Roland Stigulinszky Ein Platz für Weihnachtsmänner
Satiren
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Roland Stigulinszky Ein Platz für Weihnachtsmänner
Satiren
Das Buch »Nehmen Sie mal ein Wort wie Wohlgefallen. Das war das erste Weihnachtsgeschenk. Seinerzeit, damit er endlich Frieden gäbe, gab es für den Menschen ein Wohlgefallen. Als Probepackung. Und leider kostenlos. Deswegen ist aus dem Frieden auch nie was geworden: Was nix kostet, is nix.« Roland Stigulinszkys Satiren, Glossen und ironische Bemerkungen sind' frisch aus dem Leben gegriffen. Ob es um die Geschenke oder die Plätzchen, den Festtagsbraten oder die notwendige Resteverwertung durch einen unersättlichen Freund geht: Diese Ausflüge in das deutsche Weihnachtsgeschehen klären die Umstände, erheitern das Gemüt und schaffen wieder den nötigen Abstand zu den Mitmenschen und zu sich selbst. Wichtigste Erkenntnis des unermüdlichen Festforschers: Ein Platz für Weihnachtsmänner muß sein!
Der Autor Roland Stigulinszky wurde am 29. April 1926 in Saarbrücken geboren. Dem Kriege gewann er als Kanonier, Flugzeugführer und Infanterist keine guten Seiten ab. Nach der Heimkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft begann er als Grafiker, Karikaturist und Texter. Er zeichnete u.a. politische Karikaturen und war für das Saarländische Fernsehen tätig. Seit 1983 auch Feuilletons und Satiren für Zeitungen und Rundfunk. Zahlreiche Buchveröffentlichungen. Stigulinszky bekleidete mehrere Ehrenämter, so z.B. 1982 bis 1985 als Präsident des Deutschen Designertages, und erhielt 1987 den Saarländischen Verdienstorden.
Roland Stigulinszky: Ein Platz für Weihnachtsmänner Satiren
Deutscher Taschenbuch Verlag
Originalausgabe Oktober 1988 © 1988 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München Umschlaggestaltung: Celestino Piatti Umschlagbild und Zeichnungen im Text: Roland Stigulinszky Gesamtherstellung: C. H. Beck'sche Buchdruckerei, Nördlingen Printed in Germany • ISBN 3-423-10969-6
Inhalt
Plätzchen!! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der ganz normale Wahnsinn der Vorweihnachtszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weihnachtsmänner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Hirten Weihnacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weihnachtsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Weihnachtsmärchen . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum wir Weihnachten im Winter feiern . . . . . Vom Umtausch ausgeschlossen . . . . . . . . . . . . . An Silvester ist alles Knall und Rauch . . . . . . . . . Im neuen Jahr nur Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsätze. Im gehörigen Abstand nach Neujahr zu lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im neuen Jahr wird alles anders! . . . . . . . . . . . Die Fastenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fasnacht, ein deutsches Märchen . . . . . . . . . . . . Windiger Feiertagsreisebericht . . . . . . . . . . . . . Laufend verstopft. Über den Schnupfen an sich . . Tapetenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körper-Los . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Kindern, Enkeln und Muhmen . . . . . . . . . . Im Schoß der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alt ist modern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kalte Glatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musikanten spielt auf! . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mein täglich Schrot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Private Feierversicherung oder Günter, der um weltfreundliche Freund . . . . . . . . . . . . . . . . Herz, Schmerz und dies und das . . . . . . . . . . . . Traum und Fernsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Fußballidiot in der Familie! . . . . . . . . . . . . Das Selbstgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eingeladen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschenke zu allen Gelegenheiten . . . . . . . . . . Das Firmengeschenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom schönen Essen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 10 13 16 19 21 23 26 28 30 32 35 38 40 43 46 49 51 54 57 61 63 66 68 71 73 77 79 82 84 86 89 91
Bekenntnis zur Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . Immer diese Küsserei! . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besuhuuch!! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Familienbande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Über das Leben über... . . . . . . . . . . . . . . . . . Schneemannbau, leicht faßlich dargestellt . . . . . . Und willst du nicht mein Bruder sein ...; . . . . . . Schlafgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herr Pst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der N., eine Gerätebeschreibung . . . . . . . . . . . O du fröhliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gespräch mit einem Engel . . . . . . . . . . . . . . . . Weihnachtsmanko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wo der Bart rauscht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Märchen von der Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . .
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Plätzchen!!
Also nehmen Sie bitte Platz. Heute erzähle ich Ihnen die Vorweihnachtsgeschichte. Sie handelt von den Plätzchen. Von was sonst? Sie bestimmen das Geschehen auf Erden, in diesen Tagen und Wochen. Dank ihnen verstummt in der Vorweihnachtszeit die leidige Diskussion über die Beschäftigungsgarantie. Das Recht auf Arbeit am Backofen ist Frauen und Müttern sicher. Männer der jüngeren und mittleren Generation, die, auf Emanzipation pochend, kochend das ganze Jahr über längst den Küchenarbeitsplatz besetzt halten, backen vor Weihnachten wieder kleine Brötchen. Sie weichen klaglos und überlassen den Gattinnen das Schlachtfeld. Denn: »German Frauen to the front!« heißt ab Nikolaus das Kommando und: »For-ward, Christian soldiers!« Weihnachten ist nämlich zwar das Fest der Christenheit, aber es ist nur durch soldatische Disziplin in der Vorweihnachtszeit zu besiegen. Diese Zeit erkennt man an den güldenen Lichtlein, die allüberall auf den Tannenspitzen blitzen, auf den gesunden jedenfalls. Die werden von Jahr zu Jahr weniger, aber deswegen geht das Licht im Backofen noch lange nicht aus! In allen deutschen Städten freut man sich jetzt der Christkindlesmarktwirtschaft. Hoch von den Kassen dröhnt weihnachtliches Kaufmannsläuten. Hektischer Vorweihnachtsfriede und rastlose Freude machen sich breit wie Eierkuchen. Sogar in Nürnberg, woher früher die Lebkuchen kamen und von wo heute die Arbeitsplätzchen kommen sollten, herrscht frohe Panik: Sie finden das Rezept nicht. Vorfreude allerorten. Sie gehört zur WeihnachtsVorgeschichte ebenso wie das Vorurteil, Weihnachten sei ein Fest. Und das hängt halt vor allem mit den Plätzchen zusammen. Plätzchen haben die seltsamsten Formen - Sterne, Halbmonde, Kreise mit Klecks
drauf und andere mehr. Es gibt diesen Spekulatius für Börsianer, Spritzgebackenes für die Freiwillige Feuerwehr, Anisplätzchen und Mandelmakronen für Erkältete, Springerle für heranwachsende Zeitungsverleger und Weihnachtsstollen für Fahrsteiger. Zimtsterne nicht zu vergessen! Und Pfeffernüsse! Die mag ich besonders gern, denn Marmor, Zahnstein und Eisen bricht, aber unsere Pfeffernüsse nicht! Eine der wichtigsten Aufgaben der Hausfrau ist es, die gebackenen Plätzchen bis zum Vierundzwanzig-sten zu retten. Zu diesem Behuf versteckt sie sie — in Blechdosen, weil sie knusprig, mit Äpfeln, wenn sie weich bleiben sollen — an den unmöglichsten Plätzchen. Keiner kann sie finden. Im Haushalt unseres Jüngsten, wo es auch die gute Schäferhündin Franka gibt, erwägt der Haushaltungsvorstand, wie er mir dieser Tage im Vertrauen und nach frustrierender, also vergeblicher Suche gestand, erwägt er also, im nächsten Jahr milde Mengen Hasch in den Teig zu schmuggeln, damit der Hund dann die Plätzchen erschnüffelt. Und wie er das sagt, fangen bei mir die Geruchsnerven an zu vibrieren ... Also ... Wie das heut" wieder duftet! ... Köstlich! Leichten Herzens reiß ich mich von der Arbeit los und steige den Gerüchen nach und betrete die Küche. Drinnen waltet die züchtige Hausfrau. Sie rotiert im Gleichklang mit der Küchenmaschine. Sie walkt den Teig. Sie sticht ihn aus. Rosinen, Mandeln und Nüsse, Zimtstangen und Koriander, Kardamom und Vanille, Nelken und Anis liegen auf dem mehligen Tisch, morgenländische Verführungen sondergleichen. Sorglich wiegt sie mein Engel ab, wie's Dr. Oetkers Kochbuch ihr rät. Sie öffnet den Herd. Dem Backofen entwölkt sich dampfiger Duft, lieblich gebräuntes Backwerk ruht in geordneter Reihe auf sehr heißen Blechen. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Mit niedergeschlagenen Augen, die Hände fromm gefaltet und christliche Weihnachtslieder singend nähere ich mich in Demut und bitte, die Lippen wie flötend gespitzt, um ein Probestück dieser himmlischen Genüsse.
Da ruft sie: »Hinaus!« ruft sie, »hinaus aus meiner Küche!«, mit Augen, flackernd gleich dem Warnlicht am Dunstabzug. Sie dreht mich rücksichtslos um wie einen Ostagenten und stößt mich, herb und herzlos, von sich. Da stürzt mein Himmel ein. Da seh ich, wo ich dran bin und was wirklich gespielt wird. Da verlasse ich die Vorhölle und zeitgleich verläßt meinen Mund ein ganz unchristlicher Fluch: Der Teufel soll diese ganze Plätzchenbäckerei holen!
Der ganz normale Wahnsinn der Vorweihnachtszeit
»Nimm den Kalender zur Hand und tu Geld in Deinen Beutel!« spricht die Frau. , 't »Wofür?« fragt er. »Das Weihnachtsfest nahet!« »Naht es schon wieder? Und schwankend und auf leisen Sohlen? Der Überziehungskredit vom letzten Feste ist noch nicht getilgt!« »Wer unter euch ohne Schulden ist, der werfe den ersten Stein!« »Aber höchstens einen kleinen Malachit - mehr ist dies'Jahr nicht drin!« »Ich trag ihn mit Fassung«, sagt sie still. »Fassen wir zusammen: Du sprichst die Frage der Finanzen an. Aber bald schon benötigen wir weitere Mittel für das Abfeiern des Karnevals, hierorts Fassnacht geheißen!« »Laß Fassnacht aus dem Spiel - Weihnacht steht vor der Tür!« »Schließ zweimal ab und wirf den Schlüssel fort!« »Aber dann kömmt es durch den Schornstein oder wie in den feinen französischen Familien durch den Kamin!« »Dessen jedoch entraten wir völlig - es muß also über diese Schwelle! Es führt kein andrer Weg nach Weihnacht hin! Nochmals: der Weihnachtsmann kommt mir diesmal nicht ins Haus! Dieser bärtige Bote der Banken und Kreditinstitute! Der Tunichtgut, der ungenehme, dieser pelzige Provisionsvertreter der deutschen Kaufmannschaft. Was soll ich Dir denn überhaupt zu Weihnachten schenken?« »Schenk mir Erfüllung!« »Bin ich Dein Erfüllungsgehilfe? Ansprüche hast Du! Dies ist nicht die Zeit, solche zu stellen. Geschweige denn, sie zu erfüllen! Ja — wenn es Pflichterfüllung hieße! Das war was! Leistung!! Aber selbst die Kür leisten wir lustlos!«
»Und was leisten wir uns zu Weihnachten?« »Nun zum Beispiel: Fasan!« »Ach, immer Fasan! Abu Fasan im Theater, der Katalog vom Fasandhandel in der Post, in den Nachrichten das fasandende Konjunkturrinnsal...« »Und wie steht's mit einem gefüllten Gäns'chen?« »Wenn ihr's nicht füllt, ihr werdet's nicht erjagen ... das ist mir zu klassisch.« »Und wie ist's mit Karpfen blau und übermorgen wieder?« »Nun grätest Du schon ins Schwimmen: Ich will was zu Weihnachten und Du redest dauernd vom Essen!« »Apropos — wie war's denn dann mit geistiger Kost? Ich schenk Dir ein Buch!« »Das ist nicht schlecht. Lesen bildet. Antikörper. Vermögen. Ich fühle den Drang in mir zur Vermögensbildungsbürgerin. Und Wissen ist Macht!«
»Dann lieber doch kein Buch. Ja sogar niemals! Macht! Macht macht süchtig! Und häßlich. Der häßliche Deutsche. Ruhmsucht, Geldsucht, Freßsucht, Sehnsucht. Suchtgefahren! Sei nicht süchtig, sondern tüchtig, deutsche Hausfrau! Also was schenk ich Dir denn nun endlich?« • „ »Ein Herz voller Liebe!« »Du bist vielleicht gut: Ich hab den Kopf voller Sorgen und Du willst ein Herz voller Liebe!« »Aber es ist doch nur wegen Weihnachten!« »Also meinethalben. Aber so einen Luxus können wir uns nur einmal im Jahr leisten!«
Weihnachtsmänner
Also jetzt nehmen Sie mal die Weihnachtsmänner. Das ist nicht einer, das sind nicht zwei - es sind mindestens drei und mehr. Ich rechne nämlich wegen der Weihnachtsgans auch noch den St. Martin dazu. Da gibts ja diese Geschichte, wonach sie den Martin zum Bischof machen wollten. Der aber wollte nicht. Die Gänse, in deren Stall er sich versteckt haben soll, wollten aber doch. Sie schnatterten und verrieten so den Heiligen. Zur Strafe sind sie nun nicht nur am Martinstag als Martinsgans, sondern auch zu Weihnachten als Weihnachtsgans schön knusprig. Im Museum des Marburger Landgrafenschlosses steht ein Martin unterm Glassturz und ist eine bunte bäuerliche Plastik, aus Holz oder aus Stein, ich weiß nicht. Der Martin sitzt auf dem Pferd und zerteilt seinen Mantel mit dem Schwert. Unten am Boden kniet der Bettler, dem der Martin die Hälfte von seinem Mantel abgeben wird. Wir geben ja auch irgendwann mal 0,7% des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe. Der Bettler kniet nicht, weil er fromm ist, sondern weil ihm die Füße fehlen. Vielleicht hat er auf einem Kreuzzug Pech gehabt oder hatte Erfrierungen oder war unter die Raubritter gefallen. Naja. Der Marburger Martin hat nur einen tuchenen Mantel. Nichts von Pelzverbrämung um Mütze, Mantelkragen und Saum, wie wir das vom Weihnachtsmann, dem St. Nikolaus, kennen. Pelz war nämlich laut Kleiderordnung des Heiligen Römischen Reiches noch lange nicht jedem erlaubt. Das war damals geregelt. Da gabs law and order. Da war klar, wer den Purpur tragen durfte, wer Stickereien und wessen Anblick nur pelzverbrämt ertragen werden konnte. In unsere Gegenwart haben sich nur ganz bescheidene Reste solcher optischen Hilfsmittel für den Umgang der Menschen miteinander gerettet: der Sisalteppich im Büro des Buchhalters, der Teppichboden beim Ab-
teilungsleiter und der Buchara beim Boß, der vom Besucher auch als Gebetsteppich benutzt werden darf. Wenn's um Gehaltserhöhung geht. Der Nikolaus ist, wie gesagt, ein guter Mann. Wenn er aus Schokolade ist, wird er weich in Ihren Händen. Das macht, weil uns um Weihnachten herum innen immer so weich und warm wird, und das geht bis in die Finger. Das ganze Jahr über sonst sind wir ja aus härterem Material. Unsere Pfälzer Brüder und Schwestern nennen den Begleiter, den sich St. Nikolaus irgendwann einmal wegen der unsicheren Straßenlage zugelegt hat, den Belznickel. Das muß aufgekommen sein mit diesem Namen, als die Auflösung feudaler Ordnungen zwar Unordnung und frühes Leid, aber auch Pelz um die schönen Schultern der Bourgeoisie brachte. Andernorts heißt der Begleiter Knecht Ruprecht. Oder Kram-pus. Wieder anderswo ist inzwischen des einen Arbeitsplatz wegrationalisiert worden, so daß nur der
Weihnachtsmann übrig blieb. Die Franzosen nennen ihn Pere Noel, die Russen Väterchen Frost, die Amis Santa Claus. Sein Bart ist aus Watte und seine Verbrämung Webpelz oder weißes Karnickel. Entweder, weil er sich in diesen schweren Zeiten nicht mehr leisten kann oder weil's gewisse Lieferschwierigkeiten auf dem Frankfurter Pelzgroßmarkt gibt. Kein Grund zur Unruhe. Zurück zum Weihnachtsmann. Man sagt, er habe eine Rute und einen Sack. Andere meinen, der Sack sei ein Silo. Jedenfalls heißt das Kommando: »Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack!« Also ein Himmelfahrtskommando - neee, nee!! - halt! — das ist ja die Geschichte vom letzten Mal!! Also sooo isses: Santa Claus und Väterchen Frost und Pere Noel sorgen für eine schöne Bescherung und wir sind alle Weihnachtsmänner. Ich freu mich schon so auf Weihnachten!
Der Hirten Weihnacht
Nimm mal Weihnachten. Greif ungeniert zu. Weihnachten ist schließlich ein Geschenk des Himmels, vor allem wenn der Vierundzwanzigste ein Mittwoch ist. ' Vom Himmel hoch, da kamen diese Engel damals her. Du weißt schon, die mit der Botschaft von der großen Freude, die uns in den Stall frohlockten, uns Hirten, weil wir irgendwie so belämmert da rumstanden. Das war natürlich niedlich mit dem Kind. Logo. Wie das halt so ist: Dudududu! und Eikillekillekille! Aber es kam irgendwie keine Konversation zustande. Man kannte die Leute ja gar nicht. Dann erschienen noch diese drei großmogligen Weisen aus dem Morgenlande. Die hatten die Weisheit auch nicht mit dem Löffel gefressen. Oder würdest du vielleicht als Weihnachtsgeschenk ein paar Küchengewürze mitbringen? Zum freudigen Ereignis? Na bitte. Wie der Josef den Salzstreuer sieht, sagt er ja auch gleich, fürs nächste Mal sollten sie sich vielleicht was anderes einfallen lassen. Ein Pfund Schinkenspeck oder ein Dresdener Stollen war' ihm und seiner Frau unter diesen Umständen schon lieber gewesen. Oder eine Reisedecke. Oder wenigstens ein Paar Socken. Wie sich das halt zu Weihnachten gehört. Und fürs Kind ein Fischer-Price bis ein Jahr. Immerhin wären sie doch ziemlich Hals über Kopf von daheim weg, wegen der Volkszählung. Pampers hab ich auch keine mehr, sagte die Frau, und nicht mal an einen Weih-nachtsbaum habt ihr gedacht! Na halleluja! sagten wir da, und alle schämeten sich sehr. Daß wir das vergessen hatten! Aber dann fiel einem der unseren was ein und er sagte schnell: Dreivier! Ein Lied! und so sangen wir wenigstens O Tannenbaum. Aber selbst damit kam keine Freude auf. Jetzt fing das Kind plötzlich an zu schreien! Die Mutter sagte noch was von 'ner Langspielplatte, Ave Verum und
Nicolai Gedda. Oder Fritz Wunderlich. Beim nächsten Mal halt, sagte Josef. Ja. Nun wußten wir's. Wir drückten uns mit gedämpfter Freude und ohne viel Frohlocken aus der Tür, die drei Weisen sogar ein bißchen myrrhisch, denn sie hatten's ja gut gemeint. Draußen guckten wir uns alle ziemlich betrippst an. Da sagte der schwarze Weise: Jetzt hab ich erst mal Lust auf ein Bier! Und: Kommt ihr mit, ihr zweie da oben? sagte er noch. Denn überm Dach, in der Höhe, da rüttelten immer noch die beiden Engel wie die Bussarde. Sie kamen auch gleich mit angelegten Flügeln runter, und so schwirrten wir alle ab in Richtung Kneipe.
Dort ist es dann noch richtig gemütlich geworden. Die Weisen sangen ihre fremdartigen Weisen, und die zwei Engel erzählten einen Schwank nach dem ändern vom Himmel. Wir hatten jedenfalls viel zu lachen. Nu sagt uns aber mal, sagten wir schließlich, was für eine große Freude habt ihr uns Hirten denn wirklich verkünden wollen? Mal raus mit der frohen Botschaft! Naja, sagte da der eine Engel, so 'n langer blonder: Die Schafwollpreise werden weiter subventioniert! Ho! Sieh an!! Naü! riefen wir da durcheinander und richtig aufgekratzt: Nun haben die Herren in Brüssel doch tatsächlich mal an die Landwirtschaft gedacht! Die drei Weisen verstanden zunächst von alledem
kein Wort, aber als sie's halbwegs kapiert hatten, wollten sie selbstverständlich wenigstens assoziiert werden, sagten sie. Na gut, genehmigt, sagten wir Hirten. Weil heut Weihnachten ist. Tjaa, so war das.
Weihnachtsbetrieb
Nehmen Sie mal ein Wort wie Wohlgefallen. Das war das erste Weihnachtsgeschenk. Seinerzeit, damit er endlich Frieden auf Erden gäbe, gab es für den Menschen ein Wohlgefallen. Als Probepackung. Und leider kostenlos. Deswegen ist aus dem Frieden auch nie was geworden: Was nix kostet, is nix. Seither sind Weihnachtsgeschenke nur noch gegen Bezahlung zu kriegen. Weihnachten ist also ein Wirtschaftsfaktor. Er läßt sich, anders als das jeweilige Winterwetter, planerisch präzise erfassen. Erfaßt werden auch die werktätigen Massen, und zwar von Kauflust. Die Lust an sich ist dem Christenglauben suspekt; da wirken wohl alte Verdrängungsmechanismen noch von Paradies und Schlange her - Fleischeslust (!), Sinnenlust (!!), Sauflust. Nachzulesen im Kapitel Konsumgut und Böse. Den Betriebswirt interessiert mehr die Warentheorie. Marx und Engels dagegen interessiert das umgesetzte Kapital. Sie beziehen Jahr für Jahr Posten vor dem großen Kaufhaus. Sie kennen die beiden Herren? Bärtig, mit rotem Mantel, Kapuze und Rute? Friedrich, sagt der Karli, wenn er die gemischten Menschenmassen da hineinströmen sieht, Friedrich: Die Klassengegensätze sind schon aufgehoben! Ja Karli, sagt der Friedrich, Grüßgott, der Urkommunismus marschiert! Der Karli sagt: Wie prophezeit. Ja, sagt der Friedrich, von Johannes dem Käufer. Die Proletarier aller Länder und die Schaffenden der Stirn, die Bauern, Bourgeoisse und Kapitalisten, alle vereinigen sich ergriffen vor den Feiertagen. Ergriffen nicht vom Weihnachtswunder, sondern von einheitlicher Kauflust. Denn, was immer gegen die anderen Lüste gesagt werden mag, Kauflust ist dem Christenmenschen erlaubt. Und die wütet dann aber auch! Der Karli kommt
gar nicht nach mit seinem Taschenrechner, um den Mehrwert herauszurechnen (Ja Karli, sagt der Friedrich, hättest du mal mehr praktisch darüber gearbeitet! ...). Es bricht also eine richtige Kauflustseuche aus. Macht sich breit und alle fiebrig. Käuferinnen und Käufer verbinden sich orgiastisch im Kauflustschrei. ' per Kaufmann kassiert den Kauflustgewinn. Dann macht er um 14 Uhr an Heiligabend dicht. Die Regale sind leer und gähnen ihn an. Er gähnt zurück und schließt die Tür bis Jahresende zu. Sein Weihnachtswunsch ging in Erfüllung. Er hat die Inventur gespart. Die beiden Weihnachtsmänner aber ziehen ihre roten Kittel aus und fahren im hautengen Schidreß zum Wintersport. Neuschnee im Schwarzwald, sagt Friedrich. Friedrich, sagt Karli, sei mir nicht bös, aber ich hab das Gefühl, irgendwas stimmt noch nicht mit unserer VerhaltensTheorie. Und allüberall sitzen sie am Weihnachtsabend mit ihren ganzen Geschenken daheim, mit der folienverschweißten Lachsseite, mit Marzipanstollen, Toaster, Taschentüchern, 4711 und dem Evangelimann auf Compactdisc. Wenn draußen die Dämmerung herniedersinkt, weihnachtsbaumeln sogar die Ausgebufften mit der Seele. Und alle warten, daß das Christkind kommt. Aber das tut ihnen den Wohlgefallen nicht.
