »Palast« dienen sollten. »Wir schlagen uns zur ISCHTAR durch«, bestimmte ich. Auch zwischen uns und dem Schiff hatten Geschosse eingeschlagen. Das feuchte Gras brannte zwar nicht, qualmte dafür aber um so mehr. Im Lager krachten Schüsse. Einige wurden aus Impulsstrahlern abgegeben, andere stammten aus fremden Waffen. Ich war sicher, daß meine Entscheidung richtig war. Nur von der ISCHTAR aus hatten wir die Möglichkeit, den Stützpunkt unserer Gegner am Hang des Hügels zu bestimmen und auszuräuchern. Wir hatten die Hälfte der Entfernung hinter uns gebracht, als die Fremden vor uns auftauchten. Sie standen da, wie aus dem Boden gewachsen, unförmige, zylindrische Gestalten mit spitz zulaufenden Köpfen. Die kurzläufigen Waffen, die sie auf uns gerichtet hielten, schimmerten im Licht der Sterne und der Flammen. Wir blieben stehen und starrten unsere Gegner an. Vorsichtig hob ich die Arme und zeigte meine leeren Handflächen – eine Geste, die wohl von allen intelligenten Wesen verstanden würde. Die Fremden pfiffen leise und schnell vor
Marianne Sydow sich hin, dann lösten sich fünf aus der Gruppe und kamen auf uns zu. Sie hielten ihre Waffen immer noch in der Hand, aber die Läufe waren nach unten gerichtet. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß die Astronomin meinem Beispiel gefolgt war und die Fremden regungslos herankommen ließ. »Sie müssen ganz nahe bei uns sein«, flüsterte ich. Prompt hob sich eine Waffe leicht an, die Fremden zögerten. Aber dann kamen sie doch näher. Zwei Schritte von uns entfernt blieben sie stehen. Das Wesen in der Mitte pfiff einen Befehl, und zwei Fremde stürzten sich auf mich. Ich spürte die Berührung von etwas Feuchtem an meiner Hand und warf mich blitzschnell nach vorne. Die Hand meines ersten Gegners glitt ab. Dem zweiten drehte ich den Arm um, dann hielt ich seine Waffe in der Hand. Ich hatte keine Ahnung, wie man mit diesem Ding umgehen mußte, aber das wußten die Fremden hoffentlich nicht. Mit einigen gezielten Tritten löste ich mich von den Angreifern, rollte mich über die Schultern ab und sprang auf. Auch Algonia Helgh hatte ihre beiden Gegner ausgeschaltet. Zwei unförmige Schatten wälzten sich pfeifend vor ihr im Gras. Ich hielt die Waffe auf sie gerichtet und sah mich langsam um. Die Fremden starrten zurück. Ich konnte ihre pfeifende Unterhaltung nicht verstehen, aber es schien, als wären sie verwirrt und ratlos. »Nehmen Sie den beiden die Waffen ab«, rief ich der Astronomin zu. Ich ließ die etwas entferntere Gruppe nicht aus den Augen, während ich das metallene Ding in meiner Hand abtastete. Ich fand einen Knopf am unteren Ende, hob den Lauf etwas an und drückte versuchshalber darauf. Eine grellrote Flamme schoß aus der Mündung, dann heulte ein Geschoß über die Köpfe der Fremden hinweg und schlug in der Nähe der ISCHTAR ein. Die Explosion riß Grasbüschel und Erdbrocken in die Luft. Die De-
Eine Welt für Akon-Akon monstration verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Fremden duckten sich ängstlich, und ihre pfeifende Unterhaltung wurde lauter und verworrener. »Wir ziehen uns langsam zurück«, raunte ich Algonia Helgh zu. Du bist ein Narr, bemerkte mein Extrahirn in diesem passenden Moment. Bring sie um! Ich hörte gar nicht hin. Im Lager gab es Paralysatoren, und ich hatte nicht die Absicht, diese Fremden mit ihrer eigenen Waffe zu töten. Ein paar Sekunden später begriff ich, daß meine Rücksichtnahme tatsächlich überflüssig war. Wir waren nur wenige Schritte in Richtung auf das Lager vorangekommen, da hörte ich hinter mir ein leises Schmatzen. Ich wollte mich umdrehen, aber da schlangen sich auch schon zwei nasse, kalte Arme um meinen Oberkörper. Vergeblich spannte ich die Muskeln an – die Fremden waren kräftiger, als ich vermutet hatte. Eine Hand entriß mir die Waffe, eine andere legte sich auf meinen Mund. Ich bekam einen tranigen Gestank in die Nase und rang verzweifelt nach Luft. Gleichzeitig trat ich mit aller Kraft nach zwei Fremden, die meine Beine zu fassen versuchten. Ich hatte wenig Erfolg. Lediglich die dicke, nasse Schutzkleidung des einen verrutschte, und die Spitze seines Kopfes wurde kurz sichtbar. Ich bemerkte einen münzgroßen, gelblich leuchtenden Fleck auf seinem Schädel, dann stülpte mir jemand einen muffig riechenden, nassen Sack über den Kopf. Da ich meine Gegner jetzt nicht mehr sehen konnte, gelang es ihnen schnell, mich endgültig zu überwältigen. Ich hörte Algonia Helgh keuchen, dann klatschte etwas, und daraufhin war es bis auf das Pfeifen der Eingeborenen und die Kampfgeräusche aus dem Lager still. Man schleppte mich wie ein gut verschnürtes Paket davon. Meine Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden, die Arme fest an den Körper geschnürt und die
35 Beine mit so vielen Stricken umwickelt, daß ich mich fast wie in einem Kokon eingesponnen fühlte. Darüber hinaus hatte man mich an einer langen Stange befestigt. Ich konnte buchstäblich keinen Finger rühren, nicht einmal sehen, wohin man mich brachte, und bekam außerdem kaum Luft, da man sich nicht die Mühe gemacht hatte, mich von dem abscheulich riechenden Sack zu befreien. Noch immer hörte ich das Krachen von Schüssen, dröhnende Entladungen aus den Impulsstrahlern, Schreie und das Prasseln von Flammen, aber allmählich wurde diese Geräuschkulisse leiser, bis nur noch das dumpfe Trappeln zahlreicher Füße auf unebenem Boden und ein gelegentliches Pfeifen übrigblieben. Kurz darauf hielten die Fremden an, und ich wurde unsanft auf den Boden geworfen. Neben mir prallte ein weiteres Paket auf, und ein schmerzliches Stöhnen erklang. »Algonia?« fragte ich leise. »Sie leben also auch noch«, kam die trockene Antwort der Astronomin. »Was mögen diese Burschen mit uns vorhaben?« »Wir werden es vermutlich bald erfahren.« Ein lautes Dröhnen unterbrach unser Gespräch. Fast gleichzeitig knatterte, donnerte und rumpelte es wie bei einem Feuerwerk. Der Boden unter uns zitterte leicht. »Die Basis der Fremden dürfte so gut wie nicht mehr vorhanden sein«, bemerkte Algonia Helgh, als das Getöse nachließ. »Die Kerle auf der ISCHTAR sind endlich aufgewacht.« »Leider etwas zu spät«, murmelte ich. Schritte kamen näher und jemand blieb direkt neben meinem Kopf stehen. Ein Fuß stieß gegen meine Schultern, dann riß einer der Fremden endlich den Sack von meinem Kopf. Ich atmete tief ein. »Du bist ein wahrer Freund!« sagte ich zu dem Fremden. »Ich verdanke dir mein Leben. Dieser Fischgestank hat mich fast umgebracht.« Der Spitzkopf starrte mich ausdruckslos
36 an, wandte sich ab und befreite auch die Astronomin von ihrer nassen Umhüllung. Wir lagen auf einem grasbewachsenen Hang. Ein Stück weiter westlich brannte es, und aus den Flammen wurden noch immer unter wildem Geknatter allerlei Gegenstände in die Luft geschleudert. Wenn ich den Kopf so weit drehte, wie es irgend ging, sah ich auch die Siedlung – oder vielmehr das, was davon übriggeblieben war. Wie durch ein Wunder waren viele Scheinwerfer unversehrt geblieben und das grelle Licht enthüllte erbarmungslos die Trümmer zahlreicher Häuser, an deren Fertigstellung wir tagelang wie die Besessenen gearbeitet hatten. Dazwischen schlugen Flammen hoch und blitzten Schüsse – es wurde immer noch gekämpft. Das war schlecht für uns. Zwar stellte ich fest, daß die Arkoniden inzwischen die Oberhand gewonnen hatten, aber an vielen Stellen hatten sich Eingeborene verschanzt, die rücksichtslos ihre Explosivgeschosse in die noch existierenden Häuser jagten. Solange unsere Gefährten damit beschäftigt waren, die Angreifer zu vertreiben, würden sie kaum auf die Idee kommen, nach uns zu suchen. Fartuloon würde mich vielleicht vermissen, aber er alleine konnte nicht viel ausrichten. »Es sieht schlecht aus, nicht wahr?« »Wir leben noch«, murmelte ich. »Das ist die Hauptsache. Wie sieht es mit Ihren Fesseln aus?« »Da ist nichts zu machen. Ich verstehe nicht, warum man mit diesen Fremden nicht längst fertig geworden ist. Gut, es mögen ein paar Hundert sein, aber ihre Waffen sind doch recht primitiv. Unsere Leute schießen immer noch mit Impulsstrahlern. Dabei richten sie doch nur unnötige Zerstörungen an!« »Es liegt an dem Jungen. Er kann mit einer solchen Situation nichts anfangen. Er ist darauf eingestellt, daß es gegen ihn keinen Widerstand gibt. Nun, die Fremden sind offensichtlich nicht so leicht zu beeinflussen, und ihr Angriff muß ihn in Panik versetzt haben. Er hat mit Sicherheit den Befehl ge-
Marianne Sydow geben, rücksichtslos zurückzuschlagen und die Fremden zu vernichten. Bis er erkennt, daß er mit ihnen auch auf weniger verlustträchtige Weise fertig wird, vergeht wohl noch einige Zeit.« Ich sah mich nach den Spitzköpfen um. Sie standen einige Schritte von uns entfernt und schienen sich zu beraten. Die Vernichtung der Geschütze auf dem Hang mußte sie unsicher gemacht haben. Sie deuteten immer wieder zur ISCHTAR hinüber, die sich wie ein mächtiger Berg aus dem Tal erhob. Ich hoffte nur, daß Ferentok und seine Leute die Versammlung an diesem Hang nicht bemerkte. Wenn er einen Schuß in diese Richtung abfeuerte, war es aus mit uns. Die Eingeborenen schienen die Gefahr endlich auch erfaßt zu haben. Wir wurden hochgehoben, dann ging es weiter. In schnellem Trab trug man uns um die Flanke des Hügels herum, dann in ein schmales Tal hinab. Ich sah Felsen neben uns auftauchen und dachte mit Unbehagen an die Tiere, die wir in einer ganz ähnlichen Umgebung angetroffen hatten. Aber wir kamen ungeschoren davon. Es dauerte gar nicht lange, dann wichen die Felsen zurück. Das Gelände neigte sich. Ich hörte das Rauschen eines Baches. Direkt am Wasser gab es einen neuen Aufenthalt. Einer der Spitzköpfe zog eine Lampe hervor und gab Blinkzeichen. Weiter unten blitzte ein Lichtfleck auf. Pfeifend setzten sich unsere Träger wieder in Bewegung, und jetzt schienen sie sich ziemlich sicher zu fühlen. Sie unterhielten sich ungeniert in ihrer unverständlichen Sprache. Vorher war eine strenge Marschordnung eingehalten worden, aber nun eilten einige voraus, und die ganze Gruppe machte einen äußerst frohgestimmten Eindruck. Das lag bestimmt nicht nur daran, daß sie der Gefahr entkommen waren. Der Grund für ihre Fröhlichkeit waren wir. Unsere Entführer hatten Beute mitgebracht. Neben einem plump gebauten Fahrzeug legte man uns auf den Boden. Es wimmelte
Eine Welt für Akon-Akon an diesem Platz von Eingeborenen. Sie kamen in Scharen herbeigeeilt und musterten uns mit ihren ausdruckslosen Fischaugen, wobei sie mit ihren pfeifenden Stimmen allerlei Bemerkungen von sich gaben. »Ich komme mir vor wie in einem Zoo«, sagte die Astronomin bitter. Ich schwieg. Inzwischen war ich mir ziemlich sicher über die Rolle, die man uns zugedacht hatte. Sie gefiel mir gar nicht. Hätte man uns als Geiseln verwendet, so wäre das noch nicht das Schlimmste gewesen. Aber offensichtlich hatte man tatsächlich die Absicht, uns als lebende Beute abzutransportieren. Mein Verdacht bestätigte sich. Zwei Spitzköpfe, die an ihrer dicken, feuchten Schutzhülle undeutlich erkennbare Abzeichen trugen, trieben die neugierige Menge auseinander. Ein paar Eingeborene befreiten uns von den Stangen, an denen wir festgebunden waren, nahmen uns einen Teil der Fesseln ab und warfen uns in den kastenförmigen Aufbau des Wagens. Drinnen war es feucht und glitschig. Nasse Matten bedeckten den Boden und strömten einen muffigen Geruch aus. Die Tür schlug hinter uns zu, schrilles Pfeifen ertönte, dann brüllten Motoren auf. Rumpelnd setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Wir wurden auf der Ladefläche hilflos hin und her geschleudert und holten uns zahllose blaue Flecke, bis wir schließlich zufällig in einer halbwegs sicheren Ecke landeten. Es stank nach Schimmel und anderen unangenehmen Dingen, und wenn der Wagen durch eine Kurve ratterte, klatschten dicke Wassertropfen auf uns herab. Dennoch verkündeten tiefe Atemzüge schon nach wenigen Minuten, daß Algonia Helgh eingeschlafen war.
