Backcover: Die Kompaßnadel am Armaturenbrett hatte sich wie verrückt im Kreise gedreht, aber jetzt war sie wieder ruhig...
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Backcover: Die Kompaßnadel am Armaturenbrett hatte sich wie verrückt im Kreise gedreht, aber jetzt war sie wieder ruhig. Sein Kurs lag immer noch bei Nord-Nordwest. »Sacre bleu!« sagte Hank Stover, und dann: »Heiliger Strohsack!« Sein Herz klopfte so schnell und so hart wie der Schnabel eines Spechtes am Stamm einer Eiche. Er hatte soviel Angst wie damals, als die rot-schwarz gestreifte PFALZ über dem Schwanz seiner SPAD aufgetaucht war. Eine Kugel aus einem schimmernden, transparenten Material rollte aus einer Erdspalte herauf, schoß vor dem Flugzeug dahin und zerplatzte kurz vor der Vegetationsgrenze in funkelndem Dunst... Aber Hank Stover, der Ritter der Lüfte aus Kansas, sollte sich noch mehr über das Land wundern, in das er mit seinem Doppeldecker abgetrieben worden war: eine rote und eine gelbe Ziegelstraße, sprechende Tiere, eine gute und eine böse Hexe, ein ängstlicher Löwe und ein blecherner Holzfäller... er befand sich in einem Märchenland — in L. Frank Baums OZ, um genau zu sein..
KNAUR SCIENCE FICTION FANTASY Herausgeber Werner Fuchs
Kansas flackerte — und dann war sich Hank Stover nicht mehr sicher, ob er sich noch über seinem Heimatstaat befand. Er war mit seiner Jenny aufgestiegen, einem Curtiss-JN-4HDoppeldecker, als plötzlich diese seltsame grüne Wolke wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte und ihn verschlang. Und dann mußte er notlanden — an einem Ort, der ihm die Sprache verschlug. Hank Stover war ein besonderer Mensch. Außer ihm gab es nur noch eine Person, die wußte, daß Oz, das wunderbare Land, wirklich existierte, nicht nur als ein Märchengebilde von L. Frank Baum. Aber er hätte nie geglaubt, daß er an jenem Apriltag im Jahre 1923 dort landen würde, geschweige denn, daß er dort die Hexe finden würde, die seiner Mutter einmal geholfen hatte. Die Hexe, aber auch all die anderen verrückten Gestalten — etwa die Vogelscheuche oder der blecherne Holzfäller — stürzten Hank in Ereignisse, wie er sie sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hätte ausmalen können... Philip José Farmer wurde 1918 in North Terre/lndiana geboren und gilt als herausragender Vertreter abenteuerlicher Ideen-Science-Fiction. Bekannt wurde er neben seiner »Flußwelt«- und »World of Tiers«-Serie auch durch die Tatsache, daß er Werke oder Id een anderer Autoren fortsetzt oder neu interpretiert. So variierte er beispielsweise Stoffe von Melville (»Ishmaels fliegende Wale«), Burroughs (»Lord Tyger«) oder Verne (»Das andere Log des Phileas Fogg«). Der vorliegende Roman nimmt in dieser Kategorie eine besondere Stellung ein, weil Farmer versucht, Baums Märchen »The Wizard of Oz« rational und wissenschaftlich zu erklären.
Von Philip Jose Farmer erschienen ebenfalls in der KnaurTaschenbuchreihe Science Fiction: »Die Liebenden« (Band 5703) »Welten wie Sand« (Band 5718) »Lord der Sterne« (Band 5723) »Die Welt der Wiyr« (Band 5744) »Vermächtnis der Zeit« (Band 5764) »Pater der Sterne« (Band 5767) »Bizarre Beziehungen« (Band 5771) »Erlöser vom Mars« (Band 5777) »Schockvisionen« (Band 5779) »Die Toten Welten des Bolg« (Band 5833)
Deutsche Erstausgabe © Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München 1985 Titel der Originalausgabe »A Barnstormer in Oz« Copyright © 1982 by Philip Jose Farmer Umschlaggestaltung Franz Wöllzenmüller Umschlagillustration Don Ivan Punchatz Satz Compusatz, München Druck und Bindung Eisnerdruck, Berlin Printed in Germany 54321 ISBN 3-426-05800-6
Philip José Farmer
Ein Himmelsstürmer in Oz Fantasy-Roman
Deutsche Erstausgabe
Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt
Knaur
Für Frank L. Baum, Fred M. Mey er, den Internationalen Zauberer-von-Oz-Club, Lester und Judy-Lynn del Rey . Judy Garland, alle Vogelscheuchen, Blech-Holzfäller. Ängstlichen Löwen und Dorothys auf dieser Seite der Gelben Ziegelstraße, und für John Steinbeck, der gesagt hat, daß er lieber als alles andere »Botschafter in Oz« sein möchte.
l Kansas flackerte. Es war das zweite unerwartete und beunruhigende Phänomen. Das erste hatte sich ein paar Sekunden zuvor ereignet, als eine grüne Wolke etwa zweihundert Fuß weit vor ihm aus dem Nichts hervorgequollen war. Er flog mit seiner Jenny, einem Curtiss-JN-4H-Doppeldecker, in einer Höhe von eintausend Fuß, als der smaragdgrüne Dunst aus dem nahezu wolkenlosen Himmel strömte wie ein Dschinn aus einer Flasche. Bevor er noch zweimal hatte zwinkern können, war er zu einem dichten Nebel angewachsen, rund achtzig Fuß breit und dreißig Fuß tief. Die Wolke war an den Rändern und an der Vorderseite transparent und hellgrün, ansonsten überall dunkelgrün und undurchsichtig. Er war so verblüfft gewesen, daß seine trainierten Reflexe ihn im Stich ließen. Seine linke Hand umklammerte bewegungslos den großen, hölzernen Steuerknüppel, und seine Füße verharrten starr auf den Pedalen für das Seitenruder. Die Jenny schoß in den äußeren Bereich der Wolke hinein. In diesem Augenblick geschah es, daß der Staat Kansas flackerte; er verschwand, erschien wieder, und dann war er nicht mehr da. Fort Leavenworth, der Missouri, die Felder und die Bäume verschwanden. Diese Wolke bestand nicht aus winzigen Feuchtigkeitströpfchen. Er spürte keine Nässe im Gesicht. Die Sonne stand noch in derselben Position wie in dem Moment, da er in die Wolke eingedrungen war. Der Himmel aber, der an diesem ersten April, Ostersonntag und ersten Tag des Passahfestes im Jahre des Herrn 1923, teilweise bewölkt gewesen war, strahlte jetzt in makellosem Blau. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Elf Uhr vormittags. Wie spät es war, wußte er, aber wo er war, wußte er nicht. Unten erstreckte sich eine sandbraune Wüste, aus der dunkle Felsen emporragten. Zwei Meilen weit vor ihm begann grünes Gelände, das sich nach rechts und links hinzog, so weit das Auge reichte. Am Rande dieses Geländes endete die Wüste so abrupt wie ein Ozean, der sich an den Gestaden einer Insel brach. Etwa eine Meile weit ging es sodann sanft bergauf, und dahinter erhoben sich steile
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Klippen, gekrönt von einem Plateau. Hinter den Bäumen am Rande dieses Plateaus erkannte er flimmernde Türme, Häuser und Felder. Er verdrehte den Hals, um einen Blick hinter sich zu werfen. Die Wolke schrumpfte zusammen, und dann war sie fort, als habe ein unsichtbarer Staubsauger sie verschluckt. Hank war auf Kurs NordNordwest nach Muscotah, Kansas, unterwegs gewesen, um die persönliche Habe von John »Rube« Schultz, seinem verstorbenen Flugpartner in Doobie's Flying Circus, abzuliefern. Mit Grauen hatte Hank sich ausgemalt, wie er der Witwe erzählen würde, wie Rube bei dem Unfall ums Leben gekommen war und warum der Sarg bei der Beerdigung geschlossen bleiben müßte. Er hatte sich schon seine vermutlich völlig unzureichenden Versuche vorgestellt, Mrs. Schultz zu trösten. Jetzt aber sah es so aus, als würde er nicht auf der Wiese neben dem Hause der Witwe landen, wenigstens nicht innerhalb der geplanten Zeit. Die Kompaßnadel am Armaturenbrett hatte sich wie verrückt im Kreise gedreht, aber jetzt war sie wieder ruhig. Sein Kurs lag immer noch bei Nord-Nordwest. »Sacre bleu!« sagte Hank Stover, und dann: »Heiliger Strohsack!« Sein Herz klopfte so schnell und so hart wie der Schnabel eines Spechtes am Stamm einer Eiche. Seine Hände waren feucht. Er fühlte sich desorientierter und betäubter als an seinem letzten Urlaubstag in Paris, an dem er zuviel Brandy getrunken hatte. Er hatte soviel Angst wie damals, als die rotschwarz gestreifte Pfalz über dem Schwanz seiner Spad aufgetaucht war. Er straffte sich. Zu seiner Rechten war etwas, das aussah wie ein Blitz — in dem hellen Sonnenlicht war es nicht genau auszumachen —, zwischen zwei hohen, spitzen Türmen aus schwarzem Fels aufgeflackert. Und dann war da etwas, das aussah wie ein Feuerball, von der Spitze eines der beiden Türme, heruntergerollt und explodiert. »Ich habe viel getrunken gestern Abend«, brummte er. »Ich habe einen Kater wie von einem Holzhammerschlag. Aber vom Delirium tremens bin ich noch weit entfernt.« Eine Kugel aus einem schimmernden, transparenten Material rollte aus einer Erdspalte herauf, schoß vor dem Flugzeug dahin und zerplatzte kurz vor der Vegetationsgrenze in funkelndem Dunst. Kleine Silhouetten, Vögel sicherlich, erhoben sich in Wolken aus den Bäumen am Rande der Wüste.
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Jetzt war er über dem grün bewachsenen Land und näherte sich den Klippen. Das Plateau würde fünfhundert Fuß tief unter ihm liegen, aber er zog den Steuerknüppel zurück, um höher zu steigen. Vermutlich würde es an der Flanke der Klippen einen Aufwind geben, aber er wollte kein Risiko eingehen. Obwohl der Motor der JN-4H fast zweimal so stark war wie der in der JN-4D, reagierte sie doch nicht so sensibel wie ein militärisches Jagdflugzeug. Außerdem wollte er einen besseren Überblick über das Land bekommen. Was war was und wo? Gleichwohl aber lag die Wahrheit wie ein Finger auf dem Puls seines Geistes. Sie spürte ein leichtes Pochen, aber er konnte einfach nicht glauben, daß er sich täuschte. In den zweiundzwanzig Jahren seines Lebens hatte Hank schon viele Überraschungen und Schrecken erlebt, die unangenehmsten davon, als sein Heiratsantrag abgelehnt worden war, als eine Pfalz, geflogen von einem der kaiserlichen Ritter der Lüfte, sich über den Schwanz von Hanks Spad manövriert hatte, und als er ausgerutscht war, während er bei einer Show am Rande von Nashville, Tennessee, vom Flügel einer Jenny auf den Rücksitz eines Automobils umsteigen wollte. Er erinnerte sich auch an den Schrecken, den er empfunden hatte, als seine Mutter die Schminke von ihrer Stirn abgewischt und ihren achtjährigen Sohn in ein dunkles Zimmer geführt hatte, um ihm das matt schimmernde, runde Mal auf ihrer Stirn zu zeigen. Dies allerdings war ein überaus angenehmer Schreck gewesen. Das hier aber war schlimmer als alles andere, weil es so unerwartet kam und weil es nicht sein konnte. Dennoch war er in paradoxer Weise nicht so schockiert und verblüfft, wie er es hätte sein müssen. Er glaubte zu wissen, wo er war, obwohl es einfach nicht zu glauben war. Und wenn er tatsächlich da war, wo er ungläubig glaubte zu sein und wo, soweit er wußte, vor ihm nur zwei Menschen jemals gewesen waren, dann... Aber nein, es konnte nicht sein. Zwei Meilen weit zur Rechten stürzte ein schmaler Wasserfall über die Klippen herunter. Er wäre weit mächtiger gewesen, hätte ihn nicht ein Damm gebändigt, auf dessen Nordseite sich ein See erstreckte. Zu beiden Seiten des Sees sah er Bäume, Wiesen und Farmen. Zahllose Bewässerungsgräben umgaben ihn wie Gliedmaßen. Die meisten der Bäume sahen aus wie die in Illinois: Eichen, Ahorn, Walnußbäume, Osage-Orangen, Kiefern und andere. Aber hier und dort wuchsen auch Palmen.
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Die Farmhäuser waren rechteckig und hatten hohe, steile Dächer. Seine Mutter hatte ihm von ihnen erzählt und auch erwähnt, daß sie sich in der Bauweise von denen unterschieden, die in dem Land im Nordwesten von hier standen. Häuser und Scheunen waren in vielen Farben bemalt, aber Rot schien die beliebteste zu sein. Alle besaßen dicke Blitzableiter. Die Zäune, die aus Holzlatten oder Steinpfählen bestanden, schienen die Besitzgrenzen zu markieren, denn sie waren nicht so hoch, daß Schafe, Ziegen oder Kühe sie nicht hätten überspringen können. Unten verlief eine Straße mehr oder weniger parallel zum Rande der Klippen. Sie bestand aus roten Ziegeln und war die einzige gepflasterte Straße, die er entdecken konnte. Er zog die Jenny nach links und flog über der Straße entlang. Ein Bauer, der einen vollbeladenen Karren lenkte, stand auf, riß den Mund auf und zeigte auf das Flugzeug, obwohl außer ihm weit und breit niemand da war. Doch, es war wohl jemand da. Die beiden Kühe, die den Karren zogen, schauten hoch. Als er das Gespann überflog, sah Hank, daß an dem Zuggeschirr keine Zügel befestigt waren. Vor ihm, dicht am Rande der Hochebene, erhob sich ein Schloß, und westlich davon lag ein Dorf. Das Schloß war aus irgendeinem weißen Stein erbaut, etwa hundert Meter hoch und umgeben von einer Mauer, die sicher dreißig Meter hoch war. Aber es gab kein Schloß auf der Erde, das von einem mächtigen Wasserturm gekrönt war oder das Mauern hatte, die mit dicken roten Edelsteinen und Rubinen besetzt waren. Natürlich konnte er nicht mit Sicherheit feststellen, ob diese Steine nicht vielleicht aus Glas waren, aber er glaubte es nicht. Auch dieses Gebäude war mit Blitzableitern ausgerüstet. Er überflog das Schloß in einer Höhe von zweihundert Fuß und sah, daß die Mauern es nicht völlig einschlossen; sie waren eher geformt wie ein U, dessen Enden sich wie bei einem Hufeisen auswärts krümmten und das sich zur Wüste hin öffnete. Das Schloß selbst hatte einen X-förmigen Grundriß. Hank flog über das Dorf hinweg und sah, daß viele Leute durcheinanderliefen und aufgeregt gestikulierend bald auf ihn, bald auf andere deuteten. Er kehrte um und flog, die Straße entlang, zurück. Jetzt strömten Männer und Frauen durch das große, offene Tor in der Schloßmauer nach draußen. Er ließ sie hinter sich, legte sich in die Kurve, bis das Flugzeug mit der
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Nase im Südwestwind lag, und ging hinunter. Mit einer Dreipunktlandung setzte er auf einer Wiese auf, Räder und Schwanzkufe berührten den Boden gleichzeitig; er rollte bis zum Zaun und stellte den Motor ab. Die Rinder und Schafe hatten sich in die hinterste Ecke der Weide geflüchtet und standen dort dicht zusammengedrängt und starrten zu ihm herüber. Die Leute aus dem Farmhaus blieben vor der Veranda und diskutierten vermutlich darüber, ob sie sich ihm nähern sollten oder nicht. Vielleicht hielten sie die Jenny für ein geflügeltes Ungeheuer, und dann mußte sie besonders furchterregend aussehen. Ihr Rumpf war gelb und die Flügel scharlachrot. Ein großes, blaues Auge leuchtete auf jeder Seite unterhalb des offenliegenden Motors. Die Propellernabe und ihre Umgebung sah aus wie eine Nase, und darunter war ein roter Rachen, gekrümmt wie Amors Bogen und mit weißen, spitzen Zähnen versehen. Es war wärmer hier. Als er Kansas City verlassen hatte, waren es minus fünf Grad gewesen, aber hier schienen beinahe fünf Grad über Null zu herrschen. Zwölf Seeadler überflogen ihn in V-Formation in einer Höhe von zwanzig Fuß. Schwadronen von Bussarden, Hühnerhabichten und Wanderfalken folgten ihnen. Die Nachhut bildeten zwölf Goldadler. Alle diese Vögel waren etwa um ein Drittel kleiner als die Spezies, die er von der Erde her kannte. Sie kreisten und landeten dann auf den Ästen einiger Bäume am Rande der Weide. Schweigend hockten sie da, sie bewegten sich kaum und beäugten ihn unverwandt. Ein einsamer Wanderfalke aber kreiste eine Weile über ihm und flog dann mit hoher Geschwindigkeit geradewegs auf das Schloß zu. Der Motor war noch heiß genug, daß er ihn hätte starten können, ohne daß jemand den Propeller anwarf. Vielleicht war dies das Vernünftigste; er könnte dann in die Nordostecke der Wiese rollen, wo er mit der Nase im Wind stände und zu einem Blitzstart bereit wäre. »Zum Teufel«, sagte er, kletterte aus dem hinteren Cockpit und sprang auf den Boden. Es war ihm bewußt, daß er in seiner Kunstfliegerkleidung einen prächtigen, verwegenen Eindruck machte: Er trug einen schwarzen Lederhelm, auf dem eine grüngeränderte Schutzbrille saß, einen langen, weißen Schal, eine schwarze Lederjacke, schwarze, pelzgefütterte Lederhandschuhe, gelbe
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Wickelgamaschen und schwarze Schuhe. Aber statt der üblichen Kaninchenpfote trug er als Glücksbringer einen Hausschlüssel an einer Goldkette an seiner Jacke. Inzwischen war die Straße von einer großen Menge von Leuten gesäumt, die ihn anstarrten. Die Augen der meisten befanden sich in Höhe seines Bauchnabels. Er war nicht überrascht. Männer und Frauen schnatterten in einer unbekannten Sprache durcheinander — gleichwohl klang es manchmal wie Englisch —, und sie trugen hohe, kegelförmige Hüte mit breiten Krempen, an denen winzige Glöckchen hingen. Die Kleider der Frauen waren tief ausgeschnitten und reichten bis knapp unter die Knie. Das, was aussah wie Stiefel, waren Holzschuhe, an denen wollene Stulpen befestigt waren. Die Männer trugen Hemden mit langen Ärmeln, Westen, Hosen und Stiefel wie die Frauen, nur daß ihre Stiefel in einer dicken Rolle endeten. Die älteren Männer trugen Vollbärte, die jüngeren waren glattrasiert oder hatten einen Schnurrbart. Make-up trugen nur die Frauen, und auch bei ihnen beschränkte es sich auf Rouge. Alle waren Kaukasier, allerdings sonnengebräunt. Ihre Gesichter sahen aus wie die, welche er im besetzten Norddeutschland gesehen hatte. Nach einer Weile näherten sich ihm die Tiere, die in der Ecke der Weide gestanden hatten, und ihre Zahl verstärkte sich durch das Vieh der angrenzenden Farmen. Wie die Menschen, so waren auch Rinder und Schafe um etwa ein Drittel kleiner als ihre irdischen Gegenstücke. Ein Schrecken durchfuhr Hank, als er hörte, wie ein Schaf mit einem anderen sprach. Seine Sprache war unverkennbar die der Menschen, aber die Stimme war nicht menschlich. Es war der Klang einer Victrola-Schallplatte, und eisige Schauer liefen Hank über den Rücken. Aber eigentlich hätte er darauf vorbereitet sein müssen. Er kam zu dem Schluß, daß er die Weide bald verlassen würde, und nahm die Ankergeräte aus der hinteren Ladekammer. Kaum hatte er die Jenny gesichert, sah er einen Zug von Streitwagen mit bewaffneten Frauen, der beim Zaun haltmachte. Streitwagen! Gezogen wurden sie von verkleinerten Elchen. Ebenso wie die Kühe, die er gesehen hatte, trugen auch sie keine Zügel, und die Fahrerinnen der Streitwagen waren nicht mit Peitschen ausgerüstet. Er hätte es wissen können. Die weiblichen Soldaten stiegen von ihren Wagen herunter
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und stellten sich, den Anweisungen einer Offizierin folgend, in Formation auf. Ihre stählernen Helme liefen nach oben spitz zu; sie waren mit goldenen Arabesken verziert, und an der Vorderseite trugen sie das Emblem eines Hufeisens, das ein X umschlang. Lange, scharlachrote Federn steckten oben in den Helmen, und die Helme selbst wurden durch rote, leinene Kinnriemen gehalten. Die Frauen trugen steife, rote Hemden und darüber hüftlange Wolljacken, scharlachrot und mit goldenen Tressen verziert. Ihre knielangen, roten Röcke waren mit gelben, blauen und grünen Mustern versehen; er sah Hufeisenund-X-Embleme, Hakenkreuze, Ankhs und Eulenaugen. Ihre Stiefel glichen denen der Bauern, aber sie waren ebenfalls scharlachrot und mit goldenen Bändern geschmückt. Stover warf einen Blick auf die blonde, blauäugige Kommandantin und meinte: »Eine echte Puppe! Zucker!« Aber das Schwert, das sie in der einen Hand hielt, sah nicht aus wie Zucker, und die langen Speere ihrer Truppe ebenfalls nicht. Mit einer Geste bedeutete sie Stover, er solle das Flugzeug verlassen und beiseite treten. Er gehorchte, und im nächsten Augenblick fand er sich von drohenden Speerspitzen umzingelt. Lächelnd machte er eine Geste, die besagen sollte, daß er in Frieden gekommen sei. Falls die Kommandantin die indianische Zeichensprache verstand, so ließ sie es nicht erkennen. Er wurde zur Straße eskortiert, und dann bewegte sich der Trupp auf das Schloß zu. Die Streitwagen folgten ihnen mit dem Rest der Soldatinnen, und die Nachhut bildete die Menge der Zivilisten. Er und seine Bewacherinnen hatten eine Meile zu marschieren, bevor sie das Schloß erreichten. Hier wartete bereits eine große Schar von Menschen, Tieren und Vögeln auf den Riesen, der mit einem gewaltigen Vogel von irgendwoher zu ihnen geflogen war. Männliche Soldaten, die ebenfalls Röcke trugen, verhinderten, daß die Menge ihm allzu dicht auf den Leib rückte. Man führte Hank auf eine Zugbrücke, über den fünfzehn Meter breiten Wassergraben, durch die Außenmauern in einen mit Marmorplatten gepflasterten Innenhof. Schließlich erstieg er zwölf Marmorstufen, von denen jede etwa einen Meter breit sein mochte. Rechts und links von der Treppe befanden sich Rampen für die Tiere. Er fand keine Gelegenheit, die Rubine näher zu betrachten, die, so groß wie sein Kopf, in die Mauern neben dem Eingang eingelassen waren. Es gab viel zu sehen, aber er konnte nur wenige Details in sich aufnehmen. Er kam
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durch hohe, weite Hallen voller Statuen, Malereien und anderer Objekte mannigfaltiger Art. Bunte Mosaike bedeckten die Marmorböden. Am Ende einer dieser Hallen geleitete man ihn eine breite Wendeltreppe hinauf, über die er atemlos eine Tür im neunten Stock erreichte. Gebückt trat er durch diese Tür und gelangte in ein Vorzimmer. Eine Eisentür mit einem kleinen vergitterten Fenster führte in den nächsten Raum. Man schob ihn hindurch, und der Hauptmann und zwei Soldaten, die ihn begleitet hatten, traten zurück. Die Tür wurde verschlossen, und ein schwerer Eisenriegel fiel dröhnend herab. Er sah sich um und stellte fest, daß er sich in einem ziemlich großen Raum befand, dessen Mobiliar jedoch mit Ausnahme des gewaltigen Himmelbetts zu klein für ihn war. Hinter einer Tür lag das Badezimmer. Es war tatsächlich mit fließendem Wasser ausgestattet, doch die Toilette war zu klein, als daß er bequem darauf hätte sitzen können — seine Hoden hingen im Wasser —, und er würde sich weit vorbeugen müssen, wenn er sich das Gesicht waschen wollte. Das einzige Licht, das er in der Nacht anmachen konnte, würden Lampen sein, die irgendein Öl verbrannten.
2 Was Mr. H. G. Wells, Mr. Roy Rockwood und Mr. Dante Alighieri bei ihren Reisen in andere Welten übersehen haben, ist der Schrecken, den ihre Helden empfunden haben müssen. Das Verlassen der Erde kam dem phy sischen und emotionalen Schlag gleich, den ein Neugeborenes fühlen mußte, wenn es aus dem Mutterleib kam. Ein Baby allerdings hatte keine Ahnung von dem, was da geschehen war, während ein Erwachsener, der zum Mond, zum Mars oder zur Hölle reiste, zumindest eine gewisse Vorstellung von dem hatte, was ihn erwartete, und zudem diese Reise ins Unbekannte aus freien Stücken auf sich genommen hatte. Außerdem hatten sich die Figuren in Mr. Wells' Die ersten Menschen im Mond, in Mr. Rockwoods
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Durch den Weltraum zum Mars und in Mr. Alighieris Inferno innerhalb der relativ engen Grenzen des Sonnensystems bewegt, und ihre Ziele waren Orte gewesen, die man kannte. Mr. Alighieris Held, Dante selbst, hatte eine klare Vorstellung von der Hölle, obgleich die Realität ihn im Kern seines Wesens erschüttert haben muß. Zweifellos müssen die Helden aller drei Phantastiker eine Zeitlang wie betäubt und völlig orientierungslos gewesen sein, und schwächere Männer hätte der Schock womöglich leblos zu Boden geworfen. Na ja, vielleicht auch nicht. Immerhin hatten sie ja wenigstens eine Art Training für ihre Reisen absolviert und waren bis zu einem gewissen Grade vorbereitet gewesen. Aber plötzlich in ein anderes Universum versetzt zu werden — das war etwas, wovon Hank Stover noch nie gelesen oder auch nur gehört hatte. Na gut, er hatte es doch. Hölle, Fegefeuer und Himmel waren andere Welten insofern, als sie sich in einem anderen Universum befanden. Oder nicht? Lagen sie etwa auch innerhalb des Sonnensystems? Und in gewisser Weise war er durch die Erzählungen seiner Mutter und durch Mr. Baums Bücher für dieses Universum konditioniert und darauf vorbereitet worden. Deshalb war der Schock nicht ganz so schrecklich gewesen. Außerdem befand er sich, wenngleich er in einem anderen Universum gelandet war, immer noch irgendwie im Sonnensy stem der Erde. Eine große, mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Pendeluhr stand im Raum. Auf dem Zifferblatt sah er dreiundzwanzig Einzel- und Doppelzeichen. Es waren Zahlzeichen, von denen viele aussahen, als entstammten sie dem griechischen Alphabet; manche wirkten eher lateinisch, und einige hielt er für Runen. Er war nicht sicher, aber er fühlte sich an Zeichen erinnert, die er in einem Buch über die gotische Sprache gesehen hatte. Die Uhr war offensichtlich ein Vierundzwanzig-StundenChronometer. Der Tag begann, darauf deutete das Nullzeichen hin, am Mittag. Das Nullzeichen, das sich oben auf dem Zifferblatt befand, sah nicht aus wie die Null, an die er gewöhnt war. Es war eine kurze, waagerechte Linie mit einem großen Punkt in der Mitte. Falls die Vorfahren dieser Menschen von der Erde gekommen waren, mußten sie vor der Einführung der arabischen Zahlzeichen hier gewesen sein. Aber eines ihrer Genies hatte ein Sy mbol für Null erfunden. Als die Uhr Mittag schlug, zeigte Hanks Armbanduhr
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12:04:08 Uhr. Es war Vollmond wie auf der Erde, und obgleich er im Tageslicht nur matt leuchtete, schien er die gleiche Zeichnung wie der Mond auf der Erde aufzuweisen. Es gab auch einen Morgenstern — auf der Erde wäre es die Venus gewesen. Als die Sonne unterging, war es auf seiner Uhr fünf Minuten vor halb sieben, wie es sich für diesen Tag gehörte, und die Sternbilder sahen so aus, wie er es an diesem Datum im Mittelwesten erwartet hätte. Was es auf der Erde nicht gab, waren die großen, leuchtenden Kugeln, die plötzlich auf der Wüstenebene erschienen, heranrollten und lautlos explodierten, wenn sie das fruchtbare Grenzland erreichten. Irgend etwas am Rande der Wüste schien sie zu entladen. Am 2. April ging der Mond, der nun abzunehmen begann, um acht Uhr morgens auf. Er war sicher, daß die Wüste und das grüne Land auf der Erde nirgends zu finden waren. Auch wenn es A.D. 1923 noch unerforschte Landstriche gab — dieser hier konnte nicht dazugehören. Wo immer der grüne Dunst, offenbar eine Art Eingang, ihn hingeführt haben mochte, ein entlegener Fleck seines Heimatplaneten war es nicht. Er befand sich in einem anderen Universum. Die beiden Universen bildeten ein DoppelebenenKontinuum. Die Erde und dieser Planet teilten sich denselben außeratmosphärischen Raum und waren doch voneinander getrennt wie durch eine Mauer. Oder sie befanden sich, sozusagen, auf zwei verschiedenen Etagen desselben Planetengebäudes. Als er durch den grünen Dunst geflogen war, hatte er sich damit aus dem ersten Stockwerk der Erde in das zweite Stockwerk, nach Ertha, begeben. Ertha. Daß dieses Wort dem Englischen für »Erde« so ähnlich klang, war kein Zufall. Nicht, wenn die Sprache lamb für »Lamm«, fotuz für »Fuß«, manna für »Mann«, kald für »kalt«, arm für »Arm« und herto für »Herz« sagte. Die Bewohner dieses von Wüsten umgebenen Landes, das Amariiki, »Geisterreich«, hieß, hatten eine Sprache, die im Germanischen zu wurzeln schien. Er vermutete, daß es sich um Gotisch handelte, aber sicher war er natürlich nicht. Im Norden gab es ein Land, das Oz hieß. Dieses Wort allerdings hatten die Menschen hier nicht von der Erde mitgebracht. Hank Stover hatte viele Fragen gehabt, und er hatte sie immer noch, aber er konnte sie nicht stellen, bevor er die
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Sprache seiner Gefängniswärter erlernt hätte. Daß sie mit dem Sprachunterricht angefangen hatten, als er noch nicht eine Stunde lang in seiner luxuriösen Zelle war, deutete darauf hin, daß sie ein starkes Interesse daran hatten, sich mit ihm zu verständigen. Solange es hell war, verbrachte er die meisten Stunden des Tages in gebeugter Haltung vor dem Türfenster. Seine Lehrer, die während der ersten zwei Wochen Gazemasken vor den Gesichtern trugen, standen auf der anderen Seite. Hank lernte viel, aber er bekam auch höllische Kreuzschmerzen und manchmal Kopfschmerzen dazu. »Was bin ich eigentlich?« schrie er hin und wieder. »Ein Stinktier? Ein Paria? Etwas unaussprechlich Schmutziges und Niedriges? Habe ich Lepra? Bin ich Sozialist?« Vier Männer, vier Frauen und ein Kind unterrichteten ihn, jeder etwa eine Stunde und fünfzehn Minuten lang. Unter seinen Lehrern war auch die blonde Puppe, Hauptfrau Lamblo, »Lämmchen«. Wie die anderen hatte auch sie keinen Familiennamen, wohl aber einen Spitz- oder Beinamen. Sie hieß »die Flinke«. Sie fingen damit an, daß sie auf einzelne Körperteile zeigten und sie benannten. Er wiederholte ihre Wörter, bis seine Aussprache perfekt oder für dieses Stadium zumindest akzeptabel war. Wenn er ihre Lippen hätte sehen könne, hätte er wohl schneller gelernt. Sie brachten Gegenstände herein und benannten diese. Nach fünf Tagen lehrten sie ihn einfache Sätze. »Sa-her'z ain sko.« »Dies ist ein Schuh.« »Sa-thar'z ain hilm.« Das ist ein Helm.« »Ii sai thuk.« »Ich sehe dich.« »Sai thu mik?« »Siehst du mich?« »Ain, twai, thriiz...« »Eins, zwei, drei...« Viele dieser Wörter konnte er mit drei verschiedenen Zweigen des Teutonischen in Verbindung bringen. Seine schwedische Gouvernante hatte ihm ein wenig von ihrer Muttersprache beigebracht, und Deutsch hatte er in der Schule, später dann als Besatzungssoldat und in Yale gelernt. Die Kenntnis dieser beiden Sprachen wiederum verhalf ihm dazu, Verbindungen zum Englischen herstellen zu können. Aber wie waren die Teutonen in diese Welt gekommen? Und was hatte sie zu Pygmäen werden lassen ? Unterdessen war es ihm gelungen, einen Schuppen um die Jenny bauen zu lassen, damit sie vor Wind und Wetter geschützt wäre. Sehen konnte er das Flugzeug nicht, denn sein Fenster, das aug-dor, die »Augentür« also, war nach Süden gerichtet. Außerdem hatte er seine Gefängniswärter überreden können, ihm sein Gepäck zu
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bringen, das in der Ladekammer im Heck des Flugzeuges verstaut gewesen war. Man hatte es ihm in Laken gewickelt gebracht, und die Männer, die es trugen, hatten Handschuhe getragen. Die Laken wurden vor der Tür entfernt, und man schob die Koffer mit langen Stöcken durch die Tür. Er nahm an, daß man Laken und Handschuhe danach verbrennen würde. Jetzt war er zufrieden. Er hatte seine Unterwäsche, sein Hemd und seine Strümpfe bisher mit kaltem Wasser und grober Seife waschen und dann nackt herumlaufen müssen, bis alles wieder trocken war. Jetzt hatte er endlich Wäsche zum Wechseln. Außerdem noch einen Karton Camel-Zigaretten und eine Literflasche Schmuggelwhisky, Glenfiddich aus Kanada. Bis jetzt hatte er den einheimischen Tabak, einen starken Burley, in der Pfeife rauchen müssen, aber er rauchte nicht gern Pfeife. Sie hatten ihm Bier gegeben, das besser schmeckte als jedes, das er bisher getrunken hatte, doch er zog harte Getränke vor, und auf seine diesbezügliche Anfrage hin hatten sie ihm Alkohol gebracht, der aus Korn gebrannt und dann mit Wasser und Fruchtsaft vermischt worden war. In seinem Gepäck befand sich außerdem ein Colt-Revolver, ein 45er New Service, und zwei Schachteln Munition. Diese Leute hatten offenbar keine Ahnung, wozu diese Dinge dienten, aber er beabsichtigte nicht, sie zu benutzen. Zuletzt fand sich noch ein Bauernalmanach, sodann Babbitt von Sinclair Lewis, Zivilisation in den Vereinigten Staaten, herausgegeben von Harold Stearns, und zwei Current-OpinionMagazine. Die letzteren hatte er aus einer Pension in Kansas City mitgehen lassen, und obwohl es die Ausgaben von April 1920 und April 1921 waren, hatte Hank angefangen, sie zu lesen. Sie enthielten viele interessante Artikel. Außerdem las er sowieso alles — sogar das Etikett auf Campbells Suppendosen, wenn er sonst nichts bekommen konnte. Neben dem Lesen verbrachte er täglich eine Stunde mit ausgiebigem Körpertraining, und einige Zeit verbrachte er auch damit, die Himmelserscheinungen und die Feuerbälle zu beobachten, die zu Hunderten heraufblitzten wie die Geschosse der Dicken Bertha. Er fragre Lamblo, wie sie hießen. »Fizhanam.« »FeindGeister.« Als er sie bat, ihm zu erklären, woraus diese Kugeln beständen, bekam er keine Antwort. Am Ende der dritten Woche kamen seine Gefängniswärter
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offenbar zu dem Schluß, daß er rain, also sauber, sei. Die Tür wurde aufgeschlossen, und Wulfla, »Wölflein«, einer der Lehrer, trat ein. Aber zwei Wachtposten blieben draußen stehen. »Warum habt ihr mich behandelt, als hätte ich die... ?« fragte er. Was war das Wort für Pest? » Unhaili. Zha, sa Aithlo (Ja, das Mütterlein) hat dich einschließen lassen, bis wir herausfinden konnten, ob du ein Übel in dir trägst, das uns krank machen könnte.« »Was für Krankheiten habt ihr denn? Wenn ich euch anstecken kann, könntet ihr mich ja auch anstecken«. »Da wirst du das Mütterlein fragen müssen. Sie hat befohlen, dich unversehrt hierzulassen. Aber ich glaube, ihr Riesen habt manche schrecklichen Krankheiten, die uns so krank machen können, daß wir sterben.« »Und diese Krankheiten habt ihr nicht?« »Ne. Wir sterben an gund (Krebs), Schlagfluß, Herzversagen und anderen Selbst-Krankheiten, aber mit Ausnahme von einigen Hautkrankheiten haben wir kaum etwas, das sich von einer Person auf die andere überträgt.« Auf weitere Fragen erfuhr er, daß diese Leute nicht einmal eine gewöhnliche Erkältung kannten. Lungenentzündung allerdings konnten sie bekommen. Die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen war niedrig; es starb nur einer von zehntausend bei der Geburt. Viele seiner Fragen wurden bereitwillig, wenn auch nicht vollständig beantwortet. Bei anderen verwies man ihn auf sein bereits geplantes Zusammentreffen mit Sa Hauist, der »Höchsten« — einer der zahlreichen Titel der weiblichen Regentin. Der Tabak stürzte ihn in einige Verwirrung. Wenn diese Eingeborenen Abkömmlinge der Goten aus dem Dunklen Zeitalter waren, wie konnten sie dann Tabak haben? Der stammte doch aus Amerika, die Goten hingegen waren Europäer. Daneben gab es außerdem viele andere nordamerikanische Pflanzen: Fruchtsaft in Dosen, Kürbis und Mais. Kartoffeln und Tomaten kannte man nicht, aber die ersteren waren aus Südamerika und die letzteren aus Mittelamerika zunächst nach Europa und dann nach Nordamerika gelangt. Auf den Regalen fanden sich zahlreiche illustrierte Bücher, und die Bilder zeigten Tiere, die sich wie eine Mischung aus amerikanischer und europäischer Fauna ausnahmen. Sie schlossen auch den Löwen und den Tiger ein, von denen Baum geschrieben und seine Mutter ihm erzählt hatte. Der Löwe
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hatte große Ähnlichkeit mit seinem afrikanischen Gegenstück, aber die Babyflecken waren bei dem erwachsenen Exemplar nicht völlig verschwunden. Er war proportional größer, als der afrikanische Löwe gewesen wäre, wenn dieser auf die entsprechenden Größenverhältnisse zusammengeschrumpft wäre. Hank hatte den Eindruck, es müsse sich um einen Abkömmling des »Schrecklichen Löwen« handeln, der einst den Südwesten dessen, was die Vereinigten Staaten waren, durchstreift hatte, inzwischen aber seit 14 000 Jahren ausgestorben war. Der Tiger, den seine Mutter nie gesehen, von dem sie aber gehört hatte, war nicht die asiatische Großkatze. Es war die Art, die man Säbelzahntiger oder Smilodon nannte, und sein Fell war lohfarben und streifenlos. Er war ungefähr zur gleichen Zeit vom nordamerikanischen Kontinent verschwunden wie der Löwe. Anscheinend hausten auch das Riesenbodenfaultier und der kurzgesichtige Grizzly in den heimischen Wäldern und Ebenen, und mit ihnen das höckerlose Kamel, das Mammut und das Mastodon. Wo aber waren Hund und Pferd? Die alten Goten mußten sie gehabt haben, als sie in dieses Universum kamen. Was also hatte diese Tiere auf geisterhafte Weise verschwinden lassen ? Und was hatte Tiere und Menschen veranlaßt, zusammenzuschrumpfen? Und was... ? Er bemühte sich, den Gedanken an alle die Fragen zu verdrängen, die sich wie gespenstische Voy eure um die Fenster seines Geistes drängten. Manchmal starrte er durch die großen französischen Fenster oder vom Balkon herunter über das Land. Sein Apartment befand sich im südöstlichen Arm des X-förmigen Schlosses. Er sah einen Teil des Landes im Süden, Farmen, Wälder, und dahinter die Wüste. Außerdem konnte er in einige Fenster der unteren Etagen hineinschauen. Einen riesigen Raum gab es, der seine Neugier weckte, obwohl er nie jemanden hatte eintreten sehen, nicht einmal zum Staubwischen. Die Fenster des Raumes waren groß, und die Vorhänge waren niemals zugezogen. Der Fußboden war aus Holz, und vielfältige Muster bedeckten die Wände, darunter Fünfecke und Neunecke. Er konnte zahlreiche Tische erkennen, große und kleine, und darauf standen Gerätschaften, die aussahen wie Laboratoriumsapparaturen. Wenn die Sonne hineinschien, konnte er
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einen großen Teil des Raumes deutlich sehen. Nachts aber brannte darin nur ein einziges Licht, eine riesige Fackel, die in der Mitte des Raumes auf einer Sphinx aus blankpoliertem, schwarzem Stein steckte. Die Sphinx schaute nach Süden, und ihr Kopf hatte vier weibliche Gesichter — zumindest vermutete er das; sehen konnte er nur die Profile des vorderen und hinteren Gesichtes sowie das nach Süden gerichtete. Die siebenzackige Krone war mit großen Juwelen besetzt. Der liegende Körper war nicht der einer Löwin, sondern es war ein Bärenkörper.
