Ken Conagher
Ein Drecknest in Texas Ronco Band Nr. 280/37
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahr...
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Ken Conagher
Ein Drecknest in Texas Ronco Band Nr. 280/37
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen Indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Entdeckt in der Brasada von Texas etwas, was sein Blut zum Kochen bringt. Big Hank – Kämpft gegen den »Roten Amboß von Fort Union« und soll um seine Börse betrogen werden. Louis Granger – Kennt keine Skrupel, wenn es um Gold geht. Arnold Gatsby – Hat sich auf einen Handel eingelassen, der für ihn tödlich enden wird. Cliff Sturgeon – Marshal von Rockwall, der über vieles nachgedacht hat und die Schwarzen auch für Menschen hält.
Ein Drecknest in Texas 29. April 1881 Lobo und ich haben einen Unterschlupf bei Franco Allonso gefunden. Noch wissen wir nicht, was uns die nächsten Tage bringen werden – Gutes bestimmt nicht. Wir haben erfahren, daß »zwei Gringos« gesucht werden, die für den Gouverneur Suarez gearbeitet haben sollen. Diese beiden Gringos sind Lobo und ich. Es ist wieder so, wie es in meinen Jahren als Geächteter war: Ich werde gejagt und jage selbst einen anderen – Andrew Hilton, der meinen Sohn Jellico entführen ließ. Diesen Mann scheint mir mein Schicksal zum ewigen Feind ausgesucht zu haben. Solange er lebt, werde ich keine Ruhe finden. Manchmal frage ich mich, warum das Schicksal des Menschen Hilton auf derart teuflische Weise mit dem Schicksal des Menschen Ronco verflochten wurde. Noch unbegreiflicher wird diese Frage, wenn ich an Jellico denke, dessen Schicksal – jedenfalls zur Zeit – nun auch von dem Menschen Hilton beeinflußt wird. Es hätte alles ausgewogen und gut sein können, aber dann wurde Jellico geraubt, und damit dürfte Hilton, was mich betrifft, seinen größten Fehler begangen haben. Nichts und niemand nimmt mir meinen Sohn – nur der Tod. Aber Hilton ist nicht der Tod, Hilton ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein Mensch mit einem denkenden Gehirn, einem Gehirn allerdings, das zuviel Böses ausgebrütet hat. Soll dieses Böse weiter bestehen und auf diesem Teil der Erde ungestraft ein Unheil nach dem anderen vollbringen dürfen? Das ist es, was mich nicht ruhen läßt und mir die Kraft gibt, Widerstand zu leisten, damit die Hiltons auf dieser Erde nicht beherrschend werden. Ein Mensch dieser Art war der Händler Louis Granger, von dem ich in meinem Tagebuch weiter berichten möchte …
1.
Die alte Feldscheune im Buschland des Brushy Creek eignete sich vorzüglich als heimlicher Treffpunkt. Längst diente sie nicht mehr ihrem eigentlichen Zweck, und sollten in ihrer Umgebung jemals Felder gewesen sein, so war davon nichts mehr zu sehen. Das Land hatte sich in den Kriegsjahren zur Wildnis zurückentwickelt. Die Scheune wirkte wie ein Relikt aus einer Zeit, in der gesät und geerntet und der Wohlstand vermehrt wurde. Das war jene Zeit gewesen, in der die weißen Farmer und Rancher das ausgenutzt hatten, was ihnen billig angeboten worden war; die Arbeitskraft der Negersklaven. Das alles hatte sich mit dem Sieg der Nordstaaten gewandelt. Jetzt waren die Neger selbst Farmer – und wurden von den Weißen gehaßt. Am Spätnachmittag dieses Junitages 1865 stießen Big Hank Colhoun und ich auf die Scheune, in der sich das weiße Gesindel zu treffen pflegte, bevor es die weißen Kapuzen überzog, um unter dieser Tarnung mit Mord, Brand und Schändung über die schwarzen Farmer und ihre Familien herzufallen. Big Hank Colhouns Familie war auf diese Weise ausgelöscht worden, vor ein paar Nächten erst, und ich selbst hatte einen Teil dieser viehischen Untat miterlebt, aber nicht mehr verhindern können. Den heimlichen Treffpunkt der Kapuzenreiter hatte Josh Calhoun entdeckt, der jüngere Bruder Big Hanks. Aber er hatte seine Entdeckung mit dem Leben bezahlt. Die Kerle hatten ihn erwischt und ihm eine Kugel in den Rücken geschossen. Josh hatte noch in das Versteck Big Hanks fliehen und ihm alles berichten können. Vorgestern war er an seiner schweren Verwundung gestorben. Eine der übelsten Rollen im Zusammenhang mit den Kapuzenreitern hatte der Trader Louis Granger gespielt. In der Öffentlichkeit war er als der große Freund und Helfer der schwarzen Farmer und ihrer Familien aufgetreten. Tatsächlich aber gehörte er zu dem Kreis der Kapuzenmänner, denen er aufgrund seiner Kontakte mit den verschiedenen Negerfarmern Informationen lieferte, wo es auf den Farmen etwas zu plündern gab. Von der Beute der Kapuzenmänner hatte der saubere Mister Granger jeweils dreißig
Prozent erhalten. Das war ein einträgliches Geschäft für Mister Granger gewesen – die Negerfarmer, die ihm vertrauten, hatten seine gelieferten Waren meist bar bezahlt, und von den Kapuzenreitern hatte er für die Informationen seine Prozente kassiert. Aber dann hatte eine Eskalation stattgefunden. Die Kapuzenreiter hatten sich nicht mehr damit begnügt, die Negerfarmer auszunehmen, sondern sie waren dazu übergegangen, die Farmen der Schwarzen niederzubrennen, die Männer zu massakrieren und die Frauen zu vergewaltigen. Das hatte Mister Granger gewaltig gestunken – schließlich schlachtet man ja keine Kuh, die gute, fette Milch gibt. Außerdem war er realistisch genug, zu wissen, daß die Unionsbehörden, die sich ja für die Neger einsetzten, bald Wind von den Terrorakten kriegen und dann gegen die Urheber vorgehen würden. Und dann hatte Josh Calhoun, Big Hanks Bruder, herausgefunden, daß der so beliebte Mister Granger zu den Kapuzenmännern gehörte. Das hatte den Ausschlag gegeben: Louis Granger war getürmt, er hatte den Boden, der ihm zu heiß geworden war, fluchtartig verlassen. Und mich hatte er dabei nach allen Regeln der Kunst aufs Kreuz gelegt. Er hatte mich großartig zu seinem Geschäftspartner gemacht, mir 350 Dollar Geschäftseinlage abgeluchst – und war verduftet. In Mount Ida hatte er seine Handelsniederlassung an einen Fettwanst verscherbelt, mit notarieller Beglaubigung, versteht sich, und damit war mein kurzer Traum, Geschäftsmann zu werden, ausgeträumt. Ich hatte eine Stinkwut auf den Kerl. Und darum hatte ich mich Big Hank angeschlossen, dem der sterbende Josh noch mitgeteilt hatte, daß sich heute abend die Kapuzenmänner wieder in der Feldscheune treffen würden. Denen wollten wir das Fürchten beibringen, und vielleicht, so hoffte ich, wußten diese Kerle etwas darüber, wohin sich ihr Informant Granger abgesetzt hatte. Als die Scheune vor uns auftauchte, zügelte ich meinen Schecken. Auch Big Hank verhielt sein Pferd, eine braune, sanfte Stute. Den Wallach seines toten Bruders führte er hinter sich her – er war das Letzte, was ihn mit dem Toten verband, mit dem Toten und seiner
Familie, die nun auch unter der Erde lag. Die Stute und der Wallach – mehr war ihm von der Farm der Calhouns nicht geblieben. »Ist was?« flüsterte Big Hank. Ich deutete schweigend auf die Hufspuren, die vor uns verliefen und zu der Scheune führten. Shita, mein Bastardhund, saß im Gras und kratzte sich mit der rechten Hinterpfote hingebungsvoll den Nacken, wobei er den Kopf schräg nach oben reckte, und den Körper schlangengleich verdrehte. Wenn Shita sich kratzte, war keine Gefahr im Verzug. Aus dem Sattel sah ich auch, daß die Spuren nicht frisch waren. Dennoch blieb ich wachsam und umkreiste erst einmal die gesamte Feldscheune. Überall kreuzte ich Hufspuren. Sie führten aus allen Himmelsrichtungen auf die Scheune zu. Ich winkte Big Hank und ritt abseits der Scheune zu einer Mulde, die von Buschwerk umgeben war. Dort glitt ich aus dem Sattel und pflockte den Schecken an. Der Platz war gut, abgesehen davon, daß ich hier keine Hufspuren entdeckte. Auch Big Hank kletterte aus dem Sattel und pflockte seine beiden Pferde an. Er blickte sich um und nickte mir zu. »Ein gutes Versteck. Von der Scheune her kann uns niemand sehen, vor allem nicht, wenn es dunkel ist.« Ich lockerte den Sattelgurt, goß Wasser aus meiner Armeefeldflasche in meinen Hut und ließ den Schecken saufen. Als er den Hut leer hatte, beschäftigte er sich mit der Krempe und war beleidigt, daß ich sie ihn nicht fressen ließ. »Sei ja friedlich«, sagte ich zu ihm und stülpte den Hut über. »Die Krempe brauch ich noch als Sonnen- und Regenschutz.« Der Schecke zeigte mir sein herrliches Gebiß, fletschte also gewissermaßen die Zähne – na, ich kannte das. Jetzt war er scharf darauf, mich selbst zu verspeisen, obwohl wir uns sonst sehr gut verstanden. Ich verzog mich, um die Scheune zu erkunden. Big Hank folgte mir grinsend. Der Schecke schielte hinter mir her und entließ eine Blähung. Manieren hatte der, da konnte man nur den Kopf schütteln.
Die Scheune war leer bis auf ein Sammelsurium von Zigarettenstummeln und eine Anzahl von Flaschen, die einmal Schnaps enthalten hatten. Den verkonsumierten die Kerle wohl, bevor sie zu ihren Raubzügen aufbrachen. Die Schweine mußten sich Mut ansaufen, aus dem Alkohol bezogen sie ihre Legitimation für die fürchterlichen Untaten. Das entsetzliche Bild der beiden geschändeten und viehisch massakrierten Schwestern Big Hanks stand plötzlich vor meinem geistigen Auge. Ich versetzte einer Flasche einen Tritt, bückte mich dann aber und hob sie auf. Ein paar Stallaternen hingen an einem Pfosten. Ich nahm eine herunter und entleerte das Petroleum in die Flasche. Sie wurde etwas mehr als halbvoll. Ich verkorkte die Flasche und hängte die Laterne an den Pfosten zurück. Big Hank starrte mich an. »Was soll das denn?« »Sie haben eure Farm verbrannt«, sagte ich, »und mit dem Feuer gespielt. Ich werde ihnen zeigen, daß ich das auch kann.« In Big Hanks Augen blitzte es auf. Aber er sagte nichts weiter. Ich untersuchte den Zugang zur Scheune und stellte fest, daß das Tor mit einem Balken von außen zu verrammeln war. Sehr gut, dachte ich grimmig, heute abend würde das Spiel einmal anders herum verlaufen. Die Sonne neigte sich dem Westen zu, und wir zogen uns zu der Mulde zurück. Mein Schecke äugte mich schläfrig an. Er war wieder in friedlicher Stimmung. Shita hatte sich zusammengekringelt, blinzelte zu mir hoch, schnaufte und döste dann weiter. Das Warten begann. * Der erste der Kerle ritt von Süden heran. Die Sonne hatte ihre Tageskreisbahn beendet und war hinter einem Erlenwald verschwunden. Die Abenddämmerung setzte ein. Der Mann ritt im Schritt und saß krummrückig im Sattel. Nach seiner Haltung zu urteilen, strotzte er nicht gerade vor Energie. Sein Pferd schien davon angesteckt zu sein. Es setzte die Hufe, als wate es
durch Sirup. Sehr viel Wachsamkeit verriet der Mann auch nicht. Er drehte den Kopf weder nach links noch nach rechts, zurück blickte er schon gar nicht. Er stierte auf den Pferdekopf vor sich, der sich in dem Sirupschritt nickend bewegte, und der Mann nickte mit. Wenn ich jetzt »Buh!« gerufen hätte, wäre der Kerl wahrscheinlich vor Schreck vom Pferd gefallen. Er ritt in etwa zwanzig Schritten Abstand an uns vorbei. Sein Gesicht war knochig und mager, ein dünner Sichelbart umrahmte im Halbkreis ein Spitzkinn und verlieh diesem Gesicht einen Ausdruck von Grämlichkeit. Sieht so ein Mörder aus? fragte ich mich. Ich verneinte diese Frage. Aber unter der Anonymität der Kapuze würde sich dieses Gesicht verändern, Haß, Gier und Mordlust würden es verzerren. So absurd es klang – unter der Kapuze ließen sie die Masken ihrer Alltagsgesichter fallen. Die Kapuze war gleichsam die Tarnung für ihre Fratzen. Wenn ich etwas haßte – und daran hat sich bis heute nichts geändert –, dann war es dieser Typ eines Menschen, der sich feige unter einer Verkleidung verkroch, wenn er Gewalt ausüben wollte. Der Mann rutschte aus dem Sattel, band sein Pferd an einen Strauch rechts vom Eingangstor, kratzte sich am Bauch, fummelte an der Satteltasche herum und zog eine Flasche hervor. Da war bestimmt keine Limonade drin. Die Bestätigung erfolgte prompt. Kaum hatte er getrunken, krümmte er sich zusammen und hustete wie ein Schwindsüchtiger. Das mußte Fusel der billigsten Sorte sein, Sprit, wie man ihn zusammenpantschte und an die Indianer verhökerte. Ich warf Big Hank einen Blick zu. Er lag neben mir unter dem Buschwerk und starrte zu der Scheune hinüber. Sein Gesicht war kantig und hart. Ich ahnte, was in seinem Kopf vorging. Wahrscheinlich hatte er ähnliche Gedanken wie ich. Woher nur nahmen solche miesen Bastarde wie dieser Kerl dort drüben das Recht, Menschen anderer Hautfarbe abzuschlachten? Ich sah, wie sich Big Hanks mächtige Pranken um Schafthals und Lauf der Sharps krampften, die er dicht vor sich liegen hatte.
Ich stieß ihn an und schüttelte den Kopf. »Dieses Schwein!« flüsterte er. »Ich sollte …« »Nichts da!« flüsterte ich scharf zurück. »Erst sollen sie alle dasein, dann werden wir weitersehen.« Er preßte die Lippen zusammen, dann nickte er. Der Kerl soff, hustete wieder und verstaute die Flasche in der Satteltasche. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, rülpste, zog seine Hosen hoch und stiefelte in die Scheune. Ich hörte, wie er mit den Stallaternen hantierte. Kurz darauf schimmerte Licht durch die rissigen Spalten der Scheune. Inzwischen war es dunkler geworden. Etwa zehn Minuten später klang Hufschlag von Westen her auf und wurde lauter. Das mußten mehrere Reiter sein. Der Kerl mit dem Sichelbart erschien wieder vor der Scheune und zog ein Gewehr aus dem Sattelschuh. Er duckte sich hinter ein Gebüsch und tauchte erst wieder auf, als er wohl die Reiter erkannt hatte. »Hallo, Dave!« rief er und trat mit dem Gewehr unter dem Arm hinter dem Gebüsch hervor. »Dave O'Connor, der Hundesohn!« flüsterte Big Hank grimmig. »Er führt jetzt die Bande, seit du den Colonel erschossen hast.« Der mittlere der fünf Reiter hob die Hand. »Hallo, Creg! Schon da! Du bist wohl wieder scharf auf Niggerweiber, he?« »Du nicht?« fragte der Kerl mit dem Sichelbart zurück und meckerte wie ein Ziegenbock. Ich hörte, wie Big Hank mit den Zähnen knirschte. »Hank!« flüsterte ich mahnend. »Schon gut«, flüsterte er zurück. Die Kerle kletterten aus den Sätteln, lachten und benahmen sich, als sollte ein Fest gefeiert und ein Stier am Spieß gebraten werden. Nach und nach trafen auch die weiteren Mitglieder der Mordbrennerbande ein. Ich zählte mit. Vierzehn Kerle versammelten sich in der Scheune. Einer von ihnen blieb als Posten draußen und begann, die Scheune zu umrunden. Drinnen begann das Palaver. Ich bedeutete Shita, in der Kuhle zu bleiben, und wandte mich Big Hank zu, der mich erwartungsvoll ansah.
»Ich schalte den Posten aus«, sagte ich. »Dann besuchen wir die Kerle da drin.« Ich nickte zur Scheune. »Vielleicht weiß einer, wohin Louis Granger verschwunden sein könnte.« »Bist du verrückt?« Ich ignorierte die Frage und fuhr fort: »Wenn wir die Scheune verlassen, sorg dafür, daß du den Balken sofort vorlegst. Dann werde ich den Kerlen ein Feuerchen unter dem Hintern anzünden. In dieser Zeit wirst du dich um ihre Pferde kümmern. Sieh zu, daß du so viele wie möglichst zusammenhältst. Wir nehmen sie mit. Die anderen verjagen wir, damit sie uns nicht verfolgen können. Paß aber auf, ob einer von den Kerlen aus dem Bereich der Scheune, den du überblicken kannst, auszubrechen versucht. Wenn ja, schieß sofort. Alles klar?« Er nickte, und seine Augen glänzten. Ich steckte mir die Petroleumflasche zwischen den Gürtel und zog meinen Colt. Die Zündhölzer hatte ich griffbereit in einer Tasche. Ich blickte zur Scheune. Der Posten schlenderte gerade am Tor vorbei nach links und verschwand hinter der Scheunenecke.. Ich nickte Big Hank zu, sprang aus der Mulde und huschte nach rechts, umrundete die vordere Ecke, lief an der Längsfront der Scheune entlang und drückte mich an die hintere Ecke. Ich war überwach. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Wenn der Posten aus einer Laune des Zufalls heraus plötzlich entgegengesetzt die Scheune umrundete, würde er hinter mir auftauchen, mich sehen und Krach schlagen. Wenn er scharfe Augen hatte, mußte er mich trotz der Dunkelheit entdecken. Ich warf einen Blick zurück. Aber da war nichts zu erkennen. Dafür hörte ich die Schritte an der Rückfront der Scheune. Ich atmete auf. Es lief so, wie ich es geplant hatte. Ich duckte mich und lauerte. Den Colt hatte ich am Lauf gepackt. Der Posten schnaufte. Seine Nase schien verstopft zu sein. Er war völlig ahnungslos, als er die Ecke umrundete. Ich sprang ihn an und hieb ihm den Coltgriff auf den Hut. Er brach ächzend zusammen. In der Scheune ertönte lautes Gelächter. Das war die richtige Begleitmusik. Ich entlud die Schrotflinte, die er bei sich gehabt hatte, und warf die Patronen auf das Dach der Scheune. Dann
fesselte ich den Kerl, stopfte ihm einen Knebel in den Mund und band sein Halstuch darüber. Ein paar Sekunden später stand ich an der Vorderfront der Scheune und winkte zu der Mulde hinüber. Big Hank war mit ein paar Sätzen bei mir, einen Navy-Colt in der Faust. Diese Waffe stammte aus den Beständen von Louis Granger, genauso wie die Sharps und eine doppelläufige Schrotflinte. Big Hank war das reinste Waffenarsenal. Außerdem war er mit den Fäusten ein Kämpfer, wie ich es bisher selten erlebt hatte – flink, hart, geschmeidig und unerhört reaktionsschnell. Ich grinste ihn an, drückte das Tor auf und schlüpfte in die Scheune. An den Pfosten hingen zwei Stallaternen. Eine stand am Boden. Um sie herum hockten die Kerle. Drei hatten Flaschen in den Händen. Über die Scheunenwände zuckten Lichter und Schatten. Ich blieb außerhalb des Lichtscheins. Seitlich hinter mir, links, spürte ich Big Hank. Sie saßen da wie die Ölgötzen, mit Augen, die nichts begriffen, und halboffenen Mündern. Ich bewegte den Colt von links nach rechts, sehr langsam und sehr bedächtig, und sagte: »Wer sich bewegt, fängt ein Stück Blei ein. Es wird das Letzte sein, was er zu sich nimmt, bevor ihn die Hölle begrüßt.« Ein paar ächzten. Einer von den dreien, die gerade hatten trinken wollen, drehte sich etwas, und ich sah, wie er den Arm, dessen Hand die Flasche hielt, langsam nach hinten bewegte. Er wollte mir die Flasche an den Kopf werfen. Ich schoß aus der Hüfte. Die Flasche zerplatzte und verspritzte Fusel und Splitter. Seine Hand war plötzlich blutig, und auf seiner Stirn sprang ein blutiger Schnitt auf. »Na los doch!« sagte ich scharf. »Noch jemand, der es versuchen möchte? Aber dann zerschieße ich Köpfe und keine Flaschen!« Der Kerl, der jetzt eine zerschnittene Hand hatte und dem das Blut über die Augen lief, schluchzte laut auf, wurde käseweiß und kippte im Sitzen um, einfach so. Wahrscheinlich konnte er sein eigenes Blut nicht sehen. Ich bewegte mich nach rechts und nahm mit der Linken eine der
beiden Stallaternen von dem Nagel im Pfosten. Ich richtete den Schein auf den Kreis der Kerle. Sie starrten wie hypnotisiert zu mir hoch. Einige blinzelten, weil das Licht sie blendete. »Der Trader Louis Granger ist abgehauen und hat seine Handelsstation verlassen«, sagte ich, »Weiß jemand, wohin?« Einer der Kerle – er hockte links von mir – kriegte bibbernde Lippen und stotterte: »N-nach Rockwall, Te-Texas – er – er erzählte m-mir mal, d-dort sei ein Geschäftsfreund, m-mit dem er sich zuzusammentun wolle. Ehr-ehrlich, Mister.« Ich sah mir den Kerl genauer an. Log er, oder sprach er die Wahrheit? Aber er hatte Angst, hündische Angst. Er starrte in die Laterne, die ich auf ihn zuschwenkte, und ich glaubte an dem Ausdruck seines Gesichts erkennen zu können, daß er die Wahrheit sagte. »Warum meinen Sie, daß er sich nach dorthin abgesetzt hat?« fragte ich. Der Kerl brachte ein schiefes Grinsen zustande. »Er sagte, die Injus dort seien noch besser zu betrügen als die Nigger!« Er sagte die Wahrheit. Das genau war der Stil des Traders Louis Granger. Granger kannte nur eines: Geld! Geld war der Gott, den er anbetete, nichts sonst. Ich blickte zu Big Hank hinüber. Er nickte mir zu. In diesem Moment sagte Dave O'Conners, der Anführer dieser Bande von Mordbrennern: »Du Scheiß-Yankee, du dreckiger Sohn einer verlausten Hure, du verderbtes Miststück eines weißen Hurenbocks«, seine Stimme zitterte vor Wut, »dir drehe ich das Genick um, und wenn es knirscht, werde ich ›Hosianna!‹ singen …« Auch in mir kochte die Wut hoch. »Wie in jener Nacht, als Sie und Ihre Drecksbande zwei Mädchen vergewaltigten und viehisch massakrierten, wie? Nur zu, O'Conners! Singen Sie ›Hosianna!‹ Na los, singen Sie doch! Stehen Sie auf! Sie haben einen Colt. Die Chance gebe ich Ihnen. Hier!« Ich stieß meinen Colt in das Holster zurück und schleuderte die Stallaterne hinter mich. Sie zerbarst, Flammenschein zuckte auf. Dave O'Conners fuhr hoch. Sein Gesicht war eine Fratze aus Wut und Haß. Als er seine Waffe heraus hatte und durchzog, warf ich
mich nach links und schoß. Etwas Heißes raste über meinen Kopf. Über O'Conners Nasenwurzel war plötzlich ein ausgefranstes Loch. Sein Mund war weit aufgerissen. Das alles sah ich in Bruchteilen von Sekunden. Als ich auf den Boden prallte, warf ich mich herum und feuerte auf die Stallaterne in der Mitte der Kerle. Der Zylinder zerbarst und regnete Splitter. Ich sprang auf und feuerte auf die dritte Stallaterne am Pfosten. Aus der schoß eine Stichflamme hoch, dann explodierte etwas und warf einen Funkenregen in die Scheune. Die Kerle lagen am Boden und schützten ihre Köpfe. Ich hetzte zum Tor. Vor mir huschte ein Schatten heraus – Big Hank. Hinter mir flog das Tor zu, der Balken krachte in die Halterung. »Kümmere dich um die Pferde!« schrie ich Big Hank zu. Er raste los. In der Scheune brüllten die Kapuzenmänner. Durch die Spalten und Ritzen zuckte Feuerschein. Ich riß die Petroleumflasche aus dem Gürtel, fetzte den Korken mit den Zähnen heraus, beschüttete die rechte Längsfront der Scheune mit dem Petroleum, entzündete es, lief auf die andere Seite, wiederholte das gleiche und lauerte. Der Brand war vollkommen – innen und außen. Das morsche und trockene Holz der Scheune brannte wie Zunder. Auf dem Dach zerplatzten die beiden Schrotpatronen, die ich kurz zuvor hinaufgeschleudert hatte, und in der Scheune ertönten schrille Schreie. Fast innerhalb von Sekunden war die Scheune eine riesige Fackel. Ich wich vor der Hitze zurück. Rechts hinter mir hörte ich schrilles Wiehern. Die Pferde der Kapuzenmänner wurden wild. Vor mir zerbarsten Bretter der Längswand. Zwei Kerle taumelten hinaus. Ich schoß. Einer griff mit beiden Händen in die Luft und brach zusammen. Der andere kippte brüllend vornüber zu Boden. Mein Hammer schlug auf leere Patronen. »Ronco!« brüllte Big Hank. Ich warf mich herum und lief zu der Mulde. Shita kläffte mich an.