* Allmählich gewöhnten sich meine Ohren an das ständige Dröhnen des Motors, und ich unterschied noch andere Geräusche. Ich kam zu dem Schluß, daß wir uns mitten in einem Konvoi von mehreren Dutzend Wa-
37 gen befanden. Dem Gestank der Abgase und dem Motorenlärm nach zu schließen, kannten die Spitzköpfe bisher nur primitive Verbrennungsmotoren. Von der Umgebung sah ich nichts, aber wir mußten uns noch in hügeligem Gelände befinden. Auf einer Straße fuhren wir bestimmt nicht entlang, denn der Wagen schwankte oftmals furchterregend, und die Federn ächzten und quietschten. Nachdem ich alle Informationen, die ich in dem düsteren Kasten über unsere Lage sammeln konnte, verarbeitet hatte, überlegte ich, wie ich den Spitzköpfen entkommen könnte. Einen Vorteil hatte unsere Entführung: Wir waren aus Akon-Akons Einflußbereich gebracht worden. Da wir keine Möglichkeit hatten, die Befehle des Jungen zu beachten, gab es auch keine unangenehmen Auswirkungen für uns. Aber die Entfernung zum Lager wuchs mit jeder Sekunde. Wir rasten in eine unbekannte Wildnis hinein, besaßen buchstäblich nichts als die Kleidung, die wir im Augenblick der Entführung getragen hatten und wußten nicht einmal, in welcher Richtung die Siedlung zu suchen war. Ich fragte mich, was Akon-Akon unternehmen würde, wenn er von unserem Verschwinden erfuhr. Nichts, behauptete der Logiksektor lakonisch. Er könnte ein Beiboot der ISCH-TAR aussenden. Es wäre leicht, die Wagenkolonne aus der Luft zu beobachten und uns zu befreien. Er hat ganz andere Sorgen. Ein Teil der Siedlung ist zerstört worden. Du weißt, was das für ihn bedeutet. Angesichts eines solchen Rückschlags kann er den Verlust zweier Untertanen leicht verschmerzen, noch dazu, wenn es sich nicht gerade um seine treuesten Anhänger handelt. Er wird also nicht nach uns suchen lassen. Auch gut. Das gibt uns eine Chance. Malthor und Asmorth haben eine gute Ausrüstung. Wenn wir sie finden, können wir gemeinsam etwas gegen den Jungen unterneh-
38 men. Sie zu finden, ist das eine Problem. Das andere besteht darin, daß Akon-Akon seit dem Angriff der Eingeborenen ernsthaft um seine Sicherheit bangen muß. Eisiger Schrecken durchfuhr mich. Die Spitzköpfe kannten die Lage der Siedlung. Sie würden sich mit diesem einen Überfall nicht zufriedengeben. Unsere Entführung gewann einen neuen Aspekt. Wenn man uns dazu brachte, Einzelheiten über die Bewaffnung und ähnliches zu verraten, mochte der nächste Angriff erfolgreicher verlaufen. Zu diesem Schluß mochte auch Akon-Akon kommen. Natürlich konnten die Geschütze der ISCHTAR mühelos ganze Armeen dieser Fremden zurückschlagen, aber eine ruhige Entwicklung der von Akon-Akon geplanten neuen Gesellschaft war auf jeden Fall unmöglich. Damit war das Tal, vielleicht sogar der ganze Planet, für ihn wertlos geworden. Das Ereignis, von dem Fartuloon gesprochen hatte, war sehr nahe gerückt. Der Junge würde nicht zögern, die ISCHTAR als Transportmittel zu einem anderen Planeten zu benutzen, auf dem er günstigere Verhältnisse antraf. Wenn er ohne uns los flog, saßen Algonia Helgh und ich für alle Zeit auf Ketokh fest! Mit meiner Ruhe war es endgültig vorbei. Wir hatten nur noch eine Hoffnung: AkonAkon brauchte Zeit, um die für ihn ungewohnte Situation zu verdauen. Und er würde hoffentlich nicht Hals über Kopf losrasen. Es gab nichts auf der Ladefläche, was mir helfen konnte. Ich rollte in jede einzelne Ecke und suchte verzweifelt nach irgendeinem Gegenstand, mit dem ich meine Fesseln durchschneiden konnte. Ich wollte es schon aufgeben, da stieß ich mit dem Kopf an etwas Hartes. Mühsam richtete ich mich etwas auf und ertastete einen Riegel, mit dem die aufklappbare Rückwand am Seitenteil des Kastens befestigt war. Der Riegel selbst war rund und glatt, aber der Haken, in dem er festsaß, hatte scharfe Kanten. Mit dem Rücken zur Wand stemmte ich mich hoch.
Marianne Sydow Meine Finger waren fast gefühllos, und ich rutschte etliche Male an dem glatten Riegel ab. Als ich ihn endlich zu fassen bekam, rührte er sich nicht von der Stelle. Ich fluchte leise vor mich hin, riß an dem Metall und verlor prompt den Halt. Endlich rutschte der Riegel nach oben und schlug scheppernd gegen die Seitenwand. Ich hielt den Atem an – nichts. Nur das Dröhnen der Motoren war zu hören. In dieser Geräuschkulisse mußte das Klappern untergehen. Bei dem Versuch, die Schnüre zwischen meinen Handgelenken über den Haken zu schieben, verrenkte ich mir fast die Arme. Der Wagen kam zu allem Überfluß an eine besonders schlechte Wegstrecke. Die glitschigen Matten unter meinen Füßen waren nicht dazu geeignet, mein Vorhaben zu erleichtern. Trotzdem merkte ich, daß die scharfen Kanten die Schnüre allmählich zerfaserten. Meine Handgelenke allerdings bekamen auch etwas ab. Dann gab es plötzlich einen so heftigen Ruck, daß ich nach vorne geschleudert wurde und mit dem Gesicht voran in die stinkenden Matten fiel. In meiner Kehle würgte es, der Gestank nahm mir fast den Atem. Aber dieser Ruck hatte auch den Fesseln den Rest gegeben. Ich wälzte mich auf den Rücken und massierte meine Hände, bis die Finger beweglich genug waren, um mit den Knoten an meinen Fußgelenken fertig zu werden. In der Dunkelheit war es nicht einfach, die richtigen Stellen zu finden, und so brauchte ich eine ganze Menge Zeit, ehe ich es geschafft hatte. Auf Händen und Füßen kroch ich über die schwankende Fläche in die Ecke, in der ich die Astronomin vermutete, tastete umher und stieß gegen etwas Weiches. Algonia Helgh stieß einen Schrei aus, und ich schrak zurück. »Sind Sie das?« »Wer sonst? Ich wollte sie nicht erschrecken, es tut mir leid.« »Schon gut. Sie hätten mir nur fast die Nase plattgedrückt. Sind wir immer noch unterwegs?«
Eine Welt für Akon-Akon »Nicht mehr lange«, versicherte ich optimistisch. »Ich bin meine Fesseln los. Drehen Sie sich so, daß ich an Ihre Hände herankomme.« Ich plagte mich gerade mit dem ersten Knoten herum, da gab es wieder einmal einen heftigen Ruck. Ich flog nach vorne, stieß mir den Kopf an der Wand und blieb einen Augenblick benommen liegen. Dann erst merkte ich, daß wir angehalten hatten. Über das Dröhnen des noch immer laufenden Motors hinweg hörte ich die pfeifenden Stimmen der Eingeborenen. In fliegender Hast zerrte ich an den Fesseln der Astronomin herum. Ich hatte ihre Hände befreit, da klapperte es an der Rückwand des Wagens. Die Klappe flog auf, zwei Spitzköpfe schwangen sich zu uns auf die Ladefläche, und im gleichen Augenblick fuhr der Wagen wieder an. Algonia Helgh erfaßte die Lage schnell. Während ich noch zögerte, gab sie mir einen Stoß, der mich zu der deutlich sichtbaren Öffnung taumeln ließ. Die beiden Spitzköpfe waren so überrascht, daß sie im Augenblick nicht fähig waren, etwas zu unternehmen. Außerdem hatten sie genug mit sich selbst zu tun, denn es war auch für sie schwer, das Gleichgewicht zu bewahren. Ich wollte mich auf sie stürzen, rutschte aber aus und flog durch die halboffene Tür nach draußen. Die Landung war ziemlich hart. Nach der fast vollkommenen Dunkelheit im Innern des Kastens kam es mir draußen beinahe hell vor. Ich sah den heftig wackelnden Wagen, der sich unter lautem Geratter von mir entfernte, bemerkte gleichzeitig links neben mir eine Wand aus Zweigen und Blättern und warf mich mit einem Hechtsprung in diese Richtung. Dröhnend kam der nächste Wagen näher. Ich robbte so schnell es ging zwischen den Ranken hindurch, duckte mich in eine morastige Mulde und zog den Kopf ein. Meine Flucht war nicht unbemerkt geblieben. Heulend rasten Geschosse über das Dickicht hinweg, explodierten zwischen den
39 Büschen und zogen lange Flammenbahnen hinter sich her. Einige schlugen in unangenehmer Nähe ein, aber die Spitzköpfe wußten nicht genau, wo ich steckte. Sie vermuteten mich weiter vorne. Schreiend, fauchend und quietschend ergriffen zahlreiche kleine Tiere die Flucht. Eines von ihnen rannte über meinen Rücken. Ein anderes tauchte direkt vor meinem Gesicht am Rand der Mulde auf. Es stutzte, zwitscherte kurz und wollte die Flucht nach hinten antreten, da krachte es ein paar Meter weiter. Das Tier huschte unter meinem Arm hindurch und drückte sich zitternd an mich. Ich hatte keine Zeit, mich mit diesem unerwarteten Besuch zu beschäftigen. Die Spitzköpfe stellten plötzlich das Feuer ein. Ich lauschte. Vor mir knackten Zweige, Blätter raschelten leise. Das konnte ein Tier sein. Aber dann hörte ich ein metallisches Klappern. Die Eingeborenen kamen, um nachzusehen. Wenn sie mich erwischten, war die Chance zur Flucht ein für allemal vertan. Behutsam schob ich mich aus der Mulde heraus und kroch unter den Büschen hinweg in die entgegengesetzte Richtung. Der Boden war feucht und sumpfig, die Büsche standen so dicht, daß ihre Zweige rettungslos miteinander verfilzt waren. Nur dicht über dem Boden waren die Äste abgestorben. In der hier herrschenden Feuchtigkeit zerfielen sie schnell zu einer weichen, braunen Masse, die jedes Geräusch dämpfte. Das kleine Tier hatte ich längst vergessen. Ich erinnerte mich erst wieder an dieses Pelzknäuel, als es neben meinem Kopf auftauchte, mich anzwitscherte und dann ein Stück voraushoppelte. Ich stutzte. Das Verhalten dieses Wesens war zumindest merkwürdig. Es hielt unter einem Bogen aus Zweigen an, richtete sich auf den Hinterbeinen auf und starrte mich an. Sein Zwitschern klang ungeduldig. Es will, daß du ihm folgst, meinte der Logiksektor. Das habe ich auch schon gemerkt, dachte ich. Aber wer weiß, wohin es mich führt.
