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Klappentext Sunnydale hat schon immer die unterschiedlichsten Geschöpfe der Nacht angezogen. Aber als Buffy Summers fünf Jahre in die Zukunft versetzt wird, ist ihr schlimmster Alptraum wahr geworden. Ganz Sunnydale und ein großer Teil Kaliforniens stehen jetzt unter der Herrschaft der Vampire. Auch Buffys Freunde sind kaum wieder zu erkennen: Willow, die Anführerin, ist eine mächtige Zauberin geworden, Xander ein furchtloser Krieger und Oz verwandelt sich auf Willows Befehl in ein schreckliches Monster. Faith ist tot, eine neue Jägerin hat ihren Platz eingenommen. Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Buffy muss einen Weg finden, um in die Vergangenheit zurückzukehren. Sie muss versuchen, die Zukunft wieder rückgängig zu machen, denn der König der Vampire, der intelligenteste, bösartigste und gefährlichste Vampir aller Zeiten, schmiedet finstere Pläne...
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Christopher Golden
Die verlorene Jägerin Zweites Buch Dunkle Zeiten Aus dem Amerikanischen von Sabine Arenz
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Buffy, im Bann der Dämonen. – Köln: vgs Die verlorene Jägerin / Christopher Golden. Aus dem Amerikan. von Sabine Arenz Buch 2. Dunkle Zeiten. – 1. Aufl. – 2001 ISBN 3-8025-2877-8
Das Buch »Buffy – Im Bann der Dämonen. Die verlorene Jägerin. Zweites Buch. Dunkle Zeiten« entstand nach der gleichnamigen Fernsehserie (Orig.: Buffy, The Vampire Slayer) von Joss Whedon, ausgestrahlt bei ProSieben. © des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher Genehmigung der ProSieben Television GmbH Erstveröffentlichung bei Pocket Books, New York 2001. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Buffy, The Vampire Slayer. The Lost Slayer. Part two. Dark Times. ™ und © 2001 by Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved.
1. Auflage 2001 der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft mbH Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: Sens, Köln Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2001 Satz: Kalle Giese, Overath Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-2877-8 Besuchen Sie unsere Homepage: www.vgs.de 4
1 Ich kann dich töten. Von den Steinmauern der Zelle hallte das Echo dieser Worte wider, dann trat Stille ein. Aus dem Flur hinter der Stahltür drang kein Laut in die Zelle. Die einzigen Geräusche, welche Buffy Summers vernahm, waren die ihres eigenen und des Atems des sechzehnjährigen Mädchens, das ihr gegenüberstand. Das Mädchen, das diese unglaublichen Worte ausgesprochen hatte. Buffy fuhr zusammen, spannte ihre Muskeln an und erhob sich, ohne ihre Arme zur Hilfe zu nehmen, vom Boden. Fünf Jahre lang war sie jetzt schon in dieser fünf Quadratmeter großen Zelle gefangen, einem winzigen Raum, der aus nichts anderem als aus Stein und Metall bestand und nur zu dem Zweck gebaut worden war, ihr als Gefängnis zu dienen. Fünf Jahre lang hatte sie ihren Körper trainiert, bis er so biegsam war wie eine Sprungfeder, so scharf wie ein Skalpell und so gefährlich wie eine Waffe. Wenn die Vampire kamen, um ihr Essen, Kleidung oder eine Decke zu bringen, dann hatten sie stets Wärter zur Verstärkung dabei, die ihre Elektroschocker auf Buffy richteten. In all den Jahren, in denen sie vergeblich versucht hatte, aus ihrem Gefängnis zu fliehen, und in denen sie vom Kämpfen geträumt hatte, hätte sie nie damit gerechnet, dass die nächste Bedrohung ausgerechnet von einer anderen Jägerin ausgehen würde. Die Worte des Mädchens versetzten Buffy in Alarmbereitschaft, und sie änderte unmerklich ihre Haltung. Obwohl das dunkelhaarige Mädchen jünger war als Buffy, war sie ein gutes Stück größer, und wahrscheinlich dachte sie, dass sie aufgrund ihrer Größe im Vorteil war.
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»Das kann doch nicht dein Ernst sein!«, sagte Buffy mit heiserer Stimme. Sie hatte in den letzten Jahren so wenig gesprochen. August schien vor Energie fast zu zerspringen. Ihre Zunge schnellte hervor, und sie leckte sich über die Lippen. »Es ist mein voller Ernst. Aber dein Kopf scheint etwas eingerostet zu sein. Schau dich doch mal um! Du bist wie ein Tier in einem Zoo. Sie halten dich wie einen Tiger in einem Käfig. Und das hast du zugelassen.« Erneut hallten ihre Worte als Echo von der kalten Steinmauer wider. Die beiden begannen, langsam im Kreis zu gehen, ließen sich dabei nicht aus den Augen und versuchten, die Schwachpunkte der anderen auszumachen. Eine innere Stimme flüsterte Buffy zu, diesen Wahnsinn zu stoppen, es nicht zuzulassen. Es war die Stimme ihres jüngeren Ichs, das irgendwie in diesen vierundzwanzig Jahre alten Körper geraten war. Aber auch der Geist der vierundzwanzigjährigen Buffy war in diesem Körper, und so waren beide miteinander zu einem Ich verschmolzen. Buffy widerstrebte diese Konfrontation mit dem Mädchen zutiefst, aber nur ein Narr würde sich kampflos überwältigen lassen. Sie musste vor August auf der Hut sein. Das Mädchen, die junge Jägerin, hatte einen verzweifelten Ausdruck in den Augen, und Buffy wusste, dass sie zu allem fähig war. »Seit mehr als drei Jahren habe ich, immer wenn diese Tür sich öffnete, versucht auszubrechen«, sagte Buffy. »Daraufhin haben sie mich jedes Mal mit dem Elektroschocker außer Gefecht gesetzt. Nach einer Weile habe ich beschlossen, sie einfach nur zu beobachten, um ihr Verhalten zu analysieren und die Psyche meiner Gefängniswärter zu studieren. Nach einem halben Jahr wusste ich alles über sie, kannte ihre Schwachpunkte und wusste, wie ich sie ablenken konnte. Zwei Tage, bevor ich meinen nächsten Fluchtversuch wagen wollte, sind sie alle durch neue Wärter ersetzt worden. Irgendjemand 6
wusste es. Irgendjemand hat mein Verhalten durchschaut und begriffen, was ich vorhatte.« »Genau das meine ich«, sagte August mit grimmiger Stimme. Sie schüttelte sich, als sie Buffy ansah. »Du bist ein Haustier. Dein Herrchen kennt dich zu gut.« Buffy erstarrte. »Ich habe keinen Herrn.« »Sieh dich um. Sie hätten genauso gut diese kleinen Hamster-Räder hier aufstellen können. Oder einen Laufstall.« Buffy entfernte sich einen Schritt von August und beließ sie in ihrem Glauben. Dann schaute Buffy sich in der Zelle um. Der Raum war komplett aus Stein, aber auf dem Boden lagen ein paar Teppichläufer. Auf einem Plastikregal waren blaue Jeans, weiße ärmellose T-Shirts und Sweatshirts gestapelt. Die Sweatshirts trugen alle die Aufschrift U. C. Sunnydale, das war alles, was die Vampire ihr gaben. Vermutlich sollten die Sweatshirts mit der Aufschrift des Sunnydale-College Buffy einen Stich versetzen. Dann stand dort ein Bett mit Metallrahmen, der Rahmen war natürlich glatt verschweißt, damit sie ihn nicht als Waffe benutzen konnte, sowie ein Stahltisch, der am Boden festgeschraubt war. Es gab nichts in dieser Zelle, das aus Holz bestand, denn Holz konnte zersplittern, und zersplittertes Holz konnte den Vampiren gefährlich werden. »Ich kann dir nicht folgen. Ich nütze ihnen nur etwas, wenn ich am Leben bleibe«, meinte Buffy. »Sieh nur: Essen, Wasser und Kleidung.« August schüttelte den Kopf. Sie verzog das Gesicht, und man hätte das fast ein Lächeln nennen können, wenn da nicht gleichzeitig dieser traurige Ausdruck gewesen wäre. »Die ganze Zeit über, wie? Und als du begriffen hast, dass du nicht fliehen kannst, warum hast du dann nicht nach einem Weg gesucht, dass sie gezwungen gewesen wären, dich zu töten? Und falls das nicht funktioniert hätte, wäre dir immer noch die Möglichkeit geblieben, dich selbst zu töten. Du hättest 7
das Porzellanwaschbecken zerschmettern können, dir mit einem Splitter die Pulsadern aufschneiden können, und du wärst langsam hier auf dem Steinboden verblutet. Aber du hast es nicht getan. Warum nicht?« Buffy konnte es kaum fassen. »Das ist deine Lösung? Was hat dich der Rat der Wächter nur gelehrt? Ich bin die Jägerin. Wenn ich wieder draußen bin, werden sie um Gnade winseln, so schrecklich wird meine Rache sein.« Buffy war die ganze Zeit über auf einen Angriff gefasst gewesen. Aber während August sich in absurden Vorhaltungen erging, war Buffy unaufmerksam geworden, und sofort nutzte das Mädchen diesen Moment für einen Überraschungsangriff aus. August bewegte sich. Sie sprang so schnell auf sie zu, dass Buffy kaum Zeit hatte, zu reagieren. Plötzlich stand August vor ihr und holte zu einem gewaltigen Schlag aus. Sie traf Buffys Wange. Buffy taumelte, drehte sich aber augenblicklich um und stellte sich auf einen erneuten Angriff ein. Aber nichts passierte. August stand einfach nur da und starrte sie an. Sie war rot vor Zorn, und Tränen flossen über ihr Gesicht. »Wie kannst du nur so arrogant sein?«, fragte August. Eine Haarlocke war ihr über die Augen gefallen, sie strich sie nicht weg. »Du bist eine Jägerin, aber nicht die Jägerin. Du bist nicht die Hauptperson hier. Das Einzige, worauf es ankommt, ist, dass es jemanden da draußen gibt, der sie bekämpft. Wenn du einmal draußen bist, wirst du schreckliche Rache üben. Das hast du gesagt. Aber sie üben bereits Rache an dir, Summers. Wie willst du die Menschen dort draußen beschützen?« Buffy lief es eiskalt über den Rücken. Obwohl Augusts Worte sie in Schrecken versetzten – alles, was August sagte oder tat, jagte ihr Angst ein –, enthielten sie doch eine einfache, brutale Wahrheit. War es wirklich so arrogant zu glauben, dass sie lebendig mehr wert war als tot? Indem sie am Leben blieb, 8
hatte sie ihren Wärtern das gegeben, was sie wollten. Aber schon der Gedanke, etwas anderes zu tun... Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Hör mir zu. Jetzt, wo wir zu zweit sind, wird uns etwas einfallen. Und zwar bevor sie darüber nachdenken, was es heißt, uns beide am...« August lachte bitter und wischte sich eine Träne fort. »Du bist jetzt seit fünf Jahren hier! Wir kommen hier nicht raus, Buffy. Es kann nur dann eine neue Jägerin geben, die die Dunkelheit dort draußen bekämpft, wenn eine von uns tot ist. Wenn du nicht bereit bist, das zu tun, was getan werden muss... ich bin es.« Das leise Schlurfen ihrer Füße auf dem Steinboden hörte sich wie ein gespenstisches Flüstern an. Die zwei Jägerinnen begannen wieder, sich zu umkreisen, und obwohl Buffy zutiefst verabscheute, was jetzt passierte, so konnte sie nicht anders handeln. Es war eine finstere, bösartige Ironie, ein lebendig gewordener Albtraum. Ihr Hals war wie ausgetrocknet, aber sie spürte die Kraft ihres Körpers, alle Sehnen und Muskeln waren angespannt, und sie bewegte sich graziös und mit einer vollendeten Präzision. »Ich werde dich nicht töten, August. Aber ich werde auch nicht zulassen, dass du mich tötest.« Der Gesichtsausdruck des Mädchens wurde immer finsterer. Frische Tränen liefen ihr über die Wangen. Der Teenager, der sich unter der Maske der Jägerin versteckte, wurde mehr und mehr sichtbar. »Zum Teufel mit dir!«, schrie August, und ihre Worte verrieten ihren Schmerz und ihren Kummer. »Denkst du etwa, ich will das? Dort draußen sind Menschen, die ich sehr liebe. Jeden Tag sterben mehr Menschen, und jemand muss die Vampire daran hindern, sich weiter auszubreiten. Wer beschützt die Menschen jetzt?« »Wir werden einen Weg finden. Vielleicht nicht sofort, aber...« 9
Doch das Gespräch war beendet. August bedachte sie mit einem kalten Blick und wischte sich die letzte Träne aus ihren geschwollenen Augen. Sie presste gequält die Lippen aufeinander, und ein Zittern durchlief ihren ganzen Körper, dann verharrte sie regungslos. Das Mädchen nahm eine Kampfstellung ein, die Buffy nur allzu vertraut war. Es war die erste Stellung gewesen, die Giles ihr beigebracht hatte, als er zu ihrem Wächter ernannt wurde. »August...« »Halt die Klappe!«, schnauzte das Mädchen sie an. August raste auf sie zu, sprang hoch, drehte sich in der Luft und wollte gegen ihren Kopf treten. Buffy sah ihren Tritt kommen, war also darauf vorbereitet, aber sie war wie gelähmt. Erst im letzten Moment drehte sie den Kopf zur Seite. Sie packte August mit ihrer rechten Hand am Sprunggelenk, drückte sie zurück und warf sie auf den Boden. Augusts Schulter prallte auf den harten Steinboden, aber als Buffy sich ihr näherte, rollte sie sich auf den Rücken, hob die Füße und trat Buffy mit aller Kraft gegen beide Schienbeine. Buffy drehte sich noch im Fallen und riss ihren Körper herum. Sie zog den Kopf ein, machte eine Rolle vorwärts quer durch den ganzen Raum und sprang wenige Zentimeter vor ihrem Bett wieder auf die Füße. Doch August war wieder kampfbereit. Als Buffy auf die Füße sprang, trat August ihr gegen die Brust. Buffy konnte den Tritt nicht mehr abwehren. In ihrer Brust riss etwas, und die Luft schoss aus ihrer Lunge. Sie knallte hart gegen das Kunststoffregal, auf dem ihre Kleidung gestapelt war, sodass es auseinander fiel und unter ihr zusammenkrachte. Ihr Brustkorb schmerzte entsetzlich, wenn sie sich bewegte, dennoch rollte sich Buffy auf die Wand zu und kroch unter die Reste des auseinander gefallenen Regals. Ein Stück Plastik stach sie in die Seite, aber Buffy ignorierte den Schmerz, der
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gering war im Vergleich zu dem Brennen in ihrer Brust, das auftrat, sobald sie einatmete. August setzte zu einem einfachen Tritt an. Sie verzog immer noch grimmig den Mund, und ihre Augen sahen durch all die vergossenen und unterdrückten Tränen nach wie vor verweint aus. Buffy hatte damit gerechnet, dass August darauf reinfallen und glauben würde, ihre Verletzung wäre so schlimm, dass sie unter den Trümmern und neben der Wand Schutz suchen müsste. August war noch jung. Sie war leicht zu täuschen. Buffy wehrte Augusts Stoß mit ihrer Hand in halber Höhe ab und schubste das Mädchen nach hinten. Sie stützte sich an der Wand ab, wodurch ihr Tritt so viel Kraft erhalten würde, dass sie August damit zu Fall bringen könnte. Mit der Kraft, die nur die Jägerin hatte, holte sie zu so einem mächtigen Tritt aus, dass die junge Jägerin wie ein Pfeil durch die Luft schoss. Sie flog so schnell, dass sie keine Zeit hatte, sich in der Luft zu drehen. Ihr Kopf schlug auf dem Rand des Stahltisches auf, und sie sank zu Boden. Sie versuchte zwar, sich hinzuknien und sich mit Hilfe der Hände aufzurichten, doch sie war zu langsam und zu verwundbar. Buffy war frustriert, sie stand einfach nur da und überlegte, wie sie den Kampf beenden könnte, ohne dass er auf die Weise beendet wurde, die August wünschte. Sie war stärker als das Mädchen, und vermutlich auch schneller. August war seit einem halben Jahr Jägerin und hatte vielleicht ein oder zwei Jahre zuvor angefangen zu trainieren. Buffy war schon drei Jahre lang, bevor sie gefangen wurde, die Jägerin gewesen, und auch während ihrer Gefangenschaft hatte sie ihren Körper rücksichtslos trainiert, sie hatte nicht nur ein paar Übungen gemacht, sondern hatte sich mit Schattenboxen und einer Kampfsportart namens Kata, die sie selbst aus den verschiedenen, von ihr früher betriebenen Disziplinen, entwickelt hatte, fit gehalten. 11
Aber sie versuchte, sich mit einem Mädchen auseinander zu setzen, das nicht mehr klar denken konnte – eine Jägerin, die von der Welt, in der sie lebte, an den Rand des Wahnsinns getrieben worden war. Buffy war erschüttert, wenn sie darüber nachdachte, wie verzweifelt die Lage da draußen sein musste, wenn sie Menschen wie August in den Wahnsinn trieb. Aber das spielte jetzt wohl keine Rolle mehr. Das Mädchen wollte sie töten. Um das zu verhindern und um vernünftig mit ihr sprechen zu können, musste sie die jüngere Jägerin irgendwie hinhalten und schließlich kampfunfähig machen. Sie beobachtete August aufmerksam, sah sie mit großen Augen flehend an. »Es müsste nicht so weit kommen.« Sie schüttelte den Kopf. August hob weder den Kopf, noch richtete sie ihre Augen auf Buffy, sie blieb einfach auf allen vieren am Boden hocken. »Nein. Müsste es nicht«, stimmte sie zu. »Aber so ist es nun einmal.« August schoss leise und blitzschnell in die Höhe und rammte ihren Körper gegen Buffys. Das war roh und brutal, ohne Anmut oder Präzision, aber es funktionierte. August nutzte ihren Gewichtsvorteil und ihre Größe aus, um Buffy gegen die Steinwand zu schleudern. Der Aufprall nahm Buffy wieder die Luft, und der brennende Schmerz ihrer zerbrochenen Rippen loderte auf wie Feuer. August schlug mit der Handfläche auf Buffys Schulter, der Schlag war so gezielt gesetzt, dass sich ihre Schulter mit einem lauten Knacks ausrenkte. Buffy wurde schwarz vor Augen, aber sie wusste, dass es nur der augenblickliche Schmerz war und sie gleich wieder sehen könnte. Der Schmerz war ihr alter und vertrauter Freund. Sie war auf einmal hellwach. Und wurde stinksauer.
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Doch bevor sie reagieren konnte, schlug ihr August ins Gesicht. Ihre Nase brach, und das Blut floss in Strömen. Der nächste Schlag ging an ihr vorbei. Buffy duckte sich, und Augusts Faust schlug gegen die Steinwand. Das Geräusch splitternder Knochen war zu hören, doch August stöhnte nur leicht. »Das war’s. Mehr Versuche gibt’s nicht«, herrschte Buffy sie an. Der metallene Geschmack von Blut benetzte ihre Lippen, ihr ausgerenkter Arm hing schlaff herunter, doch Buffy stieß August mit dem Kopf zurück. Benommen taumelte August nach hinten. Sie schwang ihre rechte Faust und versuchte dann mit einem Sprung in die Luft, Buffy von oben niederzuschlagen. Buffy duckte sich, schlug mit der Handfläche gegen Augusts Brust und schmetterte sie nieder. In diesem Moment vergaß Buffy die Schnittwunde in ihrer Seite, ihre ausgerenkte Schulter und ihre gebrochene Nase. »Steh auf!«, befahl Buffy ihr. »Hör auf! Ich breche dir beide Arme, wenn es sein muss, ich habe nur keine Lust, dich die nächsten Monate zu füttern.« August starrte sie irr an. Die Wahnsinnige sprang wieder auf die Beine und nahm trotz ihrer zerschmetterten Faust eine Kampfstellung ein. »Zum Teufel mit dir«, flüsterte Buffy. Unter einem Schmerzensschrei schlug August mit ihrer unversehrten Hand zu. Buffy wich ihrem Schlag aus, aber das Mädchen verfolgte ihre Bewegungen, und bevor sie zu einem Schlag ansetzen konnte, war die andere schon hinter ihr, riss ihren Arm nach hinten und rammte ihren Ellenbogen gegen Buffys Schädel. Buffy stolperte ein paar Schritte nach vorn. Wut stieg in ihr hoch. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie August wieder auf sie zusprang. Buffy hüpfte auf den Stahltisch, der hinter ihr stand, 13
und entging so dem Angriff. Dann trat sie nach der verletzten Hand des Mädchens, was August vor Schmerz aufschreien ließ. Sie schwankte. August liefen wieder ein paar Tränen die Wange herunter. Sie verharrte einen Augenblick regungslos, keuchte und starrte Buffy an. »Sie benutzen uns, verstehst du das denn nicht?«, erklärte August verzweifelt. »Nicht auf diese Art«, erwiderte Buffy sanft. »Nicht auf diese Art.« »Ich werde nicht aufhören«, erklärte August entschlossen. »Eine von uns wird sterben.« Buffy schüttelte den Kopf, griff nach ihrem ausgerenkten Arm und presste ihn gegen ihren Körper. August lief auf den Tisch zu. Buffy sprang in die Luft, machte einen Salto über dem Kopf des Mädchens und landete auf beiden Füßen. Mit einer schnellen Bewegung trat sie fest gegen den Kopf der jungen Jägerin. August versuchte dem Tritt auszuweichen. Sie war nur den Bruchteil einer Sekunde zu langsam. Buffy war keine Zeit mehr geblieben, den Tritt zu kontrollieren. Er traf August genau an der Stelle im Nacken, wo der Kieferknochen anfing. Ihr Genick brach mit einem unangenehmen Knacken, und ihr Körper knallte mit enormer Wucht rückwärts auf den Steinboden. Sie rollte über den harten Boden und blieb dann liegen. August bewegte sich nicht mehr. Buffy wusste, dass sie tot war. »Oh Gott, nein«, flüsterte Buffy. Tränen traten ihr in die Augen, aber ihre Bestürzung verwandelte sich rasch in Zorn. »Verdammt, nein!«, schrie sie. »Nein! Nein! Nein!« Sie hielt die Hand vor die Augen und begann sich im Kreis zu drehen. Es war ein Alptraum. Es musste einer sein. Aber der stechende Schmerz in ihrer ausgerenkten Schulter und der metallene Geschmack von Blut auf ihren Lippen war real. 14
Das Mädchen, das da vor ihr auf dem Boden lag, August, eine Jägerin, war tot. Das war die Wirklichkeit. »Warum?«, flüsterte sie. »So sollte es nicht enden. Dummes Ding...« Aber sie wusste nicht, ob die letzte Bemerkung August oder ihr selbst galt. Es war grausam, daran gab es keinen Zweifel. So lange war sie allein gewesen, dann endlich hatte sie Gesellschaft bekommen, nicht von irgendeinem Menschen, nein, sondern von einem Menschen, der dieselbe Aufgabe hatte wie sie. Und dann das. Anders als das Blut fühlten sich die Tränen auf ihren Wangen ganz kalt an. Buffy kniete sich neben August nieder, strich ihr eine Locke aus dem anmutigen, südländischen Gesicht und betrachtete sie eine Weile. Sie fragte sich, ob sie selbst jemals so jung ausgesehen hatte. Erneut stieg Hass in ihr auf, unbändiger und wilder, als sie ihn in den ganzen Jahren je empfunden hatte. Camazotz und seine Vampirbrut hatten ihr Giles genommen. Sie hatten sie eingesperrt. Aber sie hatten es nie geschafft, ihr das letzte bisschen Hoffnung und Glauben zu nehmen. Bis zu diesem Augenblick. Sie knirschte mit den Zähnen, ein gewaltiger Adrenalinstoß fuhr durch ihren Körper und ließ sie auf die Füße springen. Sie zog das tote Mädchen mit ihrer unversehrten Hand durch die Zelle bis kurz vor die Tür. Wenn sie die Tür öffneten, würden sie gegen die Leiche stoßen. Sie hockte sich an der Stelle nieder, wo Augusts lebloser Körper zuvor gelegen hatte, und schlug sich mit der Hand auf die Nase. Sie schrie auf vor Schmerz und sackte in sich zusammen. Dann beugte sie sich vor und ließ ihr Blut auf den Boden tropfen. Nach ein paar Minuten zog sie ihr T-Shirt hoch und betastete die Stichwunde, die das spitze Stück Plastik verursacht hatte. Die Wunde begann bereits zu heilen. Buffy ritzte sie mit dem Fingernagel wieder auf. 15
Sie blutete wieder. Aber der Blutverlust schwächte sie nicht. Denn es war, als wäre es nicht ihr eigenes Blut, das da aus ihrem Körper floss, sondern der Hass, den sie wie nie zuvor für ihre Feinde empfand. Grauer, kalter, lebloser Hass. Doch jetzt hatte er eine Farbe. Die Welt war rot wie Blut, wie ihr eigenes Blut, und schwarz wie das Herz eines Vampirs. Sie erlaubte sich nur eine Minute, um sich auszuruhen und langsam zu atmen. Dann stand sie auf und ging zu dem Waschbecken. Ihr ausgerenkter Arm fühlte sich taub an und baumelte schlaff an ihrem Körper herunter. Sie setzte sich auf den Boden. Schließlich gelang es ihr, beide Hände um das Rohr unter dem Waschbecken zu legen. Sie hielt die gesunde Hand über die verletzte und stützte diese somit ab, drückte ihre Beine gegen die Wand unter dem Waschbecken und zog, so fest sie konnte, an dem Rohr. Es war ein ungünstiger Winkel, aber es lag so viel Kraft in ihrem Griff, dass sie vermutlich ihre Schulter auf diese Art wieder einrenken konnte. Es war ein Gefühl, als versuche man, einen Knochen mit einem grobzackigen Messer zu zerschneiden. Buffy schrie auf und biss sich die Lippen blutig. Doch sie musste sich zusammenreißen. Ihr Mund öffnete sich zu einem gellenden und langen Schrei, sie schrie sich ihren ganzen Schmerz und auch ihre ganze Wut von der Seele, die sie so lange unterdrückt hatte. Irgendwie schaffte sie es, wieder auf die Beine zu kommen, und taumelte zu den Überresten des Kunststoffregals. Sie riss einen Plastiksplitter heraus, hielt ihn an ihren Hals und setzte zu einem langen, sauberen, horizontalen Schnitt an. Buffy zog pfeifend die Luft durch ihre aufeinander gebissenen Zähne ein, der Schnitt verursachte einen stechenden Schmerz, aber nur auf der Haut. Er hatte sie nicht lebensgefährlich verletzt.