Big Hank saß bereits im Sattel seiner Stute. An einem Leitseil hatte er ein Rudel von Pferden. Wie schnell er die zusammengekoppelt hatte, war mir schleierhaft. Mein Schecke trabte auf mich zu und schnaubte wild. Ich schwang mich in den Sattel und gab meinem Pferd die Hacken. Vor mir jagte Big Hank mit dem Rudel los. Aus seiner Hüfte stachen zwei Feuerblitze – die Schrotflinte! Ihre Ladung raste in das Tor. Dort torkelten vier, fünf Männer herum, brennende Fackeln. Die beiden Schrotladungen trafen sie voll. Ich sah, wie die Kerle zerfetzt wurden, dann war ich vorbei. Wir galoppierten in die Nacht. Hinter uns lohte eine Feuersäule in den dunklen Himmel. Ich hoffte, daß die Mörder und Schänder dort für die Hölle gegart wurden.
2. Zwölf Pferde hatte Big Hank abgezweigt, und das war nicht mehr als recht und billig angesichts seiner dahingemordeten Familie und des Verlustes der Calhoun-Farm. Wir ritten die Nacht durch und einen Teil davon südwärts im Flußbett des Brushy Creek, um keine Spuren zu hinterlassen. Ich bezweifelte, daß man uns verfolgen würde, aber das war keine Garantie für unsere Sicherheit. Am Morgen durchfurteten wir den Brushy Creek westwärts und rasteten in einem ausgetrockneten Bachbett, das von verfilztem Buschwerk eingesäumt war. Hier wollten wir den Tag über bleiben und erst bei Dunkelheit weiterreiten. Ich entzündete ein rauchloses Feuer, über dem wir Speckscheiben brieten und einen Kaffee aufsetzten. Big Hank untersuchte die Satteltaschen der Pferde. Wie erwartet enthielten sie die verdammten Kapuzen der Kerle, weiterhin Munition, die wir unter uns aufteilten, etwas Tabak sowie Proviant, zwei Messer, den Warenkatalog eines Kaufhauses aus Little Rock, Verbandszeug, Zündhölzer und anderen Kleinkram, aber kein Geld. Was wir nicht brauchten, vergruben wir in dem Bachbett. Auch
die Sättel samt Satteldecken verschwanden unter der Erde. Eine Errungenschaft war ein Spencer-Karabiner mit dem Kolbenmagazin für sieben Patronen und dem Unterhebelverschluß. Diese Waffe übernahm ich samt dem Scabbard. Die anderen Waffen, darunter zwei Schrotflinten und drei Vorderlader, vergruben wir ebenfalls. Big Hank betrachtete nachdenklich die Pferde, nachdem wir das hinter uns hatten. »Verkaufen wir sie?« fragte er. »Klar«, erwiderte ich. Er runzelte die Stirn. »Meinst du nicht, daß man uns daraus einen Strick drehen könnte? Tatsächlich haben wir sie ja geklaut. Wir sind Pferdediebe.« »Mann«, sagte ich, »hör bloß auf, dir einen solchen Quatsch einzureden. Diese Strolche haben euch bestohlen und ausgeplündert – und du hast Skrupel wegen der Pferde! Schlag dir das bloß aus dem Kopf.« »Aber es ist nicht rechtens«, beharrte er. »Hank Calhoun«, sagte ich ein bißchen wütend, »ich habe keine Lust, mit dir darüber zu diskutieren, was rechtens oder nicht ist. Mir jedenfalls hat der verdammte Granger 350 Dollar abgeknöpft oder anders ausgedrückt, er hat mich betrogen. Und so etwas lasse ich mir nicht gefallen. Da Granger der Informant dieser Mord- und Räuberbande war, halte ich mich an dem schadlos, was wir wiederum diesen Kerlen abnehmen konnten – an den Pferden. Wenn du deswegen Bedenken hast, dann handele das mit deinem Gewissen aus. Ich habe diese Bedenken nicht, ich bin doch nicht verrückt. Die Pferde werden verkauft, und zwar zu Höchstpreisen. Wir verkaufen den Besitz von Verbrechern, von Mördern und Frauenschändern, von Strolchen und Banditen, ich wüßte nicht, was daran schlecht sein sollte.« Er kaute immer noch auf seinen Skrupeln herum. »Aber wenn man fragt oder Nachforschungen anstellt, von wem oder woher wir die Pferde haben?« »Wer ist ›man‹«? fragte ich. »Na, derjenige, der die Pferde kauft.«
»Soll er doch. Wer viel fragt, kriegt viel Antwort. Im übrigen werden die Pferde in Texas verkauft, nicht hier in Arkansas. In Texas kräht kein Hahn danach, ob wir geklaute Pferde anbieten. Und dann erzähl mir mal, woher der Käufer wissen soll, daß die Pferde aus Arkansas stammen!« »Vielleicht kennt er die Brandzeichen.« Ich starrte den riesigen Schwarzen wie einen Verrückten an. Dieser Hank Calhoun raubte mir den letzten Nerv. »So«, sagte ich. »Er kennt die Brandzeichen. Nach vier Jahren Krieg kennt der Käufer in Texas die Brandzeichen aus Arkansas.« Ich tippte an die Stirn. »Spinnst du?« Ich hatte am Feuer gekocht. Jetzt stand ich auf, ging zu den Pferden und untersuchte sie. Zwei von den zwölf Tieren waren gebrandet worden. Das eine hatte einen Kreis auf der rechten Schulter, das andere einen Balken auf der linken Hüfte. Beides waren Brandzeichen, die auf gar nichts hindeuteten. Die gab's in Montana genauso wie in Kansas oder Virginia. Ich drehte mich zu Big Hank um. »Zwei sind gebrandet. Wenn es dich beruhigt, jag ich sie zum Teufel.« »Vielleicht besser, wie?« Er grinste verlegen. Ich sonderte die beiden Pferde aus, führte sie aus unserem Versteck und schlug ihnen meinen Hut über die Kruppen. Sie stoben davon. Vielleicht schlossen sie sich einer Herde an oder fanden zu ihren Farmern zurück. Der Hufschlag wurde leiser und verklang. »Danke«, sagte Big Hank, als ich ans Feuer trat. »Schon gut, du alter Pferdedieb!« Ich legte mich in den Schatten und zog mir den Hut über die Augen. »Weck mich in vier Stunden. Dann übernehme ich die Wache.« »Geht klar«, sagte Big Hank. * Eine Woche später lag Arkansas hinter uns. Wir hatten den Red River überquert und schlichen nicht mehr wie die Diebe durch die Nacht, sondern trieben unsere kleine Herde bei Tag und gelangten schneller vorwärts.
Eins hatte ich inzwischen kapiert und gab Big Hank im stillen recht. Welchen Ort wir auch passierten oder wem wir begegneten, wir stießen auf Mißtrauen, wenn nicht sogar auf schroffe Ablehnung. Zum Teil hing das aber auch damit zusammen, daß ein Weißer an der Seite eines Schwarzen ritt. Südlich von Jacksonville stießen wir am zehnten Tag auf dem Trail westwärts auf drei Reiter, die keineswegs so aussahen, als gehörten sie zu der frommen Sorte der Milchtrinker. Ich verhielt meinen Schecken und blieb vor der Herde stehen. Die drei Männer zügelten ebenfalls ihre Pferde, musterten mich, dann die Herde, dann Big Hank. Der mittlere der drei Reiter, ein grobschlächtiger Mann mit einem Schnauzbart und kalten grauen Augen, stützte sich auf das Sattelhorn und zeigte ein Grinsen, das Ähnlichkeit mit einer zähnefletschenden Bulldogge hatte. »Hallo, Kleiner!« sagte er. »Woher – wohin?« Ich schaute mich um und schüttelte verwundert den Kopf. Zu Big Hank sagte ich sehr laut und deutlich : »Hast du hier einen ›Kleinen‹ gesehen, Hank?« Er grinste, blickte sich ebenfalls um und sagte: »Kein Stück, nichts, hier ist kein ›Kleiner‹. Vielleicht ist der Mister kurzsichtig.« »Sind Sie kurzsichtig, Mister?« fragte ich höflich. Der Schnauzbart fletschte nicht mehr die Zähne, dafür war seine Stirnader geschwollen, was darauf hindeutete, daß sein Blutdruck gestiegen war. »Hier stelle ich die Fragen!« fauchte er mich an. »Verstanden?« Shita rechts von meinem Schecken begann zu knurren. Ihm paßte die Tonart des Schnauzbärtigen genausowenig wie mir. »Halt die Schnauze, du Scheißköter!« stieß der Schnauzbart hervor. »Jetzt reicht's«, sagte ich scharf. »Ziehen Sie weiter, Mister Schnauzbart, oder ich hetze Ihnen den Hund auf den Hals. Ihr rüder Ton gefällt meinem Hund nicht – und mir schon gar nicht« Mit einem Griff hebelte ich die Spencer durch, die ich quer vor mir im Sattel hatte, und richtete sie auf ihn. »Bist du verrückt, Junge?« Jetzt wurde er plötzlich manierlicher.
»Ich habe mit Ihnen noch keinen Whisky getrunken, Mister«, sagte ich eisig. »Und als ich noch ein Junge war, habe ich Typen wie Ihnen, die mir dumm kamen, die Kehle aufgeschlitzt. Jetzt tut's auch ein Stück Blei, klar?« Er schwitzte. »Mann, Mann, du – Sie sind wohl mächtig scharf, wie?« »Richtig«, sagte ich. »Was – was ist mit der Herde?« fragte er. »Was soll mit der sein?« fragte ich zurück. Er räusperte sich. »Gehört sie – äh – Ihnen?« »Ja, nachdem ich sie geklaut habe.« »Geklaut?« Er kriegte den Mund nicht mehr zu. »Ja, geklaut, und zwar den Yankees, oben in Arkansas.« Er starrte mich verwirrt an, dann huschte sein Blick zu Big Hank hinüber. Ich sah, daß sein Verstand Purzelbäume schlug. Ich sagte: »Der schwarze Mister dort ist mein Hausboy. Mein Vater, der eine Plantage in Virginia hatte, kaufte ihn mir, als ich sechs Jahre alt war. Die Plantage ist im Eimer, aber meinen Hausboy habe ich noch. Die Plantage wurde von den Yankees zerstört. Und darum klaute ich ihnen die Pferde – Armeepferde, ungebrändet.« Erst dachte ich, er kriegt einen Schlaganfall, aber dann brüllte er lachend los, klatschte sich auf die Schenkel und schrie: »Hausboy – den verdammten Yankees geklaut – Armeepferde – ich lach mich tot! Habt ihr so was schon gehört?« Seine beiden Begleiter lachten und wieherten. Der Schnauzbart kriegte einen Hustenanfall und reckte die Arme in die Höhe, während einer der beiden ihm den Rücken abklopfte. Dem Schnauzbart liefen die Tränen aus den Augen. Er keuchte, ächzte, schnaufte, zwischendurch kicherte er. Als er sich beruhigt hatte, sagte er: »Wissen Sie, was ich bin, Mister?« »Na?« »Pferdehändler.« Da war ich doch total geschafft. Pferdehändler! Ich drehte mich zu Big Hank um. Der war auch geschafft. Er sah aus, als sei er mit dem Kopf gegen eine Mauer
gerannt. Wahrscheinlich sah ich genauso aus. Ich blickte wieder den Schnauzbart an. Das Zähnefletschen war verschwunden. Jetzt ähnelte der Schnauzbart eher einem Kater, der dabei ist, eine Schale mit Sahne aufzuschlecken. »Wollen Sie die Herde verkaufen, Mister?« fragte er zuckersüß. »Vielleicht«, sagte ich vorsichtig. »Darf ich mir die Tiere mal ansehen?« »Natürlich.« Er rutschte aus dem Sattel, übergab sein Pferd einem seiner Begleiter und ging zu der Herde. Ich musterte die beiden Männer. Es waren harte Burschen. Wahrscheinlich sollten sie seine Brieftasche bewachen und später die Pferde, die er kaufte. Der Schnauzbart stiefelte um die Pferde herum, sagte »hm, hm«, studierte einzelne Hufe, untersuchte die Gebisse, kniff ein Auge zu, während er zurücktrat und den Bau betrachtete, murmelte »so, so« und wieder »hm, hm«, tätschelte ein Pferd, klopfte dem anderen auf die Kruppe und schien in Gedanken bereits zu rechnen. Er brauchte etwa zehn Minuten. Dann ging der Handel los. Er hakte die Daumen in Achselhöhe unter seine Hosenträger, schaute in den Himmel, schaukelte auf den Ballen, blickte mich an und sagte: »Ein Pferd ist säbelbeinig, zwei zeigen Ansätze zur Faßbeinigkeit, eins hat seine besten Jahre hinter sich, zwei haben wohl mal als Zugpferde gedient, na ja, alles in allem nicht schlecht, aber auch nicht Spitze. Was soll die Herde kosten, Mister?« Er drehte sich noch einmal zu der Herde um. »Zehn Tiere«, fügte er hinzu. »Elf«, sagte ich sanft. »Elf?« Er schaute mich überrascht an. »Haben Sie das übersehen? Bei der braunen Stute dort ist etwas unterwegs.« Ich deutete nach rechts, wo die Stute stand. »Ah, ja.« Er grinste. »Also elf.« »Sechzig Dollar pro Pferd«, sagte ich. »Vierzig!« Er rang die Hände. »Mister, ich geh am Stock! Bei diesen Zeiten! Wir haben den Krieg verloren! Sechzig? Unmöglich, völlig ausgeschlossen, da bin ich pleite.« »Aber, aber«, sagte ich. »Jetzt ist Hochkonjunktur im Pferdehandel, alles braucht Pferde. Und warum? Weil der Krieg so
viele Pferde verschlungen hat, Pferde sind Mangelware. In Arkansas werden Pferde zur Zeit mit achtzig, neunzig Dollar gehandelt. Und hier? Hier ist Rinderland, hier werden Pferde gebraucht, das wissen Sie doch, Mister. Also, sechzig Dollar pro Pferd sind ein Geschenk. Das ist ein Angebot, wie Sie es nie wieder kriegen, nie wieder!« Er seufzte. »Fünfzig!« »Sechzig! Da beißt keine Maus den Faden ab.« »Erbarmen! Wovon sollen wir Pferdehändler denn noch leben? Ich muß meine Leute bezahlen, meine Unkosten, das Futter für die Tiere, da müssen Hufe beschlagen werden …« Er stöhnte und ächzte und jammerte. »Sechzig«, sagte ich hart. »Fünfundfünfzig – mein letztes Angebot, Mister, wirklich, mehr kann ich nicht bezahlen, der Herr sei mein Zeuge!« »Sechzig!« Er nahm seinen Hut ab, zerknautschte ihn, stülpte ihn wieder über, lamentierte, verfluchte die Yankees, die Zeiten, den verlorenen Krieg und war nahe daran, zu schluchzen. »Also, Mister«, sagte ich. »Elf mal sechzig ergeben sechshundertsechzig. Einverstanden? Für sechshundert haben Sie die Herde, das ist ein Bombengeschäft für Sie.« »Sechshundert, einverstanden«, sagte er schwach. »Ich bin ruiniert, ich geh am Stock.« Er holte seine Brieftasche aus der Brusttasche, befeuchtete Daumen und Zeigefinger der Rechten und pflückte sechs Scheine aus einem Packen von Banknoten. Dieser Gauner! Der ging noch lange nicht am Stock. Ich hätte den Preis ruhig noch höher ansetzen können, aber das Geschäft war abgeschlossen. Er trat zu mir und reichte mir die sechs Scheine hinauf. Es waren Hundert-Dollar-Noten. Ich fächerte sie zusammen und bedankte mich. Jetzt strahlte der Schnauzbart, woraus eindeutig hervorging, daß sein ganzes Gejammere ein herrliches Theater gewesen war. Diese Pferdehändler sind eben eine besondere Sorte. Ich wünschte dem Schnauzbart eine gute Zeit, noch bessere Geschäfte, tippte an die Hutkrempe und sah zu, wie sie die Herde nach Osten trieben.
Mit einem Schenkeldruck lenkte ich meinen Schecken neben die Stute Big Hanks. Der nahm seinen Hut ab und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn. »Mann«, sagte er beinahe ehrfürchtig, »was du dem Kerl da vorgeflunkert hast, geht auf keine Kuhhaut. Du bist noch nicht mal rot geworden. Aber der hat's geschluckt. Als du sagtest, die Pferde seien geklaut, dachte ich, mich trifft der Schlag.« Ich grinste. »Das war doch die Wahrheit.« »Das ja, aber alles andere war gelogen.« »Und was hat der Schnauzbart getan? Gejammert, er ginge am Stock, sei ruiniert und was weiß ich. Nach dem Packen Banknoten zu urteilen, den er in seiner Brieftasche hatte, war der Kerl alles andere als ruiniert.« Ich gab Hank drei Hundert-Dollar-Noten. »Hier, dein Anteil.« Er nahm die Scheine, kniffte sie vorsichtig zusammen und steckte sie in die Hemdtasche. »Wenn das mein Vater wüßte«, murmelte er. »Hör auf«, sagte ich. »Dein Vater war ein bibelfester Mann, der euch in der Furcht des Herrn erzogen hat. Aber die ihn und deine Familie umbrachten, kümmerte eure Anständigkeit, euer gottgefälliges Leben einen Dreck. Ihr glaubtet an den Händler Granger, aber er verriet euch an die Mörder. Wach endlich auf, Hank, und vergiß nie, daß es zwar gute Menschen gibt, aber auch Schurken, Betrüger, Sadisten, Killer und sonstiges Lumpenpack. Wir wären Narren, wenn wir vor diesem Gesindel den Nacken beugen würden.« »Ich weiß«, sagte Big Hank leise.
3. Rockwall war eine jener überflüssigen Städte, bei denen ich mich immer wieder fragte, wovon sie lebten und ob es nicht besser sei, sie mittels einer Stampede wieder in den Boden zurückzustampfen. Städte, ob große oder kleine, hatten mir bisher nie gefallen. Jede Stadt war so gut wie ihre Einwohner, und das waren allzu oft Menschen, die nicht stark genug waren, für sich allein in dem wilden
Land westlich des Red River zu bestehen. Also schlossen sie sich zusammen und gründeten eine Stadt, eine Stadt wie Rockwall zum Beispiel. Ein Drecknest mit Bretterbuden, ein paar Steinhäusern, einer Kirche und einem Stiefelhügel, einem Store, zwei Saloons, einem Mietstall, einer Schmiede, einem Hotel – und einem Marshal. Das war Rockwall inmitten von Farmland, Weideland und Niemandsland. Und in das Niemandsland – so hatten wir gehört – waren im Laufe der Kriegsjahre wieder Indianer eingesickert, Apachen, die eine Chance witterten, das Land ihrer Väter zurückzuerobern. Ähnlich wie in Arkansas herrschten in Texas chaotische Zustände. Wenn dort schon die Militärverwaltungen, die für die Einhaltung der Besatzungsgesetze zu sorgen hatten, überfordert waren, so traf das in diesem Teil von Texas erst recht zu. Die Armee hatte alle Hände voll zu tun, um mit den kriegerischen Apachen fertig zu werden. Um die Verwaltung der besetzten Gebiete konnte sie sich so gut wie gar nicht kümmern. Kein Wunder, daß es in diesem Land brodelte und kochte. Ich war auf der Hut. Das betraf weniger mich als vielmehr meinen Freund Big Hank Calhoun, der erstens ein »Nigger« war, zweitens durch seine Größe auffiel und drittens ein gutgeschnittenes Gesicht mit einer schmalen Nase und einem festen, energischen Kinn hatte. Objektiv betrachtet, frei von Rassenvorurteilen, war Big Hank äußerlich ein Mensch ohne Fehl und Makel, und genau das paßte den meisten Weißen nicht. Ein »Nigger« hatte ein plattnasiger Urwaldaffe zu sein, einer, der auf seinen Bauch trommelte, Bananen fraß und von Baum zu Baum hüpfte. Für den hochmütigen, dünkelhaften Weißen war der hochgewachsene, gutaussehende Big Hank eine Herausforderung. Der Mietstallbesitzer, ein weißhaariger, alter Mann, sagte nichts, als wir unsere Pferde bei ihm unterstellten. Dazu war er wohl zu weise und abgeklärt. Aber der Clerk in dem Hotel, eine graue Maus mit Nickelbrille, plusterte sich auf und erklärte, in diesem Hotel seien nur Weiße erwünscht. »Und warum?« fragte ich.
