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Gibt es einen Zusammenhang zwischen der gigantischen Statue eines > Goldenen Menschen < und den Mysterious ? Während Ren Dhark auf dem Planeten Mirac Dem Geheimnis des Artefakts auf der Spur ist, begeht der Kommandant eines terranischen Raumers einen fatalen Fehler – und eine gewaltige Armada aus Tausenden von Raumschiffen bricht auf, um Terra zu vernichten… Kurt Brand schuf in den Jahren 1966-1969 mit einem Team von Co-Autoren die Heftserie Ren Dhark, die in den 70er und 80er Jahren eine zweite und dritte Auflage erlebte. Für diese Buchausgabe ist der SF-Klassiker neu bearbeitet und fortgeschrieben worden, denn in den Tiefen des Kosmos ist das große Rätsel der Mysterious noch immer zu lösen…
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Ren Dhark Wunder des blauen Planeten Die große SF-Saga von Kurt Brand Band 11 Bereits erschienen: (1) Sternendschungel GALAXIS (2) Das Rätsel des Ringraumers (3) Zielpunkt Terra (4) Todeszone T-XXX (5) Die Hüter des Alls (6) Botschaß aus dem Gestern (7) Im Zentrum der GALAXIS (8) Die Meister des Chaos (9) Das Nor-ex greift an! (10) Gehetzte Cyborgs sowie die Sonderbände: Die Legende der Nogk Gestrandet aufBittan Sollte Ihre Bezugsquelle nicht alle REN-DHARK-Bände verfügbar haben, können Sie fehlende Bände direkt beim Verlag nachbestellen. l. Auflage Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22 56.544 Neuwied Telefon: 02.631-356.100 Fax:02.631-356.102 Internet: http://www.bernt.de © REN DHARK: Brand Erben Buchbearbeitung: Gerd Rottenecker Beratung: Heinz Mohlberg Cover: Ralph Voltz Illustrationen: Hubert Schweizer Druckvorlagenherstellung: TYPO-Schlick GmbH, 56.566 Neuwied © 1998 H. Bernt Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930.515-21-0
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Vorwort Nachdem bereits in Band 10 der Ren-Dhark-Buchausgabe mit den Utaren ein neues Fremdvolk aufgetaucht ist, haben im vorliegenden Band die Rateken einen ersten >Kurzauftrittneue< Fremdvolk stoßen. Bis dahin gilt es für Ren Dhark & Co. jedoch noch, das >Wunder des blauen Planeten< zu erforschen, sich den Mächten zu stellen, die nach langem Schlaf plötzlich erwachen, und ein weiteres Rätsel in Sachen POINT OF zu lösen. Apropos POINT OF: Unser Modell des Ringraumers, von dem nur noch ein knappes halbes Dutzend Exemplare lieferbar sind, hat ein -allerdings unver- käufliches – Schwesterschiff bekommen, das in Zukunft bei den Con-Auftritten des HJBVerlags über unserem Stand >schweben< und mit einem Ringdurchmesser von 1,26 Metern für Aufsehen sorgen wird. Gleichzeitig mit diesem Buch wird an alle Vorbesteller und Abonnenten der zweite Ren-Dhark-Sonderband ausgeliefert. In dem Roman mit dem Titel >Gestrandet auf Bittan< schildert der bekannte SF-Autor Werner Kurt Giesa – der auch schon an den neugeschriebenen Ren-Dhark-Büchem 6-8 mitgearbeitet hat – die Abenteuer des Prospektoren-Ehepaars Art und Jane Hooker auf einer urtümlichen Dschungelwelt, die mehr als ein Geheimnis unter ihrem dichten Laubdach verbirgt. Mit Band 12 der regulären Buchausgabe, der voraussichtlich Ende Oktober erscheinen wird, werden wir unser jüngstes >Baby< präsentieren: Das Ren Dhark Magazin! Wie der Name schon sagt, wird sich in diesem Magazin vieles -aber nicht alles – um Ren Dhark drehen. So wird unter anderem in einem Werkstattbericht geschildert werden, wie ein Ren-Dhark-Buch entsteht; außerdem werden wir exclusiv eine Rißzeichnung von Hartmut Klages – einen 400m-Raumer der Giants – und eine /te«-D/iör&-Kurzgeschichte von PR- und RD-Autor Hubert Haensel mit dem Titel >Im Ring der Mysterious< präsentieren. Weitere Beiträge sind Perry Rhodan (PR-Kenner Michael Thiesen beleuchtet die Ära William Voltz) und dem amerikanischen SF-Autor David Brin gewidmet – aber das ist noch längst nicht alles… Nachzutragen blieben noch die Titel und Verfasser der Originalromane, die überarbeitet und teilweise gekürzt in dieses Buch eingeflossen sind: Singu der Rateken, Transmitterdrohung, Terra im Würgegriff, Inferno zwischen Ruinen und Die Planetenbombe von Kurt Brand sowie Auf den Spuren der Mysterious? von Tensor McDyke (alias Dieter Ueckermann). Hohberg, im Frühjahr 1998 Gerd Rottenecker
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Prolog Auf der Erde und den Welten des terranischen Einflußbereichs neigt sich das Jahr 2056 seinem Ende zu. Die Gefahr, die von den überraschend wieder aufgetauchten, nicht >rück- geschalteten< Robonen unter ihrem Anführer Allon Sawall ausging, und die in der Entführung Ren Dharks und Don Rikers gipfelte, scheint fürs erste gebannt. Sawall und seine Anhänger haben sich auf einen unbekannten Planeten zurückgezogen, und die kleine Gruppe Robonen, die dem Befehl ihres Anführers nicht gefolgt ist und sich noch immer auf Terra befindet, sollte zwar nicht unterschätzt werden, ist jedoch jetzt auf sich allein gestellt und hat sicherlich einiges an Gefährlichkeit eingebüßt. Auch die Bedrohung durch das Nor-ex, jene unbegreifliche Wesenheit aus einem fremden Universum, die Raumschiffe und ganze Städte verschlang, konnte durch den mutigen Einsatz Ren Dharks zunächst einmal beseitigt werden. Immerhin hat die Nor-ex-Krise die Völker der Milchstraße teilweise enger zusammenrücken lassen. So haben die Utaren, die Bewohner Esmaladans, mittler- weile Kontakt mit den Terranern aufgenommen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Beziehungen zwischen den beiden Völkern weiter entwickeln werden, doch bestehen auf Seiten der terranischen Führungsspitze wenig Zweifel, daß sich der Kontakt generell positiv auswirken dürfte. Zunächst einmal bleibt der Menschheit jedoch kaum Zeit, Atem zu holen. Kaum aus dem Karmin-Universum zurückgekehrt, wartet auf Ren Dhark bereits die nächste Herausforderung in Form eines Doppelwulst-Raumers, der plötzlich und unerwartet auf Terra landet, und dessen Besatzung sich nicht nur in ihrem Äußeren deutlich von den Zwergenhaften Utaren unterscheidet. Als noch weitaus schwieriger erweist sich die Aufgabe, die wenig später ein rätselhaftes Artefakt dem Commander der Planeten stellt, als er mit den >Wundern des blauen Planeten< konfrontiert wird. Auch auf Hope, im Industriedom im Höhlensystem unter dem Inselkontinent Deluge, geschehen merkwürdige Dinge, die schließlich in einer ganz besonderen >Erscheinung< gipfeln. Doch alles, was bis dahin geschehen ist, verblaßt zur Bedeutungslosigkeit, als der ehrgeizige Kommandant eines terranischen Forschungsraumers einen fatalen Fehler begeht – und plötzlich steht die Existenz Terras auf dem Spiel…
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1. Das unbekannte Raumschiff hätte sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können, um am Rande des Sol-Systems zu rematerialisieren. Auf sämtlichen Planetenforts, Ast-Stationen und Einheiten der Flotte herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Im Raum zwischen den Planeten sammelten sich große Raumerverbände, die auf ihren Einsatzbefehl warteten um aufzubrechen, Ren Dhark und die POINT OF zu suchen. Ein Einsatzbefehl, der nur deswegen noch nicht erteilt worden war, weil die Raum-Radarstationen auf Pluto ein Abflauen der Kämpfe in den umliegenden Raumsektoren gemeldet hatten. Doch mit jeder Minute, die verstrich, ohne daß eine Nachricht von Ren Dhark kam, stieg die Wahrscheinlichkeit, daß Marschall Bulton die Flotte aussenden würde, um nach dem Commander der Planeten und dem Flaggschiff der TF zu suchen. »Vielleicht hatte Dhark ja Erfolg – zumindest scheinen sich die Nor-ex aus diesem Raumsektor zurückgezogen zu haben«, gab einer der Stabsoffiziere zu bedenken. Er bewies Mut mit dieser Bemerkung, denn Marschall Bulton, in Abwesenheit Dan Rikers Oberbefehlshaber der TF und für sein cholerisches Temperament berühmt und berüchtigt, wurde von Minute zu Minute nervöser und schien kurz vor der Explosion zu stehen. Aber Bulton explodierte nicht. »Anfrage an die Raum-Radarstationen: Sind im umliegenden Raumsektor die Kämpfe wieder aufgeflackert, oder ist es immer noch ruhig?« blaffte er statt dessen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Keinerlei ungewöhnliche energetische Aktivitäten in den umliegenden Raumsektoren. Bulton atmete tief durch. Doch bevor er noch irgend etwas sagen konnte, meldete sich Raum-Radarstation II erneut. »Unbekanntes Raumschiff neun Millionen Kilometer jenseits der Plutobahn rematerialisiert. Typ Kugelraumer mit zwei Ringwulsten. Bewegt sich mit 0,1 Licht Kurs Terra. Wir versuchen, Funkkontakt aufzunehmen… Keine Reaktion – Achtung, Raumschiff beschleunigt jetzt auf 0,2 Licht.« Bulton handelte schneller, als er denken konnte – er preßte die Daumenkuppe auf dem Alarmknopf. Gleichzeitig erging der Befehl an die sich dem Eindringling am nächsten befindlichen Schiffe, die Position des unbekannten Raumers anzufliegen und ihn unter Einsatz aller Mittel zu stoppen! Doch die jenem Punkt jenseits der Plutobahn zujagenden Schiffe der TF stießen ins Leere. Das Raumschiff entmaterialisierte – um mitten im Sol-System wieder aufzutauchen! Meldung von Ast-15! »Kugelraumer mit zwei Ringwulsten 3400 Kilometer vor 6
Ast-15 auf Grün 56:22,09 rematerialisiert. Durchmesser 250 Meter. Fliegt mit 0,03 Licht Kurs Terra. Antwortet nicht auf Funkanrufe; beschleunigt jetzt auf 0,05 Licht.« Auf Ast-15 saßen der Kommandant der Asteroiden-Station und sein Feuerleitoffizier nebeneinander. Gemeinsam sahen sie die Diagramme auf den Oszillos, gemeinsam sahen sie auf ihren Bildschirmen den unbekannten Raumer, der auf Funkanrufe nicht reagierte und mit immer größerer Fahrt Terra anflog. »Feuer frei?« erklang die Frage des Feuerleitoffiziers. »Wir sind kein Raumschiff, Prokin. Wir können diesem verdammten Kahn nicht nachsetzen.« Mittlerweile hatte Marschall Bulton in Cent Field seinen Befehl wiederholt. Unbekannten Raumer mit allen Mitteln stoppen! Im gleichen Moment drückte Leutnant Prokin auf Ast-15 den Feuerknopf. Die gigantischen Antennen der Asteroidenstation jagten ihre Energie dem Raumer hinterher, der nur noch 56 Millionen Kilometer von Terra entfernt war. »Volltreffer!« knurrte Prokin nach einem Blick auf die Oszillos. Aber def Strahlschuß prallte am energetischen Schirm des Fremdraumers ab. Grelle Rammenkaskaden schössen nach allen Seiten, und der Prallschirm glühte blutrot auf. Dann glaubten die Männer in Ast-15 ihren Augen nicht zu trauen. »Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte der Kommandant, aber was er sah, veränderte sich nicht. Der Prallschirm des Fremdschiffes strahlte in grellem Weiß. Und dieses Weiß flackerte im feststehenden Rhythmus. »Kurz – lang – lang – kurz – lang – lang – kurz…« »Ein Zeichen!« Der Kommandant verstand es nicht. Dennoch schlug er hart auf den Feuerknopf. Schlagartig stellten alle Strahlgeschütze der Station ihr Feuer ein. »Acht Raumer im Anflug auf unbekanntes Schiff!« meldete der Ortungsoffizier. Der Kommandant brüllte: »Unsere Schiffe darauf aufmerksam machen, daß der Kahn über seinen Prallschirm Zeichen abstrahlt.« Doch auf Terra war es schon bemerkt worden. Marschall Bulton änderte seinen Befehl! Geleit des unbekannten Schiffes übernehmen, aber von allen Waffen Gebrauch machen, wenn Angriff von der anderen Seite erfolgen sollte. Sechs Kreuzer der Planeten-Klasse und zwei Jäger rasten mit grell aufleuchtenden As-Onen-Triebwerken heran. Ihre optischen Systeme hatten den DoppelwulstRaumer erfaßt. Sein rhythmisch flackernder, weiß leuchtender Schirm war nicht zu übersehen. Unverändert hielt das Schiff Kurs auf Terra. Daß es von einer achtfachen Übermacht geleitet wurde, machte der Besatzung wohl nichts aus. War Weiß nicht die Farbe der Übergabe und der friedlichen Verhandlungen? Doch kannte die Besatzung des unbekannten Schiffs die Gepflogenheiten der Terraner? 7
Im Stab der TF starrte Marschall Bulton nachdenklich ins Leere. Er wagte nicht, seine Offiziere anzusehen. Auf diesen Augenblick hatte man auf Terra seit Wochen und Monaten gewartet, sich in ununterbrochenen Planspielen und Manövern darauf vorbereitet -doch jetzt, da der Fall eingetreten war, fühlte der Oberkommandierende der TF sich nicht wohl in seiner Haut. Man hatte schon öfter mit den Doppelwulst-Raumern zu tun gehabt – es waren größtenteils unangenehme Begegnungen gewesen, wie Bulton sich erinnerte –, man wußte, daß ihre Heimatwelt 3219 Lichtjahre von der Erde entfernt war – aber wie die Wesen aussahen, die diesen Raumschifftyp flogen, wußte niemand. »Distanz noch 35 Millionen Kilometer, Marschall!« Bulton nickte. Und dann schreckte er plötzlich hoch – er und alle seine Offiziere. Die POINT OF war dicht über Terra aus der Transition gekommen und flog mit hoher Fahrt dem Raumhafen Cent Field zu. Auf einem Monitor war plötzlich das Gesicht des Commanders zu sehen. Marschall Bulton wischte sich den Schweiß von der Stirn. Plötzlich wirkte er entspannt. Es war ihm egal, daß alle sahen, wie tief und erleichtert er aufatmete. Ren Dhark war zurück. Er hätte in keinem besseren Augenblick nach Terra kommen können. Die Menschen in Alamo Gordo schreckten auf. Ein Überschallknall noch nie erlebter Stärke erschütterte die gigantischen Stielbauten, die der Stadt ihr unverwechselbArcs Gesicht gaben. Die POINT OF war im Anflug! Sie war mit Höchstfahrt in die dichten Luftschichten der Erde hineingestoßen, um im Srurzflug Cent Field anzufliegen. Den Männern im Tower trat der kalte Schweiß auf die Stirn, als sie auf ihren Instrumenten die Landegeschwindigkeit der POINT OF ablasen. »Sind die denn verrückt geworden? Bei dem Tempo wird der Kahn einen schönen Schrotthaufen abgeben!« Aber es gab keine Bruchlandung. Elegant setzte der Ringraumer auf. Kaum schwiegen die Triebwerke, raste schon Flash 001 durch die Unitallwandung des Schiffs und nahm Kurs auf das Gebäude, in dem sich der Stab der TF befand. Ren Dhark flog den Flash selbst. Dicht vor dem Haupteingang landete er das plump aussehende Beiboot. Noch bevor die Wachposten reagieren konnten, hatte der Commander das Gebäude schon betreten. Er stürmte den breiten Gang entlang und stand Augenblicke später vor Marschall Bulton. Dem war seine Erleichterung überdeutlich anzumerken, als er seinen Platz hinter dem breiten Schreibtisch räumte. Ren Dhark hatte noch während des Landeanflugs alles Wichtige erfahren und seinerseits dem Marschall stichwortartig von den Geschehnissen im KarminUniversum berichtet. 8
Dhark beugte sich zum Vipho und tastete blitzschnell die Verbindung zur Ortungszentrale des Raumhafens ein. »Hier Commander Dhark! Wo steht das Schiff?« Sie verstanden ihn. Zur Zeit gab es im Sol-System nur ein Schiff, von dem man sprach. Er erhielt die Distanzangabe. »Verbindung mit der Hyperfunkstation.« Die Hyperfunkstation meldete sich. »Den Doppelwulst-Raumer mit höchster Sendeleistung im gleichen Rhythmus anfunken, in dem er sein Prallfeld aufleuchten läßt.« Er unterbrach die Verbindung. »Bulton, wir haben noch ein paar Minuten Zeit, bis der fremde Raumer zur Landung ansetzt. Welche Einheiten stehen bereit, um die Delegation einer fremden Rasse zu empfangen?« Marschall Bulton lief rot an. Dhark sah darüber hinweg. Offiziere erhielten Befehle. Zwei der drei Viphos waren ununterbrochen in Betrieb. Der Raum schwirrte vor Aktivität. Nur der Commander saß gelassen hinter dem Schreibtisch des Marschalls. Dharks Ruhe schien auch auf Bulton überzugehen, denn der Marschall zeigte in Anwesenheit des Commanders nichts von seinem cholerischen Temperament. Bulton hatte seine Order erteilt. Eine Anzahl Offiziere war fluchtartig aus dem Raum gestürmt. Die Delegation einer unbekannten Rasse, die allem Anschein nach in friedlicher Mission nach Terra kam, sollte mit allem Pomp empfangen werden. Der Commander aber war mit seinen Gedanken ganz woanders. Er dachte an das Nor-ex, jenes unbegreifliche Wesen aus einem fremden Universum, mit dem er erst vor wenigen Stunden einen Pakt geschlossen hatte. Würde die fremde Wesenheit sich an die Abmachungen mit den Terranern halten? Und wenn nicht – würden sie dann die Möglichkeit haben, das Nor-ex erneut zu bezwingen? Auf einmal spürte Ren Dhark, daß der Marschall ihn gespannt musterte. Er blickte auf und fragte: »Was gibt es, Bulton?« »Sie wollen es doch wohl nicht bei ein paar Stichworten belassen, Commander? Mittlerweile ist nicht nur die POINT OF wieder aufgetaucht, sondern auch die übrigen verschollenen Schiffe! Die FO-1 mit Huxley und Prewitt, die CAESAR, die YAMID und all die anderen… Was ist dort draußen wirklich geschehen?« Ren Dhark lächelte. »Das, mein lieber Bulton, werde ich Ihnen und Ihren Offizieren ebenso wie den Wissenschaftlern erzählen, wenn die Lage sich wieder entspannt hat. Doch zunächst, denke ich, sollten wir all unsere Konzentration unseren >Gästen< widmen. Oder was meinen Sie?« In diesem Augenblick meldete die Ortungszentrale, daß der unbekannte Raumer den äußeren Luftmantel der Erde erreicht habe und noch immer Kurs auf Cent Field halte. Ren Dhark wurde nachdenklich. Etwas machte ihm Sorgen. Er erinnerte sich eini9
ger dramatischer Erlebnisse. Jedesmal, wenn die POINT OF im überlichtschnellen Flug unterwegs von Hope nach Terra – oder in Gegenrichtung – einen bestimmten Sektor der GALAXIS durchflogen hatte, war sie auf unerklärliche Art geortet und immer wieder von vielen Schiffen angegriffen worden – darunter auch von Doppelwulst-Raumern! Diese Ortung hatte es eines Tages nicht mehr gegeben! Wer hatte veranlaßt, daß der Ringraumer nicht mehr mit allen verfügbArcn Mitteln bekämpft wurde? Was war der Anlaß zum Einstellen dieser Aktionen gewesen? Die Besatzungen der Doppelwulst-Raumer hatten mit einer geradezu unbeschreiblichen Hartnäckigkeit versucht, die POINT OF in eine kleine Sonne zu ver- wandeln. Und jetzt kam ein Schiff dieser Rasse in friedlicher Absicht? Mit einer Hand fuhr sich Ren Dhark über die Stirn. Von allen Seiten fühlte er Unheil auf sich zukommen. Unwillkürlich blickte er auf, aber außer einigen Offizieren und Marschall Bulton konnte er nichts entdecken. »Commander, die GSO ist benachrichtigt.« Daran hatte Dhark wirklich nicht gedacht. Er gehörte zu dem Typ Menschen, der erst dann mißtrauisch wurde, wenn er Grund dazu hatte. An erster Stelle stand bei ihm der Glaube, daß jede Kreatur, wie sie auch beschaffen sein mochte, von Natur aus gut war. Er mußte an die Giants und ihren CAL denken, er erinnerte sich, wie sie auf der Erde gehaust hatten, was sie aus den Menschen gemacht hatten, die man inzwischen als Robonen bezeichnete. War das Verhalten der Giants menschlich gewesen? Das große Vipho vor ihm leuchtete auf. Ein Offizier aus dem Tower meldete: »Commander, der Doppelwulst-Raumer setzt auf G-56 zur Landung an.« Der Vorgang war auch in der POINT OF beobachtet worden. Vollkommen ruhig teilte Dan Riker aus dem Leitstand des Ringraumers mit: »Wir scannen den Kahn ununterbrochen. Scheint friedlich zu sein. Unsere Energieortung bestätigt, daß nur die Energieerzeuger laufen, die er für das Landemanöver benötigt. Sonst nichts Neues.« Die Verbindung zur POINT OF erlosch. Ren Dhark erhob sich. Auffordernd blickte er Bulton an. »Ich glaube, es wird Zeit, daß wir uns auch auf den Weg machen.« Der Commander der Planeten wollte die fremden Intelligenzen, die zum ersten Male die Erde angeflogen hatten, begrüßen. Der Doppelwulst-Raumer stand auf Landeplatz G-56. Achtzehn stationäre Gravitationsschleudern waren genau auf das 250-Meter-Schiff justiert. Die Gruppenführer der einzelnen Forts hatten den Befehl erhalten, auf einen bestimmten Funkimpuls hin den Landeplatz unter 3,5 Gravos zu setzen, selbst 10
wenn sich Terraner in diesem Bereich befinden sollten. Für diesen Fall standen sieben Cyborgs bereit. Ihre Order lautete, unter Einsatz aller Mittel jeden Mann, der sich vor oder in dem unbekannten Schiff aufhielt, herauszuholen. Arc Doorn, der mittlerweile ebenfalls von der POINT OF herübergekommen war, hatte in einer kurzen Anweisung von Ren Dhark erfahren, daß er gemeinsam mit Jos Aachten van Haag den gesamten Einsatz zu leiten hatte. »Okay«, hatte der wortkarge Sibirier gebrummt und es sich mit Jos in dem kleinen Nebenraum nahe der Vipho-Zentrale bequem gemacht. Nur Bram Sass und Jes Yello, die beiden Cyborgs, begleiteten den Commander und Marschall Bulton. Vor dem Stab der TF wartete ein Spezial-Jett der GSO, um sie nach G-56 zu fliegen. Über drei Viphos, die auf Dauerempfang standen, waren sie mit den wichtigsten Stellen in Cent Field und Alamo Gordo verbunden. Aber die Bildschirme blieben grau. »Nervös?« fragte Dhark den Marschall, kurz bevor sie ihr Ziel erreicht hatten. Bulton war so ehrlich wie immer. »Ein bißchen. Sie nicht?« »Doch«, erwiderte Dhark, »sehr.« »Ein ungutes Gefühl, Commander?« »Das nicht, aber innerlich bin ich auf so ziemlich alle bösen Überraschungen vorbereitet.« Der Marschall nickte und murmelte dann mehr zu sich selbst: »Ich bin gespannt, wie die Wesen aussehen, die diese Raumer fliegen.« Ihr Spezial-Jett setzte auf. Langsam gingen sie auf das fremde Schiff zu, das auf wuchtigen, aber erstaunlich kurzen Teleskopbeinen mit auffallend groß dimensionierten Landeplatten stand. Eine Polschleuse besaß dieser Raumer nicht, der im Licht der Sonne hellbraun schimmerte. Erst in gut fünfzig Meter Höhe befand sich eine halbbogenförmige Öffnung, von der jetzt eine schmale Rampe heruntergefahren wurde, die augenscheinlich über Transportbänder verfügte. In gleichmäßigen Abständen waren auf der sonst glatten kugelförmigen Hülle leicht plattgedrückte Höcker verteilt, die sich anscheinend in alle Richtungen bewegen ließen. Strahlgeschütze? Auch der Ringwulst, der das Schiff von Pol zu Pol umlief, gab dem Raumer ein seltsames Aussehen. Gut fünfundzwanzig Meter breit, aber über vierzig Meter dick, verfügte dieser Ring, ebenso wie der horizontal um den Schiffsäquator verlaufende, über ein anomal großes Volumen. Wenn der Platz in den beiden Wülsten vollständig ausgenutzt war, dann mußten sich darin überaus leistungsfähige Triebwerke verbergen. Ren Dhark, Marschall Bulton und die beiden Cyborgs blickten zur Schleuse hinauf. 11
Dort war keinerlei Bewegung auszumachen. Von der Besatzung ließ sich bisher niemand sehen. Kein gutes Zeichen, dachte Ren Dhark, der sich vergeblich bemühte, seine Nervosität zu unterdrücken. Ein fremdes Schiff landete auf einem fremden Planeten, und seine Besatzung dachte nicht daran, sich freiwillig dem Gastgeber zu zeigen. Bulton blickte die beiden Cyborgs fragend an. Sass grinste schwach. »Wir haben umgeschaltet.« Dicht vor der kleinen Gruppe berührte die Rampe aus silbergrauem Material den Boden. Im gleichen Augenblick begannen vier Transportbänder in Richtung auf die Schleuse anzulaufen. Ohne zu zögern betrat der Commander eines der Bänder. Bulton und die Cyborgs folgten seinem Beispiel. In gleichmäßigem, nicht besonders schnellem Tempo wurden sie hinaufgefahren und näherten sich der Schleuse, einem dunklen Raum, dessen Ausmaße sich im Hintergrund verloren. Die Schleuse war leer. »Eine unhöfliche Gesellschaft«, murmelte Marschall Bulton, der sich vergeblich nach einem fremden Wesen umgesehen hatte – und zuckte zusammen. Licht flutete aus allen Wänden. Grelles, grünes Licht, und in diesem grünen Licht standen Riesen vor ihnen – mehr als drei Meter groß, breitschultrig, von humanoider Gestalt; nur der Kopf war nicht menschlich. Grau die lederartige Haut der sechsfingrigen Hände, grau das Gesicht. Aber was für ein Gesicht…! Im oberen Drittel zog sich unter der leicht schillernden Glatze ein Facettenkranz über die vordere Hälfte herum. Eine Handbreit darunter befanden sich in gleichbleibendem Abstand fingerlange ovale Öffnungen. Sollte das die Nase sein? Und der Mund? Es gab ihn gleich viermal. Er befand sich dort, wo bei Menschen die Kinnspitze war – ein lippenloser, schmaler Strich, der im grellen, grüngetönten Licht leicht bläulich schimmerte. Der Kopf erinnerte an eine überdimensionierte Birne, die man mit dem Stielende auf einen klobigen Körper gestellt hatte. Die graue Lederhaut saß völlig straff, schien weder Falten noch Poren aufzuweisen; sie zeigte auch keine Bewegung, als das Wesen, das sich in der Mitte der siebenköpfigen Gruppe befand, den Mund öffnete, der den Terranern zugewandt war, und sagte: »Rateka, wrass songna bal dorin ka do!« Es klang rauh, tief und befehlend. Im Kranz der Facettenaugen glühten Lichter in vielen Farben auf. Das fremde Wesen im hellgrauen Overall, der viel zu weit wirkte und in hundert Falten um den Riesenkörper hing, winkelte schenkeldicke Arme an, kreuzte sie vor der breiten Brust und trat auf Ren Dhark zu, der einen Schritt vor seinen Begleitern stand. 12