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Sie zitterte vor Schmerz und die widersprüchlichsten Gefühle übermannten sie, sie schwankte zurück zu der Stelle, wo Augusts Leiche gelegen hatte. Eine kleine Lache ihres eigenen Blutes hatte sich dort auf dem Steinboden gebildet. Ihrer Meinung nach war es noch nicht genug, aber es musste reichen. Sie ließ den Plastiksplitter direkt neben der Blutlache auf den Boden fallen und legte sich selbst in das Blut, das sich klebrig an ihrer Wange anfühlte. Maddox stürmte den Flur entlang, eine Zigarette hing in seinem Mundwinkel, und er hielt einen sechzig Zentimeter langen Elektroschocker in der rechten Hand. Einer der Wärter, ein Grünschnabel namens Theo, der erst vor kurzem in einen Vampir verwandelt worden war, folgte ihm wie ein junger Hund. »Was meinst du, was da los is’, Maddox?«, plapperte er aufgeregt. »Da waren Schreie und so. Hat sich ziemlich verrückt angehört. Die Jägerinnen müssen wie zwei Katzen aufeinander losgegangen sein, glaub’ ich. Hätt’ ich ja gern gesehen.« »Wir werden es gleich erfahren.« Sie bogen um eine Ecke, und Maddox sah vier weitere Wärter auf sie zukommen, die zwei, die die Tür bewachen sollten, und zwei andere, die vermutlich von der oberen Etage heruntergekommen waren, nachdem sie den Tumult gehört hatten. »Was zum Teufel geht hier vor?«, fragte Maddox. »Hab’ ich doch schon gesagt, Maddox«, erwiderte Theo und grinste ihn an. »Die zeigen sich gegenseitig, wo’s langgeht. Dass sie das neue Mädchen zu ihr lassen, war das Letzte, womit ich gerechnet hätte.« Maddox brummte etwas, drehte sich um und sah Theo an. »Wer hat dich zum Vampir gemacht?« Theo blinzelte mit den Augen. »Ähm, Harmony.« 17
Maddox seufzte. »Natürlich war sie es.« Er stellte seinen Elektroschocker auf Töten ein und berührte leicht Theos Brust damit. Der Vampir zuckte zusammen und zitterte, als die Elektrizität durch seinen Körper schoss. Seine Augen weiteten sich, sodass sich ihr Weiß stark von dem schwarzen Tattoo abhob, von dem Maddox glaubte, dass Theo nicht wert war, es tragen zu dürfen. Theo brach auf dem Boden zusammen und zuckte noch ein wenig. Er öffnete den Mund, spuckte blutigen Speichel und die Spitze seiner Zunge aus, die er sich abgebissen hatte. Maddox seufzte und drehte sich wieder zu den vier Wärtern um. Das waren richtige Vampire, ihre Augen flammten orange auf, sie machten grimmige Mienen und ließen sich nicht im Geringsten von dem Geschehen beeindrucken, dessen Zeugen sie gerade geworden waren. Oder zumindest taten sie so, als würde es sie nicht beeindrucken. »Erinnert mich daran, Harmony zu töten«, sagte er. Die vier nickten einmütig. »Seid ihr bereit?« Jeder von ihnen zog einen Elektroschocker hervor, nur waren ihre im Vergleich zu Maddox’ etwas kleiner und handlicher. Maddox konnte das Blut in der Zelle und die Tropfen riechen, die unter der Stahltür durchsickerten. Das gefiel ihm gar nicht. Er war dafür verantwortlich, was in der Zelle geschah. Beunruhigt winkte er die Wärter heran. »Öffnet die Tür!« Der Wärter, der vor den anderen stand, Brossi, warf Maddox einen kurzen Blick zu. Außer Maddox war er der Einzige gewesen, der von Anfang an dabei gewesen war. Sie beide hatten der Gruppe angehört, die Buffy damals gefangen hatte. Sie wussten, wozu sie fähig war. Aus diesem Grund war die Tür der Zelle aufwändig gesichert. Es gab drei Schlösser, die in gleichem Abstand voneinander angebracht waren. Ein jedes besaß einen Eisenriegel, der einige Zentimeter breit war und in ein 18
Metallgehäuse einrastete, wenn er vorgeschoben wurde, das Metallgehäuse selbst war fest in der ein Meter dicken Betonmauer verankert. Am oberen und unteren Ende der Tür waren zwei weitere Eisenriegel angebracht, doch diese hatten keine Schlösser. Es dauerte einen Moment, bis Brossi die Tür aufgeschlossen und die drei Hauptriegel aufgeschoben hatte. Er zögerte, drehte sich zu Maddox um, und plötzlich verwandelte sich sein Gesicht, seine Stirn wölbte sich, und er nahm das Furcht erregende Aussehen eines Vampirs an. Seine Fangzähne wurden länger, und er leckte sich mit der Zunge darüber. Maddox hatte mehr Kontrolle über sich selbst, aber er konnte es Brossi nicht verübeln, dass er vorsichtig war und sich verwandelte. Jedes Mal, wenn sie die Tür öffneten, mussten sie sich auf einen Kampf gefasst machen. Immer dann, wenn es den Anschein hatte, dass Buffy Summers aufgab, war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass sie wieder angriff. Als man ihn angewiesen hatte, das neue Mädchen in derselben Zelle unterzubringen, hatte er sich zunächst gesträubt. Er hatte die Probleme kommen sehen. Allein das Essen zu bringen würde viel schwieriger werden. Aber mit dem, was nun geschehen war, hatte er nicht gerechnet. »Vorsichtig«, mahnte Maddox die Wärter. Brossi schlug die Riegel an der Tür zurück, sie sprangen abrupt aus ihrem Metallgehäuse. Die Tür war unmöglich leise zu öffnen, und so tat er es, so schnell er konnte. Die übrigen Wächter sammelten sich hinter ihm und umklammerten ihre Elektroschocker. Ihre tätowierten Gesichter zeigten keinerlei Gefühlsregung, nur das Glühen ihrer Augen verriet ihre Angst. Maddox hielt sich mit respektvollem Abstand hinter ihnen. Er war kein Feigling, im Gegenteil. Falls sich herausstellen sollte, dass sie in eine Falle getappt waren und die zwei Jägerinnen
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versuchten, sie zu töten, würde es seine Aufgabe sein, sie daran zu hindern. »Los!«, befahl Maddox. Brossi stieß die Tür mit der Schulter auf und wappnete sich gegen einen Angriff. Die Stahltür öffnete sich ein paar Zentimeter und donnerte dann mit einem dumpfen Geräusch gegen etwas, das sie blockierte. Der Vampir trat einen halben Schritt zurück und ging abwartend in Verteidigungsstellung. Nichts geschah. Nach ein paar Sekunden lehnte er sich mit vollem Gewicht gegen die Tür, woraufhin sie sich langsam öffnete und das Hindernis aus dem Weg schob. »Was zum Teufel ist das?«, fragte Maddox und spähte über die Schultern der Wärter. Brossi, der halb in der Tür stand, warf ihm einen Blick zu. »Das neue Mädchen. Sie liegt auf dem Boden.« Maddox fluchte laut, schob die anderen beiseite und trat hinter Brossi. Es war nicht nur seine Aufgabe, die Gefangenen zu bewachen, sondern er musste auch gewährleisten, dass sie am Leben blieben. Maddox schaute über Brossis Schulter in die Zelle und versuchte zu erkennen, ob Summers nicht irgendwo dort lag und nur darauf wartete, im richtigen Moment zuzuschlagen. Dann drehte er sich zu den Wärtern hinter ihm um. »Ihr bleibt hier. Wenn eine von ihnen versucht, durch die Tür zu flüchten, haltet ihr sie auf. Brecht ihnen die Knochen, setzt sie irgendwie außer Gefecht. Ich brauche euch ja nicht zu erklären, was passiert, wenn einer von euch sie tötet.« Er stupste Brossi an. »Betäube sie!« Maddox blickte auf den Körper der jungen Jägerin, der unbeweglich am Boden lag, dann ließ er seinen Blick wieder durch die Zelle schweifen. Die Tür war immer noch nur halb geöffnet, und er konnte Summers nirgends entdecken. Aber sie muss hier irgendwo sein, dachte er. Angst stieg in ihm auf. Diese Frau hatte etwas Unheimliches an sich. Ihr 20
Körper war warm und weich wie der eines jeden Menschen, und doch hatte sie etwas Einzigartiges, fast Mystisches an sich. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, hatte sie so einen seltsamen Ausdruck in den Augen, als hätte sie ein Versprechen gegeben, das sie eines Tages einlösen würde. Brossi streckte nur einen Arm mit dem Elektroschocker in der Hand in die Zelle hinein. Maddox hielt sich dicht hinter ihm, für den Fall, dass die Tür plötzlich zugeschlagen würde, auch er hielt seinen Elektroschocker bereit. Er beobachtete, wie Brossi die Jägerin mit dem Stab betäubte. Die Elektrizität schoss mit einem prickelnden Geräusch durch ihren Körper, und der Geruch von verschmorten Haaren verbreitete sich in der Zelle. Das Mädchen zuckte nur ein wenig. Ihre Muskeln verkrampften sich nicht so, wie es bei einem lebenden Menschen der Fall hätte sein müssen. »Verdammt«, flüsterte Maddox. Ich bin erledigt, dachte er. Das Mädchen war übel zugerichtet. In der Zelle hatte ein erbitterter Kampf stattgefunden. Eine Jägerin war tot. Aber was war mit der anderen? »Ich komme jetzt rein, Summers. Bleib von der Tür weg!«, rief er in die Zelle hinein. Dann forderte er Brossi auf, aus dem Weg zu gehen, und trat die Tür mit aller Kraft auf. Die Leiche, die auf dem Boden lag, gab ein knackendes Geräusch von sich, als die Tür gegen sie schlug, die nun ein paar Zentimeter weiter geöffnet war, weit genug, dass er Buffy Summers sehen konnte, die niedergeschlagen, mit aufgeschlitztem Hals in einer Lache ihres eigenen Blutes lag. Ihre weit geöffneten kalten Augen starrten ihn geradewegs an. »Nein!«, schrie Maddox. Er schlug ins Leere und rammte seine Faust gegen die Stahltür. Er spürte keinen Schmerz. »Verdammt, nein!«
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Maddox war außer sich vor Zorn, doch gleichzeitig packte ihn eine Todesangst, als ihm einfiel, was für ein Schicksal ihn nun erwartete. Er ging im Raum umher, sein Elektroschocker hing über seiner Schulter. Verblüfft starrte er die Überreste des Kunststoffregals und die Kleider an, die überall verstreut herumlagen. Von weitem betrachtete er den Plastiksplitter, der offensichtlich dazu benutzt worden war, Buffy den Hals aufzuschlitzen. »Maddox, was...?«, begann Brossi. Er verstummte, als Maddox ihn ansah. »Das neue Mädchen hat Summers den Hals aufgeschlitzt. Und Summers hat ihr das Genick gebrochen, bevor sie starb.« »Ich weiß nicht«, sagte Brossi langsam. »Bleiben Sie besser ein Stück von ihr weg. Oder geben Sie ihr noch ein paar Volts, bevor Sie ihr zu nahe kommen.« Maddox zögerte. Dann betrachtete er die Augen der Jägerin, die unheimlichen Augen, die ihm jedes Mal Rache versprochen hatten. Jetzt hatten sie nicht diesen Ausdruck. Sie sahen aus wie Murmeln und waren trübe. Die Art, wie sie auf dem Boden lag, mit halb offenem Mund, das Blut ihres aufgeschlitzten Halses, das über ihre Lippen sickerte, überzeugte ihn vollends. Die eine Gesichtshälfte, ihre Haare und ihre Nase lagen im Blut, und wenn sie noch am Leben gewesen wäre... hätte sie mit ihrem halbgeöffneten Mund das Blut schmecken können. Ihr eigenes Blut. Wie ein Vampir. Nichts wies darauf hin, dass sie noch atmete. Ihre Augen blickten kalt und starr vor sich hin. Und das war es letztlich, was ihn überzeugte. Dennoch trat er vorsichtig mit seinem Elektroschocker auf sie zu. Der Anblick ihrer Augen jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Er schwenkte die Spitze seines Stabes über ihren Augen, aber sie zuckten nicht. Er berührte sie leicht mit dem Elektroschocker an der Schulter, um ganz sicher zu gehen. Der 22
Körper zuckte leicht, aber das hatte er schon oft gesehen. Die Elektrizität, die durch ihren Körper floss, konnte so etwas verursachen. Ihre Haare bewegten sich und knisterten sogar ein wenig durch die statische Aufladung. »Sie ist tot«, sagte Maddox verzweifelt. »Was zum Teufel soll ich jetzt tun?« Er starrte in ihre Augen, als ihm plötzlich ein Gedanke kam. Maddox drehte sich um und sah Brossi an. »Oder ist sie nicht tot?«, sagte er und grinste. »Ich meine, er kommt doch niemals hierher, oder? Wir verriegeln einfach wieder die Tür und lassen sie hier liegen.« Brossi blickte ihn finster an. »Spätestens wenn die neue Jägerin auftaucht, weiß er Bescheid.« »Bis dahin könnten wir schon längst über alle Berge sein«, entgegnete Maddox gereizt. »Es ist eine schöne weite Welt.« Brossi ließ den Kopf hängen, die ganze Anspannung verschwand. Die übrigen Wärter, die noch im Flur standen, starrten ihn mit vor Schreck weit geöffneten Augen an. Auch sie wussten, welches Schicksal sie nun erwartete. Einer von ihnen, Haskell, sprang auf und rannte über den Flur davon. Das Echo seiner Fußtritte klang noch lange nach. Brossi schaute ihm hinterher, dann wandte er sich wieder an Maddox. »Es gibt keinen Ort auf der Welt, der weit genug weg wäre«, sagte er. »Es ist aus, Maddox.« »Ich habe diesen Job nie gewollt!«, rief Maddox, und seine Stimme hallte in der Zelle. Seine Gedanken überschlugen sich, und er drehte sich wieder zu Summers um. Seine Wut und seine Furcht wurden immer größer. Er trat gegen die Leiche, um sich abzureagieren. Sein Stiefel grub sich in ihr Fleisch... und es bewegte sich. Es sah so aus, als wäre es ein Teil seiner Bewegung, als sie die Arme um sein Bein schlang, sich daran hochzog und ihm gegen das Knie trat. Maddox brüllte. 23
Als er auf den Boden fiel, merkte er, wie jemand ihm den Elektroschocker abnahm und Buffy Summers, die Jägerin, sich über ihm aufrichtete. Ihre Auferstehung war so plötzlich gewesen wie die eines Vampirs, aber sie hatte ihm einen viel größeren Schrecken eingejagt. Trotz der Schmerzen in seinem zerschmetterten Bein musste er grinsen. Sie war nicht tot. »Maddox!«, rief Brossi. »Tötet sie nicht!«, brüllte Maddox zurück. Die anderen Wärter stürmten, entgegen seinem ursprünglichen Befehl, in die Zelle. Im Vergleich zu der Jägerin bewegten sie sich wie in Zeitlupe und schauten ängstlich und mit leerem Blick um sich. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Summers war für sie zwar nur eine Gefangene gewesen, aber sie hatten nie unterschätzt, wie gefährlich sie war. Camazotz hatte zunächst die Existenz der Jägerin vor den Kakchiquels geheimgehalten, aber das hatte sich nach ihrer Gefangennahme geändert. Man hatte sich Geschichten über die Jägerin erzählt, und jeder wusste, dass Summers einer der gefährlichsten Menschen auf der ganzen Welt war. Für ihre gesamte Gemeinschaft war es zu einer Art Legende geworden, dass das Mädchen dort in Einzelhaft in diesem Verlies saß. Sie hatten sie für tot gehalten. Sie war von dem Elektroschocker betäubt worden und hatte kaum reagiert. Sie hatte sehr viel Blut verloren. Es war fast so, als würden sie gegen den Geist der Jägerin kämpfen, gegen einen Zombie und nicht gegen einen Menschen aus Fleisch und Blut. Sie war keine Frau, sondern der Teufel höchstpersönlich und so schrecklich, dass selbst die Kreaturen der Nacht sie fürchteten. Sie hatten sie eingesperrt. Und jetzt besaß sie eine Waffe. Maddox versuchte, in dem dämmerigen Licht der steinernen Zelle nach dem Stahltisch zu greifen und sich hochzuziehen. 24
Die Jägerin bewegte sich mit einer solchen Geschwindigkeit, dass er ihre Bewegungen kaum mit den Augen verfolgen konnte. Genau genommen wäre es für sie einfacher gewesen, wenn sie alle direkt mit einem Pfahl getötet hätte, doch sie besaß keinen und musste sich mit dem Elektroschocker begnügen. Sie verpasste Brossi ein paar Stromschläge, bis er zuckend auf dem Boden zusammenbrach. Die zwei anderen Wärter hatte sie bereits entwaffnet, sie ließ sie erst zappeln, bevor sie sie tötete. Maddox konnte nichts anderes tun als zuzusehen. Dann war er an der Reihe.2
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2 Buffy rannte voller Freude den Flur entlang bis zu einem roten Schild, auf dem Ausgang stand. Das Schild – ein Relikt aus der Zeit, in der Menschen diesen Ort bewohnt hatten – gab dieser ganzen Situation fast etwas Surreales, und Buffy war fast schwindelig von dem überwältigenden Gefühl der Freiheit. Freiheit. Aber noch war sie nicht frei. Ihre Häscher hatten ihr die Augen verbunden, als sie sie vor Jahren an diesen Ort gebracht hatten, und so hatte Buffy keine Ahnung, wo das Gebäude, in dem sie sich befand, genau lag. Die Dinge standen schlecht. Das war alles, was sie von August erfahren hatte, und es machte sie sehr nervös. Der Gedanke an August ließ sie zusammenzucken. Sie schluckte schwer, die Galle kam ihr hoch, und ihr wurde speiübel. Das Mädchen hatte sie gezwungen, gegen sie zu kämpfen, und Buffy hatte alles getan, um zu verhindern, dass eine von ihnen getötet wurde, aber jetzt war August tot. Wenn sie sich Augusts Tod in Erinnerung rief und daran dachte, was sie alles getan hatte, um ihren eigenen Tod vorzutäuschen, versagten ihr die Beine. Aber Buffy konnte es sich nicht leisten, langsamer zu werden. Sie holte tief Luft, legte einen Schritt zu und verfluchte insgeheim die Vampire, dass sie nirgendwo Holz herumliegen hatten. Ein Stuhlbein oder irgendetwas anderes hätte ihr gereicht, um die Vampire in Staub zu verwandeln. Dann hätte sie nicht so sehr das Gefühl gehabt, ein Massaker veranstaltet zu haben. Sie sah das Bild noch vor sich, wie sie die große Stahltür gegen Maddox’ Hals geschleudert hatte und diese ihm schließlich den Hals durchtrennt hatte. Sicher, es war ein 26
schönes Gefühl gewesen zuzusehen, wie er sich in Staub verwandelte, aber trotz des Hasses, den sie seit Jahren für ihren Peiniger empfand, war es kein wirklicher Triumph gewesen. Natürlich hatte sie kein Mitleid mit ihm. Aber es ließ ihr keine Ruhe, dass die Wärter, die sie getötet hatte, ihr mit den Jahren so vertraut geworden waren. Der Gedanke, dass sie den Untoten so nah gekommen war, widerte sie an. Das würde ihr nicht noch einmal passieren. Vampire waren abscheuliche, grässliche Kreaturen, verdorbene Wesen – das war ihr während ihrer Gefangenschaft immer mehr bewusst geworden. Ihre Aufgabe war es, sie zu eliminieren, doch das war ein schmutziger Job. Die Übelkeit verschwand allmählich, doch ein schwacher, bitterer Geschmack blieb in ihrem Mund zurück. Sie versuchte, die unangenehmen Erinnerungen abzuschütteln, und stieß die Tür am Ende des Flurs auf. Der Stoß war zu heftig gewesen, und die Tür wäre gegen die Wand geknallt, hätte sie sie nicht schnell genug festgehalten. Sie blieb kurz stehen und horchte, ob sie verfolgt wurde, dann lief sie die Treppe hoch, die sich hinter der Tür befand. Das Treppengeländer war aus Eiche, Buffy blieb auf der Hälfte der Treppe stehen und trat dagegen. Es brach in zwei Hälften, hing aber noch an der Wand fest. Ein weiterer Tritt dagegen, und ein zehn Zentimeter langes Holzstück fiel auf die Treppe. Die Jägerin hob es auf und setzte ihren Weg nach oben fort. Doch das Holzstück war viel zu breit. Sie konnte es nicht ganz mit ihren Fingern umfassen. Es war aber besser als nichts. Weitaus besser. Am Ende der Treppe war eine Tür. Buffy rannte darauf zu, doch plötzlich öffnete sie sich. Ein Vampir streckte seinen Kopf wie ein neugieriges Raubtier heraus und blickte ins Treppenhaus, seine Nasenflügel zitterten, als er in der Luft nach verdächtigen Gerüchen schnupperte. Auch er hatte ein schwarzes Tattoo, dessen Fledermausflügel bis zu seinem 27
spärlichen Bart reichten. Mit seinen orangeglühenden Augen sah er in dem dunklen Treppenhaus aus wie ein Geist. Seine gespenstigen Augen wurden ganz groß, als er Buffy sah. »Oh, Schei...« Buffy drehte sich und versetzte der Tür einen Tritt, sodass sie gegen seinen Kopf schlug, und er auf den Flur taumelte. Sie riss die Tür auf und setzte ihm nach. Der Vampir blickte ihr direkt ins Gesicht, obwohl deutlich zu sehen war, dass Buffys Erscheinung ihn in Panik versetzt hatte. »Sie ist ausgebrochen!«, brüllte er in den leeren Flur. »Die Jägerin ist ausgebrochen!« »Altes Klatschmaul«, sagte Buffy heiser. Sie verzog keine Miene und verpasste ihm einen Schlag mit ihrer Rückhand. Er versuchte, den Schlag abzuwehren, aber Buffy war zu schnell für ihn. Sie war schneller denn je. Es war nun schon sehr lange her, dass sie gegen etwas anderes als gegen Schatten gekämpft hatte, und sie brauchte eine Weile, um sich wieder daran zu gewöhnen, aber jetzt war sie flinker und gewandter als jemals zuvor. Das Holzstück, das ihr als Pfahl diente, schoss in seine Brust und hinterließ dort ein gewaltiges Loch. Der Vampir löste sich in Staub auf. Sie hörte herbeieilende Schritte, sie kamen aus der Ecke links von ihr. Sie blinzelte mit den Augen, um besser sehen zu können: Es waren drei, nein vier. Der Pfahl fühlte sich jetzt schon besser an in ihrer Hand, und sie hätte am liebsten alle umgebracht, die etwas mit ihrer Gefangennahme zu tun gehabt hatten, doch sie musste Prioritäten setzten. Absoluten Vorrang hatte ihre Flucht. Sie musste ausbrechen und den Himmel wieder sehen, frische Luft einatmen. Buffy lief den Flur hinunter und hatte wieder ein wenig Vorsprung. Das Gebäude, in dem sie sich befand, schien früher Büros beherbergt zu haben, denn in dem langen Flur lag ein Raum neben dem anderen. Jetzt war alles dunkel und leblos. 28
Im Korridor waren keine Fenster. Zumindest nicht in diesem Bereich. Dann machte der Flur eine Biegung nach rechts. Buffy war gerade um die Ecke gebogen, als sie Rufe hinter sich hörte. Die Vampire hatten sie entdeckt. Doch damit hatte sie gerechnet. Sie konnte die Außenwelt bereits riechen. Jetzt konnte sie nichts und niemand mehr aufhalten. Als dieser Gedanke ihr durch den Kopf ging, blickte sie auf. Der Korridor ging in eine große Halle über, eine Eingangshalle. Die Tür bestand aus Glas. Alle Wände bestanden aus Glas. Sie hatten sie schwarz gestrichen. Die Tür wurde von zwei Vampiren mit gekreuzten Armen bewacht. Sie zeigten keinerlei Regung, als Buffy sich ihnen näherte, sie verzogen auch nicht ihr Gesicht zu dieser arroganten Fratze, die ihre Spezies vor langer Zeit einmal gern aufgesetzt hatte. Aber Buffy erinnerte sich nur zu gut daran, wie diese Vampirbrut, Camazotz’ Diener, vorgingen. Der DämonenGott, ihr Herrscher, hatte sie gelehrt, still und furchtlos zu sein. Doch sie hatte die Todesangst in den tätowierten Augen ihrer Wärter gesehen, die sie in der Zelle getötet hatte. Und sie wusste, dass diese Angst tief in Camazotz’ Dienern verwurzelt war. »Entweder ihr verschwindet von der Tür, oder ihr werdet selbst die Tür sein«, sprach sie grimmig zu ihnen. Gleichzeitig machte sie sich bereit zu einem Kampf. Hinter ihrem Rücken ertönten Rufe, ihre Verfolger konnten sie wieder sehen. Und die zwei Wachposten standen mit funkelnden Augen nach wie vor unbeweglich vor ihr. Buffy behielt ihr Tempo bei und ging mit großen Schritten auf sie zu. Sie war knapp einen Meter von ihnen entfernt, als sie sich auf sie stürzten. Die Jägerin blieb abrupt stehen, sodass die beiden Wachposten ins Leere stürzten. Buffy sprang hoch, drehte sich und trat einem der Wächter mit dem Fuß gegen den 29
Kiefer, woraufhin dieser zurücktaumelte und rückwärts gegen die schwarze Glastür fiel. Im selben Moment bohrte sie das zersplitterte Holzstück aus dem Treppengeländer durch das Herz des anderen, der sich sofort in Staub verwandelte. Nachdem sein Kollege durch die Glastür gebrochen war, verschwand die Dunkelheit mit einem Mal, und das Tageslicht brach herein. Die Sonne. Buffy musste grinsen, als sie sah, wie der noch lebende Wachposten versuchte, auf allen vieren über die schwarzen Glasscherben ins Innere des Gebäudes zu krabbeln. Sein Körper fing an zu qualmen, dann zu brennen, und schließlich explodierte er in einer Wolke aus Staub und Asche. Die Jägerin trat gelassen hinaus in die Sonne, das Glas knirschte unter den Sohlen ihrer Turnschuhe. Dann drehte sie sich um, Sonnenlicht umgab sie, und sie blickte den Fledermaus-Gesichtern, die sie verfolgt hatten, direkt in die Augen. Sie blieben wenige Meter vor der Tür stehen und wichen vor den tödlichen Sonnenstrahlen, die durch die zerbrochene Tür hineinschienen, zurück. Früher hätte Buffy sich noch einen Scherz erlaubt und einen witzigen Spruch losgelassen. Aber jetzt war ihr nicht nach Spaßen zu Mute. Sie machte eine obszöne Handbewegung, drehte sich um und ging davon. Aber sie fühlte, wie die glühenden Augen ihr hinterherstarrten. Das Gebäude war ein dreistöckiger Bürokomplex. Kein Name oder Schild war zu sehen, nur eine Hausnummer – einundfünfzig. Es war ein wunderschöner kalifornischer Sommertag, so wie er für sie als Kind selbstverständlich gewesen war. Das war im Grunde alles, was Kalifornien zu bieten hatte. Heute jedoch genoss sie ihn wie nie zuvor. Vögel sangen. Ein Spatz flog vor ihr über die Straße. Die leichte Brise trug tausend 30
verschiedenartige Gerüche zu ihr, wie im Frühling. Doch Buffy wusste nicht genau, welche Jahreszeit es war. Frei. Sie war sich dessen bewusst, dass sie schnell vorgehen musste, sie musste herausfinden, wo genau sie war, wo ihre Freunde waren und was August in den Wahnsinn getrieben hatte, aber sie war so überwältigt von dem Gefühl, wieder frei zu sein, dass sie es in vollen Zügen genoss und langsam durch die Straßen schritt. Die ersten Minuten musste sie die Augen bedecken oder auf den Boden blicken, weil sie so geblendet war von der Helligkeit der Sonnenstrahlen. Eine Welle der Erleichterung erfasste ihren Körper, ein Gefühl, so gewaltig, wie sie es nie zuvor verspürt hatte. Gleichzeitig fühlte sie sich so stark, als hätte sie neue Energie durch das Sonnenlicht getankt. Die Straße, die sie entlangging, war von lang gestreckten, öden Gebäuden gesäumt, die alle dem Gebäude ähnelten, aus dem sie gerade geflohen war. Langweilige Bürogebäude. Sie ging auf eine Kreuzung zu und blieb dann wie angewurzelt stehen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Straßen waren von etwas überschattet, das nicht da sein sollte. Sie war so lange von der Außenwelt abgeschnitten gewesen, dass sie einen Moment brauchte, um zu begreifen, was hier nicht stimmte. Ein unheilvolles Gefühl überkam sie. Dann wusste sie, was es war. Es war nicht die Anwesenheit von etwas Bedrohlichem, sondern eine Abwesenheit. Die Abwesenheit von Leben, von geschäftigem Leben, von Straßenverkehr. Die Vögel waren die einzigen Lebewesen und das Einzige, das sich weit und breit bewegte. Sie war zutiefst beunruhigt und begann wieder zu laufen. Als sie an der Kreuzung angekommen war, schaute sie die Straße hinauf und hinunter. Sie sah ein paar hippe Boutiquen und einige Sandwich-Shops. Erst ein einziges Mal war sie, seit sie in Sunnydale wohnte, hier gewesen, aber Buffy erkannte die 31
