Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 740 Der Erleuchtete
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 740 Der Erleuchtete
Dreieck der Vernichtung von Hans Kneifel Auf der Fährte EVOLOS Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide unvermittelt in die Galaxis Manam-Turu gelangt. Das Fahrzeug, das Atlan die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und die neuen Begleiter des Arkoniden sind Chipol, der junge Daila, und Mrothyr, der Rebell von Zyrph. In den Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die so ungleichen Partner schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte. Aber Atlan ist längst nicht zufrieden mit dem bisher Erreichten, ebensowenig wie seine Gefährten. Dann bringt Traykon, der seltsame Roboter, neue Erkenntnisse ein. Die »Brücke zum Erleuchteten« wird auf dem Planeten der Leronen entdeckt. Nach der spektakulären Zerstörung dieser »Brücke« setzt sich die STERNSCHNUPPE auf die Spur EVOLOS und kommt dabei in das DREIECK DER VERNICHTUNG …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide und seine Gefährten erkennen EVOLOS »Handschrift«. P-Lankion, Phonell und Omahrc - Kommandanten des ligridischen DreierStützpunkts BYTH. Gelona und Kampurt - Zwei ligridische Detektive. Eleteen - Ein zerstörerisches Phantom.
1. Die Traphnaton war in diesem Raum der unauffälligste, aber wichtigste Gegenstand. Die schlag- und stoßsichere Umhüllung war entfernt worden. Die Mikropositronik entwickelte ein fast geräuschloses Eigenleben. Zuerst klappte der stereoskopisch arbeitende Bildschirm um zweihundertzehn Grad nach oben. An der oberen Vorderkante des kofferförmigen Geräts befunden sich selbsttätig arbeitende Stellmotoren. Dann faltete sich an einem Teleskoparm ein winziges Rundummikrophon aus der Seitenfläche hervor. Es reckte sich fast senkrecht nach oben und verharrte aktiviert in dieser Stellung. Ein anderes Teil begann sich zu bewegen, aus dem unteren vorderen Teil klappte eine Tastatur herunter und legte sich flach auf die Unterlage. Farbige Tasten in unterschiedlicher Größe begannen aufzuleuchten. Als die Tastatur von vorn ausgeklappt war, zeigte sich auf der Frontseite rechts eine Anordnung von winzigen Monitoren, links eine Reihe kleiner, farbig markierter Schaltelemente. Der Ausgabeschlitz für die Mikrofiches öffnete sich klickend. Er befand sich rechts oben an der Schmalseite der Mikropositronik. Die Kassette mit dem Vorrat des Trägermaterials stand, noch nicht eingeklinkt, links neben dem seltsamen Gerät. Auch der Trägerarm und der Projektorring der Feldlinse war noch nicht ausgeklappt. Die Traphnaton war bereit, aber noch nicht eingeschaltet. Ein Impuls erreichte das Innere des höchstempfindlichen Geräts. Die
Arbeitsanweisungen waren längst erteilt: eine klar definierte Problemstellung hingegen nicht gespeichert worden. Die Traphnaton war aktiviert. Die Mikropositronik fing zu arbeiten an. Sie sammelte Informationen. Sie stand in einem zentralen Schaltraum von BYTHA, der Raumtankstelle.
* Der Medorobot summte, fuhr seine Diagnosearme vor und zurück und war außerordentlich verwirrt. »Der Gesundheitszustand ist den Normen entsprechend. Störungen oder Veränderungen sind nicht erkennbar.« Die Stimme der Maschine ließ keinerlei Unsicherheit erkennen. Die Maschine war das persönliche Eigentum des Stationsleiters. Omahrcs massiger Körper lag ausgestreckt auf einer weißbespannten Liege. Die Untersuchung war fast beendet. Omahrc stöhnte auf und sagte: »Das kann nicht sein! Ich bin krank! Ich sehe untrügliche Zeichen …« Der Roboter senkte ein flaches, tellerförmiges Gerät auf die Haut des Patienten ab. Haarfeine Nadeln bohrten sich in die äußersten Hautschichten. Wieder summte der Untersuchungs- und Behandlungsroboter. In seinem Speicher befand sich jede winzige Einzelheit aller denkbaren und einiger neuer Krankheiten, von denen Ligriden befallen werden konnten. Nach einigen Minuten wiederholte der Sprachteil der Spezialmaschine mit endgültiger Unerbittlichkeit: »Kein Befund. Testperson ist gesund. Zusätzliche Untersuchungen erübrigen sich.« Dann klappte der Robot sämtliche Metallglieder ein, schloß die Fächer und begann damit, die eingesetzten Analysatoren zu desinfizieren.
Stöhnend stemmte sich Omahrc hoch. Er warf einen verzweifelten Blick auf den davonschwebenden Roboter. Dann schwang er die Füße vom Lager auf den Teppich und stand auf. Ein Blick in den raumhohen Spiegel zeigte dem Diener des Gwyn, daß die Maschine unrecht hatte. Omahrc sah sich zweimal. Einmal als Mann in fortgeschrittenem Alter, mit gerundeten Gliedern und einem beachtlichen Bauchansatz. Seine Haut war fast gleichmäßig von einem hellen Olivgrün. Die Schuppen an den Außenseiten der Gelenke zeigten nur jene Veränderungen, die dem Alter zuzuschreiben waren. Aber neben dem runden, gutmütigen Gesicht des linken Omahrc schien aus dem Spiegel ein zweites Wesen den Stationsleiter anzugrinsen. Das schmale, asketische Gesicht mit den übergroßen Augen, die ihn anfunkelten, war deutlich zu sehen. Der Körper überdeckte zum Teil den anderen Körper. Omahrc stöhnte auf, blinzelte mit beiden Lidsystemen und registrierte mit unendlicher Erleichterung, daß das zweite Abbild verschwand und er selbst, in der gewohnten Gestalt, übrigblieb. »Werde ich verrückt?« murmelte er, während er sich langsam anzog. Er hoffte, daß ihn niemand störte in den nächsten Stunden. Er brauchte Ruhe und Abgeschiedenheit. Religion und Philosophie konnten ihm helfen. Es war undenkbar, daß er sein Gesicht verlieren durfte. Nachdenklich betrachtete er die karge Einrichtung des Untersuchungsraums, dessen Beleuchtung sich langsam ausblendete. Der Roboter war hinter dem mikrobensicheren Schott verschwunden und überprüfte seine gespeicherten Krankheitsbilder. Der Chef von BYTHA, die langsam um den Planeten rotierte und ein wichtiges Glied in den Expansionsbestrebungen der Ligriden darstellte, zog sich in seinen Wohnraum zurück. Auch dieser Raum
war dunkel. Durch eine große Platte aus Spezialglas sah Omahrc einen Teil der Planetenkrümmung und darüber die Sterne einer Welteninsel, deren Teile auch den Ligriden fremd waren. Die Großstation BYTH hingegen war ein Festpunkt des kosmischen Wegenetzes. Das Wichtigste war die Raumtankstelle, die ihrerseits vom planetaren Stützpunkt lebte, und nicht minder wichtig war die Zircumplanetarstation BYTHMAYN. Es war ein starker, wichtiger Stützpunkt, den viele Raumschiffe anflogen. Hier gab es alles, was sie brauchten: Ersatzmannschaften, Wasser und Bordverpflegung, Treibstoffnachschub und Reparaturmöglichkeiten. Er, Omahrc, war für die Tankstelle verantwortlich, und bis vor kurzer Zeit hatte jeder Teil dieser komplizierten, wichtigen Anlage reibungslos gearbeitet. Es traf Omahrc ins tiefste Innere, als zum erstenmal das Wort Sabotage laut ausgesprochen wurde. »Warum ausgerechnet mir?« stöhnte der Mann. Er nahm Platz in einem großen Sessel. Die Armlehnen waren künstlich vergrößert und enthielten Monitoren, Hunderte von Schaltern, Mikrophone und Lautsprecher. Er war ein mittleres Kommunikationszentrum. In Reichweite befanden sich die Regale mit den gefüllten Fächern zahlloser Lesespulen. Sie enthielten Texte, die jeden Aspekt der Religion und der philosophischen Betrachtung der Zeit vor und nach der Umsiedlung enthielten. Der Stationsleiter entspannte sich und streckte die langen Beine von sich. Schweigend starrte er die Sterne an. Alle seine Gedanken bewegten sich in einem schwarzen Tunnel der Hoffnungslosigkeit. Er fühlte geradezu, wie sich neues Unheil zusammenbraute. Zwischenfälle im Vorverdichter! Auffallende Ungenauigkeiten bei der Energieerzeugung! Stromausfall in der Peripherie der »Batterie«-Anlage! Das waren die schwersten Pannen. In jedem Fall sah es so aus, als ob ein Ligride Fehlschaltungen bewußt ausgeführt hatte. »Ich hasse diese Mentalität«, murmelte Omahrc verzweifelt.
Widerwille erfüllte ihn, obwohl er definitiv wußte, daß er die Verantwortung hatte und handeln mußte. In seine trostlosen Gedanken hinein summte der Interkom. Ein Lichtsignal sagte ihm, daß ihn sein Sekretär sprechen wollte. Seufzend griff er nach seinem dünnen, weichen Helm und setzte ihn auf den kahlen Schädel. Die böse Wirklichkeit, der er für eine Stunde entkommen zu sein glaubte, hatte ihn wieder eingeholt. Er berührte mit einem Finger leicht ein Tastenfeld. Ein Bildschirm zeigte Sorcasion, seinen persönlichen Sekretär. »Diener des Gwyn«, sagte Sorcasion und führte die Geste der geschäftsmäßigen Höflichkeit auf, »es gibt neuen Ärger.« »Ich verstehe. Sind wieder diese Verbrecher am Werk? Schaffe mir die Sorgen vom Hals, Diener des Gward.« Das kapuzenbedeckte Gesicht des jungen, ungewöhnlich tüchtigen Mannes lag halb im Dunkel. »Ich verstehe«, gab der Sekretär taktvoll und im traditionellen Verhalten zurück, »daß du die Pausen genießen und dich auf große Aufgaben vorbereiten willst. Aber alle, die dir untergeordnet sind …« »… und das sind nicht gerade wenige!« stöhnte Omahrc. »Alle wollen, daß du eingreifst. Sie meinen, daß sich ein einzelner Verbrecher an Bord befindet. Er schlägt immer dann zu, wenn deine Freizeit beginnt. Also fürchtet er deine Anwesenheit in den Räumen der Zentrale. Das mag ein wichtiger Hinweis sein.« »Ich bin kein Detektiv«, sagte Ohmarc. »Auch ich habe keine Erfahrungen in solchen Tätigkeiten.« »Was rätst du?« »Vermutlich kennt P-Lankion Leute, die uns helfen können. Mit Wahrscheinlichkeit haben sie auf dem Planeten Spezialisten für solche Fälle. Auch wenn es undenkbar erscheint, daß ein Ligride vorsätzlich unverständliche Handlungen vornimmt.« Sein eigener Zustand gab Omahrc die nächste Antwort ein. »Es muß ein Kranker sein. Ein Entarteter. Sprich mit P-Lankion.
Sage ihm, wir brauchen jemanden, der vorurteilsfrei und geschickt an das Problem herangeht.« »Danke, Omahrc. Ich leite eine vorbildliche Aktion in die Wege«, antwortete der Sekretär erleichtert. Der Bildschirm erlosch. Gegenüber den Selbstvorwürfen war Omahrc ebenso hilflos wie gegenüber seiner Entschlußlosigkeit. Noch vor zwei Monaten wäre er mit kalter, zielgerichteter Entschlossenheit vorgegangen und hätte unbequeme Entscheidungen getroffen. Er schämte sich. Gleichzeitig entschuldigte er sich selbst: er war krank. Er entdeckte seinen eigenen Doppelgänger, und nicht nur im Spiegel. Sein eigenes Ich, dreißig Jahre jünger. Von seinem Platz aus sah er, wie ein kugelförmiges Raumschiff blinkend und mit arbeitenden Bremstriebwerken näher herandriftete, um Brennstoff zu übernehmen. Er wollte gern mit dem Kommandanten sprechen, wollte die Neuigkeiten aus anderen Gebieten der Galaxis erfahren, aus erster Hand und nicht über die offiziellen, bearbeiteten Nachrichtenaussendungen von BYTH-ARK. Er rührte sich aber nicht.
* Sorcasion dachte sich, daß P-Lankion noch schwieriger zu erreichen war als sein eigener Vorgesetzter. Er wartete in steigender Ungeduld. Hier BYTHMAYN. Warten! blinkte es vom Bildschirm. Das Sonnensystem bestand aus elf mondlosen Planeten. BYTHXYLOM, das war die Bezeichnung der Sonne in den Sternkatalogen. Zwei Planeten waren bewohnbar, aber leer. Es gab keine beweisbar intelligenten Wesen darauf. Nur auf BYTH-ARK gab es einen großen Stützpunkt, bewacht und eingeschränkt von den Pionieren durch einen Wall aus Palisaden, die inzwischen fast idyllisch von
Schlingpflanzen und Ranken be- und überwachsen waren. Eine Bildfunkverbindung zwischen der Raumtankstelle und der radförmigen Station BYTHMAYN war normalerweise eine Angelegenheit von wenigen Sekunden. Warten! P-Lankion war der Ligride, der für das Dreigestirn von Planet, Tankstellen und Station gesamtverantwortlich blieb. Er schien überbeschäftigt zu sein. Oder, so dachte der Sekretär kühn, gab es auch bei ihm ungewöhnliche Aufregung. Endlich zeigten sich Umrisse auf dem Bildschirm. Aber P-Lankion war nicht zu sehen. Die Linsen zeigten die verwirrende Technik eines Schaltraums. »Sorcasion spricht«, sagte der Sekretär und fühlte sich unbehaglich. Sah ihn P-Lankion, während er ihn nicht sehen konnte? »Ich möchte im Auftrag von Gwyn Omahrc mit Gwyn P-Lankion sprechen.« Noch immer zeigte sich der breitgebaute, mittelgroße Ligride nicht. Sorcasion erinnerte sich perfekt an den Mann in heller Kleidung und auffallendem Helm, der sich am Anfang der letzten Dekaden seines Lebens befand und alle Probleme mit der Erfahrung eines bedächtigen Ligriden löste. Seine Stimme war identisch mit den Erinnerungen: tief und rauh, ein wenig atemlos. »Du sprichst mit P-Lankion.« Im Randbereich der Aufnahmeoptiken stand ein Metallrahmen, auf den eine Folie mit rauher Oberfläche straff gespannt war. Farben und Umrisse ließen eine Zeichnung oder eine Malerei erkennen, die unfertig war. Sie schien eine Unterwasserlandschaft zu zeigen oder einen Ausschnitt davon. »Ich habe eine Bitte weiterzugeben.« »Privat oder im Zusammenhang mit BYTH?« »Es ist BYTH, Diener des Gwyn. In unserer Tankstelle häufen sich Vorkommnisse, die möglicherweise von einem kranken Saboteur
verschuldet wurden. Omahrc bittet dich, uns Spezialisten zu schicken. Wir haben keine Möglichkeit, die Station derart genau zu überwachen. Zu viele Räume, zu wenige Leute. Wir brauchen Agenten oder ausgebildete Prüfer. Du siehst eine Möglichkeit?« Ein Bild, das bedeutete, daß P-Lankion auf seinem Weg in die neutrale Stellung zwischen Gward und Gwyn schon einen sehr großen Schritt weitergekommen war. Ein gutes Zeichen. Der Sekretär freute sich für den verwitterten Alten. Aber warum zeigte er sich nicht? P-Lankion brauchte überraschend lange Zeit, um zu einem Entschluß zu kommen. »In Ordnung«, sagte er schließlich. »Ich werde Phonell anrufen und ihm entsprechende Befehle erteilen.« Der Sekretär senkte den Kopf, wartete die vorgeschriebene Zeit und wagte dann einzuwenden: »Omahrc bat dich, Chef.« »Das habe ich verstanden. Meine Probleme sind gegenwärtig zu groß und nehmen ungebührlich viel Zeit in Anspruch. Ich sehe mich gezwungen, den Befehl weiterzuleiten. Phonell wird die Zuverlässigkeit der Tankstelle wieder herstellen. Er kennt die entsprechenden Spezialagenten.« Das war eine unmißverständliche Entscheidung. Unter der Kapuze verbeugte sich Sorcasion, und P-Lankion trennte die Verbindung. Einigermaßen ratlos lehnte sich der Sekretär zurück. Er verstand die Welt und die Zeit nicht mehr. Natürlich war Phonell, der Stützpunktleiter auf dem Planeten, eine ebenso gute Alternative. Aber warum gab P-Lankion bei einer so schwerwiegenden Aktion die Verantwortung ab?
*
P-Lankion erledigte den Auftrag schnell und mit der gewohnten Zuverlässigkeit. Phonell hatte in den letzten Tagen mehrmals mit P-Lankion gesprochen. Daran, daß sich der Chef nicht zeigte, hatte er sich gewöhnt. Es war kein Verstoß gegen Tradition und Norm, ein derart hochgestellter Ligride war in derlei Kleinigkeiten unabhängig. Phonell versprach, die beiden einzigen Agenten sofort zu alarmieren und in Marsch zu setzen. P-Lankion war wieder allein. Er hob seinen rechten Arm. Seine Gliedmaßen begannen sich zu verändern. Sie wurden runder und entwickelten eine dicke, fettartig aufgeschwemmte Haut. Von den leichtgeschuppten Gelenkaußenseiten schienen die Schuppen, sich vergrößernd, über die Haut zu wandern. Die Extremitäten blähten sich auf, dafür preßte sich der Schädel zusammen, P-Lankion studierte mit kalter Leidenschaftslosigkeit seine Veränderungen und hoffte, daß die Krankheit vorübergehen möge, glaubte aber nicht daran. Er haßte den Schlaf. Jedesmal, wenn er aufwachte, war die Verformung ein Stück weiter fortgeschritten. Der Verstand, und das war das eigentlich Schlimme, litt nicht. Deshalb war es ihm auch noch immer möglich, Maßnahmen zur Gegensteuerung zu ersinnen und auszuführen.
2. Nach einigen Stunden qualvollen Wartens meldete sich die Stimme des Raumschiffs wieder. »Ich habe die Psi-Spur endgültig verloren. Ich besitze aber klare Aufzeichnungen der Ortung.« Wir kannten sie längst.
Die Spur, die wir nach dem Abklingen der überlagernden Effekte in Planetennähe verfolgt hatten, deutete auf die Randzone jenes annähernd kugelförmigen Weltraumsektors, den wir als die Zone des Daila-Einflusses kannten. »Welche der fünf Sonnen soll ich ansteuern?« fragte die STERNSCHNUPPE. »Den Stern im Zentrum«, sagte ich. »Weitab dieser Sonne müssen wir orten und feststellen, ob es dort irgendwelche Aktivitäten gibt. Ich will mich nicht wieder mitten in unberechenbare Auseinandersetzungen stürzen.« Der Erleuchtete hatte unsere Spur und saß uns im Nacken. Der Vorsprung, den wir womöglich noch hatten, schrumpfte zusammen. »Auftrag begriffen!« Aytab, die Welt der Mannannafelder, lag weit hinter uns. Die Flucht – Mrothyr nannte unser Verschwinden eine »strategische Absetzbewegung« – und die Versuche, den psionischen Impuls des Weißen Unheimlichen so weit wie möglich zu verfolgen, ließen uns Aytab und die sympathischen Kaytaber vergessen. Nicht vergessen durften wir unseren Roboter Traykon, der in einiger Zeit immer ungeduldiger auf die Blinkfelder des transportablen Hyperfunksenders starren und hoffen würde, wir würden unsere Rückkehr ankündigen um ihn zurückzuholen. Wieder führte die STERNSCHNUPPE, mittlerweile während einiger Tankpausen reichlich mit Energie ausgestattet, eine Linearetappe durch. Wir näherten uns dem Zielgebiet. »Dorthin deutete die Projektion, die das Schiff angefertigt hat!« sagte Chipol leise. Immer wieder hatten wir geortet und gerechnet. Wenige Informationen mußten uns genügen. Diese Spur, die von Aytab irgendwohin deutete, kannten wir jetzt: sie führte uns irgendwohin. Fünf Sonnen. Das bedeutet unter Umständen fünf Sonnensysteme, die du untersuchen lassen mußt, wies mich der Logiksektor auf das Problem hin.
Das war die geringste Schwierigkeit, die wir hatten. Die STERNSCHNUPPE schwang sich in den Weltraum zurück, in dem es uns auf dem Umweg über ihre Systeme möglich war, unsere Sinne zu gebrauchen. Vor uns hing ein mächtiger rotleuchtender Riese vor der Dunkelheit des Weltalls. »Ich beginne zu orten«, erklärte das Raumschiff. Mrothyr stand auf und lehnte sich an das Kopfteil seines Sessels. Auf den Bildschirmen befanden sich, in unterschiedlicher Entfernung, Größe und Leuchtkraft, vier weitere Sonnen. Nach einer Weile meldete die STERNSCHNUPPE: »Keine Planeten. Im näheren Umkreis dieser Sonne keinerlei Schiffsbewegungen und keine Energieemissionen oder Zeichen von Leben.« Ich ordnete an: »Dann untersuche eine Sonne nach der anderen, beziehungsweise deren Planetensysteme und so weiter. Eile ist nicht nötig. Sicherheit ist für uns alle vorrangig.« »Ich habe verstanden.« Die STERNSCHNUPPE, die eine große Kreisbahn um die rote Sonne eingeschlagen hatte, verließ wieder dieses Bezugssystem und sprang auf die nächste Sonne zu.