»Ich verstehe Sie nicht!« erwiderte Dhark, der nicht einmal mit der Wimper zuckte, als der Riese dicht vor ihm halt machte. »Rateka, ronn sgi do angnokar?« Viel zu laut sprach der Riese. Seine Stimme dröhnte durch die Schleuse, die zwanzig Meter tief und ebenso hoch war. »Ich kann Sie nicht verstehen. Ich beherrsche Ihre Sprache nicht!« erwiderte Dhark mit fester Stimme, ohne die Lautstärke zu verändern. Ren Dhark, Bulton und die Cyborgs verbargen ihr Erstaunen, als sich das obere Drittel des Kopfes über den Kranz aus Facettenaugen schob und ihn verdeckte. Hatte dieser Riese jetzt das getan, was man bei einem Menschen als Schließen der Augen bezeichnet hätte? Im nächsten Moment sprach der Fremde mit dem Mund, der sich in seinem >Nacken< befand. Scharf und rauh klang seine Stimme. In einen der übrigen Riesen kam Bewegung. Mit gewaltigen Schritten eilte er in den Hintergrund der Schleuse, kehrte jedoch gleich darauf zurück, einen vielleicht 30 mal 30 Zentimeter messenden, quadratischen Kasten vor der Brust. Hände, die rechts und links je einen Daumen und vier gleichlange nagellose Finger besaßen, glitten über Sensortasten und Schieberegler. Ein Summen klang auf, dann ein Brummton, der schnell nachließ. Schließlich schien der Riese zufrieden zu sein und reichte das Gerät mit einer angedeuteten Verbeugung dem Sprecher. Der nahm es entgegen und scheuchte seinen Untergebenen mit einer herrischen Handbewegung zur Seite. Ren Dharks Gesicht zeigte nichts von dem, was er dachte. Er war auf der Hut. Diese Riesen gefielen ihm nicht. Sie waren als ungebetene Gäste gekommen, und sie benahmen sich in einer Art und Weise, die für die Zukunft nichts Gutes ahnen ließ. Der mittlere Riese hatte sich das Gerät umgehängt und nochmals einige Tasten angetippt. Der Glatzenteil seines Birnenkopfes bewegte sich nach oben. Der Ring aus Facettenaugen lag wieder frei. Wieso hat er dann sehen können, daß der andere ihm das Gerät übergeben wollte? fragte sich Dhark unwillkürlich. Die Stimme des Riesen war wieder zu hören; Worte in einer unbekannten Sprache. Doch noch während er sprach, klang eine metallisch klingende Stimme auf, die das Terranische verwendete. »Rateka, Singu der Rateken, wird den Schutz dieses Planeten übernehmen und verlangt als Tribut die Waffe, mit der das Urk aus dem anderen Gefüge verjagt werden kann.« Bei dem Kasten mußte es sich um ein Übersetzungsgerät, einen Translator, handeln! Ren Dhark verspürte plötzlich keine Nervosität mehr. Jetzt wußte er, warum die 13
Erde diesen unerwünschten Besuch bekommen hatte. Im Spiralarm mußte es sich herumgesprochen haben, daß die Terraner über eine Waffe verfügten, mit der man das Nor-ex vertreiben konnte! Und sie können natürlich nicht ahnen, daß die Gefahr für’s erste beseitigt ist und wir einen Vertrag mit dem Nor-ex geschlossen haben, dachte Dhark. Er ahmte die Haltung Ratekas nach, der sich als Singu der Rateken bezeichnet hatte und damit wahrscheinlich auf seinen Titel oder seine Stellung hinweisen wollte. »Mein Name ist Ren Dhark«, sagte der Commander der Planeten bescheiden, »und im Namen dieses Planeten heiße ich Sie willkommen.« Rateka brüllte ihn an. Farbige Lichter huschten über den Facettenring. Der Translator übernahm die Lautstärke, und Dhark wurde mit den Worten angefahren: »Weißt du nicht, wie man dem Singu der Rateken zu antworten hat?« Hinter dem Rücken des Commanders flüsterte Marschall Bulton: »Genauso habe ich mir diese Begegnung vorgestellt.« Unbemerkt von den Riesen kontrollierten die beiden Cyborgs, ob ihre Viphos noch klar und nicht durch einen technischen Trick der Rateken ausgeschaltet worden waren. Ren Dhark dachte nicht daran, auf einen groben Klotz einen groben Keil zu setzen. Sein ganzes Interesse galt dem Ziel, diese Begegnung friedlich verlaufen zu lassen. Aber er sah es als einen psychologischen Fehler an, sich dem herrischen Verlangen dieses Rateka zu unterwerfen. Jetzt verwendete auch er das Du. »Rateka, du befindest dich auf einer Welt, die deines Schutzes weder bedarf, noch dir Tribute…« Der Translator hatte erst die Hälfte seines Satzes in die Sprache der Rateken übertragen, als die sechsfingrigen Pranken des Riesen vorzuckten, als ob sie nach Ren Dhark greifen wollten. Zwei Cyborgs standen plötzlich einen Schritt vor dem Commander, und der Riese führte die Bewegung nicht zu Ende. Ein wütendes Grollen dröhnte durch die Schleuse. Zwei der Rateken im Hintergrund wollten sich auf die Cyborgs stürzen, doch eine knappe Handbewegung ihres Anführers hielt sie zurück. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen; langsam und gemächlich stemmte Rateka die Pranken in die Hüften, knickte leicht nach hinten ab – und dann rollten dumpf glucksende Laute durch die Schleuse. Konnte ein Rateke lachen? »Ihr habt Mut, Zwerge von Terra, aber Mut allein wird euch nicht helfen – schon gar nicht in der Zeit der wrossnal« Die metallisch klingende Stimme war immer noch viel zu laut. Ren Dhark ließ sich nicht beeindrucken. Sein ganzes Sinnen und Trachten galt der Möglichkeit, mit diesem Riesen zu einer friedlichen Einigung zu kommen. Die 14
Überheblichkeit der Fremden machte seine Aufgabe nicht leichter, aber auch nicht unmöglich. Er winkte Sass und Yello zurück und warf Bulton einen aufmunternden Blick zu. Schweißtropfen glitzerten auf der Stirn des Marschalls, seine Fingerspitzen schwebten nur Zentimeter über den Blasterkolben. Ren Dhark schüttelte unmerklich den Kopf, dann wandte er sich wieder an den Riesen. »Es gibt keinen Grund für Streitigkeiten, Rateka. Terra benötigt den Schutz des Singu der Rateken und seines Volkes nicht. Doch wir sind jederzeit dazu bereit, diplomatische Beziehungen mit dem Volk der Rateken aufzunehmen, und ich bin sicher, daß unsere beiden Völker…« Wieder ließ Rateka ihn nicht ausreden. »Ich höre deine Worte, Dhark, doch sie bedeuten mir nicht mehr als das Plappern der Qarrn in der Abenddämmerung.« Die metallische Stimme schien mit jedem Wort lauter und drohender zu werden. »Dhark, ich stelle diesem Planeten ein Ultimatum. In unserem Heimatsystem sind acht Fados unserer Rotte in Bereitschaft. Du hast eine Frist von zwei Normstunden deiner Zeitrechnung. Bist du bis dahin nicht bereit, mir die Waffe auszuhändigen, mit der man das Urk vertreiben kann, werde ich die Schiffe rufen, und sie werden eine zweite Sonne aus dieser Welt machen!« Ren Dhark zuckte mit keiner Wimper. »Du hast vergessen, daß du dich mit deinem Schiff auf einer fremden Welt befindest.« »Nichts wird mich hindern, diesen Raumhafen zu verlassen, wann immer ich es will. Keine Macht kann dich aus meinem Schiff holen. Vergiß nicht, daß nach Ablauf der Frist acht Fados – das sind mehr als 8000 Raumschiffe – aufbrechen werden, um aus deiner Heimatwelt eine Sonne zu machen. Mehr habe ich dir nicht zu sagen.« Und mit diesen Worten verließen alle Rateken die Schleuse durch ein an der Stirnwand gelegenes Schott. Marschall Bulton schätzte ihre Lage vollkommen falsch ein. »Dieser Rateke ist größenwahnsinnig, Commander.« »Da!« Dhark hielt ihm sein Spezial-Vipho hin. Es arbeitete nicht mehr, genau wie die Geräte der anderen. Es gab keine Verbindung mit Cent Field und Alamo Gordo mehr. Die Rateken hatten sie durch einen technischen Kunstgriff unterbrochen. Zwei Flash landeten im Brana-Tal, dicht neben der Cyborg-Station. Sie waren angemeldet, und es war auch nichts Besonderes mehr, daß hier ab und zu Blitze landeten. Aber daß gleich vier der ersten Cyborgs, die in dieser Station entwickelt worden waren, zusammen ankamen, war überaus ungewöhnlich. Echri Ezbal, in mehr als nur einer Hinsicht das Herz dieser gigantischen medizinischen Anlage, empfing seine Schützlinge in seinem einfach eingerichteten Privatraum. Immer wieder glitt sein Blick über die Snide-Zwillinge. Stolz lag in diesem Blick, 15
Stolz und ehrliche Freude. Der Genetiker und Biochemiker war stolz darauf, zwei Menschen aus dem Grau eines Daseins als Schwachsinnige herausgerissen zu haben. Charly und George Snide wußten, daß sie von Geburt an geistig zurückgeblieben gewesen waren. Es machte ihnen nichts aus, darüber zu sprechen, weil sie nicht die kleinste Erinnerung an jene Zeit zurückbehalten hatten. »Gibt es Fortschritte in Sachen Cyborgs, Ezbal?« fragte Holger Alsop, der der erste cybernetic organism Terras gewesen war. Der Brahmane strich sich durch seinen silberweißen Bart. »Es gibt Fortschritte, besonders auf dem Gebiet des Phanten. Wenn es euch interessiert, dann könnt ihr in einer Stunde zusehen, wie ein Mensch zum Cyborg gemacht wird – und zwar zu einem Cyborg, der kein Steuergerät mehr benötigen wird, um phanten zu können.« »Kein Steuergerät?« fragte Jan Burton interessiert. »Dann sind Injektionen durch das Phant-Adhesive nicht mehr erforderlich?« »Lassen Sie sich überraschen«, erwiderte der greise Wissenschaftler und lächelte dabei, als sei er seiner Sache sicher. Die Stunde des Wartens verging schneller als sie gedacht hatten. Der Cyborg-OP war ein großer, weißgekachelter Saal, der an drei Seiten mit Unmengen medizinischer Spezialgeräte vollgestopft war. Die vierte Seite war durch eine energetische Sperre abgeteilt. Dahinter saßen die vier Männer und konnten über ein halbes Dutzend Bildschirme alles aus nächster Nähe beobachten. Mark Carrell hieß der junge, knabenhaft schlanke Mann auf dem OP-Tisch. Er lag in tiefer Narkose und wußte nicht, was mit ihm geschah. Aufmerksam hatten die vier Cyborgs die Vorbereitungen verfolgt: Großes Gehirnstrommuster; Schichtaufnahmen des Gehirns, der Organe, der Sehnen, Muskeln und Nerven. Jetzt wurde die Bohrhaube herangefahren, ein im Brana-Tal entwikkeltes Gerät. Die Bohrhaube wurde über Mark Carrells Kopf gestülpt, sensorisch eingestellt, über Verbindungen mit den Schichtaufnahmen des Gehirns verbunden, und dann drückte einer der Mediziner den rotleuchtenden Knopf am Steuerpult. An mehr als dreihundert Stellen wurde Mark Carrells Schädeldecke durchbohrt. Unsichtbar, nur an den Instrumenten zu verfolgen, spritzten anschließend aus den Bohrdüsen mikrodünne Strahlen, die an feinstes Plastikgewebe erinnerten, aber in Wirklichkeit damit nichts gemein hatten. Diese Strahlmasse traf haargenau jene Stellen im Gehirn, die sie zu erreichen hatte. Dabei spielte es keine Rolle, ob vorher andere Partien durchbohrt werden mußten. Diese Eingriffe auf andere Gehirnteile waren so winzig, daß der Organismus darauf nicht reagierte. Hatte die Strahlmasse das vorgeschriebene Ziel erreicht, wurde sie im gleichen Moment steif, ohne jedoch etwas von ihrer Elastizität zu verlieren. Über eine Kette von Enzephal-Oszillos wurde dieser gewagte Eingriff mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt. Er war der risikoreichste Abschnitt der gesamten Opera16
tion. »Aufbau der Rückschaltungs-Phase«, hörten sie und konnten sich selbst – obwohl schon seit vielen Wochen Cyborgs – endlich einen Begriff davon machen, was sie darunter zu verstehen hatten. Dann wurde die Bohrhaube von Carrells Kopf genommen; nicht die kleinste Wunde oder Bohröffnung war zu entdecken. Einer der Wissenschaftler erklärte: »Die Bohröffnungen sind ein Hundertstel Millimeter stark. Alle sind durch Med-Plastik gekittet und in gut einer Stunde auch verheilt.« Unwillkürlich strich sich Charly Snide über den Kopf, aber so behutsam er auch tastete, nirgendwo konnte er so etwas wie eine Narbe entdecken. Die nächste Bemerkung aus dem OP galt ihnen. »Achtung, wir schließen jetzt das Cyborg-Nerven-System an.« Verdutzt sahen sich die faszinierten Zuschauer an. Bis gerade eben hatten sie nicht einmal gewußt, daß sie ein zweites Nervensystem besaßen, wenn sie umgeschaltet hatten. »Anschluß der Not-Sauerstoffversorgung des Gehirns.« »Achtung, Einbau des Programm-Gehirns.« »Was?« platzte Jan Burton heraus. »So klein ist das Ding? Nicht mal so groß wie eine Erbse?« Dreißig, manchmal vierzig medizinische Spezialisten waren tätig. Oft nur zwei oder drei, aber in keiner Phase des Umbaus war auch nur die kleinste Unsicherheit zu beobachten. Jeder Handgriff saß. Es gab keine Pannen. Es gab kein lautes Wort, keine Hektik. »Verändern der Muskulatur.« Es ging Schlag auf Schlag, und das alles praktisch ohne Blut, bis auf den Einbau des Programm-Gehirns und der Pseudolunge. »Erster Klein-Test.« Mark Carrell lag immer noch in tiefer Narkose und ahnte nicht, daß er den ersten Beweis zu erbringen hatte, jetzt ein Cyborg zu sein. »Test läuft!« In diesem Augenblick schlugen die Viphos der Cyborgs an. Arc Doorn rief von Cent Field. »Hier gibt es Probleme. Kommen Sie so schnell wie möglich und fliegen Sie ins Flash-Depot der POINT OF ein. Ende!« Sie erhoben sich gleichzeitig, wie ein Mann. Ein kurzer Abschiedsblick galt dem OP und den Menschen darin, dann verließen sie den Raum. Cent Field hatte gerufen. Sie kamen.
2. Wie ein gereizter Tiger marschierte Dan Riker in der Kommandozentrale der 17
POINT OF auf und ab. Seit mehr als einer halben Stunde war die Verbindung zu Ren Dhark, Marschall Bulton und den beiden Cyborgs abgerissen. Immer wieder wanderten Rikers Blicke zu den Bildschirmen, die den Doppelwulstraumer zeigten, der friedlich und unbehelligt im Licht der Sonne auf seinem Landeplatz stand. Der Anblick schien ihn zu verhöhnen. Riker hätte das Raumschiff am liebsten mit der POINT OF angegriffen, doch Arc Doorn hatte ihm diese Schnapsidee – wie er sie in seiner respektlosen Weise genannt hatte – ausgeredet. »Warum mit dem großen Hammer zuschlagen, wenn es Nadelstiche genausogut tun, Riker«, hatte er gesagt, »ganz zu schweigen von der Gefahr, die ein Angriff mit dem Ringraumer für den Commander und seine Begleiter bedeuten könnte. Ich habe noch ein paar Cyborgs mehr angefordert; sie müßten bald hier sein – und dann können wir uns etwas überlegen…« Doch die Zeit bis zum Eintreffen der galaktischen Feuerwehr verstrich quälend langsam. »Zwei Flash im Anflug«, meldete Tino Grappa plötzlich. »Na, endlich!« seufzte Riker. Im gleichen Augenblick erklang die Stimme von Glenn Morris aus der Funk-Z: »Riker, ich habe Doorn in der Leitung…« »Stellen Sie durch, Morris!« Doch noch bevor Arc Doorns Gesicht auf dem kleinen Bildschirm erschien, mischte sich erneut Tino Grappa ein. »Zwei Jetts nähern sich vom Tower her der POINT OF.« »Hallo, Riker!« Das war jetzt endlich Arc Doorn. »Ich habe unsere Supermänner dabei. Wir sollten uns kurz zusammensetzen und Kriegsrat halten.« Die Verbindung erlosch. Kopfschüttelnd betrachtete Dan Riker den grau gewordenen Bild-23 schirm. »Manchmal frage ich mich wirklich, wer hier eigentlich das Kommando hat«, murmelte er leise vor sich hin. Dann gab er sich einen Ruck. »Ich bin in der Messe. Wenn es zu irgendwelchen dramatischen Entwicklungen kommen sollte, möchte ich unverzüglich benachrichtigt werden. Falluta, Sie übernehmen solange das Kommando.« Und mit diesen Worten verließ er die Zentrale des Ringraumers. »Nadelstiche«, dozierte Arc Doorn. »Ich schlage vor, wir pieken diese Fremden mit Nadeln aus Unitall.« Alsop, Burton und die übrigen Cyborgs nickten stumm. Sie hatten verstanden, was der Sibirier vorhatte. »Und was ist mit den Gravoschleudern?« fragte Dan Riker. Unwillig schüttelte Doorn den Kopf. »Blödsinn.« Jan Burton mischte sich ein. »Ich rate vom Einsatz der Gravoschleudern dringend ab. Der Commander und Marschall Bulton würden bei 3,5 Gravos praktisch handlungsunfähig werden, und wir wissen nichts über die Konstitution der Fremden. Möglicherweise sind sie sehr viel kräftiger als der Durchschnittsterraner, dann können wir ihnen mit derartigen Mitteln ohnehin nicht beikommen…« 18
»Oder sie kleben als Matsch auf dem Fußboden!« Das war unverkennbar wieder Arc Doorn. Dan Riker zuckte die Schultern. »Da Sie sich ohnehin anscheinend alle einig sind… Bleibt die Frage, wie viele Flash einfliegen sollen.« Doorn blickte sich um. »Acht.« Auf Rikers fragenden Blick erklärte Jan Burton: »Da wir nicht wissen, was uns an Bord des fremden Raumschiffs erwartet, sollten nur Cyborgs an diesem Einsatz teilnehmen. Aber es ist sicher sinnvoll, wenn drei von uns als Eingreifreserve zurückbleiben.« Wenige Augenblicke später war Dan Riker auf dem Rückweg zur Zentrale. »Was ist schlimmer als Arc Doorn oder eine Horde neunmalkluger Cyborgs?« brummte er vor sich hin. »Arc Doorn und eine Horde neunmalkluger Cyborgs!« gab er sich selbst die Antwort.
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Seit knapp einer Stunde waren Ren Dhark und seine Begleiter in der für menschliche Begriffe viel zu großen Schleuse des Doppelwulst-Raumers sich selbst überlassen. Der Commander war davon überzeugt, daß die Rateken sie beobachteten, und er 20
hatte mehrfach laut zu ihren unsichtbArcn Gastgebern < gesprochen und Rateka aufgefordert, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Doch es war nichts geschehen. Fragende Blicke der beiden Cyborgs, die sich gewaltsam Zugang ins Innere des Raumers verschaffen wollten, hatte er mit einem abschlägigen Kopfschütteln beschieden. Dhark wollte die Situation nicht noch weiter verkomplizieren – und er war sich sicher, daß Arc Doorn und Dan Riker etwas unternehmen würden. Gerade die Tatsache, daß anscheinend nichts geschah, bestärkte ihn in dieser Überzeugung. Während die Cyborgs eine stoische Ruhe zeigten und es sich mittlerweile auf dem Boden der Schleuse bequem gemacht hatten, wanderte Marschall Bulton unruhig auf und ab. Er war noch immer hochgradig nervös und schwitzte stark. »All die Jahre hinter dem Schreibtisch haben anscheinend meinem Nervenkostüm geschadet«, meinte er entschuldigend zu Ren Dhark, als er wieder einmal am Commander vorbei stapfte. Ren Dhark setzte zu einer Antwort an – doch in diesem Moment schob sich ein stumpfnasiger Zylinder durch das geschlossene äußere Schleusenschott! Ein Flash! Fast gleichzeitig wummerte ein tiefer, schmerzhaft lauter Ton, der den Terranern bis in den Magen fuhr, durch die Schleuse. »Die Sirenen unserer neuen Freunde passen zu ihrem sonstigen Auftreten«, murmelte Ren Dhark halblaut und verzog gequält das Gesicht, als die Lautstärke noch zunahm. Der Flash befand sich kaum zur Gänze innerhalb der Schleuse, als das innere Schleusenschott aufsprang und eine Horde Rateken hereinstürmte. In ihren gewaltigen Pranken trugen sie klobige, aber nichtsdestotrotz bedrohlich wirkende Strahlwaffen. Ren Dhark wußte, daß er jetzt handeln mußte, wenn aus dieser Situation nicht ein Krieg zwischen den Terranern und den birnen-köpfigen Riesen erwachsen sollte. Entschlossen trat er den Rateken entgegegen. Bram Sass und Jes Yello waren blitzschnell aufgesprungen und flankierten ihn auf beiden Seiten. Marschall Bulton stand wie vom Blitz getroffen und starrte auf das Szenario, das sich ihm bot. Hier Ren Dhark und die beiden Cyborgs, zwergenhaft klein gegenüber den anstürmenden Rateken; hinter ihnen der in doppelter Mannshöhe schwebende Flash. Dort die Rateken, deren Aufmarsch jetzt allerdings ins Stocken zu geraten schien, als Ren Dhark weit die Arme ausbreitete und »Stop!« brüllte. Zumindest vermutete Bulton, daß Dhark etwas Derartiges rief; verstehen konnte der Marschall angesichts der immer noch wummernden Sirenen nichts. Die Rateken blieben jetzt endgültig stehen, und während das Dröhnen der Sirenen in einem letzten Winseln erstarb, traten sie beiseite und bildeten eine Gasse, um Rateka durchzulassen. Ren Dhark und seine Begleiter nahmen jedenfalls an, daß es sich bei dem Riesen, 21
der jetzt ganz allein auf sie zuschritt, um Rateka handelte; vor seiner Brust hing immer noch der Translator. Laut und grollend rollten die Laute der fremdartigen ratekischen Sprache durch die Schleuse, und Augenblicke später ertönte es aus dem Translator: »Dhark! Ich verlange, daß Sie Ihren Leuten sofort befehlen, ihre Aktion abzubrechen. Schon jetzt hat dieses Raumschiff Beschädigungen erlitten, und…« Diesmal ließ Ren Dhark den Rateken nicht ausreden. Doch er hatte auch registriert, daß der Singu zwar immer noch viel zu laut brüllte, sein Tonfall jedoch trotzdem höflicher geworden war. »Das kann ich erst, wenn Sie damit aufhören, unsere Funkgeräte zu stören, Rateka«. »Das ist schon längst geschehen!« Ein schneller Blick auf sein Vipho zeigte Ren Dhark, daß der Rateke nicht gelogen hatte. »Dhark hier«, sagte er. »An die eingeflogenen Flash-Piloten: Brechen Sie die Aktion ab. Fliegen Sie wieder aus und bleiben Sie außerhalb des Raumschiffs in Bereitschaft. -Und versuchen Sie, das Ausmaß der Zerstörungen beim Ausfliegen gering zu halten«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu. Auf dem kleinen Vipho-Bildschirm erschien das Gesicht von Jan Burton. Der Logistiker unter den Cyborgs blickte Ren Dhark nachdenklich an. »Commander, ich befinde mich mit der 009 hier in der Schleuse. Sollte nicht ich zumindest…« »Der Befehl gilt auch für Sie, Burton«, unterbrach ihn Dhark. »Fliegen Sie aus und warten Sie draußen!« Fast lautlos schwebte der Flash durch das noch immer geschlossene äußere Schleusenschott wieder hinaus. Ren Dhark richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Anführer der Riesen. »Ich hoffe, daß wir jetzt endlich wie zwei vernunftbegabte intelligente Wesen miteinander verhandeln können, Rateka«, begann er schneidend. In den Reihen der Riesen entstand bei diesen Worten Bewegung, nur Rateka selbst blieb reglos stehen. »Ich nehme an, Sie haben mittlerweile Kontakt mit Ihrer Heimatwelt aufge- nommen und erfahren, daß das Urk aus dem fremden Universum verschwunden ist… Das hätte ich Ihnen auch selbst sagen können, wenn Sie mich vorhin hätten ausreden lassen, Rateka. Schließlich…« Ren Dhark machte eine bedeutungsvolle Pause, »schließlich habe ich einen Vertrag mit dem Urk geschlossen, in dem es sich verpflichtet hat, die bewohnten Planeten dieser GALAXIS in Zukunft zu verschonen!«. Diese Worte riefen erneut Unruhe unter den Rateken hervor. Eine Unruhe, die sich soweit steigerte, daß sich Rateka schließlich gezwungen sah, mit ein paar derben Fausthieben für Ruhe unter seinen Untergebenen zu sorgen. »Sie haben recht, Dhark. Der Dhara hat mir mitgeteilt, daß das Urk plötzlich verschwunden ist… und daß ich mit Ihnen verhandeln soll.« Die letzten Worte schie22
nen dem Riesen nicht ganz leicht über die Lippen zu gehen. Er trat einen Schritt näher an Ren Dhark heran. Aus den Augenwinkeln erkannte der Commander, daß auch die Cyborgs zu ihm aufschlossen. »Wir brauchen noch immer diese Waffe, Dhark – oder können Sie uns garantieren, daß das Urk niemals zurückkehren wird?« begann der Rateke erneut. »Aber wenn es zurückkehrt, müssen wir gewappnet sein!« Ren Dhark seufzte innerlich. Das dürften interessante Verhandlungen werden, dachte er. »Wie ich bereits gesagt habe, bin ich jederzeit zu Gesprächen bereit, Rateka. Aber ich würde vorschlagen, daß wir uns in einem etwas… angenehmeren Rahmen zusammensetzen. Ich lade Sie – und so viele Ihrer Leute, wie Sie mitbringen wollen – ein, sich in einer Stunde unserer Zeitrechnung in dem großen Gebäude am Rande dieses Raumhafens mit mir und meinen Beratern zu treffen. Dort können wir dann versuchen, zu einer Einigung zu kommen.« Es dauerte mehrere Sekunden, ehe Rateka antwortete. Wieder klangen seine Worte widerstrebend. »Ich werde kommen, Dhark!« Im gleichen Moment glitt das äußere Schleusenschott auf. Sanftes Sonnenlicht fiel von draußen in die Schleuse, vor der zwei Flash in vielleicht zwanzig Metern Entfernung in der Luft hingen. Ohne einen weiteren Laut drehte Rateka sich um und kehrte mit seinen Leuten ins Innere des Raumschiffs zurück. Ren Dhark sah seine Begleiter schulterzuckend an. »Es scheint, als wären wir entlassen. Na, dann, meine Herren – zurück zum Stab der TF.« Und ohne darauf zu warten, ob Bulton und die Cyborgs ihm folgten, trat er hinaus auf die Rampe und das abwärts führende Transportband. Seine Gedanken kreisten um die fremdartigen Riesen -oder, genauer gesagt, um ihr merkwürdiges Verhalten. Entweder sind diese Burschen furchtbar sprunghaft, oder Sie sind uns fremder, als es den Anschein hat. Oder es stimmt sonst irgend etwas nicht mit ihnen. Nun gut, warten wir ab, wie sich die Verhandlungen entwickeln… Doch soweit sollte es nicht kommen. Kurz vor Ablauf der Stundenfrist, während Ren Dhark zusammen mit Dan Riker, Arc Doorn, Marschall Bulton und einem Stab von Beratern in Bultons riesigem Büro saß, die Geschehnisse diskutierte, und sich alle gemeinsam Gedanken über die weitere Vorgehensweise machten, meldete sich Dharks Vipho. Der Anruf kam von Bord der POINT OF, von Tino Grappa. »Commander, an Bord des Doppelwulstraumers werden die Energie-Erzeuger hochgefahren. Es sieht ganz so aus, als ob diese Rateken Startvorbereitungen treffen!« Noch bevor Ren Dhark dem Ortungsspezialisten antworten konnte, erschien auf dem Monitor des großen Stand-Viphos in Bultons Büro das Gesicht eines unbekannten Funkers. »Marschall Bulton -wir empfangen einen Funkspruch von dem 23