Ein Weihnachtsmärchen
Nehmen Sie mal Weihnachten, liebes Kind. Weihnachten ragt wie Bismarck als rocher de bronce in die Fluten des Jahres. Die vorgelagerten Riffe der Adventstage schirmen es ab und rings um die Weihnachts-Inseln dieser zwei, drei Tage schwappen die Wellen, die das Jahr draußen schlägt, nur leis an den Strand. Die Weihnachts-inseln liegen etwa dort, wo sich Äquator und Datumsgrenze kreuzen und, wie sich's gehört, im Pazifischen Ozean. Pazifisch heißt der Ozean nach den sog. Pazifischen, die sich in ihm tummeln. Wie alle Fische hat auch der Pazifisch ein eher stilles Wesen. Obwohl er stets in großen Schwärmen auftritt, ist von ihm nicht viel zu hören. Daher kann man seine heimischen Gewässer auch den Stillen Ozean nennen, was übrigens gerne getan wird. Auf den erwähnten Weihnachtsinseln, dem größten Atoll in diesem Stillen Ozean, leben die letzten Ozeanriesen. Sie sind wirklich sehr groß. Wenn der Weihnachtsmann zur Bescherung bei ihnen weilt, kommt er sich wie ein Gartenzwerg vor. Die Ozeanriesen sind viel unterwegs, hierhin und dorthin. Aber zur Winterzeit kommen sie immer nach Hause und zur Bescherung sind sie alle da. »Weihnachten ist wie Sonderangebot — also nix wie hin!« lautet eine stille Ozean-RiesenRegel. In den Vorweihnachtstagen haben sie stets ein frohes Konsummen auf den Lippen. Auch holen sie sich beim Förster einen Erlaubnisschein für ihr Weihnachtsbäumchen. Das ist bei den Ozeanriesen natürlich so groß, wie anderwärts der Maibaum. Das Bäum-chen stellen sie auf den Balkon, am Nachmittag des 24. Dezember setzen sie die Kinder vors Fernsehen und dann schmücken Vater und Mutter Riese den Weihnachtsbaum. Dann werden die Geschenke für die Kinder ausgebreitet und die für Vater, Mutter und
Opa. Man kann sich denken, daß dafür bei unseren Riesen ein Areal von 3 Morgen kaum ausreicht. Dann legt Vater den Tölzer Knabenchor auf, zündet die Kerzen an und klingelt mit dem Glöckchen die Kinder herbei. Nach der Stillen Nacht geht dann im Stillen Ozean • ein frohes Lärmen los. Die Bänder um die Pakete werden samt dem bunten Papier zerrissen und Ah! und Oh! und Viiielen Dank! und dann serviert Mutter die warme Weihnachtsmettwurst — denn den Pazifisch, der unserem Weihnachtskarpfen ähnelt, essen sie das ganze Jahr - und Friede senkt sich in die Herzen der Riesen. »Ach«, sagt Mutter, »wie schön wäre es, wenn wir mal wieder zu den Verwandten ins Riesengebirge fahren könnten ...« Opa denkt an die ändern Weihnachtsinseln, südlich von Java, wo sie früher mal gelebt hatten: »Das waren noch Zeiten damals, in der Kalten Heimat, bevor die Engländer dort ihre Wasserstoffbomben testen mußten ...« »Na, und was machen wir denn nächstes Jahr?« fragt Vater, und dann gehts los. Die Riesen-Reisekataloge werden gewälzt und Pläne geschmiedet und Geld gezählt und es ist alles einfach riesig nett bei den Leuten. Der Weihnachtsmann, der ein bißchen verloren in der Gegend rumgestanden hat, verabschiedet sich auf französisch — er muß noch nach Mururoa. Die Ozeanriesen aber reisen in den Osterferien auf die Osterinseln, wo sie ihre Köpfe in den Sand stecken und den Archäologen später Rätsel aufgeben: Waren das jetzt Menschen? Oder Riesen? Oder sind sie von einem anderen Planeten gekommen? Vielleicht vom Weihnachtsstern? Und waren sie glücklich und zufrieden? Und leben sie, wenn sie nicht gestorben sind, noch heute?
Warum wir Weihnachten im Winter feiern
Nehmen Sie mal den Winter. Zur Zeit ist er da und herrscht, bis ihn der Frühling verdrängt. Aber er läßt sich von Frühling, Sommer und Herbst nicht für dauernd verscheuchen. Er zieht sich bloß, wie schon Goethe erkannt hat, grollend in die Berge zurück. Von dorten sendet er die bekannten Schauer körnigen Eises, die Faust seinen Osterspaziergang vermiest haben. Dann trainiert er für den nächsten Winter, der Winter. Ein alter Lawiner! Aber irgendwie mögen wir ihn. Er hat so was Menschliches. Mutter Natur geht mit ihm neun Monate schwanger. Die Niederkunft kündigt sich durch erste Schnee-Wehen an. Hat er das Licht der Welt erblickt, kriegt er einen Klaps auf den Wintern und schreit »Rarara, der Winter der ist da«. Wie alle Säuglinge ist der Winter j anusköpf ig: Vorne lustig, hinten lästig. Er wächst schnell heran und ist oft ungezogen. Er treibt die Röte ins Gesicht und die Heizkosten hoch. Aber er hat für jeden was übrig. Den lohnabhängig Beschäftigten erlaubt er, auch mal mit jemandem Schlitten zu fahren. Ganoven dürfen die Schlittschuhe anziehen und auf dem Stadtweiher das Einbrechen üben. Die Eisbären im Zoo können mit Schwitzen aufhören. Den Eseln wird es zu wohl. Bernhardiner binden sich Schnapsfässer um den Hals und lecken lüstern die Lefzen. Wenn das Radio morgens meldet: Neuschnee fallend, färben sich die Backen der Bänker. Sie haben auf Baisse spekuliert. Nun steigen die Skikurse. Die deutsche Hausfrau vertauscht das Staubtuch mit den Brettern und wedelt über die Hänge. Fortschrittliche Unternehmer schicken die Belegschaft auf die Langlaufloipe, damit die Burschen besser spuren. Die Wintersportorte beleben sich. Redliche Holzhackerbuam werden zu Pistenpapagallos und betätigen sich als Apres-Schi-Zrichter. Im Keilhosengedrän-
gel der Damen an der Bar ist kein Spalt mehr frei. Der Nachtdienst-Terminkalender der Skilehrer wird voller. Die Wintermode kann ihre neuesten Kreationen zeigen. Ganz junge Damen tragen Haschmir oder graue Börsianer. Altere mit literarischen Ambitionen bevor.zugen irisch gemusterte Bernhard Shawls und zuzeln eisgekühlten Orangen-Joyce. Ganz reife lieben noch erlesenere Freuden. Sie nehmen Thomas Mann und Felix Krull mit in die Kammer zum Zeitvertreib, bis der Dritte Mann draußen die Leiter anlegt. Er heißt Bepperl und ist Jungbauer. In Verkennung ländlicher Hierarchien sprechen sie zu ihm verwundert: »Du entkleidest mich, kühner Knecht!?« Ja, Winterszeit ist Reifezeit. Der Rauhreif fällt, die Winteräpfel kommen zum Reifen in den Keller zu den heruntergekommenen Sommerreifen, derweil die Winterreifen raufgekommen sind. Der Winter sorgt aber nicht nur für die Umsätze und rettet nicht nur die Heizölraffinerien vor dem Erfrieren in der kalten Luft des Wettbewerbs — er bringt auch seine eigene Produktpalette mit. Glatteis z.B. asphaltiert die Straßen. Nach der Fahrt ins Büro hat der Wagen die Beulenpest wie nach der Camel-Trophy. Sehr hübsch sind auch die Eiszapfen. Am Dachkandel künden sie vom Weißen Hai oder geben eine Vorstellung vom Innenleben der Eisernen Jungfrau. Am Gartenwasserkran erzählen sie von der versäumten Gelegenheit, die Leitung abzulassen. Der Höhepunkt des Winters ist der von ihm hergestellte Winterurlaub. Wenn er vorbei ist, nimmt der Chef die Parade der Wintersport-Invaliden ab und erwägt, dem Betrieb eine Knochenmehlhandlung sowie ein Gipsbeinhaus anzuschließen. Das beste am Winter ist jedoch, daß er so friedlich macht. Schon früh am Morgen können es 47,3% der Bundesbürger nicht erwarten, sich zu erbauen an der weißen Pracht des Schnees, der in der Nacht gefallen ist. Vor Tagesanbruch werden sie, die Eigenheim-Be-
sitzer, durch Vorfreude und Verwaltungsvorschrift aus der Wärme des zumeist ehelichen Beilagers getrieben. Dick vermummt treten sie hinaus ins feindliche Leben. Mit Zittern, Zagen und Schneeschaufel kratzen sie ihren Bürgersteig frei. Im Winter ist er stets zu lang. So fallen territoriale Forderungen, die Nachbarn das übrige Jahr hindurch bezüglich der weiteren Ausgedehntheit der eigenen Grundstücksgrenzen gegeneinander erhoben, bei tiefen Temperaturen in den Winterschlaf. Hinzu kommt die gewisse erzieherische Wirkung der für die Jahreszeit typischen kalten Füße. Früher war man ganz scharf darauf, sie sich zu holen. Napoleon und andere Feldherrn marschierten dafür sogar bis nach Rußland. Dort hat der Winter, wie wir seither wissen, Karriere gemacht und ist General geworden. Viele haben ihn kennengelernt. Sie zumindest schätzen heute warme Pantoffel. Und weil der Winter deshalb in unseren Breiten eine so friedliche Jahreszeit geworden ist, wird auch das Weihnachtsfest im Winter gefeiert. Denn dann auf jeden Fall ist Frieden auf Erden.
Vom Umtausch ausgeschlossen.
Nehmen Sie mal die Tauschgeschäfte. Sie öffnen am ersten Verkaufstag nach Weihnachten im ganzen Lan-,4e schlagartig ihre Pforten. Kaufmannschaft und Kunden kehren für einige Wochen wieder zu jener Warenverkehrsform zurück, die gang und gäbe war, bevor Geld die Welt regierte. Damit wird das Geschenkwesen unterm Weihnachtsbaum zur gesundheitsfördernden Maßnahme. Sie bringt Massen von Menschen guten Willens an die frische Luft: vor Weihnachten, um einzukaufen, nach Weihnachten, um umzutauschen. Umtauschaktionen sind eine milde Abart der Protestaktionen. An ihnen kann sich auch der staatserhaltend gesonnene Bürger warm vermummt beteiligen. Pullover, Blusen, Hemden und Krawatten sind zwar bereits ins Eigentum der damit Beschenkten übergegangen, und Eigentum verpflichtet zum Tragen - aber es muß ja schließlich passen! Und hier wird ein unscheinbares Stück Papier wichtig: Der Kassenbon! Er ist gewissermaßen die Kreditkarte des Tauschhandels. Ein Garant unserer Wirtschaftsordnung, die Angebot und Nachfrage mittels Kaufvorgang regelt, der Inbesitznahme ermöglicht. Keinen Kassenbon gab es beim Raub der Sabinerinnen - also auch keine Umtauschmöglichkeit. Deshalb konnte sich jene unkonventionelle Erwerbsmethode auch nie so recht durchsetzen. Außerdem läßt sich per Kassenbon der Warenwert eindeutig ermitteln. Das steigert oder reduziert die Freude des Beschenkten, je nachdem, und läßt den Schenkenden, der ggf. den Bon zu übergeben hätte, in Furcht leben. Nun gut. Im Februar, März jedenfalls gewinnt dann das gewohnte Wechselgeschäft - hie Ware, da Geld — wieder Oberhand. Verweilen wir aber noch einen Moment bei Tausch und Umtausch. Der Umtausch ist ein signifikantes Merkmal dessen, was wir die Zeit der Veränderung nennen. Diese be-
gann nicht erst mit dem Wandel durch Annäherung (der Wandel-Annäher revolutionierte seinerzeit, wie Sie sich erinnern werden, die Haute Couture, die bis dahin nur den Abnäher gekannt hatte) — nein, schon etliche Jahre vorher hatte ja die ganze Gesellschaft sich verändert und aus Volksgenossen waren Volksaktionäre geworden. Mitläufer liefen plötzlich nicht länger mit, sondern schritten voran. Die anschließende Automobilisierung machte dann aus Nachkommen, die zu Fuß nachkamen, Nachfahren. Deshalb kommen wir heute auch so schnell durch den weiteren Gesellschaftswandel. Der wiederum ist gekennzeichnet durch den Wertewandel. Wertewandel ist, wenn ein Kredit sich als verlorener Zuschuß herausstellt (Typ der südamerikanischen Wandelanleihe). Wertewandel gibt es auch in der Politik. Dort entsteht er vor allem durch den Abbau von Feind-Bildern. Dadurch werden neue Seligkeiten aus alten Feindseligkeiten. Solche erfreulichen Entwicklungen gehen stets von den USA aus. Dort wird seit neuestem der Höllenhund Zerberuss aus dem Reich des Bösen als Himmelhund gehandelt. Verwöhnten Kommunistenfressern wurde Gorbatschow auf eine Weise serviert, daß sie verzückt die Augen verdrehten: »Ein Satansbraten!«, und als überzeugte Gorbatschowinisten nach Hause gingen. Sie bezeichneten G. als »Good guy« und versuchten gar, ihm beim Unterzeichnen der zahlreichen Schriftstücke zum Mittelstreckenraketenabbau einen Einbürgerungsantrag unterzujubeln; ein diskretes Hüsteln Raissas machte den Versuch zunichte. Wir Deutsche erinnern uns noch sehr gut, wie ein ähnliches akquisitorisches Ungeschick seinerzeit zum Sturze des Kanzlers Schmidt führte, weil dieser sich hartnäckig weigerte, CDU-Mitglied zu werden. Dies und die Tatsache, daß der Kassenbon von der CDU inzwischen verschlampt worden ist, erklärt, weshalb Kohl vom Umtausch ausgeschlossen ist.
An Silvester ist alles Knall und Rauch
»Nehmen Sie doch mal da den Abreißkalender von der Wand. Na? Gewogen - und zu leicht befunden! * Nur noch ein einziges Blättchen hängt da einsam und verloren. Silvester ist nahe, wenn die letzten Kalenderblätter fallen und wenn Silvester vorbei ist, dann ist schon wieder ein neues Jahr da.« »Na und? kann ich da nur sagen, na und?!« »Aber wie meinen Sie das? Gestatten Sie übrigens: Pierenkötter!« »Angenehm Kramann, na diese Vorstellung, daß Silvester ein Abflußloch ist, in dem das auslaufende Jahr wie fettiges Spülwasser verrinnt, schlürfende Trichter bildend, rechtsdrehend wie Milchsäure ...« »... sehr schön, sehr schön!« »Aber absurd! Absolut absurd! Es geht doch weiter, mein Herr! Der nächste Abwasch steht schon rum, und zu Weihnachten hats eine Geschirrspülmaschine gegeben, Schluß ist mit dem Loch und dem Trichter und den Fetträndern im Spülbecken!« »Das Leben geht weiter, jaa!« »Und wenn heute abend der Einunddreißigste ist, dann ist morgen wieder der Erste. Und so ad infini-tum! Ich denke mir das Ganze lieber wie eine Wurst, wie einen runden Ringel Lyoner. Man kann sie an irgendeinem Zipfel anschneiden oder in der Mitte -und überall schmeckt sie gleich gut!« »Und wo ihrs faßt, da ist es interessant!« »Richtig! Wozu also dieser künstliche Frohsinn zum Jahresende? Als ob der letzte Zipfel das beste wäre!« »Außerdem bin ich von Weihnachten noch so satt... diese vielen Plätzchen und die Lebkuchen ... und diese fette Gans!« »MannnnU Jetzt einen Klaren! Ja!?!?« »Seeehr gut! Sie auch einen! ... Prossstü« »Haachchch! Das tut gut! Noch einen, damit wir uns nicht so verloren vorkommen ... Prossst!«
»Es geht hält nichts über veredelten Alkohol! O danke! ... Na gut. Nochmal: Prost!« »Die Jahre sind doch wie diese Schlange... diese Alkohol... nä, diese Benzolschlange ...« »... die Bergius wegen dem Kohlenwasserstoff im Traum ... und dann beißt sie ihn ... oder wie?« »Dann beißti... beißt sie ... sich in Schwanz ...« »... und davon gehen uns unsere schönen Raffinerien kaputt!« »Oder wie eine Katze, die sich dauernd in ... äh ... und dabei dreht es sich ... ääh ... dreht sie sich ... Mannomann ... uun da weisstu garnichtmea wo hinten und vorne is ...« »Prost! Prrrossstü Der Könich is tot... es leee der Kööich! Is doch einer so gut... opps ... Zeiungü eier so gut wier annere ... Prost!« »Sommama was andres?? Fleicht Sekt??? Ooor eine weibliche Dame, eine Sekte?« »Aaar bitte ohne Guru bitte!« »Ooor Her Schampanjer? Gippma her... na mach du ... aaa paß auf die Lampe ... auf... hahaaa! Aussezeichnet! Zun Wohle! Was schert mich Weib, wer schert mein Kind ...« »Schimpanjer soll leeem!« »Wwwipieee? Schon ein Affn? Schimpanjer??« »Als hochdeko ... najeenfalls Teilnea der Schimpanzerschlacht um Arjol...« »Arjoll??« »Oorellllü« »Wasdn - du aach!? Wo??« »Sippsehnte Kalleridission ...« »Kennschde Oooast Piembrink? Und Balljohnsscheff Müller mit Doppelell?« »Meiner!« »Waaas ... deiner aach? Maaannnn! Das Johr fangtawwer guddaan!« »Hattoch noch garnich uffjehört...!!« »Umso besser! Umso besser! Awwer doo missemer awwer mol... awwer mol... awwer werklisch ääner druff dringkeü«
Im neuen Jahr nur Liebe
Nun nehmen Sie doch mal wieder Haltung ein! Aufgehört jetzt mit dem Gejammer! Weihnachten ist vor-• bei und das Leben geht weiter. Die nächste Nacht der langen Gesichter gibts ja erst wieder Ende dieses Jahres. Natürlich, natürlich, es war wieder einmal die ganz große Enttäuschung. Wie alle Jahre wieder. Großmutter hatte auf einen Farbfernseher gehofft und was kriegt sie: einen Bildband über Schwarzafrika! Tante Amalie hatte sich auf einen warmen Schal gefreut und kriegte eine Kühlbox. Onkel Willy kriegte statt Strümpfe Handschuhe, Herr Meier kriegte statt Rotwein Schnupfen. Karl hatte gehofft, er kriegt Elli rum, aber die hat nun Emil vernascht. Jetzt liegt sie ihm schwer im Magen und er meint, es war die fette Weihnachtsgans. Wieder mal hat das Absingen der Weihnachtslieder nicht geklappt. Statt der Ros' ist die Nadel aus der Rille entsprungen und alle haben ohne Textbuch wie der Fisch auf dem trockenen Playback nach Luft geschnappt. Da kommt Laune auf, sag ich euch! Und das ging weiter: Erstmals hat Mutter die Zimtsterne mit biologisch astreinem Roggenmehl samt
Spelzenballaststoffen gebacken. Jetzt hat der Zahnarzt alle Hände voll zu tun und mußte die vorgesehene Neujahrsreise zu den Malediven absagen (das gesparte Geld steckt er steuerbegünstigt in eine Bio-Kommune, um dem o. a. Roggenmehl zum Durchbruch zu verhelfen ...). Und die Krankenkasse wird lange an diesen Zimtsternen knabbern! Klein Uwe hat dem großen Bruder am zweiten Feiertag in den Chemie-Baukasten gepinkelt und laboriert noch an der Rauchvergiftung. Paulinchen war am Silvesterabend allein zu Haus, hat sich in Ruhe mal die neuen Pornos im Video angeschaut und stellt seitdem Fragen, die normalerweise von siebenjährigen Damen nicht gestellt werden. Also alles zusammen: Das Gelbe vom Ei war Weihnachten wirklich nicht! Und doch, und doch! Es war das Fest der Liebe! Was wir uns sonst das ganze Jahr über nur auf energische Anforderung verschaffen können, das gabs zu Weihnachten satt: Liebe, Liebe, Liebe! Von morgens bis abends. Wir haben uns lieb ins Auge geguckt, uns lieb angefaßt und lieb miteinander geredet. Wir haben lieb hingehört, die Kinder haben lieb geschlafen. Beim Spaziergang am Weihnachtsmorgen haben die Nachbarn sich lieb gegrüßt. In rauhen Mengen gab es Liebe! »Weißt du was«, sagt Mutter zum Vater: »Wir haben soviel Liebe — ich frier was ein!« — »Recht so, Mutter«, sagt der Vater. »Ich mach kleine Portionen«, sagt Mutter, »da kann man öfter mal ein Häppchen nehmen, als Nachtisch oder wenn Besuch kommt. Und wenn wir im Frühling mal wieder wandern, haben wir ein bißchen Marschverpflegung!« - »Eiserne Ration haben wir das im Krieg genannt«, sagt Opa. »Schön, schön,« sagt Vater, der in seiner Sorge um die Familie immer weit vorausdenkt: »Wenn wir dann sparsam mit der Liebe umgehen, langtse bis nächste Weihnachten!«
Vorsätze
Im gehörigen Abstand nach Neujahr zu lesen. , Nehmen Sie mal wieder Ihren Kopf zur Hand. So wie •Walther von der Vogelweide: ».. .und dahte bein mit beine: dar üf satzt ich den eilenbogen: ich hete in mine hant gesmogen daz kinne unt ein min wange. Do dahte ich mir vil ange, wie man zer weite solte leben ...« Er konnte sich so wenig einen Rat geben, wie wir uns heute einen geben lassen. Und genau wie er haben wir in dieser halben nachdenklichen Minute in der Neujahrsnacht dagesessen und über uns und die Welt nachgedacht. Und drum wollen wir heute mal ein erstes Resümee ziehen. Immerhin sind seither ein, zwei Monate ins Land gegangen. Was ist denn aus unseren Vorsätzen geworden? Denn Sie haben doch hoffentlich welche gefaßt?? Ich weiß, ich weiß, die Vorsätze kommen und vergehen so flink, man kriegt sie schwer zu fassen. Aber mit ein bißchen Glück erwischt man sie wie Wünsche am Schwanz und läßt sich von ihnen fortziehen wie die Ski-Jöring-Fahrer von den galoppierenden Gäulen auf dem See, dem zugefrorenen, bei St. Moritz. Dann brausen wir dahin und hoffen, daß das Eis trägt. Ja, mit den guten Vorsätzen ist das so eine Sache. Man muß nämlich mehrere fassen. Denn nur in der Mehrzahl sind die Vorsätze gut. »Der einzählige Vorsatz dagegen ist böse. Ein Übeltäter z.B. faßt ihn, bevor ihn die Justiz faßt. Wenn die Justiz allerdings das Finanzgericht ist, war's ein Kavaliersdelikt. Das ist, wenn einer was tut, was er nie täte, wenn der andere Sie oder ich wäre. Da der andere aber das Finanzamt ist, tut er's. Der Gegensatz zum Vorsatz ist die Fahrlässigkeit. Deshalb soll man, gerade im Winter, nicht lässig fahren, sondern vorsichtig. Und auf den Einsatz der Streufahrzeuge achten, damit man in Takt bleibt.