3 Am achtundzwanzigsten Tag seiner Gefangenschaft war die Sonne des Spätnachmittags hinter dicken, schwarzen Wolken verschwunden. Der Wind wurde nach und nach immer stärker, bis er eine Stimme bekam, und kurz darauf heulte er. Die Äste der Bäume schwankten hin und her, und ihre Wipfel bogen sich. Der Donner ließ die Blitze zucken, als wären sie flammende Peitschen. Als die Nacht hereinbrach, kam auch der Regen und trommelte gegen seine Fensterscheiben. Draußen in der Wüste vermehrten sich die weißen Lichtbögen, und in der Ferne spien sie ihre Strahlen von einem Punkt zum anderen. Die riesigen Feuerbälle schienen überall emporzuflackern. Wie eine angreifende Armee rollten sie heran, wie donnernde Brandung wogten sie gegen den Rand der Vegetation, wo sie zerstoben. »Der Teufel feuert aus allen Rohren«, murmelte Hank. Eiskalt lief es ihm über die Haut. Erst der Artilleriebeschuß, und was dann? Die Stunde Null? Der Angriff? Jetzt war auch seine Theorie, nach der die Lichtbögen und Feuerkugeln eine Art von Elmsfeuer seien, nicht länger haltbar. In dieser feuchten Atmosphäre konnte so etwas nicht existieren. Er trat an einen Tisch und goß sich ein großes Glas von dem einheimischen Schnaps ein; sein eigener Whisky war längst
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ausgetrunken. Dieser hier war anders als die erste Flasche, die man ihm gegeben hatte. Es war eine Art Gerstenwodka, starker Stoff, der einem die Tränen in die Augen trieb. Er stürzte zwei oder drei Doppelte hinunter, und dann wandte er sich um und schaute der Raserei aus dem Süden mit beschwipstem Mut entgegen. Bisher hatte er vor Gewittern keine Angst gehabt. Er hatte sie sogar durchflogen, und wenn er dabei auch etwas nervös gewesen war, so hatte er sich doch nie gefürchtet. Aber dieser Sturm hatte etwas an sich, das ihm weit größeres Unbehagen einflößte. Vielleicht waren es die Lichtbögen und Feuerbälle. Seine Lehrer hatten ihm keine Erklärung dafür geben können. Sie hatten gesagt, sie seien schon immer dort draußen gewesen, aber woher sie kämen, wüßten sie nicht. Stover war schon fast daran gewöhnt. Aber jetzt... Es sah fast aus, als seien sie entschlossen, die verborgene Barriere zu überspringen, die sie in der Wüste hielt, was immer diese Barriere sein mochte. »Das ist anthropomorphes Denken«, sagte er bei sich. »Aber was könnte ein anthropos sonst tun? Es liegt in seiner Natur, derart lächerliche Torheiten zu begehen. Begehen?« Der Wind schien jetzt noch stärker zu werden. Er rüttelte an den Fenstern und schleuderte massive Regenmassen gegen die Scheiben. Die hohe Großvateruhr im Wohnzimmer, deren Gehäuse mit Schnitzereien von grotesken, koboldhaften Gesichtern verziert war, schlug zwölfmal. Mitternacht. Und bevor der letzte Gongschlag verklungen war, hörten Sturm und Regen auf. Es war, als habe jemand mit einem Schalter die Kraft unterbrochen, die die Elemente vorangetrieben hatte. Er öffnete die französischen Fenster und trat hinaus. Draußen hörte man keinen Laut außer dem Tropfen von Regenwasser. Die Feuerbälle, die »Feind-Geister«, explodierten, wenn sie sich gegen die Grenze der Wüste warfen. Ihr Blitzen erinnerte ihn an Artilleriefeuer des Nachts an einer fernen Front. In den Bauernhäusern brannte kein Licht, und Wolken überzogen den Himmel. Aber das grelle Leuchten der aufblühenden Feuerkugeln durchbohrte die Finsternis, als sei Gott ein verrückter Schriftsteller, dessen Finger auf der Asterisk-Taste hängengeblieben war. Aus weiter Ferne drang mürrisches Donnerrollen herüber. Es klang wie ein wütender Bär, dessen Angriff abgeschlagen worden war und der sich getrollt hatte, um sein Glück anderswo zu versuchen. Die leuchtenden Kugeln wurden zahlreicher. In der Wüste
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wimmelte es plötzlich von ihnen. Wo bisher vier oder fünf pro Morgen geleuchtet hatten, schienen jetzt hundert dahinzurollen. In zerklüfteten Reihen drangen sie über die sandige Marsch hinweg auf das Waldland zu, und dabei rumpelten sie wie die Räder einer alten britischen Wagenarmee. Plötzlich, zu seiner Linken, gelang es einer lodernden Kugel, das zu durchdringen, was ihre Artgenossen bisher abgewehrt hatte. Einen Moment lang sah er sie noch in ihrer ganzen Pracht, dann aber konnte er nur noch hin und wieder einen hellen Blitz ausmachen, während der Feuerball durch den Wald dahinjagte. Er fuhr hoch. Der Raum mit der Sphinx, der bis dahin nur von der Fackel erleuchtet gewesen war, erstrahlte plötzlich in gleißendem Licht. Es blendete ihn, als er hineinschaute, aber als die Beleuchtung wieder erstarb, sah er, daß jemand hereingekommen war. Zunächst vermochte er die Gestalt nicht deutlich zu erkennen. Das grelle Licht war wieder erloschen, und es oblag allein der Fackel, die Finsternis zurückzudrängen, eine Aufgabe, der sie nicht gewachsen war. Aber dann leuchteten Hunderte von Lichtern auf, und der riesige Saal war jetzt erhellt, ohne daß man geblendet war. Das Licht drang aus zahllosen Halbkugeln, die in die Wände eingelassen waren. Stover fluchte. Wie konnten alle diese Lampen auf einmal angezündet werden, wenn sich nur eine Person im Raum befand? Er vergaß diesen Gedanken sogleich. Die Person war eine Frau, nackt bis auf hochhackige Schuhe aus einem silbrig glitzernden Metall und einem hohen, kegelförmigen weißen Hut, an dem zwei ausgebreitete Vogelschwingen angebracht waren. Ihr langes Haar hing bis fast zu den Kniekehlen, und sein dunkles Kastanienrot schien das Licht einzufangen, zu komprimieren und wieder zu verstreuen, als habe es sich in Juwelen verwandelt. Ihr Gesicht war wunderschön, aber dabei unregelmäßig genug — die Nase war eine Spur zu lang, die Lippen um einen Hauch zu voll, die Augen lagen ein wenig zu weit auseinander —, so daß die Züge nicht klassisch, sondern äußerst individuell erschienen. Ihr Körper war makellos, die Beine lang und schlank, aber dabei wohlgerundet, die Hüften waren schmal, aber nicht hager, ihre Taille war zierlich und ihr Oberkörper kräftig, ihre Brüste aber waren voll und straff und die Brustwarzen groß mit kleinen Höfen. Ihre Haut war sehr weiß. Hank verachtete Spanner, aber er brachte es nicht
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über sich, in seinem Zimmer zu verschwinden. Wenn sie nicht beobachtet werden wollte, würde sie doch sicher die Vorhänge schließen. Zudem hatte die Frage, was sie dort treiben mochte, seine Neugier erweckt, und so vergaß er Anstand und gute Erziehung. Sie hatte die Fackel aus dem Loch im Kopf der viergesichtigen Sphinx genommen und in einen Wandhalter geschoben. Jetzt trat sie an einen Tisch und schlang die Arme um eine Kugel aus Glas oder Kristall, die etwa doppelt so groß wie ein Basketball sein mochte. Sie trug sie zu der Sphinx hinüber und setzte sie auf die Krone, auf die sie haargenau paßte. Stover warf einen Blick nach Süden; aus dem Augenwinkel hatte er einen weiteren Durchbruch bemerkt. Zwei neue Feuerkugeln hatten die Grenze durchstoßen und ihre lodernden Gefährten hinter sich gelassen. Die erste hatte den Wald bereits zur Hälfte durchquert. Wie ein Phantom zuckte sie zwischen Bäumen und Büschen daher, und bald würde sie unter dem Rande des Plateaus verschwunden sein. Er wandte sich wieder der rothaarigen Frau zu. Sie tanzte gegen den Uhrzeigersinn um die Sphinx herum. In der Linken hielt sie einen Schäferstab, dessen Schaft spiralförmig geschnitzt war. Sie hob den Stab und senkte ihn, stieß ihn wie einen Speer von sich und zog ihn zurück, während sie herumwirbelte, sie sprang, schlich, wirbelte, hüpfte, beugte und streckte sich und bewegte dabei die Lippen. Hin und wieder schien es, als greife sie mit dem Haken am Ende des Stabes nach dem Halse eines unsichtbaren Feindes. Ein Blitz forderte die Erde zum Duell, indem er ihr ins Gesicht schlug. Hank schrak zusammen, und sein Herz hämmerte in seiner Brust. Der Blitz war völlig unerwartet gekommen; er hatte geglaubt, die elektrische Raserei sei vorüber. Außerdem war die Entladung anscheinend so dicht vor ihm vonstatten gegangen, daß man die Entfernung mit dem Schnurrbarthaar einer Katze hätte messen können. Donner grollte im Gefolge des Blitzes, als versuche der Himmel, den Geist der Wut zu verdauen. Wieder überbrückte ein Blitz die Luft zwischen Wolken und Boden, nun jedoch ein Stück weiter entfernt. Die Glaskugel war jetzt nicht mehr klar. Etwas Dunkles wallte in ihrem Innern. Gleichzeitig verfinsterten sich die Ecken des riesigen Raumes, als brüteten Schatten dort, die schwarz aufquollen wie Tintenwolken, die einem flüchtenden Oktopus entströmten. Die schwarze Wolke erreichte bald die ersten
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Lampen und zog darüber hin, aber undeutlich konnte Hank die brennenden Dochte durch die Finsternis erkennen. Eisige Schauer überliefen ihn. Er hatte das Gefühl, daß ihm die Haare zu Berge standen. »Jesus«, murmelte er. Hastig verschwand er in seinem Zimmer, um sein Fernglas zu holen. Wieder auf den Balkon zurückgekehrt, richtete er das Glas auf die Kugel, stellte es scharf und sah jetzt, daß das, was die Kugel erfüllte, anscheinend eine verkleinerte Nachbildung der Szenerie vor dem Schloß war. Er erkannte kleine, schwarze Wolken und winzige Blitze, die zwischen ihnen hindurch und abwärts zuckten. Plötzlich bildeten sich im unteren Teil der Kugel sechs kleine, rollende Lichtbälle. Die Schwärze hatte jetzt den Raum zur Hälfte erfüllt und wallte der Mitte zu, wo der Rotschopf wie wahnsinnig die Glaskugel umtanzte. Er vermochte ihr Gesicht nicht mit dem Fernglas zu fixieren, denn sie bewegte sich zu schnell und zu unberechenbar; er hatte allerdings den Eindruck, daß die Bewegungen für sie alles andere als unberechenbar waren und daß der Tanz in Wahrheit einem starren Muster folgte. Er setzte das Fernglas ab und schaute über den Wald hinaus. Sieben Feuerkugeln blitzten jetzt hier und da zwischen den Bäumen hindurch. Nein. Acht. Noch eine war durchgedrungen. Er wandte sich wieder dem Rau m zu und hob das Fernglas an die Augen. Auch die Glaskugel enthielt jetzt acht Feuerbälle. Die rothaarige Frau blieb vor der Kugel stehen. Sie wandte ihm den Rücken zu, und er sah, wie sie sich weit zurückbog, den linken Arm hob und den spiralig geschnitzten Hirtenstab in die Höhe streckte. Dann senkte sich der Stab und deutete auf die Glaskugel. Eine kleine Weile, etwa dreißig Sekunden lang, hielt sie den Stab bewegungslos fest. Dann stieß sie ihn gegen die Kugel, hielt aber eine Handbreit davor inne. Die Schwärze, die nur noch wenige Schritte weit von ihr entfernt war, rückte immer näher. Hank fluchte. Er konnte sie jetzt nur noch undeutlich erkennen. Aber das blendende Licht, das dem Ende des Stabes entsprühte und auf die Glaskugel traf, strahlte hell und klar. Die Dunkelheit waberte ein kleines Stück weit zurück. Wieder spähte er durch sein Fernglas. Er sah nur noch sieben Feuerkugeln. Als er in den Wald hinüberblickte, zählte er auch dort
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nur noch sieben. Noch einmal stieß der Stab zu. Ein zuckender Lichtblitz schoß aus seiner Spitze und fuhr in einen der Feuerbälle im Innern der Glaskugel. Er verschwand in einer lodernden Flamme. Hank schaute zum Wald. Sechs waren es noch. Der vorderste war verschwunden. Wieder und wieder schleuderte die rothaarige Frau Lichtblitze aus ihrem Stab. Immer, wenn einer der kleinen Feuerbälle in der Glaskugel zerstob, verschwand auch einer der großen Bälle zwischen den Bäumen. Die Finsternis in dem Riesenraum wich in die hintersten Winkel zurück. Als der letzte der kleinen Feuerbälle fort war, hatten sich auch die Schatten dorthin zurückgezogen, woher sie gekommen waren. Die rollenden Feuerkugeln an der Grenze zerbarsten, als seien sie Signale zum Rückzug, und die, die ihnen folgten, wichen zurück. Auch das Donnergrollen entfernte sich. Allmählich wurde es so still, daß Hank nur noch sein schweres Atmen hörte. Er fror und war zugleich von Schweiß durchnäßt. Sein Py jama war völlig durchtränkt. Der Geruch seiner Angst umgab ihn in dichten Schwaden. So rasch, wie sie aufgestrahlt waren, erloschen die Flammen in den hundert Lampen. Die Rothaarige nahm die Glaskugel vom Kopf der Sphinx herunter und setzte sie auf dem Tisch ab. Dann schob sie die Fackel wieder in die Halterung am Kopf der Sphinx. Stover hob sein Fernglas und richtete es auf ihr Gesicht. Ihre Miene war so machtvoll, so triumphierend und so wild, daß er es mit der Angst zu tun bekam. Er zog sich in sein Zimmer zurück, verschloß die französischen Fenster und trank von seinem Gerstenwodka. Aber selbst mit dieser Unterstützung konnte er noch lange keinen Schlaf finden. Am Morgen des dreißigsten April duschte und rasierte er sich, und nach kurzem Überlegen zog er dann seine Kunstfliegermontur statt der zivilen Sonntagsgottesdienstkleidung an. Eine Art Uniform, dachte er, sei das beste für diesen Tag, denn es war ein offizieller Anlaß. Das Frühstück wurde nicht wie sonst zu ihm hereingebracht. Kurz nachdem es neunzehn Uhr geschlagen hatte — seine Armbanduhr zeigte sieben Uhr morgens —, trat Hauptfrau Lamblo mit sechs Soldatinnen ein. Sie führten ihn den Gang hinunter und über die Wendeltreppe ins Erdgeschoß. Von hier aus geleitete man ihn in den Mittelteil, die Achse des Schlosses, und durch eine hohe, sehr breite Halle aus rotem
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Marmor, deren Wände von goldenen Statuetten auf silbernen Sockeln gesäumt waren. Durch einen Torbogen, der mit Rubinen, so groß wie Kohlköpfe, besetzt war, gelangte er schließlich in eine gigantische Halle. Die Kuppel, die sich darüber spannte, war an ihrer höchsten Stelle mindestens dreißig Meter hoch, und auch ihr Durchmesser betrug dreißig Meter. Wände und Boden bestanden aus weißem Marmor, und riesige Gobelins, die anscheinend historische Szenen darstellten, hingen überall. Goldene Filigranarbeiten zierten die Wände dazwischen. Eine Schar von etwa dreihundert Menschen, Vierbeinern und Vögeln hatte sich so formiert, daß sie ein Spalier bildete. Die Menschen trugen Uniformen oder prachtvollen Feiertagsstaat, die Frauen knöchellange Roben und die Männer farbenfrohe Kilts. Wie Hank später erfuhr, trugen die Männer werktags oder zur Arbeit zwar Hosen, zu feierlichen Anlässen aber bekleideten sie sich mit einem Kilt. Am Ende des Spaliers, an der hinteren Wand der Halle, erhob sich eine Plattform aus weißem Marmor, zu der sieben Marmorstufen hinaufführten. Die Kanten der Plattform waren mit Rubinen geschmückt, die noch größer waren als die am Torbogen. In der Mitte stand ein Thron, der aus einem gigantischen Rubin geschnitten war. Darauf, auf einem Kissen, saß eine Frau. Es war die Königin, die Höchste, die Weise Frau, die Hexenfürstin höchstselbst — das Mütterlein. Die Soldatinnen hoben ihre Speere zum Salut, aber sie begleiteten Stover und Hauptfrau Lamblo nicht zum Thron. Die kleine Blonde führte ihn bis zum Fuße der Plattform, salutierte mit ihrem Schwert und trat beiseite. Niemand hatte gesprochen, während er den Gang hinunterging, niemand hatte auch nur gehustet, geniest oder sich geräuspert. Hank erkannte die kleine, außergewöhnlich schöne Frau mit dem kastanienroten Haar wieder, die da auf dem Thron saß. Er hatte gesehen, wie sie während des Unwetters in dem riesigen Raum nackt tanzte. Jetzt war sie vom Hals bis zu den Knöcheln in ein wallendes, weißes Gewand gehüllt, und statt des spitz zulaufenden Hutes trug sie eine goldene Krone mit neun Zacken. In die Vorderseite der Krone waren kleine Rubine eingelassen, die die Umrisse eines von einem Hufeisen umschlungenen X bildeten. Ihr Haar war hochgesteckt und schmiegte sich um ihren Kopf. Ihre auffällig dunklen, blauen Augen fixierten ihn. Ihre Mundwinkel zuckten kaum merklich,
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als dächte sie: »Du hast mich in der Nacht gesehen.« Natürlich mußte sie wissen, daß er das merkwürdige und beängstigende Ritual, oder was immer es gewesen sein mochte, gesehen hatte. Sie hätte die Vorhänge zuziehen können, wenn sie nicht gewollt hätte, daß jemand sie beobachtete. Die Vorstellung, sich vor ihr zu verneigen, machte Stover verlegen, doch er hielt es gleichwohl für angemessen. Dankend nickte sie mit dem Kopf. Dann sagte er: »Glinda die Gute, nehme ich an?«
4 »Das Gute ist eine relative Sache«, sagte die Königin. Sie frühstückten auf dem Balkon ihrer Gemächer. Sie saß auf einem Stuhl und speiste von Tellern, die auf einem kleinen Tisch vor ihr standen. Er hatte einen Stuhl und einen Tisch, die man speziell für seine Größe angefertigt hatte. Sogar die Teller und der Löffel, die Gabel mit den zwei Zinken und das Messer waren für ihn hergestellt worden. »Relativ zu was?« fragte Hank. »Nicht etwa zum Bösen, sondern zu anderem Gutem«, antwortete sie. »Aber ich sollte nicht in abstrakten Begrifflichkeiten reden. Es gibt nichts, was an sich gut oder böse wäre. Es gibt nur gute oder böse Personen. Und in Wirklichkeit gibt es nicht einmal die. Es kommt nur hin und wieder vor, daß Menschen untereinander übereinkommen, andere als gut oder böse zu definieren. Aber was eine Person als gut oder böse definiert, entspricht nicht immer den Definitionen einer anderen Person, auch wenn es hier Berührungen oder Überschneidungen geben mag.« Stover schwieg eine Weile. Zunächst einmal beherrschte er die Sprache nicht so gut, daß er sicher sein konnte, alles zu verstehen, was sie sagte. Und zum zweiten fragte er sich, ob sie wohl versuchen mochte, ihm etwas zu sagen, ohne es ausdrücklich auszusprechen.
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Er verzehrte ein hartgekochtes Ei und eine Schnitte Brot mit Butter. Seit er hier war, hatte er eine Unmenge Gemüse und Früchte zu sich genommen, außerdem Weizen und Gerste, Käse, Eier, Nüsse und Milch, aber weder Fleisch noch Geflügel oder Fisch. Er sehnte sich nach Steaks und Speck, aber er hatte sich nicht beklagt, denn wenn er seinem Verlangen Ausdruck gegeben hätte, wäre er damit in den Augen seiner Gastgeber vermutlich zum Kannibalen geworden. Er warf einen Blick auf den Elchhirsch, der neben ihrem Stuhl stand, und auf das Seeadlerweibchen, das auf einem Holzbalken an der Wand hockte. Bis jetzt hatten die beiden nichts gesagt, aber es war offensichtlich, daß diese beiden Leibwächter verstanden, worüber ihre Herrin und ihr Gast sprachen. »Auf jeden Fall muß das Volk Euer Hexenhoheit über alle Maßen respektieren«, sagte er. »Sonst würde man Euch nicht >die Gute< nennen.« »Ich bin eine sehr gute Hexe«, sagte sie lächelnd. »Ja, ich bin so gut, daß man mich eigentlich >die Beste< nennen müßte.« Er war im Begriff zu sagen, daß sie ihn vermutlich auf den Arm nehmen wolle, unterdrückte aber dann diese Bemerkung. Ihre Bedeutung würde der Königin in der wörtlichen Übersetzung sicher mißverständlich erscheinen. »Ihr treibt Scherz mit mir«, sagte er statt dessen. »Ich bin sicher, daß die Leute das nicht meinen, wenn sie Euch >die Gute< nennen.« Glinda trank einen Schluck Milch. »Da solltest du nicht so sicher sein«, sagte sie. »Wie auch sonst nicht. Noch nicht. Vielleicht nie.« Ebensogut könnte man sie auch »Glinda die Vieldeutige« nennen, dachte er. Glinda — das bedeutet sowohl »die Leuchtende« als auch »die Flinke«. Das Wort mußte derselben urgermanischen Wurzel entstammen wie das englische »glint« oder das deutsche »glänzen«. Er nippte an der warmen, nicht pasteurisierten Milch, und fast hätte er sich geschüttelt. Sie stank nach Kuh, und der Geschmack behagte ihm überhaupt nicht. Aber Milch war gesund, und falls er hierbleiben sollte, würde er seinen Geschmack und seine Gewohnheiten in vielerlei Hinsicht verändern müssen. Und da es kaum wahrscheinlich war, daß er wieder zur Erde zurückfinden würde, war es ratsam, die Naturalisation sogleich in Angriff zu nehmen. Eine Dienerin nahm eine Serviette und betupfte Glindas Lippen damit. Eine andere, die neben Stover
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stand, wollte ihm den gleichen Dienst erweisen, doch er wehrte ab. »Ne, thungk thuk.« Es störte ihn, wenn man ihn buchstäblich von Kopf bis Fuß bediente. Er war zwar in einem Haus mit zehn Bediensteten aufgewachsen, aber diese intensive, unablässig über einem schwebende Aufmerksamkeit gefiel ihm nicht. Glinda schob sich ein paar Walnüsse in den Mund — Gott sei Dank, wenigstens fütterten sie sie nicht, das wäre wirklich zuviel des Guten gewesen — und sagte: »Du hast erzählt, du seist Dorothy s Sohn. Du hast in der Tat ihre großen, dunkelgrünen Augen, und auch dein Gesicht erinnert mich an sie. Aber woher soll ich wissen, ob du wahrhaftig ihr Sohn bist?« »Weshalb sollte ich Euch belügen?« »Ich habe nicht viele Feinde«, erwiderte sie. »Aber die, die ich habe, sind mächtig. Und äußerst gerissen.« »Ihr meint, sie könnten mich von der Erde importiert haben, damit ich Euch ermorde.« Er lachte. »Unruhig ruht das Haupt, das eine Krone trägt... nein... Paranoia regiert den Sinn des Regenten.« Auch sie lachte, und dabei sah sie so schön aus, daß seine Brust schmerzte. Gott, welch eine Zauberin! Dabei maß sie nur einen Meter dreißig. »Das ist lächerlich, nicht wahr?« meinte sie. Er hielt den Eisenschlüssel an der Goldkette hoch, den er am Morgen von seiner Jacke genommen hatte. »Den hat meine Mutter mir gegeben. Ich sollte ihn tragen, damit er mir Glück bringt.« Glinda nahm den Schlüssel und drehte ihn in ihren Händen. Dann gab sie ihn zurück und meinte: »Er sieht genauso aus wie der Schlüssel, den sie hatte, als sie herkam.« »Es ist derselbe. Ich weiß nicht, ob das Haus, in dem sie auf dem Tornado in diese Welt ritt, noch steht, aber wenn es noch steht, dann wird dieser Schlüssel die Vordertür öffnen.« »Es ist ein staatliches Denkmal, und jedes Jahr kommen viele Munchkins hin, um es sich anzusehen.« »Ich würde es auch gern sehen.« »Vielleicht wirst du es sehen dürfen. Eines Tages.« Leise erkundigte sich die Dienerin, ob er mit dem Essen fertig sei oder ob er noch einen Wunsch habe. Er gab zur Antwort, daß er satt sei, und sie schien darüber nicht zu staunen, denn er hatte das Dreifache dessen verdrückt, was sie hätte zu sich nehmen können. Als der Tisch abgeräumt war, fragte er Glinda, ob er rauchen dürfe. »Nicht in meiner Gegenwart«, erwiderte sie, aber sie lächelte, um dem Verbot die Schärfe zu nehmen. Stover schob Pfeife und Tabaksbeutel wieder in die Jackentasche zurück.
