FRISCO HITT
EIN SARGVOLL TRÄUME ROMAN-REPORT
HERBIG
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FRISCO HITT
EIN SARGVOLL TRÄUME ROMAN-REPORT
HERBIG
Scanned by Doc Gonzo
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©1972 by F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München • Berlin Umschlagentwurf: Werbeagentur Wündrich-Meissen, Stuttgart Satz und Druck: Wagner, Nördlingen Bindearbeiten: Thomas, Augsburg Printed in Germany 1972 Archiv-Nr. 08700608 ISBN 3-7766-0608-8
1 Diese gottverfluchte, elendige, beschissene Klingel da draußen hörte und hörte nicht auf, an meinen ohnehin so lärmempfindlichen Nerven zu sägen. Unerhört das! Zum Wahnsinnigwerden! Welche Hure konnte es denn da gar nicht mehr erwarten, verdammt?! – Jaaaschonnn!! Gottverdammichnochmal! Ich komm' ja schon, Scheißdreck, vermaledeiter! (ich, etwas nervös in meinen ehemaligen Söldnerjargon verfallend) Als ich die Türe schließlich wütend aufriß und die drei würdig gekleideten und anhaltend-unverschämt klingelnden schwarzen Herrn ganz in Schwarz und mit je einem glänzenden, schallplattengerillten Zylinder über dem Schnauzbart berufsmäßig pietätvoll dreinblicken sah, da hätte es des nun folgenden Frage- und Antwortspiels nicht mehr bedurft. Ich wußte sofort alles. Schwarze ganz in Schwarz, ha! Man kennt das. Ich wußte, daß sie sagen würden, sie kämen von irgendeinem Beerdigungsinstitut. Und daß dies nicht stimmte, weil sie zu echt dafür waren, das wußte ich auch. Aber die Frage, deren Beantwortung ich schon zu kennen glaubte, ich mußte sie einfach stellen, schon um Zeit zu gewinnen, meine lange schon vorbereiteten Gegenmaßnahmen noch einmal rasch zu überdenken, Zeit nachzudenken überhaupt, man weiß ja schließlich nie... Zeit, um womöglich doch noch etwas aus der Erinnerung zu kramen, das mich vielleicht ganz zum Schluß sagen ließe – nein, sagen nicht, aber vielleicht denken! – daß das Leben schön gewesen sei, lebenswert, liebenswert, begehrenswert, verteidigenswert, oder sonst was Dummes, Schönes, Gefühlvolles und Unüberlegtes ... 4
Etwas also, das man, kaum ausgesprochen, auch schon bereut! – Sie wünschen, Monsieur? (ich, hinterhältig-naiv) – Wir bringen den Sarg, Monsieur, (die Leichenbitter, diskret) – Welchen Sarg? (ich, hartnäckig) – Aber Sie wissen doch, Monsieur, den Sarg für Monsieur Dupont. – Ach, für Monsieur Dupont! Ja dann... treten Sie näher, meine Herrn, und gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Dupont, Charles Dupont! (ich, zynisch) – Enchante, Monsieur Dupont, mein Name ist Eliah Kurumbata. Hier noch zwei meiner Mitarbeiter: Nero Liebknecht (Zylinderlüpfen, sehr gekonnt) und Wamsa Appollinaire (dasselbe guteinstudierte Hutmanöver), alle vom Beerdigungs-Unternehmen Jesus Goldensmith, (der unverschämte Klingler, mich nun doch einigermaßen in Erstaunen versetzend) – Gut, Mister Kurumbata, treten Sie also näher, (ich, meine Verwirrung geübt überspielend) – Nennen Sie mich einfach und schlicht Eliah, Monsieur. Und wenn Sie erlauben, holen Nero und Wamsa erst noch unsere restlichen Kollegen. (Eliah, vertraulichgeschäftlich) – Wie viele, hm, Kollegen seid ihr denn für diesen heiklen Auftrag? (ich, bemüht, überlegen zu scheinen) – Wir sind genau zwölf, Monsieur, wie die Heiligen Apostel! (Eliah, mit einem impertinenten Lächeln) So dumm geht das meist mit unseren Dialogen: Wir finden die angemessene Würde nur selten, nicht einmal in den Situationen, in denen wir ihrer mehr bedürften als aller anderen Dinge.
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Schließlich bekommt man nur sehr selten seinen eigenen Sarg frei Haus geliefert! Nero und Wamsa ließen mich also mit Eliah, den ich überflüssigerweise hereinzukommen gebeten hatte, was er ebenso überflüssigerweise angenommen hatte, allein. Ja, die Würde! Hatte nicht alles mit dieser blödsinnigen Würde, oder besser noch mit der blödsinnigen sogenannten Würde (oder wäre es noch richtiger, die »sogenannte blödsinnige Würde« zu sagen?), hatte nicht eigentlich alles erst damit begonnen? Auch wenn ich dabei immer ein sehr peinliches Gefühl, eine Mischung aus Schuldbewußtsein und Unvermögen aus der Magengegend hochsteigen fühle – weil Erinnerungen und Träume heute als endgültig »passe« gelten – so erwehre ich mich ihrer dennoch niemals ganz. Und das Denken erfolgt nun einmal unvermeidlicherweise mit Traumgeschwindigkeit! (Sie kennen doch gewiß auch dieses Zwangsdenken, hervorgerufen durch eben den Zwang einer äußeren Situation, ein Denken, dem wir uns nicht zu entziehen vermögen, obwohl wir es gleichzeitig einem abgespalteten Teil dieses unseres Denkens selbstironisch zur Überwachung überlassen.) Eben wollte Eliah sich eine Zigarette anzünden – übrigens hatte er mich zuvor höflich um Erlaubnis gefragt, auch mir eine angeboten – nun zog er, nachdem er nervös herumgefingert hatte, anstelle eines Feuerzeugs eine Pistole aus dem Uhrentäschchen seines Smokings, es war eine Kiwi-45, ein angolisches Fabrikat, mit dem wir damals im Kongo alle ausgerüstet waren, eine mit einem siebenschüssigen Magazin versehene Automatik mit geradem, durch den Griff gehenden Abzugstollen, Auslösemechanik mit Handfeder, Abzugsfeder, Hammerstütze, 6
Abzug, Sicherungsflügel und Hammer an der GriffHinterseite. Eigenartig Eliahs von einem verlegenen Achselzucken begleiteter entschuldigender Blick auf die Söldner-Pistole, die er nicht übermäßig schnell gegen ein Feuerzeug austauschte. Wir befanden uns in meinem Arbeitsraum. Ich hatte noch nichts gegen ihn unternommen. Ich stellte ihn mir im glatten Khaki-Drillich vor, in dieser heute international gewordenen Kampfkleidung. Die regulären Truppen tragen sie ebenso wie ihre Gegner, die Guerillas... Wie mochte Eliah im Drillich und ohne Schnauzbart aussehen ... ? Wir hatten uns noch nicht recht von dem scharfen Bergauflauf erholt, unsere Brustkörbe weiteten sich immer noch unter angestrengten Atemstößen. Die Raucher unter uns hatten Mühe, mit ihren Zigaretten -übrigens amerikanische Camels – voranzukommen. Da sprang »unser Chinese« (so nannten wir den aus ChaNang stammenden Ausbilder) auch schon wieder hoch. – Tuez les cigarettes! (unser Chinese, in seinem ebenso eindringlich hohen und falsch prononzierten wie ausdrucksarmen Französisch) Schon bildeten wir wieder die im Programm stehende »Schwarmlinie«, durchkämmten den eben erstürmten Hang nach eventuellen überrannten feindlichen Kommandos, die später in unserem Rücken operieren könnten. Dabei mußte man sich aufs äußerste vorsehen. Hinter jedem Stein konnte einer lauern und einem die Beine mit dem Flintenlauf kurzerhand abdreschen. Wir »übten« zwar nur, aber mit unerhörter Härte und Grausamkeit... A propos Grausamkeit! 7
Sie wäre überhaupt und vor allem, so predigten unsere Ausbilder, Missionare der gewaltsamen nationalen Befreiung aus Peking und La Havana, unsere wichtigste und wirksamste Waffe! Der ausgebildete Söldner müsse nicht nur imstande sein, ein unerhörtes, ungewöhnliches Maß an Grausamkeit habituell an den Tag zu legen, darüber hinaus müsse er auch noch die Einwirkungen dieser Grausamkeit auf sich selbst ausschalten können: Grausamkeit fern allem Sadismus, glasklar, geschliffen, zu einer reinen, aber schrecklichen Waffe gemacht, immer nur eingesetzt, wenn damit ein Ziel erreicht werden konnte. Das war die Quintessenz aller theoretischen Vorträge über die Grausamkeit. Am Abend des Tages nach meiner Ankunft im Camp erlebte ich die erste Lektion dieser Art Bestialität als Waffe in Form einer als Gelegenheitsunterricht durchgeführten Demonstration. Ich denke immer noch, daß sie nur meinetwegen, des Neulings wegen veranstaltet wurde. Unser Chinese rief einen der Jungen heran, die im Camp Dienste wie Wassertragen, Bettenmachen, Schuheputzen usw. verrichteten – später erfuhr ich, daß es sich dabei ausschließlich um sogenannte »Beutekinder« handelte, Kinder also, deren Eltern bei irgendwelchen Kommando-Aktionen unserer Gruppe erschlagen worden waren. Wir saßen zum Vortrag hinter der Hofmauer. Thema: Grausamkeit als Waffe. Er rief also einen der herumlungernden Jungen freundlich heran, packte ihn scheinbar kameradschaftlich bei der Schulter und schlug ihn dann derart hart nieder, daß der Kleine sich gleich mehrmals überschlug, zusammengekrümmt liegenblieb. Ich erinnere mich noch deutlich seines marokkanischen, aufgeweckten Gesichts, das mich 8
an die »Besatzungskinder« der 50er-Jahre denken ließ. Ich spie meinen Zigarettenstummel in die Stille vor die Söldnerreihe, in welcher auch ich saß und sprang auf... Das heißt, ich wollte aufspringen, aber meine angehenden Kameraden links und rechts von mir und auch einer, der hinter mir saß, ein Riese mit kohlrabenschwarzem Teint namens Muhammed, hatten meinen genieteten Leinengürtel gepackt und hielten mich am Boden fest. Sie wußten, daß unser Chinese die Neulinge immer zu provozieren versuchte, und wollten mir eine Lektion ersparen. Der Ausbilder, der meine Bewegung recht gut bemerkt hatte, ging nun – den Blick dabei interessiert auf mich gerichtet – auf den jetzt wimmernd und zitternd ausgestreckt vor uns liegenden Jungen zu. Und während er ihn in unserem Angesichte tötete – umständlich, überlegt langsam, aber sachkundig und widerlicherweise mit diesen ekelhaft organhaft wirkenden, hochgeschnürten Ami-Stiefeln – während er dabei immer wieder auf mich blickte, nahm der Mann zu meiner Linken den Tschigg aus dem Maul und blies mir mit dem Rauch die rauhe Warnung ins Gesicht: – Ferme ta gueule! Mon cul! – Es war Francois, der so barmherzig sprach. Ich sollte ihn noch näher kennenlernen ... später. Auch unser Chinese hatte noch eine belehrende Bemerkung für uns, vor allem für mich. Ich war aber derart mit meinem revoltierenden Magen beschäftigt, daß ich nur unbeteiligt registrierte, wie er einem von denen, die mich am Riemen gleichzeitig nieder- und sitzend aufrechthielten, befahl, ihm den Puls zu fühlen, während er sich im Sand Blut und Schleim von den trotz der afrikanischen Hitze so eigenartig hochschäftigen amerikanischen Militärstiefeln wischte: 9
– Unbeteiligt bleiben, darum geht es! Pulsschlag normal. Meine Schuhe reinige ich nur vom Schmutz, in den ich treten mußte, nicht von Gefühlen und Erinnerungen. Und das Abendessen, Messieurs, wird mir nach des Tages Mühen ausgezeichnet schmecken. Schlaflosigkeit kenne ich nicht! Das hier habe ich nicht gern getan, es tut mir aber auch nicht leid. Es war notwendig, weil lehrreich! (so unser Chinese, mit quasi erhobenem Zeigefinger, das dreckige Schwein!) Und während des gesamten nun folgenden Exkurses über die Grausamkeit als Waffe, die sehr wohl imstande wäre, unsere Minderzahl aufzuwiegen, während dieser langen theoretischen Erörterungen und auffallend trockenen Tiraden lag der aufgeplatzte, stinkende, unkenntlich gewordene Kadaver vor uns und neben dem vortragenden Chinesen, der in einer Art rudimentärem francais militaire, das seltsam stilvollendet zu dem paßte, was er sagte, kalt und unberührt von der Notwendigkeit sprach, daß unsere Grausamkeit nicht nur jedes vorstellbare Maß sprengen müsse, sondern uns auch einen schreckenerregenden Ruf einzubringen habe. Er sprach auch von der Tatsache, daß diese Grausamkeit uns bereits den Namen »les Affreux« eingetragen habe, dem wir ständig gerecht zu werden hätten. Und immer wieder wies er darauf hin, daß diese Waffe ihre Wirksamkeit verlöre, wenn wir sie »beteiligt« gebrauchten. Das war die neue Botschaft des Ostens an den Westen – das war sie also, die Heilslehre unseres Jahrhunderts! Die entsprechende Bibel der Gewalt wird sicher noch geschrieben werden.
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Aber eines fand ich von Anfang meines Aufenthaltes auf dem Mont de l'Espérance an bestätigt: Ich hatte recht gehabt! Hier wurde das Neue, das Unerhörte, das Vergessene vorbereitet! Hier wurden die Grundsätze erdacht, eingeübt und in ihrer Anwendung erprobt, die unsere Welt eines Tages beherrschen werden! Hier entstand die kommende Philosophie der Gewalt! Alles, was man uns gleichzeitig als Fortschritt und Unterhaltung vorsetzt, als Kultur und Information, als Sitte und Aufgabe, alles das ist im Grunde nichts anderes als Opium, Droge, Scheiße. Die Nachrichten und das Theater – vorher sorgfältig redigiert; der Film und die Politik der kollektiven Sicherheit -schön zeitgemäß engagiert; die absolute Informantik und die fortschreitende Verdummung – pseudowissenschaftlich auf die Spitze getrieben; der Liebesersatz im Eros-Center und der so durch und durch bourgeoise Avant-Kommunismus: alles, alles Mist!!! Am gleichen Abend – Zufall oder Absicht? – demonstrierte uns derselbe Chinese noch einmal, wie er sich diese uns einzuexerzierende Grausamkeit als stets gegenwärtige und greifbare Selbstverständlichkeit dachte: Wir hatten »Damenbesuch« im Lager – wie jeden Freitag und Dienstag, wurde mir erklärt. Es war die zweite Garnitur eines bekannten Puffs in Lobito, die uns beehrte... Unser Lager war in einer ehemaligen kanadischen protestantischen Mission untergebracht, einem wüstenfortartigen Bau, auf einem hohen, felsigen Hügel gelegen. Die Pfaffen hier hatten etwas zu offenkundig mit den angolischen Rebellen geliebäugelt. Sie hatten das lusitanische Land verlassen müssen.
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Ich stand an der hinter dem Kloster aufragenden, mehrere Meter starken Wehrmauer und betrachtete verträumt die zarten Pastellfarben der unglaublich rasch wechselnden Sonnenuntergangsszenerie an jener Stelle des Horizonts, an der die kümmerliche Steppe rund um die Mission in die nackte Wüste überging. Die Sterne tanzten schon riesengroß und wild im Osten, wie ich sie noch nie hatte tanzen sehen, und im Lager war das Kreischen der Huren aus Lobito zu hören und irgendwann auch ein schrilles Lachen, dann das Klatschen nackter Schläge, gefolgt von einem kurzen Tumult und einem entsetzlichen, nichtendenwollenden Schrei, der in ein herzzerreißendes Wimmern überging. Darauf tiefe, fast betroffene Stille. Es war völlige Nacht - in Afrika »bricht« die Nacht tatsächlich herein. Von überall her strömten Gestalten einer Ecke im Hofe zu. Ich ging also auch hin. Halbaufgerichtet zwischen Abfallkübeln lehnte eine der »Damen«, unbekleidet, den üppigen Busen auf etwas wie ein geöffnetes, ein aufgeschlitztes Polster geneigt, ein Etwas, das in der Nachtkälte dampfte, das sie ängstlich an sich drückte wie ein neugeborenes Kind, keuchend, den Kopf ungläubig schüttelnd, immer wieder leise aufschreiend vor Entsetzen und Schmerz. Es waren ihre Gedärme, die aus ihrem geöffneten Leib quollen. Einer der weißen Söldner, das blutige Messer aus seinem Stiefel in der Hand, blöde und angetrunken sein Werk betrachtend, wischte nun dieses verschmierte Messer unbeholfen an seiner vorne noch immer aufgeknöpften Hose ab und sagte mehrmals »alors, alors, allorrs«, wobei er das »r« stark rollte und das »o« sehr offen aus-
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sprach. Er war Italiener und gehörte wie ich der französisch sprechenden Gruppe an. Die etwa 500 Söldner des Lagers waren in vier Ausbildungsgruppen eingeteilt, und zwar nach den Sprachen, die die Schwarzen beherrschten, welche das Hauptkontingent dieses verwegenen Haufens stellten: Englisch, Französisch, Portugiesisch und Spanisch. Der Italiener putzte noch an seinem Messer herum, als unser Chinese durch unseren sich öffnenden, schweigenden Kreis zu ihm trat. Ein unvorstellbarer Gegensatz, ein faszinierendes Bild, der heutigen Menschheit ganzen Jammer demonstrierend: Ein finsteres Eck in einer zum Camp gemachten, ihrer ehemaligen Bestimmung aber erhalten gebliebenen Mission, die aber keineswegs mehr Ort der Besinnung ist! Ein Abfallhaufen und darauf eine mißhandelte Frau. Einige der herumstehenden Söldner erhellen wie Theaterbeleuchter mit Armeelampen die Szenerie. Hier ein offensichtlich betrunkener, riesenhafter Söldner, die Drillichhose offen und sein unter diesen Umständen besonders lächerlich wirkendes feuchtes Glied in Ruhestellung im Freien. Da der korrekt gekleidete Ausbilder, klein, federnd, asiatisch, leicht belustigt und fragend von dem Italiener zu der am Boden Liegenden blickend. Diese, ganz versunken in ihren endgültigen Jammer, still vor sich hinschluchzend, ihre Nacktheit ebensowenig bemerkend wie die sie umringenden Männer. Der Italiener, der den fragenden Blick des Chinesen sehr wohl bemerkte, machte einen Schritt auf die Sterbende zu, und – im Suff seine Situation absolut verkennend – trat er ihr ins Gesicht, kraft- und sinnlos.
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– Italo! Nimm gefälligst die Pistole, et fais un peu vite, espece de cochon! Erschieß die Dame! (der Ausbilder, ihn scharf anfahrend) Ein bedrohliches »allez-vite!« beschleunigte die fahrigen Bewegungen Italos etwas. Der vertraute, trockene Knall der Kiwi löste die Erstarrung meiner Kameraden, wie eine Mädchenhand das Übermaß männlicher Ungeduld, und sie wandten sich zum Gehen. Eine der Damen quietschte laut unter dem frivolen Zugriff eines dunklen Galans. Es war Muhammed, wie ich feststellte ... Doch mitten hinein in die sich so zwanglos wieder installierenwollende Normalstimmung fuhr die Aufforderung: – Restez sur place! Alle bleiben hier! (unser Chinese, schneidend) Und er fügte zu dem Italiener gewandt, der gerade sein Genital im Freien bemerkt hatte und es lachend verstauen wollte, hinzu: – Noch nicht! Bleiben Sie so! Diesem erstarrte plötzlich sein blödes Lachen, er blickte zu dem womöglich noch kleiner gewordenen Penis hinunter. Unser Kreis schloß sich wieder zu grausamer Ruhe. Die Taschenlampen richteten ihre Kegel auf das Glied des Söldners, daneben reflektierte gefährlich das lange, schmale Messer mit der dunklen Blutrinne in seiner Hand ... Unser Chinese stellte sich vor ihn hin, das Licht fiel nun auf seinen fest mit Nietknöpfen geschlossenen Hosenschlitz. Sein Gesicht war unbeweglich: – Der Söldner Italo aus meiner Gruppe hat seine Lektion über die Grausamkeit sehr schlecht gelernt, eigentlich überhaupt nicht kapiert. Das hier war völlig sinnlos, sogar sinnwidrig: Er hat eine Frau getötet. Gut! Er wird 14
einen Grund gehabt haben, und es war ihr Berufsrisiko. Bitte! Aber er hat sie zu Tode gequält, ohne daß damit jemandem gedient wurde. Es hat niemand außer uns zugesehen. Sie hat nichts begangen, was wir politisch ahnden. Aber er hat sich dabei erregt, er wurde unsicher. Und dafür, für diese sinnlose Brutalität werde ich ihn nun bestrafen, und zwar sehr sinnvoll! Ihr alle werdet dabei zusehen und daraus lernen. Lernen, die Grausamkeit wirklich als Waffe zu gebrauchen, und nicht als Zeitvertreib, Notbehelf oder Ausflucht! – – Und der Junge heute nachmittag? (Italo in einem überschnappenden Wutschrei) – Parbleu! Er kapiert es wirklich nicht! Das war eine wohlüberlegte Demonstration, (der Ausbilder, dem Söldner sehr ruhig die Hand hinhaltend, auffordernd, damit dieser ihm das Messer gebe) Er wartete immer noch auf das Messer. - Ihr solltet daraus etwas lernen, ihr Schafsköpfe, ihr verhurten, so wie jetzt aus deiner Bestrafung. Also her mit dem Messer! Wird's bald? (der Chinese, völlig beherrscht, ruhig) – Hol dir's doch, du gelber Hund! (Italo, erregt) Er spannte gleichzeitig kampfbereit seinen Rücken und begann, den Chinesen mit dem Messer in der offenen flachen, nach oben gekehrten Hand zu umkreisen. Pfiffigerweise hielt er dabei die Waffe nicht in der so eindringlich geübten Guerilla-Art, sondern in der lockeren und ebenfalls bewährten neapolitanischen Variante seiner italienischen Heimat, die ihm anscheinend dem Chinesen gegenüber erfolgversprechender erschien. Zwei seiner bisherigen Kameraden wollten ihn sofort von hinten pakken, aber der Chinese gab ihnen ein Zeichen, dies zu unterlassen.
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Keiner von uns zweifelte am Ausgang der Szene. Es ist zudem schrecklich lächerlich für einen Mann, mit heraushängendem Glied zu kämpfen, es ist geradezu ein Handikap. Und Italo hatte nicht mehr die Zeit, diesen Nachteil, den auch ein Messer in der Hand nicht auszugleichen vermag, zu beseitigen, obwohl der Ausbilder ihm mit bloßen Händen entgegentrat. Als Italo beim kreisartigen Schleichen um den Chinesen über ein verrenktes Bein der nackten Erschossenen hinter sich stolperte, faßte ihn der Chinese mit beiden Händen blitzschnell am Gelenk der das Messer haltenden Hand, drehte in oft geübter Bewegung den Arm des Italieners auf den Rücken und, den brechenden Arm als Hebel benutzend, warf er den Riesen über seine Schulter, mitten in die aufschmatzenden Gedärme der Hurenleiche. Dann putzte er sich symbolisch den Staub vom Drillich, winkte zwei Söldnern, die anscheinend genau wußten, was geschehen würde und den stöhnenden Italo brutal hochrissen, ihm die Arme auf den Rücken drehten und so den armen Teufel aufrecht vor den Ausbilder hinhielten. Dieser ergriff ungerührt Glied und Hoden des Gefesselten, (ich mußte einem lächerlichen Zwange zufolge an das »Lehrbuch der Schafzucht« meines Vaters denken, in dem es bei Beschreibung der »blutigen Kastration« heißt, daß man unbedingt überprüfen müsse, ob sich auch beide Hoden im Sack befänden) zog das ganze Ding noch etwas mehr aus der Hose heraus und schnitt Schwanz und Sack glatt in einem Stück ab. Während die zwei Söldner ihren tobenden Kameraden bändigten und dabei über und über von dem starken Blutschwall besudelt wurden, während einige der anwesenden Damen beim Anblick eines solchen Sakrilegs sich 16
endlich erbrachen, während ich erstaunt bemerkte, daß mein in Europa noch so empfindlicher Magen, der auf den geringsten Ärger reagiert hatte, hier ruhig blieb, während all dieser Aufregung und Spannung in und um uns herum hielt unser Chinese dem Delinquenten seinen abgeschnittenen Begattungsapparat vors Gesicht und wischte das Messer am offenen Hemdkragen des Italieners ab (dieses ewige symbolische Messerabwischen fand ich nachgerade kindisch) – Du holst dir auf der Stelle deinen ausstehenden Sold und verschwindest in die Wüste, und laß dich nie mehr hier blicken! Falls du das da überlebst, so freue dich, daß ich heute meinen milden Tag hatte. Eigentlich sollte ich dir deine schmutzige Rübe ins Maul stecken, bis du daran krepierst, und dich damit liegen lassen. Ab durch die Mitte! (der Ausbilder, ganz militärisch) Die beiden Hilfskräfte unseres Chinesen ließen nun los, der Riese fiel zusammen, kam wieder hoch, hielt sich seine Wunde zu, heulte wie ein Tier, wollte sich auf den Chinesen stürzen, doch der Schmerz des gebrochenen Arms im Verein mit dem plötzlichen Blutverlust ließ ihn ohnmächtig werden – nichts schwächt den Körper mehr als eine unerwartete und rasche Gefäßentleerung! Er wurde dann verbunden und losgeschickt. Irgendwohin in die Wüste. Vielleicht lieferte auch er eines der zahllosen Gerippe, an denen wir später vorüberkamen, sinnlos verendet in der Wüste, blankgenagt von Aasvögeln. Die Hurerei aber ging prompt weiter, man hatte viel Zeit unnütz vertan! Mir war jedoch aller zuerst aufkeimende Spaß daran vorderhand vergangen. – Wohin dürfen wir den Sarg stellen, Monsieur? (Nero, 17
ganz unerwartet meine Erinnerungen unterbrechend) Die zwei anderen von vorhin waren zurückgekehrt, allerdings ohne Sarg. Vielleicht wollten sie erst einmal wissen, wohin damit, damit sie ihn dann nicht unnötigerweise absetzen und wieder aufnehmen mußten? Dieser blöde Sarg! – Folgen Sie mir, bitte! (ich, vorausgehend und überlegend, wohin nun wirklich mit dem umständlichen Möbel) Um so schnell wie möglich zu meinen Erinnerungen zurückkehren zu können – ich suchte darin nämlich etwas, ein Gesicht, ein Wort, einen Mann oder sonst irgendeinen Anhaltspunkt für diesen Sarg, diesen beschissenen, denn irgendwo dort drunten in Afrika mußte ich mir den Mist ja schließlich eingebrockt haben – wies ich die Leute kurzerhand in mein Schlafzimmer... – Bemühen Sie sich nicht weiter, Monsieur. Wir werden alles Übrige bestens arrangieren. Das ist ja unser Job. (Nero, zuvorkommend meine Bemühungen durchkreuzend) Ich zuckte zusammen, ging dann hinaus in die Bibliothek, immer begleitet von dem bescheidenen Mann in Schwarz, Eliah, der Feuerzeuge anscheinend gewohnheitsmäßig mit Revolvern verwechselte. Denselben Satz setzte damals unser Chinese an den Schluß jenes Vorfalls: – Das ist unser Job! Das amerikanische Wort Job, von einem französisch sprechenden Chinesen mitten in Afrika verwendet, einem Haufen gegenüber, dessen Angehörige neben einem Dutzend afrikanischer Dialekte auch die meisten europäischen Sprachen als Muttersprachen verwendeten, schien mir damals ein weiterer Beweis für die Richtigkeit meines Handelns, meiner Entscheidung. 18
Man hat gelegentlich Ideen, die man nicht näher zu begründen vermag ... Ich war keineswegs durch irgendwelchen äußeren Zwang hierher unter die Söldner geraten, auch nicht eigentlich aus Neigung oder Veranlagung. Als ich an einem Sonntag wie gewöhnlich zu Hause beim Kaffee saß – meine vier Kinder spielten StadtLand-Fluß, im Radio wurde Beatmusik gesendet, unterbrochen von stündlichen Nachrichten über Vietnam, den Kongo, den Nahen Osten, Söldnerbewegungen in Afrika – da erwachte ich plötzlich. Ich sah mit einem Male alles anders: Meine Kollegen an der Schule, diese faden Freßsäcke, vollgestopft mit Gleichgültigkeit gegenüber allem außer ihrer Gehaltsprogression. . . Gehirnwindungen aus Geldrollen! Die widerlich-spießigen Ehepaare auf der Straße, dem Feldweg vor unserem Hause, die ihre hochmodernen Asphalt-Kinder-Kutschen mit ihrer daraus hervorquellenden teigigen Brut durch den dörflichen Schlamm zerrten: minibekleidet und platzend-kugelrund sie, einen blöden Hut, Krawatte und Manschettenknöpfe am bäuerlichostischen Vollmondschädel er! Überhaupt dieses ganze angeschissene, vom Tiwi abgeschaute, eigentlich nur geborgte Leben. Nichts als eine einzige Prostitution der Gerechten! Dann das Brüllen vom nahen Fußballplatz, der hierzulande allgemein und überall übertreibend Sportplatz heißt. Zum Kotzen alles das, zum ununterbrochenen sich selber Ankotzen! Worum geht es in der Welt von heute eigentlich? fragte ich mich. Es geht nicht um Rechnen, Lesen und Schreiben, nicht um Technik, Industrialisierung und Wasserinstalla19
tionen – wenn es auch auf diesen Gebieten noch weit fehlen mag. Vielmehr geht es immer und überall noch um Freiheit! Und was konnte ich als Lehrer wirklich dazu tun? Im konkreten Falle bedeutet Freiheit: daß die so diskriminierend »Bananenrepubliken« genannten Staaten ihren eigenen Kaffee selbst produzieren und verkaufen wollen, daß Südamerika sein Erdöl selbst auf den Markt bringen möchte, nachdem die bisherigen Ausbeuter ihre Investitionen längst reichlich amortisiert haben, daß Afrika sich das Recht auf Staatenbildung selbst vorbehalten will, usw.-usw.-usw. Man weiß dies höheren Orts ganz genau! Oder wäre es etwa ein Zufall, daß überall die sogenannten »regulären« Armeen immer mehr von den »Special Forces« verdrängt werden, von speziell für die subversive Kriegsführung ausgebildeten Truppen? Und das Söldnersystem findet dadurch auch Eingang in die normale Wehrleistung der industriellen Großmächte. Ich war damals Lehrer für Mathematik, Physik und Chemie in einer kleinen Stadt in der Nähe meines Wohnortes. Und diese Erkenntnis traf mich äußerst hart: Es gibt heute nur eine einzig mögliche Daseinsform für den Mann! Mitarbeiten an der Neuordnung aller Dinge! Was sollte es für einen Sinn haben, weiterhin den Lehrsatz des Pythagoras tauben Ohren zu predigen, während anderswo die Predigten so aussahen: Unsere Aufgabe ist es, im Rücken des Feindes zu operieren! Und der Feind ist der Fremde, der Ausbeuter jeder Hautfarbe, der Anhänger irgendeiner der bestehenden Ismen! Wer an der Macht ist, wird von ihr korrumpiert, ist schlecht und wird früher oder später von uns und gegen entsprechende Bezahlung liquidiert werden, auch wenn es unsere heutigen Anführer und Brotherrn 20
sein sollten. Unsere Ideologie ist aber nicht die Anarchie! Im Gegenteil streben wir eine neue absolute Ordnung an, die aber nicht starr sein soll, sondern beweglich und bewegt! Für diese Ordnung muß jedoch erst Platz gemacht werden, indem möglichst viel des Bestehenden vernichtet wird. Ihr werdet also hier lernen, wie man mit möglichst geringem Aufwand den größtmöglichen Schaden anzurichten vermag. Wenn ich euch immer wieder den Ruf der »Schrecklichen«, der »Weißen Riesen« als Beispiel vorhalte, so mit voller Absicht: Wir wollen sie nicht nur an Härte der Kampfführung übertreffen! Wir tun mehr. Wenn wir einen Ort einnehmen, und wir finden dort – wie jüngst in Kasangani geschehen – einen Haufen noch zuckender Hände unserer Kameraden neben einem Hackstock, dann werden wir doppelt sovielen unserer Feinde nicht nur die Hände, sondern auch die Schwänze und die Köpfe zu Füßen legen – genau doppelt sovielen! Wer die schwächeren Nerven hat, wer über weniger Konsequenz verfügt, der wird den Kampf um die neue Ordnung eben verlieren! Dabei wird dieser Kampf nicht etwa um Afrika, Südamerika oder Asien geführt, wie naive europäische und nordamerikanische InformationsKonsumenten beim Morgenkaffee wohl denken mögen, sondern es ist ein endgültiger Kampf um die Weltordnung schlechthin! Unsere an den heutigen Weltbrandherden gesammelten Erfahrungen werden wir später auch in der sogenannten zivilisierten Welt nutzen: Niemand ist brutaler Gewalt und rücksichtslos exerzierter Grausamkeit gegenüber hilfloser als der Mitteleuropäer, der Nordamerikaner! Die Lehren Maos und Ché Guevaras kannte ich schon von früher her, obwohl ich mich durch solche Lektüre 21
peinlicherweise außerhalb meines Standes gestellt hatte, in welchem Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus und Verbrechertum Synonyma sind, Revolution aber als das Übel aller Übel gilt. Die Auslegung dieser Lehren aber hier am Mont de l'Espe-rance war tagfüllend und strapaziös auch für sehr starke Nerven. Ich hatte mich damals in voller Begeisterung Hals über Kopf in dieses Unternehmen gestürzt. Ein ehemaliger Schulkollege war nach zwanzig Jahren Legion Etrangere heimgekehrt: der gute, alte Black Luis, genannt »der schöne Louis«! Ich hatte ihn seit unserer Schulzeit nicht mehr gesehen. Obwohl wir damals dicke Freunde gewesen waren, damals im Internat, erinnerte ich mich nun seiner nur mehr im Zusammenhang mit einem anderen Mitschüler, Lucky, und zwar, weil beide einen sagenhaften Ruf als Marathon-Ona-neure genossen, den sie durch entsprechende Taten stets neu aufpolierten. Louis erzählte beispielsweise immer wieder mit Vergnügen vom Bestreben Luckys, die Ejakulation durch Härte gegen sich selbst und Ausdauer zu überspielen, wobei er gekonnt Luckys keuchend und rhythmisch hervorgestoßenes, ihn selbst anfeuern sollendes »weiter!« imitierte. Auch veranstalteten sie gutbesuchte Wettkämpfe zwischen sich, bei denen sie die erzeugten Spermenmengen, welche leider durch die kriegsbedingte Hungerkost nicht sehr überquellend waren, mit Teelöffeln maßen und verglichen. Wir anderen armen, unterentwickelten »Schulbuben« konnten da nur neiderfüllt durch Zurufe und anfeuernde Sticheleien unser Scherflein beitragen – wie eben alle Zuschauer bei sportlichen Ereignissen im Grunde frustriert sind. 22
Aber das geschah alles in der nun doch schon ziemlich weit zurückliegenden Schulzeit. Ein halbes Leben war inzwischen verflossen, und über meinen vier Kindern hatte ich wahrscheinlich sogar die alten direkten und so farbigen Ausdrücke schon vollkommen vergessen, nicht nur die dazugehörigen Taten. Und eines Tages steht der »schöne Louis« leibhaftig wieder vor mir, schwarzgebrannt, 192 cm lang, strahlendes Lachen unter kohlrabenschwarzen Haaren. Wir bummeln durch die alte Heimatstadt, plaudern, träumen, erinnern uns: Weißt du noch, damals...?! Er war die ganze Zeit über bei der Legion gewesen: Afrika, Indochina, Algerien, Tschad . .. Er hat noch immer die guten, alten, ordinären Ausdrücke und Worte im Gebrauch – wie einst im Mai! Als wir einer ehemaligen Schülerin von mir begegnen, die mich natürlich freundlich grüßt und mit ihrem hübschen Hintern dann vor uns weiterwackelt: – Mensch, ein toller Arsch! Da möchte ich einmal ordentlich hinwetzen! (so Louis, der Söldner, mitten im zivilisierten Europa) Tatsache! Und dann eine Verabredung für übermorgen, weil ich morgen leider völlig ausgebucht bin. – Wir werden einen Gigantischen ausgeben! Ich stinke vor Geld. Schau her, alles, was ich nicht verhurt habe, trage ich am Leibe. (Louis, mir Taschen voller Banknoten zeigend) Doch Louis kam nicht zur Verabredung. Dafür aber ein kurzer Brief, ein Abschiedsbrief: Er hielte es nicht aus hier in der alten Heimat. Alles viel zu fade, nichts los, Scheiße und so! Und eine Adresse in Paris. 23
Wenn Du demnächst einmal hinkommen solltest... andere Weiber als hier... bald kommen, weil Geld nicht ewig reicht... gehe dann wieder nach Afrika, Söldner sein ist nicht das Übelste ... Afrika ... Afrika .. .Afrika ... Also dann, alter Knabe! Mit deutschem Gruß Dein Freund Louis! Zufall oder Schicksal! Er vermittelte mir eine Verbindung zu einem Anwerber in Paris. Wenige Tage später bereits hatte ich ein Flugticket in der Tasche und begab mich nach Lissabon. Von Paris weg waren wir nur zu viert, begleitet von einem Colonel. Im Sammelquartier von Lissabon, einem Gefängnis übrigens, waren bereits weitere 22 Anwärter anwesend. Wir bekamen von einem anderen Colonel jeder tausend portugiesische Escudos Handgeld und wurden in kleinen Gruppen nach Angola gebracht. Luanda ist eine hübsche alte Stadt mit einem wichtigen Hafen, einem ganzjährig betriebenen Flugplatz und einer Bahnlinie... Ein Peloton von 30 Mann geworden, machten wir uns unter einem belgischen Kapitän auf den Weg hierher zum Mont de l'Espérance, wo wir nach Zuweisung der Quartiere sofort, nach Sprachen getrennt, auf die einzelnen Gruppen verteilt wurden. Ebenso schnell wurden wir in diese Gruppe eingegliedert und mußten deren Übungen auf der Stelle ohne jede Vorbereitung mitmachen. Unter uns befanden sich – außer mir – keine Neulinge. Ich aber gab nicht zu, daß ich einer war. Auftritte wie diejenigen am Tag nach meiner Ankunft erlebten wir während der Ausbildung noch mehrmals, wenn auch nie mehr in der geschilderten letzten Konsequenz. Dies war auch nicht nötig. Die Schwarzen unter uns, die etwa achtzig 24
Prozent ausmachten, waren davon nicht sonderlich beeindruckt, wir Weiße aber zogen jeder unsere Folgerungen daraus. Die Ausbildung in den Techniken des Guerilla-Krieges verlief eher eintönig, wenn man sich einmal an die außerordentliche Härte gewöhnt hatte. Das Land beschleunigte diesen Prozeß der Gewöhnung. Hitze, Kälte und Staub waren unsere ständige Umgebung, Hunger, Durst und Erbarmungslosigkeit bildeten unseren Alltag. Da stumpft man schnell ab. Früher als wir gedacht hatten, sollten wir in einer sogenannten »Trainings-Aktion« zeigen, was wir gelernt hätten und woran es in unserer Ausbildung noch fehlte. Unser Haufen wurde eines Abends vom Chinesen informiert, daß heute noch einmal die »Damen« kämen, weil wir morgen zu unserer ersten ernsten Aktion ausziehen würden. Allgemein handle es sich dabei darum, Luashi, einen etwa 800 km entfernten katangesischen Grenzort im Handstreich zu nehmen, uns dort mit Waffen, Fahrzeugen und Verpflegung zu versorgen, die dortige Garnison der ANC auszuheben und zu vernichten, anschließend bis Kasagi vorzudringen, unter der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten und dann in geordnetem Rückzug über die angolische Grenze ins Camp auf dem Mont de l'Espérance zurückzukehren. Ziel der so zu stiftenden Verwirrung war die Befreiung und Entführung Godefroy Munongos, eines ehemaligen Ministers Tschombes, der lange auf einer Insel im Kongo- Strom gefangengehalten worden war und nun angeblich in einer Schule in Kasagi festgehalten wurde. Kasagi aber ist ein kleiner Ort in Katanga, etwa 300 km von der Grenze entfernt.
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Noch aber saßen wir etwa 160 km von Silva Porto entfernt auf unserem famosen Mont de l'Espérance, den ich bei mir schon begonnen hatte, »Mont desesperant« zu nennen. Ich wunderte mich an diesem letzten Abend vor dem Aufbruch, daß ich keinerlei Begeisterung verspürte, keinerlei Aufbruchstimmung, auch keinerlei Nervosität, nichts, absolut gar nichts! Es gab nur wenig zu packen, nur einige persönliche »Spezial- Vorbereitungen« für den langen Marsch und natürlich die löblichen, äußerst schätzenswerten »Damen« aus Lobito! Am nächsten Morgen brach unsere Gruppe also sehr früh unter »Ché« auf, von dem noch zu berichten sein wird. Ähnliche Aufgaben wie uns wurden den zwei anderen Abteilungen, die man aus unserer französischsprechenden Gruppe gebildet hatte, gestellt: Die auf Dilolo angesetzte Gruppe, die uns zuerst begleiten sollte und unter deren Kommando wir bis zum eigenen Spezialeinsatz standen, wurde von Chéng Wang angeführt, einem alten Korea-Kämpfer, zernarbt, schweigsam, chinesisch bis auf die Knochen (besonders Haut und Gesicht!) und eisenhart. Diesen Chéng Wang nannten wir lange schon, in Anspielung auf das GuerillaIdol Guevara, nur mehr Ché. Meine Gruppe bestand aus 30 Mann: 24 Schwarze, Jean-Baptiste und Pierre, zwei Franzosen, Francois, ein Belgier, Pedro, ein Katalane, Palthazar, ein Portugiese und ich. Die dritte Gruppe, angeführt von unserem Chinesen, war auf Kisenge angesetzt. Unsere Ausrüstung: ein unbequem-schwerer, aber neuer englischer Kampfdrillich, amerikanische Fallschirmstiefel mit dazugehörigem Messer (einem etwas »moder26
nisierten« Bowie-knife), zwei handliche 45 – Kiwis, die speziell in Afrika benützten angolischen Armee-Pistolen mit je 400 Schuß pro Mann, pro Mann auch 6 Wurfgranaten, ein tschechisches Sturmgewehr, letztes Modell mit je 250 Schuß geölter und wasserdicht verpackter Munition, sowie je 6 Granaten – anti-person und nicht anti-tank! Als Fortbewegungsmittel hatten wir Fahrräder »ausgefaßt« und dazu die Anweisung, die Ausführung unseres Auftrags an Ort und Stelle jeweils nach den Gegebenheiten zu planen. So brachen wir an jenem Morgen auf. Da wir uns in Angola sozusagen im Freundesland befanden, und vor allem wegen des hierher geplanten Rückzuges, mußten wir auf eine Requirierung von Fahrzeugen in Angola ebenso verzichten wie auf die nach Dilolo führende Eisenbahn, die natürlich recht bequem gewesen wäre. Drei bis vier Tage würden wir deshalb bis zur Grenze benötigen. Die Räder leisteten uns dabei gute Dienste ... Angolas strikte Neutralität mußten wir auftragsgemäß achten. Träume aber sind frei, und die Wüste regt an zum Träumen. Hier träumt man sogar im Sattel – auch wenn dieser nur einem Stahlroß aufgeschraubt ist, made in Austria... Jeanette W., eine deutsche Jüdin aus Freiburg im Breisgau. Herbst 1941. Sie bangt um ihr Leben. Sie beauftragt einen Anwalt, ein Visum für die Schweiz oder irgendein anderes Land für sich und ihre nichtjüdische Tochter zu besorgen. Der Anwalt erhält einen »Geleitbrief« für Cuba, besorgt zwei Plätze auf einem Schiff für Ende Dezember 1941. Er wartet nur noch auf ein simples Transit-Visum der Schweiz, damit seine Auftraggeber sich über das nichtbesetzte Frankreich nach Portugal begeben können. Bern antwortet: Nein! 27
Jeanette W. und ihre kleine nichtjüdische Tochter verreckten in einer NS-Volks-Wohlfahrts-Gasdusche! . Sie hatten alle Schlüssel zum Leben in Händen – außer einem, der mit einem weißen Kreuz auf rotem Grund bezeichnet war. .. Aber Europäer lehnen die Gewalt, die Grausamkeit ab! Jener Beamte in Bern, aß er damals wohl Himbeermarmelade oder aber Honig zum Butterbrot? Nach dem Krieg half die Schweiz zahllosen »Kriegskindern« über den allerärgsten Hunger tatkräftig hinweg. Normalerweise nämlich ist die Schweiz neutral und barmherzig!
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2 Obwohl mir dieses verfluchte Unternehmen Kasagi, unter welcher Bezeichnung es später, bereichert um ein völlig unangebrachtes, falsches Heldenpathos, durch die gesamte Weltpresse ging und dort sogar mehrmals Schlagzeilen machte, obwohl mir dieser ganze beschissene »Stoßtrupp« in allen seinen verwickelten Details noch sehr deutlich vor Augen steht – zumindest soweit diese mich betreffen – bediene ich mich dennoch für exakte Erinnerungen meines damaligen Marsch-Tagebuches. Ich stelle dieserart Orte und Ereignisse in meiner flexiblen und ordnenden Erinnerung wieder so zusammen, wie sie kraft jener tieferen Ursachen und Einsichten, die oft in uns liegen, zusammengehören. Die simple Chronologie einer Geschichte ist meist nicht mehr als unverdauter Anachronismus. Zwar geschieht manchmal eine Tat im Orte B; der aufmerksame und nachdenkliche Beobachter weiß jedoch, daß sie eigentlich schon in A geschah, daß sie in B lediglich nach außen demonstrierte, was in A im Grunde schon abgeschlossen war. Manchmal (allerdings weit seltener!) geschehen Dinge auch im Vorhinein: So als hätten die Beteiligten in B bereits geahnt, was sie erst in C erfahren, erkennen, wissen konnten. Vor derartigen Ereignissen stehen wir dann staunend, erklären sie für unerklärlich. Manche fühlen sich in einem solchen Fall mit wohligem Schauder in der allmächtigen Hand eines überallem-Stehenden und verschließen ihr Auge willig vor dem in uns hineinführenden Abgrund des Unerforschten, Unbekannten, Unergründeten: 29
Lieber noch eine nicht weiter schreckliche, eher indifferente und womöglich persönliche Gottheit postulierend, dieser den wesentlichen Teil an Welt-Verantwortung zuschiebend ... und dieser postulierten Gottheit dafür paradoxerweise gehorchend – zumindest, solange dies nicht zu unbequem! – als dem tiefen Weg in die Dunkelheit in uns zu folgen, einem Weg, der viel Mut erfordert, mehr als uns gemeinhin von unseren braven Eltern in die die Wiege meist ersetzende Bettstatt gelegt wird ... Da unser Unternehmen von Portugal nicht offiziell gefördert, ja nicht einmal geduldet wurde, war es uns auch– wie schon gesagt – verboten, die am Fuße des Mont de l'Esperance vorüberführende Eisenbahn Benguela-LusakaBula-wayo-Kimberley-Capetown zu benützen, obwohl Dilolo eine Station an dieser Linie ist. Um die Befreiung Godefroy Munongos zu ermöglichen, hatten die einzelnen Gruppen folgenden Gesamtplan entworfen, dem sich alle Einzelaktionen unterzuordnen hatten: 1. Priorität hat unter allen Umständen das Unternehmen Kasagi! 2. Um die ANC davon möglichst lange abzulenken, stimmen die übrigen Gruppen ihre Einzelaktionen so aufeinander ab, daß die Katangesen darin eine geplante Gesamtaktion erkennen müssen und darauf eingehen. 3. Als Orte dieser Aktionen wurden ausersehen: Gruppe I: Luashi; Gruppe II: Kisenge; Gruppe III: Kasagi. Man hatte sich darauf geeinigt, und zwar in der richtigen Erkenntnis, daß immer das Komplizierte mißlingt, weil es zu viele Anfälligkeiten bietet, nur in den unumgänglichsten Zwangslagen zusammenzuarbeiten. Gegen eine solche Kollaboration sprach auch unsere Ausrüstung, besonders die Funkausrüstung: drei an sich ausgezeichnete PPRC-10-Geräte, welche aber im hügeli30
gen katangesischen Buschgelände nur eine Verständigung auf höchstens 300 km Entfernung gestatten würden. Meine Gruppe, die Gruppe III, sollte nach den dermaßen locker erstellten und nur generell abgestimmten Plänen überhaupt nur in zwei Punkten mit den anderen Gruppen zusammenarbeiten. Und das betraf jeweils das Überschreiten der angolisch-katangesischen Grenze: Wir sollten diese gemeinsam mit Gruppe I bei Luashi überschreiten, uns dann aber sofort absetzen, während die Gruppe I Luashi nehmen, säubern und halten würde. Eine erste Überraschung erwartete uns nach drei harten Marschtagen durch staubtrockenen, dürren Busch in Luashi... Wir hatten den Ort noch am frühen Nachmittag erreicht und informierten uns sofort über den jenseits der Grenze hegenden Posten. Etwa 30 gut bewaffnete Angehörige der ANC zählten wir bis zum Abend und beschlossen, diese Nacht schon im »gemütlichen Heim« drüben zu verbringen. Die Gruppe I sollte den Posten überrumpeln, wir würden erst auftauchen, wenn alles vorüber wäre, damit eventuell Entkommende nichts über die wahre Zahl der Eindringlinge aussagen könnten. Es war knapp 17 Uhr 30, der frühe afrikanische Abend sank orange-dunstig auf das Land nieder. Unsere Gruppe lag in einem etwa 150m von dem Posten entfernten langen Graben. Stechfliegen suchten unsere feuchte Haut. Es roch nach Schweiß und Leder, nach Urin, Mango, Salz und Staub. Aber es roch auch nach Khaki, nach Neger und nach Gefahr ... Gruppe I war nun schon unbemerkt auf etwa 50m an die Grenze herangelangt, verharrte dort und wartete das Verschwinden der Sonne ab.
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Diese schien uns nämlich – obwohl wir uns gesamtrichtungsmäßig nach Osten bewegten – ausgerechnet hier genau ins Gesicht, goldrot, flimmernd, aber schon relativ kühl. Immer wieder griff einer nervös nach den Zigaretten, erinnerte sich aber dann, daß er hier nicht gut rauchen konnte. Ich schaute auf die Uhr. 17 Uhr 47. Und genau deshalb habe ich auch die Sache nicht gesehen, nur gehört: Einsam, seltsam trocken, aber unverkennbar bellte der Abschuß eines Mörsers mitten in den mückentanzgoldenen Frieden, in diesen trügerischen afrikanischen Abendfrieden, ihn damit jäh beendend. Noch trockener die Aufschlagsexplosion, die uns schon in der berühmten Bauchlage mit den Händen überm Helm verschlungen antraf und übrigens bedenklich nahe lag. Die da vorne von uns sprangen sofort nach der Explosion auf – der Mörserschütze sollte keine Gelegenheit haben, sich einzuschießen – und rannten wie eingeübt los. Sie sprangen über Steine, Wurzeln und Dornen, vorwärts, auf den Posten zu! Man kann auch im Angriff »springen«, obwohl die Kriegsautoren dieses hübsche, bewegliche Wort ein für allemal für rückwärtsgerichtete Waffentransporte reserviert haben. Nein! Die unseren bewegten sich eindeutig vorwärts und mußten dabei springen .. . Wir anderen von der Gruppe III lagen etwas höher als sie, auch höher als die ANC-Leute. Deshalb sahen wir auch etwas, was sie – nämlich unsere angreifenden Leute– nicht bemerken konnten: Der Mann, der den Mörser bediente, blickte kurz auf, manipulierte an dem kleinen, spielzeugartigen tragbaren Ding, 32
und bevor wir diesmal noch den Krach hörten, sahen wir vier oder fünf der Angreifer zerfetzt herumfliegen. Von dieser zweiten Explosion hatten einige der Verteidiger profitiert und ein SMG durch ein geschlossenes Fenster in Stellung gebracht. Mit dem Tack-tack-tack der ersten Garbe waren die unseren zwar auch schon in voller Deckung, aber was war das für eine Deckung! Und es war noch früh! Uns hier oben jedoch hatte man noch nicht bemerkt. Wir schauten uns an. Eine kurze Lagebesprechung: Es war leichte Arbeit für uns! Die ANC-Leute sahen sich gegen uns überhaupt nicht vor. Der Mann am Mörser war allerdings ein Phänomen. Wohl hatte er schon einen Schuß abgekriegt, brachte aber dennoch eine neue Granate ins Rohr. Wie vorhin, und trotz seiner Verwundung, saß sie genau. Zwei unserer Gruppe fielen aus. Einem wurde die Seite aufgerissen. Alle drei waren Schwarze! Damals war ich noch naiv, zählte noch gewohnheitsmäßig schwarz und weiß und weiß und schwarz! Den Verwundeten ließen wir vorerst mit einer Handgranate in jeder Hand und einer Zigarette im Mund liegen. Der Rest war bald getan. Nach wenigen konzentrierten Feuerstößen aus unseren ungenau schießenden Sturmgewehren aus der CSSR rannten die ANC-Leute davon – nachdem plötzlich dreimal soviele Gegner da waren wie vorhin. – Wie Gazellen über die Steppen von Kenya! Nur weniger leichtfüßig (ich, im Laufen zu mir) Luftsprünge wiederholte übrigens nicht einer: Wer sprang, blieb anschließend liegen! Wir zählten später 32 Tote.
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Sechs davon waren unsere eigenen Leute: fünf Schwarze und ein Weißer. Drei der Schwarzen gehörten meiner Gruppe an, welche damit noch vor Überschreiten der Grenze auf 27 Mann reduziert worden war. Gruppe I säuberte noch Gebäude und Feld. Dabei wurden fünf teilweise ziemlich schwer verwundete Gefangene gemacht. Der Anblick unserer schwarzen Söldner, wie sie, mit schußbereitem Karabiner an der Hüfte, den Platz und die Umgebung nach Überlebenden absuchten, machte damals noch Eindruck auf mich, ließ mich sogar leicht frösteln. Dennoch aber wußte ich in jenem Augenblick genau und mit Bestimmtheit: Das war es, was ich damals gesucht hatte, als ich mich rekrutieren ließ. Die ganze erbarmungslose Brutalität unseres Industriezeitalters liegt in der Lässigkeit der Bewegungen dieser dunklen Gestalten im tarnfleckigen Drillich, den genieteten Leinengürtel nachlässig rechts etwas tiefer hängen lassend, die Lederschnüre der Revolvertasche zu koketten, fettglänzenden Schnüren geflochten, die Ärmel hochgekrempelt, den Helmriemen offen, eine Zigarette im dunklen Gesicht. Wo auf der Welt gehen sie in diesem Augenblick nicht über ein Feld, durch ein zerschossenes Dorf, einen chemisch entlaubten Dschungel, eine napalmbehandelte Stadt... Wo nicht?! Gleichgültig hier mit dem Fuß eine Leiche umwendend, dort ein letztes Lebenszeichen mit einem unbeteiligten Genickschuß beendend, immer eines Überraschungsangriffs gewärtig. Sehr vereinzelt hallten Schüsse durch die inzwischen hereingebrochene Nacht. Die Gefangenen schwiegen zuerst, aber nicht lange. Ich weiß eigentlich nicht, ob man sie folterte. Vielleicht 34
gehört zum Foltern die Freude am Schmerz des anderen, an der Angst auch. Ja natürlich, vor allem die Angst des Gefolterten ist unabdingbares Attribut der Folter! Aber das hatte unser Chinese uns ausgetrieben, aus uns herausgebrannt – dort oben in dem protestantischen Wüstenfort. Und unsere Gefangenen fürchteten sich auch nicht. Sie waren an Haken, Stangen und anderen geeigneten Extremitäten eines ihrer Lastwagen angebunden. Immer wieder stand einer der Schwarzen auf und brachte einem Gefangenen umständlich und ungewohnt schwerfällig irgendeine Verletzung bei, meist irreparabler Natur: Eine Hand wurde abgeschnitten, eine Nase, ein Ohr... Überhaupt: Afrika und das Abschneiden von Körperteilen! Bäuche wurden geöffnet, Hoden und Gesäße, Arschbacken geschlitzt und Schenkelknochen säuberlich bloßgelegt. Dabei starrte der Quälende dem Sterbenden meist forschend ins brüllende Gesicht, als wollte er dann sein eigenes, noch nicht so weit gediehenes Schicksal erforschen. Man hat noch gute Nerven in Afrika, ist nicht sonderlich lärmempfindlich. Ein Vorfall beeindruckte mich besonders: Einer unserer Leute fuchtelte lange mit dem Messer vor dem Gesicht eines noch jungen Burschen mit zerschossenem Bein herum. Alle wurden um mich herum schon ungeduldig: – Das rechte Ohr! – Ja, es ist ohnehin schon halb weg! -Nein, die Nase, das blutige Stück! – Also mach schon endlich! – Aber noch nicht die Augen! Plötzlich ein undefinierbarer, noch nie gehörter Laut im lauen Abend voll heimatlicher Maienstimmung: Und 35
wie sich bei einer Zeitrafferaufnahme eine Blume entfaltet, langsam, dann wieder ruckartig, entquollen dem klaffenden Bauch Gedärme, grüne Gedärme, weißlichgelbe Gedärme, rote Gedärme, blaue Gedärme, fette Gedärme, magere Gedärme, gefaltete Gedärme, geblähte Gedärme, gedärmte und gedehnte Gedärme! Immer mehr, noch mehr und noch mehr, und als man annehmen konnte, daß es soviel Innereien in einem einzigen Menschen gar nicht geben könne, da taten diese Därme wieder einen Ruck, und wieder entfaltete sich eine ganze Packung... Ob tatsächlich das Schaf den im Verhältnis zu seiner Körperlänge längsten Darm hat?... Palthazar, er hatte es getan, stand verzaubert vor dieser Fülle, wie einst Parzifal vor dem herrlichen Blutfleck. Nun griff er hinein ins volle Menschenleben, wühlte vorsichtig darin, während der junge Neger – nein, jetzt war er gar nicht mehr jung, uralt war er in dieser einen Minute geworden, alt wie sein Land, mit eingefallenen grauen Zügen. Man kann ein Leben zeugen innerhalb einer Minute und eines zerstören, warum sollte man ein Leben nicht auch in einer Minute durchleben können, vom Jüngling bis zum Greis?! – während dieser alte junge Mann das Weiße seiner Augen nach Art der Neger schrecklich nach unten rollte und so tief aufstöhnte, daß der Boden unter meinen Füßen zu vibrieren schien. Aber ich weiß ganz genau, daß Palthazar damals den Mann nicht quälte, jedenfalls nicht absichtlich ins unserem Sinne quälte. Afrika!!! Daß solche Szenen immer vom flakkernden Lichte eines offenen Feuers beleuchtet werden müssen! Seit wievielen Tausenden von Jahren etwa schon? Als vertrüge unser aus atavistischen Urtagen emporsteigendes Barbarentum kein anderes Licht.
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Tatsächlich aber foltert man auch unter Glühbirnen und Neonröhren – mit Glühbirnen übrigens auch! Hier heraußen konnte jeder der Geschlagenen bequem in einer ständig wachsenden Lache eigenen Blutes stehen! An die Racheschwüre der ANC-Leute, später, beim Anblick dieser Leichen, daran wollte ich jetzt lieber nicht denken! Und auch nicht daran, was den Frauen und Kindern von Luashi morgen blühen mochte – falls irrsinnigerweise noch welche von ihnen zurückgeblieben sein sollten, was aber kaum zu befürchten war, da man in Afrika allerorts gewohnt ist, immer wieder einmal zu flüchten – denn morgen wollte die Gruppe I diesen Ort »säubern«, wie das auf gut Militärisch nun einmal heißt: Säubern, wovon wohl? – Wie haben Sie mich eigentlich gefunden, Eliah? (ich, aus meinen Erinnerungen in die Gegenwart zurückkehrend und erfolglos bemüht, mich an sein Gesicht im Zusammenhang mit Katanga zu erinnern) Selbst meine Träume hatte ich bisher vergeblich nach ihm durchgekramt. – Mister Goldensmith ist seit gut zwei Jahren darüber informiert, daß Sie in Paris leben und... und daß Sie sich nun wieder Dupont nennen. Aber Sie wissen ja – hm – Dupont...! (Eliah, höflich, beinahe anerkennend lächelnd) – Ich weiß, die gibt's wie Sand am Meer! (ich, eine stereotype Phrase reproduzierend, um dadurch Zeit zum Nachdenken zu gewinnen) – Sie sagen es, Monsieur! (Eliah lakonisch) – Eben! (ich, wieder fieberhaft überlegend, alles in Gedanken noch einmal ordnend) 37
Ich mußte vor allem Zeit gewinnen! Eines war klar: Ich mußte jetzt sofort und unauffällig das Äußerste einleiten ... und auch durchführen! Alles war ja bestens vorbereitet, wenn auch nur improvisatorisch organisiert. Sobald einem einmal keine Wahl mehr bleibt... Man glaubt zwar immer, es käme nie soweit, daß man keine Wahl mehr hat – solange man nur theoretisiert! Tatsächlich aber verspielt man in 99 von 100 Fällen lediglich die Chance einer letzten Wahl durch zu langes Warten. Aber nicht ich! Ich war schließlich Elite, ausgebildete Elite, speziell ausgebildete Elite sogar – lächerlich einfach, mit diesem fetten Mister Goldensmith und seinen Leichenbestattungs-Gorillas fertigzuwerden! Ich hatte vom öffnen der Türe an erkannt, daß meine Stunde der Wahl gekommen war. Irgendwann bleibt einem aber anstelle der Wahl nur mehr ein Entschluß übrig, nämlich die Frage: Wann? Je länger man aber zögert, um so mehr wird auch dieses Wann? eingeengt – bis einem die Handlungsfreiheit völlig entglitten ist. In meiner Vorstellung lag dann das zu lange zögernde Opfer gefesselt und geknebelt auf einem säuberlich aufgeschlagenen Hotelbett, Schuhe und Socken ausgezogen, vielleicht auch andere Kleidungsstücke, und die Leute, auf die die Handlung übergegangen ist, halten ihm ein Bügeleisen – letztes elektronisch gesteuertes Modell mit Temperaturregelung für Leinen, Nylon, Wolle, Kalbfleisch, Rindfleisch usw. – an die dampfenden Fußsohlen oder an andere schmackhafte Körperstellen ... Ich jedenfalls mußte hier und jetzt noch warten, bis dieser ungeheuer nachtragende Mister Goldensmith mit al-
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len seinen Bestattungsleuten zu meiner Bestattung hier eingetroffen war. – Sie erlauben doch! (ich, ans Fenster tretend, den Vorhang leicht beiseite schiebend) – Ich bitte Sie! (Eliah, zuvorkommend) – Steckt da etwa jener Reporter dahinter, der vor circa drei Monaten ... ich meine, daß Goldensmith mich aufspürte? Ich hätte das Aas gleich umlegen sollen, anstatt ihn nur hinauszuwerfen! (ich, wieder derb werdend) Aber Eliah war ein guter Mann, ließ sich nichts herauslocken, grinste bloß und schwieg – von ihm würde ich nur schwer etwas erfahren. Ich mußte mir selbst helfen. Dieser Reporter! Ich werfe ihn die Treppe hinunter, wohlgemerkt: wortlos! – und er geht hin und erfindet einen Artikel über mich... Muß schon sagen: so ein Schwein! Lastet mir in dem blöden Geschreibsel alles an, was an Scheußlichkeiten im Kongo je geschehen ist! Dieser Schmalspur-Kriegsreporter! Wie der sich den »SöldnerAlltag« vorstellt – phaa! Den sollte man einmal zu einem blutverkrusteten Hackstock führen, vor dem alle möglichen abgehackten Körperteile auf einem Haufen liegen. Und dann heraus mit dem ... aber was denn! War ja ohnehin alles Blödsinn! Und dazu noch der idiotische Schluß seiner Geschichte: .. . doch Herr Dupont, dem einzigen Überlebenden des Unternehmens Kasagi kann natürlich nichts nachgewiesen werden. Er hat nur beobachtet, sich seiner Haut gewehrt, seine Kameraden gelegentlich vor Unheil bewahrt, im allgemeinen aber sehr passiv gehandelt, sich nicht engagiert, sich auch nie bindend geäußert. Er wurde von den Strömen von Blut weder berührt noch gerührt. Monsieur Charles Dupont ging durch alle Greuel 39
wie durch ein reinigendes Feuer. Ich aber frage Sie: Wo sind Ihre Kameraden, Dupont?! Es war sehr günstig, daß in solchem Zusammenhang Namen wie Smith, Meier oder Dupont von niemandem ernstgenommen werden. Vielmehr würden alle Leser den tatsächlich rein erfundenen Inhalt dieses Artikels wegen des Namens, also aus falschen Gründen, für erfunden oder chiffriert halten. Nicht so aber offenbar der gründliche Mister Goldensmith. Immerhin hatte mich der Besuch des Reporters damals angeregt. Seit Jahren besuchte ich wieder einmal die Kneipe am Boul'-Mich', in der fast nur Söldner, Legionäre und Waffenschieber verkehren. Immer noch hing über der Bar das blöde Schild: Alkohol tötet zwar langsam, aber sicher! (Wir haben es auch nicht eilig!) hatte jemand dick mit Bleistift daruntergeschmiert, und es stand immer noch da. Ich wollte wieder Erinnerung atmen. Kasagi! Nichts als Fliegen, Scheiße, Blut und wieder Fliegen. Scheißnest, verdammtes! Die in Luashi erbeuteten Wagen, es waren nur zwei, belud meine Gruppe mit ihrem mageren Gepäck, das beinahe ausschließlich aus Waffen und Munition bestand, und sofort machten wir uns auf den Weg nach Kasagi. Auf halber Strecke zwischen Luashi und Kasagi liegt Kisenge, das inzwischen von Gruppe II genommen sein mußte. Wir hofften dort eventuell noch Wagen zu bekommen und brachen, nachdem wir keine Funkverbindung mit Gruppe II zustandegebracht hatten, dorthin auf. Daß Kisenge bereits in unserer Hand war, wußten wir aus einem noch gestern nacht abgefangenen Funkspruch der
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ANC, in welchem von einem Kampf und 80 Toten die Rede gewesen war. Da es bei uns bei weitem nicht so viele Tote gegeben hatte, konnte es sich bei der Meldung nur um Kisenge handeln. Kisenge war für uns auch noch aus einem anderen Grunde ein notwendiger Umweg – es liegt nämlich etwas westlich der direkten Route Luashi-Kasagi: Wir hatten uns in Luashi noch nicht hinreichend verpflegen können. Kisenge liegt in einem kleinen, von Tropenwäldern umgebenen Kessel. Die Straße ist eine einzige Schweinerei aus phantastischen Schlaglöchern. Ich saß auf dem linken Kotflügel unseres uralten, keuchenden CMC, das heißt, klammerte mich krampfhaft daran fest und ließ mir tiefe Gedanken hochrütteln, wobei ich auch Platitüden regelmäßig und irrtümlich immer wieder durchdachte - im Rhythmus der Schlaglöcher bei Kisenge: Afrika hat so viel Licht und ist angeblich dennoch dunkel! Afrika hat so viel Licht, ist aber angeblich dunkel! Afrika hat angeblich soviel Licht... Hei! Wie wir dann plötzlich alle in den Wald hinein hopsten, weg von der Scheißstraße! Nein, leider nicht alle! Der Wagen vor uns war nämlich auf einmal explodiert. Mine? Nein, Mörser! Schon wieder! Und schon wieder ein Mörser-MeisterSchütze. Der nächste Schuß zerfetzte jetzt unseren zweiten Wagen, setzte ihn und unsere Ausrüstung, soweit wir diese nicht auf dem Leibe trugen, in Brand. Pedro rannte plötzlich hinaus auf die Straße, brüllte ganz entsetzliche Flüche, in denen immer noch – trotz Söldnerausbildung – die heilige Mutter Gottes eine bedeutende Rolle spielte, und war offenbar der verhängnis-
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vollen Ansicht erlegen, daß unsere famose Gruppe II uns dermaßen aufs Korn genommen habe. Ebenso unvermittelt, wie wir unter Beschuß geraten waren, befanden wir uns am Ortseingang von Kisenge. Von einem Baum am linken Straßenrand baumelte, ohne Nase, Ohren, Haare, Hände, Uniform und ähnliche Extremitäten unser Chinese. – Unser Chinese! (Pedro, nun seinen Irrtum ebenfalls erkennend) Scheußlich, so gelb und haar- und nasenlos! Nicht nur wir gingen anscheinend so mit Gefangenen um! Kisenge war also offenbar fest in der Hand der ANC! Seltsamerweise dachte ich beim Anblick unseres Chinesen nicht an jenen massakrierten Knaben am Mont de l'Esperance, sondern daran, wie unser Chinamann bei einer besonders harten Übung seine letzten Zigaretten mit uns geteilt hatte. Immer dieses doppelte Maß, die Korruptionsbrille! So unlogisch ist man. Jean-Baptiste und Pierre, zwei ehemalige französische Paras, wollten den Mörser mit sechs weiteren Leuten nehmen. Wir anderen sollten die Bedienung, einen weißen Söldner, inzwischen ablenken, beschäftigen. Pedro, der von der offenen Straße nicht mehr hatte zurückkehren können, lag hinter unserem ausbrennenden und seine Munition verknallenden Lastwagen und wurde durch Zeichen von unserer Aktion verständigt. Er meldete uns, daß beim Mörser insgesamt nur vier Mann wären, welche allerdings auch ein Maschinengewehr aufgebaut hätten, eine Tatsache, die er selbst hätte besser bedenken sollen! Seltsam belustigend die Geste, mit der er das MG andeutete – ausgerechnet! Dabei mußte er seine Deckung vernachlässigt haben! Eine Garbe spritzte die Straße entlang, Pedro verharrte 42
plötzlich erstaunt, blickte an sich hinab, und auch wir sahen neben den Schweißflecken auf der Brust seines Kampfanzugs dunklere Flecken erscheinen. Pedro lehnte seinen Karabiner behutsam an den linken Hinterreifen des immer heller brennenden CMC, bedeutete uns mit der bei ihm vertrauten Geste: Scheiße, lehnte sich langausgestreckt-sitzend ebenfalls an den nun schon rauchenden Reifen, rollte sich sorgfältig eine Zigarette, die er noch genüßlich ansteckte, dann fiel er um, kippte zur Seite ins Schußfeld des MG's, und abermals peitschte eine Garbe über ihn hinweg, durch ihn hindurch. Aus der Präzision der zwei Mörserschüsse und der zweiten MG-Garbe hatten wir erkannt, wen wir vor uns hatten: Amerikanische »Special Forces«. Kisenge ist Bergbaustadt, und auf die katangischen Minen ebenso wie auf das katangische Öl konzentrierten sich amerikanische Interessen, nötigenfalls im Kampfdrillich und mit schweren Waffen! Jean-Baptiste und Pierre verschwanden mit ihren sechs schwarzen Söldnern, und wir begannen ein Geplänkel, dem wir nun einen leicht geänderten Sinn zu unterlegen suchten. Eigentlich wollten wir anfänglich so tun, als solle Pedro aus seiner bedrängten Lage befreit werden. Jetzt gaben wir vor, seine Leiche bergen zu wollen – naiver Täuschungsversuch, für Söldner. Idiotie! Bei den Amis kamen wir damit auch nicht an. Ein scharfer Pfiff, ein Handsignal, und während uns eine Streugarbe des MG's um die Ohren fegte, raste ein Jeep mit aufgebauter Schnellfeuerkanone im Rückwärtsgang und ebenfalls feuernd an den Mörser heran. Die zwei Schwarzen warfen das MG und den Mörser hinauf, die Amis uns einige Handgranaten vor die Füße, und als wir wieder aufschauten, zogen die beiden aufgestiegenen 43
Söldner eben den von den Amis zusammengelegten »Taschen-Mörser« nach hinten, die Räder des Jeeps fetzten den Boden auf und rissen den Wagen vorwärts. Die beiden Cowboys vom Mörser hielten sich am davonschießenden Wagen fest, benützten den Schwung des Kavaliersstarts und schwangen sich damit elegant auf die hohe Brücke – wie im Western beim Aufspringen auf das angaloppierende Pferd! Typisch übrigens für diese Amis: zuerst der Mörser, dann erst die Bedienung. Einem Feuerstoß unseres inzwischen vorne angelangten Stoßtrupps antworteten bereits alle fünf aus allen verfügbaren Rohren. – Genau wie im Western! (ich, träumend) Und ich träumte von weiten Prärien und reitenden Revolverhelden. Diese Cowboys hier schwangen sich jedoch ganz prosaisch auf Jeeps, und das Schlachthaus, das wir in Kisenge vorfinden würden, konnte ich mir nach Luashi gut vorstellen – nur waren es diesmal unsere Leute, die geschlachtet worden waren, die Gruppe II zumindest vorerst einmal. Unser Chinese hing nicht umsonst als Wahrzeichen schon am Ortsemgang. Das war ungefähr so, wie wenn man früher einer Truppe ihre Fahne abgenommen und geschändet hätte: Fanal und letztmögliche Schmach! Wie aber war es zu dem fatalen katangesischen Funkspruch gekommen, der beinahe auch uns noch ins Verderben geführt hätte? Hatten die ANC-Leute unsere 30 Massakrierten so maßlos übertrieben, um zu zeigen, wie stark und notwendig sie hier an der »Friedensgrenze« wären? Hatten sie ihre 30 Verluste gemeint und übertrieben, um mehr Verstärkung zu bekommen? Oder hieß 30 auf Afrikanisch 80? Oder hatte unser Funkdolmetscher falsch 44
übersetzt? Oder aber hatte er in der Missionsschule lediglich die Zahlen falsch gelernt? Vielleicht kannte auch einer der beiden in Frage kommenden Funker – der ANC-Sender oder der SöldnerEmpfänger – einfach die Morsezahlen nicht? Afrika ist auch heute noch voll von abgeschnittenen Ohren und unergründlichen Geheimnissen! Kisenge fanden wir, wie nicht anders erwartet, widerstandslos und geräumt vor, bis auf die Leichen der Unseren – kaum mehr zu identifizieren! Aus der Traum von Wagen und Verpflegung! Die Sache begann eine völlig andere Wendung zu nehmen. Ché jedoch ließ sich dadurch nicht im mindesten beeindrukken und tat in seinen Entscheidungen so, als wären diese seit je geplant. Da wir nichts Besseres zu tun wußten, pumpten wir vorderhand einmal die drei Benzinstationen der Stadt auf ihre Straßen hinaus leer und schleppten unsere Toten herbei. Jeder schnappte sich immer wieder einen davon, hob ihn unter den Achseln hoch und schleifte ihn heran zum Sammelplatz – nur Muhammed, der riesige Schwarze, trug die Leichen auf der Schulter wie Mehlsäcke. Er warf sie auch genauso zu Boden! Die meisten von ihnen bissen dabei so fest auf ihr aus ihren Zähnen ragendes Glied, daß dieses nur unter Anwendung von technischen Hilfsmitteln hatte befreit werden können. Wir legten sie wortlos in die Überschwemmung von Benzin, oder was da sonst aus den Pumpen geronnen sein mochte, dann zündeten wir alles an und machten uns davon.
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Noch spät in der Nacht bemerkten wir von unserem Nachtlager auf einer fernen Hügelkette aus die brennende und qualmende Stadt. Seltsamerweise fand ich den Gedanken, daß wenigstens keine Menschen mehr in der Stadt waren, nicht beruhigend: Keine Menschen – keine Feuerwehr! Nur noch selten brennen heutzutage ganze Städte ohne Mithilfe der Feuerwehr nieder! Und die von der ANC aufgeriebene Gruppe? Asche und Haut! Es waren nun nur mehr wenige Kilometer bis zu unserem Ziel Kasagi. Wir hofften, die Katangesen würden annehmen, daß wir uns, den Gesetzen der gewöhnlichen militärischen Vernunft folgend, zur nächstgelegenen Grenzstelle zurückgezogen hätten. Unsere Fahrräder waren planmäßig vor Luashi liegengeblieben und inzwischen – wie alles Eisen, für das die Schwarzen einen besonders entwickelten Geruchssinn zeigen – sicherlich längst spurlos in der afrikanischen Weite verschwunden. Unsere CMC's lagen als ausgebrannte Wracks vor Kisenge. Eine unserer weiteren hypothetischen Hoffnungen war, daß die verbliebene Gruppe von der Katastrophe Kisenge erfahren würde und die Aktion der aufgeriebenen Gruppe unseres Chinesen übernehmen konnte. Ohne diese »Aktion Dilolo« war nämlich unsere eigene Aktion ohne Fond, hing sozusagen in der Luft. Auf verlorenem Posten standen wir aber ohnehin schon, da unsere bisherigen Verluste für unser Unternehmen bereits zu hoch waren. So rechneten wir uns mehr Chancen bei planmäßiger Fortführung unserer Auf46
gabe aus als bei einem vorzeitigen ungeplanten Rückzug, der deshalb auch jeder Unterstützung von anderer Seite entbehren würde. So schrecklich diese »Hoffnungen« en detail auch sein mochten – vor allem für die noch Betroffenen, wenn man an Luashi dachte – en gros waren sie für uns lebensnotwendig. Ohne dies direkt auszusprechen, waren unsere nur mehr achtzehn schwarzen Kameraden einhellig der Ansicht, daß wir es eine gewisse Zeit lang mit sämtlichen umliegenden ANC-Garnisonen gleichzeitig aufnehmen könnten, jedenfalls lange genug, um unseren Auftrag in Kasagi auszuführen und uns über Dilolo planmäßig zurückzuziehen – solange wir nicht auf andere »Weiße Riesen« stießen. Dies war nicht nur die typische Reaktion einer gutausgebildeten Elite-Einheit nach den ersten Bewährungsproben, es spielte auch eine Portion SöldnerPhilosophie dabei wesentlich mit: Bezahlt wurden wir nur für den ausgeführten Auftrag und – mit einer festgelegten Summe. Je weniger zurückkamen, um so mehr gewann der einzelne! Ich dachte eigentlich damals überhaupt nicht an Geld – eher an unseren Chinesen und an seine herrlichen »Predigten der schrankenlosen Gewalt« ... Ja, wenn wir nicht auf »Weiße Riesen« stießen! Zwar werden diese Berets Verts, die stolzen amerikanischen Special Forces, in Afrika nicht für ganz so hart angesehen wie etwa in den USA – mit den Affreux verglichen, wirken sie trotz aller ausgestreuten Greuelgerüchte aus Vietnam etwas weniger gigantisch – aber immerhin: Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es schon Gewicht, wenn man sagen kann: Civis americanus sum!
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Weltreich bleibt eben Weltreich, Imperium, mit oder ohne Imperialismus! Kasagi hat, falls man das in der kongolesischen Topographie nicht von jedem zweiten Ort behaupten kann, einige strategische Bedeutung. Hier kommen die Straßen aus Sandoa, Kamina und Kolwezi zusammen. Die Straße nach Sandoa ist in unserem Falle eine Falle, eine Sackgasse. Kamina liegt wie Sandoa wieder an der Bahn, aber an einer anderen Linie: Pt. Francqui – Elisabethville. Von Kasagi aus betrachtet, führt zuerst, wie der Griff einer Steinschleuder, eine einzige gerade Straße etwa 60 km nach Norden, dort verzweigt sie sich in die beiden Äste der Schleuder: Der linke reicht bis Sandoa, der rechte macht dort, wo die Schleuder enden sollte, einen kleinen Bogen nach Norden und stößt nach einer etwa 150 km langen schnurgeraden WNW-Strecke auf die erwähnte Bahnlinie Pt. Francqui – Elisabethville. Kasagi vereinigt aber noch zwei Straßen, nämlich die aus Angola kommende und von hier nach Dilolo führende, auf der wir morgen auf Kasagi vorrücken würden, und ihre östliche Fortsetzung nach Kolwezi... Beim Anblick dieser Pläne erinnerte ich mich unserer Amis von Kisenge. Und wieder verlor ich mich über ihre Anwesenheit hier in Gedanken, in Tagträume geradezu. Und wieder wurden Dinge hochgespült in mir, die ich viel früher einmal irgendwo gehört oder gelesen haben mußte: Wer vermag heute wirklich noch auseinanderzuhalten, was von seinen Gedanken wirklich gedacht, das heißt, von ihm selbst gedacht, ausgedacht, erdacht ist – oder auch nur umgedacht, richtiggedacht, vorgedacht – nicht aber lediglich nachgedacht ist? 48
Am Anfang oder in der Entwicklung fast aller bewaffneten Konflikte seit Beginn dieses Jahrhunderts findet man das Erdöl! Napalm, TNT, Nylon, Tergal, Dacron, Orion, Insektizide, chemische Dünger, Karosserien, Teller, Duschen, Schönheitscremes, Gartentische, Tischdekken, Firnisse, künstliche Blumen, Dachplatten, Vorhänge, Lippenstifte, Nagellacke, Unterkleider, Lauge, Schwämme, Becher, Zahnbürsten, Küchengas, Druckerfarbe, Asphalt, Paraffin, Mottenkugeln, Aspirin, Filme ... Etwa 300 000 Produkte gewinnt man aus dem Erdöl. Die in der westlichen Welt hervorgerufene Katastrophe bei einem eventuellen Erdölmangel wäre unvorstellbar! Erdöl in Vietnam beispielsweise? Natürlich, wenn auch kein Mensch, und schon gar nicht die amerikanischen Kriegsnachrichten davon berichten. Jawohl, Erdöl in Vietnam, beinahe an der Erdoberfläche! Und die großen Ölgesellschaften wissen dies – genau seit 1933. Auch mit solchen Daten ließe sich eine Weltgeschichte schreiben! Erdöl in Tschepon in Laos, Erdöl in Annam, Erdöl in Savannakhet an der laotisch-thaiischen Grenze... In Vietnam wird getötet, in Afrika wird getötet. Wer tötet wen für wen und warum? Ist es mit den »Weißen Riesen« so wie mit dem Riesen Thyrsus, dessen vergossenes Blut heute als Steinöl gewonnen wird?
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3 Ich saß an diesem Abend lange im Mondschein, den Rücken an einen Affenbrotbaum gelehnt, starrte nach Norden, nach Kasagi, und dachte an den Süden, träumte von Zambia: Aber nicht das Land, sein Name brachte mich zum Träumen – Zambia! In der Realität scherte mich damals Zambia wenig. Die Eisenbahnlinie, welche Englands Rhodesien-Embargo hinterging, die dunklen Tabakgeschäfte des Jan Smith, die lächerlichen staubigen Straßen, vollgestopft mit Öltankern: Zambia – zukünftiges Dorado der Söldner! Ich träumte damals pseudo-philosophisch von seinem vokalen Namen und stellte mir darunter ein Mädchen vor, ein schwarzes Mädchen mit aufregend großen und festen Brüsten, mit schmalen Waden und langen Schenkeln, mit deutlicher Hüfte, brennend-klaffenden Lippen und einer makellosen Haut: Zambia! Ich konnte sie geradezu riechen, in jener so vage-einsamen Nacht unterm afrikanischen Sternenhimmel. Alle haben sie ihn nämlich, diesen erregenden und gleichzeitig warnenden Geruch, der sich wie eine Schranke zwischen den Rassen erhebt. Er ist schwer zu beschreiben, aber an jenem Abend spürte spürte ich ihn, sog ihn wollüstig in mich ein, erkannte ihn wieder und erkannte auch, daß er es war, der den Negern ihre sagenhafte Virilität verlieh - bei weißen Frauen aber nur! Er fehlt ihnen dort zur Befriedigung, und als könnte ihr Körper nicht glauben, was der Geist inzwischen leicht faßte: Entspannung ohne Befriedigung, Erfüllung ohne Stillung, anstrengende Hast ohne Ende des Reizes. So 50
fangen sie immer wieder von vorne an: ungläubig im Grunde, rastlos, ratlos, immer wieder und wieder, unbefriedigt, aber befriedigend. Ja, gewiß, das war es wohl! Und es lag alles im Namen, in der Luft von Zambia, die leicht aus Süden heranstrich, unser Feuer flackern machte, unsere schwarzen Kameraden lediglich zum Trinken anregte, mich aber mit seltsamen Zusammenhängen überfiel: Zambia und Zambezi? Eine interessante Klangverwandtschaft, die in meinem Gedächtnis nach einigem Suchen weiteren Widerhall fand. Auf Zambia antwortet nämlich nicht nur der Zambezi, sondern auch einer seiner Nebenflüsse, der Chambeshi oder Chambezi. An Zambia aber grenzt auch MoZambi-que... Diese seltsamen Verwandtschaften findet man hier auf Schritt-und-Tritt: Rhodesien und Barotse, Tanzania und Tanganyika. Wo flöß eigentlich der Zambezi? Ich wußte es nicht und konnte es jetzt nicht feststellen. Auf meiner persönlichen Detailkarte fand sich Angola mit Straßen und Bahnen, der Kongo und Katanga in seinen Grenzgebieten, Ortspläne von Dilolo, Luashi, Kisenge und Kasagi, der nördlichste Zipfel Zambias war sogar vorhanden. Seine Grenze verläuft keine 100 km südlich von mir – aber den Zambezi konnte ich nicht finden. Mit solchen Dingen ist es immer sehr schwierig. Man kann ihnen mit alleinigem Nachdenken nicht beikommen. Hier gibt es keine Erkenntnisse wie etwa vorhin beim Nachdenken über den Geruch der schwarzen Mädchen. Hier gibt es nur Erinnerung, Vergessen oder Leere. Gewiß hatten wir in der Schule einst vom Zambezi ge51
lernt, so erinnerte ich mich in diesem Augenblick genau seiner Fälle: natürlich, die Zambezi- oder Livingstonefälle!!! Aber wo floß der Zambezi, wo? In Zambia, in Kamerun, in Malawi, Mozambique, Betschuanaland, Südwest-Afrika, Tanzania, Rhodesien oder im Kongo? Meine Gedanken streiften durch Afrikas zukünftige Provinzen, nannten sie bei ihren klingenden verflossenen Namen – ich suchte schließlich Zambezi wie eine Geliebte und fühlte mich allein, denn ich fand sie auch nicht in mir. Dafür fand ich schließlich wieder zurück zu mir, fand Bartholomeo, einen Söldner aus dem Sudan, mit einer angebissenen Tasse voll Whisky neben mir, die er mir mit traurigen Augen reichte, indem er mich fragend anblickte. – Pas pleurer! Mußt nicht weinen! In Kasagi viele schöne Mädchen, Charles. (Bartholomeo, meinen Kummer erahnend) Was aber sollte ich mit schönen Mädchen in Kasagi, wenn dort nicht Zambia wartete, nicht der Zambezi strömte? Ich trank also, und Bartholomeo lachte, klopfte mir kopfnickend auf die Schulter, griff mit seinen langen schmalen, auffallend hell genagelten Händen nach der Schnapstasse, entwirrte lässig-anmutig seine langen, ineinandergeschlungenen Beine, lachte mir noch einmal gutmütig ins Gesicht und kehrte zurück zum abgeblendeten Feuer. Wo immer der Krieg heute hinkommt, bringt er den Whisky mit. Eingerollt in meine Decke, träumte ich unter einer weitausladenden Affenbrotbaumkrone von der wohlbehüfteten Zambia. Mein Kopf war schwer, und rund um mich her war es stockdunkel und laut - viel zu laut! - als ich erwachte. 52
Welch scheußlicher Lärm! - Scheiße! Verdammte Hurenscheiße! (ich, fluchend) Mit einem Riesensatz war ich aus der Decke und hinter einem Baumstamm. – Verdammter Negerarsch!... angeschissener... angeschneuzter... eingepökelter! (immer noch ich, hellwach nun und Zambia vermissend) – Negerarsch, verfluchter, angeschneuzter, eingemachter! (ich, noch einmal die ganze Litanei herunterbetend) Derartige Repetitionen sind bei mir Anzeichen der allerhöchsten Alarmstufe. Wo war Feind, wo Freund? Sollte ich mitschießen? Einfach so auf gut Glück? Wie die anderen offenbar auch? Ich zurrte meinen Revolvergurt hoch, der noch in Schlafstellung über das Gesäß baumelte. – Scheiß-Weiberarsch, kandierter, klebriger! (ich, nun immer denselben Spruch bequem und gedankensparend variierend) Hätte mir leicht selbst einen kalten Arsch eintragen können ... einen angeschissenen ... marinierten . .. Aus war's mit Fluchen und sich durch Unflat Mut machen: Über meine Beine strauchelte ein Körper. – Uüääähh!!! (ich, unseren am Mont de l'Espérance tausendfach geübten Kampfschrei ausstoßend) Während ich noch brüllte und wußte, daß dieser Schrei meinem Gegner das Blut in den Adern gerinnen lassen würde, warf ich mich herum und über den Gestürzten. Doch da erlebte ich die knochenmarksägende Gänsehaut-Wirkung unseres Schreis an mir selbst: »Uüääähh!!!« prallte es mir überraschenderweise entgegen, und ich ließ das erhobene Messer wieder sinken. – Charles! (ich, mich zu erkennen gebend) 53
– Jesus! (dieser, erleichtert seufzend) – mother-fucker! (wir alle beide) Ein bei uns beliebter Ausdruck der Erleichterung, dessen wörtlichen Sinn wir durch exzessiven Gebrauch der Formulierung lange schon nicht mehr beachteten. Rundum war es still geworden, unheimlich still nach dem Schießplatz- Rummel von vorhin. Jesus flüsterte durch die trichterförmig vorgehaltenen Hände und nach allen Richtungen: Jesus, Jesus, Jesus! Er bekam auch gleich Antwort: Moise, Pierre, Marx, Muhammed... Es dauerte noch eine Weile, bis wir uns alle zusammengefunden hatten – alle bis auf Bartholomeo. Er hatte die letzte Wache geschoben. Jean-Baptiste, Pierre und ich machten uns auf Kundschaft zum nördlichen Abhang auf. Ché sollte mit dem Gros der Leute notfalls das Lager halten. Francois, Palthazar und noch einige durchkämmten das südliche Waldstück. Das soeben aufkommende erste Tageslicht erleichterte die Sache, und als wir nach etwa einer Viertelstunde durch Signal zurückgerufen wurden, war es nicht nur bereits heller Tag, es hatte auch der nächtliche Spuk seine Aufklärung gefunden. Bartholomeo lehnte tot und durchsiebt an einem Baum, sitzend, in einer Hand den leergeschossenen Karabiner, in der anderen die Pistole, ebenfalls leer, zwischen den Beinen schützend eingeklemmt, damit sie ja nicht umfallen könnte, die Tasse, noch immer etwas Whisky mit etlichen konservierten Käfern enthaltend. Die Zigarette, die ihm aus dem klaffenden Mund gefallen war, mußte noch lange geglimmt haben. Sie hatte sich durch Drillich und Unterhose gearbeitet und war vermutlich erst durch
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eine Schreckreaktion des an der Vorhaut leicht angesenkten Penis gelöscht worden. Ja, auch so kann man sich einen kalten Arsch holen, einen eiskalten, und sogar mitten in Afrika! Bartholomeo hatte der Armee-Whisky anscheinend auch zum Träumen gebracht – allerdings nicht so angenehm wie mich. Er mußte plötzlich die Nerven verloren und sinnlos um sich geknallt haben. Unsere Leute, ohnehin nur auf einem Auge schlafend, hatten dann überall hingebelfert, wo sie Mündungsfeuer sahen, jeder schön gegen jeden! Und da Bartholomeo der einzige Mann ohne Deckung war... Francois hatte einen Steckschuß in der linken Schulter, sieben von den schwarzen Söldnern, an deren bizarre Namen ich mich nicht mehr erinnere, waren leicht verwundet, Palthazar hatte einen Streifschuß am Hintern erhalten, eine unangenehme Wunde, die ihm noch erhebliche Scherereien bereiten sollte. Ich hatte zum Glück nicht mitgehalten bei diesem Feuerwerk, das ein bezeichnendes Licht auf die herrschende Nervosität warf. Ein zweifacher Vorteil! dachte ich etwas abseits und schaute teils nach Überraschungen aus, teils dem allgemeinen Verbinden im Lager zu. Vielleicht sogar ein dreifacher: Einmal hatte ich Munition gespart, und zur Zeit besaßen wir alle nur unsere jeweils persönliche Munition. Dann bewies mir mein Verhalten den guten Zustand meiner Nerven. Schließlich stiegen durch diese Voraussetzungen meine Chancen, Zambia später noch zu finden. In ihr konnte ich dann meine Nerven etwas strapazieren. Das Verbinden mußte schnell gehen, das Begräbnis ganz den 55
Waldbewohnern überlassen bleiben. Wir wollten Kasagi aus dem Nachmittagsschlummer reißen, und wir waren in einer bösen Stimmung, in einer sehr bösen Stimmung dafür ... Jetzt war ich ebenfalls in sehr böser Stimmung, und meine angeborene Ritterlichkeit gebot mir, den mich unauffällig bewachenden Eliah auf diese Stimmung aufmerksam zu machen, vor allem – fairerweise – auch auf seine prekäre Situation hier bei mir in meinem Arbeitsraum. Ich trat also vom Vorhang zurück. – Jetzt würde ich gern eine Zigarette haben, Eliah! (ich, die Situation genießend) Es geht nichts über eine gediegene Ausbildung, nichts macht so sicher! – Verzeihung, daß ich nicht selbst... (Eliah, zuvorkommend auch gleich das Feuerzeug aus der diesmal richtigen Tasche fingernd) Nun, den Revolver hatte er ja schon in der Hand, eine Verwechslung kam also wohl nicht mehr in Frage, und Taschenspieler war Eliah keiner. – Nein!!! Kein Feuer! Ich möchte die Zigarette erst kalt genießen! (ich, etwas zu heftig ablehnend) Das Arschloch! Ihm fiel meine Heftigkeit gar nicht auf. Aber wenn hier einer Feuer gab, dann war ich das! Ich zog sachte eine der oberen SchreibtischSchubladen auf. – Sie gestatten doch! (ich, mit der Linken langsam hineintauchend) – Aber selbstverständlich, Monsieur, Sie doch sicherlich auch! (Eliah, urplötzlich seine Hand mit Kiwi aus der Hosentasche befördernd) 56
Er war ganz schön schnell, aber so schnell auch wieder nicht. Ich zog meine Hand jetzt ganz langsam aus der Lade, und hielt... eine Pistole darin. Eliah lächelte und steckte seinen Revolver wieder weg. Meiner war ein Gasfeuerzeug. Ich entschloß mich aber angesichts der Kaltblütigkeit meines Bewachers anders, steckte das Spielzeug in die Tasche, und die Zigarette zwischen den Lippen, kehrte ich schweigend auf meinen Beobachtungsposten am Vorhang zurück. Immer noch nichts zu sehen! Ja, der arme Bartholomeo damals! Als wir unser Lager schon hinter uns hatten, sprang Jesus noch einmal zurück. Er entzündete die Zigarette, die er Bartholomeo zwischen die Zähne geklemmt hatte, indem er erst daran zog und sie seinem Kameraden wieder zwischen die Lippen schob. Dieser lehnte immer noch so, wie wir ihn gefunden hatten am Baum, durchlöchert, blöde grinsend, die Zigarette im Maul und in der Hüfte leicht verrutscht durch das Abschnallen des patronenschweren Revolvergürtels. Diesen trug Jesus nun auf mexikanische Art über der Schulter. Das muß er in einem amerikanischen Revolutionsfilm über Mexiko gesehen haben! dachte ich im Zurückschauen. Auch Jesus wendete sich noch einmal um, mitten im Sprung sozusagen, denn er lief uns nach. Er blickte liebevoll auf die wie in einer Scherzaufnahme uns riesig und hell aus dem Blätterdunkel nachstarrenden nackten Fußsohlen des Bartholomeo. Man hatte diesem auch die Stiefel abgenommen und die Socken – vollständigkeitshalber sozusagen. Jesus versank in diesen Anblick und lüftete nachdenklich und bedauernd den blauen UNO-Helm, den er seit Kisenge trug, wo ihn einer der Amis beim Hinaufhopsen 57
auf den Jeep verloren hatte (so nachlässig kämpfen diese Amis immer und überall: nicht einmal den Helmriemen schließen sie fest!). Und mit einem Male wußte ich, warum Jesus so bedauernd zurückblickte: Die schönen, für immer verlorenen Fußsohlen taten ihm leid. Ja, unsere Ernährung ließ bereits zu wünschen übrig, und Kasagi war noch weit und ungewiß, Bartholomeos Fußsohlen aber appetitlich, hell und saftig. Auch UNO-Helme eignen sich als Kochtöpfe – wenn man vorher das Leder daraus entfernt!