40 Zu den Spitzköpfen bestimmt nicht. Außerdem sieht es nicht wie eine fleischfressende Bestie aus. Das Tier zwitscherte zustimmend, als ich den Bogen erreichte. Es lief vor mir her in einen aus dichtem Zweiggeflecht gebildeten Tunnel, der allmählich höher wurde, bis ich mich darin aufrichten konnte. Die Geräusche, die meine Verfolger verursachten, waren nur noch schwach vernehmbar. Meine eigenen Schritte wurden von einer dicken Schicht zerfallener Pflanzenteile gedämpft. Durch die Blätter über meinem Kopf sickerte graues Licht. Mein neuer Bekannter merkte, daß ich nun besser vorankam, und erhöhte das Tempo. Wenig später merkte ich, daß der Boden leicht anstieg. Zwischen den Blättern schimmerten seltsame Blüten, und manchmal sah ich auch ein Stück des bleifarbenen Morgenhimmels. Das Tier war plötzlich verschwunden. Ich blieb ratlos stehen. Um mich herum waren nur die Büsche, nichts bewegte sich, und selbst der Tunnel war ein paar Schritte weiter zu Ende. Ein leichter Wind bewegte die obersten Zweige und trug ganz leise das Geräusch von Motoren heran – die Spitzköpfe hatten die Suche nach mir also aufgegeben. Bevor du zurückgehst, solltest du dich ausruhen, bemerkte das Extrahirn. Erst jetzt merkte ich, wie müde ich war. Meine Handgelenke waren von Schrammen und Abschürfungen übersät. Die Wunden waren klein, aber sie schmerzten teuflisch, ein leichtes Pochen ging von ihnen aus. Dagegen erschienen mir die Prellungen, die ich bei der Fahrt und beim Absprung von dem anfahrenden Wagen geholt hatte, noch relativ harmlos. Es war kein schöner Gedanke, mitten in dieser Wildnis mit einer Blutvergiftung liegen zu bleiben. Abgesehen davon hatte ich Hunger und Durst. Mir dämmerte die Erkenntnis, daß diese Flucht nicht unbedingt das Vernünftigste war, was ich hatte tun können. Wenn es mir wenigstens gelungen wäre, die Astronomin mitzunehmen.
Marianne Sydow Du hättest zuerst ihre Beine losbinden sollen. Danke für den guten Rat! Dachte ich wütend. Er kommt ein wenig spät. Ich entdeckte einen Busch mit starken, schräg aufwärts strebenden Ästen und beschloß, an ihm hochzuklettern. Vielleicht konnte ich wenigstens eine Quelle entdecken. Als wäre dieser Entschluß ein Stichwort gewesen, raschelte es neben mir, dann tauchte ein runder, von weichem, grauem Fell bedeckter Kopf auf. Schwarze Knopfaugen musterten mich kurz. Ein zweites Tier hangelte an einem Zweig entlang und landete direkt neben meinen Füßen. Ich sprang zurück und duckte mich kampfbereit, als weitere Tiere eintrafen. Aber die Wesen verhielten sich ruhig, und als eines von ihnen auf mich zukam und leise zwitschernd die Vorderfüße hochreckte, war ich beruhigt. »Nett von dir, daß du mir deine Familie zeigst«, sagte ich. »Leider muß ich jetzt gehen.« Das Tier hüpfte auf und ab, zwitscherte aufgeregt und deutete auf die Stelle, an der der Tunnel durch einen dienten Blättervorhang abgeschlossen war. Ich zuckte bedauernd die Schultern. Unter anderen Umständen hätte ich gerne nachgesehen, was dieses offensichtlich halbintelligente Wesen mir zeigen wollte, aber ich hatte es eilig. Je eher ich aus diesem Dickicht herauskam, desto schneller konnte ich der Wagenkolonne folgen. Denn inzwischen hatte ich längst erkannt, daß das meine einzige Chance war: Ich mußte eines dieser stinkenden Fahrzeuge erobern, um mit ihm auf dem schnellsten Wege zur ISCHTAR zurückzukehren. Das Tier war mit meinen Plänen nicht einverstanden. Als ich mich zum Gehen wandte, sprang es hoch und klammerte sich mit seinen vier Beinen an meinen Arm. Ich wollte es abschütteln, aber es blickte so flehend zu mir auf, daß ich es nicht übers Herz brachte, es zu verletzen. Es schnupperte aufgeregt an meinem Handgelenk, fuhr mit der Zunge über die Schrammen und stieß einen
Eine Welt für Akon-Akon kurzen, alarmierenden Laut aus. Seine Artgenossen reagierten sofort. Die eine Hälfte zog mit Zähnen und Pfoten die Zweige auseinander, die anderen drückten sich gegen meine Beine und gaben mir zu verstehen, daß ich weitergehen solle. Ich gab schließlich nach. Wenn diese kleinen Kerle die Geduld verloren, konnten sie mich schlimm zurichten. Die Blätter teilten sich vor mir, und ich sah endlich, wohin die Tiere – falls es wirklich welche waren – mich bringen wollten. Der Tunnel endete ein paar Schritte entfernt an einem Felsen, und genau vor mir lag der Eingang zu einer Höhle. Die Tiere schoben mich noch kräftiger vorwärts. Ich mußte mich bücken, um den Hohlraum betreten zu können. Vor mir raschelte und zwitscherte es in der Dunkelheit, dann wurde es plötzlich hell. Verblüfft blieb ich stehen. Jetzt war mir endgültig klar, daß es außer den Spitzköpfen noch eine zweite intelligente Rasse auf diesem Planeten gab. Die Pelzwesen hatten zwar noch keine Technik entwickelt, aber sie kannten immerhin den Gebrauch des Feuers. Ich wurde in die große Höhle hineingeschoben, dann ließen die kleinen Fremden von mir ab. Eines – vielleicht das, dem ich zuerst begegnet war – lief auf den Hinterbeinen zu einem weichen Blätterhaufen und machte eine einladende Bewegung. Ich zögerte nicht länger. Das Pochen war schmerzhafter geworden, und ich war so müde, daß ich kaum noch die Augen offenhalten konnte. Als ich mich auf den Blättern ausstreckte, merkte ich noch, daß zwei Pelzwesen mit ihren Zungen meine Handgelenke bearbeiteten, dann schlief ich ein.