Streufahrzeuge arbeiten übrigens wie Gießkannen, nach dem Subventionsprinzip; jeder kriegt einen Schlag ab. Subventionen sind das Streusalz in der Suppe der Marktwirtschaft, damit sie nicht so heiß gegessen werden muß, wie sie gekocht wurde. Neuerdings entbrennt ja wieder dieser Streit: Mit Salz oder salz/os? Mit Salz geht's gegen Bäume und Autos, denn Salz gibt Rost. Salzlos gehts mit den Autos gegen die Bäume und gegen die Versicherungen; aber der Rost springt wenigstens ab. So ist das nun mal mit den guten Vorsätzen: Sie werden uns meistens versalzen. Des Lebens unvermischte Freude ward keinem Irdischen zuteil. Und damit auch die Außerirdischen nicht zu früh jubeln, kriegen die ihr Sah im SDI-Vakuum-pack. Zum Schluß haben wir's alle miteinander im Salz liegen, und die paar guten Vorsätze schwimmen wie einsame Fettaugen auf der Wassersuppe. Manche Vorsätze wagen wir uns schon garnicht auszudenken, geschweige denn sie auszusprechen. Es könnte ja was Unpassendes sein, was wir uns - und den ändern! — mit unseren Vorsätzen da vorsetzen! Und unpassend wollen wir nicht sein. Nicht Unpas-sung — Anpassung heißt die Devise, die allein in gute, harte DM konvertierbar ist! Denn, was wünschte sich so richtig schon Walther von der Vogelweide: Ehre, irdische Güter und »gotes hulde«. Nabitte, da werden wir sie doch auch anstreben dürfen! Jahaa - wenn jeder Vor-Satz gleichbedeutend mit einem Vor-Sprung wäre! Aber die Zeit der großen Vorsprünge ist doch vorbei! So gilt eben auch für uns, bevor wir uns fahrlässig auf irgendein Glatteis begeben: Vorsicht] Denn: Dem Vorsatz nähertreten hieße ja, aus dem VorSatz ein Vor-Haben machen. Und das Vorhaben verwirklichen, hieße ja: Etwas verändern! Und verändern wollen wir zwar viel, aber am liebsten tragen wir doch die alten Sachen gewendet. Wozu haben wir schließlich unseren Bundespräsidenten? Der kann es sich leisten, auszusprechen, was unsereins teuer zu stehen käme! Denn wir, wir müssen doch aus unseren Brüsten Mördergruben machen, bis wir se-
hen, ob der Wind sich gedreht hat. Dann erst stecken wir die Nase wie's Häseken aus der Grube und pusten alle kräftig mit. Das bringt dann Ehre, Gut und Huld, vor allem aber Gut. »Ja aber so einfach ist das nicht. Bei Walther von der Vogelweide heißt es zum Schluß: Frieden und Recht sind todwund: bevor die beiden nicht gesund werden, gibt's für Ehre, Gut und Huld kein' Sicherheit!« Ja wenn das so ist!? Aber für Frieden und Recht haben wir doch die Politiker! Und falls wir selber da was zu ... also ich meine, wenn es auch an uns liegen ... wir könnten es ja unter die guten Vorsätze ...? ... und dann haben wir ja noch ein bißchen Zeit!! ...
Im neuen Jahr wird alles anders! Fazit einer Jahresabrechnung
Nehmen Sie sich mal die Jahresabrechnung vor. Sie gliedert sich in Einnahmen und Ausgaben. Zum Jahresende hin addiert sich da einiges - ach was, es addiert sich nicht bloß, es kommt zum Endspurt! Jedenfalls bei den Ausgaben. Wem sag ich das. Allein diese Schenkerei! Aber davon will ich jetzt nicht reden, sondern von den Einnahmen. Die nämlich reduzieren sich. Ich zum Beispiel habe nichts als homöopathische Tropfen eingenommen. Wegen des Schnupfens. Diese zwar stündlich und 10 bis 20 und perlingual, aber was ist das schon? Und vor allem: Was hilfts? Der Schnupfen kommt 8 Tage, bleibt 8 Tage, geht 8 Tage. Schöne Aussichten. Das neue Jahr fängt gut an. Außerdem nehme ich 3x tgl. süßen Sirup. Ihm wohnen nicht nur übernatürliche Kräfte inne, sondern auch pflanzliche Wirkstoffe. Gemeinsam kümmern sie sich um meinen Husten, den reizend rauhen Bruder des flotten Schnupfens. Aber damit hats sich auch schon mit den Einnahmen. Nicht jedoch mit den Ausgaben, die sich in Form von Abrechnungen präsentieren. Kostenpflichtigen und anderen. Mitten in der Nacht nach Weihnachten z.B. hat sich mein Ischiasnerv erinnert, daß er mit mir noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Mit Bettflasche und Rheumasalbe allein konnte ich ihn noch nicht aus dem Felde schlagen. Erst als ich die Leibbinde anlegte, hat er sich totgelacht. Meine Frau beinah auch. Dabei war der das Lachen schon vorher vergangen. Am Tag vor Heilig Abend hatte sie nämlich die Bescherung. DM 98,50 für den Mann vom Schnellreparaturdienst plus MWSt. plus eine Flasche Wein. Den Wein wg. festlichen Termindrucks und prompten Erscheinens, beides wg. des zusammengebrochenen Leitungs- und Sicherungsnetzes
und dieses wiederum wg. Weihnachtsbäckerei, Waschmaschine, Wäschetrockner und Dunstabzug, alles zusammen auf Hochtouren drehend. Am Tag vorher hatten wir im stillen Ort lauter Wasser. Wie das?? Rückstau vom Regen, der doch nicht gefallen war? Erneutes Versagen des Abwasserverbandes? Plötzlicher Tanz der Erdgeister? Jedenfalls Abrechnung vom Kanalschnellreinigungsdienst wg. um Ausfräsen von Wurzeln im Kanal DM 361,- plus MWSt. und eine Flasche Wein wg. s.o. Dann: Kaffeemaschine 3 Tage vor Familienjahrestreffen defekt, Einschicken ins Werk, Postpaket samt Reparaturkostenschätzung werkseits DM 58,-, Kaffeemaschinenrückkehrterminschätzung unsererseits ca. Mai. Bis dahin Fencheltee. Rolladengurt im Schlafzimmer am i.Feiertag gerissen; nu is dort zappendüster. Daraufhin am 2. Feiertag wenigstens eigenhändig Rolladenkette am Küchenfenster nach Abschrauben der Deckplatte wieder über die Rolle gelegt. Erstmals seit Juli scheint ihr nun die Abendsonne wieder, meiner Frau. Kaum Dreck gemacht, keine Beschädigungen an Fenster, Mobiliar und Geschirr. Dennoch kein Dank und kein Nischt und kein Garnischt. Wohin ich blicke in diesen Tagen: Teilzusammenbrüche unseres Ambiente, wie man die apparativ geprägte Lebensumwelt nennt, in der wir uns, weitgehend fremdbestimmt, bewegen. Teilzusammenbrüche,
frühes Chaos und beginnender Verfall der Sitten. Aber, Weihnachtsfrieden hin oder her: Die Söhne hab ich jedenfalls in den Senkel gestellt samt ihren Eheweibern! Schluß ist in Zukunft wieder mit der Pafferei, wenn Vatter noch den Pudding löffelt! Und pünktlich wird künftig angetanzt, damit Mutter nicht verzwad-dert, weil das Ragufäng zu Stein wird! Die haben vielleicht geguckt!! Damit haben wir aber, glaub ich, das Schlimmste auch hinter uns. Jetzt kanns nur noch besser werden! Jetzt gehts aufwärts! Oder wie unsere Tante Hilde sagt: Gestern noch gesund und munter, und heut' schmeckts schon wieder!
Die Fastenzeit
Nehmen Sie mal die Bundesländer vor der Fastenzeit. Keine Angst, ich rede nicht über die AbgeordnetenDiäten. Und auch nicht über Diät, obwohl ich was über die Fastenzeit sagen will, die in den verschiedenen Bundesländern verschieden gehandhabt wird. In den west- und süddeutschen Bundesländern verläuft das Leben in diesen Wochen voller Frohsinn, der streng organisiert ist. Die Menschen jener Zonen blikken dann pflichtgemäß und permanent heiter. Die Menschen in norddeutschen Landen hingegen finden das weniger lustig und blicken verständnislos. Die Beweggründe der Süd- und Südwestdeutschen liegen für die Norddeutschen fast völlig im Dunkel. Von daher also auch der Name Fast-Nacht. Die Fastnacht ist ein Überbleibsel der spätrömischen Saturnalien. Bei diesen Festen wurde feste gesoffen. Damit ihr Magen wieder in Ordnung kam, schalteten die Römer dann ein paar Fastentage ein. Diese Art Festivitäten hat sich erstaunlich zäh durch die Jahrhunderte und in vielen Ländern gehalten. Es gibt den Karneval in Rio, den in Venedig und den in Köln. In Mainz, das in den betreffenden Wochen Määnz heißt, wird die Veranstaltung Fassenacht genannt. Die Insider-Bezeichnung in Köln ist Fastelovend. In München, das sich gern Hauptstadt dieser Bewegung nennen hört, sagt rnan Fasching. Die Bewegung findet auf eigens dafür eingerichteten Bällen statt. Bei rheinischen Kappensitzungen, einer anderen Art der Karnevalsbelustigung, wird bei Tusch gelacht und bei Tisch geschunkelt. Die Schunkelbewegung erzeugt durch Unterhaken einheitlich wogende Tischreihen. Wer aus dem Takt gerät, dem reißt der Nachbar den Arm aus der Gelenkpfanne. Als Spätfolge der heidnischen Züge der Sache hat sich die Bewegung in Form von Umzügen auch auf die Straße verlagert. Die Umzüge fallen durch die Anzüge
der Teilnehmer auf. Viele Anzüge sind Auszüge, wenn die Wetterlage und der Gesundheitszustand der Ausgezogenen es erlauben. Solche Züge haben Fahrplan, Fahrzeiten und Fahrleiter. Dekorationsunternehmen, Künstler, Vereinsvorstände und Stadträte sind in den Metropolen des Frohsinns ernsthaft damit beschäftigt, die Themen und das Geld für die Züge zusammenzukriegen. Anschließend wird es - was zumal Kommunalpolitikern keine Schwierigkeiten bereitet - mit vollen Händen ausgegeben. Und in Form von Bonbons unters Volk geschmissen. In Köln kennt man zusätzlich noch »Veedels-zööch«, wobei jedes Stadtviertel seinen Zug veranstaltet. Dabei ist die Verkleidung der Teilnehmer eine nachhaltige, dem Vermummungsverbot zum Trotz. In Freiburg, auch im schweizerischen Basel, findet alemannischer Mummenschanz statt. Alles miteinander dient der zwischenmenschlichen Begegnung. So auch das in norddeutschen Landen am Meer beliebte Biekebrennen. Dabei stehen hunderte von Menschen froh beieinander und blicken wehmütig in die lodernden Flammen am Strand. Sie gedenken der Altvorderen, die vor 150 Jahren zur Zeit der Frühlingsstürme Strandgut sammelten. Aus Branntweinfässern, Schinkenseiten und Perlenkisten entstanden die Vermögen von heute. Die Kölner aber brachten schon vor 150 Jahren zur Finanzierung des Karnevals ihr Bett ins Pfandhaus. So verschieden waren schon damals die Bundesländer.
Fasnacht, ein deutsches Märchen
»Ach nehmen Sie doch mal die Maske vom Gesicht, mein Herr. Man kann sich garnicht richtig unterhalten. Sie sehen allzu lächerlich aus!« »Ist es so besser, meine Dame?« » Aaahahahahaaaahihihihiii!« »Wie bitte?« »Aaahahahahaaaahihihihiii!« »Ich verstehe: Sie sind ein verkleideter Lachsack!?« »Neinein, entschuldigen Sie bitte - aber das ist ja geradezu märchenhaft, wie Sie aussehen! Und das an Fasnacht!!« »Ja aber wußten Sie denn nicht, daß Fasnacht märchenhaft ist? Ohne das Märchen wäre diese Festivität überhaupt nicht existent, geschweige denn relevant!« »Meinen Sie das im Ernst? Aber die Gebrüder Grimm haben dessen nie und nirgend irgend Erwähnung getan!« »O meine Herzenskönigin - die Gebrüder Grimm!! Die hatten doch nur das hundertjährige Jubiläum und ihre Taschenbuchausgabe im Kopf! Dabei ist es so augen-scheinlich! Denken Sie doch nur mal an Rotkäppchen und den Wolf! Was sagte Rotkäppchen zu der Großmutter, die im Bett liegt? Na?« »Großmutter, was hast du für große Ohren?« »Und?« »Großmutter, was hast du für große Augen?« »Und und, weiter?« »Großmutter, was hast du für eine große Nase? Und dann: Großer Mund ... Jaa! Natürlich!! Die Großmutter hatte sich zum Maskenball verkleidet!!« »Aber neieiein! Der Wolf hatte sich als Großmutter verkleidet!« »Ach richtig, ja sicher. Interessant. Eine aufsehenerregende These. Haben Sie noch mehr Beispiele?« »Aber jede Menge! Was war mit dem Froschkönig? Erinnern Sie sich?«
»Ja - er war so glitschig ..« »Aber nein - wer steckte denn drin??« »Tja - wer steckt schon in einem anderen drin?« »Aber nicht doch! Der Prinz steckte drin!« »Natürlich, der Prinz! Der dann so zudringlich wurde, daß sie ihn an die Wand geplackt hat!« »Aber neieiein!! Sie hat ihn an die Wand geplackt, damit er ein Prinz werden konnte!!« »Recht so. Soo sollten sie ruhig mal alle Prinzen anpacken und hinplacken, damit sie zu sich kommen!« »Aber meine Beste - wie wollen Sie sowas mit dem Prinzen machen, der bei Schneeweißchen und Rosenrot drinsteckte?« »Bei beiden!? Na ich muß doch bitten!!« »Als Bär doch, als Bär! In dem Märchen steckte er als Bär im Prinzen - na was red ich da: Als Prinz im Bären. Ist also auch eine Verkleidungsgeschichte. Oder nicht?« »Tatsächlich! Jetzt fällt bei mit der Groschen! Das häßliche junge Entlein! Es wurde bei C&A Andersen zum schönen Schwan! Und die wilden Schwäne waren abends immer die Prinzengarde! Es ist toll! Ganz toll! Was da alles drinsteckt!« »Und denken Sie auch an das Anti-Verkleidungsmärchen: Des Königs neue Kleider. Wie der König in der Unterhose im Rosenmontagszug durch die Straßen läuft!« »Und das Volk kringelt sich vor Lachen! Das ist wirklich eine tolle These, daß Fasnacht ... daß das
alles aus dem Märchen stammt! Diese Übereinstammung! Und auch: Diese schöne Übereinstimmung zwischen uns beiden... Wissen Sie was: Wir sagen du zueinander! Ich heiße Emmi.« »Oh wie schön! Und was meinst du wohl, wie ich heiße??« »Du heißt... Rumpelstilzchen!« »Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt!!« (Stampft mit dem Fuß auf, bricht in den Boden ein, versucht sich herauszuziehen, reißt sich auseinander).
Windiger Feiertagsreisebericht
Oder nehmen Sie bloß mal den Tagesschausprecher. Keck spricht er ins abendliche Wohnzimmer hinein von der morgig zu erwartenden Wetterlage und daß ihr Nam und Art wohl eine Vielzahl Feiertagsreisender veranlassen werde, die Sonne im Süden zu suchen, da sie im Norden ausbleiben werde. Er löst in uns Widerspruch aus. Einerseits gegen das Öffentlich-Rechtliche überhaupt, andererseits gegen das Unverfrorene seiner Sonnenbedürfnis-Vermutung und drittens, wen wundert's, gegen jedwede Art der Meteorologie. Schon anderntags stapfen wir unter einer tiefhängenden Wolkendecke am westlichen Strand einer nördlichen Insel in nordnordöstlicher Richtung bei nordwestlichem Wind. Er fühlt sich für die Jahreszeit zu kühl an. Besonders an den linken Ohren. Denn wir sind zu viert. Eine Person trägt zwar die bei kalten Winden warm zu empfehlende Zipfelmütze; diese läßt bekanntlich nur so viel Wind aufs Ohr, wie durch die für gestrickte Wollwaren typischen Löcher paßt. Auf den drei anderen Personen befindet sich aber nur eine einzelne Schirmmütze, so daß zwei Personen barhäuptig sind. Drei Ohrmuscheln also sind offen und ins Meeresrauschen gerichtet. Sie erröten zusehends, als ob der Wind ihnen ein unanständiges Lied erzählte. Schon nach fünf bis sechs Minuten haben sie jenes kennzeichnende Blau-Rot, das auf die nahe bevorstehende Erfrierung dritten Grades deutet. Dennoch bewahren alle Ruhe. Noch ist der Wind kein Orkan und das Ohr kann demnach - einer alten Küstenweisheit zufolge — noch nicht abfallen. Noch wirkt, was den weiteren Weg des Windes ins Körperinnere betrifft, der verwinkelt angelegte Gehör-Gang als Windfang. Gewohnt, bis dahin frei über See oder auch andernorts durch Wald und Flur zu streichen, gerät der Wind im
gewundenen Ohr-Korridor nämlich aus dem Tritt (in Unkenntnis der Strömungsbedingungen in solcherart geformten Raumgebilden reimte Rainer Maria Rilke ». .und auf den Fluren laß die Winde los..« und decouvrierte sich damit entweder als ahnungslos oder als zumindest keineswegs rainer M. Knigge). Am Ende des Ohrgewindes wehrt dem wirklich durchgekommenen Rest-Nordwestwehen zudem das Trommelfell. Es ist unsere Wanderung findet ja in kühler Jahreszeit statt ein Trommel-Winterfell. Ja wir sind gut ausgerüstet für den Kampf ums Dasein! Da der Wind uns also nichts anhaben kann, peitscht er statt dessen die Wogen. Als ob Neptun wie Leopold Masoch wäre! Unsere Haltung hingegen ist weiterhin vorbildlich: Schräg nach vorn links geneigt gegen den Wind gerichtet, der aus vollen Backen bläst. Da plötzlich muß der Wind aber mal Luft holen. Der unvermutete Wegfall des Windwiderstandes dw macht uns alle hinfällig, da kurzzeitig nichts mehr da ist, was unsere Vorhalteneigung rechtfertigen könnte. Drei Personen rappeln sich danach aus dem Sand, die dicht am Wasser am weitesten westlich gehende jedoch aus dem kalten, hier zum Glück flach auslaufenden Nordmeer. Ihre rasche Kaltwasserkur-Reaktion verhindert zwar die Totaldurchfeuchtung, nicht jedoch partielle nachhaltige Benetzungen. Ums offen zu sagen: die linke Vorderseite dieser gefallenen Person samt Arm und Bein ist quatschnaß. Eine mit dem wiedereinsetzenden Wind eintretende Vereisung versteift die erneut eingenommene Widerstandshaltung der Person, insbesondere an Arm und Bein linksseitig. Lediglich die Parka-zonen über Schulter- und Hüftgelenk respektive die überm Hüftgelenk befindliche Leinenhose bleiben beweglich, da dauernd durch das ungebrochene Voranschreiten rhythmisch verformt. Die etwa halberstarrte Person teilt mit, daß sie in jungen Jahren >Moby Dick< gelesen habe; Käptn Ahab sei trotz Holzbein gut zu Fuß gewesen. Eisbein wiederum sei besonders lecker mit Sauerkraut. Ein Gespräch über die Wärmeleitzahl phü oder so, das ich zu
initiieren versuche, wird uns vom Wind in Fetzen gerissen. Die Möven am Strand schreien ungeniert dazwischen, obwohl sie davon noch weniger verstehen. Um in Ruhe reden zu können, wenden die Personen sich nach rechts in die Dünen. Dort legt sich der Wind. Es wird kurz erwogen, ob man sich dazulegen solle. Aber der Grog ruft. Haben Sie vielleicht schon mal in Sonne und Süden Lust auf einen Grog gehabt? Der Mensch im Norden hat ümmer.