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4 Langsam stiegen wir den Hügel unseres so mannigfach bewegten Nachtlagers hinunter. Wir waren immer noch nicht sicher, ob sich in der Nacht auch wirklich alles so zugetragen hatte, wie wir vermuteten. Selbst, als wir die Straße erreicht hatten, ohne daß wir in einen Hinterhalt gefallen waren, nahm unsere Nervosität eher zu als ab. Ché, der Korea-Veteran, blieb jedoch ruhig, kühl und sachlich: – Jean-Baptiste und Jesus, ihr bleibt etwas zurück, folgt uns im Sicherheitsabstand für Busch! Unser Jesus trug Bartholomeos Leibgurt mit baumelnden Pistolen martialisch umgehängt. Er ergab in summa eine wahrhaft abschreckende Nachhut. Jetzt hörte ich meinen Namen: – Charles, Palthazar und noch zwei Mann der Truppe, ihr geht hundert Schritte voraus – allez-hop! (unser famoser Mini-Guevara, seine Anordnungen damit beendend) – Ausgerechnet mit diesem in den Arsch geschossenen Armleuchter von einem schwärmerischen Lusitanier! (ich, ungewohnt nationalistisch) Auch Palthazar schien nicht erbaut, aber ich winkte schon Muhammed und Eliah mitzukommen, lud meinen Karabiner prüfend durch und hörte Ché, während wir bereits losgingen, noch zu Palthazar zynisch bemerken: – Für dich ist vorne der beste Platz, mit diesem Arsch! Er hatte also ebenfalls Palthazars Begeisterung bemerkt. – Unsere Flanken schützen wir selbst. (Ché, trocken schließend) Ich hob die rechte Hand und gab Signal: Vorwärts! 59
Nicht ohne eine Spur von Galgenhumor hatte ich Muhammed gewählt: Ein schwerbewaffneter schwarzer Jesus ganz hinten – ein gleichfarbiger Muhammed vorne! Das entbehrte nicht einer gewissen Komik. Eliah über seinen prophetisch veranlagten Namenspatron richtig in dieses makabre Spiel einzureihen, sollte auf dem Marsch den nicht von den Erfordernissen des Augenblicks in Anspruch genommenen Teil meines Intellekts delektieren, beschäftigen... Selten nur beobachtet man die einen umgebende Landschaft schärfer, als wenn man dies in Erwartung einer jederzeit aus ihr sich entwickeln könnenden Gefahr tut. Dennoch bleibt von solcher Beobachtung nicht viel Landschaft in der Erinnerung haften. Dafür um so mehr innere Landschaft. Es ist, als projiziere man alle dem Blick erreichbare Landschaft in sich hinein, zergliedere sie dort, löse die Bilder blitzschnell in Details, diese noch schnellerinPunkte auf, welche dann durcheinandergewirbelt und zu neuen Bildern, nein Bildserien zusammengestellt werden, zu Bildern voll von dem Unheimlichen, dem Drohenden, Gewaltsamen, von dem Dunklen und Abscheulichen, das uns umgibt. Blattschatten werden wie in einem Vexierbild zu Gestalten, Äste zu Gewehrläufen zusammengesetzt, friedliche Sonnenkringel am Blätterteppich werden zu huschenden Tarnanzügen, und nur wenige Erdhaufen haben nicht die Umrisse zweier mächtiger, von dem allgegenwärtigen amerikanischen Rundhelm überwucherter Negerschultern – in Afrika wenigstens ist dies so, vielleicht wegen der riesigen Maulwurfshaufen. Auch das Ohr beteiligt sich an diesem Spuk. Aufrauschende Affenbrotbaumwipfel wirbeln wie Helikopter 60
auf einen zu, das Flügelklatschen des Maribugu wird zum Repetiergeräusch umgedeutet, flüchtende Hufe täuschen uns den Angriffssprung mit hocherhobenem bayonnettebewehrtem Karabiner vor – wir besitzen in der erwartungsvollen Angst ein Tonlabor von vollendeter Qualität. Jedes Geräusch wird verwertet, überhöht und der Situation angepaßt, die Täuschung ist perfekt... Immer wieder vollführte einer von uns vieren einen nervösen »Dekkungssprung– vorwärts«, lag mit dem Karabiner im Anschlag vor einem nicht auftauchenden Feind und beruhigte sich schließlich wieder notdürftig. Dieser Marsch auf der beiderseits von lockerem Baum- und dichtem Buschbestand begleiteten Straße zehrte an unserer ureigensten Substanz. Wir waren insgesamt noch ganze sechzehn Mann. Schwere Waffen, die wir uns in Kisenge hätten besorgen sollen, führten wir keine mit. Im Gegenteil, sehr im Gegenteil! Vor dem verdammten Scheiß-Kisenge hatten wir noch dazu unseren Wagen und unser Gepäck teilweise eingebüßt! Wir hatten nur noch das, war wir am Leibe trugen, unsere persönliche Munition, einige aus dem brennenden Kisenge stammende Decken, mehrere Verwundete und den schönen Auftrag, eine Stadt zu nehmen, einen obskuren Ex-Minister zu befreien, die Stadt zu vernichten und den Minister wohlbehalten »zu Hause« abzuliefern. Dann, wenn wir das alles brav ausgeführt hätten, erwartete uns allerdings eine reiche Belohnung. Und für Geld ist nichts unmöglich! Aber so windig unsere Lage auch sein mochte, wir hatten eine ganze Reihe Aktiva aufzuweisen: Vor allem einmal den Überraschungseffekt. Niemand auf der ande61
ren Seite hielt uns wohl für so wahnsinnig, unter diesen auch der ANC bekannten Umständen – sicherlich hatten sie die Leute von Gruppe II erst genauestens ausgefragt, bevor sie ihnen das Maul mit dem eigenen Schwanz so endgültig stopften – noch weiter vorzurücken: Auch diese damned Special-Amis nicht! Die suchten uns sicher gerade den Weg zurück nach Dilolo abzuschneiden – Prosit! Na, wenn sie auf unsere andere Gruppe stoßen, werden sie schön schauen! Schließlich – ein weiteres Plus für uns, und nicht das geringste– schließlich waren wir immerhin noch fünf Weiße, und unser Ruf als »Affreux« war frisch poliert, in keiner Weise beeinträchtigt und wog eine Kompanie Schwarzer auf! Auf die Wirkung unseres famosen Eliah in der Vorhut war ich gespannt – sein Namensvetter pflegte seine Absichten durch kräftige Wunder zu unterstützen. Und wie im Wunder, so unerwartet und lautlos tauchten in diesem Augenblick, an genau dieser Stelle meine Tagträume, die Amis wieder auf. Im genau richtigen Augenblick. Unsere Vorhut-Nervosität hatte einen Höhepunkt erreicht, dessen Gefährlichkeit sich mangels eines anderen geeigneten Mittels zur Abreaktion schließlich gegen uns selbst hätte richten können. Aber nun waren ja sie da, unsere herrlichen, unbekümmerten, Camel-rauchenden und mit aufgekrempelten Ärmeln hinter ihrer Jeep-Kanone sitzenden boys from the middle-west! Wieder tauchten die Amis wie Gespenster aus dem Wald um eine Kurve herum auf. Wieder schossen sie reaktionsschnell zuerst. Wieder hatten sie ihre Helm-
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riemen offen, und wieder nagelten wir sie mitten auf der Straße fest! Der einzige Unterschied war, daß die »special-men« diesmal danebengeschossen hatten. Ihr Pech war, daß sie überhaupt geschossen hatten. Wir befanden uns nämlich im Mittelstück einer scharfen, wie eine Schlange gekrümmten S-Kurve. Die Amis hatten nur uns vier armselige Hasen in den Wald hoppeln sehen und glaubten, ihrem »special«Appendix vertrauend, mit uns leichtes Spiel zu haben. Wir aber sparten Munition und erwarteten Chés Aktion. Die ihn verbergende Kurve war jener, aus der die Amis so frech hervorgeprescht waren, sehr nahe. Diesen Umstand nutzte Ché. Als die »special-boys« unser ruhiges Verhalten anscheinend richtig als abwartende Taktik deuteten, als ihr ausgezeichneter Jeep-Fahrer lautlos den Retourgang einlegte (was bei einem Jeep schon was heißen will) und überraschend zurücksurrte, da war es zu spät. Im selben Augenblick nämlich rannten Ché, Francois und sechs Schwarze auf ihn los. Francois mit seinem linksseitigen Schultersteckschuß konnte dabei dem wuchtig zurückstoßenden Jeep nicht mehr rechtzeitig ausweichen und wurde von diesem überrollt, obwohl Ché – aus der Hüfte auf den heranrasenden Jeep ballernd – ihn zur Seite stoßen wollte, ein Versuch, der ihm beinahe selbst zum Verhängnis geworden wäre: Ein Hinterrad rollte über seinen Fuß, da aber Francois' leider helmloser Schädel knapp daneben lag, wurde Ché zwar umgeworfen, seine Zehen aber spürten kaum das von Francois' Kopf wegspringende Hinterrad. Das Vorderrad jedoch erreichte ihn nicht mehr, denn der Jeep war, zweien unserer Schwarzen an der hohen Böschung der hier in den Boden eingeschnittenen Straße die Brust63
körbe eindrückend, zum Stehen gekommen. Zu der abrupten Schwenkung veranlaßte den Fahrer ein Kopfschuß, vermutlich aus meinem Karabiner, denn ich lag oben auf der anderen Böschung. Dieser Kopfschuß hatte eigenartige Folgen, wenn man einmal von den zwei erdrückten Kameraden absah: Der Massenträgheit gehorchend, fuhr der Beifahrer dem KoSchützen ins Kreuz und mit diesem, nachdem beide vom sägeartigen Geschoßgurt aufgeschlitzt waren, weiter direkt in die krachend niedersausenden Kolben der Hauptgruppe. Der dritte Ami war dem Beharrungsbestreben seiner Masse auch nicht entgangen, da er aber das SMG vor sich hatte, welches solche Sorgen dank solider Schrauben an seiner Bodenplatte nicht kannte, mußte er – ob er nun wollte oder nicht – hineinbeißen, direkt in das tadellos geölte Schloß der famosen De-Havyland-Kanone. Der Happen war ihm offensichtlich zu groß und zu hart. Und noch bevor er seine Benommenheit abgeschüttelt hatte, beendete ein Kolbenhieb alle seine Sorgen um die beschädigten Zähne. Sein Schädel lag auf dem Gewehrschloß wie auf einem Amboß. Sein Helm, ebenfalls den Trägheitsgesetzen unterworfen, war weit die Straße hinuntergerollt. Ich winkte Eliah und Muhammed, pirschte mit ihnen wieder voran. Palthazar hatte inzwischen alleine Vorhut gespielt. Es ging alles ein wenig durcheinander. Sogar Vorhut und Nachhut waren durcheinandergekommen. Eigentlich hatten sie sich gut gehalten, dachte ich, unsere Bekannten von Kisenge: 4:3 stand heute unsere Rechnung, eigentlich aber 1:1, wenn man Pedro vor Kisenge mit einbezog.
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Objektiv gesehen waren sie glimpflich davongekommen – wenn man an Luashi dachte. Zeitmangel vor allem. Es war einfach alles zu schnell gegangen. Und deshalb beglückwünschte ich mich zu meinem Schuß. Nun hatten wir ein Fahrzeug und eine bewegliche Schnellfeuerkanone, dazu mehrere Kisten Munition aller Art. Der Jeep hatte offensichtlich auch Nachschub für irgendeine Truppe mit sich geführt. Alles war vollgestopft mit Waffen und Munition - selbst im Handschuhfach lagen noch drei Eierhandgranaten! Schokolade gab's natürlich auch, ebenso einige Kampf-Verpflegungspakete mit Keksen, gesalzener Butter, Bromtabletten und Kaugummi! Es traf allerdings nicht einmal ein Maul voll für jeden von uns! Kasagi gehörte nun uns! Hätten wir es nicht so eilig gehabt durch diese Verspätung – ich sah es unseren Kameraden deutlich an – sie hätten ein großes Palaver veranstaltet, mit einem Siegestanz bis tief in die Nacht hinein, um den brennenden Jeep womöglich, mit den Kolben auf den Boden trommelnd, in die Helme der Amis pissend und Bromtabletten mit chewing-gum kauend ... Kasagi mußte sehr nahe sein. Wir hatten nun schon fünf UNO-Helme. Die vier neuen blauen Töpfe bekam die Vorhut. Dann saßen wir auf den Jeep auf und fuhren dem nun entspannten Haufen voraus. Plötzlich mußte ich lachen. Ein Spiel war mir eingefallen, ein verdammtes Spiel aus dem Kindergarten, dem unser Unternehmen immer ähnlicher wurde (dem Spiel, nicht dem Kindergarten): das Spiel Zehn kleine Negerlein!
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Ein Spiel mit einer hübschen, grausam-naiven Musik und einem dieser Musik weder an Grausamkeit noch an Naivität nachstehenden Text. Überhaupt: Welch eine Groteske! Bemerkte denn außer mir niemand etwas? Dieser »Trainingsmarsch« hatte nach und nach eine Eigengesetzlichkeit entwickelt, eine Automatik, die uns bereits in einem Maße gefangenhielt, daß nicht mehr wir die Umstände manipulierten, sondern diese uns! Das war keine »Übung« mehr! Das war auch nicht lediglich »blutiger Ernst«, zum Dran-gewöhnen. Nein, das war grausamer Kampf ums nackte Leben! An unseren Auftrag klammerten wir uns eigentlich nur mehr, um nicht ganz verlassen mitten in diesem riesigunendlichen, unbarmherzigen, glühenden, düsteren Afrika zu sein. Dachten meine Kameraden wirklich immer noch an das dabei zu verdienende Geld? Armselige vierzehn Mann noch. Davon vier »Weiße Riesen«. Und die anderen? Ché hatte seinen PPRC-10-Sender schon lange nicht mehr bedient. Vorhin, als ich mich hinter die De-Havyland-Kanone setzte und aus Täuschungsgründen wie die anderen auch die Ärmel hochkrempelte und – es war mir scheißunwohl dabei zu Mute, wenn ich an »unsere« Amis dachte – den Kinnriemen des Blauhelms herunterbaumeln ließ, da fragte ich Ché, was die andere Gruppe nach Luashi wohl getrieben haben mochte. Er sah mich an, als verschlucke er eine Frage, etwa: – Willst du dich über mich lustig machen, oder bist du tatsächlich so ein verblödeter Scheiß-Arsch?
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Nachdem er sich von mir abgewandt hatte, schienen ihm aber im Hinblick darauf, daß zumindest die drei von der Vorhut meine Frage gehört haben und durch sein Schweigen beunruhigt werden mußten, truppenbetreuerische Bedenken aufgestiegen zu sein. – Sie kennen das Gerät selber genau. Wir bekommen hier in den waldigen Hügeln keine Verbindung – genügt das? (Ché, immer überlegen) Es genügte allerdings völlig. Palthazar schaute mich an. – Na, dann wollen wir mal! Und stieg aufs Gas. So rollte unsere Streitmacht schweißstinkend, lederriemen-knarrend, staubwirbelnd und unheilverkündend durch den afrikanischen Mittag auf Kasagi zu. Ich weiß nicht, ob unsere Frechheit die der Amis übertraf, wenn wir mit UNO-Helmen anrückten. Aber auch wir erfüllten hier in Afrika eine Ordnungsfunktion, nur eben auf der anderen Seite der bestehenden Ordnung, auf der Seite der sich neu installierenden Ordnung! Die Amis schützten die Interessen ihres Kapitals hier, und wir bauten die Kräfte auf, die einmal Afrika freimachen würden. Dies konnte nicht ohne Gewalt geschehen. Aber weder die USA noch Europa waren ohne Blut und Gewalt zu dem geworden, was sie heute sind, und die Gewalt aufschieben bedeutet im Grunde nur VogelStrauß-Politik! Es war wesentlich realistischer, sich in den Dienst jener weitplanenden Kräfte zu stellen, die die Unvermeidbarkeit dieser gewaltsamen Entwicklung erkannt hatten, sie also nicht zu hindern, sondern in ihrem Sinne zu lenken und zu steuern versuchten.
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Wie in einem Schachspiel die Figuren, so rücken diese Mächtigen im Hintergrund Regierungen auf der Tabula Africana. Sie verschieben Machtverhältnisse, stürzen oder schaffen »demokratische« Regierungen, ändern bestehende Grenzen, lenken mächtige EntwicklungsKapitalien. Und die Vorfälle beim Fußvolk verlieren ihre Bedeutung aus dieser Sicht, werden so unbedeutend wie dieses Fußvolk selbst. Was bedeutet es schon, von einem Jeep überrollt, von Schwarzen erschlagen zu werden, was selbst ist die schlimmste Folter im Vergleich zum Entstehen eines blühenden Erdteils, von rauchlosen RiesenFabriken gemustert, von Plastik-Straßen durchzogen, von Pipelines durchpulst, und dazwischen die gigantischen Rechtecke der Stauseen und der zum Blühen gebrachten Kulturen für Milliarden neuer Erdenbewohner? Bis es soweit ist, gilt eben wieder einmal das heroische Wort vom »blutgedüngten« Boden. An fernen Schreibtischen erfunden, durch Tausende von Mikrophonen ausgerufen, von abermillionen Lautsprechern über alle Welt verbreitet... Unser Lautsprecher allerdings schwieg beharrlich. Jedenfalls auf »unserer« Welle. Die ANC-Welle war sicher nicht so stumm, unser Jeep hatte jedoch kein Radio. Wir hatten jetzt den Buschwald verlassen und strebten zwischen den letzten, nur mehr spärlich bewachsenen Hügeln der Ebene zu, an deren Anfang Kasagi liegt, unser leuchtendes Ziel! Die Sonne stach, brannte, gloste, dämmerte durch Helm, Haut und Schädel ins trotzdem lebhafte, aufgeregte Hirn. Staub schwebte kilometerweit hinter uns in der Luft, quoll zwischen Rädern und Kotflügeln herauf, stieg von den Stiefeln der hinter uns Marschierenden hoch, bepuderte unsere Anzüge, saugte unseren Schweiß an 68
Brust und Schultern auf, bildete mit diesem unter den Achseln einen seifigschäumenden Schleim, kroch unter die Augenlider, zwischen die Zähne und Beine, unter den Helm, überall hin, nur nicht in die reibungslos funktionierenden Stechapparate der Mücken, Fliegen und sonstigen Quälgeister. Ebenso verläßlich funktionierte übrigens der brave Willys-Motor, robust surrend, tackend und plusternd. Die Nadeln der wenigen Instrumente tanzten lustig hin und her, Palthazar wischte gelegentlich den Staub von den nierenförmigen Gläsern, wie um sich zu vergewissern, daß die Zeiger immer noch so heiter hüpften – tatsächlich aber hatte er Benzinsorgen, trotz der beiden vorschriftsmäßig befestigten und auch vollen Sprit-Kanister, made in USA! Als wir Kasagi weit vorne im Dunst des frühen Nachmittags liegen sahen, machten wir Halt. Ché entwarf den Angriffsplan: Bei Einbruch der Dunkelheit, während der kurzen Dämmerung, würden wir vier wieder den Jeep besteigen, drei weitere Männer würden verborgen hinten liegen, und so wollten wir in Kasagi einfahren, uns je nach den Umständen in irgendeinem Haus verschanzen und die ANCKräfte binden, solange wie möglich hinhalten. Bis Ché ihnen dann in den Rücken fiele. Am Abend sollte unser Sieg in der Stadt ausgiebigst gefeiert werden...
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5 Es war diese seltsam schwebende halbe Stunde zwischen Tag und Nacht, dieser von Sanftheit und Besinnung geprägte Übergang, im Kongo noch besonders gekennzeichnet von einer müden Frische, wie sie die Umstellung von der Siedetemperatur des Tages zur nächtlichen Kühle bedingt. Schnurrend wie ein Leopard surrte unser Jeep bei angezogener Handbremse, lag mit halbgeöffneten Lichtern sprungbereit geduckt auf der Steppe. Wir gingen um ihn herum und überprüften nocheinmal sein Equippement: Reservetanks voll, Munitionsgurt eingezogen, Repetiermechanismus geölt und überprüft, Reifen kontrolliert, Wasserkanister gefüllt, Decken, Notverband, Karabiner mit je 200 Schuß, Handgranaten und unser PPRC-10, den Ché nicht weiterhin schleppen wollte, den wir also riskieren mußten. Wenn der Jeep nicht durchkam, bestanden ohnehin nur geringe Aussichten für den restlichen Haufen, und die würde ein Sender auch nicht wesentlich erhöhen – besonders nicht bei der Reichweite des unseren ... Nun prüften wir noch unsere persönliche Ausrüstung. Alles, sogar die Schuhbänder (!), wurde peinlich genau nachgesehen: Saß der Gürtel richtig, die Pistole locker? War sie auch voll geladen? Und wie stand es mit dem Reservemagazin? Die Karte durfte nicht vergessen werden, und die persönliche Karabiner-Munition. Wir waren bereit zur Abfahrt; bis auf die Hautfarbe von zweien von uns waren wir das perfekte Abbild der special-boys. Aber die Dämmerung würde unsere schwarzen Freunde schützen, auch wenn ihre Augen und 70
Zähne unter den landschaftsfremden blauen Helmen stärker blitzten. Chés Arm deutete voraus! Der Jeep erhob sich in seinen Federn und sprang los. Palthazar steigerte das Tempo. Ich saß hinter der blöden, für mich etwas hoch montierten Kanone. Der Ortsplan zeigte im ersten Straßenzug, etwa 60m nach der zweiten rechten Abzweigung, ein ehemaliges Spital an, das jetzt von Katanga-Gendarmerie belegt sein sollte. Dieses Gebäude war Ziel unseres Handstreichs. Dort hofften wir Waffen und Munition zu finden. Wir preschten so unbekümmert auf Kasagi los, daß wir es erreichten, noch ehe wir uns darauf eingestellt hatten. Die Häuser waren niedrig, die Leute auf den Straßen schauten uns kaum nach, und vor der Kaserne standen keine Barrikaden, jedoch zwei Schildwachen. Erst jetzt begriffen wir, daß wir uns ja im Frieden befanden, daß Kasagi unsere Kämpfe ignorierte, nicht zur Kenntnis nahm. Wir sprangen behende vom Jeep, und die Schildwachen salutierten noch, da waren sie auch schon rasch niedergemacht. Palthazar, der die wenigen Stufen zum Tor hinaufgerannt war, in einer Hand die entsicherte Pistole, mit der anderen den schußbereiten Karabiner an die Hüfte pressend, stand plötzlich vor einem katangesischen Offizier. Beide waren gleich überrascht. Palthazar zwar im Vorteil, weil er ja so etwas hatte erwarten müssen, der Katangese aber bedeutend schneller. Wie eine Katze sprang er zurück, und Palthazars Hand, die mit dem Revolver durch die zuschlagende Türe dem Flüchtenden wie eine zubeißende Viper nachgefahren war, wurde brutal eingeklemmt. Seinem Schreien entnahm ich, daß es weh tat.
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Da fetzten auch schon Einschläge durch die Türfüllung. Da die dabei entstandenen Schußöffnungen rund und sauber waren, mußte von außen geschossen worden sein. Muhammed war es gewesen. Palthazar stieß die Türe auf und rieb sein Handgelenk. Der Offizier lag am Boden im Gang, rechts splitterte Glas. Eliah hatte den Jeep an das erste Fenster neben die Türe gefahren, und drei unserer Schwarzen – Marx, Meli und Moise, wir nannten sie auch kurz die drei M's – waren, hinten stehend, mit ihren Karabinern gleich durch die Scheiben ins Zimmer eingedrungen. Wir traten in die so präparierte Wachstube, wo fünf Mann mit erhobenen Händen standen. Ich hielt mein Gewehr im Anschlag und schickte Palthazar mit vier Schwarzen los, das Haus zu säubern. Vor allem mußten die beiden da draußen vom Jeep verschwinden. Immer noch hielten sie herausfordernd ihre Karabiner durch die zertrümmerten Scheiben herein! Muhammed winkte ihnen zu, und schon waren sie im Haus. Nun befahl er den fünf Mann der überraschten Wache, sich an die Wand zu stellen – nein, mit dem Gesicht zur Wand, und die Hände immer schön oben lassen! Ich hielt mein Gewehr im Hüftanschlag auf die Gefangenen gerichtet, denen Muhammed nun gewandt die Waffen abnahm, beobachtete aber auch die Türe, hinter deren offenen Flügel ich mich plaziert hatte, um eventuelle Überraschungen vereiteln zu können. Im Haus erklangen jetzt vereinzelte Schüsse ohne Antwort, nur mit Widerhall – das waren keine Kampfschüsse. Muhammed nahm nun eine der eingesammelten Pistolen vom Tisch, prüfte ihr Magazin. Dann zuckte der Revolver fünfmal beim trockenen Aufbellen eines Schußes kurz hoch, und ein Gefangener nach dem anderen 72
brach in die Knie – manche langsam und widerstrebend, manche willenlos, wie vom Blitz getroffen. Während der ganzen Aktion war noch kein Wort gefallen. Aber draußen, wo inzwischen die Dämmerung beinahe schon in Dunkelheit übergegangen war, wurde es unruhig. Muhammed eilte zur Tür, ich ans Fenster. Auch Palthazar kam eben wieder zurück: – Alles erledigt! (Palthazar, seinen Zeigefinger bedeutsam krümmend) Ich deutete mit dem Kopf hinaus, und Palthazar, dieses Zeichen mißverstehend, lief mit seinen Schwarzen hinaus, wo sie kaltblütig begannen, den Jeep abzuladen, während von der Straße eine Militärkolonne abbog und auf uns zu marschierte. Wir mußten handeln. Unsere Leute gingen ruhig herein ins Haus, die Tür wurde geschlossen und verriegelt, eine dahinter befindliche Stahlblechtüre vorgeklappt, eine Reihe von MP's auf den Tisch gelegt. Wir waren empfangsbereit! Jetzt konnten sie kommen. Es war nervenzerfetzend ruhig. Nur einer der Erschossenen hinter uns scharrte mit seinem Schuh noch über den Boden. Der noch warme Blutgeruch mischte sich mit dem von Schweiß und Scheiße. Drei Uringerinsel, unter den Leichen langsam sich sammelnd und hervordringend, vereinigten sich und verschwanden dann gluckernd in einer Ritze im Fußboden. Ich mußte an den Schlachttag bei uns zu Hause denken, dort oben in den Bergen bei den Schafen. Mein Vater betrieb nämlich eine große Schaffarm! Draußen ein Halte-Kommando. Die Kolonne stand etwa 12m vor uns, aber nicht in Front – leider! – sondern mit ihrer Schmalseite uns zugewendet. Ich hatte den Kommandan73
ten vor meinem Korn, drei der Schwarzen hielten Handgranaten in den Händen, alle anderen hatten MP's an der Hüfte. Ich gab mit meinem Schuß das Zeichen und sah den Kommandanten getroffen zusammenzucken. Es folgte ein fürchterliches Feuerwerk, Handgranaten explodierten mitten in der starren Truppe, drei Leuchtkugeln gaben magnesiumweißes Büchsenlicht, und unsere Garben fegten mit fürchterlicher Wirkung über den Platz. Die Soldaten jagten, von Panik ergriffen, der Straße zu und wurden von unseren Kugeln zu den bizarrsten Sprüngen veranlaßt, niedergeworfen. Einige Besonnene aber hatten Deckung gesucht, hinter dem Jeep, hinter einem Ziegelhaufen, in den Nebengebäuden. Und von dort aus erwiderten sie erst vereinzelt, dann immer organisierter, planmäßiger unser Feuer. Wir aber sparten mit der Munition, denn jetzt war es an Ché zu handeln .. . Ich nahm Muhammed und Eliah mit mir, um im Haus zu rekognoszieren. Palthazar, dem sein angeschossener Arsch zu brennen begonnen hatte, hielt mit den drei M's die Stellung. Es handelte sich um einen schwerfälligen alten Bau im Kongo-Kolonialstil mit viel Aufwand für unnötige Treppen und Gänge. Wenn man wie wir durch die große, schwere Flügeltür eintrat, so befanden sich sowohl linker – wie auch rechterhand je eine Tür, die rechts zum Wachzimmer mit seinen Gewehrschränken, wenigen Stühlen und einem Tisch, links zum Schlafraum für die Wache, mit einer Reihe von Pritschen unter zwei vergitterten Fenstern führte. Die drei auf den Pritschen hegenden Leichen warfen wir kurzerhand durch das der Tür gegenüberliegende 74
unvergitterte Fenster hinaus, was seltsamerweise keinen Schußwechsel nach sich zog. Dies als gutes Zeichen wertend, nahmen sich auch die im Wachzimmer ihrer Toten an: Sie packten einen nach dem ändern bei den Stiefeln und unter den Achseln und hopp! – flogen die Kadaver in rascher Folge auf den Hof, wo sie aufklatschend liegen blieben. – Macht zusammen acht! (Eliah, mit seinen Mathematik-Kenntnissen protzend) – Bis jetzt! (Muhammed, diese quasi erweiternd) Der Gang zwischen den beiden Türen besaß weiter hinten noch je eine Tür auf jeder Seite, rechts eine niedere, aus Balken gefügte, mit einem winzigen Schiebefenster und einem riesigen Vorlegebalken versehene. Überflüssig hineinzusehen: Es war der Karzer, das Gefängnis, der Kotter, das Loch, die Folterkammer, alles in einem und in klassischer Ausführung, Marke Gruselfilm! Fensterlos, eingemauerte Hals-, Arm- und Beinschließen aus rostigem Eisen, ein Haufen faulenden Strohs mit einer an einer halbmeterlangen Kette mit Fußschellen hängenden Steinkugel; irgendein unentwegter Häftling hatte begonnen, sie zu zermeißeln, vielleicht mit einem der Kettenglieder? Im anderen Winkel ein Haufen widerlich stinkender, noch ziemlich frischer menschlicher Exkremente auf einem noch größeren Haufen schon in Verrottung übergegangenen Menschendungs, ein Schwärm von Schmeißfliegen zwischen diesen Leckerbissen. An der Wand mit den Eisenschellen befand sich verschmiertes und schwarzgetrocknetes Blut. Ganz unten am Boden entdeckte Eliah eine Schrift. Ich überwand
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meinen Ekel vor dem Gestank des Scheißhaufens, trat hin, bückte mich und las einen Namen: GODEFROY MUNONGO Er war mit Blut und dem Finger geschrieben ... Gegenüber lagen die Latrinen. Vollgeschissen, natürlich, und mit langzähnig herumhuschenden Ratten. A propos Scheiße: Aus dem Alter der jüngsten Exkremente im Kotter visà-vis schloß Muhammed – vorausgesetzt, daß Munongo sie hinterlassen hatte – daß der Minister vor etwa drei Tagen weggebracht worden war. Vor drei Tagen, reflektierte ich, vor drei Tagen war auch anderswo gefoltert worden, vor drei Tagen waren wir in Katanga eingedrungen, vor drei Tagen, hatte ich bisher angenommen, hatte alles dies erst begonnen. Nach diesem Kerker wußte ich es besser. Ja, auch ohne mich, ohne Eliah, Muhammed, die drei M's, Ché, Palthazar, auch ohne uns war die Welt voll von Söldnern, die für Geld alles, oder fast alles taten! Wir erst leben im wahren Zeitalter des Söldnertums! Wir waren also ausgezogen, Munongo zu befreien. Spätestens nach Kisenge wußte ich, daß dies nur Vorwand war, daß unser Unternehmen um seiner selbst willen ablief, nur im Hinblick auf die Umwälzungen in der ganzen Welt einen Sinn, ein Ziel, eine Absicht ließ, ließ: Alle Bewegung auf unserem Planeten geht heute von Söldnern aus, von Guerillas, von »Befreiungs«-Armeen. Sie alle stehen in irgendjemandes Sold. Am anderen Ende des Ganges befand sich ebenfalls eine Tür wie jene, durch die wir ins Haus eingedrungen waren. Wollten wir Überraschungen ausschließen, so mußten wir hinausschauen.
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Muhammed und Eliah legten sich also weiter hinten im dunklen Gang hin, ich untersuchte das Schloß: Die Tür war offen! Langsam, und immer wieder von lautem Knarren und Quietschen begleitet, drückte ich die Klinke nieder, trat rechts neben die sich links öffnende Tür und schob sie langsam mit dem Gewehrlauf auf: nichts als Dunkelheit! Eliah ließ den Strahl seiner Taschenlampe durch die Tür gleiten: Ein enger Hof, von Wirtschaftsgebäuden gebildet, links der geöffneten Tür wieder eine solche. Nachdem wir den Hof genau abgeleuchtet hatten, blieb Eliah mit dem Lichtstrahl in der geöffneten Tür zurück, Muhammed und ich gingen zur neuentdeckten Tür, stellten uns auf beiden Seiten davon auf, winkte Eliah heran, der sich an der Wand genau gegenüber postierte und die Tür in seinen blendenden Lichtkegel nahm. Nun drückte ich abermals die Türklinke hinunter, und schon flog die Tür krachend unter meinem Fußtritt auf. Dahinter standen kreidebleich und knieschlotternd zwei Schwarze mit erhobenen Händen. Wieder der routinierte und von jedermann sofort verstandene Wink Muhammeds, wieder die Gesichter zur Wand in »hands-up-Stellung« an der Mauer stehenden Männer, wieder die sicher an den schlanken Gestalten hinabgleitenden Hände Muhammeds, Pistolen, Messer, Handgranaten und Feuerzeuge zutagefördernd, und wieder Muhammeds prüfender Blick – diesmal suchte er ein Messer aus dem erbeuteten Arsenal: lang, spitz, blinkend. Aber diesmal winkte ich ab und hob auf seinen fragenden Blick Schultern und Augenbrauen. Vielleicht können wir die beiden noch brauchen? »O. K.«, hieß seine leicht aus dem Gelenk gehobene rechte Hand, in der 77
noch das stoßbereite Messer lag. Er drehte die beiden um und bedeutete ihnen, Eliah zu folgen. Beim Karzer schaute er mich fragend an, zögerte. Ich deutete »Nein«. Wir banden sie im Wachzimmer Rücken an Rücken. Wozu hatten wir dann eigentlich die anderen liquidiert? Inzwischen war es spät geworden, spät und viel zu ruhig! Ché müßte längst, wenn schon nicht bei uns, so doch zu hören sein! Wir berieten lange hin und her und kamen zu dem Schluß, daß Ché nicht vorrücken wollte, solange wir die Katangesen nicht genügend beschäftigten. Also beschäftigten wir sie! Um sie über unsere Anzahl zu täuschen, verteilten wir uns an alle Fenster, nachdem wir beraten hatten, wie wir beiden Anforderungen am besten gerecht würden: Einerseits Ablenkungsmanöver für Ché, andererseits sparsamster Munitionsverbrauch! Das Geplänkel hatte noch keine halbe Stunde angedauert, als von der kaum 200m entfernten Ortsgrenze her der Lärm einer wilden Schießerei zu hören war. Wir hielten ein und horchten: – Merde! Sie haben ihnen aufgelauert! (Muhammed, unser aller Gedanken formulierend) Der Kampflärm kam näher. Wir hielten die draußen liegenden ANC-Leute nun ebenfalls unter einem Hagel von Feuer nieder und warfen sogar einige Handgranaten unter sie. Regelmäßig ließen wir Leuchtkugeln steigen, die wir neben einer Menge anderer Munition und Waffen hier gefunden hatten. Wir konnten Ché so am besten unseren Aufenthaltsort zeigen. Schließlich stellten wir das Feuer ein, um nicht unsere eigenen Leute zu treffen – und keinen Augenblick zu früh:
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Unruhe kam in unsere Nähe, hier sprang einer aus der Deckung hoch und verschwand nach einigen wagemutigen Sprüngen hinter einer anderen. Ich beorderte Palthazar an unser verrammeltes Tor, weil er hier ohnehin wenig nützte. Sein blessierter Hintern beschäftigte ihn ununterbrochen. Er zupfte immer wieder vorsichtig die an der eiternden Wunde klebende Hose weg, – der Verband verrutschte ständig von der entscheidenden Stelle – dabei erregte er viel Heiterkeit dadurch, daß er sich bei seinem Bemühen immer weiter nach vorne durchbog und Stelzschritte vollführte »wie ein fröscheschluckender Marabu«, nach Melis Ansicht. Er sollte also inzwischen schon die Stahlflügel innen öffnen und dann bereitstehen, gegebenenfalls die Tür für unsere Kameraden aufzureißen. Doch ganz plötzlich kam ein neuer Ton in den Lärm: das regelmäßige, trockene, kalte und maschinenhaftunaufhaltsame Tacken einer »mitraille«. Jetzt wurde es ernst! Was war zu tun? Sollten wir ausbrechen? Muhammed und Eliah, die ehemals französische Paras gewesen waren, wollten unbedingt, daß wir ausbrächen, den Katangesen in den Rücken fielen und alle vereint wieder hierher zurückstießen. Ihr bestes Argument: Wir könnten den Jeep mit Schnellfeuerkanone als Gegengewicht gegen das Maschinengewehr benützen! Aber noch während wir unsere Attacke besprachen, drang eine Gruppe unserer Leute kämpfend in den Raum vor unserer Spitals-Kaserne ein. Und in diesem Augenblick geschah etwas Ungewöhnliches: Es ward Licht!
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Blitzartig von drei Seiten waren Wagen vor den schmalen Zugang des Platzes gefahren und richteten ihre Scheinwerfer blendend und unbarmherzig auf den Raum zwischen Tormauern und Haus. Ein Suchscheinwerfer tastete unser Gebäude Fenster für Fenster ab und blieb schließlich wie erstaunt an der verlockend offenen Türe hängen, allerdings nicht so erstaunt wie Palthazar, der eben wieder in Marabustellung völlig ungedeckt dastand und sich die plötzliche Helligkeit nicht deuten konnte. Aber noch während er wohl blinzelnd überlegen mochte: »Freund oder Feind?« und im selben Moment,indem ich, neben der Türöffnung stehenbleibend, mit dem Kolben ausholte, um ihn aus seiner Entschlußstarre und damit aus dieser Zielscheibenposition zu stoßen, während Eliah hinter mir im Brustton der Überzeugung meinte: »Dem haben sie wohl ins Hirn geschissen«, während Palthazar immer noch automatisch eine bessere Hosenbodenstellung für seinen madigen Arsch suchte, da sah ich auch schon das kleine Loch klaffen, hörte die Kugel dumpf in seine Leibeshöhle plumpsen, hörte auch einen Schuß aus dem allgemeinen Lärm heraus, der dazuzugehören schien. Und Palthazar staunte! Staunte und schaute starr auf den Einschuß, der genau dort saß, wo er vorvorgestern in Luashi jenem gefesselten Neger das Messer hineingetrieben hatte, um ihm dann neugierig die Gedärme aus dem Bauch zu wühlen. Dann tat Palthazar etwas Unerwartetes, etwas für die gesamte weitere Situation entscheidend Wichtiges: Er hob seinen Karabiner in der rechten Hand hoch, vergaß seinen Scheiß-Arsch, der ihm dies alles eingebrockt hatte, und stürzte brüllend hinaus, warf sich in den neben unserem Fenster parkenden Jeep, startete ihn und raste wie ein Wahnsinniger auf die Einfahrt zwischen den beiden 80
Mauern des Platzes, der unserem Gebäude vorgelagert war, zu. Plötzliches Kreischen der Bremsen! Palthazar war im Schatten der Einfahrt bei unseren dort sich verbissen wehrenden Leuten stehengeblieben. Dieser Aktion folgte ein allgemeiner Tumult. Die feindlichen Scheinwerfer rückten um Motorschnauzenlänge über die Einfahrt vor. Die Unseren schössen wie wild darauf. Auch wir feuerten nun aus allen Rohren auf diese Lichter, von denen eines nach dem anderen erlosch: langsam, gespenstisch, unwirklich! Die Technik hat neue Wunder und Stimmungen für uns bereit. Und nun schaltete »unser« Jeep sein vorhin abgestelltes Licht wieder ein. Seine Kanone spuckte mitten hinein in den Knäuel kämpfender Leiber an der Einfahrt, rücksichtslos und mit dem nötigen Nachdruck. Nun hopste der Jeep in einem sprunghaften Satz genau vor die Einfahrt, seine Lichter rissen den Aufmarsch einer ANC-Einheit, behindert durch die die Einfahrt verstopfenden, erblindeten Wagen, aus dem Dunkel. Seine Kanone feuerte wie besessen. Erst einzelne, dann immer mehr Gestalten lösten sich aus dem Getümmel, die einen auf unser Haus zulaufend, die anderen unter den Wagen fortrobbend. Der Jeep rollte, immer noch feuernd und die Szenerie – wahrhaftig ein Schlachtfeld! – beleuchtend, im Rückwärtsgang auf uns zu. Die auf unser Haus zustrebenden, unentwegt feuernden und kämpfenden Söldner enterten ihn in bizarr-kühner Haltung: Karabiner in der Hüfte, mit einem Bein irgendwo aufgestützt, mit dem freien Unterarm eingehakt. Eine feuer-
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speiende, langsam reversierende, igelig-stachlige brisante Menschentraube!
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6 Als wir die stahlbeschlagenen Innenflügel unserer Festungstür wieder geschlossen hatten, waren wir um vier Mann mehr: Pierre und drei Schwarze hatten sich zu uns durchgeschlagen. Palthazar, der Held des Stoßtrupps, dieses verwegenen Ein-Mann-Unternehmens von vorhin sowie Ché waren auf der Strecke geblieben! Draußen war es ruhig geworden. Anscheinend hatten sie vorderhand genug von uns. Einer der neuangekommenen Schwarzen war derart zusammengeschossen, daß er sehr bald starb – unser Erste-Hilfe-Kursus war für solche Dinge etwas unzureichend. Pierre, der Franzose, war nur leicht verletzt: Ein Messer war ihm durch den linken Oberarm gefahren. Ich behandelte ihn gleich mit Jod, Puder und einem oralen Antibiotikum. Auch die anderen Neuankömmlinge waren alle ziemlich schwer verletzt und wurden von uns beiden verbunden. Da wir sieben dienstfähige Männer waren, konnten wir einen normalen zweistündigen Wacheturnus mit jeweils zwei Mann aufziehen: einer im Obergeschoß, einer im Wachzimmer! Bald schnarchten die restlichen neun Mann. Ich hatte von den Männern das Kommando mehr oder weniger aufgedrängt erhalten, blieb noch ein wenig bei meinen Aufzeichnungen sitzen und dachte an Ché, an die fehlenden Leute, von denen ich mir die meisten jetzt schon nicht mehr vergegenwärtigen konnte – man vergißt einander schneller, als man denkt. Und der Tod ist das Vergessen in Person! Ich dachte auch an Luashi. Lange konnten wir uns hier nicht halten. 83
Es gab weder Wasser noch Verpflegung in unserer Festung – aber ich war Kummer gewöhnt... In dieser Nacht schlief ich schlecht und wenig. Mehrmals wurde ich geweckt. Dazwischen konnte ich lange nicht einschlafen. Enge und Wassernot, dumpfe Luft und rundum Gefahr, Gefahr, die uns wie ein Meer umplätscherte, in der wir zu versinken drohten ... Am Morgen waren drei der am Abend zu uns gestoßenen Schwarzen gestorben, und einer lag in Agonie. Da wir die Toten nicht im Haus haben konnten, warfen wir sie ziemlich pietätlos zu den anderen Leichen hinaus. Nachdem ein Schuß eine der letzten heilen Scheiben zerfetzt hatte, konnten die Feindseligkeiten als wiedereröffnet gelten. Hinter den die Ausfahrt sperrenden Wagen erklang eine Stimme: – Messieurs!, Messieurs! Ich fragte zurück, was man wünsche. So erfuhren wir, daß Ché mit seinen Leuten »gefangen« worden sei – mir lief es beim bloßen Gedanken daran eiskalt durch die leeren Eingeweide. – Viele gute boys! (die Stimme, noch immer radebrechend) – Na und, was soll's? (ich, leicht gereizt und ungläubig) Die Naivität dieser Kerle war verblüffend. Es gibt keine Bestialität, die sie nicht lachend für eine Zigarette ausgeführt hätten. Sie kannten unseren diesbezüglich ihnen nicht nachstellenden Ruf sehr genau – aber sie machten uns den Vorschlag der Kapitulation! In diesem Falle würden wir alle ehrenhaft als Gefangene behandelt, als Gefangene der Zentralregierung sogar! Andernfalls allerdings, nun ja ... 84
Was hieß da Zentralregierung?! Wir waren in KasagiKatanga! Kannte der Kerl nicht einmal die politische Situation seines eigenen Landes? Und die ehrenvolle Behandlung, die Gefangenen hier zuteil zu werden pflegt, die kannten wir nur zu gut aus eigener Anschauung! – Ferme ta gueule, bätard! (Muhammed, unseren Chinesen imitierend) Aber das beeindruckte den Mann auf der anderen Seite natürlich nur wenig. Er würde in einer halben Stunde wiederkommen – mit dem Kopf unseres Anführers! Wir sollten inzwischen unsere Wasservorräte messen! Ach ja, und auch unsere Patronen zählen!... Eine Flut von Flüchen von unserer Seite. Den ganzen Unflat jahrzehntelang besetzter französischer Garnisonen, gepflegt und ausgefeilt in stinklangweiligen Wüsten-Forts, bereichert um afrikanische Greuel, förderte die Wut der Ohnmacht in den Leuten hoch. Als aber in der Folge draußen alles still blieb, fingen zuerst nur einige, dann immer mehr, schließlich alle an, ihre Munition nachzuzählen ... Wir hatten nach der gestrigen Knallerei tatsächlich nur mehr sehr wenig Munition, und die Halbstundenfrist machte uns nervös: – Messieurs! Messieurs! Da war die leicht belegte Stimme wieder! -Wie steht's? Ergebt ihr euch? Noch ist sein Kopf dran! Ein nicht enden wollender, schnatternd klingender Wortschwall kam von Muhammeds Fenster her. – Vielleicht überlegt ihr's euch doch noch. Wir schneiden eurem Anführer vorerst einmal nur eine Hand ab! Fürchterliches Brüllen hinter der Mauer, dann Gelächter. Und schon flog eine noch zuckende blutige Hand in weitem Bogen zu uns herüber. 85
Blutige Hand, sinnierte ich, woher war mir das nur geläufig? Natürlich: Cooper, Lederstrumpf! Man denkt also doch in Worten, eigenartig. Die da hinter der Mauer machten tatsächlich ernst. Aber da wir zu irgendwelchen Aktionen einfach zu schwach waren, Gefangene in Afrika jedoch ohnehin immer dasselbe Schicksal erleiden, unterließen wir jede weitere Reaktion. Wir mußten heute Nacht ausbrechen, wollten wir wenigstens eine minimale Erfolgschance haben! Und dafür würden wir jeden einzelnen Schuß dringendst benötigen. Die zweite Hand kam in hohem Bogen, wie die erste. Dann ein Arm, ein Fuß, ein Bein, alles sauber amputiert – original hand-made! Dann ein Regiefehler, der die jedesmaligen fürchterlichen Schreie hinter der Mauer erklärte: Auch Ché hatte nicht drei Hände! Ich hatte mich schon gewundert, wie er diese Zerstükkelung bei Bewußtsein ertragen könne. Die Versuchung, wieder einmal so eine schön fingernde Hand abzuschneiden, war einfach zu groß gewesen. Nun kam endlich der Rumpf mit dem brüllenden Kopf ohne Augen, Nase und Ohren nach– ob es derjenige Ché's war, konnten wir natürlich nicht feststellen. Es wollte keiner hingehen und nachsehen. Muhammed sparte sogar trotz meines Winkes den Gnadenschuß - und das Brüllen, das wimmernde Kreischen des berumpften Kopfes hörte auch so bald auf. Zeit ist tatsächlich ein sehr relativer Begriff! Plötzlich Bewegung bei den Wagen in der Einfahrt: Sie rollten langsam zurück; dann wieder nichts mehr. Wir richteten alle Rohre auf unseren einzigen jetzt freien
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Ausgang. Nervenzermürbend, dieses Warten! Lange geschah nichts. Und als wir schon wieder abgeregt waren, da fegte völlig unerwartet einer der Lastwagen herein, ohne Motor, nur im Leerlauf: Sie hatten ihn draußen in Schwung gebracht, dann den Motor abgestellt, er raste unheimlich leise auf uns zu – warum nur ohne Motor? Leider erkannte ich das Warum zu spät. Ich schrie »Feuer«! Aber der Wagen, der rollte und rollte weiter wie in jenem alten Marschlied! Wahrscheinlich vollgestopft mit Männern! Eine leichte Rechtsschwenkung, und der Lastwagen wurde gebremst – schon holperte der nächste heran, und ich hatte eben noch Zeit für die Anweisung: – Alles Feuer auf die Plane der Ladefläche! Diesmal ging's denn auch schief. Eine Garbe hatte den im Führerhaus unten liegenden Mann außer Gefecht gesetzt, und unsere Anti-PersonenGranaten taten hier gute Dienste. Der »Mannschaftsraum« wurde buchstäblich ausgeräuchert, die meisten schon während des Heranrollens abgeknallt. Den Rest besorgten wir mit drei MP's vom Oberstock aus, als der Wagen an die Wand prallte. Aber auf den ersten war ich leider hereingefallen. Er stand nun, wuchtige Deckung für die abgesessenen Heckenschützen, mitten auf dem Platz. Das änderte die ganze Situation! Der abgestellte Motor hatte nicht nur erreichen sollen, uns etwas hinzuhalten, sondern machte den Wagen auch schußunempfindlich! Die da draußen ließen sich also auch etwas einfallen! Anscheinend hatten sie keinen weiteren Wagen mehr, oder sie hielten die Methode für nicht weiter wirksam. Jedenfalls blieb es beim Stand der Din-
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ge, und der war für uns ungünstig. Wir überprüften unsere Munition: Mehr als zwei oder drei solcher Aktionen würden wir nicht mehr aushalten. Wir besprachen die verwegensten Ausbruchspläne. Unsere Paras wollten die Sache sofort angehen, und sie hatten auch wieder zumindest einen guten Grund auf Lager: Offenbar hatte auch die ANC Schwierigkeiten: Zu wenig Leute, keine Munition (die hatten wir ja erbeutet), keine Führung? Vielleicht erwarteten sie auch nur in Bälde Verstärkung? Jedenfalls konnten sie sich unsere Munitionsvorräte an den Fingern abzählen. Dennoch hielten sie uns nur hin. Schon wieder war etwas los: Ein einzelner Mann kam durch den Eingang, in der Rechten ein Gewehr, normal adjustiert, eine Zigarette aufgeregt und rasch qualmend, aber ohne Helm. Gewiß wieder irgendeine Teufelei! Ich winkte Muhammed, und dieser hob, hinten im Zimmer auf einem Tisch an der Wand im Dunkeln stehend, seinen Karabiner– Muhammed war unser Meisterschütze! Der Mann draußen eine wie betrunken oder unter einer schweren Last, rauchte krampfhaft und stierte mit riesigen Augen auf unser offenes Fenster. Da hob Marx seinen Arm und bedeutete Muhammed, nicht zu schießen: – Es ist Tsambeghi, einer der Unseren! (Marx zischend) – Bist du auch sicher? (ich, mißtrauisch) – C'est Tzambeghi! (Moise bestätigend) Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Ich konnte meine gewohnte Position des Beobachters in dem Maße immer 88
weniger einnehmen, in dem mich die Verantwortung des Anführers in die Affäre verstrickte, der ich bis vor kurzem – und das erkannte ich jetzt beim Anblick dieses sich immer langsamer nähernden Kameraden da draußen erst deutlich – mehr als Reporter beigewohnt, denn als Beteiligter mich angeschlossen hatte. Was sollte das nun wieder? Und als wollte Moise mir Antwort darauf geben, sagte er leise: – Er kommt aus Livingstone! Und als ich ahnungslos die Schultern zuckte: – Dort sind die Victoriafälle. Auch das sagte mir zu diesem Zeitpunkt nichts. Der schweigende Tzambeghi ging immer langsamer und war nun so nahe gekommen, daß wir deutlich seine angst- und schmerzverzerrten Züge erkennen konnten. Mein Hirn fieberte: Was steckte dahinter??! Beinahe gleichzeitig mit der Erkenntnis der feindlichen Absicht fielen mir die Augen des Herannahenden auf, diese von Entsetzen geweiteten, weiß rollenden Kulleraugen über einer blassen, wuchtigen Nase und einem blutverschmierten Mund. Und Tzambeghis Augen rollten nicht nur, sie deuteten, sie zwangen unseren Blick nach links über seine Schulter, und dort war zweierlei... Wie schnell man selbst einen komplizierten Plan durchschaut! – Die Mauer hinter dem Lastwagen! (ich, gleichzeitig meine MP hochreißend) Ich feuerte auf den Laster. Ein Wirbel von Aktionen setzte ein: Über das winzige Stück Mauer, das der Lastwagen verstellte, unseren Blicken und Gewehren verstellte, beinahe verstellte, über dieses beinahe uneingesehene Mauersegment kletterte eben ein ANC-Mann. Aber unter Muhammeds Schuß warf er die Arme hoch und fiel her89
unter: Man sah dort über die Wagenplane hinweg nur die Krone der Mauer! Schon folgte ein Soldat dem ändern, und nicht alle wurden getroffen, obwohl wir unser Bestes taten. Man stellte die Aktion jedoch sofort wieder ein, als man sah, daß sie durchschaut war. Hinter dem Wagen waren im selben Augenblick, als ich die Erkenntnis hatte, zwei Gewehrläufe aufgetaucht, beide auf Tzambeghi gerichtet und diesem folgend. Mein überraschender Feuerstoß, der noch etwas vor Muhammeds Meisterschuß erfolgte, zwang sie wieder in volle Deckung. Tzambeghi, der von Anfang an gewußt hatte, wozu er dienen sollte, hatte mit meinem Feuerstoß einen Zick-Zack-Lauf auf unseren Jeep zu unternommen und in demselben vorläufig Deckung gefunden. Wir konnten ihn, während Muhammed die Mauerkrone unter Feuer hielt, glücklich zur Türe hereinlotsen. Aber er war bereits am Ende: Man hatte ihn fürchterlich geschlagen, ihm seine Hoden zerquetscht und dann die Zunge abgeschnitten: Die Zigarette sollte ihm den Rest geben. Sein Gewehr war ungeladen, wir erbeuteten nicht einen Schuß. Er starb kurz nach seiner Ankunft – und nicht an der Aufregung seines kurzen Marsches! Unsere Gegner waren jedenfalls nicht phantasielos. Der Heisere von vorhin kündigte uns ein »Spektakel« mit einem »Weißen Riesen« an, den sie auch gefangen hätten. Wir überlegten: Pedro war vor Kisenge geblieben – Feuerbestattung! Bartholomeo im Lager vor Kasagi – Freiluftaufbahrung! Francois im Hohlweg nicht weit von hier – Verkehrsunfall! Palthazar gestern im Heldenkampf und bereits vorher tödlich getroffen – direkte Himmelfahrt! Pierre und ich waren hier. Ché konnte weder als »Weißer« noch als »Riese« gelten, blieb also nur... Verfluchte Hurenscheiße, 90
verdammte! In der Eile ist es schwierig, auch nur über so einfache Dinge nachzudenken: Oft übersieht man tatsächlich vor lauter Wald die Bäume! Ein Jeep tauchte sehr langsam von links auf der Außenseite unseres Ausgangs auf, schob sich immer weiter vor. Muhammed war schon auf seinem Posten. Besser ein sauberer Kopfschuß, als wieder so eine endlose Barbarei – und Muhammed würde keinen Schuß vergeuden! Inzwischen hatten wir festgestellt, daß es nicht ein, sondern zwei parallel fahrende Jeeps waren. Endlich waren sie vollständig sichtbar! Nun tauchten zwei mit den Handflächen nach oben gekehrte horizontal ausgestreckte Arme auf, mit Stricken an je einen der Wagen gebunden. An den Armen waren Schultern und ein Kopf, schließlich ein Körper und Oberschenkel. Dann blieben die Jeeps stehen. Ein Weißer, das konnte nur Jean-Baptiste sein! Der Körper Jean-Baptistes freischwebend in der Luft! Nicht nur die Schwarzen rieben sich die Augen. Waren wir denn in Indien? Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen! In diesem Augenblick wandte uns der Angebundene sein Gesicht zu. Eine weitere Überraschung: Es war Palthazar, und er lebte! Er lebte trotz Würmern im Arsch und einer gewichtigen 45er-Kugel im Bauch! Als nun die zwei Wagen weiter vorfuhren und Palthazar hinten nachschwebte, in Rückenlage und schön ausgestreckt, bereitete uns die Erklärung seiner seltsamen Lage, die auch gleich das Vorhaben der ANC-Leute enthüllte, die von diesen sorgfältig vorausberechnete Überraschung. Und unsere Verblüffung ließ den Katangesen die nötige Zeit, ihr Vorhaben ungestört auszuführen.
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Muhammeds Schuß traf nur mehr den Schädel eines Toten ... Es kam nämlich schließlich der ganze horizontale Palthazar in unseren Gesichtskreis. Auch seine Beine waren an je einem Jeep festgezurrt, letztere fuhren im Rückwärtsgang, aber in derselben Richtung wie die zwei vorderen und hielten Palthazar schön gespannt. Genau in der Mitte der Einfahrt stoppten alle vier Wagen, rückten etwas aneinander, so daß der gesamte Körper des Mannes mit dem Kreuz den Boden berührte, der Kopf aber hinter einem Arm verschwand. Das ganze dauerte genauso lange wie der Satz: – Verflucht! Sie werden ihn vierteilen! (ich, perplex) Die vier Wagen fuhren an, nicht besonders schnell, aber entschlossen und unaufhaltsam. Palthazar wurde hochgehoben, gespannt, gestreckt, gedehnt, überdehnt, gezerrt, ausgezerrt, ausgeleiert... bis er schließlich wie eine gespannte Saite erklang: hoch, nachschwingend, tönend... Diese subtile Fahrkunst ist eine spezifische Begabung der Schwarzen, wie ich immer wieder beobachten konnte. Das Geräusch des Zerplatzens wurde von Muhammeds Schuß übertönt. – Ich habe ihn in den Kopf geschossen! (Muhammed vom Tisch herunter) Seine Augen tränten leicht, und er wischte mit der Hand darüber. Das Zielen auf so weite Entfernung ist anstrengend! Bald danach flogen Palthazars Fetzen auf den Platz herein zu den anderen Kadavern, und ein leichter, inzwischen aufgekommener Westwind trieb den Gestank zu uns her. Meli hatte beobachtet, daß während des Vorgangs die hinter dem Lastwagen verschanzt gewesenen
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Leute über die Mauer entwichen waren, und zwar an der bewußten Stelle. Wir hatten andere Sorgen ... Es war inzwischen Mittag geworden. Nach all diesen theaterhaft inszenierten, unwirklich erscheinenden Szenen stellten wir einen nüchternen Kalkül über unsere Lage an. Vor allem waren alle einstimmig dafür, daß ich das Kommando und die letzte Entscheidung bei unseren weiteren Unternehmungen behalten sollte. Ich fühle mich für derartige Posten prinzipiell ungeeignet, und das sagte ich auch, schlug an meiner Stelle den vitalen Muhammed vor. Aber man war einstimmig für mich. Nicht daß ich etwa gerne gehorche, aber ich gehe lieber meine eigenen Wege, und das ist nicht die rechte Einstellung für einen Anführer. Ich weiß, daß für andere meine Entschlüsse, die sich für mich selbst als richtig und günstig erweisen mögen, oft das Gegenteil sind. Meine Entscheidungen sind Entscheidungen für einzelne. Aber sollte ich hier, mitten in Katanga, eingeschlossen von einer erbarmungslosen Soldateska, im Inneren eines von Haß, Gewalt und Umbruch aller bestehenden Ordnung geschüttelten Erdteils ein Kolleg über Sozialpsychologie halten? – Jedenfalls wird die letzte Kugel nicht vergeben! Die bewahrt sich jeder auf. Denkt an Palthazar und alle anderen! (ich, das Kommando übernehmend) Ich wußte genau, wohin ich die Männer führen würde. Die Leichen vorm Haus stanken schon unerträglich – mich wunderte die Flucht unserer Belagerer hinter dem Lastwagen nicht. Unsere Bilanz war alles andere als ermutigend. Wir waren noch sieben Männer: Pierre, Muhammed, Eliah, Marx, Meli, Moise und ich. 93
An Gewehrmunition hatten wir mehr, als wir schleppen konnten, falls wir alle Vorräte aus dem Wachzimmer mitnehmen wollten. Ebenso Munition für die Kanone. Handgranaten gab es ebenfalls noch einige Kisten voll. Moise und Meli, deren interessierte Gesichter mir während der Vierteilung unangenehm aufgefallen waren – sie erinnerten mich an Theaterpublikum (wann war ich eigentlich das letzte Mal im Theater gewesen, in Wien? Unvorstellbar, das alles hier, das konnte man nur erleben, nicht sich vorstellen!) – ihnen hatte ich damit unrecht getan. Sie hatten mit seltenem Weitblick festgestellt, daß in dem an unserer Hauswand gestrandeten Lastwagen einige Kanister lagen, die noch gefüllt sein dürften. Da es sich aber bei dem Wagen um einen alten CMC handelte, konnte in den Kanistern nur Benzin sein – seltene und köstliche Flüssigkeit hier, nach der wir jetzt beispielsweise auf einer Flucht nicht mehr hätten Ausschau halten können: Wie auch die Neugierde sich bezahlt machen kann! Und was noch mehr war, Moise und Meli hatten einen brauchbaren Plan, wie das Benzin vom CMC in unseren Jeep gelangen könne. Es ging also wieder einmal ein großes Sich-Bewaffnen los: Seit Jahren, so schien es mir, tat ich nichts anderes mehr! Jeder steckte sich mehrere Pistolen in den Gürtel, wir hatten genügend davon. Jeder stopfte sich Taschen und Gürtelschlaufen voll Patronen und Magazine, unter dem ausersehenen »Fluchtfenster« standen zwei Körbe, gefüllt mit Eierhandgranaten und MP-Magazinen. Sie erinnerten mich an Obstkörbe mit verdorbenen, hart gewordenen Orangen und Bananen. Wir wollten sofort aufbrechen.
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Immer dieses bedenkenlose, soldateske Vabanquespiel! Sein Kitzel hatte auch mich schon erfaßt: Jetzt und hier werden Kopf und Kragen riskiert! Während Moise und ich an den Fenstern zurückblieben, wurden sämtliche zurückgelassenen Waffen und auch die Munition unter Muhammeds waffenkundiger Anleitung sachgemäß hinten in der Latrine in die Scheiße versenkt. Wir hatten den Verdacht, daß die Katangesen nicht nur zahlenmäßig schwach waren, sondern auch zu wenig Waffen hatten, um uns wirksam anzugreifen – schließlich waren sie nur eine Garnison, deren Hauptquartier der Feind während eines Ausmarsches besetzt hatte! Vielleicht war das hier überhaupt alles, was sie besaßen? Und nun ging's los: planmäßig und routiniert. Endlich waren wieder wir es, die etwas inszenierten! Die drei M's sprangen aus dem Fenster und führten wieselflink den ersten Coup aus: Moise und Marx schwangen sich hinten in den CMC hinein, Meli auf den Führersitz unseres Jeeps. Schon schnurrte tief und verläßlich der Motor. 3m retour, 5m vorwärts, und er stand hinter dem CMC. Vier Kanister wurden in Windeseile von einem Wagen auf den anderen verladen, Moise und Marx sprangen nach, und schon schoß der unvergleichliche Willys unter unser Fenster, die Körbe erst, dann wir flogen hinein, das heißt, nicht alle: Eliah blieb zurück. Die andere Seite hatte nämlich inzwischen ihre Überraschung überwunden und – ebenfalls einen Scharfschützen bei sich. Für Eliah hatten sie offenbar doch noch Munition gehabt! Nun waren wir nur noch sechs. Jetzt schwenkte ich die nach rückwärts zielende Kanone um 180 Grad herum, wobei mir der Schwung der rasanten Abfahrt behilflich war. 95
Moise hielt einen neuen Gurt für meine Kanone in einer Hand bereit, mit der anderen preßte er seine MP an die Hüfte. Dieses ewige Schießen aus der Hüfte geschieht keineswegs aus fotogenen Gründen, sondern es wird vor allem deshalb in den Ausbildungslagern der Guerillas pausenlos geübt, weil es schneller geht und wesentlich überraschender ist, als das konventionelle Schießen aus Brust- oder Schulterhöhe. Am Schießstand schießt man aus dem SchulterAnschlag. Im Alltag aber kommt man nur selten dazu, denn kaum einmal stehen die Gegner Modell, und meist hat man eben außerdem noch etwas anderes zu tun – und wäre es nur die Bewahrung des eigenen Lebens, die einen beschäftigt! Man stelle sich konkret Moise vor, auf dem holpernd auf den Gegner losratternden Jeep, meinen Kanonen-Gurt bedienend und gleichzeitig schießend! Nein, das war keine Schießstandpose, bestimmt nicht! Der Schuß aus der Hüfte wird von den automatischen Waffen sehr begünstigt. Ein Verhaltensforscher würde ihn vielleicht als eine »Abschreck-Haltung« erkennen: Ein Gewehr wirkt nirgendwo sonst so überzeugend und demoralisierend wie an der Hüfte. Unser Chinese behauptete immer: – Ein guter automatischer Karabiner an der Hüfte eines grellfleckigen, entschlossenen Mannes im Kampfdrillich wiegt ein LMG auf! – Aber ich glaube nicht, daß einer der Männer noch daran dachte, oder überhaupt an unseren Chinesen, dessen leergepickte Haut nun an einem Baum am Eingang von Kisenge im Wind gerbte.
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Nein, der automatische Feuerstoß aus der Hüfte war ihnen selbstverständlich geworden, so selbstverständlich, daß sie ihren Karabiner eben immer an der Hüfte suchten, wenn er ihnen abging. Die vier anderen hatten jeder gleichzeitig Gewehr und MP im Hüftanschlag, standen links und rechts neben meiner Kanone und begannen schon in der Ausfahrt auf den Platz aus allen Rohren zu feuern, was das Zeug hielt. Ich bestreute mit der Kanone die Straße vor uns, Meli aber steckte den Kopf zwischen die Schultern und raste mit uns und dem Jeep dem Ortsausgang zu. Ein paar verirrte Kugeln umpfiffen uns, aber gesehen haben wir keinen schwarzen Arsch. Wir erreichten die Straße nach Dilolo unbehelligt...
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7 Diesmal rasten wir das holperige, staubige Straßenstück bis zu jenem Hügel vor der Stadt, von dem wir gestern abend so unbekümmert aufgebrochen waren, in entgegengesetzter Richtung entlang. Tatsächlich, gestern abend erst waren wir von hier losgefahren. Doch was war inzwischen alles geschehen! Unsere blauen Helme waren noch vollzählig, die elf Mann von gestern keineswegs. Ob außer uns Sechsen noch einer lebte? Wohl kaum. Fünf Ausfälle sind im allgemeinen nicht viel für einen derart mörderischen Kampf– 45% der Effektivkräfte in weniger als 24 Stunden einzubüßen, das ist aber doch ein harter, ein verdammt harter Schlag (bei Zahlen schnurrt mein Gehirn immer ganz von selbst ab bis zur 2. Dezimalstelle, sozusagen ohne mein Zutun – gelernt ist gelernt!). Mit allen Vieren spreizte sich unser Wagen plötzlich gegen die Fahrt und riß mich aus meinen Gedanken. Wir waren fast beim gestrigen Rastplatz angekommen. Vor uns auf der Straße lag ein Mann im Kampfanzug bauchunten hingestreckt. Moise und Marx sprangen ab, bückten sich, drehten den Mann um und blickten auf ihn hinunter: Es war ein schwarzer Mann ohne Nase und Ohren mit angesengtem Kinn, durchstochener Kehle, abgezogener Kopfhaut unterm drübergebundenen Helm, mit leeren, ausgeronnenen Augenhöhlen. – Tzambeghi? (Moise, fragend) – Das war doch der ohne Zunge heute! (Meli, den Kopf schüttelnd) Marx trat dem Toten den Unterkiefer hinunter. – Der hier hat auch keine Zunge mehr. 98
– Shembagi vielleicht? Schließlich wurde der Mann beiseite geschleppt – auch seine Arme waren mehrfach gebrochen, die Hände durchbohrt, die Nägel ausgerissen. Wir kamen nicht dahinter, ob er zu uns gehört hatte. Ohren, Finger oder Zunge fanden wir nicht, auch keinen Skalp! Skalpieren in Afrika! Ob das Amis gewesen waren? Etwa 50m waren es noch bis zu jenem Hügel. Meli wurde immer langsamer und verließ plötzlich die Straße, bog rechts auf die trockene Steppe ab und umfuhr in halsbrecherischer Fahrt den unheimlichen Hügel. Auch mir erschien er als eine gefährliche Falle. Als wir von hinten auf unserem gestrigen Rastplatz ankamen, bestätigte sich diese Ahnung. Ja, es war eine Falle – gestern gewesen! Es lagen weitere siebzehn Leichen hier verstreut herum, drei davon auf die eine oder andere Weise verstümmelt. Ein Sammelsurium aller Wohltaten, die Menschen einander zufügen können. Mir ist nur mehr ein Mann in besonderer Erinnerung: Man hatte ihm die Zunge weit herausgezerrt und an die Stirne genagelt – jetzt saß ein dicker Pelz von Schmeißfliegen auf dem Brandschorf, der sie bedeckte. Auch hier fanden wir keine abgeschnittenen Körperteile! Wir saßen auf und fuhren durch das müde, satte Flügelschlagen der Kuttengeier weiter, hinein in die nahen Hügel, in den schützenden, dichten Busch, in die letzten Ausbuchtungen der riesigen Dilolo-Sümpfe. Dilolo war unser Ziel. 200 km von hier. Wir hatten nicht die Absicht, wieder über Kisenge nach Luashi zu fahren. Gruppe III, falls vor Kisenge nicht vollständig aufgerieben, mußte inzwischen aus Sandoa zurück und 99
wieder in Dilolo sein, falls sie überhaupt dorthin weitergezogen war. Dilolo, mitten im unermeßlich weiten, sumpfigen Quellgebiet des Kongo gelegen, zog uns an wie ein Stück Aas die Fliegen... Während ich wieder hinter meiner Kanone saß und die Stelle, wo unsere Straße im Busch verschwand, scharf beobachtete, suchte ich zum ersten Mal seit jener Rast hinter diesem Hügel in meinem Rücken eine Erklärung für all das hier. Was hatte ich an jenem Sonntag zu meiner Frau gesagt? – Die ganze Welt ist in Bewegung geraten, und sie merken es nicht! Sie wollen es sich nicht eingestehen, die mehr oder weniger zufälligen Verwalter der Macht: Sie bezeichnen immer noch als Erhebung, als Revolution, als Aufstand, was in Wahrheit legitimer Anspruch ist, Anspruch darauf, seine Geschicke selbst zu lenken, seine Angelegenheiten selbst zu verwalten, seine eigenen Ideale anzustreben und zu verwirklichen . .. Und da sich diese »modernen« Machthaber hinter einem Riesenapparat von Organisationen verschanzt haben, Organisationen, deren Statuten derart sind, daß jede Eingabe einen mehrjährigen Amtsweg hinter sich bringen muß, um dann eventuell einem der noch langsamer arbeitenden und erst zu konstituierenden Unterausschüsse zugewiesen zu werden, weil aber gleichzeitig gerade die ganze Völker betreffenden Anliegen von echter Begeisterung getragen werden, die weder Aufschub noch krämerhaftes Abwiegen und Messen der Erfolgsaussichten, des Gehaltes an Vernunft und politischer Realität vertragen, weil gerade diese Anliegen die wahren Triebkräfte menschlicher Entwicklung sind und alles andere nach sich ziehen, weil... Nun, eben darum ist es unreal und wenig erfolgversprechend, gerade solche Anliegen auf 100
politischem Wege abwürgen zu wollen. Wenn diese sogenannten Politiker wenigstens das Maß ihrer eigenen Schuhe anwenden wollten, dann würde es sie zumindest aufrütteln, nachdenklich stimmen, daß diese »Unzufriedenen« selbst enormen Geldsummen gegenüber unzugänglich bleiben! Nicht einmal den Zynismus verstehen sie zu deuten, mit dem diese ihr »gutes« Geld gelegentlich annehmen und damit dann beim hämisch grinsenden Nachbarn des Geldgebers Waffen kaufen, mit denen sie noch lauter auf ihre Forderungen pochen, die man zuerst mit genau diesem Gelde zu beschwichtigen gehofft hatte ... Nein, sie verstehen überhaupt gar nichts auf dieser sich ständig erneuernden Welt– Zeit, daß sie abtreten! Überall auf der Welt marschieren Söldner: Aufständische, Legionäre, Special-Forces, Guerillas, Maquisards und wie sie noch genannt werden mögen! Aber unsere braven Regierungen glauben immer noch unentwegt, weil die Gesamtzahl der als »regulär« bezeichneten Soldaten die der anderen etwas übersteigt, sie müßten diese ganze sich erhebende Welt mit regulären Truppen und Polizeikräften niederhalten. Ich frage mich, wer denn nun eigentlich »regulär« ist! Nach derzeitigem Sprachgebrauch ließe sich dies durch einfaches Abzählen am besten ermitteln: hier die regulär Rekrutierten– hier die Unzufriedenen, Aufmuckenden! Kaum wird beispielsweise die Regierung irgendeines Colonels von irgendeiner anerkannten Regierung ihrerseits anerkannt, da werden durch einfachen Federstrich deren bisherigen Partisanen, ihre Guerillas und Söldner zu legalen »Soldaten« - deren Sold allerdings jetzt beträchtlich sinkt, dafür aber bezahlt der Staat nun für sie die sogenannten Soziallasten! 101
Nein, man kann in solchen Zeiten nicht mit gutem Gewissen das A-B-C lehren und das Einmaleins! Man kann in solcher Zeit nicht empfindsame Novellen schreiben oder gar esoterische Gedichte meißeln!!! Ich hatte an jenem etwas trüben, spießbürgerlichen, glockendurchtönten Brave-Leute-Sonntag mit einem Male erkannt, daß viele dieser braven Leute überhaupt nicht so brav waren. Im Gegenteil, Bestien sind sie, wilde, verantwortungslose, reißende Bestien! Sie alle, diese Bäcker und Eisenbahner, diese Inspektoren und Lehrer, diese Beamten und Polizisten, dieses ganze unproduktive Zivilisations-Geschwür! Sie verurteilen das »menschenrechtskonventionslose« Verhalten des Vietkong (aber niemals das der zivilisierten Amerikaner), der Jemeniten oder der südamerikanischen Violencia und laden unter diesem Vorwand Millionen Tonnen Bomben ab auf Frauen und Kinder dieser sich nicht an ihre Spielregeln Haltenden ... Darum war ich damals abgereist, mit nichts als einer Zahnbürste, einem Handtuch, einer Zeitung und einem Buch im Koffer. Gewiß, ich hatte dies alles nur sehr ungenau gefühlt, als Gesamtkomplex eines unendlichen Unbehagens sozusagen. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, in jeder Nachrichtensendung schwerbewaffnete Polizeitruppen irgendwo in der Welt auf demonstrierende Zivilisten losgehen zu sehen, Polizeitruppen, die letztlich von genau diesen Zivilisten bezahlt wurden – aber nicht, um dann auf sie loszugehen. Es ist alles viel zu verworren geworden! Und jetzt, hier, heute?
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Ich fuhr sorglos (verhältnismäßig sorglos zumindest) über die kongolesische Steppe, weil mich das Morgen nicht belastete. Keine Schulstube mit ängstlich bewahrtem Mief (Durchsage des Direktors: Das viele Lüften hat ab sofort zu unterbleiben!), mit lernunwilligen Kindern (wozu sollen wir den ganzen Quatsch da lernen?). Keine faden, nur mehr auf ihre Pensionierung zudösenden Kollegen mit Zeitungsansichten, dem neuesten Wissen aus der letzten TV-Sendung: Bildung frei Haus! Kein Stundenplan mehr mit Mathematik an jedem Donnerstag des Lebens von 8 Uhr 25 bis 9 Uhr 20! Kein kleinlicher Direktor, sein Mütchen an feigen Untergebenen und wehrlosen Kindern kühlend!. .. Morgen? Morgen gab es Wald und Freiheit, Wind um die Ohren, Männerscherze, Kampf oder auch Weiber und Schnaps – quien sabe?! Nur meine Frau hatte im Grunde verstanden, warum ich wegfuhr. Ohne alle weiteren Erklärungen. Sie verstand auch meine tiefe Befriedigung über das blöde Gesicht des Direktors, als ich mich damals ganz nahe zu ihm hinbeugte und beiläufig mein Verschwinden bekanntgab: – Ich mache nicht mehr mit! (ich, gespannt auf seine Reaktion) – Aber dann verlieren Sie doch Ihren definitiven Posten, Herr Kollege, haben Sie das auch bedacht? (er, ohne zu begreifen) Als er nicht begreifen konnte oder wollte, hätte ich ihm natürlich sagen können, er solle mich doch am Arsch lecken. Aber das war mir zu billig erschienen. Pierres Stimme riß mich aus meinen Gedanken, und unvermittelt war ich wieder ganz in der Gegenwart. Unser Wil103
lys raste soeben das letzte Stück Steppe entlang und tauchte in den schattigen Busch ein. Sechs Männer von dreißig waren wir noch, bewaffnet bis an die von Spannung und Hunger gefletschten Zähne. Eine nicht zu unterschätzende Macht: zu allem und jedem entschlossen und bereit - nur nicht zum Sterben. Und dennoch, wenn man unsere Chancen bedachte ... – Sie müssen überfallen worden sein, kurz nachdem wir gestern nach Kasagi losfuhren. (Meli, Pierre auf etwas antwortend) – Dann konnte der Rest sich noch bis zu uns durchschlagen, wurde dabei jedoch aufgerieben – bis auf die paar Mann, die schließlich bei uns starben, stückweise! – Ja, so muß es gewesen sein! (ich, ebenfalls meine Überlegungen anstellend) Doch Muhammed schüttelte den Kopf. Auch Moise und Marx sahen mich verwundert an. – Die Leute, mit denen Pierre gestern ankam, waren nicht aus Chés Gruppe. Es waren Leute aus der Gruppe III (Muhammed, mich aufklärend) – Nicht alle! Zwei waren mit mir auf Spähtrupp gegangen, gleich nachdem ihr weggefahren wart. Als wir die Schießerei in unserem Rücken hörten, liefen wir zurück, trafen auf die Gruppe der Schwarzen, hörten im Lager nichts mehr und setzten unseren Marsch auf Kasagi wieder fort. (Pierre, zum erstenmal Zeit für einen derartigen Bericht findend) Meli hielt an, schob seinen Helm ins Genick, und ein allgemeines Palaver wurde abgehalten, in welchem wir die Lage peilten. Wir hatten bisher noch keine Gelegenheit zum Reden gefunden. Nicht einmal darüber hatten wir gesprochen, wie Chés Gruppe vor die Hunde gegangen sein mochte und warum. Es stellte sich folgendes einwandfrei heraus: 104
1. Pierre war mit zwei Mann auf Spähtrupp. In dieser Zeit ereignete sich zweierlei: a) Gruppe III, oder was von ihr noch übrig war, traf mit Ché zusammen. b) Nun erfolgte ein Überfall durch ANC-Einheiten, die vermutlich Gruppe III verfolgt hatten. Dabei wurde Chés Gruppe eingeschlossen und teils gleich vernichtet, teils gefangengenommen und dann ebenfalls vernichtet. 2. Später traf Pierre auf die entkommenen Leute aus Gruppe III, hielt diese aber – da für einen Europäer uniformierte Schwarze einander ähnlich sehen wie ein Kieselstein dem anderen, er auch nicht alle Schwarzen unseres Camps gut genug gekannt hatte und es außerdem schon dunkel wurde – für Angehörige unserer eigenen Gruppe. 3. Daraus konnte geschlossen werden, daß Gruppe III nochmals in Schwierigkeiten geraten sein dürfte. 4. Somit konnten wir in Dilolo auf keinerlei Verstärkung mehr hoffen. Eher noch in Luashi, das vielleicht noch von Gruppe I besetzt gehalten wurde. Wer weiß! Vielleicht waren sie dort schon über alles informiert und erwarteten uns – im Busch verbreiten sich Nachrichten erstaunlich rasch, wenn sie auch ebenso erstaunlich dabei entarten! Aber zwischen uns und Luashi lag das von uns ausgeräucherte Kisenge. Außerdem war Dilolo näher, und Gruppe III war ja über Kisenge und Kasagi nach Sandoa unterwegs gewesen. In Dilolo konnte also möglicherweise alles ruhig sein. Wir beschlossen also, Dilolo als Ort unseres Rückzuges aus Katanga beizubehalten und setzten unsere Fahrt fort, ganz wie vorgesehen.
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Improvisationstalent ist wichtig, aber auch ein vorbereiteter Plan hat seine Vorteile! Vor allem wohnt einem schon einige Zeit verfolgten Plan ein gewisses Eigenleben inne, das sich als nicht zu unterschätzender Schwung auf alle Beteiligten überträgt! Als wir die Stelle erreichten, an der wir den Jeep erbeutet hatten, blieben wir wieder stehen, ja, Meli legte sofort den Retourgang ein, ich riß die Kanone herum, und unser von Gewehrläufen starrender Wagen sprang gereizt zurück, aus dem Hohlweg und den unübersichtlichen Kurven heraus, wir hatten hier sieben Leichen zurückgelassen, nun war die Stelle leer: Keine Patronenhülsen, kein Helm, nichts mehr zeugte von dem gestrigen Kampf. Geier fressen keine Patronenhülsen, sie lassen sogar Knochen zurück! Sollten die Leute von Gruppe III etwa hier aufgeräumt haben? Höchst unwahrscheinlich! Ich bedachte, wie unser Jeep das letztemal durch diesen Hohlweg gefahren war, sogar in derselben Richtung: besetzt mit vier strahlenden, von sich überzeugten special-boys! Und ich glaube leider an die Duplizität der Ereignisse! Zurück konnten wir nicht, die heikle Stelle zu umfahren war auch nicht möglich, also einfach in die Falle plumpsen und darauf vertrauen, daß sie nicht gespannt war, nicht zuschnappen würde? Wir hasardierten zwar dauernd mit unserm Leben als Einsatz, aber: Wenn schon Einsatz, dann auch GewinnChancen! Ich gab also meine Anweisungen, wie alle es von mir erwarteten: – Pierre und Moise, ihr folgt dem Weg links im Wald, Muhammed und ich rechts! Meli und Marx halten im 106
Jeep mit uns Schritt. Wir bleiben ständig in Sichtkontakt: Beim ersten verdächtigen Anzeichen ziehen wir uns alle sofort auf den Jeep zurück! Gefahren wird dann in derselben Ordnung wie beim Ausbruch aus Kasagi, und zwar in Richtung Dilolo! Alles klar? Es war derselbe Buschwald, den wir gestern so angespannt durchschritten hatten, gefährlich, tödlich, und doch friedlich in der gleißenden tropischen Mittagshitze, in der alle Farben wie ausgeblichen schienen. Ich erinnerte mich unvermittelt Zambias, der Hochbrüstigen, aus meinem Traume unweit von hier. Ich sah ihre Schenkel sich öffnen, fühlte ihre Hand unter mein klebriges Hemd und tiefer gleiten, verlangend, fordernd, begehrend! Ich fühlte mein Herz im Halse, sog gierig diesen höllischwürzigen Busch-Geruch ein, fühlte meine Beengtheit in der am Bund durchgeschwitzten Hose, wachte auf. Ich sah die Dachplane unseres Jeeps zusammengerollt neben uns herkriechen, sah drüben Moises Blauhelm kurz aufleuchten (blau ist die so ziemlich unmöglichste Farbe für afrikanische Wälder – außer dem Himmel ist nichts Blaues zu erblicken), sah Muhammeds besorgten Blick über blitzenden Zähnen auf mich gerichtet, sein Gewehr aber ins Innere des Waldes, wollte meine Hose hinunterziehen, hinter einen Baum kriechen, irgend etwas alle Kräfte Überforderndes tun, dachte nur an Zambia, Zambita, Zambiana, Thumbia... Die Blätter am Boden waren ihr Haar, ihr Fellchen, ihr Kraus-Pelz, die schlängelnden Äste krochen hinein, heraus, wieder und nochmals hinein! Pilze durchwuchsen es, Harz tropfte wie Schweiß, Bäume gabelten sich wie zarte Mädchenschenkel, hatten Brüste und Warzen, wiegten sich im Traum der unendlichen Fruchtbarkeit, des ewigen 107
Lebens! Muhammed, der unbewußt Schreckliche aber wachte über mich, über unsere Sicherheit. – Es ist der Wald, Charles, nur der Wald! (Muhammed, mich zum erstenmal beim Namen nennend) Sein »Charles« aber klang wie »Bruder«! Waren wir Freunde geworden? Meine Hose saß wieder wie angegossen, Zambia verließ mich, und durch den Wald webte der vertraute Männergeruch, jene Kasernenmischung aus Schweiß, Leder, Furz, Waffenöl und vertrockneten, konzentriert-scharfen Pisse-Resten langgetragener Unterhosen. Alles war wieder im Gleichgewicht! Die Straße war frei. Wir saßen auf, gespannt, aber nicht erleichtert: Wir hatten keine Leichen entdeckt, und unsere Leute hatten sie ja bestimmt nicht mitgenommen. Es gab auch kein serologisches Institut, wohin man sie zwecks Identifizierung geschickt haben könnte, also ... Nach kurzer Fahrt über die mit niederem Busch bestandene Ebene vor dem Hügel unseres selbstmörderischen Nachtlagers konnten wir der Versuchung nicht widerstehen: Wir wollten wissen, ob Bartholomeos Leiche noch dort oben saß. Muhammed und ich stiegen hinauf, die anderen machten eine Zigarettenpause. Auch Bartholomeo war verschwunden. – Ein toter Mann ist leichter zu braten als eine flinke Gazelle. Und Fußsohlen sind nicht so zäh wie Gazellenschenkel! (Muhammed, sachlich und kenntnisreich) Er sah mir dabei fest in die Augen. – Da muß sich ein ganzer Stamm versorgt haben, und zwar gleich für längere Zeit! (ich, trocken) Wir kehrten um.
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Auf die fragenden Blicke der anderen schüttelten wir nur den Kopf. – Dann müssen wir jetzt wohl mit dem Messer auf die Jagd gehen, uns kommt schon der verdaute Magen beim Arsch heraus, Käpt'n! (Moise, mich befördernd) Verstand ich recht? War mein Interesse an den verschwundenen Leichen etwa so ausgelegt worden? Afrika! Wohl ewig unerforschlich für uns! (ich, wieder einmal zu mir in aller Stille) – Aber auf dem Marsch erst, später, wir können uns keine Verluste leisten! (ich, diesmal laut) Es kam aber nicht mehr dazu. Wir hatten vorgestern, von Kisenge kommend, diesen Hügel auf einem anderen Wege erreicht als dem, den wir nun nach Dilolo einschlagen mußten. Wir folgten diesem aber nur sehr vorsichtig, langsam, immer auf alles gefaßt. Deshalb kamen wir auch bis zum Abend nicht weit. Außerdem wurden wir noch durch einen Radwechsel aufgehalten, mit anschließender Reparatur des beschädigten Reifens natürlich – unser Fahrzeug mußte immer bestens instand gehalten werden. Es war unsere einzige Verbindung zurück nach Angola! Als wir nun am frühen Abend einen schmalen, aber befahrbaren Seitenweg erreichten, bogen wir in ihn ein, um einen geeigneten Lagerplatz zu suchen. Bei Nacht hätten uns die Scheinwerfer rasch verraten. Der Weg führte zu unserer Überraschung auf eine Lichtung, auf der ein ziemlich großes Gebäude stand, umgeben von einer hohen Mauer. Während wir noch rätselten, was das nun wieder wäre, ertönte von einem Türmchen herab der ungewohnte Ton einer kleinen Glocke – und so lächerlich dies hier war, mir schien es ein Vesperläuten zu sein. 109
Wir schoben den Jeep mit abgestelltem Motor in Stellung, tarnten ihn mit kleinen Bäumen und Ästen, nahmen das Tor vor unsere Kanone, und dann ging Pierre, normal bewaffnet, zum Eingang und zog an einem Griff. Tatsächlich bimmelte eine Glocke, ein Schiebefenster öffnete sich, und jemand fragte Pierre, was er wünsche – übrigens im besten Französisch. Er habe sich verlaufen, meinte Pierre trocken, und wo er denn hier eigentlich sei. – Blöd wie ein Anbandelungsversuch auf dem Boulevard Malesherbes! (Muhammed, grinsend) – Ein Weißer! Un Francais!! (eine weibliche Stimme mit Freudengeschrei) Auf einen Wink Pierres fuhren wir aus unserer Tarnstellung vor, im selben Moment riß auch schon ein dunkles Mädchen im Habit einer Novizin das Tor auf. Als sie unseren waffenstarrenden Jeep sah, tanzte sie beinahe vor Freude und lief sofort ins Haus, unsere Ankunft zu melden. Wir aber stellten den Wagen in den geräumigen Hof, verschlossen das Tor, das wir uns selbst geöffnet hatten, wieder sorgfältig hinter uns, ließen Muhammed als wachsamen Bruder Pförtner mit MP und Handgranaten in der Pförtnerklause zurück und gingen auf das Kloster zu, Bratenduft und Weinblume in der Nase, vielleicht auch den nicht zu unterdrückenden Wunsch nach Badewasser und Mädchenhänden verspürend, ihm nachhängend, sich ihm hingebend, ihn auskostend, sich in ihm wälzend schließlich wie Schweine in der Suhle. ..