3. Kampurt schob seinen Helm mit einer knappen Bewegung in den Nacken. Allein diese Geste zeigte, wie durchtrainiert sein Körper war. Aus dunklen, großen Augen blickte er seine Partnerin an und sagte: »Die Aufgabenstellung ist klar, Gelona. Nicht wahr?« »Sie ist klar. Aber es wird alles andere als einfach sein.« »Zugegeben. Hast du deine Traphnaton schon irgendwo postiert?« »Auf einem Tisch in der Zentrale BYTHAS.«
Nach ihrer Alarmierung auf dem Planeten, nach einem Flug und Anrufen bei verschiedenen Stellen, an denen die Detektive erste Informationen einholten, befanden sie sich jetzt in zwei nebeneinander liegenden Kabinen im vorderen Teil von BY-THA, der Raumtankstelle. »Mir scheint«, sagte Kampurt halblaut, »daß es mehr Antworten gibt, als wir gefragt haben.« »Vermutlich hast du recht. Das ist eine Raumflottenangelegenheit. Wir haben unsere besten Fälle innerhalb der Flotte gehabt und gelöst.« »Auch das trifft zu. Immerhin können wir auch hier unabhängig von der normierten Hierarchie operieren. Wir sind nur P-Lankion verantwortlich.« Die Lider Gelonas klappten von unten nach oben. Ihre Augen wurden meditativ milchig und verschleiert. »Und P-Lankion ist seit fünfzehn Tagen von keinem seiner Leute gesehen worden. Er ist nur akustisch präsent.« »Ein Problem für deine kluge, selbstauswertende Maschine«, bestätigte Kampurt knapp. »Schon begriffen, Partner.« Gelonas Blick klärte sich wieder. Sie nahm Kampurt am Arm und zog ihn mit sich. »Sehen wir nach. Die Traphnaton hat die Liste sicher schon fertig.« Der Partner machte die Geste der Zustimmung. Im Einverständnis mit P-Lankions untergeordneten Vertretern war für die Tankstelle ein striktes Verbot erlassen worden. Ein schwerbewaffnetes Robotboot bewegte sich zwischen den Last- und Personenschleusen hin und her und war nur durch ein Kodewort der beiden Spezialisten vorübergehend zu desaktivieren. Erste Überlegung war, daß ein Attentäter unter den Insassen der BYTHA-Station zu suchen war. Dazu allerdings brauchte niemand einen der besten Mikrocomputer, die je innerhalb der ligridischen Technik
zusammengebaut worden waren. Einen mikrominiaturisierten Lageplan der Station trug Kampurt in einer seiner Overalltaschen. Die Projektor laufe der schweren Dienstwaffen schlugen bei jedem zweiten Schritt gegen die Oberschenkel der hochgewachsenen, schlanken Spezialisten. Nach einem kurzen Sprint befanden sie sich in der Zentrale. Lautlos blinkte die Traphnaton. Machte sich ein Unbefugter daran zu schaffen, löste sie einen unüberhörbaren Alarm aus. Die drei Männer in der Zentrale begrüßten die Spezialisten. Kampurt schloß einen Impulskreis an die Steuerleitungen an. Dann ließ er Gelona ein Programm schreiben. Ab jetzt waren sämtliche Überwachungsanlagen, sämtliche Schott-Mechanismen, alle Kommunikationsstränge und die Anwesenheitsliste abzapfbar. Mit Gelona und Kampurt arbeiteten dreiundneunzig Frauen und Männer hier. Ausgangssperre für die nächsten neun Tage! Kein Besuch in der Radstation, keiner auf dem Planeten! Keine Benutzbarkeit der Transmitter! Was auch immer geschah, die Traphnaton registrierte es, schied sämtliche unverdächtigen Bewegungen aus und erstellte Verhaltensprofile derjenigen Besatzungsmitglieder, die für eine bestimmte Bewegung innerhalb der Station keine stichhaltige Begründung liefern konnten. Links, an dem unteren Teil der Schmalseite, klinkte Gelona die Trägermaterialkassette ein. Dann nickte die junge Frau ihrem Partner zu. Er kam von einem schnellen Inspektionsrundgang nahe der Schaltzentrale zurück und setzte sich in den freien Sitz vor der Reihe der Kontrollpunkte. »Wir haben unsere Legitimationen abgegeben«, sagte er knapp. »Wir sind berechtigt, alles und jeden zu kontrollieren. Macht bitte einen dringlichen Rundruf.« Er sah es den Männern an: sie waren froh darüber, daß unabhängige Personen die Untersuchung vornahmen. Der Ehrenkodex der Ligriden sah für derartige Verbrechen die schlimmsten Strafen vor – undenkbar, daß ein Verräter einen
anderen Beweggrund als Geisteskrankheit haben konnte. »Welcher Text?« »Wir haben Anschlüsse Nullneunzehn und Nullzwanzig. Bei irgendwelchen Unstimmigkeiten Anruf an uns. Wir sind binnen zwanzig Sekunden mit der Waffe im Korridor.« »Wartet zwei Minuten!« sagte Melsor kurz. »Was sagt Omahrc dazu?« »Er wird bei P-Lankion zurückfragen. Einzig von ihm bekommen wir, was den Einsatz betrifft, unsere Befehle.« Gelona sprach leise mit ihrem Wundergerät, tippte auf die Tasten, die daraufhin die Leuchtintensität veränderten und »verwandelte« durch diese Koppelung von Programmen den Mikropositronikblock in eine Art supermißtrauischen Wachhund. »Fertig?« wandte sich Kampurt an die Partnerin. Sie hob die Hand. Er sagte, auf das Schott deutend: »Sehen wir uns die Anlage genau an. Auskünfte über die Stellen, an denen der Gesuchte oder jene Gruppe zugeschlagen hat, erhalten wir überall?« »Notfalls ruft die Zentrale«, erklärte Melsor. Länger als sechzehnhundert Meter, vierhundertfünfzig breit und siebenhundertachtzig hoch: das waren die Außenmaße von BYTHA. Unzählige Gänge führten in mehreren Stockwerken von vorn nach hinten, kreuzten sich vor den Maschinenhallen und verliefen innerhalb der Flossen abwärts. Eine Serie von kleineren Korridoren, die in Magazine führten, wurde versiegelt. An den Stellen, an denen sabotiert worden war, sahen Gelona und Kampurt die Spuren, die nur ein Werkstattroboter oder ein Ligride erzeugt haben konnte. Die Roboter befanden sich bereits in einer Lagerhalle und dort in einem Fesselfeld gefangen. Reparaturen waren ausgeführt worden, und jedes Schiff, das anlegte, erhielt unproblematisch und schnell seinen Treibstoff: hochverdichtetes Plasma. Anhand der Funktionszeichnung kontrollierten die Spezialisten innerhalb von sechs Stunden die gesamte Anlage. Jeder Ligride dort
wurde angehalten und befragt. Fast pünktlich mit dem Schichtwechsel einer Arbeitsgruppe kamen sie einigermaßen erschöpft in ihre Quartiere. Sie duschten, zogen sich um und gingen dann in die Kantine, wo sie zusammen mit mehr als dreißig Ligriden aßen und eine lange Unterhaltung führten. Bei einem großen Glas bitterem Würzbier trafen sie sich in Gelonas Kabine. Einen kleinen Schritt waren sie weitergekommen: Sorcasion machte sich große Sorgen um Omahrc. Zumindest verhielt der sich seltsam. Vielleicht hatte er Probleme, die das Mißtrauen der Spezialisten ihm gegenüber rechtfertigten. Phonell, Diener des Gwyn, sah inzwischen ein, daß er sich zumindest ungeschickt verhalten hatte. Drei Raumschiffe landeten auf dem gesicherten, abgeschlossenen Bezirk des Raumhafens. Für mehrere Nächte waren die Personalunterkünfte, alle Bars, Restaurants und die Erholungseinrichtungen fest in der Hand der gelandeten Mannschaften und Offiziere. Phonell wurde abgelenkt, aber als zwei Schiffe wieder gestartet waren und die Reparatur am dritten sich ihrem Ende näherte, dachte er wieder intensiv über sein eigenes Verhalten nach. Er war korrekt geblieben und verhielt sich tadelfrei. Warum also war er ausgewichen? »Schließlich sind Gelona und Kampurt besser geeignet als ich«, brummte er verdrossen. Seine Gedanken schienen sich zäh wie Sirup zu bewegen. Seine geistige Klarheit – war sie gefährdet? Er schüttelte sich. Bei Gwyns Stärke! Er sollte sich zuerst einmal richtig ausschlafen! Er verließ den Raum, schloß methodisch das Schott und sagte sich voller Verblüffung, daß er offensichtlich seine Wohnräume zum erstenmal sah. »Unsinn!« murmelte er und schaute sich um. Natürlich war dies
ein Teil der Räume, in denen er seit langen Jahren lebte. »Du bist schon mehr als übermüdet!« Während sich Phonell auszog, kämpfte er gegen das Gefühl an, krank zu werden. Er schlief schnell ein und fiel in dumpfe, quälende Träume. Immer wieder tauchte BYTHA auf. Die Weltraumtankstelle war von bösartigen Erscheinungen heimgesucht. Er wachte mit einem üblen Gefühl auf. Der Chef des Raumhafens brauchte ungewöhnlich lange, bis er sich angezogen, gefrühstückt und den Helm aufgesetzt hatte. Ständig bemühte er sich darum, einen Gedanken festzuhalten, der mit den Ereignissen der letzten Tage zu tun hatte. Endlich konnte er ihn fassen, ging ins Arbeitszimmer und stieß die Pultabdeckung auf. Unschlüssig hingen seine Finger über den Tasten. Schließlich begriff er, daß es heller Tag war. Er öffnete ferngesteuert sämtliche Fenster und die raumhohe Tür der Wand. Frische Luft drang in einem kühlen Schwall herein und klärte sein Bewußtsein. Es war mittlerweile Mittag geworden. Er sprach kurz mit seinen Vertretern und dem Sekretariat, dann rief er die Zentrale von BYTHA. »Hier Phonell«, sagte er langsam und fühlte überrascht, wie ihn sein eigener Helm an den Schläfen zu drücken begann. »Eine Schaltung zu Gelona und Kampurt, den Spezialisten.« »Sofort, Diener des Gwyn.« Der Bildschirm flimmerte kurz, dann hob Gelona den Kopf. Sie befand sich hinter dem Kastenelement ihrer Hochleistungspositronik. »Phonell!« sagte sie überrascht. »Was kann ich für dich tun?« »Mir die letzten Neuigkeiten mitteilen«, sagte er. »Es gibt nicht viel. Wir haben uns eingerichtet und die Anordnungen P-Lankions durchgesetzt. Eine Doppelwachs steht im Transmitterraum. Es gab keinen weiteren Zwischenfall – bisher.« »Was sagt Omahrc zu der Aktion?« »Omahrc scheint sich der Ruhe und Betrachtung hinzugeben. Er
zeigt sich nicht, gibt aber nach wie vor Anordnungen.« »Die Tankstelle arbeitet reibungslos?« »Nach den notwendigen Reparaturen ist bisher kein technisches Problem aufgetaucht.« »Ich kann also beruhigt sein?« »Wir melden uns sofort, wenn wir deine Unterstützung brauchen, Diener des Gwyn.« »Danke, Dienerin des Gward. Meine persönliche Anwesenheit ist also nicht nötig.« »Noch nicht. Wir haben alle Grundlagen geschaffen, einem mutmaßlichen Attentäter schnell auf die Spur zu kommen.« »Verstanden. Ende?« »Ende.« Sie waren es gewohnt, anstehende Probleme mit einem Minimum an Fragen und Antworten zu erledigen. Phonell kannte die Spezialisten seit langen Jahren und hatte uneingeschränktes Vertrauen zu ihrer Tüchtigkeit. Er lehnte sich zurück, dachte nach und blickte durch die Fenster auf den Raumhafen hinaus. Gerade startete das dritte Raumschiff. Jetzt war die riesige Landefläche fast völlig leer. Nach einem Zwischenaufenthalt an der Tankstation würde das Schiff sich wieder in den Weiten der Galaxis ManamTuru verlieren und irgendeine Aufgabe im Rahmen des Neuen … er suchte krampfhaft nach dem Ausdruck. »Neues Konzil«, flüsterte er schließlich und prägte sich einen Ausdruck ein, den er fast täglich gebraucht hatte. Zum erstenmal hatte er das Gefühl kommenden Unheils. Was geschah mit ihm?
* Nachtperiode in BYTHA: Gelona lag ausgestreckt auf ihrer Liege und dachte an einen
gewissen Raumschiffskommandanten. Aber dann wandte sie ihre Gedanken wieder den anstehenden Problemen zu. Am Fußende der großen Einbauliege brannte beruhigend das winzige, grüne Licht der Abhöranlage. Kampurt und sie selbst konnten hören, was im benachbarten Raum vor sich ging. Ob diese Vorsichtsmaßnahme nötig war? Jetzt hörte sie nur seine ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge. Sie lächelte kurz. Dann wandte sie sich wieder professionelleren Überlegungen zu. Im Geist ging sie durch die Korridore der Anlage, besuchte abermals die Stellen, an denen es die gefährlichen Zwischenfälle gegeben hatte, und sie versuchte, den Charakter von BY-THA in sich aufzunehmen, nachdem die Mikropositronik wichtige Beobachtungen von unwichtigen getrennt hatte. Langsam kam, während sie versuchte, den unsichtbaren und unhörbaren Schwingungen nachzugehen und sie irgendwie festzuhalten, der Schlaf über Gelona. Und plötzlich riß sie ihr hochentwickelter Instinkt brutal aus dem Traum heraus. Mit einem Satz war sie aus dem Bett, schlüpfte blitzschnell in den Bademantel und nahm die Waffe in die rechte Hand. In der Linken trug sie bereits den Handscheinwerfer. Das Schott zischte auf. Gelona schob sich vorsichtig um die Kante. Der eng gebündelte Lichtstrahl zuckte nach rechts und nach links durch den kurzen Korridor, der in das dunkelrote Licht der Nachtbeleuchtung gehüllt war. Nichts. Drei Schritte brachten sie bis zum Eingang des Nachbarschotts. Mit dem Ellbogen schlug sie durch die Folie des Notschalters. Eine gedämpfte Explosion trieb die kaschierte Stahlplatte zur Seite. Gleichzeitig blendete das Licht in die Kabine hinein. Eine orangefarbene Rauchwolke brodelte, vom Luftzug mitgerissen, aus der Türöffnung. Kampurt taumelte mitten in der Rauchwolke seiner Partnerin
entgegen. Er schwankte und schlug mit der Schulter schwer gegen den Schottrahmen. Sein Husten und Würgen hatte Gelona aus dem Schlaf gerissen. Sie bückte sich blitzschnell, hielt den Atem an und stellte den Scheinwerfer dergestalt auf den Boden, daß sein Strahl nach oben deutete. Als sie sich aufrichtete, drehte sie ihren Körper herum. Die rechte Schulter wies nach oben. Kampurt schwankte vorwärts und fiel schwer nach vorn. Er kippte genau auf die Schulter, schlang in einem Reflex seinen Arm um ihren Hals und führte schwache Gehbewegungen aus, noch immer keuchend und röchelnd. Aber jetzt sog er verhältnismäßig reine Luft in seine Lungen. Sie schleppte ihn langsam in ihre Kabine und packte seinen Arm, als er schwer auf ihre Liege herunterkrachte. Das Schott fuhr zu. Mit zwei Griffen öffnete Gelona das grell gekennzeichnete Fach, riß den Kasten heraus und aktivierte den Mechanismus der Preßluftmaske. Sie hielt Kampurt fest, während sie ihm die Maske über die flache, runde Nase stülpte und über den Mund. Er atmete stoßweise, immer wieder von Hustenanfällen unterbrochen. »Schon in Ordnung«, redete sie ihm zu und suchte nach Anzeichen einer ernsthaften Vergiftung. Kampurt versuchte sich aufzurichten. Sie hielt ihn zurück und schnupperte in der Luft. Ihre Waffe lag neben dem Knie des Spezialisten. Immer wieder zuckte Gelonas Blick hinauf zu den schmalen Schlitzen der Luftumwälzanlage. Schließlich hörte der würgende Husten auf. Sie schaltete den Mechanismus der Notmaske ab und holte einen halben Becher voll Alkohol aus ihrem Privatvorrat. Kampurt trank das schwarze, scharfe Zeug in kleinen Schlucken und behielt es glücklicherweise bei sich. »Es geht schon wieder«, sagte er rauh. »Das sehe ich«, antwortete sie. »Das war ein gezielter Anschlag. Auf dich, Kampurt.«
Sie nickte, drückte ihm den Becher in die zitternden Finger und schaltete die Maske wieder ein. Zuerst nahm sie ihre Jacke, zog sie an und schlug die Kapuze rasch über den leicht verletzlichen Schädel. Dann öffnete sie das Schott, preßte die Maske auf ihr Gesicht und huschte hinüber in das Apartment ihres Partners. Sie schaltete die Lampe aus und registrierte, daß die Anlage den Rauch abgesogen hatte. Der stechende Geruch einer Chemikalie hing noch im Raum, als sie ihn betrat und den Helm in die Hand nahm, der neben der Liege auf dem Bodenteppich lag. Mit einigen Sätzen war sie wieder im eigenen Wohnbereich, setzte Kampurt den Helm auf und lächelte zurück, als er ihr dankte. Sie hob das Kommunikationsarmband auf, drückte eine Nummernkombination und sagte leise: »Traphnaton! Schalte eine Leitung in die Luftumwälzanlage, aktiviere dort sämtliche Analaysiergeräte und versuche festzustellen, welches Giftgas sich in der Luft befindet. Es müßte besonders stark in den Filtern der zweiten Reinigungsstufe vorhanden sein.« Ein blaues Feld leuchtete auf: verstanden. Einige weitere Sekunden vergingen. Das Schott war geschlossen. Die Abspielanlage produzierte ruhige Musik. Auch Gelona hielt einen Becher in den Fingern. Neben ihr lagen griffbereit auf der Tischplatte der Scheinwerfer, die Waffe und das breite Mehrzweckarmband. Prüfend blickte sie in das Gesicht des Partners. »Es scheint immerhin kein tödliches Gift gewesen zu sein«, murmelte Kampurt und schüttelte sich. Er hielt Gelona den leeren Becher hin. Sie füllte ihn halb und erwiderte nachdenklich: »Nur deine Kabine war betroffen. Das setzt voraus, daß der Anschlag von einem Fachmann geplant und durchgeführt wurde.« Ein kleiner Sprengsatz in dem betreffenden Einblasteil der Umwälzanlage, Ballons, die sich schlagartig mit Luft füllten und die Kanäle verschlossen, ein funkgesteuerter Auslöser. Alles
Gerätschaften, die zur Ausstattung von BYTH gehörten oder ohne die geringsten Schwierigkeiten hergestellt werden konnten, womöglich aus dem Magazin stammten. Daß Kampurt, eine Hälfte des Teams, angegriffen worden war, ließ erkennen, daß der unsichtbare Saboteur fürchten mußte, von ihnen entdeckt zu werden. Über diese Erkenntnisse brauchten sie kein einziges Wort zu wechseln. Es lag auf der Hand, daß es sich so verhielt. »Was tun wir?« fragte Gelona halblaut. »Umschichtig schlafen«, sagte Kampurt mit einem grimmigen Grinsen. »Und die Schraube fester anziehen.« »Einverstanden.« Sie wurden unterbrochen. Der große Bildschirm leuchtete auf. Der Lautsprecher knackte mitten in einem Musikstück. Dann ertönte eine dunkle, zischende Stimme. »Hier spricht Eleteen, und er meldet sich nicht zum letztenmal.« Diesmal reagierten beide Detektive gleichzeitig. Ihre Hände griffen nach dem Armband. Kampurt erreichte es zuerst und schaltete den Kanal zur Mikropositronik. »Aufnahme«, schnarrte er. »Und später Stimmbildanalyse.« Wieder blinkte das Leuchtfeld. Als habe er die Unterbrechung nicht bemerkt, fuhr jener Eleteen fort. »Die Aktion sollte eine Warnung sein. Ich bin derjenige, den ihr zu suchen scheint. Ihr werdet mich niemals fassen. Ich bin Eleteen.« Das Wort war einer älteren Sprachschicht entlehnt und bedeutete: der Unsichtbare, das Phantom. Schweigend lauschten die Spezialisten. Ihre Hirne arbeiteten wie wild. Sie versuchten, Klang und Bedeutung zu analysieren. Aber die Stimme Eleteens war flach und unbetont. »Ich werde BYTHA vernichten. Ihr könnt daran nichts ändern. Alles geschieht, wie ich es will. Das nächste mal schlage ich derartig zu, daß niemand mehr überlebt. Hört ihr noch zu?« Wieder entstand eine kurze Pause. Eleteen atmete schnell und
scharf. Die Detektive blickten sich schweigend in die Augen und warteten. »Ich bin der Saboteur. Ich bin nicht krank, wie ihr denkt. Ich bin Eleteen und kämpfe gegen das Neue Konzil. Bald wird der Planet wieder Ruhe vor euch haben!« Wieder ertönte aus den Lautsprechern ein Knacken. Die Musik kam zurück, einschmeichelnd und leise. Gelona lehnte sich zurück und sagte: »Schon nach einem Tag haben wir den Attentäter aus der Reserve herauslocken können.« »Das muß Omahrc sofort erfahren!« drängte Kampurt. »Sehr viel schlafen werde ich wohl heute nicht mehr.« »Ich helfe dir«, sagte die Partnerin. »Und über unsere eigene Sicherheit machen wir uns ebenfalls einige Gedanken.« Noch etwas schwach in den Knien stand er auf, tastete sich aus dem Raum hinaus und humpelte in seinen Wohnraum zurück. Tief in Gedanken versunken, zogen sich die Detektive an. Als Gelona ihre Waffe sicherte und wieder in die Gürtelhülle zurückschob, summte das Rufgerät des Bildschirms. Sie drückte die Kontakttaste. »Zentrale hier«, meldete sich Kyrash, einer der Wachhabenden. »Gibt es bei euch irgendwelche Schwierigkeiten?« Gelona schilderte, was Kampurt zugestoßen war. Voller Empörung schüttelte der Techniker den Kopf. »Ich wecke Omahrc!« versprach er. »Mit Nachdruck«, bat die Spezialistin. »Dann schalte eine Leitung zu uns.« Es war wichtig, sämtliche Besatzungsmitglieder in die Fahndung mit einzubeziehen. Nur so konnten sie sicher sein, auch jede Beobachtung gemeldet zu bekommen. Schließlich warnte Gelona noch: »Eleteen hat versprochen, unsere Station zu vernichten. Ihr wißt also, was sein erklärtes Ziel ist.«
Grimmig erwiderte Kyrash: »Ich hab's verstanden. Das werden wir ihm nicht erlauben.« Während die Spezialisten warteten, versuchte die Zentrale, Omahrc zu verständigen. Er meldete sich nicht, obwohl er nachweislich in seinen privaten Räumen war. Nach etwa zwanzig Minuten, in denen es die Zentrale immer wieder versuchte, meldete sich Kyrash bei den Spezialisten. »Unser Chef Omahrc scheint sich nicht melden zu wollen. Er gebärdet sich höchst seltsam.« »Das kann man wohl sagen«, antwortete Kampurt. Er stand voll angezogen und komplett ausgerüstet neben Gelona vor den Linsen. »Ich würde dennoch davon absehen, ihn gewaltsam zu wecken. Es wäre gegen die Regeln der Tradition.« »Wir müssen also tatsächlich auf den nächsten Schlag warten?« fragte Kyrash verwundert und enttäuscht. »So scheint es.« Sie beendeten die fruchtlose Unterhaltung, verschlossen ihre Kabinen und gingen auf einen Inspektionsrundmarsch durch sämtliche freien Korridore und Säle der Energiestation. An den Anschlüssen der Tankstelle hing ein Schiff und holte eine Ladung hochverdichtetes Plasma. Riesengroß drehte sich der Planet in der Dunkelheit der Nacht. Die Gefahren wuchsen also. Aber sie wurden auch deutlicher und – möglicherweise – greifbar. Wieder hatte der Medorobot versichert, daß der Patient absolut gesund sei. Die Maschine hatte sich längst zurückgezogen, als PLankion sich aus der Starrheit der Verzweiflung lösen konnte. »Ich bringe mich um!« stöhnte er und starrte in den vergrößernden Spiegel. P-Lankions Gesicht war schmal und wachsbleich geworden. Die Nase sprang kantig und scharf vor. Auf der gesamten Gesichtshaut hatten sich Schuppen gebildet. Sie waren hart und hornartig, größer als die Schuppen an den Gelenken der Arme und Beine. Diese
Glieder hingegen waren seit den beiden letzten Schlafperioden geschrumpft, waren dicker und wieder weicher geworden. Die Finger bekamen eine flache Form und wuchsen an der Basis ineinander. P-Lankion fürchtete jetzt, bald so auszusehen wie ein walzenförmiges Seelebewesen des Planeten unter ihm. »Warum gerade ich?« wimmerte er in der Abgeschiedenheit seines Wohnraums. Dann wandte er den Kopf. Es war unumgänglich, daß er sich bei seinen Leuten sehen ließ. Sein Problem war lebensbedrohend. Aber er wollte nicht seine Stellung, nicht sein Gesicht, nicht die Bewunderung von einigen hundert anderen Ligriden verlieren, denen er bis zum heutigen Tag ein klares Vorbild gewesen war. Er blickte den Raumkampfanzug an, der an dem Gestell zwischen den Geräten hing. Er war ohne Waffen, denn die brauchte er nicht. Vor der Sichtblende befand sich eine komplizierte Vorrichtung. Sie bestand aus Linsengruppen und Bildschirmen mit weitem Sichtwinkel. Sein Gesicht, diese Karikatur eines Ligridenkopfs, durfte niemand sehen. Sein Geheimnis mußte gewahrt werden, bis dieser Verformungs-Überfall wieder vorbei war. Es konnte gar nicht anders sein – in ebenso schneller Zeit, wie er sich verformte, würde die Krankheit auch verschwinden. Verzweiflung beherrschte seit den ersten, unübersehbaren Zeichen den Leiter der Raumstation. Er versuchte, das Leben in der Station so weiterzuführen, als sei er nicht betroffen. Er schlüfte langsam in den schweren Anzug, der besonders groß gewählt worden war. Tarnung war alles. Seine Leute, die eine Reihe von Zwischenfällen gemeistert hatten, würden ihn weiterhin respektieren. Er verließ seine Privaträume und nahm die Liftanlage, die in in die Zentrale brachte. Dort wurde er gebraucht. Seine Leute »erkannten« ihn und stellten keine Fragen. Es wäre gegen die Tradition gewesen.
