Atlan - Der Held von Arkon Nr. 206
Ein Robot versagt Magantilliken, der Henker, greift ein - eine Gefühlsbasis wird zu...
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 206
Ein Robot versagt Magantilliken, der Henker, greift ein - eine Gefühlsbasis wird zur Gefahrenquelle von Marianne Sydow In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos. Von dort aus versucht er, zusammen mit Crysalgira, einer adeligen Arkonidin, die ebenfalls dem »Zwergenmacher« zum Opfer fiel, den Weg zurück in sein eigenes, makrokosmisches Raum-Zeitkontinuum zu finden. Dabei kreuzt Atlan erneut den Weg Magantillikens, seines alten Widersachers. Der Henker ist in großen Schwierigkeiten, denn EIN ROBOT VERSAGT …
Ein Robot versagt
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Die Hautpersonen des Romans: Magantilliken - Der varganische Henker erhält einen neuen Auftrag. Hermon Xonth und Isthmy - Magantillikens Helfer. Jintha - Tochter eines Diktators. Burjos und Gaddos - Zwei erbitterte Gegner. Atlan und Crysalgira - Zwei Arkoniden auf dem Weg nach Yarden.
1. Das laute Wimmern einer Sirene riß Jintha aus dem Schlaf. Sie richtete sich hastig in ihrem Liegestuhl auf und blinzelte verwirrt in die gleißende Helligkeit jenseits der Veranda. Die Sonne stand hoch und verwandelte die sanft dem Tal entgegengeneigte Schneefläche in eine Hölle aus weißem Licht. Das Mädchen tastete geblendet auf dem niedrigen Tisch herum und spürte endlich die Sonnenbrille zwischen den Fingern. Die Sirene schrillte noch immer. Jintha stand auf und trat an das Holzgeländer, das die Veranda umgab. Von dort aus hatte sie einen guten Blick in das etwa zweihundert Meter tiefer liegende Dorf. Zwischen den niedrigen, dunklen Holzhäusern wurde es lebendig. Sie sah die hastenden Gestalten, entdeckte jedoch nichts, was auf den Grund für diesen unerwarteten Alarm hinwies. Unwillkürlich glitten ihre Blicke weiter nach oben. Genau gegenüber, scheinbar zum Greifen nahe, ragte die gewaltige, teilweise von Schnee bedeckte Felsmauer auf, die den letzten Ausläufer des Quamendrin-Massivs bildete. »Lawinenalarm«, sagte eine dunkle Stimme neben ihr. Jintha zuckte zusammen und sah sich um. Sie hatte Burjos nicht kommen hören. Der ehemalige Prospektor, der seit nunmehr zwei Jahren der persönliche Beschützer des Mädchens war, hielt ein Fernglas in der Hand. Er kniff die Augen zusammen, legte den Kopf schräg, als lausche er angestrengt, dann nickte er. »Es kommt vom Quamendrin«, behauptete er. »Sehen Sie das dort?« Der junge Ckorvone deutete auf einen
dunklen Punkt oberhalb des Dorfes. Jintha mußte das Fernglas zu Hilfe nehmen. Sie erblickte einen würfelförmigen Bau. Ein paar Dutzend Menschen krabbelten wie kleine Insekten aus dem Schutz des breiten Daches und rannten in wilder Hast dem Dorf entgegen. Viele stürzten und rollten hilflos in die Schneewehen. »Das ist die Beobachtungshütte«, erklärte Burjos. »Von dort aus wird der Quamendrin ständig überwacht.« Jintha war wie erstarrt. Eine Lawine am Quamendrin – der Himmel mochte wissen, was dabei alles geschehen konnte! Dieser unheimliche Berg war ihr seit jeher verhaßt. Als ihr Vater sie drängte, sich für einige Zeit in der Berghütte im Woronongtal zu erholen, hatte sie sich anfangs mit allen Kräften gesträubt. Aber Teihendru war nicht nur der Diktator des Landes Frinalhan. Er beherrschte seine Familie restlos, und so mußte Jintha sich seinen Wünschen fügen. Immerhin hatte er ihr Burjos mitgegeben, der sich besser als jeder andere in den Bergen auskannte. Ihre Abneigung gegen den zehntausend Meter hohen Bergriesen, der mit seinen zahlreichen Nebengipfeln ein Gebirge für sich bildete, überging der Diktator mit einer lässigen Handbewegung. »Ich habe Angst«, sagte sie leise. Burjos lächelte leicht und legte ihr die rechte Hand auf die Schulter. »Ich weiß«, nickte er. »Aber hier oben sind wir relativ sicher. Bis jetzt steht auch nicht fest, daß die Lawine überhaupt den Weg in unsere Richtung nimmt. Bis jetzt hat gerade das Woronongtal am wenigsten unter den Launen des Quamendrin gelitten.« Durch die offene Verandatür drang ein lautes Summen. Burjos lief hinein. Während Jintha immer noch den Berg anstarrte, hörte
4 sie den Wächter drinnen sprechen. Kurz darauf kehrte ihr Beschützer zurück. Er hielt in der einen Hand Jinthas dicke Pelzjacke, in der anderen eine Schultertasche aus wasserdichtem Stoff. »Kommen Sie!« sagte er. »Wir müssen weg!« Jintha schüttelte verwirrt den Kopf und setzte zu einer Frage an, aber Burjos ließ ihr keine Zeit. Sie zog gehorsam die Jacke an, stellte fest, daß der Ckorvone außer seiner Dienstpistole noch ein langes Messer und einen Knüppel an seinen Gürtel gehängt hatte und sah ihn fragend an. »Wollen Sie in den Krieg ziehen?« fragte sie spöttisch. Burjos zwang sich ein beruhigendes Lächeln ab, drehte sich abrupt um und ging voraus. Jintha folgte ihm fast automatisch. In den letzten zwei Jahren hatte sie sich daran gewöhnt, Burjos beinahe blind zu vertrauen. Er hatte ihr mehrmals das Leben gerettet, wenn fanatische Gegner ihres Vaters ihre Wut an dessen Familie auszulassen versuchten. Im Laufe der Zeit hatte das junge Mädchen für den ehemaligen Prospektor Gefühle entwickelt, von denen Teihendru niemals etwas erfahren durfte. Der Diktator legte großen Wert darauf, daß seine Töchter sich »standesgemäß« verhielten. Sie rannten durch den Ziergarten hinter der komfortablen Villa. Burjos half dem Mädchen über die niedrige Begrenzungsmauer hinweg. Jintha berührte mit der Schuhspitze einen dünnen Draht und hörte das scharfe Klicken, aber sie war zu betäubt von den sich so plötzlich überstürzenden Ereignissen, als daß sie schnell genug reagieren konnte. Ein harter Schlag gegen ihre Schulter warf sie in den Schnee. Dicht über ihr krachte ein Schuß. Sie rappelte sich mühsam auf, wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und sah sich nach Burjos um. Der Ckorvone preßte die rechte Hand gegen den linken Unterarm. »Warum haben Sie nicht die Selbstschußanlage ausgeschaltet?« fragte Jintha fassungslos. »Ich verstehe nicht …«
Marianne Sydow Ihr Beschützer verzog das Gesicht. »Ich erkläre es Ihnen später. Wir müssen weiter hinauf. Dort gibt es einen Pfad. Nun kommen Sie doch schon!« »Sie sind verletzt!« protestierte Jintha. »Lassen Sie mich wenigstens mal nachsehen. Sie könnten verbluten!« Burjos, der bereits einige Schritte von ihr entfernt war, blieb seufzend stehen. »Paß auf, Mädchen!« sagte er gedehnt. »Die Beobachtungsstation hat eine schwere Erschütterung im Bereich der Nordwand des Quamandrin angemessen. Das ist keine normale Lawine, die da auf uns zukommt! Bis jetzt steht noch nicht genau fest, was dieses Unglück ausgelöst hat, aber eines ist sicher: Das Woronongtal wird in spätestens einer Stunde nicht mehr existieren. Es ist zu befürchten, daß auch der Südhang des Dogro unter der Katastrophe leiden wird. Abgesehen davon haben die Berechnungen unserer Wissenschaftler ergeben, daß der Umfang der Lawine ausreicht, um das Tal an dieser Stelle bis in mindestens dreihundert Meter Höhe restlos auszufüllen. Wenn ich jetzt also Zeit verschwende, um diesen lächerlichen Durchschuß zu verbinden, dann werde ich nicht einmal mehr dazu kommen, den Verband zu wechseln. Wir gehen jetzt dort hinauf, und ich rate Ihnen, sich zu beeilen.« Jintha schwieg. Wenn Burjos in dieser Weise mit ihr redete, war die Situation schon so gut wie hoffnungslos. Der zweite Wächter, ein unangenehmer, schmieriger Kerl, der in Gaddos' Diensten stand und Jintha eher bespitzelte als bewachte, hatte Lanja ins Tal begleitet. Die beiden wollten Vorräte einkaufen. Lanja! Sie hatte Jintha aufgezogen, und das Mädchen hing an dieser Sklavin mehr als an ihrer eigenen Mutter. »Was ist los?« fragte Burjos unwillig, als Jintha plötzlich stehenblieb. »Sie ist im Dorf!« erwiderte das Mädchen tonlos. Der junge Ckorvone begriff sofort. Er preßte die Lippen aufeinander, dann packte er Jintha am Arm und zog sie weiter.
Ein Robot versagt »Wir können ihnen nicht helfen«, erklärte er brutal. »Weder Lanja noch den vielen anderen. Es wäre sinnlos. Sie haben keine Chance mehr.« »Vielleicht bekommen sie einen Wagen«, wehrte sich Jintha verzweifelt gegen den unvorstellbaren Gedanken, Lanja zu verlieren. »Wenn sie schnell genug fahren, können sie es schaffen!« »Mag sein«, nickte Burjos tröstend. Er wußte es besser, zog es aber vor, dem Mädchen wenigstens diese Hoffnung zu lassen. Über Funk hatte er erfahren, daß die Straße unterhalb des Dorfes sehen durch Erdrutsche verschüttet worden war. Aber das eigentliche Drama stand noch aus. Sie erreichten den Wald und tauchten in die Dämmerung zwischen den hohen, geraden Stämmen. Burjos warf einen kurzen Blick zurück und sah an der Flanke des Quamendrin die ersten Vorboten der Katastrophe. Schnee stäubte auf und verdeckte die Sicht auf die zerrissenen Felsen. Unter den Bäumen lag der Schnee nicht so hoch. Sie kamen schneller voran. Über ihnen, in den verfilzten Zweigen, raschelten und flatterten Tiere. Sie schienen die Gefahr zu spüren. Burjos tastete nach seiner Waffe und behielt ihre Umgebung ständig im Auge. Aber sie erreichten unangefochten den schmalen Pfad, der sich in engen Windungen den Hang hinaufzog, um weiter oben über einen niedrigen Paß in ein Nebental zu führen. Dort wußte Burjos eine militärische Station, in der sie Hilfe finden würden. Aber sie mußten erst einmal dorthin kommen, und der Ckorvone zweifelte daran, daß sie ihr Ziel rechtzeitig erreichen würden. Einige Minuten später ließen sie den Wald hinter sich. Das ferne Rauschen und Poltern hatte inzwischen ständig zugenommen. Noch war es am Dogro ruhig. Burjos merkte, daß Jintha kaum noch Luft bekam, und blieb kurz stehen. Er schob den Ärmel seiner Jacke hoch und warf einen Blick auf die Wunde. Sie schmerzte zwar höllisch, blutete jedoch nicht mehr besonders stark
5 und sah relativ ungefährlich aus. Jintha setzte sich auf den Boden und legte den Kopf auf die hochgezogenen Knie. Sie fühlte sich grenzenlos müde. Als sie das seltsame, hohle Brausen hörte, hob sie verwundert den Kopf. Ein schrilles Pfeifen mischte sich darunter. Es klang wie damals, als der Vulkan auf Mucarin ausgebrochen war. Aber der Quamendrin war kein Vulkan! Burjos stand wie erstarrt neben ihr. Sie folgte seinen Blicken – und sah die Flammensäule, die unterhalb des weit entfernten Gipfels in den blauen Himmel schoß. »Was ist das?« flüsterte sie entsetzt. »Ich weiß es nicht«, murmelte Burjos. Er half dem Mädchen hoch, und sie gingen weiter. Ab und zu ragten Felsen neben dem Pfad auf, aber die Lichterscheinung ragte so weit in den Himmel, daß sie sie ständig über sich sahen, Burjos warf immer wieder Blicke auf diese seltsame Flamme. Er entdeckte dunkle Punkte, sah, wie Felsbrocken von der Größe eines Mietshauses den Quamendrin hinabkullerten, und kam zu der Überzeugung, daß sie auch in diesem Bereich des Dogro noch längst nicht in Sicherheit waren. Aber drüben war jetzt fast der ganze Hang in Bewegung geraten, und einzelne Brocken fielen aus der Flammensäule über ihnen herab. Sie schlugen wie Bomben in den unter ihnen liegenden Waldein. Er trieb Jintha erbarmungslos an. Es war keine gewöhnliche Lawine. Irgend etwas gab es am Quamendrin. Vielleicht hatten die Landbewohner dieser Gegend doch recht, wenn sie den riesigen Berg für den Wohnsitz rachsüchtiger Dämonen hielten. Aber er hatte seine Aufgabe zu erfüllen. Burjos mußte alles versuchen, um Jintha aus dieser Hölle hinauszulotsen. Falls ihm das nicht gelang, er selbst aber am Leben blieb, so war es besser, wenn er Frinalhan für alle Zeiten den Rücken kehrte. Er würde ein solches »Versagen« teuer bezahlen müssen. Jintha stapfte wie eine Maschine vorwärts. Als Burjos sie auf die kleine Höhle hinwies, die er über einem Gebüsch jenseits
6 des Pfades entdeckte, hob sie nicht einmal den Kopf. Über ihnen glühte der Himmel, und immer zahlreicher regneten brennende Trümmerstücke auch auf den Dogro hinab. Das Poltern und Rauschen übertönte alles. Ein starker Wind kam auf, der ihnen aufgewirbelten Schnee und den Gestank brennender Tarvobäume entgegentrieb. Er führte das Mädchen den sanft geneigten Hang hinauf, schob sie durch die Büsche und half ihr über die rissigen Felsbrocken. Sein Arm schmerzte fast unerträglich, und das Gewicht der Schultertasche schien von Minute zu Minute zu wachsen. »Da hinein!« keuchte er und zeigte auf die kleine, dunkle Höhle. Es war nicht viel mehr als eine Nische in den Felsen. Eiszapfen bedeckten die Rückwand. Darunter rieselten ein paar Wassertropfen herab, die sich am Boden zu einer mit dünnem Eis bedeckten Pfütze sammelten. Jintha wollte sich instinktiv in den hintersten Winkel verkriechen, aber Burjos hielt sie zurück. »Wenn das Gestein bricht, sind wir dort hinten verloren«, erklärte er. Sie stand offensichtlich unter einer Schockeinwirkung. Ihre Blicke gingen durch ihn hindurch. Sie hockten nebeneinander auf dem eiskalten Boden und starrten auf das Chaos, das sich ihren Augen darbot. Unmengen von Schnee, Eis und lockeren Steinen aller Größenordnungen hatten sich aus der Flanke des Quamendrin gelöst. Burjos sah die Lawine, schätzte die Richtung, orientierte sich und verglich das umgebende Gelände mit den ihm bekannten Daten über den geheimnisvollen Berg. Die Lawine selbst bot für sie jetzt keine überragende Gefahr mehr, es sei denn, der Hang des Dorgo würde durch die Erschütterungen ebenfalls in Unruhe geraten. Die Massen von Schnee und Eis würden die kleine Höhle jedoch nicht erreichen. Einziger Unsicherheitsfaktor in dieser Rechnung war die Flammensäule. Burjos griff nach dem Fernglas und spähte zum Ort des unheimlichen Geschehens hinauf. Noch niemals hatte ein Ckorvone die Spitze des Quamendrin erreicht, und die
Marianne Sydow Nordwand mit dem riesigen Überhang, die von den Dorfbewohnern die »Burg der Dämonen« genannt wurde, bot ein absolut unüberwindliches Hindernis. Dieser Überhang ragte etliche hundert Meter weit aus der Steilwand heraus. Darüber türmte sich eine ungeheure Geröllhalde bis fast zum Gipfel. Aus dem unteren Teil dieser merkwürdigen Formation brach der Feuerstrahl hervor. Er streifte den unteren Rand des Gerölls, das dadurch in Bewegung geriet und die Lawine auslöste. Noch während er hinsah, erlebte Burjos die Demaskierung dieses Überhangs. Allmählich löste sich die Kruste, die den geheimnisvollen Gegenstand an der Spitze des Quamendrin so lange verborgen hatte. Eine metallisch glänzende Kugel kam darunter zum Vorschein. Aus dieser Entfernung wirkte sie klein und unbedeutend, aber als Burjos einen kurzen Größenvergleich anstellte, stockte ihm der Atem. Das Ding, aus dessen glänzender Hülle das Feuer der Vernichtung brach, mußte unvorstellbare Ausmaße haben. Plötzlich schien der kahle Hang zu bersten. Die Verankerungen, mit der die Kugel sich bis jetzt an ihren Platz geklammert hatte, brachen und lösten Felsbrocken von der Größe kleiner Berge aus der Wand. Wie ein gigantischer Ball sprang das Gebilde den Hang hinunter. Bei jedem Aufprall nahm das Ausmaß der Zerstörungen zu. Der Kugel selbst geschah nichts. »Was ist das?« Jinthas Stimme klang schrill und spitz. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Kugel hatte jetzt ungefähr einen Höhenunterschied von zweitausend Metern überwunden. Noch ließ sich nicht sagen, wo sie am Ende aufschlagen würde. Der Feuerstrahl schlug mit vernichtender Gewalt rundum in die Berge ein. Ein paar Sekunden später traf er den Wald unterhalb der Höhle. Glühende Äste wirbelten am Eingang vorbei. Ein Schauer von Steinen prasselte herab. Jintha wollte sich in das Chaos hinausstürzen, aber Burjos hielt sie fest. Das Mädchen war völlig hyste-
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risch, trat nach ihm und kratzte. Er wußte, daß vernünftige Argumente jetzt nichts mehr nützten. Darum schlug er zu. Die Hitze wurde fast unerträglich. Er zerrte den Körper des Mädchens tiefer in die Höhle, hockte sich neben Jintha und starrte hinaus. Geisterhaft fingerte der Feuerstrahl an den Bergwänden entlang. Ein kleiner Berg loderte auf und verschwand in einer Fahne davonwehenden Staubes. Die Kugel kam näher. Als sie etwa einen Kilometer südlich des Dorfes aufschlug, schwankte der Boden der Höhle wie bei einem Erdbeben. Ein paar Steine lösten sich aus der Decke. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Burjos das Gebilde ganz deutlich. Es war glatt wie eine Murmel, durchmaß etwa einen Kilometer und wies an verschiedenen Stellen Auswüchse auf, die durch den Absturz teilweise verbogen oder abgebrochen waren. Der Feuerstrahl war verschwunden. Dann raste eine Wand aus mit Geröll vermischtem Schnee den Hang hinunter und bedeckte sowohl die Kugel als auch die letzten Überreste des Dorfes. Die Lawine hatte ihr Ziel erreicht.
* Der Kommandant der Gefühlsbasis Xeriomph war defekt. Allerdings wußte er das nicht, sonst hätte er den Schaden längst gemeldet. Der Fehler in seinen Schaltkreisen zeigte sich erst, als es schon zu spät war. Die Antennen der Station nahmen einen Impuls auf. Die Sendung wurde im Untersektor »Empfang« entschlüsselt und an den Kommandanten weitergeleitet. Es handelte sich um einen Befehl aus der Eisigen Sphäre. Der Kommandant erteilte dem Sektor »Sendung« die Anweisung, die für diesen Fall vorgesehene Bestätigung abzustrahlen. Gleichzeitig informierte er alle anderen Nebengehirne und setzte die erforderlichen Schaltungen in Betrieb. Innerhalb von Sekunden erwachte die Gefühlsbasis zu robotischem Leben. Ein ziemlich untergeordneter Kontrollteil
machte den Kommandanten kurz darauf auf einen Fehler aufmerksam. Die an die Varganen gerichtete Bestätigung war nicht abgestrahlt worden. Der Kommandant zog daraus den Schluß, daß die Funkzentrale nicht in Ordnung war und erteilte ihr den Befehl, sich schleunigst zu regenerieren. Die Funkzentrale befolgte den Befehl. Für die Dauer der Untersuchung schloß sie sich zunächst von dem ihr übergeordneten Sektor ab. Als sie in ihren eigenen Schaltkreisen keinen Fehler fand, öffnete sie ihre internen Kanäle wieder und meldete das Ergebnis an ihre Zentrale weiter. Dort entstand der Eindruck, die Fehlschaltung müsse innerhalb des zuständigen Kontrollgehirns liegen. Der gesamte Sektor »Sendung« sperrte die Verbindung zu den übrigen Anlagen und suchte nach dem Fehler, der laut Befehl des Kommandanten beseitigt werden mußte. In diesem Komplex wurde auch die Funktion der überaus wichtigen Emotiostrahler kontrolliert und gesteuert. Das Robotsystem der Gefühlsbasis funktionierte sternförmig. Vom Kommandanten gingen direkte Verbindungen zu den Sektoren, von dort aus wurden die Nebensektoren informiert, die die Informationen wiederum an zahlreiche kleinere Einheiten weiterleiteten. Es gab Verflechtungen, die der Überbrückung der Instanzen dienten, aber in Fällen wie diesem war jeder Komplex fähig, absolut autark zu handeln. Der Kommandant hatte inzwischen die Energieversorgung angekurbelt, die seit dreihundert Jahren darauf beschränkt worden war, die wenigen ständig funktionsfähigen Teile der Station zu versorgen. Vorrangig war die Bereitstellung von Energie für die Emotiostrahler. Die Speicher füllten sich schnell. Als eine bestimmte Grenze erreicht war, gab der betreffende Sektor eine Meldung ab. Die Abteilung »Sendung« reagierte nicht. Die Kanäle blieben verstopft. Der Sektor »Energie« konnte seine Tätigkeit nur dann selbstständig einstellen, wenn ein Fehler im eigenen Bereich vorlag. Solange das nicht der Fall war, blieb der Befehl des Kommandanten bestehen. Nach wenigen Se-
8 kunden wurde die Kapazität der Speicher überschritten. Die Energie staute sich. Der Kommandant empfing eine Alarmmeldung und ordnete die sofortige Öffnung der Kanäle an. Aber auch er drang nicht bis zu dem zuständigen Teilgehirn durch. Er hätte jetzt den Befehl geben müssen, sofort den Energiefluß zu den Emotiospeichern zu stoppen, aber gerade da lag seine Schwäche. Er vermochte einen einmal gegebenen Befehl nicht rückgängig zu machen. Er wartete auf die Bestätigung, die er gar nicht erhalten konnte. Als die ersten Überschlagsblitze entstanden, baute sich automatisch ein Schutzschirm auf. Er verhinderte zwar, daß benachbarte Teile der Gefühlsbasis zerstört wurden, ließ die immer noch herbeiströmende Energie jedoch anstandslos passieren. Der Kommandant sendete unbeeindruckt immer noch dieselben Befehle. Schließlich wurde der kritische Punkt erreicht, und die Speicher flogen auseinander. Der Schutzschirm leitete die nun völlig frei herbeiströmende Energie über die Notfälle dieser Art vorgesehene Kanäle nach außen ab. Der Kommandant registrierte diese Vorfälle. Er stellte auch die schweren kinetischen Erschütterungen fest, die die Basis durchliefen, hielt sich jedoch auch weiterhin an den Auftrag, die Emotiostrahler mit Energie zu versorgen. Der Sektor »Sendung« öffnete seine Kanäle nicht, weil er einerseits in seinen Schaltkreisen keinen Fehler fand, andererseits infolge der nun zerstörten Speicher der naheliegenden Spur zu den Energieerzeugern nicht folgen konnte. Minutenlang blieb die Situation unentschieden. Dann schlug die nach außen abgeleitete Energie in die Schutzschirme zurück. Der Sektor »Energie« registrierte eine Störung im eigenen Bereich und reagierte sofort. Die Energieerzeugung wurde eingestellt und auch nach einem dringenden Befehl des Kommandanten nicht wieder aufgenommen, weil der Weg zu den Emotiostrahlern blockiert war. Damit war die Gefühlsbasis Xertomph
Marianne Sydow vorläufig zur Untätigkeit verurteilt. Die entstandenen Schäden hätte der Kommandant leicht beheben können, wäre nicht diese Fehlschaltung in seinen maschinellen Eingeweiden gewesen. Er beschränkte sich darauf, die betroffenen Sektoren auch weiterhin mit Befehlen zu bombardieren, die jedoch niemals befolgt wurden.
* »Was Sie da berichten, klingt unglaublich!« Der Leiter der militärischen Bergstation, die Jintha und Burjos nach einer gefahrvollen Wanderung durch das Lawinengebiet erreicht hatten, kannte Jinthas Identität, aber er vermochte seine Skepsis nicht ganz zu verbergen. Burjos hielt sich im Hintergrund, obwohl gerade er die wichtigsten Beobachtungen gemacht hatte. Sein ganz persönliches Problem beschäftigte ihn ausreichend. »Es stimmt«, gab Jintha bereitwillig zu. »Aber leider war es nicht nur eine Halluzination, die wir erlebten. Sie haben Kundschafter über den Paß geschickt und die Berichte erhalten. Sie wissen also Bescheid!« Der Ckorvone nickte nachdenklich. Er saß Jintha an einem kleinen Tisch gegenüber und drehte verlegen einen Becher mit heißem Tee zwischen den Händen. Bur jos konnte sich lebhaft vorstellen, wie diesem Mann zumute war. Er selbst hatte sich an Jintha gewöhnt. Sie war manchmal launisch, hatte jedoch weder die Gier nach Macht, noch den Hang zur Brutalität von ihrem Vater geerbt. Man konnte vernünftig mit ihr reden. Aber woher sollte der Fremde das wissen? Burjos verfolgte das Gespräch der beiden mit halbgeschlossenen Augen. Er stand neben der Tür, und auch seine lässige Haltung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß er sprungbereit und wachsam war. Man hatte seine Verletzung verbunden und ihm ein schmerzstillendes Medikament verabreicht. Jetzt wachte er über Jintha und stellte dabei Überlegungen an, die er selbst Jintha gegen-
Ein Robot versagt über nicht hätte äußern dürfen. Sie hatten über Funk ihre Beobachtungen übermittelt und warteten nun auf die Anweisungen des Diktators. Natürlich würde Teihendru darauf bestehen, daß man die Kugel freilegte und genau untersuchte. Dagegen war im Prinzip nichts einzuwenden. Aber in der Kugel gab es Waffen, das war durch den Feuerstrahl bewiesen. Gerieten sie in die Hände des machthungrigen Diktators, so war Vaanrhan verloren. Das Gleichgewicht zwischen den beiden Staaten war äußerst labil. Bisher hatte man einen offenen Krieg vermeiden können. Vaanrhan war waffentechnisch überlegen, vermied jedoch absichtlich eine Auseinandersetzung. In der Heimat des angeblichen Prospektors hoffte man immer noch, sich eines Tages friedlich mit dem Diktator oder seinem Nachfolger einigen zu können. Aber Burjos, der sich vor etwa über zwei Jahren als einziger Agent seines Landes in die direkte Nähe Teihendrus hatte schmuggeln können, wußte genau, daß solche Hoffnungen verfehlt waren. Teihendru würde die erstbeste Gelegenheit nützen. Es ging ihm nicht um die Reichtümer Vaanrhans, sondern um mehr Macht. Und darum durfte Teihendru die Waffen nicht in die Hände bekommen, die die Kugel in sich barg. Burjos wußte nicht, wie er die Bergungsarbeiten sabotieren sollte, aber es stand fest, daß er es tun mußte. Eine halbe Stunde später betrat ein Bote das Zimmer. Er reichte Jintha einen versiegelten Umschlag. Das zierliche, rotblonde Mädchen las die Nachricht und reichte das Blatt kommentarlos an Bur jos weiter. Der Ckorvone hatte Mühe, seinen Triumph zu verbergen. »Nun?« fragte Jintha ungeduldig. »Was sagen Sie dazu?« »Es ist ein Befehl des Herrschers«, erwiderte Burjos scheinbar gleichmütig. »Es steht mir nicht zu, eine eigene Meinung zu äußern!« »Ich hasse diesen Berg!« rief Jintha leidenschaftlich. »Und ich werde mich wei-
9 gern, diese Anweisung zu befolgen. Entweder nimmt mein Vater den Befehl zurück, daß ausgerechnet Sie in diesem gefährlichen Gebiet die Leitung der Arbeiten übernehmen, oder ich komme mit!« »So sollten Sie nicht reden«, versuchte Burjos das aufgebrachte Mädchen zu beruhigen. »Ihr Vater handelt absolut logisch. Ich habe gesehen, wo die Kugel aufschlug. Ihm ist bekannt, daß ich über die nötigen Kenntnisse verfüge, um diese Arbeit zu übernehmen. Wenn es ein Unglück gibt und ich dabei sterbe, dann bin ich selbst schuld, denn dann habe ich versagt. Für Versager gibt es keinen Platz in unserer Gesellschaft!« Jintha sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Als er sie draußen auf dem Gang aufgeregt diskutieren hörte, fing er einen mitleidigen Blick des Uniformierten auf. Er grinste verhalten. Jintha würde bei ihrem Vater seiner Meinung nach überhaupt nichts erreichen. Er hatte sich geirrt. Eine Stunde später kletterte er hinter dem Mädchen aus dem Wagen, der sie bis an den Rand der Unglücksstelle gebracht hatte. Er ließ sich seine Gefühle nicht anmerken, aber er hätte am liebsten laut geflucht. Nun mußte er nicht nur die geheimnisvolle Kugel dem Zugriff des Diktators entziehen, sondern auch noch für die Sicherheit des Mädchens sorgen. Als er dann noch erfuhr, daß er erstens mit Gaddos eng zusammenarbeiten mußte und zweitens ein Zimmer direkt neben der Tochter des Diktators bewohnen sollte, sank seine Stimmung auf den Nullpunkt. Ihm standen sehr schwere Tage bevor!