Laufend verstopft Über den Schnupfen an sich
Nehmen Sie doch nur mal diese letzte Nacht. Durch die Rolladenritzen strahlen schillernd Friedlands Sterne. Der Mann sitzt aufrecht im Bett. Er hat das Plümo bis ans Kinn gezogen und zittert. Zwei Tage vorher noch hatte er sich recht wohl gefühlt. Am Nachmittag war er aber — barhäuptig, was bei seiner Dreiviertelglatze ungeschützt hieß - auf dem Weg zum Wagen in einen Regenschauer geraten. Obwohl mehrfach dekorierter Kaltfrontkämpfer, hatte der Mann was abgekriegt. Beim Herausfahren aus der Parklücke nieste er zum erstenmal. Dabei rutschte ihm der Fuß vom Pedal. Als feiner Mann steckte er sofort einen Zettel mit Name und Adresse an die Frontscheibe des bedauernswerten Vordermannes. Auf der Heimfahrt wurde er von mehrfachen jähen
Niesreizen übermannt, denen er lauthals nachgab. Am Abend im Konzert gelang es ihm, das Pianissimo mittels seiner ausgefeilten Technik des Nach-Innen-Nie-sens zu retten; allerdings hatte er den entscheidenden Moment lang gefürchtet, daß ihm mit lautem Knall der Kopf platzen werde. Im abendlichen Ehebett verzichteten die Gatten stillschweigend auf den im Ehegelöbnis enthaltenen gegenseitigen Nießbrauch. Mann bleibt Mann und wenn er im Bett liegt und hustet, so lautete zwar eine der Lebensweisheiten, die die Frau des Mannes von ihrer Mutter mit in die Ehe bekommen hatte - aber dieser Mann hustete nicht, sondern nieste. Der Mann bzw. seine Nase hatte laufend zu tun. Mehrmals in der Nacht schreckte die Gattin schlaftrunken hoch, weil er aus dem unversieglichen Nasenbronnen ins Papiertaschentuch trompeten mußte oder weil er mit der Hand im Dunkel tastend die Flasche mit den öligen Tropfen klirrend umwarf oder das Glas mit dem homöopathischen Gewässer auf den Boden kippte, wo es lange kullerte, oder weil er ins Badezimmer tappte, um dort lärmig nach weiteren Papiertaschentüchern zu fluchen. Am Morgen nach dieser Vollbeschäftigungsnacht ging der Mann den üblichen Verrichtungen nach und ins Büro. Sein Tageslauf war vom Lauf der Nase gekennzeichnet. Am Abend setzten die Bazillen dann zum Großangriff an. Auf allen Viren kroch der Mann ins Bett. Die Bazillen hielten sämtliche Ausgänge besetzt und drängelten sich rechts und links der Nasenscheidewand derart, daß für Luft kein Durchkommen war. Rien ne va plus, dachte der Mann. Er hechelte. Der Mund trocknete aus. Er feuchtete ihn an; im Lauf der Nacht ging ein viertel Liter Calvados drauf. Zwischendurch versuchte der Mann immer wieder Nasenatmung. Immer wieder gab er kurz vor dem Kollaps auf, nach Luft schnappend wie ein Fisch auf dem Trockenen. Der Mann überdachte sein Leben. Er wäre gern wieder der kleine Junge gewesen, der Streichhölzchen
zwischen Klingelknopf und Klingelknopfführung steckte, worauf der dicke Alte aus dem dritten Stock ihm »Rotznase!« nachrief, als er abhaute. Der Mann trieb hilflos im Ozean der Nacht. Die Atemnotlage ließ ihn kraftlos auf das Leintuch trommeln: didididaadaadaadididid. Von Finsternis und Bazillen umzingelt suchte er verzweifelt nach einem Schnupfloch, um zu entkommen. Die Schüttelfröste -zu früh für diese Jahreszeit! — schüttelten ihn. In gesundem Zustand war der Mann ein heiterer Genießer, etwa wie der Quizmaster Max Schneutzer. Nun aber rang er, der tagsüber schon 8 Stunden plus unbezahlte Überstunden um seine Existenz ringen mußte, nun rang er nachts um Atem. »Haben Sie noch was für mich?« so war die Frage seiner Sekretärin um sechzehn Uhr gewesen. Er hatte nur den Schnupfen. Nein, den wolle sie nicht, hatte sie gesagt und ließ ihn allein im Büro zurück. Das ging ja noch. Aber nun im Bett war er einsam. Kürzlich hatte er gelesen, daß die Keime des Lebens vor Jahrmillionen durch das Weltall auf die Erde gekommen waren, ja, daß immer noch jede Sekunde solche Keime kämen. Wahrscheinlich hatten sie irgendwo im Weltall gerade eine Überproduktion an Schnupfenkeimen (Kapazitätsfehlplanung, dachte der Mann) und mußten sie nun verschleudern. Auch Mair hatte heute abend so triefäugig ausgesehen. Und Schniefenthaler hatte am Telefon «och mehr als sonst genäselt. Nur der Sonnenschein seines Lebens im Bett nebenan atmete ruhig und tief. Der Mann versuchte sich mal zu legen, weil das linke Nasenloch bei gewaltsamem Einziehen und Auspressen der Luft anfing, leise brutzelnd Luft durchzulassen. Bums war alles wieder zu. Der Mann setzte sich auf, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, zog die Zipfelmütze im Nacken tiefer und das Plümo höher. Draußen dämmerte der Morgen. Der Mann dachte: Mann hab ich die Nase voll vom Schnupfen!
Tapetenwechsel
Nehmen Sie bloß mal den Wechsel. Das Finanzierungsmittel heißt so, weil es immer wieder mit Geld verwechselt wird. Der Wildwechsel heißt so, weil wild wird, wer z.B. bei einer Treibjagd mit Wild verwechselt wird. Es gibt Wechselwähler und es gibt Wechselrahmen. Zum Auswechseln von Wechsel-Gewählten. Nichts ist beständiger als der Wechsel. Bloß die Meinungen, die wechseln ab dem dritten Lebensjahr nicht mehr. Was Manschen gelernt hat, verlernt Hans nimmermehr. Deshalb schreckt ein jeder Wechsel den Glücklichen, aber Tapetenwechsel ist am schlimmsten. Der ist auch garnicht so einfach. Er findet zeitig im Frühjahr statt, so kurz vor Ostern, wenns geht. Denn Ostern kommt Besuch. Und wo Besuch kommt, kommt vorher gefälligst Glanz in die bescheidene Hütte! Mindestens ins Wohnzimmer. Das ist wie Frühjahrsgrippe. Keiner wird verschont. Wenn das Frühjahr kommt und die Säfte steigen, bin auch ich, ist auch meine Frau der alten Tapete drüssig. Drum rufe ich den Freund an. »Tapeter«, sag ich — »wie wärs, wenn Du mal helfen würdest, allein zu zweit ist das so traurig«. Tach, sagt Peter, wo sollich denn helfen? »Na hier beim Tappziern, in Wohnstube und Korridor«, spreche ich in die Muschel. Korridor ergo summ, ich glaub, du hassne Biene im Kopp, spricht Peter. Ich bin verschnupft: »Kopp doch mal rüber anfassen!« Deine Frau? fragt Peter jäh interessiert. Wenn er schon so anfängt, häng ich lieber gleich auf. Dann fassen wir eben allein an. Denn wat mutt mutt, spricht man in Norddeutschland, wie man weiß. Ich ziehe den Pullover und den Eßtisch aus. Ich blicke ernst, aber entschlossen. Ich sehe mir die Tapete im Wohnzimmer an. Diese schönen Blumen. Und so viele. Und noch kein bißchen verwelkt. Nicht eine. Und
die Bilder an der Wand. Mindestens sechs bis vierzehn. Die müssen wir ja alle abhängen! Und wohin damit so lange! Ach und die Möbel sind ja auch noch nicht von der Wand gerückt und wo sind die alten Leintücher zum Drüberhängen und der Teppich muß ja auch noch aufgerollt werden. »Die Leiter ist noch bei Frau Stinnes«, spricht meine Frau, »obwohl sie diese bereits mehr denn dreier Wochen im usus hat!« »Und wo sind denn die neuen Tapeten?«, so frage ich hinwiederum. »Ich dachte«, spricht meine Frau, »du ...» »Und des Tapetenkleisters liebliches Pulver, zur milchigen Masse zu rühren??« »Ja wo?« spricht wieder sinnend mein Weib. Versonnen sehen wir uns in die Augen. Den dicken Malerpinsel hab ich immerhin in der Hand. »Eigentlich«, sagt meine Frau. »Eigentlich«, sage auch ich. Dann hol ich Aquarellpinsel und Wasserfarben, meine Frau kocht die Eier und dann bemalen wir sie. Denn Ostern steht vor der Tür. Und was immer an Wechsel um uns geschieht -der künstlerische Mensch in uns drängt machtvoll und unablässig. Und irgendwie muß er ja raus.
Körper-Los
Wenn man den Menschen auseinandernimmt, zerfällt der Mensch, auseinandergenommen, in drei Teile: in Körper, Seele und Geist. Am bekanntesten ist der Körper. Das kommt daher, daß man den Körper dauernd sieht, hört, riecht, fühlt und schmeckt. Von Geist und Seele hört und sieht man nichts. Natürlich, es kann nicht geleugnet werden, daß es sie gibt; jedenfalls wird ziemlich viel darüber geschrieben. Aber der Körper ist irgendwie ... wie soll ich sagen ... ausgeprägter. Und so viel steht fest: Ohne Mithilfe des Körpers würden doch diese ganzen geistigen und seelischen Sachen hinten und vorne nicht funktionieren! Oder wie will man die Hoffnung wecken, wenn man keinen Hals hat, um sich laut zu räuspern? Wie will man sie fahren lassen, wenn man nicht gut zu Fuß ist und sie zum Bus bringen kann? Wie soll Verdacht geschöpft werden, wenn nicht mit der - meist rechten Hand? Die andere Hand ist es, die dem Verdacht Nahrung geben muß, damit er wachsen kann. Ohne die erfreulicherweise zweckmäßig geformte weibliche Brust könnte weder die Vermutung genährt noch das Verlangen gestillt werden. Die Wahrheit, auch so ein geistig-seelisches Ding, die Wahrheit wäre total aufgeschmissen, wenn der Mund nicht danach dürstete. Der gleiche Mund schlürft, im Wettstreit mit dem Ohr, das allerdings durch das den Gehörgang dicht verschließende Trommelfell im Nachteil ist, gierig jede Schmeichelei. Jegliche Neuigkeit müßte verstauben, wenn sie nicht dank der in sinnreicher Folge vom Munde abwärts angeordneten Funktionen schlußendlich verdaut würde. Die Liebe, um auch diese Seelenregung zu erwähnen, geht durch den Magen; wer sicher auf sie stoßen will, braucht bloß am Ausgang auf sie zu warten. Auch die am Ende der Liebe stehende Völlefor-mel »Ich hab dich satt!« erhält ihre Glaubwürdigkeit erst durch einen kräftigen Rülpser aus der Speiseröhre.
Der große Seelenforscher Sigmund Freud wäre nie was geworden ohne die haltbare Innenausstattung seines Körpers, in dem ES gären konnte. Er brauchte kräftige Arme, um seinen - heftig strampelnden! Ödipuskomplex zu wickeln. Und mußte enorm auf dem Kiewief sein, weil ihm seine penisneidische Schwester dauernd die Hosentür öffnen wollte. Und dann zog es so in der Wohnung. Natürlich ist diese dauernde Beschäftigung für den Körper reichlich anstrengend. Ständig ist er mit Geist und Seele zugange und muß höllisch aufpassen. Man weiß ja, was alles durch solche Sachen wie Gefühle (Seele) und Ideen (Geist) passieren kann. Um es organisatorisch ein bißchen in den Griff zu kriegen, führt der Menschenkörper daher einen sog. Gefühlshaushalt und hat Ideenfabriken gebaut. Als besonders effizient und gleichzeitig sozial erwies sich die Einrichtung von Gerüchteküchen. Dort verderben viele Köche den heißen Brei so, daß selbst die Küchenkatze um ihn herumgeht. Wenn er fertig ist, wird dick aufgetragen. Als Nachspeise pflegt man, appetitlich garniert, ein wenig Unheil anzurichten. Also kurz und gut: Es ist der Körper, der Geist und Seele am Leben hält. Er ist auch von Anfang an dafür vorgesehen gewesen. In langen, langen Jahren hat er sich konsequent dahin entwickelt, daß er das schafft. Als Einzeller im Urmeer (was min sich etwa so wie Sago in der Suppe vorstellen muß) hat er angefangen, hat Zwischenstation auf den Bäumen im Urwald gemacht, von den Bäumen gings auf die Savanne, von vier Pfoten auf zwei Füße, von einsdreißig im Neandertal auf einsfünfundsiebzig bis einsachtzig als der Menschheit Höhen. Und dort ist viel zu tun für den Körper! Mit seinen Füßen muß er immerzu drauflosmarschieren, damit, wo er hintritt, kein Gras mehr wächst; mit seinem Hintern, der zum Glück recht breit ist, muß er dauernd blockieren, was immer wieder an geistiger Entwicklung vorangehen will; mit seinem dicken Kopf muß er permanent gegen die Wand rennen, um die
Entbehrlichkeit von teuren Festigkeitstests zu demonstrieren. Aber Geist und Seele, diese faulen Säcke, machen sich derweil einen schlauen Lenz! Bloß damit die Seele nachts weit ihre Flügel ausspannen kann, muß der Körper Tag für Tag einer der beschriebenen geregelten Tätigkeiten nachgehen. Da soll einer mal nicht sauer werden! Kein Wunder, daß der Körper allmählich die Nase voll hat und auf Abhilfe sinnt. Er will den Geist endlich mal auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen, und die Seele kommt in die Selenzelle, damit sie mal lernt, vernünftige Arbeit zu leisten!
Von Kindern, Enkeln und Muhmen
Nehmen wir uns doch mal heute des Menschen an. Der Mensch ist ein Wesen. Zwar möchte die Menschheitsgeschichte uns zu der Ansicht verführen, er sei ein Unwesen, aber das ist eine kulturpessimistische Ansicht, und unser Kanzler Kohl kanzlert das immer streng ab. Als Wesen gliedert sich der Mensch zunächst zu seinem Freud- oder Leidwesen in Mann und Frau und dann in Generationen: Kind, Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und die übrige Verwandtschaft. Die Aufgabe der Generationen ist es, den Generationskonflikt untereinander auszutragen. In bäuerlichen Familien heißt die Fluchtburg der im Konflikt Unterlegenen daher das Austragteil. Die Spielregeln des Generatiohenkonfliktes regelt der Generationenvertrag. Ihm ist als Präambel ein Glaubensartikel vorangestellt. Er lautet: Die Renten sind sicher. Der eigentliche Vertragstext, der vollständige, wird selten zitiert. Das hat er u.a. mit dem Jesuitenworte gemein, das stets ungemein verkürzt wird: Der Zweck heiligt die Mittel. In Wahrheit fährt das Wort aber fort: »..., ausgenommen Gewalt und Unrecht!«. So heißt denn auch der Generationen vertrag in der Praxis im vollen Wortlaut: »Du sollst mal was Ordentliches werden, damit du mir meine Rente finanzieren kannst, wie ich ja auch für dem Opa seine gesorgt hab. Dafür darfst du jetzt die Füße unter meinen Tisch stecken, wenn Mutter das Mittagessen serviert. Und nun iß deinen Teller leer und halt gefälligst die Klappe!« Es handelt sich bei diesem Abkommen also um eine einfache Versorgungsmaßnahme. Mit Zwangsmaßnahmencharakter. Charakter braucht der junge Mensch nämlich, um reif zum Elterndasein zu werden. Allen gegenteiligen Erfahrungen zum Trotze hält sich hartnäckig die militaristische Auffassung, Elternreife sei identisch mit der
Geschlechtsreife. Dabei haben beide Reife-Arten nichts anderes gemeinsam, als daß sie eben nur zu zweit erprobt werden können. Gut. Wann der Mensch genau zum Eiter wird, ist umstritten. Gynäkologen meinen, der bekannte erste Schreckensschrei, den das Neugeborene ausstößt, wenn es diese Welt sieht, sei maßgeblich für die ruckartige Ausbildung jenes gemeinschaftlichen Schuldgefühles, das man für elterntypisch hält. Gentechniker möchten dagegen den Zeitpunkt weit vorverlegt sehen. Sie identifizieren Elternschaft eher mit Lustgefühlen. Die Wahrheit wird wohl, wie immer, in der Mitte liegen. Es liegt in der Natur der Sache, daß die meisten Eltern jung sind. Junge Eltern sind unbefangen wie Kinder. Sie haben noch nicht viel gelesen. Sie sind, könnte man sagen, Machertypen. Wenn erstmalige Eltern älter sind, sind sie meist Jünger. Dann haben sie nämlich zu viel gelesen und folgen willig jeder Heilslehre, die der Prophet verkündet, den sie gerade zuletzt als Paperback konsumiert haben. Eine zusätzliche Beschleunigung erfährt der regelmäßige Wechsel ihres Kindererziehungsglau-bens durch die wöchentliche Erscheinensweise der sog. Periodika, also der Frauenzeitschriften, Familienzeitschriften und durch die Kinderaufzuchtartikel in der Samstagsausgabe ihrer Heimatzeitung. Da sie ständig neuen Propheten folgen - vorvorige Woche dem, der das Kleinkind im dritten Monat mit Messer und Gabel essen heißt; letzte Woche der, die sie beschwört, das Kind nicht vor dem dritten Geburtstag aufs Töpfchen zu setzen; diese Woche dem, der rascheste klinische Versorgung jedes Kleinkindes fordert, das mit 8 Monaten nicht die hundert Meter in fünfzehnvier läuft - werden die Jünger ständig jünger, bis sie schließlich selber - ich meine: hirnmäßig gesehen! - den Säuglingsstatus erreicht haben. Das macht sich dann bei äußerlich unverändertem Körperbau der älteren Eltern irgendwie recht putzig. Weil sich solche »alten« Eltern mit dem ersten Kind so anstellen oder, wie es vornehmer heißt, auffällig
gebärden, nennt der Arzt sie feinfühlig »alte Erstgebärdende«. Immerhin sind sie im Endstadium dann im Stande der Unschuld, wie alle ändern Eltern auch, und können sich nun den natürlichen Entwicklungsschritten ihres Kindes anpassen. Durch aufmerksame Beobachtung und diszipliniertes Training lernen auch sie nun wieder sitzen, krabbeln, stehen, laufen und sprechen. So gewinnen sie jene geistige Potenz zurück, die-von ihnen als Eltern erwartet wird und sind sogar, entsprechenden Eifer des inzwischen herangewachsenen Kindes vorausgesetzt, in der Lage, die Großelternbefähigung zu erwerben. (Jaja, sagt die weise Urgroßmutter, der der Großvater dieses vorliest, jaja — genau so war es! Der Großvater nimmt sich daraufhin vor, der Urgroßmutter nichts mehr vorzulesen.) Auch die Großmutter und den Großvater erwarten heutzutage neue Erfahrungen. Vor allem, wenn das Enkelkind ihnen erstmals für kürzere oder längere Zeit anvertraut wurde. Der Großvater z.B., der sich schon damit abgefunden hatte, ihm nie mehr zu begegnen, lernt erstmals in seinem langen Leben beim Windelnwechseln den Fortschritt der Menschheit kennen. Was er da als gebrauchte, gefüllte Windel einfach einrollt, mit den zwei zweckdienlichen Klebebändern verschließt und so der Mülltonne überantwortet, das läßt ihn wehmütig der Jahrzehnte zurückliegenden Zeit gedenken. Damals drückte die Gattin, jetzt Großmutter, ihm vorsichtig ein Windelgespinst in die spitzen Finger, auf daß er es am geeigneten Orte entleere. Mit der linken Hand auf dem Drücker löste er damals des Wassers Strom aus, indes die rechte das Tuch darinnen schwenkte, um das Gröbste zu entfernen. Er gedenkt auch des Waschbrettes, an dem die heutige Großmutter seinerzeit emsig wirkte und des Windelkochtopfes, der den Küchenherd damals in dampfenden Dunst gehüllt. O ja! (um es mit Ludwig Harig zu sagen), o ja! Da sind wir also doch weitergekommen! Nun endlich weiß der Großvater um den Vorteil des Dreilagigen aus der Fernsehwerbung. Weiß, wieso
Trockenlegen — zu Lasten der Puder- und CremeHersteller! — ganz aus der Mode gekommen ist. Nun plötzlich versteht er, warum dieses moderne elternfreundliche Dessous sogar noch diesen und jenen ABCSchützen kleidet! Ja, blitzartig wird ihm jetzt auch klar, wieso Meyer (37) kürzlich, als der Chef seine Vorschläge glatt durchfallen ließ, zitternd murmelte: »... muß mal rasch die Windel wechseln ...! ...« und aus dem Sitzungszimmer wankte! Ach, denkt Großvater, ach hätte doch der deutsche Landser diese daseinshilfreiche Vorrichtung besessen, als er bei Schitomir in der Scheiße lag! Jetzt kapiert er auch, was er fälschlich als antimonarchistische Gesinnung vermutete, das Desinteresse nämlich neuzeitlicher Eltern, das Kleinkind frühzeitig an den Thron zu gewöhnen! Und wie einfach ist heute auch die andere Seite geworden, die Fütterung des Raubtieres! Für jeden Geschmack ein fertiges Gläschen, rasch zu erwärmen; ein Topf lein, einfach zu öffnen; ein Päckchen, kochfertig zu schütten. Ach was war es doch vordem ohne dieses unbequem! Aber nach ein paar Tagen hat sich das alles normalisiert. Das von seinen genervten Eltern als Sensationsdarsteller gepriesene Enkelkind (»Schreit! Ißt nicht! Schläft nicht! Spielt nicht! Macht nicht!«) entpuppt sich, nach Altväterweise traktiert, als das liebste, beste aller braven Kinder. Ein Sonnenschein, der Großmutter verträumt den Opa anschaun macht... Der aber zieht die Lebenszeituhr aus der Tasche, schüttelt bedauernd mit dem Kopf und spricht: »Oma, es ist schon spät — das Kind muß gebadet werden!«
Im Schoß der Familie
»Nimm doch noch ein Stück!« »Um Himmelswillen, ich hab schon zwei gehabt »Drei. Drei. Aber wir haben ja vier für jeden!« Familienfeiern sind die wahren Massenveranstaltungen. Sieben Ehepaare. Achtzehn Kinder. Sechsundzwanzig Enkel. Und Tante Lina. Ein Gewimmel, sag ich euch. Kopf an Kopf. Familienfeiern sind das Schönste, was man sich vorher denken kann. Sie beginnen mit der offiziellen Stimmenzählung: »Nu seid doch ma ruhich! Sind alle da? Dann könn wir ja anfang.« »Onkel Wilfried fehlt noch.« »Ja wo bleibt er denn wieder? Gudrun, wo ist Wilfried?« »Weiß ich?! Weißt du's, Dieter?« »Wahrscheinlich hat's ihn vorher nochma bei euch in die Kneipe getrieben, da links um die Ecke rum!« »Ach Quatsch! Wo Wilfried doch einen Rechtsdrall hat!« »Bleib mir mit deinem dummen Maul von Wilfrieds Überzeugungen, ja!?« So frohgemut plaudernd nimmt alles Platz. Wo Stimmung aufkommt, kommt auch bald die Suppe. Sie ist heiß. Opa verbrennt sich die Fresse. Schon haben sich Franz und Gerlinde wegen der Wahlen phonetisch ineinander verkrampft. Beschwörende Blicke von Tante Klara verfangen nicht, wohl aber haben sich Nudeln in Opas Bart verheddert. Das rege Geplauder schwillt an. Der eingeheiratete Grieche hat gestern den Stall ausgemistet. Na wenn schon. Amelie lobt ihren weichen Klaus, weil er zur rechten Zeit auch mal Härte zeigen kann. Der Grieche hat vorige Woche zwei Vögel geschos-
sen. Ach ja? Gudrun berichtet, daß Theo sich vermaß, und daß dabei sein Theodolit litt. Der Grieche protzt, er habe schon mal einen Löwen gefangen. Na nu langts aber! Wo sind wir denn! Der Meerrettich verschärft die Atmosphäre. Kurt kriegt Sodbrennen. Sofie ruft nach der Familienfeierwehr. Es wird noch etwas lauter. Soeben fliehen Hausfrau und Klöße aufgelöst aus der Küche. Der Alkohol löst die Zungen. Emil löst sich von einem Rülpser. Es lösen sich mehrere Bande frommer Scheu. Opa raucht seine schwarze Brasil gegen die weißen Gardinen. Gudrun geht. In der Küche geht alles drüber und drunter. Die Mayonnaise ist geronnen. Das Eis zerlaufen. Die Götterspeise zittert erbärmlich. Leo (3) hat den Dackel (12) gebissen. Der Dackel schreit. Leo bellt. Opa hustet. Die neue Innerlichkeit bricht aus. Allgemeine vergebliche Bemühung, sie einzufan-gen. Der Dackel kläfft, die Bowle kippt, der Stuhl bricht, die Gardine flammt, der Teppich kokelt. Emil haut Anna, Theo fällt in Emmis Ausschnitt. Da kommt Wilfried. »Wilfried!« »Ei Wilfried!« »Ja der Wilfried!!« »Wilfried du Pflaume ...« Wilfried singt wenn auf Capri die rohe Sonne im Meer versinkt und verschwindet auf dem Klo. Emma schluchzt verzweifelt Friedhelm macht in die Hose Wo sind Pampers? Der Grieche schaut seine Frau bedeutungsvoll an. Die Auflösungserscheinungen mehren sich. »Was für eine schöne Familienfeier«, sagt Opa, »richtich Äkschen! Und alles ohne Ton!« Opa war Requisiteur beim Stummfilm. Er läßt immer sein Hörgerät zu Hause, wenn gefeiert wird. Wilfried ist auch schon gegangen. Wegen was haben wir uns überhaupt heute getroffen? Mutter vermißt den Tortenheber. Ist sonst noch was abhanden gekommen? Es geht halt nichts über ein Fest in einer vielköpfi-
gen Familie! Der Grieche zählt die Häupter seiner Lieben, und sieh: Ihr fehlt kein teures Haupt. Sie nickt ihm freundlich zu mit ihren sieben Köpfen. »Ich mag einfach eure Familienfeiern«, sagt der Grieche, »aber nun komm, meine liebe Hydra, wir gehen.«
Alt ist modern
»Nehmsen Alten, nehmsen Alten ...«, so singt meine Frau, wenn sie meiner froh ist. Dabei ist Einen-AltenZu-Nehmen das einzige, was man heute nehmen kann, ohne daß es auffällt. Irgendwo muß ein Nest sein. Oder die Kapazitätsplanung hat versagt. »Bis in höchste Regierungsämter hinauf ist es inzwischen von unten durchgedrungen — im Krieg hieß das > Weitersagen- Meldung nach vorn!< -, daß die Alterspyramüde auf dem Kopf steht.« »Ach?« sagt meine Frau, neugierig wie sie ist. Naja, sage ich, erstmal hätten wir doch den Pillenknick in der Optik. Und dann hätten die Alten-Jahrgänge schließlich vor lauter Malochen einfach zu wenig Zeit zum Zeugen gehabt. Außerdem hätte es da gewisse Schwierigkeiten während zweier Kriege gegeben. »Aber dafür hatte man doch extra das Zeughaus eröffnet!« Schon, sage ich, aber das steht doch in Ostberlin! »Ach so«, sagt sie, »und weiter?« Nun, sage ich, die Pyramide kippt einfach um. Ist Dir schon mal aufgefallen, wie einfach eine ägyptische Pyramide umzukippen ist? Man dreht sie um 60 Grad sechzig, nicht hundertachtzig! - und schon steht sie auf dem Kopf. Es geht ganz leicht. »Kunststück«, sagt meine Frau, »die vertrockneten Mumien innendrin wiegen ja kaum was!« Na. Jedenfalls stehe die Pyramide jetzt ziemlich kippelig auf dem Kopf. Unten an der spitzen Basis die paar Jungen, die für die zahllosen zahnlosen Alten oben die Rente erwirtschaften. »Eine erdrückende Vorstellung«, sagt meine Frau. »Unsere armen Kinder. Aber wie sagte Bertolt Brecht: Und die einen sind im Dunkel und die ändern haben Gicht.« Licht, sage ich. »Nein«, sagt meine Frau, »das war Goethe.« Bitte. Jedenfalls ist abzusehen, daß die Welt sich ver-
ändern wird. Junge Jahrgänge werden unter der Theke gehandelt. Kukident-Werbung schlägt Blendax aus dem Felde. Adidas produziert Filzpantoffel. Schiesser baut zwei Bettjäckchenfabriken. Karl Lagerfeld entwirft eine Alte-Säcke-Kollektion. Statt Porsche-Doppelseiten gibts Rollstuhl-Reklame. Statt Kinderwagen Krückenproduktion. Bloß Marlboro läßt seinen Cowboy einfach weiter altern. »Stichwort Cowboy«, sagt meine Frau, »was ist mit den Spitzenpolitikern unseres Jahrgangs?« Das ist eine sehr interessante Frage, sage ich. In Amerika haben sie offenbar bloß diesen einen. Aber sie schwören ja auf das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Hingegen die Russen! Die Russen haben eindeutig die stärkere Position. Seit Jahren stellen sie alte Männer en masse her. Der Nachschub reißt nicht ab. Dieser Gorbatschow, das ist bloß so was wie ein Potemkinsches Dorf. Und im Kaukasus schlummert ihre Reserve-Armee: 120jährige Greise voll Tatendurst, Joghurt, Ginseng und Knoblauchpillen! »Ich kann nicht mehr schlafen!« sagt meine Frau. Schlaf nur, sag ich, die NATO wacht.