4. Zwei Sonnen und ihre Planetensysteme waren von der STERNSCHNUPPE angeflogen, ihre kosmische Umgebung abgesucht worden. Es gab keine Spuren von Besiedlung, von landenden und startenden Raumschiffen oder von energetischen Aktivitäten. »Hier haben wir das einzig mögliche Ziel«, erklärte das Raumschiff. Direkt vor uns, in der Mitte des Hauptschirms, schwebte ein gelber Stern ohne auffallende Charakteristika. »Du bist sicher?« fragte ich voll neue erwachender Spannung. Unsere Suche nach undeutlichen Spuren eines seltsamen Mediums hatte also doch noch Erfolg gehabt. »Du weißt, daß die Psi-Spur, die wir als EVOLOS Spur bezeichnen, an dieser Stelle von Manam-Turu entweder als projizierbare Gerade endete oder hindurchführte. Eine Sonne und elf Planeten. Zwei davon sind bewohnbar, aber offensichtlich unbewohnt. Ein kleineres Objekt, in planetostationärem Orbit, eine größere Raumstation auf elliptischem Orbit, und ein sehr reger Bildfunkverkehr zwischen den beiden Stationen und einer kleinen Planetenstation, vermutlich einem Raumhafen.« »Welches Sternenvolk?« »Es sind Ligriden. Ich kann mich an einigen Stellen in den Verkehr einschalten. Willst du das?« »Natürlich. Du weißt, daß wir dieses Mal abwarten und alles noch sorgfältiger prüfen wollen. Wie nahe kannst du herangehen?« »Bis zu einem der Planeten, die den bewohnbaren Welten nahe sind.« »Einverstanden. Fliege vorsichtig dorthin und warte. Und liefere uns so viel Informationen wie möglich. Suche die interessantesten Vorgänge heraus. Und wage dich ja nicht zu tief in irgendwelche Gefahren hinein.«
»Wie befohlen, Atlan.« Mrothyr und Chipol hatten sich zurückgezogen. Ich hielt turnusmäßig die Wache. Die STERNSCHNUPPE wurde, nachdem sie ihre Geschwindigkeit stark abgebremst hatte, wieder schneller und flog auf die namenlose Sonne zu. Noch wurden wir nicht verfolgt, noch gab es keine Zeichen, daß der Erleuchtete uns gefunden hatte. Nun? Zufrieden, Arkonide? fragte spöttisch der Logiksektor. Ich schüttelte nachdenklich den Kopf. Ich war nicht zufrieden. Es dauerte zu lange und war, alles in allem, frustrierend. Wir bewegten uns inmitten tödlicher Gefährdungen weitab vom Zentrum des Problems. Immer wieder wurden wir von irgendwelchen rätselhaften Überfällen heimgesucht, liefen den wirklichen Ereignissen hinterher, tasteten uns langsam an Evolo und den Erleuchteten heran, der sich immer wieder entfernte und uns auswich, ohne es zu wissen oder in voller Erkenntnis des Umstands, daß ich sein erklärter Gegner war. EVOLO, das Neue Konzil, die Hyptons – meine Feinde waren nicht greifbar. Oder aber sie zwangen mich, angesichts ihrer Macht zu flüchten oder davon abzusehen, diese Gruppe von Gegnern anzugreifen. Jedenfalls fühlte ich mich alles andere als heldenhaft. Was konnte ich dagegen tun? Der Extrasinn antwortete in erwarteter Ernüchterung: Nichts. Warten. Geduld zeigen und dann, blitzschnell, zuschlagen! »Das wird es wohl sein«, brummte ich. Die STERNSCHNUPPE bezog diesen Ausspruch auf sich und fragte: »Schwerverständlich. Was soll ich tun?« Ich gähnte. »Fehlinformation. Es war nicht für dich bestimmt. Fliege in die Nähe des entdeckten Planeten und unternimm, was ich dir nahegelegt habe. Klar?« »Völlig klar«, entgegnete die STERNSCHNUPPE trocken.
Auf den Bildschirmen entstanden Serien von Bildern und Ortungsechos, die in ihrer Gesamtheit wenig ergiebig waren. Ich konnte nur erkennen, daß wir uns einem Planeten näherten, und daß dort drei unterschiedliche technische Systeme miteinander korrespondierten. Und daß ständig Raumschiffe ihre Linearraumsprünge beendeten und einen der drei möglichen Punkte ansteuerten: eine kleine und eine große Raumstation und einen planetengebundenen Landeplatz. Brachte uns diese Beobachtung näher an den Erleuchteten heran? Wohl kaum!
* An diesem Vormittag strahlte die Sonne besonders grell, strahlend und heiß auf den Boden des Planeten herunter. Riesige graue Wolken zogen am Horizont auf. Es war drückend schwül. Phonell zwang sich dazu, seine Schritte in die richtige Richtung zu lenken. Noch befand er sich im Schatten der ausladenden Äste alter Bäume, deren Blätter im warmen Wind rauschten und raschelten. Fünfzig Meter vor ihm wartete unter einem weit vorspringenden Dach ein Gleiter. Auf dem Gestell über dem Fahrersitz trug er das Rundumlicht und die persönlichen Zeichen des Raumhafenleiters. BYTHARK barst im Moment nicht gerade vor Tätigkeit. Ein einziger Nadelraumer stand da, eingezwängt zwischen eine Vielzahl von Gerüsten. Der Kommandant hatte gebeten, den Verantwortlichen sprechen zu dürfen. An Bord gab es Probleme, die angeblich nur Phonell selbst lösen konnte. Warum ausgerechnet ich? dachte Phonell und gab sich einen innerlichen Ruck. Er lenkte sich selbst mit beträchtlichem gedanklichen Aufwand auf den Gleiter zu. Er setzte sich auf den Sitz des Beifahrers. Die grobmotorischen Bewegungen machten ihm keine Schwierigkeiten,
aber ehe er begriff, daß er sich in den Sessel des Piloten setzen mußte, vergingen einige Minuten. Er überlegte lange und fand dann in seiner Erinnerung die richtigen Handgriffe, die ihn dazu brachten, die Maschine zu starten und vorwärts zu bewegen. Langsam, mit heulendem Antrieb, schwebte er quer über den grell leuchtenden Boden des Raumhafens hinüber zum Schiff und bremste. Sein Fuß dosierte den Druck so ungenau, daß es ihn halb aus dem Sitz und gegen das Armaturenbrett schmetterte, als er anhalten wollte. Steifbeinig stieg er aus. »Vom Diener des Gwyn«, stammelte er, während er ausstieg, »zum Diener des Gward. Welch ein Schicksal bahnt sich an.« Es war inzwischen so, daß er seinen Zustand tatsächlich besser begriff: Er veränderte sich. Bisher war er bestrebt gewesen, sein Leben sportlich-aktiv zu führen und überall dort, wo es nötig war, selbst Hand anzulegen. Jetzt dachte er unablässig, versank im Sumpf von Gedanken und Überlegungen, die ihm bis gestern absolut fremd gewesen waren. Langsam ging er bis zu der gitterförmigen Kabine des Lastaufzugs, der ihn zur oberen Luke des Schiffes brachte. Der Kommandant erwartete ihn im Innern des Schiffes. Das Metall schleppte noch die Kälte des Weltraums mit sich. Der Schock der Kühle klärte seine Gedanken im vordergründigen Bereich. »Welche Probleme gibt es?« fragte Phonell. Noch vor einer halben Stunde hatte er den Namen des Kommandanten, des Schiffes, den Startort und die Bezeichnung des Zieles gewußt. Alles war vergessen, als habe er die Wörter nie gelesen oder gesehen. »Wir brauchen nicht nur Treibstoff …«, begann der Schiffsführer. Phonell erwiderte, indem er senkrecht nach oben deutete: »Ihr bekommt ihn bei der Station. Jeder kennt ihren Namen.« »Alles klar. BYTHA«, antwortete der Kommandant und fügte die gewohnten traditionellen Floskeln hinzu. Für Phonell klangen sie
wie Botschaften aus einer anderen Welt. Er kämpfte gegen sich und seine Erinnerungen einen lautlosen Kampf und nickte. »So ist es«, entgegnete er. »Und was noch?« Er hätte doch einen Vertreter mitnehmen sollen. Das war überhaupt die rettende Idee! Einen Mann oder eine Technikerin, die für ihn handelte, dachte und die Wörter fand. »Ich zeige es dir.« Der Helm schien so schwer zu wiegen wie eine metallene Glocke. Immer wieder griff Phonell an die geschwungenen Ränder der Kopfbedeckung und verschob den Helm nach rechts, links, nach vorn oder hinten. Seltsam, sagte er sich, die Kopfbedeckung ist mir lästig, aber ich spüre keinen Schmerz. Er trug diesen Helm seit langer Zeit. Seit wie vielen Jahren, das konnte er nicht sagen, er hatte es vergessen. Er folgte dem Kommandanten in die Hauptzentrale des Schiffes und sah dort zwei Ligriden, die gerade die verschiedenen Verkleidungsteile eines Wandgeräts abbauten, in dem sich positronische Bauelemente befanden. Große Teile der Anlage waren von einem grauen, feinen Staub bedeckt. »Das sieht nicht gut aus«, murmelte Phonell nach einer Weile. »Ich muß dir einen Fachmann schicken.« »Aber du bist doch selbst Schalttechniker!« wunderte sich der Raumfahrer. »Alle haben mir gesagt, ich soll deinen Rat einholen.« Ärgerlich schüttelte Phonell den Kopf. Die Probleme waren zu groß für ihn, schließlich war er krank und brauchte Schonung und Ruhe. »Habe keine Zeit«, wich er aus. »Wirklich.« »Dann nicht«, murmelte der Kommandant unzufrieden. »Interessiert es dich vielleicht, daß diese Anlage durch einen unglaublichen, unglaubwürdigen Zwischenfall zerstört wurde?« »Wie?« Denken war anstrengend, und Anstrengungen vermochte er nicht auszuhalten. Er starrte verzweifelt, ohne das Problem zu begreifen, den ruinierten Inhalt der Bordpositronik an.
Die erklärenden Worte des Kommandanten verstand er nicht, obwohl er sie genau hörte. Er sah den Kommandanten sprechen. Die anderen Raumfahrer arbeiteten weiter und warfen erstaunte Blicke auf den Stützpunktleiter. »Wir haben es auch nicht glauben können«, berichtete der Kapitän. »Vor sechs Tagen konnten wir einen langgezogenen Blitz orten. Er war auf den Bildschirmen kaum zu sehen, aber einige von uns erkannten ihn durch die Sichtluken. Ein seltsamer Effekt. Wie ein Laserstrahl von einem Ende der Manam-Turu-Sterne zum anderen …« »Wie verblüffend!« murmelte Phonell automatisch. Phonell drehte sich in Zeitlupe um, ging langsam zur Schleuse und hob ebenso gequält den Kopf. Er blickte über den Raumhafen hinweg, sah die Teile des Palisadenzauns und die Wälder dahinter, die Türme und die Hallen und die Wohngebäude. Ein schwer zu deutender Schmerz packte ihn. Er verlor die Kontrolle über sich und begriff seine Umgebung nicht mehr. Aber mit dem traurigen Gedanken, der schnell wieder verloren ging, verschwand auch der Schmerz dieser bitteren Erkenntnis. »Ich schicke dir Spezialisten«, sagte er und betrat den Lift. Er fand den richtigen Schalter und glitt abwärts. Die Welt um ihn herum wurde zu einer Ansammlung von Kulissen des Unbekannten. Wieder hatte er Schwierigkeiten, den Gleiter mit den richtigen Schaltern zu aktivieren. Er schaffte es, in einigermaßen gerader Bahn das richtige Haus anzusteuern und dort zu halten, ohne daß er mehr riskierte als eine langgezogene Schramme. Phonell zog sich in sein Büro zurück. Er verständigte seine Vertreter und nannte die anstehenden Probleme. Er selbst sei krank, sagte er, und er brauchte Ruhe und Dunkelheit. Phonell ging in seinem Wohnraum hin und her und versuchte, die richtigen Schalter und Hebel zu finden. Es dauerte lange, bis das letzte Fenster geschlossen und verdunkelt war. Dann zog sich Phonell halb aus und warf sich auf sein zerwühltes Lager. Binnen
weniger Atemzüge krümmte sich sein Körper zusammen. Er nahm die Haltung eines ungeborenen Kindes an und schlief ein, beide Hände vor das Gesicht gepreßt.
* Kampurt wippte mit dem Sessel und ließ sich nicht beeindrucken. Er kannte seine Partnerin und deren Mikropositronik, und er wußte auch, wie virtuos Gelona mit dem erstaunlichen Gerät umging. Er selbst setzte mehr auf körperliche Schnelligkeit und die Tüchtigkeit eines ausgeruhten Verstandes. Gelona schob die Kapuze über den Ohren zurück und deutete auf die schimmernde Feldlinse. »Jedenfalls hat mich deine Traphnaton nicht vor einem Lähmgiftanschlag gewarnt«, brummte er. »Und was weiß das Ding sonst noch?« »Es hat immerhin analysiert, daß du nur auf Umwegen umgebracht werden solltest«, antwortete sie. Das Gift in einem blockierten Teil der Klimaanlage war langsam wirkend und hätte den Spezialisten im Lauf der Nacht umgebracht. Seine inneren Organe wären nacheinander gelähmt worden, ein stiller, außerordentlich qualvoller Tod. Die Analyse lautete: Noctotoxeen. »Richtig. Sonst Neuigkeiten?« »Eine ganze Menge«, antwortete die Spezialistin und schob ihren Sessel zur Seite. »Lies selbst.« Traphnatons Drucker summte. Eine Trägerfolie schob sich unter die federnde Lupe. Kampurt konnte eine Reihe von Begriffen und Namen lesen. Je länger er las, desto irritierter wurde sein Gesichtsausdruck. Planetenbasis BYTHARK: Normale Raumschiffbewegungen. Reparaturmaßnahmen laufen ohne Schwierigkeiten. Nach nachweislich seltsamen
Verhaltensweisen hat sich Phonell, Diener des Gwyn, gegen Mittag krank gemeldet. Raumstation BYTHMAYN: Der Leiter der Station, zugleich Oberkommandierender, PLankion, zieht es vor, in einem waffenlosen Raumkampfanzug in den Räumen der Station herumzulaufen und, durch ein MultiBildschirm-Gerät anstelle eines Sichtfensters getarnt und unsichtbar gemacht, mit seinen Leuten zu sprechen. Es scheint, daß sein Körpergewicht zugenommen hat. Er läßt sich selten außerhalb seiner Büro- und Aufenthaltsräume sehen. Raumtankstelle BYTHA: Ein Mordanschlag wurde rechtzeitig verhindert. Siehe gesonderte Auswertung. Nach dem Saboteur »Eleteen« wurde bisher erfolglos gesucht. Omahrc, Stationsleiter, hat sich in seinen privaten Kabinen eingeschlossen und ist nur selten zu sprechen. Er scheint verhindern zu wollen, daß man ihn sieht. Gelona tippte ein paar Befehle, bog das Mikrophon zu sich heran und murmelte weitere Spezifikationen. »Zufrieden?« fragte sie schließlich. Die Positronik arbeitete mit leisen Summgeräuschen. »Alle drei Chefs verhalten sich seltsam«, dachte Kampurt laut nach. »Sie haben sich zurückgezogen. Ein Komplott?« »Durchaus möglich.« In der Hauptzentrale der Tankstation war es still. Nur ein einzelner Techniker saß vor den Pulten und steuerte die wichtigsten Vorgänge der Energieherstellung. Natürlich hatte sich herumgesprochen, daß auf Kampurt ein Mordanschlag ausgeführt worden war. Die Positronik hatte ermittelt, daß kein Besatzungsmitglied seinen Platz verlassen, in die Kabine oder deren Nähe eingedrungen, oder benötigte Materialien aus dem Magazin abgerufen hatte. Selbst Kampurt in seiner optimistischen Sicht des Lebens hatte nicht angenommen, daß es jemand aus der Stammbesatzung war.
Aus welchem Grund? Was hätten die Detektive herausfinden können? Eine Bereicherung ausgerechnet in dieser Station war auszuschließen – das alles ergab keinen Sinn. Die Vermutung, daß es sich bei jenem Eleteen um einen Verrückten oder Kranken handelte, wurde allgemein stärker. »Die Analysen«, erklärte Gelona halblaut, »sind aus allen Informationen zusammengestellt, die wir haben. Unter anderem aus unzähligen Funksprüchen zwischen den drei Eckpunkten unseres BYTH-Dreiecks.« »Das wußte ich schon vorher. Es geht also etwas vor, das größer ist als unser Problem hier.« »Damit müssen wir rechnen. Es geht etwas vor, wie du ganz richtig gesagt hast, Partner. Aber was ist es? Wer ist schuld? Wer trägt die Verantwortung?« »Wir werden es bald wissen.« »Was willst du tun?« »Nichts. Warten.« »Worauf?« »Auf den nächsten Zwischenfall. Eleteen wird weitermachen. Vielleicht bist du dran.« Gelona schüttelte sich. Die Vorstellung behagte ihr nicht, obwohl sie damit rechnete. Die Mikropositronik, zweimal befragt, konnte keine Prognose stellen. Es gab in BYTHA viel zu viele verwundbare Stellen – trotz der versiegelten Räume und der angespannten Wachsamkeit aller Besatzungsmitglieder würde der eine oder andere Sabotageanschlag Erfolg haben. Ein akustisches Signal ertönte. Es hallte im leeren Raum der Zentrale wider. Der Techniker hob den Arm und sagte verwundert: »Aufpassen! Es ist der Chef!« Ein großer Monitor schaltete sich ein, die Lautsprecher gaben ein fahles Knistern von sich. Der Techniker meldete sich mit der vorgeschriebenen Grußformel. Omahrcs Stimme war unverkennbar. Sie entsprach seiner Würde
und seinem Aussehen. Sie wirkte, als stünde er über den Dingen. Aber als die drei Anwesenden die ersten Worte verstanden und begriffen hatten, drängte sich ihnen ein ganz anderer Eindruck auf. »Ich sehe euch natürlich«, sagte er. »Phonell hat es vorgezogen, sich nicht selbst um die Sabotageakte zu kümmern, sondern krank zu werden. War er es schon, als er euch den Auftrag gab?« »Nein«, erwiderte Kampurt wahrheitsgemäß. »Es gab nicht das geringste Anzeichen dafür.« »Ihr habt noch nicht viele Erfolge vorzuweisen«, dröhnte die Stimme aus den Lautsprechern. »Wann wird sich das ändern?« »Wir können die Gesetze des Universums nicht umstoßen«, sagte Kampurt in förmlicher Höflichkeit. »Das erwartet niemand, am wenigsten ich. Ich erwarte aber schnellen Erfolg! Das ist der erste Mordversuch eines Ligriden an einem Ligriden seit einer Ewigkeit.« »Wir können diesen Eleteen nur auf frischer Tat stellen, entweder, mit Glück, vor der Tat oder, wenn wir zu spät kommen, anhand überwältigender Beweismittel. Aber anders geht es nicht, Omahrc.« »Es gibt bessere Methoden!« sagte der Stationschef grimmig. »Phonell können wir wohl vergessen. Ihr seid nicht zum Urlaub hier, meine Freunde.« »Das haben wir begriffen. Es gibt eine Methode, das Problem schnell zu lösen.« Gelona erwartete nicht, darauf eine vernünftige Antwort zu bekommen. Der Ligride, der offensichtlich seine Entschlußkraft wieder zurückgewonnen hatte, zeigte sich noch immer nicht, als er fragte: »Welche Methode?« »Die Tankstelle räumen. Bis auf den letzten Mann. Dann sämtliche Räume öffnen.« »Das ist nicht machbar.« »Warum nicht?« fragte Gelona. »Weil BYTHA zuverlässig und ohne Störung weiterarbeiten muß.
Von uns hängen hundert Schiffe oder mehr ab. Das Neue Konzil kann solche Unterbrechungen nicht dulden.« »Dann sehen wir nur einen Sinn in der Weiterarbeit auf unsere Weise. Es wird sich in Kürze ein Ergebnis zeigen. Wir können nur hoffen, daß es ohne Tote und Zerstörungen vor sich geht.« »Das hoffe ich auch – Eile ist geboten!« »Wir tun unser Bestes«, antwortete Kampurt. »Und wir würden uns freuen, unseren Erfolg mit dir zusammen feiern zu können .« »Zumal P-Lankion mich auch zur Eile drängt.« Übergangslos wurden Lautsprecher und Bildschirm abgeschaltet. Das harte Knistern und Knacken ließ die beiden Spezialisten und den Techniker zusammenzucken. Es klang wie ein deutlicher Mißtrauenslaut des Chefs. Kampurt stand auf und zog nachdenklich seine Waffe. »Gehen wir los, Eleteen fangen«, schlug er ironisch vor. Gelona grinste kurz und versetzte mit wenigen schnellen Griffen die Mikropositronik in eine andere Form der Bereitschaft. Drei Stunden lang hatte sie anhand der Namensliste die einzelnen Besatzungsmitglieder kontrolliert. Keiner von ihnen hatte auch nur das geringste unternommen, das einen Verdacht ergab. Wo versteckte sich Eleteen, der Unsichtbare? Wieder verließen sie die Zentrale und versuchten, ein mögliches Versteck von Eleteen zu finden oder einen winzigen Anhaltspunkt, der verriet, was der Saboteur plante. Schließlich, nach einer ebenso langen wie ergebnislosen Suche, blieben sie an einer Panoramascheibe stehen und schauten einem Raumschiff nach, das sich langsam von den Endstücken der Zapfanlage entfernte und vorsichtig mit einzelnen Bugsierstößen in die richtige Abflugposition gedreht wurde. Am Horizont tauchte hinter der Krümmung des Planeten die riesige radförmige Raumstation auf. Ein großer, blitzender Punkt, der irgendwann seitlich an der Tankstelle vorbeiziehen würde. Nach einer Weile sagte Gelona leise:
»Ich gehe in die Kabine. Ein paar Stunden Schlaf werden mir nicht schaden. Heute in der Nachtperiode wird man uns an anderer Stelle suchen müssen.« »So etwas Ähnliches wollte ich auch vorschlagen«, meinte Kampurt. »Hat sich in der Überwachung der Transmitter etwas ergeben, das wir verwenden könnten?« »Nichts.« Gelona nickte dem Partner grüßend zu und entfernte sich schnell und geräuschlos. Inzwischen bewegten sich die Detektive so geschickt, als hätten sie einige Jahre lang nichts anderes getan als hier im Schichtbetrieb gearbeitet. Kampurt blieb allein zurück und betrachtete schweigend die Bilder des Planeten und der Station, die er kannte. Seine Überlegungen beschäftigten sich weitaus weniger mit den aktuellen Problemen. Er vermutete etwas, das der Mikrocomputer niemals feststellen oder herausfinden konnte – es war weniger als eine vage Idee. Als ob es eine ansteckende Krankheit im ersten Anfangsstadium wäre, als ob eine Virusinfektion alle drei Teile dieses wichtigen Systems befallen hätte – so verhielten sich einige Ligriden. Dies galt auch für Eleteen. Alle denkbaren und vorstellbaren Störungen trafen hier nicht zu. Ligriden verhielten sich stets und auf alle Fälle anders. Ihre Psyche wurde niemals so deformiert, daß sie ihre eigenen Einrichtungen gefährdeten oder gar die eigenen Leute zu töten versuchten. Etwas Fremdes griff nach einzelnen Männern und veränderte sie. Diese Veränderung schien aber nicht zielgerichtet in ihren Auswirkungen zu sein. Kein fremder, überlegener Geist kontrollierte den Saboteur. Er zuckte die Schultern, nahm seine Waffe heraus und entsicherte sie. Irgendeine seiner inneren Stimmen sagte ihm, daß er bald eine Waffe würde benutzen müssen. Kampurt wandte sich von der Scheibe ab, vergaß die Farben und Formen und versetzte sich wieder in die Denkungsweise des
Saboteurs, soweit sie ihm zugänglich war. Er hoffte, mit dem kranken Verbrecher zugleich am nächsten Schauplatz eines Zwischenfalls zu sein.