2. »Gefühlsbasis Xertomph im Manetzasy-System meldet sich nicht!« dröhnte eine Stimme aus dem Lautsprecher des Kontrollraums. »Funktionsaufnahme ist laut Plan in acht Tagen der Standardzeitrechnung erforderlich. Die üblichen Nachforschungen blieben ohne jeden Erfolg. Xertomph schweigt!«
10 »Ich fliege sofort los!« versicherte Magantilliken seinem unsichtbaren Gesprächspartner. »Genau das erwarten wir von dir«, kam die etwas spöttische Antwort. »Schließlich ist es deine Aufgabe, für den reibungslosen Ablauf der Aktion zu sorgen. Damit du mit dem nötigen Eifer an die Arbeit gehst, möchte ich dir noch etwas verraten. Wir haben noch einmal über deinen Fall gesprochen. Du hast im Makrokosmos versagt, aber wenn du jetzt gute Arbeit leistest, wäre es denkbar, daß wir dir dennoch die Rückkehr nach Yarden erlauben.« »Ich werde mir große Mühe geben«, versprach Magantilliken hastig, aber die Verbindung war bereits abgebrochen. Der Henker drückte auf eine Taste. »Isthmy und Xonth, sofort in die Zentrale!« sagte er leise in ein Mikrophon. Der Ruf hallte vielfach verstärkt durch die Räume und Gänge des Doppelpyramidenschiffs. Der Kreuzzug nach Yarden hatte begonnen. Zehntausend voll bemannte Raumschiffe der Tejonther folgten dem Ruf der geheimnisvollen Leerraumkontrolleure. Kein Angehöriger dieser Riesenflotte ahnte auch nur, wo das Ziel lag und was dort geschehen sollte. Für die Tejonther handelte es sich um eine heilige Mission. Die kosmischen Leuchtfeuer der Gefühlsbasen wiesen der Flotte den Weg. Daß diese Stationen nicht nur der Orientierung dienten, sondern noch eine weitaus wichtigere Funktion erfüllten, wußten nur jene, die alle dreihundert Jahre den Pilgerzug ins Nichts planten und organisierten. Von der Eisigen Sphäre aus überwachten sie den Weg der Flotte. Nach einem genau ausgearbeiteten Zeitplan erhielten die Stationen den Befehl, sich zu aktivieren. Jedesmal, wenn die Flotte der Tejonther sich einer solchen Basis näherte, gelangte sie auch in den Einflußbereich der Emotiostrahler. Die Art, in der die einzelnen Stationen die Teilnehmer am Kreuzzug beeinflußten, war genau aufeinander abgestimmt. Stufenweise wurden die Tejonther auf ihre Aufgabe vorbereitet. Fiel eine Basis aus, so
Marianne Sydow konnte das zu einem Bruch führen, der sich nicht mehr korrigieren ließ. Und das bedeutete, daß der Kreuzzug im schlimmsten Falle abgebrochen wurde. Ein größeres Unglück konnte Magantilliken sich nicht vorstellen. Er hielt sich als einziger Tropoyther außerhalb Yardens auf und trug die Verantwortung dafür, daß Pannen dieser Art nicht vorkamen. Eine Kugel von einem Meter Durchmesser schwebte durch das offene Schott. »Ich habe die Nachricht gehört«, gab Isthmy bekannt. »Diesmal wirst du eine Menge Ärger bekommen!« Magantilliken verdrehte die Augen. Der kugelförmige Roboter war eine wertvolle Hilfe bei diesem Unternehmen, aber manchmal ging er dem Henker ziemlich auf die Nerven. Er schien es zeitweilig geradezu darauf anzulegen, seinen Herrn zu ärgern. »Du sollst diese energieverschwendende Schweberei hier im Schiff bleibenlassen!« fauchte Magantilliken ungeduldig. Isthmy kicherte schrill und ließ vier kurze Laufbeine aus seinem glänzenden Metallkörper wachsen. Als die stählernen Klauen den Bodenbelag berührten, entstand ein schrilles Geräusch, bei dem Magantilliken sich die Ohren zuhielt. »Siehst du?« spottete Isthmy. »Du behauptest jedesmal, dieses Geräusch wäre einfach unerträglich. Was soll ich denn nun eigentlich? Fliegen oder laufen?« »Kümmere dich um den Kurs!« befahl Magantilliken ärgerlich, ohne auf diese Frage einzugehen. Der Roboter schwebte durch die Zentrale und machte sich an die Arbeit. Inzwischen war auch Xonth eingetroffen. Das breitschultrige Echsenwesen mit den stämmigen Laufbeinen und den grün beschuppten Klauenhänden paßte auf den ersten Blick überhaupt nicht in diese kalte, technische Umgebung. Aber der Sklave schien sich dessen gar nicht bewußt zu sein. Er wußte genau, was er zu tun hatte. Im Gegensatz zu dem geschwätzigen Roboter sprach Xonth so gut wie nie. Schweigend suchte er die Daten über Xertomph heraus
Ein Robot versagt und brachte sie seinem Herrn. Magantilliken warf einen kurzen Blick auf eine graphische Darstellung. Die Gefühlsbasis war an dem Hang eines riesigen Berges verankert. Es würde leicht sein, sie zu finden, und der Henker rechnete mit keinen großen Schwierigkeiten. Er blätterte weiter und stellte fest, daß Xertomph bewohnt war. Die Ckorvonen waren Nachkommen einer varganischen Kolonistengruppe. Dem letzten Bericht zufolge hatten sie nach einem Rückfall in die Barbarei begonnen, eine bescheidene Technik zu entwickeln. »Wir brauchen fast einen Tag, um Xertomph zu erreichen«, verkündete Isthmy laut. »Geht es nicht schneller?« wollte Magantilliken ärgerlich wissen. »Wir verlieren eine Menge Zeit.« »Ich kann nichts daran ändern«, gab der Roboter schnippisch zurück. »Ich weiß, daß du an andere Schiffe gewöhnt bist, aber das ist nicht meine Schuld.« Der Henker erhob sich seufzend. Seine Anwesenheit in der Zentrale war im Augenblick überflüssig. Bevor er jedoch das Deck aufsuchte, in dem seine Privatkabine lag, fiel ihm Isthmys Bemerkung ein. »Was meintest du eigentlich damit, daß ich Ärger kriegen würde?« fragte er mißtrauisch. »Das ist offensichtlich«, behauptete Isthmy seelenruhig. »Umsonst bietet man dir nicht die Rückkehr in die Eisige Sphäre an. In Yarden weiß man offensichtlich, daß einige unangenehme Dinge auf dich warten. Darum hält man dir die Belohnung als Köder vor.« »Roboter wie dich sollte man verschrotten!« knurrte Magantilliken ärgerlich und stapfte hinaus. Aber so ganz unsinnig war Isthmys Behauptung nicht. Der Henker kannte seine Artgenossen. Irgend etwas steckte schon dahinter. Seit er auf seiner Jagd nach der schönen Rebellin Ischtar auf diesen Atlan getroffen war, ging einfach al-
11 les schief. Es war ein Schock für ihn gewesen, dem Arkoniden sogar hier, im Mikrokosmos zu begegnen. Dieser Kerl war einfach nicht kleinzukriegen, und wo er auftauchte, da gab es Ärger. Magantilliken kannte den Plan, Atlan und das Mädchen, das ihn begleitete, für eine »Blutauffrischung« einzusetzen. Die Tropoythers waren unsterblich und paradoxerweise gerade deshalb zum Aussterben verurteilt, denn sie konnten sich nicht mehr fortpflanzen. Aber ob es ein besonders guter Einfall war, gerade diesen Arkoniden zur Sicherung des Nachwuchses einzusetzen, wußte der Henker nicht. Atlan in die Eisige Sphäre zu bringen, das war seiner Meinung nach mehr als leichtsinnig. Er stieß seufzend die Tür zu seiner Kabine auf. Ein Gang durch einen blühenden Garten – das war es, was ihm jetzt fehlte. Abschalten, sich entspannen. Aber auf diesem Raumschiff gab es kein Erholungsdeck. Die Doppelpyramide war nur einhundertachtzig Meter lang und in der Mitte sechzig Meter hoch. Für' Magantilliken ein Grund mehr, Ischtar und ihren heißgeliebten Allan in die tiefste Hölle zu verwunschen. An diesen beiden waren alle seine ehrgeizigen Pläne gescheitert. Auch die Wasserstrahlen der Dusche konnten diese trüben Gedanken nicht völlig aus dem Gehirn des Henkers vertreiben. Er versuchte, sich auf das bevorstehende Unternehmen zu konzentrieren. Die Aussicht, endlich nach Yarden zurückkehren zu dürfen, war verlockend. Er würde alles daransetzen, um seine Auftraggeber diesmal zufriedenzustellen. Aber obwohl er sich sein Ziel in den schimmerndsten Farben ausmalte, ließen sich gewisse Zweifel nicht ausschalten. Selbst das Innere der Eisigen Sphäre, dessen Bild er in seinen Gedanken heraufbeschwor, besaß nicht mehr den alten Glanz … Als Isthmy meldete, daß die Umlaufbahn um Xertomph erreicht war, befand Magantilliken sich in einer geradezu mörderischen Stimmung. Diese verschlechterte sich noch,
12 als der aufdringliche Roboter sich darauf versteifte, seine Meldung so lange zu wiederholen, bis der Vargane in der Zentrale eingetroffen war. »Was schreist du hier herum!« fauchte er den Roboter wutentbrannt an. »Anweisungen brauchst du? Ich werde dir gleich welche geben. Scher dich in den Konverter, du Mißgeburt von einer Konservenbüchse!« »Zu Befehl«, schnarrte Isthmy gleichmütig und setzte sich in Bewegung. »Halt!« schrie Magantilliken, und die Kugel stoppte ihren Flug so plötzlich ab, als wäre sie gegen eine Wand geprallt. Der Henker atmete ein paarmal tief durch, dann wandte er sich grimmig dem Sichtschirm zu. »Warum sind wir noch nicht gelandet?« fragte er mühsam beherrscht. »Ich bin gehalten, auf Ihre Anweisungen zu warten, sobald sich unvorhergesehene Gesichtspunkte ergeben«, entgegnete der Roboter. Seine ungewohnte Höflichkeit zeigte dem Henker, daß dieses verflixte Ding beleidigt war. Isthmy wartete eine Sekunde, und als der Vargane bis dahin seinen vorhin gegebenen Befehl nicht widerrufen hatte, schwebte er wieder auf das Schott zu. »Schon gut«, seufzte Magantilliken schwer. »Du brauchst nicht in den Konverter zu kriechen. Benimm dich gefälligst wieder vernünftig. Was ist los? Ich erwarte, daß du dich jetzt im Klartext ausdrückst!« Pflichteifrig schwirrte Isthmy zu den Kontrollen und nahm einige Veränderungen vor. Auf dem Bildschirm raste die Oberfläche Xertomphs heran. Binnen Sekunden füllte eine einzige Bergspitze den Schirm aus. Magantilliken betrachtete den kahlen Felshang, sah einige glasiert wirkende Stellen und unterdrückte einen Fluch. »Ist das die Stelle, an der die Gefühlsbasis sich befand?« vergewisserte er sich. »Ja«, erklärte Isthmy erstaunlich knapp. Gleichzeitig änderte sich der Bildausschnitt und zeigte nun ein von steilen Hängen umrahmtes Tal. »Dort ist sie jetzt.« Magantilliken starrte düster auf die unver-
Marianne Sydow kennbaren Spuren einer gewaltigen Lawine. Noch wußte er nicht, was in der Station vor sich gegangen war, aber die Gefühlsbasis selbst schien ihren eigenen Absturz verursacht zu haben. Ein Blick auf die Massetaster bestätigte seine Befürchtungen. Die Basis lag unter einer fast einhundert Meter dicken Schicht von Schnee, Eis und Geröll begraben. Das hätte dem Henker nicht viel ausgemacht, denn seine technische Ausrüstung war gut genug, um mit solchen Hindernissen fertig zu werden. Aber leider gab es noch ein anderes Problem. An der Unglücksstelle wimmelte es von Eingeborenen. Mit Hilfe klobig wirkender Fahrzeuge gruben sie sich durch das Lawinenfeld, und ihr Ziel war nur zu deutlich zu erkennen. Sie suchten die abgestürzte Basis! »Die Emotiostrahler müssen ausgefallen sein«, murmelte Magantilliken. »Sonst würde die Station jetzt reagieren und die Kerle zurücktreiben. Unglaublich! Wie konnte so etwas geschehen?« Er erhielt keine Antwort, denn Isthmy verzichtete diesmal auf Spekulationen, und Xonth enthielt sich wie immer der Stimme. Der Vargane musterte das provisorisch aufgebaute Barackenlager am Rand des Lawinenfelds. Er beobachtete auch, daß der gewaltige Berg nach der Katastrophe noch immer nicht ganz zur Ruhe gekommen war. Unwillkürlich fühlte er eine Art Bewunderung für die Ckorvonen, die unter so gefährlichen Bedingungen ihren Wissensdurst zu stillen versuchten. Er schaltete die Vergrößerung noch höher und sah sich diese erstaunlichen Wesen näher an. Während der ersten Expansionsphase seines Volkes hatte man viele Planeten des Mikrouniversums besiedelt. Der Kontakt zu diesen Kolonien riß später, als die Varganen sich mit aller Kraft auf den Makrokosmos konzentrierten, in den meisten Fällen ab. Die Siedler blieben sich selbst überlassen und nahmen an der schnellen Weiterentwicklung des Stammvolkes nicht teil. Viele planetare Kulturen fielen nach kurzer Blüte in die Barbarei zurück. Es gab Kriege, und oft genug
Ein Robot versagt wurden atomare Waffen eingesetzt. Kaum eines der Siedlervölker sah heute noch den eigentlichen Varganen besonders ähnlich. Bei den Ckorvonen war das anders. Sie wirkten stämmiger und kleiner als die Tropoythers aus Yarden, und ihre Haut war dunkler. Aber sonst gab es keinen gravierenden Unterschied. »Welche Waffen wirst du einsetzen?« fragte Isthmy plötzlich. Magantilliken zuckte zusammen, riß sich von dem Anblick der konzentriert arbeitenden Ckorvonen los und drehte sich ärgerlich um. »Gar keine!« Auch wenn die glatte Kugel, die bis auf die beliebig ausfahrbaren Handlungsarme den gesamten Roboter darstellte, zu keiner direkten Gefühläußerung fähig war, wirkte Isthmy auf eine unbestimmbare Weise verwundert. »Du mußt die Fremden beseitigen«, teilte er mit. Seine Stimme schwankte leicht und verriet damit die Verwirrung, unter der er litt. »Anders kannst du nicht zur Basis vordringen. Außerdem stellen die Eingeborenen eine Gefahr für die Station dar.« »Unsinn!« wehrte Magantilliken ab. »Ich mische mich einfach unter sie. Eine Ausrede wird mir schon einfallen. Und selbst wenn sie die Basis erreichen sollten, können sie nicht hinein. Mit ihren primitiven Werkzeugen ist das nicht zu schaffen. Mein Entschluß steht fest. Es werden keine Waffen zum Einsatz gebracht. Ist das klar?« »Allmählich begreife ich, warum du im Makrokosmos versagt hast«, bemerkte der Roboter. »Hat man so etwas schon gesehen? Ein Tropoyther entwickelt Gefühle. Noch dazu Skrupel! Ich glaube, du wirst alt, Magantilliken!« »Du widersprichst dir!« bemerkte der Henker gelassen. »Erstens kannst du gar nichts glauben, denn du bist nur eine Maschine. Zweitens vermag ein Unsterblicher nicht zu altern. Bereite die Landung vor. Wir gehen in dem Gebiet der Hochebene nieder, direkt neben diesen merkwürdigen
13 Ruinen dort. Aber warte noch, bis es in diesem Gebiet dunkel ist.« Die Erinnye verließ die Ankunfts-Plattform des Transmitters und blieb abwartend stehen. Aber die obligatorische Meldung des Kommandanten, mit der man sie sonst beim Betreten einer Gefühlsbasis begrüßte, blieb diesmal aus. Die Erinnye, ein hochgezüchteter Roboter mit fast organischen Möglichkeiten des Denkens, öffnete nur zögernd ein Schott, denn solange sie keinen Kontakt mit dem Kommandanten hatte, mußte sie damit rechnen, von der Station als unerwünschter Eindringling eingestuft zu werden. Ein schwach beleuchteter Gang tat sich auf. Die Erinnye stellte fest, daß keines der Kontrollgeräte auf ihre Anwesenheit reagierte. Sie wußte nicht, was sie davon zu halten hatte. Ein wichtiger Auftrag hatte sie über das Transmittersystem bis nach Xertomph geführt. Sie sollte hier warten. Ein anderer Roboter hätte diesen Befehl zur Kenntnis genommen und sich um irgendwelche Begleitumstände nicht gekümmert. Aber eine Erinnye war kein gewöhnlicher Roboter. Sie eilte durch die zahlreichen Gänge und Hallen bis in die Zentrale. Das Kommandogehirn sah völlig normal aus, reagierte jedoch nicht auf die Bitte, die Situation zu erklären. Die Erinnye bewaffnete sich mit einer Anzahl von Prüfgeräten und testete die Anschlußschaltungen durch. Sie fand keinen Fehler und schloß sich daher ohne Zögern an das positronische Hauptsystem an. Ein kurzer Dialog mit dem Kommandanten entspann sich. Im Gegensatz zu dem defekten Kontrollgehirn zog die Erinnye sofort die richtigen Schlüsse, die durch eine Unterhaltung mit dem Sektor »Sendung« erhärtet wurden. Die Situation war schwierig. Die eigentlichen Zerstörungen konnte die Erinnye ohne weiteres beseitigen. Die Emotiostrahler meldeten volle Funktionsfähigkeit, und auch die Energieerzeugung konnte wieder angekurbelt werden. Das alles half jedoch nichts, solange das Sendegehirn sich gegen jeden Befehl sperrte. Nur der Kommandant selbst
14 oder ein bevollmächtigter Vargane durfte einen solchen Impuls geben. Der Kommandant weigerte sich, weil seine Fehlschaltung es nicht zuließ. Die Erinnye besaß die nötigen Vollmachten nicht. Also mußte ein Tropoyther her. Da der Transmitter einwandfrei empfing, wäre das ganz einfach gewesen. Ein Funkspruch hätte genügt. Aber dieser Funkspruch wurde nicht angegeben. Umgekehrt ließ sich auch der Transmitter selbst nicht umpolen. Die Erinnye saß also in der Gefühlsbasis Xertomph fest, und solange keine Hilfe von außen kam, würde sie die Station auch nicht mehr verlassen können. Sie wußte, daß der Kreuzzug in Kürze in die Nähe dieses Planeten kommen mußte. Ohne die psychische Beeinflussung durch die Emotiostrahler bestand die Gefahr, daß die Tejonther umkehrten. Man würde in der Eisigen Sphäre den Fehler bereits bemerkt haben und auf dem schnellsten Wege jemanden herschicken. Um auf die Ankunft dieses Kontrolleurs vorbereitet zu sein, schaltete sich die Erinnye in das Empfangssystem ein. Auf diese Weise erfuhr sie, daß Magantilliken bereits unterwegs war. Sie wunderte sich keineswegs darüber, daß der Vargane darauf verzichtete, per Transmitter die defekte Station aufzusuchen. Er konnte schließlich nicht wissen, daß der Empfangsteil in Ordnung war. Da er sich auf normalem Wege nähern mußte, machte sich die Erinnye pflichteifrig daran, dem Henker den Weg zu ebnen. Winzige Sonden verließen die Gefühlsbasis und bohrten sich durch die Schneemassen. Die Erinnye stellte die Anwesenheit von Eingeborenen fest. Sie hätte die ungebetenen Gäste ohne Skrupel vernichtet, aber ihr fehlten die technischen Möglichkeiten. Immerhin konnte sie einen Schacht schmelzen, der bis an die Oberfläche führte, mußte jedoch auch damit warten, bis der Henker das Lawinengebiet erreicht hatte. Der so erstaunlich zart und feminin wirkende Roboter traf alle nötigen Vorbereitungen, dann lauschte er mit Hilfe der Geräte
Marianne Sydow wieder nach draußen. Er bemerkte das Eintreffen des Doppelpyramidenschiffes, verfolgte das Manöver, mit dem Magantilliken sich dem Planeten näherte, und wurde erst nach einigen Stunden stutzig. Warum griff der Tropoyther nicht endlich ein und beseitigte die Primitiven, die sich draußen durch den Schnee wühlten?
* Während der Landung stellte Magantilliken fest, daß die Ckorvonen ein für ihn höchst unerfreulich hohes technisches Niveau erreicht hatten. Sie verfügten über ein Ortungsnetz, das zwar dem Raumschiff nichts anhaben konnte, die Benutzung eines Gleiters aber von vornherein verbot. »Du solltest es dir noch einmal überlegen«, empfahl Isthmy respektlos. »Wir erledigen die Eingeborenen und landen direkt neben der Basis. In ein paar Stunden ist alles überstanden.« Der Henker würdigte den Roboter keiner Antwort. Er hatte die feste Absicht, diese Angelegenheit alleine durchzustehen, ohne Hilfe und wenn möglich ohne den Gebrauch von Gewalt. Damit hoffte er einerseits, Pluspunkte bei seinen Vorgesetzten in Yarden zu sammeln, andererseits sein Gewissen zu schonen. Aber das waren Dinge, die Isthmy eben nicht verstand. Sanft wie eine Feder schwebte das Raumschiff über die schroffen Felsen des Gebirges und senkte sich dann auf eine mit kurzem Gras bewachsene Hochfläche. Die Gegend sah kahl und unwirtlich aus. An einigen Stellen glitzerten Schneeflecken. Drohend und dunkel hoben sich die Silhouetten eines Ruinenfeldes von dem fahlbraunen Gras ab. Jenseits der Ebene ragten die Berge wie Mauern auf. Nirgends zeigte sich ein Lebewesen. »Wir verlassen das Schiff und fliegen noch in der Nacht bis in die Nähe des Lawinengebietes«, ordnete Magantilliken an. »Morgen früh sind wir am Ziel.« »Die Ckorvonen werden uns einen einzi-
Ein Robot versagt gen Blick zuwerfen und dann erkennen, daß wir Fremde sind«, stellte Isthmy trocken fest. »Vielleicht kannst du dich als einen Eingeborenen ausgeben, aber Xonth und mich werden sie nicht akzeptieren.« »Warten wir es ab«, murmelte Magantilliken und begab sich zur Hauptschleuse. Der Zagruler wartete bereits. Er hatte die Schleuse noch nicht geöffnet. Der Henker warf einen Blick auf die Kontrollgeräte und stellte fest, daß sie sich ohne besondere Schutzmaßnahmen draußen bewegen konnten. Xonth und er waren völlig unbewaffnet. Nur Isthmy konnte ihnen im Notfall helfen. Es war ein riskantes Spiel, aber gerade das reizte den Varganen. »Öffne die Schleuse!« befahl er. Der Sklave gehorchte. Ein kalter Wind wehte Magantilliken entgegen, als er die Rampe betrat. Trotz des Schutzanzugs schauderte der Henker zusammen. Isthmy schwebte an ihm vorbei und umrundete rasch das Schiff. »Alles in Ordnung«, meldete er, als er zurückkehrte. »Eingeborene sind nicht in der Nähe.« Der Henker nickte zu den gespenstischen Überresten einer riesigen Tempelanlage hinüber. »Sie werden diese Gegend meiden«, vermutete er. »Ich kann es ihnen nachfühlen.« Isthmy fand an den Ruinen nichts Besonderes, aber an der Reaktion des Echsenwesens merkte Magantilliken, daß nicht nur er der unheimlichen Ausstrahlung dieser Trümmer erlag. Gewaltige Säulen trugen Tierwesen von monumentaler Größe. Die Skulpturen waren erstaunlich gut erhalten. Die halbmenschlichen Gesichter starrten auf das Raumschiff herab, und es schien, als würden sich die Steinfiguren sprungbereit zusammenducken. Als Isthmy ein Stück auf die merkwürdigen Figuren zuschwebte, zuckte der Henker zusammen. »Zurück!« schrie er dem Roboter zu. Isthmy hielt an. Direkt über ihm glühte plötzlich ein bläuliches Licht auf. Irgendwo in dieser Anlage mußte es noch Energie ge-
15 ben, anders war der Vorgang nicht zu erklären. Die Augen eines vogelähnlichen Phantasiewesens mit überlangem Schnabel und halbausgebreiteten Schwingen hatten zu leuchten begonnen, als der Roboter eine unsichtbare Grenze überschritt. Magantilliken fluchte verhalten, als Isthmy seinem Befehl nicht nachkam, sondern statt dessen langsam zu dem Gesicht des Vogels hinaufstieg. Der Roboter kam nur wenige Meter weit, dann löste sich aus dem Schnabel der Figur ein gleißender Lichtstrahl. Magantilliken schloß geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, schwebte Isthmy dicht vor ihm. »Verdammtes Ding!« fauchte der Henker. »Warum hast du nicht gehorcht?« »Ich bin verpflichtet, dich zu schützen«, gab Isthmy gleichmütig zurück. »Jetzt weißt du, daß du den Figuren nicht zu nahe kommen darfst. Dein Schutzschirm würde nicht ausreichen, um dich gegen einen solchen Energieschuß zu schützen. Soll ich das komische Ding zerstrahlen?« »Untersteh dich!« knurrte der Vargane. »Einen besseren Wächter für das Schiff können wir gar nicht finden. Oder glaubst du, die Eingeborenen wagen es, in der Nähe dieser Figuren herumzulaufen?« »Trotzdem solltest du das Schiff nicht einfach hier herumstehen lassen«, warnte der Roboter. »Die Schleuse bleibt geschlossen«, brummte der Vargane unwillig. »Das Schott öffnet sich nur, wenn ich es will. Das reicht in diesem Falle völlig aus. Und jetzt los!« Isthmy übernahm die Führung. Dicht hinter ihm flog Magantilliken, und dem Zagruler fiel die Aufgabe zu, darauf zu achten, daß niemand sie etwa von hinten her bedrohte. Die flugfähigen Anzüge brachten sie schnell voran. Nach wenigen Minuten erreichten sie den Rand der Ebene. Sie überquerten eine Schlucht und schwebten dann entlang der Berge bis zu dem Paß, den sie schon vom Raum aus gesehen hatten, Magantilliken legte Wert darauf, unauffällig in das Lager der Ckorvonen zu gelangen. Als beste Möglichkeit bot sich die Straße an, die
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von der vor dem Gebirge gelegenen Stadt in das Tal hineinführte. Jenseits des Passes lag etwa auf halber Höhe des Abhangs eine einsame Hütte, die allem Anschein nach nur von einem einzelnen Ckorvonen bewohnt war. Dort gedachte der Henker für sich und den Zagruler ein landesübliches Kleidungsstück zu besorgen. Sie erreichten kurz vor dem Morgengrauen das aus grob bearbeiteten Baumstämmen zusammengefügte Haus. Magantilliken ließ Isthmy und den Sklaven in der Deckung einer Gruppe wintergrüner Gehölze zurück und schlich sich vorsichtig an das Gebäude heran. Drinnen war alles dunkel und still. Der Henker fand eine unverschlossene Tür, die sich lautlos öffnen ließ, und kurz darauf fand er eine Kammer, in der eine Anzahl halblanger Pelzmäntel hing. Er nickte zufrieden, suchte zwei passende Mäntel heraus und kehrte in den Flur zurück. Noch immer war es absolut ruhig im Haus. Der Besitzer dieser Hütte hatte offensichtlich einen gesunden Schlaf. Magantilliken zog leise die Tür hinter sich zu und kehrte in seiner eigenen Spur zu dem Versteck zurück. »Das ist für dich«, erklärte er und reichte dem Zagruler einen der Mäntel. »Wir fliegen noch ein Stück näher an die Straße heran. Dann suchen wir uns ein gutes Versteck für die Schutzanzüge. Wir können sie leider nicht mitnehmen, sonst durchschauen die Kerle uns sofort.« »Das würde ich auch sagen!« bemerkte eine tiefe Stimme. Der Henker wirbelte herum. »Keine Bewegung!« warnte der Mann, der wie aus dem Boden gewachsen zwischen zwei Büschen aufgetaucht war. »Mein Gewehr hat die Eigenschaft, sehr zuverlässig zu funktionieren.« Magantilliken starrte verblüfft in die Mündung einer altertümlichen Explosionswaffe.