6. Den nächsten Tag und die darauffolgende Nacht verbrachte ich in einem eigenartigen Dämmerzustand. Ich hörte das Zwitschern der Fremden um mich herum, spürte manch-
41 mal, wie etwas Kühles mich berührte, trank automatisch aus einer Schale, die mir an die Lippen gehalten wurde und sank dann wieder in eine formlose Dunkelheit zurück. Ab und zu versuchte der Logiksektor, mich mit seinen drängenden Impulsen zu wecken, aber ich verschloß mich dieser inneren Stimme. Dabei waren die Bedenken des aktivierten Gehirnteils durchaus berechtigt. Die Tiere hatten erkannt, daß ich krank oder verletzt war. Sie wollten mir helfen. Diese Absicht war sicher lobenswert, aber es war sehr fraglich, ob die Mittel, die sie anwandten, nicht eher dazu geeignet waren, mich endgültig umzubringen. Sie waren es nicht. Als ich endlich zum erstenmal richtig aufwachte, fühlte ich mich zwar geschwächt, aber die Schmerzen waren verschwunden. Ich entdeckte etwas Weißes an meinen Handgelenken und sah verblüfft diesen Verband an. Es schien sich um Blütenblätter zu handeln. Sie waren geschickt mit dünnen Pflanzenfasern befestigt worden. Ich wollte nachschauen, wie es darunter aussah, aber sofort war einer der Fremden zur Stelle. Das kaum kniehohe Wesen legte seine Vorderhand auf den Verband und sah mich ernst an. Erst jetzt bemerkte ich, daß die Hände dieser kleinen Kerle erstaunlich gut ausgebildet waren. Ich ließ den Verband in Ruhe und sah mich endlich gründlich um. Die Höhle war hoch und geräumig. Ganz oben, im Mittelpunkt der Wölbung, gab es eine Öffnung, durch die der Rauch der beiden kleinen Feuer abziehen konnte. Durch andere Löcher in den Seitenwänden drangen Licht und frische Luft herein. Es war nicht zu übersehen, daß diese »Fenster« und auch die Wände der Höhle nicht ausschließlich natürlichen Ursprungs waren. Hier hatte man geschickt nachgeholfen. Die Fenster waren schräge, leicht nach unten führende Röhren. Der Regen konnte nicht eindringen. In den Wänden gab es zahlreiche Nischen, die von Laubhaufen ausgefüllt waren. An anderen Stellen waren Vorräte aufgestapelt,
42 trockenes Holz für die fast rauchlos brennenden Feuer, Nüsse, Früchte, getrocknete Kräuter. Über den Feuern hingen Fleischstücke an dünnen Spießen, daneben Töpfe, von denen ein gar nicht unangenehmer Geruch aufstieg. Kein Zweifel, bei diesen Wesen, die ich gefühlsmäßig immer noch als possierliche Tiere ansah, handelte es sich um Primaten, die den entscheidenden Schritt in ihrer Entwicklung bereits hinter sich gebracht hatten. Im Vergleich mit den fischäugigen Spitzköpfen erschienen mir meine neuen Freunde fast menschlich. Der Kleine hatte meinen Blick zu den Feuern bemerkt und sprang eilig davon. Als er in der Gesellschaft zweier Artgenossen zurückkehrte, balancierte er eine Schale mit dampfender Suppe zwischen den Händen. Ein anderer brachte Wasser, der dritte ein Stück Fleisch. Ich machte mich mit Heißhunger über diese Mahlzeit her. Das Fleisch war zäh und innen noch halb roh, aber die Suppe schmeckte um so besser. Sie war stark gewürzt, ziemlich fett, und kleine, helle Brocken schwammen darin – Speck, wie ich annahm. Ich fühlte förmlich, wie meine Kräfte zurückkehrten. Das gleiche tat auch eine Gruppe der Pelzwesen, die offensichtlich auf Nahrungssuche gegangen waren. Als ich den Korb mit dicken, weißen Würmern sah, ahnte ich schon etwas. Ich sah nicht hin und löffelte verbissen weiter. Erst als ich sicher war, daß die Suppe unten bleiben würde, blickte ich wieder zum Feuer. Zwei zwitschernde Eingeborene waren eifrig mit den Würmern beschäftigt, rissen ihnen die Köpfe ab und warfen die sich ringelnden Wesen in einen Topf mit kochendem Wasser. Zwei andere schütteten zerriebene Blätter und allerlei anderes Zeug dazu. Meine drei Zuschauer freuten sich, daß es mir geschmeckt hatte. Sie deuteten mit glänzenden Augen auf den Topf, klopften sich auf den Bauch und zwitscherten zufrieden. Ich schluckte kurz. Dann kam mir der Gedanke, daß ich mich für ihre Hilfe wohl oder übel revanchieren mußte. Hätte ich mehr Zeit gehabt, dann wäre das einfach gewesen.
Marianne Sydow Ich konnte ihnen eine ganze Menge beibringen. Aber die Zeit brannte mir unter den Nägeln. Sorgfältig durchsuchte ich sämtliche Taschen, die sich in meiner Kleidung fanden. Ich förderte einen Impulsschlüssel zutage, einen Fettstift, zwei zerdrückte Taschentücher und ein Feuerzeug. Die drei Fremden sahen mir neugierig zu. Ich dachte, das Feuerzeug wäre ein passendes Geschenk und führte es ihnen vor. Sie verstanden mich falsch. Einer holte eine Handvoll Blätter, einen Stein und einen merkwürdigen, spitzen Dorn, hantierte damit ein paar Sekunden lang herum, und schon flackerte ein kleines Feuer auf. »Das könnt ihr also bestens«, murmelte ich. »Um so besser. Das Feuerzeug werde ich vielleicht noch brauchen können. Wie wäre es damit?« Ich zeichnete mit dem Fettstift eine Linie auf den Boden. Die Fremden schnatterten aufgeregt. Ich drückte einem von ihnen den Stift in die Hand, und er hüpfte wie ein Gummiball auf und ab. Dann besann er sich, zeichnete unbeholfen ebenfalls eine Linie und gab mir den Stift zurück. Ich schüttelte den Kopf, machte eine Bewegung mit dem Arm, der die ganze Höhle umfaßte und deutete auf den Stift. Der Fremde begriff augenblicklich. Das schlechte Gewissen plagte mich sehr. Der Stift war nicht mehr sehr lang und würde schnell aufgebraucht sein. Aber was sollte ich tun? Mit dem Impulsschlüssel konnten die hilfsbereiten Fremden noch weniger anfangen. Sie waren niedergeschlagen, als ich ihnen bedeutete, daß ich nun wirklich gehen müßte. Inzwischen hatte ich herausgefunden, daß zwei von denen, die mir das Essen gebracht hatten, Weibchen waren. Sie schienen zu dem kleinen Mann zu gehören, der immer noch wie verzaubert den Stift anstarrte. Sie zwitscherten aufgeregt, als ich die Hände über den Kopf hob und mit einer kurzen Pantomime begann. Es dauerte eine Weile, bis sie mich verstanden hatten, dann war ih-
Eine Welt für Akon-Akon re Anteilnahme um so größer. Sie glaubten, mein Weibchen sei von den Spitzköpfen entführt worden und hatten größtes Verständnis dafür, daß ich ihm nacheilen wollte. Die fischäugigen Angreifer kannten sie offensichtlich, und sie hatten Angst vor ihnen. Trotzdem wollten sie mich begleiten. Nur mit Mühe brachte ich sie von diesem Vorhaben ab. Erstens würden sie mir kaum helfen können, zweitens war die Gefahr groß, daß durch ein solches Eingreifen die offensichtlich kriegerischen Bewohner der schwimmenden Städte auf die kleinen Fremden aufmerksam wurden. Der Gedanke, die Explosivgeschosse könnten in die Siedlung der freundlichen Pelzwesen einschlagen, jagte mir Schauer über den Rücken. Sie bestanden darauf, mir wenigstens etwas Fleisch und ein paar Nüsse mitzugeben und brachten mich bis zu der groben Piste, auf der ich den Wagen verlassen hatte. Dann verschwanden sie betrübt hinter den Zweigen. Kein Geräusch war zu hören, als sie behende zu ihrer Höhle zurückkehrten. Ich atmete tief durch, besah mir die Spuren und machte mich auf den Weg. Die Fahrzeuge hatten kein allzu hohes Tempo vorlegen können, dazu war diese Straße zu schlecht. Trotzdem würde es einige Zeit dauern, bis ich sie eingeholt hatte, wenn ich es überhaupt schaffte. Es war ein verzweifelter Versuch, nicht mehr und nicht weniger. Wenn Akon-Akon inzwischen auf die Idee kam, Ketokh zu verlassen, hatte ich Pech gehabt. Immerhin war der Weg so breit, daß man ihn auch aus der Luft entdecken mußte. Sollte doch ein Beiboot ausgeschickt werden, um uns zu suchen, so waren meine Chancen nicht schlecht. Die Sonne stieg höher, während ich in gleichmäßigem Trott den Spuren der Spitzköpfe folgte.
* Es wurde unangenehm heiß. Rechts und links dehnte sich der Buschwald aus, nur selten von Grasflächen durchbrochen. Nir-
43 gends gab es Wasser, obwohl der Boden feucht, stellenweise sogar morastig war. Geh zurück, mahnte das Extrahirn mehrmals. Der Weg zur Siedlung ist auf jeden Fall kürzer. Die Fahrt kann nicht länger als etwa vier Stunden gedauert haben. Anfangs achtete ich auf die lautlose Stimme gar nicht. Erstens war ich im Augenblick frei von Akon-Akon – das war ja auch etwas wert. Zweitens fuhr irgendwo dort vorne Algonia Helgh einem ungewissen Schicksal entgegen. Ich konnte sie nicht im Stich lassen. Aber es wurde dämmerig, und noch immer gab es kein Geräusch, Keine Spur, die auf eine Annäherung an die Wagenkolonne hingewiesen hätte. Allmählich kamen auch mir Zweifel daran, daß mein Verhalten noch etwas mit Vernunft zu tun hatte. Mein Durst war kaum noch zu ertragen, und die Nüsse hatte ich längst aufgegessen. Meine Füße wurden schwer, es zeigte sich, daß ich mich längst nicht lange genug ausgeruht hatte. Apathisch trabte ich in den Reifenspuren entlang, während die Farben der Büsche zu beiden Seiten zu einem formlosen Grau zusammenschmolzen und die gleißenden Sterne sichtbar wurden. Es klirrte. Ich blieb erschrocken stehen. Nichts. Hatte ich mich getäuscht, war das Geräusch nur in meiner Phantasie vorhanden? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, in der eintönig grauen Dämmerung Einzelheiten des vor mir liegenden Weges zu erkennen. Mir kam es so vor, als sei einer der klumpenförmigen Büsche dunkler und regelmäßiger geformt als die anderen. Dann klirrte es wieder, und diesmal identifizierte ich die Richtung genau. Vorsichtig glitt ich an den Rand des Weges und duckte mich in den Schatten der Sträucher. Geduckt schlich ich weiter, und nach wenigen Metern erkannte ich, daß dort vorne tatsächlich ein Wagen der Spitzköpfe stand. Das Fahrzeug war allem Anschein nach vom Weg abgekommen und hatte sich zur Hälfte in das Dornengeflecht geschoben.