Stadt wieder. Sie war in El Suerte, ungefähr eine Viertelstunde von zu Hause entfernt. Ganz unten auf der Straße sah sie mehrere Autos, die eine Kreuzung überquerten. Hoffnung stieg in ihr auf. Dann zog rechts von ihr das Geräusch eines Motors ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie drehte sich um und sah einen Jeep, der langsam an den Geschäften vorbeifuhr. Er hielt abrupt vor einem der Sandwich-Shops an, und der Fahrer, ein Mann mittleren Alters in einem gut sitzenden Anzug, sprang heraus und sah sich kurz um. Er entdeckte Buffy, erstarrte und betrat eilig den Laden. Nach wenigen Augenblicken kam er mit mehreren Plastiktüten unterm Arm wieder heraus. Buffy vermutete, dass sie Sandwichs und Getränke enthielten. Ihr einziger Gedanke war, nach Hause zu kommen, zurück nach Sunnydale. Rasch überquerte sie die Straße und hielt den Mann an, der gerade losfahren wollte. »Hey!«, rief sie. Er starrte sie erschrocken an. Buffy wurde langsamer, und sie fragte sich, ob er vielleicht ein Geistesgestörter war. »Warum arbeiten Sie nicht?«, fragte er und sah sich panisch nach allen Seiten um, als fürchte er, jemand könne ihn dabei erwischen, wie er sich mit einem Faulpelz unterhielt. »Vielleicht habe ich ja schon Feierabend, hm?« Buffy zuckte mit den Achseln. »Können Sie mir sagen, wo ich einen Bus nach Sunnydale bekomme?« Er lachte, aber so leise, dass es eher wie ein Hüsteln klang. »Was ist denn mit dir los, bist’ wohl ein wenig verrückt geworden? Welcher vernünftige Mensch, der noch seine fünf Sinne beisammen hat, würde freiwillig dorthin wollen?« Er schaute sich wieder um. »Halt dich besser von den Straßen fern, Schätzchen.« Dann stieg er in seinen Wagen und verriegelte die Türen, noch bevor er seinen Motor anließ, so als hätte er Angst, jemand würde ihn aus dem Auto entführen wollen. Eine 32
Sekunde später war er verschwunden. Buffy rief ihm etwas nach, aber er schaute noch nicht einmal in den Rückspiegel. Buffy war sauer. Sie wollte endlich Antworten. Sie ging zu dem Sandwich-Shop, spähte durch die Tür und erblickte einen dunkelhaarigen Mann mit einem großen Schnurrbart, der gerade die Tür verriegelte. Als er sie entdeckte, ging er von der Tür weg, so als wollte er nicht gesehen werden. Dann zog er die Markise zu, sodass ihr der Blick in den Laden versperrt wurde. »Was zum Teufel ist nur los hier?«, brüllte Buffy. Doch dann überfiel sie eine große Furcht, ein schrecklicher Verdacht, der sie ahnen ließ, was mit ihnen los war. Aber das konnte nicht sein. Sie konnten doch nicht eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen. Doch genauso war es. Plötzlich ertönte das Geräusch einer Sirene. Buffy zuckte zusammen. Sie drehte sich um und sah einen Polizeiwagen, der langsam auf sie zukam. Zwei Polizisten sprangen bei laufendem Motor aus dem Auto und gingen auf sie zu. Sie hatten die Hände schon an ihren Waffen. »Entschuldigen Sie bitte, Miss Summers, aber wir müssen Sie bitten, uns zu begleiten.« Miss Summers. Sie wussten, wer sie war. Sie suchten schon nach ihr. Ihr Verdacht, der ihr erst vor wenigen Sekunden in den Sinn gekommen war, bestätigte sich bereits. Sie war nicht die einzige Gefangene in El Suerte gewesen. Die Vampire hielten die gesamte Stadt gefangen. Die zwei Polizisten zogen ihre Waffen und richteten sie auf sie. »Miss Summers.« »Da bin ich anderer Meinung«, antwortete Buffy. »Im Übrigen werden sie nicht wollen, dass Sie mich töten.« Einer der beiden, ein großer Kerl mit braungebranntem Gesicht und traurigen Augen, machte den Eindruck, als könne
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er ziemlich unangenehm werden. Sein Partner war ein übergewichtiger blasser Typ mit dicken Brillengläsern. Er lächelte. »Ich könnte Ihnen eine Kugel durch die Kniescheibe jagen oder Ihnen in die Schulter schießen. Sie werden sich wieder davon erholen, aber es wird höllisch wehtun. So oder so, Sie werden uns begleiten.« Buffy seufzte. »Nein. Aber ich danke Ihnen für Ihr Angebot, mich mitzunehmen.« Der Dicke sah verwirrt aus. Buffy sprang in die Luft, drehte sich spiralförmig, trat ihm die Pistole aus der Hand und zertrümmerte dabei seine Finger. Er stieß einen Schrei aus. Der Große feuerte. Buffy war immer noch in Bewegung, aber sie konnte durch den Luftzug an ihrer Wange spüren, wie die Kugel Millimeter nah an ihr vorbeischoss. Der Dicke starrte auf seine Hand, er verstand anscheinend nicht, wieso seine Pistole auf einmal verschwunden war. Buffy zeigte sie ihm und warf sie dann über ihre Schulter. Er sah verblüfft zu, wie die Pistole durch die Luft flog, und diesen Überraschungsmoment nutzte Buffy aus und schlug mit der Faust so hart zu, dass der dicke Polizist sich im Kreis drehte und wie ein gefällter Baum auf seinen Partner kippte. Buffy war auf der Hut, aber das hatte nichts mit den Polizisten zu tun. Die hatte sie schon in Gedanken abgehakt. Sie musste immer noch an die Reaktion des Mannes in dem Jeep denken, als sie Sunnydale erwähnt hatte. Welcher vernünftige Mensch, der noch seine fünf Sinne beisammen hat, würde freiwillig dorthin wollen?, hatte er gesagt. Er lebte in El Suerte, war ein Gefangener der Vampire, die den gesamten Ort kontrollierten, und war zudem noch der Meinung, dass jemand, der nach Sunnydale wollte, verrückt sein musste. Ihr lief es eiskalt über den Rücken, und ihr ganzer Körper erschauderte. Sie machte ein grimmiges Gesicht, ging zu dem 34
Polizeiauto und stieg ein. Als sie den Gang einlegte und in den Rückspiegel blickte, sah sie zum ersten Mal nach fünf Jahren wieder ihr Spiegelbild. Sie war geschockt. Einen Augenblick sah sie sich selbst mit neunzehn. Aber dann verschwand das Trugbild, und sie erkannte, wie sie in Wirklichkeit aussah – harte Gesichtzüge, zerzauste lange blonde Haare, ohne richtigen Schnitt, Falten an Augen und Mund und ein zornig funkelnder Blick. Es war erschreckend, sich nach so langer Zeit wieder im Spiegel zu betrachten. Sie hatten nicht nur die Welt um sie herum verändert, sondern auch sie selbst, ging es Buffy durch den Kopf. Buffy hasste sie dafür noch mehr. Wieder sah sie sich selbst mit neunzehn. So sollte sie eigentlich aussehen. Aber etwas ganz anderes war an diese Stelle getreten. Sie hatte es wohl für eine kurze Zeit vergessen. Doch jetzt hatte die Stimme ihres jüngeren Ichs wieder die Oberhand gewonnen. Ich muss wieder zurück. Ich muss es wieder rückgängig machen, dachte sie. Die Worte bedeuteten vielerlei. Was immer auch im Hier und Jetzt passierte, sie musste etwas dagegen tun, flüsterte ihr älteres Ich ihr zu. Aber da gab es auch noch das Mädchen, das weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft lebte, die Studentin, die ein normales Leben führen wollte, eine junge Frau, der ein Geist vorausgesagt hatte, dass sie einen Fehler begehen werde, der katastrophale Folgen haben würde. Sie musste nun mit den Folgen dieses Fehlers leben. Ich muss wieder zurück, dachte sie. Ich muss herausfinden, was ich falsch gemacht habe, einen anderen Weg suchen und sie aufhalten. Sie fragte sich nicht, ob das überhaupt möglich war. Das Wesen, das sich die Seherin nannte, hatte irgendwie den Geist ihres früheren Ichs eingefangen und ihn in ihren
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älteren Körper geschickt. Wenn das möglich war, dann musste es auch möglich sein, den ganzen Prozess wieder umzukehren. Im Moment jedoch war es nötig, die Vampire aufzuhalten, und dazu musste sie herausfinden, wie groß das Gebiet war, das sie unter ihrer Kontrolle hatten. Das war ihre Aufgabe, ihr Job. Sie war die Jägerin. Bevor die Seherin sie berührt hatte und sie in die Zukunft geschickt hatte, hatte Buffy versucht, eine gute Jägerin zu sein und gleichzeitig ihr eigenes Leben zu führen. Sie hatte eine hundertprozentige Jägerin und eine hundertprozentige Buffy sein wollen. Es war unmöglich, beides miteinander zu vereinbaren, aber Buffy hatte früher auch Unmögliches geschafft. Doch bei dem Versuch, beide Aspekte ihres Lebens miteinander zu vereinbaren, hatte sie ihre Freunde vor den Kopf gestoßen, und das hatte indirekt zu der Situation geführt, in der sie sich jetzt befand. Wenn sie nicht so verbissen und eigensinnig gewesen wäre, hätte sie niemals auf den Rat der Seherin vertrauen müssen, und es wäre niemals so weit gekommen. Sie lächelte finster, als sie daran denken musste, dass sie sich in dieser Zukunft keine Sorgen zu machen brauchte, ob sie es schaffen würde, die zwei Leben zu verwirklichen, zwei Rollen zu spielen. Die Dinge, auf die Buffy Summers Wert gelegt hatte und die ihr wichtig waren, schienen nun verschwunden zu sein, und an ihrer Stelle war nur die entsetzliche Welt getreten, die jetzt von den Vampiren kontrolliert wurde. Niemand brauchte Buffy jetzt noch. Sie brauchte keine zwei Leben mehr zu führen... nur noch eins. Sie war jetzt nur noch die Jägerin. Das machte sie freier, und Freiheit war ein schönes Gefühl. Ihre Fingerknöchel waren ganz weiß, so fest hatte sie das Lenkrad umklammert. Sie beschleunigte, ließ El Suerte hinter sich und fuhr Richtung Sunnydale. Schon bald würden sie erfahren, dass sie mit dem Auto unterwegs war. Sie hoffte, dass
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sie nicht auf die Idee kämen, dass sie ausgerechnet nach Sunnydale fuhr. Sie versuchte nicht daran zu denken, aber sie fragte sich natürlich, was aus ihrer Mutter, ihren Freunden, der ScoobyGang geworden war. Nicht nur jetzt, sondern auch damals. Willow, Oz, Xander und Anya. Von Giles und Angel ganz zu schweigen. Was war mit ihnen geschehen seit jenem Tag, als die Seherin ihren Geist von ihrem Körper getrennt hatte? In der Vergangenheit... Man konnte kaum atmen. Willow blickte sich in dem Zimmer um, das sie sich mit Buffy teilte, und zitterte. Es war ein recht großes Zimmer, aber jetzt kam es ihr zum ersten Mal wie ein Gefängnis vor. Oz saß neben ihr, Willow streckte ihre Hand aus und berührte seine. Schon fühlte sie sich ein wenig besser. Xander und Anya waren auch da. Eine ganze Menge Leute für so eine kleine Sitzung in dem verdunkelten Zimmer mit den heruntergelassenen Jalousien. Aber selbst in dieser Dunkelheit erschien das Wesen, das in der Mitte des Zimmers neben Buffy schwebte, noch wesentlich dunkler als seine Umgebung. Wie es dort in der Luft wirbelte, erinnerte es sie an ein Loch, ölig und schwarz, ein Riss im Gefüge der Welt. Willow hatte Lucy Hanover gerufen, den Geist einer schon lange toten Jägerin, der nun verlorenen Seelen half, ihren Weg auf den Pfaden der Toten zu finden. Der Geist hatte düstere Prophezeiungen von dieser Kreatur, die man die Seherin nannte, gehört und hatte sich bereit erklärt, sie zu ihnen zu bringen, damit sie direkt mit ihr sprechen konnten. Aber jetzt, nachdem sie da war, wünschte Willow, sie würde sofort wieder verschwinden. Ihre bloße Anwesenheit jagte Willow einen Schauder über den Rücken. Und jetzt schien sie auch noch auf Buffy zuzuschweben, oder besser gesagt, schien
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sie den Raum zwischen ihnen zu verschlingen, durch die Zeiten zu gleiten und sich nach Buffy auszustrecken. Nein!, dachte Willow. Buffy, lass sie nicht zu nahe kommen! Aber sie hatte nicht genügend Kraft, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Der Geist von Lucy Hanover schwebte weiterhin am Fenster und beobachtete, wie Buffy zu der Seherin sprach. Die Worte des Wesens verschlugen ihnen allen die Sprache. Buffy taumelte und starrte erst Willow und Oz, dann Xander und Anya an. »Niemand kann die Zukunft jetzt noch aufhalten. Die Uhr tickt bereits«, sagte die Seherin, und ihre Stimme klang, als würde sie einen Fluch aussprechen. »Aber ich kann dir meine Vision zeigen, meine Sicht mit dir teilen, sodass du siehst, was kommen wird, und du dich besser darauf vorbereiten kannst.« Buffy schreckte vor ihr zurück und warf Willow einen Blick zu. Willow versuchte, in ihre Gedanken einzudringen, sie zu warnen und sie zu bitten, mit Nein zu antworten. Sie biss sich ängstlich auf die Lippen. Der Geist von Lucy Hanover streckte seine Hände nach Buffy aus, als wollte er ihr helfen. Aber Lucy war tot. Sie hatte Buffy bereits jede Hilfe angeboten, die ihr möglich war. Buffy setzte sich aufrechter hin und starrte die Seherin, das schwebende schwarze Wesen, an. »Zeig es mir«, sagte sie. Willow schüttelte langsam den Kopf und wollte sie abermals warnen, doch Buffy sah sie nicht. Willow konnte noch immer nicht sprechen und der Freundin etwas zurufen. »Ich brauche dich nur zu berühren, und du wirst sehen.« »Tu es!«, befahl Buffy ihr. Die ölig glänzende Silhouette der Seherin kam auf sie zu. Der Riss im Gefüge der Welt dehnte sich in ihre Richtung aus, und Finger, die sich wie Ranken anfühlten, griffen nach ihr.
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Schließlich spürte Willow, wie etwas von ihr abließ, als hätte eine fremde Macht sie endlich wieder aus ihrem Griff entlassen. »Buffy«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Vielleicht ist das keine so gute...« Aber es war zu spät. Die Seherin berührte Buffy bereits, und Buffy schrie auf. Die Jägerin riss die Augen auf, als hätte sie eine Vision von einem unaussprechlichen Grauen. Ihr Mund war geöffnet, aber der schrille, spitze Schrei erstarb auf ihren Lippen. Ihre Brust hob und senkte sich, und Buffy begann zu hyperventilieren. »Buffy!«, schrie Willow. Sie lief zu ihrer besten Freundin und umklammerte sie, als Buffy in sich zusammensackte. Wütend und ängstlich sah Willow die anderen an. Oz, Xander und Anya sahen besorgt aus. Außer ihnen war nun niemand mehr im Zimmer. »Wo... sind die hin?«, fragte Willow leise. Die anderen blickten sich ebenfalls um, anscheinend genauso verwirrt wie Willow. »Das war also eine körperlose Hellseherin«, murmelte Xander. »Erzählt was über eine böse Zukunft und macht sich aus dem Staub, bevor sie Antworten geben muss.« »Ich ziehe jetzt die Jalousien hoch. Ich habe für heute genug von der Dunkelheit«, murmelte Anya. Als die Jalousien hochgezogen waren und die Sonne ins Zimmer schien, fühlte Willow sich schon ein wenig besser. Buffy atmete noch, aber ihre Augen waren geschlossen, und sie war blass. Ihre Haut fühlte sich zu kalt an. Aber sie lebte. Und sie war die Jägerin. »Was meinst du, was passiert ist?«, fragte Oz. Willow schluckte. »Na ja, ich hoffe, ich täusche mich. Mir ist nicht wohl dabei, dass ich so etwas in letzter Zeit oft denke. Aber ich fürchte, dass die Zukunft, die diese Kreatur ihr 39
gezeigt hat, zu viel war für Buffy. Ich glaube, sie hat eine Art Schock.« »Wow. Roter Alarm«, sagte Xander. »Sie ist die Jägerin. Wie kann sie etwas in einen solchen Schock versetzen?« »Ich würde sagen, das hängt davon ab, was sie gesehen hat«, bemerkte Oz. Anya warf verzweifelt die Hände in die Luft. »Verdammt! Warum passiert nur immer dieser Mist?« Sie sah Xander an und zog einen Schmollmund. »Warum leben wir hier? Warum ist das ausgerechnet der Ort, an dem du leben willst? Können wir nicht von hier verschwinden, fort von diesem ständig drohenden Weltuntergang?« »Sicher könntest du das«, sagte Willow traurig. Sie starrte Buffy an, die immer noch blass war. »Aber das würde nichts an dem Weltuntergang ändern.« Willow wiegte Buffy sanft in ihren Armen. Dann öffnete die Jägerin so plötzlich die Augen, dass Willow sich erschreckte. Ihre Haut war immer noch kalt und bleich, aber ihre Augen hatten wieder den gewohnten wilden und entschlossenen Ausdruck. Wild und entschlossen... und noch etwas anderes. »Buffy!«, rief Willow. »Seht doch nur!«, schrie Xander. »Es geht ihr wieder gut.« Buffy setzte sich auf und ließ Willows Hand los. Sie streckte sich wie eine Katze, als wollte sie prüfen, ob ihr Körper verletzt war. Sie bewegte die Finger und starrte ihre Hände an, als hätte sie sie nie zuvor gesehen. Dann stand sie vorsichtig auf und schwankte. Sie verlor fast das Gleichgewicht, und Willow musste unwillkürlich an ein Fohlen denken, das zum ersten Mal auf die wackeligen Beine kommt. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Xander zweifelnd. Die Jägerin schaute sich in dem Schlafzimmer um. Ein verstohlenes Grinsen huschte über ihr Gesicht, dann war es verschwunden. Sie ging zum Schrank, öffnete ihn und nahm 40
eine schwarze Lederjacke heraus, obwohl es draußen dafür viel zu warm war. »Buffy?«, fragte Willow. »Jetzt komm schon! Ich weiß, dass du uns beschützen willst, aber wir gehören auch dazu. Es ist auch unsere Zukunft. Was hast du gesehen?« Buffy zog die Jacke an, drehte sich um und betrachtete sie alle. Ihr Gesicht war ganz starr und verriet keinerlei Reaktion. Ein Licht flackerte in ihren Augen, ein Licht, das von innen kam. »Alles wird gut werden«, sagte sie, und ihre Stimme hörte sich eigenartig an, so als würde sie nuscheln. »Du bist noch nicht in Ordnung«, sagte Willow zu ihr. »Komm schon. Ruh dich eine Stunde aus. Dann überlegen wir gemeinsam, wie wir Giles da rausholen. Du wirst uns alles erzählen müssen, Buffy. Wir möchten dir doch nur helfen.« Aber Buffy schüttelte den Kopf. »Wir können nichts tun.« »Heißt das etwa, du wirst nach allem, was jetzt passiert ist, versuchen, Giles alleine zu befreien?«, fragte Xander. Er schrie fast, so wütend war er, doch Willow konnte das gut verstehen und unterbrach ihn nicht. »Das geht dich nichts an!«, entgegnete Buffy schroff. Mit diesen Worten drehte sich die Jägerin um und ging aus dem Zimmer, ohne die Tür hinter sich zu schließen. »Fantastisch«, stöhnte Xander. »Jetzt fährt sie wieder diesen Film. Allmächtige Super-Jägerin. Die einsame Kämpferin.« »Ich weiß nicht«, sagte Willow langsam und starrte auf die halb geöffnete Tür. Oz legte ihr einen Arm um die Schulter. »Was weißt du nicht?«, fragte er und runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass das der Grund ist«, sagte sie. »Da ist noch etwas anderes. Etwas Neues und sehr Unheimliches geht hier vor sich. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur wieder ein. Ich muss andauernd daran denken, wie die Seherin Buffy
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berührt hat. Vielleicht ist da ein bisschen mehr passiert als nur ein kurzer Blick in die Zukunft.« »Das Ding hatte eindeutig etwas Böses an sich«, stimmte Anya ihr zu. »Aber was glaubst du, hat es genau getan?« Willow starrte auf die Tür. »Erinnerst du dich, dass ich eben gesagt habe ›Ich weiß nicht‹?« »Auf jeden Fall müssen wir sie im Auge behalten. Und herausfinden, was mit ihr los ist«, schlug Xander vor. Willow nickte, sie war sichtlich besorgt um Buffy. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Zukunft so aussehen würde, wie die Seherin sie vorausgesagt hatte, aber sie hatte das unangenehme Gefühl, dass ihnen dennoch etwas Schreckliches bevorstand. Buffy fuhr über die fast völlig verlassenen Straßen und war entsetzt über die Veränderungen, die sie ringsherum sah. Einige wenige Autos fuhren an ihr vorbei, und ein paar Geschäfte waren geöffnet, aber viele andere waren mit Brettern vernagelt. Die Skate-Bahn, die direkt an der I-17 gelegen hatte, hatte scheinbar gebrannt, der Parkplatz war unbenutzbar und von Grün überwuchert. Nirgends waren Rollerblader, Jogger oder Fahrradfahrer zu sehen. Die einzigen Menschen, die sie außer den wenigen Autofahrern zu Gesicht bekam, waren zwei Obdachlose, die den Müllcontainer eines chinesischen Restaurants durchwühlten, das anscheinend noch geöffnet war. Als Buffy an ihnen vorbeifuhr, schlängelten sie sich eiligst durch ein Loch im Zaun. Buffy beschloss, dass es vermutlich das Beste war, die Stadt leise, vielleicht sogar unsichtbar zu betreten. Sie würden nach dem Polizeiauto fahnden. Sie fuhr auf den beschädigten Gehsteig, und mannshohes Unkraut schlug gegen den Kühlergrill. Buffy machte den Motor aus, holte tief Luft und ließ ihren Kopf auf das Lenkrad sinken. Ihre gebrochene Nase stieß leicht an, was sie vor Schmerz zusammenzucken ließ. 42
Zwar tat die Nase noch weh, doch schienen sie und auch die anderen Verletzungen bereits zu heilen. Das war ein Segen für die Jägerin. Entschlossen öffnete sie die Tür und stieg aus, dann zögerte sie. Im Auto lag eine Schrotflinte zwischen den Sitzen, allerdings war sie durch eine Sperrvorrichtung gesichert. Es würde nicht schwer sein, die Sperre aufzubrechen und die Schrotflinte mitzunehmen. Buffy warf einen Blick ins Innere des Autos und betrachtete den glänzenden Gewehrlauf. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie brauchte eine Armbrust, vielleicht sogar ein Schwert. Aber es war unwahrscheinlich, dass ihre Waffenarsenale in Giles’ Wohnung, im Haus ihrer Mutter und in ihrem Zimmer an der U.C. Sunnydale nach all den Jahren immer noch da sein würden. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, würden die Kakchiquels, Camazotz’ VampirGefolgschaft, mit Sicherheit diese Orte überwachen, falls sie eines Tages dorthin zurückkehren sollte. Ohne diese Waffen und ohne ein Messer musste sie sich wohl selbst ein paar Pflöcke basteln und darauf hoffen, dass sie ausreichen würden. Buffy ließ das Auto einfach zurück und ging in Richtung Straße. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und drehte sich nach dem Betongebäude auf der anderen Seite der Straße um, das vor langer Zeit einmal ein Autokino gewesen war. Danach wurde es, wie alle leer stehenden Gebäude in Sunnydale, von den Vampiren und anderen finsteren Kreaturen der Nacht in Beschlag genommen. Vielleicht sollte ich dort besser mal nachsehen, dachte Buffy. Langsam lief sie darauf zu. Sie machte keine Anstalten, sich zu verbergen. Wenn sich wirklich jemand in dem bunkerähnlichen Gebäude aufhielt, hätte man sie schon gesehen. Die Metalltür war verrostet und hing nur noch halb in den Angeln. Der Himmel war strahlend blau, der Wind raschelte durch das hochgewachsene Gestrüpp, und das 43
Sonnenlicht tauchte die Welt um sie herum in helle Farben. Aber die Schönheit dieses Sommertages endete vor der verrosteten Tür. Dieses Gebäude schien das Sonnenlicht aufzusaugen und in seinen finsteren Rachen zu schlingen. Innen war es stockfinster. Nichts rührte sich. Buffy trat die Tür auf, sodass sie auf den Betonboden fiel. Sie blieb kurz stehen und trat dann in die Dunkelheit. Ihre Augen hatten sich nach wenigen Sekunden an die Finsternis gewöhnt. Buffy drang tiefer in das nunmehr graue, schmutzige Innere des Gebäudes ein. Nichts. An den Wänden scharrte etwas, aber das war alles. Es war nichts weiter als das Grab vieler Generationen von Mäusen. Kleine Ladentische aus Glas, an denen man einst Snacks angeboten hatte, lagen zerbrochen auf der Erde. Sonst gab es nichts mehr. Buffy neigte den Kopf zur Seite und horchte nach Geräuschen, die nicht von Nagetieren stammten. Schließlich war sie davon überzeugt, dass sie allein war, sie stand auf und wollte schon gehen, als ihr einfiel, dass im oberen Stockwerk vielleicht noch ein paar Möbel stehen könnten. Es war einfacher, Pflöcke aus zersplitterten Möbelteilen als aus abgebrochenen Zweigen zu basteln, vor allem wenn man kein Werkzeug zum Schnitzen zur Hand hatte. Oben in der Kammer des Filmvorführers entdeckte sie einen kleinen Tisch und mehrere Holzstühle, deren Stuhlbeine sich ausgezeichnet für ihr Vorhaben eigneten. Buffy ging zu dem Tisch, zog einen Stuhl darunter hervor und blieb verblüfft stehen, als sie sah, was auf dem Tisch lag. Eine Armbrust. Das heißt, ihre eigene Armbrust, die Giles ihr geschenkt hatte, als sie zum ersten Mal zusammen trainiert hatten. Daneben lag eine zusammengefaltete, ehemals weiße Karte,
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auf der zwei Wörter in ordentlicher Druckschrift geschrieben waren: FÜR BUFFY. Sie starrte die Karte und die Armbrust ungläubig an und sah sich ängstlich um. Das musste ein Irrtum sein. Irgendjemand war hier, wie sonst konnte es sein, dass dort eine Armbrust für sie bereitlag? Aber sie hatte sich nicht getäuscht. Sie war allein. Sie streckte zögernd ihre Hand nach der Armbrust aus und betrachtete sie noch einmal genau, um ganz sicher zu sein, dass daran kein Stolperdraht oder eine andere Falle befestigt war. Es gab keine Fallen, nur die Armbrust, und auf dem Stuhl gegenüber lag ein kleiner Köcher mit den dazugehörigen Bolzen. Buffy war zutiefst beunruhigt, und tausend Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit. Rasch zerschmetterte sie einen der Stühle, brach die Beine und die Rückenlehne in ein halbes Dutzend brauchbarer Pflöcke und klemmte sie zusammen mit dem Köcher unter den Arm. In der anderen Hand trug sie die Armbrust. Sie schaute sich nach allen Seiten um, als sie die Treppe hinuntereilte. Sie fand oder sah nichts, was auf die Anwesenheit eines anderen Menschen oder eines Vampirs hingedeutet hätte. Dennoch hatte sie eine Gänsehaut, als sie das Gebäude verließ und in die Sonne trat. Hier im Tageslicht und unter dem strahlend blauen Himmel fühlte sie sich etwas besser, aber die Fragen blieben. Sie war vor ein Rätsel gestellt, das ihr keine Ruhe ließ. Irgendjemand wusste oder hatte geahnt, dass sie hierher kommen und das Gebäude betreten würde, oder dieser Jemand hatte sie gesehen, wie sie das Gelände des Autokinos betrat, hatte diese Dinge für sie deponiert und war dann schnell verschwunden. Auf dem ganzen Gelände waren die Schatten der nahe gelegenen Bäume und der Überreste der riesigen Leinwände länger geworden. Der Nachmittag war schon weit
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fortgeschritten, in wenigen Stunden würde die Nacht hereinbrechen. Buffy lief wieder zu dem Polizeiauto zurück. Sie öffnete den Kofferraum und stellte erleichtert fest, dass er eine Tasche enthielt, die einem der Polizisten gehört hatte. In der Tasche war eine Baumwollhose, ein Sweatshirt und ein Paar sehr große Turnschuhe. Sie nahm den Inhalt der Tasche heraus und legte ihre Waffen hinein. Dann entdeckte sie noch eine kleine Box, die ein Leuchtsignal für unterwegs enthielt und steckte sie ebenfalls in die Tasche. Sie hängte sich die Tasche um die Schulter und marschierte los, nicht in Richtung Straße, sondern auf den kleinen Zaun mit der Metallkette auf der anderen Seite des Geländes zu. Mittlerweile hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Die Armbrust fühlte sich schon fast warm in ihrer Hand an. Sie sprang über den Zaun, um durch den Wald zu gehen, der zu einem Kraftwerk führte, von wo aus sie sich zum Hammersmith Park durchschlagen wollte, und schließlich würde sie durch die Gärten der Wohnhäuser die Innenstadt von Sunnydale erreichen. Halt dich von Straßen fern, sagte sie zu sich selbst.