Doppelwulstraumer auf Landeplatz G-56, Sir. Ein gewisser Rateka möchte den Commander sprechen…« »Stellen Sie unverzüglich durch, Mann, der Commander ist hier!« brüllte Bulton. Sein Gesicht war schon wieder rot angelaufen. Für Sekundenbruchteile wurde der Monitor grau – dann erschien der birnenförmige Schädel mit dem beeindruckenden Facettenkranz, über den vielfarbige Lichter huschten. »Dhark, wir werden ein andermal verhandeln. Der Dhara hat mich gerufen, ich muß zurück nach Oorch… Die Zeit der wrossna nähert sich ihrer Vollendung…« »Rateka, warten Sie!« unterbrach ihn Ren Dhark. »Was ist mit den Schäden an Ihrem Raumschiff? Wollen Sie nicht…« Dumpfe, glucksende Laute klangen aus dem Lautsprecher. Der Rateke schien Dharks Einwand witzig zu finden. »Es bedarf mehr als einiger Schmelzspuren, um eines unserer Raumschiffe ernsthaft zu beschädigen, Dhark! Wir fliegen nach Hause – aber wir werden uns wiedersehen!« Das Bild erlosch. »War das jetzt ein Versprechen – oder eine Drohung?« murmelte Ren Dhark halblaut vor sich hin. Doch er erwartete keine Antwort auf seine Frage. Statt dessen verlangte er eine Verbindung mit dem Tower. »Ist Colonel Szardak schon gelandet?« »Noch nicht, Commander! Die COL ist gerade im Landeanflug.« »Dann stellen Sie eine Verbindung mit dem Kreuzer her!« Wenige Augenblicke später erschien Szardaks Pokerface auf dem Monitor. »Janos, auf Landeplatz G-56 steht ein Doppelwulstraumer, der gleich starten wird. Ich möchte, daß Sie ihm Geleit geben – zumindest, bis er in Transition geht«, begann Dhark, noch bevor Szardak einen Ton sagen konnte. »Doppelwulst-Raumer hebt ab, steigt… Junge, Junge, jetzt sackt er aber durch… steigt wieder…« klang Grappas Stimme aus Dharks Armband-Vipho. Janos Szardak hatte sofort begriffen, worum es ging. »Wird erledigt, Commander.« Der Bildschirm des Stand-Viphos wurde grau. Mit einem unhörbArcn Seufzer lehnte Ren Dhark sich zurück. Diese Gefahr schien zunächst einmal beseitigt. »Es scheint, als wäre jetzt endlich einmal Zeit, daß Sie uns von Ihren Erlebnissen im Karmin-Universum erzählen, Commander.« Marschall Bulton wollte die günstige Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Dan Riker verdrehte die Augen, während Ren Dhark sich bequemer hinsetzte. Es nützte nichts, einmal mußte er die Geschichte ja doch erzählen. Er hatte gerade erst mit seinem Bericht begonnen, als er schon wieder unterbrochen wurde. Die große To-Funkzentrale meldete einen Funkspruch von der POLLUX an Marschall Bulton. »Die POLLUX… ah, Captain Gutmundsson! Was mag der wollen?« brummte Bul24
ton überrascht. Das Gesicht des Isländers erschien auf dem Monitor. »Wie ich sehe, haben Sie Besuch, Marschall«, begann Gutmundsson in seiner typischen schleppenden Sprechweise. »Das trifft sich ja hervorragend, daß der Commander und der Flottenchef bei Ihnen sind. Ich bin sicher, was Sie gleich sehen werden, wird Sie brennend interessieren, Commander.« Das Bild auf dem Monitor wechselte. Alle Anwesenden in Bultons Büro hielten für einen Augenblick den Atem an. »Gutmundsson, geben Sie bitte die Koordinaten durch«, sagte Dhark heiser. Er hob sein Vipho. »Falluta, Dhark hier. Machen Sie die POINT OF startklar, wir sind in fünf Minuten an Bord. Ende. -Dan, Arc… kommt!« Und mit diesen Worten verließ er Bultons Büro. Dan Riker und Arc Doorn folgten ihm auf dem Fuß. Zurück blieben ein konsternierter Marschall und seine Berater. »Aber da soll doch…« murmelte Bulton und widmete sich wieder dem Bild auf dem Monitor. Knapp einen Tag zuvor… Die POLLUX rematerialisierte. Captain Sigurdur Gutmundsson reckte seine rund zwei Meter Körperlänge und versuchte das Gefühl der Übelkeit abzuschütteln, das Transitionen an Bord von Kugelraumern so unangenehm machte. »Stellen Sie unsere Position fest, McDuffy!« Der Mann am Ortungspult reagierte schnell. »Abweichung vom errechneten Zielpunkt 0,002 Prozent.« Gutmundsson warf einen Blick auf den Monitor der Bordverständigung, von dem Chief Orloffs vollbärtiges Gesicht heruntergrinste. »Gratuliere, Chief. Drei Transitionen mit minimalen Abweichungen. Diesmal hat sich unser Dockaufenthalt tatsächlich gelohnt.« Er wandte sich an Vendricks, seinen I.O.: »Programmieren Sie schon mal den Kurs zurück ins Sol-System. Ich glaube nicht, daß wir noch weitere Testsprünge durchführen müssen.« Vendricks nickte, doch da mischte sich McDuffy, der Ortungsspezialist ein. »Ich würde gerne die neuen Tasteranlagen noch ein bißchen ausprobieren, Captain!« »Meinetwegen«, erwiderte Gutmundsson gutgelaunt. »Tasten Sie, soviel Sie wollen. Ich werde mich für ein paar Stunden in meine Kabine zurückziehen. Vendricks, Sie übernehmen!« »Da geht er hin, um in seiner Kabine wieder diesem Gewimmer zu lauschen«, sagte Vendricks halblaut, als sich das Zentrale-Schott hinter Gutmundsson geschlossen hatte. »Und Ihretwegen hängen wir jetzt noch ein bißchen länger im Nichts herum«, fuhr er mit einem Seitenblick auf McDuffy fort. »Nur, weil Sie unbedingt ein zweiter Tino Grappa werden wollen…« McDuffy antwortete nicht. Seine Finger huschten über Sensortasten und Regler, als er Reichweite und Empfindlichkeit seiner Ortungsanlage erhöhte. Plötzlich stieß er 25
einen leisen Pfiff aus. Sigurdur Gutmundsson brauchte einige Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzufinden, als die Bordverständigung losplärrte. Langgezogene, getragene und seltsam klagende Laute erfüllten die Kabine. Dazwischen Vendricks’ aufgeregte Stimme. »Captain Gutmundsson, kommen Sie bitte in die Zentrale!« Eine Handbewegung stoppte die Disc; die Gesänge der Buckelwale verstummten. »Was gibt es denn, Vendricks?« »Das sollten Sie sich vielleicht selbst ansehen, Captain!« »Und was soll das sein?« fragte Gutmundsson wenig später, während er sich in der Zentrale über McDuffys Ortungsdiagramme beugte. McDuffy zuckte die Schultern. »Eine, nein eigentlich mehrere Wolken aus kleinsten Metall-Partikeln… Es könnten Raumschiffe sein, die von einer uns unbekannten Waffe förmlich zermahlen worden sind.« »Hm.« Gutmundsson blickte seinen Ortungsspezialisten zweifelnd an. Doch er mußte zugeben, daß er auch keine bessere Idee hatte. »Vendricks hat Dorff mit einer Linse ‘rübergeschickt, um ein paar Partikel einzusammeln. Die Metallurgen müßten eigentlich schon an der Arbeit sein«, fuhr McDuffy fort. »Ich… ich habe versucht, den Kurs der Metallwolken zu rekonstruieren. Sie könnten von dort gekommen sein.« Bei diesen Worten wies er auf einen Monitor, der eine kleine, fast kugelförmige Dunkel wölke zeigte. »Hm«, machte Gutmundsson erneut. »Und Sie meinen, wir sollten mal kurz hinfliegen und uns diese Dunkelwolke etwas genauer ansehen?« »Es sind nur 300 Lichtjahre, Captain…« »Meinetwegen«, entschied Gutmundsson. Vielleicht bringt dieser langweilige Testflug ja doch noch etwas, dachte er. Die Dunkel wölke war eigentlich keine richtige Dunkel wölke, sondern eher ein hauchdünner Schleier aus kosmischem Staub, der sich halbschalenförmig um ein Sonnensystem gelegt hatte. Aber was für ein Sonnensystem! Drei blaue Sonnen, die sich auf verschiedenen Bahnen um einen gemeinsamen Mittelpunkt bewegten und ihrerseits von einundzwanzig Planeten umkreist wurden. Langsam flog die POLLUX in das System ein. Acht Planeten waren Riesenkugeln, deren Oberflächen aus glühender Lava bestand. Zwölf weitere waren kalte Gasriesen oder öde Steinklumpen, die schon in der Fernortung wenig vielversprechend wirkten. Ganz anders die einundzwanzigste Welt. Sie war klein, ihr Durchmesser betrug nur 5000 Kilometer. Doch sie besaß ein außergewöhnlich starkes elektromagnetisches Feld -und eine Schwerkraft von l, l 26
Gravos! »Ein Irrläufer, der von diesem Sonnensystem eingefangen wurde«, behauptete McDuffy. Die überaus exzentrische Umlaufbahn schien dem Ortungsspezialisten recht zu geben, und wenig später bestätigte der Suprasensor McDuffy s Vermutung: Diese Welt mußte vor Tausenden von Jahren vom System der drei blauen Sonnen eingefangen worden sein. »Dann wollen wir uns diesen Planeten doch einmal etwas näher ansehen«, entschied Gutmundsson spontan. Kurze Zeit später schwebte die POLLUX über eine Wüste aus blauem Sand. War es Zufall – oder Schicksal? Auf alle Fälle hatte der Kugelraumer den unbekannten Planeten noch nicht einmal zu einem Viertel umkreist, da sahen sie es! Mehrere Herzschläge lang herrschte in der Zentrale überraschte Stille, dann redeten plötzlich alle durcheinander. »Ruhe!« brüllte Sigurdur Gutmundsson plötzlich. Das Gemurmel verebbte. »Nein, wir werden vorerst nicht landen«, fuhr der Captain fort. »Statt dessen werden wir einen To-Funkspruch nach Terra schicken. Marschall Bulton sollte zu sehen bekommen, was wir hier gefunden haben.« Noch lieber wäre mir allerdings, fügte er in Gedanken hinzu, der Commander würde es sehen…
3. Sie schwiegen. Kaum jemand wagte laut zu atmen. Ergriffenheit hielt sie gefangen. Ein würziger Wind umfächelte ihre Gesichter. Ein leichtes Säuseln lag in der Luft. Es kam von allen Seiten. Niemand achtete darauf. Um die Männer bei Ren Dhark herrschte Totenstille. Das Licht von drei blauen Sonnen ergoß sich über die Landschaft einer fremden Welt. Doch war es nicht diese Fremdartigkeit, die die Männer beeindruckte. Nicht die zerrissenen Bergzacken, die aus der Ferne violett herüberschimmerten. Auch nicht das bläuliche Schimmern des sandigen Bodens, auf dem sie standen. Sie alle starrten in eine Richtung. Vor ihnen erhob sich ein gewaltiges Monument. Ein Torso! Ohne Kopf und ohne Arme. Unzweifelhaft eine Menschengestalt, in Metall modelliert. Ein Lendenschurz bedeckte seine Nacktheit. Die kraftvolle Darstellung eines Menschen, der sich zum Herrscher erhoben hatte. Herrscher über einen Planeten – Herrscher über das Universum! Man glaubte, das Spiel seiner modellierten Muskeln an Armen und Beinen zu se27
hen, das Dehnen seiner Brust beim Atmen. Die Gestalt schimmerte in einem warmen Bronzeton. Mehr als dreihundert Meter ragte sie über den Männern empor. Auf den Gesichtern der Betrachter spiegelten sich ihre Gefühle. Unglaube. Verwunderung. Ehrfurcht. »Ein Mirakel«, flüsterte Dan Riker so leise, daß nur Ren Dhark es hören konnte. Diese Worte brachten den Commander der Planeten wieder in die Wirklichkeit zurück. Er räusperte sich. »Dan Riker hat diesem Planeten soeben einen Namen gegeben. Mirac. Ich glaube, kein anderer Name würde besser passen.« Sie konnten den Blick nicht von dem Standbild wenden. Es schien magische Anziehungskraft zu besitzen. Wer hatte hier dem Menschen ein Denkmal gesetzt? War es das Abbild eines lebenden Wesens – oder eines Gottes? Die Plastik mußte schon seit Jahrtausenden vom Licht der drei blauen Sonnen bestrahlt werden. Trotzdem zeigte sie keine Anzeichen von Verfall. Nur Kopf und Arme fehlten. »Männer!« Ren Dhark riß sich gewaltsam von dem Anblick los. Seine Stimme klang unnatürlich weich. »Ich möchte das Geheimnis dieser Statue ergründen.« Leise, an Dan Riker gewandt, fügte er hinzu: »Das Universum ist wirklich voller Wunder!« »Ich möchte, daß du an Bord bleibst, Dan!« Ren Dharks Stimme klang ungewohnt bestimmt. Auf Dan Rikers Kinn bildete sich ein roter Fleck. »Aber ich will dabeisein, wenn ihr…« versuchte er zu protestieren. »Dan«, unterbrach Dhark ihn leise, aber eindringlich, »du weißt genau, daß immer und überall etwas Unvorhergesehenes geschehen kann. Du hast ja selbst den Ausdruck >Mirakel< gebraucht. Mirakel heißt Wunder. Mirakel heißt aber auch Unerklärliches, Geheimnisvolles. Und deshalb, Dan, brauche ich jemanden an Bord der POINT OF, auf den ich mich hundertprozentig verlassen kann.« Sekundenlang sahen sie sich schweigend an. Bis Dan Riker plötzlich nickte. »Wenn du die Sache so siehst, Ren…« Ren Dhark grinste. Dan Riker hielt mit, aber sein Grinsen wirkte etwas gequält, nicht ganz überzeugt. Dhark klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und wandte sich zum Schott. Er verließ die Kommandozentrale des Ringraumers, um die Untersuchung des Standbilds und des Sockels, auf dem es stand, zu beaufsichtigen. Draußen herrschte bereits Hochbetrieb. Die Wissenschaftler und Spezialisten der POINT OF – verstärkt um die der POLLUX – hatten kleine Gruppen gebildet. Jede Gruppe war mit den verschiedensten Instrumenten und Geräten bewaffnet, um dem Geheimnis der Statue auf die Spur zu kommen. 28
Eine hektische Atmosphäre empfing den Commander. Dhark wandte sich noch einmal voller Ehrfurcht dem Monument zu, dann leuchtete es in seinen braunen Augen entschlossen auf. »Sie alle kennen Ihre Aufgabe. Ich brauche also nicht mehr viel zu sagen. Nur eines noch: Jede Beschädigung der Plastik ist zu vermeiden. Außerdem erwarte ich von Ihnen, daß Sie mit besonderer Vorsicht zu Werke gehen und den Anweisungen Arc Doorns unbedingt Folge leisten. Soweit alles klar?« Die Wissenschaftler nickten zustimmend. Ren Dhark suchte Arc Doorn. Der rothaarige Sibirier kehrte ihm den Rücken zu. Er stand etwas nach vorn gebeugt und schien noch immer die Statue anzustarren, die hoch in den blauen Himmel ragte. Doorn schien Dharks Blick gespürt zu haben. Er drehte sich langsam um. Wer diesen bulligen Mann nicht kannte, mochte ihn für einen Boxer halten, aber nie und nimmer glauben, daß er einen Supertechniker vor sich hatte. Hinter dem ewig mürrischen Gesicht verbarg sich ein Genie, das selbst Ren Dhark schon oft in grenzenloses Erstaunen versetzt hatte. Die Augen des Sibiriers leuchteten. »Kann es endlich losgehen?« fragte er barsch. »Bitte!« Doorn drehte sich um und marschierte auf die Statue zu. Die anderen zögerten, sahen der einsamen Gestalt nach; nur langsam folgten sie ihm. Ren Dhark blieb noch einen Moment stehen. Welch ein Bild! Der erhabene Anblick eines zum Götzen erhobenen Menschen, aus Metall gegossen. Und dort unten die winzige Gestalt eines rothaarigen Mannes. David und Goliath? Nein. Ameisen waren sie im Vergleich zu dieser Statue… Welch einem Geheimnis würden sie jetzt auf die Spur kommen? Was würden sie finden? Ein leichtes Unbehagen beschlich Ren Dhark. Sie entdeckten immer neue Rätsel in der unermeßlichen Weite des Alls. Immer neue Gefahren umlauerten sie. Barg vielleicht auch diese Statue ein tödliches Geheimnis? Die Stunden verrannen. Ein Test nach dem anderen lief ab. Ohne Ergebnis. Sie konnten die Zusammensetzung des Metalls nicht analysieren. Weder das der Statue, noch des Sockels. Dieser Sockel, ein Quader von 86 Metern Höhe und einer Grundfläche von 183 mal 194 Metern, schien aus einem Guß zu sein. Das Metall schimmerte silbern. Ren Dhark strich mit den Fingerspitzen darüber. Keine Unebenheit, keine Korrosionsschäden. Glatt und warm fühlte sich die Oberfläche an. Allein das war schon ein Wunder. »Sie bleiben bei Ihrer Meinung, Doktor?« Der Kosmobiologe Dr. John Glennard sog scharf die Luft ein. »Wenn ich es Ihnen doch sage, Dhark«, schnappte er, ein wenig beleidigt. »Es mag 29
aussehen, als wäre es soeben erst gegossen. Aber die MikroUntersuchungen ergeben einwandfrei, daß dieses Metall den Sonnenstrahlen bereits Jahrtausende ausgesetzt sein muß.« Dhark hob den Blick. Das kopflose Oberteil der Statue verlor sich im intensiven Blau des fremden Himmels. »Es ist kaum zu glauben«, murmelte er abwesend. Der Wissenschaftler folgte Dharks Blick. Zwei Flash umkreisten den oberen Teil der Figur. Mike Doraner und Arly Scott flogen die Blitze. An Bord befanden sich zwei Archäologen, die ebenfalls seit Stunden keinen Schritt weiterkamen. »Dabei hätte ich gewettet, daß Professor Tschu Hin schneller zu einem Ergebnis kommt«, murmelte Dhark. Dr. Glennard wollte antworten, aber in dem Augenblick wurden Schritte laut. Arc Doorn kam auf sie zu. Er stapfte durch den Sand wie ein wütender Stier, den Kopf zur Seite, zum Sockel der Statue gewandt. Dr. Glennard lachte auf. »Und wenn Sie tausendmal um den Sok-kel herumlaufen, Doorn, werden Sie dabei nichts Neues erfahren.« Doorn blieb stehen und sah den Kosmobiologen an, als sähe er ihn zum allerersten Mal. Er leckte sich einmal mit der Zunge über die rissigen Lippen und schüttelte verwirrt den Kopf. »Nichts«, sagte er. In seiner Stimme lag ein grollender Unterton. »Absolut nichts. Wir wissen weder, wie alt dieser Klotz ist, noch warum man dem Kerl Kopf und Arme abgeschlagen hat.« »Läßt sich wenigstens feststellen, wie alt die Bruchstellen sind?« fragte Dhark eindringlich. Arc Doorn schüttelte bedächtig den Kopf. Er öffnete die Lippen, kam aber nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Ein Schrei ließ sie herumfahren. Noch ehe sie sich in Bewegung setzen konnten, kam eine Gestalt um die Ecke des Sockels gehetzt. »Commander! Doorn! Kommen Sie schnell!« Der Mann ruderte wild mit den Armen durch die Luft. »Was ist geschehen, Küster?« schrie Doorn ihn an. »Ein Ton… ein Impuls… der Sockel sendet…« Weiter hörten Dhark und Doorn nicht zu. Sie wechselten einen raschen Blick und begannen zu laufen. Dr. Glennard stand noch einen Augenblick wie festgewurzelt, dann hetzte er hinter dem Commander und seinem Begleiter her. Alle Männer, die sich im Umkreis der Staue befanden, rannten in dieser Minute auf einen bestimmten Punkt zu: die Stelle, an der Tino Grappa hinter einem tragbArcn Ortungsgerät kauerte. »Was gibt es?« Ren Dhark drängte sich durch den dichten Ring der Zuschauer, Arc 30
Doorn im Schlepptau. Schweratmend stand er schließlich vor Grappa. Der dunkelhaarige Ortungsspezialist starrte von Dhark zu Doorn, dann blickte er kopfschüttelnd auf sein Ortungsgerät, das verloren und unscheinbar im bläulich schimmernden Sand stand. »Ich verstehe es selbst noch nicht ganz. Sehen Sie her, Commander. Das Gerät fängt einen Dauerimpuls auf.« Dhark schob Grappa beiseite und beugte sich über das Ortungsgerät. Als er sich wieder aufrichtete, glänzten einige Schweißperlen auf seiner Stirn. Er machte keinen Versuch, sie wegzuwischen. »Morris!« Leutnant Morris, der Cheffunker der POINT OF, trat durch den Ring der Umstehenden. »Sehen Sie sich das an, Morris!« Glenn Morris gehorchte. Stille ringsum. Nur der Wind säuselte um die hohe Plastik, so, wie er es schon seit Jahrtausenden tat. »Nun?« fragte Dhark ungeduldig. Glenn Morris zuckte die Schultern. »Wenn man es so betrachtet, könnte man meinen, einen Funkimpuls aufzufangen. Aber…« »Aber?« »Wir haben um den ganzen Sockel herum Funkgeräte aufgestellt, und wir haben nichts, absolut nichts empfangen. Es könnte höchstens sein, daß Dan Riker von der POINT OF aus…« Ren Dhark griff zu seinem Vipho. Es dauerte einen Augenblick, ehe Riker sich meldete. »Ja? Was ist denn bei euch los? Schwierigkeiten, Ren?« »Was hast du laufen, Dan?« »Bitte?« »Ich fragte, welche Aggregate du an Bord der POINT OF laufen hast«, wiederholte Ren Dhark seine Frage etwas präziser. »Ich verstehe nicht… gar nichts läuft. Hier in der Kommandozentrale ist es so still wie… wie auf einem Friedhof bei Windstille.« »Überprüfe bitte die Instrumente. Ich muß Gewißheit haben, daß kein Gerät des Ringraumers Impulse abgibt.« Dan Riker spürte die Eindringlichkeit in den Worten Ren Dharks. Seine Antwort war knapp. »Sofort!« Ren Dhark wartete eine volle Minute. »Ren? Ich habe alles überprüft. Hier an Bord läuft kein Gerät, das irgendwelche Impulse ausstrahlt. Was immer ihr dort auffangt, es kann auf keinen Fall vom Ringraumer kommen.« »Danke, Dan!« Mit einem schnellen Blick stellte Ren Dhark fest, daß der Dauerimpuls nach wie 31
vor empfangen wurde. »Versuchen Sie, den Ausgangspunkt des Impulses zu finden, Grappa. Verdammt, Morris, warum streiken selbst die Hyperfunkgeräte?« Leutnant Glenn Morris strich sich nachdenklich übers Kinn. Er wußte keine Antwort. Dharks Blick glitt von einem Wissenschaftler zum anderen. Sie senkten Blicke. Eine Antwort wußte nur Arc Doorn. Der Sibirier schob Morris beiseite, beugte sich über das Gerät, studierte es eine Weile, schüttelte den Kopf und sah die Plastik an. »Nun, Arc?« Ungeduldig trat Dhark neben den Techniker. Arc Doorn ließ sich Zeit. Als er sich umdrehte, grinste er. Das geschah selten genug. »Eigentlich ist es ganz einfach, Dhark. Unsere Hyperfunkgeräte haben den Impuls deshalb nicht empfangen, weil er am alleräußersten Rand des von uns benutzten SD-Spektrums liegt.« Ren Dhark sah den Sibirier erstaunt an. Ein Murmeln ging durch die Reihen. Glenn Morris hob resigniert die Schultern, als wollte er sagen: Wer kann das schon wissen! Arc Doorn brummte ein paar Worte. »Was haben Sie gesagt, Doorn?« fragte Dhark. »…wir brauchen einen Sender, der auf der gleichen Frequenz arbeitet.« »Einen Sender – keinen Empfänger?« »Richtig. Einen Sender. Wir werden diesem Dingsda auch eine Botschaft senden. Vielleicht kommen wir mit ihm ins Gespräch. Hätten Sie etwas dagegen?« Trotz der Situation mußte Ren Dhark lächeln. »Nur zu, versuchen Sie Ihr Glück, Doorn.« »Da bin ich aber gespannt«, murmelte Glenn Morris, während Arc Doorn in der Schleuse der POINT OF verschwand. Dhark sah noch einmal zur Plastik auf. Die drei blauen Sonnen schickten sich eben, hinter dem Horizont zu verschwinden. Bald mußte die Nacht hereinbrechen. Die erste Nacht auf Mirac. Die letzten Sonnenstrahlen badeten das Monument in violettem Licht. Die Statue warf über die fremde Landschaft einen langen Schatten, der fast zum Ringraumer reichte. Irgendein Geheimnis steckte in diesem Monument. Vielleicht gab es jetzt einen Weg, diesem Geheimnis etwas näher zu kommen. Niemand schlief in dieser Nacht. Ren Dhark ließ ununterbrochen heißen Kaffee ausschenken. Immer wieder trafen sich die Gruppen, um über ihre Erfolge oder Mißerfolge zu sprechen. Nur – es gab keine Erfolge! 32
Die Statue stand nach wie vor unberührt in der Nacht und schimmerte silbern im Licht zweier Monde. Dharks ganze Hoffnung ruhte nun auf Arc Doorn. Sein Sender mußte es schaffen, das Rätsel zu lösen. Arc Doorn wischte sich mit einer müden Handbewegung über die Augen. Seufzend richtete er sich auf. »Meinetwegen kann’s losgehen!« Ren Dhark sah den Sibirier durchdringend an. »Wenn Sie sich nicht absolut sicher sind, warten wir lieber noch, Doorn. Ich möchte keine Panne erleben.« Doorn maß Dhark wortlos von oben bis unten, dann drehte er sich brüsk um. Er empfand diese Worte sichtlich als Zumutung. »Also los, Leute. Nach draußen mit dem Sender!« Vier Männer packten den von Arc Doorn improvisierten Sender und brachten ihn zur Hauptschleuse der POINT OF. Niemand hatte Schlaf gefunden in dieser Nacht. Niemand dachte jetzt an Schlaf, obwohl sie sich nur mit Kaffee und ZigArctten wachgehalten hatten. Niemand wollte sich dieses Ereignis entgehen lassen. Der Sockel sendete. Sie wollten antworten. Arc Doorn stapfte mürrisch durch die Nacht auf die Statue zu. Blasse Gesichter sahen der kleinen Gruppe entgegen. Rotumränderte Augen folgten dem Sender. Doorn baute sich breitbeinig vor dem mächtigen Sockel der Statue auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Hierher«, befahl er. Dhark nickte zustimmend. Das kastenförmige Gerät wurde in den bläulichen Sand gestellt. Langsam traten die anderen Männer heran. Ren Dhark wurde allmählich ungeduldig. »Worauf warten wir noch?« Doorn schwieg. Er starrte den Sockel an, dessen Metall das Licht der Scheinwerfer kalt reflektierte. »Wir warten«, knurrte er mürrisch. Dhark wechselte einen schnellen Blick mit Tino Grappa. Der dunkelhaarige Ortungsspezialist nickte in Richtung auf das Gerät, mit dem die Impulse aufgefangen werden konnten. Der Sockel sendete also immer noch. »Gleich müssen die Sonnen aufgehen!« Ren Dhark drehte sich einmal im Kreis. Wahrhaftig. Hinter ihnen funkelte der Himmel in violettem Licht. In kurzer Zeit mußten die drei blauen Sonnen über den Horizont klettern. 33
»Gut. Warten wir noch ein paar Minuten. Inzwischen können Sie mir erzählen, ob Sie noch etwas herausgefunden haben, Doraner!« Der Flashpilot trat vor. Ihm sah man die durchwachte Nacht nicht an, als er einen Blick in die Höhe, hinauf zu der mächtigen Gestalt aus Metall warf. »Leider nichts von Bedeutung, Commander. Alles, was wir mittlerweile ziemlich genau kennen, sind die Abmessungen des Monuments.« Als Doraner geendet hatte, begann um die Männer herum der Himmel aufzuflammen. Drei blaue Scheiben stiegen über den Horizont. Das Monument blitzte strahlend auf. Auch die POINT OF und die knapp zwei Kilometer entfernt gelandete POLLUX schienen in blauen Rammen zu stehen. Der Anblick war überwältigend. Auf Arc Doorn hatte er jedoch nicht die geringste Wirkung. »Kann losgehen«, knurrte er. Seine Stimme brachte Dhark in die Wirklichkeit zurück. »Treten Sie bitte alle zurück. Sie wissen, welche Aufgabe Sie haben. Jeder beobachtet seine Instrumente. Ich möchte sofort informiert werden, wenn irgend etwas Unerwartetes festgestellt wird.« Der große Augenblick stand unmittelbar bevor. Ren Dhark rief seinen Freund an Bord der POINT OF. »Hallo, Dan?« »Auf Empfang, Ren.« Dan Rikers Stimme vibrierte etwas. »Aufgeregt, alter Junge?« Bei diesen Worten glitt ein flüchtiges Lächeln über Ren Dharks Gesicht. Seine Augen blitzten unternehmungslustig. Riker gab auf die Frage keine Antwort. »Hier an Bord ist alles vorbereitet, Ren. Der Checkmaster wird sofort reagieren.« »In Ordnung, Dan!« Ren Dhark wollte die Unterhaltung schon wieder beenden. »Halt! Noch etwas, Ren.« »Ja?« »Viel Erfolg!« Erfolg! Den konnten sie gebrauchen. Arc Doorn beugte sich über das Gerät, drehte sich noch einmal um und warf dem Commander einen fragenden Blick zu. Dhark nickte aufmunternd. Arc Doorn ließ seine Hände sanft über die Knöpfe gleiten. Dhark hatte den Eindruck, einem Pianisten zuzusehen. Die Sendung lief. Niemand wagte zu atmen. Jeder hatte das Gefühl, als sei die Luft dieses Planeten plötzlich voller Elektrizität, die sich jeden Moment entladen konnte. Blicke glitten von Arc Doorn und seinem Sendegerät hinüber zum Sockel des Monuments. 34