3. Von Gaddas behauptete man im Palast
des Diktators, er sei der personifizierte Tod. Es gab wohl keinen einzigen Ckorvonen, der diesen Mann mochte. Gaddos war ungewöhnlich dürr, besaß eine riesige Hakennase und knallrote, abstehende Ohren. Sein hoher Schädel war blank wie ein polierter Stein, der Mund messerscharf und das Kinn spitz. Gaddos lächelte nie, und es hieß, daß seine einzige Leidenschaft das Töten war. Er war im Palast geboren, als das Kind einer Sklavin, die als Konkubi ne von Teihendrus Vater galt. Daran mochte etwas Wahres sein. Gaddos genoß eine Ausbildung, die für einen Sklaven ungewöhnlich war. Mit, sechzehn Jahren avancierte er zum Leibwächter des Diktators. Genau im richtigen Moment schlug er sich auf die Seite Teihendrus, der damals, mit knapp zwanzig Jahren, einen erfolgreichen Umsturz bewerkstelligte. Seitdem war Gaddos dafür verantwortlich, daß sein Herr nur von absolut zuverlässigen Leuten umgeben war. Gaddos war längst kein Sklave mehr, und sein Einfluß ließ sich kaum ermessen. Eine Geste von ihm reichte, um selbst die höchsten Beamten Frinalhans zum Tode zu verurteilen. Burjos wußte das alles und noch ein bißchen mehr. Manche Leute behaupteten, Gaddos könne selbst die geheimsten Gedanken anderer Ckorvonen erkennen. Der Hagere schürte solche Gerüchte, denn je ängstlicher man ihm gegen übertrat, desto eher verrieten sich etwaige Verschwörer. Natürlich konnte er keine Gedanken lesen. Sonst wäre Burjos längst in einer der Folterkammern verschwunden. »Es geht zu langsam voran«, knarrte Gaddos und wies auf die Raupenschlepper, die sich mühsam einen Weg durch das Lawinengebiet schufen. »Wir haben keine andere Wahl«, gab Burjos nervös zurück. »Der Berg ist unruhig. Jede Erschütterung kann ein neues Unglück auslösen.« »Das ist gleichgültig«, sagte Gaddos brutal. »Sie kennen Ihre Befehle! Teihendru will, daß ohne Rücksicht auf das Leben der Arbeiter möglichst schnell ein Zugang zu
Ein Robot versagt dem verschütteten Objekt geschaffen wird. In Vaanrhan muß man die Erschütterung gemessen haben. Diese Leute sind nicht dumm. Sie werden ihre Spione losschicken und feststellen, daß wir ihnen bald besser gerüstet entgegentreten können. Was schließen Sie daraus?« »Vaanrhan wird nicht warten, bis wir die neuen Waffen in der Hand halten«, erwiderte Burjos ruhig. »Unsere Feinde werden uns angreifen, solange sie sich noch überlegen fühlen.« »Ich wußte, daß Sie nicht auf den Kopf gefallen sind«, nickte Gaddos zufrieden. »Richten Sie sich nun aber auch nach dieser Erkenntnis!« »Das tue ich die ganze Zeit hindurch«, lächelte Burjos. Gaddos starrte ihn verblüfft an. Der Agent bemerkte mit Befriedigung, daß dieser eiskalte Bursche irritiert war. »Die Situation ist folgendermaßen«, erklärte Burjos. »Je schneller wir die Kugel erreichen, desto größer sind unsere Aussichten, den bevorstehenden Angriff Vaanrhans abzuwehren, nicht wahr?« Gaddos nickte. »Wenn ich die Arbeiten schneller vorantreibe, entsteht die Gefahr, daß die Leute übereilt handeln. Wird dabei eine neue Lawine ausgelöst, dann wird sie nicht nur die Arbeiter unter sich begraben. Wir verlieren eine Menge Fahrzeuge, und außerdem wird die Schicht über der Kugel noch dicker. Das heißt, wir müssen von vorne beginnen. Sind Sie immer noch der Meinung, es ginge zu langsam voran?« »Sie vergessen eines«, schnarrte Gaddos ärgerlich. »Sollte einer der Arbeiter versagen, so werde ich persönlich dafür sorgen, daß er seine Unvorsichtigkeit bitter bereut.« »Einen toten Mann können Sie nicht bestrafen«, gab Burjos kalt zurück. Gaddos setzte zum Sprechen an, entschied sich dann aber anders. Minutenlang starrten die beiden ungleichen Männer sich an. Dann wandte Gaddos sich ab. Burjos sah ihm nach, bis die hagere Gestalt in einer Baracke
17 verschwand. Er wußte, daß Gaddos ihn nicht riechen konnte. Er verzog das Gesicht und stapfte zu einem der Fahrzeuge hinüber. Sein Aufenthalt in Frinalhan würde ohnehin bald zu Ende gehen. Er war schon viel zu lange in diesem Land. Er schwang sich auf den Fahrersitz des kleinen Schneerutschers. Der Motor brummte auf, und Burjos lenkte das Fahrzeug in einem riskanten Manöver den Hang des Dogro hinauf. Erst im Einzugsbereich des Lawinenfeldes stoppte er die rasante Fahrt. Vorsichtig glitt er über ein Schneefeld, bis vor ihm eine Gruppe von Männern auftauchte. Einer von ihnen bemerkte ihn und winkte aufgeregt. Burjos ließ den Schneerutscher stehen und ging zu Fuß weiter. »Wie weit seid ihr?« Der Anführer des Vermessungstrupps grinste schief. »Leider noch nicht fertig«, meinte er. »Ich wäre froh, wenn ich hier wegkäme. Da oben hängt das Zeug meterdick.« Burjos nickte gleichmütig, nahm dem Mann ein Blatt Papier aus der Hand und überflog die Zahlenkolonnen. »Wir werden den Quamendrin umtaufen müssen«, bemerkte ein noch sehr junger Ckorvone, der frierend neben dem Theodoliten stand. »An diesem Berg stimmt einfach nichts mehr!« Er wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Burjos sah auf. »Sie kommen mit mir nach unten«, befahl er. »Ich schicke einen Ersatzmann rauf.« Der Junge wollte protestieren, aber Burjos ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Auch ein Hustenanfall kann ausreichen, um eine Lawine auszulösen«, erklärte er. »Tirkan, wenn Ihre Leute weiter nach oben kommen, darf kein lautes Wort mehr gespro chen werden. Zeigen Sie mal Ihre Schuhe her!« Der Anführer der Gruppe gehorchte erstaunt. Burjos schnaufte verächtlich. »Ich werde mir die Leute in der Verwaltung vornehmen«, versicherte er grimmig. »Diese Idioten! Sie jedenfalls gehen sofort
18 in die Hütte. Ich komme in einer halben Stunde wieder. Dann bringe ich Ihnen den Ersatzmann und anderes Schuhwerk. Noch jemand, der erkältet ist?« Ein anderer Ckorvone meldete sich zögernd. Burjos nickte ihm zu und deutete auf den Schneerutscher. Die beiden gingen vorsichtig in Richtung auf das Fahrzeug davon. »Das nächste Lager wird direkt im Gefahrengebiet liegen«, wandte Burjos sich an Tirkan. »Ich bin beileibe nicht übervorsichtig. Aber wenn es eine neue Lawine gibt, wird man mich dafür verantwortlich machen. So, und jetzt möchte ich alle Meßunterlagen, die Sie bis jetzt fertig bekommen haben.« Er lieferte die beiden Männer im Lager ab und befahl, sie zu einem Arzt zu bringen. Anschließend marschierte er in jene Baracke, in der die Kleidung für die Arbeiter ausgegeben wurde. Der Mann, der diese Aufgabe übernommen hatte, sah ziemlich blaß aus, als Burjos endlich schwieg. Er huschte wie eine erschrockene Maus davon und kehrte kurz darauf mit einem großen Karton zurück. Burjos hob die leichten, aus warmen Fellen und einem Isoliermaterial gearbeiteten Stiefel heraus und nickte zufrieden. Die kaum versteiften Sohlen waren sorgfältig präpariert. Mit ihnen rutschte man selbst auf glatten Eisflächen nicht aus. Er brachte die Unterlagen in sein Büro und sorgte dafür, daß die Werte während seiner Abwesenheit umgerechnet und auf die Karte übertragen wurden. Als er eine Stunde später zurückkehrte, dämmerte es bereits. Er trank eine Tasse heißen Tee, während ein junges Mädchen ihm einen trockenen Mantel holte. Sein eigener Überwurf war völlig durchnäßt. »Sie sollten sich ein wenig ausruhen«, sagte eine Frauenstimme hinter ihm. Er drehte sich um und lächelte Jintha erschöpft an. »Dazu habe ich später Zeit«, murmelte er, zog den Mantel an und stieß die Tür auf. Er hörte das leise Brummen der Räumungsfahrzeuge, die sich vorsichtig über das Lawinen-
Marianne Sydow feld an die Kugel herantasteten. Er beneidete die Fahrer nicht gerade um diesen Job. Das Gelände war eine einzige Falle. Zwischen den riesenhaften Felsbrocken und den Feldern aus fest zusammengepreßtem Schnee gab es Spalten, die mit lockerem Material ausgefüllt waren. Wie gefährlich diese Stellen waren, bewies die Tatsache, daß sie allein an diesem ersten Nachmittag sechs Fahrzeuge verloren hatten. Zum Glück gab es bisher nur einen Toten zu beklagen. Burjos stieß die Tür zu einer anderen Baracke auf. »Wie steht es?« erkundigte er sich. »Bis jetzt gut«, antwortete der Meteorologe, der drinnen Dienst tat. »Es wird kälter, und der Luftdruck bleibt konstant. Nur eine Meldung aus Teihara macht mir Sorgen. Die Kollegen in der Stadt haben ein Sturmtief angemessen. Bis jetzt steht noch nicht fest, ob es sich in unsere Richtung verlagert.« »Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn sich etwas verändert«, bat Burjos eindringlich. »Ich bin über Funk immer zu erreichen.« »Gaddos war vorhin hier«, sagte der Mann in der Baracke tonlos, als der Agent gerade gehen wollte. »Er verlangt, daß ich ihm zuerst Meldung erstatte.« »Gaddos ist für politische Dinge zuständig«, erklärte Burjos kalt. »Wenn er die technische Leitung übernehmen will, soll er es sagen. Sie unterstehen mir! Ist das klar?« Der Meteorologe nickte unglücklich. Burjos kletterte verärgert auf den Schneerutscher. Dieser Gaddos machte ihm Sorgen. Einerseits hatte der Agent nichts dagegen einzuwenden, wenn eine neue Lawine ausgelöst wurde, denn nichts anderes hatte er selbst vor. Aber er wollte dafür sorgen, daß dabei keine Menschenleben riskiert wurden. Der Plan, der allmählich in ihm gereift war, wurde durch die Meldung des Meteorologen unterstützt. Eine Alarmsituation, in der alle Arbeiter abgezogen wurden – genau das wünschte Burjos sich. Dann konnte er zuschlagen. Er glitt langsam über die holperige Piste,
Ein Robot versagt die sich über das Lawinenfeld zog. Endlich kamen die Fahrzeuge in Sicht. Er sprach kurz mit den Leuten, überzeugte sich davon, daß seine Vorschriften genau befolgt wurden und kehrte dann ins Lager zurück. Im Büro saß Gaddos. Der Hagere beugte sich über die Karte und versuchte, aus den Zeichen schlau zu werden. »Was soll das dort bedeuten?« wandte er sich an Burjos. Der Agent tat, als hätte er nichts gehört. Er zog seine Stiefel aus und ließ sich einen Becher Tee geben. Erst dann setzte er sich an den Tisch und zog die Karte zu sich herüber. »Wir werden noch länger brauchen, als zuerst geplant«, stellte er fest. »Warum?« »Erklären Sie es ihm, Javo. Ich bin zu müde dazu.« »Wir haben vom Dogro aus die Veränderungen am Quamendrin-Massiv vermessen lassen«, sagte der Geologe unsicher. »Wie Sie wissen, ist eine Menge Gestein im Woronongtal niedergegangen. Wir haben berech net, wo sich diese Felsmassen befinden müßten. Leider liegt der größte Teil davon zwischen uns und der Kugel. Das Ding ist von Felsen regelrecht eingekeilt. Wir können also nicht, wie ursprünglich vorgesehen, einen relativ sanft geneigten Schacht graben, sondern müssen fast senkrecht nach unten gehen. Das bedeutet, daß wir über dem Schacht ein Gestänge aufbauen müssen, an dem wir einen Förderkorb nach unten lassen.« »Das ist noch nicht alles«, unterbrach Burjos den Wissenschaftler gähnend. »Erstens wird es nicht einfach sein, diesen Schacht zu graben. Zweitens müssen wir ihn absichern, damit er nicht gleich wieder in sich zusammenfällt. Drittens taucht die Frage auf, wie wir das eben erwähnte Gestänge im Schnee verankern sollen.« »Ich glaube eher, Sie selbst erfinden jede Menge Schwierigkeiten, um die Arbeiten zu verzögern!« bemerkte Gaddos mit gefährlich leiser Stimme. »Fragen Sie die anderen Experten«, emp-
19 fahl Burjos gelassen und stand auf. »Ich gehe jetzt schlafen.« »Ich werde Teihendru über alles unterrichten, was hier geschieht!« versicherte der Hagere wütend. Burjos zuckte die Achseln und ging. Im Flur begegnete er Jintha. Das Mädchen war sehr aufgeregt. »Ich muß mit Ihnen sprechen!« flüsterte sie. »Kommen Sie schnell, Gaddos darf uns nicht zusammen sehen!« Der Agent führte sie in sein Zimmer und bot ihr den einzigen Stuhl an. Er selbst setzte sich auf ein Feldbett. Er war entsetzlich müde und wünschte sich nichts weiter, als endlich schlafen zu dürfen. Die Wunde am linken Arm schmerzte immer noch. Ungeduldig wartete er darauf, daß Jintha zu sprechen begann. Aber das Mädchen ließ sich Zeit. Sie lauschte an der Tür. Draußen ging jemand vorbei. »Das war Gaddos«, flüsterte sie. »Burjos, dieser Kerl behauptet, Sie wären ein feindlicher Spion. Er hat den ganzen Tag über mit allen möglichen Leuten gesprochen und vorhin mit meinem Vater geredet. Ich habe einen Teil dieses Gesprächs mitbekommen. Gaddos meint, Sie wären nur darauf aus, die Arbeiten zu verzögern, und Sie hätten sich durch irgend etwas verraten. Mein Vater läßt alle Unterlagen über Sie nachprüfen. Sie sind in Gefahr!« »Das alles ist mir bekannt. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Meine Vergangenheit ist so sauber wie irischgefallener Schnee. Er wird nichts finden.« »Wenn er nichts findet, dann denkt er sich einfach etwas aus. Er haßt Sie, und er wird Sie vernichten. Ich habe einen Helikopter bereitstellen lassen. Der Pilot wird alles tun, was Sie ihm sagen. Fliehen Sie, ehe es zu spät ist!« Der Mann aus Vaanrhan schüttelte langsam den Kopf. »Nein, Jintha. Vor Leuten wie Gaddos laufe ich nicht davon. Außerdem hätte das schlimme Folgen für Sie.« »Mir wird er kein Haar krümmen«, versi-
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Marianne Sydow
cherte Jintha. »Ich bin Teihendrus Tochter. Nehmen Sie mein Angebot an?« »Ich werde darüber nachdenken«, versprach Burjos. »Aber wenn ich fliehe …« »Ja?« »Nichts«, murmelte Burjos. Als Jintha fort war, grübelte er darüber nach, wie er das Mädchen dazu bewegen sollte, ihn notfalls zu begleiten. Denn er wußte besser als die Tochter des Diktators, daß Gaddos auch ihr überlegen war. Er legte das Funkgerät neben sein Kopfkissen und ließ den Empfangsteil eingeschaltet. Vielleicht bot sich noch in dieser Nacht eine Möglichkeit, seine selbstgestellte Aufgabe zu lösen. Dann konnte er Jinthas Hubschrauber gut gebrauchen.
* Magantilliken hob langsam die Hände. Der Fremde beobachtete ihn und Isthmy wachsam. Dann schweiften seine Blicke zu Xonth ab, und das war die Gelegenheit, auf die der Roboter gewartet hatte. Im Bruchteil einer Sekunde bildete sich eine winzige Öffnung in seinem stählernen Leib; er zischte leise, und der Fremde sackte in sich zusammen. Erleichtert atmete der Henker auf. Die erste Begegnung mit einem Ckorvonen zeigte ihm, daß es unangebracht war, diese Wesen zu unterschätzen. Auch wenn das Gewehr nach varganischen Maßstäben primitiv war, hätte der Fremde sowohl Xonth als auch Magantilliken töten können. »Das war knapp«, stellte Isthmy fest. »Es ist noch nicht zu spät. Schick mich zurück, und ich hole wenigstens ein paar Waffen her.« Xonth nickte zustimmend, aber Magantilliken hatte sich bereits zu sehr darauf festgelegt, es auf friedlichem Wege zu versuchen. »Du bleibst hier!« befahl er. »Los jetzt, verpasse dem Burschen eine Dosis, die ihn für etwa zwei Tage außer Gefecht setzt. Bis dahin haben wir es geschafft.« Isthmy verzichtete auf einen Kommentar. Der Paralysator zischte noch einmal, dann
brachten sie den Ckorvonen in die Hütte. Magantilliken befahl dem Zagruler, den Fremden in ein Bett zu legen und ihn gut zuzudecken. Als die Sonne aufging, waren sie im Tal. Sie verbargen sich in einem kleinen Wald, und Isthmy suchte einen geeigneten Platz. Zwischen einigen Felsbrocken versteckten sie die Schutzanzüge. Dann schlichen sie sich bis an die Straße heran. Es dauerte eine Weile, bis endlich mit lautem Gebrumm ein Fahrzeug näher kam. Magantilliken gab dem Roboter einen Wink, und Isthmy glitt lautlos auf die Fahrbahn hinaus. Zehn Schritte vor ihm stoppte der Wagen. Der Fahrer steckte den Kopf aus dem Fenster. »He, was soll das!« »Keine Aufregung, mein Freund«, lächelte Magantilliken freundlich und kletterte über den Rand der Böschung. »Wir haben nur ein paar Fragen an dich.« Der Fremde spürte die leichte Berührung an seiner Schulter und wollte sich nach vorne werfen, aber es war zu spät. Isthmy zog den Handlungsarm mit der Injektionspistole zurück. »Auf der Ladefläche, schnell!« befahl der Henker. »Und von jetzt an bewegst du dich nur, wenn ich es dir befehle, verstanden? Xonth, auf den Rücksitz!« Der Roboter verankerte sich mit zwei Klauen auf dem kastenförmigen hinteren Teil des Wagens. Xonth zwängte sich mühsam durch die Tür und half Magantilliken, den Fahrer festzuhalten. Das Mittel, das Isthmy dem Ckorvonen injiziert hatte, wirkte schnell. Der Fremde starrte den Varganen aus glasigen Augen an. »Wohin fährst du?« fragte der Henker. »Zum Lager.« »In das Lawinengebiet?« »Ja.« »Was sollst du dort?« »Eine Nachricht überbringen.« Das Verhör war mühsam, denn der Ckorvone antwortete stets nur auf direkte Fragen. Immerhin wußte Magantilliken nach einer halben Stunde recht gut Bescheid.