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3 Hatte Buffy die Stille in El Suerte als surreal empfunden, so war das, was sie in Sunnydale zu sehen bekam, nur allzu real. Sie schlug sich durch Seitengässchen, kletterte über Feuerleitern und huschte durch die Schatten, um nicht gesehen zu werden. Sie war geschockt und entsetzt von dem, was sich ihren Augen bot. Ihre Stadt war so schrecklich zugerichtet, dass sie kaum wieder zu erkennen war. Die Straßen und die Parks waren verwüstet, zahlreiche Statuen lagen zerbrochen auf dem Boden. Sie kam an etlichen Häuserreihen vorbei, die vollkommen ausgebrannt waren und von denen nichts als ein verkohltes Gerüst übrig geblieben war. Es war eigenartig, dass manche Geschäfte anscheinend florierten, während andere geplündert worden waren und zerbrochene Fensterscheiben keinen Zweifel daran ließen, wie es im Inneren aussah. Dreimal betrat Buffy ein solches Geschäft, und das Ergebnis war jedes Mal dasselbe. Christabel’s Consignments, The Flower Cart und Quarryhouse Pizza. Jedes dieser Geschäfte war aufgebrochen, geplündert und vollkommen zerstört. Doch musste das vor langer Zeit geschehen sein, denn eine dicke Staubschicht, die keine Spur eines Fuß- oder Fingerabdrucks aufwies, lag über allem. In den Hinterräumen der Geschäfte hatte Buffy die sterblichen Überreste der Inhaber gefunden, die so verwest waren, dass sich nicht mehr feststellen ließ, woran oder wie sie gestorben waren. Sie konnte nur vermuten, dass die Vampire sie getötet hatten. Und die Besitzer der Geschäfte, die unversehrt geblieben waren, so glaubte Buffy, arbeiteten wahrscheinlich mit den Vampiren zusammen und bedienten diese und auch die Menschen, die noch in Sunnydale wohnten.
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Mit jeder Häuserzeile, an der sie vorbeiging, verschlechterte sich Buffys Laune. Fragen über das Schicksal ihrer Mutter und ihrer Freunde gingen ihr immer wieder durch den Kopf, aber sie versuchte, jetzt nicht daran zu denken. Zuerst musste sie sich ein Bild von der Situation machen, und erst danach konnte sie ihren Leuten helfen. Jemand war im Twin Drive-In, im Autokino, gewesen. Sie wussten, dass sie auf dem Weg nach Sunnydale war. Sie durfte auf keinen Fall nach Hause gehen, das war viel zu riskant. Die Zerstörung, die in vielen Teilen der Stadt stattgefunden hatte, machte sie nicht so zornig wie die Tatsache, dass einige Geschäfte und Häuser recht gut erhalten geblieben waren und ihre Besitzer ein angenehmes Leben führten. Downtown war verlassen, doch viele der Kneipen und Cafés dort waren noch hell erleuchtet. Neugierig betrat Buffy den Espresso Pump durch die Hintertür. Die Maschinen summten leise, die Kühlschränke funktionierten, und die roten Lämpchen auf den Kaffeemaschinen leuchteten. Buffy ging durch den abgedunkelten Laden auf die Eingangstür zu und betrachtete das Schild mit den Öffnungszeiten. Auf dem Schild standen nur drei Wörter: Nachts durchgehend geöffnet. Das warf allerdings nur weitere Fragen auf. Der Espresso Pump war also geöffnet, genauso wie die meisten anderen Bars, die sie gesehen hatte, viele Videotheken, ein paar kleine Supermärkte und das Sun Cinema. Wurden sie von Vampiren oder von Menschen betrieben? Gab es überhaupt noch Menschen? Auf ihrem Gang durch die Stadt waren ihr mehrere Polizeiautos aufgefallen, die langsam die menschenleeren Straßen entlanggefahren waren. Wahrscheinlich suchen sie nach mir, dachte sie. Aber da waren auch noch ein paar andere Fahrzeuge, unter anderem zwei graue Lieferwagen, die keine Rückfenster hatten und deren Windschutzscheiben abgedunkelt waren. 48
Ein solcher grauer Lieferwagen fuhr in diesem Moment langsam am Espresso Pump vorbei, Buffy trat schnell einen Schritt von der Tür zurück. Das Auto war sehr leise, so als würde es ohne Motor fahren. Das konnte natürlich nicht sein. Wahrscheinlich hatte sie nur deshalb nichts gehört, weil das Summen der Maschinen alle anderen Geräusche in dem Café übertönte. Aber unheimlich war es trotzdem. Auf der anderen Straßenseite hielt ein Auto direkt vor dem Kino. Buffy war etwas überrascht, als sie sah, wie ein abgezehrt aussehendes Pärchen mittleren Alters gemeinsam aus dem Auto stieg. Sie gingen um das Auto herum zum Kofferraum und nahmen drei große Filmdosen heraus. Buffy war ganz angewidert, als sie begriff, was da vor sich ging. Diese Leute waren Kollaborateure. Die Filme, die sie ins Kino brachten, waren Filme, die extra für die Vampire, die Sunnydale eingenommen hatten, vorgeführt werden sollten. Vielleicht haben sie keine andere Wahl, dachte Buffy. Doch sie wusste, dass sich jeder zumindest zur Flucht hätte entscheiden können. Sicherlich wollten einige von ihnen gar nicht mit den Vampiren zusammenarbeiten, aber ihre Angst war zu groß, lähmte sie und machte sie unfähig, sich zu wehren. Die Menschen, die in Sunnydale geblieben waren, hätten sich zusammenschließen und ihre Feinde töten können, oder sie hätten einfach bei Sonnenschein weglaufen können, was bestimmt auch einige getan hatten. Buffy wurde klar, dass sie sehr vorsichtig sein musste. Es spielte kaum eine Rolle, ob die Menschen, die noch hier waren, einfach nur Kollaborateure oder Angsthasen waren, sie würde niemandem vertrauen können. Die ganze Stadt war jetzt in den Händen der Monster, sie war zu einer riesigen Lagerstätte der Vampire geworden, der Kakchiquels, Camazotz’ Diener. Sie errichteten ein Königreich, ein Imperium und Sunnydale war die Hauptstadt.
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Ihr Gebiet ging mindestens bis El Suerte, vermutlich aber war es noch größer. Buffy brauchte Antworten. Als das Pärchen im Kino verschwunden war, verließ Buffy den Espresso Pump wieder durch die Hintertür. Sie schlich weiter vorsichtig durch die verborgenen Gässchen und Hintergärten von Sunnydale, die Tasche mit den Waffen über ihrer Schulter, und betrachtete aufmerksam ihre Umgebung. Sie musste jederzeit damit rechnen, beobachtet und angegriffen zu werden. Sogar den Menschen hier konnte man nicht trauen, das war ihr nun klar geworden. Sie kam nur langsam voran, weil sie von niemandem gesehen werden wollte. Nach zwanzig Minuten erreichte sie eine Straße, die parallel zu der Straße verlief, in der das Bronze war, und wo sich ein paar Lagerhäuser, Fabriken und Bürogebäude befanden. Auch dort gab es einige Kneipen, und vielleicht konnte sie, solange es noch hell war, sich jemanden schnappen und ihn aushorchen. Antworten. Sie hatte das Verlangen, sie von den Lippen eines lebendigen Menschen zu hören. Ihr Instinkt und die guten Erinnerungen, die sie an diesen Ort hatte, sagten ihr, dass es ein geeigneter Platz war, mit ihrer Suche zu beginnen. Wenn das nicht funktionierte, konnte sie es immer noch am College versuchen oder einfach in ein Haus einbrechen, das so aussah, als wäre es bewohnt. Ihr fiel ein, dass sie ihr erstes Geplänkel mit den Kakchiquels vor vielen Jahren in Docktown gehabt hatte, aber Docktown war zu weit entfernt, um zu Fuß dorthin zu gehen. Ihr blieben nur wenige Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit. Zu dieser Zeit wollte sie Sunnydale bereits verlassen haben, oder sie müsste ein sicheres Versteck finden, von wo aus sie agieren könnte. Doch wo war ein solches Versteck? Buffy zwängte sich an einer riesigen Mülltonne vorbei, die dicht an der Ziegelsteinmauer eines Lagerhauses stand. Fünf Meter über ihr an der Mauer war eine Eisenleiter, die auf das 50
Dach führte. Ohne zu zögern, hielt sie sich mit den Händen an der Mauer und der Mülltonne fest und zog sich hoch, dann drückte sie sich von der Wand weg, sprang auf die Mülltonne und musste auf dem wackeligen Deckel erst einmal das Gleichgewicht finden, bevor sie aus der Hocke schräg nach oben sprang und mit beiden Händen die unterste Stufe der Leiter packte. Sie kletterte auf das Dach und bewegte sich dort in geduckter Haltung fort, bis sie von der anderen Seite des Daches aus die Straße, in der das Bronze lag, und die Gasse neben dem Gebäude, auf dessen Dach sie sich jetzt befand, überblicken konnte. Doch zu Buffys Enttäuschung gab es nichts zu sehen, denn auf der Straße bewegte sich rein gar nichts. Eine einsame Bierflasche rollte, vom Wind angetrieben, scheppernd über den Bürgersteig. Das war das einzige Geräusch weit und breit. Ungefähr zehn Minuten lang saß Buffy auf dem Dach. Von dieser Höhe aus konnte sie gen Osten fast bis Docktown blicken, in Richtung Norden sah sie bis zum Kino in der Innenstadt, das in glühende Sonnenstrahlen getaucht war, und im Süden sah sie die Dächer der Häuser in den Wohnvierteln. Die ganze Stadt bot einen leblosen Anblick, als wäre sie von einem Vampir ausgesaugt worden. Man konnte die Gefahr fast riechen, die in dieser Stadt lauerte, und jeden Moment musste man damit rechnen, dass sie ihre orangeglühenden Augen öffnete, ihr abscheuliches, nach Blut dürstendes Maul aufriss und ihre messerscharfen Fangzähne entblößte. Buffy wurde unruhig und blickte in den Himmel, es wurde langsam dunkel, und auch die Schatten auf den Straßen wurden immer länger und länger. »Ich muss hier weg«, flüsterte sie. Noch im selben Augenblick hörte sie ein Auto, das langsam näher kam. Buffy duckte sich und spähte vorsichtig auf die Straße hinunter. Eine Sekunde später sah sie denselben grauen
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Lieferwagen wie vorhin oder zumindest einen, der genauso aussah, auf sie zukommen. Er hielt vor dem Bronze. Einen Moment lang passierte gar nichts, dann hupte der Fahrer zweimal, und die Beifahrertür öffnete sich. Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen lief es Buffy eiskalt über den Rücken, als sie die Person erblickte, die aus dem Wagen stieg. Sie konnte nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war, denn die Person steckte von Kopf bis Fuß in einem silbernen Strahlenschutzanzug. Über den Augen trug sie eine schwarze Schutzbrille. Nicht ein Zentimeter Haut war zu sehen. Ein Vampir, war ihr erster Gedanke, und nach ein paar Sekunden wusste sie, dass ihre erste Eingebung richtig gewesen war. Das Licht wurde von dem silbernen Anzug reflektiert, sodass sein Träger absolut sicher hinter dieser Schutzhülle war. Der Fahrer des Lieferwagens hupte noch einmal, woraufhin die Eingangstür des Bronze aufgestoßen wurde. Ein großer Mann mit schwarzen Haaren kam mit erhobenen Armen aus dem Club. »Ja, ja, ist ja gut! Kein Grund, sich aufzuregen!«, rief er. Der Vampir ging um den Lieferwagen herum und öffnete dort die hintere Tür. Buffy konnte nichts im Inneren des Lieferwagens erkennen. Dann drehte der Mann sich wieder zum Bronze um und rief hinein: »Los! Kommt schon, Kinder. Jeder ist mal an der Reihe.« Daraufhin kamen sechs junge Leute aus dem Club. Drei Männer und drei Frauen. Eine der jungen Frauen begann zu schluchzen und zögerte, gemeinsam mit den anderen in den Lieferwagen zu steigen. Der dunkelhaarige Mann ging zu ihr, berührte mit den Händen ihr Gesicht und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie ihn entsetzt anstarrte. Dann gehorchte sie, ging zu dem Lieferwagen und stieg ein. 52
Der Vampir stieg vorne ein und fuhr los. Der dunkelhaarige Mann starrte ihnen noch ein paar Sekunden hinterher. Dann verriegelte er die Eingangstür des Clubs von außen und ging auf ein fabrikneues MercedesCabriolet zu, das zwischen ein paar anderen Autos am Straßenrand stand. Er stieg ein und machte den Motor an. Dann lehnte er den Kopf zurück, betrachtete sich eine Weile im Spiegel und zupfte an seinen Haaren herum. Das war der Moment, in dem Buffy ihn wieder erkannte. »Oh mein Gott«, hauchte sie. – »Parker.« Das letzte Mal, als sie ihn getroffen hatte, war er ein Erstsemestler am College gewesen. Er hatte sie verführt und dann ausgenutzt. Später hatte er so getan, als hätte er sich völlig korrekt verhalten. Jetzt war er fünf Jahre älter, und Parker Abrams arbeitete nicht nur für die Vampire, er schien sich auch noch gut dabei zu fühlen. »Arschloch«, brummte sie wütend. Sie wich ein paar Meter vom Rand des Daches zurück, blieb stehen und rannte los. Sie ächzte vor Anstrengung und Wut, als sie über die schmale Gasse auf das gegenüberliegende Dach sprang. Der Abstand war doch größer, als sie gedacht hatte, und sie streckte ihren Körper wie bei einem Kopfsprung, erreichte das Dach des Bronze und rollte sich ab. Sie gönnte sich keine Pause, sprang auf die Beine, rannte über das Dach und beobachtete Parkers Auto. Parker fuhr ein Stück rückwärts und versuchte, seinen Wagen aus der Parklücke hinauszumanövrieren, aber er war von zwei Autos eingeparkt. Der Mercedes war direkt unter ihr. Buffy sprang über die Dachkante ab, ihre Haare wehten beim Fallen, und sie zog die Tasche hinter sich her wie einen Fallschirm, der sich nicht öffnete. Der Fall dauerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, aber Buffy kam es sehr langsam vor. 53
Parker hatte das Lenkrad wieder eingeschlagen, und als Buffy auf ihn stürzte, war er gerade dabei, langsam vorwärts zu fahren, bemüht, nicht die Stoßstange des Autos vor ihm zu berühren. Sie landete mit einem lauten Knall, sodass sie mit den Stiefeln die Motorhaube einbeulte. Ihre Zähne schlugen durch die Wucht des Aufpralls fest aufeinander, und ihre Knie zitterten. Parker war so geschockt und verängstigt, dass er kreischte und nicht verhindern konnte, dass die Stoßstange seines Mercedes leicht gegen das andere Auto stieß. Doch das bemerkte er nicht einmal. Er starrte sie nur an. »Was...«, murmelte er. »Wer zum...« Parker riss die Augen auf. Er hatte sie wieder erkannt. »Oh Gott. Du?!« Buffy richtete sich auf der verbeulten Motorhaube auf und hielt sich am oberen Rand der Windschutzscheibe des Cabriolets fest. Parker klammerte sich ans Lenkrad, schlug es, so weit er konnte, nach links ein und gab Gas. Er knallte wieder gegen die Stoßstange des vorderen Wagens. Buffy zog sich über den Rand der Windschutzscheibe hoch und rutschte auf den Beifahrersitz. »Nein!«, brüllte Parker. Buffy streckte ihre rechte Hand nach seinem Hals aus und drückte zu. »Halt an!« Parker trat auf die Bremse. »Buffy, bitte nicht!«, krächzte er heiser und schielte auf die Straße, ob ihm nicht jemand zu Hilfe kam. Buffy wurde übel bei dem Gedanken, dass er wahrscheinlich hoffte, die Vampire wären noch da und würden ihn vor ihr beschützen. »Du erinnerst dich an mich. Du weißt, wer ich bin. Weißt du auch, was ich bin?« 54
Halb erstickt brachte er ein keuchendes ›Ja‹ hervor. Er sah sie die ganze Zeit an, doch Buffy starrte zurück, bis Parker die Augen abwandte. Sie ließ seinen Hals los, und er fing sofort an, ihn jammernd zu massieren. Als sie dann ihre Tasche von der Schulter nahm und sich auf den Schoß legte, schreckte er zusammen. »Ich werde dir jetzt ein paar Fragen stellen. Du fährst. Wenn ich merke, dass du mich anlügst, breche ich dir das Genick. Irgendwelche Zweifel, dass ich es nicht ernst meine?«, fragte sie. Er zögerte. Dann lächelte er, als wäre er plötzlich erleichtert. Seine Augen hatten immer noch dieses gewisse Funkeln, das sie damals so fasziniert hatte. »Buffy«, sagte er freundlich. »Du brauchst mich nicht einzuschüchtern.« Ihre Nasenflügel zitterten, und sie drehte sich zu ihm um. »Du hast einmal meine Schwäche ausgenutzt, Parker. Aber das ist schon sehr lange her. Sehe ich jetzt noch wie das Mädchen von damals aus?« Er blickte sie verängstigt an und schüttelte dann den Kopf. »Ich habe es ernst gemeint, als ich gesagt habe, dass ich dir das Genick brechen würde«, versprach sie. »Also fahr einfach!« »Wohin?« Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie wusste nicht, wie groß das Gebiet war, das Camazotz unter seine Kontrolle gebracht hatte, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er es nicht geschafft haben konnte, eine Stadt von der Größe Los Angeles’ zu beherrschen. Wenn er das geschafft hätte, dann würden er und seine Kakchiquels mit Sicherheit nicht länger Sunnydale als ihr Basislager behalten. »Nach Süden«, erwiderte sie. Parker fuhr los. Ein Auto, das in die entgegengesetzte Richtung fuhr, kam an ihnen vorbei. Sie sah Parker an, um sicherzugehen, dass er 55
keinen Versuch machte, dem Fahrer, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiterer Kollaborateur in den Diensten der Vampire, ein Zeichen zu geben. Die Schatten wurden immer länger. Im Westen begann es bereits zu dämmern. Der Einbruch der Nacht stand unmittelbar bevor. »Schneller!«, wies Buffy ihn an. »Dein Wunsch ist mir Befehl.« »Ich schätze, diese Antwort ist dir in Leib und Seele übergegangen«, zischte sie. »Wie lange beherrschen sie schon Sunnydale?« »Sunnydale? Seit vier Jahren ungefähr. Es hat ganz langsam angefangen, mit ein paar Leuten, die hier und da verschwanden. Dann haben die Polizisten, die Professoren im College und der neue Bürgermeister auf einmal begonnen, sich seltsam zu verhalten. Der Unterricht wurde nachts abgehalten. Abendliche Pressekonferenzen wurden eingeführt. Und irgendwann waren es so viele, dass sie die ganze Stadt einnehmen konnten. Sie haben in einer einzigen Nacht zugeschlagen. Wintersonnenwende. Die längste Nacht des Jahres.« Buffy begann in dem Cabriolet zu frösteln. »Wie viele sind es?« Parker zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« »Meine Freunde. Meine Mutter. Was ist aus ihnen geworden?« »Ich kenne deine Mutter nicht. Und Willow oder diesen anderen Typen habe ich schon vor dieser Nacht nicht mehr gesehen.« Buffy schreckte zusammen. Es schmerzte sie, dass er nichts über sie gehört hatte. Sie musste unbedingt wissen, was aus ihren Freunden geworden war. Aber Parker konnte es nicht sagen. »Wie weit reicht ihr Einfluss?«
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»Sie haben einen neuen Gouverneur eingesetzt. Aber das ist nur der erste Schritt. Der König hat noch weitere Pläne für Kaliformen. Zunächst wird er die Beamten und weitere Regierungsangestelle austauschen, dann wird er eine Armee aufbauen, die so groß sein wird, dass er den gesamten Staat auf einmal einnehmen kann. Sie planen alles von hier aus. Sunnydale ist ihre Hauptbasis, und ihr Herrschaftsgebiet ist etwa dreißig Quadratmeilen groß. Er ist sehr schlau. Er lässt die anderen Städte zunächst in Ruhe. Überall sitzen Leute, die glauben, dass alles in Ordnung ist, die bemerken nicht einmal, dass die Vampire alles kontrollieren. Dummköpfe. Diese Blutegel vermehren sich wie die Fliegen. Es ist nur eine Frage der Zeit.« Sie erstarrte, während sie seinen Worten lauschte, gleichzeitig wurde sie sehr zornig. »Diese Leute, die du zu den Vampiren geführt hast, wer waren sie?« Parker schluckte so laut, dass sie es hören konnte. Er zuckte ein bisschen zusammen. »Sie sind... wie ich. Wir spielen mit, und es geht uns ganz gut dabei. Aber jeder von uns kommt mal an die Reihe, zu ihrer Lagerstätte gehen zu müssen. Sie... benutzen uns. Trinken uns, was sollten sie sonst von uns wollen. Nur eine Nacht. Dann lassen sie uns in Ruhe bis zum nächsten Mal.« Buffy wurde übel. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich übergeben. Sie schnäuzte sich die Nase. Dann erinnerte sie sich an etwas, was er gesagt hatte. »König.« »Was meinst du?« »Camazotz möchte jetzt mit ›König‹ angesprochen werden? War es ihm zu wenig, ›Gott der Fledermäuse‹ genannt zu werden?« Parker lachte und schüttelte den Kopf. »Du warst wirklich lange nicht mehr hier, Buffy, was?« 57
Buffy zog die Augenbrauen hoch. »Was zum Teufel soll das heißen?« Aber er gab keine Antwort. Die Sonne ging unter, der Himmel hatte bereits begonnen, sich in ein unregelmäßiges Purpurrot zu färben. Sie hatte nur noch wenige Minuten bis zum Einbruch der Nacht. Jetzt waren sie ein paar Meter von der Kreuzung der Royal Street entfernt, die parallel zu dem nördlichen Teil des Hammersmith Park verlief. Von dort aus war es nur eine Viertelmeile bis zu dem Haus ihrer Mutter. Der gelbe Scheinwerfer eines Autos war im Rückspiegel zu sehen. Parker fuhr langsamer. »Fahr weiter!« Aber er lächelte nur vor sich hin. Buffy drehte sich um und sah einen grauen Lieferwagen hinter ihnen, der sie fast eingeholt hatte. »Schneller!«, brüllte sie ihn an. Vor ihnen raste ein zweiter Lieferwagen auf die Kreuzung zu. Er hielt mit quietschenden Reifen an und blockierte die Fahrbahn. Der Lieferwagen hinter ihnen schwenkte nach links und verhinderte so, dass sie zu dieser Seite ausweichen konnten. Wütend rammte Buffy Parker den Ellenbogen in die Seite, dann schlug sie ihm auf den Kopf. Sie konnten weder vor noch zurück. Sie würde nun kämpfen müssen, sie griff nach ihrer Tasche und stellte sich auf den Sitz. Es war noch nicht richtig dunkel. Sie zog die Armbrust aus der Tasche und legte einen Bolzen auf die Kerbe, dann warf sie Parker einen Blick zu und sah, dass er schwer angeschlagen, aber bei Bewusstsein war. Er streckte eine Hand nach dem Lenkrad und die andere nach der Gangschaltung aus. Buffy schrie auf und trat ihm gegen den Kopf, woraufhin er vornüber auf das Lenkrad sank. Die Hupe ertönte unaufhörlich.