Die graue Maus reckte das Brüstchen, starrte zu Big Hank hoch, wobei sie den Kopf in den Nacken legen mußte, und sagte: »Alle Nigger sind Zechpreller.« Big Hank blieb ruhig, lächelte freundlich und legte eine HundertDollar-Note auf den Tresen. »Ich bezahle im voraus«, sagte er, »zunächst für vier Übernachtungen. Können Sie wechseln, Mister?« »Macht vier Dollar«, sagte die graue Maus, grapschte nach der Banknote, hielt sie ans Licht und betrachtete sie entzückt. »Wenn Sie Ihre Besichtigung beendet haben«, sagte ich, »seien Sie doch bitte so freundlich, Mister Calhoun hier das Wechselgeld zu geben und uns ein Bad richten zu lassen. Welche Zimmer kriegen wir?« »Wie? Ach so, ja! Selbstverständlich. Welche Zimmer?« Er schaute zum Schlüsselbrett. »Nummer acht und zehn, links den Flur hinunter, jawohl.« Er fischte die Schlüssel vom Haken und legte sie auf den Tresen. »Das Wechselgeld«, mahnte ich. »Ja, die Bäder werden gerichtet, selbstverständlich, Sir. Wollen Sie auch noch speisen? Unsere Küche ist in Rockwall allseits beliebt.« Die Banknote war inzwischen verschwunden. Wie und wohin, das hatte ich nicht mitgekriegt. Die graue Maus mußte ein Fingerakrobat sein. »Mister Calhoun wartet auf das Wechselgeld, Mister«, sagte ich. »Wechselgeld? Was für Wechselgeld? Wofür denn Wechselgeld?« So war das also. Ich ließ die graue Maus in die Mündung meines Navy-Colts blicken und sagte: »Da vorn fliegt gleich was raus und sorgt in Ihrem Gehirn für Durchzug, Mister, wenn Sie nicht augenblicklich das Wechselgeld herausrücken – sechsundneunzig Dollar, klar?« Die graue Maus wurde noch grauer, bläßlichgrau, schluckte und stierte in die Coltmündung. »Ich – ich hol den Marshal«, wisperte die graue Maus. »Versuchen Sie's mal«, sagte ich höhnisch und spannte den Hammer. »Mit einem Loch im Kopf können wir Sie höchstens zum
Marshal tragen, als Leiche, wohlgemerkt!« »Das – das ist Erpressung!« keuchte die graue Maus, starrte plötzlich an mir vorbei und schrie: »Man will mich ermorden, Marshal!« Ich drehte mich um, Big Hank ebenfalls. In der Tür stand ein hagerer Mann, grauhaarig, grauäugig, mit einem schmalen, harten Gesicht, in das das Leben seine Runen eingegraben hatte. Er trug eine Schrotflinte unter dem Arm, deren Läufe nach unten zeigten. »Was ist los, Wilson?« fragte er ruhig. »Dieser Nigger hier wollte mir die Kehle durchschneiden.« Der Marshal musterte Big Hank, der am Tresen stand, natürlich ohne ein Messer, und schüttelte den Kopf. Dann fiel sein Blick auf meinen Colt, den ich gerade ins Halfter schob. Irgendwie hatte ich Vertrauen zu diesem hageren, grauhaarigen Mann. »Die Kerle wollten meine Kasse plündern!« stieß die graue Maus hervor. »So? Was denn noch alles, Wilson? Kehle durchschneiden, Kasse plündern. Ist in der Kasse überhaupt was drin? Ihr habt doch seit einem Monat kaum einen Gast gehabt.« Die graue Maus schnaubte erbittert, sagte aber nichts. »In der Kasse oder aber in den Taschen dieses Gentleman müßten hundert Dollar sein, vielmehr eine Hundert-Dollar-Note«, sagte ich. »Mister Calhoun hier gab sie diesem Gentleman als Vorauszahlung für vier Übernachtungen á einem Dollar …« »Lüge!« schrie der Gentleman namens Wilson. »Als dieser Gentleman das Wechselgeld nach mehrmaliger Aufforderung nicht herausrücken wollte«, fuhr ich fort, »sah ich mich leider gezwungen, etwas nachdrücklicher zu werden.« Der Marshal seufzte und blickte die graue Maus scharf an. »Wilson«, sagte er. »Ich bin es allmählich satt. Wenn Sie hier Dienst tun, gibt's ständig Stunk. Entweder geben Sie das Wechselgeld heraus oder die Hundert-Dollar-Note zurück. Als Clerk dieses Hotels sind Sie keine Leuchte unserer Stadt. Es ist jetzt genau das vierte Mal, daß Sie diesen faulen Trick versuchen.« »Dieser Nigger …« »Es ist mir völlig gleichgültig, ob der Gast ein Neger oder Chinese
oder sonst was ist«, sagte der Marshal scharf. »Wenn er bezahlen kann, hat er ein Anrecht, als Gast behandelt zu werden. Also, wo ist das Geld?« Die graue Maus wuchtete eine Stahlkassette hoch und knallte sie auf den Tresen. Dreißig Sekunden später lag das Wechselgeld auf der Platte, und Big Hank steckte es ein. »Danke, Marshal«, sagte er. Die grauen Augen des Marshals waren abweisend. Er musterte die Waffen, die wir mit uns schleppten, und sagte: »Ich dachte, der Krieg sei vorbei. Ihr seid bis an die Zähne bewaffnet. Ein bißchen merkwürdig, wie?« »Mag sein«, erwiderte ich, »aber wer in diesem Land unbewaffnet herumläuft, ist entweder ein Narr oder ein Selbstmörder.« Das Gesicht des Marshals blieb unbewegt. »Eine Antwort, die leider stimmt.« Er nickte. »Sie wollen vier Tage – das war die Vorauszahlung – in Rockwall bleiben. Suchen Sie hier etwas Bestimmtes?« »Ja«, erwiderte ich. »Ich suche einen Mann namens Louis Granger, ehemals Trader im Gebiet zwischen Eagle Hill und Mount Ida, Arkansas. Er soll sich nach Rockwall gewandt haben.« »Louis Granger?« Der Marshal schüttelte den Kopf. »Einen Mann dieses Namens hier es hier nicht, jedenfalls habe ich diesen Namen hier noch nicht gehört, was aber nichts zu besagen hat. Was ist mit diesem Mann, Mister …?« »Ronco. Er schuldet mir 350 Dollar, und ich habe nicht die Absicht, sie ihm zu schenken.« »Das riecht nach Verdruß«, sagte der Marshal. »Aber ich kann Sie verstehen.« Er nickte mir zu, wandte sich um und ging nach draußen. Ich sah, daß er den rechten Fuß nachzog. Mister Wilson, die graue Maus, war ein Schmierenkomödiant. Er lächelte, als sei nichts geschehen und die Welt in bester Ordnung. »Die Gentlemen wünschten ein heißes Bad?« sagte er. »Bitte sehr, in einer halben Stunde. Pro Gast fünfundzwanzig Cents, bitte sehr, zahlbar vor Betreten der Badestube, Handtücher und Seife sind in dem Preis Inbegriffen.« Ich bezahlte fünfzig Cents und sah den Clerk kalt an.
»Wenn Sie jetzt noch einmal Ihren dämlichen Trick versuchen und vielleicht behaupten sollten, die fünfzig Cents seien noch nicht bezahlt, dann wische ich mit Ihnen die Badestube aus und hänge Sie danach zum Trocknen an die Wäscheleine, klar?« »Klar«, sagte Mister Wilson unverdrossen und kassierte die Münzen wieselflink. Aber er versuchte keine Tricks mehr. * Nach dem Bad und einer guten Steak-Mahlzeit sahen wir uns gründlich in Rockwall um. Vielleicht entdeckten wir irgendwo den Halunken Granger, aber den Gefallen tat er uns nicht, wenn er wirklich hier sein sollte. Wir betraten schließlich einen der beiden Saloons, um unsere durstigen Kehlen anzufeuchten. Big Hank hatte zwar Bedenken wegen seiner Hautfarbe, aber war dann auch wieder trotzig genug, es dennoch zu riskieren. Im stillen bewunderte ich seinen Mut. Zweimal schon hatte er sich in dem verdammten Eagle Hill öffentlich in einem Boxkampf weißen Schlägern gestellt und sie besiegt. Er war ein Kämpfer mit hohen moralischen Qualitäten, fair, tapfer und hart im Nehmen. In dem Saloon verstummte jegliches Gespräch, als wir, der Weiße, der Schwarze und ein Bastardhund, erschienen und zur Theke gingen. Ich schätzte, daß etwa zweiundzwanzig Augenpaare hinter uns herstarrten. Im Vorbeigehen sah ich vier, fünf Männer, die noch die Uniformhosen oder Hüte der Armee der Südstaaten trugen – hagere Texaner mit verbitterten Gesichtern. »Zwei Bier, bitte«, sagte ich zu dem Mann hinter dem Tresen. Er hatte Augenbrauen, die wie fette Raupen aussahen, nahezu gelbliche Augen, Wulstlippen und eine Knollennase. Sehr hübsch sah er nicht aus. Den Krieg schien er auch gut überstanden zu haben – nach seinen Speckfalten zu urteilen. »Ist eins der beiden Biere etwa für den da?« sagte er und deutete mit seinem Wurstdaumen auf Big Hank. Es ging also schon wieder los. Allmählich kriegte ich das große
Kotzen. Dieses Mal allerdings übernahm Big Hank die Initiative. Sehr sanft sagte er: »Richtig, Mister, das Bier ist für mich. Ich bezahle es auch. Oder sind Sie der Ansicht, das Geld eines Niggers nicht annehmen zu dürfen? Geld stinkt nicht, Mister. Dem Geld ist es egal, wer es angefaßt hat. Ich bezahle Ihnen freiwillig für das Glas Bier zehn Cents, obwohl Sie draußen angeschlagen haben, daß es nur vier Cents kostet. Na?« Der Keeper starrte auf die zehn Cents, die Big Hank zu ihm hinschob, seine Raupen über den Augen hatten Zuckungen, er wischte die zehn Cents mit einer huschenden Bewegung in eine Schublade vor seinem Speckbauch – und zapfte das Bier in einen Krug. Big Hank lächelte fröhlich. Ich bezahlte vier Cents und erhielt auch mein Bier. Wir nahmen unsere Krüge und setzten uns an einen freien Tisch. Die drei Männer an dem Tisch rechts neben uns standen auf und setzten sich zu zwei anderen, die an einem Tisch links neben den Schwingtüren hockten und glotzten. Alles glotzte. Und keiner sprach. »Prost«, sagte ich zu Big Hank und hob meinen Krug. »Prost«, sagte Big Hank und lächelte immer noch. Wir tranken und setzten die Krüge ab. Die Stille um uns herum war beängstigend. Wir saßen in einer Gruft, abgeschlossen von der Außenwelt. Luft hatten wir, aber sie war voller Spannung – einer Spannung, die Shita, meinem Bastardhund, auf die empfindlichen Nerven ging. Und aus seinem Brustkasten ertönte jenes Knurren, das seine Bereitschaft ankündigte, dem Teufel und der Hölle an die Kehle zu springen. Einer der Texaner, deren Kleidung sie als ehemalige konföderierte Soldaten auswies, stand auf und stakste auf den Tresen zu. Mit einem Griff zog er den Barkeeper zu sich heran und sagte: »Ist das hier ein Niggerpuff oder was?« Der Keeper kriegte Froschaugen und stotterte. Der Texaner – er hatte den Keeper mit der Linken am Halsausschnitt fest im Griff – holte mit der Rechten aus und donnerte sie ihm unter das Kinn.
Der Keeper krachte mit dem Kopf voran in das Regal hinter dem Tresen, das Regal kippte vornüber, weil der Idiot nach links und rechts oben in zwei Seitenwände griff, um sich festzuhalten – und damit brach der ganze Saftladen über ihm zusammen. In diesem Regal hatten Flaschen und Gläser gestanden. Das alles landete auf dem Tresen und auf dem Boden. Der Tresen wurde von dem Regal blockiert. An der nackten Wand, wo das Regal gestanden hatte, turnten Spinnen an ihren zerrissenen Netzen hoch und verteilten sich fluchtartig an den oberen Ecken. Unter dem umgekippten Regal grollte und tobte der Keeper. Vor dem Tresen versammelte sich eine Pfütze diversen Inhalts – Whisky war auch dabei. Shita tigerte darauf zu und begann zu schlabbern. Diese Schnapspansche soff er umsonst. Wenn er sich an den Glassplittern die Zunge zerschnitt, konnte ich das auch nicht ändern. Mir blieb gar nicht mehr die Zeit, ihn zur Ordnung zu rufen. Jetzt entwickelten sich die Dinge nach ihrer eigenen Gesetzlichkeit. Der Texaner rückte auf Big Hank zu. »Steh auf, Nigger«, sagte er, »damit ich dir zeigen kann, wo die Tür ist. Affen sind hier nämlich unerwünscht.« »Warum bist du dann noch hier, Mister?« sagte ich und stand langsam auf. Auch Big Hank stand auf, lässig, die Ruhe selbst, völlig entspannt. Er überragte den Texaner um mindestens drei Handbreiten. Der Texaner funkelte mich an. »Hast du hier auch was zu sagen, du Säugling?« »Ja, Opa«, erwiderte ich, »zum Beispiel, daß du hinterher nicht heulst, wenn dich mein Freund Hank ungespitzt durch den Fußboden schlägt. Ich sage das als Warnung. Das gilt auch für die anderen texanischen Holzköpfe hier im Saloon. Mein Freund Hank und ich, wir lassen uns nicht auf den Zehen herumtrampeln. Aber wenn ihr es versucht, dann gibt's hier Kleinholz!« Na, das war ja wohl starke Medizin. Zuerst waren sie wie erstarrt. Dann sagte einer von den ehemaligen Soldaten: »Hau dem Bengel was auf die Schnauze, Pat!« Der Texaner vor Big Hank schüttelte den Kopf und sagte: »Erst kriegt der Drecksnigger sein Fett, dann das Bürschchen.«
Ich zuckte mit den Schultern, trank noch einen Schluck Bier und goß den Rest dem Texaner namens Pat ins Gesicht. »Gib's ihm, Hank«, sagte ich und schnappte mir meinen Stuhl. Sekunden später fing der Texaner Big Hanks Kinnhaken ein und wurde von der Wucht des Schlages regelrecht gegen den Tresen geklatscht. Er landete in den Scherben und Glassplittern, was ihm gar nicht guttat. Außerdem rempelte er Shita um, und der verarbeitete seine Hose zu Putzlumpen. Die Texaner traten zum Angriff an. Big Hank und ich wichen zu der hinteren Wand zurück, um den Rücken frei zu haben. Ein Bulle von Kerl stieß vor, um Big Hank anzunehmen. Zwei andere liefen in meinen Stuhl. Über meinen Kopf flog eine Flasche und zerplatzte an der Wand. Der Bulle rannte inzwischen in einen krachenden Haken Big Hanks, wurde von den Füßen gerissen und prallte den Nachstürmenden zwischen die Beine. Das schaffte Luft. Sie behinderten sich gegenseitig, zwei stürzten zu Boden. Wie ein Blitz fegte Shita dazwischen – mit gefletschten Zähnen und tückischen Augen. Nach dem Schnaps, den er sich einverleibt hatte, war er noch furchtloser. Ich hörte, wie er zuschnappte, und einer der Kerle laut brüllte. Dann schrammte eine Faust an meiner Schläfe vorbei, was ich aber gern hinnahm, denn hinter meinem Kopf war die Wand, und die bestand aus eisenharten Bohlen. Wer so blöd ist, seine Faust auf solche Bohlen abzufeuern, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Knöchel zersplittern. Der Kerl schrie, als würde er abgestochen, hüpfte auf einem Bein und schlenkerte die Hand. Ich räumte ihn mit einem rechten Schwinger weg, traf einen anderen in den Bauch, zog meinen Colt, packte ihn am Lauf und arbeitete mit dem Griff weiter. Sie fielen reihenweise um. Ich hatte etwas Pause, um das Schlachtfeld zu überblicken. Big Hank hatte gerade zwei Texaner bei den Schöpfen gepackt und donnerte ihre Köpfe zusammen. Pat, jener Bastard, der Big Hank einen »Drecksnigger« genannt hatte, torkelte am Tresen entlang, wackelte mit dem Kopf, präsentierte seine schmutzigen Unterhosen
und trat auf seine zerfetzte Uniformhose, die ihm bis zu den Knöcheln hinuntergerutscht war und die er hinter sich herschleppte. Er schlug der Länge nach hin, dieser Vollidiot. Einer raste durch die Schwingtür. An seinem Hinterteil hing Shita. Der Krach war unvorstellbar. Um die hintere Tresenecke kroch der Barkeeper und richtete sich auf. Er hatte ein verschwollenes Kinn und glasige Augen. Als er den Texaner Pat entdeckte, der im Sitzen aus seiner zerfetzten Hose steigen wollte, schnappte er sich ein Stuhlbein und schlug es ihm über den Schädel. Einer stürmte auf mich los, vor sich einen Stuhl als Rammbock. Ich glitt zur Seite und ließ ihn gegen die Wand prallen. Als er sich umdrehte, empfing er meinen Jagdhieb mit dem Coltgriff. Shita wetzte wieder in den Saloon. Er hatte einen Stiefel zwischen den Zähnen und beutelte ihn. Sein Knurren war trotz des Lärms zu hören. Die Angriffe ebbten ab. Vor uns lagen Männer, halb betäubt, einige versuchten, hochzukommen, andere krochen. Rechts neben der Schwingtür standen noch vier, ziemlich unentschlossen, ob sie den Kampf fortsetzen sollten. »Na los doch, ihr Hurensöhne!« schrie ich. »Euch Hampelmänner schaffen wir auch noch! Was ist los! Flattern euch die Hosen?« Sie gaben auf. Sie schlichen durch die Schwingtür wie geprügelte Hunde, und das waren sie ja auch. Dann prallte die Schwingtür wieder zurück, und der Marshal erschien, wieder die Schrotpuste unter dem Arm. »Die Party ist vorbei«, sagte er und musterte die Zerstörung sowie die zerschlagenen Kerle, die stöhnten und ächzten und mühsam versuchten, sich wieder auf die Beine zu stellen. Sein Blick fiel auf mich. »Wenn ich Ihnen begegne, haben Sie wohl immer den Colt bei der Hand, wie?« »Geschossen hab ich damit nicht«, sagte ich. »Nur Hiebe verteilt. Über, zwanzig Rockwaller Idioten gegen zwei harmlose Fremde! Zu Mister Calhoun hat dieser Holzkopf da beim Tresen in der stinkigen Unterhose gesagt, er sei ein Drecksnigger. Sollten wir uns das
vielleicht gefallen lassen, Marshal? Jedenfalls habe ich die Kerle vorher gewarnt. Wer nicht hören will, muß fühlen.« Inzwischen hatte Shita den Stiefel in seine Einzelteile zerlegt, schleuderte den Absatz mit einem wilden Kopfruck durch die Gegend, blaffte den Marshal kurz an und steckte die Schnauze in ein Bierglas, das am Boden lag und noch einen Rest Bier enthielt. In Sekundenschnelle war das Bier weg. »Ein feiner Hund«, sagte der Marshal, »trotzdem muß ich euch alle drei mitnehmen.« »Und wohin?« fragte ich. »Ins Jail.« »Wieso das denn? Die Kerle haben doch angefangen. Dann müssen Sie zumindest diesen Unterhosenaffen auch mitnehmen. Er war der Stänkerer, mit dem alles losging.« Der Marshal nickte. »Er wird ebenfalls eingebuchtet.« »Na fein«, sagte ich. »Und wie geht's dann weiter? Wie lange sollen wir in der Zelle schmoren?« »Bis der Keeper festgestellt hat, wie hoch der Schaden ist. Alle an dieser Schlägerei Beteiligten werden dafür zur Kasse gebeten.« »Das können Sie nicht tun!« fauchte einer der Texaner. Er hatte eine aufgeplatzte Lippe, sein rechtes Auge begann sich zu schließen und zeigte bereits eine bläuliche Verfärbung. »Ich kann noch etwas ganz anderes, Mister Taylor«, sagte der Marshal scharf. »Ich weiß genau, daß ihr mit der Stänkerei angefangen habt. Pat Bryan fühlte sich mal wieder stark. Ihr hättet ihn ja zurückhalten können. Aber nein, ihr mußtet mitholzen – über zwanzig Männer gegen diese beiden hier!« Er spuckte verächtlich aus. »Helden! Maulhelden! Scheißkerle! Euch paßte die Hautfarbe des Schwarzen nicht!« Er redete sich in Wut, der Marshal, und er stieg gewaltig in meiner Achtung. »Aber er hat's euch gezeigt, wie? Er hat gezeigt, daß er besser ist als ihr, er und der junge Wolf an seiner Seite. Der paßt euch auch nicht, weil er auf der Seite eines Negers steht. Die beiden habe keine Schramme abgekriegt, das sind Fighter, die sich nicht auf die Füße treten lassen. Jetzt habt ihr die Quittung!« »Verflucht!« Dieser Mister Taylor wurde richtig tückisch. »Daß
wir einen Niggerfreund als Marshal haben, wußte ich noch nicht!« Er drehte sich zu den anderen um. »Habt ihr gehört, Leute? Wir haben einen Niggermarshal, einen gottverdammten Niggermarshal!« »Verschwinden Sie, Taylor«, sagte der Marshal eisig. »Hören Sie auf, hier das Maul aufzureißen – als Ausgleich dafür, daß Sie's zu Hause nicht dürfen, weil Ihre Frau die Hosen anhat!« »Sie sind nicht mehr lange Marshal von Rockwall, Cliff Sturgeon, Sie nicht!« schrie Taylor wütend. »Wenn Schlappschwänze wie Sie das zu bestimmen haben, stelle ich mein Amt gern zur Verfügung. Vielleicht übernehmen Sie es dann, Taylor«, sagte der Marshal verächtlich. »Das ist eine Beleidigung!« brüllte Taylor. »Daß Sie mich beleidigt haben, scheinen Sie wohl schon vergessen zu haben, wie? Hauen Sie endlich ab. Bei Männern Ihres Schlages steigt mir der kalte Kaffee hoch.« »Ich bleibe solange, wie es mir paßt!« schrie Taylor. »Klar«, höhnte der Marshal, »weil Sie zu Hause Dresche erwartet.« »Ich werde …« Wir erfuhren nicht mehr, was Mister Taylor weiter zu sagen hatte. Mein Hund Shita beendete die Diskussion auf seine Weise. Er ließ sein gereiztes Knurren vernehmen und schob sich mit vorgerecktem Kopf und gesträubtem Nackenfell auf Mister Taylor zu. »O Gottogott«, flüsterte Mister Taylor. Er wich zurück und streckte abwehrend die Hände vor. Shitas Knurren wurde noch bedrohlicher. Ich grinste den Marshal an. Dessen Miene blieb unbewegt, aber seine grauen Augen grinsten zurück. Mister Taylor warf sich mit einem Schrei herum und stürzte aus dem Saloon. Shita kehrte zu mir zurück und wackelte mit dem Hinterteil. »Mister Keymis«, sagte der Marshal zu dem Keeper, »ich erwarte Ihre Kostenaufstellung.« Interessiert betrachtete er das verschwollene Kinn des Keepers. »Haben Sie sich an der Schlägerei beteiligt, Mister Keymis?« »Ich?« sagte der Keeper entrüstet. »Ich schlag doch nicht meine
eigene Bude kaputt, Marshal. Nein, das Ding hat mir Pat Bryan, dieser Hurensohn, verpaßt. Das umgestürzte Regal da, das geht auf seine Kosten. Er hat meinen Saloon einen Niggerpuff genannt. Und so was war mal Sergeant! Kein Wunder, daß wir den Krieg verloren haben. Scheißdreck! Die Kostenaufstellung kriegen Sie, Marshal, samt der Namen der Holzhacker, die mein Inventar zerschlagen haben.« Die blessierten Schlagetots schlichen einer nach dem anderen nach draußen. Zurück blieben der Keeper, der Marshal, Pat Bryan, Big Hank, Shita und ich. Pat Bryan war noch bewußtlos. Der Schlag mit dem Stuhlbein, den ihm der Keeper verpaßt hatte, hätte auch einen Bullen gefällt. Der Marshal betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Soll ich ihn mitnehmen, Marshal?« fragte Big Hank höflich. »Das wäre sehr freundlich, Mister Calhoun«, sagte der Marshal. Big Hank lächelte, trat zu dem Texaner, hievte ihn mit einer Hand hoch und packte ihn sich lässig über die breite Schulter. So zogen wir ab. Es ging auf Mitternacht zu. Big Hank, Shita und ich hatten eine Zelle für uns. Pat Bryan wurde in die Nebenzelle verfrachtet. Die Übernachtung war umsonst, natürlich. Also hatten wir im Hotel eigentlich eine Nacht gut, aber ich bezweifelte, daß die graue Maus unsere Argumente gelten lassen würde.
4. Es war der nächste Morgen. Etwa dreißig Meilen westlich von Rockwall holperte ein von zwei Gespannpferden gezogener Kastenwagen auf den Cedar Creek zu. Jenseits des Cedar Creek war Niemandsland und würde es wohl auch bleiben, denn dort begannen die Ausläufer des DornbuschGebietes, das weit hinauf nach Nordwesten reichte. Wer in dieses Gebiet eindringen wollte, brauchte einen Panzer aus schwerem Leder, um sich an den nadelspitzen, messerscharfen langen Dornen nicht aufzuschlitzen. Den westwärts vordringenden Siedlern setzte dieses teuflische Dornendickicht ein Hindernis entgegen, das nahezu undurchdringlich war.