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»Nun«, sagte sie, »du hast Lamblo bereits erzählt, wie du in unsere Welt gekommen bist. Aber ich würde die Geschichte gern noch einmal von dir hören.« Er entsprach ihrem Wunsch. Als er geendet hatte, sagte sie: »Anscheinend hast du nicht die geringste Ahnung, weshalb es dazu gekommen ist.« »Nein. Wißt Ihr mehr, Euer Hexenhoheit?« »Nicht im Augenblick. Erzähle mir, was aus Dorothy wurde, nachdem ich sie heimgeschickt hatte. Erzähle mir auch von dir.« Dies erwies sich als schwierig. Immer wieder mußte er innehalten und erklären, wovon er redete. Dennoch verstand sie mehr, als er erwartet hatte, denn schon Dorothy hatte ihr vieles erzählt. Und was für ein Gedächtnis Glinda hatte! Undurchlässig wie die Faust eines Bankiers. Anscheinend hatte sie nichts von dem, was seine Mutter ihr erzählt hatte, vergessen. Es war ein Tornado gewesen, kein Zyklon, der Dorothy mitsamt dem Farmhaus davongetragen hatte. Die Farm ihres Onkels hatte ein paar Meilen außerhalb von Aberdeen, South Dakota, gestanden, als das Unwetter an jenem 23. Mai 1890 über die Gegend hereinbrach. »Nicht in Kansas«, sagte er. »In South Dakota. Kansas liegt weiter südlich als South Dakota.« »Was hat South Dakota, was immer das sein mag, damit zu tun?« Stover seufzte: »Ich wünschte, ich könnte auf geradem Kurs bleiben. Aber wir werden durch unbekannte Meere kreuzen müssen.« »Was ist mit South Dakota?« beharrte sie. »Was ich Euch erklären muß, ist, daß ein Erdenmann, ein Amerikaner, ein Buch über die Abenteuer geschrieben hat, die Dorothy hier erlebte«, sagte er. »Aber es war erdichtet oder erschien zumindest so. Ein großer Teil war tatsächlich frei erfunden, und die Passagen, die der Wahrheit entsprachen, hatte er geschönt. Das mußte er tun, weil er ein Buch für Kinder schrieb.« »Geschönt?« »Zensiert. Gereinigt.« Er hatte einige Schwierigkeiten, Wörter zu finden, die dem Begriff der Zensur entsprachen. Schließlich gab er auf und erklärte das Wort. »Mutter war sechs Monate lang fort, aber in dem Buch, das dieser Mann, Ly man Frank Baum, über sie schrieb, hieß es, sie sei nur ein paar Wochen lang hier gewesen. Dieser Baum war Romanschriftsteller, aber zu jener Zeit gab er in Aberdeen
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eine Zeitung heraus. Er hörte, daß ein kleines Mädchen verschwunden sei und daß alle glaubten, der Tornado habe sie fortgetragen. Man suchte ihren Leichnam, fand ihn jedoch nicht. Die Leute glaubten, daß sie wahrscheinlich in einen Erdspalt oder in den Wald gefallen sei, viele Meilen weit entfernt von Aberdeen. Und vielleicht hatten die Koyoten sie gefressen. Und dann tauchte meine Mutter wieder auf, mit einer Geschichte über eine Reise in ein unbekanntes Land jenseits der Wüste im Territorium Arizona. Natürlich glaubte niemand, was sie da über sprechende Tiere erzählte, über Menschen, die so groß seien wie ein achtjähriges Kind, über eine lebendige Vogelscheuche und einen Holzfäller aus Blech, über Hexen, fliegende Affen und alles das. Man hielt sie für eine Lügnerin oder Verrückte.« »Und das erkannte deine Mutter recht bald, und so behauptete sie, daß sie das Ganze nur geträumt habe — oder etwas Ähnliches.« »Woher wißt Ihr das?« »Deine Mutter war ein über alle Maßen zähes und anpassungsfähiges Kind. Äußerst nüchtern und sachlich. Sie dürfte sofort gewußt haben, was zu tun sei, als sie merkte, daß niemand ihr glauben würde.« »Ja, so ist Mutter. Rauh und hellwach. Ein liebevolles und mitfühlendes Herz, aber ohne Sentimentalität oder hochfliegende Phantasie. Ein Verstand, so schnell und so hartnäckig wie eine Wolfsfalle. Ihre Haltung ist: So ist die Welt nun einmal, ganz gleich, wie sonderbar und ungerecht sie auch erscheinen mag, aber ich bin ihr gewachsen.« »Eine ausgezeichnete Charakteranalyse«, meinte Glinda. »Und was geschah dann?« »Baum hörte von der Geschichte des kleinen Mädchens und fuhr hinaus zu der Farm, um mit ihr zu reden. Obgleich er ihr — vermutlich — nicht glaubte, gab er doch vor, es zu tun. Nach seinen drei Gesprächen mit ihr machte er sich Notizen, aber er druckte kein Wort davon in seiner Zeitung. Es wäre nur peinlich gewesen — für Dorothy wie auch für ihre Tante und ihren Onkel —, und es hätte weiteren Spott und neue Zweifel an ihrer geistigen Gesundheit und ihrer Wahrheitsliebe hervorgerufen. Aber er vergaß ihre phantastische Erzählung nicht, und später benutzte er seine Notizen als Grundlage für den Wunderbaren Zauberer von Oz. Es war ein sehr erfolgreiches Buch, ein Bestseller«, fuhr
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Hank fort. »Mutter war sehr überrascht, als sie es las, und auch verärgert über die Freiheiten, die Baum im Umgang mit ihrer Geschichte an den Tag gelegt hatte. Sie dachte daran, ihm zu schreiben und ihm deshalb Vorwürfe zu machen. Aber bald hatte sie sich wieder beruhigt — Mutter ist ziemlich gelassen — und entschied, ihm nicht zu schreiben. Was blieb ihr auch anderes übrig? Sie wollte kein öffentliches Aufsehen erregen, denn das würde weder ihr selbst noch ihrem Mann oder dessen Eltern gefallen, und außerdem würde man sie erneut des Irrsinns bezichtigen. Also unternahm sie überhaupt nichts.« Allerdings las Dorothy ihrem Sohn aus dem Wunderbaren Zauberer von Oz vor, als er fünf Jahre alt war. Der Kleine war fasziniert, und als die Fortsetzungsbände erschienen, verschlang er sie wieder und wieder. »Als ich acht war, erzählte meine Mutter mir, daß sie in dieser Welt gewesen sei, daß sie die Dorothy sei, von der Baums Bücher erzählten. Zumindest sei sie das Kind gewesen, auf dessen Abenteuern das erste Buch basierte. Die Fortsetzungsbände waren selbstverständlich allesamt frei erfunden, abgesehen von wenigen Details wie Personen- und Ortsnamen. Ich war verblüfft und entzückt zugleich, als ich davon erfuhr, aber ich war auch enttäuscht und frustriert, weil ich ihr versprechen mußte, niemandem von ihren Enthüllungen zu erzählen.« Oft fühlte er sich versucht, seinen Spielgefährten zu erzählen, daß seine Mutter die Dorothy von Oz gewesen sei, aber er tat es nicht. Als er dann älter wurde, verlor er seinen Glauben an die Existenz des Landes Oz. Er kam zu dem Schluß, daß seine Mutter ihm Phantasiegeschichten erzählt haben müsse. Aber ganz sicher war er nicht. Seine Mutter machte selten Scherze, und sie hätte weder ihr Kind noch sonst jemanden jemals belogen. Eines Tages — er war elf — brachte er das Thema zur Sprache. Er fragte sie, ob sie ihm tatsächlich die Wahrheit gesagt habe oder ob sie ihn nur unterhalten wollte. Oder hatte er stolz darauf sein sollen, daß seine Mutter die Heldin eines Kinderbuches gewesen war? Sie war ärgerlich geworden, aber der Ärger hatte nicht lange vorgehalten. Sie war mit ihm in ihr Schlafzimmer gegangen und hatte einen kleinen Sekretär aufgeschlossen. Aus einer Schublade nahm sie eine kleine Stahlkassette. Sie öffnete sie und entnahm ihr nicht etwa den Schatz, den er erwartet hatte — Gold, Juwelen oder einen Dolch —, sondern
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einen gewöhnlichen eisernen Haustürschlüssel. »Mutter sagte: >Dies ist der Schlüssel zu dem Haus, das der Tornado in das Land der Munchkins trug.Ich wünschte, Onkel Henry und Tante Em könnten noch leben< sagte Mutter. >Sie würden dir erzählen, daß ich einen leuchtenden Fleck auf der Stirn hatte, als ich aus dem Quadling-Lande zurückkam. Tagsüber konnte man ihn sehen, und nachts strahlte er hell. Es war das Zeichen, das die Hexe des Nordens auf meine Stirn gemacht hatte, um darauf hinzuweisen, daß ich unter ihrem Schutz stände. Dieses Zeichen war der Hauptgrund dafür, daß Onkel und Tante mir meine Geschichte glaubten. Aber sie waren nicht dumm. Sie wußten, daß ich zum Gegenstand von allerlei Rummel und Belästigungen durch Neugierige und Zeitungsreporter werden würde, daß man mich verspotten und verhöhnen oder vermarkten würde. Also befahlen sie mir, das Zeichen mit Gesichtspuder zu verdecken, und sie rieten mir, niemandem zu erzählen, wo ich gewesen war. Aber ich konnte nicht schweigen. Ich sprach mit anderen Kindern, diese erzählten es ihren Eltern, und so sprach sich die Geschichte herum. Natürlich war ich ohnehin eine Berühmtheit, denn alle glaubten, daß der Tornado mich mitsamt dem Haus davongetragen habe, und ich war ein Wunder für sieben Tage, als ich wieder auftauchte. Aber Onkel Henry ließ verbreiten, ich sei während der ganzen Zeit umhergewandert, und außerdem hätte ich an Gedächtnisschwund gelitten —ich hatte vergessen, wer ich sei — und Gehirnfieber gehabt. Das erzählte er auch Mr. Baum, als dieser kam, um mich zu besuchen.Reise nach Jerusalem< für Geister«, hatte er gesagt, und dann hatte er erklären müssen, was es mit der Reise nach Jerusalem auf sich hatte. »Glaubst du, was du mir da erzählst?« hatte er dann gefragt. »Hast du etwa eine bessere Erklärung? Reden wir nicht mehr über solche Dinge. Versuchen wir lieber die saitigzhuz-nyuhStellung. Gott nannte man hier entweder Guth oder Chuz. Hank vermutete, daß Chuz von Tius abstamme und somit eine Verwandtschaft mit dem altnordischen Gott Tyr und mit dem altenglischen Tiw aufweise. Einen Engel nannte man anggluz; dieses Wort wurzelte im Griechischen und ließ auf Kontakte mit dem frühen Christentum schließen. Aber auf irgendeine Weise hatte man die Engel mit den slanchuzar, jungfräulichen Halbgöttinnen, ähnlich den altnordischen Walküren, vermischt. Uralte Verwirrung zeigte sich auch in den Kreuzen auf den Grabsteinen des Friedhofes. Hier fand sich das einfache Kreuz ebenso wie das keltische Kreuz, das X oder Andreaskreuz und die Swastika, auch thyunz-hamar, Thors Hammer, genannt, jenes uralte Sy mbol, das auf der Erde zu prähistorischer wie auch zu geschichtlicher Zeit verwandt worden war. Die meisten Gräber waren von Standbildern gekrönt, Statuen, die nicht nur Menschen, sondern auch nichtmenschliches Leben in vielerlei Gestalt darstellten. So fand sich gleich neben dem Grab einer Frau das eines Rehs. Obwohl Lamblos Berichte ihn schon vorbereitet hatten, war er immer noch schockiert durch den Anblick der Priester und Priesterinnen und der professionellen Trauerer. Die heiligen Männer und Frauen besaßen große Ähnlichkeit mit afrikanischen Zauberdoktoren. Als Kopfputz trugen sie hochaufragende, schmale und farbenprächtige Federn, ihre Gesichter waren
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mit schwarzer und roter Farbe beschmiert, und auf der nackten, buntbemalten Brust trugen sie Ketten aus Knochen und Zähnen. Die entblößten Genitalien waren glattrasiert, und die Beine waren mit schwarzroten Spiralen bemalt. Sie tanzten wie Medizinmänner, schüttelten Kürbisrasseln, klingelten mit kleinen Glöckchen und ließen brüllende Schnüre über ihren Köpfen kreisen. Die Trauerer, Männer und Frauen, waren ebenfalls nackt; sie zerschnitten ihr Fleisch mit steinernen Messern. Er war aus einem anheimelnden, ja, einem »niedlichen« Dörfchen geradewegs in die Altsteinzeit gelangt. Lamblo ließ ihre Kompanie anhalten. Auch Hank blieb stehen. Die Soldaten traten beiseite, um ihm Platz zu machen, und Lamblo bedeutete ihm mit dem Schwert, weiterzugehen. Mit einem tauben Gefühl schritt er auf den Sarg zu, einer aus Kalkstein gehauenen Halbkugel. Der Sarg war nicht verschlossen, und der verkohlte Leichnam lag unverhüllt in einer Vertiefung auf der Spitze der Kalksteinkuppel. Davor gähnte ein rundes, offenes Grab. Dahinter saß Glinda auf einem marmornen Thron; eine alte, schwarze Decke schützte ihr nacktes Gesäß vor dem harten, kalten Stein. Sie trug nichts als einen gefiederten Kopfschmuck und war vom Hals bis zu den Zehen mit schwarz-weißen Streifen bemalt, die sie spiralförmig umschlangen. In der Hand hielt sie den langen, hölzernen Hirtenstab. Hank blieb vor ihr stehen und verneigte sich. Seine Augen waren niedergeschlagen, denn er war verlegen. Die Trauerer heulten, die Menge summte wie ein Dynamo, die Kürbisse rasselten, die Glöckchen klingelten, und das Brüllen der dröhnenden Schnüre erfüllte die Luft. »Sieh auf!« rief Glinda. »Sieh auf, Fremdling!« Zögernd hob Hank seinen Blick. Glinda lächelte halb, und in ihren blauen Augen lag ein amüsierter Ausdruck. Wußte sie etwa, wie ihn dieses wilde Schauspiel und ihre Nacktheit schockierte? »Sieh auf, Fremdling«, sagte sie und deutete mit dem Stab zum Himmel. Hank gehorchte. Der Himmel war wolkenlos. Was sollte er hier, wenn auch nur sy mbolisch, sehen können ? Er warf einen Blick nach rechts und sah, daß alle anderen ebenfalls hochschauten. »Ruhe!« rief Glinda, und das Summen, Klagen, Rasseln, Klingeln und Dröhnen verstummte. Nur ein Säugling im Arm einer Frau in der vorderen Reihe schrie. »Wendet euch nach
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Westen!« rief Glinda. »Schaut nach Westen!« Hank und alle anderen außer Glinda wandten sich zur Seite. »Dorthin gehen wir alle«, rief sie. »Ob ihr einen Tag oder tausend Jahre lebt, ihr werdet dorthin gehen. Nackt seid ihr in diese Welt gekommen, und nackt werdet ihr sie verlassen. So war es, und so soll es sein.« Sie schwieg einen Moment lang und fuhr dann fort. »Doch es wird nicht immer so sein.« »Es wird nicht immer so sein!« schrie die Menge. »Auch die Endlosigkeit hat ein Ende!« »Sie hat ein Ende!« Einen Moment lang herrschte Stille. Auch das Baby war verstummt; es trank. Glindas Stimme zerriß die Stille. »Die Toten sollten nicht ohne Blut heimkehren!« »Nicht ohne Blut!« »Der tote Mann ist ein Fremdling. Er ist nicht von unserem Blute. Doch selbst der Fremde soll nicht hungrig gehen. Ist hier kein Vater, keine Mutter, kein Bruder und keine Schwester, ihm Blut zu geben?« »Es ist niemand da!« rief die Menge. »Dann soll er sein Blut mit ihm teilen! Der Tote soll nicht hungrig gehen.« Ein Priester und eine Priesterin liefen auf Hank zu. Die Frau packte Hanks Handgelenk und drehte seine Handfläche nach oben. Der Mann hob ein steinernes Messer hoch und ließ es niederfahren. Hank stieß einen Schmerzensschrei aus. Er hatte nicht damit gerechnet, daß man ihm einen so tiefen Schnitt beibringen würde. »Allmächtiger!« »Wende dich dem Toten zu!« befahl eine andere Priesterin schrill. Hank wurde dem Sarg zugewandt, und man stieß ihn voran. Auch die Menge drehte sich um und schaute auf die Kuppel. Die heiligen Männer und Frauen begannen wieder zu tanzen. Die Kürbisse rasselten, die Schellen klingelten, die Schnüre brüllten, die Trauerer begannen zu heulen und sich zu zerfleischen. Die kleine Priesterin zerrte an seiner Hand, bis sie sich über dem gräßlichen Gesicht der Leiche befand. Dann drehte sie sie um, und das Blut tropfte auf die schwarzverkohlte Haut und die klaffende Mundhöhle. Glinda erhob sich von ihrem Thron, deutete mit dem Stab zuerst auf den Toten und dann nach Westen. »Trink, auf daß du stark werdest! Geh! Geh nach Westen, wo deine Heimat liegt!«
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Dies ist kein Ort für Anämiker, dachte Hank. Er sah auf das Blut und auf den Leichnam und hoffte, er werde nicht in Ohnmacht fallen. Glinda hatte den Mund geöffnet, um etwas zu sagen. Jetzt starrte sie — nicht auf ihn, sondern nach Süden. Die Leute, die ihm auf der anderen Seite des Sarges gegenüberstanden, rissen ebenfalls die Augen auf und schrien. Trotz seiner Betäubtheit wußte er, daß dies nicht zur Zeremonie gehörte. Er drehte sich um und schaute auf die Wüste hinaus. Hoch oben am Himmel, langsam herabsinkend, strahlte ein helles Licht. Es sah aus wie eine Very -Rakete, eines jener Leuchtsignale aus brennendem Magnesium, die er so oft am nächtlichen Himmel über den Schlachtfeldern Frankreichs gesehen hatte.
10 Noch bevor der immer noch gleißende, aber winzig kleine Lichtpunkt den Boden erreicht hatte, erschien über ihm ein Gegenstand. Er kam aus einer grünen Wolke, die nicht größer als Hanks Hand wirkte. Es funkelte, als das Sonnenlicht sich in silbrigem Material spiegelte. »Ein Fallschirm?« murmelte Hank. Beinahe unmittelbar danach erschien ein zweites blitzendes Objekt aus der Wolke und sank herab. Und dann strahlte wieder eine Leuchtkugel auf. Die grüne Wolke wurde vom Himmel au fgesogen. Glinda sagte etwas zu dem Falken, der über ihr auf der rechten Kante der Thronlehne hockte. Das Tier flatterte davon, dem herabsinkenden Licht entgegen. Hank wäre nur zu gern ohne weitere Umstände in die Wüste hinausgelaufen, aber Glinda hatte andere Pläne. Daß es ihr gelang, die neugierige Menge daran zu hindern, wie eine durchgehende Rinderherde in die Wüste zu stürmen, zeigte, mit welch eiserner Gewalt sie sich selbst und ihr Volk beherrschte. Laut verkündete sie, die Zeremonie gehe nun weiter,
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und so geschah es auch, wenngleich Hank den Eindruck hatte, daß man nun ein wenig hastiger zu Werke ging. Auf Glindas Aufforderung hin sprach er ein Gebet, das Vaterunser, über den Leichnam, der Deckel wurde auf den Sarg gelegt, und mit Hilfe von Gurten senkte man den Sarg in die Grube. Hank wurde angewiesen, ein paar Blutstropfen auf den Sarg fallen zu lassen, und dann machten sich die Totengräber daran, das Grab zuzuschaufeln. Die heiligen Männer und Frauen tanzten neunmal gegen den Uhrzeigersinn um das Grab, und dann nahm Glinda den gefiederten Kopfschmuck ab und legte ihre lange weiße Robe an. Ein Arzt verband Hanks Hand. Wenige Minuten später war er an Bord eines Streitwagens mit Kurs auf die Wüste. Als die Prozession die Klippenstraße zur Hälfte hinter sich gebracht hatte, landete der Falke auf der Haltestange von Glindas Fahrzeug. Die beiden redeten miteinander, aber Hank war zu weit entfernt, um das Gespräch zu verstehen. Als sie sich zu Fuß dem einen der herabgefallenen Objekte bis auf eine halbe Meile genähert hatten, blieben sie stehen. Lamblo, die an Hanks Seite stand, sagte: »Gott schütze uns!« Eine leuchtende Kugel mit einem Durchmesser von vielleicht vier Metern war plötzlich auf der Spitze einer hohen, gewundenen Felsnadel erschienen. Glinda rief einen Befehl, und ein Trupp männlicher Bogenschützen entfernte sich im Laufschritt von der Marschkolonne. Die schimmernde Kugel, durch die Hank den Himmel sehen konnte, rollte senkrecht an der Felsnadel herunter und geradewegs auf sie zu. Aber sie schien nicht zu wissen, daß sie da waren; ihre Bahn, falls sie sich geradeaus weiterbewegen würde, müßte sie um etwa zehn Schritte verfehlen. Ein Hauptmann brüllte ein paar Befehle, und die Männer hoben ihre Bögen. Auf einen weiteren Befehl hin jagten die Pfeile in die Kugel, und sie explodierte wie eine französische .75er Granate. Hank sprang zurück und zwinkerte mit den Augen. Der Feuerball war verschwunden, aber die hölzernen Schäfte der Pfeile standen in Flammen. Wachsam, doch ohne weitere Zwischenfälle, näherte sich die Kolonne nun dem Ding, das aus der grünen Wolke gekommen war. Es war eine große, mit kleinen Spiegeln beklebte Holzkiste, die an einem großen, zusammengesunkenen, silbrig schimmernden Fallschirm befestigt war. Die Leinen des Fallschirms waren durchschnitten, die silbern bemalten Lederschnallen der Kiste
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waren geöffnet und der Deckel zurückgeklappt. Hank schaute hinein. Er sah weitere Kästen, verpackt in dickem Isolationsmaterial. Er nahm sie heraus und öffnete sie. Sie enthielten eine Filmkamera, vier Büchsen Film, eine Kodak mit zehn Filmrollen, zwei Betriebsanleitungen, Schreibblock mit unzähligen Bleistiften, Federhaltern und Tintenflaschen, Bleistiftspitzer, ein Zwölf-Zoll-Lineal, Radiergummis, Winkelmesser, Filmentwicklerlösung und ein Handbuch, das ihre Verwendung beschrieb, eine Taschenlampe, eine Stoppuhr und einen großen braunen Briefumschlag. Der Umschlag trug Emblem und Namen des U.S. Army Signal Corps. Und er trug, in großen Druckbuchstaben, seinen Namen. »Wie zum Teufel... ?« murmelte er. Bevor er den Umschlag öffnen konnte, hörte er einen Schrei aus der Umgebung der Felsnadel. Ein Falke umflog sie und meldete, daß eine zweite Kiste unterwegs sei. Hank beschloß, den Umschlag erst zu öffnen, wenn er festgestellt hätte, was sich in der zweiten Kiste befand. Wie sich herausstellte, enthielt die zweite Kiste ein Funkgerät mit Kopfhörern und einem Satz Extra-Batterien. Auch hier fand er einen Umschlag mit seinem Namen. Es zeigte sich bald, daß er eine exakte Kopie des Briefes in dem ersten Umschlag enthielt. Dieser Fund mußte Glinda mit großer Neugier erfüllt haben, aber sie drängte darauf, zunächst ihre Leute aus der Gefahrenzone zu bringen. Wenige Augenblicke später marschierten sie auf das grüne Land zu. Als sie dort angekommen waren, luden sie die Kisten auf einen Elchkarren. Hank öffnete die Briefumschläge erst, als er in einem Raum im ersten Stockwerk des Schlosses angekommen war. Glindas erste Frage galt den Gegenständen in den Kisten. Er erklärte ihr, was diese Dinge waren und woher sie gekommen waren. »Lies den Brief«, sagte sie. »Dann fasse ihn für mich zusammen und übersetze ihn mir in allen Einzelheiten.« Es waren sechs Seiten, einzeilig mit der Maschine beschrieben. Das Schreiben kam aus dem Büro eines Oberst Mark Simpson des U.S. Army Signal Corps, aber es war unterzeichnet vom Oberkommandierenden der Armee, Stabschef General John Joseph Pershing. »Black Jack höchstpersönlich«, murmelte Hank. Er hatte großen Respekt vor den Fähigkeiten, die Pershing während des Ersten Weltkriegs unter Beweis gestellt hatte, aber zugleich
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verabscheute er ihn. Pershing, so hatte er gehört, war es gewesen, der den amerikanischen Fliegern verboten hatte, Fallschirme zu benutzen. Der Grund: Es bestand die Möglichkeit, daß sie in Situationen größter Gefahr ihr Flugzeug in der Schlacht aufgäben. Mit anderen Worten, Pershing mißtraute dem Mut seiner Flieger. Pershing war es auch gewesen, der keine Bedenken gehabt hatte, Tausende von Soldaten zu opfern, um eine Position zu gewinnen, aber in dessen Augen die Freudenhäuser, in die seine Männer gingen, etwas Böses waren, und der deshalb sein Bestes tat, sie zu schließen. »Ein durch und durch prüder Wichser«, brummte Hank. »Wie bitte?« fragte Glinda. »Nichts. Okay. Fangen wir an.« »Okay?« »Ein amerikanischer Ausdruck. Er bedeutet gut, fein, prima, in Ordnung, all right, hunkeydorey, copasetic...« »Hankiidorii? Kopasetik?« Hank las den Brief bei sich durch, aber im Raum herrschte keine Stille. So ungeduldig die Königin auch augenscheinlich darauf wartete, den Inhalt zu erfahren, verschwendete sie doch keine Zeit. Sie konferierte mit einigen Menschen und Vögeln, erteilte Befehle, diktierte einen kurzen Brief und ging einmal zur Toilette. Als sie zurückkam, sah sie, daß Hank den ganzen Brief gelesen hatte. »Zunächst einmal — es steht kein Wort darüber drin, wie sie mich haben identifizieren können«, sagte er. »Aber das dürfte kaum schwierig gewesen sein.« Er fragte sich, ob Geheimagenten bei seinen Eltern gewesen sein mochten. Wahrscheinlich noch nicht, denn die ganze Angelegenheit würde man vorerst als top secret behandeln. Aber man würde sich über Mr. und Mrs. Lincoln Stover ein genaues Bild gemacht haben. Und zweifellos hatten sie auch Präsident Harding in Kenntnis gesetzt, und vielleicht darüber hinaus ein paar Kabinettsmitglieder. »Adressiert ist es an Leutnant Henry L. Stover. Ich bin aber kein Armeeoffizier mehr und auch kein Reservist. Sie benutzen den Titel aus psy chologischen Gründen.« »Weshalb?« »Sie wollen, daß ich bestimmte Dinge tue, weil ich amerikanischer Staatsbürger bin, und sie appellieren an meinen Patriotismus. Sie erinnern mich daran, daß ich Soldat und Offizier war und daß ich mich entsprechend verhalten
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soll.« »Was sind diese bestimmten Dinge?« »Das wird gleich offenbar werden, Mütterlein. Sie geben keine spezifische Erklärung dafür, wie und warum der grüne Nebel, die Öffnung, gemacht wurde. Aber sie beziehen sich auf diese Operation, das Experiment oder was immer es sein mag, und nennen es >Projekt ThorElektrizität< bedeutet.« Glinda überraschte ihn mit der Mitteilung, daß ihr die Vorstellung nicht gänzlich unvertraut sei. Seine Mutter hatte ihr davon erzählt, und sie hatte auch erzählt, wie die Kraft von Blitzen hervorgebracht und übertragen werden konnte und was sie zu leisten vermochte. »Ja, aber sie war damals ein achtjähriges Kind, und außerdem hat die Wissenschaft in diesem Zusammenhang seit 1890 beträchtliche Fortschritte gemacht. Ich werde Euch also detailliert informieren und Eure Kenntnisse auf den heutigen Stand bringen.« Nachdem sie ihn angehört hatte, fragte sie: »Und diese Leute vom Signal Corps — was, glaubst du, hatten sie vor?« »Ich glaube, daß sie versuchten, elektrische Energie drahtlos zu übertragen. Vielleicht durch die Atmosphäre. Ein berühmter Wissenschaftler, Nikola Tesla, interessiert sich schon seit langem für solche Versuche. Vielleicht hat er die Leitung des Projektes. Ich weiß es nicht. Jedenfalls glaube ich, daß das Corps ein solches Experiment durchführte, als ich Fort Leavenworth überflog, und daß das Experiment ein völlig unerwartetes Nebenprodukt zutage brachte. Eine schwache Stelle in der Wand zwischen diesen beiden Universen oder ein natürlicher Kanal, durch den man sich zwischen den beiden Welten auf und ab bewegen kann... nun, diese Schwachstelle wurde durch die Energie geöffnet. Gerade so lange, daß ich hindurchfliegen konnte. Die Leute vom Signal Corps sahen, wie ich in den Dunst hineinflog und
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nicht wieder herauskam. Also wiederholten sie das Experiment, und wieder erschien der Dunst. Ich weiß nicht, zu welch phantastischen Spekulationen dies führte. Wie immer sie ausgesehen haben mögen, sie halten keinem Vergleich mit der Wirklichkeit stand. Nun, sie beschlossen jedenfalls, ein Armeeflugzeug hindurchzuschicken. Wie sie es zur Erde zurückbringen wollten, weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich planten sie, das Tor zu einer bestimmten Zeit wieder zu öffnen. Aber...« Er zuckte die Achseln. »Offenbar haben sie die Maße und die Dauer der Öffnung nicht unter Kontrolle. Und sie haben keine Ahnung, daß dies die Welt von Oz ist.« Er lachte und meinte dann: »Wenn ihnen jemand erzählte, dass hier das Land Oz liegt, würden sie ihn für verrückt erklären. Sie würden ihn einsperren. Und wenn — falls — ich ihnen die Wahrheit sage, werden sie vermutlich denken, ich hätte den Verstand verloren.« Sollte er ihnen erzählen, daß seine Mutter die Dorothy aus Baums Büchern war? Nein. Ob sie ihm glaubten oder nicht, sie würden sie auf jeden Fall mit langen Verhören belästigen. Sie würden ihr das Leben zur Hölle machen und ihr die Ruhe und den Frieden rauben. Und falls das Geheimprojekt auf irgendeine Weise ans Licht der Öffentlichkeit dränge und er sie davon überzeugt hätte, daß er tatsächlich in Oz gewesen sei, dann würde sie unter weltweiter Publicity leiden müssen. »Aber du hast Mittel, sie zu überzeugen«, meinte Glinda. Sie deutete auf die Kisten, die in einer Ecke standen. »Sie würden mir trotzdem nicht glauben.« »Das ist unwichtig. Sprich weiter.« »Nun, nachdem sie mir nachdrücklich eingeschärft haben, daß ich keiner unbefugten Person davon erzählen dürfe — we m zum Teufel sollte ich es auf dieser Seite des Universums wohl erzählen? —, fordern sie mich auf, nach besten Kräften mit ihnen zu kooperieren. Ich soll alle Befehle befolgen. Mein Möglichstes tun, um ihnen Informationen über diese Welt zu beschaffen.« »Mit Hilfe der Filme?« »Damit, und mit Karten und Daten über die Bewohner, falls es welche gebe... Sie wissen ja nicht einmal, ob es in dieser Welt — sie nennen sie die Vierte Dimension — überhaupt außer mir intelligente oder andere Lebensformen gibt. Falls es Intelligenz gibt, wollen sie alles darüber wissen, vor allem über ihr — Euer — Militärpotential, und dann über Krankheiten und Rohstoffe — damit meinen sie fruchtbares
