Lolth hat entweder ihren treuesten Dienerinnen den Rücken gekehrt oder hängt längst tot in ihren eigenen höllischen Net...
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Lolth hat entweder ihren treuesten Dienerinnen den Rücken gekehrt oder hängt längst tot in ihren eigenen höllischen Net zen. Einer Priesterin bleibt nur noch, die Wahrheit zu finden, selbst wenn sie dazu zum zweiten Mal an einen Ort zurückkeh ren muß, von dem wenige auch nur einmal zurückgekehrt sind – einen Ort, an dem die Seelen der Toten sich in ewiger Dienstbarkeit mühen. Eine andere Priesterin treibt die Aus sicht auf ein Leben nach dem Tode ohne die Spinnenkönigin in die Arme einer anderen Göttin, was die vorsichtigen Bünd nisse sprengt, die die Drow auf dem Weg zur Schwelle des Abyss geschlossen haben.
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Vergessene Reiche R.A. Salvatores
DER KRIEG DER SPINNENKÖNIGIN BAND 4
Zerstörung
LISA SMEDMAN
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Autorin: Deutsch von: Lektorat: Korrektorat: Art Director, Satz und Layout: Umschlagillustration:
Lisa Smedman Ralph Sander Oliver Hoffmann Thomas Russow/Angela Voelkel Oliver Graute Brom
ISBN 3-937255-18-4 Originaltitel: Extinction
© der deutschen Ausgabe Feder&Schwert, Mannheim, 2004.
1. Auflage 2004.
Gedruckt in Pilsen, Oldenbourg
Zerstörung ist ein Produkt von Feder&Schwert.
© 2004 Wizards of the Coast, Inc. All rights reserved.
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Feder & Schwert im Internet: http://www.feder-und-schwert.com
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Danksagung
Einmal mehr gilt mein Dank den Mitgliedern meines Autoren-
Workshops: Matthew Claxton, John Hart, Barry Link, Fran
Skene, Peter Tupper und David Willis.
Eure Kritik und eure Vorschläge waren wie immer unbezahl bar!
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Zu Beginn war es der Hunger, ein tiefsitzender, fordernder Hunger. Lebende Geschöpfe, die umherheilten und krochen, Tausende, die übereinanderrollten, nach allem bissen und traten, was sich in ihrer Nähe befand. Keine Bündnisse, kein Teilen, sondern eine Million individueller junger Spinnen, die sich an ihren Geschwistern labten, Panzer zermalmten und süße Lebenssäfte aussaugten. Diejenigen, die die ersten Minuten in Freiheit überlebten, nach dem sie aus dem Eiersack gekrochen waren, konnten ihren physi schen Hunger stillen, bis ihre achtbeinigen Leiber aufgebläht waren. Für einen Moment herrschte Ruhe. Doch der physische Hunger war nichts weiter als der Katalysa tor, der diese Bestien – die Nachkommen der Herrin des Chaos – vom simplen Hunger zu den Ansprüchen des Egos führte, zum ersten Geschmack der Macht, und schon tobte der Krieg weiter. Sie bissen, und sie fraßen. Sie griffen an und nährten sich – sowohl am köstlichen Schmerz ihrer Rivalen als auch am Geruch des strömen den Schleims. Am Kreischen ihrer Opfer in Todesqualen. An der Angst in acht winzigen Augen, wenn eine über die ande re einen Vorteil erlangte und die andere sich ihres Endes bewußt wurde. An der Freude, Lebensblut vergossen zu haben. Es war die zweite Stufe, die über das Körperliche hinausging und die für jene galt, die die erste Welle des Fressens überlebt hatten. Die Stufe kennzeichnete die Sättigung des Egos, das Gefühl der Überlegenheit, den süßen Geschmack des Sieges. Zu Tausenden ruhten sie. Doch es war noch nicht vorbei.
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Denn nach dem Hunger und der Macht kam die Gier nach der Erregung, dem wahren Wesen der Herrin Lolth, dem absoluten und paradoxen Begehren, sich am Rand der Katastrophe zu bewegen – und damit begann es von neuem. Die Tausende griffen an, fraßen und wurden gefressen. Diejenigen, die die ersten Augenblicke dieser erneuten Herausforderung überlebten, erfuhren ein Gefühl des Selbstbewußtseins, denn sie waren Wesen von Lolth, Wesen des Chaos, und in diesem tosenden Kampf, in dem von jeder Seite der Untergang drohte, lebte die Brut, lebte wahrhaftig, und kam zu der Erkenntnis, daß jeder Augenblick der letzte sein konnte. Das war das Schöne am Chaos. Das war das Schöne an Lolth. Das war das Verderben für alle – bis auf eine.
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Pharaun lag auf dem Waldboden und starrte in die wütenden Augen von fünf zischelnden Schlangen. Sie hatten das Maul weit aufgerissen und die Fangzähne, von denen Gift troff, gebleckt. Mit aller Macht streckten sich ihm die fünf rot-schwarz gestreif ten Vipern entgegen, die aus dem Griff der Peitsche ragten. Die Frau, die die Peitsche in der Hand hielt, starrte Pharaun an und hatte Mühe, ihren Zorn im Zaum zu halten. Sie war größer und kräftiger als der Meister Sorceres, eine imposante Person. Ihr Gesicht sah Pharaun nicht – das grelle Licht, das vom Himmel zum Waldboden vordrang, blendete ihn so, daß die Frau nicht mehr als eine finstere Silhouette mit knochen weißem Haar war –, doch ihr Tonfall war mindestens so giftig wie das Zischen ihrer Schlangen. »Ihr seid absichtlich auf diese Spinne getreten«, sagte Quenthel.
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»Nein«, spie er zurück und zuckte zusammen, da der Schneematsch sein elegantes Hemd durchdrang und sich an seinem Rücken eisig anfühlte. Er war froh, daß die anderen Mitglieder der Gruppe sich aufgeteilt hatten, um in verschie denen Richtungen zu suchen. So sahen sie ihn wenigstens nicht in dieser entwürdigenden Haltung. »Ich sehe bei diesem elenden Licht absolut nichts. Würde ich etwa zulassen, daß sich meine Hose in einem so erbärmlichen Zustand befindet, wenn ich die Dornensträucher erkennen könnte, von denen sie zerrissen wurde? Wenn sich auf meinem Weg eine Spinne befand, dann habe ich davon nichts gewußt.« Er sah nach links zu der Stelle, auf die Quenthel gezeigt hat te. Als sie ebenfalls in diese Richtung sah, zog er seine rechte Hand vor, die sich unter seinem Rücken befunden hatte. Eine der Peitschenvipern zischte ihrer Herrin zwar noch ei ne Warnung zu, doch es war zu spät. Im gleichen Moment, in dem Pharaun die Hand freibekam, sprach er das eine Wort, das die Magie in seinem Ring weckte. Sofort löste sich das stähler ne Band um seinen Finger und verwandelte sich in ein Schwert, das gedankenschnell in der Luft zu wirbeln begann. Die Vipern zuckten zurück und entgingen mit knapper Not der herabsausenden Klinge. Quenthel sprang mit klirrendem Kettenhemd zurück. Gleichzeitig sprang Pharaun auf und be drängte sie mit dem Schwert. »Jeggred!« schrie Quenthel, deren Piwafwi um sie herum wirbelte, als sie dem tänzelnden Schwert auswich. »Verteidige mich!« Pharaun schob die Hand in eine Tasche seines Piwafwi und holte eine Prise Diamantstaub hervor. Er warf das funkelnde Pulver in die Luft und rief die Worte eines Zaubers, während er sich um die eigene Achse drehte, um das Pulver gleichmäßig zu verteilen. Eine Energiekuppel nahm um ihn herum Gestalt
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an und schimmerte wie eine umgestülpte Glasschale. Die Kuppel war keinen Augenblick zu früh fertig. Kaum war sie materialisiert, kam etwas aus dem Wald geeilt, das nur vage an einen Drow erinnerte. Der Draegloth sprang auf die Kuppel, die Krallen seiner überdimensionalen Kampfarme kratzten darüber und erzeugten dabei ein Geräusch wie die Schreie der Verdammten, als er versuchte, auf der Oberfläche der dia mantharten Hülle um Pharaun herum Halt zu finden. Immer wieder sprang der Halbdämon auf die Kuppel und rutschte doch jedesmal wieder ab. Dann gab der Draegloth auf und hockte sich neben die ma gische Barriere, die kleineren Hände hatte er zu Fäusten ge ballt und auf den Untergrund gestemmt, während er die größe ren Klauen frustriert beugte. Mit blutroten Augen sah er Pharaun wütend an, dann hob er trotzig das Kinn und schüt telte die Mähne aus gelb-weißem Haar, die seine Schultern bedeckte. Pharaun zuckte zurück, als der stinkende Atem des Draegloth zu ihm drang, und wünschte sich, die magische Barriere könnte auch Gerüche von ihm fernhalten. Ein Stück hinter Jeggred stand Quenthel und betrachtete argwöhnisch das Schwert, das über ihrem Kopf schwebte und vor dem sie sich mit dem Schild schützte, den sie um den Arm geschnallt hatte. Die Schlangen an ihrer Peitsche zischten die Waffe an, eine davon unternahm sogar den vergeblichen Ver such, nach der Klinge zu schnappen. Quenthel griff nach dem Schriftrollenbehälter an ihrer Hüfte, hielt dann aber inne. Sie schien nicht willens zu sein, die wenige noch verbliebene Ma gie für einen so unbedeutenden Streit zu vergeuden. »Ruft Euren Neffen zurück, dann unterhalten wir uns«, schlug Pharaun vor. Er kniff die Augen zusammen und sah zum grellen blauen Himmel empor. »Laßt uns außerdem aus der
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Sonne verschwinden, ehe diese Euren hübschen Schild aus Diamantspat zu Staub zerfallen läßt.« Quenthel verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen, da Pharauns fortwährende Insubordination sie erzürnte. Zweifellos war sie der Ansicht, er dürfe auch als ein Meister Sorceres nicht vergessen, welchen Rang er als Mann hatte. Quenthel gelüstete es sehr danach, die von Lolth gewährten Zauber zu benutzen, um Pharaun in einem Spinnennetz festzusetzen und ihn tausend langsamen Toden auszusetzen, doch Lolth schwieg. Außer den Schriftrollen verfügte Quenthel über kei ne Zauber, die sie hätte wirken können. »Jeggred«, sagte sie knapp. »Zieh dich zurück.« Zögernd gehorchte Jeggred. »So ist es schon besser«, sagte Pharaun. Er hob die rechte Hand, streckte die Finger aus und sprach einen Befehl. Sein Schwert schrumpfte zusammen, bis es nur noch ein Stückchen Metall war, das durch die Luft jagte und sich wieder um seinen Finger legte. Soeben wollte er mit einer weiteren Geste die Energiekuppel verschwinden lassen, als er sah, daß der Draegloth sich anspannte. »Ich sollte Euch daran erinnern, daß ich diese Dämonen brut mit einem einzigen Wort töten könnte«, warnte Pharaun. »Jeggred weiß das«, sagte Quenthel. Die Gleichgültigkeit verwandelte ihr hübsches Gesicht in eine ausdruckslose Mas ke. »Er trifft seine eigenen Entscheidungen.« Jeggred knurrte – ob es gegen Quenthel oder gegen Pharaun gerichtet war, ließ sich nicht feststellen – und spie gegen die magische Kuppel. Schließlich stand er auf und ging in den Wald zurück. Pharaun ließ die Barriere sinken. »Also dann«, sagte er, zog seine elegante, aber von der lan gen Reise strapazierte Kleidung glatt und strich eine weiße
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Locke zurück, die ihm in die hohe Stirn gefallen war. »Ich entschuldige mich dafür, daß ich auf eines von Lolths Kindern trat, aber ich versichere Euch, es war keine Absicht. Je eher wir die Lande des Lichts verlassen, desto besser. Nicht nur, daß wir die Minauth-Feste in Aufruhr versetzt haben, als wir den Hohepriester des Hauses Jaelre töteten ...« »Die Entscheidung kam von Euch, nicht von mir«, stellte Quenthel klar, mußte aber lächeln. »Auch wenn Tzirik es verdient hatte.« Die Schlangen an der Peitsche zischten zustimmend. Pharaun nickte und war froh, daß sie seiner Meinung war, was den Tod des Mannes anging. Tziriks Magie hatte es der Gruppe erlaubt, durch die Astralebene zum Abgrund der Dä monennetze zu reisen, dem Reich der Göttin, der Quenthel diente – einer Göttin, die in jüngster Zeit in besorgniserregen des Schweigen verfallen war. Dort hatten sie feststellen müs sen, warum Lolths Priesterinnen nicht länger in den Genuß ihrer Magie kamen: Die Göttin war verschwunden. Ihr Tempel schien verlassen, die Tür war mit einem gewaltigen schwarzen Stein versiegelt, in den ein Abbild ihres Gesichts gehauen war. Die Zeit hatte jedoch nicht gereicht, um herauszufinden, ob dieser Zustand auf Lolths eigenen Entschluß zurückging oder nicht. Wie von Pharaun erwartet, hatte Tzirik die Gruppe verraten und seine Magie benutzt, um ein Portal für den Gott zu schaffen, dem er diente. Vhaeraun hatte das steinerne Ge sicht attackiert, und fast wäre es ihm gelungen, es zu zerbre chen, als Lolths Streiter – der Gott Selvetarm – die Szene betrat, um sich gegen Vhaeraun zu stellen. Als Pharaun klar wurde, daß Tzirik nicht vorhatte, sie zurückkehren zu lassen, hatte er Jeggred den Befehl gegeben, Tzirik zu töten – und dabei dem Draegloth gesagt, der Befehl komme von Quenthel. Tziriks Tod hatte Quenthels Gruppe
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aus dem Abgrund der Dämonennetze gerissen und nur die Götter dort zurückgelassen. Vermutlich kämpfte Selvetarm noch immer mit Vhaeraun. Sollte Vhaeraun Lolth vernichten, dann würde das der Be ginn einer neuen Ära für die Drow werden. Der Maskierte Gott gab Männern den Vorzug, nicht dem Matriarchat wie Lolth. Sein Sieg würde zweifellos die desillusionierten Männer Menzoberranzans zu einem noch größeren Aufstand anspornen als dem, den die Stadt erst vor kurzem erlebt hatte. Doch wenn Selvetarm Lolth erfolgreich verteidigte, würde die vielleicht eines Tages zurückkehren und ihr magisches Netz wiederher stellen, was für die Priesterinnen bedeutete, daß sie wieder über ihre Zauber verfügen könnten. Egal was kam, Pharaun wollte auf der Seite der Sieger stehen – oder zumindest den Eindruck erwecken, deren Interessen zu dienen. »Wie gesagt«, fuhr Pharaun fort, »sucht nicht nur das Haus Jaelre nach uns, es wimmelt hier auch vor Waldelfen. Je eher wir in den Untergrund zurückkehren, desto besser.« Er hielt inne, um sich den Wald anzusehen, und blinzelte gegen das grelle Sonnenlicht an, das von dem weißen Schneematsch, der Boden und Bäume gleichermaßen bedeck te, unerbittlich reflektiert wurde. Der Magier bereute seine Entscheidung, die Gruppe hierher teleportiert zu haben. Sein Zauber hatte ihnen zwar erlaubt, aus der Feste des Hauses Jael re zu entkommen, doch das Portal, von dem er erhofft hatte, es würde sie viel weiter entfernt wiederauftauchen lassen, funkti onierte nur in eine Richtung. Jetzt saßen sie am Eingang zu einer flachen Höhle, die nach einem kurzen Stück in einer soliden Felswand endete, an der Oberfläche fest. »Ich frage mich, ob die anderen inzwischen einen Weg nach unten gefunden haben«, murmelte Pharaun. Als hätte man ihn gerufen, kam in diesem Moment Valas
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aus dem Wald. Er trat aus dem Unterholz hervor, ohne ein Geräusch zu verursachen, was aber nur zum Teil mit dem Zau ber zusammenhing, der auf dem Kettenhemd lag, das der Spä her trug. Ein Paar magischer, geschwungener Kukris hingen an seiner Hüfte, und seine Weste war mit einer Fülle verschiede ner verzauberter Talismane gespickt, die von vielen unter schiedlichen Rassen des Unterreiches geschaffen worden wa ren. Der Söldner, dessen bernsteinfarbene Augen tränten, da er sie wegen des grellen Sonnenscheins zusammenkneifen mußte, sah aus, als presse er unablässig seine kantigen Kiefer zusammen. Er war gewohnheitsmäßig angespannt und ge wappnet, als rechne er jederzeit damit, einen Schlag einste cken zu müssen. Seine schwarze Haut war von Dutzenden hellgrauer Linien überzogen, die von zwei Jahrhunderten voller Kämpfe zeugten. Valas Hune nickte in die Richtung, aus der er soeben ge kommen war. »Ein Stück weit entfernt gibt es eine Tempel ruine, die um eine Höhle herum erbaut wurde.« Quenthels Augen funkelten, und die Schlangen an ihrer Peitsche erstarrten verzückt. »Führt die Höhle ins Unterreich?« fragte sie. Valas deutete eine leichte Verbeugung an und antwortete: »Ja, Herrin.« Pharaun trat vor und legte einen Arm um Valas’ Schultern. »Gut gemacht«, sagte er herzlich. »Ich habe immer gesagt, daß du einen Tunnel auch auf mehrere Kilometer Entfernung wittern kannst. Zeig uns den Weg! Dann werden wir bald wieder in Menzoberranzan sein und unseren Durst mit den besten Weinen stillen, die ...« »Das glaube ich nicht.« Quenthel hatte die Hände in die Hüften gestützt, die Schlangen ihrer Peitsche wiesen den glei chen giftigen Blick auf wie sie. »Lolth ist verschwunden, viel
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leicht wird sie angegriffen. Wir müssen sie finden.« Sie kniff die Augen zusammen. »Oder wollt Ihr andeuten, wir sollten Lolth den Rücken kehren? Wenn dem so ist, dann bin ich sicher, daß die Muttermatrone für eine angemessene Bestra fung sorgen wird.« Valas blickte zwischen Pharaun und Quenthel hin und her, dann trat er einen Schritt zur Seite, so daß Pharaun den Arm von seiner Schulter nehmen mußte. »Von Lolth abwenden?« fragte Pharaun und lachte, um sei ne Angst zu überspielen. »Nein. Ich schlage nur vor, daß wir die Befehle der Muttermatrone befolgen. Sie gab uns den Auf trag, in Erfahrung zu bringen, was mit Lolth geschehen ist, und genau das haben wir getan. Mag sein, daß wir noch nicht alle Antworten wissen, aber wir haben einige wichtige Teile dieses Puzzles gefunden. Die Muttermatrone wird sicher erfahren wollen, was wir bislang herausgefunden haben. Da der Erzma gier nicht mehr auf meine Mitteilungen reagiert, können wir nicht sicher sein, ob er unsere Berichte empfangen hat. Ich ging davon aus, daß wir persönlich Bericht erstatten.« »Dafür muß nur einer von uns zurückkehren«, sagte Quenthel. »Aber das werdet nicht Ihr sein. Für Euch gibt es wichtigere Dinge zu tun.« Sie hielt inne und überlegte. »Ihr habt doch die Fähigkeit, Dämonen zu rufen, nicht wahr?« Pharaun hob verwundert eine Braue. »Ich habe Beschwörungszauber, ja«, erwiderte er. »Aber was hat das damit zu tun, daß ...« »Wir werden in den Abgrund der Dämonennetze zurück kehren, aber diesmal leibhaftig«, antwortete Quenthel, »und mit einem Führer, der zuverlässiger ist als Tzirik.« Valas Hune schauderte und fragte: »Ein Dämon?« Der nor malerweise wortkarge Späher bemerkte Quenthels wütenden Blick und schien plötzlich zu erkennen, daß er laut gedacht
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hatte. »Wie Ihr befehlt, Herrin«, fügte er rasch an und ver beugte sich. Pharaun wurde deutlicher. »Angenommen, ich beschwöre einen Dämon, wie sollen wir dann hoffen können, daß er uns nicht in Stücke reißt, ganz zu schweigen davon, wie wir ihn dazu veranlassen sollen, für uns den Fremdenführer durch den Abyss zu spielen? Nicht einmal Gromph würde einen Dämon herbeipfeifen, ohne über ein goldenes Pentagramm zu verfügen, um ihn zu unterwerfen. Wir befinden uns in der Wildnis, im Reich des Lichts, wenn Euch das noch nicht aufgefallen ist. Wie soll ich an die nöti gen Zauberkomponenten kommen, um –« »Jeggred.« Pharaun zwinkerte, da er nicht sicher war, ob er Quenthel richtig verstanden hatte. »Jeggred«, wiederholte sie. »Wir werden sein Blut benutzen. Damit könnt Ihr das Diagramm zeichnen, mit dem Ihr einen Dämon herbeiruft.« »Aha«, meinte Pharaun und fluchte innerlich, als ihm klar wurde, daß Quenthel bedauerlicherweise recht hatte. Das Blut des Draegloth konnte tatsächlich einen Dämon binden, aber nur einen: den, der den halbdämonischen Sohn von Mutter matrone Baenre gezeugt hatte – Jeggreds Vater. Pharaun hatte nicht den Wunsch, ihm zu begegnen, weder leibhaftig noch auf eine andere Weise, doch ihm war klar, daß ihm kaum eine andere Wahl blieb. Jedenfalls nicht, wenn er seinen gewagten Balanceakt aufrechterhalten wollte, Lolth gegenüber weiterhin loyal zu erscheinen, was nötig war, wenn er seine Position als Meister Sorceres nicht verlieren wollte. Wie Valas verbeugte sich nun auch Pharaun vor Quenthel. »Wie Ihr befiehlt, Herrin«, sagte er und verlieh ihrem Titel genau die richtige Portion Sarkasmus, um ihr zu zeigen, wie
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unbedeutend dieser in seinen Augen war. Sie mochte ja in Menzoberranzan die Herrin Arach-Tiniliths sein, aber er war keiner ihrer zitternden Schüler. Mit einer weit ausholenden Geste zeigte er in die Richtung, in die zuvor Valas Hune ge wiesen hatte. »Den Zauber sollten wir aber unter Tage wirken. Ich will diesen elenden Sonnenschein keinen Augenblick länger ertragen als unbedingt nötig.« Während sich Valas Hune und Quenthel auf den Weg machten, tat Pharaun so, als würde er ihnen folgen. In Wahr heit aber blieb er stehen und sammelte einen kleinen Zweig auf, an dem ein Stück Spinnennetz hing. Lolth war zwar ver stummt, doch die klebrigen Netze, die ihre Kinder woben, waren nach wie vor nützlich, denn Spinnweben stellten für viele seiner Zauber eine wichtige Komponente dar. Er steckte den netzbedeckten Zweig in eine seiner Taschen und eilte den anderen nach.
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Halisstra stand auf dem Hügel und starrte in den Wald. Die schneebedeckten Bäume reichten in jede Richtung so weit, wie das Auge nur blicken konnte. Hier und da wurden sie von einem unglaublich blauen See oder einer Straße geteilt, die exakt wie ein Scheitel gezogen war. Zum ersten Mal verstand Halisstra, was »Horizont« bedeutete. Es war jene ferne Linie, an der das dunkle Grün des Waldes mit dem blauen Himmel zusammentraf, der von weißen, in den Augen schmerzenden Streifen überzogen war. Ryld Argith stand neben ihr und schauderte. »Es gefällt mir hier nicht«, sagte er und schirmte mit einer Hand seine Augen ab. »Ich komme mir ... nackt vor.« Halisstra sah, wie Schweißperlen über Rylds schwarze Schläfe liefen, und erschauderte, als ihr der kalte Winterwind wieder ins Gesicht blies. Der Aufstieg war trotz der ausgetrete
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nen Stufen, die sie an einer Wand gefunden hatten, lang und mühselig gewesen. Sie konnte nicht erklären, warum sie Ryld nach hier oben geführt hatte, und genausowenig wußte sie, warum sie selbst nichts von der Sorge fühlte, die der Waffen meister verspürte. Doch trotz seiner Angst war Ryld – der genauso groß wie Halisstra war, obwohl er ein Mann war – in jeder Hinsicht ein Krieger. Auf den Rücken hatte er sich einen Zweihänder geschnallt, er trug einen Harnisch mit einem Brustpanzer, der aus Zwergenbronze geschmiedet war, dazu an den Ellbogen Armschienen, die seine schlanken, muskulösen Arme in schweren Stahl hüllten. Ein Kurzschwert für den Kampf in einer beengten Umgebung hing in einer Scheide an seiner Hüfte. Sein Haar war geschoren, damit ihm Feinde während des Gefechts nicht in eine volle Mähne greifen konn ten. Nur kurze Stoppeln blieben: Sie ließen erkennen, daß sein Haar ebenso weiß war wie Halisstras Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen. »Es gab einmal einen Oberflächen-Bewohner – einen menschlichen Magier –, der für kurze Zeit in Ched Nasad lebte«, sagte Halisstra. Der gewaltige Himmel über ihr ließ sie nur leise reden. Es kam ihr vor, als lauerten die Götter hinter den Wolken und beobachteten sie. »Er sagte, unsere Stadt gäbe ihm das Gefühl, in einem Zimmer zu leben, dessen Decke viel zu niedrig ist. Er war sich stets der Höhlendecke bewußt, die sich über ihm befand. Ich lachte über ihn, denn wie sollte sich irgend jemand in einer Stadt beengt fühlen, die so weit läufig war – einer Stadt, die auf den feinen Fäden eines ver steinerten Netzes errichtet war? Aber jetzt glaube ich zu ver stehen, was er meinte.« Sie wies zum Himmel. »Das hier fühlt sich so ... offen an.« Ryld fragte murrend: »Habt Ihr genug gesehen? Hier werden wir keinen Zugang ins Unterreich finden. Laßt uns wieder
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hinabsteigen, damit wir nicht mehr dem Wind ausgesetzt sind.« Halisstra nickte. Der Wind fand tatsächlich eine Lücke, um ins Innere ihrer Rüstung vorzudringen, obwohl sie vom Hals bis zu den Knien in ein dick wattiertes Kettengewand gekleidet war, das außerdem bis zu den Ellbogen reichte. Auf einer auf der Brust ihrer Tunika aufgenähten Silberplakette war ein Schwert eingraviert, das mit der Spitze nach oben vor einem Vollmond stand und von einem Nimbus silberner Fäden um geben war. Es war das heilige Symbol Eilistraees, der Göttin der an der Oberfläche lebenden Drow. Die Wattierung des Kettenhemds roch noch immer nach Blut – dem der Priesterin, derer sich Halisstra entledigt hatte. Der Geruch haftete der Rüstung wie ein hartnäckiger Geist an, obwohl das Blut schon vor Tagen getrocknet war. Halisstra hatte nicht nur Seylls Rüstung an sich genommen, nachdem man ihr ihre eigene weggenommen hatte, sondern auch ihren Schild und ihre Waffen – einschließlich eines schlanken langen Schwerts mit einem hohlen Heft, das auf der gesamten Länge kleine Löcher aufwies. Dieses Heft konnte man an die Lippen ansetzen und wie eine Flöte spielen. Es war eine wunderschöne Waffe, die Seyll aber nicht hatte helfen können, denn sie war gestorben, ehe sie ihr Schwert überhaupt hatte ziehen können. Seyll war von Halisstras vorgetäuschtem Interesse an ihrer Göttin überzeugt gewesen, und so war deren Angriff für sie völlig überraschend gekommen. Trotz des Ver rats, den Halisstra begangen hatte, waren Seylls letzte Worte gewesen: »Ich habe noch Hoffnung für Euch.« Sie hatte es mit solcher Inbrunst gesagt, als erwarte sie sogar im Augenblick ihres Todes, Halisstra würde sie retten. Sie war eine Närrin gewesen, und doch konnte Halisstra die letzten Worte der sterbenden Priesterin ebensowenig verges
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sen, wie sie in der Lage war, die Rüstung vom Geruch des Blu tes zu befreien. Fühlte sich so Schuld an: wie ein stechender Gestank, der nicht verschwinden wollte? Wütend über ihre eigene Schwäche schüttelte sie den Kopf, als könne sie so diese Gedanken vertreiben. Seyll hatte den Tod verdient gehabt. Die Priesterin war einfach nur dumm gewesen, einer Person zu vertrauen, die nicht von ihrem Glau ben war, und noch dümmer war es gewesen, einer anderen Drow zu vertrauen. Dennoch hatte Seyll in einem Punkt recht gehabt, wie Ha lisstra einräumen mußte, während sie stehenblieb, damit Ryld vorging. Es wäre wirklich schön, nicht unentwegt hinter sich blicken zu müssen.
Ryld ging schweigend die Stufen nach unten und lauschte auf das leise Klimpern von Halisstras Kettenhemd. Vergeblich versuchte er, den Gedanken an ihre wohlgeformten Beine zu vertreiben, die er zu sehen bekommen würde, wenn er sich umdrehte. Wo war nur seine Konzentration hin? Als Meister Melee-Magtheres hätte er sich besser im Griff haben sollen, doch Halisstra hatte ein Netz des Verlangens um ihn gelegt, das stärker war als alles, was Lolths Magie hätte spinnen kön nen. Am Fuß der Treppe, wo der eisige Wind nicht mehr wehte, blieb Halisstra stehen und zeichnete mit einem Finger eine Sichelform nach, die in den Fels gehauen worden war. »Dies war einst ein heiliger Ort«, sagte sie und betrachtete die Überreste der eingestürzten Säulen, die zwischen den ver schneiten Bäumen verstreut lagen. Ryld verzog das Gesicht. In der Oberflächenwelt überzog die
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Vegetation alles wie ein gigantischer Schimmelpilz. Ihm fehl ten die sauberen Felswände der Höhlen, denen nicht der Ge ruch von nassem Lehm und Blättern anhaftete, der ihm die Nase verstopfte. Mit dem Stiefel schob er etwas Schnee zur Seite und legte einen gesplitterten Marmorboden frei. »Woher wißt Ihr das?« fragte er. »Die Mondsichel ist das Symbol Corellon Larethians. Die Elfen, die einst in diesen Wäldern lebten, müssen hier Gottes dienste abgehalten haben. Ihre Priester stiegen vermutlich diese Stufen hinauf, um im Schein des Mondes ihre Magie zu wirken.« Ryld kniff die Augen zusammen und sah zu dem Feuerball, der am Himmel hing. »Der Mond ist wenigstens nicht so hell wie die Sonne«, sag te er. »Er wirft ein sanfteres Licht«, erwiderte Halisstra. »Ich habe gehört, das soll daran liegen, daß die Götter, die ihn als Sym bol beanspruchen, sanfter zu denen sein sollen, die sie anbeten. Ob das stimmt, weiß ich nicht.« Ryld betrachtete eine Weile die zertrümmerte Steinmetzar beit, dann sagte er: »Die Götter der Oberflächen-Elfen können nicht sehr mächtig sein. Corellon Larethian ließ diesen Tem pel verkommen, und Seylls Göttin konnte sie nicht vor Euch schützen.« Halisstra nickte und erwiderte: »Das stimmt. Doch als Lolth vor vielen Jahrtausenden versuchte, Corellon zu stürzen und an dieser Stelle ein Heiligtum für sich selbst zu errichten, wur de sie besiegt und mußte in den Abyss fliehen.« »An der Akademie wird gelehrt, daß die Göttin Arvandor freiwillig verließ«, entgegnete Ryld und zuckte die Achseln. »Mehr ein strategischer Rückzug.« »Vielleicht«, überlegte Halisstra. »Dennoch muß ich immer
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wieder an das denken, was wir im Abgrund der Dämonennetze sahen – an den schwarzen Stein mit dem erstarrten Abbild von Lolths Gesicht. Ich glaube, es war ein Schloß, ein Siegel, das Lolth zur Gefangenen in ihrem eigenen Tempel macht. Ein Gefängnis, das von der Hand eines anderen Gottes geschaffen wurde. Wird Lolth je von dort zurückkehren? Wird sie für alle Ewigkeit dort gefangen sein? Wird ihre Magie für immer ver siegt sein?« »Das will Quenthel herausfinden«, sagte Ryld. »Ich auch«, antwortete Halisstra. »Aber aus anderen Grün den. Wenn Lolth tot oder in ewiger Trance gefangen ist, wel chen Sinn hat es dann, Quenthels Befehle zu befolgen?« »Welchen Sinn?« rief Ryld. Er sah langsam die gefährliche Abzweigung auf dem Weg, den Halisstras Überlegungen einge schlagen hatten. »Dazu nur eins: Ob Zauber oder kein Zauber – Quenthel Baenre ist die Herrin Arach-Tiniliths und erste Schwester der Muttermatrone des Hauses Baenre. Würde ich mich gegen Quenthel stellen, würde ich damit meine Position als Meister Melee-Magtheres verlieren. In dem Augenblick, in dem Menzoberranzan von meinem Verrat erfährt, wird jeder an der Akademie seinen Dolch zücken und nach meinem Blut dürsten.« Halisstra seufzte und sagte: »Das ist wahr. Aber in einer an deren Stadt vielleicht ...« »Ich will nicht am Tisch eines anderen um Abfälle bet teln«, sagte Ryld schroff, »und die einzige Stadt, in der ich mich hätte niederlassen können – mit der Unterstützung Eures Hauses –, ist vernichtet. Da Ched Nasad nicht mehr existiert, habt Ihr kein Zuhause, zu dem Ihr zurückkehren könnt. Ein Grund mehr, sich mit Quenthel gut zu stellen, damit Ihr in Menzoberranzan ein neues Zuhause finden könnt, wenn wir ins Unterreich zurückgekehrt sind.«
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Nach langem Schweigen fragte Halisstra: »Was, wenn ich das nicht tue?« »Wenn Ihr was nicht tut?« »Ins Unterreich zurückkehren.« Ryld sah den Wald an, der sie von allen Seiten umgab. An ders als die soliden, ruhigen Tunnel, die er gewöhnt war, wa ren die Mauern aus Bäumen und Unterholz porös und voller Geräusche und winziger Bewegungen, wenn Tiere von Ast zu Ast sprangen. Ryld wußte nicht, was für ihn schlimmer war: das erdrückende Gefühl, das er empfand, wenn er den endlo sen Himmel über sich betrachtete, oder das Gefühl, das er im Augenblick verspürte, nämlich, daß der Wald ihn beobachte te. »Ihr seid verrückt«, sagte er. »Ihr würdet hier draußen allein nie überleben. Vor allem ohne Zauber, die ...« Wut flammte in Halisstras Augen auf, und sofort bedauerte Ryld seine Worte. Durch Halisstras Gerede von den Göttern der Oberfläche war ihm einen Moment lang völlig entfallen, daß sie auch eine Priesterin Lolths und eine Frau aus einem Adelshaus war. Er wollte sich verbeugen und sie um Verzei hung bitten, doch sie überraschte ihn, indem sie die Hand auf seinen Arm legte. Dann sagte sie so leise, daß er sich anstrengen mußte, um ihre Worte zu verstehen: »Gemeinsam würden wir überleben.« Er sah sie an und fragte sich, ob ihm seine Ohren einen Streich spielten. Dabei war er sich ihrer Hand auf seinem Arm nur allzu bewußt. Die Berührung ihrer Finger war sanft, doch sie schien sich durch seine Haut zu brennen und sein Fleisch zu wärmen. »Wir könnten hier überleben«, räumte er ein, wünschte a ber, er hätte nichts gesagt, als er den Glanz in Halisstras Au gen sah.
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Die Allianz, die er soeben unbeabsichtigt eingegangen war, würde kaum stabiler sein als die Freundschaft mit Pharaun. Halisstra würde so lange an seiner Seite bleiben, wie es ihr zweckmäßig erschien, sobald sich die Verbindung aber als lästig erweisen sollte, würde sie sie auf der Stelle beenden. So wie Pharaun Ryld im Stich gelassen hatte, als die beiden ver sucht hatten, aus Syrzans Stalaktitenfestung zu entkommen. Ohne mit der Wimper zu zucken hatte Pharaun ihn in einer schier ausweglosen Situation sich selbst überlassen. Rylds meditative Fähigkeiten hatten ihm damals das Leben gerettet und es ihm ermöglicht, sich den Weg freizukämpfen. Als er später wieder auf Pharaun traf, gab der ihm fröhlich einen Klaps auf die Schultern und tat so, als habe er von An fang an erwartet, daß Ryld all das unbeschadet überstehen werde. Warum sonst hätte er seinen »besten Freund« im Stich gelassen? Halisstra lächelte Ryld auf eine Weise an, die sie gerissen und hübsch zugleich erscheinen ließ. »Wir werden folgendes tun«, begann sie. Innerlich zuckte Ryld zusammen, als er sie »wir« sagen hör te, doch nach außen hin wahrte er eine neutrale Miene.
Danifae stand hinter einem Baum und beobachtete Halisstra und Ryld inmitten der Ruinen. Daß die beiden irgendeinen Plan schmiedeten, war nicht zu übersehen. Ihre Stimmen wa ren zu leise, als daß Danifae sie hätte hören können, zudem hatten sie die Köpfe zusammengesteckt. Nach dem flüchtigen Kuß, den Ryld Halisstra gab, als sie ihre Unterhaltung beendet hatten, war ihr auch klar, daß sie bereits ein Paar waren oder es zumindest schon sehr bald sein würden. Eine kalte, leise Wut erfüllte Danifae, als sie die beiden be
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trachtete. Es war keine Eifersucht – weder Ryld noch Halisstra bedeuteten ihr etwas –, sondern pure Frustration, geboren aus der Tatsache, daß sie Ryld nicht als erste verführt hatte. Danifae war weitaus schöner als ihre frühere Herrin. Ha lisstra war schlank, hatte kleine Brüste und schmale Hüften. Danifae besaß sinnliche Rundungen. Halisstras Haar war ein fach weiß, während ihr eigenes silbern schimmerte. Zugegeben, Halisstras Gesicht war mit der leichten Stups nase und den roten Augen recht hübsch, doch Danifae hatte den Vorteil, daß ihre Haut sanfter war als der schwärzeste Samt, ihre Lippen einen immerwährenden Schmollmund bildeten und die Brauen einen vollkommenen weißen Bogen über jedem ihrer bemerkenswert blaßgrauen Augen darstellten. Es war ein Vorteil, den sie früher hätte nutzen sollen, wenn sie die Zurschaustellung von widerlicher Sentimentalität richtig einschätzte, auf die sie durch Zufall gestoßen war. Quenthel war bereits im Spiel, doch die ältere, erfahrenere Priesterin war sich der unmittelbaren Bedürfnisse Danifaes durchaus bewußt. Man mußte kein Genie sein, um zu verste hen, warum Danifae die Herrin Arach-Tiniliths verführt hatte. Es war fast zu erwarten gewesen. Danifae ging davon aus, daß es kompliziert werden würde, sollte sie sich Pharaun und Valas widmen. Der Meister Sorce res war gerissen. Es würde schwierig werden, ihn zu täuschen, wenn sich das Blatt wendete, doch seine unverhohlene Abnei gung gegenüber Quenthel war eine Sache, mit der sie etwas anfangen konnte. Valas wurde vom Haus Baenre bezahlt, und an solche Summen Goldes würde Danifae so schnell sicher nicht herankommen können. Das würde sich noch als schwie rig erweisen, und Jeggred, nun ja ... Aber Ryld mit seiner Schwäche für Halisstra würde noch viel schwerer zu knacken sein.
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Welchen Sinn ergibt es, eine Partie Sava zu spielen, dachte sie, wenn man nicht alle Spielsteine kontrolliert? Valas kam in die Ruinen, dicht gefolgt von Pharaun und Quenthel und – einen Moment später – von Jeggred. Das fal sche Lächeln, das Halisstra ihnen gegenüber zur Schau stellte, und die Art, wie Ryld den Blickkontakt zu Pharaun suchte, bestätigte Danifaes Verdacht. Halisstra bereitete sich darauf vor, ihre Priesterkollegin zu verraten, und Ryld würde das gleiche mit seinem früheren Freund tun. Danifae lächelte. Sie wußte nicht, was die beiden vorhat ten, doch sie war sicher, daß sie es zu ihrem Vorteil würde nutzen können. Sie trat auf die Lichtung und gesellte sich zu den anderen. Mit einem Peitschenknall bedeutete Quenthel den anderen, sich um sie zu scharen. »Valas Hune hat einen Zugang zum Unterreich gefunden«, erklärte sie. »Sobald wir unter der Erde in Sicherheit sind, wird Pharaun einen Zauber wirken. Wir kehren zurück in den Ab grund der Dämonennetze. Aber nicht alle. Einer von euch wird eine Nachricht nach Menzoberranzan bringen, zur Mut termatrone.« Während Quenthels Blick über die Gruppe schweifte, be merkte Danifae die Unentschlossenheit darin. Quenthel war offenbar unsicher, wem sie trauen – oder wen sie entbehren konnte. Danifae sah ihre Chance gekommen und kniete vor ihr nieder. »Laßt mich das übernehmen«, sagte sie. »Ich werde Euch so treu dienen, wie ich Lolth diente.« Während sie sprach, warf sie Halisstra einen haßerfüllten Blick zu und hoffte, Quenthel würde das verstehen. Halisstra hatte während ihrer ersten Reise in den Abgrund der Dämo nennetze Lolth gelästert, sie war nicht mehr vertrauenswürdig.
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Natürlich war Danifae nicht vertrauenswürdiger. Sie hatte keineswegs vor, sich nach Menzoberranzan zu begeben, wenn sie ausgesucht wurde. Ganz sicher nicht, wenn es in Sschindyl ryn einen Magier gab, der ihr helfen und sie von dem Zauber erlösen konnte, der sie an Halisstra band. Danifae fühlte, wie Quenthel ihr Haar berührte, und sah erwartungsvoll auf. »Nein, Danifae«, sagte sie und ließ aus der Berührung ein sanftes Streicheln werden. »Du bleibst bei mir.« Danifae preßte die Kiefer zusammen. Offenbar war sie zu gut darin gewesen, Quenthel zu verführen. Halisstra trat vor und ging zu Danifaes Überraschung eben falls auf die Knie. »Herrin«, sagte Halisstra. »Laßt mich Eure Nachricht über bringen. Ich weiß, ich habe Euch zuvor, im Schatten des Tem pels der Göttin, enttäuscht, doch ich flehe Euch an. Bitte laßt mich ... Buße tun.« »Nein!« stieß Danifae hervor. »Sie hat etwas vor. Sie will nicht nach Menzoberranzan. Sie –« Halisstra lachte laut. »Wohin soll ich denn statt dessen gehen?« fragte sie. »Ched Nasad liegt in Trümmern. Ich habe kein Haus, in das ich zu rückkehren könnte. Ich muß mir ein neues Zuhause suchen – in Menzoberranzan. Wie könnte ich das wohl besser anstellen, als mich den Gefahren der Oberflächenwelt zu stellen, um eine wichtige Botschaft an das Erste Haus zu überbringen?« Danifae kniff die Augen zusammen. Sie spürte, daß Ha lisstra etwas plante. »Ihr würdet an der Oberfläche nach Menzoberranzan rei sen?« fragte sie und spie ihr die Worte förmlich hin. »Allein? Durch einen Wald, in dem es von Drow des Hauses Jaelre wimmelt? Man würde Euch wieder gefangennehmen, noch ehe
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die Nacht anbricht!« Danifae sah erfreut, daß Quenthel nickte. Offenbar würde sie auch Halisstras Gesuch ablehnen und statt dessen doch Danifae schicken. Doch dann begann Halisstra zu lächeln, und Danifae wurde klar, daß sie auf irgendeine Weise genau das gesagt hatte, was Halisstra hatte hören wollen. »Das hier wird dafür sorgen, daß mir nichts passiert«, sagte Halisstra und klopfte auf das Lederfutteral ihrer Leier. »Ich kenne ein Bae’qeshel-Lied, das mir erlauben wird, auf dem Wind zu wandeln. So kann ich Menzoberranzan in höchstens einem Zehntag erreichen.« Danifae kniff wieder die Augen zusammen. »Ich habe nie erlebt, daß Ihr einen solchen Zauber anwendetet.« »Welchen Sinn hätte das im Unterreich?« erwiderte Ha lisstra schulterzuckend. »Dort gibt es keinen Wind, und selbst wenn, trüge er mich allenfalls gegen die nächste Wand. Au ßerdem war und ist es nicht meine Gewohnheit, mich vor einer Kriegsgefangenen zu rechtfertigen. Unsere Situation hat sich geändert, aber nicht grundlegend.« Noch nicht, dachte Danifae. Dann umklammerte sie Quenthels Knie und flehte: »Schickt nicht sie, schickt mich. Wenn Halisstra stirbt ...« »Dann würdest du das sehr bedauern, nicht?« grinste Quenthel sie an. Sie war sich der Besonderheiten eines Binde zaubers völlig bewußt. »Halisstra wird gehen. Durch dich wer den wir sie aufspüren können, und wir werden wissen, ob sie noch lebt. Außerdem seid ihr beiden Hauslosen am ehesten entbehrlich.« Danifae senkte unterwürfig den Blick, während sie innerlich vor Wut kochte, die sie nicht zeigen durfte. Halisstra würde auf sich allein gestellt in der Oberflächenwelt sicher sterben. Es war nur eine Frage der Zeit.
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Wenn sie aber starb, dann würde auch Danifae sterben, da es der Bindezauber so vorsah.
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Valas fühlte, wie die Anspannung in seinen Muskeln sofort ein wenig nachließ, als vertraute Finsternis ihn umgab. Nach der dritten Biegung im Tunnel hatten sie das Sonnenlicht endlich hinter sich gelassen. Noch immer nahm er den erdigen Geruch nasser Blätter wahr, der ihm sagte, daß sich die Reiche der Oberflächenwelt direkt über seinem Kopf befanden, doch die Luft um ihn herum fühlte sich gleich viel reiner an. Während sie durch den gewundenen Riß im Fels nach unten stiegen, merkte er, wie sich seine Augen wieder an die Finsternis ge wöhnten. Endlich lag das stechende Sonnenlicht hinter ihnen, und er konnte seine Augen weit öffnen und nach zu vielen Tagen am Stück wieder seine Dunkelsicht einsetzen. Hinter Valas Hune folgten Quenthel und die anderen im Gänsemarsch. Sobald sie aus dem Sonnenlicht waren, hatten sie instinktiv jede Unterhaltung eingestellt. Für den Unvor
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sichtigen konnten die oberen Regionen des Unterreiches ge fährlich sein, und dieser Tunnel, in dem sie sich gerade befan den, war für sie alle ein unbekanntes Territorium. Doch im Gegensatz zu Valas bewegte sich der Rest der Gruppe alles andere als lautlos. Er hörte das Kratzen einer Rüstung an der Felswand, als sich jemand hinter ihm durch eine Stelle zwäng te, an der sich der Tunnel etwas verengte und sie zwang, seit wärts weiterzugehen. Einen Augenblick später vernahm er das Schlurfen eines Stiefels und ein heftiges Einatmen, als eine der Frauen um ein Haar den Halt verlor. Er drehte sich um und bedeutete ihr, sie solle leiser sein, ließ aber erschrocken seine Hände sinken, als er sah, daß nicht Danifae, sondern Quenthel weggerutscht war. Danifae hatte sich wieder ans Ende der Gruppe begeben, wo sie unmittelbar vor Ryld ging. Valas war sicher, daß sie das nicht wegen der potentiellen Gefahren getan hatte, die ringsum lauerten, sondern um ihre Gefährten im Auge zu behalten, da sie Halisstra nun nicht mehr in ihrer Nähe hatte. Warum bleibt Ihr stehen? gestikulierte Quenthel, die hinter Pharaun ging. Geht weiter. Eine der Schlangen an der Peitsche, die sie unter ihren Gür tel geschoben hatte, zischte leise. Valas nickte und führte die Gruppe weiter. Wie zuvor war Pharaun dicht hinter ihm, der ständig über seine Schulter spähte, als halte er nach etwas Ausschau. Ryld dagegen sah sich immer wieder um und hielt den Weg im Auge, den sie gekommen waren. Jedesmal, wenn sich ihre Blicke trafen, bedeutete Ryld Valas, er habe geglaubt, jemand verfolge sie. Noch nie zuvor hatte Valas Hune ihn so nervös erlebt. Bei den ersten beiden Malen war Valas Hune zurückgegan gen, um persönlich Ausschau zu halten, hatte aber nichts aus machen können – weder ein Geräusch noch irgendeinen ande
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ren Hinweis darauf, daß sie verfolgt wurden. Ab da ignorierte er Rylds ängstliche Blicke einfach. Nachdem Halisstra nach Menzoberranzan geschickt worden war, waren sie nun nur noch zu sechst. Persönlich war Valas der Ansicht, Quenthel habe eine dumme Entscheidung getroffen. Er bezweifelte, daß Halisstra es ohne Lolths schützende Ma gie schaffen würde. Aber vermutlich dachte Quenthel das auch. Wahrscheinlich hoffte sie darauf, eine Rivalin ausschal ten zu können, die für sich in Anspruch nehmen könnte, was sie über Lolths Schicksal herausfanden – vorausgesetzt, eine Rückkehr in den Abgrund der Dämonennetze war überhaupt möglich. Zum hundertsten Mal, seit Quenthel ihren Plan verkündet hatte, Pharaun einen Dämon beschwören zu lassen, fragte sich Valas Hune, wie ihnen das helfen sollte. Aller Voraussicht nach würde sich der Dämon gegen sie wenden und sie fressen, noch bevor er sie auch nur einen Schritt auf dem Weg voran gebracht hatte, den sie beschreiten wollten. Er hielt sich vor Augen, daß das Los eines Söldners nicht darin bestand, Fragen zu stellen, sondern Aufträge auszuführen und sich zu beugen. Also führte er sie durch den Tunnel. Wäh rend er sich vorsichtig weiter in die unbekannte Finsternis vorwagte und sich Pharaun immer noch ungewöhnlich dicht hinter ihm hielt, betastete Valas eines der magischen Amulet te an seinem Hemd – seine Glücksmünze mit den zwei Köpfen – und hoffte, daß sie ihm den nötigen Vorteil verschaffte, sobald sich der Dämon gegen sie stellte. Daß er es machen würde, daran bestand gar kein Zweifel.
Halisstra stand auf dem Hügel an der Tempelruine und be trachtete den Horizont. Die anderen waren vor einiger Zeit ins
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Unterreich aufgebrochen, und die Sonne ging inzwischen unter, wobei sie die Wolken rosa und golden färbte. Auch wenn ihr die Tränen kamen, als sie in den Sonnenuntergang sah, konnte sich Halisstra nicht von dem faszinierenden An blick abwenden. Die Farben veränderten sich hin zu einem immer dunkleren Orange, gefolgt von tiefem Rot und Purpur. Gebannt sah sie mit an, wie immer neue Muster entstanden, wenn sich der Winkel veränderte, in dem die schräg einfallen den Sonnenstrahlen auf die Wolken trafen. Allmählich be gann sie zu verstehen, warum die Bewohner der Oberfläche so verzückt von Sonnenuntergängen sprachen. Als es im Wald unter ihr beständig finsterer wurde, konnte sie endlich zur Nachtsicht überwechseln. Sie machte Vögel aus, die zwischen den Ästen hin und her flogen, und hörte das Schlagen zahlreicher Flügel, das von einem Vogelschwarm stammte, der sich durch die Bäume in Richtung des Hügels bewegte. Sie hatte gehört, daß die Kreaturen, die an der Ober fläche lebten, dem Zyklus von Tag und Nacht folgten, und dabei wurde ihr klar, daß das magisch kontrollierte Licht in Ched Nasad und die berühmte Säule Narbondel in Menzober ranzan – die beide benutzt wurden, um das Verstreichen von »Tag« und »Nacht« zu markieren – Überbleibsel aus einer Zeit sein mußten, als die Drow noch an der Oberfläche gelebt hat ten. War Haus Jaelre nur einem Ruf gefolgt – den andere Drow erst noch vernehmen mußten –, als es an die Oberfläche zu rückgekehrt war und aufgehört hatte, Lolth anzubeten? Der Vogelschwarm war inzwischen ein Stück näher und er füllte die Baumkronen unterhalb des Hügels mit seltsam pfei fenden Rufen. Einer davon verließ den Schutz des Baums, so daß Halisstra sehen konnte, wie schnell er mit den Flügeln schlug – so schnell, daß sie nur verwischt zu erkennen waren. Erst als er nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt war,
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erkannte Halisstra, was der »Vogel« wirklich war. Der pelzige Leib, die acht Beine, der lange, nadelspitze Stechrüssel – das alles gehörte zu einer Kreatur, bei der ihr nicht klar gewesen war, daß sie auch an der Oberfläche eine Gefahr darstellte. Vor allem, wenn es sich nicht nur um ein einzelnes Exemplar han delte, das pfeilschnell auf sie zugeschossen kam, sondern um einen ganzen Schwarm. »Lolth, steh mir bei«, flüsterte Halisstra. »Blutmücken.« Sie waren zu nah, um mit der Armbrust auf sie zu schießen, also zog Halisstra Seylls Schwert und machte sich darauf ge faßt, der Bedrohung zu trotzen. Finster wurde ihr klar, daß ihr Kettenhemd sie nicht beschützen konnte. Die nadelgleichen Rüssel der Blutmücken konnten sich mühelos zwischen den Gliedern hindurchbohren. Als die erste Blutmücke zum Angriff überging, holte Ha lisstra mit dem Langschwert aus, das ihr immer noch unge wohnt in der Hand lag und schwerer war als ihre Klinge. Den noch saß der Hieb und teilte die Blutmücke sauber in zwei Stücke. Es folgten hektische Augenblicke, in denen Halisstra An greifer abwehrte, zwei weitere Tiere mit dem Schwert tötete und den Stechrüssel einer dritten mit einem Schlag ihres klei nen stählernen Schilds zerquetschte. Sie fühlte einen durchdringenden Schmerz in der rechten Schulter, als eine der Blutmücken sie stach. Im nächsten Mo ment wurde ihr von einem weiteren Tier in die linke Wade gleich unterhalb der Kniekehle gestochen. Die Wucht des Treffers ließ sie taumeln. Nur indem sie sich hektisch duckte konnte sie der Blutmücke ausweichen, die auf ihren Nacken gezielt hatte. Während das Geschöpf an ihr vorbeiflog, wirbel te Halisstra herum und schlug mit dem Schwert danach. Während gut zwei Dutzend der Kreaturen auf sie zujagten,
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nahm Halisstra ihren Schildarm nach unten und packte die Blutmücke, die sich in ihre Wade gebohrt hatte. Sie drückte zu, bis sie mit Befriedigung das berstende Geräusch vernahm, das ihr sagte, daß der aufgeblähte Leib der Kreatur geplatzt war. Sie riß den Stechrüssel aus ihrem Bein und schleuderte den toten Körper zur Seite, wobei sie nur beiläufig das Blut wahr nahm, das in ihren Handschuh sickerte. Indessen saugte das Tier weiterhin an ihrer Schulter. Der Schwarm ging zum Angriff über, und vier der Kreaturen bohrten sich in ihr Fleisch. Eine traf sie am linken Arm, zwei ins rechte Bein und die vierte in die Schulter, aus der bereits das andere Tier gierig Blut saugte. Halisstra konnte zwei weite re Blutmücken töten, wobei die Löcher im hohlen Heft ihres Schwerts konstant disharmonische Töne von sich gaben, als würde jemand unerträglich schlecht Flöte spielen. Sie spürte, daß sie allmählich schwächer wurde, da die Geschöpfe ihrem Körper immer mehr Blut entzogen, und ihr wurde klar, daß sie vielleicht hier und jetzt sterben würde. Lolth wachte nicht länger über sie und gewährte ihr auch nicht mehr die Magie, die sie benötigte, um sich der üblen Kreaturen zu entledigen. Das einzige schwarze Lied, das auf so viele Geschöpfe gleichzei tig wirkte, erforderte ein Musikinstrument als arkanen Fokus – aber sie konnte wohl schlecht ihre Leier spielen und gleichzei tig kämpfen. Bis ihr plötzlich etwas bewußt wurde. Vielleicht konnte sie ein anderes Instrument benutzen, das sozusagen auf der Hand lag ... Halisstra gab es auf, sich gegen die Blutmücken zu wehren, weil es einfach zu viele waren, um ihrer Herr zu werden. Statt dessen drehte sie Seylls Schwert in den Händen und legte das Heft an ihre Lippen. Sie schloß die Augen, blies in das Heft und hielt die Öffnungen so zu, daß nur ein Loch offenblieb,
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durch das die Luft entweichen konnte. Es war ein durchdrin gender Ton, der in ihren eigenen Ohren schmerzte, die in dem Moment taub wurden, als eine einzelne Note die Luft erschüt terte, die zart, hoch und unglaublich laut war. Ringsum sanken Blutmücken zu Boden, als die Magie sie traf. Die Kreaturen, die sich in ihren Leib gebohrt hatten, erschlafften, hingen noch einen Augenblick an ihr, lösten sich dann aber und tra fen mit einem weichen Geräusch auf dem Fels auf. In der Stille, die sich anschloß, konnte Halisstra nur den eigenen Atem hören. Als sie nach einer Weile die Augen wieder aufschlug, lagen Dutzende von Blutmücken um sie herum. Einige davon zuckten noch leicht. Sie nahm die, die am nächsten lag, und zerdrückte sie. Blut – ihr Blut – tränkte ihren Handschuh, als der Leib aufplatzte. So machte sie weiter, bis sie nach und nach alle Kreaturen getötet hatte. Dann zog sie ihre blutdurchnäßten Handschuhe aus und warf sie weg. Vielleicht war die Oberfläche doch kein so schöner Ort. Dann wurde ihr bewußt, daß die Blutmücken aufgescheucht worden waren – von etwas, das sich durch den Wald in Rich tung des Hügels bewegte, wo sie stand. Sie duckte sich und kroch auf die Treppe zu, während sie nach einem Versteck Ausschau hielt.
Valas gab der Gruppe ein Zeichen, stehenzubleiben, als der Tunnel, der sich immer tiefer hinab ins Unterreich erstreckte, in einen Bereich überging, der mit zertrümmerten Gesteins brocken übersät war. Er mündete in eine mittelgroße Höhle, deren Boden von einem Teich bedeckt war. Wie tief dieser sein mochte, war nicht absehbar. Pharaun lachte leise und brach das Schweigen, das bisher geherrscht hatte. »Perfekt«, flüsterte er.
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Sei still, ermahnte Valas Hune ihn, doch Pharaun lachte weiter. »Hier drin wird es gleich sehr laut werden«, sagte der Ma gier augenzwinkernd. Dann rief er die anderen zu sich, die noch ein Stück weiter hinten im Tunnel waren, so daß Valas Hune sie nicht sehen konnte. »Herrin, ich habe eine Stelle gefunden, die sich eignen dürfte. Jeggred soll sich bereithal ten.« Valas Hune hörte, wie Quenthel dem Draegloth befahl, sich hinzuknien, dann vernahm er, wie ein Dolch gezogen wurde. Pharaun legte ihm in eine Hand auf die Schulter. »Verzeih«, erklärte er. »Aber ich muß vorbei.« Valas war nicht sicher, was der Magier vorhatte, dennoch preßte er sich gegen den Stein, damit Pharaun Platz genug hatte, um an ihm vorbei in die Höhle zu gelangen. Pharaun griff in eine Tasche seines Piwafwi und zog einen winzigen Glaskegel heraus. Während er die Ärmel hochkrempelte, wies er mit dem Kegel auf das Wasser zu seinen Füßen. »Chalthinsil!« schrie er, daß es von den Höhlenwänden laut widerhallte. Im gleichen Moment trat aus dem Glasobjekt ein Kegel aus bitterkalter Luft aus und erfüllte die Höhle mit wirbelndem Frost. Die magische Kälte traf den Teich, der augenblicklich gefror. Der Frost hielt sich noch einige Sekunden lang in der Höhle und überzog Decke und Wände mit Eiskristallen. Dann löste er sich auf und ließ eine so kalte Luft zurück, daß Valas Hune schauderte. Pharaun steckte den Glaskegel zurück in seinen Piwafwi. »Perfekt«, sagte er erneut und starrte auf die Eisfläche. »Schön glatt. Genau richtig, um darauf zu zeichnen.« Dann rief er über die Schulter: »Ich bin bereit.« Hinter ihm aus dem Tunnel war ungeduldiges Zischen zu
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hören, das von einer der Vipern an Quenthels Peitsche stamm te. Einen Augenblick später nahm er den Geruch frisch ver gossenen Blutes wahr. Quenthel tauchte am Eingang zur Höh le auf und gab Pharaun einen Becher. Der Magier bewegte sich vorsichtig den abfallenden Weg hinab und hielt den Becher so, daß er dessen Inhalt nicht verschüttete. Quenthel und Danifae traten zu Valas Hune, um an ihm vorbei einen Blick in die Höhle zu werfen. Quenthel schnippte mit den Fingern, dann kam Jeggred hinter ihr durch den Tun nel. In der eiskalten Luft bildete der übelriechende Atem des Halbdämons Wölkchen. Eine seiner großen Hände hatte er um das Handgelenk einer kleineren Hand gelegt, zwischen den Fingern trat Blut hervor, das zu seinen Füßen auf den Steinbo den troff. Nur einen Moment später erschien auch Ryld, der endlich aufgehört hatte, immer wieder nervös hinter sich zu sehen. Pharaun befand sich bereits auf dem Eis und schlitterte auf der glatten Oberfläche dahin. Während die anderen ihn beo bachteten, zog er einen Dolch und schnitt mit ihm tiefe Rin nen ins Eis, die einen riesigen sechszackigen Stern ergaben. Als er fertig war, betrachtete er sein Werk und hielt Ausschau nach Mängeln. Quenthel sah stirnrunzelnd zu dem Magier hinab. »Sechs Zacken?« fragte sie. »Warum kein Standard-Pentagramm?« Pharaun zuckte die Achseln und erwiderte: »Jeder kann mit einem Pentagramm einen Dämon rufen. Ich tue derlei Dinge gern etwas prahlerischer.« Er ging um das Diagramm herum und träufelte das Blut aus dem Becher in eine der Rinnen, die er ins Eis geritzt hatte. Dann hob er die Hand und rief: »Jeggred, komm her.« Nach einem kurzen Blick zu Quenthel – die bestätigend nickte – trottete der Draegloth auf den gefrorenen Teich zu
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und trat unterwegs Steine los, die übers Eis rutschten. Er über querte die erstarrte Oberfläche, bis er den Magier erreichte, dann öffnete er gehorsam die Hand und ließ seinen blutenden Arm los, als Pharaun ihm das mit einer Geste zu verstehen gab. Der Magier nahm den Arm und hielt den Becher unter die geöffnete Ader, bis er wieder voll war. Dann bedeutete er Jeggred, die Wunde wieder zuzudrücken, während er weiter die Rinnen des Diagramms mit Blut füllte. Zweimal mußte er den Prozeß wiederholen, ehe das Bild vollständig war. Trotz des beträchtlichen Blutverluste verhielt sich der Draegloth während der gesamten Prozedur völlig un beteiligt. Als Pharaun ihn wegschickte, kehrte er zu den ande ren zurück, die am Eingang zur Höhle warteten. »Jetzt«, begann Pharaun, räkelte sich und drückte seine Finger durch, »zum schwierigen Teil.« Aus einer Tasche zog er eine Kerze hervor, schnitt sie in sechs Stücke und bearbeitete jedes von ihnen so, daß der Docht herausragte. Er ging um den Stern herum, schnitt an jeder Spitze eine Vertiefung ins Eis und stellte ein Stück Kerze hinein. Dann trat er einen Schritt zurück und schnippte mit den Fingern. Augenblicklich begannen alle Kerzen zu bren nen. Ihre Wärme ging auf magische Weise auf das Blut über, das in den Rinnen im Eis gefroren war. Das Blut verflüssigte sich wieder und begann zu zirkulieren und durch die Adern des Hexagramms zu fließen. Valas Hune kniff die Augen zusammen, da das flackernde gelbe Licht seine Dunkelsicht störte. Die mit Reif überzogenen Höhlenwände fingen die Beleuchtung auf und funkelten wie mit Millionen winziger Diamanten besetzt. Die Kerzen flackerten, die Flammen neigten sich ein wenig zur Seite. Als Valas das sah, nickte er. Die Höhle war keine Sackgasse. Irgendwo mußte es einen Riß im Gestein geben, durch den der Luftzug entstand.
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Pharaun stand da, die Hände über das Hexagramm ge streckt, und begann, monoton zu singen. Während seine Wor te in der beengten Umgebung von den Wänden widerhallten, brannten die Kerzen mit unglaublicher Geschwindigkeit ab, so daß sie schließlich nur noch als kleine Wachslachen auf dem Eis erkennbar waren. Dennoch brannten die Dochte weiter, und als sie das Eis berührten, verwandelte sich die Farbe der Flammen in ein strahlendes Blau. Die Flammen pulsierten an den Linien des Symbols entlang und vermischten sich mit Jeggreds Blut, wobei sie ein geisterhaft leuchtendes Purpur annahmen. Als Pharauns Gesang sich zu einem Crescendo steigerte, klatschte er über dem Kopf in die Hände. Der Donnerschlag, der daraufhin erschallte, übertönte Valas Keuchen und Jeggreds rauhes Grunzen. Einen Moment lang schien sich die kalte Luft in der Höhle förmlich zerreißen zu wollen. Durch den entstehenden Spalt sah Valas die aufgewühlten rot schwarzen Wolken und die glühendheißen Flammen des Abyss. Dann war ein wütendes und zugleich beleidigtes Brül len zu hören, als eine gewaltige, humanoide Gestalt durch das Portal zwischen den Ebenen flog und taumelte wie von einer unsichtbaren Hand gestoßen. Pharaun wich ein paar Schritte zurück, erlangte aber schnell die Fassung zurück. »Er hat es geschafft«, sagte Quenthel. »Ja«, stimmte Danifae ihr bei und klang ehrlich beein druckt. Valas Hune merkte, daß er sein Glücksamulett fest um klammert hielt. Sofort ließ er los und bewegte seine Hand statt dessen zum Heft seines Dolchs. Der Dämon – ein Glabrezu – war fast dreimal so groß wie ein Drow und mit Muskeln bepackt. Er besaß vier Arme – zwei mit Händen, zwei mit immensen Scheren – und einen Kopf,
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der dem eines Hundes ähnelte. Sein Leib verbreitete einen Gestank, der so roch, als würden verwesende Leichen über einem Schwefelfeuer geröstet. Die Haut war so schwarz, daß es kaum möglich war, seine Gesichtszüge klar und deutlich zu sehen, wenn man von dem flachen Maul absah, das mit knir schenden gelben Zähnen gespickt war. Genauso hoben sich die Augen ab, die mit unerbittlicher Intensität leuchteten, als wirble der gesamte Zorn des Abyss in den violetten Tiefen. »Du wagst es, mich zu rufen?« dröhnte der Glabrezu so laut, daß sich kleinere Steine aus dem Fels lösten und aufs Eis fielen. »Du wagst es!« Mit einer Geste, die Pharauns Ritual zu verhöhnen schien, hob der Dämon die Hände über den Kopf und ließ Flammen aus den gespreizten Fingern schießen. Das gleißende Feuer erfüllte die gesamte Höhle mit grellem Licht, das die Drow blendete. Hohnlächelnd richtete der Dämon die Hände auf Pharaun und schickte eine horizontale Flammenfront gegen den Magier. Doch statt Pharaun einzuhüllen, wurden die Flammen von der äußeren Linie des Hexagramms aufgehalten und jagten an den Blutadern entlang von einer Sternspitze zur nächsten, bis sie allmählich langsamer wurden. Sie brachten jedoch nicht das Eis zum Schmelzen, vielmehr schienen die Flammen zu erstarren und fielen dann scheppernd zu Boden, als zerbräche ein Stück Kristall. Pharaun verzog einen Mundwinkel zu einem leichten Grin sen. »Bist du jetzt mal langsam fertig, Belshazu?« fragte er tro cken. Der Dämon kniff die Augen zusammen. »Du kennst meinen Namen«, sagte er mit tiefer, grollender Stimme.
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»Ja«, sagte Quenthel, die hinter Valas stand, »und wenn du nicht für alle Ewigkeit in diesem Hexagramm gefangen sein willst, dann wirst du uns sagen, wo wir ein Tor finden können, das uns von diesem Reich ins Abyss führt. Sag es uns, und der Magier wird dich zurückschicken.« Belshazu grunzte, dann fiel er auf die Knie und schnüffelte an dem Symbol, das ihn band. Als der Dämon wieder aufsah, erfaßte sein Blick Jeggred. »Draegloth-Blut«, knurrte er. »Darum wollte sich dieses Miststück von Drow mit mir paaren. Wie hieß sie doch gleich? Tral? Tüll? Nein ... Triel.« Der Dämon spie einen Klumpen stinkenden Schleim auf das Eis, dann fügte er angewidert an: »Diese Hure.« Der Dämon sah an Pharaun vorbei zu der Gruppe von Drow, die ein Stück entfernt stand. In seinen violetten Augen loderte schreckliche Provokation, die Valas Hune veranlaßte, nach seinen Kukris zu greifen. Jeggred erwiderte das Knurren des Dämons. Er spannte sich an und ging sprungbereit in die Hocke. Quenthel vergrub sofort eine Hand in der zerzausten Mähne des Draegloth. Jeggred wollte einen Satz nach vorn machen, doch sie riß ihn noch rechtzeitig zurück. »Bleib hier«, befahl sie, und Jeggred gehorchte. Valas unterdrückte ein erleichtertes Seufzen. Er war froh, daß der Draegloth nicht versucht hatte, seinen Vater anzugrei fen. Hätte Jeggred auch nur einen Schritt in das Symbol hin ein gemacht, das mit seinem Blut gezeichnet worden war, dann wären die Linien, die den Dämon festhielten, gedehnt worden und gerissen. Genau das beabsichtigte der Dämon. Pharaun räusperte sich, woraufhin sich Belshazu ihm zuwandte. »Also«, sagte der Magier. »Wir müssen in den Abgrund der
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Dämonennetze. Wo ist das nächste Tor in den Abyss?« Belshazu bleckte die gelben Zähne zu einem Lächeln und betrachtete den Magier, als überlege er, welche Gliedmaßen er als erstes von Pharauns Leib reißen sollte. »Genau hier in der Höhle«, sagte der Dämon. »Hier unter meinen Füßen. Komm, ich zeige es dir.« Der Dämon beschwor wieder sein magisches Feuer, dann lenkte er die Flamme von seinen Händen nach unten, auf das Eis zu seinen Füßen. Da die Magie diesmal nicht versuchte, die Grenzen des Hexagramms zu überwinden, zeigte das Feuer Wirkung. Gewaltige Wasserdampfwolken stiegen auf, als das Eis schmolz, und raubten die Sicht auf den Dämon. Unter dessen Füßen entstand ein Krater, der sich mit Schmelzwasser zu füllen begann, doch dann tauchte Belshazu seine brennen den Hände in das Wasser und brachte es zum Kochen. Pharaun beugte sich vor, da er darauf erpicht war, das Portal zu sehen, das der Dämon versprochen hatte. Gleichzeitig griff er in eine Tasche seines Piwafwi. Jeggred krümmte noch immer seine Klauen, da er seine Wut über die an seine Mutter gerich tete Beleidigung kaum beherrschen konnte. Danifae und Ryld standen am Eingang zum Tunnel und unterhielten sich in Zeichensprache. Valas hatten sie den Rücken zugewandt, so daß er nicht erkennen konnte, was sie sich zu sagen hatten. Neben ihm wurde Quenthel plötzlich unruhig. »Haltet Belshazu auf!« rief sie. »Er versucht ...« Ihr Befehl wurde von dem zischenden Dampf und dem Bro deln des kochenden Wassers übertönt. Valas Hune konnte Quenthel nur hören, weil sie direkt neben ihm stand. Dann sah er, worauf sie zeigte: Der Rand des Kraters, in dem der Dämon bis zu den Knien im Wasser stand, sackte weg und näherte sich der Linie des Hexagramms. Als Pharaun erkann te, was Belshazu plante, war es bereits zu spät.
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Mit ohrenbetäubendem Zischen brach die Rinne mit dem flüssigen Blut ab, viel ins kochende Wasser und war ver schwunden. Das Hexagramm war zerstört. »Magier – du gehörst mir!« Belshazu watete triumphierend brüllend durch das kochen de Wasser auf Pharaun zu. Die Augen schickten violetten Zorn auf den Magier, der so dumm gewesen war, es zu wagen, ihn zu binden.
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Ryld zog den Beutel mit Sand aus der Tasche seines Piwafwi und legte ihn auf ein Sims an der Stelle der Felswand, an der sich der Tunnel gabelte, dann balancierte er einen großen Stein sorgfältig darauf aus. Aus seinem Köcher zog er einen der Armbrustbolzen, die Halisstra von den Oberflächen-Elfen an sich genommen hatte, und überprüfte die Spitze mit ihren Widerhaken, ob Spuren von Gift daran zu entdecken waren. Als er nichts fand, ritzte er mit der Spitze seine Handfläche. Das Blut schmierte er an die Tunnelwand, dann brach er die Spitze ab. Während er den Bolzen auf den Boden legte, sah er nervös zurück zur Gabelung, besorgt, jemand könnte das Ge räusch wahrgenommen haben. Stille. Das Zerbrechen des Bolzens war recht leise gewesen, und offenbar hatte es keinen Argwohn erregt, da niemand zu ihm kam, um nach dem Rechten zu sehen.
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Er ballte die Faust um ein Stück Stoff, um die Blutung zu stoppen, dann warf er es neben den zerbrochenen Bolzen auf den Tunnelboden. Aus einer anderen Tasche holte er sein tragbares Loch, faltete die Ätherspinnenseide auseinander und legte es unterhalb des mit Sand gefüllten Beutels auf den Bo den. Behutsam zog er die Schnur des kleinen Beutels gerade so weit auf, daß ein feiner Streifen Sand in das tragbare Loch rieselte. Als alles vorbereitet war, eilte er den steilen Gang entlang nach unten, wo die anderen am Höhleneingang warte ten. Er hatte befürchtet, Jeggred würde das frische Blut an seiner Handfläche riechen, doch der Draegloth schien selbst etwas Blut vergossen zu haben. Allerdings starrte Danifae ihn an, als er zurückkam. Ryld achtete kaum darauf, wie Pharaun den Dämon be schwor, sondern konzentrierte sich darauf, im Geist stumm mitzuzählen, was er tat, seit er den Beutel zurückgelassen hatte. Er sah jedoch beunruhigt hinab, als der Dämon Pharaun sagte, direkt unter dem gefrorenen Teich läge ein Portal in den Abyss. Es war offensichtlich eine Finte, aber Pharaun kam nicht darauf zu sprechen. Vielmehr sah er nur zu, als die Hän de des Dämons ein zweites Mal Flammen spien, und wirkte interessiert daran, was der Dämon als nächstes tun würde. Ryld konzentrierte sich wieder darauf, stumm mitzuzählen. Fünfzehn, vierzehn, dreizehn ... jeden Augenblick würde es soweit sein. »Hört doch«, sagte er und berührte Danifaes Arm. »Hört Ihr das?« Danifae warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. Dann war aus dem Tunnel der Aufprall des Steins zu hören, der auf dem steil abfallenden Boden weiterrollte. Danifaes Augen weiteten sich leicht.
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»Jemand ist –« Sie wurde von einem Zischen unterbrochen, in der Höhle vor ihnen stiegen gewaltige Dampfwolken auf. Ryld sah, daß der Dämon das Eis schmolz, machte den Mund auf, um eine Warnung zu rufen und ... ... schloß den Mund wieder. Der Dämon war Pharauns Prob lem. Ryld wechselte zur Zeichensprache, da er das Zischen des kochenden Wassers nicht übertönen könnte. Wer immer das ist, ich werde dafür sorgen, daß es ihnen leid tut, daß sie uns gefolgt sind. Sagt Quenthel, wohin ich gegangen bin. Ihr lauft Halisstra nach, warf Danifae ihm vor. Ryld stutzte, überrascht über ihre direkte Art – und über die Zustimmung, die er in ihren Augen sah. War sie froh, daß doch noch jemand ihre Herrin beschützen würde? Nein, widersprach er, entschlossen, sein Täuschungsmanö ver durchzuziehen. Ich komme wieder. Als Beweis könnt Ihr das hier behalten. Er streifte den unwichtigeren seiner beiden magischen Rin ge ab und gab ihn Danifae, ließ ihn dann aber absichtlich fallen. Der Ring prallte vom Fels ab und rollte die Schräge hinab, dorthin, wo die anderen standen. Danifae eilte ihm nach und versuchte, den Ring zu fassen zu bekommen, ehe Quenthel oder die anderen ihn für sich beanspruchen konn ten. Ryld wandte sich ab und lief den Tunnel entlang, durch den sie gekommen waren. Er sah, daß Valas Hune ihm einen kur zen, fragenden Blick zuwarf. Dann hörte er Quenthel Pharaun eine Warnung zurufen. Im nächsten Moment erfüllte Tri umphgeheul die Höhle. Der Dämon hatte sich befreit. Ryld hatte schon etliche Schritte zurückgelegt und lief ge schwind durch den schmalen Tunnel, durch den sie in die Höhle gelangt waren. Hinter ihm wurde das Gebrüll lauter,
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begleitet von lautem Wasserplätschern und entsetzten Schrei en. Ein eiskalter Windhauch erfaßte ihn, der eindeutig durch einen Zauber ausgelöst war. Nur wußte Ryld nicht, ob Pharaun ihn gewirkt hatte oder der Dämon. Plötzlich hörte er eine Männerstimme, die vor Schmerz schrie. War das Pharaun? Einen Herzschlag lang spielte er mit dem Gedanken, umzu kehren, doch dann entschied er sich dagegen. Pharaun ver diente es, am eigenen Leib zu erfahren, wie es war, wenn man plötzlich nicht mehr auf einen Freund zählen konnte. Er lief weiter und ignorierte den Kampflärm aus der Höhle. Als er den mittlerweile leeren Beutel erreichte, blieb er kurz stehen, um ihn von dem Felsvorsprung zu nehmen und in das tragbare Loch zu werfen. Dieses faltete er zusammen, denn ausschütteln konnte er es, wenn er die Oberfläche erreicht hatte. Wenn die anderen den Angriff des Dämons überleben und nach ihm suchen sollten, dann würde es keinen Hinweis auf den Trick geben, mit dem er sie getäuscht hatte. Ryld eilte weiter den Weg entlang, den sie von der Oberflä che gekommen waren. Er hatte sich die Strecke gut eingeprägt und sich immer wieder umgedreht, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie sich die Umgebung gestaltete, wenn man sie aus der entgegengesetzten Richtung sah. Er passierte die Stelle, an der sie über Geröll hatten klettern müssen, das von der Decke herabgestürzt war, dann erreichte er die lange, enge Höhle, in der ein schmales Wasserrinnsal dafür gesorgt hatte, daß ein leuchtender Flecken Flechte hatte wachsen können. Als nächstes gelangte er an den natürlichen Kamin, der einige hundert Schritt nach oben und unten reich te und von dem etliche schmale Stollen abgingen. Dort angekommen sah Ryld nach oben und zählte. Der drit te Tunnel, der ein wenig rechts von ihm lag, stellte den Weg dar, den sie gekommen waren. Er berührte seine magische
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Brosche, die an seinem Hemd prangte, dann machte Ryld einen Schritt nach vorn und schwebte nach oben. Als er sich der Tunnelöffnung näherte, hörte er aus dem Gang ein leises Geräusch, das er sofort als Klirren eines Ket tenhemdes identifizierte. Augenblicklich schlug er die Kapuze hoch und zog die Füße an, bis sie sich oberhalb des Saums seines Piwafwi befanden. Die Magie seines Mantels hüllte ihn ein und ließ seinen Körper eins mit den Schatten werden. Er ließ sich so an der Öffnung vorbei weiter nach oben treiben, daß der Verursacher des Geräuschs nicht sehen konnte, daß sich ein Schatten im Schatten bewegte. Gut ein Dutzend Schritt über der Öffnung hielt er inne und atmete so kontrol liert, daß nicht das leiseste Geräusch über seine Lippen kom men konnte. Geduldig wartete er. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ein dunkles Gesicht in der Tunnelöffnung auftauchte. Die schwarze Haut des un bekannten Drow verschmolz mit der Dunkelheit im Tunnel hinter ihm, und das galt auch für die schwarze Maske, die die untere Gesichtshälfte bedeckte – das Symbol eines Klerikers Vhaerauns –, doch das weiße Haar und die schwach rötlich leuchtenden Augen bildeten einen krassen Gegensatz zur Um gebung. Er sah nach oben, wo Ryld schwebte. Ein solcher Kamin war der ideale Platz für einen Hinterhalt. Langsam legte Ryld einen Finger um den Abzug der Arm brust, die an seinem Handgelenk hing, doch der Kleriker schien ihn nicht gesehen zu haben. Nach einem kurzen Blick in den Kamin über ihm richtete der Kleriker seine Aufmerksamkeit nach unten. Aus einer Tasche seines Piwafwi zog er ein gespaltenes Stück Knochen, das er mit Daumen und Zeigefinger beider Hände in den Ka min hielt, um dann die Worte eines Zaubers zu sprechen. Der Knochen strahlte ein sanft purpurnes Licht aus, doch dann
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verschmolz das Licht an der Spitze des V-förmigen Knochens und wuchs zu einem zischenden purpurnen Funken heran. Der Funke schwebte ein Stück nach oben, hielt kurz an und be wegte sich dann langsam, aber gleichmäßig nach unten. Vor dem Tunnel, aus dem Ryld eben gekommen war, verharrte das Licht und erlosch dann. Der Priester wandte sich ab und machte jemandem, der sich hinter ihm Tunnel befand, Zeichen: Sie sind dort entlang. Damit war Rylds Verdacht bestätigt. Der Kleriker gehörte zum Haus Jaelre und wollte den Tod seines Hohepriesters rächen. Schweigend sah Ryld zu, wie sich der Kleriker und zwei gut bewaffnete Männer im Kamin nach unten bewegten. Der Kle riker und einer der Krieger traten einfach in den Kamin und ließen sich nach unten sinken, der andere Krieger war gezwun gen, in dem engen Schacht nach unten zu klettern, indem er den Rücken gegen die eine Wand drückte und sich mit Hän den und Füßen an der anderen Wand abstützte. Taktisch war das für Ryld der ideale Moment, um zuzuschlagen – oder um zu fliehen, da die Geräusche des Mannes, der nach unten klettern mußte, laut genug waren, um jeden Laut zu überdecken, den er womöglich machen würde, wenn er in dem Tunnel ver schwand, aus dem sie eben gekommen waren. Quenthel Baenre interessierte Ryld nicht. Er hatte sie nur begleitet, weil man es ihm befohlen hatte. Valas konnte in einem Kampf auf sich selbst aufpassen, und Danifae stammte aus einer anderen Stadt, so daß sie Ryld ebenfalls nicht inte ressierte. Aber Pharaun ... zugegeben, er war ein mächtiger Magier, doch er hatte sich eben erst einen Kampf mit einem Dämon geliefert und würde für diese drei eine leichte Beute sein ... Er schlug seinen Piwafwi zur Seite und feuerte die Armbrust
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auf den Kleriker ab. Der Bolzen traf den Drow an der Wange und hinterließ einen roten Streifen auf der Haut. Als das star ke Gift des Widerhakens in seinen Blutkreislauf eindrang, verlor der Kleriker mitten im Schweben den Halt und war gezwungen, sich an der Öffnung eines der vielen Tunnels fest zuklammern, da seine Levitationsmagie ihn augenblicklich im Stich ließ. Er kroch in den Tunnel und blieb zitternd liegen, während sich seine Lippen hastig bewegten, als er in aller Eile ein Gebet flüsterte. Ryld berührte seine Brosche und sackte wie ein Stein in dem Kamin nach unten. Im Fallen drehte er sich, zog gleich zeitig sein Kurzschwert und trat aus, als er den kletternden Drow erreichte. Gegen die Felswand gestemmt, konnte der Mann nur die Augen zukneifen, während Ryld nach seinem Gesicht trat. Der Treffer wirbelte seinen Kopf so heftig herum, daß ein lautes Bersten zu hören war, als er gegen die Wand schlug. Kurz darauf fiel er bewußtlos hinter Ryld durch den Kamin. Ryld stieß sich von der Wand ab, berührte wieder seine Bro sche und brachte seinen Sturz unter Kontrolle. Der bewußtlose Drow passierte ihn und schlug auf dem Boden des Kamins auf. Inzwischen hatte der schwebende Krieger einen mit Dornen besetzten Streitkolben gepackt, um anzugreifen. Ryld ließ sich zu ihm herabsinken, das Kurzschwert in der Hand. Sein Widersacher rief einen kurzen Befehl, woraufhin der Kopf des Streitkolbens in hellem, magischem Licht erstrahl te. Von der plötzlichen Helligkeit geblendet drehte sich Ryld instinktiv rasch zur Seite weg und hörte im nächsten Moment, wie der Streitkolben ein Stück neben seinem Kopf in die Fels wand gerammt wurde. Wieder trat Ryld aus, verfehlte aber sein Ziel. Der andere Krieger war daran gewöhnt, bei Tageslicht zu kämpfen, daher hatte er diesen Angriff kommen sehen.
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Fluchend beschwor Ryld magische Finsternis, die den Ka min erfüllte. Nun konnte keiner von beiden den anderen se hen, sondern beide mußten die Ohren spitzen, um trotz der unablässigen Gebete des Klerikers jedes feine Rascheln von Stoff und jedes noch so leise Scheppern der Rüstung wahrzu nehmen und zu lokalisieren, wo sich der Gegner befand. Ein Luftzug warnte Ryld vor einem zweiten Hieb mit dem Streitkolben. Hastig wirbelte er aus dem Weg und fiel unab sichtlich ein Stück nach unten, da seine Levitationsmagie für einen Moment versagte. Sein Schwertarm kratzte an der Ka minwand entlang, und im nächsten Augenblick traf ihn der Streitkolben mit voller Wucht am Ellbogen, worauf der Arm bis hinunter in die Fingerspitzen taub wurde. Er versuchte auszuholen, doch das Schwert entglitt seinen Fingern. Der Streitkolben traf ihn ein zweites Mal, diesmal in die Magengrube, und auch wenn Rylds Brustpanzer die Dornen davon abhielt, in seinen Körper einzudringen, war die Wucht des Schlags so groß, daß er unwillkürlich aufstöhnte. Sein Gegner war viel besser, als Ryld erwartet hatte. Tief unter ihm hörte er das Kurzschwert am Grund des Ka mins aufschlagen. Unterdessen flüsterte der Kleriker seine Gebete nicht mehr, sondern war lauter geworden und hatte zu einem monotonen Gesang angesetzt. Offenbar bediente er sich seiner Magie, um das Gift zu bekämpfen. Wenn Ryld sich nicht beeilte, würde er es bald mit zwei Gegnern zu tun haben. Sein Zweihänder, den er auf dem Rücken trug, war in dem engen Kamin nutzlos, und wenn er Splitter nicht einsetzen konnte, mußte er den Nahkampf wählen. Er stieß sich von der Wand ab und brachte sich horizontal zu der Stelle in Position, an der er seinen Gegner atmen hörte. Seine Finger berührten ein Kettenhemd, doch dann hörte er schon wieder den Streitkolben nahen. Er fuhr herum, aber
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dennoch traf ihn die Waffe an der Schulter. Daß er nicht ver letzt wurde, hatte er dem Ring in Form eines Drachen zu ver danken, der Ryld als einen Meister Melee-Magtheres auswies – dessen Magie machte seine Haut und sein Fleisch so zäh wie das eines Drachen. Die Dornen des Streitkolbens verbogen sich, als sie auftrafen, und die Waffe prallte ab. Ryld nutzte die Gelegenheit, um sich am Körper seines Wi dersachers nach oben zu hangeln, indem er seine Finger in Schmerzpunkte grub. Der Mann stöhnte, als er Rylds Berüh rungen wahrnahm, und gab nur noch erstickte Laute von sich, als Ryld seine Kehle fand und ihm die Luft abdrückte. Sein Körper erschlaffte, und dann fiel auch er im Kamin nach un ten. Während des Kampfs mußten sie an Höhe verloren haben, da Ryld aus der magischen Dunkelheit kam und wieder sehen konnte – und der Kleriker konnte Ryld sehen. Er rief Vhaeraun an, riß sich die Maske vom Gesicht und warf sie nach Ryld. Der Waffenmeister wich aus und ließ sich fallen, doch die Maske folgte ihm mit der Schnelligkeit einer Fledermaus. Sie traf sein Gesicht und saugte sich mit einem nassen, unangenehmen Geräusch auf Mund und Nase fest. Ryld versuchte, sich die Maske abzureißen, aber sie klebte auf seiner Haut wie ein Schimmelpilz an einem Fels. Er konnte nicht atmen, denn ein simples Luftholen würde dafür sorgen, daß das Gift, das in der Maske steckte, bis tief in seine Lungen vordringen würde. Also tat er das einzige, was ihm noch blieb. Er berührte seine Brosche und ließ sich fallen. Tatsächlich gelang es ihm, gegen den Wunsch anzukämpfen, endlich ein zuatmen, während er den Vorsprung zu packen bekam, auf dem der Kleriker stand. Er hielt weiter die Luft an, als er den Kopf hochriß, sich auf den Vorsprung hochzog und mit einer elegan ten Bewegung auch seine Beine folgen ließ. Die geistige Diszip
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lin, die ihm von den Meistern Melee-Magtheres beigebracht worden war, gab ihm die Kraft zum Durchhalten, als er einen Satz auf den erschrockenen Kleriker zu machte. Dunkle Fun ken tanzten bereits vor seinen Augen, als er das Limit dessen erreichte, was sein Körper leisten konnte, ohne Luft holen zu müssen – aber er überwand dieses Limit und stürmte weiter vor. Mit vor Furcht weit aufgerissenen Augen tänzelte der Kleri ker nach hinten, um Ryld auszuweichen. Dann gingen die Nerven mit ihm durch, und er floh, wobei er die Worte eines Gebets herausschrie. Ein Kreis absoluter Finsternis tauchte unmittelbar vor ihm mitten in der Luft auf, er sprang hinein und war verschwunden. Im nächsten Moment verschwand die Maske von Rylds Ge sicht, der endlich wieder einatmen konnte und sich gegen eine Wand lehnen mußte, bis er wieder zu Atem gekommen war. Für den Augenblick war die Situation geklärt. Der Kleriker hatte sich mit Hilfe seiner Magie in Sicherheit gebracht, und die beiden Krieger lagen tot am Fuß des Kamins. Selbst wenn es dem Kleriker gelang, Pharaun und die anderen zu finden, hatte Ryld deren Chancen deutlich verbessert. Inzwischen würden die beiden Leichen ihm einen guten Vorwand liefern, daß er nach jemandem Ausschau hielt, der sie verfolgte. Wenn die anderen auf diesem Weg zurückgingen, auf die beiden to ten Krieger stießen und anhand der Spuren erkannten, daß noch ein dritter Mann im Spiel gewesen war, dann würden sie angesichts der Tatsache, daß Ryld nicht zu ihnen zurückge kehrt war, zu der Auffassung gelangen, man habe ihn gefan gengenommen und zur Minauth-Feste gebracht. Perfekt. Er trat wieder hinaus in den Kamin und ließ sich sinken, um das Schwert zu bergen, das ihm aus der Hand gefallen war. Die beiden toten Krieger hatten sich als Gewirr aus Gliedmaßen
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am Fuß des Kamins zwischen den Felswänden verkeilt. Rylds Schwert steckte zwischen ihnen. Er drehte die obere Leiche zur Seite, um sein Schwert besser greifen zu können – und hielt erschrocken den Atem an, als aus der zerrissenen Tasche eines der Krieger ein Paar Leder handschuhe fiel. Es genügte ein Blick, um das Zeichen des Hauses Melarn zu erkennen, das ins Leder eingeprägt war. Es waren Halisstras Handschuhe, deren weiches Leder von getrocknetem Blut hart geworden war. Angst durchzuckte Ryld wie ein eisiger Strom. Bedeutete das, daß Halisstra getötet worden war? Wenn ja, dann war der einzig logische Weg für ihn, zu den anderen zurückzukehren – vorausgesetzt, der Dämon hatte sie nicht längst verspeist – und den Gedanken an ein Leben an der Oberfläche aufzugeben. Es war ohnehin Halisstras Idee gewesen. Wenn sie tot war, gab es keinen Grund, allein weiterzumachen. Aber wenn sie noch lebte ... Ryld schüttelte den Kopf und war wütend auf sich selbst. Er schuldete Halisstra nichts, sagte er sich. Ihr nachzugehen war einfach verrückt. Seine Faust umschloß die blutigen Handschuhe, dann stopf te er sie zornig in eine Tasche seines Piwafwi, berührte die Brosche und schwebte im Kamin nach oben.
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Pharaun grinste breit, als Belshazu durch das kochende Wasser auf ihn zugewatet kam. »Dämonen sind ja so berechenbar«, meinte er kopfschüt telnd. Er hob den Glaskegel, den er in seiner Hand verborgen hielt, und sprach ein Kommandowort. Ein eisiger Windstoß trat aus dem Kegel aus und traf den Dämon mit voller Wucht. Schweiß verwandelte sich auf Belshazus breiter Brust zu fun kelnden Eiskristallen, schmolz aber wegen der Hitze und der heftigen Bewegungen der Kreatur rasch wieder. Als der Kälte kegel das knietiefe Wasser traf, war das Wasser rings um den Dämon sofort wieder gefroren. Belshazu stellte fest, daß er in dem bis zu seinen Knien rei chenden Eis gefangen war, also richtete er die aus seinen Hän den austretenden Flammen erneut nach unten, doch diesmal
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wollte das Eis nicht schmelzen. Pharauns Grinsen wurde noch breiter, als er sah, daß sein Plan funktionierte. »Danke, daß du den Teich umgerührt hast«, sagte er zu dem Dämon. »Damit hast du Jeggreds Blut gut verteilt. Ach ja, und noch etwas solltest du erfahren. Wußtest du, daß Eiskristalle immer sechs Seiten haben? Wie Blutkristalle, weil Blut zum größten Teil aus Wasser besteht. Sie bilden immer kleine He xagramme. Millionenfach.« Es dauerte einen Moment, bis Belshazu begriff, was Pharaun ihm sagte. Als er verstand, brüllte er noch lauter als zuvor und schlug mit den Scheren auf das Eis ein, in dem er feststeckte. Zwar waren die Treffer laut genug, um in der Höhle ohrenbe täubend widerzuhallen, doch auf der gefrorenen Oberfläche zeichneten sich weder Risse ab, noch splitterte etwas von dem dicken Eis ab. Die Anstrengungen schienen Belshazu zu schaf fen zu machen. Nach wenigen Schlägen keuchte er und schnappte angestrengt nach Luft. »Also«, fuhr Pharaun fort, »du wolltest uns erzählen, wo wir das nächste Portal in den Abyss finden kö...« Mit einem Satz, der ihm die Galle bis in die Kehle aufstie gen ließ, stürzte Pharaun der Höhlendecke entgegen, da mit einem Mal die Schwerkraft umgekehrt war. Der Dämon moch te im Eis festsitzen, aber Magie konnte er nach wie vor wirken. Die Verschiebung der Schwerkraft erfolgte so abrupt, daß Pha raun zu überrascht war, um seinen Fall mit Levitationsmagie zu bremsen. Statt dessen prallte er so hart gegen die Höhlende cke, daß ihm die Luft aus den Lungen gepreßt wurde. Danifae und Jeggred knallten einen Moment später gegen die Decke, während Valas Hune mit katzengleicher Anmut auf den Füßen landete. Quenthel schaffte es als einzige, zu schweben, ehe sie mit der Decke in Berührung kam.