Ein Robot versagt
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Der technische Leiter des Bergungskommandos stand unter dem Verdacht, dem Diktator des Landes Frinalhan feindlich gesinnt zu sein. Ein Mann namens Gaddos hatte eine genaue Überprüfung aller Unterlagen angeordnet. Dabei war man auf eine Information gestoßen, aus der sich diesem Burjos leicht ein Strick drehen ließ. Der Fahrer sollte diese Botschaft überbringen. Magantilliken sah keinen Grund, ihn daran zu hindern. Im Gegenteil: Wenn er diesen Teil der Erinnerung aus dem Gehirn des Fahrers löschte, lief er Gefahr, sich selbst zu entlarven. Denn das Lager stand mit der Regierung in der nahen Stadt in Funkverbindung. Der Henker beschränkte sich also darauf, dem Ckorvonen einige zusätzliche Informationen einzugeben. Demnach waren er und Xonth vom Diktator selbst beauftragt worden, bei der Bergung der Feuerkugel zu helfen. Magantilliken gab sich als Lawinenspezialist aus dem befreundeten Land Grodh aus. Von dem Ckorvonen selbst erfuhr er, daß es in Grodh so etwas wie Mutanten gab. Damit war das Problem gelöst, wie er Xonth auf unverdächtige Weise ins Lager bringen sollte. Isthmy konnte als Werkzeug gelten. Die Ckorvonen kannten bereits primitive Roboter. In Frinalhan gab es zwar keine solche Maschinen, aber ein Mann aus einem anderen Land durfte sich bestimmt einige Besonderheiten leisten. Geduldig warteten Magantilliken und sein Sklave, bis der Ckorvone aus der Trance erwachte. Der Wagen stand auf einer Ausweichstelle am Rand der schmalen Straße. Der Eingeborene schlug die Augen auf, wischte sich über die Stirn und drehte sich grinsend nach dem Echsenwesen um. »Ah«, sagte er. »Die Pause hat mir gutgetan. Ich denke, wir können weiterfahren. Von hier aus ist es nicht mehr weit. Sie werden sicher froh sein, wenn Sie im Lager endlich eine warme Mahlzeit bekommen.«
4. Gegen Mittag war Burjos allein in dem
kahlen, ungemütlichen Büro. Er brütete über der Karte des Lawinengebiets. Allmählich wurde er ungeduldig. Er kam seinem Ziel nicht einen Schritt näher. Das Tiefdruckgebiet hatte sich weiter vom Gebirge entfernt, und die Temperaturen blieben konstant unter dem Gefrierpunkt. Der Vermessungstrupp meldete über Funk, daß die Verhältnisse im oberen Teil des Dogro besser als erwartet waren – der Schnee hielt und ließ sich durch nichts erschüttern. Auch die Fahrzeuge kamen besser voran, und die Piste wurde breiter und fester. Burjos durfte es nicht wagen, unter diesen Bedingungen die Arbeiten durch immer strengere Sicherheitsmaßnahmen zu verzögern. Gaddos lungerte ohnehin überall herum und wartete auf seine Chance. Wenn es so weiterging, erreichten sie am nächsten Nachmittag den vorherberechneten Punkt über der Kugel. Noch blieb dem Agenten eine reichliche Frist, aber er durfte nicht darauf hoffen, daß sein Problem sich von selbst löste. Er hörte das Brummen eines Motors, sah zum Fenster hinaus und entdeckte einen Wagen, der auf die Baracke zurumpelte. Das Fahrzeug trug auf den Seitenwänden das Emblem des Diktators. Als es anhielt, stiegen zwei Männer aus. Den einen kannte er. Es war Yern, ein Sklave, der für Gaddos arbeitete. Der andere war ungewöhnlich groß und schlank, hatte ein markantes, bronzefarbenes Gesicht und langes, goldblondes Haar, das unter der Kapuze des halblangen Pelzmantels hervorquoll. Die goldfarbenen Augen waren von fast hypnotischer Ausstrahlungskraft. Sie wirkten auf unbestimmbare Weise uralt und paßten nicht recht zu der sonst fast jugendlichen Erscheinung des Fremden. Burjos war ein scharfer Beobachter. Ihm entging weder der hochmütige Blick, mit dem der Unbekannte das Lager bedachte, noch das winzige spöttische Lächeln. Der Fremde war ihm auf den ersten Blick unsympathisch. Dann sah er den dritten Insassen des Wa-
22 gens, der sich mühsam durch die für ihn viel zu enge Tür nach draußen quetschte, und er schüttelte verwundert den Kopf. Das Wesen war nicht größer als ein durchschnittlicher Ckorvone, aber mindestens doppelt so breit. Die Beine waren zu kurz, dafür aber ungemein kräftig. Das von der Kapuze umrahmte Gesicht wies fast tierhafte Züge auf. Über einem breiten, lippenlosen Mund lagen zwei in die Maut eingesenkte Nasenlöcher. Darüber leuchteten zwei große, hellrote Augen mit senkrecht stehenden, schlitzförmigen Pupillen. Burjos bemerkte noch die metallisch glänzende Kugel auf der Ladefläche des Wagens, dann kamen die drei Besucher auf die Baracke zu, und er zog sich hastig vom Fenster zurück. Der Agent preßte die Lippen aufeinander und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Yerns Ankunft hatte mit Sicherheit nichts Gutes zu bedeuten. Wenn die Fremden zuerst in das Büro des Hageren gingen, konnte er das Gebäude verlassen und sich zu dem Hubschrauber durchschlagen, dessen Standort Jintha ihm verraten hatte. Er mußte dann eben später heimlich zurückkehren, um seine Mission zu erfüllen. Aber die Ankömmlinge taten ihm den Gefallen nicht, den Flur zu verlassen. Hinter der Tür hörte er die Fistelstimme des Sklaven, dann näherten sich Schritte. »Treten Sie ein!« sagte Gaddos höflich und hielt den beiden Fremden die Tür auf. »Sie bekommen Hilfe«, teilte der Hagere dem Agenten mit. »Darf ich Ihnen Magantilliken vorstellen? Und das ist Xonth, sein Gehilfe. Die beiden kommen aus Grodh. Teihendru hat sie zu uns geschickt, weil sie Spezialisten im Umgang mit Lawinen sind.« Magantilliken hieß der Fremde also. Ein merkwürdiger Name! Noch merkwürdiger, wenn man bedachte, daß die Leute in Grodh meistens einsilbige Namen bevorzugten. Und Xonth? Der Agent hatte Grodh einmal durchquert. Er hatte eine ganze Anzahl von Mutanten gesehen, aber es war keiner darunter, der so fremdartig wie dieser eckige Kerl
Marianne Sydow wirkte, dessen Haut geschuppt war wie die eines Reptils. »Wir werden sicher gut zusammenarbeiten«, bemerkte Magantilliken in diesem Moment. Burjos versuchte, den fremdartigen Akzent einzuordnen. Es gelang ihm nicht, und sein Mißtrauen wuchs. Er merkte, daß Magantilliken ihn spöttisch anstarrte. Nervös wies er auf den Tisch. »Wollen Sie sich die Karte ansehen?« Der Fremde warf nur einen kurzen Blick auf die graphische Darstellung, lächelte und deutete mit dem Zeigefinger auf die Stelle, an der man die Kugel vermutete. »Wie hoch ist die Schicht über dem Objekt?« fragte er. »Wir wissen es noch nicht genau. Es liegen Berechnungen vor, aber sie enthalten eine Reihe von Unsicherheitsfaktoren. Auch unsere Meßgeräte liefern keine genauen Werte. Offensichtlich sind erzhaltige Gesteinsbrocken in dem Schnee enthalten.« Burjos breitete die Unterlagen vor Magantilliken aus und erklärte ihm die Situation. Von Zeit zu Zeit glitt der Anflug eines amüsierten Lächelns über das goldbraune Gesicht. Die Arroganz des Fremden irritierte Burjos immer stärker. Die Bewohner von Grodh waren im allgemeinen sehr bescheiden. Ihr Land war arm, und sie bemühten sich, zu allen Staaten gute Beziehungen zu unterhalten. Magantilliken paßte in dieses Bild nicht hinein. Das betraf nicht nur sein Aussehen, seine Sprache und sein Benehmen, sondern auch die Tatsache, daß er Teihendru mit seinen Kenntnissen unterstützen wollte. Das war eine eindeutige Parteinahme für Frinalhan. »Ich werde mir das alles noch einmal an Ort und Stelle ansehen«, näselte Magantilliken, als Burjos mit seinem Vortrag fertig war. »Ich nehme an, daß ich durch Isthmy ein wesentlich genaueres Bild erhalten werde.« »Wer ist Isthmy?« wollte Gaddos wissen. »Die Kugel auf der Ladefläche des Wagens«, erklärte Magantilliken herablassend. »Es handelt sich um eine, sehr vielseitige
Ein Robot versagt Maschine, die in bescheidenem Umfang sogar denken und selbstständig handeln kann. Ich nenne dieses Maschinenwesen Isthmy.« »Ein komischer Name«, murmelte Burjos. »Aber bevor ich hinausfahre«, fuhr Magantilliken ungerührt fort, »möchte ich mich gerne erfrischen und auch etwas essen. Wir haben eine lange und anstrengende Fahrt hinter uns.« »Ich werde für alles sorgen«, versprach Gaddos diensteifrig und führte die Besucher aus dem Büro. Burjos sah ihnen in Gedanken versunken nach. Für den Augenblick hatte er seine eigenen Probleme vergessen. Magantilliken und dessen schweigsamer Begleiter mit der Echsenhaut beschäftigten ihn noch immer. Er hörte sie draußen noch eine Weile sprechen, dann wurde es still. Gleich darauf stürzte Jintha in das Büro. »Yern hat eine Botschaft an Gaddos überbracht«, stieß sie atemlos hervor. »Es scheint, als hätte man einen dunklen Punkt in deiner Vergangenheit entdeckt. Eben hat Gaddos über Funk mit meinem Vater gesprochen und sich diese Angaben bestätigen lassen. Deine Verhaftung ist jetzt fest beschlossen. Du mußt sofortfliehen!« »Hat er Teihendru gegenüber auch die beiden Spezialisten aus Grodh erwähnt?« fragte Burjos gespannt. »Nein. Aber das ist doch völlig unwichtig.« »Das finde ich nicht«, murmelte Burjos nachdenklich. »Diese Kerle sind mir nicht geheuer. Wer weiß, woher sie kommen und was sie planen …« »Was kümmert es dich?« fauchte Jintha. »Die beiden können dir egal sein. Sobald Gaddos die Fremden herumgeführt hat, wird er sich mit dir beschäftigen. Willst du warten, bis er zuschlägt?« »Nein, natürlich nicht«, seufzte Burjos und stand auf. Die Entscheidung war gefallen. Wenn er sich verhaften ließ, flog alles auf, und Vaanrhan geriet in größte Gefahr. Dennoch gab es einen Punkt, den er noch regeln mußte. »Ich nehme dein Angebot an«, sagte er
23 und legte seine Hände auf Jinthas Schultern. »Aber nur unter einer Bedingung. Du kommst mit! Ich weiß mehr über die Beziehungen zwischen Gaddos und deinem Vater. Teihendru wird dich dieser Bestie bedenkenlos ausliefern, und du weißt, was dir dann bevorsteht!« Jintha sah zu ihm auf. Sie wollte widersprechen, aber statt dessen schlang sie plötzlich die Arme um seinen Hals. »Ich komme mit«, flüsterte sie an seinem Ohr. Burjos drückte sie für einen Moment an sich, dann zog er sie zur Tür. Jetzt tat es ihm leid, daß er so viel Zeit verloren hatte. Wichtig war nur Jintha, sonst nichts. Er riß die Tür auf – und stand Gaddos gegenüber. »Sie haben es eilig?« fragte der Hagere kalt. »Das trifft sich gut, denn der Wagen wartet schon. Sie werden noch heute in die Stadt zurückkehren, und Sie, meine Teuerste, werden diesen Verräter begleiten. Es wird Teihendru interessieren, zu welchem Zweck seine heißgeliebte Tochter einen Hubschrauber angefordert und hier in der Nähe versteckt hat!«
* Magantilliken sah vom Fenster aus zu, wie Burjos und das junge Mädchen abtransportiert wurden. Die beiden waren gefesselt. Er dachte flüchtig daran, wie leicht er ihnen hätte helfen können, schüttelte dann aber unwillig den Kopf. Er wollte die Ckorvonen schonen, aber das hieß noch lange nicht, daß er sich in innenpolitische Dinge einmischte. Er hatte genug zu tun, um mit diesem Gaddos fertig zu werden. Zwar behandelte der Hagere ihn sehr zuvorkommend, aber ein Instinkt warnte den Henker. Dieser Mann war gefährlich. »Das Fahrzeug steht bereit«, knarrte der Kerl mit seiner unangenehmen Stimme. Magantilliken nickte seinem Sklaven zu, der hastig einen letzten Brocken Fleisch in den Mund schob, dann verließen sie die Baracke. Vor der Ladefläche des Wagens, mit dem sie
24 in das Lager gekommen waren, blieb Magantilliken stehen. »Isthmy, komm mit!« befahl er. Die metallene Kugel löste sich gehorsam von ihrer fahrbaren Unterlage und schwebte lautlos herab. Einen halben Meter über dem Boden blieb sie regungslos in der Luft hängen. Gaddos verfolgte diesen Vorgang mit großem Interesse. »Das ist wirklich eine bemerkenswerte Maschine«, wandte er sich an Magantilliken. »Woher haben Sie diese Kugel?« »Ich fand sie in den Bergen«, log Magantilliken unbekümmert. »Sie hat mir schon sehr gute Dienste geleistet. Ich weiß nicht, woher sie stammt. Vielleicht aus dem Vermächtnis der Ahnen.« Er sah das gierige Glitzern in den Augen des Hageren und fügte schnell hinzu: »Ihre einzige schlechte Eigenschaft ist, daß sie nur mir gehorcht. Xonth duldet sie in ihrer Nähe, aber sie läßt sich von ihm keine Befehle geben. Man hat schon oft versucht, sie mir abzunehmen, aber es ist noch niemandem gelungen. Isthmy kann sich wehren, und er tötet bedenkenlos jeden, der sich mit ihm anlegt.« Gaddos wich vorsichtshalber einen Schritt zurück. Isthmys rotes Orientierungsauge funkelte den Ckorvonen böse an. Der Henker konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dem geschwätzigen Roboter fiel es sicher schwer, in dieser Situation auf seine boshaften Bemerkungen zu verzichten. Der Hagere führte sie zu einem kleinen Fahrzeug, in dem gerade vier Personen Platz fanden. Am Steuer saß ein dick vermummter Ckorvone. Er streifte den Henker und dessen Sklaven mit einem neugierigen Blick, wandte sich jedoch hastig ab, als Gaddos auftauchte. »Bleib hinter uns!« befahl Magantilliken dem Roboter. Zu seinem Erstaunen stieg auch Gaddos ein. Er hatte gehofft, sich einigermaßen ungestört im Lawinengebiet umsehen zu können. Der Fahrer war kein Problem, aber mit dem Hageren mußte er vorsichtig sein. Er
Marianne Sydow hatte längst gemerkt, daß jeder in diesem Lager vor Gaddos zitterte. Dieser Mann schien über eine ungeheure Macht zu verfügen. Der Wagen setzte sich rumpelnd in Bewegung und steuerte in den Hohlweg hinein, den die Räumungsmaschinen in den Schnee gefressen hatten. Nach wenigen Minuten kamen die ersten Arbeitskommandos in Sicht. In Pelze gehüllte Ckorvonen ebneten die Fahrbahn und schaufelten Ausweichstellen in die Schneewälle. In regelmäßigen Abständen waren Zelte errichtet worden, in denen die Arbeiter sich ausruhen konnten. Rechts und links türmten sich Felstrümmer und riesige Eisbrocken zu wahren Bergen. Erst jetzt bekam Magantilliken einen Eindruck vom wirklichen Ausmaß der Katastrophe, die dieses Tal betroffen hatte. »Gab es Überlebende?« fragte er Gaddos, der düster vor sich hinstarrte. »Wir haben nicht nach ihnen gesucht«, gab der Hagere kaltschnäuzig zurück. »Die beiden einzigen Augenzeugen sind Burjos und das Mädchen, das mit ihm in die Stadt gebracht wurde. Sie sahen diese merkwürdige Kugel. Sie verkrochen sich in einer Höhle dort oben am Hang des Dogro und kamen zufällig mit dem Leben davon.« Der Wagen hielt schlingernd hinter der breiten Rückfront eines Raupenfahrzeugs. Sie gingen zu Fuß weiter, drückten sich an der brummenden Maschine vorbei, überholten noch zwei andere Fahrzeuge und standen dann am vorläufigen Ende des Weges. Laut Gaddos war es lebensgefährlich, einfach über die Lawinenfläche zu gehen. Magantilliken dachte etwas anders darüber, verzichtete jedoch auf eine zu deutliche Demonstration seiner Überlegenheit und schickte statt dessen Isthmy los. Der Roboter erhielt den Auftrag, die genaue Lage der Kugel festzustellen und nach dem sichersten Weg dorthin zu suchen. Isthmy schwebte lautlos davon. »Meinen Sie wirklich, daß die Maschine diese Aufgabe lösen wird?« fragte Gaddos erstaunt. »Ich kann es mir kaum vorstellen. Unsere Ahnen müssen Genies gewesen sein,
Ein Robot versagt wenn es ihnen gelungen ist, ein solches Wunderwerk zu konstruieren!« »Schon möglich«, lächelte Magantilliken. »Leider wird es eine Weile dauern, bis Isthmy mit den Informationen zurückkehrt. Wir sollten besser in das Zelt da drüben gehen.« Gaddos sah sich nachdenklich um, warf dann einen Blick auf einen Zeitmesser, den er am Handgelenk trug und zuckte sichtbar zusammen. »Ich muß Sie leider vorerst allein lassen«, erklärte er eilig. »Die Pflicht ruft! Die Leute, die hier arbeiten, haben die nötigen Anweisungen über Funk erhalten, man wird also Ihre Befehle prompt ausführen. Wenn sie Rückfragen an mich oder die technischen Büros im Lager haben, benutzen Sie bitte eines der Funkgeräte in den Zelten.« Magantilliken blickte ihm nach, als er hastig über den Schnee davonlief. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. »Der Kerl wird Ihnen noch viel Ärger bereiten«, prophezeite Xonth. Der Henker zuckte zusammen. Er hatte sich so sehr an die Schweigsamkeit des Zagrulers gewöhnt, daß es ihm beinahe als ein schlechtes Omen erschien, wenn Xonth ausgerechnet in diesem Moment den Mund aufmachte. »Wie kommst du darauf?« fragte er scharf. Der Sklave deutete auf einige Ckorvonen, die sichtlich erschöpft auf das Zelt zutrotteten. »Jeder von ihnen hat ein tragbares Funkgerät«, stellte er lakonisch fest. »Warum hat Gaddos uns nicht auch eins gegeben?« Magantilliken nickte nachdenklich. Es war tatsächlich merkwürdig. Gaddos hatte den Männern befohlen, den Varganen als ihren Vorgesetzten zu betrachten und seine Anweisungen durchzuführen. Andererseits war Magantilliken denkbar schlecht von dem Ckorvonen ausgerüstet worden. Er besaß weder ein Funkgerät noch einen eigenen Wagen. Wenn Gaddos es wollte, war der angebliche Lawinenspezialist aus Grodh von allen offiziellen Informationen abgeschnit-
25 ten. Der Henker wurde unruhig, als er an die erstaunlich leistungsfähigen Funkgeräte im Lager dachte. Gaddos brauchte nur in der Hauptstadt nachzufragen, und die ganze Sache flog auf. Magantilliken schalt sich einen Narren, weil er nicht früher daran gedacht hatte. Es wäre besser gewesen, zuerst in der Stadt aufzutreten und dann ganz offiziell in das Lager zu kommen. »Gehen wir hinein«, murmelte er. Im Zelt war die Luft stickig und feucht. Mehr als ein Dutzend Männer drängten sich auf engem Raum zusammen, tranken heißen Tee aus den Thermobehältern und kauten auf gebratenen Fleischstücken herum. Sie waren schmutzig und verströmten einen scharfen Schweißgeruch. Mit ihren zottigen Pelzmänteln sahen sie wie Wesen aus einer grauen Vorzeit aus. Eine blakende Öllampe verbreitete trübes Licht. Magantilliken blieb am Eingang stehen. Einer der Arbeiter erzählte gerade einen geistlosen Witz, der seinen Kollegen jedoch zu gefallen schien. Das Zelt erbebte unter lautem Gelächter, und der Vargane prallte unwillkürlich zurück. Da bemerkte ihn einer der Ckorvonen. Eine Sekunde später herrschte Totenstille. »Sieh mal an!« sagte der Witzbold und löste sich langsam aus der Gruppe. »Das ist wohl der Fremde aus Grodh. Ich hoffe, der Herr wird sich bei uns wohl fühlen!« Magantilliken sah dem Eingeborenen entgegen. Er spürte die Feindseligkeit, die ihm entgegensprang. Regungslos blieb er stehen. Xonth stieß ein leises Schnaufen aus. Damit wollte er seinem Herrn zu verstehen geben, daß er diesen ungehobelten Burschen gerne Manieren beibringen wollte, aber der Henker gab ihm mit einer Bewegung der rechten Hand den Befehl, sich vorerst zurückzuhalten. Der Ckorvone stand jetzt direkt vor Magantilliken. Er war einen Kopf kleiner als der Vargane, dafür aber ungeheuer kräftig. »Auf gute Zusammenarbeit, Herr!« sagte er laut. »Schlagen Sie ein, das ist bei uns so üblich!« Magantilliken ergriff die Hand, und für
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den Bruchteil einer Sekunde war er unaufmerksam. Der Ckorvone packte zu. Ehe der Henker es sich versah, flog er im hohen Bogen durch die Luft und landete zwischen den anderen Arbeitern, die blitzschnell zurückgewichen waren. Die Männer wieherten vor Lachen, aber im nächsten Augenblick verstummten sie. Mit katzenhafter Geschmeidigkeit sprang der Vargane auf, packte den massigen Ckorvonen mit der linken Hand am Oberarm, riß ihn nach vorne und schlug ihm gleichzeitig die rechte Handkante ins Genick. Der Witzbold brach wie ein gefällter Baum zusammen. Der Atem des Henkers ging ruhig und gleichmäßig wie zuvor, als er sich langsam umdrehte und die erschrockenen Eingeborenen der Reihe nach ansah. Er hatte nicht einmal mit halber Kraft zugeschlagen, denn schließlich wollte er ohne zwingenden Grund keinen der Arbeiter töten. Die Ckorvonen hielten dem kühlen Blick des Henkers nicht stand. Magantilliken lächelte flüchtig, drehte sich um und verließ das Zelt. Er zog es vor, draußen auf der Rückkehr des Roboters zu warten. Kurz darauf erschien Isthmy. Magantilliken holte eine Landkarte aus dem Zelt und ließ den Roboter alles darauf einzeichnen, was für ihr weiteres Vorgehen wichtig war. Dann informierte er die Räumungskommandos und stellte zufrieden fest, daß man seine Anweisungen respektierte. Zwar fing er viele feindselige Blicke auf, aber die prallten wirkungslos an ihm ab. Es gab einen guten, sicheren Weg, auch zu Fuß in die Nähe der Kugel zu gelangen. Und in der Gefühlsbasis hielt sich eine Erinnye auf, die nur darauf wartete, dem Henker tatkräftig zu helfen. Solange es hell war, durfte Magantilliken es nicht wagen, diese Möglichkeiten auszunutzen. Ungeduldig wartete er darauf, daß es endlich dunkler wurde.
* Der Wächter, den Gaddos den beiden Ge-
fangenen zugeteilt hatte, nahm seine Aufgabe durchaus ernst. Er sorgte dafür, daß Burjos und Jintha sich nicht von ihren Fessen befreien konnten, denn der Hagere hatte ihn darüber informiert, daß nicht nur der Leibwächter des Mädchens ein gutausgebildeter Kämpfer war. Auch Jintha konnte sich sehr gut ihrer Haut wehren. Aber der Respekt dieses Mannes vor Teihendru war immer noch so groß, daß er seinen Schützlingen eine Unterhaltung nicht zu verbieten wagte. Allerdings hielt er die Ohren offen, und das versuchte Burjos für seine Zwecke auszunützen. »Gaddos wird bald einsehen, daß er einen schlimmen Fehler gemacht hat«, sagte er leise zu dem Mädchen. Jintha schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Er mogelt sich schon wieder heraus«, murmelte sie bitter. »Er findet immer einen Weg. Und wenn er ein paar Leute ermorden läßt, kümmert das meinen Vater wenig. Allmählich begreife ich das ganze Spiel. Du hattest recht. Ob ich Teihendrus Tochter bin oder nicht, das spielt überhaupt keine Rolle. Er wird mich ohne mit der Wimper zu zucken zum Tode verurteilen.« »Wahrscheinlich«, gab Burjos kaltblütig zurück. »Und mein Schicksal dürfte nicht viel anders aussehen. Aber das ist jetzt nicht so wichtig.« »Wie bitte?« Er grinste verhalten. »Es ist mir durchaus nicht egal, wie ich sterbe. Aber wenigstens habe ich die Genugtuung, daß Gaddos uns bald folgen wird. Diesmal hat der alte Fuchs den Kopf zu tief in die Schlinge gesteckt.« Jintha sah ihn fragend an. Burjos registrierte zufrieden, daß auch der Wächter gespannt zuhörte. »Er wird nicht über uns stolpern«, fuhr er fort. Er sprach leise, damit der Anschein gewahrt blieb, als handele es sich um ein Geheimnis. »Sondern über die angeblichen Lawinenspezialisten aus Grodh. Magantilliken und sein geschuppter Diener kommen nicht aus diesem Land, da bin ich mir ganz sicher.