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Land, Gewässer, Holz, Eisen, Kupfer, Bauxit, Öl, Gold, Silber und so weiter. Ich soll bewegliche und starre Aufnahmen von allem Wichtigen machen, ich soll Daten über dies und jenes aufzeichnen und ihnen ein möglichst vollständiges Bild vermitteln.« Er sah von dem Brief auf. »Sie sind nicht einmal sicher, ob ich noch lebe, und wenn ich noch lebe, ob ich mich noch in dieser Gegend aufhalte, so daß diese Nachricht mich erreichen kann. Sie geben zu, daß sie gleichsam ins Blaue hineinoperieren.« »Wann werden sie den Weg wieder öffnen?« »In sieben Tagen, von jetzt an gerechnet, wird er sich kurz öffnen. Um zehn Uhr morgens, in ihrer Zeit. Sie wissen natürlich nicht, ob die Zeit hier mit der ihren übereinstimmt. Ich soll mich nach der Armbanduhr richten, die sie mitgeschickt haben. Aber Genaues wissen sie natürlich nicht. Es ist alles äußerst unsicher.« »Der Weg wird sich kurz öffnen?« »Nur so lange, daß ich Zeit habe, den Empfang dieser Dinge zu bestätigen. Noch einmal dreißig Tage später soll ich dann Filmmaterial und Daten hindurchschicken.« Hank übersetzte die Nachricht Wort für Wort, und hin und wieder unterbrach er sich oder wurde er von der Hexe unterbrochen, weil das eine oder andere Detail erklärt werden mußte. Als er geendet hatte, fragte Glinda: »Was würde denn geschehen, wenn du in sieben Tagen keine Antwort schicktest? Würde dein Volk dann einfach aufgeben?« »Ganz im Gegenteil. Sobald sie die erforderliche Kontrolle über die Durchgangspforte hätten, würden sie versuchen, einen weiteren Piloten hindurchzuschicken.« »Das wird ihnen aber vielleicht nicht gelingen.« »Möglich. Aber daß sie aufgeben werden, bezweifle ich. Ihre Neugier wird zu groß sein. Sie werden denken, daß diese Welt der ihren ebenso gefährlich sein kann, wie Ihr glaubt, daß unsere es für Eure sein könnte. Sie können die Versuche nicht einstellen. Wenn Dinge aus meiner Welt hierher gelangen können, dann ist es auch möglich, daß Dinge aus Eurer Welt in meine kommen. Sie werden an den Roman von Mr. H.G. Wells denken. Da ging es um eine Invasion vom Mars...« Mit knappen Worten umriß er, wovon der Roman erzählte. Dann sagte er: »Sie werden das Schlimmste befürchten. Sie können sich nicht leisten, die Tatsache zu ignorieren, daß von hier eine mögliche Gefahr für ihre Welt ausgehen kann. Das könnt Ihr doch verstehen, nicht wahr, Euer Hexenhoheit?« »O ja. Nun... dies ist ein Problem, das wir gleichfalls nicht
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ignorieren können. Ich werde dir gestatten, diese erste Botschaft hinüberzuschicken, aber ich will, daß du sie mir vorliest. Und belüge mich nicht. Ich werde es wissen, solltest du es doch tun.« Hank fühlte, wie sein Gesicht sich erwärmte. »Das würde mir nie einfallen.« »Doch, das würde es. Es ist dir in diesem Augenblick eingefallen. Aber das bedeutet nicht, daß du tatsächlich lügen würdest. Wie dem auch sei — weißt du schon, wie du deine Nachricht durch die Öffnung befördern willst?« Er erklärte ihr, er werde über die grüne Wolke hinwegfliegen und die Botschaft hineinwerfen. Glinda lächelte. »Und wenn die Wolke groß genug ist, um dein Flugzeug aufzunehmen? Wirst du uns dann verlassen?« Hank nagte an seiner Unterlippe. »Ich will ehrlich sein: Ich weiß es nicht, aber ich bezweifle, daß die Wolke groß genug sein wird. Anscheinend erfordert es Unmengen von Energie, sie hervorzubringen, und deshalb wird sie nicht sehr groß sein. Sie wird auch nicht lange halten. Ich werde schnell sein und gleich beim ersten Überflug mein Ziel treffen müssen. Sonst kann ich es kaum schaffen. Abgesehen davon... na ja... ich glaube eigentlich nicht, daß die hohen Tiere in der Army es gern sähen, wenn ich zurückkehrte. Zumindest vorläufig nicht. Sie brauchen jemanden, der hier ist und sie... äh... mit Informationen versorgt, oder der, sozusagen, als Botschafter fungiert.« Glinda lachte. »Oder als Agent für die Pläne, die sie wahrscheinlich schmieden. Ich vertraue darauf, daß du uns nicht verlassen wirst. Etwas anderes kann ich nicht tun. Wenn du merkst, daß du der Versuchung nicht widerstehen kannst, wirst du verschwinden. Das ist alles.« »Manchmal habe ich tatsächlich ein wenig Heimweh«, gestand er. »Aber ich bin zugleich sehr neugierig auf diese Welt. Außerdem ist es, wie ich schon sagte, meine patriotische Pflicht, hierzubleiben.« »Nun gut. Drei Jahrhunderte überlebt man nur, indem man an das Hier und Jetzt denkt. Obwohl man dabei auch die nahe Zukunft nicht vergessen darf, wenn man nicht sterben will. Manchmal... Aber lassen wir das. Bereite deine Flugmaschine vor und verfasse dann deinen ersten Bericht. Halte ihn kurz. Und erwähne an keiner Stelle, wie alt ich bin, und deute auch nicht an, daß andere ebenso lange oder länger gelebt haben.« Hank wollte fragen, weshalb er diese
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Dinge nicht erwähnen sollte, aber dann besann er sich. »Wenn ich ihnen das erzählte, wäre garantiert, daß sie versuchen würden, herzukommen. Sie würden das Geheimnis Eurer Langlebigkeit erfahren wollen. Es würde sie herbeilocken, mehr als Gold und Juwelen, mehr als ein neues Land und die Wunder eines anderen Universums. Jeder möchte gern ewig leben.« »Ja, es wäre eine unwiderstehliche Verlockung. Aber nicht jeder möchte so lange leben, und nur wenige werden auch die Mittel besitzen, es zu tun. Ich könnte dir gestatten, ihnen das zu erklären, aber sie würden es nicht verstehen.«
11 Am Morgen des siebten Tages, nachdem Pershings Botschaft vom Himmel gefallen war, wurde Hank in Glindas Gemächer gerufen. Sie befahl ihm, sich zu setzen. »Ihr tut das so oft, daß ich mir allmählich wie ein Hund vorkomme«, beschwerte er sich. »Toto«, sagte sie, und dann mußte sie lachen. »Ja, ich erinnere mich an dieses merkwürdige Geschöpf. Nun, ein Hund, denke ich, hat nichts dagegen, wenn man ihm befiehlt, sich zu setzen. Nicht, wenn er seine Herrin liebt. Hier, Hank. Nimm das in die Hand.« Ein kleiner Mann mit einem langen, grauen Bart hielt ihm ein rundes, weißlich-graues Objekt von der Größe einer Pflaume entgegen. »Die Schwarze Perle der Wahrheit«, erklärte Glinda, als Hank die Kugel in Empfang nahm. »Es ist keine echte Perle. Sie sieht nur so aus und fühlt sich so an.« Meere oder Austern kannte man in diesem Land nicht, aber anscheinend gab es Flußmuscheln, die Perlen hervorbringen konnten. »Meine Mutter hat Mr. Baum davon erzählt. Sie sagte, Ihr
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hättet ihr diese Perle gezeigt. Baum hat es in seinem zweiten Buch verwendet. Aber er ging davon aus, daß ihr sie am Körper tragt. Vermutlich hat er sich geirrt.« »Richtig, er hat sich geirrt«, bestätigte Glinda. »Du — oder wer immer geprüft werden soll — mußt sie in der Hand halten oder an seiner Haut tragen.« Er vermutete, daß das Ding die Verlagerung des elektrischen Potentials auf der Haut des Trägers registrieren konnte. Es würde sich schwarz verfärben, wenn der Träger nicht die Wahrheit sagte. Aber was, wenn der Träger glaubte, die Wahrheit zu sagen, auch wenn er es nicht tat? Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Glinda: »Wenn du wahnsinnig wärest, könnten wir uns auf die Perle nicht verlassen. Aber du bist es nicht — jedenfalls halte ich dich für geistig normal, für relativ normal wenigstens. Niemand ist völlig frei von Wahnsinn. Einer, der es wäre, würde sofort verrückt werden.« Hank hielt die »Perle« zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe. »Auch so etwas bildet eine Gefahr für meine Welt«, sagte er. »Wenn man diese Perle herstellen und in jedem Gericht, in jedem Heim verwenden könnte, würde die Gesellschaft zerbrechen. « »Das weiß ich«, sagte sie. »Deshalb wirst du sie ebenfalls nicht erwähnen. Noch nicht jedenfalls. Aber sie ist ohnehin einzigartig. Man kann sie nicht duplizieren. Niemand weiß, wie sie gemacht wurde. Die Längst Versunkenen haben sie uns hinterlassen. Vor siebenhundert Jahren wurde sie gefunden, und seitdem gehört sie den Quadlinghexen.« Auf ihren Befehl übersetzte er die Nachricht, die er am Abend zuvor verfaßt hatte. Die Perle verfärbte sich nicht. »Gut. So hatte ich es erwartet«, sagte Glinda. Der Bericht wurde in einen dicken, gefütterten Umschlag geschoben und dieser in eine diskusförmige Büchse gelegt. Die Büchse bestand aus einem stählernen Rahmen, der mit dreifach übereinandergelegtem, zähem Leder bezogen war. Das Leder stammte von einer bei einem Unglücksfall ertrunkenen Kuh. Diese Büchse und der Umschlag, der mit zerstoßenen Walnußschalen isoliert war, würden den Bericht und, ein paar Fotografien vor Beschädigungen schützen. Die Fotos hatte Hank mit der kleinen Kamera aufgenommen, und sie wurden durch ein paar Quadling-Objekte, unter anderem eine winzige Goldstatue von Glinda, ergänzt. Sie betrachtete alles, bevor sie gestattete, daß
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er es verpackte. »Nur schade, daß du keinen Film hast, der Farben zeigen kann«, meinte sie. »So können sie nicht sehen, daß mein Haar rot ist.« Hank grinste. »Wie war's, wenn Euer Hexenhoheit eine Locke für den Export zur Verfügung stellt en?« »Sei nicht vorlaut.« Was würden die Armeeführung und Präsident Harding mit diesen Bildern anfangen? Eines zeigte das Schloß vom Boden aus, eines war eine Luftaufnahme davon, und auf einem sah man ihn inmitten einer Gruppe von Pygmäen. Andere Fotos zeigten Glinda auf ihrem Thron, Glinda in einem von Elchen gezogenen Wagen, Glinda mit ihm vor der Jenny, ein aufgeschlagenes Buch, die Schloßwache beim Appell, einen schreibenden Waschbären, eine zeitungslesende Katze, den Friedhof von zwei verschiedenen Seiten und vieles andere mehr. Hank hatte jedes Foto beschriftet. Gewiß würde der Name Glinda und die Erwähnung von Quadlingland einen Aufruhr verursachen und sicher auch Unglauben hervorrufen. Um 10.15 Uhr Zentrale Sommerzeit startete er mit der Jenny in einen wolkenlosen blauen Himmel. Die Falkin Ot begleitete ihn; ihre Klauen gruben sich in die rechte Schulter seiner schweren Lederjacke. Hank wußte ungefähr, wo die Wolke beim letzten Mal erschienen war, aber Ot behauptete, sie könne die Stelle exakt wiederfinden. Sie dirigierte ihn, und er kreiste mit dem Flugzeug über der Stelle, wo die grüne Wolke erscheinen sollte. Dann wurde es elf Uhr. Die Luft blieb leer. Fünfzehn Minuten verstrichen. Etwas war schiefgegangen. Die Anlage, mit der die Pforte geöffnet wurde, war zusammengebrochen oder funktionierte nicht. Oder die Energie reichte aus irgendeinem Grunde nicht aus. Oder das ganze Ding war explodiert. Oder die hohen Tiere hatten beschlossen, die Operation wegen schlechten Wetters abzusagen. Eine halbe Stunde verging. Er beobachtete vier riesige Kugeln, die weit draußen durch die Wüste rollten. Bei der nächsten Gelegenheit würde er einige davon fotografieren. Nach einer Weile empfand Hank Langeweile und Unruhe. Zudem hatte er es satt, im Gegenuhrzeigersinn zu kreisen; also richtete er die Jenny geradeaus, legte sie dann in eine Rechtskurve und kreiste nun im Uhrzeigersinn. In diesem Augenblick- er hatte eben festgestellt, daß die Uhr 11.46:1212 zeigte — erschreckte Ot ihn mit einem schrillen Schrei in sein Ohr. Er nahm den Blick von der Uhr zu seiner Linken.
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Ungefähr vierzig Fuß tief unter ihm begann eine grüne Wolke Gestalt anzunehmen. Er ließ die Jenny seitlich abkippen und drückte die Nase hinunter. Mit der linken Hand ergriff er die scheibenförmige Büchse und hielt sie mit der Schmalseite hinaus in den Luftstrom. Als er sich genau über dem Dunst befand, hatte dieser sich zu einer diamantförmigen Wolke aufgebläht, die die Jenny an ihrer breitesten Stelle leicht hätte aufnehmen können. Sein Herz klopfte wie die Hacke eines Goldgräbers, der eben auf eine glitzernde Ader gestoßen war. Wenn er abrupt und steil abtauchte, würde er durch die Wolke hindurchstoßen und zur Erde zurückgelangen können. Aber er tat es nicht, und er war froh, daß er es nicht getan hatte. Die Wolke begann rapide zu schrumpfen. Als er die Büchse hineinwarf, hatte sie nur noch die Größe eines großen Tisches, und eine Sekunde lang glaubte er, er werde des Ziel verfehlen. Wenn er versucht hätte, zu entkommen, wären sein Flugzeug und möglicherweise auch er selbst in zwei Teile zerschnitten worden. »Viel Zeit haben sie dir nicht gegeben«, schrie Ot mit ihrer Victrola-Stimme. »Wahrscheinlich konnten sie nicht«, schrie Hank zurück. Offenbar gab es Schwierigkeiten mit der Maschine. Es würde ein kleiner Trost für Glinda sein, wenn er es ihr berichtete. Als er ihr Ratszimmer betrat, fragtet sie ihn nicht, wie er erwartet hatte, ob er versucht gewesen sei, hindurchzufliegen. Sie befahl ihm, nach Kräften an seinem Bericht zu arbeiten, sich dadurch aber nicht bei dem geplanten Abholflug behindern zu lassen. »Glaubst du noch immer, daß du in sechs Tagen zurücksein kannst?« »Mehr oder weniger«, antwortete er. »Es kann sein, daß schlechtes Wetter mich zur Landung zwingt oder daß ich einen Maschinenschaden habe. Außerdem hätte ich gern mehr Zeit, damit ich das Haus meiner Mutter in Munchkinland anschauen kann.« »Ich verstehe deine Gefühle«, sagte sie. »Aber damit wirst du noch ein wenig warten müssen. Man hat mir. berichtet, daß Eraknas Armeen an den Grenzen von Winkieland und Oz beträchtlich verstärkt worden sind. Ist es möglich, daß du früher als geplant startest?« Hank dachte einen Moment lang nach und sagte dann: »Ich könnte mich morgen auf den Weg machen, wenn ich die Ma-
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schinengewehre nicht mehr montiere.« Glinda lächelte. »Im Morgengrauen also.« »Wenn das Wetter gut ist.« »Keine Sorge. Es wird gut sein.« Er glaubte nicht — wie ihre Untertanen glaubten —, daß sie auch das Wetter beherrschte. Aber vielleicht brachten ihre Vögel ihr meteorologische Daten. Nach dreihundert Jahren mußte sie ohnehin in der Lage sein, das Wetter mindestens ebensogut »vorherzusagen« wie die besten Meteorologen auf der Erde, wenn nicht sogar besser. Nicht, daß dies viel bedeutet hätte. Vor Sonnenaufgang war er schon bei der Jenny. Er absolvierte die Startchecks und vergewisserte sich, daß seine Vorräte an Bord waren. Glinda, in Stiefeln und in dicke weiße Wollgewänder gehüllt, war gekommen, um ihn zu verabschieden und ihm ein paar letzte Anweisungen zu geben. Lamblo, die sich ebenfalls durch warme Kleidung vor der Morgenkälte geschützt hatte, stand ein wenig abseits und versuchte, nicht traurig auszusehen. Sie hatte mit ihm fliegen wollen, aber selbst wenn die Königin es erlaubt hätte, wäre im Flugzeug kein Platz für sie gewesen. Zwei Falken, Shii und Windwaldriiz, hockten im vorderen Cockpit. Ot war bei Hank, um ihm bei der Navigation zu helfen. Windwaldriiz würde sie verlassen, wenn sie die Smaragdstadt erreicht hätten, um Glinda Bericht zu erstatten, und Shii würde zurückfliegen, wenn sie das Königsschloß von Winkieland vor sich sähen. Das graue Licht wurde heller, und bald stieg die Sonne über den Horizont. Hank verabschiedete sich von der Königin. Lamblo kam zu ihm und sagte: »Küß mich, Hank.« Er zögerte. »Du brauchst dich nicht zu zieren«, sagte sie. »Jeder weiß von uns.« »Darauf möchte ich wetten«, erwiderte er. »Sogar die Gillikins.« Er beugte sich nieder, hob sie hoch und gab ihr einen langen Kuß. Als er sie wieder absetzte, warf er einen Blick auf Glinda. Sie lächelte. Ihm wäre wohler gewesen, wenn sie eine Spur von Eifersucht hätte erkennen lassen. Er kletterte ins Cockpit. Man hatte den Motor vorgewärmt, und so sprang er rasch und mühelos an, als ein Quadling den Propeller herumwarf, nachdem Hank »Kontakt!« gerufen hatte. Er benutzte das englische Wort; er hatte es den beiden Männern, die ihm als Mechaniker zugeteilt waren, beigebracht. Die Keile wurden unter den Rädern weggezogen, und er öffne-
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te behutsam die Drosselklappen. Die Jenny setzte sich in Bewegung. Er rollte zum Ostrand der Wiese, drehte die Nase in den sanften Morgenwind, der von Westen kam, und gab Gas. Als die Räder vom Boden abhoben, winkte er der Gruppe vor dem Schuppen zu. Sein Kurs war Nord-Nordwest. Er hatte den Kompaß nachjustieren müssen, da der magnetische Nordpol hier um etwa zehn Grad von dem auf der Erde abzuweichen schien. Aber er benötigte das Instrument ohnehin nicht. Ot würde ihn sogleich darauf aufmerksam machen, sollten sie vom Wege abweichen. Sie stand jetzt neben seiner rechten Hüfte, eingeklemmt zwischen ihm und der Cockpitwand. Dort war sie, auch wenn es für beide ein wenig eng war, besser aufgehoben als auf seiner Schulter. Vögel konnten, anders als Vierbeiner, ihre Ausscheidungen nicht unter Kontrolle halten, und nach ihrem letzten gemeinsamen Flug hatte Hank seine Jacke reinigen müssen. Jetzt hockte Ot auf einem dicken Tuch, und wenn dies beschmutzt wurde, konnten sie es fortwerfen, sobald sie landeten. Das Wetter war angenehm, wie Glinda es vorausgesagt hatte. In einer Höhe von dreitausend Fuß flog die Jenny ohne große Turbulenzen dahin. Farmen, dazwischen weite Waldgebiete, Feldwege, kleine Seen und ein Fluß glitten unter ihm dahin. Gegen Mittag landete er bei einem kleinen Dorf, um zu tanken. Er hatte zwar noch genug Alkohol im Tank, aber er zog es vor, über ausreichende Reserven zu verfügen. Außerdem wollte er sich erleichtern und eine Kleinigkeit essen. Die Einwohner kamen, dicht zusammengedrängt, heraus, um ihn anzustarren, und einige wenige richteten sogar das Wort an ihn. Zwanzig Minuten später startete er wieder. Eine Stunde vor Sonnenuntergang landete er bei einem etwas größeren Dorfe am Ufer eines kleinen Flusses. Sein Nachtquartier war schon bereit: Ein Zimmer im Hause des Kaizar, des gewählten Führers, dessen Position der eines Bürgermeisters entsprach. Hank hätte es allerdings vorgezogen, in einer Scheune zu schlafen und sich die Leute vom Leibe zu halten. Zwar war er alles andere als ungesellig, aber er brauchte auch Zeit für sein hartes Training und mußte acht Stunden schlafen. Die Einheimischen jedoch brannten darauf, ihn mit Fragen, Essen und Branntwein zu bestürmen, ein großes Fest für ihn zu feiern und ihn mit ihrem Trubel so lange wie möglich auf den Beinen zu halten. Zudem wäre es in
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einer Scheune vermutlich bequemer gewesen, denn es gab keine Betten, die groß genug für ihn waren. Im Hause seines Gastgebers mußte er sich bücken, um durch die Tür zu kommen, und ständig den Kopf einziehen, damit er nicht an die Decke stieß. Er erwartete, daß er auf einem Haufen von Wolldecken würde schlafen müssen. Die Fragen, mit denen man ihn bedrängte, galten zu gleichen Teilen der Erde, der Hexenkönigin, die nur wenige selbst je gesehen hatten, und den Gerüchten einer drohenden Invasion der Gillikins. Hank seufzte müde, wenn er daran dachte, daß er solchem Wirbel bei jeder Zwischenlandung ausgesetzt sein würde. Aber er gab sich große Mühe, leutselig zu sein und alle Fragen nach bestem Wissen zu beantworten. Schließlich war er eine Art Botschafter in diesem Lande Oz, und zudem war er in Glindas Auftrag unterwegs. Und er mochte sie auch, diese kleinen Leute, auch wenn die piepsenden Stimmchen einer auf ihn einstürmenden Menge ihm gelegentlich auf die Nerven gingen. Sie waren in vieler Hinsicht fremdartig, aber allgemein wirkten sie freundlich und gastlich. Die jungen, unverheirateten Frauen taten — die einen verstohlen, die anderen ganz offen — ihr Bestes, ihn dazu zu bringen, daß er mit ihnen schlief. Widerwillig und behutsam wies er sie zurück. Zwar fühlte er sich versucht, aber er sagte sich, daß Lamblo in gewisser Weise seine Verlobte sei. Sie hatte ihn nicht gefragt, ob er sie heiraten wolle, und vielleicht würde sie es auch niemals tun, aber das Benehmen der Leute im Schloß sowie die Bemerkungen, die dort die Runde machten, ließen ihn vermuten, daß man sie als Verlobte betrachtete. In manchen Dingen zeigten diese Menschen eine moralische Strenge, die ein Amerikaner für sonderbar gehalten hätte, in anderen hingegen waren sie so liberal, daß viele Amerikaner, vor allem die Bewohner des Bibelgürtels, sich empört und angewidert abgewendet hätten. Ein Quadling in Amerika, sagte er sich, hätte vermutlich auf die dort herrschenden Sitten ähnlich reagiert, aber ein Westafrikaner oder ein Malaie hätte es vermutlich auch getan. Verkatert standen er und die Falken am nächsten Morgen auf. Er nahm ein leichtes Frühstück zu sich, was seinen Gastgeber und dessen Familie veranlaßte, den Kopf zu schütteln und mißbilligend mit der Zunge zu schnalzen. Wie konnte er seinen riesigen Körper mit so geringen Nahrungsmengen in Gang halten? Er antwortete auf diese Frage nicht. Er sehnte
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sich nach Kaffee. Immer, wenn er morgens erwachte, gelüstete es ihn nach dampfend heißem, schwarzem Java. Am folgenden Tag gegen Mittag gelangte er an den Rand eines dichten Waldes, der nirgends durch bebautes Land unterbrochen war und an keiner Stelle die Spuren menschlicher Tätigkeit zeigte. Wenn Ot recht hatte, erstreckte sich dieses Waldland über zweihundert Meilen. Vor langer Zeit, so hatte man Hank erzählt, hatten die weisen, wenn auch oft drakonischen Hexenköniginnen befunden, daß die Wälder ein natürliches Hindernis für den Krieg seien. Diese Auffassung war durch den Willen der in den Wäldern lebenden Geschöpfe noch bestärkt worden. Sie waren bereit gewesen, den Menschen einen gewissen Freiraum zu gewähren, solange diese nicht versuchten, ihn auf Kosten der wilden Tiere zu vergrößern. Hier waren die Tiere ja intelligent und vermochten sich deshalb mit einer Geschicklichkeit zur Wehr zu setzen, die den Tieren auf der Erde fehlte. So war es uralte Übereinkunft, daß die Menschen mit ihren Haustieren den ihnen zugeteilten Raum bewohnten. Die Wildtiere aber blieben in ihren Wäldern, wenn nicht Hungersnöte sie dazu zwangen, die Farmen zu plündern. Manchmal drangen die Menschen auch in die Wälder ein, aber beide Seiten kannten den Preis, den zu zahlen sie riskierten. Tatsächlich nahm eine gewisse Menge von Handelsgütern und Besuchern den Weg zwischen den Bäumen hindurch, aber der größte Teil des Verkehrs wurde über den Fluß abgewickelt. Seine Mutter und ihre Gefährten hatten ihre Reise nach Süden zu Glindas Hauptstadt zumeist auf dem Flusse Gogz gemacht. Baum hatte diese Informationen aus dramaturgischen oder anderen, nur ihm selbst bekannten Gründen ausgelassen. Für den zweiten Tankstop im Wald landete er auf einer schräg abfallenden Wiese am Fuße eines Berges. Der Trupp, den man vorausgeschickt hatte, um die Landebahn präparieren zu lassen, hatte Bäume gefällt, die Wurzeln aus dem Boden gerissen und die Löcher aufgefüllt. Zwischen Quadlingland und Ozland erhob sich eine Bergkette, die stellenweise zirka fünfeinhalbtausend Meter hoch aufragte. Hank ging mit der Jenny nicht gern auf über achttausend Fuß, weil die Steuerung dann »matschig« wurde; zudem würde er in den Bergen vielleicht keinen Paß finden können, der niedriger wäre als die Maximalsteighöhe des Flugzeugs. Also flog er über dem Fluß Gogz dahin und hielt sich ungefähr fünfhundert Fuß hoch über
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dem manchmal breiten und ruhigen, manchmal schmalen und brodelnden Wasserlauf. Diese Route verlängerte seinen Reiseweg um ungefähr zweihundert Meilen und zwang ihn, zusätzliche Tankstops einzuschieben. Ozland selbst war so flach wie Kansas; es war hauptsächlich Bauernland, unterbrochen nur von Waldgegenden. Die unbefestigten Straßen waren von Obst- und Nußbäumen gesäumt, die vor Jahrhunderten gepflanzt worden waren. Man konnte von einer Stadt zur anderen laufen, ohne sich Sorgen zu machen, daß man Hunger leiden würde; allerdings mochte man der einseitigen Diät irgendwann überdrüssig sein. Ot unterbrach ihr irritierendes Geplapper auf dem ganzen Weg nicht ein einziges Mal, bis sie in der Ferne die Turmspitzen der Smaragdstadt erblickte. Dann aber verstummte sie, nicht etwa, weil der Anblick sie mit Ehrfurcht oder Aufregung erfüllte, sondern weil Hank ihr versprochen hatte, er werde ihr den Hals umdrehen, wenn sie nicht für ein Weilchen den Schnabel hielte. Die »Hauptstadt«, die der Zauberer Oz erbaut hatte, lag an einem Fluß. Baum hatte diese Tatsache nicht erwähnt, aber dies war vermutlich nicht seine Schuld. Wahrscheinlich hatte Dorothy es ihm nicht erzählt. Aber früher einmal hatte hier ein blühendes Dorf gestanden; der Fluß und seine Lage am Schnittpunkt von vier Verkehrsstraßen hatten es zu einem natürlichen Handelszentrum werden lassen. Oz hatte die Häuser niederreißen lassen und dieses Denkmal für sich selbst errichten lassen. Als die Smaragdstadt näherrückte, wurden ihre Details allmählich sichtbar. Sie war wunderschön und exotisch; eine kreisrunde Mauer umschloß viele kleine Häuser und den großen Palast im Zentrum. Die fünfzehn Meter hohe Mauer, die die Stadt umgab, war aus großen, grünlichen Steinblöcken. Auf ihrer breiten Krone erhoben sich zahllose schlanke Wachtürme aus rotem Stein, und auf der Spitze trug jeder einen Flaggenmast mit der Fahne von Oz. Der Zauberer selbst hatte die Flagge entworfen, und der derzeitige Herrscher, die Vogelscheuche, hatte daran nichts verändert. Ursprünglich hatte dieses Land Mizhland (Mittelland) geheißen, aber man hatte es umgetauft und nach dem berühmten Zauberer benannt. Hank hatte noch genug Treibstoff im Tank, und so umkreiste er die Stadt zweimal und flog dann zweimal darüber hinweg. Gewaltige Smaragde waren außen in die Mauer eingelassen,
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Juwelen, die, wie Glinda gesagt hatten, zweifellos von den Längst Versunkenen geschliffen worden waren. Vier riesige Tore öffneten sich in der Mauer, nicht, wie Baum berichtet hatte, ein kleines. Ein einzelnes Tor hätte für den Verkehr von 30000 Einwohnern und Tausenden von Händlern und Touristen gar nicht ausgereicht. Die Häuser der Bewohner waren aus buntem Stein und rechteckig wie die der Quadlinge. (Nur die Munchkins hatten runde Häuser.) Die Straßen waren grün gepflastert, und überall sah man Bäume, Parks und Springbrunnen. Der Palast, dessen Grundfläche mindestens sechs Morg en betrug, war aus grünlichem Stein, und in seinen Mauern funkelten mehr Smaragde als in der gesamten Stadtmauer. Hank grinste, als er ihn sah. Oz hatte ihn, wenn auch vergrößert, dem Capitol in Washington nachgebaut. Die Ozianer hatten zweifellos die Augenbrauen hochgezogen, als sie die Pläne sahen, denn im ganzen Land gab es diese Architektur kein zweites Mal. Vor dem Palast erhob sich die Bronzestatue eines Mannes, der auf einem Stuhl saß; sie war doppelt so groß wie die Lincoln-Statue im Eingang des Lincoln Memorials in Washington. Die Statue stellte den Zauberer dar. Er trug einen hohen, spitzen Hut, eine Zigarre steckte zwischen seinen Lippen, und gekleidet war er in den Abendanzug eines Gentleman aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Zufällig hatte sein Gesicht große Ähnlichkeit mit dem Zauberer in den Illustrationen von Neill, aber Hank fühlte sich zugleich an D´Israeli erinnert. Nachdem er die sagenhafte Hauptstadt von Oz aus der Vogel-Perspektive besichtigt hatte, nahm Hank Kurs auf den Landeplatz. Es war eine weite, ebene Wiese am Fluß, etwa eine halbe Meile weit vor der Stadtmauer. Man verwendete sie sonst als Marktplatz für die Bauern der Umgebung und die Händler aus anderen Ländern, aber heute hatte man Wagen und Zelte fortgebracht und den Abfall beiseite geschafft. Es sah aus, als habe sich die gesamte Stadt und alle ihre Besucher versammelt, um ihn zu begrüßen. Man hatte Pfähle in den Boden gerammt, um eine lange, breite Landebahn zu markieren, und die Pfähle waren mit Seilen verbunden worden. Dennoch hatte die Polizei mit ihren grünen Uniformen und den scharlachroten, an Kulihüte erinnernden Helmen große Mühe, die Menge daran zu hindern, die Barriere zu durchbrechen. Hank drehte die Nase der Jenny in den Wind und begann mit dem Landeanflug.