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8 Es war eine Szene, wie sie gegensätzlicher nur schwer vorstellbar ist: Sechs Männer im Kampfdrillich, dessen Tarnflecken vom langen Marsch, von Schweiß und Blut und Staub, von hineingewischtem Schmutz und Rotz delogiert waren, jeder zwei Pistolen am tiefhängenden Gürtel, zwei weitere Gürtel mit Pistolen kreuzweise über die Schultern gehängt, zerbeulte Helme mit offenen Kinnriemen über teils bärtigen, teils aber nur schweißglänzenden, schmutzigen, hohlen und überhaupt sehr mitgenommenen Gesichtern – auch von den Zügen her sehr mitgenommen, in denen ja immer etwas von dem steckenbleibt, was man sieht, erlebt. Dazu noch Karabiner und MP's in den Händen, Brust- und Hosentaschen ausgeheult von Eierhandgranaten, sechs stinkende Männer also schwingen sich behender, als man es ihnen bei ihrer Bewaffnung zutraut, von einem vollkommen verstaubten und zerschossenen Jeep! Über uns ein zarter, schon wieder pazifischangolischer Abendhimmel. Das Kreuz des Südens eben auf der zambia-tischen Seite am Firmament aufziehend, eine Vesperglocke mit etwas atemloser Fistelstimme über uns, schnatternde und maulende Maquis in den Baumwipfeln draußen, der kleine Hof sauber gepflegt, sogar mit einigen geradezu explodierenden Blumen in diesen brennenden Rostrottönen, die für Afrika so kennzeichnend sind: Azambialeen, Zambezileen, Thumbeziadeen, Shambesiazeen ... Welch unerwartet friedliche Stimmung voller Heimweh und Kultur! Die Tür des Klostergebäudes sprang auf, und eine ältere Nonne in schwerem Habit, umgeben von neun hüb111
schen, teils weißen, teils schwarzen Novizinnen, stand erstaunt darin, unser am Körper baumelndes Arsenal mißbilligend, aber nur flüchtig betrachtend. Sie trat vor uns hin und sah einem nach dem andern ins Gesicht– es war urkomisch, diese Musterung! Ich folgte ihrem Blick von mir weg: Moise neben mir rollte mit den Augen und erwiderte ihren Gruß mit einem so jubelnden »oui, Madame!«, als wäre es eine Einladung gewesen, die Novizinnen samt und sonders und an Ort und Stelle zu bespringen, und nicht einfach die Aufforderung näherzutreten. Ich stieß ihm meinen Ellbogen in die Seite und imitierte sofort mit vorgehaltenem Karabiner ein unterdrücktes Husten, weil die Oberin auf seinen Schmerzenslaut fragend herschaute. Muhammed, der sich inzwischen höchst pflichtvergessen von der Pforte her zu uns gesellt hatte – die Weiblichkeit in Afrika und in solcher Situation läßt alle Pflicht vergessen! – tätschelte eben seinen Gewehrkolben wie einen käuflichen Weiberarsch und hielt dabei eine der Novizinnen stets im Auge: entschlossen, ungeduldig und zielstrebig! Marx, der Schweigsame, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, ließ keinen Blick von einer etwas drallen und sehr schelmisch dreinblickenden Novizin, die ihren bestimmt makellos geformten Busen auf diese eigenartige, afrikanisch- unförmige Art niedergebunden trug. Meli lachte über das ganze zerfurchte und von Entbehrung gezeichnete Gesicht und tat überhaupt nichts, um seine Hose zu verbergen. Er stand sozusagen buchstäblich im vordersten Glied, und eine der Novizinnen (vielleicht galt seine Demonstration ohnehin ihr?) schien es bemerkt zu haben, machte ihre Genossinnen hinter vorgehaltener Hand darauf aufmerksam, mit züchtig niedergeschlage112
nen hübschen Kulleraugen versteht sich (wie in einem afrikanischen Nibelungenlied auf den Stufen einer Kathedrale) und kichernd natürlich – wie in der Schule! Wir folgten also der Oberin, und auch meine Gedanken waren nicht von der Art, wie man sie in einem Kloster wohl erwarten konnte. An der Tür drehte sich die Oberin würdevoll um. Sie schaute mich an. – Das Zeug da, können Sie es nicht doch ablegen? Auf unsere Waffen deutend, dann auf den Jeep weisend, fuhr sie fort: – In Ihrem Taxi dort vielleicht? – Taxi, hahahahahaü! (Muhammed, sich auf die Schenkel schlagend) Woher sollte er wissen, daß Leute aus entlegenen Provinzorten auch heute noch jeden PKW »Taxi« nennen. Früher gab es auf dem Land für den Personenverkehr eben offenbar nur Taxis! Ich trat ihm eine in den Arsch, und als mich die Oberin, entsetzt ob solcher Manieren, entgeistert anstarrte, tat ich kameradschaftlich-dienstlich: – Du solltest doch beim Tor bleiben, Idiot! Er trollte sich kopfschüttelnd zurück, und ich erklärte der Oberin, daß wir ohne Waffen nicht hineingehen könnten: – Das wäre ja dasselbe, als steckte einer seinen Hals versuchsweise in eine Wildfalle! Doch die Oberin hatte eine entwaffnende Replique: – Sie haben ja ohnehin diesen Burschen da am Tor! Der wird schon aufpassen! Schließlich betraten wir auf Zehenspitzen, aber voll bewaffnet, den heiligen Ort. Pierres Arm hatte den Disput beendet: Er brauchte dringendst ärztlicher Pflege! 113
Wir wurden in ein Refektorium geführt, wo man uns als sehr formellen Willkommenstrunk ein Glas algerischen Weines anbot. Wir hatten tagelang nicht gegessen, nicht getrunken, hatten die schmutzigste Arbeit getan und schlecht geschlafen, wir hatten gekämpft und getötet, waren marschiert und äußersten Nervenbeanspruchungen ausgesetzt gewesen, wir starrten vor Schmutz und stanken nach allem Möglichen, worunter der eigene Urin noch das Harmloseste war, und jeder von uns trug mehrere Kilo Waffen an sich herum! In diesem Zustand »un canon« serviert zu bekommen, auf vollendete Art serviert zu bekommen – die Oberin hieß die einschenkende Novizin (es war die mit dem unförmigknolligen herrlichen Busen, den ich mir so schön und fest vorstellte) zuerst einen Schluck in ihr, der Oberin Glas zu gießen, kostete, überlegte, hielt den Schluck dann aber doch für geeignet für uns. Für einige von uns, vielleicht zum erstenmal derart bedient, tauchten Probleme auf: Wohin mit dem Karabiner? Rechte oder linke Hand? Mit Helm trinken oder barhaupt? Durfte man sich vorsichtshalber noch schnell auf den Handrücken schneuzen, oder auf den Teppich? Endlich standen wir alle da und hoben mit der Oberin unser Glas. Die Mädchen mußten zusehen und kicherten dafür ausgiebig... Diesmal war es die Hose Moises, die zu eng wurde. Der Schluck, ja selbst diese und weitere drei Flaschen waren schneller getrunken als aufgemacht und eingeschenkt, so daß ich die Sache steuern mußte, um Unheil zu vermeiden. – Vous savez, Madame . .. 114
– Mere! (sie, mich verbessernd und dabei lächelnd) – Also gut, Madame,.. . (ich, energisch werdend) – Meine Männer haben nun mehr als drei Tage lang nichts getrunken – und nichts gegessen! – Oh! Und das haben Sie geduldet, Monsieur?! (die ehrwürdige Mutter, entsetzt) – Auch ich habe nichts gegessen und getrunken, Madame! -Ja, was haben Sie denn gemacht? – Gekämpft, Madame! Um unser Leben gekämpft! Wir waren vor vier Tagen noch dreißig Mann! Sie sah mich an und verstand alles. – Eine Frage noch, Monsieur: Sie sind nicht von hier? – Nein, Madame, wir befinden uns auf dem Weg zurück nach Dilolo. – Sie meinen auf dem Rückzug? – Wenn Sie so wollen! – Darüber sprechen wir noch. Jetzt sollen Ihre Männer zu essen bekommen, was Küche und Keller hergeben. Während sie nun ihren Hausfrauenpflichten oblag, badeten wir! Ja, tatsächlich! Auch Muhammed war wieder bei uns. Die Mädchen hielten inzwischen selber Wache, und in der Tat war es für uns im Falle eines Falles egal, ob wir's schon draußen an der Mauer erfuhren, oder erst im Haus, denn nur dieses konnten wir notfalls verteidigen – so lange die Verpflegung reichte. Unseren Wagen hatten wir allerdings entladen und ähnlich wie in Kasagi unter ein Fenster des Klosters gestellt. Ja, die Oberin hatte uns tatsächlich zu einem Bad überredet! Das Becken des klösterlichen Bades war in den gekachelten Boden eingelassen und wurde von einem ziemlich stark fließenden Rinnsal durchströmt. Es war normalerweise ein Gemeinschaftsbad für die Nonnen. 115
Anlaß genug, die ohnehin übermütige, gelockerte Stimmung der Männer durch eine kräftige Dosis Schweinereien soweit aufzuheizen, daß ich mir den Verlauf der heutigen Nacht ohne viel Phantasieaufwand lebhaft ausmalen konnte. Recht malerisch, dieses Gemeinschaftsbad, beleuchtet von Kerzen, das somit irgendwie auch etwas von einem Friedhof und von Allerseelen bekam - aber die Männer kannten das nicht. Sie klatschten sich auf den Arsch, klebten einander Seifenschaum an die Schwänze und lachten übermütig über den lächerlich-hängenden Anblick, aber es war befreiend und herrlich entspannend, und ich fand es völlig in der Ordnung nach allem, was die letzten Tage uns gebracht hatten und die kommenden Tage uns noch bringen würden. Seife gab's im Überfluß, und die Oberin hatte mir sogar fünf Rasierapparate mitgegeben, ihren Humor beweisend: – Auch Nonnen bekommen Bärte, Monsieur, ja, ja! Nehmen Sie, für Ihre Männer! Und ich war nicht sicher, ob der Scherz nicht etwa nur die Anordnung kaschieren sollte: Rasiert euch ordentlich! Als Muhammed plötzlich splitternackt, aber mit umgeschnallten Revolvern hinausgehen wollte, schnellte ich aus dem Wasser und verstellte ihm den Weg: – Bist du wahnsinnig, Muhammed? Was soll das? Auf einmal war es absolut ruhig. Nur das aufgeregte Badewasser gluckerte, Muhammed schaute mich verständnislos an. – Soll ich mich vielleicht nackt und unbewaffnet beim Scheißen überraschen lassen, Chéf? (Muhammed, erstaunt) – Außerdem hab ich schon wochenlang nicht mehr ohne Pistolen geschissen! Ich glaube, ohne geht's bei mir 116
gar nicht mehr! (immer noch Muhammed, witzelnd jetzt) Erleichterung im Bad! Alle lachten, brüllten, klatschten sich gegenseitig auf den Rücken! Ich gab Muhammed einen freundschaftlichen Stoß: – Nein, natürlich nicht, Arschloch! Aber Hosen könntest du dir zu den Pistolen noch überziehen, denn ohne Hosen überrascht zu werden, ist auch nicht gerade angenehm! (ich, erleichtert und auf seinen Scherz eingehend) – Aber ich bade doch gleich weiter! – Dann scheiß nachher! – Wozu bade ich dann vorher, wenn ich mich nachher gleich wieder anscheißen soll?! Schon wollte ich lachend nachgeben, da fiel mir noch ein letztes Argument ein: – Was soll denn die Schwester Oberin von uns denken, wenn sie dich so sieht? Er sah mich an, schüttelte den wolligen Schädel, sah mich noch einmal an und erklärte dann achselzuckend: – Na schön, aber dann scheiße ich lieber aufs Scheißen! Und hochaufspritzend verschwand er wieder in den schäumenden Fluten des Beckens, nachdem er seinen Gürtel wie eine Striptease-Tänzerin den Strumpfbandgürtel hatte niedergleiten lassen, jubelnd begrüßt von seinen Kameraden. Ich sprang ihm nach und beteiligte mich kräftig an der damit ausgelösten Wasserschlacht, in die mitten hinein plötzlich eine feine Glocke klang: Essenszeit! Alles kletterte aus dem Becken. Handtücher rieben über glänzende Rücken und blasse, gespannte Arschbakken, über kräftige lange Schenkel und Arme. Als wir gestriegelt und geschneuzt und herrlich sauber in unseren wüst stinkenden Klamotten dastanden, da schauten wir 117
uns wie Fremde an: Wir erkannten einander so sauber und rasiert mit bürgerlich-bloßem Haupte kaum. Dies mochte auch daran liegen, daß wir uns im Camp kaum gekannt, zumindest nicht sonderlich beachtet hatten, ja selbst als Mitglieder unserer 30-Mann-Gruppe uns nicht sehr nahegekommen waren, zumindest nicht ausgerechnet wir, die wir nun überlebt hatten. Als Überlebende aber kannten wir uns nur schmutzstarrend, bärtig und kämpfend, das heißt mit Helm! Und ein Witzbold nahm seinen Helm und setzte ihn sich kurz auf, stülpte ihn sich betont als Geste über, ohne ihn dabei aus der Hand zu lassen, lediglich um seinem ihn erstaunt musternden Visa-vis das Erkennen scherzhaft zu erleichtern, damit den Ausruf provozierend: »Ah bon, c'est toi donc!« Der lange Tisch im Refektorium war unwahrscheinlicherweise mit einem blütenweißen Tischtuch gedeckt. Darauf standen dampfend und duftend alle Herrlichkeiten der afrikanischen Klosterküche: Manioka, Kartoffeln und Reis, in hölzernen Schalen gleichmäßig über die Tafel verteilt. Aus zwei großen emaillierten Schüsseln dampfte eine fremdartig gewürzte (nur für mich wahrscheinlich fremdartig) klare Fleischsuppe, dazwischen standen lange, blattförmige Brettchen, auf denen Braten in Scheiben geschnitten lag, den Duft zart vom Knochen sich lösenden Fleisches im Raum verbreitend. Kleine Körbe mit Brotschnitten, Salatschüsseln, Weingläser und Flaschen füllten im Verein mit Tellern, Silberbesteck und Servietten die Tafel vollends. Die Schwester Oberin stand mit erhobenem Kopf an der fensterseitigen Schmalseite der Tafel, lächelte bei unserem Eintritt, weidete sich kurz an unserem Staunen, bemühte sich sichtlich, über unsere Pistolen hinwegzuse-
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hen, wies mir mit einer Handbewegung den Platz ihr gegenüber zu und ordnete dann verbindlich an: – Die Herren rechts, les Demoiselles links von mir! War es eine Nachwirkung des Bades, oder die so plötzlich über uns hereingebrochene europäische Kultur (afrikanisch gewürzt), die meine Männer zurückhielt, sofort mit beiden Händen in die Schüsseln zu fahren und sich endlich wieder einmal das Maul mit Eßbarem zu stopfen? Bei mir war es lediglich Neugierde, denn mein erster Antrieb war, mich wie ein Wildschwein auf die Tafel zu stürzen, mich durch alle diese Herrlichkeiten schnüffelnd und schmatzend hindurchzuwühlen, auf allen Vieren, versteht sich! Ja, Neugier hielt mich zurück: Neugier auf das Gefühl (nach wie langer Zeit?) wieder einmal frisch gebadet vor einem richtig gedeckten Tisch zu sitzen, Neugier auf das Benehmen meiner kampfgewohnten Kameraden, auf das Gesicht der Oberin beim ersten Furz, der gewiß nicht lange auf sich würde warten lassen, auf die Tischgespräche mit den Mädchen, das laute Auf-den-BodenSchneuzen, das Unterm-Tisch-nach-MädchenknienGreifen, auf das ganze unerwartete, unwahrscheinliche, unglaubliche und überhaupt unmögliche Abenteuer dieser Abendtafel! Für die erste Überraschung sorgte unsere Oberin: Noch bevor sich meine Leute setzen konnten, hob sie ihre Brauen und veranlaßte damit die Mädchen, ihr schnatterndes Gekicher einzustellen. Sie traten an die Tafel. Einige meiner Leute, schon halb sitzend, erinnerten sich anscheinend, daß Höflichkeit und Galanterie die Chancen im Minnedienst beträchtlich erhöhen können, und standen schwerfällig wieder auf.
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Die Oberin aber und ihre Novizinnen bezogen breitspurig Betstellung und schienen dasselbe auch von uns zu erwarten. Als aber außer trocken-nervösen Schlucklauten, Augenrollen, Hüsteln, einem klatschenden Bodenschneuzer und verlegenem Zurechtrücken von Gürteln und Revolvern nichts von unserer Seite erfolgte, was man auch nur als Ansatz oder Andeutung wenigstens einer devoten Haltung hätte auslegen können, machte es die Oberin einsichtsvollkurz, schlug ein weitausholendes Kreuz über die ganze Herrlichkeit, wünschte uns einen gesegneten Appetit und wurde von dem diesem Wunsch unmittelbar folgenden Getöse beinahe von der Tafel gefegt. Die Männer, das Wort Appetit noch im Ohr, knallten mit ihren harten Ärschen und Revolvern auf die zierlichen Refektoriumsstühle nieder und begannen lachend, schreiend, schmatzend, schlürfend, keuchend und unerhört erbittert den Kampf ums tägliche Brot. Kein Gedanke an höflichen Service der Oberin, ja nicht einmal die Mädchen bekamen etwas gereicht. Als eine Portion aufgeschnittenen Bratens explosionsartig an den Plafond flog, wobei einige der Schnitten beim Herunterfallen sich über Haar und Schoß der Mädchen verteilten, eine der Unglücksscheiben aber genau auf den Suppenteller der ehrwürdigen Mutter herabzustürzen drohte, 10 cm vor dem Aufschlag in der Suppe jedoch von Muhammed unter Ausstoßen unseres bewährten Kampfrufes »Üähhh!!!« mit dem Messer – er zog dieses blitzartig aus seinem Stiefel, die Speisemesser waren ja stumpf! – in der Luft aufgespießt und der Oberin elegant serviert wurde, wobei letztere nur knapp mit dem Leben davonkam, als dieses Bravourstück Schule zu machen schien und Moise seine gewaltige Faust auf den Tisch 120
knallte, daß die Suppe in den Schüsseln zittrige Fontänen bildete, da stieß ich entschlossen meinen Stuhl zurück, riß beide Pistolen aus dem Halfter, warf im Vorbeilaufen die zwei auf einer Anrichte stehenden Leuchter um und rannte weiter zum Fenster. Plötzliche Stille! – Ich habe einen Schuß gehört! (ich, kategorisch) – Ich auch! (Meli, mir beispringend) – Muhammed und Moise, Rekognoszierung im Hof! Erst den Jeep, dann das Tor nachsehen! Meli macht wieder Licht, die anderen besetzen sofort die Fenster! (ich, leise im Befehlston) Während ich der trotz allem beherzten Oberin zuzwinkerte, sah ich dasselbe Blinzeln bei Muhammed und Moise, die eben verschwanden .. . Nun hatten unsere Novizinnen bis zur Meldung der beiden: »Alles O.K. Chéf! Sonst noch eine Anweisung?« genügend Zeit, die Tafel einigermaßen in Ordnung zu bringen. Wir saßen wieder alle wie vorhin, und nachdem die gestaute Erregung ein Ventil gefunden hatte, verlief das Mahl in bester Stimmung und auch recht manierlich – wenn man von situationsbedingten Kleinigkeiten absieht wie: einige schallende und pfeifende Fürze, von ungeniertem Knochenabnagen des Täters begleitet, das Entfernen zwischen den Zähnen verklemmter Fleischfasern mit dem Messer und mit der Gabel (keiner soll sagen, wir könnten nicht mit Messer und Gabel umgehen!), Spucken auf den Boden und gelegentliche Griffe unter den entgegenkommend schmalen Klostertisch. Die Stimmung bei den weiblichen Teilnehmern ging erfreulich mit der unseren mit. Unsere Oberin verhalf unverblümt und unerwartet dem zum Ausdruck, was die Mädchen nur dachten: 121
– Was für prächtige Männer, Monsieur! Ich wußte nicht recht, was darauf antworten: – Es freut mich, Madame, daß sie Ihnen gefallen! Das war die Einleitung für ein längeres, angeregtes Gespräch zwischen uns. Das Kloster war vor etwas mehr als hundert Jahren vom Missionsorden der Thumbiten errichtet worden. Nonnen und Schwestern des Ordens versuchten seit damals, etwas Kontemplation nach Afrika zu verpflanzen, vergaßen darüber aber nicht, daß die christliche Religion in Europa vor allem durch die Hintertüre der Schule Zutritt zu den finsteren gallischen, sächsischen und teutonischen Seelen erlangt hatte. So bildete eine umfassende und sehr auf das Allgemeine (sprich: Religiöse!) abzielende Ausbildung der Jugend einen festen Bestandteil der Missionsarbeit. Finanziell profitierte der Orden von der Tatsache, daß sein Mutterhaus in Frankreich stand, die Belgier die Kolonialherren des Kongo waren, Lissabon aber, in Angola sehr benachbart, diese Insel europäischen Zivilisationsbemühens ebenfalls wohlwollend für geringe Gegenleistungen unterstützte. Daß darüber hinaus auch die Mission ihr Kloster ernährte, muß wohl nicht eigens erwähnt werden. So dauerte es denn nicht lange, bis das Kloster der Hl. Mariavom-Kreuze ein Schnittpunkt europäischer Interessen geworden war, ein Umschlagplatz der jeweils führenden Ideen, jedoch – und das muß unbedingt festgehalten werden – immer mit einer schicklichen religiösen Tünche versehen und dem »kindlichen« Geiste der »Schwarzen Brüder und Schwestern Jesu« angepaßt. Die Macht des Unternehmens, und davon zeugte heute noch die gewaltige Anlage des Klosters, war groß und lange gefestigt. Mit bewährter geistlicher Diplomatie seilte man sich 122
rechtzeitig von den abtretenden Belgiern ab. Die Oberin wagte sogar ein Husarenstück, das in der damals wieder erwachenden afrikanischen Barbarei ein Unikum darstellen dürfte: Sie lehnte es ab, sich von den abziehenden belgischen Kolonialtruppen mit ihren Schwestern und Novizinnen evakuieren zu lassen. Vielmehr rief sie – als sie sicher sein konnte, daß alle weißen Truppen außer Landes waren – schwarze Nationaltruppen gegen eventuell auftauchende marodierende Söldnertruppen zu Hilfe, und der damalige Kommandant der ANC-Truppen in Kasagi fiel auf den uralten, urkatholischen Trick tatsächlich herein und sandte ihr stolz eine kleine Abteilung von »Soldaten«, welche außerhalb der Klostermauern lagerten und einigen schwarzen Schwestern dabei behilflich waren, ihr Gelübde erst zu umgehen und schließlich ganz zu vergessen, gleichzeitig aber auch dem Kloster, zumindest bis zum heutigen Tag, verhältnismäßig heil durch alle die mannigfaltigen Wirrnisse des Kongo zu kommen. Zwar hatte man sich gerade jetzt entschlossen, das Kloster zumindest vorübergehend aufzugeben. Daran aber, das versicherte mir die Schwester Oberin Immaculata, waren lediglich finanzielle Gründe schuld. Die meisten Schwestern waren schon nach Luanda abgereist, Schwester Immaculata aber war als eine Art Majordomus mit einigen (in der Mehrzahl einheimischen) Novizinnen hier zurückgeblieben und wollte zumindest so lange ausharren, bis die zukünftige Linie des Ordens und damit auch das Geschick dieses Klosters entschieden wäre ... Es erschien mir ratsam, der Ehrwürdigen Mutter unter diesen Umständen unseren Aufenthalt in Kasagi zu verschweigen. Denn das von den Schwarzen anscheinend geachtete Kloster bot uns eine unerwartete Zuflucht, ein Versteck, wo wir bleiben konnten, bis Gras über unsere 123
Angelegenheit gewachsen wäre (ein sehr unwahrscheinlicher Fall). Andererseits gab ich keinen Pfifferling für dieses Versteck: Sobald man uns nicht mehr fand, auch nichts weiter von uns zu hören bekam, würde man uns durch einfaches Nachdenken hier aufspüren. Immerhin starb es sich hier im Kloster angenehmer und in jedem Falle später als auf dem Rückzug, den wohl keiner von uns überleben würde. Allein die Außenmauer konnten wir tagelang verteidigen, dann das Haus, schließlich noch jedes einzelne Mädchen hier! Es nützte nichts. Ich mußte mich aus dem Gespräch mit der Ehrwürdigen Mutter reißen. Einmal, weil ich dringend nach draußen mußte, außerdem aber war ein Kriegsrat fällig. Es war eine klare, kalte, sternübersäte Nacht. Durch das erleuchtete Fenster drang Qualm (woher die Schwestern die Zigarren wohl haben mochten?), lautes Reden, Kreischen der immer eindeutiger attackierten Mädchen. Ich erkannte, daß wir durch unser sorgloses Benehmen in eine Situation geraten waren, die jene in Kasagi an Gefährlichkeit bei weitem übertraf. Waren das echte Maquis, die da draußen jenseits der hohen Mauer schnatterten und maulten, oder waren wir bereits entdeckt, eingeschlossen? Man konnte nicht drinnen in aller Ruhe sich an den Mädchen delektieren, während draußen . .. Morgen schnitten sie uns dafür womöglich das Ding ab! Ich mußte nach der Novizin sehen, die an der Pforte wachen sollte, wenn man nicht überhaupt vergessen hatte, jemanden auf Wache zu schicken.
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Ich bemerkte jedenfalls kein Licht dort, auch nicht den leisesten Schimmer, der etwa unter der Türe hätte durchdringen können. Wie, wenn man sie bereits lautlos beseitigt hätte? Immer an der Mauer entlang im Schatten, den der beinahe volle Mond dort warf, beide Pistolen entsichert in den aktionsbereiten, zugrifffreudigen Händen, bewegte ich mich langsam, mit äußerster Vorsicht auf das kleine Pförtnerhäuschen zu. Um mich ein infernalisches Orchester: Grillen, oder was es an afrikanischen Lärminsekten ähnlich Klingendes gibt, geigten im schrillsten monotonen Diskant, Frösche unkten und orgelten ihre geilen Sehnsüchte zum Mond empor, die Affen hielten schnatternde Palaver in den Kronen der Palmen ab, unheimlich brachen immer wieder langgezogene Todesschreie aus dem Busch, Opfer der Nacht und der schleichenden Pfoten! Den mondhellen Stellen wich ich in weitem, vorsichtigem Bogen aus, wie der Teufel dem Weihwasser angeblich auszuweichen pflegt, ging immer dem tiefsten Schatten nach. Endlich hatte ich die Pforte erreicht, die Tür des Häuschens war nur angelehnt, lag aber im taghellen BeinaheVollmondschein. Ich zischte, damit das Mädchen mich hörte. Keine Reaktion! Was sollte ich tun? Das Tor war fest zu, was allerdings wenig besagte, man konnte ja über die Mauer klettern. Ich ging einige Schritte den Weg, den ich eben gekommen war, wieder zurück und holte mir einen dort lehnenden Rechen. Dafür mußte ich allerdings eine Pistole wegstecken. Ich versuchte nun, die Tür zum Pförtnerzimmer mit dem Rechen langsam aufzustoßen. 125
Die Tür knarrte und quietschte immer wieder nervenzermürbend. Endlich war sie offen. Ein heller Balken Mondlicht lag über Boden, Stuhl, Tisch und Pförtnerfenster der gegenüberliegenden Wand. Keine Menschenseele. Jetzt wollte ich es genau wissen! Lieber hineinspringen, als einen Schuß in den Rücken! Ich hatte am Abend das Zimmerchen gesehen und erinnerte mich an ein bettartiges Lager an der Wand rechts der Tür. Wenn ich etwas Anlauf nahm, so konnte ich im Hechtsprung dieses Lager erreichen. Jeder Angriff mußte dann durch das Mondlicht auf mich zu erfolgen. Ich überlegte nicht lange und entdeckte so zu meinem Glück auch nicht den darin enthaltenen Denkfehler, nahm wieder beide Pistolen, rannte wie ein Sprinter los und sauste auch schon durch die Luft. Anstatt aber krachend im Bett zu landen, kam ich dort weich auf. Weich und Warm! Noch bevor ich wußte, was los war, preßten sich zwei weiche, feuchte Lippen zart und verlangend auf die meinen. Ich spürte eine Brust an der meinen, bemerkte, wie flinke Finger mich entwaffneten und hörte den Gürtel mit den leeren Revolvertaschen sanft zu Boden gleiten. Da schob ich meine beiden Pistolen endlich von links und rechts unter die viereckig zusammengelegte, als Polster dienende Decke, und die nun freigewordenen Hände ließ ich endlich suchend, öffnend, abstreifend, kosend, erkennend an einem Mädchenkörper entlanggleiten. Ein unwahrscheinlich wohlgeformter Körper, der sich unter meinen Händen verlangend wand, sich meinen Hän-
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den entgegenwand, ungewollt-zuckend erst, dann immer rhythmischer. Auch ich war jetzt völlig nackt und fing mit der Weiße meiner Haut den Widerschein des Mondlichts ein. Ich spürte mein Verlangen geradezu schmerzhaft wie schon lange nicht mehr, und ihre Hände schürten die Glut in mir. Ich barst, explodierte, raste, glaubte wieder einmal einen Augenblick lang an kein Ende, wähnte mich seit langem wieder einmal allmächtig! Selten habe ich eine durchwachte Nacht so vollkommen verträumt! In den Pausen des Traums von Zambia entzückten mich nicht nur ihre sanften Küsse, ihre vorsichtigen Hände. Ich lauschte dem Chor der Nachtstimmen: Die Grillen fiedelten immer noch ihre Hochzeitstänze, die unverfrorenen Frösche sangen nun frivole Weisen, die Affen liebkosten einander laut und lachten dazu, weil sie sich in ihren Kronen sicher fühlten. Und geheimnisvoll brachen Schreie der Ekstase, unwillkürliche Laute des höchsten Entzückens aus dem Dunkel, das ein blendender Mond langsam durchwanderte. Und plötzlich wußte ich, daß ich hier sicher war, hier bei ihr: Ich wußte nichts von ihr, nicht wie sie aussah, kannte ihr Gesicht nicht, wußte nicht, ob sie hell oder dunkel war, jung und schön oder alt und häßlich, oder alt und schön oder jung und häßlich! Meine Hände kannten sie desto besser! Sie war mehr als schön, und was sie tat und wie sie es tat, war gut: durch und durch weiblich und gut! Keine Spur von Frivolität, aber auch keine Heuchelei! Sie zeigte mir ihre Freude so selbstverständlich, als wüßte sie genau, daß sie damit die Freude, die sie ihrerseits mir schenkte, erst vollkommen machte.
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Ich fand es herrlich, nichts voneinander zu wissen und doch gleichzeitig alles. Unsere Umarmungen wurden inniger, dauerten länger, wurden forschender, etwa so, wie bange Fragen mehr forschen als sorglose. Wir begannen miteinander voneinander abzulassen, voneinander miteinander zu sprechen. – Ich heiße Mhoshibadoonia! (sie, dicht an meinem Ohr) – Diese Heilige kenne ich noch gar nicht, das heißt, kannte ich noch nicht, bis heute! – Das ist auch keine Heilige! Es heißt Donnernder Rauch in meiner Muttersprache, auf Bantu. – Aha, und wie kommst du zu diesem Namen, Mhoshibadoonia? – Es ist der Name des größten Wasserfalles der Welt. (Mhoshibadoonia, diesmal kindlich-stolz) – Aha! (ich, bezwungen von soviel Einfachheit) – Ich wurde dort geboren! Meine Mutter Tzambina nannte mich nach dem viele hundert Fuß hochsteigenden Wasserstaub des Falles so! – Mhoshibadoonia ist der schönste Mädchenname, dem ich bisher begegnet bin ... Ich träumte seit langem wieder von Zambia, schien es mir, oder war das noch gar nicht so lange her? Von Zambia, der dunklen Braut mit den brennendroten Lippen. Aber in dieser Nacht war sie sanft, allgegenwärtig und liebkoste mich überall, wo ich es nur in Gedanken wünschte, und ich erwachte am Morgen ohne dieses gierige Verlangen, das sonst meinem Zambia-Traum zu folgen pflegte.
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Ich erkannte daran, daß ich Zambia endlich gefunden hatte. Endlich wußte ich auch, warum ich eigentlich nach Afrika gekommen war. Ich fand mich nackt, aber zugedeckt auf dem Lager der Pforte - allein! Ich fuhr unter die Kopfdecke – meine Pistolen waren da! Kontrolle – sie waren auch noch geladen ... Erleichterung! Alles unangetastet also, bis auf... Mein Drillich lag ordentlich am Fußende der Pritsche. Das Konzert der Nacht war verstummt. Die Stimmen des Morgens verschlafen. Was nun durch die geschlossene Türe zu mir drang, war des Tages Geschäftigkeit. Da öffnete sich die Tür und Mhoshibadoonia stand vor mir. Sie lächelte, sie hielt eine hölzerne Schale mit Wasser in beiden Händen, sie reichte sie mir, indem sie an meinem Lager niederkniete. Wieder sahen wir uns lange an: Ich war noch immer unbekleidet, ich versank in ihre Augen, ihre schlanken, glatten, morgenkühlen Glieder, in das warme, lächelnde Glück, das ihre Züge ausstrahlten... Drei harte Schläge an das Pförtnerfenster, die ich sofort als von Pistolenkolben herrührend erkannte, rissen mich aus meinen Träumen von Zukunft und Glück, von einer stillen, einsamen Schaffarm mit gackernden Hühnern, aufgeregt um Mhoshibadoonias aufregend lange Beine laufend, auf einem sonst ausgestorben brütenden Hof, brütend unter afrikanischer Sonne. Während ich in meinen Drillich schlüpfte, bedeutete ich Mhoshibadoonia, die Leute hinzuhalten. Ich nahm eben meine beiden Pistolen, wobei ich mich über Mhoshibadoonia beugen mußte und dabei flüchtig ihr Ohr mit meinen Lippen streifte, ihr warm in die Ohrmuschel hauchte, gleichzeitig erinnerte ich mich daran, vorhin 129
einen Jeep vorfahren gehört zu haben, da wurden die Schläge um eine Nuance härter, ungeduldiger wiederholt, und eine rauhe Stimme polterte in schönstem »military-french«: – Alors, Madame, vous me cassez les couilles! Ouvrez enfin! Mhoshibadoonia gähnte laut und forderte Geduld: – Une seconde, Monsieur! Une toute petite seconde! Dabei sah sie mich fragend an. Ich bedeutete ihr, die Leute hinzuhalten, auszufragen, und eilte leise weg ins Haus. Aber wie sah es da aus! Das Refektorium schien Schauplatz eines Handgemenges gewesen zu sein. Allerdings eines ganz offensichtlich heiteren Kampfes: Mann und Frau gegen widerspenstige Kleider! Was hier alles an afrikanischer Garderobe herumlag! Moise und Marx lagen zum Glück auch dazwischen. Unter meinen Tritten fuhren sie hoch, wollten aber nicht in die Wirklichkeit zurückfinden, begannen vielmehr mit grotesk hängenden Riesenschwänzen auf allen Vieren herumzukriechen und ihre Mädchen zu suchen. Als ich jedem von ihnen eine meiner Pistolen in die Seite pflanzte, wurden sie völlig munter – diese Sprache verstanden sie auch im Schlaf! Ich steckte meine Revolver wieder ein und schickte sie los, die anderen zu holen. Zum Glück tauchte in diesem Augenblick die Oberin auf. Die beiden soeben Aufgestörten hatten nämlich keine Ahnung, ja nicht einmal einen blassen Schimmer, wo sie ihre Kameraden finden konnten – wie sollten sie auch?! Die Oberin, die sich anscheinend schon bei unserem Erscheinen hier keine Illusionen mehr gemacht hatte über das, was geschehen würde und müßte, übersah geflissentlich die herumgestreuten weiblichen Kloster130
Kleidungsstücke und fragte sachlich, ob sie wenigstens die Namen der Mädchen noch wüßten - sie deutete nun doch dabei auf die herumliegenden Intimitäten – und ob sie wüßten, wer mit wem! Ich sah zum ersten Mal, daß diese Männer sogar verlegen werden konnten – als sie nämlich zwei Namen nannten. -Dann findet ihr eure Kameraden... (Die Oberin, ihnen nüchtern den Weg im Kloster erklärend) Das dauerte alles so endlos lange, und ich konnte nur auf Mhoshibadoonias Charme rechnen. Ich sah den beiden nach, wie sie im Vorüberlaufen ihre Waffen vom Kleiderrechen nahmen und umgürteten, ihre Hosen noch rasch zuknöpften, die Hemdblusen schlossen, Ärmel aufstülpten und immer wieder an den schlecht sitzenden Waffen, am ebenso widerspenstigen Penis herumfingerten. Alle Adjustierungsbemühungen verliefen natürlich wesentlich weniger umständlich, als man sie schildern kann. Irgendwie wie bei Buben, die eilig zur Schule müssen! – Monsieur, Sie haben sich gestern unerwartet rasch zurückgezogen, auf Wache, nehme ich an? (die Ehrwürdige Mutter, streng und eine Spur spöttisch an mich) Ich wollte ihr begreiflich machen, daß jetzt nicht der Augenblick für Erklärungen und Entschuldigungen wäre, aber sie ließ mich ohnehin noch nicht zu Worte kommen: – Und mir haben Sie den schwierigen Teil der Arbeit überlassen, Monsieur: das da hier! Jetzt war's aber höchste Zeit: – Madame, der Feind steht vor dem Tor! In diesem Augenblick trat Mhoshibadoonia ein und wiederholte meine Meldung, meldete diesen Feind, der 131
zu unserem Glück noch nicht wußte, daß er als unser Todfeind vor dem Tor stand und Einlaß begehrte, sozusagen förmlich an. Doch die Oberin war nicht aus der Ruhe zu bringen: – Also, Monsieur, was ist zu tun? – Wir müssen Zeit gewinnen und herausfinden, wieviele es sind. So schickten wir Mhoshibadoonia vorläufig mit der Meldung zurück, daß die Oberin gleich käme und die Soldaten sich so lange gedulden möchten. Mhoshibadoonia behauptete, daß es nur vier ANCLeute wären, die in einem Jeep vor dem Tor stünden. Inzwischen waren wir komplett. Meli und Marx gingen mit der Oberin und postierten sich, während diese durchs Pförtnerfenster die vier im Jeep wegzuschicken versuchte, links und rechts vom Tor. Muhammed nahm etwas abseits so Aufstellung, daß sein Schußfeld durch das geöffnete Tor reichen würde. Wir übrigen hielten unsere Läufe durch zwei Fenster im Hause selbst aufs Tor gerichtet. Die vier bestanden der Oberin gegenüber stur darauf hereinzukommen, und die Aktion verlief routinemäßig, kurz und schmerzlos, oder beinahe schmerzlos, denn Lokalanästhesie nahmen wir natürlich keine vor! Die Oberin kündigte an, daß sie öffnen lasse. Meli öffnete das Tor einen Spalt breit. Die vier traten ein, sahen unseren Jeep, griffen nach ihren Revolvern, wurden von hinten aufgefordert, die Hände zu heben, taten dies zögernd und wurden von Muhammed an die Mauer gewinkt. Meli wollte eben wieder das Tor schließen, die vier standen an der Mauer und wurden von Muhammed gerade entwaffnend abgetastet, Marx bedeutete der Oberin 132
und Mhoshibadoonia, ins Haus zu gehen, doch die Oberin verwahrte sich dagegen, verlangte: – Aber Sie werden die Leute dann ebenfalls hereinbitten, nicht wahr? Schließlich kennen wir uns gut! Ich rief Meli zu: – Laß das Tor offen, der Jeep ...! Da wird dessen Motor auch schon gestartet, Meli zieht das schwere, im entgegengesetzten Schwung begriffene Tor mit aller Kraft wieder auf, Muhammeds Kiwi zuckt in den Genicken der vier Entwaffneten, die in die Rosen zu ihren fußen niederbrechen, Marx zwängt sich ungeduldig durch das sich nur langsam wieder öffnende Tor und schießt dem wie rasend rückwärts rollenden Jeep Löcher in die Windschutzscheibe, Muhammed aber, der als einziger wieder seinen Karabiner an der Schulter pendeln hat, schießt dem Lenker in aller Ruhe von der Mauer aus genau unter dem Helmrand weg in die Nasenwurzel, der Jeep rollt hüpfend, jedoch nun langsamer zurück, kommt vom Weg ab bei seinem jetzt führungslosen Zurückholpern und verklemmt sich zwischen zwei Bäumen, der tote Lenker fliegt heraus aus seinem Sitz, der Motor stirbt tuckernd ab. Stille! Alles ist wieder wie vorhin, auch die Affen maulen wieder. Und dann: Meli und Marx kommen in vollem Lauf beim Jeep draußen an, laden – ho Ruck! – den herausgeschleuderten Toten wieder auf, schwingen sich selbst auf die Sitze. Eine kurze Anstrengung des Wagens: Er kommt frei, holpert zurück auf die Straße, rast durch das aufschwingende Tor in den Hof. Die Torflügel zu! Wir lauschen gespannt, aber außer der Stimme der Oberin ist nichts zu hören:
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– Und alles das innerhalb von vierzehn Stunden! Sie schüttelt den Kopf, nimmt Mhoshibadoonia beim Arm und führt unsere Rückkehr ins Haus an.
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9 Die Mädchen standen, aufgeregt schnatternd und noch deutlich aufgelöst von der so abrupt unterbrochenen Nacht, beisammen. Mhoshibadoonia machte sich abseits zu schaffen. Moise stellte sich zum Fenster, seinen Karabiner entsichert vor sich, und Pierre, unser angestochener Haudegen wollte von der Oberin wissen, wieviel Lebensmittel im Hause wären. – Eine Verteidigung des Klosters kommt nicht in Frage! Wir sind hier nicht im Wilden Westen! (ich, ihm brutal das Wort abschneidend) Ich stellte mir die Oberin vor, wie sie mit gerafften Röcken eilte und den Novizinnen half, unsere Pistolen und Flinten nachzuladen, während wir einen verzweifelten Verteidigungskampf an den Fenstern führten und im Hofe sich die Toten häuften, wie Moshibadoonia unsere Wunden pflegte, wie wir dessenungeachtet weiter durch die Fenster, an denen die von den Novizinnen heldenmütig bekämpften Flammen des lichterloh brennenden Klosters hochzüngelten, auf einen zahlenmäßig weit überlegenen Feind schossen. Aber ich fing diesmal mein in Träumen entgleitendes Denken noch rechtzeitig ab. – Wir brechen sofort auf! (ich, etwas rauh) Ich bemerkte den Blick Mhoshibadoonias, obwohl sie ihn sofort wieder gleichgültig von mir wandte. - Sie nehmen sich doch gewiß die Zeit, Monsieur, zuerst noch rasch die Mädchen und mich zu erschießen, nicht wahr? Vielleicht am Passendsten dort unten in den Rosen! (die Oberin, zynisch gelassen ein Problem aufwerfend) Meine Kameraden blickten auf mich, lauernd, gespannt, gierig, mißtrauisch! 135
Was für ein verfluchter Haufen von Hasardeuren! (ich, zu mir) Ich schaute jedem von ihnen lang ins Gesicht. Ich wußte genau, was sie wollten. Das seltsame daran war: Ich wollte es tatsächlich auch! Ausgerechnet ich! Ich, der ich mich selbst für so klarblickend und abgebrüht gehalten hatte, daß mir nur ein Ausweg aus dem Dilemma meines Lehrerdaseins offen schien: Söldner werden! Ich wußte so genau wie die Männer um mich, daß ich mit meinen Worten unser aller Todesurteil fällte: – Sie haben doch nicht etwa angenommen, Ehrwürdige Mutter, daß wir Sie hier zurücklassen würden! Nach allem, was geschehen ist – diese Nacht! – Und diesen Morgen! (die Ehrwürdige Mutter, mich ergänzend) Das Todesurteil also! Spätestens seit Kasagi wußte ich definitiv, daß unser Unternehmen ein Höllenfahrtskommando war. Aber ganz im Innersten hatte ich bisher nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß ich durchkommen würde. Erste Zweifel waren mir heute Nacht gekommen. Mhoshibadoonia war für kurze Zeit eingenickt, das Köpfchen auf meinem entspannten Bizeps, das wohlgeformte Hinterteil warm und fest in meiner Beuge! Liebe macht schwach! Denn sie bedeutet Besitz, an dem man hängt. Und Besitz kann man verlieren. Das Niederträchtige daran war die Erkenntnis, daß sich nur diejenigen überhaupt verlieben können, die ein solcher Verlust dann hart trifft. Die Dickhäuter bedürfen ihrer dicken Haut eigentlich gar nicht, denn sie besitzen ohnehin eine Mentalität, die sie ä priori vor Liebe schützt!
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Ohne Übergang brach mit dem Kampf wieder der militärische Ton in unseren beinahe zur Romanze ausgearteten Klosteraufenthalt ein: -Uhrenvergleich! Mit diesem spannungsbelasteten Terminus riß ich mich endgültig aus allen Phantastereien. Es hieß nun handeln. Wenn die fünf ANC-Leute mit ihrem Jeep einer größeren Abteilung angehört hatten und diese etwa draußen an der Abzweigung von der »Hauptstraße« wartete, dann konnte uns auch größte Eile beim Aufbruch nicht mehr retten. Im Gegenteil! In diesem Falle wären wir hier noch besser aufgehoben. Im Haus würden wir unsere Haut etwas teurer loswerden, abgesehen davon fänden zwei von uns immer wieder Zeit, die Mädchen über den bevorstehenden Abschied hinwegzutrösten. Trotzdem versäumten wir beim Packen unserer Jeeps nun keine Zeit mehr. Was die Vorratskammer dieser stillen Zuflucht zum Heiligen Kreuz an Haltbar-Eßbarem zu bieten hatte, wurde sorgsam ausgewählt. Es dauerte keine Viertelstunde, bis Muhammed und Marx uns das Tor weit öffneten. Sie verschlossen es dann wieder mit einem lächerlichfeierlich-großen Schlüssel, den die Ehrwürdige Mutter Oberin nach einem verhältnismäßig kurzen Blick zurück ruhig an ihr Schürzenband fädelte. Sie war nicht bei mir eingestiegen. Vielleicht wollte sie in Pierres Jeep eine Art Oberaufsicht ausüben, da sie ja unseren Wagen in meiner Obhut wußte und mich – aus welchen völlig ungerechtfertigten Gründen auch immer – für vertrauenswürdig in ihrem Sinne hielt, was ich allerdings erst später feststellte.
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Bei mir waren Muhammed, Meli und unsere drei Mädchen. Meli fuhr wieder. Pierre hatte Moise und Marx bei sich, sowie drei Mädchen und die Oberin. Sein Arm bereitete ihm – trotz der Entspannung und Spezialbehandlung von gestern nacht – doch ziemliche Schwierigkeiten und Schmerzen, da leider eine Infektion hinzugekommen war, er ihn auch nicht sehr still hielt; die Umstände waren eben nicht danach! Als ich ihn vor unserem Aufbruch noch einmal neu verarztete – ich brachte vorher die infizierte Wunde durch einen brutalen Zugriff stark zum Bluten (obwohl ich wußte, was von solcher Behandlung zu halten ist!) – meinte er zu meinem Rat, den Arm ruhig zu halten, sarkastisch: – Das wird früher kommen, als mir lieb ist! Es mußte also Moise an der Kanone sitzen und Marx fahren. Pierre hatte seine MP schußbereit rechts hängen und links die leere Armschlinge – in der Linken hielt er nämlich seine Kiwi. Durch die Teilung war unsere Feuerkraft wesentlich geschwächt, aber jede andere Lösung hätte für den zweiten Wagen Auslieferung beim ersten Angriff bedeutet. Mein Jeep fuhr voraus, Marx folgte so dichtauf, daß er immer wieder an uns stieß. Meine Kanone hatte die Straße vor uns im Visier, Muhammed war für die linke Seite zuständig und ergänzte hier mit seinem unfehlbaren Karabiner Pierres MP. Für alle Fälle hielt er aber auch seine eigene MP schußbereit vor sich.
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Die rechte Seite übernahm Moise alleine mit der Kanone. Bis zur Hauptstraße fuhren wir Höchstgeschwindigkeit, dort schwenkten wir nach rechts ein und fuhren langsam und mit vermehrter Aufmerksamkeit weiter: Richtung Dilolo! – Wir hätten die Kerle doch erst befragen sollen, bevor wir sie umlegten! (Muhammed, nachdenklich) Meli sah kurz zurück zu ihm, dann auf mich, wobei er die Augen unter dem Helm so verdrehte, daß man fast nur mehr das Weiße davon sah: – Vor unserer Ehrwürdigen Mutter etwa? Muhammed blieb nachdenklich wie ein Augure: – Vielleicht hätten wir aus ihren Eingeweiden unsere Zukunft erfahren, wer weiß? Mhoshibadoonia zitterte trotz der Hitze, während Muhammed seine Betrachtung fortspann: – Es hätte der Ehrwürdigen Mutter nicht geschadet, einen Mann einmal sein Innerstes hergeben zu sehen, in ihn hineinzuschauen... Während solcher Reden wunderte ich mich darüber, daß ich vor knapp drei Stunden noch Mhoshibadoonia in meinen Armen liegen gefühlt hatte. Wir waren schon wieder fast zwei Stunden auf der Dilolo-straße vorangepirscht, als die Oberin mir bedeutete, man möge anhalten. Ich gab ihr ein Zeichen: Bei der nächsten geeigneten Stelle! Schließlich hielt ich unseren kleinen Konvoi an. Wir hatten den Busch hinter uns gelassen und ein auf unseren Karten mehrere Quadratkilometer groß eingetragenes Sumpfgebiet erreicht. Zwar standen auch hier gruppenweise Bäume und Gebüsch, aber als Ganzes war die Gegend übersichtlich. 139
– Also trotz allem: die Knaben rechts, die Mädchen links! (ich, betont burschikos) Muhammed nahm die Aufforderung wörtlich, öffnete ohne lange Umstände seinen Hosenschlitz, zog ein pralles Glied hervor und ließ den mächtig rauschenden Strahl erleichtert und selbstbewußt in weitem Bogen vom Wagen klatschen. Mhoshibadoonia sah weg, die zwei anderen kicherten, sprangen gegenüber hinunter und setzten sich gleich neben dem Wagen hin. Überall um mich rauschte und plätscherte es. Ich hatte nicht gedacht, daß die Not schon so groß wäre. Dann saßen wir wieder auf, und ich gab das Zeichen zur Weiterfahrt. Die Sonne stach senkrecht nieder. Wolken von Geschmeiß umschwirrten uns, doch wir achteten wenig darauf. Gelegentlich wischte man sich eine Handvoll davon aus dem Gesicht. Der Sumpf schwankte immer gleich eintönig vor dem einen Großteil des Gesichtsfeldes verdeckenden ölglänzenden Schloß meiner Schnellfeuerkanone auf und ab. Der blaue Himmel Afrikas lag wie eine glühende, graudunstige Käseglocke über allem – nur weniger durchsichtig. Muhammed rauchte, was er selten tat, während er mit unnachahmlicher Grazie seinen Karabiner an der Hüfte im lässigen Anschlag hielt. Wie schön und graziös der Tod überall lauert! Wiegt nicht auch die Klapperschlange zierlich wie zu Kastagnetten den todbringenden Kopf in tänzelnder Anmut? . .. Meli war ein ausgezeichneter Fahrer. Wie viele Schwarze wurde er beim Fahren ganz eins mit der Ma140
schine. Seine Nerven endeten erst am Profil unserer Pneus! Meli machte auf dieser schlechten Straße fast 25 Meilen im Schnitt. Wir konnten also heute noch in Dilolo sein, jedoch wollten wir die Grenze bei Dunkelheit hinter uns bringen. Ohne Knallerei würde es ohnehin nicht abgehen. Das ewige Rütteln und Schaukeln, die schlaflos verbrachte Nacht, die dumpfe Hitze und nicht zuletzt Mhoshibadoonia, die immer näher zu mir gerückt war und jetzt so dicht bei mir saß, daß ich sie nicht nur stark roch, sondern ebenso deutlich fühlte, das alles verleitete zum Träumen, zum Streicheln. Mhoshibadoonias Hals, ihre Brüste, die Furche dazwischen, die feste Bauchdecke, Schenkel, runde Knie, Schenkel, Schenkel ohne Ende im Rhythmus des holpernden Wagens. .. Als wir wieder aus einem der weitverstreuten Buschbestände herausfuhren, durch den unsere Straße geführt hatte, sahen wir etwa 300m vor uns eine Straßensperre: Zwei Schwedenreiter, ein Landrover, vier ANC-Leute und ebensoviele auf uns gerichtete Rohre. Der Waldbestand setzte sich links von unserer Straße über die Sperre hinaus fort, rechts war nackter Sumpf. Wir kamen eben aus der letzten bewaldeten Kurve heraus. Die Falle war sehr geschickt aufgestellt. Sie hatte den nötigen Sicherheitsabstand, um einen Überraschungsangriff unmöglich zu machen. Auch wenden konnten wir hier nicht. Außerdem waren wir im Schußbereich der Sperre. Meli war wie immer auf Draht und schaltete blitzschnell: Die Sperre sehen, und auf allen vier Rädern bremsen und zurückstoßen war eins! Aber wir waren erst mit der hinteren Hälfte unseres Jeep in die uneingesehene Kurve zurückgekehrt, da fuhr Marx, der das Manöver nicht verstand, vielleicht auch 141
geträumt hatte von hügeligen, dunkelhäutigen Mädchen, auf uns auf. Halt! Die ANC-Leute winkten uns, wir sollten kommen. Meli aber verhielt sich natürlich ruhig. Muhammed, der von der Sperre aus nicht gesehen werden konnte, sprang hinten vom Wagen, deutete an, daß er sich mit den anderen durch den Busch links der Sperre nähern werde, stieg bei Marx aufs Trittbrett, hängte sich mit dem Unterarm an die Tür, und so stießen sie zurück, verschwanden aus unserem Sichtbereich. Die ANC-Burschen winkten wieder. Wir winkten zurück. Als sie merkten, daß wir nicht vor, aber auch nicht zurückfuhren, berieten sie sich kurz, bestiegen dann ihren Rover und rasten mit Höchstgeschwindigkeit auf uns los – wahrscheinlich um uns zu beeindrucken. Ich senkte unmerklich die Kanone etwas und bedeutete den Mädchen, liegenzubleiben. Schon bremste der Rover 20m vor uns. Seine Windschutzscheibe klappte nach vorn: Zwei LMGs! Zwei Uniformierte im Kampfanzug und Amihelm, Schwarze, sprangen links und rechts heraus, MP im Anschlag, Kaugummi im Mund. Sie schlenderten heran – lässig kauend. Ich neigte mein weißes Gesicht nach unten. Allem Anschein nach hatten sie unseren zweiten Wagen nicht bemerkt. Ihr Bremsstaub erreichte uns noch vor ihnen, und weid-männisch-blödsinnig dachte ich: Zum Glück liegen wir wenigstens vor dem Wind! Die beiden salutierten erst nachlässig, sprachen und lachten in ihrem mir fremden Idiom, öffneten ohne uns zu fragen unseren Schlag und bedeuteten uns unmißverständlich auszusteigen.
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Gesprochen hatten sie nur miteinander, nicht mit uns! Ich kannte diesen Wink von Muhammed – aber hier gab es keine Mauer! Als wir uns nicht rührten, winkte der eine von ihnen noch einmal. Ich schielte nach links, ob nicht Muhammed endlich auftauchte. Meli schüttelte störrisch den Kopf: Nein! Aber da hatte er schon einen Schlag mit dem Handrücken im Gesicht, daß ihm die Nase aufplatzte und das Blut in hellrotem Strom hervorschoß. Der zweite Schlag, mit der Handkante auf seinen Nacken gezielt, krachte auf meinen vorsorglich dorthin gehaltenen Gewehrlauf. Fürchterliches Schnattern, begleitet von einem wahren Beschwörungstanz. Glücklicherweise entdeckte der zweite in diesem Augenblick die Mädchen und langte sich sofort eine davon heraus. So schnell habe ich noch nie eine Mädchenbrust freigelegt gesehen! Auch der andere war sofort brünstig. Er fand ausgerechnet an Mhoshibadoonia Gefallen. Als sie sich sträubte, beugte er sich vor und faßte ihr Kleid an der Brust. Mehr brauchte er nicht. Das war mir nun trotz allem und gegen jede Vernunft zuviel: Mit dem flachen Kolben fuhr ich ihm mit voller Drehung ins Gesicht. Sein Schädel gab dieses knirschende, durch Mark und Bein gehende Krachen von sich, das Knochenbrüche begleitet. Meli, meine Aktion erratend, war katzengleich hinter den ersten, baumlangen, mit einem unserer Mädchen beschäftigten Mann gesprungen. Auch sein Kolben traf haargenau – aber ins Kreuz. Der Mann knickte ein, brach in die Knie. Ein Tritt Melis in den Nacken fällte ihn end-
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gültig. Mhoshibadoonia hatte ich vom Wagen geworfen und war wie ein Frosch nachgeplumpst. Eine fürchterliche Garbe fetzte gleichzeitig in unseren Jeep hinein, pfiff über uns hinweg, deckte uns zu. Etwas fiel auf mich, während ich mich meinerseits über die völlig ruhig liegende Mhoshibadoonia warf; über mein Gesicht rann es dick, warm und regelmäßig, verklebte mir die Augen, schmeckte süßlich fad und spannte auf der Haut. Hier also! Und durch Kopfschuß! Außer einer blöden Benommenheit, einem unbestimmten Druck, der auf mir lastete, meine Bewegungen lahmte, spürte ich nichts... Das Auf-mich-Fallende vorhin, das mußte der Schuß gewesen sein ... Seltsam, wie klar ich bei Sinnen war! Und das Blut floß und floß. Die Kopfschwarte blutet immer irrsinnig! Wieder peitschte eine Garbe über uns weg. – Ich muß Mhoshibadoonia noch rasch vorher. .. Ich griff nach einer meiner Pistolen: Auch die Arme gehorchten mir einwandfrei, mein übriger Körper allerdings wurde bereits schwer, unbeweglich, wie lebendig begraben. Meli, der vor mir lag, hob den Kopf ganz wenig und schielte unter dem Helmrand hervor, hob dann den Kopf ganz und starrte mich entsetzt an. Als ob er noch nie einen Sterbenden gesehen hätte! Wieder eine Salve! Aber diesmal nicht auf uns gezielt. Und Motorengeräusch: Endlich Muhammed! Ich ließ die Hand mit dem Revolver sinken, gab der Ermattung nach, meinem Schock. Aber immer noch war ich voll bei Bewußtsein. Da sprang Meli endlich auf und beugte sich über mich und nahm den Druck langsam von mir: Es war unser 144
Mädchen mit der entblößten Brust. Tot! Ihr Blut war über mich geflossen. Ich aber war lediglich etwas benommen von der Bauchlandung nach meinem Hechtsprung vorn Wagen auf die Erde. Auch Mhoshibadoonia war unverletzt. Der Landrover aber war leider entkommen, im Rückwärtsgang. Muhammed verwettete zwar sein Glied gegen einen Knopf vom Büstenhalter der Ehrwürdigen Mutter, daß er »seinen« Mann erledigt hätte. Und auch Moise stand nicht an, um denselben Einsatz zu wetten. Aber dennoch! Blieb nur eine Lösung: Es hatte noch einen fünften Mann im Rover gegeben. Wir sprangen blitzartig auf unsere Plätze zurück und rasten in halsbrecherischer Fahrt dem flüchtigen Wagen nach. Der Protest der Oberin, die ihre Novizin, wenn schon nicht beerdigen, so doch wenigstens wieder bekleiden wollte, ging in Staubschlucken und Holpern unter. Die würde ohnehin wieder ausgezogen hier! (ich zu mir) Wie sehr wir aber auch rasten, von dem Landrover war keine Spur mehr zu entdecken. Als wir nach unserem Gefühl schon kurz vor Dilolo sein mußten, gaben wir die Jagd auf, rollten unsere Wagen in eine gute Deckung, wo sie eine Art Mini-WagenBurg bildeten, und warteten die Nacht ab. Mit unguten Gefühlen: War der entkommene Wagen vor uns oder hinter uns? Wir überblickten von hier aus die Straßeinbeiden Richtungen ein gutes Stück weit... Die zentralafrikanischen Frühabende haben etwas kindlich Rührendes an sich.
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Die granatapfelkristallene Sonne, die am Morgen tropfend hinter der Ruwenzori-Kette aus dem Nil steigt, zögernd und unerbittlich hart, dieselbe Sonne, die am Tag mit unergründlicher Grausamkeit mehr Schlechtes als Gutes bescheint und dabei diesen seltsam ost-westverwirrenden, fast senkrechten Bogen am Nordhimmel durchwandert, diese Sonne wird, wenn sie sich endlich dem rechten, baumwipfeligen angolischen Horizonte nähert, freundlich, zutraulich und neigt sich, umsirrt von ehrfürchtig ihr huldigenden Mückenschwärmen aus den Dilolo-Sümpfen wie eine kühle, glühende Orange dem ewigen, kongogezeugten Westmeer zu, das sie nie erreicht. Weit vor dem Horizont nämlich taucht sie in eine mit dem übrigen Himmel gleichfarbige und deshalb unsichtbare Dunstschicht, verschwindet erst ein wenig, bald zur Hälfte und dann rasch ganz darin, unglaubliche Mengen intensiv roter Strahlenbündel über den afrikanischen Himmel verstreuend. Selbstverständlich dachten wir nicht an Schlaf. Wir saßen schweigend beisammen und bewachten die gesamte Umgebung. Moise, der den stärksten Bartwuchs hatte, sah als einziger schon wieder beinahe so aus, wie wir alle bei unserem Eintreffen im Kloster der Heiligen Maria vom Kreuze ausgesehen hatten. Seine MP zeigte genau zur untergehenden Sonne, auf Dilolo. Ihre letzten Strahlen trafen sich in Magazinnähe wie in einem Brennpunkt und zerstreuten sich wieder in alle Richtungen, gleißten auf dem Helm des gleichmütig blinzelnden Muhammed, sprangen auf die Patronenhülsen im quer über die Brust laufenden Waffengurt Mehs, der sich mit seinem Karabiner den vom Fahren schweißnassen Rücken kratzte, funkelten am Schloß des Revolvers, den Marx nun schon zum drittenmal auf seine Ladung hin prüfte, blitzten am 146
Griff des Messers, das Pierre mit Sorgfalt in der im Para-Stiefel vorgesehenen Halterung lockerte ... Nur auf einer Seite ist Busch, im Süden! Schon des längeren fingert Marx, der endlich mit der Sonne von seinem Revolver abgelassen hat, an sich und seinem sich an ihn drükkenden Mädchen herum. Als dieses sich erhebt und auf das nahe Gebüsch zugeht, da spüre auch ich dieses trokkene Gefühl in der Kehle, spüre mit Wohlbehagen dieses angenehme Rieseln in meinen Oberschenkeln hochkriechen. Es ist verflucht schwül hier! Marx steht ebenfalls auf, möchte uns weismachen, daß er pinkeln müßte, richtet sich – eine kaum merkliche, aber verräterische Bewegung – seinen Revolver am Gesäßansatz zurecht: Ein Mann, der pressiert ist, richtet sich seinen Revolver nachher! Das Mädchen taucht jetzt in die Büsche, die sich hinter ihr schließen wie eine jener aus Perlenschnüren oder ketten gebildeten mediterranen Türen. Marx peilt hinterher. Jetzt erst schüttle ich verneinend den Kopf und bedeute ihm mit dem Daumen, sich wieder zu setzen. Da würde ein Pärchen nach dem ändern sich buchstäblich in die nahen Büsche schlagen! Marx grinste breit und glänzend, und heute noch sehe ich dieses bereitwillige und halb schon abwesende Grinsen in seinem Gesicht erstarren, gefrieren bei dem entsetzlichen Schrei, der von dorther nun erklang, wo eben das Mädchen verschwunden war. Ein eiskalter, langer, nichtendenwollender, hochgellender Schrei, ein Todesschrei, der langsam aber deutlich rhythmisch wurde. Marx, die MP in der Faust, die großen Zähne hart aufeinandergepreßt, stürzte los, und schon knallte es. Ich gab Mhoshibadoonia, die neben mir knieend auf ihren Fersen saß, einen Stoß, daß sie unter einen Jeep rollte, und be147
deutete Pierre und Moise, hierzubleiben und die Wagen zu bewachen. Muhammed, Meli und ich sprangen Marx nach. Kein Laut war mehr zu hören. Selbst die Mücken hatten ausgesetzt. Mitten in dieser Stille, keine 20m im Busch, stand hochaufgerichtet Marx: den Helm gesenkt, den linken Fuß auf einem uniformierten Negerarsch abgestützt wie in Jagdpose. In der Rechten hing die MP, und vor ihm lag auch einer, der offenbar erlegt worden war. Das Licht ging eben zu Ende. Der vor ihm lag, war das Mädchen! – Hurenscheiße, verdammte, teuerbezahlte! (ich, etwas unbeherrscht) – Wie ist das möglich, wie ist das möglich, wie ist das möglich...? Dann hatte ich mich wieder gefaßt: Das Mädchen, vielmehr sein grauenvoll zugerichteter Kadaver, war splitternackt, die schönen Kulleraugen hingen wie biologische Präparate an den Nervensträngen aus den blutigroten Höhlen auf die Wangen herunter. Vom Halse baumelte noch an silberner, feingliedriger Kette ihr Kruzifix aus Ebenholz zwischen den steilen Hügeln ihres Busens. Marx erholte sich, nahm seinen Fuß vom Arsch des Erschossenen, wendete diesen mit dem Fuß um. Er hatte blutverschmierte, sonst aber auffallend schöne Hände: langgliedrig und wie zum Liebkosen geschaffen! Sein Gesicht war von einer Garbe bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. – Es waren mindestens fünf! (Marx, ruhig) Wir gingen zurück. Hier konnten wir nicht bleiben. Inzwischen war es Nacht geworden. Umkehren konnten wir auch nicht. 148
Wir saßen also auf. Ich schaute zurück und deutete in Richtung Dilolo. Mhoshibadoonia, eng an mein Knie geschmiegt, blickte fröstelnd zu mir auf. Aber im Widerschein der Scheinwerfer konnte ich in ihren Augen nur Liebe entdecken. Niemand fragte nach dem Mädchen mit dem Kruzifix zwischen den ebenholzfarbenen, hochhügeligen Brüsten . .. Unser Scheinwerfer tastete vorsichtig die naturbelassene Straße aus dem Dunkel. Marx folgte dichtauf und hatte lediglich den Widerschein unserer Rücklichter als Beleuchtung, was zu beträchtlichen, vom Rumpeln, Holpern und Schaukeln ihres Wagens unterteilten Flüchen und Verwünschungen führte. Meli schaltete plötzlich die Scheinwerfer ab und hielt an, und zwar so unvermittelt, daß ich gewiß in die Kanone vor mir gebissen hätte, wäre nicht Marx fast gleichzeitig und ziemlich stark auf uns aufgefahren. So wurde ich gerade noch rechtzeitig, mitten im unheildrohenden Trägheitsschwung nach vorne begriffen, wieder zurückgerissen. Etwa l km vor uns bewegte sich ein Licht. Wir sahen uns an, fast gleichzeitig stellten Marx und Meli auf mein Zeichen die Motoren ab, und schlagartig – nach einer kurzen, überraschenden Stille – setzten die abertausend Zikaden wieder ein, senkte sich die feuchtkalte Schwüle der Sümpfe um uns auf uns nieder, gluckste und schmatzte es, sirrten Wolken begeisterter Mücken um uns. Wir mußten wissen, was das Licht zu bedeuten hatte! Ich gab den Männern ein Zeichen: Wir saßen ab und berieten uns ganz kurz, vor dem ersten Wagen stehend, während Meli am Steuer blieb, den Lichtschalter in der Hand. Muhammed und Moise sollten mich begleiten, wir wollten erkunden, ob Dilolo von ANC-Leuten gesperrt 149
wäre. Nachdem wir wieder einmal unsere Waffen nachgesehen hatten, jeder eine MP und zwei Revolver, gingen wir los. Mhoshibadoonia hatte sich noch kurz an mich gedrückt, war mir mit ihrer schlanken Hand zärtlich in die linke Hosentasche geschlüpft, flüchtig und doch nachhaltig, flatternd wie ein stiller Nachtvogel... Ich pirsche am linken Straßenrand entlang, rechts von mir, in der Straßenmitte schleicht Muhammed wie ein Puma dahin, die MP gleich einem sensenschwingenden Bauern in den riesigen Fäusten (welch unpassender Vergleich, hier in Katanga!). Moise, der drüben am rechten Straßenrand entlanggeht, kann ich nur erahnen. Auch Muhammed scheint unruhig, und gelegentlich sehe ich das Weiße seiner Augen fragend zu mir herleuchten. Plötzlich weiß ich auch, was mich beunruhigt, und gebe Zeichen stehenzubleiben: – Wir sind schon viel weiter gegangen als das Licht! (ich, flüsternd) – Der Sumpf, Käpt'n! (Moise, meine Gedanken äußernd) Keine Spur von Dilolo weit und breit! In genau diesem Augenblick ging in unserem Rücken ein wüstes Geknalle los und kam rasch näher: Unsere Wagen wurden angegriffen! Wir rasten die Straße zurück, was die Beine hergeben wollten, und sahen auch schon in der Ferne unsere Jeeps auftauchen, auf uns zupreschen. Eigenartigerweise waren es aber drei! – Dieser Landrover, dieser vollgeschissene! Los, herunter von der Straße! (ich, wütend und enttäuscht) Moise wirft sich links, ich mich rechts in den Graben, Muhammed rennt weiter nach vorne und deutet Meli unsere Absicht an. An sich ist auch dieses Manöver hundertmal geübt! Muhammed rast weiter. 150
Marx' Willys hat bei unserem unvermittelten Halt vorhin anscheinend ein Licht eingebüßt, er folgte knapp auf Meli, . jedoch einäugig – aber wieso denn? Er hatte doch vorher überhaupt kein Licht mehr, wegen des Auffahrens vor der Straßensperre! Sollte er inzwischen repariert sein? Der Verfolger hat einigen Abstand, holt diesen auch nicht auf: Er bleibt genügend weit zurück, um die durch die holprige Straße verursachte Streuung der Kanone Moises... Zum Teufel! Wer bediente denn diese verfluchte Kanone, da Moise doch hier mir gegenüber lag! Pierre konnte ja nicht mit seinem Arm, und Marx mußte fahren! Eine Falle? Die Ehrwürdige Mutter? Unvorstellbar! Jetzt hatte Muhammed den ersten Wagen erreicht, sprang im Licht hoch und mit einem Satz vor der Schnauze des Jeeps weg in den linken Graben. Die beiden Wagen preschten weiter. Nun sprang von jedem eine dunkle Gestalt herab und sofort in je einen Graben. Freund oder Feind? Inzwischen fegte der Landrover heran, aber da gingen auch schon nacheinander seine Lichter aus, verglühten gespenstisch langsam, und erst befremdlich spät erklangen die zwei Schüsse Muhammeds. Der Wagen rumpelte noch etwa bis zu den vorhin abgesprungenen Gestalten und wurde von diesen auch prompt unter Feuer genommen. Wie eine riesige Kröte hockte er in der Straßenmitte im Licht des vollen, am Dunsthorizont aufsteigenden Mondes, und von beiden Seiten schlugen Projektile in ihn ein. Was sollten wir tun? Moise war zu mir herübergesprungen. Vielleicht war es gar nicht der Landrover, sondern irgendein anderer Wagen? Wir machten uns vorsichtig auf, in Richtung auf 151
das unter Beschüß stehende Fahrzeug. Einer der vorhin aus den vorüberfahrenden und nun abgestellt auf der Straße stehenden Wagen Gesprungenen lag nun knapp vor uns am Straßenrand: im Kampfdrillich, die Knarre ökonomisch gebrauchend, den Helm lässig im Genick – einen wunderschön blauen Helm, einen UNO-Helm! Es war Pierre. Ich erkannte ihn an seinem inzwischen so gut wie unbrauchbar gewordenen Arm. Höchste Zeit für ihn, daß wir nach Angola kamen. Wir warfen uns neben ihn, und in einer halben Minute war der Spuk zu Ende. Ich hatte eine Handgranate in der Brusttasche. Diese rollte ich aus nächster Nähe unter den verbissen verteidigten Landrover. Als die letzten Trümmer niedergeprasselt waren, gingen wir langsam mit gefällten MPs von allen Seiten auf den Trümmerhaufen zu. Moise leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein: Ein Loch, ein Haufen ineinander verschlungener Leichen, Blech- und Eisenteile, verbeultes Gerät – die hatten Munition an Bord! Unsere Jeeps kamen nun im Retourgang angebraust, wir schwangen uns wortlos auf unsere Plätze. Die zweite vorhin abgesprungene Gestalt war eines der Mädchen, sie konnte ausgezeichnet mit dem Karabiner umgehen, hatte dies allerdings nicht im Kloster gelernt, sondern bei irgendeiner »Volksarmee-Ausbildung«. Sie hieß Zandra! An Moises Kanone saß ebenfalls eine schwarze Novizin. Ich sagte kein Wort, mußte aber ein sehr gemeines Grinsen niederkämpfen: Was Mädchen hierzulande nicht alles gelernt haben – schauderhaft! Von Kundschaften konnte keine Rede mehr sein. Wir hatten uns laut genug bemerkbar gemacht und konnten nur noch hoffen, daß die ANC in Dilolo bloß einen normalen Grenzposten 152
unterhielt. Mit dem würden wir schon fertig werden. Mhoshibadoonia lehnte wieder an meinem Knie, manchmal blitzte das Weiße ihrer Augen zu mir auf. Ich träumte von den heißen, kalaharisandigen Ebenen, die der Zambezi in zahllosen Mäandern durchströmen mochte, fühlte in diesem nach Schweiß- und Weiberdunst riechenden Traum wieder ihre kühlen, festen, steilen, seidigen Brüste, zwischen denen ein silbernes, ziseliertes Kruzifix lag, wie ein Ort der Erholung in den Bergen. Es bedurfte übrigens gar keiner Beratung. Alles, was wir zu tun hatten, schien genau vorgezeichnet. Unsere Vorräte an Lebensmitteln, Munition und Sprit waren begrenzt. Überlebenschancen hatten wir nur durch die beiden kanonenbestückten Jeeps, die uns nicht nur sehr beweglich machten, sondern auch eine Menge Munition transportierten, was uns eine beträchtliche Feuerkraft sicherte. Da wir nach Angola wollten (warum eigentlich?), mußten wir durch Dilolo hindurch. Dies würde uns am besten in einer überraschenden Aktion gelingen. Hinein mit voller Fahrt! Bei Widerstand aus allen Rohren feuern! Und auf der anderen Seite hinaus nach Angola, noch bevor die da drinnen überhaupt kapiert hatten, was los war! – Hoffentlich gibt es Wegweiser durch die Stadt! (Meli, anscheinend mit denselben Gedanken beschäftigt wie ich) Alles mußte so und nicht anders gemacht werden. Meinten wir. Und wir vertrauten uns blindlings diesem selbstkonstruierten Trugschluß an. Heute allerdings weiß ich, daß wir zwei weitere bedeutende Möglichkeiten zumindest hätten bedenken und gegeneinander abwägen müssen:
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Die ANC wußte von unseren Jeeps, also hätte eine Umgehung Dilolos zu Fuß gewiß auch Erfolgschancen gehabt. Das Wichtigste aber:Niemand von uns dachte damals an die Eisenbahn; Dilolo ist Eisenbahnstation! Eisenbahnstationen dienen im allgemeinen dazu, einen gewünschten Zug zu besteigen. Aber die einfachsten Gedanken sind meist am Schwierigsten zu denken! Plötzlich lagen die ersten Hütten Dilolos links und rechts von uns. Aus allen Türen und Fenstern knallte es wie am 14. Juli -man hatte uns also erwartet. Meli, den behelmten Schädel fast am Lenkrad, raste mit Vollgas mitten hinein in dieses Höllenfeuer. Muhammed schoß mit MP und automatischem Karabiner gleichzeitig ganz knapp neben meinem Ohr. Mhoshibadoonia lag auf ihrem hübschen Bauch. Zandra ebenfalls, aber aus einem Karabiner wie besessen feuernd. Ich bestreute mit meiner Kanone die Straße und deren Häuser rechts, nahm den Finger nicht vom Abzug und spürte das Rohr heißlaufen. Marx hielt mit dem zweiten Jeep dicht auf. Und schon waren wir durch die Feuerzone gestoßen, ohne Verluste, suchten uns scheinwerfertastend unseren Weg durch die unbekannte Stadt. In dieser Situation anzuhalten und die Karte zu studieren erschien selbst uns etwas übertrieben kaltblütig. Schwarze Gestalten drückten sich scheu in Haustüren und dunkle Ecken, und mehr als einmal fuhr eine unserer MPs nervös bellend hoch. Diese gottverfluchte Stadt nahm und nahm kein Ende. Immer schneller raste Meli dahin, knapp gefolgt von Marx. Um Ecken ging es in haarsträubender Fahrt, an langen Häuserreihen vorbei, über Plätze und durch kaum 154
besiedelte Gegenden. Dauernd waren wir eines Überfalls gewärtig. Tatsächlich erfolgte dieser aber gerade zu dem Zeitpunkt, als wir nicht mehr erwarteten, noch auf einen Gegner zu stoßen: Konzentriertestes Feuer von links, rechts und vorne! Meli bremste wieder dermaßen, daß Marx auch seinen zweiten Scheinwerfer einbüßte und kaum Zeit hatte, den Retourgang einzulegen. Aber auch zurück war inzwischen an kein Durchkommen mehr zu denken. Ein wahrer Hexensabbat, in den wir da geraten waren! Auch wir feuerten, was die Rohre hergaben. Plötzlich raste unser Jeep mit einem entschlossenen Sprung wieder vorwärts – frontal auf ein Haus zu, aus dem uns lebhaftes MP-Feuer entgegenschlug. War Meli denn wahnsinnig geworden? Kopfschuß etwa? Zum Überlegen blieb keine Zeit, denn schon krachte es fürchterlich, warf es mich haarscharf an der beschissenen Kanone vorbei nieder, hatten wir ein Holztor, eine breite Einfahrt durchstoßen. Während draußen sich Geheul ins Knallen mischte und ich mich benommen von einem unbeweglichen, aber gleichwohl warmen Mädchenkörper, auf dem zur Abwechslung diesmal ich lag, erhob, erledigten Meli und Muhammed zwei überraschte Heckenschützen, die uns vorher noch von dieser Ausfahrt aus aufs Korn genommen hatten, die Schweine! Der unbeweglich liegenbleibende, aber immer noch warme Mädchenkörper war bis vorhin noch die tapfere Zandra gewesen. Draußen war es nun still geworden. Ich zog eines meiner Beine zwischen den weichen Schenkeln Zandras heraus – ich weiß, wie dumm das klingt, nach Wunschdenken und so: Leider klingt eben selbst die Wahrheit manchmal dumm! Ausgerechnet zwischen den 155
Schenkeln mußte es verklemmt sein, mein Bein! – zog mich an der Kanone hoch und schwenkte diese um 180 Grad gegen die von unserem gewaltsamen Eindringen immer noch offene Einfahrt, deren Flügel Meli und Muhammed soeben vom Boden aufhoben, an Ort und Stelle stellten und verbarrikadierten. Pierre und sein Jeep waren also verlorengegangen! Die Torflügel befanden sich wieder leidlich an ihrem Platz. Zandra lag davor– an der Außenseite! Meli schob den Jeep jetzt an die beiden Flügel zurück, damit diese nicht auf die gleiche Art geöffnet werden könnten wie vorhin von uns, und mein Kanonenrohr berührte fast das Holz des Tores. Wir befanden uns in einer breiten, ein Doppelhaus teilenden Einfahrt, von der geradeaus ein Tor in einen Hof weiterführte und links und rechts Türen in das Haus. Es war klar, daß wir hier nur verschnaufen konnten – und das nicht zu lange! An ein Verschanzen war nicht zu denken: Hier lagen die Dinge ganz anders als in Kasagi, wo wir die Stärkeren waren! Was immer wir nun taten, wir mußten es sofort tun. Durch kurze Blicke verständigten wir uns. Mhoshibadoonia und ich drückten uns neben der linken Tür eng an die Wand, ich mit MP und Pistole schußbereit, Meli ebenso an der anderen Seite. Er bereitete im Widerschein unseres Scheinwerfers eine geballte Ladung vor. Muhammed beobachtete ihn kalt und aufmerksam, neugierig beinahe, in keiner Weise aufgeregt. Als es soweit war, zählte er ungerührt und stumm mit Meli die ersten paar Sekunden mit, trat dann entschlossen und vor allem rechtzeitig die Tür ein, warf sich sofort zu Boden: Eine Garbe fetzte aus dem Dunkel heraus, 156
peitschte über Muhammed hinweg, die Ladung flog in weitem Bogen hinein, die Wand, an die ich mich mit Mhoshibadoonia drückte, zuckte und bebte, die Detonation machte mich für kurze Zeit taub, und ich hörte den Kalk nicht, der von der nachgebenden Decke auf uns niederrieselte – oder war das nur Lehm? Durch dichte Staubwolken betraten wir das völlig zerstörte Haus und kehrten sofort wieder um. Hier war kein Bleiben mehr: Melis Ladung war zu stark gewesen: In Afrika baut man seltsamerweise nicht für den Krieg, obwohl er gerade hier beheimatet zu sein scheint. Wir schoben uns MP-Magazine unter die kreuzweise über Brust und Rücken laufenden Pistolengurte, füllten wieder alle nur erdenklichen Taschen mit KarabinerMagazinen, stopften die Hosentaschen voll mit PistolenMunition, hängten uns die Gürtel voll Handgranaten und wollten uns eben davonmachen, da gab ich noch einmal das Zeichen zu warten. Ich eilte, ein wandelnder Sprengkörper, zurück zum Jeep, klemmte mir einen dort zurückgebliebenen Stahlhelm unter den Arm, schwenkte die Kanone zur rechten, unversehrten Tür des anderen Hauses und feuerte den noch eingespannten Gurt leer. Nun öffnete ich den Tankverschluß, schob einen Knäuel Papier hinein, kramte umständlich nach Feuer, zündete das Papier an und haute wie der Blitz ab. Den Helm stülpte ich grinsend Mhoshibadoonia auf die beneidenswert kohlrabenschwarzen Locken, und schon kollerten, sprangen und kletterten wir über die Trümmer der Explosion ins Freie, drückten uns an die Hauswand und warteten. Nichts! Dann von rechts Rufen und hastiger Laufschritt, Waffengeklirr und Lederknarren. Wir verdufteten blitzartig nach der anderen 157
Seite. Plötzlich eine Gestalt, die Meli sich auch schon herlangt: Mit blitzschnellem Griff fährt seine Linke dem erschrockenen Kerl an die Gurgel, die Rechte aber in den Stiefel und mit dem Messer hoch. Mhoshibadoonia dreht den Kopf beiseite, sieht weg – aber ich packe den ausholenden Arm Melis und knurre ihm ins Ohr: – Bahnhof, du Arschloch! Er nickt verstehend, lockert den Griff unter dem entsetzten schwarzen Gesicht etwas. Ein röchelnder Atemzug! Besorgt blicken wir um uns. Muhammed zischt ein Wort, der Gewürgte rollt die Augen, will den Kopf schütteln, da fährt ihm auch schon krachend Muhammeds Pistole quer über die blinkenden Zähne. Dabei hat Dilolo eine für afrikanische Verhältnisse ausgezeichnete Straßenbeleuchtung! Wieder schüttelt der Befragte nur den Kopf, spuckt Blut und Zähne, und wieder will Muhammed den Revolver sprechen lassen. Ich halte nun auch ihn zurück und bedeute ihm, was das Kopfschütteln unseres Passanten besagen will: – Der kann doch nicht reden, Idiot! Bei dem Halsgriff! – Scheiße auch! (Meli, maulend) Er läßt den Hals fahren und dreht dem armen Schwein dafür den Arm auf den Rücken, daß der so Behandelte gleich wieder nach Luft japst. Muhammed drückt ihm dabei den Lauf seiner nervösen Pistole brutal ins linke Auge und zischt wieder das Wort von vorhin, womöglich noch drohender als die Knebelung. – Ca trop complique, Messieurs, moi guide! (der Mann – vermutlich auf mich als Europäer zählend und sich ge-
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wisse Chancen für seine eventuelle Rettung ausrechnend – in leidlichem military-french) – Allons! (ich, mit dem Kopf deutend) Wir folgen erst unserer Straße, biegen links ab, überqueren eine Gasse, eine Passage, folgen einer breiten Straße nach rechts.. . Ich verliere in diesem unübersichtlichen Gewirr von Straßen bald die Orientierung. – Hoffentlich ist der Mann nicht lebensmüde! (ich, trocken) – Nein, nein! Nix lebens zu müde! (der Mann, komischernst) Und mühsam wandte er den Kopf nach mir – mühsam, weil Meli ihn immer noch, wie kameradschaftlich, den Arm am Rücken hochgedreht hielt, während Muhammed daneben herschlenderte, waffenbehangen und breit grinsend. Er sah mich forschend an, der kleine schwarze Mann, den wir da einfach von der Straße weg mitgenommen hatten. Ich folgte der Gruppe ganz knapp in unauffälliger »Liebespärchen-Pose«, engumschlungen mit Mhoshibadoonia. – Je sais bien la gare, Monsieur! Je vous y guide, et vous me laissez – me lachez, oui? (unser City-guide, treuherzigoptimistisch) Obwohl ich Muhammeds Prinzipien kannte – und schließlich verdankten wir es dieser seiner und Melis Härte, daß wir noch lebten – nickte ich ihm beruhigend zu, nickte noch einmal sehr energisch, als Muhammeds Augen gleich darauf die meinen suchten. Unser Weg wurde immer belebter, und eben als ich deswegen etwas sagen wollte, überquerte ein Gendarm
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die Straße, indem er uns winkte, was bedeuten sollte, daß er dies unseretwegen täte. – Armer Kerl! (ich zu mir, Muhammeds freundliches Grinsen bemerkend) Wir standen in einer Reihe nebeneinander und nickten, als der Gendarm auf uns zutrat. Dann nahmen wir ihn harmlos in unsere Mitte: Ich trat ihm – kommentarlos und ohne den angenehmen Griff um Mhoshibadoonias aufregende Hüfte zu lockern, gekonnt und sehr kräftig in die Hoden. Er starrte mich verständnislos an, ging dann in die Knie, worauf ihn Muhammeds Pistole ins Genick traf. Schon verschwand er in einer nahen Haustür – Weiter! Völlig überrascht standen wir ganz unerwartet vor dem Bahnhof, das heißt, es war natürlich kein Bahnhof, sondern nur eine Station, bestehend aus zwei Räumen, wie wir unverzüglich feststellten. In einem Raum schlief der schick uniformierte Fahrdienstleiter, im anderen ein wartender Passagier. Den Fahrdienstleiter beseitigte Muhammed lautlos und fachkundig. Meli wollte dasselbe mit unserem »Guide« tun, aber ich schüttelte in einer völlig unangebrachten Anwandlung von Humor den Kopf und deutete auf eine tatsächlich mit »WC« beschriftete Tür. Meli schüttelte zwar verständnislos ebenfalls den Kopf, sperrte den heilfroh grinsenden Kerl aber dann doch in diese Latrine, welche nur die untere Hälfte einer Tür besaß, so daß man leicht sehen konnte, wann das »Örtchen« besetzt war. Man sieht den jeweiligen Benutzer nämlich tatsächlich auf dem Donnerbalken sitzen – jeder sein eigenes Schild: Besetzt! Die »Fahrdienstleitung« verband ein schalterartiges Fenster mit dem Warteraum, aus dem von Zeit zu Zeit 160
ein Aufschnarchen des wartenden Passagiers zu uns hereintönte – er hatte von dem Stellungswechsel nichts bemerkt. Meli hatte sich die Mütze des Eisenbahners anstelle seines Helmes aufgesetzt, wir anderen saßen so am Boden, daß man uns von außen nicht sehen konnte, nur Meli thronte breit am Schalter und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Übrigens hatten wir anscheinend ausgesprochenes Glück: Morgen vormittag sollte ein Zug verkehren – allerdings in die entgegengesetzte Richtung, nach Kolwezi. Na, man würde sehen. Vielleicht ließ der Lokomotivführer mit sich reden? Man weiß ja nie!