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Vor ihr kletterten vier Vampire in silbernen Anzügen aus dem Lieferwagen. Drei weitere tauchten aus dem Fahrzeug hinter ihr auf. Sieben. Sie hatte schon Schlimmeres überstanden. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Himmel sich immer mehr verdunkelte. Buffy hatte das Gefühl, dass tausend Augen sie aus den Fenstern der Häuser ringsherum anstarrten. Sie dachte an das Haus ihrer Mutter, so nah und doch im Augenblick unerreichbar, und sie versuchte, sich nicht vorzustellen, was sie wohl erwartete, wenn sie es wagen würde, dort hinein zu gehen. An der Ecke gab es ein Café, wo man Doughnuts bekam und wo sie und ihre Mutter hunderte Male gesessen hatten. Das vertraute Café schien Buffys Vorstellung von der Welt, so wie sie sein sollte, zu verhöhnen. Der neunzehn Jahre alte Geist, der zusammen mit seinem älteren Gegenstück in ihr wohnte, zog sich tiefer in sein Innerstes zurück. »Los jetzt!«, brüllte sie außer sich vor Zorn, bereit die Grundmauern dieser abscheulichen neuen Welt niederzureißen und die alte darauf wieder zu errichten, auch wenn sie es ganz allein tun musste. Die vier Vampire aus dem vorderen Lieferwagen kamen auf sie zu. Buffy lachte finster und schoss einen Bolzen mit ihrer Armbrust auf den Ersten. Er explodierte in seinem silbernen Schutzanzug zu einer Salve aus Staub, und der Anzug fiel zerknittert auf den Boden – eine leere Hülle. Buffy legte innerhalb von wenigen Sekunden einen weiteren Bolzen in die Armbrust ein. Dann entledigten sich die Vampire ihrer Schutzanzüge. Es war jetzt dunkel genug, und sie wollten anscheinend, dass Buffy sie ansah und feststellte, dass sie sich nicht vor ihr fürchteten. Sie konnte sie vielleicht töten, schienen sie ihr sagen zu wollen, aber sie befand sich auf feindlichem Gebiet, umzingelt, und sie würden nicht ihre einzigen Gegner sein. 59
Buffy schoss wieder mit der Armbrust, aber diesmal wich der Vampir, auf den sie zielte, rechtzeitig aus. Sie legte noch einen Bolzen ein und machte sich bereit, auf die Vampire zu zielen, die gerade dabei waren, ihre Schutzanzüge auszuziehen. Sie musste tief Luft holen, als sie zwei der Vampire wieder erkannte. Es war eine Frau mit grün gefärbten Haaren und einer Punk-Frisur, die sich grell, in Rot und Weiß, geschminkt hatte. Der andere Vampir war ein hässlicher Typ, der sie anscheinend ständig begleitete. Buffy kannte ihre richtigen Namen nicht, aber als sie ihnen vor Jahren zum ersten Mal begegnet war, hatte sie sie ClownGesicht und Bulldogge getauft. Sie wussten es, dachte sie. Sie wussten die ganze Zeit, wo ich war. Es konnte kein Zufall sein, dass von allen Vampiren in Sunnydale ausgerechnet die beiden sie gefunden hatten. Aus den Augenwinkeln nahm Buffy eine Bewegung hinter sich wahr. Sie war auf der Hut und ging in Verteidigungsstellung, dann wirbelte sie herum und sah, dass die drei anderen Vampire ebenfalls auf sie zukamen. Sie hatten sich bereits ihrer Schutzanzüge entledigt. Sie kannte sie alle. Die blonde, lebhafte Harmony war in ihrer Klasse in der High School gewesen. Die Untote winkte ihr beinahe schüchtern zu, ein süßes, dümmliches Grinsen lag auf ihrem Gesicht. Doch Harmonys Anwesenheit beunruhigte sie weniger. Es waren eher die anderen beiden, die Buffy zu Eis erstarren ließen und sie dazu veranlassten, laut zu fluchen. Spike und Drusilla. Willow saß in ihrem Schlafzimmer in einem Kreis aus weißen Kerzen, deren Licht einen gelblichen Schein an die Wand warf und unförmige Schatten erzeugte. Draußen war es dunkel, und der Himmel war so bewölkt, dass kein einziger Stern zu sehen war. 60
Sie schaffte es nicht, Lucy Hanover zu rufen. Seit mehr als einer Stunde probierte sie es vergeblich, es war, als hindere sie eine fremde Macht daran. Sie biss sich auf die Lippen und versuchte die Verzweiflung, die sie zu überwältigen drohte, abzuschütteln. »Lucy, bitte«, flüsterte Willow in Richtung der an der Wand flackernden Schatten. »Ich brauche deine Hilfe. Du bist die Einzige, die mir Antworten geben kann. Bitte.« Mit ihrem ganzen Herzen und ihrer ganzen Seele versuchte sie in die Dunkelheit einzudringen, in die spirituelle Ebene, in der sie sich mental schon mehrmals bewegt hatte. Etwas Kaltes berührte Willow am Rücken, und sie schreckte ängstlich zurück. »Lucy?« Auf einmal erloschen die Kerzen, Qualm stieg von ihnen auf, und die Dochte glühten im Dunkeln. Der Qualm schien sich zuerst in Ranken zu verwandeln, sich dann zu einem Spinnennetz zu verdichten, und schließlich begann sich ein schauriges schattenartiges Gesicht zu formen, ein knurrendes, gehörntes Ding, dessen Augen wie unendlich weite schwarze Löcher erschienen. »Neeeiiin...«, wimmerte dieses Wesen, und aus seiner Stimme sprach Schmerz und Furcht. Plötzlich fegte ein Wind durch das Zimmer, obwohl die Fenster geschlossen waren, und der Qualm verschwand. Willow zitterte, die Zimmertemperatur war beträchtlich gesunken. Sie kniff die Augen zusammen und suchte nach einem Anzeichen dieses bösartigen Wesens. Lucy war da, sie schwebte wenige Zentimeter über dem Boden. Ihre gespenstige Erscheinung erschien schemenhafter und undeutlicher als je zuvor, wie der Geist eines Geists. Willow flüsterte ihren Namen, und der Geist lächelte schwach. »Ich bin hier, Freundin Willow«, sagte Lucy leise, ihre Stimme zitterte. 61
»Was war das?« »Diese Kreatur war ein Seelenräuber. Ich konnte sie in die Flucht schlagen, aber sie hat meine Versuche, zu dir zu kommen, erschwert. Sie hat mich hier auf den Pfaden der Toten angegriffen, kurz bevor die Seherin der Jägerin die Zukunft gezeigt hat. Ich fürchte, das war kein Zufall.« Willow sank in sich zusammen und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Doch dann fasste sie sich wieder. Sie stand entschlossen auf und sah den Geist an. »Du musst mir dabei helfen herauszufinden, was hier vor sich geht«, sagte sie. »Seit jenem Abend verhält Buffy sich äußerst merkwürdig. Zuerst dachte ich, dass sie einfach nur alles allein machen will und auf niemanden angewiesen sein möchte, dass sie allein gegen Camazotz kämpfen und Giles befreien will.« Ihr Magen zog sich zusammen, sie zitterte. »Aber sie hat nichts getan, Lucy. Ich wohne hier. Ich sehe sie. Sie geht nur hin und wieder zu einem ihrer Kurse und blickt ständig über ihre Schulter, als würde jemand sie verfolgen, als wäre sie völlig paranoid geworden. Aber sie ist die Jägerin Sie wird zwar häufiger verfolgt und in Hinterhalte gelockt, wenn sie auf Patrouille geht, aber normalerweise herrscht doch tagsüber keine Gefahr für sie. Sie verhält sich sehr eigenartig, als wäre sie nicht sie selbst.« Willow verstummte, und ein Schauder lief ihr über den Rücken. Als sie wieder aufsah, bemerkte sie, wie der Geist der toten Jägerin sie bekümmert betrachtete und langsam durch das Zimmer schwirrte. »Lucy?« »Wo sind deine Freunde? Stimmen sie dir zu?« »Sie sind ganz meiner Meinung. Zwei Tage sind jetzt vergangen, und Buffy hat immer noch nichts getan, um Giles zu befreien, also müssen wir uns etwas überlegen. Oz versucht, das Schiff ausfindig zu machen, und Xander und Anya suchen 62
ein paar Waffen aus Giles’ Wohnung zusammen. Heute Nacht ziehen wir los, um ihn zu befreien, mit oder ohne Buffy.« »Ich werde euch beistehen und alles tun, was in meiner Macht steht«, erklärte Lucy. »Aber was ist mit Buffy? Deine Worte bestätigen den schlimmen Verdacht, den ich hege. Wir sollten sie suchen und auf die Probe stellen, dann werden wir sehen, ob mein Verdacht zutrifft. Ich rate euch, vorher keinen Versuch zu unternehmen, Giles zu befreien.« Willow zögerte. Ihre innere Stimme sagte ihr, dass es bereits zu spät war für Giles. Aber sie würde nicht auf sie hören. Sie war fest entschlossen, ihn zu finden und ihn lebendig wieder zurückzubringen. Das Letzte, was sie wollte, war, noch einen weiteren Tag abzuwarten. »Wir werden Giles morgen früh befreien«, sagte sie. »Aber ich weiß nicht, wie...« Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, die Tür öffnete sich, und Buffy trat ein. Willow stockte der Atem, sie sah, wie auch ihre Freundin erstarrte und sich ein eisiger Ausdruck in ihrem Gesicht breit machte. »Buffy«, flüsterte Willow. »Nein«, sagte Lucy Hanover, ihre Stimme klang wie Blätter, die im Wind rascheln. »Das ist nicht Buffy Summers.« Willow warf dem Geist einen Blick zu, dann sah sie Buffy an. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Buffy blickte die ehemalige Jägerin kühl an und verzog das Gesicht zu einem bösartigen Grinsen. Dieses Grinsen überzeugte Willow schließlich. »Oh mein Gott.« Buffy ging zu ihrem Bett, bückte sich und zog einen Seesack darunter hervor. Willow konnte nichts weiter, als sie ununterbrochen anstarren, sie war vor Schreck wie gelähmt. »Es ist die Seherin«, sagte Lucy. »Was immer sie auch ist, dieses Wesen hat sich Buffys Körper bemächtigt.«
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Die Jägerin zog die Schubladen auf und steckte ein paar Kleider in den Sack. »Es war ein Fehler von mir zu glauben, ich könnte hier bleiben. Aber es hatte so gut in meine Pläne gepasst, alles wäre so einfach gewesen.« Willow konnte sie nur weiterhin anstarren, als diese fremde Buffy den Reißverschluss der Tasche zuzog, aber als sie dann in Richtung Tür ging, erwachte Willow wieder zum Leben und stellte sich ihr in den Weg. Sie fürchtete sich und konnte es immer noch nicht glauben, aber ein ungeheurer und noch nie dagewesener Zorn stieg in ihr auf und verdrängte diese Gefühle. Sie schüttelte den Kopf und knirschte vor Wut mit den Zähnen. »Du wirst nicht gehen«, sagte sie. »Du wirst so lange hier bleiben, bis du Buffys Geist wieder zurück in ihren Körper bringst.« Ein grimmiger, wilder Ausdruck legte sich über Buffys Gesicht, und Willow fragte sich, warum es ihr noch nicht früher aufgefallen war, dass ihre beste Freundin sich so offensichtlich verändert hatte. Dieses Wesen war eindeutig nicht Buffy. »Verschwinde, du Hexe!« Willow sah Lucy an und hoffte, sie würde irgendetwas tun können, damit die Seherin wieder aus Buffys Körper verschwand. Doch der Geist schwebte im Zimmer umher, sie war nur eine gestaltlose Seele. Sie konnte nichts tun. Willow schluckte schwer und begann, mit ihren Fingern geheimnisvolle Symbole in die Luft zu schreiben. Ihre Lippen bewegten sich stumm, sie sprach in Gedanken einen Bann aus, der sie alle im Zimmer einschloss. Die Seherin lachte heiser und versetzte Willow einen so heftigen Schlag, dass sie rückwärts taumelte, gegen ihren Schreibtisch stürzte und dann auf den Boden sank. Sie war ganz benommen und konnte sich nur mit Mühe wieder aufrichten. 64
Die Tür stand weit offen, und die Seherin war weg. Buffy war weg. Und wenn Willow sie nicht einholte, würde sie nie herausfinden, was ihrer besten Freundin nun in Wirklichkeit zugestoßen war. Der Lärm war ohrenbetäubend. Parker hing bewusstlos über dem Lenkrad, sodass sein Körper auf die Hupe drückte, doch Buffy hatte keine Zeit, ihn zur Seite zu ziehen. Spike und Drusilla. »Nun sieh mal einer an, Dru, wen wir da haben«, sagte Spike lächelnd und stolzierte wie ein Hahn auf das Auto zu. Seine Haare waren länger geworden, zotteliger, er sah wilder aus. »Das ist doch die kleine Summers, nicht wahr? Ich dachte, sie wäre jetzt ein Haustier. Ein zahmes kleines Kätzchen.« Drusilla rollte mit den Augen, warf die Arme in die Luft und schürzte verächtlich die Lippen. »Oh, ich liebe Kätzchen. Du weißt doch noch, was wir mit Kätzchen immer tun, Spike?« In Spikes Augen funkelte Mordlust. »Oh, natürlich, Schätzchen. Klar weiß ich noch, was wir mit ihnen tun.« Harmony starrte Drusilla an. »Ihr vergreift euch an Kätzchen? Sag mir, dass das nicht wahr ist, Dru.« Dru tat so, als wäre sie schockiert. »Nur wenn ich hungrig bin. Ich bin doch kein Monster.« Buffy brauchte nur eine Sekunde, um ihre Situation richtig einzuschätzen. Diese drei waren hinter ihr, und drei weitere vor ihr. Parkers Mercedes war zu beiden Seiten zugeparkt. Sie waren sechs. Früher hatte sie sechs auf einen Schlag getötet. Sogar schon mehr als sechs. Aber nicht diese sechs. Harmony und der fremde Vampir würden kein Problem sein. Aber Buffy wusste aus Erfahrung, dass Clown-Gesicht und Bulldogge nicht so leicht zu erledigen waren. Spike und Drusilla waren ihr größtes Problem. 65
Ich bin noch nicht so weit, dachte sie. Jetzt noch nicht. Die Welt hatte sich verändert, und sie hatte ihren Platz darin noch nicht gefunden. Gleichzeitig wartete ihre alte Welt in der Vergangenheit auf sie, eine Welt... ein Zuhause... in dem sie dringend gebraucht wurde. Sie musste dorthin zurückkehren. Was hatte sie Faith vor so langer Zeit gelehrt? Die erste Regel einer Jägerin: Stirb nicht! In demselben Moment, in dem sie ihre Entscheidung traf, handelte sie. Sie drehte sich um und schoss einen Bolzen auf Spike. Er fing ihn in der Luft auf und sah sie an, als hätte sie seine Gefühle verletzt. Buffy beugte sich über den bewusstlosen Parker, der von der Hupe rutschte. Sie öffnete die Tür und zog ihn mit aller Kraft vom Sitz auf den Bürgersteig. Ihre Tasche und ihre Armbrust rutschte auf den Sitz, und sie nahm einen der Pflöcke, die sie sich besorgt hatte, aus der Tasche. Die Vampire sahen nur, dass sie anscheinend vorhatte zu fliehen, und stürmten auf das Auto zu. »Verdammt nochmal, Buffy! Ich habe dich nie für einen Feigling gehalten«, brüllte Spike sie an. »Ich bin wirklich enttäuscht.« Buffy legte den Rückwärtsgang ein und gab Vollgas. Spike und Drusilla hatten gelernt, schnell zu sein. Das war einer der Gründe, warum sie so lange am Leben geblieben waren. Sie trennten sich und stellten sich jeweils rechts und links vor das Auto, um es aufzuhalten. Harmony stand wie erstarrt mit offenem Mund hinter dem Auto, als wäre sie aus irgendeinem Grund beleidigt. Der Mercedes fuhr mit voller Kraft in sie hinein und quetschte sie gegen den Lieferwagen. Es gab einen entsetzlich Knall, und sie schrie so schrill und so laut, dass man glauben musste, ihr Hals würde jeden Moment in tausend Stücke gerissen werden. Buffy riss das Lenkrad nach rechts, da sie Parker nicht überfahren wollte, und als sie sich aus der Parklücke 66
hinausmanövriert hatte, gab sie Vollgas. Spike und Dru versuchten, das Auto aufzuhalten, aber es gelang ihnen nicht. Die Reifen des Mercedes hinterließen schwarze Schleifspuren auf dem Gehsteig, und das Auto schoss nach vorn, weg von den Vampiren. Harmony stürzte auf den Boden, ihr Oberkörper und die Beine waren nur noch durch Fleischfetzen und das zerbrochene Rückgrat miteinander verbunden. Ihr Oberkörper zuckte, als hätte sie einen epileptischen Anfall, doch ihre Beine bewegten sich nicht. Im Rückspiegel sah Buffy, dass Spike und Drusilla zu ihrem Lieferwagen rannten. Sie versuchte, an dem zweiten Lieferwagen vorbeizufahren, aber die drei anderen Vampire kamen auf sie zu. Buffy hob die Armbrust mit ihrer rechten Hand und zielte auf den Vampir, den sie nicht kannte. Sie schoss, als er auf ihr Auto zusprang. Der Bolzen traf ihn genau an der richtigen Stelle, und das Monster löste sich in Staub auf, aber seine orangeglühenden Augen funkelten bis zuletzt. Buffy warf die Armbrust, da sie keine Bolzen mehr hatte, auf den Rücksitz. Clown-Gesicht sprang im letzten Moment auf die Motorhaube des Mercedes. Bulldogge erwischte das Heck und schaffte es, durch das offene Dach auf den Rücksitz zu gelangen. Die Jägerin fluchte. Ihre rechte Hand griff nach dem Pfahl, der neben ihr lag. Sie trat, so fest sie konnte, auf die Bremse. Clown-Gesicht wurde in einem weiten Bogen von der Motorhaube geschleudert und landete auf dem Gehsteig. Bulldogge fiel auf den Beifahrersitz, und sein hässliches Gesicht knallte gegen das Armaturenbrett, doch er richtete sich wieder auf. Buffy bohrte den Pfahl in sein Herz, und er explodierte in einer Staubwolke. Die Sitze waren über und über mit seinen Überresten bedeckt. 67
Sie beschleunigte. Und gerade als Clown-Gesicht sich wieder aufrappelte, mähte Buffy sie nieder. Das Auto ruckelte, als sie die Vampirfrau überfuhr. Und dann war Buffy auf und davon. Weit weg. Spike und Drusilla nahmen die Verfolgung in ihrem Lieferwagen auf, aber sie hatten keine Chance, sie noch einzuholen. Der Mercedes war schneller. Clown-Gesicht war nicht tot. Das war Buffy klar. Aber drei von sechs war gar nicht so schlecht für jemand, der eigentlich nur fliehen wollte. Vielleicht hätte ich bleiben sollen, dachte sie. Aber sie verdrängte diesen Gedanken. Man musste Prioritäten setzen. Noch ein paar Kilometer, und dann würde sie eine Abfahrt nehmen, sodass sie für Spike und Drusilla außer Sicht wäre und sie fürs Erste los sein würde. Auf ihrer Fahrt durch die dunkle Nacht, die nur durch die Straßenlaternen erhellt wurde, hielt Buffy weiterhin Ausschau nach grauen Lieferwagen oder sonstigen möglichen Verfolgern. Sie war noch einmal davongekommen, aber sie war noch lange nicht frei. Nicht, bis sie das von Camazotz beherrschte Gebiet verlassen hatte. Doch Buffy hatte eine dumpfe Ahnung, dass das nicht so einfach sein würde.
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4 Die Häuser in der Redwood Lane erinnerten Buffy an das Haus, in dem sie gemeinsam mit ihrer Mutter während ihrer High-School-Zeit gelebt hatte. Traurig dachte sie an diese Zeit. Sie sah perfekt geschnittene Rasenflächen, ein paar Bäume – jedoch keine Buchen –, und in jeder Einfahrt stand ein Minivan oder ein Jeep. Sie hatte den Mercedes drei Blocks weiter abgestellt und schlenderte an den Häusern vorbei. Die Stille beunruhigte sie. Keine lauten Stimmen, keine Radios. Die wenigen Lampen, die im Inneren mancher Häuser brannten, waren durch die zugezogenen Gardinen oder Jalousien kaum zu sehen. Sie war jetzt sechs Meilen von der Innenstadt entfernt, und dennoch traute sich hier anscheinend niemand, auch nur laut zu atmen, um nicht die Aufmerksamkeit der Vampire auf sich zu ziehen. Sie blieb vor einem beeindruckenden Haus im spanischen Stil stehen und drückte sich mit dem Rücken an die Hauswand. Sie spähte durch das Fenster direkt neben ihr. Der Fernseher war eingeschaltet. In der Einfahrt stand ein Volvo Sedan, der erst drei oder vier Jahre alt sein durfte. Sie zögerte nicht lange. Sie schlich leise um das Haus herum, trat in den Innenhof und fand den Hintereingang. Die Tür bestand aus massivem Holz, nicht aus Glas. Das war gut. Es verursachte weniger Lärm. Buffy trat die Tür auf, sodass die drei Riegel aus dem Holzrahmen rissen. Es krachte laut und hallte weit in die Nacht. Sie hoffte nur, dass es niemand gehört hatte. Aber die Menschen hatten sich alle in ihren Häusern angeschlossen und hörten kaum, was draußen vor sich ging. »Oh Gott, nein!«, schrie jemand im Haus.
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Buffy lief durch die Küche ins Wohnzimmer, wo ein verängstigtes Pärchen mittleren Alters in einer Ecke neben dem Fernseher kauerte. »Wir... wir haben Sie nicht eingeladen!«, rief der Mann voller Panik. Sie hielten sie für einen Vampir. »Nein«, sagte Buffy, hob die Arme über den Kopf und ging auf sie zu. »Bleiben Sie einfach ruhig sitzen, ich werde Ihnen nichts tun. Ich schwöre es. Wenn Sie mir helfen, dann helfe ich Ihnen bei Ihrer Flucht.« Sie starrten sie an, als ob sie verrückt wäre. »Wo ist das Telefon?« »Was meinen Sie mit Flucht? Sie werden doch nicht wirklich versuchen, von hier zu fliehen, oder?«, meinte die Frau geschockt. »Möchten Sie etwa hier bleiben?«, fragte Buffy. »Wo ist das Telefon?« »An der Wand in der Küche«, entgegnete der Mann. »Sie müssen gerade daran vorbeigekommen sein. Aber sprechen Sie mit niemanden von einer Flucht am Telefon. Sie werden es hören. Sie werden glauben, dass wir etwas damit zu tun haben.« Buffy war bereits auf dem Weg zur Küche, aber sie blieb stehen, als sie die Worte des Mannes hörte. Sie drehte sich um und sah ihn an. »Was meinen Sie damit, ›sie werden es hören‹?« »Sie hören alles ab«, antwortete die Frau. Buffy seufzte und schüttelte den Kopf. »Natürlich tun sie das. Sie kontrollieren schließlich alles, oder? Und doch sind auch sie nicht in der Lage, jedes Telefon im Umkreis vierundzwanzig Stunden am Tag abzuhören. Sie versuchen nur, Ihnen Angst einzujagen. Es spielt sowieso keine Rolle. Wir sind längst verschwunden, bevor einer von ihnen hier sein
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wird.« Sie ging auf sie zu und sah sie an. »Ich bin Buffy. Wie heißen Sie?« Das Paar tauschte verängstigte Blicke aus. Zuerst stand die Frau auf, dann der Mann, sie wichen beide vor Buffy zurück. »Ich heiße Nadine Ross. Und das ist mein Mann Andrew.« »Freut mich, Sie kennen zu lernen. Tut mir Leid wegen der Tür. Kommen Sie mit in die Küche.« Buffy ging voran, und die Rosses folgten ihr. »Setzen Sie sich«, sagte sie und zeigte auf die Stühle am Küchentisch. Sie gingen zu den Stühlen, blieben aber trotzdem stehen und beobachteten ängstlich, wie sie den Hörer abhob. Das Telefon klickte seltsam, bevor das Freizeichen ertönte. Buffy starrte es eine Sekunde lang an. Die Telefonnummern, die sie auswendig kannte, würden ihr wahrscheinlich nichts mehr nutzen. Sie hatten sich vermutlich längst geändert. Die Telefonnummer ihrer Mutter und die ihrer Freunde in Sunnydale. Aber sie kannte noch zwei weitere Nummern, eine davon hatte sie nur wenige Male gewählt, die andere noch nie, aber sie hatte sie trotzdem beide im Kopf. Die erste Nummer war eine aus Los Angeles. Es war Angels Nummer. Buffy hielt die Luft an, wählte, doch die Nummer existierte nicht mehr. Sie schloss die Augen und presste den Hörer gegen die Stirn. Wo bist du, Angel?, dachte sie. »Bitte«, flüsterte die Frau hinter ihr. Buffy ignorierte sie und wählte die Nummer der Auskunft in Los Angeles. Sie fragte nach der Telefonnummer von Angel Investigations, aber der Telefonist gab ihr zur Antwort, dass unter diesem Namen keine Nummer eingetragen war. Wesley Wyndam-Pryce? Wieder kein Eintrag. Cordelia Chase? Geheimnummer. Diese winzige Information gab ihr einen winzigen Funken Hoffnung, so niedergeschmettert sie auch war. Buffy hatte zwar keine Telefonnummer herausgefunden, aber zumindest 71
wusste sie, dass Cordelia ein Telefon besaß. Ein Mensch in dieser schrecklichen Welt, den sie kannte, ein Mensch, der noch lebte. Buffy drückte den Knopf, um die Verbindung zu unterbrechen, und wartete auf das Freizeichen. Sie kannte nur noch eine andere Nummer, die sie anrufen konnte. Es war eine lange Nummer. Vielleicht hatte sie sich inzwischen geändert. Da sie die Nummer nur auswendig gelernt, aber nie gewählt hatte, fürchtete sie, dass sie falsch war. Ihr Herz raste, als sie die Telefonnummer wählte. Sie spürte, wie das Ehepaar, in dessen Haus sie eingedrungen war, sie beobachtete. Sie fühlte sich unbehaglich unter ihrem verängstigten, anklagenden Blick. Irgendwo auf der anderen Seite des Atlantiks klingelte jetzt ein Telefon. Buffy zitterte, als sie das leise Tuten vernahm. Dann hob jemand den Hörer ab. »Ja?« Es war die Stimme eines Engländers. Buffy hatte sich noch nie zuvor so gefreut, einen Engländer sprechen zu hören. »Hier ist Buffy Summers.« Der andere schwieg, dann holte er tief Luft. »Das ist überhaupt nicht witzig. Wer ist da?« »Wer zum Teufel sind Sie?«, brüllte sie wütend und zugleich enttäuscht. »Geben Sie mir Quentin Travers.« Wieder eine Pause. »Um Gottes Willen, Sie sind es wirklich, oder? Mein Name ist Alan Fontaine, Miss Summers. Quentin Travers ist tot. Wo sind Sie?« »Hinter den feindlichen Linien und auf dem Weg in den Süden«, sagte sie. »Können Sie mir helfen?« »Warten Sie kurz!« Sie hörte gedämpfte Geräusche und vermutete, dass er die Hand auf den Hörer hielt. Sie konnte undeutlich ein paar Stimmen hören, und einen Augenblick später war Fontaine wieder am Telefon. 72
»Kennen Sie das Donatello’s? Ein italienisches Restaurant direkt am Freeway 109?« Buffy überlegte kurz, sie erinnerte sich vage an das Restaurant. »Ja, ich denke schon.« »Das ist die Grenze. Wir werden dort eine Sondertruppe für Sie bereitstellen. In einer Stunde.« In einer Stunde, dachte Buffy. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. In nur einer Stunde würde sie damit beginnen können, diese verrückte, aus den Fugen geratene Welt besser zu verstehen und Pläne zu machen, sie von dieser Brut zu befreien. »Wenn ich nicht da bin, heißt das, dass ich tot bin«, antwortete sie. »Oh, und dann gibt es noch etwas. Diese Leitung wird abgehört. Es könnte sein, dass an der vereinbarten Stelle ein paar Leute sind, die mich und Ihre Truppe willkommen heißen.« »In einer Stunde«, wiederholte Fontaine. »Und, Buffy?« »Ja?« »Ich freue mich, dass Sie am Leben sind.« Er legte auf, und bevor sie dasselbe tat, hörte sie eine Reihe von rasch aufeinander folgenden klickenden Geräuschen am anderen Ende der Leitung. Sie wusste, dass die Vampire unmöglich alle Telefongespräche gleichzeitig abhören konnten, aber eine schreckliche Gewissheit sagte ihr, dass sie zumindest den letzten Teil dieses Gesprächs mitgehört hatten. Eine Stunde. Sie hängte den Hörer auf die Gabel und wandte sich an die Rosses. Diese zuckten zusammen und wandten den Blick ab. »Die Schlüssel für den Volvo! Jetzt!« Andrew Ross schwankte ein wenig, als er sie ansah, und er wurde rot im Gesicht. »Einen Augenblick, verdammt noch mal! Kann durchaus sein, dass du mir Angst einjagst, immerhin hast du die Tür eingeschlagen, die mit drei Riegeln gesichert