Kalte Glatze
»Frau- nimm die Beine in die Hand! Komm schnell!« »Mann, Mann! Was hast Du denn?« »Haarausfall, Frau! Der Kopfhaut ist der Durchbruch ganz gelungen. Im gesamten Frontabschnitt befindet sich das Haar auf ungeordnet-raschem Rückzug. Ich plane eine Auffangstellung mit Widerstandsnestern gleich oberhalb der Ohren!« »Dann ist doch längst noch alles nicht verloren!« »Der Mittelscheitel - er gelingt nicht mehr!!« »Ach was. Versuch's nochmal. Zwei rechts, zwei links...« »Es sind doch nur noch drei!!« »Ja dann!?!« »Was denn? Ja dann!! Mehr hast Du nicht zu sagen? Kein einzig warmes Wort, wo mich so friert auf meinem kahlen Asten?« »Dein Mittelscheitel war mir längst zuwider! Zudem
unmodisch, überholt. Der Mittelscheitel paßt zum Vatermörder! Du aber trägst seit je den Kragen offen!« »Jaaa — wild hat mein blondes Haar geweht... in lang vergangnen Jahren. Was aber tut es jetzt? Es glänzt durch Abwesenheit!« »Du irrst. Was glänzt, ist Deine Glatze! Und das seit Tagen, wie mir jetzo auffällt! Ahaaaü! Soo also kommt der Glanz in unsere Hütte! Seit längerem verzeichne ich erhöhten Möbelpoliturverbrauch und kann mir's nicht erklären! Doch jetzt geht mir ein Licht auf: Deine Glatze!!« »Ich wollte nur Dein Auge auf mich lenken!« »Du hast an meinen Haushaltsmitteln Dich vergriffen!« »Kamm und Bürste sagen mir halt nichts mehr!« »Schweig, diebische gerupfte Elster! Und einstmals warst Du Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle! Nie nahmst Du Dir, was ich nicht willens war, zu geben. Nun aber nahmst Du Möbelpolitur! Wie tief wirst Du noch sinken?« »Frau, Frau! Wie kann ich künftighin vor Dir bestehen? Soll ich mir einen Seitenscheitel kämmen? Kämen Sardellen Dir vielleicht gelegen?« »Nimmermehr! Notdürftig nur verdecken sie die Notdurft Deines Leibes, der sich so jäh Dir bis zur Kopfhaut streckte!« »Wie stünde 's dann mit einem Barte, wenn ich ihn, ablenkend, zu der Glatze trüge? Er wüchse rasch, ersparte uns Rasierkrem oder Stromverbrauch und kräuselte sich gar!?« »Die Frage jedoch bliebe ungelöst, was Dir die Wärme wiedergibt, die einst der volle Haarschopf Dir gewährt hat. Wie war's vielleicht mit 'nem Toupet?« »Tu-Peh: das klingt chinesisch. Ist's ein Zopf?« »Nein, ein Ersatz-Teil für den ganzen Schädel. So quasi eine Mütze mit Frisur. Man kann sie individuell gestalten: Haarschnitt ä la Napoleon...« »... mit Locke in der Stirn ...« »... oder wie Struwwelpeter ...« »... mit kleinen Läusen ...»
»... oder Caesar ...« »Caesar!! Heureka, Weib! Der Caesar war's doch, der gesagt hat: Laßt dicke Männer um mich sein, mit Glatzen, und die nachts gut schlafen! Shakespeare sei Dank — ich kriege glatzig-klassisches Format! Und die Diätkochbücher fliegen in die Ecke! Ab morgen sei gelobt, was dick macht!« »Und was ist mit dem warmen Kopf?« »Dagegen strickst Du mir von Spitzweg eine Zipfelmütze, Frau!« »Das ist doch heute unromantisch! Und Caesar war auch selber garnicht dick!« »Macht nichts - das Kochbuch wird verbrannt! Bin ich denn Caesar und bist Du Kleopatra??«
Musikanten spielt auf!
Nehmen Sie ihm mal die Musik weg. Was bleibt ihm dann? Was hat er noch vom Leben, der Mensch? Hat er da noch Töne? Nein, er hat keine mehr. Der Ton aber macht die Musik! Und Musik ist unser Leben! Ob wir die Engel im Himmel singen hören, ob uns der Marsch geblasen wird oder ob wir kräftig ins Hörn stoßen: Mit Musik geht alles besser! Musik besteht aus geordneten Tönen. Töne ohne Ordnung nennt man Geräusch. Ehrgeizige Künstler versuchen allerdings seit je, den Unterschied zwischen Geräusch und Musik zu überspielen. Vor über 200 Jahren erfand der russische Gelegenheits-Komponist Fürst Potemkin die sog. Geräuschkulisse. Sie erwies sich als stabil und hält bis heute. In Räumen, in denen Kinder ihre Schulaufgaben machen sollen, ersetzt sie die Tapete. Das Musikalische ist dem Menschen nicht angeboren. Singe, wem Gesang gegeben! sagt bezeichnenderweise der Volksmund, um die Chancenlosigkeit so mancher Bemühung auf schonende Weise Tiarzutun. Anfangs also hat der Mensch von Tuten und Blasen keine Ahnung. Mancher lernt's überhaupt nie. Nur beim Finale pfeift jeder auf dem letzten Loch. Ganz zu Unrecht werden übrigens bei dieser Gelegenheit die Posaunen des Jüngsten Gerichts gefürchtet — die schlichte Kindertrompete vermag weit verheerendere Wirkungen anzurichten. Überhaupt ist die Kinder- und Jugendzeit am besten geeignet, uns die Flötentöne beizubringen. Deshalb beginne der Musikunterricht frühzeitig. Ein kleiner Mozart kann in jedem Kinde stecken! Nur in verzweifelten Fällen weiche man auf Marika Kilius oder Boris Becker aus. Als Musikinstrument ist vor allem das Klavier zu empfehlen. Jedoch ist auch die Blockflöte aus Holz. Bemühungen um Geige, Viola oder Violoncello lassen
sich, wenn sie denn scheiterten, leicht auf nützliche Ersatzdienstleistungen, wie z.B. Kaminholzsägen, umlenken. Schon das 2-jährige Kleinkind vermag das Schlagzeug zu bedienen. Zum Harfenspiel ist in jungen Jahren hingegen bestenfalls der Gibbon befähigt. Fagott, Tuba oder Susaphon entfallen aus ähnlichen Beweggründen. Grundsätzlich sind jedoch Blechinstrumente, da pflegeleichter und weniger störanfällig, hölzernen Geräten vorzuziehen. Die meisten dieser Blasinstrumente werden durch das Betätigen von Klappen oder Ventilen zur Stimmabgabe animiert. Anfängliche Intonationsschwierigkeiten des übenden Kindes sollten Eltern nicht dazu verleiten, die Flinte — wenn der Vergleich erlaubt ist -vorzeitig ins Korn zu werfen. Weise wäre es vielmehr, dem Kinde, das sich vergebens an der Flöte mühte, eine alternative Laufbahn als Dampfkesselingenieur zu offerieren. Dies kann heute, da den Frauen fast alle Berufe zu reduzierter Bezahlung offenstehen, auch Mädchen zugemutet werden. Was mich angeht, so verging ich mich als Kind lustlos und ohne Ergebnis an Geige, Klavier und diatonischer Handharmonika. Später träumte ich von einer Sängerlaufbahn. Aber diese Blütenträume von öffentlichem Beifall sind zerronnen. So blase ich denn statt dessen zu Hause von Zeit zu Zeit Trübsal und beende die jeweilige Vorführung mit einem langsamen Trübsalto rückwärts als Abgang vom Gerät. »Leider«, sagt meine Frau und betätigt die Spottdrosselklappe, »leider hat sich nie ein Konzertagent für diese Spitzennummer interessiert.« Ja, bei mir langt's halt nur zur Hausmusik. Wie das Leben eben so spielt.
Mein täglich Schrot
Nehmen Sie bloß mal ein Glas in die Hand. Schon sagt irgendeiner: Prosit! Ist es ein Franzose, spricht er: Same! Na sdarowje! ruft der Russe und alle meinen das gleiche: Wohl bekomms! Zur Gesundheit! Aber wenn Sie zu Messer und Gabel greifen, schon schallts aus allen Ecken: Vorsicht! Kalorien!! Man traut sich kaum mehr, den Mund aufzumachen. Eher darf man was Kritisches von sich geben, als unkritisch was zu sich nehmen. Vorüber die Zeiten, da man im Einklang mit seiner Gesellschaft morgens die warme Milch frommer Denkungsart getrunken hatte. Diese Gesellschaft ist heute verunsichert: In der Milch sind mindestens unerwünschte Spurenelemente, Fromms Bücher machen ihren Verleger dick und die Denkungsartisten in der Zirkuskuppel sind ratlos. Also haben wir die Sache selbst in die Hand genommen. »Ich bin der neue Frühstücksdirektor!« sagte meine Frau. Ich sage: »Das Gehalt machts. Aber machnurmal.« »Am kommenden Samstag gehen wir biodanämisch einkaufen«, sagt meine Frau. »Du siehst auch so blaß, Luise«, spreche ich mit Schillern. Meine Frau schneidet mir weitere Worthülsenfrüchte ab und friert sie ein. Am Samstag gehen wir und der Ernst des Lebens los. Im biodynamischen Geschäft stehen Säcke, Beutel, Dosen und Alternative. Meine Frau öffnet eine Büchse der Pandora nach der ändern. Es riecht daraus nach einer Mischung aus Theaterfundus, Damenfrisör und Umkleidekabine. Mißtrauen weizenkeimt in meinem Kindergemüt. »Sind die Körnerfrüchte ... ?« frage ich. »... handverlesen!« spricht der emanzipierte junge Mann hinterm Ladentisch und stillt sein Baby.
»Und wenn doch Unkrautsamen drin sind?« »Dann wachsen Ihnen Wicken im Dickdarm!« sagt er. Das überzeugt. Meine Frau ist sowieso schon hei: »Unsere Mühle hat ein Keramikmaulwerk aus diesem raumfahrtfesten Schpeesläpp-Material, und kein Oxidationsvorgang, wir werden eins sein mit dem Weltall!« Mir wird kosmisch. Am Abend füllt sie gefiltertes Wasser in die Teller. Die Mühle mahlt das Sechskorn. Sie schrillt wie ein Tal voller Sägewerke. Das Haus zittert. Die Nachbarin klopft von oben. Draußen fährt das Überfallkommando vor. »Kommen Sie morgen früh wieder, meine Herren« sage ich, »und bringen Sie den Notarzt mit.« Im Fernsehen verspricht der Wetterbericht für morgen Craupenschauer. Ich schlafe mühsam. Am Morgen stehe ich zagend auf. Das Geschrotene ist im Wasser erwartungsgemäß gequollen. »Wenn du um die Frühlingspracht junger Knospen quillst«, hat Goethe sinngemüsli gereimt. »Und nun noch Bananenscheiben, getrocknete Aprikosen und Honig«, murmelt meine Frau. Wie süß. Nun fangen wir an. Es knirscht gleich bedenklich. Ich beiße die Zähne zusammen. In ihren Zwischenräumen verkeilen sich Körner. Aprikosen quartieren sich unter den Brücken ein. Der Honig zieht via Parodontose schmerzhaft durchs Gemüt. Nun noch ein Butterbrot, weil Fett schmiert. »Na«, sagt meine Frau, »wie hats Dir geschmeckt?« Ich grabe mit dem Zeigefinger den Körnerschutt aus der Tasche zwischen Kiefer und Backe: »Es stößt mir ein wenig auf.« »Auf Ablehnung?« »Wo denkst du hin, Liebste — das wäre ja Auflehnung!« Die Kirchenglocken läuten. Vegetarier sind so friedliche Menschen. Wir blicken uns froh ins sonntägliche Auge. »Außerdem gilt«, sagt meine Ernährungsweise, »öfter mal was Neues!«
Und da muß ich ihr rechtgeben, denn die Nouvelle Cuisine ist auch nicht mehr, was sie war. (Aber, unter uns: Das Sechskorn hat meine geheimen Erwartungen nicht erfüllt!)
Private Feierversicherung oder Günther, der umweltfreundliche Freund
Nehmen Sie nur mal Abfall und Entsorgung. Der Apfal fällt nicht weit vom Stamm und über die Entsorgung reden wir später. Die vorschriftsmäßige Laufbahn des Abfalls führt über Mülleimer und Müllabfuhr zur Müllkippe. Sie heißt heute Geordnete Deponie, weil sie so gut wie nie geordnet ist. Um diese Ordnung kümmert sich der Abfallbeseitigungsver-band. Weil die Deponien überquellen, betreibt er auch Müllheizwerke. Dort wird der Abfall unten reingeschaufelt und oben wieder rausgeblasen. So wird ein Zeichen gesetzt für den Umverteilungsprozeß, der von den einen gefordert und von den ändern gefürchtet wird. Die durch Müllverbrennung erzeugte Energie wärmt, während die Deponie energielos stinkt. Das macht volkswirtschaftlich einen Unterschied. Diese gesamtgesellschaftliche Müllbeseitigung wäre aber nichts ohne die individuellen Bemühungen des einzelnen Bürgers. Ihm standen in früheren Jahren nur Besen, Staubtuch und Misthaufen zur Verfügung. Heute dagegen haben die meisten Menschen Staubsauger, Rauchverzehrer und Müllschlucker. Was meine Familie angeht, so haben wir darüberhinaus unseren Freund Günther. Und wir sagen es offen: Wir wüßten nicht, was wir ohne Günther anfangen sollten! Wenn wir eine Party gegeben haben und die Gäste haben wieder mal so viel übrig gelassen, daß uns vor der nächsten Woche graut, dann laden wir für den kommenden Abend Günther ein. Wenn wir in Ferien fahren und Kühlschrank und Keller sind noch verderblicher Waren voll, bitten wir am Vorabend der Reise Günther zu uns. Günther ist umweltfreundlich. Er ist ein Reste-Vertilger, der der kommunalen Abfallbeseitigung das Brot nimmt. Auch bei Gesellschaften stört Günther keineswegs. Zunächst ißt er wie alle anderen, sittig und vorschrifts-
mäßig. Er beteiligt sich auch an der Konversation. Dann aber! Kaum hat die erste Dame mit verdrehter Pupille vor halbleerem Teller die Decke angestöhnt, blitzt Günthers begehrliches Auge. Für ihn ist der Teller nicht halbleer, sondern halbvoll. »Kann mir denn keiner helfen!?«, so fragt mancher in fremder Umgebung. In unserem vertrauten Freundeskreise weiß hingegen jeder: Günther hilft. Kommentarlos wird ihm Teller auf Teller hinübergereicht. Schweigsam, aber hocheffizient mampft Günther alles in sich hinein. Langsam erstirbt das Gespräch am Tisch. Bewundernd und entsetzt zugleich verfolgt die Gesellschaft das Geschehen. Günther stellt auf einen leeren Teller immer den nächsten. Der Stapel wächst. Es wird schwierig, die Bestecke im Sitzen zu handhaben. Günther ißt stehend weiter. Zwischendurch trinkt er Weißweinreste, wenn auf Rotwein umgeschaltet wurde und Kaffeereste, wenn der Schnaps kommt. Kein Säbelschlucker, kein Feuerfresser macht mehr daher, als Günther. Wenn dann nichts mehr da ist und Günther sich befriedigt und von Essen, Trinken und Stolz erfüllt wieder gesetzt hat, rauscht Applaus auf. Da capo! rufen einige. Blumen fliegen auf die Bühne. »Ach Ihr sollt mich doch nicht so verwöhnen!« stöhnt Günther und vergeht sich auch noch an Tulpen, Aurikeln und Lilien mit sieghaft beißendem Gebiß. Ja, so lange es Günther gibt, gibt es keinen Kollaps der kommunalen Abfallbeseitigung!
Herz, Schmerz und dies und das
»Nun nimm's dir doch nicht so zu Herzen, ich hab's doch nicht so gemeint! Bleib ruhig so liegen ...» »Neineinein, ich hab dich schon verstanden: Du du liegst mir am Herzen hast du gesagt und jetzt wüßtest du wenigstens warum dir das Herze so schwer ist und als nächstes zählst du mir mittags noch die Kartoffeln ab und ich merk ja schon lang daß du mir mein Bierchen nicht gönnst und überhaupt bin ich zu dick und ich seh doch, wie du nach den ändern Frauen guckst, unherziger Mensch du ...! ...« Ach! Ach! Beim Abendessen noch ein Herz und eine Seele und nun stottert der Motor. Zwei Kerzen im Dreivierteltakt verrußt. »Also mein Herz«, sage ich, um Konsens bemüht, »also laß uns das herzbewegende Thema beenden«, (denn zur Herzbewegung ist Muskelkraft nötig und abends nach n hab ich die wegen Energieeinsparung schon abgeschaltet). Aber im Körper der Liebsten rumort es noch: »Ich bin nicht dein Herz!« sagt die Allerliebste, »mein Herz ist mein Herz und dein Herz ist dein Herz. Jaaa, früher, als du noch sowohl laut als falsch für mich sangest: DEINISTMEINGANZESHÄÄÄÄRZ...« »Mein Körper ist schließlich mein Eigentum!« sage ich. »Und meiner?!?!«, fragt sie drohend. »Dein Körper gehört dir!« antworte ich beflissen. »Das will ich aber auch hoffen, mein Lieber!!« Nochmal gut gegangen. Dabei ist das doch gar kein Thema. Das Eigentum ist vom Grundgesetz geschützt. Und alle Gewalt geht vom Volke aus. Auch dieses Volk hat einen Körper. Der Volkskörper wird das Volksganze genannt, unabhängig davon, daß er im geteilten Deutschland lebt. Die Teilung ist ohnehin nur eine Arbeitsteilung. Beide Teile tun ihre Arbeit. Ein bißchen Trauerarbeit nach Mitscherlich und viel
Fremdarbeit im Auftrage ihrer beiden Ober-Körper. Auch das ehemalige Herz dieses ehemals ganzen Volkskörpers ist geteilt. Aber da sind wir ja unversehens ins Abseits geraten, sage ich, und spiele den Ball ins Mittelfeld zurück. Andererseits wiederum ist aber eigentlich jedwedes menschliche Herz geteilt. Deshalb ist es auch als Sitz gänzlich unterschiedlicher Gefühle geeignet. Einerseits ist es ziemlich voll mit herzlicher Zuneigung, sage ich, und andererseits voller herzlicher Abneigung. Weil aber beide Gefühle in getrennten Herzkammern untergebracht sind, verschlägt das nichts. Das Herz kann ja auf mancherlei Weise schlagen, so fahre ich fort, regelmäßig oder wild oder heftig oder Alarm. Wenn es gestohlen wird, zum Beispiel. Gegen so einen Herzschadens-Fall hilft eine HerzensdiebstahlVersicherung. Bei Herzensproblemen der Eskimos im Packeis helfen übrigens Herzensbrecher. »Man muß aber im kalten Wasser aufpassen wegen Herzschlag!«, wirft die sorgende Liebste dazwischen. »Du sagst es!«, sage ich. Außerdem würden HerzSchläge immer wieder mit dem Herz-Klopfen verwechselt. »Wie kann aber dieses geschehen?« fragt die Teure und schüttelt im Dunkeln mißbilligend den Kopf: »Wo die einen doch zur Pflicht gehören und das andere zur Kür!« Ja, sage ich, Pflicht jeden Herzens ist, daß es fürs Vaterland schlage. Das französische Herz schlägt darüberhinaus für Freiheitgleichheitbrüderlichkeit. Das deutsche speziell für die Freiheit der Preisgestaltung. »Dafür haben wir schließlich die Freiheitskriege geführt!« rufts kämpferisch vom Nebenbett. Ich sage: »Um genau zu sein: Wir Deutsche haben zwei Herzen, jedenfalls die älteren...« »... wie wir aus der Fernsehwerbung wissen...!« ... zwei also. Das eine ist ein Herz für Tiere und das andere das Ersatzherz, für Kinder. Es wird aber seltener gebraucht. Das russische Herz ist neuerdings ein voll transpa-
rentes Gläsarnes Herz. Das US-Herz schlägt für SDI. Wem das Herzbeklemmungen verursacht, der hat kein Herz. Wes das Herz voll ist, des fließt der Mund über. »Aber man darf sein Herz auch einfach ausschütten, gell!?...« Diese Ausschüttungen, so präzisiere ich, denn gestern erst habe ich mich vom Anlageberater dahingehend informieren lassen, diese Ausschüttungen sind als Erträgnisse regelmäßiger Zuwendungen körperschaftssteuerfrei. Dagegen versucht der Fiskus immer wieder, Adrenalin-Ausschüttungen, die ja gelegentlich gewisser Herzensregungen stattfinden, der Vergnügungssteuer zu unterwerfen. Wer diesem Herzenskonflikt ausweichen kann, sollte auch den mit der Strafjustiz vermeiden und aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Wem es in die Hose fällt, bevor er's ausschütten konnte, dem macht das Herz die Hose naß. Und nun komme ich langsam zum Schluß, mein Herzchen. Es gibt edle Herzen, Herzen von Stein und, besonders aparte Geschenkidee, Edelsteinherzen. Der Goldschmied kann sich ein solches Herz fassen. Trägt er's am Kettchen, kann er's im Touristengedrängel in Heidelberg verlieren. Natürlich bleibt auch mal ein Herz stehen. Ein stehendes Herz stört ungemein, weil alles, um die Dinge am Laufen zu halten, dauernd am Rennen ist. »Huaaaach.. diese dämliche deutsche Rennleidenschaft. ..«, murmelt es nebenan. Sie müsse darunter nicht leiden, die Rennleidenschaft nämlich, sage ich. Medizinischer Fortschritt mache längst dank dem Herzschrittmacher SteherRennen möglich. Und erfreulicherweise reime sich im Deutschen Schmerz auf Herz. Um diesen Schmerz zu stillen, gäben ihm manche die Flasche.. daher der Name Herzenstrost... So rede ich immer weiter, und: »... Na... nanu ... jetzt ist es doch wirklich spät geworden über all meinen Herzensergüssen ... aber man muß die Dinge ja irgendwann einmal auch theoretisch absichern... na-
türlich hat das Praktische auch seine ... aber eben alles zu seiner Zeit... hättest du also etwas dagegen, wenn ich noch ein wenig... also ich meine, könntest du vielleicht ein bißchen rüberrutschen... na du weißt doch: Gutenahmt Elisabeth, mach ma bißchen Platz im Bett... ich möcht jetzt mal zu herzen gehn...« Ach! Na sowas! Das herzlose Weib! Schläft!