44 Die hintere Tür der Ladefläche stand offen. Als ich den Wagen erreicht hatte, erkannte ich auch den Ursprung des Klirrens: Eine kurze Kette wurde von den Zweigen berührt und bei jedem Windhauch gegen die metallische Außenwand gestoßen. Ich war dem Fahrzeug jetzt so nahe, daß ich die Räder hätte berühren können. Im Schutz der Zweige blieb ich liegen und lauschte atemlos. Es gab kein Geräusch, das auf die Anwesenheit der Spitzköpfe hinwies. Das Fahrzeug war zurückgelassen worden. Vielleicht war es so schwer beschädigt, daß eine Reparatur sich nicht mehr lohnte, oder man wollte es später nachholen. Sicher hatten die Fremden es eilig, Algonia Helgh an ihren Bestimmungsort zu bringen. Es gibt noch eine Möglichkeit, bemerkte das Extrahirn. Die Burschen haben Verdacht geschöpft. Für den Fall, daß du noch am Leben bist, haben sie Fallen aufgestellt. Es ist nur logisch, ein Fahrzeug als Köder zu benutzen. Das mochte stimmen, aber ich konnte es mir nicht leisten, eine solche Gelegenheit einfach verstreichen zu lassen. Fast geräuschlos kroch ich an dem Wagen entlang. Der vordere Teil war so fest zwischen den Zweigen eingeschlossen, daß ich mir keine Hoffnungen machte, diese lebende Mauer unbemerkt zu durchstoßen. Andererseits erhöhte sich in meinen Augen die Wahrscheinlichkeit dafür, daß das pessimistische Extrahirn sich irrte. Es gab noch einen Weg. Er führte unter dem Wagen hindurch. Die Räder waren ziemlich hoch – verständlich, wenn man bedachte, welch unwegsames Gelände die Spitzköpfe damit durchfuhren. Abgebrochene Äste ragten aus dem Boden, und ich holte mir etliche blutige Schrammen, aber ich kam bis zu der Stelle, an der ich den Einstieg zur Fahrerkabine vermutete. Ich nahm jetzt nicht mehr so große Rücksicht auf etwa vorhandene Spitzköpfe. Sie hätten mich längst ergreifen können. Mit beiden Händen drängte ich die Zweige auseinander und
Marianne Sydow richtete mich auf. Das Fenster zur Fahrerkabine war offen. Ich erblickte die unbequeme, sehr niedrige Sitzbank – sie war leer. Die Armaturen über dem sternförmigen Gebilde, das offensichtlich der Lenkung diente, verschwammen in der Dunkelheit, und selbst wenn ich sie hätte erkennen können, wären sie für mich unverständlich gewesen. Aber das machte nichts aus. Ich würde so lange herumexperimentieren, bis ich den Wagen in Gang gesetzt hatte. Triumphierend packte ich den Türgriff und zog daran. Die Falle der Fremden war komplizierter, als ich gedacht hatte. Als ich den Türgriff berührte, geschahen so viele Dinge auf einmal, daß ich nur die Hälfte davon mitbekam. Ein durchdringendes Heulen zerriß die Stille, gleichzeitig flammten Scheinwerfer auf. Ein scharfer Schmerz durchzuckte meine Hand, als sich eine metallene Klammer um sie schloß. Irgend etwas packte meine Beine und hob mich hoch, bis ich waagerecht neben dem Wagen hing. Und dann fiel ein nasses, stinkendes Tuch über mich. Ich schlug mit der freien Hand danach und erreichte nichts, wenn man davon absah, daß eine zweite Klammer zuschnappte und mir fast die Finger zerquetschte. Ich wurde herumgeschleudert und schlug mit dem Schädel gegen die Wagenwand, und damit war das Maß dessen, was mein Körper mitzumachen gewillt war, erfüllt. Als ich wieder zu mir kam, war es finster um mich herum. Ich versuchte die Hände zu bewegen, aber die Fesseln waren wieder an Ort und Stelle, und diesmal bestanden sie nicht aus einem einfachen Strick, sondern aus einer metallenen Kette, die tief einschnitt und mir bei jeder unbedachten Bewegung Schmerzen bereitete. Meine Füße steckten in einer Klammer, die fest an der Wagenwand befestigt waren. Das Fahrzeug raste mit beträchtlicher Geschwindigkeit über den holperigen Weg, und ich konnte die Schwankungen nicht einmal dadurch ausgleichen, daß ich mich auf der fauligen
Eine Welt für Akon-Akon Unterlage hin und her rollen ließ. Diese Spitzköpfe wurden mir zunehmend unsympathisch. Daß sie mich mit ihrer Falle überlistet hatten, hätte ich ihnen noch verzeihen können, aber die Art und Weise, in der sie mich eingefangen hatten und nun weitertransportierten, war nicht eben zartfühlend. Sie kümmerten sich vorläufig nicht um mich. Unaufhaltsam raste der Wagen weiter, krachte in tiefe Schlaglöcher, sprang über Bodenwellen, ächzte, quietschte und brachte mir bei jeder Bewegung schmerzhaft zu Bewußtsein, wie dieses arg strapazierte Gefährt würde unter der Belastung zu einem Haufen Schrott zusammenfallen, erfüllte sich nicht. Das graue Licht der Dämmerung sickerte durch die Ritzen der Seitenwände, dann stieg die Sonne höher, und die Hitze verwandelte mein fahrendes Gefängnis in ein Dampfbad. Halb besinnungslos hing ich fest und wartete sehnsüchtig auf das Ende dieser irrsinnigen Fahrt. Als die Tür endlich aufschwang, nahm ich es kaum noch wahr. Jemand löste die Klammer um meine Füße und ersetzte sie durch eine zweite Kette, dann hob man mich hoch und trug mich über grauen, staubigen Boden, warf mich in einen anderen Wagen und knallte die Tür wieder zu. Kühle Hände berührten meine Stirn, ich blinzelte und sah im Halbdunkel das herbe Gesicht der Astronomin über mir. Algonia Helgh stützte mich und flößte mir eine unappetitliche Flüssigkeit ein. Das Zeug roch wie der Inhalt einer Kloake und schmeckte dementsprechend. Anschließend wurde es dunkel um mich.
* Die Plane der rechten Seitenwand war zur Halfte hochgezogen, und frische Luft wehte herein. Die Sonne stand schon tief und beschien eine weite, wilde Landschaft, die von schillernden Sümpfen und dazwischen aufragenden weißen Felsnadeln bestimmt wurde.
45 Wir hatten einen Wächter bekommen. Der Spitzkopf hockte in der hintersten Ecke des Wagens, dort, wo ihn die Sonne nicht erreichen konnte. Auf seinen Knien lag eine schwere, klobige Waffe. Starre Fischaugen betrachteten uns. Sonst war von diesem Wesen nichts zu sehen, denn sein gesamter Körper wurde von einer feuchten Schutzhülle umgeben. »Wir werden gleich etwas zu essen bekommen«, sagte Algonia Helgh. »Sie halten viermal am Tag an und machen eine kurze Rast.« Ich schwieg und zerbrach mir vergeblich den Kopf darüber, was ich nun noch unternehmen konnte. Mir fiel nichts ein. Ich hoffte, am Ende der Reise, die zweifellos direkt zu einem der Brückenköpfe an der Küste führte, eine neue Gelegenheit zur Flucht zu erhalten. Diesmal wollte ich mich besser vorbereiten. Der Wagen hielt an, und vier Spitzköpfe kletterten auf die Ladefläche. Man nahm uns die Fußfesseln ab und half uns auf den Boden hinab. Je zwei Fremde blieben ständig bei uns, und sie ließen uns keinen Augenblick aus den Augen. Für meinen Wunsch, mich hinter einen Busch zurückziehen zu dürfen, zeigten sie mäßiges Verständnis. Das hinderte sie jedoch nicht daran, mich zu begleiten. Nachdem man meinte, uns genug Auslauf geboten zu haben, brachte man uns in den Wagen zurück. Die Fußfesseln wurden wieder festgezogen und sorgfältig überprüft. Ein paar Minuten später näherten sich zwei andere Spitzköpfe mit flachen Schüsseln, in denen ein olivgrüner Brei wabbelte. Das Zeug roch und schmeckte noch schlimmer als das Getränk, das man uns in zerbeulten Bechern kredenzt hatte. Mit wahrer Sehnsucht dachte ich an die Wurmsuppe der kleinen Pelzwesen zurück. Die Spitzköpfe stopften uns solange Klumpen von diesem Brei in den Mund, bis wir angewidert den Kopf zur Seite bogen. Kommentarlos hoben sie ihre Schüsseln wieder hoch, setzten sich auf den Rand des
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Marianne Sydow
Fahrzeugs und verzehrten mit großartigem Appetit die Reste. Ein paar Minuten später wurde die Fahrt fortgesetzt. So ging es fast zwei Tage lang. Wir litten unter Übelkeit und Kopfschmerzen, die Fesseln scheuerten uns die Haut auf, aber die Fremden ließen sich durch solche Kleinigkeiten nicht beeindrucken. Meine Versuche, eine Verständigung herbeizuführen, scheiterten kläglich. Vielleicht wäre die Pfeifsprache der Spitzköpfe trotz mancher Schwierigkeiten erlernbar gewesen, aber da sie auf jeden Versuch, ein Gespräch zu beginnen, abweisend reagierten, konnte ich das nicht nachprüfen. Endlich schienen wir uns unserem Ziel zu nähern. Das erste Anzeichen dafür bestand in der Straße, auf die ' wir einbogen. Sie war nicht besonders breit, dafür aber befestigt. Andere Fahrzeuge tauchten auf, schrille Pfiffe hallten zu uns herüber. »Riechen Sie mal«, meinte Algonia Helgh und vergaß vorübergehend die Magenkrämpfe, die eine Folge der letzten Mahlzeit darstellten. »Wir müssen ganz nahe am Meer sein!« Im nächsten Augenblick bog der Wagen um eine Kurve, und die Steilküste lag vor uns. Die Straße führte an den Felsen entlang nach unten, wo in einer Bucht eine häßliche kleine Stadt lag. Auf dem Wasser trieben Schiffe aller Größenklassen, und in den Straßen wimmelte es von Spitzköpfen.