Ein Robot versagt Ich möchte sogar wetten, daß sie überhaupt nicht auf diesem Planeten geboren sind.« Das Mädchen schnappte nach Luft. »Du phantasierst!« stellte sie fest. »Die beiden gebrauchen unsere Sprache, und zumindest dieser Magantilliken sieht uns sehr ähnlich. Es gibt ein paar alte Überlieferungen, in denen behauptet wird, unsere Vorfahren wären mit Raumschiffen auf Xertomph gelandet, aber das sind Hirngespinste, die wissenschaftlich nicht belegbar sind. Selbst wenn etwas Wahres daran ist, dürfte dieses geheimnisvolle Volk längst ausgestorben sein. Außerdem – wenn wirklich Raumfahrer zu uns kommen sollten, welchen Grund hätten sie, das zu verschleiern? Und warum kümmern sie sich dann als erstes ausgerechnet um diese Bergungsaktion?« »Um an die Kugel heranzukommen.« »Aber Magantilliken hilft Gaddos doch«, wandte Jintha ärgerlich ein. »Er treibt die Arbeiten schneller voran, und wenn unsere Leute das Ziel erreicht haben, hat er allein keine Chance, sich den Fund zu sichern.« »Er hat bestimmt die Mittel, um genau das zu tun. Paß auf, Jintha, ich habe die ganze Zeit über dieses Problem nachgedacht. Vielleicht irre ich mich in einigen Punkten, aber ich glaube, ich habe die Wahrheit ziemlich genau erraten. Nimm einmal an, diese Kugel gehört unseren Vorfahren. Ein so riesiges Ding läßt man nicht einfach auf einem Planeten zurück, ohne einen zwingenden Grund dafür zu haben. Die Kugel hat also eine Funktion. Sie muß sogar sehr wichtig sein. Auf keinen Fall war geplant, daß wir sie untersuchen sollten. Deshalb hat man sie an eine unzugängliche Steilwand gebaut, wo wir sie niemals hätten erreichen können. Solange sie da oben blieb, war alles in Ordnung, und niemand kümmerte sich um uns. Jetzt, wo sie durch einen Zufall in unsere Reichweite gerückt ist, hat man jemanden geschickt, der die ganze Sache wieder in Ordnung bringen soll.« »Das glaube ich nicht«, fiel Jintha ihm ins Wort. »Wenn unsere Ahnen nicht ausgestor-
27 ben sind, warum haben sie dann nicht schon früher Kontakt zu uns aufgenommen?« »Ich weiß es nicht«, gestand Burjos. »Vielleicht sind wir ihnen absolut gleichgültig. Nur die Kugel interessiert sie.« »Das ist unlogisch!« behauptete Jintha sofort. »Die Kugel besitzt Waffen, deren Wirkungskraft unsere Vorstellung übersteigt. Das Ding ist uralt, aber es funktioniert immer noch. Nehmen wir an, Magantilliken wäre ein Nachkomme der Leute, die diese Waffen konstruiert hat, und seine einzige Aufgabe wäre es, uns von diesem Objekt zu vertreiben. Was wäre dann einfacher, als das Lager und alle Ckorvonen ringsum zu vernichten?« »Du hast recht«, stimmte Burjos zu. »Aber es gibt einen Hinweis darauf, daß die Fremden sich scheuen, uns zu töten, solange sie es vermeiden können. Teihara ist eine sehr alte Stadt, auch wenn sie inzwischen etliche Male den Namen gewechselt hat. Der Kern des Palasts wurde vor über eintausend Jahren gebaut. Das Quamendrin-Massiv liegt ganz in der Nähe, und man wußte schon sehr lange, daß es dort reiche Bodenschätze gibt. Trotzdem hat man sie lange Zeit nicht ausgebeutet. Niemand näherte sich dem Berg freiwillig, und Glückssucher, die es trotzdem wagten, bezahlten ihren Übermut meistens mit dem Leben. Und plötzlich, vor knapp hundert Jahren, strömten die Ckorvonen in Scharen in das Quamendrin-Massiv. Schlagartig hatte der Berg seine Schrecken verloren.« »Es hat ihn noch niemand bestiegen«, gab Jintha zu bedenken. »Wozu auch? Bis jetzt ist man hinreichend damit, beschäftigt, die Schätze zu bergen, die sich in den unteren Regionen befinden. Alle Kräfte in Frinalhan werden auf die technische Weiterentwicklung konzentriert. Jeder Mann im passenden Alter, der nicht gerade ein Krüppel ist, wird zum Militärdienst gezwungen. Für sportliche Ambitionen bleibt also wenig Raum. Aber ich kenne trotzdem einige Leute, die es sofort wagen würden, wenn man ihnen nur die richtigen
28 Mittel zur Verfügung stellen wollte. Von einer echten Angst dem Quamendrin gegenüber ist nichts mehr zu spüren. Noch vor hundert Jahren hätte man jeden, der sich auch nur hundert Schritt in das Woronongtal hineinwagte, als Todgeweihten betrachtet.« Jintha war nachdenklich geworden. »Es ist merkwürdig«, gab sie zu. »Aber ich sehe keinen Zusammenhang zwischen diesen Dingen und dem Verhalten Magantillikens.« »Ich schon«, betonte Burjos. »Man hat uns bis vor hundert Jahren daran gehindert, dem Quamendrin nahezukommen. Nicht mit Hilfe von Offensivwaffen, sondern auf die stille Art. Daraus schließe ich, daß unsere Vorfahren es nicht darauf anlegen, uns umzubringen – es sei denn, wir werden ihnen zu lästig.« »Aber wie sollen die Fremden so etwas machen?« fragte Jintha ärgerlich. »Mit einer Verbotstafel am Taleingang bestimmt nicht«, nickte Burjos grimmig. »Denk mal an die Niava-Kristalle. Teihendru versucht seit Jahren, ihre Macht gezielt zu benutzen, aber er schafft es nicht. Zum Glück, denn das wäre eine WTaffe, der niemand auf diesem Planeten etwas entgegenzusetzen hat. Hypnose! Ein unheimlicher Einfluß auf das Gehirn, dem man sich nicht entziehen kann. Vielleicht aber haben unsere Ahnen einen Weg gefunden, die Wirkung der Kristalle künstlich nachzuahmen. Sobald jemand in den Strahlungsbereich der Kugel kam, befiel ihn die Angst, und er zog sich zurück.« »Das würde bedeuten, daß die Kugel schon sehr lange nicht mehr in Ordnung ist«, murmelte Jintha. »Warum kümmern sich die Fremden dann aber erst jetzt darum?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie die Kugel vorher nicht gebraucht.« »Es klingt alles sehr phantastisch«, entgegnete Jintha leise. »Fremde aus dem Weltraum! Wie sollen sie überhaupt nach Xertomph gekommen sein?« »Mit einem Raumschiff natürlich.« »Das hätte man orten müssen!«
Marianne Sydow »Mit unseren Geräten?« Burjos lachte leise. »O nein! Die Fremden sind uns technisch weit überlegen. Sie sind ohne unser Wissen gelandet. Wahrscheinlich befindet sich das Schiff ganz in der Nähe des Quamendrin. Die Ebene der Tempel zum Beispiel wäre ein hervorragendes Versteck. Kein Ckorvone, der seine fünf Sinne beisammen hat, wagt sich in dieses Gebiet.« »Wir müssen etwas unternehmen«, stellte Jintha fest. »Selbst wenn sich die Hälfte deiner Vermutungen als falsch erweist, ist die Gefahr zu groß. Wir sind vielleicht die einzigen, die einen Verdacht geschöpft haben. Man muß Magantilliken gefangennehmen oder ihn wenigstens vertreiben!« »Das wird er sich kaum gefallen lassen. Man braucht sich diesen Kerl nur anzuseilen, um zu wissen, daß er eiskalt und gewissenlos seine eigenen Interessen verfolgt. Wahrscheinlich hilft er Gaddos nur, weil er sich die Arbeit sparen will, die Kugel selbst auszugraben. Sobald er sich am Ziel sieht, wird er zuschlagen. Ich hoffe nur, daß Gaddos lange genug lebt, um Teihendru vorgeführt zu werden. Er soll wenigstens einen Bruchteil der Qualen spüren, die er anderen zugefügt hat, ehe er stirbt!« Jintha schwieg. Sie hatte sich für die Dauer der Unterhaltung von ihrem eigenen Schicksal ablenken lassen. Jetzt wurde sie sich ihrer eigenen Situation bewußt. Beklommen starrte sie nach vorne, wo in der Dunkelheit eine schwach leuchtende Halbkugel über den Hügeln auftauchte. Dort lag Teihara. Gegen Mitternacht hielt der Wagen vor dem prunkvollen Haupttor des Palastbezirks. Ein Wächter sah kurz in den Wagen, las die schriftliche Bescheinigung, die der Wachtposten im Wagen ihm reichte, im Schein einer Lampe und winkte dann lässig seinem Kollegen im hellerleuchteten Postenhaus zu. Das Tor öffnete sich lautlos. Sie fuhren über die Wege, die Jintha seit ihrer Kindheit kannte. Es ging durch einen kleinen Park, dann über die breite Auffahrt, an dessen Ende die Freitreppe lag. Aber diesmal hielt der
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Wagen nicht an der gewohnten Stelle, sondern bog nach links ab. Die vielfarbige Fassade des Herrscherhauses huschte vorbei. Sie tauchten in das Dunkel der zahllosen Nebengebäude, wo von dem weiter vorne zur Schau gestellten Reichtum nichts mehr zu sehen war. Eine dicke Mauer, deren einziges Tor von bewaffneten Soldaten bewacht wurde, grenzte das Wohngebiet der niederen Sklaven gegen den Gefängnistrakt ab. Sie durften passieren und standen wenig später vor einem fast fensterlosen Gebäudeklotz aus rotbrauner: Steinblöcken. Scheinwerfer tauchten das Haus und den Innenhof in grellweißes Licht. Auf den klobigen Wachttürmen der Mauer sah Jintha zahlreiche Soldaten. »Ich bin Teihendrus Tochter«, sagte sie zu dem Kerkermeister, der die neuen Gefangenen in Empfang nahm. »Ich muß unbedingt meinen Vater sprechen. Es ist lebenswichtig!« »Das kann ich mir denken«, nickte der grobschlächtige Mann und gab dem Mädchen einen Tritt. »Vorwärts! Und merk dir eines: Wer hierher kommt, wird nach seiner Abstammung nicht gefragt!«
5. Als die Dämmerung hereinbrach, kamen ausgeruhte Männer aus dem Lager, um ihre erschöpften Kollegen abzulösen. Magantilliken verglich die einlaufenden Meldungen mit der nun um einiges vervollständigten Karte und stellte zufrieden fest, daß die Arbeit rasch voranging. Gaddos würde zufrieden sein. Und nicht nur er, sondern auch die ungeduldig wartende Erinnye in der verschütteten Gefühlsbasis. Die einzige wirklich gefährliche Stelle hatten die Fahrzeuge überwunden. Eine tückische Spalte wurde von einer primitiven, aber haltbaren Brücke aus Holz überspannt. Die entsprechenden Daten hatte Isthmy geliefert, ohne dessen Hilfe dieses Hindernis die Ckorvonen vor gewaltige Schwierigkeiten gestellt hätte. Zugleich hatte der Henker
sich damit jedoch seinen eigenen Weg geebnet. Sobald es dunkel war, wollte er sich heimlich davonschleichen. War die Gefühlsbasis erst wieder funktionsbereit, so würden die Ckorvonen sich innerhalb weniger Stunden zurückziehen und kaum noch wissen, was sie in diesem Tal eigentlich getan hatten. Der Vargane überschlug die Zeitspanne, die ihm bis zum Eintreffen der tejonthischen Flotte noch blieb. Es waren – auf planetarische Verhältnisse umgerechnet – noch viereinhalb Tage. Isthmy hatte also mit seinen düsteren Prognosen danebengezielt. Noch lange vor Ablauf der Frist würde der Auftrag erledigt sein. Magantilliken lächelte zufrieden und verließ das Zelt, um draußen nach dem Rechten zu sehen. Es war schon fast dunkel. Die Scheinwerfer der Fahrzeuge schufen vergleichsweise winzige Lichthöfe auf der Oberfläche des Lawinenfelds. Als Magantilliken den Kopf in den Nacken legte, sah er scheinbar direkt über sich den Gipfel des gewaltigen Berges, der von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne in feuriges Rot getaucht wurde. Schließlich wandte er sich ab und stapfte zu einem Punkt jenseits des Ausweichplatzes hinüber. Die Kugel löste sich aus dem Gewirr der Schneebrocken und schwebte lautlos näher, »Willst du es jetzt schon wagen?« fragte Xonth leise. Er folgte seinem Herrn wie ein Schatten, immer bereit, ihn notfalls bis zum letzten Atemzug zu verteidigen. Magantilliken würdigte ihn keiner Antwort. »Ist alles klar?« fragte er den Roboter. »Nein«, antwortete Isthmy prompt. Der Henker wollte ärgerlich auffahren, aber in diesem Augenblick wimmerte weit entfernt eine Sirene. Er zuckte zusammen und fuhr herum. Aus dem Hohlweg, der auf die Station zuführte, hasteten Männer. Kleine, leichte Fahrzeuge brummten von der entgegengesetzten Seite heran. »Alarm«, stellte der Roboter scharfsinnig fest. »Der Luftdruck fällt mit beängstigender
30 Geschwindigkeit. Eine bildschöne Schlechtwetterfront kommt auf uns zu.« Magantilliken fand keine Zeit, sich über die Ausdrucksweise seines Begleiters aufzuregen, denn die Wagen, die man aus dem Lager geschickt hatte, hielten neben dem dunklen Zelt. Schnee stäubte unter den breiten Rädern auf. Fluchend zwängten sich die Ckorvonen auf die unbequemen Sitze. Auf den Varganen achtete niemand. In wilder Flucht wandte sich alles dem relativ sicheren Gebiet jenseits des Lawinenfeldes zu. Im ersten Moment war der Henker wütend auf die Eingeborenen. Im Nu waren die Wagen besetzt. Die Plätze reichten gerade für die Arbeiter. Dem Varganen schenkte niemand auch nur einen Funken Aufmerksamkeit. Dann erkannte er seine Chance. Hastig wandte er sich zu Isthmy um. »Los!« befahl er. »Das ist die beste Gelegenheit, um unauffällig zu verschwinden. Gib der Erinnye den Befehl, sofort einen Schacht zur Oberfläche zu schmelzen. Du bringst Xonth und mich hin. Sobald wir in der Gefühlsbasis sind, werden wir eine neue Lawine auslösen, die den Zugang zum hinteren Talende versperrt. Damit sind wir die Eingeborenen für eine Weile los. Das gibt mir Zeit genug, um die Schäden in der Station zu beseitigen.« »Dein Plan ist gut«, erwiderte der Roboter bedächtig. »Aber leider hast du dir für deine Erklärungen zu viel Zeit genommen. Der Fahrer wartet auf dich.« Magantilliken fuhr herum. Etwa fünf Meter entfernt stand ein Schneerutscher. Der Fahrer hatte die Türen bereits geöffnet. »Soll ich schießen?« fragte Isthmy leise. Das Gesicht des Ckorvonen war völlig ausdruckslos. Es ließ sich nicht feststellen, ob er die vorhergehende Unterhaltung mitbekommen hatte. Wenn ja, dann wußte er zumindest, daß Magantilliken eigene Pläne verfolgte. Sobald Gaddos das erfuhr, war die Mission des Henkers gescheitert. War sie es wirklich? Magantilliken unterdrückte ein höhni-
Marianne Sydow sches Lachen. Noch hielt er einige gute Karten in der Hand. Die Ckorvonen würden sich wundern! Warum sollte er nicht mitfahren? Auch Gaddos war nicht fähig, einen Tropoyther länger als ein paar Sekunden in ernsthafte Verlegenheit zu bringen. Außerdem bestand immer noch die Möglichkeit, daß der Fahrer keinen Verdacht geschöpft hatte. Ließ Magantilliken es jetzt auf einen Kampf ankommen, so brachte er sich nur selbst in Schwierigkeiten, denn ungeachtet der drohenden Gefahren durch den Wetterumschwung würde Gaddos ihm umgehend eine ganze Meute schießwütiger Eingeborener auf den Hals hetzen und ihm damit den Weg zur Gefühlsbasis erschweren. »Wir fahren!« entschied der Henker grimmig. Isthmy schwebte schweigend hinter dem Fahrzeug zum Lager zurück.
* Seit dem ersten Kontakt mit Isthmy stand die Erinnye in ständiger Verbindung zu dem Kugelroboter. Sie empfing den Befehl, den Schacht zu schaffen und sorgte umgehend dafür, daß die entsprechenden Geräte ihre Arbeit aufnahmen. Dabei lauschte sie den weiteren Nachrichten. Sie erfuhr, daß Magantilliken sich freiwillig in die Gewalt der Eingeborenen begab und somit einen weiteren Zeitverlust in Kauf nahm. Sie verstand das nicht. Das Verhalten des Tropoythers ließ jenes Maß an eiskalter Logik vermissen, dem das Volk in der Eisigen Sphäre seine uneingeschränkte Herrschaft über den Mikrokosmos verdankte. Aber die Erinnye war im Augenblick gebunden. Sie durfte nicht persönlich in den Ablauf der Geschehnisse eingreifen. Erstens wartete sie noch immer auf die beiden Fremdwesen, um derentwillen man sie nach Xertomph geschickt hatte. Zweitens war ihre Anwesenheit in der Station unter den gegebenen Umständen ungeheuer wichtig. Notfalls mußte sie die Eisige Sphäre direkt benachrichtigen. Das bedeutete Selbstzerstörung, aber der Kreuzzug nach
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Yarden war wichtig genug, um selbst einen so komplizierten Roboter zu opfern. Die Erinnye hoffte, zu einem solchen Schritt nicht gezwungen zu sein, Ihr Selbsterhaltungstrieb war sehr hoch, denn Wesen wie sie konnten selbst die Tropoythers nicht am laufenden Band herstellen. Das Warten machte den Roboter unruhig. Der Schacht war schnell geschaffen. Er führte nicht ganz bis zur Oberfläche. Das letzte Stück durfte erst dann durchbrochen werden, wenn die Ankunft des Henkers unmittelbar bevorstand. Davon aber war vorläufig noch gar keine Rede. Magantilliken führte unnütze Diskussionen mit den Eingeborenen. Isthmy, der alles mitanhörte und in die Station übertrug, platzte fast vor Ungeduld. Der Erinnye ging es nicht anders.
* Gwarn starrte verbissen auf den Becher mit Tee, der vor ihm auf dem Tisch stand. Ein paar Schritte weiter unterhielt Gaddos sich mit dem Fremden. Magantilliken gab offensichtlich wenig auf die Meinung der Meteorologen. »Wir wären noch in dieser Nacht in die Nähe des Ziels gekommen«, behauptete er. »Der Sturm läßt noch ein paar Stunden auf sich warten. Sie hätten die Arbeiter noch eine ganze Weile draußen lassen können. Wir verlieren Zeit.« »Es war nicht meine Idee«, gab Gaddos gleichgültig zurück. »Dieser Burjos mit seiner Vorsicht hat eine Menge verdorben. Die Leute sind ohnehin beunruhigt wegen der Verhaftung. Sie bei diesem Wetter zum Weiterarbeiten zu zwingen, könnte zur offenen Rebellion führen. Mir ist es egal, wenn ein paar von den Kerlen draufgehen, aber unser Zeitplan könnte darunter leiden.« »Das tut er auch so«, bemerkte Magantilliken ungeduldig. »Keineswegs«, wehrte der Hagere ab. »Ich bin ein vorsichtiger Mann, Magantilliken, und ich glaube, Sie verstehen mich sehr gut. Burjos stellte einen Plan auf, der ziem-
lich weitläufig war. Die einzelnen Schritte wurden an Teihendru übermittelt und gebilligt. Mit Ihrer Hilfe werden wir trotz dieser Pause schneller vorankommen, aber das braucht Teihendru erst zu wissen, wenn ich Ergebnisse vorweisen kann. Falsche Versprechungen nimmt er nämlich sehr übel. Für ihn gilt der alte Plan, den wir selbst unter ungünstigen Umständen einhalten können.« »So ist das«, nickte Magantilliken verstehend. »Geht es schneller, so ernten Sie die Lorbeeren, geht es langsamer, ist Burjos daran schuld.« Gaddos nickte kühl. Wenig später zog Magantilliken sich mit seinem schweigsamen Begleiter zurück. Die seltsame Kugel war in einem angrenzenden Lagerraum untergebracht. Jetzt wäre es Zeit gewesen, den Mund aufzumachen, und Gwarns Unsicherheit wuchs. Sollte er dem Hageren den Inhalt des Gesprächs mitteilen, daß er draußen mitangehört hatte? Gwarn war Sklave, und er gehörte mit Haut und Haaren Gaddos. Der Hagere war kein angenehmer Herr. Diener, die sich etwas zuschulden kommen ließen, waren so gut wie tot. Es war nicht so, daß Gaddos solche Leute umbrachte – dazu war er ein viel zu guter Geschäftsmann. Er verkaufte unfähige Sklaven weiter. Seine bevorzugten Kunden waren einige Ärzte in, Teihara. Es gab noch unzählige medizinische Rätsel zu lösen. Was von den Körpern der Opfer übrigblieb, rechtfertigte meistens nicht einmal mehr ein Begräbnis. Deshalb hatte Gwarn es sich angewohnt, gewissermaßen zweigleisig zu arbeiten. Er war Gaddos gegenüber loyal und berichtete alles, was ihm zu Ohren kam. Dabei sortierte er jedoch sorgfältig alle Informationen aus, die ihn gerade durch eine Weitergabe an den Hageren in Lebensgefahr gebracht hätten. Magantillikens aufschlußreiche Erklärung ließ nur einen Schluß zu: Dieser Fremde kannte sich im Innern der Kugel aus. Gefühlsbasis – diese Bezeichnung war für Gwarn nichtssagend. Immerhin wußte der
32 Sklave sehr genau, daß die Kugel mit Feuerstrahlen um sich geschossen hatte. Er zog es vor, mit derlei Gefahren möglichst nicht in Berührung zu kommen. Wenn aber eine Verbindung zwischen Magantilliken und der Kugel bestand, dann schleppte der Fremde vermutlich auch einige Waffen mit sich herum. Gaddos war ein ungeduldiger Mann. Er würde Magantilliken sofort zur Rede stellen, und da Gwarn seinen Herrn auf Schritt und Tritt zu begleiten hatte, war das eine unangenehme Aussicht. Und dann war da noch etwas. Auch ein Sklave konnte sich auf dunklen Wegen Informationen über die politische Lage verschaffen. In Teihara wußte man gut über Vaanrhan Bescheid. Dort gab es keine Sklaverei. Für Leute wie Gwarn war Vaanrhan die einzige Hoffnung, irgendwann einmal frei leben zu können. Wenn Teihendru die Waffen aus der Kugel in die Hände bekam, war Vaanrhan verloren. Der Fremde dagegen schien sich um das Schicksal der Ckorvonen nicht zu kümmern. Er verfolgte eigene Ziele, die weder mit Frinalhan, noch mit dessen Gegner etwas zu tun hatten. Schlußfolgerung: Die sicherste Möglichkeit, Teihendru an weiteren Nachforschungen zu hindern, bestand darin, Magantilliken gewähren zu lassen. »Was träumst du da herum!« Gwarn fuhr herum. Gaddos winkte ihm herrisch zu und schritt zur Tür. Der Sklave trank einen letzten Schluck Tee, dann folgte er seinem Herrn. Er hatte seinen Entschluß gefaßt. In dieser Nacht schlief er wie üblich auf einer Matte vor der Tür des Hageren. Es war noch dunkel, als jemand ihn heftig an der Schulter schüttelte. Er schlug die Augen auf und erblickte einen der Meteorologen. »Ich habe eine dringende Nachricht für Gaddos!« erklärte der Ckorvone, als Gwarn sich aufrichtete. »Weck ihn auf!« Der Sklave gehorchte nur ungern, Gaddos haßte es, wenn man ihn im Schlaf störte. Aber er hatte Glück, denn die Nachricht war so gut, daß Gaddos in eine für seine sonstige
Marianne Sydow Mentalität erstaunlich gute Laune geriet. Das Tief hatte sich erneut verlagert. Während der Nacht waren zwar die Temperaturen gestiegen, aber nach Meinung des Meteorologen konnte man die Arbeiten ungefährdet fortsetzen, solange man die üblichen Vorsichtsmaßnahmen beachtete. Der Hagere eilte sofort in das Hauptbüro. Lautsprecher dröhnten auf, und innerhalb von Sekunden wurde es im Lager lebendig. Erschöpfte Männer bestiegen die Fahrzeuge und eilten auf das Lawinenfeld zurück. Unter den ersten, die sich nach draußen begaben, waren Magantilliken und Xonth, sowie die Kugel namens Isthmy, deren Leistungen überall im Lager teils Bewunderung, teils abergläubische Angst geweckt hatten. Gwarn registrierte mit Erleichterung, daß niemand ihm gegenüber einen Verdacht geschöpft hatte. In diesem Augenblick kam ein dringender Funkspruch für Gaddos herein. Gwarn folgte ihm wie gewöhnlich, um sofort zur Stelle zu sein, falls der Hagere ihm einen Auftrag geben wollte. Zu seiner Verwunderung wurde er jedoch aus dem Funkraum gewiesen, nachdem Gaddos nur zwei Worte mit seinem bisher nicht identifizierten Gesprächspartner gewechselt hatte. Auch die Männer, die im Funkraum Dienst taten, wurden von dem Hageren höchst persönlich hinausgejagt. »Was mag das nun wieder bedeuten?« murmelte einer der Ckorvonen unsicher, als sie sich vor der nun geschlossenen Tür versammelten. Gwarn hätte die richtige Antwort geben können, aber er zog es vor, den Mund zu halten. Seine Gedanken überstürzten sich. Die völlig unvernünftige Angst, Gaddos könne ihm doch auf die Schliche gekommen sein, versetzte ihn fast in Panik. Andererseits hätte der Hagere deswegen wohl kaum mit Teihendru selbst gesprochen. Nein, es mußte einen anderen Grund geben. Als Gaddos mit einem heftigen Ruck die Tür aufstieß, zuckte Gwarn deutlich sichtbar zusammen. Aber sein Herr zollte ihm wenig
Ein Robot versagt Aufmerksamkeit. »An die Arbeit!« herrschte er die ratlosen Funker an. »Du kommst mit!« Die Tür zu dem Zimmer, welches man Magantilliken und seinem echsenhäutigen Helfer zugewiesen hatte, flog krachend gegen die Wand. Gaddos warf einen Blick auf die leeren Feldbetten, dann wirbelte er herum. »Sie sind mit der ersten Gruppe hinausgefahren«, warf Gwarn scheu ein. Gaddos starrte ihn einen Augenblick lang fast ausdruckslos an. Der Sklave kannte diesen Blick. Die Wut des Hageren mußte unvorstellbar sein. Er duckte sich, als die Hand des hochgewachsenen Ckorvonen sich abrupt hob, aber der Schlag, den er erwartete, kam nicht. Statt dessen drehte Gaddos sich um und rannte auf den Ausgang zu. Gwarn folgte ihm verwirrt und unsicher. Er war völlig benommen von den sich widersprechenden Gefühlen, die auf ihn eindrangen. Er hatte Angst. Er fürchtete den Moment, an dem man Magantilliken angriff, denn er wollte noch eine Weile leben. Er zitterte gleichzeitig davor, daß es gelang, den unheimlichen Fremden zu überwältigen. Magantilliken mußte gemerkt haben, daß Gwarn das Gespräch mitgehört hatte. Die Verhörmethoden in Teihara waren dazu geeignet, den Opfern alles, was sie jemals erfahren hatten, zu entreißen. Eine entsprechende Bemerkung des Fremden war für Gwarn das Ende. Und Vaanrhan? Das Wissen Magantillikens würde Teihendru zum mächtigsten Herrscher auf Xertomph machen … »Wo bleibt der Wagen?« Gwarn stolperte vor Schreck und hastete davon. Als er den Schneerutscher vor der Tür der Baracke anhalten ließ, waren auch die anderen sechs Mitglieder der Gruppe, die Gaddos in das Woronongtal begleitet hatte, eingetroffen. Ein zweites Fahrzeug stoppte direkt hinter Gwarn. Gaddos warf sich auf den Nebensitz. »Los!« befahl er seinem Sklaven. Der Motor heulte auf, und das leichte Fahrzeug
33 schoß mit einem heftigen Ruck vorwärts. Gwarn sah aus den Augenwinkeln heraus, daß der zweite Wagen ihnen folgte, dann hatte er für eine Weile genug damit zu tun, den Schneerutscher auf der glatten Bahn zu halten. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit steuerte er den Wagen durch den Hohlweg. Erst kurz vor dem zur Zeit letzten Stützpunkt auf dem Lawinenfeld befahl Gaddos ihm, die Geschwindigkeit zu verringern. Fast lautlos kam das Fahrzeug direkt vor dem schwarzen Zelt zum Stehen. Gaddos warf einen Blick nach hinten, dann nickte er seinem Sklaven zu. Die beiden Ckorvonen sprangen auf den Schnee hinaus. Die anderen Männer aus dem zweiten Wagen verteilten sich blitzschnell um das Zelt. Der Hagere zog zwei Waffen aus seinem Gürtel. Eine behielt er in der rechten Hand, die andere reichte er Gwarn. »Ich will Magantilliken und seinen Freund lebend!« erklärte er leise. »Du darfst also nur im äußersten Notfall schießen. Und wehe dir, wenn du einen der beiden dabei tötest!« Gwarn nickte, aber sein Herr war schon am Zelteingang und schlug die Plane zurück. Magantilliken war nicht da. Nur vier Sklaven in schmutzigen, nassen Pelzjacken starrten ihnen erschrocken entgegen. »Wo ist er?« Die Stimme des Hageren durchschnitt wie ein Peitschenhieb die Stille im Zelt. Die Sklaven duckten sich und wichen furchtsam ein Stück zurück. Gwarn biß sich auf die Lippen. Es gab keine Minute in seinem Leben, in der er Gaddos nicht gehaßt hatte, aber in Augenblicken wie diesem drohte dieser Haß übermächtig zu werden. Die vier Männer hatten nicht die leiseste Ahnung, was dieser Kerl eigentlich von ihnen wollte. Sie konnten gar nicht antworten. Gaddos zog einen der Männer in die Höhe und schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. Der Sklave stöhnte auf. Blut floß aus seiner Nase, und seine dunklen Augen flackerten vor Angst. »Wo ist Magantilliken?« schrie Gaddos
34 mit überschnappender Stimme. »Er ging hinaus, Herr!« stotterte der Sklave und deutete mit seiner zitternden Hand auf den Zelteingang. »Er wollte einen Rundgang machen und die Arbeiten weiter vorne kontrollieren.« Gaddos stieß den Sklaven von sich. Der Mann prallte schwer auf den Boden. Als Gwarn, der wie immer hinter seinem Herrn den Raum verließ, sich noch einmal kurz umsah, schrak er zurück. Die Augen der vier Sklaven waren so voller Haß, daß er diese Blicke fast körperlich spürte. Sie wußten nicht, daß Gwarn sich in derselben scheußlichen Lage befand, sondern hielten ihn für einen Spießgesellen des Hageren. Draußen erwarteten sie die übrigen Männer. Zwei von ihnen hielten einen gut gekleideten Ckorvonen mit ihren Waffen in Schach. »Er kam eben hier an«, erklärte einer der Bewaffneten lakonisch. »Er ist der Leiter der Gruppe.« »Wo ist Magantilliken?« fragte Gaddos erneut. »Er macht eine Inspektion«, erwiderte der andere verwirrt. »Das tut er doch ständig. In ein paar Minuten wird er wieder hier sein.« »Wir warten«, entschied Gaddos rasch. »Zwei von euch gehen hinter das Zelt. Paßt auf, daß er euch nicht entwischt, aber bringt ihn mir lebend zurück, falls er es versuchen sollte. Alle anderen kommen mit in das Zelt.« Die Zeit verstrich unendlich langsam. Immer wieder warf Gwarn einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Das Warten machte ihn fast rasend. Hinzu kam die bedrückende Stille im Zelt. Die vier Sklaven hatten sich beeilt, an ihre Arbeit zurückzukehren. Der Gruppenleiter in seinem graublauen Pelz starrte schweigend vor sich hin. Ab und zu warf er Gaddos einen Blick zu, aber er wagte es nicht, eine Frage zu stellen. »Wo bleibt der Kerl?« wandte Gaddos sich nach einer Weile wütend an den vornehmen Ckorvonen. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ist er aufge-
Marianne Sydow halten worden. Soll ich über Funk nach ihm suchen lassen?« Gaddos zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Noch nicht«, murmelte er. »Ich will ihn nicht warnen. Der Bursche ist gerissen. Wir warten noch ein bißchen.« Aber Magantilliken kam nicht. Endlich rang Gaddos sich doch zu dem Entschluß durch, bei den Fahrern der Raupenschlepper nachzufragen. Das Ergebnis war für Gwarn fast eine Erlösung. Magantilliken befand sich offensichtlich auf dem Weg zur Kugel. Er hatte sich in Begleitung seines Helfers und der seltsamen Maschine von dem Pioniertrupp entfernt und war auf das noch nicht erschlossene Lawinenfeld hinausgegangen. Angeblich suchte er nach dem kürzesten Weg, um die Arbeiten noch schneller voranzutreiben. Der Sklave beherrschte sich eisern, um seinen Triumph nicht zu zeigen. Diesmal würde Gaddos zu spät kommen! Der Hagere allerdings gab so schnell nicht auf. Die Tatsache, daß er dem Fremden nachfahren wollte, sagte Gwarn genug. Es gab außer ihm mindestens noch einen Ckorvonen, der von der Verbindung zwischen Magantilliken und der Kugel wußte. Gaddos hatte begriffen, daß dem angeblichen Lawinenspezialisten aus Grodh nichts ferner lag, als die Ckorvonen zu ihrem Ziel zu führen. Sie kamen schnell voran, solange sie noch den provisorisch geschaffenen Weg benutzen konnten. Dann blieb das letzte Fahrzeug hinter ihnen zurück, und vor ihnen türmten sich Schnee, Eis und Felsbrocken zu fast unüberwindlichen Hindernissen auf. Gwarn hatte die Karte gesehen, auf der Magantilliken selbst den besten Weg über dieses gefährliche Gebiet eingezeichnet hatte. Dort war die Verbindung zur Kugel fast geradlinig. Die Wirklichkeit jedoch sah anders aus. Sie wanden sich zwischen den Hindernissen hindurch und verloren nur deshalb die Orientierung nicht, weil sie sich immer wieder nach den Konturen des Quamendrin richten konnten. Gwarn steuerte den kleinen Wagen verbissen vorwärts. Neben ihm saß Gaddos.