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war. Trotzdem bekommst du von mir nicht einfach meinen Autoschlüssel.« »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, fragte Buffy amüsiert. »Ich werde Sie beide doch nicht allein hier zurücklassen. Sie werden mich begleiten.« »Sie werden uns töten«, zischte Nadine entrüstet. Andrew verschränkte die Arme. »Wir werden nirgendwo hingehen.« Buffy sah sie verdutzt an. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »In Ordnung, ich werde Sie nicht dazu zwingen, mit mir zu kommen. Ich habe wirklich keine Lust, mich mit Leuten zu streiten, denen ich nur helfen will. Und vielleicht haben Sie ja auch Recht, vielleicht sind Sie hier wirklich sicherer, bis dieser ganze Albtraum vorbei ist. Aber ich brauche Ihr Auto, und ich werde es mir nehmen. Die Schlüssel, jetzt.« »Sie werden... sie werden denken, dass wir Ihnen geholfen haben«, stammelte Andrew. Buffy seufzte, lief dann auf Andrew zu und blieb vor ihm stehen. Sie verpasste ihm ein hübsches Veilchen, das sein Gesicht eine Weile verunzieren würde. Andrew ächzte, als er sich wieder vorn Linoleumboden aufrappelte. Nadine starrte beide an. »Jetzt werden Sie nicht mehr denken, dass Sie mir aus freien Stücken geholfen haben. Ich habe leider keine Zeit, Höflichkeiten auszutauschen. Geben Sie mir den Schlüssel.« Nadine eilte durch die Küche, griff nach ihrem Portemonnaie, durchwühlte es und zog schließlich einen Schlüssel hervor. Sie reichte ihn Buffy. »Ich werde zurückkommen«, sagte Buffy. Das Ehepaar sah sie entgeistert an. Nadine hielt immer noch ihr Portemonnaie ausgestreckt vor sich, und Andrew saß auf dem Boden und hatte eine Hand auf sein geschwollenes Gesicht gelegt. »Was ist nur los mit euch? Ich will doch nur helfen.« 74
»Niemand kann helfen«, flüsterte Nadine. »War das gerade etwa ein Beweis Ihrer Hilfe?«, fuhr Andrew sie an. »Zur Hölle mit Ihnen!« »Wir sind bereits in der Hölle«, meinte Buffy grimmig. »Und ich bin schon zu lange hier. Ich haue ab.« Sie ging zur Tür hinaus und stieg in den Volvo. Als sie losfuhr, versuchte sie nicht mehr über die Rosses und die Angst, die diese von einer Flucht abhielt, nachzudenken. Ihr Ziel, das Donatello’s, war neun Meilen entfernt. Wenn die Vampire die Leitung abgehört hatten, kannten sie Buffys Ziel. Ihre einzigen Vorteile im Moment waren, dass sie nicht wussten, welches Auto sie fuhr und dass sie sich sehr gut auskannte. Es gab ein halbes Dutzend verschiedene Wege, um dorthin zu gelangen. Die Schwierigkeit lag nur darin, einen Weg auszuwählen, der den Vampiren unbekannt war. Nach seinem High-School-Abschluss war Xander Harris in die Kellerwohnung seiner Eltern gezogen und hatte sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, nicht weil er nichts anderes konnte, sondern weil es ihm schwer fiel, sich für einen richtigen Job zu entscheiden. Er hatte absolut keine Ahnung, was er als Nächstes tun sollte. Er wusste nur, dass er auf keinen Fall mehr in einem Klassenzimmer sitzen wollte. Seine jetzige Unterkunft entsprach natürlich nicht seiner Idealvorstellung von einer Wohnung. Das Apartment war winzig und feucht, und seine Ruhe hatte er auch nie, da sich seine Eltern eine Etage höher ständig stritten. Aber alles in allem war es noch ganz in Ordnung. Er war sich sicher, dass das Leben mehr für ihn bereithielt. Es war nur so, dass es ihm einfach nicht gelang herauszufinden, was genau das sein könnte. Wenn er darüber nachdachte, bekam er Kopfschmerzen, aber sobald er erst einmal damit angefangen hatte, konnte er keinen anderen 75
Gedanken mehr fassen. Das ist Ironie, schoss es ihm durch den Kopf. Seine Freundin lag nackt unter der Decke zusammengerollt, sie döste, hatte ihren Kopf auf seinen Schoß gebettet und ein Bein um seinen Körper geschlungen. »Mmm«, machte Anya. Xander seufzte. Neben die allgemeine Unzufriedenheit mit seinem momentanen Leben gesellte sich zu allem Überdruss auch noch die Tatsache, dass Buffy, trotz ihres Versprechens, Giles zu retten, noch nichts getan hatte, um ihn aus Camazotz’ Gefangenschaft zu befreien, und Xander konnte sich vor lauter Sorgen kaum auf Anya konzentrieren. Buffy verhielt sich so merkwürdig, dass sie heute Abend ohne sie losziehen wollten, um Giles zu befreien. Er und Anya hatten sogar einen guten alten Hausfriedensbruch begangen, um sich ein paar Waffen von dem ehemaligen Wächter zu borgen. Das ist nicht fair, dachte er trotzig. Die Augen fielen ihm zu. Anya kuschelte sich ein bisschen näher an ihn, und Xander fühlte, wie er sich zumindest ansatzweise entspannte. Willow und Oz würden irgendwann in der nächsten Stunde kommen, aber Schlaf schien ihm im Moment der einzige Ausweg aus seinem verwirrten Geisteszustand zu sein. Plötzlich klopfte es an der Tür. Er schlug die Augen auf, starrte eine Minute lang an die Decke und fragte sich, ob er vielleicht nur geträumt hatte, dass es geklopft hatte. Anya hatte sich nicht gerührt. Dann klopfte es wieder an der Tür, die in den Garten hinter dem Haus führte, die Tür, an die nur die Leute klopften, die ihn besuchen wollten. Willow kam früh. Anya wälzte sich im Bett, gähnte und blinzelte mit einem Auge. »Sag ihnen, sie sollen wieder verschwinden, sonst wünsche ich ihnen die Pest an den Hals.« Xander lächelte sie unsicher an. »Du bist kein Dämon mehr, Süße, schon vergessen?« 76
Sie seufzte. »Manchmal wünschte ich...« Aber Anya führte ihren Gedanken nicht zu Ende. Xander kletterte aus dem Bett, schlüpfte in eine Hose und in ein TShirt und ging zur Tür. Er öffnete sie einen Spalt, und Willow stürmte hinein. Sie hatte einen riesigen roten Striemen im Gesicht und einen irren Blick in den Augen. »Xander, wir müssen Buffy finden. Weißt du, das ist nicht Buffy. Ich glaube, sie hat vor, die Stadt zu verlassen, und wir müssen sie unbedingt aufhalten.« Oz folgte ihr mit etwas Abstand. Xander starrte erst Willow an, dann Oz. »Hallo«, sagte Xander. »Hallo.« »Was bedeutet dieser Kram mit ›nicht-Buffy‹?« Oz nickte. »Sie ist besessen. Irgendein Wesen hat von ihrem Körper Besitz ergriffen, schätze ich.« Anya setzte sich im Bett auf, zog die Decke bis zum Hals hoch und starrte sie alle unfreundlich an. »Ihr seid ziemlich früh.« Willow erwiderte ihren Blick, verdrehte die Augen und sah wieder Xander an. »Macht schon! Zieht euch an! Wir können das nicht zulassen. Wenn Buffy – oder das Wesen, das von ihrem Körper Besitz ergriffen hat – uns durch die Lappen geht, werden wir unsere Freundin nie wiedersehen.« »Ist ja schon gut, wir beeilen uns ja. Aber was ist mit Giles? Ich meine, ich bin nicht unbedingt scharf darauf, in die Lagerstätte eines Fledermaus-Gottes einzudringen und es mit tausend Vampiren aufzunehmen, aber irgendjemand muss ihn schließlich da rausholen, oder?« Oz runzelte die Stirn. »Tausend Vampire?« Willow richtete ihre Augen wieder auf Xander, normalerweise nahm sie ihm seine Scherze übel, aber jetzt sprachen nur noch Angst und Hoffnungslosigkeit aus seinen Augen. 77
»Soll ich euch mal was sagen? Ich habe die ganze Zeit über gehofft, dass unser Plan, Giles zu befreien, Buffy irgendwann wachrütteln würde und sie schließlich ein schlechtes Gewissen bekommen und ihn selbst befreien würde. Aber das können wir im Augenblick ja wohl vergessen. Ich möchte jetzt nicht mal an Giles denken, Xander. Ich kann nicht. Wenn ich es doch tue, denke ich nur, dass er wahrscheinlich schon tot ist, und ich kann mit dieser Trauer nicht umgehen. Es würde mich lähmen, und ich könnte gar nichts mehr tun, verstehst du?« Buffy und Giles waren außer Gefecht gesetzt, und es war, als ob Willow nun ihre Stelle eingenommen hätte. Sie nahm die alleinige Verantwortung auf sich, und Xander staunte über sich selbst, dass er damit vollkommen einverstanden war. »Armer Giles«, sagte Anya. »Buffy ist schuld daran. Wenn sie nicht so arrogant und engstirnig...« »Wenn Giles noch lebt, dann müssen wir beten, dass er morgen auch noch am Leben ist«, schnitt Willow ihr das Wort ab. »Wer auch immer dieses Wesen ist, das Buffys Gestalt angenommen hat, Lucy Hanover verfolgt es. Verfolgt... sie. Und wir werden jetzt Folgendes tun: Wir müssen einen Weg finden, wie wir dieses Wesen wieder aus Buffys Körper vertreiben können. Vielleicht kannst du und Oz sie so lange festhalten, bis ich einen Bann über sie gesprochen habe, aber – « Xander hob die Hand. »Moment mal«, unterbrach er sie. »Ein böser Geist hat Buffys Gestalt angenommen und hat jetzt die Gewalt über ihren Jägerinnen-Körper, und wir sollen sie festhalten?« Willow warf ihm einen müden Blick zu. »Ich wollte nur wissen, ob ich das richtig verstanden habe«, fügte Xander leise hinzu. »Und meine Ohren mir keinen Streich gespielt haben.«
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Auf ihrer Fahrt in den Süden kam Buffy an Citrus Beach vorbei, ein kleines Nest, das im Prinzip nur aus einer einzigen Straße mit Cafés und Geschäften bestand und das ausschließlich von den etwas Wohlhabenderen und ihren Parasiten besucht wurde. In dieser Hinsicht hatte sich dort nichts geändert. Sie fuhr die Hauptstraße, die durch den Ort führte, langsam entlang und spähte aus dem Fenster. Das Nachtleben war in vollem Gange, die Gehsteige waren voll mit Horden betrunkener Kakchiquels, und ihre schwarzen Tätowierungen waren durch das Scheinwerferlicht gut zu erkennen. Sie saßen vor den Lokalen an Tischen und speisten. Die Kellner waren natürlich Menschen, und vielen von ihnen war ihre Furcht deutlich anzusehen, sie waren zum Teil wie gelähmt vor Angst. Die Vampire bevölkerten die Straßen in Massen, wie die Feiernden an Mardi Gras, und johlten den vorbeifahrenden Autos zu. Doch es gab nicht nur Vampire. Zu jedem Grüppchen Untoter gehörten ein paar Männer und Frauen, die sich bei den Kakchiquels beliebt machen wollten oder sie wie gehorsame Schoßhündchen demütig anblickten. Buffy sah sogar einen Mann, der angeleint war. Seine Haare waren abrasiert, er steckte in zerrissenen Jeans, und grelle, obszöne Tattoos, die er vermutlich seinen Herren verdankte, bedeckten seine Haut. In dieser Masse erblickte sie auch ein paar Dämonen. Ich sollte anhalten, dachte sie. Diese Leute... Doch dann besann sie sich wieder. Erste Regel der Jägerin. Buffy griff fester um das Lenkrad, ihre Finger wurden ganz weiß, als sie beschleunigte und weiterfuhr. Einige Kakchiquels riefen ihr etwas zu, und scheußliche Vampirgesichter drückten sich an die Scheiben des Wagens. Diese Vampire feierten, wollten auf sich aufmerksam machen und angeben. Buffy musste an die Vertreter dieser Spezies denken, gegen die sie gekämpft hatte, an die finsteren, stillen, tödlichen Killer. Diese 79
hier verhielten sich vollkommen anders, und sie hätte gern den Grund für ihre Andersartigkeit gewusst. Fragen. Es gab zu viele Fragen. Zwei blonde Vampirfrauen überquerten die Straße vor ihr, gekleidet in enge, rote Lederhosen und passende Oberteile. Sie hatten in ihren Blicken und in der Art, wie sie sich bewegten etwas Provozierendes und Bedrohliches an sich. Buffy wich ihnen aus. Sie blickte in den Rückspiegel und sah, wie eine der beiden ihr etwas hinterherrief, doch sie machten keine Anstalten, sie zu verfolgen. Trotzdem behielt Buffy ihr Tempo bei. Sie war nun mehr denn je entschlossen, Sunnydale, Citrus Beach und die Kakchiquels so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Die Lichter der Stadt fielen auf ihr Gesicht, doch schon bald war sie nur noch von Dunkelheit umgeben. Die Straße führte nach Süden und fort von Citrus Beach. Ich werde zurückkommen, dachte sie, und sie schwor sich, jeden einzelnen Menschen dort zu rächen. Es dauerte nicht lange, und Buffy erreichte den Freeway 109, aber sie wagte nicht, diesen Weg zu nehmen. Sie fürchtete, dass die Kakchiquels dort irgendwo im Hinterhalt lauerten und nur auf sie warteten. Stattdessen sprach sie ein kurzes Gebet und bog links in eine Nebenstraße ein, die in einem Abstand von einer Viertelmeile parallel zum Freeway verlief und sie hoffentlich auch zu ihrem Ziel bringen würde. Die nächsten Minuten fuhr sie in absoluter Stille, sie hatte sogar das Radio ausgeschaltet. Die vereinzelten Häuser und Tankstellen, die zuvor von der Straße aus zu sehen gewesen waren, wurden nun durch Bäume zu beiden Seiten der Straße ersetzt. Die Bäume verdichteten sich bald zu einem Wald, und die Straße führte auf eine kleine Anhöhe. Buffy wurde unruhig. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sich an dieser Straße ein Wald befunden hatte, und sie konnte es sich nicht leisten, die Orientierung zu verlieren. 80
Fahr weiter, sprach sie zu sich selbst. Einfach nur weg von hier. Noch ein paar Meilen. Der Volvo hatte die Spitze der Anhöhe erreicht. Hinter einer Kurve ging es wieder bergab. Mitten im Wald standen ein paar Häuser, in denen Licht brannte. Sie war noch innerhalb des Gebietes der Vampire, aber diese Lichter machten ihr dennoch Hoffnung. Die Scheinwerfer warfen ihr Licht auf die Bäume, kurze Zeit später hatte sie den Wald passiert, und es wurde wieder flacher. Ganz weit vorn in der Dunkelheit standen drei Autos mitten auf der Straße, und es war unmöglich, an ihnen vorbeizukommen. »Verdammt!«, flüsterte Buffy in die Stille. Instinktiv suchte sie nach dem Schalter, um die Scheinwerfer auszuschalten, aber sie tat es doch nicht. Es war bereits zu spät. Sie hatten mit Sicherheit nach ihr Ausschau gehalten und sie längst entdeckt, bevor Buffy sie entdeckt hatte. Ihre Gedanken überschlugen sich. Die Kakchiquels mussten auf jeder erdenklichen Straße, die Richtung Süden führte, Absperrungen errichtet haben. Buffy war nur noch ein paar Meilen von dem Restaurant, wo sie diese Sondertruppe treffen sollte, entfernt. Sie nahm ihren Fuß von der Bremse und wusste selbst kaum, was sie tat, als sie das Gaspedal bis zum Anschlag durchtrat. Ihr Gurt blockierte und drückte sich in ihr Fleisch, ihre Hände umklammerten das Lenkrad, und sie steuerte ihren Wagen genau auf die Autos zu, die sich mitten auf der Straße gegenüberstanden. Stirb nicht!, rief ihre innere Stimme ihr panisch zu. Ich versuch’s, gab sie sich selbst zur Antwort. Die Vampire, die sich hinter den Autos aufhielten, liefen davon. Die Autotüren wurden aufgestoßen, und weitere Vampire sprangen heraus. Aus dem Waldstück hinter der Absperrung tauchten noch mehr Blutsauger auf, sie kamen langsam in Richtung Straße. Buffys Finger krallten sich am 81
Lenkrad fest. Die Scheinwerfer schienen plötzlich heller zu werden, und jeder Einzelne von ihnen wurde angestrahlt. Sie drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch, und der Motor heulte auf. Buffy grinste. Sie hatte mehr als sechzig Meilen drauf, als der Volvo in die Autos krachte. Buffy wurde nach vorn geschleudert, aber der Gurt verhinderte, dass ihr Körper durch die Windschutzscheibe flog, doch dabei zerquetschte er sie fast und brach ihr eine Rippe. Dann ging der Airbag auf und donnerte ihr ins Gesicht, sie wurde wieder nach hinten in den Sitz gedrückt. Der Lärm war ohrenbetäubend, ein schrilles Kreischen von Metall, das Zersplittern von Glas und der Krach des Aufpralls, der die beiden Autos, die der Volvo gerammt hatte, wegschleuderte. Mindestens ein Vampir wurde zerquetscht. Die Stoßstange des Volvos war eingedrückt, zerkratzt, das Metall war verbogen und schlitzte den Reifen auf, der schließlich platzte, das Auto schlitterte zur Seite weg, und die Reifen drehten durch. Der Volvo rollte auf die Bäume zu, Buffy schlug mit dem Kopf gegen die Scheibe, und für einen Augenblick war sie bewusstlos. Ihre Augenlider flatterten und öffneten sich, und sie hörte, wie die verletzten Vampire vor Wut und Schmerz brüllten. Ihre Rippen taten höllisch weh, und ihre Schläfen hämmerten, als hätte jemand Nägel in sie gebohrt. Sie kniff die Augen zusammen und wischte sich mit der Hand das Blut weg. Das Auto war überraschenderweise zum Stehen gekommen. Der Airbag drückte Buffy immer noch gegen den Sitz, sie brach ein scharfes Stück Glas aus der zerschmetterten Fensterscheibe und brachte ihn damit zum Platzen. Sie schaute aus dem kaputten Fenster und sah, wie die Vampire sich vor den ramponierten Überresten ihrer Autos sammelten, die sie als Absperrung benutzt hatten. Es war nur noch ein einziger Blechhaufen. Die Scheinwerfer des äußeren 82
Autos verbreiteten ein schmieriges Licht, da das Benzin der beiden Autowracks auf sie sickerte. Die Kakchiquels waren wie gelähmt vor Schock, als wüssten sie nicht, was sie als Nächstes tun sollten. Dann sah Buffy, wie sich eine blasse, dunkelhaarige Kreatur in ihrer Mitte erhob. Sie trug einen Umhang, dessen zarter Stoff im Wind flatterte. Drusilla. Sie war nur etwa zehn Meter von ihr entfernt. Die anderen waren noch benommen, aber gleich würden sie zu ihr kommen, ihr Auto umkreisen und sie herausziehen. Sie waren mindestens zu zwölft. Wenn sie nicht schnell etwas unternahm, war sie verloren, denn sie waren eindeutig in der Überzahl. Ihre Brust schmerzte mit jedem Atemzug, aber Buffy versuchte, den Schmerz zu ignorieren. Die Rufe der Vampire hallten ihr noch in den Ohren, und das Furcht erregende Bild von Drusilla, die sich aus dem Wrack erhob, brannte sich in ihr Gedächtnis ein. Buffy öffnete den Gurt und griff nach ihrer Tasche. Dann versuchte sie, die Tür zu öffnen. Sie war von dem Aufprall so verzogen, dass Buffy durch die kaputte Fensterscheibe nach draußen klettern musste, kleine scharfe Glassplitter stachen ihr in die Beine. Die Wunde, die August ihr beigebracht hatte, als sie vor einigen Stunden gegeneinander gekämpft hatten – es kam ihr so vor, als wäre eine Ewigkeit seitdem vergangen –, riss wieder auf. »Riecht ihr sie denn nicht, ihr Grünschnäbel?!«, rief Drusilla in ihrer Singsang-Stimme, ganz heiser von dem Verlangen, zu jagen und zu töten. »Ihr Geruch ist so scharf wie Zimt und Muskatnuss. Das wird eine Fuchsjagd! Derjenige, der ihr den ersten Schrei entlockt, darf ihr Blut trinken, aber die Augen sind für mich!«
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Buffy schreckte zusammen, aber sie konnte den Blick von der schrecklichen Drusilla nicht abwenden. Sie rechneten damit, dass sie fliehen würde. Aber sie würde nicht mehr fliehen. Stattdessen schritt Buffy ihnen über den Gehsteig entgegen. Die Vampire trotteten auf sie zu, blieben aber dann verwirrt stehen, weil Buffy nicht vor ihnen zurückwich. Selbst Drusilla schien überrascht und drehte den Kopf in Buffys Richtung. Diese Kopfbewegung wurde von einem knackenden Geräusch begleitet, so als wäre ein Halswirbel gebrochen. »Was ist das?«, fragte die Verrückte mit einer Kinderstimme. »Das?«, Buffy steckte eine Hand in die Tasche und zog das Leuchtsignal hervor. »Das ist für Kendra.« Sie zündete das Leuchtsignal an und warf es in die Benzinlache, die sich unter den Autos auf der Straße gebildet hatte. Eine Sekunde lang passierte nichts, und alle Augen blickten starr auf das brennende Leuchtsignal. Buffy sprang in den schützenden Wald. Das Benzin entzündete sich mit einer gewaltigen Stichflamme und einem enormen Knall. Die Vampire schrien auf, als das Feuer sie erreichte. Dann fing der erste Tank an zu brennen, und die Explosion erschütterte Buffys Körper wie das Feuerwerk am vierten Juli in tausendfacher Stärke und riss sie nach unten, ins Unterholz. Sie wandte den Blick ab. Die zwei anderen Autos explodierten nacheinander, Autoteile wurden durch die Luft geschleudert und landeten krachend auf Straße und Gehsteig. Buffy spürte die Hitze sogar durch ihre Kleidung, und ihre Arme fühlten sich an, als hätte sie einen Sonnenbrand. Sie blutete aus mehreren winzigen Wunden, und ihr ganzer Körper schmerzte wie bei einem heftigen Muskelkater. Aber sie lebte. Buffy stand auf und war überrascht, dass sie immer noch die Tasche in der Hand hielt, dann blickte sie auf das Feuermeer. 84
Die meisten Vampire hatten sich schon in Staub verwandelt. Auf der anderen Seite des Infernos sah sie vier oder fünf Vampire, die die Straße in die entgegengesetzte Richtung liefen. Dann nahm sie eine plötzliche Bewegung direkt vor sich wahr. Drusilla drehte sich und tanzte inmitten der Flammen der brennenden Autoteile wie eine verrückt gewordene Balletttänzerin, sie streckte die Arme wie ein hilfloses kleines Mädchen in die Höhe und warf den Kopf zurück. Ihre Haare waren versengt, ihr ganzer Körper hatte Feuer gefangen, und sie tanzte und kicherte ungebärdig mit ihrer merkwürdig schönen Stimme. Dann verwandelte sie sich in einen wirbelnden Sturm aus brennender Schlacke, Asche und verkohlten Knochen... bis nur noch Staub von ihr übrig war, der in die Luft flog und vom Nachthimmel wie Konfetti rieselte. »Für Kendra«, flüsterte die Jägerin. Buffy drehte sich um und rannte in den Wald in Richtung Süden.
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5 In Oz’ Auto roch es nach Tannen. Wenn seine Band, die Dingoes Ate My Baby, einen Auftritt hatte, fuhr er meistens die anderen Bandmitglieder und den Großteil ihrer Instrumente durch die Gegend. Nicht einer, sondern drei Duftbäumchen aus Pappe waren am Armaturenbrett befestigt, um den hartnäckigen Geruch von schwitzenden Musikern und Bier zu vertreiben. Willow mochte den Tannenduft. Er beruhigte und entspannte sie. Genauso war es, wenn sie mit Oz zusammen war. Oz war nicht groß, er war auch nicht besonders stark, aber er hatte eine unglaubliche Willenskraft. Sie zweifelte nicht, dass er immer da sein würde, um sie zu beschützen. Sie fuhren zum Sunnydaler Busbahnhof, und während der Fahrt sah Willow ihn von Zeit zu Zeit an. In dem spärlichen Licht des Autos sah sein Gesicht so ausdruckslos aus wie immer, doch seine Augen waren lebendig, strahlten und funkelten vor wilder Entschlossenheit. Wenn er in ihrer Nähe war, hatte Willow das Gefühl, dass sie alles schaffen könnte, um Buffy zu retten. Sie mussten es schaffen. Anya und Xander hatten die bisherige Fahrt über schweigend auf ihren Rücksitzen verbracht, doch jetzt lehnte Xander sich nach vorn. »Wo könnte sie wohl hingegangen sein?«, fragte er. Willow schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Wenn wir nur wüssten, wer sie ist... was sie ist... aber wir wissen nichts. Wir haben jetzt sowieso keine Zeit mehr, uns darüber Gedanken zu machen.« »Spielt es denn eine Rolle, wo sie hin will?«, fragte Anya. »Es ist fast zehn Uhr. So viele Busse werden jetzt nicht mehr fahren. Der Schnellbus nach L.A., der Shuttle-Bus zum 86
Flughafen und vielleicht noch einer nach Las Vegas. Es gibt immer noch einen, der nach Las Vegas fährt. Zu den Kasinos und zu den Partys.« Willow drehte sich langsam zu ihr um und sah sie fragend an. Anya zuckte mit den Achseln. »Ich habe ein- oder zweimal die Stadt fluchtartig verlassen.« »Aber du bist jedes Mal wieder zurückgekommen«, sagte Xander leise und schlang einen Arm um sie. Als der beleuchtete Busbahnhof und der Parkplatz zu sehen waren, lehnte Oz sich nach vorn und schaltete die Scheinwerfer aus. Er bremste, fuhr an die Bordsteinkante und machte den Motor aus. »Wie gehen wir jetzt vor?«, fragte er. Willow holte tief Luft und versuchte, ruhig zu wirken, sie war ein bisschen überfordert von ihrer neuen Rolle als Anführerin. Sonst war Buffy der Boss und Giles der Stratege. Aber jetzt sind sie nicht mehr da, dachte sie. Jetzt bist du selbst an der Reihe. Sie richtete sich selbstbewusst auf und strich über ihren neuen, rot geschwollenen Bluterguss auf der Wange, den dieses Wesen, das Buffys Gestalt angenommen hatte, ihr zugefügt hatte. Er schmerzte weitaus mehr als der ältere, den ihre beste Freundin ihr vor einigen Tagen aus Versehen verpasst hatte. Willow musste sich nicht fragen, wie das möglich war, sie wusste warum. Dieser neue Bluterguss schmerzte nicht nur äußerlich, sondern er hatte sie auch innerlich verletzt. Sie hatte dieses Wesen tatsächlich für Buffy gehalten. Sie holte erneut tief Luft und zwang sich, ihre Gedanken zu ordnen. Lucy Hanover war zu ihnen gekommen, als sie dabei gewesen waren, sich einen Plan zu überlegen, und hatte ihnen erzählt, dass sie das Wesen bis zum Busbahnhof verfolgt hatte, wo es nun saß und auf einen Bus wartete.