* P-Lankion begriff, daß der Weg zurück kaum möglich, auf jeden Fall aber schwer, schmerzhaft und verwirrend sein würde – der Weg zurück in eine normale Gegenwart. Er hatte sich in den beiden letzten Schlafperioden furchtbar verändert. Die Schlafperioden waren nicht identisch mit dem Nacht-und-TagWechsel innerhalb der Stations-Dienststunden. Noch immer behauptete der Medoroboter, daß P-Lankion nicht die geringsten Anzeichen oder Spuren irgendeiner Krankheit hatte. »Wieder ein Schritt der devolutionären Entwicklung. Zurück in die Urzeit ligridischer Urplane ten!« stöhnte er. Seltsam, über seine Stimme vermochte er ebenso zu verfügen wie über seinen Verstand. Er betrachtete seine Arme und Beine. Sie waren zu langen und dicken, flossenartigen Extremitäten geworden, deren Finger nur durch tiefe Kerben gekennzeichnet waren. Sein Körper war unförmig angeschwollen und glich mehr und mehr einem Seewesen. Das Licht des Aufenthaltsraums rief auf den dicken, hornigen Schuppen unterschiedliche Farbreflexe hervor. Es würde nur noch eine Schlafperiode dauern, allerhöchstens zwei, bis der Raumkampfanzug für ihn nicht mehr ausreichte. Ein größeres Modell gab es auf ganz BYTH nicht mehr. »Ich verforme mich also.« Er war allein und einsam. Einsamkeit machte ihm nichts aus. Er rechnete damit, sterben zu müssen. Da der Verformungsprozeß langsam vor sich gegangen war und nicht schmerzhaft verlief, hielt sich seine Verzweiflung in den Grenzen, die ligridisches Selbstverständnis ihm diktierte. P-Lankion sagte sich, daß er alt war
und am Ende seiner Jahre. Aber diese Zeit wollte und würde er noch durchstehen, jenseits von der Bedeutung des Gwyn oder Gward. Seine Weisheit, die ihn zu jener Position geführt hatte, würde ihm dabei die einzige Hilfe sein. »Und wozu verforme ich mich?« fragte er in die geisterhafte Stille des Zimmers mit den Metallwänden hinein. Er litt darunter, daß der gesamte Stützpunkt nicht mehr lange unter seiner Leitung stehen würde. Ihm war es leichtgefallen, zwischen den beiden gesellschaftlichen-politischen Systemen zu vermitteln und jegliche Störungen von BYTH fernzuhalten. Damit würde es nun bald vorbei sein. Und seine Müdigkeit nahm zu! Er war hilflos gegenüber der Sucht, sich fallen zu lassen und einzuschlafen. Denn im Schlaf würde er sich abermals verändern. Sein Schädel war schmal geworden, und zwischen den dunkelbraunen Schuppen, halb so groß wie ein Finger, starrten die großen dunklen Augen in das Spiegelbild. Der Unis schien verschwunden zu sein, obwohl P-Lankion den Kopf noch gut drehen konnte. Mit kühlem Verstand registrierte er jede Änderung. Wie lange konnte sich sein alter, erschöpfter Körper noch verändern? Während er seinen mißgestalteten neuen Körper anblickte, fühlte er wieder den Ansturm einer großen Müdigkeit. Auf flossenartigen Extremitäten stapfte er, den Quallenkörper nachschleppend, zu seinem Bett. Obwohl es immer wieder von dem Roboter gereinigt und glattgestrichen wurde, sah es aus, als habe es seit zehn Tagen oder länger keine Pflege mehr gesehen. Die Erschöpfung, die sicherlich von der Umformung und Veränderung herrührte, zwang ihn auf die Laken. Er rollte sich ächzend zur Seite und schlief sofort ein. Nach dem Schlaf, der ihn nicht erfrischte, paßte er noch immer in den Raumanzug. Er ordnete an, daß der Roboter ihm einige
Ausrüstungsgegenstände zusammenpacken sollte, dann kündigte er seinen Besuch in BYTHA an, der Raumtankstelle. Er ließ die Transmitterverbindung für das Ende der nächsten Schicht vormerken.
* Immer wieder vergewisserte sich Gelona, ob sie mit genügend großer Vorsicht operierte. Sie kontrollierte die Waffe, den Scheinwerfer, ihr Rufgerät und die Traphnaton. Die Mikropositronik sendete, rechnete, wartete und war auf Empfang geschaltet. Auch Kampurt war mit diesem Gerät verbunden. Er allerdings befand sich in einem ganz anderen Tei} der Tankstelle. Die Hälfte der Besatzungsmitglieder hatte frei. Das bedeutete, daß davon mindestens achtzig Prozent schliefen. Alle anderen arbeiteten an ihren Posten und grüßten die Spezialistin leise, wenn sie an ihnen vorbeikam und sich umsah. Der gewaltige technische Organismus der Station war in ständiger Bereitschaft. Überall summte und dröhnte es, an vielen Stellen schalteten sich Lichter ein und aus. Die riesigen Energiemeiler liefen fast lautlos, und nur die Monitoren zeigten die ungeheuren Werte der Belastung. Zwei Spezialroboter befanden sich bei den Strahlungsschutzschirmen, von denen der Wohnteil vor dem Maschinensektor geschützt wurde. Eine Reparatur wurde ausgeführt, die Blitze der Schweißgeräte zuckten durch das Halbdunkel. Ein Arbeiter im Schutzanzug beaufsichtigte die beiden schwebenden Maschinen. »Alles in Ordnung?« fragte Gelona. Der Techniker nickte und brummte: »Bestens. Keine Probleme.« Sie bog ab und näherte sich der annähernd kubischen Halle, in der die beiden Transmitterfelder sich hochspannten. Die
festeingebauten Robotwachen waren eingeschaltet und richteten die Geschützprojektoren auf die Spezialistin. Sie rief das Kodewort, und die Waffen schwangen wieder zurück. »Kommt jemand?« fragte sie den Mann der Überwachung, der in seiner geschützten Kontrollkabine saß. Er öffnete ihr die Tür und deutete auf den Getränkeautomaten. »Nein, danke«, sagte sie. »Nichts?« »Von BYTHMAYN kam eine Voranmeldung. Sonst absolute Stille. Es hält sich jeder an eure Sperre.« »Die Sperre müßte eigentlich nicht sein«, sagte die Agentin. »Aber der Transmitter ist einwandfrei ein schwacher Punkt.« Der Ligride nickte unter seiner hellen, in der Kopfmitte durch Metall verstärkten Kapuze und erwiderte leise, aber grimmig. »Fangt diesen Verrückten. Unter uns Arbeitern kursieren die wildesten Gerüchte. Es muß endlich wieder Ruhe geben.« »Ich verspreche es dir«, sagte sie und hob beschwörend die Hand. »Wir tun, was wir können. Und bisher hatten wir immer Erfolg.« Von der Transmitterstation führten zwei Korridore ins Innere der Station. Es war eine Ebene, auf der Material in die Fabrikationsanlagen transportiert wurde, und ein besonders geschützter Gang, der in die Wohnbezirke in der Spitze führte. Die Strahlung im hinteren Teil war stellenweise gesundheitsschädigend und konnte nur in einem entsprechenden Anzug oder aber hinter Schutzwänden ertragen können. Gelona verließ den Transmittersaal und öffnete das erste Schott auf dem Weg zu den Mannschaftsquartieren. Die Schleusentür glitt auf, und die Spezialistin schaltete einen Impuls zur Mikropositronik. Keine Veränderungen, signalisierte das Gerät. Gelona bewegte sich dicht an der Wand des breiten, niedrigen Ganges entlang. Ruhig brannten die Beleuchtungskörper, ab und zu hörte Gelona einzelne Worte aus den halboffenen Türen der Aufenthaltsräume. Am Ende des Korridors bog sie in einen
zylinderförmigen Verteiler ab und blieb in dessen Mitte stehen. Sie überlegte kurz, wohin sie gehen sollte. Über ihr ertönte ein leises Knistern. Sie hob den Kopf und sah die Deckenverkleidung, ein rundes Gitter aus Metall, Plastik, Kabeln und Beleuchtungskörpern. Darüber waren die kastenförmigen Elemente der Luftumwälzanlage. Als sie eine halbe Sekunde lang die zitternde Konstruktion angestarrt hatte, zündeten an mehr als zehn Stellen gleichzeitig harte, schmetternde Detonationen. Sie gingen von grellen Explosionen aus, von denen Gelona geblendet wurde. Aber die Frau handelte mit der Erfahrung langer Jahre. Sie warf sich nach vorn, sprang mit langen Sätzen auf den nächsten Eingang zu und warf den Handscheinwerfer vor sich her in den Korridor. Mit Krachen und Klirren und den Geräuschen der reißenden Metallverbindungen stürzte die Konstruktion, nicht kleiner als zehn Meter Durchmesser, fast waagrecht durch den schachtförmigen Raum. Von den Wänden und den losgerissenen Halterungen wirbelten lange Funkenbündel weg. Gelona sah das riesige Gitter auf sich zustürzen, rollte sich nach vorn ab und erreichte den Korridor nur eine Handbreit vor dem herunterbrechenden Gerüst. Mit einem riesigen Krachen und Splittern schlug die verbeulte und halb auseinandergerissene Metallmasse auf die Stufen, die Abzweigungen und Rampen. Gleichzeitig heulte eine Sirene los. Es regnete Trümmer und zerfetztes Plastikmaterial auf die untersten Teile des Verteilers. Rote Warnlichter zuckten auf. Gelona hatte sich in einer Vorwärtsrolle überschlagen und kam unsicher auf die Beine. Türen wurden aufgerissen, Schotte summten zur Seite. Mehr als ein Dutzend Ligriden stürzte in den Korridor. Sie drängten sich um Gelona, die ihre Meldung an Kampurt und die Positronik durchgab. Nach einigen knappen Sätzen wandte sich die Spezialistin an die aufgeregten Männer. »Vielleicht solltet ihr Roboter holen und die Trümmer wegräumen
lassen. Seht es euch an – es ist eine gewaltige Menge Zeug.« »Natürlich. Ist es Eleteen?« »Ja, und er schlug wieder ohne Vorwarnung zu. Ich war auf irgendeinen Zwischenfall vorbereitet«, murmelte Gelona. Jetzt erreichte sie der Schock. Als sie die scharfkantigen Gitterelemente sah, die zerstört und den runden Verteilerraum fast völlig ausfüllend an dessen Boden lag, schüttelte sie sich und stützte sich schwer gegen den Rahmen des Korridorausganges. »Das war auf dich gezielt.« »Er muß dich beobachtet haben«, sagte ein anderer, »Kümmert sich Kampurt um die Sperre der Roboter?« »Ich hoffe es. Ich gehe hin.« »Hierher. Es gibt einen Umweg. Du brauchst den Verteiler nicht zu benutzen.« »Ich kenne ihn. Er führt durch den Aufenthaltsraum.« Zwei Männer begleiteten sie. Es waren Reparaturspezialisten, die zusammen mit den Maschinen die Trümmer sehnell wegzuräumen versprachen. Auf halbem Weg kam ihnen Kampurt entgegen, er rannte durch den Hauptkonidor und zeigte deutlich, daß er heilfroh war, Gelona völlig unverletzt zu finden. Er zog sie kurz an sich und flüsterte: »Wir kriegen den Schurken, Partnerin!« »Hoffentlich bald«, gab sie mit erstickter Stimme zurück. »Das war verdammt knapp.« Er zog sie mit sich. Sie lösten die Siegel und befreiten zwei Werkstattroboter von den energetischen Fesseln. Ein Abfallcontainer wurde abgerufen. Die Maschinen schwebten leise summend aus dem Magazin hinaus. Kampurt verschloß sorgfältig die Metalltore der dunklen Halle. »Wir müssen uns auf euch verlassen«, sagte er zu den Arbeitern. »Versucht bitte herauszufinden, auf welche Weise die Verkleidung gerade in diesem Augenblick zerstört werden konnte.« »Ihr habt in ein paar Stunden unseren Bericht. Wir geben ihn an
die Zentrale.« »Danke, in Ordnung«, sagte die Spezialistin. »Auf diesen Schrecken hin brauche ich einen doppelten Schnaps.« »Den bekommst du in meiner Kabine.« »Worauf warten wir?« Es war nicht mehr weit bis zu ihrem Quartier. Sie bewegten sich durch den Korridor, der gegen die Strahlung isoliert war und einen geringeren Querschnitt aufwies. Als Gelona die erste Hälfte des Bechers hinuntergestürzt und nach Luft geschnappt hatte, versuchte sie, diesen Anschlag zu rekonstruieren. Oder anders: wie die Vorbereitungen getroffen worden waren. Schmelzladungen an den Trägern, Zünder, die gleichzeitig durch einen Funkbefehl zur Detonation gebracht wurden, ein Anschluß an das überwachende Fernsehauge. »Es wird sich eine Kontrollmitteilung in der Traphnaton finden lassen«, erklärte Kampurt. »Wahrscheinlich wurde vor einiger Zeit die Decke repariert. Oder jemand arbeitete in dem Raum oberhalb des Verteilers.« »Richtig. Das finden wir morgen heraus.« »Warum nicht heute nacht?« fragte er. »Später. Wenn du dich wieder erholt hast.« »Auch gut.« Sie leerten nachdenklich ihre Becher, gossen noch einen kräftigen Schluck nach und machten sich dann auf den Weg in die Zentrale. Die Alarmmeldung war in sämtliche Räume durchgegeben worden. Gelona hatte nicht mehr vermeiden können, daß ihr Name genannt wurde, und daß sie überlebt hatte. Nun wußte Eleteen also, daß sie seinem Anschlag entgangen war, wenn er dies nicht gleichzeitig durch die Teleoptik hatte beobachten können. Die Detektive gingen nebeneinander drei Rampen hinunter, die sie in den zentralen Korridor brachten. Er führte in die Schaltzentrale und endete vor der Strahlenschutzwand. Als sie, tief in Gedanken und schweigend, etwa die Hälfte des
Weges hinter sich hatten, tauchte aus einem Materialschott neben dem deutlich gekennzeichneten Mehrfacheingang der Zentrale ein Mehrzweckrobot auf. Er schwebte etwa einen Meter über dem Boden und richtete das Linsensystem auf die Ligriden aus. »Roboter?« knurrte Kampurt und griff nach der Waffe. »Hier?« Gelona drehte sich um und fauchte: »Die nächste Falle. Hinter uns – derselbe Typ.« Kampurt entschied sich augenblicklich. Einen Atemzug später hielten die Detektive die entsicherten Strahlwaffen in den Händen. Die Roboter glitten summend heran. Noch mehr als jeweils dreißig große Schritte trennten die Ligriden von den Maschinen. Durch die Stille des Korridors hallten die Schaltgeräusche, als die Maschinen ihre Projektoren hervorklappten und in Position brachten. Die Abstrahlreflektoren begannen zu glühen. Gelona sagte kurz: »Ausweichen nach rechts und links.« Sie brauchten keinen Gedanken darauf zu verschwenden, ob dies eine geplante Falle oder ein Zufall war. Roboter dieser Art hatten jetzt und vor allem hier nichts zu suchen. Die Maschinen wurden also manipuliert. Etwa drei oder vier Sekunden waren seit dem ersten Blickkontakt vergangen. Fast gleichzeitig feuerten die Detektive. Gelona hatte sich an die Metallwand gepreßt, fühlte unter den Fingern der linken Hand den rauhen Überzug der Wand und spürte den leichten Rückschlag ihrer Waffe. Sie tastete sich, ohne den Gegner aus den Augen zu lassen auf die Griffe des nächsten Schottes zu. Und wieder drückte sie auf den Auslöser. Die Hochenergiestrahlen zuckten durch die Länge des Korridors und trafen auf die Metallteile der Maschine. Sie sprengten Schutzflächen und Verkleidung weg, trafen den Rand des Projektors und wurden vom Projektor selbst abgeleitet. Auch der Partner schoß gezielt und in kurzen Abständen. Er ging ebenfalls vorwärts, aber auf der anderen Seite des Korridors.
Abermals brach ein Inferno aus. Die Warneinrichtungen sorgten vollautomatisch dafür. Die beiden Roboter feuerten ununterbrochen zwischen den Detektiven hindurch. Die langgezogenen Energieblitze trafen einander, bohrten sich in die Wände, die Decken und den Boden. Wütend und voller Angst zerrte Gelona an der geschwungenen Klinke der Tür und hoffte, daß die Metallfläche aufgleiten möge. »Deckung, Partner!« schrie sie und sah, daß sie die Maschine in den Apparat der Gleit- und Schwebefläche getroffen hatte. Flammen, kleine Explosionen und schwarzer Qualm zeigten sich an der Unterseite des hochspezialisierten Geräts. »Keine Sorge. Noch lebe ich«, gab Kampurt mit donnernder Stimme zurück. »Wie schön.« Aus vier Waffensystemen heulten, kreischten und dröhnten die Energiestrahlen hin und her. Die beiden Roboter hatten sich in funkensprühende und kochend brodelnde Metallkonstruktionen verwandelt. Rund um den Standort der zwei Angegriffenen waren Bodenbelag und Wandbespannung zu rauchenden und schwelenden Flächen geworden. Die schwarzen und grauen Rauchwolken wurden von der Klimaanlage angesogen. Gleichzeitig zuckten blaue, rote und gelbe Alarmlichter. Eine Sirene schickte ihr Heulen durch das System der Gänge und Korridore. Aus einigen Löschdüsen in der Decke zischten weiße, brodelnde Schaumfontänen. Mit einer schmetternden, überaus heftigen Explosion löste sich der Roboter, den Gelona beschoß, in seine glühenden Einzelteile auf. Durch den Rauch, den Sprühnebel und die herunterfallenden Flecken der schwelenden Bespannung wirbelten weißglühende Metallfetzen und schlugen irgendwo ein. Es gelang der jungen Frau, die nächste Tür aufzureißen. Kampurt und Gelona sprangen, noch während sie auf den näher kommenden und funkenwerfenden zweiten Koloß Schossen, in den
leeren, dunklen Raum. Hinter ihnen detonierte die Maschine und fegte einen Hagel von heulenden Bruchstücken durch den Korridor. Dann ertrank der gesamte Abschnitt in den Wolken aus Löschschaum. Das Schott fuhr in dem Augenblick zu, als Kampurt den Kontaktschalter fand und die Kabinenbeleuchtung einschaltete. Der Ligride ließ die Waffe sinken, lehnte sich ans Schott und bemerkte mit einem kurzen, aufgeregten Lachen: »Jetzt wissen wir's genau.« »Eleteen hat es auf uns abgesehen.« »Ein direkter Angriff.« »Wir müssen P-Lankion auf jeden Fall sprechen. Persönlich.« »Das ist unsere nächste Aktion.« Schwer atmend warteten sie in der kleinen Vorratskammer, bis sie sich halbwegs beruhigt hatten. Dann schalteten sie den Interkom ein und verständigten sich mit der Eingreifmannschaft über die Aufräumungsarbeiten. Auf den ersten Blick hatten sie gesehen, daß die zwei Mehrzweckmaschinen nicht zu jenen gezählt hatten, die im Magazin abgezählt und gesichert eingesperrt waren. »Eleteen hat uns im Visier!« stellte Gelona schließlich fest. »Und er besitzt Möglichkeiten innerhalb BYTHAS, die wir übersehen haben.« »So sehe ich es auch.« Sie verließen die Kabine und sprachen leise mit den Männern, die den halb zerstörten Korridor reinigten und aufräumten. Es stank nach Brandrückständen und anderen unangenehmen Dingen. Abermals hatten sie überlebt. Kein anderer Ligride war zu Schaden gekommen. Und der Saboteur war weiterhin unbekannt.
5. Das, was von P-Lankion noch übrig war, bewegte sich mit der Hilfe
von zwei riesenhaften Garderobotern durch die abgesperrten Maschinenkorridore der Raumstation. Auf einer Antigrav-Plattform, die zwischen den beiden Robots schwebte, lag eine unförmige Masse, die etwa dem Körperinhalt von drei Ligriden entsprach. Eine silberfarbene Schutzfolie breitete sich über den zuckenden Körper aus. Alle Befehle waren längst gegeben, die einzelnen Stationen waren vorgezeichnet. Raffinierter Instinkt beherrschte das amöbenhafte Ding, das die Reste P-Lankions Verstand in sich trug und nichts anderes wollte, als zu flüchten und heimzukehren. Es schien, als habe die Veränderung P-Lankions ihre letzte Station erreicht. Sein Ligridenkörper, der zunächst mehr und mehr zu einer Art aufrechtgehender Robbe geworden war, zeigte nun noch wenige Konturen. Ein schuppiger Sack mit vier fast unsichtbaren Gliedmaßen und einem winzigen Ligridenkopf, der halslos aus der Fleischmasse hervorsah, ebenso schwarzgeschuppt wie jeder Teil der Körperoberfläche. P-Lankion bewegte sich fort, indem er sich ausdehnte und zusammenzog wie eben jene Riesenamöbe. Die Raumtankstelle war das Ziel dieses grausigen Transports. In BYTHA gab es wenige Männer, die sich der Flucht entgegenstellen würden. Dort legten ununterbrochen Schiffe an, die anschließend auf Fernflug starteten. Die abgrundtiefe, aussichtslose Verzweiflung, die P-Lankion zuletzt beherrscht hatte, war umgeschlagen in eine undeutliche und wenig zielgerichtete Sehnsucht. Ein Ruf war ausgeschickt worden. Ihn hatte er getroffen. Ihn, als einzigen Ligriden unter einigen tausend Frauen und Männern des Stützpunkts BYTH. Ausgerechnet ihn: das wußte P-Lankion mit absoluter Sicherheit, denn er hatte sämtliche Krankenberichte aller drei Teile des Vorpostens studiert. Niemand sonst hatte eine solche Veränderung erfahren. Er folgte also diesem Ruf, der seinen Sinn hatte, und der ihn in die Ferne des
Universums zog. Die beiden Roboter blieben vor dem letzten Sicherheitsschott stehen. Der Kode wurde eingegeben, die schweren Portale öffneten sich. Die Maschinen schwebten mit ihrer seltsamen Last auf die Abstrahlanlage zu. Der Oberste Leiter des Stützpunkts gedachte, so leise zu verschwinden und die Welt nicht länger mit seiner Gestalt und den Problemen zu belästigen, wie er bis heute gelebt und gearbeitet hatte. Die beiden Roboter hatten für den Transport von der Tankstelle zum Schiff und für die letzte Zeit des Lebens auf irgendeiner geeigneten Welt sämtliche technischen Gerätschaften. Unter der dicken Foliendecke ertönte die stark veränderte Stimme P-Lankions. »Warum geht es nicht weiter? Schneller!« Wahrheitsgemäß antwortete der Roboter: »Vor wenigen Minuten ist die Transmitterstation auf BYTHA für jeden Verkehr gesperrt worden.« »Erklärungen!« Mit maschinenhafter Geduld erklärte der Leitroboter, was er über seine Rezeptoren erfahren und mitgehört hatte. »Ein zweites Attentat wurde auf die Flotten-Detektive verübt. Weder Phonell noch Omahrc waren zu erreichen. Auch das Büro von P-Lankion äußerte sich nicht. Also schaltete einer der Spezialisten die Steuerung des Transmitters ab und plombierte sie.« »Das erfordert rasches Umdenken«, äußerte sich die schwarzgeschuppte Masse aus dem Restmund des Ligridenkopfs. »Verfahrensänderung. Bringt mich zu P-Lankions privater Jacht. Ich werde sie benutzen.« »Verstanden.« Die Roboter verließen die Abstrahlplattform und machten sich gehorsam auf den langen Weg zu den Hangars der Raumstation. Als er noch pflichtgemäß und überlegt handeln konnte, verlief P-
Lankions Überlegung in den honorigen und traditionell vorgegebenen Geboten von Gwyn und Gward. Mit seinen Leuten konnte er nicht mehr sprechen, sie waren erschrocken. Desorganisation war die Folge einer solchen Veränderung, die absolut einmalig in der Geschichte der Ligriden war. Weder in der schon vergessenen Heimatgalaxis noch in der Zeit des Neuen Konzils in Manam-Turu war ein solcher Fall bekannt geworden. PLankion zog es vor, sich ungesehen zu entfernen und nichts Schlimmeres zu hinterlassen als eine Legende. Der Leitrobot konnte die Raumjacht zuverlässig steuern. Schweigend und ohne Aufmerksamkeit zu erregen, bewegte sich der seltsame Zug durch einen Teil der radförmigen Station. Die letzten Tage im Leben P-Lankions hatten begonnen. Nur er selbst wußte davon, niemand sonst hatte erleben können, wie er sich veränderte. Dieses Geheimnis wollte er mit sich nehmen, irgendwohin, in die Weite fremder Sterne und Planeten.