Aus diesem Gebiet auch tauchten die Apachen auf, wenn sie ihre Streifzüge unternahmen. Diesseits des Cedar Creek gab es noch keinen regulären Weg oder Trail, nur Wildpfade, die sich zwischen Wüstenvegetationen, versandeten Bächen und vereinzelten Gruppen von Zedern, Cottonwoods und Palo-Verde-Bäumen hindurchschlängelten. Der Mann auf dem Bock des Kastenwagens hatte zwanzig Meilen östlich des Cedar Creek die Wagenstraße verlassen und wußte genau, wohin er wollte. Er folgte seiner eigenen Wagenspur, die er bereits dreimal hin und zurück gefahren war. Der Mann hatte ein kantiges Gesicht, schmale Lippen und ein kräftiges Kinn. Seine Augen hatten die Farbe des Nebels. Sie waren ohne Wärme. Auf dem Brettsitz neben dem Mann lag griffbereit ein Spencer-Karabiner. Die Ladefläche des Kastenwagens überdeckte eine Plane aus grauem Segeltuch. Der Mann erreichte den Cedar Creek an einer Stelle, wo sich eine Furt befand. Er ließ die beiden Pferde saufen, drehte dann aber den Kastenwagen um in die Richtung, aus der er herangefahren war, und kletterte vom Bock, nachdem er den Bremshebel festgesetzt hatte. Er klemmte sich die Spencer unter den Arm, zog eine Zigarre aus der oberen Westentasche, biß die Spitze ab und zündete die Zigarre umständlich an. Unter der Hutkrempe beobachteten seine nebelgrauen Augen unverwandt die andere Flußseite. Er lehnte seitlich am Kastenwagen, rauchte und wartete. Er wußte, auf wen er wartete. Dennoch zuckte er zusammen, als der Indianer drüben auftauchte wie aus dem Nichts und zu ihm herüberschaute. Er hatte ein breitflächiges Gesicht, mächtige Schultern und einen Brustkasten wie ein Faß. Ein Stirnband bändigte seine langen, schwarzen Haare. Sein Oberkörper war nackt. Die graue Hose, die in langschäftigen Mokassins steckte, stammte aus den Beständen der konföderierten Armee oder von einem toten Soldaten. Der Apache ritt bis zum Uferstreifen vor. Sekunden später wimmelte es hinter ihm von weiteren Kriegern und Ponys. Der Mann löste sich vom Kastenwagen und ging langsam zum Fluß. Die Spencer hatte er gesenkt, obwohl es ihm heiß unter dem Hut wurde, als die Krieger links und rechts neben ihrem Anführer
aufrückten und eine breite Phalanx am jenseitigen Ufer bildeten. Etwas Bedrohliches ging von ihnen aus. Wie aus Stein gehauen saßen sie auf ihren Ponys, deren Mähnen und Schweife sanft vom Morgenwind gefächert wurden. Das war die einzige Bewegung. Aber dann löste sich der breitschultrige Apache aus der Mitte der Krieger und trieb sein Pony durch die Furt. Vor dem Mann zügelte er sein Tier. Sein dunkler Blick streifte den Mann und wanderte zu dem Kastenwagen. »Zeigen«, sagte er herrisch. Er sprach die Sprache der Weißen. Der Mann lächelte. Es war ein kaltes Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Er ging zu dem Kastenwagen und schlug die Plane zurück. Auf der Ladefläche standen zehn längliche Holzkisten sowie vier flache, kleinere Kisten. Der Mann klappte die Heckbracke nach unten, zog eine der länglichen Kisten zu sich heran, legte sein Gewehr daneben, um die Hände frei zu haben, und öffnete die Kiste. Er entnahm ihr einen länglichen Gegenstand, entfernte das Ölpapier und hielt den Gegenstand hoch. »Spencer-Karabiner«, sagte er. »Nagelneu. Schau ihn dir an, Tamaco.« Er warf dem Apachen das Gewehr zu, der es geschickt auffing und sofort repetierte. Es klickte, als er durchzog. Er roch an dem Unterhebelverschluß. »Die Waffen sind noch eingefettet«, sagte der Mann. Tamaco, der Apache nickte. Seine Augen glitzerten. »Wie viele?« Der Mann hob beide Hände und öffnete viermal alle zehn Finger. »Vierzig«, sagte er, »je vier in einer Kiste. Dazu viertausend Schuß Munition, je tausend in einer Kiste. Die Patronen haben eine Kupferhülle mit Randzündung, 52er Kaliber.« »Viele Weiße und Blaubäuche tot«, sagte der Apache und blickte den Mann lauernd an. Der Mann zuckte mit den Schultern. »Was ihr mit den SpencerKarabinern anstellt«, sagte er grob, »interessiert mich einen Dreck. Von mir aus benutzt sie als Spazierstöcke oder schießt damit Löcher in die Luft. Hast du das Gold, Tamaco?« »Wenn du tot, dann du kein Gold, aber wir die Feuerrohre«, sagte
der Apache und grinste über das breitflächige Gesicht. »Stimmt«, sagte der Mann kalt. »Aber dann seht mal zu, wo ihr eure Schießprügel herkriegt. Und Feuerwasser gibt's dann auch nicht mehr. Dann könnt ihr auf dem Daumen lutschen.« »Wann Feuerwasser?« »Ich erwarte eine Lieferung.« »Wann du liefern?« »In fünf Tagen um Mitternacht, hier an der Furt wie immer.« »Gut. Du liefern Whisky?« »Erstklassigen Whisky. Wenn ihr den sauft, singt ihr ›Halleluja!‹« Der Apache lachte kehlig. »Halleluja-Whisky gute Medizin.« »Darauf kannst du einen Furz lassen, Junge«, sagte der Mann. »So, ihr könnt die Waffen übernehmen. Und jetzt rück das Gold heraus, du altes Schlitzohr. Es bleibt beim vereinbarten Preis: zehn Säcke körniges Gold. Ohne Gold keine Ware.« »Du scharf auf Gold, eh?« »Ihr scharf auf Waffen und Schnaps. Umsonst gibt's nichts. Ich muß für die Ware ja auch bezahlen.« »Gottverdammt«, sagte der Apache. Er langte in einen Rohledersack, der an seinem Holzgerüstsattel hing, und warf dem Mann nacheinander zehn Säckchen zu. Der Mann stopfte die Säckchen unter sein Hemd. Den letzten untersuchte er und nickte dazu. »Gut«, sagte er und trat zurück. Der Apache rief etwas über seine Schulter und winkte mit der Spencer. Der Mann nahm seine eigene Waffe von der Ladefläche, ging um den Wagen herum und kletterte auf den Bock. Vierzehn Apachen ritten durch die Furt und zum Wagen. Einer sprang auf die Ladefläche, warf dem Mann auf dem Bock einen finsteren Blick zu, spuckte aus und begann, den anderen die Kisten zu übergeben. Einzeln, mit je einer Kiste beladen, ritten die Apachen wieder durch die Furt zurück zum jenseitigen Ufer, wo die anderen warteten. Als nur noch eine Munitionskiste auf dem Wagen stand, ritt Tamaco dicht an die Ladefläche und sagte etwas in seiner Sprache zu dem anderen Krieger. Der nickte, zog ein Messer aus der Scheide an
seinem Gürtel, drehte sich zu dem Mann auf dem Bock um, machte »Krggss!« und grinste, als der Mann zurückzuckte. Bei dem »Krggss!« hatte der Apache das Messer an seiner Kehle entlanggezogen. Der Mann fluchte, hob die Spencer und sagte laut: »Päng-pängpäng!« »Huh«, sagte der Apache. Dann stieß er das Messer unter den Kistendeckel und hebelte ihn auf. Tamaco beugte sich vom Sattel aus über die Seitenbracke und schaute in die Kiste. Ja, sie enthielt Patronen, wie sie der Mann geschildert hatte. Der Rote traute dem Weißen nicht und umgekehrt. Der Apache umfaßte die Kiste, stieg von der Ladefläche aus auf sein Pony, spuckte noch einmal aus und ritt durch die Furt. Tamaco hob die Rechte und streckte die fünf Finger aus. »Um Mitternacht – Halleluja-Whisky.« »Pro Faß sechs Säckchen Gold«, sagte der Mann. »Vier«, sagte Tamaco, »gottverdammt.« »Also fünf, in Ordnung?« »Gut.« Der Apache zog sein Pony herum und jagte durch die Furt. Das Wasser spritzte auf. Sekunden später war jenseits des Cedar Creek kein Apache mehr zu sehen. Sie waren wie ein Spuk verschwunden. Der Mann nahm den Hut ab und wischte sich über die Stirn. Die Säckchen mit dem Gold verstaute er unter seiner Sitzbank. Dann kletterte er nach hinten, schlug die Heckbracke wieder hoch, steckte sich noch eine Zigarre an und fuhr den Weg zurück. Der Händler Louis Granger aus Arkansas, skrupellos, kalt, aber verrückt auf Geld und Gold, hatte ein ausgezeichnetes Geschäft abgewickelt. Es war sein viertes Geschäft mit den Apachen. Die 350 Dollar seines ehemaligen »Geschäftspartners« Ronco steckten in den Geschäften mit drin und hatten sich über den Daumen gepeilt bereits verdreifacht. An Arkansas, die Neger, die Kapuzenmänner und an den Jungen mit dem sandfarbenen Haar und den eisblauen Augen verschwendete Louis Granger keinen Gedanken mehr. Das alles lag weit hinter ihm
– fast soweit wie von Texas bis zum Mond. Desgleichen plagten Mister Granger auch keinerlei Gewissensbisse darüber, wie viele weiße Männer, Frauen und Kinder von den viertausend Kugeln der Spencer-Karabiner verletzt, verstümmelt oder erschossen werden würden. Nur die Goldsäckchen zählten, und von den zehn Goldsäckchen, die er dieses Mal kassiert hatte, würde sein neuer Geschäftspartner in Rockwall sowieso nur vier erhalten. Schließlich ging er, Louis Granger, ja das Risiko ein, vielleicht seinen Skalp bei einem der Geschäfte mit den roten Bastarden zu verlieren. * Ich fuhr von meinem Strohsack hoch, weil die Gittertür klirrte. Marshal Sturgeon hatte sie aufgeschlossen. Gleichzeitig brüllte nebenan der Texaner: »Ich will hier raus, verdammt noch mal! Warum bin ich überhaupt in dieser stinkigen Zelle, he?« Der Tag fing gut an. Big Hank auf dem anderen Strohsack richtete sich ebenfalls auf und gähnte. Shita, am Fuß meines Strohsacks, schnaufte nur, blinzelte mich mit einem Auge an und schloß es wieder. Der Marshal blickte zu der anderen Zelle. »Warum du hier drin bist, Bryan? Ganz einfach. Weil ich dich in Unterhosen nicht auf der Straße herumlaufen lassen kann. Mrs. Taylor und ihr Frauenverein würden mich lynchen. Außerdem steht da noch eine kleine Rechnung aus. Im Saloon von Keymis ist einiges zu Bruch gegangen, davon wirst du eine ganze Menge zu berappen haben.« »Wieso ich? Ich hab nur die Bierpisse bei Keymis getrunken, weiter nichts, das ist doch nicht verboten, verdammt!« »Und das Regal hinter dem Tresen ist von allein umgefallen, wie? Und deine Hose entführte der Abendwind, nicht wahr? Nein, Bryan, da sind genug Zeugen, die beweisen können, wer die Rauferei provoziert hat.« »Ach, und der gottverdammte Nigger? Der ist abgehauen, oder? Und der Blonde, der bei ihm war, wo steckt der? Der Blonde mit
seinem Köter? Und ich soll die Zeche bezahlen! Daß ich nicht lache!« »Mister Calhoun, Mister Ronco und der Hund haben die Nacht in der Zelle neben dir verbracht, Bryan«, sagte der Marshal gelassen. »Jetzt allerdings sind sie frei. Ein Bürger dieser Stadt hat eine Kaution für sie hinterlegt und übernimmt ihren Kostenanteil an dem Schaden im Saloon.« Big Hank und ich wechselten einen erstaunten Blick, dann starrte ich den Marshal an. »Wie bitte?« fragte ich. »Ein Bürger dieser Stadt löst uns aus? Das gibt's doch gar nicht.« »Schweinerei!« brüllte nebenan der Texaner. »Die Verbrecher läßt man laufen, und die anständigen Leute werden eingesperrt. Und dafür haben wir im Krieg unsere Knochen hingehalten.« Der Marshal seufzte. »Ich kenne nur einen Sergeant Bryan, der als Furier beim Troß gearbeitet hat – jedenfalls bis zu meiner Verwundung vor einem Jahr. Bis dahin hat keiner vom Troß irgendwo seine Knochen hingehalten, nicht wahr, Sergeant Bryan? Und später auch nicht, wie ich aus der Geschichte unseres Regiments weiß. Aber ich weiß noch etwas. Nämlich daß sich ein gewisser Sergeant Bryan gern in Kneipen und Spelunken herumprügelte, wenn der Gegner schwächer und von Anfang an unterlegen war. Nur vorn bei der kämpfenden Truppe wurde dieser Sergeant nie gesehen. Also hören Sie auf, gerade mir solche Märchen zu erzählen, Sergeant Bryan.« Der Marshal winkte uns zu. Der ehemalige Sergeant in der Zelle nebenan fluchte wie ein Fuhrknecht. Wir verließen die Zelle. Shita war inzwischen munter geworden. Als Bryan Big Hank sah, fing er wieder an zu stänkern. »He, Nigger!« brüllte er. »Wenn ich dich noch mal erwische, mach ich dich zur Sau!« Der Marshal, der bereits die Tür zum Office geöffnet hatte, knallte sie wieder zu und drehte sich um. In seinen grauen Augen funkelte verhaltene Wut. Er blickte Big Hank an. »Fühlen Sie sich beleidigt, Mister Calhoun?« »Schätze, ja«, sagte Big Hank.
»Sehr gut«, sagte der Marshal, »dann werde ich Mister Bryan jetzt und hier die Chance geben, sich zu entschuldigen, was er natürlich nicht tun wird. Er ist ja so wild darauf, Sie zur Sau zu machen, wie er sich ausdrückte. Auch dazu wird er jetzt und hier die Chance erhalten. Sind Sie einverstanden, Mister Calhoun?« »Klar«, sagte Big Hank und grinste. Der Marshal hinkte zu der Zellentür Pat Bryans und schloß sie auf. »Bitte sehr, Mister Bryan«, sagte er. In seiner Stimme klirrte eisige Verachtung. »Sie können sich entschuldigen oder Mister Calhoun zur Sau machen, wie Sie eben so großmäulig verkündeten. Sie haben die Wahl.« Er trat zur Seite. Der ehemalige Sergeant stand am Gitter, seine Hände umklammerten die Stäbe. Er stierte den Marshal an, dann irrte sein Blick zu Big Hank. Die Lippen hatte er fest zusammengepreßt. Auf seiner Stirn erschienen winzige Schweißperlen. Die Röte auf seinem Gesicht wich einer ungesunden Blässe. In dem Zellentrakt war es so still wie in einer Grabkammer. Nach einer Minute wurde die Stille peinlich. »Na?« fragte der Marshal. Pat Bryan schwieg und rührte sich nicht von der Stelle. Ein Ausdruck von Ekel grub sich in das Gesicht des Marshals. Er schmetterte die Zellentür zu, und der ganze Bau wackelte. Es klang, als sei eine Haubitze abgefeuert worden. Der Sergeant zuckte zusammen, das war aber auch alles. Für den Marshal war der Texaner, der so oder so gekniffen hätte, Luft. Er schloß die Zelle ab, ohne Bryan noch eines Blickes zu würdigen oder etwas zu sagen. Nur zu Big Hank sagte er: »Tut mir leid, Mister Calhoun.« Er räusperte sich. »Ich will mich für einen texanischen Feigling nicht entschuldigen. Das ist nicht nötig. Aber einen Mann kann ein Feigling nicht beleidigen. Ein Mann bleibt ein Mann, der Feigling ist nur ein Kläffer. Man beachtet ihn nicht weiter.« »Scheiße!« schrie der ehemalige Sergeant Pat Bryan. Er fühlte sich wohl wieder sicher, nachdem der Marshal die Zellentür abgeschlossen hatte.
Weder der Marshal noch wir reagierten. Wir verließen den Zellentrakt. Marshal Sturgeon händigte mir meinen Waffengurt aus. Als ich ihn umschnallte, sagte er unvermittelt: »Ich war Captain in der konföderierten Armee. Nach meiner Verwundung vor einem Jahr hatte ich viel Zeit, über den Norden und Süden nachzudenken. Eine reine Weste hat keine der beiden Seiten. Aber lassen wir das. Nur eins möchte ich als Ergebnis meiner Überlegungen feststellen: nämlich das Recht jedes Menschen, gleichgültig welcher Hautfarbe, frei leben zu dürfen. Es darf keine Sklaven geben. Die Freiheit ist für alle da. Nur nicht für jene, die sie zwar für sich selbst verlangen, aber anderen nicht zubilligen und diese anderen mit brutaler Gewalt, mit Terror und Mord niederzudrücken versuchen.« Er schwieg einen Moment und fügte dann etwas leiser hinzu: »Vielleicht übernahm ich deswegen das Amt des Marshals in dieser Stadt.« Big Hank war ziemlich verlegen, und er hatte einen Kloß im Hals, als er sagte: »Danke, Marshal. Ich dachte manchmal schon, es hätte sich nichts geändert. Vor etwa zwei Wochen wurden mein Vater, meine Mutter, meine beiden Schwestern und mein Bruder von Männern in weißen Kapuzen umgebracht. Unsere Farm wurde niedergebrannt.« Der Marshal schaute Big Hank aus schmalen Augen an. »Hing der Trader Louis Granger mit diesen Kapuzenmännern zusammen?« »Ja«, sagte ich anstelle Big Hanks. »Er war der Informant dieser Kerle. Da er die schwarzen Farmer mit Waren belieferte, wußte er immer, auf welcher Farm Geld zu holen war. Als dann die Bande aber zu Mord und Totschlag überging, wurde ihm wohl der Boden zu heiß.« »Wie sieht der Mann aus?« »Kräftig, untersetzt, ein kantiges Gesicht, grauäugig, festes Kinn«, erwiderte ich. »Angeblich soll er einen Geschäftsfreund in Rockwall haben.« »Hier? Einen Geschäftsfreund?« Der Marshal runzelte die Stirn. »Merkwürdig.« »Was ist merkwürdig?« fragte ich. »Wir haben hier in Rockwall nur einen Geschäftsmann im üblichen Sinn, und das ist Arnold Gatsby. Er hat hier einen großen
Store, den er kurz nach dem Krieg gekauft hat. Dieser Gatsby ist ein cleverer, überaus geschäftstüchtiger Mann. Nun, das Merkwürdige ist, daß er es war, der die Kaution für Sie beide hinterlegt hat und auch den Schaden im Saloon bezahlen will.« Ich blickte den Marshal überrascht an. »Wir kennen den Mann doch gar nicht und er uns auch nicht.« »Er bekundete besonderes Interesse an Mister Calhoun«, sagte der Marshal. »Anscheinend hörte er heute morgen, welche Heldentaten zwei Teufelsbraten in der letzten Nacht im Saloon vollbracht haben. Warum und wieso ihn das interessiert, weiß ich nicht. Aber das werden Sie wohl von ihm selbst erfahren. Er erwartet Sie drüben in seinem Store.« Er deutete durchs Fenster. Drüben, auf der anderen Straßenseite, rechts vom Marshal-Office, wies ein Schild quer über die Gebäudefront, darauf hin, daß hier Arnold Gatsbys Store sei. »Der hat alles«, sagte der Marshal, »vom Abführmittel über Stricknadeln, Kaffeemühlen, Hosenknöpfe, Waffen und Munition bis zu eingemachten Pfirsichen, Stiefeln, Whiskyfässern und Zahnstochern. Na, und Geld hat er. Woher, ist mir schleierhaft. Ich schätze, daß er ein Mann ist, der durch den Krieg ganz gut verdient hat.« Er seufzte. »Solche gibt's ja auch.« Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich. Sein rechtes Bein schien er nicht ganz anwinkeln zu können. »Was ist mit Ihrem Bein, Marshal?« fragte ich. »Meinem Bein? Das war einer Kugel im Weg. Hat ein bißchen Bruch gegeben. Wird schon wieder werden.« Dieser Marshal war ein feiner Kerl.
5. Der Pickeljüngling drüben in Arnold Gatsbys Laden war kein feiner Kerl. Er ließ uns stehen wie abgestandenes Bier, bediente nacheinander drei Frauen, einen dünnen Mann, zwei kichernde Mädchen und einen Wackelgreis, der Kautabak wünschte, obwohl er deutlich sichtbar zahnlos war. Na, vielleicht kaute er auf dem Zahnfleisch. Als er wieder nach draußen gewackelt war, wurde ich
initiativ. »Mister Gatsby erwartet uns«, sagte ich. »Sie?« Der Pickeljüngling zog das »Sie?« wie Gummi in die Länge und schnitt ein Gesicht, als hätte ich darum gebeten, mit ihm nackt baden zu dürfen. »Richtig«, sagte ich. »Er erwartet uns.« »Das kann ich mir aber nicht denken«, sagte der Pickeljüngling und fixierte Big Hank, als sei der eine seltene Raupe. Dann musterte er meinen Hund Shita und erklärte: »Straßenhunde sind in diesem Store unerwünscht. An Schwarze verkaufen wir auch nichts.« Er trommelte mit seinen dünnen Fingerchen auf die Ladentheke, flötete affektiert und geruhte damit kundzutun, daß die Unterredung beendet sei und wir abziehen könnten. Ich zuckte mit den Schultern. Dieser Typ war so blöd, daß jedes weitere Wort zwecklos war. Ich nickte Big Hank zu, drehte mich nach links und marschierte auf eine Tür zu, hinter der ich das Büro des Mister Gatsby vermutete. »Aber …« Der Pickeljüngling trippelte erregt am Tresen entlang, um mir den Weg zu verstellen. Ich war einen Kopf größer als er. »Verschwinde«, sagte ich, »oder ich steck dich dort ins Gurkenfaß, du Hampelmann!« Er stand dicht vor einem Ohnmachtsanfall. »Huch!« schrie er. »Überfall! Mörder!« Ich schmierte ihm eine. Er flog gegen die Tür, die er so mannhaft verteidigen wollte, die Tür wurde in diesem Augenblick aufgestoßen, krachte ihm ins Kreuz und wischte ihn in den Winkel zwischen Wand und Tür. An der Wand entlang rutschte er auf die Dielen, streckte die Beinchen aus und verschied. Jedenfalls sah es so aus. In der Tür stand ein dicker Mann mit dem Gesicht einer Kröte. Er hatte nicht viele Haare auf dem Kopf, aber die paar, die er hatte, waren rechtwinklig zum Mittelscheitel säuberlich sortiert und ausgerichtet. Ich war versucht, sie zu zählen. Das Bedrohliche war, daß dieser Mensch eine Derringer-Pistole, Kaliber .41, auf meinen Bauch gerichtet hielt und sichtlich mit der Überlegung beschäftigt war, ob er schießen sollte. Ich hob hastig beide Hände etwas an und sagte schnell: »Mister
Gatsby?« Er nickte, zielte aber weiter auf meinen Bauch, sein Wurstfinger am Drücker war gekrümmt. »Mein Name ist Ronco«, sagte ich. »Der große Mann hinter mir, das ist Mister Calhoun. Wir wollten uns bei Ihnen bedanken. Marshal Sturgeon sagte uns, daß Sie uns ausgelöst hätten.« »Ah!« sagte er und senkte die Waffe. Ein breites Grinsen verzog sein Krötengesicht. »Und ich dachte schon, mein Store sei überfallen worden. Beckett hat doch was von ›Überfall‹ und ›Mörder‹ geschrien. Wo steckt er denn?« »Hier hinter der Tür.« Ich grinste auch. »Er wollte Ihr Büro verteidigen und war der Ansicht, mein Freund Hank Calhoun, mein Hund und ich hätten hier nichts zu suchen.« »So ein Idiot!« Ich hatte keinen Grund, ihm zu widersprechen. Dieser picklige Beckett war nicht nur ein Idiot, sondern ein kompletter Vollidiot. Mister Gatsby trat etwas vor und schaute hinter die Tür. Der Pickeljüngling kehrte gerade ins Leben zurück und schob sich an der Wand hoch. Er zitterte am ganzen Körper. »Ü-Überfall!« stotterte er. »B-banditen!« »Quatsch!« sagte Mister Gatsby grob. »Setz Kaffee auf, du Blödian. Die beiden Gentlemen sind meine Gäste.« »Aber – aber – ich dachte – ich wollte …« Der dicke Gatsby schnaufte erbittert. »Hier denkt nur einer, und das bin ich, verstanden? Wenn du auch noch denkst, kann daraus nur Mist werden. Fast hätte ich Mister Ronco erschossen.« »Aber ich – ich konnte doch nicht ahnen …« »Halt's Maul!« fuhr ihn Mister Gatsby an. »Was du ahnen oder nicht ahnen könntest, interessiert mich nicht. Aber ich ahne, daß ich dich demnächst an die Luft setze, wenn du hier weiter den Narren spielst. Kusch dich! Setz jetzt endlich den Kaffee auf, oder soll ich das vielleicht tun?« »Jawohl, Sir, ich meine natürlich nein, Sir«, sagte der Pickeljüngling pikiert und verließ seine Schmollecke. »Hat man so was schon erlebt!« sagte Mister Gatsby kopfschüttelnd.