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Der Dämon schlug nach Pharaun und machte sich so lang, wie es ihm nur möglich war, solange seine Füße im Eis fest steckten. Eine der Scheren erwischte Pharauns Fuß und schnitt sich durch den Stiefel, bis sie auf den Knochen traf. Pharaun schrie vor Schmerz auf und versuchte, an den Felsen Halt zu finden, als der Dämon versuchte, ihn zu sich zu ziehen. Im nächsten Moment huschte etwas an ihm vorüber: Valas. Magie verlieh ihm eine übernatürliche Schnelligkeit, so daß der Söldner über den schroffen Fels der Decke rennen konnte, in jeder Hand einen Dolch, mit denen er auf den Dämon ein schlug. Eine der verzauberten Klingen schnitt tief in Belshazus Handgelenk und sprühte blaue Funken magischer Energie, als sie den Knochen durchtrennte. Der Dämon heulte wütend auf und schlug mit der verbliebenen Schere nach seinem neuen Ziel, doch Valas Hune war schon wieder außer Reichweite. Als Pharaun sah, wie die abgetrennte Schere von seinem blutigen Fuß abfiel, ließ er sich von der Decke schweben, um nicht länger in Reichweite des Dämons zu sein. Belshazu schrie noch immer, übelriechendes schwarzes Blut strömte aus dem durchtrennten Gelenk. Dann kehrte er den soeben gewirkten Zauber um, woraufhin Danifae und Valas Hune wieder auf den Höhlenboden stürzten. Sofort stand der Söldner auf, um Bels hazu mit seinem Dolch zu bedrohen. Quenthel und Jeggred landeten hinter Pharaun. Pharaun, der seinen verletzten Fuß schonen mußte, landete hinter dem Dämon auf dem Eis. Blut lief aus seinem zerschnit tenen Stiefel und verteilte sich auf der kalten Oberfläche, auf der es rasch zu einer rosafarbenen Masse gefror. Er holte eine kleine Metallflasche aus einer Tasche seines Piwafwi, zog den Stopfen heraus und trank den Inhalt. Der Heiltrank wirkte fast sofort und betäubte den Schmerz wie ein Glas Spitzenpilz branntwein. Einen weiteren Augenblick später war sein ver
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wundeter Fuß wieder heil. Vorsichtig belastete er ihn und spürte nur noch ein leichtes Kribbeln. Wäre der aufgeschnit tene Stiefel nicht gewesen, es hätte keinen Hinweis mehr auf seine Verletzung gegeben. Von der Schräge, auf der die anderen gelandet waren, er tönte das leise, wütende Zischen der Vipern an Quenthel Baenres Peitsche. Die Stimme ihrer Herrin war gleichermaßen ungehalten. »Pharaun! Hört auf, Zeit zu vergeuden. Veranlaßt Belshazu dazu, uns zu sagen, was wir wissen wollen.« Pharaun reagierte mit einer kurzen Verbeugung in Quenthels Richtung, dann wandte er sich wieder Belshazu zu, der in dem gefrorenen Teich in sich zusammengesunken war, sein verletztes Körperglied gegen seine Brust drückte und vor Anstrengung rasselnd atmete. Er schien zu schmollen, doch das Feuer in seinen violetten Augen zeigte Pharaun, daß Bels hazu noch nicht gebändigt war. Wie ein Sava-Großmeister brachte Pharaun seinen letzten Trumpf ins Spiel. »Da ist noch etwas, das du wissen solltest«, sagte er dem Dämon. »Mein Zauber hat nicht nur den Teich gefroren, son dern auch den Wasserdampf in der Luft zu Eiskristallen werden lassen. Genau das fühlst du in deinen Lungen ... Tausende winziger Hexagramme, die sich in dein Fleisch schneiden. Sag uns, was wir wissen wollen, und ich werde dich freilassen, ehe dir noch mehr passiert. Hältst du uns weiter hin, dann wirst du sterben.« Während Belshazu darüber nachdachte, mußte Pharaun darauf achten, eine ernste Miene zu wahren. Ob die Eiskristal le in Belshazus Lungen wirklich irgend etwas verletzen konn ten, wußte er nicht ... aber es klang gut. Belshazu setzte zu einem neuen wütenden Aufschrei an, der
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aber in ein heftiges Keuchen überging. Der Dämon warf Pha raun einen schmerzerfüllten Blick zu, dann nickte er. »Ich weiß nichts von einem Portal«, knurrte er. Hinter Pharaun stieß eine von Quenthels Peitschenvipern ein leises, frustriertes Zischen aus. »Aber es gibt einen Weg, um von dieser Ebene in den Abyss zu gelangen«, fuhr der Dämon fort. »Es gibt ein Dämonenschiff, das bringt euch ...« »Ein Dämonenschiff?« wiederholte Quenthel Baenre. Belshazu warf ihr einen zornigen Blick zu. »Hast du je vom Blutkrieg gehört?« fragte er mit verächtlicher Stimme, als erwarte er, daß die Drow sich für die Geschehnisse in seiner Welt nicht interessierte. »Natürlich«, antwortete Quenthel. »Es ist ein Wettstreit zwischen dem Abyss und den Neun Höllen – ein ruhmreicher Krieg, der seit Millennien tobt.« »Ruhmreich?« gab Pharaun ungläubig zurück. »Ich würde eher sagen laut, nachlässig und völlig sinnlos. Keine Seite weiß noch, aus welchem Grund der Krieg überhaupt anfing. Ganz abgesehen davon, daß keiner von ihnen darauf hoffen darf, den Sieg davonzutragen.« »Die Teufel werden geschlagen werden!« warf Belshazu ein. »Früher oder später sicher«, konterte der Magier ironisch. »Aber im Moment wolltest du uns doch etwas von einem Schiff erzählen, nicht?« Der Dämon wandte sich knurrend von Pharaun ab und sah Quenthel an. »Vor langer Zeit fanden meinesgleichen eine neue Methode, um gegen die Neun Höllen vorzugehen. Wir bauten Schiffe aus Knochen, die von Bändern aus dem Geist der Manen zusammengehalten wurden, die uns dienten, und Segel aus abgezogener Haut hatten. Diese Schiffe segeln zwi schen den Ebenen und werden von Winden des Chaos ange
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trieben. Vor Jahrhunderten machte sich eines dieser Chaos schiffe auf den Weg zur Schattenebene, um nach einer neuen Route in die Neun Höllen zu suchen. Es segelte auf dem Schat tenfluß bis zu einer Stelle, an der der Fluß diese Ebene berühr te, und dort verloren wir es. Von der dreizehnköpfigen Besat zung kehrte nur einer zurück. Er brabbelte etwas davon, der Uridezu, der das Schiff befehligte, sei überwältigt worden, und sprach von einem entsetzlichen Sturm. Wir setzten die Mane der feurigen Peitsche und den Qualen siedenden Öls aus, doch er konnte uns nicht einen einzigen nützlichen Hinweis geben. Unmittelbar bevor das Schiff dem Sturm zum Opfer fiel, be suchte es noch eine Stadt in eurer Welt. Der Name der Stadt war für uns ohne Bedeutung, aber vielleicht sagt er euch etwas. Zanhoriloch.« Im Gegensatz zu Quenthel, die aufmerksam dem Dämon zu hörte, schien Valas Hune gar nicht auf ihn zu achten, sondern war damit beschäftigt, seinen Dolch von den klebrigen schwar zen Schlieren des Dämonenblutes zu befreien. Danifae stand hinter ihnen und machte aus ihrer Skepsis keinen Hehl, wäh rend sie mit einem Ring spielte. Jeggred leckte sein verletztes Handgelenk. »Diese Information ist nutzlos«, sagte Quenthel Baenre. »Wie sollen wir dieses Schiff finden, vorausgesetzt, es existiert? Ich habe noch nie von dieser Stadt gehört.« »Ich schon«, merkte Valas Hune beiläufig an. Als sich die anderen zu ihm umsahen, wischte er ein letztes Mal über sein Kukri und schob es in die Scheide zurück. »Es ist eine Stadt der Abolethen.« Pharaun verdrehte die Augen und sagte: »Das wird einfach immer besser, nicht wahr? Dieses Fischvolk sind die letzten Kreaturen, mit denen ich zu tun haben möchte.« Danifae regte sich plötzlich.
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»Herrin«, sagte sie, »Pharaun hat recht. Sollten wir nicht –« »Schweig«, fiel ihr Quenthel ins Wort. »Ich habe deine Feigheit bemerkt, habe gesehen, wie du dich einem kläglichen Mann gleich im Hintergrund hältst, und ich habe genug da von. Wenn ich deine Meinung hören will, Priesterin, dann werde ich dich danach fragen.« Danifae tat, wie ihr befohlen, und preßte die Lippen zu ei nem schmalen Strich zusammen, der erkennen ließ, wie wü tend sie war. »Zanhoriloch ist nicht weit von hier entfernt«, fuhr Valas fort. »Die Stadt liegt im Thorootsee.« »Im Thorootsee?« wiederholte Quenthel Baenre. »Abolethen leben im Wasser.« »Wie weit?« fragte sie. Valas runzelte die Stirn und überlegte. »Wenn ich den richtigen Tunnel finde«, antwortete er, »dann wird die Reise nicht länger dauern, als man benötigt, damit die Wärme sich in Narbondel ausbreitet.« Quenthel dachte darüber nach, dann fragte sie: »Wie groß ist dieser See?« »Gewaltig«, antwortete Valas. »Jedenfalls groß genug, um eine Stadt in sich aufzunehmen.« »Oder ein Schiff«, sinnierte Quenthel. »Wenn das Chaos schiff Zanhoriloch gerade erst verlassen hatte, als es in den Sturm geriet, könnte es am Grunde des Sees liegen. Dann wüßten nur die Abolethen von seiner Existenz.« Sie sah Bels hazu eindringlich ein. Vorausgesetzt, das Schiff ist noch intakt. Du hast gesagt, es ging ›verloren‹, Belshazu. Wie schwer wurde es beschädigt?« Belshazu zuckte die Achseln. »Die Mane sagte, es war noch intakt.« Quenthel kniff die Augen zusammen. »Warum haben die
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Dämonen dann nicht versucht, es zu bergen?« Belshazus Augen flammten auf. »Hast du mir nicht zuge hört, Drow? Ich sagte, wir haben es verloren – auf dieser Ebene, der übelsten von allen. Wie hätten wir es finden sollen?« Pharaun, der nur zuhörte, merkte, daß Danifae ihn anstarr te. Sie veränderte ihre Position so, daß Quenthel zwischen ihr und Belshazu stand. Als sie sah, daß Pharaun auf sie aufmerk sam geworden war, sprach sie hinter Quenthels Rücken per Zeichensprache mit ihm. Die Dämonen wissen nun, wo die Stadt nun ist. Wenn Ihr ihn freilaßt, wird er sofort – Pharaun erwiderte mit einer schnellen Bewegung seiner Finger: Ja. Mehr antwortete er nicht. Nach allem, was er wußte, be herrschte Belshazu die Zeichensprache. Wie üblich war es Valas, der die praktische Frage stellte: »Wenn wir das Schiff erst einmal gefunden und geborgen haben, wie steuern wir es dann?« Belshazu grinste verschlagen und erwiderte: »Das Schiff hat einen Mund. Ihr müßt ihm eine Seele füttern.« Quenthel setzte ein ebenso laszives Lächeln auf. Als Pha raun ihren Blick bemerkte, hatte er keinen Zweifel daran, wen sie am liebsten in den Schlund des Dämonenschiffs schieben würde. »Ja und?« hakte Valas nach, der noch immer an der prakti schen Seite des ganzen interessiert war. »Wenn das Schiff gefüttert worden ist, was tun wir dann?« »Segeln«, antwortete Belshazu verächtlich. »Es hat Segel, Leinen und eine Steuerstange. Dreht in den Wind und fahrt los. Folgt dem Schattenfluß und segelt über die Schattentiefe. Der Fluß verzweigt sich, wenn er den Abyss erreicht. Kleinere Arme ergießen sich in die Abgründe, die die Ebene der unzäh
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ligen Portale durchziehen. Eines dieser Portale führt zur sechs undsechzigsten Ebene. Folgt dem rechten Flußarm, dann bringt das Schiff euch in den Abgrund der Dämonennetze.« Pharaun sagte nichts. All das klang ihm höchst dubios. Quenthels Augen jedoch leuchteten. Die Schlangen ihrer Peitsche zuckten aufgeregt und drängten ihre Herrin, sofort mit der Suche nach dem Chaosschiff zu beginnen. »Danke, Belshazu«, schnurrte sie. »Ich möchte mich für die entwürdigenden Unannehmlichkeiten entschuldigen, die dir dieser Magier bereitete.« Sie starrte Pharaun an, dann sagte sie knapp: »Laßt ihn frei!« Hinter ihr gestikulierte Danifae hektisch: Nein! Der Dämon wird nur darauf warten, daß wir das Schiff – Mit der Schnelligkeit einer ihrer Schlangen wirbelte Quenthel herum und zog die Peitsche aus dem Gürtel. Die Vipern zischten und schnappten nach Danifae. »Ich habe dir befohlen, nicht zu reden!« kreischte Quenthel. Danifae war so überrascht, daß sie nicht schnell genug rea gierte. Zwar wich sie zurück, doch der längsten Schlange ge lang es, die Haut ihrer Wange zu ritzen. Nachdem sie ihr Werk vollbracht hatte, zog sich die Viper zurück und betrachtete das Blut, das aus dem zarten Fleisch austrat. Als das Gift durch Danifaes Körper zu strömen begann, sank sie auf die Knie und rang nach Luft. Quenthel starrte Danifae kühl an und tätschelte den Kopf der Schlange, die ihr den fast tödlichen Kuß gegeben hatte. »Keine Sorge«, sagte sie. »Zinda ist zwar die größte Schlan ge, aber ihr Gift ist das schwächste. Du wirst überleben – wenn du stark genug bist.« Sie ging über Danifaes ersticktes Schluch zen hinweg und wandte sich wieder Pharaun zu. »Nun?« Pharaun verbeugte sich wieder – diesmal etwas tiefer – und
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sprach das vordringlichere Problem an. Vorsichtig. »Ich kann das Wort sagen, das Belshazu freilassen wird, aber er kann erst dann in den Abyss zurückkehren, wenn das Eis geschmolzen ist«, sagte er dann zu Quenthel. »Dann beschleunigt das«, gab sie zurück. »Füllt die Höhle mit einem Feuerball.« Pharaun hob eine Braue. »Da ich wußte, daß wir uns in den Untergrund begeben und uns somit in einer beengten Umgebung aufhalten würden, habe ich diesen Zauber nicht vorbereitet«, erwiderte er, mußte sich aber zurückhalten, nicht das auszusprechen, was ihm wirk lich durch den Kopf ging. Quenthel Baenre benahm sich noch dümmer als sonst, so daß sich Pharaun ernsthaft fragte, warum die anderen darauf beharrten, ihr zu gehorchen. Jeggred war geistlos und wie ein Sklave der nächstbesten hochrangigen Frau seines Hauses gegenüber loyal. Valas Hune wurde dafür bezahlt, daß er mitreiste. Aber Danifae mußte doch längst erkannt haben, daß ihre Loyalität nicht belohnt werden würde – vor allem, wenn Lolth schwieg und allem Anschein nach nicht mehr beobachtete, was ihre Diener ta ten. Valas Hune räusperte sich. »Das Eis wird mit der Zeit ohnehin schmelzen«, sagte er sachlich. »Was bedeuten schon ein oder zwei Tage Verzöge rung – für einen Dämon?« Als Quenthel zu ihm herumfuhr und sich beleidigt über sei ne »Frechheit« ausließ, wurde Pharaun klar, was sie beabsich tigte. Sie hoffte auf Belshazus Gunst. Wie ihre Schwester Triel hoffte Quenthel darauf, eines Tages eine unheilige Allianz mit einem Dämon einzugehen – und zwar nicht mit irgendeinem. Pharaun sah Jeggred an, der neben Quenthel hockte und
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die Zähne bleckte. Auch wenn diese Kreatur Lolths Segen haben mochte, brauchte Menzoberranzan nicht noch einen Draegloth, der mit seinem stinkenden Atem die Luft verpeste te. »Ich bin sicher, Belshazu wird sich daran erinnern, daß Ihr Euch für ihn eingesetzt habt«, versicherte Pharaun. »Ich bin auch sicher, daß er ... Euch seine Gunst erweisen wird ... wenn die Zeit gekommen ist.« Der Dämon ließ seine Zunge heraushängen, während er Quenthel lüstern anstarrte. Seine Ziegenhörner verliehen ihm das Aussehen eines Satyrs, wenn man den mißgestalteten Leib ebenso übersah wie die fehlende Schere. Pharaun schauderte. »Also gut«, sagte Quenthel. »Sagt das Wort, das ihn frei setzt, Pharaun, dann kann Belshazu beizeiten in den Abyss zurückkehren. Wenn das Eis geschmolzen ist.« »Das werde ich – sobald Ihr anderen sicher hier raus seid.« Pharaun achtete darauf, nicht in die Reichweite der anderen Schere zu gelangen, und glitt über das Eis an dem Dämon vor bei, dorthin, wo die anderen standen. Er sah sich um, dann fragte er: »Wo ist Ryld?« Danifae, die die Wirkung des Gifts schon zum größten Teil erfolgreich bekämpft und sich erhoben hatte, stand mit wack ligen Knien da und erwiderte: »Wir hörten ... ein Geräusch ... im Tunnel hinter uns. Kurz bevor ... Belshazu sich befreien konnte. Ryld wollte nachsehen ... wer das Geräusch verursacht hatte.« »Er müßte längst zurück sein«, sagte Pharaun sorgenvoll. Quenthel sah zu Jeggred und hob ihr Kinn. Der Draegloth trottete in den Tunnel und kehrte Augenblicke später zurück. In der Hand hielt er einen abgebrochenen Armbrustbolzen. Er gab ihn Quenthel, seine Nase zuckte.
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»Blut«, brummte Jeggred. »Von Ryld.« »Wir sollten ihn suchen«, sagte Pharaun und wollte losge hen, als Quenthel ihn packte. »Ihr seid noch nicht fertig«, meinte sie und wies auf den Dämon. »Außerdem wäre das sinnlos. Der Waffenmeister schließt entweder zu uns auf oder nicht. Wir müssen weiter, sonst sitzen wir in dieser Sackgasse fest. Der Bolzen stammt aus der Armbrust eines Oberflächen-Elfen.« »Sie hat recht«, stimmte Valas Hune zu. Mißmutig nickte Pharaun. Selbst wenn Ryld verwundet war, konnte er sehr gut auf sich aufpassen, und früher oder später würde er sie auch wieder einholen. Doch seit das Fehlen des Kriegers erwähnt geworden war, nahm Pharaun es deutlich wahr. Nun, da Ryld weg war, gab es in der Gruppe niemanden, der ihm den Rücken freihalten würde. Er konnte außerdem niemanden mehr necken. Wenn Ryld tot war, dann würde er Pharaun fehlen. Vielleicht sogar einige Tage lang. Quenthel sah zu Danifae, die wieder auf Hände und Knie gegangen war. »Wenn du damit fertig bist, dich am Boden zu räkeln, dann steh auf«, wies Quenthel sie an. »Wir müssen ein Schiff fin den.« Die Vipern an ihrer Peitsche zischten, was wie ein verächt liches Gelächter klang, während Quenthel hinter Valas aus der Höhle ging. Jeggred knurrte Belshazu ein letztes Mal über die Schulter an, dann folgte er ihr. Sobald er sicher sein konnte, daß Quenthel ihn nicht beo bachtete, bückte sich Pharaun und hielt Danifae die Hand hin. Sie warf ihm einen berechnenden Blick zu, als überlege sie, ob sie ihre aufgestaute Wut an ihm auslassen sollte, doch dann ließ sie sich von ihm helfen. Er stützte sie, bis sie den Tunnel erreicht hatten, dann drehte er sich um und sprach die Worte
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eines Zaubers, ehe er ihr nacheilte. Belshazu drohte Pharaun mit der verbliebenen Schere. »Wir sehen uns wieder, Magier«, dröhnte er. Pharaun erwiderte lachend: »Ja, wenn die Hölle auftaut, Belshazu.« Was sehr unwahrscheinlich war, da Pharaun das Eis soeben mit einem Dauerhaftigkeitszauber belegt hatte.
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Die Oberflächenwelt war in Finsternis gehüllt, als Ryld aus dem Tunnel kam. Er war eine Weile unterwegs gewesen, nachdem er die anderen in der Höhle zurückgelassen hatte. Ein Vollmond, der halb von Wolken verdeckt war, stand am Himmel, spendete aber immer noch soviel Licht, daß es Rylds Nachtsicht störte. Der Schnee, der den verfallenen Tempel bedeckte, war mit Fußabdrücken übersät, doch Ryld fand schnell heraus, welche dem Kleriker und den Kriegern des Hauses Jaelre gehörten. Sie führten nur in eine Richtung – in den Tunnel. Der entkommene Kleriker war nicht auf diesem Weg aus dem Unterreich zurückgekehrt. Ryld suchte die Bäume nach Hinweisen darauf ab, daß im Wald weitere Krieger lauerten, doch als er niemanden ent deckte, kroch er vorsichtig aus der Tunnelöffnung. Im nächsten Moment hörte er ein leises, melodisches Flö
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ten. Die Melodie kannte er. »Halisstra?« flüsterte er. Halisstra hob den Zauber auf, der sie unsichtbar hatte wer den lassen, und eilte zu ihm, um ihn in die Arme zu schließen. »Ryld!« rief sie. »Ich dachte, du würdest nicht zurückkom men!« Er wollte sie fragen, was sie hatte zweifeln lassen, doch sie drückte die Lippen auf seine und küßte ihn innig. Er erwiderte ihre Umarmung und kostete wie im Fieber ihren Duft und ihren Geschmack. Sie lebte! Dann entsann er sich der Krieger, die er getötet hatte – und des Klerikers, der entkommen war. »Hier können wir nicht bleiben«, sagte er ihr. »Haus Jaelre ist uns auf der Spur. Ich begegnete unten einem ihrer Späh trupps.« »Ich weiß«, sagte sie und überraschte ihn damit. »Ich sah gleich nach Sonnenuntergang drei von ihnen durch den Wald gehen. Aus Versehen machte ich ein Geräusch, so daß sie in meine Richtung kamen. Sie fanden mich nicht, obwohl sie mich lange suchten, nachdem sie auf meine Handschuhe ge stoßen waren.« »Das freut mich«, flüsterte Ryld eindringlich. »Aber wir müssen uns um sie keine Gedanken mehr machen. Sie sind tot.« Er hörte, daß sie heftig einatmete, und glaubte zunächst, es sei ihre Reaktion auf seine Worte. Doch dann bemerkte er, daß sein Griff um ihren Arm sie dazu veranlaßt hatte, so zu reagieren. Sie war verwundet. Er drehte ihren Arm um und entdeckte einen Einstich gleich unterhalb der Stelle, an der der Ärmel ihres Kettenhemds endete. Die Wunde war verheilt – vermutlich mit Hilfe von Magie –, aber es war noch nicht lange her, weshalb sie auch noch Schmerzen hatte. »Ich glaube, ich müßte deine Handschuhe noch haben«,
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sagte er. »Was war?« »Blutmücken. Dutzende. Aber sie sind alle tot.« »Wie das?« »Ich habe sie mit Magie angegriffen, dann machte ich mich unsichtbar.« »Mit deiner Leier?« Als Halisstra den Kopf schüttelte und grinste, blinzelte Ryld überrascht. »Wie dann?« fragte er. »Ist Lolth wieder erwacht?« Halisstra lachte höhnisch und sagte: »Schauen wir mal. Bist du wach, Lolth? Siehst du das?« Sie lächelte boshaft und machte eine höhnische Geste, in dem sie die Handfläche nach oben drehte und die Finger so krümmte, daß sie eine tote Spinne darstellten. Ryld zuckte zusammen, entspannte sich aber allmählich wieder, als er nach einigen Herzschlägen merkte, daß nichts geschah. Halisstra lächelte und klopfte mit der Hand auf das Heft des Schwerts, das sie Seyll abgenommen hatte. »Ich habe eine neue Möglichkeit gefunden, Magie zu wirken. Ich brauche dazu weder meine Leier noch Lolth.« Ryld nickte, war aber beunruhigt, nicht wegen ihrer Blas phemie, sondern weil er sich vor dem fürchtete, was folgen würde. Hoch über ihnen hing der Mond am Himmel – das Symbol des Gottes, der Lolth aus Arvandor verjagt hatte. Würde Corellon Larethian oder einer der anderen Götter der Oberflächenwelt sich Halisstras annehmen? Er versuchte, seine unausgesprochene Frage zu ignorieren, und sah zu den Ruinen des Tempels, der für den Schöpfergott errichtet worden war. »Wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte er schroffer als beabsichtigt. »Dieser Ort ist gefährlich.«
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Halisstra betrachtete ihn einen Moment lang, dann nickte sie: »Laß uns gehen.«
Mit einer raschen Handbewegung machte Ryld Halisstra auf sich aufmerksam. Still, signalisierte er ihr. Dann fragte er mit Gesten: Hörst du das? Sie waren den Rest der Nacht durch den Wald marschiert, ohne irgendein anderes Geräusch als das Prasseln des Regens, der sich mit dem Schneematsch am Boden vermischte. Jetzt aber war von irgendwoher das Heulen eines Tiers zu hören, dessen Ruf Augenblicke später von einem anderen Tier be antwortet wurde. Dieses befand sich irgendwo rechts von ih nen und ließ dem Geheul eine Folge kurzer, aufgeregter Kläff laute folgen. Das Kläffen besaß eine gewisse Struktur, die fast an Sprache erinnerte. Es sind mindestens zwei, gab Halisstra zurück. Ryld nickte. Er spähte in den Wald, doch das Licht der auf gehenden Sonne, das durch einen Riß in der dichten Wolken decke fiel, machte seine Dunkelsicht zunichte. Halisstra griff nach ihrem Schwert, während sie bedeutete: Sie kommen in unsere Richtung. Ja, und sie sind schnell, aber ... Ryld lauschte einen Moment lang und hörte wieder das schrille, alarmierende Kläffen. Sie jagen nicht, sie sind auf der Flucht. Halisstra, aus deren nassen Haar Wasser auf die Schultern ihrer Rüstung tropfte, zog mit grimmigem Gesicht ihr Schwert. Sonderbar war, daß sie es nicht so in die Hand nahm, um kampfbereit zu sein, sondern vielmehr die Klinge umgekehrt hielt und das Heft an ihre Lippen drückte. Schwebe, bedeutete sie Ryld mit der freien Hand. Versteck dich.
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Sie preßte die Lippen auf das Heft und begann zu blasen, woraufhin eine unheimliche Musik ertönte. Im nächsten Mo ment war sie verschwunden. Daß sie sich nicht von der Stelle bewegt hatte, konnte Ryld nur feststellen, wenn er zu Boden sah. Dort, wo sie immer noch stand, fiel kein Regen auf den Waldboden. Während das Heulen und Kläffen näherkam, berührte Ryld seine Brosche. Lautlos erhob er sich in die Luft und schwebte zwischen aufgeweichten Ästen empor. Als er sich gut zehn Schritt über dem Grund befand, spannte er seine Armbrust. Dann hörte er aus dem Unterholz ein Rascheln. Ein gewal tiges Tier mit grauem Fell kam auf vier spindeldürren Beinen in Sichtweite, die Zunge hing ihm aus dem geöffneten Maul, die Augen waren weit aufgerissen. Das Tier sah sich um, aber nicht mit dem entsetzten Blick einer wilden Kreatur, sondern so intelligent, als suche es nach einem geeigneten Versteck. Es kläffte einmal, sein Gefährte antwortete ein Stück entfernt irgendwo im Wald hinter ihm, dann war es wieder weg. Ryld hätte schießen können, tat es aber nicht. Er wollte sich den magischen Bolzen für das Ding aufsparen, das den Fleischfresser jagte. Lange mußte er nicht warten. Im nächsten Moment hörte er, daß sich etwas Großes mit ungelenken Schritten einen Weg durch den Wald bahnte. Nach den In tervallen der Schritte zu urteilen hätte es ein Mensch sein können, doch das Knacken der Zweige und das laute Keuchen veranlaßten Ryld zu der Ansicht, daß es sich um etwas wesent lich Größeres handeln mußte. Als das Ding in Sichtweite kam und einen dünnen Baum mit einer nachlässigen Handbewe gung entzweischlug, sah Ryld, daß er recht gehabt hatte. Es war ein Troll. Der Troll, doppelt so groß und nahezu fünfmal so schwer wie ein Drow, hatte graugrün gesprenkelte Haut und war in
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fleckige graue Lumpen gehüllt. Er trottete auf mißgestalteten Füßen mit nur drei Zehen voran, seine gummiartigen Arme waren so lang, daß die Knöchel seiner Hände im Schnee am Boden Schleifspuren hinterließen. Grünlich-schwarzes Haar wuchs aus der flachen Stirn und setzte sich als zerzauste, ver dreckte Mähne bis in den Nacken fort. Obwohl der Regen beständig fiel, stieg von dem Körper ein übler Gestank auf, ein Mittelding zwischen menschlichem Schweiß und Rothé-Dung. Ryld starrte hinab auf den Troll, als dieser innehielt – Spei chel lief ihm aus dem Mundwinkel, den Mund hatte er leicht geöffnet, so daß seine Zahnstümpfe zu sehen waren. Wieder feuerte Ryld seine Armbrust nicht ab. Der Bolzen hätte den Troll nur verärgert und ihn auf die Tatsache aufmerksam ge macht, daß sich jemand in seiner Nähe aufhielt. Nachdem er zu Atem gekommen war, machte sich der Troll bereit, weiterzulaufen. Plötzlich aber riß er den Kopf herum, seine Nasenlöcher blähten sich. »Halisstra! Paß auf!« rief Ryld, allerdings in erster Linie, um den Troll abzulenken, weniger, um Halisstra zu warnen, die den Troll ganz sicher beobachtete. Im gleichen Moment schoß Ryld. Der Bolzen jagte auf sein Ziel zu, prallte aber von einem Ast ab, noch ehe er den Troll erreichte. Statt sich in ein Auge des Monsters zu bohren, wie Ryld es beabsichtigt hatte, schnitt das Geschoß eine flache Furche in die Kopfhaut des Trolls. Im nächsten Augenblick war die Wunde wieder verheilt. Der Troll mußte Halisstra gewittert haben, denn er begann, vor sich in die Luft zu greifen. Dabei kamen seine Klauen be drohlich dicht an Halisstra heran, denn sofort wurde sie sicht bar. Sie holte mit dem Schwert aus, um nach dem Troll zu schlagen. Der war so dumm, den Hieb mit den Händen abweh ren zu wollen. Zwei Finger flogen durch die Luft und landeten
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zuckend im Schnee. Die Kreatur schlug mit der anderen Hand zurück und strich dabei über Halisstras Brust. Das magische Kettenhemd konn ten die Krallen nicht durchdringen, doch die Wucht des Hiebs schleuderte Halisstra nach hinten. Sie rutschte ein Stück weit auf dem matschigen Untergrund, was den Troll zu der Ansicht gelangen ließ, leichte Beute vor sich zu haben. Er sprang auf Halisstra zu, die gerade noch rechtzeitig ihren Schild hochrei ßen konnte. Der Troll biß hinein und verbog ihn, dann schüt telte er den Kopf und zerrte den Schild von Halisstras Arm. Unter dem Gewicht des Monsters, das auf ihr kniete, konnte sie ihr Schwert nicht einsetzen. Ryld hob seinen Levitationszauber auf und ließ sich zwi schen den Ästen hindurch zu Boden fallen. Er landete in Kampfpose und zog in einer fließenden Bewegung Splitter. Mit aller Macht, die er in den Hieb legen konnte, führte er das mächtige Schwert mit beiden Händen und spürte, wie es sich mühelos in den Nacken des Trolls schnitt und sich in das Gewebe fraß. Der Kopf wurde durch die Luft gewirbelt, seine Augen zwinkerten dümmlich, dann landete er auf dem Boden und rollte noch ein Stück. Der kopflose Leib sprang auf und wirbelte herum, doch Ryld hatte ihm bereits den Bauch aufge schlitzt, aus dem stinkende Eingeweide quollen. Dann taumelte der enthauptete und ausgeweidete Troll in den Wald. Halisstra lag rücklings auf dem nassen Boden und schnappte nach Luft, während der Regen auf sie niederprasselte. Aus Sorge, sie könnte dringend Heilmagie benötigen, beugte sich Ryld vor, um ihr zu helfen, und ... ... wurde von einem Angriff zu Boden geschleudert, den er hätte erwarten sollen. Er rollte sich rasch ab und sah, daß der Troll zurückgekehrt war. Die Kreatur taumelte in seine Rich
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tung, mit einer Hand drückte sie den abgetrennten Kopf auf den Hals, mit der anderen versuchte sie, ihre Krallen so einzu setzen, daß sie Ryld verletzten. Noch während Ryld aufsprang und nach hinten tänzelte, um den Klauen zu entkommen, beobachtete er, wie sich Würmern gleich Sehnenstränge aus den Halsmuskeln des Trolls herausdrückten und sich nach dem Kopf streckten, um ihn zu fassen zu bekommen. Schneller, als man es mit dem Auge mitverfolgen konnte, vereinten sie den Kopf wieder mit dem Rumpf, gleichzeitig wurden die Einge weide durch die klaffende Wunde zurück in die Bauchhöhle gesaugt. Auch die Finger, die Halisstra ihm abgeschlagen hat te, wuchsen wieder nach. Rosa-gräuliches Fleisch dehnte sich an den Stümpfen langsam aus. Ryld sprang nach vorn und schlug erneut nach dem Hals des Trolls, doch anders als zuvor der Krieger hatte die Kreatur mit einem erneuten Angriff gerechnet. Der Troll duckte sich erschreckend flink, sprang dann vor und legte eine seiner gum miartigen Hände um die Rylds. Der hörte einen Knochen in seiner Hand brechen und rang nach Luft, als er die ungeheure Kraft des Trolls zu spüren bekam. Selbst mit einer Hand, der zwei Finger fehlten, zerdrückte seine Faust Rylds. Dann gelang es dem Troll, ihm Splitter zu entreißen und wegzuschleudern. Halisstra hatte sich unterdessen wieder aufgerichtet und griff den Troll von hinten an, indem sie mit ihrem Schwert auf seinen breiten Rücken einschlug. Ihre Waffe gab dabei seltsa me Flötentöne von sich. Das Ungeheuer stöhnte zwar bei je dem Treffer auf wie ein Sklave, den man die Peitsche spüren ließ, doch darüber hinaus nahm es von den klaffenden Schnit ten im Rücken keine Notiz. Vielmehr holte es mit einer Klaue kurz nach hinten aus und versetzte ihr einen Schlag, der sie ins Wanken brachte. Ryld zog sein Kurzschwert und zielte auf die
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Stelle, an der sich das Herz des Trolls befinden sollte. Doch auch als die Klinge bis zum Heft im gummiartigen Leib des Dings steckte, ließ es sich nicht bremsen. Eine Hand, die so schnell war wie eine von Quenthels Peit schenvipern, zuckte vor und legte sich um Rylds Hals. Kräftige Finger schlossen sich fest um das Fleisch und drückten ihm die Luft ab. Ryld spürte, wie ein Strom magischer Energie aus dem Drachenring durch seinen Körper strömte, doch es war zu spät. Seine Luftröhre war zugedrückt worden. Er ließ das Schwert los, das nach wie vor bis zum Heft in der Brust des Monsters steckte, und begann, seine Finger auf die Stelle zu legen, die bei einem Drow ein Druckpunkt war, der den Gegner zusam menbrechen ließ – dann zuckte er erschrocken zusammen. Er hätte genausogut versuchen können, seine Finger in soliden Stein zu bohren. Halisstra kehrte in den Kampf zurück und schaffte es, dem Troll einen Fuß abzuschlagen. Er taumelte, fand dann aber sofort wieder Halt und balancierte schlichtweg auf dem Stumpf. Halisstra mußte einen weiteren Hieb einstecken, der über ihr Kettenhemd fuhr und ein Glied herausriß. Ryld konnte nach wie vor nicht atmen, daher rief er Halisstra auf die einzige ihm noch verbliebene Weise zu: Flieh! Ich bin am Ende! »Nein!« keuchte Halisstra. »Ich verlasse dich nicht!« Sie sprang nach vorn und attackierte den Troll mit einem regelrechten Wirbel aus Schwerthieben. Ryld, der das ganze mit fachmännischem Blick verfolgte, sah, daß Halisstra unge wollt ihre Deckung öffnete und damit Gefahr lief, daß der nächste Treffer der Klauen ihr den Tod brachte. Auch wenn Ryld das ganze mit der Gelassenheit eines Mannes hätte beobachten sollen, der wußte, daß sein Tod unabwendbar war, spürte er, wie ein fremdartiges Gefühl ihn
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in dem unmöglich langen Zeitraum zwischen zwei Herzschlä gen erfüllte – ein Gefühl der tiefsten Trauer und eines uner meßlichen Verlustes. Nicht nur, weil Halisstra gleich sterben würde, sondern auch, weil ihr Tod das Ende von etwas bedeu tete, das Ryld eben erst entdeckt hatte: wahre Freundschaft, vielleicht sogar Liebe, und zwar die Art von Liebe, die eine Person veranlaßte, bereitwillig ihr Leben zu geben, auch wenn keine Hoffnung bestand, das Leben der anderen Person noch retten zu können. Als sich ihre Blicke trafen, erkannte Ryld, daß er das gleiche für Halisstra getan hätte, und sah, daß sie genau das wußte. Er sah noch etwas, was er niemals zuvor in den Augen einer Drow beobachtet hatte: Vertrauen. In diesem Augenblick kam eine Drow aus dem Wald ge stürmt. Ihr silberweißes Haar war regennaß und klebte ihr im Gesicht. Von einem schweren Kettenhemd um ihre Hüfte abgesehen, das mit einer großen Silberscheibe und einem ge krümmten Jagdhorn behängt war, trug die Frau nichts am Leib. Sie kam im Laufschritt heran, hoch über den Kopf erhoben hielt sie ein Schwert, dessen Klinge von tänzelnden silbernen Flammen strahlte. Mit einem durchdringenden, schrillen Schrei, der wie eine einzelne Note in einem kraftvollen, rei nen Lied klang, führte sie ihr Schwert nach unten. Die Klinge fraß sich tief in die Schulter des Trolls, dann flammte sie auf. Silbernes Feuer breitete sich auf dem Leib des Trolls aus und blendete Ryld. Er zuckte zusammen, da er erwar tete, auch verbrannt zu werden. Doch die erwartete Hitzewelle blieb aus. Die Flammen schienen keine Hitze, sondern ein Lied von sich zu geben, das einem eigenen Rhythmus folgte, während das Feuer sich auf der gummiartigen Haut des Trolls weiter vorarbeitete. Der brach schreiend in die Knie, während sich das Fleisch unter dem magischen Feuer schwarz verfärbte. Ryld, der plötz
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lich wieder atmen konnte, da der Troll die riesige Hand um seinen Hals zurückzog, rang heftig nach Luft. Auch wenn in der Luft der Gestank brennenden Fleisches hing, war es noch nie so wunderbar gewesen, sie einzuatmen. Verblüfft sah er, wie der Leib in sich zusammenfiel, als die magischen, silbernen Flammen ihn binnen weniger Herzschläge vernichteten. »Ich danke Euch«, sagte er zu der Drow, die eine starke Ma gierin oder Klerikerin zu sein schien. Er verbeugte sich tief. »Ihr habt unser ...« Ryld verstummte, als er den Gesichtsausdruck der Frau be merkte. Sie starrte Halisstra überrascht und voll bitterer Wut an. Dann erkannte Ryld das Symbol auf der silbernen Scheibe, die an ihrer Taille hing. Es war ein Schwert vor einem Kreis mit Strahlenkranz – das Symbol Eilistraees. »Das ist Seylls Rüstung«, sagte die Klerikerin, die das Kettenhemd anstarrte, das Halisstra trug. »Ihr seid die, die sie getötet hat.« Die Fremde nahm das Horn vom Gürtel und schickte eine einzelne, lange Note in den Wald. Nicht einmal einen Herz schlag später antworteten die anderen Jägerinnen, indem auch sie ins Horn stießen.
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Nimor beugte sich über die Karte Menzoberranzans, die auf dem Boden der Mine ausgebreitet lag. Die Ecken waren mit kantigen Silberklumpen von Faustgröße beschwert worden, Nimor gestikulierte mit seinem Rapier. »Die Spinne, die wir zu töten hoffen, hat zwei Köpfe«, er klärte der Drow den fünf anderen – drei Duergar und zwei Dämonen –, die sich um die Karte geschart hatten. »Schnei den wir einen von beiden ab, stirbt der Rumpf.« Mit der Spitze seiner Klinge tippte er auf den Südrand der Stadt. »Ein Kopf ist hier: Qu’ellarz’orl, das Plateau, auf dem das Erste Haus steht.« Er bewegte das Rapier zu einer Stelle am nördlichen Rand der Stadt, wo eine kleinere an die große Höhle angrenz te. »Der andere Kopf ist Tier Breche, die Höhle, in der drei der wichtigsten Institutionen Menzoberranzans untergebracht sind: Sorcere, Melee-Magthere und als wichtigste von allen der
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große Lolth-Tempel, Arach-Tinilith.« »Beides Steine, die schwer zu zermalmen sind«, sagte Hor gar, der links neben Nimor stand. Der Prinz der Duergar reichte dem Drow kaum bis an die Taille, doch seine Schultern waren deutlich breiter als die des schlanken Nimor. Er betrachtete mit finsterer Miene die Karte und rieb mit seinen Stummelfingern über seinen kahlen Schä del. Seine beiden Wachen – ebenfalls Duergar, von denen einer eine Narbe hatte, die vom Kinn über die Wange bis zum Ohr verlief – behielten derweil die beiden Halbdämonen im Auge, die auf der anderen Seite der Karte standen. »Wohl wahr, Kronprinz«, erwiderte Nimor. »Deshalb will ich, daß die Duergar den Angriff auf Tier Breche anführen. Ein Frontalangriff durch den Tunnel, der von Norden kommt. Eure Truppen werden eine Belagerungsmauer errichten, dahin ter gehen Katapulte in Stellung, mit denen Steinbrandbomben auf Sorcere und Arach-Tinilith geschleudert werden können, um aus ihnen qualmende Ruinen zu machen.« »Leichter gesagt als getan«, gab Horgar zurück. »In diesem Tunnel wird es von Jadespinnen wimmeln. Wir werden viel leicht eine oder zwei davon überwinden können, aber nicht alle.« Lachend griff Nimor in eine Tasche und holte ein halbes Dutzend flacher, ovaler Jadesteine hervor. In jeden war ein Loch gebohrt, durch den eine Silberkette gezogen war. In jeden davon war ein Name eingraviert. Nimor hob die Kette und bewegte sie leicht, so daß die Steine klimperten. »Dank eines Verbündeten, der sehr tief nach Menzoberran zan vordringen konnte, kann ich Euch garantieren, daß die Spinnen kein Problem sein werden«, sagte er. Der Prinz mit dem Narbengesicht schnaubte. »Wo werden die Tanarukks sein, wenn wir angreifen? Werden sie mutig die
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Nachhut bilden?« Das veranlaßte Kaanyr Vhok zu einem tiefen Knurren, er bleckte seine ebenmäßigen Zähne und schlug auf das Heft seines mit Runen überzogenen Schwerts, das er vor seinen goldenen Brustpanzer hielt. »Meine Geknechtete Legion könnte es mit Euch Pilzleuten jederzeit aufnehmen«, brummte er und warf dem Duergar ei nen wütenden Blick zu. »Selbst unsere Orks wären ...« Er hielt mitten im Satz inne, als Aliisza an seinem Ärmel zog. Auch wenn er wütend war, hörte er sich an, was sie ihm zuflüsterte. Dann senkte er den Kopf. »Meine Herren«, sagte Nimor. »Laßt mich doch ausreden.« Er wandte sich Kaanyr Vhok zu. »Die Geknechtete Legion wird wahrhaftig in den Kampf einbezogen werden. Ihr nehmt Euch Donigartens an, der Lebensmittel- und Wasservorräte der Stadt, danach fallt ihr von Osten her in Qu’ellarz’orl ein. Das wird die Muttermatronen veranlassen, ihre Verteidigungslinie nach Süden zu verlagern, während die Duergar im Norden Stellung beziehen – allerdings nicht alle. Mindestens eine Kompanie wird zusammen mit den Tanarukks marschieren und sich dazwischen verteilen, um den Eindruck zu erwecken, unsere gesamte Streitmacht sei darauf ausgerichtet, das Erste Haus Menzoberranzans anzugreifen.« Kaanyr Vhok kniff die Augen zusammen und fragte: »Wir dienen nur als Ablenkung?« »Keineswegs«, versicherte Nimor ihm mit einem Funkeln in den Augen. »Ihr habt auch die Chance auf einen Sieg – eine hervorragende Chance. Es sind Maßnahmen in die Wege geleitet, um Haus Baenre mit Hilfe einer kleinen Überra schung aus dem Kampf herauszuhalten, die ich für die Mutter matrone geplant habe. Sobald Triel aus dem Weg ist, werden die anderen Frauen des Hauses Baenre um den Thron streiten.
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Die Kompanien, die sie befehligen, werden gegeneinander zu kämpfen beginnen, womit sie zu abgelenkt sind, um sich um eine so banale Sache wie die Verteidigung ihrer Stadt zu kümmern. Wenn die anderen Häuser sehen, was mit Baenre passiert, werden sie dessen Schwäche wahrnehmen und zu schlagen. Mehr als nur ein Haus wird versuchen, Baenres Posi tion als Erstes Haus der Stadt zu unterhöhlen. Während sie damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu attackieren, können Fürst Vhoks Truppen Qu’ellarz’orl einnehmen.« Kaanyr Vhok zog die Brauen zusammen und meinte: »Interessante Theorie.« »Es ist nicht nur Theorie«, gab Nimor zurück. Er hielt inne, um Staub vom Ärmel seines makellos geschneiderten Hemdes zu klopfen. »Das ist das Wesen der Drow. Wir sind wie Spin nen, die reagieren, wenn das Netz zuckt. Wenn wir glauben, unsere Beute sei uns ausgeliefert, schlagen wir zu.« Nimor machte eine kurze Pause. »Nur sind diesmal die Drow selbst die Beute. Menzoberranzan wird fallen, dafür ga rantiere ich.«
Triel betrachtete kühl den Gefangenen, den man zu ihr ge bracht hatte. Es handelte sich um einen jungen Drow, der im Audienzsaal rücklings auf dem Boden lag. Seine Handgelenke waren auf dem Rücken zusammengebunden, und auch seine Beine waren in Höhe der Knöchel gefesselt. Seine schwarze Hose und sein Hemd waren zerrissen, die klaffenden Löcher im Stoff gaben den Blick frei auf unzählige Wunden, aus denen Blut auf den Boden troff. An einer Seite des Kopfes waren seine Haare bis auf kurze Stoppeln weggebrannt, Brandblasen überzo gen sein Gesicht. Ein Auge war zugeschwollen und tränte, mit dem anderen sah der Mann Triel mit unverhohlenem Trotz an.
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Triel rümpfte wegen des Gestanks nach verbranntem Haar und Fleisch die Nase, während sie mit einem perfekt ausbalan cierten Dolch spielte – der einzigen Waffe, die sich noch im Gurt des Mannes befunden hatte, als er gefaßt worden war. Am Kribbeln, das durch ihre Finger ging, erkannte Triel, daß er magisch war – so wie die Klingen, die vier Mitglieder ihrer Elitewache getötet hatten. »Das ist die Waffe eines Assassinen«, stellte sie fest und gab den Dolch einer der Frauen, die sich zu ihren beiden Seiten aufgestellt hatten. Die beiden gehörten zu ihrer Hauswache, die unentwegt auf sie aufpaßten und magische Schilde und Streitkolben einsatzbereit hatten. Ein drittes Mitglied der Wache, eine Offizierin, trat vor und führte ihren Bericht zum Abschluß. »Der Eindringling wurde auf der fünften Ebene gestellt, Matrone«, sagte sie. »Wir glau ben, er versuchte, zu Euren Privatgemächern zu gelangen.« Triel starrte die Offizierin an, die trotz aller Ereignisse so aussah, als hätte sie sich gerade für eine Inspektion herausge putzt. Ihr Kettenhemd aus Diamantspat hatte einen schwarzen Glanz, ihr langes weißes Haar trug sie ordentlich geflochten. Sie stand in Habachthaltung da, ein polierter Streitkolben hing an ihrem Gürtel, je eine kleine Armbrust war auf jedem Handrücken festgemacht. Fünf schwarze Spinnen, die in den Schulterbereich ihrer silbernen Uniform gestickt waren, zeig ten ihren Dienstgrad. »Wie gelangte er herein, Hauptfrau ...?« Triel ließ den Satz unvollendet, damit er eindeutig als Aufforderung verstanden wurde, einen Namen zu nennen. »Hauptfrau Maignith«, antwortete die Frau und blickte Triel gerade so lange in die Augen, wie es sich für sie geziemte. »Er kam durch keine der unteren Türen herein. Ich habe die Wachen gründlich befragt, alle waren auf ihrem Posten, und
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die Schutzzauber waren alle aktiv. Er kam nicht an uns vorbei, er muß von oben gekommen sein.« Mit diesen Worten sah Hauptfrau Maignith zu einem zwei ten Offizier, einem Leutnant der Echsenreiter, der einige Schritte hinter ihr stand, wie man es von einem Mann erwar ten durfte. Er trug eine enganliegende, gefütterte Lederhose und einen Piwafwi, der mit Silber abgesetzt war. In einer Arm beuge trug er seinen federgeschmückten Silberhelm, und es schien ihm Schwierigkeiten zu bereiten, Triel in die Augen zu sehen. »Muttermatrone Baenre, ich ... meine Reiter sahen nichts an der äußeren Mauer«, stammelte er. Triel nahm amüsiert zur Kenntnis, wie er mitten im Satz ei ne andere Richtung eingeschlagen hatte. Ein magischer Ohr ring verriet ihr, daß der Leutnant die Wahrheit sagte, zumin dest sprach er aus, was er für die Wahrheit hielt. Sie hörte nicht das typische Zittern, das eine Lüge begleitete. Sie spielte mit der Schlangenpeitsche, die an ihrem Gürtel hing und ein exaktes Abbild der Peitsche ihrer Schwester Quenthel war. Die Vipern zischelten erwartungsvoll, da sie ihren Wunsch spürten. Der Leutnant verdiente es, bestraft zu werden, und das würde auch geschehen, jedoch nicht jetzt. Sie zog die Hand von der Peitsche zurück. »Geht Eure Echse holen«, befahl Triel. Der Leutnant zögerte einen Moment zu lange, seine Miene war eine Mischung aus Erleichterung und Verwirrung. Dann wurde ihm plötzlich bewußt, wo er sich befand, er verbeugte sich tief und ging rückwärts hinaus. Der Gefangene grinste, offenbar zufrieden damit, welche Aufregung sein Eindringen ausgelöst hatte. Triel, der dieser Ausdruck in seinem Auge gar nicht gefiel, griff nach dem Stab aus geflochtenem Eisen, der neben ihrer
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Peitsche hing. In die Spitze des Stabes war eine winzige weiße Feder eingelassen, die sie auf den Gefangenen richtete, wäh rend sie den Befehl sprach. Aus dem Stab trat keine erkennba re Energie aus, doch die Wirkung des Zaubers zeigte sich au genblicklich. Der Gefangene begann zu schreien – ein purer Entsetzensschrei, der den Audienzsaal erfüllte – und zog die Knie hoch bis zur Brust. Wären seine Hände nicht gefesselt gewesen, hätte er sie zweifellos um die Knie geschlungen. Wimmernd schaukelte er immer wieder vor und zurück. Als Hauptfrau Maignith ihn mit der Stiefelspitze anstieß, begann er erneut zu schreien und rollte sich zur Seite, während er eine Lache aus stechend riechendem Urin inmitten der Blutspritzer auf dem Boden zurückließ. Triel seufzte, da sie hoffte, nicht nur ihre Zeit zu vergeuden. Immerhin gab es viele andere Dinge, die ihre Aufmerksamkeit erforderten. Am Rande Menzoberranzans machte sich eine Armee aus Duergar, Tanarukks und anderen niederen Rassen bereit, die Stadt anzugreifen. Triel hätte in ihrem Kriegsraum sein müssen, um mit den Offizieren in Verbindung zu stehen, die die Invasoren zurückhalten sollten. Doch es hatte ein At tentat auf sie gegeben, das zwar nicht das erste war, von dem sie aber dennoch wissen wollte, wer es veranlaßt hatte. War eine ihrer Schwestern zu der Ansicht gelangt, sie kön ne als Muttermatrone bessere Arbeit leisten? Mußte sich Triel nach innen besser abschirmen? Oder war der Attentäter von einem der anderen Adelshäuser geschickt worden? Vielleicht vom Haus Barrison Del’Armgo? Das kam ihr unwahrscheinlich vor, denn das zweite Haus war genauso schwer getroffen wor den wie das Haus Baenre. Nach der verheerenden Schlacht an den Säulen des Leids hatte sich Mez’Barris Armgo mit Müh und Not mit dem Rest ihrer Truppen auf den Rückzug bege ben. Jeder kannte die traurige Geschichte, wie ihre Soldaten
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in einen Seitentunnel getrieben worden waren, wo sie ein Viertel ihrer Streitmacht und all ihre Wagen verloren hatte. Während Triel darauf wartete, daß der Leutnant mit seiner Echse zurückkehrte, ging sie zu dem einen Thronsessel, auf dem einst ihre Mutter gesessen hatte. Er war aus solidem Dia mantspat, hatte die Form einer gigantischen Spinne und stand genau ausbalanciert auf acht geschwungenen Beinen. Der Sessel war mit kräftigen Zaubern versehen, darunter auch einer, der augenblicklich jeden auf die Muttermatrone gerich teten Angriff gegen denjenigen wenden würde, der so dumm war, sie zu attackieren. Der Sessel war ein Symbol Lolths, und auch wenn die Göttin in ein beunruhigendes Schweigen ver fallen war, funktionierte seine Magie noch immer, da es sich um arkane Magie handelte. Sie setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen in den Sessel – die beiden Leibwachen rückten nach, um sie nicht aus den Augen zu lassen – und dachte über Gromph nach. Einmal mehr fragte sie sich, wohin der Erzmagier der Stadt ver schwunden war. Die Tür zum Audienzsaal öffnete sich, und der Moschusge ruch einer Echse wehte herein. Der Leutnant trat ein und führte sein Reittier an den Zügeln herein. Die Echse zwängte sich durch die Tür herein, die klebrigen Ballen ihrer Füße verursachten leise saugende Geräusche, wenn sie sich wieder vom Boden lösten. Ihr Leib war zweimal so lang wie ein Drow groß – dreimal so lang, wenn man den Schwanz mitrechnete –, und die Kreatur bot einen großartigen Anblick. Die ledrige Haut glänzte in einem funkelnden blauen Schein, der den ansonsten dunklen Raum ein wenig erhellte. Als die Echse züngelnd den Gefangenen passierte, drehte sie den Kopf zur Seite und atmete den Geruch des Mannes ein. Der Assassine, der noch immer unter der Wirkung von Triels
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Stab litt, wimmerte und versuchte, sich von der Kreatur zu entfernen. Triel Baenre klopfte mit den Fingern auf das kalte Metall des Throns. »Also«, sagte sie und sprach ihre Beobachtung aus. »Der Assassine kann nicht am Stalagmiten hochgeklettert sein. Sonst wären die Echsen auf ihn aufmerksam geworden.« Der Leutnant schloß erleichtert die Augen. »Was uns zur Frage bringt«, fuhr sie fort, »wie er hereingelangen konnte.« Die Echse züngelte weiter und begann, das Blut vom Boden aufzulecken. Ihre runden, schwarzen Augen waren starr auf den Gefangenen gerichtet. Triel Baenre lächelte. »Wie es scheint, ist Euer Reittier hungrig«, bemerkte sie. »Warum nehmt Ihr ihm nicht den Maulkorb ab und laßt es fressen – natürlich etwas Entbehrli ches?« Grinsend tat der Leutnant, wie ihm geheißen. Die Echse zuckte erwartungsvoll mit dem Schwanz, die schimmernde Haut nahm für einen Moment ein tieferes Blau an, wartete aber auf das Handzeichen ihres Herrn. Dann sprang sie vor. Knochen knackten, als sie dem gefesselten Assassinen mit ihren kräftigen Kiefern die Füße abbiß. Der schrie auf, als er sah, wie sich das Maul des Tieres um seine Füße schloß, dann sank er ohnmächtig zusammen. Der Leutnant packte die Zügel und zog die Echse zurück. Gleichgültig sah Triel Baenre auf das Blut, das aus den Beinstümpfen quoll. »Behandelt die Wunden«, befahl sie dann. Gehorsam trat Hauptfrau Maignith vor und berührte beide Stümpfe mit der Spitze ihres Streitkolbens. Die Magie der Waffe ließ den vorderen Teil hell aufflammen, und die Wun den schlossen sich unter der immensen Hitze. Als das Zischen
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nachließ, packte Hauptfrau Maignith das wenige noch verblie bene Haar des Assassinen und riß dessen Kopf nach hinten. Mit Ohrfeigen holte sie ihn aus seiner Ohnmacht zurück. Der Assassine öffnete das eine, unversehrte Auge, sein ver branntes Gesicht, das eine ungesund rote Farbe aufgewiesen hatte, war kreidebleich geworden. »Willst du leben?« fragte Triel Baenre. Der Assassine schien sich endlich von der Wirkung des Stabs erholt zu haben. »Ihr werdet mich ohnehin töten«, krächzte er. »Nicht unbedingt«, antwortete Triel. »Du hast offenbar ein gewisses Talent, wenn du so nahe an meine Gemächer gelan gen konntest. Vielleicht werde ich dich rekrutieren.« »Ohne Füße?« »Wir verfügen über regenerierende Magie«, erwiderte Triel. »Nicht mehr«, sagte der Assassine und rang sich zu einem Grinsen durch, das ihn vor Schmerzen zusammenzucken ließ. »Lolth ist tot!« Triel Baenre sprang auf, riß ihre Peitsche heraus und schrie: »Blasphemie!« Einen Herzschlag lang zuckten die Vipern an der Peitsche und zischten vor Wut. Wie konnte dieser Mann es wagen, so mit ihr zu reden? Mit ihr, die als erste in Lolths Gunst gestan den hatte und die Muttermatrone des Hauses Baenre war. Ein Teil ihres Verstandes ließ sie erkennen, daß ihr Zorn aus Angst entsprang. Daß sie nichts von Quenthel hörte, erfüllte sie mit Sorge, und mit jedem Zyklus, der verstrich, sorgte sie sich mehr. Doch wenn Lolth erwachte und erfuhr, daß Triel diesen Mann für seine Unverschämtheit nicht bestraft hatte ... Da begriff Triel, daß sie geködert wurde. Der Assassine ver suchte, sie in seine Nähe zu locken. Ihr war nicht klar, welche Art von Angriff er im Sinn hatte, denn er war verletzt, und ein
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magisches Seil fesselte ihn, doch Triel hatte nicht so viele Jahrhunderte überlebt, weil sie ihre Feinde unterschätzt hatte. Sie streichelte eine Viper nach der anderen, um sie – und sich – zu besänftigen, dann steckte sie die Peitsche weg. Lolths Gunst war für Triel im Moment unerreichbar, doch sie verfügte über andere magische Fähigkeiten. Eine davon – die Macht ihrer Stimme – setzte sie nun ein, indem sie mit rauhem, verführerischem Tonfall sprach, um dem Gefangenen etwas zu suggerieren. »Du kannst mir ruhig sagen, wer dich geschickt hat«, for derte sie ihn auf. »Wenn es die Muttermatrone eines anderen Hauses war, droht ihr keine Gefahr. Ich werde nicht meine Truppen damit beschäftigen, gegen sie vorzugehen, solange die Belagerung nicht vorüber ist. Wenn es eine meiner Schwes tern war, dann bringt es dir genausoviel, mir wie ihr zu dienen. Also sag mir ... wer hat dich geschickt?« »Ich bin kein einfacher Mietling«, gab der Mann verbissen zurück. Ah, Stolz. Damit konnte Triel umgehen. »Natürlich nicht. Du bist stolz darauf, wer – und was – du bist. Warum läßt du mich nicht an dieser Information teilha ben? Wenn du mir etwas über dich erzählst, wirst du doch nicht die Matrone verraten, die dich geschickt hat.« »Ich diene keiner Frau!« spie der Assassine. »Schon bald wird das kein Mann mehr tun. Der Maskierte Gott wird dafür sorgen.« Es war in Menzoberranzan strengstens verboten, Vhaeraun anzubeten. Es allein zuzugeben, kam einem Selbstmord gleich – einem langsamen Selbstmord, da seine Anhänger für ge wöhnlich zu Tode gefoltert wurden, um von ihnen die Namen anderer Gotteslästerer zu erfahren. Der Assassine hatte soeben sein Todesurteil unterzeichnet, womit klar war, daß jede weite
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re Versicherung Triels, sie werde sein Leben verschonen, wir kungslos bleiben würde. Er wollte sterben – und das möglichst langsam. Triel starrte auf ihn hinab. »Wenn du hoffst, von Vhaeraun belohnt zu werden, dann irrst du«, sagte sie schließlich. »Du hast versagt. Du kannst von Glück reden, wenn dein Gott seine Maske hebt, um auf dich zu speien. Deine Mitverschwörer müssen ängstlich und schwach sein. Würden sie sonst einen Jungen schicken? Sie sind meine Verachtung nicht wert.« Das unversehrte Auge des Assassinen flammte auf. »Lacht nur, solange Ihr noch könnt«, gab er zurück. »Ihr werdet früh genug heulen, wenn die Jaezred Chaulssin kommen.« Triel lächelte vor sich hin, als sie über den Namen nachdachte. Offenbar war es irgendeine Organisation – vielleicht eine, die während der Sklavenrebellion entstanden war, die erst neulich niedergeschlagen worden war. Handelte es sich vielleicht um irgendwelche Flüchtlinge, die in den Ruinen der Stadt Chaulssin Zuflucht gesucht hatten? »Ich habe noch nie von den Jaezred Chaulssin gehört«, höhnte sie. »Offenbar sind sie genauso unbedeutend, wie ihre Methoden wirkungslos sind.« Der Gefangene lachte. »Wirkungslos? Wohl kaum. Mein Herr führte diese Armee vor Eure Tore.« Triel reagierte sofort. »Dann ist dein Herr ein Duergar ... oder ein Tanarukk? Vhok?« »Weit mehr als das. Weit mehr als dieser Söldner Kaanyr Vhok. Mein Herr verfügt über Kräfte, von denen Ihr nur träu men könnt. Er war es, der die Niederlage Eurer Armee in der Schlacht bei den Säulen des Leids in die Wege leitete.« Triel hob eine Braue. »Wirklich?« Sie ahnte, wen der As
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sassine meinte, doch sie brauchte eine Bestätigung. »Dann wird er sicher wollen, daß ich seinen Namen erfahre. Triel Baenre sollte wissen, welcher Mann es gewagt hatte, sie in ihrem eigenen Haus anzugreifen. Oder hat er Angst vor mir, wie alle braven kleinen Drow?« Diese Provokation in Verbindung mit Triels magischer Sug gestion gab den Ausschlag. »Mein Herr ist kein beliebiger Drow«, sagte er. »Nimor ist –« Er verschluckte den Rest seines Satzes, als ihm klar wurde, daß er schon zuviel verraten hatte. »Nimor?« knurrte Triel. Der Name war ihr fremd, doch dann begann sie zu ahnen, wer er war. »Du meinst Hauptmann Zhayemd von Agrach Dyrr, nicht? Der Verräter, der die Duer gar-Armee vor unserer Tür aufmarschieren ließ?« Der Gefangene nickte trotzig und sagte: »Bald schon wird er Euer Herr sein.« Triel dachte darüber nach. Zhayemd war ein Deckname. Hatte der Auftraggeber des Assassinen den Namen des Sechs ten Hauses angenommen? Sie fragte sich, wie tief der Verrat im Haus Agrach Dyrr wohl reichte. Hatte Nimor auf eigenes Betreiben hin die Soldaten davon überzeugt, sich gegen ihre Verbündeten zu wenden? Oder steckte das Haus selbst auch mit drin? Es war eine wichtige Frage, da Agrach Dyrr von den Streitmächten aus Menzoberranzan belagert wurde, die man viel besser im Kampf gegen die Duergar und die Tanarukks einsetzen konnte. Triel entschied sich für einen Bluff. »Ich wußte, daß dein Herr kein Agrach Dyrr ist«, ließ sie den Assassinen wissen. »Ich hatte ihn noch nie gesehen. Da bei kenne ich alle hohen Offiziere dieses Hauses. Muttermat rone Yasraena und ich sind ... verbündet. Jedenfalls so sehr, wie es zwei Muttermatronen sein können.«
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»Yasraena ist bedeutungslos.« Triel versteifte sich. »Wie meinst du das?« »Ein Mann herrscht über Haus Agrach Dyrr – der Leich nam eines Drow. Vhaeraun hat die natürliche Ordnung der Dinge wiederhergestellt, so wie er es in ganz Menzoberranzan tun wird, sobald dieser Krieg gewonnen ist.« Triel hörte, wie neben ihr jemand nach Luft schnappte, und erinnerte sich des Leutnants. Schnell wie eine zubeißende Schlange schleuderte ihre Peitsche in dessen Richtung. Freu dig zischend schlugen die fünf Vipern ihre Zähne in das dunkle Fleisch. Der Offizier versteifte sich, dann röchelte er, als er das Bewußtsein verlor und mit den Augen rollte. Wie ein abgebro chener Stalaktit schlug er auf dem Boden auf. Die Echse schnupperte kurz an ihm, dann begann sie zu fres sen und zermalmte als erstes seinen Kopf zwischen den kräfti gen Kiefern. Triel sah Maignith an. »Kein Wort zu irgend jemandem. Maignith verbeugte sich, dann starrte sie die Wachen zu beiden Seiten Triels eindringlich an. »Ihr könnt auf unser Schweigen vertrauen, Muttermatrone.« Triel wandte sich wieder dem Gefangenen zu. Sie war froh, daß er letztlich ihrer magischen Suggestion erlegen war. Er hatte ihr sogar mehr Informationen gegeben, als sie je gehofft hätte. Sie benetzte die Lippen wie eine Echse, die Blut gero chen hatte, und bohrte weiter nach. »Hat dich der Drow-Leichnam hergeschickt? Bist du mit seiner Magie hier eingedrungen?« »Nein ... und noch ein Nein.« »Wer hat dich dann hergebracht?« »Nimor selbst, und auch wenn ich versagt habe, ihm wird das nicht widerfahren. Eure Verteidigung gegen ihn ist
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schwach wie ein Spinnennetz. Er brachte mich durch die Schatten mühelos in Eure ›Festung‹.« »Nimor ist hier?« Maignith rang nach Luft. Der Assassine grinste und erwiderte: »Jetzt nicht mehr.« Triel Baenre kniff die Augen zusammen. Nicht, weil es Ni mor gelungen war, sich bis tief ins Herz des Hauses Baenre zu schleichen – jenes immensen Stalagmiten, der ausgehöhlt worden war, um den Großen Hügel zu bilden –, sondern daß er wieder verschwunden war, nachdem er sich erst einmal Zutritt verschafft hatte. Warum war er nicht geblieben, um sie selbst anzugreifen? Warum ließ er einen schwächeren Vasallen zu rück, damit der die Drecksarbeit für ihn machte? Er hatte doch sicher gewußt, daß dieser Mann gefaßt werden würde. Der Assassine unterbrach ihre Überlegungen, als er gequält zu lachen begann. »Ihr werdet Euch bald von Nimors Macht und Herrlichkeit überzeugen können, wenn er den letzten Angriff gegen Euer Haus führt. Vorausgesetzt, Ihr lebt lange genug ...« Triel fiel auf, daß der Trotz und der Eigensinn zu keiner Zeit aus dem Blick des Gefangenen gewichen waren, solange er sprach. Sein Blick wanderte dabei immer wieder zu ihrem Sessel, aber immer nur, wenn er glaubte, sie bemerke es nicht. »Wachen!« rief sie. »Schilde!« Sofort sprangen die Frauen auf beiden Seiten nach vorn und hielten ihre Schilde zwischen Triel und die einzig erkennbare Bedrohung: den Assassinen. Noch während die beiden Schilde scheppernd aneinander schlugen, wurde der Audienzsaal von einer Explosion magi scher Energie erfaßt. Sengend heiße Flammen schossen von dort, wo der Gefangene lag, in alle Richtungen, und ihr Fau chen traf Triels Trommelfelle so laut, daß es fast die Schreie der Wachen übertönte, deren Körper sich wie ein verbrannter
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Braten schwarz verfärbten. Die Magie ihrer Schilde hielt, so daß die Explosion über, unter und rings um den Sessel abgelenkt wurde, auf dem sich Triel zusammengekauert hatte. Die Hitze nahm sie als kurzen, warmen Schwall wahr, doch dank der Schilde, die gegen ihren Sessel gepreßt wurden, spürte sie weiter nichts. Der Thron hatte nicht auf den Feuerball reagiert, den der Assassine in sich getragen hatte. Den Grund für dieses scheinbare Versagen konnte sich Triel denken: Der Angriff war auf den Assassinen gerichtet, der ihn in den Raum gebracht hatte, nicht aber gegen die Muttermatrone. Nimor hatte sich umfassend be müht, und er hatte vorhergesehen, wo Triel den gescheiterten Attentäter verhören würde. All das wurde Triel in dem Moment bewußt, als dem Knall eine Stille folgte, die ihre Ohren klingeln ließ. Hauptfrau Maignith und die Wachen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, und auch die Echse war tot. Sie lag zusammengerollt und reglos in einer Ecke des Saals, ihre Haut leuchtete nicht mehr. Vom Leib des Assassinen waren nur noch Knochen übrig, die wie Kohle rot glühten und kleine ölige Rauchwolken auf steigen ließen. Triel schauderte, da ihr klar war, daß sie um Haaresbreite dem Tod entkommen war. Einen Moment lang verstand sie, was Angst war. Kein Wunder, daß der Assassine so redselig gewesen war. Er hatte sie in seiner Nähe halten müssen, bis der Zauber losging. Triel hörte hastige Schritte draußen im Gang, die sich der Tür zum Audienzsaal näherten. Sie umklammerte fest die Beine ihres Throns, um das Zittern ihrer Hände zu unterdrü cken. Triels Blick wanderte zu den geschwärzten Überresten ihrer Wachen, und sie verzog das Gesicht, als ihr der Geruch
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verbrannten Fleisches in die Nase stieg. Eine Hauptfrau ihrer Hauswache kam hereingestürmt und riß die Augen auf, als sie den erschreckenden Anblick zu Gesicht bekam. »Muttermatrone«, keuchte sie. Die Hauptfrau rang nach Luft, als sei sie eine längere Strecke gelaufen. »Der Feind nä hert sich der Stadt!« »Woher?« »Durch die Höhlen im Südosten. Unsere Patrouillen haben sich erste Gefechte mit ihnen in der Höhle der Abgetrennten Tentakel und in Ablonshiers Höhle geliefert.« »Waren es Tanarukks oder Duergar?« fragte Triel. »Beides, aber vor allem Tanarukks.« »Wie viele?« Die Hauptfrau zuckte die Achseln und sagte: »Unmöglich zu sagen. Doch die Armeen scheinen sich zusammengeschlos sen zu haben und rücken zügig durch die Dunkle Domäne vor. Sie werden jeden Augenblick die Außenbezirke der Stadt erreichen.« Triel Baenre knirschte mit den Zähnen. War das eine Finte – oder ein massiver Angriff? Nach dem Weg zu urteilen, den sie nahmen, schienen die Tanarukks und die Duergar durch einen der neun Tunnels nach Menzoberranzan vordringen zu wollen, die zwischen dem Donigarten-See und dem Rand des Plateaus lagen. Doch aus welchem davon würden sie auftau chen? Wenn es ihnen gelang, in die große Höhle vorzudrin gen, was würde dann ihr Ziel sein? Unter normalen Umstän den hätte Triel erwartet, daß die Angreifer quer durch die große Höhle nach Norden marschieren würden, um Donigar ten und die Moosbetten abzutrennen, die Menzoberranzan mit Wasser und Nahrung versorgten. So würden die Menzoberran zanyr keine Vorräte haben, um die Belagerung zu überdauern. Doch angesichts des Zeitpunkts des Attentats auf sie – das bei
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erfolgreichem Ausgang ihr Haus ins Chaos gestürzt hätte –, gab es womöglich ein anderes Ziel. Haus Baenre war der erste Schritt zu einem Angriff auf Qu’ellarz’orl. Wenn sie richtig lag, würde die Hauptstreitmacht durch die Tunnels in unmittelba rer Nähe des Plateaus kommen. War noch Zeit, die Lücke zu schließen? Sie wagte nicht, die Hauswache loszuschicken. Die brauchte sie, um Baenre zu verteidigen, wenn dem Feind der Einmarsch in die Stadt ge lang. Es gab nur ein anderes Haus, das nahe genug lag. »Zieht unsere Truppen vom Haus Agrach Dyrr ab«, befahl Triel Baenre. »Schickt sie zu den Höhlen unterhalb des östli chen Ausläufers des Plateaus. Befehlt ihnen, um jeden Preis die Stellung zu halten und sagt allen anderen Häusern, sie sollen die übrigen Höhlen verteidigen, die nach Narbondellyn führen. Das gilt besonders für Barrison Del’Armgo. Unsere Truppen werden den ersten Ansturm abwehren müssen, aber Del’Armgo muß Verstärkung schicken. Sie sollen Agrach Dyrr den Xorlarrin überlassen.« Die Hauptfrau verbeugte sich. »Wie Ihr befehlt, Muttermat rone.« Während die Frau davoneilte, kaute Triel auf ihrer Lippe herum und betete inständig, daß sie sich richtig entschieden hatte. Wo bei allen Neun Höllen war Gromph, wenn das Haus Baenre ihn am nötigsten hatte?
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Glas. Geschwungenes Glas, und dahinter ... Grauer Stein. Tunnelwände. Dicht. Hinter dem geschwungenen Glas. Gromph Baenre, Erzmagier Menzoberranzans, starrte ohne zu blinzeln den rauhen Fels gleich außerhalb der Wand seines Gefängnisses an. Er war in geschwungenem Glas gefangen. In völliger Stille, In einer Hohlkugel auf dem Grund eines unbe kannten Tunnels. Unfähig, sich zu regen, zu atmen. Nur in der Lage, träge zu denken. Er starrte sein eigenes, von der konkaven Oberfläche des Glases verzerrtes Spiegelbild an. Sein Gesicht war derb, aber trotz seiner sieben Jahrhunderte dank des Amuletts der ewigen
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Jugend an seinem Piwafwi nicht faltig. Sein silbrig weißes Haar schwebte um seinen Kopf herum, unberührt von der Schwer kraft, die nur außerhalb der Sphäre existierte. Seine Augen waren offen, er konnte nicht blinzeln. Da ihn sein eigenes Gesicht ermüdete, betrachtete er statt dessen die Tunnelwände und bemerkte eine helle Quarzader. Er bemerkte, wie breit sie war und wie groß die Kristalle waren. Zeit verstrich. Nach einer Weile – zehn Zyklen, einem Jahr? – merkte Gromph, daß etwas sein Gehirn kitzelte. Ein Bewußtsein, eine Präsenz. Er konzentrierte sich darauf, mußte sich aber anstren gen wie ein völlig erschöpfter Mann, der versucht, seinen Kopf zu heben. Kyorli? Nichts. Mehr Zeit verstrich. Er starrte auf die Quarzader, suchte sich einen der Kristalle aus und konzentrierte sich auf dessen Facetten. Auch wenn sie wegen des konkaven Glases vor seinen Augen verschwammen, konnte er seine Gedanken darauf ausrichten. Was er wußte, war, daß er sich in einer Glaskugel befand, die das Produkt eines Einkerkerungszaubers war. Eines Zaubers, den der Drow-Leichnam Dyrr gewirkt hatte. Er war tief unter der Stadt, in einem unbekannten Tunnel, umschlossen von einem Zauber, der sogar Erkenntniszauber daran hinderte, ihn zu finden. Gefangen. Mehr Zeit verstrich. Während sie vorüberzog, versuchte Gromph Baenre, den Mund zu öffnen, zu blinzeln, die Finger zubewegen. Nichts. Hätte er Luft holen können, dann hätte er geseufzt. Doch
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selbst wenn er fähig gewesen wäre, sich zu bewegen und zu sprechen – um einen Zauber zu wirken –, hätte ihm das nicht geholfen. Der Zauber, den Dyrr gewirkt hatte, war ausgespro chen mächtig, und das wußte Gromph nur zu gut. Umgekehrt werden konnte er nur durch einen ebenso mächtigen Gegen zauber, der auf die Sphäre einwirkte, und zudem mußte der Zauber von einem anderen von außen auf die Sphäre gewirkt werden. Als wäre das nicht schon schlimm genug, konnte der Zauber zudem auch noch seine Wirkung nur dann entfalten, wenn er an der Stelle gewirkt wurde, an der der ursprüngliche Einkerkerungszauber seinen Ausgang genommen hatte. Gromph schrak vor der Ironie all dessen zurück. Er war der Erzmagier Menzoberranzans, der mächtigste Magier in der gesamten Stadt der Spinnen, kannte die arkanen Wirkungs weisen von mehr Zaubern, als es die meisten anderen Magier auch nur zu träumen gewagt hätten, und doch hätte ihm das nichts genützt, selbst wenn er in der Lage gewesen wäre, einen Wunschzauber zu wirken. Nachdem wieder unermeßlich viel Zeit verstrichen war, spürte Gromph, wie das Kitzeln in sein Gehirn zurückkehrte. Diesmal schien es näher, beharrlicher. Wie zuvor kostete es Gromph entsetzliche Anstrengung, sich zu konzentrieren. Kyorli? sendete er. Hilfe! Das Gefühl schwand. Wäre sein Körper zu Bewegung in der Lage gewesen, dann hätte Gromph jetzt resigniert die Schul tern sinken lassen. Plötzlich begann sich die Welt um ihn wie verrückt zu dre hen. Die Quarzader verschwand, und Gromph stand plötzlich kopfüber in der Kugel. Allerdings hatten in seinem Zustand Begriffe wie oben und unten kaum Bedeutung. Nun jedoch starrte er in die Augen einer riesigen braunen Ratte, die dop
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pelt so groß war wie die Sphäre, deren gekrümmte Oberfläche das Gesicht des Tieres massiv verzerrte. Rosa Pfoten ruhten sacht auf der Kugel, und Schnurrhaare zuckten, als die Ratte am kalten Glas schnupperte. Nach einem Augenblick der Trägheit begann Gromph, sei nen Wahrnehmungsirrtum zu erkennen. Die Ratte war nicht unfaßbar groß, die Sphäre war vielmehr winzig, und Gromph war mit ihr auf entsprechende Größe geschrumpft. Wegen der Trägheit seiner Gedanken dauerte es eine Weile, bis er den Knick am Ende des haarlosen Rattenschwanzes sah. Kyorli! Hilf mir. Bring mich heim. Gehen? erwiderte die Ratte. Es war mehr ein Gefühl als ein Wort. Ja, gehen. In die Stadt. Gehen. Die Welt drehte sich wie verrückt an ihm vorbei. Gromph sah, wie die Felswände vorüberhuschten und sich wie wild auf und ab bewegten, als die Kugel von Kyorlis Nase und Pfoten angestoßen über den unebenen Tunnel rollte. Nein, kein Tunnel, sondern kaum mehr als ein winziger Riß im Fels, gerade groß genug, daß eine Ratte hindurchpaßte. Die Wände wirbelten weiter um ihn herum. Einen Moment lang versank die Welt in Finsternis, als Kyorli die Kugel über den Boden einer riesigen Höhle rollte. In der Ferne sah Gromph ein lavendelfarbenes Licht blitzen: das sichtbare Spektrum des Faerzress. Dann lag der Flecken magischer Strah lung auch schon hinter ihnen und wurde von der Finsternis verschluckt. Die Kugel wurde weitergerollt. Gromph hing reglos mitten darin, umschlossen von absoluter Stille. Dann prallte die Kugel gegen eine Wand und kam zum Stillstand. Was ist? fragte Gromph.
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Kyorlis Pfoten kratzten an der Kugel und drehten sie, bis Gromph vor sich eine Höhlenwand sah. Ein ganzes Stück über ihnen setzte sich der Tunnel fort. Auf! »sagte« Kyorli. Stadt. Die Ratte huschte an der Wand hinauf, dann wieder herun ter. Gromphs Welt kippte abrupt, als Pfoten über die Außen seite der Sphäre kratzten, ohne etwas zu bewirken. Dann eilte Kyorli die Wand hinauf, verschwand kurz im nächsten Tunnel und kehrte dann zurück. Gromph mußte einsehen, daß er seinen Schutzgeist über schätzt hatte. Kyorli war nur eine Ratte und damit auch nur so intelligent wie eine Ratte. Such einen anderen Weg, schlug er vor. Kyorli starrte ihn an, die Schnurrhaare zuckten. Dann be wegte die Ratte ihren Kopf auf eine Weise, die einem Nicken gleichkam, und machte sich daran, die Kugel durch den Tun nel zurückzurollen, durch den sie gekommen waren, durch die Höhle mit dem leuchtenden Faerzress und in einen anderen Tunnel. Als die Sphäre wieder zum Stillstand kam, stellte Gromph fest, daß sie an einem Fluß angelangt waren. Er war zwar nur ein paar Schritte breit, floß aber recht schnell. Gromphs Hoff nung bekam neuen Auftrieb, als er den Fluß erkannte. Er war vor vielen Jahren durch diesen Tunnel gereist, der Wasserweg war einer der unterirdischen Nebenarme des Flusses Surbrin. Er mündete letztlich in den Donigarten, den See, der Menzoberranzans Wasserreservoir war. Doch er floß durch einen luftlosen Tunnel. Wenn Kyorli der Kugel zu folgen versuchte, würde sie ertrinken. Natürlich konnte sie die Sphäre ins Wasser rollen, das Gromph dann zur Stadt tragen würde. Doch bis sie den Weg nach Menzoberran zan gefunden hatte, konnte die Sphäre längst wieder auf einen
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der Abflüsse des Sees geraten sein, was Gromph in eine noch schlechtere Lage bringen würde. Er dachte mühselig langsam über dieses Problem nach. Sei ne Gedanken waren träge wie ein Teich, in dem sich das Was ser kaum bewegte. Nach schier unerträglich langen Augenbli cken kam ihm eine Idee. Kyorli war in der Zwischenzeit ein halbes Dutzend Mal weggelaufen und zurückgekommen. Das Faerzress. Die magischen Energien, die von einem Faerzress ausgingen, waren instabil und unberechenbar. Sie konnten mit Gromph Seltsames anstellen, ihn sogar umbrin gen. Doch wenn das Glück auf seiner Seite war, dann würden sie die Effekte des Zaubers verändern, der ihn in der Sphäre festhielt. Bring mich zurück in die Höhle, in der das Licht leuchtete. Die Welt drehte sich um ihn, als Kyorli gehorchte. Das Leuchten tauchte wieder auf, und die Sphäre rollte aus. Näher. Das lavendelfarbene Leuchten wurde heller, gleißender. Dichter. Das Leuchten wurde größer, bis es Gromphs Sichtfeld völlig ausfüllte. Dichter. Kyorli zögerte mit zuckender Schnauze. Gefahr, sendete sie. Zu hell. Schmerzt. Ja, antwortete Gromph. Ich weiß. Dann verlieh er seinem Gedanken all seine Autorität und fügte an: Dichter. Kyorli versetzte der Kugel einen letzten Stoß, dann eilte sie verängstigt davon. Während die Sphäre über den unebenen Höhlenboden roll te, kam das Leuchten näher und näher. Als sie endlich stopp te, war sie von dem Licht ganz umgeben. Reglos sonnte sich Gromph in der magischen Strahlung. Das Faerzress würde ihn
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töten oder ... Seine Muskeln explodierten förmlich vor Schmerz, als Emp findung und Bewegung zurückkehrten. Lachend stand er auf. Die Sphäre ruckelte unter ihm hin und her und zwang ihn, um sein Gleichgewicht zu ringen. Er griff in eine Tasche seines Piwafwi und holte einen kleinen Splitter Glimmer heraus, den er lässig vor seine Füße warf und dabei das Wort sprach, das einen alles zerschmetternden Zauber auslösen sollte. Nichts geschah. Er mochte sich bewegen und sprechen können, aber zaubern war unmöglich, solange er in der Sphäre gefangen war. Er würde auf rohe Gewalt zurückgreifen müssen, um dorthin zu gelangen, wohin er mußte. Er experimentierte damit, sein Gewicht nach vorn gegen die glatte Oberfläche zu verlagern – und beschrieb einen tol patschigen Purzelbaum, als die Kugel in diese Richtung zu rollen begann. Es war längeres Üben notwendig, doch dann kam Gromph dahinter, wie er Hände und Füße koordinieren mußte, damit er sich rattengleich bewegte und zugleich die Balance wahrte, während die Kugel über den Boden rollte. Immer wieder brachten ihn ein Riß im Boden oder eine Erhebung von der beabsichtigten Richtung ab, doch um den Preis einer Reihe schmerzhafter Prellungen schaffte er es, in den Tunnel zurück zukehren, der hinunter zum Fluß führte. Kyorli hatte ihre Angst überwunden, da ihr Herr sich nicht länger im hellen Schein des Faerzress befand, und lief ihm nach, wobei sie hin und wieder mit einem Stups ihrer Nase oder der Pfoten den Kurs der Sphäre korrigierte. Am Ufer des unterirdischen Flusses lief sie aufgeregt hin und her. Meister. Tiefes Wasser. Schwimmen? Nein, Kyorli. Nur ich werde schwimmen. Du kehrst nach Men zoberranzan zurück, auf dem Weg, auf dem du herkamst, durch
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den Tunnel, der nach oben führt. Geh nach Sorcere, hol einen der dortigen Magier und führe ihn zum Seeufer. Die Ratte dachte einen Moment lang nach, während ihre Schnurrhaare zuckten. Gromph hob die Hand und drückte die Innenfläche sanft gegen die Kugel. Kyorli drückte ihre Schnauze von außen an die Stelle, machte dann kehrt und war verschwunden. Gromph holte tief Luft, um sich auf den Sprung ins Wasser vorzubereiten, begann dann aber zu lachen. Es war unnötig, die Luft anzuhalten. Die Magie der Sphäre hielt ihn offensichtlich am Leben, sonst wäre er in dem engen Raum schon längst erstickt. Mit ein paar Stößen bewegte er die Kugel nach vorn, bis sie ins Wasser fiel. Wieder drehte sich die Welt um ihn, dann war ringsum nur noch Wasser. Immer wieder prallte die Kugel gegen den Fels und riß Gromph um. Hin und wieder blitzte kurz ein leuchten der Fisch auf. Nach einer Weile unter Wasser – wieviel Zeit verstrichen war, vermochte Gromph nicht zu sagen, aber er mußte einige Kilometer in dem Tunnel zurückgelegt haben – wurde er auf einmal auf den Boden der Kugel gedrückt. Er bewegte sich rasch nach oben wie eine Luftblase, dann durch brach er die Wasseroberfläche und tauchte an der Oberfläche eines großen Sees auf. Er hatte es geschafft! Er hatte den Donigarten erreicht! Gromph richtete sich auf und versuchte, sich wie zuvor wei terzubewegen, indem er die Kugel über die Oberfläche des Sees rollte. Doch die Sphäre drehte sich nur auf der Stelle. Gromph fluchte, als ihm klar wurde, daß er einen womöglich fatalen Fehler begangen hatte. Wenn Kyorli nicht schnell genug nach Menzoberranzan zurückkam und ihn aus dem See holte, war er der Strömung ausgeliefert. Gromph schickte einen stummen Ruf aus, hörte aber keine antwortende Stimme. Tief seufzend
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suchte er in der schwankenden Kugel Halt und wartete ab, wohin die Strömung ihn treiben würde. Er war in der Nähe der nordöstlichsten Spitze der Insel aufgetaucht, die in der Seemitte lag. Rothé-Herden zogen ziellos auf den Weiden umher. Jenseits der Insel sah Gromph die leuchtende Spitze von Narbondel. Jemand hatte während seiner Abwesenheit daran gedacht, weiter das magische Feuer in der gewaltigen, natürlichen Steinsäule zu entzünden, das den Beginn des »Tages« in Menzoberranzan kennzeichnete. Doch wie lange geschah das schon? War er seit einem Monat verschwunden? Seit einem Jahr? Als die Sphäre sich der Insel näherte, versuchte Gromph noch einmal, mit Kyorli Kontakt aufzunehmen, doch auch diesmal vergeblich. Hatte die Ratte Menzoberranzan noch nicht erreicht? Oder war sie unterwegs aufgehalten worden? Als Dyrr Gromph festgesetzt hatte, war eine von Tanarukks ergänzte Armee von Duergar im Begriff gewesen, auf die Stadt zuzumarschieren. Blockierten die Streitkräfte aus Gracklstugh die Zugänge nach Menzoberranzan? Aber selbst wenn, sollte es einer Ratte doch möglich sein, sich einen Weg durch die Li nien zu bahnen. Er versuchte es erneut. Kyorli! Bist du da? Irgendwo aus der unmittelbaren Nähe nahm er ein schwa ches Kitzeln wahr – Kyorli im Wasser? Gromph unternahm einen weiteren Anlauf, doch es war schon wieder fort. Etwas stieß gegen die Sphäre und brachte sie leicht zum Schaukeln. Kyorli? Gromph öffnete gerade noch rechtzeitig die Augen, um zu sehen, wie neben ihm eine Hand über der Wasseroberfläche auftauchte. Riesige purpurne Finger legten sich um die Kugel und zogen sie unter Wasser. Die Finger, die von einer dünnen
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Schleimschicht überzogen waren, verschmierten die Außensei te der Sphäre, doch durch die Schlieren sah Gromph ein knol liges Gesicht mit vier zuckenden Tentakeln an der Stelle, an der sich Nase und Mund befinden sollten. Die Augen des Il lithiden waren weiß und hatten keine Pupille, und dennoch spürte Gromph, daß sie ihn anstarrten, während die Kreatur mit der freien Hand ruderte, um ihre Position gleich unter der Wasseroberfläche zu halten. Die Stimme des Illithiden drang in Gromphs Verstand und erkundete ihn wie Wurzeln, die sich unbeirrt ihren Weg durch lockeren Boden bahnten. Ein Magier, erkannte der Illithid. Wie köstlich!