Ein Robot versagt Er blickte fast uninteressiert nach draußen. Die Waffe steckte locker in seinem Gürtel. Für einen Moment dachte der Sklave daran, daß er ebenfalls bewaffnet war, und die flüchtige Idee zuckte in ihm auf, Gaddos umzubringen. Er verwarf den Gedanken. Hinter ihm ratterte das zweite Fahrzeug mit sechs schwerbewaffneten Männern über den unebenen Boden. Sechs Ckorvonen, die Gaddos treu ergeben waren. »Halt!« Der Befehl kam so plötzlich, daß Gwarn fast gegen einen Felsbrocken gefahren wäre. Gaddos stieg aus und ging zu dem zweiten Fahrzeug zurück. Einer der Männer verließ den Schneerutscher und begann, sich an der rissigen Wand des Felsbrockens hochzuhangeln. Oben richtete er sich vorsichtig auf und sah sich um. Gaddos starrte ungeduldig nach oben. Der Ckorvone auf dem Felsbrocken duckte sich plötzlich, dann ließ er sich hastig nach unten gleiten. Die letzten zwei Meter überwand er, indem er in den hier recht weichen Schnee sprang. Gwarn bemerkte, wie durch die Erschütterung von dem Schneeberg auf der linken Seite des Wagens einige Brocken gelöst wurden und vor ihm auf dem Weg kullerten. Er fühlte sich äußerst unbehaglich. »Wir haben sie gleich«, keuchte der Ckorvone, als er vor Gaddos stand. »Sie sind nur noch durch diese Eisbrocken da vorne von uns getrennt. Es sieht aus, als hätten sie Schwierigkeiten. Die kleine Kugelmaschine schwebt zwischen den Brocken herum. Magantilliken und Xonth sitzen auf einem Felsen und warten anscheinend auf etwas. Wir könnten sie leicht überraschen, wenn wir uns trennen und sie von zwei Seiten angreifen.« »Gut«, nickte Gaddos. »Erkläre Gwarn genau den Weg.« Der Sklave merkte sich die Angaben des Bewaffneten und sah sich dann nach Gaddos um. Der Hagere erteilte den Männern im zweiten Wagen genaue Anweisungen. »Wir steigen aus«, erklärte er, als er zu Gwarn zurückkehrte. »Die Motoren sind zu
35 laut.« Gwarn kletterte schweigend aus dem Schneerutscher. Er war froh, jetzt nicht mehr mit verhältnismäßig hohem Tempo über diese gefährliche Fläche rattern zu müssen. Die Männer der zweiten Gruppe verschwanden auf der anderen Seite des Felsbrockens. Gaddos überließ seinem Sklaven die Führung, sobald sie an die ersten Eisbrocken kamen. Er verzichtete sogar darauf, Gwarn zur Eile anzutreiben, denn auch er begriff, daß jeder falsche Schritt tödlich sein konnte. Sie wanden sich durch riesige Blöcke aus trübem Gletschereis. Spalten lagen dazwischen, die sie nicht überspringen konnten. Aber der Ckorvone, der dem Sklaven den Weg erklärt hatte, hatte diese Hindernisse mit einkalkuliert. Unaufhaltsam näherten sie sich der Stelle, an der Magantilliken ahnungslos wartete. Gwarn blieb stehen, als sie den Markierungspunkt erreichten, den man ihm genannt hatte. Mitten in dem Feld aus Gletschereis ragte ein Felsen auf, eine schrägliegende Platte von etwa fünfzig Metern Dicke. Sie stieg auf dieser Seite sanft an. An der Bruchkante am entgegengesetzten Ende sollten Magantilliken und sein Helfer sich aufhalten. Gaddos warf einen Blick auf die Uhr, dann nickte er Gwarn zu. »Geh hinauf!« flüsterte er scharf. »An der Kante richtest du dich kurz auf, dann kommst du zurück.« Der Sklave betrat vorsichtig den von einer dünnen Eisschicht überzogenen Felsen. Während er sich nach oben tastete, merkte er, wie ihm heiß wurde. Ärgerlich schob er die Kapuze zurück. Die Steigung wurde stärker, er mußte sich voll darauf konzentrieren, nicht den Halt zu verlieren. Dicht unterhalb der Kante blieb er für ein paar Sekunden stehen, um wieder zu Atem zu kommen, und erst da merkte er, daß er nicht nur durch die Anstrengung ins Schwitzen geraten war. Die Temperatur stieg! Er warf einen Blick nach oben und er-
36 schrak. Deutlich sah er jetzt am Himmel die dünnen, spiralförmigen Wolkentürme, die sich über die Flanke des Quamendrin schoben und weiter oben zerfaserten. Ein lauwarmer Windstoß fuhr durch die Luft. Die Männer in der Wetterstation hatten sich geirrt. Es würde Sturm geben. Den typischen, heißen Sturm der Berge. Rechts ragte der nackte, glatte Felshang auf. Von dort drohte keine Gefahr. Die Lawine hatte alles mit sich gerissen, was locker war. Aber ein Stück weiter hinten hingen noch dicke Schneefelder über dem Tal. Dort befand sich jetzt der Bergungstrupp. Gwarn dachte an das, was Magantilliken zu der Kugelmaschine gesagt hatte. Er tastete nach der Waffe an seinem Gürtel. Gaddos konnte ihn von hier aus nicht sehen. Wenn er jetzt schoß, war der Fremde gewarnt. Gaddos und seine Leute hatten keine Chance. Und Hilfe kam ganz sicher nicht … Der Sklave biß die Zähne aufeinander. »Für Vaanrhan!« flüsterte er. Er hob die Waffe, zielte auf eine Schneewächte in fast dreihundert Meter Entfernung und schoß. Der Knall brach sich an den Felswänden und kehrte als vielfaches Echo zurück. Gwarn feuerte, bis das Magazin leer war. Er lachte schallend, als er die ersten Schneebrocken fallen sah, schleuderte die leere Waffe von sich und rutschte über die glatte Fläche nach unten. Er sah das entsetzte Gesicht des Hageren vor sich, als er auf ihn zuraste, bemerkte auch die Waffe, die auf ihn gerichtet war und warf sich zur Seite. Ein neuer Schuß zerriß die Stille. Schreie kamen von jenseits der Felsplatte. Gwarn nutzte den ungeheuren Schwung, mit dem er über das letzte Stück des Felsbodens getragen wurde. Er landete nur einen Meter von Gaddos entfernt, der zu überrascht war, um schnell genug reagieren zu können. Die Faust des Sklaven traf den Hageren in der Magengegend. Gaddos klappte zusammen. Die Waffe entfiel seinen Händen. Gwarn bückte sich blitzschnell, und als Gaddos sich aufrichtete, drückte der Sklave ab. Er sah das Loch in der Stirn seines Peini-
Marianne Sydow gers und wußte, daß Gaddos tot war. Er hielt den Atem an, als ihm die Bedeutung dieses Augenblicks zu Bewußtsein kam. Er hatte Gaddos getötet. Sekundenlang war er wie gelähmt, dann schnellte er herum und rannte an dem Felsen entlang. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Vor ihm waren Schreie und wilde Flüche. Er duckte sich an das kalte, rissige Gestein und schob sich behutsam weiter* »Nicht schießen, Isthmy!« gellte Magantillikens Stimme auf. Gwarn lächelte zufrieden. Der Fremde lebte noch, und das war die Hauptsache. Aber er hatte sechs Männer gegen sich, Sie wollten Magantilliken lebend, aber das hieß nicht, daß sie von ihren Waffen keinen Gebrauch machen durften. Ihr Befehl lautete, den Fremden kampfunfähig zu machen. Gwarn kannte die Schergen seines Herrn gut genug. Er mußte Magantilliken helfen, sonst kam der Fremde trotz allem nicht ans Ziel. Er spähte um die Felskante herum. Die Kugel namens Isthmy schwebte in einiger Entfernung über den Eisbrocken in der Luft. Sie rührte sich nicht. Magantilliken und sein Helfer hatten sich nur wenige Meter weiter rechts hinter einem Felsbuckel verschanzt. Die Deckung war ungenügend. Zu Gwarns Verwunderung waren die beiden Fremden tatsächlich unbewaffnet. Jedenfalls machten sie keine Anstalten, die Ckorvonen zu vernichten. Durch eine halbdurchsichtige Eisplatte hindurch sah Gwarn einen dunklen Schatten, der sich langsam vorwärtsbewegte. Das Ziel des Angreifers war klar erkennbar. Er wollte die spärliche Deckung der beiden Fremden umgehen, um sie von rechts her in Schach zu halten. Gwarn grinste böse, hob die Waffe und zielte sorgfältig, Magantilliken und Xonth blickten in die falsche Richtung und würden den herbeischleichenden Ckorvonen zu spät bemerken. Gwarn wartete, bis der andere an eine Stelle kam, die er nur mit einem schnellen Sprung überwinden konnte. Er schoß, sah seinen Gegner zusammenbrechen und robbte hastig näher an Magantilli-
Ein Robot versagt ken heran. Hinter einem Eisblock blieb er liegen. Er hielt nach seinem nächsten Opfer Ausschau. Ein Schuß krachte, und dicht neben dem rechten Ohr des Sklaven spritzten einige scharfe Eissplitter ab. Gwarn zog den Kopf ein und rollte sich zur Seite. Er entdeckte den Schützen, der gerade erneut auf ihn anlegte. Gwarn war der Schnellere, und nun gab es nur noch vier Gegner. Er versuchte, sie zwischen den Eisbrocken zu erkennen, aber die Schergen Gaddos' waren inzwischen vorsichtiger geworden. Sie hatten begriffen, daß es einer der Ihren war, der sich unerwartet auf die Seite des Henkers stellte. Nachdem auch sie gemerkt haben mußten, daß Magantilliken erstaunlicherweise kaum Widerstand leistete, war das ein schlimmer Schock. Gwarn verlor allmählich die Geduld. Von weit her hörte er unheilverkündende Geräusche. Ein dumpfes Rumoren lag in der Luft. Das Eis unter ihm vibrierte von Zeit zu Zeit. Der Wind wurde stärker und jagte kleine Schneebröckchen über die Spitzen der Eisblöcke. Sie mußten diesen Ort verlassen, ehe es zu spät war. Er sah sich nach Magantilliken um und stellte erschrocken fest, daß Xonth inzwischen davongeschlichen war. Der Fremde selbst saß ungerührt auf seinem Platz. Um den schmalen Mund spielte ein spöttisches Lächeln. Links polterte ein Eisbrocken über den Boden. Der Sklave fuhr herum und sah einen Schatten auf sich zufliegen. In einem Reflex hob er die Waffe und drückte ab. Erst als der schwere Körper auf den Boden prallte, erkannte er seinen Fehler. Er hatte Xonth getötet. Ehe er seine Fassung wiedergewinnen konnte, schlangen sich von hinten zwei Arme um ihn und drückten ihn hart zu Boden. »So, Freundchen«, wisperte eine scharfe Stimme an seinem Ohr. »Jetzt reicht es langsam!« Gwarn verrenkte sich fast den hals, um das Gesicht seines Gegners erkennen zu
37 können. Es war Magantilliken! Wieder bellte ein Schuß. Der Fremde lächelte böse und schlug Gwarns Handgelenk gegen eine Eiskante. Die Waffe fiel in einen Schneeflecken. Magantilliken ergriff sie, ohne den Sklaven dabei aus dem Griff zu lassen. »Aufstehen!« befahl der Fremde leise. »Los jetzt, oder soll ich dir Beine machen? Sag deinen Freunden, sie sollen sich umgehend hier einfinden und ihre Waffen abliefern. Und sie sollen sich beeilen, denn ich habe keine Lust, dieses Spiel noch länger mitzumachen. Kommen sie nicht, so stirbst du.« »Das hilft Ihnen nicht weiter«, keuchte Gwarn verzweifelt. Er verstand nicht, wie dieser Fremde so begriffsstutzig sein konnte. Er mußte doch gemerkt haben, daß Gwarn ihm nur helfen wollte. Warum stellte er sich nicht auf seine Seite? »Das solltest du mir überlassen«, lächelte der Fremde kalt. »Steh endlich auf!« Gwarn glaubte, einen Film zu sehen, der ungeheuer schnell vor seinen Augen ablief. Ihm war schwindelig. Mühsam raffte er seine Kräfte zusammen und kam taumelnd auf die Füße. Er öffnete den Mund im selben Moment, in dem der Schuß krachte, merkte, daß er fiel, und wunderte sich darüber, daß er keinen Schmerz spürte. Erst als er das Knirschen unter seinen Füßen hörte, erkannte er die Wahrheit. Magantilliken huschte wie ein Schatten über den bebenden, gleitenden Boden. Gwarn hörte ihn nach seiner Wundermaschine rufen und lächelte versonnen. Es war sinnlos, jetzt noch zu fliehen. Das Lawinenfeld war in Bewegung geraten. Niemand konnte das kommende Unglück überleben. Plötzlich fühlte er die grenzenlose Erschöpfung. Er ließ sich zurücksinken und schloß die Augen. Er dachte an Gaddos, der weiter hinten im Schnee lag, mit einem dunklen Loch in der Stirn. Für einen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen. Ein urwelthaftes Krachen riß ihn aus der Ohnmacht.
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Die Felsplatte, an deren Fuß er lag, senkte sich herab, zuerst langsam, dann immer schneller. Tiefe Risse durchzogen das ganze Gebiet, Eis und Schnee stürzten in die Spalten, Felsbrocken setzten sich in Bewegung, als seien sie rachsüchtige Monstren, die alles zerstören wollten, was nach der ersten Katastrophe noch übriggeblieben war. Aber davon merkte Gwarn nichts mehr. Es dauerte einen halben Tag, ehe wieder Ruhe eintrat. Ein heftiger Schneesturm kam auf und verwischte die letzten Spuren. Als gegen Mitternacht auch das vorüber war, regte sich im Woronongtal nichts mehr. Der Quamendrin hatte diese ungleiche Schlacht für sich entschieden.
6. »Das kommt davon«, meinte Isthmy schadenfroh, »wenn man unbedingt Rücksicht auf ein paar unterentwickelte Wilde nehmen will.« Magantilliken rieb sich die schmerzende Stirn und holte ein flaches Päckchen aus der Jackentasche. Nachdenklich musterte er das reichhaltige Angebot an farbigen Gelatinekapseln und stellte sich dann eine kleine Mahlzeit zusammen. Konzentrierte Nahrung, Wasser, ein schmerzstillendes Mittel und eine milde Droge, die Ordnung in seine Gedanken bringen sollte. Daß er eine Reihe von Fehlern begangen hatte, wußte er, aber noch störte es ihn nicht besonders. Er hatte Zeit verloren, hielt die ihm gesetzte Frist jedoch für ausreichend. »Wie weit ist es bis zur Oberfläche?« fragte er, ohne auf die Bemerkungen des Kugelroboters einzugehen. »Zehn Meter«, knarrte Isthmy. »Und die Gefühlsbasis?« »Ist inzwischen ziemlich weit von uns entfernt. Wir sind mit dem Lawinenstrom talwärts geglitten, während die Station an Ort und Stelle geblieben ist. Der Schacht wurde verschüttet. Die Erinnye ist gerade dabei, einen neuen Zugang anzulegen.« »Dann stimme die Zeiten mit ihr ab und
sorge dafür, daß wir im richtigen Moment am Treffpunkt sind. Diesmal möchte ich den Schacht offen vorfinden, damit keine neuen Wartezeiten entstehen.« Isthmy schwieg einige Sekunden. »Alles in Ordnung«, meldete er dann. »In ein paar Minuten kann ich anfangen.« Sie befanden sich in einem Hohlraum innerhalb des Lawinenfeldes. Von allen Seiten her waren sie von Eisbrocken eingeschlossen. Ab und zu lösten sich noch kleine Stücke aus der Decke der Kaverne, aber Isthmy hatte den Varganen in seinem Schutzschirm mit eingeschlossen, so daß Magantilliken vor unliebsamen Überraschungen sicher war. »Es war ausgesprochen dumm von dir, dich mitten in der Lawine zu verkriechen, statt die Flucht nach oben anzutreten«, bemerkte der Henker. »Wir hätten uns viel Arbeit erspart.« »Allerdings. Vor allen Dingen könntest du dir keine Sorgen mehr machen und auch nicht mehr an mir herumkritisieren. Die Lawine und der anschließende Schneesturm wären nämlich für ein organisches Wesen wie dich tödlich gewesen. Ja, wenn du den Schutzanzug nicht zurückgelassen hättest …« »Dann wäre ich keine zehn Schritt weit in das Lager der Ckorvonen gekommen!« »Man hat dich auch so entlarvt«, stellte Isthmy trocken fest. »Weil selbst die Ckorvonen sich nicht vorstellen können, daß es eine so idiotische Maschine wie dich auf ihrem Planeten geben soll«, gab Magantilliken giftig zurück. »Ich nehme an, mit der idiotischen Maschine meinst du mich. Nun, immerhin habe ich dir das Leben gerettet.« »Was lediglich eine Erfüllung deiner einfachsten Pflichten war.« »Das stimmt«, gab Isthmy zu. »Aber ohne deinen Leichtsinn wärst du in eine solche Gefahr gar nicht gekommen. Du hast mir nicht einmal erlaubt, auf die Ckorvonen zu schießen, als sie dich angriffen.« »Ein Energieschuß hätte sofort eine Lawi-
Ein Robot versagt ne ausgelöst!« »Ich habe nicht geschossen, und trotzdem sind wir verschüttet. Außerdem hätte ich die Fremden ja auch paralysieren können.« »Du vergißt, daß Xonth und ich dabei ebenfalls handlungsunfähig geworden wären«, zischte Magantilliken wütend. »Wir saßen mitten im Zentrum …« »Mit Schutzanzug wäre das kein Problem gewesen«, unterbrach Isthmy seinen Herrn. »Wenn du ihn nicht zurückgelassen hättest, dann …« »Schluß!« brüllte Magantilliken wild. Die Schallschwingungen reichten aus, um wieder einen Schauer kleiner Eisbrocken aus der Decke zu lösen. »Halt endlich den Mund, du verdammter Blechkasten. Mach dich an die Arbeit, oder ich zerbeule deine Außenhülle!« »Womit denn?« kicherte der Roboter schrill. »Mit deinen Fäusten? Du würdest dir höchstens die Handgelenke verstauchen.« Der Henker zwang sich, keine Antwort mehr zu geben. Es war völlig unsinnig, sich auf Diskussionen mit Isthmy einzulassen. Doppelt unsinnig, sich über dessen Behauptungen zu ärgern. Magantilliken atmete auf, als Isthmy endlich begann, einen Ausgang aus dieser kleinen Eishöhle zu schaffen. Selbst wenn man nicht unter Platzangst litt, konnte man sich an einem solchen Ort unmöglich wohl fühlen. Er tastete nach dem Armbandgerät, das bis auf einige nützliche Kleinigkeiten in seinen Taschen zur Zeit seine gesamte Ausrüstung darstellte. Es war paradox, daß diese hochwertigen Erzeugnisse der varganischen Technik auf diesem primitiven Planeten fast völlig ihre Bedeutung einbüßten. Er vermochte es, ein Schirmfeld um sich zu errichten, das ihn vor energetischen Waffen aller Art schützte – aber die Ckorvonen verwendeten altertümliche Gewehre, gegen deren Projektile Magantilliken machtlos war. Er konnte sich auch in ein Antischwerkraftfeld hüllen, aber aus irgendeinem Grund funktionierte der Deflektor nicht mehr. Magantilliken mochte an den Schalter herumhantieren,
39 soviel er wollte, er war und blieb sichtbar. Ein fliegender Mann aber war etwas, was diese schießwütigen Ckorvonen zweifellos sofort als lohnendes Ziel identifizierten. Das winzige Gerät beeinflußte außerdem jedes feindliche Robotgehirn, schützte seinen Träger vor der Erfassung durch energetische Sicherheitssysteme und öffnete selbst die kompliziertesten positronischen Schlösser – aber das alles waren Dinge, die man auf Xertomph erst noch erfinden mußte. Kurz: Der Henker, sonst seinen Gegnern stets weit überlegen, war darauf angewiesen, sich auf seine eigenen Fähigkeiten zu verlassen. Was er auch tat. Trotzdem kam er allmählich zu der Erkenntnis, daß er die Ckorvonen unterschätzt hatte. Nun, dachte er, das macht nicht viel aus. Bald sind wir oben, und dann ist die Aktion so gut wie erledigt. Die Eingeborenen werden sich hüten, es noch einmal mit diesem verdammten Berg aufzunehmen. »Kopf weg!« schrie der Roboter. Magantilliken warf sich hastig zur Seite, aber er konnte es nicht verhindern, daß eine riesige Ladung Schnee ihn fast unter sich begrub. Wütend wühlte er sich aus dem kalten Zeug. Isthmy kam langsam herabgeschwebt. Seine Sehwellen glitzerten, und Magantilliken hegte den üblen Verdacht, daß diese Maschine ihn zum Narren halten wollte. »Der Schacht ist fertig«, verkündete die Kugel ungerührt. »Wie sieht es oben aus?« »Die Gegend hat sich ziemlich verändert. Außerdem sind wir weiter abgetrieben worden, als ich dachte.« »Du denkst?« fragte der Topoyther höhnisch. Isthmy überging die Bemerkung großzügig. »Wir befinden uns fast am Ende des Lawinenfeldes«, fuhr er seelenruhig fort. »Draußen liegt der Schnee meterhoch.« »Das habe ich gemerkt. Warum hast du deinen Strahler nicht eingesetzt?« »Mein Waffensystem wurde bei einem Anprall beschädigt und ist zur Zeit nicht ein-
40 satzfähig«, erwiderte Isthmy. Magantilliken zuckte zusammen. Bis zu diesem Augenblick hatte er es für selbstverständlich gehalten, daß Isthmy völlig unversehrt geblieben war. »Du hattest genug Zeit, um dich zu regenerieren«, stellte er mißtrauisch fest. »Die Schäden sind zu schwerwiegend. Ich kann sie mit meinen Mitteln nicht beseitigen.« Jetzt war der Vargane alarmiert. Isthmy legte grundsätzlich ein Verhalten an den Tag, das für einen Roboter zumindest ungewöhnlich war. Das hätte ihn aber nicht daran hindern dürfen, seinen Herrn eingehend zu informieren. Magantilliken setzte zu der Frage an, welche Teile der Kugel sonst noch außer Betrieb waren, hielt dann aber den Mund. Er wußte zu genau, daß er sich auf' Isthmy von nun an nicht mehr voll verlassen durfte. Das war fatal. »Gehen wir«, murmelte der Tropoyther nachdenklich. Isthmy schwebte voran. Sie verließen den Schacht. Magantilliken war jetzt vorsichtiger denn je. Er rechnete mit allerlei Überraschungen, und er hatte sich nicht getäuscht. Über den Rand des Loches hinweg erkannte er in geringer Entfernung mehrere runde Schneehügel, die verdächtig gleichmäßig angeordnet waren. Isthmy schwebte regungslos ein Stück über ihm. »Ortung?« fragte Magantilliken unruhig. Der Roboter schwieg. Der Tropoyther überlegte fieberhaft, aber er fand keinen Ausweg. Er mußte zu der Gefühlsbasis vordringen, und die seltsamen Schneehaufen versperrten ihm den Weg. Langsam schob er sich weiter aus dem Loch heraus. Er hatte den Schacht fast verlassen, als Isthmy ihn durch eine ungeschickte Bewegung ins Trudeln brachte. Das rettete dem Henker das Leben. Plötzlich waren die Schneehaufen verschwunden. An ihrer Stelle standen Ckorvonen in weißen Pelzen, die klobige Waffen in den Händen hielten. Es ratterte und knallte. Rings um den Henker spritzte der Schnee
Marianne Sydow hoch. Magantilliken regulierte hastig die Einstellung des Antigravgerätes in seinem Armband. Irgendwie gelang es ihm, unversehrt in den Schacht zurückzuweichen. Er blickte nach oben und sah Isthmy, der noch immer die Stellung hielt, obwohl Dutzende von Projektilen gegen seine Außenhülle prallten. Die Geschosse konnten das hochwertige Material nicht durchdringen, aber auch der Roboter vermochte es kaum, den Ckorvonen etwas anzuhaben. Er hätte sie höchstens mit seinen Handlungsarmen unschädlich machen können, aber es gab zu viele Angreifer. »Isthmy!« schrie der Vargane hinauf. Er hoffte, daß der Roboter trotz des Lärms seine Stimme identifizierte und verstand. »Setz dich mit der Erinnye in Verbindung und erkläre ihr die Situation. Anschließend kehrst du zum Schiff zurück und strahlst eine Meldung nach Yarden, ab. Sie sollen über Transmitter jemanden in die Gefühlsbasis schicken. Anschließend läßt du dich an Bord reparieren. Erst dann nimmst du wieder Verbindung mit mir auf. Schwirr ab!« Der Roboter gab keine Antwort. Magantilliken sah ihn in unsicherem Flug davontaumeln, immer wieder von den Geschossen der Eingeborenen aus der Bahn geworfen, und ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend befiel ihn. Nun stand er ganz allein gegen eine Meute von wütenden Ckorvonen. Kaum war Isthmy verschwunden, da wurde der Beschuß eingestellt. Vorsichtig spähte der Vargane über den Rand des Schachtes. Die Ckorvonen hatten das Loch umstellt. »Kommen Sie heraus!« befahl eine bis zur Unkenntlichkeit vermummte Gestalt. »Aber mit erhobenen Händen, wenn ich bitten darf.« Magantilliken befolgte den Befehl. Noch immer hatte er die geringe Hoffnung, sich aus eigener Kraft befreien zu können. Sobald die Eingeborenen meinten, ihren Gefangenen nun sicher zu haben, wollte er seine Kenntnisse in der Kunst des Nahkampfs
Ein Robot versagt anbringen. Aber auch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch, denn ehe er noch in die Reichweite der Ckorvonen kam, sauste ein langes Seil durch die Luft. Ein zweites folgte, und Sekunden später war der Henker der Varganen so fest verschnürt, daß er keinen Finger mehr zu rühren vermochte. Man verstaute ihn auf einem leichten, schlittenähnlichen Gefährt und transportierte ihn ab. Am Ende des Lawinenfelds wartete ein klobiges Fahrzeug mit einem kastenförmigen, metallenen Aufbau. Aber Magantilliken wurde wider Erwarten nicht sofort eingesperrt, sondern erst zu einem Mann gebracht, der offensichtlich Gaddos' Stelle eingenommen hatte. Der Kerl hatte wohl die Absicht, ein kleines Psychospiel zu veranstalten. Er stand regungslos da, starrte den Varganen an und sagte lange Zeit kein Wort. Magantilliken gab die Blicke des Eingeborenen kalt und scheinbar gleichgültig zurück. »Ihr Spiel ist aus«, sagte der andere endlich. »Sie werden keine Gelegenheit mehr erhalten, weiteres Unheil anzurichten. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken. Die Verbrechen, derer man Sie beschuldigt, werden Ihnen einen äußerst unangenehmen Tod einbringen. Sie haben Sabotage an einem staatlichen Projekt verübt, den Tod von einigen tausend Bürgern des Landes Frinalhan verschuldet und Gaddos ermordet. Der Materialschaden läßt sich noch nicht abschätzen.« Der Vargane schwieg. Er hielt es für unter seiner Würde, auf diese unsinnige Anklage zu antworten. Die Ckorvonen waren an ihrem Mißgeschick selbst schuld. Die Drohung, man würde ihn töten, ließ den Henker vorerst ungerührt. Noch hatte er wenigstens das Armbandgerät, und es war bisher noch niemandem gelungen, ihn für längere Zeit in einem Gefängnis festzuhalten. Die Ckorvonen würden ihn nicht einen Kopf kürzer machen, ehe sie ihm nicht einige seiner Geheimnisse entlockt hatten. Es blieb ihm also eine Galgenfrist. Bis dahin war gewiß auch Isthmy wieder zur Stelle. Die Anlagen an Bord des Doppelpyramidenschiffs konnten die entstandenen Schäden innerhalb kürze-
41 ster Zeit beheben. »Es wird übrigens gleich einen ziemlichen Knall geben«, fuhr der Ckorvone gleichmütig fort. »Teihendru hat sich erlaubt, ihr herrliches Schiff suchen zu lassen. Das Versteck war nicht besonders originell. Natürlich gehen wir nicht das Risiko ein, uns diesem Flugkörper persönlich zu nähern. Eine ferngesteuerte Rakete mit einer Atombombe an Bord wird uns die Arbeit abnehmen.« Magantilliken preßte die Lippen aufeinander und bemühte sich verzweifelt, in diesem Augenblick die, Beherrschung nicht zu verlieren. Das war tatsächlich ein harter Schlag für ihn. Der Eingeborene zückte umständlich einen Zeitmesser. Langsam hob er die Hand. Es wurde totenstill. Selbst Magantilliken hielt unwillkürlich den Atem an, als die Hand des Ckorvonen plötzlich nach unten fuhr. Zuerst geschah nichts. Dann zuckte ein greller Blitz über den Himmel. Jenseits der Berge quoll eine dunkle Wolke auf, die schnell eine nur allzu vertraute Form annahm. Erst viel später folgte der Donner der Explosion. Magantilliken zwang sein Nervensystem gewaltsam zur Ruhe. »Sie sehen hoffentlich ein, daß wir nicht mit uns spielen lassen«, bemerkte der Ckorvone mit einem strahlenden Lächeln. »Vielleicht sind wir in Ihren Augen tatsächlich nichts als dumme Halbwilde, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Sie sich nunmehr in unserer Gewalt befinden. Sie werden uns noch sehr viel zu erzählen haben.« Er nickte einem anderen Eingeborenen zu. Magantilliken sah ein blitzendes Instrument in dessen Hand. Er konnte der dünnen Nadel nicht ausweichen. Wie ein Feuerstrom durchraste ein Medikament seine Adern, dann schienen sich die Ckorvonen in rasendem Tempo von ihm zu entfernen, bis sie nur noch die Größe winziger Insekten besaßen. Ein dumpfes Dröhnen riß den Varganen in einen Strudel aus Licht und Farben, bis er in die absolute Finsternis der Bewußtlosig-
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keit geschleudert wurde.