* Die Traphnaton speicherte, rechnete, verglich und druckte aus. Alle wichtigen Stellen des Dreiecks BYTHA, BYTHMAYN und BYTHARK waren verständigt worden. Systemalarm blockierte die unterschiedlichsten Aktivitäten einiger Abteilungen. Es gelang dem Sekretär Phonells, seinen Chef zu wecken, ihn medizinisch zu versorgen und ihm das Versprechen abzuringen, sich um die Vorfälle zu kümmern. Für Mittag des nächsten Tages war eine Konferenzschaltung vereinbart worden. Gelonas Augen tränten vor Anstrengung, als sie endlich den Kopf von der Feldlinse hob. Auch ihre Stimme ließ die große Müdigkeit und Erschöpfung erkennen. »Wir haben nur einen Verdächtigen!« sagte sie ernst. »Für
sämtliche Mitarbeiter der Tankstelle, einschließlich uns beiden, liegen unerschütterliche Alibis vor.« »Das habe ich vermutet«, antwortete Kampurt. Er war fast ebenso müde wie seine Partnerin. »Frage mich nicht, woher und warum. Aber ich habe mit unzähligen Männern gesprochen. Ich kenne sie. Sie haben keinen Grund, die Station zu zerstören.« »Du kennst sie alle?« »Fast alle. Wer ist dein Verdächtiger Nummer eins?« »Omahrc.« »Der Chef?« »Wenn es zutrifft, daß er krank ist, dann gewinnt diese reichlich abwegige Vermutung an Wahrscheinlichkeit.« Sie legte die Hände in den Nacken und streckte sich. »Geh hin«, sagte sie spöttisch. »Und stelle ihn.« »Hilfst du mir?« »Nein. Ich setzte beziehungsweise lege mich hier in der Zentrale in einen Sessel. Die Techniker passen auf mich auf. In meinem gemütlichen Apartment erscheint es mir zu gefährlich.« Kampurt nickte nach kurzer Überlegung. Die Idee war ausgezeichnet. Sie beide brauchten ein paar Stunden ungestörten Schlaf. Unmittelbar nach diesem Anschlag würde wohl auch der Attentäter eine Pause brauchen, und sei es nur deswegen, um etwas Neues vorzubereiten. Er, Kampurt, würde über diese verblüffende Feststellung nachdenken. Die Tradition verbot es ihnen, den Stationschef selbst zu belästigen. »Genau dasselbe mache ich auch«, sagte er. »Omahrc! Wenn das zutrifft, dann …« Er ließ den Satz unbeendet und ging kopfschüttelnd davon. Er fand einen ruhigen Platz in einem halb belegten Mannschaftsquartier. Die Männer halfen ihm in geradezu verblüffender Kameradschaftlichkeit.
*
Eleteen verkörperte einen Wesenszug der Ligriden, deren Vergangenheit ihnen allen bewußt wurde, sobald die erwachsen waren. In seinem dunklen Anzug sah er unüberbietbar kriegerisch aus. Jede Bewegung blieb knapp und beherrscht. Kriegerisch und erobernd, die Urform der Gwyn-Theologie, ein Bild von einem Kriegsherrn, bewaffnet bis an die Zähne und stark. Omahrc wußte in dieser Stunde nicht, daß Eleteen sein anderes Ich war. Er existierte gegenwärtig nicht mehr, er war völlig aufgegangen in der krassen Überpersönlichkeit des Saboteurs. Selbst sein Äußeres hatte sich, unabhängig von der Kleidung oder KampfVerkleidung, verändert. Er war schmaler und muskulöser geworden. Omahrc, der mit immer längeren Gedächtnislücken kämpfte, wußte nicht, was in dieser Zeit vor sich ging, Eleteen hätte es ihm sagen können, aber zwischen beiden Ligriden gab es jetzt keine Verbindung mehr. Nicht einmal der Überlagerungseffekt der beiden Persönlichkeiten existierte noch. Der Spiegel zeigte entweder Eleteen noch Omahrc. Er zeigte nur den einen oder den anderen. Eleteen hatte ein klares und ausgefeiltes Programm. Sein Selbstverständnis war durch und durch ligridisch. Aber es bezog seine festen Überzeugungen aus der archaischen Vergangenheit seines Volkes, als es noch zu den erobernden Herrschern zwischen den Sternen gezählt hatte. Sein Haß auf die Umstände füllte ihn aus. War die Tankstelle vernichtet, würden sich die Kommandanten wieder auf ihre alte Macht besinnen und ihre Bestimmung in die eigenen Hände nehmen. Daß Eleteen von absolut sinnlosen Überlegungen ausging, daß sein Vorhaben oder ein ähnlicher Plan nicht die geringste Chance zur Realisierung hatte, spielte keine Rolle. Er kannte und anerkannte keinen anderen Maßstab als seinen eigenen. Seine Ideen
entsprangen einem kranken, schizophren geteilten Gehirn. Eleteen plante, zuerst BYTHA zu zerstören. Allein vermochte er es nur dann, wenn er ungestört weiter arbeiten und schalten konnte. Dagegen wandten sich die zwei Detektive. Er mußte sie beseitigen, dann erst konnte er wieder ungestört über die Schaltungen verfügen. Er wußte, daß Omahrc für die nächsten Stunden sich zurückgezogen hatte. Er schlief nicht nur tief, sondern hatte den Versuch aufgegeben, den anderen Teil des Verstandes und damit den Körper beherrschen zu wollen. Auf Umwegen verließ Eleteen die Wohnräume, schloß und öffnete geheime Türen und kletterte durch einen Inspektionsschacht in ein Teilemagazin hinunter, das in der Nähe des nächsten Zieles lag. Fünfzig Schritte neben der besonders gesicherten Transmitterstation. Unerkannt schaltete er sich in das Kommunikationsnetz ein und stellte fest, daß er warten mußte. Es herrschte zuviel Bewegung in den Korridoren, Wohnräumen und den Nebenräumen. Eleteen trug keine Maske, nur einen gefütterten Metallhelm. Man würde sofort sehen, daß er nicht zur Besatzung gehörte. Diese Gefährdung wollte er nicht riskieren. Bisher hatte er viel Geduld beweisen müssen: er hatte genug Zeit. Der Einsatz und die erhofften Ergebnisse rechtfertigten jede Unterbrechung. Zwei Stunden später öffnete er ein schmales Nebenschott. Ein Wachwechsel hatte stattgefunden, die Hälfte der Besatzung befand sich in ihren Kabinen und schlief hoffentlich. Eleteen vergewisserte sich, daß die flachen Pakete des Explosivstoffs noch in den Rückentaschen seines Kampfanzugs steckten, kontrollierte jeden Teil seiner Ausrüstung und schlüpfte hinaus in die gemäßigte Helligkeit des Zentralkorridors.
* Kampurt drehte und wendete die Frage nach dem Attentäter hin und her, ging jeder seiner Überlegung nach und kam zu einer Reihe abenteuerlicher Vermutungen. Aber immer wieder, wenn er sich die Charakteristika der Besatzungsmitglieder in die Erinnerung zurückrief, wenn er versuchte, alle Informationen und Beobachtungen, Vermutungen und Schlüsse in ein System zu bringen, in ein Geflecht aus Wirklichkeit und Absichten, das Schlimmste zu verhindern und den Täter zu stellen – immer wieder schob sich in seine Überlegungen der Name und das Psychogramm des Chefs hinein: Gmahrc. Er schlief ein, und als er von dem Lärm einer frühstückenden Gruppe geweckt wurde, wußte er, was er tun mußte. Er holte frische Kleidung aus der Kabine, stellte sich in einem der Aufenthaltsräume ein Essen zusammen und studierte dann besonders intensiv einen Ausschnitt des BYTHA-Bauplans. Dann fing er damit an, in einem Magazin-Nebenraum eine Verkleidungsplatte abzumontieren. Dahinter lagen Entlüfterkanäle und die großdimensionierten Hohlräume, in denen Versorgungsleitungen verliefen. Die Lampe zeigte, was Kampurt erwartet hatte: deutliche Benutzungsspuren. »Ein unüblicher Weg, sein eigenes Büro zu betreten«, murmelte er und begann, getreu den Bauplänen, außerhalb der normalen und bekannten Wege auf den kleinen, besonders gesicherten Bezirk zuzuklettern und zu kriechen, der Omahrc gehörte. An vielen Stellen sah der Spezialist, daß dieser Weg mehrmals benutzt worden war. Es gab verschiedene Ausgänge in das allgemein zugängliche System, aber je näher er Omahrcs Büro kam, desto deutlicher wurden die Benutzungsspuren. Was hatte den Stationsleiter zu diesem Verhalten gebracht? Das fragte er sich, als er parallel zu einer massiven Wand eine
Montageleiter herunterglitt, die Lampe in mehrere Richtungen bewegte und sich endlieh für einen schmalen Schacht entschied, der waagrecht und geradeaus führte. An dessen Ende fand er einen wuchtigen, aber einfachen Normverschluß. Er zog seine Waffe, bewegte den Spannhebel und drückte ihn nach unten. Er wußte nicht, was ihn erwartete, aber er rechnete mit einem Schock. Als die Metallplatte nach innen schwang, blickte Kampurt in ein hellerleuchtetes, aber leeres Wohnzimmer. Er hielt den Atem an, aber es gab kein verdächtiges Geräusch. Seine Blicke glitten prüfend über die fast beispiellose Unordnung, ertasteten die offenen Durchgänge zu einem Schlafraum und einer vollautomatischen Kombüse. Kampurt holte Luft und sprang vorwärts. Er wirbelte durch einen Raum nach dem anderen. Überall dieselbe Unordnung. Jeder Raum war benutzt, aber leer. Ein Medoroboter stand im Schlafraum, von Hieben mit einem schweren Metallgegenstand verformt und halb zertrümmert. Geschirr und Handtücher, Essensreste und alle anderen Teile ließen erkennen, daß Ohmahrc seit dem Beginn seines Versteckspiels hier gehaust hatte – und zwar in deutlicher Verwirrung. Die Augen und der Verstand des Detektivs waren eindeutig geschult. Er bemerkte viele Kleinigkeiten, die er später analysieren würde. Der nächste Raum war die Nebenzentrale des großen, leeren Büros. Die Geräte waren ausnahmslos abgeschaltet, nur jene Monitoren, auf denen die Bewegungen innerhalb der allgemein zugänglichen Stationsteile gezeigt wurden, liefen ununterbrochen und zeigten ständig wechselnde Szenen. »Aha!« sagte Kampurt wenig geistreich und rüttelte an jedem Griff. Er erwartete, daß Omahrc hier irgendwo zu finden war – undenkbar, daß er sich dort draußen befand. Ein zweiter, ebenso schneller, aber gründlicherer Spurt im Zickzack durch die Räume zeigte ihm, daß er unrecht hatte. Er rannte durch die Nebenzentrale, schlug kurz gegen die Leuchtfelder
der Schottautomatik und war mit einem Satz wieder im Korridor. Nach zehn Riesenschritten warf er sich nach links, tauchte in einem Nebenkorridor unter und rannte in die Hauptzentrale, um Qelona und ihrem verdammten, klugen Gerät zu erzählen, was er wußte.
* Drei Mann saßen in der Zentrale und machten drohende Bemerkungen, als Kampurt versuchte, seine Partnerin zu wecken. Noch während er ihr flüsternd mitteilte, was er wußte, kam ihm eine weitere Idee. Er wirbelte herum und packte Kyrash an der Schulter. »Sage es allen anderen. In diesen Minuten ist unser Chef irgendwo in der Station zu finden. Wenn jemand Fragen an ihn hat, soll er ihn ansprechen.« Er bat Kyrash, einige Linsensätze auf sämtliche Gänge und Abzweigungen im Bereich von Omahrcs Wohnbereich zu richten und dort starr zu schalten. Dann erklärte er, mit leiser Stimme, was er dachte. »Omahrc und Eleteen, das mußt du mir glauben, sind ein und dieselbe Person.« »Wenn das so ist«, gab sie gähnend und undeutlich murmelnd zurück, »dann hat er dich gesehen, wie du seine Räume durchsucht hast.« »Dazu sind wir da. Der echte Chef würde nichts dagegen haben.« »Auch richtig. Sei ein netter Partner und hole mir etwas zu essen, ja? Ich rede mit der Traphnaton.« »Mache ich, Gelona.« Es waren noch etwa fünf Stunden bis zum Beginn der Konferenzschaltung. Wenn sie bis zu diesem Zeitraum ihre Vermutungen in festes Wissen verwandeln konnten, war ihr Auftrag erledigt.
Während sie arbeiteten, meldete die Ortungsstation, daß PLankions private Jacht gestartet war und um Landeerlaubnis gebeten hatte. »Endlich!« sagte Kampurt mehr als zufrieden. »Der Oberste Chef wird sich um alles kümmern.« Das sorgfältig verbreitete Gerücht, daß Omahrc – unerkannt und bis eben auch nicht gesehen – seinen Wohnbereich verlassen hatte, erreichte in Rekordgeschwindigkeit alle Besatzungsmitglieder. Beträchtliche Aufregung brach aus. Aber niemand sah Omahrc! Die Traphnaton wurde mit neuen Erkenntnissen gefüttert, aber die Analyse trug kaum etwas zur Aufhellung der drängenden Probleme bei. Eineinhalb Stunden vor der Gesamtschaltung traf ein Anruf von der Planetenbasis ein. Der Vertreter Phonells bat, mit dem Stationsleiter zu sprechen. Als man ihm die näheren Umstände erklärte, verlangte er nach Gelona und Kampurt. Carnshon hatte lange mit sich gekämpft. Später suchte er diejenigen Ligriden auf, die gleich ihm eine Klasse tiefer als Phonell standen. Sie berieten lange miteinander, denn was sie tun mußten, war ohne Beispiel und wog schwer. Carnshon, der persönliche Sekretär und zugleich verantwortlicher Vertreter des Ligriden, hatte vorher mindestens zwei dutzendmal versucht, mit Phonell zu sprechen. Er stützte sich schwer auf den Konferenztisch und sagte, nachdem er in den ernsten Gesichtern seiner Mitstreiter nach Verständnis gesucht hatte: »Er antwortet nicht. Wir müssen annehmen, daß er tot in seinem Bett liegt.« »Wir sind die Zeugen«, sagte ein anderer. »Hole die Roboter. Wir dringen durch die Fenster oder Gartentüren ein.« »Das kommt vermutlich einer Absetzung gleich«, warnte Carnshon. »Ich habe also auch versucht, P-Lankion davon zu verständigen.« »Was befahl er?«
»Nichts. Mir wurde gesagt, er sei auf dem Flug nach der Raumtankstelle. Sein Vertreter sagt, im Einklang mit den Regeln der ligridischen Kriegstradition sind die zwei Detektive, weil ihm direkt unterstellt, seine Vertreter. Verständige sie.« »Entspricht das den Regeln?« »Ich habe nachgeprüft«, brummte ein Teamchef der Mechaniker. »Wir machen keinen Fehler.« »Einverstanden.« Phonells Verhalten, das nicht weniger seltsame Benehmen PLankions, die Weigerungen Omahrcs, mit seinen Leuten zu sprechen und administrative Arbeiten zu beaufsichtigen, die Sabotageakte in BYTHA und die allgemein gedrückte Stimmung – inzwischen dachte jeder einzelne Ligride in den drei Stationen darüber nach, daß ein schicksalhafter Schatten auf BYTH gefallen war. Carnshon ließ eine Bildfunkverbindung zu BYTHA erstellen und bat die Detektive vor die Objektive. »Vor diesem Konferenzraum warten die Roboter und die Ärzte«, sagte er in der nächsten Pause. »Wir können sofort nachsehen.« Wieder lag ein schöner, sonniger Tag über dem Planeten. Scheinbar unberührt von allen Fragen und Ungewißheiten schienen sämtliche Arbeiten ihren gewohnten Gang zu laufen. Aber tausend Gerüchte, hundert Fragen und lauter falsche Antworten versetzten von Stunde zu Stunde mehr Frauen und Männer in tiefe Nachdenklichkeit und erste Panik. Das Wort vom Schatten, der über BYTH-ARK gefallen war, machte die Runde. Furcht breitete sich aus, die aus der Unkenntnis geboren war. Jede Naturkatastrophe oder jeder Überfall aus dem Innern des Planeten wären für die Ligriden richtige Gegner gewesen, die man besiegen konnte. Aber dieser Feind aus dem Dunkel, er war gefährlicher als alles andere. Schließlich erschienen aus unterschiedlichen Richtungen die Flottendetektive auf dem Bildschirm.
Eine Begrüßung fand schnell, aber in den traditionell vorgegebenen Schemata statt. Dann kam Carnshon sofort zur Sache. »Von eurem Urteil hängt unser Vorgehen ab. Sollen wir die persönliche Intimsphäre Phonells verletzen?« »Sorge um sein körperliches Wohl bewegt uns alle«, gab Gelona zurück. »Brecht die Wohnung auf. Danach ist es ohnehin Zeit für die Konferenzschaltung. Wir haben interessante Mitteilungen zu machen. Das Verhängnis streckt die Hand aus nach dem Dreifachstützpunkt BYTH.« Ein Roboter wurde aktiviert, eine Verbindung hergestellt. Vom Aufbruch des Stellvertreters und seiner Zeugen an wurde jeder Vorgang optisch und akustisch festgehalten. Es durften keine Fehler gemacht werden. »Kommt.« Vom Verwaltungsgebäude bis zum untersten Geschoß des Wohnturms waren es nicht mehr als dreihundert Schritt. Roboter, der Gleiter der Mediziner, die Ligriden und noch einmal Roboter bildeten eine längere Karawane, die durch einen Absperrzaun hindurch den Garten des Ligriden durchquerte und vor einem bodengleichen Mehrfachfenster stehenblieb. Zwei Arbeitsrobots erhielten den Befehl, die Türen zu öffnen. Sie machten sich mit Schneideapparaten und ausgefahrenem Hebelwerkzeug geräuschvoll an die Arbeit. Binnen weniger Minuten fielen die schweren Schutzläden in sich zusammen und wurden weggeräumt. Nadelfeine Energiestrahlen schnitten die Riegel und Zuhaltungen auseinander. Mit einem schmetternden Krach barst eine große Scheibe, die sich durch die ungleichmäßigen Temperaturen verspannt hatte. Dann kippten die Fensterelemente klirrend nach außen. »Mich wird man ohnehin für alles verantwortlich machen«, sagte Carnshon mit dem Tonfall eines Todgeweihten. »Also gehe ich zuerst hinein.« Schon nach drei Schritten schlug ihm ein Geruch entgegen, der ihn
fast betäubte. Es roch nach Fäulnis und Abfall, nach kaltem Schweiß und einer krankhaften Ausdünstung, die auch die Klimaanlage samt der Luftreiniger nicht hatte besiegen können. Der Sekretär drehte sich um und rief: »Roboter! Hierher – mit den Linsen. Kommt herein, es ist keine Gefahr.« Zwischen Nahrungsmittelresten, verschmutzten Kleidungsstücken, Handtüchern und wahllos verstreuten und umgestürzten Einrichtungsgegenständen bahnte sich Carnshon einen Weg durch den großen Wohnraum. Aus der weit geöffneten Doppeltür des Schlafraums schlugen winselnde und stöhnende Laute an seine Ohren. Er ging zögernd darauf zu. Auch hier erwartete ihn dieselbe Unordnung. Seine Phantasie reichte nicht aus, um zu erklären, wer oder was an diesem ekelerregenden Durcheinander sch'uld war. Hinter ihm schwebte der Roboter in Brusthöhe durch die Luft und schwenkte seine Linsen und Mikrophone. Nach weiteren zehn Schritten stand Carnshon in der Mitte des Schlafraums. Das gedämpfte Licht genügte nicht, um ihn genau erkennen zu lassen, woher die herzerweichenden Laute kamen. Er trat an die Fensterwandung und führte schnelle Schaltungen durch. Die schweren Läden schoben sich hoch, die Fenster verloren die Trübung der Sonnenblenden, und dann schwangen die Fensterflügel auf. Frische Luft kam in den Raum hinein. Auf dem Bett lag eine verschmutzte, zusammengerollte Gestalt. »Phonell?« Die Gestalt lag mit hochgezogenen Knien und angewinkelten Armen da, die Hände vor dem Gesicht. Die Augen waren geschlossen, und aus dem kleinen Mund kamen diese furchtbaren Wimmer- und Stöhnlaute. Der Sekretär zwang sich dazu, den Körper herumzudrehen. Mit Gewalt zog er die Hände vom Kopf
weg und schrie dann: »Kommt her! Es ist Phonell.« Das Licht hatte eine überraschende Wirkung auf den nackten, helmlosen Ligriden. Er rollte sich zur Seite, wich auf dem schmutzigen Bett mit den zerwühlten Laken bis zur Wand zurück und stemmte seine mageren Schultern dagegen. Er ließ die Hände sinken, öffnete nacheinander die Lider seiner Augen und stierte Carnshon mit einem Blick voll unsäglicher Idiotie an. Aus der Kehle kam ein tierisches Winseln. »Phonell! Was … was ist mit dir geschehen?« brachte Carnshon stockend hervor. Hinter ihm drängten sich die anderen Ligriden entsetzt zusammen. Der Roboter nahm befehlsgemäß auch diese Szene auf. Wären die Ligriden einer faßbaren Gefahr gegenübergestanden, etwa einem Fremden mit feuernder Waffe, würden sie schnell und sinnvoll gehandelt haben. Ein kämpferisches Volk wie sie aber war gegenüber derartigen unerklärlichen Vorfällen hilflos und wie gelähmt. Erkrankungen des Verstands kamen niemals vor. Hier kauerte der Gegenbeweis. »Er ist krank!« stammelte einer. Sein Nachbar schüttelte sich und sagte leise: »Dieser Schmutz überall. Das habe ich noch nie gesehen.« Phonell blickte die Eindringlinge an, während aus seiner Kehle noch immer jene seltsamen, erschreckenden Laute kamen. Es war, als sähe er die Kameraden nicht wirklich, sondern suche hinter ihnen etwas anderes zu sehen, etwas Unbekanntes. Dann schloß er die Augen und wirkte wie tot. Wäre da nicht dieses Wimmern und Stöhnen gewesen! Carnshon entschloß sich. Er wußte selbst nicht, was in einem solchen Fall als richtiges Vorgehen galt. Es gab für diese Erfahrung keine Parallelen. Er wandte sich an die Mediziner und begann langsam seine Anordnungen zu geben. »Bringt ihn ins Lazarett. Vielleicht müßt ihr ihn ans Bett fesseln.