Ich bestätigte, daß ich »so was« auch noch nicht erlebt hätte. Mister Gatsby eilte mit ausgestreckten Händen auf Big Hank zu und strahlte ihn an. »Mister Calhoun!« sagte er fröhlich. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen!« Er schüttelte dem verdutzten Big Hank die Hände, drehte sich wieder zu mir und fügte hinzu: »Sie natürlich auch, Mister Ronco!« Wieder Händeschütteln. Verrückt, einfach verrückt! Ich fragte mich, warum sich jemand freut, Big Hank und mich kennenzulernen. »Ah, und da ist ja das liebe Hundchen!« sagte Mister Gatsby voller Schalk. »Ei, ei! Kille-Kille! Wie heißt denn das Hundchen?« »Shita«, sagte ich. »Entzückend!« flötete Mister Gatsby. »Nein, wie reizend!« Er bückte sich und gab balzende Schmatzlaute von sich. Shita war Hund genug, ein solches Liebeswerben als ihm nicht ganz geheuer zu betrachten. Er zog sich mißbilligend zurück. Über den gebückten Mister Gatsby hinweg blickte mich Big Hank ratlos an. Ich zuckte mit den Schultern und verkniff mir das Feixen. Mister Gatsby richtete sich schnaufend wieder auf und sagte traurig: »Er mag mich nicht.« »Aber nein, Mister Gatsby«, versicherte ich, »er ist Fremden gegenüber nur vorsichtig.« »Ah ja, das verstehe ich, natürlich. Als ich noch ein Junge war, habe ich mir immer einen Hund gewünscht.« Er verdrehte die Augen. »Weil ich so einsam war.« Ich versuchte, mir Mister Gatsby als Jungen vorzustellen, aber es gelang mir nicht. Vielleicht hatte er wie ein Plumpudding ausgesehen, oder wie ein Kürbis mit Ohren. Egal ob Plumpudding oder Kürbis mit Ohren – jeder Hund wäre vor ihm ausgerissen, das stand mal fest. »Darf ich bitten, Gentlemen«, sagte Mister Gatsby und lotste uns in sein Büro. Wir setzten uns an einen Rauchtisch, um den drei Ledersessel gruppiert waren. Ledersessel! Ich fragte mich, wo er die her hatte. Ich fragte mich überhaupt eine ganze Menge. »Einen Brandy, Gentlemen?« fragte Mister Gatsby. Er spitzte die
Lippen. »Das ist ein Brandy edelster Güte, Sie werden sehen!« Wir nickten. Na denn, Prost, dachte ich. Wir hatten noch nicht gefrühstückt, aber den Tag mit Brandy edelster Güte zu beginnen, mußte eben auch mal ausprobiert werden. Mister Gatsby schenkte aus einer Karaffe ein und prostete uns zu. Ich nippte vorsichtig. Der Brandy schmeckte tatsächlich gut – wie Samt und Seide. Mein Magen hatte nichts einzuwenden. »Na?« fragte Mister Gatsby und lächelte ölig. »Schmeckt wunderbar«, sagte ich und nippte noch einmal. »Nicht wahr?« Mister Gatsby war ganz glücklich. Er rekelte sich in den Ledersessel und betrachtete uns wohlwollend – wie eine satte Kröte, die aber doch noch Appetit genug hat, eine Fliege zu verspeisen, die vor ihrer Nase spazierengeht. So schien es mir. Ich war gespannt, was er nun eigentlich von uns wollte, aber ich fragte ihn nicht. Er würde schon von selbst damit herausrücken. Ich sagte: »Nochmals herzlichen Dank, Mister Gatsby, daß Sie so freundlich waren, uns auszulösen. Leider können mein Freund Hank und ich uns kaum revanchieren.« Mister Gatsby hob den rechten Zeigefinger und bewegte ihn hin und her. »Oh, sagen Sie das nicht, Mister Ronco. Mir ist da nämlich etwas eingefallen. Wissen Sie, ich bin ein Mensch, der immer Einfälle hat.« Hoffentlich gute, dachte ich mißtrauisch. »Wo bleibt denn nur dieser dumme Kerl mit dem Kaffee!« sagte Mister Gatsby und schrie: »Beckett!« »Sir?« Der Pickeljüngling erschien in der Tür. »Haben Sie gerufen, Sir?« Dieser Bastard hatte an der Tür gelauscht. Er hatte rote Ohren. Rechts, wo ihn meine Ohrfeige erwischt hatte, war eine rote Hand auf seiner Wange zu sehen. Es war ein guter Abdruck. Ich grinste den Pickeljüngling an und nippte genießerisch an dem Brandy. »Und ob ich gerufen habe!« fauchte Mister Gatsby. »Wir warten auf den Kaffee! Sollen wir vielleicht Brandy ohne Kaffee trinken, he? Warum sind deine Ohren so rot? Hast du etwa gelauscht, du
verdammter Hurensohn?« »Aber Mister Gatsby, Sir!« sagte der Pickeljüngling und tat empört. »Am einunddreißigsten ist der erste für dich!« schrie Mister Gatsby. »Soweit kommt es noch, daß meine Angestellten hinter mir herspionieren und meine geschäftlichen Besprechungen belauschen. Soweit kommt es noch!« Irgendwo begann eine Kesselpfeife zu flöten, erst leise, dann immer lauter. Kurz darauf hörte ich einen ploppernden Laut. »Das Wasser kocht«, sagte Mister Gatsby, »aber auf dem Ohr bist du wohl taub, wie? Du lauschst lieber, was?« Und lautstark: »Wird's bald mit dem Kaffee?« Der Pickeljüngling verschwand. »Dieser Beckett bringt mich noch ins Grab«, sagte Mister Gatsby und kippte seinen Brandy. »Entschuldigen Sie bitte, Gentlemen. Aber heutzutage einen Verkäufer zu finden, ist nahezu unmöglich. Diese Kerle haben nichts gelernt und sind dazu auch noch frech. Tsts! Lauscht an der Tür, dieses neugierige Waschweib, na warte! Wo war ich stehengeblieben?« »Sie sagten, Ihnen wäre etwas eingefallen«, erwiderte ich. »Richtig, ja. Sagen Sie, Gentlemen, haben Sie einen besonderen Plan? Ich meine, haben Sie etwas Besonderes vor? Suchen Sie einen Job?« »Eigentlich nicht«, sagte ich vorsichtig. »Allerdings ist es reiner Zufall, daß wir nach Rockwall geraten sind. Einen bestimmten Plan haben wir nicht …« Ich brach ab, weil der Pickeljüngling wieder auftauchte – mit einem Tablett, auf dem eine Kaffeekanne, eine Zuckerdose, ein Sahnekännchen sowie drei Porzellantassen mit Untertassen standen. Er brach fast zusammen, der Pickeljüngling. Auf dem Tablett klapperte und schepperte es. Als er es absetzte, rutschte die Kaffeekanne, er fing sie ab und verbrannte sich die Pfoten. Mister Gatsby verdrehte die Augen zur Zimmerdecke, als riefe er den lieben Gott zum Zeugen für die Trotteligkeit des pickligen Beckett an. »Und wo sind die Kaffeelöffel?« fuhr er seinen Clerk an. »Sollen
wir den Kaffee vielleicht mit den Fingern umrühren?« Der Pickeljüngling schlenkerte die Hände und war dicht davor, loszuheulen. Er hastete aus dem Büro, völlig zerstört und total geschafft. »Zum Kotzen«, sagte Mister Gatsby, »dumm geboren und nichts dazugelernt.« Ich ersparte mir einen Kommentar. Jeder Boß hatte die Mitarbeiter, die er verdiente – und umgekehrt. Ich zum Beispiel, das wußte ich schon jetzt, würde niemals für den dicken Mister Gatsby arbeiten. Er war mir zu ölig. Außerdem saß mir noch mein Reinfall mit dem Halunken Granger in den Knochen. Den hatte ich zuerst ganz sympathisch gefunden. Jetzt mißtraute ich meiner Menschenkenntnis erst recht. Eins stand fest: umsonst hatte uns der Dicke nicht ausgelöst. Flüchtig tauchte bei mir der Verdacht auf, ob jener Arnold Gatsby der Geschäftsfreund sei, den Granger in Rockwall hatte aufsuchen wollen. Wenn das so war, hatten Big Hank und ich allen Grund, vorsichtig zu sein. Aber ich mochte nicht so recht daran glauben. Granger und Gatsby waren zu verschieden in ihrer Art. Daß die beiden sich zusammentun sollten, erschien mir absurd. Der Pickeljüngling brachte auf einem Tablett drei Kaffeelöffel sowie eine Zuckerzange. »Haben Sie noch einen Wunsch, Sir?« fragte er. Seine Unterlippe zitterte. »Ja. Daß du die Tür hinter dir schließt.« »Sehr wohl, Sir.« Der Pickeljüngling stelzte hinaus und schloß die Tür. Mister Gatsby saß geduckt in seinem Ledersessel und lauschte zur Tür hin. Plötzlich stand er auf – erstaunlich flink für seine Dicke –, glitt zur Tür und stieß sie auf. Dieser Lümmel von Pickeljüngling hatte es tatsächlich fertiggebracht, ein zweites Mal sein Ohr an die Tür zu pressen. Es krachte, wie eben Holz kracht, wenn es auf einen Holzkopf trifft. Gleichzeitig ertönte ein erstickter Schrei, Bruchteile von Sekunden später erfolgte jener Laut, der verkündet, daß ein menschlicher Körper auf Dielenbretter prallt.
Ich lauschte voller Entzücken. Das Fliegengewicht namens Beckett polierte die Dielen. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sein Körper über die Bretter rutschte, und schon signalisierte ein dumpfer Bums, daß er an der Theke gelandet war – mit dem Kopf natürlich. Stille. In der Tür stand Mister Gatsby. Ich beugte mich schräg über die Armlehne meines Ledersessels und äugte durch die Hosenbeine Mister Gatsbys. Der Pickeljüngling war wieder entschlafen. Er lag lang ausgestreckt vor dem Verkaufstresen. Das Bild verschwand, weil Mister Gatsby wie ein wütender Longhornbulle losmarschierte. Es war nicht mehr der einunddreißigste und nicht mehr der erste des Monats. Es war Nullzeit. Mister Gatsby beförderte den Pickeljüngling hinaus auf die Straße. Er war dick und der Pickeljüngling mickrig bis federleicht. Dieser Mister Gatsby wischte den Hampelmann Beckett wie Fliegendreck aus dem Store. Dann verrammelte er die Tür und stampfte zu uns zurück. Ich verteilte die Tassen und schenkte Kaffee ein. Schließlich hatte die guten Padres am Pease River meine Erziehung eine Menge Mühe gekostet, und meine roten Brüder hatten mich auch dahingehend belehrt, daß man Respekt vor den Älteren haben müsse. Viel Respekt hatte ich vor Mister Gatsby nicht, aber daß er mit diesem krummen Hund Beckett Schlitten fuhr, war für mich Grund genug, ihm Kaffee einzuschenken. * »Dieses Arschloch«, sagte Mister Gatsby voller Inbrunst, als er sich ächzend in den Ledersessel sinken ließ. »Sir«, sagte ich und nahm mein Brandyglas in Brusthöhe, wie ich es bei den Offizieren der Nordarmee gesehen hatte, »auf Ihr Wohl!« Er starrte mich erstaunt an, nahm sein Glas und trank. Big Hank rollte mit den Augen. Vielleicht dachte er, ich hätte schon einen sitzen. Aber ich war stinknüchtern, allerdings sehr erheitert, was den
Pickeljüngling betraf. Den hätte ich durch die ganze Stadt prügeln können. Mister Gatsby lehnte sich in den Ledersessel zurück, sehr entspannt, schlug seine Beine übereinander – er trug gebügelte Hosen –, legte die Fingerkuppen gegeneinander, so daß sie ein gewölbtes Dachgerippe bildeten, blickte nirgendwohin und sagte: »Gentlemen, der Himmel hat Sie mir geschickt, jawohl. Sie verkörpern Jugend, Schlagkraft, Stärke, Vitalität, Kühnheit, Gottvertrauen, Elastizität, Geschmeidigkeit, Härte! Tugenden, Gentlemen, die es kaum noch gibt. Ich habe gehört, wie Sie in dem Saloon mit den Texanern aufgeräumt haben. Zwei Männer gegen eine Übermacht von Rowdies der übelsten Sorte! Ich gestehe, daß ich überwältigt bin. Zum Wohl, Mister Calhoun! Zum Wohl, Mister Ronco!« Big Hank und ich standen auf und salutierten mit dem Glas. Jawohl, Sir! Was waren wir doch für Kerle! Wir setzten uns wieder, und Mister Gatsby sorgte dafür, daß unsere Gläser nicht leer blieben. Die Kröte lächelte und schnappte nach der einen Fliege. Mister Gatsby wandte sich Big Hank zu. »Mister Calhoun«, sagte er. »Was halten Sie davon, hier in Rockwall als Preiskämpfer aufzutreten? Ich manage Sie und baue Sie als den größten Kämpfer auf, den Texas je gesehen hat. Na, ist das was?« Big Hank saß da, als hätte ihm jemand eine Bratpfanne auf den Kopf gedonnert. Mir erging's ähnlich. Da war also die Katze aus dem Sack. Deswegen hatte der menschenfreundliche Mister Gatsby für uns die Kaution hinterlegt und uns ausgelöst. Big Hank schüttelte störrisch den Kopf. »Nein, Sir, das ist nichts für mich. Ich habe da bereits meine Erfahrungen …« Mister Gatsby wischte Big Hanks Ablehnung vom Tisch und rief: »Na wunderbar! Sie haben bereits Erfahrungen? Besser hätten wir es ja gar nicht treffen können. Warten Sie, Moment! Ja, ich hab's! Wir nennen Sie den ›Schwarzen Stier von Texas‹! Nein, noch besser
klingt der ›Schwarze Puma von Rockwall‹!« »Es gibt keine schwarzen Pumas«, sagte ich. »Wie? Gibt keine? Ist ja auch egal!« Seine Augen glitzerten. »Puma – ah! Das ist Geschmeidigkeit, Eleganz, Gefahr. Das signalisiert kämpferische Qualitäten! Sie werden sehen, Mister Calhoun, vor diesem Kriegsnamen werden Ihre Gegner erzittern, sie werden schon vor dem Kampf demoralisiert, jeder Kampf ist so gut wie gewonnen! Nur ein Schlag«, Mister Gatsby holte im Sitzen aus und verpaßte der Luft einen rechten Haken, »und schon liegt Ihr Gegner groggy am Boden …« Ich unterbrach Mister Gatsbys Höhenflug. »Und was hat mein Freund Hank davon?« Mister Gatsby blickte mich irritiert an. »Ich baue ihn doch als Star auf, als den größten Boxer aller Zeiten – Ruhm und Ehre winken ihm, unsterblicher Lorbeer, verstehen Sie?« »Das schon, nur haben Sie meine Frage nicht verstanden, Mister Gatsby. Ich fragte, was mein Freund Hank davon hat, und damit meinte ich, was springt für ihn dabei heraus? Ehren und Lorbeer mögen ja ganz schön sein, sind aber kein Ersatz für ausgeschlagene Zähne, verkrüppelte Ohren oder eine plattgedroschene Nase, ganz abgesehen von den Narben, nicht wahr?« »Ah, jetzt verstehe ich!« rief Mister Gatsby. »Natürlich, Sie haben völlig recht, Mister Ronco. Aber auch das habe ich mir bereits überlegt. Mister Calhoun erhält für jeden Kampf sechzig Prozent der Einnahmen beziehungsweise der Wettgelder. Er zahlt keinen Cent für Unterkunft und Verpflegung. Wir unternehmen Tourneen durch ganz Amerika, durch die Welt. Mister Calhoun wird ein reicher Mann, das kann ich Ihnen versprechen!« Big Hanks Gesicht war immer grimmiger geworden. Jetzt stand er auf und sagte kurz und präzise: »Nein, verdammt noch mal!« »Aber Mister Calhoun!« Der dicke Gatsby drückte Big Hank wieder in den Sessel zurück. »Ich bin Farmer«, sagte Big Hank, »kein Schläger. Wenn ich boxe, dann zu meiner Selbstverteidigung. Das ist alles. Tut mir leid, Sir, lieber gehe ich wieder in die Zelle zurück.« »Was sagt man zu soviel Unvernunft?« Mister Gatsby blickte
mich hilfesuchend an. »Er kann reich werden und will es nicht!« »Mag sein, daß er reich wird«, erwiderte ich. »Eine Garantie dafür werden Sie ihm wohl kaum geben. Aber etwas anderes kann passieren, und es ist ja auch schon passiert. Die Leute hier in den Südstaaten sind weit davon entfernt, die Schwarzen zu respektieren. Was meinen Sie wohl, was geschieht, wenn Hank Calhoun einen weißen Gegner nach dem anderen vermöbelt? Nehmen wir nur mal an, er kämpft hier in Rockwall gegen einen Weißen und besiegt ihn. Das ist für die Texaner hier ein Schlag ins Gesicht, eine Beleidigung, eine tödliche Beleidigung. Das gibt einen Aufstand! Glauben Sie mir, Mister Gatsby, ich weiß, wovon ich spreche. Der Krieg ist nämlich noch nicht zu Ende, zumindest nicht für diese texanischen Hitzköpfe. Vielleicht sollten Sie darüber einmal nachdenken.« »Ich hab's!« rief Mister Gatsby entzückt. »Und das räumt auch Ihr Problem aus dem Weg, Mister Ronco. Ich habe gute Beziehungen zu Fort Union. Mister Calhoun wird nicht gegen einen Südstaatler kämpfen, sondern ich besorge ihm einen Gegner aus dem Fort, also einen Nordstaatler. Wenn er den besiegt, werden alle Texaner jubeln. Oh, ich bin helle! Ist das nicht eine hervorragende Idee?« Ich starrte Mister Gatsby nachdenklich an und warf dann Big Hank einen schnellen Blick zu, wobei ich ganz kurz das rechte Auge zukniff, was der dicke Gatsby links von mir nicht sehen konnte. »Hm«, sagte ich, »wie ist das, Mister Gatsby, glauben Sie, daß Sie ein großes Publikum für den Kampf zusammenkriegen?« »Hunderte! Alle Bürger aus Rockwall, alle Farmer aus der Umgebung und dazu die Soldaten aus Fort Union. Hier ist doch sonst nichts los. Ein Preiskampf bringt Abwechslung für alle, insbesondere für die Besatzungssoldaten. Deswegen will ich ja auch einen Gegner aus dem Fort für Mister Calhoun.« »Also viele Schaulustige«, sagte ich ohne Betonung, aber doch so, daß Big Hank heraushören mußte, was ich damit ausdrücken wollte. Ich blickte ihn an und sah an dem Aufblitzen seiner Augen, daß er begriffen hatte. Viele Schaulustige! Das bedeutete, daß der Kampf vielleicht auch Louis Granger anlocken würde – wenn er sich überhaupt in dieser Gegend aufhielt. Vielleicht auch würden wir eine neue Spur finden.
Der Kampf würde für uns lediglich Mittel zum Zweck sein. Mister Gatsbys weitere Pläne konnten uns gestohlen bleiben. Seinen »Schwarzen Puma von Rockwall« konnte er sich an den Nagel stecken. »Na ja«, sagte Big Hank und mimte den Mann, der sich schweren Herzens zu einem Entschluß durchgerungen hat. »Wenn das so ist, sollte ich vielleicht mal einen Kampf wagen, aber nur gegen einen Yankee-Soldaten, Sir.« Mister Gatsby sprang wie ein Gummiball hoch und breitete die Arme aus. »Prächtig, Mister Calhoun, einfach prächtig!« schrie er. »Ich wußte doch, daß es klappt! Was Arnold Gatsby anpackt, klappt immer! Trinken wir auf das Wohl und den Sieg des ›Schwarzen Pumas von Rockwall‹, Gentlemen!« Wir tranken. Mister Gatsby ernannte mich zum Betreuer seines »Schwarzen Pumas«, und ich kassierte von ihm frech einen Vorschuß von vierzig Dollar, was Mister Gatsby doch etwas aus dem Gleichgewicht brachte. Aber ich sagte, der »schwarze Puma« müsse jetzt erst mal mit Steaks und kräftiger Kost aufgepäppelt werden, damit er beim Kampf vor Hunger nicht umfalle. Das sah Mister Gatsby ein.