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12 Er stellte die Zündung ab und kletterte aus dem Flugzeug. Ot flatterte in das vordere Cockpit, sagte etwas zu den beiden Falken, die dort saßen, und Windwaldriiz flatterte mit der Botschaft an Glinda davon. Es war ein Babel von Stimmen — ringsumher erscholl ohrenbetäubendes Geschrei und Geschnatter von Menschen, Vögeln und Vierbeinern. Hank erwartete das Begrüßungskomitee, das auf ihn zukam, geführt vom Herrscher, der Vogelscheuche. Er — sie oder es, besser gesagt — war ein wandelndes Fragezeichen für Hank. Nach dem, was Hanks Mutter ihm gesagt hatte, war Baums Bericht über ihre Begegnung mit dem Ding wahrheitsgemäß gewesen. Als sie die Vogelscheuche zum ersten Mal sah, hatte sie auf einem Pfahl am Rande eines Kornfeldes gestanden. Die Krähen jedoch hatten ihr nicht die geringste Beachtung geschenkt; sie hatten nicht einen Schritt weit entfernt die Ähren abgefressen. Die Vogelscheuche hatte Dorothy angesprochen und sie dazu überredet, sie von dem Pfahl zu befreien. Es stimmte auch, daß sie bei Bewußtsein gewesen war, als der Bauer ihr Gesicht gemalt hatte — Augen, Lippen, Nase und Ohren. Dorothy, acht Jahre alt und ein zähes kleines Mädchen, aber naiv und wundergläubig wie alle Kinder, hatte ihr nicht viele Fragen gestellt. Sie hatte sich auch nicht gefragt, wie es sein konnte, daß eine Vogelscheuche lebendig war, mit einem gemalten Mund sprach und mit gemalten Augen sah. Nicht einmal die Behauptung der Vogelscheuche, sie könne mit dem linken Auge besser sehen als mit dem rechten, weil der Bauer es größer gemalt habe, erregte ihre Zweifel. Sie hatte sich nicht darüber gewundert, wie ein Geschöpf ohne Knochen und Muskeln laufen konnte oder woher es seine Energie nahm, wenn es weder aß noch trank. Und es hatte sie nicht verblüfft, daß ein Ding, das niemals Säugling oder Kind gewesen war, ein Ding, das anscheinend keinem Samen entsprossen war, plötzlich reden konnte, und noch dazu so flüssig. Es mochte ungefähr eine Million Vogelscheuchen in diesem Lande geben. Jeder Bauer hatte eine. Wieso konnte nur eine unter einer Million reden und laufen? Wieso waren alle übri-
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gen nur seelenlose Objekte? Was Baum, Dorothy und die meisten Leser außerdem übersehen hatten, war die Tatsache, daß Vogelscheuchen Krähen vielleicht auf der Erde verjagen konnten, aber die Krähen hier waren schließlich intelligente Lebewesen. Sie mußten augenblicklich erkennen, daß es sich bei den furchterregenden Männchen um ausgestopfte Puppen handelte. Warum also stellten die Munchkin-Bauern sie überhaupt auf? Die Wahrheit war, daß alle Bauern solche Vogelscheuchen hatten, und sie stellten sie nicht auf, um die körnerfressenden Vögel zu verjagen, sondern um sie anzulocken. Es verstieß gegen das Gesetz, Vögel und andere Tiere zu töten —außer unter ganz bestimmten Umständen —, aber sie brauchten Nahrung, und so gestand jeder Bauer ihnen einen bestimmten Teil seiner Ernte zu, damit sie vom Rest fernblieben. Um den diesen Tieren zustehenden Bereich zu markieren, stellte der Bauer eine Vogelscheuche auf. Es war eine uralte Sitte, die mittlerweile zum Gesetz geworden war. Die intelligenten Vögel und anderen Tiere fraßen meist ausschließlich in dem abgezäunten Gelände, das man »Opfergarten« oder »Gnadenfeld« nannte. Die Gillikins, so hatte man Hank erzählt, verwendeten keine Vogelscheuchen. Sie stellten hölzerne Statuen auf, die man fuglskarya, Vogelnährer, nannte. Jemand war verantwortlich dafür, daß diese Vogelscheuche hier einzigartig war. Es mußte mit dem zu tun haben, was die Menschen hier als »Zauberei« bezeichneten. Wenn nicht, wollte Hank seinen Helm verspeisen, ungekocht und ohne Salz und Pfeffer. Vielleicht war er übermäßig mißtrauisch, aber er fragte sich, ob Glindas unsichtbare Hand nicht damals — wie vielleicht noch heute — den Ereignissen die Richtung gegeben haben mochte, die ihren Wünschen entsprach. Es stimmte beispielsweise nicht, daß Helwedo, die Hexe des Nordens und Beherrscherin der Gillikins, Dorothy erwartet hatte, als diese aus dem Farmhaus kam. Wenn es so gewesen wäre, hätte sie sich nicht mit dem Mädchen unterhalten können, denn Dorothy sprach ihre Sprache nicht. Erst drei Wochen später, als Dorothy zu einer einfachen Unterhaltung in der Lage war, hatte die Hexe sie besucht. Sie hatte ihr etwas über das Land und über die silbernen Schuhe der toten und vertrockneten Osthexe erzählt, und dann hatte sie ihren
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weißen, spitzen Hut abgenommen. Sie hatte ihn auf der Nase balanciert, was keine schlechte Leistung war, und dabei gesagt: »Eins, zwei, drei.« Der Hut hatte angefangen zu leuchten, und als das Leuchten innerhalb einer Sekunde wieder verschwunden gewesen war, hatte der Hut sich anscheinend in eine Schiefertafel verwandelt. Mit großen, weißen Kreidebuchstaben hatte darauf gestanden: L A S S D O R O T H Y I N D I E S M A R A G D S T A D T G E H E N . Diese Worte, so hatte man Dorothy erzählt, standen auf der Tafel. Sie selbst konnte sie nicht lesen. Wer hatte diese Worte geschrieben? Glinda? Wenn ja, warum? Und wie hatte sie es tun können ? Sie war viele hundert Meilen weit weg. Besaß sie etwa nicht nur telepathische Kräfte, die sie befähigten, mit der Nordhexe zu kommunizieren, sondern darüber hinaus auch telergische Kräfte? Hatte Glinda die Vogelscheuche auf irgendeine Weise belebt und mit Intelligenz versehen, damit das kleine Erdenmädchen einen Beschützer und Berater hätte? »Bin ich paranoid?« murmelte Hank. »Ich glaube es eigentlich nicht. Ich bin nur logisch, oder ich versuche es zumindest zu sein. Aber im Grunde habe ich nicht genügend Informationen, um glaubhafte und logische Hypothesen zu erstellen. Und das ist es, was mich verrückt macht. Zumindest macht es mich unruhig und frustriert.« Seit er hier war, hatte er so viel gesehen, daß er ein wenig verwirrt war, und die Vogelscheuche war vielleicht verwirrender als alles andere bisher. Obgleich er konditioniert war, sie als einen Teil der normalen Welt zu akzeptieren, weil er Baums Bücher gelesen hatte, erschien ihm die Vogelscheuche doch immer noch unheimlich. Sie war unheimlich, das heißt, monströs, erschreckend, sonderbar, sie ließ ihn an Gespenster, böse Geister und andere übernatürliche Dinge denken, sie war geheimnisvoll, dämonisch. Der Golem fiel ihm ein und Frankensteins Ungeheuer. Aber dieses Ding mit seinem gemalten Grinsen und seinen großen blauen Augen, dieses schlaksige, unbeholfene Wesen, war zugleich doch eher komisch als gespenstisch. Seine Mutter hatte es jedenfalls sehr geliebt, mehr vielleicht als jedes andere der merkwürdigen Geschöpfe, denen sie begegnet war. Und eine weitere Umstellung mußte er vornehmen. Unbewußt hatte er erwartet, daß die Vogelscheuche so groß sein würde wie er selbst. Das lag an den Illustrationen von Denslow und Neill, die sowohl den Blech-Holzfäller als auch die
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Vogelscheuche so groß wie Erwachsene von der Erde dargestellt hatten. Dies war jedoch nicht realistisch, da ein pygmäengroßer Munchkin-Bauer eine Vogelscheuche nicht größer bauen würde, als er selbst war. Das Ding näherte sich grinsend und streckte ihm blaue Ärmel mit weißen Stoffhandschuhen — seine Hände — entgegen. »Dorothys Sohn!« dröhnte die Phonographenstimme. »Willkommen ! Dreimal willkommen!« Er schlang seine Arme um Hanks Taille und preßte sein flaches Gesicht an seinen Leib. Hank war gerührt; aus irgendwelchen Gründen stahl sich eine Träne aus seinem Auge und rann ihm über die Wange. »Ich danke Euch, Väterchen«, sagte er. »Ich wünschte, meine Mutter könnte mit mir hier sein.« Die Vogelscheuche ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. »Und wie geht es dem lieben kleinen Mädchen?« »Sie erfreut sich bester Gesundheit und ist guter Dinge, Hoheit. Aber sie ist natürlich kein kleines Mädchen mehr.« »Ah ja, das hatte ich vergessen. Sie wachsen ja... Nun, dann komm jetzt mit mir zum Palast, mein Junge. Ich will dir deine Gemächer zeigen und dir das Programm für heute abend und für morgen erläutern.« Zunächst jedoch sorgte Hank dafür, daß die Jenny vorsichtig in eine Scheune geschoben wurde und daß ein Wächter die Neugierigen fernhielt. »Die Maschine hat auch ein gemaltes Gesicht«, stellte der Regent fest. Hank antwortete nicht. Was hätte er darauf sagen können? Allenfalls hätte er den König fragen können, was ihn zu dieser seltsamen Bemerkung veranlaßt habe. Die letzten Stunden des Tages verbrachte man mit einem Rundgang durch die Stadt. Am Abend folgte ein langes Fest, an dem die meisten der Gäste Unmengen von Bier und Branntwein tranken. Geraucht wurde nirgends im Saal. Noch immer fürchtete die Vogelscheuche Feuer mehr als alles andere. Hank saß zur Rechten des Herrschers und aß und trank. Die Vogelscheuche saß am Kopf eines Tisches mit fünfzig Gästen, aber sie hatte weder Teller noch Becher. Sie stellte Hank viele Fragen über seine Mutter und über die Erde. Dann sagte sie: »Glinda hat mir Informationen gesandt, die besagen, daß dein Volk versucht, einen Weg zwischen uns und euch zu eröffnen.
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Sie ist darüber sehr besorgt.« »Ich glaube nicht, daß es Grund zur Sorge gibt«, erwiderte Hank unwahrheitsgemäß. »Es sieht so aus, als habe mein Volk die Öffnung nicht in der Gewalt, und ich zweifle sehr daran, daß sich das je ändern wird.« »Nun, vielleicht nicht. In jedem Fall wird Glinda in der Lage sein, damit zurechtzukommen.« Hank wollte fragen, was die Vogelscheuche damit meinte, aber da fuhr sie fort: »Viel mehr Anlaß zu unmittelbarer Besorgnis bietet uns im Augenblick Erakna die Ungenießbare.« Hank hätte gern gefragt, wie die Hexe zu diesem Namen gekommen sei, doch er traute sich nicht. »Sie ist noch schlimmer als die verstorbene Hexe des Westens«, sagte die Vogelscheuche. »Sie ist so grausam und unterdrückerisch, und mit ihren Steuern wird sie den Gillikins noch das letzte Hemd vom Leib nehmen. Sie begründet diese hohen Steuern damit, daß sie eine große Armee unterhalten müsse, um das Land zu verteidigen. Dabei ist sie es, die zu diesen Grenzzwischenfällen anstiftet, und sie bereitet sich darauf vor, in unser Land einzufallen.« Die Vogelscheuche tippte sich an die Stirn. »Das Schlimme an dieser Welt ist, daß allenthalben das Gehirn fehlt. Wenn der Verstand regierte...« »Fast immer haben Emotionen das menschliche Verhalten beherrscht«, meinte Hank. »Das wird sich nicht ändern.« »Ich frage mich, warum das so ist?« Erakna war relativ unbekannt gewesen, bevor die Nordhexe starb. Es war verboten, daß außer dem Herrscher jemand Hexerei ausübte, aber in abgelegenen Landgegenden gab es gleichwohl Leute, die es taten. Wenige Minuten nach dem Tode der alten Frau war Erakna in Helwedos Palast erschienen. Sie hatte die Macht ergriffen, indem sie die Gillikins mit einem Spektakel aus hexerischer Pyrotechnik in Angst und Schrecken versetzt und sie sich damit gewaltsam gefügig gemacht hatte. Daß sie die Machtübernahme seit langem geplant hatte, zeigte sich darin, mit welcher Plötzlichkeit eine Bande ihrer Anhänger die politischen Ämter der Zentralregierung übernommen hatte. Es hatte Aufstände gegeben, die aber blutig niedergeschlagen wurden. Der Hauptkonflikt, die entscheidende Auseinandersetzung, würde wahrscheinlich zwischen den beiden Hexen stattfinden müssen. Wenn es Glinda gelänge, Erakna zu überwinden, würden die Gillikins Ruhe geben. Wenn Erakna hingegen Glinda
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töten könnte, würde sie alle vier Länder übernehmen. Der Widerstand wäre dann zwar noch nicht ausgeschaltet, aber ihre Gegner wären psychologisch stark beeinträchtigt. Als das Festmahl vorüber war, sagte Hank den übrigen Gästen gute Nacht und ging zu Bett. Der Zauberer hatte ein ungeheuer großes Bett für sich selbst bauen lassen, ein geräumiges, mit einem Baldachin versehenes Möbelstück mit Füßen aus massivem Gold und einem Rahmen aus einer Silberlegierung. Es war das einzige Bett, das groß genug für Hank war, und die Vogelscheuche hatte nichts dagegen, daß er darin schlief. Die Vogelscheuche selbst schlief niemals. Sie verbrachte die Nacht damit, zu lesen oder Papiere zu studieren und zu unterzeichnen, und manchmal durchstreifte sie einfach nur den Palast. »Ein Herrscher hat viele Entscheidungen zu treffen, viele Informationen über seine Untertanen zu erwägen. Ich habe Glück insofern, als ich, anders als Monarchen aus Fleisch und Blut, nicht jede Nacht acht Stunden vergeuden muß. Mein Volk, so könnte man sagen, hat zwei Regenten zum Preis von einem.« Hank lachte. »Wer, Euer Weisheit, wird an Eurer Stelle regieren, wenn Ihr bei Glinda seid?« Das Gesicht der Vogelscheuche konnte seinen Ausdruck nicht verändern. Dennoch kam es Hank so vor, als ziehe sie die Brauen hoch. »Mein Premierminister, Azer der Eifrige. Ein sehr weiser junger Mann — auch wenn er zuviel raucht.« »Habt Ihr ihn überprüfen lassen?« erkundigte sich Hank. »Ich meine, kennt Ihr seinen Hintergrund genau?« »Was?« Hank machte eine Gebärde der Ungeduld. »Ich meine, er könnte nicht etwa ein Spion sein? Eraknas Agent?« »Wie u m alles in der Welt kommst du auf diesen Gedanken?« »Nach allem, was ich gehört habe, ist Erakna sehr verschlagen. Eine wahre Schlange. Aber gut — vielleicht bin ich voreilig und allzu mißtrauisch. Aber...« Die Vogelscheuche drehte sich so, daß Hank nur noch das größere Auge sehen konnte. »Hat Glinda vorgeschlagen, du sollest mit mir über Azer reden?« Hank nickte. »Sie sagte, sie habe keinen Grund, ihm zu mißtrauen. Ich hoffe, Euer Einzigartigkeit werden mir vergeben, wenn ich es sage, aber sie war nicht zufrieden mit seiner Geschichte. Ich meine, er behauptet, aus einem kleinen Dorf an der Grenze
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nach Winkieland zu stammen. Aber das habt Ihr niemals verifiziert.« »Nun, ich muß schon sagen!« rief die Vogelscheuche, und dann folgten ein paar Worte, die Hank nicht verstand. Wahrscheinlich war sie in ihren Munchkin-Dialekt verfallen. »Morgen früh werde ich abreisen «, sagte sie. »Wie kann ich das tun, wenn ich nicht weiß, ob Azer vertrauenswürdig ist oder nicht? Wenn er Eraknas Agent ist, dann —« »Es gibt keinen Grund zur Aufregung«, unterbrach Hank. »Glinda hat bereits einen Falken in Azers Dorf gesandt. Er hat Erkundigungen eingezogen und ihr berichtet, daß Azer anscheinend der ist, für den er sich ausgibt.« Die Vogelscheuche wedelte mit einer weißen Stoffhand. »Was soll dann... ? Ah, ich verstehe! Glinda will mir eine Lektion erteilen. Sie hält mich für naiv — sie hat recht, wie ich zugeben muß —, und sie zeigt mir, was ich hätte tun müssen, und was ich in Zukunft immer tun muß. Diese Glinda! Sie ist die Weise, nicht ich. Ich würde sagen, mein Gehirn sei vermodert, wenn ich mir nicht erst gestern ein neues hätte einsetzen lassen.« Es ist kaum zu glauben, dachte Hank, aber es stimmt. Dieses Ding wechselte den Stoff, aus dem sein Körper bestand, es wechselte Hose, Hemd, Jacke und Handschuhe, es wechselte den Sack, auf dem sein Gesicht gemalt war, das Stroh, mit dem Körper undHände ausgestopft waren, und auch die Stiefel, den schwersten Teil seines Körpers. Es hatte sich auch den Kopf mit einer frischen Mischung aus Kleie und Nadeln füllen lassen, die es sein »Gehirn« nannte. Jene Mischung, von der der gerissene Scharlatan, der Zauberer Oz, behauptet hatte, er werde der Vogelscheuche einen nadelspitzen Verstand verleihen. Ein nadelneues Gehirn, sozusagen. Aber das war es, was die Vogelscheuche gewollt hatte, denn sie hatte sich für hirnlos und unverständig gehalten. Dabei hatte sie von Anfang an große Weisheit besessen, obgleich sie ebenso ungebildet wie naiv gewesen war. Hank schüttelte den Kopf. Wie konnte es sein, daß dieses Ding lebte? Abgesehen von dem alten, verschlissenen Schlapphut, der nicht ein Teil seines Körpers war, hatte man es rundum erneuert. Es war nicht mehr das Ding von gestern. Es war in seiner Substanz gänzlich ausgewechselt, aber nicht in seiner Essenz. Was war es also, was die Vogelscheuche zu einem
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lebendigen Kontinuum machte? Er glaubte, es müsse etwas geben, woraus die Vogelscheuche an sich bestand und was Kleider, Stiefel und Kopfsack bewohnte. War es eine Art von Energiekonfiguration ? Ein straff organisierter, unsichtbarer Komplex von Elektromagnetismus ? Oder eine andere Art von Energie? Eine Kombination aus elektromagnetischer und einer anderen, unbekannten Energie? Schließlich wagte er es, der Vogelscheuche seine Fragen offen zu stellen. Die runden blauen Augen blickten ihn überrascht an, aber das taten sie schließlich immer. »Du bist ein tiefschürfender junger Mann«, sagte sie. »In deiner philosophischen Begabung nicht minder eindrucksvoll als in deiner Körpergröße. Auch ich habe schon über diese Rätsel nachgedacht, immer und immer wieder, aber ich weiß es nicht. Ich bin weise, aber Weisheit ohne Wissen kann keine großen Sprünge machen. Und das Wissen, das ich brauche, besitze ich nicht. Vielleicht könnte Glinda es dir erklären. Uns, besser gesagt.« »Sie beantwortet solche Fragen zumeist recht ausweichend.« »Wenn sie es tut, muß sie gute Gründe dafür haben.« Am nächsten Morgen, wenige Minuten nach Sonnenaufgang, startete die Jenny. Drei Meilen westlich der Hauptstadt lag ein dichtes Waldgebiet, geformt wie ein unregelmäßiger Kreis mit einem Durchmesser von etwa zwei Meilen. Dies, sagte Ot, war eine der Domänen der wilden Tiere. Menschen wagten sich nie dorthin, allenfalls solche, die auf der Flucht vor dem Gesetz waren. »Nimm diese Richtung«, sagte sie dann und deutete mit einem Fuß nach Südwesten. »Warum?« fragte Hank. »Es ist nur ein kleiner Umweg. Du wirst etwas sehr Interessantes sehen.« Achselzuckend drehte er die Nase der Jenny in die bezeichnete Richtung. Nach kurzer Zeit entdeckte er eine Lichtung inmitten der grünen Fläche. An ihrem Rande am Boden lag etwas, das aussah wie ein umgestürzter Ballonkorb oder eine Gondel. »Die Überreste vom Ballon des Zauberers Oz«, erklärte Ot. »Hier landete er, nachdem er die Smaragdstadt verlassen hatte, weil er als falscher Zauberer entlarvt worden war. Weit ist er nicht gekommen, wie?« Hank hatte nicht vermutet, daß der Zauberer lange in der
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Luft geblieben war. Als er in der Stadt aufgestiegen war, hatte er sich in einem Ballon befunden, dessen Hülle mit Heißluft von einem Holzfeuer am Boden gefüllt war. Die heiße Luft mußte sich bald nach dem Aufstieg abgekühlt haben. Der Zauberer hatte von Glück sagen können, daß er überhaupt so weit gekommen war. »Was wurde aus Oz, nachdem der Ballon gelandet war?« rief Hank. »Er ging nach Nordwesten«, erwiderte der Falke. »Nur wenige Menschen haben ihn gesehen, aber Berichte von Vögeln und anderen Tieren deuten darauf hin, daß er diesen Weg ins wilde Land eingeschlagen hat.« Hank fragte sich, ob der Zauberer noch leben konnte. Er war ein alter Mann gewesen, als Dorothy ihm begegnet war, und seither waren rund dreiunddreißig Jahre vergangen. Gewiß würde Glinda, deren Spione im ganzen Land verteilt waren, wissen, was aus dem Alten geworden war. Er würde sie danach fragen, wenn er nach Suthwarzha zurückkäme. Zwanzig Minuten später hatte er die Grenze von Oz überflogen. Das Flugzeug befand sich jetzt über dicht bewaldetem Hügelland, das nach weiteren zehn Minuten gebirgig wurde. Es war das schwierige Gelände, welches seine Mutter mit ihren drei Gefährten, zwei belebten Objekten und einem Löwen mit Selbstzweifeln, durchquert hatte. Nachdem er sechzig Meilen weit durch immer rauher werdende Luft geflogen war, landete Hank bei einem Depot. Es befand sich auf einer Bergwiese, an deren Rand drei große Zelte und eine Gruppe von Leuten standen. Hank stellte die Zündung ab und fragte: »Wie gefällt Euch das Fliegen, Väterchen?« »Ich bin nicht dazu geschaffen, ein Vogel zu sein. Ich fühlte mich... nun, ein wenig unsicher.« Anscheinend ohne Schwierigkeiten löste die Vogelscheuche die Schnalle ihres Gurtes. Hank war nicht sicher gewesen, ob sie dazu kräftig genug sein würde. Sie stieg aus dem Cockpit und kletterte nach unten. Als sie von der Tragfläche heruntersprang, fiel sie flach auf den Bauch. Hank stieg aus der Maschine. Die Vogelscheuche rappelte sich auf und meinte: »Ich glaube, in zwei Welten gibt es keinen würdeloseren Monarchen als mich.« »Mag sein«, entgegnete Hank. »Aber nüchterner ist auch keiner.«
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Sie sah Hank an und lachte dann phonographisch. »Ah, du meinst, daß ich nicht trinke, weil ich es nicht kann. Sehr gut. Aber so, wie ich taumele, stolpere und falle, müssen Leute, die mich nicht kennen, glauben, daß ich ein Trunkenbold bin.« Unterdessen hatten die Winkies sich dem Flugzeug genähert. Auf einem zweirädrigen Karren hatten sie ein Faß mit Äthylalkohol, einem Trichter und einer Kanne mitgebracht. Es waren sechs, Männer in verschiedenfarbigen Gewändern, aber alle mit gelben, spitz zulaufenden Hüten. Hank beaufsichtigte den Tankvorgang, erledigte die notwendigen Startvorbereitungen und setzte die Reise fort. Nach einem Flug ohne Zwischenfälle landete er neben dem mächtigen grauen Schloß, das ehedem von der Hexe des Westens bewohnt worden war. Der Blech-Holzfäller, den ein Falke von der Ankunft der Jenny in Kenntnis gesetzt hatte, wartete mit seinem Gefolge am Rande einer Wiese. Eilends überquerte er sie nun und erreichte das Flugzeug, als der Propeller zum Stillstand kam. Hank und der Monarch von Oz kletterten aus der Maschine. Der Holzfäller jedoch überging die traditionellen Begrüßungen und Umarmungen und sprudelte eine Botschaft hervor. »Ein Bote von Glinda teilt uns mit, wir sollten so schnell wie möglich kommen. Die Invasion könne früher als erwartet stattfinden. Wir sollen uns deshalb unverzüglich auf den Weg machen.« Niklaz Sa Kapy ar (Nikolaus der Holzhacker — »Kapper«) hatte nicht viel Ähnlichkeit mit den Illustrationen, die Denslow und Neill von ihm angefertigt hatten. Der Trichterhut fehlte, und seine Schädeldecke war aus Wellblech, eine Nachahmung des lockigen Haars, das er einst besessen hatte. Seine Nase war nicht der komische, lange, dünne Zylinder, und der Unterkiefer war kein separates, mit Scharnieren befestigtes Teil. Das Gesicht war eine lebendige Maske aus Blech mit den Zügen eines jungen Mannes mit großen abstehenden Ohren, breit und eckig, mit buschigen Brauen, tiefliegenden Augen, einer Stupsnase, einem breiten Mund (den der Handwerker, der das Ganze angefertigt hatte, zu einem Grinsen verzogen hatte), und einem ausgeprägten, tief eingekerbten Kinn. Die Augen waren früher einmal aufgemalt gewesen, aber inzwischen hatte man sie durch blaues Glas ersetzt. Der Kopf saß auf einer horizontalen Scheibe über dem
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dicken kurzen Hals, so daß Niklaz ihn um dreihundertsechzig Grad drehen konnte, wenn er wollte. Auf seiner breiten Brust waren blecherne Brustwarzen und Haar aus Stahlwolle festgeschweißt. Auch ein Nabel war angedeutet. Auf den Bildern in Baums Büchern waren Arme und Beine mit dicken Eisenstiften am Rumpf befestigt, und die Gelenke waren auf ähnliche Weise konstruiert. Der echte Blechmann hingegen hatte Gelenke, die denen einer Ritterrüstung glichen, und Arme und Beine waren nicht flach, sondern rund wie bei einem Menschen. Er bewegte sich zwar weniger unbeholfen, als es Baums Blechmann zwangsläufig hatte tun müssen, aber anmutig oder behende war er dennoch nicht. Wie Denslows und Neills Blechmann trug er keine Kleider. Aber sein Erschaffer hatte die Geschlechtsorgane weggelassen. Eine Krone trug er nicht, aber das war auch nicht notwendig. Es gab nur einen wie ihn im ganzen Land, und jeder wußte, daß er der König des Westlandes war. Allerdings trug ein Diener das Sy mbol für Amt und Gestalt: Die Blechaxt. Jetzt, da der König seine Botschaft verkündet hatte, umarmte er die Vogelscheuche. Sie versicherten einander, wie erfreut sie über das Wiedersehen seien. Jeder erkundigte sich nach der Gesundheit des anderen (was Hank komisch fand, da die beiden ja doch nie krank wurden), und dann wurde Hank von der Vogelscheuche vorgestellt, was ebenfalls unnötig war, da seine Identität offenkundig war. Der blecherne Holzfäller sprach mit einer ebensolchen Phonographenstimme wie sein ausgestopfter Freund. Er erklärte, er sei erfreut, ihn kennenzulernen, und dann wiederholte er Glindas Botschaft. »Ich hatte gehofft, ihr könntet eine kleine Weile in meinem Palast verbringen«, sagte er. Sein rechter Arm drehte sich ein wenig, um auf die düsteren Steinmassen auf dem Gipfel eines Hügels zu deuten. »Aber nun müssen wir uns sofort aufmachen.« Hank antwortete, daß sie starten könnten, sobald er aufgetankt, den Ölstand überprüft und das Flugzeug auf lose Drähte und Lecks untersucht hätte. Eine halbe Stunde später saßen die beiden Könige im vorderen Cockpit. Hank und Ot stiegen hinten ein, der Vergaser wurde mit Äther gefüllt und der Propeller angeworfen. Der Motor hustete, sprang an und röhrte auf. Sie rollten zum hinteren Ende der Wiese, und dann erhob
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sich die Jenny in südöstlicher Richtung. Das unebene Gelände wurde immer hügeliger und wurde schließlich zu einem Gebirge. Hank flog zwischen den Bergen hindurch; viele von ihnen waren über viertausend Meter hoch. Die Sonne war hinter Wolken verschwunden. Zumeist folgte Hank einem breiten, gewundenen Flußlauf am Grunde eines Canyons, aber manchmal dirigierte Ot ihn durch Pässe, um die Strecke abzukürzen. Sie waren seit anderthalb Stunden in der Luft, als Ot sagte: »Jetzt nach rechts, in diesen Paß. Das erste Tankdepot liegt zwei Meilen weit abseits des Flusses.« »Gut«, meinte Hank. »Ich möchte nicht in einen Sturm geraten.« Er zog die Jenny nach oben und aus dem Canyon hinaus. Er überflog den Rand und dann ging es in leichtem Sinkflug über abfallendes Gelände. Sie befanden sich zirka tausend Fuß hoch über dem Boden, als Ot plötzlich zu schreien begann. »Großer Gott!« »Was ist los?« fragte Hank. Er sah keinen Grund zur Aufregung. »Falken!« schrie Ot. »Ungefähr fünfzig! Direkt vor uns!« Hank konnte immer noch nichts entdecken. »Was ist mit ihnen?« »Sie kommen geradewegs auf uns zu. Sie können nichts Gutes im Sinn haben. Es muß ein Überfall sein. Sie gehören zu Erakna, darauf möchte ich wetten. Sie hat sie hergeschickt, damit sie uns angreifen. Damit kann sie uns vernichten, sie kann zwei ihrer ärgsten Feinde töten, kann dich töten und das Flugzeug zerschellen lassen. O mein Gott!« Jetzt sah auch Hank den Schwärm von Punkten vor sich. Er schaute nach hinten und fluchte. »Sieht aus, als waren noch einmal so viele hinter uns.« »Siehst du! Ich hab's dir gesagt. Es ist ein Hinterhalt. Was tun wir jetzt?« Der Plan der Falken war gut. Die Jenny flog zwischen zwei steilen Bergflanken, die über dreitausend Meter hoch aufragten. Zu beiden Seiten waren etwa vier Meilen zum Manövrieren, aber sie konnten nicht umkehren und den Falkenschwarm, der von hinten nahte, durchbrechen. Vielleicht könnten sie ihnen entkommen, aber der Treibstoff würde ausgehen, ehe sie die nächste Tankstation erreicht hätten. Hank mußte nach Westen fliegen. Er begann mit dem Steigflug. Er konnte nicht schneller als die Falken an Höhe gewinnen und dann über sie