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Halisstras erster Impuls, als die Priesterin ins Horn stieß, war, der Frau ihr Schwert in den Leib zu jagen, doch irgend etwas ließ sie zögern. Ryld jedoch handelte. Er sprang von dem immer noch schmorenden Leib des Trolls auf, zog sein Kurzschwert aus dessen Körper und sprintete auf die Priesterin zu. Die Fremde war aber schneller. Sie ließ das Horn fallen und sang eine einzelne Note, während sie die Hände zusammenleg te. Als sie die Finger verschränkte, peitschten vor ihr Zweige aneinander und bildeten aus eigener Kraft ein Geflecht. Ryld rannte ungebremst in diese schlagartig entstandene Barriere und wurde zurückgeschleudert. Im letzten Moment konnte er seinen Sturz unter Kontrolle bringen und sich abrollen. Während er aufsprang, hörte Halisstra, daß im Wald hinter ihr eine weitere Frau zu singen begann. Sie drehte sich zu der
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neuen Bedrohung um und sah, daß sich etwas durch den Wald auf sie zu bewegte. Im gleichen Augenblick tauchten Dutzende halbmondförmiger Klingen wie aus dem Nichts auf und be gannen, in einem engen Kreis um sie und um Ryld herumzu wirbeln. Die bis auf Brusthöhe reichende Wand aus sich dre henden Klingen erinnerte sie an das Surren der Flügel von Blutmücken, während immer wieder schlagende und knacken de Geräusche zu hören waren, als regennasse Zweige und Blät ter abgetrennt wurden. Zurück blieb ein kahler Kreis, der keine vier Schritte mehr von Halisstra und Ryld entfernt war. Ryld berührte seine Brosche und sprang in die Luft, doch im gleichen Moment legten sich von einem Zauber der ersten Priesterin belebte Büsche um seine Fußgelenke. Er schlug mit dem Schwert nach ihnen, doch neue Zweige wuchsen schnel ler hervor, als er sie mit seiner Klinge abtrennen konnte. Auf jeden Zweig, den er abschlug, kamen drei neue, die seinen Platz einnahmen. Gleichzeitig kam die Klingenbarriere näher. Halisstra ver suchte, sich mit Seylls Schild einen Weg durch sie hindurch zu bahnen, doch als zwei Klingen den Schild trafen, wurde ihr der fast vom Arm gerissen. Eine dritte traf sie am Ellbogen und zog sich über den Ärmel ihres Kettenhemds. Sie riß den Arm zu rück und schüttelte die Finger, die sich taub anfühlten. Durch die wirbelnden Klingen hindurch machte Halisstra die Priesterin, die den Troll getötet hatte, sowie zwei weitere, die zu ihr geeilt waren, aus. Sie alle waren fast nackt, und sie hielten je ein Schwert in der Hand. Eine von ihnen – die den Wall aus Klingen aufrechterhielt – war für eine Drow recht klein und hatte dunkelbraunes Haar. Halisstra brauchte einige Augenblicke, dann erkannte sie die Frau, die dunkle Farbe, die durch den starken Regen allmählich abgewaschen wurde, auf ihrer Haut verrieben hatte und verfluchte das Pech, von dem
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sie verfolgt wurde. Halisstra konnte den Priesterinnen unmög lich vormachen, sie sei eigentlich unschuldig und habe Seylls Rüstung nur »gefunden«. Feliane, eine Mondelfe, hatte Seyll sterben sehen. Dank des magischen Zwangs, den Halisstra ihr auferlegt hatte, hatte sie Halisstras Geschichte, Seylls Tod sei ein Unfall gewesen, da die von einem nassen Fels abgerutscht und in Halisstras Klinge gestürzt sei, nur allzugerne geglaubt. Sobald dieser Zauber aber seine Wirkung verloren hatte, hatte Feliane sicher die Wahr heit erkannt. Ryld gab es auf, nach dem Busch zu schlagen, der seine Füße umklammert hielt, und starrte sehnsüchtig zu seinem Zweihän der, der unmittelbar jenseits der Wand aus wirbelnden Klingen lag. Er sah Halisstra an und schüttelte den Kopf. »Wenn ich Splitter hätte ...« Er mußte den Satz nicht zu Ende führen. Halisstra wußte, was er meinte. Hätte er an Splitter gelangen können, dann wäre es ihm möglich gewesen, die Magie der Priesterin aufzu heben. Nun war es an Halisstra, das zu tun. »Ich habe Seyll getötet«, rief sie. »Aber wenn Ihr mich tö tet, begeht Ihr einen Fehler.« Sie legte Seylls Schwert und Armbrust nieder, dann zog sie das Kettenhemd aus und warf es zu den Waffen. Schließlich entledigte sie sich des letzten Stücks, das sie Seyll abgenom men hatte – des magischen Rings der Priesterin. Ohne der ständig vorrückenden Wand aus Klingen zu nahe zu kommen, legte sie auch den Ring auf den Boden und wand te sich wieder an Feliane. »Als Seyll im Sterben lag, sagte sie, sie habe für mich noch Hoffnung. Sie wußte, daß die Schuld mich früher oder später dazu treiben würde, Wiedergutmachung für den Verrat zu
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leisten, den ich beging. Darum kam ich zurück, statt ins Unter reich zurückzukehren und für immer dort zu bleiben. Ich will Eilistraee um Vergebung für das bitten, was ich getan habe.« Die Klingen hatten sich über Seylls Waffen und das Ket tenhemd hinwegbewegt, ohne ihnen Schaden zuzufügen. Sie waren inzwischen so nahe herangekommen, daß Halisstra bis zu Ryld zurückweichen mußte, dessen Beine fest im Griff des Gebüschs waren, das um ihn herum emporgeschossen war. Er drehte sich zu Halisstra um und warf ihr einen stechenden Blick zu. Offenbar hatten ihre Worte sich überzeugend ange hört. Halisstra ignorierte seine vorwurfsvolle Miene, und kon zentrierte sich auf Feliane. Würde sie mit ihrer Stimme den Widerstand der Priesterin ein zweites Mal überwinden kön nen? Die Klingen hielten in ihrer Vorwärtsbewegung inne, waren aber schon so nahe, daß Halisstra den Luftzug spürte, den sie verursachten. Ein Schritt nach vorn, und sie würde in Stücke geschnitten werden. »Beweist Euch«, sagte Feliane. »Schwört, daß Ihr ins Licht kommen wollt, um Eilistraee zu dienen und Euch von Lolth abzuwenden. Schwört es – beim Schwert.« Halisstra überlegte kurz, während sie mit einem Auge auf die todbringende Barriere achtete. Was schadet es schon? dachte sie. Lolth ist tot – oder dem Tod so nahe, daß es keinen Unterschied mehr macht. Selbst wenn die Königin der Spinnen doch auferstehen soll te, liebte und belohnte sie Verrat – vor allem, wenn er gegen die Göttin gerichtet war, die ihre ärgste Rivalin war. Halisstra konnte sich jederzeit wieder von Eilistraee abwenden und würde von Lolth doch aufgenommen werden. Halisstra streckte Ryld die Hand hin und sagte: »Leih mir
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dein Schwert.« Er warf ihr einen kurzen, fragenden Blick zu, dann willigte er ein. Sie nahm das Kurzschwert und stieß dessen Spitze in den Boden. Dann ging sie im Kreis um das Schwert herum, wäh rend sie die linke Hand am Heft hielt – genau, wie sie es bei den Anhängern von Eilistraee beobachtet hatte. Die wirbelnde Wand war dicht vor ihr, so daß ihr nicht viel Platz blieb, um um das Schwert herumzugehen. Dieses erwies sich als so scharf, daß sie eine kleine Wunde am Knie davontrug, als sie gegen den Stahl stieß. »Ich schwöre es«, sagte sie. Aus einiger Entfernung ertönte wieder ein Jagdhorn. Noch eine Priesterin, die mit Verspätung zu den anderen stieß. Die drei Frauen, die es auch gehört hatten, nickten einander zu. Die Klingenbarriere verschwand. In der plötzlichen Stille, die unmittelbar darauf folgte, hörte Halisstra, wie ein Ast knackte. Die erste Priesterin hob ihren Zauber auf und löste damit die Zweige, die Ryld umschlossen hatten. Wütend riß er sich los, zog sein Kurzschwert aus dem Boden und nahm eine kampfbereite Pose ein, als die Priesterinnen sich näherten. Was jetzt? fragte er in Zeichensprache. Ich ergebe mich, erwiderte Halisstra. Das ist Selbstmord, gestikulierte Ryld. Ich kann das nicht zu lassen. Halisstra verspürte ein Gefühl von Wärme und Zuneigung, das sie bis vor kurzem noch für Schwäche gehalten hätte. Um es zu verbergen, setzte sie eine frostige Miene auf. »Du kannst es nicht zulassen?« fragte sie. »Du ... ein Mann? Du hast dich nicht nur im Ton vergriffen, du hast auch bewie sen, daß du für mich nicht mehr von Nutzen bist.« Sie drehte den Kopf und deutete mit dem Kinn auf seinen Zweihänder,
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der auf dem Boden lag. »Geh und hol dein Schwert, Ryld, und dann geh dorthin zurück, wo du hingehörst. Geh zurück ins Unterreich!« Ryld starrte sie an, seine Miene verriet Bestürzung. Als er blinzelte, um den Regen aus seinen Augen zu vertreiben, sah es kurz so aus, als weine er – doch Halisstra wußte natürlich, daß der abgehärtete Kämpfer so etwas nie tun würde. Dann ging Ryld zu seinem Schwert, und als er die Priesterinnen passierte, spannten sich seine Schultern an. »Ihr könnt gehen«, sagte Feliane, während er seine Waffe aufhob. »Geht und verfolgt uns nicht, sonst werdet Ihr den Zorn der Göttin auf Euch lenken.« Ryld brummte und steckte Splitter zurück in die Scheide auf seinem Rücken. Ohne Halisstra noch eines Blickes zu würdi gen, wandte er sich ab und ging in den Wald zurück. Halisstra sah, daß die Priesterinnen ganz auf den Krieger konzentriert waren, und überlegte einen Moment lang, ob sie einen Fluchtversuch unternehmen sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Statt dessen starrte sie auf die Stelle, an der Ryld in den Wald verschwunden war, während die Priesterin nen Waffen und Rüstung Seylls aufhoben. Ryld ist im Unterreich besser dran, sagte sie sich. Er wäre hier oben nie glücklich geworden. Ihre Kapitulation war der einzige Weg gewesen, um seine Sicherheit garantieren zu können. Feliane löste die silberne Kette, die sie um die Taille trug, und gab Halisstra ein Zeichen, die Arme auszustrecken. Ha lisstra tat das, woraufhin die Kette zum Leben erwachte und sich um ihre Handgelenke legte. Ihre Kraft wurde ihrem Kör per entzogen und strömte in die metallenen Glieder, während sie sich vorkam wie ein Stück Diamantspat, der in der Sonne ausgedörrt war. Sie taumelte und kämpfte die Panik nieder, die
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in ihr aufzusteigen drohte. Was hatte sie gerade getan? Sie ermahnte sich, Ruhe zu bewahren. Immerhin hatte sie noch eine Waffe in Reserve, und wenn die Zeit gekommen war und sich Ryld längst in Sicherheit befand, konnte sie auf die Magie ihrer Bae’qeshel-Lieder zurückgreifen. Der Blick in Felianes jugendliches, aufrichtiges Gesicht war Halisstra Bestätigung genug. Dort sah sie Sanftmut – eine Schwäche, die sie zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Trotz der Art, wie Halisstra sie beim letzten Mal benutzt hatte, glaubte sie ihr den Eid, sie sei zurückgekommen, um Wiedergutma chung zu leisten. Ein freundliches Lächeln und einige nette Worte hatten gereicht. Halisstra öffnete den Mund ... ... doch die Priesterin, die den Troll getötet hatte, trat vor sie, umfaßte ihr Kinn und drehte ihren Kopf zur Seite. Zu spät bemerkte Halisstra, daß die Priesterin summte. Halisstra wollte etwas sagen, konnte aber nicht den leisesten Ton von sich zu geben. »Ich werde sie persönlich in den Tempel bringen«, erklärte die Priesterin. »Eilistraee wird über ihr Schicksal entscheiden: das Lied ... oder das Schwert.«
Ryld schäumte, als er tiefer in den Wald vordrang und nassen Farn schmatzend unter seinen Stiefeln zertrat. Er hatte getan, was Halisstra verlangte: Er war weggegangen. Aber warum fühlte er sich jetzt so machtlos und zornig? Weil er sein Leben gerettet, aber sie dem Tod überlassen hatte. Eine Priesterin Lolths hatte ihm den Befehl gegeben, hielt er sich vor Augen. Er als guter Mann gehorchte immer. Eine ehemalige Priesterin Lolths, korrigierte er sich sofort. Vielleicht war sie deshalb so gewillt, zu sterben und sich der
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Göttin anzuschließen, die zuvor verschieden war. Verbittert schüttelte er den Kopf und formte mit den Fin gern die blasphemische Geste, die sie benutzt hatte. »Geh ruhig und laß dich von ihnen töten, Halisstra, wenn du das wirklich willst ...« Wollte sie das wirklich? Ihre Miene war so starr und aus druckslos gewesen wie das Gesicht aus schwarzem Stein, das Lolths Tempel versiegelte – oder war es ein Grab? Doch Ryld hatte unter dem kühlen Äußeren ihre Gefühle gespürt. Sie hatte zuvor bewiesen, daß sie um ihn besorgt war, als sie gegen den Troll gekämpft hatten. Wenn sie ihn nur für ihre Zwecke benutzt hätte, wäre es ihr ohne weiteres möglich gewesen, sich in Sicherheit zu bringen und ihn dem Tod zu überlassen ... so wie Pharaun es getan hatte. Ein Gedanke kam Ryld – ein Gedanke, der fast unvorstell bar war, weil er allem widersprach, was das Volk der Drow ausmachte. Hatte sich Halisstra womöglich geopfert, damit er überlebte? Das konnte nicht sein. Sie mußte noch einen Trick auf La ger haben, eine verborgene Waffe oder eine Schriftrolle, die ihr die Flucht ermöglichen würde, damit sie wieder zu ihm stoßen konnte. Doch warum hatte sie ihm gegenüber dann keine Anspielung gemacht, wo sie sich treffen sollten? War es aus Sorge geschehen, die Priesterinnen könnten es hören? Oder erwartete sie, daß Ryld kam und ihr die Flucht ermöglichte? Ryld war mit jedem Schritt langsamer geworden, und nun blieb er stehen. Er stand da und lauschte dem Regen, der auf Äste und Zweige prasselte. Er fragte sich, ob ihm wohl eine Priesterin gefolgt war. Bei dem Lärm, den der Regen machte, konnte er nicht sicher sein, wirklich allein zu sein. Er haßte diesen niemals enden wollenden Regen. Er lief
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ihm übers Gesicht, zwang ihn zum Blinzeln und hatte aus sei nem Piwafwi ein schweres, nasses Stück Stoff gemacht, das auf seinen Schultern lastete und beim Gehen an den Oberschen keln haften blieb. Er ließ seine Rüstung quietschen und würde irgendwann seine Schwerter rosten lassen. Der Regen war wie ein Wasserfall, unter dem er nicht hervortreten konnte. Er war in ihm genauso gefangen wie in dem unsichtbaren Netz, das Halisstra mit ihrem Lächeln, ihren Küssen und Seufzern um ihn gelegt hatte. Er zog seinen triefend nassen Piwafwi enger um sich und ließ sich von dessen Magie umhüllen, bis er nur noch ein weiterer Schatten in diesem düsteren und nassen Wald war. Er ging zurück, bis er an der Stelle anlangte, an der sie gegen den Troll gekämpft hatten. Dort begann er, den rasch schmelzenden Schneematsch nach Fußabdrücken abzusuchen, um festzustel len, in welche Richtung Halisstra und die Priesterinnen ge gangen waren. Er fand aber nichts. Als er sich weiter der Stelle näherte, rechnete er jeden Moment damit, ihre Stimmen zu hören. Die Stelle, an der die Klingenbarriere die Vegetation gero det hatte, war deutlich zu sehen, ebenso der verkohlte Flecken, an dem der Troll umgekommen war. Doch von den Priesterin nen fehlte jede Spur. Er zog Splitter und sprach die Worte, die die Magie der Waffe aktivierten, weil er so sicherstellen konn te, daß die Frauen nicht mit einer Illusion arbeiteten oder sich unsichtbar gemacht hatten. Zufrieden, daß er allein war, betrat er die Lichtung. Er hock te sich hin und studierte die verbliebenen Spuren im Schnee matsch. Halisstra stand hier, dachte er, und eine der Priesterinnen dort. Die beiden anderen hielten sich da drüben auf, und ... Damit endeten die Fußspuren. Die Priesterinnen hatten die
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Lichtung nicht zu Fuß verlassen, sondern sich mit Hilfe von Magie von hier entfernt und Halisstra mitgenommen. Sie war fort, und es gab keine Spur, die er verfolgen konnte. Es sei denn ... Ja, das wäre möglich, ging es ihm durch den Kopf, als sein Blick auf eine andere Spur im Schnee fiel. Es war die Spur eines der Tiere, die durch den Wald geflo hen waren. Die Viecher hatten sich untereinander verständigt, und vielleicht würden sie sich auch mit ihm verständigen. Ryld steckte sein Schwert weg und machte sich daran, die Fährte zu verfolgen.
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Valas spähte hinab auf die Wasserfläche unter ihm. Der Tho rootsee war noch größer, als man ihm berichtet hatte – so groß, daß sich das gegenüberliegende Ufer in der Finsternis verlor. Er erinnerte ihn an die weite, flache Ebene der Anau roch, in die es sie erst vor kurzem verschlagen hatte. Die Un terschiede bestanden allerdings darin, daß der See ringsum von hohen Klippen gesäumt wurde, daß sich dort, wo Valas Hune kauerte, ein Wasserfall mit donnerndem Getöse in das Wasser ergoß und daß die Decke eine hohe, gewölbeförmige Kuppel darstellte. Gewaltige Stalaktiten reichten herab, von denen einige das Wasser berührten, während andere wie zerklüftete Zähne abgebrochen waren, was der Höhle das Aussehen eines riesigen Mauls verlieh. Valas Hune schauderte und hoffte, daß dies kein böses Omen für das war, was sie noch erwartete.
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Eine Hand berührte ihn an der Schulter. Er drehte sich um und sah Pharaun, Danifae stand dicht hinter ihm. »Stimmt etwas nicht?« fragte Pharaun. »Nein«, gab Valas Hune zurück. »Es ist nur der Nieselregen des Wasserfalls. Die Kälte bereitet mir Gänsehaut.« Quenthel tauchte hinter Pharaun und Danifae auf, worauf hin letztere sofort zurückwich und argwöhnisch die Peitsche an ihrem Gürtel betrachtete. Wegen der niedrigen Decke mußte Quenthel gebückt gehen, wobei sie die Füße weit auseinander aufsetzen und mit den Armen balancieren mußte, um auf den rutschigen Felsen nicht den Halt zu verlieren. Diese Haltung und der gierige Glanz in ihren Augen ließen sie wie eine schwarze Spinne wirken. Jeggred war wie üblich nur einen Schritt hinter ihr, er bewegte sich flink auf dem unebenen Vorsprung und balancierte mit seinem kleineren Armpaar. Quenthel spähte in die große Höhle jenseits des Wasserfalls und fragte: »Haben wir den Thorootsee erreicht?« Ihre Stimme war wegen des tosenden Wasserfalls kaum hörbar. »Er ist direkt unter uns«, antwortete Valas nickend. »Gut fünfzig Schritt steil abwärts.« »Könnt Ihr einen Hinweis auf die Stadt entdecken? Oder auf das Schiff?« Valas Hune schüttelte den Kopf. »Beides liegt wahrschein lich tief unter der Oberfläche.« Aber unter welchem Teil der Oberfläche? fragte er sich. Soweit Valas wußte, lag Zanhoriloch an der entlegenen Sei te des Sees, doch das wollte er Quenthel gegenüber nicht ein gestehen. Sie waren durch den einzigen Zugang, der dem Spä her vertraut war, in die Höhle gelangt. Das letzte, was er wollte, war eine Zurschaustellung von Schwäche oder Unsi cherheit, auch dann, wenn sie das Schiff fanden und das Un
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terreich hinter sich ließen, in dem er sich bestens auskannte. Valas Hune klammerte sich mit einer Hand am nassen Fel sen fest, beugte sich so weit nach vorn, wie er es wagen konn te, und begutachtete die Felswand unter ihm. Der Tunnel, dem sie gefolgt waren, war breit und mündete in ein natürliches Sims an einer Seite des Sees. Er hatte eine willkommene Ab kürzung geboten, eine angenehme Route nach all den Strapa zen. Doch nun wurde es um so schwieriger. Der Fluß schoß wie eine horizontale Quelle aus dem Tunnel und durchnäßte den Fels zu beiden Seiten. Durch den Sprühregen machte Valas auf der Steinwand ein schwaches grünes Leuchten aus – wasserge tränkte, rutschige Pilze. Hinter sich spürte Valas Hune eine Präsenz, dann verriet ihm stinkender Atem, wer es war. Jeggred stand hinter ihm und sah hinaus auf den See. Sein monströser Leib war Valas so nah, daß der fast über die Felskante geschoben wurde. Mit den Ellbogen drängte er Jeggred zurück, dann rief er über den Kopf des Draegloth hinweg den anderen zu: »Ich will das Territorium vor uns erkunden, ehe wir uns auf den Weg machen. Pharaun, ich brauche deine Magie, um nach unten zu gelangen, und einen Zauber, der es mir ermöglicht, unter Was ser zu atmen.« »Gehst du allein?« fragte Pharaun. »Solltest du nicht je manden mitnehmen?« Er sah an Quenthel vorbei, als erwarte er, daß hinter ihr jemand anderes auftauchte. Schließlich seufzte er. »Wie wäre es mit Jeggred?« »Nein!« fauchte Quenthel, deren Schlangen an der Peit sche ins Leere schnappten. »Jeggred bleibt hier!« Der Draegloth spürte ihren Ärger und zog sich zurück, um sich an ihrer Seite hinzuhocken. »Er kann Danifae haben«, fuhr sie fort. Ehe Valas den Kopf schütteln konnte, mischte sich Pharaun
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ein: »Danifae wird ihn nur langsamer vorankommen lassen. Und ich will nicht meine Zeit und mein Talent vergeuden, um zweimal den gleichen Zauber zu wirken.« Valas Hune sah zwischen Quenthel und Pharaun hin und her. Er mußte vorsichtig sein, um kein Ungleichgewicht ent stehen zu lassen, ein Balanceakt, der allmählich sehr ermüdend wurde. Um so angenehmer würde es für ihn sein, wenigstens für kurze Zeit allein zu sein. »Ich gehe allein«, erklärte er. Der Bregan D’aerthe-Späher zog seinen Piwafwi aus, dann legte er Rucksack, Bogen und Köcher daneben. Er entledigte sich auch seiner Stiefel sowie seines Kettenhemds, dessen Gewicht ihn lediglich auf den Grund des Sees gezogen hätte. Vorsichtig nahm er von seiner Weste jeden Talisman ab, dem das Wasser schaden konnte, und zog sie dann wieder an. Seine Dolche band er mit einem Faden, der zwar robust genug war, damit die Klingen unter Wasser nicht herausfallen konnten, zugleich aber so dünn, daß er sie im Notfall schnell ziehen konnte, in den Scheiden fest. Als er bereit war, sah er Pharaun an und sagte: »Fertig.« Der Magier nickte und zog ein kleines Stück Papier aus Pilz haut aus einer seiner Taschen. Er faltete es auseinander und reichte Valas den Inhalt – einen kleinen Klumpen einer schwarzen, teerähnlichen Substanz. »Iß das«, wies der Magier ihn an. Ohne zu fragen, worum es sich dabei handelte, steckte Valas das Ding in den Mund. Es schmeckte bitter und klebte an seinen Zähnen. Mit Mühe bekam Valas die Kiefer auseinander, um dann wieder zuzubeißen. Pharaun lachte. »Du mußt es nicht kauen, du kannst es schlucken.«
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Valas befolgte die Anweisung, dann stand er da und warte te, während Pharaun die Worte seines Zaubers sang. Der Ma gier vollendete den Zauber, indem er seine Finger vor Valas’ Brust bewegte, wie es eine Mutter tut, die eine Spinne nach ahmt, während sie ihrem Kind ein Schlaflied vorsingt. Als Pharaun fertig war, fühlten sich Valas’ Finger und Zehen kleb rig an. Er nahm eine Hand vom Fels und sah, daß sich klebrige Fäden zwischen beiden zogen. Pharaun griff ein zweites Mal in eine Tasche seines Piwafwi und zog ein kurzes Stück irgendeiner getrockneten Pflanze von der Oberfläche heraus. »Bereit?« fragte er, und Valas Hune nickte. Der Magier grinste und sagte: »Dann atme tief ein.« Dann blies Pharaun in den Stiel und vollendete den zweiten Zauber. Valas’ Brust fühlte sich schwer an, Wasser lief ihm aus den Nasenlöchern. »Geh!« rief Pharaun, obwohl es nicht nötig war, den Spä her anzutreiben. Der Druck des Wassers, das seine Lungen füllte, war An sporn genug. Er eilte über die Felskante und kletterte wie eine Spinne an der Wand entlang nach unten. Seine klebrigen Hände und Füße ermöglichten ihm, sich an der steilen Klippe schnell nach unten zu bewegen. Kopfüber eilte er dem Wasser entgegen, die Augen wegen des Sprühregens zusammengeknif fen. Von oben ergoß sich der Wasserfall in den See und hin derte Valas daran, den Tunnel auszumachen, aus dem er ge kommen war. Unter ihm stürzten die Wassermassen tosend in den See, ein Geräusch, das um so lauter wurde, je tiefer er sich befand. Der Späher war noch einen Schritt über der Wasseroberflä che, als ihn der Drang einzuatmen überkam. Er entließ das
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Wasser aus seinen Lungen wie ein Mann, der sich erbrechen muß, versuchte dann durchzuatmen – und wäre dabei fast erstickt. Er sprang nach vorn, bis sein Kopf in das kalte Wasser ein getaucht war, dann endlich konnte er tief durchatmen und fühlte sofort, wie er sich entspannte. Er tauchte tiefer hinab, folgte der Felswand, bis das Wasser die klebrige Masse von Händen und Füßen gespült hatte. Valas stieß sich von der Wand ab und ließ sich von der Strömung des Wasserfalls tiefer in den See ziehen. Das Wasser war kalt und finster. Eine Weile schwamm er einfach drauflos, während er sich auf seinen Orientierungssinn verließ, der ihn in die Mitte des Gewässers führte. Pharauns Zauber erlaubte ihm, für mehr als einen Zyklus Wasser zu atmen, so daß er am Grund des Sees ausruhen konnte, wenn es erforderlich sein sollte. Er hoffte allerdings, daß er nicht so lange brauchen würde, um einen Hinweis auf die Stadt der Abolethen zu finden. Er schwamm eine Zeitlang, legte eine Pause ein und schwamm dann weiter, als er schließlich im dunklen Wasser vor sich ein Leuchten ausmachte. Als er weiter vordrang, ent puppte sich das Leuchten als Gebäude aus dichtgedrängten, grünlich-gelben Kugeln, die abwechselnd heller und dunkler wurden. Sind das die Lichter Zanhorilochs? überlegte Valas, wäh rend er sich ihnen näherte. Er wurde jedoch enttäuscht, als er nahe genug war, um die Lichtquelle klarer sehen zu können. Die leuchtenden Kugeln hatten nichts mit der Stadt der Abolethen zu tun, sondern stammten von einem Schwarm lumineszierender Quallen. Es waren Hunderte, jede von ihnen so groß wie Valas’ Handfläche. Alle waren in Bewegung, ihre Arme zogen sich im einheitlichen Rhythmus zusammen und stießen sie dann gleichzeitig im Wasser voran. Bei jeder Bewe
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gung wechselte das Licht, das von ihnen ausging, von einem grünlichen zu einem kräftigen Gelb. Valas Hune wollte sich enttäuscht abwenden, als er zwi schen sich und den Quallen eine Silhouette sah. Der Späher erstarrte, da er sich nicht durch eine Bewegung verraten woll te. Während die Strömung ihn weitertrieb, verharrte er im Wasser und beobachtete. Die Silhouette hatte die Größe eines Drow und besaß zwei Arme und zwei Beine, Hände und Füße wiesen Schwimmhäute auf. Außerdem verfügte sie über eine geteilte Schwanzflosse, aber nicht über Tentakel. Damit handelte es sich eindeutig nicht um einen Abolethen ... doch zu welcher Rasse gehörte das Wesen? Die Kreatur schwamm neben den Quallen her und lenkte sie mit einem Stab, den sie in einer Hand hielt. Aus dem Stab traten zuckende Lichtblitze aus, deren Frequenz dem pulsie renden Licht der Quallen entsprach. Wenn Valas Hune sich anstrengte, konnte er ein leises Bumm-Bumm-Bumm hören, das in einem gleichmäßigen Rhythmus ertönte. Die Kreatur, die ganz auf den leuchtenden Schwarm konzent riert war, hatte Valas nicht entdeckt, was dem Späher die Ge legenheit gab, über seine weitere Vorgehensweise zu entschei den. Er konnte näher heranschwimmen und zu kommunizieren versuchen, in der Hoffnung, daß die Kreatur ihm sagen würde, wo Zanhoriloch gelegen war, oder seine übliche Vorsicht wal ten lassen und davonschwimmen. Valas Hune berührte den sternförmigen Talisman, um si cher zu sein, daß der sich noch an seiner Weste befand. Falls nötig, konnte er sich noch immer dessen Magie bedienen, um zu fliehen. Er schwamm auf die Kreatur zu. Als er sich näherte, sah er, daß deren Haut so dunkel wie
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die eines Drow war. Der Kopf war kahl, der Leib schimmerte im Licht der Quallen. Eine grünliche Schleimschicht überzog die Haut. Valas war noch gut zehn Schritt entfernt, da schien das an dere Wesen ihn wahrzunehmen. Mit einer heftigen, fast peit schenden Bewegung des Schwanzes drehte es sich. Beim An blick des Gesichts riß Valas den Mund auf. Die hohen Wangenknochen und der spitze Kiefer verliehen der Kreatur das Aussehen eines Drow. Sie hatte sogar die markanten roten Augen, aber keine Ohren. Statt dessen wies der Kopf verdreh te Höcker auf, die rund um zwei Öffnungen im Kopf verliefen und aussahen wie die Überreste geschmolzener Ohrmuscheln. Die Hände des Dings – die eine ständig in Bewegung, um die Position zu halten, die andere fest um den Stab gelegt – hatten einen Daumen, aber nur zwei Finger, zwischen denen sich Schwimmhäute befanden. Valas öffnete den Mund, dann entsann er sich, daß er Was ser atmete und nicht sprechen konnte. Versuchsweise bediente er sich der Zeichensprache der Drow und entschied sich für eine möglichst neutrale Botschaft, da er nach wie vor nicht wußte, ob das Dinge Freund oder Feind der Abolethen oder der Drow war. Dies ist der See der Abolethen, nicht wahr? fragte er. Ist ihre Stadt hier in der Nähe? Mit einer Antwort rechnete er nicht, denn der Späher, der ihm vom Thorootsee berichtet hatte, erwähnte auch, daß nur eine Handvoll Drow jemals diesen Weg bereist hatten. Um so überraschter war Valas, als die Kreatur ihm antwortete, auch wenn die Zeichen wegen der Schwimmhäute etwas ungelenk waren. Ihr sucht die Abolethen? Seid Ihr verrückt? Kehrt um, ehe sie ... Das Drow-Ding zuckte zusammen, als wäre es von einem
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Schlag getroffen worden. Die Kreatur ließ den Stab los und rollte sich in Fötushaltung zusammen, den Mund weit geöffnet, aber kein Ton kam über die Lippen. Valas fuhr herum und griff nach seinen Dolchen, während er gleichzeitig nach der Gefahr Ausschau hielt. Ehe er aber seine Waffen ziehen konnte, bohr te sich ein gellender Schrei in seinen Kopf. Der Schrei, der lauter war als jedes Geräusch, das er je wahrgenommen hatte, machte jeden klaren Gedanken unmög lich und ließ seinen ganzen Körper zucken. Er merkte, daß er sich genauso zusammenrollte wie die andere Kreatur, die Au gen zukniff, das Gesicht schmerzhaft verzog und die Hände auf die Ohren preßte. Es nützte nichts. Der Schrei hielt an und wurde in seinem Schädel immer wieder zurückgeworfen, bis er sicher war, daß die Schädeldecke jeden Augenblick wie ein Kristall bersten würde. Dann endlich umschlossen ihn Stille und Finsternis.
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Halisstra saß im Schneidersitz auf dem nassen Steinboden einer Höhle, aus der es nur einen, hoch über ihr gelegenen Ausgang gab. Die Wände waren mit Bildern übersät, die Farbe hatte man unmittelbar auf den Fels aufgetragen und war dabei den natürlichen Konturen des Steins gefolgt. Lebensgroße Drow-Abbildungen strebten der Decke entgegen, die Hände ausgestreckt, in den Augen das Leuchten eines entrückten Verlangens. Alle Figuren stellten Erwachsene dar, doch hatten sie alle eine Nabelschnur, die sich wie eine Wurzel bis hinun ter zum Boden der Höhle wand. Ihre Handgelenke waren nicht mehr gefesselt, dennoch konnte Halisstra ebensowenig aus der Höhle entkommen, wie die gemalten Gestalten sich aus der Felswand zu lösen vermochten. Die Wände waren mindestens dreimal so hoch, wie Halisstra groß war, und krümmten sich nach oben, wo sich das Loch in der Decke befand. Ohne magische Hilfe war es
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Loch in der Decke befand. Ohne magische Hilfe war es un möglich, aus der Höhle zu klettern. Man hatte sie gründlich durchsucht und ihr alle magischen Gegenstände und Waffen abgenommen, und der Fluch, den die Priesterin ihr auferlegt hatte, machte es Halisstra sogar unmöglich, zu singen oder zu summen. Damit war sie auch außerstande, ihre Bae’qeshelMagie einzusetzen. Nachdem Ryld gegangen war, hatte die Priesterin, die den Troll getötet hatte, Halisstra in diese Höhle teleportiert, dann war sie verschwunden. Die erste Tochter des Hauses Melarn war für den Rest des Tages dort zurückgelassen worden. An fangs war sie in der Höhle umhergelaufen, um nach einem Ausgang zu suchen, doch dann hatte sie akzeptiert, daß sie in der Falle saß. Im Schneidersitz war sie in Trance versunken. Nachdem sie aus ihrer Meditation erwacht war, hatte sie beo bachtet, wie der Himmel über dem Kreis in der Decke grau, dann schwarz wurde. Der Regen hatte aufgehört, aber es war noch immer bewölkt, so daß sie weder den Mond noch die Sterne sehen konnte. Beim Blick nach oben konnte sich Ha lisstra fast vorstellen, sich im Unterreich in einem Tunnel oder Durchgang zu befinden. Doch die Brise, die durch das Loch hereinkam und nach Erde und Baumrinde roch, machte die Illusion sofort wieder zunichte. Das galt auch für das ferne Donnergrollen und die Farne, die das Loch wie ein Haarkranz umgaben. Von den nassen Stielen troff Wasser. Von irgendwo draußen war Gesang zu hören. Die Stimmen gehörten den Priesterinnen, die sich versammelt hatten, um über Halisstras Schicksal zu entscheiden. Ihr Gesang wurde begleitet von den silberhellen Klängen einer Flöte und dem raschen, stakkatogleichen Klirren von Schwertern, die den Takt vorgaben. Vielleicht bildete sie es sich nur ein, doch es klang, als erreiche das Lied ein Crescendo. Jeden Moment
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würde wohl eine von Eilistraees Anhängerinnen auftauchen und verkünden, wie Halisstra sterben sollte. Halisstra machte sich auf das Unvermeidliche gefaßt. Ob durch die Magie der Verräterin, die sie als Göttin verehrten, oder durch den kalten Stahl eines Schwertes – sie würde ihr Leben lassen. Die Priesterinnen waren sicher zur Vernunft gekommen und hatten erkannt, daß Halisstra nur Zeit hatte schinden wollen, als sie Eilistraee Treue schwor. Für Halisstra war es Zeit, sich auf den Wechsel ins nächste Reich vorzubereiten. Doch zu welchem Gott sollte sie beten? Sie kannte Hunderte von Gebeten, um Lolth zu ehren – Gebete, die sie in Zeichensprache aufsagen konnte –, doch sie würden nicht gehört, nicht gesehen werden. Lolth war ver schwunden und hörte die Gebete, die an sie gerichtet wurden, nicht mehr. Sie bestrafte nicht einmal mehr die Lästerer. Im Abgrund der Dämonennetze hatten sie keine einzige Seele eines Toten gesehen. Halisstra mußte davon ausgehen, daß die Anhänger Lolths genauso wie ihre Göttin ins Nichts ver schwanden. Sollte Halisstra statt dessen Selvetarm anbeten, Lolths Kämpen? Es war durchaus möglich, daß er noch immer mit Vhaeraun kämpfte und sie gar nicht erhörte. Schlimmer noch: Er konnte auch längst tot sein. Gab es überhaupt noch einen Gott, der ihr zuhörte? Halisstra schauderte, zog die Knie an ihre Brust und schlang die Arme darum. Zumindest war Ryld in Sicherheit. Ihre Kapi tulation hatte ihm das Leben gerettet. Sie legte das Kinn auf die Knie, zuckte aber zusammen, als sie die Stelle berührte, an der sie sich an Rylds Schwert geschnitten hatte. Die Wunde war winzig, kaum größer als der Halbmond ihres Fingernagels, und doch brannte der Schnitt, als sei er eben erst entstanden.
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Obwohl Halisstras Kinn ihn kaum berührt hatte, war er wieder aufgerissen und blutete erneut. Draußen verstummte der Gesang. Halisstra hörte über sich ein Rascheln, sah auf und entdeckte Feliane, die im Farn knie te und auf sie herabstarrte. Die Priesterin hatte sich die schwarze Farbe aus dem Gesicht gewischt, nun war ihre Haut wieder so ungesund weiß wie die Haut eines Pilzes. Als sie dieses Gesicht sah, kam Halisstra zu der Ansicht, im Irrtum gewesen zu sein, als sie glaubte, der Himmel sei bewölkt. Der Mond mußte durch die Wolkendecke gebrochen sein, denn einen Moment lang war Felianes Miene von einem schwachen silbrigen Leuchten erfüllt. Dann war der Augenblick vorüber, und Halisstra konnte ihre Züge wieder klar und deutlich er kennen. Nun, und? fragte Halisstra in Zeichensprache. Welches ist mein Schicksal? Das Lied oder das Schwert? »Das Lied«, antwortete Feliane. Halisstra nickte und stand auf, da sie dem Tod aufrecht ge genübertreten wollte. Ich bin bereit, signalisierte sie mit angespannten, knappen Bewegungen. Auf Felianes Gesicht zeichnete sich ein Grinsen ab. Bei ei nem Drow wäre dies ein triumphierendes Mienenspiel gewe sen, doch sie sah so unschuldig und naiv aus, daß es wie ein warmherziges Lächeln wirkte. Halisstra verdrängte den alber nen Gedanken und straffte die Schultern, während sie weiter wartete. Feliane begann in Hochdrow zu singen. Irgendwo hinter ihr konnte Halisstra einen Frauenchor vernehmen, auch wenn Feliane die kräftigste Stimme hatte. »Steig auf aus der Finsternis, laß ins Licht dir helfen. Sieh hinauf zum Himmel, dem Geburtsrecht der Elfen.
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Tanze im Wald, sing mit der Brise Nimm im Mondschein deinen Platz ein auf der Wiese. Gib deine Kraft den Bedürftigen; bekämpfe das Böse mit Stahl. Schließ dich der Jagd an, andre Götter kennen keine Moral. Befreie dich vom Monster in dir und vom Monster an dir dran. Ihr Blut wäscht dich rein, zweifle nicht daran. Vertrau deinen Schwestern; in ihr Lied stimme ein. Schließ den Kreis, auf daß die Schwachen stark werden sein.« Feliane streckte ihre Hand hinunter ins Loch, als wolle sie Halisstra auffordern, sich ihr anzuschließen. Ihre fahle Haut hatte ein Leuchten angenommen, das dem des Mondes glich. Halisstra brauchte einen Augenblick, um die Bedeutung des Liedes und der Geste zu verstehen. Dies war keine Exekution, sondern eine Einladung – und nicht nur ein Einladung zu leben, sondern eine, sich dem Kreis der Priesterinnen von Eilistraee anzuschließen. Sie kniff die Augen zusammen. Das mußte ein Trick sein. »Vertrauen?« fragte sie und stellte überrascht fest, daß sie mit einem Mal wieder sprechen konnte. Sie mußte nicht den Zorn in ihre Stimme einfließen lassen, den sie empfand. Das Wort an sich war in der Sprache der Drow schon von einem negativen Klang geprägt, da es für Schwäche und Naivität stand. Sie mußte an die Allianzen denken, die sie mit ihren Schwestern hatte schließen wollen, und daran, wie diese Allianzen verraten worden waren. Sie hatte versucht, Norendia näherzukommen, indem sie ihrer Schwester von dem Barden erzählte, von dem sie ihre dunklen Lieder gelernt hatte. Wenige Zyklen später war dieser von einer der Straßen der Stadt in den Tod »gestürzt«. Noch wäh rend des gleichen Zyklus hatte die zweitälteste Tochter des Hauses Melarn einen Attentatsversuch auf sie unternommen. Halisstra war zu Norendia geeilt, damit die ihr half, doch auf
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dem Weg dorthin war sie hinterrücks angegriffen worden. Zum Glück war ihre Magie stark genug gewesen, um ihr Leben zu retten – und ihre Schwestern zu töten. »Vertrauen«, murmelte sie wieder. Hinter Feliane sah sie die Priesterin, die den Troll erschla gen hatte. Die Frau sah herab, lächelte und verschwand dann wieder aus Halisstras Blickfeld. Überlegungen jagten Halisstra mit der Geschwindigkeit von Blitzen durch den Kopf. Sie konnte ihre Bae’qeshel-Magie einsetzen, um Feliane dazu zu bewegen, ihr ein Seil zuzuwerfen. Dann würde sie die anderen Priesterinnen Eilistraees mit ei nem gewaltigen und schmerzhaften Knall außer Gefecht setzen und die Flucht antreten. Doch jedem ihrer Einfälle folgte so fort ein leiser Zweifel, der so beunruhigend war wie ferner Donner. Wollte Halisstra wirklich fliehen? Oder hatte der Eid, den sie geschworen hatte, vielleicht doch einen Hauch von Wahr heit enthalten? Sie hatte sich zur Oberflächenwelt hingezogen gefühlt, auch wenn sie den Grund nicht in Worte fassen konn te, weder sich selbst noch Ryld gegenüber. Nun begann sie zu verstehen. Verrat und Egoismus hatte sie stets als unauslösch liche Eigenschaften der Drow gesehen, aber nun erkannte sie langsam, daß es auch einen anderen Weg geben konnte. Die Drow an der Oberfläche vertrauten einander und waren bereit, auch ihr zu vertrauen, und das, obwohl sie wußten, daß sie eine ihrer Priesterinnen getötet hatte und daß sie so etwas vielleicht wieder tun würde. Der Glaube an ihre Fähigkeit, Buße zu tun, war sehr stark, selbst wenn es nur die Worte der sterbenden Priesterin waren, auf denen dieser Glaube aufbaute. Oder war da mehr? Von oben irgendwo erklang eine Flöte, die ein paar leise, zögerliche Töne spielte. Sie erinnerten Halisstra an die Klänge,
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die Seylls Schwert im Kampf gegen die Blutmücken von sich gegeben hatte, und an den einen durchdringenden Ton, der sie vom Himmel geholt hatte. War dabei Eilistraees Magie ins Spiel gekommen? Hatte Halisstra Eilistraee bereits da akzep tiert? Zitternd hob sie die Hand an den Kopf, wie es die Figuren taten, die an die Höhlenwände gemalt waren. »Ich nehme es an, Eilistraee«, sagte Halisstra. »Ich werde dir dienen.« Sie fühlte, daß ihr eine Träne über die Wange lief, sagte sich aber wütend, es sei nur ein Wassertropfen vom Farn hoch oben an der Öffnung in der Decke – bis ihr klar wurde, daß es nicht wichtig war. Auch Feliane hatte zu weinen begonnen. Die Elfenpriesterin stimmte einen Gesang an, und Halisstra merkte, daß ihr Körper leichter wurde. Der Steinboden blieb unter ihr zurück, während sie angezogen von Felianes Zauber aufwärts schwebte. Der Kreis aus Farn rings um das Loch schien zu eng, um hindurchzupassen, also legte Halisstra die Arme vor die Brust, damit sie schmäler war. Während sie durch die Öffnung aufstieg, strich der Farn über ihr Gesicht und veranlaßte sie, die Augen zuzukneifen. Ihr Leib schob sich durch das Loch, glitt aus der Höhle, dann fühlte sie Dutzende von Händen, die ihr alle nach oben halfen. Die Priesterinnen hatten sich rings um die Öffnung geschart, umarmten sie und sangen. »Steig auf aus der Finsternis, laß ins Licht dir helfen ...« Halisstra öffnete die Augen, sah auf und erblickte den Vollmond, der durch die Wolkendecke brach. Das Gesicht Eilistraees lächelte sie an und ließ Freudentränen auf sie herab regnen. »Eilistraee!« rief Halisstra. »Ich bin dein!«
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»Die Göttin heißt dich in ihren Armen willkommen«, flüs terte Feliane. »Nun mußt du dich auf die Aufgabe vorbereiten, die sie dir gestellt hat.«
Ryld runzelte verwirrt die Stirn, als er die Abdrücke im Schneematsch untersuchte. Er war sicher, daß er noch immer der Spur des Tiers folgte, doch plötzlich hatten sich die Ab drücke verändert. An einer Stelle, an der die Bestie eine Pause gemacht hatte, verwandelte sich die Spur in etwas, das vom nackten Fuß eines Drow zu stammen schien, allerdings mit tiefen Eindrücken an jedem Zeh, wo eine Kralle zu sitzen schien. So erinnerte der Abdruck Ryld ein wenig an den eines Orks, doch dazu paßten die Schritte, die das Tier von diesem Punkt an gemacht hatte, nicht. Die Bestie hatte sich erhoben und war auf zwei Füßen weitergelaufen. Das Muster der Abdrü cke glich dennoch nach wie vor dem eines Vierbeiners. Mit dem Kurzschwert in der Hand folgte Ryld weiter den Spuren. Das Tierwesen hatte versucht, seine Spur zu verwi schen, indem es über Felsen und Stämme und durch einen Bach gewatet war, doch Ryld hatte keine Schwierigkeiten, die Spur zu finden. Er war es gewohnt, Widersacher auf dem glat ten Fels der Höhlen und Tunnel aufzuspüren. Auch wenn der Schneematsch schmolz, war die Spurensuche ein Kinderspiel. Dann entdeckte er ein kleines Bauwerk tief im Wald, das aus grob behauenen Bäumstämmen errichtet worden war. Das Gebäude, das nur einen Raum zu umfassen schien, machte einen verwahrlosten Eindruck und wirkte, als würde es jeden Moment zusammenbrechen. Die Tür hing schief in den An geln und wurde nur noch von einem einzigen, verrosteten Scharnier gehalten. Auf dem Dach wuchs dichtes Moos, hier und da waren sogar Pflanzen in die Höhe geschossen. Brenn
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holz, das einst an einer Wand aufgestapelt gewesen war, lag verstreut auf dem Boden und war stellenweise von Pilzen über zogen. Ein klaffendes Loch in der Decke ließ erkennen, wo sich früher der Kamin befunden hatte. Ringsum lagen zerbro chene Flaschen und rostige Töpfe, als hätten Aasfresser sie schon vor langem aus der Hütte geholt. Diese wirkte so, als würde sie seit einiger Zeit nicht bewohnt. Doch in der Hütte regte sich etwas. Ryld zog seinen Piwafwi enger um sich und schlich näher heran. Er trat auf etwas Weiches, und der Gestank frischer Exkremente stieg ihm in die Nase. Er verzog angewidert das Gesicht. Nicht einmal in den Elendsvierteln Menzoberranzans verrichteten die Bewohner ihre Notdurft so nah bei ihrer Un terkunft. Wer immer in der kleinen Schutzhütte lebte, war nicht besser als ein Tier, dachte der Waffenmeister und wisch te sich wütend den Stiefel ab. Er blickte gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie eine klei ne schwarze Gestalt aus der Hütte auf ihn zuschoß. Es war die gleiche Art von Tier, die er verfolgt hatte – aber nicht dassel be. Als die Bestie ihre Zähne ins Handgelenk seiner Schwert hand schlug, gewannen Rylds Kriegerinstinkte die Oberhand. Er griff ins Nackenfell der Kreatur und nutzte deren Schwung aus, um sie gegen einen Baum rennen zu lassen. Benommen taumelte sie zur Seite und schüttelte den Kopf. Ryld wirbelte sein Schwert herum und zielte auf die Kehle des Tiers, das sich aber als schneller als erwartet erwies. Seine Klinge donnerte gegen den Baum dahinter, während sich die Bestie abrollte. Nachdem Ryld sein Schwert aus der Rinde gezogen hatte, ging er auf die Kreatur zu – und sah, wie sie sich auf die Hin terläufe stellte. Die Vorderpfoten hielt sie auf eine Weise, die Kapitulation bedeutete. Das Maul öffnete sich und bildete
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Worte, die halb Sprache, halb Kläffen waren. »Wartet!« keuchte das Tier in einem sonderbaren Akzent des Plattdrow. »Freund.« Ryld zögerte, ließ sein Schwert aber nicht sinken. »Du kannst sprechen?« fragte der Waffenmeister. Die Kreatur nickte hektisch, dann schloß sie die Augen, als ein Zittern sie durchlief. Im Fell zeigten sich kahle Stellen, die sich rasch ausbreiteten und fahle Haut freilegten. Die Schnau ze schrumpfte und wurde flacher. Vom leisen Krachen des Knorpels begleitet veränderte sich das Aussehen der vier Bei ne, und aus Pfoten wurden Hände und Füße. Nachdem die Verwandlung abgeschlossen war, stand ein nackter menschlicher Junge dort, wo sich eben noch die Bestie befunden hatte. Wäre er ein Drow gewesen, hätte Ryld den Jungen auf zwanzig Jahre geschätzt. Doch Menschen wurden schneller erwachsen, daher war er wohl im Höchstfall zehn oder zwölf. Sein schwarzes Haar war zerzaust, seine Hände und Füße so dreckig wie die eines Straßenbalgs aus den Straßen des Gestanks. »Was bist du?« fragte Ryld. Der Junge antwortete mit einem Wort, das Ryld nicht er kannte, da es aus einer der Sprachen der Oberflächenwelt stammte. Als der Junge sah, daß Ryld ihn nicht verstand, wechselte er zu Plattdrow. »Eine Mischung zwischen Wolf und Mensch«, antwortete er. »Ich wechsle zwischen beiden.« »Wolf?« »Das Pelztier, das auf vier Beinen läuft«, erwiderte der Mensch. Der Waffenmeister nickte. »Wo ist der andere Wolfsmensch?« fragte Ryld den Jungen. »Der graue.«
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Mit einem Auge achtete er auf das Gebäude und den Wald ringsum, wütend auf sich selbst, daß er zuvor unaufmerksim gewesen war. »Außer mir ist hier niemand.« »Lügner«, fuhr Ryld ihn an. Er trat vor und drohte dem Jungen mit dem Schwert. »Ist der größere ein Elternteil von dir? Willst du ihn beschützen?« »Ich habe keine Eltern mehr. Sie wurden bei einer Jagd ge tötet, in dem Jahr, als ich geboren wurde«, erklärte der Junge, der nicht nur trotzig stehenblieb, sondern Ryld überdies wü tend ansah und für ein Kind seines Alters bemerkenswerten Mut zur Schau stellte. »Von Euren Leuten.« Ryld dachte darüber nach und fragte dann: »Hast du des halb gelernt, Drow zu sprechen? Warst du ein Sklave?« »Mein Großvater war Sklave, aber er wehrte sich.« »Der graue Wolf?« riet Ryld. »Das ist dein Großvater? Wo ist er?« »Er ist nicht hier«, erwiderte der Junge und warf allzu bei läufig einen Blick in den Wald, der der Hütte gegenüberlag. Der Blick verriet Ryld alles, was er wissen mußte. Die Lüge war glasklar. Der Waffenmeister streckte die Hand aus und packte den Haarschopf des Jungen. »Ich verstehe«, sagte Ryld. »Dann werden wir uns mal mit ihm unterhalten.« Halb zog er den Jungen zur Schutzhütte, halb schob er ihn vor sich her. Unmittelbar vor der Tür hielt er sein Schwert an die Brust des sich windenden Jungen, dann rief er: »Wenn Ihr wollt, daß der Junge lebt, dann zeigt Euch. Gebt mir ein paar Informatio nen, und ich werde sein Leben und Eures verschonen.« Aus der Hütte war als Antwort nur ein leises Stöhnen zu
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hören. Im gleichen Moment wand sich der Junge in Rylds Griff und versuchte, sich zu befreien. Ryld warf ihn zu Boden und stellte ihm einen Fuß auf die Brust. Er hob sein Schwert, da er längst zu wütend geworden war, um sich länger darüber Gedanken zu machen, ob er Informationen bekam oder nicht. »Halt!« ertönte eine japsende Männerstimme. »Ich sage Euch ... alles ... was Ihr wissen wollt.« Ryld blickte auf und sah einen Menschen mit grauem Haar und einem Bart, der bis auf die Brust reichte, der in der Tür öffnung der Hütte lehnte und eine schmutzige Decke um die Schultern trug. Sein Gesicht war abgezehrt, seine rechte Wade hatte blaue Flecken und war auf den doppelten Umfang ange schwollen. Der Fuß selbst war ein zerfleischtes, blutiges Etwas, das aussah, als hätte man es auf Dornen gespießt und dann losgerissen. Der Junge rief seinem Großvater etwas zu, das Ryld nicht verstand. Die Gesten machten jedoch deutlich, daß er den Alten zur Flucht antreiben wollte. Der Grauhaarige – der wirkte, als sei er Jahrhunderte alt, der in Wirklichkeit die Fünfzig vermutlich noch nicht überschrit ten hatte – sah auf seinen verletzten Fuß. »Weglaufen?« fragte er den Jungen auf Drow, wohl, damit Ryld ihn verstand. »Wie denn?« Dann sah er Ryld an und fragte: »Was wollt Ihr ... wissen?« »Die Priesterinnen Eilistraees«, sagte Ryld. »Haben sie hier einen Tempel?« Abrupt hörte der Junge auf, sich zu winden, und sah Ryld an. »Ihr nehmt nicht an der Jagd teil?« fragte er. Ein finsteres Lächeln huschte über das Gesicht des älteren Mannes. »Nein. Würde er sonst fragen?« Dann wandte er sich an Ryld: »Laßt meinen Enkel gehen ... dann sage ich Euch, wo
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der Tempel ist.« Ryld nahm seinen Fuß von der Brust des Jungen. Der sprang sofort auf. Er stand lauernd da, leicht vornübergebeugt und mit angewinkelten Armen, als wolle er wieder Wolfsgestalt an nehmen. Der grauhaarige Mann lachte leise, dann winkte er dem Jungen zu. »Yarno, laß ihn. Man erkennt es am Ausdruck seiner Augen. Er ist ein Feind des Tempels, und ein Feind unseres Feindes ...« »... ist Euer Freund«, ergänzte Ryld. Der Alte nickte und fragte: »Verfügt Ihr über Heilmagie ... Freund?« »Beantwortet erst meine Frage«, gab Ryld zurück. »Dann werde ich mich um Eure Heilung kümmern.« Zu Rylds Überraschung lachte der Mann. »Nicht um mei ne«, sagte er. »Um Eure.« Ryld sah auf die Stelle, an der der Junge ihn gebissen hatte. Die Zähne waren durch die Haut gedrungen, und Blut lief über den Handrücken. »Das ist nur ein Kratzer«, erwiderte er. Der Alte schüttelte den Kopf. »Sag es ihm, Yarno. Er ... er weiß es nicht.« »Was sagen?« fragte Ryld argwöhnisch. »Wir sind Werwölfe«, sagte der Junge. »Meist wandeln wir unsere Gestalt, weil wir es wollen. Doch wenn Vollmond ist, werden wir gegen unseren Willen zu Wölfen. Wenn das ge schieht, haben wir keine Kontrolle über uns. Wir greifen jeden an, auch unsere Freunde. Wenn wir am nächsten Morgen erwachen, wissen wir nicht, was wir getan haben.« »Eure Familie ist verflucht?« fragte Ryld, der sich gar nicht erst die Mühe machte, zu fragen, was wohl ein Vollmond war. »Es ist kein Fluch«, erwiderte der Alte. »Es ist eine Krank
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heit, die übertragen werden kann ... durch Bisse.« »Sie nennen uns ›Monster‹«, fügte Yarno gequält an. »Sie jagen uns.« Ryld nickte, da er den Schmerz des Jungen nachvollziehen konnte. Das Leben als Werwolf im Wald mußte dem Leben in den Elendsvierteln Menzoberranzans recht ähnlich sein. Er mußte an seine Kindheit denken, als er sich immer vor der nächsten Gruppe betrunkener Adliger fürchtete, die in den engen Gassen ihrem »Sport« nachgingen, indem sie mit ihrer Magie die schreienden Geschöpfe des Braeryn jagten, auf sie einschlugen, während sie mit ihren Echsen über sie hinwegflo gen, und ihre Opfer dann auf dem schmutzigen Pflaster der Gassen verbluten ließen. Der Junge starrte Ryld an, die Augen von Sehnsucht und von nie geheiltem Schmerz erfüllt. Auch wenn er ein Mensch war, kam es Ryld vor, als blicke er in einen Spiegel. Ryld öff nete den Mund einen Spaltbreit, und fast hätte er es laut aus gesprochen: Ich wurde selbst auch gejagt. Ich kann es verste hen ... in dem Moment unterbrach ihn der Großvater des Jungen. »Ich habe Belladonna«, sagte er. »Yarnos Eltern pflanzten es im Wald an, weil sie hofften ... es würde ihren Sohn ver schonen. Dies war einst ihr Heim.« Er hielt inne, um Luft zu holen, dann fuhr er fort. »Von dem Kraut wird Euch übel wer den, aber wenn Ihr es eßt ... dann könntet Ihr die Krankheit vermeiden.« Ryld nickte und steckte sein Schwert weg. »Sagt mir, wo der Tempel ist, dann werde ich sehen, was ich tun kann, um Eure Wunde zu reinigen und die Knochen zu richten. Dann werde ich darüber nachdenken, dieses Bella donna zu probieren.«
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Valas Hune erwachte, als er spürte, daß etwas Weiches, Schleimiges über seine linke Gesichtshälfte strich. Er riß den Kopf zurück und sah vor sich einen Tentakel – einen von vieren, die aus dem Rumpf einer gewaltigen, fischähnlichen Kreatur mit drei Augenschlitzen wuchsen. Er versuchte, im Wasser mehr Abstand zwischen sich und die Kreatur zu bringen, mußte aber schnell feststellen, daß sich Gitterstäbe in seinen Rücken drückten. Sein Blick war auf den Abolethen vor ihm gerichtet, der langsam die Tenta kel zurückzog. Der Leib der Kreatur war ein halbes Dutzend Schritte lang, die breite Schwanzflosse war geteilt. Die gum miartige, bläulichgrüne Haut war mit grauen Klecksen über sät und wurde von einer dicken Schleimschicht geschützt. Der Bauch war grünlich-rosa, das gewaltige Maul öffnete und schloß sich beständig wie das eines Fischs. Die drei roten
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Augen befanden sich in einer vertikalen Linie auf der Stirn. Die Tentakel, die jeweils halb so lang wie der Rumpf waren, traten an einer Stelle gleich hinter dem Kopf aus. Sie beweg ten sich träge im Wasser und ließen schleimige Schlieren zurück. Valas spürte den Schleim auf seinem Gesicht, wo der Ten takel ihn berührt hatte, und konnte den Klumpen riechen, der sein linkes Nasenloch verstopfte. Indem er kräftig durch die Nase ausatmete, befreite er sich von dem Ärgernis. Er überprüfte seine Waffen und stellte fest, daß seine Kukris noch in den Scheiden steckten. Ein weiterer Blick ließ ihn erkennen, daß auch all seine Talismane noch da waren, wo sie hingehörten. Dann sah er sich sein Gefängnis an. Der Käfig war aus stabilem Eisen, eine Tür nirgends zu se hen. Der Boden ruhte auf dem Seegrund in hüfthohem Tang, der vom Gewicht des Käfigs zerdrückt worden war. Jenseits des Gitters jagten kleine leuchtende Fische in den sich sanft wie genden Strängen umher. In einiger Entfernung reichten Sta lagmiten bis zur Wasseroberfläche weit über ihm. An den Sei ten war diese Felsformation mit Öffnungen durchsetzt, durch die andere Abolethen schwammen. Valas erkannte, daß es sich bei den Stalagmiten um die Gebäude handeln mußte, die Zan horiloch bildeten. Der Aboleth wirkte nicht aggressiv. Er starrte ihn einfach nur an, wie ein Besucher in einem Zoo. Valas setzte zur Zei chensprache an und hoffte, die Kreatur möge ihn verstehen. Warum bin ich gefangen? Der Antwort kam in einer Stimme, die klang, als würde man Luftblasen ins Wasser entweichen lassen: »Du bist unbe rechtigt hierher vorgedrungen.« Die Worte waren in der Handelssprache der Unterreiche gesprochen, einer Sprache, die sich aus einfachen Worten und
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Sätzen verschiedener Sprachen des Unterreiches zusammen setzte. Aus gutem Grund, signalisierte Valas. Da seine Lungen vol ler Wasser waren, konnte der Späher nicht sprechen. Ich suche etwas. Ein Schiff aus Knochen und Fleisch, geschaffen von Dämo nen. »Du gierst nach Wissen.« Ja. Habt Ihr ein solches Schiff gesehen? »Ich habe es nicht konsumiert.« Valas Hune runzelte die Stirn. Der Schleim, den der Abo leth auf seinem Gesicht verteilt hatte, war wieder in sein lin kes Nasenloch gelangt. Er hielt sich das rechte zu, dann schneuzte er kräftig. Ihr habt das Schiff gesehen – aber es nicht gegessen? fragte er. Der Aboleth bewegte seine Tentakel, was womöglich ein Zeichen von Gereiztheit war, vielleicht aber auch nur ein einfaches Schulterzucken. »Ich habe es nicht gesehen, und ich habe auch kein Wissen darüber konsumiert.« Konsumiert? Valas gefiel dieses Wort nicht. Wie konsumiert Ihr Wissen? fragte er. »Von unseren Eltern, nachdem wir geschlüpft sind. Von anderen Kreaturen wie dir. Wir konsumieren sie.« Ihr ... eßt sie? fragte Valas. Werdet Ihr mich auch essen? »Das ist nicht mein Privileg«, entgegnete der Aboleth, dann fragte er: »Besitzt du Wissen über dieses Schiff?« Valas Hune schüttelte den Kopf und unterstrich das mit ei ner bedauernden Geste. Nein. Ich hörte, die Abolethen wüßten etwas über ein solches Schiff. Deshalb kam ich her, um herauszu finden, ob es wirklich existiert oder nur ein Gerücht ist. »Woher kommst du?« fragte der Aboleth. »Wie bist du hergekommen?«
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Valas überlegte, was er antworten sollte. Versuchte der A boleth herauszufinden, ob er allein zum Thorootsee gekommen war – oder wollte er die Menge an Informationen in Valas’ Verstand einschätzen, ehe er ihn verzehrte? Er versuchte, eine Antwort zu geben, die ihn nicht wie eine köstliche Zwischen mahlzeit erscheinen ließ, zugleich aber seine Chancen auf eine Flucht verbesserte. Daß er sich in einem Käfig befand und nicht sofort von dem Abolethen verspeist worden war, hatte etwas Vielversprechendes. Vielleicht wurde er für einen ande ren Abolethen aufbewahrt, der »privilegierter« war. Zumindest hoffte er, damit richtigzuliegen. Wenn der Abo leth sich zurückzog, um seinen Vorgesetzten erste Ergebnisse seiner Befragung zu präsentieren, konnte Valas zur Flucht das sternförmige Amulett benutzen, das noch immer an seiner Weste hing. Ich bin aus Menzoberranzan, signalisierte Valas. Ich bin Soldat im Dienste eines der Häuser der Stadt. Die Muttermatrone nutzte ihre Magie, um mich herzubringen, damit ich nach dem Dämonen schiff suche. In Kürze wird sie sich der gleichen Magie bedienen, um mich wieder heimzuholen. Womit mein bevorstehendes Verschwinden aus diesem Kä fig erklärt ist, fügte er im Geiste an. Hoffentlich wird das den Abolethen vermitteln, daß es sinnlos wäre, nach mir zu su chen. Abermals hatte sich Schleim in seiner Nase festgesetzt, und abermals blies er ihn heraus. Dann wischte er sich mit dem Ärmel übers Gesicht, doch die Folge davon war, daß er den Schleim noch mehr verteilte. Allmählich begann er sich zu sorgen und hörte auf zu reiben. Das Bild des Drow-Dings, das die Quallen gehütet hatte, tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Kribbelte sein Ohr? Er widersetzte sich dem drängenden Wunsch, es anzufassen, da er fürchtete, daß es womöglich
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bereits seine ursprüngliche Form verloren hatte. »Du wirst nicht zurückkehren«, erklärte der Aboleth. Valas schauderte und mußte gegen das Gefühl von Übelkeit ankämpfen, das ihn erfaßte. Soll ich zum Sklaven gemacht werden? Hat Eure Stadt keine Muttermatrone – keinen Herrscher, bei dem ich vorsprechen kann? Ein Kräuseln durchfuhr den Leib des Abolethen. Valas frag te sich, ob das ein Zeichen der Verärgerung oder der Belusti gung war. »Viele Strömungen ist es her, daß Oothoon jemanden vom trockenen Volk getroffen hat. Du bist nur ein Diener bei dei nem Volk, du bist ihrer Aufmerksamkeit nicht wert. Was dei ne Frage angeht: Du bist bereits ein Sklave Oothoons. Wenn deine Verwandlung abgeschlossen ist, wirst du ihr dienen.« Diesmal befühlte Valas sein Ohr. Es lief noch spitz zu, doch es kribbelte eindeutig, so wie seine linke Gesichtshälfte, seine linke Hand und das linke Handgelenk. Die Finger dieser Hand fühlten sich klebrig an. Als er versuchte, sie zu spreizen, stellte er fest, daß die beiden linken so wie die beiden rechten Finger zusammenzuwachsen begannen. Gräuliche Haut bildete sich zwischen deformierten Gliedmaßen und reichte bis zum ersten Fingergelenk. Wie lange wird die Verwandlung dauern? fragte er und hielt seine fast unbrauchbare linke Hand hoch. »Höchstens drei Boorms«, antwortete der Aboleth. »Wenn sie abgeschlossen ist, komme ich wieder und lasse dich aus dem Käfig.« Dann schlug er kraftvoll mit der Schwanzflosse und schwamm davon. Valas hatte keine Ahnung, wie lange ein »Boorm« war. Es mochte so lange dauern wie ein Zyklus Narbondels – in dem Fall konnte die Zeit noch reichen, um zu den anderen zurück
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zugelangen, wenn Pharauns Zauber nicht bis dahin seine Wir kung verlor. Ein Boorm konnte auch so lange dauern wie ein Herzschlag. Mit Schaudern betrachtete er seine Hand. Je eher er die Flucht antrat, desto besser für ihn. Der Aboleth schwamm zügig zurück zur Stadt, ohne seinen Gefangenen auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Valas berührte den neunzackigen Stern auf seiner Brust und spürte das vertraute Ziehen seiner Magie. Dann fand er sich an der Stelle wieder, die er ausgesucht hatte und die gut hundert Schritte von ihm entfernt war – doch er saß nach wie vor im Käfig. Der landete auf einem frischen Flecken Tang und ließ eine kniehohe Staubwolke aufsteigen, die einen Schwarm winziger Fische verängstigt auseinanderstieben ließ. Hatte er mit irgendeinem Körperteil den Käfig berührt und ihn deshalb mit durch die Dimensionen genommen? Der Käfig war zu schwer, um von der Magie des Talismans umschlossen zu werden, dennoch war das die einzige Erklärung, die Valas in den Sinn kam. Rudernd brachte er sich genau in der Mitte des Käfigs in Position und versuchte es ein weiteres Mal, nun über eine kürzere Distanz. Erneut vollzog der Käfig den Sprung mit ihm. Valas runzelte die Stirn. Offenbar war der Käfig mit Magie belegt worden, damit er ihm nach überallhin folgte. Wäre seine Brosche stärker gewesen, hätte er sich mit wenigen Sprüngen ans andere Ende des Sees befördern können, da er nur der stärksten Strömung folgen mußte, die aller Wahr scheinlichkeit nach von dem Wasserfall stammte. Doch die Magie der Brosche hatte Grenzen. Noch zwei weitere Sprünge wie der erste, und sie würde für einen Zyklus unbrauchbar sein, da sie sich regenerieren mußte. Indessen kroch der Schleim des Tentakels wieder über sein Gesicht und seinen linken Arm. Er pumpte seine Lungen voll
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Wasser und atmete es durch die Nase wieder aus, um sie freizu bekommen. Wieviel Zeit mochte ihm bleiben? Wenigstens war er noch bei Verstand, und vermutlich würde der auch das einzige sein, was ihm blieb. Das Drow-Ding hatte einen eige nen Willen erkennen lassen. Es hatte Valas vor Zanhoriloch warnen können – auch wenn es nichts genützt hatte. Es wird Zeit, einen anderen Weg zu versuchen, dachte der Späher. Valas nahm eines seiner magischen Objekte von seinem Hemd: ein kleines Mithral-Röhrchen, das nicht länger war als sein Finger. Er ruderte mit der linken Hand – an der die Schwimmhäute bereits bis zum zweiten Gelenk gewachsen waren – und tippte mit dem Röhrchen gegen einen der Gitter stäbe. Eine helle, klare Note wurde vom Wasser weitergetra gen, weiter geschah nichts. Welche Tür auch immer aus dem Käfig führen mochte, auf die Magie der Glocke reagierte sie zumindest nicht. Er steckte die Glocke zurück in die Tasche und tastete nach der Brosche, die seine letzte Hoffnung darstellte. Sie war mit mattgrauen Steinen besetzt, um die Dutzende winziger, unge schliffener Edelsteine angeordnet waren. Die Brosche, die von den Tiefengnomen geschaffen worden war, hatte die Macht, ihren Träger in eine Illusion zu hüllen und ihm jedes Aussehen zu verleihen, das er sich vorstellen konnte. Sie verwandelte ihn aber nicht und konnte auch keine komplexen Illusionen – erzeugen – sie vermochte also nicht, einen Drow wie einen Abolethen aussehen zu lassen –, doch Valas konnte sein Er scheinungsbild um einiges verändern. Er drehte den Edelstein in der Fassung und fühlte, wie ein warmer Schauer durch seinen Körper lief. Als er an sich her abblickte, »sah« er mit Schwimmflossen ausgerüstete Hände und Füße sowie eine geteilte Schwanzflosse. Die Magie der Bro
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sche hatte gewirkt und ließ ihn wie das Drow-Ding aussehen. Alles hing von seiner Mutmaßung ab, daß die Magie des Käfigs ihre Wirkung verlor, sobald seine Verwandlung abge schlossen war. Er stieß sich vom Boden ab und näherte sich der Decke, während er betete, daß der Käfig verschwinden würde. Sein Kopf traf mit solcher Wucht gegen die Gitterstäbe, daß er Sterne sah. Er schnitt eine Grimasse und ließ sich wieder in die Mitte sinken. Das war es dann gewesen. Diese Brosche war seine letzte Hoffnung gewesen. Selbst die Illusionsmagie der Svirfneblin war machtlos gegen den Käfig, in dem er festgehalten wurde. Er saß in der Falle. Er konnte nur warten, bis sein Körper tat sächlich das Aussehen annahm, das die Illusion ihm im Mo ment nur vorgaukelte. Bis er selbst zu einem Drow-Ding ge worden war. Ich lasse das nicht zu, dachte er. Ich will einen sauberen Tod. Den Tod eines Soldaten, nicht das hier. Er zog einen seiner Kukris, der einen Schlag magischer E nergie in alles jagte, was er berührte. Ihn würde die Magie nicht treffen, wenn er den Dolch in der Hand hielt – es war eine Vorsichtsmaßnahme gegen versehentliche Verletzungen –, doch wenn er das Heft in den Boden rammte, dann konnte er sich auf die nach oben gerichtete Klinge fallen lassen. Er griff nach einer der Gitterstangen, die den Boden bildeten, und benutzte den Dolch, um den Seegrund zu bearbeiten. Der erwies sich aber als massiver Stein und war damit zu hart, so daß er sich an eine andere Position begeben mußte. Er ruderte zur Oberseite des Käfigs und spähte hinüber zu der Stelle, an der sein Gefängnis eben noch gestanden hatte. Er sah jedoch nur eine sich sanft wiegende Fläche Tang, nir gends die plattgedrückte Fläche, die er erwartet hatte. Sah er womöglich in die falsche Richtung? Nein, er konnte Zanhori
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loch in der Ferne ausmachen. Sein Orientierungssinn hatte ihn nicht im Stich gelassen. Dennoch war es ihm unmöglich, den Punkt zu sehen, an dem der Käfig zuletzt gestanden hatte. Genausowenig konnte er die Stelle erkennen, an der sich sein Gefängnis befunden haben mußte, als er erwacht war. Das Gewicht des Käfigs hätte den Tang plattdrücken müssen. Ah ... da. Er entdeckte eine quadratisch niedergedrückte Fläche im Tang, die gut dreißig Schritte entfernt war – was aber auch keinen Sinn ergab. Gerade eben hatte er noch genau dort hingesehen. Trübte der Schleim seinen Blick? Nein, er sah klar und deutlich wie immer. Dann kam ihm die Antwort in den Sinn: Der Käfig war ei ne Illusion, eine unglaublich mächtige Illusion, die alle Sinne erfaßte. Die Gitterstäbe waren nicht nur zu sehen, sie fühlten sich auch echt an. Sie hatten seine Glocke sogar erklingen lassen, als er sie berührte – zumindest war er dieser Ansicht gewesen. Wenn er die Augen schloß und sich so sehr konzent rierte, daß es schon schmerzte, konnte er den felsigen Boden unter seinen Füßen spüren. Rudernd – um den Kontakt nicht zu verlieren – schob er einen Fuß weiter – und stieß nirgends auf Widerstand. Statt von den Gitterstäben gestoppt zu wer den, glitt der Fuß auf dem kahlen, rauhen Fels weiter. Das tat er solange, bis er schließlich doch auf Widerstand stieß – einen Strang Tang. Die Berührung machte beinahe seine Konzentration zunichte, da sie dem Kontakt mit dem Tentakel so ähnlich war, das den Schleim auf seinem Gesicht zurückgelassen hatte. Obwohl ihm schauderte, ging er immer weiter, bis er fühlte, daß er ringsum von Tang umgeben war. Erst dann öffnete er die Augen. Er hatte es geschafft. Der illusionäre Käfig war verschwun den. Er war frei.
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Doch wie lange? Seine linke Hand konnte er nicht mehr richtig bewegen. Sie wies nur noch zwei Finger auf, zwischen denen eine dicke Schwimmhaut gewachsen war. Sein linkes Ohr fühlte sich seltsam an, ebenso sein linkes Auge. Es schloß sich immer wieder, und die Farben, die er mit diesem Auge sah, kamen ihm irgendwie verkehrt vor. Eine weitere Bestätigung seines Schicksals fand sich, als er einen seidigen, weißen Klum pen davontreiben sah – das Haupthaar seiner linken Kopfhälfte. Er sah zurück nach Zanhoriloch, wo die Geschöpfe der Stadt noch immer ihren Geschäften nachgingen und zwischen den Stalagmiten-Türmen hin und her schwammen, ohne daß seine Flucht bemerkt worden war. Er schien keinen Alarm ausgelöst zu haben, und kein Aboleth kam in seine Richtung geschwommen, um ihn aufzuhalten. Freude kam in ihm auf, doch sie war nur von kurzer Dauer. Sein Herz wurde schwer, als ihm klar wurde, daß seine Flucht nicht lange währen wür de. Bald würde er ein Drow-Ding sein, für immer verwandelt in eine wasseratmende Kreatur. Der See würde dann sein Ge fängnis sein. Doch auch wenn er wußte, daß seine Anstrengungen verge bens sein würden, da keiner seiner Gefährten über entspre chende Heilmagie verfügte, und auch wenn sie ihn vermutlich für ein Monster halten und auf der Stelle töten würden, steck te Valas das Kukri in die Scheide zurück und begann, gegen die Strömung zu schwimmen. Er hatte den ersten Teil seiner Pflicht als Söldner erfüllt: Er war geflohen. Als nächstes würde er Bericht erstatten, auch wenn dieser Bericht sehr mager ausfiel, abgesehen von der Warnung, Zanhoriloch um jeden Preis zu meiden. Wenn er Bericht erstattet hatte, würde er einen von ihnen dazu bringen, ihn zu töten. Sollten sie sich alle weigern, dann würde er es selbst in die Hand nehmen.
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Andzrel Baenre, Waffenmeister des Hauses Baenre, stand in der Höhle und gab seinen Truppen Anweisungen. Unentwegt eilten Meldeläufer durch das halbe Dutzend Tunnels hin und her und überbrachten Neuigkeiten vom Kampf um die Zu gangswege nach Menzoberranzan. Soldaten des Hauses Baenre verteidigten den nördlichen Ausgang von Ablonshiers Höhle. Aus dem Verbindungstunnel hörte Andzrel den leisen me tallenen Aufprall der stählernen Drow-Schwerter auf die Streitäxte der Tanarukks. Eine Gruppe Duergar hatte versucht, sich den Weg durch einen Tunnel freizukämpfen, der um die sen Ausgang herumführte, war dann aber in die Netze geraten, die die Magier in Andzrels Truppe gesponnen hatten. Der jüngste Bericht besagte, die Netze seien in Flammen aufgegan gen. Offenbar versuchten die Tanarukks – halb Ork, halb Dämon –, sich den Weg freizubrennen, und das auf Kosten der
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verbündeten Grauzwerge, die sich in den klebrigen Fäden verfangen hatten. Der Gestank verbrannten Haars und Flei sches hing im Tunnel. In den Höhlen westlich von Andzrels Position hatten Baen re-Truppen eine Gruppe Duergar zurück in ein Faerzress ge trieben und sie mit Leuchtkugeln beworfen. Das anschließende Feuerwerk war nach den Worten der Werfer spektakulär gewe sen, auch wenn sie in Folge ihres tatkräftigen Einsatzes erblin det waren. Weitere Kämpfer des Hauses Baenre, die sich hinter einer Biegung versteckt gehalten hatten, waren dann vorge stürmt, um die geblendeten Duergar zu erledigen. Andzrel sehnte sich danach, an diesen Kämpfen teilzuha ben. Wie gerne wäre er durch die engen, gewundenen Tunnel der Dunklen Domäne gekrochen, um mit dem Schwert in der Hand in der beengten Umgebung von Mann zu Mann dem Feind gegenüberzutreten. Statt dessen kauerte er auf einem abgebrochenen Stalagmiten und gab den Truppen Anweisun gen, die an ihm vorbei in die Schlacht stürmten, während er zurückbleiben mußte. Er versuchte, sich als Spinne in der Mit te ihres Netzes zu sehen, die auf die Schwingungen des Kampfs reagierte, die von allen Seiten kamen, doch es half nichts. Er brauchte irgendeinen Vorwand, um sein Schwert zu ziehen, um sich dem Feind in einer ruhmreichen Schlacht zu stellen, wie er es an den Säulen des Leids getan hatte, als er den Sieg den Fängen des Verrats entrissen hatte. Doch die Verteidigung der Tunnel verlief zu mühelos. Von Triels Warnung aufgerüttelt, hatten die Muttermatronen ihre Truppen in die Dunkle Domäne im Südosten der Stadt ge schickt und dem Vorrücken der feindlichen Streitkräfte ein jähes Ende gesetzt. Die Duergar schienen sich zurückgezogen zu haben, während die Tanarukks weiterkämpften. Auch wenn die Geknechtete Legion Tausende von Kriegern umfaßte, glich
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der Versuch, sie durch das enge Tunnelsystem vorrücken zu lassen, dem sinnlosen Bemühen, eine Melone durch einen Flaschenhals zu drücken, und doch wurden die Truppen unab lässig nach vorn geschickt, als würden sie erwarten, die Tunnel gänzlich unbewacht vorzufinden. Seufzend wandte Andzrel seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu. Sein Blick blieb an einer der Rauchfahnen hängen, die seit einer Weile aus dem Tunnel zu seiner Linken hervor drangen. Sie stieg gleichmäßig auf, da sie von Luftströmungen erfaßt wurde, die sich überraschend schnell bewegten und den Rauch durch einen schmalen Spalt entschwinden ließen, der sich über die Decke erstreckte. Einen Moment später folgte eine weitere Rauchfahne, die sonderbar geformt war. Sie sah aus, als hätte sie Arme und Beine, und auch sie verschwand in der Ritze im Fels. Schließ lich folgte eine weitere Schwade, die aussah wie ein zotteliger ... in diesem Moment wurde Andzrel klar, was er da sah. »Leutnant! Der Rauch ... schießt auf ihn!« befahl er einem jungen Offizier, der gleich neben ihm stand. Der Leutnant reagierte mit einer Schnelligkeit, die aus har ter Ausbildung und absolutem Gehorsam geboren war, hob den Arm und feuerte die Armbrust an seinem Handgelenk ab. Der Giftbolzen schoß durch die Luft auf sein Ziel zu. Statt die »Rauchwolke« zu durchdringen und gegen den Fels dahinter zu prallen, drang der Bolzen mit einem dumpfen Geräusch in etwas Weiches. Im nächsten Moment nahm mit ten in der Luft ein Tanarukk Gestalt an und stürzte mit ru dernden Armen und Beinen dem Boden entgegen. Der Tana rukk war tot, noch ehe er aufschlug und die Streitaxt laut scheppernd neben ihm landete, da das starke Drow-Gift seine Wirkung entfaltet hatte. Im nächsten Moment hatte der Leutnant schon einen wei
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teren Bolzen eingelegt und suchte die Decke ab. »Meister Andzrel«, krächzte er »woher kam das?« Andzrel spähte in den Korridor, aus dem die Rauchschwa den kamen. Es waren keine weiteren zweidimensionalen Tana rukks zu sehen, und der tote Tanarukk schien die Nachhut gebildet zu haben. Er war klein und stämmig, der Unterkiefer stand deutlich vor, aus ihm wuchsen geschwungene Stoßzähne, und die Stirn zierte ein Hornkamm, der der Kreatur ein dümmliches Ausse hen verlieh. Doch der Trick, den er und seine Gefährten be nutzt hatten, war alles andere als dümmlich gewesen. »Die wichtigere Frage, Leutnant, muß lauten, wohin die Tanarukks unterwegs sind«, entgegnete Andzrel, »und wie viele unbemerkt an uns vorbeigekommen sind. Wenn mich mein Orientierungssinn nicht täuscht, zieht sich diese Spalte bis zur Haupthöhle durch.« Aus einem Seitentunnel kam ein Meldeläufer herangehetzt. »Gute Neuigkeiten, Herr«, meldete er keuchend. »Wir halten sie nicht nur auf, sie fallen zurück. Der Feind ist quasi ver schwunden.« Noch während Andzrel zur Überraschung des Meldeläufers, der ganz offensichtlich eine erleichterte Reaktion erwartet hatte, fluchte, tauchte die Spitze einer Kompanie des Hauses Barrison Del’Armgo aus einem Tunnel auf. Es handelte sich um eine Verstärkung, die das zweite Haus endlich entsandt hatte, nachdem die Truppen des Hauses Baenre längst die Tunnel gesichert hatten. Andzrel sprang von dem abgebrochenen Stalagmiten und schritt auf die Hauptfrau zu, die die Kompanie befehligte – eine schlanke Frau in Diamantspatrüstung mit weißem Haar, das sie zum Dutt zusammengebunden trug. »Hauptfrau!« bellte er und hielt sich nicht mit der üblichen
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Verbeugung auf, zu der er eigentlich angehalten war – zumal die Hauptfrau von Barrison Del’Armgo als Frau im Dienstrang ohnehin über ihm stand. »Laßt Eure Kompanie umkehren. Marschiert zurück in die Haupthöhle.« Die Hauptfrau riß die Augen auf, die in noch dunklerem Rot aufflammten, als das Blut in die Wangen der Frau schoß. Sie blieb abrupt stehen, die Soldaten taten es ihr nach. »Wer bei allen Neun Höllen glaubt Ihr, wer Ihr seid?« frag te sie zornig. »Ihr mögt ja der Waffenmeister des Hauses Baen re sein, aber Ihr seid trotzdem ...« »Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt für Diskussionen«, fiel Andzrel ihr ins Wort. Sein Zorn machte seine geringe Körpergröße mehr als wett. »Der Feind hat sich an uns vorbei geschlichen und ist im Begriff, in Menzoberranzan einzufallen. Barrison Del’Armgo liegt geradewegs auf ihrer Marschroute. Ist Euer Stolz tatsächlich wichtiger als Euer Haus, Hauptfrau?« Die Frau zögerte einen Augenblick, dann machte sie auf dem Absatz kehrt. »Kehrt marsch!« brüllte sie. »Zurück in die Haupthöhle! Los!« Der Blick, den sie Andzrel über die Schulter zuwarf, als sie mit ihrer Kompanie davoneilte, war jedoch so stechend wie die Spitze eines Dolchs. Wenn der Kampf gegen die Tanarukks und die Duergar vorbei war, dann würde Andzrel sich auf eine weitere Auseinandersetzung gefaßt machen können. Er sah zu dem Leutnant des Hauses Baenre und sagte: »Ihr habt das Kommando. Gebt der Hälfte unserer Kompanie den Befehl, sich in die Haupthöhle zu begeben. Die andere Hälfte soll in den Tunnel die Stellung halten.« Der Leutnant hob seine weißen Augenbrauen. »Was ist mit Euch, Herr?« fragte er. »Wo werdet Ihr sein?« Sofort senkte er den Blick, als ihm bewußt wurde, wie un
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gebührlich seine Frage gewesen war. »Ich werde dafür sorgen, daß diese Barrison Del’ArmgoHauptfrau meinen Befehl ausführt«, sagte er grinsend und zog sein Schwert. »Hoffentlich kann ich die Tanarukks das hier spüren lassen.«
Triel, die von ihrem Hausmagier und den Priesterinnen beglei tet wurde, die sich für den Augenblick um ihre persönlichen Belange kümmerten, stand auf dem Balkon, der sich an der Stelle um den großen Hügel zog, an dem Stalagmit und Stalak tit aufeinandertrafen. Von tief unter ihnen, vom Fuß des Pla teaus Qu’ellarz’orl, war Kampflärm zu hören. Eine Gruppe Tanarukks hatte es irgendwie geschafft, an den Truppen vor beizukommen, die sie in die Tunnel geschickt hatte, und war bis zum Pilzwald vorgedrungen. Wegen der breiten Köpfe der Pilze konnte Triel nicht viel sehen, doch hin und wieder exp lodierte einer der Boviste, wenn er von einem Schwert oder einer Streitaxt getroffen wurde, und erfüllte die Luft mit einer Wolke lumineszierender Sporen. Unter den Kämpfenden konnte Triel die silbernen Unifor men ihrer Truppen ausmachen. Die Kompanie des Hauses Baenre unter Andzrel und eine Kompanie des Hauses Barrison Del’Armgo gingen gemeinsam gegen die Tanarukks vor, um sie davon abzuhalten, weiter in die Haupthöhle vorzudringen. Während die Fußtruppen wiederholt die Tanarukks angriffen und versuchten, sie durch das Gitter zurückzudrängen, wurden die feindlichen Flanken von zwei Schwadronen Echsen des Hauses Baenre angegriffen, die an den Wänden entlangeilten. Schritt um Schritt wurde der Feind gegen die Wand der großen Höhle gedrängt. Doch als Triel schon sicher war, die Tanarukks würden in den Tunnel wie ein Korken in eine Fla
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sche zurückgetrieben und am Fels zermahlen werden, teilte sich auf einmal die Gruppe, die der Tunnelöffnung am nächs ten war. Triel sah aufmerksam hin, da sie damit rechnete, daß ein Tanarukk-General seinen Auftritt haben würde. Doch was dann aus dem Tunnel kam, ließ sie leise lachen. Es war eine Jade-Spinne. Das magische Konstrukt war drei mal so groß wie ein Drow und gehörte zu jenen, die die Ein gänge nach Menzoberranzan bewachten. Es war aus magisch behandelter Jade und bewegte sich mit fließenden Bewegun gen. So tödlich dieses Konstrukt war, so bezaubernd war seine Schönheit. »Jetzt bekommen wir etwas Amüsantes zu sehen«, sagte der dicke Magier, der neben Triel stand. Sie nickte. Nauzhror bedeutete ihr nicht viel, denn ihr ers ter Vetter war nur auf den Posten des Erzmagiers von Menzo berranzan nachgerückt, weil von Gromph jede Spur fehlte. Dennoch trug er das Gewand des Erzmagiers mit einer Hoch näsigkeit, als sei ihm diese Stellung schon in die Wiege gelegt worden. Triel richtete ihren eigenen Kommentar an Wilara, die Priesterin, die links von ihr stand. »Die Spinnen werden ihnen die Angst vor Lolth einimp fen«, sagte sie amüsiert. Wilara lachte aus Höflichkeit mit, verstummte aber im nächsten Moment, als sie sah, daß die Spinne nicht die Tana rukks angriff, sondern sich durch die Gasse bewegte, die sie für sie gebildet hatten. »Was in Lolths Namen ...«, flüsterte die Priesterin. Wilaras nicht vollständig ausgesprochene Frage wurde im nächsten Augenblick beantwortet, als sich die Spinne auf die Soldaten des Hauses Baenre stürzte. Mit ihren Mandibeln hob sie einen von ihnen hoch und schnitt ihn mühelos in zwei Hälften. Sie ließ die Leichenteile fallen und stürmte weiter,
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wobei sie sich durch Pilze und Drow gleichermaßen ihren Weg bahnte. »Lolth helfe uns«, rief Nauzhror mit erstickter Stimme. »Sie haben es geschafft, die Kontrolle über eines unserer Konstrukte zu erlangen.« Während die Jade-Spinne vorrückte, wichen die Drow zu rück. Ein oder zwei knieten vor ihr nieder, erlitten aber alle das gleiche Schicksal wie der erste Soldat. Die Spinne bewegte sich unerbittlich weiter, und wenige Augenblicke später zog sie eine blutige Spur hinter sich her. Damit war eine Lücke in der Verteidigung entstanden, die von den Tanarukks sofort genutzt wurde. »Greift an, verdammt!« schrie Triel, als die Feinde Boden gewannen. Die Drow-Soldaten waren zu weit entfernt, um sie hören zu können, doch zum Glück trieb einer der Offiziere – vermutlich Andzrel, wenn sie nach der schwarzen Rüstung und dem gleichfarbigen Mantel gehen konnte – sie wieder voran. Sie griffen die Tanarukks von beiden Seiten an und schlossen sehr rasch wieder die Schneise, die die Spinne geschlagen hatte. Doch während der Feind zurück in den Tunnel getrieben wur de, rückte die Jadespinne weiter in die Höhle vor, ließ Kämpfer und Pilze hinter sich und ging die Schräge hinauf, die von Qu’ellarz’orl zum Haus Baenre führte. Sie bewegte sich flink und war nur wenige Augenblicke darauf vor der Barriere ange kommen. Sie zögerte unmittelbar vor dem hohen Zaun, der die Anla ge umgab, als denke sie über die Magie nach, die durch die leuchtend silbernen Fäden floß, dann wandte sie sich einem der Stalagmiten zu, an dem der Zaun befestigt war. Während die Hauswache von den Balkonen darüber verwirrt zusah, lief das Konstrukt so flink wie eine echte Spinne am Stein nach
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oben bis zu einem Punkt, der sich unmittelbar über dem Zaun befand. Dann sprang sie über das Hindernis und rückte weiter vor. Triel kniff die Augen zusammen, als sie sah, welches Ziel die Spinne ansteuerte – sie hatte es auf den großen LolthTempel abgesehen, das zentrale Bauwerk des Hauses Baenre. Wilara rang nach Luft, als auch sie den Kurs der Spinne er kannte. »Sie wagen es, den Tempel anzugreifen?« rief die Priesterin entsetzt. Nauzhror warf Triel von der Seite einen langen Blick zu, während er seinem Zorn freien Lauf ließ. »Eine Unverschämt heit!« brüllte der Interims-Erzmagier. »Mögen Lolths Netze sie erwürgen!« Sein Schutzgeist – eine faustgroße, haarige, braune Spinne – eilte wegen der heftigen Bewegungen des Magiers aufgeregt von einer Schulter zur anderen. Triel schürzte die Lippen, sagte aber nichts. Der Tempel mochte ein Ziel sein, aber seine Zerstörung war nicht die vor rangige Absicht der Feinde. Es gab wenig, was eine einzelne Jade-Spinne – oder ein ganzes Dutzend – gegen das Gebäude ausrichten konnten. Triel war sicher, daß es sich um eine De monstration handelte, um allen zu zeigen, daß sich Lolth von ihrem Volk abgewandt hatte. Die Spinne mußte aufgehalten werden, doch jeder, der das vor den Toren eines Gebäudes wagte, das Lolth geweiht war, würde sich zwangsläufig den Zorn der Göttin zuziehen. Zumindest unter normalen Umständen. Triel sehnte sich danach, Lolth anzurufen und die Göttin anzuflehen, ihr zu sagen, was sie tun konnte. Doch sie kannte schon jetzt die Antwort: Schweigen. Die Muttermatrone des ersten Hauses war auf sich allein gestellt. Wenn die Jade
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Spinne nicht aufgehalten wurde, dann würde jeder sehen, wie schwach Menzoberranzan wirklich war. Die Männer des Hau ses Baenre, die so beherzt gekämpft hatten, um die Angreifer in die Tunnel zurückzujagen, könnten umfallen. Wenn sie zu der Überzeugung gelangten, Triel und alle anderen hochrangi gen Frauen ständen nicht länger in der Gunst Lolths oder die Göttin habe sich für immer von allen Drow abgewandt, konn te es sogar passieren, daß sie sich gegen die Muttermatronen stellten. Das durfte nicht sein. »Unsere Feinde wissen von unserer Schwäche«, sagte Triel mit angespannter Stimme. »Sie scheinen der Ansicht zu sein, Lolth sei für immer verstummt, und das wollen sie allen zei gen.« Wilara versteifte sich und tat dann etwas, was die Mutter matrone überraschte. »Nein«, widersprach die Priesterin und schüttelte so nachdrücklich den Kopf, daß ihr langer Zopf wie eine Schlange zuckte. »Lolth wird antworten. Sie muß!« Die Vipern an Triels Peitsche zischelten, doch Triel igno rierte sie. Unter den momentan herrschenden Umständen konnte sie durchgehen lassen, daß Wilara aussprach, was ihr durch den Kopf ging. »Lolth mag noch erwachen«, sagte sie dann, reagierte damit aber nicht bloß auf die Worte der niederen Priesterin, sondern sprach auch sich selbst Mut zu. »Meine Schwester hat noch nicht aufgegeben, also sollten wir es auch nicht. Inzwischen müssen wir uns auf unsere eigenen Fähigkeiten verlassen – und auf andere Formen der Magie.« Sie wandte sich an Nauzhror um und fragte: »Kennt Ihr ei nen Zauber, der Stein in Fleisch verwandelt?« »Den kenne ich«, antwortete er. »Aber wenn wir die Statue in Fleisch verwandeln, wird daraus eine lebende Spinne. Da
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mit ist das Problem noch immer vorhanden. Wir können sie nicht einfach ... töten.« »Stimmt«, gab Triel zurück und nahm eines der Behältnisse von ihrem Gürtel, in dem sie ihre Stäbe aufbewahrte. »Doch wenn wir mit dem Zauber fertig sind, wird es keine Spinne sein.« Sie zog einen schlanken Eisenstab hervor, dessen Spitze mit Bernstein besetzt war. In ihm waren die vertrockneten Überreste einer Motte eingeschlossen. »Sobald Ihr Euren Zau ber wirkt, werde ich es verwandeln – in etwas Großes, das gefährlich genug ist, um ein Loch in unsere Reihen zu reißen, dem sich unsere Truppen aber problemlos stellen können.« Nauzhror lächelte und sagte: »Ein listiger Plan, der Lolths würdig ist.« Triel sah hinab und erkannte, daß die Spinne den Tempel fast erreicht hatte. »Hört auf zu schleimen«, befahl sie. »Teleportiert uns hin unter.« Nauzhror sprach seinen Zauber, und fast sofort schien der Balkon zur Seite zu weichen, als er und Triel sich durch die Dimensionen bewegten. Im nächsten Augenblick standen sie vor den Türen zum Großen Tempel. Zwei Dutzend Hauswa chen, die eben noch aufgescheucht und unentschlossen um hergelaufen waren, blickten erstaunt drein, als die Muttermat rone plötzlich vor ihnen Gestalt annahm. Einige verbeugten sich, andere sahen zwischen Triel und der Jade-Spinne hin und her, die sich rasch näherte. Ihre steinernen Beine gaben ein lautes Klacken von sich, als sie über den Höhlengrund lief. Nauzhror, dessen Gesicht fahl wurde, da die riesige Steinspinne immer näherkam, setzte zu einem Zauber an. Er streckte einen Finger aus, aus dessen Spitze ein intensiver, schmaler roter Lichtstrahl schoß. Da er zitterte, bebte sein Finger so sehr, daß der Strahl nicht sein Ziel traf, sondern die
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Spinne verfehlte. Triel packte Nauzhrors Hand, damit sie ruhig wurde. Der Strahl traf, und aus Jade ward Fleisch. Triel setzte ihren Stab ein. Die Spinne nahm die Form an, an die sie dachte: eine zwei beinige Kreatur, muskulös und mit enormen Klauen und Man dibeln, dazu ein runder Insektenkopf. Der Körper war mit Chitinplatten besetzt, aus Spalten nahe dem Kopf, wo sich die Platten trafen, traten Fühler hervor. Über ihre plötzliche Ver wandlung irritiert blieb die Kreatur stehen, die Fühler zuckten heftig, während sich ihre Mandibeln klackend schlossen. »Muttermatrone«, keuchte Nauzhror. »Ein Erdkoloß?« »Überzeugend, nicht wahr?« lächelte Triel ironisch. Sie wandte sich dem guten Dutzend Soldaten zu, die mit offenen Mündern das Schauspiel verfolgt hatten, und befahl: »Solda ten des Hauses Baenre, man wollte euch mit einer Illusion täuschen. Verteidigt mich!« Wie ein Mann stürmten die Männer mit erhobenen Schwertern los. Die verwandelte Statue wehrte sich und biß mit ihren Mandibeln einen Soldaten in der Mitte durch, ei nem anderen riß sie den Kopf ab. Dann sprang eine Hauswa che – ein kleiner Mann mit weißem Haar, das zu zwei Zöpfen geflochten war, die er hinter die spitzen Ohren gesteckt hatte – genau in den Weg des Erdkolosses. Er trug keine Rüstung, und seine einzige Waffe war eine kleine Armbrust, die um sein linkes Handgelenk geschnallt war. Er zielte gründlich, wäh rend der Erdkoloß auf ihn zustapfte – nur noch auf zwei statt wie zuvor auf acht Beinen zu stehen, war für ihn immer noch ungewohnt –, dann feuerte er. Der Bolzen traf den Erdkoloß in die Kehle, an einer Stelle, an der sich zwei seiner Panzerplatten trafen. Er bohrte sich bis zur Fiederung in weiches Fleisch, dann explodierte die in ihm
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enthaltene magische Energie. Funken rasten in schillernden Bahnen über den Leib der Kreatur, jagten an den Fühlern empor und verbrannten sie, als handle es sich um Haare. Der Erdkoloß geriet ins Wanken, dann ging er zu Boden. Der Leutnant, den Triel erst jetzt als ihren Neffen erkannte, einen Mann namens Vrellin, ging vor ihr auf ein Knie nieder. »Muttermatrone«, sagte er, ohne den Blick zu heben. »Ich habe die Bedrohung nicht erkannt. Mein Leben gehört Euch.« Er schloß die Augen und legte den Kopf so weit in den Na cken, daß seine Kehle ungeschützt war. Triel begann zu lachen, was Vrellin irritiert zur Kenntnis nahm. Verunsichert sah er auf, jedoch Triel nicht direkt in die Augen. Vrellin war ein Mann, der wußte, wo sein Platz in der lolthgegebenen Ordnung der Dinge war. »Muttermatrone, verspottet Ihr mich?« fragte er. »Ist mein Leben so wenig wert, daß Ihr es nicht für nötig haltet, es zu nehmen?« Triel spreizte die Finger und strich mit ihnen so sanft wie die Berührung eines Spinnennetzes über sein Gesicht. »Für das, was Ihr getan habt, Leutnant, wird Lolth Euch be lohnen – in diesem Leben oder im nächsten.« Noch während sie sprach, fragte sie sich, ob ihre Worte wahr werden konnten. Dann wurde sie auf etwas aufmerksam, was sich an der entlegenen Seite der großen Höhle abspielte: mattrote Lichtbögen, die in die Luft stiegen und dann wieder zu Boden sanken. Sie schienen aus dem hinteren Teil der Höhle von Tier Breche zu kommen, irgendwo hinter oder zwischen Sorcere und Arach-Tinilith. Sie fluchte leise, als ihr klar wurde, woher das Leuchten kam – aus dem Tunnel, durch den man außerhalb Menzoberranzans nach Tier Breche gelangte – und welche Ursache das Licht haben mußte: magisches Feuer, das sogar Stein verbrennen
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konnte und dem schon Ched Nasad zum Opfer gefallen war. Steinbrandbomben. Menzoberranzan wurde von zwei Seiten angegriffen. Nach den Leuchtpunkten des Feuers zu urteilen, das die Gebäude im entlegenen Teil der Höhle erhellte, wurden die Bomben höchst wirkungsvoll eingesetzt, nämlich gegen drei der bedeu tendsten Institutionen von Menzoberranzan: Sorcere, MeleeMagthere und Arach-Tinilith, den heiligsten aller Tempel zu Ehren Lolths. Triel wandte den Blick ab und sah hinüber zum Fuß des Pla teaus von Qu’ellarz’orl. Die Drow hatten die Tanarukks zurück in die Tunnels getrieben, und nun kündeten nur noch ver streut daliegende Leichen von dem Konflikt. »Der Abyss soll sie verschlingen«, fluchte Triel. »Es war nur ein Ablenkungsmanöver.«
Aliisza räkelte sich auf einem der flauschigen Teppiche, die auf dem Höhlenboden ausgelegt worden waren, und nippte an ihrem Glas Spitzenpilzwein. Kaanyr war in der Höhle hin und her gelaufen, die im Feld als sein Quartier diente. Neben sei nem »Thron« – einem gewaltigen Sessel, der aus den Knochen seiner Feinde gezimmert worden war und den er unbedingt in die Schlacht hatte mitnehmen wollen –, blieb er stehen. Knur rend trat er die riesige Kohlenpfanne um, die daneben stand. »Der Abyss soll Nimor verschlingen!« brüllte er, und seine Haut glühte vor Zorn. »Er versprach, bei den Drow würde Chaos herrschen, sie würden unfähig sein, eine ordentliche Verteidigung auf die Beine zu stellen, und nun sitzt meine Armee in der Falle und ist machtlos, während die Duergar allen Ruhm einstreichen.« Rotglühende Kohlen rollten über die Teppiche, die zu
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schmoren begannen. Aliisza nahm eine der Kohlen auf und spielte mit ihr. Die Hitze kribbelte auf ihrer Haut. »Warum läßt du deine Truppen nicht gen Norden mar schieren, damit sie sich dort den Duergar anschließen?« schlug sie vor und unterstrich ihre Frage mit einem Zucken ihrer schwarzen Flügel. »Damit die Drow Gelegenheit bekommen, uns auf einem Territorium, das ihnen bestens vertraut ist, von hinten an zugreifen?« Vhok schüttelte den Kopf und fügte an: »Dein Verständnis von Taktik – oder besser dein mangelndes Verständnis – ver blüfft mich. Manchmal frage ich mich, auf wessen Seite du stehst, Aliisza.« Sie stellte ihr Glas weg und erhob sich, stand auf Zehenspit zen vor ihm und verschränkte ihre Hände hinter Kaanyr Vhoks Kopf. Sie zog ihn zu sich heran und küßte ihn. »Ich bin auf deiner Seite, Kaanyr«, murmelte sie. Vhok löste sich aus ihrem Kuß und grollte: »Dieser Nimor beginnt, mich zu ärgern. Er versprach uns die Plünderung der Adelshäuser – ein leeres Versprechen! Auch ohne Lolth ist Menzoberranzan ein ... wie sagte Horgar so treffend ... ein harter Stein, der schwer zu brechen ist, und wenn Lolth plötz lich zurückkehrt ...« Er hielt inne und ging seinen Gedanken nach, während er einen der kleinen Brände beobachtete, die im Teppich ent standen waren. »Die Gruppe, der du in Ched Nasad nachspioniert hast ...«, begann er dann. Aliisza war damit beschäftigt, den glutheißen Hals des Cam bion zu liebkosen. »Mhm?« schnurrte sie. »Was taten diese Leute da?«
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Aliisza schürzte die Lippen, erwiderte aber: »Ist das wich tig?« »Es könnte wichtig sein«, sagte Kaanyr Vhok. »Deshalb ha be ich wieder einen Auftrag für dich. Ich will, daß du sie fin dest und herausbekommst, was sie vorhaben. Wenn ich richtig liege, müssen wir über unsere Allianz noch einmal nachden ken.« Aliisza legte den Kopf schräg und lächelte – doch nicht we gen des Verrats, den Kaanyr Vhok angedeutet hatte, sondern wegen der Vorstellung, Pharaun wiederzusehen. Er war ganz eindeutig ergötzlich.