Sekundenlang schien selbst der Wind den Atem anzuhalten. Obwohl fast jeder mit etwas Außerordentlichem rechnete, waren doch alle verblüfft, als es geschah. Arc Doorn stand noch immer halb über den Sender gebeugt, die Hände auf den Tasten. Hinter ihm, in angespannter Haltung, stand Ren Dhark, der den Sockel nicht aus den Augen ließ. Zuerst erklang ein seltsames Rumoren, das an irdische Beben erinnerte. Sanft zuerst, dann immer stärker werdend, zuletzt fast schon donnernd. Ren Dhark sah zu der Metallfigur auf. Er glaubte sie wanken zu sehen, und einen Augenblick lang machte er sich fast schon Vorwürfe, den Sender eingesetzt zu haben. Dann begann ein Kreischen das Grollen zu übertönen; es schien von einem Punkt in der Mitte des Sockels auszugehen. Fasziniert richteten sich Dharks Blicke auf diese Stelle. Er fühlte eine Berührung an der Schulter, und ohne hinzusehen wußte er, daß Arc Doorn neben ihm stand. Ein Geysir schien zu erwachen. Eine Sandfontäne wurde in die Luft geschleudert. Das Fundament der Statue ächzte und stöhnte. Dharks Rechte klammerte sich um den Griff der Strahlwaffe. Er wußte nicht, daß er in diesem Augenblick totenbleich war. Arc Doorn hingegen stand trotzig da, den Unterkiefer aggressiv nach vorn geschoben, seine Augen nur noch schmale Schlitze. Keiner der beiden Männer sprach. Dhark verspürte den Drang, zu fliehen. Aber gleichzeitig hielt ihn irgend etwas Unerklärliches hier fest, zwang ihn, den Sockel anzusehen. Tief im Innern wußte er, daß ihnen nichts geschehen würde. Und dann – öffnete sich der Sockel des Monuments! Bis zu einer Höhe von acht Metern wurde das Erdreich, das im Laufe der Jahrtausende angeweht worden war, einfach zur Seite geschoben. Zwei mächtige Türflügel von gewaltigen Ausmaßen schwangen nach außen auf. Abrupt herrschte wieder Stille. Arc Doorn und Ren Dhark standen keine zehn Meter von der dunklen Öffnung entfernt. Staubbedeckt. Hinter ihnen, dicht zusammengedrängt, warteten die anderen Terraner. Auch dort Verwirrung, Staunen, ungläubige Gesichter. Dhark fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er brauchte nicht laut zu sprechen. Sie alle hörten ihn. Seine Stimme klang heiser, und eine Spur grenzenlosen Staunens schwang in seinen Worten mit. »Wir nehmen die Einladung an!« Die beiden riesigen Torflügel besaßen unglaubliche Ausmaße: Rund zwanzig Meter breit und achtunddreißig Meter hoch waren sie. Das Material hatte eine Stärke von mehr als eineinhalb Metern. 35
Dhark und Doorn, die noch immer nebeneinander standen, wechselten einen schnellen Blick. In den Augen des Sibiriers stand das Leuchten, das bei jedem Abenteurer beobachtet werden kann, wenn er eine Entdeckung macht. »Männer!« Dharks Stimme vibrierte leicht. »Ich rufe jetzt ein paar Namen auf. Diese Leute werden mich und Doorn begleiten. Niemand sonst.« »Sie wollen wirklich in dieses… dieses Loch hineingehen?« fragte einer der Wissenschaftler. »Ich will!« Dharks Entschluß stand fest. Er informierte Dan Riker, der noch immer in der Kommandozentrale des Ringraumers saß und nun ebenfalls vor übereilten Handlungen warnte. Dhark achtete nicht auf seine Einwände. »Dr. Glennard! Grappa! Dr. Getrup! Leutnant Morris! Leutnant Scott! Alle anderen bleiben hier, bis sie von mir den ausdrücklichen Befehl bekommen, uns zu folgen. Haben Sie verstanden?« Die aufgerufenen Männer traten vor und beeilten sich, Arc Doorn zu folgen. Der Sibirier marschierte bereits auf den Eingang zu. Dhark schritt hinterher. Er fieberte vor Spannung und Erregung. Vielleicht fand sich hier im Innern des Sockels ein Hinweis auf die Erbauer des Monuments. Bevor er die dunkle Öffnung betrat, warf er noch einen letzten Blick in die Runde. Die drei blauen Sonnen waren inzwischen weitergewandert. Sie standen schräg über dem Ringraumer und ergossen ihr kaltes, fast violettes Licht auf die Unitallhülle. Dhark schloß geblendet die Augen und drehte sich entschlossen um. Dumpfe, modrige Luft schlug ihm entgegen. Vor ihm erklangen die Schritte der Vorausgeeilten. Dr. Getrups geräuschvolle Atemzüge waren zu hören. Der junge Experte für Kybernetik und Grundlagenforschung drehte sich nach Dhark um. »Wie in einem Mausoleum«, flüsterte er erregt. Dhark huschte an ihm vorbei, passierte die anderen und stand plötzlich neben Arc Doorn, der beide Arme ausgestreckt hielt. In der absoluten Finsternis vor ihnen erschien ein Licht. Es schien zu flackern, zu vergehen, um dann wiederzukommen. Man konnte nichts erkennen. Aber irgendwie hatte Ren Dhark das Gefühl, in einem riesigen Saal zu stehen und von tausend Augen beobachtet zu werden. »Licht«, sagte er leise. Ein metallisches Klicken ertönte hinter ihm. Aber noch ehe Tino Grappa seinen Scheinwerfer aufblitzen lassen konnte, wurde es taghell um sie. Dhark wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie befanden sich in einem gigantischen Hohlraum. Wände und Decke leuchteten in kaltem Licht. Niemand vermochte eine Lichtquelle zu erkennen, aber diese Hel36
ligkeit war da. Überall. Dhark wußte nicht genau, was er eigentlich erwartet hatte. Aber im ersten Moment war er maßlos enttäuscht. Den anderen erging es wie ihm. Der Hohlraum war leer. Fast. In der Mitte des riesigen Raums befand sich ein merkwürdiges Gebilde, das langsam in kräftigem Blau zu leuchten begann. Arc Doorn und Ren Dhark wechselten einen schnellen Blick. Beide dachten dasselbe. Sie hatten solch ein Gebilde schon einmal gesehen. Damals. Auf Hope. Im Höhlensystem von Deluge. Oder nicht? Dharks Schritte wurden schneller. Unmittelbar vor dem kaum fußhohen Gebilde blieb er stehen. Sein Blick glitt über die Anlage. Er versuchte sich daran zu erinnern, was sie damals auf Deluge gesehen hatten. Das Symbol einer GALAXIS. Einer SpiralGALAXIS. Wenn dieses Gebilde hier nicht genau das gleiche war, dann besaß es doch eine ziemliche Ähnlichkeit. Langsam traten auch die anderen näher. Umringten das mit dem Boden verbundene Gebilde, das etwa acht Meter lang und fünf Meter breit war. Das blaue Leuchten verfremdete ihre Gesichter. Maßlose Enttäuschung war in diesen Gesichtern zu erkennen. Nur Arc Doorn schien zufrieden zu sein. Er grinste schwach vor sich hin. »Sehen Sie nach oben, Dhark!« Dr. Glennard wies mit dem ausgestreckten Arm zur leicht gewölbten Decke empor. Köpfe ruckten herum. Mit einiger Phantasie konnte man erkennen, daß sich unter dem Gleißen der Decke fremdartige Spruchbänder abzeichneten. Fremde Wesen mochten hier vor Tausenden von Jahren ihre Geschichte eingegraben haben. Zur Unterrichtung der Nachwelt. Die Wissenschaftler versuchten sogleich, Sinn und Bedeutung der fremden Zeichen zu enträtseln. Dhark griff zum Vipho. »Professor Tschu Hin, wir brauchen einen Archäologen. Und bringen Sie Ihre Leute mit.« Wenig später erschien der Archäologe mit seinem Stab. In der Gruft des Sockels begann es lebendig zu werden. Ren Dhark und Arc Doorn versuchten inzwischen herauszufinden, wo und vor allem warum der SD-Dauerimpuls ausgestrahlt worden war. »Können Sie den Impuls noch empfangen, Grappa?« 37
»Nein, Dhark. Wie abgeschnitten.« Ren Dhark ging wie ein gereizter Tiger im Hohlraum auf und ab. Inzwischen hatte sich der modrige Geruch dank der Frischluft, die hereingeströmt war, verloren. Arc Doorn und einige Männer stellten Experimente an, um den Ausgangspunkt des Dauerimpulses zu finden. Umsonst. Stunden vergingen. Nichts geschah. Die Decken und Wände des Hohlraums strahlten weiterhin kalt auf die Männer herab, und die Nachbildung der GALAXIS verbreitete ihr intensives blaues Licht. Nichts änderte sich. Man kam keinen Schritt vorwärts. Unbehagen beschlich die Männer. Sie fühlten sich irgendwie genarrt. Ren Dhark spürte die Unruhe. »Schluß, Leute. Es hat keinen Sinn mehr, kostbare Zeit zu opfern. Geben wir die Versuche auf. Wir haben keinen Erfolg.« Dhark irrte sich. Er wußte es nicht. Niemand wußte es.
4. Seit Monaten befanden sich die Astrophysiker Yve Ossorn, Spence Bentheim und Wren Craig auf Hope, um dem Industriedom endlich seine Geheimnisse zu entreißen. Bisher ohne jeden Erfolg. Ossorn nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. »Ich glaube, wir schaffen es nie«, murmelte er. Bentheim lachte. »Sie sind ein Pessimist, Ossorn. Sie werden sehen, eines Tages finden wir eine Erklärung, und wir alle werden uns an den Kopf fassen und sagen: Warum sind wir nicht längst darauf gekommen?« »Sie sehen die Sache ein wenig zu einfach…« »Unsinn. Sehen Sie sich um. Überall wird gearbeitet. Den Leuten macht es Spaß, die fremde Technik zu studieren. Einer wird es eines Tages schaffen, hinter das Geheimnis zu kommen. Vielleicht ist er heute noch nicht geboren. Aber einer schafft es. Ich bin sicher.« »Ihren Optimismus möchte ich haben«, stöhnte Ossorn, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und griff nach seinem Vipho. »Möchte wissen, wo Craig steckt.« »Vielleicht hat er das Geheimnis schon gefunden«, witzelte Bentheim. Ossorn warf ihm einen schrägen Blick zu und drückte die Sprechtaste. »Craig! Wo stecken Sie denn? Es wird Zeit!« Bentheim trat an eines der Mammutaggregate heran. Ein paar Techniker unterzogen es einer genauen Kontrolle. Bentheim sah ihnen einen Moment zu, dann ging 38
er zu Ossorn zurück. »Craig glaubt immer noch, den Riesentransmitter in Betrieb setzen zu können. Er ist ein Narr – genau wie Sie! Ich habe die Hoffnung längst aufgegeben«, meinte Ossorn. »Warum bleiben Sie eigentlich immer noch auf Hope? Ich an Ihrer Stelle hätte mich längst wieder nach Terra begeben. Wenn Sie schon nicht mehr an Ihr Glück glauben wollen, dann verderben Sie uns nicht auch noch die Laune«, erwiderte Bentheim. »Vielleicht sollte ich wirklich nach Alamo Gordo zurückgehen«, murmelte Ossorn und wandte sich ab. Bentheim folgte seinem Kollegen. Ossorns Schritte verrieten, wie niedergeschlagen er war. Seit Monaten waren sie nun schon hier. Voller Enthusiasmus hatten sie angefangen, aber sie waren nicht einen einzigen Schritt weitergekommen. Der Industriedom gab seine Geheimnisse nicht preis. Ossorn und Bentheim näherten sich dem Zentrum der Halle. Die Aggregate und Maschinen, die hier in scheinbar wahllosem Durcheinander aufgestellt waren, steckten in blauvioletter, fugendichter Verkleidung. Unitall. Das härteste Metall, dem die terranische Wissenschaft bisher begegnet war. Das Material, aus dem auch der Ringraumer bestand, der irgendwo zwischen den Sternen unterwegs war. Bentheims Gedanken wanderten einen Augenblick zu Ren Dhark. »Und wenn Jahre vergehen«, hatte der junge Commander irgendwann gesagt, »einmal wird es uns gelingen.« Spence Bentheim glaubte ganz fest daran. Er gehörte nicht zu jenen Wissenschaftlern, die meinten, für alles sofort eine plausible Erklärung finden zu müssen. Daß die Mysterious den Terranern technisch weit voraus waren, wurde von niemandem bestritten. Bentheim fand es daher ganz natürlich, daß man Jahre brauchte, um hinter das Geheimnis der Anlage auf Deluge zu kommen. Er lehnte sich gegen die kühle Verkleidung eines Aggregats und wartete, bis Ossorn seine Unterhaltung mit einem Techniker beendet hatte. Seine Hand strich beinahe liebevoll über das Material. Es besaß einen merkwürdigen seidigen Glanz. Bentheim grübelte darüber nach, ob sie alle womöglich von ganz falschen Voraussetzungen ausgingen. Vielleicht denken wir falsch. Vielleicht können wir unsere eingefahrenen Denkstrukturen, unsere geistigen Einbahnstraßen nicht mehr verlassen, sehen nicht mehr, was rechts und links zum Greifen nahe am Wegrand liegt. Er horchte auf die Geräusche, die von den Technikern verursacht wurden. Ansonsten war es totenstill in der Mammuthalle. Ein Koloß schlief… Der Koloß erwachte! Urplötzlich. Sinnverwirrend. Explosionsartig. 39
Bentheim zuckte erschreckt zurück. Die Augen traten ihm fast aus den Höhlen. Gerade eben hatte sich das Unitall noch kühl, glatt und seidig angefühlt. Plötzlich schien es voller Elektrizität zu stecken. Bentheim starrte seine Hand an und glaubte zuerst an einen Spuk. Aber dann horchte er verwirrt auf. Schreie erklangen um ihn. Menschen in Not schrien so. Menschen in Todesangst. Panik erfaßte die Techniker. Die ersten Männer rannten, als ginge es um ihr Leben. Auch Ossorn rannte. Bentheim sah sein verzerrtes Gesicht, die wild durch die Luft rudernden Arme. Ossorn schrie ihm etwas zu. Bentheim sah, daß der Kollege die Lippen bewegte. Aber er konnte nichts hören. Er schien taub geworden zu sein. Doch dann gewöhnte sich sein Gehör langsam an die Geräusche. Geräusche? Das waren keine Geräusche mehr. Das war Chaos! Die Totenstille war nur noch eine Erinnerung. Ein Gigant war erwacht. Die Aggregate summten, brummten, heulten. Von den vorher so toten Verkleidungen ging ein Vibrieren aus, das Bentheim fast von den Beinen riß. Der Astrophysiker kannte keine Angst. Gedankenfetzen jagten durch sein Hirn. Während die Männer um ihn herum ihr Heil in der Flucht suchten, stand Bentheim neben einem wie irrsinnig kreischenden Aggregat und starrte die matt schimmernde Verkleidung an. Irgend jemand hat auf einen richtigen Knopf gedrückt! Immer wieder dachte er es. Und plötzlich lachte er, bis ihm die Tränen die Wangen hinunterliefen. Er beruhigte sich erst wieder, als Wren Craig plötzlich von irgendwoher auftauchte und sich erregt durch das kurzgeschorene graue Haar strich. »Sehen Sie! Dort!« Verstehen konnte Bentheim bei dem Getöse kein Wort, aber sein Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Kollegen. Die im Zentrum des Industriedoms schwebende Ringröhre leuchtete hell. Es handelte sich um eine gigantische Konstruktion, deren fugenlose Verkleidung das Licht reflektierte. Eine leuchtende ringförmige Röhre. Eine Röhre von mehr als hundert Metern Durchmesser. Sie schwebte genau im Zentrum der gigantischen Halle in etwa hundert Metern Höhe, als hielte sie eine mächtige Faust dort fest. Es gab offensichtlich keine Verbindung zum Boden oder zur Decke. Die Röhre leuchtete in einem ultrahellen Blau. Etwas Unfaßbares, Unerklärliches ging von ihr aus. Etwas, das mit dem normalen 40
Verstand nicht zu begreifen war. Jetzt begann sie zu leben. Langsam gingen Wren Craig und Spence Bentheim auf den freien Platz unterhalb der Ringröhre zu. Die Geräusche schienen hinter ihnen zurückzubleiben, als hätte jemand um sie herum einen Schutzwall errichtet. Je näher sie dem Zentrum kamen, desto stiller wurde es. Nur der Boden unter ihren Füßen schien zu singen. »Wer hat die Maschinen angestellt, Craig?« Bentheim mußte seine Frage zweimal wiederholen, ehe der grauhaarige Kollege sie verstand. Er war mit seinen Gedanken in einer anderen Welt. Craig zuckte hilflos die Schultern. »Sie können mich vierteilen, Bentheim – ich weiß es nicht.« Minutenlang verweilten die beiden unterhalb der Ringröhre, schwiegen andächtig in bewundernder Anerkennung der Erbauer dieser Anlage. Bentheim löste sich als erster aus der Beklemmung. Er griff nach Craigs Schulter und zog ihn sanft zum Ausgang. Professor Ingen nahm sie in Empfang, ein kleiner Mann mit ledrigem Gesicht. Ein Forscher, der bis zum Umfallen arbeiten konnte, ohne sich und seinen Leuten eine Pause zu gönnen. Aber er stand genau wie alle anderen vor einem Rätsel. »Sie sind die letzten«, seufzte er resigniert. »Haben Sie die Maschinerie in Bewegung gesetzt?« Bentheim schüttelte den Kopf, Craig zuckte hilflos die Schultern. »Verdammt«, murmelte Professor Ingen. Und dann noch einmal: »Verdammt!« Er drehte sich um; seine herabgesunkenen Schultern zeugten von tiefer Müdigkeit. »Wir müssen Terra informieren. Geben Sie einen Bericht über To-Funk, Bentheim. Denken Sie sich was Nettes aus. Wir brauchen mehr Unterstützung. Und noch etwas.« Ingen sah über die Schulter und schien in jedem einzelnen Gesicht zu forschen. »Der Riesentransmitter ist zum Leben erwacht. In Ihrem eigenen Interesse rate ich Ihnen, nicht zu nahe ‘ranzugehen. Kann sein, daß Sie plötzlich in der Hölle wieder aufwachen. Vielleicht auch im Himmel. Fragt sich nur, wie die freundlichen Erbauer der Anlage diese feinen Unterschiede markiert haben.« Bentheim schüttelte sich. Da hatten sie monatelang versucht, diesen Transmitter in Tätigkeit zu setzen – und plötzlich stand ihnen der Weg ins Unbekannte frei. Spence Bentheim sah sich sorgfältig um. Niemand folgte ihm. Er versuchte, möglichst leise aufzutreten, damit die von Professor Ingen aufgestellten Wachen nicht aufmerksam wurden. Der mörderische Lärm kam ihm zu Hilfe. Bentheim hatte es längst aufgegeben, sich darüber Gedanken zu machen, warum diese Anlage überhaupt lief. 41
Nur noch ein einziger Gedanke beherrschte ihn: Der Materietransmitter! Irgendwie mußte dieses Gerät den Schlüssel liefern. Hunderte von Blicken hatte er dem Transmitter bereits zugeworfen. Nachgedacht. Gerechnet. Kombiniert. Bentheim glaubte, jedes einzelne Schaltelement im Schlaf zeichnen zu können. Das Fremdartige kam ihm überhaupt nicht mehr fremd vor. Nur in Betrieb setzen hatte er den Transmitter ebensowenig gekonnt wie alle anderen. Jetzt lief der Transmitter. Bentheims Schritte wurden langsamer. Die Kreisfläche innerhalb der grauen Ringantenne flimmerte fluoreszierend. Die Instrumente an der Wand zeigten Maximalwerte. Bentheim fühlte sich von dem Leuchten wie hypnotisiert. Eine innere Stimme versuchte, ihn zur Umkehr zu bewegen. Zurück! Keinen Schritt weiter! Es ist dein Untergang! Ein Schritt zuviel – und du landest in der Hölle! Bentheim biß die Zähne zusammen, bis seine Kiefer schmerzten. Schweiß rann in Bächen von seiner Stirn. Bentheim merkte es nicht. Diese Gelegenheit kommt nie wieder! Bentheim sah nicht mehr, was rechts und links lag. Er sah nur noch dieses Leuchten. Was lag dahinter? Eine andere Welt? Ein anderes Leben? Himmel oder Hölle? Wenn du nicht hineinsteigst, wirst du es nie erfahren, Spence! Bentheim keuchte vor Aufregung. Jetzt oder nie! Ein einziger Schritt noch. Das Fluoreszieren hüllte ihn schon ein, ließ keinen Platz mehr für andere Wahrnehmungen. Ein feines Singen schien ihn zu umfangen. Ein einlullendes Geräusch, das die Nerven zu beruhigen schien. Der rasende Herzschlag beruhigte sich. Ein verzerrtes Lächeln glitt über Bentheims Gesicht. Ich komme! Er fühlte sich plötzlich leicht wie eine Feder. Die Bleigewichte waren von seinen Füßen abgefallen. Sein Entschluß stand fest. Er streckte die Arme aus… Da packte ihn eine Faust. Riß ihn zurück, warf ihn zu Boden. Ein Schrei hallte durch den Industriedom. Ein Wutschrei! Bentheim starrte wütend in ein schweißnasses Gesicht mit dunklen Augen. Er kannte diese Augen. Die Augen Wren Craigs. Craig bewegte die Lippen, sagte etwas. Bentheim verstand kein Wort. Er verstand überhaupt nichts. In seinen Ohren klang 42
immer noch dieses lockende Singen, das jetzt von einem rauschenden Brausen übertönt wurde. Das Blut stieg Bentheim in den Kopf. Er ballte die Fäuste und schnellte sich hoch. Craig reagierte blitzschnell, wich dem Schlag geschickt aus und schlug seinerseits zu. Bentheim schnappte irritiert nach Luft – und da begann sein Gehör wieder zu arbeiten. Sein eigenes Keuchen und der rasselnde Atem des Kollegen existierten wieder. »Sie verdammter Idiot… Kommen Sie endlich zu sich!« Craig packte zu, griff nach Bentheims Arm und zerrte ihn mit unwiderstehlicher Gewalt weg von dem Leuchten und Fluoreszieren. Erschöpft sank der junge Wissenschaftler zu Boden. Er schloß die Augen. Ein dumpfes Pochen dröhnte in seinem Kopf. Ich habe den Verstand verloren, dachte er immer wieder. Es wurde übermächtig. Wie ein Befehl! Eine Suggestion! Langsam begriff Bentheim. Er sah auf und nickte Wren Craig zu. Der stand etwas abseits, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Und er war nicht allein. Sie standen alle um ihn herum. Ingen, Ossorn, all die anderen. Sie starrten ihn an wie ein Studienobjekt. Sie müssen mich für wahnsinnig halten, durchzuckte es ihn. Langsam begriff er. Er versuchte zu lächeln, aber dieses Lächeln wurde zu einer Grimasse. »Versteht ihr denn nicht? Ich weiß nicht, wie es über mich kam. Ach, zum Teufel. Laßt mich in Ruhe. Ich werde mich hüten, diese Teufelei an nur auszuprobieren. Gebt mir eine Zigarette!« Craig gab ihm eine Zigarette. Dabei sprach er auf Bentheim ein, als hätte er es mit einem Schwerkranken zu tun. Inzwischen diskutierten die anderen über die neue Situation. »Kann sein, daß dieses Leuchten eine Art Wunschtraum im Menschen weckt, wenn man zu nahe herangeht.« »Unsinn! Manchmal überkommt es einfach jeden von uns, einmal etwas ganz Verrücktes zu tun. Wir sind Menschen, von Gefühlen beherrscht. Bentheim bildet da keine Ausnahme. In Zukunft werden wir hier eine starke Wache zurücklassen. Mindestens drei Mann. Ich hoffe, die können wenigstens aufeinander aufpassen«, fügte Ingen mit einem müden Lächeln hinzu. Bentheim erholte sich überraschend schnell. Er stand auf und schob Craig von sich. »Hören Sie auf, mich wie ein Kind zu behandeln«, knurrte er ärgerlich. Dann sah er an der Gruppe diskutierender Wissenschaftler vorbei auf das Flimmern, das die Transmitter-Antenne einhüllte. »Aber wissen möchte ich doch, wohin die Reise gehen würde«, murmelte er. »Das wollen wir alle wissen, Bentheim. Wir haben auch bereits einen Plan entwi43
ckelt. Kommen Sie.« Craig schien die Aufgabe übernommen zu haben, Bentheim nicht aus den Augen zu lassen. Er hielt sich immer in unmittelbarer Nähe des jungen Wissenschaftlers auf. Bentheim bemerkte es wohl, sagte aber nichts dazu. Er fand es selbst unerklärlich, daß er sich wie ein Narr benommen hatte. Als Versuchskaninchen war er sich denn doch zu schade. Vorsichtig näherten sie sich der Transmitter-Antenne. Halb erwartete Bentheim, daß ihn dieser Wunsch wieder packen würde. Aber nichts geschah. Völlig nüchtern konnte er Schritt um Schritt näher an das intensive Leuchten herangehen, ohne loslaufen zu wollen. »Sehen Sie mich doch nicht immer so komisch an, Craig. Ich bin ganz normal. Merken Sie das immer noch nicht?« »Möglich – vielleicht«, brummte Craig. Mehr nicht. »So, meine Herren!« Professor Ingen streckte die Arme aus und hielt seine Mitarbeiter zurück. Sie starrten in das Fluoreszieren hinein. Jeder von ihnen vernahm das feine Singen, das von ihm ausging. Sie horchten einen Augenblick auf dieses Geräusch. Dann schüttelte Ingen den Kopf. »Merkwürdig. Sehr merkwürdig.« Er hielt plötzlich einen winzigen Gegenstand in der Hand, betrachtete ihn eingehend und nickte schließlich. »Hier sehen Sie meinen Elektroschreiber, meine Herren. Er soll den Versuch einleiten.« Ingen wog den Schreiber noch einmal nachdenklich in der Hand, dann machte er einen Schritt auf die graue Transmitter-Antenne zu. Das Leuchten schien ihn verschlingen zu wollen. Die übrigen Wissenschaftler hielten entsetzt den Atem an. Da trat Ingen jedoch schon wieder zurück. Seine Stirn glänzte feucht. »Verschwunden«, sagte er verwirrt. »Einfach verschwunden. Haben Sie etwas gemerkt?« Niemand bewegte sich. Alle blickten entgeistert auf das Flimmern. Nichts hatte sich daran geändert. Kein Flackern; kein Geräusch war laut geworden. Der Elektroschreiber jedoch war verschwunden. Einer der Männer stieß plötzlich ein Lachen aus. Es klang ein wenig verzweifelt. »Wir sollten einen größeren Gegenstand nehmen.« Craig löste seinen Scheinwerfer von der Brust. »Hier, Professor.« Doch Ingen schüttelte mißmutig den Kopf. »Versuchen Sie es selbst, Craig.« Der grauhaarige Wissenschaftler leckte sich einmal mit der Zunge über die Lippen, 44
sah Bentheim an und trat vor. So weit wie Ingen traute er sich nicht. Er hob den Arm, warf die Lampe in das Fluoreszieren hinein, glaubte, ein kurzes Aufleuchten erkennen zu können – und die Lampe war verschwunden. Das Singen blieb. Auch das Leuchten. Sonst nichts. »So werden wir nie etwas erfahren!« Die Männer drehten sich nach dem Sprecher um. Bentheim starrte nachdenklich auf den Transmitter. »Ich bin sicher, daß der Weg irgendwo hinführen muß. Reden Sie mir nicht von Hölle. Das ist Unsinn. Die Mysterious werden diese Maschine benutzt haben, um schnell weite Strecken zu überbrücken. Das heißt, sie haben irgendwo eine Empfangsstation gebaut, wo sie sich ebenfalls sicher fühlten.« »Richtig. Spinnen Sie Ihren Faden weiter«, ermunterte ihn Ingen, als Bentheim stockte. »Wenn wir also annehmen, daß wir auf einem anderen Planeten ankommen werden, auf dem wir vielleicht weitere technische Anlagen der Mysterious finden, besteht die Möglichkeit, mit unseren Forschungen viel schneller voranzukommen.« Eine Minute Schweigen. »Bevor keine absolute Sicherheit besteht, lehne ich jede freiwillige Meldung ab«, brummte Ingen. Bentheim lächelte gequält. »Na schön«, lenkte er ein. »Dann sollten wir aber folgenden Versuch machen: Wir stecken ein paar Hyperfunk-Sender in den Transmitter und lassen uns berichten, wohin die Reise ging.« Der Vorschlag fand allgemeine Anerkennung. In aller Eile ließ Professor Ingen einige automatisch arbeitende Sender herbei schaffen. »Jetzt brauchen wir nur noch festzustellen, in welchem Teil der GALAXIS der erste Sender wieder zu arbeiten beginnt.« Selbst Ingen konnte seine Erregung kaum verbergen. Bentheim nahm den ersten Sender auf. Entschlossen trat er auf die kreisrunde Antenne zu. Noch einmal drehte er sich um. »Alles klar?« »Alles klar!« Eine schwungvolle Bewegung – und der Sender verschwand in der fluoreszierenden Kreisfläche. Ein Blitz schien aus der Feuerwand zu brechen. Abwehrend hob Bentheim die Hände, aber der Spuk war so schnell vorbei, als hätte er eine optische Täuschung erlebt. Bentheims Herz klopfte bis zum Hals. 45