* »Wachen Sie auf!« Er lag auf einer harten Pritsche. Ihm war kalt. Auf der nackten Haut spürte er das unangenehme Kratzen einer rauhen Decke. Die Wände, die ihn umgaben, waren aus massivem Stein gehauen. Hinter einem metallenen Gitter mit feinen Maschen hingen eine Lampe, ein Lautsprecher und ein Mikrophon. Es gab keine Möbel, nicht einmal einen Tisch. Am Fußende seines Lagers entdeckte Magantilliken ein paar graue Kleidungsstücke. Auf dem Steinboden standen Schuhe, die hart und unbequem aussahen. Im ersten Moment wußte er nicht, wie er hierhergekommen war und welche Bedeutung der Raum hatte. Als ihm endlich die Wahrheit dämmerte, richtete er sich erschrocken auf. Seine Kleidung war verschwunden, das Armbandgerät hatte man ihm abgenommen. Damit waren seine letzten Hilfsmittel verloren. Er fluchte unterdrückt, aber ein gehässiges Lachen aus dem Lautsprecher brachte ihn rasch zum Schweigen. »Das hätten Sie sich nicht träumen lassen, wie?« klang eine kalte Stimme auf. »Sie sitzen fest, Magantilliken. Ich weiß, daß Sie ein großartiger Kämpfer sind, aber gegen diese Wände läßt sich mit Muskelkraft nichts ausrichten. Die Dinge, die wir in Ihren Taschen fanden, werden im Augenblick sehr intensiv untersucht. Ich weiß, daß Sie aus dem Weltraum zu uns kamen. Sie verfügen über Kenntnisse, die ich haben will.« »Warum?« »Das ist eine dumme Frage. Um der Herrscher über diesen Planeten zu werden, was sonst?« »Dann sind Sie also dieser machtgierige Diktator Teihendru, über den ich so viele Ihrer Leute habe schimpfen hören.« »Sie sollten nicht versuchen, mich zu reizen, Magantilliken«, sagte Teihendru leise. »Vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Leben von
nun an gestalten kann, wie es mir Spaß macht. Man sagt von mir, ich hätte einen Hang zur Grausamkeit. Solche Gerüchte sind mir nur willkommen. Mein Volk zittert vor mir, und gerade deshalb leistet es auch sehr viel. Aber wechseln wir das Thema. Interessiert es Sie nicht, warum wir Sie so schnell durchschaut haben?« »Ich kann es mitdenken«, murmelte der Vargane unwillig. »Meine Tochter gab mir die ersten Hinweise. Ich hätte ihr vermutlich kein Wort von ihrer phantastischen Geschichte geglaubt, aber kurz darauf meldete sich ein Fallensteller, der Sie beim Diebstahl überrascht hatte. Nun, ich schickte ein paar Flugzeuge los, die mir hervorragende Aufnahmen von der Ebene der Tempel mitbrachten. Es war alles ganz einfach.« »Es war ein Fehler, das Raumschiff zu zerstören«, bemerkte Magantilliken. »O nein«, wehrte Teihendru ab. »Dieses Fahrzeug war mir entschieden zu gefährlich. Solange es sich auf unserem Planeten befand, hatten Sie immer einen Rückhalt. Erstens hätten Sie Xertomph jederzeit verlassen können, und zweitens war das Schiff ein deutlicher Wegweiser für alle, die etwa nach Ihnen suchen sollten.« Magantilliken lachte leise vor sich hin. Der ganze Irrsinn der Situation kam ihm zu Bewußtsein. Dieser kleine Diktator bildete sich tatsächlich ein, einen hervorragenden Fang gemacht zu haben. Er wußte nichts von der tejonthischen Flotte, die in wenigen Tagen in das System eindringen würde. Wenn die Gefühlsbasis bis dahin nicht repariert war, würde Teihendru vermutlich mehr Raumschiffe zu sehen bekommen, als ihm lieb war. Und nicht nur Schiffe, sondern auch Waffen. Abgesehen davon, daß es gleichgültig war, ob die verwirrten Tejonther sich auf Xertomph austobten oder nicht. Ohne den Kreuzzug nach Yarden war auch Teihendrus Herrschaft beendet. »Was wollen Sie von mir?« fragte der Henker abweisend. »Das sagte ich bereits. Technische Infor-
Ein Robot versagt mationen. Besonders interessieren mich Waffen aller Art.« »Sie werden Ihnen nichts mehr nützen, wenn Sie mich nicht sofort freilassen.« »So?« Magantilliken hörte den spöttischen Unterton heraus. Es war sinnlos. Teihendru hatte sich in seiner Idee festgerannt und würde ihm nicht einmal zuhören. Außerdem wußte er viel zu wenig über die kosmischen Zusammenhänge, als daß er die Folgen seines Vorgehens verstehen konnte. Dennoch mußte der Vargane es versuchen. Die Existenz einer ganzen Welt hing davon ab. »Ich muß in die Station eindringen!« erklärte Magantilliken eindringlich. »Die Kugel unter dem Schnee ist ungeheuer wichtig. Sie muß innerhalb der nächsten vier Tage ihre Arbeit aufnehmen. Teihendru, ich warne Sie! Es geht nicht um Sie oder um mich, sondern um das Leben unzähliger Wesen. Ich werde dafür sorgen, daß mein Volk sich um Sie kümmert. Sie sollen Waffen haben, soviel Sie wollen. Aber lassen Sie mich meine Arbeit tun. Xertomph und viele andere Planeten werden sonst aufhören zu existieren!« »Ach nein«, sagte Teihendru freundlich. »Was Sie nicht sagen! Mir scheint, ich habe versehentlich einen der legendären Götter eingesperrt. Mich wundert nur eines: Wenn Ihre Macht tatsächlich so ungeheuer groß ist, warum haben Sie sich dann so leicht übertölpeln lassen?« Magantilliken schwieg. Jedes weitere Wort wäre Zeitverschwendung gewesen. »Nun«, begann Teihendru beschwingt. »Ich schlage vor, wir überlassen das Ausspinnen von Märchen den alten Weibern und wenden uns wieder dem Kern dieses Gesprächs zu. Sind Sie bereit, für mich zu arbeiten?« Der Vargane antwortete auch jetzt nicht. »Sehr entgegenkommend sind Sie nicht«, stellte Teihendru unbeeindruckt fest. »Aber das macht nichts. Noch haben Sie Zeit, es sich zu überlegen. Wenn Sie vernünftig sind, können Sie sich Ihre Zukunft sogar recht an-
43 genehm gestalten. Wenn nicht – aber das dürfen Sie sich selbst ansehen, denn sonst glauben Sie mir am Ende nicht. Ich will Ihnen nur soviel verraten: Wir verfügen über ein Mittel, das jeden zum Sprechen bringt. Das Traurige daran ist nur, daß jemand, der dem Einfluß der Niava-Kristalle einmal ausgesetzt wurde, für den Rest seines Lebens eine Hülle ohne Geist ist. Ein lallender Idiot, der nicht einmal fähig ist, die einfachsten Dinge zu tun. Das wäre doch ein sehr unwürdiges Ende für einen Mann von den Sternen, in dessen Händen das Schicksal so vieler Planeten ruht, nicht wahr?« Teihendru kicherte höhnisch, dann riß das Geräusch abrupt ab. Magantilliken stützte den Kopf in die Hände und starrte blicklos zu Boden. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg. Die Lage war hoffnungslos. Zwar bestand die Möglichkeit, daß die Gefühlsbasis doch noch rechtzeitig in Betrieb gesetzt wurde, aber an seinem persönlichen Schicksal änderte sich dadurch wenig. Selbst wenn man ihn aus den Klauen dieses machtgierigen Diktators befreite, würde er durch eine solche Rettung nur vom Regen in die Traufe geraten. Er hatte seine Chance, in die Eisige Sphäre zurückkehren zu dürfen, verspielt. Alle seine Bemühungen waren erfolglos geblieben. »Teihendru!« Im Lautsprecher knackte es. »Sie wünschen mich zu sprechen, edler Herr?« fragte der Diktator höhnisch. »Ich nehme Ihr Angebot an. Lassen Sie mich heraus, damit ich mit der Arbeit beginnen kann.« Das Gelächter des Ckorvonen sprengte fast den Lautsprecher aus seiner Fassung. »Köstlich!« keuchte Teihendru, als er wieder zu Atem gekommen war. »Ich lasse Sie heraus, Sie beginnen mit der Arbeit, und deren erster Teil besteht darin, daß Sie sich einen schnellen Fluchtweg suchen. Halten Sie mich wirklich für so dumm? Ich lasse Ihnen Schreib- und Zeichenmaterial in die Zelle bringen, und wenn Sie brav sind, er-
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Marianne Sydow
laube ich Ihnen in ein paar Wochen den ersten Spaziergang.« Die Erinnye wanderte ruhelos durch die stillen Räume der Station. Der Kontakt zu Magantilliken war abgerissen. Isthmy hielt sich oben versteckt. Er berichtete vom Abzug der Eingeborenen, die nun, da sich der Vargane in ihrer Gewalt befand, anscheinend das Interesse an der geheimnisvollen Kugel unter dem Schnee verloren hatten. Der Schacht war fast fertiggestellt, aber es gab niemanden, der ihn benutzen konnte. Höchstens die Erinnye selbst würde sich durch ihn an die Oberfläche begeben, um jenen verzweifelten Impuls nach Yarden abzustrahlen, der die Tropoythers über die Situation auf Xertomph aufklärte und gleichzeitig den komplizierten Robotkörper in eine Glutwolke verwandelte. Es blieben noch drei Tage bis zum Eintreffen der Tejonther, und die Zeit verging schnell. Ein leiser Gongschlag rief die Erinnye in die Zentrale. Ein Bildschirm hatte sich aktiviert und zeigte das Innere der Transmitterkammer. Die beiden Fremden waren endlich eingetroffen. Blitzschnell entwickelte der ätherisch wirkende Roboter einen Plan, durch den alle Schwierigkeiten gelöst werden konnten.
7. Ein Sog, der sie unwiderstehlich davonwirbelte, Dunkelheit, dann ein glühender Wirbel, in dessen Mittelpunkt sie geschleudert wurden, unerträgliche Schmerzen und schließlich die erlösende Stille einer tiefen Ohnmacht – das waren ihre letzten Eindrücke. Als sie wieder zu sich kamen, befanden sie sich in einem lichtdurchfluteten Raum. Die fremdartigen Kontrollelemente an den Wänden schienen sie mit ihren bunten Lichtern höhnisch anzublinzeln. »Wo sind wir?« fragte Crysalgira benommen. »In einer varganischen Station«, vermutete Atlan. Er wollte sich den Schweiß von der
Stirn wischen, stieß jedoch mit dem Handrücken gegen den Helm des tejonthischen Raumanzugs, den er immer noch trug. Ein rascher Blick auf die Kontrollsysteme vermittelte ihm zweierlei Erkenntnisse. Erstens war der Raum um sie herum mit einer atembaren Atmosphäre gefüllt. Zweitens war fast gar keine Zeit vergangen, seitdem sie die Gefühlsbasis im Mithuradonk-System betreten und dort Bekanntschaft mit einer neuen teuflischen Falle der Varganen gemacht hatten. »Die tejonthische Flotte …«, begann Crysalgira, die sich überdeutlich an die kritische Situation auf dem luftleeren Trabanten erinnerte. »Die Tejonther sind wir erst einmal los«, unterbrach Atlan das Mädchen und klappte den Helm zurück. In tiefen Zügen sog er die frische Luft ein. »Das Mithuradonk-System dürfte ebenfalls weit entfernt sein. Man hat uns durch einen Transmitter geschickt.« Die arkonidische Prinzessin wußte, daß man im Großen Imperium fieberhaft an der Entwicklung eines solchen Geräts arbeitete. Bisher waren alle Bemühungen erfolglos geblieben. »Diese Varganen werden mir immer unheimlicher«, gestand sie leise. »Sie müssen uns technisch unvorstellbar weit überlegen sein!« »Das sind sie auch«, versicherte Atlan grimmig. »Das Traurige daran ist nur, daß sie ihre hervorragenden Kenntnisse nicht für vernünftige Ziele einsetzen. Aber lassen wir das. Suchen wir lieber nach einem Ausgang.« Es wurde ihnen sehr schnell klar, daß sie ohne fremde Hilfe diesen Raum nicht verlassen konnten. Atlan kannte sich mit der varganischen Technik inzwischen ganz gut aus, und die Betätigung eines Türkontakts bedeutete kein Problem für ihn. Das Schott jedoch reagierte auf seine Bemühungen überhaupt nicht. »Vielleicht ist die Station längst verlassen«, überlegte Crysalgira ängstlich. »Wer weiß, in welcher Ecke dieses Universums
Ein Robot versagt wir gelandet sind. Wie groß ist eigentlich die Reichweite solcher Transmitter?« »Ich weiß es nicht.« Atlan dachte unwillkürlich an den Planeten der Vulkanbäume, die Robotstation und das dort aufgestellte Gerät, das ihn mitten in den Palast des Kyriliane-Sehers befördert hatte. Er glaubte, das Gesicht dieses varganischen Mutanten vor sich zu sehen, die riesigen Kristalle, die dem vom Wahnsinn zerfressenen Unsterblichen die verlorengegangenen Augen ersetzten, und er schüttelte sich. »Die einzige Bekanntschaft mit einem Transmitter«, fuhr er hastig fort, »bei der ich hätte Vergleiche anstellen können, liegt erstens sehr lange zurück und läßt sich zweitens mit der bestehenden Situation nicht vergleichen, denn es waren keine technischen Geräte daran beteiligt. Fartuloon besaß einmal einen großen, sehr ungewöhnlichen Kristall. Er nannte ihn Omirgos. Mit Hilfe dieses Kristalls ließen sich ähnliche Effekte erreichen, wie wir sie eben erlebt haben.« Atlan kam nicht dazu, Einzelheiten über dieses Erlebnis preiszugeben, denn völlig unerwartet öffnete sich das Schott. »Ihre Geschichte ist sehr interessant«, bemerkte das von durchsichtigen Schleiern umwehte, mädchenhaft zarte Geschöpf, das halb schwebend, halb tänzelnd in der Türöffnung erschien. »Ich würde sie mir gerne in Ruhe anhören, aber leider drängt die Zeit.« Crysalgira krallte die Finger der rechten Hand in Atlans Arm, und auch der Arkonide wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Erinnye blieb einige Schritte vor ihnen stehen und vollführte scheinbar sinnlose Bewegungen mit den Armen. Atlan vermochte die Augen nicht von ihr zu wenden. Die dünnen Schleier schimmerten und änderten bei jeder Bewegung ihre Strukturen. Er glaubte, eine ferne Musik zu hören. Die Bewegungen des erstaunlichen Roboters bekamen einen Sinn. Sie wurden zu einem eigenartigen Tanz, der Atlan völlig in seinen Bann schlug. Komm zu dir, du Narr! befahl sein Extra-
45 hirn mit schmerzhafter Intensität. Der Arkonide blinzelte verwirrt. Schlagartig war die Musik verschwunden. Die Erinnye wedelte immer noch mit den Armen, aber der Tanz hatte seine Wirkung verloren. »Genug!«. Die Stimme des Arkoniden durchdrang wie ein Schrei die absolute Stille. Die Erinnye erstarrte mitten in der Bewegung. Crysalgira stand wie gebannt an ihrem Platz, und der leere Blick in ihren Augen bewies, daß sie dem Einfluß des Roboters erlegen war. Atlan packte das Mädchen bei den Schultern und zog es zur Seite. Die Arkonidin zuckte zusammen und stöhnte unterdrückt auf. »Dieses Biest …«, stieß sie hervor, aber in derselben Sekunde hatte auch die Erinnye sich wieder gefangen. »Es ist sehr bedauerlich«, stellte sie fest. »Sie hätten sich nicht dagegen auflehnen sollen, denn dann wäre alles leichter gewesen.« Ein von hauchzartem Gespinst umwehter Arm hob sich gebieterisch. Etwas Kaltes streifte das Gesicht des Arkoniden. Crysalgira stieß einen leisen Seufzer aus und sank in sich zusammen. Atlan versuchte, den schlaffen Körper aufzufangen, aber plötzlich hielt ihn etwas fest und gestattete ihm nicht die geringste Bewegung. Eisige Kälte füllte ihn aus. Er hatte das Gefühl, in einem Eisblock zu stehen. Seltsamerweise wurde er nicht bewußtlos. Hilflos mußte er zusehen, als die Erinnye sich bückte und Crysalgira mit einer Hand flüchtig an der Stirn berührte. Ein kindliches Lachen ertönte, bei dem der Arkonide deutlich spürte, wie sich die kleinen Haare in seinem Nacken kribbelnd aufrichteten. »Sieh an«, sagte der Roboter mit seiner glockenhellen Stimme. »Dieses Mädchen ist davon überzeugt, daß Sie ein großartiger Kämpfer sind und ein sehr ritterlicher junger Mann dazu. Das ist interessant. Unter diesen Umständen werden Sie sicher bereit sein, alles zu tun, um dieser bezaubernden Frau ein unerfreuliches Ende zu ersparen.« Atlan starrte den Roboter haßerfüllt an.
46 Die Erinnye lachte amüsiert und wandte sich ab. Crysalgira schwebte neben dem künstlichen Wesen her. Die beiden verschwanden durch das offenbleibende Schott im Innern der Station. Wütend bemühte sich der Arkonide, dem unsichtbaren Gefängnis zu entkommen. Es gelang ihm nicht. Du verschwendest deine Kräfte! warnte das Extrahirn. Spare sie dir lieber für später auf. Du bekommst noch genug zu tun. Etwas stimmt nicht in dieser Station! Das habe ich auch schon gemerkt, dachte Atlan ärgerlich. Aber was hat die Erinnye mit uns vor? Sie wird es dir mit Sicherheit in kürzester Zeit mitteilen. Eines steht bereits fest: In Yarden bist du nicht gelandet. Es scheint fast so, als gäbe es im Augenblick keine Möglichkeit, dich und Crysalgira dorthin zu bringen. Die Rückkehr der Erinnye unterbrach die lautlose Unterhaltung. Atlan wurde von unsichtbaren Kräften durch das Schott gezogen und in einen großen Raum transportiert. Er sah mehrere Bildschirme, von denen jedoch nur einer in Betrieb war. Auf der milchigen Fläche zeichneten sich schroffe, teilweise von Schnee bedeckte Berge ab. In der Mitte der kuppelförmigen Halle erhob sich ein mit seltsamen, metallisch glitzernden Auswüchsen bedeckter Buckel. Daneben lag Crysalgira regungslos auf dem harten Boden. »Sie ist bei Bewußtsein«, bemerkte die Erinnye beiläufig. »Sie wird also unsere Unterhaltung genau verfolgen können.« »Was willst du?« Atlan war überrascht über die Tatsache, daß seine scheinbar völlig steifgefrorenen Lippen verständliche Laute zu formen vermochten. »Du wirst Magantilliken befreien und hierher bringen«, erklärte die Erinnye gelassen. »Du hast genau drei Tage Zeit. Nach Ablauf der Frist stirbt Crysalgira.« Der Arkonide war dem Roboter beinahe dankbar dafür, daß eine kurze Pause entstand. Das gab ihm Gelegenheit, die Information zu verdauen, daß ausgerechnet der
Marianne Sydow Henker der Varganen wieder einmal seinen Weg kreuzen sollte. »Ich gebe dir jetzt alle Informationen, die du brauchst, um deinen Auftrag zu erfüllen«, fuhr die Erinnye fort. Atlan stellte grimmig fest, daß der Roboter jetzt jede Höflichkeit vermissen ließ. »Ich gebe dir den Rat, aufmerksam zuzuhören.«
* Dir bleibt gar keine Wahl! kommentierte das Extrahirn, als der Roboter seinen Vortrag beendet hatte. Es geht nicht nur um Crysalgira, und es ist auch nicht der richtige Augenblick, um etwa vorhandene Rachegelüste dem Henker gegenüber abzureagieren. Ohne Magantillikens Hilfe kannst du diesen Planeten nicht verlassen. Die Erinnye verlor keine Zeit. Sie fragte den Arkoniden nicht einmal, ob er bereit wäre, den Auftrag zu übernehmen. Für den Roboter war es selbstverständlich, daß Atlan gehorchte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Erinnye ihren Gefangenen samt dem noch immer bestehenden Fesselfeld in einen anderen Raum brachte. Diesmal handelte es sich eindeutig um eine Schleuse. Das Außenschott war geöffnet. Atlan sah die glitzernde Wand eines nach oben führenden Schachtes, dann fielen die eisigen Fesseln von ihm ab. Der Wechsel kam so plötzlich, daß der Arkonide fast das Gleichgewicht verlor. Mühsam hielt er sich auf den Beinen. »Das ist alles, was ich dir mitgeben kann«, sagte die Erinnye ungerührt und wies auf einige kleine Gegenstände, die neben dem Ausgang auf dem Boden lagen. »Ein Paralysator und ein leider nicht besonders leistungsfähiger Hitzestrahler. Das Wichtigste ist dieser kleine Kasten. Du kannst damit ein Anti-Schwerkraftfeld erzeugen und dich gegebenenfalls unsichtbar machen.« Sie erklärte ihm die entsprechenden Schaltungen. Atlan konzentrierte sich auf diese Erklärungen, aber seine Gedanken irrten immer wieder ab. Die Versuchung, eine
Ein Robot versagt der Waffen an diesem Roboter auszuprobieren, war groß. Nur die Überzeugung, daß die Erinnye gegen derartige Angriffe ausreichend geschützt war und sich außerdem an Crysalgira rächen würde, hielt ihn zurück. »Wie sieht es mit Kleidung aus?« fragte er. »In diesem Raumanzug wird man mich sofort als einen Fremden erkennen und mich ebenfallseinsperren.« »Das ist dein Problem«, erwiderte die Erinnye. »Du solltest dich jetzt auf den Weg machen. Crysalgira hat nicht mehr viel Zeit!« Reiß dich zusammen! Die Ermahnung des Extrahirns kam gerade noch rechtzeitig. Wortlos wandte Atlan sich ab. Er benutzte das varganische Gerät, um durch den senkrecht nach oben führenden Schacht schwerelos zur Oberfläche aufzusteigen. Am Schachtausgang wartete eine metallische Kugel von etwa einem Meter Durchmesser auf ihn. Die Erinnye hatte ihren Gefangenen über Isthmy informiert, und so war Atlan nicht überrascht, als der Roboter ihn sofort ansprach. »Wir sollten uns beeilen«, meinte das Kugelwesen mit knarriger Stimme. »Magantilliken steckt in großen Schwierigkeiten.« Atlan seufzte. »Du solltest deine Stimmbänder ölen«, empfahl er bissig. »Ich brauchte Kleidung.« »Weiter vorne wirst du alles finden, was du dir wünschst«, versprach Isthmy und flog voran. Sie überquerten mehrere Wälle aus Steinen und Eisbrocken. Es war bitter kalt, und Atlan schloß den Helm des Raumanzugs, weil die Luft wie mit Messern in seine Lungen schnitt. Die Spuren der gewaltigen Katastrophe waren nicht zu übersehen. Ab und zu ragten dunkle Gegenstände aus den vom Sturm zusammengetriebenen Schneewehen. Reste von Fahrzeugen, zersplitterte Metallstreben, einzelne Räder und zerfetzte Zeltplanen. Nach einem fast zehn Minuten langen Flug erreichten sie das, was vom Lager der Ckorvonen übriggeblieben war. Die
47 wanderende Schicht, die das Tal mehrere hundert Meter hoch ausfüllte, hatte die leichten Barackenbauten zum Teil vor sich hergeschoben. Zwischen Leichtmetallwänden, die von der Wucht des Aufpralls wie Papier zerknittert worden waren, lagen Teile von Instrumenten, Ausrüstungsgegenstände aller Art, Waffen und Papierfetzen herum. Atlan erblickte einige entsetzlich zugerichtete Leichen. »Bediene dich!« forderte Isthmy lakonisch und blieb über einem der Toten in der Luft hängen. Der Arkonide biß die Zähne zusammen. Er ließ sich nach unten sinken und musterte den Eingeborenen kurz. Trotz der entstellenden Verletzungen ließ sich deutlich erkennen, wie sehr diese Wesen den Arkoniden – und den Varganen natürlich auch – ähnelten. »Du verlierst nur Zeit!« warnte Isthmy. Wortlos ging Atlan weiter und durchsuchte einen wahren Berg von Trümmerstücken. Er hatte Glück. Er fand ein paar weiche Fellstiefel, die ihm sogar paßten, einen unförmigen Pelzmantel mit Kapuze, ein festes Messer und einen Streifen Munition. Einige Meter weiter lag ein Gewehr mit kurzem Lauf, das sogar noch funktionierte. Seinen klobigen Raumanzug ließ er zwischen zwei auffälligen Gebäuderesten zurück. »Schalte deinen Deflektor ein!« befahl er dem Roboter. »Das geht nicht«, erwiderte Isthmy. »An mir sind etliche Teile nicht in Ordnung.« Atlan fluchte leise vor sich hin, während sie sich in der Deckung der zerrissenen Berghänge weiter talwärts arbeiteten. Am liebsten hätte er den Roboter zurückgelassen, aber das war nicht ratsam, denn Isthmy vermochte den Varganen auch dann noch anzupeilen, wenn man ihm alle Geräte, die Magantilliken normalerweise mit sich herumschleppte, abgenommen hatte. Ohne Isthmy hätte der Arkonide sich auf eine zeitraubende Suche einlassen müssen – Zeit aber war es, was ihm am dringendsten fehlte. »Sieht noch ganz gut aus«, bemerkte Isthmy plötzlich.