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Gromph spürte, wie er erbleichte, als er entsetzt den Illithiden anstarrte. Wäre er nicht in dieser gottverdammten Sphäre gefangen gewesen, hätte er sich angemessen der Kreatur wid men und ihr beiläufig einen todbringenden Zauber entgegen schleudern können, doch so war er der Gnade dieses Ge schöpfs ausgeliefert. Jeder noch so flüchtige Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, würde von dem Illithiden wahrgenom men, als hätte er die Worte laut ausgesprochen. Keines von Gromphs Geheimnissen und keines der Geheimnisse Sorceres war sicher, es sei denn, er konnte vorsätzlich nicht daran den ken. Dieses Bemühen würde nur dafür sorgen, daß jeder dieser Gedanke ihm erst recht kommen würde. Das einzig Gute an dieser Situation bestand darin, daß sich der Gedankenschinder mit seinen sanft wiegenden Tentakeln auf der anderen Seite des Glases befand. So konnte der Illithide ihn so wenig errei
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chen, wie es Gromph möglich war, seine Magie gegen die Kreatur zu richten. Die Telepathie des Gedankenschinders war ein anderes Thema, denn sie durchdrang die Sphäre mühelos. Sorcere! Welches Gebäude ist das? Ein flüchtiges Bild entstand in Gromphs Kopf: der stolze Stalagmiten-Turm Sorceres, der gleich neben den beiden an deren Wahrzeichen der Akademie stand – der Pyramide Me lee-Magtheres und dem achtbeinigen Tempel Arach-Tiniliths. Gromph fluchte und konzentrierte sich rasch auf etwas an deres, doch es war schon zu spät. Der Illithid schwamm nach oben, bis sein Kopf durch die Oberfläche des Sees brach. Er sah nach rechts, zum Nordende der Stadt, und suchte mit den toten weißen Augen die erhabene Grotte ab, die neben der großen Höhle von Menzoberranzan lag. Der Illithid hob leicht seine Tentakel, sein Maul begann sich zu bewegen. Ein helles Funkeln magischer Energie umgab den Illithiden, dann verschwanden See und Ufer. Mit Entsetzen wurde Gromph klar, daß seine Lage noch schlechter war als befürch tet. Die Kreatur war kein gewöhnlicher Illithid, sondern einer, der zur Hexerei fähig war. Sofort erkannte Gromph den Ort, an den der Zauber sie ge bracht hatte. Sie befanden sich in der breiten Höhle, die von der Dunklen Domäne nach Tier Breche führte. Erschöpfte Duergar lagen auf dem Höhlenboden, viele waren verletzt. Andere, die schwere Äxte und arg ramponierte Schilde trugen, eilten durch den Tunnel, angetrieben von Offizieren, die sie nach Tier Breche schickten, wo explodierende Zauber unauf hörlich Lichtblitze auslösten. Wieder andere Duergar bereiteten in der Tunnelöffnung al les für eine Belagerung vor. Unermüdlich widmeten sie sich ihrer Arbeit, auch wenn hin und wieder Feuer- oder Eisbälle
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geflogen kamen und nahe der Belagerungswälle einschlugen, die sie eben erst in Tier Breche errichtet hatten. Glühende Flächen geschmolzenen Felses und eisiges gesplittertes Gestein zeugten von der Gewalt der Treffer. Gromph sah das alles, aber er konnte weder die Duergar – die dem Illithiden zunickten – hören noch den Schwefel der Explosionen riechen. Die Sphäre umschloß ihn in einer Welt, in der nur sein Atmen existierte – das um so schneller wurde, als er erkannte, daß die Armee aus Gracklstugh nicht nur Menzoberranzan erreicht, sondern auch in Tier Breche Fuß gefaßt hatte. Die Duergar griffen die drei Gebäude an, die neben den Adelshäusern am besten befestigt waren. Gromph preßte seine Hände gegen die gläserne Wand sei nes Gefängnisses und hielt Ausschau nach den Jade-Spinnen, die den Tunnel hätten bewachen sollen. Sie waren nirgends zu sehen. Sie dienen jetzt einem anderen Herrn, sagte der Illithid mit ei nem spöttischen Lächeln. So, wie es schon bald auch die Drow tun werden. Die Armee ist schon nach Menzoberranzan vorgedrun gen. Wessen Armee? fragte sich Gromph. Doch sicher keine Armee aus Illithiden, sonst hätte der Gedankenschinder wohl »unsere Armee« gesagt. Waren die Duergar aus Gracklstugh allein nach Menzoberranzan vorgerückt? Die Antwort kam umgehend. Ja, und die Tanarukks marschieren mit ihnen. Die Drow können sich gegen diese vereinte Armee nicht zur Wehr setzen. Gromph wußte nicht, ob das stimmte oder nicht. Wenn er sich aus dieser Sphäre hätte befreien können, wäre er in der Lage gewesen, mit Hilfe seiner Magie den Feind zurückzutrei ben. Doch um freizukommen, mußte er erst einmal einen Ma gier finden, der den erforderlichen Zauber genau kannte, und
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mußte nach Sorcere gelangen, in seine Gemächer, wo der Drow-Leichnam den Einkerkerungszauber gewirkt hatte. Lei der befanden sich ein solcher Magier und seine Gemächer auf der anderen Seite des Belagerungswalls der Duergar und waren damit unerreichbar. Gromph sah zu dem Illithiden auf und dachte: Oder nicht? Er ließ den Gedanken wieder und wieder durch seinen Kopf gehen, bis der Illithid mit einem Hauch von Arroganz erwider te: Natürlich kenne ich den Zauber. Aber warum sollte ich ihn benutzen, wenn ich dich damit befreie? Früher oder später werden mir alle deine Geheimnisse bekannt sein. Ich werde deinen Geist schinden, Schicht um Schicht, wie die Haut einer ... Der Illithid stoppte mitten im Satz und sah zu jemandem, der sich ihnen näherte. Lange, purpurne Finger legten sich um die Sphäre, als er sie in beide Hände nahm, um zu verbergen, was sich darin befand. Er rieb über das Glas, bis es mit dem Schleim beschmiert war, der seine Hände überzog. Gromph fiel auf Hände und Knie, als der Illithid abrupt die Hand he runternahm, in der er die Kugel hielt. Er drängte sich dicht ans Glas, um durch die einzige Stelle hinauszuspähen, die nicht verschmiert war. Ein Duergar stand vor dem Illithiden, sein Kopf befand sich auf gleicher Höhe mit der Sphäre. Wie alle Angehörigen sei ner Rasse hatte der Zwerg blaßgraue Haut, eine Stupsnase, die aussah, als hätte man sie mit einem Streitkolben plattgeschla gen, und einen kahlen Kopf. Er trug steinfarbene Kleidung, die grau und schwarz gesprenkelt war, dazu einen bronzenen Brustpanzer, der so makellos war, daß Gromph gewettet hätte, daß er von Magie geschützt wurde. In der Hand hielt er eine Zweihandaxt, auf deren beidseitiger Klinge ein geisterhaftes Muster wirbelte – vermutlich die gefangenen Seelen jener, die er getötet hatte.
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Der Grauzwerg legte nicht den Kopf in den Nacken, um mit dem Illithiden zu sprechen, sondern starrte einfach nur die Hüften des Gedankenschinders an, wobei sein Blick hin und wieder zu der Sphäre wanderte, während seine Gesten durch weg auf Tier Breche gerichtet waren. Gromph sah nach oben und beobachtete, wie sich die Tenta kel des Illithiden bewegten, als er den Kopf schüttelte. Der Duergar, der ganz offensichtlich davon überzeugt war, einen anderen Duergar vor sich zu haben, wies auf die Kugel. So plötzlich, daß Gromph völlig überrascht war, beugte sich der Illithide über den Zwerg, die vier Tentakel schossen vor und legten sich blitzschnell um das Gesicht des Duergar. Der holte mit der Axt aus, was der Illithid aber bereits erwartet hatte, da er sofort mit Magie reagierte. Der Leib des Duergar versteifte sich plötzlich, die Axt hielt er noch immer hoch erhoben. Tentakel zuckten, und dann platzte der Schädel des Zwergs wie ein überreifer Pilzkopf. Während drei Tentakel ihren festen Griff um den Kopf beibehielten, löste sich der vierte und begann, rosafarbene Hirnmasse aufzunehmen und in das Maul des Illithiden zu schieben. Gromph, dem bei dem Anblick übel wurde, wandte sich ab. Die anderen Duergar drehten sich um und sahen schockiert, was sich vor ihren Augen abspielte. Ein paar griffen nach ihren Waffen, sahen in die toten weißen Augen des Illithiden und wurden dann mit einem Mal völlig ruhig. Gromph konnte sich nur annähernd vorstellen, wie leicht es für diese Kreatur sein mußte, den einfachen Gemütern der Duergar etwas vorzugau keln. Er fragte sich, was die Duergar zu sehen glaubten, wenn sie den Illithiden betrachteten – wahrscheinlich einen der Ihren – und gezwungen wurden, nicht über den toten Offizier, dessen zerdrückten Schädel oder das zur Hälfte verspeiste Hirn nachzudenken. Der Reihe nach machten sich die von Magie
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geblendeten Duergar daran, wieder der Aufgabe nachzugehen, die sie für einen Moment unterbrochen hatten. Der Illithid hatte seine Mahlzeit beendet, nahm dem Zwerg die Axt aus der Hand und ließ den Leichnam zu Boden fallen. Nun, sagte er, wirst du mir verraten, wie ich Sorcere betreten kann. Gromph sah auf die Axt. Es bestand kein Zweifel daran, daß der Illithid sich weniger um den Krieg kümmerte als um seinen persönlichen Nutzen. Du willst Magie, dachte Gromph. Ja, erwiderte der Illithid. Du willst nach Sorcere, ehe die Duergar dort eindringen. Ja, gab er zurück. Aber diesmal kam die Antwort etwas zö gerlicher, als gestehe er ein Geheimnis ein. Gromph erwiderte lächelnd: Du willst wissen, ob Sorcere über einen Hintereingang verfügt, doch wenn du mir diese Information mit Gewalt entreißen willst, dann dauert das viel zu lange. Bis du ihn findest, werden die Duergar längst hineingestürmt sein. Dann bleiben für dich nur noch die Reste, das, was sie nicht zerstört oder selbst an sich gerissen haben. Ich kann dir eine Alternative bieten. Hilf mir, diese Sphäre zu verlassen, dann belohne ich dich. Ich werde dir die Magie geben, nach der du strebst. Welche Magie? wollte er wissen. In Jahrhunderten voller Experimente habe ich mächtige Zauber entwickelt, von denen andere Magier noch nicht einmal zu träumen wagen. Gromph spürte, wie die Ranken der den Geist erkundenden Magie des Illithiden tiefer in seinen Verstand eindrangen. Diese Zauber sind nicht mehr in meinen Erinnerungen, sagte er. Sie sind in meinen Privatgemächern in Sorcere. Hier. Gromph dachte an sein Arbeitszimmer, an den ausladenden Schreibtisch, der den fensterlosen Raum dominierte. Er war
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aus polierten Knochen und verfügte über eine Reihe von Schubfächern, hinter denen sich außerdimensionale Räume befanden. In die Vorderseite einer jeden Lade war ein Schädel eingearbeitet. Gromph stellte sich vor, wie er auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch saß und die Hand nach einem be stimmten Schädel ausstreckte, um die Finger in die leeren Augenhöhlen zu stecken, Die Schublade öffnete sich und gab den Blick auf eine kleine Halterung frei, in der zwei Flaschen hingen. Jede von ihnen war in Gold gegossen, an der Seite fand sich ein »Fenster« aus moosgrünem Glas in Sigel-Form, durch das ein Leuchten aus dem Inneren der Flasche drang. Jede Sigel in Drow-Schrift stand für das gleiche Wort: »Erin nern«. Was ist das? fragte der Illithid. Ich nenne sie »Gedankenflaschen«, sagte Gromph. Jede enthält einen mächtigen Zauber sowie alle Überlegungen, die zu seiner Entstehung führten. Zauber, die so mächtig sind, daß nicht einmal ich wagte, sie zu benutzen, aber auch so einzigartig, daß ich es nach ihrer Entstehung nicht wagen konnte, sie wieder zu verlieren. Um der Versuchung zu widerstehen, sie zu benutzen, schuf ich diese Flaschen, in denen ich sie aufbewahre, jeder, der den Inhalt trinkt, wird sich nicht nur den Zauber zu eigen machen, sondern auch jede Phase seines Entstehungsprozesses. Sobald ich nach Sorcere vorgedrungen bin, werde ich sie an mich nehmen, erklärte der Illithid. Nicht, wenn du mich nicht zuvor befreist, wandte Gromph ein. Die Lade geht nur auf, wenn ich sie berühre. Der Erzmagier ließ seine Gedanken schweifen, zurück zu ei nem Experiment, das er einmal durchgeführt hatte, als er den Tisch erstmals mit Zaubern belegt hatte. Er hatte die Tür zu seinem Arbeitszimmer absichtlich kaum geschützt, um mit Hilfe hellseherischer Magie zu beobachten, wie ein Schüler
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sich Zutritt zu dem Raum verschaffte und versuchte, eine Lade zu öffnen. Kaum hatte er seine Finger in die Augenhöhlen einer Lade gelegt, versteifte er sich und begann zu schreien. Doch es kam nur ein heiseres Krächzen über seine Lippen, ehe der gräßliche Zerfall seines Körpers einsetzte. Weißes Haar fiel wie trockenes Heu büschelweise aus, seine Augen fielen in sich zusammen und bröckelten aus den Höhlen, seine Haut wurde spröde und bekam tiefe Risse, aus denen brauner Staub rieselte – sein getrocknetes Blut. Allmählich sackte er zusammen, bis nur noch die Kleidung inmitten von Staub auf der Stelle lag, an der eben noch ein Drow gestanden hatte. Beeindruckend, sagte der Illithid. Danke, gab Gromph zurück. Ein weiterer Feuerball flog über den Belagerungswall und landete nicht allzuweit entfernt, wo er in kleine Stücke aus flüssiger Lava zerplatzte. Geschmolzener Stein glitt von dem Illithiden ab, als rinne Wasser an Glas herab. Offenbar war er von einem Schutzzauber umgeben. Sind wir uns einig? fragte Gromph. Wirst du mich befreien und die Gedankenflaschen als Lohn nehmen? Du mußt mir zeigen, wie ich nach Sorcere gelange, sagte der Il lithide. Es ist von Schutzzaubern umgeben, die ein magisches Ein treten verhindern, nicht? Gromph lächelte und gab zurück: Gut geraten. Aber es gibt einen Teil des Hauses, der ungeschützt ist, doch der existiert in seiner eigenen Pseudoebene: in einem Schacht, durch den man in mein Arbeitszimmer gelangt. Wenn du uns durch ein Portal dort hinbringen könntest, werde ich dir zeigen, wie du die Tür findest. Denk daran, befahl der Illithid. Gromph überwand seine Verärgerung darüber, daß man ihn herumkommandierte. Natürlich, antwortete er. Wie heißt du eigentlich?
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Sluuguth. Vorausgesetzt, der Illithid hatte die Wahrheit erzählt, dann hatte Gromph eine Waffe, die er gegen diese Kreatur zum Einsatz bringen konnte. Zweifellos wußte der Gedankenschin der das auch, was bedeutete, daß Sluuguth sich mit der Absicht trug, ihn zu töten. All das ging Gromph als flüchtiger Gedanke durch den Kopf, der hoffentlich flüchtig genug gewesen war, daß Sluuguth ihn nicht mitbekam. Dann begann Gromph, sich auf den Schacht zu konzentrieren. Er fühlte, wie Sluuguth ihm im Geiste über die Schulter sah und sorgfältig die Stelle be trachtete, zu der sie sich gleich begeben würden. Ein Kreis aus purpurnem Licht entstand neben ihnen. Sluu guth ließ sich hineinfallen, und im nächsten Augenblick trieb er im Schacht, der sich unendlich weit nach oben und unten zu erstrecken schien. Die Wände waren von einem vollkom menen Schwarz, das fast greifbar wirkte. Wäre Gromph nicht in seiner Sphäre gewesen, hätte der feuchte, faulige Gestank der Pseudoebene seine Nase unerbittlich bestürmt, da sie das Zuhause stinkender, deformierter Kreaturen war. Wo ist die Tür? fragte Sluuguth. Gromph wies auf einen Flecken Finsternis, der fester als der Rest wirkte, dann sagte er: Banne die Magie, dann drücke dage gen. Sluuguth tat, was Gromph anwies. Bis dahin unsichtbare Runen begannen zu funkeln, als Licht in dem Diamantstaub aufflammte, mit dem sie geschrieben worden waren. Als das Licht wieder erlosch, drückte Sluuguth die Tür auf und be trachtete Gromphs Arbeitszimmer. In dem Raum herrschte heilloses Durcheinander – die Folge des Kampfs zwischen Gromph und Dyrr. Der riesige Schreib tisch in der Mitte des Zimmers war an mehreren Stellen be schädigt, wo die von Dyrr beschworenen Klingen aufgeschla
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gen waren. Der Marmorboden war an der Stelle aufgerissen, an der Dyrrs Stab ihn getroffen hatte. Eines der Bücherregale war völlig zertrümmert, die darin aufbewahrten Schriftrollen waren auf dem Boden plattgetreten worden. Als Zeichen für die Ver achtung, die er der Magie des Erzmagiers entgegenbrachte, hatte der Drow-Leichnam sie dort liegenlassen, nachdem er Gromph in der Kugel gefangengenommen hatte. Die immer brennenden roten Kerzen, die in aus Skelett händen geformten Wandhaltern steckten, sorgten noch immer für Helligkeit, und der bequeme Polstersessel hinter dem Schreibtisch hatte das Gemetzel unbeschadet überstanden. Ein harter Holzstuhl für Besucher lag auf der Seite, die Beine wa ren zersplittert. Dahinter befand sich eine Tür aus schwarzem Marmor, in die leuchtende Silberrunen eingelassen waren. Was den Spinnenstein-Golem anging, der versucht hatte, Gromph zu verteidigen, so war von ihm nur ein abgetrennter Steinarm zurückgeblieben, der einsam in einer Ecke lag. Sluuguth schwebte noch immer im Schacht und steckte ei ne Fingerspitze in den Raum. Augenblicklich bildete sich an einer Wand des Raums ein brennendes Dreieck, als ein un sichtbares Sigel ein Feuerelementar freisetzte. Sluuguths Magie war aber schneller, aus seiner Fingerspitze schoß ein Energie blitz, traf das Elementar und ließ es erstarren. Das Feuerele mentar saß damit von der Hüfte abwärts in der Mauer fest, die Arme hatte es über dem Kopf ausgestreckt. Nur die Augen konnte es noch bewegen. Weißglühende Flammen zuckten Sluuguth entgegen, als der Illithide den Raum betrat. Du hast mich nicht gewarnt, stellte der Illithid fest und nickte in Richtung des erstarrten Elementars, während seine Tentakel wackelten. Offenbar unnötig, antwortete Gromph. Kommen wir zum Ge schäft. Befreie mich. Leg die Kugel auf den Sessel.
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Tentakel zuckten, als der Illithid sein Gesicht zu etwas ver zog, was vielleicht ein Lächeln darstellte. Dann legte Sluuguth die Kugel auf die Sitzfläche. Ohne weiteres Zögern wirkte er den Zauber. Mit den drei Fingern, die er an jeder Hand hatte, begann er, eine Reihe von Gesten zu beschreiben. Gromph glaubte, einen Teil des Zaubers zu erkennen, der seiner Gefangenschaft ein Ende setzte, doch die somatische Komponente kam ihm komplizierter als nötig vor. Als die Kugel zerbrach, stürzten von allen Seiten Geräusche auf Gromph ein. Einen Augenblick lang zuckte er zwischen den Dimensio nen hin und her, als sein Körper sich von der Magie befreite, die ihn festgehalten hatte. Seine Ohren dröhnten, als sei er der Klöppel einer Glocke ... ... dann saß er in seinem Sessel. Triumph flammte in seinen Augen auf, er begann, einen Finger zu heben, um die winzige Geste zu beschreiben, die erforderlich war, damit ein zweites unsichtbares Sigel in der Mauer aktiviert wurde. Ineinander greifende Ellipsen würden Sluuguth in ein zweidimensionales Gefängnis ziehen. Halt. Gromphs Finger wollte sich nicht rühren, und er konnte sich nicht einmal vorstellen, ihn wieder zu bewegen. Etwas hatte seinen Verstand unerbittlich gepackt und erdrückte seinen Willen. Gromph fühlte Sluuguths üble, tentakelbe wehrte Präsenz. Während sein Herz zu rasen begann, erkannte der Erzma gier, was geschehen sein mußte. Mit dem Zauber, mit dem er Gromph die Freiheit zurückgab, hatte der Illithid einen zwei ten verbunden, der seinen Körper langsamer werden ließ. Die se winzige Verzögerung hatte für Sluuguth ausgereicht, um einen weiteren Zauber zu wirken, der ihm die Kontrolle über Gromphs Geist gab.
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Reglos saß Gromph in seinem Sessel und erwartete den nächsten Befehl des Illithiden. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte er frustriert gestöhnt. Dabei war er so darauf bedacht gewesen, nicht an die Sigel in den Mauern zu denken. Die erste hatte Sluuguth in trügerischer Sicherheit wiegen sollen, da Gromph davon ausgegangen war, daß er das Feuerelementar mühelos überwinden würde. Die zweite hatte den Gedanken schinder festsetzen sollen, nachdem Gromph befreit worden war, doch der sorgfältig zurechtgelegte Plan des Erzmagus war zunichte gemacht worden. Sluuguth trat hinter Gromph und beugte sich über seine Schulter. Öffne die Schublade. Gromph lehnte sich vor, schob die Finger in die Augenhöh len des Schädels und zog. Die Lade ging auf, zum Vorschein kamen die beiden Gedankenflaschen. Hol sie heraus, wies Sluuguth ihn an. Gromph tat, wie ihm geheißen, und stellte beide Flaschen auf den Tisch. Dann machte er sich auf das gefaßt, was nun kommen würde. Der Illithid würde wohl seinem Leben ein Ende setzen oder ihn zumindest wieder zum Gefangenen ma chen, nachdem die schützende Magie des Schreibtischs über wunden worden war. Statt dessen gab ihm Sluuguth einen weiteren Befehl: Wähle eine. Gromphs Finger schlossen sich um die Flasche, die ihm am nächsten stand. Doch auf Befehl des Illithiden löste der Erz magier den Griff und entschied sich für die zweite von ihnen. Trink, wies Sluuguth ihn an. Als Gromph dies hörte, wußte er, daß auch der zweite Teil seines Plans fehlgeschlagen war, an den er allem Anschein nach doch gedacht hatte, auch wenn er es hatte vermeiden wollen.
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Vor vielen Jahrzehnten hatte Gromph die Gedankenfla schen als Notfallplan geschaffen, für den Fall, daß er jemals in die Gewalt eines Wesens geraten sollte, das seine Gedanken lesen könnte. Er hatte die Wahrheit gesagt, als er behauptet hatte, er wisse nicht, was sich in den Flaschen befinde. Doch in seinem Verstand hatte er eine winzige Information zurück gehalten: die Erinnerung, daß er in einer solchen Situation die Flaschen dem anbieten wollte, in dessen Gewalt er sich be fand. Doch das Sava-Brett war gegen ihn gewendet worden. Was immer in den Flaschen war – er selbst war im Begriff, sich dem auszusetzen, was er für einen anderen vorgesehen hatte. In Gromphs Verstand protestierte voller Entsetzen eine Stimme, doch sie war leise und verhallte ungehört. Langsam und unaufhaltsam hob der Erzmagier Menzoberranzans die Flasche an den Mund und begann zu trinken.
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Valas paddelte unmittelbar außerhalb des Strudels am Fuße des Wasserfalls und fragte sich, wie er mit den anderen in Kontakt treten sollte. Da er komplett verwandelt war, konnte er nicht länger Luft atmen. Seine Hände und Füße hatten sich in Pfo ten mit Schwimmhäuten verwandelt, sein Steißbein hatte sich zu einer langen, geteilten Schwanzflosse entwickelt. Nachdem auch die letzten Haare ausgefallen waren, hatte sich eine gräu lichgrüne Membran über seiner Haut gebildet, deren Schleim absonderung ihn vor der Kälte des Wassers schützte. Valas war unter Wasser gefangen, da er nicht mehr in den Tunnel zu rückklettern konnte, in dem seine Gefährten auf ihn warteten. Zumindest hatte er noch seine Ausrüstung. Er berührte den dicken Ledergürtel um seine Taille, die stählerne Schnalle in Form eines Rothé-Kopfs. Vielleicht konnte er mit der dieser Schnalle innewohnenden magischen Kraft und dem verbesser
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ten Geschick, das sein verzaubertes Kettenhemd ihm verlieh, im Wasserfall nach oben steigen. Doch als er an die Oberfläche schwamm, um sich umzusehen, erinnerte er sich, daß der Was serfall in einem hohen Bogen aus der Höhle über ihm geschos sen kam. Den größten Teil der Strecke war das Wasser damit gut drei bis vier Schritte von der Klippe entfernt – zu weit für ihn, um den Kopf hineinzuhalten, während er sich an der Felswand festhielt. Enttäuscht ließ er sich wieder unter die Wasseroberfläche des Sees sinken. Es gab keinen Ausweg. Dann fiel ihm sein magischer Rucksack ein. Er ließ ihn von den Schultern gleiten, schob ihn vor seine Brust, legte die Tragegurte wieder um und zurrte sie fest. Dann öffnete er die große Patte. Wasser strömte in das nichtdimen sionale Fach des Rucksacks, das er wieder schloß, als sich der Inhalt von gut dreißig Wasserschläuchen darin befand. Vieles von dem, was sich im Rucksack befand, würde durch das Was ser unrettbar beschädigt werden, doch diesen Preis zahlte er gern, wenn er dadurch eine Überlebenschance hatte. Valas schwamm direkt unter den Wasserfall, wobei er mit kraftvollen Schlägen seiner Schwanzflosse gegen die starke Strömung ankämpfte. Das Wasser, das auf den See aufschlug, dröhnte in seinen Ohren, doch dann sah er den Fuß der Klip pe. Die Strömung drückte ihn mit Gewalt gegen den Fels, noch ehe er sich bereitgemacht hatte, doch dann fanden seine Hände Halt. Zu seiner Überraschung stellte er fest, daß sich Krallen aus seinen Fingerspitzen schoben, als er zugriff. Valas spannte seine Muskeln an und stemmte sich gegen die Strö mung, die ihn wegtragen wollte, dann begann er zu klettern. Je näher er der Oberfläche kam, desto heftiger wurden die Auswirkungen des Wasserfalls. Zweimal glitt er ab und wäre fast bis auf den Grund des Sees zurückgerissen worden. Doch
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indem er mit aller Kraft seine Schwanzflosse einsetzte, manöv rierte er sich immer wieder an die Klippe zurück. Dann endlich war sein Kopf über dem Wasserspiegel. Er zog sich höher und suchte an der rutschigen Felswand Halt für Finger und Zehen. Während er kletterte, hielt er die Luft – oder besser gesagt: das Wasser – an. Als er es nicht mehr aushielt, atmete er durch den Mund aus, was ihm über Wasser so vorkam, als würde er sich übergeben. Dann öffnete er den Rucksack und steckte den Kopf hinein, um einzuatmen. Allmählich näherte er sich so der Tunnelöffnung. Als er noch ein oder zwei Schritte vom Felsvorsprung entfernt war, spähte plötzlich Pharaun über die Kante. Offenbar war er durch Magie auf Valas’ Anwesenheit aufmerksam geworden, denn durch den Lärm des Wasserfalls hatte er ihn nicht hören können. Valas sah, daß Pharaun begann, einen Zauber zu wir ken. Ihm war klar, daß Pharaun in ihm ein Monster sah, das aus dem See gekommen war, daher winkte er hastig mit einer Schwimmflosse, um den magischen Angriff aufzuhalten, der ihn jeden Moment treffen würde. Er schüttelte den Kopf und wies verzweifelt auf die Kukris, die er immer noch trug. Pharaun nahm davon nichts wahr, sondern hob die Zeige finger an seine Augen und bewegte sie dann schnipsend nach unten, um den Zauber anzuwenden. Valas spürte, wie magische Energie prickelnd über seinen Körper strömte und ihn zucken ließ. Er bohrte die Klauen noch tiefer in die Felswand und wartete darauf, daß der Tod ihn ereilte. Ein Stück weit über ihm riß Pharaun erstaunt die Augen auf, hob die Hand und signalisierte: Valas! Du bist es wirklich! Was ist passiert? Valas stieß einen Seufzer aus, wobei ihm ein Rinnsal Wasser übers Kinn lief. Ihm war ein Aufschub gewährt worden. Pha
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raun hatte ihn anhand der Kukris erkannt, und der Zauber hatte nur dem Zweck gedient, durch das mißgestaltete Äußere hindurchzusehen und die Identität des Söldners zu bestätigen. Er signalisierte ihm ein knappes Wort – Warte –, dann mußte er wieder in seinem Rucksack einatmen. Valas kletterte hinauf zu der Stelle, an der Pharaun kauerte, und schob sich über die Kante in den Tunnel. Er ließ sich in den Strom gleiten und hielt sich an einem Felsen fest, damit die Strömung ihn nicht zurück in den See beförderte. Quenthel, Danifae und Jeggred warteten noch am Ufer des Flusses. Die Vipern an Quenthels Peitsche hoben den Kopf und zuckten, als sie Valas entdeckten. Jeggred schnupperte und bleckte die Zähne, doch Pharaun erklärte ihnen, es handle sich bei dem Drow-Ding in Wahrheit um ihren Gefährten. Danifae starrte Valas voller Ekel an, verzog den vollkommenen Mund und wandte sich ab. »Nun, und?« wollte Quenthel wissen. »Habt Ihr das Schiff gefunden?« Valas schüttelte den Kopf und begann, in Zeichensprache zu schildern, was ihm widerfahren war, tauchte aber immer dann den Kopf unter Wasser, wenn er durchatmen mußte. Pharaun hörte zu und machte eine finstere Miene, als er von der Gefangennahme hörte, während er beglückwünschend nickte, als der Söldner seine Flucht beschrieb. Quenthels Mie ne blieb ungerührt, sie hatte die Lippen zusammengepreßt, nur ihre Augen loderten. Sie wandte sich Pharaun zu, während die Vipern zuckten. »Euer Dämon hat gelogen! Das Schiff ist nicht hier.« Pharaun hob eine Braue und erwiderte: »Mein Dämon?« »Wir sind genausoweit wie am Anfang«, sagte Quenthel. »Ihr hättet Belshazu weiter über Tore befragen sollen. Dieser Rothé-Mist von einem Chaos-Schiff war offensichtlich nur
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eine Lüge, um uns vom richtigen Weg abzubringen.« »Von welchem richtigen Weg?« konterte Pharaun und starrte sie finster an. »Das einzige Tor weit und breit ist das, das Ihr Euch einbildet. Außerdem war es Eure glorreiche Idee, den Dämon zu beschwören.« Valas mißfiel der Blick, den der Magier aufgesetzt hatte. Pharaun und Quenthel waren wieder einmal im Begriff, einan der den Schädel einzuschlagen. Der Meister Sorceres nahm eine Hand hinter seinen Rücken und ließ seine Finger spielen, bereit, einen Zauber zu wirken. Jeggred hockte hinter seiner Tante, eindeutig willens, Pharaun an die Kehle zu gehen, sollte der eine verdächtige Bewegung machen. Danifae hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah Pharaun trotzig an – während sie gleichzeitig ein wenig zur Seite rückte, um einem Zauber nicht zu nahe zu sein, wenn dieser gegen Quenthel gerichtet wurde. Valas war diesen endlosen Streit ein für allemal leid, und mit seinem Leben hatte er auch abgeschlossen. Da er Meldung gemacht hatte, schlug er mit der flachen Seite seines Dolchs auf den Steinboden des Tunnels. Funken flogen und breiteten sich aus wie Ringe auf einem Teich, in den man einen Stein geworfen hatte. Sie jagten auf Pharauns und Quenthels Füße zu, die beide zur Seite sprangen. »Unverschämter Mann«, fauchte Quenthel, die sofort die Peitsche gezückt hatte. Die Vipern spien, von ihren Fängen troff das Gift. Tut es bitte, signalisierte er. Es ist der schnellste Weg. Quenthel runzelte die Stirn, da seine Erwiderung sie ver wirrte, doch Pharaun erwies sich erneut als geistesschärfer. »Das ist unnötig, geschätzter Söldner«, sagte der Magier. »Ich kann deine ursprüngliche, Luft atmende Gestalt wieder herstellen.«
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Valas blinzelte, alle Gedanken an die Vipernpeitsche waren wie weggewischt. Das kannst du? fragte Valas. Du hast keine Heilmagie. »Stimmt, aber ich ...« Quenthel fuhr herum – was einer ungelenken Bewegung gleichkam, da sie angesichts der flachen Decke in der Hocke bleiben mußte – und fiel dem Magier ins Wort: »Ihr könnt gar nichts, und Ihr werdet auch nichts tun! Valas wird in den See zurückkehren und weiter das Schiff suchen.« »Wenn Ihr ihn zurückschickt, wird er wieder in Gefangen schaft geraten«, wandte Pharaun ein. »Er kann sich nicht schützen. Diesmal werden die Abolethen ihn fressen.« Er hielt inne, ein nachdenklicher Ausdruck huschte über sein Gesicht. »So wie sie alle anderen fraßen, die es wagten, in ihre Gewäs ser einzudringen. Vielleicht auch die Manen, die den Schiff bruch überlebten. Wenn sie einen dieser kleinen Dämonen verspeisten und seine Erinnerungen in sich aufnahmen ...« Endlich begriff Quenthel. »Dann wüßten die Abolethen, wo das Schiff liegt«, führte sie seinen Satz zu Ende. Pharaun wandte sich wieder Valas zu und fragte: »Wie heißt die Matriarchin der Stadt?« Mittels Zeichensprache nannte Valas ihm den Namen: O-o t-h-o-o-n. Pharaun nickte, dann sah er hinaus auf den See. Valas war klar, was der Magier dachte. Er wollte sich mit der Matriarchin Zanhorilochs treffen und sie um Informationen bitten. Pha raun kannte mächtige Zauber, darunter einen, von dem er sicher war, daß er ihn vor den geistigen Tricks der Abolethen schützen konnte. Valas war sicher, daß der Magier die Situati on im Griff haben würde, doch andererseits hatte er das auch von sich gedacht. Dann geschah etwas Überraschendes.
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»Ich gehe mit«, meldete sich Danifae zu Wort. Quenthel wollte widersprechen, dann aber sah sie die Kriegsgefangene der Melarn lange und nachdenklich an. Nach einem kurzen Blick auf das unsichere Gebaren der Vipern an der Peitsche der Hohepriesterin hatte Valas eine gute Vorstel lung davon, welche Fragen Quenthel durch den Kopf gingen. Bot sich Danifae an, weil sie ein Auge auf Pharaun haben und sicherstellen wollte, daß er Quenthel gegenüber loyal blieb, um so die Gunst ihrer Herrin zurückzugewinnen? Oder verfolgte sie eine eigennützige Absicht? Letztlich schien das nichts auszumachen, da Quenthel zustimmend nickte. Valas steckte den Kopf unter Wasser, um durchzuatmen, dann machte er sich lang und klopfte auf die Stiefel Pharauns. Du sagtest, du hättest etwas anderes als Heilmagie, was mir hel fen könnte, erinnerte er Pharaun. Der Magier formte ein »ah« mit den Lippen und nickte. Er griff in eine Tasche seines Piwafwi und holte einen kleinen braunen Kokon hervor, den er zwischen Daumen und Zeige finger verrieb. Die Krumen streute er auf Valas’ Kopf, wo sie auf der nassen Haut klebenblieben, legte seine Hände darauf und begann seinen Zauber. Er kniete neben dem Söldner, plötzlich beugte er sich vor und schrie Valas ins Ohr: »Ausatmen! Jetzt!« Valas tat es, und einen Moment darauf lief ein heftiges Be ben durch seinen ganzen Körper, als der Zauber Wirkung zeig te. Die Schwanzflosse bildete sich augenblicklich zurück, eben so die Schwimmhäute. Seine zusammengewachsenen Finger lösten sich voneinander. Sofort wuchsen wieder Haare auf seinem Kopf, die Haut an Armen, Beinen und Brust kribbelte, als die Membran sich auflöste, die seinen Körper umgeben hatte. Der Späher hustete heftig und würgte den letzten Rest Was
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ser aus seinen Lungen. Es schmerzte, doch das kümmerte ihn nicht. Vielmehr empfand er nur Erleichterung. Pharaun hatte ihm seine Drow-Gestalt zurückgegeben – er hatte seinen eige nen Körper wieder. Bis auf ein Detail. Als Valas seine Hände betrachtete, be fanden sich all seine Narben an den falschen Stellen. »Welchen Zauber hast du gewirkt?« fragte er keuchend, als er aus dem Fluß stieg. Pharaun kniete noch immer und richtete einen zweiten Zauber auf ihn, der keiner arkanen Komponenten bedurfte. Valas sah, wie der Magier die Schultern sinken ließ, als er ihn fertiggestellt hatte, und wußte, daß er Pharaun einen Teil seiner selbst gekostet hatte. »Ich habe deinen Körper so verwandelt«, antwortete Pha raun, als er fertig war, »daß er deinem früheren Äußeren so ähnlich wie möglich ist. Das ist mir verdammt gut gelungen, wenn ich das mal so sagen darf. Jedenfalls, bis etwas die Wir kung aufhebt. Sei froh, daß Ryld nicht da ist und mit seinem Zweihänder hantiert.« Valas, der immer noch bis zur Brust im Wasser stand, spreiz te die Finger, um ihre Form zu bewundern, und nickte. »Ich bin dankbar«, sagte er laut. Sein Blick und der Pharauns trafen sich, wobei er ihm zu verstehen gab, daß er für die Anwesenheit des Magiers dankbar war, nicht aber für die Abwesenheit des Waffenmeisters. Pharaun nickte, dann deutete er Quenthel gegenüber eine Verbeugung an, die um Haaresbreite an purem Ungehorsam vorbeiging. »Mit Eurer Erlaubnis, Herrin, werde ich mich jetzt den Zau bern widmen, die ich brauchen werde. Dann werde ich ... dann werden Danifae und ich uns auf den Weg nach Zanhoriloch machen und mit dieser Oothoon reden.«
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Ryld schauderte, als er durch den Wald ging. Die Nacht brach herein und brachte einen frostigen Lufthauch mit sich. Sein Piwafwi war noch feucht vom Regen der vergangenen Nacht, und ein ganzer Tag zügigen Marschierens hatte nicht genügt, um ihn zu trocknen. Droben, über den Zweigen der Bäume, die Ryld von allen Seiten umgaben, riß die Wolkendecke auf. Der Himmel war von graugesprenkeltem Purpur und erinnerte an die Farbe einer alten Prellung. Ringsum wurde es dunkler, als auch der letzte Rest Sonnen schein hinter dem Horizont verschwunden war, doch nach einer Weile bemerkte Ryld, daß es wieder heller wurde. Seine Dunkel sicht wich dem fahlgrauen Licht, das bei Sonnenuntergang und -aufgang an der Oberfläche herrschte – wenngleich der Sonnen aufgang noch weit entfernt war. Verwirrt blieb Ryld stehen und spähte durch das dichte Geflecht aus Ästen über ihm.
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Der Vollmond war aufgegangen. Als er durch die Baumkronen schien und den Wald in ein silbriges Licht tauchte, war Ryld plötzlich nicht mehr kalt. Seine Wangen wurden warm, und er spürte, wie sein Blut schneller durch seinen Körper jagte. Die Härchen auf seinen Armen hatten sich aufgerichtet, als hätte es ihn soeben gefrös telt, doch zur gleichen Zeit fühlte er sich so erhitzt wie bei einem Fieber. »Lolth, beschütze mich«, flüsterte er mit erstickter Stimme und sah ängstlich auf die Bißwunde an seinem Handgelenk hinab. »Dieses Balg hat mich infiziert.« Der Mond schien immer heller, und im gleichen Maß ver stärkte sich Rylds Unruhe. Rote Blitze zuckten vor seinen Augen, sein Blut rauschte laut in seinen Ohren. Schon fühlte er, wie ihm die Kontrolle zu entgleiten begann. Seine Kleidung fühlte sich schwer und eng an. Er öffnete den Kragen, hatte aber Mühe, sich davon abzuhalten, sich sämtlichen Stoff vom Leib zu reißen. Mit gehetztem Blick sah er in den Wald rings um und sehnte sich danach, in ihn einzutauchen und immer nur zu rennen und zu rennen ... Mit aller Macht bemüht, die Herrschaft über sich zu wah ren, steckte er eine Hand in die Brusttasche seines Piwafwi und holte den Zweig Belladonna heraus, den Yarnos Großvater ihm mitgegeben hatte. Mattgrüne Blätter und eine glocken förmige Blüte wuchsen daran. Ryld zupfte ein Blatt ab, schob es in den Mund und begann zu kauen. Bitterer Geschmack verbreitete sich in der Mundhöhle, seine Zunge wurde trocken. Er ließ ein weiteres Blatt folgen, dann noch eines, dann die Blüte ... bis er den kahlen Zweig wegwarf und wartete. Das Verlangen, sich die Kleidung vom Leib zu reißen und in den Wald zu rennen, verschwand so plötzlich, wie es gekom men war. Ryld war schwindlig. Er versuchte, einen Schritt
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nach vorn zu machen, taumelte und wäre beinahe gefallen. Im letzten Moment fand er an einem Baum Halt. Gleichzeitig wurde es im Wald immer heller, das Mondlicht erfüllte sein Blickfeld. Mit seinen Augen stimmte etwas nicht. Ungeschickt zog er sein Kurzschwert, sah in die polierte Klinge und stellte fest, daß seine Pupillen sich so verengt hat ten, daß das Rot der Iris kaum noch zu sehen war. Er verzog das Gesicht, ließ sein Schwert sinken und stand einen Moment lang da, bis ihm klar wurde, daß er es noch nicht weggesteckt hatte. Sein Versuch, die Klinge in die Scheide zurückzuste cken, schlug fehl, statt dessen bohrte sich der Stahl in den Boden, als Ryld plötzlich nach vorn kippte. Unfähig, seine Vorwärtsbewegung zu stoppen, fiel er der Länge nach auf den morastigen Boden. Die Bäume über ihm schienen sich in fahle graue Schatten verwandelt zu haben, die sich fließend hin und her bewegten, als seien sie unter Wasser. Während er dalag und zusah, wie sich der Wald zur Spirale verdrehte, fragte Ryld sich, ob er wohl sterben würde. Das Belladonna hatte seine Verwandlung in einen Werwolf ge stoppt, doch zu welchem Preis? Sein Herz raste, seine Haut war heiß und trocken. Er versuchte, seine Lippen zu benetzen, doch selbst das erwies sich als zu anstrengend. Er konnte nur auf dem Waldboden liegen und mit jedem mühseligen Atem zug den Geruch von nasser Erde und verrottenden Blättern inhalieren. Sein Atem war das einzige, was er unter Kontrolle hatte. Er dachte zurück an seine Ausbildung in Melee-Magthere. Eine der Prüfungen, denen sich Schüler unterziehen mußten, bestand darin, in Zeiten großer körperlicher Belastung die Konzentration zu wahren. Die Initianden waren angewiesen worden, sich auszuziehen und sich im Prüfungsraum mit ge schlossenen Augen auf den Boden zu setzen, um sich dann auf
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ihre Atmung zu konzentrieren. Damals hatte Ryld geglaubt, die Prüfung diene dem Zweck, die Kälte des Steinbodens zu ignorieren zu lernen, doch er hatte sich getäuscht. Einer der Meister war zwischen den meditierenden Schülern umherge gangen und hatte Hundertfüßler auf ihre Haut gesetzt. Die Insekten waren so lang wie ein Finger und bissen zu, sobald sie auf der Haut landeten. Dabei spritzten sie ein Gift in den Kör per, das wie ein Feuer durch die Adern raste. Wer aufschrie oder nur nach Luft schnappte, erhielt sofort einen harten Schlag gegen den Kopf. Wer ein zweites Mal schrie, wurde noch härter geschlagen. Beim dritten Schrei wurde der Betref fende aufgefordert, Melee-Magthere zu verlassen und nie zu rückzukommen. Ryld hatte nur am Rande wahrgenommen, daß ein Schüler hinter ihm ein drittes Mal nach Luft geschnappt hatte, und nur ein Teil seines Verstandes war Zeuge der Aufforderung gewesen, den Raum zu verlassen. Er hatte das unterdrückte Schluchzen des anderen gehört, als er der Akademie verwiesen wurde, und war noch tiefer in Meditation versunken, da er wußte, was ihm bevorstand. Als der Hundertfüßler auf seinen Oberschenkel fiel, zuckte er nicht. Das Tier biß ihn, was sich anfühlte, als steche man einen rotglühenden Spieß in sein Bein. Er zwang sich, Ruhe zu bewahren, durch das linke Na senloch ein- und durch das rechte auszuatmen. Dann krabbelte der Hundertfüßler weiter über seine Leis tengegend. Seine unzähligen Beinpaare kribbelten auf der Haut, während er den Kopf von einer Seite zur anderen beweg te, als suche er nach einer zweiten Stelle, an der er zubeißen konnte. Zwischen zwei Herzschlägen hätte Ryld fast das At men vergessen. Er spürte, wie sein Herz zu rasen begann, wäh rend sein Verstand schrie, er solle aufspringen und das wider wärtige Insekt wegwischen.
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Dann erinnerte er sich an sein Leben vor Melee-Magthere, an die Zeit in den Straßen des Gestanks, als die Adligen wie der einmal auf die Jagd gegangen waren. Er war damals erst sechs Jahre alt gewesen, doch er wußte noch genau, wie er dagelegen hatte, den Körper übersät von Brandblasen des Feu erballs, der ringsum viele Opfer gekostet hatte. Um zu überle ben, war er gezwungen gewesen, reglos zu verharren, während die Jäger sich um ihre Trophäen kümmerten: Zähne, Ohren, manchmal auch ein ganzer Kopf. Ryld hatte gelernt, so flach und langsam zu atmen, daß er kein Geräusch verursachte, das lauter war als Klingen, die sich durch Fleisch schnitten. Zum Glück hatte kein Körperteil eines kleinen, schmächtigen Jun gen ihr Interesse geweckt. Als er daran dachte, fand er die Kraft, das Kribbeln des Hundertfüßlers und dessen schmerzhaften zweiten Biß zu igno rieren. Nachdem die Tortur vorüber gewesen war, hatten die Meis ter zufrieden genickt und die Standfestigkeit Rylds und fünf weiterer Schüler anerkannt, die mit ihm den Test bestanden hatten. Ryld war danach fast einen kompletten Zehntag nicht in der Lage gewesen, sich zu bewegen. Jetzt, da er im Wald lag und den Kampf zwischen Belladon na und Übelkeit über sich ergehen ließ, nutzte Ryld, was er an jenem Tag gelernt hatte. Er konzentrierte sich auf seine At mung, darauf, wie die Luft in seinen Körper strömte, die Lun gen füllte und wieder ausgestoßen wurde. Der langsame Rhythmus half ihm, seinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen. Er vertrieb die Hitze von seiner Haut, stellte sich vor, wie sie mit jedem Ausatmen ein wenig mehr von ihm abfiel. Langsam normalisierte sich sein Empfinden wieder, und er begann zu frösteln. Seine Augen zeigten ihm jedoch weiterhin jene phantasti
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schen Bilder, in die das Belladonna die Welt um ihn herum tauchte. Die Bäume hoben sich nach wie vor blaßgrau von einem Himmel ab, an dem unglaublich grelle Sterne standen. Der Mond war so hell, daß es schmerzte. Wabernde Schatten tanzten durch den Wald, und plötzlich löste sich einer dieser Schatten und nahm das Aussehen einer Frau an. »Halisstra ...«, keuchte Ryld, sah aber, daß er irrte. Diese Frau war zwar eine Drow, aber nicht Halisstra. Sie war nackt, ihr weißes Haar reichte ihr bis weit über die Hüften. Als sie sich Ryld näherte, erkannten seine fiebrigen Augen, daß Spättau ihre Haut überzog. Die Tropfen hüllten ihren Leib ein, und im Mondlicht funkelten sie auf ihrer nachtschwarzen Haut wie Sterne. Einen Moment lang stand sie vor ihm und starrte mit Au gen, die Zwillingsmonden gleich das Licht reflektierten, auf ihn herab. Dann berührte sie das Heft des Schwertes, das er hatte fallen lassen. Schlanke Finger tasteten langsam über das Leder, mit dem das Heft umwickelt war. Auf Ryld wirkte es, als würden ihre Finger tanzen. Sie öffnete den Mund, doch statt Worten hörte Ryld die Klänge einer Flöte. Die Melodie war angenehm und schroff zugleich, als sei der Flötist geteilter Ansicht darüber, welches Lied er anstimmen solle, und habe statt dessen entschieden, einfach beide Melodien gleichzeitig zu spielen. Die ganze Zeit über sah die Frau Ryld tief in die Augen, als wolle sie ihm in die Seele blicken. Ihre Hand schloß sich um das Heft seines Schwerts. Etwas knackte im Wald. Erschrocken sah die Frau auf, als ein kleiner schwarzer Wolf aus dem Unterholz auftauchte. Mit gefletschten Zähnen sprang er die Frau knurrend an, die beim Aufprall in eine Million Funken Sternenlicht zerplatzte. Der Wolf setzte seinen Sprung fort, als habe sie nie in seinem Weg gestanden. Während Ryld zusah, wie das Tier im Wald ver
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schwand, fand er seinen ersten Gedanken bestätigt. Es war alles nur eine Halluzination gewesen. Die Frau, der Wolf ... nichts davon war real. Etwas Warmes, Feuchtes stieß ihn am Ohr an. Eine Schnau ze. Dann legte sich ein warmer, pelziger Körper neben ihn. Eine Zunge leckte über seine Wange, dunkle Augen starrten ihn an. Ryld regte sich nicht und sprach kein Wort. Statt dessen konzentrierte er sich weiter auf seine Atmung und zwang den Rest des Belladonna-Gifts mit jedem langsamen Atemzug aus seinem Leib. Irgendwann versank er schließlich in Trance. Als er sich seiner Umgebung wieder bewußt wurde, war es Tag. Er hörte ein knisterndes Geräusch, nahm den Geruch gerösteten Fleisches wahr. Er rollte sich zur Seite und sah Yar no neben einem Feuerchen hocken. Der Junge hielt einen Stock in der Hand, auf den er ein kleines, vierbeiniges Tier gespießt hatte. Es war ausgenommen und sauber aufgespießt, doch am Schwanz erkannte Ryld, daß es sich um eine Ratte handelte. Yarno nahm das Fleisch aus den Flammen. »Ihr müßt zu Kräften kommen«, sagte er. »Eßt.« Ryld setzte sich auf und streifte den letzten Rest von Le thargie ab. Während er aufstand, bewegte er Schultern, Arme und Finger und stellte fest, daß alles in Ordnung war. Das Gift hatte seinen Körper verlassen. Er kauerte sich hin und nahm die geröstete Ratte. »Danke«, sagte er. »Ratte habe ich das letzte Mal gegessen, als ich ein Kind war.« Yarno betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Ryld sah dem Jungen an, daß er überlegte, ob er ihn wohl auf den Arm nahm. Ryld lächelte und biß ein Stück Fleisch ab,
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das er dann genießerisch kaute. Yarno strich eine schwarze Locke zurück, die ihm in die Stirn gefallen war, und erwiderte Rylds Lächeln. »Schmeckt gut, nicht?« fragte der Junge. »Sehr gut«, erwiderte Ryld und wischte sich mit dem Hand rücken Fett aus dem Mundwinkel. Der Junge stand auf und trat Erde in die Flammen, dann drehte er sich um und vergrub die Feuerstelle wie ein Hund. »Großvater geht es jetzt besser«, sagte Yarno. »Meine Meister haben mich gut geschult«, gab Ryld zurück, »und ich habe oft genug üben können, wie man Wunden ver bindet.« Er betrachtete aus dem Augenwinkel den Schmutz, der den blassen nackten Leib des Jungen überzog, und fügte an: »Was du bei einer Wunde als erstes tun mußt, ist, sie mit hei ßem Wasser zu reinigen, wie ich es bei deinem Großvater ge tan habe. Dann mußt du sie mit einem Tuch verbinden, das sauber ist und das du ausgekocht hast. Vergiß das nie, denn es könnte dir eines Tages das Leben retten.« »Ich werde daran denken«, sagte Yarno. Ryld rümpfte die Nase, da er das bezweifelte. Yarno schien Schmutz förmlich anzuziehen. Außerdem hatte er Flöhe, wie Ryld einen Moment später voller Ekel erkennen mußte, da er ein nadelgleiches Stechen spürte, als einer der Schädlinge ihn in die Brust biß. Dann mußte seine Erinnerung daran, daß ein Werwolf neben ihm geschlafen hatte, der Wahrheit entspre chen. Was von den Ereignissen der letzten Nacht war noch real – und was Einbildung? Ryld richtete sich auf und betrachtete den Boden. Von den Pfotenabdrücken eines kleinen Wolfs und den Fußspuren eines barfüßigen jungen abgesehen konnte er nichts entdecken. »Yarno«, sagte er. »Als du mich letzte Nacht gefunden hat test, stand da eine Frau neben mir?«
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Er zuckte die Achseln. »Was hast du angesprungen?« Yarno starrte zu Boden. »Ich erinnere mich nicht«, antwortete er schließlich. »Ich kann mich nie erinnern.« Ryld nickte. Vom Schein des Vollmondes zur Raserei ge trieben, war der Junge nicht Herr seines Handelns und seines Verstandes. Merkwürdig, daß er nach Ryld gesucht und ihn beschützt hatte. Seine Gier nach Blut hätte ihn dazu veranlas sen können, Rylds Kehle zu zerfleischen. Vielleicht hatte der Gestank von Belladonna ihn zurückgehalten, doch wieso erin nerte sich Ryld dann, daß der Junge die ganze Nacht über neben ihm gelegen und ihm Wärme gespendet hatte? Er hob sein Schwert auf, wischte den Schmutz von der Spit ze und steckte es weg. »Wo geht es zum Tempel?« fragte er. Yarno wies Ryld den Weg, warf ihm dann aber einen Blick zu, der unter ausgebildeten Schwertkämpfern eine Aufforde rung zum Kampf gewesen wäre. »Was werdet Ihr tun, wenn Ihr dort angekommen seid?« fragte Yarno. »Ich werde Halisstra retten«, erwiderte Ryld, dann fügte er mit ernster Miene an: »Wenn sie noch lebt.« »Was, wenn nicht?« wollte der Junge wissen. »Werdet Ihr dann die Priesterinnen töten, um ihren Tod zu rächen?« Ryld dachte einen Moment darüber nach, dann lächelte er grimmig. »So viele, wie ich kann, ehe ich selbst erschlagen werde«, sagte er. »Gut«, sagte Yarno. Der Junge hob den Kopf, als hätte er etwas gehört. Er starrte in die Richtung, in die er eben gezeigt hatte.
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Nun hörte Ryld es auch: Jagdhörner! Ein Dutzend oder mehr, wegen der großen Distanz noch gedämpft. Die Geräu sche kamen aus Richtung des Tempels. »Ich gehe besser zurück«, erklärte Yarno mit vor Angst aufgerissenen Augen. »Großvater braucht mich.« Der Junge verwandelte sich in den Wolf und floh. Ryld wandte sich um und rannte in die entgegengesetzte Richtung – auf die Geräusche zu. Während er sich seinen Weg durch den Wald bahnte und mit den Schultern Zweige zur Seite drückte, beherrschte ihn ein einziger Gedanke. Halisstra hatte den Mord an der Tempelpriesterin gestan den – und es gab keinen Zweifel daran, daß sie für ihr Verbre chen bestraft würde. War es vielleicht Halisstra, die dort gejagt wurde?
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Danifae folgte Pharaun durch den runden Torbogen in der Seite des Stalagmiten in einen Korridor, der spiralförmig nach oben verlief. Das Wasser, durch das sie schwamm, war vom Schleim des Abolethen verunreinigt, der ihnen den Weg ge wiesen hatte. Danifae schmeckte es jedesmal, wenn sie einat mete. Ein zweiter Aboleth war dicht hinter ihr und trieb sie vor sich her. Der Korridor, durch den sie schwammen, war von einem gräulichen Rosa und schimmerte wie Perlmutt. Tiefe Linien waren hineingeschnitten worden und ließen den dunkelgrauen Stein darunter erkennen. In der Mehrzahl handelte es sich um Spiralmuster oder Wellenlinien. Danifae betrachtete sie und fragte sich, ob sie wohl eine Schrift darstellten. Dann erinnerte sie sich daran, daß die Abolethen für Texte keine Verwendung hatten. Sämtliches Wissen, das sie besaßen, wurde an zukünf
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tige Generationen weitergegeben, wenn ihre Brut über sie herfiel und in Stücke riß. Sie bedauerte lächelnd, daß Lolth den Drow nicht die Fä higkeit verliehen hatte, sich auf diese Weise Wissen anzueig nen. Doch es gab andere Mittel und Wege, um in Erfahrung zu bringen, was man wissen wollte ... Der Korridor führte durch weitere runde Torbögen und öff nete sich dann in einen Raum, der sich nahe dem Mittelpunkt des Stalagmiten befinden mußte. Als sie hineinschwammen, hielt Danifae neben Pharaun inne und ließ sich vom Gewicht ihres Kettenhemds nach unten ziehen, bis sie auf dem gewölb ten Boden stand. Der Aboleth, der ihnen gefolgt war, schwamm auch in den Raum und trieb so dicht hinter ihr im Wasser, daß er sie mit seinen Tentakeln berühren konnte, wenn er das wollte. Danifae sah, daß der erste Aboleth zu Pha rauns anderer Seite eine ähnliche Position bezogen hatte. Am anderen Ende des Raums ruhte ein Aboleth auf einem Thron in einer Nische der Wand, den Danifae für Oothoon hielt. Die Kreatur ruhte auf etwas, das wie ein Bett aus schwammigem Tang wirkte, und riß hin und wieder mit einem Tentakel ein Stück davon ab, um es sich in den auf Bauchhö he befindlichen Mund zu stopfen. Die bläulich-grüne, gummi artige Haut war mit weißen Flecken aus Süßwassermuscheln überzogen, der Bauch war von einem dunkleren Rosa als bei den beiden, die Danifae und Pharaun in den Raum begleitet hatten. Danifae suchte vergeblich nach einem Hinweis darauf, welchen Geschlechts das Ding war – vielleicht war sie ja ein Zwitter –, auch wenn die anderen Oothoon als »Matriarchin« der Abolethen bezeichnet hatten. Sie verspürte ein Kitzeln auf der Kopfhaut, und im nächsten Moment zuckte ein Funke Magie durch das Wasser und trieb das Kitzeln zurück, da der Schutzzauber einsetzte, den Pharaun
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frühzeitig gewirkt hatte. Aus dem Augenwinkel sah Danifae zu dem Magier, der nur nickte. Seine Prahlerei hatte sich als nicht übertrieben erwiesen. Seine Magie war stark genug, um den Abolethen daran zu hindern, ihren Geist zu erkunden. Oothoon regte sich und erhob sich leicht von dem Tang bett. Ein Brocken von etwas, das wie frisches Fleisch aussah, aber im Wasser grünliche statt rote Schlieren hinterließ und unter dem massigen Rumpf des Abolethen festgesteckt hatte, wurde von der Strömung erfaßt und trieb langsam zu Boden. Abolethen-Fleisch, vermutete Danifae, die die gesprenkelte Haut bemerkte. Oothoon ignorierte den Brocken und ließ einen Tentakel in Pharauns Richtung treiben, bis er nur noch einen Handbreit von seinem Gesicht entfernt war. Ein zweiter kam auf Danifae zu. Pharaun ließ seine Hand hinter seinen Rücken gleiten, so daß Oothoon sie nicht sehen konnte. Ruhig, signalisierte er. Danifae starrte den Tentakel an und schmeckte den Geruch ranzigen Fetts, den er ins Wasser ringsum absonderte. Aus Angst, der geringste Kontakt könne sie verwandeln, hielt sie die Luft an, da sie nicht das trübe Wasser einatmen wollte. Einen Moment später zog Oothoon den Tentakel zurück, der Pharaun bedroht hatte – und als Danifae bereits begann, Punk te vor den Augen zu sehen und schließlich doch noch einat men mußte, wich auch der zweite Tentakel zurück. Die Krea tur kniff ihre drei Augen auf eine Weise zusammen, die Danifae für ein katzengleiches Lächeln hielt. »Warum seid ihr hier?« fragte Oothoon mit einer Stimme, die nach platzenden Luftblasen klang. Danifae überließ Pharaun das Reden. Der Magier bediente sich der Zeichensprache der Drow, die Oothoon zu verstehen
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schien. Die Abolethen-Matriarchin mußte irgendwann früher einmal ein oder zwei Drow gefressen haben. Vor Jahrhunderten besuchte ein Dämonenschiff Eure Stadt, be gann Pharaun. Nachdem es Zanhoriloch wieder verlassen hatte, geriet es in einen Sturm und ist auf dieser Ebene verschollen. Wir suchen es. »Warum?« Unsere Führerin, eine mächtige Lolth-Priesterin, will es finden. Sie will es benutzen, um in den Abyss zu segeln und ihrer Göttin zu begegnen. Danifae sah Pharaun aus dem Augenwinkel an und runzelte die Stirn. Quenthel hatte Pharaun ausdrücklich angewiesen, nichts über sie oder ihre Mission zu sagen. Erzählte er all das nun aus Trotz? Nein, dachte Danifae und kniff die Augen zusammen, wäh rend ihr Blick weiter auf dem Magier ruhte. Pharaun wußte, was er tat. Er hegte irgendeine Absicht. Wieder antwortete Oothoon mit einer Frage: »Warum will eure Führerin das tun?« Pharaun machte eine betrübte Miene, dann erwiderte er: Sie will Lolth verschlingen. Oothoons Tentakel zuckten gleichzeitig, und das gleiche ta ten die Tentakel der Wachen. Gemeinsames Erstaunen? Oder Humor angesichts einer so anmaßenden Aussage? Danifae dachte über diese Fragen nicht nach, sondern starrte Pharaun an, da sie sich fragte, was er nun sagen würde. Er begegnete ihrem Blick und hielt ihm lange genug stand, um sie stumm zu warnen, nichts zu sagen. »Eure Führerin ist eine Närrin«, entgegnete Oothoon. »Sie wird von ihrer Göttin verzehrt werden.« Unsere Führerin ist keine unerfahrene Novizin, sondern eine hochrangige Priesterin, erklärte Pharaun. Sie kennt einen Zauber,
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der es ihr ermöglicht, einen Gott zu töten. Jeden Gott. Angesichts dieser unverschämten Lüge mußte sich Danifae zwingen, die Fassung zu wahren. Sie wußte zwar nicht, welchen verrückten Plan Pharaun verfolgte, doch sie wollte ihn ihm nicht verderben. Immerhin war er auch im Umgang mit Bels hazu sehr geschickt gewesen. Offenbar wollte er in dieser Rich tung weitermachen. »Wer ist eure Anführerin?« wollte Oothoon wissen. Als Pharaun daraufhin ein Wort zu buchstabieren begann – Q-u-e-n- –, sah sich Danifae schließlich doch gezwungen, ihm einen warnenden Stoß zu geben, den sie als Ruderbewegung tarnte. Nicht! signalisierte sie und versteckte die Geste zwischen zwei Bewegungen. Pharaun fuhr fort, als hätte er nichts bemerkt: ...-t-h-e-l. »Quenthel«, sprach die Abolethin aus, wiederholte es laut und schmatzte dann mit den Lippen, als schmecke der Klang an sich süß. Ihre drei Augen blinzelten hektisch. »Ich habe noch nie von ihr gehört.« Das überrascht mich nicht, meinte Pharaun. Wir kommen aus einer Stadt des Unterreiches, die viele Kilometer von hier entfernt ist. »Aus Menzoberranzan?« Danifae sah überrascht zu Oothoon auf und signalisierte: Ihr habt davon gehört? »Der eine, der aus dem Käfig entkam, hat Jooran den Na men gesagt.« Der ihn wiederum Euch mitgeteilt hat, folgerte Pharaun und fiel damit Danifae ins Wort, ehe sie Oothoon weitere Fragen stellen konnte. »Ja, ich fand den Namen in Joorans Geist, als ich ihn aß.« Danifae schauderte und mußte sich fragen, ob Oothoon es
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sich zur Gewohnheit gemacht hatte, jeden zu verzehren, der in ihren Thronsaal kam. Sie hatte ihre Hand zum Morgenstern sinken lassen, der an ihrem Gürtel hing. Wenn die Abolethin ihre Tentakel in ihre Richtung bewegen sollte, würde sie die Magie ihrer Waffen benutzen, um sie zurückzuschlagen. Dann ließ sie es sich noch einmal durch den Kopf gehen und nahm die Hand weg. Die Tatsache, daß man sie mit ihren Waffen bis in den Thronsaal der Abolethen hatte vordringen lassen, war keineswegs ermutigend. Offenbar fürchteten diese sich nicht vor magischen Waffen – und wohl auch nicht vor Pharauns Magie. Unbehagen erfaßte Danifae. Würde sie hier lebend heraus kommen? Ihr wurde klar, daß sie von Pharaun abhängig war, was ihr nicht gefiel. Wieder gestikulierte Pharaun. Danifae war abgelenkt gewe sen und bekam nur den Schluß mit. ... sagt uns, wo es liegt, dann werde ich für Euch ein Treffen mit Quenthel arrangieren, versprach der Magier. Die Matriarchin klimperte mit ihren drei Augen. »Wozu?« fragte sie. Pharaun trat mit der Schuhspitze gegen das umhertreibende Stück Fleisch, dann sah er auf. Um sie zu essen, antwortete er ohne Umschweife. Danifae kniff die Augen ein wenig zusammen und hoffte, daß Pharaun nur bluffte. Oothoons Tentakel zuckten erregt. »Ich soll eine Drow-Priesterin essen, die mächtig genug ist, um einen Gott zu töten?« fragte die Matriarchin voller Un glauben. »Du verhöhnst mich.« Nein, antwortete Pharaun. Quenthels Zauber sind zwar wir kungsvoll, benötigen aber viel Zeit. Körperlich ist sie schwach – wie jede Drow. Da sie das weiß, hat sie zu ihrem Schutz immer einen
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Halbdämon an ihrer Seite. Wenn man sie von diesem Dämon tren nen kann – vielleicht durch einen Trick –, dann ist sie nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Die magischen Gegenstände, die sie bei sich trägt, sind kläglich. Die einzigen gefährlichen Waffen sind ihr Hammer – der magisch ist und über große Distanzen hinweg zu schlagen kann – und ihre mit Schlangen besetzte Peitsche, deren Vipern giftig sind. Danifae war schockiert über Pharauns Dreistigkeit. Er hatte der Abolethin soeben alles erzählt, was sie wissen mußte, um Quenthel zu besiegen. Das einzige Detail, das er ausgelassen hatte, war die Tatsache, daß Quenthel nicht länger auf Lolths Magie zurückgreifen konnte. Er hatte den Köder ausgeworfen, indem er Quenthel die Fähigkeit zugeschrieben hatte, Götter töten zu können. Er hatte Oothoon mit der Aussicht, einen solchen Zauber an sich reißen zu können, den Mund wäßrig gemacht. Am merkwürdigsten war dabei, daß er es in Danifaes Anwesenheit getan hatte. War ihm bewußt, daß sie ihn an Quenthel verraten würde? Oder baute er darauf? Vielleicht spielte Pharaun ein viel komplexeres Spiel ... Danifae schüttelte den Kopf. Es war unmöglich, den Verstand eines Mannes zu begreifen, der sich auf ein geistiges Duell mit einem Dämon eingelassen und gewonnen hatte. Sie machte eine knappe Geste, um ihm zu bedeuten, daß sie ihn unter vier Augen sprechen wollte. Pharaun reagierte mit einem Stirnrunzeln, dann drehte er sich um und wandte sich wieder an Oothoon. Der Zauber, der meine Gefährtin am Leben erhält, verliert an Wirkung, erklärte er der Abolethin. Um ihn neu zu wirken, muß ich einen Moment ihre Hand halten. Der Zauber wird um uns herum eine schwarze Wolke entstehen lassen. Seid nicht beunruhigt, das ist völlig harmlos. Habe ich Eure Erlaubnis? Die drei Augen der Abolethin verengten sich ein wenig –
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eine Mimik, die die Kreatur zweifellos von den Drow über nommen hatte. »Ja.« Die beiden Wachen wurden unruhig und beobachteten Pharaun wachsam, als er Danifaes Hände in seine nahm. Einen Augenblick später entstand eine Sphäre aus Dunkelheit, gera de groß genug, um ihre Hände zu umgeben. Danifae wechselte zur Zeichensprache und tippte ihre Worte in sein Handfläche. Wollt Ihr Quenthel opfern? Das Schicksal Menzoberranzans steht auf dem Spiel, erwiderte Pharaun. Ich bin sicher, Muttermatrone Baenre würde das als würdiges Opfer ansehen. An meiner Stelle würde sie nicht anders handeln. Danifae konnte dieser Logik nichts entgegensetzen, also wandte sie sich einem für sie wichtigeren Thema zu: ihr selbst. Ihr verlangt von mir, mich auf Eure Seite zu stellen und Quenthel zu verraten. Warum sollte ich das? An Menzoberranzan liegt mir nichts. Was ist mit Eryndlyn? fragte Pharaun. Was soll damit sein? erwiderten ihre Finger. Würdet Ihr eines Tages gern dorthin zurückkehren? Das ließ Danifae innehalten. Ich habe Eryndlyn mehrmals besucht, fuhr Pharaun fort. Ich kenne den Platz, der die fünf Säulen umgibt, sehr gut. Mit einer einfachen Beschwörung könnte ich Euch hinschicken. In Eryndlyn erwartet mich nichts mehr, erwiderte sie. Kein Haus, keine Familie. Wohin dann? Danifae reagierte prompt. Quenthel würde es nicht zulassen, nicht, nachdem sie schon Halisstra verloren hat ... und Ryld. Nein, stimmte Pharaun zu. Das würde sie nicht. Aber ich. Al so bleibt die Frage: wenn nicht Eryndlyn – und ganz sicher nicht
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Ched Nasad –, wohin dann? Llacerellyn? Sschindylryn? Unwillkürlich mußte Danifae nach Luft schnappen. Sschindylryn war bekannt für seine vielen Portale, und das neue Zuhause des womöglich einzigen Drow im gesamten Un terreich, der in der Lage sein mochte, ihr zu helfen und den Zauber aufzuheben, der sie an Halisstra band. Wenn er tat sächlich ... Als sie sah, daß Pharaun ihr Gesicht studierte und sie ihre Überlegungen viel zu offensichtlich zur Schau trug, faßte sie sich wieder. Einen Moment lang hätte sie ihm fast geglaubt, doch sie wußte, daß sie sich nicht der Hoffnung hingeben durfte. Sie hatte die Erfahrung gemacht, daß Versprechen nur selten ein gehalten wurden, vor allem, wenn sie von anderen Drow ka men. Dennoch war es nicht völlig auszuschließen. Immerhin hat te Pharaun beim Untergang Ched Nasads sein Leben riskiert, um sie zu retten. Danifae versuchte noch immer dahinterzu kommen, warum er das getan hatte. Welchen Vorteil hatte er sich damit verschafft? Gut möglich, daß es nur ein Impuls war, von Lust getrieben. Vielleicht wurde er noch immer von die sem Gefühl gesteuert. War der Augenblick gekommen, um die Treue zu Quenthel aufzugeben und zu Pharaun zu wechseln? Sie dachte darüber nach. Ihre Allianz mit Quenthel hatte sie nur vorangetrieben, um herauszufinden, was mit Lolth geschehen war, weil ihr das die Chance geboten hatte, wieder in den Besitz ihrer Magie zu kommen und vielleicht sogar eine ganz besondere Gunst der finsteren Göttin zu erhalten. Quenthel war die hochrangigste Drow der Gruppe aus Menzoberranzan, und wenn Danifae dienen sollte, dann auf der höchstmöglichen Stufe. Kriegsge fangene zu sein war eine Sache – Dienerin einer Hauslosen auf
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der Flucht eine andere. Daß sie Quenthel gedient hat, war Halisstra nicht recht gewesen. Die erste Tochter des Hauses Melarn hätte Danifae zuvor jederzeit töten können, doch nachdem die Kriegsgefangene Quenthels Gespielin geworden war, würde sie der Herrin Arach-Tiniliths Rede und Antwort stehen müssen. Nach so vielen Jahren der demütigen Verbeugungen und der gemurmelten Zustimmungen konnte Danifae endlich ihren Weg frei wählen, handeln. Doch sie war nicht frei. Sie war immer noch untrennbar mit Halisstra verbunden. Quenthel war eine mächtige Verbündete, und wenn Dani fae ihre Sava-Steine richtig setzte, könnte sie sogar zu deren rechter Hand aufsteigen ... falls die Suche nach Lolth erfolg reich verlief. Angesichts der bisherigen Mißerfolge war sich Danifae dessen allerdings nicht mehr so sicher. Doch wenn der alte Magier in Sschindylryn wirklich noch lebte, könnte er sie befreien. Dann war sie frei ... was zu tun? Wohin sollte sie gehen? Auch wenn Eryndlyn nicht das glei che Schicksal wie Ched Nasad ereilt haben mochte, gab es dort nichts, wohin sie zurückkehren konnte. Sie konnte nach Menzoberranzan gehen oder auch in eine andere Stadt, aber dann? Sie war eine freie Drow, aber ohne Allianzen, ohne Haus, das sie beschützte. Doch wenn sie eine Fürsprecherin hatte, jemanden wie Quenthel, dann könnte sie in ArachTinilith ihr neues Zuhause finden ... Danifae beschloß, ihre Spielsteine vorsichtig zu setzen und mit einer Lüge zu beginnen. Ich tue es, signalisierte sie. Quenthel wird nichts erfahren. Aber stellt sicher, daß sie wirklich wissen, wo das Schiff ist – und daß es seetüchtig ist. Pharaun lächelte und neigte sein Kinn leicht, um eine Ver beugung anzudeuten. Dann löste er die Sphäre der Dunkelheit
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auf und ließ Danifaes Hände los, während er sich wieder Oothoon zuwandte. Nun, und? fragte er. Habt Ihr Euch entschieden, mein Angebot anzunehmen? Die Matriarchin zuckte mit einem Tentakel und erwiderte: »Gib mir Quenthel, dann sage ich euch, wo das Chaos-Schiff ist.« Danifae hob eine Braue. Pharaun bemerkte es und nickte fast unmerklich, da ihm offenbar das gleiche aufgefallen war. Keiner von ihnen hatte bislang ein Wort darüber verlauten lassen, welche Art von Schiff sie suchten. Dennoch bestand die Möglichkeit, daß Valas Hune es erwähnt hatte. Beschreibt es, signalisierte Pharaun. Überzeugt uns, daß Ihr wirklich davon wißt. Die Abolethin schloß die Augen, als müsse sie eine ferne Erinnerung herauskramen. »Es war aus Knochen gebaut, es bewegte sich auf der Ober fläche des Sees. Die Kreaturen, die sich auf ihm befanden, waren geformt wie ihr, und sie schienen zu leben. Aber sie waren blaß und aufgedunsen und schmeckten nach Tod – und nach Insekten. Der eine von ihnen, der von Die-die-meine Mütter-hervorbrachte gefressen wurde, war voller weißer, wimmelnder Dinge.« Maden, signalisierte Pharaun, dessen Gesicht nichts von dem Ekel verriet, von dem Danifae sicher war, daß er sich auf ihrer Miene unübersehbar abzeichnete. »Ja. Eine unangenehme Erfahrung – vor allem, als sich die Kreatur in ihrem Magen in ätzenden Dampf auflöste. Die-die meine-Mütter-hervorbrachte wäre fast gestorben und würde freiwillig nicht noch eine von diesen Kreaturen verzehren, selbst wenn sich in ihrem Verstand die Geheimnisse der Göt ter selbst befänden.«
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Danifae konnte diesen wichtigen Punkt nicht unkommen tiert lassen. Wann hat Eure Ahnin die Mane konsumiert? fragte sie. Als das Schiff zum ersten Mal Eure Stadt besuchte oder nachdem es unter gegangen war? »Danach«, antwortete Oothoon. »Die dumme Kreatur kam zurückgeschwommen, als der Kapitän unterlegen war.« Beschreibt den Kapitän, bat Pharaun. »Es war ein Landgeschöpf mit zwei Beinen zum Gehen und zwei Beinen zum Halten«, erklärte Oothoon. »Es hatte einen langen Schwanz, der ständig zuckte. Wie Tang in einer wech selnden Strömung. Der Leib war unbehaart, von der Schnauze abgesehen. Das Gesicht des Dämons ähnelte dem der winzigen Landkreaturen, die durch die Höhlen huschen, und seine Schnauze witterte ständig.« Ein Uridezu, signalisierte Pharaun mit einem wissenden Blick zu Danifae. Genau wie Belshazu sagte. Valas könnte dieses Detail dem Abolethen gegenüber erwähnt haben, warf Danifae ein. Pharaun schüttelte den Kopf. Valas Hune kann einen Dämon nicht vom anderen unterscheiden. Er würde einen Uridezu nicht erkennen, wenn er ihm ins Gesicht starrte, und er würde sich auch nicht an den Namen einer Spezies erinnern, die Belshazu nur bei läufig erwähnte. Oothoon sagt die Wahrheit. Ihre Ahnin hat wirk lich die Mane konsumiert – und damit das Wissen, wo das Schiff zu finden ist. Oothoon signalisierte er: Wir wissen, daß das Schiff kenterte. Wurde es vernichtet? »Als die Mane sich von dem Schiff entfernte, war es noch intakt«, antwortete Oothoon. »Der Sturm machte es bewe gungsunfähig und tötete die Besatzung, aber er beschädigte das Schiff an sich nicht.«
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Danifae schnaubte. Als ob die Matriarchin ihm eine andere Antwort geben würde, nachdem Pharaun bereits erzählt hatte, sie planten, das Schiff zu heben und mit ihm zu segeln. Was ist mit dem Dämon? fragte Pharaun. »Auch er wurde vom Sturm bewegungsunfähig gemacht.« Pharaun dachte einen Moment lang nach, dann nickte er, zufrieden mit den Antworten, die er erhalten hatte. Nun gut, signalisierte er. Sagt mir, wo das Schiff liegt, dann werde ich dafür sorgen, daß Quenthel zu Euch kommt. »Nein«, gab Oothoon zurück. Einen Moment lang sah es aus Danifaes Sicht so aus, als würde die Abolethin es sich an ders überlegen und sie statt dessen verzehren wollen. »Du gibst mir die Priesterin, und nachdem ich sie gefressen habe, werde ich dir sagen, wo sich das Schiff befindet.« Wieder mußte Danifae schnauben. Ein Patt. Doch zu ihrer Verwunderung nickte Pharaun. Ich bin einverstanden, sagte er der Abolethin. Während Oothoon erfreut gluckste, brachten die Wachen Pharaun und Danifae aus dem Saal. Die Audienz war vorüber.
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Gromph war überrascht von den Inhalten der Gedankenfla sche. Er hörte, daß eine Flüssigkeit aus dem Gefäß kam, doch auf seiner Zunge fühlte sie sich an wie Sand. Während er schluckte, breitete sich ein merkwürdiger Geschmack in sei nem Mund aus – eine eigenartige Mischung aus alten, verwes ten Insekten und dem scharfen Aroma gemahlenen Bernsteins. Die Erinnerungen kehrten schlagartig in seinen Geist zu rück, als würden Sporen aus einem überreifen Pilz herausplat zen. Darunter befand sich auch der Zauber, der keine gespro chene, sondern nur eine somatische Komponente benötigte: den Akt, auch den letzten Rest des Flascheninhalts zu schlu cken. Der Illithid spürte, daß etwas nicht stimmte, und machte einen Satz nach vorn, um mit einer mißgestalteten Hand nach ihm zu schlagen, doch er kam zu spät. Der Rest aus der Flasche
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glitt über Gromphs Zunge und war geschluckt, womit der Zau ber ausgelöst wurde. Eine Welle magischer Energie, die Sluu guth mitten in der Bewegung erstarren ließ, jagte schneller durch den Raum, als es ein Gedanke gekonnt hätte. Seine Augen waren vor Wut vorgetreten, die Tentakel hingen in der Luft, einen Fingerbreit von Gromphs Gesicht entfernt. Die Gedankenflasche war im Raum erstarrt, und die Duergar-Axt, die der Illithid bei sich geführt hatte, schwebte zwischen Sluu guths ausgestreckter Hand und dem Fußboden. Er hatte sie losgelassen, als ihm Gromphs Gedanken verraten hatten, daß etwas nicht stimmte. Gromph stand auf und stützte sich mit einer Hand an sei nem Schreibtisch ab, da der Raum leicht verschwamm. Sich aus der Zeit zu lösen war immer desorientierend. Ihm war et was schwindlig, als sei die Welt stabil, er selbst aber nicht. Da die Erinnerung zurückgekehrt war, begriff er nun alle Zu sammenhänge. Deshalb habe ich alles bis auf eine einzige Erinnerung ge löscht, dachte der Erzmagier, nämlich die, daß ich diese Fla schen jeder Kreatur anbieten sollte, die meinen Verstand kon trollieren kann. Der Grund war aber nicht, daß er hoffte, die jeweilige Krea tur dazu zu bringen, den Inhalt zu trinken. Vielmehr war er davon ausgegangen, daß das Wesen diesen Gedanken lesen und ihn als Vorsichtsmaßnahme zuerst aus den Flaschen trin ken lassen würde. Wie Sluuguth es getan hatte. Gromph vertat aber keine Zeit damit, sich für seine Weit sicht zu loben. Vielmehr mußte er schnell handeln. Der Zau ber, der die Zeit anhielt, war mächtig, aber nur von kurzer Dauer. Er würde nur für ein paar Herzschläge Bestand haben. Rasch bückte er sich und griff nach der Streitaxt.
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Nach einem leichten Ruck – die Trägheit ließ die Waffe wirken, als stecke sie im Schlamm fest – umfaßte Gromph den Axtstiel fest mit beiden Händen und holte aus. Die Klinge durchtrennte sauber den Hals des Illithiden und enthauptete ihn mit einem einzigen Hieb. An der Klinge haftete etwas Blut, doch der Kopf blieb auf dem Leib. Als Gromph die Waffe auf seinen Schreibtisch legte, endete der Zauber, und die Zeit machte einen Satz nach vorn. Blut spritzte gegen die Wand, Sluuguths Kopf flog von den Schul tern, sein Leib sackte zusammen. Einen Augenblick später flog die Gedankenflasche gegen die Wand und fiel zu Boden. Gromph sah auf das Blatt der Axt und bemerkte einen wil den Wirbel, als die verzauberte Klinge Sluuguths Seele zu de nen hinzufügte, die sie bereits geraubt hatte. Das Gesicht des Illithiden starrte ihn entsetzt aus der Klinge an, die Tentakel zuckten, dann wurde die Fratze durchscheinend und ver schwand. »Welch nützliche Waffe«, sagte Gromph und legte die Streitaxt wieder auf den Tisch. »Vielleicht sollte ich sie mir als Andenken an die Wand hängen«, meinte er amüsiert. Dann kniete er neben der Leiche des Illithiden nieder, skandierte die Worte eines Zaubers und hielt seine Hände über den Toten. Seine Handflächen kribbelten, als er sich über den Fingern der Kreatur befand. Am Mittelfinger steckte ein gol dener Siegelring, der mit Schutzzaubern versehen war. Er streifte dem Toten den Ring ab und legte ihn auf den Tisch. Seine Hände kribbelten erneut, als sie sich über ein längli ches, ledernes Transportbehältnis bewegten, das am Gürtel festgemacht war. Gromph öffnete es und holte ein langes Stück eines ausgehöhlten Knochen hervor, der an beiden Enden mit einem Stopfen verschlossen war. Er schüttelte ihn und hörte ein leises Rascheln. Vielleicht Schriftrollen, doch
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dem würde er sich später widmen, wenn er entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatte. Das Behältnis legte er neben den Ring, dann suchte er wei ter den Leib des Illithiden ab. Über einer Tasche in Sluuguths Gewand begannen seine Hände erneut zu kribbeln, und als er nachsah, entdeckte er ein gut fingerlanges Stück Quarz, das zu einem Prisma geschnitten war. Winzige gelbe Funken tanzten im Inneren. So etwas hatte Gromph schon einige Male gesehen. Es handelte sich um magische Konstrukte, geschaffen von Ober flächen-Elfen, die Licht brauchten, um sich im Unterreich zurechtzufinden. Er sprach ein Wort in ihrer Sprache – die Oberflächen-Elfen waren so berechenbar und benutzten fast immer die gleichen Befehlsworte –, woraufhin das Prisma wie erwartet reagierte und das Licht in seinem Inneren zu einem fahlen Kegel formte, der so hell war wie Kerzenschein. Ein zweites Befehlswort formte das Licht zu einem gleißend hellen, dünnen Strahl, der in den Augen schmerzte. Wäre das intensi ve weiße Licht nicht auf die Wand von Gromphs Büro gesto ßen, hätte er den Strahl auf einer längeren Strecke verfolgen können. Gromph kniff wegen des grellen Lichts die Augen zusam men, sprach ein drittes Befehlswort, und das schmerzende Licht verschwand. Das Prisma wirkte wie zu Beginn und fühlte sich in Gromphs Hand immer noch so kalt wie Stein an. »Nützlicher Nippes«, meinte er und ließ es in einer Tasche seines Piwafwi verschwinden. »Selbst wenn es keinem anderen Zweck dienen sollte, ist es praktisch, wenn man Schriftrollen lesen muß.« Fast hätte er seine Suche beendet, doch dann hielt er seine Hände ein letztes Mal über den Toten. Überrascht spürte er ein weiteres Kribbeln. Etwas steckte tief in der Tasche, aus der
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er das Prisma gezogen hatte. Er grub tiefer und förderte eine Silberkette zutage, an der ein flaches, ovales Stück grüner Jade hing. Sofort erkannte er, was er vor sich hatte. »Dahin sind also die Jadespinnen verschwunden«, murmel te er und steckte den Anhänger ein. Gromph erhob sich und bediente sich seiner Magie, um den Kopf des Illithiden vom Boden zu heben – wenn es sich ver meiden ließ, würde er diese schlaffen und stinkenden Tentakel nicht berühren – und ihn auf den Oberkörper des Leichnams zu legen. Dann zog er eine Prise Staub aus einer Tasche seines Piwafwi und verteilte ihn auf dem toten Sluuguth. Er skandier te die Worte eines kurzen Zaubers und deutete auf den leblo sen Körper, woraufhin ein rauhes Knistern die Luft erfüllte, als aus der Fingerspitze ein grüner Energiestrahl entsprang. Der bewegte sich über den Leichnam und umgab ihn mit einem knisternden Licht. Im nächsten Augenblick war von Sluuguth nur noch eine dünne Staubschicht auf dem Fußboden übrig. Gromph ging durch den Raum und hob die leere Gedan kenflasche auf. Eine Seite war etwas eingedrückt, doch das kleine Sichtfenster in Form eines Sigel war noch intakt. Also konnte er die Flasche noch einmal verwenden. Mit einem Ausbesserungszauber beulte er sie aus, stellte sie zu der anderen Flasche auf den Schreibtisch und wirkte einen geringfügigen Zauber, damit die Blutspritzer auf seinem Tisch sich in dunkel braunen Staub verwandelten, den er wegpusten konnte. Die ungeöffnete Flasche verstaute er wieder in der Schublade, dann nahm er die, die er entkorkt hatte. Er wandte sich der Wand zu und ließ mit einer knappen Geste das Feuerelementar frei, das durch Sluuguths Magie mitten in der Luft erstarrt war. Das Elementar schoß mit einem wütenden Knurren durch den Raum und verbreitete Hitze. »Wo ist errr?« rief es und flammte auf, als es hin und her irr
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te und nach dem verschwundenen Illithiden Ausschau hielt. »Errr muß verrrbrrrennen.« »Der Illithid ist fort«, antwortete Gromph. Das Elementar glühte weiß vor Zorn. »Ihrrr sagtet, ich müßte nurrr einen Eindrrringling verrrbrrrennen, um frrrei zu sein«, knurrte es. Es wies auf den rußverschmierten Punkt an der Wand, an dem sich das magi sche Sigel befunden hatte. »Werrrde ich nun wiederrr gebun den werrrden?« Gromph schirmte sein Gesicht gegen die Hitze ab und sagte: »Nein. Deine Aufgabe hat sich lediglich verändert. Wenn du sie erledigt hast, bist du frei.« Er zeigte dem Elementar die Gedan kenflasche. »Gleich werde ich mich dieser Magie aussetzen. Wenn das geschehen ist, wirst du folgende Information an mich weitergeben ...« Kurz darauf saß Gromph an seinem Schreibtisch, in der Hand eine mit einem Korken verschlossene Flasche. Eine Lade, in der sich eine identisch aussehende Flasche befand, stand offen, und vor der anderen Seite des Schreibtische schwebte ein Feuerelementar in der Luft. Gromph sah zur Wand und bemerkte, daß das Sigel aktiviert worden war, die das Elementar band. Jemand mußte in sein Arbeitszimmer eingedrungen sein, doch der Entdeckungszauber, den er sofort wirkte, ergab nichts, weder ein lebendes noch untotes Wesen. Wer immer der Eindringling gewesen sein mochte, er hatte einen Goldring und etwas zurückgelassen, das nach einem Behältnis für Schriftrollen aussah – außerdem eine beeindru ckende Streitaxt, die an den Schreibtisch gelehnt war. In plötzlicher Sorge erkannte Gromph, daß das letzte, wor an er sich erinnern konnte, war, in der Sphäre gefangen zu sein, die auf dem See trieb. Offenbar hatte er es irgendwie zurück bis in sein Arbeitszimmer in Sorcere geschafft. Er war
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dem Zauber entronnen, der ihn in der Sphäre festgesetzt hatte – aber wie? Gromph betrachtete die goldene Flasche in seiner Hand – eine seiner Gedankenflaschen. Die Antwort mußte darin sein. »Meisterrr«, sagte das Feuerelementar und lenkte seine Auf merksamkeit auf sich. Gromph sah auf. »Die Arrrmee von Grrracklstugh sowie eine Arrrmee aus Tanarrrukks grrreifen Menzoberrranzan an«, verkündete das Elementar, aus dessen Mund bei jedem Wort eine grellrote Flamme zuckte. »Die Duerrrgarrr haben einen Belagerrrungs wall innerrrhalb von Tierrr Brrreche errrichtet und grrreifen Sorrrcerrre an. Mindestens ein Illithid befand sich unterrr ihnen – ein Hexerrr namens Sluuguth. In seinem Besitz befand sich eines derrr Amulette, die die Jade-Spinnen kontrrrollierrr en. Ihrrr habt ihn besiegt.« Nach diesen Worten stieß das Feuerelementar ein Tri umphgeheul aus, als die unsichtbaren magischen Fesseln von ihm abfielen. Es verschwand so abrupt wie die Flamme einer Kerze, die man ausblies. »Ein Illithid«, flüsterte Gromph. Das erklärte auch, warum er eine Gedankenflasche in der Hand hielt. Ein Funken Erinnerung kehrte zurück. Er hatte das Ding – und die dazu passende Flasche – geschaffen, für den Fall, daß er in die Hände eines Illithiden geriet. Sein Plan hatte darin bestanden, es der Kreatur anzubieten ... An dieser Stelle endete die Erinnerung. Achselzuckend legte Gromph die Flasche zu der anderen in die Lade und schob sie zu. »Sorcere wird angegriffen?« murmelte er. »Darum werden wir uns kümmern.«
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Gromph ging zum Balkon, auf dem zwei seiner Schüler stan den. Es handelte sich bei ihnen um Norulle, einen Schüler im fünften Jahr, der einen Haarwuchszauber benutzt hatte, damit ein langer Bart nach Zwergenart an seinem Kinn wuchs – alles andere als eine angemessene Zierde, wenn man berücksichtig te, gegen wen sie kämpften –, sowie Prath, der als Student im ersten Jahr erst Anfang dreißig war und dessen stämmiger Körperbau sowie der bemerkenswerte Bizeps sein Haus eigent lich dazu hätte veranlassen sollen, ihn in Melee-Magthere einzuschreiben. Beide standen mit dem Rücken zu dem Korri dor, durch den Gromph geeilt kam, und hatten hinter dem geisterhaften Abbild eines Schildkrötenpanzers Schutz ge sucht, der die Größe eines Tischs hatte und unmittelbar vor dem Balkon in der Luft schwebte. Norulle zuckte zusammen, als ein Pfeilhagel den Panzer traf, doch die meisten Projektile zerbarsten zu Splittern, als der Zauber sie vernichtete. Ein Pfeil jedoch, der vor arkaner Ener gie funkelte, durchdrang die magische Barriere und traf den Ärmel von Praths Piwafwi. Prath warf einen flüchtigen Blick darauf, riß ihn aus dem Stoff und schleuderte ihn zur Seite. Im nächsten Augenblick troff von seiner Hand ein wenig Blut, das er einfach abschüttelte. Der Junge hätte wirklich Soldat werden sollen, dachte Gromph. Von draußen war Schlachtenlärm zu hören. Duergar schrien anderen Befehle zu, die Katapulte ächzten und knarrten, wenn sie aufs neue gespannt wurden. Magische Energie knisterte und zischte explosiv, Magier skandierten hektisch und wirkten Vergeltungszauber von den Baikonen über und unter ihnen. »Norulle, Prath, was ist hier los?« rief Gromph, als er auf den Balkon trat. »Wo sind eure Ausbilder?« Norulle fuhr überrascht herum, in einer Hand hielt er einen
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Stab fest umschlossen. »Meister!« rief er. »Ihr seid hier!« In Norulles Haupthaar und Bart glitzerte Diamantenstaub, ein eindeutiges Zeichen, daß jemand auf ihn einen Schutzzau ber gewirkt hatte. Prath beantwortete Gromphs Frage: »Leandran ist tot. Er wurde von magischem Feuer getroffen.« Dann zeigte er auf einen Punkt, der ein Stück weit entfernt auf dem Balkon gelegen war – einen schwarzen Krater im Steinboden. Durch das Loch in dessen Mittelpunkt konnte Gromph ins darunterliegende Stockwerk sehen. Kleinere Kra ter, die zum Teil noch qualmten, überzogen die Wand hinter jenem Punkt wie Spritzer. Jeder von ihnen war von einem Kreis aus Frost umgeben. Offenbar hatten die beiden Schüler einen Kältezauber eingesetzt, um das Feuer zu löschen. Von Leandran, dem Meister der Bannzauber, war nichts mehr zu sehen, nur der stechende Gestank verbrannten Fleischs hing in der Luft. Ein pfeifendes Geräusch ließ Gromph aufhorchen. Er blick te noch gerade rechtzeitig zur Seite, um zu sehen, wie ein riesi ger Tontopf in hohem Bogen auf Sorcere zugeflogen kam und etliche Dutzend Schritte entfernt den Stalagmiten an der Seite traf. Er zerschellte am Stein, flüssiges Feuer ergoß sich in alle Richtungen und verbrannte auf seinem Weg alles, was es be rührte: die Mauern, einen schmiedeeisernen Bogen über dem Balkon und den Balkon selbst. Die Gestalten auf dem Balkon stürzten in alle Richtungen vor den Flammen davon, nur eine von ihnen war zu langsam. Als etwas von der flüssigen Masse auf ihren Piwafwi geriet, gellten ihre schmerzerfüllten Schreie durch die Luft. Sie wur den jedoch übertönt, als der schmiedeeiserne Bogen vom Feuer so sehr beschädigt wurde, daß er mit einem lauten metallenen Knarren in sich zusammenbrach. An der Stelle, an der er an
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der Wand befestigt gewesen war, fraßen die Flammen binnen kürzester Zeit ein Loch durch den Stein. Gromph sah in die Richtung, aus der der Feuertopf gekom men war, hin zu der schützenden Barriere, die die Duergar vor sich errichtet hatten. Sie befand sich genau vor dem Zugangs tunnel zu Tier Breche, wenn man aus Richtung der Dunklen Domäne kam. Die Barriere schien aus in lange Quader gehau enen Pilzstämmen errichtet zu sein, die horizontal übereinan dergestapelt und ganz offensichtlich mittels Magie verstärkt worden waren. Die Blitze, die ein Magier auf einem anderen Balkon auf sie abfeuerte, bewirkten nur wenig, wenn man von den winzigen Bruchstücken absah, die aus dem Pilz gerissen wurden. Die Hagelschauer, die sich in der Luft materialisierten und aus dem von einem anderen Magier geschaffenen Eissturm regneten, bewirkten nichts, da sie geschmolzen waren, ehe sie überhaupt ihr Ziel treffen konnten. Wieder schickte ein Magier Sorceres eine Säurewolke in Richtung der Barriere. Der gelbliche Dampf zog über die Blo ckade aus Pilzstämmen hinweg in den Tunnel dahinter. Die Barriere wurde jedoch nicht beschädigt, und von den Katapul ten auf der anderen Seite wurden weiterhin Tonkrüge abgefeu ert. Sie pfiffen durch die Luft und verbreiteten ihre alchimisti schen Flammen an den Mauern Sorceres. Es sah nicht so aus, als würde es Arach-Tinilith besser erge hen. Die Mauern des Tempels in Spinnenform waren mit weißglühenden Flammen übersät, und vor dem Bauwerk lagen zahllose Tote. Viele Leichen waren klein und gedrungen – also Duergar –, doch die Zahl der toten Drow war ungleich höher. Drow-Soldaten hatten ihr Leben gegeben, um die Höhle zu beschützen, während von den Priesterinnen nichts zu sehen war. Wie ihre Göttin hatten sie sich hinter die schützenden Mauern zurückgezogen und anderen das Kämpfen überlassen.