Vorsichtig trat er zurück zu den anderen. Dort herrschte tiefes Schweigen. Alle Blicke blieben auf die Skala des Empfängers gerichtet. Sie starrten die Nadel an. Sie rührte sich nicht. Fehlschlag! Bentheim begann, leise in sich hinein zu fluchen. Bange Minuten vergingen. Was die terranische Wissenschaft über Materie- transmitter wußte, ließ die Männer vermuten, das auch für diese Anlage das gleiche Prinzip galt. Entmaterialisierung im Augenblick des Eintretens in die TransmitterAntenne – Rematerialisierung im selben Augenblick in der Empfangsanlage. Aber der Sender schwieg. »Neuer Versuch!« So leicht ließ sich ein Mann wie Ingen nicht entmutigen. Ein neuer Sender. Das alte Spiel. Sendefrequenz gemessen, reguliert, geprüft, für ausreichend befunden. Diesmal nahm sich Wren Craig der Sache an. Bentheim blieb neben dem Empfangsgerät stehen und beobachtete das ständige Spiel der Skala. Ein Zeiger pendelte ziemlich konstant auf dem eingestellten Bereich. Während alle anderen Craig beobachteten, der mit grimmigem Gesicht auf die Zone zuschritt, saugte sich Bentheims Blick an dem Zeiger fest. Ingen sprach leise mit sich selbst. Er zählte Craigs Schritte. »…sieben… acht… halt… Achtung – fertig -jetzt!« Der Sender verschwand. Bentheim schien es, als wollte die Skala vor seinen Augen verschwimmen. Aber er sah es ganz deutlich. Der Zeiger kam urplötzlich zum Stillstand. Begann zu zittern. Schlug wie wahnsinnig nach rechts und links. Und mit einemmal stand er im Bereich negativer Zahlen. Völlig verrückt, durchzuckte es Bentheim. Dann war Schluß. Die Kontrolleuchte erlosch. Der Zeiger sank zurück und berührte den Nullpunkt. Aus. Ende der Sendung. »Teufel, Teufel«, brummte Professor Ingen. Nachdenklich massierte er seine Schläfen und schüttelte wiederholt den Kopf. »Es gibt eine Möglichkeit: Der Sender hat den Geist aufgegeben.« An diese Möglichkeit wollte Ingen nicht so recht glauben. Er legte Bentheim die Hand auf die Schulter. »Ihnen würde es nicht besser ergehen, Bentheim. Also versuchen Sie es lieber nicht. Es sei denn, Sie suchten eine neue Methode des Selbstmords. Garantiert schmerzlos, könnte ich mir vorstellen. Mir will die Sache nicht so recht gefallen.« 46
Niemandem wollte sie gefallen. Noch zwei Stunden lang versuchten sie, einen Sender durch den Transmitter zu schicken, aber es gelang immer nur der erste Teil. Schließlich brach Professor Ingen das Experiment ab. Ärgerlich kratzte er sich am Kopf. »Nach dem Motto: Operation geglückt – Patient tot«, knurrte er erbost. »Ich bin sicher, die Sender gehen durch, nur arbeiten können sie nicht mehr. Hat jetzt noch jemand Lust, sich selbst als Versuchskaninchen zu betätigen?« Niemand verspürte Lust. Nicht einmal Bentheim. Als die ersten Blicke ihn trafen, drehte er sich brüsk um und begab sich zum Ausgang. In der Funkstation trafen sie sich alle wieder. Professor Ingen blieb keine andere Wahl, als Henner Trawisheim von dem Mißerfolg zu berichten. Aber eine gute Nachricht konnte er dennoch nach Terra durchgeben: »Die totgeglaubte Mysterious-Anlage aufHope lebt!«
5. Dan Riker saß vor dem Checkmaster. Er drehte sich um und warf einen Blick über die Schulter. Er wirkte müde, überreizt. »Ruh dich aus, Dan, ich löse dich ab.« Riker schüttelte unwillig den Kopf. »Ich könnte jetzt nicht schlafen, Ren.« Dhark sah den Freund durchdringend an. »Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich meinen Anordnungen widersetzen«, brummte er mit leichtem Spott. Riker starrte ihn einen Augenblick sprachlos an. »Du meinst…« »Ich meine, du sollst jetzt verschwinden und dich ausschlafen. Also los. In acht Stunden kannst du mich wieder ablösen.« Dan Riker stemmte sich müde aus seinem Sitz. Er massierte seinen Nacken und gähnte herzhaft. »Die beiden Flash mit Doraner und Scott sind wie verabredet auf Entdeckungsflug über dem Planeten.« »Und die wissenschaftliche Abteilung?« »Professor Tschu Hin versucht, mit Hilfe einer Türck-Analyse das Alter dieses Monuments zu erfahren.« »Schon etwas dabei herausgekommen?« Dan Riker schüttelte unwillig den Kopf. »Noch nicht. Was soll’s auch? Glaubst du, wenn wir das Alter dieser Statue kennen, kommen wir einen Schritt weiter?« »Eine ganze Meile weiter sind wir dann, Dan. Los, verschwinde jetzt. Ich übernehme!« Dan Riker ging mit müden Schritten zum Schott, drehte sich noch einmal um, als wollte er noch etwas sagen, verließ dann aber ohne ein weiteres Wort die Zentrale. 47
Ren Dhark nahm Verbindung mit Professor Tschu Hin und seiner Gruppe auf. »Wie weit sind Sie?« »Einen Moment, Commander. Wir sind gerade fertig.« Tschu Hin, sonst die Ruhe in Person, war aufgeregt. Dieses Gefühl war ansteckend. Der Türck-Analysator würde eine exakte Altersbestimmung treffen können. Dhark hielt es plötzlich in der Zentrale nicht mehr aus. Er mußte nach draußen und sich selbst vom Ergebnis der Analyse überzeugen. Er rief Leon Bebir, den Zweiten Offizier, herein und übergab ihm die POINT OF. Dann ging er hinaus ins Freie. Aufs neue beeindruckte ihn der Anblick des gewaltigen Monuments. Nichts schien sich verändert zu haben. Noch immer standen die drei blauen Sonnen am Himmel, übergössen die beiden Raumschiffe und den bläulichen Sand mit ihrer intensiven Strahlung. Gegen das kolossale Bauwerk wirkten die Männer um Professor Tschu Hin wie Ameisen. Dhark eilte auf sie zu. Ihre Gesichter glühten vor Aufregung. »Geschafft, Commander«, jubelte Tschu Hin, der sonst seine Gefühle unter Kontrolle zu halten wußte. Das runzlige Gesicht mit den ausgeprägten Schlitz- augen strahlte. »Das Monument ist mehr als 42.000 Jahre alt«, sagte er und deutete auf die Anzeigetafel des Analysators. Dhark sah ungläubig an dem Monument empor. »Zweiundvierzigtausend Jahre«, sagte er ehrfürchtig. Welch ein Alter! Er wollte es fast nicht glauben. Aber der Türck-Analysator konnte nicht lügen. »Commander!« klang es aus seinem Vipho. Elis Yogan aus der Funk-Z. »Ich habe Doraner in der Leitung… Er glaubt eine Stadt entdeckt zuhaben…« »Übergeben!« Das Bild auf dem kleinen Bildschirm wechselte. »Doraner! Dhark hier! Was ist los?« Doraners Stimme kam nur undeutlich aus dem Vipho. Dennoch merkte man ihm an, daß er verblüfft war. »Eine Stadt, Commander. Ich habe eine Stadt gefunden.« »Holen Sie mich sofort hier ab!« Mike Doraner besaß alle die Eigenschaften, die Ren Dhark an einem Flash-Piloten schätzte. Er war intelligent, verantwortungsbewußt, entschlossen und mutig – manchmal vielleicht sogar ein bißchen zu mutig. Doraner landete den Flash vor der Statue, stieg aus und strich sich über die kurzgeschorenen Haare. »Eine Stadt«, sagte er. »Es ist unglaublich. Ich…« »Halten wir uns nicht lange mit Vorreden auf«, unterbrach Dhark den FlashPiloten, schob ihn beiseite und stieg in den Blitz. Sekunden später lag der Landeplatz bereits unter ihnen. 48
Ren Dhark legte den Kopf in den Nacken und blickte zur Bildprojektion empor. Über ihnen standen die drei blauen Sonnen. Unter ihnen, immer kleiner werdend, die Statue. Daneben die POINT OF, und – etwas abseits – die POLLUX. »Wie weit haben wir zu fliegen?« Doraner übergab an die Gedankensteuerung und lehnte sich zurück. »In drei, vier Minuten«, antwortete er, »werden Sie eine Überraschung erleben, Commander.« Der Flash raste über eine bläulich schimmernde Sandwüste hinweg. Es gab keine einzige Erhebung, an der das Auge hängenblieb. So weit der Blick reichte, war alles flach. Flach und blau. Doraner drehte sich halb um. »Jetzt müßten Sie es schon sehen können. Da…« Aus der flachen Ebene erhob sich plötzlich ein Hügel. Aber auch dieser Hügel war blau – Sand, nichts als Sand. Ren Dhark zog die Brauen zusammen. »Ich dachte…« »Warten Sie einen Augenblick. Sehen Sie auf den Masse-Orter!« Dharks Kopf flog herum. Tatsächlich. Masse. Viel Masse. »Runter!« Doraner reagierte prompt wie immer. Sanft glitt der Flash in die Tiefe. Der blaue Sandhügel kam schnell auf sie zu. Die sechs spinnbeindünnen Teleskopbeine fuhren aus. Federnd landete der Blitz. Die beiden Männer kletterten ins Freie. Auch hier sang der Wind sein ewiges monotones Lied. Bläulich schimmernde Sandschleier wehten über den Hügel. Dhark rieb sich die Augen. »Verdammter Sand«, murmelte er. Nun spürte Doraner es auch. Der Wind trieb ihnen den Sand in die Gesichter. Es prickelte. »Wenn die Statue mehr als zweiundvierzigtausend Jahre alt ist«, sagte Ren Dhark nachdenklich, »müssen wir annehmen, daß auch die Stadt unter diesem Sandhügel so alt ist. In zweiundvierzigtausend Jahren kann eine ganze Menge Sand vom Wind herangetragen werden. Wir müssen sehen, was unter dem Sand steckt, Mike.« Der Flashpilot grinste. »Für uns doch kein Problem, oder…?« »Allerdings, Mike. Kein Problem für uns.« Dharks Blick flog zwischen dem Flash und dem Sandhügel hin und her. »Also?« Doraner sah Dhark fragend an. »Okay, Doraner. Aber nur in den Raumanzügen. Und langsam. Wir wollen dabei gleich die Dicke der Sanddecke messen.« Sie zogen die leichten M-Raumanzüge an und stiegen wieder ein. Doraner spuckte, fluchte ein paarmal und schaltete dann das Intervallfeld ein. Rücken an Rücken saßen die beiden Männer in der engen Kabine und schauten zur Bildprojektion empor. Einen Augenblick sahen sie noch die drei blauen Sonnen, die endlos erscheinende Sandwüste. Dann plötzlich – nichts mehr. Langsam schob sich der zylinderförmige Rumpf durch den Sand. Der Bildschirm 49
blieb grau. Ein bläuliches Grau. Meter um Meter arbeitete sich der Flash durch den Hügel. Hin und wieder sah Mike Doraner auf die Anzeigetafel. »Sieben Meter«, gab er bekannt. Flugsand von mehr als zweiundvierzigtausend Jahren. »Zwölf Meter.« Und immer noch Sand. Herangeweht von einem Wind, dem sich nichts entgegenstellen konnte. »Zwanzig Meter.« Doraners Stimme klang fast unbeteiligt. Der Sand wollte kein Ende nehmen. Die Minuten dehnten sich endlos. Die bläulich-graue Räche des Bildschirms erschien Ren Dhark auf einmal wie ein höhnisch grinsendes Auge. »Dreißig Meter. Wenn das so weitergeht, kommen wir auf der anderen Seite wieder heraus.« Weitere Minuten vergingen. Plötzlich kam Bewegung in Doraner. »Achtung!« Auf dem Bildschirm hatte sich etwas verändert Das bläuliche Grau war einer rötlichen Färbung gewichen. »Jetzt müßte man etwas sehen können, Commander.« »Gehen Sie noch ein Stück tiefer! Eine Stadt muß aus Häusern bestehen. Und Häuser müssen Räume haben. Wenn wir in einen dieser Räume kommen…« Doraner ließ den Flash weiter absinken. Dharks Augen hingen am Bildschirm. Als sie knapp 40 Meter erreicht hatten, zuckte er zusammen. »Halt!« Der Flash verharrte. Der Bildschirm war nicht mehr grau, auch nicht mehr rötlichgrau. Der Bildschirm war braun. Ein tiefes, sattes Braun, in dem es kein Licht gab. »Scheinwerfer an!« Die Scheinwerfer des Flash blitzten auf. Geblendet schlössen beide Männer die Augen. Nur langsam gewöhnten sie sich an die neuen Lichtverhältnisse. Dann betrachteten sie fasziniert die Wände eines Raumes, die mit Zeichnungen übersät waren und aus einer Art Kunststoffmasse zu bestehen schienen. »Wollen wir aussteigen?« Doraners Stimme klang plötzlich ein wenig rauh. »Einverstanden«, entschloß sich Ren Dhark. Er trat hinaus in den Scheinwerferkegel. Sein Schatten hob sich groß und wuchtig von der braunen Wand ab. Doraner folgte ihm. Der Flashpilot ging sofort auf eine Wand zu und ließ seine Finger darübergleiten. »Glatt«, sagte er. »Anscheinend unangetastet. Seit zweiundvierzigtausend Jahren nicht berührt. Und das Zeug sieht aus, als sei es erst gestern angefertigt worden…« Ren Dhark interessierte sich weniger für das Material der Wände, sondern vielmehr für die Zeichnungen. Er runzelte die Stirn. Doraner trat neben ihn. Minutenlang betrachteten sie die fremdartigen Darstellungen. 50
Doraner legte den Kopf zur Seite und versuchte, ein klares Bild zu bekommen. Was sie hier zu sehen bekamen, waren keine Darstellungen von Menschen oder überhaupt humanoiden Wesen, wie man es vielleicht nach der Entdeckung der Riesenstatue erwartet hätte. »Spinnen«, sagte Dhark plötzlich leise, »Spinnen mit zwei Köpfen. Oder können Sie etwas anderes erkennen?« Doraner schüttelte den Kopf. »Ich bin froh, daß uns diese Hausgenossen nicht in Empfang genommen haben. Ein Glück, daß wir zweiundvierzigtausend Jahre zu spät kommen.« Doraners trockener Humor war nicht totzukriegen. Aber er hatte recht. Ren Dhark fröstelte plötzlich. Wenn diese Wesen noch hier unten leben würden… Er erschauerte. Es handelte sich unzweifelhaft um Spinnen mit zwei Köpfen. Ein Teil der Glieder war mit sechsfingrigen Greifklauen ausgestattet. An jeder Wand das gleiche Bild: Spinnenwesen mit zwei Köpfen in verschiedenen Haltungen, verschiedene Arbeiten ausführend. Aber immer nur diese Spinnen. »Ich glaube, wir haben genug gesehen. Am besten, wir machen uns auf den Rückweg und sehen zu, daß wir die Sanddecke irgendwie abtragen können. Unsere Wissenschaftler werden begeistert sein, wenn sie das zu sehen bekommen.« Doraner ließ die Gedankensteuerung den Rückflug übernehmen. Die vierzig Meter dicke Sandschicht war schnell durchquert. Dann standen die drei blauen Sonnen wieder am Himmel. Sie schwiegen, bis sie das Monument wieder erreicht hatten. Voller Spannung warteten die Wissenschaftler auf Dharks Bericht. Was er ihnen zu sagen hatte, war für sie eine Sensation. Nur eine Frage mußte noch geklärt werden: Wie konnte man die fremde Stadt freilegen? Arc Doorn wußte eine Antwort. Die POINT OF schwebte unbeweglich über der bläulich flimmernden Sandwüste, neben ihr die POLLUX, viel zu nah. In der Kommandozentrale des Ringraumers stand Arc Doorn und gab mit leiser Stimme Anweisungen. Der Sibirier wollte Duststrahlen einsetzen. Aber eine vierzig Meter dicke Sandschicht in amorphen Staub zu verwandeln, genügte nicht. Deshalb beteiligte sich Gutmundssons POLLUX an diesem Unternehmen. Sie sollte den Staub mit Pressorstrahlen >beiseiteblasenStadt< schien überhaupt nicht zu passen. Aber wie sollte man es anders nennen? Daß es sich um eine ehemalige Ansiedlung handelte, war allen klar. Fremdartige Lebewesen – fremde Technologie. »Ich schlage vor, wir gehen runter und stellen Untersuchungen an. Dan, du könntest doch auch eine Gruppe übernehmen.« »Wie schön, daß du auch mal wieder an mich denkst«, brummte Dan Riker. Ren Dhark ging nicht darauf ein. Er teilte drei Gruppen ein. Die erste Gruppe – die 52
Archäologen – sollte Dan Riker führen. Die zweite Gruppe mit Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen übernahm Arc Doorn. Eine dritte Gruppe blieb als Reserve zurück. Die wollte der Commander im Bedarfsfall selbst führen. Von verschiedenen Seiten drangen die ersten beiden Gruppen in die fremde Stadt ein. Unter dem austernförmigen Dach lagen unterschiedlich große Räume, in scheinbar wahlloser Anordnung aneinandergereiht und durch kleine und große Öffnungen miteinander verbunden. Fast alle Wände trugen die Zeichnungen, die Ren Dhark und Mike Doraner schon vorher entdeckt hatten. Ren Dhark, der an Bord der POINT OF geblieben war, ließ sich alle zehn Minuten von den beiden Gruppen Bericht erstatten. Nichts als Wände, Zeichnungen, Räume mit runden und viereckigen Türöffnungen, berichtete Dan Riker einmal erbost. »Weitersuchen«, befahl Ren Dhark. »Es müssen doch technische Anlagen zu finden sein.« Es gab keine technischen Anlagen. Weder Arc Doorns Gruppe noch die von Dan Riker fand irgendwelche Anlagen, die man als Maschinen bezeichnen konnte. »Ich verstehe das nicht. Wer diese Konstruktionen errichtet hat, muß auch eine großartige Technik besessen haben. Weitersuchen!« Doch so sehr die Männer auch suchten, das Ergebnis blieb das gleiche: Es gab in der Austerndach-Stadt keinerlei technische Anlagen. In diesen Tagen schien es auf Hope nur noch Rätsel zu geben. Die Aufnahmegeräte wiesen ganz eindeutig aus, daß die Mammutaggregate im Industriedom in einem bestimmten Rhythmus arbeiteten. Als würden sie von Geisterhand gesteuert. Das Rauschen und Dröhnen wurde den Wissenschaftlern langsam unheimlich. Es schwoll an, hielt sich einige Stunden, um dann wieder abzusinken und einem leisen Brummen Platz zu machen. Niemand wagte, die Unitallverkleidungen anzufassen. Bentheim hatte es zweimal versucht. Aber immer wie elektrisiert seine Hand zurückgerissen. Rätsel über Rätsel. Das größte Rätsel jedoch stand den Männern erst noch bevor… Sie waren alle im Industriedom versammelt. Um Ingen und seine engsten Mitarbeiter hatte sich ein Kreis gebildet. Einige schauten zu der scheinbar schwerelosen schimmernden Ringröhre empor. Im Kreis unterhalb der Ringröhre war es still. Kein Laut, kein Maschinengeräusch drang bis hierher. Langsam wanderte die gesamte Gruppe durch die Mammutanlage. Das Summen und Heulen der Aggregate schmerzte in den Ohren. Wenn die Männer sich verständigen wollten, mußten sie sich anschreien. Und dann, plötzlich, war alles vorbei. 53
Als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt, schwieg die gesamte Anlage. Totenstille breitete sich in der riesigen Halle aus. »Ich drehe gleich durch«, schrie Professor Ingen in die Stille hinein. Den anderen erging es kaum besser. Sie fühlten sich, als würden sie gleich wahnsinnig werden. Irgendwo mußte es eine unbekannte Kommandostelle geben, die die Mammutaggregate ein- und abschaltete. Doch wo befand sich diese Kommandostelle? Wer drückte auf den Knopf? War es ein Lebewesen? Oder ein Roboter? Schlagartig dachten die Wissenschaftler an den Großtransmitter. Die Versuche damit waren abgebrochen worden. Ingen hatte kein Menschenleben aufs Spiel setzen wollen. Unwillkürlich lenkten die Männer ihre Schritte zum Riesentransmitter. Wenn sie jedoch geglaubt hätten, mit dem Abschalten der Aggregate sei auch das fluoreszierende Leuchten der Kreisfläche vergangen, so sahen sie sich getäuscht. Es war noch immer da. Auch das leise Singen war noch da. Kaum hörbar zwar, aber es existierte. Niemand traute sich so recht, auf die graue Ringantenne zuzugehen. Irgend etwas hielt die Männer davon ab. Eine gewisse Scheu, die sie sich selbst nicht erklären konnten. Spence Bentheim stand dicht hinter Professor Ingen. Fast kam es ihm so vor, als stellte dieses Flimmern eine Lockung dar. Als forderte irgend jemand ihn und die anderen auf, näherzutreten und den Versuch zu wagen. Plötzlich sprach der kleine Professor. Eigentlich mehr zu sich selbst – aber alle hörten es. »Ich brauche jemanden, der das Wagnis unternimmt… Jemanden, der sich der Wissenschaft zur Verfügung stellt.« Etwas gequält fuhr er fort: »Aber wer würde sich dafür schon zur Verfügung stellen? Wer?« An Bord der POINT OF herrschte Ruhe. Ren Dhark saß in der Kommandozentrale. Er dachte nach. Niemand störte ihn. Auch nicht Dan Riker, der etwas entfernt in einem Sessel hockte und nachdenklich an seiner Unterlippe nagte. Aufgeben kam für Ren Dhark nicht in Frage. Niemals! Er wollte dieser Welt ihre Geheimnisse entreißen. »Wir verfügen über acht Flash… Wo ist Doraner?« Wenig später stand Mike Doraner in der Kommandozentrale. »Was sollen wir tun, Commander?« »Dan Riker hat diesem Planeten einen treffenden Namen gegeben. Mirac, Normalerweise versuche ich nicht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, aber ich will das Unerklärliche, Geheimnisvolle, Rätselhafte von Mirac enträtseln. Sie und die anderen Flash-Piloten werden ausschwärmen und den Planeten aus jeder erdenklichen Himmelsrichtung zu analysieren versuchen. Ich wünsche bei dieser Aktion 54
aber kein Draufgängertum. Safety first. Haben Sie mich verstanden, Doraner?« Doraner verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. »Verstanden, Commander.« »Dann viel Glück, Doraner.« Der Flashpilot wandte sich auf dem Weg zum Schott noch einmal um und grinste. Wenig später verließen acht Flash den Ringraumer und verloren sich bald im bläulichen Flimmern des Sonnenlichts. Ren Dhark wartete, bis er sie nicht mehr erkennen konnte. »Und für dich, Dan«, wandte er sich dann an seinen Freund Dan Riker, »habe ich auch einen besonderen Auftrag. Stelle dir eine zuverlässige Truppe zusammen und mache dich noch einmal an die Untersuchung der Austernstadt. Der Checkmaster hat inzwischen die bisherigen Ergebnisse verarbeitet. In der Stadt dort unten haben seiner Meinung nach dreihunderttausend Einwohner gelebt. Da Doraner jedoch vorher festgestellt hatte, daß es mehrere Städte geben soll, werden wir auch diese Austernansiedlungen einer genauen Untersuchung unterziehen.« Dan Riker erhob sich, um seine Leute zusammenzusuchen. Kurz darauf verließ er mit seinen Männern das Schiff. Er hatte – ebenso wie die Flash-Piloten – die Anweisung erhalten, sich alle fünf Minuten zu melden. »Wir werden jetzt die restlichen Städte vom Sand der Jahrtausende befreien. Außerdem möchte ich Mirac genau kennenlernen. Also bitte, Falluta – Start frei«, teilte Ren Dhark anschließend den verbliebenen verantwortlichen Offizieren in der Kommandozentrale der POINT OF mit. Der Ringraumer hob ab, dicht gefolgt von der POLLUX. Gutmundsson war natürlich ebenfalls von ihrem Vorhaben unterrichtet worden. Langsam schwebten die beiden Raumschiffe über die bläulich schimmernde Sandpiste. Bud Clifton, Jean Rochard und das Team an den Pressorstrahlern der POLLUX bekamen alle Hände voll zu tun, immer neue Städte freizulegen. Sieben fanden sie insgesamt. Sieben Städte, die von kleinen Spezialtrupps schnell untersucht wurden, und deren Einwohnerzahlen man auf zweihundertfünfzig- tausend bis vierhunderttausend schätzte. Städte, die mindestens zweiundvierzig- tausend Jahre alt waren. Und überall die gleichen Zeichnungen an den Wänden der Gebäude. Spinnen mit zwei Köpfen… Allein flog die POINT OF der Nachtseite des Planeten entgegen. Mirac, so fand Ren Dhark, besaß eine gewisse Ähnlichkeit mit Terra. Es gab Meere, es gab Sandwüsten, und es gab blauschimmernde Gebirgsketten. Hin und wieder tauchten auch Flüsse auf, umgeben vom dunklen, schattigen Grün alter Wälder. Auch die sieben Städte mußten einmal an Rußufern gelegen haben. Dunkelheit hüllte nun die POINT OF ein. Der Ringraumer raste weiter um den 55
Planeten herum. Die Fünf-Minuten-Meldungen der acht Flash-Kommandanten und der Unter- suchungstrupps liefen regelmäßig ein. Es gab keinerlei nennenswerte Neuigkeiten. Über die Planetenkrümmung kroch der Lichtschein der drei blauen Sonnen. Die POINT OF jagte dem Morgen entgegen. Bald mußte wieder die goldschimmernde Plastik in Sicht kommen. Um diesen Torso kreisten Dharks Gedanken. Er fragte sich, ob sie das Rätsel, das über dieser Statue lag, jemals lösen würden. Tino Grappa gähnte lautstark hinter seinem Ortungspult. Aber dann verging ihm das Gähnen. Er wirbelte herum und starrte betroffen die Masse-Ortung an. »Masse«, sagte er verwirrt. »Viel Masse. Zum Teufel, was ist das!« Dhark wurde ebenfalls aufmerksam. Rasch trat er zu seinem Ortungsspezialisten. Diese Massewerte? Diese Massewerte kamen ihm merkwürdig bekannt vor. Tino Grappa schien es ähnlich zu gehen. Langsam wandte er den Kopf und sah Ren Dhark verstört an. »Verstehen Sie das?« »Ich verstehe nur eins«, erwiderte Dhark. »Es kann sich um keine Stadt handeln. Dazu ist die Masse zu klein. Wir gehen runter – und zwar sofort.« Langsam veränderte sich das Bild. Die ersten gleißenden Lichtstrahlen krochen über den Horizont. Gespannt starrten die Männer auf die Bildkugel. »Rot 42:02,11 und Grün 02:13,02!« erklang plötzlich die Stimme von Arc Doorn. Alle Blicke suchten den bezeichneten Punkt. Es schien, als würden dort die Sonnenstrahlen von einem Spiegel reflektiert. Zwischen zwei bizarren Felserhebungen blitzte es auf. Die POINT OF kroch förmlich auf die Stelle zu. Eine riesige Bergwand wanderte über den Schirm. Danach folgte eine breite Felsschlucht, und dort… Ren Dhark hatte plötzlich das Gefühl, von einer riesigen Faust gepackt und geschüttelt zu werden. Ungläubig starrte er auf die Masse schimmernden Metalls. Er mußte wahnsinnig geworden sein. Dort unten lag – die POINT OF! Der Ringraumer stand plötzlich still in der Luft. Dhark wollte sichergehen, nicht in eine Falle zu geraten. Aber je länger er und seine Offiziere auf das erstaunliche Bild blickten, desto klArcr wurde ihnen, daß dort unten nicht die POINT OF, sondern das Wrack eines anderen Ringraumers lag. Das Ebenbild der POINT OF. Ein Schwesterschiff. »Unglaublich«, hauchte Ren Dhark. »Wie nannte Riker diesen Planeten noch einmal?« knurrte Arc Doorn. »Mirakel? Er ist anscheinend unter die Hellseher gegangen.« Und dann schwiegen alle, staunten einfach nur fassungslos. 56
Ren Dhark faßte sich zuerst. »Wir landen!« Wenig später standen sie vor dem Wrack, bei dem es sich tatsächlich um ein Schwesterschiff der POINT OF handelte. Die Türck-Analyse ergab eindeutig, daß auch dieses Schiff vor nur eintausend Jahren gebaut – und zerstört worden war. Eine fieberhafte Tätigkeit setzte ein. Einzelne Gruppen untersuchten jeden Winkel des Wracks. Als sie schließlich wieder zusammentrafen, gab es noch immer keine Erklärung. Das Schiff war zerstört worden. Doch welche gigantische Kraft konnte diesen Ringraumer vernichtet haben? »Leergeplündert hat man das Schiff«, erboste sich Arc Doorn. Dhark sah zu den drei Sonnen empor. Hier stand er, auf einem Planeten, der einmal von diesen drei blauen Sonnen eingefangen worden war… Hier stand er vor der ersten neuen Spur der Mysterious seit der Entdeckung der KOMETenstation. Was mochte auf diesem Planeten vor tausend Jahren geschehen sein? Würde er jemals eine Antwort auf diese Frage erhalten? Ren Dharks Gedanken wanderten zurück. Die Mysterious! Wie hatten die Utaren sie genannt? Grakos! Teufel! Ausgeburten der Hölle! Sollten die Mysterious tatsächlich mit den Grakos identisch sein?