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10 Es war noch dunkel, als ein Jeep bei unserem Bahnhofschuppen vorfuhr. Wir hörten Leute abspringen, das so typische Knacken, das beim Entsichern von Karabinern entsteht, kurze Befehlsrufe. Meli saß wie schlafend am Schalter, die Dienstmütze ins Gesicht gezogen, seine MP entsichert auf den Knien – von außen konnte man ihn ja nur bis zur Brust sehen, und warum sollte ein phantasievoller kongolesischer Fahrdienstleiter nicht einen pantherfleckigen Drillich zur amtlichen Dienstmütze tragen! Wehe demjenigen aber, der unaufgefordert den Dienstraum betreten würde! In der lässig nach unten baumelnden Linken hielt Meli außerdem noch eine Eierhandgranate – für alle Fälle! Muhammed, an der anderen Schalterseite am Boden hokkend, hielt seine MP auf die Tür im Anschlag, das Messer hatte er die ganze Zeit schon griffbereit halb aus dem Stiefelschaft gezogen. Ich selbst behielt den Mann auf der Toilette im Auge, der mir beruhigend mit seinem übriggebliebenen Auge zuzwinkerte. Diesmal nahm selbst Mhoshibadoonia direkten Anteil am Geschehen: Sie richtete meinen Karabiner schußbereit auf die Tür, die zu uns hereinführte. Die Tür zum Warteraum flog vor einem Militärstiefel krachend auf. Der Passagier wurde unsanft hochgerissen und einer äußerst brutalen Leibesvisitation unterzogen. Schon fiel er wieder auf seine Bank zurück, rollte sich gleichmütig wieder ein und schlief weiter, als hätte er nur dem Schaffner schnell seinen Fahrschein vorgewiesen. Inzwi162
schen lehnte sich einer von den ANC-Burschen durch den Schalter herein, rüttelte Meli auf, der schlaftrunken salutierte, und begann eine Unterhaltung mit ihm. Es war von Anfang an klar, daß es zum Kampf kommen mußte. Sie suchten uns und würden sich durch das friedliche Bild hier nicht abhalten lassen hereinzukommen. Schon war es soweit – sie hatten uns gefunden, wußten es nur noch nicht. Immerhin ließen es die beiden Kerle, die nun die Türe öffneten, wenigstens an der hier unbedingt gebotenen Vorsicht fehlen. Sie traten wie zu einem Nachmittagsbesuch ein. Muhammed reagierte wie gewohnt blitzschnell und mit der Gewandtheit einer Katze. In weitem Schwung wie ein Kornschnitter hieb er den beiden seinen Karabiner über die Schienbeine, daß mir deren Krachen eine Gänsehaut den Rücken hinunterjagte. Ich mußte schlucken. Sie gingen prompt nieder wie Halme vor der Sense. Den Rest tat der Gewehrkolben. Und während Melis Gesprächspartner, unvorsichtigerweise etwas zu weit hereingebeugt, noch erstaunt dreinblickte, fuhr ihm schon Melis beinharter Wollschädel mitten ins Gesicht. Es knirschte unappetitlich. Als Meli den Mann gleich durchs Schalterfenster hereinzog, ergriff draußen ein Vierter die Flucht. Über die bei der Tür am Boden Liegenden, die Muhammed eben mit dem Kolben bearbeitete, über diese Beinahe-Toten hinweg setzte ich dem Flüchtenden in langen Sätzen nach: unerbittlich, zielstrebig-ökonomisch, tödlich wie all unser Tun eben! Zu meinem Glück war der unerfahrene Bursche ganz auf seinen Jeep versessen, 163
dessen Startgeräusch das Zischen verschluckte, mit dem ihm mein Messer, von der Türe aus geworfen, zwischen die Rippen fuhr. Das Startgeräusch erstarb sogleich wieder mit einem hustenden Röcheln, welches ebensogut von dem Mann am Steuer hätte kommen können. Der sank langsam zur Seite. Schon kamen Meli und Muhammed an. Jeder schleifte einen der Toten nach. Wir holten auch die anderen Leichen heraus. Meli hatte den Passagier gleich mit umgebracht – aus Sicherheitsgründen und. .. weil wir ja nur einen »Guide« gebrauchen könnten . .. Ich war nicht dafür, mit dem Jeep zu flüchten. Die Eisenbahn erschien mir sicherer. Wer wollte schon einen dahinrasselnden Zug anhalten? Wir fuhren also den Jeep ein Stück weit weg zu einem Abhang und ließen ihn in das darunter befindliche Sumpfloch rollen, vollbesetzt wie er war. Rasch kehrten wir auf unsere Plätze zurück. Niemand dachte daran, das Blut am Boden wegzuwischen. Erst unser immer noch verschreckt am Donnerbalken sitzender »Guide« machte uns darauf aufmerksam und gleichzeitig sich erbötig, es zu besorgen. Er hatte offenbar Sinn für Ordnung und Sauberkeit, der einäugig gewordene Mann am Donnerbalken! Von diesen scheußlichen, vollgespuckten Stauböl-Böden läßt sich sogar Blut leicht entfernen ... Inzwischen dämmerte es, und unbekannte Vögel schrien die unbehagliche Morgenstimmung in alle Welt. Vereinzelte Hähne besannen sich erst zögernd, dann immer bewußter auf ihre Pflicht.
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Auch in Afrika beginnt der Tag mit den Hühnern! Unsere Füße waren vom langen Sitzen auf dem Boden schon ganz steif geworden. Niemand kam um Fahrkarten. Wir hatten keine Ahnung, ob und wann dieser ominöse Zug fahren würde. Auf dem Fahrplan (wenn man den handgeschriebenen Zettel so nennen durfte) stand unter »Ankunft« lediglich »midwuch forrmiddak« (die Orthographie möglichst sinngetreu ins Deutsche übertragen) und unter »Richtung« war Kolwezi angeführt– sonst nichts. Nun, die Ankunft konnten wir leider nicht beeinflussen, aber für die Abfahrt würden wir selbst Sorge tragen ... Und dann der Beginn der Hitze! In diesem Schuppen besonders deutlich und prompt wahrnehmbar. Um diese Tageszeit schien es uns nicht mehr ratsam, im Inneren des Bahnhofs zu sitzen und die Ereignisse einfach abzuwarten. Wir teilten uns also nach bewährter Strategie, wodurch unsere Chancen im Falle eines Kampfes verdoppelt würden. Ich begab mich mit Muhammed nach draußen, wo wir uns in einem abgestellten alten Güterwagen häuslich einrichteten. Wir ließen die beiden gegenüberliegenden Seitentüren jeweils einen Spalt offen, aber so, daß man durch den einen Spalt nicht das Licht des andern sehen konnte. Dies alles kostete uns keinerlei Nachdenken, vielmehr hatte unser phänomenaler Chinese uns selbst auf diesen Spezialfall vorbereitet: Wie hält man einen Bahnhof und nimmt einen Zug?! Eigenartig eigentlich: er, der mit allen Wassern gewaschen schien, war als erster in die Falle gegangen. Sollte er ein ausgesprochener Theoretiker der Gewalt gewesen sein? - Die an den Frontseiten angebrachten Lüf165
tungsklappen gewährten uns Ausblick auch auf die beiden anderen Seiten – einen besseren Außenstützpunkt auf einem Bahnhof konnte man sich nur schwer vorstellen. Leider herrschte in dem Affenkäfig eine höllische Hitze, und schon jetzt um neun Uhr morgens flimmerte die Luft über den Geleisen. Da wir die letzte Zeit sehr wenig und diese Nacht überhaupt nicht zum Schlafen gekommen waren, hatten wir alle Mühe wachzubleiben. Muhammed, seinen Drillich über der Brust weit offen, grotesk mit Waffen behangen, schweißtriefend und sehr intensiv nach Neger riechend: Er lief wie ein gefangener Puma von einem Ausguck zum anderen und warf mir zwischendurch besorgte Blicke zu. Aber mit einem Male war alle Müdigkeit wie verflogen. Muhammed winkte mich hastig an die zum Bahnhofschuppen blickende Luke heran. Ich sprang hin, mein an das Dunkel im Waggon gewöhntes Auge empfand erst einen lebhaften Schmerz von dem Glast über den zwei Geleisen, und dann sah ich es auch: Ein Wagen näherte sich vorsichtig dem Bahnhofsgelände, ein Jeep, und zwar einer mit Kanone, diese wurde sorgfältig und ununterbrochen auf die Bahnhofsbarakke gerichtet. Muhammed wies mich auf die beiden eingedrückten Lichter des Willys hin: Tatsächlich, das war unser verlorengegangener zweiter Wagen, Marx' Wagen! Unglaublich! Wir richteten unsere Schnellfeuerwaffen auf den sich langsam heranpirschenden Jeep, aber wohlweislich so, daß man von außen nichts bemerken konnte. Schon konnten wir die darin befindlichen Gestalten unterscheiden, es waren vier, zwei davon im Kampfdrillich. Doch eigenartig! Plötzlich wies einer von ihnen auf unse166
ren Waggon, und sofort hielt der Wagen an, man beriet sich kurz: Das waren jedenfalls keine Dummen! Nun verließ einer den Wagen, und an der Art, wie er raubtierartig absprang, erkannten wir beide gleichzeitig Moise! Muhammed rief etwas auf Suaheli durch die Luke, was erst einmal zur Folge hatte, daß Moise sofort platt auf dem Bauch unter dem Jeep lag. Wieder rief Muhammed, und ich hörte den Namen einer der Ex-Novizinnen heraus. Jetzt funkte es auf der anderen Seite. Mit hochgehaltenem Karabiner hängte Moise sich an den lospreschenden Jeep, der in einer ungeheuren Staubwolke vor unserem Waggon knirschend und kreischend zum Stehen kam. Wir umarmten uns, schlugen uns grinsend und freudestrahlend auf die Schultern, und Muhammed führte mit Moise einen waffenklirrenden Kriegstanz der Wiedersehensfreude auf, der sich bei jedem zentralafrikanischen Fruchtbarkeitsfest hätte sehen lassen können. Ha! Nun waren wir wieder zu fünft! Das war ja eine ganze Kompanie! Aber was sage ich: Fünf zu allem entschlossene und so wie wir hervorragend ausgebildete Männer, das war eine Streitmacht, damit konnte man den ganzen beschissenen Kongo erobern; ja, was heißt da Kongo! Ganz Afrika konnte man so durchqueren - wenn es unbedingt sein mußte ... Pierre und eine der zwei Novizinnen aus diesem Jeep waren in Dilolo umgekommen. Von den Mädchen aus dem Kloster der Heiligen Maria vom Kreuze hatten also nur Mhoshibadooma und Zamela überlebt. Nachdem unser Jeep auf jenem Platz im Zentrum Dilolos ausgebrochen war, wurde die Besatzung des anderen Wagens gefangengenommen.
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Pierre, durch seine Verwundung behindert und ungeduldig gemacht, verbat sich die rauhe Behandlung durch die ANC-Leute. Da er Weißer war, erschlug man ihn kurzerhand auf dem Weg ins Quartier des Stadtkommandanten. Dieser mußte ein eigenartiger und etwas skurriler Kauz sein, wie sich noch herausstellen sollte. (Natürlich bekamen wir erst sehr viel später, und immer nur episodenweise, diese Geschichte erzählt. In meiner Erinnerung aber bildet sie, vor allem wegen des grotesken Beiwerks, ein zusammenhängendes Ganzes, das sich organisch hier in die übrigen Erinnerungen eingeordnet hat, ganz ohne mein bewußtes Zutun.) Als die Gefangenen mehr oder weniger verprügelt in der ANC-Kaserne ankamen, brannte in deren Hof ein Feuer, und die Soldaten, die hier unseretwegen schon tagelang in Bereitschaft lagen, ergötzten sich sofort daran, eine der Novizinnen vor den an die Lastwagen gefesselten Gefangenen abwechselnd zu foltern und zu vergewaltigen. Sie starb schließlich unter scheußlichen Zukkungen und einem sie ekstatisch bearbeitenden, riesigen und sehr jungen Soldaten, während ihr ein zweiter mit einem Taschenmesser gemächlich die Brüste amputierte. Das Gewimmer der Ex-Novizin mischte sich – laut Beschreibung der Ehrwürdigen Mutter – ekelhaft mit dem Luststöhnen des bestialischen Riesen, der erst nach ihrem Tode von ihr abließ. Ihren Leichnam warf man einfach auf einen konservendosenübersäten Kehrrichthaufen, jedoch hatte man ihr erst noch den Bauch aufgeschlitzt, um nachzusehen, ob sie schwanger gewesen sei, und man unterließ es natürlich auch nicht, ihr die Hände abzuhacken. Letztere warf man den Gefangenen gleichsam symbolisch vor die Füße. Nachdem man gemütlich gesungen und getrunken 168
hatte, kam einem von den Kerlen, unvermittelt aus dem schwarzen Himmel sozusagen, die Erkenntnis, daß alles Unglück Afrikas von der christlichen, insbesondere der heuchlerischen römisch-katholischen Religion herrühre. Er tat sich des langen und breiten viel zugute darauf, davon einiges zu verstehen, wäre er doch in einer Missionsschule aufgewachsen. Und dann begann er heiser und hysterisch zu brüllen, daß man dem Gott der Weißen Gewalt antun müsse, ihm müsse gezeigt werden, daß er in Afrika nichts zu suchen habe. Daraufhin stürzte er sich auf die Ehrwürdige Mutter, die er als »Botschafterin« des Gottes der verhaßten Weißen bezeichnete und kündigte an, daß er, der »Mächtige Landregen« (so hieß er, und verkündete dies unvorsichtigerweise recht oft und laut vor religiös-sexueller Erregung) diesem Gotte nun ungestraft zeigen werde, was er, der »Mächtige Landregen«, von ihm halte. Er band der Ehrwürdigen Mutter die Röcke auf die Lastwagenbrücke des alten CMC hoch, fetzte ihre feinen Leinenunterhosen und Seidenstrümpfe herunter und vergewaltigte sie nach Strich und Faden, ohne an ihrem etwas fortgeschrittenen Alter irgendwelchen Anstoß zu nehmen. Dabei gab er gleichzeitig die abscheulichsten Gotteslästerungen von sich, damit kundtuend, daß es sich hier nicht um eine sexuelle, sondern vielmehr um eine religiöse Tat handle. Die Ehrwürdige Mutter erduldete dieses späte Erlebnis gelassen und ohne Gegenwehr in bester Märtyrertradition. Nach getaner Gottesschändung rief der religiöse Eiferer seine Kameraden zur Nachahmung dieses seltsam in sein Gegenteil verkehrten Kreuzzuges auf – bevor man die Gedärme der alten Hexe ausschütten werde, um daraus, gleichsam aus den noch dampfenden Gedärmen des 169
christlichen Unterjocher-Gottes, die Zukunft des Kongo, die Zukunft Afrikas zu lesen! Tatsächlich aber kam es nicht mehr zu diesem Orakel. Der urplötzlich auftauchende Lagerkommandant, ein noch junger Mann in ordenübersäter Galauniform, bereitete der Orgie kurzerhand dadurch ein vorläufiges Ende, daß er den soeben mit der Oberin beschäftigten Krieger von seinem Adjutanten an Ort und Stelle liquidieren, den übrigen Sauhaufen aber vorläufig einmal »vergattern« und die Ehrwürdige Mutter sofort losbinden ließ. Und dies alles in korrektestem Französisch! In die so plötzlich eingetretene Stille klang ein resoluter Seufzer der Oberin, die ihre Röcke in Ordnung brachte, sich die von der etwas brutalen Fesselung steifen Handgelenke rieb und tatsächlich in ihrer Verlegenheit einige klösterliche Kniebeugen machte, sozusagen um sich zu sammeln und zu erfrischen. Der Kommandant, der in der Folge ein hübsches Beispiel (a l' africaine!) dafür gab, wie wichtig für eine Truppe eine entsprechende Führung ist – dabei muß wieder einmal die allen anderen absolut überlegene Art der europäischen Ausbildung betont werden – dieser junge, offensichtlich in Frankreich ausgebildete Platzkommandant entschuldigte sich also formvollendet bei »Madame, der Hochwürdigen Mutter Oberin« und bat sie, ihm alle diejenigen zu bezeichnen, die sie »belästigt« hätten, damit er sie »maßregeln« könne. Die Ehrwürdige Mutter mußte ein ausgezeichnetes Personengedächtnis besitzen und außerdem der Gottesschändung mit gesteigertem Interesse beigewohnt haben, denn obzwar es im allgemeinen für einen Europäer sehr schwierig ist, einen Schwarzen vom andern zu unterscheiden, vor allem in Uniform, so fand die Oberin doch 170
alle Beteiligten mühelos und rasch und trotz der nur vom Feuer erhellten Dunkelheit heraus. Diese Leute wurden etwas abseits aufgestellt, und Marx, der ahnte, was kommen würde, erwähnte beiläufig die zu Tode geschundene Novizin, indem er auf ihren Kadaver am Kehrichthaufen wies. Da er auch in verzweifeltsten Lagen die Hoffnung nie aufzugeben gewohnt war, versuchte er mit diesem Hinweis die Garnison noch mehr zu dezimieren. In schönster afrikanischer Logik, die ihm keine noch so gründliche europäische Erziehung hatte rauben können, bemerkte der Offizier, nachdem er den scheußlich verstümmelten und noch blutenden Leichnam des Mädchens sachkundig inspiziert und mit seinem eleganten Offiziersstäbchen nachdenklich in ihren Eingeweiden gestochert hatte: – Was wollen Sie? Hier ist nichts mehr zu machen! Und nun ließ er die an der Ehrwürdigen Mutter tätig Gewesenen vor deren Augen von ihren Kameraden niederschießen, nachdem er ihnen noch eine schöne Standpredigt über Soldatenzucht und Kriegerehre gehalten hatte, von der allerdings angenommen werden darf, daß sie mehr an die Exekutierenden als an die Exekutierten gerichtet war, denn obwohl gerade beim Militär sehr viel Unsinniges geschieht, ist nicht anzunehmen, daß man soviel Energie auf Leute verschwendet, die zwei Minuten später Leichen sein werden! Nach Vollzug der Exekution wurden die Gefangenen losgebunden und in einen fensterlosen Raum eingeschlossen. Wenig später brachte man ihnen sogar Suppe und Fleisch mit ein wenig gedämpfter Manioka. Schließlich kam das Einzelverhör, einmal ganz anders als gewohnt, wobei sogar Protokoll geführt wurde! Keine 171
abgeschnittenen Schwänze und Ohren, keine weichgeklopften Hoden und auch keine Gedärmeschau. Nein, nichts von alledem! Man hatte sich bereits abgesprochen, und jeder gab an, zu einem versprengten Truppenteil Bob Denards zu gehören, der den in Bukavi eingeschlossenen Truppen des Major Schramme Entsatz bringen sollte (oder war er gar nicht Major, der gute Schramme? Egal, man war zur Zeit nicht so sehr auf dem Laufenden, außerdem nahm man es hier in Afrika nicht so genau mit den Titeln). Für die Gefangenen stand es fest, daß sie noch diese Nacht fliehen müßten. Die Türe ihres Gefängnisses war kein echtes Hindernis, wohl aber die zahlreichen Posten im Hof der Kaserne. Als man später ihren Jeep brachte und nicht weit von ihrem Kotter entfernt abstellte, faßten sie einen Plan, den sie in der Folge mehr grinsend als kaltblütig ausführten: Bei beginnendem Tageslicht ließen sie durch die Wache den Kommandanten verständigen, daß es der Ehrwürdigen Mutter gar nicht gut ginge und sie ihn sofort zu sprechen wünsche. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis der Riegel zurückgestoßen wurde, und der Offizier trat in all seiner militärischen Pracht ein. Der ahnungslose Engel! Moise hatte sich – primitiv wie im Wild-West-Film – hinter die Türe gestellt, Marx sich auf der anderen Seite an die Wand gedrückt, die Ehrwürdige Mutter aber ließ sich von der ihr noch verbliebenen Novizin Maria Agnes stützen und erwartete den Kommandanten in der Mitte des Raumes. Kaum war dieser eingetreten, drehten ihm Moise und Marx die Arme stramm auf den Rücken, und während die beiden Frauen ihn entwaffneten, murmelten diese Huren172
söhne doch tatsächlich mit vollendeter Höflichkeit ins Ohr des Überfallenen: – Sie entschuldigen, mon Colonel, eine Kriegslist! Und der dermaßen Überrumpelte, in dessen halbritterliche Vorstellungen vom Krieg eine solche Verhaltensweise durchaus paßte, antwortete nicht weniger formvollendet und leise: – Verstehe, Messieurs, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Es war mein Fehler, und der Krieg ist ein hartes Geschäft, leider unser aller Geschäft! Aber wie soll's weitergehn? – Wenn Sie tun, was wir sagen, dann geschieht Ihnen wirklich nichts! – Ich vertraue Ihrer Soldatenehre, Messieurs. Sie werden mich sicherlich zu nichts Unehrenhaftem zwingen. Ja, es ist ein Trauerspiel, daß Afrikaner gegen Afrikaner kämpfen müssen! Und was wünschen Sie von mir? – Lassen Sie den Jeep vorfahren und geben Sie Anweisung, daß Sie erst in einigen Stunden zurück sein werden, und äh.. . lassen Sie auch alle unsere Waffen und unsere gesamte Munition wieder in den Jeep legen! – Ist ohnehin alles noch vollständig drin! – Gut, dann also los! Alles das war bei halboffener Türe, vor der die Wache patrouillierte, und in perfektestem Französisch abgesprochen worden! Auf diese bequeme Art verließen Moise, Marx, Maria Agnes und die Ehrwürdige Mutter, um ein Erlebnis bereichert und in Begleitung eines ordenbeladenen kongolesischen Offiziers ungehindert die ANC-Kaserne von Dilolo. Marx fuhr wieder, Moise drückte dem Colonel seine Pistole freundlich lächelnd in die Rippen. 173
Sie wollten von dem Offizier wissen, wo es zum Bahnhof ginge, denn sie hatten dieselbe Eingebung wie wir, und ob heute ein Zug nach Angola führe. Der Mann belehrte sie, eine solche Auskunft ablehnend, daß laut Genfer-Konvention ein gefangener Offizier keine dem Feind dienliche Mitteilungen machen müsse. Und das Allerseltsamste daran, falls hier der – übrigens in allen Punkten übereinstimmende – Bericht stimmte: Moise und Marx waren von dem korrekten Verhalten des schwarzen Gentleman so beeindruckt, daß sie tatsächlich von ihrem sonstigen Verhalten in solchen Fällen absahen, sich hinter seinem Rücken achselzuckend zuzwinkerten und die gewünschten Auskünfte schließlich von einem Frühaufsteher einholten. Kurz vor dem Bahnhof deponierten sie ihren Gefangenen gefesselt und geknebelt in einem leerstehenden Schuppen, erklärten ihm, daß sie nur so einen sicheren Vorsprung vor ihren Verfolgern erreichen könnten, salutierten söldnerhaft lässig und verließen ihn. Nachdem der Überschwang der ersten Wiedersehensfreude verflogen war, berieten wir unsere Lage sehr ernsthaft. Sie war praktisch hoffnungslos. Und das Resümee der Fakten sah denn auch entsprechend aus! Eigenartig war nur eins: Obwohl unser Chinese, der uns, weiß Gott, alle Grausamkeit gelehrt hatte, die Menschen Menschen antun können, vermutlich auf gräßliche Art umgekommen sein mochte (wer weiß, vielleicht waren es gar nicht die Vögel, die seine Haut leergepickt hatten?), er beeinflußte über die uns auferlegte Ausbildung auch jetzt, hier im absolut gottverlassenen, nach frischem Menschenblut stinkenden (jetzt erst, in Afrika, dämmerte mir der Aussagegehalt jenes dunklen Satzes aus Kindheitstagen aus 174
dem Märchen vom Däumling, wo der Riese herumschnüffelt und knurrt: »Ich rieche, rieche Menschenfleisch!«), wie ein Bratofen glühenden Bahnhofschuppen des im vormittäglichen Sonnenglast brütenden Grenzortes Dilolo unser Verhalten: Wir zogen eine jedem Außenstehenden wohl äußerst kaltblütig erscheinende Lagebilanz, die aber nichts anderes war, als eingedrillte Verhaltensweise für den Fall »M«, welcher jetzt leider, wenn auch nicht unerwartet, eingetreten war. Die Formation der Guerillas ist eine wohlfunktionierende Wissenschaft mit dem gewünschten Ergebnis. Es würde die vielfache Anzahl von uns an Feinden ins Gras beißen müssen, um uns tatsächlich zu erledigen – und selbst dann (ja, gerade in diesem Falle unserer vollständigen Vernichtung!) würde die Legende bleiben, die Legende von den herrlichen, den fürchterlichen und eigentlich doch unbesiegbaren »Weißen Riesen«, die Legende von den »Affreux«! Privat jedoch scheiße ich auf Legenden .. . Diese Bilanz wurde nicht etwa aus verwaltungstechnischen Gründen gezogen. Ihr vordergründiges Ergebnis, nämlich die Überblickbarkeit unserer Stärke und unserer Möglichkeiten, war denn eben auch nur ein Nebenergebnis. Tatsächlich geht es bei solcher Bilanz darum, jeden einzelnen auf die eindringlichste Art mit der gegenwärtigen Lage vertraut zu machen. Jedem mußte zutiefst bewußt werden, daß es von nun ab nur mehr darum ging, unser aller Leben und das Leben eines jeden von uns so teuer wie nur irgend möglich zu verkaufen. So lange wir diese Sicht der Dinge nicht aus dem Blickwinkel verlören, so lange würde unsere Kampfkraft enorm diejenige einer normalen Gruppe gleicher Stärke übertreffen. 175
Es ist, als schalte sich irgendein Teil unseres Nervenzentrums mit diesem Augenblick, mit dieser Erkenntnis ab, fast so, als erhielte man eine geistige Lokalanästhesie: Man beachtet gewisse Beeinträchtigungen nicht mehr so wie unter normalen Umständen: Hunger, Strapazen, Verwundungen und Schmerzen ... Wir waren also wieder zu fünft: Muhammed, Meli, Moise, Marx und ich. Es muß hier an eine eiserne Guerilla-Regel erinnert werden : Von der Zahl Drei ab ist jeder weitere hinzukommende Kampfgefährte mindestens drei Mann wert! Wir hatten allerdings noch drei Frauen bei uns. Und da wir ihnen gegenüber aus verschiedenen Gründen haargenau entgegen den Instruktionen des »Mont desesperant« handelten – diesen zufolge wären die Frauen in solcher Situation zu verlassen, falls engere Bindungen zu ihnen bestehen, sogar zu beseitigen gewesen, um ihnen einerseits die Folter zu ersparen, den Feind aber einer sicheren Informationsquelle zu berauben. Ich aber liebte, so lächerlich dies nach so kurzer Zeit auch klingen mag, aber die Ereignisse hatten unsere zwei gemeinsamen Tage zu Jahren zerdehnt, ich liebte Mhoshibadoonia bereits so sehr, daß ich nichts mehr tun wollte, was nicht für sie getan wäre (so absolute Vorsätze faßt man nur im Zustand der Verliebtheit, dies allein ist schon Zeugnis genug!); die Ehrwürdige Mutter hatte durch ihre kaltblütige Überlegenheit und ihre Weltzugewandtheit unser aller Achtung erworben; und es gab auch keinen Grund, sich der so entschlossen das Gewehr handhabenden hübschen Maria Agnes zu entledigen – aus allen diesen Gründen waren die drei Frauen, nach den uns eingeprägten Grundsätzen unseres Chinesen, auf die Minusseite der Bilanz zu setzen . . .
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Aber die Ehrwürdige Mutter, die – wie es übrigens in der Tradition des Christentums nicht selten geschehen ist – im Augenblick der höchsten Gefahr mit einfachen Worten den Weg in unsere Herzen (sozusagen) zu finden gewußt hatte, belehrte uns wieder einmal sofort eines besseren: Mhoshibadoonia, so begann sie taktisch klug, erfülle bei uns eine sehr wichtige Mission. Sie versetze mich, den Anführer, die wichtigste Person der Gruppe, in die allen anderen und vor allem derjenigen des Söldners überlegene Lage, die quasi die Ur-Situation des Verteidigungskampfes für einen Mann überhaupt wäre: nämlich die Verteidigung des ihm Nachkommenschaft und somit Fortbestehen garantierenden Weibes. Ob sie uns an die Bräuche wilder Völker erinnern müsse, bei denen die Weiber ihre Männer in den Kampf begleiten, sie durch Entblößen ihrer Brüste anfeuern, ja zu diesem Zwecke sogar ihre Milch verspritzen?! – So welche vorhanden! (Muhammed, trocken anzeigend, daß die Ehrwürdige Mutter an solches nicht erinnern müsse.) Wenn auch dieser aufreizende Effekt bei uns zivilisierten Leuten (!) ins Gedankliche verlagert sei... usw. Jedenfalls, immer nach Meinung der Ehrwürdigen Mutter, würde allein der glückliche Umstand meiner Zuneigung für Mhoshibadoonia meiner Intelligenz und meinem Körper die letztmögliche Leistung abverlangen. Nun zu Maria Agnes, einmal abgesehen von ihrer Geschicklichkeit im Schießen! Auch sie übe ungeahnte psychische Wirkungen auf die übrigen Männer aus, erwecke sozusagen ihren Wetteifer, einander zu übertreffen. Es habe keinen Sinn, sich im gegenwärtigen Augenblick etwas vorzumachen und den Kopf in den Kalahari177
sand zu stecken, sich mit künstlich auferlegten Zurückhaltungen herumzuplagen, Auferlegungen, die letzten Endes doch nur wieder einen Zustand ersetzen sollten, der heute und hier ja ohnehin gegeben sei. (So die Ehrwürdige Mutter, Oberin der Thumbisten im Kloster der Heiligen Maria vom Kreuze!) – Ihr alle, und man erkennt das nur zu deutlich an euren gierigen Blicken, ihr alle möchtet euch am liebsten sofort über Maria Agnes werfen! Und auch du, meine Tochter, wartest nur darauf, keine Widerrede! Nun, von der Erleichterung, die ein einziges kluges Mädchen gleich mehreren Männern in so prekärer Lage zu bringen vermag, will ich aus Schicklichkeitsgründen nicht weiter sprechen. Ihr werdet euch gewiß selbst arrangieren. Aber eines rate ich euch doch noch: trennt euch sofort, nachdem ihr dies hier überstanden habt, falls ihr es jemals übersteht! Und jetzt zu mir. Ich besitze eine ganze Menge Lebenserfahrung und glaube, euch in manchen anderen Dingen helfen zu können... Natürlich sprach die Ehrwürdige Mutter damals am Bahnhof viel weniger lang, aber ich finde ihren trockenen Zug zum Wesentlichen nicht wieder, so sehr ich mich auch bemühe. Meine Aufzeichnungen von damals helfen mir dabei auch nicht weiter, denn ich habe mir nur das sachlich Wesentliche notiert. Wir setzten nach diesem Einwand also alle Frauen auf die Plus-Seite unserer Bilanz, die am Ende so aussah: 1. Fünf zu allem entschlossene, gut ausgebildete Männer, 2. verhältnismäßig gut bewaffnet, 3. nahe der angolischen Grenze, hinter der wir in Sicherheit wären,
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4. ein Zug innerhalb der nächsten Stunden in Aussicht, 5. drei Frauen als Ansporn und Hilfspersonal, 6. die ANC kennt unsere wahre Stärke nicht. Und die andere Seite der Bilanz: 1. Mindestens zwei Garnisonen wußten von unserer Anwesenheit (im Zweifelsfalle ist das Schlechtere vorauszusetzen). 2. daß wir am Bahnhof waren, lag auf der Hand, 3. die zum Bahnhof geschickten Leute sind nicht mehr zurückgekehrt, 4. wir hatten bereits sehr vielen Kongolesen in Dilolo das Leben gekostet, selbst aber praktisch keine Verluste erlitten – das stachelt die Wut an, 5. gegen einen regelrechten Angriff könnten wir uns hier keine halbe Stunde halten. Wir hatten also prinzipiell zwei Möglichkeiten des Überlebens ins Auge zu fassen, von denen jede wiederum je zwei Varianten gestattete: Wir konnten entweder hier warten, Glück haben, den Zug nehmen und mit ihm fliehen, oder jetzt sofort den Jeep besteigen und abhauen. Jedesmal stand uns die Richtung Angola offen, mit dem großen Nachteil, daß dies die ANC von uns erwartete. Das Aufstellen je einer mittleren Kanone nebst einer soliden Barrikade an der Straße und am Schienenstrang würde unser Unternehmen ohne große Verluste der anderen Seite scheitern lassen, uns ihr durch Belagerung und einen nächtlichen, überraschenden Massenangriff vielleicht sogar lebend ausliefern. Lieber nicht ausmalen, was die mit uns aufführen würden! Wir konnten aber ebensogut auch ins Landesinnere fliehen, wobei uns der Zug den Vorteil brächte, daß er 179
auf weiten Strecken durch unerschlossenes Gebiet fährt, also nur durch Flugzeuge angegriffen werden konnte. Allerdings müßten wir diesen Zug noch vor Kolwezi verlassen und querlandein Zambia zu erreichen versuchen, wobei es auch dort für uns keine Sicherheitsgarantie gab. Nach nur kurzer Beratung stand unser Plan fest. Wir wollten die Eisenbahn mit dem Jeep kombinieren. Dazu aber brauchten wir unbedingt noch einen zweiten Jeep, und den hatten wir leichtsinnigerweise in den Sumpf gerollt! Die beiden Wagen wollten wir im gekaperten Zug mitnehmen, um mit ihnen dann über die Steppen und Sümpfe weiterzufliehen. Moise und Marx hatten vorhin beim Herfahren einen Militärjeep – sogar mit Kanone und Seilwinde wie der unsere! - in der Nähe abgestellt gesehen. Sie sprangen sofort auf unseren Wagen und rasten los. Am Bahnhof aber, wo es eben noch so still gewesen war, daß man eine durch den Staub laufende Maus unweigerlich bemerkt hätte, überschlugen sich wenige Augenblicke später die Ereignisse. Noch hing die Staubwolke unseres Jeeps weiß in der Luft, da ertönte tatsächlich das gemächliche Pfeifen des Zuges aus Angola – als wenn nichts geschehen wäre! Nun war es an uns, zu handeln. Wir Männer verließen den Schuppen, lehnten uns in zwei Gruppen unauffällig an Fässer und Kisten am Bahndamm und sahen dem einfahrenden Zug wie gelangweilte Passagiere entgegen. Sollten wir Militär im Zug bemerken, so war blitzartiger Rückzug in die windige Baracke mit anschließendem »Endkampf« vorgesehen, gedeckt durch Gewehrfeuer der dort verbliebenen Frauen. 180
Das zerrte vielleicht an den Nerven, dieses Einfahren des Zuges! Aber es stieg überhaupt nur der Lokführer aus, der Schaffner war selbst dazu zu faul! Es ging alles blitzschnell: Muhammed bemächtigte sich in seiner bewährt überzeugenden Art ganz unauffällig des Lokführers und des Schaffners, veranlaßte sie, einige herumstehende Benzinfässer in den ersten Waggon, der ein Güterwagen mit Post war, zu rollen. Nun ließ er starke Planken von der Rampe in den Waggon legen und auf der anderen Seite unter Mithilfe von Meli und den herbeigeeilten Frauen alle Frachtstücke hinauswerfen – es war nicht viel. Schon begannen einzelne Passagiere, sich im Freien die Beine zu vertreten, manche blickten auf ihre blitzenden Uhren, um zu zeigen, daß sie welche hätten, einige schienen sogar etwas vom Zifferblatt und den Zeigern zu verstehen, denn sie schauten nach ihrer Uhr, dann nach der Sonne, zuckten die Achseln und begannen zu diskutieren. Die Lage wurde langsam brenzlig. Moise und Marx tauchten immer noch nicht auf. Ein elegant gekleideter, sehr beleibter schwarzer Gentleman in Frack und Zylinder stieg jetzt aus und näherte sich mir. – Scheiße! (ich zu Muhammed, im Güterwagen) – Umlegen! (dieser, seine »Arbeiter« zu doppelter Eile antreibend) Als der Dicke mich keuchend erreicht hatte, sprach er mich in ungewöhnlich gutem Englisch an: – Excuse me, Mister, I am Mister Goldensmith, Jesus Goldensmith! Er verlangte eine Erklärung wegen der verzögerten Abfahrt. Wahrscheinlich hielt er mich für einen Eisenbahner und meinen unwahrscheinlich verdreckten Kampfanzug für die neue Eisenbahner-Uniform der Katangesen, oder er hielt mich für einen Eisenbahner im 181
Kampfdrillich, denn sonst hätte seine Frage ja keinen Sinn gehabt, außer. .. In genau diesem Augenblick sah ich über die Schulter des Mister Goldensmith hinweg zwei Jeeps auftauchen und erwiderte seinen Gruß auf militärische Art, beugte mich vertraulich ein wenig zu ihm: – Bedaure, Mister, Militäraktion! You understand me? – Very well, Colonel! (Goldensmith, erblassend und sich hastig in sein Abteil zurückbegebend) Er war für seine Beleibtheit unglaublich flink! Es waren Moise und Marx, die wie Wahnsinnige, Hupzeichen gebend, heranrasten. Muhammed kapierte auf der Stelle, packte den Lokführer am Kragen und stürzte sich mit ihm auf die Lok. Ich bewachte den Schaffner. Die beiden Jeeps rollten geschickt wie im Zirkus links und rechts in den engen Waggon, einer von ihnen drehte seine Kanone aus der Tür, die gegenüberliegende Tür wurde zugerollt, und schon rollte auch unser Zug aus dem Bahnhof, wobei es uns gerade noch gelang, die Auffahrtsplanken einzuziehen. Wir würden sie noch brauchen. Ein dritter Jeep brauste nun auf den Bahnhofsplatz und sofort uns nach, aber noch bevor seine Besatzung die Situation richtig erfaßte, hatte er einen Volltreffer aus der Kanone Moises erwischt und stand in Flammen. Neugierig starrten die Fahrgäste von den Fenstern aus zurück auf diese »verdammt realistische Manöver-Aktion« und wohl auch gerührt vom Stolz auf dieses ihr so offenkundig schlagkräftiges, republikanisch-unabhängiges Militär. Unser Zug aber rollte inzwischen schon zwischen Sümpfen und weiten, buschbestandenen Grasflächen da182
hin, bahnte sich seinen Weg gleichsam durch neugierige Herden von Antilopen, Gazellen und Zebras: Hinein in dieses Riesenherz Afrika, auf einer bis zum unendlich fernen Horizont wie mit dem Lineal gezogenen Doppellinie aus Stahl. ..
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11 Meli und ich schwangen uns endlich ins Innere des Wagens. Wir hatten uns - einen Fuß in dem eisernen Fußtritt, den anderen in der Luft, einen Arm bis zur Beuge durch den ebenfalls eisernen Türgriff gehakt, im anderen den an die Hüfte gepreßten Karabiner – solange nach draußen gehängt, bis wir die bebaute Zone Dilolos hinter uns gelassen hatten. – Hurenscheiße, marinierte! (Meli, indem er sich so wie ich den vom Hängen abgestorbenen Arm rieb) Er warf dann einen quasi immer noch überraschten Blick auf die drillichbehoste Ehrwürdige Mutter und fügte achselzuckend hinzu: – Excuse me, Mam! – Besser als unerwünschter Besuch, Monsieur! (die Ehrwürdige Mutter, ziemlich trocken) – Den können wir immer noch bekommen! (Moise, der seine Kanone verließ und vom Jeep stieg) – Und zwar über das Dach! Vielleicht sind Gendarmen oder Soldaten im Zug? (Meli, nachdenklich) – Die haben unsere Aktion gewiß nicht für ein Manöver der kongolesischen Marine gehalten! (ich, zynisch) – Nichts einfacher zu erledigen: Sofort abkuppeln, den ganzen vollgeschissenen Zug da hinten! (Marx, sich einmischend) Und im Nu hatten wir den schönsten Kriegsrat beisammen – ohne Muhammed allerdings, der auf der Lok Dienst tat. Solange wir den Zug beisammen hielten, fiel das weniger auf als eine Lok mit nur einem Waggon. Außerdem würde man unseren Zug nicht mit Flugzeugen angreifen, solange sich Zivilisten in ihm befanden – 184
zumindest war dies zu hoffen, aber in Afrika weiß man ja nie... Man würde ihn auf einer Station abzufangen versuchen. Überdies konnten wir in jedem Waggon sein. Das erschwerte sicherlich jede feindliche Aktion. Endlich befanden sich die Passagiere ja in unserer Hand: ein nicht zu verachtendes Druckmittel bei eventueller Belagerung – obwohl Menschenleben hierzulande wenig zählen, was auch zu bedenken war. Wir wollten also den Zug vorerst einmal vollständig erhalten, später würde man sehen. Dringend nötig war allerdings eine Durchkämmung des Zuges, denn eine Überraschung vom Dach her lag durchaus im Bereiche der Möglichkeiten. Moise sollte also zum Schutze hier bleiben, Meli, Marx und ich wollten den Zug visitieren. Bis zum ersten Personenwagen mußten wir dazu über die Dächer, wenn wir nicht den Zug anhalten wollten, was womöglich die Passagiere zu einer Massenflucht veranlaßt hätte. Meli gab also Marx seine MP zum Halten, faßte grinsend die obere Türschiene und schwang sich mit einem gewandten Felgaufschwung auf das runde Dach hinauf. Im selben Augenblick knallte es, und Meli kam so schnell retour, daß wir ihn wohl hätten abbuchen müssen, wäre Marx nicht eben dabeigewesen, ihm seine MP nachzureichen. Er ließ diese geistesgegenwärtig fallen und fing Meli auf, der nur noch mit einer Hand am Dache hing. Es war ihm nichts weiter geschehen. – Drei Gendarmen, zwei Waggons weiter! (Meli, noch etwas außer Atem von seiner Turnübung mit überraschendem Abgang) Auch dagegen gab es Mittel!
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Während Moise und ich uns an je eine offene Waggontür stellten, die eine Hand am Türgriff, in der anderen die MP, hob Meli einen UNO-Helm mit dem Gewehrlauf zu der Tür langsam hinaus und hoch. Als es zu knallen begann, sprangen Moise und ich ab und rasten beinahe in Fahrtgeschwindigkeit neben dem Zug her. Und als mich der vierte Waggon überholte, griff ich wieder eisern zu: Ein wahnsinniger Riß in den Schultern, ich flog vorwärts, machte noch einen riesenhaften Satz und landete mit einer halben Drehung am Trittbrett. Moise stand schon auf der Plattform, und Meli, der gleich nach mir ebenfalls gesprungen war, raste auf mich zu. Ich sprang weiter auf die Plattform, und Meli kam nach. Ich behielt die Türe ins Innere des Waggons im Auge, Moise kletterte vorsichtig auf die Balustrade unserer hin- und herratternden Plattform, zog sich den Helm etwas ins Gesicht und erhob sich ganz langsam aus seiner Hocke-Stellung, mit dem Zug rhythmisch sich wiegend. Sofort zog er seinen Schädel wieder blitzartig zurück, schüttelte den Kopf, zuckte mit den Achseln und deutete mit dem Daumen in seinen Rücken, nahm seine MP schußbereit, aber sehr hoch an die Schulter, drückte seinen breiten, schweißnassen Rücken an eine der Eisenstangen, die von der Balustrade weg das Dach stützten, und schob sich so langsam in Schußposition. Dann löste er drei kurze, trockene, vom Fahrtwind verwehte und vom Eisenbahngeratter übertönte Feuerstöße. Ich sah zwei Gestalten auf der einen und eine auf der anderen Seite in die Luft springen. Wie Frösche, die ins Wasser springen, mit dem Bauch hineinplumpsen! (ich in Gedanken) Sie überschlugen sich mehrmals, als sie »landeten«. Moise sprang von der Balustrade zu uns herunter. – Und solche 186
Arschlöcher bewaffnet man! Decken sich nicht einmal den Rücken. (Moise, verächtlich) Nun ging alles routinemäßig vor sich. Wir öffneten ruhig die Türe und traten, die MP im Anschlag, ein. Moise fragte nach Waffen. Wer seine Waffe nicht abliefere, der würde später, bei der Leibesvisitation unbarmherzig erschossen. Man glaubte uns das auch aufs Wort, und zwar in ausnahmslos jedem Waggon – so wie wir aussahen! Meli blieb jeweils hinter uns in der offenen Türe und im Fahrtwind stehen. Revolver und Gewehre flogen aus den Fenstern, ebenso größere Messer, kleine durften behalten werden. Die Passagiere kramten die suspekten Dinge aus Gepäck und Taschen und warfen sie zum offenen Fenster hinaus. Im Zweifelsfalle zeigten sie Messer oder Schere deutlich fragend hoch. Von unserer Seite erfolgte dann entweder ein Kopfschütteln – das wertvolle Stück wanderte blitzschnell wieder zurück in die tiefsten Tiefen der unergründlichen Reisebündel, oder eine Kopfbewegung zum Fenster hin – in diesem Falle flog das Ding hinaus. Nur der offenkundig wohlhabende Dicke von vorhin in Dilolo, Mister Goldensmith, wischte sich ständig den triefenden Schweiß mit einem blütenweißen Tuche von der Stirn und machte Schwierigkeiten. Er wollte nämlich nicht nur seine Waffe, eine tadellos eingehüllte und geölte Winchester, behalten, sondern bestand gar noch darauf, an einer bestimmten kleinen Station, die keiner von uns kannte, (wir waren auf sehr vieles vorbereitet worden, nicht aber auf die Bahnstationen zwischen Kolwezi und Jadotville), den Zug zu verlassen. Auf meine lakonische Ablehnung hin drohte er mir mit seinem Einfluß, und als uns auch der nicht impo187
nierte, da riß ihn die Wut zu einer großen Dummheit hin, die er ohne mein Dazwischentreten nicht überlebt hätte: – Gut also! Ich kenne Sie, Mister! Wir sind uns sowohl in Lissabon als auch in Lobito und am Mont de l' Espérance begegnet, Monsieur! (Goldensmith, den letzten Ortsnamen besonders drohend und deutlich aussprechend) Ich war immer noch nicht beeindruckt, aber Moise riß die Geduld: – Das dicke Schwein wird einfach liquidiert! Und er fällte Mister Goldensmith ganz unerwartet mit einem gewaltigen Kolbenhieb in den Magen. Ich trat dazwischen, denn der aufgeblasene Angeber von einem emporgekommenen Schwarzen erschien mir eher lächerlich denn gefährlich. Was wollte er gegen uns unternehmen, wo wir ohnehin vorhatten, ins Landesinnere zu fliehen, und abgesehen davon, standen wir nicht außerhalb der Gesetze? Nannte man uns nicht ausdrücklich »les hors-la-loi«? Lächerlich! Er konnte höchstens Söldner-Anwerber, Waffenhändler oder Puffdirektor sein. Mit wem sonst traf man an den angegebenen Orten als Söldner zusammen?! Keine Berufe, um einen Richter für sich einzunehmen – im allgemeinen jedenfalls, soviel wußte ich noch aus meinen bürgerlichen Zeiten. Ich stellte mir eine Einvernahme vor. Und der Richter fragte meine Daten ab: – Name? – Charles, Euer Ehren, Charles Dupont! – Beruf, Monsieur Dupont? – Lehrer, Euer Ehren! – Geboren, Monsieur Dupont? 188
– 1927, 19. Oktober! – Wo? – Grenoble! Dann der Dicke: – Name? – Jesus Goldensmith! – Wie bitte?! – Jesus Goldensmith, Euer Gnaden! – Sagten Sie Jesus? – Allerdings, Euer Gnaden! – Na gut, von mir aus! Beruf? – Bordellinhaber, Euer Gnaden! Ich mußte lachen. Das würde genügen und – bei der bekannten Objektivität unserer Richter– den Fall eindeutig klären: ein Schwarzer namens Jesus, noch dazu Goldensmith, außerdem die dubiose Profession, Bordellinhaber! Was denn nicht noch alles! Aber als wir über die Dächer des gleichmäßig dahinratternden Zuges in unseren Waggon zurückkehrten – den Schaffner hatten wir für Ruhe und Ordnung im Zuge verantwortlich gemacht, und er hatte tapfer salutiert und grimmig in die Runde der verschüchterten Fahrgäste geblickt – da kam mir noch ein Gedanke: Ich lebe wie ein Söldner, esse, schlafe und kämpfe wie sie, aber immer noch denke ich anders. Sind das die Gedanken eines Landlehrers? Ich hätte gerne Moise gefragt, wenn der mich nur verstanden hätte. Aber der verstand nur eines: daß ich mit diesem Goldensmith einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte ... Wir mußten uns entscheiden, ob wir den Zug noch vor der nächsten größeren Station, Malonga, verlassen sollten, oder aber erst später.
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Da der Lokführer keine Chance des Entkommens hatte, konnten wir Muhammed ohne weiteres herholen. Eines war jedenfalls klar: Wenn wir den Zug vor Malonga verließen, dann war Dilolo umsonst gewesen. Aber wir rechneten noch immer damit, Angola und damit den Mont de l'Espérance zu erreichen. Noch etwa 180 km lang hinter Malonga folgte die Bahnlinie – zumindest auf unserer Karte – ungefähr in 80 bis 100 km Abstand der angolischen Grenze. Wir mußten nur in geeigneter Landschaft den Zug verlassen, so daß wir den Großteil dieser 80 km nach Süden in den Jeeps zurücklegen konnten. Wir richteten uns also darauf ein, Malonga, falls man uns dort schon erwartete, und dessen waren wir ziemlich sicher, im Kampf zu nehmen – zumindest den Bahnhof. Von Dilolo nach Malonga sind es ungefähr 150 km, die mußten wir nun bald hinter uns haben, denn wir machten schätzungsweise unsere 60 km/h. Afrikanische Loks besitzen weder Tachometer noch Kilometerzähler ... Es war jedenfalls höchste Zeit, sich auf den Kampf vorzubereiten. Punkt eins: Verwirklichung eines beinahe humoristischen Einfalls unseres unverwüstlichen Muhammed: Den Zug sofort Allerhöchstgeschwindigkeit fahren lassen! Muhammed rechnete allen Ernstes damit, daß man in bekannt afrikanischer Lässigkeit mit einer eventuellen Barrikade erst kurz vor der fahrplanmäßigen Ankunft unseres Zuges fertig werden würde – da man sich früher dazu nicht würde aufraffen können. Meinen Einwand, daß dieser Zug ja offenbar keinen besonders genauen Fahrplan besäße, wischte Muhammed mit afrikanischer Logik weg: – Eben, das meine ich ja gerade! Sprach's, 190
und kletterte in die Lok zurück. Wir aber zogen die Türen wieder so zu, daß die für die Kanonen offengelassenen Türspalten nicht durch Zugbewegungen beeinträchtigt werden konnten, und unsere luftige, durch die zentralafrikanische Landschaft schaukelnde Behausung verwandelte sich von neuem in ein düsteres Gefängnis und begann denn auch sofort, unsere Stimmung zu drücken. Mit Mühe war es uns gelungen, die beiden Jeeps so zu stellen, daß jeder von ihnen seine Kanone notfalls abwechselnd durch beide Schießscharten wirken lassen konnte – für den Fall, daß eine davon ausfiele. Moise und Marx hingen an ihren Kanonen, visierten durch die Türspalten und jammerten, daß sie nur einen einzigen Mann würden jeweils niederknallen können, denn mehr Schußfeld gäbe die Türe nicht frei. Meli und ich lagen unten am Türspalt. Vor uns türmten sich Magazine und Handgranaten. Meli gab soeben einen seiner phantasievollsten Flüche von sich, weil seine Stapelkunst durch das Rütteln des nun entsetzlich schnell dahinpolternden Zuges jedesmal kurz vor der Vollendung zunichte gemacht wurde: – Huren-Vettel, angepinkelte, ich kleb' dich mit den eigenen Innereien an die Wand, wenn du nicht so willst wie ich! Und plötzlich eine Plantage: Palmenhaine, sich rechteckig schneidende Wege, eine Art symbolisches Tor aus drei mit Querbalken abgestützten hohen Bäumen, darauf eine unleserliche Aufschrift, ein Dutzend eingebeulter Ölfässer, die typisch kongolesischen, strohgedeckten Hütten mit tief herabgezogenem Dach, dann wieder Sumpf und Busch, wieder eine Pflanzung und nun Elendshütten. Unsere Lok pfiff nervenaufreibend.
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Wir stülpten unsere Helme über und hielten den Karabiner auf den Türspalt gerichtet. Die Frauen, ebenfalls mit Helm, warteten auf das Nachladen der Gewehre. Unser Zug raste mit unvermeidlicher Geschwindigkeit dahin. Und jetzt: der Bahnhof! Schon warf es uns allesamt nach der vorderen Wagenwand. Aus dem unentwirrbaren männlich-weiblichen Gliederknäuel drangen die scheußlichsten Flüche – ganz ohne Rücksicht auf die Frauen. Es ist sehr schwer, sich in einem stark bremsenden Zug aus einem Menschenknäuel zu lösen, besonders dann, wenn man ein Gewehr in der Hand hat. Aber schließlich waren wir doch wieder kriegsmäßig installiert und sahen uns durch ganze Kampflinien schweigenden, schußbereiten Militärs gleiten. Unser Zug rollte nur mehr im erhöhten Schrittempo dahin. Beide Seiten hielten Feuerstille. Die draußen, weil sie unseren Aufenthalt nicht kannten (waren wir überhaupt noch im Zug?), und wir, weil wir ihn ihnen nicht verraten wollten. Das ging anscheinend endlos lange so dahin, bis es einen fürchterlichen Stoß gab, der unseren Zug zum Stehen brachte. Doch nein! Wir blieben nicht stehen, wir fuhren zurück! Langsam erst, kaum merklich, dann aber doch deutlich, setzte sich die Lok gegen die Vorwärtsbewegung der trägen Masse des langen Zuges durch und schob uns zurück. Nach etwa 50m Rückbewegung blieben wir stehen und fuhren von neuem gegen das Hindernis an, das wir offenbar gerammt hatten. Immer noch war kein Schuß gefallen, aber nun, ohne besonderen Anlaß, fetzte eine 192
MG- Garbe durch die Stille, anscheinend auf die Lok abgefeuert, denn schon belferte Muhammeds MP zurück. Das war das Signal für einen wahren Hexensabbat: Von allen Seiten wurde nun auf den Zug in seiner ganzen Länge geschossen. Die Lok ließ ein gepeinigtes Heulen ertönen, und wir schossen unsererseits nieder, was uns vor die Rohre kam. Es war ein fürchterliches Gemetzel auf beiden Seiten! Das Gedonner unserer Kanonen zerfetzte uns fast die Trommelfelle, obwohl wir Watte aus der Bordapotheke vorsorglich in die Gehörgänge gestopft hatten. Meli und Marx, die drüben auf der anderen Seite nichts mehr zu tun hatten, weil dort nur bei der Einfahrt Militär aufgestellt worden war, kämpften ebenfalls auf unserer Seite. Marx hatte seine Kanone herübergedreht, und Meli stand mit dem Karabiner oben an der Lüftungsklappe. Jetzt sprang er zu mir herab und brüllte in mein Ohr: – Aus dem Waggon hinter uns rinnt Öl in Bächen! – Verfluchte Hurenscheiße! Das kann ins Auge gehen! (ich, ein wenig nervös werdend) – Werfen wir unsere Benzinfässer ab?! (Marx, in stoischer Ruhe) -Dann können wir unsere Munition gleich nachschmeißen! (Moise, sachlich) – Ja, und uns auch, Scheißdreck, elendiger! (Meli, logisch) Jetzt fuhren wir eben zum dritten Mal gegen dieses Hindernis vor uns an, das donnerte wie ein Waldbrand. Auch zogen schwarze Schwaden die Geleise entlang. Lange konnten wir nicht mehr vor den »feindlichen Linien« hin- und herfahren! Es krachte fürchterlich, als wir diesmal aufprallten. Von den Passagieren her ertönte ein allgemeines Geheul,
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beantwortet von einem wahren Kugelregen der Katangesen auf die Personen-Waggons. Und – o heilige Eingeweide der strapaziertesten Jungfrau aller Zeiten! Wir fuhren langsam stampfend erst, dann immer kräftiger anziehend, weiter. Wir waren tatsächlich durch! Es wurde rauchig, stickig und sehr heiß. Jetzt fuhren wir durch ein Meer von Flammen. Die Hitze fiel mit den brennenden Gasen derart unerträglich über uns her, daß wir uns krümmten, war aber gleich vorbei. Hinter den Flammen war der Weg frei. Das Schießen blieb zurück, auch das Donnern der Flammen. Wir nahmen Fahrt auf, gewannen die freie Landschaft wieder und rissen endlich wieder die Türen auf, streckten uns. Alle waren wir – nach den unerschütterlichen Worten unserer Ehrwürdigen Mutter: wie durch ein Wunder! – unversehrt geblieben, bis auf die Kratzer und Quetschungen, die wir uns beim Durcheinanderpurzeln geholt hatten. Anscheinend hatten uns die ANC-Leute überall im Zug, nur nicht im Gepäckwagen vermutet. – Heiliger Götterpenis! Das Feuerdonnern! (ich, aufschreiend) Tatsächlich mußten wir schon viele Kilometer hinter dem zertrümmerten brennenden Tankwagen sein – ein solcher war von den Soldaten nämlich quer über die Schienen gestellt worden, um uns aufzuhalten. Muhammed schilderte uns später ausführlich seine Gefühle beim ersten Anblick dieses feuergefährlichen Hindernisses, welches ihm die große Aufschrift zukehrte: ATTENTION INFLAMMABLE! Immer noch donnerten die Flammen hinter uns! Mit einem Satz war ich beim hinteren Ausguck. Ein Wahnsinn!
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Der Waggon hinter uns brannte, wie ich noch nie etwas hatte brennen sehen. Der Fahrtwind riß die Flammen 10 bis 15 Waggons weit zurück. Unsere eigene Rückwand begann bereits in der Strahlung zu rauchen. Marx kletterte mit mir aufs Dach. Das war ein Anblick für Satan selbst, falls es ihn tatsächlich geben sollte: Fast der gesamte dahinrasende Zug brannte bereits, rauchte, wurde von der Hitze attackiert. Verzweifelte Passagiere sprangen brennend aus Fenstern und Türen und brachen sich am Bahndamm bis auf wenige Glückspilze sämtliche Knochen. Die letzteren aber wälzten sich rauchend und brennend im dürren Gras. Etwas weiter hinten brannte die riesige Steppe schon düster und beinahe schwarz– ausgerechnet hier waren keine Sümpfe! Das ausrinnende Öl unseres Nachbar-Waggons verteilte sich brennend über alle Waggons, immer mehr Leute sprangen trotz des wahrhaftig halsbrecherischen Tempos aus den Fenstern, manche hielten Kinder an sich gepreßt. Ich malte mir aus, wie die Überlebenden vom feuerschwarzen Steppenbrand verschlungen werden würde. So ergibt oft eins das andere, ohne daß man es wollte, oder auch nur im geringsten beeinflussen könnte. Ich beobachtete meine schwarzen Kameraden und bemerkte, daß sie diese Wahrheit von Anbeginn ihres Daseins an kennen mußten, denn sie waren weder gerührt noch aufgeregt. Sie nahmen all das Schreckliche hin, wie es ihnen sozusagen vom Schicksal zugeteilt wurde: portionsweise! Man wird in Afrika unter völlig anderen Auspizien groß als in Europa – man wird mehr mit der nackten Wahrheit konfrontiert, und daher verträgt man diese auch besser. Ich bemerkte plötzlich, daß ich, abgesehen von 195
der Ehrwürdigen Mutter, der einzige Weiße unter uns war. Wir schwangen uns in den Waggon zurück. Die Strahlungshitze war hier bereits unerträglich, obwohl Meli die Türen ganz aufgerissen und so fixiert hatte. Marx wollte sofort abkuppeln. Ich mußte, trotzdem mich die Situation sehr beeindruckte, lachen und konnte dieses blöde Gelächter auch nicht unterdrücken: – Ich verstehe! Du kuppelst erst den Zug ab, wir schleppen den Brandwaggon noch ein Stück, und dann lassen wir auch ihn zurück! (ich, sarkastisch) – Richtig, Master! (Marx, grinsend in seinen Missionsschuljargon verfallend) – Und dann legst du Bremsschuhe unter, damit dieser vollgeschissene Wagen nicht auf die Leute zurückrollt, oder? (ich, plötzlich entnervt losbrüllend) Wir fuhren seit langem schon ständig leicht aufwärts. Jetzt kapierte er erst und zuckte grinsend die Schultern, salutierte und wollte damit wohl zeigen, daß er wieder der Alte wäre, den Schock, den ihm die brennenden Kinder vorhin vermittelt hatten, überwunden hätte, auf meine Befehle warte. Diese waren auch höchst notwendig, denn schon brannte die Hinterwand unseres Waggons an der Außenseite hellicht und krachte in allen Fugen. Ich jagte also die Frauen ganz an die andere Wand zurück, winkte Moise und Marx an die Kanonen und deutete auf die brennende Wand. Man glaubt gar nicht, wie schwer es ist, so eine Eisenbahnwaggonwand wegzuschießen! Endlich war es geschafft. Nun mußte die Kupplung noch zerschossen werden. Dies erwies sich als unmöglich, doch hier wußte Moise Rat. Er nahm ein Stück Draht, hing ein Eisenstück dran 196
und warf dieses zur zerschossenen Wand hinaus. Ich schüttelte den Kopf, doch dann, als ich sah, wie Moise den Draht in einer bestimmten Entfernung befestigte und das Eisenstück wieder einholte, da glaubte ich seine Absicht zu erkennen. Nun band er zwei Eierhandgranaten an die Stelle des Eisens und warf sie hinaus. Sie hingen genau in Höhe der Kupplung. Wir warfen uns hinter den Jeeps auf den Bauch und warteten. Die Hitze mußte die Granaten auslösen! Aber wann?! Es ist viel angenehmer, auf die Detonation einer abgezogenen Handgranate zu warten. So wirkte es eher wie das Warten auf die eventuelle Detonation eines Blindgängers, der einem ins Auto gefallen ist und den man nicht hinauszuwerfen wagt, weil man ihn vorschriftsmäßig beim zuständigen Entschärfungsdienst abgeben möchte. Mit der Detonation geschah zweierlei Bemerkenswertes: Einmal flog mit der Kupplung der ganze restliche Zug davon, blieb weit zurück. Zum anderen beschleunigten auch wir dadurch unser Tempo beträchtlich, wie ein Satellit etwa nach einer kurzen Korrekturzündung seines Triebwerkes. Nachdem wir das brennende Elend aus den Augen verloren hatten, schossen wir so lange in die Luft hinter uns, bis Muhammed endlich die Lok anhielt. Er hatte vom Tender aus alles beobachtet, und die Frauen mußten schon dringendst einmal neben dem Bahndamm in die Hocke gehen; wir Männer erledigten unser Geschäft stehend und plaudernd, auf der anderen Seite des Waggons natürlich. Unser Zug, der verloren durch die südkongolesische Weite rauchte und hustete, war etwas klein geworden, 197
sozusagen auf das Minimum dessen zusammengeschrumpft, was man gerade noch mit gutem Gewissen »Zug« nennen durfte: Eine Lok, ein Tender, ein Wagen! Das Fehlen der Hinterwand in diesem unserem einzigen Wagen sorgte für angenehme Kühlung. Ganz weit hinten wölkte noch immer der schwarze Rauch des Steppenbrandes; wir aber saßen gemütlich herum, aßen die salzige Butter aus amerikanischen, wachspapierverpackten Tagesrationen auf geschmacklosen »Hundekeksen« und wischten uns gelegentlich gegenseitig den durch den Sog hereingewirbelten Ruß unserer Lok aus den Augen. – Aber mit dem Lokomotivführer passiert uns das nicht noch einmal! (Muhammed, kauend) Ich wußte nicht recht, was er damit meinte. – Diesen komischen Vogel von Dilolo, unseren Führer durch die Stadt - ich habe in dem Wirbel der Abfahrt tatsächlich vergessen ihn umzulegen! (Muhammed, ärgerlich über sich selbst) – Du vergißt mein Versprechen! Und außerdem, was kann er uns denn schon groß schaden? (ich, eher gleichgültig) – Du wirst weich, Charles! Heimweh? Hast du denn vergessen: Man fragt nicht danach, ob er uns schaden kann, sondern nur danach, ob er uns noch nützen kann! (Muhammed, darauf eingehend und völlig ernst) – Nun gut, jede Theorie hat ihre Grenzen – meine ich! (ich, beharrlich-individualistisch) – Er weiß, wie stark wir sind! Übrigens, dieser goldenboy, dieser vollgefressene, aus dem Zug, der wird wohl auch etwas gegen uns unternehmen. Wird langsam ein bißchen viel, nicht? Warum habt ihr ihn eigentlich nicht umgelegt? (Muhammed, vorwurfsvoll)
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– Der kommt ohnehin nicht lebend davon! (ich, trokken) Ich erkannte sehr wohl meinen Fehler und nahm mir vor, mir während der Dauer dieses Unternehmens den Luxus von Gefühlen nicht mehr zu leisten. Aber wer kann schon von heute auf morgen aus seiner Haut? – Dieser fette Truthahn ist inzwischen ohnehin knusprig gebraten – Mmmm! (Meli, grinsend auf den Steppenbrand weisend und sich den Magen reibend) – Für wen eigentlich? Hier gibt's doch keine Löwen, oder? (Marx, den anregenden Faden fortspinnend) – Für die ANC, daß sie daran ersticken, diese Hunde, diese verhurten! (Moise, hustend und nach einem Schluck warmen Wassers nach Luft ringend) Mhoshibadoonias langgliedrige Hand fuhr innen an meinem schweißnassen Schenkel entlang und erzeugte mit ihrem Daumennagel durch den Drillich hindurch ein schnurrendes Gefühl auf meiner Haut. Ich ließ meine rechte Hand schwer zwischen ihre Brüste sinken und empfand in einer etwas deplazierten romantischen Traumanwandlung die Gefühle eines jungen, heldenhaften, nach dem »Fernen Westen« sich durchschießenden Farmerpaares nach, dessen etliche fünfzig Wagen umfassender Treck von den Indianern langsam aufgerieben worden war, das in seinem übnggebliebenen halbverbrannten Wagen zwischen Pulver- und Mehlfässern einer sehr unsicheren Familiengründung entgegenschaukelte. War ich deshalb an jenem Sonntagnachmittag ausgerissen? Doch nicht weg von der Familie, um dann wieder... nein, Unsinn! Nach der eher frugalen Mahlzeit hielten wir Ausschau nach einer geeigneten Landschaft, um den Zug verlassen zu können. Aber die verschiedensten Hindernisse vereitelten unsere Absicht:
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Gerade hier führt die Bahnlinie durch eine sehr eigenartiggleichförmige Landschaft von bewaldeten, niedrigen Tafelbergen, die sehr viele und steile Abhänge aufweisen und außerdem tiefeingeschnittene Täler, welche ihrerseits ebenfalls bewaldet und vermutlich auch von Wasserläufen durchzogen sind. Keine Gegend also für unsere Jeeps – und eventuelle Straßen waren nicht nach unserem Geschmack, für solche Frechheiten waren wir zu wenige geworden, hatte sich die Situation zu sehr zu unseren Ungunsten verändert. Wir waren inzwischen zu einer nationalen Herausforderung geworden, zu Staatsfeinden, Ordnungsstörern und vogelfreien reißenden Bestien ... Den angesengten Mini-Zug mußten wir sobald wie möglich wieder verlassen. Einem Empfang auf der nächsten Station wären wir in keiner Weise mehr gewachsen, und außerdem konnte uns jederzeit auch ein Militär-Zug entgegenkommen, vollgestopft mit Freiwilligen – Freiwillige findet man für alles! Dann aber säßen wir schön da! Wir wurden, je länger wir uns die Augen ausschauten und unser Zug uns einem sehr ungewissen Schicksal entgegenfuhr, immer nervöser, und weil oft einer wenigstens halbwegs geeigneten Landschaft wieder eine ganz und gar ungeeignete folgte, beschlossen wir schließlich, an einer Stelle auszusteigen, die zwar nicht gerade ideal war, die aber zumindest 20 bis 30 km weit die Benützung der Jeeps zu gestatten versprach. Schließlich blieben uns danach immer noch unsere Beine! Wir hielten also an und überlegten das Problem des Ausladens der zwei Jeeps. Mit den Planken allein war hier nichts zu machen, denn wir hatten den Höhenunterschied vom Waggonbo200
den bis zur Basis des Bahndamms zu überwinden. Wir hängten schließlich die Waggontüren aus, verstärkten sie mit unseren Ladeplanken und brachten beide Wagen ohne Achsenbruch hinunter zur Erde. Muhammed ließ den Lokführer inzwischen die Maschine auf Volldampf heizen. Dann begleitete er den Eisenbahner auf seine Lok hinauf, diese setzte sich unter Zischen und Fauchen schwerfälliginBewegung, und der Wind hüllte uns in den beißenden Kohlenrauch der Maschine. Muhammed sprang ab. Ein ekelhafter Geruch von verbranntem Fleisch und Horn lag plötzlich in den Schwaden der davondampfenden Lokomotive. – Verdammte Scheiße! Das stinkt wie ein angesengter Weiberarsch! (Meli, losfluchend) – Wohl eher wie ein verkohlter Eisenbahnerarsch! (Muhammed, trocken berichtigend) Die Ehrwürdige Mutter, obwohl inzwischen schon ziemlich an unsere rauben Sitten gewöhnt, geriet nun doch etwas außer sich und baute sich vor dem schwarzen Turm Muhammed auf, die Fäuste in den Hüften, den Kopf erhoben: – War diese Grausamkeit denn wirklich nötig, Sie schwarzes Scheusal, Sie? Hier hört doch ohnehin niemand einen Schuß! Den armen Kerl lebendig zu ... – Mon cul, Madame! (Muhammed, von der Sache doch etwas mitgenommen) Schließlich war er während der langen Fahrt mit dem Lokomotivführer näher bekannt geworden, was alles immer komplizierte. – Aber ich bin nicht der Großinquisitor, Madame, der die Leute einfach ad maiorem dei gloriam lebendig verbrennt. Der dicke Mann starb daran! (immer noch Mu201
hammed, auf seine Kiwi klatschend) Er fuhr dann ebenso sarkastisch fort: – Desole, Madame, daß er nicht christlich begraben werden konnte, aber er hat mir auf der Fahrt lang und breit erzählt, daß er kein Christ wäre und das Brachliegen so fruchtbarer Nonnen übrigens gar nicht gutheißen könne – besonders in derartig ungewissen Zeiten nicht, wo man doch jedes Kind dringendst benötige! – Sie haben ihn also vorher...? (die ehrwürdige Mutter, etwas beruhigter, seltsamerweise) – Allerdings, Madame, vor seinem Feuerloch! Er hat nichts gespürt. Er mußte ja verschwinden – möglichst keine Spuren, verstehen Sie – oder hätte ich ihn etwa nach Kolwezi schicken sollen, damit wir gleich die ganze ANC-Bande am Halse haben?! Die Ehrwürdige Mutter verstand zwar nicht recht, ließ aber wenigstens von Muhammed ab, der vorwurfsvoll in meine Richtung murmelte, und nicht zu leise: – Das ist ja ganz eine neue Mode! Demnächst werde ich für jeden Toten einen Totenschein ausfüllen und einen Rechenschaftsbericht verfassen müssen, mit Todesursache und so! Das kann ja noch heiter werden! Ich zuckte beruhigend mit den Schultern und konstatierte verärgert, daß ich den Krematoriumsgeruch wohl den ganzen Tag nicht mehr aus der Nase bekommen würde. Muhammeds Lateinkenntnisse aber lenkten mich etwas ab, beschäftigten mich: Sollten sie lediglich vom Ministrieren herrühren, oder steckte eine gründlichere Bildung dahinter? Unser Mini-Zug dampfte, sich selbst überlassen, schon weit vorne dem Horizont in Richtung Kolwezi entgegen. Das wird eine Überraschung für die ANC!
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12 Wir bestiegen in gewohnter Gruppierung unsere Jeeps, das heißt, in meinem Wagen, der die Spitze nahm, befanden sich: Meli am Steuer, Muhammed hinten bei mir und ich wieder an der Scheiß-Kanone, Mhoshibadoonia saß neben Meli vorne auf dem Beifahrersitz. Hinter uns, in dem Wagen ohne Scheinwerfer, saß Moise am Steuer, neben ihm die Ehrwürdige Mutter, kriegerisch wirkend in ihren Drillichhosen aus der Garnison zu Dilolo, Marx hatte die Kanone hinten bei sich, und Zamela, wie Maria Agnes mit ihrem »bürgerlichen« Namen hieß, unsere letzte Novizin (Mhoshibadoonia zählte ich schon gar nicht mehr dazu), saß neben ihm, um ihn mit Patronengurten und sexueller Erregung zu versorgen. Nach einem halben Kilometer etwa ging es auf holprigem Buschboden irrsinnig steil hinab in einen breiten, talartigen Graben. Wir konnten unmöglich riskieren, hier hinunterzufahren. Wir fuhren also an der Steilkante entlang, immer auf der Suche nach einer Abfahrtsmöglichkeit. Schließlich sah ich vermöge meiner Ausbildung als Physiker ein, daß es sich hier um einen naturgegebenen Böschungswinkel handelte, daß wir nirgendwo in dieser Gegend und bei dieser Bodenbeschaffenheit eine flachere Neigung für eine Abfahrt finden würden. Wie das aber den von keinerlei abstrakter Physik beleckten anderen erklären? Ich sprang vom Wagen und ließ sie einen Kreis um mich bilden. Aus dem von den Jeeps aufgewühlten Erdreich bildete ich einen Kegelstumpf, durch den ich dann mit der Hand eine Furche zog: Es entstand derselbe steile Neigungswinkel wie überall um uns. Jetzt verstanden sie mich. Die 203
Ehrwürdige Mutter wollte mir, liebenswürdig, wie es ihre Art war, ein besonderes Lob spenden und verleidete mir damit den ganzen hübschen Einfall der Demonstration: – Sehr gut, diese Demonstration, Capitaine! Man merkt eben doch den Lehrer, trotz allem! – Madame, mir wäre lieber, man merkte ihn endlich nicht mehr! Da hätte ich ja gleich zu Hause bleiben können! (ich, sauer) Leider hatte sie recht, und das eben wurmte mich so. War alles umsonst gewesen bisher? – Oh, verzeihen Sie, Capitaine, ich glaube auch nicht, daß ein Lehrer sich hier zu helfen wüßte. Was aber machen wir nun wirklich? (die Ehrwürdige Mutter, zynisch) – Haben Sie einen Vorschlag? (ich, eingeschnappt) – Verzeihen Sie meine Einmischung, Monsieur, aber wir müssen wohl versuchen, die Wagen hinunterzubringen, (die Ehrwürdige Mutter, meine Herausforderung ignorierend) – Tatsächlich? Na, dann los! An die Arbeit, Leute! Abladen und das Gepäck hinunter ins Tal! (ich, erst ironisch, dann wieder in alter Frische) – Aber erst, wenn die Wagen heil drunten angelangt sind, würde ich vorschlagen. (Meli, rationell denkend) Er tat niemals etwas umsonst, und es wäre sehr wohl umsonst, unser gesamtes Gepäck für einen eventuellen Fußmarsch hinunterzuschleppen! Wir luden also die Wagen ab, um sie für die Abfahrt möglichst zu entlasten. Meli schwang sich auf seinen Sitz ans Steuer des leeren Wagens, stieß unseren durch Mark und Bein dringenden Kampfruf »Uähhh« aus und rollte langsam auf den Abhang zu. Unheimlich anzusehen, wie der Jeep an der Kante steil abkippte! Zuerst schien alles gut zu gehen. Wir standen an der Kante oben, hielten den 204
Atem an und verfolgten das kontrollierte Rollen des unverwüstlichen Willys. Doch plötzlich machte dieser einen kleinen Sprung vorwärts über irgendein Hindernis, verlor dabei einen kurzen Moment nur den Bodenkontakt und begann zu holpern, zu springen, immer schneller und schneller! Meli hielt sich verzweifelt am Volant fest, war aber mit seinem Arsch mehr in der Luft als auf dem Sitz. Muhammed tat vor Vergnügen gewaltige Luftsprünge, und Zamela klatschte in die Hände und kreischte dabei. Meli hatte nun schon mehr als zwei Drittel des Abhangs hinter sich gebracht. Die ersten Bäume des Tales tauchten neben ihm auf, und er entging ihnen mehr zufällig als durch eigenes Handeln. Der Wagen hüpfte, hopste und tanzte wie verrückt. Jetzt verlor er etwas von der Unterseite, das in grotesken Drehungen in den Wald hineinsprang: Vermutlich war es der Auspuff! Endlich wurde der Hang flacher, Meli bekam sein Fahrzeug wieder unter Kontrolle, blieb schließlich stehen: Er hatte es geschafft! Und schon startete Moise, der es vor Ungeduld kaum mehr hatte erwarten können, bis ihm Meli aus der Bahn ging. Er versuchte, die Spur Melis einzuhalten, hatte aber weniger Glück dabei. Sein Wagen schlug plötzlich ein wahnwitziges Tempo an und Moise wurde wie ein Gummiball vom Sitz katapultiert. Er überschlug sich einige Male am Boden, sprang jedoch sofort wieder auf die Beine. Der Wagen, der sich führerlos ebenfalls überschlagen hatte, krachte zwischen die splitternden Bäume und blieb auf der Seite liegen. Das fing ja gut an! Wir nahmen einiges Gepäck auf und eilten herunter. Meli und Moise gingen um den seitwärts liegenden Jeep herum, bezeichneten nach reichlichen Überlegungen eine Stelle, an der wir anhoben, und schon stand er wieder auf 205
den Rädern, unser braver Willys, etwas mitgenommen zwar, aber immerhin auf allen Vieren! Moise, Meli und Marx krochen nun rund um ihn herum, unter ihm durch, berieten sich sehr umständlich mit viel verlegenem Kratzen hinterm Ohr und unterm Helm und erklärten schließlich, daß der Wagen in einer Stunde oder so wieder fahrbereit sein dürfte. Wir schleppten inzwischen das Gepäck hinunter. Die nichtqualifizierten Arbeitskräfte müssen in jeder Gemeinschaft die schweren und unangenehmen Handlangerdienste verrichten – es lebe das Spezialistentum! Die Reserve-Benzinfässer hatten wir glücklicherweise in unserem Leichtsinn auf den Wagen gelassen, und sie hatten das Abenteuer überstanden. Der umgestürzte Jeep hatte nun weder Lichter noch Windschutzscheibe mehr, dafür aber im Gegensatz zu dem anderen einen tadellosen Auspufftopf. Nun, die Scheibe wurde ohnehin ständig auf die Motorhaube vorgeklappt, und die paar gerissenen Seilzüge waren bald repariert. Schon saßen wir wieder auf, fuhren das letzte Stück Abhang hinunter und folgten dem Tale, in dem ein breites Flußbett mit wenig Wasser eine ziemlich angenehme und verhältnismäßig trockene Straße bildete. Wir hatten inzwischen vielleicht fünf oder sieben Kilometer Luftlinie zurückgelegt. Das Kreischen der Vögel mahnte uns, daß die Nacht bald käme, und ich gab Order, eine Nächtigungsstelle zu suchen. Wir fuhren langsam weiter. Alles färbte sich durch die Abendsonne sehr intensiv. Die Hitze des Nachmittags wurde von ersten kühlen, betäubend nach Wald riechenden Windstößen gelin-
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dert. Ich dachte an Mhoshibadoonias lange, kühle, samthäutige Beine. Mein Kopf sank träumend nach vorn. Da krachte mein Helm aufs Schloß der Kanone; ich fuhr hoch. Wir standen in der beginnenden Dämmerung mitten in dem kiesigen Bachbett, und Meli zeigte auf eine sandige, von einem natürlichen Damm geschützte Bucht. Ich nickte, wir fuhren hin, stellten unsere Jeeps schützend vor die Bucht, die Kanonen drohend auf Fluß und Wald gerichtet, und sprangen mit unserem persönlichen Gepäck herunter in den sich angenehm anfühlenden Sand. Jeder suchte sich einen Schlafplatz nach seinem Geschmack. Die Ehrwürdige Mutter nahm Zamela unter ihre gestrengen Fittiche. Diese schien mir davon nicht sehr angetan. Auch handelte unsere Oberin damit ganz entgegen den von ihr am Bahnhof von Dilolo geäußerten Ansichten über die Aufgaben dieses im Kloster so romantisch Maria-Agnes genannten Mädchens. Aber vielleicht war sie der friedlichen Stimmung hier erlegen und dachte, daß wir nun aus allem heraus wären, ihre damaligen Äußerungen sich aber auf den Kampf bezogen hatten! Dabei war das erst heute morgen gewesen! Erst heute morgen? Welch ein bemerkenswert-anregender Widerspruch in unserem Zeitempfinden: Bewegte Tage vergehen zwar wie im Fluge, dauern aber in der Erinnerung desselben Abends schon unendlich lange, durch die Vielfalt der darin enthaltenen Erlebnisse! Die Ehrwürdige Mutter und Zamela breiteten ihre Schlafrollen also unter einem überhängenden Busch aus und kamen dann zu mir mit dem Anerbieten, die Küche zu übernehmen. Meli, Moise und Marx warfen begehrliche Blicke auf die Novizin und betteten sich gemeinsam zwischen die 207
Jeeps, so als wollte einer den ändern bewachen. Ich rief Muhammed her und fragte ihn, wer denn im Kloster mit Zamela geschlafen habe. – Pierre. (Muhammed, grinsend) – Das kompliziert die Sache! Ihr werdet Streit bekommen, fürchte ich! – Ja, Capitaine! Wir werden kämpfen müssen, oder würfeln ......oder teilen! – Hm! Heute aber nicht! Verstehst du? Hol die andern her! Und ich erklärte ihnen, was ich wollte. Sie grinsten und meinten, das Leben wäre ein wenig mehr als zwei schwarze schlanke Beine – und wären diese noch so hübsch! Schließlich hätten sie ja noch ihre Hände! Mhoshibadoonia und ich aber verzogen uns hinter einen im Sand liegenden riesigen Baumstamm, dessen rauhe Borke Mhoshibadoonia mit ihrer zarten Hand streichelte. Ich kniete mich über sie. Die Affen bellten, und die Papageien stritten. Der Benzingeruch schien sie aufzuregen. Über meine auf ihrem kühlen Busen liegende Hand kroch zögernd ein Skolopender, der von was weiß ich woher gekommen war. Ich hatte aber noch keine Zeit für sie, mußte mich erst um das Lager, das Essen, die Wachen kümmern. Ich hauchte ihr also einen bärtigen Kuß auf die Wange, und sie hängte sich mit ihren kräftigen Zähnen verlangend an mein Ohrläppchen. Meine gesamte Kraft rieselte in meine zum Zerspringen verkrampften Oberschenkel. Vertraute »fremde« Hände sind doch unendlich zarter und vor allem - überraschender! Es war stockdunkel geworden. Ein kleines Feuer brannte abgeschirmt in einem alten angetriebenen Wurzelknollen. 208
Die Sterne funkelten wie irrsinnig und sprangen durcheinander. Der Lärm des Buschs hatte sich bis auf vereinzelte Schreie vorübergehend gelegt. Ich nahm langsam die Hand von Mhoshibadoonias Brust, zog sie am Arm hoch, riß sie einarmig in eine flüchtige Umarmung und schlenderte mit ihr zum Feuer. Wir aßen Rührei mit Speck und tranken phantastischen grünen Tschai dazu: Early Gray! Ich übernahm mit Muhammed die erste Wache. Während die Ehrwürdige Mutter und Zamela sich unter ihren Busch zurückzogen, pißten Meli und Moise die Glut des Lagerfeuers aus, aber in einer sehr vielsagenden Weise, so als wollten sie nicht nur den Dampf ihrer Pisse der rundlichen Novizin in den unruhigen Schlaf nachsenden! Und beide schüttelten ihren Riesenschwengel energisch aus, beutelten die letzten Tropfen mit einem rekognoszierend-abschätzenden Blick nach ihrem Lager und dem Busch der Frauen zielsicher in die verglimmenden Holzkohlen. Dieser gleichsam maßnehmende Blick schien mir nichts Gutes zu bedeuten. Ich machte mich auf eine heiße Nacht gefaßt und veranlaßte die beiden Träumer durch das brutale Repetiergeräusch meines Karabiners schließlich, ihre immer noch über der erloschenen Glut pendelnden Glieder hinter den hart schließenden Nietknöpfen ihrer Drillichhosen zu verstauen. Ich warf Muhammed einen Blick zu, bemerkte aber trotz des geringen Lichtes, daß auch seine Hose vorne enorm ausgeheult schien. Auch er ließ, gleichsam antwortend, sein Gewehrschloß knacken: Wir verstanden uns. Alle Urwaldgeräusche verstummten erschreckt und setzten mit besonderer Deutlichkeit und vermehrt um einige maulende, aufgestörte Schläfer wieder ein: be209
drohlich und einschläfernd, traumzeugend und sinnverwirrend. Als das Leuchtziffernblatt meiner Uhr vierzig Minuten mehr zeigte, als meine Wache betragen hätte, ging ich hinüber auf die andere Seite des Lagers zu Muhammed und zeigte ihm die Uhr. Er nickte und erhob sich, ging schiffen. Und noch während ich Meli und Marx weckte, und diese sich sofort hellwach und geräuschlos aus ihren Decken rollten, klang das Rauschen und Plätschern von Muhammeds mächtig fließendem Wasserstrahl stark und beruhigend über das Lager hin. Ich legte mich ganz eng hin zu Mhoshibadoonia, die im Schlaf sich an mich preßte, heiß, feucht und doch kühlend. Es wurde eine Nacht des bewußtlosen Schlafes, der maßlosen Verlorenheit in einer unendlichen Liebe. Und je mehr diese Nacht vorrückte, je öfter ich erwachte und durch Mhoshibadoonias seidiges Haar zum Himmel blickte, um so heftiger zuckten und sprangen die Sterne durch diesen kongolesischen Abschnitt des Himmels. Ich erwachte oft in dieser Nacht, atmete ununterbrochen den schweren Duft von Mhoshibadoonias Haar... Die Morgenwäsche! Moise und Meli schienen entschlossen, Zamela durch eine Art Kalten Krieges mit selbstgewärmtem Wasser kleinzukriegen: Wieder brunzten sie, nur notdürftig den Blicken der Frauen durch zwei oder drei Zweige »entrückt«, endlos und unter bezeichnenden Blicken auf die junge, hübsch gerundete und ebenfalls gelegentliche Seitenblicke auf die nur zu erahnenden Genußwurzeln werfende Maria Agnes mit den prallgefüllten Lippen, über die aufgeregt ihre hellrote Zunge fuhr.
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Die Szene erinnerte mich an eine frühe Idylle aus dem Tierreich bei mir zu Hause. Ich hatte eine Taube mit verletztem Bein und eine junge Katze bei mir im Zimmer. Die Taube hatte ich eines Tages angefroren auf einem niedrigen Dach gefunden, hatte sie losgeeist, ihren Flügel und ihr Bein gepflegt und bei mir behalten. Die Katze hielt ich mir aus Neigung zu diesem sanften Tier, dessen Sanftheit soviel Grausamkeit verbirgt. Natürlich jagte die Katze die Taube immer auf die höheren Möbelstücke hinauf. Das Seltsamste an dieser Gemeinschaft war der psychologische Einfluß, den beide aufeinander ausübten: Die Katze, die immer nur die Laute der Taube gehört hatte, lernte niemals das Miauen, sondern gurrte, wie eben Tauben gurren; das Organ der Katzen ist vortrefflich dazu geeignet und verfügt über eine ganze Leiter von Ausdrucksmöglichkeiten in der Sprache des Gurrens. Die Taube aber, die immer nur die Katze um sich hatte, vergaß, daß sie ein Vogel war und sprang nur mehr. Selbst später, als der Winter vorüber und ihr Flügel lange schon geheilt war, erlangte sie die Erkenntnis, ein Vogel zu sein, nie mehr. Wohl brachte ich sie ins Freie hinunter vor das Haus, dort aber gesellte sie sich zu den Hühnern der Nachbarn. Aber zurück in den Winter: Die Taube flüchtete also immer vor der Katze in höhere Regionen, wobei ein sehr hoher Kachelofen, dessen glatte Fliesen ihn für die Katze unbesteigbar machten, stets die beruhigende Endstation bildete. Aber die Katze, das raffinierte Luder, griff nun zur psychologischen Kriegsführung:
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Wenn die Taube auf ihrer meist überstürzten Flucht – sie hatte dabei stets die Katze einige Zentimeter hinter dem Schwanzfächer – eine Feder verlor, dann vollzog sich jedesmal ein seltsames und für die Taube sicherlich beängstigendes Ritual: Die Katze nahm die Feder ins Maul, setzte sich vor den Kachelofen, wartete, bis die Taube bequem am Rand oben saß, behielt diese unruhig balanzierende Taube nun starr im Auge und verzehrte langsam und bedeutungsvoll, quasi anstelle der entkommenen Taube die verlorene Feder: Pars pro toto! – wobei ich allerdings über die lateinische Bildung meiner Katze immer im Zweifel geblieben bin. Die Taube verfolgte diese rituelle Handlung jedesmal mit seltsam erregten Augen, schluckte dabei in ihren Kropf, sträubte nervös die Kopffedern, trat von einem Bein auf das andere und gab sehr taubenfremde Katzenlaute von sich. Wenn die Katze sich endlich bedeutsam das Maul schleckte – dabei immer noch grinsend auf die Taube starrend – wie nur Katzen sich das Maul zu schlecken vermögen, dann zog die Taube, wie sich verteidigend, die Flügelstelle mehrmals durch den Schnabel, die Flügelstelle, aus der die verzehrte Feder stammte. So wohnte die Taube in regelmäßigen Abständen immer wieder ihrer eigenen Hinrichtung bei, mußte also nicht sonderlich überrascht gewesen sein, als die Katze sie eines Tages tatsächlich erwischte – ich fand nur mehr die Federn im Hof, die zu verzehren nun für die Katze ja jeden Sinn verloren hatte. Es ging übrigens noch weiter mit dieser eigenartigen Katze: Sie war eine so unwahrscheinlich erfolgreiche Mäusejägerin, daß ich zu beobachten begann, woran das liegen mochte. Ich fand die Lösung sehr rasch. Dieses 212
Katzenvieh gurrte ständig vor den Mäuselöchern, worauf diese, in der irrigen Annahme, daß, wo es gurrt, auch Tauben wären, und wo Tauben wären, auch Körner seien, immer unvorsichtig aus ihren Behausungen stürzten. Aber das ist eine ganz andere, eine eigene Geschichte ... Wie die Katze mit der Taube, so hielten es Moise und Meli mit Zamela, indem sie vor deren aufgeregten Augen pißten: – Alle wollen sie es, und alle machen sie es sich selber so schwer wie nur möglich – als wüßten sie schon im vorhinein, daß sie es nicht mehr so sehr möchten, wenn sie es sich nicht künstlich schwer machten! Selbst unter so extremen Umständen! Man schneidet zwar lebende Bäuche auf und nagelt die Opfer an ihren Därmen an Bäume und beobachtet interessiert, ob und wie schnell sich der Aufgeschlitzte selbst ausdärmt. Aber man wagte nicht, unter Freunden jedenfalls und unter sogenannten »normalen« Umständen, eine so einfache Sache wie einen öffentlichen Koitus, obwohl man sich diesen gewiß mehr wünschte als das Emgeweide-Orakel selbst des schlimmsten Feindes .. . Auf ein Feuer am Tage mußten wir verzichten. Der Fluß gestattete besonders den Damen eine langentbehrte Toilette, und diese hier gehörten zu jenen Damen, die mit wenig Aufwand viel zu erreichen wußten. Hinzu kam, daß sie auch die intimen Waschungen gleichsam unter unseren wachsamen Augen vornehmen mußten. Wir schauten zwar nicht direkt hin (besonders bei der Ehrwürdigen Mutter wahrten wir den Respekt!), aber wir standen mit Karabinern und MP's in der Nähe – es war immerhin anregend. Zum Frühstück: Hundekekse mit gesalzener Marschverpflegungsbutter und Orangenjuice. Schon schwangen wir uns auf die Wagen. Den Damen schien bereits jetzt 213
das doch so vorteilhaft ausgepolsterte Hinterteil gewisse Sitzschwierigkeiten zu bereiten. Sie wetzten unruhig hin und her. Diese Fahrt durch das Flußbett war nicht nur rüttelnd, sondern kostete auch Nerven, war sozusagen also noch dazu nervenzerrüttend: Schließlich wurden wir meist zu beiden Seiten von undurchdringlichen Buschwaldufern begleitet, einmal ganz abgesehen von der schon um neun Uhr unerträglichen Hitze. Wir machten auch nur wenig Fortschritte in Richtung Angola, wobei wir dieselben überhaupt nicht feststellen, ja kaum abschätzen konnten. Um elf Uhr ließ ich in einer schattigen Bucht anhalten. Immerhin konnten wir selbst nach vorsichtigster Schätzung etwa 40 km hinter uns haben. Wir zogen uns also in den Schatten zurück. Es gab sogar eine Art von wassergefülltem Natur-Swimmingpool hier. Wir unternahmen also eine Blitzaufklärung der näheren Umgebung, vereinbarten einen Wachezyklus, und so konnten die Damen und ein Teil von uns baden! Ha! Diesmal gab es weder Genieren noch Zögern. Wir rissen uns die stinkenden Drilliche herunter, beziehungsweise ließen die inzwischen dunkelweiß gewordenen Kutten sinken und tauchten pudelnackt in die kühlen Fluten – was für eine Wohltat! Ein Glück, daß die heutigen Pistolen wasserfest, antimagnetisch, vollautomatisch und stoßsicher gebaut sind! Wie die guten echten Schweizeruhren an unseren Armen! Nicht zu überbieten auch unsere Kiwis! Es ist immer wieder sehr beeindruckend, einen absolut nackten Mann voll Seifenschaum zu sehen, mit Pistolengürtel und Patronengurt.