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Weiter hinten in der Höhle lag das dritte Gebäude der Akademie – die pyramidenförmige Kriegerschule MeleeMagthere –, die unversehrt war. Die Katapulte reichten scheinbar nicht bis dort. Norulle beugte sich über den Balkon und richtete seinen Stab auf den Feind. Erbsengroße Feuerkugeln schossen aus der Spitze und wuchsen, als sie sich den Belagerern näherten. Als sie auf die Wälle aus Pilzstämmen trafen, war ihr Durchmesser auf mehrere Schritt angewachsen. Doch auch wenn ihre Exp losion den beträchtlichen Kampflärm übertönte, gaben die Wälle nicht nach. Gromph kniff die Augen zusammen. Die scheinbare Unzer störbarkeit der Wälle konnte er begreifen. Die Duergar mußten die Stämme aus leichtem Pilz mitgebracht haben, und als sie begannen, die Belagerung vorzubereiten, hatten sie sie mit einem Zauber an Ort und Stelle zu Stein werden lassen. Was ihm indes nicht klar war, das war die Tatsache, daß die Duer gar hinter den Wällen noch immer in der Lage waren, ihre Katapulte zu bedienen, obwohl Norulles sengend heiße Feuer bälle und die Säurewolke sie getroffen haben mußten. Er sah einen der älteren Schüler plötzlich drunten auf dem Schlachtfeld unmittelbar vor der Blockade der Duergar auftau chen und einen Zauber wirken, den Gromph ihm selbst beige bracht hatte – mächtiges Brüllen. Eine Welle aus Lärm rollte über die Duergar-Stellungen hinweg und ließ die Stämme sichtlich erzittern. Dennoch ging der Angriff unvermindert weiter. Pfeile schossen durch die Scharten in der Mauer. Einer davon traf den Schüler in dem Augenblick in den Bauch, als er sich weg teleportierte. »Meister«, schrie Prath, um den Lärm zu übertönen, der in Gromphs Ohren dröhnte. »Sollen wir einen Schwarm Schäd
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linge gegen sie losschicken? Insekten? Oder Ratten?« Gromph wollte sich eben über den Vorschlag lustig ma chen, dann aber hielt er inne und sagte statt dessen: »›Lehr lingsmund‹.« Dann lächelte er über das Zitat, das ihm gerade über die Lippen gekommen war. Prath sah ihn verwundert, aber auch mit hoffnungsvollem Funkeln in den Augen an. »Habe ich den richtigen Zauber vorgeschlagen?« »Nein«, antwortete Gromph. »Aber du hast mich auf eine Idee gebracht. Kämpft weiter und bleibt in Deckung.« Gromph kehrte in den Korridor zurück, aus dem er zuvor auf den Balkon gekommen war. Er schloß die Augen, und Sekun den später hatte er Kyorli ausfindig gemacht. Er ließ sein Be wußtsein auf den Schutzgeist übergehen, dann fühlte Gromph, wie sich die Beine der Ratte rasch über den steinernen Boden bewegten und die Nase unentwegt witterte. Kyorli, sendete der Erzmagier. Wo bist du? Renne. Renne schnell nach Sorcere! Aber der Weg ist blockiert. Mit etwas Konzentration konnte Gromph durch die Augen der Ratte sehen. Kyorli rannte durch einen Tunnel und schlängelte sich durch einen Wald aus in Bewegung befindli chen Beinen hindurch. Die Beine waren die der Duergar, die paarweise arbeiteten, um die Leichen ihrer Kameraden wegzu schaffen. Zwei Duergar liefen mit einem Toten in einen Sei tentunnel. Kyorli, befahl Gromph. Dieser Tunnel. Sieh hinein. Kyorli huschte zur Tunnelöffnung und spähte hinein. Durch ihre Augen sah Gromph, was er erwartet hatte: einen Duergar in grauem Mantel mit Kapuze und einem Stab, in dessen Spit ze ein Edelstein von der Größe eines Eis, durch dessen Mitte ein tiefer Riß verlief – das Symbol des Gottes Laduguer. Der Kleriker stand vor einem Dutzend Leichen, die auf dem Tun
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nelboden aufgehäuft worden waren. Er bewegte seinen Stab über die Leichen, die sich fast sofort zu regen begannen. Wie ein Mann erhoben sich die toten Soldaten, die mit einer grau enhaften Art von Leben erfüllt worden waren, und kamen aus dem Seitentunnel heraus. Folge ihnen, befahl Gromph. Paß auf, wohin sie gehen. Kyorli tat dies und lief den untoten Duergar in sicherem Abstand hinterher. Sie marschierten zurück zum Belagerungs wall und nahmen ihren ursprünglichen Posten wieder ein, ohne sich um die Säurewolke zu kümmern, die aus der Höhle über ihnen herabsank und auf ihrer untoten Haut Blasen warf. Gromph mußte einräumen, daß die Duergar clever waren. Da Lolths Priesterinnen ihrer Magie beraubt worden waren, gab es niemanden, der eine untote Armee abwenden – oder gar die Kontrolle über sie übernehmen konnte. Wenn das magische Feuer sein Werk erst einmal vollendet hatte, würden sie ungehindert gegen Sorcere, Melee-Magthere und ArachTinilith vorrücken – und dann gegen ganz Menzoberranzan, und der einzige Magier, der mächtig genug war, um sie zurück zuschlagen, war tief unter der Stadt gefangen. Zumindest glaubten das die gegnerischen Befehlshaber. Der Blick durch Kyorlis Augen veränderte sich, als die Rat te gezwungen war, einem rennenden Soldaten auszuweichen. Das dürfte reichen, sagte Gromph zu seinem Schutzgeist. Such dir ein Versteck. Du wirst dich mir schon bald wieder in Sor cere anschließen können. Gromph ließ sein Bewußtsein in seinen eigenen Körper zu rückkehren und trat wieder auf den Balkon. Aus einer Tasche zog er ein kleines Stück eines gravierten Knochens hervor und hielt seine Handfläche den beiden Studenten hin, die sich zu ihm umgedreht hatten. »Ich brauche ein kleines Stück rohes Fleisch«, sagte er.
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Norulle sah sich um. »Aber Meister, hier gibt es keines«, sagte er. Prath sah Gromph in die Augen und nickte langsam. Er zog einen Dolch, der in einem Ärmel seines Piwafwi verborgen gewesen war, legte die linke Hand aufs Balkongeländer, dann schnitt er sich die Spitze seines kleinen Fingers ab. Er nahm das blutige Stück Fleisch und gab es Gromph, während er die Grimasse ignorierte, die sein Mitschüler schnitt. Gromph lächelte. »Gut gemacht«, sagte er zu dem Jungen. »Du wirst es weit bringen. Zu welchem Haus gehörst du?« Prath lächelte trotz der Schmerzen, drückte seinen kleinen Finger gegen die Handfläche, um die Blutung zu stoppen, und erwiderte: »Zu Haus Baenre, Herr.« »Ah.« Gromph hatte den Jungen noch nie gesehen. Er mußte ein Kind aus den untersten Adelsschichten sein. Prath war kein kluger Kopf – jeder andere hätte sich eines Zaubers bedient, um eine niedere Kreatur zu beschwören, zu töten und sie dann Gromph anzubieten –, aber er war loyal. So etwas konnte Gromph gut gebrauchen. Er verstrich das Blut auf dem Knochenstück und wirkte sei nen Zauber. Mit einer wegwerfenden Handbewegung wirbelte er ihn in Richtung des Walls, hinter dem die Duergar Stellung bezogen hatten. Dann rief er seinen Befehl: »Beendet euren Angriff. Kehrt um und kämpft gegen die Duergar!« Es regnete unvermindert Zauber gegen den Pilzstammwall. Es dauerte einige Augenblicke, bis die anderen Magier be merkten, daß die Katapulte nicht mehr abgefeuert wurden. Dann kehrten die untoten Duergar dem Wall den Rücken. Mit wackligen, gedankenlosen Bewegungen und mit ihren Waffen in der Hand trotteten sie in den Tunnel, der in die Dunkle Domäne führte.
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Augenblicke später war aus dem Tunnel heftiger Kampfes lärm zu hören, da sie sich mit ihren noch lebenden Kameraden einen tödlichen Kampf lieferten. Als die verbliebenen Krieger Melee-Magtheres das sahen, kamen sie aus ihrer Pyramide gestürmt und machten sich dar an, den Belagerungswall und die Katapulte niederzureißen. Andere nahmen sich der Steinbrandbomben an, die die unto ten Duergar zurückgelassen hatten, und beförderten sie in den Tunnel. Mit finsterem Lächeln beobachtete Gromph das Schauspiel. Schließlich wandte er sich ab und sah hinaus auf die Stadt. Trotz des Vorrückens der Duergar nach Tier Breche schien Menzoberranzan von der Schlacht unberührt geblieben zu sein. Die Stalaktiten und Stalagmiten der Adelshäuser schillerten nach wie vor prachtvoll, und ein Ring aus magischem Feuer bewegte sich an Narbondel entlang nach oben. Gromph run zelte die Stirn, da er sich fragte, welcher Magier des Hauses Baenre sich während seiner Abwesenheit um Narbondel ge kümmert haben mochte. Scheinbar war er nicht ganz so uner setzlich, wie er gerne gewesen wäre. Er würde darüber mit Triel reden müssen. Nachdem er dann der Muttermatrone Bericht erstattet hat te, würde er sehen, was er tun konnte, um der Belagerung ein Ende zu setzen.
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Als ein Dutzend Priesterinnen Hörner an die Lippen setzten, um die Jagd in dieser Nacht für eröffnet zu erklären, fühlte Halisstra, wie eine Woge der Begeisterung ihren Körper durch strömte. Zum Teil handelte es sich bei dieser Reaktion um ein Schaudern, da der Wind aufgefrischt hatte und ihr das Einset zen eines leichten Schneefalls aufgefallen war. Wie die ande ren trug sie lediglich eine schwere Silberkette um die Taille, an der die silberne Scheibe mit Eilistraees Symbol hing. Sie legte den Kopf in den Nacken und setzte das Jagdhorn an, das man ihr gegeben hatte, den Blick auf den Mond gerich tet. Sie holte tief Luft und stieß ins Horn, dessen schallender Ruf sich mit den Stimmen der anderen Hörner vermischte. Nach einem kurzen Moment der Disharmonie hatte jedes Horn seine eigene Note gefunden, die es dann in vollkomme ner Harmonie mit den anderen hielt. Die Luft begann zu be
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ben und gab für die Dauer mehrerer Herzschläge keinen Laut von sich, erst dann setzte der Wind wieder ein und bewegte die Äste in den Baumkronen über ihnen. Als hätte Eilistraee ihr das Signal dazu gegeben, ließ Ha lisstra ihr Horn exakt in dem Augenblick verstummen, da auch die anderen Frauen aufhörten. Sie ließ das Horn sinken und sah erwartungsvoll zur Anführerin der Jagd – Uluyara, jener Drow, die in der Nacht zuvor den Troll getötet hatte –, die das Schwert vom Boden aufhob, um das sie eben noch alle getanzt hatten. Die Hohepriesterin hielt es ausgestreckt vor sich und drehte sich langsam. Wie Uluyara führte auch Halisstra als einzige Waffe ein Schwert mit sich, Seylls Zweihänder. Ihre Hand lag fest um das Heft und bedeckte bis auf eines alle Löcher. Durch dieses eine Loch pfiff der Wind und ließ eine einzelne, beharrliche Note erklingen. Feliane, die während des Tanzes immer in Halisstras Nähe geblieben war, sah sie an. »Setzt es klug ein«, sagte sie und deutete mit einem Kopfni cken auf das Liedschwert. Die Mondelfe hatte ihre Haut wie der schwarz eingefärbt, um für die nächtliche Jagd gewappnet zu sein. Obwohl sie zu klein war und zu unschuldig aussah, um bei genauerem Hinsehen für eine Drow gehalten zu werden – vor allem ihr braunes Haar verriet sie –, hielt Feliane ihr Schwert wie jemand, der damit umzugehen verstand. »Was jagen wir?« flüsterte Halisstra. »Jegliches Monster, das Eilistraee uns schickt«, antwortete Feliane. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte ihre Lippen. Uluyara begann, sich zu drehen. Ihr Schwert blitzte im Mondschein, während sie immer schneller in einem engen Kreis wirbelte ... einmal ... zweimal ... dreimal ..., dann blieb sie abrupt stehen; die Klinge in ihren Händen zuckte.
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»Da entlang!« rief sie. Wie eine Jagdechse, die man von der Leine gelassen hatte, rannte sie in den Wald. Von Begeisterung erfaßt sprang Halisstra los, um der Ho hepriesterin zu folgen. Die anderen verhielten sich genauso, und aus dem Augenwinkel sah Halisstra, daß Feliane mit leuchtenden Augen und begierigem Blick dicht hinter ihr lief. Getrieben von einem Gefühl, das zum Teil Hochstimmung, zum Teil Jagdlust war, eilte Halisstra zwischen den Bäumen hindurch und sprang über schneebedeckte Baumstämme und Farnbüsche, während sie mit den Schultern Zweige zur Seite drückte, deren Nadeln ihr auf die Haut schlugen. Sie rannte, folgte den anderen und sprang ihnen nach in eine Schlucht. Wasser spritzte unter ihren Füßen in die Höhe, sobald sie den breiten Bach an ihrem Grund erreicht hatte, und auf dem Eis, das die Steine am Flußufer überzog, rutschte sie immer wieder weg. Dann kletterte sie am gegenüberliegenden Ufer hoch, das Schwert in der einen, das Horn in der anderen Hand. Auf der Anhöhe angekommen, war sie sich nicht sicher, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Sie konnte die ande ren Priesterinnen nicht mehr hören, das einzige Geräusch, das sie vernahm, kam von Feliane, die hinter ihr den Hang er klomm. Plötzlich hörte sie von rechts aus einiger Entfernung ein Horn. »Das ist Uluyara«, keuchte Feliane. »Sie ist fündig gewor den.« Halisstra blieb nicht stehen, um Feliane zu fragen, was die Hohepriesterin gefunden haben mochte. Keuchend und trotz der kalten Luft schweißgebadet begab sie sich wieder in den Wald und lief in die Richtung, aus der sie die Laute gehört hatte. Während sie rannte, stellte sie zu ihrem eigenen Unwil len fest, daß Feliane im Gegensatz zu ihr nicht nach Luft rang.
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Wie die übrigen Priesterinnen war Feliane flink und bewegte sich sicher auf dem verschneiten Grund. Halisstra, die das Leben einer Adligen in einer Stadt gewöhnt war, in der man über ebene Straßen schlenderte und von einer Allee zur nächs ten schwebte, hatte noch nie Anlaß gehabt, so viel zu laufen und so mühselig zu klettern. Dies muß die »Prüfung« sein, von der Feliane sprach, als man mich aus der Höhle holte, dachte Halisstra. Deshalb bleibt sie auch zurück und beobachtet jede meiner Bewegun gen. Fest entschlossen, nicht zu erkennen zu geben, daß sie der Erschöpfung nahe war, und sich der Möglichkeit bewußt, daß Eilistraee selbst sie beobachtete, rannte Halisstra weiter und ignorierte den Schmerz, der sich in ihre Seite bohrte wie die Kiefer eines Hundertfüßlers. Wenigstens spendete der Mond genug Licht, um schnell vo ranzukommen. Halisstra war an das finstere Unterreich ge wöhnt, so daß der Wald für sie nahezu taghell erleuchtet war. Doch die Bäume standen dicht an dicht, und der Raum zwi schen ihnen war voller niedriger Büsche und Farne. Halisstra hatte bis auf Feliane alle Priesterinnen schon lange aus den Augen verloren. Als Uluyaras Horn ein zweites Mal direkt vor Halisstra ertönte, war die überrascht, wie nahe sie dem Ge räusch war. Im nächsten Moment brach Halisstra durch ein Gewirr aus Zweigen, die sich seltsam klebrig anfühlten, und betrat eine mondbeschienene Lichtung. Sie entdeckte Uluyara, die das Horn immer noch an die ge schürzten Lippen hielt, doch von den anderen Priesterinnen war nichts zu sehen und zu hören. Uluyara senkte das Horn und wies zum anderen Ende der Lichtung, dann zog sie sich langsam in den Wald zurück. Die Zweige und Aste schlossen sich hinter ihr wie ein Vorhang.
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Halisstra sah in die Richtung, in die Uluyara gewiesen hat te, konnte aber nichts entdecken. Sie drehte sich zu Feliane und fragte: »Was soll ...« Doch sie ließ den Satz unvollendet, als sie entdeckte, daß auch Feliane plötzlich verschwunden war. Hinter Halisstra waren nur die Zweige der Bäume, die sich im Wind leise seufzend berührten. Die Brise, die über die Lichtung strich, kam aus der Richtung, in die Halisstra blicken sollte, und trug einen vertrauten mo schusartigen Geruch mit sich. Halisstra sah wieder auf die Lichtung und hob gerade noch rechtzeitig ihr Schwert, denn vor ihr kauerte mit einem Mal eine gewaltige Spinne, gut und gerne anderthalbmal so groß wie sie selbst. Der Leib war grauschwarz gesprenkelt, also die ideale Tarnung in einem Wald, der vom Mond beschienen wurde. Glänzende schwarze Augen reflektierten das Mond licht, als das Tier sich aufrichtete und Gift aus seinem Maul rinnen ließ. Einen Herzschlag lang starrte Halisstra zu der Spinne em por, und Unsicherheit veranlaßte sie, das Schwert ein Stück sinken zu lassen. Jahrelange Unterwerfung unter Lolth ver langte von ihr, die Waffe wegzuwerfen, vor der heiligen Krea tur im Schmutz zu kriechen und sich selbstlos allem zu unter ziehen, was Lolth von ihr verlangte. »Eine hungrige Spinne muß gefüttert werden«, war einer der ersten Grundsätze, den man ihr beigebracht hatte, nach dem sie als Novizin in Lolths Tempel aufgenommen worden war. »Gib dich ihr freudig hin, denn am Ende wird Lolth uns alle verzehren. Es ist besser, sich jetzt den Qualen des Fleisches hinzugeben, als sich später dem Zorn der Göttin zu stellen.« Lolth hätte eine Priesterin sicher für einen so schweren Verstoß bestraft, vor allem eine, von der sie verhöhnt worden war, wie Halisstra es getan hatte. Doch Lolth war tot, oder
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zumindest beobachtete sie nicht, was ihre Gläubigen taten. Das Mondlicht, das sich in den Augen der Spinne spiegelte, erinnerte Halisstra noch an etwas anderes, nämlich daran, daß Eilistraee sie beobachtete. Zumindest bestand die Möglichkeit, daß ihr Blick auf sie gerichtet war. Halisstra lächelte, als ihr klar wurde, warum Uluyara und Feliane sich zurückgezogen hatten. Dies war ihre Prüfung. Als die Spinne nach ihr schnappte, holte Halisstra mit aller Kraft mit dem Schwert aus. Die Klinge blitzte im Mondschein und beschrieb einen sauberen Bogen, als die Spitze sich exakt den kugelrunden Augen der Kreatur näherte. Halisstra mußte feststellen, daß das Schwert, statt mit dem satten Geräusch, das sie erwartet hatte, sein Ziel zu treffen durch die Luft pfiff und dann auf dem Boden aufschlug. Die Spinne war plötzlich verschwunden. Halisstra, die das Gleichgewicht verlor, fiel nach vom. Sie schaffte es, auf den Knien und einer Hand zu landen, indem sie das Horn fallenließ. Im nächsten Moment kehrte die Spinne zurück und tauchte genau über ihr auf. Halisstra rollte sich auf den Rücken, brachte das Schwert in eine aufrechte Position und stieß mit der Spitze nach dem Bauch der Kreatur, doch auch diesmal löste sich die Spinne in Luft auf. »Göttin steh mir bei!« stöhnte sie. »Eine Ätherspinne!« Es war unmöglich vorherzusagen, wo die Spinne als nächs tes auftauchen würde, auch wenn sie für den Moment wieder im Äther verschwunden war. Halisstra rollte sich zu einer Seite durch den Schnee weg und betete, daß sie sich für die richtige Richtung entschieden hatte und die Spinne sich entgegengesetzt bewegte, so daß ihre ätherischen Beine geradewegs durch sie hindurchglitten. Ihre Vermutung erwies sich als richtig, denn die Ätherspin
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ne tauchte ein oder zwei Schritt entfernt wieder auf der mate riellen Ebene auf, was Halisstra einen winzigen Augenblick verschaffte, um wieder aufzuspringen. Dann jagte die Kreatur erneut auf sie zu. Grimmig drehte sich Halisstra um, um ihr entgegenzutreten, obwohl sie wußte, daß sie diesen Kampf nicht gewinnen konn te – nicht einmal mit Seylls magischem Schwert. Die Spinne mußte nur abwarten und bei jedem ihrer Angriffe Äthergestalt annehmen, um dann unsichtbar an eine andere Stelle zu eilen und dort einen Augenblick später wieder aufzutauchen. Ir gendwann würde Halisstra sich irren, und die Kreatur würde hinter ihr auftauchen, um ihr tödliches Gift in ihren Leib zu spritzen und sie dann genüßlich auszusaugen. Es gab aber eine Sache, auf die sie zurückgreifen konnte: ih re Bae’qeshel-Magie. Obwohl sich ihre Stimme zittrig anhörte, begann sie zu singen. Das sollte eigentlich die Spinne anlocken und an einer Stelle verharren lassen, doch nichts dergleichen geschah. Die Spinne tauchte auf, griff an und verschwand wieder, so daß Halisstra unablässig herumwirbeln und sich verteidigen mußte. Tonlos fluchte sie. Hatte sie ein Wort falsch betont? Oder waren Ätherspinnen für diese Form von Zauber nicht empfänglich? Erneut wich sie aus, kam auf einem Schneeklumpen ins Rutschen und fiel hin. Die Spinne stellte sich auf das Schwert und zwang Halisstra, die Waffe loszulassen und sich seitlich wegzurollen, um den Beißzangen auszuweichen, die nach ihr schnappten. Als das Tier erneut verschwand, sprang sie auf und griff nach ihrem Liedschwert. Verärgert stellte sie fest, daß die Spitze der Klinge abgebrochen war, womit sie das Schwert nicht mehr als Stichwaffe benutzen konnte. Aber vielleicht gab es noch Hoffnung. Sie erinnerte sich, wie sie das Liedschwert benutzt hatte, um
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den Zauber zu verstärken, mit dem sie die Blutmücken vom Himmel geholt hatte. Sie drehte das Schwert um und hielt das Heft an die Lippen. Der Zauber mochte nicht ausreichen, um eine Kreatur von der Größe einer Ätherspinne zu betäuben, doch einen Versuch war es allemal wert. Ihre Finger ertasteten die gleichen Löcher wie beim letzten Mal, dann blies sie hin ein – kraftvoll und lang. Sie erwartete den gleichen gellenden Ton, doch nichts geschah. Aus dem Heft drang lediglich ein träges Pff hervor, Schneematsch spritzte aus dem Loch. Wieder sprang die Spinne auf sie zu, Halisstra sprang zur Seite, wenn auch deutlich unbeholfener als zuvor. Voller Ent setzen erkannte sie, daß sie zu ermüden begann. Das Lang schwert lag schwer in ihrer Hand, das Heft fand in ihrer ver schwitzten Hand nur mühsam Halt. Dem nächsten Angriff der Spinne konnte Halisstra kaum noch ausweichen. Die Kiefer schnappten zu und bekamen Eilistraees Symbol zu fassen, ris sen an der Scheibe und zogen die Kette enger um Halisstras Taille. Diese Aktion riß sie nach vorn, so daß sie nur mit dem Schwert nach dem Tier schlagen konnte. Es wurde prompt wieder ätherisch und ließ Halisstra so nach hinten taumeln. Hätte sie noch ihre klerikale Magie gehabt, dann hätte sie die Kreatur mit einer Flammensäule vernichten oder mit einer Windfront zurückhalten können. Doch nach dem Zauber, den sie erfolglos versucht hatte, war davon auszugehen, daß auch jeder andere versagen würde. Lolth hätte schließlich kaum einer ihrer Priesterinnen die Macht gewährt, eines ihrer ge liebten Spinnenkinder zu töten. Eilistraee jedoch würde eine Spinne ohne jeden Skrupel um bringen. Wenn die Göttin diesen Kampf tatsächlich beobach tete – so wie es Uluyara und Feliane fast sicher taten –, würde sie ihrer erst jüngst Bekehrten vielleicht die Magie gewähren, die sie brauchte, um ihr Leben zu retten.
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Von dieser Erkenntnis und Hoffnung erfüllt hätte Halisstra beinahe nicht gesehen, wie die Phasenspinne auf einmal auf einem Ast über ihr Gestalt annahm und sich geradewegs auf ihren Kopf fallen ließ. Nur das leise Knarren des Asts warnte sie noch rechtzeitig. Gerade noch früh genug warf sie sich zur Seite. Halisstra kroch auf Händen und Knien über den Boden, wobei sie das Schwert hinter sich herzog. Dann stand sie hastig auf. Die Spinne merkte, daß ihre Beute ermüdete, und folgte ihr gemächlich. Gift tropfte zwischen ihren Vorderbeinen auf den Boden, während sich die Kiefer in freudiger Erwartung öffne ten und schlössen, da sie bald ein Mahl bekommen würden. Halisstra wußte, daß dies womöglich ihre einzige Chance war. Sie nahm das Heft von Seylls Schwert in beide Hände und hob es hoch über den Kopf – jedoch nicht, um einen Hieb vorzubereiten, sondern um es auf den Mond zu richten. »Eilistraee, hör mich an!« schrie sie. »Von heute nacht an entsage ich Lolth und schwöre, dir eine unterwürfige Dienerin zu sein. Wenn du mich für würdig hältst, dann flehe ich dich an. Willst du mich? Wenn ja, dann gib mir die Magie, die ich brauche, um meine Worte zu beweisen, indem ich dieses Sym bol Lolths erschlage. Gib mir die Macht, in deinem Namen Zauber zu wirken – in deinem Namen und zu deinem ewigen Ruhm!« Ihre Worte waren vom Nachdruck und von der Klarheit ei nes Liedes, das mit dem Rhythmus ihres Herzens völlig har monierte. Dann antwortete Eilistraee. Der Zauber, den Eilistraee ihr schickte, sah aus wie Lolths Flammenattacke, doch war die vertikale Säule aus göttlicher Energie von silbrig-weißer Farbe und schien ihren Ursprung im
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Mond zu haben. Sie traf die Ätherspinne, als die Kreatur nur noch einen Schritt von Halisstra entfernt war, und hüllte sie in einen Strahl aus gleißendem Licht, das nicht den geringsten Laut verursachte. Im einen Moment war die Spinne noch da und bäumte sich auf, um vergeblich mit den Beinen nach dem magischen Feuer zu schlagen, das sie in flackernde weiße Flammen einhüllte. Im nächsten Moment war von ihr nur noch ein Haufen gebleichter Knochen übrig, die im Mond schein weiß leuchteten. Mit vor Staunen aufgerissenen Augen stieß Halisstra die to te Kreatur mit dem Stumpf ihrer Klinge an. Die Spinne, die von dem kalten magischen Mondfeuer in Sekundenschnelle zu Asche verbrannt worden war, brach in Stücke, die ihrerseits zerfielen, bis auf dem Untergrund nur noch ein Umriß zu se hen war, der im nächsten Moment vom Wind weggeweht wurde. Halisstra spürte, daß sie beobachtet wurde und sah sich um, da sie mit Uluyara oder Feliane rechnete. Statt dessen war es Ryld, der am anderen Ende der Lichtung stand und vor Er staunen den Mund nicht mehr zubekam. Er hielt seinen Zwei händer in der Hand, doch dessen Spitze ruhte vor ihm auf dem Grund, als hätte der Waffenmeister vergessen, wie er mit der Waffe umzugehen hatte. Augen und Mund waren weit aufge rissen, er keuchte. Offenbar war er hergerannt. Es dauerte einen Moment, bis er die Sprache wiederfand. »Halisstra«, flüsterte er. »Was hast du getan? Jetzt kannst du nie wieder zurückkehren. Nie wieder.« Sie sah Ryld über die Stelle hinweg an, an der gerade eben die Spinne gestorben war. Sie war innerlich zerrissen, empfand Verärgerung, weil er sich über ihren Befehl hinweggesetzt hatte und ihr gefolgt war – und zur gleichen Zeit Freude, daß
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sie ihm so viel bedeutete, daß er so etwas tat. Schließlich seufzte sie und sagte: »Das stimmt. Aber du kannst zurück. Du hast noch immer die Wahl zwischen dem Unterreich und Lolth – die offenbar so tot ist wie diese Spinne – oder Eilistraee, die uns nun anlächelt. Wofür wirst du dich entscheiden?« Mehrere lange Augenblicke stand Ryld schweigend da, dann hob er seinen Zweihänder und schob ihn wieder in die Scheide auf seinem Rücken. »Ich wähle dich«, sagte er, während er Halisstra anstarrte. »Wenn du mich willst.« Ehe Halisstra etwas sagen konnte, kamen Uluyara und Feli ane aus dem Wald geeilt. Feliane sah Halisstra mit einem Aus druck unbändiger Freude an, während Uluyara Ryld im Auge behielt, als wolle sie sicherstellen, daß er nicht das Schwert zog. »Wenn Eilistraee Euch haben will, seid Ihr in unseren Rei hen willkommen«, sagte sie zu ihm. »Wenn nicht, werdet Ihr gehen müssen.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Für im mer.« Ryld erwiderte nickend: »Ich verstehe.« Uluyara wandte sich zu Halisstra um. »Kommt, Priesterin«, bat sie. »Ihr müßt noch vieles lernen und tun. Dies war nur die erste der Prüfungen, die die Göttin Euch auferlegt hat.« Halisstra verbeugte sich und ließ Uluyara erkennen, daß sie sie als ihre neue Herrin akzeptiert hatte. Gleichzeitig über schlugen sich angesichts des Wunders die Gedanken in ihrem Kopf. Sie war als heimatloser Flüchtling der Zerstörung Ched Na sads entkommen, sie hatte gehofft, herauszufinden, ob ihre Göttin lebte oder tot war, doch all ihre Hoffnungen waren von
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dem schwarzen Monolithen abgeprallt, der Lolths Tempel versiegelt hatte. Aber in den fremdartigen Wäldern der Ober fläche hatte sie etwas ganz Unerwartetes gefunden: ein neues Zuhause – und eine neue Göttin. Halisstra wußte, daß sie Ei listraee von nun an aus Dankbarkeit dienen würde. Ganz gleich, was die Göttin von ihr forderte, sie würde es ihr geben. Sie richtete sich wieder auf und sah zu Ryld, um den ihre Gedanken auch kreisten. Würde er das gleiche tun? Oder wür de sich Eilistraees Art für Ryld als etwas entpuppen, das sei nem Weltbild zu sehr widersprach? Das würde nur die Zeit zeigen.
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Quenthel starrte nachdenklich auf Danifaes unterwürfig ge beugten Rücken. Wenn sie den Worten dieser niederen Pries terin Glauben schenken konnte, schritt Pharaun endlich zur Tat. Nach endlosen kleinen Gehorsamsverweigerungen hatte der unerträgliche Mann endlich den Mut aufgebracht, zum tödlichen Schlag gegen sie auszuholen. Allerdings fehlte ihm die Willenskraft, um Quenthel persönlich zu töten. Statt des sen überließ er das den Abolethen. So konnte er ungelogen der Muttermatrone berichten, Quenthel sei auf ihrer Suche von Angehörigen eines anderen Volkes getötet worden. Offenbar wollte er diese Suche zu seiner Sache machen, um den Ruhm an sich zu reißen, der rechtmäßig Quenthel zustand. Sie streichelte über die Leiber ihrer Vipern, die zitterten, als sie ihre Gedanken teilten. Sie muß die Wahrheit sagen, sagte Yngoth und starrte stur auf
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die Oberseite von Danifaes gebeugtem Kopf. Ich sehe keinen Grund, warum sie sich eine solche Geschichte ausdenken sollte. Ich auch nicht, erwiderte Quenthel. Danifae ist Eure treue Dienerin! fügte K’Sothra und wand sich vor Vergnügen. Quenthel seufzte und strich über den Kopf der kleineren Viper. K’Sothra war hübsch, aber dumm. Sie nahm alles für bare Münze, was sie sah, ohne je auch nur ansatzweise die winzigen Nuancen des Verrats zu erkennen, die für gewöhnlich dicht unter der Oberfläche eines offensichtlichen Betrugs lagen. Dennoch fand Quenthel, die naive Schlange könne durchaus recht haben. Danifaes Motivation war klar. Die nie dere Priesterin würde immens davon profitieren, wenn sie Quenthel in Pharauns Plan einweihte, hatte aber nichts zu verlieren. Wenn Lolth wieder erwachte, würde Danifae sicher lich versuchen, in Arach-Tinilith einen wichtigen Posten einzunehmen. Quenthel nahm die Peitsche in die Linke und mußte dar über lächeln, wie Danifae zusammenzuckte, als sich die Schlangen über ihren Kopf bewegten, dann krümmte sie die Finger ihrer rechten Hand und ließ die Fingerspitzen sanft auf Danifaes Kopf ruhen. »Du wirst belohnt werden«, sagte sie zu Danifae. »Nun geh zurück zu Pharaun, ehe er Verdacht schöpft, was du bei mir zu suchen hast.« Danifae stand lächelnd auf und wandte sich ab, um die schmale Höhle zu verlassen. Jeggred, der die ganze Zeit über am Eingang gekauert hatte, um im Tunnel nach Anzeichen für Gefahr zu suchen, spannte die Klauen seiner Kampfhände und blickte über seine Schulter zu Quenthel. Als sie kurz den Kopf schüttelte, drückte sich Jeggred gegen die Wand, um Danifae durchzulassen.
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»Was ist mit Pharaun?« knurrte der Draegloth. Quenthel sah, daß sich seine Nackenhaare gestellt hatten. Er hatte aufmerksam Danifaes Ausführungen zugehört und befand sich am Rand eines seiner Wutausbrüche. Das leiseste Wort Quenthels hätte genügt, um ihn wutentbrannt durch den Tunnel zu Pharaun stürmen zu lassen, der am Wasserfall saß und seine Zauberbücher studierte. »Um den werde ich mich selbst kümmern«, entgegnete ihm Quenthel. »Später.« Jeggred knurrte noch immer, ging aber wieder in die Hocke und schlang die kleineren Arme um seine Knie. Mit seinen roten Augen starrte er in den Tunnel, während sein Nacken fell sich langsam glättete. Quenthel dachte einen Moment lang schweigend nach. Die Höhle, die sie für ihre Trance ausgewählt hatte, war nicht größer als das Zimmer eines Dieners, verfügte statt dessen aber über eine hohe Decke, die in einem schmalen Riß im Fels endete. An einer Wand lief Wasser herab und bildete zu ihren Füßen eine Pfütze, von der aus es an Jeggred vorbei als Rinnsal durch den Gang lief und schließlich in den Fluß mündete, den sie außerhalb der Höhle fließen hörte. Eine Ansammlung lu mineszierender runder Pilze, die ein schwaches grünliches Licht verbreiteten, wuchs an der feuchten Wand gleich neben ihr. Quenthel streckte den Arm aus und ließ einen der Köpfe mit ihrem Fingernagel platzen. Ein Regen aus Sporen wurde freigesetzt, während sie gedankenversunken auf ihre leuchten de Fingerspitze sah. So nützlich Pharauns Zauber auch waren, sein jüngster Ver rat hatte alles Zumutbare übertroffen und ihn zu einer Last gemacht, die eliminiert werden mußte. Doch ihn zu töten war längst nicht so einfach, wie es scheinen mochte. Pharaun war ein mächtiger Magier und eine zentrale Figur
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der Politik an der Akademie. Wenn sich herausstellte, daß Quenthel ihn getötet hatte, würde sie sich zweifellos den Zorn von Pharauns Gönner zuziehen, der niemand anders war als ihr eigener Bruder Gromph. Quenthels Schwester Triel, der Mut termatrone des Hauses Baenre, würde es nicht behagen, sich zwischen ihren Geschwistern entscheiden zu müssen, vor allem nicht, solange sie alle von Lolths mangelnder Aufmerksamkeit geschwächt waren. Nicht einmal seine eigene Muttermatrone – Miz’ri Mizzrym – war stolz auf Pharaun. Doch das änderte nichts daran, daß er ein Meister Sorceres war und einen wich tigen Teil der eher bescheidenen Aktiva des Hauses Mizzrym darstellte. Außerdem war Haus Mizzrym ein enger Verbündeter des ersten Hauses. Die anderen Meister und Magier Sorceres würden ebenfalls ungehalten sein, einen aus ihren Reihen zu verlieren, vor allem, wenn es sich um einen so wichtigen Mann handelte, der für eine derartige Expedition ausgewählt worden war. Pharaun zu töten würde sich tatsächlich als schwieriges Unterfangen darstellen, doch es mußte einen Weg geben ... Quenthel dachte über das nach, was Danifae ihr anvertraut hatte. Laut der Kriegsgefangenen würde die Abolethin nur dann die Position des Chaosschiffs verraten, wenn sie im Ge genzug jemanden konsumieren konnte, der über mächtige Zauber verfügte. Offenbar setzte Pharaun darauf, daß es Oothoon entging, daß Quenthels Zauber nicht mehr von Nut zen waren – und daß die Abolethin verraten würde, wo sich das Schiff befand, ehe Pharauns Trick aufflog. Offenbar glaub te die Matriarchin ihm. Wäre dem nicht so gewesen, hätte sie einfach Pharaun konsumiert, um dessen Zauber in ihren Besitz zu bringen. Ihr solltet das Sava-Brett gegen ihn wenden, schlug Yngoth vor. Bietet Oothoon Pharaun im Austausch für das Schiff an.
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Leichter gesagt, antwortete Quenthel, als getan. Ich müßte Oothoon persönlich treffen und die Abolethen-Matriarchin erst einmal davon überzeugen, daß ich es nicht wert bin, gefressen zu werden. Sagt die Wahrheit, meinte Zinda. Eure Zauber sind nutzlos. Lolth schweigt, womöglich für immer. Vielleicht ist sie tot. »Nein!« rief Quenthel. »Lolth lebt!« Als sie sah, daß Jeggred ihr einen Blick zuwarf, verstummte sie wieder. Sie muß leben, fuhr sie tonlos fort. Wenn ich nicht daran glaubte, daß sie noch lebt, würde ich ... Was? rief Yngoth verächtlich und riß Quenthel aus ihrer Verzweiflung. Aufgeben? Den Tod willkommen heißen? Welcher Gott würde dann Eure Seele beanspruchen? Die Wut ließ sie erstarken. Sie haßte es, wenn die Vipern ihre verborgensten Ängste ansprachen, und reagierte mit der gleichen Verachtung wie Yngoth. Nein. Das nie. Es ist nur so – wenn ich verrate, was Lolth zuge stoßen ist, würde ich aus einer Position der Schwäche heraus ver handeln. Die Abolethin würde erkennen, daß ich machtlos bin. Die Matriarchin könnte sogar auf die Idee kommen, die Drow anzugrei fen, so wie es zuvor andere Rassen getan haben. Hsiv mischte sich mit einem Kichern in die Debatte ein. Der Kobold, der als erster in ihre Peitsche gebannt worden war, erwies sich oft als derjenige, der Quenthels Gedanken wieder in geordnete Bahnen lenkte. Die Abolethen sind ein Wasservolk, erinnerte er sie. Sie können den See nicht verlassen. Das weiß ich, gab Quenthel zurück, ohne sich darum zu kümmern, daß die Vipern ihre Lüge auf der Stelle durchschau ten. Aber die Abolethen könnten anderen Rassen berichten, daß Lolth schweigt. Wenn sich die Kunde von unserer Schwäche herum
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spricht, ist unser Untergang besiegelt. Ched Nasad ist bereits unter gegangen, und Pharaun kann mit Gromph keinen Kontakt mehr aufnehmen. Menzoberranzan ... Menzoberranzan ist vom Thorootsee weit entfernt, machte Hsiv sie sanft aufmerksam. Dies hier ist eine Region, die nur von wenigen aufgesucht wird. Jeder, der von den Abolethen etwas hört, wird eine Drow-Stadt angreifen wollen, die näher gelegen ist. Quenthel hörte kaum zu. Alle Ängste und Zweifel, die sie fest im Griff gehabt hatte, seit sie aus Ched Nasad geflohen war, brachen wie Spinnen aus einem Kokon hervor. Das ist es ja! klagte sie. Wer weiß schon, wie viele unserer Städte schon vernichtet wurden – und wie viele noch untergehen werden, ehe diese Krise vorüber ist? Ich muß Lolth finden – um ihr zu sagen, was geschieht. Triel und die anderen Muttermatronen verlassen sich alle auf mich, und ich bin nicht sicher ... ich weiß nicht, wie ... Überlaßt uns das, zischte Yngoth. Quenthel hörte nicht hin. Das Schicksal aller Drow-Städte im Unterreich lastet auf meinen Schultern, stöhnte sie. Es ist auch so schon schwer genug, ohne Pharaun und seine dummen Machtspielchen. Sieht er nicht, was auf dem Spiel steht? Das hier könnte die Auslöschung unserer gan zen Rasse zur Folge haben! Das könnte sein, stimmte Zinda zu. Yngoth mahnte die größere Viper mit einem wütenden Zi schen an, ruhig zu sein. Ihr müßt Euch auf das Wesentliche konzentrieren, redete er auf Quenthel ein. Ihr müßt von Oothoon erfahren, wo das Schiff ist – eine Aufgabe, die leichter sein wird, als Ihr glaubt. Das Sava-Brett ist bereits für Euch aufgebaut. Alle Steine sind an ihrem Platz. Das ließ Quenthel aufhorchen. Sind sie das?
Yngoths Zunge zuckte vor und zurück, was bei der Schlange
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einem Lächeln gleichkam. Um zu erfahren, wo sich das Chaosschiff befindet, muß sich Pharaun ein zweites Mal mit Oothoon treffen. Wenn er glaubt, Ihr wärt gefressen worden, könnte er unvorsichtig werden. Das könnte seinen Untergang zur Folge haben. Quenthel runzelte die Stirn. Das verstehe ich nicht. Hört zu, dann werdet Ihr es verstehen, fuhr Yngoth fort. Ihr werdet Oothoon sagen, Lolth sei tot – Oothoon wird mir nicht glauben, unterbrach Quenthel ihn. Ich glaube es ja selbst nicht. Euer Ring wird die Abolethin davon abhalten, Eure Gedanken zu belauschen oder Eure Lügen zu erkennen, erinnerte Hsiv sie. Nachdem Oothoon zu der Ansicht gelangt ist, Ihr wärt nicht wür dig, von ihr konsumiert zu werden, liefert Ihr ihr Pharaun aus. Ihr werdet ihr sagen, wenn sie Euch verrät, wo sich das Chaosschiff befindet, würdet Ihr Pharaun glauben machen, Ihr wärt verspeist worden. Daraufhin wird er blindlings in den Rachen des Todes schwimmen. Die Abolethin wird ihn fressen! rief K’Sothra. Damit habt Ihr Euch seiner entledigt, fügte Zinda an, und das auf eine Weise, die nicht einmal Triel Euch anhängen kann. Wie soll ich Pharaun glauben machen, ich sei tot? fragte Quenthel. Gar nicht, antwortete Yngoth. Er drehte sich so, daß er sei nen Blick auf Jeggred am Höhleneingang richten konnte. Er wird es tun. Nehmt Jeggred mit und sagt ihm nichts von Euren Plänen. So wird seine Trauer um Euch um so überzeugender sein. Gebt ihm einen Befehl und sorgt dafür, daß er ihn fest in seinem Verstand verankert. Sagt ihm, wenn Ihr getötet werdet, soll er nicht an den Abolethen Rache nehmen. Er soll statt dessen zu Pharaun zurückkehren und ihm sagen, was geschehen ist, damit die anderen die Kunde von Eurem Tod nach Menzoberranzan zurückbringen
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können. Sagt Jeggred, er soll um jeden Preis Erfolg haben, sonst sei der Tod seiner Herrin völlig vergebens gewesen. Als hätte er gemerkt, daß über ihn gesprochen wurde, regte sich der Draegloth und sah über die Schulter nach hinten. Er kniff ein wenig die Augen zusammen, reagierte aber sofort auf Quenthels knappe Geste, seine Aufmerksamkeit auf den Tun nel vor ihm gerichtet zu lassen. Quenthel war erleichtert, daß es einen Ausweg aus ihrem Dilemma gab – und sogar einen, mit dem sie Pharaun endlich seine unerträgliche Insubordination heimzahlen konnte. Sie starrte Yngoth erwartungsvoll an, dann fragte sie: Wie soll ich verhindern, von der Abolethin gefressen zu werden? Die Viper bleckte die Zähne zu einem bedrohlichen Lächeln. Ihr habt immer noch Euer Zauberzepter, erwiderte Yngoth. Quenthel nickte. Dazu diese Flasche Spitzenpilzwein, die Ihr aufbewahrt habt.
Ja, antwortete Quenthel. Aber wie um alles im Abyss soll mir –
Hört zu, unterbrach Yngoth. Ich will es Euch erklären ...
Sie lauschte, und als Yngoth geendet hatte, war ihr Mund
zu einem tödlichen Grinsen verzogen. Es könnte klappen, sagte sie zu der Schlange und schickte ei ne Welle der Begeisterung mit dem Gedanken mit. Dann fügte sie etwas finsterer an: Es muß klappen. Die anderen Vipern, die respektvoll geschwiegen hatten, während Yngoth den Plan erklärte, zuckten vor Vorfreude, ihn in die Tat umgesetzt zu sehen. Selbst Qorra, die Schlange, die so gut wie nie sprach, konnte sich kaum noch beherrschen. Oh! sagte sie. Das wird ein Spaß werden!
Jeggred wartete vor dem Audienzsaal, in dem Quenthel sich mit Oothoon unterhielt. Jeder Muskel in seinem Leib war
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gespannt. Quenthel war mit zweien von ihnen allein da drin. Sie hatte einer der Kreaturen – der, die nicht Oothoon war – erlaubt, sich hinter ihr in Position zu bringen. Warum nur? Er mochte das aufgeschwemmte Fischvolk nicht. Diesen Kreaturen war nicht zu trauen. Auch wenn seine Nase voller Wasser war, konnte er den Gestank des Verrats riechen. Mit leicht zusammengekniffenen Augen beobachtete er einen dritten Abolethen, der von der Matriarchin in den Korridor geschickt worden war, als Quenthel den Draegloth angewiesen hatte, sie allein zu lassen. Jeggred kribbelte es in den Fingern, das gummiartige Fleisch zu zerfetzen, um zu sehen, ob ihr Blut rot war. Er konnte sich vorstellen, wie das Blut im Wasser eine Wolke bildete. Was für ein berauschendes Fest das sein würde, ihr Blut mit jedem Atemzug zu inhalieren! Einer der in der Strömung sich bewegenden Tentakel des Abolethen, der ihn bewachte, kam seiner Schulter zu nahe, worauf Jeggred ausholte und seine Klauen in das Fleisch stach. Der Aboleth blinzelte mit seinen drei Augen, stieß einen gurgelnden Schrei aus, riß den Tentakel zurück, griff aber nicht an. Jeggred, der seinen Puls in den Ohren pochen hörte, mach te sich bereit, sich auf die Kreatur zu stürzen und sie zu töten. Doch aus dem Augenwinkel sah er, daß Quenthel sich nach ihm umgedreht hatte und gestikulierte. Zügle dein Tempera ment, befahl sie. Wir sind ihre Gäste. Hätte ein Mann so mit ihm gesprochen, hätte Jeggred mit einem trotzigen Knurren geantwortet – und ihn in Stücke gerissen. So aber verbeugte er sich vor seiner Herrin. Wie Ihr befehlt, Herrin. Noch während er antwortete, warf er dem Abolethen einen Blick zu, den er verwundet hatte. Er hatte sich geirrt, was ihr Blut anging. Es war grün und strömte nicht, sondern floß so
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träge wie Sirup. Zufrieden damit, daß die Kreatur keine Rache nehmen woll te, konzentrierte sich Jeggred wieder auf Quenthel. Er hätte sie besser bewachen können, wenn es ihm erlaubt gewesen wäre, an ihrer Seite zu sein, doch Befehl war Befehl. Er hatte ge horcht, wie er es immer tat. Als Folge seines Gehorsams hörte er nichts von der Unterhaltung – Oothoons Stimme war zu tief, als daß er sie hätte hören können, und da Quenthel mit dem Rücken zu ihm stand, konnte er nicht sehen, was Quenthel signalisierte. Es war aber nicht wichtig, da Jeggred nicht wissen mußte, was gesprochen wurde. Er erkannte an Quenthels Körperhal tung, was sie empfand. Ihre versteiften Schultern waren ein Zeichen für Anspannung, und die verstohlenen Bewegungen ihrer Hand hin zu ihrem Zauberzepter sprachen für Vorsicht, vielleicht sogar Angst. Seltsam war nur, daß die Vipern an Quenthels Peitsche sich ganz entspannt in der Strömung treiben ließen. Sie hätten noch mehr als Jeggred merken sollen, daß Quenthels Anspan nung wuchs, aber statt dessen verhielten sich die dummen Bestien total desinteressiert. Quenthel irrte, wenn sie solchen Wert auf diese gebundenen Kobolde legte, die kaum mehr als bessere Sklaven waren. Daß sie immer nach deren Meinung fragte, statt auf ihr Herz zu hören, machte sie letztlich nur schwach. Dem Draegloth gefiel dieser Gedanke nicht. Er war sich nicht sicher, was er mit dieser Vorstellung anfangen sollte, die Herrin Arach-Tiniliths, seine Tante, die Schwester seiner Mutter, der Muttermatrone des ersten Hauses Menzoberran zans, sei ... schwach. Er verdrängte den Gedanken und stellte fest, daß an seine Stelle ein wachsendes Unbehagen trat. Mit einem kehligen Knurren, das unter Wasser eher einem
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tiefen Blubbern gleichkam, machte sich Jeggred darauf gefaßt, daß jeden Augenblick etwas passieren würde. Er stemmte ei nen Fuß gegen die Wand hinter ihm, damit er sich mit einem einzigen Durchdrücken seines Beins nach vorn werfen konnte. Quenthel zog ihr Zauberzepter und richtete es mit einer flinken, wirbelnden Bewegung auf den Abolethen hinter ihr. Ein klebriger Klumpen schoß aus der Spitze des Zauberzepters hervor und wurde rasch größer, während er sich durch das Wasser bewegte. Während Jeggred mit einer Klauenhand den Abolethen ne ben sich leicht berührte, stieß er sich ab, um in den Audienz saal zu treiben – – als sich auf einmal eine klebrige Masse um seinen Kopf und seine Schultern legte. Quenthels Angriff hatte ihr Ziel verfehlt, da sich der Aboleth rechtzeitig geduckt hatte. Da durch traf der zähe Klumpen den Durchgang und versperrte die Öffnung. Jeggred brüllte vor Wut, verdrehte seinen Leib und stemmte seine Füße gegen beide Seiten der Türöffnung. Mit einer An strengung, die fast die Muskeln in Wade und Oberschenkel reißen ließ, bekam er erst seinen Kopf, dann die Schultern frei. Er ignorierte den Schmerz an den Stellen, an denen ihm das Fell ausgerissen worden war, und schlug mit einer Klaue nach dem Hindernis, doch auch die Kralle blieb daran hängen. Im Audienzsaal zielte Quenthel ein zweites Mal. Ein weite rer Klumpen trat aus dem Stab aus und traf die AbolethenWache in dem Moment, in dem die ihre Zähne um die DrowPriesterin schließen wollte. Der Aboleth versuchte gurgelnd, den klebrigen Ball auszuspucken, doch es wollte ihm nicht gelingen. Der andere Aboleth, der bei Jeggred im Korridor geblieben war, hatte sich zunächst nicht geregt, ging nun aber auch zum
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Angriff über. Er schob sich über Jeggred und riß das Maul auf, um zuzubeißen, doch der Draegloth vergrub seine Krallen tief in den Bauch der Kreatur. Grünes Blut trat in großen Mengen aus den Wunden aus und mischte sich mit dem Wasser, das Jeggred atmete. Es schmeckte abscheulich, wie Seetang und damit völlig anders, als der Draegloth es erwartet hatte. Der Aboleth machte kehrt und begab sich mit kraftvollen Schlägen seiner Schwanzflosse in den Tunnel zurück. Jeggred knurrte, da er wußte, daß er Verstärkung holen würde. Er riß weiter an dem klebrigen Ball, der den Zugang zum Audienzsaal blockierte. Jedesmal blieb seine Hand stecken, doch jedesmal konnte er ein paar Fasern herausreißen. Der Draegloth witterte richtiges Blut und begann zu hecheln, bis er erkannte, daß es sein eigenes war. Er hatte sich seine Hand blutig gekratzt. Im Audienzsaal hielt sich Quenthel Oothoon mit ihrem Zauberzepter vom Leib. Einige Augenblicke lang starrte die Matriarchin sie mit ihren drei Augen an, dann verließ sie ihre Ecke und schoß mit weit geöffnetem Maul durch den Raum. Aus einem für Jeggred unerfindlichen Grund schien Quenthel Probleme mit ihrem Zauberzepter zu haben, dessen Magie erst im allerletzten Moment aktiv wurde. Ein Klumpen jagte auf Oothoon zu – und verfehlte sie. Als Quenthel voller Entsetzen mit den Armen ruderte und nach hinten auszuwei chen versuchte, hatte die Matriarchin sie längst eingeholt und schluckte die Hohepriesterin mit Haut und Haar. Einen Moment lang konnte Jeggred nur schockiert dreinbli cken. Seine Herrin war gefressen worden, sie war tot! Zorn packte ihn. Er zerrte wie verrückt an der klebrigen Masse, ohne sich darum zu scheren, wieviel Haut ihm von Händen und Armen gerissen wurde – wie ein Fisch, der in einem Netz gefangen war, schlug er um sich und ließ das Was
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ser in seine Lungen strömen, um es gleich wieder auszustoßen. Die ganze Zeit über sah Oothoon ihn spöttisch an und strich sich genießerisch mit einem Tentakel über den Bauch. Die klebrige Masse im Durchgang war nicht völlig unzer störbar, doch es gelang ihm nicht, sich hindurchzukämpfen. Er legte den Kopf frustriert in den Nacken und riß sich dabei noch mehr Haare aus, die sich in dem zähflüssigen Klumpen verfangen hatten. Dann heulte er vor Wut und Trauer, kam aber schließlich zur Besinnung. Die Herrin war weise, dachte er. Sie hat es kommen sehen. Sie hatte ihm einen Befehl gegeben, den er schnell zu befol gen hatte, ehe der verwundete Abolethe mit Verstärkung zurückkehrte. Er riß sich von der Barriere los und schwamm so schnell durch den Korridor, wie er konnte, während er nach einem Ausgang suchte.
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Pharaun hörte leidenschaftslos zu, wie Jeggred keuchend seine Geschichte erzählte. Der Draegloth war triefnaß und befand sich noch im Übergang, um wieder Luft atmen zu können. Er machte tiefe, gurgelnde Atemzüge, die man für ein Schluchzen hätte halten können, wären sie aus dem Mund einer anderen, nicht von einem Dämon gezeugten Kreatur gekommen. »Sie wurde gefressen«, sagte Jeggred, dessen vier Arme alle niedergeschlagen herunterhingen. »Herrin Quenthel ist tot!« Pharaun betrachtete den Draegloth und sagte kühl: »Das verdanken wir dir.« Normalerweise hätte eine solche Bemerkung Jeggred zur Ra serei gebracht, doch anstatt nach Blut zu dürsten, stand er da wie ein Rothé, das daraufwartete, geschlachtet zu werden. Danifae, die im Tunnel neben dem Fluß stand, warf Pha raun einen Blick zu.
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»Ist denn so etwas möglich?« fragte sie. »Auch ohne ihre Zauber hätte Herrin Quenthel in der Lage sein sollen, die Abolethin abzuwehren. Ihre Rüstung und deren Zauber allein hätten Schutz genug sein sollen ...« »Er sagte, sie sei im Ganzen verschluckt worden«, warf Valas Hune ein. »Sie hatte keine Chance.« Bei den ungeschönten Worten des Söldners ließ Jeggred die Schultern noch ein Stück tiefer sinken. Der Draegloth kauerte sich hin, legte die kleineren Arme um seine Knie und starrte mit leerem Blick in den Fluß. Pharaun nickte. Nach dem zu urteilen, was Jeggred über die Ereignisse in der Stadt der Abolethen erzählt hatte, war er davon überzeugt, daß Quenthel wirklich tot war. Danifae berührte sanft seinen Arm und fragte: »Was sollen wir als nächstes tun? Ihr seid nun der Anführer, Ihr trefft die Entscheidung.« Pharaun bemerkte, wie Danifae bei diesen Worten Valas angesehen hatte, als wolle sie prüfen, ob der Söldner Pharaun den Führungsanspruch streitig machen wollte. Valas, der das auch bemerkt hatte, quittierte es mit einem Brummen und einem Schulterzucken. »Ja«, sagte er und sah Pharaun in die Augen. »Was nun? Setzen wir die Suche nach dem Chaosschiff fort oder machen wir uns auf den Rückweg?« Pharaun reagierte sofort. »Wir unterstehen nach wie vor dem Befehl der Muttermatrone«, erklärte er. »Außerdem un terstehe ich noch immer dem Befehl des Erzmagiers von Men zoberranzan. Solange wir nichts Gegenteiliges hören, werden wir unsere Suche fortsetzen, um herauszufinden, was mit Lolth ist, und das heißt, wir suchen das Schiff.« Danifae sah ihn an und fragte: »Wir alle?« Pharaun warf ihr einen stechenden Blick zu. »Da Ihr Euren Teil der Abmachung nicht gehalten habt«, sagte er langsam,
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um Danifaes Reaktion genau beobachten zu können, »habe ich doch wohl keinen Grund, meinen Teil einzuhalten, oder?« Zorn flammte in ihren Augen auf, als sie die Fassung verlor. »Aber Ihr habt es mir versprochen!« warf sie ihm an den Kopf. Jeggred, der die schlagartig angespannte Atmosphäre spürte, sah auf und knurrte. Valas sah zwischen Pharaun und Danifae hin und her. »Was hast du versprochen?« fragte der Söldner. Pharaun ignorierte die Frage. »Ihr habt auch etwas versprochen«, erinnerte der Meister Sorceres Danifae mit leiser Stimme. Er klopfte auf das Zauber buch, in dem er zuvor gelesen hatte. »Als Ihr Euch davonge schlichen habt, um mit Quenthel zu reden, dachtet Ihr da allen Ernstes, ich würde nicht lauschen?« Danifae ballte die Fäuste. Fast erwartete Pharaun, sie würde wütend aufstampfen und sich abwenden, doch nach einem kurzen Moment öffnete sie die Fäuste wieder. Sie betrachtete ihn, als versuche sie, seine Gedanken zu lesen, dann warf sie ihr langes weißes Haar nach hinten und verzog die Lippen zu einem Schmollmund. »Ihr wolltet die ganze Zeit, daß ich Euch verrate«, sagte sie. »Ihr wußtet, es würde Quenthel in Sicherheit wiegen. Sie hätte sich vielleicht nicht mit Oothoon getroffen, wenn –« Pharaun unterbrach sie, indem er sich räusperte. Mit einem Kopfnicken deutete er auf Jeggred, der sich in Kampfhaltung erhoben hatte. »Was sagt Ihr da?« knurrte der Draegloth. »Nichts«, sagte Danifae verbindlich und lächelte Jeggred verführerisch an. »Pharaun wollte Oothoon dazu bringen, ihm zu sagen, wo sich das Chaosschiff befindet, doch er erfuhr es nicht. Er wußte, daß Quenthel den Erfolg erzielen würde, der ihm verwehrt geblieben war, deshalb war er eifersüchtig. Er
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wollte deine Herrin diskreditieren und beim nächsten Kontakt mit Menzoberranzan deiner Muttermatrone berichten, er habe die Position des Schiffs erfahren, nicht Quenthel.« Jeggred dachte eine Weile darüber nach, dann verzog er den Mund. »Er hätte gelogen«, sagte er, als er schließlich begriff. »Pharaun hätte die Herrin in ein schlechtes Licht gerückt.« Pharaun machte eine wegwerfende Handbewegung, mit der er die Geste überspielte, die einen Schutzzauber auslöste. »Du mußt nicht wütend werden«, sagte er. »Das ist ... Politik. An meiner Stelle würdest du genauso handeln. Jeder Drow würde das.« Jeggred fauchte Pharaun unbesänftigt an und rammte seine Kampfhände gegen die Brust des Magiers. Es war jedoch eine halbherzige Attacke, da seine Klauen nicht ausgefahren waren. Der Schutzzauber, den Pharaun gewirkt hatte, schimmerte leicht, als er mühelos die Wucht des Treffers absorbierte. Das Schlimmste war der stinkende Atem des Draegloth, den er in Pharauns Gesicht hauchte, während er ihn anstarrte. Dann kauerte sich Jeggred wieder hin, wandte ihm den Rücken zu und schmollte. Pharaun sah zu Valas, der lautlos hinter Jeggred getreten war. Er steckte soeben seine Kukris weg. Pharaun hob eine Augenbraue, dann nickte er dem Söldner dankbar zu. Er hatte weder gesehen noch gehört, daß Valas die Zwillingsklingen gezogen hatte, aber er war froh, daß der Bregan D’aerthe sich für ihn, nicht aber für Jeggred entschieden hatte. »Was das Angebot angeht, das ich Euch machte«, fuhr Pha raun fort, der sich wieder Danifae zugewandt hatte, »es steht noch. Es ist nur im Augenblick unmöglich, daß Ihr uns ver laßt. Wir sind zahlenmäßig so wenige, daß ich Euch noch brauche.« Danifae stand da, die Hände in die Hüften gestützt, was wie
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eine Einladung und eine Herausforderung zugleich wirkte. Interessant, wie rasch sie nun, da Quenthel fort ist, beginnt, ihre Reize zur Schau zu stellen, dachte Pharaun. »Die Frage ist immer noch«, sagte sie, »was wir nun tun sol len.« »Wir werden weiter versuchen, von Oothoon die erforderli chen Informationen zu bekommen«, antwortete Pharaun und steckte sein Zauberbuch in den Rucksack. »Besser gesagt: Ich werde es versuchen. Ich kehre nach Zanhoriloch zurück, und zwar diesmal allein.« »Bist du verrückt?« fragte Valas kopfschüttelnd. »Du wirst wie Quenthel in Oothoons Schlund verschwinden. Was soll dann aus uns werden?« Pharaun zuckte die Achseln. »Dann könnt ihr tun, was euch beliebt.« Er zwinkerte Danifae zu und fügte an: »Was bedeuten dürfte, daß Ihr gehen könnt ... wohin Ihr wollt. Viel leicht wird deine Herrin dich wieder für sich beanspruchen, vielleicht wird auch unser tapferer Söldner dich begleiten.« Er lachte und klopfte auf seinen Rucksack. »Keine Sorge. Ich habe für die Abolethen eine magische Überraschung vorberei tet. Meine Erinnerungen werden nicht auf Oothoon überge hen.« Danifae reagierte mit einem Schmollmund und erwiderte: »Sorgt dafür, daß das wirklich nicht geschieht.«
Pharaun vergeudete keine Zeit mit seinen Vorbereitungen. Er zog für einen Zauber, den er wirken würde, sobald er in Zanho riloch angekommen war, einen Lederhandschuh an und stellte sicher, daß alle Zauberstäbe griffbereit waren. Dann wirkte er zwei Schutzzauber. Der erste sollte ihn vor jedem Versuch seitens der Abolethen schützen, seinen Geist zu übernehmen,
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der zweite ließ acht Trugbilder seiner selbst entstehen, die jede seiner Bewegungen kopierten. Alle neun Pharauns verabschiedeten sich mit einem Kopf nicken und mußten lächeln, als Valas Hune ihnen salutierte. Der zweite von links – der echte Pharaun – wirkte den Zauber, damit er Wasser atmen konnte. Von den anderen auf Schritt und Tritt begleitet trat er in den Fluß, und als er im kalten Wasser eingetaucht war, sprach er das Wort, das ihn in den Audienzsaal von Oothoon teleportieren würde. Seine Ankunft kam für die Matriarchin überraschend. Sie ruhte in ihrer Nische und bewunderte eine große schwarze Perle, die sie auf der Spitze eines Tentakels balancierte. Als Pharaun und seine acht Duplikate plötzlich mitten im Raum Gestalt annahmen, zuckte sie erschrocken zusammen und rollte ihre Tentakel fest um die Perle, während sie das kostbare Objekt näher an ihren Körper brachte. Ein weiterer Aboleth befand sich vor dem Saal im spiral förmigen Korridor und bewachte den Eingang. Alle drei Au gen blinzelten perplex, als neun Drow aus dem Nichts auf tauchten, doch er reagierte mit der Schnelligkeit eines guten Soldaten. Mit einem kräftigen Schlag seiner Schwanzflosse schoß er in den Saal. Eine der Pharaun-Illusionen löste sich in einem Regen aus magischer Energie auf, als der Aboleth so schnell und so todbringend wie ein Hai durch ihn hindurch jagte. Als der Wachmann kehrtmachte, um erneut anzugreifen, hob Pharaun die behandschuhte Hand und ließ die Finger spielen, während er in Zeichensprache mit der anderen Hand eine Beschwörung wirkte. Eine gewaltige schwarze Hand ent stand mitten im Wasser, die Finger waren geöffnet und legten sich fest um den heranstürmenden Abolethen. Die Hand schloß sich und preßte die Tentakel gegen den Leib des
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Wachmanns, dem auf zwei Augen durch einen gewaltigen Finger die Sicht genommen war. Er gab einen gurgelnden Laut von sich und biß in die Handfläche, die gegen seinen auf Bauchhöhe befindlichen Mund gedrückt war. Doch die Hand bestand nicht aus Fleisch, sondern aus magischer Energie, so daß die Bisse völlig vergebens waren. Der Aboleth kämpfte hilflos gegen den festen Griff an, der Schleim von seinem Körper trübte das Wasser ringsum. Pharaun versetzte der Hand einen leichten geistigen Stoß, die daraufhin die Wache aus dem Raum zurück in den Korridor schob. All das geschah innerhalb weniger Herzschläge. Unmittel bar nachdem er sich der Wache entledigt hatte, drehte sich Pharaun – so wie alle seine Ebenbilder – zu Oothoon um und wirkte einen mächtigen Zauber. Eine Woge aus magischer Energie versetzte das Wasser rings um die Matriarchin in Be wegung, und im nächsten Moment sah Pharaun, wie ihre Ten takel erstarrten. Noch immer behutsam äußerte er sich in Zeichensprache, um zu sehen, ob sein Zauber tatsächlich wirkte. Wenn ja, wür de Oothoon nicht nur bereit sein, mit ihrem »alten Freund« Pharaun zu sprechen, sondern regelrecht darauf brennen. Entschuldigt die Störung, sagte er. Aber ich wollte herausfinden, wie unser Plan gelaufen ist. Ich hörte, daß Quenthel zu Euch kam und von Euch gefressen wurde. Werdet Ihr nun Euren Teil der Abmachung einhalten und mir sagen, wo das Chaosschiff liegt? Oothoon sah in den Gang, in dem nichts von der Wache zu sehen war, dann blickte sie wieder den Magier an. »Eure ›Priesterin‹ besaß keine Magie.« Pharaun hatte diese Antwort erwartet. Ich nehme an, Ihr habt aus ihren Erinnerungen erfahren, daß Lolth ... unabkömmlich ist, signalisierte er. früher oder später jedoch
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wird Lolth wieder erwachen, und Ihr werdet die Zauber in vollem Umfang nutzen können, die Ihr nun Euer eigen nennen könnt. »Ich habe Quenthel nicht konsumiert. Sie war es nicht wert.« Pharaun blinzelte. Aber der, der sie begleitete, kam zu uns zurück und sagte, Ihr hättet sie konsumiert. Er sah, wie Ihr sie in einem Stück geschluckt habt. »Der Vierarmige sah, was ich ihn sehen lassen wollte«, sag te Oothoon. Die Tentakel zuckten, das Maul war weit offen, was Pharaun als breites Grinsen deutete. Das ließ Pharaun stutzen. Er hatte gehört, daß Abolethen in der Lage waren, Illusionen zu erzeugen. Wie es schien, hatte Oothoon genau diese Begabung bei Jeggred genutzt. Täuschte sie vielleicht sogar ihn in diesem Augenblick? Waren der Au dienzsaal und der Gang gar nicht so verwaist, wie es ihm vor kam? Pharaun war im Besitz einer Phiole mit einer Salbe, die er sich auf die Augenlider streichen konnte, um die Wahrheit zu enthüllen, sobald er die Worte dieses Zaubers ausgesprochen hatte. Doch dafür war es erforderlich, in seinen Piwafwi zu greifen und für einen Moment die Augen zu schließen. Wenn Wachen in der Nähe waren, die von einer Illusion verborgen wurden, dann wäre das der ideale Zeitpunkt, um ihn zu über wältigen. Nein, er würde sich auf die Magie verlassen, mit der er sich bereits schützte. Sieben seiner Ebenbilder trieben nach wie vor neben ihm. Wenn es zu einem Angriff kommen sollte, standen die Chancen, daß er das Ziel war, eins zu acht. Oothoon schien recht entspannt. Die Matriarchin ruhte in ihrer Nische, der einzige Hinweis auf ihr Unbehagen war die Tatsache, daß sie die Perle schützend gegen ihren Bauch ge
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drückt hielt. Sie hatte keine Wachen gerufen, die die eine ersetzen sollten, die von Pharaun aus dem Raum befördert worden war. Auch hatte sie bisher nichts unternommen, was als bedrohlich hätte gelten können. Vermutlich machte er sich ganz umsonst Gedanken. Sein Zauber leistete offenbar gute Arbeit, und er beschloß, das zu testen, indem er weitere Fragen stellte, die die Matriarchin nicht beantworten würde, wenn sie nicht unter seinem Bann stand. Wo ist Quenthel jetzt? fragte Pharaun. »Sie ist das Chaosschiff suchen gegangen.« Ihr habt ihr gesagt, wo es ist? Oothoon starrte ihn nur an, doch ihr Schweigen war Ant wort genug. Pharaun sah sich um und entdeckte endlich das fehlende Stück in diesem Puzzle. An der Tür hingen ein paar klebrige Fäden, die aussahen wie die Überreste eines zerstörten Netzes, und aus dem Tang, auf den sich Oothoon gebettet hatte, ragte der Hals einer Weinflasche. Nicht alles, was Jeggred gesehen hatte, war eine Illusion gewesen: Quenthel hatte mit ihrem Zauberzepter absichtlich dafür gesorgt, daß die Tür blockiert war. Nachdem sie in den Besitz der gewünschten Informatio nen gelangt war, hatte sie die Barriere mit Alkohol aufgelöst. Quenthel und Oothoon hatte Jeggred – und Pharaun – ge schickt getäuscht, und Oothoon hatte einfach nur darauf war ten müssen, daß die Belohnung dafür zu ihr kam. Denn Oothoon wußte, daß Pharaun zurückkehren würde, sobald er von Quenthels »Tod« erfuhr ... und daß sie ihn dann konsu mieren würde. Pharaun hob die Hände, um einen Zauber zu wirken, doch ehe er die Beschwörung abschließen konnte, tauchte die schwarze Perle vor ihm auf – vor ihm, nicht vor einem seiner Ebenbilder. In dem Augenblick, als sie seine Brust traf,
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verstand Pharaun, was sich zugetragen haben mußte. Oothoon mußte die Perle in den Mund genommen und in seine Rich tung gespien haben, während sie ihn mit Hilfe einer Illusion etwas anderes hatte sehen lassen. Die Perle berührte seine Brust und explodierte mit einem so lauten Knall, daß ihm das Wasser aus den Lungen gepreßt wurde und seine Ohren klingelten. Betäubt und unfähig zu gestikulieren oder zu sprechen hing er schlaff im Wasser, wäh rend seine Ebenbilder von der Explosion ausgelöscht wurden. Auch wenn er zu schwach und zu benommen war, um sich zu bewegen, war ein Teil seines Verstandes immer noch in der Lage, die Ironie dessen zu erkennen, was sich hier abgespielt hatte. Er war im Begriff gewesen, Oothoon mit einem Zauber zu betäuben, doch er war mit seinen eigenen Waffen geschla gen worden. Was er fälschlicherweise für eine schlichte »Per le« gehalten hatte, war in Wahrheit eine von Quenthels magi schen Energieperlen. Offenbar war Oothoon keineswegs seinem Zauber erlegen, und die Matriarchin hatte sich auch nicht von seinen Trugbil dern täuschen lassen, da sie mit der Energieperle ganz gezielt den richtigen Pharaun getroffen hatte. Sie hatte ihn mit der Wahrheit geködert, da sie wußte, daß er schon bald so hilflos wie eine Flattereidechse im Netz sein würde. Oothoon erhob sich und näherte sich dem Punkt, an dem Pharaun wehrlos im Wasser trieb. Ihr weit aufgerissenes Maul schloß sich um Pharaun, der noch immer so benommen war, daß er nicht einmal die Kraft hatte, um aufzuschreien. Finster nis umgab ihn, und rasiermesserscharfe Zähne fraßen sich in seinen Körper.
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Halisstra stand bei einem der Trophäenbäume, das Heft ihres Liedschwerts an die Lippen gedrückt. Nachdem sie zwei Näch te zuvor die Ätherspinne getötet hatte, waren die Priesterin nen damit einverstanden gewesen, ihr das beschädigte Schwert sowie Seylls Schild und Kettenhemd zu lassen. Außerdem hatten sie ihr ihre magischen Ringe und Gegenstände sowie das Hausemblem zurückgegeben, das Halisstra nicht an ihren Piwafwi steckte, sondern in einer der Taschen verstaute. Sie verfügte auch immer noch über ihre magische Leier, auch wenn sie wie bei den anderen Dingen aus dem Unterreich nicht den Wunsch verspürte, sie zu benutzen. Statt dessen übte sie mit ihrem Liedschwert und ließ ihre Finger über die Löcher im Heft tanzen, während sie versuchte, eine Melodie zu schaf fen, die zur Stimmung des schneebedeckten Waldes und zu den träge am Himmel vorüberziehenden Wolken paßte, die so weiß
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und zart wie Haar waren. Ryld saß ein Stück entfernt im Schneidersitz und schärfte sein Kurzschwert. Obwohl er sich einen Platz im Schatten gesucht hatte, kniff er die Augen zusammen, um sie vor dem grellen Schein der Morgensonne zu schützen. Er saß gegen einen großen Findling gelehnt unter einem Dach aus Ästen, die bis gerade einmal eine Handbreit über ihn reichten. Offen sichtlich kämpfte er noch immer mit dem Unbehagen, sich unter freiem Himmel aufhalten zu müssen. Nach einer Weile ging Halisstra das jeglichen Rhythmus ent behrende Geräusch auf die Nerven, das Ryld mit dem Schleif stein auf der Klinge verursachte. Sie ließ die Waffe sinken. »Ryld«, sagte sie aufgebracht. »Wenn du das schon hier tun mußt, kannst du es wenigstens im Takt meiner Musik tun?« Überrascht sah Ryld auf. »Meinetwegen«, sagte er, kroch unter den überhängenden Zweigen hervor, stand auf und steckte das Kurzschwert weg. Mit einem finsteren Blick in den Wald fragte er: »Wie lange sollen wir hierbleiben?« »Einen Zehntag, einen Monat ... ein Jahr, wenn es sein muß«, antwortete Halisstra. »Bis ich gelernt habe, wie man Eilistraee verehrt.« »Also ein Leben lang«, folgerte Ryld. »Vielleicht«, erwiderte sie mit einem Achselzucken und fügte dann an: »Niemand zwingt dich, hierzubleiben. Du könntest nach Menzoberranzan zurückkehren oder Quenthel und die anderen suchen. Oder dich in den Abyss begeben.« Ryld warf ihr einen trotzigen Blick zu. »Ich will bei dir blei ben.« Als sie in seine Augen sah und erkannte, was ein Mensch wohl als »Liebe« bezeichnet hätte, wurde sie wieder sanftmüti ger.
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»Das freut mich«, sagte sie. »Nicht nur meinet-, sondern auch deinetwegen. Die Dunkle Maid wird dich mit offenen Armen empfangen, wenn du es zuläßt. Eilistraee kann dir nie gekannte Freude zeigen. Wir Drow waren viel zu lang im Un terreich gefangen, es ist Zeit, daß wir unseren rechtmäßigen Platz im Sonnenschein einnehmen und behaupten, notfalls mit unseren Schwertern.« Ryld antwortete nicht, sondern sah statt dessen hinauf in den Trophäenbaum. Halisstra folgte seinem Blick und bemerk te, daß er eine tiefe, von Schwertern geschaffene Nische im Stamm betrachtete, in der zwei Köpfe übereinanderlagen. Es waren Totenschädel, an denen nur noch ein paar schwarze Haarbüschel klebten, während die Unterkiefer bereits abgefal len waren. Nach der Form zu urteilen stammten sie von Men schen, auch wenn der Oberkiefer des unteren Schädels ein wenig vorragte und die für Fleischfresser typischen Zähne übermäßig groß waren. Ihr bloßer Anblick schien dem abge härteten Krieger Unbehagen zu bereiten, was recht ungewöhn lich war, da Ryld in seiner Karriere als Waffenmeister MeleeMagtheres sicher schon viel grausamere Dinge zu Gesicht bekommen hatte. Mühsam riß er sich von dem Anblick los. »Wieso Eilistraee?« fragte er. »Warum betest du nicht Kia ransalee oder Selvetarm an? In seinem Glauben hätte ich mich wiederfinden können. Oder glaubst du, Lolths Kämpe habe das gleiche Schicksal erlitten wie seine Herrin?« »Selvetarm wacht über Lolth«, antwortete Halisstra. »Vhaeraun hat ihn nicht besiegt.« Ryld hob die Brauen. »Woher weißt du das?« »In der letzten Nacht führte Uluyara die Priesterinnen durch einen Liedzauber. Die Ausspähung, die sie betrieben, drang bis in den Abyss vor. Uluyara war in der Lage, einen
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kurzen Blick auf den Stein zu werfen, der Lolths Tempel ver siegelt. Selvetarm hockte in seiner Spinnengestalt davor. Er war verwundet, hatte aber Schwert und Streitkolben in der Hand. Vielleicht hat er Vhaeraun geschlagen, zumindest aber konnte er den anderen Gott vertreiben. Uluyara konnte nur einen kurzen Blick auf ihn werfen, ehe das Wasser in ihrem Becken verkochte.« Ryld fluchte. »Letzte Nacht?« fragte er. »Darum also ging es bei dem gan zen Gesinge. Warum hast du mir das nicht früher gesagt?« Halisstra zuckte die Achseln und fragte: »Welchen Unter schied hätte es gemacht? Du hast doch nicht vor, Quenthel Bericht zu erstatten, oder?« Ryld schenkte ihr ein säuerliches Lächeln. »Ich könnte es nicht – selbst wenn ich wollte«, sagte er. »Sie würde mich zum Deserteur erklären und ihren Vipern befehlen, ihre Giftzähne in mein Fleisch zu schlagen. Ich wäre tot, ehe ich mich auch nur hätte rechtfertigen können. Ich wünschte nur, du würdest mir erzählen, was sich zuträgt.« Er hielt inne und runzelte die Stirn. »Woher wußte Uluyara, daß Lolths Tempel versiegelt ist?« »Ich erzählte es ihr«, erwiderte Halisstra. »Ich erzählte ihr alles. Von unserer Reise in Astralform in den Abyss, von Lolths Schweigen, vom Kampf zwischen Vhaeraun und Selve tarm – ich erzählte ihr sogar vom Untergang Ched Nasads. Einfach alles.« Ryld nickte. »Angesichts deiner Bekehrung sollte es mich nicht überraschen, und doch tut es das. Daß du Priesterinnen, die du bis vor kurzem noch zu deinen Feinden gezählt hättest, so vieles anvertraust, ist ein wenig wie ...« Plötzlich senkte er seinen Blick, als sei ihm bewußt gewor den, daß er eine Priesterin vor sich hatte. Während er zögerte
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– entweder aus Unsicherheit, ob er weitersprechen sollte, oder aus Unwillen, seinen Satz zu Ende zu bringen –, erriet Halisstra den Rest. »Wie Verrat?« fragte sie. »Dann soll es so sein. Lolth ist tot oder wird es schon bald sein.« »Du hast dich mit denen verbündet, von denen du glaubst, daß sie auf der Siegerseite stehen werden«, sagte Ryld und nickte langsam. »Ein vernünftiger Zug.« Halisstra seufzte und fragte sich, ob Ryld sie vielleicht nicht verstehen konnte. »Es ist mehr als bloßes Taktieren«, sagte sie und versuchte, ihre Beweggründe zu erklären. »Eilistraee ist die einzige Göt tin, die den Drow noch Hoffnung bieten kann. Da Lolth ver schwunden ist und ihre Priesterinnen keine Verteidigung auf bauen können, werden die Städte im Unterreich der Reihe nach fallen. Schon bald werden Hunderte, Tausende, viel leicht sogar Zehntausende Drow aus dem Unterreich geströmt kommen und nach einer Zuflucht suchen. Eilistraees Prieste rinnen werden sie ihnen gewähren. Sie werden unserem Volk ins Licht helfen. Sie werden den Drow zeigen, wie sie ihren rechtmäßigen Platz in der Welt einnehmen können, nicht nur, um hier zu überleben, sondern um hier oben aufzublühen. Wir werden unser Geburtsrecht für uns beanspruchen können. Sieh doch nur, was Eilistraees Dunkle Damen bislang erreicht ha ben, indem sie den Wald von Monstern befreien und es mög lich machen, wieder in ihm zu leben. Wir schaffen ein neues Zuhause an der Oberfläche, in dem Drow in Harmonie mitein ander leben können. Ein Zuhause, das wir mit unserer Magie und unseren Schwertern verteidigen. Kann es eine hehrere Sache als diese geben?« Ryld starrte wieder den Trophäenbaum an und murmelte etwas, das sich in Halisstras Ohren wie »Säuberung der E lendsviertel« anhörte, doch sie kam zu der Ansicht, daß sie
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sich geirrt haben mußte, da diese Worte keinen Sinn ergaben. »Ryld«, sagte sie langsam, »bist du sicher, daß du –« Ruhig, warnte Ryld und wechselte damit zur Zeichenspra che. Ich höre Stimmen. Menschenstimmen. Sie kommen in unsere Richtung. Besorgt griff Halisstra nach dem Horn, das sie am Gürtel trug. Sollte sie die Priesterinnen warnen? Immerhin sollte sie genau das hier am Rand des Tempelgeländes tun: Wache hal ten. Uluyara hatte sie gewarnt, daß menschliche Abenteurer manchmal tief in den Velarswald vordrangen, die nicht zwi schen den Verehrern Eilistraees und den Drow aus dem Unter reich unterschieden. Menschen töteten jeden schwarzhäutigen Elfen, der ihnen über den Weg lief. Doch wenn sie ins Horn stieß, würde sie die Menschen auf ihre Anwesenheit aufmerksam machen – und sie waren sehr nah. Es war wohl besser, wenn sie die Situation von einem Versteck aus beobachtete und sich selbst der Menschen an nahm, sofern das ging. Ryld würde ihr helfen und für ein zu sätzliches Überraschungselement sorgen. Geh in Deckung, signalisierte sie. Ich stelle sie, du wartest. Mit einem Nicken zog Ryld lautlos seinen Zweihänder aus der Scheide, gleichzeitig streifte er die Kapuze seines Piwafwi über den Kopf. Er trat zwischen die Äste und blieb so reglos stehen, daß er eins mit den Schatten wurde. Halisstra sang unterdessen ein kaum hörbares Lied, das sie unsichtbar werden ließ. Dann wartete sie, das Liedschwert kampfbereit in der Hand. Die Menschen waren entweder sehr mutig oder sehr dumm. Sie gingen durch den Wald und traten laut auf, der Schnee unter ihren Füßen knirschte. Keiner von ihnen machte sich die Mühe, mit gedämpfter Stimme zu sprechen, und es dauerte nicht lange, bis Halisstra ausmachen konnte, daß sie sehr an
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gestrengt wirkten. Die Menschen stöhnten hin und wieder, als transportierten sie eine schwere Last. Sie passierten schließlich den Fuß des Trophäenbaums und traten aus dem Unterholz hervor. Halisstra sah, daß es sich um mindestens zwei Männer handelte, die auf dem Rücken Äxte trugen und die auf einem Mantel, den sie zwischen ihnen gespannt hatten, einen Körper transportierten. Es war der Körper einer Drow, aber nicht irgendeiner Drow, sondern einer Frau, die an einer Kette um den Hals das aus Mond und Schwert zusammengesetzte Zeichen Eilistraees trug und an deren Gürtel ein Ring aus Miniaturschwertern hing, die das ganze wie einen Schlüsselbund erscheinen ließen. »Wer seid Ihr?« rief Halisstra aus und gab gleichzeitig ihre Unsichtbarkeit auf. »Was ist mit der Priesterin?« Sie hielt ihr Liedschwert bereit, aber nicht, weil die Männer einen bedrohlichen Eindruck machten, sondern weil heilende Magie schnell zum Einsatz kommen mußte, sollte die Priesterin noch leben. Als sie näherkam und den Hals der Frau berührte, wußte sie, daß jeder Zauber zu spät kommen würde. Die Haut der Priesterin war kalt, der Rhythmus des Lebens war ver stummt, und ihre geschlossenen Augen würden nie wieder sehen. Beide Menschen waren dünn und muskulös, hatten blondes Haar, und ihre Haut war dunkler als die der meisten anderen Menschen, was vermuten ließ, daß es unter ihren Vorfahren einen Drow gegeben haben mußte. Der ältere der beiden Männer neigte den Kopf, was die äußerste Form einer Verbeu gung darstellte, wenn ihm nicht der Mantel entgleiten sollte, auf dem die Priesterin lag. Als Halisstra ebenfalls nickte, setz ten die beiden Männer ihre Last langsam ab. »Wir sind aus Velarsburg«, sagte der Ältere. »Ich bin der Holzfäller Rollim, dies ist mein Sohn Baeford. Wir fällten
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Bäume nahe der Heulenden Hügel, als wir eine Frau schreien hörten. Wir folgten ihrer Stimme, die uns weit in den Wald hineinführte, weshalb ich glaube, daß sie auf magische Weise zu uns getragen worden war. Vor einer Höhle fanden wir dann diese Dunkle Dame. Sie war fast tot. Sie atmete flach und schnell, konnte nicht sprechen, aber noch Zeichen geben. Sie sagte, sie sei in den Unterreichen angegriffen worden und müsse zum Tempel zurück.« Halisstra betrachtete die tote Priesterin. Sie war eine Frem de, doch Halisstra konnte anhand der winzigen Schwerter an ihrem Gürtelring erahnen, welche Mission sie gehabt hatte. Sie war eine der Priesterinnen, die als Missionarin durch das Unterreich reisten, um den Glauben an Eilistraee jenen zu bringen, die dort unten lebten. Die winzigen Schwerter wur den an die Gläubigen ausgehändigt, um als »Schlüssel« zu dienen, der ihnen eine unbehelligte Reise zum Tempel garantieren sollte. »Sagte sie, wovon sie angegriffen wurde?« fragte Halisstra. Rollim runzelte die Stirn und erwiderte: »Nicht ›wovon‹, meine Dame, sondern ›von wem‹. Als sie ihre Geschichte erzählte, benutzte sie das Zeichen für ›sie‹ im Sinne von ›weib liche Drow‹.« Halisstra zuckte zusammen. »Habt Ihr irgendwo andere Drow gesehen?« wollte sie wis sen. »Nein«, antwortete Rollim. »Es waren nur die Fußabdrücke der Dunklen Dame zu sehen. Die andere muß sich noch drun ten befinden, aber wir wagten es nicht, in die Höhle vorzu dringen.« »Hinterrücks erstochen«, murmelte Halisstra, die wieder die Priesterin ansah. »Typisch.« Hinter den Männern – beide standen mit dem Rücken zu
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der Stelle, an der sich Ryld versteckt hielt – sah sie kurz schwarze Hände auftauchen: Oder sie wurde im Stich gelassen, mußte allein kämpfen. Auch wenn Rylds Gesicht nur ein Schatten unter der Kapu ze seines Piuiafwi war, konnte Halisstra seine sorgenvolle Mie ne sehen. »Nicht erstochen«, warf Baeford ein. »Sie ist unverletzt.« Dann warf er einen unangenehm berührten Blick auf die Lei che der Priesterin. »Es muß Magie gewesen sein, die sie töte te.« Rollim fuhr mit schwieligen Fingern durch sein Haar, das schweißnaß und mit Sägemehl durchsetzt war. »Bei einer nor malen Verletzung hätten wir etwas tun können. Wir hätten einen Bruch schienen oder eine Blutung nach einem Axthieb stoppen können. Aber das ...« Er schauderte. »Sie starb, als wir sie aufhoben.« Halisstra nickte. »Ihr tatet gut daran, sie herzubringen«, er klärte sie. »Ich bin sicher, die Priesterinnen werden sich er kenntlich zeigen ...« »Das haben sie schon«, sagte Rollim, hob seine rechte Hand in einer ehrfürchtigen Geste zum Himmel und ließ sie wieder sinken. »Ohne die Dunklen Damen würde Baeford heute nicht unter uns weilen. Kurz nach der Geburt bekam er Pocken und wäre fast gestorben, doch Eilistraee heilte ihn.« Er sah zu der toten Priesterin, und seine Miene verfinsterte sich. »Ich wünschte nur, wir hätten uns für diese Freundlichkeit erkenntlich zeigen können.« Der pockennarbige Baeford schabte nervös mit den Füßen. »Herrin«, fragte er schließlich. »Sollen wir sie zum heiligen Kreis tragen?« Seiner Miene nach zu urteilen wollte er den Leichnam am liebsten nicht wieder anheben müssen.
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»Ich erledige das«, antwortete Halisstra. »Ihr könnt gehen.« »Ihr wollt sie allein tragen?« fragte Rollim. Er verbeugte sich rasch, als er sah, wie Halisstra die Stirn runzelte. Es gefiel ihr noch immer nicht, daß Männer ihre Autorität in Frage stellten. »Wie Ihr wünscht«, sagte Rollim rasch, dann wandte er sich an seinen Sohn. »Komm, wir haben getan, was wir konnten.« Während sie sich zurückzogen, trat Ryld zwischen den Äs ten hervor. Soll ich ihnen folgen? signalisierte er. Halisstra schüttelte den Kopf. »Irgend etwas stimmt hier nicht. Der Jüngere hat es gespürt, aber er weiß nicht, was es ist. Jedenfalls waren die beiden nicht die Ursache dafür.« Sie kniete neben der Leiche nieder und drehte sie, um den Rücken der Frau begutachten zu können. Wie Baeford gesagt hatte, wies sie keine Verletzungen auf. Die Haut der Priesterin war unversehrt, und ihre Tunika und Stiefel wiesen nur den durch Reisen üblichen Verschleiß auf. Wie alle Priesterinnen Eilistraees – vor allem aber die, die ins Unterreich reisten – trug sie ein Kettenhemd, dessen Glieder keine Schäden erken nen ließen. Ihr Schwert steckte noch in der Scheide. Einem Impuls folgend packte Halisstra das Heft des Schwerts und zog die Klinge mühelos aus der Scheide. Sie war blank und glänzend, während sie unmittelbar nach einem Kampf blutig und klebrig hätte sein müssen. Als sich Halisstra wieder vorbeugte, um die Waffe zurück in die Scheide zu schieben, kam ihr Gesicht dem der Priesterin nahe. Sie nahm einen schwachen, beißenden Geruch wahr, woraufhin sie dichter heranging und schnupperte. Der Geruch war eine Mischung aus den schwefelhaltigen Feuern des Abyss und verrotteten Spinnweben.
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»Eilistraee steh uns bei«, fluchte sie. »Was ist?« fragte Ryld, dessen Stimme angespannt klang. »Sie wurde von einem Yochlol getötet«, sagte sie. »Ich kann den Gestank an Haut und Haaren wahrnehmen.« Silber blitzte, als Ryld seinen Zweihänder zog. Er ging in Kampfhaltung, während er den Wald ringsum beobachtete. »Glaubst du, er ist ihr gefolgt?« fragte er und preßte die Kie fer aufeinander. »Das bezweifle ich.« Noch während sie sprach, öffnete Halisstra den Mund der toten Frau, was ihr mühelos gelang. Sie war noch nicht lange tot. Wie Halisstra vermutet hatte, wurde der Gestank stärker, wenn der Mund der Frau offen war. Der Yochlol mußte Gas form angenommen haben, um in ihre Lungen einzudringen und sie zu ersticken, während es ihr unmöglich war, sich mit dem Schwert oder mit einem Zauber zur Wehr zu setzen. Das hieß, der Yochlol hatte sich ihr so sehr nähern können, daß sein Angriff überraschend kam. Entweder hatte er einen Zau ber benutzt, um sie zu beherrschen, oder aber er hatte sie ge täuscht, indem er ihr in einer unschuldig aussehenden Form erschienen war – als Drow. Eine »Drow«, so vermutete Halisstra, die sich daran interes siert gezeigt hatte, zum Glauben an Eilistraee überzutreten. Der Yochlol mußte mit der Priesterin gespielt und sich insgeheim gefreut haben, was kommen würde, während er sie in die Höh le begleitet hatte, die zur Welt an der Oberfläche führte, und dort hatte er zugeschlagen. »Das war kein willkürlicher Angriff«, folgerte Halisstra. »Der Yochlol hat sich sein Opfer gezielt ausgesucht.« »Du glaubst, der Dämon wurde beschworen?« fragte Ryld mit sorgenvoller Miene. »Wenn ...« Der Krieger sprach seine Frage nicht aus, doch das war auch
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unnötig. Halisstra wußte genau, was ihm durch den Kopf ging. Ein Yochlol war ein Dämon, der der Königin über den Ab grund der Spinnennetze diente. Die Dienerinnen Lolths konn ten nur auf die höchste stoffliche Ebene gelangen, wenn sie von einer Priesterin gerufen wurden. Es war allerdings denkbar, daß sich eine von ihnen bereits auf dieser Ebene befunden hatte, ehe Lolth in Schweigen verfiel. Anschließend hätte sie sich von ihrer Herrin lösen können. Es war aber auch möglich, daß Lolth zurückgekehrt war und ihre Priesterinnen wieder über ihre Zauber verfügten. »Uluyara wird wissen, was davon zu halten ist«, sagte Ha lisstra. Sie trat ans eine Ende des Mantels, auf dem die Prieste rin lag, nahm zwei Enden des Stoffs und sah Ryld an. »Laß uns den Leichnam zum Tempel schaffen – sofort.«
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Quenthel ruderte mit den Armen, um sich unmittelbar unter der Wasseroberfläche des Sees zu halten, und wartete, bis der Zauber seine Wirkung verlor, der ihr erlaubte, Wasser zu at men. Als sich ihre Lungen beengt und heiß anzufühlen began nen, atmete sie den letzten Rest Seewasser aus, dann tauchte sie auf. Sie berührte die Brosche an ihrer Brust und stieg lang sam in den Nebel des Wasserfalls auf, bis sie auf Höhe des Tunnels war. Jeggred saß im Tunnel und starrte finster auf den See. Als er sie entdeckte, riß er die Augen auf und stieß ein Freudenge heul aus. Dann sprang er so hastig auf, daß er mit voller Wucht gegen die Tunneldecke prallte und sich den Schädel spaltete. Ohne sich um das Blut zu scheren, das durch sein weißes Fell lief, setzte er zu einem glucksenden Gelächter an. »Herrin!« bellte er.