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»Wir gehen davon aus, dass Buffy... dass sie immer noch am Busbahnhof sitzt. Wenn sie sich im inneren Bereich des Busbahnhofs aufhält, werde ich versuchen, den Bann vom Parkplatz aus, wo sie mich nicht sehen kann, über sie zu sprechen. Anya wird mir dabei helfen. Und dann seid ihr an der Reihe«, sagte Willow und warf den beiden einen Blick zu. »Wenn sie versucht abzuhauen, müsst ihr sie aufhalten. Haltet sie so lange fest, bis ich den Zauber über sie gewirkt habe.« Xander räusperte sich. »Aber du hast gesagt, dass du nicht sicher bist, ob es überhaupt funktioniert. Wir wissen doch gar nicht genau, mit was für einem Wesen wir es hier zu tun haben. Was, wenn es nicht klappt?« Anya lächelte ihn an. »Ihr beiden müsst natürlich damit rechnen, dass das Wesen euch ein paar Schläge verpassen wird, die sich gewaschen haben. Schließlich verfügt dieses Wesen über Buffys Körper und ihre Überlegenheit als Jägerin. Andererseits wissen wir, Willow und ich, dass ihr zwei unglaublich mutig und tapfer seid.« Xander erwiderte das Lächeln nicht. »Ich werde versuchen, mich an deine Worte zu erinnern, wenn ich zusammengeschlagen werde.« Die vier Freunde schienen alle gleichzeitig ein letztes Mal tief Luft zu holen, dann stiegen sie so leise wie möglich aus und gingen zum Busbahnhof. Dieser war hell beleuchtet, und es war viel zu riskant, ihn einfach zu überqueren. Sie mussten sich etwas anderes überlegen. Dann sahen sie, dass das gesamte Gelände eingezäunt war. Xander ging voran, blieb plötzlich stehen und zeigte auf den Zaun. »Wir müssen außen herumgehen«, flüsterte er. »Seht ihr, im Moment fährt kein Bus. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.« Auf dieser Seite war der Busbahnhof durch ein Bürogebäude begrenzt. Die Einfahrt zu dem dunklen Gebäude war beleuchtet, aber sie waren noch zu weit davon entfernt, um 88
außen am Zaun im Dunkeln entlanggehen zu können. So gingen sie um den Busbahnhof herum, kletterten dann über den Zaun und drangen von hinten in den Bahnhof ein. Die Rückwand war gemauert, es gab keine Fenster, nur einen Hintereingang, und Willow dachte, dass es ausreichen würde, wenn sie den Zauber hinter der Tür ausführte. Willow fühlte sich unbehaglich, da sie sich nun im Innenteil des Busbahnhofs befanden und von den Lampen angestrahlt wurden. Mit der Tasche in der Hand, in der sich ihre Zauberausrüstung befand, lief sie auf die Rückwand zu. Einen Teil der Ausrüstung hatte sie sich aus Giles’ Wohnung zusammengesucht, der Rest gehörte zu ihrem eigenen Bestand. Die anderen folgten ihrem Beispiel und beeilten sich, aus dem beleuchteten Teil des Busbahnhofs zu verschwinden. Plötzlich erschien der Geist von Lucy Hanover in ihrer Mitte. Der Geist der toten Jägerin schimmerte in dem Licht des Busbahnhofs nur schwach, sie war kaum zu erkennen, so als würde ihre Gestalt nur aus Spinnweben bestehen. »Ist sie noch da?«, fragte Willow. »Ja, das ist sie«, entgegnete Lucy. »Sie sitzt drinnen und wartet auf einen Bus. Ich kann ihre Angst und ihre Wut spüren. Vermutlich weiß sie, dass ich sie beobachte.« Willow stand Lucy direkt gegenüber. Sie wusste, dass die anderen nicht näher kommen würden. Sie hatten nie darüber gesprochen, selbst Xander nicht, aber Willow war aufgefallen, dass sie jedes Mal ziemlich verstört waren, wenn der Geist vor ihnen erschien. »Was immer jetzt passieren wird, wir hätten ohne deine Hilfe niemals eine Chance gehabt, sie zu retten«, sprach Willow zu dem Geist. »Ich danke dir.« »Ich wünschte, ich könnte mehr für euch tun«, flüsterte Lucy mit ihrer unheimlichen Stimme. »Bleib in der Nähe. Vielleicht wirst du uns sogar helfen müssen. Wenn wir es schaffen, die Seherin aus Buffys Körper 89
zu vertreiben, musst du sie daran hindern, in einen anderen Körper einzudringen.« Lucy nickte stumm und schwebte über ihnen, ihre schemenhafte Gestalt bewegte sich leicht im Wind. Willow drehte sich zu ihren Freunden um, lächelte ihnen ermutigend zu, nahm ihre Ausrüstung aus der Tasche und sah Oz und Xander an. »Stellt euch jeder auf eine Seite. Seid bereit. Aber geht nicht an den Fenstern vorbei, vermeidet auf jeden Fall, von ihr gesehen zu werden.« Die beiden gingen ohne ein weiteres Wort. Willow war versucht, Oz noch einmal zu küssen, um ihm Glück zu wünschen, aber er war schon weg, und sie wagte nicht, ihn zurückzurufen. Sie stellte den Inhalt ihrer Tasche zusammen mit Anya vorsichtig vor sich hin. Der Geist wachte über ihnen. Die kleine Ampulle mit dem weißen Rosenöl war unversehrt, obwohl die Tasche auf dem Weg ziemlich durchgeschüttelt worden war. Willow strich sich das Öl auf Stirn, Hals und Handgelenk und wies Anya an, dasselbe zu tun. Willow beeilte sich, die vier kleinen Kegel, die sie zuvor aus dickem Karton gefaltet hatte, mit einem Pulver zu füllen. Dann zog sie mit Kreide einen Kreis um sich, zeichnete in die Mitte einen Stern, und stellte die Kegel jeweils an die Ecken des Sterns auf. Sie holte tief Luft und setzte sich dann im Schneidersitz in die Mitte des Kreises. Dann sah sie Anya an. »Zünde sie an«, sagte sie. Anya tat, wie ihr geheißen, und zündete mit langen Streichhölzern rasch die Papierkegel an. Sofort loderten winzige Flämmchen an dem Papier hoch, und auch das Pulver entzündete sich. Rauch stieg auf. »Wermut«, bemerkte Lucy Hanover. »Artemisia«, korrigierte Willow sie und benutzte den Fachausdruck für dieses nicht ungefährliche Kraut, das sie pulverisiert hatte. 90
»Was du da tust, Freundin Willow, ist äußerst gefährlich«, warnte Lucy sie. »Wenn du nicht den genauen Namen des Geistes kennst, den du versuchst aus Buffys Körper zu vertreiben, kann es passieren, dass du ihn nur aus ihrem in deinen eigenen Körper ziehst.« Willow schwieg. »Warum hast du uns das nicht erzählt?«, fragte Anya beunruhigt. »Wir hätten einen anderen Zauber benutzen sollen.« »Ja, vor allem, weil wir so viel Zeit hatten, genauer nachzuforschen«, entgegnete Willow gereizt. »Aber... was tun wir, wenn genau das passiert? Wenn diese Kreatur Buffys Körper verlässt und in deinen eindringt, wird niemand in der Lage sein, ihn aus deinem Körper jemals wieder zu vertreiben. Keiner von uns besitzt deine Kräfte.«, Willow war gerührt, dass Anya sich so um sie sorgte, vor allem da Anya früher selbst ein Dämon gewesen war. Aber Willow konnte ihr keine zufriedenstellende Antwort geben. »Wenn es von meinem Körper Besitz ergreift, wird Buffy Giles retten, und dann werden sie sich schon gemeinsam etwas ausdenken.« »Nicht, wenn er schon tot ist«, murmelte Anya. Willow bat sie, jetzt zu schweigen, dann schloss sie die Augen, um ruhiger zu werden, und atmete den Rauch ein, der von dem brennenden Artemisia-Pulver aufstieg. »Kreatur der Hölle, die du Unheil über die Welt bringst und dich eines menschlichen Körpers bemächtigt hast, komm her und zeige dich!« Wie befohlen streute Anya Magnetstaub um den Kreis. »Exurgent mortui, du Schatten oder Dämon, verlasse deine finstere Behausung inmitten dieses menschlichen Körpers und kehre in deine Geisterwelt zurück!«, fuhr Willow fort. Anya nahm einen Haselnusszweig und legte ihn so auf den Boden, dass seine Spitze auf die Rückwand des Busbahnhofs 91
zeigte. Der Rauch, der von dem brennenden Pulver aufstieg, schien einen Augenblick schwebend in der Luft zu liegen und zog dann in einer Linie in die Richtung, in die der Haselnusszweig wies. »Kehre zurück in deine Geisterwelt!«, wiederholte Willow. Sie hatte das Gefühl, als wäre es allein ihre Willenskraft und weniger die Macht des Zauberspruchs, die von Buffys Körper Besitz ergriff. Vor ihrem geistigen Auge sah sie den Warteraum des Busbahnhofs, in dem Buffy saß, so deutlich, als würde sie direkt neben ihr stehen. Der Rauch war jetzt verschwunden, aber Willow wusste, dass er durch die Macht ihres Zaubers in Buffys Körper strömte, in ihre Augen, in ihre Nase, in ihre Ohren, und so das Wesen wie mit Fangarmen umschloss. Buffy zuckte zusammen. Sie schlug die Augen auf. Im hinteren Teil des Busbahnhofs, im schwachen Schein der Laternen erstarrte Willow, immer noch in der Mitte des magischen Kreises sitzend. »Uh-oh«, murmelte sie. »Was ist?«, fragte Anya beunruhigt. »Was bedeutet das?« Sie blickten beide zu der Stelle, wo eben noch Lucy Hanover gewesen war, aber der Geist war verschwunden. Willow hatte damit gerechnet, denn sie hatte gespürt, wie Lucy versuchte, ihr dabei zu helfen, den Eindringling aus Buffys Körper zu vertreiben. Aber sie hatten es nicht geschafft. Das Wesen hatte ihre Anwesenheit bemerkt und sie zurückgestoßen. »Los, komm!«, rief Willow. Anya rannte hinter ihr her, und als sie gerade um die Ecke bogen, sahen sie wie Buffy – beziehungsweise das Wesen in ihrem Körper – die Tür des Warteraums aufstieß. Das Glas an der Tür zersprang in tausend kleine Scherben. Xander war nur wenige Meter von ihr entfernt und stürzte sich auf sie. Willow hatte auf einmal ein schlechtes Gewissen, denn Xander war erst vor wenigen Tagen schwer verletzt worden. 92
Aber sie hatten keine andere Wahl gehabt. »Wir müssen ihm helfen«, sagte Willow. Aber es war schon zu spät. Buffy schlug ihm einmal und noch einmal ins Gesicht, dann drehte sie sich und trat ihn so fest, dass er durch die Luft flog und ein paar Meter weiter neben dem Parkplatz unsanft auf dem Boden landete. Oz, der auf der anderen Seite des Busbahnhofs gestanden hatte, kam um die Ecke gerannt, aber es war zu spät. Keiner von ihnen war schnell genug gewesen. Willow hatte von Anfang an gewusst, dass, sollte ihr Zauberspruch versagen, sie keine Chance mehr hätten. »Wir werden nicht zulassen, dass du dich einfach in ihren Körper einschleichst und dann verschwindest!«, rief Willow wütend, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Das Wesen blieb stehen, drehte sich um und sah sie beinahe freundlich an. »Ich habe keine andere Wahl«, sprach es. »Und du hast auch keine. Wenn du versuchst mich aufzuhalten, bringe ich euch alle um.« Die wenigen Leute, die sich im Busbahnhof aufhielten, waren in den Warteraum geflüchtet und beobachten das Geschehen durch die große Glasscheibe. Willow ließ Buffy eine Sekunde aus den Augen und blickte hinüber zu den Menschen hinter der Scheibe. Sie würde später einen Zauber über sie sprechen, der sie alles vergessen ließ, was sie jetzt mit ansahen. Sie versuchte, sich nicht vorzustellen, was die Leute wohl dachten, die sie beobachteten. »Wenn ich dich schon nicht aufhalten kann, dann werde ich dich zumindest verletzen«, sagte Willow und wischte sich die Tränen weg. Sie hoffte, dass Schmerz den Geist aus Buffys Körper vertreiben könne. Ihre bescheidenen Zauberkräfte wurden durch ihre Verzweiflung und das Adrenalin, das durch ihren Körper schoss, um ein Vielfaches verstärkt. Sie konzentrierte sich darauf, mit der Kraft ihres Geistes die Glasscherben der Tür 93
vom Boden in die Luft zu erheben. Eine einzige Handbewegung genügte, und tausend kleine Glasscherben flogen durch die Luft auf Buffy zu, die sich zwar duckte, aber dennoch einige Schnittwunden davontrug. Der Dämon, der in Buffy gefahren war, starrte sie mit zornesrotem Gesicht und wilden Augen an. »Wenn du mich in Frieden gelassen hättest, würdest du leben.« »Das hätte man nicht ›leben‹ nennen können«, sagte Willow und versuchte ihre Angst zu unterdrücken. Schließlich waren ihre Freunde auch noch da. »Haltet sie fest, sonst haben wir Buffy für immer verloren!« Gemeinsam stürzten sich die vier auf sie. Mit einem lauten Knall ging auf einmal das Licht in dem Busbahnhof und auf dem Parkplatz aus. Alles war stockfinster. Plötzlich drangen Rufe aus dem Warteraum zu ihnen, Willow und den anderen stockte der Atem. Sie hatten Buffy eingekreist, aber etwas zwang sie, Abstand zu ihr zu halten. »Will«, sagte Xander, »hast du...« »Nein, ich war’s nicht«, entgegnete sie. »Irgendjemand hat den Strom abgedreht«, meinte Anya. Oz trat einen Schritt auf Willow zu, blieb aber bemüht, jede Regung von Buffy wahrzunehmen. Sie alle waren zutiefst beunruhigt. »Oder jemand hat den Stromgenerator in die Luft gejagt«, sagte Oz. Die Schreie im Warteraum wurden immer schlimmer. Sie drehten sich um und hörten, wie etwas an die große Glasscheibe spritzte – es war Blut. Willow bemerkte eine Bewegung links von ihr, und dann schien sich überall um sie herum etwas zu regen. Eine Gruppe Vampire näherte sich ihnen vom Parkplatz her. Weitere Vampire kamen aus dem Warteraum, in dem sie ihr Unwesen getrieben hatten. »Nein!«, schrie Buffy vollkommen außer sich. »Was hast du getan?«, fuhr sie Willow an. »Er hat mich gefunden.« 94
»In der Tat«, zischte eine Stimme in der Dunkelheit. »Das habe ich.« Als Willow ein leises Flattern wie von Flügeln vernahm, wusste sie, dass diese Kreatur Camazotz, der Fledermaus-Gott war. Er trat auf sie zu, flatterte mit seinen unbrauchbaren Flügeln und zeigte im Dunkeln mit einer langen, spitzen Kralle auf Buffy. »Sie gehört mir. Tötet die anderen!« Buffy kauerte im dunklen Innenraum einer verlassenen Tankstelle und beobachtete das Donatello’s Italian Restaurant auf der anderen Straßenseite. Es war weiß verputzt, hatte große Fenster, und Buffy konnte sehen, dass im Inneren viel Kleinkram aus Messing an den Wänden hing. Genau der richtige Ort für Schüler einer High School, um ihren Abschlussball dort zu veranstalten, dachte sie. Es kam ihr aber etwas seltsam vor, dass das Donatello’s geöffnet war. Sie war vor zwanzig Minuten in die verlassene Tankstelle eingebrochen und hatte in den Ecken nichts als Spinnweben gefunden. Allerdings war der Kühlschrank noch in Betrieb und enthielt ein paar Wasserflaschen, und auch die Regale unterhalb der Kasse waren mit Süßigkeiten voll gepackt. In dem Gebiet der Kakchiquels gab es anscheinend keine Plünderer. Die Tankstelle lag völlig im Dunkeln, und selbst das leise Summen des Kühlschranks deutete nicht darauf hin, dass sie jemals wieder öffnen würde. Buffy vermutete, dass die Vampire ab und zu dort tankten, wenn sie an den Grenzen ihres Gebietes patrouillierten. Sie hatten die Tankstelle wie die gesamte Region rund um Sunnydale unter ihre Kontrolle gebracht, und die ehemaligen Besitzer waren entweder geflohen oder von den Vampiren getötet worden. Wahrscheinlich waren sie eher geflohen, da doch die Grenze direkt vor ihnen lag. 95
Und die Grenze war wirklich sehr nah. Das Donatello’s war ungefähr sechzig Meter von ihr entfernt und noch nicht in die Hände der Untoten gefallen. Seltsam, dachte Buffy. Parker hatte davon gesprochen, dass die Vampire bei ihrer Eroberung methodisch vorgegangen waren, aber das kam ihr jetzt nicht so vor. Buffy konnte zusehen, wie die letzten Gäste im Inneren des Restaurants an ihren Tischen saßen und speisten. Sie hörte trotz der Entfernung das Echo ihres Gelächters, und es schmerzte sie, denn sie wusste nicht, wie sie die Straße überqueren sollte, die ihr wie ein unüberwindbarer Abgrund erschien. Sie hatte mittlerweile einen Weg gefunden, die zwei Personen, die zwei Ichs, die zwei Buffys in ihrem Inneren miteinander zu vereinbaren und sie zu akzeptieren... und doch konnte sie ihre Existenz nicht abstreiten. Für die ältere Jägerin, die so lange ihr Dasein als Gefangene gefristet hatte, war der Anblick dieser fröhlichen Menschen völlig neu, so etwas hatte sie noch nie gesehen. Die neunzehnjährige Buffy wurde schmerzhaft daran erinnert, was sie alles verloren hatte, seit sie in diese finstere, unheilvolle Zukunft geschickt worden war. Das Donatello’s zog sie geradezu magisch an. Doch sie befand sich auf der anderen Seite der unsichtbaren Grenze des Kakchiquel-Gebietes. Das Verlangen, einfach über die Straße zu rennen, wurde übermächtig. Aber sie hatte dem Wächter am Telefon versprochen, dass sie auf die Sondertruppe warten würde, und sie redete sich ein, dass es tatsächlich vernünftiger war zu warten. Außerdem waren da noch die sechs Autos, die zwischen der Tankstelle und dem Donatello’s parkten. Sie konnte nicht sehen, wer in den Autos saß, die dort still auf der Straße standen, sie sah nur die glühenden Zigarettenstummel in drei der Autos. Mindestens ein halbes Dutzend Vampire hielt neben den Autos Wache, suchten sie. Sie brauchte nicht zu rechnen, um zu begreifen, dass es ein aussichtsloser Kampf sein würde, mit ungefähr zwanzig 96
Vampiren als Gegner. Wahrscheinlich hatten sie auch Wachposten in den Nebenstraßen aufgestellt, und so war auch der Versuch, sich von hinten zum Donatello’s zu schleichen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es spielte sowieso keine Rolle mehr. Sie hatten das Telefongespräch belauscht. Sie waren auf ihr Kommen bestens vorbereitet. Sie wussten, dass eine Sondertruppe sie erwarten würde, um sie außerhalb der Gefahrenzone zu bringen. Sie waren auf alles vorbereitet. Auf fast alles. Eine weitere Stunde verstrich, und Buffys Geduld war langsam am Ende. Vorsichtig schlich sie sich aus der dunklen Tankstelle hinaus und rannte in geduckter Haltung zu den Zapfsäulen. Sie war ihrem Ziel nur ein paar Meter näher gekommen, aber das war besser als nichts. Gleich würde sie mit der Armbrust und ihren selbst gemachten Pflöcken, die sie in ihrer Tasche trug und an ihrem Gürtel befestigte, die Straße überqueren und auf direktem Weg zu dem Restaurant gehen. Sie konnte ihr unbändiges Verlangen nach Freiheit nicht länger unterdrücken, trat hinter den Zapfsäulen hervor und rannte auf die Straße. Sie waren langsam. Sie hatte bisher neun gezählt, doch dann riefen sie die anderen herbei, die Autotüren öffneten sich, und immer mehr Vampire sprangen heraus. Ihre Rechnung war nicht aufgegangen. Es waren so viele, dass sie sie nicht mehr zählen konnte, und sie musste sie alle einzeln erledigen. Alle. Ich hätte doch auf die Sondertruppe warten sollen, dachte Buffy. Aber jetzt war es zu spät, und sie verfluchte ihre Ungeduld. Sie hatte zu viel durchgemacht, als dass sie zulassen konnte, dass es auf diese Art endete, verursacht bloß durch einen dummen Fehler, ihre Ungeduld und Arroganz. Es ist nicht das erste Mal, dass mich das in Schwierigkeiten bringt, dachte sie, und ihr jüngeres Ich rief sich den Konflikt mit Willow und Giles ins Gedächtnis, der erst vor wenigen 97
Tagen und gleichzeitig vor vielen Jahren stattgefunden hatte. Tage, Jahre, das war jetzt gleich. Nein, es war nicht das erste Mal, dachte sie wieder. Aber vielleicht das letzte Mal. Auf der anderen Straßenseite wurde die Tür eines der hinteren Autos aufgestoßen, und Spike kam zum Vorschein, eine Zigarette in seinem Mundwinkel. Sein Gesicht sah furchtbar aus, es war das Antlitz des Monsters, das in ihm wohnte, und im Gegensatz zu dem wilden Zorn, den die anderen Vampire an den Tag legten, schritt er gelassen auf sie zu. Die anderen waren mit Schwertern, Äxten und einige sogar mit Pistolen bewaffnet, was recht ungewöhnlich für ihre Art war, da Vampire normalerweise Waffen verabscheuten. Spike war unbewaffnet. Mit seinem toten, leichenblassen Gesicht und seinen gebleichten Haaren sah er aus wie der Sensenmann höchstpersönlich. Er kam immer näher. Spike hob die Hand und die anderen Vampire hielten inne, um auf seinen Befehl zu warten. Er nahm einen langen Zug von seiner Zigarette und klopfte die Asche ab. »Du hast sie getötet«, sagte Spike und würdigte sie dabei keines Blickes. Buffy fühlte, wie eine unbändige Wut in ihr aufstieg. Diese Wut gab ihr Kraft. Sie sagte kein Wort, sondern starrte ihn nur an, bis Spike ihr schließlich in die Augen sah. »Sie tanzte, während sie starb«, sagte Buffy. Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Ich dachte, das würde dich vielleicht interessieren.« Spike zog abermals an seiner Zigarette und warf dann den Vampiren zu seiner Rechten einen Blick zu. »Tötet sie!« »Aber wir sollen sie doch nicht...«, stammelte einer von ihnen. »Ich denke...« »Oh, verdammt noch mal. Okay, dann fangt sie halt, und bringt sie zu mir!«
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Dann ging es los, sie sprangen, rannten und stürmten alle gleichzeitig auf sie zu, wie Wölfe, die ihr Opfer im Rudel angreifen. Doch Buffy ließ sich nicht beirren, sie hob die Armbrust und zielte auf den vordersten Vampir aus einer Entfernung von zehn Metern. Sie legte einen Bolzen nach und traf zwei weitere, bevor sie ihr zu nahe kommen konnten. Doch dann scharten sie sich um sie, und es gelang ihnen, ihr die Armbrust wegzutreten, doch sie zog einen Pflock aus dem Gürtel ihrer Jeans. Nun würde sich zeigen, ob fünf Jahre Schattenboxen und das von ihr selbst entwickelte KataTraining ihr einen Vorteil einbringen würden. Buffy ging in Stellung. Sie kamen auf sie zu, und Buffy begann, sich zu bewegen, als würde sie ihren eigenen Todestanz aufführen. Sie trat, schlug, drehte sich und benutzte die zahlenmäßige Überlegenheit der Vampire gegen diese, indem sie ein paar von ihnen auf sich zukommen ließ, gegen sie kämpfte, sodass die Übrigen zurückbleiben mussten, um nicht von den Schlägen ihrer Mitstreiter getroffen zu werden. Sie bohrte blitzschnell ihren Pflock in sie, sodass eine riesige Wolke aus Staub und Asche den anderen die Sicht nahm. Ein Schuss löste sich, und eine Kugel streifte ihre Schulter. Warmes Blut lief ihr den Rücken hinunter, aber das hielt sie nicht davon ab weiterzukämpfen. Ein Schwerthieb traf sie an der Seite, direkt unter ihrem Brustkorb, doch sie glitt zwischen ihren Angreifern hindurch, und der Besitzer des Schwerts war tot, bevor er weiteren Schaden anrichten konnte. Dann hielt Buffy das Schwert in den Händen. Sie warf den Pflock beiseite und schwang das Schwert. Sie tötete so viele Vampire, dass sie fast an ihren Überresten, die wie Schneeflocken in die Luft stoben, erstickte. Ihre Augen brannten, und sie konnte kaum noch atmen. Noch ein Schuss. Eine Kugel erwischte sie am Rücken. Jemand schlug ihr mit einem Knüppel auf den Kopf. 99
Buffy taumelte. Sie fiel auf die Knie, das Schwert zitterte in ihrer Hand. Spike beugte sich über sie. Er hielt eine Axt in den Händen. »Du bist noch nicht tot, oder?«, fragte er mit süßlicher Stimme, eine Zigarette zwischen seinen Lippen, deren Spitze in der Dunkelheit glomm. »Jetzt bist du an der Reihe, Buffy. Mal sehen, ob du tanzen kannst«, fuhr er sie wütend an. Die anderen Vampire hatten sich zurückgezogen, und keiner von ihnen wagte, Spike aufzuhalten. Buffy hatte viel Blut verloren und war etwas benommen, aber sie bemerkte erfreut, dass sie mehr als ein Dutzend Vampire getötet hatte. Das war gut. Das konnte sich sehen lassen. Aber so wie es aussah, konnte sie nichts dagegen unternehmen, dass sie gegen die erste Regel der Jägerin verstoßen müsste. Spike hob die Axt, und Buffy wusste, dass sie nun sterben würde. Die Klinge blitzte im Mondlicht auf, und sie vernahm das Echo menschlicher Rufe. Wahrscheinlich beobachteten die Gäste des Restaurants vom Parkplatz aus die groteske Szene, die sich vor ihnen auf der Straße abspielte. Doch sie standen auf der anderen Seite der Grenze. Sie konnten nichts tun. Die Klinge bewegte sich auf sie zu. Die anderen Vampire wichen noch ein Stück zurück. Es schienen jetzt mehr zu sein, vielleicht waren noch ein paar zur Verstärkung eingetroffen. Buffy versuchte, das Schwert zu heben. Spike grinste. Dann riss er die Augen auf, sein Mund öffnete sich, und die Zigarette fiel heraus. Sein ganzer Körper zuckte, er ließ die Axt fallen und taumelte auf Buffy zu. Buffy hob das Schwert und stieß ihm die Klinge in den Bauch, pfählte ihn. »Tötet sie!«, schrien die Vampire. Buffy war auf einmal hellwach. Tötet wen?, fragte sie sich. Sie schob Spike von sich weg, der laut jammerte, dann versuchte sie aufzustehen. Die Kakchiquels setzten nun wieder 100
zum Angriff an. Obwohl sie verwundet war und sich nur langsam bewegen konnte, wirbelte sie herum und köpfte einen der Angreifer. Er explodierte in einer Staubwolke. Einen zweiten stieß sie mit dem Ellbogen weg. Ein dritter griff sie von hinten an und begann, sie mit den Händen zu würgen, doch dann fing auch er auf einmal an, wild zu zucken. Sie fühlte, wie die Elektrizität von dem Vampir in ihren Körper strömte. Jeder Muskel ihres Körpers zuckte und schmerzte, sie riss die Augen auf und hatte einen Geschmack im Mund, als hätte sie auf Aluminiumfolie gebissen. Der Vampir ging vor ihr zu Boden, Buffy blickte hoch und sah plötzlich einen Mann mit einem Elektrogewehr vor sich, der sie grimmig anschaute. Eine lange, sichelförmige Narbe zog sich über seine linke Gesichtshälfte bis zu den Bartstoppeln am Kinn hinunter. Er hatte lange, schwarze Haare, die seine Augen fast völlig verdeckten. Dieser Mann hatte ihr das Leben gerettet. »Danke«, brachte Buffy heiser hervor. Die Schmerzen ließen langsam nach. Er zielte abermals mit seinem Gewehr auf den am Boden liegenden Vampir, und bläuliche Wellen von Elektrizität schossen von dem Gewehr auf den Kakchiquel. Dann strich der Mann mit der Narbe im Gesicht seine Haare zurück und sah sie mit traurigen Augen ernst und eindringlich an. »Wir müssen gehen«, sagte er. Buffy erstarrte. Sie hielt die Luft an. Als sie ihn erkannte, war sie vor Freude und gleichzeitig vor Kummer völlig außer sich. »Xander«, flüsterte sie. »Oh Gott. Xander.« »Wir müssen gehen«, wiederholte er, und in seinem Gesicht war nicht die Spur eines Lächelns. Sie blutete aus unzähligen Wunden, aber sie richtete sich auf, erhob das Schwert und nickte ihm zu. »Ja. Lass uns gehen.«
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Es wimmelte nur so von Vampiren, aber sie wurden von Männern und Frauen mit Gewehren und Armbrüsten zurückgedrängt. Buffy sah im Vorbeigehen, wie einer nach dem anderen sich in Staub auflöste. Sie folgte Xander... diesem traurigen, ernsten Mann, den sie einst so gut gekannt hatte, in Richtung der unsichtbaren Grenze. Auf dem Parkplatz standen jetzt zwei schwarze Sedan-Limousinen und ein Truppentransporter. Weitere Autos rasten mit dem ohrenbetäubenden Lärm heulender Motoren aus Richtung Norden, also aus dem Kakchiquel-Gebiet, auf sie zu und blendeten sie mit ihren Scheinwerfern. Sie hielten an, und Massen von tätowierten Kakchiquels mit orangeglühenden Kürbiskopf-Augen stiegen aus. Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet. »Los, bringt die Jägerin in Sicherheit!«, brüllte eine Frauenstimme hinter ihnen im Befehlston. Buffy drehte sich um und sah, wie die Sondertruppe sich nun etwas zurückzog. Der Befehl war von einer Frau mit langen roten Haaren, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, gekommen. Die Frau war so gelenkig wie eine Akrobatin, und sie streckte die Arme in die Höhe, fuchtelte damit wild in der Luft herum und schrie dann etwas auf Latein, was Buffy nicht verstand. Drei Vampire, die nur ein paar Meter von ihr entfernt standen, verwandelten sich augenblicklich in Glas, und ein weiteres Mitglied der Sondertruppe zerschmetterte sie. Ihre Stimme hallte in Buffys Gedächtnis nach. »Willow«, flüsterte sie zu sich selbst. »Komm jetzt!«, brüllte Xander sie an und packte sie am Arm. Sie schüttelte seinen Griff ab und starrte die Anführerin der Sondertruppe an. Die Frau drehte sich um, und Buffy sah ihr Gesicht. Es war Willow Rosenberg im Alter von vierundzwanzig Jahren, entschlossen und gewohnt zu befehlen. Als sie bemerkte, dass Buffy sie ansah, grinste sie. Buffy erwiderte das Lächeln. 102
Aber die neu in den Kampf geschleusten Kakchiquels verlangten nun ihre volle Aufmerksamkeit. Buffy erkannte Clown-Gesicht unter ihnen, ihr grell geschminktes Gesicht leuchtete gespenstisch in der Dunkelheit. Buffy spürte einen plötzlichen Drang weiterzukämpfen, Willow zu helfen, aber Xander zog sie mit einer unvorstellbaren Kraft zurück, die sie nie in ihm vermutet hätte. »Nein. Wir sind nicht hier, um zu gewinnen. Wir sind gekommen, um dich da raus zu holen.« Buffy drehte sich noch einmal um und sah, wie Willow zwei Vampire durch bloße Berührung in Flammen aufgehen ließ. Dann rief sie einen Namen, der Buffy nur allzu vertraut war. »Oz!« Aus der Mitte des Gefechtes erklang plötzlich ein so schreckliches Geheul, dass Buffys Nackenhaare zu Berge standen. Inmitten der Vampire verwandelte sich eines der Mitglieder der Sondertruppe in ein furchtbares Monster. Buffy hatte ihn vorher in dem Getümmel und in ihrer Verwirrung nicht gesehen. Jetzt erkannte sie ihn aber zweifelsfrei wieder. Der Werwolf raste mit weit aufgerissener Schnauze, angelegten Ohren und knirschenden Zähnen auf die Vampire zu. Clown-Gesicht näherte sich ihm als erste, der Werwolf stellte sich auf die Hinterbeine, griff nach ihr und riss ihr den Kopf ab. Das ist Oz?, dachte Buffy, und sie war geschockt, was für ein Ungeheuer er war. Das Monster in ihm war durch Willows Befehl freigesetzt worden, obwohl es nicht Vollmond war. Er griff weitere Vampire an und riss sie mit seinen scharfen Fangzähnen und seinen Krallen in Fetzen, bis Willow rief, sie sollten sich alle zurückziehen. Die Sondertruppe gehorchte augenblicklich. Xander zog sie am Arm fort, und sie rannten zu dem Parkplatz des Restaurants. Buffys Gedanken überschlugen sich, ihr wurde schwindelig. Es war zu viel für sie.