6. Am Abend desselben Tages, nach Einbruch der Dunkelheit, wartete der dicke Storebesitzer Gatsby westlich außerhalb der Stadt auf jemanden, mit dem er sich um diese Zeit verabredet hatte. Er saß in einem Einspänner, den er dicht an eine verfallene Hütte gelenkt hatte, so daß er als Umriß nicht ohne weiteres zu erkennen war. Der Einspänner verschmolz in der Dunkelheit mit der Hütte. Zwar rechnete Arnold Gatsby nicht damit, entdeckt oder belauscht zu werden, aber er war ein vorsichtiger Mann und legte keinen Wert darauf, daß seine heimlichen Treffs an dieser Hütte bekannt wurden. Als von Westen her Hufgetrappel aufklang, zog er seine Derringer und klemmte sie griffbereit rechts unter seinen Sitz. Ein Reiter näherte sich im gemächlichen Schritt der Hütte. Er steuerte genau auf
sie zu. Gatsby grinste. Der Reiter war der Mann, auf den er gewartet hatte – Louis Granger, sein heimlicher Partner bei den Geschäften, die man unter vier Augen und abseits der Öffentlichkeit besprach. Louis Granger war genau zum richtigen Zeitpunkt in Rockwall aufgetaucht, zu jenem Zeitpunkt, als er, Gatsby, seine Chance erkannt hatte, hinsichtlich der Indianerunruhen seine Geschäfte als lukrativ zu erweitern. Granger war der richtige Mann, mit den Apachen zu verhandeln und ihnen die Waren, die sie wünschten, zu liefern, während er, Gatsby, die Waren besorgte und im Hintergrund bleiben konnte. Das Geschäft war zur beiderseitigen Zufriedenheit angelaufen, und das würde aller Voraussicht nach auch so bleiben – mit stetig wachsendem Profit, zumal die roten Affen mit Gold bezahlten. »Hallo, Louis!« sagte Gatsby, die fette Kröte. »Hat alles geklappt, mein Freund?« Louis Granger glitt aus dem Sattel und trat zu dem Einspänner. Aus dem Hemd zog er vier Ledersäckchen und stellte sie neben Gatsby auf den Sitz. »Alles klar, Arnold«, sagte er und grinste breit. »Hier ist dein Anteil. Ich habe die Säckchen schon überprüft. Es ist reines, erstklassiges Gold. Ich möchte wissen, woher die roten Hundesöhne das haben. Hast du mal was davon gehört, ob in dem Dornbuschgebiet Gold gefunden wurde?« Gatsby schüttelte den Kopf. »Da traut sich doch kein Schwanz hin. Ich bin kein Prospektor. Außerdem kriegen wir das Gold ja viel leichter auf unsere Tour. Erzähl mal, hast du eine neue Bestellung?« Granger nickte. »Sie wollen wieder Schnaps haben. Ich habe ihnen dieses Mal gleich Fässer angeboten, da kannst du besser panschen. Von mir aus kipp Sprit und Wasser rein oder irgendeinen billigen Fusel. Aber nimm Whiskyfässer. Ich hab ihnen gesagt, ich könne Whisky liefern.« »Und was zahlen sie?« »Pro Faß vier Goldsäckchen.« Daß es fünf waren, verschwieg der saubere Mister Granger. Gatsby riß die Augen auf, dann lachte er schallend. »Vier? Mann,
das ist ein Geschäft! Und dann noch billiger Fusel, das laß ich mir gefallen. Bei den Waffenlieferungen steh ich sowieso immer auf Stützen. Wenn das jemals aufplatzt, sind wir reif für eine StrickParty. Bei Schnaps sagt keiner etwas. Sollen die roten Bastarde doch soviel saufen, wie sie wollen. Von mir aus können sie dran krepieren. Wann willst du das Zeug haben?« »In vier Tagen.« Gatsby überlegte. Dann sagte er: »Gut. Du kannst sechs Fässer zwölf Uhr mittags bei mir im Hof abholen. Sie stehen auf der Rampe.« »Was denn? Bei hellichtem Tag soll ich das Zeug abholen? Bist du verrückt? Wir waren übereingekommen, daß niemand etwas über unsere geschäftlichen Beziehungen erfährt, und du weißt, was passiert, wenn eine Armeepatrouille die Ladung auf meinem Wagen kontrolliert. Gerade darum habe ich die Ware doch immer nachts bei dir abgeholt – unauffällig, ohne gesehen zu werden.« »Du kannst ganz beruhigt sein, Louis«, sagte Gatsby. »Kein Mensch wird sich um dich kümmern, kein Mensch. Ich organisiere nämlich für diesen Zeitpunkt einen Preis-Boxkampf. Ich habe da einen Klasse-Boxer, mit dem ich das Geld nur so scheffeln werde. Kein Mensch wird sich um dich kümmern, weil alle Leute von Rockwall dem Kampf zuschauen. Also sei unbesorgt. Und mit der Armee wirst du auch keinen Ärger kriegen, denn einer der Boxer ist ein Sergeant aus Fort Union, und ich wette, daß nahezu die ganze Fortbesatzung ihren Mann anfeuern wird.« »Das ist etwas anderes. Gut, in Ordnung«, sagte Granger. »Vergiß nicht, daß es Whiskyfässer sein müssen. Sieh zu, daß du auch wieder Spencer-Karabiner besorgst. Ich schätze, daß die Burschen noch mehr Waffen haben wollen. Ein feiner Trick wäre auch, ihnen Yankee-Uniformen zu liefern.« »Yankee-Uniformen? Was soll das denn?« Louis Granger grinste kalt. »Als Tarnung. In Uniform können sie jeden weißen Siedler, jeden Farmer, jeden Soldaten aufs Kreuz legen, bevor die begriffen haben, daß ein Roter in der Uniform steckt. Was dann passiert, kannst du dir ja selbst ausmalen.« Arnold Gatsby zog fröstelnd die Schultern hoch und starrte seinen
Partner bestürzt an. »Du schreckst vor nichts zurück, wie?« »Warum sollte ich? Ich handle mit allem, was Geld bringt, gutes Geld. Was interessiert es mich, ob sich die roten Bastarde die Hucke vollsaufen, ob sie irgendwelche weiße Idioten abschlachten oder auf dem Rost grillen. Wenn sie den Rost brauchen, kriegen sie ihn geliefert – samt Holzkohle und Schwefelhölzern. Hauptsache, die Kasse stimmt. Also, könntest du Uniformen anschaffen?« Arnold Gatsby wiegte den Kopf. »Ich kenne da einen Zahlmeister in Fort Union, der die Zeugkammer unter sich hat. Ein Hurenbock, der auf Jungfrauen scharf ist. Ich müßte das so deichseln, daß ich ihn unter Druck setzen kann. Doch, das kriege ich hin – Vergewaltigung und so. Damit hab ich ihn.« »Na also. Dann werde ich schon mal meinen Freund Tamaco ein bißchen kitzeln und auf die Möglichkeiten hinweisen, die sich aus der Kostümierung ergeben. Wie ich das Schlitzohr kenne, packt er bestimmt zu. Dein Zahlmeister muß uns die Uniformen umsonst liefern, als Schweigegeld gewissermaßen, und schon wickeln wir wieder ein Geschäftchen ab, das pures Gold bringt.« Die beiden Halunken grinsten sich an. Sie waren einander wert. Nur war der Trader Louis Granger das härtere Kaliber, er war ein Mann, der über Leichen ging. Die Farbe dieser Leichen spielte für ihn keine Rolle. So gesehen liebte er nur die Farbe des Goldes. * Big Hank hatte vier Tage hart trainiert, obwohl er das für reine Zeitvergeudung hielt. Ich war da anderer Ansicht gewesen und hatte es ihm auch bewiesen. Denn am nächsten Tag unserer Besprechung mit Mister Gatsby waren wir in die Hügel außerhalb Rockwall geritten, und ich hatte Big Hank als gewissenhafter Betreuer veranlaßt, eine Viertelstunde lang Felsbrocken zu stemmen. Nach dieser Viertelstunde, als er schwitzte und nach Luft pumpte, hatte ich mich vor ihm aufgebaut und ihn aufgefordert, mir eine zu wischen. Das hatte er getan. Nur war er in diesem Falle zu langsam gewesen. Er hatte seine Rechte in die Luft gestochen, ich war unter ihr geduckt an ihn herangegangen und hatte ihm zwei Haken kurz
und trocken in die Leber gesetzt. Das waren zwei hundsgemeine Schläge gewesen, und Big Hank starb beinahe den Heldentod. Als er sich wieder aufgerichtet und die Schmerzen heruntergewürgt hatte, sagte ich: »Siehst du, was du brauchst? Stehvermögen brauchst du, klar? Und wenn du eine Stunde lang mit deinem Gegner kämpfst, dann brauchst du explosive Kraft, deine Faust in der einundsechzigsten Minute voll ins Ziel zu bringen. Eben warst du zu langsam, weil dir die kleinen Steinchen die Puste genommen hatten. Diese kleinen Steinchen sind dein Gegner, die saugen dir die Kraft aus den Knochen. Bilde dir nur nicht ein, dein Gegner sei ein Kerl, der den Fight nicht länger als eine Viertelstunde übersteht. Wenn du das denkst, laß dich einsargen, du dreckiger Nigger!« Ich reizte ihn bewußt, und er ging wie ein wilder Büffel auf mich los. Wieder tauchte ich weg und drosch ihm brutal zwei Haken auf die Leber. Er krümmte sich vor Schmerzen zusammen, blieb aber auf den Füßen. »Nimm deine Deckung hoch!« brüllte ich ihn an. Bevor er sie hoch hatte, knallte ich ihm meine Rechte auf das ungeschützte Kinn. Er stand. Er stand und wackelte nur mit dem Kopf. Und nahezu ansatzlos zuckte seine Linke hoch und katapultierte mich in einen Busch, den ich nahezu entwurzelte. Ich brauchte eine halbe Stunde, um wieder klar sehen zu können. Ich betastete mein Kinn und hätte vor Schmerzen heulen können. Big Hank stand über mir und beplätscherte mich mit Wasser aus meiner alten Armeeflasche. Er sah sehr unglücklich aus. Neben ihm hockte Shita, auch ziemlich belämmert, weil er nicht wußte, wie er das alles einordnen sollte. Einerseits hätte er Big Hank gern ins Bein gebissen, weil der mich in den Busch gefeuert hatte, andererseits war Big Hank sein Liebling, der ihm die Stellen hinter dem Ohr kraulte, die er so schwer erreichen konnte. Big Hank sagte: »Hab ich dir wehgetan, Ronco!« Er war
fürchterlich bekümmert. »Mann«, sagte ich, »mußt du gleich so zuhauen? Spar dir diese Schläge doch lieber für deinen Kampf auf.« »Na ja«, sagte Big Hank verlegen und massierte sich die Handknöchel seiner Rechten, »du hast mich so richtig in Wut gebracht mit deinen dämlichen Steinchen und ich sollte mich einsargen lassen und so.« Ich wischte mir das Wasser aus dem Gesicht und stand ächzend auf. »Wenigstens etwas. Wenn man dich in Wut bringt, wirst du gut, wie? Paß bloß auf, daß es für dich nie ein zu spät für deine Wut gibt. Und sieh zu, daß du nie deine verdammte Deckung vergißt. Bei den Leberhaken warst du völlig offen. Wenn ich deine Bullenkraft hätte, wärst du jetzt im Paradies. Aber da ist noch etwas. Denk mal an deine beiden Gegner, mit denen du in Eagle Hill gekämpft hast – auf dem Floß. Die hatten ein paar miese Tricks, mit denen sie dich sogar ein paarmal von den Füßen holen konnten. Stell dich also darauf ein, daß dein Gegner nicht fair kämpft, daß er hundsgemein, brutal und ein Schlagetot ist. Darum kann es sein, daß du Dinger einfängst, die du verdauen mußt. Und die verdaust du nur, wenn du noch die Kraft dazu hast. Darum die Steinchen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, Mister Calhoun?« »Aye, aye, Sir«, sagte Big Hank und zeigte mir sein weißes Raubtiergebiß. Und darum stemmte er Steine, lief im Trab neben meinem Schecken her, stemmte wieder Steine und wurde innerhalb von diesen vier Tagen eine explosivgeladene Kampfmaschine von unerhörter Wucht und Durchschlagskraft. Ganz Rockwall stand Kopf, als es auf den Mittag des Kampftages zuging. Mister Gatsby hatte die Werbetrommel gerührt. Von überallher fuhren Wagen in die Stadt, die Blauröcke von Fort Union rückten an, sogar eine Blaskapelle war dabei, die auf dem Kampfplatz aufmarschierte und den Yankeedoddle spielte. Als Kampfplatz diente ein Seilkorral hinter dem Mietstall, wo sonst Viehmarkt abgehalten wurde. Die Fläche war groß genug, ein paar hundert Menschen aufzunehmen. Mister Gatsby war voll in Aktion. Was dieser Mann organisiert
hatte, war bewunderungswürdig. Er hatte mehrere Zelte aufbauen lassen. In einem befand sich das Wettbüro, vor einem anderen wurde Bier ausgeschenkt, vor einem dritten, vierten und fünften Zelt wurden Süßigkeiten, Erdnüsse, Tabak, Seifen, Duftwasser, Pomade und was weiß ich verkauft, alles aus Mister Gatsbys Store, und zwar zu herabgesetzten Preisen. Kinder plärrten, Frauen schnatterten, Männer diskutierten die Chancen der beiden Kämpfer. Die Blaskapelle donnerte Märsche, als gelte es, ein feindliches Fort zu stürmen. Big Hanks Gegner war ein Muskelberg von Sergeant, der weiß Gott nicht so aussah, als gehöre er einer frommen Sekte an, deren Parole die Gewaltlosigkeit ist. Mister Gatsby mit seinen unerschöpflichen Einfallen werbeträchtiger Kriegsnamen hatte ihn zum »Roten Amboß von Fort Union« ernannt. Rot, weil der Sergeant rothaarig war. Amboß, weil er einen Klotz von Schädel hatte. Wenn dieser Schädel tatsächlich die erzene Qualität eines Ambosses haben sollte, würde sich Big Hank die Fäuste daran zerschlagen. Der »Schwarze Puma von Rockwall« gegen den »Roten Amboß von Fort Union« – das klang nicht schlecht und war nun wirklich eine psychologische Meisterleistung Mister Gatsbys, denn die Texaner aus Rockwall und Umgebung amüsierten sich jetzt schon, daß sie dabei zuschauen konnten, wie sich zwei Yankees gegenseitig die Zähne einschlugen. Aus diesem Grunde war hier auch die Stimmung ganz anders als vor über zwei Wochen in Eagle Hill. Yankees oder Nigger, keiner von beiden war der ausgesprochene Publikumsliebling oder der besondere Favorit des Tages – jedenfalls nicht für die Texaner. Anders die Blauröcke von Fort Union. Die setzten natürlich auf ihren »Roten Amboß«. Viertel vor zwölf verließen Big Hank und ich unser Hotel. Shita war natürlich bei uns. Noch immer strömten die Leute zum Kampfplatz. Marshal Sturgeon saß in einem Schaukelstuhl vor seinem Office. Das rechte Bein hatte er auf einen Hocker gelegt. Er schaute zu uns hoch und lächelte. »Viel Glück, ›Schwarzer Puma‹«, sagte er zu Big Hank, »denn
eine gute Portion Glück brauchen Sie, Mister Calhoun. Ich kenne den Sergeant. Das ist ein harter Brocken. Passen Sie auf seine Linke auf. Er täuscht rechts und schlägt links zu, und zwar Haken, die er auf die Gegend unterhalb der Gürtellinie abschießt. Dabei geht er hart an seinen Gegner heran. Halten Sie ihn auf Distanz und vermeiden Sie den Clinch, denn da bringt er die Tiefschläge an.« »Danke, Marshal«, sagte Big Hank. »Wollen Sie sich den Kampf nicht anschauen?« »Natürlich sehe ich ihn mir an, ich warte nur noch auf meinen Deputy, der hier immer mittags übernimmt.« Wir schlenderten zum Kampfplatz. Mister Gatsby schwitzte und glühte vor Aufregung. »Endlich«, stieß er erleichtert hervor, »ich dachte schon, Sie hätten es sich anders überlegt, Mister Calhoun. Den Sergeant habe ich nämlich schon vorgestellt.« Big Hank zog sein Hemd aus. Er trug eine feste Drillichhose, deren Hosenbeine in leichten Schaftmokassins steckten, die ich ihm aus dem Store von Mister Gatsby besorgt hatte. Mit den Mokassins war er leichtfüßiger und beweglicher, als wenn er seine klotzigen Farmstiefel getragen hätte. Während Mister Gatsby Big Hank in den Seilkorral schleppte, um ihn vorzustellen, besorgte ich mir einen Eimer Wasser. Ein Handtuch und einen Schwamm hatte ich bereits mitgenommen. Die Menge rings um den Korral johlte und klatschte. Mister Gatsby gab noch einmal die Kampfregeln bekannt. Danach sollte der Kampf unbegrenzt sein, erst wenn einer der beiden Boxer aufgab oder länger als eine Minute am Boden lag, sollte Schluß sein. Ein Lieutenant aus Fort Union fungierte als Kampfrichter, aber mehr als die Sekunden zur vollen Minute zu zählen, wenn einer am Boden lag, hatte er wohl nicht zu tun, denn sonstige Regeln gab es nicht. Mister Gatsby und der Lieutenant verließen den Korral. Mister Gatsby stiefelte zu mir, der Lieutenant ging zur anderen Ecke, wo der Sergeant gerade durch die Seile in den Korral schlüpfte. »Meinen Sie, daß der Lieutenant unparteiisch ist?«, sagte ich wütend zu dem Dicken.
Mister Gatsby schnaufte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das ging nicht anders«, sagte er. »Die haben sich das ausgedungen. Was sollte ich tun? Den Kampf deswegen platzen lassen?« »Scheißarmee«, sagte ich, »immer auf den eigenen Vorteil bedacht, diese krummen Hunde.« »Was wissen Sie denn von der Armee?« fragte Mister Gatsby verwundert. »Mehr als genug, ich war Scout bei dem Haufen.« »Scout?« »Ja, verdammt.« Ich ließ ihn stehen und wandte mich Big Hank zu, der ruhig an den Seilen stand, als ginge ihn das alles gar nichts an. »He, Hank! Alles klar bei dir?« Er drehte sich lächelnd zu mir um. »Natürlich. Mächtiger Rummel hier, was? Da unseren Mann zu finden, dürfte ziemlich schwierig sein.« »Hast du keine anderen Sorgen?« Ich blickte zu dem Sergeant hinüber. »Halt dir den Kerl bloß vom Leib, Hank. Du bist bestimmt schneller als er.« »Klar«, sagte Big Hank, »ich reiß immer vor ihm aus, bis er keine Puste mehr hat und dann …« Der Lieutenant hob die Hand und winkte der Kapelle zu. Die spielte einen schmetternden Tusch. Es war kurz nach zwölf. Der Kampf war eröffnet. »Viel Glück, Hank«, murmelte ich. Der »Rote Amboß von Fort Union« walzte auf Big Hank zu. Die Menge grölte und brüllte, die Blauröcke setzten mit einem Sprechchor ein: »Amboß, Amboß, Amboß!« Und dann war ich starr vor Staunen, denn eine Gruppe von Rockwallern brüllte plötzlich: »Puma, Puma, Puma!« Ich brüllte mit, Mister Gatsby brüllte mit, alle Leute aus Rockwall schlossen sich an, und damit war etwas passiert, was ich nie für möglich gehalten hätte: Weiße schrien sich für einen Neger die Kehle heiser. Sie ergriffen eindeutig Partei gegen die Armee und für Big Hank. Der Sprechchor der Soldaten wurde glatt überbrüllt.
Das Gesicht des Sergeanten war hochrot vor Wut. Er sprang Big Hank an und wollte ihn umklammern. Aber Big Hank stach blitzschnell mehrere linke und rechte Gerade heraus und stoppte den »Roten Amboß«. Leichtfüßig tänzelte er von dem Muskelberg weg und ließ ihn hinter sich herlaufen. Die Soldaten pfiffen schrill. Der Sergeant schüttelte die Fäuste und brüllte etwas, was in dem Krach nicht zu verstehen war. Er setzte Big Hank nach, und immer, wenn er zuschlug, war Big Hank bereits wieder weg, er traf nur ins Leere und renkte sich mit den Luftschlägen nahezu die Schultern aus. Dann war es so weit, daß er wieder bei einem solchen Schlag, der die Luft durchlöcherte, von seinem eigenen Schwung mitgerissen wurde, aber Bruchteile von Sekunden später von Big Hank ein Ding unter das Kinn verpaßt kriegte, das den »Roten Amboß« taumeln ließ. Die Rockwaller tobten vor Begeisterung, die Blauröcke fluchten und schimpften. Der Sergeant schüttelte den Kopf, als begreife er die Welt nicht mehr. Big Hank ließ ihm Zeit, sich zu erholen – ich hätte das nicht getan, und nach dem Kampf würde ich ihm deswegen die Leviten lesen. Er lehnte an den Seilen und war mit einem graziösen Schritt wieder weg, als der Sergeant herantobte und prompt in die Seile prallte. Eine Eisenstange kippte um, der Sergeant stolperte und flog der Länge nach hin. Gelächter bei den Rockwallern, Flüche bei den Blauröcken. Der Lieutenant stoppte den Kampf und ließ die Eisenstange wieder aufrichten. Der Soldat, der die Eisenstange in den Boden rammte, ließ sich ziemlich viel Zeit. »Schiebung!« brüllten ein paar Texaner. »Gib's dem Amboß, Puma! Hau ihn zu Klump! Beiß ihm die Nase ab!« Der Kampf ging weiter. Der Sergeant lief wieder, und Big Hank blieb bei seiner Taktik, mit dem Koloß Kriegen zu spielen. Zweierlei erreichte er damit. Der Sergeant verlor vor Wut die Kontrolle über sich und wurde außerdem kurzatmig. Und jetzt begann Big Hank zuzuschlagen. Ich wußte ja, was er in
den Fäusten hatte. Jeder seiner Schläge traf voll und mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Der »Rote Amboß« wurde durchgeschüttelt und durchgewalkt. Dann erwischte ihn ein rechter Schwinger an der Schläfe und fällte ihn. »Pause!« brüllte der Lieutenant und fuchtelte mit den Armen. »Weiterkämpfen!« schrien die Rockwaller empört. »Schweinerei! Das ist gegen die Regel!« Ein wüster Tumult setzte ein, der fast in Handgreiflichkeiten ausartete. »Da haben Sie es!« schrie ich Mister Gatsby an. Der starrte ratlos zu dem Lieutenant hinüber und reagierte überhaupt nicht. Zwei Soldaten waren in den Korral geklettert und gossen aus Eimern Wasser auf den »Roten Amboß von Fort Union«. Big Hank sah dem allen gelassen zu, keine Spur erregt, sein Atem war völlig normal. Er hatte eine phantastische Kondition. Der Sergeant rappelte sich wieder hoch, und die beiden Soldaten flitzten aus dem Korral. »Amboß, Amboß!« brüllten die Blauröcke. »Puma, Puma!« brüllten die Rockwaller. Eins mußte man dem Sergeant lassen: er gab nicht auf. Obwohl von Big Hanks Schmetterschlägen bereits schwer gezeichnet, griff er wieder an. Nur hatte er nicht viel Grütze im Gehirn, denn wieder versuchte er in den Clinch zu gehen, um seine Tiefschläge anbringen zu können. Big Hank wich aus, ließ den »Amboß« hinter sich herlaufen und schlug dann plötzlich und unerwartet wieder zu. Der »Amboß« torkelte mit glasigen Augen durch den Korral. Mister Gatsby stieg vor Begeisterung mit seinem rechten Bein in meinen vollen Wassereimer – und merkte es nicht. Ein Schwall Wasser wurde herausgedrückt, und ich rückte ein Stück zur Seite. Genau das war einer jener berühmten Zufälle, die dann zwangsläufig etwas auslösen. Als ich dem Wasser auswich, drehte ich mich vom Korral weg, und damit blickte ich über die Köpfe der Zuschauer zur Straße, die nach Westen aus der Stadt führte. Dort fuhr ein Kastenwagen, den zwei Gespannpferde zogen. Auf
dem Bock saß ein Mann, der zum Koral starrte. Meine Augen waren immer gut gewesen. Dieser Mann auf dem Bock, das erkannte ich ganz deutlich, war niemand anders als mein guter, lieber, alter »Geschäftspartner« Louis Granger, dieser verdammte Hundesohn. Ich warf einen hastigen Blick zu Big Hank. Der war gerade wieder dabei, den »Amboß« auseinanderzunehmen. Die Menge tobte und schrie. Mister Gatsby stampfte mit dem Eimer auf und sorgte dafür, daß sich sein Stiefel noch fester darin verklemmte. Ich wühlte mich durch die Menge, boxte nach links, nach rechts, wurde angepöbelt, rempelte zwei, drei Leute um und erreichte endlich den äußeren Rand des Areals. Und dann setzte ich mich in Trab. Shita fegte hinter mir her. Statt auf eins der vielen Pferde zu springen, die seitlich des Kampfplatzes an einem langen Holm angebunden waren, lief ich hinter dem Kastenwagen her. Allerdings nahm ich eine Abkürzung, die durch eine schmale Seitengasse schräg auf die Hauptstraße zuführte. Ich sparte damit ein ganzes Dreieck aus und erreichte die Straße, als der Kastenwagen noch etwa fünfzig Yards vor mir war. Ich spurtete los. Shita schoß an mir vorbei – auch er mußte den Trader erkannt haben. »Pack ihn!« schrie ich hinter ihm her. Granger fuhr auf dem Bock herum, entdeckte mich, sah Shita, verfärbte sich, fluchte, langte nach seiner Peitsche, wirbelte wieder herum und drosch auf seine Pferde ein. Rechts vorn hörte ich das Knurren von Shita. Er ging die Pferde an. Das rechte Gespannpferd stieg wiehernd hoch. Noch zehn Schritte. Aber jetzt ruckte der Wagen an und wurde schneller. Ich forderte meine letzten Reserven, verkürzte den Abstand zum Wagen – und warf mich mit einem letzten, verzweifelten Satz vor. Mit der Linken griff ich daneben, aber meine Rechte packte zu. Ich wurde nach vorn gerissen, meine Stiefel schrammten über den Boden. Ich langte mit der linken nach der Heckbracke, lief zwei, drei, hetzende Schritte in einem unheimlichen Tempo mit und schwang mich über die Heckbracke auf den Wagen.