48 Atlan sah in die angegebene Richtung und entdeckte einen halbverschütteten Wagen. Es handelte sich um ein kleines Lastfahrzeug. Da weit und breit kein Ckorvone zu sehen war, untersuchten sie ihren Fund. Sie fanden ein halbes Dutzend Schäden, zwei Leichen im vorderen Teil des Innenraums und einen fast randvollen Tank mit einer abscheulich riechenden Flüssigkeit. Das gab den Ausschlag. Während Atlan die sterblichen Überreste der Eingeborenen nach draußen zerrte und ein Stück abseits der Fahrbahn in den Schnee bettete, fuhr Isthmy einige Handlungsarme aus und machte sich an die Arbeit. Er schien in seinem kugelförmigen Leib ein ganzes Werkzeuglager mit sich herumzuschleppen. Eine Viertelstunde später schob sich der Wagen brummend auf die Straße hinauf. Isthmy hatte einen vor Sicht geschützten Platz auf der kleinen, verdeckten Ladefläche gefunden. »Halt!« sagte er einige Kilometer weiter. Atlan trat auf die Bremse. Ohne ein Wort der Erklärung verließ der Roboter den Wagen und verschwand zwischen den knorrigen Stämmen der fremdartigen Nadelbäume, die sich hier bis dicht an die Straße herandrängten. Als er zurückkehrte, hingen zwei varganische Schutzanzüge in den Klauen seiner metallenen Tentakel. Atlan nickte anerkennend. Gegen Abend erreichten sie das Ende des Tales. Vor ihnen breitete sich ein weites, tiefverschneites Hügelland aus. An einigen Stellen verrieten Fahrspuren eine Abzweigung, und hinter schwarzgrünen Baumgruppen stiegen dünne Rauchfäden in die frostklare Luft. Ein kurzes Stück vor ihnen zeichneten sich hohe Schornsteine und schmutzige Steinhäuser ab. Die Straße wurde breiter. Atlan hatte sich inzwischen hinreichend mit den Kontrollen des primitiven Wagens vertraut gemacht. Er brachte das Gefährt auf Höchstgeschwindigkeit, und sie rasten in der zunehmenden Dämmerung ihrem Ziel entgegen. Als bei Sonnenaufgang die ersten zusammenhängenden Gebäudegruppen vor ih-
Marianne Sydow nen auftauchten, steuerte Atlan das Fahrzeug in ein dichtes Gebüsch, streckte sich todmüde auf der Sitzbank aus und schlief sofort ein. Als er erwachte, herrschte draußen dichtes Schneetreiben. Er verzehrte lustlos einige Konzentrate. »Ich werde mich im Schutz des Deflektors in der Stadt umsehen«, erklärte er dem Roboter dann. »Sollte jemand den Wagen finden, dann sieh zu, daß du von hier wegkommst, ohne daß dich jemand sieht. Und vergiß nicht, die beiden Schutzanzüge mitzunehmen. Ich bleibe über Funk mit dir in Verbindung.« Die Metalltür schlug scheppernd hinter ihm zu. Er schaltete den kleinen Kasten auf die Werte, die die Erinnye ihm angegeben hatte. »Nichts zu sehen!« meldete Isthmy sich aus seinem Versteck. Allan stieg ein paar Meter weit auf und orientierte sich kurz. Er entdeckte einen Weg, der direkt in die Stadt hineinführte. Düstere, unfreundliche Gassen nahmen ihn auf. Zum Glück waren nur wenige Ckorvonen unterwegs. Der Arkonide wich vorsichtig allen Hindernissen aus und arbeitete sich zielstrebig dem Zentrum von Teihara entgegen. Dort, im Palast des Diktators, wurde Magantilliken nach Isthmys Angaben gefangengehalten. Es war für Atlan nicht schwer, durch das Tor zu kommen. Ungehindert schritt er über sorgfältig schneefrei gehaltene Wege, belauschte ein. Gespräch zwischen zwei einheimischen Offizieren und stand kurz darauf vor einer hohen Mauer. Dahinter Jag ein würfelförmiger Bau. Überall standen Ckorvonen herum. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet, aber da sie nur auf sichtbare Ziele schießen konnten, fühlte Atlan sich völlig sicher. So sicher, daß er mit dem Gedanken spielte, ohne weiteren Aufenthalt bis zu Magantilliken vorzudringen. Das metallene Tor des Gefängnisses öffnete sich ziemlich häufig. Gefesselte Ckorvonen verschwanden dahinter, aber die, die aus diesem düsteren Bau wieder ins Freie kamen, brauchten keine Fesseln. Ent-
Ein Robot versagt
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weder handelte es sich um Männer in Uniformen, die ihre Befehle zu den Wachtposten hinaufbellten, oder aber um Leichen, die auf grob gezimmerten Holztragen davontransportiert wurden. Ein Alleingang wäre Unsinn, meldete sich das Extrahirn. Rufe den Roboter her. Wenn er hoch genug fliegt, wird ihn niemand bemerken, und er kann Magantilliken von hier aus genauer anpeilen. Du gewinnst Zeit. Ein halbzerfallenes Gebäude grenzte direkt an die Mauer. Atlan suchte sich einen Weg über Haufen von Unrat und Trümmerstücken. In einem relativ gut erhaltenen Raum schaltete er den Deflektor aus, gab Isthmy die nötigen Anweisungen und ließ sich dann auf einer leeren Kiste nieder. Es würde eine Weile dauern, bis der Roboter eintraf. Er lehnte sich zurück – und erstarrte zu absoluter Bewegungslosigkeit. Ein kalter, metallener Gegenstand berührte seinen Nacken. »Bleiben Sie ganz still sitzen!« sagte eine helle Stimme. »Bei der geringsten Bewegung schieße ich!«
8. »Sie wollen Magantilliken befreien«, stellte das Mädchen fest. Atlan starrte Jintha verblüfft an. »Wie kommen Sie darauf?« Die zierliche Ckorvonin, die ihre Waffe immer noch auf den Arkoniden gerichtet hatte, lachte bitter. Sie warf den Kopf etwas zurück, und unter der Kapuze des perlgrauen Pelzumhangs quoll eine Flut von rotblonden Locken hervor. »Das ist nicht schwer zu erraten. Sie tauchen einfach aus der Luft auf, geben Isthmy Befehle und sehen nicht so aus, als stammten sie von unserem Planeten. Als Burjos mir die Geschichte erzählte, die er sich über Magantilliken und die Kugel unter dem Schnee zusammengereimt hatte, hielt ich es noch für ein Produkt seiner Phantasie. Aber jetzt denke ich anders darüber. Er hatte in allem recht. Er behauptete auch, daß Magantilliken Hilfe erhalten würde, sobald er in
Schwierigkeiten gerät.« »Also gut«, gab Atlan gedehnt zu. »Ich habe den Auftrag, Magantilliken zu befreien. Und was nun?« »Das kommt auf Sie an. Burjos wurde hauptsächlich deshalb verhaftet, weil er nach dem Auftauchen dieser Fremden überflüssig war. Ohne Magantilliken hätte er noch eine Chance gehabt – und ich mit ihm. Mein Vater wird ihn töten. Ich selbst durfte zwar das Gefängnis verlassen, aber von nun an schwebe ich ständig in Lebensgefahr. Das alles haben wir Ihrem Freund zu verdanken.« »Erstens ist Magantilliken keineswegs mein Freund. Zweitens hat Isthmy mir alles berichtet, was im Lager geschehen ist. Burjos steht unter dem Verdacht, ein Spion zu sein. Das hätte man früher oder später auf jeden Fall herausgefunden.« »Bis dahin wäre uns genug Zeit geblieben«, behauptete Jintha. Atlan stellte fest, daß er dem Mädchen mit logischen Argumenten kaum beikommen konnte. Sie war hysterisch vor Angst, und er verstand sie sogar. »Was wollen Sie von mir?« fragte er. »Sie sollen Burjos ebenfalls aus dem Gefängnis befreien«, erklärte Jintha. Und fuhr dann hastig fort: »Sie haben die Mittel, um uns zu helfen. Ich aber weiß, wie Sie am schnellsten an ihr Ziel kommen. Ich kann Ihnen die Zelle zeigen, in der Magantilliken festgehalten wird. Gleich nebenan wartet Burjos auf seine Hinrichtung. Sie brauchen also nicht einmal einen Umweg zu machen.« »Stellen Sie sich das alles nicht zu einfach vor!« warnte Atlan. »Selbst wenn ich die beiden nach draußen bringe, sind die Probleme längst nicht gelöst. Wie wollen Sie fliehen, und wohin? Magantilliken würde Sie und Burjos töten. Niemals dürfte er es wagen, Sie mit in die Station zu nehmen. Dort wartet nämlich ein Roboter, der die unangenehme Angewohnheit hat, erst zu schießen und dann zu fragen.« »Zerbrechen Sie sich nicht meinen Kopf!« empfahl Jintha ärgerlich. »Ich weiß,
50 was ich will, Holen Sie Burjos heraus, mehr verlange ich nicht. Sobald er jenseits der Mauer ist, brauchen Sie sich um uns nicht mehr zu kümmern.« Du solltest das Spiel mitmachen! empfahl das Extrahirn. Die Vorteile sind groß. Jintha war erleichtert über seine Entscheidung, behielt aber die Waffe auch weiterhin in der Hand. Erst als Isthmy auftauchte, erklärte sie sich bereit, das gefährliche Ding wenigstens in den Gürtel zu stecken. Obwohl Jintha und der Roboter ungeduldig waren und den Arkoniden zu sofortigem Handeln drängten, bestand Atlan darauf, zu warten. Magantilliken hätte er ohne weiteres bei Tageslicht herausgeholt, aber mit Burjos und dem Mädchen waren zusätzliche Schwierigkeiten aufgetaucht. Er machte sich trotz Jinthas abwehrender Haltung Gedanken darum, wie er die beiden Ckorvonen wenigstens vorübergehend in Sicherheit bringen konnte, und er glaubte, einen Ausweg gefunden zu haben. Zwei vollausgerüstete, flugfähige Anzüge standen ihm zur Verfügung. Damit Heß sich etwas anfangen. Als es dunkel wurde, zog er sich um. Den Deflektor ließ er zurück. Er brauchte ihn nicht mehr, denn die entsprechenden Einrichtungen des varganischen Schutzanzugs funktionierten einwandfrei. Er befahl Isthmy, den kleinen Kasten einzuschalten und dafür zu sorgen, daß Jintha im Schutz des Feldes blieb. Damit war auch die Gefahr gebannt, daß jemand zufällig auf den Roboter oder die Ckorvonin stieß. Lautlos überflog er die Mauer. Nervös blickte er zu den langsam kreisenden Geschützen auf, die von den wuchtigen Türmen herab in den Hof hinunterdrohten. Selbst jetzt herrschte noch ziemlicher Betrieb. Die Tatsache, daß Teihendru als typischer Diktator ständig ein überbelegtes Gefängnis zu hüten hatte, war jedoch für Atlan von Vorteil. Ohne sich durch unliebsame Zusammenstöße zu verraten, schob er sich mit einem Gefangenentransport durch die schwere Metallpforte. Er wandte sich nach rechts und betrat einen breiten, hell erleuch-
Marianne Sydow teten Gang. Den zweiten Anzug trug er unter dem Arm, und er bewegte sich äußerst vorsichtig, denn jedes Geräusch konnte einen der zahlreichen Wächter aufmerksam machen, die überall umherstanden. Einmal stieß er fast mit einem uniformierten Ckorvonen zusammen, der unvermittelt aus einer offenen Zellentür trat. Als er hastig auswich, schlug er mit der lose herabhängenden Gürtelschnalle des leeren Anzugs gegen die Metalltür. Geistesgegenwärtig aktivierte er den Schalter für den Schwerkraftneutralisator und stieß sich ab. Der Wächter fuhr herum. Nicht nur das Geräusch, sondern auch der entstandene Luftzug hatten ihn aufmerksam gemacht. Er sah sich mit vorgehaltener Waffe um. Als ihm nichts auffiel, wollte er sich abwenden, aber gerade da kam ein Offizier den Gang herunter. »Was gibt es?« fragte er barsch. Der Wächter berichtete stockend. Der Offizier hörte mit einem spöttischen Lächeln zu und empfahl dem ' Mann, sich demnächst eine reichliche Portion Schlaf zu gönnen. Aufatmend schwebte Atlan unter der Decke weiter. Magantillikens Zelle lag in einem besonders gesicherten Trakt. Kein Ckorvone wäre unbemerkt durch die zahlreichen Fallen gekommen. Für Atlan entstand nur eine geringe Gefahr durch die hier überwiegend technischen Sicherheitsanlagen. Wächter tauchten kaum noch auf – Teihendru verließ sich auf die Technik eher, als auf möglicherweise bestechliche Menschen. Das Schloß an der dicken Stahltür sah kompliziert aus, widerstand den kleinen Werkzeugen, die der Arkonide sich bei Isthmy ausgeliehen hatte, jedoch nur für wenige Sekunden. Dennoch wußte er, daß es von jetzt an schnell gehen mußte. Er stieß die Tür auf und schaltete für Sekunden den Deflektor ab. Magantilliken, der auf einer niedrigen Pritsche saß, sprang entgeistert auf. »Anziehen!« befahl Atlan kurz und warf dem Henker den Schutzanzug zu. Noch während der Vargane in das glänzende Kleidungsstück kletterte, hastete Atlan zur nach-
Ein Robot versagt ten Tür. Er hatte sie kaum geöffnet, als über seinem Schädel ein dunkler Gegenstand auftauchte. Instinktiv bückte er sich, und im selben Augenblick zischte der Paralysator auf. Burjos, der sich mit dem Mut der Verzweiflung auf seinen vermeintlichen Henker werfen wollte, brach im Sprung zusammen. Der Arkonide warf sich den schlaffen Körper über die Schulter. Hinter ihm trat Magantilliken durch die Tür. »Schalten Sie den Deflektor ein!« fauchte Atlan den verdutzten Varganen an und drückte ihm gleichzeitig den kleinen Impulsstrahler in die Hand. »Los jetzt, Isthmy wartet draußen!« Irgendwo in den Tiefen des riesigen Gebäudes wimmerte eine Sirene. Als sie das Metallgitter hinter sich gelassen hatten, das den Seitenflügel vom Hauptgebäude trennte, tauchten die ersten Gruppen von Wächtern auf. Atlan überzeugte sich davon, daß auch Burjos sich vollständig im Schutze des Feldes befand und schwebte langsam unter der Decke vorwärts. Er konnte Magantilliken nicht sehen, hoffte jedoch, daß auch der Henker begriffen hatte, worauf es hier ankam. Er hatte nicht. Etwa zwanzig Meter trennten sie noch von der Halle, durch die sie in den Hof gelangen konnten, als Magantilliken die Nerven verlor. Wie eine Mauer umstanden zahlreiche Ckorvonen den einzigen Ausgang aus diesem Fuchsbau. Als der Energiestrahl durch die Luft zischte, starben fast die Hälfte der Männer, ehe sie auch nur ihre Waffen heben konnten. Die anderen jedoch reagierten schnell. Obwohl sie es sicher noch niemals mit unsichtbaren Gegnern zu tun gehabt hatten, schalteten sie auf Anhieb richtig. Atlan sah die Finger, die sich um die Waffen krallten. Er unterdrückte einen Fluch und löste erneut den Paralysator aus. Bis auf einen Ckorvonen wurden die Wächter von dem breit auseinanderfächernden Strahl erfaßt. Der letzte aus dieser Gruppe schoß wild um sich und verging dann plötzlich in einer Glutwolke.
51 Aus den Gängen drang Geschrei. Schwere Stiefel trampelten über den Steinboden, und scharfe Befehle klangen auf. In fliegender Hast schlug Atlan die schweren Riegel des Tores zur Seite. »Magantilliken, hierher!« rief er halblaut, aber statt einer Antwort stand unvermittelt erneut ein gleißend heller Hitzestrahl in der Luft. Der Schuß fauchte in den Gang hinein, in dem die ersten Gegner auftauchten. Ckorvonen wälzten sich brennend am Boden. Ein entsetzlicher Gestank erfüllte die Luft, und dann klangen auch von draußen die ersten Schüsse auf. »Verdammt!« schrie der Arkonide unbeherrscht. »Kommen Sie endlich!« Er spürte an seiner Seite einen schwachen Lufthauch. »Da haben wir die Bescherung!« schimpfte er. Die Wächter auf den Türmen hatten sich auf das Tor konzentriert und deckten es mit Schüssen ein. Die Projektile heulten durch die Halle und schwirrten als Querschläger von den Mauern weg. Mehrere Ckorvonen, die aus einem Gang hervorquollen, wurden verletzt. Dann entdeckte Atlan eine halbwegs sichere Stelle, schob sich näher an die Öffnung heran und richtete den Paralysator auf einen der Türme. Die dort stehenden Eingeborenen waren kaum betäubt, da zerbarst ein anderer Turm in einem wahren Feuerwerk. Der Lärm war ohrenbetäubend, und obwohl Atlan dem Henker zubrüllte, er solle endlich mit der Schießerei aufhören, feuerte Magantilliken unbeirrt weiter. Er stellte den Beschuß erst ein, als die Mauer auf einer Breite von etwa vierzig Metern zusammenbrach. »Jetzt haben wir freie Bahn«, hörte Atlan die arrogante Stimme des Henkers neben sich. »Sie sind ein Idiot!« keuchte Atlan und schlug auf den Schalter, der ihn vorwärts schießen ließ. Ehe der Henker etwas erwidern konnte, gab es jenseits der teilweise noch glühenden Trümmer eine Explosion. Eine riesige Stichflamme schoß in den Himmel. Metallteile und brennende Holzstücke
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wirbelten hoch. Eine Druckwelle schleuderte sie zur Seite. Atlan sah einen noch festen Teil der Mauer auf sich zukommen und wich im letzten Augenblick zur Seite. Er selbst entkam dem Hindernis, aber Burjos, der immer noch betäubt war, blieb an einer Kante mit dem Fuß hängen. Der Arkonide war nicht schnell genug. Als er merkte, daß der junge Ckorvone aus dem Deflektorfeld herausgerissen wurde, war es schon zu spät. Schüsse krachten, und er wich hastig nach oben aus. Der schlaffe Körper, der unter ihm zurückblieb, wurde von den Geschossen fast zerfetzt. »Wo stecken Sie?« fragte Magantillikens Stimme ärgerlich. Der Vargane mußte sehr nahe sein, denn sonst hätte Atlan ihn bei diesem Lärm nicht hören können. »Fliegen Sie über die Mauer«, befahl Atlan. »Wenn niemand Sie sehen kann, schalten Sie kurz das Feld ab.« Die Ckorvonen schossen immer noch. Sie jagten Unmengen von Munition in den nun leeren Hof. Atlan sah die vielen Toten und die Flammen, die aus einem Haus direkt an der Mauer schlugen, biß die Zähne zusammen und ließ sich weitertreiben. Er hätte dieses Inferno gerne vermieden. Jetzt war es zu spät. Magantilliken war frei, und damit auch Crysalgira. Aber der Preis war hoch genug. Er fand den Henker im Schatten einer bröckelnden Mauer. »Wo ist Isthmy?« fragte der Vargane. »Es gibt ihn nicht mehr«, erwiderte Atlan bitter. »Er wartete mit der Freundin des jungen Ckorvonen in dem Haus, das durch Ihre Schießwütigkeit zerstört wurde.« Wenn der Henker den Vorwurf, der in dieser Antwort lag, bemerkte, so zeigte er das nicht. Er griff statt dessen nach Atlans Arm, schaltete den Deflektor wieder ein und zog den Arkoniden vorwärts. »Es ist besser, wir beeilen uns jetzt«, bemerkte er dabei gelassen. »Die Erinnye könnte sonst ungeduldig werden.«
*
Kurz vor Sonnenaufgang trafen sie auf den Schacht. Niemand hatte sie verfolgt, und da sie die ganze Strecke fliegend zurückgelegt hatten, standen ihnen auch keine weiteren Überraschungen bevor. Die Ckorvonen hatten das Spiel um die Station verloren. Die Erinnye nahm sie in Empfang. Ehe Atlan den bedeutsamen Blick des Henkers in seine Richtung noch verarbeiten konnte, legte sich bereits ein Netz der Dunkelheit über ihn, und als er wieder zu sich kam, lag er neben Crysalgira auf einem weichen, offensichtlich provisorisch hergerichteten Lager. Er stellte fest, daß der varganische Schutzanzug verschwunden war. Auch die Geräte, die die Erinnye ihm für seinen Auftrag zur Verfügung gestellt hatte, waren verschwunden. Neben ihm lag der tejonthische Raumanzug. Er beugte sich über die Arkonidin und strich ihr sanft über die Stirn. Crysalgira schrak zusammen, schlug die Augen auf und lächelte dann verzerrt. »War es schlimm?« »Ich kann mich nur an wenige Einzelheiten erinnern«, sagte sie leise. »Ich bin froh, daß du wieder da bist.« »Immerhin leben wir noch«, stellte Crysalgira beruhigend fest. »Das bringt mich auf die Idee, daß es Zeit für ein Frühstück wäre. Ich habe entsetzlichen Hunger.« Der Arkonide lächelte amüsiert. Er war froh, daß das Mädchen so gelassen auf die Geschehnisse reagierte, und solange es noch eine Möglichkeit gab, würden sie gemeinsam weiter darum kämpfen, den Weg in ihre eigene Welt zu finden. Die Varganen waren nicht halb so göttlich, wie sie selbst sich darzustellen versuchten. Gerade ihre Arroganz machte sie verwundbar – zumindest das hatte Atlan aus dem kurzen Gastspiel auf Xertomph gelernt. Eine Erkenntnis, die du dir gut einprägen solltest! meinte das Extrahirn. Als sie die kargen Notrationen aus den Raumanzügen verzehrt hatten, öffnete sich die Tür zu ihrem Gefängnis. »Ich hoffe, Sie beide haben sich gut er-
Ein Robot versagt holt«, sagte Magantilliken spöttisch. »Es liegt noch eine weite Reise vor Ihnen.« »Nach Yarden?« fragte Atlan. »Wohin sonst? Kommen Sie, der Transmitter wartet schon.« »Sie haben es also noch geschafft«, bemerkte der Arkonide, als sie neben Magantilliken durch die heller leuchteten Gänge schritten. »Die Gefühlsbasis funktioniert wieder?« »Natürlich tut sie das«, erklärte der Henker kalt. »Die Schäden sind beseitigt, und die Emotiostrahler sind in Betrieb. Die Ckorvonen dürften bereits vergessen haben, was eigentlich in diesem Tal geschehen ist. Von nun an werden sie ihr primitives Leben weiterführen und sich kaum noch daran erinnern, daß sie Besuch aus dem Weltraum erhalten haben.« »Irgendwo in der Stadt beschäftigen sich ckorvonische Wissenschaftler mit den Geräten, die man Ihnen abgenommen hat«, erinnerte Atlan den Henker. »Sie werden nichts herausfinden. Die Geräte sind inzwischen unbrauchbar geworden. Einige haben sich selbst zerstört und bei dieser Gelegenheit dafür gesorgt, daß Teihendru in Zukunft vorsichtiger ist, wenn es um das Erbe der sogenannten Ahnen geht.« »Warum hilft Ihr Volk den Ckorvonen nicht?« fragte Crysalgira ärgerlich. »Wir haben andere Probleme«, gab Magantilliken gelassen zurück. »Den Kreuzzug zum Beispiel. Zum Glück konnte ich diese Gefühlsbasis rechtzeitig wieder in Ordnung bringen. Wäre sie ausgefallen, so hatte das verheerende Folgen gehabt.« »Warum?« Magantilliken lachte leise. »Sie versuchen seit langem, den Sinn der Kreuzzüge herauszubekommen«, sagte er zu dem Arkoniden. »Aber es ist Ihnen bisher nicht gelungen, und ich bin nur froh, daß ich Ihnen nicht voreilig Informationen gegeben habe. Sie hätten unsere braven Tejonther sonst vielleicht wirklich aufhetzen können. Nun jedoch werden Sie keine Gelegenheit mehr haben, die Schwarzen aufzuklären.
53 Von hier aus führt der Weg geradlinig nach Yarden, und wo immer Sie auftauchen, werden alle Wege zur Flucht verstellt bleiben. Also kann ich Ihnen ruhig die Wahrheit sagen.« Ein Schott wich vor ihnen zurück, und sie sahen den Transmitterraum, in dem sie zuerst mit der Erinnye zusammengetroffen waren. Der Roboter hatte sich noch nicht sehen lassen. »Die Gefühlsbasen dienen dazu, die Tejonther in einen Rausch zu versetzten«, erklärte der Henker, während sie langsam auf die hell beleuchtete Plattform zugingen. »Schritt für Schritt wird in den Schwarzen die Bereitschaft zur Erfüllung ihrer Aufgabe erhöht. Die Emotiostrahler nehmen ihnen die Fähigkeit zum kritischen Denken. Darum war es so wichtig, daß hier auf Xertomph keine Störungen auftraten. Ein Bruch in dieser Beeinflussung könnte bedeuten, daß die Tejonther einfach umkehren.« »Was wäre daran so schlimm?« wollte Atlan ungeduldig wissen. »Was geschieht mit den zehntausend Raumschiffen und deren Besatzungen?« »Sie sind notwendig, um das Gleichgewicht dieser Welt zu erhalten«, erklärte der Henker. »Sie opfern sich und retten dadurch meine Heimat, die Eisige Sphäre. Sie müssen zugeben, daß das eine wichtige Mission ist. Was sollte wohl aus den Tejonthern und den anderen Völkern dieses Universums werden, wenn Yarden mit seinen Bewohnern zerstört würde?« »Sie wären endlich frei«, sagte Atlan gedehnt. »Aber das ist meine persönliche Meinung, die Sie natürlich nicht interessiert. Die Tejonther sterben also? Warum? Und wofür? Was geschieht mit den Schiffen?« »Zu viele Fragen«, seufzte Magantilliken kopfschüttelnd. »Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären, obwohl es vermutlich sinnlos ist. Durch unsere Experimente mit der Absoluten Bewegung wurde in der Nähe von Yarden die Grenze zwischen Makro- und Mikrokosmos ihrer Stabilität beraubt. Das Gleichgewicht
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läßt sich nicht mehr dauerhaft herstellen, sondern nur jeweils für kurze Zeit. Ein endgültiges Zusammenbrechen der Grenze würde die Zerstörung in diesem Teil unseres Universums bedeuten. Um das zu verhindern, führen wir alle dreihundert Jahre einen Massenausgleich herbei.« Er kontrollierte die Angaben einiger Kontrollgeräte und fuhr dann gleichmütig fort: »Die Schiffe der Tejonther dienen einzig und allein diesem Zweck.« »Zehntausend Raumschiffe«, sagte der Arkonide fassungslos. »Eine riesige Flotte, die den Tejonthern gehört. Und Sie benutzen Sie, um einen Rechenfehler in Ihren Plänen und Experimenten auszubügeln. Was geschieht mit den Besatzungen?« »Sie haben einen sehr starken Glauben an ein Leben nach dem Tod«, erwiderte Magantilliken hart. »Sie werden gemeinsam mit ihren Schiffen an der Grenze entstofflicht. Wer weiß, wo sie hingehen? Auch wir Varganen haben nicht alle Rätselgelöst.«
»Das ist nichts als Geschwätz!« knurrte Atlan wutentbrannt. »Sie schicken diese Wesen in den Tod. Sie zwingen sie, nur für diesen wahnsinnigen Kreuzzug zu leben und zu arbeiten. Dazu haben Sie kein Recht!« »Wirklich nicht?« Der Henker lächelte kalt und schaltete an den Kontrollgeräten des Tansmitters. »Gehen Sie dorthin!« befahl er, und obwohl Magantilliken allem Anschein nach nicht bewaffnet war, gehorchten Crysalgira und der Kristallprinz von Arkon. Das Transmitterfeld erfaßte sie und zog sie mit sich. Der letzte Eindruck, den Atlan aus Xertomph mitnahm, war dieses kalte, beherrschte, zeitlose Gesicht, das Gesicht des Henkers, der seinen Auftrag erfolgreich beendet hatte. Sie waren wieder auf dem Weg nach Yarden.
ENDE
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