Untersucht ihn. Und wahrscheinlich müßt ihr Phonell zwangsernähren. Er hat offensichtlich die Verbindung mit der Wirklichkeit verloren.« Er wich zur Seite aus, als die Ärzte und ihre Helfer mit der Robottrage kamen. Sie hoben den Körper auf und legten ihn auf die weißen Bezüge. Der ehemalige Chef von BYTHARK wehrte sich nur schwach und lallte unverständliche Worte. »Wir werden sehen, was zu tun ist. Mit seinem Körper haben wir keine Schwierigkeiten«, sagte ein Arzt und lief neben der Bahre zurück zum Gleiter. Ratlos wandte sich Carnshon an seine Kollegen. »Jetzt wissen wir, daß Phonells Verstand krank ist.« »Wer ist daran schuld?« »Wenn wir das wüßten …!« »Mir scheint, ein Fluch liegt über BYTH. Das war der Anfang«, orakelte der Chef der Magazinverwaltung. Carnshon aktivierte die Haushaltsroboter und rief über sein Funkarmband eine Reinigungsabteilung. Sie sollte sich um die Wohnung kümmern und alles wieder in erstklassigen Zustand versetzen. Zu dem schwebenden Roboter sagte er: »Bis auf Widerruf wird alles genau aufgenommen und dokumentiert.« Verstanden, blinkte das Gerät. Carnshon senkte den Kopf und versuchte, einen Strom alptraumhafter Gedanken loszuwerden. Es gelang ihm nur unvollkommen. Ziellos gingen die anderen Ligriden in der verwüsteten Wohnung herum und erkannten schrittweise, daß Phonells Zustand schon länger andauerte. Seine geistige Leistung war von Stunde zu Stunde geringer geworden. Er verstand die einfachsten Dinge des täglichen Lebens nicht mehr. Vermutlich hatte er sich in den letzten Tagen nur mit Wasser selbstversorgen können, das dank einer Impulsschranke aus der Leitung rann, und mit den leicht erkennbaren Nahrungsmitteln
aus den Vorratsschränken. Die Kühlfächer waren ein wenig unordentlich, aber gefüllt mit einwandfreien Speisen. »Gehen wir«, schlug mit heiserer Stimme der Leiter der Dienstleistungsabteilung vor. »Hier können wir nichts anderes tun als schlechten Geruch einatmen.« »Sagen wir Gelona und Kampurt, was wir fanden.« Der schwere Gleiter war davongerast. Die Roboter hatten die Schutzläden weggeschleppt und versuchten jetzt, die Türrahmen provisorisch zu reparieren. Die schweigsame Gruppe der Verantwortlichen ging wieder in das Zentralbüro der Planetenbasis zurück. Der Sekretär berichtete, welche schreckliche Wendung der Fall Phonell genommen hatte. Konzentriert hörten die Detektive zu und machten sich Notizen. Kampurt erklärte: »Rätselhafte Dinge gehen vor. Phonell ist also nicht mehr für BYTHARK verantwortlich. Ich kann euch nur wenig Trost geben.« »Wie soll es weitergehen?« Diesmal schaltete sich Gelona ein. »Wir haben ausreichende Vorräte. Die Tankstelle arbeitet zuverlässig. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis wir in Versorgungsschwierigkeiten kommen. Schickt jetzt keine Männer und kein Material zu uns.« »Akzeptiert. Nachrichtensperre?« »Nein – wozu? Auch die Männer haben uns zugesichert, noch keine Ablösung zu verlangen. Sie wissen alles. Unsere Schwierigkeiten sind nicht viel geringer: Morddrohungen, die Zusicherung, BYTHA zu vernichten, und leider müssen wir vermuten, daß zwischen Omahrc und Eleteen, dem Saboteur, der ähnlich krank sein muß wie Phonell, eine enge Verbindung besteht.« . »Gibt es schon konkretere Vermutungen oder Beweise?« wollte Carnshon wissen. Gelona verneinte.
»
Vermutungen bringen uns nicht weiter. Wir brauchen Beweise. PLankion wird in Kürze hier anlegen. Von ihm erwarten wir Unterstützung.« »Auch uns läßt er tun, was wir wollen«, beklagte sich der Sekretär. »Die Welt geht aus den Fugen, Gelona.« »Nicht wegen drei Chefs, die sich seltsam verhalten. Aber der Verdacht wurde laut ausgesprochen: es gehen höchst seltsame und gefahrvolle Dinge vor. Heute sind vielleicht drei Ligriden betroffen. Morgen können es neun sein, später vielleicht alle.« »Wir sehen diese Gefahr auch. Deswegen unsere Sorge.« »Sie ist auch unsere. Gibt es noch etwas?« »Nicht daß ich wüßte. Ihr meldet euch, wenn ihr Hilfe braucht?« »Darauf kannst du dich verlassen, Carnshon.« Der Sekretär trennte die Verbindung und sagte sich, daß aus BYTH-MAYN während der Abwesenheit P-Lankions kaum wichtige Anordnungen oder Fragen kommen würden. BYTHARK war für den Augenblick wieder zu verwalten. Er selbst mußte seine Befehle nur noch mit den wenigen Mitverantwortlichen abstimmen. Trotzdem blieb er regungslos vor den Bildschirmen sitzen. Er war nachdenklich und ziemlich ratlos.
* An Bord der STERNSCHNUPPE herrschte die Ruhe der zweiten Nachtwache. Ich war allein in der Zentrale. Meine Gedanken wurden von vielfältigen Empfindungen beherrscht. Ich hatte keinen klaren Beweis. Aber was ich auf dem Umweg über die Ortungs- und Funksysteme der STERNSCHNUPPE erfuhr, bestärkte mich in meinen Vorstellungen und Ahnungen. Ich war so gut wie sicher! EVOLO suchte den Dreier-Stützpunkt der Ligriden heim. Aber
EVOLO ging auf keinen Fall zielstrebig vor. Er schien sich den drei Ligriden gegenüber auf unsicherem Gebiet zu bewegen. Auf Aytab hatte es die Psi-Energie in einzelnen Portionen an sich gerissen. Hier, auf BYTH, geschahen weitaus seltsamere Dinge. EVOLO braucht nicht nur Psi-Energie. Was du bis jetzt erkennen kannst, meinte der Logiksektor, sind andere Vorgänge, Vielleicht entzieht EVOLO den Ligriden ihre körpereigene PsiKomponente. Dadurch ist der Effekt entstanden, wie ihn Phonell erkennen lässt. Es kann sich aber alles ganz anders verhalten. Es gab für uns keinen Grund, näher an den Ort der seltsamen und erschreckenden Vorfälle heranzugehen. So gut wie die STERNSCHNUPPE für uns die landenden und startenden Raumschiffe der Ligriden sichtbar machte, so deutlich empfingen wir die Bildfunkgespräche zwischen den drei Eckpunkten der Basis. Und genauso klar konnten wir zuschauen, wie Raumschiffe an der Tankstelle festmachten oder an der kreisenden Raumstation. Phonell war zum Idioten geworden! Ein Saboteur trieb die Männer in BYTHA zum Wahnsinn. Und was das Schicksal für P-Lankion sich ausgedacht hatte, würden wir auch bald erfahren. Und ich war einigermaßen sicher, daß diese drei Fälle nur der Anfang einer ebenso schauerlichen Entwicklung wie auf Aytab waren. Die winzige Spitze eines riesigen Eisbergs, sozusagen. Dieses Mal waren wir kein Bestandteil der Auseinandersetzungen. Wir warteten, fernab von dem Verderben, das sich über die Ligriden senkte. Ein neues Verbrechen von EVOLO? Ich war dessen sehr sicher. Aber es gab keinen Beweis dafür.
* Kampurt legte seine Hand schwer auf die Schulter des anderen. Der
Mann steckte im Arbeitsanzug und ließ das Werkzeug für einen Moment sinken. »Strenge deine Phantasie an, Melsor«, sagte der Detektiv. »Da gibt es etwas, irgendwo im All, das uns mit seinen Klauen und Krallen berührt. Das ist meine Vorstellung.« Der Robot berührte mit dem Schweißgerät die Ränder der Abdeckplatte. Bevor die blendenden Funken entstanden, ertönte ein lauter Summer. Die Ligriden wandten sich ab. »Ein Geist? Eine fremde Rasse?« »Das weiß ich nicht. Ebenso, wie ich ahne, daß Omahrc sich mehr als seltsam verhält, daß Eleteen etwas mit eurem Chef zu tun hat, ebenso ahne ich, daß es jemand auf BYTH abgesehen hat. Letzten Endes auf uns alle. Ich fange ernsthaft an, mich zu fürchten.« »Du? Ausgerechnet du?« »Leider. Denke an Phonell. Er war einer der Besten. Er wurde innerhalb von fünfzehn Tagen zu einem Idioten.« »Es ist nicht zu glauben und kaum zu verstehen, was du da sagst, Kampurt.« In Abständen von je einer Handbreit verschweißte die Maschine die Platte mit der massiven Trennwand. Kampurt forderte OmahrcEleteen bewußt heraus, indem er versuchte, alle Geheimpfade zu versperren, die in Omahrcs abgeschottetes Reich führten. Dies war die dritte von fünf Möglichkeiten, die er zusammen mit der Traphnaton und den Technikern herausgefunden hatte. Vielleicht gab es noch welche, die auf den Bauplänen nicht verzeichnet oder aus ihnen nicht herauszulesen waren. Traurig antwortete er: »Wenn wir Eleteen nicht bald fassen, werden wir auf eine Weise vorgehen müssen, die unser Leben kostet.« »Ist das auch die Meinung Gelonas?« »Auch darin sind wir uns einig. Nimm deinen Gesellen hier und komm in den Solarraum Vier.« »Dort auch! Verdammt!« »Ja. Auch dort. Tut mir leid.«
Kampurt meinte, was er sagte: tief in seinem Innern erkannte er die Anzeichen einer Stimmung, die ihm nicht neu war. Die Furcht vor unsichtbaren Feinden. Nicht vor Eleteen oder Omahrc, dies waren physische Gegner. Die Ligriden, den Roboter hinter sich, wechselten durch die Korridore hinüber in den Erholungstrakt der Station. »Was ist mit Omahrc passiert?« fragte Melsor, als er dem Robot die Befehle eingegeben hatte. »Was weißt du, Flottendetektiv?« »Ich weiß nur, daß in seinen Aufenthaltsräumen und Wohnräumen nicht ein einziges Zeichen seiner Nebenbeschäftigung zu sehen ist. Kein Bild. Keine Vorrichtung für Textverarbeitung. Nicht einmal ein Folienblock mit Griffel für philosophische Texte.« »Aber wir wissen alle, daß er fast nichts anderes mehr im Sinn hatte!« Kampurt grinste kalt. »Ich versichere dir – jetzt hat er ganz andere Dinge vor.« Wieder dröhnte der Summer der Maschine auf. Die Ligriden drehten sich um, während der Robot auch diesen Durchschlupf versiegelte. Kampurt war es gleichgültig, ob ihnen der Saboteur zusah oder nicht. Er fühlte, daß die Entscheidung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Eine halbe Stunde später schwebte der Robot an ihnen vorbei und zurück in den abgesicherten Bereitstellungsraum. »Kommst du mit?« fragte Kampurt. »Gelona wartet wohl in der Zentrale.« »Dort ist mein Platz«, bestätigte der Techniker. In BYTHA arbeitete die erste Schicht. Zwei weitere Sabotageversuche hatten die Produktion des Treibstoffs nicht entscheidend aufhalten können. Gelonas und Kampurts Wachsamkeit verhinderte größere Schäden, weil die Reparaturkommandos in Bereitschaft waren und rasend schnell eingriffen. Obwohl im Wohnbezirk und auch in den technischen
Großanlagen noch alles zufriedenstellend funktionierte, schien wie ein trübes Gas die Furcht durch die Korridore und alle Hohlräume von BYTHA zu ziehen. Nur die ligridische Treue zu einer Anzahl unerschütterlicher Ideale konnte verhindern, daß die Stimmung sich in einer Explosion löste. Wie erwartet, saß Gelona noch vor ihrer Mikropositronik. »P-Lankion hat angelegt«, sagte sie als Begrüßung. »Aber er verließ seine Jacht noch nicht. Rätselhaft.« Kampurt zuckte die Schultern und bemerkte ohne großes Erstaunen, daß der Kommunikationssektor für die Planetenbasis fast völlig abgeschaltet war. Er konnte also das Problem Phonell innerlich abhaken oder durchstreichen. Abermals wuchs seine Sorge. Nun würden sich die zerstörerischen Aktivitäten zweifellos hier konzentrieren. Kampurt hielt sich an Gelonas Sessel fest, als plötzlich eine Reihe von scharfen, kurzen Vibrationen die Zentrale erschütterte. Dann dröhnten die krachenden Schallwellen der Explosionen. Wieder schüttelte sich die Raumtankstelle. Eine halbe Sekunde später schlugen die Geräusche des Vollalarms über den Anwesenden der Zentrale zusammen. Eine Robotstimme schrie aus klirrenden Lautsprechern. »Transmitterstation! Alarm! Druckwellen! Feuer! Rauchentwicklung!« Fluchende Männer, gellende Sirenen und die schmerzend laut quäkenden Signalhörner bildeten eine Kulisse des Schreckens. Die Vibrationen ließen nach. Kampurt zog Gelona in die Höhe. Die Mikropositronik summte und blinkte in heller Aufregung. »Schickt die Kommandos los!« schrie Kampurt. Die Ligriden an den Pulten riefen Befehle. Die Löschautomatik hatte sich längst eingeschaltet. Aus eingebauten Fächern schwebten in den betroffenen Zonen die Roboter, die nur auf einen einzigen Störungsfall programmiert waren: Brandbekämpfung. Gelona, Kampurt und zwei Männer aus der Zentrale rannten
durch den Zentralkorridor in die Richtung auf die Transmitterstation. Erste Rauchwolken hingen unter der Deckenverkleidung und wurden von der hochtourig laufenden Umwälzanlage angesaugt. Vor den Detektiven rannten bereits die Teammitglieder, nur zum Teil in Spezialanzüge gekleidet. Dampfwolken schlugen den rennenden Ligriden entgegen, als wasserhaltige Löschmittel von den automatischen Geräten verwendet wurden. Immer wieder dröhnten die Explosionen auf, die von überschlagender Energie verursacht wurden. »Eleteens Werk!« keuchte Kampurt. Von allen Seiten kamen die Männer. Hinter ihnen schwebten Reparaturroboter und schleppten schwere Behälter mit Löschmaterial. Die Gänge, die unmittelbar vor der Transmitterhalle zusammenliefen, waren voller Rauch. Aus den Öffnungen der Umwälzanlage kam ein durchdringendes Heulen. »Sein größter Schlag.« Sirenen und Summer waren leiser geworden. Schon in der Zentrale hatten die Detektive festgestellt, daß kein Druckverlust aufgetreten war. Also gab es kein Leck. Robotische Anlagen schalteten sich, weil sie entsprechend gesichert waren, selbständig ab. Die Männer wichen zur Seite, die Roboter drangen in den Rauch und den kochenden Dampf ein. Es herrschte ein beispielloses Durcheinander. Niemand schlief mehr in BYTHA, jeder einzelne Ligride erkannte die Natur des Zwischenfalls und den Ort. Und jeder kam, um zu helfen. Das eigene Leben stand auf dem Spiel. In der Zentrale blieben einige Männer an den Pulten und erklärten BYTHMAYN und BYTHARK, was vorgefallen war. Zu diesem Zeitpunkt schwor sich Kampurt, Omahrc-Eleteen noch in der nächsten Stunde zu stellen. Die Roboter schoben mit projizierten Schirmfeldern den Rauch und den Dampf vor sich her. Der Bodenbelag war triefend naß und
zeigte schwerste Brandspuren. Langsam tasteten sich die Mannschaften voran. Verschmorte Kabelstränge hingen schwer von den Wänden. An einzelnen Stellen brodelte noch grauer Rauch aus einzelnen Glutnestern. Die Düsen fauchten auf und bedeckten diese Brandstellen mit grünlichem Kompaktschaum. Kampurt und Gelona blieben dicht beieinander und ließen Roboter und die speziell ausgebildeten Männer arbeiten. Je näher sie den Portalen des Transmitterraums kamen, desto größer wurden die Spuren der Sprengung. Leise sagte der Detektiv: »Ich bin sicher, daß dieses Desaster schon vor unserer Ankunft vorbereitet wurde.« »Wahrscheinlich hast du recht. Wir haben gerade diesen Teil unter stärkste Kontrolle gestellt.« Kampurt deutete nach vorn. »Wir werden wahrscheinlich einen, vielleicht zwei Tote finden. Eine solche Entladung überlebt niemand.« »Unsere freiwillige Wache? Ich habe die Namen gespeichert.« Wieder konnten sie einige Meter weit vordringen. Die Portale waren mit äußerster Wucht gegen die Seitenwände geschleudert worden und hatten dort erhebliche Verwüstungen angerichtet. Die Angeln und Verschlüsse schienen unzerstört zu sein. Das Pult und die Schutzeinrichtungen, die Kontrollen, Beleuchtungskörper, die Plattform und die Projektoren – es war alles bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzen, verbogen und zerrissen. Die gewaltige Hitze hatte zwei Ligridenkörper zu verkrümmten Gebilden verschmort. Fluchend umstanden ein paar Kameraden die Überreste. »Eleteen«, sagte Kampurt überaus deutlich. »Wir werden ihn zur Rechenschaft ziehen.« Er schlug mit der flachen Hand mehrmals gegen den Kolben seiner schweren Waffe. Irgend jemand sagte niedergeschlagen und zutiefst verwirrt: »In den Magazinen haben wir alle Ersatzteile. Ein paar Schichten,
und der Transmitter arbeitet wieder.« »Das ist mehr als unwichtig«, antwortete ein anderer. Mit maschinenhafter Gründlichkeit und völlig unbeeindruckt von der herrschenden Stimmung fingen die Maschinen an, nach ihrer Programmierung zu arbeiten. Sie räumten auf und beseitigten die Trümmer. Werkzeuge klirrten, Sägen kreischten in Metall, und bei jedem Schritt knirschten Glassplitter und Brocken aus unterschiedlichen Materialien unter den Sohlen. Es stank nach kaltem Rauch und nach Tod. Gelona blieb abseits der leise diskutierenden, hilflos agierenden Gruppen stehen und musterte die Gesichter der vielen Ligriden. Ein jedes war ihr bekannt. Weder Omahrc noch ein Fremder, der nur Eleteen sein konnte, waren unter den Anwesenden. Kampurt legte seinen Arm in einer kameradschaftlichen Geste um ihre Schultern. Er zog sie mit sich auf den Ausgang zu. »Wir haben etwas anderes zu tun«, murmelte er. Hinter ihnen verringerte sich der Lärm der Aufräumarbeiten. Es schienen sich alle Besatzungsmitglieder, die nicht gerade innerhalb der Energiezone arbeiteten, im Transmitterraum zu befinden. Dort hatte also Eleteen seinen Sabotageakt von langer Hand vorbereitet. Die beiden Spezialisten waren alles andere als frisch. Wie viele Stunden ohne regelmäßigen Schlaf sie bereits gearbeitet hatten, ständig mit angespannten Nerven, konnten sie nicht mehr ausrechnen. Hinter Gelona ertönte ein Warnsignal. Sie drehte sich halb herum und zog Kampurt zur Seite. Ein niedrig schwebender Container voller Abfälle und Trümmern aus dem verwüsteten Transmitterraum wurde von einem Reparaturrobot durch einen Querstollen dirigiert. Hinter dem langsam dahingleitenden Behälter bogen sie in den Zentralkorridor ein. Fünfundzwanzig Schritt vor ihnen sprang eine schlanke Gestalt in einer dunklen Montur aus einem Seiten-Hang mitten in den breiten Stollen hinein. Noch ehe Gelona den Mund öffnen konnte, dröhnten
blitzend zwei Energieschüsse auf. Sie warf sich halb zu Boden und stieß in dieser Bewegung ihren Partner zur Seite. Der Schütze war schneller gewesen. Aus dem Augenwinkel sah sie, die Waffe bereits in den Fingern und mit dem Daumen nach dem Sicherungshebel tastend, wie der erste grellweiße Glutbalken Kampurt in die Brust traf. Der zweite detonierte mitten in seinem Gesicht. Dann feuerte Gelona und nahm den Finger nicht vom Auslöser. Die Waffe schickte röhrende Energiestrahlen durch den Korridor. Die junge Frau hörte sich schreien. Zwei Schüsse verfehlten sie knapp, als sie sich im Zickzack vorwärts bewegte. Einen langen Augenblick blickte sie in die hellen, gnadenlosen Augen Eleteens, dann baute sich ein Schirm zwischen ihr und dem Mörder auf. Ihre Schüsse prallten auf den Schirm, bildeten Funkengarben nach allen Seiten und durchschlugen dann die schwache Abwehrfront. Eleteen rannte, ebenfalls im Zickzack, auf die Zentrale und die Wohnräume zu. Wieder wurde ein Schirm aktiviert. Sie schrie unaufhörlich in einer Mischung aus Wut, Hilflosigkeit und dem Versuch, Hilfe herbeizurufen. Aber der Mörder raste in unglaublicher Geschwindigkeit davon, während sie die Schirme nicht durchbrechen konnte und umgehen mußte. Sie sah den leeren Zentralkorridor jenseits der Doppelschotte und gab die Verfolgung auf. Sie stolperte in den Raum hinein, sackte schwer über einer Sessellehne zusammen und merkte, daß die Tränen über ihr Gesicht liefen. Erstickt schluchzte sie: »Kyrash! Eleteen hat … Kampurt ist ermordet worden. Dort …« Im selben Augenblick schwenkten die Linsen einer Überwachungseinheit wieder herum und zeigten den unteren Teil des breiten Ganges. Dort lag die Leiche des Flottendetektivs. Sein Helm lag neben ihm, und winzige Maschinen löschten die geringfügigen Brände. Fassungslos sprangen die Ligriden auf, umringten die Frau und
versuchten sie zu trösten. Summend registrierte die Mikropositronik die Vorfälle. »Er ist tot!« sagte Gelona gebrochen. »Ermordet. Vor meinen Augen.« Sie merkte, daß sie die Waffe noch immer in der Hand hielt, und daß ihre Kapuze in den Nacken gerutscht war. Mit mechanischen Bewegungen brachte sie beides wieder in Ordnung. Dann sagte sie: »Ich bin ganz allein. Niemand kann mir helfen.« »Wir sind da! Ein paar Dutzend guter Männer. Setz dich!« Die Meldung hallte durch alle Räume der Station. In entsetztem Schweigen bargen die Ligriden die Leiche des Spezialisten. Sie schlugen sie in eine Folie ein und brachten sie in eine Kältekammer der Station. Wie betäubt ließ Gelona alles geschehen und rührte sich lange Zeit nicht aus dem Sessel der Zentrale. Hier war sie sicher. Eleteen würde es nicht wagen, hier einzudringen. Während die junge Frau von Trauer und Wut beherrscht wurde, trat eine bemerkenswerte Änderung in ihrem Bewußtsein ein. Es war wie ein Bergrutsch: alte Überzeugungen wurden verschüttet, ein neues Bewußtsein wurde freigelegt. Sie wußte plötzlich, was sie zu tun hatte. Fast unbeachtet in dem Wirbel um sie herum stand sie auf und verließ die Zentrale. Sie ging ziellos durch die Korridore, bis sie auf den ersten Spezialrobot stieß, eine Maschine mit der gewohnten Ausrüstung an Werkzeugen. Sie hielt ihn auf, programmierte ein Sonderprogramm und schickte ihn auf den Weg. In der Nähe der Transmitterstation traf sie auf die zweite Maschine, die sich nach kurzem Aufenthalt ebenfalls herumdrehte und davonschwirrte. Beide Robots gehorchten ab sofort nur noch Gelona. Nicht ein einziges mal dachte sie an P-Lankion. Ihr nächster Gang brachte sie wieder an der Zentrale vorbei bis zum äußersten Sicherheitsschott des abgesperrten Teils im Wohnbezirk. Dahinter lagen die großräumigen Kabinen des
Stationschefs. Die Roboter warteten geduldig. »Öffnet das Schott. Mit Gewalt.« Die Roboter machten sich an zwei Stellen gleichzeitig an die Arbeit. Von Kampurt wußte sie, was höchstwahrscheinlich dahinter auf sie wartete. Das wuchtige Schott, das der Kraft einzelner Ligriden mühelos widerstanden hätte, wurde in kurzer Zeit aufgebrochen. Die Werkzeuge und die gewaltigen Kräfte der Roboter drehten und wuchteten Schraubverbindungen auf und zerstörten die Metallverbindungen. »Und … keine Reaktion von Omahrc«, flüsterte Gelona und war sich darüber im klaren, daß sie gegen nahezu jede gesellschaftliche und traditionelle Regel der Ligriden verstieß. Es war ihr gleichgültig, sie wußte, daß sie ihre Karriere in Wirklichkeit schon beendet hatte. Das alles war zu viel für sie, zu undurchschaubar und zu groß. Aber dieses Stück Weg ging sie noch – bewußt und geradeaus, hochaufgerichtet. Knirschend bewegte sich die wuchtige Platte. Die Greifer der Roboter packten die Fläche aus Metall und Kunststoff und rissen tiefe Spuren in die wulstigen Dichtungen. Gelona befahl einer Maschine, einen Energieschirm zu projizieren und vor ihr aufzubauen. Das energetische Gespinst spannte sich halbkugelig vor dem Projektor. Hinter dem äußersten Schott befand sich ein kleiner Raum, abermals durch eine metallene Tür abgesperrt. Die andere Maschine summte vorwärts und öffnete die schweren Riegel. Die elektronische Verriegelung bewegte sich nicht. Gelona gab ihre Befehle und näherte sich der Sperre mit schußbereiter Waffe, aber geduckt im Schutz des Energiefelds. »Eleteen!« rief sie schrill. »Zeige dich!« Sie bekam keine Antwort. Es war unvorstellbar, daß derjenige, der sich in den Räumen des großen Appartements befand, den Einbruch oder das Eindringen nicht bemerkt hatte. Jetzt riß der erste Roboter
die schwere Schiebetür zur Seite. Sie krachte in die Gegenlager. Die Maschine schwebte eine Handbreit über dem hellen Teppichboden in das geräumige Büro hinein. Zahllose Monitoren waren in Betrieb und zeigten, wie nicht anders zu erwarten, Innenansichten der Raumtankstelle. Sie folgte der zweiten Maschine, blieb direkt im Eingang stehen und untersuchte mit Blicken jeden Winkel des geräumigen Kommunikationszentrums. Der Raum war leer. Hinter drei bogenförmigen Durchgängen war helles Licht. Die Maschine und nie Detektivin glitten auf den ersten Durchlaß zu. Dahinter zeigte sich eine unaufgeräumte vollautomatische Küche – leer. »Omahrc!« schrie Gelona, immer stärker befremdet und aufgeregt. »Wo bist du?« Sie näherte sich dem Wohnraum. Neben dem Bogen bauschten sich schwere Vorhänge bis zum Boden. Im hinteren Teil des überraschend großen Raumes schwang ein Sessel herum. Eine Gestalt saß ausgestreckt darin und richtete eine Waffe auf die Maschine, hinter der Gelona stand. »Du bist Eleteen!« sagte die Spezialistin hart. »Und du wirst sterben.« Der Mann schien erstarrt und verwundert zu sein. Er trug die Stiefel und die dunkle Hose des Saboteurs. Der nackte Oberkörper und der Kopf gehörten unzweifelhaft zu Omahrc. »Was soll die Störung?« fragte er mit Omahrcs Stimme. Gelona feuerte über seinem Kopf in die Sessellehne und erklärte: »Meinetwegen bist du Omahrc. Aber du hast in der Maske als Eleteen meinen Partner ermordet.« Omahrc stand auf, ohne sich um den schwelenden Sessel zu kümmern. Er blickte sich überrascht um und erkannte die beiden Roboter und die Detektivin. Der Projektorlauf der Waffe deutete zu Boden. Omahrc schwankte hin und her, dann ging plötzlich ein Ruck durch seinen Körper. Er straffte sich und nahm einen ganz anderen Ausdruck an.