Aber da war die straff gespannte Plane, die mich abkederte. Irgend etwas riß, und die Plane gab nach. Ich rutschte nach vorn. In diesem Augenblick sah ich noch, wie Shita sich in der Luft überschlug und zwischen die Büsche flog – mit einer Wucht, als habe man ihn aus einem Kanonenrohr abgeschossen. Ich explodierte vor Wut und sprang vor. Ich stieß gegen etwas Faßähnliches, das mich stoppte. Irgendwie behinderte mich diese verdammte Plane. Das Gespann raste jetzt im vollen Galopp über die Fahrbahn, die Stadt lag bereits hinter uns, der Wagen schlingerte und hüpfte, und ich hatte Mühe, mich festzuhalten. Granger riskierte einen Achsenbruch, wenn er weiter so über die Schlaglöcher donnerte. Aber das sollte nicht meine Sorge sein. Ich wollte meinen Navy-Colt aus dem Leder angeln, verlor aber die Balance. Einen Moment ruderte ich mit den Armen durch die Luft. Diesen Moment nutzte der Bastard auf dem Bock. Aus dem Sitz heraus knallte er mir den Kolben einer Schrotflinte an den Schädel. Unter mir flog die Seitenbracke weg, und ich segelte ins Paradies oder geradewegs in die Hölle. Um mich herum zerplatzten grellfarbene Sternchen und zuckten Blitze. Es war, als befände ich mich mitten im Zentrum eines explodierenden riesigen Pulverfasses. Abrupt brach Finsternis über mich herein.
7. Du wehrst dich dagegen, aufzuwachen. Du willst einfach nicht. Du möchtest schlafen, deine Ruhe haben und bis in die Ewigkeit dämmern. Aber sie lassen dich nicht. Sie versuchen es mit eiskaltem Wasser, so daß du nach Luft schnappst und meinst, ersaufen zu müssen. Und die gießen dir scharfen Schnaps zwischen die Zähne, der dir zu den Ohren wieder herauskommt. Sie fummeln an deinem Kopf herum, den du am liebsten in Watte packen würdest, aber das interessiert sie alles einen Dreck. Ich hörte mein Stöhnen, bevor ich die Augen aufschlug. Das heißt, ich schlug sie nicht auf, das wäre viel zu leicht gewesen. Nein, ich stemmte sie hoch, als seien sie eiserne Lukendeckel, und ich hatte Mühe, diese Lukendeckel offenzuhalten.
Durch meinen Schädel galoppierte eine Herde von Wildpferden oder so was, vielleicht auch schwere Ackergäule. Meine Haare und mein Gesicht waren klitschnaß, mein Hemd auch. Big Hank kniete vor mir und grinste wie ein Großvater, der einen Enkel gekriegt hat. Mein Hund Shita tauchte über mir auf und leckte mir das Gesicht ab. Es klang, als feile jemand Eisenspäne mit einer großen Raspel Zug um Zug von einem Amboß herunter. Amboß! Ich fuhr hoch, Shita bellte, mein Kopf zerplatzte. »Hast du gewonnen?« »Ja«, sagte Big Hank. »Wenigstens etwas.« Meine Erinnerung setzte ein. »Und wo ist der verdammte Bastard?« »Welcher Bastard?« Big Hank rollte mit den Augen und fügte besorgt hinzu: »Sag mal, ist was mit deinem Kopf? Ich meine, weil du da eine fürchterliche Schwellung hast. Vielleicht ist was kaputt. Mann, was hab ich dich gesucht. Vor einer halben Stunde humpelte Shita ins Hotel und gab nicht eher Ruhe, bis ich mit ihm loszog. Wir fanden dich hier. Das heißt, Shita hat mich hierhergeführt. Ich kapier das nicht. Als der Kampf vorbei war, warst du weg. Was machst du denn hier?« O Gott, dieser schwarze Riesenkerl redete und redete und jetzt fragte er auch noch, was ich hier machte. »Ich hab Pilze gesucht«, sagte ich wütend und stand fluchend auf. Mir wurde schwarz vor Augen, und ich setzte mich schnell wieder hin. Shita jaulte leise und drängte sich an mich. Ich nahm ihn zu mir und kraulte ihm den Nacken. Als ich seine linke Schulter berührte, zuckte er zusammen. »Er hat auch, was abgekriegt«, sagte Big Hank, »aber was #nur?« »Wahrscheinlich einen Huftritt.« Ich blickte zu Big Hank hoch. »Wir waren hinter dem verdammten Granger her.« »Granger?« Big Hank riß die Augen auf. Ich nickte. »Genau. Er fuhr mit einem Kastenwagen aus der Stadt, als du den Sergeant gerade so richtig in der Mangel hattest. Ich entdeckte ihn nur durch einen Zufall und wetzte hinter ihm her, Shita
natürlich auch. Ich konnte den Wagen erreichen und raufklettern. Shita griff die Gespannpferde an. Ich sah dann nur noch, wie er plötzlich durch die Luft flog. Mich erwischte Granger mit einem Kolbenschlag. Damit war Ende. Wie spät ist es jetzt?« »Es geht auf sechs zu.« »Sechs?« fragte ich entsetzt. »Dann ist der Kerl über alle Berge, verdammt.« »Hatte er was auf der Ladefläche?« fragte Big Hank. »Ich glaube, Fässer. Aber da war eine Plane drüber.« »Er fuhr westwärts«, sagte Big Hank nachdenklich und blickte über den Trail. »Aber im Westen liegt das Dornbuschgebiet.« Ich knirschte mit den Zähnen. »Mir egal, was da liegt. Wir haben seine Spur, und die werden wir aufnehmen. Und dann soll er seinen Geschäftspartner Ronco mal kennenlernen, dieser Drecksack!« »Meinst du denn, daß du reiten kannst? Du hast ein ziemliches Ding am Schädel.« »Ob Ding am Schädel oder nicht, ich reite, verflucht!« »Na denn«, sagte Big Hank und grinste breit. »Ich wußte schon immer, daß du ein harter Bursche bist. Dann wollen wir mal, wie?« »Hast du schon bei dem Dicken kassiert?« fragte ich. Big Hank schüttelte den Kopf. »Als du verschwunden warst, hatte ich andere Sorgen. Ich hab die ganze Stadt umgestülpt, um dich zu finden.« »Gut«, sagte ich. »Wir holen dein Geld bei Gatsby, und dann verfolgen wir die Spur des Bastards.« Ich beugte mich über Shita und untersuchte seine linke Schulter. Er hielt ganz still. Ich tastete über das Fell. Da war eine Schwellung. Unter dem Fell war verkrustetes Blut. Ich packte sein linkes Bein und bewegte es vor und zurück und seitwärts. Er knurrte etwas, weil ihm das nicht paßte. Aber da war nichts ernsthaft verletzt. Ich atmete auf. Shita hatte an der Schulter eine Prellung, mehr nicht. Vielleicht war sie schmerzhaft. Ich würde ihn in den Sattel nehmen. Ich stand auf. Dieses Mal klappte es besser. *
Mister Gatsby saß dick und fett und träge in seinem Büro hinter dem Schreibtisch und war dabei, Münzen und Geldscheine säuberlich zu stapeln. Der ganze Schreibtisch war voll – Türmchen, Päckchen, Türmchen, Päckchen, geordnet, gestapelt, gehäuft – eine Musterschau amerikanischer Währung, aufmarschiert und wie unsere glorreiche Armee der Blauröcke zur Parade angetreten. Zur Siegesparade natürlich. Die Kröte schielte zu uns hoch und war unwirsch, bei der Parade gestört zu werden. »Was ist?« fauchte er. Daß ich über viele Stunden verschwunden, aber nun wieder präsent war, schien ihm gar nicht bewußt zu werden. »Mister Calhoun möchte seinen Anteil an der Kampfbörse kassieren«, sagte ich freundlich. »Anteil? Wieso Anteil?« sagte er giftig. »Da muß er warten. Ich muß erst die Prozente ausrechnen. Vielleicht übermorgen, nein, das ist zu früh. In einer Woche.« »Nein, jetzt«, sagte ich. »Sind Sie verrückt?« fauchte er. »Keineswegs, Mister Gatsby. Wir verlassen nur noch an diesem Abend Rockwall, weil wir unsere Pläne umdisponiert haben.« »Umdisponiert? Kommt gar nicht in Frage. Sie bleiben hier. Ich habe den Nigger unter Vertrag, und jetzt hauen Sie ab! Ich habe was anderes zu tun, als meine Zeit mit einem hergelaufenen Tramp zu vergeuden.« Das war also die Kröte. Die Maske des jovialen, biederen Geschäftsmannes war gefallen, und dahinter entpuppte sich der wirkliche Mister Gatsby, ein widerlicher, geiziger, raffgieriger Fettsack. »Sagten Sie eben ›Nigger‹, Mister Gatsby, oder war Ihnen das nur so herausgerutscht?« fragte ich ruhig. »Und sagten Sie, er stehe bei Ihnen unter Vertrag? Wo ist der Vertrag?« Er duckte sich etwas und starrte lauernd zu mir hoch. Seine Rechte, die auf dem Schreibtisch lag, glitt langsam zurück zur Schublade.
Er sagte: »Aber Mister Ronco, wir sind doch Freunde. Wir alle sind Freunde. Sie und Mister Calhoun und ich. Sehen Sie, ich muß doch erst einmal die Einnahmen zählen, nicht wahr …« »Auch die in der Schublade?« fragte ich eisig. Er zuckte zusammen. Seine Hand war dicht über der Schublade. »Wenn Sie hineingreifen«, sagte ich, »treten Sie einen Weg an, von dem noch keiner zurückgekehrt ist, höchstens als Englein oder Teufelchen. Was von beiden auf Sie zutreffen wird, werden Sie selbst am besten wissen.« Seine Hand verharrte auf der Schreibtischplatte. Sein Gesicht hatte eine ungesunde Farbe angenommen – eine Krötenfarbe, graugrünlich. »Er hat in der Schublade seine Kugelschreiber«, sagte ich über die Schulter zu Big Hank, ohne den Dicken aus den Augen zu lassen. »Es ist für alle gesünder, wenn du das Ding an dich nimmst, Hank.« Big Hank glitt um mich herum, hinter den Dicken und griff über dessen Schulter in die Schublade. Er holte die Derringer heraus. Mister Gatsby sackte in seinen Sessel zurück. »Das – das ist verbrecherisch«, flüsterte er. »O nein«, sagte ich. »Das ist ein Geschäft zwischen ehrlichen Männern. Sie, Mister Gatsby, haben einen Kampf organisiert und Mister Calhoun einen Anteil von sechzig Prozent an den Einnahmen zugesichert. Ich war Zeuge. Der Kampf wurde durchgeführt, Mister Calhoun hat gesiegt und nunmehr wird abgerechnet. Von einem Vertrag mit ihm kann gar keine Rede sein. Allerdings werden Sie jetzt ein Schriftstück aufsetzen, aus dem hervorgehen wird, daß sie aufgrund mündlicher Vereinbarung mit Mister Calhoun heute an ihn die und die Summe als seinen Anteil an dem siegreichen Kampf gegen den Sergeant soundso, genannt der ›Rote Amboß von Fort Union‹, gezahlt haben, gezeichnet, Unterschrift und so weiter.« »Erpressung!« stöhnte der Fettsack. »Nein, nur eine vorbeugende Maßnahme beziehungsweise eine durch Unterschrift beglaubigte Aussage, daß alles das rechtens und in Ordnung ist, nicht mehr und nicht weniger.« »Das tue ich nicht!« »Und ob Sie das tun, mein lieber Freund«, sagte ich kalt. »Wenn
nämlich nicht, werden wir keine Skrupel haben, die gesamten Einnahmen hier auf dem Tisch einzusacken und mitzunehmen. Und bevor wir diese gastliche Stätte verlassen, werden wir Ihnen dazu verhelfen, bis morgen früh durchzuschlafen. Morgen früh haben Sie dann Zeit, Ihren Kopf mit Eisbeuteln zu kühlen. Na?« Gatsby wankte zu einem Stehpult und begann zu schreiben. Ich diktierte ihm. Big Hank zählte das Geld auf dem Schreibtisch. Es waren fast genau sechshundert Dollar – ein hübsches Sümmchen in diesen Zeiten. Davon also erhielt Big Hank sechzig Prozent, das waren dreihundertundsechzig Dollar. Diesen Betrag mußte der Dicke in das Schriftstück eintragen. Er tat es zähneknirschend. Big Hank schaufelte das Geld in einen Lederbeutel und schnürte ihn zu. Ich faltete das Schriftstück und wollte es in die Innentasche meiner Lederjacke stecken. In der Tür stand Marshal Stugeon und sagte freundlich: »Guten Abend allerseits. Ich sah noch Licht, die Tür zum Store war offen, und da wollte ich mal nachsehen, ob alles in Ordnung ist.« Mister Gatsby keuchte. »Mar-marschal! Überfall! Nehmen Sie diese beiden Halunken fest, sie haben mich bestohlen!« Der Marshal schaute sich um, betrachtete das restliche Geld auf dem Schreibtisch und sagte kopfschüttelnd: »Sieht gar nicht nach Überfall aus, Mister Gatsby.« Er lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich habe schon länger zugehört, Mister Gatsby, bin also gewissermaßen Zeuge des Überfalls. Aber als Überfall würde ich das nun wirklich nicht bezeichnen, eher doch wohl als den guten Abschluß einer geschäftlichen Vereinbarung, deren Kondition von beiden Partnern nunmehr ehrlich erfüllt und abgeschlossen wurde.« Er seufzte: »Ich wünschte, es würde unter Geschäftspartnern immer so sauber und reibungslos zugehen, nicht wahr, Mister Gatsby?« Mann, war dieser hinkende Marshal eine Wucht! Ich hätte ihn umarmen können. Der Marshal räusperte sich. »Sie verlassen Rockwall, Gentlemen? Ich sah draußen Ihre Pferde.« »Wir haben eine Spur, Marshal«, sagte ich. Der Marshal fixierte die Stelle meines Kopfes, die Bekanntschaft mit Grangers Gewehrkolben geschlossen hatte.
»Die Spur muß sehr heiß sein«, sagte er bedächtig. »Ich möchte Sie nicht länger aufhalten, Gentlemen.« Er lächelte. »Ein herrlicher Abend heute.« Er tippte an die Hutkrempe und hinkte aus dem Store, ein einsamer, aber eisenharter Mann – und ein gerechter Mann. Mister Gatsby hing gebrochen über seinem Schreibtisch. Wir ließen ihn dort hängen. Eine Minute später saßen wir im Sattel und ritten westwärts. Unter einem Vordach stand ein Mann. Der Lichtschein aus einem Fenster gegenüber reflektierte etwas an der Brust dieses Mannes. Es war der Glanz eines sternenförmigen Abzeichens. Das Gesicht dieses Mannes lag im Schatten. Aber ich glaubte doch, daß der Marshal lächelte …
8. Auf dem Cedar Creek lag glitzerndes Mondlicht, das ihn in einen silbernen Teppich verwandelte. Aber dieser Teppich war ruhelos, er veränderte ständig Licht und Schatten, das Silber verschwand, tauchte wieder auf und zauberte bizarre Reflexe über das Wasser. Louis Granger hockte auf dem Bock seines Kastenwagens und trank hin und wieder aus einer Whiskyflasche. Der Alkohol erheiterte ihn keineswegs. Was sich am Mittag in Rockwall abgespielt hatte, saß ihm tief in den Knochen. Ihm war schleierhaft, wie dieser verdammte ehemalige Armeescout, den er um dreihundertfünfzig Dollar geprellt hatte, seine Spur hatte aufnehmen können. Jetzt wurde es gefährlich. Da hatte er gerade angefangen, eine Goldgrube anzustechen, und da tauchte dieser Scout auf. Gut, er hatte ihn aufs Kreuz gelegt. Der Bursche war auf den naiven Schwindel mit der Partnerschaft hereingefallen. Aber dieser Kerl war nicht so naiv, den Schwanz einzuziehen und sein verlorenes Geld in den Schornstein zu schreiben. Louis Granger fluchte still vor sich hin. Er hätte es eigentlich wissen müssen. Solche Kerle gaben nicht auf, die waren wie Wölfe, und wenn sie gebissen wurden, bissen sie zurück, und zwar noch wilder, noch härter, noch tödlicher.
Dieser Boxkampf in Rockwall. Im Korral hatte ein Neger gekämpft. War das Hank Calhoun gewesen? Er hatte es nicht erkennen können. Aber der Größe und Figur nach mußte das dieser gottverdammte Nigger gewesen sein. Ronco und Hank Calhoun! Verfluchte, verdammte Scheiße. Und dieser Idiot Gatsby hatte den Nigger auch noch angeheuert. Es konnte gar nicht anders sein. Irgendwo saß da der Wurm drin. Granger schreckte aus seinen Gedanken hoch. Durch den Cedar Creek fegte ein Reiter, andere Reiter tauchten hinter ihm auf. Tamaco und seine Apachen. Tamaco ritt an den Kastenwagen heran, eine nagelneue Spencer in der Armbeuge. Das Mondlicht befand sich hinter ihm. Sein Gesicht war ein dunkler Schatten. »Halleluja«, sagte er. »Du Whisky?« Granger nickte und reichte ihm die Flasche. Sie war noch dreiviertel voll. »Hier, probier mal.« Tamaco trank, rülpste, trank wieder und grinste. »Gut«, sagte er. »Halleluja-Whisky, wärmt Bauch und gibt Feuer.« Er trank wieder. »Der gleiche Whisky, der in der Flasche ist, befindet sich auch in den Fässern.« Louis Granger deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Fässer, wie viele?« »Sechs. Sechs Fässer mit erstklassigem Halleluja-Whisky.« Louis Granger kletterte auf die Ladefläche und schlug die Plane zurück. Da standen die sechs Fässer, echte Whiskyfässer, die Marke war in das dunkle Holz eingebrannt. Tamaco beugte sich vom Pony aus über die Seitenbracke und studierte die Fässer. Dann nickte er, zog sein Pferd herum, ritt an das Ufer und rief etwas nach drüben. Sechs Apachen durchfurteten den Cedar Creek. Sie hatten Packpferde dabei. Die Fässer wurden umgeladen, auf den Packpferden festgezurrt, und schon waren die sechs Krieger wieder verschwunden. Das alles hatte kaum fünf Minuten gedauert. Granger kletterte auf den Bock zurück und rieb Daumen und
Zeigefinger gegeneinander – die uralte Gebärde des Zahlens. »Pro Faß fünf Gold-Säckchen, großer Häuptling«, sagte er. »Sechs Fässer waren es. Ich kriege also dreißig Säckchen.« Tamaco rülpste wieder. In der Linken hielt er die Flasche, in der Rechten die Spencer. Der Lauf war auf Louis Granger gerichtet. »Vier Säckchen, eh?« sagte er und legte den Kopf schief. »Wir haben fünf vereinbart«, sagte Granger kalt. »Ich dachte, Apachen stehen zu ihrem Wort. Wenn du mich beschummeln willst, Freundchen, dann haben wir uns heute das letzte Mal gesehen.« Tamaco lachte. »Kleiner Spaß, huh!« »Ich werde später drüber lachen. Du hast die Ware, ich will das Gold, verstanden?« Tamaco kicherte. Aus dem Ledersack am Holzsattel zog er die Goldsäckchen heraus und reichte sie dem Händler hinüber. Granger zählte laut mit. Den letzten Beutel öffnete er und hielt ihn ins Mondlicht. Pures Gold schimmerte ihm entgegen. Er zog die Verschnürung wieder zu und verstaute die dreißig Säckchen unter dem Sitz. »Gut?« fragte Tamaco. Granger nickte. »In Ordnung.« Er setzte sich auf den Bock und starrte den Apachen an. »Ich möchte dir etwas vorschlagen, Tamaco«, sagte er. »Ein gutes Geschäft. Ich könnte dir eine Ware besorgen, mit der du eine Menge anfangen kannst.« »Was Ware? Waffen?« Granger schüttelte den Kopf und grinste. »Was viel Besseres. Uniformen der Blaubäuche!« Tamaco spuckte aus. »Verdammt! Du verrückt?« »Keineswegs, Überleg mal. In den Uniformen könntet ihr zum Beispiel durch das Tor von Fort Union spazieren, und niemand würde euch aufhalten. Ehe die Blaubäuche den Trick merken, habt ihr sie schon abgemurkst. Na?« »Verdammt!« Dieses Mal klang das »Verdammt« nahezu ehrfürchtig. »Große Medizin.« Die dunklen Augen Tamacos funkelten. »Wir verdammtes Fort kaputtmachen, Blaubäuche krggss!« Er säbelte an seinem Hals entlang und lachte kehlig. »Du hast es erfaßt, mein Junge«, sagte Granger zufrieden. »Aber
billig wird die Ware nicht sein, verstehst du? Mein Mann in Rockwall muß da erst ein paar Schwierigkeiten ausräumen, bis er die Ware beschaffen kann.« »Egal«, sagte Tamaco wild, »Apachen zahlen, zahlen gut mit Gold, viel Gold. Was kostet?« »Na«, sagte Granger, »ich dachte so an die zehn Säckchen pro Uniform.« Er blickte den Apachen lauernd an. Das war eine geradezu unverschämte Forderung, aber Tamaco sagte, ohne weiter zu handeln, wie er es sonst tat: »Gut. Wann du liefern?« Louis Granger wiegte den Kopf. »Das braucht seine Zeit. Ich werde in der Morgendämmerung in zehn Tagen wieder hier sein. Entweder habe ich dann die Uniformen, oder ich kann dir genau sagen, wann du sie erhältst. Einverstanden?« »Halleluja«, sagte Tamaco, »einverstanden. In zehn Tagen.« Er zog sein Pony herum, lachte wild und jagte durch den Cedar Creek zum gegenüberliegenden Ufer. Louis Granger blickte ihm nach, murmelte »Halleluja, du roter Bastard«, schnalzte mit den Lippen und setzte seinen Kastenwagen in Bewegung, um zu seinem Versteck zurückzufahren. * In der Morgendämmerung stießen Big Hank und ich auf die Furt am Cedar Creek. Ich glitt aus dem Sattel meines Schecken und untersuchte die Spuren. Shita schnüffelte herum, trabte zum Wasser, soff und starrte dann über den Creek. »Hier hat der Kastenwagen gehalten«, sagte ich und deutete auf die tiefen Spuren der Räder. »Aber von hier aus ist er auch wieder umgekehrt. Und hier sind die Hufabdrücke unbeschlagener Ponys. Apachen! Der Hurensohn handelt mit den Apachen.« Ich dachte an die faßähnlichen Gegenstände unter der Plane und blickte nachdenklich zu Big Hank hoch, der noch im Sattel saß. »Was denkst du?« fragte Big Hank. »Er liefert ihnen Sprit«, sagte ich, »Fusel, verdammt noch mal.