Traum und Fernsehen
Nehmen Sie mal das Ding. Jedes Ding hat zwei Seiten. Die Medaille z.B. hat eine Kehrseite. Die heißt so, weil der betr. Rekord, der zur Medaille gehört, irgendwann unter den Teppich gekehrt wird. Der Mensch wiederum hat eine Kehrseite und eine Schokoladenseite. Die Schokoladenseite hält er für seine beste und beim Fotografiertwerden hin. Wenn das Bild entwickelt ist und vorgezeigt wird, will der Mensch hören: »Wie süß!«. Auch »Halbbitter!« akzeptiert er noch als Kommentar. Bei »Bitter!« muß er schlucken. Auch das Leben als solches hat zwei Seiten: es besteht bekanntlich aus Urlaub und Arbeit. Das Wetter besteht aus Sonne und Regen, und das Jahr aus 12 Monaten, aber bei genauerem Hinsehen hat auch das Jahr zwei Seiten, eine für ganz junge und eine für ältere Leute. Die ganz Jungen sehen: Schon wieder ein Jahr älter!, und die Älteren sehen: Schon wieder ein Jahr älter... Der Unterschied liegt bloß in Betonung und Interpunktion. Menschen dazwischen, zwischen Ganzjung und Älter, die merken nichts von den Jahren. Die leben in den Tag hinein. Der Tag hat 24 Stunden, einschließlich Pausen. Seltsamerweise haben wir uns angewöhnt, den »Tag« mit seinen 24 Stunden »Tag« zu nennen, obwohl auch der Tag zwei Seiten hat. Denn die Hälfte der 24 Stunden ist ja Nacht. Wahrscheinlich kommt diese einseitige Betrachtungsweise daher, daß wir irgendwann angefangen haben, die Nacht zu verschlafen. Dabei sind manche Tage so, daß man mit Wellington sagen möchte: Ich wollte, es wäre Nacht, oder die Preußen kämen! Als die damals kamen, wurde es dunkel. Da blickte Napoleon nicht mehr durch. Denn man sieht eben nachts nicht so gut. Einmal, weil es - Preußen hin Preußen her - von Natur aus finster ist, und dann, weil man ja die Augen zu hat. Weil man aber doch was
sehen will und ungern auf sein Fernsehprogramm verzichtet, träumt man nachts. Der Traum ist die Fortsetzung des Fernsehens mit anderen Mitteln. Ich seh meistens so was wie Drittes Programm. Viel Science-fiction-Filme. Krimis weniger gern. Gelegentlich Fliegerfilme, so mit ausgebreiteten Armen ohne Motor durch den Wald geschwebt. Oder Sexfilme. Aber da kommt meistens irgendwas dazwischen. Man hat's ja sowieso nicht im Griff. Das Programm wechselt auch hier ohne Vorankündigung. Manchmal ist es die Gebühren nicht wert. Manchmal könnte man drüber einschlafen, gewissermaßen. Und im Ersten und Zweiten ist meist das Gleiche wie im dritten Traum. Keinerlei Koordination. Und manchmal lassen sie mich im kurzen Hemd und sonst nix über die belebte Straße laufen. Das ist ziemlich blöd. Dann bin ich plötzlich so in der Straßenbahn, dann auf einmal beim Oberbürgermeister, dann auf 'ner Party. Peinlich. Wenn ich das Hemd vorne runterziehe, gehts hinten hoch. Zum Glück gibts da viel zu trinken und ich muß auf die Toilette. Da hört das Stück dann auf. Meine Frau träumt auch. »Wovon hast Du geträumt, Liebste?« so frag ich sie frühmorgens. »Natürlich von Dir!« antwortet sie. Ich blicke sie beglückt, aber prüfend an: »Wovon bist du denn so verschwitzt?« »Ach«, sagt sie, »wenn ich mal fünf Minuten nicht aufpasse, gehst du im Hemd aus dem Haus und ich kann Dir die ganze Nacht mit der Hose nachrennen!«
Ein Fußballidiot in der Familie!
Nehmen Sie's mir nicht übel, aber ich bin ein FußballIdiot. Ein Idiot, damit wir uns richtig verstehen - kein Narr. Ein Fußball-Narr ist was anderes. Der weiß alles, sieht alles, hört alles, was über Fußball zu wissen, zu hören und zu sagen ist; er fliegt meilenweit wie ein Nachtfalter, magisch angezogen von Flutlichtanlagen; er kriegt Stimmbänderrisse bei Meniskusverletzungen seiner Lieblingsstürmer; wenn die Nationalmannschaft spielt, steht er stolz auf dem Watzmann deutschen Bewußtseins, das sonst ein Trümmerberg ist; er kennt die Regeln des Spiels und die Kondition der Spieler; er nennt Trainer beim Vornamen oder Arschloch; er jongliert mit Ablöse- und Transfer-Summen wie Brauchitsch mit Kuverts; er steht felsenfest zu seinem Verein und nur die Frage, wen er auf die einsame Insel mitnehmen würde, den Ball oder seine Frau, macht ihn wankend. Nicht so der Fußball-Idiot. Er ist von alledem das Gegenteil. Eine abnorme Erscheinung. Von Tuten und Blasen auf der Zuschauertribüne keine Ahnung. Ein Trottel. Wie Wilhelm Bendow auf der Pferderennbahn ruft er bei Fernseh-Übertragungen: Ja wo laufen sie denn, ja wo laufen sie denn? Der Fußball-Idiot weiß, daß er gefährlich lebt. Er muß verheimlichen, wie wenig er weiß. Nur seiner Frau - im Schlafzimmer, unter der Bettdecke, Licht aus Rolladen runter Tür abgeschlossen - nur ihr darf er, wenn er nach langen Ehejahren Mut gefaßt hat, bekennen, daß ihn Fußball sogar überhaupt nicht interessiert! Im vertrauten K,reis darf er mal bestenfalls anklingen lassen, daß auch er seine sportlichen Tu-und-ZuschauFreuden hat, und freundschaftlich-mitleidig klopfen sie ihm dann auf die Schulter, auch sie alle Fußballnarren, aber trotzdem Freunde des Idioten, der so toootal abseits steht.
»Nur ein Idiot kann abseits stehen, nur!!«, sagt Herr Schloßmacher abends an der Theke in unserer Stammkneipe. Es muß irgendwas besonderes los sein. Aufregung herrscht. Die Wangen sind gerötet. Aller Augen glänzen wie am Nationalfeiertag. Rasende Herzschlagrhythmen dröhnen im Raum. Ich komme mir vor wie auf der Intensivstation. Auf dem Fernseh-schirm wetzen sie hinter dem Ball her. Wahrscheinlich bunte Liga oder wie das heißt. Ufa-Pokal. Meinetwegen. »Abseits!!« »Ja«, sag ich, »und woran sieht man das?« Du lieber Himmel, hätt ich doch bloß nichts gesagt! Der Teufel ist los. Dreizehn Mann an der Theke reden auf mich ein. Meine Frau trinkt derweil mein Bier und noch eins und noch eins. Männee, der Wirt, wirft mir ab und zu einen stärkenden Blick zu. Er versteht was vom Fußball und von den Menschen. »Da! Und jetzt der Rummenigge! Abgeben!!« »Woran sieht man denn, daß das der Rummenigge ist? Die Nummer ist doch garnicht zu erkennen?« »Mann---!!« »Verzeihung, ich meine ja nur..« »Tooor!« »Aber wieso schießt denn der Rummenigge ins Hamburger Tor!? Ist doch ein Deutscher!« »Maaannn--—!!!« »Ach so, ich erinnere mich, der spielt ja irgendwo in Italien..« »Maaaannnn—— - er spielt bei Inter Mailand!!!« »Naja is ja gut. Herr Wirt bitte zahlen!« Der Teufel soll diesen Fußball holen! Sooo klein mit Hut verlasse ich, gestützt von meiner Frau, das Lokal. Keiner grüßt. Alles starrt auf den Bildschirm. Auch Männee, der Wirt. Der wird sich wundern, wenn er Kasse macht: Vor lauter Lauter vergessen sie heute das Trinken. Aber mit mir wird das jetzt anders! »Morgen machen wir einen Termin aus für einen Crash-Kurs in Fußball. Ich hab das Trottel-Dasein satt! Zwei Wochen lang jeden Abend zwei Stunden
und dann weiß ich, wo's im Fußball längs geht. Meinst Du, wir können sie drum bitten?« »Sicher!« sagt meine Frau. »Oma ist zwar zweiundachtzig, aber für Dich und für Fußball tut sie alles.«
Das Selbstgespräch
Nehmen Sie bitte mal den Hörer ab - das Telefon klingelt! »Mückenheimer..« »Tach Karl, hier ist Gertrud!« »Ja Gertrud - das ist aber schön, daß Du anrufst! Wie gehts Friedrich und Kurt?« »Gut, danke. Und was macht Luise?« »Die ist mit Gretel zu Otto, weil Emmi und Erwin bei Ludwig bleiben.« So was ist der Idealfall eines Gesprächs. Das Gespräch dient dem zwischenmenschlichen gegenseitigen Bedürfnis, vom ändern etwas Neues zu erfahren. Die Erfahrung jedes häufiger Telefonierenden sagt aber, daß das Gespräch in dieser idealtypischen Form leider hur sehr selten stattfindet. Zum einen erweist sich der Kreis erwähnenswerter Namen, die beiden Sprechenden irgendwie bekannt sind, irgendwann als irgendwo begrenzt. Zum anderen hat der Anrufer/die Anruferin heutzutage oft einen solchen Druck auf der Sprechblase, daß der Angerufene bestenfalls alle 7 bis 9 Minuten zu einem Ja! Nein? Ja? Nein! kommt, das zudem spielend überhört wird. Man kommt einfach nicht zum Reden. Auch überall sonst quasseln Dir andere den Kopf voll: Rundfunkwerbung! Mitarbeiterbesprechung! Volkshochschule! Und! Und! Und!! Weil alle Welt von allen Seiten auf einen einredet, ohne daß man selber mal zu Wort kommt, sucht man verzweifelt nach einem Gesprächspartner, der einem selbst auch mal zuhört. Und das ist der Grund, weshalb die Zahl der Selbstgespräche rapide zunimmt. Für das Selbstgespräch ist der Mensch dank den zwei Seelen in seiner Brust bestens gerüstet. Wie alles im Leben will aber auch das Selbstgespräch gelernt sein. Dem Anfänger sei zur Einstimmung der sog. Innere Monolog empfohlen. Dieser findet vorzugsweise
beim Frühstück statt. Während die Ehepartner schweigend blicklos vor sich hinkauen, arbeitet es in den Zügen des Monologisierenden, im weiteren mit »M« bezeichnet. Da die innere Dramaturgie des Inneren Monologs es so fordert, fordert M alsbald seine zweite Seele zur Teilnahme auf. Blitzschnell kleidet er sie der zu übernehmenden Rolle entsprechend ein und verleiht ihr Aussehen und Stimme des inneren Gesprächspartners. Dieser ist, je nach Gesprächsgegenstand, Abteilungsleiter, Steuersachbearbeiter, Bundeskanzler oder Ehefrau. An dieser Stelle nun wird der Innere Monolog zum Inneren Dialog und dieser gewinnt die Qualität einer Gesprächtherapie. Der weitere Gesprächsverlauf ist einfach an den Zügen des M abzulesen. Wenn es zum Zugzusammenstoß kommt, schreckt die dem M gegenübersitzende frühstückende Gattin aus ihrem Sinnen auf und erkundigt sich besorgt: »Mit wem streitest du denn jetzt schon wieder!?« Nun folgt die Erläuterung des M. Sie zerstreut der Gattin Besorgnis und ist in glücklichen Fällen der Beginn des lange vermißten Dialogs der Ehepartner. Die zweite Seele des M aber entledigt sich ohne Groll ihrer Kostümierung — sie wird zunächst nicht mehr gebraucht — und geht, ohne nachtragend zu sein, ihrer Freizeitbeschäftigung nach. Eine Seele von Mensch!
Eingeladen
Nehmen Sie die Einladung an, die da auf Bütten kommt, dann kommt, bevor Sie wieder gehen, das Gästebuch. Es ist ein Zeichen schöner Gastlichkeit, dessen Auftauchen jegliche Harmonie zwischen Gastgeber und Gästen jäh zerstört, wie mühsam sie auch erst im Laufe des Abends entstanden sein mag. Wegen dieser Abschußliste, die dermaleinst in der Familiengruft eingemauert von den Festivitätern künden soll, die Nichtsahnende überfielen, wegen ihr finden festliche Abende statt - nicht aber wegen entbehrlichem Gequatsche, zerkochten Salzkartoffeln und warmem Aquavit! Das Gästebuch ist meist aus geschmackvollem LederImitat. So auch die Eintragungen. Alle sind schwer lesbar, einige unverständlich, andere blöde. Etliche zeigen die zittrige Handschrift des zu später Stunde geistig Genötigten, zahlreiche andere zeugen in fahriger Schreibe von den Erschöpfungen hektischer Kopfarbeit. Dem Gästebuch haftet immer ein säuerlicher Geruch an. Er stammt vom Angstschweiß, der von den zerquälten Stirnen zahlloser gramvoll darüber Gebeugter auf seine Seiten troff. Bemerkenswert ist die organisatorische Methode der Gewährleistung von Einträgen. Während der Hausherr Äug in Auge dem Gast gegenübersteht, das Buch in Vorhalte hat und mit dem Zeigefinger unmißverständlich die Stelle bedeutet, an der die Niederschrift zu erfolgen hat, steht die Hausfrau an der Tür vom Wohnzimmer zum Flur. Sie trägt die Strichliste in der Hand und beobachtet die Schreibvorgänge. Erst, wenn sie den eingetragenhabenden Gast abgehakt hat, gibt sie der Tochter am Garderobenständer das Zeichen zum Abnehmen des betr. Mantels und läßt den Gast passieren. Aber die Qualitätskontrolle ist unbefriedigend.
Denn weder vermag der dem Schreibenden gegenüberstehende Hausherr während des Eintragungsvollzuges nachzuvollziehen, was niedergeschrieben wird (da es für ihn ja auf dem Kopfe steht!), noch kann die listenführende Hausfrau auf zwei bis drei Meter Distanz oder mehr mitlesen, was verfaßt wurde. Es bedarf kaum einer Erläuterung, von welcher Bedeutung das Wissen um das Niedergeschriebene für den Gastgeber ist, damit er die Wärme der Abschiedsworte recht dosieren kann. Hier ist also noch viel zu tun. Ein ähnlich verfluchtes Utensil, das längst totgeglaubte Poesie-Album, scheint wiedererstanden: In einem Paneerschrank in Bolivien wurden kürzlich 60 Poesie-Alben mit handschriftlichen Widmungen aufgefunden. Derzeit tappen die auswertenden Experten bezüglich der Führerin noch völlig im Dunkeln der Geschichte herum. Diese unsere Vorabveröffentlichung einiger der Eintragungen mag deshalb vielleicht diesen oder jenen Leser erreichen, der dem auswertenden Historiker-Team nützliche Hinweise geben könnte. So steht z.B. auf Seite i//Band 23: »Vor allem eins mein Kind: Sei treu und wahr. Laß nie die Lüge Deinen Mund entweihn! Dein Jupp G.« »Your boy-friend and mine are the best! Sincerely and for ever: Wallis S.« »Du darfst mich bald mal Meier heißen: Dein Onkel Hermann.« »Meiner lieben Eva - Dein A.« Der bekannte Mythenforscher Sir Trevor Opa neigt aufgrund der letztgenannten Eintragung zur Annahme, es handle sich bei diesem Poesie-Album um eine historische Sensation ersten Ranges. »A« könne nur »Adam« heißen.
Geschenke zu allen Gelegenheiten
»Nehmen wir mal an, Ihr hättet Geburtstag. Oder es wäre Weihnachten. Was kriegt man an Weihnachten?« »Kalte Füße!« - »Urlaub!« - »Weihnachtsgratifikation!« - »Bei uns gibts nur 'n warmen Händedruck!« — »Husten!«. »Also Ihr seid doch eine ganz blöde Sippschaft! Kann man denn an diesem Stammtisch nicht ein einziges Mal ein ernsthaftes Gespräch führen!? Emil, wo-drauf freust Du Dich an Weihnachten?« »Auf Emma!« »Nein, ich meine natürlich: Worüber freust Du Dich?« »Über die Geschenke!« Na endlich! Das Geschenk als solches hat ja eine lange Geschichte. Aufgrund ihrer Länge könnte sie im Rahmen einer Kurzgeschichte nicht vollständig erzählt werden. Denn in der Kürze liegt die Würze. Gewürze, Weihrauch und Myrrhen zählten in alten Zeiten zusammen mit Ambra, Moschus und Rosenöl zu den bevorzugten Geschenken. Man verschenkte das schon damals, um beim Beschenkten in gutem Geruch zu stehen. Das bekannteste Beispiel für die duften Weihnachtsgeschenke sind die Mitbringsel der Heiligen Drei Könige. Heute legt man dem Kind ein Sparbuch in die Wiege, und eine Zinstabelle. Die Sitte des Schenkens hatte zunächst nur Freude und Fortschritt bereitet. Im frühen Mittelalter z.B. kannte man an den Höfen den sog. Mundschenk. Mundschenk war irgend so eine ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme). Oder Ersatzdienstleistung. Was für'n jungen Mann. Aber dessen Stunde der Bewährung kam: als die Rittersfrau in Ohnmacht fiel, weil der Rittersmann in den Kreuzzug zog. Damals erfanden die Daheimgebliebenen nämlich die lebensrettende Mund-zu-Mund-Beatmung.
Die großen Konquistadoren zu Beginn der Neuzeit bevorzugten wiederum beim Betreten eines jeweils neuen Kontinents Glasperlen als Einstandsgeschenk. Damit machten sie sich den Empfänger geneigt; denn einem Geneigten kann man müheloser die Rübe runterholen. Geschenke, die auf solche Art und Weise funktionieren, heißen Danaergeschenke. Das kommt aus dem Griechischen und der dazugehörige Spruch lautet in der Übersetzung: Egal was is, wenn die Danaer zum Kaffee kommen, geht mir die Muffe - auch wenn sie Käsekuchen mitbringen! Ein ganz anderes' Geschenk ist dagegen das Geschenk des Himmels. Es fällt in der größten Not -z. B. wenn über Nacht kein Brot mehr zuhaus ist - wie Manna vom Himmel und besteht aus Wurst. Daher sagt der Volksmund auch: In der größten Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot. Das Einstandsgeschenk wurde bereits kurz erwähnt. Ganz früher bestand es aus Salz und Brot. Das machte Wangen rot und die Kaufmannschaft ärgerlich. Es wurde daher schon bald als verderbliche Unsitte angeprangert, abgestellt und durch Staubsauger, Toaströster und Terrassenleuchte ersetzt. Ähnliches widerfuhr auch dem Gastgeschenk. Ein Gastgeschenk löst seinerseits ein Gegengeschenk aus. Gegengeschenke können seltsame Formen annehmen: Wenn ihm vom Eskimo dessen Hausfrau mitsamt einer Flasche Lebertran Trockenbärenauslese für einen gemütlichen Abend als Gegengeschenk überlassen wird, darf der Gast keine Eskimimose sein. Denn auch bei Geschenken gilt: Was den ein' sin Uhl, is den an-nern sin Nachtigall. Obwohl die geschilderte Eskimositte hierzulande gewußt wird, kommt und kommt der Reisetourismus männlicher Alleinreisender nach Grönland allerdings nicht richtig in Gang! Naja, geschenkt. Es gibt so gut wie nichts, was man nicht, schön verpackt mit Schleifchen drum, zum Geschenk machen könnte. Nicht umsonst sagt daher das Sprichwort: Geschenkpapier ist geduldig.