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Aber niemand wollte nur im geringsten riskieren, a la congolaise gedärmt oder sonstwie afrikanisch behandelt zu werden! Trotzdem ist es ein herrliches Gefühl, nach Tagen ohne Kleiderwechsel im Drillich, den Schwanz mit Sack so angenehm schwerelos zwischen den wasserkühlen Schenkeln fluten zu spüren. Gegen 16 Uhr, als die Vögel ihre Siesta beendeten und wieder über das breite Flußbett zu flattern begannen, da brachen auch wir unser Lager ab. Wir hatten kalten Nescafe getrunken und verwischten vor unserem Aufbruch noch jede Spur unserer Anwesenheit, wie die Waldläufer aus den Indianerbüchern. Schließlich hatten wir es hier mit deren Nachfahren aus den nun pazifizierten nordamerikanischen Weiten zu tun! Nur Meli und Moise wollten erst nicht recht die noch warmen Scheißhaufen der Damen beseitigen, die mangels entsprechender Ausbildung und mangels Aufklärung unsererseits nicht daran gedacht hatten, vor der Verrichtung ein Loch zu scharren und... Jedenfalls wollten wir als perfekte Kavaliere den Damen diese Arbeit nicht nachträglich noch schaffen – schließlich war es ja auch teilweise unser Verschulden, daß das passiert war: eben mangelnde Aufklärung! – Scheiße ist Scheiße, ganz egal, ob weiß oder schwarz, Mann oder Weib! (Moise, pseudophilosophisch) – Eben! (Muhammed, ihm zustimmend, aber nur scheinbar, denn er fuhr recht logisch fort:) – Und jede Scheiße stinkt zehn Meilen gegen den Wind, auch wenn das Mädchen sonst noch so hübsch ist! – Da hat er wieder einmal vollkommen recht! (Meli, Moise einen Rippenstoß gebend) 215
Er schnallte daraufhin mit bedeutsamem Kopfnicken den Kurzspaten vom Jeep und rief im scherzhaften Befehlston unter militärischem Hakenzusammenknallen: – Zugführer Meli bereit zum Latrinendienst! Moise wischte mit einem Zweig sorgfältig über das von Meli säuberlich vollbrachte Werk. Wir anderen saßen alle etwas entfernt vom Ort der Tat auf den Wagen, abfahrbereit und etwas ungeduldig, und warteten. Ich bemerkte in meinem Rücken, wie die Ehrwürdige Mutter Zamela anwies, nächstens keine derartigen Spuren mehr zu hinterlassen, da zogen die beiden Helden da drüben doch tatsächlich wieder ihre Schwengel hervor und pißten, direkt in unserem Angesicht sozusagen, zielsicher und mit ihren Blicken Zamela suchend, die sich aufgeregt an ihren Schuhen zu schaffen machte, aber dennoch immer wieder hinblickte, auf das seltsame Grab. Sie brunzten lange, schäumend und symbolgeladen. In diesem Augenblick hatte ich eine Idee: – Alles noch einmal absitzen! Ich holte einen der erbeuteten Ballen mit ErsatzDrillichen hervor und befahl den Damen, sie anstelle der Kutten ab sofort zu tragen: Dies konnte ohne Gefahr geschehen, denn wir wußten ohnehin zur Genüge, wie Schwestern vom Feind behandelt wurden – da war eine Kugel noch ein Privileg! Alle drei akzeptierten auch Muhammeds Vorschlag, nun mit dem Kampfanzug auch ständig Waffen zu tragen. Sie bekamen also Patronengurten kreuzweise umgehängt, was Mhoshibadoonias und Zamelas Brüste sehr vorteilhaft durch den rauhen Uniformstoff modellierte, und was aus der Ferne recht kriegerisch aussehen mochte, gewiß auch unsere Kampfkraft moralisch mehr erhöhte als effektiv...
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Abgesehen davon ist eine Novizin im Kampfdrillich nicht so schnell gewaltsam ausgezogen wie eine im Klosterdrillich – meinte ich damals noch naiv! Und wieder begann die aufreibende schweigende Fahrt durch das Flußbett. Gelegentlich floß ein anderer Fluß in unser Bett, das dann regelmäßig breiter und schließlich ziemlich unübersichtlich wurde, aber das Wasser darin vermehrte sich paradoxerweise nicht – im Gegenteil! Plötzlich erhob sich ein eigenartiger Lärm vor uns. – Motoren aus! (ich, aufgerüttelt aus meinen hydro-geologischen Betrachtungen) Wir lauschten. Klang wie eine von regelmäßigem, starkem Verkehr durchpulste Straße. Ich nahm meine Karten heraus, und wir legten uns damit auf dem Bauch in den Schatten zwischen unsere Wagen - alles Wasser unseres Flusses floß unter den großen Kieseln. Nein! Hier gab es keine derartige Straße! Außer – wir hatten uns verirrt! Aber auch das war unmöglich. Wir konnten uns nicht um hunderte Kilometer geirrt haben! Das war rein technisch einfach nicht drin! - Alles wieder aufsitzen und los! Bald war das Rätsel gelöst, nicht aber das Problem. Als käme es zwischen den Kieseln im Flußbett aus Tausenden von Quellen hervor, wurde das Wasser unter unseren Rädern immer mehr, bildete kleine, voneinander isolierte Bäche, bekam eine sanfte Strömung, und schließlich standen wir vor einer Art von Stromschnellen. Zwar wurde auch hier das nicht allzu abschüssige Flußbett von denselben Kieseln gebildet, dazwischen anderes Gestein in Form großer Platten, vom Wasser zerfurcht
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und zerklüftet. Seitwärts verhinderten Steilufer und dichtester Urwald jedes Ausbrechen. Sicherlich wären wir einfach hinuntergefahren, wenn diese Steine nicht alle von einer braunroten, glitschigen Algenschicht bedeckt gewesen wären. Es nützte uns wenig – wie übrigens alle lediglich registrierend zusammengetragene Schulweisheit– daß ich wußte, es handelte sich hier um die sogenannte »Burgunderalge«, auch »Burgunderblut« genannt. Da ohnehin eben die Sonne verschwand, richteten wir etwas von den Stromschnellen entfernt unser Lager ein wie gestern: Entfernt davon deshalb, weil der Lärm des Wassers einen Überfall zu sehr erleichtert hätte, wenn auch das Geräusch und die Luftbewegung, der Wasserstaub- und Algengeruch seltene Erfrischung in unsere Nacht hätten tragen können. Ich aber dachte dabei selbstsüchtig an Mhoshibadoonia, was ja soviel wie »donnernder Wasserstaub« bedeutet, deren herber Geruch mir alles dies und noch viel mehr ersetzen würde ... Allerdings bemerkte ich sehr wohl an gewissen Blikken und fahrigen Gesten Muhammeds, daß die unklare Situation bei uns ähnliche Folgen haben könnte wie die Anwesenheit nur einer einzigen Frau auf weiland einem Segelschiff. Denn was dem Käpt'n recht ist, muß der Mannschaft nur billig erscheinen. Man kann sich ohne weiteres über längere Zeit mit Onanieren in einem angenähert ausgewogenen Gleichgewichtszustand erhalten, in Gegenwart williger Frauen aber ist die Masturbation nicht nur umständlich, sondern geradezu absurd und noch unbefriedigender als im allgemeinen – außer natürlich sie erfolgt durch eben eine der vorhandenen willigen Frauen! 218
Ich berief also die drei M's und Muhammed zu einem internen »Kriegsrat« ein: – Ich weiß, daß es unfair von mir ist, aber ich will Mhoshibadoonia nicht teilen! Lieber kämpfe ich um sie. Und damit wir uns gleich richtig verstehen, es gibt eine einfache Erklärung dafür, (ich, etwas pathetisch) – Wir wissen schon, Charles: Liebe! (Moise, meinen Schwung nüchtern bremsend) – Aber mit Maria Agnes ist es anders, sie ist frei. (Meli, auf Muhammed blickend) Der Riese Muhammed nahm seinen Zigarrenstummel, an dem er bisher schweigend gekaut hatte, aus dem Maul und trat ihn mit dem Stiefelabsatz brutal und recht umständlich aus: – Richtig! Mit Zamela ist das anders, und ich scheiße nun langsam auf die Ehrwürdige Mutter! Zamela wird geteilt! (Muhammed, kurz und bündig) An der Art, wie Meli auf Muhammed blickte, erkannte ich, daß er eigentlich nicht an eine wie immer vorgenommene Teilung der präsumptiven Liebesfähigkeiten Zamelas gedacht hatte. – Ich bin ganz deiner Ansicht, Muhammed, mit Ausnahme dessen, was deine unanständigen Absichten gegenüber unserer Ehrwürdigen Mutter betrifft, (ich, mich nun einschaltend) Sie grinsten alle drei versöhnt. – Immerhin habe ich mich bisher am meisten um Maria Agnes gekümmert! (Meli, sofort wieder kampflüstern) -Wieso du? (Moise, ebenfalls streitbar) – Schließlich habe ich mich sogar um ihren Scheißhaufen angenommen! (Meli, schweres Geschütz auffahrend) – Es muß jedenfalls etwas geschehen, und zwar sofort – jetzt, hier! (Muhammed, unnachgiebig) 219
Das war mein Stichwort. Ich mußte die Lage unbedingt entschärfen: – Ich finde auch, daß ihr etwas tun solltet. Marx hatte bisher ruhig zugehört und dabei mit der Schuhspitze symbolisch eine Vagina mit zugehörigem Penis recht dilettantisch in den Kalaharisand gezeichnet. – Ist doch egal, wer zuerst drübersteigt! Haben wir solange gewartet, wird's uns auf einige Minuten auch nicht mehr ankommen, bis eben der Vorgänger wieder runtersteigt. (Marx, äußerst direkt und hart) – Wenn schon unbedingt geteilt werden muß, dann so, daß jeder eine ganze Nacht bei ihr liegt - man will schließlich nicht sofort, kaum daß man sich ein wenig erholen möchte, vom Nächsten heruntergestoßen werden! (Meli, dazwischenfunkend) Jetzt kam die Sache in Schwung. – Eine ganze Nacht. .. kommt ja überhaupt nicht in Frage, du selbstsüchtiges Schwein! (Moise) – Lassen wir doch Maria Agnes entscheiden! (Meli) – Nein, das wollen wir gleich selber entscheiden. (Muhammed, kampflüstern und überhaupt lüstern) – Moment! Ihr könnt würfeln oder knobeln um die Reihenfolge, von mir aus auch um die Wette pissen, aber gekämpft wird fair und friedlich! (ich, keinen Widerspruch duldend) Unbemerkt hatte sich die Ehrwürdige Mutter mit Zamela zu uns gesellt und mischte sich mit der ihr eigenen Energie in unser etwas angeheiztes Gespräch: – Worum soll um die Wette gepißt werden, meine Herrn? Moise und Meli blickten sich verlegen an und gaben damit der sehr hellhörigen Ehrwürdigen Mutter einen
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nicht zu übersehenden Fingerzeig betreffs des Einsatzes, um den gewettpißt werden sollte. – Und warum sollen wir nicht offen davon reden? Wir möchten mit Zamela schlafen und werden irgendeine Reihenfolge festlegen. (Muhammed) – Ist es schon soweit? (die Ehrwürdige Mutter) – Die Männer sind am Ende ihrer moralischen Widerstandskraft. Sie müssen das einsehen, ma Mere! (ich, grob) – Sie schweigen besser! Liegen alle Tage bequem bei Ihrer Mhoshibadoonia und fördern außerdem noch die Unmoral der Truppe – Ihrer Truppe, Monsieur! (die Ehrwürdige Mutter) – Meiner Truppe! (ich, höhnisch) Muhammed schnitt mir eine Grimasse. Dann fragte er mich durch eine Geste, ob er mir beispringen solle. Ich schüttelte den Kopf und wollte eben etwas einwenden, als die unüberbietbare Ehrwürdige Mutter, durch die lange Pause schon siegessicher gemacht, zynisch vorschlug: – Und wenn schon, dann teilen Sie doch auch Ihre Mhoshibadoonia! Wieso soll Maria Agnes gleich vier Mann alleine ertragen?! Dieser Vorschlag versetzte nun auch mich in Erregung. Ich wollte eben zu einer ausführlichen Entgegnung ansetzen, da warf Meli freundlich ein: – So schlimm ist es doch gar nicht. Für Zamela bestimmt nicht, glauben Sie uns ruhig! – Einer schläft mit Maria, einer mit Agnes und einer mit Zamela, was wollen Sie, ist doch sehr moralisch so? (Moise, belehrend) -Und was soll der vierte tun?
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Die Ehrwürdige Mutter glaubte wahrscheinlich, mit diesem bohrenden Einwand Moises pseudologisches Argument und damit auch seine Absichten durchkreuzen zu können. Der erhielt jedoch unerwartete Schützenhilfe von dem schweigsamen, Obszönitäten zeichnenden Marx: – Inzwischen wird Maria schon wieder liebesbedürftig sein, nicht mehr zusehen wollen, meinen Sie nicht? Und seltsamerweise überzeugte dieser Einwand die Ehrwürdige Mutter, wenn nicht von der Richtigkeit der Behauptung, so doch von der Nutzlosigkeit jeder weiteren Debatte. Ich führte sie abseits, verwickelte sie in ein Gespräch über den Zambezi und machte ihr scherzhafte Vorwürfe wegen ihres Vorschlages vorhin, auch Mhoshibadoonia zu teilen. Zamela blieb aufgeregt und schicksalergeben, neugierig und sehr erfreut, der Gegenstand all dieser Bemühungen zu sein, bei den vier Männern zurück, die die Reihenfolge festlegten, in der sie heute und in Zukunft Maria Agnes auf die angenehmste Art ihres Schlafes berauben würden. Es wurde eine verrückte Nacht. Die Ehrwürdige Mutter hielt, eine MP über ihrem großen, auf der Drillichbluse pendelnden Kreuze tragend, mit mir den ersten Teil der Nachtwache, während die Männer mit Zamela und umgegürteten Pistolen, deren Fixierriemen geöffnet blieben, ihren rasenden Liebeshunger (was solche Männer eben in ihrer Verlegenheit im Gespräch über so intime Dinge als Liebe bezeichnen!) stillten, den ewigen Gesetzen des Lebens folgten: Man versucht immer von neuem seine Unersättlichkeit zu stillen – auch wenn man weiß, daß man dabei nur Mist macht...
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Währenddessen verwickelte mich die Ehrwürdige Mutter in ein Gespräch über meine europäischen Verhältnisse, in dessen Verlaufe sie mir geschickt allerlei Fragen stellte, um zu erfahren, was mich nach Afrika, was mich zur Legion getrieben hatte. Später, nachdem Muhammed und Marx die Wache übernommen hatten, legte ich mich zu Mhoshibadoonia, hellwach und voll von naiven Einfallen für unser zärtliches Spiel in der Nacht, durch das immer wieder unwirklich und fern blutgierige Insekten sirrten . ..
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13 Als mich Muhammed diesen Morgen weckte, da hatte sich alles gewandelt. Die Welt war eine andere geworden, und wir alle spürten dies: Zarte bis dichte Wolkenschleier zogen trotz völliger Windstille hier unten bei uns in großen Höhen sehr rasch nach Westen. Das ungewohnte diffuse Licht drückte auch auf die Stimmung der Waldtiere. Die Vögel, sonst immer so geschäftig am Morgen, waren heute nur aufgeregt. Die Affen hatten ihren gewöhnlichen Übermut abgelegt und saßen maulend auf den Bäumen, warfen gelegentlich mit unappetitlichen Speiseresten nach uns und bohrten ohne den sonst immer zu beobachtenden Genuß in ihren Aftern. Die Ehrwürdige Mutter begutachtete sachkundig ihre MP und übte sich spielerisch im Auswechseln von Magazinen. Die vier Kavaliere Zamelas drückten sich unausgeschlafen und ruhelos überall herum, sahen nach den Wagen, unserer Ausrüstung, den Waffen. Muhammed unternahm mit Meli einen Streifzug um unser Lager. Sie entdeckten jedoch nichts Verdächtiges. Wieder mußten wir auf den Frühstückskaffee verzichten. An seiner Stelle gab es verdünnte Kondensmilch, dazu natürlich die unvermeidlichen Hundekekse, made in USA! Wir saßen hier auf eine niederträchtige Weise fest, und wir gaben uns keinen Illusionen darüber hin:
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Wenn es uns nicht gelang, unsere Wagen über diese Schnellen zu bringen, dann hießt es, zu Fuß weitermarschieren. Was das mit den Frauen bedeutete, mußte ich niemandem erst auseinandersetzen – außer eben den Frauen, denen wir solches lieber ersparten. Auch unsere ohnehin kaum vorhandenen Überlebenschancen wären dadurch endgültig gleich Null! Wieder das nun schon tadellos eingeübte Zeremoniell des Verwischens aller unsrer Spuren, und dann zurück zu dem steinigen Abfall des Flußbettes! Niemand hatte heute Morgen Lust, demonstrativ zu pissen, dafür war offensichtlich jede Veranlassung fortgefallen. Daß aber auch niemand die sonst üblichen und beliebten »Fäkalien-Stegreifspiele« aufführte, in denen wir sonst am Morgen gewöhnlich wetteiferten – waren wir doch aus gegebenem Anlaß genötigt, auch unsere diesbezügliche Morgentoilette im Sichtbereich der Kameraden vorzunehmen, von wegen des Feuerschutzes, und die dabei doch immer noch auftretende Verlegenheit »überspielten« wir eben durch eine mehr oder weniger gelungene Vorstellung – das Fehlen dieser meist sehr erheiternden Morgenvorstellungen stimmte mich ernst. Die Stimmung der gesamten Mannschaft war offenbar mit dem Barometer gefallen. Wir ließen die Wagen knapp am Rande oben stehen, sprangen ab und betrachteten kopfschüttelnd das Hindernis. Keiner sprach ein Wort. Schließlich faßte der schweigsame Marx unsere Situation treffend zusammen, indem er sich mit der für ihn typischen Geste seine Wolle unterm Helm kraulte, wobei dieser ihm immer weit ins Gesicht rutschte: 225
Affenscheiße, picksüße, das! Meli, unser ChauffeurGenie, kratzte sich nun ebenfalls den Wollschädel (und er nahm unvorsichtigerweise dabei immer den unbequemen Helm ab): – Man sieht dann völlig wie ein Affe aus, wenn einem dieser Nachttopf so weit ins Gesicht rutscht – und kratzen muß sich schließlich auch der Mensch! (Meli, Hinweise auf die Gefährlichkeit seiner Gewohnheit beantwortend) – Außerdem bin ich nicht Söldner geworden, weil ich ewig leben möchte, ihr Arschlöcher! (Melis habitueller Nachsatz zu obiger Replik) Und nachdem er den Helm wieder sorgfältig an seiner Birne befestigt hatte, stand er auf und begann das felsige, steilabfallende Bachbett mit Schritten abzumessen. Da die Steine jedoch vom Wasser rundgeschliffen und mit einer schleimigen Schicht Rotalgen überzogen waren, wurde aus diesem Unternehmen Melis ein akrobatischer Eiertanz mit einigen fürchterlich gefährlich aussehenden Stürzen, bei welchen nur der festgezurrte Stahlhelm ernstere Folgen verhinderte. Immerhin ermittelten wir mit Hilfe des am Fußende der Stromschnellen stehenden Meli – und das, obwohl wir uns keineswegs auf einer kartographischen Expedition befanden! – die groben Daten des Hindernisses: Ca. 135 Fuß maß die schiefe Ebene, welche auf dieser Länge einen Höhenunterschied von knapp 55 Fuß überwand. Diese Steigung von rund 40% wäre schon bei besten Straßenverhältnissen mit unseren überladenen Jeeps gefährlich gewesen. Hier aber bestand die Fahrbahn aus glitschigen, wasserüberspülten Steinen von Stahlhelm- bis Jeepgröße! Nachdem es Meli unter Lebensgefahr gelungen war, wieder zu uns heraufzuklettern, setzte er uns die Absicht 226
auseinander, die hinter seiner Längenmessung stand – und nur sie hatte ihn ursprünglich interessiert! Die Messung des Höhenunterschiedes war eine Konzession an meine Lehrerkenntnisse und wurde einzig meinem Tagebuch zuliebe vorgenommen. Muhammed und Marx suchten sich nun einen etwa armstarken, von Wasser und Alter entrindeten und gehärteten Prügel, während Meli die Sperre von einer der Seilwinden löste, die sich jeweils vorne an der Schnauze unserer Jeeps befanden. Sie zogen ihren Prügel durch die am Anfang des Seiles befindliche Schlinge und legten sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Ast, spulten so das Drahtseil ab, zogen es den Steilhang hinunter. Ihre Waffen baumelten ihnen drohend am Rücken. Meli saß im Wagen und kontrollierte mit der Windenkupplung das Gleichgewicht der beiden Algentänzer. Moise, unsere kriegerischen Damen und ich aber saßen mit entsicherten MPs an geeigneten Stellen zwischen den Bachsteinen, um gegebenenfalls Muhammed und Marx Feuerschutz geben zu können, wobei die Damen ausdrücklichen Befehl hatten, ausschließlich in den Wald zu schießen, damit die beiden im Flußbett nicht durch unsere eigenen Waffen ums Leben kämen. Wie lange jede der Aktionen mit dem Seil gedauert hatte, bemerkten wir erst am Abend. Während des Ablaufs war die Spannung einfach zu groß, waren wir auch zu beschäftigt, als daß ein Gefühl für das Verstreichen der Zeit hätte aufkommen können. Als Muhammed und Marx unten waren, befestigten sie das Seil etwa 5m über dem Boden an einem Baumstamm. Nun stiegen sie schweißgebadet wieder hoch zu uns, immer im Schutze unserer Waffen. Und schon begann der 227
nächste Arbeitsgang. Wir fällten drei männerschenkelstarke (afrikanische Männerschenkel sind im allgemeinen schmaler und zäher, besser zu den Waden proportioniert als europäische gleichaltrige!) Bäume und bauten daraus einen tragfähigen Dreifuß von wieder etwa 5m Höhe, den wir nahe an die Kante des Flußbettes stellten, jedoch so, daß zwischen Kante und Dreifuß noch ein Jeep bequem Platz fand. Inzwischen war es Mittag geworden, das Wasser floß warm heran wie in eine Badewanne und rauschend hinab. Es ließ die Algen einen penetranten Meeresgeruch ausströmen, der an weit nördlichere Gestade erinnerte. Wir durften nicht rasten. Während des gesamten »Unternehmen Kasagi« hatten wir noch nicht derartig geschwitzt! Klatschnaß hingen die Drilliche an uns und behinderten jede Bewegung. An ein Ausziehen der Kampfanzüge war aber nicht zu denken. Ohne sie hätten wir – etwa nach einem plötzlichen Überfall - nicht eine Nacht überlebt! Es war schon bedenklich genug, daß die schweren Arbeiten uns meist alle fünf gleichzeitig beanspruchten, so daß zeitweilig nur die drei Damen Wache hielten. Wir mußten nun das Seil noch über diesen Dreifuß legen, was uns erst nach mehrmaligen Versuchen gelang. Meli, dessen Jeep wir vorher noch mit Steinen beschwert hatten und dessen Räder wuchtig blockiert waren, spannte jetzt mit seiner Motorwinde das Seil so weit, daß der zweite Jeep genau darunter fahren konnte. Mit Hilfe des eigenen Seils wurde dieser nun recht eng an das Tragseil geknüpft, wozu das zweite Seil einfach einmal längs und einmal quer zum Wagen über das Tragseil geführt, am Kreuzungspunkt aber geknotet wurde. Ein Wagenheber wurde so miteingeknotet, daß er einen sehr wirksamen Bremshebel abgab. 228
Wie immer, wenn es galt, etwas auszuprobieren, sprang Muhammed in den so improvisierten SeilbahnJeep, faßte den Bremshebel, und schon spannte Meli das Seil, da sprang Moise noch im letzten Moment zu Muhammed auf den Wagen, entsicherte Muhammeds MP und auch seine eigene: Muhammed könnte sich während der Abfahrt nicht einmal wehren, weil er ja den blödsinnigen Bremshebel nicht... – Halt! (ich, wie wahnsinnig schreiend) Meli setzte den schon schwebenden Jeep nochmals zu Boden, indem er das Tragseil wieder locker ließ. – Sowas von blöden Schweinen wie wir! (ich, mir ans Hirn klopfend) Alle sahen mich an, als hätte ich einen Anfall von Tropenkoller. Ich hatte jedoch nur eine Idee, eine phantastische Idee, die zwei Fliegen mit einem Schlage traf: Auf die vorbereitete Art hätten wir nur einen Wagen retten können. Den zweiten hätten wir allerdings vermint und damit unseren eventuellen Vorsprung ausgedehnt. Aber ich wußte nun etwas wesentlich Besseres: Wir kappten den zum Knüpfen verwendeten Teil des zweiten Seils, knoteten das Ende des verbliebenen Seils des abfahrenden Jeeps um einen nahen Baum, legten es ebenfalls über den Dreifuß, und nun konnte der Jeep losfahren, indem er einfach seine eigene Seilwinde benutzte, um seine Geschwindigkeit zu kontrollieren – also völlig sicher. Meli zog sein Seil wieder straff. Der Jeep Muhammeds wurde dadurch hochgehoben. Muhammed ließ seine Winde langsam ablaufen. Sein Seil verhinderte außerdem, daß der Wagen sich drehte. Nun verlief alles ziemlich rasch. 229
Sobald der erste Wagen unten angekommen war, ließ Meli wieder sein Seil nach, Moise und Muhammed schwebten zu Boden, knüpften ihren Wagen los und hängten vorsichtig das gekappte Seilstück an Melis Seil, welches dieser nun ganz sachte einzog. Währenddessen beschwerten und verkeilten die beiden unten ihren Wagen. Wir aber knoteten oben Melis Wagen an das Seil Muhammeds. Der gleiche Vorgang wie vorhin! Aber das Tragseil wurde nun von unten gespannt. Die letzten Arbeiten verrichteten wir bei beginnender Dunkelheit und mußten wegen der kurzen Dämmerung unser Lager gleich unten, am Ende der Stromschnellen errichten trotz lauten Wassergeräusches! Obwohl wir alle ziemlich ausgepumpt waren – wir hatten nur gelegentlich schnell heruntergeschlungen, was unser »Küchenpersonal« uns rasch zubereitet hatte – mußten diese Nacht doppelte Posten aufgezogen werden, was bedeutete, daß die Damen schlafen durften. Irgendwann gegen Ende meiner Wache fiel mir etwas auf: Das Wetter schien sich geändert zu haben. Tatsächlich verschwanden jetzt die Sterne immer häufiger mitten in ihrem tollen Tanz. Die Wolken selbst sah man nicht, aber gelegentlich hörte man den Wind in den Bäumen zu einem seltsamen Jaulen ansetzen, obwohl das Wasser noch lauter rauschte als tags zuvor. Noch lauter...? -Verfluchte Scheiße! Der Fluß! Ich sprang hoch, trat im Vorbeilaufen Muhammed, der ein wenig eingenickt war, obwohl er Wache hatte, in den Arsch und stürzte zum Wagen, um eine Taschenlampe zu suchen. 230
Im Strahl derselben bemerkte ich, daß überall zwischen den vorhin noch trockenen Flußsteinen Wasser hervorquoll, aus allen erdenklichen Ritzen und Spalten quirlte, sich in der Mitte des Bettes zu Rinnsalen vereinigte und plötzlich allgegenwärtig schien. Wir handelten blitzartig und mit gewohnter Präzision. Es ging ums nackte Leben. Innerhalb weniger Minuten waren wir marschbereit und fuhren im Scheinwerferlicht des einen Jeeps hinein in das nun schon ziemlich regelmäßig strömende Wasser. Irgendwo am Oberlauf schien ausgiebig Regen gefallen zu sein. Wir mußten unbedingt aus diesem Flußbett heraus! Aber wie? Es war stockfinster. Am Ufer konnte man wegen der Unwegsamkeit, wegen der umgestürzten Bäume und eingebrochenen Uferstellen, wegen der Sandbänke und Seitenarme nicht fahren. Von der Mitte des Bettes aus aber konnte man nicht feststellen, ob das Ufer ein Ausbrechen erlaubte. So kamen wir also kaum vorwärts, schickten ständig Patrouillen zum ziemlich weit entfernten Ufer, und das Wasser stieg. Schon reichte es bis zu den Achsen, und gelegentlich, wenn eine Wasserfläche ein Loch verbarg, versanken unsere Wagen bis zu den Türen und noch weiter darin. In der Ferne war hin und wieder ein dumpfes Grollen zu hören, und eine Art horizontweiten Wetterleuchtens zuckteinunregelmäßigen Abständen auf. Gerade zur rechten Zeit erreichten wir einen zwar wesentlich schmäleren, aber immer noch sehr breiten Nebenarm, der aus einer vom Unwetter verschonten Gegend zu kommen schien, denn sein Bett war trocken. Wir fuh-
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ren in dieses neue Bett ein wie in einen Hafen. Jedoch es war wie verhext! Die Ufer dieses Nebenarmes waren so abrupt und unzugänglich, daß an ein Passieren mit dem Wagen nicht zu denken war. Die Dunkelheit behinderte uns stark. Wir kamen nur mühsam im Schrittempo vorwärts, und es war erst kurz nach Mitternacht! Als Muhammed, eine verwegene Silhouette gegen den vom Flußufer zurückgeworfenen Scheinwerferkegel mit dem Karabiner in der ausgestreckten Rechten, wieder einmal abgesprungen war, um eine Uferstelle zu rekognoszieren, blieb er überrascht stehen. Nun winkte er halt! Wir stoppten auf der Stelle. Muhammed bückte sich, griff nach etwas und bedeutete uns abzusitzen. Es war Wasser! Tief unten, zwischen den Steinen floß gurgelnd und glucksend Wasser. Während wir noch ziemlich ratlos um uns blickten, standen wir schon im rasch steigenden Fluß. Von vorne hörte man ein Brausen, das wie FrühlingsFöhn in den Bergwäldern der Alpen klang ... Damals auf dem kleinen Berghof, den mein fortschrittlich denkender Vater auf Schafzucht umgestellt hatte! Immer dieser Föhn, und die mondbeschienenen Schneeflecken auf den frühlingshaften Berghängen, wo die Schafe weitverstreut sich schon wieder ihr bescheidenes Futter suchten. Dieser Föhn bringt mir unser altes Bergbauernhaus in Erinnerung, den angenehmen Holzgeruch der zirbengetäfelten Zimmer. ... Für Träumereien war jedoch nicht die rechte Zeit. Ich winkte nur, und alles war schon wieder aufgesessen. Wir mußten sofort und hier aus dem Bett heraus, mit oder 232
ohne Wagen. Oder wir würden hier nicht nur die Wagen und den Großteil unserer Ausrüstung verlieren, sondern selbst fortgeschwemmt werden, ersaufen! Ohne Rücksicht auf Verluste holperten und sprangen unsere Jeeps direkt zum südlichen Ufer, drängten sich dort schutzsuchend durchs Gebüsch wie junge Schweine oder Lämmer an die Zitzen der Sau, beziehungsweise des Mutterschafes, und standen schließlich am hohen Steilufer. Oben die locker mit Bäumen bewachsene Steppe, die im allerersten Morgengrauen nur vage zu erkennen war, zwischen ihr und uns eine wandartige Böschung von mehreren Metern Höhe. Kaum stießen die Schnauzen unserer Jeeps ans Ufer, da sprangen Marx und Muhammed auch schon ab, nahmen das Seil je einer Winde und kletterten damit das Steilufer hoch. Schon standen auch Meli und ich im Wasser, während wir die Seile von den Trommeln zogen, um den beiden Kletterern ihre Mühe zu erleichtern. Und immer noch waren die Seile nicht an den Bäumen droben befestigt! Ungeduld, Hast, aber dennoch sicheres Handeln! Endlich war es soweit! Die Damen waren inzwischen längst mit einigem Gepäck den Seilen entlang hochgeklettert. Uns reichte die immer reißender werdende Flut bereits bis zum Nabel. Muhammed, Marx und ich fischten uns je einen kräftigen Prügel aus den uns umgurgelnden Fluten, Moise und Meli aber fuhren wie Urwaldplanierraupen durchs krachende Gebüsch, indem sie die Winde und die Räder laufen ließen. Spreizte sich das Gehölz besonders gefährlich, so griffen wir drei mit unseren Hebeln ein. 233
Wir waren kaum oben angelangt, da erreichte das Unwetter auch uns. In rasendem Tempo spannten wir die bisher nie benützten Planen über unsere Jeeps und saßen wie gebadete Affen in der neuerdings eingebrochenen vollständigen Dunkelheit. Allenorts tropfte, spritzte und rann es herein. Mhoshibadoonia, eng an mich gedrückt und ihren Kopf an meinem linken Schenkel (rechts lehnte der unvermeidliche Karabiner, dessen angenehm-harten Gegensatz ich heute noch in ähnlichen Situationen zu spüren meine) begann mit ihrem aufregenden Hinterteil unruhig hin- und herzuwetzen. Meine Hand folgte der sanft-einladenden Linie: Nacken, Schultern, Brustansatz, Rücken, Becken, Schenkel – und fuhr dazwischen in eine Lache lauwarmen Wassers. Es hatte sich in der vom Hintern Mhoshibadoonias eingedellten Sitzmulde nach und nach gesammelt. Es war nichts zu machen. Selbst sprechen konnte man nicht. Um uns krachte es, als lägen wir unter schwerstem Mörserbeschuß. Immer wieder sahen wir die von Sturzfluten und Wasserfällen durchrauschte Steppe aufleuchten, und jedesmal hüllte uns danach noch vollkommenere Dunkelheit ein. Gelegentlich startete Meli den Wagen und ließ ihn gleich wieder absterben – nicht zu verwüsten, diese Jeeps! Als ich meine Hand, in längst vergessene Träume von Schafen und Bergen versunken, über Mhoshibadoonias nackte Brustwarzen gleiten ließ, begegnete ich dort nicht nur Regenrinnsalen, sondern auch Muhammeds interessierten, eifrigen Fingern.
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Er saß eigentlich vor Mhoshibadoonia, und ich blickte in Erwartung des nächsten Blitzes fragend in seine Richtung. Als dieser Blitz endlich aufleuchtete, hatte auch Muhammed schon auf mich gewartet und zuckte entschuldigend die Schulter. Sein »sorry« konnte ich nur von den Lippen ablesen, aber nicht hören. Ich verstand ihn. Und ich verspürte, ganz gegen meine frühere Art übrigens, keinen Ärger gegenüber seinem Verhalten – im Gegenteil! In solcher Situation braucht der Mensch Trost und Wärme. Auch Mhoshibadoonia schien dies zu wissen. Ich zuckte also beim nächsten Blitz verstehend ebenfalls mit den Schultern und überließ Muhammed Mhoshibadoonias ganz uneuropäisch zarte Brustknospen. Meine Hand aber suchte Zuflucht zwischen ihren warmen, regenfeuchten Schenkeln und bewegte sich dort manchmal nachschwingend im Rhythmus des Weltuntergangs vor unserer Wagentüre aus Leinwand, Pappe und Plastikglas. Nur Meli, der am Steuer eingeklemmt und überhaupt zu weitab vom Ort des Geschehens saß, er war der Katastrophe schutzlos preisgegeben ...
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14 Irgendwann kam der Tag, ging der akkustische Teil des Unwetters vorüber, aber der sintflutartige Regen blieb und verhängte mit seinen zahllosen, in allen Richtungen sich überkreuzenden Vorhängen unsere ohnehin sehr beschränkten Horizonte. Tief hingen die Wolken zwischen den Baumwipfeln. Es mußte diese Wolkenschicht mehrere hundert Meter dick sein, denn sonst wäre es unvorstellbar, woher die gewaltigen Wassermassen kämen. Der Fluß hinter uns hatte sich in einen schwarzbraunen, reißenden Strom verwandelt, dessen anderes Ufer bei diesem Regen nicht zu erkennen war. Ich wollte mit denen im anderen Wagen sprechen. Dazu mußten wir aber andocken. Meli fuhr ganz eng an den anderen Jeep heran. Wir öffneten die beiden Türen, spannten eine Plane darüber und konnten durch den so improvisierten Verbindungsgang miteinander verkehren. Allerdings nicht so, wie Marx und Moise mit Zamela, sehr zur Unbequemlichkeit der Ehrwürdigen Mutter, die schon früher gerne zu uns herübergewechselt wäre. Zum Glück war es dunkel und laut, so daß sie der Geschehnisse in ihrer unmittelbaren Umgebung nur motorisch gewahr wurde. Dabei konnte sie immer noch denken, die heftigen, dann wieder sanften Bewegungen des Wagens seien von den Böen des Unwetters verursacht. Vor allem versetzte uns der Verbindungsgang in die Lage, endlich einmal wieder zu essen, denn unsere Vorräte waren – absichtlich oder nicht, das wollte ich durch Befragung der Ehrwürdigen Mutter noch einmal eruieren
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– so verteilt, daß in keinem Wagen eine vernünftige Mahlzeit hätte bereitet werden können. So hatten wir etwa den Nescafe, die anderen aber das Wasser und die Tubenmilch. Die drüben hatten Haferflocken, wir Zucker usw. Immerhin war unser Hunger nun nach überstandener Gefahr gewaltig, und ich konnte Muhammed nur mühsam zurückhalten, als er rasch einmal auf die Jagd gehen wollte. Wir aßen ein verrücktes Menü, damals: Zuerst einmal die zähen »Hundekuchen«, unser unverwüstliches Dosenbrot, das selbst unserer lebhaften Verdauung erfolgreich Widerstand leistete. Damit es besser rutschen sollte, schnitten wir es in sehr dünne Scheiben, deren Löcher wir mit gesalzener Dosenbutter, »made in Danmark« (for military only!) ausfüllten. Inzwischen hatte Zamela, die sich mit aufkommendem Tageslicht wieder eiligst und marschmäßig adjustiert hatte, deren Brüste aber unter dem engen, für Männer geschnittenen Kampfdrillich noch immer lebhafte Zeichen der vorangegangenen Erschütterungen gaben, eine Art »Nachbeben«, inzwischen also hatte diese vollausgelastete Maria-Agnes kalten Nescafe angerührt. Die Prozedur war einfach: Sie hielt eine Menage-Kanne kurz zur offenen Tür hinaus neben die Dachplane unseres Verbindungsganges in den strömenden Regen – Trinkwasser sparen mitten in der Sintflut! Diese füllte sich rasch. Das Nescafe-Pulver, 100% löslich, wurde nun dazugerührt, bildete rasch die sattsam bekannten zahllosen unlöslichen Knollen, irgendjemand drückte aus einer Tube ungesüßte Milchpaste dazu, ein hilfreicher Finger, der vielleicht eben noch in 237
Zamelas Vase gerührt hatte, verrührte das Ganze mit viel Gefühl und routiniertem, erinnerungsbelastetem Elan. Jeder hielt irgendein greifbares Gefäß unter die freigebig kippende Menage-Kanne, und schon wurde die nächste Portion auf dieselbe Weise bereitet: Cafe-Zamela a l' africaine! Als besonderen Leckerbissen gab es anschließend »couilles cueillies«. Zamela und Mhoshibadoonia rührten mit uralten afrikanischen Gesten Haferflocken und Kakao mit Wasser an, formten anschließend den immer noch trockenen Brei durch masturbatives Kreisen desselben zwischen ihren rosa Handflächen und überschlanken, langgliedrigen Fingern zu geoidischen Kugeln, die auch ungefähr die Größe vollreifer, leistungsfähiger, afrikanischer Hoden hatten. Jedenfalls rührte daher der Name dieser Haferflocken-Kugeln: »Gepflückte Eier«! Sie wurden normalerweise anschließend noch in Zukker gerollt. Da wir aber knapp an Zucker waren, unterließen wir dies, kauten vielmehr diese etymologiebelasteten »Kugeln« sozusagen roh und mit Vergnügen am lusitanisch-bitteren Kakao-Geschmack. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was noch alles gegessen wurde, aber wir versuchten noch mancherlei aus unseren Vorräten. Untätigkeit macht selbst Helden gefräßig! Der Regen ließ erst am späten Nachmittag etwas nach. Wir beendeten unser Andock-Manöver und nahmen wieder Fahrt in Richtung Süden auf. Die Steppe eignete sich gut als Piste für unsere Wagen, nur die darüber verstreuten Busch- und Baumgruppen forderten das Letzte von Fahrer und Maschine. Wir schlängelten uns immer wieder zwischen den Bäumen 238
hindurch, und gelegentlich gerieten wir dabei in immer dichteren Bewuchs, so daß wir oft zwischen zwei Bäumen nur durchkamen, indem die Wagen nach kurzem Anlauf sich einfach mit Gewalt durchzwängten. Längst schon waren sämtliche Kotflügel eingebeult, und oft mußten wir in mühsamem Rückstoß ein eben durchkämpftes Waldstück wieder zurückfahren, um anderswo einen Durchschlupf zu finden. Als es schon stark dämmerte, stießen wir aus einem solchen Dickicht hinaus in eine weite, offene Ebene und machten am Rande halt. Etwas im Inneren des Dickichts entdeckte Marx eine kleine Lichtung. Wir richteten dort unser Lager ein, wagten sogar ein bescheidenes, abgeblendetes Feuer. Der Himmel stand sternübersät und wie reingefegt über uns. Die Vögel, Affen und Insekten liebten in dem feuchten Gebüsch wie wahnsinnig durcheinander, als mußten sie den Ausfall der letzten Nacht nachholen. Wie gewöhnlich übernahm ich die erste Wache, und zwar draußen am Waldrand. Marx wachte innen auf der Lichtung. Wir waren diesmal eigentlich nicht müde. Mhoshibadoonia saß bei mir, legte ihr Köpfchen auf meine Schenkel und atmete ihren warmen Hauch zwischen meine Beine. Die Sterne sprangen und tanzten am Himmel wie eh und je. Erinnerungen entführten mich weit weg von hier .. . Nach einiger Zeit nahm Mhoshibadoonia meinen Karabiner, legte ihn vorsichtig beiseite und sich selbst so an meine Brust, daß ich jeden ihrer Atemzüge bis in mein Innerstes spürte – durch Patronengurte und steifgeschwitztes Drillichzeug hindurch! Wir änderten gelegentlich unsere Positionen. 239
Ich kehrte den tanzenden Sternen Afrikas bald den Rücken, bald mein träumendes Antlitz zu, versäumte dabei aber nie, meinen Karabiner in Griffweite zu behalten – auch wenn ich hier nicht auf Wache gelegen wäre, hätte ich dies getan – das Lebensnotwendige wird einem sehr rasch zur unvermeidlichen Gewohnheit! In Mhoshibadoonia fand ich Erinnerungen und geträumte Erfüllung aus meiner frühen Jugend wieder, und ich wurde nicht satt, dem Spiel ihrer Bewegungen nachzuhängen, welches in mir verklungene Töne anschlug, die mir wohltaten, die die mich umgebenden Schichten meiner zurückgelassenen bürgerlichen Existenz (welcher eigentlich, hatte ich denn je eine solche?) mit größerer Heftigkeit durchbrachen als alle bisherige Aufrüttelung durch Gewalt, deren Erinnerungsgehalt mir aber trotz größter Anstrengungen noch verschlossen blieb. Landschaften durcheilte ich im Fluge: Täler, vom Föhn durchbraust, im mitternächtlichen Mondenschein schlummernd, mit lärchenbewachsenen Hängen, von ersten Schneeflecken aufgehellt. Gemütsbewegungen erlebte ich nach: alles verheißende Lebensausblicke, das Gefühl jugendlicher Allmacht, unvoreingenommenen Denkens. Ein Gigant war ich damals – an Möglichkeiten, damals, als diese Gefühle noch nicht Erinnerung waren! Ich wußte, daß ich alles dies schon einmal gefühlt und erlebt, gedacht und gehofft hatte, vielleicht mit ein wenig mehr Glauben daran. Jetzt erinnerte es mich lediglich an die einstige Existenz solcher Gedanken in mir, etwa so, wie man sich überrascht völlig vergessener Dinge entsinnt. Über uns die aufgeregt springenden, tanzenden, afrikanischen Sterne... 240
Ich mußte tatsächlich auf Wache eingeschlafen sein. Hurenelement, verfluchte Dreckscheiße, ausgelaugte! Auf Wache und auf Mhoshibadoonia eingeschlafen! Das Gewehr, nach dem ich sofort griff, ohne erst ein Zeichen meines Erwachens zu geben, es war weg! Der Militärstiefel, der brutal auf meinem Nacken stand, und meinen Schlaf beendete, dieser angeschissene Stiefel gehörte einem Mann, der meinen Griff nach der Waffe mit höhnischem Gelächter begleitete. Trotz meiner äußerst unangenehmen Lage stieß ich doch sofort unseren durch Mark und Bein dringenden Kampfruf aus: – Uääähhh! Blitzartig gab der Stiefel mein Genick frei, um sich mit vollem Schwung in meine linke Niere zu pflanzen. Das war ein grober Fehler des Mannes, denn ich hatte noch Messer und Kiwi! Zwar erreichte mich die Stiefelspitze noch schmerzhaft genug, während ich mich sekundenschnell und gekonnt ins Gebüsch hinter mir rollte, aber im Liegen noch gab ich von dort aus zwei Schüsse auf den baumlangen Neger ab. Der fiel mit einem Hechtsprung über die vor Schreck immer noch bewegungslose Mhoshibadoonia, als wollte er sie mit seinem letzten Atemzuge noch für die Ewigkeit bespringen. Aber schon waren sechs andere auffallend lange Kerle da, rissen Mhoshibadoonia unter der Leiche hervor und begannen sie auf der Stelle auszuziehen. Wie rasch das hierzulande immer geht! – Komm heraus, du Hurenschwein, daß wir ihr deinen abgeschnittenen Schwanz ins geile Maul schieben können – wird's bald?!
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Sie wußten nicht, wo im Busch ich mich befand. Es war auch alles viel zu schnell gegangen, als daß sie meme Hautfarbe hätten bemerken können, und das unbedingt nötige Bantu verstand ich inzwischen. Ich füllte lautlos, und ohne meinen Blick von den sechsen da draußen zu lassen, meine zwei Revolver nach und wollte eben den ANC-Mann erledigen, der seine Finger tief in Mhoshibadoonia hatte, wobei er immerzu zu mir hermaulte und gaffte, da packte jemand meinen Arm. Ich fuhr herum. Es war Muhammed! Wieder forderten mich die Männer draußen auf, hinauszukommen: – Komm endlich heraus, Hurenkind, daß wir dir deine Genußwurzel in schöne Scheiben schneiden! Oder sollen wir zuerst ihr alles ausreißen und es dir für eine letzte Absamung servieren? Seltsam dabei die von der Aufregung provozierten nur geringfügigen Abwandlungen immer derselben Sauereien. So wie auch bei uns in Europa, in den Slums, wo tätliche Auseinandersetzungen noch häufig zu beobachten sind, die Gegner sich vor dem Kampf meist unentwegt dieselbe einmal glücklich gefundene Insultierung entgegenschleudern, was oft zu geradezu grotesken Situationen führt, grotesk aber nur für die Zuschauer. Die sich anfauchenden Streithähne laden sich dabei offensichtlich mit der nötigen Aggressivität auf und gehen dann aufeinander los wie die Bullen. Aber in Europa hörte ich einmal als allerkrasseste derartig repetierte Beschimpfung ein mir damals fürchterlich ordinär, jetzt aber kaum bemerkenswert erscheinendes: Hosenbrunzer! Hosenbrunzer! Hosenbrunzer! Jedenfalls prägen Umgebung und Situation sehr stark unseren Ausdruck. 242
Die da draußen vor unserem Busch schrien inzwischen schon wieder erbost nach mir: – Na, du Hurenschwein, wirds bald? Je schneller du kommst, umso schneller ist es vorbei! ... Gelächter, der lange schwarze Finger dabei immer in der von zwei anderen zurückgebogen gehaltenen Mhoshibadoonia. Wir lagen alle fünf ganz nahe am Waldrand. Muhammed stand plötzlich auf, hob die Arme und trat ins Freie, indem er den Leuten die ordinärsten Dinge sagte: alles auf Bantu. Er übersetzte es mir später einmal. Man glaubt nicht, daß ein afrikanisches Idiom eine solche Kollektion an Genital-Fäkal-Injurien besitzt - Bantu ist eine alte Kultursprache! Jedenfalls kamen die Genitalien sämtlicher Vorfahren der verblüfft im Fluchen innehaltenden ANC-Leute dabei sehr schlecht und von den grauenvollsten Krankheiten, wie sie nur im Geschlechtsleben Afrikas existieren, zerfressen und verstümmelt davon, abgesehen von der inkriminierenden Anrede, die im »nigger-english« so schön stakkato klingt: – You cock-sucking mother fucking son of a bitsch!!! Zamela reichte mir von hinten meine MP. Noch bevor die sechs sich von ihrer Überraschung erholen konnten – Mhoshibadoonia hatte sich sofort in Muhammeds Arme geworfen – traten wir mit unseren Waffen aus dem Wald. Der Muhammed Nächststehende stürzte sich wie ein geölter Blitz auf jenen, vielleicht um sich seiner als Geisel uns gegenüber zu bedienen. Aber Muhammeds Stiefelspitze fuhr ihm mitten im Sprung an die Kinnspitze und fällte ihn auf der Stelle.
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Ein anderer drehte sich plötzlich um und raste hakenschlagend auf eine Baumgruppe zu. Meli behielt seinen Karabiner an der Hüfte und jagte ihm mitten in einem eleganten Haken eine Garbe in die Brust von hinten. Die übrigen vier hoben langsam die Pfoten. Im Nu waren sie von Muhammed entwaffnet. Mhoshibadoonia suchte behend, nackt und ohne Scham ihre verstreuten Kleider vom Boden zusammen. Dabei stellte sich heraus, daß die wüsten Kerle vorhin ihre Drillichhose total zerfetzt hatten. Meli wußte sofort Rat. Einer der Toten mußte seine Hosen hergeben. Sie war zwar etwas zu lang, da aber alle Drillichhosen unten über den Stiefel fallen, störte das nicht weiter. Eher störte uns, daß wir feststellten: Die ANC trug absolut die gleichen Drilliche wie wir – fatal! Muhammed verlor keine Zeit. Mit ihren Gürteln wurden die Gefangenen an die nahen Bäume geschnallt und trotz der Anwesenheit unserer Damen sofort »befragt«. Was wir ohnehin schon wußten, oder durch die Umstände rasch erfahren hätten, das sagten sie uns sogar bereitwillig: Sie waren eine Patrouille von sieben Mann auf der Suche nach uns. Ihre Wagen standen hinter der Baumgruppe, die der Flüchtende vorhin zu erreichen versucht hatte. Die Straße nach Kasempa sei nicht weit weg. Nein, sonst sei niemand in der Nähe! Marx nahm sein Gewehr und stieß einem der Gefangenen den Lauf in eines der vorquellenden Augen. Der wehrlose Mann erbrach sich und spie den Unflat Marx ins Gesicht, worauf dieser den zu dem immer noch in der ausgeronnenen Augenhöhle steckenden Lauf gehörigen Abzugshahn ruhig und beobachtend drückte. Der 244
Gefesselte zuckte zusammen, sein noch vorhandenes Auge staunte, staunte und staunte... Und als Marx den Gewehrlauf mit einem Ruck aus der anderen Augenhöhle zog, sank der haltlose Oberkörper mit dem immer noch staunenden Auge – er verstand vermutlich Marx' Reaktion nicht, da er ja nicht absichtlich in dessen Gesicht gespien hatte, sondern nur vor Schmerz! – vornüber, klappte mit hängenden Armen über dem ihn an den Baum fixierenden Gürtel zusammen. Die Ehrwürdige Mutter erbrach nun ihrerseits das gestrige Abendessen, und zwar ausgerechnet auf Zamelas Rükken. Zamela saß mit angezogenen Knien, um die sie die Arme geschlungen hatte, vor ihr. Vom Tode des Gefangenen und vom überlangen Glied des anderen fasziniert, bemerkte sie jedoch den kleinen Unfall in ihrem Rücken nicht: Auswurf hat meist exakte Körpertemperatur! Der lange, schwarzblaue Schwanz des nächsten Gefangenen war inzwischen von Meli ins Freie geholt worden, natürlich mit dem Messer, und sollte zu den Auskünften verhelfen, von denen unser Leben vielleicht abhing. Doch schon die Messerspitze, auf einem Ei ein wenig abgestützt, zeitigte den gewünschten Erfolg. Der Mann, er hieß schon wieder Jesus, und man wundert sich, daß das Christentum in Afrika nicht auch faktisch mehr Verbreitung gefunden hat, hatte rechtzeitig erkannt, daß hier jede Verzögerungstaktik unweigerlich mit entschlossener Grausamkeit quittiert würde und zu irreparablen Schäden führen mußte. Mit leicht angebohrtem, lächerlich aus dem von Melis Messer geschnittenen Hosenschlitz hängendem einen Ei neben dem blauen Schwanz, erzählte uns der Gefangene: daß es nördlich von hier auf der Straße KolweziKasempa ein Detachement von ANC-Einheiten gäbe, daß 245
wir bereits in Zambia wären (hurrrraaahhh!!!), daß die ANC hier zwar illegal handle, Zambia dies aber gewöhnlich und in unserem Falle besonders stillschweigend dulde, daß der Zambezi im Westen von uns läge, und daß wir keinerlei Aussichten auf ein Entkommen hätten. Zwischen Zambia und dem Kongo existiere nämlich eine Auslieferungs-Abmachung für Gewaltverbrecher. Das war beinhart, der hatte tatsächlich Mut! Auch kannten die Behörden beider Länder unseren ungefähren Aufenthalt. – Aber nur dann, wenn ihr plaudert, du Arsch mit Ohren! (Meli, sachlich) Muhammed band die beiden schließlich los und bedeutete ihnen abzuhauen. Der eine, dieser Jesus II, verstaute zuerst einmal seine Genitalien, gefolgt von den bedauernden Blicken der auf den Geschmack gekommenen Maria-Agnes. Aber keiner der Gefangenen machte Anstalten, Muhammeds Aufforderung nachzukommen. Sie wußten, daß sie den Schutz der Bäume nicht erreichen würden. Muhammed beobachtete die beiden neugierig. Da ich uns die ganze Scheiße eingebrockt hatte, wollte ich mich nicht einmischen, sah auch gar keine Möglichkeit, etwas für die armen Schweine zu tun, ohne unseren eigenen Untergang damit endgültig zu besiegeln. Doch der glückliche Bewahrer seines gefährdeten Eis ergriff selbst die Initiative: – Ich könnte euch retten, (der Lange, wie nebenbei) Aha!(Meli) – Interessant! (Marx, sein Messer ordentlich verstauend und einen interessierten Blick auf dessen Spuren an der Hose unseres Gefangenen werfend.) – Versuch erst einmal, dich selber zu retten, Hosenscheißer! (Muhammed, hart repetierend)
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– Ja, wenn ihr natürlich nicht wollt! (der gefangene Jesus, sich langsam und schicksalergeben zum Gehen wendend) Da langte Muhammed ihn sich auch schon mit blitzschnellem Griff am Kragen. – Du kommst sofort wieder an den Baum, da wirst du dann schon deutlicher reden. Denk an deine lieben Eierchen! Jetzt griff ich doch ein, und es hätte dazu des auffordernden Blickes unserer Ehrwürdigen Mutter nicht bedurft. – Und wie möchtest du das tun – uns retten? Aber keine Spaße, keine Tricks! Du hast gesehen: Wir spaßen auch nicht. Sofort änderten beide Gefangene ihre Haltung. Man beobachtet das immer wieder: Die Schwarzen sind ebenso grausam bis zum Exzeß wie die weißen Söldner. Aber die Schwarzen verstehen einander selbst in ihrer Grausamkeit. Wir Weiße aber sind die »Affreux«, die Schrecklichen, die »Weißen Riesen«. Unsere Hautfarbe belastet immer noch unsere Beziehungen! – Ich bin aus dieser Gegend, Monsieur! (Jesus II) Das kann in Afrika viel heißen. Eine »Gegend« umfaßt meist riesige Areale vom Ausmaß oft ganz Frankreichs, nicht selten noch mehr. – Ah! Du bist also ein Bantu? – Ja Tuan, ich bin Barotse! – Reiß dich zusammen, du Scheißdreck du, und nenn mich nicht Tuan, verstanden? Wie kommst du überhaupt dazu, Arschloch, verdrehtes, du bist wohl völlig übergeschnappt! – Jawohl, Capitaine, nicht Tuan nennen!
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– Schon gut! Da kommt man in dieses beschissene Afrika, läßt sich den Arsch braten und die Eier sieden und was weiß ich noch alles, einzig und allein um mitzuhelfen, daß endlich Schluß ist mit dieser ganzen chnstlich-imperialistischen Kolonialscheiße, die doch wirklich nur dazu geführt hat, daß es Sahibs, Tuans, Massas und – eben Nigger gibt! Und dann mitten in Afrika das hier! (ich, explodierend) – Jawohl, Capitaine, verstehe! Du willst alle Neger – chssst! (Jesus II, mit der geläufigen Geste des Halsabschneidens) – Dann gibt es nur mehr Tuans, oder Sahibs, oder Massas! -Ach halt's Maul, Mann! Ich wurde tatsächlich ärgerlich über so viel Sturheit. – Es gibt aber sehr viele Neger (Jesus-II, sich auch noch rechtfertigend - sozusagen) – Ich habe ganz etwas anderes sagen wollen, (ich, zu einer längeren belehrenden Erklärung ansetzend) Ein spöttischer Blick der Ehrwürdigen Mutter ließ mich abbrechen. – Wie kannst du uns retten? (ich, nun kurz angebunden) – Ich bin aus der Gegend hier, Capitaine! – Das sagtest du schon. – Ich kenne einen ganz sicheren Ort nicht weit von hier. – Und das wäre? – Ein Kloster! – Ein Kloster? Wie heißt es? (die Ehrwürdige Mutter aufhorchend und das gewohnte »mein Sohn« unterdrückend)
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– Es ist verlassen, seit Jahren schon verlassen. (Jesus II) – Aber es muß doch einen Namen haben! – Es ist »Die Zuflucht zur Heiligen Theresia vom Penis«. (Jesus II, nach konzentriertestem Nachdenken) Anstelle von »Penis« gebrauchte der Bursche einen fürchterlich ordinären Ausdruck wie »bite« oder »zob«, dessen ich mich nicht mehr erinnere – gewisse Wörter wechseln vom aktiven in den passiven Wortschatz über, sobald man sie lange nicht mehr gebraucht. Würde ich das Wort heute hören, wüßte ich natürlich sofort seine Bedeutung. Damals mußte ich jedenfalls herzhaft lachen, als ich die seltsame Bezeichnung des Klosters aus dem Munde dieses Negers hörte, noch dazu so mühsam erinnert und doch ernst vorgebracht: Die Zuflucht zur Heiligen Theresia vom Penis! Auch die Ehrwürdige Mutter war etwas aus dem Konzept geraten und konnte ein verlegenes Schmunzeln nicht ganz unterdrücken. – Bist du sicher, daß das Kloster so heißt? (ich, das Verhör fortsetzend) – Ist doch scheißegal, aber hier müssen wir weg! (Muham-med, mit beachtlicher Sachlichkeit) – Es heißt bestimmt nach der Heiligen Theresia, und dann kommt ein Wort, das ich im Geschichtsunterricht gelesen habe, bei den Griechen, und das Zob oder Penis bedeutet. Ich weiß es bestimmt – irgendein Ausdruck für den männlichen Schwanz! (dieser Jesus, nun auf seinem Wissen über das klassische Altertum beharrend) – Gibt es denn in Afrika niemals irgend etwas ohne Anbetung des Heiligen Phallus?! (ich, ironisch, und mehr zur Ehrwürdigen Mutter gewandt) Diese hatte urplötzlich eine Erleuchtung: 249
– Ich hab's! Es ist die »Zuflucht der Therese de Saint Phalle!« – Ja, genau das ist der Name! (Jesus, triumphierend, daß er die Wahrheit seiner Aussage bestätigt bekam) – Also mehr literarisch als obszön! (ich, zur Ehrwürdigen Mutter und dann zu Jesus:) -Und wo ist es? – Nicht weit, Capitaine! (Jesus, der nun seine Eier behutsam betastete, sich wieder sicher zu fühlen begann) – Hurensohn, wo?! (Muhammed, den armen Jesus in den Arsch tretend) – Ich werde euch hinführen, wenn ihr wollt. (Jesus, gelassen) – Einen Scheißdreck wirst du! (Muhammed, sein Messer lockernd) Doch ich vertraute auf die gute Absicht des Mannes und hielt Muhammed zurück – wieder einmal. Die beiden Gefangenen lieferten uns zuerst noch einen Vertrauensbeweis: Sie gestanden unaufgefordert ein, daß in ihren Landrovern je ein Fahrer zurückgeblieben wäre. Wir sollten nur nachsehen, die Wagen seien bestimmt schon verschwunden. Meli und Moise liefen sofort hinter die bezeichnete Baumgruppe und fanden dort, wie angekündigt, die Spuren zweier Fahrzeuge, von diesen selbst aber war nichts zu sehen. Ich beschieß, den beiden Burschen zu trauen, sie aber vorläufig nicht zu bewaffnen. Sie waren ab jetzt ganz auf sich gestellt, ihre Sicherheit war auch die unsere und umgekehrt. Muhammed aber meinte treuherzig und mit rührender Offenheit, daß wir sie später ja immer noch umlegen könnten...
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Wir brachen also mit je einem neuen Mitfahrer in jedem Wagen auf: Jesus II, der Mann, der perfekt französisch sprach, saß in meinem Wagen. Jean-Baptiste, der ebenso perfekt zu schweigen verstand, und zwar ebenfalls auf französisch, wie sich noch herausstellen sollte, befand sich im anderen bei Marx. Wir hängten ihren Namen gleich kameradschaftlich ein Suffix an, da zufällig beide Namen von Kameraden trugen, die auf diesem Zug zu uns gehört hatten, die vor die Hunde gegangen waren, deren Namen wir also nicht einfach so ohne weiteres auf andere Individuen anwenden wollten. Bei Jesus bot sich, konform mit dem zwischen uns durch die Anwesenheit der Ehrwürdigen Mutter etwas provozierend-lästerhaft gewordenen Umgangston die Nummerierung »II« an, da Jesus II ja tatsächlich auch gleichzeitig gut klingt, damit also gleich mehrere Bedingungen erfüllt: Kürze zum Rufen, angenehmer Klang, Lästerung in freundlichem Sinne! Um uns bei Jean-Baptiste nicht gleich selbst wieder zu imitieren, erhielt er den klassifizierenden Buchstaben »B« angehängt. Da aber der Name Jean-Baptiste ohnehin schon viel zu lange für unseren Gebrauch war, hängten wir das »B« zwar an, kürzten seinen gesamten Namen aber gleichzeitig initialiter ab: Ab sofort hieß er nur mehr »J-B-B« (ausgesprochen: Schebebe), was bei der Riesenlänge dieses schweigsamen Burschen in Anlehnung an die frankophone Form des amerikanischen »baby«, die ja bekanntlich »bebe« lautet, recht komisch wirkte. Dem guten Professor Etiemble mochten sich unseretwegen ruhig die Bürstenhaare noch mehr sträuben!
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Die Steppe wird hier von einer Piste der Art durchquert, die man in Afrika kühn und ohne Hemmungen als »Straße« bezeichnet. Manchmal hat man Mühe, ihren Verlauf genau festzustellen, muß erst stehen bleiben und Spuren der Abnützung am Boden suchen. Manchmal verliert man bei mangelnder Erfahrung diesen Autopfad trotz aller Vorsicht. Uns aber erschien sie als die reinste Autobahn! Wir waren der Piste nun schon einige Stunden gefolgt. Die Sonne stand hoch. Wir wagten nicht, Halt zu machen. Die Gegend war hier viel zu offen. Jesus II meinte auch immer wieder, die Abzweigung zum Kloster wäre bald erreicht, täuschte sich dabei aber ständig. Um meine eventuellen Bedenken zu beschwichtigen, erzählte er mir, daß er in dem phallischen Theresianum zur Schule gegangen sei, dort Französisch, Religion, Orthographie und auch Rechnen gelernt habe, daß er später lange Zeit eine Art Faktotum im Kloster gewesen sei und daß ihn nur seine Neugierde und die ihm im Kloster vermittelte Bildung in den Kongo getrieben hatte, er wollte den Krieg erleben und gut verdienen, (wie herrlich naiv, im Krieg und als Söldner verdienen zu wollen, dazu auch noch gut!). Dort sei er natürlich bei der ANC gelandet. Aber schon lange habe er auf eine Gelegenheit wie diese gewartet (er meinte offenbar die Aktion gegen uns, nicht die Begegnung mit uns!), um wieder abspringen zu können: Der Krieg sei im Grunde doch kein Geschäft! (und wenn, dann ein verdammt schlechtes – für den Söldner jedenfalls) Immer dasselbe Lied: Obwohl die Schwarzen sich über den Rassismus der Weißen beklagen, sind sie selbst noch viel schlimmere Rassisten. 252
Jesus II beispielsweise, den ein europäisches Auge nur dann von einem Matabele – wie die Barotse der großen Bantu-Familie zugehörig und Swaheli sprechend! – zu unterscheiden vermag, wenn es ethnisch geschult ist, dieser, wie sich herausstellen sollte, eher friedliebende, kohlrabenschwarze Jesus II hatte in Katanga ständig unter rassischen Anfeindungen zu leiden! Weil er die Gegend unseres mutmaßlichen Fluchtwegs ausgezeichnet kannte, hatte man ihn dieser Expedition als Ortskundigen mitgegeben. Übrigens war er mit seiner Theorie, daß wir den östlichsten Zufluß des Zambezi, das Bett des Kabompo als Fluchtweg benützen könnten, ziemlich allein gestanden. Doch war das verzeihlich – schließlich hatten wir das nicht einmal selber gewußt! Immerhin, obwohl man uns vor allem und mit einem Riesenaufwand am angolischen Oberlauf des Zambezi suchte, ebenfalls illegal natürlich, denn alles das war ja zambianisches Hoheitsgebiet, schickte man doch noch eine kleine Abteilung mit Jesus II in Richtung Kasempa. Endlich waren wir an der richtigen Abzweigung angelangt, die genau nach Osten führte, hinein in ein immer dichter mit Busch bewachsenes Hügelland. Hier wurde aus der Piste bald ein deutlicher Weg, der allerdings alle Spuren des Verfalls aufwies. Dieser Weg stieg immer mehr an, der Busch wurde von Wald abgelöst, und wir befanden uns schließlich wieder auf einer richtigen Straße. Aus Sicherheitsgründen fuhren wir dicht aufgeschlossen und langsam. Als wir eine größere Hügelkuppe erreichten, verließen wir die Straße und lagerten. Jesus II und J-B-B wurden
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noch einmal gewarnt, daß sie bei der geringsten verdächtigen Bewegung niedergemacht würden. Doch von den zweien war vermutlich nichts zu befürchten. Von unserer Kuppe aus hatte man einen ungewöhnlich guten Fernblick auf ein weites, bewaldetes Hügelland. In der Mitte erhob sich breit und ziemlich hoch eine Art von abgestumpftem Gebirgsstock. Ich stand auf der Motorhaube des Jeeps und betrachtete die Gegend, als Jesus II zu mir trat. Er zeigte mir die nur mehr schwer erkennbare Andeutung einer Hochlandschaft. Das sei die Domäne des Klosters; schwer zugänglich von unten, jedoch weitläufig im eigenen Bereich! Morgen könnten wir leicht hingelangen. Nur wenige Hügelketten und Täler lägen noch zwischen uns und unserem Ziel. Obwohl wir weit in die Vorberge des riesigen Gebirgsstocks vorgestoßen waren, wagten wir es nicht, ein Lagerfeuer anzuzünden. Wieder aßen wir kalt. Ein schmaler, ungewohnter Mond am nördlichen Himmel verbreitete nur spärliches Licht. Zamela wurde von ihren vier Galanen umschwärmt wie ein Marmeladetopf von den Wespen: ebenso emsig, ebenso bedrohlich, ebenso stichbereit! Die Ehrwürdige Mutter saß deckenverhüllt auf einem wärmestrahlenden Stein und hing ihren Gedanken nach. Sie hatte eine MP quer über den pantherbehosten Knien liegen, über deren Magazin das Kreuz mit ihrem Erlöser hing, an den sie anscheinend trotz alledem hier fest und unverzagt glaubte. Wie lange wohl noch?
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Nur unsere zwei Neulinge wußten offensichtlich nicht recht, wie sie sich verhalten sollten: War Zamela vielleicht auch für sie zugänglich? Und Mhoshibadoonia, warum strich sie immer in der Nähe des »Weißen Riesen« herum? Ganz unerklärlich schließlich die Gegenwart der alten Frau mit dem Christen-Kreuz, der Panther-Uniform, den Para-Stiefeln und der Mitraillette! Aber niemand klärte Jesus II und J-B-B auf. So verharrten sie in ihrer unklaren Situation, nicht Fisch, nicht Fleisch, wagten die ganze Nacht kein Auge zu schließen und rührten sich auch sonst nicht, obwohl unser Lager alles andere als ruhig war: Überallhin tragen die Frauen Unruhe und Bewegung!
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15 Der Morgen war kühl und klar, die Sicht aber vom Dunst des Horizonts beschränkt. Nach kurzem Imbiß und mangels Wassers beinahe ohne Toilette rüsteten wir, noch kauend, zum Aufbruch. Marx meinte philosophisch-trocken zu unserem Wassermangel: – Macht auch nichts! Geh' ich halt scheißen, dabei geht mehr Dreck weg als beim Waschen! Die Fahrt ging nun ziemlich flott voran im neuen Morgen. Die Straße, die zwar an manchen Stellen vollständig unpassierbar war, so daß wir weite Umwege über das freie Gelände machen mußten, war im allgemeinen gut. Die vielen Unterbrechungen bewiesen nur, daß sie in den letzten Jahren offensichtlich nicht mehr benützt worden war, was uns nur recht sein konnte. Wir kamen aus einer unbewohnten Gegend auf den Berg und sein vorgelagertes Hügelland zu. Kasempa, eine große Stadt, wie uns Jesus II sagte, lag rechter Hand, im Süden und am Fuße des Gebirgsmassivs vor uns. Als die Hitze trotz des Waldschattens und des Fahrtwindes unerträglich wurde, fanden wir gerade rechtzeitig einen kleinen und sehr klaren Bach. Überhaupt machte die gesamte Gegend auf mich einen europäisch-mediterranen Eindruck. Wir lagerten. An ein Feuer war wegen des Rauches nicht zu denken, obwohl uns Jesus II hoch und heilig versicherte, daß es im Umkreis von hundert Meilen keine Menschenseele gäbe.
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Ich aber dachte an seine dezimierte Einheit und verzichtete lieber auf heißen Kaffee. Unsere Siesta verlief ruhig. Nur das Schrillen und Zirpen unzähliger Insekten erfüllte die Luft und klang in den Ohren. Afrikanische Nachmittage sind frischer als man sie sich vorstellt – besonders nach einer ausgiebigen Siesta. Auch Müdigkeit kann erfrischend sein, in ihrer Auswirkung nämlich! Es hatte sich unser eine ausgelassene Fröhlichkeit bemächtigt, die daher rühren mochte, daß wir uns seit Beginn unserer Expedition zum ersten Male sicher, ja beinahe geborgen fühlten. Eine eigenartige Reaktion darauf war das Benehmen der Männer. Sie legten ihre so ostentativ zur Schau getragene Rauhheit etwas ab, und eine Art rudimentärer Manierlichkeit kam gleich einem übertünchten Anstrich darunter zum Vorschein. Und dann, der Abend neigte sich bereits in die ganz unafrikanisch sanften Täler, standen wir plötzlich vor einem Problem, das wir eigentlich hätten vorhersehen müssen. Meh meldete mir, daß wir nur noch für 50–70 km Sprit besäßen. Jesus II glaubte, daß es bis zum Kloster nur noch Minuten wären, aber Muhammed, der überall eine Falle witterte, war diesbezüglich sehr skeptisch. Wir beschlossen, noch 20 km mit beiden Jeeps zu fahren, sollte das Kloster dann immer noch nicht auftauchen, so würden wir die Expedition mit einem Wagen fortsetzen. Muhammed, der Vitalste unter uns, warf sofort alle soeben aufkeimende Manierlichkeit beim Auftauchen auch nur einer Andeutung von Gefahr wieder ab und meinte zu Jesus II: 257
– Und ihr beide werdet als Marschverpflegung hinten angebunden! – Ich kenne diese Straße zu wenig, ich hatte fast nur in Kasempa zu tun, du verrußtes Arschloch du! (Jesus II, der sich inzwischen einigermaßen eingelebt hatte) Muhammed grinste, knurrte etwas Unverständliches, klopfte Jesus II vertraulich auf die Schulter. – Nur nicht gleich den Mut verlieren, Kleiner, noch steckst du nicht am Spieß! (Muhammed, leutselig) Es war noch eine Stunde bis zur Dunkelheit, als wir ganz unerwartet aus dem Busch auf eine weite Hochebene gelangten, die vor kurzem noch gepflegtes Kulturland gewesen sein mußte. Die Äcker waren verwuchert und das Unkraut verdorrt. Der Busch war zwar schon vorgedrungen, hatte aber noch keine definitiven Schäden angerichtet. Die Weinhänge waren stark verwildert und voll von klein-beerigen, aber sehr süßen, etwas eingetrockneten Trauben. Sie mußten lediglich ausgeschnitten werden. Weit hinten im Atlantischen Ozean würde bald die riesige Sonne versinken, nachdem sie wieder einmal ihr lebenspendendes Vernichtungswerk vollbracht hatte. Vor uns aber, ganz vorne im Osten, erhob sich im Sonnengold ein blauflimmernder Gebirgsstock. Unsere Straße führte schnurgerade auf ein klobiges, weitgestrecktes Bauwerk am Fuße des Berges zu. Unsere Wagen preschten darauf zu und durch den weit offenen Torbogen hinein in den geräumigen Hof. Dort stemmten sie alle vier Räder in den Boden, es kreischte und pfiff, Staub fegte hoch, und fünf verwilderte, bärtige, waffenstarrende Männer mit wildblickenden Augen unter angeschlagenen Helmen sprangen sichernd nach allen Seiten ab.
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Ebenso verwilderte Hühner mit zahlloser Nachkommenschaft flatterten hysterisch überall auf und über den Jeep hinweg, einige Schweine und eine ganze Schafherde attackierten uns, rissen dem lachenden Meli die Beine unterm Leib weg und nahmen über ihn hinweg ihren Fluchtweg durch das Tor. Muhammed erlegte mit grinsendem Hüftschuß einen Jungbock und nahm den Helm ab. – Hier gibt es tatsächlich keinen Menschen! Schon hatten Meli und Marx den Bock mit den Sehnen der Hinterläufe an einen Torbalken genagelt, wozu sie ihre Messer benützten, und aus der aufgeschnittenen Kehle rann das helle Blut über die Halswolle. Sie wischten die beschmierten Hände am Fell des hängenden Bocks ab: Routiniers! – Das gibt heute einen Braten! (Marx fröhlich) – Hoffentlich finden wir noch Wein hier! (Meli) Vielleicht auch Musik gefällig, die Herrn? (Muhammed) – Natürlich, und dazu ein Nackttänzchen Zamelas! (Moise) Ich entdeckte das Skelett eines Hundes an der Kette und begab mich mit Erinnerungen an Herkulaneum ins Haus. Welche Katastrophe hatte wohl hier stattgefunden? Jesus II kam mit, die Ehrwürdige Mutter und Muhammed schlossen sich ebenfalls an. Das Kloster war im pseudo-mittelalterlichen Kreuzfahrerstil erbaut. Schwere Quadern bildeten dicke Mauern, die Fenster glichen Schießscharten, die nach außen viereckigtrichterförmig auseinanderliefen.
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Man bekommt solche Bauten heutzutage lediglich noch als Bühnenbilder zu Wagneropern zu sehen. Alle Eingänge waren gewölbt, die Türen aus schweren Balken gefügt, kreuzgemustert und eisenbeschlagen. Eine Erinnerung an die Kreuznägel vielleicht? – Immer und überall diese scheiß-christlichen Symbole! (Marx) Jesus II führte uns durch die ganze Festung. Es war seltsamerweise alles intakt, wenn man von Vögeln und Spinnen absah, die sich allenorts und mit einem unleugbaren Sinn für Raumnutzung breitgemacht hatten. Der Wein lagerte immer noch seit der Ernte vor drei Jahren im Keller – der Jahrgang war angeschrieben. Die fensterlosen Vorratskammern enthielten immer noch haltbar eingelagerte Lebensmittel. Die Bibliothek war wohlassortiert und nur wenig von den Insekten beschädigt. Die Schlafzellen waren in bestem Zustand, da man anscheinend vor dem Verlassen des Hauses alles getan hatte, um Beschädigungen auszuschließen. Sogar die Roßhaarmatratzen standen zeltartig aufgeklappt in den Betten, Wäsche und Decken dazu lagen ordentlich gestapelt in den Spinden verwahrt. So sah es im ganzen Hause aus. Ob wir die Stallungen durcheilten oder im Werkhaus weilten, überall fanden wir tadellose Ordnung vor, alle nötigen Geräte und eine zum Arbeiten einladende Atmosphäre. Dies war ja immer und überall Merkmal solch geistlicher »Brückenköpfe«. Offenkundig war dieses Kloster mit der Absicht verlassen worden, es bald wieder zu besiedeln. Und wieder standen wir in einer großen Badeanlage, die diesmal aber neben dem geräumigen Gemeinschaftsbecken auch mehrere Einzelbäder umfaßte. Vor allem die 260
Küche war phantastisch eingerichtet. Marx enthüllte uns schamhaft, daß er im Zivilberuf eigentlich Koch wäre und entkräftete Muhammeds Verdacht – daß nämlich das einzige, was er, Marx, zum Kochen zu bringen verstünde, seine Eier zwischen Zamelas Beinen wären – durch eine routiniert an die Stelle des abgenommenen Stahlhelms gestülpte Kochmütze. Das sah zwar ganz passabel aus, wenn ich aber an den Gestank von Marx's Drillich dachte, an dem noch Blut und Speichel vom letzten Zwischenfall krusteten, verging mir der Appetit auf unseren leckeren Bock. Ich schnappte daher aus einem Küchenspind einen ganzen Arm voll Koch-Kleider und winkte Marx, mir zu folgen. Die völlig ungewohnt-friedliche Adjustierung Marxens mit Kochmütze anstelle des netzbespannten Helms und einer blendend-weißen Schürze über dem schmutzstarrenden Panther-Anzug war grotesk. Die anderen folgten neugierig, und wir langten so im Baderaum an, dessen riesiges Becken, wie üblich von einer Quelle gespeist, voll klarem Wasser stand und einen Überlauf zu einer Zisterne besaß, aus der das Wasser für den Garten entnommen wurde. Außer in den Märchen von 1001 Nacht und dem Kloster der Heiligen Maria vom Kreuze hatte ich solche Bäder noch nie erlebt. Das Wasser sehen und in gewohnter Blitzartigkeit handeln, war das Werk eines Augenblicks für meine Männer. Muhammed, der anscheinend auch im Blitz-Striptease unschlagbar war, stand schon pudelnackt neben seinem zerknittert und unglaublich stinkend auf den Fliesen liegenden Kampfanzug, als Zamela noch ihre sich an den widerspenstigen Brüsten spießende Panther-
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bluse auszog. Auch gegenüber Meli hatte er immer noch einen beträchtlichen Vorsprung. Dieser nämlich hatte, im Auskleiden begriffen, vergnügt Zamelas Schwierigkeiten verfolgt und durch die Reaktion in seinen Hosen schließlich selbst Schwierigkeiten beim Ablegen der wenig elastischen und mehr auf Sport bedachten Armee-Unterhosen bekommen. So kam es, daß Muhammed, der im Hineinspringen noch seinen Patronengürtel mit Kiwi mitriß und im Wasser erst umschnallte, daß dieser brutale Riesenboy Muhammed mit fürchterlich hallendem Kampfruf »Uääähhh!!!« als erster im Wasser war, mit hart aufklatschenden Arschbacken. Doch er blieb nicht lange allein! Jeder stürzte sich nun pudelnackt und wassergierig ins Getümmel, und auch ich folgte, nachdem Mhoshibadoonia nackt wie die Heilige Versuchung vom Paradies mitten zwischen meine prustenden, spritzenden, plantschenden, sich gegenseitig untertauchenden, brüllenden, röchelnden, spuckenden, rückenklatschenden, lachenden und mit ihren Schwänzen vor den Mädchen protzenden Männer geflitzt war: Wasser!!! Die Ehrwürdige Mutter gab sich erst alle Mühe, der allgemeinen Heiterkeit mit Würde und Ernst zu begegnen, doch dann konnte sie plötzlich nicht mehr, grinste erst, schüttelte den Kopf über diese Männer, die im Grunde so kindisch und unkompliziert waren, und verschwand schließlich lachend in einer Einzel-Badekabine. Zwischen Muhammed und Meli sollte nun endlich ein alter Streit entschieden werden, und zwar vor allem deshalb, weil Zamela ebenfalls hier als Schiedsrichterin greifbar war. Es ging um die hohe und lebensentscheidende Frage, wem die Ehre des längeren Schwanzes ge262
bühre! Meinen spielverderberischen Einwand, daß Zamela die Qualitäten beider inzwischen ja ausgiebig kennen und offenbar auch schätzen gelernt hätte, jeder Wettstreit also überflüssig geworden wäre, lehnte interessanterweise ausgerechnet Zamela ab. Sie meinte, streng formallogisch, die wahren Längen könne man nur gleichzeitig und mit dem Auge vergleichen! Diese Einfachheit weiblichen Humors habe ich nur bei afrikanischen Mädchen angetroffen – unsere Mädchen sind dazu nicht in der Lage. Eine gewisse Schwierigkeit ergab sich nun, nachdem wir alle um die beiden Muskelprotzen einen interessierten Kreis gebildet hatten, in der Wahl des Maßstabes. Muhammed schlug vor, daß Zamela in Fingerspannen messen sollte. Meli aber, der europäisch erzogen war und Wert darauf legte, dies gelegentlich zu unterstreichen, bestand standhaft auf einem »objektiven« Maßstab. Niemand jedoch konnte oder wollte einen solchen beschaffen. Aber Zamela wußte, praktisch wie alle Frauen, auch hier Rat. Die beiden sollten sich Glied gegen Glied stellen, sie, Zamela, würde dann die beiden gegeneinanderstarrenden Kanonen entsprechend tiefer stellen, aneinanderlegen, Rohr an Rohr, und die längere prämiieren: Einspruch ausgeschlossen! Nach einer kurzen Diskussion darüber, was als »Schwanzwurzel« zu gelten habe, einigte man sich darauf, jeweils einen der Zobs einmal auf den andern zu legen, und zwar so, daß jeder einmal obenauf läge und so am gegnerischen Barte mit der Eichel anstünde: Nur der Sieger wäre dazu fähig! Schon die ganze Zeit überlegte ich krampfhaft, wie ich den Wettstreit abbrechen könnte. 263
Nicht, daß ich etwa prüde gewesen wäre, im Gegenteil, die Sache amüsierte mich mindestens ebenso wie die anderen. Aber ich wollte die schlimmen und unvermeidlich blutigen Folgen einer ebenso unvermeidlichen Ehrenkränkung verhindern. Einer von zwei miteinander verglichenen Gegenständen muß nun einmal auf dieser Welt der kürzere sein! Aber es war schon zu spät! Die beiden Kampfhähne standen sehnig und besprungbereit voreinander. Drohend baumelten ihre Revolvertaschen an den nackten Arschbacken – das war aber auch alles, was da baumelte! Jeder reckte sein Glied noch mehr vor. So näherten sie sich langsam einander. Atemlose Stille! Maria Agnes saß mit aufgeregt an der Oberfläche schwimmenden Brüsten im Wasser, die beiden Kontrahenten in Gesichtshöhe, nahm die beiden Phalli vorsichtig in je eine Hand und führte sie behutsam wie besprochen zusammen. Melis mächtiger Schwengel lag zuerst obenauf und – er stieß tatsächlich tief in Muhammeds rabenschwarze Bauchwolle vor, berührte – was Zamela durch gewissenhaftes Nachfühlen mit der Zeigefingerspitze überprüfte auch vorschriftsmäßig die Haut darunter. Nun war die Reihe an Muhammeds Prügel, obenauf zu liegen. Und: Gott sei Dank! Auch ihm gelang es, die feindliche Bauchhaut durch den ansehnlichen Bart hindurch zu erreichen. Man ist tatsächlich nur einmal so jung und so zum Blödeln aufgelegt, nämlich wenn man eben jung genug dazu ist! Beide erfüllten also, zur staunenden und bewundernden Befriedigung unserer so natürlichen Zamela, die gestellte Be264
dingung, die ich in pädagogischer Assoziation als »Barotse-Maß« bezeichnete – natürlich nur bei mir– indem ich an meine Einschulungs-Tests mit Sechsjährigen dachte, bei denen ich von den Schulanfängern unter anderem auch das sogenannte »Philipinen-Maß« verlangte, welches darin besteht, daß das Kind mit dem linken Arm über den Kopf hinweg sein rechtes Ohr fassen können muß (und vice versa natürlich!). Nur wessen Arm lang genug dafür ist (oder wessen Kopf klein genug!), der ist – nach den behördlichen Vorschriften – schulreif! Nun mußte ich aber Schluß machen, bevor die beiden pari stehenden Kämpen auf neue Wettkampfmöglichkeiten kamen. Ich riß also einige Spinde auf, fand endlich die Seifenvorräte und warf jedem im Becken ein Stück davon zu. Schaum wirkt überall beruhigend, dachte ich. Aber, erstens kommt es anders ... Man seifte erst einmal sich selbst kräftig ein, dann die Rücken der anderen, ließ sich selbst den Rücken seifen, wollte die Mädchen schließlich dort einseifen, wo sie ohnehin selbst leicht hinlangten, und träumte auch selbst von viel geschlagenem Seifenschaum an sich, den die Hände der Mädchen erzeugen sollten. Natürlich auch ausgerechnet dort, wo man selbst zu faul war, Schaum zu schlagen! Bevor das Becken aber überzuschäumen begann, griff ich wieder zum bewährten und einzig wirksamen Mittel: Alarm! – Das Tor! Das Tor! Verdammte Scheiße! Mit diesem Schrei riß ich meine MP von der Wand, wohin wir alle unsere Waffen bis auf die wasserdichten Kiwis gehängt hatten, und raste pudelnackt wie ich war aus dem Baderaum, durch den langen Gang, hinaus in 265
den stockfinsteren Hof– wo es auch prompt knallte. Na, das war eine schöne Überraschung! Ich warf mich hinter eine der Stiegenmauern und gab vorsichtshalber einige Schüsse gegen das sperrangelweit offene Tor ab. – Gottverfluchte Hurenscheiße, blutige! Schwanzmessen und dabei das Tor offen lassen, Arschlöcher, vermaledeite! (ich, leise und verärgert zu mir selber) Die anderen kamen und kamen nicht, obwohl sie das Geknalle doch unbedingt hören mußten. Dafür klatschten nun gleich drei Feuerstöße an die Wand, hinter der ich lag. Und immer noch kamen diese verhurten Idioten nicht daher! Stattdessen kam mir ein blöder Verdacht. Ich rief, anstatt zurückzuknallen, leise »Muhammed« ! Und sofort antwortete mir dieser, und zwar genau von dort, woher das Feuer gekommen war. – Arschloch, hast du auf mich gefeuert? – Nein, Capitaine, wir alle! Ein Irrtum also nur. Sie hatten im Hinausstürzen einen näheren Ausgang in den Hof benützt. Wir verriegelten nun das gewaltige Tor und kehrten ins Bad zurück, wo wir unsere Mädchen ernüchtert unter den Fittichen der Ehrwürdigen Mutter vorfanden, bewaffnet mit ihrem ganzen Charme – aber auch mit scharf geladenen Gewehren und bereit, sich ihrer hübschen Haut zu wehren. Unsere diversen »Deckungssprünge-vorwärts« hatten uns wieder badereif gemacht. Nachdem die Oberin aber ihre Novizinnen entführt hatte, blieb es bei unflätigen Männerscherzen. Die appetitlich gebadeten Damen bereiteten inzwischen die Küche vor, und Marx, unser Nobel-Koch, hatte als erstes dafür 266
zu sorgen, daß unser Schafbock fachgerecht auf den Spieß käme. Ich aber schnappte mir noch rechtzeitig den Zamela beschleichenden aufgekratzten Muhammed, winkte ihm, seinen Helm überzustülpen, tat dasselbe und verließ mit ihm das Kloster. Nachdenklich durchquerten wir den wie ein Friedhof im spärlichen Mondschein und im tiefen Schatten der hohen Mauer liegenden Hof, öffneten knarrend und quietschend mit schußbereiten MP's das Tor, zogen es hinter uns wieder zu und blieben vorerst einmal darangelehnt stehen. Nachdem unsere Augen sich an den Mondschein gewöhnt, und wir uns einigermaßen orientiert hatten, ging Muhammed ins Haus zurück und holte Meli, damit er hinter uns abschlösse. Er sollte während unserer Abwesenheit die Wache übernehmen. Vor uns breitete sich das im Mondschein beinahe vollständig zu überblickende Hochland. Das schwache Licht bewirkte gleichsam eine übersichtliche Einteilung des Ackerlandes: Die Weinbestände hoben sich deutlich von den Obstpflanzungen ab, die wiederum ganz anders strukturiert waren als das Brachland. Etwas im Norden erhob sich ein baumbestandener Hügel. Ich deutete dort hinüber, und wir trennten uns. Muhammed machte die westliche, ich die östliche Runde. Wir waren nur leicht bewaffnet. Außer Kiwi und Messer hatten wir bloß noch unsere MP's mitgenommen... Ich folgte einem verwilderten Acker etwa 250 Schritte nach Osten und lief dann der Ackerfurche nach genau auf den verabredeten Hügel zu. Gelegentlich hielt ich an und lauschte. Nur Insekten und andere Tiere waren zu hören. 267
Das Kloster lag als massiger Schatten wie unbewohnt da, das Kerzenlicht war durch die dichten, frisch aufgehängten Vorhänge nicht wahrnehmbar. Aber den Geruch des Feuers, des gespießten Bockes sogar, den roch ich deutlich, und als ich den Kamin längere Zeit im Auge behielt, bemerkte ich nicht nur den Rauch, sondern nahm auch gelegentliche Funken wahr, die weit hinaufwirbelten in den sternbetanzten schwarzen Samthimmel Afrikas. Langsam stieg das Gelände an. Ich folgte nun einem zwischen Weingärten hindurchführenden, fast völlig zugewachsenen Weg, immer auf die Hügelkuppe zu. Da vernahm ich ein eigenartiges Geräusch, so als zöge in der Nähe, hinter dem nächsten Weingarten etwa, vorsichtig ein größerer Trupp Soldaten in Richtung Kloster vorbei. Da der Wein unmöglich lautlos zu durchqueren war, kehrte ich rasch um bis zum Beginn der Weinpflanzung und folgte ihrem linken Rande, dem immer noch andauernden Geräusch entgegen. Das letzte Stück vor dem östlichen Rand des Weingartens legte ich klassisch und vorschriftsmäßig zurück: robbend mit der MP in den Armbeugen – man kann sich nicht vorstellen, was für ein unbequemes Luder so eine MP sein kann! Dann dehnte sich endlich vor mir eine weite Wiese im Mondschein, an den sich meine Augen inzwischen vollkommen gewöhnt hatten. Aber was war? Ich schüttelte den Kopf, grinste in mich hinein (eine Geste übrigens, die ich bei diesem Unternehmen drauf und dran war völlig zu verlernen) und schob den Helm ein wenig ins Genick, um den sich bietenden Anblick besser genießen zu können:
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Vor mir weideten Hunderte fettgemästeter Schafe! Immer schön in Herden von etwa 40 bis 60 Tieren unterteilt, die miteinander jeweils eine gemeinsame Weidebewegung mit dicht zusammengesteckten Köpfen einhielten. Alle Herden aber, ob sie nun auf einem Haufen beisammen waren, zu einer langen Reihe ausgezogen oder in kleine Gruppen unterteilt, alle diese Tiere hielten ebenfalls eine gemeinsame Richtung ein, trotz aller verschiedenen Einzel- und Herdenbestrebungen: hügelan! Immer und überall weiden Schafe hügelan. Ich überschlug rasch die Anzahl der hier grasenden Mahlzeiten und errechnete zum Spaß, daß wir allein von den Schafen Jahre hier leben könnten. Da kam auch Muhammed, vom selben Geräusch gelockt, bei mir an. Dieses bedrohliche Knistern entstand beim Rupfen der Krauter, Gräser und anderer holzigdürrer Stengel. – Hier brauchen wir nur weiterzumachen! (ich, träumerisch) – Ich hoffe, du vergißt nicht, daß wir keine Bauern sind! (Muhammed, an seinem Drillich hinunterblickend und mir dessen panther- und sonstwie fleckigen Ärmel mit der afrikanischen Vorliebe für Symbolik zum Beschnuppern unter die Nase haltend, als sollte mich der Schweiß- und Strapazengestank in die Wirklichkeit zurückholen). – Aber wir müssen irgendwie leben ... (ich, ohne sonderliche Überzeugung) – Wir leben davon! Er klopfte hart auf den Schaft seiner Mitraillette. Jetzt kam Unruhe in die Tiere, ein paar hoben die Köpfe zu uns her, und erst nach einigem scheuen Gelaufe und viel Platzwechsel beruhigten sich die Herden wieder. In Afri269
ka noch mehr als in Europa müssen die Schafe die Nächte zum Weiden nützen. Die Tage sind zu heiß. Ich gab Muhammed mit dem Kopf ein Zeichen, und lautlos kehrten wir um, stiegen den Hügel hinauf. Vielleicht hatte Muhammed recht? Vielleicht war es diesen Männern wirklich nicht möglich, hier das verlassene Werk wieder aufzunehmen. Es war ja auch nur so eine momentane Idee von mir gewesen. Und dennoch, sie reizte mich gerade wegen ihrer Pervertiertheit: Warum sollten nicht auch Söldner zur Bauernarbeit fähig sein? Ich nahm die Herausforderung dieses Einfalls auf, obwohl ich mir seiner Tödlichkeit sofort völlig bewußt war. Zufällig verstand ich ein wenig von Landwirtschaft – schließlich stammte ich von einem Bergbauern ab, hatte das Fach sogar etwas studiert. Aber wenn ich an den Mont de l'Espérance dachte ... Nein, dafür waren wir wirklich nicht ausgebildet worden! Und dennoch! Die Sache wäre jedenfalls ungewöhnlich, mindestens ebenso ungewöhnlich wie unser famoser Rückzug aus Kasagi. Ausgerechnet Schafe! Es reizte mich, wieder einmal aufzubauen, nach soviel Zerstörung. – Aber vielleicht ist es sogar notwendig, daß wir hier untertauchen: Die Männer brauchen den Kampf oder die Arbeit. Sie sind nicht wie du! (Muhammed, gleichsam meine Gedanken erratend) – Wie bin ich denn?