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Quenthel landete neben ihm auf dem Vorsprung, bückte sich und eilte in den Tunnel. Jeggred sprang vor und breitete seine massigen Kampfarme auf eine Weise aus, als wolle er sie wahrhaftig in die Arme schließen. Quenthels finsterer Blick und das Zucken ihrer Vipern hielten ihn davon ab, woraufhin er statt dessen vor ihr auf die Knie ging. Da er es nicht wagte, sie anzufassen, küßte er den Steinboden zu ihren Füßen und wimmerte sanft. Quenthel hoffte insgeheim, Jeggred würde fragen, wie sie den Abolethen hatte entkommen können. Sie hätte es genos sen, ihm zu erzählen, wie geschickt und klug sie war. Doch als Draegloth war er dazu viel zu einfach gestrickt. Seine Herrin war gefressen worden, aber jetzt lebte sie wieder. Das reichte ihm. Das und der Trost, daß wieder jemand da war, der ihm Befehle erteilte. Sie hielt ihre Finger wie die Beine einer Spinne und berühr te einen Moment lang seine Schulter, um zu sehen, wie ein Kräuseln durch seine Mähne lief, als er den Kontakt genoß. Dann wandte sie sich wichtigeren Dingen zu. »Wo sind die anderen?« fragte sie. Jeggred wies auf den Tunnel und sagte: »In einer anderen Höhle. Da entlang.« Wegen der niedrigen Decke mußte sich Quenthel bücken, um in die angegebene Richtung zu gehen. Jeggred folgte ihr, den Kopf demütig gesenkt, und deutete jedesmal stumm in die entsprechende Richtung, wenn sie sich umdrehte. Nach einer Weile erreichten sie einen Abschnitt, in dem die Decke höher war, so daß sie aufrecht gehen konnten. Sie folgten nach wie vor dem Fluß in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Quenthel hörte Stimmen – die eines Mannes und eine andere, die unverkennbar Danifae gehörte. Quenthel erinnerte sich an die große Höhle, die vor ihr lag. Nach dem Echo der Stimmen
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zu urteilen, standen sie in dieser Höhle und unterhielten sich. »Wieso warst du allein?« fragte Quenthel. »Haben die an deren dich zurückgelassen, nachdem Pharaun nicht zurück kehrte?« Als Jeggred nicht antwortete, sah sie über die Schulter zu ihm. Der Draegloth sah verwirrt drein. »Der Magier ist zurück.« Quenthel preßte die Lippen zusammen und spürte, wie die Vipern an ihrer Hüfte zuckten. Manchmal war ihr Neffe sehr begriffsstutzig. »Ich weiß, daß er nach der ersten Begegnung mit Oothoon zurückkehrte«, sagte sie bemüht geduldig. »Ich spreche vom zweiten Mal ...« Als Quenthel die dritte Stimme hörte und erkannte, blieb sie so abrupt stehen, daß Jeggred gegen sie rannte. Der Klang der Stimme überraschte sie so sehr, daß sie nicht einmal daran dachte, den Draegloth mit ihrer Peitsche für sein ungebührli ches Verhalten zu bestrafen. Statt dessen fluchte sie leise – ein Fluch, der den Zorn Lolths geweckt hätte, hätte die Göttin sie hören können –, dann stürmte sie vor, die Steigung hinauf, die vom Fluß zur Höhle führte, aus der die Stimmen drangen. Der Eingang zur Höhle war so eng, daß sich Quenthel an einem Stalagmiten in Pilzform vorbeizwängen mußte, um hin einzugelangen. Durch die Öffnung sah sie Valas Hune und Danifae, die auf einem natürlichen Schelf im Gestein saßen und sich einen Laib aus gepreßtem Pilz teilten. Im nächsten Moment sah sie auch den dritten Sprecher, der ein Stück ab seits stand und vor ein Auge einen kleinen runden Gegens tand hielt, während er die Worte eines Zaubers skandierte. Quenthels Ohren hatten sie nicht getrogen. Es war Pha raun, wie er leibte und lebte. Keine einzige Bißwunde von einem Abolethen war an ihm festzustellen.
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»Herrin«, sagte der Meister Sorceres, hielt mitten in seiner Beschwörung inne und ließ die gläserne Kugel sinken. »Ich wollte eben einen Zauber wirken, um nach Euch zu suchen.« Quenthel stand wie versteinert im Höhleneingang, den Mund weit offen. Selbst ihre Schlangen wanden sich nicht wie üblich, sondern waren vor Erstaunen wie erstarrt. Erst als Valas und Danifae aufsahen und sie fast genauso ungläubig ansahen, wurde ihr klar, wie albern sie aussehen mußte. Pharaun steckte die Kugel in seinen Piwafwi. »Ihr fragt Euch, wieso ich lebe«, sagte er und reagierte da mit auf die eine Frage, die zu stellen sie nicht gewagt hatte. »Die Antwort ist ganz einfach: Es liegt an einem Notfallzau ber, den ich vorbereitete, ehe ich mich nach Zanhoriloch begab. Ich hatte etwas in der Art der Überraschung erwartet, die Ihr der Matriarchin beschert habt, allerdings hat es mich überrascht, daß Ihr Euch so bereitwillig von einer Eurer Ener gieperlen getrennt habt. Aber ich nehme an, daß sie ihren Zweck erfüllt hat.« »Was für ein Notfallzauber?« fragte Quenthel, die noch immer nicht verstand, was los war. Valas erholte sich rasch von dem Schock, Quenthel wieder lebendig vor sich zu sehen, biß ein Stück vom Pilzlaib ab und kaute darauf herum. Danifae sprang auf und kletterte vom Schelf hinunter zu Quenthel, während sie ihrer Erleichterung und Freude freien Lauf ließ, daß ihre Herrin doch noch lebte. Quenthel ignorierte die Priesterin, die bereits vor ihr kniete, und auch Jeggred, der dicht hinter ihr stand und ihr über die Schulter sah. »Seht Ihr?« brummte Jeggred, dessen übler Atem heiß über ihr Ohr strich. »Er ist zurück.« »Ehe ich mich nach Zanhoriloch teleportierte, wirkte ich eine Reihe von Zaubern«, erklärte Pharaun schließlich. »Un
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ter anderem auch einen Notfallzauber, der mich sofort in die sen Tunnel zurückbefördern würde, sobald gewisse Dinge ein treten sollten. Ich wählte eine simple und sehr spezifische Vorgabe: Der Zauber wurde aktiv, als ein Aboleth – in diesem Fall Oothoon – versuchte, mich zu fressen.« Oothoon hat ihn gefressen? fragte K’Sothra. Ruhe! gab Yngoth zurück. Zu Quenthel sagte die Viper: Sagt ihm, Ihr hättet gewußt, daß so etwas passieren würde und auf seinen Erfindungsreichtum gezählt. Quenthel lächelte und sagte: »Ich hatte nichts anderes von Euch erwartet, Pharaun. Ihr seid sehr erfinderisch.« Pharaun erwiderte das Lächeln, starrte Quenthel aber ge nauso eisig an wie sie ihn. Die Blicke, die sie austauschten, ließen keinen Zweifel daran, daß die Messer gezogen worden waren – und daß sie in ihr Ziel gejagt werden würden, wenn der Zeitpunkt gekommen war. »Danke«, sagte Pharaun und nahm damit ihr verlogenes Kompliment an. »Ihr seid ... weiser ... als ich gedacht hatte, Herrin. Wie geschickt von Euch, der Abolethin zu entkom men. Euer ›Tod‹ war eine Täuschung auf höchstem Niveau. Ihr habt das Gespür eines Dämons, wenn es um Tricks geht, und dafür muß ich Euch loben. Zweifellos habt Ihr im Aus tausch für mein Leben erfahren, wo sich das Schiff befindet?« Quenthel runzelte die Stirn. War es nur Einbildung, oder hatte der Magier das ›H‹ in ihrem Titel auf eine schlangen gleiche Art gehaucht? Es kam ihr fast so vor, als ahne er, daß die Schlangen ihr die Idee geliefert hatten. Das traf aber nur teilweise zu. Die Vipern hatten Andeutungen gemacht, aber Quenthel hatte alles zusammengefügt und das Muster hinter den Vorschlägen erkannt. Natürlich war es Eure Idee, beschwichtigte Hsiv. Wir sind nur Diener, fügte Yngoth an.
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Ihr seid Priesterin der Lolth, und wir verbeugen uns vor Eurer Weisheit in allen Dingen, ergänzte Zinda. Quenthel nickte und strich gedankenverloren über den Kopf der größten Viper. K’Sothra drehte sich zu Hsiv um und sagte: Aber ... Ruhe, unterbrach die ältere Viper. Ja, Ruhe, herrschte Quenthel sie alle an, da ihre Gereiztheit wieder durchbrach. Ich kann ja keinen klaren Gedanken fassen, wenn ihr alle gleichzeitig redet. Sie quetschte sich in die Höhle, Jeggred direkt hinter ihr. »Ich erfuhr die Position des Chaosschiffs«, sagte sie zu Pha raun und den anderen. »Es sank im Schattensee.« Sie sah zu Valas Hune und fragte: »Ich nehme an, Ihr habt von diesem See gehört?« Der Bregan D’aerthe-Späher kaute noch einen Moment lang weiter, was Quenthel maßlos ärgerte, da sie an prompte Antworten gewöhnt war. Ihre Hand sank zum Griff ihrer Peit sche, und sie war im Begriff, sie zu ziehen, um eine Reaktion aus ihm herauszuprügeln, als Valas endlich aufstand und sich einige Krümel aus den Mundwinkeln wischte. Warum konnte er nicht sein wie Danifae, die sogar ein oder zwei Schritte zurückgewichen war? Die niedere Priesterin wurde von den Schlangen angemessen eingeschüchtert, die so versessen dar auf waren, Fleisch zu kosten, daß ihnen das Gift aus den Mäu lern troff. »Es ist ein großer See«, sagte der Späher, der die Anspan nung der Hohepriesterin spürte. »Etwa so groß wie der Tho rootsee. Beide sind durch einen unterirdischen Fluß miteinan der verbunden.« »In welche Richtung fließt er?« wollte Quenthel wissen. »Von Nordwesten zum Thorootsee hin.« »Wie weit weg?« fragte Pharaun.
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»Etwa so weit entfernt wie der Feuerfluß«, sagte Valas, und in Pharauns Augen dämmerte ein Gefühl für die Entfernung herauf. »An der Oberfläche und durch den Tunnel ist das ein Marsch, der einen Zehntag dauern dürfte. Auf dem Fluß wird es länger dauern, zumal wir uns gegen die Strömung bewegen müssen.« Quenthel nickte zufrieden, da sie nun endlich einmal ein Ziel vor Augen hatten. Zu Pharaun sagte sie: »Wir brechen zum Schattensee auf. Bereitet den Zauber vor, mit dem wir unter Wasser atmen können.« Pharaun zog die Brauen hoch und fragte: »Ihr wollt dorthin schwimmen?« »Natürlich«, sagte Quenthel. »Das wird nicht gehen.« Quenthel umklammerte den Griff ihrer Peitsche so fest, daß die Vipern Gift spritzten. »Wieso nicht?« preßte sie hervor. »Zum einen werden uns die Abolethen jagen, wenn wir den Weg durch das Wasser nehmen«, erklärte Pharaun. »Wir sind zu köstlich, als daß sie uns ziehen lassen würden, und damit müßten wir die ganze Zeit über gegen sie kämpfen. Zum ande ren erwähnte Valas bereits, daß wir uns gegen den Strom be wegen müßten, wenn der Verbindungsfluß vom Schattensee zum Thorootsee fließt. Damit könnte die Reise deutlich länger als nur einen Zehntag werden, und ich werde keine Rast einle gen können, um unterwegs meine Zauber neu zu lernen. Wenn die Magie verbraucht ist, werden wir ertrinken.« Quenthel war außer sich, doch trotz ihrer Wut konnte sie erkennen, daß Pharaun recht hatte. Warum habt ihr daran nicht gedacht? dachte sie verärgert und wandte sich mit dieser Frage an ihre Vipern.
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Ein wetteiferndes Zischeln setzte ein, da jede Schlange den anderen Vorwürfe machte, daß sie etwas so Offensichtliches übersehen hatten. Dann endlich antwortete Hsiv: Verzeiht uns, Herrin, es wird nicht wieder vorkommen. Valas räusperte sich und sagte: »Es gibt mehr als einen Weg zum Schattensee. Nehmen wir den falschen, gelangen wir an einen Punkt, an dem wir so weit vom Schiff entfernt sind, daß es uns Tage kosten kann, vielleicht sogar Zehntage. Erwähnte Oothoon noch etwas, was das Chaosschiff angeht, Herrin? Etwas, das es mir erleichtern könnte, das Schiff in einem so großen Gewässer zu finden?« Quenthel, die Pharaun noch immer wütend ansah, schüttel te den Kopf, erinnerte sich dann aber an eine beiläufige Be merkung der Matriarchin. »Nur eins«, sagte sie, »daß es in der Luft über dem See von Fledermäusen wimmelt. Sie gaben dem See auch seinen Na men ... wegen der Schatten, die sie an die Höhlendecke wer fen.« »Das ist nicht der einzige Grund. Es gibt dort noch ... Merk würdigkeiten«, erwiderte Valas. »Es heißt, der See stelle eine Art Portal zur Schattenebene dar. Jedenfalls weiß ich, wo sich der Schattensee befindet, und ich kenne zwei Wege, auf denen wir ihn einigermaßen sicher erreichen können.« Quenthel überlegte eine Weile, dann fragte sie: »Welche wären das?« »Der See ist durch natürliche Kamine im Felsgestein mit der Oberfläche verbunden. Die Region dort oben ist bekannt für die Scharen von Fledermäusen, die jede Nacht durch diese Öffnungen auffliegen. Wir könnten durch einen dieser Kamine absteigen, allerdings müßten wir uns dafür wieder nach oben begeben und ein Stück durch den Wald reisen.«
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Quenthel dachte darüber nach, dann schüttelte sie den Kopf. Sie würde nicht noch einen Marsch durch Schnee matsch im grellen Sonnenschein über sich ergehen lassen. »Wir kehren nicht an die Oberfläche zurück«, sagte sie. Weise, hauchte Hsiv ihr ins Ohr. Die Krieger des Hauses Jael re suchen sicher immer noch nach uns. »Wir wollen die Krieger des Hauses Jaelre meiden«, erklärte Quenthel Valas. »Sie haben bereits Ryld Argith getötet oder gefangengenommen, den besten Krieger, den wir hatten. Wir können uns keine weiteren Verluste erlauben.« Valas kniff die Augen zusammen, was Quenthel darüber nachdenken ließ, ob er wohl insgeheim ihren Befehl in Frage stellte. Um ihn daran zu erinnern, welchen Platz er einnahm, zog sie ihre Peitsche, hielt sie aber dicht an ihrer Seite. Ha! meldete sich K’Sothra. Der Stich hat gesessen. Valas sah zu den Vipern. »Wie Ihr befehlt«, fügte er sich. »Dann bleiben wir im Unterreich. Doch damit können wir nur einen Weg wählen, und der ist gefährlich.« »Fahrt fort«, drängte Quenthel. »Es gibt ein altes Portal, das zum See führt. Es ist einen Marsch von etwa vier Zyklen in nördlicher Richtung durch eine Reihe von Tunnel und Höhlen von hier entfernt. Das Portal wurde vor Jahrhunderten errichtet, doch ich weiß, daß seine Magie noch immer aktiv ist. Der Weg dorthin könnte sich allerdings als schwierig entpuppen.« Quenthel nickte, ohne von Valas Hunes düsterem Ton beeindruckt zu sein. Alles im Leben war schwierig, und die Gunst Lolths war nur denen beschieden, die diese Schwie rigkeiten überwanden. »Wir machen uns auf den Weg zu diesem Portal«, sagte sie. »Packt zusammen, wir brechen auf.« »Dieses Portal«, begann Pharaun. »Was macht es so schwie
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rig, es zu erreichen?« »Es liegt unter den Ruinen Myth Drannors«, erwiderte Valas, sagte sonst aber nichts, als sei das Erklärung genug. »Myth Drannor?« stöhnte Pharaun. »Nicht schon wieder. Ich verspüre kein Verlangen, schon wieder einem Betrachter gegenüberzustehen.« »Diesmal werden wir keinem Betrachter begegnen«, gab Valas zurück. »Das dürfte aber auch gut so sein, schließlich haben wir unseren ›besten Krieger‹ nicht mehr, der sich darum kümmern könnte, so wie es beim letzten Mal der Fall war.« »Wem könnten wir denn begegnen?« fragte Pharaun, wor aufhin Valas etwas murmelte, das Quenthel nicht verstand. Dafür war die Antwort Pharauns um so lauter und deutlicher. »Zu schade, daß unsere Spinnen ihr Gift verloren haben«, meinte er und sah zu Quenthel und Danifae. Valas nickte. Wütend über diese vorsätzliche Kränkung zog Quenthel die Peitsche. Sie ließ sie knallen, woraufhin die Schlangen laut zischten und ihr Gift verspritzten, während sich Danifae hastig in Sicherheit brachte. »Ihr werdet zu mir sprechen, wenn Ihr antwortet«, sagte sie zu Valas Hune. »Haus Baenre hat für Eure Dienste bezahlt, Söldner, nicht Sorcere!« »Verzeihung, Herrin«, erwiderte er mit angemessen unter würfiger Stimme, während er sich tief verbeugte. »Wie lautete Eure Frage?« Pharaun drehte sich abrupt weg und widmete sich der Auf gabe, seine Zauberbücher im Rucksack zu verstauen. Welchen Kreaturen könnten wir begegnen? drängte Hsiv. Ruhe! erwiderte Quenthel im Geiste. Ich kann meine eigenen Fragen stellen. Dann fuhr sie laut und deutlich fort: »Gegen wen werden wir kämpfen müssen?«
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Valas richtete sich wieder auf und sah ihr ins Gesicht. »To desalben«, antwortete er dann. »Dutzende.« Quenthel stutzte. Todesalben waren gefährliche Kreaturen, schattenhaft, körperlos. Die leiseste Berührung konnte einem lebenden Wesen Energie entziehen, die nicht einmal mit ma gischen Heilmitteln wiederhergestellt werden konnte. Wer von einem Todesalb seiner Lebenskraft beraubt wurde, exis tierte als Untoter weiter, der eine Karikatur seines vormaligen Ichs war und sich von seiner eigenen Art ernährte. Nur wenige gewöhnliche Drow hatten eine Begegnung mit einem Todes alb überlebt, von Dutzenden ihrer Art völlig zu schweigen. Das war es schließlich, was aus Quenthel geworden war – eine ganz gewöhnliche Drow. Wäre Lolth nicht in Schweigen verfallen, hätte Quenthel ihre Magie benutzen können, um diese Geschöpfe zu vertreiben und wie Lumpen in einem kräf tigen Wind wegwehen zu lassen, doch ohne sie war sie macht los wie jede andere Drow. Der Gedanke, sich mehreren dieser Kreaturen zu stellen, ohne sie vertreiben zu können, bereitete ihr Gänsehaut. Dann aber hielt sie sich vor Augen, daß das Schicksal der Drow auf dem Spiel stand. Sie mußte das Chaosschiff finden, es war ihre einzige Chance, den Abyss zu erreichen und he rauszufinden, was mit Lolth los war, und das bedeutete, daß sie den Schattensee erreichen mußten. Wenn Lolth den Drow die Magie zurückgegeben hatte, konnte Quenthel siegreich nach Menzoberranzan zurückkehren. Vielleicht würde sie Triel vom Thron stoßen können, um selbst die Führung über das mäch tigste Haus der Stadt zu übernehmen. Ja, dachte Hsiv. Ihr seid zum Herrschen berufen. Ihr müßt Er folg haben. Quenthel ignorierte den Einwurf und konzentrierte sich wieder auf Valas Hune.
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»Erzählt mir mehr über das Portal«, befahl sie. »Woher wißt Ihr davon?« Valas verbeugte sich leicht und antwortete: »Ich erfuhr es von einem Abtrünnigen, einem sonderbaren kleinen Kerl aus Gracklstugh. Er erfuhr von einem Gewölbe unterhalb Myth Drannors, in dem sich angeblich Reichtümer befinden sollten, die die Oberflächen-Elfen bei ihrem großen Rückzug dort zu rückgelassen hatten. Er fand einen Weg dorthin durchs Unter reich, doch das Gewölbe war leer – bis auf die Todesalben. Sie töteten seine Begleiter und brachten auch ihm fast den Tod, doch er entkam, indem er durch das Portal sprang. Es führte zu einem schmalen Felsvorsprung über dem Schattensee. Zum Glück trug er einen Ring, der es ihm ermöglichte, aus der Höhle zu schweben. Sonst wäre er wohl immer noch dort.« Quenthel nickte interessiert. »Sind ihm irgendwelche Todesalben durch das Portal ge folgt?« fragte sie. »Nein. Nach den Worten des Abtrünnigen läßt es nur le bendige Kreaturen durch.« Quenthel überlegte einen Moment, dann fragte sie: »Sah er irgend etwas, was man mit dem Chaosschiff in Verbindung bringen könnte?« Valas Hune schüttelte den Kopf. »Nichts, was er erwähnte. Aber der Schattensee ist so groß wie der Thorootsee und sehr tief. Wenn das Schiff gesunken ist, wird man nichts von ihm sehen können.« »Dieser Abtrünnige erzählte Euch, dort seien ›Dutzende‹ von Todesalben?« fragte sie. Valas nickte und sagte: »Genau das waren seine Worte.« »Zweifellos eine Übertreibung. Welchem Volk gehörte er an?« Valas Hune sah sie verwundert an. »Der Abtrünnige? Er
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behauptete, er sei ein Mensch, doch er war nicht größer als ein Duergar.« »Menschen«, schnaubte Quenthel. »Eine feige Rasse. Wahrscheinlich war es weniger als ein halbes Dutzend Todes alben. Mit Pharauns Zaubern und unseren magischen Waffen werden wir uns den Weg freikämpfen können,« Valas öffnete den Mund, um zu protestieren, da selbst ein halbes Dutzend dieser Kreaturen zuviel war, um sich mit ihnen einen Kampf zu liefern, doch dann preßte er die Lippen wieder aufeinander. Unterdessen war Quenthel bereits mit einer geistigen Be standsaufnahme ihrer Ressourcen beschäftigt. Valas Hune, der schnell und verstohlen genug war, um sich hinter die Todesal ben zu schleichen und sie mit seinen magischen Dolchen aus zuschalten. Pharaun mit einem ganzen Arsenal an Schutzzau bern. Jeggred, der sie um jeden Preis beschützen und sich den Todesalben entgegenwerfen würde, sollte das notwendig wer den, und Danifae ... Quenthel hielt inne. Welchen Nutzen hatte die Kriegsge fangene eigentlich? Sie konnte wunderbar kriechen, wenn sie bedroht wurde, und sie verstand es, Lust zu spenden. Doch manchmal bemerkte Quenthel in Danifaes Augen einen Aus druck, der ihr nicht gefiel. Dennoch war Danifae eine gute Kämpferin, wenn es darauf ankam. Der Morgenstern war kein Kinderspielzeug. Sollte es nötig sein, einen aus ihren Reihen zu opfern, konnten sie Da nifae den Todesalben überlassen. Lieber hätte sich Quenthel natürlich dieses lästigen Pharaun entledigt, doch sie mußte eingestehen, daß sein Fachwissen über Dämonen noch sehr an Bedeutung gewinnen würde, wenn sie das Chaosschiff erst einmal ausfindig gemacht hatten. Nein, sie würde sicherstellen müssen, daß Pharaun die Begegnung mit den Todesalben überlebte – was wiederum zur
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gegnung mit den Todesalben überlebte – was wiederum zur Folge hatte, daß sie aufpassen mußte, daß er sich nicht schüt zend vor Danifae stellte, wenn deren Leben in Gefahr war. »Wir schaffen es schon an den Geistern vorbei«, erklärte sie in die Runde. »Wir werden das Portal erreichen.« Tonlos, so daß nur die Schlangen es hören konnten, ergänzte sie: Zumin dest einige von uns.
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Gromph schritt einen der Hauptkorridore Sorceres entlang, dicht gefolgt von Kyorli, die hinter ihm herhuschte, und Prath, der unter der Last der von Gromph in aller Eile zusammenge suchten Zauberbücher taumelte. Seit die Duergar aus Tier Breche zurückgedrängt und die Tunnel versiegelt worden wa ren, folgten die meisten Studenten dem Ruf ihres Hauses. Angehende Magier liefen im Korridor hin und her, die Arme voller Zauberbücher und magischer Gegenstände, meckernd wie eine Rothé-Herde, während wandelnde Truhen auf Spin nenbeinen hinter ihnen herliefen. Im Gehen hielt Gromph ein Stück Kupferdraht an seine Lippen. »Magier des Hauses Baenre«, sprach er durch den verzau berten Draht. »Begebt Euch sofort in den Saal der Ausspä hung.«
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Der Draht summte und ließ ein Kribbeln durch Gromphs Fingerspitzen laufen, dann begann er mattrot zu glühen und zerfiel schließlich. Gromph schnippte die flackernden Draht reste von seinen Fingern, stieß die schweren Flügel der Tür zum Raum der Ausspähung auf und trat ein. Wie in ganz Sorcere waren die Wände des großen, kreisför migen Raums mit Bleitüchern gesäumt und mit Stuck aus Gorgonenblut und Zaubersteinstaub überzogen. Runen waren in die Oberfläche eingelassen und mit Gold nachgezogen, um jedes unerwünschte Eindringen oder Ausspionieren zu verhin dern. Kein Zauberkundiger, egal wie mächtig er war, konnte in den Raum teleportieren oder die Gedanken derer lesen, die sich in ihm aufhielten. Es war jedoch möglich, aus ihm heraus nach draußen zu bli cken, was einer immens großen Kristallkugel zu verdanken war, die in der Mitte des Raums schwebte. In diese Kugel war auf magische Weise ein Auge des Adlers eingebunden, der in einem goldenen Käfig gleich unter der Kugel saß. Als Gromph und Prath den Raum betraten, zwinkerte der Adler mit seinem verbliebenen Auge, schlug mit den Flügeln und stieß einen aufgeregten Laut aus. Die Kugel über ihm drehte sich so, daß sie auf die beiden Drow gerichtet war. Das zweite Auge, das die Kristallkugel ausfüllte, richtete einen gierigen Blick auf sie. Genauer gesagt auf Kyorli. Der Adler krächzte erneut und schnappte mit seinem Schnabel ins Leere, während er gegen die Gitterstäbe sprang. Die Ratte machte sich über ihn lustig, setzte sich – nicht einmal einen Schritt weit entfernt – auf die Hinterläufe und begann, ihre Schnurrhaare zu putzen, ohne von dem aufgeregten Flattern Notiz zu nehmen. Hör auf, befahl Gromph. Komm her. Sie stellte die Vorderpfoten wieder auf den Boden und be folgte den Befehl ihres Herrn. Rasch kletterte sie an Gromphs
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Piwafwi nach oben, bis sie auf der Schulter angekommen war und ihn mit den Schnurrhaaren am Ohr kitzelte. Prath beugte sich vor, um die Zauberbücher auf dem Boden abzusetzen. »Der Adler ist hungrig«, sagte der Erzmagier zu ihm. »Be sorge ihm etwas rohes Fleisch, aber schneide dir nicht schon wieder eine Fingerkuppe ab. Die wirst du noch brauchen.« Prath grinste. »Ich dachte mir schon, daß Ihr noch mehr benötigen wür det, Erzmagier«, sagte er und griff in eine der Taschen, die er sich über die Schulter geworfen hatte. »Also habe ich auf dem Weg vom Komponentenlager hierher einen Zwischenstop in der Küche eingelegt. Der Koch gab mir das hier mit.« Aus einem Wachstuch holte er ein faustgroßes Stück Fleisch hervor, das er nach Gromphs zustimmendem Nicken an die Gitterstäbe des Käfigs hielt. Der Adler zerriß es gierig und hackte mit seinem gekrümmten Schnabel große Brocken heraus, bis es ihm endlich gelang, ein großes Stück in den Käfig zu zerren. Mit dieser Portion begnügte sich der Vogel dann, und nur wenige Augenblicke später war das Fleisch verzehrt – nur blutige Schlieren auf dem Käfigboden zeugten noch davon. Gromph begrüßte unterdessen die Magier des Hauses Baen re, die in den Raum eilten, und schickte sie zu den kreisförmig um Käfig und Kristallkugel angeordneten Stühlen. Er war froh, daß auch Julani eintraf, der ein Meister der Beschwörung war. Der Ausbilder verbeugte sich und berührte dabei mit langen, geschmeidigen Fingern seine Brust. Als nächstes kamen zwei Schüler im zehnten Jahr. Grendan war ein gutaussehender Mann mit einem angeborenen Flair für Illusionen. Gromph fragte sich, wieviel von seinem attraktiven Äußeren echt und wieviel mit Hilfe von Magie verändert worden war – vor al lem, da ihm noch der Gestank versengten Haars anhaftete.
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Angesichts der Brandschäden an der Kapuze seines Piwafwi mußte der Schüler von einem der Duergar-Geschosse getroffen worden sein. Begleitet wurde er von Noori, die gleichermaßen schön war – in ihrem Fall jedoch tatsächlich von Natur aus – und durch ihre ebenmäßig geschwungenen Augenbrauen und das volle weiße Haar auf sich aufmerksam machte, das ihr in sanften Wellen bis weit über die Schultern reichte. Sie war von hoher Abstammung, eine Base Gromphs und Triels, doch sie hatte einen Bogen um die Anbetung Lolths gemacht, um statt des sen Sorcere zu besuchen und Erkenntniszauberei zu studieren. Als Gromph darüber nachdachte, mußte er sich fragen, ob sie wohl vor all den Jahren eine Vision von Lolths Untergang erlebt haben mochte. Jedenfalls aber schien sie während der jüngsten Kämpfe einen Weg gefunden zu haben, nicht in eine gefährliche Situation zu geraten, denn sie hatte nicht einmal einen Rußfleck davongetragen. Der letzte Magier, der eintrat, war Zoran, ein nerviger jun ger Schüler im zweiten Jahr, der kontinuierlich falsche Ent scheidungen traf und Magie leichtsinnig und völlig unange messen anwandte. Gromph zuckte unwillkürlich zusammen, als er ihn sah – und erst recht, als er den Zauberstab sah, den der Junge sich in den Gürtel gesteckt hatte. Zoran war winzig, sogar für einen Mann, und er hatte ein fliehendes Kinn, was noch dadurch betont wurde, daß er seine Haare auf dem Kopf zu einem Knoten zusammengebunden hatte. Er mußte im jüngsten Kampf verwundet worden sein, denn Gromph konnte sich nicht erinnern, ihn je zuvor humpeln gesehen zu haben. Während sich die vier Magier setzten und auf Anweisungen warteten, öffnete Gromph eine der Türen, die zum Saal der Ausspähung führten, und sah in beide Richtungen in den Gang. Da er sonst niemanden sah, schloß er die Tür wieder.
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»Ist das alles?« fragte er Julani. »Ist sonst kein Baenre mehr da?« Julani schüttelte den Kopf. »Nur Nauzhror«, sagte er. »Er läßt sich entschuldigen, da er zu beschäftigt ist, um herzukommen. Die anderen sind tot oder verletzt, so daß man sie zum Heilen nach Arach-Tinilith ge bracht hat.« Die Art, wie sich Julanis Blick für einen Moment verhärte te, verriet Gromph, daß er wußte, wie wenig dort geheilt wer den konnte. Gromph seufzte. So wenige Magier des Hauses Baenre – und nur einer von ihnen war ein Meister. Mit einem Zauber verrie gelte Gromph die Türen, dann bedeutete er Prath, er solle sich setzen, während er selbst auf dem throngleichen Stuhl Platz nahm, der die Kristallkugel kontrollierte. »Ich lade Euch ein, mit mir zusammen einen Blick auf den Feind zu werfen«, sagte er zu den anderen. »Seht.« Mit einem Fingerschnipsen stieß er mittels einer unsichtba ren Hand die Kugel an und veranlaßte das Auge, zur Südwand zu sehen. Der Vogel im Käfig wurde ruhig, legte die Flügel an und bohrte die Krallen in seine Sitzstange. Gromph konzent rierte sich und spähte durch das Auge des Adlers. Die Mauern Sorceres schienen zu schmelzen, und im nächs ten Moment war der Blick frei auf Arach-Tinilith. Sein durch dringender Blick passierte das spinnenförmige Bauwerk und die Höhlenwände, bewegte sich durch Fels, durch Tunnel und wieder durch Fels ... bis er in einer Höhle zum Stillstand kam, in der vier Personen standen. Eine war ein Drow in makelloser grauer Kleidung. Daneben stand ein Cambion, der – zumindest vom Hörensagen – allen bekannt war. Die beiden anderen waren von gedrungener Statur und grauer Färbung – Duergar, von denen der eine ein Steinzepter hielt, während der andere
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eine Narbe aufwies, die über seine Wange verlief. Gromph ließ das Auge auf diese Szene gerichtet, während er sein Bewußtsein in seinen Körper zurückkehren ließ. In der Kristallkugel gestikulierten und redeten die Gestalten, und das wohl in einem wütenden Tonfall, wenn man danach gehen konnte, wie mühsam beherrscht der Duergar sein Zepter in die andere Handfläche schlug, während der Halbdämon über ihm aufragte und seine spitzen Haifischzähne zu einem boshaften Grinsen gebleckt hatte. Der Drow wandte sich unterdessen abwechselnd dem Halbdämon und den beiden Duergar zu, redete hastig auf alle Anwesenden ein und unterstrich seine Worte mit beschwichtigenden Gesten. Die anderen Magier sahen nachdenklich in die Kugel. »Sind das die Anführer der Armee, die uns belagerte?« frag te Julani. Seine Ellbogen hatte er auf die Armlehnen gestützt, wüten de Funken umspielten seine aneinandergelegten Fingerspitzen. »Ich erkenne Prinz Horgar von Gracklstugh und seinen Leibwächter. Ist das da Vhok?« wollte Grendan wissen. »Genau«, sagte Noori. »Die Tanarukks, die unsere südli chen Passagen belagern, sind seine Geknechtete Legion.« »Damit bleibt nur noch einer«, sagte Gromph. »Der in der Mitte – der Drow«, sagte Prath und ballte die Fäuste. »Das ist Zhayemd – der Bastard aus dem Hause Agrach Dyrr, der uns an den Säulen des Leids in einen Hinterhalt lockte.« »Sein wahrer Name ist Nimor«, erklärte Gromph. »Nimor Imphraezl.« »Ist er Magier?« fragte Julani. »Ich glaube nicht«, antwortete der Erzmagier. »Allerdings umgibt ihn eine starke magische Aura. Ich glaube, er ist mehr, als er zu sein scheint, und er verfügt ganz gewiß über genügend
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magische Gegenstände. Ich stelle eine magische Aura an sei nen Waffen, Teilen seiner Kleidung und seinen Ringen fest ...« Er hielt inne und betrachtete die beiden Ringe, die der Mann trug. Einen davon erkannte Gromph als einen Schutz ring, doch der andere – ein schmaler schwarzer Ring, der nicht mehr Substanz zu besitzen schien als ein Schatten – war recht ungewöhnlich. So etwas hatte Gromph noch nie zu Gesicht bekommen. Plötzlich wurde ihm klar, was das sein mußte. Seit Triel ihm erzählt hatte, es sei Nimor gelungen, einen Assassinen in die innersten Korridore des großen Hügels des Hauses Baenre zu schaffen, hatte sich Gromph gewundert, wie ihm das hatte gelingen können. Dieser schwarze Ring an Nimors Finger mußte ein magi scher Gegenstand sein, der ihm die Fähigkeit zum Schatten wandeln gab. Damit würde es schwierig sein, ihn in die Enge zu treiben. Es war gut, daß die Magier aus großer Distanz und unsicht bar zuschlugen, da Nimor sich ansonsten womöglich in den Schatten hätte zurückziehen können. Kopfschüttelnd fuhr Gromph fort: »Unsere Muttermatrone erfuhr, daß Nimor zu einer Organisation gehört, die sich Jaez red Chaulssin nennt. Von diesem Namen abgesehen wissen wir nichts über sie.« Zoran spielte gelangweilt mit seinem Zauberstab und drehte ihn zwischen seinen Fingern. »Seinen Namen kennen wir also – und weiter?« fragte er unverschämt. Gromph widerstand dem Wunsch, den Jungen auf der Stelle zu braten. »Ein Name ist Macht«, sagte er. »Er hilft uns, unser Ziel zu definieren. Ein Ziel, das das Bindeglied zwischen zwei Armeen
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zu sein scheint, die sich normalerweise nicht vertragen.« Er wies auf die Gestalten in der Kristallkugel. Es war zwar noch nicht zu einem offenen Schlagabtausch gekommen, doch der Streit hielt an. »Entfernt man das Bindeglied, zerfällt die Alli anz. Duergar und Tanarukks werden übereinander herfallen, und Menzoberranzan wird als Sieger des Konflikts dastehen.« Julani fragte Gromph: »Was schlagt Ihr vor?« »Einen konzertierten Angriff«, antwortete der Erzmagier. »Wir wirken gleichzeitig unsere tödlichsten Zauber. Nimor wird sich zweifellos gegen sie wehren, aber einige davon wer den sicherlich durchkommen.« Prath erhob sich von seinem Stuhl und nestelte den Deckel des Behältnisses an seinem Gürtel, in dem er seine Zauberstäbe aufbewahrte, auf. »Werden wir uns in die Höhle teleportieren?« fragte er. Gromph bedeutete dem ungeduldigen jungen Magier, er solle sich wieder setzen. »Wir müssen uns nirgendwo hinteleportieren«, erwiderte er. »Wir können von hier aus zaubern.« Grendan hob eine seiner vollkommenen Brauen. »Wie?« »Durch die Kugel«, sagte Gromph und wies auf die kristal lene Sphäre. »Seit ihrer Erschaffung habe ich sie mit ein paar ... Extras ausgestattet, über die Stillschweigen zu wahren Ihr mir schwören müßt.« »Ah«, rief Julani. »Deshalb habt Ihr nur die Magier des Hauses Baenre gerufen.« Die Spitzen seiner gekrümmt gehal tenen Finger legte er in Höhe des Herzens auf seine Brust. »Möge Lolths Gift mich verzehren, wenn ich ein Wort über das verliere, was ich gleich erfahren werde.« Gromph sah einen Magier nach dem anderen an, die alle zustimmend nickten und einen Eid darauf leisteten, über alles zu schweigen.
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»Dies ist nicht nur ein Ausspähungsgerät«, sagte Gromph den anderen. »Sobald es entsprechend vorbereitet ist, kann es benutzt werden, um Zauber auf ein bestimmtes Ziel zu wirken – in diesem Fall auf Nimor. Das wird nicht nur bei Zaubern funktionieren, die wirken, so weit das Auge reicht, sondern auch für solche, die nur auf eine bestimmte Entfernung be schränkt sind. Nun, welches ist Euer stärkster Zauber?« Der Reihe nach beschrieben die Magier, welche Zauber sie wirken wollten. Manchen Vorschlägen erteilte Gromph eine Absage, andere befürwortete er. Als Noori an der Reihe war, spreizte sie die Hände. »Ich weiß nicht, ob meine Zauber von Nutzen sind«, sagte sie. »Es sind in erster Linie Erkenntniszauber.« Gromph lächelte und sagte: »Ganz bestimmt, Noori. Du wirst den nützlichsten Zauber von allen beisteuern. Um die Kristallkugel zu benutzen, müssen wir zuerst einen Zauber wirken, der exakt die Position des Individuums bestimmt, das angegriffen werden soll, und genau da kommst du ins Spiel. Wirke bitte einen Zauber, um diesen Drow aufzuspüren.« Mit einer leichten Verbeugung, die ihr Lächeln nicht über spielen konnte, erhob sich Noori. Aus einer Tasche zog sie ein Stück Fell und polierte damit die Kugel. Während sie das tat, kam Nimor in der Kugel näher, bis sie von dessen Kopf und Oberkörper ausgefüllt wurde. Auf ein Nicken Gromphs hin nahm Noori wieder Platz. Während sie das tat, kam es Gromph so vor, als folgten Nimors Blicke ihr. Hatte der Drow gespürt, daß ihn jemand aus spähte? Hatte er sich umgesehen, um die Quelle ausfindig zu machen? Es war nicht weiter wichtig, da er schon bald in Zau bern untergehen würde. Gromph holte aus einer Tasche seines Piwafwi eine Prise Sand und schnippte sie vor sich in die Luft, während er die
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Worte eines einfachen Erschaffungszaubers skandierte. Auf dem Adlerkäfig nahm eine Sanduhr Gestalt an; der Sand be gann, aus der oberen in die untere Hälfte zu rieseln. »Wirkt Eure Zauber, wenn das letzte Sandkorn fällt«, befahl er. »Achtet darauf, daß Eure Beschwörungen alle zur selben Zeit abgeschlossen werden.« Nachdem er sich überzeugt hatte, daß er nach wie vor alles am Leib trug, was ihn beschützen sollte, und nachdem er Kyor li sicher in seinem Ärmel untergebracht hatte, begann Gromph mit seinem eigenen Zauber. Er entschied sich für einen nekromantischen Zauber, einen der mächtigsten, auf die er zurückgreifen konnte. Langsam und stets mit einem Auge auf die Sanduhr stieß er die Worte aus, deren rohe Energie in seiner Kehle kratzte, so daß sie zu bluten begann. Nur am Rande nahm er die Beschwörungen der ande ren Magier wahr. Julani hielt beide Hände vor sich, die ersten beiden Finger waren in einer Geste gegabelt, die einen mächtigen Blitz her beirufen sollte. Grendan knetete mit den Fingern die Luft und schuf ein hypnotisches Geflecht aus sich verändernden Farben. Prath hatte sich für eine Beschwörung entschieden, die ein magisches Geschoß beschwören würde – eigentlich ein schwa cher Zauber, aber wahrscheinlich das beste, was ein Schüler im ersten Jahr bewirken konnte. Zoran lümmelte indessen lässig in seinem Stuhl, den Mund zu einem schiefen Grinsen verzo gen. Gromph hätte ihm gerne eine magische Tracht Prügel verabreicht, doch er wagte es nicht, seinen eigenen Zauber zu unterbrechen, zumal die Sanduhr fast vollständig abgelaufen war. Als das letzte Sandkorn hindurchrutschte, sprach Gromph das letzte Wort seines Zaubers – und hörte, wie die anderen das gleiche taten. Sein ausgestreckter Zeigefinger verwandelte sich
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für einen Augenblick in den eines Skeletts, als ein feiner Strahl aus knochenweißer Energie aus der Spitze schoß und sich in die Kugel bohrte, von wo aus sie sich in Richtung auf Nimors Brust ausdehnte. Gleichzeitig trat aus Julanis Fingern ein Blitz aus, der die Luft mit einem schallenden Donner und Ozongestank erfüllte. Grendans hypnotisches Muster eilte seinem Ziel entgegen. Zoran hatte erklärt, er werde einen Zauber wirken, der bei Nimor einen Lachkrampf auslösen würde, um ihn handlungsunfähig zu machen, doch statt dessen zog er seinen Zauberstab und feuerte einen nutzlosen Strahl aus Edelsteinen auf ihn ab. In der Zwischenzeit prallten die magischen Geschosse, die Prath beschworen hatte, wirkungslos von einer magischen Abwehr ab, mit der sich Nimor wie von Gromph erwartet umgeben hatte. Nein, sie prallten nicht einfach ab, sondern wurden zum Verursacher zurückgeschickt – geradewegs auf den Jungen zu. Das war unmöglich! Gromph versuchte, einen Warnruf auszustoßen, doch er brachte nur heraus: »Schützt Euch! Die Zauber ...« Dann schoß auch schon sein eigener Todeszauber auf ihn zu. Der weiße Strahl, der kalt war wie ein Grab, traf ihn genau an der Stelle in die Brust, an der er Nimor hätte treffen sollen. Sein verzauberter Piwafwi nahm den Zauber auf, und im nächs ten Moment zerfielen Kapuze, Umschläge und Saum, als hand le es sich um alten, verrotteten Stoff. Obwohl der Zauber abge lenkt wurde, traf er Gromph mit solcher Wucht in die Seite, als härte eine Rothé ihn mit dem Kopf zu rammen versucht. Er wurde aus dem Stuhl geschleudert und landete in einer unwürdigen Haltung auf dem Fußboden. Noch während er fiel, hörte er Prath aufstöhnen, da dessen drei magische Geschosse den Jungen in die Brust trafen und sich tief in seinen Leib fraßen. Gleichzeitig wurde Julani von
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zwei Blitzen getroffen, die in weniger als einem Herzschlag durch seinen Körper schossen, aus Händen, Füßen und seinem Kopf in einer Explosion hervorbrachen und ihn auf der Stelle töteten. Grendan fiel derweil seinem eigenen hypnotischen Muster zum Opfer, das vor seinem Gesicht materialisierte. Neben ihm riß Zoran die Hände hoch, um den Strom von Edelsteinen abzuwehren, der gegen seine Brust prasselte. Einer traf ihn am Kopf und ließ ihn bewußtlos vom Stuhl sinken. Gromph sah gerade noch rechtzeitig auf, um Zeuge zu wer den, wie die Kristallkugel sich weiß verfärbte, zu Boden fiel und dabei den Käfig zur Seite stieß und beim Aufprall in zwei Hälften zerbrach. In seinem Käfig kreischte der Adler vor Schmerz, als der gespaltene, blutende Augapfel in die leere Augenhöhle zurückkehrte. Als Gromph sah, welche Zerstörung sein Plan angerichtet hatte, wurde er wütend auf sich selbst. Sein Experiment war für Haus Baenre denkbar verheerend verlaufen. Julani war tot, Prath atmete angestrengt und so röchelnd, daß er wohl bald sterben würde, wenn die Magie nicht zeitig eingriff. Grendan würde für die nächste Zeit nichts weiter sein als ein sabbernder Idiot, und Zoran ... nun, daß er bewußtlos war, stellte genau die richtige Strafe für den Einsatz einer so lächerlichen Waffe dar. Noori war unverletzt, aber sie konnte zum einen auch weiterhin nur Erkenntniszauber wirken, und zum anderen hatte sie genug damit zu tun, sich über die Nutzlosigkeit ihres Geliebten Gedanken zu machen, an der sie auch mit mächti geren Zaubern nichts würde ändern können. Gromph hatte damit gerechnet, daß Nimor über Magie ver fügte, die ihn vor Zaubern schützte, doch nur einige der Zauber hätten zurückgeschickt werden dürfen, nicht jeder einzelne und erst recht nicht Zauber wie das hypnotische Muster, das auf die Luft gleich neben Nimor, nicht aber auf den Drow
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selbst gerichtet gewesen war. Der Schutz, der Nimor umgab, mußte die Folge eines einzigartigen Zaubers sein, der die Fä higkeiten der meisten sterblichen Magier überstieg. Gromph kannte nur einen Zauberkundigen, der zu solch mächtiger Magie in der Lage sein mochte: der Drow-Leichnam Dyrr. Er erhob sich und stellte erleichtert fest, daß Kyorli unver sehrt aus seinem Ärmel gekrochen kam. Als sich Gromph aufsetzte, bohrte sich etwas Spitzes in seine Hüfte. Er nahm an, es handle sich um einen von Zorans unnützen Edelsteinen, doch dann erkannte er, daß es etwas war, das sich in der Hüft tasche seines Piwafwi befand. Er griff hinein und holte zu sei ner Überraschung ein Quarzprisma hervor. Winzige gelbe Funken, so hell wie kleine Sonnen, tanzten im Inneren und zeugten von einer lichtschaffenden Magie, die in den Tiefen des Prismas gefangen war. Wie war es in seine Tasche geraten? Er betrachtete versonnen das Prisma und bekam nur mit einem Ohr mit, wie Prath röchelnd sein eigenes Blut atmete. Die ganze Zeit über grübelte er. Er mußte es allein mit Nimor aufnehmen – nur wie? Jeder Zauber, der auf diesen merkwür digen Drow gerichtet wurde, kam zu dem zurück, der ihn ge gen ihn wirkte, und das galt sogar für Zauber, die auf seine unmittelbare Umgebung gerichtet waren, nicht aber auf Ni mor selbst. Dennoch mußte Nimor einen wunden Punkt ha ben, und zwar einen, der nach außen hin seine größte Stärke war ... Das Schattenwandeln! Gromph warf einen Blick auf das Prisma und lächelte. Sorg sam steckte er es wieder ein. Der unbedeutende kleine magi sche Gegenstand – eine Konstruktion aus der Welt an der Oberfläche, die für keine geringere Aufgabe als die Beleuch
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tung dunkler Korridore vorgesehen war – würde sie alle von Nimor Imphraezl befreien, und das, ohne auch nur einen Zau ber gegen ihn zu richten.
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Ein Chor von fast fünfzig Stimmen erfüllte die Luft, als Eili straees Priesterinnen, die um einen hüfthohen, rostroten Find ling im Kreis saßen, mit einem Abendlied ihre Göttin anbete ten. Halisstra saß zwischen ihnen an einer Seite des Kraters, der sich vor Jahrhunderten gebildet hatte, als ein Meteor vom Himmel gestürzt war. Der Krater hatte die Form einer Schüssel und wies einen Durchmesser von Dutzenden von Schritten auf, seine Ränder waren von einer Schneeschicht bedeckt. Das Abendlied war eines der Dankfeste für den Wald, der sie ernährte; für die Sonne, die den Himmel in ein zartes Rosa tauchte, während sie bereits hinter den Bäumen verschwunden war; für den Mond, der die Dunkelheit erhellen würde und der die Drow daran erinnerte, daß die Göttin auch in der Nacht ihren Blick auf ihre Kinder gerichtet hatte; und für die Erde unter ihren Füßen, die das Eisen spendete, das benötigt wurde,
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um die Schwerter der Dunklen Damen zu schmieden. »Aus der Erde aufgestiegen, hinein in die Flammen«, sang Halisstra zusammen mit den anderen Priesterinnen, »zähm’ ich mein Herz in Eilistraees Namen.« Obwohl das Abendlied ein freudiges Ereignis war, prägte es in dieser Nacht eine unterschwellige Wut. Als sie vom Tod einer Angehörigen ihres Glaubens durch einen Yochlol erfah ren hatten, waren die Priesterinnen aus dem Wald gekommen, um der Frau, die ihr Leben gelassen hatte, die letzte Ehre zu erweisen. Immer noch kamen Priesterinnen zwischen den Bäumen hervor und schlossen sich dem Kreis an. In Ketten hemden und mit Schilden am Arm setzten sie sich im Schnei dersitz zu den anderen, legten ihre Schwerter über ihre Knie und stimmten in den Gesang ein. Als er vorbei war, stand Uluyara auf und ging den Hang hinunter zu dem Findling. Sie legte die linke Hand darauf, streckte mit der rechten das Schwert zum Himmel und rief die Göttin an. »Eilistraee, höre mich«, rief sie. »Breenas Tod wird gerächt werden. Wir werden die Diener Lolths jagen und sie das Schwert spüren lassen! Dunkle Maid, gib uns Kraft!« Gleichzeitig hoben die sitzenden Priesterinnen ihre Schwer ter zum Himmel und riefen: »Beim Lied und beim Schwert!« Mit geringer Verzögerung schloß sich Halisstra ihnen an und sah nervös nach links und rechts, da sie fürchtete, ihre verspätete Reaktion könne als mangelnder Glaube ausgelegt werden – oder aber es könne jemand mit kritischem Blick die fehlende Spitze ihres Schwertes bemerken. Doch sie alle waren viel zu sehr von diesem Augenblick gebannt und sahen an ihren Klingen hinauf in den Himmel. »Ob sie versuchen, auf der Oberfläche davonzulaufen oder sich in Lolths finsteren Tiefen zu verstecken, wir werden sie
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jagen und finden«, fuhr Uluyara fort. Das Feuer in ihren Au gen war rot wie der Schein der untergehenden Sonne. »Wir werden uns an ihnen rächen und vor Freude tanzen, wenn sie fallen. Herrin des Tanzes, gib uns Kraft!« Halisstra war bereit. »Beim Lied und beim Schwert!« rief sie und reckte ihr Lied schwert wie die anderen empor. »Wir werden ihr Netz aus Lügen und Verrat zerreißen und alle vernichten, die die dunklen Kinder davon abhalten wol len, ihren rechtmäßigen Platz im Licht einzunehmen«, sprach Uluyara erregt weiter. »Herrin Silberhaar, gib uns Kraft!« »Beim Lied und beim Schwert!« gaben die Priesterinnen zu rück. Dann standen alle so abrupt auf, daß sich Halisstra beeilen mußte, sich zu erheben. »Lolth wird besiegt werden!« schrie Uluyara. Die Klinge ih res Schwerts leuchtete in einem kalten weißen Licht. »Ei listraee, gib uns Kraft!« »Beim Lied und beim Schwert!« riefen die Priesterinnen und hoben ihre Schwerter zum vierten und letzten Mal. Dann drehten sie die Waffen um und rammten sie mit der Spitze voran in den Boden. »Lolth muß sterben!« schrien sie. Halisstra hatte den ersten Ausruf zusammen mit den ande ren Priesterinnen ausgestoßen, doch es überraschte sie, daß sie dann ihre Schwerter nach unten rammten, statt sie wieder in die Luft zu recken. Sie hinkte einen Herzschlag hinterher, als sie Seylls Liedschwert ebenfalls in den Grund stieß, was ihr ein wenig Mühe bereitete, da die Spitze fehlte. »Lolth muß sterben!« schrie sie – und bemerkte mit einem Mal, daß allein ihre Stimme durch die Stille hallte. Sie sah auf und bemerkte, daß alle Priesterinnen sie anstarr ten, besonders Uluyara. Die Hohepriesterin hatte ihr Schwert
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nicht in den Boden, sondern in den Findling getrieben. Für einen Moment erinnerte der Findling Halisstra an den Leib einer toten Spinne, wobei die roten Roststreifen wie strömen des Blut wirkten. Als Uluyara ihr Haar zurückwarf, wurde es vom silbernen Leuchten ihres Schwerts erfaßt und glitzerte wie Mondlicht. Sie bedeutete Halisstra, sie solle zu ihr kommen. Nach kurzem Zögern ließ sie das Liedschwert im Boden ste ckend zurück und ging auf die Hohepriesterin zu. Uluyara streckte ihr den Arm hin, um Halisstras Hand zu nehmen und auf das Heft ihres im Stein steckenden Schwerts zu legen. »Sie nimmt in Eilistraees Herzen einen besonderen Platz ein, obwohl sie Lolth erst vor kurzem abgeschworen hat«, erklärte Uluyara. »Möge die Herrin des Tanzes sie segnen und ihr Schwert führen. Möge Eilistraee ihr Kraft geben.« Halisstra spürte, wie ihre Handfläche vor Nervosität schweißnaß wurde, und reagierte mit der rituellen Antwort: »Beim Lied und beim Schwert.« Während sie die Worte sprach, zuckte das Schwert, dann glitt es wie aus eigenem Antrieb tiefer in den Stein. Halisstra hielt es weiter fest, bis das Heft mit einem dumpfen Klang auf den Findling prallte. »Beim Lied und beim Schwert«, riefen die anderen Prieste rinnen. Dann begannen sie gleichzeitig kraftvoll zu singen, während sie ihre Schwerter kreisen ließen, und kurz darauf tanzten sie wieder um den Stein. Halisstra, die immer noch das Heft umklammert hielt, spür te, wie Uluyara eine Hand auf ihre legte. »Kommt«, sagte die Hohepriesterin. »Schließt Euch dem Tanz an. Wenn er vorüber ist, möchte ich gern etwas mit Euch besprechen.« Halisstra nickte und ließ sich mitten zwischen die Tanzen den führen. Unterwegs zog sie noch ihr Liedschwert aus der
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Erde, um es wie die anderen über ihrem Kopf in der Luft zu wirbeln. Während sie sich anmutig zwischen den anderen Priesterinnen bewegte, spürte sie, wie Eilistraee sie vom Him mel aus beobachtete. Sie betrachtete nicht nur den Tanz, sondern sie – Halisstra – ganz persönlich. Ihr wurde bewußt, daß die Göttin mit ihr etwas vorhatte. Würde sie der Heraus forderung gewachsen sein? Sie, die wie der Yochlol hinterhäl tig eine von Eilistraees Priesterinnen betrogen und getötet hatte? Während sie tanzte, wurde Halisstra klar, daß noch jemand sie beobachtete. Keine Göttin, sondern ein Sterblicher. Sie suchte den Wald rings um den Krater ab und hielt Ausschau nach einem vertrauten dunkleren Schemen inmitten der Schatten, nach dem winzigen hellen Aufblitzen, das das Au genpaar verriet, von dem sie beobachtet wurde. Sie entdeckte es schließlich hoch oben inmitten der Äste und wußte, daß Ryld dort schwebte. Als sie ihn sah – oder vielmehr, als sie die Hinweise auf sei nen Aufenthaltsort sah –, fühlte sie, wie ein eisiger Schauer durch ihr Blut lief. Es war Männern verboten, dem Ritual des Abendlieds beizuwohnen, und es heimlich zu beobachten, kam einem Kapitalverbrechen gleich. Jeden Moment konnte er von einer der Priesterinnen entdeckt werden, die ihn für sein Ver gehen blenden, ihm die Trommelfelle durchstoßen und die Zunge herausreißen würde. Oder aber Eilistraee selbst würde sich einmischen und jenes kalte Feuer auf ihn niederfahren lassen, mit dem sie die Ätherspinne getötet hatte. Mit diesen finsteren Gedanken trug sie sich, während sie weiter mit den anderen Frauen tanzte. Da sie ihm ein Stück weit den Rücken zuwenden mußte, verlor sie ihn für einen Moment aus den Augen. Als sie auf der anderen Seite des Kraters ankam, warf sie einen verstohlenen Blick in seine
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Richtung, um niemanden sonst auf ihn aufmerksam zu ma chen. Ryld war verschwunden.
Als er zu der kleinen Hütte zurückkehrte, in der man ihn und Halisstra einquartiert hatte, war Ryld so sehr in Gedanken versunken, daß er zunächst gar nicht den moschusartigen Ge ruch wahrnahm, der ihm in die Nase stieg, als sich der Wind drehte. Er war viel zu sehr mit dem Tanz, den er beobachtet hatte, und mit Halisstras vollständiger Bekehrung hin zu einer Göttin beschäftigt, die sie dazu verdammte, für immer an der Oberfläche zu leben. Erst im letzten Moment – als bereits ein Schatten im Gebüsch zu seiner Rechten sich bewegte – zuckte er zurück. Bis er Splitter aus der Scheide auf seinem Rücken gezogen hatte, war ein schwarzer Wolf auf den Pfad vor ihm gesprungen und blockierte ihn. Statt aber anzugreifen, legte er den Kopf schräg und grinste Ryld listig an, während ihm die Zunge aus dem Maul hing. Ein Schauder lief durch den Körper und ließ den Wolf taumeln, dann hörte Ryld das Krachen von Knorpel, als sich das Tier in einen schmutzigen Jungen ver wandelte. »Hätte sich der Wind nicht gedreht, hätte ich Euch er wischt«, sagte Yarno. Ryld grinste zur Begrüßung und steckte Splitter weg. Aus dem Wald hinter ihm waren Frauenstimmen zu hören, wor aufhin er Yarno zweifelnd ansah. »Du solltest nicht herkommen«, sagte er. »Wenn die Priesterinnen dich im heiligen Hain entdecken ...« Der Junge kniff die Augen zusammen und fragte: »Wie viele habt Ihr getötet?« Ryld brauchte einen Moment, um zu begreifen, was der Jun
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ge wollte. Diese Frage war ihm oft von den Schülern in MeleeMagthere gestellt worden, und jedesmal hatte er sich gewei gert, darauf zu antworten. »Die stolze Spinne verfängt sich in ihrem eigenen Netz«, zitierte er regelmäßig und erinnerte seine Schüler daran, daß das verborgene Geschick im Umgang mit Waffen eine Waffe für sich war. Doch Yarno sprach von den Priesterinnen, was Ryld an das Versprechen erinnerte, das er ihm gegeben hatte. »Sie haben Halisstra nicht getötet«, erklärte er Yarno. Der Junge kratzte sich am Ohr. »Ihr habt sie gerettet? Aber warum seid Ihr dann noch –« Ryld hörte Schritte auf dem Weg hinter ihm näherkommen und versuchte, den Jungen wegzuschicken. »Geh«, drängte er. »Beeil dich. Wenn sie dich entdecken ...« Als er sah, wie Yarno sich plötzlich anspannte, zog Ryld Splitter zum zweiten Mal, reagierte aber erleichtert, als er sah, daß es Halisstra – und daß sie allein war. Die Priesterin, mit der sie sich unterhalten hatte, mußte in eine andere Richtung abgebogen sein. Sie blieb stehen und zog die Augenbrauen zusammen, als sie Yarno sah. Ryld stöhnte, als er erkannte, was sich in diesem Moment abspielte. Aus dem Augenwinkel her aus beobachtete er, wie sich der Junge in einen Wolf zurück verwandelte – das denkbar Schlechteste, was Yarno in diesem Augenblick hätte tun können. Hätte er in seiner menschli chen Form ausgeharrt, dann wäre es Ryld wohl möglich gewe sen, ihn als einen Streuner auszugeben. So aber ... »Monster!« keuchte Halisstra. Sofort sprang Yarno vor, aber zum Glück war Ryld schnel ler. Er ließ Splitter fallen und packte die Hinterläufe des Wer wolfs, um ihn zu Boden zu reißen. »Hör auf«, grunzte Ryld mit zusammengebissenen Zähnen. Yarno wand sich in seinen Armen, die Zähne zu einem be
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drohlichen Knurren gefletscht, während er versuchte, nach Halisstra zu schnappen. »Das ist Herrin Melarn. Die, die zu retten ich herkam.« Halisstra riß unterdessen ihr Horn vom Gürtel und setzte es an die Lippen, doch Ryld, der immer noch bemüht war, den zappelnden Yarno zu kontrollieren, verdrehte seinen Körper so, daß er mit einem Fuß nach ihr treten und sie zu Fall brin gen konnte. Sie schlug hin, ihr Horn landete ein Stück von ihr entfernt auf dem Weg. »Nicht!« rief Ryld, als Halisstra sich nach dem Horn streck te. Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu, nahm das Horn und zog sich weit genug zurück, daß Ryld sie nicht mehr errei chen konnte. »Bist du verrückt?« entgegnete sie und stand auf. »Das ist ein Gestaltwandler.« Wieder hob sie das Horn. »Er wird dir nichts tun«, rief Ryld. Um es zu beweisen, ließ er Yarno los und sprang auf. »Geh!« befahl er. »Flieh!« Ohne darauf zu warten, ob ihm Yarno gehorchte, fuhr Ryld herum, packte Halisstras Arm und zog das Horn von ihren Lippen fort. Yarno stand einen Moment lang keuchend da und sah zwi schen Ryld und Halisstra hin und her. Ein letztes Mal knurrte er die Priesterin an und verschwand mit einem Satz zwischen den Büschen. Halisstra befreite sich aus Rylds Griff und warf ihm einen zornigen Blick zu, in dem ein Hauch von Mißtrauen aufblitzte. »Du wußtest, daß der Junge ein ... tierhaftes Etwas war?« »Er ist harmlos«, sagte Ryld und steckte Splitter weg. »Laß ihn.«
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»Er ist ein Monster. Eilistraee hat uns aufgetragen, den Wald von derlei Schädlingen zu säubern.« Ryld zuckte zusammen. »Er ist ein Junge«, seufzte er. »Nur ein Junge.« Halisstra schüttelte den Kopf. »Warum kümmert es dich dann, ob er lebt oder stirbt?« fragte sie. Ryld öffnete den Mund, mußte aber nach den richtigen Worten suchen. »Weil er ...«, setzte er an, verhaspelte sich aber. »Er erinnert mich an mich, als ich so alt war wie er.« »Wie das? Du bist ein Drow, er ist ein ...« Halisstra stockte, unsicher, als was sie Yarno bezeichnen sollte. »Er ist ein Werwolf«, lieferte Ryld ihr das Wort, das sie suchte. »Er wird gejagt, hat Angst. So wie ich früher.« Einen Herzschlag lang starrte Halisstra ihm in die Augen, bis Ryld schon glaubte, daß sie verstand. Dann jedoch hob sie das Horn erneut. »Er mag wie ein Junge aussehen, aber er ist ein Monster«, sagte sie entschlossen. »So wie du eine erste Tochter«, erwiderte Ryld und packte Halisstras Hand. »Immer eine Jägerin – nie eine der Gejagten. Du mußtest nicht in den Straßen des Gestanks überleben.« Halisstra hielt inne, und Ryld wurde klar, daß sie vielleicht mit dem Begriff gar nichts anzufangen wußte. »Aber du bist ein adliger Drow«, sagte sie. »Oder?« »Ich habe kein Haus«, antwortete Ryld. »Ich werde nie ei nes haben.« Er seufzte und fragte sich, was er da tat. Wollte er sich wirk lich gegen Halisstra stellen – die Frau, die er liebte –, um einen Jungen zu retten, dem er eben erst begegnet war? Für einen Werwolf? Was für ein Drow war er? Ein Drow, der sich erinnern konnte, wie es war, als kleiner Junge in Angst und Schrecken zu leben.
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Ryld ließ Halisstras Hand los. »Eröffne die Jagd, wenn du unbedingt willst«, erklärte er. »Aber du solltest wissen, daß ich dich dann verlasse.« Halisstra riß ungläubig den Mund auf. »Du verlangst, daß ich zwischen dir und meiner heiligen Pflicht gegenüber Ei listraee wähle?« »Ich bitte dich, zwischen Richtig und Falsch zu entschei den.« »Seltsame Worte aus dem Mund eines Drow.« Sie starrte in den mondbeschienenen Wald, dann ließ sie die Hand sinken, in der sie das Horn hielt. Erleichtert nahm Ryld ihre Hand, beugte sich vor und hauchte einen Kuß darauf. »Danke«, flüsterte er. Halisstra zog hastig ihre Hand zurück, so daß Ryld einen Moment lang befürchtete, sie würde ihn bestrafen wollen, doch statt dessen hob sie sein Kinn und küßte ihn heftig auf den Mund. Sie legte die Arme um ihn und zog ihn an sich. Ryld schloß die Augen und fühlte, wie ihre Lippen über sein Ohr strichen, und er hörte ein Flüstern, das so leise war, daß er nicht sicher war, ob es überhaupt für ihn bestimmt war. »Eilistraee, vergib mir. Ich liebe ihn.« Dann nahm sie seine Hand und führte ihn zu der Ruine, die ihnen von den Priesterinnen überlassen worden war. Kaum drinnen küßte sie ihn wieder und preßte ihren Mund mit einer Vehemenz auf seine Lippen, die für sie untypisch war. Sie hatten sich schon zuvor geküßt, doch nie auf diese Weise. Was sie ihm bis zu dieser Nacht gestattet hatte, waren fast keusche Berührungen ihrer Lippen. Als gehorsamer Mann hatte er nicht um mehr zu bitten gewagt. Doch dieser Kuß ... das war die Art von Kuß, von der er geträumt hatte. Begierig erwiderte er ihn und konnte sich kaum gegen die harte, drang volle Hitze zur Wehr setzen, die ihn zu überwältigen drohte.
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»Ich will dich«, sagte Halisstra und unterbrach den Kuß ge rade lange genug, um diese Worte zu keuchen. »Ich will dich nehmen. Hier. Jetzt.« Bei diesen Worten fühlte Ryld, wie ihm alle Selbstbeherr schung entglitt. Er atmete hastig – was war mit seiner Krieger ausbildung passiert? –, während er Splitter abstreifte und sich hastig seiner Rüstung entledigte. Halisstra zog ihre Rüstung und Kleidung aus, dann küßte sie ihn wieder, wobei sie diesmal eine Hand um seinen Kopf legte und die andere fest um seine Taille schlang, was ihm das Aus ziehen um so schwerer machte. Einen panischen Moment lang sah sich Ryld wie eine Fliege, die hilflos in einem Spinnennetz hing. Halisstra hatte die Arme fest um ihn geschlungen, sie biß ihn leidenschaftlich in den Hals, in die Brust und in seinen straffen Bauch, dann wanderte sie weiter nach unten. Von Schwindel erfaßt warf Ryld den Kopf in den Nacken und starrte die Decke der Ruine an, ohne wirklich etwas zu sehen. Nur schwach nahm er wahr, wie sich der Boden zu bewegen schien und sich im nächsten Augenblick gegen sei nen Rücken drückte, wie sich eine Ecke seiner Armschiene mit einem wunderbaren Schmerz in seine Schulter bohrte. Halisstra saß auf ihm. Nur für einen Moment schien ihr Haar mit Silber durchwirkt, als sie es über die Schultern zu rückwarf, und Ryld fühlte sich an die Frau erinnert, die ihm in dem Fiebertraum erschienen war, den das Belladonna ausgelöst hatte. Funken von Mondlicht regneten herab und explodier ten in seinem Geist, wo sie alles auslöschten. Viel später berührte Halisstra seine Schulter und flüsterte: »Ryld? Bist du in Trance? Ich muß mit dir über etwas reden.« Er öffnete die Augen. An Halisstras Tonfall erkannte er, daß ihm nicht gefallen würde, was sie zu sagen hatte. Sie klang förmlich und nachdrücklich wie eine Priesterin, die einen
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Mann ansprach. Er machte sich auf die Zurechtweisung gefaßt, die jeden Augenblick mit der Härte und Präzision einer Peit sche folgen mußte. Sie mußte ihn gesehen haben, als er dem heiligen Gesang und dem Tanz zugesehen hatte, und jetzt würde sie ihn bestrafen. »Ich werde ins Unterreich zurückkehren«, sagte sie. »Ich werde Quenthel und die anderen suchen und mich wieder ihrer Suche anschließen.« Erschrocken sah er ihr tief in die Augen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Vielleicht stellte sie ihn ja nur auf die Probe. Ihr Gesicht war so neutral wie seines ... nein, nicht ganz. Etwas ließ ihre Augen leuchten, etwas, das nicht nur das gespiegelte Licht von den Sternen war. Ein Echo der Leiden schaft, die sie geteilt hatten. »Warum?« fragte er. Halisstra entspannte sich sichtlich. »Uluyara hat mich darum gebeten, wieder hinunterzugehen. Eilistraees Priesterinnen müssen wissen, ob Lolth wirklich tot ist. Die Information ist entscheidend für ihre Sache – und ich bin die einzige, die sie ihnen beschaffen kann.« Ryld nickte. Der Krieger in ihm erkannte die Weisheit in Uluyaras Befehl. Halisstra würde eine perfekte Spionin abge ben. Zudem zählte sie in Eilistraees Orden nur zum Fußvolk. Wenn Quenthel sie tötete, gab es kaum jemanden, der sie vermissen würde. Der Krieg der hinterlistigen Priesterin gegen Lolth würde weitergehen. Doch tief in seinem Inneren kochte er vor Wut darüber, daß Uluyara bereit war, Halisstra zu op fern. »Ich bitte dich nicht, mitzukommen«, fuhr sie fort. Ryld wurde klar, daß Halisstra seine Verärgerung wahrgenommen, aber mißdeutet hatte, also sagte er, was er auf dem Herzen hatte.
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»Ein Versprecher, und Quenthel wird dich mit der Schnel ligkeit einer Schlange töten.« »Das bin ich bereit zu riskieren.« »Aber ich nicht«, sagte er. »Darum komme ich mit.« Sie strich über seine Wange, dann flüsterte sie: »Danke.«
Als Ryld eine Weile später tatsächlich in Trance versank, betrachtete Halisstra ihn aufmerksam. Er saß im Schneidersitz da, die Augen geschlossen. Seine Hände lagen auf Splitter, doch davon abgesehen wirkte er wie ein geschlagener Krieger, dessen Rüstung und Waffen um ihn herum verstreut auf dem Boden lagen. Seufzend lehnte sich Halisstra gegen die Wand der Ruine und versank selbst ebenfalls in Trance. Ihre Muskeln waren bereits entspannt, so daß sie nur einen Moment brauchte, ehe der vertraute Schwall an Erinnerungen sie überflutete. Sie ließ sich von diesen Erinnerungen treiben und sah aus einiger Entfernung mit an, wie ihr Geist von einer zur anderen sprang wie ein Stein über eine Wasseroberfläche. Erinnerun gen an ihren ersten Tag im Dienst des Tempels des Hauses Melarn, an ihre Ausbilderin, die ihr mit einem Stock die Fin ger blutig schlug, weil sie die Worte des täglichen Gebets falsch ausgesprochen hatte; an die Befriedigung, die sie ver spürte, als sie am nächsten Tag nach vorn gerufen wurde, um die anderen durch das Gebet zu führen; daran, daß sie diese Aufgabe mit Bravour löste, daß sogar die Priesterin ein flüchti ges Lächeln zur Schau stellte, die sie am Tag zuvor geschlagen hatte. Erinnerungen an die Wettrennen, die sie sich als Kind mit ihrer Schwester Jawil auf den Straßen Ched Nasads gelie fert hatte – und an den furchterregenden Sturz in die Tiefe, nachdem Jawil sie aus Vergeltung über Halisstras ersten Sieg
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über den Rand gestoßen hatte. Allein der Tatsache, daß sich Halisstra das Hausemblem einer Tante »geborgt« hatte – ei nes, das Levitationsmagie besaß –, war zu verdanken, daß sie nicht zu Tode gekommen war. Später hatte Jawil behauptet, sie habe von dem Emblem gewußt. Unter diese alten, vertrauten Erinnerungen mischten sich jüngere, frischere, die zugleich irgendwie reiner waren. Sie dachte an die Nacht, als sie aus der Höhle geholt und von den Priesterinnen aufgenommen worden war. Die intensive Freude, die sie nach dem Sieg über die Ätherspinne empfunden hatte. Ihr Geist wanderte sogar hin zu jüngsten Erinnerungen, die ihr gerade erst ins Gedächtnis gebrannt worden waren. Alle anderen Männer, mit denen Halisstra bisher geschla fen hatte, waren dazu mehr als bereit gewesen, doch bei jedem von ihnen hatte sich in die Lust eine unterschwellige Furcht gemischt. Vielleicht lag es daran, daß sie wußten, daß sie von einer Priesterin Lolths genommen wurden und fürchteten, Halisstra könne sie töten, so wie es die Spinnen taten, die sie als heilig betrachtete. Als sie angefangen hatte, Ryld zu küssen, war auch bei ihm diese Angst zu spüren gewesen, doch hatte sie sich schnell verflüchtigt. Er hatte sich ganz ergeben, doch weder der Furcht noch Halisstra, sondern etwas viel Größerem. Sie hatte ihn nicht genommen, vielmehr hatte er sich hinge geben. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf wanderten Halisstras Gedanken weiter zu anderen Erinnerungen. Eine davon dräng te sich schroff und beharrlich in den Vordergrund: Seyll. Oder besser gesagt: ihr Tod durch Halisstra. Sonderbar war, daß die Bilder verworren waren. Halisstras Erinnerung an die sterben de Seyll, deren Blut aus der klaffenden Wunde in den Fluß strömte, in dem sie lag, vermischte sich mit dem Bild von Seyll im letzten Augenblick vor dem Tod. Sie sah, wie die Priesterin
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sich umdrehte, die Hände ausstreckte, um Halisstra über den Strom zu helfen. In dieser falschen Erinnerung bewegte sich Seyll und sprach zu ihr, obwohl sie in Wahrheit so reglos dage legen hatte, daß Halisstra sie für tot hielt. Auch die Worte stimmten nicht, denn es waren nicht die hoffnungsvollen Worte gewesen, die Seyll von sich gegeben hatte, nachdem Halisstra die »Leiche« aus dem Wasser gezogen hatte, um ihr Waffen und Rüstung abzunehmen. Die Worte schienen eine Nachricht von großer Dringlichkeit zu sein. Halisstra, die immer noch in tiefer Trance versunken war, beugte sich vor, um sie besser verstehen zu können. Du wirst das Schwert brauchen, flüsterte Seyll. Die Augen noch immer geschlossen, tastete Halisstra um sich herum den Boden ab, bis ihre Finger das Liedschwert gefunden hatten, das in seiner Scheide steckte. »Ich habe es«, flüsterte sie laut. In der Traumerinnerung schüttelte Seyll den Kopf. Nicht dieses. Blut warf auf ihrer Unterlippe Blasen, als sie sprach. Nur mit der Mondsichelklinge kannst du sie schlagen. »Wen schlagen?« fragte Halisstra. »Ich weiß nicht –« Sie ging auf dem Kalten Feld verloren, unterbrach sie Seyll, deren Stimme nun gurgelnd kam, weil ihr Atem immer flacher ging. Sie war dem Tode nah und konnte kaum ein Wort her vorbringen. Die Priesterin trug sie ... sie wurde getötet. Der ... Wurm hat sie nun. Halisstra war irritiert: Hatte Seyll »Wurm« gesagt – oder »Wyrm«? Sie war der Ansicht, daß es sich um einen Wyrm handeln mußte. Drachen waren dafür bekannt, daß sie Schätze begehrten, besonders magische Waffen, und nach der ehr fürchtigen Art zu urteilen, wie Seyll das Wort »Mondsichel klinge« ausgesprochen hatte, mußte es sich dabei um ein magi sches Schwert gehandelt haben.
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Seyll sprach noch immer, allerdings so leise, daß Halisstra sie kaum hören konnte. Finde die Mondsichelklinge ... benutze sie ... um sie zu schlagen. »Wen?« rief Halisstra. Neben ihr war ein kurzes Rascheln zu hören, das Halisstra sofort aus ihrer Trance riß. Sie machte die Augen auf und sah Ryld in kampfbereiter Pose dastehen, Splitter in der Hand. Er sah sich aufmerksam um, dann blickte er zu Halisstra und hob fragend die Brauen. »Es war nichts«, sagte sie. »Ich war in Trance. Es war nur ein Traum.« Ryld entspannte sich und steckte Splitter wieder weg. Den Blick löste er aber nicht von ihr, woraufhin Halisstra klar wur de, daß sie immer noch nackt war. Er wandte sich nicht re spektvoll ab, wie es sich für einen Drow gehörte, sondern hob erneut die Brauen. In seinen Augen glomm ein Feuer. Halisstra schüttelte den Kopf. »Später«, erklärte sie. »Ich muß mit Uluyara reden.« Sie sprang auf, zog sich rasch an und trat hinaus in die Nacht.
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Gromph schritt auf den Hauptmann zu, der dastand und das stille Schlachtfeld betrachtete, die Arme vor dem geschwärz ten Mithral-Plattenpanzer verschränkt. Andzrels Augen fun kelten zufrieden, als er den zerschlagenen Pilzwald und die Tanarukk-Leichen betrachtete, die den Boden übersäten. »Zerrt die Leichen nach hinten zu den Pferchen«, rief der Baenre-Waffenmeister den Soldaten zu, die die gefallenen Tanarukks inspizierten. »Die können wir an die Echsen verfüt tern.« Während er sprach, wischte er mit einem Stück Stoff das Blut von seinem Schwert. Er begutachtete die Klinge, lächelte, dann schob er sie in die Scheide. »Ich würde es nicht wegstecken«, sagte Gromph. »Ihr wer det es brauchen.« Andzrel fuhr überrascht herum.
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»Erzmagier!« rief er. »Wo wart Ihr? Im Abyss?« »So tief nicht, aber doch ziemlich nahe dran«, gab der Erz magus zurück. »Ich erzähle Euch später davon.« Er sah sich um. »Wie laufen die Dinge?« »Es ist alles unter Kontrolle«, berichtete Andzrel. Er wies auf eine Tunnelöffnung in der Wand der großen Höhle. Davor türmten sich tote Tanarukks. »Wir haben den Feind in die Dunkle Domäne zurückgetrieben. Er zieht sich aus der Stadt zurück, um sich neu zu formieren. Wie sieht es in Tier Breche aus?« »Im Moment herrscht Ruhe«, antwortete Gromph. »Der Feind wurde auch an dieser Front zurückgetrieben, und die Zugangswege sind versiegelt. Ich gehe davon aus, daß die Duergar sich sammeln und irgendwo in den Tunnel mit ande ren Einheiten zusammenschließen werden, um an anderer Stelle die Belagerung wieder aufzunehmen. Ehe sie aber diese Gelegenheit bekommen, brauche ich Eure Hilfe.« »In einer anderen Sache als der Beseitigung von Leichen?« Gromph nickte. Andzrel grinste: »Um was geht es?« Der Erzmagier sah zu einem der Leichname ganz in der Nä he. Ein Tanarukk – halb Ork, halb Dämon – war eine Monst rosität, die mit rauhen Haarbüscheln und dünnen Schuppen überzogen war. Der Unterkiefer ragte weit über die Schnauze hinaus, die Stoßzähne, die sich über die Oberlippe bogen, waren eingekerbt und gelb. Die flache, fliehende Stirn verlieh der Kreatur ein dummes Aussehen, was durch den glasigen Blick des Todes in den mattroten Augen noch unterstrichen wurde. »Ich muß hinter die feindlichen Linien«, erklärte Gromph. »Ich benötige eine Eskorte, lieber einen Soldaten als einen Magier.« Mit dem Fuß trat er nach dem toten Tanarukk. »Sagt
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mir, Andzrel, hat man Euch je verwandelt?« »Einmal«, antwortete Andzrel. »Vor Jahren, in eine Echse. Es war ein Scherz eines stolzen Emporkömmlings, der glaubte, mich zu satteln und zu reiten würde mir Respekt einflößen. Nachdem ich ein Stück aus ihm herausgebissen hatte, fand er es nicht mehr so witzig und verwandelte mich zurück.« Gromph lächelte. Er erinnerte sich an den Tag, als Nauzh ror nach Sorcere gehumpelt kam und ein Kissen verlangte, da er sich nicht setzen konnte. Er hatte es als »Reitunfall« be zeichnet, bis ein anderer Schüler einen Zauber anwandte, um durch sein Gewand hindurchzusehen und feststellte, daß er in den Hintern gebissen worden war. Danach war der aufgeblase ne junge Nauzhror lange Zielscheibe des Spotts gewesen. »Ich werde mich bemühen, Euch keinen Grund dazu zu ge ben, Eure Stoßzähne an mir zu testen«, sagte Gromph mit gespielt ernster Miene.
Die Tanarukk-Soldaten zogen sich völlig ungeordnet durch die Tunnel zurück. Immer, wenn sie an einen Engpaß gerieten, knurrten sie einander an und schnappten nach allen Seiten. Die Luft war erfüllt vom Scheppern der Waffen und Rüstun gen und dem Gestank des Blutes der Verletzten, die man bru tal aus dem Weg geschoben und dem Tod überlassen hatte. Die lauten Rufe der Feldwebel, die versuchten, Ordnung in dieses Chaos zu bringen, übertönten den Lärm. Zwei Tanarukks folgten der Truppe und achteten darauf, in keine Auseinandersetzung hineingezogen zu werden und weder zu provozieren, noch sich provozieren zu lassen. Der eine hatte eine geradere Stirn als seine Artgenossen, und seine borstigen Fellbüschel waren weiß. Der andere hatte breitere Schultern als üblich und trug ein Kettenhemd, das einen etwas steifen
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Eindruck machte. Die Klinge seiner Streitaxt war blutver schmiert, während der Weißhaarige alle Waffen verloren zu haben schien, dafür aber in einer Hand ein kleines Fellbüschel trug, bei dem es sich um einen Skalp handeln mochte, den er als Trophäe genommen hatte. Er wies auf einen schmalen Riß im Fels zu seiner Linken. »Dort entlang«, sagte Gromph. »Zumindest war er eben noch dort. Aber ich habe ihn verloren.« »Wohin verschwindet er auf diese Weise?« fragte Andzrel ein wenig gereizt. Die gebückte Haltung seines Tanarukk-Körpers bereitete ihm Rückenschmerzen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als diese Mission hinter sich zu bringen und wieder DrowGestalt annehmen zu können. Außerdem stank sein Tanarukk-Leib. Gromph war von solchen Problemen nicht betrof fen, da er sich einfach einer Täuschung bediente, um sein Aussehen zu verändern. Hätte er sich selbst ebenfalls verwan delt, dann wären auch die für seinen Zauber notwendigen Komponenten – wie zum Beispiel das Stück Bluthundfell in seiner Hand – in etwas verwandelt worden, was eher zu einem Tanarukk paßte. Zumindest hatte der Erzmagier das so Andzrel erklärt. Der Baenre-Waffenmeister vermutete jedoch, daß Gromph bloß nicht den Gestank von Tanarukk-Schweiß auf seiner eigenen Haut erdulden wollte. »Ich weiß nicht, was Nimor plant«, antwortete Gromph. »Vielleicht muß er Bericht erstatten. Aber er kehrt immer wieder an diesen Ort zurück, also muß er ihn gut kennen.« Die beiden zogen sich von den anderen Tanarukks zurück und zwängten sich durch den engen Tunnel, der sich horizon tal über ein längeres Stück erstreckte und dann in eine kleine Höhle abfiel, an deren Eingang ein Duergar Wache hielt, der
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seine Axt hob, als er das Paar entdeckte. »Wir haben eine wichtige Mitteilung für den Drow Nimor«, sagte Gromph mit der tiefen, knurrenden Stimme eines Tana rukk. »So?« Der Duergar schnaubte. »Das behauptet jeder Tana rukk in Vhoks nutzloser Armee. Aber egal, Fürst Nimor ist ohnehin nicht hier.« Gromph ging über den Spott hinweg, statt dessen schnup perte er vernehmbar, als er die scheinbar leere Höhle absuchte. »Er ist hier«, sagte der Erzmagier schließlich. »Ich rieche ihn.« »Nein«, beharrte der Duergar mit finsterer Miene. »Geht zurück zur Truppe.« Andzrel ballte die Faust, deren Knöchel mit Schuppen be setzt war, und hielt sie dem Duergar unter die Nase. »Wir wissen, daß er da ist«, knurrte er. »Laß uns durch.« Der Duergar wurde plötzlich größer und breiter – bis er an derthalb mal so groß war wie Andzrels Tanarukk-Gestalt. Er drückte den Stiel seiner Axt, woraufhin ein Schimmer magi scher Energie durch die Waffe strömte. »Veranlaßt mich nicht dazu, die hier einzusetzen«, warnte der riesige Duergar sie. »Nimor wird die Nachricht hören wollen«, beharrte Gromph. »Sag ihm, sie kommt von dem Spion, den er nach Menzoberranzan geschickt hat.« »Von welchem Spion?« »Von Sluuguth«, sagte der andere Tanarukk. Das Gesicht des Duergar verfärbte sich zu einem blassen Grau, dann erwiderte er: »Oh ... der Illithid.« Gromph sah ihn finster an. »Sluuguth schätzt es nicht, wenn Nachrichten, die von ihm kommen, mit Verzögerung überbracht werden«, knurrte er und
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zog eine Silberkette aus der Tasche, an deren Ende ein Oval aus Jade hing. »Er wies uns an, das so schnell wie möglich zu Nimor zu bringen«, erklärte er. »Er sagte, es sei wichtig.« Endlich nickte der Duergar zustimmend. Er schrumpfte auf normale Größe zurück und ging aus dem Weg. »Ihr könnt eintreten«, sagte er zu Gromph, hob aber die Hand, als Andzrel ihm folgen wollte, und fügte an: »Aber du mußt deine Waffe vor dem Betreten ablegen.« Gromph und Andzrel sahen einander einen Moment lang an. Das würde ein Problem sein. Sobald Andzrels »Streitaxt« aus der Hand gelegt wurde, würde sie nicht länger von dem Verwandlungszauber erfaßt sein und wieder ihr eigentliches Aussehen eines Drow-Schwertes annehmen. »Ich kann die Botschaft auch allein überbringen«, sagte Gromph. »Du wartest hier ... bis ich zurück bin.« Andzrel nickte. Gromph betrat die Höhle und erkannte, daß es sich dabei fast mehr um eine Art natürlicher Kamin handelte, der eine sehr hohe Decke aufwies. Recht weit oben befand sich ein Vorsprung, auf dem Nimor saß. Er hatte die Augen geschlossen und war offenbar in Trance versunken. Er befand sich in einer seltsamen Pose, da er die Arme an die Brust gedrückt hatte und seine Fäuste die hochgezogenen Schultern berührten. Der Anblick erinnerte an eine schlafende Fledermaus, die falsch herum an einer Felswand hing. Gromph fragte sich, ob Nimor auch hinter einer Illusion versteckt war, und zog einen kleinen Steinkrug aus einer Ta sche. Gerade wollte er mit dem Finger etwas von der Paste herausholen, da öffnete Nimor die Augen. Sofort erfaßten sie das ovale Stück Jade, das sich an der Kette drehte, die Gromph in der Hand hielt. Die Magie im Amulett war noch immer stark, auch wenn die Jadespinne, die mit dem Stein kontrol
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liert werden konnte, auf Gromphs Befehl hin zerschmettert worden war, ehe er und Andzrel sich auf den Weg in die Dunkle Domäne gemacht hatten. Nimor verließ den Vorsprung und schwebte nach unten, wo Gromph stand. Der zog rasch seine Hand aus der Tasche und gab den Zau ber auf, den er jeden Augenblick hätte wirken wollen. Ihm blieb keine Zeit für Hellsicht, vielmehr mußte er jederzeit bereit sein, sofort eine magische Verteidigung zu errichten. »Woher hast du das, Soldat?« fragte Nimor, als er neben Gromph sanft auf dem Höhlenboden landete. Insgeheim mußte Gromph lächeln, da seine Illusion der Si tuation standhielt. »Von Sluuguth«, antwortete er und hielt das Amulett hoch. Gleichzeitig griff er in eine Tasche und umschloß den Gegens tand darin – das Prisma –, der aus der gut gefetteten Scheide hervorlugte, die er speziell dafür geschaffen hatte. Ehe er auf gebrochen war, um Nimor zu finden, hatte er einige magische Veränderungen an dem Prisma vorgenommen und neue Zau ber zu den vorhandenen hinzugefügt. »Sluuguth ist verhindert und konnte das Amulett nicht per sönlich bringen, deshalb hat er mich geschickt«, fuhr Gromph fort. Nimor wollte nach der silbernen Kette greifen, hielt dann aber inne. Er beäugte Gromph argwöhnisch und fragte: »Wieso ver hindert?« »Dieser Magier, den Meister Dyrr gefangensetzte – der aus dem Haus Baenre. Er ist aus der Sphäre entkommen.« »Gromph?« Nimor winkte ab. »Das ist nichts Neues. Gromph ist tot.« Dieser jedoch schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, ist
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er nicht. Sluuguth sagt, er plane etwas, das unserer Armee schaden könnte ... einen Zauber.« »Wo ist er?« fragte Nimor. Gromph kratzte über die Borsten auf seinem Kopf und run zelte die Stirn. Zum Glück mußte er nichts tun, um dumm auszusehen – die Illusion eines Tanarukk genügte vollauf. »Wer? Sluuguth ... oder Gromph Baenre?« Nimor kniff die Augen zusammen. »Gromph.« »Oh ... ja. Sluuguth hat gesagt, Ihr sollt Euch das ansehen«, erwiderte Gromph, als sei es ihm gerade wieder eingefallen. Mit diesen Worten zog er die Hand aus der Tasche. Das Prisma glitt aus der gefetteten Scheide und ließ sich aus der Tasche holen, ohne daß der Leim auf seiner Oberfläche mit dem Stoff in Berührung kam. So weit, dachte Gromph, so gut. Nimor sah das Prisma an. »Was ist das?« fragte er. Gromphs gewagtes Spiel lief noch immer nach Plan. Wie die meisten Drow war auch Nimor nicht mit den magischen Gegenständen der Welt an der Oberfläche vertraut. »Es ist ein Gegenstand, der der Ausspähung dient«, sagte er. »Ihr könnt darin Gromph sehen.« Nimor verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: »Sieb du hinein und sag mir, wo er ist.« »Natürlich«, erwiderte Gromph und zuckte beiläufig die Achseln. Noch lief alles nach Plan. Er hatte die mißtrauische Reakti on des Drow vorhergesehen. Er starrte in das Prisma, drehte es hin und her. »Ich kann nichts sehen«, murmelte er, dann hielt er es auf einmal ganz ruhig. »Oh, da ist er ja ... aber ist Gromph das Skelett oder ist er der mit der Ratte auf der Schulter?«
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Nimor griff nach dem Prisma und sagte gereizt: »Laß mich sehen.« Der Augenblick war da. Als Nimors Finger das Prisma be rührten, ließ Gromph das Ende los, das er in der Hand hatte, und ließ seine Illusion fallen, um sich zu erkennen zu geben. Gleichzeitig schrie er: »Andzrel! Jetzt!« Hinter sich hörte er einen dumpfen Knall und ein Aufstöh nen, als Andzrels Waffe den Duergar niederstreckte, der am Eingang Wache hielt. Gleich darauf wich Nimor mit weit aufgerissenen Augen zurück und versuchte, das Prisma abzu schütteln, das an seinen Fingern klebte, während er mit der anderen Hand sein Rapier zog. Andzrel kam in die Höhle gestürmt, die Streitaxt hoch erhoben. Mit seiner TanarukkGestalt war er nicht vertraut, weshalb er die Waffe ein wenig ungelenk hielt, dennoch stürmte er wie eine Naturgewalt vor. Nimor erkannte, daß er eingekreist war, und tat genau das, was Gromph von ihm erwartet hatte: Er entschloß sich zum Schattenwandeln. Während er mit einem überheblichen Lächeln auf den Lip pen auf die Schattenebene überzuwechseln begann, wurde der Notfallzauber ausgelöst, den Gromph in das Prisma eingearbei tet hatte. Dieser Zauber weckte die tertiäre Kraft des Prismas, das daraufhin einen gleißenden Blitz abstrahlte. Einen Mo ment lang war es so hell, als hätte jemand die Sonne von der Oberflächenwelt in die Höhle geholt, die die Wände in das grellste Licht tauchte, das Gromph jemals erlebt hatte. Nimor schrie vor Schmerz und Wut zugleich, dann wurde es dunkel, und Nimors Stimme verhallte. Gromph hörte, wie eine Klinge die Luft zerschnitt und das Scheppern von Metall auf Stein, als Andzrels Streitaxt an der Stelle, an der eben noch Nimor gestanden hatte, die Luft spal tete. Gromph konnte nichts sehen, versuchte, die Nachwir
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kungen des grellen Blitzes durch Blinzeln zu vertreiben, und fuchtelte in der Luft herum. Seine ausgestreckten Hände fühl ten nur Luft. Nimor schien seine »Flucht« auf die Schatten ebene gelungen sein. »Andzrel!« rief Gromph. »Könnt Ihr sehen? Wo ist Ni mor?« Jemand näherte sich ihm, eine knorrige Hand berührte ihn am Arm. »Ich kann nicht allzugut sehen«, sagte Andzrel rechts von ihm. »Aber meine Dunkelsicht kehrt langsam zurück. Nimor ist weg. Was ist mit Euch?« Gromphs Augen tränten. Er schien Schwierigkeiten zu ha ben, Andzrel zu sehen ... und überhaupt etwas zu sehen. »Ich ... bin immer noch geblendet. Der Lichtblitz scheint auf mich stärker gewirkt zu haben als auf Euch. Vielleicht hat die Magie, die Nimor schützt, den Zauber im Prisma als mein Werk erkannt und ihn direkt gegen mich gerichtet. Egal. Es sollte ein Leichtes sein, mich wieder sehen zu lassen.« Gromph legte sich je einen Finger auf die Augen und wirkte einen Zauber, der seine Blindheit hätte aufheben sollen. Zwar fühlte er das Kribbeln von Magie unter seinen Lidern, doch seine Dunkelsicht kehrte nicht zurück. Er sah in der finsteren Höhle so wenig wie eine beliebige Kreatur von der Oberfläche. Das bereitete ihm Sorgen. Da Lolths Priesterinnen keinen Kontakt zu ihrer Göttin herstellen konnten, würde es schwie rig sein, an einen Zauber zu gelangen, der ihn genesen lassen würde. »Wo ist Nimor jetzt?« fragte Andzrel. »Auf der Schattenebene«, entgegnete Gromph. »Was das heißt, ist Euch ja klar.« »Um ehrlich zu sein, nein«, gab Andzrel zurück. »Ich be daure, Erzmagier.«
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Gromph lachte leise, dann sagte er: »Es heißt, daß er dort festsitzt. Um sein Schattenwandeln abzuschließen, braucht er einen Schatten – was nur für die Welt an der Oberfläche gilt – oder Finsternis, in die er eintreten kann. Allerdings muß es völlige Finsternis sein, und da wird er so schnell nicht fündig werden, da an seiner Hand ein Prisma klebt, das so hell leuch tet wie die Sonne.« »Nun, damit wäre ein Spielstein vom Sava-Brett«, meinte Andzrel zufrieden. »Was nun?« »Zurück nach Menzoberranzan«, sagte Gromph. »Ihr geht vor, ich folge Euch.«
Gromph stand am Fuße Narbondels und hatte eine Hand auf den kalten Stein der natürlichen Säule gelegt. Durch Kyorlis Augen betrachtet war sie unglaublich groß. Die Ratte saß auf Gromphs Schulter und sah an der finsteren Säule nach oben. Ein Stück hinter sich hörte Gromph Nauzhror murmeln. Der jüngere Magier hatte nur widerwillig das Gewand des Erzma giers zurückgegeben, zudem war er nicht davon abzubringen gewesen, anwesend zu sein, wenn Gromph Narbondel leuch ten ließ. Wie eine Spinne hatte Nauzhror gespürt, daß mit dem Erzmagier etwas nicht stimmte – aber was es war, das hatte er noch nicht herausgefunden. Gromph wandte sich der Säule zu und hob beide Hände. Als er die Worte des Zaubers sprach, spürte er, wie die Energie mit einem vertrauten Kribbeln durch seine Finger strömte. Die Magie erreichte ihren Zenit, und er preßte beide Hände auf Narbondel, um sie auf die Säule überspringen zu lassen. Der kalte Stein wurde unter der Berührung warm, ein Knistern erfüllte die Luft. Wie Flammen, die sich an einem Vorhang nach oben fraßen, stiegen magische Hitze und Licht allmäh
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lich in Narbondel auf. Gromph sah es selbst nicht, doch durch Kyorlis Augen sah er den Kreis aus Licht, der Funken jeglicher Farbgebung vom tiefsten Rot bis zum hellsten Purpur versprüh te und sich langsam an dem schwarzen Stein nach oben be wegte. Es war ein wunderschöner Anblick, der jenen Hoffnung geben würde, die aus den Tunnel zurückkehrten, in denen sie jetzt noch den Feind bekämpften. Gromph drehte sich in Richtung des Hauses Agrach Dyrr. Er mußte es nicht sehen, um zu wissen, wo das Haus lag. »Kannst du das sehen, Drow-Leichnam?« flüsterte er. »Ich bin deinem Gefängnis entkommen. Bald werde ich dich holen kommen.« Später trommelte Gromph in seinem Arbeitszimmer in Sor cere mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Kyorli kauerte auf seiner Schulter. Noch immer brauchte Gromph die Augen der Ratte, um sehen zu können. Er hatte einen Trank zu sich genommen, der ihm das Augenlicht vollständig hätte zurück geben sollen, doch er konnte nur Schatten und Schemen er kennen. War es eine Kombination aus seinem eigenen Dauer haftigkeitszauber und der Magie, die Nimor schützte, die eine solch verheerende Wirkung erzielt hatte? Wenn er Zeit hatte, konnte er recherchieren und Antworten auf seine Fragen fin den. Doch noch immer hielten sich zwei Armeen an den Randbereichen Menzoberranzans auf, und damit war Zeit ein Luxus, den er nicht besaß. Ein Kribbeln im Nacken machte ihn darauf aufmerksam, daß ihn jemand beobachtete – was innerhalb der magisch geschützten Wände seines Arbeitszimmers nicht möglich hätte sein dürfen. Das Kribbeln schien von der Axt zu kommen, die er an die Wand gehängt hatte – die Waffe, die sein in Verges senheit geratener Illithid nach seinem Besuch zurückgelassen hatte. Einen Moment lang fragte sich Gromph, ob er wohl von
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einer Seele beobachtet wurde, die in der Klinge gefangen war. Als er Kyorli aber in diese Richtung blicken ließ, war auf der breiten Klinge kein Gesicht, keine Bewegung zu sehen. Als sich der Erzmagier von der Axt abwandte, flüsterte ihm aus dem Nichts eine vertraute Stimme etwas zu – die Stimme des Drow, für den Gromph vorgesorgt hatte, damit er die Schutzvorrichtungen seines Arbeitsraums überwinden konnte ... Wir begeben uns zum Schattensee, wisperte Pharaun in sei nem Kopf. Abolethin sagte, Chaosschiff sei dort mitsamt Uridezu versunken. Werden mit dem Schiff in den Abyss segeln und zu Lolth sprechen. Fünfundzwanzig Worte. Exakt die maximale Länge des Sen dezaubers, durch den Pharaun mit ihm Kontakt aufgenommen hatte. Der Erzmagier saß schweigend da und dachte über seine Antwort nach. Sie mußte genauso knapp ausfallen und so viele Informationen wie möglich enthalten. »Eure Mission wird immer dringlicher. Wir brauchen Lolth. Duergar und Tanarukks belagern gemeinsam Menzoberranzan. Drow-Leichnam Dyrr ist Verräter.« Nach einer kurzen Pause fügte Gromph mit ironischem Unterton an: »Ein Uridezu? Ich wünsche Euch viel Glück.« Das Gefühl, beobachtet zu werden, verschwand. Gromph blieb allein in seinem Zimmer zurück. Langsam schüttelte er den Kopf und fragte sich, ob er wohl zum letzten Mal von Pharaun gehört hatte.