7. »Nimm deine Finger aus meinem Gesicht!« fauchte ich den vor mir stehenden Spitzkopf wütend an. Der Fremde trat einen Schritt zurück und klappte seinen breiten, mit spitzen Zähnen besetzten Rachen auf. Ein schrilles Pfeifen erklang. »Die Kerle schrecken vor nichts zurück!« zischte Algonia neben mir empört. Wir standen auf einem kleinen Platz mitten in der häßlichen Stadt. Unsere Fesseln waren mit einem aufrecht stehenden Pfahl
verbunden. Um uns herum hatten sich zahlreiche Spitzköpfe versammelt, die uns offensichtlich als Raritäten bewundern wollten. Sie beschränkten sich aber nicht auf das Betrachten, sondern wurden ziemlich handgreiflich bei ihren Bemühungen, unseren Körperbau zu untersuchen. »Wollen die uns etwa verkaufen?« fragte die Astronomin unsicher. »Möglich ist alles«, gab ich zurück und wich der feuchtkalten Hand eines Eingeborenen aus, der unbedingt herausbekommen wollte, wie es hinter meinem rechten Ohr aussah. »Hoffentlich erzielen sie einen guten Preis. Wenn wir als Wertgegenstände eingestuft werden, behandelt man uns wenigstens gut.« »Da kommt einer, der aussieht, als sei er bedeutend«, machte ich meine Gefährtin aufmerksam. Algonia Helgh blickte in die angegebene Richtung und grinste. »Gewicht hat er jedenfalls«, kommentierte sie spöttisch. Ein ungeheuer dicker Spitzkopf wälzte sich heran. Auch er trug die feuchten Schutzhüllen, ohne die diese Wesen sich offensichtlich an Land nicht wohl fühlten, und diese Kleidung ließ ihn noch unförmiger erscheinen. Der Dicke war nicht allein. Einige Eingeborene, die erstens bewaffnet und zweitens absolut gleich gekleidet waren, begleiteten ihn und beobachteten aufmerksam die Umgebung. Die anderen wichen diesem Zug aus. »Er kommt her«, murmelte die Astronomin. »Wenn wir wenigstens einen Translator hätten!« »Ein Impulsstrahler täte es zur Not auch. Haben Sie sich den Weg zu dem Platz gemerkt, auf dem die Wagen abgestellt wurden?« »Ich kann ihn sogar sehen. Es scheint, als hätte man bereits die nächste Reise vor. Die Eingeborenen laden große Kisten auf. Meinen Sie, daß die uns noch eine einzige Gelegenheit zur Flucht bieten?«
Eine Welt für Akon-Akon »Freiwillig bestimmt nicht«, murmelte ich wütend, dann bemerkte ich, daß der Dicke mich intensiv anstarrte. Neben ihm tauchten zwei Frauen auf. Ich nahm jedenfalls an, daß es sich bei ihnen um weibliche Wesen handelte. Sie unterschieden sich in nichts von den anderen, aber sie waren zierlicher. Die meisten Eingeborenen mochten etwa einssiebzig groß sein, die Frauen waren zwanzig Zentimeter kürzer. Andere Unterschiede zwischen den Geschlechtern ließen sich nicht erkennen, was schon durch die dicke Schutzkleidung bedingt war. Der Dicke lauschte den pfeifenden Kommentaren seiner Begleiterinnen. Ich riß mich zusammen und gab mir Mühe, möglichst freundlich auszusehen – wobei es unklar blieb, ob die Spitzköpfe einen solchen Gesichtsausdruck überhaupt erkannten. Wenn der Dicke uns kaufte, hatten wir vielleicht doch noch eine Chance. Er sah so aus, als wäre er einem guten Geschäft niemals abgeneigt, und wenn wir auch nichts bei uns trugen, was wir gegen unsere Freiheit einzutauschen vermochten, so kannten wir doch einige technische Tricks, die diesen, Wesen imponieren mußten. Zu meiner Enttäuschung reagierte der Spitzkopf gar nicht. Er glotzte uns mit mäßigem Interesse an, dann marschierte er weiter und verlor sich in der Menge der Schaulustigen. Kurze Zeit später band man uns von den Pfählen los und führte uns durch die engen, schmutzigen Straßen zu einem kastenförmigen Gebäude. Die ästhetischen Begriffe der Fremden mußten auf einem ganz anderen Schema beruhen, als es bei uns der Fall war. Sie bevorzugten würfelförmige Gegenstände. Ihre Wagen glichen klobigen Kästen auf Rädern, die Schiffe waren eckig, die Häuser auch. Vielleicht sah es in anderen Städten anders aus, hier jedenfalls gab es keine einzige geschwungene Linie. Die Farben trugen nur dazu bei, das Bild trübsinnig zu gestalten. Grau und Braun herrschten vor, es gab keine Verzierungen, keinen bunten Fleck.
47 Wir kamen auf eine breitere Straße. Wagen rollten an uns vorbei, schlammbeschmiert und mit Kisten und Säcken beladen. Sie fuhren zum Hafen hinunter. Diese Siedlung war offensichtlich nur ein Umschlagplatz für Waren aller Art und ein Depot für die Soldaten, die die Raubzüge ins Landesinnere veranstalteten. Von einem hallenähnlichen Gebäude blieben wir stehen. Ein Eingeborener steckte den Kopf aus einer Luke und tauschte mit unseren Begleitern unverständliche Bemerkungen, dann glitt eine Tür vor uns auf. »Ein gemütliches Heim«, bemerkte Algonia Helgh sarkastisch. Die Luft war mit Feuchtigkeit übersättigt. Alles tropfte, und der Boden unter unseren Füßen war glitschig. Hinter wogenden Dampfwolken sahen wir die Silhouetten zahlreicher Eingeborenen. Unsere Begleiter stießen uns vorwärts. Über schmale Stege führten sie uns zwischen den in den Boden eingelassenen Bassins, in denen ihre Artgenossen sich ausruhten. Ein feiner Sprühregen ging auf uns hernieder. »Wenn wir uns hier wohl fühlen sollen, müssen wir uns Kiemen anschaffen«, murmelte ich und hielt mich gerade noch an einem von Algen überzogenen Geländer fest. Der Spitzkopf, der in dem angrenzenden Becken saß, ließ ein schrilles Pfeifen hören. Zum erstenmal erblickte ich eines der Wesen ohne seine panzerartige Umhüllung. Der Körper war zylindrisch, etwa einen halben Meter. dick und mit bläulich schimmerndem, kurzem Pelz bedeckt, an dem das Wasser herabperlte. Dieser Körper lief nach oben spitz zu. Die Grenze zwischen Rumpf und Kopf war nicht erkennbar, da kein Hals vorhanden war. Die eine Hälfte der Spitze trug den großen, mit spitzen Zähnen besetzten Rachen, daneben saßen die großen, starren Fischaugen. Auf dem Hinterkopf gab es noch eine Öffnung – wahrscheinlich ein Atemloch. Ganz oben auf der Kopfspitze saß das münzgroße, gelblich leuchtende Organ, das mir schon einmal aufgefallen war. Seine Bedeutung war nicht erkennbar. Zwei
48 kurze Arme ragten rechts und links ungefähr in halber Höhe aus dem Zylinderkörper, Hände und Füße waren flossenförmig und in vier Ausläufer mit verdickten Haftenden unterteilt. Schön waren diese Wesen wahrhaftig nicht. Das ist relativ, meldete sich der Logiksektor sofort. Wir durchquerten die ganze Halle, ehe wir endlich in einen weniger feuchten Raum gelangten. Unsere Begleiter bedeuteten uns, daß wir hier warten sollten. Die Tür krachte hinter uns ins Schloß, und wir sahen uns ratlos an. »Was bedeutet das alles?« fragte Algonia Helgh bedrückt. »Wir sind bereits verkauft worden«, antwortete ich nachdenklich. »Anders läßt es sich nicht erklären, daß man uns in diesen Raum gebracht hat. Ich möchte wetten, daß dieser Dicke unser Besitzer ist.« »Wir sind also Stückgut, das man zur Abholung bereit hält. Wollen Sie sich das einfach gefallen lassen?« Ich seufzte. »Die Frage ist falsch gestellt. Es geht nicht darum, was wir unternehmen wollen, sondern was wir tun können. Die Häuser in dieser Siedlung sind – soweit ich bis jetzt sehen konnte – aus quadratischen Bauteilen von jeweils zwanzig Metern zusammengesetzt. Die Halle ist mindestens sechzig Meter lang. Die Strecke, die wir senkrecht zur Straße in das Gebäude hinein zurückgelegt haben, dürfte etwa vierzig Meter betragen. Die Frage ist jetzt, ob die Eingeborenen ihren Quadratfimmel weit genug treiben. Wenn wir Glück haben, sind wir der Rückwand des Gebäudes sehr nahe. Wenn nicht, sind hinten noch etliche Einheiten als Lagerhallen angesetzt.« »Die Wände sehen stabil aus.« »Allerdings. Eine Art Plastikmaterial, nehme ich an. Sie hatten mehr Gelegenheit, die Fremden unterwegs zu beobachten. Haben die Spitzköpfe eigentlich oft mit Feuer hantiert?«
Marianne Sydow Algonia Helgh schüttelte verblüfft den Kopf. »Das fällt mir jetzt erst auf. Ich habe während der ganzen Fahrt kein Feuer gesehen, auch keinen Rauch gerochen. Die Mahlzeiten waren meistens kalt.« »Sie sind Wasserbewohner«, murmelte ich. »Sie können sich auch an Land aufhalten, aber sie brauchen Feuchtigkeit. Wärme dürfte ihnen unangenehm sein. Sie trugen während der Fahrt diese nassen Umhüllungen, und wenn es irgend ging, setzten sie sich dem Fahrtwind aus. Sie brauchen also niedrigere Temperaturen. Würden solche Wesen eine Heizung installieren? Natürlich nicht. Wir befinden uns in einer Klimazone, in der die Temperaturen niemals unter den Gefrierpunkt sinken dürften. In den Städten haben sie natürlich zahlreiche Fabriken, in denen Wärme für alle möglichen Zwecke gebraucht wird. Aber das hier ist offensichtlich ein Gebäude, das nur zum Wohnen dient. Sie dürften kaum eine Sicherung gegen einen Brand vorgesehen haben.« »Sie gehen davon aus, daß die Spitzköpfe Angst vor dem Feuer haben. Aber wie erklären sie sich dann die Hemmungslosigkeit, mit der sie von ihren Waffen Gebrauch machen?« »Das ist etwas anderes. Wir benutzen ja auch Impulsstrahler, und ich habe noch niemanden gesehen, der mit diesen Energien freiwillig herumgespielt hätte. Allein die Tatsache, daß bewaffnete Gruppen in das Landesinnere vorstoßen, beweist, daß sie sich im Kriegszustand mit anderen Völkern ihrer Art befinden. Zur Jagd braucht man schließlich keine Bomben. Aber es sieht nicht so aus, als rechne man in dieser Stadt ständig mit einem Überfall. Nein, sie haben zwar Angst vor dem Feuer, aber sie gebrauchen es so selten, daß es in ihren normalen Lebensbereich kaum vordringt. Wir sollten nachprüfen, ob diese Wände brennbar sind oder nicht.« »Haben Sie ein Feuerzeug?« Ich nickte. »Warum fangen Sie dann nicht an?«
Eine Welt für Akon-Akon »Weil ich mich ungern selbst rösten möchte. Keine Angst, wir haben noch Zeit. Hätte der Dicke uns gleich abtransportieren wollen, so wäre es einfacher gewesen, uns in ein Fahrzeug zu stecken. Wenn man uns statt dessen hier warten läßt, dann nur, weil bis zu unserem Weitertransport noch Zeit vergehen wird.« »Sie rechnen damit, daß man uns fortschafft?« fragte die Astronomin entsetzt. »Wohin?« »Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, daß man uns als eine Art exotischer Handelsware betrachtet. Hier, in dieser provisorischen Siedlung, kann man mit uns nicht viel anfangen. Wer immer uns auch gekauft haben mag, er hatte einen Grund. Entweder wollte er seinen gesellschaftlichen Status erhöhen, indem er etwas Besonderes vorweisen konnte, oder er will uns weiterverkaufen und den Gewinn einstreichen. Beides läßt sich an Ort und Stelle nicht verwirklichen.« Algonia Helgh schüttelte sich. »Eine grauenhafte Vorstellung, als Sehenswürdigkeit herumgereicht zu werden – noch dazu von diesen Fischwesen.« »Ein Spitzkopf wäre auf Arkon eine tolle Partysensation«, gab ich trocken zurück. Dann hörte ich ein Rasseln an der Tür und nickte zufrieden. Mein Zeitsinn hatte mich nicht getäuscht. Es war soweit. Vier Eingeborene betraten unser Gefängnis. Während zwei ihre Waffen auf uns gerichtet hielten, nahmen die beiden anderen uns die Fesseln ab. Sie stellten zwei Schalen mit diesem ekelhaften Brei neben der Tür auf den Boden, dann zwei Becher. Nach einem letzten neugierigen Blick verließen sie uns. Die Tür klappte wieder zu. »Na also«, grinste ich und kramte meine Taschen aus. »Machen Sie das naß.« Algonia Helgh begriff sofort. Sie tauchte die beiden Tücher in das Gebräu. Vorsichtig näherte ich die heiße Spitze des Feuerzeugs der Wand. Das Material kräuselte sich leicht, und ein dünner Rauchfaden kringelte sich zur Decke hinauf. Binnen Sekunden züngelten kleine, bläuliche Flammen hoch.