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– Du brauchst den Kampf nicht unbedingt, eher die Abwechslung. Du denkst. – Ich bin aber nicht zum Denken auf den Mont de L'Esperance gekommen! – Deine Sache, Capitaine! Aber es ist gefährlich, aus den Männern Bauern zu machen! – Nicht gefährlicher, als sich zu Fuß durch ein feindliches Afrika zu schlagen! (ich, beharrlich) – Wir nehmen, so wie wir zur Zeit in Form sind, die Garnison von Kasempa ganz bestimmt. Dann sind wir wieder mit allem ausgerüstet, um die paar lumpigen Meilen nach Angola zu schaffen. (Muhammed, schon wieder übertrieben optimistisch) –Ja, mit zerbeultem Jeep ohne Benzin durch trockene Flußbetten und unwegsamen Busch! (ich, seinen Optimismus herausfordernd) – Vielleicht gibt's ein Flugzeug in Kasempa? (Muhammed, mich übertrumpfend) – Warum nicht gleich den Zug nehmen – vielleicht Schlafwagen? – Hier müssen wir jedenfalls weg, sobald wir uns erholt haben. Das sieht ein Blinder! Und ohne Brille! (Muhammed, eindringlich) – Ohne einen Tropfen Benzin und mit beschädigten Wagen? (ich, unnachgiebig) – Charles, ich weiß genau, was kommt, wenn wir bleiben! (Muhammed, nun prophetisch) – Kein Mensch will ewig hier bleiben! (ich, von Muhammed sofort unterbrochen) – Doch, die Ehrwürdige Mutter, und diese heilige Madame hat dich auch schon infiziert – ohne auch nur ein einziges Wort auszusprechen!
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– Aber unsere Chancen steigen doch wirklich, wenn wir bleiben. Sie wachsen mit dem Gras, das wir über die ganze Angelegenheit Kasagi wachsen lassen! (ich, beharrlich) – Es ist zu heiß hier. Es wächst kein Gras! (Muhammed, ebenfalls gleichnishaft) – Allein diese Herde hier reicht für zwei Jahre und mehr! (ich, einem alten Traume nachhängend) – Ja, mit viel Beilagen. Und in Kasempa ist sicher ein günstiger Markt für die Wolle! (Muhammed, zynisch werdend) Wir waren oben. Von hier aus mußte man am Tage die ganze Domäne überblicken können. Lange saßen wir vor einem Geräteschuppen, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. – Wahrscheinlich aber hast du recht! Es dürfte besser sein, auf einem selbstgestopften Strohsack immer bei dem gleichen Weib zu liegen (oder wenigstens die meiste Zeit), Maiskuchen oder ebenso trockenes Tapioka zu fressen, bis es einem bei den Ohren herausstaubt, Schafe zu scheren und seine Kinder damit zu kleiden. Das ist vermutlich besser, als im Dreck zu liegen, mit irgendwelchen Schlampen herumzuhuren und sich den Arsch aufreißen zu lassen für ein paar lumpige Dollars und fremde Interessen. Wenn ich's genau überlege, dann kämpfen wir hier in Afrika im Grunde ja nur darum: um diesen eigenen Strohsack, das vorher herausgedroschene Brot, die darauf liegende Frau und die Kleider für die mit ihr gemachten Kinder. Verdammte Hurenscheiße! Ist das denn wirklich zuviel verlangt? Im zwanzigsten Jahrhundert! (Muhammed, nun selbst meinem Einfall zuneigend)
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– Allerdings! Nur leben wir nicht mehr im Zeitalter der selbstgestopften Strohsäcke! – Aber immer noch im Zeitalter der selbstgemachten Kinder, oder?! – Das schon! Aber ihr werdet euch wie alle Welt daran gewöhnen und dazu bequemen müssen, wie wir zu leben – oder ihr werdet alle ins Gras beißen – oder was sonst eben gerade wächst! (ich, ziemlich barsch) – Und wie lebt ihr denn? – Ihr werdet beispielsweise eure grindigen Kinder schön brav, wie es sich gehört, auf Federkernmatratzen herstellen! – Und warum das? – Ich weiß schon, Strohsäcke sind härter, was beim Kindermachen angenehmer ist. Aber die Wirtschaft will nun einmal partout auch vom Vögeln noch profitieren. Eure Zukunft hängt aber nun einmal vom Aufbau einer gesunden und lebensfähigen Wirtschaft ab, die dann diesen euren auf Federkernmatratzen hergestellten Bälgern wieder Arbeitsplätze bieten kann! – In Federkernmatratzen-Fabriken? – Verdammtnocheinmal ja! Außerdem frißt heute kein ordentlicher industrialisierter Mensch mehr Mais und Tapioka! – Aber das soll doch so gut sein. Für die Zähne und für die Brüste und auch für die Wampe! Schont sogar das Arschloch beim Scheißen, Capitaine! – Eben, du Rindvieh! Und wovon sollen eure Ärzte leben, nach denen ihr so lauthals schreit? Und wem sollen eure beschissenen Fabriken die feinen, giftigen Lebensmittel verkaufen? Du siehst, du Hornochse, so einfach ist das nicht mit unserer großartigen Zivilisation, (ich, ihn absichtlich etwas aufstachelnd) 273
-Wir könnten es zumindest probieren. Allmächtige Totgeburt, blutverschmierte! Und mit diesem Ausruf sprang er ekstatisch auf und tanzte im Mondschein. Ich hatte Muhammed noch nie derart erregt gesehen. Dann beruhigte er sich plötzlich, prüfte Helm und Waffen. – Du hast doch recht. Wir werden es versuchen. Wir werden Schafe züchten und Kinder machen, wir werden gewaltige, fette Hammel fressen, unsere Weiber und Bälger mästen und den Wein aus Eimern saufen. Ahhh! Ich sehe uns schon Wagenladungen von Wolle nach Kasempa fahren! (Muhammed, enthusiastisch) – Na klar! Und oben auf der Wolle du, Marx und Meli in voller Ausrüstung als Begleitschutz – zwecks Erzielung von Höchstpreisen! (ich, hämisch) – Wenn schon nicht Gras, so soll eben Wolle über die »Affaire-Kasagi« wachsen. Ich scheiße auf den ganzen Mist! Wie war ich doch verbohrt! Aber jetzt weiß ich auf einmal ganz genau, was ich will – zumindest für die nächste Zeit! (Muhammed, nicht mehr zu bremsen) – Und das wäre präzise? (ich, neugierig) – Wolle! Ganze Berge von Wolle, Capitaine! (Muhammed, salutierend) Wir stiegen hinab zum Kloster, schweigsam, nachdenklich, von Plänen bewegt. Und seltsam, Muhammeds Traum von der Wolle war im Grunde auch meiner. Dennoch aber variierte ich plötzlich ohne Zusammenhang Muhammeds Worte: – Vorsicht! Trotz allem: Wir sind keine Bauern! – Aber wir können alles, was sie können, und noch etwas mehr! (Muhammed, jetzt er unnachgiebig) 274
– Ja, viel länger auf einer Frau liegenbleiben! (ich, lästernd) Im Tor stand schon Melis Schatten und hielt nach uns Ausschau. Er sah etwas fremd aus, dieser Schatten, unserem Meli eigentlich nur entfernt ähnlich, so wie ein Soldat mit Helm dem anderen Soldaten mit Helm in der Dunkelheit ähnlich sieht. Das Bad! Wir waren sehr lange ausgeblieben. Er stand da, den Karabiner lässig in der linken Armbeuge, den Helmgurt nicht minder lässig am Adamsapfel baumeln lassend, einen heimelig in der stockfinsteren Dunkelheit des Mauerschattens glimmenden Zigarrenstummel im Mundwinkel ... Ein Bild des ewigen, wacheschiebenden Söldners! Er nahm den Glimmstengel aus dem grinsenden Maul, fuhr Muhammed damit unter der Nase vorbei, beinahe wie ein Kenner es mit der noch kalten Zigarre bei der Auswahl macht: – Diese hochwürdigen Vorgängerinnen unserer Ehrwürdigsten aller Ehrwürdigen Mütter, ich sage euch, die haben keinen Schlechten geraucht! Muhammed öffnete seine Nüstern weit, es gelang ihm jedoch nicht, mehr als einige kräuselnde Rauchfähnchen zu inhalieren. Aber Meli war großzügig, griff in seine Brusttasche und reichte uns gleich eine Handvoll Zigarren. – Hoho! Ich scheiß mich an! Direkt aus Kuba! (ich, vor Überraschung trotz Hochstimmung wieder in den üblichen Söldner-Jargon verfallend) – Und das unter einem so christlichen Dache! Das ist ja beinahe schon Kollaboration! Wenn das der gute On275
kel Nkumbula wüßte! (Muhammed, mit politischem Wissen protzend) –Vielleicht hat er es gewußt, vielleicht ist gerade deshalb hier alles so gespenstisch leer?! (ich, nachdenklich) Wieso? Hat Nkumbula etwas gegen Castro? (Meli, gekonnt eine Unschuldspointe setzend) – Vielleicht nicht gerade gegen Castro, aber gegen dessen Politik! (Muhammed, genüßlich seine Zigarre rauchend) – Immerhin Hoyo de Monterrey / Flor Selecdonada! Das ist schon was! Kommt direkt aus Habana! (ich, dumm wie jeder Europäer, der nach langen AfrikaStrapazen plötzlich mit etwas Vertrautem aus den Tagen seiner europäischen »Überlegenheit« konfrontiert wird) Wir verriegelten das Tor sorgfältig von innen. Die beiden Jeeps hatten Moise und Meli bereits kampfmäßig im Hof postiert, ihre Kanonen waren mit frischen Gurten versehen. Eine hohe, starke Mauer schirmte uns, und draußen weideten Schafe... Wir konnten also getrost zum Gelage schreiten. Schon als ich ins Haus kam, fiel mir etwas auf, ich wußte nicht recht zu sagen, was es wäre. Allerdings bemerkte ich sehr wohl die neugierig auf mich gerichteten Augen dieses seltsam-fremden Meli. Muhammed und ich folgten ihm gespannt durch den langen Gang. Auch Muhammed verspürte die eigenartige Spannung. Am Baderaum vorbei, ums Eck zum Refektorium. Der Gang war von Kerzen beleuchtet, die in Haltern steckten, welche ihrerseits in der Wand befestigt waren. Dies erweckte in mir eine seltsame Erinnerung an gewachste Fußböden, Weihnachten und Hasenbraten. Der unsagbar leckere Duft des Bocks war immer deutlicher zu spüren, und plötzlich wußte ich es: Diese Ruhe! Es 276
war unheimlich ruhig, viel ruhiger noch als jede Vorstellung von absoluter Ruhe sein konnte. Und dann das seltsame Benehmen Melis! Ein kurioser Verdacht tauchte in mir auf, und hinter Melis Rücken begegnete ich dem fragenden Blick Muhammeds, verbunden mit einer Kopfbewegung auf Meli hin. Mit den Augenlidern antwortete ich: Ja! Meli trug seinen Karabiner sorglos in der Beuge des linken Arms – zu sorglos offenbar! Aber das Licht war schwach, und der Helm beschattete seine Züge. Er ging unvorsichtigerweise zwischen uns. Führte er uns vielleicht wie Hammel zur Schlachtbank? Ich nickte Muhammed zu, der rechts ging, und schon flog Meli über dessen Bein, hatte ich sein Gewehr in der Hand und auf ihn gerichtet, Muhammed ihm einen Arm auf den Rücken gedreht und gleichzeitig das Messer an die Gurgel gesetzt. Wir waren eben vor dem Refektorium angelangt. – So, Freundchen, wer bist du, daß du uns für solche Arschlöcher hältst, daß. .. (angefangener Satz Muhammeds, leise gezischt) – He, Vorsicht, Weiberarsch, ausgewerkelter, marinierter! (Meli, ganz offensichtlich empört und überrascht) Da flog auch schon die Türe des Refektoriums auf, Licht flutete heraus, blendete uns. – Unverbesserliche Flegel! Was soll der Lärm? Ein bißchen mehr Manieren! Eine kurze Andacht würde auch Ihnen nicht schaden, Capitaine! (die Ehrwürdige Mutter, aus dem Tischgebet aufgestört) – Gottvermaledeite Pfaffenscheiße! (Muhammed, sein Messer gebückt im Stiefel verstauend und mit der anderen Hand Meli entschuldigend vom Boden aufhelfend) Dachte tatsächlich an eine Falle, da ihr doch sonst immer solchen Krach produziert 277
– Was ist denn heute los? (ich, konsterniert) – Vorsicht, Capitaine, diese Ehrwürdige Mutter ist plötzlich wie ausgewechselt, als wäre der leibhaftige Teufel in sie gefahren! (der befremdlich saubergeschrubbte Meli, mir ins Ohr flüsternd) Wir traten ein. Der Anblick hier war allerdings so grotesk, daß ich glaubte zu träumen. Ja, war denn das die Möglichkeit?! Moise, Jesus II und J-B-B saßen ohne Stiefel und sauber gekämmt an einer mit Porzellan, Kristallglas und Silberbesteck gedeckten weißen Tafel. Mhoshibadoonia und Zamela saßen in braunen Klosterkutten weitab und vis-a-vis von ihnen, links und rechts von einem erhöhten Stuhl, der ganz offenbar mir, dem Anführer dieses komisch geschniegelten Sauhaufens zugedacht war. Am Tischende harrte Marx in perfekter KochKleidung, hatte einen stummen Diener mit Schüsseln, Kasserollen und seltsamen Geräten vor sich, zog ein hochmütigeres Gesicht als der Oberkellner des Hilton in Saint-Tropez und wartete offenkundig ungeduldig darauf, endlich die Ergebnisse seiner Kochkünste auftragen zu können. – Verdammter, angesäuerter Scheißdreck! Und dazu gehe ich nach Afrika – ausgerechnet nach Afrika! (ich, halblaut meinen Gesamteindruck der Szenerie resümierend) Muhammed sah mich an. Ich zuckte die Schultern und sah Meli an. Dieser zuckte nun seinerseits ebenfalls die Schultern. Da blickte ich die Ehrwürdige Mutter an, so streng ich konnte. Diese aber schaute ungerührt und auffordernd auf unsere schmutzstarrenden Stiefel.
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Meli bückte sich auch prompt zu seinen Schuhen hinunter, doch da packte ihn Muhammed auf meinen auffordernden Blick hin beim speckigen Kragen, richtete ihn wieder hoch, und alle drei gingen wir, gestiefelt und gespornt, mit Schafdreck an den Sohlen, auf den Tisch zu. Ich ließ mich besonders brutal in den erhöhten breiten Stuhl zwischen den Mädchen fallen, um die Stimmung durch meine Rüdheit wieder etwas zu beleben, den Frontalangriff der Ehrwürdigen Mutter auf meine Leute sofort zurückzuschlagen. Aber dieser beschissene Heilige Stuhl war nicht gepolstert und so verstauchte ich mir beinahe die Wirbelsäule dabei. Muhammed und Meli nahmen grinsend neben den beiden Mädchen Platz, von denen die eine, welche meiner Mhoshibadoonia immer noch etwas ähnlich sah, sich zu mir beugte und mir flüsternd bedeutete, daß ich den Stuhl der Ehrwürdigen Mutter okkupiert hätte. Ich nickte zum Zeichen, daß mir das nur recht wäre und blieb fest und breit sitzen, während ich die pompös gestickte Serviette über meine schmutzstarrende Drillichhose breitete – noch eine Verrücktheit dieses Abendessens. Dann nahm ich geziert den silbernen Suppenlöffel und klopfte dann an den Tellerrand, obwohl es ohnehin tödlich still war. Die Ehrwürdige Mutter nahm nun notgedrungen mir gegenüber neben dem pudelgescheitelten Moise Platz. Nun erhob ich mich und hielt ungefähr folgende beispielhaft nichtssagende Tischrede: – Männer, wir haben einen Todesmarsch heil hinter uns gebracht. Der Teufel hatte uns einige Male schon richtig beim Schwanz gehabt, wie wir gerne sagen, bekam uns aber eben sonst nirgendwo zu fassen.
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Männer, ich war zufrieden mit euch, hoffentlich wart ihr es auch mit mir (meine Geste unterdrückte hier a priori die zu erwartende Zustimmung – wie gute Volksredner dies eben immer tun) Wir haben hier einen Hafen der Erholung, vielleicht sogar der Sicherheit erreicht. Heute sollt ihr endlich wieder einmal nach Herzenslust fressen und saufen, es euch so recht gut gehen lassen. Kurz: Heute sollt ihr euch wieder einmal als zivilisierte Menschen fühlen können! Morgen werden wir unsere Lage besprechen. Heute aber, wie gesagt... Verflucht nochmal, ich kann schon gar nicht mehr zählen, seit wievielen Tagen wieder, bekommen wir endlich einmal eine ordentliche Mahlzeit! Eßt und trinkt, von mir aus auch freßt und sauft euch an (Räuspern der Ehrwürdigen Mutter, Kichern der vermummten Zamela, Kniekontakt der Zustimmung mit Mhoshibadoonia), macht, was euch Spaß macht, aber schaut zu, daß euch der Teufel, dem ihr bisher entwischt seid, nicht hier zu fassen kriegt! Ihr kennt unseren Wahlspruch: Am Schwänze hat er uns ohnehin ständig!... Hier erhob ich mein volles Glas, meine Männer taten dasselbe. Der Bann war endgültig gebrochen, und laut im Chor beendeten sie – sehr zum Mißvergnügen unserer Ehrwürdigen Mutter– den von mir intonierten Toast: – Aber die Eier, um die muß er kämpfen! Die Ehrwürdige Mutter stellte sachlich fest, daß ich ihr mit meiner Bärbeißigkeit (sie sagte tatsächlich »Bärbeißigkeit«, als wäre ich ein preußischer General!) alle ihre schönen Vorbereitungen verdorben, die von ihr angestrebte Stimmung der Besinnlichkeit, wie sie an solchem Orte und nach solcher Fahrt sehr wohl am Platze wäre, in ihr gerades Gegenteil verkehrt hätte, und daß sie mich manchmal einfach beim 280
besten Willen nicht verstehen könne. Ich stritt das, übrigens sehr humorvoll, rundweg ab und ließ mir von Marx eine Keule servieren. Unvorstellbar für mich, daß es die Männer mit diesem Duft in der Nase so lange ausgehalten hatten, ohne auch nur aufzumucken. Sie, die gewohnt waren, zuzugreifen, wo es sie lockte. Alle Achtung: eine teuflische Ehrwürdige Mutter, vor der man sich würde vorsehen müssen! Aber jetzt war es doch endlich soweit. Muhammed, der keinen Grund sah, von seinen Gewohnheiten hier abzugehen, griff sich vom Wagen des auf dem Wege zur Ehrwürdigen Mutter an ihm vorüberfahrenden Marx ein kräftiges Rippenstück und begann, es mit seinen blendendweißen Raubtierzähnen zu zerfetzen. Moise, der schon so elegant gescheitelt war wie ein Pudel, wollte es unbedingt mit Messer und Gabel versuchen, ein Unternehmen, dem ich amüsiert zusah. Aber, gewitzt durch die Erfahrungen im Kloster der Heiligen Maria vom Kreuze, und beruhigt durch die ausreichende Menge des Bratens, wurden diesmal Tischunfälle vorderhand vermieden. Allerdings nur vorläufig, denn die Kerle gossen den Wein hinunter wie Bier, obwohl sie nach den vergangenen Strapazen nicht einmal dieses in solchen Mengen vertragen hätten. Die Wirkung wurde jedoch vorläufig durch das fette Schaffleisch stark gebremst, was zu immer sorgloserem Trinken verleitete. Bald jedoch zeigten sich die ersten Folgen. Moise fuhr sich plötzlich mit trotz Messer und Gabel fettriefenden Händen ostentativ durch sein gescheiteltes Kraushaar, bis es sich wieder wollig und wie gewohnt am Schädel lockte. Dabei hatte er leider mit seinem Ellbogen das hohe Kristallglas der Ehrwürdigen Mutter umgestoßen, dessen rubinfarbener Inhalt sich aufspritzend über die blüten281
weiße, gestärkte Hemdbrust der Schwester Oberin verteilte, an ihren mageren Brüsten hinabfloß und in ihrem Schoße eine große Lache bildete. Moise, dieses Ungeschick recht ungeschickt wieder gutmachen wollend, wischte mit seinen immer noch fettigen Händen die Tropfen von der ehrwürdigen Mutterbrust, ja versuchte sogar in linkischer Zuvorkommenheit, den verschütteten Wein aus dem mütterlichen Schöße, frischgestärkt und daher waterproof, zu trinken, was die Oberin aber verhindern wollte, indem sie ihren Stuhl zurückschob. Dadurch aber fiel der gute Moise kopfüber zu Boden, daß es nur so krachte, das heißt, um es genau zu sagen: Sein Schädel krachte auf den Boden! Torkelnd kam er unter dem Tisch hoch, stützte sich schwer auf diesen, stierte blöde um sich, wischte vergeblich mit der freien Hand einen imaginären Schleier von den ihm trüb scheinenden Augen, schüttelte sich wie ein Bär, nahm nun die andere Hand noch zu Hilfe, die er aber dringend gebraucht hätte, um sein schwankendes Gleichgewicht zu bewahren. So verlor er denn neuerdings seinen Halt und suchte denselben bei der entsetzten Ehrwürdigen Mutter, der er kurzerhand um den Hals fiel. Beide gingen wie Ringer zu Boden, und wälzten sich dort umher. Wir alle hatten bisher gespannt, aber dennoch an diversen Knochen nagend und weiterkauend, dem elementaren Ereignis zugesehen. Nun standen wir aber auf, folgten lachend, anfeuernd, schreiend und wettend dem ungleichen Kampf: Wird er oder wird er nicht? Das war hier die Frage. Diese allgemeine Anfeuerung brachte Moise jedoch nur auf die völlig abstruse Idee, es wäre Zamela, mit der er sich am Boden wälzte, und er begann, die Ehrwürdige Mutter gekonnt und so flott, als wäre er nüchtern, auszuklei282
den, für eine öffentliche Bespringung vorzubereiten. Offensichtlich war er völlig von Sinnen. Die Oberin wehrte sich mit dem Löwenmute der Verzweiflung, wäre aber wohl dennoch unterlegen, hätte ich nicht Muhammed und Marx gewinkt, die Sache zu beenden, was sie nur widerwillig taten. Sie rissen den rasenden Moise von der schon halbentkleideten Ehrwürdigen Mutter, die hastig sogleich Brust und sonstige Blößen wieder zu bedecken begann. Moise saß erst wie betäubt da und stierte vor sich hin, dann plötzlich langte er sich von irgendwoher einen Fetzen Fleisch und kaute daran, als wäre nichts geschehen. Muhammed wollte die kurze Abwesenheit der kleiderwechselnden Oberin nützen, um Zamela schnell ein wenig auf den hübschen Leib zu rücken. Meli und Marx gaben dies jedoch nicht zu. Beide ließen Speise und Trank fahren und machten Muhammed sein Vorhaben unmöglich. Auch Jesus II und J-B-B waren ihres unfreiwilligen Zölibats nun endgültig überdrüssig und warben heftigst um Mitgliedschaft im eigentlich geschlossenen Zamela-Club. Meli war es schließlich, der großzügig vorschlug, Zamela solle eine große Show abziehen, mit Tanz, Striptease und so! Zamela, die man erst über den Begriff Striptease aufklären mußte, hatte nichts dagegen. Als die Ehrwürdige Mutter zurückkam, brannte im Refektorium nur mehr eine einzige Kerze. Wir alle saßen im Kreise am Boden - wegen der Perspektive – und klatschten einen Rhythmus mit, den Muhammed stehend und hüftenschwingend angab. Zamela aber, unsere muntere Maria-Agnes entledigte sich eben ihres an langer Kette pendelnden Ordenskreuzes, und zwar in einer Pose, die wir von den Watussi-Tänzen her 283
kennen, bei welchen 2-m-lange braune Männer kreuzhohl unter einer nur wenige Dezimeter hoch quergelegten Stange hindurchtanzen, ohne mit dem Oberkörper Boden oder Stange zu berühren. Ihre Augen funkelten, sprühten Feuer. Ihre Zunge fuhr hellrot und blitzschnell über die leicht aufgeworfenen Lippen. Ein Aufstöhnen ging durch die Runde, als sie ihre Bluse abwarf, mit horizontal gebeugtem Oberkörper, was diese Brüste so verlockend füllte wie saftige Früchte. Die Ehrwürdige Mutter, die zuerst eine Geste machte, als wollte sie einschreiten, erkannte wohl, daß hier jedes Einschreiten zu spät käme, nur üble Folgen haben müßte. Sie wandte sich also achselzuckend zum Gehen, entschloß sich dann aber unvermutet, dem tollen Treiben wenigstens als stummer Zeuge beizuwohnen. Ihr Gesicht sprach Bände: Natürliche Neugierde, verbunden mit der ihr eigenen Aufgeschlossenheit setzten sich gegenüber dem anerzogenen Abscheu gegenüber allen undisziplinierten, oder zumindest scheinbar undisziplinierten Äußerungen langsam durch. Erkannte sie vielleicht, daß auch in dieser natürlichgekonnten EntkleidungsVorstellung Zamelas viel Sinn und Ordnung lagen? War sie, trotz ihrer Formation, imstande, den Zusammenhang dieser Szene gerade mit unserer extremen Situation zu erfassen? Ich wurde von der Vorstellung Zamelas wieder völlig gefangengenommen! Marx verlor bereits die Kontrolle über sich: Aufkreischend warf er sich auf den Bauch, wälzte sich heiser schreiend unter diese hängenden, zitternden, schüttelnden, überreifen, dargebotenen, zum Naschen angebotenen, überwältigenden schokoladefarbenen Brüste, verschränkte in dieser Bauchlage seine Arme am Rücken 284
und versuchte, indem er Kopf und Füße hochbog und seinen Körper im Rhythmus unseres anfeuernden Klatschens in wiegende Bewegung versetzte, mit den Lippen nach den fast platzenden Knospen dieser unerhörten Brüste zu schnappen – wie ein gieriges Krokodil nach einem zu hoch hängenden Köder! Ein Spiel! Ein Spiel, auf das Maria-Agnes sofort begeistert einging! Bis auf Millimeter schüttelte sie ihre Früchte an den gierig hochschnellenden Mund heran, entzog sie ihm aber jedesmal wieder im letzten Augenblick. Unter unserem begeisterten Klatschen beendete Marx schließlich erschöpft und schweißnaß seine Vorstellung. Zamela war wie in Trance. Ihre Bewegungen wurden immer traumverlorener, ihr Blick starr. Sie ließ nun langsam den obersten Rock fallen, der ihre schlanken Beine enthüllte. Muhammed riß sich nun seinerseits die Bluse vom Leibe, daß die Knöpfe wie Projektile durch den Saal pfiffen. Und schon tanzte er mit entblößtem Oberkörper in den Kreis, immer klatschend, den Rhythmus bestimmend und ändernd. Einige Male umkreiste er so bloßfüßig Zamela, die sich seinem Takt nicht zu entziehen vermochte, obwohl sie offenbar Anstrengungen dazu unternahm. Der Unterrock fiel auf seinen Wink, und das Höschen sank die halben Oberschenkel hinab, blieb dort schweben, gab das kohlrabenschwarz glänzende Fellchen frei, bildete einen blütenduftigen Kontrast dazu. Langsam glitt das Höschen zu den Knien weiter, steigerte unser aller Verlangen zum Wahnsinn: Wie solche Höschen nach Afrika gelangen mochten?!! Es ist doch ein Unterschied zwischen der blind befriedigten Begierde und dem Stachel des Wissens! Zum er285
sten Male erkannte ich Zamelas mit außerordentlicher Schönheit gepaarte Intelligenz. Mhoshibadoonias Hand in meiner Hosentasche weckte mich aus meinen Betrachtungen über die perfekte Schönheit Zamelas. Ich hob Mhoshibadoonia hoch und verdrückte mich vorläufig einmal mit ihr in meine Zelle. Seit unserer ersten gemeinsamen Nacht lagen wir zum erstenmal wieder in einem Bett, umsirrten uns keine blutgierigen Insekten, mußte ich nicht ständig eines Überfalls gewärtig sein, konnten wir uns völlig nackt entkleiden. Man hält dies alles vielleicht für nebensächlich, solange man gierig genug ist – aber es ist nicht nebensächlich! Allerdings verriegelte ich die Türe und legte je eine Kiwi unter das Kopfkissen und auf das Nachtkästchen. Wer es nicht glaubt, dem kann ich es trotzdem bestätigen: Im Bett kann man alles machen, was man ohne Bett machen kann... aber außerdem noch eine ganze Menge mehr! Insofern ist das Bett eine durchaus gelungene Erfindung. Wie damals drang dumpf der Lärm der ausgelassenen Kameraden zu uns. Wie damals schien der Mond. Nur eines war anders: Alles Neue kam uns aus der Tatsache, daß wir uns nun doch schon etwas besser kannten ...
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16 Am Morgen weckten mich die absolute »Funkstille« im ganzen Haus und Mhoshibadoonias samtenes Hinterteil in meiner Beuge, das sich durch kuschelnde Bewegungen noch perfekter in diesem Mäander meiner Männlichkeit anzusiedeln versuchte. Über allem aber hing der Geruch von frischem Kaffee. Ich war noch wie betäubt von dem ungewohnt komfortablen und langen Schlaf. Vorsichtig stand ich auf, bemerkte aber dennoch Mhoshibadoonias verstohlen-neugierige Blicke beim Ankleiden. Nachdem ich die übelriechende Hose zugeknöpft hatte, klopfte ich kräftig auf das schokoladene, wohlgeformte, unter einer überzogenen Decke hervorlugende Hinterteil. Mhoshibadoonia drehte sich auf den Rücken, räkelte sich wohlig, strömte einen starken Geruch nach Frau und Wollust aus, lächelte verträumt und winkte mir zärtlich nach, als ich das kleine Zimmer verließ. Ich ging zuerst in den Waschraum, goß aus dem großen Becken im Boden klares Wasser in ein kleines Waschbecken und tauchte meinen Schädel hinein. Im Jeep hatten wir einen Toilettebeutel gefunden, in dem sich auch ein Rasierapparat befand. Den holte ich mir und rasierte mich seit langem wieder einmal. Weg mit diesem ekelhaften Bart! Ich kannte mich danach im Spiegel kaum wieder. Und nun: auf zur Küche! Immer dem Kaffeeduft nach! In diesem Augenblick kam Moise aus dem Refektorium. Ich drehte mich um, grinste ihn fragend an. Moises Reaktion war unerwartet:
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Wie der Blitz warf er sich hin, und seine Hand fuhr zum Revolver; dann erst erkannte er mich. – Verdammte Hurenscheiße! Geht einem durch Mark und Bein, am frühen Morgen so unerwartet einem bewaffneten Fremden zu begegnen - noch dazu im eigenen Haus! (Moise, erschrocken) Ich kehrte um und ging nun zuerst einmal ins Refektorium. Hei, das war ein Anblick für Götter - für Liebesgötter! Anscheinend hatten sich alle mit Zamela geeinigt, und ich bekam noch mehr Hochachtung vor der liebesgewaltigen Ex-Novizin: Muhammed lag zuoberst, an seinem wolligen Schädel Zamels Unterhöschen gleich einer germanischen Horntrophäe, das bärtige Gesicht aber wohlig in Zamelas aufregende Mitte gebettet. Meli lag dicht daneben, bot seinen rechten Arm Zamela als Nackenstütze und ließ die dazugehörige Hand ganz leicht an ihrem Busen ruhen. Die anderen bildeten ein wirres Durcheinander von schlafenden Gliedern, derart verworren, daß es mir nicht gelang festzustellen, wem die Hand gehörte, die schützend auf Zamelas Felldreieck lag. Es war das Bild eines Raphaelschen, aber schwarzen Paradieses, jedoch ohne die sattsam sittsam malerischen Tücher, die die Künstler jener etwas verlogenen Epoche über alle schwierig auszuführenden Körperteile stets zu werfen pflegten. Ich konnte einfach nicht widerstehen und leistete mir einen scheußlichen Spaß, zog meine beiden Revolver und brüllteinvoller Lautstärke unseren knochenmarksägenden Kampfruf: »Uääähhh«!!! Und los gings! Alle versuchten sie gleichzeitig, zu ihren Waffen zu stürzen, behinderten sich aber gegenseitig dabei, fremde Glieder gerieten unversehens in fremde Hände, und nicht 288
immer in zarte weibliche! Über die nackte Zamela kletterten die nackten Männer hinweg, krachten mit den wolligen Schädeln zusammen. Es war unglaublich komisch! Man müßte alle Männer dieser Welt obligatorisch nackt gehen lassen, und ewiger Friede bräche auf Erden aus! Sowas von Fluchen – einfach nicht vorstellbar! Sie erkannten mich endlich durch ihre halbblindgeliebten Augen, sie lachten, sie deckten ihre Schwänze und Eier mit der hohlen Hand zu, und nur Zamela saß verstört am Boden und blickte unausgeschlafen unter ihrem langen Haar hervor. – Die reinste Belegstation hier! (ich, unbändig lachend) – Aber leider mit zu geringem Wirkungsgrad. 6:1, kein gutes Verhältnis, Chef, wär' besser umgekehrt! (Muhammed, seinen Penis vor dem Verstauen beinahe mitleidig betrachtend) – Immerhin besser als nichts! (Jesus II, einen ebenfalls beachtlichen Zob wegräumend und von Zamela einen klatschenden Schlag auf seine prallen Backen einheimsend) – Und wer hat gestern gebettelt, mitmachen zu dürfen (Zamela, nur scheinbar aufgebracht) – Ich fürchte nur, daß es hier für ein so vielfältiges »Pärchen« keine geeignete Zelle geben wird. (Marx, seine Kiwi gewohnheitsmäßig prüfend) – Wer will schon hier bleiben? (J-B-B, endlich auch einmal sprechend) – Ich, und wenn's geht, dann auf unserer einmaligen Zamela. (Marx, breit grinsend)
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– Na, na, na, das verginge dir auch bald, oder? (Zamela, durch Forschheit ihre Verlegenheit überbrückend) – Was?! Ich würde nicht mehr von dir heruntersteigen, bis mich der Hunger hinuntertriebe! (Marx, mit zum Schwur erhobener Hand) Anscheinend buhlte man immer noch um den Vorrang bei Zamela. – Frühstück Punkt 8 Uhr 15, Männer! (ich, die Unterhaltung wieder in geordnete Bahnen lenkend) – O. K., Capitaine! (alle, ein wenig durcheinander) – Uhrenvergleich! Es ist jetzt genau 7 Uhr 43! (Muhammed, etwas übertreibend) Die Ehrwürdige Mutter hatte inzwischen in der Küche das Frühstück vorbereitet. – In dieses, pardon, Bordell von einem Refektorium kann man ja nicht hineingehen! Soll das denn in alle Ewigkeit so weiter gehen, Monsieur? – Die Ewigkeit ist eine lange Zeit, ma mere! Diese Vorstellung wäre zu schön, um wahr zu sein! – Und Zamela? Wie lange, glauben Sie, wird sie das noch aushallen können? (die Ehrwürdige Mutter, nun aufrichtig besorgt) – Zur Zeit, habe ich den Eindruck, fühlt sie sich offensichtlich wohl dabei, sauwohl, würde ich sogar sagen! – Mir scheint, daß sie sich schon längst einmal unwohl fühlen müßte, Monsieur! – Na und? Auch das werden wir hinkriegen! (ich, zuversichtlich) –Ja, noch ist sie transportfähig! Aber haben Sie vielleicht auch darüber nachgedacht, was wir tun werden? Hier könnten wir eventuell – unter gewissen gesellschaftlichen Voraussetzungen natürlich – bleiben, untertau-
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chen, in Vergessenheit geraten! (die Ehrwürdige Mutter, realistisch) – Schon, aber ob das eine Dauerlösung wäre? Immerhin habe ich auch schon daran gedacht, sogar lange mit Muhammed darüber gesprochen, (ich, lauernd) – Und, was meint Ihr Schatten dazu? – Er ist ganz blödsinnig begeistert davon. Er will Wolle erzeugen! – Bravo! Das ist ein Wort! Und vor allem vernünftiger als Kinder unter Beihilfe der gesamten Armee zu erzeugen! – Nun, die gesamte Armee ist wohl ein wenig übertrieben. Aber wir beraten nach dem Kaffee noch darüber, (ich, abschließend) Es war Punkt 8 Uhr 15, als die Männer übermütig und frohgelaunt mit den zwei Mädchen in die Küche kamen. Letztere hatten sich mit ein wenig Wasser, Kamm und Bürste einen überwältigenden Charme beizulegen gewußt. Die Stimmung an diesem Morgen war gelöst und beinahe zivilisiert: Muhammed wachte eifrig darüber, daß unsere Ehrwürdige Mutter immer Kaffee und Hundekuchen hatte. Marx erwies mir dieselbe Aufmerksamkeit, was ja nun gerade kein sehr schmeichelhaftes Licht auf Marx' Verhältnis zu mir warf. Alle miteinander aber bedienten wir unsere Mädchen – diesmal eben beim Essen! Draußen vor dem verrammelten Tore blökten die Schafe in der beginnenden Hitze, staute sich ein Meer von arbeitsheischender Wolle, verlangten die Tiere ungeduldig Einlaß in den gewohnten schattigen Hof.
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Die Ehrwürdige Mutter murmelte mit gefalteten Händen vor sich hin, schlug ein weitausholendes Kreuzzeichen über uns alle und hob damit die Tafel auf. Meli und Muhammed griffen sich ihre MP's und Helme vom Kleiderrechen und gingen den Schafen das Tor öffnen. Die Ehrwürdige Mutter aber bedeutete ihnen, ihre Gewehre hängen zu lassen. – Heute gibt es Gemüse zu Mittag, meine Herrn, und Früchte. Kein Schaf, Corporal! Unschlüssig blickten die beiden von der Ehrwürdigen Mutter zu mir und wieder zurück. – Wir werden, falls dies möglich ist, den Krieg stufenweise abbauen, Madame. Vorläufig aber sind wir noch nicht vierundzwanzig Stunden hier und wissen noch gar nichts, außer, daß uns eine vollkommen verluderte Landwirtschaft in den Schoß gefallen ist! – Nun, gar so verludert auch wieder nicht, Monsieur! Bei meinen Worten rückten Muhammed und Meli ihre Revolvergürtel wieder zurecht, stülpten grinsend ihre Helme über, hängten sich ihre MP's lässig über die Schultern und gingen hinaus, wo sie einen der schweren Torflügel aufzogen. Die vordersten Schafe, von den rückwärtigen gedrängt, gestoßen, geschoben, schnupperten mißtrauisch in die gewohnte Kühle herein, erblickten Muhammed und Meli und mich und stürzten panikartig zurück. Weil ihnen aber dort der Weg verrammelt war von einer undurchdringlichen Mauer aus Wolle, sprangen sie kurzerhand auf diesen Wall aus Wolle hinauf und ergriffen auf den Rücken der dichtgedrängt stehenden anderen Schafe entsetzt die Flucht. Lachend zogen wir uns zurück, und die Schafe drängten in den Hof. Und nun die Beratung!
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Zur Debatte standen zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Die eine, die eigentlich die näherliegende war, einige Zeit hierzubleiben, bis wir uns etwas erholt hatten und mit einigen haltbaren Lebensmitteln versorgt wären. Dann könnten wir versuchen, uns in die zwar verhältnismäßig nahe, aber von ANC-Truppen kontrollierte »Angolische Nase« durchzuschlagen. Wir nannten das den Oberlauf des Zambezi umfassende und nasenartig nach Zambia hineinragende Stück Angola nach unseren Karten so. Allerdings setzte dieser Plan voraus, daß wir uns vorher ausreichend mit Benzin versorgten, was theoretisch nur durch einen Handstreich in Kasempa möglich wäre, denn wir konnten uns unmöglich an irgendeiner Straße auf die Lauer legen und so lange vorbeifahrende Transporte überfallen, bis wir genügend Benzin beisammen hätten. Wir hatten das Kloster gestern zwar nur oberflächlich durchstreift, von Benzin aber nicht eine Spur gefunden. - Es gab hier einen tadellosen Landrover, und in der Garage lagerten auch immer ein Dutzend Benzinfässer. Aber da Sie ja die Stallungen und die Garage durchsucht haben, wären Ihnen ein Wagen und Benzinfässer bestimmt aufgefallen, Sir. (Jesus II, in seinen Majordomus-Jargon verfallend) – Allerdings! Die Bewohnerinnen müssen ja mit irgendetwas abgehauen sein, (ich) Nun, die zweite Möglichkeit bestand darin, die Landwirtschaft hier wieder in Schuß zu bringen, uns möglichst ruhig zu verhalten und – ganz wie Muhammed lakonisch gemeint hatte – Wolle über unsere Affaire wachsen zu lassen.
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Hier konnten wir uns mit etwas Glück Jahre halten. Was wir zum Leben brauchten, konnten wir mit wenig Mühe selbst erzeugen. Unser Kloster lag abseits und vergessen. Die Regierung Zambias hatte gewiß ihre eigenen Sorgen und würde sich auf die Dauer wegen ein paar Dutzend toter Kongolesen keine grauen Haare wachsen lassen. Außerdem waren wir bestens bewaffnet und konnten jede zufällige Streife spielend »nach Hause« schicken. Da die von uns zu treffende Entscheidung sehr schwerwiegend war, schlug ich vor, zuerst einmal eine vollständige Bestandsaufnahme des gesamten lebendigen und toten Inventars vorzunehmen. – Im Büro oben gab es früher eine Kartei, die jede gewünschte Auskunft über Geräte, Vorräte, Zuchtfortschritte und Abrechnung der Jahreserträge, geordnet nach Sachgebieten gab. Ich mußte dort immer die Schurdaten und -erträge eintragen, die neugefallenen Lämmer, die Merzen und Abgänge für die Küche, sogar die Anzahl der Eier habe ich ganz genau notiert. (Jesus II) Da eine Entscheidung nicht nur bald, sondern auch auf Grund möglichst vergleichbarer Voraussetzungen gefällt werden mußte, machten wir uns sofort an die Arbeit der Registrierung. Muhammed und Marx wurden delegiert, das gesamte Hochplateau zu durchstreifen und dabei den noch vorhandenen, verwilderten Tierbestand grob aufzunehmen, die Äcker ebenso grob zu taxieren und allgemeine Beobachtungen festzuhalten. Ich wollte mit Jesus II im Haus Inventur machen. Die Damen würden sich um Haus und Küche kümmern, während die übrigen Männer sich mit Aufräumungsarbeiten beschäftigen sollten: 294
Holz für die Küche hacken, die Damen in technischen Dingen unterstützen, wie z. B. Türen und Fenster einund aushängen und ölen; den Werkraum in Arbeitszustand bringen; den Hof säubern; einige der scheuen Hühner einfangen und in den Stall treiben, damit sie sich wieder an ihre Pflichten erinnerten, usw. Einer von ihnen sollte immer Wache schieben – noch waren wir nicht sicher. Kurz bevor alle Einsatzgruppen sich an die Arbeit begaben, stellte sich heraus, daß Muhammed zwar ein ausgezeichneter Schütze, ein ausdauernder Kämpfer und unermüdlicher Mann war, daß er von Landwirtschaft aber nur so viel verstand, wie zum Verzehr ihrer Produkte nötig war – wenn man von seinen allerdings profunden Pferdekenntnissen einmal absah. Kurz: Er fühlte sich der ihm gestellten Aufgabe nicht recht gewachsen. Jesus II hingegen glaubte, ohne weiteres allein die geforderte Inventur durchführen zu können, zumindest in großen Zügen. Die Ehrwürdige Mutter aber wollte die Angelegenheiten des Hauses während meiner Abwesenheit gerne in die Hand nehmen, was ich ihr aufs Wort glaubte. Ich selbst ging lieber ins Freie, abgesehen davon, daß gerade von einer richtigen Einschätzung des Viehbestandes und des Ackerlandes sehr viel für uns abhing. So übernahm denn ich die Gruppe zur Erkundung der Hochebene. Wir steckten die gewohnte amerikanische, wachspapierverpackte Marschverpflegung ein, trugen auch den Zurückbleibenden Vorsicht und anständiges Benehmen auf: – Und daß ihr mir auch keine Dummheiten macht, während Papi weg ist. Dafür wird er euch auch etwas
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Schönes mitbringen! (Muhammed, grinsend eine obszöne Geste machend) – Und vor allem wird euer Papi sofort eine Lochkontrolle vornehmen, wenn er zurückkommt, ihr Hurenkinder! Und wehe, es hat jemand gewagt...! (Marx) – Ich glaube, Sie hauen besser ab, will sagen, Sie verschwinden jetzt am besten mit Ihren beiden Helden, sonst geht das in aller Frühe schon wieder los. Die können anscheinend tatsächlich überhaupt nicht genug bekommen! (die Ehrwürdige Mutter, eher gutmütig als empört) – Nie, Madame, leider gar nie! Das ist ja unser Problem. (Muhammed, gespielt traurig) Wir brachen auf. Das Tor war offen, der Hof gepfercht voller Schafe, und selbst unsere Jeeps, auf deren Motorhauben und Dachplanen die Lämmer neugierig herumkletterten und herumschnupperten, waren schon jetzt nach wenigen Minuten total verschissen. Ich gab Meli Anweisung, die Wagen in die Garage zu bringen und überließ es ihm, dies durch die Hunderte von Schafen hindurch zu bewerkstelligen. Wir hauten durchs Tor ab, nahmen wieder den Weg auf jenen Hügel zu. Zuerst brauchten wir eine allgemeine Übersicht. Es war schon später Vormittag, als wir die Kuppe unseres nächtlichen Erkundungszieles erreichten. Die steilstehende Sonne erzeugte, ganz entgegen dem bekannten europäischen Sprichwort, zwar sehr viel Licht, aber nur wenig Schatten. Diese Beleuchtung erschwert das Abschätzen von Entfernungen. Dafür aber gestattete sie uns, die verschiedenen Kulturgattungen im Überblick zu erkennen:
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Im Westen, woher wir gekommen waren, gab es vereinzelte Weingärten, ziemlich große Obstbaumbestände und dazwischen noch zu erkundendes Brachland. Im Osten, zu dem mächtig ragenden Gebirgsstock hin, lag das Schwergewicht der Weingärten. Zwar standen Obstkulturen auch hier dazwischen, aber nur in unbedeutendem Ausmaße. Auch unser Hügel, im Norden des Klosters gelegen, war von Wein bewachsen, und an seinen Hängen gediehen außerdem noch Mais und Tapioka. Das Brachland im Westen des Hügels sah nach ehemaligem Getreideacker aus. Zwischen dem Kloster, dem Hügel und dem Kulturland dehnte sich weit ein abwechslungsreich gestaltetes Weideland, das mit seinen Gräben und kleinen Erhebungen für andere Verwendung nur wenig geeignet war. Der Südosten und Süden des Klostergebietes war weites Brachland, das sich durch seine besonders trockenen Kräuter intensiv-goldgelb von der übrigen umliegenden Landschaft abhob. Die Feldbegehung ergab, daß Mais und Weizen sich durch natürliche Aussaat in größeren Flecken erhalten hatten und für eine erste bescheidene Ernte sowie für eine hinreichende Neuaussaat leicht reichen würden. Der Wein war natürlich dadurch, daß er schon drei Jahre nicht geschnitten worden war, verwuchert und trug nur sehr kleine Trauben. Dem konnte aber durch Beschneiden abgeholfen werden. Auch verwilderte Kühe und Pferde entdeckten wir auf einem sehr abgelegenen Weidegrund. Besonders die Pferde hatten sich zu einer stattlichen Herde prächtiger Tiere entwickelt!
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Muhammed war nun vollends entschlossen, hier zu bleiben: Pferde! Natürlich war es uns unmöglich, alles Kulturland gleich am ersten Tag abzugehen, vielmehr begnügten wir uns damit, von jeder Kulturgattung ein Feld genauer zu untersuchen. Auch die ziemlich aufwendige Wasserleitung des Klosters entdeckten wir. Sie führte von den Ausläufern des Gebirgsstockes schnurgerade in ostnordöstlicher Richtung auf das Kloster zu, war mit Ziegeln gemauert und verlief die letzten 2 km unterirdisch. Müde und staubbedeckt kehrten wir mit der untergehenden Sonne zurück. Wir hatten keine Spur menschlicher Anwesenheit entdecken können, dafür aber hatten die diversen Feldfrüchte eine Menge Wild angelockt, das eine willkommene Abwechslung in unsere Mahlzeiten bringen würde. Schon in einiger Entfernung vom Hause begegneten wir den zum Weiden ausrückenden Schafherden. Wir betraten etwas abgespannt den Hof, wo eine merkliche Veränderung vorgegangen war: Offenbar hatten die Zurückgebliebenen sich ebenso wie wir mit dem Gedanken vertraut gemacht, hierzubleiben. Sie hatten mit gründlichen Aufräumungsarbeiten begonnen. Vor allem hatten sie den Schafen die geräumigen Stallungen als Unterstand für die Hitze geöffnet, so daß die Tiere aus dem Hof verschwanden. Die von den Tieren umgeworfenen, verdreckten und überall hingezerrten Geräte waren gesäubert und zusammengestellt worden. Zwei große, gummiberäderte Wagen standen unter einem improvisierten Flugdach in einem Mauereck, der Raum, in dem sie vorher untergebracht waren, diente nun ebenfalls als Schafstall. Die hartgetretene Mistschicht konnte so demnächst aus dem Hof ent-
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fernt werden. Auf dem Stiegenaufgang saßen Zamela und Mhoshibadoonia und putzten Gemüse. Auch im großen Hausgarten innerhalb der Mauer hatten sich viele Gemüsepflanzen selbst erhalten. Aber besonders überraschend war für uns die Begegnung mit Meli, Moise, Jesus II und J-B-B. Sie saßen in niegelnagelneuen Drillichhosen und Hemden barfuß und hemdärmelig und zigarrenrauchend im Schatten an einem Tisch, tranken Wem und spielten... Rommee! Keine Revolver, keine MP, ja nicht einmal Messer waren irgendwo an ihnen zu bemerken oder wenigstens in Griffweite! Mir fiel tatsächlich die Kinnlade hinunter. Das war kein Bild des Friedens, sondern der ausgewachsenen, leichtfertigsten Dummheit! Gemüseputzen, Weintrinken, Kartenspielen, Zigarrenrauchen! Fehlte nur noch der fettgemästete Suppenhund unterm Tisch und ein schmalziges, mehrstimmiges Volkslied, dann wäre die Pose »Abendfriede im Gutshof« oder auch »Trautes Heim, Glück allein« perfekt! Wir drei verdreckten Neuankömmlinge sahen uns blödstaunend an, ließen unsere staubverkrusteten Blicke über die Idylle schweifen, hoben fragend die Schultern, ließen unsere Schießprügel wie Keulen in der baumelnden Hand schwingen und gingen auf mein einwilligendes Kopfnikken drohend und etwas auseinandergezogen auf die vier uns aus den Augenwinkeln Beobachtenden zu. Diese spielten ruhig weiter, rauchten genießerisch und nahmen gelegentlich einen Zug aus ihren Gläsern. Die Mädchen putzten mechanisch an ihrem Gemüse herum, starrten dabei aber fassungslos auf unseren drohenden Aufmarsch. Nun standen wir vor ihnen. 299
– Und wenn wir ANC-Leute wären, ihr hirnverbrannten Syphilitiker?! (ich, brüllend und starke Rauflust verspürend) – Psssst! (Moise, den Finger an die Lippen legend und ängstlich zur Türe blickend) – Psssst, nicht so laut, die Oberin! (Meli, ebenfalls vorsichtig um sich spähend) -Aber wenn wir nun wirklich Feinde wären, einfach so hereinspaziert beim unbewachten Tor? Ihr Arschlöcher, dann wärt ihr im Eimer, mitsamt eurer beschissenen Ehrwürdigen Mutter! (Muhammed, drohend) Die vier grinsten, blickten wieder vorsichtig zum Haus hin, sahen sich an, nickten, legten ihre Karten gemächlich hin, nun hoben Jesus II und Moise die Hände und erhoben sich langsam, so als wären wir tatsächlich Feinde. Da wir aber in Wirklichkeit nun eben keine Feinde waren, ich mich also nicht in der entsprechenden Situation befand, dachte ich mit keinem Gedanken an unser eingedrilltes Überraschungs-Arsenal. Meinen Begleitern ging es genauso. Im selben Augenblick aber, in dem die beiden mit erhobenen Armen aufstanden, kippte der mit einem bis zum Boden hängenden Tischtuch gedeckte Tisch gegen uns, und die vier Banditen lagen dahinter, in den Händen die aus ihrem Versteck gerissenen MPs. Ich grinste so dreckig wie nur möglich. – Habt ihr uns tatsächlich für so verschissene Arschlöcher gehalten? (Moise) – Rasch wieder volle Deckung! Die Ehrwürdige Mutter will es nicht mehr dulden, daß wir den »lieben langen Tag unsere Waffen und unseren Schmutz spazierentragen«! (Meli, mit fromm zum Himmel aufgeschlagenen Augen) Und schon war das Bild »Abendfriede im Bauernhof« wieder hergestellt. –Unsere Kleider wurden sogar gewaschen! (Jesus II) 300
– Und wo wart ihr in eurer armseligen Nacktheit? (Muhammed, etwas theatralisch, besorgt auch, zu kurz gekommen zu sein) – Leider nicht dort, wo du fürchtest, du Trottel! (Meli) – Die Oberin übergab den Mädchen die beschissenen Klamotten, uns aber sperrte sie in ein leeres Zimmer voller Bücher! (J-B-B, beweisend, daß er nicht nur unsere Sprache, sondern auch unseren Gruppen-Jargon tadellos beherrschte) Es stellte sich heraus, daß die Ehrwürdige Mutter die Männer recht ökonomisch zur Arbeit eingesetzt hatte. Verschiedene kleine Reparaturen und Aufräumungsarbeiten hatten den ummauerten, weitläufigen Hof und den Garten wieder bewohnbar gemacht. In der ärgsten Mittagshitze aber wurden die Männer durch einen recht geschickten Schachzug außer Gefecht gesetzt: Sie mußten ihre sämtlichen Kleider abgeben, sich in die Bibliothek setzen, deren Türe die Ehrwürdige Mutter absperrte und bewachte (damit niemand unvorhergesehen hineingeht, Messieurs - und sie saß sockenstopfend davor!) und die beiden Mädchen wuschen, trockneten und bügelten inzwischen die Kampfanzüge, besserten sie auch etwas aus (ein Unikum gewiß: Kampfanzüge, die auf Hausfrauenart geflickt sind!) und brachten die ebenfalls mitgenommene Wäsche der Männer wieder einigermaßen in einen menschenwürdigen Zustand. Schon hatten die Kerle sich an ihre kaum vier Stunden junge Sauberkeit gewöhnt und rümpften doch tatsächlich beinahe im Ernst die Nasen wegen unseres SchweißScheiß-Pisse-Leder-Geruchs. Auch hatten sie sofort nach Erhalt ihrer neuen Kleider wieder schuften müssen. Zum Essen gab es nur einen Imbiß, da man für die Hauptmahl301
zeit unsere Rückkehr abwarten wollte. So streng hielt die Ehrwürdige Mutter auf gute Sitte. – Und morgen kommen Sie dran, Capitaine! Mit der frischen Wäsche, meine ich natürlich! (die Ehrwürdige Mutter von der Stiege her) Ich drehte mich um, schüttelte nur mehr den Kopf und wollte ins Haus gehen. – Haben Sie denn ihre Feinde entdeckt? (wieder die Ehrwürdige Mutter, fast ironisch) Und auf mein weiteres Schweigen hin mit allwissendem Lächeln: – Also, wozu dann das kindische Versteckenspiel mit Flinten und Revolvern und Stahlhelmen unterm Tisch? Die vier Kartenspieler sahen sich an wie bei einem Streich ertappte Lausbuben. – Abendessen Punkt 18 Uhr 30, meine Herren, Sie wissen doch: Nach dem Klo und vor dem Essen . ..! (die Ehrwürdige Mutter, abermals ironisch) Doch die Männer hatten ausnahmslos einen beinharten Humor, waren vom Frieden, der so plötzlich über sie hereingebrochen war, auch korrumpiert und eben guter Laune: – Jawohlll, Ehrwürdige Mutter:... Hände waschen nicht vergessen! (die Rommee-Spieler im Chor) Das Perfide daran war, daß alle vier dabei uns drei stinkende, waffenbehangene, verstaubte Scheißkerle ansahen, denn sie waren ja selbst gesalbt und geschniegelt, gebadet und... war ja scheißegal, jedenfalls ließen wir uns eine solche Behandlung ein für allemal nicht gefallen. Wie auf Vereinbarung warfen wir unsere MP's in den Mist und stürzten uns mit mark- und beinerschütterndem »Uääähhh«!!! auf die vier Musterknaben in Hemdsärmeln. 302
Eine wilde, übermütige Balgerei begann. Der Tisch, über den Muhammed Meli gedrückt hatte, ging sofort in Trümmer, zerbrach unter der Gegenwehr des Überraschten. Irgend jemand hatte eine Handvoll frischen Schafdrecks während des von berstendem Lachen getragenen Ringens vom Boden aufgenommen und damit seinem Gegner einen grünbraunen Tarnanstrich ins Gesicht gemalt. Der Mann in Kriegsbemalung brüllte los wie ein Löwe. Und nun alle gegen alle! Jeder griff zu, wo er etwas Lebendiges erwischte, Mist flog, scharf geschossen, durch den Hof, alle keuchten vor Lust, und die Mädchen sahen dem Treiben mit steigender Begeisterung, jedoch ohne Parteinahme zu. Schließlich saßen wir alle im Dreck, lachten, hieben uns auf die Schenkel, auf die eigenen, zeigten auf besonders verschmierte Gesichter und erstickten beinahe vor Lachen. Es war ein gewaltiger, befreiender allgemeiner Orgasmus! Mit um die Schultern gelegten Armen begaben wir uns schließlich alle gemeinsam ins Bad. – Abendessen um 30 Minuten verschoben! (ich, kaum genug Luft bekommend) – Jawohlll, Capitaine!!! (alle, verhältnismäßig stramm) Die Ehrwürdige Mutter verschwand lachend und kopfschüttelnd im Haus, die Mädchen folgten ihr. Im Bad gab es diesmal weder penizistische Wettkämpfe, noch sonst etwas Außergewöhnliches. Dafür nachher. Ohne die geringste Scheu vor unserer frischgebadeten Nacktheit trat die Ehrwürdige Mutter zu uns ins Bad und trug einen hohen Stapel von Nachthemden auf dem Arm. Auch einen Stoß knielanger Unterhosen, gebaut für höchst ehrwürdige Matronen, übergab sie uns. Unsere versauten Drilliche aber wurden konfisziert.
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Nun gab es ein langes Palaver darüber, ob man nur die Nachthemden anziehen sollte: – Das würde unsere Bereitschaft abends erhöhen! (Muhammed) Oder nur die Unterhosen, ohne Nachthemden: – Das brächte unsere sportlichen Gestalten besser zur Geltung als diese lächerlichen Weibernachthemden (Meli) Oder ob wir beides tragen würden: -Im Falle wir kämpfen müßten! (Marx) Wir entdeckten schließlich einigermaßen elegante Kombinationen. Wir zogen zuerst die recht sportlich wirkenden überknielangen Unterhosen an und schoben die langen Nachthemden teilweise darunter, und zwar so, daß sie wie russische Hemden, aber sehr viel weiter darüber herunterhingen. Sie hingen sogar soweit herunter, daß sie die Revolvergürtel mitsamt Revolvertasche verdeckten, auf die wir auch unter den friedlichsten Umständen nicht verzichten wollten. So begaben wir uns, weiß und weit gekleidet wie Gespenster, wieder einmal auf den Kriegspfad, vergaßen aber diesmal nicht, vor Betreten des Refektoriums das Hoftor zu schließen und zu verriegeln. Als wir dann wie Judo- oder Karate-Kämpfer eintraten, jeweils eine tiefe japanische Verbeugung ausführten und schweigend zu Tische gingen, da kicherte Zamela wie gewöhnlich, und auch Mhoshibadoonia schien durch unser Auftreten sehr erheitert. Die Ehrwürdige Mutter aber lachte fröhlich, musterte uns und: -Ich biete Ihnen eine Wette an, Corporal Muhammed! – Worum soll's denn diesmal gehen, Madame? – Ich wette um die ewige Seligkeit mit Ihnen, daß Sie unterm Nachthemd auf den Unterhosen Pistolen tra-
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gen! Und das gegen meinen ausdrücklichen Wunsch, Corporal! – Schon wieder eine ewige Seligkeit gewonnen, Schwester Oberin! Aber wie sind Sie drauf gekommen? – Weil Sie sonst nicht so breite Hüften haben, Corporal! (die Ehrwürdige Mutter mit einem Versuch zu spaßen) Während Mhoshibadoonia und Zamela nachher saubermachten und das Geschirr spülten, saßen wir Männer mit der Ehrwürdigen Mutter beisammen und berieten die Lage, unsere neue Lage. Die Inventur im Hause hatte eine recht erfreuliche Bilanz ergeben: Der Werkraum war mit einer Menge an Werkzeugen versehen, das Ackergerät war vollständig und in gutem Zustand, ein eigener Raum für die Wollverarbeitung enthielt alles zum Spinnen und Weben Nötige, sogar 400 Liter Benzin waren noch vorrätig, was unsere Wagen in bescheidenem Maße aktionsfähig erhielt. Wir kamen zu dem Schluß, daß wir die brachliegende Wirtschaft ohne allzugroße Schwierigkeiten würden wieder in Schuß bringen können. Das Neue reizte die Männer, alle stimmten dafür, den Versuch zu wagen. Wir planten bis tief in die Nacht hinein. Die Frauen saßen in einer gemütlichen Ecke um eine Laterne und strickten: Wir sollten jeder so bald wie möglich einen sogenannten »zivilen« Pullover erhalten, damit die Drilliche endlich weggeräumt werden konnten. Nachdem Vorschläge und Einwände miteinander Kompromisse geschlossen hatten, waren wir zu folgendem Ergebnis gelangt: Jesus II und Meli, die etwas von Rinderzucht verstanden, wollten sich um diesen Teil der Wirtschaft kümmern. Vor allem mußen erst einmal eini-
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ge Rinder eingefangen werden. Dazu aber waren wir natürlich alle als Mithilfe nötig. Muhammed wollte dasselbe mit einigen Pferden tun, die wir für die Wagen und Ackergeräte unbedingt brauchten. Auch sollte jeder sein Reittier bekommen. Für die Damen mußte ein Gespann zum vorhandenen leichten Wagen abgerichtet werden – es fragte sich nur, wohin wir dann ausfahren würden J-B-B bekam die Feldwirtschaft zugeteilt, er hatte schon ganz konkrete Pläne: Gleich morgen sollten wir alle ausrücken, um die über das gesamte Ackerland verstreuten, fleckenweise und oft sehr vereinzelt nur mehr aufgegangenen Feldfrüchte zu ernten. Aus ihnen sollte dann auch das Saatgut für die Neueinsaaten ausgewählt werden. Ich selbst wollte das ganze leiten, mich aber speziell der Schafzucht annehmen, von der ich am meisten verstand, da ich ja aus einer Bergbauernfamilie mit viel Schafzucht stamme. Die Einbringung der reifen Feldfrüchte erforderte unser aller Einsatz und war dringlich. Ohne Pferde aber gab es keine Neueinsaat! Und die Schafe sollten unbedingt geschoren werden. Wir einigten uns schließlich in einer langen Arbeitssitzung auf die Reihenfolge, in der die nötigen Dinge erledigt werden sollten. Ich bremste an jenem Abend noch ein wenig die Begeisterung der Männer, die in den uralten Kapitalfehler allen Planens, aller Planenden verfielen und glaubten, alles schon in der Scheune zu haben, was sie vernünftig geplant hatten...
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Heute abend unternahm die Ehrwürdige Mutter wieder eine ihrer unerwarteten und auch meist gänzlich unverständlichen Initiativen. Sehr überraschend und fröhlich lächelnd dabei, wünschte sie uns ins Planen Vertieften mit den beiden wenig begeisterten Mädchen eine »angenehme« Nachtruhe und verschwand einfach. – He, Hallo! Und wir?! (Muhammed, enttäuscht hinterherrufend) Aber die Ehrwürdige Mutter öffnete nochmals kurz die Türe: – Nur Geduld, meine Herrn, ich komme sofort wieder. Auch für Sie ist diesmal alles bestens vorbereitet. Ich zeige Ihnen dann gleich Ihre Zellen! Aber Sie wissen doch: Ladys first! Man murrte zwar und ließ unwillige Äußerungen zum Entzug der Bräute hören, unternahm sonst aber nichts. – Die hat immer noch nichts kapiert! – Sollen wir uns denn schon wieder alles herausschwitzen? – Kannst ja selber lieb zu dir sein, darling! – Demnächst wird sie uns kalte Duschen empfehlen ....
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17 Wenn man etwas vorhat, erwacht man meist noch früher, als man eigentlich möchte. Auch kräftigt vermutlich der Einzelschlaf in Zellen mehr als das hübscheste Mädchen, jedenfalls unter bestimmten Umständen – ich behaupte dies nur so, einschlägige Untersuchungen über dieses Gebiet kenne ich nicht. Sehr früh jedenfalls rückten wir damals zur Ernte aus, und unsere auf den Jeep montierte Kanone nahm sich ziemlich sonderbar aus zwischen den um sie gehäuften Säcken mit abgerupften Kornähren und Kartoffeln, zwischen den Haufen von abgehackten Maiskolben, den riesigen goldgelben Kürbissen, den Melonen und Gurken. Immer wieder fuhr Meli den Jeep vollbeladen ein, und zu Mittag schon häuften sich in zwei dafür hergerichteten Räumen die Früchte unserer Mühen beinahe mannshoch. Die Ernte weckt in jedem Menschen geheime Urkräfte, die ihn über all seine Gewohnheiten und Schwächen hinauswachsen lassen – nicht einmal Siesta wurde diesmal gehalten! Während die Frauen später kochten, stapelten wir Kürbisse und Melonen, hängten die Maiskolben an die dafür vorgesehenen Stangen an der Giebelwand des Hauses, leerten die Ähren auf den aus Lehm gestampften Dreschboden und schütteten die Kartoffeln in den Keller. Mit Mais und Korn hatten wir schon am Vortage die Hühner wieder zahm gemacht, und Mhoshibadoonia konnte bereits eine Unmenge von Eiern von den unmöglichsten Orten in Hof und Stallungen abnehmen. Der Nachmittag gehörte dem Obst. Äpfel vor allem und anderes Kernobst waren in weitflächigen Anlagen vorhanden. Aber auch Zitrusfrüchte, 308
Mandeln und mir unbekannte afrikanische Obstarten füllten die Steigen in unserem Jeep. Am Abend waren gewaltige Mengen von allen möglichen eßbaren Dingen eingebracht, und besorgt fragte Zamela, wie man wohl dies alles ohne Zucker einmachen solle. Das erste Loch in unserer Planung! Das Zuckerrohr! Während Jesus II die handbetriebene Walzenpresse betriebsfertig machte, fuhren wir anderen mit großem Hallo und die langen, schwertartigen Rohrmesser wie furchterregende Samurai schwingend, hinaus ins Rohr, hieben die saftigen, übermannshohen Stangen nieder und kehrten mit der zu beiden Seiten weit über den Wagen hinausragenden, schwankenden Ladung heim, als eben die Schafe wieder auf die Weide zogen. Plötzlich waren wir ganz versessen auf gesüßten Kaffee, und wie neugierige Kinder trugen wir die Rohrernte gleich zur Presse, ließen etwas davon sofort durch die gerippten Walzen und begannen so, einen großen Kübel des enttäuschend-trüben und fadschmeckenden Saftes auszupressen. Da wir ihn unmöglich heute noch eindampfen konnten, gossen wir ihn so in den bereitstehenden Kaffee, von dem wir eine reiche Ernte an grünen Bohnen lagernd vorgefunden hatten, eine »Ernte« übrigens, deren Herkunft wir noch nicht kannten, denn nirgendwo auf den Feldern waren uns bisher Kaffeesträucher begegnet. Auch für das Einmachen der Früchte in die zahlreich vorhandenen Gläser wollte die Ehrwürdige Mutter den ausgepreßten Zuckersaft verwenden. Das Gespräch am Kamin, den wir an diesem Abend zum ersten Mal zu einem kleinen Erntefest heizten, drehte sich um nichts als die morgige Errichtung des Korrals . .. 309
Mit Sägen, Hacken, Hämmern, Nägeln, Draht und Riemen bewaffnet, zogen wir wieder in aller Frühe los. Am Rande des Hochlands gab es einen dichten Wald von lauter mir unbekannten Laubbäumen. Wir warfen uns auf die hohen, schlanken Bäume wie die Berserker, und nach zwei Stunden schon lagen so viele Stämme und Stangen da, daß wir mit dem Schleppen beginnen konnten. Nicht weit von der Stelle, an der wir geholzt hatten, befand sich ein von einer dicken Dungplatte und von tausenden von Hektolitern Urin makellos »betonierter« Rastplatz unseres Hauswilds. Die Bäume und Stangen wurden mit einer langen Schlinge der Winde, deren Drahtseil zu dem Zwecke einfach von vorne unter dem Wagen durchgelassen wurde, in großen Bündeln angehängt und hinübergeschleppt. Dort verteilten wir sie schon entsprechend, während Meli und Muhammed weiterschleppten. Nun wurden etwa 2m lange Pfosten zugeschnitten und gespitzt, ein Dreifuß in bewährter Manier aufgerichtet, in dessen Spitze diesmal sogar eine feste Rolle hing. Und schon begann das Einrammen. Meli hatte inzwischen einen geeigneten Rammblock aus einem dicken Baum geschnitten und ans Seil seiner Winde gebunden. Das Seil wurde über die Rolle gelegt, Marx stieg dazu einfach auf die Motorhaube des unter den Dreifuß gefahrenen Jeeps. Meli stieß zurück, der Rammklotz hing ganz oben. Moise und Jesus II hielten den ersten Pflock unter den Piloten und zogen die Riemen ihrer Helme fest – vorläufig arbeiteten wir noch in unseren frischgewaschenen Drillichen. Hopp!! Und der Klotz sauste genau auf den Pflock. Dabei konnte Meli durch den Jeep die Fallhöhe des 310
Blocks genau bestimmen. Rasch wuchsen so die Pflöcke aus dem Boden. Hinter dem pflöckeeinrammenden Jeep (umständlich zwar, aber Hebewerk hatte unser Wagen leider keins) wurden bereits die Querstangen an die eingerammten Pflöcke genagelt. J-B-B half mir, ein rohes, starkes Tor zu zimmern, und der Abend war noch fern, da lauerte unser Korral bereits fix und fertig auf seine Beute. Wir sprangen auf den Wagen, preschten ein Stück vor und betrachteten unser wohlriechendes Werk aus einiger Entfernung: Nicht schlecht! Scheiß mich anbrunzen! Macht doch auch gelegentlich Spaß – arbeiten! Zu Hause warteten schon ein reichhaltiges, wenn auch stark verspätetes Mittagsmahl und strenge Ermahnungen der Ehrwürdigen Mutter auf uns, welche sich in Zukunft mehr Pünktlichkeit zum Essen ausbat. – Aber wir sind dafür fertig geworden! (Muhammed, stolz) – Was, mit dem ganzen Korral? (die Ehrwürdige Mutter, ihre Standpredigt unterbrechend) Und sie trieb uns gleich zur Eile an, denn sie wollte mit uns hinaus und dem Eintrieb der Herde zusehen ... Das gab ein Theater! An den beiden Enden der sehr weiten, trichterförmigen Öffnung des Korrals, die dann zum engen Tor hinführte und dahinter den eigentlichen Korral eröffnete, an diesen weit voneinander liegenden Enden legten sich nun Moise und Jesus II auf den Urin-Kot-Beton. Wir anderen schlichen uns hinter eine der in der Nähe grasenden Herden. Plötzlich erhoben wir uns. Alle Tiere hielten im Rupfen und Kauen inne und blickten uns nach einer ersten Schreckbewegung starr an. 311
Wir gingen ganz langsam und in lockerer Reihe auf die Herde zu. Hie und da kaute eine Kuh trotz der Gefährlichkeit der Situation weiter, doch ganz unerwartet und wie auf Kommando drehten alle um und rasten davon, genau auf den Korral zu. Die vordersten stutzten zwar, aber welches Rind könnte dem Donnern der Hufe hinter sich widerstehen? Mit schrecklichem Getöse und Geschiebe am Engpaß des Tores brach die Herde in den Korral, verhielt dort, lief den Zaun entlang, beschnupperte diesen, dann den Boden, ob es wohl der gewohnte Platz sei (er war es beruhigenderweise) und verhielt schließlich aufgeregt, aber doch irgendwie schicksalsergeben. Das Tor hatten wir hinter den letzten Kühen geschlossen und Marx dabei zurückgelassen. Wir aber pirschten uns an eine Pferdeherde heran. Mit diesen Biestern war es schon eine andere Sache. Immer wieder brachen sie mit Leichtigkeit und fliegenden Mähnen seitwärts aus. Die schrecklichsten Flüche wurden laut, und wären die Männer voll bewaffnet gewesen, ich glaube, sie hätten die Tiere mit ihren MP's in den Korral getrieben. Schon war es dunkel, da zog eine neue Herde von Pferden heran. Meli hatte eine Idee: der zweite Jeep! Und schon schoß er mit Moise im Jeep davon. Wir aber verteilten uns so, daß wir durch unsere Aufstellung den Fangtrichter des Korrals verlängerten. Muhammed übernahm das Tor. Schon kamen die zwei Jeeps angeprescht. Geschickt näherten sie sich den Pferden von hinten und trieben diese wie riesige Bulldoggen auf den Korral zu. Was uns zuerst Bäche an Schweiß gekostet hatte, gelang jetzt beinahe mühelos. Die Wagen zogen mit abge312
blendeten Lichtern vor (Meli hatte alles schon wieder repariert), blieben stehen, sprangen gelegentlich einem seitwärts auszubrechen versuchenden Hengst in den Weg, knurrten laut und drohend, wenn die Herde Front machen wollte, fuhren Nachzüglern an die feisten Hinterbacken und verrichteten so die Arbeit bestens abgerichteter Hunde. Moise und Meli aber zeigten grinsend ihre weithin leuchtenden Zähne: Die Sache machte tatsächlich riesigen Spaß! Was für Fahrer – wie mit den Wagen verwachsen! Und wieder schloß sich das schwere Tor! Unser Tagwerk war vollbracht. In rasanter Fahrt kehrten wir heim, wo uns die Mädchen mit dampfenden Schüsseln und erwartungsvollen Gesichtern empfingen. J-B-B, den wir als Wache zurückgelassen hatten, tauschte mit Zamela zärtliche Blikke, rauchte eine frisch angezündete Zigarre, lümmelte lässig im Mondschein vorm Tor und machte einen auffallend zufriedenen Eindruck. Unsere Landwirtschaft war nun eigentlich komplett... Muhammed hielt am Abend noch eine Art Kolleg über das Einfangen und Abrichten von Pferden im Korral, warf dabei aber verdächtig oft einen Blick auf die Ehrwürdige Mutter, die wie am Vorabend, strickend und ganz Ohr, mit den beiden Mädchen zusammensaß. Mhoshibadoonia blickte gelegentlich auf und fragend zu mir her. Ich war nur mit halbem Ohr bei Muhammed, wälzte Schaf-Pläne, suchte mich daran zu erinnern, wie wir damals alles machten, mit den Schafen auf unserem Hof in den Bergen. Aber die Erinnerungen an die warm im offenen Unterstand zusammengedrängten Schafe vermischten sich mit solchen an Mhoshibadoonias Wärme. Und überhaupt, so überlegte ich, diese relative Sicherheit 313
hier macht mich unentschlossen, inaktiv – nein, eigentlich doch wieder nicht! Sie lenkte nur meine Aktivität in andere Bahnen: Anstatt Kampf und Weiber waren es jetzt Nahrung und Dach – oder war das etwa dasselbe? Und wieder steckte die Ehrwürdige Mutter ganz unvermutet ihre hölzernen Stricknadeln durch Wollknäuel und halbfertiges Rückenstück eines Pullovers, die beiden Mädchen folgten ihr notgedrungen darin und sie verabschiedeten sich wieder unter unserem bis zum Unwillen gesteigerten Protestmurren. Wir lehnten alle rund um den Korral, in welchem die Pferde nervös durch die Kühe tänzelten. Die Sonne war schon spürbar. Muhammed in leichter Adjustierung, mit Halftern und Stricken behangen, versuchte nun schon seit einer halben Stunde vergeblich, ein bestimmtes, verhältnismäßig sanft erscheinendes Pferd in ein vorher eigens errichtetes enges Abteil zu drängen. Ein paarmal war es schon beinahe soweit, aber im letzten Augenblick wich die Stute immer wieder aus. Nun stiegen wir trotz Muhammeds Protesten in den Korral, hielten lange Stangen quer vor uns und trieben das isolierte Tier langsam auf die ominöse Box zu. Die Stute stand nun nur mehr wenige Meter davor, stampfte auf, tat, als wolle sie auf uns losgehen, warf den Hals hoch, tänzelte, schnaubte und retirierte nur sehr langsam. Endlich war sie drin. Wir schoben unsere Stangen als Verschluß durch die Doppelpfosten. Dieses Abteil war so eng, daß die Stute gerade darin Platz fand. Und nun exerzierte uns Muhammed die Hohe Schule des Satteins von Wildpferden 314
vor: Anfangs ging er spielerisch vor, um der Stute, einem schwarzbraun gefleckten, hochbeinigen, nervösen Tier, die Stirn zu kraulen. Das Pferd aber schnaubte erst und zeigte die Zähne, zog die Lippen weit zurück und geiferte. Immer öfter liebkoste es Muhammeds große, ruhige Hand, und schließlich ließ es sich die Stute gefallen. Nun kam die Sache mit der Decke! Muhammed saß rittlings am obersten Querbaum der Box und warf der Stute eine Decke über den schnurgeraden Rücken. Aber im Augenblick des Kontaktes flog diese schon wieder herunter. Das Tier schlug mit allen Vieren aus, warf den Kopf hoch und schien gleichsam in die Luft zu steigen. Das war tatsächlich mehr als 1 PS! Aber wieder siegte Muhammeds Ausdauer, und immer länger blieb die Decke auf dem Rücken des Tieres. Nun fing Muhammed wieder mit dem Kraulen des Kopfes an, die Decke blieb dabei auf dem Rücken der Stute. Plötzlich einige rasche Bewegungen, und das Pferd hatte ein Kopfgeschirr mit Zaum und Halfter um. Die Schnalle war zu, noch bevor es recht wußte, daß diese Handlung etwas über das Kraulen hinausging. Nun mußte Meli den Zügel übernehmen, damit Muhammed den Sattel anlegen konnte. Meli tat dies in der ihm eigenen lässigen Art: Er nahm die langen Zügel von Muhammed, wickelte sie sich einigemale um den linken Unterarm, griff mit der rechten Hand hoch, um sich ebenfalls auf die oberste Korralstange zu schwingen, und da geschah es: Die Stute warf anscheinend nur leicht schnaubend den Kopf hoch, und schon sauste Meli über unsere geduckten Köpfe hinweg 315
und mit einer harten Bauchlandung ins Gras heraußen, gefolgt von seiner Zigarre und seinem Helm. Die Stute aber lachte laut wiehernd mit uns über den gelungenen Scherz. – Gottverfluchtes Hurenbiest, dreckiges, angeschneuztes! Das Luder gehörte kaputtgevögelt, so ein Aas! (Meli, seine Knochen sammelnd) Wir aber lachten nur noch mehr über den gelungenen Raketenstart. Meli nahm den von Muhammed grinsend wieder aufgenommenen Zügel grimmig noch einmal entgegen und wickelte ihn diesmal zuerst um den obersten Baum, bevor er sich mit einem Sprung rittlings draufsetzte. Doch diesmal blieb die Stute ruhig, und Muhammed ließ den Sattel unter beruhigendem Streicheln und Klopfen sanft über die Decke gleiten. Moise reichte ihm die auf der anderen Seite herabhängenden Bauchriemen mit breiten Schnallen unter der zuckenden Wampe der Stute durch, und schon war der Sattel festgeschnallt. Das Einstellen der Steigbügel auf Muhammeds Höhe geschah ebenfalls ohne Zwischenfall. Muhammed schwang sich von der obersten KorralStange aus in den Sattel. Nichts geschah! Schon wurde aus unserer sicheren Position heraus gewitzelt. Doch Muhammed war auf der Hut. Und als die Stute dann urplötzlich explodierte, Muhammed wie ein Gummiball in die Luft gefedert wurde, da gelang es ihm mit affenartiger Behendigkeit, den Korral zu fassen, auf dem er einen regelrechten Handstand produzierte, von dem er in steiler Wende zum Stand am Boden abging – wie im Turnsaal! Muhammed stieg nun ununterbrochen auf, wurde abgeworfen, stieg wieder auf, wurde wieder aus dem Sattel geschleudert usw. Wir hatten genug gesehen und mach316
ten uns daran, den Tieren einen Zusatz-Korral von größeren Ausmaßen einzuzäunen, damit sie dort weiden könnten. Am Abend war es dann soweit, daß Muhammed das Pferd zu reiten versuchte, nachdem er ihm einige Stunden Ruhe gegönnt hatte. Es war das reinste Rodeo. Wir hatten dem Mistvieh zuerst ein sehr langes Seil ans Halfter geknüpft, damit es nach Abwurf des Reiters nicht zur Herde flüchten konnte. Dieses Seil legte nun Meli wieder um einen Pfosten und hielt dann das Ende in Händen. Die Stute machte zuerst einmal kurzen Prozeß mit Muhammed: Sie raste wie von der Sehne geschnellt los und blieb dann wie angenagelt stehen. Muhammed aber, der die Furie fest zwischen seine mächtigen Schenkel genommen hatte, flog mit einer herrlich anzuschauenden Drehung durch die Luft, vollführte einen regelrechten, weitgestreckten Doppelsalto, aber so, daß er mit angehockten Beinen am Boden auftraf und gleich einige Rollen daranschloß, um den Schwung aufzubrauchen. Meli hielt das ohnehin nicht widerstrebende Tier am Seil fest, und dieses ließ sich ohne Widerstand von neuem besteigen – wie eine Frau nach 20 Jahren Ehetrab. Aber immer neue Tricks fielen ihm ein, dem Luder, um den lästigen Reiter loszuwerden: Es raste wie wahnsinnig im Bereich des Seils im Kreise, es bockte und wälzte sich plötzlich am Boden, es streifte am Zaun entlang und ging mitten im vollen Karree mit dem Kopf ganz zu Boden, schlug dabei mit beiden Hinterbeinen wiehernd aus! Aber was immer dem Pferd auch einfallen mochte, Muhammed schien es im voraus zu wissen. Immer wieder rettete er sich geistesgegenwärtig: 317
Er legte sich extrem im Sattel zurück, wenn der Schädel des Pferdes zu Boden ging. Er ritt im Damensitz, um nicht am Zaun ein Bein ausgerissen zu bekommen, und er sprang wie eine wattegefüllte Stoffpuppe scheinbar willenlos im Rhythmus des Bockens und der Luftsprünge im Sattel auf und ab, ließ sich aber nicht mehr abschütteln. Bald knüpfte er das lange Seil vom Halfter, und am Abend ritt er tatsächlich schon nach Hause. Viel schwieriger schien mir das Problem, wie wir die Rinder in den Stall bringen würden, denn im erweiterten Korral war selbst für einen Tag zu wenig Futter. Um dem zu steuern, hatten wir für dieses Mal eine Menge dichtbelaubter Kronen junger Bäume in den Korral geworfen, aber morgen mußten die Tiere sortiert und in den Stall gebracht werden, oder wir mußten sie alle wieder frei lassen... Der Umgang mit Pferden weckt alle männlichen Instinkte. Alle waren wir von der heutigen Tätigkeit leicht erregt, und selbst unser Jeep rollte nicht wie sonst an der Wache vorbei in den Hof, sondern sprang übermütig in einem langen Satz hinein und bremste dann mit allen Vieren. Mit Hallo sprangen die Männer vom Wagen, und schon tänzelte auch Muhammed auf seiner prächtigen Stute an. Die Mädchen ließen ihre Arbeit fahren und kamen angelaufen, bewunderten unseren schwarzen Ritter gebührend und überhörten geflissentlich Melis Anzüglichkeit: – Wenigstens einer, der etwas zum Reiten unter sich hat! Verschwitzt, staubbedeckt und von Pferdegeruch imprägniert wie wir waren, warfen wir uns sofort ins Bad. Wir badeten nun schon ohne Pistolen, wenn dieselben auch griffbereit an den Kleiderrechen hin-
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gen. Meine und Muhammeds Kiwi aber lagen stets entsichert am Rande des Bassins. Das Hoftor war verriegelt. Die Frauen bereiteten das Essen, und unsere Damenunterhosen mit den russischen Nachthemden lagen schön säuberlich gestapelt bereit. Nach dem Essen, als wir gesättigt aufstehen wollten, hielt uns die Ehrwürdige Mutter zurück. – Einen Moment noch, meine Herren! Ich finde, wir sollten nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch den Hausstand regeln! (sie sagte tatsächlich »Hausstand«!) – Finde ich auch, Ehrwürdige Mutter, finde ich durchaus auch! Unsere »Hausstände« müssen geregelt werden, denn wir wollen nicht ständig unnütze Zeit mit ihnen vertun. Geworben haben wir nun lange genug. Zamela mag uns alle gut leiden, und qualitätsmäßig stehen wir auch alle gleich. Was soll also das beschissene, unkeusche Zölibat hier – meine ich?! (Meli, den zurechtweisenden Blicken der Ehrwürdigen Mutter unter Zuhilfenahme ordinärer Bekräftigungen Trotz bietend) – Das kann aber unmöglich so weitergehen! Merkt ihr denn nicht, daß dies keine Frage der Moral mehr ist – schließlich sind wir hier allein wie auf einer Insel.. . Zamela ist zu haben, einverstanden! Warum aber nicht unter Voraussetzungen, die alle Welt akzeptieren kann, zum Beispiel nach Vollziehung einer gültigen Ehe? (die Ehrwürdige Mutter, ebenfalls verwegen kämpfend) Ich hatte inzwischen Mhoshibadoonia bei der Hand genommen und hörte in der Türe noch überrascht das zustimmende Gejohle der Männer auf diesen Vorschlag hin. Mhoshibadoonia und ich versanken bald ineinander, vergaßen das kerzenstrahlende Refektorium, Zamela und die hungrigen Männer. Es war, als hätten wir uns seit 319
langem nicht mehr gesehen, dabei waren es nur zwei Tage! Gelegentlich drang das Johlen von unten bis in unsere Umarmungen, die immer satter wurden, immer müder, immer vergeblicher, aber dennoch innerlich strahlend, die Dunkelheit einer dieser samtenen, feuchten, angstgeladenen afrikanischen Nächte erhellend ... Am Morgen war Hochbetrieb im Hause: Die Männer luden Stricke auf den Jeep, aus der Küche drang köstlicher Kaffeeduft. Auch Muhammed war schon wieder fröhlich am Werke. Beim Frühstück erfuhr ich schließlich die Neuigkeit: Heute sollte mit der Arbeit früher Schluß gemacht werden – Anweisung der Ehrwürdigen Mutter! – weil es abends eine Hochzeit gäbe! – Eine Hochzeit? Wer gegen wen? (ich, höchst überrascht) – Das wird noch nicht verraten, Capitaine, jedenfalls werden Sie Augen machen! Die Ankündigung lag mir wie ein Stein im Magen. Schließlich beruhigte mich die Tatsache, daß ich ja schon vollkommen rechtskräftig verheiratet war! Wir saßen auf und fuhren zum Korral, wo die Rinder schon hungrig brüllten. Was mir so schwierig erschienen war, das lösten die Männer und Muhammed im Handumdrehen. Ein weiteres Eck des Korrals wurde abgezäunt. Muhammed trieb mit dem nun schon willig gehorchenden Pferd, welches er »Suzanne« nannte, eine Gruppe von Kühen in dieses Abteil. Dort wurden von Meli und Jesus II diejenigen Tiere ausgesucht, die zur Zucht und als Milchtiere geeignet waren. Wir banden gleich fünf davon zusammen, hängten sie an unseren Jeep und fuhren die Kühe in den Stall. Mit den Pferden machten wir es nicht anders. J-B-B erschoß 320
inzwischen schon ein Kalb im Stall: Einerseits brauchten wir wieder Fleisch, andererseits aber eine Milchkuh. Am späten Nachmittag war unser geplanter Viehbestand eingebracht: 8 Kühe und ein Stier, 12 Pferde, davon 5 prächtige scheckige Hengste! Wir hatten vor, im Süden des Hauses eine größere Weide-Anlage zu errichten, und wir brauchten nur noch einzuspannen oder aber zu melken: Rationalisierungsmaßnahmen a l'africaine! Das tägliche Bad verlief in seltsamer Hochstimmung, aber man wahrte das Geheimnis der Hochzeit vor mir. Erst als wir alle wieder in Hauskleidung im Refektorium zusammensaßen, erfuhr ich von der Ehrwürdigen Mutter die Ungeheuerlichkeit, das Ergebnis ihrer gestrigen Aussprache mit den Männern. Und alle hatten ihrem Vorschlag zugestimmt. Alle wollten sie auf der Stelle heiraten! Und, logisch bis zum Exzeß, da außer Zamela niemand verfügbar war – zum Heiraten nämlich – wollten sie alle Zamela heiraten! – Etwas ungewöhnlich, Monsieur, gewiß, aber ich dachte, es wäre besser so als dieses abstoßende Massenkonkubinat. (die Ehrwürdige Mutter resolut) – Gewiß ungewöhnlich, ma Mere, aber im Grunde hängt dies ja nur vom Ritus ab, nach welchem geheiratet werden soll! (ich, mit der neuen Sachlage noch nicht recht vertraut) – Ich muß schon sagen, Monsieur, Ihre Einstellung als Europäer und Christ befremdet mich etwas! (die Ehrwürdige Mutter tadelnd) – Aber Sie haben dieses Ehe-Schlamassel doch verursacht, Sie ganz allein mit ihrer ewigen Vermoralisierung auch der letzten menschlichen Vergnügen. Himmel321
kreuzdonnerwetter, beim allmächtigen Penis Ihres gekreuzigten Guerillas! Können Sie denn die Leute nicht so dieses ebenso einfache wie hübsche Mädchen bespringen lassen! Ganz ohne Zeremoniell und kirchlichen Segen und Klimbim? Jetzt soll ich die Hochzeit abblasen? Einen Scheißdreck werde ich, Ehrwürdige Mutter, einen göttlichen, großen, stinkenden, blutigen Hurenscheißdreck, damit Sie's ganz genau wissen! (ich, etwas aufgebracht) – Sie mißverstehen mich, Capitaine! Sie mißverstehen mich völlig. Mein Befremden bezog sich nicht auf das Faktum der Ehe, diese ist mir in jeder Form heilig, und wir leben hier eben in extremis, vergessen Sie das bitte nicht! Aber unter allen Umständen kommt nur ein einziger Ritus in Frage: der römisch-katholische! (die Ehrwürdige Mutter sehr würdevoll) – Aha, interessant! Und wie stellen Sie sich das vor, mit einer Braut und sechs Bräutigamen? (ich, zynisch) – Zwei Bräute, Monsieur, und sieben Bräutigame! – Was heißt...? Nur über meine Leiche! Hören Sie? Nur über meine Leiche! – Warum wollen Sie denn nicht endlich Ihre Zambezifälle heiraten, verdammt noch einmal?! – Was heißt da wollen? Ich bin bereits verheiratet! Außerdem liebe ich klare Verhältnisse und habe mir auch solche geschaffen. Ich sehe nicht ein, wieso ich jetzt plötzlich ad maiorem dei gloriam Mhoshibadoonia unter den Männern gleichmäßig und möglichst gerecht verteilen sollte! – Sieh einmal an! Monsieur bekommen plötzlich bourgeoise Skrupel! Aber beruhigen Sie sich, Sie Urbild eines Revolutionärs und Erneuerers der menschlichen Gesellschaftsordnung! Kein Mensch dachte auch nur im 322
entferntesten daran, Ihnen Mhoshibadoonia streitig zu machen – Gott bewahre! Sie sollten sie nur ebenfalls heiraten. Verstehen Sie: hei – ra – ten! Als Vorbild sozusagen. Nun kommen Sie schon, Sie Starrkopf! Immer mit dem Dickschädel durch die Wand, diese Männer ... – Aber ich sagte doch schon, daß das nicht geht. Ich bin schon getraut, noch dazu katholisch! – Na und? Jetzt werden Sie mit einemmal zimperlich, wo ich mich tolerant den Umständen anpasse? Was soll man gegen solche Argumente? Alles endete schließlich vor dem Altar im Andachtsraume des Klosters. Eine Szene von wohl einmalig-grotesker Einprägsamkeit! Durch die bunten Scheiben fiel das farbreiche Abendlicht. In den zu einer langen Reihe zusammengeschobenen Bänken saßen wir Männer, vor uns Zamela und Mhoshibadoonia. Die Ehrwürdige Mutter intonierte auf einem knarrenden Harmonium (störend wie ein knarrendes Bett: dieses die Schäferstunde, jenes die Feierstunde) ausgerechnet die »Toccata in d-moll« von Johann Sebastian Bach. Meine Männer, alle in der weißen Hauskleidung, zerflossen beinahe vor Feierlichkeit, die Mädchen aber wetzten unruhig und erwartungsvoll mit ihren appetitlichgerundeten Hinterteilen in den Bänken vor uns hin und her, weckten unsere Begierden, wie man Grillen mit langen Grashalmen aus ihren Löchern in den Berghängen hervorlockt, und wußten dies sicherlich auch. Aber im Refektorium wartete eine reiche Tafel mit Speisen und Früchten und Wein auf uns. An eine sofortige Erfüllung der neuen Ehepflichten war also nicht zu denken. 323
Wie immer, so hielten Selbstbeschränkung und Verlogenheit mit den selbstauferlegten Konventionen Einzug bei uns. Was wurden wir doch immer deutlicher für ein billiges kleines Modell der großen Gesellschaft! (aber damals erkannten wir das nur eben dumpf aus der mehr unbewußten Akkumulierung von Freiheitsbeschränkungen heraus.) In der Küche waren Spieße und Braten, Suppen und Beilagen schon gerichtet. Ja, die Hochzeitsnacht würde auf sich warten lassen: Mahlzeit! Nachdem das Harmonium verklungen war, schritt die Ehrwürdige Mutter, entschlossen wie immer, zur Zeremonie. Sogar die entsprechende Anzahl von Ringen hatte sie im Nähzimmer aufgetrieben und in einer seidengepolsterten Schatulle am Altar zurecht gelegt. – Männer! Wir sind hier an diesem geheiligten Ort der Zuflucht unter Umständen angelangt, die durch ihre bedrohliche Besonderheit auch ganz außerordentliche Maßnahmen durchaus rechtfertigen. (Räuspern im Betraum) Ihr wart gezwungen, hmmm, um unser aller Leben zu erhalten, gegen – nun sagen wir einmal – fast alle göttlichen Gebote täglich zu verstoßen. Hier aber habt ihr wieder Ruhe und Frieden gefunden. Und nichts hindert uns hier, Ordnung um uns und in uns zu schaffen, nicht wahr! Der Mensch lebt nicht gerne allein. Aber das Zusammenleben bringt nun eben einmal nicht nur Rechte, sondern vor allem auch Pflichten mit sich, Männer.. . – Die Ehepflichten! (Muhammed, die Oberin zu einem ermahnenden Räuspern veranlassend)
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– Und diese, hm, Pflichten, regelt man eben am besten durch einen Vertrag. Die Ehe ist eine besonders verantwortungsvolle Gemeinschaft, ist sie doch die Zelle, der Grundstein jeder menschlichen Gemeinschaft – wie fortschrittlich und revolutionär eine solche auch immer sein möge! Und ich bin mir meiner jetzigen Handlungsweise durchaus voll bewußt. Hoffentlich seid ihr es auch! Nervöses Hin- und Herrücken in den Bänken. Niemand hatte eine so ernste Ansprache erwartet. – Ich muß euch auch noch einmal meine Gründe für mein Vorgehen klarmachen, damit ihr den Vertrag, den ihr jetzt eingehen werdet, auch bis ins kleinste Detail versteht: Der christliche Glaube kennt die Mehrehe nicht! (Murren und Unruhe aus der Reihe der Männer um mich) Aber ich glaube, daß ein im Angesichte Gottes nach den Umständen geregeltes Zusammenleben zwischen Menschen doch besser ist als das Verharren in der Sünde! (abermaliges Murren) Es geht hier also nicht um das Sakrament, sondern um den Vertrag, nicht um ein göttliches Gesetz, sondern um Gott als Zeugen! Soviel vorher. Die Zeremonie selbst, denn ohne eine solche geht es nun einmal nicht, habe ich hier in aller Kürze aufgesetzt, schriftlich, versteht sich. Ich verlese sie nun einmal für alle. Wir erhoben uns. – Männer, die Umstände erfordern eine ungewöhnliche Maßnahme von uns. Und ich frage euch nun, Charles, Jean-Baptiste, Jesus, Marx, Meli, Moise und Muhammed, wollt ihr euren Frauen treue Beschützer sein, sie gegen jede Unbill verteidigen bis zum letzten Atemzuge; und wollt ihr eure Kinder ordentlich großzie325
hen, eurer Familie ein Vorbild sein und eure zukünftigen Taten nach diesem Vertrage richten, bis daß die Umstände eine neue Regelung für uns alle ermöglichen? Donnernd und wie aus einem Munde erklang die Antwort: -Jawohlll, Ehrwürdige Mutter! – Und ihr, Maria-Agnes und Mhoshibadoonia, wollt ihr euren Gatten liebende Frauen, euren Kindern sorgende Mütter sein, in allem den Wünschen eurer Männer gehorchend, bis daß die Umstände eine neue Regelung für uns alle ermöglichen? – Ja, ma Mere! – So erkläre ich euch, kraft der besonderen Umstände und meines geistlichen Amtes für jeweils Mann und Frau. Und eingedenk der Schuld, die der Mensch immer und in allen seinen Handlungen auf sich lädt, bitte ich Gott: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen sich anders nicht zu helfen! – Das schon, aber nicht auf so angenehme Art! (Muham-med, für alle Bräutigame laut und deutlich das Wort ergreifend) Die Ehrwürdige Mutter bestand nach einem verweisenden Blick auf Muhammed darauf, daß wir feierlich einander die Vorhangringe ansteckten und den verlesenen Ehevertrag unterschrieben. Zamela verließ mit je drei mit ihr Arm in Arm gehenden Männern den Betraum. Ich folgte mit Mhoshibadoonia und einem äußerst unguten Gefühl im Magen: Die Dinge begannen schon wieder, wie übrigens immer in meinem Leben, meiner Einflußnahme zu entgleiten! Mir ahnte nichts Gutes, obwohl das Hochzeitsmahl unsere erste Mahlzeit größeren Stils wurde, bei der weder Teller explodierten noch Wein auf intime Körperteile 326
verschüttet wurde – hatte sich vielleicht tatsächlich durch diese simple Zeremonie in uns allen etwas geändert? Es ging zuerst sogar sehr schweigsam her. Auch später, als der Wein die Zungen lockerte, sprach man über ernste Dinge: Unsere Wirtschaft, die Lebensmittel-Vorräte, Nachwuchsprobleme usw. Schließlich kam man darauf zu sprechen, wer als Vater des Kindes gelten solle, das Zamela zur Welt bringen würde. Darüber bestand zu diesem Zeitpunkt bereits kein Zweifel mehr. Wieder einmal eine Überraschung ganz uneuropäischer Art: Jeder wollte allein dieser sagenhafte Vater sein! Im Laufe des angeregten Gesprächs stellte sich auch heraus, warum: Jeder hielt sich selbst für wesentlich vitaler als die anderen Teilhaber, zumindest nahm jeder an, daß seine Spermien es wären, die gegenüber denjenigen der Rivalen siegreich in Zamelas Eierstock Einzug gehalten hatten. Die Ehrwürdige Mutter war sehr zufrieden mit dieser »so unverdorbenen natürlichen und männlichväterlichen« Haltung der Männer, kündigte nun die große Überraschung der Feier an und verschwand. Schließlich rollte sie auf dem Servierwagen eine gigantische Torte herein, deren Mehl Mhoshibadoonia und Zamela im Steinmörser fein gestoßen und dann im Pferdehaar-Sieb gesiebt hatten. Dazu aber tranken wir einen Roten vom Geschmacke etwa eines »Porto«, dessen Etikett ihn als beinahe gleichaltrig mit der Ehrwürdigen Mutter auswies. Die frischgebackenen Ehemänner einigten sich darauf, die Hochzeitsnacht gemeinsam zu feiern, in Zukunft aber nach einer genauen Reihenfolge bei Zamela zu schlafen. Im Weggehen hörte ich Marx noch bezweifeln, daß man
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mit einem einfachen Turnus durchkommen würde .. . Immerhin heißt das fünf ganze Tage jeweils fasten! Die Ehrwürdige Mutter aber: – Ich will mich bestimmt nicht in eure Ehe einmischen ... Sie gab zu bedenken, daß Zamela auch nur ein Mensch sei und irgendwann einmal der Ruhe bedürfe. Meli meinte darauf mit einem Kompromißvorschlag, man solle einfach immer zu dritt mit Zamela schlafen, denn einen Tag könne man es zur Not doch wohl auch so aushalten! Muhammed stimmte dem zu und fand dabei die Tatsache äußerst günstig, daß Zamela nicht mehr unwohl würde, wodurch wenigstens die erzwungenen AbstinenzZeiten nicht auch noch durch Zamelas temporäre Unbrauchbarkeit verlängert würden. Mich erinnerte diese letzte Bemerkung auf der Stiege daran, daß auch Mhoshibadoonia eigentlich schon lange hätte unwohl sein müssen, und sie mußte meine Gedanken gespürt haben, denn als wir uns oben ausgezogen hatten, da stellte sie sich vor mich hin und meinte mit ihrer so natürlichen, warmen Zärtlichkeit: – Wir werden einen kleinen Charles bekommen, Charles!...