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hinwegfliegen. Aber er würde Platz zum Manövrieren brauchen. Er hatte keine Lust, in eine Bergflanke zu rasen, während er versuchte, seinen Angreifern auszuweichen. Er hob den Kopf und erschrak. Es schienen mehrere hundert Punkte zu sein, die da mit schrecklicher Geschwindigkeit auf sie herabstießen. Bald waren sie als Falken zu erkennen, die mit zweihundert Meilen pro Stunde erdwärts rasten. »O Gott, wir sind erledigt«, stöhnte Ot. »Heilige Marzha, Mutter der Gnade, rette mich! Heilige Nantho, Mutter der Falken, beschütze mich!« »Und was ist mit uns ?« schrie Hank. »Kannst du nicht auch für uns ein Gebet sprechen?« Und dann — »Was zum Teufel... ?« Die Falken über ihnen hatten ihren Sturzflug leicht abgebremst und teilten sich jetzt auf! Eine Gruppe flog den von vorn herannahenden Falken entgegen, die andere nahm Kurs auf den Schwärm hinter dem Flugzeug. Ot kreischte vor Entzücken. »Sie müssen Glinda gehören! Sie hat von Eraknas Hinterhalt erfahren und auch einen Hinterhalt vorbereitet.« Hank hoffte, daß es so war. Er wünschte sich auch, Glinda hätte ihn vorgewarnt, so daß er eine andere Route hätte einschlagen können. Aber vielleicht hatte sie nicht genug Zeit gehabt. Hank beendete den Steigflug und drückte die Nase der Jenny ein wenig herunter, bevor er wieder geradeaus flog. Er öffnete die Drosselklappe ganz. Er würde so schnell fliegen müssen, wie er konnte, wenn er den Pulk des herannahenden Feindes durchbrechen wollte. Der Höhenmesser zeigte, daß er sich fast tausend Fuß hoch über dem Erdboden befand, das hieß, fünftausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel, und dies wiederum bedeutete, daß die Maschine nicht ihre volle Leistung entfalten konnte. Sie brauchte mehr Sauerstoff. Seine Bodengeschwindigkeit betrug nur noch sechzig Meilen pro Stunde. Und dann war die Jenny inmitten einer Wolke von Falken. Zehn Sekunden zuvor waren Glindas Vögel wie gefiederte Blitze auf den Feind herabgestoßen. Etwa fünfzig waren zu ihm unterwegs gewesen, und jetzt war es nur mehr ein Dutzend. Diese aber trachteten ihm nach dem Leben, und sie verringerten ihr Tempo, um sich dem seinen anzupassen. Sie wollten offenbar versuchen, die Jenny zu entern, als seien sie Piraten. Die Vogelscheuche und der Holzfäller hatten ihren Sicher-
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heitsgurt abgelegt und waren aufgestanden. Der Winkie-König hielt seine Axt in die Höhe, bereit, auf die Angreifer einzuschlagen. Der Ozianer wedelte mit den Armen, als könne er die Vögel damit vertreiben, aber vielleicht gab er auch nur seiner Angst Ausdruck. Hank fluchte; er brüllte sie an, sich hinzusetzen und wieder anzuschnallen, denn er konnte keine plötzlichen Manöver machen, ohne daß die beiden aus dem Flugzeug gefallen wären. Aber dann fiel ihm ein, daß er es wohl doch tun könne. Die Vogelscheuche würde fast ebenso sicher landen, wie wenn sie einen Fallschirm trüge. Der Blechmann würde zerbeult und verbogen sein, und vielleicht würden Gliedmaßen und Kopf abbrechen, aber das würde sich reparieren lassen. Aber er hatte weder Zeit noch Platz für Sturzflüge, Loopings, Rollen, Immelman ns und was es sonst noch so gab. Und selbst wenn er welche gehabt hätte, wäre er die Falken damit nicht losgeworden. Ein Falke landete auf der oberen rechten Tragfläche und schlug seine Klauen in die Textilbespannung. Sie zerriß, der Vogel verlor den Halt und schoß, kreischend vor Wut und Frustration, an Hank vorbei. Einem anderen Falken gelang es, die Windschutzscheibenkante des vorderen Cockpits zu umklammern. Niklaz' Axt blitzte auf, und der Falke war in zwei Teile gespalten. Blut sprühte über Windschutzscheibe und Cockpit und besudelte auch die Windschutzscheibe des hinteren Cockpits. Plötzlich war Hank die Sicht nach vorn genommen. Aber das war im Augenblick nicht weiter schlimm. Es gab einen Stoß, ein Ruck durchfuhr das Flugzeug, und es wurde merklich langsamer. Federn wirbelten vorüber, Fleischstücke und ein abgetrennter Kopf mit funkelnden Augen. Das Flugzeug begann zu schütteln und zu beben. Das Dröhnen des Motors klang plötzlich eigenartig. Mindestens einer der Falken war in den wirbelnden Propeller geraten. Die Vibrationen wurden stärker, und das Flugzeug begann zu bocken. Hank fluchte wieder und stellte die Zündung ab. Sofort stand der Propeller still, und man sah, daß der äußere Teil eines Blattes abgebrochen war. »Was ist? Was ist passiert?« kreischte Ot. »Wir müssen im Gleitflug landen«, antwortete Hank. Er brauchte jetzt nicht mehr zu schreien, denn das
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einzige Geräusch, das man noch hören konnte, war das Singen des Windes in den Drähten, die die Tragflächen mit dem Rumpf verbanden, und das ferne Geschrei der kämpfenden Falken. Er schaute nach hinten. Glindas Sturzbomber hatten zwei Drittel der feindlichen Schwärme zur Strecke gebracht, aber die Überlebenden setzten sich verbissen zur Wehr. Er blickte rechts und links zur Erde hinunter. Zwei Meilen weit voraus lag die geräumige, leicht geneigte Wiese, die sein erster Landeplatz auf dem Heimflug hatte sein sollen. Sie war es immer noch. Zum Glück war der Wind nicht stärker geworden, und Böen gab es kaum. Die beiden im vorderen Cockpit schrien jetzt aufgeregt durcheinander. Sie wollten wissen, was nun geschehen würde. Hank rief ihnen eine Antwort zu, aber der Wind trug seine Worte davon, und so schickte er Ot mit einer Erklärung nach vorn. »Und dann bleib bei ihnen oder steig aus«, sagte er. »Mir ist gleich, was du tust. Verschwinde nur aus meinem Cockpit. Ich brauche so viel Platz, wie ich bekommen kann.« Ot begab sich nach vorn, um sich ihres Auftrags zu entledigen. Die beiden setzten sich wieder, und die Falkin tat, was in diesem Augenblick das Vernünftigste war! Sie flog davon. Der Wind kam heute aus Westen. Hank glitt so steil hinein, daß die Jenny nicht absacken konnte, aber wiederum nicht so schnell — hoffte er —, daß der Landeplatz nicht lang genug wäre. Er überflog die Wiese, legte sich auf die Seite, überflog sie nochmals und kam zurück. Die Räder rissen Blätter von den obersten Zweigen eines Baumes. Als er das Gehölz hinter sich gelassen hatte, ließ er die Jenny seitlich absacken, damit sie rascher an Höhe verlöre. Er hatte gerade noch Zeit genug, sie wieder geradezurichten, bevor die Räder den Boden berührten. Das Flugzeug prallte ab, hüpfte, landete auf Rädern und Schwanzkufe, sprang wieder hoch, landete hart, holperte ein wenig — und dann huschten Gras und Blumen der Wiese unter ihnen dahin, und die Bäume vor ihnen nahten mit rasender Geschwindigkeit. Bremsen hatte er nicht; er konnte nur hoffen, daß die Jenny rechtzeitig zum Stehen ko mmen würde. Und das tat sie, unter den Ästen eines Baumes, die Propellernase nur wenige Zoll von einem dicken, grauschwarzen Baumstamm entfernt. Eine Weile saß Hank einfach da und sagte nichts. Allmählich normalisierten sich Atmung und Herzschlag
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wieder. Auch die beiden im vorderen Cockpit schwiegen. In der Ferne rollte der Donner, und man hörte die Rufe der Männer, die vom Lager herbeigeeilt kamen. Ot landete auf dem Cockpit, und er erschrak. »Eine schlechte Landung für einen Falken!« schrie sie. »Aber für einen Menschen wohl nicht so übel, wie?« »Nein, wenn man die Umstände bedenkt, war sie recht ordentlich«, meinte Hank. Die Vogelscheuche stand auf und drehte sich um. Sie hatte Blutspritzer im Gesicht, und die Spitze einer Feder klebte an ihrem gemalten Mundwinkel. Das Gesicht grinste immer noch, aber die Stimme zitterte. »Kommt so etwas oft vor?« »Exakt so etwas ist noch nie passiert«, sagte Hank. »Aber ich war schon in schlimmeren Situationen. Und auf der Erde haben wir Piloten ein Sprichwort: Solange du noch weggehen kannst, war es eine gute Landung. So gesehen war diese hier ausgezeichnet.« Regentropfen fielen herab, sanft und vereinzelt zunächst, aber bald goß es in Strömen. Die Vogelscheuche suchte Schutz unter einer Tragfläche. Wenn sie sich mit Wasser vollsog, wurde sie schwer und langsam. Den Blech-Holzfäller störte der Regen nicht. Im Gegensatz zu dem, was Baum erzählt hatte, rostete er nicht. Es war nichts als eine hübsche Idee, die Baum sich ausgedacht hatte, wie auch seine Erzählung davon, wie der Holzfäller weinte und wie seine Gelenke von den Tränen einrosteten. Niklaz hatte keine Körperflüssigkeiten und auch keine Tränendrüsen. »Glinda muß benachrichtigt werden«, sagte Ot. »Ich werde einen Boten besorgen, wenn es hier einen gibt. Gibt es etwas Besonderes, was du ihr mitteilen willst?« »Ja. Wir werden uns vielleicht um drei Tage verspäten. Womö glich dauert es auch noch länger. Ich brauche einen neuen Propeller. Außerdem muß ich die Propellerwelle ausbauen und nachsehen, ob sie verbogen ist. Wenn ja, dann muß sie gerichtet werden. Und wenn es so weiterregnet, können wir sowieso nicht fliegen. Wir können erst wieder starten, wenn die Reparaturen durchgeführt sind und sich das Wetter gebessert hat.« »Ich werde dafür sorgen, daß sie diese Nachricht erhält«, sagte Ot und flatterte davon. Inzwischen waren die Männer angekommen. Es waren wilde Erscheinungen. Ihr Haar reichte ihnen bis zur Hüfte, und ihre Barte sprossen wie Waldpilze. Ihre Kleider waren
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verschlissen, zerrissen und schmutzig, und sie starrten von Dolchen, Schwertern, Speeren und Äxten. Nach dem, was Niklaz vor dem Start erzählt hatte, waren diese Männer Gesetzlose. Glinda hatte mit Hilfe von Falken Kontakt zu mehreren Gruppen dieser »wilden Männer«, wie man sie n annte, aufgenommen. Sie hatte ihnen Straffreiheit versprochen, wenn sie sich bereitfänden, als Guerillas für sie zu kämpfen. Sie hatten die Tankstation in den Bergen eingerichtet. Nach dem Abflug würden sie nordwärts wandern, heimlich die Gillikingrenze überschreiten und die Bürger dort terrorisieren, oder sie würden, falls die Gillikins bereits eingefallen wären, ihre Truppen mit Überfällen verunsichern. Ot machte Hank mit den Anführern der Bande bekannt, die genau vierzig Mann zählte. Kannst mich Ali Baba nennen, dachte Hank. Vierzig Räuber, so ist es richtig. Die Leute sahen aus, als seien sie geradewegs aus Tausendundeiner Nacht gekommen — oder als hätte man sie dort hinausgeworfen, weil sie zu schmutzig waren. Noch nie, fand Hank, hatte er eine Bande von solchen Strauchdieben gesehen. Nicht einmal auf der Wall Street. Die beiden, die seine besondere Aufmerksamk eit erregten, hießen Sharts der Hemdlose und Blogo die Seltene Bestie. Sharts war ein Riese unter seinesgleichen, so groß wie Hank mit seinen hundertfünfundachtzig Zentimetern und dabei breiter und muskulöser — ein »Würger« Lewis, ein gutaussehender allerdings, der einzige in der ganzen Meute, der glattrasiert war. Er hätte für eine Reklameanzeige posieren können. Sein dichtes, welliges Haar war rot wie die untergehende Sonne. Seine Augen blickten sonderbar und beunruhigend, sie waren purpurfarben und mit Aquamarin gesprenkelt, und ein Hauch von Wahnsinn glitzerte in ihnen. Er hatte die Angewohnheit, tonlos vor sich hinzupfeifen, wenn er allein war oder wenn jemand mit ihm sprach. Dies sollte Hank noch beträchtlich irritieren, aber im Augenblick hielt er es nur für eine exzentrische Marotte. Hank wußte nicht, wie Sharts zu seinem Beinamen gekommen war. Er trug ein bronzefarbenes Samthemd, das ihn — oder den Mann, dem er es geraubt hatte — eine Stange Geld gekostet haben mußte. So unheimlich dieser Riese auch aussehen mochte, verglichen mit Blogo war er eine Kerze neben einem Scheinwerfer. Hank wußte nach dem ersten Blick, daß die
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Vorfahren dieser Kreatur nicht von der Erde stammten. Blogos Kopf war affenähnlich, jedoch von einem dicken, fleischig-roten Hahnenkamm gekrönt. Seine Nase war lang und zy linderförmig und endete in einer dicken Knolle. Sein langes, rostbraunes Haar bildete am Hinterkopf einen Wirbel, der das dort befindliche dritte Auge umgab. Die vorderen Augen waren klein und hellblau und blickten arglos drein. Seine Arme wirkten zwar humanoid, aber sie waren mit dichtem, rostbraunem Fell bedeckt und reichten bis zu seinen Knien. Auch der Rumpf war humanoid, aber gleichfalls dicht behaart, und nur wenige Menschen waren so breit und besaßen so kräftige Knochen. Die Beine sahen aus wie die eines Straußenvogels, dünn, haarlos und bleich wie ein Fischbauch. Die Füße waren die eines Vogels mit fünf Zehen. Blogos Brustkasten war gewaltig, aber seine Stimme war schrill und quiekend. Sie mußte geschmiert werden, und anscheinend geschah dies nicht selten, denn an einem Schulterriemen trug er eine große Steinflasche mit einem Gemisch aus Wasser und Kornalkohol, wobei der Wasseranteil nicht der Rede wert war. Die Stimme Sharts des Hemdlosen klang wie die Baßpfeife einer Orgel! Sie war tief, troff von Honig und funkelte gleichsam von Charisma. Ohne jeden Grund empfand Hank plötzlich Eifersucht. Wie würde Glinda reagieren, wenn sie diesen Burschen je zu Gesicht bekäme? Und er war froh, daß hier salutiert wurde und man einander nicht die Hände zu schütteln brauchte. Dieser Mann hätte ihm wahrscheinlich die Hand zu Brei zerquetscht und noch seinen Spaß daran gehabt. »Sogar wir in unserer Bergfestung haben von dir gehört«, sagte Sharts. »Der legendäre Erdenmann. So groß, wie unsere Vorfahren waren. Keiner von uns jedoch ist dem Himmel so nahe wie Thago der Ungnädige, Eraknas Leibwächter und Liebhaber. Er prahlt damit, der Größte und Stärkste weit und breit zu sein. Ich hoffe nur, ich werde ihm eines Tages nahe genug kommen, um ihn auf die Probe zu stellen.« »Diesen Kampf würde ich gern sehen«, engegnete Hank. »Ich würde mich nicht mit dir messen wollen.« Sharts wirkte erfreut, aber er lächelte nicht. Er lächelte nie. »Dies« — er deutete auf Blogo — »ist mein Unterbefehlshaber und mein Busenfreund.« »Stets zu Diensten, du Freund von Glinda der Guten«, sagte Blogo. »Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, daß ich, einmal abgesehen von Sharts und vielleicht von Thago, der Zweit-
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stärkste im ganzen Lande bin. Und der Mutigste bin ich außerdem. « »Ja, er fürchtet sich vor nichts und niemandem«, bestätigte Sharts. »Ist es nicht so, Blogo?« Blogo blähte seinen Brustkorb auf, und sein Hahnenkamm schwoll an und wurde noch röter. »Ja, so ist es.« »Er fürchtet sich vor nichts und niemandem«, wiederholte Sharts. Er hielt inne und fuhr dann fort: »Nur vielleicht vor der Sehr Seltenen Bestie. Ist es nicht so, Blogo?« Hank glaubte, die Luft zu sehen, die aus Blogo entwich. Der Kamm schrumpfte, und vielleicht war es Einbildung, aber Hank kam es so vor, als erschlaffe auch die knollige Nase ein wenig. »Nun... ja.« »Wer ist denn die Sehr Seltene Bestie?« wollte Hank wissen. »Darüber möchte ich überhaupt nicht reden«, antwortete Blogo und stolzierte auf seinen Vogelbeinen davon. Hank sah ihm nach. »Gibt es hier noch mehr von seiner Sorte?« »Sprichst du von seinem Geist oder von seiner Gestalt?« fragte Sharts. »Ich rede von seiner... Art.« »Ein paar«, antwortete Sharts betrübt. »Ungefähr zwanzig sind noch am Leben. Die Spezies stirbt aus.« »Er sieht unnatürlich aus«, meinte Hank. »Das heißt, er sieht nicht aus wie ein Produkt der Natur oder wie ein Geschöpf Gottes.« »Er ist es auch nicht. Seine Vorfahren wurden — so glaube ich, und ich habe seine Herkunft gründlich studiert — von den Längst Versunkenen erschaffen.« Hank erklärte ihm nun, was zu geschehen hatte. Sharts versprach, er werde dafür sorgen, daß alles rasch und sorgfältig ausgeführt werde. »Wenn ich sage! >Los!verbündet< nicht der richtige Ausdruck. Mombi ist eine Untergebene. Sie steht nicht auf einer Stufe mit Erakna.« »Okay , verstehe. Dann, sagte meine Mutter, habt Ihr ihr erklärt, wie der Zauber funktionierte: Zuerst glitt Eure Axt beim Holzhacken ab und trennte Euch den rechten Fuß ab.« »So habe ich es deiner Mutter erzählt.« »Aber Ihr ließet Euch einen künstlichen Fuß anfertigen und arbeitetet weiter als Holzfäller. Und die Tochter bestand immer noch darauf, Euch zu heiraten.« »Dies waren meine Worte.« »Die, Axt glitt ein zweites Mal ab und hackte Euch das rechte Bein ab.« »Auf halber Höhe des Schenkels. Da wußte ich, daß diese >Unfälle< keine Unfälle gewesen waren. Wie konnte eine Axt so etwas fertigbringen? Jemand mußte sie geführt haben, eine Hexe oder ein Zauberer. Ich wußte, daß mir jemand Böses wünschte, und es dauerte nicht lange, bis ich wußte, wer es war. Ich beschuldigte die Mutter, aber sie stritt alles ab. Da ging ich zur alten Mombi und bezichtigte sie, aber auch sie leugnete. Ich wäre ja zur Polizei gegangen, aber da die Mutter die Anstifterin gewesen war, hätte man sie zusammen mit der alten Mombi gehängt, und das hätte meine Geliebte nicht ertragen. Sie bat mich, nicht zur Polizei zu gehen, und versprach mir, sie werde ihre Mutter überreden, Mombi Einhalt zu gebieten. Außerdem wollte sie mich unverzüglich heiraten, und dann bestehe ohnehin kein Grund, den Zauber weiterhin aufrechtzuerhalten. Ich erklärte mich einverstanden, kein weiteres Aufheben von der Sache zu machen.« »Warum wäre Mombi denn hingerichtet worden?« wollte Hank wissen. »Die Munchkins wurden damals von der Osthexe regiert. Ihr konnte es doch gleichgültig sein, ob es andere rote Hexen gab oder nicht.« »Falsch. Sie wollte keine Konkurrenz, weder rote noch weiße.« »Baum schrieb, die Mutter der Frau sei zur Osthexe gegangen und habe ihr zwei Schafe und eine Kuh versprochen, wenn sie verhinderte, daß Ihr ihre Tochter heiratetet. Das ist nicht das, was Dorothy ihm erzählt hatte, aber entweder hatte er die Einzelheiten des Falles vergessen oder er hatte es für richtig gehalten, die Geschichte zu verändern und zu vereinfachen. Ohnehin hätte die Osthexe sich nicht mit zwei Schafen und einer Kuh bestechen lassen; das wäre ein allzu dürftiger Preis gewesen. Außerdem kann man Tiere nicht
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einfach fortgeben, wie wir es auf der Erde tun. Sie haben Rechte. Das hatte Baum übersehen. Und wenn die Osthexe Euch hätte loswerden wollen, hätte sie Euch getötet und sich nicht auf diesen Quatsch mit der schrittweisen Amputation eingelassen.« »Es war Mombi, nicht die Osthexe, die mich mit dem Zauber belegte«, sagte der Holzfäller. »Aber der Osthexe hätte dieser — wie du es nennst — >Quatsch mit der schrittweisen Amputation< viel Spaß gemacht.« »Bei Baum heißt es, daß die Axt beim ersten Mal, als der Zauber wirkte, abglitt und Euch das Bein abtrennte. Daraufhin, geht es weiter, habt Ihr Euch zu einem Blechschmied begeben und Euch ein neues Bein aus Blech anfertigen lassen. Aber wie hätte der Blechschmied das Bein an Eurem Körper befestigen können? Mit einem Nagel durch den Hüftknochen? Selbst wenn das möglich wäre, könntet Ihr das Bein nur mit einer Krücke benutzen. Und es wäre nutzlos gewesen, da es im Knie eingeknickt wäre. Ihr hättet damit nicht gehen können, gar nicht zu reden vom Holzhacken und Tragen.« »Ich finde es bewundernswert, wie du dein Gehirn benutzt, Hank«, meinte die Vogelscheuche. »Du hast einen logischen Verstand.« »Ich danke Euch, Väterchen. Nun, Baum schrieb weiter, daß der Verlust des Beines Euch nicht daran hindern konnte, weiterzuarbeiten und dem Mädchen den Hof zu machen. Aber die Osthexe hob den Zauber nicht auf, und die Axt hackte Euch das rechte Bein ab. Sehr sauber, aber gleichwohl schmerzhaft, möchte ich meinen. Wie habt Ihr diese Amputationen überleben können? Ihr wart allein im Wald, als die >Unfälle< geschahen. Ihr müßt viel Blut verloren haben. Es ist ein Wunder, daß Ihr nicht gestorben seid. Wer hat Euch gefunden, die Blutung mit einer Aderpresse gestillt und Euch zum Arzt geschafft? Und wie lange wart Ihr im Krankenhaus?« Der Winkie-König antwortete nicht. »Und dann — immer noch nach Baums Version — hackte die Axt Euch die Arme ab, einen nach dem anderen. Mit den Worten >einen nach dem anderen< muß er gemeint haben, daß zwischen dem Abtrennen des einen und dem des anderen Arms eine beträchtliche Zeit verstrichen sein muß. Unterdessen müßtet Ihr aber doch längst gewußt haben, daß die Axt von einem böswilligen Zauberer oder einer Hexe verzaubert war. Ihr hättet diese Axt nicht länger benutzt, und nicht nur sie nicht, sondern auch kein anderes gefährliches Werkzeug. Baum
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schreibt, Ihr ersetztet Eure Arme durch solche aus Blech. Aber diese dürften noch weniger brauchbar gewesen sein als die Beine. Und dann — jetzt kommt das Unglaublichste an der Geschichte — glitt die Axt wieder ab und schlug Euch den Kopf ab. Aber, heißt es bei Baum, der Blechschmied kam des Weges, und er mach te Euch einen neuen Kopf aus Blech.« »Wenn man es logisch bedenkt, muß man vermuten, daß du tot warst, Niklaz«, sagte die Vogelscheuche. »Der Blechschmied hätte nichts für dich tun können.« Hank schaute sie überrascht an. »Ist dies das erste Mal, daß Ihr über diese Geschichte nachdenkt?« »O nein! Ich mache nur einige Anmerkungen, gewissermaßen, um die Struktur deiner logischen Untersuchung auszupolstern.« »Nun«, fuhr Hank fort, »gehen wir also zum nächsten Ereignis. Die Axt soll noch einmal abgeglitten sein und Euren Körper in zwei gleiche Teile zerteilt haben. Wieder war es der Blechschmied, der zu Eurer Rettung kam. Er machte Euch einen Torso aus Blech und befestigte die anderen Gliedmaßen daran. Aber jetzt liebtet Ihr das Mädchen nicht mehr, weil Ihr kein Herz mehr hattet. Ihr wart ein leerer Mann, in mehr als einer Hinsicht.« »Ein Mann eigentlich nicht«, bemerkte der Winkie-König. »Ja! Baum schrieb ein Kinderbuch, und so konnte er die fehlenden Genitalien nicht erwähnen. Ich bezweifle, daß er überhaupt daran gedacht hat. Meiner Mutter kam es nicht in den Sinn, nicht, als Ihr die Geschichte erzähltet. Aber sie war damals auch erst acht Jahre alt. Baum schrieb, als Ihr Euren Blechkörper hattet, gab es für Euch nur noch eine einzige Gefahr: Eure Gelenke konnten verrosten. Also bewahrtet Ihr eine volle Ölkanne in Eurer Kate, und Ihr öltet die Gelenke, wann immer Ihr es für notwendig hieltet. Aber eines Tages gerietet Ihr in einen Gewitterregen, die Gelenke rosteten ein und Ihr konntet Euch nicht mehr bewegen. Ein Jahr lang mußtet Ihr im Wald stehen, bis Dorothy und die Vogelscheuche daherkamen und Eure Gelenke ölten. Unsinn! Wenn überhaupt, so könnte das Blech niemals so schnell rosten.« »Sehr gut«, befand die Vogelscheuche. »Baum sag te auch, Ihr hättet sehr viel Zeit zum Nachdenken gehabt, während Ihr dastandet, starr vom Rost. Ihr konntet entscheiden, daß der größte Verlust, der Euch je widerfahren
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war, nicht der Verlust Eurer Geliebten, sondern der Verlust Eures Herzens gewesen war. Als Ihr verliebt wart, wart Ihr sehr glücklich. Die Liebe war das Größte auf der Welt, und das will ich nicht bestreiten. Aber um lieben zu können, brauchtet Ihr ein Herz, und so gelobtet Ihr, zum Zauberer Oz zu gehen und ihn zu bitten, er möge Euch eines geben. Und danach wolltet Ihr Eure Geliebte erneut um ihre Hand bitten. Ich frage Euch: Was für eine Ehe wäre das geworden? Ein Blechmann, ohne jegliches Organ aus Fleisch und Blut, verheiratet mit einer Frau aus Fleisch und Blut? Habt Ihr wirklich einen Augenblick lang geglaubt, sie würde Euch heiraten? Oder wäre die Ehe — falls sie es getan hätte — von Dauer gewesen?« »Selbstverständlich nicht«, erwiderte Niklaz. »Warum seid Ihr dann in Wirklichkeit zu Oz gegangen und habt ihn um ein Herz gebeten? Brauchtet Ihr denn ein Herz? Ich meine, fehlte es Euch an Freundlichkeit, Sanftmut, Mitgefühl und Empfindsamkeit?« »Nein.« Hank wandte sich an die Vogelscheuche. »Seid Ihr wirklich zu Oz gepilgert, um ihn um ein Gehirn zu bitten, weil Ihr glaubtet, eines zu brauchen?« »O ja«, anwortete das ausgestopfte Ding. »Ich war dumm, das wußte ich, und ich wünschte mir Intelligenz mehr als alles andere.« »Aber die hattet Ihr von Anfang an.« »O nein! Ich wußte überhaupt nichts. Na ja, sehr wenig jedenfalls.« »Ihr verwechseltet den Mangel an Wissen und Erfahrung mit dem Mangel an Intelligenz«, sagte Hank. »Okay, Ihr habt also nicht gelogen, als Ihr meiner Mutter erzähltet, weshalb Ihr Oz besuchen wolltet. Aber König Niklaz —« »Glaubst du etwa, daß ich lüge?« Die Blechmaske blieb ausdruckslos, aber die Stimme klang empört. »Ja. Eure Geschichte ist einfach nicht wasserdicht. Sie ist löchrig wie ein Sieb. Um nur einen Punkt aufzugreifen: Euren neuen Blechkopf. Ihr wäret tot gewesen, und Euer Gehirn wäre verrottet. Aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wenn dem Blechschmied eine chirurgische Wundertat gelungen wäre, indem er Euer Hirn und Euer Nervensy stem in den neuen Kopf übertragen hätte — wie sollte es am Leben erhalten werden? Es braucht Blut und Nahrung. Aber Ihr behauptet, selbst diese unglaubliche Leistung sei nicht vollbracht worden.
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Man gab Euch einen neuen Kopf, einen leeren Blechkopf, und plötzlich wart Ihr, Euer Gehirn, Euer Geist — nennt es, wie Ihr wollt — in diesem Blechkopf. Baum behauptet das zwar nicht ausdrücklich, aber es ist impliziert.« »Und was folgerst du daraus?« fragte der blecherne Holzfäller. Seine Stimme klang gleichmütig. »Ich glaube, daß Ihr tatsächlich einen Fuß verloren habt und daß dieser Unfall durch einen Zauberbann — was immer das bedeuten mag — verursacht wurde, mit dem Mombi Euch belegte. Ihr hieltet es für einen Unfall und ließt Euch einen künstlichen Fuß aus Blech anfertigen. Er muß allerdings mit einem ledernen Ring oder einer Scheide am Bein befestigt worden sein, denn das nackte Metall hätte Euch sonst blutig gescheuert. Habe ich bis dahin recht?« »Es klingt vernünftig, was du sagst«, entgegnete Niklaz. »Aber nicht alles, was vernünftig klingt, ist es auch in Wirklichkeit.« »Dann, als Ihr den zweiten Fuß verloren hattet, wußtet Ihr, daß jemand die Axt behext — ich hasse diesen unwissenschaftlichen Ausdruck — haben mußte. Rasch fandet Ihr heraus, wer hinter diesen >Unfällen< steckte. Eure unwillige zukünftige Schwiegermutter und die einzige bekannte Hexe der Umgebung, Mombi. War es nicht so?« »Du würdest einen guten Detektiv abgeben«, meinte der Holzfäller. »Theoretisch jedenfalls.« »Aber in der Praxis nicht, meint Ihr?« Hank legte den Kopf schräg. Er grinste. »Laßt mich mit meiner Theorie fortfahren. Ihr mochtet vielleicht ein einfacher Mann sein, der davon lebte, daß er Bäume fällte und das Holz verkaufte, aber Ihr wart klug genug, jemanden zu suchen, der Euch beschützte. Vielleicht hatte dieser Jemand auch schon ein Auge auf Euch geworfen, und vielleicht kam sie zu Euch. Es ist nämlich ein verdammt weiter Weg für einen Mann mit zwei gesunden Füßen, aber für einen Prothesenträger — na!« »Sie kam?« fragte die Vogelscheuche. »Du hast gesagt, sie?« »Ein weiter Weg«, wiederholte der Holzfäller. »Wohin?« »Zu Glinda, in die Quadling-Hauptstadt. Ich glaube nicht, daß Ihr hingingt. Sie kam zu Euch. Vielleicht hat sie Euch auch mit magischen Mitteln zu sich kommen lassen. Jedenfalls spracht Ihr von Angesicht zu Angesicht miteinander. Und sie schloß einen Handel mit Euch ab. Sie würde Euch einen neuen Körper geben, einen, der nicht getötet werden konnte, wenn man ihn auch zerstören könnte, was allerdings nicht leicht
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wäre. Sie versprach Euch Unsterblichkeit oder doch wenigstens ein sehr, sehr langes Leben. Wahrscheinlich mußte sie eine ganze Weile mit Euch diskutieren. Ihr konntet unsterblich und nahezu unverwundbar werden, aber dafür würdet Ihr eine Menge aufgeben müssen. Ihr würdet nie wieder gute Speisen und Getränke auf Eurer Zunge schmecken. Andererseits gäbe es für Euch auch nicht mehr die tägliche, schmutzige Belästigung durch Verdauung und Ausscheidungen. Ihr würdet Euch nicht mehr um schlechten Atem oder um Zahnschmerzen sorgen müssen, Ihr würdet nicht befürchten müssen, Eure Zähne zu verlieren, Krebs zu bekommen oder am Herzschlag zu sterben. Ihr würdet keinen Schlaganfall bekommen können, nicht blind werden, würdet weder Ohren- noch andere Schmerzen bekommen, Ihr würdet Eure Kräfte nicht verlieren und nicht die Betrübnis des Alters verspüren. Muß ich noch weitersprechen? Die Vorteile würden die Nachteile auf jeden Fall überwiegen. Der schlimmste Verlust allerdings würde der Verlust des sexuellen Vergnügens und die Tatsache sein, daß Ihr keine Kinder mehr würdet zeugen können.« »Das ist allerdings schlimm«, meinte der Holzfäller. »Aber das vielleicht Schlimmste hast du vergessen: Ich würde ein Monstrum sein. Menschen würden mich nicht mehr als Menschen betrachten. Ich würde immer ein Außenseiter sein. Ich konnte ihr König werden, aber ich würde niemals in der Lage sein, die Herzlichkeit und Wärme zu empfangen, die nur Menschen einander geben können. Andererseits allerdings — wie viele Menschen spenden schon soviel Wärme, Herzlichkeit und Verständnis, wie sie sollten, wenn sie wirklich Menschen sind? Eigentlich sind sie alle Ungeheuer. Das heißt — nein, das sollte ich nicht sagen. Es gibt ein paar echte, durch und durch menschliche Menschen unter ihnen. Aber sie sind so selten, daß sie auch schon wieder Monster sind.« »Na, ich denke, so schlimm sind sie nun auch wieder nicht«, meinte Hank. »Aber ich muß zugeben, daß nur wenige unter uns so werden, wie sie sein sollten.« »Nur wenige versuchen es überhaupt«, sagte Niklaz. »Ihr habt wahrscheinlich nicht ein Jahr lang dagestanden und nachgedacht«, meinte Hank. »Aber Ihr habt sicher viel nachgedacht.« »Ich wohnte allein im Wald.« »Nun«, sagte Hank, »um mit meinen Vermutungen — oder sind es Deduktionen? — fortzufahren: Glinda kam in der Tat