In diesem Moment begriff Gelona, was wirklich geschehen war. Omahrc und Eleteen waren zwei ganz verschiedene Personen in einem Körper. Einmal war der Saboteur dominant, dann der Stationsleiter. In diesen Sekunden schien sich dieses schizophrene Wesen noch nicht völlig entschieden zu haben. »Ich verstehe«, sagte sie leise. »Phonell und du, ihr seid ebenso Opfer wie Kampurt …« Plötzlich stieß ihr Gegenüber einen harten, zischenden Laut aus. Binnen weniger Sekunden veränderte sich Omahrc. Er wurde, während seine Gesichtszüge die des Attentäters und Mörders annahmen, scheinbar größer, sehniger und schlanker. Im gleichen Maß, wie diese Veränderung vor sich ging, hob er den Arm mit der Waffe. Jetzt stand Gelona dem Mörder gegenüber. Eleteen! Der Saboteur schnellte wie ein Tier der Wildnis zur Seite. Er wirbelte in der Luft herum und schoß zwischen den Robotern hindurch nach dem klar definierten Feind. Gelona duckte sich und schoß zurück. Ohne darüber nachzudenken, war sie erleichtert. Die eindeutige Verwandlung hatte sie überzeugt und aller Zweifel beraubt. Sie versuchte, im Schutz des Energiefelds zu bleiben. Eleteen sprang im Zickzack in dem riesigen Raum umher, duckte sich hinter Möbeln und versuchte in den Rücken von Gelona zu gelangen, in die Richtung auf die weit offenen Schotte. Er feuerte wie ein Rasender. Die Feuer, die an den Detonationsstellen aufflackerten, setzten die Löscheinheiten in Gang, und aus den Sprinklern zischte in spitzkegeligen Fontänen die Löschflüssigkeit. Das Dröhnen der Schüsse erfüllte in schmerzhafter Lautstärke den Raum. Gelona versuchte, im Sturm ihrer widersprüchlichen Gefühle zitternd, ruhig zu zielen und zu schießen. Sie schwankte wieder zwischen Wut und Haß auf der einen und Unsicherheit auf der anderen Seite.
Immer wieder schlugen die Energieblitze in den Schirm des Roboters ein und überzogen ihn mit einem Netzwerk aus farbigen Funken und Schlieren. Gelona traf ihren Gegner am Oberarm. Eleteen schrie fast kreischend auf und hechtete hinter die Liege. Der nächste Schuß ging in einen Bildschirm und ließ ihn implodieren. Ein Hagel aus Splittern trieb Eleteen wieder aus der Deckung hinaus. Er nahm einen Anlauf, sprang über die Polster und wollte an den wuchtigen Maschinen vorbei. Wieder traf ihn Gelona, diesmal im Bein. Mit einem unglaublichen Satz, dicht über dem Boden geduckt und ununterbrochen in die Richtung auf Gelona abdrückend, versuchte Eleteen zu entkommen. Er war nur noch zwei Schritt vor dem ersten aufgebrochenen Schott entfernt, als ihn Gelona tödlich traf. Der Schuß schmetterte ihn gegen die metallene Wand. Mit einem verfallenden Gesicht, das sich im Tod wieder zu dem Omahrcs veränderte, rutschte er daran herunter und wurde von einem Strahl der Löschflüssigkeit halb zugedeckt. Gelona ließ die Waffe sinken und starrte in die aufgeregten Gesichter der bewaffneten Besatzungsmitglieder, die jetzt in Omahrcs private Räume hineinstürzten. Erschöpft deutete Gelona auf die Linsen über den Monitoren, die wie wild hin und her schwenkten. »Eleteen«, sagte sie leise. »Tot. Er war das andere Ich von Omahrc. Es ist so, wie Kampurt sagte. Ein Fluch liegt über BYTH.« Sie senkte den Kopf und achtete nicht darauf, daß die Kapuze wieder in den Nacken gefallen war. Sie schleppte sich in ihre Kabine, verriegelte das Schott hinter sich und fiel übergangslos in einen Schlaf der Erschöpfung.
*
Auf BYTHMAYN und BYTHARK erfuhren die Ligriden die schreckliche Wahrheit in der gewohnten zuverlässigen Schnelligkeit ihrer nahezu perfekten Kommunikationssysteme. Zufällig konnten alle drei Stationen im Augenblick nicht über ein Raumschiffverfügen. Sonst wäre, so erklärte Sorcasion als neuer Verantwortlicher für BYTHA, das Austauschen der Mannschaft und der Einsatz eines Reparaturtrupps mit entsprechender Ausrüstung eine Kleinigkeit gewesen. Aber dies war nur eine Frage der Zeit – das nächste Transportschiff hatte sich bereits angemeldet. Daß P-Lankion noch immer wartete und sich nicht gezeigt hatte, ging in der allgemeinen Unruhe unter. Aus dem ersten Anflug einer unbestimmten Furcht war echte Angst geworden. Zwei Ligriden wurden manipuliert und büßten den klaren Verstand ein. Für dieses Sternenvolk war dieser Umstand der nackte Schrecken. Als ob sie sich in Fische verwandeln würden, so erschreckte die Ligriden die Verformung und Pervertierung von Phonell und Omahrc. Gelonas Erlebnisse und Kampurts Tod waren eine unüberhörbare Warnung. Jeder Ligride forschte tief in seinem Innern nach, ob er Zeichen dieser heimtückischen Infektion spürte. Jeder wandte sich dem Nachbarn zu und hoffte, daß es den Kameraden ebenso wenig treffen würde wie ihn selbst. Die Arbeit stockte, die Gerüchte und Vermutungen verdichteten sich. Chaos und Panik irrlichterten durch die Stationen des Stützpunkts BYTH. Und der geheimnisvolle Feind aus dem Dunkel war nicht zu fassen, zeigte sich nicht …
* Der namenlose Planet schien weder die Anwesenheit von einigen hundert Ligriden zu spüren, noch das Vorhandensein einer riesigen
Fläche – gemessen an der Planetenoberfläche allerdings nur ein winziger Ausschnitt –, auf der man den Raumhafen mit allen Dienstgebäuden, dem Turm und den Hallen errichtet hatte. Die Welt nahm auch die Geräusche der Arbeiten ohne Gegenwehr hin, und selbst die dröhnenden Triebwerke der landenden und startenden Fernraumschiffe schienen bis zum heutigen Tage nicht einmal die Vogelschwärme wirklich gestört zu haben. Es gab eine seltsame Art von wilden Rindern auf dieser herrlichen, leeren Welt. Riesige Tiere mit dunklem, kurzem Fell und breit ausladenden Hörnern. Ihre spitzen Hufe waren messerscharf. Die Tiere fraßen die härtesten Gräser und die lederartigen Blätter. Sie waren in den Ebenen und Hügeln die absoluten Herrscher, jedes andere Tier ging ihnen aus dem Weg. Nur die doppelt handgroßen Vögel, die aus dem Fell die Schädlinge herauspickten, durften sich in der Nähe der schwarzen, dunkelbraunen oder dunkelgrauen Riesen aufhalten. Zudem warnten sie vor Raubtieren. Der Planet drehte sich aus der Nacht heraus, und erstes Licht fiel über die Hügel, die Ebene und die Waldränder. Zwischen dem Zaun aus verwitterten, überwachsenen Baumstämmen und dem fast unbekannten Land, das sich bis irgendwo ans Ende des Kontinents erstreckte, lief ein breiter Fluß, von vielen Bächen gespeist. Die Herde, gemischt aus wuchtigen Stieren, trächtigen und säugenden Kühen und kleinen, auf staksigen Beinen dahinstolpernden Kälbern setzte sich beim ersten Sonnenstrahl in Bewegung. Die Tiere hatten keine Eile, zur Tränke zu kommen. Zwei schwächere und ein starker Stier, das Leittier, trabten an der Spitze der Herde. Die Herde zählte rund fünfhundert Tiere. Der Stier hob, als das erste Licht der Sonne auf die Turmbauten und die Dächer der Bauwerke fiel, den Kopf. Die großen, runden Ohren stellten sich auf und richteten sich nach vorn, der lange Schweif stellte sich senkrecht. Von der Siedlung aber kam kein einziges Geräusch. Kein Laut, der
die Tiere hätte aufschrecken können. Der Leitstier stand unbeweglich da, nur die Ohren spielten nach allen Richtungen. Hinter ihm drängte sich mit vielfältigen Lauten und in steigender Unruhe der Rest der riesigen Herde. Der Stier setzte sich wieder an die Spitze, trabte aber nicht geradeaus, sondern in einem deutlichen Zickzack weiter. Als er einen guten Steinwurf vom flachen, morastigen Flußufer entfernt war, stemmte er die Vorderbeine in den aufgewühlten Boden, senkte den kantigen Schädel und riß mit den Spitzen des Gehörns den Schlamm auf. Er streckte den Hals, reckte den Kopf waagrecht und schrie. Es war ein seltsamer, langgezogener Schrei, der das Tier erschöpfte. Weißer Schaum trat in das Maul des Stieres. Die Unruhe hinter ihm wuchs, die Tiere drängten sich in breiter Reihe vor. Kälber blökten verzweifelt. Der Leitstier schrie noch einmal und rannte bis zum Rand der von tiefen Eindrücken übersäten Uferzone. In den Löchern stand brackiges Wasser. Das riesige Tier wühlte sich durch den Schlamm, zog eine breite Spur und senkte das Maul in das Flußwasser. Durstig trank der Stier, schüttelte in steigender Unruhe den Kopf, wirbelte mit dem Schwanz und stützte sich endlich in das hoch aufspritzende Wasser. Andere Tiere folgten. Schnell und mit kraftvollen Bewegungen schwamm der Leitstier durch das nicht allzu tiefe Wasser. Die folgenden Tiere tranken, drängten sich nach vorn, warfen sich hin und her und stießen aufgeregte Schreie aus. Die Vögel waren schon längst von den Rücken aufgeflogen. Verstört bildeten sie über der Herde einen immer größeren Schwarm. Von allen Seiten stießen andere Vögel zu ihnen, und die Wolke begann zu kreisen. Die flatternden Tiere ließen sich anstecken – oder war es etwas anderes? – von dem dumpfen Brüllen der Rinderherde. Die Rinder trampelten über das Ufer und gingen ins Wasser hinein. Eine riesige Masse schiebender und stoßender Körper, die Köpfe hochgereckt, bewegte sich über den Fluß.
Die Sonne schob sich über die Wipfel der Wälder und löste die letzten Schatten auf. Das Wasser brodelte und schäumte. Blindlings folgten die Tiere dem Leitrind. Die Vögel vollführten einen rasenden Lärm. Zugleich mit dem Geschiebe und beginnenden Galopp der Herde, dem ständig anwachsenden Vogelschwarm und einer hochwirbelnden Wolke aus Staub und Dampf, der von den Leibern aufstieg, näherte sich der grauenhafte Lärm dem Wall, der den Platz der Fremden umgab. Jetzt erst schreckte der ungewohnte Lärm die ersten Ligriden auf. Diejenigen, die aus den Fenstern oder von den kleinen Terrassen heruntersahen, konnten den Vogelschwarm und die Masse der schwarzen Rinder sehen, die auf die Palisaden zugaloppierte. Der Boden schien zu beben. Jemand löste den Alarm aus.