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Auf dem Parkplatz angekommen drückte Xander sie auf den Rücksitz einer der Limousinen und stieg selbst vorne ein. Durch die getönten Scheiben sah Buffy, wie die Vampire ihnen erst nachsetzten, doch als alle Mitglieder in den Truppentransporter und in die andere Limousine eingestiegen waren, hielten sie plötzlich inne, als hätten auch sie den Befehl erhalten, sich zurückzuziehen. Die Beifahrertür öffnete sich, und Willow ließ sich auf den Sitz neben Xander fallen. »Spike«, sagte Buffy. »Hast du ihn erwischt?« »Auf einmal war er verschwunden«, erwiderte Willow. »Er rettet immer zuerst seinen eigenen Arsch.« Dann blickte sie zu Xander. »Fahr los!« Xander tat, wie ihm geheißen, und fuhr los. Die andere Limousine und der Truppentransporter blieben dicht hinter ihnen. Buffy reckte den Hals und schaute aus dem Rückfenster. Die Vampire, die das Gemetzel überlebt hatten, zogen sich ebenfalls zurück. Sie stiegen in ihre Autos und fuhren denselben Weg wieder zurück, den sie gekommen waren, als wäre nichts passiert, als wären die Gäste auf dem Parkplatz nicht Zeugen eines schrecklichen Kampfes geworden. Ein einziges Auto war zurückgeblieben. Es sah so aus, als würde es sie beobachten, denn seine Scheinwerfer waren auf sie gerichtet. Sie waren jetzt ein paar Hundert Meter weit entfernt, aber Buffy konnte die Gestalt eines Mannes erkennen, der vor dem Auto stand. Er wurde durch die hellen Scheinwerfer von hinten angestrahlt, sodass er eher wie ein dunkler Fleck als wie ein Mensch aussah, wie eine Kreatur der Finsternis, die vor der Sonne stand und alles Leben auf Erden in Dunkelheit tauchte. Buffy schauderte im Auto, umgeben von diesen Leuten, die früher einmal ihre Freunde gewesen waren und die ihr jetzt fremd waren. Als sie um eine Ecke bogen und die dunkle Gestalt hinter ihnen außer Sicht war, hatte Buffy auf einmal 104
dasselbe Gefühl wie in dem Autokino. Sie dachte an die Armbrust, die jemand dort für sie bereitgelegt hatte. Die zwei Ichs in ihrem Körper triumphierten gleichzeitig. Sie war frei. Und doch spürte sie die Angst deutlicher als je zuvor, und eine schreckliche Ahnung überfiel sie.
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6 Willow stand wie erstarrt auf dem dunklen Parkplatz des Sunnydaler Busbahnhofs. Sie wusste nicht, ob Camazotz’ Vampirgefolgschaft den Strom abgedreht hatte oder ob es einfach nur ein Zufall war, aber letzten Endes spielte das keine Rolle. Die Vampire kletterten von beiden Seiten über den Zaun des Parkplatzes. Es waren fünfzehn, höchstens zwanzig. Sie sagten kein Wort. Die Bedrohung war so nah, dass Willow fast das Gefühl hatte, dass die Luft vor Gefahr knisterte. Die Vampire teilten sich auf, und eine Hälfte stellte sich im Halbkreis um Buffy herum. Ihr Herrscher, der Fledermaus-Gott Camazotz, kam auf seinen gespaltenen, hufartigen Füßen auf Buffy zu. Das Wesen in Buffys Körper hatte irgendetwas mit Camazotz zu tun, so viel stand fest. Jetzt hatte er es gefunden und wollte es eigenhändig umbringen. Buffy würde sterben, damit Camazotz das Wesen vernichten konnte. Camazotz schoss nach vorn und wollte zum Angriff übergehen. Buffy fing ihn ab und trat ihm so fest gegen den Bauch, dass er zurückgeworfen wurde. »Ich habe viele Mühen auf mich genommen, um einen Körper wie den der Jägerin zu finden«, rief ihnen das Wesen zu. »Jetzt werdet ihr vielleicht begreifen, warum ich unbedingt Buffys Körper brauchte.« Die Vampire, die sie halb eingekreist hatten, bewegten sich auf sie zu, aber Camazotz brüllte ihnen etwas entgegen, und sie verzogen sich wieder. Die anderen Vampire stürzten sich auf Willow, Oz, Xander und Anya, die sich ohne Waffen verteidigen mussten. Xander und Oz waren von dem Kampf um Buffy noch etwas geschwächt. Selbst wenn sie ausgeruht und auf diesen Kampf vorbereitet gewesen wären und es sich um normale Vampire gehandelt hätte, hätte alles gegen ihren Sieg gesprochen. Aber Camazotz’ Vampire mit ihren 106
tätowierten Gesichtern, den orangeglühenden Augen und der enormen Energie waren mit Sicherheit keine gewöhnlichen Untoten, und der Kampf der vier Freunde würde vergeblich sein. Willow flüsterte etwas, hob die Arme, und mit einer Bewegung ihrer Hände zog sie alle Wärme, die in der Luft lag, zu sich hin, eine Feuerwand flammte plötzlich von dem Gehsteig auf und schnitt ihren Gegnern den Weg ab. Diese glotzten nur stur in die Flammen und sahen mit ihren glühenden Augen und ihren pechschwarzen Tattoos wie das personifizierte Böse, wie die Nachfahren eines urzeitlichen Raubtieres aus. »Wir können fliehen, Willow!«, schrie Xander ihr glücklich zu. »Fackel sie alle ab!« Aber sie wusste, dass ihre Zauberkünste dafür leider nicht ausreichen würden. Mit diesem Zauber hätte sie genausogut ihre Freunde in Brand stecken können. Willow blickte zu Buffy. Sie wehrte sich, trat, schlug, fing ihrerseits Camazotz’ Schläge ab, aber er hatte sie schon ein paar Mal übel getroffen, sodass sie verletzt war und blutete. Keine Wahl. Sie hatten überhaupt keine andere Wahl. Willow drehte sich zu ihren Freunden um. »Lauft!«, brüllte sie ihnen zu. »Was wird mit Buffy?«, fragte Xander, der direkt neben ihr stand. »Wir werden uns später um sie kümmern.« Willow drehte sich um und rannte über den Parkplatz, kletterte über den Zaun und lief über die Straße, wo der Lieferwagen stand. Oz war direkt hinter ihr, aber Xander und Anya hingen ein Stück hinterher, da Xander durch den Tritt, den Buffy ihm verpasst hatte, nicht so schnell vorwärts kam. Willow sah Oz an. »Geh zum Auto! Fahr los, und wirf die Waffen raus!«
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Er rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, und sie lief in die entgegengesetzte Richtung, um Anya mit Xander zu helfen. Die Feuermauer hinter ihnen war verschwunden, und die Vampire setzten ihnen wieder nach. Sie schwiegen immer noch. Willow wünschte, sie würden sie anschreien oder ihnen Drohungen entgegenrufen. Die Stille der Kakchiquels war unheimlicher als alles andere. Willows Mund fühlte sich ganz ausgetrocknet an, und sie bekam eine Gänsehaut. »Willow, sie haben uns gleich eingeholt!«, schrie Anya, wütend und verängstigt zugleich. »Noch so ein Feuer wäre nett!« Aber Willow erwiderte nichts. Sie konnte sich kaum konzentrieren, und genau das war nötig, wenn sie ihre Kräfte aktivieren wollte. Ohne den Lieferwagen und ohne Waffen würden sie sterben. So einfach war das. Ihre Zauberkräfte konnten sie nur kurze Zeit beschützen, doch das würde nicht ausreichen. Und selbst wenn sie es schaffte, sie bis zum Sonnenaufgang in Sicherheit zu bringen, was würde dann aus Buffy werden? »Willow!«, rief Anya. »Lauf!«, entgegnete Willow schroff. Sie rannten mit Xander in der Mitte weiter, der seine Arme um ihre Schultern geschlungen hatte und sich auf sie stützte. »Lauft allein weiter!«, sagte Xander. »Ich komme nach!« Willow warf ihm einen Blick zu und sah die Angst, aber vor allem den Zorn und die Entschlossenheit in seinen Augen. Aber sie wusste auch, dass Anya ihn nicht allein zurücklassen würde, und ebenso wenig würde sie es tun. Dann blieb Xander plötzlich stehen und stieß die beiden Mädchen von sich. Bevor Willow oder Anya reagieren konnten, hatte er sich schon zu den Kakchiquels umgedreht, die nur noch wenige Meter entfernt waren. Einer von ihnen, der hungrigste wahrscheinlich, war weit vor den anderen und würde sie gleich erreichen. 108
Xander duckte sich und ging in Kampfstellung. »Komm schon, du dreckiger Hurensohn, mach...« Der Vampir sprang auf ihn zu und drückte ihn nach unten. Xanders Kopf knallte laut auf den Gehsteig. Anya schrie seinen Namen. Willow konnte weder sprechen noch schreien. Sie sah, wie die Vampire auf sie zustürmten, und lächelte grimmig. Der Vampir kauerte auf Xander, packte ihn an den Haaren und schlug die Zähne ihn seinen Hals. Willows Zorn nahm eine Form an, die sie kaum kontrollieren konnte. Ihre Hände zuckten und schnellten in die Luft, als ob sie das Objekt dieser rasenden Wut wären. Der Vampir, der über Xander hing, ging in Flammen auf und kreischte vor Todesangst. Xanders Kleidung fing Feuer, und auch er schrie auf vor Schmerz, als die Flammen an seinen Händen und seinem Gesicht leckten. Anya trat den Vampir zur Seite und klopfte auf Xanders brennende Kleidung ein. »Jetzt bist du nicht mehr so still«, sagte Willow zu dem brennenden Kakchiquel. Er starrte sie an, sein schwarzes Tattoo löste sich auf, und dann war er nur noch Staub. Die anderen Vampire, die auf sie zurannten, zögerten, als sie sahen, was mit ihrem Gefährten geschehen war. Willow drehte sich um und stellte sich ihnen mit erhobenen Händen kampfbereit entgegen. Sie war sich nicht sicher, wie sie es geschafft hatte, das Feuer zu erzeugen, doch sie hatte Xander dabei fast getötet, und sie wusste nicht, ob sie diesen Zauber wiederholen wollte. Aber das wussten die Vampire schließlich nicht. In dem Moment hörte sie das Auto in der Dunkelheit hinter sich. Die Scheinwerfer streiften sie, und Oz’ Lieferwagen raste über den Parkplatz. Anya schleppte Xander eilig zum Auto, öffnete die Tür und half ihm hinein. Die Kakchiquels blieben unbeweglich stehen 109
und starrten Willow unschlüssig an, doch dann rückten sie ein Stück näher. »Willow«, rief Oz aus dem Auto. »Runter mit dir!« Sie duckte sich auf den Gehsteig. Die Bolzen einer Armbrust sausten über sie hinweg und trafen zwei Vampire in die Brust. Einer der beiden verwandelte sich in Staub, aber der andere war nicht ins Herz getroffen worden, heulte stattdessen vor Schmerzen und versuchte, den Holzbolzen aus seiner Brust zu ziehen. Willow drehte sich um und lief auf den Lieferwagen zu. Oz lehnte sich mit der Armbrust aus dem Fenster und schoss abermals. Anya hing aus dem anderen Fenster und legte Bolzen in ihre Armbrust nach. »Fahr!«, rief Willow. »Fahr bitte einfach los!« Oz fuhr los, sah sich um und beobachtete, wie Willow auf die Hintertür des Lieferwagens zurannte. Sie wurde geöffnet, Willow sprang hinein und schloss sie schnell wieder. Xander saß mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen die Wand des Lieferwagens gelehnt. »Halt noch etwas aus«, sprach sie zu ihm. »Buffy«, zischte er mit zusammengepressten Zähnen. »Wir können sie nicht einfach zurücklassen.« »Das tun wir auch nicht«, versprach Willow. Dann sagte sie an Oz gewandt: »Fahr sie um! Wir müssen zu Buffy.« »Alles klar«, erwiderte Oz und gab Gas. Der Lieferwagen ruckelte, als sie ein paar Kakchiquels überfuhren. Willow lehnte sich nach vorn zwischen die Vordersitze und sah gerade noch, wie zwei Vampire unter den Reifen zermalmt wurden. Sie fingen an, sie von der Seite her anzugreifen, und mindestens einer schaffte es, auf das Dach zu klettern. Das Auto raste zum Busbahnhof und pflügte durch die Menge der Kakchiquels, die dem Kampf zwischen Camazotz und Buffy als Zuschauer beiwohnten. 110
Sie waren nicht tot, aber zumindest ein paar von ihnen würden nicht mehr kämpfen können. Oz sagte ihren Namen, und Willow brach fast das Herz. Ihr Freund hatte ein tiefes Gespür für die Dinge, die im Verborgenen lagen, aber sein Gesichtsausdruck und sein Tonfall verrieten niemals seine Gefühle. Doch jetzt reichten die zwei Silben, die über seine Lippen kamen, aus, um ihr all seine Gefühle mitzuteilen. Furcht, Kummer, das Bedürfnis, sie vor dieser schrecklichen Szene, die sich vor ihnen abspielte, zu bewahren. Willow sackte in ihrem Sitz zusammen und wurde von ihren Gefühlen überwältigt. Die Scheinwerfer des Lieferwagens strahlten den Fledermaus-Gott und die Jägerin an wie die Bühnenlichter in einem Theater. Camazotz hielt Buffy wie eine Puppe über dem Boden in die Luft, und ihre Füße baumelten leblos hin und her. Sie hatte einen Schuh verloren. Willow liefen Tränen über die Wangen, als sie diese Szene sah. Camazotz hielt Buffys Kopf ganz nah an sein Gesicht. Die lange, gespaltene Zunge schnellte aus seinem Mund und drang in Buffys Mund ein. Es war obszön, brutal und noch widerlicher, als hätte er eine Klinge in ihren Rachen gestoßen. Die Zunge des Dämons steckte zwischen Buffys Lippen, sie erstickte fast und würgte. Alle sahen dieses groteske Schauspiel. Es spielte sich direkt vor ihren Augen ab. Der Lieferwagen wurde von den Angriffen der Vampire geschüttelt. Die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite stand kurz davor, zu zerspringen. Die Hintertüren waren von den Tritten der Vampire völlig zerbeult. Willow hatte sich von ihren Gefühlen überwältigen lassen, aber was sie da sah, machte sie auf einen Schlag wieder hellwach. Sie erkannte, dass es zu spät war. Es gab nichts mehr, was sie tun konnten. Diese Gedanken waren auf einmal so einleuchtend, dass sie fürchtete, den Verstand zu verlieren. 111
Die Fensterscheibe zerbrach. Anya schrie, als die Vampire nach ihr griffen. Oz erschoss einen von ihnen mit seiner Armbrust. Willow sah nicht einmal hin. Sie konnte ihre Augen nicht von Buffy und Camazotz abwenden. Plötzlich zog sich die Zunge des Fledermaus-Gottes wieder langsam zurück, Zentimeter um Zentimeter bewegte sie sich aus Buffys Hals wieder hinaus. Camazotz’ versengte, unbrauchbare Flügel flatterten dabei. Es war ein absurdes Bild und erinnerte entfernt an einen Hund, der mit dem Schwanz wedelt. Das orangefarbene Glühen, das in seinen Augen und in denen seiner Diener loderte, richtete sich auf Buffys Körper und brachte ihn zum Strahlen, als würde Elektrizität hindurchströmen. Ein dunkles, öliges Ding schlüpfte und wand sich aus ihrem offenen Mund, und Buffy wurde ganz steif unter Camazotz’ Griff. Es war ein formloses Wesen, ein finsterer Geist aus flüssigem Teer, eine wirbelnde schwarze Wolke, die durch Camazotz’ Zunge aus Buffys Körper gezogen wurde. Willow hatte dieses Wesen schon einmal gesehen. Es war die Seherin. Irgendwie zwang Camazotz das Wesen dazu, Buffys Körper zu verlassen. Zwei Arme schoben sich durch das Beifahrerfenster und packten Anya an der Schulter und an den Haaren. Ihre Schulter wurde von dem zerbrochenen Glas aufgeschlitzt, und sie schrie. Xanders Hand schoss plötzlich vom Rücksitz nach vorn, und er drückte ein Kruzifix auf den Arm des Vampirs, der sofort zu qualmen begann. Das ganze Auto stank nach verbranntem Fleisch. Der Vampir zog seinen Arm zurück und verschwand, doch andere waren sofort zur Stelle. Buffy hing wieder schlaff in Camazotz’ Armen, nachdem seine Zunge das schwarze Ding aus ihr herausgezogen hatte. 112
»Wir können diesmal nicht gewinnen«, rief Anya. »Wir müssen abhauen!« »Nicht ohne sie«, beharrte Willow. »Oz, überfahr sie beide! Camazotz und Buffy!« »Aber Willow...«, fing Xander an, doch Willow schnitt ihm das Wort ab. »Sie wird es überleben. Sie muss. Es ist die einzige Möglichkeit, so viel Zeit zu gewinnen, um sie ins Auto ziehen zu können.« »Und was ist, wenn sie es nicht überlebt?«, fragte Oz ruhig. Willow gab ihm keine Antwort. Buffy krümmte sich vor Schmerz auf dem Rücksitz der SedanLimousine, ihr Blut klebte auf dem Lederpolster. Doch Willow sah sie zuversichtlich und neugierig an. Sie war sehr schön. Xander fuhr stumm durch die Nacht. Er drehte nicht einmal den Kopf nach ihr um. Er sprach kein einziges Wort. »Ihr habt mich überfahren?«, fragte Buffy verdutzt. Viel von dem, was Willow ihr über jene Nacht vor fünf Jahren erzählte, als sie versucht hatten, sie aus Camazotz’ Gewalt zu befreien, versetzte sie in großes Erstaunen. »Ich erinnere mich an nichts.« Willow lächelte sie an. »Du warst nicht du selbst, Buffy. Zunächst einmal hatte Zotziloha von dir Besitz ergriffen und außerdem warst du bewusstlos.« »Zotzil-wer?«, fragte Buffy. Die Limousine sauste durch die Nacht. Aber es war eine Nacht, die durch Straßenlaternen, Geschäfte und Häuser, in denen Menschen lebten, die nicht von den Vampiren eingeschüchtert waren, erhellt wurde. Buffy blickte durch die Windschutzscheibe und sah eine große, reich verzierte Kirche vor sich, deren bunte Fenster in der Dunkelheit leuchteten. Es freute sie zu sehen, dass es noch Menschen gab, die an etwas glaubten. 113
»Zotziloha war Camazotz’ Gemahlin. Dir ist sie als die Seherin bekannt. Sie war eine Göttin, die keinen Körper besaß, ein Dämon, aber bei weitem nicht so böse wie ihr Gemahl. Sie floh vor ihm, aber sie wusste, dass er sie früher oder später finden würde. Das war der Grund, warum sie sich deinen Körper ausgesucht hat.« »Und dann hat er sie aus meinem Körper getrieben?«, fragte Buffy. »Ja, so könnte man es nennen.« Und dann haben sie mich gefangen und mich all die Jahre eingesperrt, dachte Buffy. Ihr zweites Ich hatte noch mehr Fragen und interessierte sich für andere Details. Während ihrer Flucht vor den Vampiren hatten die beiden Ichs denselben Wunsch gehabt, nämlich einzig und allein wieder frei zu sein. Es war einfach gewesen, die zwei Ichs miteinander zu vereinbaren. Doch jetzt entfernten sie sich wieder voneinander. »Ich erinnere mich daran, dass ich wieder zu Bewusstsein gekommen bin, als sie mich in diese Zelle gesteckt haben«, sagte Buffy leise. »Aber ich erinnere mich an nichts, was vorher passiert ist.« Ihr jüngeres Ich wusste, dass es nicht so leicht sein würde, einfach wieder in ihre Zeit zurückzukehren. Durch Willows Bericht war ihr klar geworden, dass ihr Ich – die neunzehnjährige Buffy – wahrscheinlich nur in die Zeit zurückkehren konnte, in der ihr Körper von dem Wesen namens Zotziloha eingenommen wurde. Aber sie wusste nicht genau, wann das geschehen war. Sie wusste nicht an welchem Tag, zu welcher Stunde und in welcher Minute. Zotziloha hatte ihren Körper in jener Nacht vor fünf Jahren verlassen, und ihr Geist war daraufhin wieder in ihren eigenen Körper zurückgekehrt. Aber jetzt, in dieser düsteren Zukunft, konnte sie nicht einfach in aller Ruhe abwarten. Sie musste einen Weg finden, dass ihr Geist, ihr jüngeres Ich, das jetzt in der Zukunft war, wieder in die richtige Zeit zurückfand, in die Zeit, bevor 114
die Seherin, Zotziloha, in ihren Körper eingedrungen war. Nur so würde sie das, was in der Zukunft geschah, verhindern können. »Mein Kopf tut höllisch weh«, flüsterte Buffy. Sie sah Willow an. Die fünf Jahre, in denen sie sich nicht gesehen hatten, hatten ein peinliches, verkrampftes Gefühl zwischen ihnen aufkommen lassen, sodass sie beide verlegen schwiegen. Aber Willow war immer noch ihre Freundin, und Buffy wusste, dass Willow ihr immer helfen würde und auf ihrer Seite stand. »Wir beide haben uns noch eine Menge zu erzählen, Will.« »Ja«, sagte Willow. »Das werden wir bald nachholen. Du musst einiges nachholen, und ich muss dir ein paar Dinge erklären. Vieles davon werden schlechte Neuigkeiten für dich sein. Aber für den Moment...« Sie drehte sich um und blickte durch die Windschutzscheibe. »Wir sind da.« Sie waren im Morgengrauen losgefahren, und jetzt war der Himmel im Osten schon ganz hell und leuchtete blau. Die Limousine bog in eine Straße, vielmehr eine Allee mit schönen Bäumen, ein. Sie fuhren sie entlang, bis sie zu einem Gebäude kamen, das wie ein Krankenhaus oder ein Bürogebäude aussah. Die anderen Autos folgten ihnen noch immer. Der Truppentransporter fuhr auf einen großen Parkplatz neben dem Gebäude, die zwei Limousinen parkten direkt davor, wo auch schon einige andere Autos standen. »Das ist unser Basis-Stützpunkt«, erklärte Willow. Buffy starrte das Gebäude an. »Ihr scheint ja einen größeren Einsatz zu planen.« Die drei stiegen aus dem Auto. Xander marschierte, ohne sie anzusehen, stumm auf das Gebäude zu. Buffy und Willow gingen langsam Seite an Seite. Nach einem Moment blieben sie beide stehen. Sie sahen sich an. Die Jägerin wurde von ihren Gefühlen, die sie so lange unterdrückt hatte, überwältigt und ließ ihnen nun freien Lauf. Willow biss sich auf die Lippen, 115
dann lächelte sie schüchtern, und die beiden Frauen umarmten sich. Sie waren Freundinnen und so lange getrennt gewesen, dass sie die Hoffnung, sich jemals wiederzusehen, fast schon aufgegeben hatten. Buffy fühlte immer noch eine gewisse Distanz zwischen ihnen, und sie wusste, dass es einige Zeit dauern würde, bis sie wieder so unkompliziert wie früher miteinander umgehen konnten. Aber es war ein Anfang. Sie lösten ihre Umarmung, und Buffy ging auf das Gebäude zu, blieb dann abermals stehen und sah neugierig die Frau an, zu der Willow sich entwickelt hatte. »Ich weiß, dass wir uns sehr viel zu erzählen haben – aber weißt du, was mir keine Ruhe lässt? Warum hat Camazotz mich später gefangen genommen, wo er doch seine Gemahlin schon gefunden hatte? Warum hat er sich überhaupt noch um mich gekümmert? Er hätte mich töten und dann einfach seines Weges gehen können. Diese ganze Eroberung durch die Vampire, was hat das eigentlich mit seiner Frau zu tun?« Willow riss bei Buffys Worten ungläubig die Augen auf. Als Buffy verstummte, hielt Willow sich die Hand vor den Mund, als fürchte sie sich davor, ihr zu antworten. Dann schüttelte sie den Kopf. »Oh mein Gott, Buffy, es tut mir so Leid. Ich... habe nicht damit gerechnet, dass du es nicht weißt.« Buffy lief es eiskalt über den Rücken. »Dass ich was nicht weiß?« »Camazotz ist schon seit Jahren verschwunden. Falls er noch lebt, ist er wahrscheinlich ein Gefangener, so wie du es warst.« Buffy runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht.« Der Wagen schaukelte vor und zurück, als die Kakchiquels versuchten, ihn umzuwerfen. Anya hielt ein Kruzifix aus dem Fenster, und Willow starrte durch die Windschutzscheibe und beobachtete, wie Camazotz seine Zunge zurückzog. Das 116
schwarze dämonische Wesen war durch seine Zunge aus Buffys Innerem gesaugt worden und schwebte jetzt auf der Zungenspitze des Fledermaus-Gottes. Buffy hing bewusstlos in seinen Armen, aber zumindest war dieses Wesen endlich aus ihrem Körper verschwunden. Camazotz schluckte das schwarze Ding einfach hinunter. Seine unbrauchbaren Flügel flatterten hektisch, er warf seinen hässlichen Kopf zurück und lachte gellend, wobei seine messerscharfen Zähne im Mondlicht glänzten. »Überfahr ihn!«, sagte Willow. Bei Camazotz’ Anblick wurde ihr fast übel. »Fahr!« Oz startete den Motor, und er wollte gerade Gas geben, als jemand leise gegen das Fenster auf der Fahrerseite klopfte. Sie drehten sich alle gleichzeitig um, so überrascht waren sie von dem leisen Geräusch inmitten dieses furchtbaren Lärms. Giles stand neben dem Wagen, direkt vor Oz’ Fenster. Er trug keine Brille mehr, und seine Augen zeigten ein orangefarbenes Licht, wie Feuer. Er war nicht im Gesicht tätowiert, aber als er sie anlächelte, sah Willow die Umrisse seiner Fangzähne. In ihrem Inneren erstarb etwas. »Nein«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf in wilder Verzweiflung. »Nein, nein, nein!« »Giles«, sagte Anya. »Er ist ein...« »Ihr könnt nicht gewinnen«, rief Giles ihnen mit freundlicher Stimme so laut zu, dass sie es durch das geschlossene Fenster hören konnten, »Ihr werdet nur dabei sterben. Macht euch keine Sorgen. Buffy wird am Leben bleiben. Ich würde nicht einmal im Traum daran denken, sie zu töten.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging auf Camazotz zu. Durch das zerbrochene Fenster auf Anyas Seite konnten sie verstehen, was Giles dem Fledermaus-Gott zurief. »Sei vorsichtig mit ihr! Vergiss nicht, wenn du sie tötest, wird es eine andere Jägerin an ihrer Stelle geben. Die einzige 117
Möglichkeit, die Jägerin zu besiegen, ist, sie einzusperren. Wenn wir sie schon nicht in die Hölle schicken können, dann bringen wir eben die Hölle zu ihr auf die Erde.« Camazotz zögerte zunächst, doch dann ließ er Buffy los. Sie glitt auf den Boden. Giles ging zu einer Gruppe Vampire und sprach mit ihnen, woraufhin sie Buffy vom Boden aufhoben. Dann zogen sie sich alle in die Finsternis der Nacht zurück. Die Scheinwerfer des Lieferwagens reichten nicht aus, um zu erkennen, welche Richtung sie einschlugen, aber sie hatten noch genügend Licht, um mit anzusehen, wie sie Buffy mitnahmen. Im nächsten Augenblick fuhren sie langsam über den Parkplatz. Abgesehen von den Toten in dem Warteraum waren sie jetzt die Einzigen auf dem plötzlich verlassenen Busbahnhof. Sie waren am Leben geblieben, aber Willow wusste, dass sie nur verschont worden waren, weil das Monster, das einst ihr Freund gewesen war, es so gewollt hatte. Er hatte sich zufällig an sie erinnert, aber da die Jägerin nun seine Gefangene war, interessierten die anderen ihn nicht mehr. »Oh Mann. Giles«, flüsterte Oz. »Was sollen wir jetzt tun?«, fragte Xander. »Wir sitzen verdammt in der Klemme.« Willow begann heftig zu weinen und krümmte sich auf ihrem Sitz zusammen. Sie schluchzte so sehr, dass sie das Gefühl hatte, in Stücke gerissen zu werden. Sie dachte, ihre Tränen würden niemals enden. Buffy starrte Willow mit weit aufgerissenen Augen an. Es war ihr auf einmal eiskalt. Nach allem, was sie in dieser schrecklichen Zukunft gesehen und gehört hatte, übertraf das ihre schlimmsten Alpträume. Sie biss sich auf die Lippen, Tränen rollten über ihre Wangen, und sie schüttelte langsam
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den Kopf. »Nein, Willow. Nein, das kann nicht sein«, wimmerte sie. »Nicht Giles.« Für Willow lag jene Nacht weit in der Vergangenheit. Und doch schmerzte es sie, wenn sie daran dachte. Sie zog Buffy an sich und hielt sie einen Augenblick fest umschlungen. Doch Buffy löste sich plötzlich aus ihrer Umarmung. »Giles«, sagte die Jägerin und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Giles ist ein Vampir.« Willow schwieg und wandte ihr Gesicht ab. »Er ist nicht nur ein Vampir«, sagte sie. »Er ist der intelligenteste, bösartigste und gefährlichste Vampir, der je existiert hat. Er ist ihr Anführer. – Ihr König.« FORTSETZUNG FOLGT...
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