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mit einem Angebot zu Euch. Und Ihr habt es angenommen. Sie übertrug Eure Persönlichkeit, ich weiß nicht wie, Eure Seele oder Euer Zerebral-Neuralsystem in den Blechkörper, der übrigens an einem Stück hergestellt worden war, nicht Teil für Teil, wie Ihr es überall erzählt habt. Ich meine damit nicht, daß sie Euer Gehirn tatsächlich in den Blechkopf steckte. Das ging natürlich nicht. Aber sie übertrug, was immer es sein mag, das Euch zu dem macht, was Ihr seid, in den Blechkopf.« »Und weshalb sollte sie das tun?« fragte Niklaz. »Was hätte sie davon gehabt? Hexen, ob weiß oder rot, tun nur selten etwas aus purer Gutherzigkeit. Nicht, wenn es mit Magie zu tun hat. Es erfordert zuviel magische Energie und ist zu gefährlich.« »Eben diese Frage wollte ich jetzt stellen, rhetorisch natürlich. Sie hatte sehr wohl Verwendung für Euch. Sie wollte, daß Ihr Dorothy in das Land Oz begleitetet. Ihr solltet Dorothy s Berater und Beschützer sein. Wenn Glindas Pläne in Erfüllung gingen, würdet Ihr zusammen mit Dorothy und den übrigen Gefährten die Westhexe eliminieren und, vielleicht durch einen Zufall, vielleicht auch nicht, diesen Scharlatan, den großen Zauberer Oz, aus dem Weg räumen.« »Scharlatan!« rief die Vogelscheuche. »Wie kannst du es wagen! Er hat mir das einzige gegeben, was mir fehlte. Ein Gehirn.« »Ich will nicht mit Euch streiten«, versetzte Hank. »Zauberer oder nicht, er war jedenfalls schlau und gerissen.« »Und gut! Ein guter Mann! Groß und gut!« »Okay. Aber ich glaube, daß Glinda —« »Falls Glinda dahintersteckte«, unterbrach Niklaz. »Falls die Dinge sich so abgespielt haben, wie du behauptest.« »Yeah. Ich glaube, Glinda wollte Oz loswerden. Vielleicht hielten ihn alle anderen — einschließlich die Hexen im Osten und im Westen — für einen echten und mächtigen Zauberer, aber sie wußte, daß er das nicht war. Sie wußte, daß seine Macht eine Fassade war, die nur allzu leicht zerbröckeln konnte. Und das tat sie ja auch. Bedenkt doch nur, wie Ihr, meine Mutter und der Ängstliche Löwe ihn bloßstellten. Es bestand die Gefahr, daß er gestürzt werden oder fliehen würde — und er floh in der Tat mit seinem Ballon — und daß dann eine böse Person die Macht übernehmen würde. Also trachtete sie danach, ihn zu vertreiben, und jetzt sitzt ein guter Regent auf seinem Thron, nämlich Ihr, Euer Weisheit.« Er machte eine
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Verbeugung zur Vogelscheuche. »Aber nicht doch. Na ja...« »Ihr seid Glinda ein guter Verbündeter«, fuhr Hank fort. »Der Zauberer hatte nie direkt mit ihr zu tun, auch wenn er nicht so dumm war, sich ihr entgegenzustellen. Wenn er und Glinda einander begegnen sollten, das wußte er, würde sie sogleich wissen, daß er kein echter Zauberer war. Deshalb hielt er Distanz zu ihr, so wie er sich auch vom niederen Volk und selbst von den Dienern und Wächtern seines Palastes fernhielt. Er regierte, aber er verbarg sich vor allen. Wie einsam muß sein Leben gewesen sein.« »Wenn ich weinen könnte, würde ich es tun«, sagte die Vogelscheuche. »Ich auch«, meinte der Blech-Holzfäller. »Eigentlich seid Ihr keine Monster«, sagte Hank. »Ihr seid menschlicher als die meisten Menschen, die ich kenne.« »Monster? Ich? Wir?« fragte die Vogelscheuche. »Ich bitte um Vergebung«, antwortete Hank. »Ich meine! >AndershelfenRecht oder Unrecht — Mein LandSohn einer.. .< Na, jetzt habe ich vergessen, wessen Sohn. Aber Macduff war ein großer Mann.« Er trat dicht zu Jenny und wisperte: »Wenn ich nicht zurückkomme, kannst du Glinda sagen, als ich starb, hätte ich sie gehaßt, weil sie mich mit diesen Clowns in den Wald geschickt hat.« »Okay «, antwortete das Flugzeug. »Aber ich habe volles Vertrauen in dich, Hank. Ich werde bereit sein, wenn du zurückkommst. « »Wenn ich komme, werde ich wahrscheinlich spurten wie Charlie Paddock.« »Wie wer?« »Wie der größte Sprinter der Welt. Meiner Welt. Paß auf: Ich habe dem Bauern gesagt, wie er deinen Vergaser vorzubereiten hat. Zum Glück hast du genug Energie, deinen Propeller selbst anzuwerfen. Diese Gillikins sind zu klein dafür; der Mann müßte sich wahrscheinlich auf einen Schemel stellen, und dabei könnte er mitten durchgeschnitten werden.« »Ich bin nicht dumm, weißt du. Ich werde es nicht vergessen. « Hank tätschelte ihre Haube. »Noch eine Primadonna«, sagte er, und dann ging er zum Wagen. Sharts saß auf dem Kutschbock und wartete. Hank kletterte hinauf und sagte: »Exzelsior!« »Was?« »Vorwärts, immer vorwärts und hinauf! Ihr mögt feuern, wenn Ihr bereit seid, Gridley! Fahren wir!« Sharts sprach leise ein paar Worte, und die Rehe legten sich ins Geschirr. Er schwieg eine Weile und sagte dann: »Wenn du glaubst, daß du damit Eindruck machen kannst, daß du in deiner barbarischen Sprache redest, und wenn du weiterhin denkst, du könntest damit erreichen, daß ich weniger gelehrt erscheine —« »Gott behüte!« unterbrach Hank. »Ich bin nur ein wenig
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angespannt, und wenn ich nervös bin, neige ich dazu, meine Muttersprache zu benutzen. Ich will dir nicht zu nahe treten.« Sharts grunzte und begann wieder zu pfeifen. Sie bogen von der Wiese auf einen schmalen Feldweg ein und wandten sich nach Süden. Blogo die Seltene Bestie ritt auf einem Reh an der Spitze und richtete den Strahl der Suchlaterne auf den Weg. Das einzige andere Licht hing an einem Haken im Innern des Wagens. Als Hank sich umsah, konnte er ein paar Kisten und ein großes, mit Papier eingewickeltes Paket erkennen. Eine der Kisten enthielt Pfeile, die zweite seine BAR-Munition und in der dritten lagen drei Schwarzpulvergranaten. »Was ist in dem Paket?« fragte er. »Meine Hemden.« »Es geht nichts über Sauberkeit.« »Soll das sarkastisch sein?« »Nein, mein Sarkasmus ist in der Reinigung, und ich habe ihn vor der Abreise nicht mehr zurückbekommen.« Im Zwielicht sah man den halb verärgerten, halb verblüfften Gesichtausdruck des Riesen. Schließlich meinte Sharts: »Ich glaube, du und ich, wir werden uns ein wenig unterh alten, wenn diese Sache hier vorüber ist.« »Es wird mir ein Vergnügen sein, dich ein wenig besser kennenzulernen«, entgegnete Hank. Nach fünf Meilen bog der Trupp auf eine breitere, aber ebenso rauhe und ausgefahrene Straße ein. Sie kamen an mehreren Bauernhäusern vorbei; die meisten davon waren dunkel. Hank war froh, daß es auf dieser Welt keine Hunde gab. Die Hofhunde hier hätten im Umkreis von mehreren Meilen gekläfft. Oder vielleicht doch nicht? Sie wären intelligent gewesen, und deshalb hätten sie vermutlich abgewartet, bis sie sicher wären, daß es etwas gab, wofür es sich zu kläffen lohnte. Andererseits war der Instinkt bei den Tieren immer noch so stark, und so hätten die Hunde sich vermutlich doch die törichte Seele aus dem Leib gekläfft. Als die Karawane etwa zehn Meilen hinter sich gebracht hatte und auf eine andere Straße gewechselt hatte, blieb sie stehen. Frische Rehe kamen aus einem Waldstück getrabt, um die erschöpften zu ersetzen. »Die einheimischen Tiere müssen gewußt haben, daß diese Rehe hier warteten«, meinte Hank. »Haben sie denn keine Fragen gestellt?« »Sie sind nicht alle so naseweis wie du«, versetzte Sharts. »Aber diese Rehe sind nicht auf einmal hierher gekommen, und so haben sie auch nicht über Gebühr Aufmerksamkeit
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erregt. Glindas Falken haben sie schon vor langer Zeit rekrutiert. Als sie die Nachricht bekamen, verließen sie ihre Herden und kamen hierher.« »Wie lange mag es her sein, daß Glinda alle diese Vorbereitungen getroffen hat?« bemerkte Hank. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich war es, bevor Erakna Königin wurde.« Die verstorbene Hexe des Nordens war eine gute Freundin Glindas gewesen. Dennoch hatte Glinda sich eine Möglichkeit geschaffen, unentdeckt in ihr Schloß zu gelangen. War sie von der Annahme ausgegangen, daß zwei Regenten nur so lange miteinander befreundet sein können, wie die politische Situation es gestattet? Oder hatte Glinda wirkliches Vertrauen in Wulthag gesetzt, aber war gleichzeitig klug genug gewesen, einzuplanen, daß ihre Nachfolgerin ihr feindselig gesonnen sein könnte? Was immer Glindas Gründe gewesen sein mochten, sie hatte mit dem, was sie getan hatte, richtig gehandelt. Aber bei diesen Gedanken fragte Hank sich, ob Wulthag nicht auch weitsichtig genug gewesen sein mochte, ähnliche Vorkehrungen für einen geheimen Zutritt zu Glindas Schloß zu treffen. Aber daran würde Glinda sicherlich gedacht haben. Zweifellos hatte sie das Schloß und seine Umgebung gründlich durchsucht. Aber wenn Glinda dies planen konnte, konnte Erakna auch Argwohn schöpfen. Also hatte Erakna ihr Schloß vielleicht ebenfalls nach geheimen Eingängen durchforscht und sie gefunden, und jetzt waren diese Eingänge gut bewacht oder gar in Fallen umgewandelt worden. Als er an dies dachte, brach Hank der Schweiß aus, obgleich die Bergluft allmählich kühl wurde. Sie kamen jetzt durch eine Gegend, in der die Bauernhöfe Seite an Seite lagen, und sie durchquerten zwei Dörfer. In wenigen Häusern brannte Licht; beinahe jedermann war im Bett. In der Ferne sah man größere Ansammlungen von Lichtern. Es waren die Fackeln und großen Lampen auf den Türmen und Mauern, die Wugma umgaben. Dann passierten sie einen Anblick, der Hank noch nervöser werden ließ. Es war ein Baum, an dem die stinkenden Leichen von sechs Männern und einem Waschbären baumelten. »Spione oder Rebellen«, meinte Sharts und nahm sein Pfeifen wieder auf. »Das glaube ich nicht«, widersprach Balthii, die auf Hanks
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Schulter hockte. »Wenn es Spione gewesen wären, hätte man sie nach Wugma gebracht und dort gefoltert. Es müssen Rebellen gewesen sein, oder auch nur gemeine Verbrecher.« »Was verstehst denn du davon, Falke?« gab Sharts zurück. »Gewöhnliche Kriminelle werden enthauptet.« »Was ist das für ein Unterschied?« fragte Hank. »Ein beträchtlicher«, erwiderte Sharts. »Es ist der Unterschied zwischen Wissen und Ignoranz. Mir liegt viel daran, zu wissen, was für Leute diese Toten waren und weshalb sie gehängt wurden. Dies zu wissen könnte mein Verhalten in der nächsten Zukunft beeinflussen. Davon könnte abhängen, ob ich getötet werde oder weiterlebe. Abgesehen davon ist Wissen um seiner selbst erstrebenswert.« »Ein Gehirn kann nur soundso viel aufnehmen«, meinte Balthii. »Was hat es für einen Sinn, wenn man es mit belanglosem Quatsch vollstopft?« »Dein Gehirn kann nur soundso viel aufnehmen«, schnaubte Sharts. » Spatzenhirn!« Balthii sträubte ihr Gefieder. Womöglich wäre es im nächsten Augenblick zu einer handfesten Auseinandersetzung gekommen, wenn sie nicht unterbrochen worden wären. Hank hörte ein Flattern und erschrak, als etwas sich auf seiner anderen Schulter niederließ. »Bargma! Verdammt, vor Schreck wäre ich beinahe vom Wagen gefallen.« »Eine Patrouille kommt uns entgegen«, meldete die Eule. »Sie ist etwa eine halbe Meile weit weg.« »Wie viele?« fragte Sharts. »Zwölf Männer auf Rehen und zwei Kamele.« Sharts befeuchtete seinen Finger und hielt ihn in die Höhe. »Der Wind kommt immer noch aus Nordwesten. Sagt den übrigen, daß wir beim nächsten Tor nach links abbiegen. Beeilt euch, ihr beiden!« Die Vögel erhoben sich von Hanks Schultern. Mit ihren Klauen ruinieren sie meine Jacke, dachte er, ohne daß dies für den Augenblick eine Bedeutung gehabt hätte. Gereinigt werden mußte sie auch jeden Tag. Eine Minute später drehte Blogos Laterne sich ihnen zu, und ihr strahlendes Auge wurde hin und her geschwenkt. Die Kavalkade zog durch ein Tor aus Holz und Draht, welches leise knarrend geöffnet worden war. Der Stoßtrupp verließ rasch den schmalen Feldweg, der zu dem Bauernhaus führte, und bewegte sich über die Wiese hinweg auf eine kleine Baumgruppe zu. Im Dunkel des Gehölzes warteten sie, bis die
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Lichter der Patrouille eine Viertelmeile weiter nördlich hinter einer Wegbiegung verschwanden. Sharts fragte Unwaz, wie weit es noch bis zu der Stelle sei, an der sie sich tagsüber verstecken wollten. »Noch eine Meile.« Sie bewegten sich langsam voran; sie wollten nichts überstürzen und dadurch vielleicht Geräusche machen, die einen Bauern oder ein Tier geweckt hätten. Ihr Ziel war ein Hof, wo der Besitzer und sein Sohn sie in einer Scheune erwartete. Unwaz stellte die Mitglieder des Kommandos vor, als das Scheunentor sich hinter ihnen geschlossen hatte. Ehrfurchtsvoll bestaunten die Gillikins die beiden Riesen, Sharts und Hank. »Meine Familie und die Tiere sind in Ordnung«, erklärte Abraam, der Bauer. »Sie hassen Erakna. Ihr seid in Sicherheit, wenn ihr hier schlaft. Nur...« »Nur was?« wiederholte Sharts erbost. »Nur... da ist eine Maus in der Scheune. Barrabaz« — er deutete auf einen großen schwarzen Kater- »hat sie noch nicht fangen können. Ich schätze, daß ich mir unnötige Sorgen mache. Was kümmert es schließlich eine Maus, wer Königin ist oder was wir Menschen treiben, solange sie sich den Bauch mit Getreide vollschlagen kann, das sie mir stiehlt? Aber...« »Aber vielleicht denkt sie, sie braucht nur zur Königin zu gehen und uns zu verpfeifen, und schon bekommt sie für den Rest ihres Lebens freie Kost und braucht sich den Kopf nicht mehr wegen einer Katze zu zerbrechen. Richtig?« fragte Sharts. »Nun, Barrabaz bereitet ihr nicht allzu viel Kopfzerbrechen«, meinte Abraam. »Ich sage dir, ein fauleres Biest als diesen Kater gibt's auf dieser Seite des Berges nicht.« »Ich tue, was ich muß«, behauptete Barrabaz und leckte sich die Pfote. »Ja, aber nicht für mich«, entgegnete Abraam. »Schluß mit dem müßigen Geschwätz«, befahl Sharts. »Vielleicht ist diese Maus keine Gefahr für uns, aber wir dürfen kein Risiko eingehen. An die Arbeit, Kater. Stöbere sie auf, die Maus.« »Eine Maus?« fragte Bargma. »Wo? Wo?« Die Eule war eben von der Suche nach einem hochgelegenen Schlafbalken zurückgekehrt. »Du kannst dem Kater helfen«, sagte Sharts. »Falls er seinen verschlafenen Hintern hochbringt und tut, was seine Pflicht ist.«
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»Ich bedanke mich für deine freundliche Anteilnahme«, antwortete der Kater, und seine gelben Augen leuchteten rötlich im Schein der Laterne. »Aber im Augenblick habe ich keine Lust zum Jagen. Vielleicht ein andermal.« »Hier gibt es kein Vielleicht!« brüllte Sharts. Barrabaz leckte sich über die andere Pfote, und dann schlenderte er in eine dunkle Ecke. Er schaute sich um und sagte: »Leck mich doch am Arsch.« »Was? Was?« stammelte Sharts. »Sag mal, Kater, weißt du, wer hier vor dir steht?« »Ein Misthaufen mit ulkigen Augen«, erklärte Barrabaz. Sharts gurgelte etwas und wollte sich auf die Katze stürzen. Barrabaz sprang auf einen Heuhaufen, von dort auf einen Balken und weiter auf einen anderen, und mit einem Riesensatz war er oben auf der Tenne. Dort drehte er sich um und bleckte die Zähne. »Blogo!« Sharts wandte sich an die Seltene Bestie. »Du steigst hinauf und jagst mir diese Miezekatze herunter. Ich werde ihr den Hals umdrehen.« Blogo grinste, aber ob es wegen der Vorfreude auf das nahe Ende des Katers war oder weil es ihn amüsierte, wie sein Chef beleidigt worden war, konnte man nicht erkennen. Er schickte sich an, die Leiter zur Tenne zu erklimmen, aber Hank hielt ihn auf. »Warte.« Sharts fuhr herum und funkelte ihn an. »Wahrscheinlich hast du die Maus mit deinem Gezeter bereits verjagt«, sagte Hank. »Und wenn sie uns belauscht hat, dann kannst du darauf wetten, daß sie bereits in Windeseile unterwegs nach Wugma ist, und zwar mit einer interessanten Geschichte für die Königin. Der Kater ist völlig unwichtig. Hier geht es um die Maus.« »Ich habe hier das Kommando!« protestierte Sharts. »Ich gebe die Befehle!« Hank wandte sich an die Eule. »Bargma, du solltest draußen nachsehen, ob die Maus zu finden ist.« Er ging an Sharts vorbei, der starr und mit geballten Fäusten dastand, öffnete das Scheunentor und ließ die Eule hinausfliegen. Dann drehte er sich um. »Sharts, mein Volk hat ein Sprichwort, welches sagt: >Eine Katze darf der Königin ins Gesicht sehen. < Es bedeutet unter anderem, daß Katzen privilegierte Geschöpfe sind und daß ihre Natur nicht mit menschlichen Maßstäben gemessen werden darf. Du jedenfalls bist zu groß, als daß du einem solchen Wesen allzu viel Aufmerksamkeit schenken
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solltest. Was würden die Leute sagen, wenn sie erführen, daß unsere Mission in Gefahr geriet, weil du eine Katze gejagt hast?« »Gib's ihm«, rief Barrabaz. »Du hältst die Klappe und kümmerst dich um deinen eigenen Kram!« brüllte Hank. »Du hast schon genug Unheil angerichtet. « Blogo, der die Leiter zur Hälfte erklettert hatte, schaute an seiner langen, klobigen Nase entlang seinen Herrn an. »Was soll ich jetzt machen, Boß?« Sharts spreizte die Finger und sagte mit leiser Simme: »Der Mann von der Erde hat zumindest zur Hälfte recht. Die Katze ist nur ein kleines Ärgernis, ein Ungeziefer. Warum sollte ich, Sharts, mich davon belästigen lassen? Trotzdem werde ich dem Tier den Schädel zusammenquetschen, daß ihm die Augen herausspringen, wenn ich es zu fassen bekomme! Gut denn — alle sollen sich aufmachen und nach der Maus suchen. Ihr Falken fliegt hoch, dorthin, wohin wir nicht gelangen können, und sucht dort. Wir werden die Scheune gründlich durchsuchen, und wenn wir jeden Halm einzeln umdrehen.« Mit gedämpfter Stimme fuhr er, zu Hank gewandt, fort: »Über deine Manieren werden wir uns später auch einmal unterhalten müssen.« Hank unterdrückte eine Erwiderung und begann, eine Futterkrippe zu durchwühlen. Der Bulle, der davor stand, meinte: »Hier drin ist keine Maus.« »Wahrscheinlich nicht«, antwortete Hank höflich. »Aber wir können nicht riskieren, irgend etwas zu übersehen.« Die Suche war noch nicht lange im Gange, als Bargma von draußen rief: »Macht das Tor auf. Ich habe sie.« Ein Gillikin namens Smiirn drückte das Tor auf, und Bargma kam hereingeflogen. Smiirn schloß das Tor wieder. Die Eule landete auf dem Rand der Tenne. Im Schnabel hielt sie eine graue Maus. Das Tierchen, das etwa um ein Drittel kleiner war als eine terrestrische Hausmaus, hielt sich starr und zappelte nicht, aber in seinen Augen glitzerte die Todesangst. Bargma hatte keine Schwierigkeiten, deutlich zu sprechen, obwohl sie den Schnabel nicht öffnen konnte. »Sie wollte eben den Hof verlassen und in die Straße einbiegen, als ich auf sie hinunterstieß und sie schnappte«, erzählte die Eule. »Es muß eure Maus sein.« »Es könnte jede beliebige Maus sein«, widersprach Sharts. Hank stimmte dem Riesen nicht gern zu, aber diesmal hatte er
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recht. Abraam, der Bauer, sah den Kater an. Dieser hockte mit verschränkten Vorderpfoten am Rande der Tenne. »Barrabaz, ist das die Maus?« Der Kater gähnte. »Es ist eine Maus, ja. Das sieht doch jeder Dummkopf.« »Verdammt!« fluchte der Bauer. »Dies ist nicht der Augenblick für alberne Faxen! Ist das die Maus, die du nicht fangen konntest?« »Ich konnte es«, erwiderte Barrabaz. »Aber ich wollte nicht. Ich wollte sie verwahren, bis ich einmal ganz schrecklich Langeweile hätte.« »Dann ist es also die richtige.« »Das sieht die Maus anders, würde ich sagen.« Der Bauer hob hilflos die Arme. »Herr im Himmel, weshalb gebe ich mich eigentlich mit ihm ab?« »Na, es ist ja wohl umgekehrt«, meinte Barrabaz. Da begann die Maus mit zitternder Stimme zu sprechen. »Er soll mich nicht auffressen. Bitte nicht! Bitte!« Hank fluchte leise. Die Maus war intelligent, und somit konnte sie fühlen und denken wie ein Mensch in Todesgefahr. »Ich bin unschuldig«, schwor die Maus. »Ich wollte nieman dem etwas verraten. Ich wollte nur aus der Gefahrenzone fliehen. Wenn die Leute der Königin euch hier finden, brennen sie die Scheune nieder.« »Vielleicht sagt sie die Wahrheit«, meinte Hank. »Können wir sie nicht einsperren, bis wir zurückkommen?« »Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert«, versetzte die Eule, die Bibel zitierend. Sie klappte den Schnabel auf und fing die Maus mit ihrer rasiermesserscharfen Klaue auf. Dann weidete sie das Geschöpf aus, jedoch nicht bevor es noch einmal geschrien hatte: »Hilfe! Hilfe!« »Jetzt hast du mir den ganzen Spaß verdorben«, sagte Barrabaz zu der Eule. Bargma konnte nicht antworten; sie war damit beschäftigt, die Maus zu verschlingen.
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24 Die restliche Nacht und einen Teil des Tages verschliefen sie in der Scheune. Eine Stunde nach Tagesanbruch übernahm Hank die Wache. Danach fiel es ihm schwer, wieder einzuschlafen, doch schließlich gelang es ihm. Die Rehe hatten sich in einen Wald jenseits der Felder hinter dem Farmhaus zurückgezogen. Dort würden sie bleiben, bis der Stoßtrupp (ein Euphemismus für Meuchelmordkommando, dachte Hank) zurückkehrte. Falls er zurückkehrte. Hank erwachte, als die Frau und die Tochter des Bauern mit dem Frühstück hereinkamen. Mit Genuß verspeiste er heiße Kohlsuppe, Brot, Butter, Marmelade und Nüsse; die warme Milch bereitete ihm weniger Vergnügen. Die beiden Frauen trugen die Nachtgeschirre hinaus, leerten und spülten sie und brachten sie dann zurück. Die Menschen, ein rauher Haufen, schärften ihre Waffen und brüsteten sich mit vergangenen Heldentaten. Die Falken begaben sich auf die Jagd, versprachen aber, daß sie bis zum Abend zurückkehren würden. Hank, Blogo und Sharts vertieften sich in die Pläne, die Glinda ihnen mitgegeben hatte, bis sie sie auswendig kannten. Das Abendessen bestand aus Kohlsuppe, Mais, Butter, Nußgebäck und kleinen Torten mit Kürbis, Obst, Milch und Gerstenwodka. Die Falken, die zu wenig gefangen hatten, als daß sie davon satt gewesen wären, stürzten sich auf das harte Gebäck aus Nüssen und Zuckerguß. Zwar beschwerten sie sich über den Geschmack, aber sie verzehrten doch alles. Während des Tages beobachtete Hank durch ein Fenster die Scharen von Menschen und Tieren, die auf Wugma zuritten oder wanderten. Sie waren unterwegs, um Erakna und andere zu hören, die auf einer Kriegskundgebung auf dem Hauptplatz der Stadt reden würden. Der Kommandotrupp wollte sich die Massen und das herrschende Durcheinander zunutze machen, um sich in der Dunkelheit in die Stadt zu schleichen. Hank fand genug Zeit, seine Neugier in bezug auf die Seltene Bestie zu stillen. Er gab Blogo ein wenig QuadlingTabak, da der Bursche seinen eigenen auf der Wanderschaft vom Süden herauf aufgebraucht hatte. »Danke«, sagte Blogo. »Dieses Gillikin-Kraut zerreißt
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einem die Kehle.« Sharts saß mit gekreuzten Beinen und geschlossenen Augen in einer Ecke; anscheinend vollführte er geistige Trainingsübungen. Blogo hatte keine Hemmungen, freundlich mit Hank umzugehen, solange sein Chef ihn dabei nicht bemerkte. Er stammte aus einer von Bergen umgebenen, abgeschiedenen Gegend im Westen, wo Quadlingland und Winkieland aneinanderstießen. Soviel er wußte, hatte seine Familie immer dort gelebt. Besonders zahlreich waren seine Artgenossen nie gewesen, weil — vermutete er — die Frauen im Laufe ihres Lebens nur ein einziges Kind zur Welt brachten. »Warum das so ist, weiß ich nicht«, setzte er hinzu; wenn er grinste, sah er aus wie ein Schimpanse. Hank vermutete, daß seine Ureltern von den Längst Versunkenen geschaffen worden sein mußten. Zumindest hätte er sonst keine Erklärung für diese Anomalie gewußt. Er sprach jedoch nicht darüber, denn er wollte Blogo damit nicht beleidigen. Außerdem vermutete Hank, daß die extrem kriegerischen Neigungen Blogos und seiner Leute für den Bevölkerungsschwund teilweise ebenfalls verantwortlich seien. »Wir verlassen unser Land selten«, erzählte Blogo. »Aber Hama und ich — er war mein bester Freund, auch wenn er nichts als Schabernack im Sinn hatte — also, wir beide beschlossen, einmal nachzuschauen, wie es draußen in der Welt wohl aussehen mochte. Drei Monate später wurde Hama von einer Sau getötet, weil sie glaubte, er sei hinter ihrer Brut her. Das war er auch, aber nicht, um sie aufzuessen, weißt du. Wir waren ja keine Kannibalen. Nein, ich glaube, er wollte mir eines der Ferkel in den Schlafsack stecken, um mir einen Streich zu spielen. Er war ein großer Spaßvogel.« Tränen rannen ihm über die haarigen Wangen. »Darf ich fragen«, sagte Hank, »wie es kam, daß du zum Gesetzlosen wurdest?« »Ach, das!« Blogo schüttelte den Kopf, daß der rote Hahnenkamm hin und her schwankte. »Das war alles wegen eines Schabernacks. Als Hama gestorben war, machte ich mich auf die Wanderschaft nach Suthwarzha. Ich wollte zu Glinda, weil ich gern in ihrer Leibgarde gedient hätte. Ich hatte gehört, es sei eine angenehme Arbeit, und außerdem sollte es dort jede Menge gutaussehende Frauen geben. Unterwegs bezog ich einmal Quartier in einer Truppengarnison, und wir betranken uns alle
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miteinander. Da beschlossen die Soldaten, ihrem kommandierenden Offizier einen Streich zu spielen. Sie mochten ihn nicht, und sie wußten, daß er mit einer Frau zusammen war. Aber als der Augenblick kam, da sie ihm den Streich spielen wollten, waren sie nicht so betrunken, daß sie nicht doch noch gezögert hätten. Da sagte ich ihnen, sie seien Feiglinge und ich würde es an ihrer Stelle tun. Ich fand die Idee damals sehr lustig. Ich schlich mich in die Hütte, wo dieser Offizier auf der Frau lag, und spritzte ihm Terpentin auf den bloßen Schwanz. Da war es vorbei mit seiner Liebeslust, har, har, har!« Blogo wischte sich die Tränen aus den Augen. »Aber der Spaß ging auf meine Kosten. Diese Clowns hatten die Tür von außen verrammelt, als ich hineingegangen war. Der Offizier wollte mich totschlagen, und so mußte ich mich natürlich verteidigen. Er war ein großer Kerl, er hätte dir sicher fast ans Kinn gereicht, aber ich brach ihm den Hals. Die Frau kreischte, und die diensthabenden Soldaten stürmten herbei. Ich konnte die Tür nicht aufbekommen, und so riß ich ein paar Bohlen aus der Wand und machte mich aus dem Staub. Als Mensch wäre ich vielleicht davongekommen. Wie hätten diese Trunkenbolde mich identifizieren sollen? Aber ich fiel auf wie ein Leopard in einer Schafherde, wie eine Warze in Glindas Gesicht. Man suchte mich. Die Regierung empfand ein unbezähmbares Verlangen danach, mir den Kopf vom Halse zu trennen. Regierungen, weißt du, nehmen alles immer sehr ernst. Kein Sinn für Humor. So wanderte ich in den Wäldern umher, wäre beinahe von einem Tiger aufgefressen worden, und dann traf ich Sharts« — er warf einen Blick auf den Riesen, um sicherzugehen, daß dieser sich auf sein Innenleben konzentrierte — »den Hemdlosen«, fügte er wispernd hinzu. Hank zögerte und sagte dann: »Äh... Sharts hat einmal die Sehr Seltene Bestie erwähnt. Wer ist das?« Blogos Augen weiteten sich und er bleckte die Zähne. Er faßte seine heiße Pfeife beim Kopf und fragte: »Wie würde es dir gefallen, wenn ich dir dieses Ding bis zur Leber in den Arsch rammte?« »Verzeihung«, sagte Hank. »War nicht böse gemeint.« »Kam aber mächtig böse an. Hättest du Lust, nach draußen zu gehen und dich mit mir zu prügeln? Ich habe schon größere Männer als dich in kleine Streifen zerrissen.« »Das wäre albern. Ich hab's nicht böse gemeint«, wiederholte Hank. Kopfschüttelnd ging er davon.