6. Diese Mysterious…! In dieser Form konnte man auch fluchen; und auf Hope, im Höhlensystem des Kontinents Deluge, wurde kräftig geflucht. Auch von den Wissenschaftlern, die sich sonst gut beherrschen konnten. Und man verwünschte das Archiv in einem Nebenraum der Ringraumerhöhle in Grund und Boden. Nach wie vor warf es auf konzentrierten Gedankenbefehl seine Mentcaps aus – nur hatten alle Mentcaps einen Fehler: Sie enthielten kein Wissen über den gigantischen Industriedom. Sie waren leer. Henner Trawisheim las den letzten Bericht, der gerade von Hope hereingekommen war. Kein Fortschritt! Im Industriedom trat man buchstäblich auf der Stelle. In unregelmäßigen Abständen sperrte sich der Riesentransmitter automatisch ab. Kein Mensch wußte, was dann in dem großen Raum mit der grauschimmernden Ringantenne geschah. Wurden in diesen Sperrzeiten Industrieerzeugnisse, die von den gigantischen Aggregaten produziert worden waren, per Transmitter verfrachtet? Aber welchen Sinn 57
sollten diese Vorgänge haben, wenn die Mysterious nicht mehr existierten? Trawisheim, der einzige Cyborg auf geistiger Basis, stellte sachlich fest, daß selbst er in diesem Punkt nicht weiterkam. Aber wir können uns doch nicht nur auf den Zufall verlassen, dachte er entmutigt; er versuchte sich vorzustellen, wie mißgelaunt die Experten im Höhlensystem waren, die mit ihren Forschungen keinen Schritt vorankamen. Er konnte nicht ahnen, daß sein Vorstellungsvermögen dafür nicht ausreichte. Tim Acker sagte aus vollem Herzen: »Ich hab’s endgültig satt! Das ist ja zum Davonlaufen. Ich versorg’ mich mit allem Nötigen und bleib’ im Transmitter-Raum, wenn der wieder seine Energiesperre errichtet.« Tim Acker war zweifacher Professor und führte gleich drei Doktortitel. Allerdings wurde er fuchsteufelswild, wenn man ihn mit Professor anredete. Und daß er über Temperament im Übermaß verfügte, ließ sich angeblich schon an seinen roten Haaren ablesen. »Die rotesten Haare im terranischen Interessenbereich«, wie er selbst behauptete. Acker gehörte dem Expertenteam an, das vor drei Tagen seine Arbeit auf Deluge begonnen hatte und sich inzwischen eingestehen mußte, nichts herausgefunden zu haben. Tim Acker wirkte nicht gerade wie ein Held. Mittlerweile 47 Jahre alt, hatte er es seit gut zehn Jahren aufgegeben, sich über seinen dicken Bauch und seine Hängebacken zu ärgern. Die Ärzte hatten von Freßsucht gesprochen. Er hatte sie ausgelacht, ihre Warnungen in den Wind geschlagen und – wenn es ihm Spaß machte – achtmal am Tag gegessen. Bisher hatte er es noch nicht bereuen müssen. Vor dem Abflug nach Hope war er wieder einmal gründlich untersucht worden. Er verstand, daß die Ärzte danach ein etwas säuerliches Gesicht gemacht hatten. Aber sie mußten auch ihn und seine diebische Freude verstehen, als sie ihm erklären mußten, daß er zwar ein hemmungsloser Fresser – aber auch kerngesund sei. Rings um ihn herum lachten jetzt seine Kollegen schallend, weil er gesagt hatte: »Ich versorge mich mit allem Nötigen.« Damit konnte er schließlich nur ein überdimensionales Freßpaket meinen. Tim Acker ließ sie lachen. Doch im stillen ärgerte er sich darüber. Wartet, ich werde es euch noch zeigen, dachte er, aber wenn er geahnt hätte, was ihm bevorstand, wäre er selbst in seinen Gedanken zurückhaltender gewesen. Es war nicht leicht, einen passenden Raumanzug für ihn zu finden. Der Leiter des Verpflegungsdepots war schon unterrichtet und unterzeichnete Ackers Anforderungsfolie, ohne einen Blick darauf zu werfen. Doch als der Professor mit einer Schwebeplatte ankam und sie im Transmitter-Raum hinter der grauschimmernden Ringantenne entlud, machten seine Kollegen große Augen. Acker hatte die Ausrüstung eines erstklassigen Labors angefahren. Und er benötigte keine Hilfe, um die Geräte untereinander zu verbinden und sie 58
betriebsbereit zu schalten. Plötzlich sahen die Kollegen diesen dicken Mann mit dem runden Gesicht mit anderen Augen. Er beschämte sie alle. Er hatte es satt, noch länger auf der Stelle zu treten. Er wollte einen hohen Einsatz wagen und erfahren, was im TransmitterRaum geschah, wenn der sich durch eine Energiewand sperrte. Ob es ihm gelingen würde, blieb abzuwarten. Bisher waren alle Versuche, im Raum zu bleiben, gescheitert, doch bisher hatte auch noch niemand versucht, sich hinter der Antenne aufzuhalten. Tim Acker wollte der erste sein. Er sah seine Kollegen kurz an, während ihm der Schweiß über das Gesicht lief. »Es ist Zeit, daß Sie verschwinden!« Man hatte bis jetzt noch keine exakten Voraussagen treffen können, wann der Raum sich sperrte, aber man konnte so ungefähr alle drei Stunden Normzeit damit rechnen. Und die dritte Stunde ging ihrem Ende zu. Acker sah seine Kollegen gehen. Noch einmal wurde er gewarnt. Er schlug diese Warnungen ebenso in den Wind wie seinerzeit die der Ärzte, die ihm Appetitzügler verschreiben wollten. Tim Acker machte es sich bequem. Er hatte Appetit. Und er hatte jetzt Zeit, bis die Sperre kam, die im Gegensatz zu allen bisher bekannten energetischen Sperren undurchsichtig war. Die große graue Ringantenne, von deren Innenseiten ununterbrochen ein kaum sichtbares Flimmern ausging, flößte ihm keine Furcht mehr ein. Er ließ den Verschluß einer Plastikdose aufspringen, schnupperte den delikaten Geruch einer Forro-Pastete und schluckte voller Vorfreude. Aber der gabelfertige Hummer in kleinen Happen war auch nicht zu verachten, ebensowenig wie die dreihundert Gramm Räucheraal – Besonders fett! stand auf der Dose. Das würde eine Stunde vorhalten. Davon war er überzeugt, und schließlich gab es auch noch die Rasche mit dem drittel Liter Napoleon. Den benötigte er, um anschließend zu gurgeln. Manche behaupteten hinter vorgehaltener Hand, Tim Acker sei ein Trinker, aber bis zum heutigen Tag hatte ihn noch niemand betrunken gesehen. Weil er es einfach noch nie geschafft hatte, diesen Zustand zu erreichen! Er aß langsam und mit Genuß. Vom gabelfertigen Hummer war nichts mehr zu sehen, von sechs Scheiben Toast nur noch eine vorhanden – und er wollte sich gerade dem besonders fetten Aal zuwenden, als er jenes Summen hörte, das bisher noch jeden Terraner aus dem Transmitter-Raum vertrieben hatte. Tim Acker schloß blitzschnell den Helm seines M-Raumanzuges. Ein wehmütiger Blick galt dem mundfertigen Aal – doch in der nächsten Sekunde dachte er nicht mehr daran. Das Summen drang durch den Klarsichthelm an sein Ohr! Die Schwingungen lagen in einem Frequenzbereich, der bei jedem Menschen uner59
trägliche Schmerzen auslösen mußte. Tim Ackers rundes, verfettetes Gesicht verzerrte sich. Ich bleibe, dachte er mit wilder Entschlossenheit, ich lasse mich hier nicht vertreiben! Aber das Summen wurde stärker und stärker. Es kam aus allen Richtungen – wie eine Flut, die alles mit sich fortzureißen drohte. Tim Acker stöhnte; er krümmte sich. Die Schmerzen in seinem Körper wurden unerträglich. Ein Mann mit schwächerer Willenskraft hätte den Transmitter-Raum längst verlassen. Doch der Wissenschaftler war ein einziges Bündel geballter Energie. Er stöhnte lauter. Er wand sich, als würde er unter Koliken leiden – aber er verließ seinen Platz nicht. Und dann – endlich! – brach das infernalische Summen ab. Mitgenommen richtete Acker sich auf, öffnete seinen Klarsichthelm und atmete tief durch. Er befand sich im Transmitter-Raum. Niemand konnte zu ihm herein; niemand konnte ihn sehen. Die undurchsichtige energetische Sperre trennte ihn von seinen Kollegen. Er achtete nicht darauf, wie die letzten Beschwerden in seinem Körper abklangen. Er hatte zu tun. Ein kleiner tragbarer Konverter wurde hochgefahren. Einschalten der Kontrollgeräte. Eine letzte Überprüfung ihrer Funktionen. Tim Acker verstand sein Handwerk. Er tat keinen Fehlgriff, übersah nichts. Sein geschulter Verstand nahm alle Klarmeldungen auf. Von ihm aus konnte es losgehen! Er wußte nicht, was er eigentlich erwartete. Und es war ihm noch gleichgültig. Er glaubte, auf alle Überraschungen vorbereitet zu sein. Die Ringantenne, die oben und unten mit Decke und Boden verbunden war, strahlte von allen Seiten zum Mittelpunkt hin ihr irisierendes Flimmern aus. So deutlich und faszinierend hatte er es noch nie gesehen. Der T-Taster blinkte. Die Leistung des Transmitters war sprunghaft hochgeschnellt. Acker konnte sich auf sein Gerät verlassen. Es war eine terranische Konstruktion und nach dem Studium des ersten Mysterious-Transmitters entwickelt worden. Die Leistung lag schon bei T90, und die Leuchtdioden des Meßinstrumentes zeigten fast schon den höchsten theoretisch erfaßbaren Wert. Experten hatten behauptet, daß jeder Transmitter, der über T100 geschaltet würde, sich selbst zerstören müsse. Tim Ackers Blick war überall. Auf den Instrumenten ebenso wie auf dem leicht flimmernden Leerraum der Ringantenne. Sein hochempfindliches r-Gerät maß nicht die geringste Strahlung an. 60
Drei kurz aufeinanderfolgende, schrille, sich in Abständen wiederholende Pieptöne schreckte ihn auf. Die Leuchtanzeige des T-Tasters blinkte im Rhythmus mit den schrillen Tönen, und auf dem Display flimmerte der Wert 888. Das Gerät mußte völlig überlastet worden sein. Schlagartig erstarben die Pieptöne, das Blinken hörte auf – Error meldete der TTaster, bevor auch die letzte Leuchtdiode erlosch. Acker befürchtete nichts, obwohl ihm klargeworden war, daß sich der Riesentransmitter weit über T100 hinauf geschaltet hatte. Er bereitete sich innerlich auf alles vor. Und doch traf es ihn wie ein Schock! Die blauschimmernde, fugenlose Unitallwand links von ihm öffnete sich lautlos. Ein Energieband schwang in weichem Bogen aus dem dunklen, riesigen Loch hervor und endete im Mittelpunkt der Ringantenne. »Also doch«, flüsterte Acker; er konnte das Zittern seiner Hände nicht mehr unterdrücken. Ihre Vermutungen schienen zu stimmen. In den Zeitabschnitten, in denen ihnen das Betreten dieses gewaltigen Transmitter-Raumes verboten war, wurden über diese Anlage die Erzeugnisse der Mammut-Aggregate verschickt. Aber wohin bloß? Ein Dutzend Aufnahmegeräte dokumentierten aus allen nur möglichen Blickwinkeln jede Phase der Entwicklung. Und in Tim Ackers Gehirn brannte sich zusätzlich noch alles fest. Und dann wurde der Blick des freßsüchtigen Mannes starr. Von unsichtbaren A-Grav-Kräften getragen, durch einen Traktorstrahl trans- portiert, trieb ein gewaltiges Aggregat lautlos auf die Mitte der Transmitter-Antenne zu. Weder sein fremdartiges Aussehen, noch seine unglaubliche Größe hatte Acker einen Schock versetzt – sondern einzig und allein seine Farbe! Es leuchtete rot; es schimmerte wie ein Rubin! Ein Aggregat aus Tofirit wurde zum Transmitter geschafft und verschwand im Mittelpunkt der Antenne! Ein weiterer Beweis dafür, daß die Mysterious vor rund tausend Jahren, bevor sie spurlos von Hope verschwunden waren, bereits ein Tofirit-Vorkommen ausgebeutet haben mußten. Tim Acker kam nicht mehr dazu, seine Überlegungen weiter zu spinnen. Ein gewaltiger Stoß schleuderte ihn zur Seite. Seine Geräte wirbelten davon. Der Konverter krachte gegen eine Wand. Er selbst rutschte über den Boden, bis ihn eine Ecke aufhielt! Rundherum hatten sich die Unitallwände geöffnet. Von allen Seiten schwangen sich Energiebänder zur Transmitter-Antenne. Aus allen Richtungen wurden rubin61
rot schimmernde Maschinen aller Größenordnungen zum grauen Ring befördert, um darin zu verschwinden. Zehn, zwanzig, fünfzig und mehr Aggregate auf einmal! Der Riesentransmitter war ein unersättliches Maul, das man mit den größten Mengen nicht stopfen konnte. Tim Acker rührte sich nicht. Atemlos verfolgte er dieses unheimliche, lautlose Schauspiel. Er hatte seine Wünsche mittlerweile etwas heruntergeschraubt, und es beruhigte ihn, daß zumindest drei Aufnahmegeräte weiterhin im Einsatz waren und alles festhielten. Ein Strom von Maschinen kam schneller und schneller aus allen Öffnungen, aus allen Richtungen, und Ackers Blicke konnten kaum noch folgen. Aber nicht ein einziges Mal störten sich die Maschinenströme gegenseitig. Eine hochentwickelte Steuerung verhinderte jede Kollision. »Ein Sender! Großer Gott, ein Sender!« stöhnte der dicke Mann und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, als eine weitere gigantische Anlage im Transmitterkreis verschwunden war. Er kannte die Funk-Z der POINT OF. Sie war in ihrer Größe und Leistung das Nonplusultra der Funktechnik, aber sie war ein Nichts gegen diese Anlage, die soeben per Transmitter zu einem unbekannten Ziel geschafft worden war. Wozu hatten die Mysterious diese gigantischen Funkanlagen benutzt? Hatten sie vielleicht schon vor tausend Jahren Kontakt mit anderen Galaxien gehabt? Unwillkürlich richtete der dicke Mann sich etwas auf. Er lag genau unter einem Energieband, aber er fürchtete keineswegs, daß ihm dieses Band gefährlich werden könne. Er rechnete. Er dachte an die Größe des Industriedoms. Seine Bodenfläche umfaßte 900 Quadratkilometer. Seine Mammutaggregate, die gleich Wolkenkratzern bis zur neunhundert Meter hohen Decke reichten, mußten hunderttausendmal mehr produzieren, als hier durch diese Anlage fortgeschafft wurde. Das ließ nur eine Schlußfolgerung zu: Im Industriedom mußte es Hunderte von Transmittern dieser Größenordnung geben, und wahrscheinlich wurden zur selben Sekunde Abertausende von Aggregaten transportiert! Acker warf einen Blick auf sein Chrono. Seit einer Viertelstunde lag er auf dem kalten Unitallboden in der Ecke und beobachtete. Wenn alles so wie immer verlief, hatte er noch gut fünfzig Minuten Normzeit zu warten, bis die energetische Sperre wieder aufgehoben wurde und hier alles wieder so aussah, wie man es bisher gewohnt gewesen war: fugenlose blauschimmernde Unitallwände, und in der Mitte des großen Raums die gewaltige graue Transmitter-Antenne. Abrupt brach der Strom der Maschinen ab. Tim Acker richtete sich noch höher auf, drehte den Kopf und vermißte über sich das Energieband. 62
Sollte alles schon zu Ende sein? Im freien Feld innerhalb der Antenne irisierte es nach wie vor. Ackers Gedanken kreisten erneut um das Tofirit. An welcher Stelle auf Hope konnten die Mysterious ein Tofirit-Vorkommen ausgebeutet haben? Wieso war den terranischen Planetologen diese Fundstelle entgangen – selbst wenn sie inzwischen erschöpft sein sollte? Noch immer lag der Blick des Wissenschaftlers auf dem Innenraum der Antenne. Er sah wohl das plötzlich stärker werdende irisierende Flimmern, aber dann geschah alles so unerwartet und schnell, daß er überhaupt nicht mitkam. Er erschrak nicht einmal! Tim Acker sah es nur, und konnte es einfach nicht begreifen. Plötzlich war es da! Ein Roboter! Ein Roboter, der keine Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte. Ein aufrecht stehender, von fünf Stützen getragener Zylinder, der den Boden nicht berührte. Ein Zylinder, der ganz langsam auf eine der gewaltigen Öffnungen in den Wänden zuschwebte. Ein Roboter aus blau violettem Unitall, der fünf Armglieder gegen seinen Zylinderrumpf gepreßt hielt, dabei aber die vier Fingerglieder abgespreizt hatte. Dort, wo bei einem Menschen der Kopf saß, befand sich ein Linsensystem, das das Licht aus den Wänden des Transmitter-Raumes stark reflektierte. Nach oben lief der Zylinder in einer flachen Wölbung aus. Roboter im Industriedom! Und sie alle, die hier geforscht und gearbeitet hatten, hatten davon nichts geahnt! Roboter, die sich vom Transmitter-Raum direkt in die Mammutaggregate begeben konnten, ohne eine der langen Maschinenstraßen zu benutzen! Roboter aus Unitall! Nach den Vermutungen der Menschen waren die Mysterious die Schöpfer dieses Metalls. Roboter und Mysterious! Roboter, die tausend Jahre nach dem Verschwinden der Geheimnisvollen noch aktiv waren! Hatten die Mysterious sie geschickt? Sollten sie im Industriedom nach dem Rechten sehen? Dann mußten die Mysterious doch noch existieren! Oder…? Als Tim Acker drei neue Roboter gleichzeitig aus dem Transmitter treten sah, beobachtete er sie mit wissenschaftlicher Akribie. Er war sich seiner Sache sicher. Wie der erste, der inzwischen in einer der riesigen Öffnungen verschwunden war, würden auch sie, ihrem Programm gehorchend, ihre Aufgabe erfüllen. Die drei Maschinen waren nicht voneinander zu unterscheiden. Sie besaßen keiner63
lei Unterscheidungsmerkmale. Sie schwebten davon. Jeder auf eine andere Öffnung zu. Doch dann glaubte Tim Acker, aus einem der Linsensysteme angesehen zu werden. Sein Verstand sagte ihm, daß er sich etwas einbildete. Aber daß dieser Roboter, der plötzlich abgestoppt hatte, nun auf ihn zukam, war keine Einbildung. Tim Acker griff nach seinem Blaster. Er zog ihn nicht. Unitall war nicht so leicht zu zerstören. Erst nach einem intensiven Nadelstrahlbeschuß von mehr als zweihundertzehn Sekunden Dauer zerfiel es in einer überaus heftigen atomaren Reaktion. Doch dazu kam es nicht. Drei der fünf Armglieder griffen nach dem Wissenschaftler – und bevor er begriff, welches Schicksal ihm drohte, wurde er in hohem Bogen in den Transmitter geschleudert. Tim Acker verschwand im Leerbereich der grauschimmernden Ringantenne, genau wie vor ihm die rubinrot leuchtenden Aggregate verschwunden waren. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, einen Schrei auszustoßen. Der Roboter, der ihn aus diesem Raum entfernt hatte, räumte auf. Alle Geräte, die Acker hier abgestellt hatte, verschwanden im Antennenbereich. Auch die Filmkameras! Zum Schluß das Freßpaket des Wissenschaftlers. Und dann war der Transmitter-Raum wieder so, wie ihn damals Ren Dhark als erster gesehen hatte. Leer bis auf die Ringantenne, die zu ihrem Mittelpunkt hin ein leichtes irisierendes Leuchten ausstrahlte. Auch der dritte Roboter war in einer der großen Öffnungen verschwunden. Graue Wolkenfetzen jagten am Himmel dahin. Der Sturm brüllte über Mirac. Von den drei blauen Sonnen des Systems war nichts mehr zu sehen. Außerhalb der Sichtweite lag der zerstörte und leergeplünderte Ringraumer der Mysterious. Ren Dhark und seine Männer warteten auf das Ende des Unwetters; sie hatten sich auf eine lange Wartezeit eingerichtet. Die Meteorologen hatten erklärt, daß man erst am nächsten Mirac-Tag wieder ins Freie könnte. Nicht, daß das irgend jemanden gestört hätte. Jeder war froh, sich endlich wieder einmal ausschlafen zu können. Der Commander ließ Funkkontakt zu der kleinen Gruppe herstellen, die eine der Austerndach-Städte untersuchte, und gab durch, daß man so bald nicht mit der Rückkehr der POINT OF zu rechnen habe. Die Nacht senkte sich auf Mirac herab. Leutnant Posson hatte in der Kommandozentrale Sitzwache. Die übrigen Hauptstellen im Schiff waren auch nur mit je einem Mann besetzt. Wer wollte der POINT OF schon etwas anhaben? Posson warf zum zehntenmal einen Blick auf das Chrono. 64
Noch drei Stunden Normzeit; dann würde er abgelöst werden und könnte sich auch hinlegen. Er verließ den Pilotsitz und trat zum Ortungspult. Alle Ortungen arbeiteten mit schwacher Leistung. Die Verbindung zum Bordgehirn bestand. Es würde unverzüglich reagieren, wenn etwas Ungewöhnliches geschehen sollte. Posson döste mit offenen Augen. Und zuckte dennoch nicht einmal zusammen, als er den nebelartigen Fleck auf dem Schirm sah. Automatisch, ohne zu überlegen, schaltete er Energie- und Distanzortung auf maximale Leistung. Die Distanzortung zeigte null, genau wie die Energieortung. Aber da draußen war etwas! Er sah es zweifelsfrei auf dem Schirm des Oszillos! Das Aufblinken einer Reihe von Kontrollen am Checkmaster ließ seine Aufmerksamkeit für Sekunden nachlassen. Als Posson wieder auf den von innen beleuchteten Schirm des Oszillos sah, konnte er keinen Fleck mehr entdecken. Dafür zeigte die Energieortung jetzt einen Wert an. Strahlung in nächster Nähe der POINT OF! Eine Strahlung, die auf die POINT OF gerichtet war! Mit einem Satz war Posson am Instrumentenpult, drückte die Alarmtaste, und riß den Commander mit seiner Durchsage aus dem Schlaf. »Beobachten Sie weiter, Posson. Ich komme sofort.« Er kam nicht allein. Dan Riker begleitete ihn. Sie stellten sich hinter die Ortungen. »Alles unverändert«, berichtete Posson. Aufmerksam hörten die beiden Männer zu. Keine Distanzortung! Die Quelle der harten Strahlung war nicht zu erfassen. Aber warum warf die Energieortung keine Reihenwerte aus, sondern nur eine einzige Angabe? »3,36…« murmelte Dan Riker und schüttelte den Kopf. »Hart… sehr hart…« Posson verstand den Commander und dessen Freund nicht. Sie sich dafür um so besser. Sie hatten nie viele Worte gebrauchen müssen, um sich miteinander zu verständigen. »Wir sollten uns das einmal draußen ansehen…« Posson starrte die beiden an, als wären Sie fremdartige Lebewesen von einem anderen Planeten. Draußen wütete ein Orkan mit Stärke 11, und er würde sich in gut einer Mirac-Stunde zum Hurrikan entwickelt haben; und diese beiden Männer wollten hinausgehen! »Okay«, sagte Dan Riker, ohne zu zögern. »Posson, beobachten Sie weiter. Wir bleiben über Vipho mit Ihnen in Verbindung.« Das Schott zur Zentrale krachte hinter Dhark und Riker zu. Posson war wieder allein. Er verstand gar nichts mehr. 65
Draußen wütete nicht nur ein Sturm, auch die Temperatur war auf minus 53 Grad Celsius gefallen. Polare Kälte peitschte diesen Teil des Planeten – ein Kälte- einbruch, wie er auf Terra unbekannt war. Ren Dhark und Dan Riker dachten nicht daran, ihr Leben leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Im Flash-Depot meldeten sie ihren Ausflug, wie es für jeden BeibootPiloten Vorschrift war. Am erstaunten Blick des Sergeanten störten sie sich nicht. Mit der 022 flogen sie nach draußen. Was kümmelten den Blitz die entfesselten Naturgewalten? An seinem Intervallfeld prallte alles ab. Dhark flog die 022, stand über Funk mit Posson in der Zentrale in Verbindung. Nach wie vor erfaßte die Energieortung die auf das Schiff gerichtete harte Strahlung. Langsam flog der Commander den Flash an diesen Bereich heran. Dan Riker saß Rücken an Rücken mit ihm. Wieder einmal verwünschte er den Standort der Bildprojektion über seinem Kopf. Sie war auch eine Zumutung. Jeden Menschen mußten nach zehnminütigem Hinaufsehen alle Nackenwirbel und Muskeln schmerzen. Einen unpraktischeren Platz hätten die Mysterious sich dafür nicht aussuchen können. »Strahlung erfaßt…« »Ich auch«, bestätigte Riker, der seine Instrumente beobachtete. »Aber auch hier keine Reihenwerte. Verstehe ich nicht.« Über Vipho korrigierte Posson den Kurs des Flash. Dann lag das Beiboot genau im Strahlungsbereich. Dan Riker stieß einen überraschten Pfiff aus. Der Strahlungswert war gestiegen: 8,47! »Wir sollten Alarm für die Besatzung geben, Ren…« Überrascht verstummte er. Der Strahlungswert fiel auf 1,06 – und kletterte unverzüglich wieder in die Höhe. Der Flash näherte sich dem zerstörten Ringraumer. In geringer Höhe überflogen sie das Wrack. Dann lag es hinter ihnen. Irgendwo voraus mußte sich die Strahlungsquelle befinden. Das Schwanken der unbekannten Strahlung gab ihnen Rätsel auf. Offen gestand Ren Dhark: »Da komme ich nicht mehr mit. Ich schalte auf den Checkmaster, Dan.« »Großer Himmel!« Das war Riker. Ren Dhark wußte, was seinen Freund so aus der Fassung gebracht hatte. Antwort aus der POINT OF! Antwort vom Checkmaster. Er nahm das Kommando nicht an! Er ließ sich nicht mit den Instrumenten des Flash zusammenschalten! Das Bordgehirn der POINT OF meuterte gegen seinen Kommandanten! So etwas war noch nie vorgekommen. Schweigen im Flash. Unter dem Beiboot glitt die vom Sturm gepeitschte Oberfläche Miracs dahin. Das Wrack des Ringraumers lag schon fünf Kilometer hinter ihnen. Aber noch immer war die Quelle der harten Strahlung nicht erreicht, die auch weiterhin vollkommen arhythmisch schwankte. 66