6. Fast gleichzeitig veränderte sich auch die Situation innerhalb der Raumtankstelle. P-Lankion begann sich, nach langer Pause der Bewegungslosigkeit, wieder zu regen. Der schwarzgeschuppte Quallenkörper war flacher, aber auch größer geworden und pulsierte heftig. Unbeweglich, mit leuchtenden Sehzellen, standen die beiden Roboter links und rechts neben dem Schott. »Öffnen!« sprach eine gequetschte, gerade noch verständliche Stimme aus der dunklen Masse. Ein Roboter berührte den Kontakt. Das Schott summte seitlich auf. Das Licht aus dem Korridor fiel in einem Viereck in den Raum. Die Ränder der unzähligen Schuppen leuchteten vielfarbig, die weißen Augen in dem winzigen Kopf schienen zu strahlen. P-Lankion war zu einer riesigen Amöbe geworden. Seine Bewegung, mit der er seinen unförmigen Fladenkörper durch die
vergleichsweise enge Schottöffnung schob, war nur eine Spur langsamer als Wasser, das eine schräge Fläche hinunterrann. Aus der Mitte des Körpers ragte ein grotesker Kopf hervor. Er bestand nur noch aus einem schuppigen Kamm, den riesig vergrößerten Augen und einem schmalen Schlitz, durch den die heiße Luft pfiff und gurgelte. Eine fremdartige, unheimliche Energie speiste den Körper, der sich mit verblüffender Zielstrebigkeit durch die Nebenstollen und über die Rampen und Treppen schlich. Die Bewegung war fast lautlos, nur manchmal war ein leichtes Scharren zu hören. Die Zeit: Fünf Stunden nach dem Tod des Saboteurs. Erschöpft waren die Mitarbeiter der Energiestation nach den ersten Aufräumungsarbeiten in ihre Kabinen zurückgekehrt. Die Gespräche waren leise und nachdenklicher geworden, auch hier geisterten Furcht und Mißtrauen durch die Korridore. Der Schlaf wurde von Alpträumen und bedrohlichen Visionen unterbrochen. Stille herrschte in BYTHA. Jeder dachte sich, daß durch die Entdeckung und den Tod Eleteens die Gefahren beseitigt waren und vergessen werden konnten. Die Drohung, BYTHA zu vernichten, gab es nicht mehr. Die Entspanntheit war vordergründig, und die Ligriden zählten die Stunden, bis entweder die Transmitterstation wieder instand gesetzt oder das Raumschiff angedockt war. Nur das Rascheln der riesigen Amöbe gab es in den Nebenkorridoren. Mit zögernden Pausen wandte sich P-Lankion hierhin und dorthin, aber ein fremder Instinkt – oder aber ein Rest von Wissen und Kenntnissen aus früherer Zeit – trieb die zuckende und wallende Masse immer wieder in die Richtung auf den Zentralkorridor, der in drei Ebenen den vorderen Teil BYTHAS durchzog wie eine Hauptschlagader. Das Pfeifen der Atemluft wurde schärfer, als sich P-Lankion über eine Rampe endlich auf den Boden des Mittelkorridors schob. Unter dem Schuppenungeheuer wurde das Vlies des Teppichs niedergedrückt. Es zog die Amöbe geradeaus, auf die Schaltzentrale
und die offenen Eingänge von Omahrcs Privaträume zu, in denen die kleinen Reinigungs- und Reparaturrobots mit wenig lärmerzeugenden Arbeiten beschäftigt waren. Noch hatte kein Ligride den Fremden gesehen. Stoßweise arbeitete sich das Ding vorwärts und erreichte schließlich die beiden ersten seitlich abzweigenden Gänge. Sie endeten blind, die fahlweißen Riesenaugen schienen dies genau zu erfassen. Trotz aller Veränderungen gab es immer noch einen Rest vom alten Ligriden P-Lankion in dieser verformten Masse. Gefühle waren es fast nur, keine klar ablaufenden Überlegungen. Eine Mischung von Wahnsinn und Instinkt, überlagernden Träumen ' oder Visionen, einem unaufhaltsamen Bewegungsdrang, einer Portion Zerstörungswut, ebensoviel Unsicherheit … auch innerlich herrschte Chaos. Aber dieses Chaos befähigte den Materieklumpen zu überraschender Schnelligkeit und einer merkwürdigen Sicherheit. Dumpf fühlte P-Lankion, daß ihn eine fremde Kraft speiste. Als ob er, eine Maschine, an einem federleichten Energiekabel hing, das nicht zu spüren war. Es war reine Energie, die von einem anderen Ort in den flachgedrückten Amöbenfladen transportiert wurde. Diese Kraft machte ihn schnell und tödlich. Bevor die letzte Vernunft aus dem Körper geschwunden war, hatte P-Lankion noch eine Überlegung von weitreichender Konsequenz angestellt. BYTHA selbst war ein Raumschiff! Ausgerüstet mit Feldtriebwerken und Überlichttriebwerken, würde die Raumtankstelle ihn auf die Welt bringen, auf der sein Grabmal stehen sollte. Dieses Restwissen trieb die Amöbe durch die Station. In der Geschwindigkeit eines schnell gehenden Ligriden raschelte PLankion auf die Hauptzentrale zu. Aus einem zweiten Seitengang kamen die Männer einer
bewaffneten Doppelstreife hervor. Sorcasion hatte diese Dauerkontrollen angeordnet. Leise sprachen die Ligriden miteinander, während sie Schotte öffneten und die dahinterliegenden Räume ausleuchteten. Auch ihnen war nicht klar, warum P-Lankion noch nicht offiziell die Leitung übernommen hatte, aus welchen Gründen er die Kabine neben der Beibootschleuse nicht verließ. Sie verließen die leere Einzelkabine, schalteten das Licht aus und ließen das Schott zugleiten. »Wenn es der Beruhigung hilft«, brummte der Diener des Gwyn und winkte zu der Optik hinauf. Vielleicht wurden gerade in diesem Moment die Wachen kontrolliert. »Auch wenn es nicht hilft. Machen wir weiter«, gab der andere zurück und ging weiter. Sie traten nach zehn Schritten in den Zentralkorridor ein. Die Beleuchtung war im gesamten System nicht gedrosselt worden. Fast gleichzeitig hörten und sahen sie die Amöbe. Die Ligriden blieben überrascht stehen und starrten die näher kommende Masse einige Augenblicke lang überrascht an, dann erst erschraken sie. Sie zogen sofort die Waffen und rannten den Korridor hinunter. Von dem fremden Eindringling trennten sie nur zwanzig Schritte. Das schwarze Wesen mit den schillernden Schuppen näherte sich ihnen, ohne in der Bewegung zu stocken. »Was ist das?« murmelte der Ältere und schüttelte sich. Die Männer waren langsamer geworden, blieben jetzt stehen und richteten ihre Augen auf das heranraschelnde Ding. Die Seiten der Amöbe berührten die Wände des Korridors, und diese winzige Karikatur eines Kopfes war weniger drohend als seltsam. »Das ist der Grund, warum Omahrc durchgedreht hat«, sagte Marnhauk. »Etwas Fremdes. Ich bringe ihn um.« »Halt! Nein. Wie ist er …« Obwohl die Masse, etwa so hoch wie ihre Knie, unaufhaltsam weiterglitt, die Männer sich Schritt um Schritt zurückzogen und mit
den Waffen unsicher und ratlos auf die riesige Amöbe zielten, verringerte sich der Abstand. Einige Sekunden vergingen ereignislos, die Männer wußten nicht, was zu tun war. Schließlich rannte Marnhauk bis zum nächsten Interkomanschluß, wählte die Zentrale und rief: »He! Seht euch an, was durch den Zentralkorridor kriecht. Ein Fremder, irgend etwas vom Planeten oder was weiß ich …« Er drehte sich halb herum und deutete auf die Amöbe. In diesem Moment beulte sich blitzschnell die Voderkante des Eindringlings aus. Ein rüsselähnlicher Fortsatz bildete sich und schlang sich um das Knie den anderen Ligriden. Der Wächter schrie auf und feuerte im ersten Reflex auf die Amöbe. Der Schuß ging an dem Kopffragment vorbei und brannte eine dünne Spur in die zuckenden Schuppen. Dann zog der Rüssel ein zweitesmal, und der Ligride stürzte auf die Oberfläche des Fladens, der noch immer in der gleichen Geschwindigkeit weiter vordrang. »Alarm!« schrie Marnhauk voller Entsetzen. Er konnte nicht schießen, weil sein Kamerad auf dem näher kommenden Fremdling lag, wild um sich schlug und mit der Waffe gegen die Korridorwand hämmerte. Einzelne Schüsse lösten sich und blitzten kreuz und quer durch den Gang. »Jarnon! Was ist mit dir los?« schrie Marnhauk. Er traute seinen Augen nicht. In seinen entsetzten Aufschrei mischte sich das Aufheulen des Alarms. Jarnon veränderte sich in rasender Schnelligkeit. Seine Kleidung und seine Haut wurden schwarz und schuppig, blähten sich auf und verschmolzen mit der Amöbe. Das Entsetzen lähmte den Ligriden. Er stand regungslos da und konnte nicht verstehen, was sich direkt vor seinen Augen abspielte. Jarnon verwandelte sich binnen einer Handvoll Sekunden in einen Doppelgänger des schwarzen Monstrums. Und jetzt war er von dem Fremden aufgesogen worden. Die Sirenen heulten, die Warnlichter zuckten, und aus den Lautsprechern schrie die Stimme aus der Zentrale, die den Ort des
Vorfalls schilderte und die Teams zusammenrief. Marnhauk hatte endlich seine Lähmung abgeschüttelt und feuerte auf den herangleitenden Eindringling. Er zielte auf das Kopffragment. Rechts und links schlugen die Glutstrahlen ein, denn die Hand des Ligriden zitterte. Wieder verformte sich ein Teil der Amöbe. Während wieder einmal die Ligriden aus allen Richtungen zusammenströmten, während Gelona vom Heulen der Sirenen aufgeweckt wurde, während einige Roboter Befehle erhielten uns losschwebten, bildete die schwarze Amöbe einen langen, peitschenähnlichen Tentakel aus. Er schnellte auf Marnhauk zu, wickelte sich um den Oberkörper und den Arm mit der Waffe und riß den Ligriden zu Boden. Aber der Mann wurde nicht auf die Amöbe zu gezogen, sondern wieder losgelassen. Klatschend zog sich der Fortsatz zurück und verschmolz spurenlos mit dem schuppigen Ding, das angewachsen war und sich noch schneller zu bewegen vermochte. Wieder dröhnten Schüsse auf. Die Glutstrahlen bohrten sich in den Fremden. Kochende Rauchwolken schlugen aus den schmelzenden Schuppen, aber die Treffer vermochten diese mörderische Bestie nicht aufzuhalten. Marnhauk hatte den Tentakel auf sich zuschnellen sehen, aber er konnte nicht mehr ausweichen. In dem Augenblick, als die schwarze, seilähnliche Masse ihn berührte, durchfuhr seinen Körper ein kurzer, schmerzender Schlag. Sofort fiel die Waffe aus Marnhauks Hand, der Mann erstarrte kurz, dann verlor er seinen freien Willen. Er rührte sich nicht und hatte keine Möglichkeit, seine Muskeln zu kontrollieren. Er sah seinen Arm, der aufschwoll und seine Farbe änderte, aber er begriff nicht, was mit ihm vorging. Er erlebte seine Verwandlung nicht mehr mit dem Verstand eines Ligriden mit, sondern wurde zu einem Teil der Amöbe. Sein Körper verlor den Halt, sackte langsam zusammen und
breitete sich zu einem dicken Fladen auf dem Boden aus. Dann spürte er die Hitze der einschlagenden Energiestrahlen und bewegte sich instinktiv von der schmerzenden Stelle fort. »Die Amöbe bringt uns alle um!« schrie jemand. Roboter schwebten heran. Ununterbrochen feuerten die Ligriden auf die beiden schwarzen Massen, die miteinander verschmolzen, als der große Fremde den Ligriden erreichte. Marnhauk hatte eine andere Daseinsform gefunden – das mühsam eingedämmte Entsetzen flammte wieder auf. Die riesige Amöbe hatte sich der Zentrale bis auf wenige Meter genähert. Einige Projektoren waren eingeschaltet worden und warfen dem Eindringling ihre Sperrschirme entgegen. Unaufhörlich schlugen die Glutstrahlen in die riesige Amöbe. Die schwarze Masse peitschte mit ihren Fortsätzen in alle Richtungen. Die Enden der langen, dünnen Tentakel schlugen gegen Decke, Wände, Boden und Energiefelder. Aber sie trafen auch einige Ligriden. Sofort verwandelten sich die Unglücklichen. Aber die Riesenamöbe hielt an, als sie gegen einen Feldschirm stieß. Dann, ruckartig, bewegte sie sich in die entgegengesetzte Richtung. Sie wurde schneller und wurde nicht mehr beschossen, denn die Männer der Station mußten sich gegen ihre verformten Kameraden wehren. Vorrückende Roboter summten und versuchten, ihre Energiefelder an den richtigen Stellen zu postieren. Unaufhörlich heulte die Sirene. Die Blitze der Warnlampen gingen in den grellweißen Energieblitzen unter, die aus den Projektormündungen zuckten. Männer fluchten und schrien. Lautlos wehrten sich die Amöben mit den peitschenden Tentakeln. Und ebenso lautlos kroch die Riesenamöbe durch den Zentralkorridor bis zu dessen Ende und dort in den schmalen Maschinentunnel. Hinter ihr blieben Rauch und Lärm zurück. Gelona hatte den neuen Überfall zuerst auf dem Bildschirm ihrer
Kabine beobachtet, während sie sich in rasender Eile in ihre Kleidung zwängte. Die Müdigkeit des tiefen Schlafes hing noch in ihrem Körper. Auf den riesigen Monitoren der Zentrale verfolgte sie den Fortgang des erbitterten Kampfes im Zentralkorridor. Sie sah, wie sich die riesige schwarze Masse in großer Hast auf den rückwärtigen Teil BYTHAS zubewegte. Sie gab der Mikropositronik einige Befehle. Die Traphnaton war noch immer mit dem gesamten Schaltsystem verbunden und arbeitete an den Analysen. »Sorcasion!« sagte Gelona nach einer Weile und vergaß den Rest des ausgedruckten Textes. »Diese Riesenamöbe – sie kam aus der Kabine, in der sich P-Lankion aufhielt.« »Undenkbar«, antwortete der Ligride. Sie zeigte auf die Traphnaton. »Und die Amöbe ist dorthin zurückgekehrt. Oder wenigstens in diese Richtung verschwunden.« »Zum Schiff! In den Hangar, in dem die Jacht angedockt hat«, stieß sie hervor. Der Stationsleiter zog das Mikrophon näher zu sich heran und gab diese Warnung sofort an die Männer weiter, in deren konzentriertem Abwehrfeuer die Ableger des schwarzen Fladens verschmorten. Stinkende Rauchwolken wogten durch die Gänge. »Ich sehe nach«, sagte Gelona. »Ich nehme ein paar von deinen Leuten mit.« »Paß auf!« warnte der Ligride. »Du weißt, wo die Raumanzüge zu finden sind?« »Ja. In den Schränken unmittelbar neben dieser verdammten Kabine.« »Richtig. Wo ist … hier habe ich ihn.« Sorcasion hatte Beobachtungslinsen angewählt und die Bilder auf die Monitoren geschaltet. Die riesige Amöbe floß nicht zurück in den Sektor vor dem Hangar, sondern schien sich in dem riesigen Gebiet der Energieerzeuger und der Maschinenhallen verstecken zu wollen. Schon waren eine Handvoll Ligriden losgerannt, um den
Eindringling zu stellen und zu vernichten. Während ihnen die Roboter folgten, erklärte der Stationsleiter über die Lautsprecher, daß es sich bei P-Lankion und dem riesigen Schuppenungeheuer um ein und denselben handelte. Niemand konnte es glauben. Die letzten Schüsse trafen die zusammengeschmorten Klumpen. Immer wieder züngelten Flammen hoch. Der Korridor, durch den Gelona jetzt rannte, war nach den ersten flüchtigen Reparaturen in seinem Mittelteil abermals verwüstet worden. Sie wich den Brandherden und den Fontänen der Löschmittel aus und lief den Ligriden hinterher. Ihre Müdigkeit war scheinbar verschwunden. PLankion hatte sich im Gegensatz zu den beiden anderen Ligriden also auch körperlich verformt! Es gab keinen Skrupel diesen Gegner zu vernichten. Und wieder tote Ligriden! Gute Männer, die zu schuppenstarrenden Amöben gemacht wurden. Nun glaubte Gelona wirklich an einen Feind, der von außen operierte und die Ligriden mit tödlichen Schlägen umzubringen versuchte. Sie überlegte, als sie auf der Höhe der letzten Abzweigung war, ob sie zuerst die Raumjacht kontrollieren oder den Männern helfen sollte. Sie entschloß sich, ihren Kollegen zu helfen und rannte in den abgeschirmten Teil der Anlage hinein. Die Korridore, die hier hindurch und zu den einzelnen Zonen führten, waren schwer isoliert und hatten wenige Ausgänge. Nach zweihundert Schritten erkannte sie, daß die Riesenamöbe von den Robotern gestellt und von mehr als einem Dutzend wütender und fluchender Männer vernichtet wurde. Das Dröhnen der schweren Waffen verwandelte den engen Gang in einen Schlauch voller schmerzender Geräusche. Sie kehrte um und ging, ein wenig langsamer und Atem holend, zurück. Als sie das Schott zu den Vorratsräumen öffnete, hörte sie die Stimme des Stationsleiters aus der Rundspruchanlage. Nein! Es war nicht Sorcasion!
Es war unverkennbar die Stimme Eleteens!
* Die erste Reihe der wuchtigen Tiere hatte die Palisaden erreicht. Die Wildrinder griffen an! Einige Gleiter waren gestartet und hatten bewaffnete Arbeiter der Morgenschicht herangeschafft. Die Maschinen schwebten oberhalb der Reihe von wuchtigen Baumstämmen. Die Männer starrten in schweigendem Staunen auf die riesige Herde, die von kollektivem Selbstmorddrang befallen zu sein schien. Das Gehörn der Rinder fetzte die Ranken und Zweige der Schlingpflanzen zur Seite. Die grünen Schnüre wurden von den Hufen der rasenden Tiere zerstampft und zermalmt. Unaufhörlich schrien die Tiere, obwohl die Ligriden ohne Schwierigkeiten erkannten, daß einzelne Rinder Anzeichen von Schwäche zeigten. Die Angreifer gingen rücksichtslos gegen die dicken Holzstämme vor. Die scharfen Enden des Gehörns bohrten sich in die Fasern und rissen lange Splitter heraus. Späne und brauner Holzstaub flogen nach allen Seiten. Die Vögel flatterten und kreischten gellend. Von den Leibern der Rinder stieg ein Geruch nach Aas und Schweiß auf, vermischt mit dem Dunst des Sumpfes und der aufgewühlten Erde. Die hämmernden Schläge, von denen die Palisaden erschüttert wurden, waren lauter als das Vogelgeschrei und das dumpfe Schreien der Rinder. Hörner brachen ab, Blut lief aus den Wunden und dampfte. Auf einer Länge von mehr als hundert Metern warfen sich die Rinder immer wieder gegen die Barriere. Ein riesenhafter Stier, der sich immer wieder auf dem Körper eines zu Tode getrampelten Rindes hochschob und den Kopf hin und her bewegte, sprang fast senkrecht hoch, schrie auf und brach tot zusammen. Sein Körper verschwand unter einer schiebenden und drängenden
Menge, die den Zaun berannte. Am Rand der Herde schlichen mehrere Kühe mit hängenden Köpfen davon. Eine von ihnen brach abseits der Reihe zusammen, zuckte mit den Läufen und verendete. »Als ob sie eine fremde Kraft antreiben würde!« meldete ein Ligride in die Zentrale. Ein anderer korrigierte: »Ein fremder Wille jagt sie.« »Derselbe, der Phonell zum Irren gemacht hat?« »Und er tötet die Rinder. Seht dorthin!« Der Angriff hörte nicht auf. Immer mehr Kühe und Bullen warfen sich gegen die Planken und versuchten sie zu zerstören. An einigen Stellen war das Holz bis zur Hälfte des Durchmessers abgetragen. »Unvorstellbar! Gut, daß die Pioniere damals die Palisaden gebaut haben!« Die Vorstellung, daß diese Herde quer über den Raumhafen galoppiert wäre und die Hallen, Wohnquartiere oder anderes angegriffen hätte, war grotesk in ihrer phantastischen Möglichkeit. »Sie schaffen es, wenn sie noch lange weitermachen.« Es war sinnlos, die Tiere abschießen zu wollen. Sie würden weder die Palisaden umstürzen noch das aufgeschüttete Basismaterial zerstören können. Wieder verließen an den Rändern kleine Gruppen von Kälbern und Kühen die Herde und trotteten auseinander. Genau sechs Minuten später, als sich der Wall der toten Tiere vor den aneinandergereihten Stämmen vergrößert hatte, riß schlagartig der Angriff ab. Zuerst hörten die Vögel mit dem kreischenden Geschrei auf. Dann senkten die Rinder die Köpfe. Nur noch ein paar Kälber blökten. Die Tiere fielen förmlich in sich zusammen. Einige stürzten zu Boden und verendeten. Der Rest der Herde zeigte nicht das geringste Interesse an den Palisaden mehr und zerstreute sich. Die Ligriden schauten zu, schwiegen und verstanden nichts mehr.
7.
»Ich werde euren Untergang uns dem Weltraum beobachten! Die Station ist von mir zum Untergang bestimmt worden. Ich habe es versprochen. Ich halte mein Wort. Eleteen hat genügend Zeit gehabt, alles bis ins kleinste vorzubereiten. Ihr habt keine Zeit mehr, um euch zu retten!« Beim Klang der Stimme, und als sie den Sinn der Worte verstand, wurde es Gelona für einen Moment schwarz vor Augen. Sie ließ den Griff des Schottes los und murmelte: »Eleteen. Er hat uns doch noch überlistet.« Wie durch einen dicken Nebel hindurch hörte sie die fast gleichzeitig erfolgte Durchsage, daß der schwarze Eindringling, mit Sicherheit P-Lankion, vernichtet worden war. Die Station vernichten? Visionen tauchten auf: mächtige Löcher in den Außenschalen. Explosiver Druckverlust. Hochgefahrene und fehlgeschaltete Kraftwerke. Sprengsätze in den Sicherungseinrichtungen oder Steuerleitungen. Gelona schaltete das Licht ein, sah zwei eingeschaltete, aber bewegungslose Roboter und riß mit automatenhaften Bewegungen einen Vorratsschrank auf. Der Raumanzug, fast neu und in dünne durchsichtige Schutzfolie verpackt, hing vor ihr. Sie zog ihn heraus und öffnete die breite Mittelleiste. »Druckverlust«, flüsterte sie. Ihr kam der Gedanke nicht, daß Eleteen bluffen könnte. Sie rechnete, ohne darüber nachzudenken, mit der Zerstörung von BYTHA. Sie klappte den Helm zurück und schlüpfte in die Hülle, schloß sie und aktivierte die Innenversorgung. Der Anzug war ihr zu groß, nur die Finger fanden richtigen Halt in den Handschuhen. Sie ließ das nächste und übernächste Schott aufgleiten und sah, ohne erstaunt zu sein, daß sämtliche Scheinwerfer im Hangar leuchteten. Die kleine Jacht stand in den Magnetblöcken, ihre Luftschleuse war offen. Gelöha ging zum Interkom, wählte die Zentrale und hörte sich mit völlig fremder Stimme sagen:
»Sorcasion! Ich warte im Jachthangar! Schicke die Leute hierher! Ich bin im Raumanzug! Schnell! Du hast seine Aufzeichnung gehört. Er wird uns alle umbringen!« »Wir kommen!« antwortete der Stationsleiter. »Schnell!« Sie schloß den Helm wieder und zwang sich dazu, eine Reihe sinnvoller Handlungen durchzuführen. Die Hangartore glitten auf. Die Magnetblöcke lösten sich aus den Einrastöffnungen. Die Schleuse blieb offen, während Gelona die Maschinen des kleinen Raumboots einschaltete. Es waren nicht mehr neunzig Männer, dachte sie in einem verwirrten Augenblick, denn viele waren durch P-Lankions Umformungen gestorben. Vielleicht hatten sie alle in der Jacht Platz. Sie ging einmal durch die Maschine, öffnete sämtliche Luken und Türen und setzte sich wieder in den Pilotensessel. Die Anzeigen vor ihr zeigten Betriebsbereitschaft. Ungeduldig wartete Gelona. Ihre Angst wuchs mit jeder Sekunde. Die Kameraden! Wo waren sie? Immer wieder beugte sie sich vor und blickte durch die Scheiben hinüber zur Schleusentür. Noch immer verschlossen. Nach einer kleinen Ewigkeit öffnete sie sich. Vier Männer in Raumanzügen kamen heraus und liefen, während die Platte in der Schnellschaltung zurückgefedert wurde, auf die Jacht zu. Als sie die Hälfte der Entfernung zurückgelegt hatten, brach aus dem Boden eine Stichflamme hervor. Ein gewaltiger Schlag schleuderte Gelona in den Sitz zurück und wirbelte die Jacht bis zur Decke. Ein zweiter Hieb traf das Raumboot. Die Rückwand hatte sich durchgebogen und platzte jetzt in einer furchtbaren Detonation auf. Das Boot wurde getroffen und von den entfesselten Gewalten aus dem Hangar hinauskatapultiert. Es überschlug sich über drei Achsen. Wie eine Puppe wirbelte Gelona durch die Kabine, schlug ein Dutzend Mal gegen Kanten, Sessel, Decke oder Instrumente. Bis zu dem Augenblick, als der Schock sie ohnmächtig werden ließ, sah
sie die grellen Glutbälle, die das gesamte Universum auszufüllen schienen. Dann senkte sich die erlösende Bewußtlosigkeit über Verstand und Körper. Antriebslos, sich drehend und überschlagend, rotierte die Jacht durch den planetennahen Weltraum, begleitet von Tausenden glühender, kleiner und großer Bruchstücke, von Trümmern und zerfetzten Körpern. Ein letzter Energieausbruch im Zentrum der Metallteile fiel in sich zusammen. Die Zerstörung von BYTHA war vollkommen. Nichts lebte mehr.
* So fand ich die Ligridin Gelona. Mrothyr hatte die Wache, als er die erste Explosion sah. Sie riß eine Stelle der Raumtankanlage auf, weitab von den Quartieren. Augenblicklich raste die STERNSCHNUPPE im Alarmstart los. Ihre Ortung erfaßte die Jacht, die mit blinkenden Scheinwerfern und ohne Antrieb durch den Weltraum torkelte. Unser Raumschiff packte das Boot mit einem Traktorstrahl, hielt die Eigenbewegung auf und brachte die Jacht in unmittelbare Nähe unserer Luftschleuse. Noch während des Fluges zog ich den Raumanzug an, sicherte mich und stieß mich ab, innerhalb der sicheren Schirme der STERNSCHNUPPE. Ich fand einen einzigen Ligriden in einem intakten Raumanzug. Ich schleppte ihn zurück in unser Schiff, und als Chipol und die Medorobots sich in der kleinen Krankenstation um den Bewußtlosen kümmerten, erkannten wir, daß wir es mit dem weiblichen Detektiv Gelona zu tun hatten. Sie sah schrecklich aus. Die Robots versorgten mehrere einfache und komplizierte Brüche. Abschürfungen, ein ligridisches Äquivalent einer Gehirnerschütterung, mehrere Traumata, Risse und Verstauchungen – nach ein paar Stunden lag Gelona im
Tiefschlaf, förmlich eingewickelt in Verbände und Kunstschaum, von denen die gebrochenen Glieder ruhiggelegt worden waren. Die STERNSCHNUPPE zog sich ortungssicher wieder zurück, diesmal in die Nähe der Sonne. »Das war EVOLOS furchtbare Handschrift«, sagte Mrothyr erschüttert. »Sie wird uns erzählen, was uns noch an Informationen fehlt«, meinte ich. Gelona konnte medizinisch nicht mehr besser versorgt werden. Ein langer Schlaf und entsprechende Transfusionen würden sie nach einigen Tagen wieder einigermaßen aufrichten. »Willst du sie mitnehmen?« fragte Chipol zweifelnd. »Eigentlich … hübsch ist sie ja. Trotz der fehlenden Haare!« Ich erwiderte schulterzuckend: »Hübsch oder nicht, mein junger Freund – ich habe schon so lange keine Frau näher kennengelernt. Ich wüßte nicht, was ich zu tun hätte. Sehen wir einmal von dem Kilometer an Binden ab, die sie auch nicht gerade reizvoller machen.« »Willst du sie zurückbringen?« »Ja. Genau das. Wenn sie in der Lage ist, ausgesetzt zu werden, landen wir auf dem Planeten, setzen sie aus und funken ihre Freunde an.« Wahrhaft hochherzig! Jeder Zoll ein echter Arkonidenprinz! sagte der Logiksektor. Wir warteten mehrere Tage. Gelona erzählte uns, nachdem sie ihre Verwunderung abgelegt hatte, die Reste der Tragödie. Wir erhielten einen weiteren Hinweis darauf, was jener Feind zu tun vermochte. Wir vermieden, allzu viel von unserer Identität und unseren Absichten zu zeigen. Als sie sich bereit fühlte, landeten wir abseits von BYTH-ARK und warteten nicht, bis sie mit ihrem Funkarmband ihre Leute herbeigerufen hatte. Voller schweigenden Entsetzens verließen wir dieses Sonnensystem.
ENDE
Nach den Ereignissen im »Dreieck der Vernichtung« scheint EVOLOS Spur abgerissen zu sein. Deshalb beschließt Atlan, den Planeten Cirgro, die Welt der Glückssteine, anzufliegen, denn dort hat EVOLO seinerzeit eine »Orientierungspause« eingelegt. Jetzt scheint auf Cirgro der Teufel los zu sein. Hyptons und andere Intelligenzen verlassen den Planeten in höchster Eile und mit den Anzeichen größten Entsetzens. Unter den Flüchtenden befindet sich auch das merkwürdige Volk … DAS MERKWÜRDIGE VOLK- unter diesem Titel erscheint auch Atlan-Band 741, der von Falk-Ingo Klee geschrieben wurde.