49 Wir drückten sie mit den nassen Tüchern aus. »Das riecht merkwürdig«, meinte die Astronomin. »Ich möchte wissen, woraus diese Platten bestehen.« Ich zuckte die Schultern und arbeitete weiter. Nach knapp zwei Minuten hatte ich einen fingertiefen Trichter in die Wand gebrannt. Ein Guckloch entstand. Als das Material abgekühlt war, konnten wir sehen, was sich hinter unserem Gefängnis befand. Ich hätte vor Freude am liebsten einen Kriegstanz aufgeführt. Wir blickten in einen großen Hof, auf dem zahlreiche Wagen standen. Links befand sich eine große Durchfahrt. Gegenüber wurden Kisten abgeladen und in eine ähnlich große Halle geschafft. Es dämmerte bereits. In spätestens einer Stunde mußte es dunkel werden – sofern man auf Ketokh überhaupt von Dunkelheit sprechen konnte. Wir warteten gespannt. Die Zeit dehnte sich unerträglich langsam aus. Draußen ließ der Lärm allmählich nach. Nur noch wenige Fahrzeuge rollten in den Hof, und man ließ sie einfach stehen, ohne sie noch zu entladen. Niemand kam an die Rückwand unserer Halle, unser Guckloch blieb unbeobachtet. Endlich schlurfte der letzte Spitzkopf davon. Der Hof lag wie ausgestorben da. Nirgends brannte eine Lampe, und von Wächtern war nichts zu sehen. Die Eingeborenen fühlten sich wirklich sehr sicher in ihrer häßlichen kleinen Stadt! Auch in unserem Gefängnis war es dunkel geworden. Es gab keinen Beleuchtungskörper – jedenfalls sahen wir keinen. Es kam auch niemand, um das schmutzige Geschirr abzuholen. Alles erweckte den Eindruck, als hätte man uns total vergessen.
* Die Luft in dem kleinen Raum war stickig und heiß. Der Rauch brannte in unseren Lungen, aber wir achteten kaum darauf. Wir kannten nur ein Ziel: weg von hier. Wenn meine Vermutungen richtig waren, beab-
50 sichtigte man, uns in eine der schwimmenden Städte zu bringen, und von dort würden wir kaum fliehen können. Eine zweite Chance dieser Art würde sich kaum bieten. Die winzigen Flammen fraßen sich langsam weiter. Eine tiefe Rinne entstand, die allmählich einen Halbkreis über dem Boden bildete. Ab und zu brannte ich ein neues Loch in diese Rinne hinein, damit wenigstens etwas von dem erstickenden Rauch abziehen konnte. Die Arbeit war nicht nur ermüdend und unangenehm, sondern auch gefährlich. Oberhalb einer bestimmten Temperatur entflammte das Material unerhört schnell, und bei dem Absengen der Wand entstand nicht nur Rauch, es wurden auch Gase freigesetzt. Einmal schoß eine Flammenzunge auf mein Gesicht zu, und wir hatten fast unseren gesamten Flüssigkeitsvorrat gebraucht, um den Brand zu ersticken. Seitdem waren wir noch vorsichtiger geworden. Die Rinne schloß sich. Ich schaltete das Feuerzeug, dessen Energievorrat durch diese Aktion noch längst nicht erschöpft war, ab und lehnte mich schweratmend an die Wand. Knisternd erkaltete das erhitzte Material neben mir. Meine Finger waren von kleinen Brandblasen übersät, und mein Kopf dröhnte. Aber das alles erschien mir als unwichtig im Vergleich zu der Tatsache, daß wir auf Ketokh festsaßen, wenn es uns nicht gelang, die ISCHTAR rechtzeitig zu erreichen. Selbst Akon-Akon und seine Launen würden wir gerne wieder in Kauf nehmen, wenn wir nur nicht hilflos auf diesem Planeten zurückblieben. »Ich glaube, wir können es jetzt wagen«, keuchte Algonia Helgh. Ich raffte mich auf und tastete mich an die Stelle heran, an der wir durchbrechen wollten. Dann drückte ich kräftig gegen die Wand – nichts geschah. »Was ist?« »Die Rinne ist nicht tief genug«, antwortete ich. »Helfen Sie mir! Wir müssen es so schaffen. Wenn wir den Rest auch noch durchbrennen, ersticken wir hier drinnen!« Wir schoben und drückten, warfen uns
Marianne Sydow gegen den Teil der Wand, der eigentlich längst hätte herausbrechen müssen, traten mit voller Wucht dagegen – es half nichts. »Durch die Hitze hat das Zeug sich verhärtet«, stellte Algonia Helgh schließlich resignierend fest. Ich sah Sterne vor meinen Augen. Sekundenlang kämpfte ich gegen einen Schwindelanfall an. Mir war klar, was es bedeutete, wenn uns der Durchbruch nicht gelang. Es ging nicht mehr nur um Flucht, sondern um unser Leben. Die Löcher in der Wand waren zu klein, und Belüftungsanlagen gab es nicht. Der Sauerstoffgehalt der Luft mußte schon arg gesunken sein, die Gase kamen hinzu. Wir mußten nach draußen! »Ist noch etwas in den Bechern?« fragte ich. Algonia Helgh klapperte hinter mir herum. »Ein paar Tropfen«, sagte sie leise. Meine Gedanken kamen träge. Hitze steigt nach oben, dachte ich. Das Zeug, aus dem die Wand besteht, ist sehr fest. Es wird kaum abbröckeln, auch keine Tropfen bilden. Es wird eine Explosion geben, warnte das Extrahirn. Die Gase, die sich hier drin angesammelt haben, sind noch harmlos, aber wenn du die halbe Wand in Brand steckst, wird die Grenze überschritten. Dann verwandelst du diesen Raum in eine Bombe. Das Loch, das den obersten Punkt der Rinne bildete, war groß genug, um das Feuerzeug hindurchzuschieben. Aber das Risiko war hoch. Ich mußte das kleine Gerät festbinden und einschalten, ehe ich es hinausließ. Immerhin konnten sich die brennbaren Gase draußen austoben, ohne uns zu gefährden. Es war ein Spiel mit dem Tod, und ich zögerte fast zu lange. Du hast keine Wahl. Hier drin werdet ihr auf jeden Fall ersticken, ehe die Nacht vorbei ist. Und vorher wird kaum jemand nach euch sehen. »Ich brauche eine Schnur oder so etwas«, krächzte ich. Algonia Helgh reichte mir nach einigen
Eine Welt für Akon-Akon Sekunden schweigend eine dünne Kette. »Mein Glücksbringer«, murmelte sie bitter. Ich hakte das Feuerzeug fest. Ehe ich es einschaltete, probierte ich, ob es auch mit der Kette durch das Loch ging. Ich hielt die Luft an, als das Feuerzeug nach unten glitt, an der dünnen Kette hin und her pendelte, dann endlich zum Stillstand kam. Ich ließ erst los, als ich durch die Gucklöcher Licht schimmern sah. Hastig zog ich mich in den Hintergrund des Raumes zurück. Die Astronomin drückte mir schweigend eines der kaum noch feuchten, rußverschmierten Tücher in die Hand. Einige Sekunden vergingen in banger Erwartung, dann flammte es dicht über dem Fußboden auf. Die Flammen schlugen hoch. In wenigen Augenblicken war eine meterhohe Öffnung entstanden. Das Plastikmaterial verhielt sich genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es zerfiel nicht, sondern brannte regelrecht weg. Es flogen nicht einmal Funken hoch. Die Flammen knisterten und zischten, während sie sich nach allen Seiten weiterfraßen. Die Hitze wurde unerträglich. Vor meinen Augen wallten dunkle Schleier. Das Feuer verzehrte den Sauerstoff viel zu schnell. Das brennende Loch hatte eine Höhe von zwei Metern und ungefähr dieselbe Breite erreicht, als ein Windstoß erstickenden Qualm zu uns hereintrug. Die Entscheidung ließ sich nicht länger aufschieben. Ich zog Algonia Helgh mit mir. Durch den Rauch erkannte ich die Öffnung, den grellen Flammenbogen über uns. Meine Augen tränten, und die Gesichtshaut zog sich zusammen, als wir unter diesem Bogen hindurchsprangen. Der Hof war mit großen Steinen gepflastert. Ich schlug hart auf, rollte mich weiter und kam taumelnd auf die Beine. Die Welt drehte sich in rasendem Tempo um mich herum. Ich schüttelte unwillig den Kopf, und diese Bewegung brachte mich umgehend wieder zu Fall. Diesmal blieb ich liegen, atmete tief durch und wartete, bis die scheinbar rotierenden Sterne zum Stillstand ka-
51 men. Dann richtete ich mich vorsichtig auf. Algonia Helgh lag ein paar Schritte von mir entfernt. Der Brand hatte sich ausgedehnt und legte die Rückwände anderer Räume frei. Auch die Abtrennungen nach drinnen wurden jetzt von den Flammen erfaßt. Mir wurde etwas flau im Magen. Das Gebäude war so gut wie verloren. Selbst die hohe Feuchtigkeit im Wohnbereich der Spitzköpfe konnte den Brand nicht eindämmen, und die Berieselungsrohre verliefen mindestens einen Meter unter der Decke. Die Fahrzeuge! Der scharfe Impuls des Extrahirns riß mich aus der halben Benommenheit. Ich riß die Astronomin hoch. Sie stöhnte, schwankte stark, torkelte dann aber aus eigener Kraft weiter. Wir kamen an einen der kastenförmigen Wagen. Ich riß die Tür auf und schob Algonia Helgh in die Kabine. Inzwischen hatte ich eine schwache Ahnung davon, wie diese Wagen bedient werden mußten. Einige Male war bei unserem Transport ein Fahrzeug neben uns hergefahren, und ich hatte gesehen, wie die Spitzköpfe an den seltsamen Hebeln hantierten. Bis jetzt war nur etwa eine Minute vergangen. Die Spitzköpfe merkten zu spät, was sich über ihnen zusammenbraute. Als die ersten von ihnen schreiend und pfeifend aus den umliegenden Gebäuden rannten, hatte ich eben den Anlasser gefunden. Mit einem urwelthaften Röhren sprang der Motor an. Ich drückte vorsichtig den Knüppel nach vorne, der meiner Meinung nach die Beschleunigung regelte. Der Wagen machte einen Satz nach vorne und raste auf eine Reihe anderer Fahrzeuge los. Im letzten Augenblick gelang es mir, das Gefährt in eine halsbrecherische Kurve zu zwingen. Die Einfahrt tauchte vor mir auf. Dutzende von Spitzköpfen drängten in den Hof. Sie sahen das Fahrzeug auf sich zukommen und warfen sich schreiend zur Seite. Der Wagen schlingerte und stieß mit dem hinteren Teil des Aufbaus gegen eine Mauerkante. Die Astronomin klammerte sich krampfhaft fest und starrte geradeaus. Ich