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18 Wie alle Pflüge, die länger nicht in Gebrauch gestanden sind, so war auch der einst sicherlich ebenso vorbildlich gereinigte wie untergebrachte Pflug unserer phallischen Heiligen Theresia rotbraun vor Rost. Ich liebe diese mit orange verwandte Farbe! Alle halfen wir bei den Vorbereitungen mit, als J-B-B die Zeit für gekommen hielt, unseren ersten Acker umzubrechen. Wir hatten uns inzwischen einen einwöchigen regelrechten Urlaub gewährt, währenddessen wir tatsächlich den reinsten Ferienbetrieb aufgezogen hatten. Und nun war es eben Zeit zur Bestellung der Felder geworden. Wir hoben den Pflug auf den Leiterwagen mit Gummirädern, den J-B-B eigens dafür instandgesetzt und geschmiert hatte, führten die zwei schweren Ackergäule aus dem Stall und hielten ihnen den Zaum, während J-BB sachgemäß anspannte. Schnurgerade lag bald die erste dunkle Furche vor unseren staunenden Blicken, und eine leichte Staubwolke hing hinter dem Pflug in der Luft, denn der Boden war sehr trocken. Und wie zu Hause in Europa, so strömten auch hier von allen Seiten eine Unmenge von Hühnern zusammen, bekannte und unbekannte, und pickten eifrig nach Käfern und Insekten und deren Larven. Aber lange konnten wir anderen nicht bleiben. Auch im Hause war Not am Manne. Es hieß nun doppelt zupacken, da wir ein Ziel hatten. Die außergewöhnliche Fruchtbarkeit der Felder hatte dazu geführt, daß eine wahre Sammelwut über uns gekommen war, und ich hatte den unbestimmten Verdacht, daß dabei die Fruchtbarkeit unserer Frauen noch befruchtend und stimulierend gewirkt habe, mehr noch als diejenige unserer Felder. Jedenfalls gab es gegenwärtig keinen Raum, dessen Boden nicht mit allen nur erdenklichen Früchten belegt gewesen wäre: Wir schliefen sogar schon zwischen Wurzeln, Kürbissen, 329
Kornsäcken, Zwiebelzöpfen und ähnlichen Vorräten. Der heutige Tag sollte dazu genützt werden, die großen Vorratsräume instandzusetzen. Vor allem wollten wir die Stellagen reparieren, neue Stellagen aus Stangen errichten, um die Früchte dann in diesen Räumen unterzubringen, zu ordnen. Meli fuhr sofort mit Marx los, während wir anderen uns an die Reparatur machten. Morsche Stangen mußten entfernt werden, benutzbare Stellagen wurden gleich belegt, neue Ordnungen wurden bedacht und eingeführt. Alle liefen eifrig durcheinander, die Ehrwürdige Mutter hatte jede Menge praktischer Winke und Vorschläge parat und sparte auch nicht damit. Als Meli und Marx mit einer riesigen Ladung Stangen ankamen, da ging es ans Sägen und Behauen und Hämmern, daß es nur so dröhnte. Muhammed kümmerte sich mit Jesus II und J-B-B um den Transport der Vorräte. Aus allen erdenklichen Fenstern wurden Säcke gereicht oder mit Seilen von kräftigen Fäusten in den Hof heruntergelassen. Die Männer beluden sich wie Packesel, schwitzten und lachten dabei, hieben Zamela im Vorbeigehen auf den herausfordernden Hintern, kletterten rauchend im Vorratsraum auf schwankende Stapel und ächzende Stellagen, scherzten ununterbrochen und benahmen sich überhaupt wie eine übermütige Schulklasse... Es war Mittag vorbei und die Ehrwürdige Mutter hatte uns schon mehrmals zum Essen gemahnt, aber immer noch war J-B- B nicht vom Pflügen zurück, obwohl er die geplante Arbeit nach seinen eigenen Angaben vor Stunden schon hätte beendet haben müssen. Die Besorgnis der Ehrwürdigen Mutter übertrug sich schließlich in Form einer unbestimmten Unruhe auch auf uns. Endlich winkte ich Muhammed und Meli, mir zu folgen. Wir eilten ins Haus, stülpten unsere Helme über, ließen die Schlösser unserer MP's schnappen, was uns urplötzlich in unser altes Element zurückversetzte, sprangen in den Jeep und schossen auch schon zum Tor hinaus. Hinter uns sah ich noch Marx und Jesus II kriegsmäßig Posten beziehen. 330
Wir folgten dem Weg nach Westen, am Hügel vorbei und sahen J-B-B schon von weitem friedlich pflügen. Der Fanatiker hatte vor lauter Vergnügen an der vertrauten Tätigkeit gleich noch einen zweiten Acker unter den Pflug genommen, dessen Schar nun glänzte wie ein scharf poliertes Nahkampfmesser. Beruhigt zogen wir wieder ab und saßen bald danach alle um die erstaunlich reichhaltig gewordene Mittagstafel, an die wir uns allerdings bereits gewöhnt hatten. Am Nachmittag ließen die anderen es sich nicht nehmen, ebenfalls J-B-B's Werk zu bewundern. Die ersten frischen Ackerfurchen! Besonders unsere Ehrwürdige Mutter schien vollkommen zufrieden, so als hätte sie endlich die ewige Glückseligkeit erreicht. Wir hatten im Jeep gleich die vorgesehenen Sämereien mitgebracht und eine improvisierte Egge. Sie bestand einfach aus vier Brettern, die zu einem stehenden Rahmen zusammengebaut waren. Diese flache »Kiste ohne Boden« hing hinten am Jeep, Muhammed und Marx stellten sich darauf, und Meli raste damit in immer enger werdenden Kreisen über den Acker, eine gewaltige rötliche Staubwolke und eine ebene Fläche zurücklassend. Inzwischen hatte uns JB-B Anweisungen für das Säen gegeben: Um zu vermeiden, daß das Korn unregelmäßig aufgeht, sät man am besten »über Kreuz«, das heißt, einer sät sehr dünn in der Längsrichtung des Feldes, ein zweiter ebenso der Breite des Ackers nach. Im Nu waren die beiden Äcker gesät, und mit der leichten Besenegge, die im Kloster vorhanden war, eggte Meli, wieder mit dem vielseitigen Jeep, die Körner ein, was bei den Hühnern den bekannten enttäuschten, starren Blick, das vorwurfsvolle Gackern und vergebliche Suchen und Äugen hervorrief. Schon zogen die Schafe wieder auf die Weide, da kehrten wir heim. Niemand von uns wußte, wann es hier wohl einmal regnen würde. Daß dies aber vorkam, schlossen wir aus dem Vorhandensein der vorgefundenen Landwirtschaft selbst. 331
Zamela und Mhoshibadoonia hatten für das Abendessen gesorgt; sie begannen beide schon schwerfällig zu wirken, obwohl man ihrer Linie noch nichts Bestimmtes anzumerken vermochte, besonders nicht im Bett. Da unsere Zivilpullover inzwischen längst fertig waren und von uns getragen wurden, häkelten die Damen nun abends immer Kinderwäsche aus besonders fein versponnener Schafwolle, und immer häufiger ertappten wir sie bei heimlichen, leisen Gesprächen über Geburtshilfe und Kinderpflege. Und mehr als einem von uns wurde der Kragen dabei etwas zu eng, was nicht nur vom vielen und guten Essen kam. Mhoshibadoonia entwickelte jetzt im Bett eine Zärtlichkeit, die mich nicht nur beanspruchte und ermüdete – im besten Sinne ermüdete und beanspruchte – sondern mir beinahe schon als das vollkommene Glück schlechthin erschien, was mich aber immer warnt: Alarmstufe I! Denn wenn es einem so gut geht, dann kann jede Änderung nur zum Schlechteren sein. Und obwohl niemand mehr von einem eventuellen Abmarsch sprach, sondern alle sich in Gesprächen über Stallbauten, Wirtschaftsausdehnung und das Basteln von Kinderbetten ergingen, hatte ich doch kürzlich mit Muhammed unsere Kampfausrüstung wieder einmal gründlich durchgesehen ... Die Landwirtschaft ist vor allem deshalb eine so befriedigende Arbeit, weil sie aus Beschäftigungen besteht, deren jede einen in sich geschlossenen Zyklus bildet. Die Trauben waren inzwischen bedenklich gereift, die Äcker bestellt, und manche Weinbeeren begannen bereits an den Trauben zu trocken und zu schrumpfen, was zwar die Herstellung ausgezeichneter Jerez-Weine ermöglicht hätte, aber nicht in unserer Absicht lag, die wir noch niemals auch nur Essig, geschweige denn einen trinkbaren Wein aus Trauben bereitet hatten. Die Kelter mußte also hergerichtet werden, und ich machte mich mit Moise an die Arbeit.
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In unserem Weinkeller, der aus den üblichen zwei Abteilungen bestand, fanden wir im etwas höher gelegenen Preßraum eine schöngearbeitete Holzschraubenpresse vor. Wir probierten sie aus, machten uns mit ihrer Funktionsweise vertraut, schmierten das Oberteil des Holzgewindes mit Schmalz, richteten eine Menge von Fässern her, schwefelten diese aus und bastelten aus einigen langen Brettern eine Weinrinne, durch die der Most dann direkt in die Fässer im langen, tieferen Teil des Kellers geleitet werden sollte. Und am nächsten Morgen ging es los. Zum ersten Male ließen wir das Haus ohne Bewachung zurück. Für die Weinernte brauchte es den Einsatz aller. Wir hoben zwei große Bottiche auf je einen unserer »Gummiwagen« – denn wir wollten Benzin sparen – spannten ein, verstauten noch die Tragkörbe, nahmen selbst auf den wagen Platz, die Pferde zogen an, und hinaus ging's zum Tor, wie in einem Volkslied aus längst überholten, von der Technik überrollten Zeiten. Mir paßte diese etwas retardierende Stimmung schon lange nicht mehr recht in den Kram, aber anscheinend war ich der einzige unter uns, der dies verspürte, und ich wollte die anderen nicht unbedingt kränken, indem ich ihnen verdarb, was ihnen offenbar solchen Spaß bereitete. Dabei gefiel mir die Sache ja auch, und ich konnte nicht sagen, woher mein ungutes Gefühl dabei kam, der Drang, mich innerlich ununterbrochen über alles das lustig zu machen! Ich kenne mich eben immer nur unzufrieden! Das Tor konnte offen bleiben – es war ohnehin niemand im Haus. Ja, es verlief alles genauso wie geplant – immer verlief nun bei uns alles wie vorgehabt! (wie war das damals, jeden Donnerstag von 8 Uhr 30 bis 9 Uhr 25 Mathematik?!) Immer von zweien wurde ein Tragkorb mit Trauben gefüllt, und gemeinsam wurden die Bottiche gefüllt, so wie auch Zamela gemeinsam gefüllt worden war – alles in bester Ordnung. 333
Bei dem letzten Gedanken streckte ich meinen beim Pflükken gekrümmten Rücken gerade, schob meinen Helm ins Genick, stützte meinen Arm auf die an meiner Schulter baumelnde MP und blinzelte durch die Sonne über die weit verstreut arbeitenden Gefährten hin auf »unser« Kloster. Seit wann eigentlich galt für uns wieder der angeblich göttliche Verdammungsfluch, daß sich emsig bücken müsse, wer vom Weine trinken wolle?! Bisher hatten wir doch auch... Unglaublich, wenn ich es recht bedachte, unglaublich! Moise, der sich für einen hübschen Weiberarsch vor einigen Wochen noch hätte in Stücke reißen lassen, dieser Draufgänger Moise pflückte dort drüben mit klatschnassem Rücken, leicht fett geworden, unter stechender Sonne – Trauben in einen Kübel! Trauben in einen Kübel, während Zamelas immer noch höchst aufreizendes Hinterteil wenige Schritte vor ihm rund und prall die für anspruchslosere Männerärsche geschnittene Pantherhose beinahe sprengte! Was hätte diese Situation vor kurzem noch an Explosivstoff geborgen! Und jetzt? Einen schweißnassen, eifrigen BauernBuckel! Und Meli erst, dort oben am Hügel half er eben unserer unverändert drahtigen Ehrwürdigen Mutter, einen vollen Korb abzutransportieren. Er war plötzlich auseinandergegangen wie Hefeteig. Dieser Vollblut-Söldner, der immer so unerhört lustig gewesen war, so unerwartet immer reagiert hatte, blitzartige Entschlüsse faßte und ausführte – noch immer sehe ich ihn im Kugelregen von Dilolo unseren Jeep durch das geschlossene Tor fahren! - er hatte sich im Frieden unseres Klosters zu einem Ausbund an Geduld entwickelt. Nichts konnte Meli aus der Ruhe bringen, nichts auch seine Hilfsbereitschaft ermüden. Marx! Auch er war mir als Mensch erst hier begegnet. Er besaß eine ausgesprochene Neigung zum Familienvater. Niemand von uns beschäftigte sich so viel mit der Einrichtung des Hauses. 334
Jesus II hatte ich im Kampf nicht erlebt, jedenfalls nicht bewußt. Er war immer gleich. J-B-B aber machte mir richtiggehende Sorgen. Er war, anstatt schweigsam, nun geradezu stumm geworden, und immer häufiger sonderte er sich von uns ab, unternahm er abends weite Spaziergänge – übrigens jedesmal in voller Kampfausrüstung. Er war zäh geblieben, aß wenig, lachte kaum und sprach absolut nichts. Muhammed stand ganz drüben auf der anderen Seite der Pflanzung. Ein Prachtkerl! Immer bei Laune, zu jedem Scherz aufgelegt und mit einem unverwüstlichen Appetit nach Mädchen gesegnet. Während zum Beispiel seine Mit-Ehemänner mit der Zeit tatsächlich in einen ehelichen Rhythmus bei Zamela verfallen waren, kam Muhammed nicht nur seinem eigenen Stundenplan bei ihr pünktlich nach, sondern übernahm auch noch unermüdlich alle ausfallenden Stunden der anderen. – Was man hat, das hat man, und außerdem weiß man nie, wann einem die Eier weggeschnitten werden, in dieser beschissenen Gegend hier. Dann brauche ich mir wenigstens einmal keine Vorwürfe zu machen, etwas versäumt zu haben! Ja, Muhammed war Söldner geblieben. Er bemerkte, daß ich zu ihm hinsah und winkte mir mit der MP zu: Wir waren die einzigen, die immer noch mit der Waffe aus dem Hause gingen ... Irgendetwas paßte mir nicht mehr! Mhoshibadoomas Zärtlichkeit war schweigsam geblieben, innerlicher geworden und erfüllte mich mit einer Genugtuung, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Vielleicht war ich überhaupt nur ihretwegen noch hier. Ich wußte es nicht recht. Allerdings reizten mich auch die Schafe sehr. Der Abend nach der ersten Weinernte verlief sehr fröhlich. Eine lebende Kette, reichten die Männer die von den Frauen aus den Bottichen auf den Gummiwagen gefüllten Körbe in den Preßraum weiter, wo Muhammed und ich den süßlichen, faden Saft, den Most aus den Trauben preßten, indem wir die langen, kreuzweise übereinander eingesetzten Holzstangen 335
gleichmäßig vor unseren Brustkörben herschoben – ausgerechnet wir beide! Faß um Faß füllte sich so...
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19 An diesem Morgen weckte mich ungewohnter Tumult im Hause. Wie der Blitz fuhren ich und Mhoshibadoonia aus dem Bett. Während ich in den Drillich schlüpfte, der für alle Fälle immer bereitlag, und mit übertriebenem Schwung meine Kiwis umschnallte, verspürte ich endlich wieder etwas wie eine langersehnte Befriedigung über die vertrauten Handgriffe, und während ich im Hinausstürzen noch den Helm über den Schädel stülpte, die MP vom Kleiderhaken riß, verstärkte sich der Lärm unten noch. Auf der Stiege kam mir Muhammed entgegengerast, aufgeregt, wütend, außer sich: – Das Schwein! Der Hurensohn, der dreckige! Sich einfach so davonzumachen, der Hund, der räudige! -Moment, langsam! Was ist denn eigentlich los? (ich, gar nicht im Bilde) – J-B-B ist abgehauen, dieser polierte Affenscheißdreck! (Muhammed, etwas übertreibend, denn gar so poliert war J-BB gar nicht) – Was heißt abgehauen? Er macht doch immer Ausflüge! (ich, beruhigend und nachdenklich) – Aber nicht mit einem Jeep, mit Verpflegung und einem Wasserfaß, Capitaine! (Meli, mich seit langem wieder mit meinem angemaßten Dienstgrad ansprechend) -Alle Mann ins Refektorium - Besprechung! (ich, mit gewohnter Präzision schaltend) Auch die Frauen stellten sich zur Besprechung ein. Es stellte sich heraus, daß J-B-B am frühen Morgen plötzlich mit dem für eine heute geplante Rekognoszierungsfahrt ausgerüsteten Jeep zum Tor hinausgerast und in Richtung Kasempa davongeprescht war. Wir hatten vorgehabt, in einer mehrtägigen Expedition die weitere Umgebung des Klosters zu erkunden. Nur so aus Langeweile eigentlich und ohne einen besonderen Anlaß. Und nun diese Panne! Jedem war sofort klar, daß die Gefahr für uns alle tödlich geworden war. 337
Muhammed, radikal und konsequent wie immer, schlug vor, indem er Jesus II gleichzeitig sein Bedauern ausdrückte, diesen erst einmal unschädlich zu machen und dann die Verfolgung JB-Bs aufzunehmen. Ich hatte nur wenig Mühe, die Aussichtslosigkeit beziehungsweise Sinnlosigkeit beider Vorhaben nachzuweisen: Jesus II hatte uns zur Genüge seine Loyalität bewiesen, und für eine Verfolgung J-B-Bs im zweiten Jeep war der Vorsprung des Flüchtlings einerseits zu groß, andererseits aber unser Benzinvorrat zu gering, womit J-B-B sicherlich gerechnet haben mochte. Denn was sollten wir tun, wenn wir J-B-B nicht heute noch einholten? Es war ausgerechnet Jesus II, der einen Vorschlag machte. J-B-B mußte nach Kasempa die Straße benützen, und diese machte um eine Schlucht im Osten von uns einen weiten Bogen, den wir zu Pferde abschneiden konnten. Er, Jesus II, kannte den Weg nach Kasempa wie seine Hosentasche, und auf dem direkten Weg konnten wir J-B-B sogar noch um über eine Stunde zuvorkommen, wenn wir nur sofort aufbrachen. Muhammed, einerseits geschmeichelt, daß nun von »seinen« Pferden so viel für uns abhängen sollte, machte dennoch Jesus II in seiner liebenswürdig-direkten Art darauf aufmerksam, was ihn im Falle eines mit J-B-B abgesprochenen Hinterhalts erwartete: – Ich würde dir deine Eier höchstpersönlich und im eigenen Sack zubereiten – schön kochen, weißt du! – Weich- oder hartgekocht? (Jesus II, scheinbar ungerührt konternd, aber dennoch ein gewisses Unbehagen zeigend) – Ich stopfe sie dir jedenfalls gekocht ins Maul, wenn du uns in einen Hinterhalt zu locken versucht, dann kannst du das selbst feststellen, Kollege! (Muhammed, energisch)
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– Warum frißt du sie nicht selbst, damit du endlich einmal einen vollen Beutel bekommst und nicht immer anderen Leuten auf die Eier gehst?! (Jesus II, nun ebenfalls hart) – Macht euren Küchenzettel später perfekt. Jetzt heißt es handeln, und zwar sofort! (ich, kategorisch) Und es wurde gehandelt. Während Muhammed, Jesus II und ich uns marschfertig machten, unsere Waffen nachsahen, noch einmal rasch pissen gingen, warfen die anderen den Pferden schon die Sättel und Proviantbeutel über. Wir saßen auf und sprengten zum Tor hinaus, Jesus II voran. Die Ehrwürdige Mutter hatte mich noch eindringlich ermahnt, ja keinen Mord an dem armen J-B-B zuzulassen. – Gewiß sind ihm nur die Nerven durchgegangen, Monsieur! – Dann sollte er besser drauf schauen, auf seine Nerven! – Ach, Sie wissen ja! Wahrscheinlich bereut er die Sache ohnehin schon! Schonen Sie ihn! Bitte! – Ich werde mein Möglichstes tun! Adieu, ma Mere! – Adieu, Capitaine! Und viel Glück! (die Ehrwürdige Mutter, mit Tränen in den Augen) Auch Mhoshibadoonia verabschiedete sich sehr traurig von mir. Damals wurde mir erst bewußt, daß dies seit langem wieder das erstemal war, daß wir eine gefährliche Unternehmung starteten. Seltsam, mir wäre dies gar nicht aufgefallen, aber auch Moise, Meli und Marx, die fettgewordenen »M«-s, waren ernst, und selbst das Tageslicht war auf einmal nicht wie sonst. Alles war gestört. Es war kein Arbeitstag heute, und als ich mich nach einigen Minuten Ritt im Sattel umdrehte, da standen unsere bis an die Zähne bewaffneten Gefährten mit den Frauen am Klostertor, und alle starrten uns nach ... – Der Hurensohn soll was erleben! (Muhammed im vollen Trab) 339
Wir erreichten sehr rasch den Steilabfall des MittelgebirgsPlateaus im Süden des Klosters und trieben unsere Tiere dazu an, mit abwehrend vorgestreckten Beinen die halsbrecherischen Abhänge hinunterzurutschen. Die von Muhammed gezähmten und abgerichteten Pferde, die wir lange schon täglich, als Morgensport sozusagen, zu bewegen uns angewöhnt hatten, waren allesamt sehr ausdauernd und gutgenährt. Nach den Steilhängen erreichten wir einen ziemlich dichten Baumbestand mit trockenen Grasflächen dazwischen und galoppierten, nachdem Jesus II sich kurz orientiert hatte, in Richtung auf die Sonne zu. Bald stießen wir auf etwas Ähnliches wie einen Weg, vermutlich ein Wildpfad, dem wir nun gut eine Stunde folgten. Mein Sitzfleisch begann zu schmerzen. Mein Gaul hatte ein feuchtes Fell. Das vor mir rechts im Halfter steckende Gewehr schlug gelegentlich schmerzhaft gegen mein Knie. Und dieser gottvermaledeite Helm erst, dieser vollgepißte! Hatte man ihn auf, so rieb er einem, dank der Reitbewegung, den Schädel und das Kinn wund, hängte man ihn an den Sattelknauf, haute er einem gelegentlich derart unerwartet mit dem scharfen Rand in die Hoden, daß man seine Eier dabei riskierte. Ganz unerwartet stießen wir auf die Straße. Wir sprangen von den Pferden, banden diese ein gutes Stück buscheinwärts an und gingen vorsichtig, jedoch rasch zur Straße vor. Hier teilten wir uns. Muhammed folgte mit Jesus II der Straße in Richtung Kloster, ich aber nahm die andere Richtung. Ich mußte nicht weit gehen, um eine sandige Stelle quer über die ganze Fahrbahn zu entdecken, auf der Wagenspuren unbedingt hätten zu sehen sein müssen: Nichts! Auch Muhammed hatte bald eine solche Stelle gefunden: Ebenfalls nichts! – Ob er ein so gerissener Hund ist, daß er solche Stellen umfährt? (ich, beunruhigt)
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– Ist er nicht! Ein blödes Schwein ohne Kampferfahrung ist er! Hat er mir sogar selbst erzählt. Aber schauen wir dennoch nach! (Muhammed, kaugummikauend) Kaugummi dürfte so ungefähr das letzte sein, was in den Vorräten heutiger Armeen Mangelware wird. Aber unsere Suche im Busch nach Spuren eines Jeeps blieb ergebnislos. Da nach Angaben Jesus II diese Stelle per Jeep von J-B-B frühestens in einer halben Stunde erreicht werden konnte, gaben wir uns zufrieden und machten uns an die Vorbereitungen. Wie wir J-B-B und unseren braven Willys wieder unversehrt zurückerhalten würden, das wußten wir schon bei unserem Entschluß, per Pferd zuvorzukommen! Eine gründliche Ausbildung spart nicht nur viel Kopfzerbrechen, sondern noch mehr Zeit. Bald war eine geeignete Stelle der Straße gefunden. Fünf Minuten später waren wir bereit zum Empfang unseres Freundes, lagen alle, ökonomisch verteilt, im Hinterhalt. – Und denk immer schön an deine Ostereier! (Muhammed) Er kletterte dabei auf einen Baum, der einen Ast weit über die schmale Fahrbahn streckte, richtete sich auf diesem so gemütlich ein, wie es ging und klopfte mit der flachen Hand aufs Magazin seiner MP. – Wenn du versuchst, ihn zu warnen, Freundchen, dann gilt mein erster Schuß dir! Jesus II, der eben nervös seine Waffen nachsah, spuckte verächtlich nach Muhammed, der grinsend und geschickt auswich: – So ein onanierender Dattelaffe! Wenn ich das wollte, würde ich dir jetzt dein dreckiges Arschloch aufreißen, ein bißchen abdrücken kann ich nämlich auch! (Jesus-II, seine MP plötzlich auf Muhammed anlegend) – Ja, abdrücken schon, aber treffen, das ist ein anderer Kaffee! Außerdem würde ich dich ja erdrücken, du Wanze, wenn ich hinunterkäme – auf kürzestem Wege natürlich – du Weiberarsch, du vollgeschneuzter! (Muhammed, bestens in Form 341
und von einem Ohr bis zum ändern mit blitzenden Zähnen aus dem unverschämten, helmbeschatteten Gesicht grinsend) – Maulhalten jetzt, wo ihr euch schon so schön gemacht habt! Wenn ihr noch Angst habt, dann geht brunzen, das hilft auch! (ich, mitspaßend) Und gerade, als Muhammed mit militärischer Ehrenbezeigung von seinem Affenbrotbaum (oder was es sonst für ein Baum war) herab den Scherz fortsetzen wollte (er fummelte schon an seinem Hosenschlitz herum), da erklang mitten in sein erstaunt offenbleibendes Maul hinein deutlich und unverkennbar das leise, regelmäßige Schnurren unseres guten alten Jeeps, den wir unter Hunderten herauszuhören vermochten. Ich mußte Muhammed direkt mit der Hand ein Zeichen geben, den Mund wieder zu schließen (natürlich hört man mit offenem Mund besser!). Schon tauchte der Jeep aus der Kurve vor uns auf, fuhr auf uns zu und löste die Seilsperre aus. Das Drahtseil sprang hoch und vibrierte wie eine Saite unter dem es spannenden Gewicht, erklang wieder vibrierend, als es den Fahrer an der Gurgel faßte, aus dem Sitz riß und auf die Straße warf, wo sich Jesus II mit dem Messer auf ihn stürzte, während Muhammed wie ein Affe von seinem Ast in den weiterschießenden Wagen hopste und diesen nach wenigen Schritten zum Stehen brachte, im Rückwärtsgang und mit eigenartig funkelnden Augen auf die beiden am Boden zurückstieß, den Ganghebel auslegte, die Bremse zog, absprang. Ich war in Deckung geblieben. Rückversicherung gegen unvorhergesehene Überraschungen (viele »Überraschungen« lassen sich paradoxerweise vorhersehen), die bei solchen Aktionen nur zu häufig vorkommen. Nichts ist so durchdacht wie die Guerilla-Technik, und wie oft hatten wir genau diese Aktion damals geübt... Da sah auch ich, was los war, warum Muhammed so blitzartig reagiert hatte. Das war nicht unser Jeep (aber hatte er nicht genau den gleichen »Atem« ?)! Das war ja überhaupt kein Jeep! Wir hatten 342
einen fremden Landrover mit montierter Kanone gekapert. Und der Mann im Drillich? Da nichts weiter geschah, sprang ich auf die Straße hinaus. Es hieß handeln, hier war eine Teufelei im Gange. Wo war J-B-B? Muhammed überlegte nicht lange, reagierte klar, zielstrebig, einzig richtig: Sein Messer fuhr dem Bewußtlosen über den Hals, dessen Kopf klappte sofort ins Genick. Schon schleppte Jesus II den Kadaver, den er unter den Achseln faßte, ins Gebüsch. Muhammed sprang in den Wagen und fuhr diesen ebenfalls in den Busch. Ich hatte schon meine Bluse ausgezogen und verwischte damit die Kampfspuren. Jesus II half mir dabei. Muhammed kam wie ein Sprinter angeschossen und machte sich in fieberhafter Eile daran, die Seilfalle wieder aufzubauen. Was war geschehen? Diese Frage beschäftigte uns alle, während wir verbissen arbeiteten. Da wir nun eventuell mit mehreren Leuten rechnen mußten, änderten wir auch unsere Aufstellung entsprechend. – Armer J-B-B! Pech gehabt! Nun gibt's kaum mehr Überlebens-Chancen! (ich zu mir, indem ich eine geballte Ladung am Seil befestigte) Muhammed rannte schon wieder zurück zu dem Landrover, dessen schußbereite Kanone er so einschwenkte, daß er damit die Straße bis zur Kurve bestreichen konnte. Jesus und ich aber, wir kehrten an unsere vorigen Plätze zurück, lautlos und mit festgezurrtem Helmriemen. Ich warf mich eben an meinen Platz und wollte Muhammed gerade gewohnheitsmäßig das Zeichen »alles in Ordnung, bin auf meinem Posten« geben, da pflanzte sich mir ein eiskalter Gewehrlauf ins Genick, und eine kehlige Stimme forderte mich auf: – Los, connard, das Zeichen »O. K.« !
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Ich wechselte die MP, die ich schon rechts gehalten hatte, zögernd in die Linke hinüber, der Druck des Laufs verstärkte sich: – Wirds bald, Hurenkind, gottverdammtes?! Ich gab also Muhammed unser Zeichen, Jesus hatten wir noch nicht vollständig in diese unsere Verständigungsweise eingeweiht. Mit äußerster Spannung erwartete ich deshalb Muhammeds Antwortsignal. Dasjenige Jesus' erfolgte prompt und ahnungslos, Muhammed aber zögerte, hob schließlich seine MP ebenfalls links! Er war also nicht ebenso überrumpelt worden wie ich. Ich mußte den Knaben hinter mir vorerst einmal hinhalten. Aber wenn man nicht einmal weiß, ob weiß oder schwarz. .. Langsam wendete ich deshalb den Kopf und . .. – Vorwärts schauen, Kamerad, und Waffe weg! (der hinter mir) Mit einem leichten Achselzucken ließ ich die MP fallen – am Bauch liegend zuckt es sich schwierig mit den Schultern. Es verstrichen Minuten. Der Lauf blieb in meinem Nacken, der zu ermüden begann, zu erstarren – ebenso wie meine Gedanken. Ich wollte meinen Kopf auf den Arm abstützen: – Schön ruhig bleiben, sonst hast du ausgeschissen. Ich bin unheimlich nervös! Das klang, obwohl französisch gesprochen, sehr englisch. Um herauszubekommen, ob es sich um einen Amerikaner handle, sagte ich, so deutlich ich flüstern konnte, aber sehr freundlich: – your mother! Der Lauf zuckte, dann sehr erstaunt im besten genäselten Harlem-nigger-slang: – cock-sucker! He, fucking-boy, laß meine Mutter in Frieden ruhen, oder ich muß dir... – Arschloch, mariniertes! Ich zähl jetzt bis drei, dann laß ich meinen Kopf auf die Arme sinken. Wenn du bei meiner ersten Bewegung schon deine Pantherwindel vollmachst, dann drück 344
eben ab, du verhurtes Blödkind. Wirst ja sehn, was dann mit dir geschieht! (ich, hasardierend) Dann zählte ich bis drei und senkte mein müdes Haupt, der Lauf folgte mir neugierig und immer schön kühl im Genick. – Was heißt, was dann geschieht? Seid ihr noch mehr? (Pause) Na los, mach dein Dreckmaul auf! (er hinten) – Söldner, was Kamerad? (ich tränendrüsenbearbeitend) – Laß die Tour, ich habe dich etwas gefragt! (wieder er) – Und wenn ich ja oder nein sage, was hast du davon? (ich, um Zeit zu gewinnen) - Da hast du auch recht! Scheiß mich doch an! (der Knabe hinter mir, allerdings nur rhetorisch) – Gern, dazu mußt du mich aber aufstehen lassen, (ich, heiter) – Halt jetzt dein Scheißmaul, oder... (er, ein Messer schnappen lassend) Es konnte jedenfalls nicht mehr lange so weiter gehen. – Willst mich doch nicht für die Schwarzen und für Geld in die Pfanne hauen, he?! – Nicht für die Schwarzen und nicht für Geld, sondern für gute, harte US-Dollars, Kamerad! (der Mann hinter mir) – Dann los, tu's doch! (ich, aufreizend, den Mann ablenkend, und damit entgegen meinem äußerst unguten Gefühl dabei unseren eingetrichterten Instruktionen für den Fall folgend) – Nur nicht ungeduldig werden, die Geier bekommen dich früh genug, Kleiner! (der Mann) – In meiner linken Brusttasche sind Glimmstengel. Wäre schade drum! (ich, ungeduldig werdend – bin ich womöglich für einen Helden doch nicht recht geeignet?) – Was soll das? Am Ende soll ich dir noch eine anstecken? Wohl nicht ganz richtig in der Affenbrotfrucht, was? (der Knabe) Dabei nahm er aber nun doch endlich den nervösmachenden Lauf von meinem Genick. 345
Ich schob meine flachen Hände langsam am Boden vor, weniger, um die MP zu erreichen, als um mich blitzartig zur Seite rollen zu können. Gleichzeitig erwartete ich jeden Augenblick den Gnadenstoß. Scheußlich, diese Nervenbelastung – der Ausdruck »Zerreißprobe« ist nicht unberechtigt. Ohne Zweifel, die Ruhe hinter mir bedeutete nichts Gutes, der Augenblick des Handelns war gekommen. – Los Charles, auf deinen Posten! (Muhammed, den getöteten Ami zu Boden gleiten lassend) Ich drehte mich herum, es flimmerte mir vor den Augen. Dem Ami quoll dickes, dunkles Blut stoßweise aus dem völlig durchgeschnittenen Hals. Der ausgestandene Schreck fuhr mir seit langem wieder einmal in die Beine. – Merci, mon vieux! Das war gerade noch rechtzeitig! (ich, meine Haltung wiedergewinnend) – Ich habe wohl geschaut wie ein Kaktus, den ein Igel irrtümlich bespringt, als ich vorhin dein Zeichen »Gefahr« bemerkte. Zuerst glaubte ich beinahe an einen Irrtum bei dir. (Muhammed, drastisch wie immer) – Das wären lebensgefährliche Irrtümer! (ich, noch immer etwas erholungsbedürftig) Wie gesagt, es geht nichts über eine gediegene Ausbildung. Der brave Jesus II hatte von dem ganzen Intermezzo nichts mitbekommen. Wir aber fragten uns immer erstaunter: Was soll das? In was waren wir da hineingeraten? – Kann ich dich wieder allein lassen? (Muhammed, scherzend, als wären wir bei unseren Schafen) – Ich glaube nicht, daß jetzt der geeignete Augenblick für Scherze ist, Muhammed! – Pardon, Capitaine! Ich gehe also wieder an die Kanone. – Warte! Ob wir nicht besser abhauen? Wenn die mit mehreren Wagen ankommen, was dann? (ich, besorgt)
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– Oder gar von der anderen Seite! Schlage vor, daß ich einen zweiten Auslöser für die Falle auf der anderen Seite installiere. (Muhammed, wie immer sorglos und entschlossen) – Wird das beste sein. Wenn die Ballerei losgeht, und es sind zu viele, dann hauen wir mit den Pferden ab. (ich, nun auch wieder in Schwung) – Aber zuerst knallen wir noch die meisten davon ab und veranstalten ein Feuerwerk mit dem Rover! (Muhammed, voll Tatendrang) – Du kannst den Wagen ja nachher »laden«. Während du aber die Falle herrichtest, werden Jesus II und ich an je einer Kurve aufpassen, damit du nicht überrascht wirst. Ich winkte Jesus II heran, informierte ihn kurz, riß ihn vom Anblick des Amis los, und wir hauten ab. Moise entledigte sich seiner Aufgabe rasch und geschickt, gab uns Zeichen, und wir kehrten an unsere Posten zurück. Ich allerdings nicht ganz genau, das Amiblut stank schon, und ich bin ausgesprochen geruchsempfindlich. .. Seltsamerweise erinnerte mich der Blutgeruch an die Schafe zuhause in den Bergen. Auch ihre Köpfe baumelten so haltlos, und das Blut verfärbte die Wollstapel oberhalb der Wunde, weil sie ja kopfunten hingen. Mein Vater zögerte jede Schlachtung immer so lange wie nur möglich hinaus. Seltsamerweise fehlte es ihm hier an Entschlossenheit, und wir Söhne flüchteten währenddessen gar meilenweit, nur um das letzte jämmerliche Blöken nicht zu hören! Wenn ich dran dachte, wie mein Vater umkam... Prost, Mahlzeit! Stur, wie er nun einmal war, wollte er unbedingt in unseren von den Amis besetzten Hof hinein, um irgendetwas völlig Unnötiges herauszuholen – wir waren einige Wochen aus-
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quartiert und hausten mehr schlecht als recht im Heustadel visa-vis unseres Hofes. Der Posten am Hoftor hielt ihm das Gewehr vor die Brust, kaute ein genäseltes »no entrance«! -Halt's Maul, Dattelaff, wenn du nicht Deutsch kannst, (mein Vater, sehr überzeugt und leicht erregbar). Für ihn waren alle Amis Dattelaffen, eine Assoziation, deren Ausgangsglied mir nie ganz klar geworden ist. Wahrscheinlich wollte er damit zum Ausdruck bringen, daß er an der Ostfront mit anderen Situationen fertiggeworden war. Überhaupt: Sehr eigenartig, dieser Meinungswandel bei ihm! Weil er einen Mann, den die Gestapo nach Dachau schicken wollte, versteckt gehalten und ihm dann auch noch zur gelungenen Flucht verhelfen hatte, mußte er stante pede an die Front – trotz seiner bescheinigten »Unabkömmlichkeit«! Schon in Frankreich hatte er sein Sprachtalent entdeckt. In Prokocim gewann er die polnische Bevölkerung für sich, weil er ihre Sprache zu erlernen versuchte– mit Erfolg! Und dann: Nachtdienst am Bahnhof von Prokocim! Auf seinem Bahnhof, denn er war dort Fahrdienstleiter. Plötzlich Geknalle, er springt auf. Pistole heraus und entsichert! Draußen ein Blutbad. Zwei sogenannte »Volkspolizisten« veranstalteten ein regelrechtes Scheibenschießen auf die polnischen Verschubarbeiter. Was war geschehen? Ein Waggon mit Korn war beim Verschieben »zufällig« etwas zu hart aufgefahren, war dabei natürlich aufgesprungen, aufgeplatzt, aufgebrochen, und gab sein Innerstes her, spie etwas Korn aus und so ... Die halbverhungerten Arbeiter jedenfalls wußten, daß mein Vater diese Nacht Dienst hatte (anscheinend aber wußten sie nichts von den beiden Volkspolizisten). Jedenfalls, der Waggon fuhr auf, das Korn rann heraus, auf den Schotter, auf die Schwellen, auf die Geleise, rann zwischen die ruß- und ölverschmierten Steine. 348
Die verhungerten Polen stürzten sich natürlich wie die Wilden darauf. – Das sein Aufruhr, Apschiarrkreff, Schlagtraffi!!! Sofort zurücktreten, oder ... Es knallte auch schon, zugleich mit der Warnung - man muß flink sein, nur der Schnellere überlebt solche Zeiten! Mein Vater kam angerannt, da waren schon vier tot, einer wälzte sich noch vor den Stiefeln der Volksdeutschen Volkspolizisten. Er hatte einen Bauchschuß und sie wollten ihn eben »liquidieren«. Mein Vater, der den Verwundeten gut kannte, hob ihn, die Pistole drohend in der Faust, vom Boden auf, kletterte auf eine gerade unter Dampf stehende Lok und ließ sich nach dem nahen Krakau fahren. Dort angekommen winkte er einen Militärkübelwagen heran, der gerade samt Fahrer dastand, hob den Angeschossenen hinein, sprang nach: – Los, ins Polnische Krankenhaus, aber wie der Blitz! – Erstens warte ich hier auf meinen General, und zweitens weiß ich einen Dreck, wo dieses beschissene Spital liegt! (die Ordonnanz des Kübels) Vaters Pistole saß in jeder Nacht verdammt locker. Und so zuckte der Fahrer die Schultern, schlug die Hacken zusammen, erhob die Hand zum »deutschen Gruß« und raste durch Krakau. Im Polnischen Krankenhaus wies man meinen Vater erst glatt ab, dann gab man ihm zu verstehen, daß man hier den Mann auch dann nicht würde retten können, wenn man ihm alle nötige Sorgfalt angedeihen ließe, auch wenn man die erforderlichen Medikamente bekäme! – Also auf ins Deutsche Spital! Los, worauf wartest du noch? (mein Vater, den Verwundeten wieder in den Wagen legend) – Mensch, wohl völlig übergeschnappt, was, das da hier ist doch'n Pollak! (der Fahrer im besten »großdeutschen« Jargon) 349
Aber er raste dennoch los, er war von der Angelegenheit nun schon selbst irgendwie mitgerissen worden. Diese offenkundige Schnapsidee meines Vaters sollte sich übrigens als ziemlich tragfähig erweisen, sie rettete nämlich nicht nur das Leben des zusammengeschossenen Polen, sondern half ihm wesentlich später selbst aus einer unangenehmen Situation. Der Fall ließ sich damals nicht gut verheimlichen und wurde deshalb in der Einheitspresse kernig-humorvoll behandelt: Die Amtsübergriffe hielt man dem »Ostmärker« zugute, die Rabiatheit der Ausführung nannte man »unbeirrbare Entschlossenheit in brenzliger Situation« (solche Männer braucht es an der Front!!!), das Ganze aber diente als Exempel deutscher Menschlichkeit, welche bedauerliche Irrtümer (denn die Volkspolizisten hatten sich natürlich geirrt, aber wo kommen schon keine Fehler vor?!) unter persönlichem Einsatz wiedergutmachte! Jedenfalls, als die Amis uns 45 besetzten und »umschulten«, da fingen sie mit tausend anderen »alten Nazis« auch meinen Vater zusammen, holten ihn von seinem Berg herunter, wohin er sich nach seinen großdeutschen Abenteuern wieder zurückgezogen hatte. Zum Glück stieß er auf einen Mann, einen amerikanischen Offizier deutscher Abstammung. Die Geschichte mit der Pistole, der Lokomotive und dem VW-Kübelwagen gefiel dem amerikanischen Offizier. Vielleicht erinnerte sie ihn an den bei uns damals noch in weiten Kreisen wenig bekannten Wilden Westen? Was aber noch mehr war: die Geschichte erschien ihm auch glaubhaft. Er war ein sehr korrekter Amerikaner, er wollte meinen Vater nun nicht einfach entlassen, aber er stellte ihm die unbegrenzten Möglichkeiten der amerikanischen Nachrichtenübermittlung zur Verfügung. Mein Vater kratzte also im Kotter all sein armseliges Polnisch zusammen und schrieb einen langen Brief an seinen ehemaligen Verschub-Arbeiter nach Prokocim, erzählte ihm den Ausgang des Krieges (seinen privaten Kriegsausgang 350
natürlich nur), von den Schafen, von uns allen, und ganz am Schluß bat er ihn noch, diesen »Scheiß-Amis«, die ihn hier eingesperrt hielten, zu schreiben, was für ein Kerl er damals in Polen war. Und Wunder über Wunder! Die Mutter bewahrte den Antwortbrief dieses polnischen Verschub-Arbeiters heute noch auf. Man machte davon eine beglaubigte Übersetzung ins Amerikanische und mein Vater wurde sofort freigelassen. Aber dieser Ami-Posten vor der Türe unseres Hauses war offenbar neu hier in der Gegend und wußte nicht, daß mein Vater zu jähen Handlungen neigte. Wir sahen alle entsetzt zu, die ganze Familie vom Stadel aus: Der Vater nahm von dem Amerikaner einfach keine Notiz und als ihm der mit dem Gewehr den Weg versperrte, wollte er es beiseiteschieben. Der junge Kerl sprang zwei Schritte zurück, holte weit aus und ließ den Kolben auf Vaters ungläubigen und verdutzten Schädel krachen. Der Vater mußte sich an die Türe lehnen, an seine eigene Haustüre! Dann erbrach er sich, ausgiebig und mitten auf die glänzenden Schuhe des interessiert beobachtenden WacheAmis. Dabei sackte er langsam zusammen... Da waren mein Bruder und ich auch schon bei ihm. Als wir ankamen, hob man ihn eben blutüberströmt auf einen Jeep. Scheußlich für uns, dieser Anblick! Der Vater, der unbesiegbare, rauflustige Held so vieler Schlachten und Kämpfe, da lag er nun, bleich, Erbrochenes am Kinn und blutig geschlagen. So etwas sollten Söhne niemals zu sehen bekommen! Er erholte sich wieder. Das heißt, seine Wunden verheilten – wie übrigens immer – unheimlich rasch. Aber nur die äußeren diesmal.
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Bei unseren Besuchen war er immer sehr freundlich und sogar redselig. Er erzählte uns lauter Geschichten, die wir ohnehin schon auswendig wußten. Er kannte uns nämlich nicht mehr, hielt uns für Fremde! Dann ereignete sich tatsächlich noch einmal eine Art Wunder: Er erkannte uns plötzlich wieder, er wärmte alte Erinnerungen auf, schmiedete Zukunftspläne ... In derselben Nacht starb er: Blutgerinnsel im Hirn ... Diese gottverdammte Hitze in dieser Scheiß-Gegend! Was Mhoshibadoonia wohl eben machte... und die Schafe mußten unbedingt geschoren werden ... auch unsere Haartracht bedurfte wieder einmal... man könnte uns sonst irrtümlich für Blumenkinder... uns wegen Heroin-Schmuggel... auch das womöglich noch ... dabei gehören wir zu jenen Barbaren, die ihre Mädchen ganz ohne LSD auf die Palme bringen ... einfach nur so mit ihren dafür vorgesehenen Siegespalmen bespringen ... wenn man ein Mädchen oft genug im Bett gehabt hat, dann bespringt man es eigentlich gar nicht mehr, man besteigt es nur noch... andererseits aber besteigt man kein Mädchen... man besteigt eine Frau, aber nicht ein Mädchen!... ist bespringen hier ein übergeordneter Begriff?... denn man kann sowohl ein Mädchen, als auch eine Frau bespringen... besteigen aber kann man nur Frauen... aha, das ist's!: Sobald ein Mädchen sich besteigen läßt, oder auch nur bestiegen wird (kann ja vorkommen, sie meint, er wird sie bespringen, sie macht sich also zur Bespringung fertig, dabei besteigt er sie plötzlich nur, oder?), ist es kein Mädchen mehr... na klar!... besprungene Mädchen bleiben Mädchen ... erst die erste Besteigung macht Frauen aus ihnen .. . und nicht das Heilige Sakrament der Ehe ... Die Erstbesteigung ist's und nicht das Abendmahl!... Gottverfluchte Weiberscheiße, es geschieht einfach nichts! Die Hitze flimmert durch den beschissenen Helm in meinen blöden Kürbis, hämmert mir die ganze Scheiße im Hirn durcheinander: einfach 352
zum Jungekriegen! Wo liegt schließlich der Unterschied, wo? Die zu Hause fahren ihre herausgeputzten, von unnötigem Modekram beinahe erstickten Hurenbälger in »space-look«Kinderwagen spazieren. Man wohnt in feuchten Scheißhäusern ohne WC und Fließwasser, aber eine TV-Antenne ist auf die Dachpappe montiert, und ein Wagen steht zwischen Zwetschgenbäumen, Rhabarber und einer Hollywood-Schaukel. Die »Frau des Hauses« verläßt ihre Kate in Minirock, Halbstöckel und mit desodorierter »Matratze« unter den blanken (und fetten, griffig-rauh-pickeligen) Armen! Nein, nur jetzt nicht kulturkritisch werden (wo ist da übrigens die Kultur?) Nur das nicht! Ich hatte doch recht gehabt, als ich mich auf und davon machte. Lange hätte ich das nicht mehr ohne Massaker... was aber hat sich wirklich geändert, außer dieser vollgeschissenen Sonne natürlich und dem Massaker hier?.. . tun wir nicht auch hier genau das, was wir gelernt haben?... und sonst nichts?... natürlich waten wir hier für einen angeblich guten Zweck (immer diese Beruhigungspillen für alles und jedes: der gute Zweck!) durch die Scheiße!... wie war das doch gleich?... Wir wollten die Welt verändern! Ach ja! Natürlich!. .. wieder einmal! Und weil die anderen die »Bewahrer« sind, darum müssen sie weichen, am besten gleich ins Grab! Und weil sie das nicht freiwillig tun, müssen sie beseitigt werden. Weil aber alle Macht in ihren Händen ist und sie nicht nur zahlreicher sind, sondern auch über die »regulären« Armeen der Welt verfügen, deswegen müssen wir eine neue, eine fürchterliche Waffe. .. den lähmenden, wölfischerbarmungslosen Terror... besser noch: Wir selbst müssen zum Terror, zur lebendigen Waffe werden! .. . und womit terrorisiert es sich am bequemsten?... O uraltes, immer zeitgemäßes Rezept: Schmerz und Grausamkeit!!! ... seit der Kirche des Mittelalters hat niemand mehr diese Waffe... eigenartig!... der 353
Kirche gelang damals damit beinahe die »brüderliche« Einigung des Abendlandes in Nächstenliebe, Demut und Ergebenheit... man stelle sich vor, was wohl geworden wäre, hätte man die Nerven behalten und noch einige hunderttausend Ketzer öffentlich und lebendig... unser Chinese hatte schon recht: »Was einer von der anderen Seite ohne Nachhilfe des Messers sagt, ist immer auf unser Verderben abgezielt. Der tödliche, sinnlose Schmerz (zum Beispiel brutale Schläge auf das Geschlecht) läßt keine überflüssigen Überlegungen zu. Er fördert nur das zutage, was schon vorhanden ist. Das, meine Herrn, ist ein Sinn des Folterns!« ... und Ché, und der Chinese?... seine Haut gerbte nun auf einem Baum bei Kisenge!... Scheiße!. .. und sonst?... Was hatte sich in meinem Leben sonst geändert?... war wirklich nur die Grausamkeit wie eine neue Religion, so süßlich, verführerisch und auch konservativ dazugekommen?... da war natürlich auch Mhoshibadoonia!.. . wo aber war der Unterschied?... daß sie anders roch zwischen den Beinen? ... an Gerüche gewöhnt man sich ebenso wie an Stellungen und andere Frauen... aber etwas war anders mit Mhoshibadoonia, irgend etwas!... ich konnte es nur noch nicht genau sagen ... es hatte aber bestimmt nichts mit der Art zu tun, wie sie meinen Zob liebkoste und auch nicht damit, daß wir noch nie brünstig-umarmt die Erste Symphonie in c-moll, opus 68 von Johannes Brahms mit dem langen patriarchalischväterlichen Bart gehört hatten.. . nein!... es war auf ganz anderen Ebenen zu suchen!... eben! ... es war nicht masturbativintellektuell, auch nicht verlogen-romantisch von der »Blauen Blume« belastet, unser Verhältnis,... obwohl es irgendwie alles das auch war. .. vielleicht war ein Zugang über meinen uralten, meinen ältesten Traum zu finden?.. . und worin bestand er genau?... na also: Mattscheibe!... Das andere!.. . was ist das andere?. . . was ist es denn wirklich, außer Mhoshibadoonia? ... ist es der Ami da hinter mir,... Muham-med,. .. unser Chinese,. .. der Mont de l'Espérance,... die schrankenlose Religion der 354
Gewalt?... was ist schließlich und endlich dieses verhurte und beschissene andere, das so herausfordernd immer gerade dort herumlümmelt, wo wir gerade nicht sind, in das wir alle gierig unsere unendlich erigierten Phalli hineinstoßen möchten!.. . das die einen im Kloster, in der Kirche suchen, die anderen im Puff und im Wirtshaus, ein paar Sonderlinge aber in der Kunst, in der Politik, in der Gewalt – natürlich auch in der Gewalt!... und ich da, ich liege dreckig herum, verschwitzt, Mückenbrei im Gesicht, im Nacken, vollgestopft und behängt mit Waffen, Munition, dem Willen zu töten!... alles nur Ausreden: ... ich muß unser Leben schützen, vor allem dasjenige Mhoshibadoonias und das meines Kindes in ihrem Bauche ... nichts als beschissene Ausreden! Auch die Schafe, mein Leben, das der Oberin oder Muhammeds – faule Ausreden! In Wahrheit war ich einfach angewidert, damals an jenem Sonntagnachmittag, vollgefressen und zum Speien angeekelt. Ich wollte plötzlich die Welt sehen, anderen Weibern zwischen die Beine fahren, Gewalt mit Gewalt begegnen. Jawohl, genau das wollte ich im Grunde, ich gestand es mir nur nicht ein, bemäntelte meinen Drang in der bei uns üblichen Art mit den edelsten Motiven, die gerade aufzutreiben waren. Ja, ich wollte wissen, wie Afrika ist, wie's andre Weiber machen, was die da drüben so alles treiben. Und nun wußte ich's, so ungefähr wenigstens. Hurenscheiße, blutige! Auch das wollte ich: Endlich einmal zur Scheiße Scheiße sagen, vom Pissen reden, wenn mir danach zumute ist, den Schwanz mit allen seinen lustigen, lächerlichen, allmächtigen, aufregenden und stimulierenden Namen nennen, beim Wort »Fut« nicht antik-latinisierend-etymologische Assoziationen an faux, faucis haben, sondern solche von starken, von aufregenden Gerüchen, von weichen Empfindungen feuchter Wärme, kurz vom weiblichen Geschlecht – ja, so einfach ist dies alles im Grunde .. .
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Mann, das hat aber lange gedauert, bis ich endlich beginne, klar zu sehen... eine Scheiß-Welt, in der man Söldner werden muß und Gleichgesinnte massakrieren, Schwänze kupieren und fremde Schafe scheren, in der man fremde Weiber mit Gewalt belegen muß und die eigenen verlassen, in der man Häuser anzündet und sinnlos Strapazen auf sich nimmt, um endlich zu dem mageren Ergebnis zu gelangen, zu wissen: Warum?! Eine verhurte Scheiß-Welt, die beste aller möglichen Welten! Es wurde Nachmittag, und ich dachte schon daran, eine Beratung abzuhalten, da ertönte urplötzlich Motorenlärm, und ich war noch nicht recht zu mir gekommen, da raste ein mit Militär vollbesetzter Jeep aus Richtung Kasempa mit Vollgas in unsere Falle. Mit dem Seil löste der Jeep auch die gigantische geballte Ladung aus, die daran gekuppelt war. Im Blitz der Detonation flogen die Fetzen des Jeeps und seiner Insassen strahlenförmig auseinander. Einen Gewehrlauf vor mir fiel ein ausgerissener schwarzer Arm mit – seltsamerweise! – zwei Uhren nieder. Aber es blieb keine Zeit zum Überlegen. Ich sah Muhammed seinen Rover durchs tarnende Gebüsch an den frischen Kraterrand vorfahren und die Kanone auf den zweiten Jeep schwenken, der, mit allen vier Rädern sich gegen seinen Schwung stemmend, ganz langsam in Muhammeds Garbe hineinrutschte. Ich sah einige Gestalten von diesem Wagen springen und unter den Garben Jesus' wie Karnickel im Todessprung verenden. Nur einer blieb wie durch ein Wunder in dem Inferno heil. Er hielt mein Staunen fälschlicherweise für rettende Stille, lief wie ein Wiesel und unbewaffnet auf mich zu. Ich hob trotzdem meine MP. Es war J-B-B! Ich schoß also nicht, sondern trat ihm wortlos in den Weg: – Dieu merci! (J-B-B, aufatmend)
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Acht Leichen lagen, mehr oder weniger zugerichtet, herum. Zwei Jeeps, einer davon vollkommen zerfetzt, waren auf der Strecke geblieben, und während Muhammed und Jesus II mit gefällten MPs drohend auf uns zukamen, seufzte J-B-B wieder sein aufatmendes »Dieu merci«! Ich habe selten eine so unangebrachte Äußerung, eine so deplazierte Feststellung gehört. Tatsächlich verkannte J-B-B seine Lage völlig, und Muhammed holte auch ohne Umschweife mit dem Kolben aus, um ihn einfach niederzuschlagen. Nur mein Einschreiten rettete J-B-B, der mich erstaunt anblickte. Aber Muhammed ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken, riß ihn an der Schulter zu sich herum, »langte ihn sich«, wie das bei uns im Fach-Jargon hieß, holte kurz aus und landete nach einer von J-B-B verhältnismäßig geschickt abgewehrten Finte einen fürchterlichen Schwinger in J-B-Bs Magen, unter dem dieser zwar niederging, dank seinem Training aber und der Tatsache, daß er heute gefastet hatte, nicht das Bewußtsein verlor. Da ich wußte, was folgen würde (ich hatte ja dieselbe Ausbildung genossen), war es mir ein leichtes, durch blitzschnelles Zugreifen Muhammeds Schuh zu fassen, der mit aller Kraft dem knienden, benommenen J-B-B ans Kinn donnern sollte, und Muhammed durch die bekannte leichte, aber so schmerzhafte Drehung nicht nur zu stoppen, sondern den in der eigenen Bewegung enthaltenen Schwung durch eine Entwurzelung seiner mächtigen Körpermasse nutzbringend aufzubrauchen. Ein blitzartiger Sturz beendete seinen Ausbruch. – Pardon! Capitaine, ich soll das Dreckschwein natürlich erst später umlegen, verstehe. (Muhammed, sich aufrichtend) – Nicht so hitzig, Muhammed! Erst einmal reden! (ich) Ich hätte Muhammeds Blick nicht erst sehen müssen, um mich an unsere Ausbildung zu erinnern (was einer von der anderen Sei357
te ohne Unterstützung eines Messers sagt...) Ich beruhigte mich aber und versuchte auch Muhammed zu überzeugen: – Aber J-B-B gehört doch zu uns, nicht zur anderen Seite! – Sie sind manchmal, wie Sie selbst wissen, etwas zu weich, Capitaine! (Muhammed, mit deutlicher Hochachtung in der Stimme und mich respektvoll siezend, dann zu J-B-B): – Na, Hurensöhnchen, diesmal heißt's reden oder verrecken: Wieviele kommen noch? – Soviel ich weiß zwei aus der anderen Richtung! Sie haben mich abgefangen! (J-B-B, noch etwas mühsam atmend) -Wer, sie? (ich, trocken) - Na diese sieben da! (J-B-B in mathematischer Kürze) – Und warum seid ihr in Richtung Kloster gefahren? (Muhammed) – Weil dort irgendwo in dieser Richtung der Kommandant und irgendein Ami sein sollten. Wir haben Stunden auf sie gewartet und fuhren ihnen schließlich entgegen. Und wenn wir nicht sofort von hier verschwinden ... – Maul halten! Und was heißt da schon wir? (Muhammed) – Und warum wolltet ihr diesen Ami treffen? (Jesus II) – Keine Ahnung. Sie haben mich auf einem Nebenweg abgefangen, den ich einige Kilometer im Norden von hier einschlug, um irgendwie nach Osten zu entkommen, ich dachte nämlich an unsere Pferde. (J-B-B, ganz ungewohnt redselig) – Und warum bist du überhaupt abgehauen, du Arsch, du blöder? Siehst du jetzt, daß du uns alle damit in des Teufels Küche gebracht hast? (ich, etwas aufgebracht) – Wenn wir nicht gleich abhauen ... (J-B-B) – Sind außer dem Kommandanten und dem Ami noch Leute auf dieser Seite der Straße? (Muhammed) – Nein, soviel ich gehört habe, nur die beiden ... (J-B-B)
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– Schon gut! Die liegen hier. Also an die Arbeit, Leute! Und keinen Fluchtversuch mehr, mein Freund. Es kommt uns auf einen mehr wirklich nicht an... (ich, sehr entschlossen) Zuerst einmal sammelten wir die Leichen und Leichenteile im erbeuteten Jeep, letztere mußte J-B-B zusammentragen. Während Muhammed es übernahm, die Kadaver an eine geeignete Stelle zu befördern, schufteten wir anderen wie die Akkord-Arbeiter, um den Detonationskrater zuzuschütten und alle übrigen Kampfspuren, so gut es eben ging, zu verwischen. Dabei kamen uns die an der Seite des Jeeps festgeschnallten zusammenklappbaren Spaten sehr zustatten. Meine Hoffnung, auch weiterhin einer Entdeckung im Kloster zu entgehen, waren allerdings sehr zusammengeschrumpft nach diesem Zwischenfall. – Aber unser Jeep steht ja noch immer dort, wo sie mich fingen (J-B-B, ganz unerwartet sich wieder einmischend) – Mensch, Arschloch, übergeschnapptes, wenn das stimmt, dann ... ich weiß nicht was, aber dann glaube sogar ich dir, daß du nur wegen eines Weibes oder wegen deiner Mutter auf und davon bist! (Muhammed, J-B-B auf den Rücken klatschend) - Weit von hier? (ich, angestrengt weiterschaufelnd) – Weiß ich nicht, kam ja nicht hier durch. Aber ich finde sicher hin. (J-B-B, seine Arbeit ebenfalls nicht unterbrechend) Als wir mit unserer Straßenreparatur endlich zufrieden waren, sammelten wir noch die Trümmer des vernichteten Jeeps im unversehrten anderen Wagen, und Muhammed fuhr damit, gefolgt von uns auf dem erbeuteten Landrover, an den wir unsere Pferde gehalftert hatten, in Richtung Kasempa. Wir mußten weit fahren, bis wir endlich in eine Gegend kamen, die so dicht mit Bäumen bestanden war, daß man die Trümmer mit einiger Aussicht auf Erfolg verschwinden lassen konnte. Muhammed fuhr mit J-B-B und den Trümmern weit seitab von der Straße weg, während Jesus II und ich, ebenfalls von der Straße etwas entfernt, warteten. 359
Endlich kamen sie. Wir hatten inzwischen schon einen straßenbreiten Fächer von Ästen an »unseren« Rover gebunden. Da wir auch den erbeuteten Jeep aus Sicherheitsgründen nicht zurücklassen konnten, banden wir die Pferde daran und fuhren mit unserem spurenverwischenden Fächer hinter Muhammed her, der trotz allem neugewonnenen Vertrauen J-B-B chauffieren ließ und mit schußbereiter MP auf dem Nebensitz lümmelte... Längst schon war es dunkel geworden, und wir folgten dem Weg im Licht unserer neuerworbenen Wagen. Selbstverständlich bemerkte man sehr wohl den Kampfplatz, wenn man ihn passierte, allerdings vermutlich nur dann, wenn man die Straße vorher genauestens gekannt hatte. Kaum aber durfte es jemanden geben, der wie wir ausgerechnet an dieser Stelle einen ganzen langen, heißen afrikanischen Tag verbracht hatte. Wir fanden die Abzweigung, die selbst Jesus vollkommen vergessen gehabt hatte. Wir fanden auch unseren Jeep an der von J-B-B bezeichneten Stelle, zu der wir einen SpähtruppVorstoß unternahmen, wie aus dem Lehrbuch für Untergrundkämpfer. Wir nahmen ihn wieder in Besitz, unseren braven, alten Willy aus Kasagi, und J-B-B mußte damit zwischen Muhammed mit den Pferden und uns mit dem Laubfächer fahren. Es war beinahe Morgen, als uns Moise und Marx einige Kilometer vor dem Kloster, wo die Straße durch einen Engpaß führt, mit einem Warnschuß stoppten. Man hatte sich Sorgen gemacht und auch die Frauen mit hier heraus genommen. Als man die Wagenkolonne anrücken sah, rüstete man zum letzten Kampf. Moise erkannte aber zu unserem Glücke Muhammeds heroische Gestalt. In dieser kurzen Nacht versuchte ich dahinterzukommen, was an Mhoshibadoonia das andere wäre: vergebens! ...
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20 Dieser Tag, der stahlhart, bläulich und unglaublich kalt und klar im Osten heraufkam, dieser neue afrikanische Tag, dieser tragische, allwissende, begeisternde, taufrische Tag beleuchtete – zumindest für mich – die Szenerie unseres Klosters, unsere Szenerie hier also, mit einem völlig neuen Licht, einem harten, realen, beinahe dornigen Karfreitags-Licht. Und dieser Lichtwechsel brachte auch einen Wechsel aller Dinge mit sich: Nein, dies war kein Paradies mehr! Höchstens ein verlorenes, ein Arbeitsplatz bestenfalls – und vielleicht nicht einmal mehr das.. .Am Morgenlicht allein mit seinen vielen Blauanteilen konnte es aber nicht liegen. Denn, wie sich noch zeigen sollte, blieb die neue Perspektive auch am Abend erhalten, und die Abende, besonders die afrikanischen Abende, sind überreich an Rottönen. In mir, in meiner subjektiven Optik war eine Veränderung vor sich gegangen. War es wieder einmal soweit? Und Mhoshibadoonia, durch eine einsame Nacht völlig verwirrt, voll schrecklicher Ahnungen anscheinend, mein Zambezifall ergoß sich geradezu in mich. Wie ein sandelholzfarbener Lethe! Trotzdem: Man kehrt vom Töten nicht so leicht zur täglichen Arbeit zurück... In der Erntezeit wiegt jeder versäumte Tag mehrfach! Gestern war laut Plan Obsterntetag gewesen. Und wie hatte unsere Ernte tatsächlich ausgesehen? Selbst der heutige Tag war so gut wie verloren. Nicht etwa, weil wir unausgeschlafen gewesen wären – diese Vokabel kannten wir nicht einmal! Aber das Gewicht des Gestern bewahrte noch weit ins Heute hinein seinen Schwung: Wir blieben länger im Bett, saßen länger beim Kaffee, entschlossen uns nur langsam zur Arbeit, mußten vor allem die lähmende Beschäftigung des Wiederaufräumens erst erledigen. Denn 361
schließlich hatten wir gestern für den Katastrophenfall alles gepackt! Vor allem aber mußte ich Muhammed und die übrigen davon abhalten, dem völlig niedergeschlagenen J-B-B ein regelrechtes Gerichtsverfahren anzuhängen. Immer diese Lust, dem anderen, dem Nicht-Ich eins auszuwischen, natürlich stets unter dem dürftigen Mäntelchen der Ehrbarkeit (ein ganz besonders pikantes Ingredienz bei uns Söldnern: die Ehrbarkeit!) – Von unserem Zusammenhalt hängt das Leben jedes einzelnen von uns ab! – Man muß sich schließlich auf jeden vollkommen verlassen können, sonst geht's einfach nicht! – Wenn nicht anders, so muß eben ein Exempel statuiert werden! (ein böses Wort) Das und noch einige solcher Platitüden schnitt ich energisch ab: – Ich weiß! Ich kenne das alles. Ich habe das alles und noch viel mehr davon bis zum Kotzen gehört, gelesen, vorgebetet, eingetrichtert, anerzogen bekommen! Ich scheiße euch was, jawohl, und zwar einen riesengroßen Scheißhaufen scheiß ich euch auf eure nachgeplapperten Blödheiten! Ein Exempel statuieren, ausgerechnet ihr, ihr Blödkinder, ihr verhurten?! Was denn nicht noch alles! Verdammte Hurenscheiße, syphilitische! Ich werde euch einmal etwas sagen, meine Meinung nämlich werde ich euch sagen, ihr vollgefickten Hurenschädel! Sicher hängt von jedem von uns alles ab! Und wenn wir uns auf jeden vollkommen verlassen können müssen, ja so tun wir es doch! Verlassen wir uns eben endlich vollkommen aufeinander! Aber zu uns gehört auch J-B-B! Und ein Exempel? Gut, wenn ihr es schon verlangt, dann werde ich eben als euer Capitaine eines statuieren, das heißt, wenn ihr mich immer noch zum Anführer haben wollt – ich reiße mich wirklich nicht um euch angeschissene Fettärsche!
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Hier baute ich vorsichtig und burschikos-männlich den Angelhaken ein, an dem sie bald zappeln sollten, und tatsächlich erhob sich auch bei dieser mit Bedacht vorgebrachten Äußerung einer gewissen Gleichgültigkeit die ebenso vorherberechnete, allseits deutlich geäußerte Zustimmung, und das Wort »Capitaine Charles« war das einzige, was klar zu vernehmen war. Ich faßte dies also als die weitere Betrauung mit dem wenig schmeichelhaften Amt auf und erhob mich, meinen Blick fest auf J-B-B am anderen Ende der Tafel geheftet. – Ein Exempel also soll statuiert werden. Nun gut! Aber vorher werde ich wenigstens eine einzige Frage an J-B-B stellen: Warum? ... Wir starrten uns lange in die Augen. Es vergingen Minuten. Die Ehrwürdige Mutter wollte mit den Damen verschwinden, mein Blick aber hielt sie zurück. Meli fingerte nervös an seinem Hosenschlitz herum und war offenbar in Erinnerungen versunken. Moise trank einen aufmerksamen Schluck aus seiner Teetasse und ließ seine Augen zwischen meiner MP und der gerunzelten, trotzigen Stirn J-BB's hin- und herwandern. Zamela beleckte ihre durch die Schwangerschaft noch mehr aufgeworfenen blassen Lippen, dachte wohl an den langen, kräftigen Schwanz J-B-B's, bedauerte wohl auch dessen eventuelles Erkalten, vielleicht auch nur sein Ausscheiden (im wahrsten und definitivsten, im allereinfachsten Sinne nämlich). Aber die Nähe des Todes faszinierte sie dennoch. Muhammed starrte vor sich hin, beide Hände ruhig neben seinem Teller, vor dem als Besteck eine ölblinkende Kiwi lag. Marx trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte – außer dem verhaltenen Atmen das einzige Geräusch im Raum! Nur Mhoshibadoonia und die Oberin standen nicht im Banne der Situation. Diese dachte offensichtlich an die Zusammenstellung des heutigen Küchenzettels, was ein etwas übertriebenes Vertrauen 363
in meine Macht und auch in meine »Kultiviertheit« bezeugte; jene lächelte mich voll Vertrauen an. J-B-B aber schwitzte stark an den Nasenflügeln. Er schwieg noch immer, und ich spürte, daß ich seine Sprechhemmung überwinden helfen mußte: -Warum, J-B-B, warum? – Eigentlich geht es euch einen beschissenen Dreck an! Ich habe einfach die Nase plötzlich voll gehabt. Ich habe eine junge Frau in Katanga, eine ganz junge Frau und zwei Kinder! Ich hielt es nicht mehr aus, wenn ich mit Zamela oben lag und an meine Frau dachte, die vielleicht auch... (J-B-B, endlich die unerträglich werdende Spannung brechend) – So ein Affenjunges! Dabei hab' ich es immer ganz genauso gemacht wie deine Frau, ganz genau! Affe! (Zamela, tief in ihrer Frauenehre gekränkt) – Genauso! Genauso! Als wenn das dasselbe wäre! (J-B-B, ziemlich verzweifelt) -Sei froh, daß es nicht dasselbe ist, Hurenkind, blödes! (Muhammed, mit Humor die Spannung lockernd) – Also gut dann: Hier habt ihr also euer Exempel! (ich, kurz angebunden und gar nicht beeindruckt – scheinbar) Ich trat noch einen Schritt näher, hob die MP und warf sie J-B-B hin. Allgemeines Aufatmen, Tumult, Lärm, Wirbel! Das war genau die Sprache, die sie verstanden, die alle weiteren Fragen erübrigte: symbolgeladen, jäh, nervenverschleißend... aber gründlich! Und das kostet Zeit! Die Obsternte vermittelt immer ein wenig das angenehme Gefühl einer Ernte dort, wo man eigentlich nicht gesät hat, denn sie ist nicht das unmittelbare Ergebnis der Mühen eines Arbeitsjahres. Waren wir bei unserer Ankunft noch übermütig mit dem Jeep voller Körbe ins Obst ausgerückt, lachend, schreiend, waffenstarrend aber zukunftsfroh, so herrschte nun der Ernst vor, von Waffen aber starrten wir wieder, oder eigentlich immer noch. 364
Zamela und Mhoshibadoonia konnten zu so anstrengenden Tätigkeiten nicht mehr herangezogen werden, obwohl nach neueren Erkenntnissen gerade die (beinahe) alltägliche, normale Arbeit bei einer schwangeren Frau die besten Voraussetzungen für ihre Niederkunft schaffen soll - eine Therapie, die bei den natürlich gebliebenen Völkern, in ihrem Verhalten natürlich geblieben! – ohnehin immer praktiziert wurde und wird. Sie besorgten also nun alle Arbeit in Küche, Haus und Keller. Der Vorfall auf der Straße nach Kasempa machte uns außerdem etwas unsicher, so daß wir heute, einen Tag danach, JesusII als Wache im Kloster zurückließen – und keiner unserer »Club-Ehemänner« beneidete ihn mehr darum oder raffte sich wenigstens zu obszönen Ermahnungen auf. Ihre Gespräche drehten sich um rationellen Ernteeinsatz, um nötige Vorsichtsmaßnahmen dabei, um Fragen der haltbaren Einlagerung. Es ist wenig angenehm, mit einer am Rücken baumelnden MP Äpfel vom Boden aufzuheben. Und oben auf der Leiter erst! Die reine Affenscheiße! So ertönten denn bald schon die ersten Flüche, und keine schlechten! Vom Fluchen zum Lachen, zum ausgelassenen Übermut ist es bekanntlich unter Männern nie weit. So artete denn unsere Ernte bald in eine Riesenwolke von Lachen, Rückenklatschen, Staub, Obst und Hitze aus, die endlich die Trübsal-Phase zudeckte. Und man muß miterlebt haben, wie unsere Äpfel, Datteln, Feigen, Nüsse und was weiß ich, was wir noch alles unter der Marke »Obst« einheimsten, in die Gewölbe gestapelt wurden: Es war fast wie Herbst oder Weihnachten zu Hause – ein wenig auch Nikolaus! Und aus gewissen Äußerungen der Männer entnahm ich, daß sie – von ganz derselben Sache angeregt – in irgendwelchen analogen, ihrem heimatlichen Brauchtum angehörenden Erinnerungen kramten. Es wurde gesungen, neben den üblichen Militär-Zoten auch die ururalt-schönen, 365
beinahe nur aus Rhythmus und Eintönigkeit bestehenden afrikanischen Erntelieder. Es wurde gelacht. Vor allem über die üblichen haarsträubenden PuffGeschichten, aber auch über alle möglichen Lausbubenstreiche. Es wurde wieder vom fahrenden Wagen gepißt, allerdings nur auf der der Ehrwürdigen Mutter abgekehrten Seite! Kurz: Es ging schon fast wieder so ungeniert zu wie vorher, vorher – bevor wir hier anfingen uns zu zivilisieren, zivilisieren zu lassen, zivilisiert zu werden, zumindest verhältnismäßig zivilisiert – für unsere Verhältnisse zumindest! Vorher – bevor dieser Zwischenfall auf der Straße nach Kasempa... Ach was denn! Im Grunde wehrten sich die Männer nur gegen die aufkommende Feierstimmung, die sogenannte »Ernte-Rührung« (Mühe eines langen Jahres einheimsen, verdienten Lohn und so . ..) Die große Schur stand dringend an, stattdessen aber wurde Wasser gekocht, Wasser in unglaublichen, wallenden, dampfenden Mengen. Zamela und auch Mhoshibadoonia lagen beide bleich, aber sonst ziemlich ungerührt in einer Zelle, von den plötzlich einsetzenden Wehen überrascht. Die Ehrwürdige Mutter führte ein rigoroses Kommando, und wir armen Schweine, wir Ursachen der ganzen spannenden, scheußlichen und doch so herrlichen Sauerei, wir wurden herumkommandiert wie die Kadetten! Muhammed, der »Generalund Hauptvater« von Zamelas zu erwartendem Nachwuchs, schleppte unnötige Wassermengen durch die Gegend, wobei er in seiner glücklichen Verwirrung den Helm aufbehielt, unter dem ihm der Schweiß in Bächen hervorquoll. Moise, der am wenigsten Aufgeregte, schob Wache vor dem Tor, die anderen saßen blöd herum und zählten ihre Finger nach. – Afrikanische Frauen bekommen ihre Kinder im allgemeinen viel leichter als europäische, müssen Sie wissen, Capi-
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taine! (die Ehrwürdige Mutter, eine Unterhaltung nur aus Verlegenheit anfangend) – Aber die Kinder dann! Ihre Sterblichkeit ist doch viel höher als bei uns. Liegt das allein an der Hygiene? (ich, dumm fragend, was ich ohnehin wußte) – Nicht nur! Auch am Aberglauben! (die Ehrwürdige Mutter, auf ihr Spezialgebiet zu sprechen kommend) – Sie erinnern mich jetzt aber nicht an die Schreie der afrikanischen Männer, deren Frauen in den Wehen liegen und gelassen den Schmerz ihren Männern überlassen, ma Mere? (ich, mit einem gefälschten Versuch zu scherzen) – Nicht nur! Aber stellen Sie sich einmal die »Geburtshilfe« so eines aschenbeschmierten, amulettbehangenen Medizinmannes vor! Schließlich ging's los! Ein biologisches (auch mathematisches!) Unikum war dabei die Tatsache, daß von den wenigen Novizinnen aus dem Kloster der Heiligen Maria vom Kreuze zwei den exakt gleichen Eizyklus hatten, gleichzeitig empfingen und ausgerechnet auch von allen als einzige übrigblieben, gebären konnten! Wir wußten nicht, was zuerst tun: Kühlung spenden, Laken wechseln, Hände unendlich lange mit Seife bürsten, Wasser wechseln ... Und dann das Pressen, das Hochheben der so asexuell gewordenen Knie, die verzerrten, unkenntlichen, entrückten Züge, die knospenden roten Schädel, halbgeöffnete Münder, klaffende Beine und immer weiter herauswachsend aus der Öffnung diese Schädelknospe, auftauchend aus Blut und Schaum, aus Krampf, Zittern, Pressen und zuckendem geilem Schmerz, das Faltengesicht, das im Augenblick der Geburt schon Baby und Greis gleichzeitig ist, die noch faltigeren Froschglieder, der sichere Griff der Ehrwürdigen Mutter, die Schlachthaltung des häßlichen Gnoms – kopfunten, die ersten klatschenden Hiebe auf den kaum vorhandenen Arsch, pechverschlossen, die 367
Windungen der Nabelschnur, das Lächeln der Mütter - endlich! - das neugierige Schnüffeln nach dem Geschlecht (als ob das jetzt wichtig wäre) und endlich: der Sohn! – So stehen Sie doch nicht gar so blöd herum: zugreifen, Monsieur, zugreifen! (die Ehrwürdige Mutter, mir einen Knaben in den Arm legend) Und immer wieder Blut, Schreien, Wasserdampf, Nabelschnurabbinden, Gesichtsmasken, vorsichtiges Halten des kostbaren Gutes. Und die Erlösung! Ja, die erste Triebbefriedigung: Der ganze Sohn nur Höhle, Saugnapf, Öffnung, Mund! Die Hände, noch unfähig, aber schon unbewußt pressend, die Brust pressend, den vollen Busen pressend, saugend dranhängend – in uralter Geste, nie gelernt, und als Mann noch geläufig: nie gelernt, nie gewußt, nie erinnert – aber immer zur rechten Zeit geübt! Man sollte jeden Mann verpflichten, seine Kinder der Frau seiner Wahl nicht nur einzupflanzen, sondern ihnen auch wieder aus deren Leib zu helfen. Nur so lernt man schätzen, was man hat!