Eine der am meisten strapazierten Geschenkideen ist das Herz. Das schenkt man, indem man es dem Beschenkten zu Füßen legt. »Als Geschenkpackung wird dabei gern ein Herzbeutel in hübscher Filetarbeit genommen!« »Also Karl!! Aber mit dem Herzen wird eigentlich mehr dahergemacht, als dahintersteckt. Man kann sein Herz nämlich nur einmal verschenken.« »Und auch das nur, ääh, wenn man nicht vorher in Heidelberg den Schrittmacher verloren hat!« »Du hast es mal wieder getroffen, Gottfried!« »Ja und dann, ääh, diese ganze verdammte Anspruchsmentalität !« »Was meinst Du denn damit, lieber Gottfried?« »Na wenn ich diese Schnorrer nur schon höre: Schenk mir doch ein kleines bißchen Liebe, Liebe ...!« »Eine ganz lincke Tour, lieber Gottfried!« »Sachichja sachichja — und der Gipfel, ääh, der Gipfel der Unverschämtheit: Sei ein bißchen nett zu mir!! Frau Wirtin - wo bleibt denn in diesem Saftladen mein Pils!?!«
Das Firmengeschenk
»Nehmen Sie das Geschenk ruhig an!« »Aber kommt es denn auch von Herzen?« »Nein, von Müller & Möller, Bremsbeläge, Matratzenschoner und Hundekuchen GmbH.« So oder ähnlich lauten die Gespräche, die schon Monate vor dem Weihnachtsfest geführt werden. Denn Müller & Möller ist,der Konkurrenz um Längen voraus. Alle deutschen Firmen heißen Müller & Möller. Und auch der Winterschlußverkauf beginnt ja schon am Erntedankfest. Die o.a. Gespräche werden bei der Übergabe von Taschen- und Wandkalendern, von Lachsseiten und Calvadosflaschen sowie von Luxus-Thermometern und Reisedecken geführt. Gesprächsteilnehmer sind einerseits Außendienstler, Handelsvertreter, Verkaufsrepräsentanten u.a. und andererseits Einkäufer, Reklamationssachbearbeiter, Direktionsassistentinnen oder Chefgattinnen. Gegenstand solcher ÜbergabeVerhandlung sind die o. a. Artikel. Nur in exquisiten Fällen dreht sich's um Allrad-Jeep, 3-Schrauben-Katamaran und Reisegutschein über 4 Wochen Malediven im Luxushotel für 2 Personen und 5 tausend Mark Taschengeld. Total aus der Mode gekommen ist, was der Verleger S. Fischer seinem Autor Gerhard Hauptmann schenkte oder das Deutsche Volk seinem Bismarck oder Hitler Hindenburg: ein Landgut oder wenigstens eine Villa. Offenbar hat man überhaupt in unserer Zeit den rechten Umgang mit Geschenken verlernt. Listen werden herumgereicht (»Bitte kreuzen Sie eines der vier Geschenke zu DM 33,15 an!«) und Briefe werden geschrieben (»Sie tätigten als unser Lieferant im ablaufenden Jahr mit uns einen Umsatz von DM 18175 °- MwSt.; senden Sie uns umgehend Waren in Geschenkpackung und im Gegenwert von DM 181,75 zur Ausstattung der Tombola auf unserer Firmenweihnachtsfeier. Wir hoffen,
Sie hoffen auch im kommenden Jahr auf gute Geschäfte mit uns!«) Zur gleichen Stunde, da der Außendienstmann von Müller & Möller bei der Lehmann AG die Geschenke übergibt, übergibt die Außendienstdame der Lehmann AG die Geschenke bei Müller & Möller. Alljährlich fluten so Ströme und Gegenströme von Firmengeschenken durch unsere Republik, sehr auch zur Freude des Bundespostministers. Daher lautet der Dritte Thermodynamische Hauptsatz: »Die Summe aller Firmengeschenke ist gleich«. Um der Chancengleichheit auch im Geschenkunwesen eine Chance zu geben, bedarf es jetzt noch der Vereinheitlichung aller Geschenke: Man will ja schließlich wirklich sicher sein können, exakt das geschenkt zu bekommen, was man selber verschenkt hat! Der Normenausschuß ist schon an der Arbeit. Denn wenn das Schenken schon auf den Hund gekommen ist, dann bitte auf einen nach DIN 17123. Dann kann man auch getrost dem geschenkten Gaul ins Maul gucken, ohne Furcht, daß der Lipizzaner vielleicht Knoblauchpillen gefressen hat.
Vom schönen Essen
Na nun nehmen Sie mal den Mund nicht so voll! Andere Mütter haben auch schöne Töchter! Wo sind Sie gewesen? China? Schwalbennestersuppe, frisch von der Mauer gespachtelt, gutgut. Australien? Känguruhschwanzragoutfin als Startverpflegung bei den Ausscheidungsmeisterschaften im Sackhüpfen, meinetwegen. Und Sie? Achnee: Himalayabärenschinken in Nepal! Wahrscheinlich vom Yeti persönlich am Holzkohlenfeuer gegrillt? Ach hört mir doch auf mit diesen Geschichten! Jaajaa - ist ja alles gut und schön. Aber nun sagt doch mal ehrlich: Seid Ihr deshalb um die halbe Welt gegondelt? Damit Euch in Peking oder Canberra oder Katmandu irgendein stummer Flegel wie in der Steinzeit den Teller vor den Latz knallt: Da!! Und dann schmeckt die Suppe nach nix, weil die Schwalben in gerader Haltung am Nest vorbeigeflogen sind, anstatt reinzuspucken; das Känguruh, wegen dem Ihr Euch die Schwanzflossen ausgerissen habt, war mit Haifischmehl gefüttert, und der Himalayabär, den sie Euch aufgebunden haben, ist eine aus Tibet zugelaufene Hyäne gewesen. Aber das alles wäre ja noch kein Malheur. Das kann Dir auch bei uns im Urlaub passieren, daß Du einen falschen Hasen ißt oder einen Hamburger aus den USA oder einen Halwen Hahn, und dann ist das ein Brötchen mit Käse. Nein, davon sag ich ja garnichts. Wovon ich rede, das ist das... ja wie soll ich sagen... Es ist nicht nur, daß das wie Weihnachten ist, oder wenigstens wie sonst ein Feiertag, wenn Du raus essen gehst... Hosen ungebügelt, weil Du ja hinterher wegen der Preise sowieso geplättet bist... Nein, es ist mehr so das Atmosphärische... Also, wenn Du bei uns da reinkommst, dann stehen natürlich wie überall diese spitz gefalteten Servietten auf dem Tisch, daß Du von weitem meinst, auf dem
Eßtisch ist Kieler Woche. Und davor stehen drei, vier Gläser, die sind so wertvoll, daß sie als erstes alle bis auf eins vorsorglich wieder wegholen. Und rechts und links natürlich diese vielen überzähligen Gabeln, Messer und Löffel. Aber das ist es nicht. Es ist, daß Du Dich bei uns so... wie soll ich sagen... Du fühlst Dich einfach ummuttert wie im Versorgungsstaat! Kaum hast Du die Suppe alle, gleich kommt einer und fragt: Hat es Ihnen gemundet? Hast Du die erste Gabel Bohnen im Mund, kommt er wieder: Ist es recht so? Wenn Du ans Lammfilet gehst, geht er wieder in Startstellung und kaum hast Du den ersten Bissen gekaut, ist er wieder ran: Schmeckt es Ihnen ? Bist Du beim Nachtisch, kommt sogar der Zwei-Sterne-
General aus der Küche persönlich, am Hals gleich mehrfach an bunten Bändern die Tapferkeitsauszeichnungen von der Suppenkesselschlacht bei WjasmaBrjansk. Er wünscht: Guten Appetit! Und jedesmal hebst Du die Augenbrauen, nickst mit dem Kopf, schließt die Augen oder so. Denn mit vollem Mund antwortet man nicht. Und wenn Du schließlich um die Rechnung bittest, fragt Dein Betreuer zum letzten mal: Waren Sie zufrieden? Sagst Du Nein, will er kein Geld! Ja - das ist es, Ihr weitgereisten Freunde, worauf ich hinaus will: Essen kann man überall in der Welt, aber wo wird man so umsorgt? Wo folgt man so liebevoll und ängstlich zugleich jeder Deiner Kaubewegungen? Das ist ein rein deutsches Urlaubserlebnis! Und, seit wir ein Eßkulturvolk sind, ist Raum dafür auch in der kleinsten Hütte! Rede mir drum keiner mehr von der feinen englischen Art! Lobe mir keiner mehr überschwänglich die mikroskopierten Portionen der Nouvelle Cuisine francaise über den — zugegeben: frischen - grünen Klee! Ich muß nicht in die Welt hinaus, um zu wissen, was gut ist. Ich bleibe im Lande und lasse mich im Urlaub redlich nähren! Tiusche man sint wol gezogen Deutsche Männer (und Ober!) sind wohl erzogen: da hat der Walther von der Vogelweide schon recht gehabt! Auch der dicke Karl von der Frittenbude nebenan hat den neuen Schlenker schon raus und ruft, wenn Du nicht begeistert genug kaust: Is wat?!?
Bekenntnis zur Familie
Nehmen Sie mal die Familie. Eine ausgleichende Gerechtigkeit hat dafür gesorgt, daß jeder von uns eine hat. Jeder ist Mitglied in einer Familie. Manche sind fördernde Mitglieder, manche ehrenhalber, manche drücken sich vor der Beitragszahlung. Viele gehören zu der weitverbreiteten Familie der Müller. Andere, wenn sie Meier heißen, zur Familie Meier. Selbst wer mit Familienname Knauselpimm hieße, hätte eine Familie. Dazu kommt fast immer noch die angeheiratete Verwandtschaft. Wenn es wirklich jemanden gäbe, der zu keiner Familie gehörte, so gehört er oder sie in jedem Fall zur Familie der Vertebraten. Das heißt »Wirbeltiere«. Diese sind beidseitig symmetrisch. Also nicht hinten wie vorn — das wäre wirklich zu schön! —, sondern rechts wie links. Arme, Beine, Ohren, Augen, Nieren und so weiter — alles ist zweimal vorhanden. Bis auf ein paar weniger edle Teile wie Kopf, Nase und.. .und.. .na Sie wissen doch. Sollte ein Vertebrate Gefahr laufen, vom Wertewandel ergriffen zu werden, der sich z. Zt. in unseren Breiten breitmacht, so ist auch das kein Grund zur Panik. Es kann sich nämlich — auch, wem zeitweilig z.B. das Bekenntnis zur Familie inopportun erschiene —, es kann sich jedermann ersatzweise zur Untergruppe der Säugetiere bekennen. Und zwar mit Fuge und Recht. Die Familie der Säugetiere hat bedeutende Vertreter aufzuweisen: größte wie den Walfisch und kleinste wie die Spitzmaus. Allerdings auch die von Darwin, einem Nestbeschmutzer des vorigen Jahrhunderts, maßlos überschätzten Affen. Nun könnte es ja sensible Naturen geben, die sich auch in solcher Verwandtschaft nicht wohl fühlten. Wenn so jemandem also seine eigene Familie nicht koscher und die Familie der Säugetiere nicht geheuer wäre; wenn ihm der Familien-Tratsch zum Hals heraushinge; wenn er die ewigen Familien-Feten satt hat-
te; wenn es ihn halt nicht interessierte, daß hier Familien Kaffee kochen können und daß dort die Bundesbahn Familien-Fahrscheine ausgibt; wenn die FamilienPlanung nicht funktionierte und das Familien-Album schon wieder voller Familien-Fotos wäre - in solchen Fällen träte der Staat aufgrund seiner Fürsorgepflicht an die Stelle der Familie. In der Bundesrepublik Deutschland nennt er sich dementsprechend »Vater Staat«. Die Franzosen, die ihren Staat nicht dauernd um sich rum haben möchten, haben ihn lediglich zur Weihnachtszeit als Pere Noel im Einsatz. Die Italiener haben einen Papa, der allerdings für sie, denen die Mamma sagt, was Sache ist, nicht alleinseligmachend ist. Die Russen offerieren ihren Leuten das Väterchen Frost und für die Genossen, die damit nicht warm werden, gibts das Mütterchen Rußland. Was wieder uns angeht, so ist bei uns Vorsicht die Mutter der Porzellankiste (obwohl keineswegs alle Deutschen Porzellankist heißen). Einzelkindern wird als Geschwister der Bruder Leichtfuß angeboten. Wer sich lieber einer Tochter freuen will, hätte die Wahl zwischen der Tochter Zion und einem älteren Restposten der Töchter Amerikas. Berufssoldaten wird eine Militante zur Verfügung gestellt, dem Öl-Aktionär hingegen die Tante Jemen. Diese Aufzählung mag vorerst genügen. Sie belegt, daß das staatliche Angebot an Familie recht stattlich ist. Jeder, der guten Willens ist, kann was Passendes finden. Immerhin ist die Familie ja die Keimzelle des Staates! Sie frißt einem zwar die Haare vom Kopf und verschlingt das Haushaltsgeld - aber das Frühstück steht wenigstens pünktlich auf dem Tisch!
Immer diese Küsserei!
Nehmen Sie sich mal einen Kuß, oder lassen Sie sich meinetwegen einen geben. Ist heutzutage bei uns doch überhaupt kein Problem. Ha, früher, als alles noch geraubt wurde - Ehre, Geld, Unschuld, die Schöne Helena, das Goldene Vließ -, früher mußten auch Küsse noch geraubt werden. Allerdings war der Kußraub, eine Abart des Mundraubs, nicht strafbar. Ein Kußräuber hatte halt einfach heißes Blut. Im Gegensatz dazu hat der Samenräuber alias Genmediziner einen Tiefkühlschrank. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Kuß ist heute Gemeingut, will sagen: er ist gang und gäbe. Vorbei die Zeiten, da in deutschen Familien nur samstags gebadet und nur an Feiertagen geküßt wurde, oder um der fragenden Gattin den Mund zu verschließen. Längst heiligt der einstige Feiertagszweck die täglichen Mittel. Dennoch: Die ganze geballte Wucht des Küssens bricht immer noch besonders an Leos Geburtstag oder zur Silberhochzeit über die erwartungsfroh Versammelten herein. Das Küssen ist leicht zu erlernen. Zu Übungszwekken stehen in jungen Jahren dazu Kussäng und Kussine einander zur Verfügung. Es gibt vielerlei Küsse. Der Hibiskuß duftet süß, der Syndikuß kostet viel Geld, der Bruderkuß macht warm, der Judaskuß läßt kalt, der Negerkuß hat eine leckere Füllung. Der Kußkuß stärkt den Araber, wenn er liebeshungrig ist, der Zungenkuß geschieht im blinden Vertrauen, daß keiner zubeißt. Der »Schmatz« (z.B. Honnecker-Gorbatschow) macht aus dem Kuß ein akustisches Phänomen. Die bayerische Ausdrucksvariante »Busserl« verniedlicht dagegen den Tatzusammenhang ein wenig. Mit der wissenschaftlichen Ausformung des Kusses befaßt sich der Kußtos. Der Küßter hinwiederum fühlt sich verpflichtet, ihn als religiöse Handlung zu vollziehen.
Der Musenkuß ist, entgegen der populären mechanistischen Auffassung von Funktion und Wirkungsweise des Kusses, das Klingelzeichen für oben; die Muse küßt daher auf die Stirn. Damit der frei im Raum flatternden Dame die gezielte Applikation ihres Kusses ohne Schwierigkeiten gelingt, wächst sich die Stirn des Musensohnes in der Regel vorsorglich zur Vollglatze aus. Novellen, Gedichte und Märchen leben vom Kuß. Wie wir aus dem Märchen vom Dornröschen wissen, weckt der Kuß die Lebensgeister. Dem aus dem Tiefschlaf aufgeküßten Schneewittchen fiel dabei der Apfel aus dem Gesicht (dieses Märchen warnt quasi vor Prinzen mit schlechtem Mundgeruch). Der Kuß an sich kann als Selbstzweck gelten, wird aber auch, wer wollte das bestreiten, als Mittel zum Zweck benutzt. So bildet er also, lange vor Marx, den Grundstock der bereits vergesellschafteten Produktionsmittel. Entsprechend häufig wird er auch reproduziert. Und das zunehmend! Während der Schlagertexter noch vor wenigen Jahrzehnten die verschämte Frage stellen mußte: Haben Sie schon mal im Dunkeln geküßt?, ist der Kuß inzwischen längst ins Licht der Öffentlichkeit getreten. Das gilt sogar für den Handkuß. Wo früher - auch ohne die dazugehörigen Noten auf den Lippen — nur im geschlossenen Räume die Hand von Madame geküßt werden durfte, wird diese Hand heute frischweg auch unter freiem Himmel beschmatzt. Tempora mutantur! Noch Friedrich von Schiller küßte nur einmal und gab diesen Kuß der ganzen Welt. Goethe allerdings war, wie wir hinlänglich wissen, weniger mundfaul. Viel geküßt wird seit eh und je auf dem Theater, vor und hinter den Kußlissen; die Soubrette bekommt dabei besonders viel ab, die Souffleuse bestürzend wenig. In Frankreich, wo man, siehe Nouvelle Cuisine, jeder Art Schleckerei hold ist, gilt bei allzugroßem Andrang die Empfehlung »Baise mon cul!«
»Sie küsse ich später!« sagte General de Gaulle bei einem offiziellen Begrüßungskuß-Empfang zu unserem Außenminister Schröder, weil dieser nämlich an einer unschönen Anglophilie litt. Kußum oder wie es das Sprichwort sagt: Küssen ist keine Sund! »Gruß und Kuß Dein Julius« braucht Julius heute nicht mehr zu schreiben: Wir grüßen nicht mehr, wir küssen nur noch! Begrüßung wurde zur Beküssung. Man küßt Bekannte, die Bäckersfrau und den Käsehändler, wo man sie trifft. Demnächst küssen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Dienstbeginn. Und nun haben sich ganz offenbar auch Bonner Protokoll und Verteidigungsrat der Sache angenommen. Denn siehe: Unsere westlichen Nachbarn küssen, unsere östlichen Nachbarn küssen noch mehr — bevor wir Deutschen uns da wieder einmal in einen unheilvollen Zweifrontenkrieg verwickeln lassen, kapitulieren wir diesmal lieber gleich. Deshalb fängt jetzt auch bei uns diese regierungsamtliche Knutscherei an. Bei den Fußballern auf der WM hat Kohl sein Trainingsprogramm aufgenommen und als nächstes hat er Maggy und die Queen auf dem Kieker. Sein Traumziel ist natürlich Franz-Josef Strauß. Aber eigentlich hätte er auch gern mal Raissa geküßt. Bloß, da hat Ronald was dagegen.
BesuhuuchU
»Nehmt Euch zusammen! Es kommt Besuch! Max, mach die Hose zu! Emmi, putz dir die Nase! Otto, zieh endlich diese gammeligen Flickenjeans aus! Und du, Vater, wie kommst denn du daher!?! Meingottmann, wozu hab ich dir denn die Lederslipper geschenkt. ..?.. .wie oft muß ich dir noch sagen, daß du nicht in diesen ollen Filzpantoffeln...!.. .Vor paar Jahren hätt'st du sie ihm noch vermachen können, aber inzwischen hatter ja sicher selber... Und daß Ihr mir höflich zu Onkel und Tante seid! Nix über Marschmusik jeden Freitagabend aus dem offenen Schlafzimmerfenster! Keine bohrenden Fragen, Friedrich, oder ich sperr dich ins Klo! Am Ende fängt bloß der alte Streit wieder an wegen Omas Grundstück! Hat lange genug gedauert, bis sie wieder mal zu Besuch kommen!!« Jaaa - Besuch! Besuche gibts ja viele. Stippvisite, Ferienbesuch, Eroberungsfeldzug. Zu den einfachsten Besuchen gehört der von Nachbar zu Nachbar, auch Kaffeebesuch genannt. Er dient dazu, die freundnachbarlichen Beziehungen zu pflegen, damit sie nicht eines Tages tot in der Beziehungskiste liegen. Einfach sind auch Verwandtenbesuche, deren jeder ja der Frage neue Nahrung liefert, ob es denn in dieser Familie nicht einen einzigen vernünftigen Menschen gibt. Ein Krankenbesuch dagegen stellt andere Fragen in den Vordergrund: Liegst Du gut? Wie stehts mit dem Essen? Was macht Dein Testament? Andre Besuche entstehen als Antwort auf die Frage: Was fangen wir bloß mit diesem verregneten Sonntag an! ? Die Durchführung mancher Besuche beglückt sogar. So gewähren die o. a. Krankenbesuche dem Besucher, wenn er wieder nach Hause strebt, die hohe Befriedigung, selber gesund zu sein. Viele Krankenbesucher kommen von weither - aus dem Heimatdorf, aus Würzburg oder Offenbach.
Einige kommen aus Mitgefühl. Die Besuche finden mit Blumen statt. Kranz nur in Form von Kranzkuchen. Das Gegenteil vom Krankenhausbesuch ist der einfache Hausbesuch. Er fand in der guten alten Zeit statt, als es noch Hausärzte gab. Heutzutage hilft einem mehr der Handwerker, auch wenn er schon 1973 bestellt wurde. Diese Bemerkung leitet über zum Geschäftsbesuch, der in der Passivform als Vertreterbesuch erduldet wird. Ist der Besucher ein Lieferant, der die Barzahlung einer Rechnung erhofft, wird er nackt empfangen, da man einem nackten Mann kein Geld aus der Hose ziehen kann. Nochmal zu den Verwandtenbesuchen. Mancher bleibt länger. Für ihn gilt: Besuch und Fisch stinken am dritten Tag. Daher wird dieser Tag vollständig den rituellen Waschungen gewidmet; danach kann der Besuch unbegrenzt weitergehen. Viele Besuche sind mit Reisen verbunden. Einer der ersten Reisenden war Käptn Cook. Zu seiner Zeit genügten als Besuchsgeschenk in den Dritte-Welt-Ländern noch Glasperlen. Heute muß es ein Milliardenkredit sein oder die Mitteilung, daß der vorhergehende Kredit nicht zurückbezahlt zu werden braucht. Solche Mitteilung gilt als Höhepunkt eines Staatsbesuches. Er läuft nach Programm. Dieses ist eine Zumutung für den Besucher, der deshalb nur mittels starker Polizeikräfte dorthin geschafft werden kann, wo er lt. Programm zu sein hat - beim Besuch der Festaufführung >Vetter aus DingsdaMein und Haben* heißt der neue Bestseller von Erich Unfromm. Etwas Weihnachtliches weht in diesen Wochen durch unser Wesen. Die gewohnte Erwartungs-Hal-tung versteift sich. Ein Lächeln spielt um unsere anspruchsvollen Lippen. Gabenbringende Weihnachtszeit! O du! Ich hab mir einen Gabenstapler gewünscht. Und eine Wünschelrute für die Suche nach einer Geldquelle. Mir ist so verinnerlicht, wenn ich mich so verausgabt habe.