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Uluyara hörte stumm zu, wie Halisstra beschrieb, was sie in ihrer Trance gesehen hatte. Als sie schloß, flüsterte Uluyara ein kurzes Gebet, dann hob sie ehrerbietig eine Hand zum Nachthimmel. Dann ließ sie sie wieder sinken und starrte Halisstra lange an, wobei ihre roten Augen das Mondlicht reflektierten. »So viele Jahre war sie verloren«, sagte sie. »Unsere besten Ausspäherinnen, die im Zauberlied vereint waren, konnten die Mondsichelklinge nicht finden, und nun glaubt eine Novizin, sie könnte dort Erfolg haben, wo andere scheiterten.« Halisstra erstarrte, als sie den unangenehmen Unterton in Uluyaras Stimme wahrnahm. »Ich wiederhole nur, was Seyll gesagt hat«, gab sie zurück. »Es war keine Halluzination. Ich bin sicher, ihr Geist sprach zu mir. Ich glaube, sie wollte mir sagen, daß ich mich Quenthel
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Baenre im Kampf stellen muß und daß ich die Mondsichel klinge benötige – was das auch immer sein mag –, um sie zu besiegen, wenn ich ihr gegenübertrete.« Uluyara starrte Halisstra an, als ließe sie sich ihre Worte durch den Kopf gehen. »Wenn das ein Vorwand ist, um die Begegnung mit Euren einstigen Gefährten hinauszuzögern«, sagte Uluyara, »dann hättet Ihr Euch etwas weniger Dramatisches aussuchen kön nen als ausgerechnet die Suche nach der Mondsichelklinge. Mir wäre es lieber, wenn Ihr ehrlich zu mir wärt und einfach sagtet, daß Ihr noch nicht bereit seid. Wenn Ihr Eure Meinung geändert oder Angst habt ...« »Angst? Wie könnt Ihr es wagen? Ich bin die erste Tochter eines Adelshauses!« gab Halisstra zurück. Da fiel ihr ein, wen sie vor sich hatte und was mit ihrem Haus geschehen war, und sofort warf sie sich vor Uluyara auf den Boden. »Ich bitte um Entschuldigung, dunkle Herrin«, flüsterte sie und spannte sich in Erwartung der Peitsche, die sie auch zwei fellos zu spüren bekommen hätte, hätte sie so mit einer Prieste rin Lolths gesprochen. »Ich gehörte zu einem Adelshaus und bin es nicht gewöhnt, daß mein Mut angezweifelt wird. Mir wurde vor langer Zeit anerzogen, daß ich meine Angst fest im Griff haben muß und nie entgleiten lassen darf. Ich versichere Euch, ich habe keine Angst, und ich habe mir dies auch nicht ausgedacht. Ich weiß ja nicht einmal, was die Mondsichelklin ge eigentlich ist. Erleuchtet mich.« Uluyara seufzte. »Erhebt Euch.« Als Halisstra vor ihr stand, fuhr sie fort: »Der vergangene Tag ist für uns beide schwierig gewesen. Ich war es, die Breena als erste hinauf ins Licht führ te. Sie war für mich wie eine Tochter. Ihr Tod ...« Sie hielt inne und ließ ihren Blick über den dunklen Wald
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schweifen. Aus der Richtung, in die ihre Augen sehnsüchtig sahen, war der Gesang dreier Priesterinnen zu hören, die Bree nas Leichnam hoch über dem Waldboden aufbahrten, damit er von den Tränen des Mondes reingewaschen werden konnte. Die Elegie schien mit der Brise mitzuschweben, begleitet von dem reinen Geruch von Neuschnee. Schließlich riß Uluyara ihren Blick los und begann zu erzäh len. »Die Mondsichelklinge wurde vor Jahrhunderten geschmie det, nachdem Eilistraee einen Kieselstein vom Himmel ge pflückt und auf die Erde hinuntergeworfen hatte. Als er auf dem Boden auftraf, war er zur Größe eines Findlings herange wachsen und leuchtete so hell wie ein Schmiedefeuer. Der Findling war so heiß, daß niemand sich ihm ohne einen Schutzzauber nähern konnte, und weinte Metall – Mondme tall, denn von dort war er gekommen. Wenn Ihr hinaufseht zum Mond, seht Ihr ein Loch. Das ist die Stelle, an der Ei listraee den Stein aufnahm.« Halisstra sah hinauf zum Mond, der just über die Bäume aufgestiegen war. Sein Antlitz war von Dutzenden dunkler Löcher übersät wie von Pockennarben. Sie sah von einem zum anderen und fragte sich, welches es wohl war. »Da«, erklärte Uluyara und zeigte auf eine Stelle. »Das kleinere Loch in dem größeren, dunkleren. Seht Ihr, wie der Umriß die Form einer Mondsichel aufweist?« Halisstra kniff ein Auge zu und blickte in Richtung von U luyaras ausgestrecktem Arm, dann nickte sie, als sie die Stelle ausmachte. »Das Mondmetall, das der Findling absonderte, wurde auf gefangen und zu einem Schwert in Form einer Mondsichel geschmiedet. Bei jedem Erhitzen, bei jedem Schlag mit dem Hammer auf den Amboß, bei jedem Abkühlen wurde ein Zau
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ber nach dem anderen auf die Waffe gelegt. Es wurde geweiht, damit seine Klinge gegen das Böse besser geschärft war. Es wurde gedankenschnell gemacht, so daß auf jeden Hieb einer feindlichen Klinge zwei Hiebe der Mondsichelklinge kamen. Es wurde mit Mondlicht verzaubert, so wie auch mein eigenes Schwert, damit es durch Rüstung und sogar durch Stein so leicht schnitt wie durch Fleisch. Mit dem Segen Eilistraees kann es sogar schädliche Magie abwehren, indem es einen Schutzkreis um denjenigen legt, der es trägt.« Uluyara machte eine kurze Pause, dann fuhr sie fort: »Der letzte Zauber, der auf die Mondsichelklinge gelegt wurde, ist womöglich der stärkste von allen. Wenn der Arm der Prieste rin, die die Klinge führt, stark genug ist, durchtrennt sie den Hals einer jeden Kreatur ... einer jeden Kreatur«, wiederholte sie. »Sei es ein Drow, ein Dämon ... oder eine Göttin.« Plötzlich verstand Halisstra. »Das also versuchte Seyll mir zu sagen«, wisperte sie. »Ich soll die Mondsichelklinge nicht benutzen, um Quenthel Baen re zu töten, sondern Lolth.« Uluyara sah sie lange eindringlich an. »So unglaublich das auch klingen mag, ja.« »Aber ich ... aber ...« Von diesem gewaltigen Gedanken überwältigt war es Ha lisstra nicht einmal möglich, dagegen zu protestieren. Sie, eine frühere Priesterin Lolths, die erst unlängst von Eilistraee er leuchtet worden war, sollte die mächtigste Gottheit töten, die die Drow kannten? Mit einem Schwert? Der Gedanke war verrückt, nein, lachhaft. Sie hatte mit eigenen Augen mitan gesehen, wie sich Vhaeraun und Selvetarm vor Lolths Tempel im Abgrund der Dämonennetze bekämpft hatten. Keiner der anwesenden Sterblichen – nicht einmal Pharaun – hätte den Ausgang dieses Kampfs beeinflussen können. Doch Halisstra
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nahm an, Eilistraee wußte, was sie tat ... und hatte Halisstra aus einem bestimmten Grund auserwählt. Welcher Grund das sein mochte, war Halisstra nicht klar. Sie war nur mit einer Handvoll Bae’qeshel-Liedern vertraut – zumindest einfache heilende Magie – und war noch immer damit beschäftigt, die einst von Lolth gewährten klerikalen Zauber neu zu lernen und das zu erfassen, was Eilistraee ihr nach und nach enthüllte. Halisstra war wie jemand, der durch eine Krankheit ans Bett gefesselt gewesen war und nun lang sam wieder das Gehen lernte. Aber Eilistraee erwartete von ihr nicht nur, daß sie ging, sondern daß sie rannte oder am besten flog. Unmöglich. So wie Uluyara es gesagt hatte. Oder? Lolth war vielleicht nicht tot, aber reglos und un aufmerksam. Als Halisstra sie gelästert hatte, da war nichts geschehen. Nicht einmal, als sie die Ätherspinne mit Hilfe von Eilistraees Mondfeuer getötet hatte, war ihr Zorn geweckt worden. Lolths Yochlol-Dienerinnen mochten von den Pries terinnen Eilistraees getötet worden sein, doch von der Göttin war nicht ein einziges Zeichen gekommen. Uluyaras Ausspä hung zufolge war Lolths Tempel immer noch von dem gewalti gen schwarzen Stein versiegelt. Dem Stein, der an ein Gesicht erinnerte ... an ein Gesicht mit Hals. Einem Hals aus Stein – einem Material, durch das sich die Mondsichelklinge so mühelos schnitt wie durch bloßes Fleisch. Mit einem einzigen, gezielten Schlag der Mondsichelklinge würde sich dieser Hals durchtrennen lassen, jedenfalls dann, wenn die Klinge von einer von Eilistraees Gläubigen geführt wurde. Würde das Lolth töten? Halisstra schüttelte den Kopf. »Warum ich?« fragte sie. »Sicher hätte Eilistraee eine wür
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digere Priesterin finden können. Euch etwa.« »Ich bin nicht auserwählt«, sagte Uluyara. Nach kurzem Nachdenken fügte sie an: »Ihr seid unter allen, die Eilistraee anbeten, einzigartig, und zwar aus dem einfachen Grund, daß Ihr die einzige seid, der Quenthel Baenre und die anderen vertrauen werden. Wenn es ihnen gelingt, bis in Lolths Reich zu gelangen, und wenn Ihr dann bei ihnen seid, dann befindet Ihr Euch in der idealen Position, um die finstere Herrschaft der Spinnenkönigin zu beenden und ihre Kinder aus den Netzen zu befreien, die sie von ihrem Geburtsrecht abhalten.« »Wenn es Eilistraees Wille ist, dann werde ich es versu chen«, sagte Halisstra langsam. Dann wurde ihr klar, daß ja der erste Schritt zu dieser monumentalen Suche noch vor ihr lag. »Seyll sagte, die Mondsichelklinge sei auf dem Kalten Feld verlorengegangen. Wo ist das?« »Es liegt etwa drei Tagesmärsche von hier im Südosten, am Rand des großen Waldes«, sagte Uluyara. »Es ist ein gefährli cher Ort. Vor Jahrhunderten war es ein Schlachtfeld, und die üble Magie, die dort einst freigesetzt wurde, durchdringt es. Die Geister der toten Soldaten, die dort einst kämpften, sind im mer noch gegenwärtig – und im Winter sind sie am gefähr lichsten. Wenn die kalte Luft mit der Kälte ihrer Gräber über einstimmt, dann stehen sie auf, um zu kämpfen und alles auszulöschen, was sich ihnen in den Weg stellt.« Halisstra, die im Geist wieder Seylls Botschaft durchging, hörte nur mit einem Ohr zu. »Ist das Kalte Feld die Heimat eines Drachen?« fragte sie, als sie sich an die Warnung vor dem Wyrm erinnerte. Uluyara zuckte die Achseln. »Niemand hat dort einen Dra chen gesehen, aber es ist möglich. Es heißt, es seien Drachen an der Schlacht beteiligt gewesen. Das Kalte Feld wurde von ihrem magischen Odem getroffen, und der Boden ist bis zum
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heutigen Tag unfruchtbar. Einer der Drachen könnte in den Jahrhunderten seither dort gehaust haben.« »Wie ging die Mondsichelklinge verloren?« fragte Halisstra. »Seyll sagte, ›sie‹ habe sie getragen. Wer war das? Eine Prieste rin?« Uluyara sah Halisstra auf einmal auf eine Weise an, als sei ihr an ihr etwas von großer Wichtigkeit aufgefallen. »Diejenige, die die Mondsichelklinge trug, war eine Prieste rin von höchstem Rang«, erwiderte sie. »Eine unserer Schwerttänzerinnen. Sie kam ursprünglich aus der gleichen Stadt wie Ihr. Sie stammte aus Ched Nasad.« Halisstra nickte. Sie war überrascht zu hören, daß es jeman den aus ihrer eigenen Stadt in diesen weitentfernten Tempel verschlagen haben sollte. »Aus welchem Haus kam sie?« »Melarn.« Halisstra zwinkerte ungläubig. »Wie ... lautete ihr Name?« »Mathira.« Halisstra runzelte die Stirn. Diesen Namen hatte sie noch nie gehört, jedenfalls nicht bewußt. Doch dann kehrte eine Erinnerung aus ihren Kindertagen zurück in ihr Bewußtsein. Eine Erinnerung an den Tag, an dem ihr aufgefallen war, daß eine der Büsten im großen Saal des Hauses Melarn »beschä digt« war. Die Steinmetzarbeit, mit der das Gesicht des stei nernen Kopfes und der in den Fuß geschnitzte Name ausge löscht worden war, hatte man grob ausgeführt, so daß der erste Buchstabe des Namens noch zu lesen gewesen war: M. Als Halisstra die Beschädigung bemerkt hatte, hatte sie ihre Mut ter gefragt, um wessen Büste es sich handle. Die Antwort war eine so heftige Ohrfeige gewesen, daß Halisstras Oberlippe aufplatzte. Sie wußte noch, wie perplex sie gewesen war. Dies und der Geschmack des eigenen Blutes in ihrem Mund hatten
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sie zu der Erkenntnis gebracht, daß es Fragen gab, die man besser nicht stellte. Das hatte sie nur noch wißbegieriger gemacht, die Antwort zu erfahren. Jahre später, nachdem sie Priesterin geworden war, hatte sie sich eines von Lolth gewährten Zaubers bedient, um ihre Neugier zu stillen. Dank der Magie war der Name wieder deutlich zu lesen gewesen, der von der Büste geschlagen wor den war: Mathira. Nachforschungen hatten ergeben, daß diese Mathira ein Jahrzehnt vor Halisstras Geburt in Ungnade gefallen und dann gezwungen gewesen war, die Flucht aus Ched Nasad zu ergrei fen. Welchen »Verrat« sie begangen haben mochte, hatte sie nicht herausfinden können. Da sie damit am Ende dieses Fami lienskandals angekommen war, begann sie sich zu langweilen und ließ die Sache auf sich beruhen. »Dann muß Mathira geflohen sein«, sagte Halisstra mehr zu sich selbst, »weil sie sich Eilistraee zugewandt hatte.« »Dann kam sie her«, führte Uluyara ihren Satz zu Ende. »Sie stieg in den Reihen der Getreuen auf und wurde Schwert tänzerin, und sie war die Priesterin, die die Mondsichelklinge auf das Kalte Feld trug – und sie dort verlor.« Damit war es nun an Halisstra, das Schwert zu finden und es Eilistraees Absicht entsprechend einzusetzen, nämlich um Lolth zu töten. Das alles war eindeutig zuviel, um Zufall sein zu können. Halisstra sah in jedem Schritt Eilistraees Handschrift. Wer außer einer Göttin konnte das Leben der Sterblichen so unter schwellig steuern und einen Plan ausarbeiten, der Jahrhunder te umfaßte? Halisstra war sicher, wenn sie versuchte, sich vor ihrer Suche zu drücken, dann würde Eilistraee einen Weg finden, um sie auf den vorbestimmten Pfad zurückzulenken. Der Gedanke machte ihr Angst. Gleichzeitig erfüllte er sie
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mit Hoffnung auf Erfolg. Sie mußte nur der Göttin vertrauen – auch wenn das etwas war, was sie gerade erst erlernt hatte und was ihr immer noch Schwierigkeiten bereitete. Dennoch blieb noch eine Frage. »Wie finde ich die Mondsichelklinge?« wollte sie wissen. Uluyara sah hinauf zum Mond und schwieg einen Augen blick, dann erwiderte sie: »Ihr besitzt Magie, über die wir nicht verfügen – ›dunkle Zauberlieder‹ nennt Ihr sie. Vielleicht braucht Ihr sie, um die Mondsichelklinge zurück ins Licht zu bringen.« Halisstra nickte. »Es gibt einen Zauber, den ich lernte, ehe ich aufbrach ... ehe Ched Nasad vernichtet wurde. Der Barde, von dem ich ihn lernte, sagte, er könne dazu eingesetzt wer den, um den Aufenthaltsort eines jeden Objekts herauszufin den, wenn ich es mir nur vorstellte. Wenn ich diesen Zauber wirken kann, dann könnte er die Klinge finden helfen. Dazu müßtet Ihr mir aber sagen, wo ich mit der Suche beginnen soll. Wo verschwand Mathira?« »Sie wurde zuletzt im Eggental gesehen«, antwortete Uluya ra. »Von dort wollte sie in südlicher Richtung ins Narbental reisen, von dort weiter zur Schwarzfederbrücke. Auf einer so stark bereisten Route konnte sie kaum verschwinden, deshalb nehmen wir an, daß sie vom Weg abwich und sich verirrte. Mathira war in einer dringenden Angelegenheit unterwegs, vielleicht wollte sie eine Abkürzung nehmen und das Kalte Feld überqueren, um zur Schwarzfederbrücke zu gelangen.« Halisstra überlegte, wie sie ihren Zauber am sinnvollsten einsetzen konnte. Sie würde ins Eggental reisen, von dort den Weg zu den Federfällen einschlagen und dann auf einer mög lichst schnurgeraden Linie vordringen, wobei sie ihren Zauber alle achthundert Schritt wirken würde, da dies seine äußerste Reichweite war.
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»Wie groß ist das Kalte Feld?« fragte Halisstra und stellte sich etwas von den Ausmaßen einer großen Höhle vor. »Leider erstreckt sich das Kalte Feld von nordöstlicher nach südwestlicher Richtung über die längste Distanz«, erklärte Uluyara. »Es ist eine freie Fläche, so daß der Marsch bei zügi gem Tempo nicht länger als zwei Tage dauern sollte. Aber er wird nicht einfach sein. Ihr werdet von Glück reden können, wenn Ihr die andere Seite lebend erreicht. Ihr werdet Euch noch glücklicher schätzen, wenn die Geister, die diesen trost losen Ort bewohnen, Euch bis dahin nicht schon lange in den Wahnsinn getrieben haben.« »Wird mich keine andere Priesterin begleiten?« fragte Ha lisstra. »Die meisten haben sich auf die Suche nach dem Yochlol gemacht, der Breena tötete. Die ein oder zwei Priesterinnen, die zurückgeblieben sind, haben eilige Aufgaben zu erledigen. Ob sie entbehrlich sind, weiß ich nicht.« Halisstra kniff die Augen zusammen. »Ihr rechnet nicht damit, daß ich die Klinge finde, nicht wahr?« »Darum geht es nicht«, entgegnete Uluyara sanft. »Es ist einfach so, daß man bestimmte Reisen allein unternehmen muß.« Ihr Blick wanderte zu den Baumkronen. Der Gesang war verstummt, Breenas Leichnam beigesetzt worden. Die Nachtluft war kalt, doch Halisstra spürte, wie ein Feuer in ihr loderte. »Ich werde die Mondsichelklinge finden«, versprach sie. »Allein. Ich brauche keine Hilfe.« Sie wandte sich ab und ging in den Wald, zurück zu der Un terkunft, die sie sich mit Ryld teilte. Uluyara setzte womöglich kein Vertrauen in Halisstra, aber jemand anders tat es. Eilistraee.
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Valas hielt in jeder Hand einen Kukri und stand am Ende des Tunnels, den Pharaun einen Augenblick zuvor mit Hilfe seiner Magie ins massive Gestein gebohrt hatte. Der Tunnel war makellos glatt, leicht oval, aber nicht ganz hoch genug, als daß Valas aufrecht darin hätte stehen können. Er hatte eine leicht gebückte Haltung eingenommen, sein Haar strich über den magisch erwärmten Stein. Pharaun war nur einen Schritt hinter ihm und sang leise vor sich hin, während er zwischen Zeigefinger und Daumen die winzigen Saatkörner hielt, die die Komponente für den Zauber darstellten. Der Magier hatte sich in den vier Tagen gut vorbe reitet, die sie gebraucht hatten, um den Teil des Unterreiches zu erreichen, der unterhalb Myth Drannors gelegen war. Er hatte inzwischen den Zauber einige Male wiederholt, um den Tunnel Stück für Stück zu erweitern, der nun hundert Schritte
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lang war. Wenn der Gauner, von dem Valas die Position des Portals erhalten hatte, richtig geschätzt hatte, betrug die Ent fernung zwischen dem Korridor hinter ihnen und der Kammer ziemlich genau diese hundert Schritte. Mit dem nächsten Zauber sollten sie den Fels durchbrochen haben. Während Pharaun seinen Zauber vollendete und die Körner gegen die Tunnelwand vor ihnen schleuderte, wappnete sich Valas für das, was kommen würde. Der Stein vor ihm begann zu schimmern, dann schien er unter Pharauns Finger zu schmelzen und gab den Blick auf einen großen Raum frei, der wiederum gut zehn Schritte entfernt war. Abgestandene Luft schlug ihnen entgegen und trug den Geruch von Staub und verwestem Fleisch mit sich. Lautlos wie eine Spinne kroch Valas vor und spähte in die uralte Schatzkammer. Sie war gewaltig groß – wie der Gauner es beschrieben hatte –, kreisrund und kuppelförmig. Ihren Durchmesser schätzte Valas auf gut hundertfünfzig Schritte, die Höhe auf etwa fünfzig Schritte. Die gewölbte Decke war mit komplexen Mosaiken geschmückt, die aus polierten Kie seln und einer großen Zahl von Halbedelsteinen bestanden und Götter der Oberflächenelfen darstellten. Sie hielten Pfeil und Bogen in der Hand. Teile des Mosaiks waren herausgebro chen, da sich Wurzeln ihren Weg durch die Decke gebahnt und das Mauerwerk nach innen gedrückt hatten. Steine und Erde lagen auf dem Boden verteilt. Die Götter, deren Mosaike erhalten geblieben waren, schienen mit finsterem Blick die Zerstörungen zu betrachten. Auf Bodenhöhe – gut fünf Schritte unter dem Tunnel, in dem Valas kauerte – befanden sich drei Türen, die in identi schem Abstand voneinander angeordnet waren. Die Tür, die Valas gleich rechts unterhalb von sich sah, wirkte, als sei sie aus den Angeln gesprengt worden. Durch sie waren der Gau
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ner und seine Gefährten hier eingedrungen, nachdem sie ei nen Tunnel überwunden hatten, in dem es mehr Fallen gab als Eier in einem Spinnennest. Zum Glück hatte sich Quenthel Baenre – auf Pharauns dezente Überredungskünste hin – ent schieden, diesen Tunnel zu meiden. Valas starrte in den finsteren Raum und lauschte aufmerk sam. Von den Todesalben war nichts zu sehen, doch das war nicht ungewöhnlich. Todesalben konnten durch Wände ge hen und mochten jeden Moment auftauchen. Auch war keine Spur von den Gefährten des Gauners zu entdecken – was e benfalls nicht überraschte. Wenn sie als Gruftschrecken wie derauferstanden waren, dann hatten sie die Kammer vermut lich durch die beschädigte Tür verlassen, um sich auf die Suche nach frischem Fleisch zu begeben. Natürlich waren sie nach wenigen Schritten von den Klingen der Fallen in Stücke geschnitten worden, die den Korridor säumten. Doch ihr Ge stank schien noch immer in der Luft zu hängen. Valas blickte wieder auf zur Decke und sah einen Schädel, der sich in einem der Wurzelknoten der Bäume verfangen hatte, die von oben in die Kammer hereinragten. Wie es schien, lag die Kammer unter einem Friedhof. Die Oberflä chen-Elfen waren dafür bekannt, daß sie auf Gräbern ihrer Toten Bäume pflanzten. Angesichts der zahlreichen verrotten den Leichen gleich oberhalb der Decke war es kein Wunder, daß Todesalben hergelockt wurden. Pharaun kam zu Valas gekrochen und sah auch in die Kammer. Siehst du etwas? signalisierte der Meister Sorceres. Valas wechselte einen Dolch in die andere Hand, dann schüttelte er den Kopf und erwiderte: Ich sehe weder Todesalben noch das Portal. Wenn es hier ist, wirst du es bald sehen, gab Pharaun zurück.
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Der Magier begann die Worte eines Zaubers zu flüstern, während er die Hand mit der Innenfläche in den Raum gerich tet durch die Luft schwenkte. Kurz darauf begann ein Kreis in der Mitte des Raums in einem blaßlila Schein zu leuchten. Dort, sagte er und zeigte. Valas merkte sich die Stelle, dann beobachtete er weiter die Kammer. Deren Ruhe war gestört worden, so daß mit einem baldigen Auftauchen der Todesalben zu rechnen war. Voraus gesetzt, die Geschichte des Gauners entsprach den Tatsachen. Der Mann hatte behauptet, in der Kammer befinde sich noch immer ein Schatz – was Valas seinen Gefährten ver schwiegen hatte, da er fürchtete, es könnte sie von ihrer Missi on ablenken –, doch davon war nichts zu sehen. Vielleicht waren die Todesalben auch nur eine Lüge. Weder das plötzli che Auftauchen eines magisch geschaffenen Tunnels noch der von Pharaun gewirkte Erkenntniszauber brachte einen von ihnen zum Vorschein. Wenn dieser Ort, an dem die Götter in steinerner Stille finster dreinblickten, einmal von Todesalben heimgesucht worden war, dann waren sie offenbar inzwischen verschwunden. Dennoch würde Valas nicht weniger Vorsicht walten las sen. Um seinen Hals hing ein Goldkettchen mit einem Amu lett, geschaffen von Oberflächen-Elfen und geformt wie eine goldene Sonne. Er zog es unter seiner Rüstung hervor und küßte es, dann ließ er es frei vor seiner Brust baumeln und ignorierte Pharauns fragend hochgezogene Augenbrauen. Wenn Todesalben auftauchen sollten, dann würde es ihn be schützen. Zumindest für eine Weile. Du und die anderen solltet zum Portal eilen, riet er ihm. Mit ei nem spontanen Start und einem kräftigen Sprung solltet ihr alle zum Portal schweben können, ohne etwas in diesem Raum zu berühren.
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Ich werde mein Amulett benutzen, um den Sprung zu schaffen. Mit etwas Glück werden die Todesalben nichts davon mitbekommen, daß wir hier sind – wenn es sie überhaupt gibt. Du vergißt, daß Danifae nicht schweben kann, sagte Pharaun. Valas stöhnte, aber leise genug, damit Pharaun ihn nicht hörte. War er der einzige, der taktisch denken konnte? Dann benutze einen deiner Zauber – den, der einen umhersprin gen läßt wie ein Floh. Sie wird das Portal mit ein oder zwei Sätzen erreichen. Nach einer kurzen Pause fügte er an: Achte darauf, daß sie als letzte geht. Sie wird von allen am tolpatschigsten sein. Wenn es hier doch Todesalben gibt, dann werden sie von ihren Geräuschen angelockt werden. Pharaun runzelte die Stirn, kommentierte dies aber nicht. Statt dessen legte er eine Hand an die Lippen und wies nach hinten in den Tunnel, in dem Quenthel, Danifae und Jeggred warteten. »Wir sind durch«, flüsterte er und ließ seine Worte von dem Zauber bis zu Quenthel tragen. »Das Portal scheint aktiv und frei von Fallen zu sein. Kommt schnell, aber leise.« Valas, der nach wie vor aufmerksam die Kammer beobach tete, hörte hinter sich das leise Scheppern einer Rüstung – das von Danifae und Quenthel stammte, die vorrückten –, beglei tet vom leisen Kratzen von Jeggreds langen Krallen. Er preßte die Lippen aufeinander und betete, daß seine Gefährten end lich lernten, sich leise zu bewegen – und zwar schnellstens. Dann war es einen Moment ruhig, bis ein tiefes Knurren er tönte. Seine Geduld war am Ende, und er fuhr herum, einen Fluch auf den Lippen. Er sah, wie Quenthel sich näherte und die anderen durch den Korridor führte. Danifae war gleich hinter ihr, während Jeggred mit einigen Schritten Abstand folgte. Er sah über die Schulter nach hinten und knurrte immer noch.
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Herrin! signalisierte Valas Hune wütend. Sagt Jeggred, er ... Weiter kam er nicht, da die relative Stille von einem Grol len zerrissen wurde. Jeggred jagte durch den Tunnel zurück und stieß ein Kriegsgeheul aus. Im nächsten Augenblick sah Valas, was den Angriff des Draegloth ausgelöst hatte. Zwei Duergar, die besser als Karikaturen ihrer selbst zu be zeichnen waren, mit Klauen so lang wie die Jeggreds und Mäu lern voller nadelspitzer Zähne, schlichen sich soeben von hin ten an sie heran. Verrottete Kleidung hing ihnen in Fetzen vom Leib, ihr Haar war ein schmutzverkrustetes Durcheinan der. In ihren Augen brannte der Haß, den man bei allen Unto ten beobachten konnte, die lebende Wesen vor sich sahen. Anders als die Drow, denen sie gefolgt waren, bewegten sich die beiden Gruftschrecken völlig lautlos. Als sie merkten, daß man sie entdeckt hatte, stürmten sie los. Jeggred krachte ungebremst gegen den ersten Gruftschre cken, drückte ihn mit einem kraftvollen Schlag seines Kampf arms gegen die Wand und zerfetzte ihm mit den Krallen eines Fußes den Bauch. Während der stechende Gestank des Todes sich ausbreitete, jagte der zweite Gruftschrecken unter Jeggreds anderem Arm hindurch und berührte beiläufig die Brust des Draegloth. Der stöhnte auf – es war das erste Mal, daß Valas von ihm einen Schmerzenslaut hörte – und drückte mit einer der kleineren Hände auf die Stelle, während er leicht taumel te. Dann hatte er sich aber wieder gefangen, knurrte laut und bekam das Gesicht des Gruftschreckens zu fassen, um dann mit einer brutalen Bewegung den Kopf vom Rumpf zu trennen. Der erste Gruftschrecken regte sich immer noch und kroch wütend auf Jeggred zu, während seine verwesten Eingeweide hinter ihm über den Boden schleiften. Ehe er den Draegloth aber erreichen konnte, stürmte Danifae mit hocherhobenem Morgenstern in der Hand vor. Es war nicht viel Platz, um mit
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der Waffe in dem niedrigen Korridor auszuholen, doch sie brachte einen Hieb nach unten zustande. Der Morgenstern traf mit einem magischen Funkenregen auf den Schädel des Gruft schreckens, ein stechender Ozongeruch erfüllte die Luft. Der Gruftschrecken sackte in sich zusammen und blieb reglos lie gen. Pharaun warf Danifae einen bewundernden Blick zu. In ei ner Hand hielt er einen winzigen Lederbeutel, den er beim Angriff der Gruftschrecken aus einer Tasche gezogen hatte. »Gut gemacht«, sagte er und schob ihn zurück in seinen Pi wafwi. Quenthel sah an Danifae vorbei. »Sind da noch mehr?« fragte sie Jeggred. Jeggred stand keuchend da und drehte den Kopf hin und her, während er nach weiteren Gegnern witterte. Als sich seine Brust hob und senkte, bemerkte Valas die Wunde, die der Grüftschrecken dem Draegloth zugefügt hatte. Sie war kaum tiefer als ein Kratzer, doch sie ließ Jeggred keuchen, als sei jeder Atemzug eine Qual. Dann schüttelte Jeggred den Kopf. »Niemand«, antwortete er. »Nur die beiden.« Valas Hune räusperte sich. »Gruftschrecken sind im Moment unsere geringste Sorge«, sagte er zu den anderen. »Wir sollten uns in Bewegung setzen. Das Portal liegt direkt vor uns, in der Mitte der Kammer, gut fünfundsiebzig Schritte entfernt. Pharaun hat es mit einem Zauber markiert. Nun kommt. Nehmt Anlauf und springt aus der Tunnelöffnung, dann schwebt nach unten. Berührt nichts. Quenthel, Ihr geht zuerst, dann Jeggred, während Pharaun Danifae mit einem Zauber versieht. Dann Pharaun, dann Da nifae. Ich gehe als letzter.« Mit diesen Worten drückte er sich gegen die Wand und be
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deutete den anderen, sie sollten beginnen. Gleichzeitig sah er sich ein letztes Mal in der Kammer um und suchte nach Bewe gungen, die darauf hätten schließen lassen, daß sich Gruft schrecken in den Raum begeben hatten, während er von der Kammer abgewandt gewesen war. Nichts war zu sehen. Quenthel ging nach vorn und sah in den Raum, und nach einer kurzen, stummen Unterhaltung mit ihren Peitschenvi pern nickte sie zustimmend. Sie ging ein Stück in den Korridor zurück, dann sprintete sie an Valas vorbei und sprang. Einen Herzschlag später folgte ihr Jeggred mit rudernden Armen. Als das Paar durch den Raum in Richtung Portal driftete, sah Valas zur Decke. Blickten die Götter der Wandbilder noch wütender drein? Einen Augenblick lang beobachtete er sie, kam dann aber zu der Ansicht, daß er es sich eingebildet haben mußte. Quenthel hatte sich derweil über seine Anweisung hinweggesetzt und schwebte über dem Portal. Jeggred, der neben ihr trieb, sah zwischen seiner Herrin und dem Portal hin und her und wirkte verwirrt. Valas wollte Pharaun warnen, daß die beiden durch irgend etwas aufgehalten wurden, doch der Magier vollendete gerade den Zauber, den er auf Danifae wirkte, indem er mit etwas, das er zwischen seine Finger geklemmt hatte, ihre Knie berührte und dabei ein unsichtbares Symbol zeichnete. Als er fertig war, lächelte er Danifae aufmunternd zu, dann wandte er sich um, rannte an Valas vorbei und sprang. Er schwebte los und konnte gerade noch über Quenthel und Jeggred anhalten, dann fuchtelte er mit den Händen, um ih nen zu bedeuten, sie sollten das Portal durchschreiten. Quenthel jedoch schüttelte den Kopf. »Ihr zuerst!« befahl sie. Pharaun schwebte jedoch weiter in der Luft und ver
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schränkte die Arme vor der Brust. »Kommt!« rief er in den Tunnel. »Wir warten schon.« Valas schüttelte resigniert den Kopf. Der Kampf mit den Gruftschrecken hatte bereits genug Lärm verursacht, um Tote zu wecken, und wenn sie nun laut wurden, konnte niemand hören, ob sich noch mehr Widersacher näherten. Mit einer ungeduldigen Geste bedeutete er Danifae, sie solle loslaufen. Als sie an der Tunnelöffnung kauerte, fiel ihm auf, daß sie die Beine merkwürdig angewinkelt hatte. Sie sprang – machte einen Satz, der sie durch den halben Raum trug. Sie wirkte zuversichtlich, und dem Anschein nach hätte sie mühelos auf dem kahlen Boden landen müssen – doch dann, als sie sich noch einen Schritt über dem Boden befand, stolperte sie plötz lich und kippte zu einer Seite weg. Dabei hörte Valas ein Ge räusch, das klang, als verrutschten Kiesel. Danifae landete auf Händen und Knien, aber nicht auf dem Boden. Statt dessen befand sie sich auf etwas, das sie eine Armlänge über dem Boden schweben ließ. Etwas, das unsicht bar oder durch eine Illusion getarnt war. Etwas, das sich be wegte. Pharaun sah sie straucheln. Sofort schoß seine Hand in eine Tasche seines Piwafwi, dann strich er etwas auf seine Augen, während er einen Zauber rezitierte. Noch während Danifae versuchte, auf dem wackligen Untergrund Halt zu finden und dabei wieder dieses Geräusch verursachte, riß Pharaun erstaunt die Augen auf. »Danifae!« rief er. »Ihr steht auf einer verrotteten Truhe, aus der Juwelen quellen. Aber wichtiger noch: Rechts von Euch liegt ein Stab. Packt ihn!« Quenthel riß den Kopf herum und fragte: »Ein Stab?« Danifae tastete auf dem unsichtbaren Objekt herum, auf dem sie stand. Valas Hune verspürte ein wachsendes Unbeha
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gen. Jemand oder etwas beobachtete sie. Abermals wanderte sein Blick hinauf zur Decke. Der Späher erkannte, daß ihn seine Intuition nicht ge täuscht hatte. Die Augen der Götter in den Wänden waren anders. Sie hatten wie matte, flache Steine gewirkt, doch nun glühten sie rot wie Kohlen. Dann blinzelten sie. »Giftkuß«, fluchte Valas halblaut. Dann, als sich zwei rot glühende Augenpaare aus der Decke lösten und sich nach unten in den Raum treiben ließen, schrie er. »Pharaun! Quenthel! Über euch – Todesalben!« Jeggred reagierte zuerst. Er packte Quenthels Schultern und versetzte ihr einen Stoß, der sie den Boden berühren ließ. Ihre Füße kamen mit dem Portal in Kontakt, und sie war ver schwunden. Der Draegloth drehte sich um, weil er mit Pha raun das gleiche tun wollte, doch der Magier wand sich aus seinem Griff und trat nach ihm. Der Tritt brachte Jeggred in die Nähe des Portals, dann war auch er verschwunden. Valas Hune brummte verärgert. Jeggreds Verhalten war viel zu offensichtlich und scheinbar zu respektlos, so daß es sich nur um einen Befehl Quenthels handeln konnte. Sie hatte ihm augenscheinlich frühzeitig gesagt, was er zu tun hatte, sollten Todesalben angreifen. Ihre Taktik war vernünftig. Sie und Pharaun waren für die Mission wichtig, die anderen konnten geopfert werden. Pharaun hatte allerdings gewußt, was kom men würde und sich entschieden, zu bleiben und zu kämpfen, ungeachtet der Frage, ob das weise war oder nicht. Pharaun zog aus einer Tasche den winzigen Beutel, mit dem er schon zuvor hantiert hatte. Mit einer schlangengleichen Bewegung holte er eine Prise Diamantstaub hervor und warf ihn in die Luft. Als ein Paar Todesalben herabschoß, um sie anzugreifen – allein ihre glühenden Augen verrieten ihre Posi
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tion –, rief Pharaun seine Beschwörung. Die beiden Todesal ben waren zu schnell, um zu reagieren, und tauchten mitten in den Diamantstaub ein. Im gleichen Moment begannen sie aufzuheulen – ein qualvoller Laut, der Valas Hune eine Gän sehaut bescherte. Ihre Augen erloschen, als der mächtige Zau ber die nekromantische Magie aushauchte, die sie angetrieben hatte. Leider waren es, wie der Schurke ihn korrekterweise ge warnt hatte, mehr als zwei. Dutzende rotglühender Augen brachen aus der Decke hervor und senkten sich wie kleine, paarweise angeordnete Funken, die von einem brennenden Gebäude fallen, in den Raum herab, Pharaun sah zwischen den Todesalben und Danifae hin und her. Was ihm durch den Kopf ging, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben: Sollte er seine Haut retten und durch das Portal fliehen? Oder sollte er bleiben und sie schützen? Der Magier begann, zum Portal zu schweben, dann hielt er abrupt inne und sah auf etwas, das sich vor Danifaes Füßen zu befinden schien. Statt die Flucht zu ergreifen, holte er eine weitere Prise Staub aus seinem Beutelchen. Sein Zögern hätte ihn fast das Leben gekostet. Unbemerkt tauchte einer der Todesalben hinter ihm nach unten und jagte dann mit schreckerregendem Gelächter durch seinen Körper. Als die rotglühenden Augen aus Pharauns Brust austraten, schauderte der Meister Sorceres und wurde blaßgrau im Ge sicht. Drei weitere Todesalben näherten sich mit tödlicher Ab sicht Danifaes Position. Die hob ihren Morgenstern und mach te sich bereit, sich ihnen zu stellen, auch wenn ihr bewußt sein mußte, wie sinnlos der Versuch war. Die magische Waffe konnte vielleicht bei einem der geisterhaften Untoten etwas bewirken, doch die beiden anderen würden sie zweifellos einen
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Herzschlag später töten. Valas Hune verließ sich ganz auf seinen Söldnerinstinkt und berührte den neunzackigen Stern an seiner Brust, dann begab er sich zwischen die Dimensionen. Er tauchte in dem Moment neben Danifae auf, als die dornenbewehrte Kugel ihres Morgensterns an seinem Kopf vorbeizuckte und einen magischen Funkenregen auslöste, als sie das Geistwesen traf. Da ihre Waffe auf keinen Widerstand stieß, geriet Danifae ins Taumeln. Die anderen beiden Todesalben nutzten die Gelegenheit und drängten nach vorn, doch bevor sie zu Danifae gelangten, machte Valas einen Satz in die Luft, wobei ihm seine magi schen Stiefel zusätzlichen Auftrieb gaben. Mit ausgebreiteten Armen trieb er die Spitzen seiner Kukris in die Todesalben. Wie bei Danifaes Versuch glitten die Klingen durch die Kör per, ohne sie zu stoppen. Der Kukri in seiner rechten Hand explodierte vor magischer Energie, während der in seiner Lin ken lediglich einen oberflächlichen Schnitt im nebelartigen Leib des heulenden Todesalbs bewirkte. Da Valas mangels Widerstand nicht gebremst wurde, waren mit einem Mal seine beiden Arme von den Todesalben um schlossen. Ein Schaudern durchlief ihn, dann fiel er zu Boden und schaffte nur mit Mühe eine halbwegs kontrollierte Lan dung, da er auf den unsichtbaren, rutschenden Juwelen kaum Halt fand. Er glaubte, sein Herz müsse stehenbleiben, als der Schmerz in seinen Knochen sich weiter zu seiner Brust beweg te. Dann war es vorbei, da der Schmerz von dem Amulett um seinen Hals aufgenommen worden war, das sich auf einmal viel schwerer anfühlte. Da Valas die Todesalben von Danifae abgelenkt hatte, ging er davon aus, daß sie die Flucht angetreten hatte. Sicher war sie klug genug, um zu erkennen, daß Pharaun nicht ihretwegen
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gewartet hatte, sondern wegen des Stabs, den nur er sehen konnte. Drei weitere Todesalben hatten sie fast erreicht, ande re drangen soeben durch die Decke. Danifae ging jedoch in die Knie und begann, den Boden abzutasten. »Beschützt mich«, rief sie Valas zu, ohne zu ihm aufzusehen. Valas Hune dachte einen Herzschlag lang darüber nach – ob Kriegsgefangene oder nicht, Danifae war eine Priesterin Lolths, deren Wort ihm Befehl war –, dann aber schüttelte er den Kopf. »Keine Zeit«, schrie er. »Springt!« Er konnte sich gerade noch rechtzeitig vor einem heranja genden Geistwesen in Sicherheit bringen, benutzte die Magie seines sternförmigen Amuletts und verschwand zum zweiten Mal zwischen den Dimensionen, um am Portal wieder zu er scheinen. Er hielt lange genug inne, um zu sehen, wie Danifae das gleiche Schicksal wie Pharaun erlitt und eine blaßgraue Färbung annahm, als die Todesalben durch ihren Körper glit ten. Pharaun gelang es unterdessen, ein weiteres Geistwesen mit seinem Diamantstaub – der letzten Prise – unschädlich zu machen. Valas sah noch einmal hinauf zu einem der Todesalben, die sich aus dem Gewirr von Wurzeln nach unten sinken ließen, als ihm auf einmal etwas klar wurde. Die, Oberfläche konnte allenfalls ein paar Schritte über der Decke liegen. Nachdem er rasch die Zeit überschlagen hatte, erkannte er, daß er die mächtigste Waffe überhaupt übersehen hatte. Er wies mit einem seiner Dolche nach oben und rief Pharaun zu: »Über uns ist Tageslicht. Nutze es!« »Ah!« entgegnete Pharaun, der sofort verstand. Eine Hand zuckte in seine Tasche, er rief einen Zauber und warf die Saatkörner in die Luft. Noch während er damit befaßt war, näherten sich ihm sechs weitere Todesalben, während
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vier andere mit rotglühenden Augen auf Valas zuschossen. Wie ein Korken, der aus einer Flasche gezogen wird, ver schwand im gleichen Moment ein Teil der Decke. Tageslicht fiel in die Kammer, und Valas sah noch einmal kurz die roten Augen unmittelbar vor sich – dann waren sie fort. Er sah sich um, mußte aber wegen des gleißenden Lichts die Augen zu sammenkneifen. Die Todesalben waren verschwunden, ver scheucht vom Sonnenlicht. Er schloß die Augen und atmete erleichtert durch. Dann betrachtete er sein Amulett. Das Metall hatte seinen goldenen Glanz verloren und war nun mattgrau wie ein Stück Blei. Die Strahlen hingen schlaff herab. Valas steckte das Amulett weg, da es seine Schuldigkeit ge tan hatte. Das galt auch für Valas selbst. »Ich breche auf«, sagte er. »Ihr könnt bleiben und eure Ta schen mit Edelsteinen füllen, wenn ihr wollt.« Er sah zu Boden und erkannte, daß die Magie verblaßt war, die das Portal in Licht getaucht hatte. Doch er wußte nach wie vor, wo es war. Als er einen Schritt nach vorn machte, ver schwand alles um ihn herum – die Kammer, Pharaun und auch Danifae, deren Blick auf ihn gerichtet war und wütender brannte als die Augen der Todesalben. Die Luft um Valas herum wurde kühler und feuchter, eine willkommene Abwechslung von der bedrückenden Atmosphä re aus Tod und Staub in der Kammer. Er hatte das Gefühl, hinter sich eine Mauer und vor sich eine unendliche Weite zu haben. Er schüttelte den Kopf, um den leichten Schwindel zu vertreiben, der von der Reise durchs Portal verursacht wurde. Dann sah er Quenthel und Jeggred auf einem Felsvorsprung stehen, der mit Fledermausdung überzogen war. Unterhalb des Vorsprungs erstreckte sich ein See, so weit man sehen konnte.
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Beleuchtet wurde er von spärlichen Strahlen der Wintersonne, die durch schmale Risse in der Decke einfielen. Diese Decke erstreckte sich in eine immense Höhe, doch selbst auf die große Entfernung konnte Valas Abertausende von Fledermäu sen erkennen, die dort hingen und schliefen. Wenn die Däm merung kam, würde es in der Höhle nur so wimmeln. »Wo ist Pharaun?« fragte Quenthel drängend und bestätigte damit Valas’ ursprünglichen Verdacht, daß er und Danifae in ihren Augen wenig mehr als Fraß für die Todesalben waren. Jeggred schnupperte derweil an der Oberfläche des Felsens und strich mit dem Finger darüber. »Wir können nicht zurück«, knurrte er. »Pharaun ist uns nicht gefolgt, und wir können nicht zurück.« »Pharaun ist noch in der Kammer«, sagte Valas Hune. Die Vipern an Quenthels Peitsche warfen ihm einen haßer füllten Blick zu. »Ihr habt ihn zurückgelassen?« rief Quenthel. »Wieso nicht? Die Todesalben sind geschlagen – ganz ohne Euer Zutun«, murrte Valas und erkannte, daß er laut gespro chen hatte. Er ging einen Schritt zurück und senkte den Blick, doch die erwartete Zurechtweisung blieb aus. Quenthels Peitsche hing noch am Gürtel, und ihr Blick war nur auf die Wand hinter ihm gerichtet. Ihr Körper strahlte Anspannung aus, als sie dastand und wartete, wobei sie schweigend die Wand anstarr te, als könne sie Pharaun auf diese Weise zwingen, hervorzu kommen. Augenblicke später schien Pharaun ihr zu gehorchen, da er aus dem Portal trat, begleitet von Danifae, deren Beine wieder normal aussahen, nachdem der Zauber seine Wirkung verloren hatte. Jeggred knurrte den Magier an, doch Quenthel brachte ihn
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mit einer flüchtigen Handbewegung zum Verstummen, als sie entdeckte, was Danifae in der Hand hielt. Für Valas’ ungeüb ten Blick sah es aus wie ein gegabelter Zweig, der mit Silber überzogen war, doch Quenthel schien den Gegenstand sofort zu erkennen. »Ein Stab der Aufspürung«, sagte sie und streckte fordernd die Hand aus. »In der Tat, Herrin«, sagte Danifae ausdruckslos. »Die Schurken, die vor uns in der Kammer waren, müssen ihn fallengelassen haben.« Mit einer leichten Verbeugung übergab sie Quenthel den Stab. Die strich Danifae auf eine Weise übers Haar, die man als Zeichen der Zuneigung hätte auslegen können – hätte Valas Hune Quenthel nicht so gut gekannt. »Endlich hast du deine Nützlichkeit unter Beweis gestellt. Das wird es einfacher machen, das Chaosschiff ausfindig zu machen.« Quenthel war so auf den Stab fixiert, daß ihr etwas entging, was Valas sehr wohl bemerkte: Pharauns Miene. Wieder ein mal führte der Meister Sorceres etwas im Schilde. Valas Hune wollte gar nicht wissen, was es war, und wandte sich ab, um mit finsterem Blick den See zu betrachten. Als er mit seinem scharfen Blick in der Ferne etwas ausmachte, versteifte er sich unwillkürlich. »Was ist?« fragte Pharaun, der in die gleiche Richtung sah. »Weitere Todesalben?« Valas schüttelte den Kopf und wies auf eine weitentfernte Stelle im Wasser, über der die Fledermäuse aufgeregt kreisten. »Etwas versetzt die Fledermäuse in Aufregung ... es ist groß und bewegt sich auf uns zu.«
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Ryld trottete über die weite, karge Ebene und folgte weiterhin Halisstras Spur. Sie hatte ihm untersagt, sie zu begleiten, und ihm erklärt, die Suche nach der Mondsichelklinge sei eine Sache, die sie allein erledigen müsse – aber sie hatte ihm nicht untersagt, ihr zu folgen, jedenfalls nicht ausdrücklich. So hatte er sich von ihr verabschiedet, als sie Eilistraees Tempel verließ, und sich dann kurze Zeit später darange macht, ihr zu folgen, sobald sie außer Sichtweite gelangt war. Während der drei Tage, die sie durch den Wald gegangen war, hatte er keine Schwierigkeiten gehabt, dicht hinter ihr zu bleiben, doch als sie sich an die Überquerung des Kalten Feldes machte, war er gezwungen gewesen, sich zurückfallen zu lassen und ihr erst im Schutz der Dunkelheit zu folgen. Selbst mit seinem magischen Piwafwi war es ihm unmöglich, sich am hellichten Tag auf einer flachen, völlig ungeschütz
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ten Ebene zu verstecken. So folgte er nun den spärlichen Spuren, die zeigten, daß Ha lisstra hier entlanggekommen war: eine kahle Stelle auf dem gefrorenen Grund, wo zuvor ein Kieselstein gelegen hatte, ein Stück Flechte, das von einem Stein gerissen worden war, ein Stück Knochen, das erst vor kurzem auf die andere Seite ge rollt war und an dessen Unterseite noch gefrorene Erde klebte. Mit der Stiefelspitze trat der Waffenmeister das Bruchstück eines Schädels aus dem Weg, betrachtete die kahle Landschaft und hielt nach Halisstra Ausschau. Soweit er sehen konnte, war der gefrorene Boden mit zerfallenden Knochenstücken, rostigen Lanzenspitzen, Schildblechen und Fetzen von Ket tenhemden übersät, die so verrostet waren, daß die einzelnen Glieder längst zu einer festen Masse verschmolzen waren. Es kam ihm vor, als hätte man die Überreste jener vor Jahrhun derten in die Schlacht gezogenen Armeen ausgesät, damit sie eines Tages wiederauferstehen würden. Doch hier wuchs nichts, wenn man von ein paar Flechten absah, die auf den Steinen Halt gefunden hatten, die nicht durch den feurigen Odem der Drachen geschmolzen waren. Ein eiskalter Wind kam auf und zog wie die Geister der To ten an Rylds Piwafwi. Zitternd spähte er im trüben Licht nach Halisstra, die immer noch weit vor ihm sein mußte, da er sie nicht sah. Ryld begann sich zu fragen, ob der Boden sie wo möglich verschluckt hatte, wie es mit den gefallenen Armeen geschehen war. Dann wurde ihm klar, daß seine Nerven mit ihm durchgehen wollten. Doch so war dieser Ort eben. Die Kombination aus schimmelndem Tod unter seinen Füßen und dem weiten Himmel über ihm gab ihm das Gefühl, verwund bar und bloßgestellt zu sein. Wenn die Toten wirklich durch diese Einöde wandelten, dann gab es keine Stelle, an denen er ihnen entgegentreten konnte, keine Höhlenwand, die er im
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Rücken haben konnte. Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar – es war inzwi schen so lang geworden, daß es bald wieder geschnitten wer den mußte – und zog weiter, den Blick immer auf den Boden gerichtet, um nach Halisstras Spur zu suchen. Nach einigen Schritten jedoch blieb er stehen. Da vorn, ein Stück weiter in der Richtung, in die Halisstra gegangen war ... bewegte sich da jemand? Nicht jemand, sondern etwas! Die Gestalt hatte eindeutig die Form eines Drow, doch die untere Hälfte schien zu fehlen. Ryld sah deutlich, wie sich Kopf, Schultern und Arme von dem Punkt am Horizont abhoben, an dem der Mond hinter den Wolken aufging. Doch von der Taille abwärts war nur dunkler Nebel zu sehen, der sich im Wind bewegte wie der Rauch einer Kerze, die man ausgeblasen hatte. Allerdings mußte er nicht die Beine des Dings sehen, um zu wissen, wo hin es sich bewegte. Es eilte über die Ebene, blieb zwischen durch kurz stehen, um sich zu bücken. Mit einem Schaudern wurde Ryld klar, daß es Halisstra folgte. Er zog Splitter und sprintete los. Der Boden verschwamm unter seinen Füßen, als seine magischen Stiefel ihn etliche Male schneller laufen ließen, als es ihm normalerweise mög lich gewesen wäre. Sich auf der Ebene heimlich anzuschlei chen war ein Ding der Unmöglichkeit. Ryld konnte nur darauf setzen, daß seine Geschwindigkeit ihm helfen würde – und die Magie seines Zweihänders. Innerhalb weniger Augenblicke war er nahe genug, um die Kreatur deutlich zu sehen. Das Ding war einst menschlich gewesen. Es trug den Waffenrock – der mit einem stilisierten Baum versehen war – eines Soldaten über dem Kettenhemd, dazu einen verzierten Silberhelm mit weißer Helmzier, der ihm bis über die Schultern reichte und erkennen ließ, daß es sich
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um einen Offizier handelte. Der Helm glänzte im Mondlicht, das teilweise erst die Wolken durchdringen mußte, und die Glieder des Kettenhemdes klimperten. Dann war zumindest ein Teil der Kreatur stofflich, auch wenn Ryld Zweifel hatte, ob es mit einer gewöhnlichen Waffe verwundet werden konn te. Ryld war dankbar dafür, daß er Splitter hatte, dessen Zauber seine Chancen verbessern würden. Ryld war noch gut zwei Dutzend Schritte entfernt und legte die Entfernung schneller zurück als ein wütendes Rothé, als er plötzlich ein tiefes Murmeln hörte. Die Worte verstand er nicht, doch die Gefühle, die aus ihnen herauszuhören waren, ließen ihn taumeln. Es war, als sei er in einen Teich gelaufen, und nun stehe ihm das Wasser brusthoch. Wellen von Enttäu schung, Leid und Verlustschmerz schlugen über ihm zusammen und ließen ihn immer langsamer werden, bis er nur noch stol perte und schwankte. Der untote Offizier blieb stehen und drehte sich langsam um. Es war ein Mensch – ein Mann mit dunklem Bart, der sich um hängende Mundwinkel zog, und mit Augen voller Trauer. Alles an seinem Erscheinungsbild sprach von Verzweiflung, von den hängenden Schultern bis hin zum schlaff gehaltenen Dolch. Ryld sah, daß dieser Dolch bis zum Heft in der Brust der Kreatur steckte. Als der Untote Ryld ansah, wurde die Verzweiflung über mächtig. Begleitet wurde sie von einer telepathischen Stimme, denn der Offizier murmelte immer noch leise vor sich hin, doch die Bewegungen des Mundes stimmten nicht mit den Worten überein, die in Rylds Kopf dröhnten. Es ist aus, klagte die Stimme. Wir sind besiegt. Es war unsere Pflicht, bei der Verteidigung Fürst Velars umzukommen, doch einige von uns fielen nicht. Wir können nicht unehrenhaft zurück
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kehren. Uns bleibt nur ein Weg – ein Weg, der uns zur Ehre führt. Wir müssen unseren Platz neben denen einnehmen, die gefallen sind. Wie sie müssen wir sterben. Die Worte halten in Rylds Geist nach. Sterben ... sterben. Wir müssen sterben. Wir müssen unse ren Platz neben den anderen einnehmen. Es ist Eure Pflicht. Ihr müßt sterben ... Von der Intensität des Befehls wie angewurzelt versuchte Ryld zu gehorchen. Er drehte Splitter, hielt die Klinge fest und stellte es mit dem Heft auf dem Boden zwischen seine Füße. Er mußte sich nur nach vorn beugen, und sein Leid würde ein Ende haben. Seine Ehre wäre wiederhergestellt. Ryld ließ den Kopf sinken und betrachtete seine Hände – und die Spitze der Klinge, die sie hielten. Er beugte sich lang sam weiter vor, bis die magisch geschärfte Klinge durch seinen Brustpanzer drang und ihn ins Fleisch stach. Er spürte, daß sein vorgesetzter Offizier ihn wohlwollend betrachtete. Er mußte nur sein Gewicht nach vorn verlagern und in die Klinge sin ken. Dann würde die Niederlage von Fürst Velars Armee ... Sein Blick fiel auf einen Ring an seiner linken Hand, der die Form eines kleinen, gewundenen Drachen aufwies, wohl ein Abzeichen irgendeiner Art. Die Armee Fürst Velars war von Drachen niedergerungen worden – warum aber trug er dann einen Ring, der eine dieser üblen Kreaturen zeigte? Das war doch verkehrt! Nein ... der Ring war das einzige, was richtig war. Er wies Ryld als einen Meister Melee-Magtheres aus, was in ihm eine Erkenntnis bewirkte. Er war nicht Offizier einer Armee, die Jahrhunderte vor sei ner Geburt geschlagen worden war. Er war Ryld Argith, Waffenmeister Melee-Magtheres, Bürger Menzoberranzans. Er schüttelte heftig den Kopf und befreite sich vom letzten
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Rest des magisch auferlegten Zwangs. Er ließ Splitter fallen und zog sein Kurzschwert, eine Waffe, deren Zauber exakt auf einen derartigen Gegner ausgelegt war. Der Waffenmeister sprang nach vorn und rammte die Klinge tief in die Brust des Untoten. Seine Klinge traf auf Widerstand, gerade als hätte er sie in ein echtes Kettenhemd und lebendes Fleisch gejagt, und der Stoß fand sein Ziel. Der untote Offizier blickte auf das Schwert, das neben seinem Dolch in seinem Herzen steckte, und stieß ein Stöhnen aus. Ryld zog sein Schwert zurück und tänzelte außer Reichweite. Eine dunkle Nebelschwade trat aus der Stichwunde aus, die das Schwert in der Brust des Untoten verursacht hatte. Die nebelähnliche Substanz, die den Unterleib darstellte, begann zu wirbeln. Innerhalb weniger Herzschläge verwandelten sich auch Magen, Brustkasten, Arme und Hals in jenen dunklen Nebel. Der Kopf löste sich zum Schluß auf, während der Untote die Lippen zu einem Lächeln verzog und seine Augen aufleuchte ten. Danke, flüsterte er. Dann war er verschwunden. Ryld schauderte angesichts dessen, wie knapp er mit dem Leben davongekommen war, und starrte auf die Klinge. Sie war unversehrt, der Kontakt mit dem Untoten schien ihr nichts ausgemacht zu haben. Vorsichtig sah er in alle Richtun gen, um sicher zu sein, daß keine weiteren üblen Kreaturen auf ihn lauerten. Als er nichts entdecken konnte, steckte er sein Kurzschwert ein, dann hob er Splitter auf und schob es auch in die Scheide zurück. Er setzte seinen Weg fort, um Halisstras Spur zu folgen. Je eher sie das gesuchte Schwert findet, um so eher wird sie das Kalte Feld verlassen, dachte der Waffenmeister.
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Halisstra hockte sich erschöpft hin, unter ihren Füßen knirsch te die dünne Schneeschicht, die nach dem Aufgehen des Mondes gefallen war. Ohne Pause hatte sie eine Nacht und einen Tag lang gesucht und befand sich nun in der zweiten Nacht. Wiederholt hatte sie versucht, den Zauber zu wirken, der ihr helfen sollte, die Mondsichelklinge zu finden. Doch war sie nicht sicher, ob sie sich die Worte richtig eingeprägt hatte, und auch bei der Melodie konnte es sein, daß nicht jeder Ton der Richtige gewesen war. Oder aber das dunkle Lied überstieg einfach nach wie vor ihre Fähigkeiten. Nichts von dem Kribbeln war zu spüren, das sie in die Richtung des gesuchten Gegenstands hätte führen können. Das einzige, was sie spürte, war der unerbittliche kalte Wind, der über die karge Ebene fegte. Sie kauerte in der Finsternis und betrachtete im trüben Licht das Objekt, das sie eben aus der Brusttasche ihres Piwaf wi gezogen hatte: das Medaillon ihres Hauses. Als sie zu Ei listraees Glauben übergetreten war, hatte sie sich entschlossen, es wie alles, das sie mit ihrer Vergangenheit verband, abzule gen. Doch etwas hatte sie zögern lassen. Die Brosche war im merhin von Magie erfüllt, die ihr die Möglichkeit zu schweben gab. Doch es steckte mehr dahinter. Sie fühlte nicht nur eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit, sondern auch zu ihrer Zukunft. Nachdem sie die Brosche auf den schneebedeckten Boden gelegt hatte, zog sie Seylls Liedschwert aus der Scheide und hob das Heft der Waffe an ihre Lippen. Wie ging die Melodie noch gleich? Es kam ihr seltsam vor, ein Lied der Bae’qeshelTradition auf einem Instrument zu spielen, das für eine Prieste rin der Dame des Tanzes geschaffen worden war. Aber war das
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wirklich so seltsam? War es nicht Eilistraees Bestreben, die Fertigkeiten und Fähigkeiten des Unterreiches an die Oberflä che zu holen? Eine Weile konzentrierte sich Halisstra darauf, wie sie die Finger bewegte, während sie die Melodie in verschiedenen Tonlagen und Tempi zu spielen versuchte und von Zeit zu Zeit ihre Finger anhauchte, um sie zu wärmen. So sehr sie sich aber anstrengte, ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, und ihre Lider fühlten sich schwer an. Nach über eineinhalb Zyk len ununterbrochener Suche sehnte sie sich so sehr danach, sich der Entspannung hinzugeben, die die Trance verhieß. Sie wünschte sich, von ihr überwältigt zu werden, in den Erinne rungen zu treiben, die besänftigend wirkten. Doch sie konnte nicht aufgeben. So erschöpft sie auch war, sie würde erst den Zauber meistern und dann ruhen. Doch der bitterkalte Wind schien ihr die Noten wegzureißen und in die Nacht zu tragen wie welke Blätter. Halisstra ließ das Liedschwert sinken und betrachtete die Knochenreste und das rostige Metall, das überall aus der dün nen Schneeschicht herausragte. Vor Jahrhunderten war hier eine Armee einem Widersacher gegenübergetreten, der Dra chen zu seinen Verbündeten zählte. Obwohl diesen Soldaten klar gewesen sein mußte, daß sie keine Chance hatten, mar schierten sie mutig in die Schlacht – und wurden besiegt. Jahrhunderte später war Halisstra auf Drängen einer toten Priesterin hier unterwegs, um sich einer noch unmöglicheren Herausforderung zu stellen. Es war Wahnsinn, zu glauben, sie könnte Lolth besiegen. Selbst mit der Mondsichelklinge – vorausgesetzt, sie fand sie überhaupt – würde Halisstra sicher lich unterlegen sein. Lolth verfügte über unvorstellbare Kräfte, die allumfassend waren. Niemand konnte ihrem Netz aus Zer störung und Rache entgehen. Halisstra war ein Närrin, daß sie
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den Versuch wagte, so etwas zu denken. Vielleicht war es ja besser, wenn sie die Mondsichelklinge nicht fand. Plötzlich hatte Halisstra das Gefühl, jemand blicke ihr über die Schulter. Jemand, der flach und keuchend atmete. Erschrocken sprang sie auf, das Liedschwert in der Hand. Sie fuhr herum, sah aber niemanden. Rasch sang sie den Zau ber, der es ihr ermöglichte, unsichtbare Wesen zu sehen. Die wenigen Schneeflocken wurden schärfer umrissen, als die Luft magisch zu schimmern begann, doch sie sah noch immer nichts. Dann materialisierte sich direkt vor ihr eine geisterhafte Gestalt. Es war eine Drow, die gräßlich entstellt war. Langes weißes Haar hing ihr in strähnigen Büscheln vom Kopf herab, der mit tiefen Furchen durchzogen war. Ihr Gesicht war schwer ver brannt. Anstelle der Nase klaffte ein tiefes Loch, und die Au gen fehlten. Die Haut im Gesicht sowie an den nackten Ar men und Beinen hatte riesige Blasen geworfen. Der Rumpf war zum Glück unter einem Kettenhemd verborgen, doch die Glieder waren verrostet und so locker, als hätte man das Hemd in einen Säuresee geworfen. Halisstra klammerte sich an dem beschädigten Liedschwert fest, ihr Herz raste, und sie wünschte sich verzweifelt, sie würde über eine bessere Waffe verfügen. Die geisterhafte Gestalt unternahm jedoch nichts, was bedrohlich gewirkt hätte. Viel mehr bückte sie sich und griff nach etwas, das auf dem Boden lag: Halisstras Brosche. Dabei bemerkte Halisstra ein Medaillon an der Taille des Geistes, das an einer Metallkette baumelte. Wie das Ketten hemd war es auch geschwärzt und beschädigt, doch Halisstra bemerkte, daß noch etwas von dem Muster darauf zu erkennen
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war: das Symbol Eilistraees. Halisstra warf einen Blick auf die verrostete Scheide am Gürtel der Gestalt. Sie war wie eine Mondsichel geformt. Langsam ließ sie ihr Schwert sinken. »Mathira Melarn«, flüsterte sie. Der Geist nickte. »Ich suche nach der Mondsichelklinge«, sagte Halisstra dem Geist. »Werdet Ihr mir helfen?« Wieder nickte die Gestalt langsam und traurig. »Wo ist sie?« fragte Halisstra. Der Geist öffnete den Mund, doch heraus kam nur ein gur gelndes Ächzen. Die Zunge fehlte, weggebrannt von der Säure, die sich auch über den Rest der Frau ergossen hatte. Der Wyrm, der sie getötet hatte, mußte ein schwarzer Drache ge wesen sein. Halisstra schauderte beim Gedanken an die Qua len, die der ätzende Speichel der Priesterin in den Augenbli cken vor dem Tod bereitet haben mußte. Könnt Ihr Zeichen geben? fragte Halisstra. Als Reaktion darauf ließ der Geist das Medaillon fallen und hob die Hände, die nur noch aus verätzten Fleischklumpen bestanden und deren Finger zum Teil bis auf die Knochen weggefressen waren. Steif, als leide die Drow noch immer un ter den Qualen ihrer Verletzungen, drehte sie sich schließlich um und bedeutete ihr mit einer knappen Armbewegung, sie solle ihr folgen. Halisstra sah auf ihr Hausmedaillon und erkannte, daß es durch die Berührung des Geistes geschwärzt worden war. Da sie es lieber nicht anfassen wollte, ließ Halisstra das Medaillon liegen und folgte dem Geist.
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Als Ryld den Metallgegenstand aus dem Schnee ragen sah, hielt er ihn zunächst für ein weiteres Trümmerstück auf dem Schlachtfeld. Rost und schwarze Flecken ließen die Brosche aussehen, als sei sie Jahrhunderte alt. Doch dann fiel ihm die Form auf. Rasch bückte er sich, um sie aufzuheben, dann zuck te er zusammen, als etwas an dem Gegenstand in seiner Hand brannte. Er hielt sie nur an den äußersten Rändern fest, dann schnupperte er und roch etwas Stechendes. Säure? Er drehte die Brosche und fand seine Vermutung bestätigt. Stellenweise sah sie uralt aus, doch die Klammer an der Rück seite war unversehrt, und große Teile des Metalls glänzten wie frisch poliert. Dies war kein Überbleibsel der Schlacht. Er betrachtete es eingehender, um das Muster auf der Vor derseite zu identifizieren, als ihm ein heftiger Schauer über den Rücken lief, da er erkannte, wessen Brosche das war.
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Es war die Halisstras! Das Symbol wies sie als adlige Tochter des Hauses Melarn aus. Sie mußte von etwas hier auf der sturmgepeitschten Ebene überrascht worden sein. Hatte sie die Brosche am Piwafwi getragen? Wenn ja, war sie vielleicht durch das verletzt worden, was das Metall getroffen hatte. Ryld sah sich aufmerksam um, entdeckte aber keine Hin weise auf einen Kampf. Zwei tiefe Fußabdrücke und eine Spur, die der Saum ihres Piwafwi hinterlassen hatte, wiesen darauf hin, daß Halisstra hier gehockt hatte. Wirre Abdrücke verrie ten, daß sie sich abrupt umgedreht hatte, doch es war kein anderes Paar Abdrücke im Schnee auszumachen. War sie von oben angegriffen worden? Ryld stellte sich vor, wie ein schwarzer Drache auf Halisstra herabschoß und sie mit seinem ätzenden Odem einhüllte. Doch das erschien ihm nicht als die Antwort auf das Rätsel. Von Halisstras Abdrü cken abgesehen war der Schnee völlig unberührt. Flatternde Flügel hätten ihn mit ihrem Luftsog aufwirbeln müssen, und der Odem eines schwarzen Drachen hätte im Schnee Spuren hinterlassen. Es mußte ein Geist – vielleicht einer, der dem Offizier äh nelte, dem Ryld begegnet war – oder eine andere körperlose Kreatur gewesen sein, die Halisstra erschreckt hatte. Was auch immer es gewesen war, es schien jedenfalls nur ihre Brosche beschädigt zu haben. Halisstra hatte sich von ihrer ursprüngli chen Marschrichtung ab und nach Süden gewandt. Die Spur, die sie dabei hinterließ, sah völlig normal aus. Nein, nicht völlig normal. Gut einen Schritt rechts von Halisstras Fußabdrücken verlief eine unregelmäßige Linie aus kleinen Kuhlen im Schnee, so als sei dort etwas hingetropft. Zum Glück handelte es sich nicht um Blut, wie Ryld erleich tert feststellte. Es war keine Spur von Rot zu sehen, außerdem waren die Tropfen klein. Er beugte sich weiter vor, schnupper
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te und nahm den gleichen stechenden Geruch wahr. Neugierig berührte er einen der Tropfen mit einer schwieligen Finger spitze, bewegte sich einen Moment lang nicht. Dann verspürte er ein leichtes Stechen und zog den Finger zurück. Säure. Er wischte sich den Finger ab und überlegte. Wenn Ha lisstra einem bösen Geist begegnet war, dann hatte der eine seltsame Art, sich zu manifestieren. Ryld war einmal auf einen Geist getroffen, der blutige Schmierer auf dem Boden hinter ließ, auf dem er sich bewegte. Es war der Geist eines Mannes gewesen, dessen Kehle aufgeschlitzt worden war. War der Geist, dem Halisstra begegnet war – vorausgesetzt, das war der Fall –, durch Säure getötet worden? Was immer die Spur im Schnee hinterlassen hatte, Halisstra war ihm gefolgt. An mehreren Stellen überlagerten sich die Spuren. Mit finsterer Miene machte sich Ryld daran, ihnen zu folgen. Sie führte nicht weit. Nach etwa fünfhundert Schritten ent deckte Ryld ein klaffendes Loch im Schnee. Ringsum lagen Steine und lockere Erde. Es hatte einen Durchmesser von gut drei Schritten und sah aus, als hätte man es von unten heraus geschlagen. Halisstras Schritte führten bis fast ans Loch, dann stoppten sie kurz, gingen aber gleich weiter, als wäre sie unter die Erde vorgedrungen. Auch die Spur aus Tropfen führte dorthin. Er zog Splitter und ging langsam vorwärts, während er auf merksam den Boden betrachtete. Das Loch führte leicht schräg nach unten, doch die Tropfen endeten am Rand des Lochs, während leicht schleifende Spuren zeigten, daß sich Halisstra nach unten begeben hatte. Was immer es auch gewesen sein mochte, das sie hergeführt hatte, es war nicht mit ihr hinabge stiegen.
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Am Rand des Lochs hockend benutzte der Waffenmeister die Schwertspitze, um zu sehen, was rings um die Öffnung verteilt war, mußte aber feststellen, daß es sich um gefrorene Erde handelte. Das Loch an sich war schon vor einer Weile geschaffen worden. Er legte den Kopf schräg und lauschte, doch falls sich Ha lisstra drunten in der schwarzen Tiefe aufhielt, war es unmög lich, sie über das Heulen des Windes hinweg zu hören. Schneefall hatte eingesetzt, die Flocken landeten sanft auf seinem Kopf, blieben einen Moment liegen, schmolzen dann aber und liefen in kleinen, kalten Rinnsalen über seine Haut. Trotz des gefütterten Waffenrocks spürte er die Kälte des Brustpanzers auf der Haut, und seine Armschienen knarrten jedes Mal, wenn er die Arme bewegte. Wenigstens würde der Tunnel ihn vor Wind und Schnee schützen. Behutsam kletterte er über den Rand und ging langsam die Schräge hinunter. Eine Eisschicht auf dem Boden machte das erste gute Dutzend Schritte zu einem riskanten Marsch, doch dann wurde der Gang breiter, und der Boden war wieder nor mal begehbar. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er, daß sich der Tunnel gabelte. Ein Weg führte links weg, der andere direkt nach unten. Da er wußte, daß Halisstra nur dank ihrer Brosche hatte schweben können, wählte Ryld den linken Gang. Nach eini gen Schritten nahm er erleichtert wahr, daß sechs Kieselsteine so auf dem Boden angeordnet waren, daß sie ein Dreieck bilde ten, das aus dem Tunnel zeigte. Halisstra war in diese Richtung gegangen, und sie hatte ihren Weg aus dem Untergrund gut gekennzeichnet. Mit zügigen Schritten eilte er voran, wobei er sich für eine Weile gleichbleibend in der Horizontalen bewegte, wenn auch der Gang nicht schnurgerade verlief. Vielmehr beschrieb er
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eine Reihe von Kurven, die mehr als einmal wieder zurück führten. An jeder Abzweigung blieb Ryld kurz stehen, sah sich wachsam um und fand wieder ein Dreieck aus Kieseln. Dank Halisstras Wegweisern kam er zügig weiter. Schließlich verlief der Gang nahezu tausend Schritte fast gerade, um dann abrupt in steilem Winkel abzufallen. Dort blieb Ryld stehen, während er überlegte, wie ein so seltsam verlaufender Tunnel hatte entstehen können. Einmal hatte er miterlebt, wie Pharaun mit Hilfe eines Zaubers einen Weg durch einen Fels geschaffen hatte, doch das Ergebnis war ein schnurgerader, ovaler Tunnel gewesen, dessen Wände wie poliert gewesen waren. Der Tunnel, durch den er sich hier bewegte, war rund, die Oberfläche war rauh, und stellenweise gab es Aussparungen, die so aussahen, als hätte jemand ein Stück Fels herausgebis sen. Als sich Ryld vorbeugte, um eine dieser Stellen genauer zu betrachten, stellte er fest, daß das Gestein abgerundet war wie Steine in einem Flußbett, aber leicht narbig. Damit vermischt waren Metallstücke – Fetzen von Rüstungen, die vom Schlachtfeld über ihm stammten –, die aussahen, als hätte man sie in Säure anstelle von Wasser gewaschen. Die Ränder des Metalls waren glatt, doch das Material selbst war zerfurcht und fiel in sich zusammen, als Ryld darauftrat. Ryld richtete sich wieder auf und faßte Splitter noch fester. Die Höhle war nicht magisch entstanden; hier hatte sich ein Lebewesen durch den Fels gefressen. Ryld hatte bis zuletzt gebetet, es möge ein uralter Weg sein, keiner, der eben erst geschaffen worden war, doch der Geruch nach Säure, der sich in der Luft hielt, sprach für letztere Vari ante, und die Tatsache, daß dieser Geruch intensiver wurde, je tiefer er in diesen Gang vordrang, ließ ihn nichts Gutes erah
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nen. Wenn er sich nicht irrte, was die Kreatur anging, die diesen Tunnel geschaffen hatte, sollte Halisstra sich ihr besser nicht allein stellen. Vorsichtig ging Ryld den steilen Weg hinab und bewegte sich zunächst nur langsam, da jede noch so unbedeutende Lawine aus kleinen Steinen die Kreatur auf ihn hätte aufmerk sam machen können. Sein Herz raste, als er plötzlich Halisstras Stimme hörte und erkannte, daß sie einen ihrer Bardenzauber wirkte. Aber warum? Machte sie sich nur auf etwas gefaßt, was ihr bevorstand, oder wurde sie schon angegriffen? Mit finsterer Miene eilte er weiter, ohne sich darum zu kümmern, daß seine Füße auf dem immer steiler abfallenden Pfad rutschten. Vor ihm öffnete sich der Tunnel in eine Höhle, die aussah, als hätte sich die Kreatur mehrere Male um sich selbst gedreht, um ein Nest zu schaffen. Das Stück Höhlenboden, das er sehen konnte, war mit kleinen Pfützen übersät, es roch intensiv nach Säure. Augenblicke später hatte er den Höhlenboden erreicht und fand seine Vermutung bestätigt. Am anderen Ende der Höhle lag ein gewaltiger purpurfarbener Wurm, der noch größer war, als Ryld es erwartet hatte. Er war um die dreißig Schritte lang und hatte sich wie eine Schlange zusammengerollt. Den Kopf hatte er angehoben und das Maul weit aufgerissen, Säure troff von den Zähnen, die so groß waren wie Dolche. Halisstra stand unmittelbar vor ihm, mit dem Rücken zu Ryld, das Lied schwert in der Hand, den Blick starr auf das Tier gerichtet. Die Bezauberung, die sie sang, schien Wirkung zu zeigen, da sich der Wurm zur Melodie bewegte und mit seinen kleinen Augen die Frau vor sich fixierte. Halisstra war das Musterbeispiel einer Drow: stark und furchtlos, in der Lage, sich jeder Bedro hung zu stellen. Darauf bedacht, nicht ihre Magie zu stören, blieb Ryld am
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Fuß der Schräge stehen. Es gelang ihm, dabei kein Geräusch zu verursachen, doch als er einen Schritt nach vorn machte, verlor er den Halt, als ein Stück Fels nachgab, das von der Säure unterhöhlt worden war. Sein Fuß rutschte in eine Lache mit frischer Säure – zum Glück schützte ihn sein Lederstiefel –, und das leise Platschen machte Halisstra bewußt, daß sie nicht mehr allein war. Sie riß den Kopf herum, um zu sehen, wer sich zu ihr gesellt hatte, und machte eine verblüffte Miene. Zwar sang sie weiter, doch da sie für einen Moment den Blick kontakt mit dem Purpurwurm unterbrach, wurde der Zauber gestört. Die Kreatur warf den Kopf hin und her, ätzender Spei chel spritzte umher, bis sie die Wirkung der Bezauberung abge schüttelt hatte. Dann schlug sie zu. Mit aufgerissenem Maul schoß der Wurm auf Halisstra zu, der kaum genug Zeit blieb, um das Schwert zu heben und nach oben zu stoßen, da Kopf und Schultern im Schlund des Wurms verschwanden. Ryld sprang vor und schrie, um das Geschöpf abzulenken. Er sah, wie die abgebrochene Spitze von Halisstras Liedschwert unterhalb eines Auges die Wange des Wurms durchstieß, was ihm aber offenbar nichts ausmachte. Trotz seiner magischen Stiefel, die Ryld eine gewaltige Schnelligkeit verliehen, kam der Wurm ihm zuvor. Wie ein Vorhang, der fällt, schob sich das Maul weiter über Halisstra, umschloß sie bis zur Brust, bis zur Taille, dann bis zu den Knien. Dann hatten die schreckli chen, purpurschwarzen Kiefer auch die Füße erreicht – und schlossen sich. Ryld war einen Herzschlag später bei der Kreatur. Er holte aus und schlug mit aller Kraft zu, die seine sehnigen Arme aufbringen konnten, weil er das Monster köpfen wollte. Doch da hörte er Halisstras erstickten Schrei aus dem Inneren des Wurms und bemerkte eine Beule, die sich durch die Kehle
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weiterbewegte. Aus Angst, er könne Halisstra treffen, drehte er das Schwert mitten im Schwung in eine andere Richtung. Die Klinge traf eine Windung des Wurms, schnitt tief in die purpurfarbene Haut der Kreatur und gab den Blick frei auf das darunter befindliche, rosige Fleisch. Der Wurm wand sich vor Schmerz und entrollte sich so schnell, daß er Ryld nach hinten schleuderte. Jeder andere wäre von dem Aufprall zu Boden gerissen worden, doch der Meister Melee-Magtheres war darin geübt, auf den Beinen zu bleiben. Eine der ersten Übungen als Schüler hatte darin be standen, den Körper bei einem Treffer wegzurollen und Füße, Knie und Ellbogen zu benutzen, um sofort wieder aufzusprin gen. Während der Wurm sich weiter schüttelte, brachte sich Ryld in Sicherheit, um einen kontrollierten zweiten Angriff auf einen anderen Teil seines Leibs zu führen. Als sein Kopf herumschoß, um nach dem Kämpfer zu schnappen, machte der einen Satz nach hinten und stieg gleichzeitig in die Luft auf. Das Maul des Wurms bohrte sich in die Stelle, an der Ryld eben noch gestanden hatte, seine Zähne zersplitterten beim Aufprall auf den Stein. Im nächsten Moment hob der Wurm den Kopf wieder und versuchte, nach Ryld zu schnappen, der immer noch in der Luft schwebte. Sofort hob Ryld seine Levi tationsmagie auf, stürzte zu Boden, landete leichtfüßig mit gebeugten Knien und sprang zur Seite. Dieser kurze Blick in Maul und Schlund des Wurms bestätigte seine Befürchtungen – das Maul war leer, er hatte Halisstra vollständig geschluckt. Wut erfaßte ihn, heftiger und stärker als jede Schlacht sie je in ihm ausgelöst hatte. Er heulte vor Zorn, heiße Tränen stan den ihm in den Augen. »Halisstra!« schrie er.
Er stürmte vor und schlug nach der Kehle des Wurms.
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Wenn er ihn schnell genug töten konnte, dann war vielleicht noch Zeit genug, um Halisstra zu befreien, ehe die Säure der Kreatur sie zerfraß. Sie würde entstellt sein, aber sie würde leben. Nur das zählte. Ryld stimmte bei jedem Schlag ein wütendes Kriegsgeheul an und fügte dem Wurm tiefe Schnitte zu. Die Kreatur war intelligent genug – oder war es reiner Instinkt? –, Kopf und Hals zurückzureißen, aber jede neue Wunde ließ sie langsamer werden. Ryld schöpfte Hoffnung und stürmte weiter, ständig von dem Wissen begleitet, daß mit jedem verstreichenden Augenblick Halisstras Chancen sanken. Der Wurm war so dumm, den Kopf so zu halten, daß der Kämpfer ungehindert nach seiner Kehle schlagen konnte, was er dann auch tat – und einen Herzschlag später erkannte, daß es sich nur um eine geschickte Finte handelte. Noch während Ryld vorstürmte, drehte der Wurm seinen Schwanz in seine Richtung und enthüllte einen Stachel, den Ryld bisher nicht bemerkt hatte. Dieser glitt von seinem Brustpanzer ab und bohrte sich wie eine Messerklinge in sei nen Bauch. Vor Schmerz fast blind bewegte er sich hastig rückwärts, um den tödlichen Dorn aus seinem Leib zu bekom men. Zwei oder drei Schritte weit konnte er Splitter festhal ten, aber von der Wunde ging ein Schmerz aus, der wie ein Feuer durch seinen Leib jagte und sich rasend schnell von der Einstichstelle bis in seine Finger- und Zehenspitzen ausbreite te. In diesem schrecklichen Augenblick erkannte Ryld, daß er vergiftet worden war. Zu schwach, um Splitter noch länger festzuhalten, ließ er das Schwert fallen. Er hörte das Scheppern von Metall auf Fels, jedoch nur schwach, da in seinen Ohren vor allem das Schlagen seines Herzens und das Rauschen seines Bluts in den Adern dröhn ten. Der Schmerz war so schlimm, als hätte jemand seinen
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Leib mit kochendem Wasser gefüllt. Er brach zusammen und schaffte es kaum, seinen Sturz mit einem Arm abzufangen. Die andere Hand preßte er auf seinen Magen, während er langsam den Kopf hob, da er dem Wurm in die Augen sehen wollte, wenn der ihn in einem Stück schluckte. Wenigstens – so dachte er, als das Gift in seinen Schläfen pochte – würde er mit seinem Leben dafür bezahlen, daß Halis stra ihres seinetwegen verloren hatte. Er würde an ihrer Seite sterben – ein langsamer, schmerzhafter Tod war genau, was er verdiente. Überrascht stellte er fest, daß der Wurm seinen Angriff nicht fortsetzte, sondern sich an die gegenüberliegende Wand zurückgezogen hatte. Ryld mußte ihn schwerer als erwartet verwundet haben. Dann sah er entsetzt mit an, wie an einer Seite des Wurms eine Beule entstand und wieder verschwand – eine Beule, die nur von einem Geschöpf verursacht werden konnte, das sich in seinem Inneren befand. Halisstra! Sie lebte! Ihm fiel auf, daß die Spitze ihres Liedschwerts noch immer aus der Wange des Wurms ragte, womit sie nichts haben konn te, um sich zur Wehr zu setzen. Ryld versuchte, aufzustehen und zu Splitter zu gelangen, doch er mußte feststellen, daß sein Körper ihm nicht gehorch te. Jeder Atemzug machte den Schmerz in seinem Bauch ste chender, und die Luft ringsum schien eine gräuliche Färbung angenommen zu haben. Der Arm, auf den er sich gestützt hat te, knickte ein, und sein Gesicht schlug auf dem Boden auf. Matt nahm er wahr, daß der Stein sich an seiner glühenden Wange kühl anfühlte.
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Pharaun spähte in die Richtung, in die Valas deutete, und sah schließlich, was den Söldner zu seiner Warnung veranlaßt hatte. Weit draußen auf dem Schattensee wirbelte ein Sturm die Oberfläche auf. Das Wasser drehte sich in einem gewalti gen Strudel, als laufe es durch einen Abfluß ab. Über dem Strudel stand eine Wasserhose, die hundert Schritt hoch sein mußte. Ihre Spitze streifte immer wieder die Decke, wobei sie Scharen von Fledermäusen umherwirbelte. Der Sturm war zwar noch ein Stück entfernt, kam aber rasch näher. Pharaun beobachtete sein Vorrücken und maß die verstreichende Zeit anhand der Sonnenstrahlen, um zu dem Schluß zu kommen, daß er sich mit der Schnelligkeit einer galoppierenden Reitechse vorwärtsbewegte. Schon konnte er das Rauschen des wirbelnden Wassers hören. Daß dieser Sturm magischen Ursprungs war, daran bestand für ihn kein Zweifel.
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Aber existierte er unentwegt, oder war er durch irgend etwas ausgelöst worden? Vielleicht dadurch, daß sie das Portal be nutzt hatten? Die anderen hatten den Sturm auch bemerkt. Quenthel starrte mit verbissener Miene in dessen Richtung, die Schlan gen an ihrer Hüfte wiegten sich leicht. Jeggred drehte den Kopf von links nach rechts und witterte in der feuchten Luft. Danifae sah kurz zum Sturm, dann beobachtete sie aus dem Augenwinkel Quenthel, Valas Hune und Jeggred. Pharaun bemerkte, wohin dieser Blick ging: auf die Amulette, die jeder von ihnen trug und die es ihnen ermöglichten, in eines der Löcher in der Höhlendecke aufzusteigen oder – in Valas Hunes Fall – dem Sturm durch einen Schritt in eine andere Dimensi on zu entkommen. Als sie Pharaun wieder ansah, bedeutete er ihr mit einer beschwichtigenden Geste: Wartet. Dann wandte er sich Valas Hune zu. »Hat der Schurke, der dir von dem Portal erzählte, auch davon gesprochen?« Valas Hune schüttelte den Kopf. »Er hat sich nicht länger hier aufgehalten, sondern schwebte direkt durch eines der Löcher nach oben.« Während er sprach, wanderte sein Blick zu den von Sonnenlicht durchfluteten Spalten in der Decke, als überlege er, wie weit der Abstand zu ihnen war. Schließ lich seufzte er resigniert und sah finster zu dem nahenden Sturm. Quenthel war längst mit dem Stab beschäftigt, den Danifae aus der Schatzkammer mitgebracht hatte, und experimentierte mit verschiedenen Befehlen. Jeggred kauerte neben ihr, be rührte sie am Ärmel und murmelte etwas – woraufhin er mit dem Handrücken einen Schlag erhielt, da er seine Herrin gestört hatte. Der Draegloth warf sich ihr zu Füßen und tat mit kläglicher Stimme sein Bedauern kund. Quenthel ignorierte
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ihn und versuchte unbeirrt, das Befehlswort für den Zauberstab zu finden. Pharaun verdrehte die Augen. Im Moment war der Sturm das drängendere Problem, wichtiger als das Finden des Chaos schiffs. Quenthel nervte ihn. »Wahrscheinlich ist es ein Wort in der Sprache der Duer gar«, sagte er. »Versucht es mit ›Schatz‹ oder ›Suchen‹ oder so etwas und dreht den Stab um – Ihr müßt das gegabelte Ende halten, wenn er funktionieren soll.« Quenthels Schlangen zischten gereizt, doch tat sie, was er vorgeschlagen hatte, drehte den Stab und wechselte in die Duergar-Sprache. Der Sturm hatte sich derweil weiter genä hert. Das Rauschen war mittlerweile so laut, daß sie alle lauter reden mußten, um sich zu verständigen. Die Brise wirbelte Pharauns Haar durcheinander. Danifae trat von einem Fuß auf den anderen. »Wenn wir uns noch hier aufhalten, wenn der Sturm uns erreicht, werden wir gegen die Felsen geschleudert werden«, sagte sie. »Oder ertrinken«, sagte Valas leise und sah hinunter zu den Wellen, die bereits gegen den Fuß der Klippe schlugen. »Ihr vergeßt meinen Teleportationszauber«, sagte Pharaun. »Eine Beschwörung, dann sind wir wieder zurück in der Ober flächenwelt. Die Frage ist nur, wohin wir gehen sollen.« Valas kniff die Augen zusammen, da die Gischt bereits den Felsvorsprung erreicht hatte. »In wenigen Augenblicken«, gab der Späher zurück, »ist je der Ort besser als dieser.« Neben ihm stieß Quenthel einen zufriedenen Laut aus, als der Stab in ihren Händen zum Leben erwachte. Das eine Ende bebte und zuckte wie der Kopf einer Echse, die Blut gewittert hatte. Ein Heulen erfüllte die Luft. Als Quenthel den Stab in
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einem weiten Kreis um sich herum führte, wurde das Heulen erst lauter, dann leiser. Sie richtete ihn auf die Wasserhose unmittelbar vor ihnen, und sofort schwoll das Geräusch an. Dann schrie Quenthel über den Lärm des tosenden Wassers: »Da! Das Chaosschiff ist im Strudel!« Pharaun kniff die Augen zusammen, dann erwiderte er: »Ich kann es sehen!« Tatsächlich befand sich etwas im Auge des Sturms, ein dunkler, vager Umriß. Ausnahmsweise schien Quenthel rich tiggelegen zu haben. Belshazu hatte gesagt, das Schiff sei in einem »schrecklichen Sturm« verlorengegangen, und genau den hatten sie nun vor sich: einen Sturm, der seit Jahrhunder ten tobte. Das Chaosschiff mochte intakt gewesen sein, als sich der Dämon in Sicherheit brachte, doch nach Jahrhunderten im Sturm und Wasser war kaum davon auszugehen, daß sich an diesem Zustand nichts geändert haben sollte. Der Sturm hatte sie noch immer nicht erreicht, doch er riß bereits an Pharauns Piwafwi und durchnäßte ihn mit dem aufgewirbelten Wasser. Sich am Rande des Sturms aufzuhalten war in etwa so, als würde man unentwegt mit eimerweise Wasser bombardiert. Er zog seinen Piwafwi enger um sich und achtete darauf, daß der seinen Rucksack bedeckte, in dem seine Zauberbücher waren. »Wir müssen einen Blick in das Innere des Strudels wer fen«, brüllte Quenthel, die sich nicht um das Wasser kümmer te, das ihr ins Gesicht spritzte. »Wie sollen wir das machen?« fragte Pharaun. »Sollen wir unsere Klauen in den Fels schlagen und uns festklammern, so wie Jeggred das macht, und dann ins Auge des Sturms sprin gen?« Zu seiner Überraschung nickte Quenthel heftig. »Ja«, erwiderte sie. »Valas kann das.«
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Der Söldner riß die Augen auf. »Bannt Euren Verwandlungszauber«, gab Quenthel zurück. »Valas kann in den Strudel schwimmen und sich umsehen.« Valas hob seine Brauen noch ein Stück höher. »Schwimmen?« protestierte er. »Da drin?« Er verschränkte die Arme vor der Brust und ignorierte das wütende Zucken von Quenthels Vipern, als die ihre Peitsche zog. Sein Blick, den er diesmal nicht nach unten richtete, sagte alles. Eher würde er durch die Peitsche sterben, als sich auf eine so selbstmörderische Mission zu begeben. Danifae packte derweil Pharaun. »Wir vergeuden Zeit«, flüsterte sie. »Laßt diese Narren zu rück und wirkt den Teleportationszauber.« Pharaun streifte ihre Hand ab, was ihm einen zornigen Blick der Kriegsgefangenen einbrachte, dann griff er in eine Tasche seines Piwafwi. Er nahm die letzten Saatkörner heraus und hielt sie fest zwischen Daumen und Zeigefinger, während er darauf achtete, daß sie vom Sturm nicht weggerissen wur den. Er schob sich an den anderen vorbei auf dem schmalen Vorsprung zu einer Stelle, von der er glaubte, sie sei weit genug vom Portal entfernt. »Ich habe eine bessere Idee«, sagte er. Er ließ die Körner los, schrie die Worte seines Zaubers und stach mit einem Finger nach dem Felsgestein. In der Wand öffnete sich ein Tunnel in der Richtung, in der der Wind die Körner getragen hatte. Pharaun trat ein und bedeutete den anderen, ihm zu folgen. Keiner mußte sich das zweimal sagen lassen. Der Sturm hat te sie erreicht, riß an ihren Haaren und Piwafwis und durch näßte sie mit gewaltigen Wassermengen. Mit unsicheren Schritten bewegte sich die Gruppe auf dem rutschigen Vor sprung vorwärts, wobei Quenthel und Jeggred so heftig an
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Danifae vorbeidrängten, daß sie auf dem durchweichten Fle dermausdung ausrutschte. Pharaun wollte nach ihr greifen, aber Valas Hune war schneller. Er packte ihren Arm und schob sie vor sich her in die Höhle. Pharaun wollte sich mit einem Blick bei ihr entschuldigen, doch Danifae ignorierte ihn. Seufzend bedeutete er den ande ren, sich ans Ende des Tunnels zu begeben, dann zog er seinen Glaskegel hervor. Er richtete ihn auf die Tunnelöffnung und wirkte eilig einen zweiten Zauber. Ein Schwall bitterkalter Luft trat aus dem Glaskegel aus und verwandelte das Wasser, das in den Tunnel spritzte, in Hagelkörner. Eine Welle schlug gegen den Vorsprung – und wurde sofort in dickes Eis verwandelt, das den Tunnel verschloß. Pharaun hielt den Zauber noch einen Moment aufrecht, bis das Eis genügend dick war, dann erst ließ er die Hand sinken. Er wandte sich mit einer Verbeugung Quenthel zu, dann wies er auf die Tür aus Eis. »Wollt Ihr Euch nicht auf die Aussichtsplattform begeben?« fragte er. »Ich bin sicher, das Chaosschiff wird jeden Moment in Sichtweite sein.« Quenthel sah ihn lange an, überlegte, ob er sich über sie lustig machte oder nicht. Ihre Peitschenvipern schnappten einander an, dann wurden sie ruhiger. Mit hocherhobener Nase ging Quenthel an Pharaun vorbei und sah durch das klare Eis, beugte sich mal hierhin, mal dorthin, während sie versuchte, zwischen den Wasserfontänen etwas zu erkennen. Die Luft im Tunnel war eiskalt, und ihr Atem bildete Wölk chen. Sie zitterte in ihrer nassen Kleidung, und doch war Quenthel äußerst wachsam, bis sie sich auf einmal versteifte. Daraufhin kamen auch die anderen nach vorn. Selbst Jeggred kauerte neben den Beinen seiner Herrin und spähte daran vorbei nach draußen.