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21 Diese verdammten, angeschissenen, verbrunzt riechenden Schafe wehren sich vor dem Scheren wie perverse Huren vor der bezahlten Besteigung, dabei wollen sie nichts lieber als eben – geschoren werden! Wir hatten die Schur um einen Monat verschoben, wodurch die Lämmer, die eben schurreif geworden waren, auch schon Wollausfall bekamen. Nun aber war es endlich soweit: Moise, Jesus II, J-B-B, Marx und Meli standen breitbeinig und mit lanolinverkoteten Drillichhosen vor den etwa 30 cm hohen Schertischen, auf welche die von Muhammed und mir zugereichten Schafe gesetzt wurden und schoren, was das Zeug hielt: mit Original-Schafscheren »made in Stubaital, Tyrol«! Es gibt nur wenige Arbeiten auf dieser blödsinnigen Erdkugel, die so unterhaltsam sind wie eine Schafschur – für den Zuschauer nämlich! Diese selben Schafe, die sich unter dem harten Griff in die Wolle erst so verzweifelt wehrten, diese unvernünftigen Bestien, die mit ihren Hufen verzweifelt um sich ruderten, in Muhammeds und meine Stiefel traten und dort Mist und Pisse hinterließen (beides lanolinhaltig wie alles vom Schaf), sie, die uns vor sperriger Anstrengung also in unsere Stiefelröhren geschissen und unsere Hosenröhren durchgebrunzt hatten, sie saßen nun ruhig und komisch unter den Scheren auf ihrem dazu gar nicht geeigneten Hinterteil, blickten genüßlich in die um sie bemühte Umgebung, ließen sich vom jeweils Scherenden durch den Kniedruck des auf den Tisch gestützten Beins und seinen freien Arm im Gleichgewicht balancieren und täuschten mit listig-blödem Blick in gewohnter Schläue alle Welt über ihren außerordentlichen Intelligenz-Quotienten hinweg, der aus diesem Grunde auch bis heute von niemandem noch ernsthaft eruiert oder gar geprüft worden ist: Besser, für dumm gehalten 369
werden und dafür ein beschauliches Dasein genießen! Da es ja mit Abstand kein anderes Tier gibt, das auch nur annähernd soviel Mist produziert– 21/2 Tonnen pro Jahr ist für ein durchschnittliches Schaf immerhin erstaunlich! – entwickelte sich unsere Schafschur zu einer einzigen gigantischen Scheißerei! Und es wäre schwer feststellbar gewesen, ob wir Männer mündlich oder aber unsere Klienten anal mehr von dem sogenannten »Bauerngold« produzierten! Eines war dabei besonders erstaunlich: Diese rauben Burschen, die mit Menschen niemals zimperlich umgesprungen waren, legten hier ein überraschendes Zartgefühl an den Tag und waren unter völlig unangebrachtem Zeitaufwand eifrig bemüht, ja keines der geduldigen Tiere in die Haut zu zwicken. So kam es, daß Meli, der flinkste Scherer, doch mehr als zehn Minuten für ein Schaf benötigte, J-B-B aber nicht unter einer knappen halben Stunde fertig wurde. Zu seiner Ehre muß allerdings gesagt werden, daß man die von ihm geschorenen Schafe von weitem schon unter allen anderen herauskannte. Sie sahen aus wie frisch vom Coiffeur! Es war das reinste Rechenexempel: 5 Männer scheren durchschnittlich pro Stunde je 3 Schafe. Sie arbeiten von 8 Uhr früh bis 11 Uhr und von 14 Uhr wieder bis 18 Uhr. Drei volle Wochen lang ging das so dahin: Wolle und Scheren, steifes Kreuz, lanolinverklebte Finger, angeschissene Hosen und Arme, Scheiße und Pisse bis zum Überfließen in den Schuhen, und wieder Wolle, duftende, quellende, stinkende, lanolintropfende, klebrige, bitterschmeckende, schweißschwere Wolken von Wolle, scheißeverklebt, verfilzt und duftendleicht, Berge von Wolle! Endlich hatten wir nach unserer Schätzung 2000 Schafe geschoren. Aber 4000 kg Wolle zu waschen war eine Irrsinnsarbeit und konnte von den gleichzeitig werkenden Frauen in dieser Zeit nur zu einem winzigen Bruchteil bewältigt werden (und dann immer der Gedanke im Hintergrund: 370
Was macht man mit 4000 kg Wolle). Moise behauptete der Ehrwürdigen Mutter gegenüber mit unverschämtem Grinsen, daß dies zweierlei Ursachen hätte: Einmal unterließen die Damen das arbeitsfördernde Fluchen, und dann war es eben schon wieder viel zu lange her, daß wir Männer unseren Frauen etwas von unseren Energien abgegeben hätten. – An den Schafen muß man sich abreagieren – mit der Schere! (irgendwer, provozierend) – Einmal auf dem Kalender nachsehen! Vielleicht geht's schon bald wieder? (Muhammed, hoffnungsvoll) – Männer, wascht euch die Scheiße vom Leibe und seid vernünftig! Denkt an unsere Abmachung: Sechs Wochen absolute Schonzeit! (ich, wenig überzeugend) Sie knurrten und maulten, verdrückten sich dabei aber doch ins Bad, wo man recht unzufriedene Äußerungen aufschnappen konnte – wenn man hinhörte: – Alles zwischen die Finger lassen – Scheiße! – Dabei erträgt man sogar das Ehejoch! – Endlich wieder einmal eine richtig fette Hure kaputtreiten! – Oder ein vollbesetztes Puff auseinandernehmen! – Sich gleich von mehreren bedienen lassen dort– ahhh! – Self-service, Kameraden! – Da scheiß ich schon bald drauf! Muhammed und ich blickten uns über ihre Köpfe hinweg an und verstanden uns: Hier wurde nicht mehr harmlos-gefährlich gewitzelt wie früher, sondern säuerlich-ichbezogen räsonniert! Wenn nicht bald etwas geschähe ... Anschließend begannen wir, riesige Ballen Schweißwolle ins Becken zu schleppen, einzuweichen. Man glaubt nicht, was für eine milchkaffeeartlge Jauche auch aus verhältnismäßig reiner Wolle schon beim bloßen kalten Einweichen weggeht. Wir wuschen die Wolle nur grob, und selbst dies beschäftigte uns mehr als eine Woche ununterbrochen. Endlich lagen 371
die Ballen sauberer weißer und schwarzer Wolle gebündelt und verpackt, duftend und hochaufgetürmt im Schuppen. Und abends surrten nun die Spinnräder, und die hurtigen Schenkel unserer Frauen brachten unsere abendlichen Gespräche zum dumpfen Verstummen, erregten Träume von unerwartet neuer Frische und Intensität. Der Zwischenfall auf der Straße nach Kasempa hatte unsere Pläne arg gestört. An einen Verkauf der Wolle war nun lange nicht zu denken! Die Frauen hatten etwa 50 kg Wolle versponnen, als es plötzlich soweit war. Unerwartet erhob sich Muhammed, verließ unsere Männerrunde, ging schnurstracks auf die lüstern spinnradtretende Zamela zu, pflückte sie quasi von dem heimelig-europäisch surrenden Gerät, blickte herausfordernd zur Ehrwürdigen Mutter und auch zu uns hinüber und wünschte uns in aller Ruhe eine angenehme Nacht. Aber schon auf halbem Wege zur Tür verstellte ihm Moise, gutmütig grinsend, den Weg. – Und wer wird unserem Prachtsohn die Brust reichen, wenn du Zamela leersäufst? (Moise, augenzwinkernd) – Du etwa, du Lustmolch? Und außerdem, wer sagt etwas von Zamelas Brüsten? Sie sind mir heilig, ich taste sie nicht an! (Muhammed, ungeduldig) – Sicherheitshalber komme ich zur Kontrolle mit – schließlich bin ich dein Ehe-Kompagnon! (Moise, seinen Scherz durchaus ernst nehmend) – Na und wir?! (Jesus II, ängstlich, zu kurz zu kommen) – Meine Hand zeigt auch schon Übermüdungserscheinungen! (Marx, zynisch-naiv) – Auch ich habe Abwechslung dringend nötig! (J-B-B, mit einem vergeblichen Versuch, den Ton der Männer zu treffen) – Und ich, wollt ihr mich hier alleinlassen? (Meli, klagend) – D'accord! Mir geht es nicht um das wie, sondern lediglich um das daß überhaupt! Also auf, der ganze Zamela-Club! (Muhammed, den Arm immer noch um Zamelas schmiegsame 372
Hüften) Mit Siegesmiene zog Zamela schließlich ihren Männerschweif hinter sich her, und ich sah ihr auffallend vollkommenes Hinterteil auf der Stiege aufreizend hin und her lavieren, gierig verschlungen von fünf Paar hervorquellenden Kulleraugen und betätschelt von einer ruhigen, sicheren, riesigen braunen Pranke, derjenigen Muhammeds.. . Automatisch trat die Ehrwürdige Mutter weiter ihr Rad und wandte kein Auge von dem unter ihren kunstfertigen Fingern entstehenden, weichflaumigen Wollfaden, der makellos und ohne Verdickungen daraus hervorlief. Unergründliches Geheimnis des Alterns, das die Frauenhände erst die zärtlichen, dann die zarten Dinge tun lehrt! Die Hände Mhoshibadoonias waren für das Spinnen nicht annähernd so geschickt, und ich machte mir in dieser Nacht wieder einmal allgemeine Gedanken über die vom Zeigefinger zum Daumen führende Rundung der weiblichen Hand, die mir ein so leicht verständliches Naturmaß zu sein schien, Instrument auch, das ebenfalls naturbedingte Nachlassen der Begierden des Mannes immer wieder neu anzustacheln ...
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22 Mit dieser verfluchten Wolle war irgendwie eine völlige Änderung unseres gesamten Lebens bei uns eingetreten. Bald besaß jeder von uns neue Kleider in genügender Auswahl. An den Webstühlen entstanden afrikanisch-bunte Decken mit viel brennendem Rot darin, und heute noch ist mir rätselhaft, womit alle diese Farben erzeugt worden sein mochten. Unsere Söhne liefen inzwischen bereits wackelig, aber sehr neugierig herum. Die in Schwung gekommene und auf ein vernünftiges Ausmaß gebrachte Wirtschaft lief beinahe wie von selbst, und obwohl Keller und Speicher ständig von allen erdenklichen Produkten überquollen, hatten wir nun viel Zeit für Zerstreuungen: Wir ritten lange schon täglich aus und jagten drollige warzige Wildschweine, die unvermeidlichen Antilopen und eine Unzahl von Geflügelarten, womit wir unsere ohnehin abwechslungsreiche Tafel noch abwechslungsreicher gestalteten. Der Ablauf des Jahres hier in unserer Region war uns vertraut geworden, alles hatte seinen geregelten Lauf. Oft blieb ich aber auch zu Hause, wenn die anderen ausritten, saß in der Bibliothek, las und versuchte, in tagebuchähnlichen Aufzeichnungen festzuhalten, was sich ständig änderte (welch ein Paradoxon!), täglich ein anderes Gesicht zeigte, einem zwischen den Fingern zerrann: das Leben! Mein Sohn, der gar nichts von mir und alles von Mhoshibadoonia zu haben schien, äußerlich zumindest, er kroch oft stundenlang bei mir in der Bibliothek am Boden herum, und seine Mutter war stolz auf sein frühes Interesse für Bücher. Oft beobachtete ich heimlich sein schweigsames Treiben: Er war viel zu ernst für sein Alter. Am meisten aber erstaunte mich immer wieder sein Lächeln, mit dem er mich bedachte, sobald er meinen auf ihm ruhenden Blick bemerkte. Er war nur außen schwarz! Innen war er weiß! Seine Haut war dunkelbraun und von sehr glattem, seidigem Schimmer, seine Augen 374
schwarz, seine Lippen etwas aufgeworfen, aber eben nur soweit, daß sie lebhaft-interessiert wirkten, sein Haar rußmatt und gekraust! Wenn sein Mund sich aber beim Lächeln von Ohr zu Ohr aufspannte, so blinkten seine auffallend weißen Milchzähne, die Milchzähne eines Weißen daraus hervor. Auch war seine Stimme klar und nicht belegt wie diejenige von Zamelas Jungen. Nein, tatsächlich, in seinem Inneren war er weiß! Er dachte anders als ein Negerkind in seinem Alter denkt, und Mhoshibadoonia, die durch ihr Kind endlich etwas gesprächiger geworden war, erzählte mir gelegentlich voll Bewunderung die Äußerungen seines geistigen Wachstums. Warum unterscheidet sich die Liebe zu unseren Kindern in Art und Heftigkeit und gleichzeitiger Stille so wesentlich von jeder anderen Abart dieses Gefühls! Nirgendwo sind wir so verletzbar wie in unseren Kindern ... nirgendwo! Ein eigenartiges Familienleben, das wir da führten! Die Ehrwürdige Mutter beschäftigte sich abends entweder mit einer Handarbeit oder mit den beiden Knaben, denen sie versuchte, ein aristokratisches Französisch (ausgerechnet in dieser Umgebung aristokratisch! Besteht denn die Welt nur aus Gegensätzen?!) beizubringen. Wir hatten uns lange vor der Geburt der Kinder für diese Sprache entschlossen, nicht etwa aus Frankophilie, sondern einfach deshalb, weil nur sie von uns allen verstanden und zumindest in mehr oder weniger eleganter Art auch beherrscht wurde. Meist ging die Handarbeit der Ehrwürdigen Mutter auch einfach neben dem Sprachunterricht einher. Bei so vielen Vätern nimmt es nicht wunder, daß die beiden Jungen eine Menge herrlicher Spielsachen besaßen. Allerdings war ihnen durch dieselbe Ursache auch der Begriff Vater absolut unklar (nicht wegen der vielen Spielsachen natürlich!), und die Ehrwürdige Mutter tat in ihrer sprachlichen Lehrtätigkeit nichts dazu, hier
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klärend einzugreifen, im Gegenteil! Sie mied den Themenkreis »Eltern und Familie« eher. Für unsere Kinder mußte das Wort Vater so etwas bedeuten wie »großer Mann«. Was aber Mutter bedeutete, das war allen beiden dagegen absolut klar. Es war wenige Tage nach der etwas pompösen Geburtstagsfeier für unsere Söhne, und um ein abgedroschenes Klischee zu gebrauchen: Es war eigentlich ein Tag wie jeder andere! Aber irgend etwas war eben dennoch anders. Ich saß hellwach am Frühstückstisch wie schon lange nicht mehr. Und wieder sah ich mit einem Male meine Umgebung ganz anders, ganz neu: Eben so, wie sie war, wie sie geworden war! Und nicht mehr so, wie gestern, wie sie gewesen war, wie ich sie mir zurechtgelegt, vielleicht auch nur erwartet und vorgestellt hatte. Das waren keine Söldner mehr! Das heißt, bei den meisten meiner Kameraden blickte der ehemalige Söldner nur noch mühsam aus den unmerklich verfetteten Zügen, den wissenden Augenfältchen, den gepflegten und angegrauten Haaren, den gefestigten Figuren, die für einige Zeit zu sich selbst gefunden hatten, hervor, was mich an die Zeiten erinnerte, in denen ich in den Ateliers befreundeter Bildhauer herumlungerte, diese dabei vom Arbeiten abhielt oder aber auch nicht, je nachdem, ob eine Arbeit terminisiert war oder eben »nur so« entstand. Ich liebte es damals zuzusehen, wie der Freund jeweils die in einem Steinblock oder Holzblock eingesperrte Figur mit geschickten Schlägen und Schnitten vorsichtig und zielstrebig von ihren Fesseln befreite. Und dann das Erlebnis: die befreite Figur! Aber hier bei uns erlebte ich den umgekehrten Vorgang,
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und das war erschreckend, nicht, daß die »Söldner« als solche verschwanden! Lebendige, strahlende, harte Gestalten wurden immer undeutlicher, verschwanden unmerklich langsam unter einem an ihnen emporwachsenden Schutthaufen von vergessen geglaubten und nun wieder erworbenen Gewohnheiten, von Gett und überflüssigen Kleidern. Und diese Gesichter! Viel näher an die Brust, an den Bauch herangewachsen, weil der Hals kürzer geworden war, oder dicker, oder der Nacken sich mehr mit den Schultern vereint hatte ... Der Mais liefert in seinen abgenebelten Kolben ein ausgezeichnetes Material für Pfeifenköpfe. Alle rauchten sie abends Pfeifen! Abende ohne TV verführen zur Heimarbeit: Diese Pfeifen wetteiferten zuerst an Kunstfertigkeit miteinander – sie waren reich verziert, von Schnüren umwickelt, erfinderisch in der Funktionsweise. Später folgten sie modischen Einfallen in ihrer Form. So galt es eine Zeitlang als äußerst schick, seine brennende Pfeife während des Sprechens einfach auf den Tisch stellen zu können, wozu der Kopf unten abgeflacht, das Pfeifenrohr aber nach oben gewinkelt und kurz sein mußte. Wieder etwas später kam es einzig darauf an, wie gut eine Pfeife eingeraucht war, wieviel Patina sie hatte ... Ein regelrechter Pfeifenkult hatte sich also entwickelt – in unserem traut gewordenen Kloster zum Hl. Phallus. Einige verstreut wachsende Tabakpflanzen hatten die Männer aus allen Himmelsrichtungen vorsichtig mit Wurzelballen zusammengetragen und damit ein bescheidenes Beet angelegt. Bald entwickelte sich die zuerst eher nur der Vollkommenheit wegen betriebene Sache zu einer wahren Jagdleidenschaft, die – typisch afrikanische Entwicklung – sehr bald in die Bereiche des Instinkts vordrang: Mit unwahrscheinlichen Spürnasen wußten sie am Pflanzenbewuchs sehr bald jene Böden zu erkennen, auf denen eventuell Tabak erhalten geblieben sein konnte. Wahre Expeditionen wurden veranstaltet, und aus dem 377
bescheidenen Tabakbeet wurde bald eine recht ansehnliche Pflanzung. Und erst das Fermentieren! Für mich roch immer schon der frische Tabak besser als der Tabakrauch – besonders widerlich der kalte. Muhammed und ich, die einzigen Nichtraucher, schätzten den Tabak hauptsächlich als antikonzeptionelles Mittel. An jenem Morgen aber sah ich tatsächlich alles wieder klar: Wie mütterlich und stämmig doch Zamela geworden war! Nur ihre Beine waren afrikanisch geblieben: Hier kennt man die Krampfadern als Folge der Niederkunft nicht. Die Ehrwürdige Mutter hatte dem häuslichen Leben auch nicht widerstanden – oder etwa nur dem Alter nicht? Ja, das war's wohl! Sie war eine waschechte Großmutter geworden. Immer die Taschen ihrer langen Röcke voll von Süßigkeiten für ihre Lieblinge, die Knaben, und immer bereit, ihnen Heiligengeschichten zu erzählen. Aber ihr Denken, ihr Blick waren praktisch und klar geblieben, ihre Energie ungebrochen, ihre Erziehungsmethoden konsequent und wirksam. An diesem Morgen herrschte diesiges Wetter. Ich wollte mit Muhammed auf die Jagd gehen. Ich hatte eben einige Tage lesend und schreibend in der Bibliothek zugebracht, hatte mein Tagebuch wieder vollständig nachgetragen und war nun lufthungrig. Ich riß mich also aus meinen ernüchternden Betrachtungen, runzelte die Stirne fragend zu Muhammed hinüber, der schon darauf gewartet zu haben schien. Wortlos brachen wir auf. Längst hatten wir den militärisch organisierten und geplanten Betrieb unserer Landwirtschaft aufgegeben. Spezialisierung durch besondere Eignung und Neigung war mit Interesse an der Arbeit an die Stelle der einer Befehlsausgabe gleichenden Arbeitseinteilung getreten, und alles lief bestens – wir produzierten Vorräte in Mengen. Muhammed nahm mit dem seinen auch gleich meinen Karabiner vom Kleiderrechen und
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warf ihn mir zu, ging schweigend neben mir her zum Stall hinüber. – Wie findest du mich? (ich, ganz in meinen vorherigen Betrachtungen befangen) – Wir sind die einzigen, die gleich geblieben sind, Capitaine! (Muhammed, eigenartigerweise immer genau wissend, was ich meinte) Wir warfen unseren Gäulen Sattel und Zaum über, tätschelten ihnen nachdenklich den Hals, schwangen uns auf, trabten hinaus in die Felder. Am Tor stand lange schon keine Wache mehr! Seit dem Zwischenfall auf der Straße nach Kasempa hatte sich nichts mehr ereignet, und die gefahrlosen, ereignisarmen Jahre hatten uns sorglos werden lassen. Es war ein nachdenklicher Ritt. Manchmal fuhr irgendein Wild vor den Hufen unserer Pferde hoch, aber wir taten nichts. Nur einmal holte Muhammed einen Vogel im Hüftschuß aus der Luft - im Hüftschuß! - sah mich beim Verstauen des Karabiners bedeutsam fragend an. -Es geht noch, Madame! (Muhammed, trocken) Womit er keineswegs eine Beleidigung mir gegenüber aussprechen wollte. Es hatte sich zwischen uns lediglich – wie in jeder kleinen, von der Umwelt abgeschlossenen Gemeinschaft - ein spezieller Sprachgebrauch, ein Jargon herausgebildet, der aus begreiflichen Gründen leicht sexuell gefärbt war. Ich lockerte ebenso bedeutsam mein Gewehr im Futteral vor meinem rechten Knie und blickte aufmerksam um mich, während Muhammed seine Beute an den Füßen zusammenband und an den Sattelknauf hängte. Plötzlich fuhr er herum, zeigte hinter mich: – Dort, Charles, rasch! Mein Gewehr fuhr aus der Tasche, ich um 180 Grad im Sattel herum, und schon knallte es. Ein großer Flamingo fiel klatschend ins Gebüsch! Wir schossen mangels Schrott nur mit
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Munition ... Schade um das prächtige Tier, wer ißt schon Rosenflamingos?! Irgendwie waren wir an eine ziemlich entlegene Stelle jener Straße nach Kasempa geraten, an der wir vor nun mehr als drei Jahren jene Militärstreife vernichtet hatten, allerdings an einer unserem Kloster wesentlich nähergelegenen Stelle. Wir mochten wohl beide an diese Sache gedacht und das plötzlich aus dem Busch dringende Motorengeräusch für eine lebendige Erinnerung durch den so lange gemiedenen Ort gehalten haben, denn wir sahen uns fragend an. Doch dann begriffen wir, daß dies keine Sinnestäuschung war, und warfen uns gerade noch rechtzeitig von der Straße in den Wald, wo wir mit den Gewehren absprangen und unseren schnaubenden Pferden die Nüstern mit der Hand bedeckten. Im selben Augenblick tauchten zwei Jeeps aus Richtung Kasempa auf, beide voll besetzt mit Militär, bewaffnet bis unter den Kinnriemen. Hei! Das war endlich wieder einmal ein Anblick! Irgend etwas Lähmendes fiel von uns ab, so als wäre das Leben mit einem Male wieder da! Dieses prächtige, gefährliche, abwechslungsreiche, schillernde und so lange nun schon versäumte Leben! Man muß diesen prächtigen Kerlen nur einmal im Busch begegnet sein: Tarndrilliche, die MP lässig im Schoß, die Beine, die unmöglich langen Beine in dem engen Jeep überall lässig drübergelegt, nicht auseinanderzuhalten, und das Ganze doch drohend daherrasend, springend, hopsend, gefährlich schaukelnd. Die Schwarzen sind nicht nur phantastische Fahrer, sie haben eine angeborene Sportlichkeit, die ans Unwahrscheinliche grenzt. Ein wirkliches Schauspiel, wie diese Leute alle Holperei rauchend, plaudernd, lachend und doch aufmerksam ihre Umgebung beobachtend katzenartig ausglichen.
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Aber die Kanonen waren scharf begurtet und drohend nach vorne gerichtet, nach vorne in Richtung auf unser Kloster. Der Spuk ließ nichts als eine Staubwolke und ein angenehmes Gefühl der Frische zurück. Wir sprangen auf unsere Pferde und trieben sie zum Äußersten an. Die Äste rissen uns das Gesicht und die Hände blutig. Muhammed wurde mit einem Büschel Haaren sogar ein Stück Kopfhaut weggerissen. Wir preschten durch das weit offene Tor wie die wilde Jagdinden Hof voller Schafe, wo Zamela vor lauter Schreck den Kübel mit Gerste fallen ließ. Unheimlich gellte unser jahrelang nicht mehr geübter Kampfruf durch Hof und Haus: Uääähh!!! Meli, Marx und Moise stürzten hemdsärmelig, jedoch immerhin mit MP heraus. Jesus II und J-B-B jedoch kamen an, als hätte der Austrommler zu einer Verlautbarung des Bürgermeisters aufgerufen. Unsere schaumbedeckten Pferde erübrigten jede weitere Erklärung. – Zwei Jeeps in voller Rampfausrüstung! Höchstens noch zehn Minuten! (Muhammed, sich kurz fassend) Und schon war der Teufel los. Was tun? Kampfanzug anziehen? Tor schließen? Oder offen stehen lassen? Jeep rausfahren? Alles rannte durcheinander, ziellos, planlos, tödlich blöde! Da griff ich ein : – Los, alles herhören! Aber etwas flink, ihr aufgescheuchten Arschlöcher, wollt ihr hier alle verrecken, nur weil ihr eure fetten Ärsche so langsam bewegt? – Warum schreit Papi-Charles so? (einer der Knaben zu seiner Mutter) -Weiber und Kinder in den Keller, Marx bleibt mit dem Rover in Schußstellung auf das geschlossene Tor hier hier zurück. 381
Wir anderen fahren mit MP, Helm, Karabiner und Pistolen ohne Drillich unverzüglich im Jeep zur »Engstelle«! Ab jetzt! In zwei Minuten geht's Sos! (ich, ziemlich ruhig) Muhammed hatte inzwischen schon den Jeep vorgefahren, Zamela stand mit Marx am Tor, beide bereit, die Flügel hinter uns zu schließen, die Männer sprangen mit Waffen und Helm auf, ich sah die Ehrwürdige Mutter noch mit Marx' Waffen angerannt kommen und Mhoshibadoonia unseren widerstrebenden Sprößling davonzerren, dann sprang unser Wagen mit Meli am Steuer zum Tor hinaus, das krächzend hinter uns zuschwang. Die Schafe mähten aufgeschreckt und schnupperten sicherheitshalber nach den Lämmern, beleckten sie beruhigend unterm Schwanz ... Die »Engstelle« war jene Enge der Kasempa-Straße, an der uns nach dem Gefecht vor drei Jahren die Zurückgebliebenen erwartet hatten, und dorthin raste unser Jeep nun mit rücksichtsloser Höchstgeschwindigkeit. Ein Blick auf die Uhr: Noch blieben uns allerhöchstens zwei Minuten. Ich deutete Meli mit den Fingern zwei, aber er deutete mit den Augen nur aufs Gaspedal: Es stand vorne an! In der Straßenenge stellten wir unseren Jeep mit angezogener Handbremse ab. Moise blieb grinsend an der Kanone zurück und legte sich aus der immer im Jeep liegenden Kiste einige Handgranaten in Griffnähe. Muhammed verschwand mit Meli und Jesus II in der Engstelle; er würde 50m weiter die Falle schließen. J-B-B und ich flankierten hinter den Straßenrändern aus über 3m Höhe unseren Jeep mit dem verwegenen Moise. Aber nichts geschah! Es vergingen zehn Minuten äußerster Spannung. Nichts ist zermürbender als solches Warten! – Ihr habt wohl geträumt, oder wolltet ihr uns hereinlegen, ihr Arschlöcher?! Unsere
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Kampfbereitschaft wieder einmal erproben, was? (Moise, hinter seiner Kanone hervorgrinsend) – Halt's Maul, Wasserkopf, sonst...! Ein feines, fernes Surren brachte mich zum Schweigen. Moise fingerte nervös an seinem Kanonengurt herum, hielt den Finger an den Abzug. Das Surren war nun deutlich und laut geworden. Jesus winkte weit unten mit der MP zu mir herauf und duckte sich dann tief. Der erste Jeep tauchte auf, war viel zu schnell da, um rechtzeitig anhalten zu können. In einer gewaltigen Staubwolke schlitterte er in die volle Garbe Moises hinein. In eine fürchterliche Garbe, die nicht endete, obwohl der feindliche Jeep schon längst brannte, alle Insassen zerfetzt drin herumhingen. Moise ballerte mit vollem Feuerstoß hinein in den Jeep, in den Leichenhaufen, bis sein Gurt leer war... Den feindlichen Kanonen-Schützen, der nur einen ganz kurzen Feuerstoß abzugeben vermocht hatte, ihn hatte diese fürchterliche, nichtendenwollende Garbe buchstäblich in Fetzen gerissen! – Feuer aus, du Hurenkind, du blödgevögeltes! (Muhammed, vom anderen Ende des Kampfplatzes her) Er konnte nicht an den zweiten Jeep heran. Ich blickte zu Moise; der hing an seiner Kanone, der Helm war ihm nach vorne gerutscht, die Hand im Abzug der Kanone verklemmt, der Hals lag rot, blutigrot und weit offen am Schloß der Kanone. .. Der zweite Jeep hatte sofort den Retourgang eingelegt und war wie ein Panther zurückgewichen. Aber unter unserem konzentrierten Feuer rührte sich bald keiner mehr darin. Sie hatten zwar wie wild um sich geschossen, aber ohne viel Erfolg: Nur Meli war in den linken Oberarm getroffen – ein glatter, ungefährlicher Durchschuß ohne Knochenverletzung. – Dieser Weiberarsch von einem Propheten! Hat sich wohl die Hosen vollgeschissen, dieser Moise – und mir beinahe den 383
Abschied gegeben, das Arschloch! (Muhammed, immer noch aufgebracht über Moises Garbe) Ich schaute ihm fest in die Augen, schüttelte den Kopf und machte die fatale Geste des Halsabschneidens. – Was denn, was denn? Moise, unser alter Moise? (Muhammed, ungläubig und ziemlich erschüttert) Ich nickte, fand keine Worte. – Unser Moise gschrrr? (Muhammed, ganz perplex meine Geste wiederholend) Das war ein harter Schlag für uns, die wir uns schon für unbesiegbar, ja im Grunde sogar irgendwie für unsterblich(!) zu halten begonnen hatten. Es war nichts mehr daran zu ändern: Moise, der große, lustige, unverwüstliche, unerschrockene Moise, der Mann mit dem härtesten Schwanz und mit den besten Nerven für Kinder, Moise war nicht mehr unter uns! Und noch dazu so blöd: durch einen dämlichen Zufall! – Scheiße, blutige, dreckige, marinierte, gottverfluchte Hurenscheiße! (Meli, sich ständig wiederholend) Wir standen alle um Moise herum und blickten auf seinen auseinandergeschossenen, unglaublich roten Hals. Und es fiel uns nichts Besseres ein bei diesem Anblick als unser geläufigstes Kraftwort in allen seinen schillernden Betonungen, Bedeutungen und Zusammensetzungen: Scheiß-Scheiße!!!!!!!!!!!!! Hilflos hing sein abgetrennter Kopf quasi am Helmriemen – scheußlich, der Tod, wenn man sich lebendig gekannt hat! – Besonders scheußlich, wenn man in der vorangegangenen Nacht noch gemeinsam dieselbe Frau beschlafen hat! (Muhammed, wieder einmal meine Gedanken erratend)
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23 Wir luden die zerschossenen Leichen der anderen auf den zweiten Jeep, der noch fahrbereit war. Nur Moise blieb auf unserem Wagen liegen, eingewickelt in eine Sitzdecke. Den mit Leichen vollgetürmten (man glaubt nicht, wie sperrig und schwer zu verpacken eine Leiche im Vergleich zum lebenden Körper ist!) Jeep fuhren wir ohne lange Umstände zu einer nahen Waldschlucht, wo wir ihn die letzten Meter gemeinsam an den Rand des Abgrunds schoben, in welchem er gespenstisch lautlos verschwand. Unser »Paradies« war nun schon mit zuviel Blut gedüngt! Schweigend fuhren wir auf den Kampfplatz zurück. Muhammed hängte jetzt das ausgebrannte Wrack des zweiten feindlichen Wagens an unseren Jeep, und Meli fuhr damit noch einmal zur Schlucht, um ihn ebenfalls dort verschwinden zu lassen. Eigenartig, dieser dem Menschen innewohnende Drang, auch in aussichtsloser Lage – denn von einem unbemerkten weiteren Verweilen hier konnte keine Rede mehr sein: wir waren offensichtlich entdeckt, wenn auch vielleicht noch nicht identifiziert! – immer noch für eine gewisse Ordnung sorgen zu müssen, zu wollen. Wir anderen räumten inzwischen den Platz wieder einigermaßen auf. Es herrschte eine sehr gedrückte Stimmung, und wer an unserem Wagen vorbeikam, warf immer wieder einen scheuen, ungläubigen Blick auf das Paket Moise. Dann das Sitzproblem: Niemand wollte Moise nahekommen, als ob der Tod ansteckend wäre! Seltsam! Die unglaublichsten Dinge hatten wir diesbezüglich gesehen, erlebt, getan. Aber etwas war durch unsere jahrelang ausgeübte Landwirtschaft anders geworden in uns: Der Arbeitsrhythmus hatte uns den Rhythmus des Jahres wieder entdecken lassen: 385
Die Periode des vollen Saftes der Pflanzen, voll von seltsamen einheimischen Vögeln. Die Zeit des Reifens mit ihrem unglaublichen Farbenwechsel aller Dinge und Bereiche, sogar des Himmels und der Abenddämmerung. Dann diese unglaublich eintönige Dürre mit dem zögernden Zuzug der bekannten Vögel aus Europa (eigenartig vor allem die Einstellung der anderen dazu: für sie kamen diese Vögel wieder »zurück« aus Europa!) – und in welch unglaublichen Scharen. Die Ernte schließlich! der graue Himmel, Sintflut und Akkerbau, Weltuntergang, und die ganze Arche Noah vorübergehend auf feuchtem Landurlaub: Elefanten, die wie schwere Panzer durch den Busch brechen, Nashörner, die unglaublich scheu und vorsichtig (wie gepanzerte Spähwagen, so beweglich auch) an allem Verdächtigen leise vorübergrasen, sich durch diese angeborene Vorsicht noch mehr schützen als durch ihren Hornpanzer; die Gnus mit ihren komischen klugen Gesichtern, die Gazellen, von denen sich einige ständig unwahrscheinlich hoch in der Luft befinden, Wache halten, im Mastkorb sozusagen ... Mein Sohn wurde nicht müde, alle diese Tiere ständig in seine Träume einzubeziehen, sie mit wackeligen Strichen und fehlenden oder überzähligen Körperteilen mit Ziegelstücken nachzuzeichnen – alle Hauswände waren schon voll davon. Und unsere so pedantisch-penible Ehrwürdige Mutter duldete dies nicht nur, sie fand auch immer wieder pädagogischpsychologische Erklärungen dafür .. . Ja, alles das kittet, birgt einen gefährlichen Zwang zum Fatalismus in sich: Es muß offenbar alles so sein, wie es eben ist! Alles ist von der Natur (von Gott, vom Schicksal, von Allah oder sonst irgend jemandem oder irgend etwas) bestens geordnet! Wir müssen uns nur in diesen geregelten Ablauf der Zeit einfügen! 386
Das noch Schlimmere daran aber war: Dieser Kitt beendet auch jedes Leben als Individuum! Er kittet uns zu einer Gemeinschaft zusammen. Und eine Gemeinschaft denkt nicht mehr so entschlossen, handelt nicht mehr so vital wie der einzelne, der ohne jede Rücksicht nur auf seinen Vorteil, sein Leben bedacht ist. Der Spruch: Einigkeit macht stark hat nur sehr beschränkte und vor allem übertragene Gültigkeit! Wo waren die Zeiten hin, als man eine Leiche – egal, ob Freund oder Feind! – einfach mit der Stiefelspitze auf den Rücken drehte, den Karabiner im Anschlag, und nachsah, wer es war, ob er es noch war? Vielleicht hängt das Gemeinschaftsgefühl auch von der Anzahl ab, wächst umgekehrt proportional zu dieser? Muhammed sah dem scheuen Herumdrücken der anderen um Moises Leiche erst interessiert zu – vielleicht machte auch er sich Gedanken darüber? – dann reichte ihm das Getue plötzlich: – Weg da, ihr Weiberärsche, beiseite, hopp! Er schnappte das Paket Moise mit kräftigem Griff, hob es hoch, von der Kanone weg, über die zur Seite Weichenden hinweg, legte das khakifarbene, dunkelfleckige, armselige Bündel ganz hinten quer hin und setzte sich gemütlich und hart darauf nieder: – Scheißmichanbrunzen! Hab' ich nun einen Kohldampf, nach der Scheiß-Arbeit hier! Von uns aus kann's losgehen, wir haben unseren Platz. (Muhammed, seinen schweißdunklen Helmgurt lockernd und Moise unter sich vorsorglich zurechtrückend) Und es lag mehr Liebe und männliches Zartgefühl in diesem auch auf Moise bezogenen uns und wir und unseren Platz, als in dem scheuen Getue der anderen, das doch irgendwie auch Abscheu war: Abscheu vor dessen zurückgebliebener Leiche! (Warum genieren uns eigentlich unsere Toten so? Sie müßten beim Verschwinden ja nur ihren Leichnam mitnehmen. Aber 387
sie tun das nicht, obwohl sie wissen, wie sehr sie uns damit in Verlegenheit bringen, uns, die Lebenden, die noch Lebenden, die lebendig Gebliebenen, die vorläufig noch lebendig Gebliebenen. Ist das nicht eigentlich ein Beweis dafür, daß es nach dem Tode nichts mehr gibt – außer dem Nichts? Also auch keinen Gott!) Marx öffnete uns das Tor und erkannte auf den ersten Blick, was geschehen war. Er nahm, als wir sehr langsam in den Hof einfuhren (auch Meli hatte viel Sinn für Symbolik, nicht nur Marx), Haltung an, blickte starr vor sich hin und hielt seine MP wie bei der Visite eines Generals gestreckt vor Brust und Helm. Unwillkürlich nahmen auch wir im Jeep Haltung an, was besonders bei Muhammed auf Moise geradezu makaberfeierlich aussah: hochgestreckter Oberkörper, Gewehr zwischen den Knien am Boden, Kopf erhoben, Blick starr geradeaus! Die Ehrwürdige Mutter, die mit den Frauen und Kindern auf der Stiege stand, schlug ein weitausholendes Kreuz vor ihrer welken Brust, als sie uns so einfahren sah und drückte die beiden Knaben schützend an sich – eine unwahrscheinlich ahnungsvolltrostlos wirkende Geste. Zamela brach in Tränen aus und setzte sich einfach auf den Boden. Mhoshibadoonia sah starr auf mich. Selbst die beiden Kinder schienen auf der Stelle erkannt und begriffen zu haben, daß aus dieser so vertrauten VaterKörperschaft ein Mitglied fehlte: ein Vater, ihr Moise-Papi! Es herrschte eine wahre Totenstille, nachdem Meli den Motor abgestellt hatte. Und wieder war es Muhammed, der den Bann brach, unsere Starre löste: – Los schon, Ehrwürdige Mutter, das Bügelbrett mit einer Decke! Oder soll ich den fettgemästeten Sack alleine abschleppen, vielleicht unter den Arm nehmen?
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Wir sprangen alle wie auf Befehl vom Wagen, das verlangte Bügelbrett mit Decke diente uns als Bahre, auf die wir Moises Leiche wälzten, und schon griffen Meli und Marx zu. Wir anderen gingen in voller Adjustierung links und rechts daneben her, und ich dachte, daß selbst die Ehrwürdige Mutter Muhammed dankbar für seine betont rüde Art war, den fatalen Fall zu behandeln – gesprochen habe ich nie mehr mit ihr darüber, es ergab sich keine Gelegenheit mehr zu einem vertrauteren Gespräch. Der Gang zum Refektorium war mir noch nie so lang erschienen. Zamela und Mhoshibadoonia ließen die schweren Vorhänge vor die Fenster gleiten. Meli und Marx setzten die Bahre mitten auf die weißgedeckte Tafel. Die Ehrwürdige Mutter brachte zwei lange, für die Heilige Therese vom Phallus vorgesehene Kerzen und entzündete sie – zweckentfremdet – eine zu Häupten und eine zu Füßen unseres alten Knaben. Wir nahmen unsere Helme ab, standen stumm und ohne Gottglauben herum, hingen vielleicht zum erstenmal gemeinsam Gedanken über unsere eigene, jedem so unglaublich erscheinende und doch hiermit wieder einmal bestätigte Vergänglichkeit nach. – Verflucht! Schon wieder das Scheiß-Tor vergessen! (Meli, davonstürzend, damit wir seine Rührung nicht bemerken sollten) – Alles in den Hof! Lagebesprechung! (ich, die Sache wieder in die Hand nehmend) Es stand nun so gut wie sicher fest, daß wir entdeckt waren, oder zumindest demnächst entdeckt würden, denn das Verschwinden einer zweiten Streife, und noch dazu einer so zahlreichen, würde unweigerlich zu einer größeren und gründlichen Aktion führen. Dennoch waren die Meinungen der Männer sehr auseinandergehend: - Seit dem letzten Vorfall sind immerhin drei ruhige Jahre vergangen. (Marx, abwägend) 389
– Und mit jedem weiteren Jahr steigen unsere Chancen. (Meli, seinen Schwung wieder langsam einbüßend) – Welche Chancen denn? (ich, kalt-logisch) -Eben! Welche Chancen? (Muhammed, zynisch) – Besonders die Kinder! Was sollen wir mit ihnen auf einer Flucht durch halb Afrika? (Jesus II, insistierend) – Und wenn einer einmal einen Rechenfehler macht? Wenn der Tabaksaft einmal nicht hinhaut? Wenn einer nur einmal nicht entsprechend aufpaßt? Was dann mit einer schwangeren Frau? (Muhammed, zynisch-nachdenklich) – Oder gar mit einem Säugling! (ich, ebenfalls in Aufbruchstimmung und höchst alarmiert) – Und unsere Wirtschaft hier? Dreieinhalb lange Jahre Arbeit! Sollen wir darauf einfach scheißen? (Meli, eine bäuerliche Überlegung im Söldner-Jargon vorbringend) – Noch nie ging es uns so gut, das stimmt! (J-B-B, wortkarg wie immer) – Ja, und die lieben, süßen Schäflein, der duftende Tabak vor der Haustüre, die Maiskolbenpfeife im Abendrot auf der Bank im »Vorgarten«, die Fünftel-Witwe im Bett– ihr Arschlöcher, ihr vollkommen kaputtgeschissenen! Seht ihr denn nicht, was jetzt kommt?! (Muhammed, endlich explodierend) -Na, na, na! Den Haufen möchte ich sehen, der uns hier auszuheben versucht! (Meli, etwas zu selbstsicher) – Die können schließlich nicht die ganze Armee auf uns ansetzen! (Marx, nun ebenfalls übertreibend) – Und mit der halben Armee werden wir ja spielend fertig, wie wir gebaut sind, nicht wahr! (ich, provozierend) – Das hat man doch vorhin gesehen, lauter blöde Schlappschwänze! Moise hat es ja auch nur zufällig erwischt. (Jesus II, ganz unsere Denkweise praktizierend, sozusagen in Reinkultur) – Aber das nächste Mal werden sie uns bessere Leute schikken, das kann ich euch verraten! (Muhammed, bissig) 390
- Sollen sie sich doch nocheinmal blutige Köpfe holen, dann können wir immer noch abhauen. (Meli, seiner Sache anscheinend ziemlich sicher) – Ach was, Hurenscheiße sage ich, nichts als weicher Schanker, ihr Blödiane! Sie werden uns die Schwänze ausreißen, nicht nur abschneiden! Sie werden uns mit den Zungen an den Fußboden nageln und mit ihren Gewehrläufen unsere Därme durchs Arschloch herausspulen! Sie werden unsere Weiber vor unseren Augen kaputtvögeln und unsere Kinder dazu schlachten, sie am Spieß lebendig braten und uns ins brüllende Maul stopfen! Ja, seid ihr denn allesamt fettgefressene Bauernärsche geworden, die nicht mehr von der Ofenbank wegkommen? Lieber eine Kugel in die Wampe als noch eine Stunde hier bleiben! (Muhammed, apokalyptisch-prophetisch, exaltiert) Aber schließlich blieb es dabei: Nur Muhammed und ich waren für sofortigen Aufbruch. Die Frauen waren bei uns nicht stimmberechtigt, und die anderen wollten bleiben. Es war nicht möglich, daß Muhammed und ich alleine abhauten. Da hätten wir die anderen vorher umlegen müssen. Also blieben wir und richteten alles für eine Verteidigung ein. Eine ständige Wache wurde aufgezogen; Sandsäcke gefüllt und in die Fenster gelegt. Die Fahrzeuge blieben reisefertig beladen und standen schußbereit mit auf das Tor gerichteten Kanonen im Hof. Eines unserer wertvollen Benzinfässer wurde als riesiger Molotow-Cocktail so auf der Mauer befestigt, daß es von verschiedenen Orten aus mit Hilfe eines raffiniert-einfachen Seilzugsystems in den Hof gestürzt werden konnte. Aber wir dachten auch an andere Möglichkeiten. An verschiedenen weiter entfernten Orten legten wir Lebensmittel- und Vorratslager von Munition, Waffen und Kleidern an. Später am Abend versteckten wir auch einen Jeep, vollbeladen und mit dem gesamten Reservesprit versehen außerhalb 391
des Klostergeländes. Mit dem aufgetankten Rover konnten wir ihn jederzeit erreichen. Das so friedliche Schafkloster der Heiligen Therese vom Phallus hatte sich im Handumdrehen in ein Heerlager verwandelt. Waffen und Munition besaßen wir im Uberfluß, denn bei den beiden Überfällen hatten wir eine Unmenge davon erbeutet. Aber es geschah nichts, und am nächsten Tag begruben wir Moise. Marx und Meli hatten im Süden des Hauses auf einem kleinen Hügel ein sehr flaches Grab ausgehoben. Der Boden war feinsandig. Der Wind wirbelte den staubigen Aushub grauocker-kräuselnd hoch und in unsere schmal zusammengekniffenen Augen. Moise lag immer noch auf dem langen, an einem Ende sogar abgerundeten Bügelbrett. Wir Männer trugen diesmal alle daran. Moise selbst war immer noch in die Khaki-Decke eingehüllt, diesmal schwankte er beim Tragen nicht mehr - die Leichenstarre! Wir gingen im Gleichschritt dahin, ein Skolopender mit Paßgang und einem toten Körper, nur die Beine lebten! Den Helm hatten wir alle auf, den Kinnriemen offen, die MP am Riemen, Pistolen umgeschnallt. Auf Moises verdecktem Kopf lag sein Helm, zu seinen Füßen lagen seine Pfeifen. Hinter dem Bügelbrett folgten Zamela und ihr Sohn, dann Mhoshibadoonia und der ihre, der auch mein Kind war. Am Ende ging laut betend die Ehrwürdige Mutter. Der Weg war nicht lang, der Himmel war passend grau in grau. Am offenen Grab mußte ich eine Rede halten, weil das nun einmal bei solchen Anlässen so üblich ist (Afrika, mein Afrika, wie hast du dich gewandelt! Nun sind auch hier schon Reden an offenen Gräbern üblich geworden. Das nächste wird der Gesangsverein sein, dann der Fußballplatz, TV.. . Scheißeüberscheiße!). Und tatsächlich verspürte ich auch das ebenfalls übliche Würgen in der Kehle, als wir das Brett mit Moise in die niedrige Grube 392
legten, (hätte es mich in Kasagi bei jedem Toten so gewürgt, es hätte mich erwürgt!) Symbole sind die stumme Sprache der uns umgebenden Dinge, die uns viel zu sagen haben – wenn wir auf sie hören. – Das Bügelbrett, Monsieur, das brauchen wir nötiger als er da drunten! (die Ehrwürdige Mutter, energisch an meinem linken Ohr, offenbar außer an Gott auch an Symbole glaubend) Ich gab den anderen mit dem Kopf ein Zeichen, und wir zogen Moise das Brett unterm Arsch weg. Der Helm rollte zur Seite und lag jetzt wie ein ledergepolsterter Nachttopf griffbereit neben Moises Mumie – wie im Krankenzimmer. Seine Pfeifen lagen im Sand. Ich richtete mich auf, der Wind begann die Pfeifen bereits zuzudecken. Muhammed griff sich plötzlich eine davon, nahm eine Prise Tabak aus seiner patronengefüllten Brusttasche und begann, damit die Pfeife zu stopfen. Nun ging er rund um das offene Grab von einem zum anderen, und jeder gab eine Prise dazu. Mit dem Daumen drückte Muhammed den Tabak hinein, mußte mehrere Streichhölzer anreißen bis die Pfeife brannte nahm drei tiefe Züge daraus, die er über die von Moise beinahe ausgefüllte Grube blies, und gab die Pfeife an den Nächsten weiter: Jeder tat ebenso - sogar die Frauen! Ich war der letzte, zelebrierte meine drei Erinnerungszüge, indem ich ebenso wie alle anderen versuchte, Moises Art zu rauchen in Gestik und Mimik möglichst getreu nachzuahmen. Nach dem letzten Zug legte ich das noch brennende Kalumet zu Moise ins Grab – Symbol über Symbol! – Also, mein lieber alter Moise, du warst ein ganz prächtiger Kerl! Keiner konnte so laut lachen wie du, und die Art, wie du geflucht hast, sie war schlechthin einfach einmalig! – Gott möge es dir verzeihen! (die Ehrwürdige Mutter, so gut begonnene Rede unterbrechend)
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– Wo war ich gleich? Ach ja: Du hast ganz hervorragend geflucht und uns allen damit viel Erleichterung und Vergnügen bereitet, Moise! Und das wird uns leider in Zukunft verdammt abgehen, hörst du?! Und dann die Mädchen! Alle flogen sie auf dich. Schade um so einen Mann! Dein Mut war unbeeindruckbar, und alle werden wir uns deiner immer erinnern als unermüdlichen Kämpfer, als opferbereiten Kameraden und verwegenen Draufgänger. Niemand unter uns bediente die Kanone besser! Schließlich hast du ja auch für uns alle ins Gras gebissen. Und ich sage nicht, daß dir die Erde leicht werden möge! Was, Männer, wir wünschen ihm etwas Besseres, falls es – ganz wider Erwarten – doch etwas wie einen Himmel geben sollte: Hübsche, rasante Mädchen, Wein, Geflügel und Siege! (alle, im donnernden Chorus meine Rede mit dem eingelernten Schluß beendend). Die Ehrwürdige Mutter warf mir einen vorwurfsvollseinsollenden anerkennenden Blick zu und schlug ein Kreuz über das Grab, das wir gemeinsam mit unseren bloßen Händen zuschütteten. Als Moise zugedeckt war, nahmen wir unsere Helme zu Hilfe und bauten den im Winde tanzenden Sand zu einem lockeren Hügel auf. Jesus II hatte in unserem Werkraum ein einfaches Holzkreuz mit Inschrift gebastelt: HIER LIEGT begraben von seinen Freunden MOISE 37 Jahre alt erschossen im Kampfe.
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24 Wir glätteten noch den Hügel, um den wir kreuzförmig Steine als Einrahmung gelegt hatten, als wir Motorengeräusch hörten: Flugzeuglärm! Wir schnappten Frauen und Kinder und warfen uns wie der Blitz in den nächsten Acker. Zwei DC-2 mit den zambezischen Farben zogen ziemlich niedrig aus Richtung Kasempa herauf, flogen über uns weg, kehrten plötzlich in weiter Schleife um, steigerten rasch ihr Tempo und stachen dann auf unser Kloster herab. – Na, Prost Mahlzeit, verdammte Scheiße! Unser aufgeprotzter Rover mitten im Hof! (Meli, sich auf den Rücken drehend und seine MP anlegend) Auch Muhammed warf sich auf den Rücken und wollte mit der MP hinaufballern. -Wohl besoffen! Die rotten uns auf der Stelle aus! Eine einzige Napalm-Bombe reicht völlig! (ich, einschreitend) Die Maschinen überflogen mehrmals das Kloster, zogen schließlich mit hoher Geschwindigkeit nach Kasempa ab. Ich behielt Meli und Muhammed im Auge: Dieser Meli! Vor wenigen Tagen noch hatte ich meine Beobachtung über den Bildhauer-Schutt an ihm gemacht, der ihn langsam zu überdekken begann, den Söldner Meli zumindest. Und jetzt, jetzt schaute dieser Kerl tatsächlich wieder zwischen Fettpölsterchen und Augenfältchen hervor! Es gab nun keine Wahl mehr. Wir waren entdeckt. Nur eine sofortige Flucht zu Fuß hatte zumindest einige Aussichten auf Erfolg, wenn wir auch Flugzeuge gegen uns hatten. – Da können wir die Kinder gleich hier begraben! (Marx, drastisch) – Und die Weiber dazu! Arschloch! Es ist doch in Dilolo auch gegangen, oder! (Meli, energisch werdend)
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– Jedenfalls, wenn wir abhauen, dann jetzt, sofort! Wie lange fährt man von Kasempa hierher, Jesus? (ich, mit einem Versuch, die Panik zu steuern) – Gut eineinhalb Tage, Capitaine! (Jesus II, sehr exakt) – Das bedeutet, wenn wir die Zeit für den Entschluß und die Meldung einberechnen, daß wir frühestens in der Nacht nach zwei Tagen mit dem Angriff rechnen müssen, (ich, präzisierend und überlegend) – Wenn sie nicht schon unterwegs sind, oder Paras einsetzen. Nein, am besten, wir hauen sofort und auf der Stelle ab, wir könnten die Jeeps so lange benützen, bis die Flugzeuge uns zwingen, sie zu verlassen, oder bis uns der Sprit ausgeht! Ach was! Scheißen wir doch dieses Kloster voll und sind eine riesige Wolke! (Muhammed, kurz entschlossen und ordinär wie in unseren besten Zeiten) – Ich glaube auch, wir müssen hier blitzartig weg. Unsere Exkremente müssen wir ja nicht partout hinterlassen, Messieurs, (die Ehrwürdige Mutter, sehr vernünftig) – Und wer sagt uns, daß sie uns wirklich entdeckt haben? Sie könnten unseren Wagen doch für denjenigen ihrer Streife halten! (Marx, störrisch und unbelehrbar wie ein alter Bauer) – Wir haben nun im Gegensatz zu Dilolo etwas zu verlieren: Weib, Kind, Grund und Boden, ihr Hornochsen! Dort hatten wir lediglich etwas zu verteidigen, das noch dazu kaum Wert besaß, unser dreckiges, beschissenes Leben! Aber nun ist das etwas anderes. Wir haben etwas daraus gemacht, aus diesem Leben! Ich sehe nicht ein, warum wir freiwillig abhauen sollten. (Meli, sich in Wut redend) – Ich höre wohl nicht recht! Sagtest du wirklich freiwillig? (Muhammed, zynisch) – Und wenn sie uns bombardieren? (ich, nüchtern) – Besser eine Napalm-Bombe made in USA auf die Birne als in der famosen Steppe krepieren! Außerdem kaufen wir uns diese Brüder doch! Die werden sich die schmutzigen Hosen 396
ganz schön vollscheißen hier! (Marx, seinen Mut gleichmäßig an uns alle verteilend) Wir organisierten schließlich unsere Verteidigung im Kloster. Da eine normale Verteidigung desselben bei der ungleichen Kräfteverteilung reiner Wahnsinn (Größenwahn nämlich) gewesen wäre, eine Frage der Zeit und der Kampfmittel – und auf beiden Gebieten waren wir den Angreifern unterlegen – kam als Taktik nur die Überraschung, die Täuschung, die List in Verbindung mit unserer überlegenen Kampfweise in Frage, an welch letzterer Muhammed und ich allerdings berechtigte Zweifel hegten, eingedenk unserer Jahre bäuerlichen Lebens und Denkens. Wir bauten unsere Stellung also zu einer einzigen verheerenden Falle aus und warteten dann etwas nervös auf das Erscheinen des Feindes. Aber selbst einen Sieg konnten wir auch unter den allergünstigsten Umständen nur sehr blutig erkaufen – auf Zeit! Und der Feind kam, er kam pünktlich am Nachmittag des zweiten Tages nach Moises Begräbnis. Es begann damit, daß wir von unserem Ausguck aus vier vollgepferchte Jeeps langsam aus dem Engpaß heranrollen sahen. Unser Tor war einladend weit geöffnet. Der Wagen mit Meli an der Kanone stand hinter einer Strohmatte gedeckt unter dem Flugdach. Marx und Jesus II hackten im Hofe friedlich Holz. J-B-B machte sich am Tor zu schaffen und sollte dann dieses schließen, sobald die zwei ersten Jeeps hereingefahren wären – wir wollten die Angreifer trennen, abschneiden, zerstückeln. Muhammed und ich lagen im Abort, der etwas aus dem Gebäude-Komplex herausgebaut war, und von wo aus wir den Hof mit unseren MPs und Karabinern vollständig beherrschten. Die vier Jeeps fuhren langsam und zögernd vor unser Tor, hielten dort aber überraschend an.
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Marx und Jesus, ganz zivil gekleidet wie auch J-B-B, unter weiten Pullovern jedoch, die sich im drohend ums Haus pfeifenden Winde blähten, waren sie mit Waffen gespickt, sie ließen sich vom Auftauchen der Fahrzeuge weiter nicht stören, nachdem sie den Fahrern kaltlächelnd zugenickt hatten. Scheiße, das ließ sich ja ganz anders an als vorgesehen! Die in den Jeeps berieten sich lange. Eine tödliche Anzahl von Läufen war auf sie gerichtet, aber wir wollten sie im Hof haben, wo sie uns nicht entkommen konnten. Frauen und Kinder waren im Keller versteckt und gut bewaffnet – für alle Fälle! Endlich kam wieder Bewegung in die Wagen. Sie fuhren langsam in den Hof. Und plötzlich, ohne jede Warnung, schossen sie ihre Kanonen-Gurte leer. Marx wurde zerfetzt, noch ehe er in Deckung gehen konnte. Jesus II knallte mit einer Hand, was die Knarre hergab, und wurde dabei vollständig in Stücke geschossen. Meli jagte einen Gurt nach dem anderen durch die Strohmatte, die dabei in Fetzen ging, und wer seiner Garbe zu entkommen suchte, wurde von hinten und von J-B-B erledigt. Auch Muhammed und ich feuerten, was nur ging, und der Pulverrauch wallte in ganzen Wolken aus dem Hofe hoch. Aber wir konnten nicht verhindern, daß Meli von einer Garbe mitten ins Gesicht getroffen wurde, und daß der letzte noch bemannte Jeep in Höchstgeschwindigkeit auf den kniend neben dem offenen Tore feuernden J-B-B zuraste. Muhammed erledigte zwar den Fahrer mit einem Meisterschuß, aber der Wagen prallte dennoch auf J-B-B und zerquetschte ihn an der Mauer. Als der Jeep von dem Anprall an die Wand zurücktorkelte, klappte J-B-Bs Helm langsam über seine entblößten, leuchtenden Zähne, während sein völlig zermalmter Oberkörper noch kurz an der Mauer kleben blieb,
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dann langsam zu Boden rutschte, in unnatürlicher Abwinkelung über den lebendig zappelnden Unterkörper kippte. Völlige Funkstille dann! Beißender Pulverrauch und keine Überlebenden außer Muhammed und mir. Dieser Plan war also Scheiße gewesen. Damit noch nicht genug, ergab sich ein weiterer fürchterlicher Irrtum, der von beiden Seiten gleichzeitig und aus demselben Grunde begangen wurde: aus Überheblichkeit! Unsere Frauen, an unsere Siege gewohnt wie ans tägliche Brot, kamen nach Verstummen des Kampflärms aus dem Keller gekrochen, sahen das fürchterliche Blutbad und stürzten sich weinend auf die Leichen. Die Knaben heulten Vati und Papa, und niemand hörte unsere aus dem Abortfenster nur gedämpft in das allgemeine Wehklagen dringenden Stimmen: - Zurück in den Keller, in den Keller, looos!!! Als wir die vier nächsten Jeeps heranschießen sahen, da war es zu spät! Wir hätten unsere Frauen und Kinder zwar noch erschießen können, gewiß (und warum eigentlich, verdammt nocheinmal, warum taten wir das damals nicht? Immer dieses Wunschdenken: Na, so arg wirds ja wohl auch nicht werden ...), uns aber dadurch ebenfalls verraten. Und da Frauen an den Umgang mit Waffen nicht gewöhnt sind, gehen ihnen solche auch nicht ab. Die Waffen unserer Weiber waren im Keller geblieben. Die vier neuen Wagen, offenbar die Stille ebenfalls als Sieg ihrer Vorgänger deutend, schossen in den Hof herein, sahen mit einem Blick, was hier los war, und legten zielstrebig und sehr methodisch-gründlich los: Zuerst einmal wurde das Tor geschlossen. Der riesige Hof war nun vollgepfercht mit Jeeps. Dann wurden die Frauen und Kinder zusammengetrieben. Aus einem leckgeschossenen Kühler dampfte und spritzte unregelmäßig rostbraunes Wasser. 399
Zamela und Mhoshibadoonia waren sofort entkleidet. Sie rissen ihnen die Fetzen nur so herunter, und je zwei Mann hielten ihnen Arme und Beine weit auseinander, während die anderen ihre langen, schwarzblauen Bereitschaftsglieder zückten und sich gierig über das armselig wimmernde Fleisch hermachten. Wie kann man den Menschen doch erniedrigen! Die beiden Knaben, unsere Kinder, die auf allen Vieren verstört wie in einem bösen Traum des Hieronymus Bosch zu ihren mißhandelten Müttern kriechen wollten, wurden immer wieder mit harten Fußtritten weit von der Stätte der blutgierigen Lust weggeschleudert. Einer von den Befriedigten hatte einen Kübel mit Wein vom offenstehenden Keller heraufgeholt, und dieser Kübel kreiste nun. Die kurze Abenddämmerung brach über die Mauer des Klosters herein. Ein anderer, ebenfalls schon mindestens einmal an unseren Frauen geazt, band die Ehrwürdige Mutter nackt an einen zerschossenen Jeep, warf Zamelas bewußtlos getretenen Jungen roh wie im Schlachthaus hinauf und entzündete den Wagen. Die Ehrwürdige Mutter wimmerte und heulte wie ein Wolf, wie ein Fuchs, wie ein Hund, wie ein heiliger Hundewolf. Mein Sohn schrie nach mir, und Mhoshibadoonia lag immer noch unter ihren triefenden Schwänzen, die wie die Kolben einer ewig geilen Maschine gleichmäßig auf sie hinunterstießen, in sie hineinfegten, sie aufwühlten, ihr Geschlecht mit Blutschaum bedeckten: er-bar-mungs-los! Ich sah die Ehrwürdige Mutter platzen, zischen wie einen Braten am Spieß, wie eine Heilige (ob sie noch an die heilige Therese de Saint Phalle oder auch eine der anderen gemarterten Theresien gedacht hat?) oder eine heilige Ketzerin. Gestank wölkte schwer, und ich dachte an die Inquisition, die heilige, verspürte eine irrsinnige Versuchung, eines der inbrünstigen, beinahe obszönen katholischen Kirchenlieder aus meiner Ju400
gendzeit abzusingen! Dann wieder wollte ich blindwütig dreinknallen, aber Muhammed faßte mich immer wieder beruhigend am Arm. Schließlich war es stockfinster geworden. Das kleine Fest, dieses schwarze Bacchanal erreichte seinen Höhepunkt: das letzte Opfer wurde dargebracht, von denen da draußen, aber auch von uns – vor allem von mir! Man nagelte meinen kleinen, lieben, außen so dunklen und jetzt so fürchterlich hell aus seinem weißen Inneren herausbrüllenden Sohn mit Bajonetten an das schwere Hoftor – wie wir damals bei unserem Einzug hier das Fell jenes Jungbocks (Scheiß-Symbolik)! Aber der Bock war tot, und Schaffelle brüllen nicht, darum stören sie uns nicht! Mein Sohn aber war vorsichtig so angenagelt, daß er ohne Behinderung vom Tor herunter brüllen konnte - mit seiner gar nicht rauhen, weißen Stimme ... Jetzt schnitten sie den völlig zerfleischten Frauen die Hälse durch, ließen ihr Blut in den Kübel mit Wein rinnen, rührten darin mit den von ihrem Geschlecht noch feuchten Händen um und soffen, zwischen all den vom brennenden Jeep beleuchteten Leichen einen makaberen Totentanz tanzend, übermäßig aus dem Kübel, dem Kelch der neuen Religion der Gewalt: Sie beschütteten sich, begossen sich von oben bis unten – die Säue! Unsere Zeit würde bald gekommen sein. Plötzlich begannen sie wie wild um sich zu feuern, nach uns übriggebliebenen Hurensöhnen zu schreien. Es war ihnen mit einem Male eingefallen, daß ja jemand den letzten Mann ihres Vortrupps getötet haben mußte. Sie bekamen es mit der Angst zu tun! Und Angst macht laut, macht Schweiß und Zittern, macht Unsicherheit, Fehler und Fehler. Sie würden jetzt kommen und uns die Eier braten, usw. Mein Sohn bewegte noch immer seinen Kopf, den verschwollenen Mund mit der immer noch weißen Stimme. Die Senkgrube
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unter uns hatte einen Überlauf nach außerhalb der Mauer. Wir hatten genug gesehen. Wir waren starr, versteinert. Wir fühlten nichts mehr. Überhaupt nichts. Weniger als nichts. Wir blickten uns fragend an. Ich legte mich am Donnerbalken auf den Bauch und half Muhammed beim Hinuntergleiten in die Scheiße. Er war mir von unten aus behilflich – verdammt dunkel hier und der Gestank! Bis unter die Achseln standen wir in der Brühe, fanden schließlich tappend den Überlauf und krochen hinaus. Seltsam, die Scheiße störte mich überhaupt nicht – nach all dem, was ich vorher gesehen hatte. Im Hof drinnen knallte und brüllte es noch immer, matt flakkerte der Schein des Jeeps, an welchem die Ehrwürdige Mutter verbruzzelte, an der Mauerkrone des nach außen friedlich im letzten Abenddämmern liegenden Klosters. Wortlos eilten wir zur nächstgelegenen Auslösestelle für unseren RiesenMolotow-Cocktail und zogen das Seil an. Ein rumpelndes Geräusch erst, ein dumpfer Aufschlag, schon übertönt von einem prasselnden Zischen und Knattern: 200 Liter brennenden Benzins ergossen sich in den Hof, in den vorbereiteten Keller. Drinnen war alles so eingerichtet, daß die Stallungen und das Haus im Nu brennen mußten. Ich jagte eine Garbe aus meiner MP dort durch das Holz des Tores, wo ich meinen Sohn wußte. Heraus konnte man nur an einer Stelle der Mauer: über das Tor! Innen schlugen die Flammen hoch, die Pferde brachen nun aus und rasten durch den Hof – wir hatten sie für eine eventuell nötige Flucht im Stall behalten, alle anderen Tiere hatten wir schon gestern weggejagt. Da kam auch schon der erste über das Tor, brennend wie die Ehrwürdige Mutter vorhin und ebenso wimmernd. Wir lösch402
ten ihn mit den Kolben der Gewehre, die wir hier neben dem Tor deponiert hatten. Wir drückten ihn aus mit unseren Kolben wie einen Zigarrenstummel: nicht übermäßig eilig – er rauchte noch ein wenig. Es kamen noch einige übers Tor, nachdem der erste anscheinend gut hinübergelangt war. Man glaubt nicht, wie wehrlos man brennend sogar höchster Lebensgefahr gegenüber ist! Sie ließen sich gemütlich erschlagen wie herbstmüde Fliegen, die oft nicht einmal mehr sich vom Rücken auf ihre zappelnden Beine zu erheben vermögen. Sie waren nur von einem einzigen Gedanken beherrscht: Ich brenne, brenne, brenne! Und wir bei der Arbeit: im scheißegetünchten, scheißegetunkten, scheißegetränkten Kampfdrillich, unerbittlich! Endlich kam keiner mehr. Die Hitze des brennenden Hauses hatte im Hof alles Leben ausgelöscht, aufgeleckt, verdampft. Sie wurde selbst außerhalb der Mauer verdammt spürbar, ja unerträglich ...
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25 Wie an unserem ersten Abend erklomm ich mit Muhammed jenen Weinhügel, diesmal jedoch müde, zerschlagen, stinkend, ausgebrannt, leergebrannt, grenzenlos entmutigt. Wir zogen oben unsere scheißgefüllten Klamotten aus, wuschen uns am Fuße des Hügels im kalten Quellwasser eines von uns vor zwei Jahren angelegten Brunnens sehr gründlich und nachdenklich-lange, zogen die hier deponierten frischen Kleider – Kampfanzüge mit fester Unterwäsche – an, pflegten mit Hilfe des Medikamenten-Pakets unsere erst beim Baden bemerkten Brandblasen und Schürfungen und saßen, nachdem wir wieder hochgestiegen waren zu jenem Geräteschuppen, mit einem sauberen neuen Gewehr zwischen den Knien unter den Sternen. Unten verglimmte das Kloster. Gelegentlich schoß irgendwo noch eine Stichflamme in den samtenen afrikanischen Himmel, wenn wieder ein Gebäude einstürzte. Als der Morgen endlich unschlüssig graute, stieg immer noch kräuselnder Rauch aus den Trümmern. Wir hatten unsere Entschlußkraft wieder gefunden. Wir waren ganz steif vom langen Sitzen und auch vor Kälte. Wir schüttelten uns wie Hunde, wie Wölfe, wie Wolfshunde, machten einige gymnastische Bewegungen, lockerten den Helmriemen, sahen uns an und brachen mit langen Schritten auf zu unserem versteckten Jeep. Scheußlich, ein solches Erwachen! Aber auch für mich war es jetzt höchste Zeit, aus meinen Erinnerungen zu erwachen. Lange konnten die »Leichenbestatter« des schwarzen Mister Goldensmith nicht mehr auf sich warten lassen. Auch hatte ich nun meine Zigarette lange genug kalt »geraucht«. Nur gut, daß der Bursche hier nicht ahnte, auf was er sich eingelassen hatte! Ich drehte mich vom Fenster weg. Eliah bewachte mich lächelnd. 404
– Hörst du nichts, Eliah? – Nein, warum? – Dann lausche, mein Sohn, lausche! – Das habe ich schon einmal irgendwo gehört! (Eliah, philosophisch gebildet) – Was, das Zitat oder das Zischen des hier unten ausströmenden Wasserstoffs? (ich, zynisch-informativ) – Nein, das vom Lauschen, nicht das Zischen! Und noch während er sprach, kapierte er, wurde er bleich. – Wenn du abdrückst, oder auch ich mit meinem Spielzeugrevolver hier (ich holte ihn während des Sprechens aus der Schublade), dann fliegt das ganze Haus in die Luft – die haben nämlich früher nicht für solche Explosionen gebaut, vor dem Weltkrieg! (ich, meine Aufklärung fortsetzend) – Wie lange zischt das da schon? (Eliah, sachlich) – Seit du hier bist. Und nun gib mir brav dein Schießeisen, diese Kiwi da! (ich sanft) – Warum ich? Ich kann genausogut dein Feuerzeug verlangen! (Eliah, überraschend logisch) – Aber ich, ich habe nichts zu verlieren, im Gegenteil! (ich, zum Fenster hinausblickend) – Und ich? Wenn ich dich laufen lasse, dann bin ich dran! (Eliah, völlig klar sehend) Wir behielten also beide unsere Revolver, verabredeten dann, sie gleichzeitig in den Müllschlucker fallen zu lassen (Eliah erhielt dadurch zwar einen kleinen Vorteil, da er ja seinen fatalen Goldensmith in der Hinterhand hatte, ich aber glich diesen seinen Vorteil dadurch aus, daß ich mir nicht anmerken ließ, ihn zu erkennen - außerdem hatte ja auch ich einiges in petto) Waffenlos klärte ich Eliah nun vollständig auf: Das Einschalten des Lichtes würde genügen, oder das Betätigen der Klingel etwa (er fuhr dabei nervös hoch, aber ich behielt die Straße im Auge – Goldensmith konnte uns nicht überraschen): 405
Ein einziger Kontaktfunke würde die Bude in die Luft sprengen - mitten in Paris, man denke, der Mensch lebt hier wie im Busch, ständig umlauert von tödlichen Gefahren! Ich schraubte während dieser Betrachtung und während Eliah meinen Posten am Fenster übernommen hatte, die Türklinke an der Innenseite meiner Wohnungstüre ab: – Damit sie dann in der Falle sitzen mit ihrem Goldensmith! - Nachdem wir alles vorbereitet hatten und eben miteinander das Haus verlassen wollten, schickte ich Eliah noch einmal in die Wohnung zurück: -Schau rasch nach, ob nichts Auffälliges die Burschen zu früh warnen könnte – und laß' die Türe angelehnt! Ich springe noch rasch hinauf zum Zählerkasten im Zwischenstock. Er tat dies auch. Aber irgendwie mußte die Türe doch hinter ihm ins Schloß gefallen sein. Ich konnte mich nicht mehr mit ihm aufhalten, sollte sich doch Goldensmith um seine unvorsichtigen Leute kümmern! Hoffentlich kam er nicht auf die Schnapsidee, bei mir anzuläuten! Na, sei's, wie's sei! Durchs Gangfenster sah ich den Leichenwagen, er stand an der Kreuzung, etwa 50m vom Haus entfernt. Es war rotes Licht. Mit wenigen Sprüngen war ich aus dem Haus und in einem Taxi, sah gerade noch einen ganzen Schwanz schwarzgekleideter schwarzer Herren mit Zylinderhut im Haus 348 Bd. Malesherbe-Ecke Rue de Saint-Phalle verschwinden. Dieser verfluchte Goldensmith – in Indianerlinie! ... Am nächsten Morgen trank ich Kaffee bei meiner Freundin Geraldine, Bd. Raspail, zu der ich nach Goldensmiths Besuch kurz gezogen war – Geraldine, die Gute, sie war immer so hilfsbereit.
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Jetzt las sie den Figaro, ich den Nouvel Observateur – so sehr wir sonst harmonierten: politisch gingen unsere Ansichten auseinander. Tageszeitungen langweilen mich außerdem. Vor allem aber berichtet der Observateur gelegentlich vom ehemaligen Biafra, vom Tschad, überhaupt von Afrika (um den Kongo ist es ja verdächtig still geworden in letzter Zeit!) und von den Söldnern –Uäähhh!!! – Hast du schon von der Explosion gehört (Geraldine, ihre Tasse mit abgespreiztem kleinem Finger absetzend – ha! Dieser kleine Finger gestern Nacht!) – Welche Exposition? (ich, unaufmerksam und sehr zufrieden mit mir und der Welt) – Explosion, Francois, -plo-plo-plo: Explosion! Aber warum legst du dich nicht noch ein bißchen hin, wenn du noch müde bist– hmmm? (Geraldine, mit einem zärtlichen Annäherungsversuch) – Explosion sagst du? Laß sehen! (ich, Geraldine auf die bezaubernde Brust küssend) Tatsächlich! Im Figaro auf der ersten Seite (Geraldine beginnt immer mit der »Seite für die Frau«): Mysteriöse Explosionskatastrophe Wie wir in unserer Abendausgabe schon kurz berichteten, wurde gestern um 18 Uhr 30 das Haus 348 der Rue de SaintPhalle durch eine äußerst heftige Explosion vollständig zerstört. Über die Zahl der dabei ums Leben Gekommenen herrschte bei Redaktionsschluß noch immer Unklarheit, da die Aufräumungsarbeiten zu dem Zeitpunkt noch nicht beendet waren. Auch was die Ursache der Katastrophe betrifft, tappen die Behörden noch im Dunkeln. – Aha, die Behörden tappen wieder einmal! (ich, gereizt zu Geraldine auf meinem Schoß, die damit beschäftigt war, mich 407
»hochzupäppeln«, das heißt, meinen »Hugo« hochzubringen)– Wo tappen sie, Liebling, die Behörden? – Im Dunkeln, steht hier im Figaro, wegen der Explosion, Kindchen! – Wurde die Lichtleitung beschädigt? Davon las ich gar nichts! – Paß einmal auf, Kleines, du gehst jetzt schön brav voraus ins Bettchen, ich lese noch den blöden Artikel hier fertig und komme dann nach! – Ich bleibe aber lieber hier auf deinem Schoß und halte dich warm – ich muß auch aufpassen, daß du dann nicht darauf vergißt, nach dem Artikel, meine ich! Wie jedoch unser Spezial-Berichterstatter J. B. Berthier in Erfahrung bringen konnte, soll die Wohnung, in der die Explosion vermutlich stattfand, von einem Ex-Söldner österreichischer Herkunft und französischer Staatsbürgerschaft namens Charles Dupont gemietet gewesen sein. Über seinen Verbleib ist ebenfalls nichts bekannt, doch wird laut Zeugenaussagen als sicher angenommen, daß besagter Charles Dupont ein Opfer der Katastrophe wurde. Kurz vor der Explosion hatten Passanten beobachtet, wie ein Leichenwagen mit der etwas auffälligen Aufschrift »Bestattungsunternehmen Jesus Goldensmith« vor das Haus 348. Rue de Saint-Phalle vorgefahren war. Den Passanten fiel nicht nur die Inschrift auf, sondern auch, daß dem verhältnismäßig großen Wagen elf tiefschwarz gekleidete Herren entstiegen, die sich alle sehr rasch in besagtes Haus begaben. Die kurz darauf erfolgende Explosion beschädigte in der Folge auch diesen Leichenwagen total. Alle elf Insassen sind bei dem Ereignis, das die Behörde geneigt ist, als die Begleichung einer alten »Söldnerrechnung« zu betrachten, anscheinend ums Leben gekommen. Jedenfalls fand man Leichenreste von mindestens zwölf verschiedenen Personen, seltsamerweise aber nur Afrikaner! Bei den Behörden meldeten sich inzwischen alle in den Hauslisten geführten Bewohner des 408
Hauses und berichteten übereinstimmend, daß man sie kurz vor dem Vorfall sehr drastisch gewarnt hätte. Festgestellt wurde außerdem, daß im Branchenregister von Paris und Umgebung kein Bestattungsunternehmen Goldensmith eingetragen ist. Ebenso dürfte es sich bei Charles Dupont um einen falschen Namen gehandelt haben, wenn man dessen österreichische Herkunft in Betracht zieht und den Namen Dupont. Offenbar dürfte dem Inszenator des grauenhaften Vorfalles, vermutlich jenem Charles Dupont, von dem inzwischen festgestellt wurde, daß er sich kurz nach seinem Einzug in Nr. 348 l00-Liter Wasserstoff in einer Druckflasche gekauft hatte, ein Lapsus unterlaufen sein, dem er dann selbst zum Opfer fiel. So handelt es sich bei diesem Vorfall wohl wieder um ein unaufgeklärtes Gewaltverbrechen mehr, das als Akte ins entsprechende Archiv wandern wird. Wir fragen die verantwortlichen Behörden deshalb im Namen unserer Leser und mit äußerstem Nachdruck: Was gedenkt man zu tun, um die immer mehr um sich greifenden und immer weitere Ausmaße annehmenden Gewaltverbrechen in unserer Stadt... – Hast du von diesem Dupont gestern etwas gelesen, Liebling? (ich, eine Hand unter Geraldines Schlafrock hervorholend und nachdenklich einen Schluck duftenden Kaffees schlürfend) -Pha! Wer könnte sich sowas merken: Duponts gibts wie Sand am Meer! (sie, mit himbeermarmeladeverschmiertem Mund)
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26 Der Puff von Lobito genießt unter Söldnern einen sagenhaften Ruf. Und genau dorthin wollten wir gehen, Muhammed und ich. Dort wollten wir unseren Abschied feiern – im Puff! Konnte es einen würdigeren Abschluß unserer Freundschaft geben? Wir hatten einen endlosen Weg hinter uns, als wir damals in Vila Luso ankamen, als harmlose Passagiere die Eisenbahn bestiegen, den Zug, den wir vor beinahe vier Jahren in Dilolo gekapert hatten: Den Weg aus der Hölle des Klosters der Hl. Terese de SaintPhalle, aus der Hölle der Erinnerung ins Vergessen, ins Weiterleben. Nach mehr als vier Jahren wieder in einer Stadt mit Leuten, die alle Sprachen redeten, die lachten und liebten und überhaupt so taten, als wenn die Welt voller Frieden wäre! Endlich keine Flugzeuge mehr, keine Nachtfahrten querbuschein! Es war einfach nicht zu fassen – jedenfalls nur schwer! Und Frauen und Mädchen! Mädchen, die lachten und Ohrfeigen austeilten, wenn man sie haben wollte. Muhammed bekam sechs Ohrfeigen, bis er endlich mit einer im Bett lag. Ich kam mit einer davon, dann hatte ich den Unterschied heraus, fragte die Richtige. (Stendhal sagte einmal, jeder Mann, der sich mit einer Frau irgendwo alleine befinde, habe die Pflicht, diese Frau zu bedrängen. Er fügte hinzu, die neun Ohrfeigen würden von dem einen Erfolg reichlich aufgewogen.) Auch vergesse ich meine Überraschung nicht so leicht, als sie sich die Strumpfbänder strammzog, nachdem sie gar nicht so hurtig wie angenommen aus dem Bett gekrochen war, und ich ihr eröffnete, daß ich kein Geld »mehr« hätte. Sie grinste mich breit und mit prächtigen Zähnen an: – Hab' ich gleich gewußt, Kleiner! 410
– He, hello, warum das? – Warst viel zu gut, um zu bezahlen! Da! (sie steckte mir Geld zu, und als ich es, überrascht von ihrer Reaktion, nicht nehmen wollte, schob sie es in meine Drillichhosentasche.) – Kannst jederzeit wiederkommen, klar? Aber Maul halten! Das heißt... (Sie maß mich noch einmal und schien mit dem Ergebnis zufrieden.) – Ach was, du bist stark genug, da hast du noch mehr davon! Und sie gab mir ein ganzes Bündel Geldscheine. Mein erstes im Bett verdientes Geld! Ich ließ sie in dem Glauben, sie hätte einen neuen Herrn und Meister gefunden. Immer noch schleppten wir unsere Waffen mit uns herum. Wir wollten uns nämlich unbedingt unseren ausständigen Sold am Mont de l'Espérance holen. Aber als wir endlich im Hof der ehemaligen Mission vom Jeep sprangen, hallten unsere Schritte und Rufe leer und tot wieder. – Scheiße! (Muhammed) – Hurenscheiße, blutige, das hätten wir uns denken können! (ich, mehr humorvoll als enttäuscht) – Also dann, auf in den Puff! (Muhammed) In Vila Luso in den Zug, mit einer Fahrkarte diesmal sogar! Und unsere Kiwis versteckt! Lobito ist so klein, daß man die Existenz eines erstklassigen Puffs hier nie vermuten würde. Aber Lobito ist der wichtigste Hafen Angolas und berühmt wegen seiner natürlichen Sand-Mole, die mehrere Meilen lang ist. Ein lusitanischer Kreuzer lag hier vor Anker. Wir fanden den Weg in den Puff vom Bahnhof weg sehr leicht, indem wir einfach den wehenden Schulterflecken der portugiesischen Matrosen folgten. – Werden alle Huren schon belegt sein! (Muhammed, die Türe des Puffs aufreißend)
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Drinnen die internationale, sprichwörtliche Puffbeleuchtung: kaum Licht! Dafür wallender Tabaksqualm und Rumdämpfe. Überall nackte oder wenig bekleidete Weiber, fette und faltige, leichte und liebliche, mollige und magere – für jeden Geschmack war da vorgesorgt. Als wir eingetreten waren, verstummte plötzlich der Lärm, und alle starrten uns an wie Geister. – Aha! Die berühmte »Ruhe im Puff«! (Muhammed, herausfordernd) Allgemeines Gelächter. Der Betrieb ging weiter. Wir nahmen nur rasch einen Whisky und griffen uns sofort je ein Mädchen, gingen nach oben – zum Anwärmen sozusagen! Nein, ich fand wieder nichts an ihr, in ihr, auf ihr! Nichts von Mhoshibadoonias kühler Wärme, nichts von ihrem Charme, ihrer aufregenden Beruhigung... Ich fand nur Schweiß, klebrigen Weibergeruch, geheuchelte Leidenschaft mit einem mäßig gut gespielten Orgasmus, unharmonische Mitarbeit und einen zweiten, diesmal gut und rechtzeitig imitierten Orgasmus! Muhammed und ich kamen beinahe gleichzeitig wieder nach unten und begannen in einer Ecke alleine zu saufen: still und zielstrebig. – Und du willst wirklich nicht mit nach Europa kommen (ich, etwas traurig) – Nein! Prost, Charles! Weißt du, hab' ich diesmal nicht kassiert, muß ich's das nächstemal doppelt besorgen. (Muhammed, nachdenklich den dunklen Raum musternd) – Ausgerechnet Biafra? (ich, gedankenverloren) – Erinnerst du dich an unseren Chinesen? »Muhammed, Erinnerungen aufwärmend) – Diese beschissenen Zambianer haben ganz schön dazugelernt! (ich, um auch etwas zu sagen) – Und so was nennt sich reguläre Truppe! Diese Strolche! (Muhammed, verächtlich und geräuschvoll auf den Boden speiend) Dann setzte sich die Puffmutter zu uns, begrüßte uns, 412
spendierte eine Flasche und wollte uns die Würmer aus der Nase ziehen, spuckte aber dabei selber alles aus, was wir wissen wollten: Holländerin aus Nigeria. Karriere in den Straßen von Lagos, später zweite »Dame« im Bordell von Ogbomosho, jetzt hier endlich selbständig. (Klang beinahe wie eine militärische Meldung) Muhammed haute wieder mit einem Mädchen ab, und aus purer Freundschaft pflückte auch ich mir eine recht langbeinige Dame, die nach Zambezi aussah, vom Schöße eines ziemlich angetrunkenen, breitschultrigen Matrosen. Der maulte, machte aber sonst nichts, was ich bedauerte – ich mußte also mit der Langbeinigen nach oben. Wieder nichts! Nicht die geringste Ähnlichkeit! Hurenscheiße! Und dabei nicht einmal imitierte Exstase! Als wir diesmal nach unten kamen, zog eben ein ganzer Flugzeugträger von Amis ein: laut, lachend, lärmend, vollgelaufen, jung! Wir kletterten hinter unseren Tisch, die Amis lasen alles Weibliche zusammen und brachten eine ganze Stunde lang das ganze Etablissement zum Erzittern. Unsere Stimmung war immer weinseliger geworden. Wieder öffnete sich die Türe, und herein traten drei Figuren, die sich erst einmal an die Bordellbeleuchtung gewöhnen mußten. Einer von ihnen, gekleidet wie Onkel Tom, nahm seinen Zylinder ab und enthüllte eine scheußlich verbrannte Fratze. – Kennst du den noch, Charles? (Muhammed, mit hellwacher Stimme) Es war – Mister Goldensmith, natürlich! Und immer noch hatte er die noble Gewohnheit, sich den Schweiß umständlich von der Stirn zu wischen! – Schau, schau, das fette Schwein ist also davongekommen! (ich, ebenfalls plötzlich munter)
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– Den hätten wir umlegen müssen, ich hab's immer gewußt! Zu blöd, daß ich damals nicht dabei war! (Muhammed, mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme) – Den hättest du verheizen sollen, nicht den idiotischen, ausgedörrten Lokführer! (ich, mit trockener Kehle) In diesem Augenblick entdeckte Goldensmith die Puffmutter an unserem Tisch und kam strahlend auf sie zu. Sie aber blieb verstört sitzen, betrachtete uns verwundert, und wir bemerkten erst jetzt, daß wir vorhin ihre Gegenwart vergessen hatten. Muhammed wollte sich wieder mit einem Mädchen verdrücken und so der Begegnung ausweichen, denn Goldensmith machte Anstalten, sich zu uns zu setzen. Aber alle Mädchen waren ja belegt, nichts frei, nicht das kleinste Loch! Und während wir noch unschlüssig Umschau hielten und die Gläser am Tisch im Takt der arbeitenden Flugzeugträgerbesatzung wackelten, da war es auch schon zu spät. Der formvollendete Mister Goldensmith, mit seiner verbrannten Riesen-Glatze scheußlich anzusehen, begrüßte die Puffinhaberin, und noch im Hinabbeugen stutzte er: – Kenne ich die Herren nicht von irgendwoher? – Möglich, wen kennt man heutzutage schon nicht! (Muhammed, mürrisch aufstehend und ostentativ seinen Hosenschlitz zu öffnen beginnend) – Nein, nein, ich bin ganz sicher! Aber ich muß... (Goldensmith, den unangenehmen Erinnerungsgehalt zu realisieren versuchend) – Mensch, Onkel Tom, hau doch ab hier. Wir sind zum Vögeln hergekommen, nicht zum Quatschen! (ich, brutal werdend) – Warten Sie! (Goldensmith's Stimme war jetzt ganz klar) – Dilolo! Natürlich! Dilolo, meine Herrn! Erinnern Sie sich an Dilolo? (Goldensmith, beinahe hysterisch schreiend, den Tränen nahe)
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Daß Neger so leicht rührselig werden müssen! Der ganze Puff horchte plötzlich zu uns her, und Muhammed machte vorsorglich seinen Hosenschlitzknopf wieder zu. Auf einen Wink von Goldensmith kamen seine beiden Begleiter mit professionell-schnell hervorgefingerten Revolvern auf uns zu. Die inzwischen zurückgekehrten Amis ließen Huren und Whisky fahren, bildeten einen interessierten Halbkreis um uns. Sie verstanden kein Wort unserer Unterhaltung, sahen nur, daß zwei friedliche Männer in Pantheruniformen hinter ihrem Glas Wem angefeindet wurden. Muhammed, dessen Hosenschlitz wieder fest geschlossen war, und ich, wir standen nun hinter dem Tisch. Aber auch die Matrosen waren haltungsmäßig gegen uns: Diese Scheiß-Amis, weil Muhammed ein »verdammter Nigger« war und noch dazu französisch sprach (warum waren sie dann aber nicht auch gegen Goldensmith? Kannten sie ihn?), die Lusitanier wegen meiner gepflückten Hure vorhin. Nun, das störte uns natürlich fürchterlich! -Sie müssen sich täuschen, Monsieur! (ich, mit geübtem Griff beim vorgetäuschten Kratzen des rechten Beins mein Messer lockernd) – Nein, nein! Das waren damals Sie im Zug! Interessant, Capitaine, so nannten Sie doch Ihre Leute, nicht wahr? Ich hörte, Sie seien kürzlich in Zambia endlich ausgeräuchert worden. Seine beiden Revolver-Knaben waren unvorsichtigerweise inzwischen nahe genug herangekommen (immer diese Amateure von Zivilisten, die einen Streit vom Zaun brechen!). Lange schon ruhte mein Schuh auf dem Muhammeds. Ein Druck, und schon schmetterte unser Tisch die drei vor uns nieder. Nun brach unerklärlicherweise die Hölle los: Die Amis stürzten sich kampflustig und wie auf Kommando auf uns. Wir droschen sie gleich reihenweise nieder - mit zwei gewaltigen Tischbeinen, die wir dem umgestürzten Tisch entschlossen abgetreten hatten. 415
Die Huren kletterten, reizend anzusehen, schreiend auf die Bar. Die neu von oben kommenden, noch etwas benommenen Matrosen sahen mich und Muhammed nun barhockerschwingend (die Tischbeine hatten die verfluchten Amis schließlich erobert) gegen eine riesige Übermacht ankämpfen, immer weiter in ein Eck gedrängt, und sie ergriffen unbedenklich für uns Partei. Wir bekamen wieder etwas Luft, schauten uns an und begannen entschlossen mit der Räumung des Lokals – wir wollten hinaus! Es krachte und splitterte ohne Unterlaß. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß diese von einem Tischbein, einem Barhocker oder einer Whisky-Flasche niedergestreckten, oft blutüberströmten Gestalten, über die der Kampf hinwegwogte, die zertrampelt und zerdrückt wurden, daß die sich je wieder erheben würden. Schließlich aber fanden wir zu einer normalen Schlägerei zurück, sowohl was das Ausmaß betraf, als auch bezüglich der dafür eingesetzten Mittel - so machte es wirklich Spaß! Die Puffmutter zog einmal den und dann wieder jenen am Ärmel, jammerte, flehte und sah doch mit einer gewissen Begeisterung dem gigantischen Ringen zu. Die Huren auf der Bar und auf der Stiege »verpflegten« die Niedergedroschenen, so gut sie es eben konnten, und feuerten uns durch obszöne Gesten mit Brust und Blöße zu immer neuen Heldentaten an. Schließlich war das Lokal leer. Unsere Mitstreiter waren mit den Armen über den Schultern und unter Absingen obszöner Lieder abgezogen. Verhältnismäßig wenig Schwerverwundete lehnten hinter der Bar, wohin die Huren sie geschleppt hatten. Einige sahen fürchterlich aus – komischerweise nur Lusitanier. Muhammed zog Goldensmith unterm Tisch hervor, unter dem dieser immer noch lag, und sein Messer aus dem Stiefel. Ich fiel ihm in den Arm. – Aber Monsieur, was fällt Ihnen ein? (die Puffmutter, nun doch etwas aus der Fassung) 416
– Wir sind in Lobito, Muhammed! (ich, ihn erinnernd) – Das Schwein gehört geschlachtet, jetzt, sofort! Mach nicht denselben Fehler noch einmal, Charles! (Muhammed, immer noch Goldensmith's Kehle mit dem Arm umspannend) – Wer ist das überhaupt? (ich, zur Puffmutter) – Ein Waffenhändler, liefert zur Zeit viel Material nach Biafra! (sie, bedeutungsvoll) Muhammed ließ nun den Dicken zu Boden gleiten, schüttelte den Kopf und steckte das Messer wieder ein! – Kann mich doch nicht brotlos machen! (Muhammed, grinsend) Wir wateten durch Scherben und Trümmer hinaus auf die Straße. Von dem Lokal war nicht viel mehr übriggeblieben als die soliden Wände und das lebende Inventar. Ohne uns noch einmal umzudrehen machten wir uns auf den Weg zum Flugplatz ...
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