52 bemühte mich verzweifelt, unser Tempo zu verringern, aber die plumpen Hände der Spitzköpfe mußten erstaunlich feinfühlig sein. Die geringste Manipulation an dem bewußten Hebel reichte aus, um den Wagen wie ein wildes Tier bocken und hüpfen zu lassen. Die Straße war breit genug für meine laienhaften Manöver, aber als ein ganzer Konvoi von schweren Lastfahrzeugen uns entgegenkam, wurde es brenzlig. Das Ziel dieser Fahrzeuge war unverkennbar der Ort, an dem der Brand ausgebrochen war. Die Ladeflächen waren von dicken Kanistern bedeckt. Trauben von Eingeborenen hingen an den seitlichen Anbauten und pfiffen so laut, daß sie sogar das Dröhnen der Motoren übertönten. »Festhalten!« warnte ich, was völlig überflüssig war. Ich tippte den Beschleunigungshebel an – der Wagen blieb stehen, als wäre er gegen eine Mauer geprallt. Der Ruck warf mich nach vorne. Urplötzlich fand ich mich auf dem harten Straßenpflaster wieder. Donnernd und pfeifend rasten die Lastwagen an uns vorbei. Zu meiner grenzenlosen Überraschung kümmerte sich niemand um uns. Der Brand ist wichtiger, meinte das Extrahirn. Wenn das Feuer nicht schnellstens eingedämmt wird, kann es die ganze Siedlung zerstören. Ächzend kletterte ich wieder in die Kabine. Algonia Helgh hatte mehr Glück gehabt. Sie saß in dem engen Hohlraum unterhalb der Armaturen und blinzelte mich verwirrt an. »Ich war leider gezwungen, mal kurz anzuhalten«, erklärte ich grimmig, ehe sie eine Frage stellen konnte. Vorsichtig ließ ich das merkwürdige Gefährt wieder anrollen, und jetzt war ich wenigstens soweit mit den Tücken vertraut, daß wir den Start ohne Knochenbrüche überstanden. Wir rumpelten die breite Straße entlang, und ich begann mich zu fragen, wie wir unsere Flucht fortsetzen sollten. Natürlich brauchten wir den Wagen, denn der Fußmarsch bis zu Akon-Akons Tal war entschieden zu lang. Aber wenn ich an die Kü-
Marianne Sydow stenstraße dachte, die in engen Kurven direkt am Abgrund entlangführte und so schmal war, daß zwei dieser Wagen nur knapp aneinander vorbeikamen, lief mir eine Gänsehaut den Rücken hinunter. »Spitzköpfe«, sagte Algonia Helgh leise und deutete nach vorne. Dort standen sie. Mindestens zwanzig Mann, alle bewaffnet, und sie versperrten uns den Weg. Hinter ihnen erkannte ich eines der wenigen mehrstöckigen Gebäude in dieser Siedlung, und vielleicht bewachten sie Reichtümer oder eine Art Residenz. Aber das tat nichts zur Sache. Wir konnten auch nicht abbiegen, denn rechts und links gab es nicht die kleinste Lücke in den grauen Mauern. Die Fremden waren zunächst wie erstarrt, als der Wagen auf sie zuraste, dann warfen sie sich zur Seite und bildeten einen wirren Haufen von Waffen, Armen, Beinen und plumpen Körpern. Wir waren bereits an ihnen vorbei, als sie sich auf ihre Waffen besannen. »Die wollen schießen«, warnte Algonia Helgh, die nach hinten blickte. Ich stieß den Beschleunigungshebel weiter nach vorne. Wir schossen schlingernd die Straße hinauf. Ich erwartete jeden Moment das Krachen der Explosivgeschosse, aber es geschah nichts. Sie haben Angst, einen neuen Brandherd zu schaffen. Das gab mir neuen Auftrieb. Vor uns tauchte eine Seitenstraße auf. Der Wagen nahm die Kurve kreischend und rumpelnd, dann rasten wir über den Platz, an dem man uns am Nachmittag zum Verkauf angeboten hatte. Jetzt wußte ich ungefähr, wohin wir uns wenden mußten. Ich drosselte die Geschwindigkeit und überlegte, daß die Verwirrung groß genug sein mußte. Hinter uns lag ein gelber Lichtschein über der Siedlung. Der Brand war noch nicht unter Kontrolle gebracht worden. Die Wächter, die sich uns entgegengestellt hatten, konnten bei unserem Tempo unmöglich erkannt haben, wer in dem Wagen saß,
Eine Welt für Akon-Akon und vielleicht nahm man sogar an, wir wären in unserem Gefängnis umgekommen. Beinahe vergnügt steuerte ich den Wagen in aller Ruhe durch verlassene Straßen. Kein Spitzkopf zeigte sich, sie waren vermutlich alle mit ihrer eigenen Sicherheit beschäftigt. Düstere Mauern glitten an uns vorüber, dann hatten wir den Rand der häßlichen Stadt erreicht. Die Küstenstraße begann wenige hundert Meter weiter. Wir würden auch dieses Hindernis bewältigen – und zweifellos hätten wir es auch geschafft, wenn nicht genau in diesem Augenblick ein unbeleuchtetes Fahrzeug brummend von den Bergen herunter auf uns zugekommen wäre. Ich schaffte es noch, den Wagen zu bremsen. Aber der Ruck war so stark, daß wir nach draußen geschleudert wurden. Wir landeten zum Glück auf einem weichen Haufen faulender Pflanzenteile. Als wir uns aufrichten und davonlaufen wollten, hatten die Spitzköpfe die Situation bereits durchschaut. Hier gab es keine leicht entflammbaren Wände, auf die sie hätten Rücksicht nehmen müssen. Ich blickte in die Mündung einer Waffe, deren Kaliber zur Saurierjagd geeignet gewesen wäre. Resignierend hob ich die Arme. Wieder einmal wurden wir auf einer schmutzigen Ladefläche abtransportiert. Am veränderten Geräusch der Räder merkten wir, daß wir wieder in der Stadt waren. Es schien, als hätte das Glück mich endgültig verlassen. Die Strapazen dieses Fluchtversuchs jedenfalls hätten wir uns sparen können.
* Der Spitzkopf wirkte ohne seine wasserhaltige Schutzhülle fast noch fetter. Sein bläulicher Pelz spannte sich glänzend um den aufgeschwemmten Zylinderkörper. Unter den kurzen Armen saßen dicke Falten, und seine ebenso kurzen Beine wabbelten vor Fett. Er hockte in einer Wanne, ließ sich von einigen Bediensteten mit Wasser begießen,
53 stopfte mit der einen Hand irgendwelche Leckerbissen in sich hinein und betätschelte mit der anderen völlig ungeniert ein weibliches Exemplar seines Volkes, das neben ihm im Wasser saß. Die bewaffneten Spitzköpfe, die uns zu unserem neuen Herrn gebracht hatten, gestatteten uns keine Bewegung. Wenn wir auch nur den kleinen Finger bewegten, hoben sie drohend die Hände. Hier, im Wohnbereich des Fetten, trugen sie kurze, dicke Keulen, die an der Spitze mit metallischen Dornen besetzt waren. Der Dicke ließ uns seine Macht gleich am Anfang spüren. Er musterte uns zwar nach unserem Eintritt kurz, beachtete uns dann jedoch lange Minuten hindurch überhaupt nicht. Ich konnte mir den Grund für seine Verstimmung vorstellen. Wir hatten bei unserer Flucht nicht unbeträchtliche Schäden angerichtet. Wahrscheinlich mußte er für alles bezahlen, was wir zerstört hatten. Endlich richtete er sich im Wasser auf, stützte sich schwerfällig auf ein Geländer und starrte uns lange Zeit durchdringend an. Dann zeigte er auf uns, machte eine Armbewegung, die den ganzen Raum einschließlich der darin vorhandenen Spitzköpfe umfaßte und deutete schließlich auf sich selbst. Dabei gab er eine Serie von Pfeiflauten von sich, in der mehrmals ein Wort vorkam, daß sich wie »Keljos« anhörte. Ich nahm an, daß es sich dabei um den Namen unseres Besitzers handelte. »Ein ekelhafter Knabe ist das«, flüsterte die Astronomin. Keljos verstand kein Wort, war aber begeistert darüber, daß die Astronomin überhaupt einen Ton von sich gegeben hatte. Er bedachte sie mit einem etwas freundlicheren Blick und hielt ihr eine flache Schale mit kleinen, grünen Früchten hin. Algonia Helgh betrachtete die Leckerbissen mißtrauisch. »Um Himmels willen, nehmen Sie einen«, raunte ich ihr zu. »Sonst ist der Kerl am Ende noch beleidigt!« Sie ergriff eine Frucht und hielt sie zö-
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gernd in der Hand. Nach den bisherigen Erfahrungen, die wir mit den Nahrungsmitteln der Spitzköpfe gemacht hatten, war ihre Zurückhaltung nur zu verständlich. Aber Keljos hatte offensichtlich auch ganz andere Absichten. Er klappte seinen zähnestarrenden Rachen auf und beugte sich mit einem leisen Pfeifen der Arkonidin entgegen. Algonia Helgh schaltete schnell. Sie legte die grüne Frucht vorsichtig in den Mund des Fremden. Keljos zerkaute die Gabe gedankenvoll, machte eine zwar unverständliche, aber freundlich klingende Bemerkung und versank dann wieder in tiefem Schweigen. Als wir bereits dachten, wir kämen überhaupt nicht mehr aus dieser Waschküche heraus, besann er sich. Er wechselte ein paar gepfiffene Worte mit unseren Bewachern, starrte uns noch einmal durchdringend an und sank dann blubbernd in die Wanne zurück. Wir wurden auf die Straße hinausgeführt. Es war bereits Tag. Unser Weg führte an jenem Gebäude vorüber, in dem man uns am vorigen Abend eingesperrt hatte. Es war
restlos abgebrannt. Die Rohre der Berieselungsanlage ragten wie ein skurriles Gerippe aus einer schwarzen Rußschicht hervor. Die Straße führte zum Hafen hinunter. Wir hörten das Klatschen von Wellen, das Dröhnen vieler Motoren, und ein scharfer Geruch nach faulendem Tang wehte uns entgegen. Unsere Begleiter unterhielten sich leise. Unwillkürlich blickte ich zurück. Weit entfernt, im Zentrum dieses Kontinents, lag das Tal, in dem wir gelandet waren. Befand sich die ISCHTAR überhaupt noch auf diesem Planeten? Oder waren wir inzwischen die einzigen Arkoniden auf Ketokh? Wie war es den beiden Männern ergangen, die wir aus dem Lager geschleust hatten? Ein Berg von Fragen lag vor uns, die wir nicht beantworten konnten. Unser Weg führte ins Ungewisse.
ENDE
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