Gespräch mit einem Engel
Und wenn wir heute mal die Engel nehmen? Die liegen doch zur Zeit in der Luft. Um Weihnachten rum interessieren wir uns ja auf einmal fürs Höhere. Wir orientieren uns nach oben. Kurzzeitig nur, aber immerhin. Unser Hoffen bleibt natürlich irdisch, auf die Geschenke gerichtet. Aber mit den Augen suchen wir den Himmel ab, und sie sind voller Erwartung. Wir erwarten den Weihnachtsengel. Sein Kommen überstrahlt die Glatteiswarnungen und am 24. 12. verdrängt die Berichterstattung über seinen alljährlichen Flug sogar Hans-Dietrich Genscher von der Reiseseite. Unsere Erwartung ist bang. Wird der Engel das Fenster der Verwundbarkeit finden und uns unterm Baum zu Tränen rühren? Selbstverständlich unter diskreter Mitwirkung der Wiener Sängerknaben? Was wird er dieses Jahr wohl bringen? Ist es die Frohe Botschaft von unserer Lebensversicherung, daß die Deckungszusage »Friede auf Erden« nochmal erneuert wurde? Oder hat er, wie so oft in den letzten Jahren, Unerfreuliches zu melden? Der Art etwa, daß er, seit's Killersatelliten gibt, sich unterwegs vor Mord und Totschlag fürchtet? Daß der Ozonschichtkäse inzwischen Löcher wie ein Emmentaler hat? Daß der Kosmonale Abfallbeseitigungsverband nicht weiß, wohin mit dem Raumfahrtmüll ? Voriges Jahr schon hat er mir im Gespräch hinterher so einen niedergeschlagenen Eindruck gemacht. »Ach«, seufzte damals unser Engel, an sich eine resche brünette Person, »ach, früher war's noch eine Lust, als Weltraumpflegerin zu arbeiten. Ein bißchen Sternenstaub wischen. Ein paar Kometenschweife striegeln. Eine kleine 3-Phasen-Pflege für das Mondgesicht. Und abends ein bißchen Ausgang, ein Rendez-vous mit meinem Asteroiden-Schwarm...« »Entschuldigung - das liegt mir die ganze Zeit schon auf der Zunge... sind Engel eigentlich nun männlich
oder weiblichen Geschlechts? Ist so ein Engel jetzt ein Saulus oder eine Paula?« »Beides, mein Bester, beides. Gewissermaßen ein Halbino. Oder keines, wenn Sie wollen, ein Neutrino. Die Frage stellt sich uns so nicht. Wir sind schließlich im Jenseits von Gut und Böse. Aber wo war ich? Ach ja. Bei der Freizeitgestaltung. Alle 4 oder j Äonen 'kommt das Landestheater rauf. Natürlich nur spezielle Stücke. Claudel. Oder der Engel mit dem Saitenspiel. Die Auswahl der Stücke besorgt für uns freundlicherweise der Bayerische Rundfunk. Aber ich seh ja sowieso viel lieber Variete. Am tollsten find ich Zauberkünstler. Die Schwebende Jungfrau oder solche Tricks. Oder die Begnadeten Körper von dem Heller. So ätherisch! Da kann ich mich direkt mit identifizieren. Aber im Augenblick gibts ewig Ärger. Wir sind einfach zu wenig Leute. Streß und Hektik. Seit wir 45 die Rekrutierungsbüros geschlossen haben, tröpfelt's mit dem Nachwuchs ja nur.« »Aber da ist doch Iran-Irak?« »Ich bitt Sie! Das sind doch Ungläubige!« »O ja. Aber was mich schon immer interessiert hat: Wie ist das eigentlich überhaupt da oben?« »Ach Gott, man lebt.« »Hosiannasingen? Lob, Preis und Ehr?« »Ach was. Zum Hosiannasingen haben wir einen Münchner Dienstmann verdonnert und Preisgesänge gibts sowieso nur in der Vorweihnachtszeit.« »Aber man hört doch immer von der Englein Chor?« »Vergiß es. Der Chor hat längst schon dichtgemacht. Wegen der Fischer-Chöre!« »Verstehe. Besseres Management? Saubere Pressearbeit? Medienkontakte?« »Offenbar. Und eben lauter.« »Und was ist mit der Hausmusik? Hat die denn auch gelitten?« »Die weniger. Das InstruMentale ist schließlich unsere Existenzgrundlage. Aber Harfe beispielsweis ist out.«
»Ach ja? Und was ist in?« »Diakonische Handharmonika. Und Ukumene.« »Gibts noch Posaunenengel?« »Drei, im Spielmannszug Alt-Jericho. Der Rest ist auf Diät gesetzt.« »Ach ja, das Essen! Wie ist das bei Ihnen?« »Salzarm. Hinten und vorne fehlt der Pfeffer. Morgens Manna, mittags Manna. Sie wissen das ja durch den Adolf Gondrell. Mit dem Essen gab es von Anbeginn nur Zores. Die Sache damals mit dem rohen Apfel, na! Jetzt versprechen wir uns ein bißchen Abwechslung vom Jüngsten Gericht. Aber da fehlen offenbar noch immer ein paar Zutaten. Und wenn du mich fragst auch dieser Fraß wird total ungenießbar sein! Es wäre zum Verzweifeln, wenn nicht ab und an des Teufels Großmutter raufkäme, für ein Tauschgeschäft. Ein bißchen Milch der frommen Denkungsart gegen Schaschlik. Oder Cevapcici vom Grill... Aber ich will mir nicht die Engelszunge verbrennen - eigentlich kann man sich nicht beschweren. Letzten Endes gibt es die Versorgungszusage, und du bist unkündbar, wenn du nicht grad silberne Löffel klaust. Mit dem Fortkommen hat es ein wenig seine Schwierigkeiten, der Beförderungsstau dauert nun schon eine Ewigkeit.« »Wie ist denn der Ausbildungsweg?« »Also: Der Aspirant - wenn das Wort erlaubt ist -gibt erst einmal den Geist auf. Am besten als Schnellpaket, damit's schon da ist, wenn er oben ankommt. Dann wird er automatisch zu den Himmlischen Heerscharen einberufen. Weil er nur wohlversehen mit den knappen Mitteln hier angekommen ist, wird er gleich eingekleidet. Kleiner Dienstanzug Hemd, ohne Rangabzeichen. Und dann eben die Ausbildung. Als erstes bilden sich natürlich die Flügel aus. Dann kommt der Grundlehrgang. Exorzieren. Am Anfang sind die Neuen ja richtige Flaschen!« »Einwegflaschen?« »Selbstverständlich. Recycling gibts doch nur bei den Buddhisten! Dann machen sie den Flugschein. Bis
zur Blindflugerlaubnis. Dann werden sie abkommandiert. Schutzengelbrigade z.b.V. zum Beispiel. Oder Racheengel im HNO-Geschwader. Oder zur Weihnachtsengelstaffel. Die blauen Engel kommen zum Filmtrupp in unserer Propagandakompanie. Die Erzengel sind zu schwer zum Fliegen. Die dienen in der Panzertruppe, wogegen die Rauschgoldengel als Christbaumschmuck eingesetzt werden.« »Gibt's auch ein Maskottchen bei den Heerscharen?« »Aber ja. Das ist so ein kleiner Italiener, der Amor, unser Heerschaarmör. Ja, und dann haben wir auch noch die Friedensengel im Peace-Korps. Eine Truppe mit Vollbeschäftigungsgarantie. Deswegen haben die auch hier unten bei Ihnen einen Sonderbeauftragten für Abrüstungsfragen.« »Das ist sicher der Apistolische Nuntius!« »That's it! Sie kennen sich aber verdammt gut aus! Sie sollten mal darüber schreiben«, sagte der Weihnachtsengel und machte die Platter. Naja, da hab ich das eben mal aufgeschrieben.
Weihnachtsmanko
Oder nehmen Sie doch nur mal diese Lieder. Ich meine nicht die Volkslieder öder die Kunstlieder oder den Teamleader, der so tut, als ob die anderen singen, aber in Wirklichkeit hat er die Partitur daheim schön vorgeschrieben. Nee. Ich meine die Weihnachtslieder. Genauer: die Vorweihnachtslieder. »Niklaus ihist ahein guter Mann, bringt den Kihindähern was er kann ...« Und das isses dann ja auch schon. Der Niklaus bringt ja wirklich, was er kann. Er schafft ran. Er klotzt. Er astet. Nix von 37 /^-Stunden-Woche. Nur Spätschicht! Und das macht er all over the world! Er und seine Kollegen. Vom 5. bis 24. Dezember jeden Jahres. Der Rest ist dann unbezahlter Urlaub. Und vorher schon wochenlang die Reisevorbereitung für den Fünften. Und am Fünften geht er dann mit Sack und Pack auf Achse. Die Englein spielen ihm noch »Muß i denn, muß i denn« oder sonst so 'n Marsch, »Alte Kameraden« oder »Gruß an Kiel«. Aber natürlich blasen sie nicht, sondern geigen ihm was. Streichorchester mit Zupfinstrumentenbesatz. Harfenkonzert vom Columbuskai. Unter Leitung von Weihnachtsmann Tovani. Und dann zieht er los, versehen mit den besten Segenswünschen. Die liefert er zusammen aus mit Äpfelnüss und Mandelkern, quasi im Sinne der Zugabeverordnung als Werbegeschenk, mit Reklameaufdruck, »See us later, alligator!« oder so. Also nun zieht er los. Und nimmt natürlich sein persönliches Weihnachtsmanntra mit. Das braucht er, um sich bei der Maloche per Transzendentale Meditation fit zu halten. Jeder Weihnachtsmann hat selbstverständlich, wie das beim Mantra so üblich ist, sein eigenes, und das ist geheim. Bloß das vom tibetanischen Kollegen, das kennen sie alle: Om weihnachtsmanni padme hum. Also nochmal. Wo waren wir?
Ach so. Er ist also nun auf Achse, der Nikolaus. Sie haben ihm den Computer-Ausdruck mitgegeben, mit den ganzen Adressen, die er abklappern muß. Da fängt der Ärger für ihn schon an! Nix wie Doppeladressen! Unsereiner kennt das ja, daß der gleiche Werbebrief dreimal in der Post ist: An Karl Müller, an K. Müller und an Müller, Karl. Aber für den Niklaus ist das schon lästig. Oder es ist ein Adressat verzogen, oder verstorben. Dann begegnet er ihm vielleicht grad unterwegs, hat er einen Weg gespart. Wie gesagt, die Liste ist keineswegs apptudeht. Na und dann kommt er schließlich unten an. Die Tour kennst du ja: Er bedroht Mäxchen, daß er seine Zähne nicht mehr mit Widerwillen, sondern mit Colgate putzen soll; er schilt Magdalene, daß sie ihr Geld immer noch auf ihr Nummernkonto einzahlt; er jagt dem Exportmanager mit dem neuesten Transistorradio einen japanischen Schrecken ein. Überhaupt die Geschenke! Für den kleinen kranken Kurt einen roten Masernratti; für den guten Ronald eine Spielzeugrakete mit Aggressionen-Antrieb; für Klothilde einen Jugendstilstuhl mit Barockholzwurm; für Marliese das Lehrbuch der gutwürgerlichen Küche von Donald Exküse. Für den Haarspalter hat er ein blondes Schizovreneli. Für den Grieslüsternen ein Kommißbrot, für den alten Sack einen Sakko, für den
jungen Geck einen Gecko. Für Afro-Dieter, der sich eigentlich einen warmen Überzieher gewünscht hat, einen Apfel anstatt. Das Handbuch >Der kleine Chirurg< für den Bänker, der im Hintergrund die Fäden zieht. Und für jeden ein gutes Wort. »In dubio pro realo!« schimpft er schelmisch mit dem grünen Streithansl. »Man kommt nicht mehr ohne Hut!« mahnt er Manfred und Gustav. »Va beene?« berlinert er freundlich mit dem Mann mit den Krampfadern. Na und das alle Tage, bis an der Weihnachtszeit Ende! Und dann ist irgendwann der Säckel leer. Die Rute hat er irgendwo im Schirmständer stehen lassen. Alles in allem ist er irgendwie fertig. Und er sehnt sich nach einem Schaumbad und nach seinem Lehnstuhl. Und nach himmlischer Ruhe. Ruhe! Denn wenn dem Weihnachtsmann am 24. abends der Sinn überhaupt nach was steht, dann bestimmt nicht nach Weinnachtsliedern! Da kannste aber von singen!
Wo der Bart rauscht
Wir nehmen heute an einer Lehrveranstaltung teil. Als Gäste von der Presse. Wir sind etwas verspätet und drücken uns rasch in eine Bank. ' • »Wir repetieren gerade ein wenig«, sagt der Dozent, an uns gewandt. »WORAUS also muß der Weihnachtsmann sein? Weihnachtsmann 112?« »Aus Schokolade!« »Quatsch! W 16?« »Aus hartem Holz. Er muß viel einstecken können.« »Gutt! WIE muß der Weihnachtsmann sein? W 25?« »Lieb!« »Quatsch! Wind- und wetterfest bis 301 unter Null! WO kommt der Weihnachtsmann her? W 127?« »Vom Himmel hoch ...« »W 65!?« »Der Weihnachtsmann kommt vom St. Martin her. Dieser teilte seinen Mantel mit einem frierenden Bettler.« »Was gibt's dafür heute, W 65?« »Einweisung zur klinischen Beobachtung!« »Gutt. Was noch? W 55?« »Altkleidersammlung.« »Gutt. WIE kommt der Weihnachtsmann nach strapaziösem Einsatz wieder zurück? W 99?« »Als Siecher kehrt er heim!« »Quatsch! W 12?« »Ich käme am liebsten mit einem schnelleren Schlitten heim, 200 PS, Automatik, computergesteuerte Einspritzung. Oder wenigstens mit einem flotten Hirsch. Yamaha. Oder BMW.« Hier verlassen wir die Niklausursitzung. Es kommt hier oben bei sowas offenbar genau so viel und so wenig raus wie bei vergleichbaren Veranstaltungen bei uns unten. Schauen wir uns lieber noch ein wenig im Schulungszentrum St. Nikolaus um.
Ein großes Institut, herrlich inmitten weißer Wolkenberge gelegen. Lehrsäle, Vorführräume, Kantine, Fitnessraum, Dozentenbüros. An einer Tür lesen wir: Referat für biologischen Gartenbau, Leitung: Santiago de Compostela. An einer ändern Tür: Lindwurmkuren, Therapeut: St. Georg. An einer dritten Tür: Verhaltensforschung. Konrad-Lorenz-Lehrstuhl, Inhaber: Assisi-Franze. An einer vierten: Pilger- und Pauschalreisen, Referent: J.P. (z. 2t. verreist). Ganz offensichtlich ein weit gefächertes Lehrprogramm. Die Curriculumforschung scheint auf dem neuesten Stand. Ganzheitliche Agogik. Vernetztes Denken. Vester. Aus einem Paternoster springt mit Nagelschuhen, schwarzem Bart und rotem Hut ein untersetzter Mann im Bauernwams. Er grüßt sehr freundlich mit »Grüaß Gott!« Der Dialekt scheint uns tyrolisch. Wir kommen ins Gespräch. Er zeigt uns dies, erklärt uns das. »Hier heroben werden ständig etwa 190 Weihnachtsmänner aus- und fortgebildet. An numerus clausus gibts not. Einzige Aufnahmebedingung ist Bart. Und natürlich das Bekenntnis zur Freiheitlichdemokratischen Grund-Ortung, als Orientierungshilfe im dichten Nebel.« »Also Bart muß man haben. Interessant. Genügt Drei-Tage-Bart?« »Natürlich nicht! Sehng Sie dorten den dahinten? Das ist der Charles Darwin. Der mit der Formel: Plätzchenfressen und gefressen werden. Sein Bart ist Spitze! Oder Tolstoj, dort oben der. Ist gleich in Kutte gekommen, als er unten ausgebüxt ist. Oder sehen Sie da rechts den: einer unserer ältesten Aktiven, Bartbarossa! Und da vorne Karl und Friedrich. Der Karli schreibt, der Friedrich geht derweil anschaffen. Sie streiten sich dauernd, was mehr wert ist. Und wer den längeren Bart hat.« »Und worin sehen Sie hier oben den gesellschaftlichen Sinn Ihrer Tätigkeit?« »Hier leistet man«, sagt der Schwarzbärtige, der uns irgendwie bekannt vorkommt, »hier leistet man«, sagt
er, »Lebenshilfe. Wenn der Harmsäurespiegel auf Erden wieder amal angestiegen ist, und die Erde vollends droht, zum Gramladen zu werden, dann brechen wir Weihnachtsmänner auf. Wir wollen das Tränende überwinden. Wir bringen Äpfel, Nüss' und Mandelkern und avisieren die Frohe Botschaft.« Natürlich, sagt er, die Botschaft höre man unten 'wohl, allein es fehle der Glaube. Aber sonst hätten wir da unten doch alles, einschließlich einer Füllhornhaut auf der Seele. Die Liebe komme bei uns zu kurz, sagt er. Schön, sagt er, wer nicht lieb ist, kommt halt in den Sack. Aber der Sack wiegt von Jahr zu Jahr schwerer. Nun ja, sagt er, es ist halt weltweit Bonsai-Zeit: Die Bäume wachsen nicht mehr in den Himmel. »Aber Jahr für Jahr bemühen wir uns«, sagt er, »um Erdenwandel durch Annäherung.« Wir sind inzwischen miteinander weiterspaziert. Draußen grast eine große Kamelherde. »Alle«, sagt der Schwarzbärtige und schaut uns bedeutungsvoll an, »alle durch ein Nadelöhr gegangen!« Ein Herr mit Ho-Tschi-Minh-Bart geht vorüber. »Unser Missionsleiter Südostasien. Im Range eines Weihnachtsmanndarins.« Ein Herr mit Eskimosesbart grüßt freundlich. »Der grönländische Kollege. Er kümmert sich um die Kalte Küche bei unserer Abschlußfeier. Die machen wir hinterher, Anfang Januar. Sie wissen, so wie der Wirteball nach Fasching. Ist immer sehr lustig.« Sie sind hier offenbar ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Durchtrainierte Spezialisten, fit bis ins hohe Alter. Unser Gesprächspartner selbst scheint frühes 19. Jahrhundert. Wir möchten nun mehr über die modernen Strömungen hier oben wissen. »Ja, da ist doch einiges in Bewegung geraten! Auch hier ist Schluß mit der Niklaustrophobie. Die neue Linie ist ganz offen. Glasnost und Perestrojka. Zuerst haben wir noch Weihnachtsmannipulation dahinter vermutet. Aber inzwischen sind wir fest im Glauben.« Sicher, es gebe auch Gegenbewegung und Spaltungsversuche. Dort drüben, sagt er, der Admiral Tir-
pitz: Trägt aus Protest einen Bart mit zwei Spitzen. »Lächerlich schaut dös aus!« sagt er. Doch letzten Endes gebe es mehr Demokratie. Und das Bemühen um mehr Effizienz. Ein Aufbegehren für die gute Sache! Die Fesseln abstreifen! Sein Auge blitzt: »Zu Mantua in Bahanden ...« singt er plötzlich zur Melodie von Niklaus-ist-ein-guter-Mann. Dann schaut er ganz entsetzt auf seine Zwiebeluhr - »Schon sechse gleich!!« — und läuft zur Tür des Seminarsaals. Er reißt sie auf und ruft hinein: »Weihnachtsmannder — 's ischt Zeit!!«
Märchen von der Weisheit
Wenn man es richtig nimmt, ist das Leben ein Märchen. Täglich erscheint uns die gute Fee und spricht: »Du hast einen Wunsch frei!« Da wünscht sich der Arme Reichtum und der Reiche keine Steuerprüfung. Der Dünne wünscht sich mal eine richtige Fettlebe und der Dicke einen guten Schneider. Wer hustet, wünscht sich Gesundheit. Der Junggeselle wünscht sich ein Weib. Wer unglücklich ist, wünscht sich zum Teufel. Daß alle diese Wünsche je in Erfüllung gingen, ist ein Märchen. Deshalb bemüht sich der Weise lieber um Weisheit. Obwohl solche Bemühung selten ist, ist Weisheit nicht wohlfeil. Sie scheint ständig vergriffen zu sein. Wahrscheinlich gibt es Lieferschwierigkeiten. Ohne damit gleich sagen zu wollen, daß Weisheit dem Marktgeschehen nicht innewohne, scheint sie sich ihm doch irgendwie zu entziehen. Da sie so wenig gefragt ist, müßte ihr Preis nämlich, dem Gesetz von Nachfrage und Angebot folgend, sinken. Genau das Gegenteil jedoch ist der Fall: Bis man sie erworben hat, muß man ordentlich draufzahlen. Wie alles, ist auch die Weisheit schwer zu erwerben, wenn einem die Mittel dazu fehlen. Auch mit den scheinbar beliebig verfügbaren sog. Billigen Weisheiten ist es so eine Sache. Billige Weisheiten sind Binsenweisheiten. Binsenweisheiten sind bessere Dummheiten. Seltsamerweise muß man auch Dummheiten teuer bezahlen. Wem die Mittel zum Erwerb der Weisheit fehlen, der versucht die Weisheit wenigstens für sich zu pachten. Der Pachtertrag der Weisheit ist Erkenntnis. Auch sie ist nicht so einfach zu erwirtschaften. Da es zu den Modalitäten eines Pachtvertrages gehört, daß Teile des Ertrages als Pachtzins abgeführt werden müssen, ist der Pächter der Weisheit am Ende nur wenig klüger als vorher.
Weisheit erschien den Menschen aller Zeitalter und Kulturen stets ein erstrebenswertes Lebensziel. Die liebenswürdige Gesittung der Kopfjäger z.B. fußt auf dem Wunsch, sich das Wissen des anderen einzuverleiben. »Mama, mach mir mal ein Gehirnschmalzbrot!« sagt das Kannibalenkind, weil es die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen hat. David errang biblischen Ruhm, weil er den Stein der Weisen in die Schlinge seiner Schleuder legte und damit den Goliath zu Fall brachte; dem flach auf dem Boden Hingestreckten konnte er, der Kleine, so nämlich besser den Weisheitszahn ziehen; den hängte er sich als Amulett gegen Zahnschmerz um den Hals und wurde ein weiser König. Auch die Drei Weisen aus dem Morgenlande waren Könige und späte Anhänger Platons, der sich gewünscht hatte, daß Weise zu Königen würden und Könige zu Weisen. Das Wissen darüber, wie das geht, ist inzwischen verloren gegangen. Überhaupt stammen die meisten unserer Weisheiten von vorchristlichen Denkern, die Weisheiden waren. Einige heitere unter ihnen erfanden als der Weisheit letzten Schluß die Weisheiterkeit der Seele. Wie überall, so muß man auch bei solcher Betrachtung die Spreu vom Weisen trennen. Weisheit ist eine Sache, Schläue eine andere. Bauernschläue z.B. will uns nur weismachen, sie enthielte Weisheit. Der sprichwörtliche schlaue Fuchs hingegen war in Wirklichkeit weise: Weil ihm die Trauben zu hoch hingen, erklärte er sie für sauer. Das ist doch süß! Weisheit kann darin liegen, sich dumm zu stellen. Der Gipfel der Dummheit wiederum ist, wenn ein Dummer sich schlau vorkommt. Nur die wirklich Weisen wandeln auf der Menschheit Höhen. Diese erheben sich aus den Niederungen des Lebens bis auf drei-bis-viertausend Meter über NN. Der Weise erreicht sie warm angezogen und mit Kletterschuhen. Der Schlauberger sucht sie im Polohemd auf dem • kürzesten Wege (Direttissima) zu erklimmen. Er macht jedoch stets auf halbem Hang halt, weil er
plötzlich ganz dringend klugscheißen muß. Derweil ist der Weise längst hoch droben am Wandeln. Er schreibt sich ins Gipfelbuch ein. Er tritt an den Ab-grund. Weit schweift sein Blick über Land und Meer bis zum Horizont. Seine Seele weitet sich. Die Brust füllt sich ihm mit klarer Luft, der Kopf mit den Gedanken großer Denker. Kierkegaard, Spinoza, Kant und Heidegger sprechen mit ihm. Und er antwortet ihnen: »Hollaladijuhu!«