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»Die Gestalt da«, sagte sie atemlos. »Was ist das?« Pharaun beugte sich vor, um besser sehen zu können. Die Eiswand war halb so dick, wie sein Unterarm lang war. Dahin ter erhob sich die Wasserhose, in der Sprühregen umherwirbel te. Im Auge des Sturms konnte er eine Gestalt ausmachen, die sich hastig zu bewegen schien. Die Proportionen von Kopf, Armen und Beinen entsprachen denen eines Drow, doch er war mindestens doppelt so groß wie die größte Drow, die er je gesehen hatte. Außerdem hatte die Gestalt einen Schwanz, der wie eine Peitsche zuckte. Sie schien nackt zu sein, die Haut wirkte blaßgrau. Pharaun glaubte zuerst, der Fremde versuche, sich gegen den Wind zu stemmen. Dann erkannte er, daß die Gestalt sich auf der Stelle drehte. Die Kreatur bewegte keinen Muskel, sondern wirkte so, als habe ein vor Jahrhunderten gewirkter Zauber ihr die Fähigkeit genommen, sich aus eigener Kraft zu bewegen. Neben ihm rang Danifae nach Luft. »Der Uridezu«, flüsterte die Kriegsgefangene. Pharaun nickte. »Und das Schiff!« rief Valas, der auf Zehenspitzen stand, um über den Rand des Vorsprungs nach unten sehen zu kön nen. Pharaun sah hinab zu der Stelle, wo die Wasserhose mit dem Strudel zusammentraf. Das Schiff war in der Tat dort, der Rumpf steckte im Wasser, das die Innenwand des Strudels bildete, während die Masten bis ins Auge des Sturms ragten. Es war schwierig, durch die Eiswand und die Gischt hindurch Einzelheiten zu erkennen, doch Pharaun sah genug, um eine Bestätigung dafür zu haben, daß es sich wirklich um das Chaos schiff handelte. Der Rumpf war weiß wie Knochen, was auch für die drei Masten galt, an denen zerfetzte Segel hingen.
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Quenthel lachte auf und setzte der gebannten Stille ein En de. »Ich habe es geschafft!« sagte sie. »Das Chaosschiff gehört mir.« Abrupt wandte sie sich Pharaun zu. »Bereitet einen Bindezauber vor.« »Der Dämon scheint bereits ›gebunden‹ zu sein«, stellte Pharaun fest und deutete auf die Szene jenseits der Eiswand. »Auch wenn es wohl auf unkonventionelle Weise geschehen sein dürfte. Ich vermute, ihn erwischte ein Zauber, der eine temporale Stasis auslöste – ein mächtiger Zauber, den ich wer de brechen müssen, sobald mein Bindezauber wirkt. Außerdem ist da noch das Problem mit dem Sturm.« Quenthel strich sich nasse Strähnen aus dem Gesicht, dann sah sie hinunter zum Chaosschiff, das immer noch im Strudel Kreise zog. »Wir werden nirgends hinteleportieren«, sagte sie ihm, und ihre Augen funkelten gefährlich. »Nicht jetzt, nicht so dicht vor dem Ziel.« »Nein«, seufzte Pharaun. »Das war nicht anzunehmen. Aber wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich nicht, was ich tun soll. Der Sturm ist offenbar magischer Natur. Wenn er von einem Zau ber geschaffen wurde, dann war es eine mächtige, dauerhafte Beschwörung. Selbst ich könnte nicht solche Wassermengen beherrschen – was bedeutet, daß keiner meiner Zauber genügt, um den Sturm zu beenden.« Valas kratzte sich am Kopf und fragte: »Könnten wir das Schiff aus dem Sturm segeln?« »Vielleicht«, erwiderte Pharaun. »Der Uridezu könnte es. Aber nehmen wir an, es gelingt mir, die Magie zu überwinden, die den Dämon in der Zeit eingefroren hat, doch dann bleibt noch immer das Problem, ihn meinem Willen zu unterwer fen.«
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»Das ist leicht«, spie Quenthel. »Zieht den Dämon einfach mit einer Eurer zugreifenden Hände heraus.« Pharaun seufzte. Der Zauber war völlig unnötig. Der Binde zauber genügte, um den Dämon an Deck zu bringen. Das Prob lem war das Schiff an sich, denn Pharaun war davon ausgegan gen, daß es als Wrack am Strand oder auf dem Grund des Sees liegen würde, nicht aber in einem Strudel kreiste. Auf das Deck ein Pentagramm zu zeichnen war damit ein Ding der Unmöglichkeit. Es gab eine Alternative zu dem magischen Diagramm, doch die brachte ganz andere Probleme mit sich. Er konnte ein Abbild des Dämons schaffen, entweder auf Pergament oder in Form einer winzigen Statue. Letzteres stellte die geringste Schwierigkeit dar, da er über Wachs und einen Opal verfügte. Doch sobald er die Statue auf Deck legte, würde sie von der nächsten Welle weggerissen werden, und woher im Namen der schweigenden Spinnenkönigin sollte er den Teil einer Kette nehmen? Dann fiel ihm das Amulett ein, mit dem sich Valas vor den Todesalben geschützt hatte. Dessen Kette hing nach wie vor um seinen Hals, zudem hatte sie eine bleierne Färbung ange nommen – ein bestens geeignetes Material. Pharaun wies auf das Amulett und sagte: »Ich irre mich wohl nicht, Valas, wenn ich davon ausgehe, daß dein Amulett nicht länger funktionstüchtig ist, nicht wahr?« Valas sah Pharaun argwöhnisch an, nickte aber. »Kann ich die Kette haben?« fragte Pharaun und hielt ihm die Hand hin. Valas kam der Bitte nach, achtete aber darauf, daß das A mulett in seiner Kleidung verborgen blieb. Pharaun ahnte den Grund dafür. Da es die Form der Sonne besaß, war es von O berflächen-Elfen geschaffen worden, aber nicht von irgend
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welchen, sondern von denen, die Labelas Enoreth verehrten, den Herrn der Langlebigkeit. Hätte Quenthel gesehen, daß der Söldner es trug, dann hätte ihre Wut keine Grenzen mehr gekannt. Lieber hätte sie ein wertvolles Mitglied ihrer Truppe verloren, anstatt einzuräumen, daß ein Amulett, das von »Sonnenrotz« geschaffen worden war, etwas anderes sein könnte als eine Abscheulichkeit. Während Valas Hune ihm die Kette gab, beugte sich Dani fae dichter zur Eiswand vor. »Vorsicht«, warnte Pharaun. »Berührt das Eis nicht mit der Zunge.« Sie warf ihm einen verächtlichen Blick zu, dann deutete sie mit einer Kopfbewegung nach draußen auf den Sturm. »Wenn Ihr den Dämon binden wollt, solltet Ihr Euch beei len«, sagte sie. »Der Strudel entfernt sich schon wieder.« Nickend hockte sich Pharaun hin und begann seine Vorbe reitungen. Aus seinem Piwafwi zog er ein Klümpchen Bienen wachs, das er vor vielen Monaten in Menzoberranzan von einem Händler aus der Welt an der Oberfläche erworben hat te. Außerdem holte er einen schwarzen Opal von der Größe seines kleinen Fingernagels hervor, der rot geädert war. Das Wachs erwärmte er in seiner Hand, dann formte er es so, daß es in groben Zügen dem Uridezu entsprach. Es war zwar ein grobschlächtiges Abbild, doch für seine Zwecke würde es rei chen. Mit dem Fingernagel ritzte er die Brust der Statuette auf, schob den Opal hinein und drückte die Öffnung wieder zu. Dann wickelte er Valas’ Kette um ein Bein der Statue und verband zwei ihrer Glieder miteinander. »So«, nickte er zufrieden, als er sah, daß die Kette sich leicht in das Wachs drückte. »Das dürfte lange genug halten, um uns in den Abyss zu bringen.«
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Als sich das Maul des Wurms um sie schloß, kniff Halisstra die Augen zu. Sie rang nach Luft, als eine Welle aus Säure die ungeschützten Partien ihres Körpers – Gesicht, Hals und Hän de – traf, bedauerte aber sogleich, daß sie eingeatmet hatte, denn der Gestank der Säure stieg ihr in die Nase. Schmerzende Rinnsale liefen durch ihr Haar am Hals entlang und verseng ten Brust und Rücken, als sie sich ihren Weg unter das Ket tenhemd bahnten. Sie klammerte sich mit aller Macht am Heft ihres Lied schwerts fest, während der Wurm versuchte, sie zu verschlu cken. Mit den Füßen stemmte sie sich am Unterkiefer der Kreatur ab, doch als sie versuchte, so das Maul von innen aufzudrücken, rutschte sie weg. Der Wurm schaffte es, sie zu schlucken, da sie das Heft nicht mehr festhalten konnte. Als die Muskulatur im Schlund der Kreatur begann, sie wei
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ter in den Leib zu ziehen, setzte Halisstra zu einem Gebet an. Hätte sie den Mund geöffnet, wäre sie gezwungen gewesen, Säure zu schlucken, was ihre Qualen nur noch schlimmer ge macht hätte. Also betete sie stumm, aber nicht minder eifrig um Ei listraees Hilfe. Obwohl sie merkte, wie ihre Haut Blasen warf, versuchte sie keinen Heilzauber, da der das Unvermeidliche nur verzögert hätte, sondern konzentrierte sich darauf, wie ihr die Flucht gelingen konnte. Der Wurm warf sich hin und her, und Halisstra wurde umhergeschleudert. Sie hörte dumpfe Laute, die vermutlich von Ryld stammten, der mit seinem Schwert einen Hieb nach dem anderen gegen den Wurm führte. Plötzlich machte die Kreatur eine zuckende Bewegung, dann kehrte Ruhe ein. Diese abrupte Aktion preßte Halisstra die Luft aus den Lungen, doch sie wagte es noch immer nicht, einzuatmen. Statt dessen strich sie mit einer Hand über ihr mit Säure verschmiertes Ketten hemd, bis sie am Gürtel gleich neben der leeren Scheide ihr Amulett fand. Eilistraee, betete sie. Hilf mir. Schick mir eine Waffe. Etwas berührte ihre Hand – etwas Hartes, Glattes. Halisstra ergriff es und erkannte, daß es das Heft eines Schwerts war – offenbar die Waffe eines anderen unglücklichen Opfers des Wurms. Sie vertat keine Zeit, sondern nutzte, was die Göttin ihr geschickt hatte. Sie preßte ihren Ellbogen gegen die pulsie renden Magenwände des Wurms, setzte die Spitze der Klinge an und machte sich daran, das Fleisch des Wurms zu durch trennen. Ihr ganzer Leib war von Säure überzogen, die Magensäfte des Wurms waren unter Rüstung und Kleidung bis auf ihre Haut gelangt. Bei jeder Bewegung spürte sie, wie Blasen platz ten und sich die ätzende Flüssigkeit auf nackte Haut ergoß. Sie
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sägte verzweifelt, während ihr Kopf wie rasend pochte, da er nicht mit Sauerstoff versorgt wurde. Ihre Bewegungen waren knapp und ungelenk, da die Magenwände des Wurms ihr den Arm gegen den Körper drückten. Rote Blitze tanzten vor ihren Augen, aber sie sägte weiter. Der Tod war die einzige Alterna tive. Endlich entstand in der Magenwand vor ihr ein Riß, der groß genug war, damit die Barriere nachgab. Mit einem Schwall Säure wurde Halisstra aus der Wunde in der Seite des Wurms gespült, während sie das Schwert losließ. Einen Moment lang blieb sie einfach liegen und atmete tief durch, während sich der Wurm hin und her warf. Sie sah, daß die Kreatur mindestens ein halbes Dutzend Wunden davonge tragen hatte, tiefe, klaffende Schnitte, die von Splitter stam men mußten. Während der Wurm seinen Verletzungen erlag, rollte sich Halisstra schwach zur Seite, um nicht länger in einer Säurepfütze zu liegen. »Ryld«, keuchte sie, als sie ihn erblickte. Ihr benommener Verstand erkannte, daß er auf dem Rücken lag. Sie zwang sich, sich aufzusetzen, auch wenn sie fast das Bewußtsein verloren hätte, als sie den Schmerz spürte, den das schwere Kettenhemd auf ihrer verätzten Haut verursachte. »Ryld«, rief sie leise. Der Waffenmeister atmete, doch es waren flache Atemzüge. Unterhalb seines Brustpanzers war sein Hemd zerrissen, der runde Blutfleck verriet ihr, daß es sich um eine Stichwunde handelte. Der Wurm hatte sein Gift in Rylds Leib gejagt. Er brauchte ihre Magie, und zwar schnell. Doch sie konnte ihm nicht helfen, solange sie sich selbst nicht geheilt hatte. Die Zeit drängte, also bediente sie sich eines Bae’qeshel-Liedes, um ihre Wunden zu schließen. Der schlimmste Schmerz war damit weg, auch wenn er in leicht abgeschwächter Form sofort
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wiederkehrte, als sie sich bewegte und die Säure, die in ihre Kleidung gezogen war, auf ihre Haut kam. So schnell sie konn te zog sie sich komplett aus, was recht mühelos ging, da die Säure ihre Kleidung bereits so sehr angegriffen hatte, daß die ihr in Fetzen vom Leib fiel. Als sie sich auszog, merkte sie, daß der Zauber ihre aufgeris sene Haut wieder verschlossen hatte, aber ein Muster überlap pender Brandwunden zurückgelassen hatte. Vor Schreck über diesen Anblick wollte sie ihr Gesicht befühlen, doch in diesem Moment stöhnte Ryld leise auf. Dies war nicht der Augenblick für Eitelkeit. Sie kroch zu ihm, legte eine Hand auf seine Wunde und fühlte, wie ein Schauder durch das Fleisch unter dem blutigen Hemd ging. Eilistraee, hilf ihm. Verlangsame das Gift, das durch seine Adern strömt. Gib ihm noch etwas Zeit zum Leben. Sie hob die freie Hand und stellte sich vor, wie sie unter freiem Himmel die Hand zum Mond emporreckte. Als sie das vertraute magische Kribbeln spürte, legte sie diese Hand auf die andere, die immer noch auf der Wunde lag. Sie fühlte, wie magische Energie von ihr auf Ryld überwechselte, die hell und so kalt war wie der Mond. Als der letzte Rest auf Ryld übergegangen war, fühlte sie sich plötzlich zutiefst erschöpft. Halisstra kniete sich hin und beobachtete, wie Ryld weiter langsam und angestrengt atmete, während sie sich fragte, ob der Zauber funktioniert hatte. Uluyara hatte recht gehabt – Halisstra war verrückt zu glauben, sie könnte die Mondsichel klinge finden, wenn die vereinten Anstrengungen von Ei listraees Getreuen dafür nicht ausgereicht hatten. Halisstra fragte sich, ob der Geist, der sie zu dem Wurm geführt hatte, wirklich der Mathira Melarns gewesen war. Eher war anzu nehmen, daß es sich um einen boshaften Geist handelte, der
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andere den gleichen schmerzhaften Tod durchleben lassen wollte, den er selbst erlitten hatte. Dumm wie Rothé, die zum Schlachten geführt wurden, hatte sie sich von dem Geist bis zum Rand dieses Lochs führen lassen und war hinabgestiegen, obwohl sie längst erkannt hatte, daß sie einem Purpurwurm gegenübertreten würde, nicht aber einem Drachen. Dennoch war sie weitergegangen, im blinden Vertrauen, die Mondsi chelklinge befinde sich im Hort des Wurms. Wenn dem wirklich so war, hatte sie sie nicht gesehen. Be vor Ryld gekommen war und ihren Zauber gebrochen hatte, war sie in der Lage gewesen, sich gründlich umzusehen. Sie hatte es sogar geschafft, den Wurm mal in die eine, mal in die andere Richtung zu lenken. Entdeckt hatte sie nichts. Seufzend sah sie Ryld an. Im Bestreben, ihre Mission zu er füllen, war sie nahe daran gewesen, ihr Leben zu verwirken. Damit hatte sie keine Probleme. Als Drow und vormalige Dienerin Lolths war sie daran gewöhnt, daß ein solches Opfer von ihr und von allen anderen verlangt wurde. Lolth ver brauchte ihre Anhänger wie Fliegen, die sie aussaugte und deren leere Hüllen sie achtlos zur Seite warf. Doch von Ei listraee hatte Halisstra mehr erwartet. Etwas Gnade – wenn schon nicht für sie, so doch wenigstens für Unschuldige wie Ryld. Sie hatte nicht erwartet, daß ihre Queste auch sein Le ben kosten würde. Plötzlich bemerkte sie eine Veränderung. Rylds Gesicht wirkte nicht mehr so blaß, sein Atmen wurde gleichmäßiger, auch wenn es immer noch feucht und beengt klang. Der Zau ber hatte gewirkt, und es gab Hoffnung. »Eilistraee, vergib mir«, flüsterte sie. »Vergib mir, daß ich an dir zweifelte.« Sie schob eine Hand unter Rylds Schulter, die andere unter
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seine Hüfte, da sie vorhatte, ihn zu tragen, notfalls bis hinauf zur Oberfläche und über das Kalte Feld bis zur nächsten Stadt. Wenn Eilistraee das so wollte, dann würde sie eine der Prieste rinnen finden, jemanden, der sich mit Heilzaubern auskannte und das Gift aus seinem Körper würde spülen können, bevor der Zauber zu wirken aufhörte, der die Wirkung des Gifts hin auszögerte. Als sie aufstehen wollte, öffnete Ryld die Augen, worüber sie erschrak. Einen Moment lang sah er verwirrt drein, doch dann begriff er. »Halisstra«, krächzte er. »Bist du es wirklich?« Im ersten Augenblick glaubte sie, er sei vom Gift benommen, doch an der Art, wie er sie ansah, konnte sie ablesen, daß er sie wirklich nicht erkannte. Sie berührte ihr Gesicht und merkte, daß es von überlappenden Narben überzogen war. Ihre Hand bebte, und als sie sie nach oben wandern ließ, stellte sie fest, daß ihr die meisten Haare ausgefallen waren. Nur ein paar Strähnen waren ihr geblieben. Die Bae’qeshel-Magie hatte die Wunden verschlossen, aber schreckliche Narben zurückgelassen. Sie sagte sich, das sei kein Grund zur Sorge. Die Priesterin nen verfügten sicherlich über einen geeigneten Zauber, der ihre Haut glätten und ihr Haar nachwachsen lassen würde. Wichtig war jetzt nur Ryld. »Ja, ich bin es wirklich, Ryld«, erwiderte sie. »Glaubst du, du kannst gehen? Sonst werde ich dich über das Kalte Feld tragen.« »Ich kann gehen ... wenn du mir hilfst«, sagte er, dann sah er sich um. »Wo ist Splitter?« Da die Wirkung des Gifts verlangsamt worden war, drehte sich Ryld auf Hände und Knie. Er bebte immer noch, wirkte aber schon kräftiger als noch vor einem Moment. Halisstra wußte, daß er eher einen Arm oder ein Bein geopfert hätte, als
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Splitter irgendwo zurückzulassen. Allerdings war er im Augen blick noch zu schwach. »Ich suche danach«, erklärte sie. »Du bleibst hier und schonst dich.« Vorsichtig näherte sie sich dem Wurm, besorgt darüber, er könnte vielleicht doch nicht tot sein. Der Leib regte sich aber nicht mehr, sondern lag schlaff auf dem Höhlenboden. Sie zog den Mund der Kreatur auf und nahm Seylls Liedschwert an sich, mußte aber erst einmal die Säure aus dem Griff tropfen lassen. Dann suchte sie Splitter. Der Zweihänder lag nahe der Stelle, wo Halisstra sich aus dem Bauch des Wurms freigehackt hatte, das Heft lugte unter einem Teil des Wurms hervor. Sie zog es hervor und entdeckte dabei etwas, das noch zur Hälfte im Leib des Wurms steckte: das Schwert, mit dem sie sich den Weg freigeschnitten hatte. Die Klinge glänzte, offenbar war sie magisch behandelt, da die Säure ihr nichts anhaben konnte – und sie war geschwungen. Geschwungen. Halisstra erkannte, was für eine Waffe dies sein mußte. Es war die Mondsichelklinge. Die Augen vor Ehrfurcht weit aufgerissen ignorierte sie die Säure, die ihre nackten Fußsohlen verätzte, hob das Schwert auf und trat erst dann aus der Säurepfütze. Das Heft hätte von den Magensäften des Wurms rutschig sein müssen, doch das darum gewickelte Leder fühlte sich trocken und sauber an – ein weiterer Beweis, daß es sich um eine magische Waffe han delte. Die Klinge war auf ihrer gesamten Länge mit Silber ziseliert, was ihr Glanz verlieh. Die Einlegearbeiten stellten Worte in der Sprache der Drow dar, die leicht glühten, als Halisstra die Waffe hob. Ryld, der noch immer wacklig auf den Beinen war, kam zu ihr, um einen Blick auf die Inschrift zu werfen.
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»›Ist dein Herz mit Licht erfüllt, und deine Absicht rein, werde ich dich nicht enttäuschen‹«, las sie vor und runzelte dann die Stirn. »Selbst im Abyss?« fragte sie sich. Als sie aufblickte, sah sie, daß Ryld sie anstarrte. »Dafür wolltest du die Mondsichelklinge«, flüsterte er. »Um zu versuchen, Lolth zu töten?« Er schüttelte den Kopf. »Das hat nicht einmal Vhaeraun geschafft. Wie kannst du hoffen, daß dir gelingt, was einem Gott versagt blieb?« »Ich weiß nicht«, antwortete Halisstra. Ein Teil von ihr fühlte sich manipuliert. Auch wenn sie von dem Wurm fast verdaut worden wäre, kam es ihr vor, als sei ihr die Mondsichelklinge regelrecht in die Hände gefallen. Das bereitete ihr ein Gefühl des Unbehagens. Gleichzeitig emp fand sie auch Erleichterung. Vielleicht war sie nur eine Spielfi gur auf einem Sava-Brett, die nach Belieben von unsichtbarer Hand gelenkt wurde, doch diese Hand gehörte einer Göttin. Eilistraee hatte – warum auch immer – ein persönliches Inte resse an ihr, was ihr bei Lolth nie widerfahren war. Der Ge danke erfüllte Halisstra mit Stolz. »Eilistraee wacht über mich«, sagte sie. »Es kommt mir vor, als sei alles vorbestimmt, und ich habe das Gefühl, ich müsse zumindest versuchen, dem Pfad zu folgen, den die Göttin mir vorgegeben hat. Wenn es mir gelingt, Lolth zu töten, dann werden wir endlich alle von ihren klebrigen Netzen befreit. Wir alle. Die Drow können ins Licht heraufkommen, ohne Angst vor ihrer Vergeltung.« »Doch wenn du scheiterst ...«, begann Ryld, dann hustete er schwach. Halisstra nahm seinen Arm und stützte ihn. Sie hatten kei ne Zeit, herumzustehen und über ihre Erfolgsaussichten zu diskutieren. Nicht, solange das Gift nur zeitweilig in Schach gehalten wurde.
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»Hast du Ersatzkleidung?« fragte sie. Er deutete mit einem Kopfnicken auf seinen Rucksack, der am Boden lag. »Da drin. Ein Waffenrock und Stiefel.« »Gut«, sagte sie. Ein Waffenrock und Stiefel würden nur einen schwachen Schutz vor den eisigen Winden der Welt an der Oberfläche darstellen, doch Halisstra wußte, daß sie sich ihrer Zauber bedienen konnte, um sich wenigstens ein bißchen vor der Kälte zu schützen. Sie holte die Kleidung heraus und zog sie an, dann half sie Ryld, Splitter in die Scheide zurückzustecken. Sie selbst machte die Mondsichelklinge und das Liedschwert auf ihrem Rucksack fest und legte ihn dann über ihre Schul tern. »Komm«, sagte sie und legte sich Rylds Arm um die Schul tern. »Je eher wir zum Tempel zurückgelangen, desto besser stehen deine Chancen, lange genug zu leben, um mit anzuse hen, wie ich beim Versuch, eine Göttin zu töten, sterbe.«
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»Bereit?« fragte Pharaun die anderen und sah von dem Kreis auf, den er auf den Tunnelboden gezeichnet hatte. Nur eine Prise zerstoßenen Bernsteins war noch in dem Beutel, den er in der Hand hielt. Sie würde eben ausreichen, um den Kreis zu vervollständigen, in dem Quenthel und Jeggred standen. Beide standen dicht beisammen, und sie strei chelte die zerzauste Mähne des Draegloth, um ihn zu beruhi gen. Valas und Danifae standen außerhalb des Kreises, wo das Wasser, das aus ihren durchtränkten Piwafwis tropfte, das Mus ter nicht zerstören konnte. Ohne Levitationsmagie gab es für sie keine Möglichkeit, sicher auf dem sturmgepeitschten Schiff zu landen, so daß sie im Tunnel zurückbleiben mußten. »Macht schon«, sagte Quenthel und zwang ihn, sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren. »Wirkt den Zauber.«
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Pharaun trat in den Kreis und achtete darauf, mit seinem Piwafwi nicht das Pulver zu verwischen, dann hockte er sich hin, um mit der letzten Prise das Muster auf dem Boden zu vervollständigen. Als er sich wieder aufrichtete, sah er durch die Wand aus Eis zu dem Chaosschiff und merkte sich die Position des Oberdecks. »Faer z’hind!« rief er. Als sein Zauber zu wirken begann, verschwand der Boden unter seinen Füßen. Einen Augenblick später fielen er, Quenthel und Jeggred auf das Deck des sich schnell bewegen den Schiffs. Der Magier kontrollierte seinen Sturz, indem er levitierte, doch das Wasser, das in seinen Augen brannte, erschwerte seine Sicht. Er hatte vorgehabt, ein oder zwei Schritt über dem Deck zu stoppen – die einzig sinnvolle Mög lichkeit, da sich das Schiff zu heftig hob und senkte und dabei immer wieder gefährliche Schlagseite bekam –, doch ohne festen Boden unter den Füßen lief er Gefahr, ins Auge des Sturms geschleudert zu werden. Er schwebte umher und ver suchte, das Deck mit den Füßen zu ertasten, während ihm Wasser ins Gesicht klatschte und der Wind so heftig an sei nem Piwafwi riß, daß er ihn beinahe strangulierte. Eine gewal tige Böe erfaßte ihn und schleuderte ihn mit solcher Wucht gegen den Hauptmast, daß ihm die Luft wegblieb. Verzweifelt hielt sich Pharaun an dem fest, was sich in nächster Nähe befand, und bekam ein Seil der Takelage zu fassen. Das Seil zog sich unter seinem Griff zusammen, im Inneren befand sich etwas Weiches, Warmes. Im nächsten Moment spürte Pharaun ein Pulsieren und erkannte, daß das Seil in Wahrheit ein Eingeweidestrang war. Er verzog den Mund und hoffte, das Seil möge nicht reißen. Der Gedanke, den Inhalt ins Gesicht zu bekommen, war alles andere als angenehm. Er stemmte einen Fuß gegen den Mast, den anderen setzte
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er auf das schräge Deck und sah schließlich auf. Jeggred und Quenthel hatten ihren Fall gut einen Schritt über dem Deck gebremst. Der Draegloth hatte den Mast gepackt und umklam merte ihn. Starr wie eine Statue und mit angespannten Mus keln stand er da, als könnte der Sturm ihm nichts anhaben, der an seiner Mähne zerrte. Quenthel hielt sich an seinem Rücken fest, Jeggred gab ihr mit seinem kleineren Armpaar zusätzlichen Halt. Quenthel starrte Pharaun an, ihr Haar war dem Wind aus gesetzt wie die Vipern, die an ihrer Peitsche hin- und herge worfen wurden. Sie schrie etwas und hob den Kopf, um auf den Dämon zu zeigen, der im Auge des Sturms schwebte, hoch über dem Mast, an dem sie sich festhielten. Pharaun hatte keine Ahnung, was Quenthel sagte, doch es war auch so klar, daß Eile geboten war. Da er nun sicheren Stand hatte, ließ er die Leine los, die er in der Linken gehalten hatte, und griff nach dem Zweig, mit dem er vor vielen Tagen Spinnweben eingesammelt hatte. Er richtete ihn auf das Deck und setzte zu seinem Zauber an. Ein Regen aus klebrigen Fäden trat aus dem Zweig aus und traf das Deck. Wenn auch ein paar von ihnen durch den Wind davongetrieben wurden, fanden die meisten doch Halt und bildeten auf dem knochenweißen Deck eine schmierige Masse, die allmählich um so dicker wurde, je mehr Fäden aus dem dünnen Zweig geschossen kamen. Als der Zauber verbraucht war, war die Masse gut einen halben Schritt hoch und hatte eine ovale, kokonähnliche Form angenommen. Pharaun ließ den Zweig los, der sofort vom Wind wegge weht wurde, und zog aus einer Tasche ein Stück Bitumen, das er in den Mund nahm. Er schluckte die Gummimasse und würgte leicht, da die im Bitumen klebenden Spinnenhaare im Hals kratzten, dann krümmte er seine Finger in der Art einer
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Spinne und tippte sich mit den Spitzen leicht gegen die Brust. Sofort wurde seine Hand klebrig und blieb ein wenig an sei nem nassen Piwafwi hängen, als er sie wegzog. Vorsichtig und eine Hand um das Seil gelegt bewegte sich Pharaun einen Schritt vom Mast fort und spürte, daß auch sein Stiefel an Deck klebte. Dann ging er langsam und eine Hand aufs Deck pressend hinüber zu dem Kokon. Aufrecht zu stehen war unmöglich, da das Schiff zu stark geneigt war und sich wie verrückt im Strudel bewegte, den Rumpf zur Hälfte unter Wasser, die Masten auf das Auge des Sturms gerichtet. Das Deck bebte unter Pharauns Füßen wie ein Lebewesen, während sich das Schiff im Strudel drehte und die Planken wie ein Chor aus Untoten aufstöhnten. Der Ma gier hörte etwas, das klang wie ein Gewicht, das in einem Raum unter ihm verlagert wurde, aber er konnte nicht sagen, was es war. Der Winkel, in dem er stand, schmerzte in Knien und Knö cheln, und Pharaun rang darum, das Gleichgewicht zu halten. Würde er jetzt fallen, dann wäre alles ruiniert. Unterdessen sorgte der Wind, der durch die Seile pfiff, für eine unheimliche Harmonie, während das Knattern der zerfetzten Segel wie aus dem Takt geratener Herzschlag klang. Pharaun öffnete die Tasche, die er um den Hals hängen hat te. Die Statue hatte den Sturm gut überstanden, und der einzi ge Schaden, den sie genommen hatte, war, daß der Schwanz ein wenig verbogen worden war. Die Kette, die Valas Hune beigesteuert hatte, lag noch immer fest um das Bein, und der Stecker befand sich nach wie vor am Ende der Kette. Pharaun bückte sich, wobei er fast in den Kokon gefallen wäre, als das Schiff hart auf einer Welle aufsetzte. Er fing sich im letzten Augenblick und machte die Statue am äußersten Rand des Kokons fest, dann drückte er den Stecker mühelos in
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das knochenweiße Deck, als handele es sich um nasse Kreide. Nun begann Pharaun mit dem Bindezauber. Er sah hinauf zu dem Dämon, der hoch über dem Mast hing, und rezitierte die Worte seines Zaubers, während er die Hände über den Kopf erhoben hielt und Daumen und Zeigefinger so aneinandergelegt hatte, daß zwei ineinander verschlungene Kreise entstanden. Langsam bewegte er die Hände nach unten und lachte, als der Dämon allmählich auf das Schiff herabsank. Vom Zauber dazu gezwungen, bewegte sich der Dämon nach unten und schien immer größer und furchteinflößender zu werden, jedoch war das nur ein Effekt der unheiligen Aura, von der er umgeben war. In Wahrheit überragte er Pharaun kaum. Allerdings war er äußerst muskulös, seine Klauen an Händen und Füßen erinnerten an gelbliche Dolche, sein Schwanz sah aus, als könne er damit Stalagmiten entzwei schlagen. Sein Gesicht erinnerte an das einer Ratte, die Haut war fleckig und hatte einen gräulichen Farbton wie bei Toten. Während er von dessen Händen in Richtung der Statue auf dem Deck gelenkt auf Pharauns Augenhöhe herabsank, be merkte dieser, daß aus einem der Ohren des Dämons ein Stück herausgebissen war. Die Wunde hatte sich entzündet, und eine Made ragte daraus hervor, die wie der Dämon dem Zauber zum Opfer gefallen war, der sie in der Zeit hatte erstarren lassen. Pharaun hockte sich hin und berührte die Statue, dann riß er die Kettenglieder, die er mit Daumen und Zeigefinger gebil det hatte, auseinander. Als die symbolische Kette getrennt wurde, barst Magie in allen Farben aus dem Opal, die Statue selbst schmolz dahin. Einen Moment lang war Pharaun geblendet, doch der süßli che Geruch des schmelzenden Bienenwachses verriet ihm, daß sein Zauber gelungen war. Er blinzelte, um die Nachbilder der Lichtpunkte zu vertreiben, dann betrachtete er den Dämon,
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der vor ihm stand und dessen Knöchel durch eine dünne Kette aus Blei mit dem Deck verbunden waren. Der Dämon war noch immer in der Zeit erstarrt, doch seine roten Augen glüh ten vor Wut. Trotz des Stasiszaubers schien er zu wissen, daß er gebunden worden war. Pharaun winkte Jeggred und Quenthel herüber. Auf ein Kopfnicken Quenthels hin, die sich noch immer an den Draegloth klammerte, gehorchte der prompt. Er sprang vom Mast und fand auf Deck Halt, indem er sich an dem klebrigen Kokon festhielt. Sofort wirkte Pharaun einen weiteren Zauber, indem er eine Prise Diamantenstaub in die Luft warf. Eine Energiekuppel schirmte die drei und den Dämon von der Au ßenwelt ab, die Wellen wurden von der unsichtbaren Barriere abgelenkt, während im Inneren völlige Ruhe herrschte. Quenthel stieg von Jeggreds Rücken, hielt sich aber weiter an seiner Mähne fest, da der Wellengang unverändert heftig war. Sie betrachtete den Dämon, während die Schlangen an ihrer Peitsche züngelten. Dann rümpfte sie die Nase, da der Dämon trotz der Stasis nach Schwefel und Verwesung stank. »Er ist klein«, stellte sie fest. »Kein Gegner für Jeggred.« Der Draegloth, der bis zu den Ellbogen im Kokon steckte, knurrte zustimmend. »Laßt Euch nicht von seiner Größe täuschen«, warnte Pha raun und rümpfte die Nase, als ihm Jeggred keuchend ins Ge sicht atmete, was fast so schlimm war wie der Gestank, der von dem Dämon ausging. »Ein Biß dieser nadelspitzen Zähne, und Ihr seid gelähmt.« Quenthel versuchte, einen Schritt zurückzuweichen, doch ein Schlingern des Schiffs ließ ihren Fuß mitten in dem klebri gen Netz landen. Mit den Armen rudernd fiel sie seitwärts um. Sie landete in einer würdelosen Pose vornüber in dem Kokon, woraufhin sie sofort einen erstickten Fluch ausstieß.
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»Laßt das verschwinden«, spie sie und versuchte aufzuste hen, verstrickte sich aber noch mehr im Kokon. »Sofort!« Auch ihre Schlangen hingen im Netz fest und schnappten einander wütend an. Jeggred wollte ihr helfen, konnte aber seine Arme nicht aus dem Kokon befreien, woraufhin er Pha raun anknurrte. Nur mit Mühe konnte sich Pharaun ein Grinsen verknei fen, auch wenn der Anblick einer Priesterin Lolths, die sich in einem Netz verfangen hatte, fast zu schön war, um wahr zu sein. Statt dessen deutete er mit dem Kopf eine Verbeugung an. »Wie Ihr wünscht, Herrin, aber Ihr werdet irgend etwas an deres benötigen, um Euch festzuhalten, sonst werdet Ihr bei der ersten Gelegenheit von Deck gerissen. Erlaubt mir, für eine Alternative zu sorgen.« Er zog ein zweites Stück Bitumen aus seinem Piwafwi und teilte die Masse, dann gab er Quenthel und Jeggred je eine Hälfte. Nachdem sie das Stück geschluckt hatten, wirkte er den Zauber, der es ihnen ermöglichte, spinnengleich überall Halt zu finden, auch auf einem nassen Deck. Dann löste er den Kokon auf. Quenthel, die vor unterdrückter Wut purpurrot angelaufen war, stand auf und sah sich um. »Ich sehe keinen Mund«, stellte sie fest. »Belshazu hat ge logen.« »Das würde mich nicht überraschen«, meinte Pharaun. Als er Gelegenheit hatte, sich in Ruhe umzusehen, stellte er fest, daß Quenthel recht zu haben schien. Das Deck war eine glatte, knochenweiße Fläche, ohne Kajüte oder sonstige Auf bauten. Es gab eine Reling, um zu verhindern, daß die Mann schaft über Bord ging, aber ansonsten war alles völlig eben,
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wenn man von den drei Masten mit ihren zerfetzten Segeln absah sowie von einer Ruderpinne am Achterschiff. Nirgends war eine Luke zu sehen, so daß sich Pharaun die Frage auf drängte, ob es überhaupt einen Frachtraum gab oder ob der gesamte Rumpf aus Knochen bestand. Er hatte eben ein Ge räusch gehört, als würde Fracht verschoben, aber wahrschein lich war das nur der Sturm gewesen. »Wir werden den Uridezu fragen müssen, wo der Mund ist«, sagte er. »Hoffen wir, daß ich die Stasis aufheben kann.« Damit begab er sich an die Arbeit. Zauber, die andere Zau ber bannten, waren mit das erste, was ein Magier in Sorcere lernte, und für einfache Zauber genügten meist eine kurze Beschwörung und eine knappe Geste. Doch eine temporale Stasis war eine komplizierte Sache, die nur die mächtigsten Magier beherrschten. Daß der Dämon von einem solchen Zauber gehalten wurde, war auf den ersten Blick zu erkennen. Als er in sein offenes, fauchendes Maul blickte, sah Pharaun auf der Zunge roten, blauen und grünen Glitter – ein Staub aus gemahlenen Edelsteinen, der den Zauber ausgelöst hatte. Nötig war hier ein umfangreicher Bannzauber, der so kon zentriert war, daß er den Bindezauber nicht aufheben würde. Pharaun holte tief Luft und setzte zu seiner Beschwörung an. Quenthel mußte das Unbehagen in seinem Blick gesehen haben, da sie ihre Peitsche zog. Neben ihr war Jeggred damit beschäftigt, mit einer Kralle an den Deckplanken zu kratzen und kleine Stücke schwarzen, geronnenen Blutes hervorzuho len. Pharaun streckte derweil den Finger aus, an dem er seinen magischen Siegelring trug und berührte den Dämon zwischen den Augen. Der Ring flammte in einem silbernen Blitz auf, als das Symbol Sorceres aktiviert wurde und dem Zauber seine Kraft verlieh.
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Als der Bannzauber Wirkung zu zeigen begann, lief ein Schaudern durch den Leib des Dämons. Pharaun zog sofort die Hand zurück, Quenthel und Jeggred beobachteten angespannt die Situation, doch eine Zeitlang geschah überhaupt nichts. Die einzigen Geräusche kamen von den Wellen, die von au ßen dumpf gegen die Energiekuppel schlugen, und von den Vipern, die leise zischten. Seufzend schüttelte Pharaun den Kopf. Er hatte versagt. »Versucht es erneut«, wies Quenthel ihn an. »Eine Wiederholung führt zu nichts«, entgegnete Pharaun, der ein Stück vortrat, um den Dämon genauer zu betrachten. »Der Magier, der den Dämon in der Zeit erstarren ließ, muß extrem ...« Er hatte sich halb zu Quenthel umgedreht, um ihr alles zu erklären, als er aus dem Augenwinkel sah, wie der Dämon blinzelte, eine Beobachtung, die ihm das Leben rettete. Mit einem Schrei, in dem die aufgestaute Wut von Jahrhunderten zum Ausdruck kam, warf sich der Dämon Pharaun entgegen und versuchte, nach seiner Kehle zu schlagen. Der Magier wollte sich mit einem Satz nach hinten retten, doch seine Stiefel klebten am Deck fest, so daß er auf den Rücken fiel und sich den Kopf anschlug. Einen Moment lang sah er Sterne, dann bekam er noch rechtzeitig einen klaren Kopf, um zu sehen, wie der Dämon den Zenit eines Sprungs erreichte, der gegen ihn gerichtet war. Noch immer ein wenig benommen fragte sich Pharaun, warum er vor dem Dämon zurückweichen konnte, bis er erkannte, daß seine Füße aus den Schuhen ge rutscht waren. Er glitt mit beachtlicher Geschwindigkeit auf dem schrägen Deck in Sicherheit, während der Dämon mit dem Gesicht voran da aufschlug, wo Pharaun eben noch gele gen hatte. Benommen erkannte Pharaun, daß die Kette um seinen
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Knöchel ihn gestoppt hatte. Ihm fiel auch auf, daß er noch immer über das stark zur Sei te geneigte Deck glitt. Mit seinen klebrigen Händen schlug er auf die Planken und stoppte ruckartig seine Bewegung, unmit telbar bevor er mit dem Rand seiner Energiekuppel kollidierte. Inzwischen sprang der Dämon auf, fiel aber über die dünne Kette um seinen Knöchel und begann, sie mit seinen gelben Zähnen zu bearbeiten. Quenthel wich zurück, die Peitsche bereit, aber unschlüssig. Schließlich lachte sie finster. Der Dämon ließ die Kette los und sah Quenthel finster an. »Du wagst es zu lachen?« sagte er mit einer Stimme, die sich anhörte, als raßle man mit Ketten. Seine winzigen roten Au gen traten aus den Höhlen. »Ich werde dich an das Maul ver füttern.« Pharaun setzte sich auf und rieb sich den Hinterkopf. »Genau darüber wollen wir reden«, sagte er. »Der Mund des Schiffs. Sag uns ...« Er bekam keine Chance, auszureden. Jeggred, dessen Fell sich angesichts der Beleidigung seiner Herrin gesträubt hatte, nutzte diesen Augenblick, um nach vorn zu springen. Vor Wut laut heulend sprang er den Dämon an und holte mit seinen Kampfarmen aus, um ihm tiefe Wunden an Brust und Schen keln zuzufügen. Pharaun sprang auf und kam auf bloßen Füßen zu stehen, die von seinem Zauber zum Glück so klebrig waren wie seine Stiefel. »Jeggred, halt!« schrie er. »Das will er doch!« Schon jetzt sah er, was der Dämon vorhatte. Er wich vor dem Draegloth zurück und stellte sich so, daß sein gefesseltes Bein ungeschützt war. Zwar konnte der Dämon sich nicht selbst von der Kette befreien, aber wenn Jeggred sie in seiner
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Wut unbeabsichtigt durchtrennte ... Quenthel dachte ausnahmsweise mit und holte mit der Peitsche aus – nicht nach dem Dämon, der wahrscheinlich gegen Schlangengift immun war, sondern nach Jeggred. Die Vipern waren nur eine Handbreit von ihm entfernt, als sie aufgeregt nach ihm zu schnappen versuchten, dabei aber ihr Gift auf seinem Rücken verteilten. »Jeggred!« fuhr sie ihn an. »Hör auf!« Der Draegloth sah über seine Schulter und merkte, daß sei ne Herrin wütend geworden war. Sofort kauerte er sich an Deck zusammen, ohne von dem Tritt Notiz zu nehmen, den der Dämon ihm verpaßte. Angesichts des vereitelten Fluchtversuchs hockte sich der Dämon hin; seine Schnurrhaare zuckten. Pharaun klomm auf dem stark geneigten Deck nach oben. »Nun, Dämon«, sagte der Meister Sorceres, »zurück zu mei ner Frage nach dem Mund des Schiffs. Ich will wissen, wo er ist und womit wir ihn füttern müssen, damit dieses Schiff sich in Bewegung setzt. Du wirst uns aus diesem Strudel und auf die Schattenebene segeln.« »Dann werdet ihr mich befreien?« fragte der Dämon und zwinkerte. »Ja«, log Pharaun. »Sobald wir den Abyss erreicht haben.« Die Schnurrhaare des Dämons zuckten. »Der Mund ist im Bauch des Schiffs«, sagte er. »Im Frachtraum?« fragte Pharaun. Der Dämon nickte. »Wie kommen wir dorthin?« »Nehmt ihren Stab«, antwortete der Dämon und wies mit einem Finger auf den gegabelten Stab, der in Quenthels Gürtel steckte. »Die Luke ist magisch verborgen, aber der Stab zeigt, wo sie ist.«
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Pharaun kniff die Augen zusammen. Ihm gefiel das ver schlagene Funkeln in den Augen der Kreatur nicht. Ein Stab der Aufspürung war wegen seiner markanten Form leicht zu erkennen, doch es schien so, als wollte der Dämon unbedingt, daß Quenthel diesen Stab benutzte. Besaß der Stab irgendeine weitere Eigenschaft, von der Pharaun nichts wußte und von der der Dämon hoffte, sie zu seinem Vorteil zu nutzen? »Moment, Quenthel«, sagte Pharaun. »Wir versuchen es mit meinem Stab.« Er griff in die schmale Hülle, die an seinem Gürtel hing und zog einen seiner vier Stäbe heraus, den er dann vor sich hielt und langsam hin und her bewegte. Plötzlich wurde tatsächlich eine Luke sichtbar, die bislang mit der Hilfe von Magie ver borgen gewesen war. Ihre Ränder leuchteten schwach purpurn. Der Ring, mit dem man sie aufziehen konnte, war in die Luke eingelassen. Nickend steckte Pharaun den Stab weg. Quenthel lachte leise und wollte den Griff packen, als ihre Vipern warnend zischten. Sie sah zu Pharaun, öffnete den Mund ein Stück, als wolle sie etwas sagen, entschied sich dann aber gegen ihren ursprünglichen Befehl. Statt dessen wandte sie sich Jeggred zu und befahl: »Mach auf.« Der Draegloth trat gehorsam vor. »Warte«, rief Pharaun. Pharaun lag nichts an dem Draegloth, doch er hatte seine Zweifel, was die Motive des Dämons anging. Er winkte Jeggred zurück, dann bedeutete er dem Dämon, er solle die Luke öffnen, die eben noch in seiner Reichweite war. Wenn der Uridezu sich etwas anstrengte, konnte er den Griff zu fassen bekommen. Seid bereit, signalisierte Pharaun den anderen hinter dem Rücken des Dämons und griff nach einem anderen Stab. Etwas wird aus der Luke kommen.
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Er hatte richtiggelegen, denn sobald der Dämon die Klappe weit genug geöffnet hatte, strömte eine Flut von Ratten an Deck – aber keine gewöhnlichen, sondern hagere, halb verwes te untote Vertreter ihrer Spezies! Langjährige Übung ließ Pharaun schnell genug reagieren, der sofort seinen Stab auf die Kreaturen richtete. Ein Blitz schoß aus der Spitze hervor und jagte über das Deck, um gut ein Dutzend Ratten in verkohlte Häuflein zu verwandeln. Quenthel und Jeggred reagierten gleichermaßen schnell. Sie schlug mit raschen Hieben ihrer Peitsche nach den Geschöp fen, während Jeggred mit seinen Kampfarmen ausholte und die Kreaturen gleich scharenweise in alle Richtungen schleuderte. Pharaun lachte leise, als er mit Hilfe seines Stabs den Rest des Schwarms erledigte. War das alles, was der Dämon drauf hatte? Untote Ratten? Das Lachen blieb ihm fast im Halse stecken. Er hatte einen komplizierten Trick erwartet, der des Geschicks eines SavaMeisters würdig war, weshalb ein Schwarm untoter Ratten auf den ersten Blick wie ein schlechter Witz wirkte. Doch dann wurde ihm klar, was der Dämon wirklich wollte. Es war so simpel, daß es Pharauns wachsamem Verstand entgangen war. Der Angriff der untoten Ratten war nur ein Ablenkungsmanö ver gewesen. Der Dämon brauchte nur eine einzige Ratte le bend, der Rest war egal. Die Kette war ihr Ziel, das der dämo nische Meister ihr auf telepathischem Wege aufgetragen hatte. Die dünne Bleikette. Unmittelbar darauf biß die Ratte mit ihren scharfen Zähnen das Kettenglied durch, und damit war der Dämon frei. Er wir belte herum, holte einmal mit seinem Schwanz aus und beför derte Jeggred aus der Energiekuppel in die See. Beim zweiten Anlauf schickte er auch Quenthel über Bord, dann wandte er sich Pharaun zu.
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»Magier«, quiekte er. »Du gehörst mir.« Pharaun erwiderte nichts, sondern steckte die freie Hand in seine Tasche und holte einen Handschuh heraus. Während der Dämon die Zähne bleckte und nach Pharauns Kehle sprang, war der froh darüber, daß er sich für einen Frontalan griff entschieden hatte, anstatt sich der Magie zu bedienen, denn das würde ihm die Zeit verschaffen, die er für einen wei teren Zauber brauchte. Dämonen waren wirklich berechenbar. Manchmal.
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Als die Tunnelöffnung in Sichtweite kam, erschrak Ryld. Neu schnee lag knöcheltief auf der Schräge, und große weiße Flo cken fielen in einem solchen Gestöber in den Tunnel, daß man nur ein paar Schritte weit sehen konnte. Wie sollten er und Halisstra je den Weg über das Kalte Feld zurück finden? Ohne Orientierungspunkte war es möglich, daß sie stunden lang im Kreis liefen, bis sie schließlich der Kälte erlagen. Von diesem Problem abgesehen fühlte sich Ryld schon jetzt müde. Sein Hausemblem machte es ihm möglich zu schweben, so daß Halisstra ihn recht mühelos hinter sich herziehen konn te. Aber die Konzentration, die nötig war, um die Magie der Brosche am Wirken zu halten, ging an seine Kräfte. Für einen Moment ließ er sie aussetzen, sank zu Boden und betrachtete den Schnee, der in den Tunnel fiel. Halisstra zitterte, was ihm bewußt werden ließ, wie unge
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eignet sie für winterliche Temperaturen gekleidet war. »Besitzt du Magie, die dir Wärme spendet?« fragte Ryld. Sie nickte und erwiderte: »Eilistraee wird mir einen Zauber gewähren, der mich die Kälte aushalten läßt, doch ...« »Doch?« Sie seufzte. »Er hält nie lange. Ich müßte ihn etliche Male wiederholen, damit mir warm bleibt, bis wir den Rand des Kalten Feldes erreichen. Aber das würde bedeuten, daß ich den Zauber nicht wirken kann, der dich am Leben hält.« »Nimm auf mich keine Rücksicht.« Halisstras Blick kam völlig ohne Worte aus. »Wie lange habe ich noch?« fragte er, statt mit ihr zu disku tieren. »Der Zauber, den ich gewirkt habe, sollte für den Rest der Nacht ausreichen, also bis unmittelbar nach Sonnenaufgang«, erklärte sie. »Bis dahin werde ich meine Magie sparsam einset zen und darauf zählen, daß die Sonne mich warmhält. Damit sollte genug Magie verfügbar sein, um das Gift ein zweites Mal zu verlangsamen. Laß mich wissen, wenn deine Schmerzen stärker werden. Die Dauer des Zaubers ist nicht so genau be stimmbar. Er könnte unvermittelt und ohne Warnung enden. Wenn das Gift wieder mit voller Kraft auf deinen Körper ein wirkt, könnte der Schock dich töten. Je seltener ich den Zau ber neu wirken muß, desto besser.« Ryld nickte. Halisstra fügte schaudernd hinzu: »Laß uns losziehen. Mir wird wärmer sein, wenn ich gehe.« Wieder schwebte Ryld, so daß Halisstra ihn hinter sich her die Schräge hinaufziehen konnte, bis sie auf die Ebene zu rückgekehrt waren. Ihre Stiefel knirschten im Neuschnee, als sie zügig losmarschierte. Nach gerade einmal einem Dutzend Schritte konnte Ryld das Loch nicht mehr sehen, das sie
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eben verlassen hatten. Vor ihnen lag die Landschaft unter einem dicken Schleier aus Schneeflocken verborgen. Weder die Sterne noch der Mond waren zu sehen, statt dessen war der Himmel eine gleichmäßig graue Masse. Dicke Flocken landeten auf Rylds Schädel, schmolzen und froren gleich wieder. Eine Weile hielt das zügige Tempo Halisstra warm, doch als der Schnee schließlich so hoch lag, daß sie bis weit über die Knöchel darin versank, zitterte sie am ganzen Leib. Sie ging weiter, bis ihre Zähne klapperten, dann schickte sie im Flüster ton ein kurzes Gebet an Eilistraee, während ihr Atem in der eiskalten Luft Wolken bildete. Unmittelbar nach dem Gebet konnte sie schon wieder besser durchatmen und zitterte auch nicht mehr am ganzen Leib. Doch wie erwartet hielt die Wirkung dieses Zaubers nicht lange an. Halisstra konnte zwar eine Weile zügiger gehen, aber je höher der Schnee lag und je langsamer sie wurde, desto stärker begann sie wieder zu frieren. Als sie eine Hand hob, um sie durch Anhauchen zu wärmen, sah Ryld zu seinem Entset zen, daß ihre Fingerspitzen grau verfärbt waren. Die Oberflä chen-Elfen hatten dafür ein Wort: Erfrierungen. Auch seine eigenen Finger und Zehen litten unter der Kälte. »Der Zauber reicht nicht lang genug«, stellte er fest. »Nein«, pflichtete Halisstra ihm mit klappernden Zähnen bei. »Das ist wahr.« Ryld blinzelte und betrachtete den Schnee, der zu allen Sei ten wie ein Vorhang die Sicht versperrte. Zwar hellte sich der Himmel ein wenig auf, doch von den Resten, die das Schlacht feld übersäten, war durch die dicke Schneedecke nichts mehr zu sehen. Als Halisstra im nächsten Moment auf ein Stück Knochen trat, das unter ihrem Schuh zerbrach, wußte er, daß sie sich immer noch auf dem Kalten Feld befanden.
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»Wir werden es nicht schaffen«, sagte er. »Nicht ohne Hil fe.« Er hielt inne, als er einen Schmerz im Bauch verspürte, der ihn nach Luft schnappen ließ. Halisstra sah ihn entsetzt an. »Was ist? Der Zauber kann noch nicht vorüber sein, es ist zu früh.« Ryld ließ sich zu Boden sinken und stand eine Weile da, die Hände in die Hüften gestemmt, und atmete gegen den Schmerz an. Als er sich wieder besser fühlte, beantwortete er ihre Frage. »Es ist die Anstrengung des Levitationszaubers. Ich bin schwach. Dein Zauber verzögerte die Wirkung des Giftes, aber ich fürchte, es hat schon einigen Schaden angerichtet.« Er deutete auf die Mondsichelklinge, die sie auf den Rucksack gebunden hatte. »Ich bin entbehrlich, aber du hast eine Auf gabe. Wenn du das Kalte Feld verlassen willst, mußt du deine Magie komplett für dich aufsparen. Laß mich zurück.« Halisstra widersprach nicht, sondern sah Ryld nur an. Trä nen stiegen ihr in die Augen, die Lippen hatte sie so fest zu sammengepreßt, daß sie eine schmale Linie bildeten. Sie nahm seine Hand und drückte sie. Er nickte ermutigend, und sie begann bereits, sich wegzudrehen. Dann blieb sie stehen. »Nein«, sagte sie und wandte sich Ryld wieder zu. »Es muß eine Lösung geben. Laß mich nachdenken. Einen Zauber, den ich benutzen kann, damit ich schneller vorankomme.« Ryld nickte und starrte die Schneeflocken an, die unablässig fielen. Sie sanken schnurstracks zu Boden, nicht einmal eine schwache Brise wehte über das Feld. Nur sonderbar, daß an manchen Stellen der Schnee verwirbelt wurde und fast so etwas wie eine Form annahm ... Erschrocken wurde ihm klar, was er vor sich sah.
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Halisstra, signalisierte er, da er nicht wagte, es laut zu sagen. Geister. Wir sind von ihnen umgeben. »Wir k-k-könnten schon b-b-bald zu ihnen gehören«, ant wortete Halisstra mit klappernden Zähnen. »Es ist f-f-fast Morgen. K-k-komm näher, dann k-k-kann ich einen Z-z zauber ...« Still, warnte Ryld sie. Sie können dich hören. Einer der Geister hatte in ihre Richtung gesehen, als Ha lisstra gesprochen hatte. Dabei schien seine Gestalt sich etwas zu verfestigen. Ryld sah, daß es sich um einen Soldaten han delte, dessen Gesicht so rußverschmiert war, daß es fast so dunkel war wie das Rylds. Die Vorderseite seines hölzernen Schildes war fast zu Holzkohle verbrannt. Der Geist blieb gerade lange genug stofflich, daß Ryld das Emblem auf dem Waffenrock erkennen konnte: der Baum, der für Fürst Velars Armee stand. Dann löste er sich im Schneegestöber wieder auf. Ryld sah Dutzende dieser geisterhaften Figuren, die sich alle in die Richtung bewegten, in die er und Halisstra unterwegs waren. Er erhaschte nur kurze Blicke auf sie, da sie wie der erste Geist zwischen stofflicher und körperloser Existenz zu wechseln schienen. Die wenigen Blicke genügten, um zu er kennen, daß es sich um eine Armee auf dem Rückzug handel te. Die Soldaten ließen die Schultern hängen, die matten Blicke waren gesenkt, ihre Waffen schleiften sie hinter sich her. Hin und wieder kam ein geisterhaftes Tier von der Ober fläche vorbeigejagt, angetrieben von einem hektischen Reiter. Sobald das geschah, sahen die Soldaten ängstlich über die Schulter, als wollten sie sehen, was den Reiter verfolgte. Einige von ihnen rannten los, doch nach ein paar unsicheren Schrit ten verfielen sie wieder in ihren Trott. Manche von ihnen fielen und versanken im Schnee, unfähig, sich zu erheben.
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Die Geisterarmee nahm von Ryld und Halisstra kaum No tiz, doch schienen die Soldaten irgendwie zu merken, daß die Drow auch verletzt waren und ebenfalls versuchten, diese kalte, lebensfeindliche Ebene zu verlassen. Einer der Soldaten – ein Standartenträger, der das Baumsymbol an einer Stange hoch erhoben vor sich hertrug – ging unmittelbar vor Ryld zu Boden, ohne von ihm Notiz zu nehmen. Zwar strich das Ban ner über Rylds Arm, doch die Stange ließ die Schneedecke unberührt. Wie ihr Träger versank sie einfach im Schnee, ohne eine Spur zu hinterlassen. Da fiel Ryld auf, daß die Schneedecke zwar unberührt geblieben war, daß sie aber eine leichte Beule aufwies. Neugie rig griff er in die eisige Masse und ertastete zunächst ein Ske lett, dann eine rostige Metallstange. Wie der Offizier, dem Ryld zuvor begegnet war, hatte der Soldat die letzten Augen blicke seines Lebens erneut durchgemacht und war an der Stelle zusammengebrochen, an der er vor vielen Jahrhunderten gestorben war. Ryld merkte, wie seine Schmerzen heftiger wurden, und fragte sich, ob er sich dem Soldaten wohl schon bald anschlie ßen würde. Halisstra berührte das Symbol Eilistraees an ihrem Gürtel. »D-d-der Z-z-zauber«, sagte sie, während sie am ganzen Leib zitterte. Dann ging sie zur Zeichensprache über. Ich sollte ihn bald wirken. Rylds Aufmerksamkeit galt allerdings einem geisterhaften Reiter, der auf einem dieser Tiere angeritten kam ... einem »Pferd«, wie sich diese Wesen nannten. Die Hufe des Pferdes wühlten den Schnee nicht auf, doch Ryld konnte ganz leise das Galoppieren hören. Das Pferd war noch stark und in der Lage zu rennen, und für den Augenblick hatte es sogar eine stoffliche Gestalt. Das brachte ihn auf eine Idee.
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Er packte die Standarte und stellte sich mit ihr in der Hand so aufrecht hin, wie es sein schmerzender Bauch zuließ. »Im Namen Fürst Velars, halt!« rief er. »Ich habe eine Nachricht für Euren Kommandanten.« Einen angsterfüllten Moment lang glaubte Ryld, seine List würde nicht funktionieren. Die Standarte in seinen Händen war alt und verrostet, und das Banner schon lange verrottet. Doch der Offizier schien es zu sehen, wie es einst gewesen war. Er zügelte sofort sein Pferd. Der gänzlich stoffliche Mann starr te Ryld an. Sein Pferd spiegelte den Argwohn des Reiters wi der, da es die Nüstern blähte und nervös wieherte, womöglich weil es den Geruch eines Drachen gewittert hatte, der in Rylds Zeit schon seit langem tot war. Dann kniff der untote Offizier mißtrauisch die Augen zu sammen und sagte: »Ihr seid keine Soldaten. Ihr seid nicht einmal Menschen.« »Wir sind Drow«, antwortete Ryld und betete inständig, sein Volk möge zu der Zeit nicht im Krieg mit den Menschen gelegen haben. »Drow aus dem Unterreich, die gekommen sind, um an der Seite Eures Fürsten Velar zu kämpfen.« »Ihr kommt zu spät. Seht Euch um. Fürst Velars Armee ist geschlagen, die Drachen ...« Der Geist verstummte, unfähig, noch ein Wort zu sagen. »Ich weiß.« Ryld hob seine linke Hand, damit der Offizier den Drachenring Melee-Magtheres sehen konnte. »Ich bin mit Drachen vertraut, ich weiß, welch fürchterliche Waffe sie sein können. Ich verfüge über Wissen, das Fürst Velar helfen kann, sie zu besiegen. Vorausgesetzt, ich gelange rechtzeitig zu ihm. Leiht mir Euer Pferd, und diese Niederlage könnte in einen Triumph verkehrt werden.« Hinter Ryld stand Halisstra und zitterte, die Arme eng um den Körper geschlungen.
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Der Offizier sah noch einmal nervös über die Schulter, dann stieg er ab. »Nehmt mein Pferd«, sagte die Erscheinung und drückte Ryld die Zügel in die Hand. Der Geist zog sein Schwert und drehte sich in die Richtung, aus der er gekommen war. »Bes ser, man stirbt stolz als in Schande«, erklärte er so feierlich, als rezitiere er eine Weisheit. Dann marschierte er los und löste sich nach wenigen Schritten in Nebel auf, der sich im Schneegestöber verteilte. Das Pferd dagegen blieb stofflich, und als es die Hufe beweg te, hinterließ es im Schnee eine Spur. Ryld strich ihm über den Hals, um es zu beruhigen. Dabei stellte er fest, daß er den Schweiß und den Staub riechen konnte, der seinem Fell anhaf tete. Der Körper des Tiers strahlte eine willkommene Wärme aus, die Halisstra gebrauchen konnte, um zu überleben. »Kannst du reiten?« fragte er, und erst jetzt fiel ihm ein, daß er diesen Punkt nicht beachtet hatte. Halisstra erbebte, was ein Nicken darstellen mochte. »Ich bin Echsen g-g-geritten. B-b-bei diesem Tier s-sollte es n-n-nicht viel schwieriger sein. W-w-was ist das?« »Ein Pferd. Ich sah einmal eines, das auf dem Basar Menzo berranzans angeboten wurde. Es soll einen stattlichen Preis erzielt haben, aber angeblich überlebte es auch nur ein paar Tage«, antwortete er, bis ihm bewußt wurde, daß sie keine Zeit zu vergeuden hatten. »Steig auf, und ...« Ein heftiger Schmerz jagte durch Rylds Bauch und zwang ihn, nach Luft zu schnappen. Halisstra sah ihn besorgt an. Verärgert, daß er sich so wenig unter Kontrolle hatte, zwang er den Schmerz, sich ins Unterbewußtsein zurückzuziehen. Als er Halisstra die Zügel reichte, brachte er ein Lächeln zustande. »Du reitest«, sagte er, »ich halte mich fest und schwebe. So
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wird das Tier schneller vorankommen. Wenn wir Glück ha ben, erreichen wir den Wald und die Priesterinnen, ehe die Wirkung deines Zaubers nachläßt.« »Kein G-g-glück«, widersprach sie. »Sondern den Segen der G-g-göttin.« Sie gab ihm einen flüchtigen Kuß mit ihren Lippen, die so kalt waren wie der Tod, dann stieg sie schwerfällig und zitternd in den Sattel.
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Einen Augenblick, bevor der Dämon Pharaun erreichen konn te, wurde der Zauber aktiv, und zwischen ihnen nahm eine riesige leuchtende Hand Gestalt an. Die Hand traf den Dä mon, warf ihn zu Boden und schob ihn über das knochenweiße Deck fort von Pharaun. Der Dämon schrie vor Wut und ver suchte, sich aus der magischen Hand zu befreien, doch die erwies sich als zu stark. Während der Uridezu zur Bewegungslosigkeit verdammt war, näherte sich Pharaun ihm behutsam und griff nach den beiden Enden der Kette. Er hielt sie aneinander und wirkte einen Zaubertrick, froh darüber, daß er gezwungen gewesen war, diese Art von Bindezauber zu benutzen. War ein Penta gramm erst einmal zerstört, mußte es von Grund auf neu ge zeichnet werden, doch eine Kette ließ sich mit diesem Zauber problemlos reparieren – vorausgesetzt, man verfügte über die
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Magie, um den Dämon zu kontrollieren. Sobald die Kette sich selbst reparierte, trat Pharaun zurück und bannte die magische Hand. Der Dämon sprang auf, die Augen zornig zusammengekniffen. Während er vergeblich an der Kette riß, drehte sich Pharaun um, um nach Quenthel und Jeggred zu sehen. Er erspähte sie kurz darauf – sie waren mit Hilfe des Levitationszaubers aus dem Strudel entkommen und trieben nun im Auge des Sturms. Da sie das Schiff nicht errei chen konnten, fielen sie immer weiter zurück. Quenthel schrie, aber Wind und Wellen übertönten jedes Geräusch. Aus der Art, wie sie mit den Armen fuchtelte, wurde deutlich, was sie wollte: Pharaun sollte sie beide mit Hilfe seiner Magie an Bord holen. Der legte aber eine Hand ans Ohr und zuckte verständnislos die Achseln, dann wandte er sich amüsiert ab und sah den Dämon an, der sich wieder mit finsterer Miene in sein Schick sal ergeben hatte. »Alsdann, Dämon«, sagte er. »Du sagtest, der Mund sei im Rumpf des Schiffs?« Der Dämon knurrte. »Sieh selbst.« Pharaun wich von der Luke zurück und beobachtete aus dem Augenwinkel den Dämon, der sich erwartungsvoll an spannte. »Lieber nicht«, gab der Magier zurück. Statt dessen zog er aus einer Tasche das kleine Behältnis mit jener Salbe heraus, von der er ein wenig auf seinen Lidern verstrich. Als er die Augen öffnete, sah er, daß seine Vorsicht begründet gewesen war. Die Luke führte nämlich weder zu einer Leiter noch einem dunklen Frachtraum. Ihre Ränder waren vielmehr eine fleischige, feuchte Masse, die an Lippen erinnerte, und dort, wo eine Treppe hätte sein sollen, fand sich eine scharfe Zahnreihe. Der Raum darunter war mit Knochen
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und Schädeln gefüllt. Rotes Licht flackerte dort und schien durch die leeren Augenhöhlen, als befänden sich glühende Kohlen darin. Das Maul atmete, ein penetranter Gestank stieg daraus em por, eine Mischung aus verbranntem Fleisch und verkohlten Knochen, und über allem lag ein Hauch aus Verwesung, der noch schlimmer war als Jeggreds Atem. Pharaun hielt sich die Nase zu und wich ein Stück zurück. Gut, daß er den Dämon die Luke hatte öffnen lassen. Hätte er es selbst getan, wäre er zweifellos hineingezogen und verzehrt worden. Nur schade, daß er Quenthel nicht hatte gewähren lassen. Das wäre nicht nur amüsant gewesen, sondern auch sehr prak tisch. Schließlich mußte das Maul gefüttert werden, wenn der Dämon das Schiff aus dem Sturm navigieren sollte. Pharaun hielt inne. War dem wirklich so? Es konnte auch sein, daß ein Chaosschiff jahrelang, sogar jahrhundertelang mit nur einer einzigen Mahlzeit auskam. Doch konnte es auch von einer Ebene auf die nächste wechseln? Das würde er he rausfinden müssen. Ein Bluff war erforderlich. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah dem Dä mon in die Augen. »Wir haben genug Zeit vergeudet«, sagte er. »Bring das Schiff auf Kurs. Setz die Segel, wir fahren auf die Schattenebe ne.« Der Dämon tat es Pharaun nach und verschränkte seiner seits die Arme. »Dummer Sterblicher«, sagte er mit verächtlichem, höhni schem Lächeln. »Du weißt gar nichts. So weit können wir nicht reisen. Ehe das Schiff in den Schatten wechseln kann, muß es erst essen. Gestatte mir, eine nutzlose Mane durch ein Portal herzuholen, dann kann ich das Schiff füttern.« Pharaun erwiderte das Lächeln. Der Dämon hatte ihm un
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beabsichtigt gesagt, was er wissen mußte. Er würde ihm nicht gestatten, irgendwelche Zauber zu wirken, denn durch das Portal würde keine Mane kommen, sondern ein zweiter Uridezu. »Für den Augenblick brennt das Feuer hell genug«, sagte Pharaun. »Erst einmal verlassen wir den Sturm, danach wer den wir uns darum kümmern, das Schiff zu füttern. Denk dar an: Je eher du die Aufgabe erledigst, die ich dir gestellt habe, und je eher du uns in den Abyss bringst, umso schneller wirst zu freigelassen.« Einige Herzschläge lang versuchte der Dämon, Pharaun nie derzustarren, dann aber zuckten seine Schnurrhaare, und er sah fort. Schließlich hob er den Fuß, um anzudeuten, daß seine Kette zu kurz war, um sich an Deck bewegen zu können. »Jemand muß die Ruderpinne übernehmen«, sagte er. »Das tue ich«, gab Pharaun zurück. »Du setzt das Schiff in Bewegung.« Als ihm der verschlagene Blick auffiel, fügte er an: »Keine Tricks. Ich will eine ruhige Fahrt, zumindest so ruhig, wie es bei diesem Sturm möglich ist.« Er hielt inne, als eine Welle über das Deck hinwegspülte und seinen Piwafwi erneut durchnäßte. Er wies auf seine nackten Füße, die ihn dank sei nes Zaubers auf dem schrägen, nassen Deck hielten. »Wie du siehst, gehe ich nicht so schnell über Bord.« Pharaun wandte sich ab und ging durch Wind und Wetter nach Achtern. Die Ruderpinne bestand wie der Rest des Schiffs aus Knochen, nicht aus gemahlenen und gepreßten Knochen, wie es bei den Deckplanken der Fall war, sondern aus einem einzelnen Knochen, der einen Radius von nahezu drei Metern gehabt haben mußte. Er war aber so schmal und leicht, daß Pharaun vermutete, er müsse hohl gewesen sein. Vermutlich stammte er aus dem Flügel eines Drachen. Er um faßte den Griff, sah an achtern nach unten und stellte fest, daß das Steuerruder eine riesige Sichelklinge war.
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»Bring uns auf den Weg«, rief er dem Dämon zu. Der Uridezu knurrte, dann hob er die Klauenhände hoch über den Kopf. Als er sie in Richtung Bug bewegte, beulten sich die zerfetzten Segel mit einem Mal und zerrten an den Seilen. Das Schiff begann augenblicklich, sich im Strudel schneller als zuvor zu bewegen, und der Dämon griff mit den Klauen weiter in die Luft; gleichzeitig spannten oder lockerten sich die Seile, die die Segel kontrollierten. Versuchsweise bewegte Pharaun die Ruderpinne nach links. Ein Schlingern ließ ihn zurücktaumeln, da das Schiff in die entgegengesetzte Richtung beidrehte. Er klammerte sich an der Ruderpinne fest, als der Bug herumschwang, bis er zur Höh lendecke ausgerichtet war. Die Segel ächzten, die Planken knarrten, als sich das Schiff im Strudel nach oben bewegte. Augenblicke später war der Rand des Strudels erreicht, und das Schiff drang ein Stück in die Wasserhose vor. Dann begann es zu schwanken und kippte in voller Fahrt nach vorn. Einige schreckliche Momente lang klammerte Pharaun sich an der Ruderpinne fest, als die Wand aus Wasser ihn traf. Endlich war das Schiff aus der Wasserhose heraus und trieb auf dem See. Pharaun schüttelte den Kopf, um sein Ge sicht von der durchtränkten Kapuze seines Piwafwi zu befreien, dann grinste er den Dämon, der noch immer mitten auf dem Deck angekettet war, an. »Eine ruhige Fahrt«, sagte der Magier amüsiert, während sich das Schiff weiter vom Strudel entfernte. Er strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht, das ihm in die Augen geschleudert worden war, und sah hinauf zu dem Vorsprung, auf dem sie zuerst gelandet waren, als es sie in diese Höhle verschlagen hatte. Zunächst würde er Danifae und Valas abholen, erst danach würde er Quenthel und Jeggred aus dem Auge des Sturms befreien, und dann würde auf sie das
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Vergnügen warten, zu entscheiden, wer – oder was – an das Schiff verfüttert wurde.
Halisstra klammerte sich an den Zügeln fest, während das Pferd über die weite Ebene galoppierte. Wegen des Schneefalls konnte sie kaum erkennen, was vor ihr lag, und sie konnte nur beten, daß das Tier weder ausrutschte noch in ein Loch im Boden trat. Allein der Blick auf dieses Tier genügte, um zu erkennen, wie zerbrechlich die schnellen Reittiere der Ober flächenwelt waren, wenn man sie mit den Reitechsen der Drow verglich. Eine falsche Drehung konnte dem Tier ein Bein brechen und den Reiter zu Boden schleudern. Sollte das passieren, dann wäre zumindest Ryld dank seines Levitationszaubers vor Verletzungen gefeit, der sich momentan am Saum ihres Piwafwi festhielt und ihr wie der Umhang eines Mantels folgte. Über ihnen wurde der Himmel immer heller. Der Tag war angebrochen, die Sonne war aufgegangen, doch hinter den mattgrauen Wolken war sie nicht mehr als ein schwaches Leuchten. Es war inzwischen hell genug, um ein Stück weit zu sehen, zumindest, wenn der Schneefall für einen kurzen Au genblick nachließ und man überhaupt etwas erkennen konnte. Diese Tatsache war alles andere als erfreulich, da die aufstei gende Sonne das Verstreichen der Zeit markierte und Halisstra daran erinnerte, daß der Zauber, den sie bei Ryld gewirkt hat te, bald enden würde. Jeden Moment konnte das Gift wieder mit voller Wucht auf ihn einstürmen wie eine Flutwelle, die einen ohnehin Ertrinkenden überspülte. Halisstra versteifte sich. War diese dunkle Linie vor ihr der Wald? Wenn, dann hatten sie endlich den Rand des Kalten Feldes erreicht.
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Sie drehte sich im Sattel um und lächelte Ryld aufmunternd an – doch sofort verging ihr dieses Lächeln, als sie seinen Ge sichtsausdruck sah. Seine Miene war finster, da er sich so kon zentrieren mußte. Tiefe Falten an Augen- und Mundwinkeln ließen die Anstrengung erahnen, die er unternahm, um den Schmerz zu unterdrücken. Dennoch brachte er ein Lächeln zustande. »Ich kann ...«, setzte er an, aber dann wurde sein Körper durchgeschüttelt. Einen Moment lang sackte er in der Luft zusammen, riß sich aber mit aller Macht zusammen, erlangte die Kontrolle über sich zurück und schwebte weiter. Beunruhigt versuchte Halisstra, das Pferd dazu zu bringen, sein Tempo zu verlang samen. Ryld stöhnte, dann keuchte er: »Halisstra ... ich ...« Plötzlich ließ er ihren Mantel los und fiel. Gleichzeitig nahm das Pferd wieder seine körperlose Gestalt an. Halisstra flog durch die Luft. Schneebedeckte Äste schlugen ihr ins Gesicht, als sie zwischen den Bäumen hindurchwirbelte. Sie landete so hart auf dem Boden, daß ihr die Luft aus den Lun gen gepreßt wurde. Einen Moment lang lag sie einfach nur da, zu fassungslos, um irgend etwas anderes zu tun, als nach Luft zu schnappen. Erst dann wurde ihr klar, daß sie es geschafft hat ten: Sie hatten den Wald erreicht. Sie erhob sich und taumelte aus dem Wald. Zwar spürte sie ihre Füße nicht mehr, die nur wie Eisklumpen an ihren Beinen zu hängen schienen, doch schaffte sie es, sich fortzubewegen. Erleichtert sah sie, daß sich Ryld aufgesetzt hatte, allem An schein nach trotz seines schweren Sturzes unverletzt. Sie knie te sich neben ihn und legte seinen Arm um ihre Schultern. »Kannst du gehen?« fragte sie, doch er schüttelte den Kopf. Sie sah genauer hin und erschrak, als sie merkte, wie grau
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seine Haut geworden war. Prompt ließ sie ihn los. »Warte«, sagte sie. »Ich bete.« »Bete ... schnell«, japste er, dann schloß er die Augen und sank in den Schnee. Halisstra hielt erschrocken die Luft an. War er tot? Nein, Rylds Brust hob und senkte sich. Sie beugte sich vor, legte eine Hand auf seine Brust und zwang ihre eiskalten Fin ger, die Form einer Mondsichel anzunehmen. Eilistraee, betete sie stumm, da sie wegen ihrer zitternden Lippen die Worte nicht laut aussprechen konnte. Ich bitte dich. Hilf mir. Schick mir die Magie, die ich brauche, um das Gift aus seinem Leib auszutreiben. Ich konnte heute morgen bei Sonnenauf gang keine Loblieder für dich singen, aber ich flehe dich an – laß es mich jetzt tun. Erweise dich deiner Dienerin gegenüber als großzügig und gib mir den Segen, den ich brauche, um das Leben dieses Man nes zu retten, der ... Dann hielt sie abrupt inne, schluchzte und korrigierte sich: dieses Mannes, den ich liebe. Dann begann sie, das Morgengebet zu summen. Es war ihr unmöglich, die Worte zu singen – zu sehr wurde ihr Körper durchgeschüttelt, und ihre Lippen schienen nicht gehorchen zu wollen. Sie verstummte. Hatte sie eben ein Geräusch gehört, das klang, als würden im Wald Zweige umgeknickt? Egal. Setz das Lied fort, sagte sie sich. Mit klappernden Zähnen summte sie weiter, obwohl sie Schwierigkeiten hatte, sich zu konzentrieren. Das intensive Kribbeln war aus ihren Händen gewichen, zurück blieb eine wohltuende Taubheit. Am liebsten hätte sie sich zu Ryld in den Schnee gelegt und wäre eingeschlafen. Rief da jemand ihren Namen? Nein, das mußte eine Täu schung sein.
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Summ weiter, ermahnte sie sich. Bete weiter. Rylds Leben hängt davon ab. Doch welches Lied hatte sie gesummt? Ihre Zähne klapper ten nicht mehr, das Zittern hatte aufgehört, aber Halisstra konnte sich nicht mehr erinnern. Statt dessen saß sie einfach da und starrte Ryld an. Lebte er? Nichts war wichtig. Nicht mehr. Da ihr Gebet unvollendet geblieben war, seufzte Halisstra und sank dahin. Wie seltsam warm der Schnee doch war, wie eine wärmende Decke. Sie legte sich hin und sah hinauf zum grauen Himmel, um die Schneeflocken zu betrachten. Witzig, dachte sie. Nie hätte sie sich vorstellen können, unter freiem Himmel zu sterben ... Da, der dunkle Fleck. Das war die Decke einer Höhle ... a ber warum bewegte sie sich, warum kam sie näher und faßte ihre Hand? Wie in einem Traum trieb Uluyaras Gesicht auf sie zu. Bruchstücke eines Satzes drangen zu ihr vor. »Wir ... ausgespäht ... Euch gefunden.« Halisstra spürte, wie man sie hochhob, und einen Moment lang glaubte sie, Uluyara wolle sie nur umdrehen, um die Mondsichelklinge und das Liedschwert an sich zu nehmen. Dann hörte sie die Melodie eines Gebets – das war Felianes Stimme; sie mußte auch gekommen sein –, und spürte Wärme auf ihrer Haut kribbeln. Sie verstand, daß man ihr den Ruck sack nur wegnahm, damit Feliane sie halten und mit ihrem Körper wärmen konnte. Im ersten Augenblick war sie scho ckiert, doch dann wurde ihr klar, daß sie noch immer wie eine Drow des Unterreiches dachte. Vom Wissen erfüllt, daß sie gerettet worden war, begann sie zu weinen und erkannte plötz lich, wie egoistisch sie war. »Ryld ...«, flüsterte sie.
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»Keine Sorge«, gab Feliane zurück, deren Worte mehr Sinn ergaben, je mehr Wärme die Magie Halisstra spendete und je weiter die eisige Hand des Todes zurückgetrieben wurde. »Er lebt, und Uluyara zwingt soeben das Gift aus seinem Körper.« Seufzend gestattete sich Halisstra, endlich zu entspannen und die Wärme von Felianes Zauber in sich aufzunehmen. Es war geschafft – sie hatte Ryld und sich selbst in Sicherheit gebracht, und zu alledem hatte sie auch noch die Mondsichel klinge gefunden. Jetzt mußte sie mit ihr nur noch eine Göttin töten.
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Gromph wartete im großen Saal des Tempels des Hauses Baen re und beobachtete durch Kyorlis Augen, wie Angehörige der Hauswache Gefangene zur Exekution hereinschleppten, deren Hände und Füße gefesselt waren. Ein Trupp Soldaten des Hau ses Agrach Dyrr hatte einen Ausbruchsversuch gewagt, nach dem die Soldaten des Hauses Baenre abgezogen worden waren, um gegen die Tanarukks zu kämpfen. Zum Glück waren Solda ten des Hauses Xorlarrin in der Lage gewesen, sie gefangenzu nehmen. Haus Baenre hatte einen Teil der Gefangenen für sich beansprucht, die im Tempel »geopfert« werden sollten. Welchen Nutzen das im Angesicht einer schweigenden Göttin bringen würde, blieb dahingestellt. Als ein weiterer Gefangener aus dem Haus Agrach Dyrr in den Tempel gebracht wurde, der anders als die übrigen nicht allzu schwerverletzt war, trat Gromph der Wache in den Weg
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und stoppte mit erhobener Hand den Mann. Der Wachmann blieb sofort stehen. »Ja, Erzmagier?« Gromph hockte sich hin, damit Kyorli auf Höhe des Gefangenen gelangte. Mit den Augen der Ratten sah er in die Augen des Gefangenen, der ihn trotzig anstarrte. Ja. Sie mochten gerade so genügen. »Dieser Gefangene wird nicht hing– geopfert«, sagte er zu der Wache. »Bringt ihn statt dessen nach Sorcere und über gebt ihn Meister Nauzhror. Sagt dem Meister, ich brauche den Kriegsgefangenen ... für meine eigenen Zwecke.« Aus den Tiefen von Lolths Tempel – von hinter den Türen aus Diamantspat, die zu Lolths eigentlichem Tempel führten – erklang ein hoher, kurzer Schrei, gefolgt von einer flehenden Drow-Stimme. Indes trugen Sklaven den Körper des letzten hingerichteten Soldaten an Gromph vorbei und warfen den Leichnam einer Reitechse vor. Im nächsten Moment hörte Gromph ein Knirschen und Schlucken, dann hatte die Echse ihr Siegesmahl genossen. Der Gefangene sah zwischen der Echse und Gromph hin und her, als überlege er, welches das kleinere Übel war. »Danke, Erzmagier«, sagte der Dyrr-Vetter. »Ich werde Euch gut dienen.« Gromph lächelte und erwiderte: »Vielleicht ja. Wenigstens zum Teil.« Dann erhob er sich und sagte: »Bringt ihn weg.« Während Gromph darauf wartete, daß die »Opferungen« endeten, reckte er den Hals und blinzelte zur Tempeldecke. Mit Hilfe Kyorlis konnte er Bewegungen sehen – so zum Bei spiel das rasche Umhereilen der Spinnen, deren Netze sich durch die Kuppel spannten –, aber Einzelheiten konnte er nicht ausmachen. Die Netze waren ein weißer Schleier, die einzelnen Fäden waren nicht zu erkennen. Kyorli konnte auf
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geringe Entfernung klar und deutlich sehen, darüber hinaus verließen sich Ratten mehr auf ihren Geruchssinn. Gromph würde aufpassen müssen. Triel hatte von Andzrel erfahren, was ihm passiert war. Für den Moment ließ sie sich von Gromphs Versicherung ruhigstellen, mit Hilfe seiner Tränke habe er sein Augenlicht vollständig wiederherstellen können. Wie die anderen Adligen des Hauses Baenre nahm sie von Kyorli keine Notiz – das Tier ließ sich von Gromph oft auf der Schulter tragen –, doch wenn sie herausfand, daß der Erz magus von Menzoberranzan blind war, dann würde sie ihn für schwach halten, und mit Schwachen wurde kurzer Prozeß gemacht – im Haus Baenre so wie in allen Häusern von Men zoberranzan. Gromph drehte sich um, als er Schritte hörte, die sich der Tür aus Diamantspat näherten. Durch Kyorlis Augen sah er Triel inmitten der Priesterinnen, die im großen Saal aus schwärmten. »Muttermatrone«, sagte er und verbeugte sich tief. »Ich ha be Neuigkeiten. Gute Neuigkeiten.« Triel kam zu ihm. Die Schnurrhaare kitzelten Gromphs Wange, als Kyorli nach vorn sah und schnupperte. Gromph erkannte rote Spritzer im Gesicht und in den Haaren der Mut termatrone – Folgen der Schläge, die sie ausgeteilt hatte. Die Schlangen an ihrer Peitsche reckten sich gierig und züngelten, um an das helle Blut zu kommen, das in einem netzähnlichen Muster ihr Gewand bespritzt hatte. »Ihr habt von Quenthel gehört?« fragte Triel. Gromph nickte und sagte: »Das habe ich.« Sich des politischen Netzwerks und seines Platzes darin stets bewußt vermied Gromph jede Erwähnung Pharauns. Gromphs Untergebener würde nur genannt werden, wenn ausdrücklich nach ihm gefragt wurde.
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»Quenthel und die anderen haben die Position eines Cha osschiffs entdeckt und wollen damit in den Abyss segeln«, sagte er. »Dort werden sie herausfinden, was mit Lolth ist. Unsere Sorgen werden bald ein Ende haben. Vorausgesetzt, unsere Schwester erweist sich der Aufgabe als würdig, die Ihr ihr gestellt habt.« Wie Pharaun erhofft hatte, lächelte Triel, als sie den Köder erkannte, den Gromph ihr hingeworfen hatte. »Unsere Schwester ist zwar nicht so klug wie manch ande rer, aber sie ist loyal ... wenn sie will«, räumte Triel ein. »Vor allem, wenn es um Lolth geht.« Gromph fluchte stumm, als sich Kyorli für eine der Spinnen zu interessieren begann, die sich von der Decke herabgelassen hatten. Triels Gesicht war plötzlich verschwommen, so daß er ihr Mienenspiel nicht erkennen konnte. Doch wenn er Kyorli dazu veranlaßt hätte, stur nach vorn zu sehen, wäre das ein Hinweis auf seine Schwäche gewesen. Der Erzmagier nickte nachdenklich und sagte: »Ich verste he.« »Wirklich?« fragte Triel leicht spöttisch. Zum Glück war die Spinne hinter Triel aus Kyorlis Blickfeld verschwunden, so daß sich die Ratte wieder auf sein Gegen über konzentrierte. Gromph sah, wie Triel die Finger bewegte. Dann wißt Ihr, daß Quenthel schon mehr als einmal im Abyss war, signalisierte sie. »Natürlich«, antwortete Gromph. »Ihr habt ihren Tod sorg fältig vertuscht, doch ich kenne Mittel und Wege, um die finstersten Geheimnisse dieses Hauses in Erfahrung zu bringen. Wohin sonst wäre Quenthels Seele in jenen vier Jahren ge gangen, die zwischen ihrem Tod und der Auferstehung lagen, wenn nicht in den Abyss zu Lolth? Ich verstehe, warum Ihr sie auswähltet. Allerdings frage ich mich ...«
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»Was?« herrschte Triel ihn an. »Warum Lolth sie zurückschickte«, fuhr Gromph fort. »Quenthel war sicher eine treue Dienerin, hätte Lolth sie da nicht bei sich behalten wollen?« »Vielleicht hatte sie andere Pläne für Quenthel«, antworte te Triel. »Beispielsweise die Übernahme der Führung ArachTiniliths, und genau das ist ja auch geschehen.« »Oder die Ausführung ihrer gegenwärtigen Mission«, fügte Gromph an. »Es liegt zweifellos in der Macht Lolths, daß sie diese Krise kommen sah und sich schon vor Jahren darauf vorbereitete.« »Wohl wahr«, stimmte Triel zu. »Wer wäre besser für eine Expedition in den Abyss geeignet als jemand, der sich dort schon auskennt?« Sie hielt inne. »Ist das alles, was Ihr zu sagen habt?« Gromph verbeugte sich. »Im Augenblick ja. Ich werde mich melden, wenn ich einen neuen Bericht empfange.« Triel ging. Gromph seufzte und schüttelte den Kopf. Falls Triel wußte, daß er noch blind war, dann ließ sie sich zumindest nichts anmerken. Hätte Lolth ihr ihre Zauber spenden können, wä ren Triel und jede andere ihrer Priesterinnen in der Lage, ihm innerhalb eines Herzschlags das Augenlicht zurückzugeben. Die Tatsache, daß aber keine von ihnen es nun konnte, erin nerte einmal mehr daran, über welche Kräfte sie nicht mehr verfügten. Wenn sie ihn vortäuschen ließ, er habe sein Augen licht zurück, täuschte sie zugleich über ihre eigene Machtlosig keit hinweg. Auf dem Weg aus dem Tempel fragte sich Gromph, was Quenthel wohl im Abgrund der Dämonennetze vorfinden würde und warum sie vor so vielen Jahren nach Menzoberran zan zurückgekehrt war, nur um jetzt eine Expedition in ihr
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eigenes Leben nach dem Tod anzuführen. Vielleicht hatte Lolth für seine Schwester wirklich ein höheres Schicksal vor gesehen. Wenn dem so war, könnte sich nach ihrer Rückkehr in die Stadt der Spinnen das Machtgleichgewicht zu ihren Gunsten verschieben – ganz sicher sogar, wenn ihre Suche erfolgreich verlief. Er würde ein Auge auf Quenthel haben müssen. Im übertragenen Sinne.
Aliisza kauerte auf dem Vorsprung über dem See und betrach tete das Schiff, das unter ihr im Wasser trieb. Es war von dä monischer Hand geschaffen – das war daran zu erkennen, daß es aus Knochen und lebendem Gewebe geschaffen war. An Deck standen vier Drow und ein Draegloth – Pharaun und seine Gefährten. Der Magier und die Priesterin Quenthel stritten, so wie sie es schon getan hatten, als Aliisza ihnen nahe Ammarindar zum ersten Mal begegnet war. Hinter ihnen verhöhnte der Draegloth einen Uridezu-Dämon, der an eine Stelle des Decks gebunden zu sein schien. Der Uridezu beugte sich angestrengt nach vorn, während der Draegloth ihm eine Ratte am Schwanz vorhielt und ihr dann den Kopf abbiß. Die beiden anderen – der Söldner und die hübsche Frau, die Aliisza so reizte – schienen sich aus dem Streit herauszuhalten und geduldig auf dessen Ende zu warten. Aliisza betrachtete Pharaun, der wie immer vornehm ge kleidet war und so wunderbar langes, weißes Haar hatte. Zwar war sie froh, ihn wiedergefunden zu haben, doch sie schien den falschen Zeitpunkt erwischt zu haben. Nach den Wortfetzen zu urteilen, die zu ihr drangen, schien es so, als würden die Drow bald aufbrechen, auch wenn offenbar darüber gestritten wurde,
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wie viele von ihnen die Reise letztlich antreten würden. Je mand – oder etwas – mußte gefüttert werden ... Ah, darum ging es! »Es ist ein Chaosschiff«, sagte Aliisza, stolz auf ihre Er kenntnis. Das dürfte Kaanyr wissen wollen. »Wohin willst du damit segeln, lieber Pharaun?« überlegte Aliisza. »In den Abyss?« Sie lachte und warf ihr lockiges schwarzes Haar zurück. »Sicher würdest du lieber bleiben und ein wenig Zeit mit mir verbringen, als Lolth zu besuchen. We nigstens lebe ich ... und erhöre deine Gebete.« Lachend beschloß sie, Kaanyr erst später zu informieren, der im Moment ohnehin mit seiner Belagerung mehr als genug zu tun hatte. Statt dessen würde sie am Schattensee bleiben und sich vergnügen. Das Vergnügen, so überlegte sie, sollte immer vor der Arbeit kommen. Immer.
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