Und dann beschlich den Commander plötzlich eine Ahnung. Eine Energiequelle, dicht vor dem Erlöschen, rief sie mit harter Strahlung. Aber hieß das nicht, daß die Energiequelle intelligent sein mußte? Das Tal machte einen leichten Bogen. Die Infrarotscheinwerfer des Flash durchdrangen die wild durcheinander gewirbelten Staubmassen und ließen selbst kleinste Einzelheiten erkennen. Plötzlich schnellte der Strahlungswert auf eine bisher nie beobachtete Höhe: 12,67! Sle auf negative Beschleunigung! Der Flash befand sich jetzt in achtzehn Metern Höhe über der Strahlungsquelle – aber sie war nicht zu sehen! Unter dem Beiboot befand sich nichts als Fels, kahler, nackter Fels. Endlich warf die Energieortung Reihen werte aus. »Ohne Intervallfeld würden wir hübsch gegrillt werden!« stellte Dan Riker sarkastisch fest. Ren Dhark nickte nur. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, sah er zur Bildprojektion hinauf. Achtzehn Meter unter ihnen gab es nur Felsen ohne jeden Spalt. Aber aus dem Felsen kam die Strahlung. Einen Augenblick zögerte der Commander, dann hatte er sich entschieden – und langsam, von A-Grav-Kräften gehalten, sank der Flash zu Boden. »Strahlungswert fällt wieder!« Dan Riker mußte gespürt haben, daß sein Freund ununterbrochen die Bildprojektion beobachtete. Der Flash näherte sich dem felsigen Boden und tauchte im Schutz seines Intervalls langsam in ihn ein, als ob er im Bereich des künstlich erzeugten Miniweltraumes gar nicht existent sei. »Strahlung unter eins, Ren.« Sie steckten schon mehr als zehn Meter tief im Felsen. Der Durchflug ging weiter. Tiefe fünfundzwanzig Meter. »Strahlung bei 0,47 konstant! Mag der Teufel wissen, was das zu bedeuten hat«, meldete Dan Riker. Ren Dhark grübelte immer noch. Gab es unter ihnen tatsächlich eine intelligente Energiequelle, die dicht vor dem Versiegen stand und ihnen mit letzter Kraft Signale zugefunkt hatte, um Hilfe zu bekommen? Tiefe achtunddreißig Meter. Die Distanzortung sprach an. Sechs Meter tiefer befand sich ein Metallkörper! Der Flash brauchte seinen Kurs um keinen Zentimeter zu verändern. Wie ein Peilstrahl hatte die harte Strahlung sie heruntergeholt. »Ich mache die Strahlantennen klar, Ren.« »Okay.« Auch der Commander fühlte sich unbehaglich. Es wollte ihm nicht in den 67
Kopf, daß es Energiequellen geben könnte, die intelligent sein sollten. Der Flash wurde noch langsamer. Nur knapp ein Meter trennte sie noch von ihrem Ziel. »Da… Strahlung aus!« rief Riker verblüfft; Dhark hörte, wie sein Freund schwer schluckte. Um sie herum Fels. Nur über ihnen ein Loch: die Spuren des Sie. »Dan!« Ren Dhark schrie auf. Er hatte in der Bildprojektion endlich erkannt, was sie entdeckt hatten! Einen Flash! Ihre 022 bewegte sich nicht mehr. Der Sie war ausgeschaltet. Nur noch das Intervall stand um das Beiboot. Vor ihnen – auch in sein Intervall gehüllt – ein Flash… ein Duplikat ihres Blitzes! Ein Flash, der nur zu dem zerstörten Ringraumer gehören konnte! Die beiden Männer in dem kleinen Raumfahrzeug schwiegen. Ganz leise liefen die Aggregate ihres Blitzes. Diese Geräusche störten sie nicht beim Nachdenken. Ren Dhark brach das Schweigen: »Ob wir hier zum erstenmal erfahren, wie die Mysterious ausgesehen haben, Dan?« Der Optimist in ihm kam wieder einmal zum Vorschein. »Erwarte nicht zuviel, Ren«, versuchte Riker den Freund zu warnen. »Wenn es sich um die Mysterious und ihr Aussehen handelte, sind wir noch immer enttäuscht worden.« Damit hatte er eine Tatsache erwähnt. Nirgendwo hatten Terraner bisher eine Abbildung entdeckt, die einen der Geheimnisvollen darstellte. »Wie kriegen wir das Ding nach oben?« Dhark lachte kurz auf. »Kein Problem. Wir verwenden Duststrahlen. Das kostet uns eine halbe Stunde Arbeit, und wenn die Röhre breit genug ist, unterfliegen wir den Flash, packen ihn auf den Rücken unseres Beibootes und tragen ihn nach oben. Nur fangen dann die Schwierigkeiten an: Kannst du mir verraten, wie wir an das Ding herankommen sollen, wenn es nicht daran denkt, sein Intervallfeld abzuschalten?« »Gedankensteuerung«, platzte Riker heraus, um sofort einzuschränken, »wenn im Flash noch genug Energiereserven sind, um sie einsetzen zu können.« Sie benötigten achtzehn Minuten, um mit Duststrahlen einen weiten Tunnel durch den Felsen bis zur Oberfläche zu bohren. Der Orkan half ihnen dabei, einen Teil der amorphen Staubmassen aus der Röhre zu schaffen. Dann lag das Beiboot des zerstörten Ringschiffs auf dem Rücken der 022. Langsam ging es zur Oberfläche hinauf. Der Orkan konnte den beiden kleinen Raumschiffen nichts anhaben. »Versuchst du es?« drängte Riker seinen Freund, als der andere Flash dicht neben dem ihren lag. Drei Infrarotscheinwerfer waren auf den Flash gerichtet, der aller Wahrscheinlichkeit nach rund tausend Jahre verborgen in kompaktem Fels gesteckt 68
hatte. Unwillkürlich mußte Ren Dhark an das gigantische Standbild denken, an das grandiose Denkmal für… ja, für wen eigentlich? Gewaltsam konzentrierte er sich auf die selbstgestellte Aufgabe. Er hatte seine Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als er sah, wie sturm- gepeitschte Staubmassen auf der Unitallhülle des fremden Flash einschlugen. Das Intervall um ihn herum bestand nicht mehr! Die Gedankensteuerung hatte nicht versagt. Gleich würden sie erfahren, was dieser Blitz, der gewiß nicht grundlos versteckt worden war, in seinem Innern bewahrte. Aber hier im Freien waren diese Untersuchungen unmöglich anzustellen. »Dan, wir schaffen den Flash in die POINT OF!« Wenige Augenblicke später glitt der >BeuteflashPartner< sein, aber vor allem war er Manu Tschobes Bewacher – und somit hatten die Befehle des Afrikaners momentan oberste Prorität. »Jimmy!« rief der Afrikaner die Robotkonstruktion. Brav kam der Scotchterrier herangetrottet. Tschobe lächelte triumphierend. »Damit wäre diese Angelegenheit wohl endlich geklärt«, sagte er an die Adresse von Jos. Der GSO-Mann war wütend. Allerdings in erster Linie auf sich selbst, daß er sich so leicht von Tschobe hatte übertölpeln lassen. Er erwog ganz kurz, den Afrikaner mit Waffengewalt aufzuhalten, entschied sich jedoch dagegen. Wenn die Sache schiefging, würde er sich eben vor Eylers verantworten müssen. Er nickte. »Na, Jimmy, dann wollen wir mal…« sagte Tschobe leise. Niemand hielt sie zurück, als sie den Transmitter-Raum betraten, ui dem Tim Acker spurlos verschwunden war. Würden auch sie darin auf Nimmerwiedersehen verschwinden? Echri Ezbal war nur selten in Alamo Gordo anzutreffen. In der Cyborg-Station im Brana-Tal fühlte er sich weit wohler. Im Augenblick saß er Henner Trawisheim gegenüber. Ezbal, der bedeutendste Genetiker und Biochemiker der Erde, hatte schon um 2000 einen guten Namen gehabt, doch von den meisten Kollegen war er wegen seiner ungewöhnlichen Versuche und unkonventionellen Denkansätze nicht ernst genommen worden. Für viele hatte er mehr als dreißig Jahre lang als verschollen gegolten; nur wenige hatten gewußt, daß er sich im Himalayagebiet aufgehalten hatte und in aller Weltabgeschiedenheit zum Virusforscher par excellence geworden war. Terra hatte diesem Mann den cybernetic organism zu verdanken. Im Brana-Tal war die größte und modernste medizinische Station aufgebaut worden, um diesen Cyborg zu entwickeln. Nachdem Holger Alsop, Bram Sass und Lati Oshuta ihre Feuertaufe bestanden hatten – ohne Sass und Oshuta wäre die Entführung von Dhark und Riker durch die Robonen wohl kaum so glimpflich abgelaufen –, hatten die Wissenschaftler im Himalaya grünes Licht erhalten. Alles schien normal zu verlaufen; jede neue Generation, die aus zwölf ausgesuchten Männern bestand, war gegenüber der letzten verbessert worden. Und noch immer schien kein Ende der Entwicklung absehbar. Und jetzt sollte es zu einer Panne gekommen sein! Einer rätselhaften, vom wissenschaftlichen Standpunkt aus unerklärlichen Panne, die es einfach nicht geben durfte! 82
Zwei Cyborgs aus der letzten Serie sollten entartet sein! Zwei Cyborgs, die alle Tests im Brana-Tal ohne Auffälligkeiten oder gar Beanstandungen durchlaufen hatten, sollten zu Verbrechern werden, wenn sie auf ihr zweites System schalteten. Zumindest war das die Kernaussage der Botschaft, die Bernd Eylers, dem Chef der Galaktischen Sicherheitsorganisation, zugespielt worden war! Bernd Eylers, der Mann mit dem Alltagsgesicht, das man so schnell wieder vergaß, saß am Fenster und hörte aufmerksam zu. Er wirkte keineswegs wie der Chef eines mächtigen Geheimdienstes, doch hinter seinem unscheinbaren Äußeren verbarg sich eine dynamische Persönlichkeit, die die GSO zu einem fast perfekten Instrument geformt hatte. Echri Ezbal wirkte müde. Seine blauen Augen schienen in die Ferne zu blicken, die Wände des Arbeitszimmers zu durchdringen. Aber dieser Eindruck täuschte. Er war höchst konzentriert. Auch Henner Trawisheim war als Cyborg auf geistiger Basis sein Produkt. Der einzige seiner Art! Ob es jemals einen zweiten Menschen mit diesen Fähigkeiten geben würde, stand in den Sternen. Bis heute hatte sich der greise Experte geweigert, das Verfahren mit einem weiteren Menschen durchzuführen, weil er erkannt hatte, welche unwägbaren Gefahren dadurch heraufbeschworen werden konnten. »Ezbal, sie müssen die beiden entarteten Cyborgs finden! Sie und Ihre Mitarbeiter! Nur Sie können es. Es muß doch einen Weg geben, sie aus der Serie herauszufischen.« Der Nachdruck in Trawisheims Stimme spiegelte den Ernst der Situation. »Sie haben den richtigen Ausdruck gewählt, Trawisheim: herausfischen! Das ist, als würde man mit verbundenen Augen nach einem bestimmten Gegenstand tasten. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Mein Kommen war umsonst. Ich hatte es Ihnen bereits über Vipho mitgeteilt: Wir verfügen über keine Methode, die Entarteten zu finden, solange wir nicht mehr exakte Anhaltspunkte haben.« Er sah zu Eylers hinüber, als erwarte er vom Chef der GSO Hilfe. Eylers, der links eine Unterarmprothese trug, obwohl er sich im Brana-Tal dieses verlorene Glied längst hätte nachwachsen lassen können, zuckte mit den Schultern. »Was wir in Erfahrung bringen konnten, Ezbal, haben wir Ihnen vorgelegt. Niemand kann sich erklären, warum diese beiden Entarteten sich gerade Manu Tschobe als Opfer ausgesucht haben. Wir wissen über das Leben der Männer aus der letzten Serie besser Bescheid als jeder von ihnen selbst. Wir haben ihre Vergangenheit mit einer Akribie überprüft wie bei kaum einem anderen Menschen zuvor. Wir haben jede noch so kleine Schwäche zusätzlich gesondert analysiert. Das Resultat all dieser Nachforschungen kennen Sie. Jeder einzelne von ihnen ist ein charakterfester, verantwortungsbewußter Mann, dem ich mein Leben anvertrauen würde. Aber, warum zum Teufel, können zwei davon zu den gefährlichsten Verbrechern werden, die die Menschheit jemals hervorgebracht hat, wenn sie auf ihr zweites System umschalten! Das muß sich doch herausfinden lassen, Ezbal! Der 83
Fehler muß im Brana-Tal begangen worden sein. Ich begreife nicht, warum Sie das nicht einsehen wollen -warum Sie sich gegen diese Tatsache immer noch sträuben!« »Beweisen Sie mir, daß Ihre Behauptung wirklich eine Tatsache ist, Eylers!« Echri Ezbal war über hundert Jahre alt, aber noch lange kein alter Mann. Sein Augen strahlten in jugendlichem Feuer, und sein gepflegter schneeweißer Bart war alles andere als ein Zeichen seines Alters. »Wir bewegen uns im Kreis…« erwiderte Eylers lustlos. »Nein, das tun wir nicht!« mischte Henner Trawisheim sich ein. »Ezbals Forderungen, daß Sie Ihre Behauptungen beweisen sollen, sind begründet. Daß er sich gegen die Unterstellung wehrt, den Fehler bei der Entwicklung begangen zu haben, ist logisch. Sie haben in Ihren Persönlichkeitsbewertungen der Männer aus der letzten Serie einen Unsicherheitsfaktor von 0,06 Prozent, beziehungsweise von 0,08 Prozent gefunden; bei allen! Ich kenne die Suprasensor-Auswertungen. Aber dürfen wir uns in diesem Fall absolut auf die Suprasensoren verlassen?« Eylers hob beide Hände; es war eine Geste, die Hilflosigkeit ausdrückte. »Der GSO soll wieder der schwarze Peter zugeschoben werden, aber wir können ihn nicht annehmen, Trawisheim. Wir haben alles getan, was wir tun konnten. Nun ist Ezbal am Zug.« »Nein, sondern immer noch Sie und Ihre GSO, Eylers. Sie haben über Kanäle, die uns anderen unbekannt geblieben sind, Informationen über zwei Cyborgs erhalten, die angeblich Manu Tschobe ermorden wollen. Was mir daran nicht gefällt, Eylers: Der verbrecherische Trieb, Tschobe umzubringen, kommt mir so entartet menschlich vor. Er hat Leben! Verstehen Sie mich! Er hat meinem Gefühl nach ganz und gar nichts mit der eiskalten Logik eines Programm-Gehirns zu tun; vielmehr mit einem menschlichen Gehirn, das so raffiniert ist, seine verbrecherischen Neigungen auch in den extremsten Tests zu verbergen.« Eylers setzte zu einer Erwiderung an, als das Vipho auf Trawisheims Schreibtisch sich meldete. Echri Ezbal und Bernd Eylers hörten mit. Die Hyperfunkstation in Cent Field empfing seit einigen Minuten auf einer normalerweise absolut ungebräuchlichen Frequenz einen Dauerruf in einer unbekannten Sprache. Trawisheim, Ezbal und Eylers lauschten der Wiedergabe. Die baßtiefen Laute einer unbekannten Sprache erklangen. Sie verstanden den Satz nicht, der immer wieder wiederholt wurde, aber sie verstanden seinen Sinn. Es war ein Hilferuf in höchster Not! Plötzlich war die Stimme eines Offiziers aus der Hyperfunkstation zu hören. »Wir haben den Ruf durch den größten Suprasensor laufen lassen. Resultat negativ. Diese Sprache ist noch nie aufgenommen worden.« »Aus welcher Richtung kommt der Ruf?« unterbrach Trawisheim den Offizier. 84
Der Gefragte räusperte sich verlegen. »Wir können es noch nicht sagen. Wir fangen ihn aus sieben verschiedenen Richtungen auf. Als ob sieben gigantische Sender, die quer über die GALAXIS verteilt sind, diesen Notruf synchron abstrahlten. Aber auch die genauen Koordinaten der sieben Stationen sind nicht zu erfassen… als ob sie sich im Hyperspace befänden und daraus sendeten. Wir haben so etwas noch nie beobachtet.« Der Vipho-Schirm wurde wieder grau. Die Verbindung bestand nicht mehr. Sofort kam Trawisheim zum Thema zurück. Der unbekannte Dauerruf schien ihn nicht weiter zu interessieren. »Eylers, ich schlage vor, alle Cyborgs der letzten Serie in Schutzhaft zu nehmen, und empfehle, den Männern zu sagen, warum sie von der GSO festgenommen werden.« Verärgert lachte der Chef der Galaktischen Sicherheitsorganisation auf. »Wie Sie wünschen, Trawisheim. Wie Sie wü…« Das Vipho unterbrach sie schon wieder. Eine wichtige Nachricht aus dem ColSystem, vom Planeten Hope. Pan-The, der Tibetaner, meldete lakonisch: »Manu Tschobe hat entgegen den Warnungen von Jos Aachten van Haag den Versuch von Tim Acker wiederholt. Zusammen mit dem Robot-Hund Jimmy ist er im Transmitter-Raum verschwunden. Die Experten haben von beiden ebensowenig eine Spur feststellen können wie vorher von Professor Acker.« Echri Ezbal konnte diese Nachricht nicht glauben. Er wollte sie nicht glauben. »Das sieht ihm ähnlich«, knurrte Bernd Eylers vom Fenster her. »Er mußte ja einmal auf die Nase fallen. Aber, großer Himmel, wenn Dhark davon hört…« Sie verstanden sich. Manu Tschobe gehörte zum engsten Kreis um den Commander. Dhark würde alles daran setzen, eine Spur des Afrikaners zu finden. »Hoffentlich taucht er so schnell nicht wieder auf…« Das war kein frommer Wunsch, den Eylers da geäußert hatte, aber Trawisheim und Ezbal konnten ihn verstehen. Mochte der Commander mit der POINT OF im Moment noch irgendwo in der Milchstraße unterwegs sein, mochte selbst Eylers wieder einmal nicht so genau wissen, wo zwischen den Sternen der Ringraumer sich befand – allen drei Männern in diesem Arbeitszimmer war das lieber, als daß der Commander sich auf die Suche nach Tschobe begab. »…denn Dhark steigt dann als Nächster in den Transmitter. Darauf wette ich meinen Kopf.« Niemand widersprach dem GSO-Chef. Im Industriedom von Deluge spielten sich zur gleichen Zeit Vorgänge ab, die außerhalb jeden Begreifens lagen. Die Experten in der unterirdischen Anlage der Mysterious hatten den Schock noch nicht ganz überwunden, daß Manu Tschobe ebenfalls im Transmitter-Raum ver85
schwunden war, als nun auch der Teil der Mammutaggregate zu arbeiten begann, der bisher immer noch stillgelegen hatte. Ein Brüllen, Heulen, Donnern und Tosen raste durch die Maschinenstraßen. Energiebänder von nie gesehener Stärke und unbeschreiblicher Leuchtkraft stellten Verbindungen von einem wolkenkratzergroßen Maschinensatz zum anderen her. Ein leichtes, dennoch deutlich zu spürendes Zittern lief durch den Unitallboden. Lichtquellen, die nicht zu erkennen waren, überlagerten auf weit gefächerten Bahnen das saphirblaue Leuchten und machten den Industriedom taghell. Eine Frage stand im Vordergrund: Wer hatte diese Maschinensätze eingeschaltet? Automatisch kamen mit dieser Frage wieder Manu Tschobe und Tim Acker ins Spiel. Hatten sie auf einer fernen Gegenstation die Schaltzentrale gefunden, von der aus dieses gewaltige Industriepotential gesteuert wurde? Oder wollten sie mit ihrem Vorgehen nur ein Zeichen geben, daß sie noch existierten? Welchen Zweck hatten die Energiebänder, die die einzelnen Aggregatsätze miteinander verbanden? In dreihundert Meter Höhe, in vierhundert, fünfhundert, achthundert Meter standen sie in der Luft und leuchteten – wie kompakte Straßen; aber die Straßen waren leer. Wissenschaftler beobachteten die Bänder, bis ihnen die Augen schmerzten. Niemand konnte das entdecken, wonach jeder suchte. Sie sahen kein einziges Produkt, das den brüllenden, donnernden und heulenden Maschinen entstammte. Alles wirkte wie ein gigantischer, technischer Spuk. Pan-The, der niemals zuvor Anzeichen von Nervosität gezeigt hatte, blieb fassungslos auf der A-Grav-Platte sitzen, mit der er hergeflogen war. Sein Blick kreuzte sich mit dem von Jos, aber der GSO-Mann konnte nur mit den Schultern zucken. Langsam ging er auf den Tibetaner zu und blieb wortlos vor ihm stehen. Immer wieder sahen alle die Straßenschluchten entlang. Jeder erwartete irgendeine Überraschung. Manch ängstlicher Blick galt den Energiebändern oder dem weit geöffneten doppelflügeligen Tor zum Transmitterraum. Der Raum war nicht mehr betreten worden, seit feststand, daß nun auch Tschobe und Jimmy verschwunden waren. Pan-The stand neben van Haag. Der Tibetaner machte dem GSO-Agenten keinen Vorwurf, Tschobes selbstmörderischen Versuch nicht nachdrücklicher unter- bunden zu haben. Als Fatalist fand er sich schnell mit den Tatsachen ab. Der peitschende Knall eines Energiebogens, der sich gerade neu gebildet hatte, löste Schreckensrufe aus. Knapp hundert Meter über dem Tor zum Transmitterraum stand eine energetische Bahn, die im ständigen Wechsel rot und blau pulsierte! Das Pulsieren war von einem bedrohlichen Rauschen begleitet, und die Bahn war nicht stabil, sondern sie schwang, mal stärker, mal schwächer, wie die Kurve eines Diagramms nach oben und unten aus. Allein ihre Längsrichtung blieb unverändert. 86
»Große Milchstraße…« Jos, dem man unbegreifliche Kaltblütigkeit nachsagte, hielt sich an Pan-The fest und deutete mit der freien Hand auf das Transmitter-Tor. Es schloß sich im Zeitlupentempo! Die Frequenz des Farbwechsels bei dem pulsierenden Energieband stieg; die Schwingungsweite nach oben und unten vergrößerte sich. Unwillkürlich hatten die Männer den Eindruck, in den nächsten Sekunden von dem pulsierenden, rauschenden Band getroffen zu werden. Die ersten wichen schon zurück, suchten ihre Rettung in der Flucht. Jos und der Tibetaner achteten kaum darauf. Die Transmitter-Antenne hielt ihren Blick gefesselt. Die Antenne strahlte nach innen. Die kreisrunde Räche fluoreszierte in einmaliger Intensität. »Halt! Stehenbleiben!« Jos’ Befehl kam zu spät. Einer der beiden Männer, die sich nach Rückfrage tatsächlich als Cyborgs entpuppt hatten, war losgespurtet und schaffte es gerade noch, durch die beiden sich langsam schließenden Flügeltore den Transmitterraum zu erreichen! Dann konnten die zurückgebliebenen Männer nur noch die blaue, für ihre Augen fugenlose Unitallwand anstarren. Ein dritter Mann – ein Cyborg – steckte im geschlossenen Transmitterraum. War er der dritte Selbstmörder? Pan-Thes Schlitzaugen waren ungewohnt rund. Er blickte starr nach oben. Die pulsierende, rauschende Energiebahn existierte nicht mehr. Als sich das Tor des Transmitterraums geschlossen hatte, war auch sie verschwunden. Das Vipho des Tibetaners sprach an. Die Funkzentrale des Höhlensystems verlangte ihn zu sprechen. Jos sah ihm über die Schulter; auf dem Bildschirm des kleinen Geräts erschien der Kopf eines jungen Mannes. Aber dann drehte Pan-The die Lautstärke seines Geräts zu weit herunter. Von der Nachricht war kein Wort zu verstehen. Daß sie wichtig war, stand außer Frage. Der junge Mann hatte nach der letzten Silbe schon wieder abgeschaltet. »Was kann denn da los sein?« fragte der GSO-Mann. Die Ingenieure und Techniker waren ratlos. Aus sieben verschiedenen Richtungen fingen sie einen sich immer wiederholenden Ruf in einer unbekannten Sprache auf. Es mußte ein Notruf sein. Aber wieso konnte er gleichzeitig von sieben Hyperfunk-Sendern abgestrahlt werden, die weit voneinander entfernt in der GALAXIS standen,? »Spielt denn heute unsere Funkortung total verrückt?« brüllte einer der Ingenieure und zeigte damit seine Ratlosigkeit. Den Technikern erging es nicht besser. »Die Instrumente spielen uns einen Streich nach dem anderen… Großer Himmel, eine Station muß demnach ja über 40.000 Lichtjahre entfernt stehen. Und die andere… verdammter Höllenspuk, über 52.000 Lichtjahre! Und mit welcher Energie die Sendungen hereinkommen! So stark wä87
ren ja noch nicht einmal alle Hyperfunk-Sender der POINT OF, wenn man sie zusammenschließen würde…« Männer standen vor den Oszillos und den Instrumenten, fuhren Prüfanlagen heran, machten Blitz-Kontrollen – aber keine einzige Kontrolle deutete auch nur an, daß eines der Geräte nicht einwandfrei arbeitete. Die sieben quer über die GALAXIS verstreuten Sender existierten! Alle sieben strahlten auf eine millionstel Sekunde genau zur gleichen Zeit denselben Notruf ab. Sieben Sender – und jeder mit einer Leistung, die alle Erfahrungswerte sprengte. Ein siebenfacher Notruf in unbekannter Sprache. Der Ruf wurde ununterbrochen durch den Hyperspace in das normale Raum-ZeitGefüge abgestrahlt. Er lief schon in der zehnten Minute, Norm-Zeit. Und dieser Notruf öffnete jeder Phantasie alle Türen und Tore! Wer rief da? Wer rief wen? Lebten zwischen den Sternen Wesen, die über eine Technik verfügten, der gegenüber auch die Wunderwerke der Mysterious verblaßten? »Wir müssen Cent Field anrufen«, bestimmte der Leitende Ingenieur, der immer verzweifelter wurde, je länger er die Resultate der Auswertungen studierte. »Cent Field muß die Rufe ja auch empfangen. Vielleicht wissen die mehr als wir.« Cent Field meldete sich. Cent Field bestätigte. Aber Cent Field war so ratlos wie die Männer im Höhlensystem von Deluge auf dem Planeten Hope. Die Besatzung der Funk-Z war informiert worden. Der Commander hatte die Männer über die Bordverständigung aus dem Bett geholt. Schlaftrunken waren sie hereingestürmt. Der schlaftrunkene Zustand verging ihnen, als sie einen Blick auf die Funkortung und Echokontrolle geworfen hatten. Sieben gigantische Hyperfunk-Sender in sieben weit voneinander entfernt liegenden Sektoren im galaktischen Bereich! Ein siebenfacher Notruf jagte durch die Milchstraße! Ein Schrei! Immer wieder dieselben Worte! Immer wieder nur dieser eine Satz! Und unverändert alle Meßwerte! Draußen raste der Hurrikan über den Planeten Mirac. Und dort draußen stand die im Bronzeton schimmernde Plastik eines Menschen ohne Kopf und Arme auf einem Sockel, der hohl war, und in dessen Hohlraum es die symbolhafte Darstellung einer SpiralGALAXIS gab. Mirac… Verdiente dieser Planet, der vor Äonen von den drei blauen Sonnen einmal eingefangen worden war, wirklich den Namen Wunderplanet? 88
Dan Riker fühlte, daß sein Freund mit seinen Gedanken ganz weit weg war. Prüfend musterte er ihn, sprach ihn aber nicht an.