Das sieht ihm ähnlich, diesem krummen Hund.« »Mir fällt was ein«, sagte Big Hank plötzlich. »Gestern erschien es mir nicht weiter wichtig, aber jetzt scheint es doch eine Bedeutung zu haben. Als wir zum Kampfplatz gingen, passierten wir doch den offenen Hof von dem dicken Gatsby, nicht wahr?« »Na und?« »Hinten auf der Rampe standen sechs Whiskyfässser. Ich sah es im Vorbeigehen. Als der Kampf vorbei war, und ich dich suchte, schaute ich auch noch einmal in den Hof. Da waren die sechs Fässer weg. Merkst du was?« »Und ob! O Mann! Granger hat während des Kampfes die Fässer abgeholt. Sein Geschäftsfreund in Rockwall ist das fette Schwein Gatsby. Das hätte uns auch eher einfallen können. Ich hab zwar mal kurz daran gedacht, es dann aber wieder verworfen.« »Und jetzt?« fragte Big Hank. »Ich versau ihm das Geschäft«, sagte ich erbittert. »Wir reiten hinüber.« Ich deutete über den Creek. »Bist du wahnsinnig, Ronco?« sagte Big Hank entsetzt. »Du willst zu den Apachen?« »Klar. Granger läuft uns nicht weg. Ich gehe davon aus, daß die Apachen, denen er heute nacht den Fusel geliefert hat, bestimmt eins der Fässer bereits angezapft haben. Wenn sie einmal saufen, dann aber auch so gründlich, bis sie total bezecht sind. Das ist unsere Chance. Ich will verhindern, daß sie noch mehr von dem verdammten Zeug trinken. Also werde ich die Fässer anzapfen und auslaufen lassen.« Big Hank verdrehte die Augen. »O Gott«, sagte er schwach, »so was kann doch gar nicht gutgehen. Wenn die uns erwischen, braten sie uns am Spieß und schneiden uns die Ohren ab.« »Quatsch«, sagte ich grob. »Red nicht solchen Unfug. Ich habe lange genug bei den Apachen gelebt. Wenn sie uns überhaupt erwischen, erzähle ich ihnen, daß ich unter Mangas Coloradas und seinen Mimbrenjos geritten sei. Die rühren mich nicht an – und dich auch nicht. Oder hast du Angst? Wenn du Angst hast, kannst du ja hierbleiben. Ich schaff das auch allein.«
Big Hank grinste nur und trieb sein Pferd durch die Furt. Ich sprang in den Sattel und folgte ihm. Shita hatte ich zu mir hochgenommen. Eine Schneise, breit genug für einen einzelnen Reiter, führte durch das Dornendickicht. Ich ritt jetzt voraus. Shita hatte ich wieder abgesetzt. Er lief schnüffelnd vor mir her. Eine halbe Stunde verging. Mir klebte das Hemd am Körper. Trotz des frühen Morgens herrschte in diesem Dickicht bereits eine bullige Wärme. Die Schneise führte kreuz und quer, aber die Hufspuren waren nicht zu übersehen. Als Shita plötzlich stoppte, die Schnauze hob und witterte, wußte ich, daß wir dicht an dem Lager der Apachen sein mußten. Ich glitt leise aus dem Sattel und pflockte meinen Schecken locker an. Big Hank tat das gleiche. Wir schlichen zu Fuß weiter. Die Schneise verbreiterte sich nach etwa vierzig Schritten – und dann hörte ich es. Sie schnarchten, wie nur Männer schnarchen, wenn sie sich mit Alkohol vollgepumpt haben. Da war zwischen Roten und Weißen kein Unterschied. Ich war gespannt, ob sie einen Posten aufgestellt hatten. Sie hatten! Aber er war voll wie hundert Kavalleriesoldaten. Er torkelte uns entgegen und stützte sich dabei – mit dem Lauf nach unten – auf eine nagelneue Spencer. Dabei lallte er etwas Unverständliches und hatte sichtliche Mühe, uns einzuordnen. Ich nickte Big Hank zu. Big Hank übernahm ihn und schmetterte ihm die rechte Faust an die Schläfe. Er fiel um wie ein Baum beim letzten Axthieb. Ponys schnaubten. Aber die Krieger schliefen und schnarchten. Der Fusel hatte sie regelrecht weggeräumt. Sie lagen auf einer Lichtung, etwa fünfundzwanzig Krieger. Jetzt waren sie keine Krieger mehr, sondern nur betrunkene Kerle. Ich knirschte vor Wut mit den Zähnen. Ein Faß war leer. Ich schlug die Spunde der anderen Fässer ein –
es waren noch fünf – und ließ sie auslaufen. Es war nahezu reiner Spiritus, wie ich feststellte – das übelste Zeug, das ein Mensch trinken konnte. Bei dem Spritgestank wurde mir fast schlecht. Ein Apache richtete sich auf und stierte uns aus trunkenen Augen an. Er wackelte mit dem Kopf und versuchte, aufzustehen. Er fiel immer wieder hin. Es sah zum Gotterbarmen aus. Seine Muskeln und Sehnen mußten wie gelähmt sein. Er war nur noch eine willenlose, zum Handeln unfähige Kreatur. Big Hanks Schlag war voller Mitleid. Dann entdeckte ich die länglichen Kisten. Ein paar waren noch geschlossen. Bei jedem Apachen lag ein Spencer-Karabiner. Ich stemmte einen Kistendeckel auf – Spencer-Karabiner, noch säuberlich in Ölpapier eingeschlagen. Big Hank fand die Kisten mit den Patronen. Wir warfen sie weit in das Dornendickicht. Dann zerstörte ich die Karabiner. Ich hätte heulen können. Denn ich nahm meinen roten Brüdern die Möglichkeit, sich gegen die weißen Eindringlinge wehren zu können. Ich stand wieder zwischen den Fronten. Wohin gehörte ich eigentlich? Aber sie würden mit diesen Waffen auf Weiße schießen, vielleicht auf Frauen und Kinder. Ich konnte nicht anders handeln. Es war alles sinnlos. Ich haßte mich, weil ich das hier tat. Aber noch mehr haßte ich Louis Granger. Wäre er jetzt hier gewesen, hätte ich ihn kaltblütig ermordet. Dann fand Big Hank etwas, was uns den Beweis lieferte, wer hier an den Fäden gezogen hatte. Und damit lieferte sich auch der fette Gatsby ans Messer. Denn auf einer der Kisten hatte er vergessen, das Brettchen zu entfernen, auf dem er als Empfänger mitsamt seiner Adresse in Rockwall stand. Wir nahmen die Kiste mit, auch die vier Spencer, die sich darin befanden. Dann brachen wir auf.
9.
Shita folgte der Spur des Kastenwagens. Den Geruch kannte er und würde ihn nie wieder vergessen. Vielleicht witterte er den Geruch, die Ausdünstungen des Pferdes, das ihn getreten hatte. Selbst auf dem felsigen Boden, über den wir zeitweise ritten, verlor er die Spur nicht. Sie führte in einen Canyon, zwischen Lavafelsen hindurch zu einer Felshöhle, die hinter Buschwerk verborgen war. Wir rutschten aus den Sätteln und pirschten uns an den Eingang der Höhle heran. Ein Pferd schnaubte. Sonst blieb alles ruhig. Mit gezogener Waffe drang ich in die Höhle ein. Der Vogel war ausgeflogen. Zwei Pferde standen in der Höhle – die Gespannpferde. Den Kastenwagen entdeckten wir draußen zwischen zwei Felsen. Granger hatte ihn mit abgeschnittenen Zweigen getarnt. Ich ging in die Höhle zurück und untersuchte sie. Unter einem Steinbrocken wurde ich fündig. Er befand sich im hinteren Teil der Höhle. Wenn nicht die frischen Erdspuren gewesen wären, hätte ich die Stelle übersehen. Granger hatte dort ein Loch gegraben. Es war voll mit Ledersäckchen. Ich holte eins heraus und öffnete es. Goldkörner! Hier lag ein Vermögen. Big Hank war mir gefolgt. Er pfiff durch die Zähne. Verdammtes, verfluchtes, dreckiges Gold. Ein Säckchen behielt ich. Die anderen brachte ich nach draußen und schleuderte sie wutentbrannt in eine Schlucht, die rechts unterhalb der Höhle in unergründliche Tiefen abfiel. Es dauerte eine Weile, bis ich den Aufprall unten hörte. Es waren fünfunddreißig Säckchen. Wenn sie dort unten zerplatzten, würde der Regen das Gold fortschwemmen – von mir aus in die Hölle. Die Gespannpferde trieben wir nach draußen und jagten sie davon. Big Hank zerschlug die Achsen des Kastenwagens. Dann folgten wir den Hufspuren des einzelnen Reiters. Der Richtung nach war Granger auf Rockwall zugeritten. Wir würden sehen. Die Spur war drei, vier Stunden alt. Aber Granger war langsam geritten. Er hatte sich Zeit gelassen. Wir holten Meile um Meile auf. Mein Schecke
war ausdauernd und zäh. Die Stute Big Hanks hielt mit. In der Nacht, als wir zum Cedar Creek geritten waren, hatten wir die beiden Pferde nicht überfordert, so daß wir jetzt getrost schneller reiten konnten. Wir erreichten Rockwall gegen Mittag. * Sie mußten sich verdammt sicher fühlen. Anders konnte ich es mir nicht erklären. Denn die Tür zum Store stand offen. Aus dem Büro drangen wütende Stimmen – die Stimmen Grangers und Gatsbys. »… sagen können, daß dieser verdammte Nigger und der ehemalige Scout hier waren!« Das war Grangers Stimme. »Wie konnte ich das denn wissen, du Idiot!« fauchte Arnold Gatsby. »Dann hättest du mir reinen Wein einschenken sollen, warum und weshalb du aus Arkansas abgehauen bist. Hätte ich gewußt, daß die beiden Kerle hinter dir her sind, dann wäre mir schon was eingefallen, sie wegzuräumen.« »Verflucht und verdammt! Ich steig aus, verstehst du? Wenn die beiden gestern abend die Stadt verlassen haben, was meinst du wohl, wo die hingeritten sind, he? Der Scout hat seinen verdammten Köter dabei. Der schnüffelt hinter mir her. Und wohin führt er die beiden? Zum Cedar Creek.« »Na und? Das kann dich doch nicht kratzen!« Gatsby lachte dreckig. »Jenseits des Creeks sind die Rothäute. Die werden sich schon um die beiden kümmern, verlaß dich drauf!« »Du hast ja keine Ahnung. Ronco hat bei den Apachen gelebt, als Junge. Der weiß, wie man mit denen umgeht. Er ist ja selbst ein halber Apache, verdammt.« »Ist mir doch egal, was er ist. Ich hab damit nichts zu tun. Jetzt rück das Gold heraus, das du für den Sprit gekriegt hast. Pro Faß vier Säckchen, hast du gesagt. Macht vierundzwanzig Säckchen. Geteilt durch zwei, da kriege ich zwölf von den hübschen, kleinen Dingerchen.« Ich hörte, wie Granger die Säckchen auf den Tisch knallte. Dann war Stille. Aber dann ertönte ein Wutschrei.
»Du Scheißkerl!« brüllte Arnold Gatsby. »Du verdammter Hurensohn! Du Betrüger!« Ich blickte Big Hank verdutzt an. Der sah genauso verblüfft aus. »Da ist Sand drin, Sand!« schrie Arnold Gatsby. »Willst du mich bescheißen, du Mistkerl?« »Was sagst du da?« Grangers Stimme war völlig verdattert. »Sand? Aber ich habe doch am Creek nachgesehen, da war Gold drin, kein Sand. Bist du verrückt?« »Hier – und hier – und hier! Ha! Hier ist eins mit Gold, aber das da – schon wieder Sand, verflucht, nichts als Sand. Noch eins mit Gold, aber die anderen alle mit Sand gefüllt, mit Sand, Sand, Sand …« »Schrei doch nicht so!« Grangers Stimme zitterte. »Da soll ich nicht schreien? Von zwölf Säckchen nur zwei mit Gold, und da soll ich nicht schreien? Du Betrüger, du Schlitzohr, du hundsgemeiner Dieb! Gib zu, daß du dir das Gold unter den Nagel gerissen hast, du verdammtes Schwein! Gib's zu!« Louis Granger ächzte. »Tamaco hat mich aufs Kreuz gelegt. Ich habe nur ein Säckchen nachgeprüft. Dieser Bastard. Er hat genau gewußt, daß ich das letzte, das dreißigste Säckchen untersuchen würde.« Die Stille im Büro war geradezu unheimlich. Ich stutzte. Das dreißigste Säckchen? Aber eben hatte Gatsby doch nur von vierundzwanzig Säckchen gesprochen. Mir ging ein Licht auf. Das gleiche Licht, das auch Mister Gatsby aufging. »Sagtest du eben das letzte, dreißigste Säckchen, Louis?« fragte Gatsby sehr leise, gefährlich leise. »Wie? Was redest du da? Dreißigste Säckchen? Unsinn, vierundzwanzig Säckchen hab ich kassiert, nicht mehr und nicht weniger. Hör mal, Arnold, sei doch bloß nicht so mißtrauisch. Übrigens hat Tamaco angebissen – mit den Uniformen der Blaubäuche. Weißt du, was er zahlen will? Pro Uniform zehn Säckchen Gold! Das wird ein Geschäft, sage ich dir. Wenn du die Uniformen von dem Zahlmeister aus Fort Union umsonst kriegst, wird das ein Bombengeschäft, ein Bombengeschäft!« »Ein Bombengeschäft, wie?« fragte Arnold Gatsby höhnisch. »Mit
zehn Säckchen Sand, was? Hältst du mich für blöd! Du hast mich begaunert, du Lump! Aber ein Arnold Gatsby läßt sich nicht begaunern. Wo ist das Gold, das du unterschlagen hast, he? Wo ist es? Ich gebe dir genau zehn Sekunden Zeit, es mir zu sagen. Schau mal, was ich hier habe! Eine niedliche, kleine Derringer, aber so niedlich und klein sie ist, sie reißt große Löcher, zum Beispiel bei dir, mein guter Louis. Na? Ich warte. Zehn Sekunden sind eine lange Zeit, und doch so kurz, wenn es aufs Ende zugeht, nicht wahr?« »In – in meinem Versteck«, flüsterte Louis Granger. »Und wo ist das Versteck, mein Guter?« »In – in einem Canyon. Da findest du nie hin.« »Sicherlich nicht«, sagte Arnold Gatsby zuckersüß. »Aber du wirst mich ja hinführen. Wir werden beide deinen Schatz heben und sehr glücklich sein, nicht wahr?« »Gut, ich führe dich hin«, erwiderte Louis Granger. Irgendwie klang neue Hoffnung aus seiner Stimme. »Aber, aber«, sagte Arnold Gatsby. »Was geht denn da in deinem Köpfchen vor? Denkst du, du kannst mich auf dem Weg dorthin überrumpeln? Ich weiß, daß du immer eine Derringer wie diese hier bei dir trägst. Hol sie heraus und laß sie fallen. Hol sie sehr vorsichtig heraus, mein Freund. Und denke daran, daß ich auch schießen werde, falls du Dummheiten versuchst. Mir ist nämlich eben eingefallen, daß ich deinen Schatz auch ohne deine Hilfe finden werde. Schließlich bist du ein paarmal zwischen deinem Versteck und Rockwall hin und her geritten. So etwas hinterläßt Spuren, mein Bester. Ja, vielleicht sollte ich dich doch besser gleich abservieren. Du bist mir zu verschlagen und tückisch, und das mag Arnold Gatsby nicht.« Eine Waffe polterte auf den Boden. »Sehr gut!« lobte Arnold Gatsby. »Und nun dreh dich um. Wir wollen uns sputen. Hurtig, hurtig!« Er lachte meckernd. Ich winkte Big Hank zu und wir zogen uns aus dem Store zurück. Big Hank blieb links vom Eingang, ich rechts stehen. Wir preßten uns an die Wand. Durch den Store polterten Schritte. Ich zog meinen Colt. Big Hank tat das gleiche.
Louis Granger erschien, dicht gefolgt von Arnold Gatsby. Bevor sie reagieren konnten, standen wir hinter ihnen. Ich drückte dem Dicken meine Waffe ins Kreuz. Big Hank übernahm Louis Granger. Drüben, in der Tür des Marshal-Offices, tauchte Marshal Sturgeon auf, die Schrotflinte mit den abgesägten Läufen unter dem Arm. Er hinkte vom Gehsteig und blieb drüben stehen. »Vorwärts, Gentlemen«, sagte ich. »Der Marshal wartet bereits.« »Aber …« stieß Mister Gatsby hervor. »Lassen Sie Ihre Waffe fallen, Gatsby!« sagte ich scharf. Er ließ sie fallen. Links und rechts näherten sich Leute und rissen die Augen auf. Wir überquerten die Straße, vor uns marschierten die beiden Halunken. »Ich protestiere!« schrie Arnold Gatsby. »Ihr wißt ja, wo's langgeht«, sagte der Marshal zu Big Hank und mir. »Die beiden Zellen sind schon offen.« Ich grinste ihn an, und er grinste zurück. Zwei Minuten später saßen die beiden Kerle hinter Schloß und Riegel. Ich holte die Gewehrkiste. Wir versammelten uns vor den beiden Zellen. Vor dem Office drängelte sich die Menge. Drei Mitglieder des Stadtrates ließ der Marshal ein, dann verschloß er die Tür. »Ich habe mit allem nichts zu tun!« schrie Arnold Gatsby, noch bevor ich etwas gesagt hatte. »Dieser Kerl da in der anderen Zelle hat Schnaps und Waffen zu den Indianern geschmuggelt, das weiß ich ganz genau. Er wollte mich erpressen, dieser Schuft. Ich sollte ihm Waren liefern, die er an die Roten verkaufen wollte. Das ist alles, so wahr mir Gott helfe.« »Der hilft Ihnen nicht mehr, Gatsby«, sagte ich. »Daß Granger Fusel und Waffen an die Apachen geliefert hat, stimmt. Aber beide Dinge hat er von Ihnen bezogen.« Ich schob die Gewehrkiste mit dem Fuß vor seine Zelle. »Sie haben zu Ihrem Pech vergessen, das Schildchen dort zu entfernen. Es beweist, daß die Kiste von Ihnen stammt.« Arnold Gatsby wurde kreideweiß. Ich wandte mich zu dem Marshal um.
»Big Hank und ich sind Grangers Spuren, die hier aus Rockwall hinausführten, gefolgt«, sagte ich. »Wir stießen am Cedar Creek auf eine Furt. Dort pflegte Granger seine Ware den Apachen zu übergeben und dafür zu kassieren. Pures Gold!« Ich holte das Säckchen aus dem Hemd und gab es dem Marshal. »Wir überquerten den Creek und fanden das Lager der Apachen.« »Wie bitte?« fragte der Marshal verblüfft. »Sie sind in das Dornendickicht eingedrungen und haben das Lager gefunden? Das ist unmöglich.« »Es war nicht unmöglich, und zwar deswegen nicht, weil die Apachen sinnlos betrunken waren. Granger hatte ihnen in der letzten Nacht sechs Fässer übelsten Fusels geliefert. Ein Faß hatten die Apachen bereits ausgetrunken. Das hat sie völlig von den Füßen gehauen. In den Fässern war fast reiner Spiritus. Sie können sich ausmalen, wie der auf die Apachen gewirkt hat. Einer kroch auf allen vieren herum – eine verblödete Kreatur. Die restlichen fünf Fässer habe ich angestochen und auslaufen lassen. Dann entdeckten wir nagelneue Spencer-Karabiner samt Munition – ein paar tausend Schuß. Ich habe sie nicht gezählt. Aber es waren vierzig SpencerKarabiner. Die Kiste habe ich zum Beweis mitgebracht. Vier Karabiner sind noch drin. Sie waren noch nicht ausgepackt.« »Das ist ja ungeheuerlich«, sagte einer der drei Stadträte. Er trat an das Gitter von Gatsbys Zelle. Der wich zurück und hob abwehrend die Hände. »Ich bin unschuldig!« schrie er. »Dieser Granger dort hat mich erpreßt! Ich mußte ihm die Waren liefern, die er wünschte. Das ist alles!« »Womit hat er Sie denn erpreßt?« fragte der Marshal kalt. »Mit – mit …« Dieses Mal fiel dem Dicken nichts ein. Der Mann aus dem Stadtrat drehte sich zu mir um. »Der Beweis, den Sie hier vorbrachten, ist lückenlos. Würden Sie bei der Gerichtsverhandlung als Zeuge auftreten, Mister …« »Ronco«, sagte ich. »Mein Name ist Ronco. Selbstverständlich, Sir.« »Danke, Mister Ronco.« Ich trat an die Zelle Louis Grangers und blickte ihn an. Seine
Augen waren stumpf wie Blei, sein Gesicht verkniffen. »Ich weiß nicht, was für ein Urteil Sie erwartet, Mister Granger«, sagte ich. »Hätte ich Sie noch in Ihrem Versteck erwischt, wären Sie bereits jetzt ein toter Mann. Ich denke dabei an die viehisch dahingeschlachtete Calhoun-Familie in Arkansas, ich denke dabei an die Apachen, die Sie aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Sprit vergiftet haben, und ich denke nicht zuletzt an dreihundertfünfzig Dollar, um die Sie mich betrogen haben. Dieses Geld steckt jetzt in den üblen Geschäften, die Sie mit den Apachen getrieben haben. Ich will es nicht mehr haben, weil es schmutziges Geld ist, genauso schmutzig wie das Gold, das kein Mensch mehr finden wird.« Ich trat zurück und nickte dem Marshal zu. Dann verließen Big Hank und ich das Office und gingen in unser Hotel. Die graue Maus erstarb in Ehrfurcht. Die ganze üble Sache hatte sich blitzschnell in Rockwall herumgesprochen – auch die Rolle, die Big Hank und ich dabei gespielt hatten. * Eine Woche später fand die Gerichtsverhandlung in Fort Union statt. Ich wiederholte Wort für Wort, was ich bereits im Office gesagt hatte. Das Beweisstück stand vor den Geschworenen auf einem Tisch, auch das Säckchen mit Gold. Louis Granger und Arnold Gatsby wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Eine überaus harte Strafe. Aber in diesem Falle sprach die Militärverwaltung ein Wörtchen mit, und die fackelte nicht lange angesichts der Indianerunruhen. Sie wollte von Anfang an klare Verhältnisse schaffen, um anderen skrupellosen Händlern die Lust an solchen Geschäften zu nehmen. Ob sie das erreichte, war mehr als fragwürdig. Ich bezweifelte es jedenfalls. Nach der Verhandlung trat der Marshal zu Big Hank und mir. »Ich brauche einen Deputy«, sagte er. »Meiner steigt nächsten Monat aus – zu alt für den Job.« Ich deutete auf Big Hank.
»Dort steht Ihr neuer Deputy, Marshal«, sagte ich. »Einen besseren werden Sie nie finden. Und seine Fäuste sind in Rockwall ja schon bekannt.« Ich grinste und kniff ein Auge zu. »Bist du verrückt, Ronco?« fuhr mich Big Hank an. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Hank«, erwiderte ich. »Ich will nach Louisiana hinüber und mich dort ein wenig umschauen. Wir werden uns hier trennen. Du bist ein feiner Kerl, aber kein Zigeuner wie ich. Nimm den Job. Du wirst in Rockwall eine neue Heimat finden. Erinnerst du dich, was die Rockwaller brüllten, als du gegen den ›Roten Amboß von Fort Union‹ kämpftest. Sie brüllten ›Puma, Puma, Puma‹!« Er starrte mich an, seine Hände öffneten und schlossen sich. »Puma«, sagte er leise und senkte den Kopf. Aber dann blickte er den Marshal an. »Wollen Sie mich denn haben, Marshal?« »Ja«, sagte der Marshal. Ich ging über den Hof zu meinem Schecken und stieg in den Sattel. Shita schoß kläffend an mir vorbei durch das Tor. Der Posten am Tor salutierte. Ich grüßte lässig zurück …
ENDE
Vorschau Wenn man Gringos sah, schoß man sofort, ohne viel zu fragen. An diese Regel hielten sich die beiden Milizsoldaten des neuen Gouverneurs von Chihuahua, der zur großen Jagd auf die Gringos geblasen hatte. Ihre Schüsse fielen mit dem Dröhnen der Waffen zusammen, die Ronco und Lobo abfeuerten, nachdem sie sich blitzschnell zur Seite geworfen hatten. Der Teniente Gallordo erstarrte. Seine beiden Soldaten stolperten an ihm vorbei, brachen in die Knie und rutschten durch den Pferdekot bis zu den Verschlägen an den ersten Pferdeboxen. Dort blieben sie still liegen. Der Teniente brüllte auf und krümmte den Finger durch. Er hatte den blonden Gringo aufs Korn genommen … Die Jagd auf Ronco geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 281 dieser großen deutschen Western-Serie:
Zwei gottverdammte Gringos