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Kurz vor Sonnenuntergang schob der Bauer mit seinem Sohn einen Karren in die Scheune. Das Tor wurde geschlossen, und dann legten sich Hank, Blogo und Sharts mit den Waffen und mit Sharts Hemden auf den Boden des Karrens. Sie wurden mit Heu bedeckt, und auf das Heu legte man eine Schicht einheimischer Frühjahrsfrüchte. Die drei Geheimpassagiere atmeten durch Risse im Karrenboden. Der Karren wurde aus der Scheune geschoben, und man spannte vier Rehe des Bauern davor. Dann machten sie sich auf den Weg. Hank hörte die Menschenmenge, die die Straße bevölkerte, und hin und wieder vernahm er Gesprächsfetzen von seinen Gefährten, die hinter dem Wagen gingen. Die Bauern, die zu der großen Kundgebung unterwegs waren, klangen nicht so fröhlich, wie Erakna es gern gehabt hätte. Niemand lachte, und allenthalben hörte man, wie Leute sich beklagten, obgleich sich, wie er feststellte, niemand offen über die Königin äußerte. Zweifellos war die Menge durchsetzt mit Spionen und agents provocateurs. Nach etwa einer Stunde — Hank war die Zeit viel länger vorgekommen — hielt der Karren an. Hank hörte, wie die Torwachen dem Bauern einige Fragen stellte. Abraam erklärte, daß er während der Kundgebung unter den Zuhörern Obst verkaufen wolle. Wenn er nicht alles am selben Abend verkaufen könne, werde er den Rest am nächsten Morgen auf den Markt bringen. Ob die Wächter das Obst nicht untersuchen wollten ? Vielleicht etwas davon für die Familie mit nach Hause nehmen? Die Wachen wollten es nur zu gern. Hank hoffte, sie würden nicht mit ihren Speeren in den Früchten herumstochern, um festzustellen, ob sich Konterbande auf dem Wagen befand. Aber sie taten es nicht, und nachdem sie den Karren um einige Früchte erleichtert hatten, ließen sie Abraam weiterfahren und wünschten ihm noch einen angenehmen Tag. Jetzt waren sie in der Stadt und drängten sich langsam durch lärmende, offenkundig betrunkene Menschenmassen. Hin und wieder kam der Karren überhaupt nicht weiter. Nach ungefähr einer Stunde aber blieb er endgültig stehen, und Abraam klopfte dreimal gegen die Seite. Hank entstieg dem Heu und den Früchten wie Lazarus bei der Auferstehung. Steif und ratlos sah er sich um. »Was jetzt?« Es war dunkel; das einzige Licht in der Nähe fiel aus den Fenstern einiger Häuser, und an einer Straßenecke, einen hal-
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ben Block weit entfernt, brannte eine Öllaterne hoch über dem Pflaster. Nein. Auch Blogos Lampe brannte; Smiirn hielt sie in der Hand. Die Straße war eng und von Gerüchen durchzogen; die schmalbrüstigen Häuser hatten drei oder vier Stockwerke und hohe Spitzdächer. Bürgersteige gab es nicht. Das Haus, vor welchem der Karren stand, war dunkel, aber davor stand ein Fremder und redete mit Smiirn und Unwaz. Aus anscheinend weiter Ferne drang das gedämpfte Rauschen der Menge herüber. Sharts ging zu dem Mann in der Haustür und begann auf ihn einzureden. Dann drehte er sich um und sprach Hank an. »Dies ist Audag der Hinker. Er sagt, wir sollen jetzt ins Haus gehen und nicht länger auf der Straße herumlungern. Den Wagen wird man im Hof hinter seinem Hause parken.« Audag war ein dünner Mann mittleren Alters mit einem ungewöhnlich langen, schmalen Gesicht. Er machte die Neuankömmlinge mit seinem halbwüchsigen Sohn bekannt, der aussah wie sein Vater. Er war allerdings größer als dieser. Abraam und sein Sohn verabschiedeten sich und wünschten ihnen Erfolg bei ihrer Mission. Sie wollten ein paar Tage lang im Hause eines Verwandten wohnen und dann ohne Karren und Zugtiere auf die Farm zurückkehren. Die Eule und Balthii ließen sich auf Hanks Schultern nieder. Er nahm das Stoffutteral, in dem die BAR steckte; ein Mann trug die Kisten mit den Magazinen und den Granaten. Er gelangte in einen kleinen, unbeleuchteten Raum; vor sich sah er eine steile Treppe, rechts und links eine Tür. Ein klammer Moschusgeruch stieg ihm in die Nase. Er schnüffelte. Der Geruch kam ihm bekannt vor. Tote Ratten. Sie befanden sich in einem vollgestopften Keller; überall standen Holzkisten in den verschiedensten Größen, Stapel von zusammengebundenen Zeitungen, und in den Ecken lag zerbrochenes Mobiliar und Spielzeug. Audag und zwei der Gefährten machten sich daran, die Kisten, die sich an der Nordwand stapelten, aus dem Weg zu räumen. Als sie sie beiseite geschafft hatten, sah man eine Mauer aus Ziegeln und Mörtel, feucht und von Flechten grau überzogen. Mit einem Stück Kreide markierte Audag eine Fläche auf der Wand und deutete dann auf ein paar Werkzeuge: Vorschlaghammer, Meißel, Hacken, Bohrer und Schaufeln. »Ihr müßt die Steine heraushauen.« Sharts nahm sich die oberen Ziegelreihen vor, und als er
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fertig war, riß Blogo die unteren heraus. Hinter dem Loch zeigte sich eine solide Lehmschicht. »Sie ist zwei Fuß tief«, sagte Audag. »Dahinter ist wieder eine Wand. Es wurde so konstruiert, damit es nicht hohl klingt, wenn man gegen die Mauer klopft.« Zwei Männer lockerten den Lehm mit der Hacke und schaufelten ihn beiseite. Sharts kam dies alles viel zu langsam vor, er wurde ungeduldig und trug den Lehm selbst ab. Dahinter erschien die zweite Ziegelmauer. Ohne sich auszuruhen, begann Sharts, die Ziegel aus dem verrotteten Mörtel zu reißen. Eine Kette von Männern nahm die Ziegel an und stapelte sie in einer Ecke. Sharts, der trotz der Anstrengungen nicht außer Atem war, sagte: »Wir warten ein paar Minuten. Die Luft dort drin ist vielleicht schlecht.« Es roch in der Tat so, als sei die Luft verbraucht, aber sie war in Bewegung. Irgendwo dort drinnen gab es eine Lüftung. Sharts schob seine Fackel durch den Eingang. Hank, der dicht hinter ihm stand, schaute hinein. Etwa zwanzig Schritte weit führte der abwärtsgeneigte Tunnel durch Erde. Dann hatte man ihn durch Felsgestein vorantreiben müssen. Die Ziegelsteine an seinen Wänden hatten hier und dort nachgegeben, und Lehm und Steine waren hereingebrochen. Aber die hölzernen Stempel, wiewohl verrottend, und die stützenden Stahlstreben hatten standgehalten. »Er führt unter dem Wassergraben hindurch, der das Schloß umgibt«, erklärte Audag. »Das weiß ich«, erwiderte Sharts knurrend. »Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte Hank zu Audag. »Glinda wird dafür sorgen, daß du dein Geld bekommst.« Geführt von Sharts drangen sie nacheinander in den engen Tunnel ein. Es war gerade so viel Platz, daß zwei Pygmäen Schulter an Schulter nebeneinander gehen konnten, und die beiden Riesen mußten sich bücken. Sie kamen nur langsam voran, da Sharts noch immer der Luft nicht vertraute und in keine Falle laufen wollte. Als sie den tiefsten Punkt des Tunnels erreicht hatten, standen sie plötzlich vor einem schwarzen Tümpel. Die Wasserfläche war etwa zehn Schritte breit. Auf der anderen Seite führte der Tunnel bergauf. Noch während Sharts am Rande des Wassers stand, schwappte er gegen seine Füße, und in der Mitte des schwarzen Teiches blubberten Luftblasen an die Oberfläche. »Einen oder zwei Tage später«, meinte Sharts grimmig, »und der Tunnel wäre
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mit Wasser vollgelaufen gewesen.« Hank sah zu, wie der Tümpel sich ausbreitete; sie würden von Glück sagen können, wenn sie auf dem Rückweg nicht schwimmen müßten. Vielleicht dachte auch Sharts daran, aber dann wollte er sicher die anderen nicht entmutigen und schwieg. Blogo stand vor Hank. Er trug ein Schwert und einen langen Dolch in Scheiden an seinem Gürtel, und in den Händen hielt er eine zweischneidige Axt mit kurzem Schaft. Ein Tragebeutel barg das Paket mit den Hemden seines Chefs. Was zum Teufel hatte es mit diesen Hemden auf sich? Waren sie die Glücksbringer des Riesen? Unwaz, der Falke, der auf Smiirns Schulter saß, fragte: »Worauf warten wir? Ich werde hier nervös.« Sharts gab keine Antwort. Er watete in den Tümpel hinein, und im nächsten Augenblick stand er bis zum Kinn im Wasser. Als er weiterging, erhob er sich mit jedem Schritt weiter über den Wasserspiegel. Als er am anderen Ufer angekommen war, wandte er sich um. Er tropfte. »Alle bis auf den Erdenmann werden schwimmen müssen.« »Das ist offensichtlich«, erwiderte Balthii. »Auf solche Dinge hinzuweisen ist eine deiner besonderen Begabungen. Aber wenn du glaubst, wir Falken werden ins Wasser steigen, dann irrst du dich gewaltig.« »Leg dich nicht mit mir an«, versetzte Sharts. »Selbstverständlich werdet ihr fliegen. Aber ich garantiere nicht für das, was geschehen wird, wenn du hier ankommst.« Balthii wartete, bis die übrigen Vögel von einer Schulter zur anderen geflattert waren, und erhob sich dann von Blogo, um das Wasser zu überfliegen. Sharts hatte sich aber bereits abgewendet und ging langsam den Gang hinauf. Hank half jedem einzelnen beim Durchqueren des Tümpels, damit niemand unter Wasser geriet. Das brachte ihn ans Ende der Kolonne, wo er auch blieb. Es wäre zu zeitraubend und schwierig gewesen, sich an allen, die vor ihm gingen, vorbeizuzwängen. Außerdem behagte es ihm, zu wissen, daß er freie Bahn haben würde, falls man kehrtmachen und Fersengeld geben müßte. Naß bis zum Hals und zitternd vor Kälte trat er schließlich in eine Kammer, die gerade groß genug war, die Gruppe aufzunehmen. Sharts kauerte am Boden und die kleinen Männer drückten gegen seinen Rücken, während er eine rechteckige Platte in der Decke beseite zu schieben bemüht war. Die Platte ächzte und knarrte, als sie sich hob, aber wenig später hatte er
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sie weggedrückt und beiseite geschoben. Sharts streckte den Kopf durch die Öffnung und hielt seine Fackel hoch. »Noch eine Kammer«, verkündete er. »Größer als diese hier.« Er kniete nieder, drehte sich um und hielt die verschränkten Hände vor sich. Einer nach dem anderen stellten sich die kleinen Männer und die Falken auf seine Hände und wurden nach oben und leicht vorwärts geschleudert. Smiirn kippte zurück und fiel auf Sharts herunter, und eine Zeitlang wurde unten geschrien und geflucht, bevor Smiirn wieder heraufgeflogen kam. Hank wußte, daß er riskierte, Sharts Zorn erneut zu wecken, aber er mußte sich äußern. »Glaubst du nicht, daß dieser Lärm die Aufmerksamkeit auf uns lenken könnte? Wir sollten von jetzt an besser leise sein und nur noch miteinander flüstern.« Zu seiner Überraschung entschuldigte Sharts sich. »Du hast recht. Es war dumm von mir, so zu brüllen. Aber in diesem Fall war es gleichgültig, denn Smiirn schrie sowieso.« Smiirn brummte etwas vor sich hin; Hank war nahe genug, zu hören, daß Smiirn jemandem ein Messer in den Leib rennen werde, wenn dies alles erst vorüber sei. Sharts und Blogo funkelten ihn wütend an, aber sie sagten nichts. Eine dick mit Farbe bemalte Leiter führte zu einem Loch etwa sechs Meter über ihnen in der Decke. Sharts klemmte sich seine Fackel zwischen die Zähne und kletterte behende die Leiter hinauf, obgleich sie nicht für einen Mann seiner Größe gebaut war. Er stieg durch das Loch und beugte sich dann herunter. Das Licht der Fackel ließ seine Augen noch unheimlicher erscheinen. »Kommt herauf!« Mit den Vögeln auf ihren Schultern stiegen die Männer einer nach dem anderen hinauf. Hank sah, daß sie wieder in einen anderen Raum gelangt waren. Dieser war größer als der, aus dem sie kamen. Auch er war aus dem Felsen gehauen, aber eine seiner Wände war aus mächtigen, dunkel purpurn gefärbten Steinblöcken. Es war die Schloßmauer. Sie befanden sich an der Außenwand der Kerkerverliese. Auch hier erhob sich eine etwa sechs Meter hohe Eisenleiter zu einem Loch in der Decke. Als sie sie erklommen hatten, befanden sie sich in einem Raum mit zwei Ebenen. Die obere war über eine drei Meter hohe Leiter zu erreichen, eine schmale, aus dem Felsgestein gehauene Plattform. An der Innenwand befand sich eine Eisentür mit schweren Angeln und
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einem mächtigen Riegel. Sharts stieg zur oberen Ebene hinauf und zog ein Ölkännchen aus seinem Beutel. Er ölte den Riegel sorgfältig ein und zog ihn dann zur Seite, was ihn einige Anstrengung kostete. Hin und wieder mußte er innehalten und neues Öl anbringen. Dennoch kreischte der Riegel. Als er ihn vollends beiseite gedrückt hatte, ölte er die Türangeln ein und zog dann behutsam an der schweren Klinke. Trotz steten Ölens knarrte die Tür, aber sie öffnete sich weit. Sharts warf einen Blick hindurch und winkte dann den anderen, ihm zu folgen. Als Hank durch die Tür getreten war, sah er, daß er sich am Grunde eines Schachtes befand, den man in die massiven Steinblöcke getrieben hatte. Als Leiter diente eine Reihe von bemalten Metallsprossen, die in die Wand eingelassen waren. Hank hoffte, sie möchten nicht verrostet sein; zumindest denen, die er sehen konnte, schien die feuchte Luft keinen Schaden zugefügt zu haben. Hank zog die BAR aus ihrer Hülle und hängte sie sich über die Schulter. Dann nahm er den zurechtgeschnitzten Metallteil der Fackel zwischen die Zähne und begann zu klettern. Bisher hatte der Weg genauso ausgesehen, wie Glinda ihn beschrieben hatte. Ihre Geduld und ihre Planungskünste erfüllten ihn mit Staunen. Das Schloß war zweihundert Jahre alt. Glinda mußte den Tunnel und die Kammern vorbereitet haben, bevor er erbaut worden war. Zwanzig Jahre mußten ihre Leute gebraucht haben, um den Schacht zu bohren, denn sie mußten langsam und vorsichtig arbeiten, damit man sie nicht entdeckte. In dem Haus, in dessen Keller der Tunnel begann, mußten immer ihre Agenten wohnen, die nichts weiter zu tun hatten, als so zu tun, als wären sie brave Bürger von Wugma, und darauf zu warten, daß der Tunnel eines Tages gebraucht werden würde. Generationen von Agenten mußten hier gelebt haben. Aber zweifellos waren sie gut bezahlt worden. Und das war die Frau, mit der sich die U.S. Army anlegen wollte. Immer höher führte die Leiter, aber schließlich zog er sich über den Rand. Eine Tür in der Wand, einen Schritt weit vom Schacht entfernt, stand offen. Die Angeln trieften vom Öl. Gebückt drängte Hank sich durch die Öffnung; selbst für die Pygmäen war sie eng. Die anderen standen bereits in einem langgestreckten, schmalen Raum, der nur vom Schein der
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Fackeln erleuchtet wurde. Der Rauch des brennenden, ölgetränkten Kiefernholzes würgte ihn in der Kehle und trieb ihm die Tränen in die Augen.
25 Blogo legte den Finger an die Lippen, als Hank eintrat. Sharts stand vom Boden auf; er hatte sein Ohr auf den Stein gedrückt, um zu lauschen. Er beugte sich nieder, ergriff einen Ring, der in den Boden eingelassen war, und klappte eine Falltür hoch. Obgleich er auch hier die Angeln geölt hatte, knarrte sie. Der Boden lag etwa sechs Meter tief unter der Falltür. Die beiden Männer, die Seilrollen auf den Schultern trugen, reichten sie jetzt an Sharts weiter, und dieser band das Ende des einen Seils an einen Haken, der in die Wand eingelassen war. Auch hier zeigte sich Glindas vorausschauende Planung. Sie hatte gewußt, daß man den darunterliegenden Raum nur mit Hilfe eines Seiles würde erreichen können, und so hatte sie den Haken anbringen lassen. Sharts ließ sich an dem Seil hinuntergleiten. Die übrigen folgten ihm. Der Rau m war groß und fensterlos, und eine dicke Staubschicht lag auf dem Boden und den Gegenständen, die hier lagerten. Die einzige Tür war verschlossen. Sharts zog einen Schlüssel aus seinem Beutel und öffnete sie. Ein neues Beispiel für Glindas Weitsicht. Schon vor langer Zeit hatte sie vom Schlüsselbund des Hausdieners einen Zweitschlüssel herstellen lassen. Hinter der Tür lag ein langer, staubiger, zugiger Gang. Am einen Ende befand sich ein schwer verbarrikadiertes Fenster, das verdreckt und voller Spinnweben war. Die Fußspuren, die dort hinführten, waren unter dem Staub schon zur Hälfte verschwunden. Smiirn nieste, und alle fuhren erschrocken zusammen. »Das wirst du nicht noch einmal tun«, sagte Sharts leise. Sie
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warteten ab und hofften, daß niemand Smiirn gehört haben möge. Als eine Minute vergangen war, führte Sharts sie zu der Treppe, die auf halber Strecke in den Gang mündete. Bis auf das Scharren der Füße, den schweren Atem eines der Männer und das Rascheln eines Falkenflügels herrschte Totenstille. Die Treppe führte zu einem zweiten Gang, an dessen hinterem Ende eine einsame Fackel brannte. Auf dem staubbedeckten Steinboden sah man zahlreiche, relativ frische Fußspuren. Sharts, eine geladene und gespannte Armbrust in der Hand, spähte um die Ecke. Er gab ihnen das Zeichen, daß sie ihm folgen könnten, und sie schlichen wieder einen Gang hinunter. An einer anderen Treppe blieb Sharts stehen. Nach den Informationen, die Hank von Glinda erhalten hatte, würden zwei menschliche Wachtposten und ein Habicht am Fuße dieser Treppe stehen. Falls jemand von oben hereinkäme — und Erakna mußte dies für sehr unwahrscheinlich halten —, würde der Habicht davonfliegen, um die Wachen in den anderen Stockwerken zu alarmieren. Die beiden Männer sollten jeden Eindringling aufhalten, bis Hilfe herbeikommen könnte. Obgleich die beiden wissen mußten, daß sie nichts anderes als Opferlämmer waren, würden sie sich wahrscheinlich nicht unbehaglich fühlen. Wie sollte jemand von oben herunterkommen? Es gab nur wenige Fenster, und alle waren wegen möglicher Mörderfalken verbarrikadiert. Und niemand konnte die Schloßmauern erklettern. Sharts winkte zwei Männer mit Armbrüsten, ihm zu folgen; zwei Falken sollten sich auf ihre Schultern hocken. Die anderen sollten etwa zehn Schritte weit hinter ihnen bleiben und auftauchen, wenn sich ein Getöse erhöbe. Dann aber würden sie alle zusammen angreifen. Im Gänsemarsch schlichen sie die Treppe hinunter. Sharts lugte um die Ecke. Dann zog er den Kopf zurück und flüsterte den beiden Männern und den Falken etwas zu. Hank, der noch fast am oberen Ende der Treppe stand, konnte kein Wort verstehen. Sharts hob die Hand und sprang in den Gang. Dicht auf seinen Fersen folgten die beiden Armbrustschützen, und die Falken erhoben sich im selben Moment von ihren Schultern. Mit einem einzigen spang! jagten drei Bolzen auf ihre Ziele zu. Hank hörte einen erstickten Aufschrei. Als er bei den Leichen ankam, sah er, daß Sharts' Bolzen den Habicht just in dem Augenblick durchschlagen hatte, als dieser sich von
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seiner Sitzstange erheben wollte. Der eine Wächter war in der Nähe der Wirbelsäule getroffen; der Bolzen hatte das Kettenhemd durchschlagen und sich halb in den Körper gebohrt. Der dritte Bolzen hatte die Schulter eines Postens getroffen. Der Mann lag stumm am Boden und starb am Schock. Blogo schnitt ihm die Kehle durch. Am liebsten hätte Hank sich übergeben. Von der Treppe, wenige Schritte hinter den Toten, war kein Laut zu hören. Hank hoffte, daß die Wachen in den darunterliegenden Stockwerken nichts gehört hatten. Aber es konnte sein, daß sie sich still verhielten, einen Falken zu den anderen Wachtposten geschickt hatten und jetzt darauf warteten, den Eindringlingen einen Hinterhalt zu stellen. Sharts stieg die nächste Treppe hinunter, schob den Kopf um die Ecke und zog ihn rasch zurück. Dann kam er wieder herauf. »Einer der Wächter schläft, der Falke ebenfalls. Wir machen es genauso wie vorhin. Es sieht aus, als sei das Ganze ein Kinderspiel.« Es war eines. Hank schaute auf seine Armbanduhr. Sie hatten noch eine Stunde Zeit, bevor Erakna sich planmäßig in ihre Gemächer zwei Stockwerke unter ihnen zurückziehen würde. Sie galt als äußerst pünktlich, und aller Voraussicht nach würde sie zur geplanten Zeit kommen. Aber es konnte vieles geschehen, was sie aufhalten würde. Die Wachablösung würde in einer Stunde und fünfzehn Minuten stattfinden, aber es bestand natürlich immer die Gefahr, daß es einem Offizier einfiele, eine Überraschungsinspektion vorzunehmen. Zwei von Sharts' Männern würden Posten beziehen, um den Offizier zu töten, falls es dazu käme. Zudem bestand die Möglichkeit, daß der eine oder andere Bewohner des Stockwerks, in dem die Gemächer der Königin lagen, frühzeitig heimkäme. Fernes, aber unüberhörbares Donnergrollen erklang. Hank fluchte. Wenn jetzt ein Unwetter oder ein Sturm hereinbrach, war dies das Ende der Mission. Grimassen schneidend schlich Sharts zur nächsten Treppe. Einen Augenblick später kam er mit Riesenschritten zurückgeeilt. »Beinahe hätten sie mich entdeckt«, flüsterte er. »Die Wachen gingen den Gang hinunter, um aus dem Fenster zu schauen. Ich konnte mich eben noch rechtzeitig hinter die Ecke ducken.« Er befahl den beiden Armbrustschützen und den
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beiden Falken, ihm zu folgen. Hank warf einen Blick auf die Uhr, als sie verschwanden. Genau zweiundsechzig Sekunden später tauchte Sharts wieder auf. »Fertig«, meldete er. »Jetzt kommt der schwierige Teil.« Der Falke hatte geschlafen. Sharts war auf Zehenspitzen den Gang hinuntergeschlichen, während die beiden Wachtposten ihm freundlicherweise den Rücken zukehrten, um aus dem Fenster dem Gewitter zuzuschauen. Sharts hatte dem Falken den Kopf abgeschnitten, und eine Sekunde später waren die beiden Posten ebenfalls tot gewesen, durchbohrt von zwei Bolzen. Hank, der oben an der nächsten Treppe stand, konnte einen Teil des unten vorbeiführenden Ganges sehen. Er war mit einem luxuriösen Teppich ausgelegt, und auf einem zierlich behauenen Marmorsockel stand eine Statue, deren Augen geschliffene Diamanten waren. Hank sah die Ecke eines großen Ölgemäldes, das an der von Goldfiligran überzogenen Wand hing. Solange die Königin fort wäre, würden dort sechs Wächter und zwei Falken stationiert sein. Wenn sie zurückkäme, würde sie von einer ganzen Schar Leibwächter, Zofen und Höflinge umgeben sein. Das Donnergrollen war unterdessen nähergekommen. Heftige Windstöße rüttelten an den Fenstern des Ganges, in dem Hank stand. Er ging hinüber, um hinauszuschauen, und sah, daß es jetzt regnete. Glinda und Hank hatten davon gesprochen, alle Wachen in der Suite der Königin zu töten, die menschlichen Mitglieder des Kommandos mit den Uniformen der Wachen zu bekleiden und die Falken an die Stelle der getöteten zu setzen. Aber diesen Plan hatten sie bald verworfen. Es würde unter keinen Umständen geräuschlos abgehen, und so könnte es leicht geschehen, daß sie die Posten aus dem darunterliegenden Stockwerk auf sich aufmerksam machten. Hank sollte warten, bis Erakna käme, und dann eine Handgranate auf sie schleudern, bevor sie ihre Gemächer beträte. Dann sollte er vortreten und das Unternehmen mit seiner BAR beenden. »Du hast nichts dagegen, Frauen zu töten?« hatte Glinda gefragt. »Ich habe grundsätzlich etwas dagegen, jemand zu töten«, hatte Hank geantwortet. »Aber es muß geschehen.« Sharts trat zu ihm und schaute ebenfalls aus dem Fenster. »Sie wird bald hier sein. Auch gut. Besser sogar. Die Vorstellung, auf sie
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warten zu müssen, hat mir nicht gefallen. Die Gefahr, daß jemand die Wachen inspiziert, ist zu groß. Ohnehin wird jemand die Treppe heraufkommen, bevor die Königin dieses Stockwerk betritt. Ich hoffe nur, es wird nicht mehr als einer sein.« Die Leichen hatte man um die Ecke auf die Treppe geschleift. Unwaz hockte auf der Sitzstange des getöteten Falken, und zwei Männer hatten die Helme der Wachtposten aufgesetzt. Zehn Minuten später kam der Falke, der oben an der Treppe gesessen und gelauscht hatte, herübergeflattert. »Ich habe gehört, wie ein Offizier die Wachen angesprochen hat. Das muß unser Mann sein.« Sharts stellte sich auf die eine Seite des Durchgangs, Blogo auf die andere. Als der Offizier heraufkam, schlossen sich Riesenhände um seinen Hals und legten sich auf seinen Mund. Blogo schnitt ihm unverzüglich die Kehle durch. Unten im Gang herrschte großes Getöse; Speerschäfte stampften auf den Boden, man hörte heiseres Befehlsgebrüll und die schrillen Stimmen und das Gelächter kleiner Männer und Frauen. »Heiliger Thun!« fluchte Sharts. »Da sind sie! Schnell, Mann!« Hank lief die Treppe hinunter, so leise und so schnell er konnte. Am Fuße der Treppe drückte er sich gegen die Wand und zog eine Granate aus seiner Tasche. In der anderen Jackentasche steckte eine zweite, falls diese nicht explodieren sollte. »Die Königin! Die Königin!« bellte ein Offizier. »Öffnet die Tür für die Königin!« Hank trat hinaus in den Gang, zog den Ring von der Granate, erhaschte einen kurzen Blick auf die Menschenmenge, die vor der Tür zu den königlichen Gemächern stand, hörte einen Warnschrei, der von rechts durch den Gang hallte — und warf die Granate. Dann wandte er sich um und rannte die Treppe hinauf. Die Tür war sechs oder sieben Schritte entfernt gewesen, und die Wand der Treppe würde ihn schützen, aber es würde eine höllische Explosion geben — falls die Granate funktionierte. Falls nicht, würde er wieder hinunterspringen und die BAR einsetzen müssen. Der Plan mit der zweiten Granate würde vielleicht nicht klappen, denn die Königin konnte unterdessen hinter ihrer Tür verschwunden sein. Er hörte schrille Schreie und dann einen dröhnenden Knall. Ein Luftzug jagte die Treppe herauf. Eine schwarze Rauchwolke folgte.
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Hank drehte sich um, die BAR in den Händen, und sprang die Treppe hinunter. Er stürzte in den Gang hinaus. Hinter sich hörte er Schritte auf den Stufen. Sharts und die anderen kamen herbei. Überall hing dichter Qualm, aber er sah die zerfetzten Leichen auf dem Boden. Ein paar lebten noch und schrien. Er zielte dorthin, wo er die Tür vermutete, und drückte auf den Abzug, bis die zwanzig Schüsse abgefeuert waren. Smiirn reichte ihm sofort ein neues Magazin, und er schob es unten in das Gewehr. Ein Wachtposten vom Ende des Ganges wollte sich auf sie stürzen. Er war ein tapferer Mann, aber er starb, als Blogos Axt ihn zwischen Schulter und Hals traf. Hank rannte auf die Treppe zu, den Gang hinunter und an Eraknas Tür vorbei. Er sprang über die Leichen hinweg, aber dann glitt er auf dem Blut aus und fiel hart auf den Rücken. Leicht benommen kam er gleich wieder auf die Beine und stürmte weiter. Er hatte die Treppe erreicht, als ein Trupp Soldaten heraufgerannt kam. Die BAR fegte sie beiseite. Er schaute den Gang hinunter. Der Rauch hatte sich so weit verzogen, daß man sehen konnte, daß die Tür der Königin weggesprengt war. Seine Gefährten untersuchten die Leichen, um festzustellen, welche unter ihnen die Königin war. Dann sah Blogo zu Hank auf und schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht dabei!« rief er mit seiner Fistelstimme. »Sie muß entkommen sein!« Hank stöhnte auf. »Nach all dem!« Sharts war durch die Tür gestürmt. Blogo folgte ihm, und drei Falken flatterten hinterdrein. Smiirn kam zu Hank und fragte: »Wie lange kannst du sie mit diesem Ding zurückhalten?« »Bis mir die Munition ausgeht«, antwortete Hank. »Vielleicht brauchen wir mehr Zeit, die Hexe zu suchen, als wir dachten«, erklärte Smiirn. »Ihre Gemächer sind größer als erwartet.« Ein behelmter Kopf schob sich unten um die Ecke. Hank gab zwei Schüsse ab. Der Soldat wurde nicht getroffen, aber zwei Minuten später erklang ein Schrei, und Männer strömten aus dem Durchgang. Die BAR streckte zehn von ihnen nieder, bevor der Rest die Flucht ergriff, wobei einige zu Boden stürzten. Hank ließ sie laufen. Er wollte sie nur einschüchtern. Wieder vergingen zwei Minuten.
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Noch einmal schob sich ein Kopf um die Ecke. Diesmal schoß Hank nicht. Er hoffte, seine bloße Anwesenheit werde genügen, sie zurückzuhalten. Vorläufig wenigstens. Sechzig Sekunden gingen dahin. Alle außer Smiirn waren in den Gemächern verschwunden, um bei der Suche zu helfen. Aber es war gut, daß Smiirn als Munitionshelfer bei ihm war, denn sonst wäre Hank jetzt vielleicht überrascht worden. Smiirn stieß einen Schrei aus. Hank schaute ihn an und sah, daß er an ihm vorbeideutete. Er wirbelte herum. Zwei Männer standen am Ende des Ganges, und weitere kamen aus der Tür, die sich dort geöffnet hatte. Glinda war nicht die einzige, die hier geheime Passagen geschaffen hatte. Ihre Armbrüste waren auf ihn gerichtet. Er feuerte, während er sich vorwärts fallen ließ. Die Bolzen verfehlten ihn, und seine Salve schleuderte die Soldaten nach hinten. Er griff nach vorn, klappte den Ständer der BAR herunter und schoß im Liegen weiter. Zehn Männer fielen. Dann kam niemand mehr. Er stand auf und winkte Smiirn, neue Magazine zu bringen. Er zog das leere heraus und schob ein neues ein. Dann trug er Smiirn auf, die Treppe im Auge zu behalten, während er sich um die andere Angelegenheit kümmerte. Die Tür stand offen und wies zwei Einschüsse auf. Als er herangekommen war, nahm er die Handgranate aus der Tasche, zog den Ring ab, zählte und warf sie durch die Öffnung. Dann rannte er ein Stück weit an der Wand entlang und ließ sich zu Boden fallen. Die Detonation riß die Tür ab und füllte dieses Ende des Ganges für eine Weile mit schwarzem Qualm. Er steckte die dritte Granate in die Tasche. Sharts kam auf den Gang gestürzt. Er blieb stehen, als er die Leichen sah. »So!« »Ja, so«, versetzte Hank. Er hatte seinen Posten oben an der Treppe wieder eingenommen.» Hast du die Königin gefunden ? « »Nein. Sie muß in einem geheimen Versteck verschwunden sein. Oder sie ist über eine verborgene Treppe nach unten geflohen. Wahrscheinlich befindet sie sich im Stockwerk unter uns.« »Dann sollten wir verschwinden«, meinte Hank. »Jetzt gleich.« »Ich mag keine Fehlschläge!« schrie Sharts. »Wer tut das schon«, erwiderte Hank. »Aber es gibt Schlimmeres als einen Fehlschlag, nämlich den Tod. Laß uns von hier verschwinden.« »Glaubst du, du könntest dir den Weg zur Königin
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freischießen?« fragte Sharts. »Vielleicht ist sie noch unten bei der Treppe. Du könntest sie noch erwischen, bevor sie entkommen kann.« »Nein, das glaube ich nicht«, sagte Hank. »Wir sollten uns zurückziehen.« Sharts bleckte die Zähne, aber er drehte sich um, ging zur Tür und brüllte zu den Suchenden hinein, sie sollten auf den Gang kommen. »Willst du, daß die Gillikins wissen, was wir tun?« erkundigte Hank sich. Sharts hielt ihm den ausgestreckten Mittelfinger entgegen. Aus irgendeinem Grunde fand Hank dies sehr komisch. Er lachte, bis ihm klar wurde, daß er am Rande eines hysterischen Anfalls stand. Bevor er den anderen folgte, feuerte Hank ein Magazin halb leer, damit man unten wußte, daß er noch da sei. Dann drehte er sich um und rannte, aber er blieb stehen, als ihm etwas Ungewöhnliches ins Auge fiel. Es war ein mit Samt bezogener Kasten, dessen Deckel aufgeklappt war, als er die Granate auf die Königin geschleudert hatte. Etwas mattgelb Schimmerndes lag darin. Es war ein halbkugelförmiger Gegenstand, so groß, daß er auf den Kopf eines normalen Amariikianers paßte. Er drehte ihn in den Händen und schaute im Licht der Öllampe, die er von einem Tisch neben dem Fenster genommen hatte, hinein. Inschriften zogen sich in vier Reihen um den Rand, doch das Licht war nicht hell genug, um sie entziffern zu können. Aber selbst wenn der Lampenschein hell genug gewesen wäre, hätte er die Schrift nicht lesen können, denn sie bestand aus den unergründlichen Zeichen, die die Längst Versunkenen benutzt hatten. Dennoch wußte er, was diese goldene Halbkugel war. »Ich bin der Onkel der Affen!«
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26 Er schob die goldene Halbkugel zu der letzten Handgranate in die Tasche und lief den anderen nach. Als er den Raum erreicht hatte, in dem das Seil von der Decke hing, atmete er schwer. Aber er hatte viel Zeit, wieder zu Atem zu kommen. Vier Männer warteten darauf, daß sie an die Reihe kämen, am Seil hinaufzuklettern. Er bewachte die Tür, während sie sich hinaufzogen. So weit, so gut. Verfolger waren nicht zu hören, aber den Gillikins würde es nicht schwerfallen, ihnen auf den Fersen zu bleiben, denn ihre Fußspuren waren im Staub deutlich sichtbar. Hier würden die Männer der Königin jedoch aufgehalten werden, denn sie müßten zunächst eine Leiter auftreiben, um weiterzukommen. Sharts stand neben dem Loch. Mühelos zog er Hank mit einer Hand zu sich herauf, während er in der Rechten eine Fackel hielt. Die anderen waren nicht mehr zu sehen. Sie waren bereits im Schacht verschwunden. Den seltsamen Augen entging nur wenig. »Was ist in deinem Beutel?« »Etwas, das noch sehr nützlich werden könnte.« Sharts umklammerte Hanks Arm mit einem Griff, der die Adern platzen zu lassen drohte. »Vergiß nicht, wir teilen uns jede Beute.« »Diese nicht. Ich glaube, sie gehört Glinda. Und nimm deine Hand weg.« Sharts biß sich auf die Unterlippe, aber er ließ Hanks Arm los. Er stieg in den Schacht. Hank kauerte sich für einen Moment bei der Falltür nieder, um zu hören, ob die Gillikins hinter ihnen waren. Zunächst war nichts zu hören, aber als er sich aufrichtete und die Falltür herunterlassen wollte, vernahm er ein leises Geräusch. Nach wenigen Sekunden erschollen laute Stimmen. Er zögerte. Sollte er warten, bis der Raum dort unten sich mit Leuten gefüllt hatte, und dann die Handgranate hinunterwerfen? Das würde ihnen solche Angst einjagen, daß geraume Zeit verstreichen würde, bevor sie es wagen würden, den Eindringlingen weiter zu folgen. Aber Erakna würde sehr zornig sein; sie würde ihre Soldaten vorantreiben, ganz gleich, wie sehr sie sich fürchten mochten. Ihre Angst vor der Königin würde größer sein als die vor seinen schrecklichen Waffen. Er
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beschloß, die Granate für eine kritischere Situation zu verwahren. Voller Unbehagen kletterte er die Sprossen hinunter. Wenn die Gillikins die Schachtmündung erreichten, solange er noch darin war, konnten sie etwas herunterwerfen oder auf ihn schießen. Er war ein verhältnismäßig leichtes Ziel, denn zwischen den Zähnen hielt er die Fackel, die man oben in der Kammer für ihn zurückgelassen hatte. Aber keine Jubelrufe klangen von oben. Unten angekommen, fand er seine Magazine am Boden liegen. Smiirn hatte klug gefolgert, daß Hank sie jetzt, da sie voneinander getrennt waren, vielleicht brauchen würde. Hank schob eines in jede Tasche und die restlichen fünf in seinen Beutel. Aufrecht lief er durch die Kammern, gebückt durch den Tunnel. Dann blieb er stehen. »Mein Gott!« Der Tümpel war an beiden Seiten um mindestens sechs Meter breiter geworden. Das war gut und zugleich schlecht. Bis die Verfolger ankämen, würde der Tunnel vermutlich überflutet sein. Aber er würde jetzt schwimmen müssen, und dabei würde er mit einer Hand die Fackel über den Kopf halten müssen, während die BAR, die goldene Kappe und die Magazine ihn nach unten zogen. Aber es hatte keinen Sinn, zu zögern. Er watete in das kalte Wasser, bis es ihm ans Kinn reichte, und dann begann er, mit einer Hand zu paddeln. Er mußte heftig strampeln, damit seine Nase über Wasser blieb, aber schon bald hatte er wieder festen Boden unter den Füßen und watete weiter. Er war froh, daß gegenwärtig kein Winter herrschte, denn dann würde er erfrieren, wenn er das Haus verließe. Sharts zog eben seine Holzschuhstiefel an. »Sie sind oben«, sagte er. »Alles ist bereit. Der Wagen steht vor dem Haus. Aber zieh dir zuerst deine Stiefel an.« Sie gingen hinaus. Viele Fenster waren jetzt erleuchtet; die Einwohner waren von der Kundgebung zurückgekehrt. Der Regen prasselte herunter, der Donner grollte, und der Blitz tat sein Bestes, allen Lebewesen eine tiefe Gottesfurcht einzuflößen. Das Gewitter hatte ihren Plan, sich in der Menge zu verbergen, die von der Kundgebung zurückkehrte, und so aus der Stadt zu entkommen, zunichte gemacht. Die Falken allerdings waren bereits davongeflogen. Bargma, die Eule, sah aus, als hätte sie sie gern begleitet. »In der Stadt wird es von Soldaten nur so wimmeln!« schrie Sharts.
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Hank antwortete nicht; dazu gab es nichts zu sagen. Er stieg mit dem Riesen und Blogo wieder in den Karren und legte sich wie ein Fötus auf den Boden. Die anderen bedeckten sie mit einer dünnen Schicht Heu und Obst, das sie zuvor auf der Straße aufbewahrt hatten; sie fürchteten, daß die Zeit nicht ausreichen könnte, die drei vollständig zu bedecken. Audag, sein Sohn und ein dritter Mann setzten sich auf den Bock. Langsam setzte sich der Karren in Bewegung und wurde dann immer sch neller. Jetzt, da keine Menschenmassen die Straße bevölkerten und der Verkehr nur gering war, gab es keinen Grund, wie harmlose Bauern dahinzutrödeln. Hank begann, die Sekunden zu zählen: Eintausendundeins, eintausendundzwei, eintausendunddrei... Vier Minuten waren vergangen, als er einen lauten Ruf hörte. Er hörte das Trappeln eiserner RehHufeisen auf dem Pflaster, und der Wagen hielt an. Hank umklammerte Lauf und Schaft der BAR und wartete ab. »Wer seid ihr?« fragte eine rauhe Stimme. »Was tut ihr hier draußen bei dem Unwetter?« »Bitte, Sir, wir sind nur ein paar Bauern«, wimmerte Audag. »Man hat uns aus der Herberge geworfen, weil wir einen kleinen Streit mit dem Wirt hatten. Er wollte uns mehr berechnen, als wir vorher vereinbart hatten. Jetzt suchen wir einen Platz zum Übernachten.« »Wo ist diese Herberge, und wem gehört sie?« »Es ist das Gasthaus >Zum RotbäckchenRotbäckchen