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Neben Ren Dhark lag das Emblem, das sie in dem Flash gefunden hatten, der zu dem zerstörten Ringraumer gehören mußte. Mit seiner rechten Hand deckte Dhark es teilweise ab. Sein Blick schien die Unitallwände der POINT OF zu durchdringen. Sein Blick schien weiter zu reichen, als sich die GALAXIS mit ihren Abermilliarden Sternen erstreckte. Walt Brugg wollte eine Frage an den Commander richten, doch auf Rikers Handzeichen hin schwieg er. »Dan…« Während aus den Lautsprechern weiterhin ununterbrochen der Notruf erklang, wandte sich Ren Dhark unvermittelt an seinen Freund. »Dan… hast du diese Sprache wirklich noch nie gehört?« Träumte er? Dan Riker schüttelte den Kopf. Er weiß es nicht mehr, dachte Dhark, aber vielleicht erinnert sich jemand anders daran. Drei Schritte waren es bis zur Bordverständigung. Mit seinem Anruf riß er Arc Doorn aus dem Schlaf. »Ich komme«, hörte man den Sibirier unfreundlich und verschlafen brummen. Doorn blinzelte wegen der Helligkeit, als er die Funk-Z betrat. Und dann erstarrte er mitten im Schritt. Fassungsloses Staunen stand in seinen weit aufgerissenen Augen. »Dhark…« Seine Lippen flüsterten diesen Namen, aber er sah den Commander nicht an. »Dhark…« Bei seinem Eintritt hatten die anderen sich unwillkürlich umgedreht. Sie alle wurden Zeuge, wie erschüttert der bullige, untersetzte Mann war. Doch woran erinnerte er sich? Und der Commander benahm sich genauso eigenartig. Es schien, als habe ihm Doorn schon alles gesagt. Wieso konnte Ren Dhark sonst diesem Mann verstehend zunicken? »Ja!« Es klang rauh und heiser. Und noch einmal. »Ja!« Noch immer kam der Notruf in steter Folge herein. Unverändert. Abgestrahlt von sieben Stationen. »Sieben Symbole!« sagte Ren Dhark plötzlich halblaut. Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Dan Riker zusammen. Nur er. Für alle anderen, mit Ausnahme von Dhark und Doorn, konnten diese beiden Worte nichts bedeuten. Sie waren damals im Höhlensystem auf dem Planeten Hope nicht vor Roccos Rollkommandos geflohen! Sie hatten jene sieben Symbole nie zu Gesicht bekommen. Aber er und Ren und Arc Doorn! Glenn Morris konnte die Spannung und Ungewißheit nicht länger ertragen. »Sieben Symbole? Was haben Sie damit gemeint, Commander?« Seine Frage brachte die drei Männer in die Wirklichkeit zurück, aber noch wurde 90
Morris’ Wissensdurst nicht befriedigt. »Dan, erinnerst du dich jetzt?« fragte Dhark seinen Freund eindringlich. »Ja… ja, Ren! Ich erinnere mich. Damals, als Doorn mit dem kleinen GigantSender experimentierte, den Amer Wilkins zwischen dem Höhleneingang und der toten Stadt gefunden hatte. Einmal kam doch ein Ruf aus Raumtiefen zu uns. Eine beschwörende, baßtiefe Männerstimme, die uns in unbekannter Sprache wohl warnen wollte. Großer Gott, wie konnte ich das vergessen! Was wir jetzt hören… das sind doch Worte der gleichen Sprache. Das sind doch…« Die Überraschung angesichts dieser Erkenntnis verschloß ihm den Mund. »Ja«, sagte Ren Dhark und nickte, »wir hören jetzt einen siebenfachen Hilferuf der Mysterious. Sie leben also doch noch! Oder…« Elis Yogan hörte Dharks Worte – und sah gleichzeitig eine neue Anzeige auf seinem Instrumentenpult. Die Behauptung des Commanders, die Mysterious könnten doch noch existieren und sie empfingen gerade einen Notruf dieser Wesen, hätte ihn unter normalen Umständen sprachlos gemacht; aber jetzt hatte er etwas bemerkt, das einen noch stärkeren Eindruck auf ihn machte als Dharks Aussage. »Wir senden ja auch! Wir senden – aber mit welchem Sender bloß?« Er schrie regelrecht. Er deutete auf das Drei-Zwei-Gerät, Über dessen Funktion und Wirkungsweise niemand an Bord Bescheid wußte. Zwei Skalen des Drei-Zwei-Gerätes standen im Grün-Bereich! Die anderen drei, die fingerbreit darunter zu sehen waren, wiesen Blau aus. Aber Grün und Blau paßten nicht zusammen. Sie waren ein Widerspruch in sich. Grün bedeutete Sendung mit einem Hyperfunkgerät! Blau hieß, daß die Anlage abgeschaltet war! Und in der POINT OF waren alle Sender abgeschaltet. Nur die NormalfunkEmpfänger liefen. Sie hielten Kontakt mit den Gruppen, die sich um die Erforschung der Austerndach-Städte und der Plastik bemühten. »Das muß doch herauszukriegen sein!« behauptete Dan Riker, nachdem sie sich alle davon überzeugt hatten, daß Yogan keiner Fata Morgana zum Opfer gefallen war. Von der POINT OF ging eine Sendung aus. Daran konnte kein Zweifel bestehen! Aber wo im Schiff befand sich der Sender? Seine Lage war nicht zu lokalisieren! Ren Dhark erinnerte sich, was die Utaren auf Esmaladan zu Major Neep gesagt hatten: »Kennt ihr wirklich das Schiff, das ihr POINT OF nennt?« Wurde ihnen jetzt der Beweis erbracht, daß sie ein Raumschiff flogen, das nach wie vor Rätsel in sich barg? Die drei erfahrenen Funkspezialisten begannen zu schwitzen. 91
Die Ortungen des Ringraumers wurden strapaziert, aber sie gaben nicht preis, wo im Schiff der Sender stand. Über Normalfunk rief Dhark die Funkstelle einer der Forschungsgruppen an. »Versuchen Sie eine Peilung. Unser Schiff sendet, aber wir haben keine Ahnung, in welchem Teil der POINT OF der Sender steht. Wir wissen auch nicht, auf welcher Hyperfrequenz die Sendung erfolgt. Wir erwarten Ihren Rückruf!« Der kam nach wenigen Minuten. »Commander, wir haben den gesamten Hyperfrequenzbereich abgetastet. Von der POINT OF geht keine Sendung aus.« Elis Yogan stöhnte: »Das ist genauso verrückt wie die Angaben dieses Drei-ZweiGerätes!« »Vielleicht narrt es uns…« Dan Riker unterbrach sich, als er bemerkte, daß Arc Doorn verschwinden wollte. »Wohin, Doorn?« rief er ihm nach. »Zum Störsender.« Der war auch eins der vielen Rätsel im Schiff. Weitab von der Funk-Z, auf einem anderen Deck und nahe einer der vier Schleusen, stand der Störsender, der einwandfrei ein separates Dasein führte und niemals preisgegeben hatte, warum die Erbauer des Ringschiffes ihm diesen abgelegenen Platz gegeben hatten. Doorn kam wieder zurück. »Das Ding ist abgeschaltet. Daher kommt die Sendung also auch nicht.« »Weiter forschen!« ordnete Dhark an. »Ach so«, sagte er dann, als er Glenn Morris’ fragenden Blick sah. »Sie wollten wissen, was es mit den Sieben Symbolen auf sich hat?« Mit wenigen Sätzen gab er seine Erklärung ab. »…und dann stießen wir während unserer Flucht auf sieben Symbole. Wir fanden sie auch noch an anderen Stellen. Aber nicht mehr in der POINT OF. Nur in den Höhlen, in denen zum Teil zu Staub verfallene Maschinen standen. Wir entdeckten auch das Emblem einer GALAXIS als rotierendes Etwas unter einer Höhlendecke. Das alles existiert nicht mehr. Dieser Teil der Höhlen von Deluge wurde mitsamt der toten Stadt durch eine unverantwortliche Sprengung vernichtet. Ja, und dann haben Riker und ich dieses Emblem in dem Flash gefunden, der aller Wahrscheinlichkeit nach zu dem zerstörten Ringraumer dort draußen gehört.« Er packte das Emblem an einem der nicht besonders stark ausgearbeiteten Spiralarme und hob es hoch, achtete dabei nicht darauf, daß er irgendwo anstieß; er wurde erst aufmerksam, als ein metallischer heller Klang ertönte und ein Stoß durch seine Hand ging. Er kam nicht dazu, darüber einen Gedanken zu verlieren. In der Funk-Z war es schlagartig still geworden. Der Notruf einer unbekannten Rasse, zeitgleich von sieben weit auseinander liegenden Hyperfunk-Sendern abgestrahlt, war nicht mehr zu hören. Das Drei-Zwei-Gerät warf keine Werte mehr aus. Mitten in einem Wort war der Ruf verstummt. 92
»Dauer des Rufs: achtunddreißig Minuten!« stellte Walt Brugg fest; seine Stimme klang so unbewegt, als ob ihn der ganze Vorfall nicht im geringsten berührt habe. Ren Dhark rieb sich das Kinn; in der anderen Hand hielt er seinen Fund, mit dem er nicht viel anfangen konnte. »Junge, Junge«, sagte er zu Dan, »heute hat man uns mal wieder allerhand zugemutet.« »Mir reicht’s«, knurrte Dan Riker, dem man ansah, wie müde er war. Er drehte sich um, als das Schott der Funk-Z aufsprang. Und erstarrte! Er sah Gespenster die Funk-Z betreten! Grinsende Gespenster! Gespenster, die gar nicht wie Gespenster aussahen. Er war nicht der einzige, der vor ihnen zurückwich; auch die anderen, Ren Dhark, Arc Doorn, Walt Brugg, Glenn Morris, Elis Yogan und die beiden Sergeanten, sie alle traten einen Schritt zurück. Und die Gespenster kamen unaufhaltsam auf sie zu!
9. Manu Tschobe war es im Transmitter-Raum nicht anders ergangen als Professor Tim Acker. Er hatte die Roboter aus der Antenne heraussteigen sehen, und er hatte sich über Jimmy gewundert, der keine Notiz von ihnen genommen hatte. Auch dann nicht, als einer der vier Roboter auf sie zugekommen war und Jimmy gepackt und in Richtung der Ringantenne geschleudert hatte. Der Robot-Hund hatte sich nicht gewehrt, und Manu Tschobe hatte sich nicht wehren können, weil er gegen die Metallglieder der Maschine hilflos wie ein kleines Kind gewesen war. Aus! hatte er gedacht, als auch er auf die freie Kreisfläche zugeflogen war, die vom grauen Ring der Antenne begrenzt wurde. »Au! Verdammt noch mal!« schrie er, als er zu Boden krachte. Im ersten Moment glaubte er, sich alle Knochen gebrochen zu haben. Er befand sich ja noch immer im Großtransmitter-Raum! Vor der Antenne! Neben Jimmy! Und dieser Köter blinzelte ihn an, als wolle er sagen: Na, tun dir auch alle Knochen weh? »So was«, knurrte der Afrikaner und richtete sich auf. Jede Bewegung schmerzte. Er war ziemlich unglücklich gefallen. Besonders seine linke Kniescheibe hatte einiges abbekommen. Aber wo waren dann die vier Roboter? Tschobe stand mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und drehte sich langsam um die eigene Achse; dabei kniff er seine dunklen Augen immer stärker zusammen. Allmählich dämmerte ihm die Erkenntnis, daß er sich doch in einem anderen Transmitter-Raum befand. 93
Er war kleiner und nicht so hoch wie der Raum im Höhlensystem, ^amtliche Unitallwände waren geschlossen, nicht eine einzige Energiebahn war zu sehen. »Du Blindgänger«, knurrte er, als Jimmy ihn anstieß. In der nächsten Sekunde gab er sich selbst das Versprechen, so etwas so schnell nicht wieder zu sagen. Aus dem Stand war Jimmy in die kreisrunde Leerfläche der fluoreszierenden Antenne gesprungen und verschwunden. Manu Tschobe war das Schimpfen vergangen. Ohne den Robot-Hund fühlte er sich verloren. Das Brikett auf vier Beinen mochte zwar nur eine technische Spielerei des dicken Chris Shanton sein, in dieser Lage war es aber so etwas wie ein verläßlicher Freund. »Soll ich?« fragte er sich laut. Sein Bedarf, fremde Transmitter-Anlagen zu benutzen, war eigentlich schon gedeckt. Und es behagte ihm nicht, Jimmy einfach zu folgen. Der Scotchterrier kam ohne Atemluft, Wasser und Essen aus; er war funktionsfähig, solange sein kleiner Konverter Energie lieferte. Doch er – Manu Tschobe -konnte sich leicht an fünf Fingern abzählen, was ihm geschah, wenn die dritte oder vierte Anlage sich in einem luftleeren Raum befand. »Soll ich auch…?« fragte er sich abermals. Und dann ertappte er sich dabei, wie leicht er Versprechen brechen konnte. »Du Miststück.« Das kam aus vollem Herzen. Er folgte dem Miststück! Diesmal kam er nicht zu Fall. Er war wiederum an einem anderen Platz angekommen. Und er brach in schallendes Gelächter aus, als ihm klar wurde, was er gerade gefragt worden war: »Haben Sie wenigstens was Anständiges zu essen bei sich, Tschobe?« Ziemlich giftig fuhr Professor Acker fort: »Ihr ordinäres Lachen können Sie sich sparen; das wird Ihnen schnell vergehen.« Der Raum war kahl und leer – bis auf die Antenne – und dabei so groß wie vier Fußballfelder zusammen und so hoch wie ein Dom. Und eine Antennen- konstruktion dieser Ausmaße hatte Tschobe auch noch nie zuvor gesehen. Beruhigt stellte er fest, daß es warm war; die Luft schien stark mit Ozon angereichert. Das Licht aus Wänden und Decken war angenehm; weniger beruhigend empfand er, daß alle Unitallwände eine geschlossene, fugenlose Einheit bildeten. Einen anderen Mann als Manu Tschobe hätte es vielleicht nervös gemacht, Professor Tim Acker mitten in einem Schrotthaufen sitzen zu sehen. Die Geräte, die er im Großtransmitter-Raum von Deluge sorgfältig aufgestellt hatte, sahen reichlich demoliert aus. Tim Acker auch. Er hatte Schürfwunden an den Händen und eine Platzwunde am Kopf. Und er hatte Hunger. Verächtlich deutete der Wissenschaftler auf Tschobes Spezial-Vipho. »Das Ding können Sie wegschmeißen. Auch wenn seine Reichweite über hundert Lichtjahre 94
beträgt! Sie bekommen damit keinen Empfang herein… Sagen Sie mal, Sie sind doch wohl nicht so närrisch gewesen, mich zu suchen?« Tschobe konnte ihn beruhigen. Acker nickte zufrieden, als er hörte, daß der Afrikaner auch von einem Roboter wie ein Paket in die Transmitter-Antenne geschleudert worden war. »Gemeinsames Pech verbindet, Tschobe!« »Sie haben einen verdrehten Humor, Acker. Ich…« »Da kommen sie. Jetzt sind Sie dran! Lügen Sie unter keinen Umständen, Tschobe. Hier hilft nur eins: die volle Wahrheit sagen, sonst werden Sie von den Blech- kameraden psychisch auseinandergenommen.« Mehr konnte Tim Acker seinem Leidensgefährten nicht mit auf den Weg geben. Zwei Roboter nahmen die Neuzugänge in Empfang; Jimmy rührte kein Glied, wahrscheinlich konnte er es so wenig wie Tschobe. Der glaubte zwischen zwei Schraubstöcken zu stecken. Ein schwebender zylinderförmiger Roboter trug ihn auf eine der Unitallwände zu, die sich erst kurz vor ihnen wie eine Blende öffnete und einen Einlaß von knapp drei Metern Durchmesser freigab. Er konnte noch einmal zurückblicken und sah den Professor, der auf einem demolierten Gerät hockte und ihm zunickte. Der Schwebeflug dauerte ein paar Sekunden, dann hatten sie anscheinend ihr Ziel erreicht. Tschobe sah abermals eine gewaltige Halle, deren Decke leicht nach außen gewölbt war. Sie schien transparent zu sein und das Leuchten einer rötlichen Lichtquelle hereinzulassen. Doch der Afrikaner konnte nur einen Augenblick nach oben blicken. Dann drehte sich sein Roboter, und Tschobe betrachtete den Boden, in dem sich lange Reihen unterschiedlich geformter Vertiefungen befanden. Die Maschine mit Jimmy schwebte schon weit links und senkte sich langsam zu Boden. Tschobe überflog die Hälfte der großen Halle und bemerkte, als sein Träger langsam tiefer sank, daß sie sich einer Vertiefung näherten, in die sein Körper hineinpaßte. Der Roboter stand. Tschobe wurde herumgeschwenkt, hing kurz zwischen zwei metallenen Pranken mit dem Rücken zum Boden in der Luft und wurde dann in die Vertiefung gedrückt. Er hörte weder ein Klicken noch verspürte er Druck, doch als er einen Arm bewegen wollte, konnte er es nicht mehr. Unsichtbare Kräfte hielten seinen Körper umfaßt und ließen ihm nicht mehr den geringsten Spielraum. Der Roboter schwebte davon. Nicht einmal ein leises Summen war zu hören. Da erst wurde Tschobe bewußt, wie still es in der großen Halle war. Das Licht, das durch die transparente Decke fiel, wurde heller. Der rötliche Schimmer verschwand mehr und mehr. Ich kann meine Augen nicht mehr bewegen, stellte Manu Tschobe mit der wissen95
schaftlichen Neugier des forschenden Arztes fest. Dann war er nicht einmal mehr in der Lage, eigene Gedanken zu entwickeln. Etwas Fremdartiges begann, seine Sinne zu beherrschen. Er gab dem Drängen von außen einfach nach. Er hatte vergessen, daß er Manu Tschobe war, dachte weder an Professor Acker noch an Jimmy. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Er war zum Nichts geworden. Verriet er etwas? Er hätte in diesem unbeschreiblichen Zustand alles verraten – auch sich selbst. Und er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Daß er allein war, was spielte es für eine Rolle? Licht! Dunkelheit! Farben! Schatten! Wärme, dann Kälte. Traf ihn ein Luftstoß? Dachte er etwas? Fühlte er etwas? Gab es tatsächlich Licht um ihn her? Oder Dunkelheit? Sah er Farben? Und waren die Schatten wirklich Schatten? Er war immer noch ein Nichts; er war nicht mehr er selbst. Was floß aus ihm heraus? Was floß in ihn hinein? Übergangslos der Wechsel von einem Zustand zum anderen. Er war wieder Herr seiner Gedanken, aber die Gedanken waren noch nicht seine eigenen. Sie wurden von außen her in ihn hineingetragen. Er sah Ren Dhark, so, wie er ihn immer gesehen hatte; er sah ihn mit seinen Augen. Und er sah Dan Riker, Miles Congollon, Ralf Larsen, den CAL, einen Nogk, einen G’Loorn, ein paar Utaren und Rateka, den Singu. Er sah sich! In seinen Gedanken entstanden alle diese Bilder. Gedankenkontrolle! Wahrheitsprüfung! Wie Blitze zuckten diese Erkenntnisse durch seine Gehirnwindungen. Doch auch diese Erkenntnisse kamen nicht aus ihm, sondern von außen! Letzte Wahrheitsprüfung… Es war eine Ankündigung und eine Drohung zugleich. Plötzlich bäumte er sich auf, als er sich abermals sah. Nein, so war er nicht. Niemals so ehrgeizlos! Nicht so bescheiden! Nicht so selbstlos. Das Egoistische fehlte. Der Hochmut! Seine Arroganz, die er immer zu verstecken versuchte. Er schrie, weil er sich selbst so verlogen gezeichnet hatte. Er hatte diesen Abschnitt der letzten Wahrheitsprüfung nicht bestanden! Er verbesserte sein Bild. Er zeichnete es wahr. Und erneut sah er sich, aber diesmal mußte er nicht schreien; diesmal hatte er an sich nichts zu verbessern, wenngleich er längst nicht so gut aussah wie eben. Dann war er wieder er selbst – der Terraner Manu Tschobe, Arzt und Funkspezialist. 96
Er lag noch immer unbeweglich in der Vertiefung, in die sein Körper so genau hineinpaßte. Er konnte nach wie vor kein Glied rühren. Aber denken. Und er begriff jetzt, was Professor Tim Acker gemeint hatte, als er ihm den Rat gegeben hatte, die volle Wahrheit zu sagen, sonst würden ihn die Blechkameraden psychisch auseinandernehmen! Acker hatte nicht zuviel versprochen. Tschobe war psychisch auseinander- genommen worden, als er ein geschöntes Bild von sich gezeichnet hatte. Und das sollten diese Roboter vollbracht haben, diese seelenlosen Konstruktionen? Eine neue Überraschung wartete auf ihn. Er konnte sich erheben. Weit und breit war kein Roboter zu sehen, nur diese gewaltige Halle mit ihren Tausenden von Vertiefungen in allen nur erdenklichen Formen. Als Manu Tschobe wieder stand, wurde ihm schlagartig bewußt, daß er sein gesamtes Wissen preisgegeben hatte. Er hatte alles und jeden verraten! Auch die Rätsel, die ihnen die Mysterious, die Giants, die Nogk und die anderen Rassen bis heute aufgegeben hatten. Er hatte Terra verraten, die galaktische Position des Sol-Systems, die Geheimnisse auf dem Inselkontinent Deluge, die Schwäche der Terranischen Flotte. Er hatte Ren Dhark verraten, hatte preisgegeben, daß er ein Schiff flog, das die Mysterious vor rund tausend Jahren auf Hope fast fertiggestellt hatten. Manu Tschobe schluckte. Er sah sich als Verräter, aber er konnte seinen Verrat nicht verstehen. Bewußt hatte er ihn nicht geübt. Entschuldigte das nicht alles? Prüfend blickte er an sich herunter. Er wollte sich davon überzeugen, ob er tatsächlich existent war. Dann tastete er sich zusätzlich noch ab. Er war vorhanden! Er war nach wie vor ein Mensch aus Fleisch und Blut – aber wieso fürchtete er sich dann nicht vor dem, was die Zukunft für ihn bereithielt? Die Roboter waren doch die reinsten Schreckenskonstruktionen, ihr Verhalten bar jeder Menschlichkeit! Dennoch flößten sie ihm keine Furcht ein. Tschobe bückte sich und untersuchte die Vertiefung, in der er gelegen hatte. Er untersuchte sie mit der Ruhe eines Wissenschaftlers, der gewohnt war, auch auf die kleinste Kleinigkeit zu achten. Die Vertiefung war glatt, ohne jede Bearbeitungsspur, und sie zeigte nichts weiter als geschwungene und gewölbte Flächen. Kein Loch, keinen Kontakt – nicht die geringste Spur, die auf eine versteckte, technische Anlage hinwies. Hastig legte er den Kopf in den Nacken und blickte zur transparenten Decke empor. Rötliches Licht drang hindurch… Hatte dieses Licht nicht zeitweilig in einem anderen Farbton geleuchtet? Hilflos zuckte er die Schultern. Er mußte an Tim Acker denken, den Professor mit dem gesegneten Appetit. Hatte der Wissenschaftler das gleiche durchstehen müs97
sen wie er – und war er genauso zum Verräter geworden? Tschobe sah sich um. Dieser gewaltige Raum, diente er einzig und allein dem Zweck, fremde Wesen ihres gesamten Wissens zu berauben? Und was wurde mit dem erbeuteten Wissen gemacht? Wer stand hinter dieser teuflischen Maschine? Die Grakos…? Manu Tschobe kannte natürlich Major Neeps Bericht. Er wußte, wie die Utaren die Mysterious nannten, und welchen Haß sie den ehemaligen Unterdrückern der GALAXIS entgegenbrachten. Die Grakos, die Geißel der GALAXIS! Unwillkürlich setzte Tschobe sie mit den Mysterious gleich – aber im nächsten Moment sagte ihm sein Gefühl, daß das nicht sein konnte. Die Mysterious konnten einfach nicht mit den Grakos identisch sein. Ohne es bewußt wahrzunehmen, hatte er sich langsam in Bewegung gesetzt. Er ging an den langen Reihen der Vertiefungen vorbei und auf jene Ecke zu, an der er den Roboter mit Jimmy hatte zu Boden gehen sehen. Jimmy lag in einer Vertiefung, die für seinen Körper paßte. Der Robothund war weder abgeschaltet noch auf Stand-by. Er war zwar anscheinend nicht in der Lage, eines seiner Beine oder den Kopf zu bewegen, doch seine Augen standen nicht still. Tschobe betrachtete sich alles ganz genau. Aber es gab nichts zu sehen, bis auf das, was er bereits auf den ersten Blick gesehen hatte. Die Untersuchungsmethoden der Roboter und ihrer Erbauer wurden ebenso sorgsam verborgen wie die Technik, mit der diese Untersuchungen durchgeführt wurden. War Jimmy für die Unbekannten ein Problem? Sie waren doch wohl in der Lage, zu erkennen, daß der vermeintliche Scotchterrier kein Wesen aus Fleisch und Blut war? Tschobes Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt. Plötzlich schnellte Jimmy hoch, landete weich wie ein Hund neben dem Afrikaner und schmiegte sich an ihn. Tschobe wollte ihn streicheln, doch das Brikett auf vier Beinen ließ ihm keine Zeit dazu. Es drängte sich gegen seinen linken Fuß, versuchte ihn vorzuschieben und zwang ihn damit, in eine andere Richtung zu blicken. Ein Mann kam auf ihn zu! Er – Manu Tschobe! Und neben dem Mann lief – Jimmy! Kaltes Entsetzen packte den Afrikaner. Plötzlich quälte ihn die Angst, im Transmitter-Raum gar nicht mit Professor Acker, sondern mit seinem Double gesprochen zu haben! Einem Double, das von einem echten Menschen nicht zu unterscheiden war! »Jimmy!« flüsterte Tschobe. Er wollte den Hund streicheln, zog jedoch, kaum daß 98
er das synthetische Fell berührt hatte, seine Hand hastig zurück. Eine verrückte Frage war ihm durch den Kopf geschossen. Eine Frage, die er sich stellen mußte. Schließlich sah er sich selbst näherkommen! Und er konnte nicht sagen, daß sein zweites Ich unecht war! War er also wirklich der echte Manu Tschobe? Konnte nicht ebensogut der andere Manu Tschobe der echte sein? Wie ein Blitz durchzuckte ihn die Erinnerung daran, daß er sich vorhin abgetastet hatte, um den Beweis zu erhalten, existent zu sein! Hatte er nicht schon mit diesem Versuch an seinem eigenen Ich gezweifelt? »Tschobe, man erwartet Sie. Sie und Jimmy.« Sein zweites Ich hatte zu ihm gesprochen. Unverkennbar mit seiner Stimme, echt bis auf die winzigste Kleinigkeit. Jede Bewegung, jedes Muskelzucken stimmte. Manu Tschobe war kein Schwächling. Er schlug blitzschnell einen sauberen trockenen Haken. Und er traf sein zweites Ich mit voller Kraft. Als er wieder zu sich kam, kniete Tim Acker neben ihm und sah ihn besorgt an. Manu Tschobe glaubte, unter seinem Schädeldach würden ein paar tausend Hornissen herumsurren. So miserabel wie in diesem Moment hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Tim Acker atmete erlöst auf. »Na, endlich, Tschobe; mußten Sie denn so hart zuschlagen?« »Schlagen…? Zuschlagen?« Dunkel begann der Afrikaner, sich zu erinnern, daß er sein zweites Ich hatte niederschlagen wollen. »Ja, Sie haben sich genauso dämlich angestellt wie ich, Tschobe. Nur besitze ich nicht Ihre Bärenkräfte. Deshalb habe ich mir nur wehgetan und konnte feststellen, daß es einen zweiten Tim Acker nie gegeben hat, weil er sich auflöste. Aber ich möchte zu gern wissen, wie man Ihnen und mir diese Duplikate so wirklichkeitsecht präsentieren konnte.« Tim Acker redete zuviel. Tschobe konnte ihm kaum folgen. Und das Sprechen fiel ihm schwer. Sein Kinn schmerzte. »Hier!« Acker hielt ihm eine Plastikflasche an die Lippen. »Trinken sie einen Schluck. Viel ist nicht mehr drin.« Wie Feuer rann der Whisky die Kehle hinunter, aber das Getränk tat Manu Tschobe gut. »Wo ist Jimmy?« fragte er, als er sich mit Ackers Hilfe aufrichtete. »Durch den Transmitter auf und davon. Vor zehn Minuten.« Tschobe unterdrückte eine Verwünschung. Sein finsteres Gesicht verriet seine Gedanken. »Ich habe nur darauf gewartet, daß sie aufwachen würden, Tschobe. Ich verschwinde ebenfalls von hier. Haben Sie Lust, zu verdursten oder zu verhungern? Seit ich mich hier aufhalte, hat man mir weder zu essen noch zu trinken angeboten.« 99
Manu Tschobe begann sich zu wundern, wie dieser Mann an seine Doktortitel gekommen war. Der wurde doch von nichts anderem als seiner Freßsucht beherrscht. »Und wenn Sie im freien Raum ankommen, Acker?« Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. »Die Roboter, die uns in der Höhle in den Transmitter geworfen haben, sind über diesen Weg gekommen. Warum sollten wir nicht versuchen, den gleichen Weg zu benutzen?« Tschobe starrte die gewaltige Antenne an. »Ich verstehe das alles nicht, Acker. Bestimmt übersehen wir irgend etwas Wichtiges. Wozu hat man diese Transmitter-Verbindung geschaffen? Wo sind die Wesen, die sie benutzen? Wo die Waren, die damit befördert werden? Wo bleiben die Erzeugnisse aus dem Industriedom?« Ackers Kichern unterbrach ihn. »Haben Sie immer noch nicht begriffen, daß der Großtransmitter im Industriedom einer von ein paar hundert sein muß? Einen haben wir bisher entdeckt und uns auf diese Entdeckung so viel eingebildet, daß wir es einfach versäumt haben weiterzusuchen. Ich will Ihnen einmal sagen, was ich vermute, Tschobe, auch wenn das in Ihren Ohren vielleicht phantastisch klingen mag: Wir haben es hier mit einem Transmittersystem zu tun, das weite Teile der GALAXIS umfaßt. Irgendwo gibt es eine Zentrale, in der alles zusammenläuft. Von dort aus wird das ganze System – abgesehen von automatisch arbeitenden Knotenpunkten – gesteuert. Wir befinden uns auf einem dieser Knotenpunkte. Die Roboter haben wahrscheinlich nur die Aufgabe, die gelegentlich erforderlichen Reparaturen durchzuführen. Und wer Anlagen dieser Größenordnung bauen kann, mein Lieber – glauben Sie, der käme so leicht hinter’m Ofen hervor? Der bleibt da hocken, wo es schön warm und gemütlich ist. Der hat’s doch gar nicht mehr nötig, sich weit herauszuwagen.« »Das ist mir ein bißchen zu unwahrscheinlich, Acker!« wandte Manu Tschobe ein. »Ach ja? Auch daß Sie und ich alles verraten haben? Ist das immer noch unwahrscheinlich – oder die bittere Wahrheit?« ereiferte sich Acker. »Stellen Sie sich einmal vor, unser gesamtes Wissen wäre inzwischen ausgewertet und wir unfreiwillig zu den Totengräbern unserer Rasse geworden. Es könnte doch sein, daß die anderen sich sagen: Der Happen kommt uns gerade recht, den schlucken wir gleich einmal.« Tschobe brauste auf. Ackers Schwarzmalerei war ihm zuwider. »Das sind ja kindische Vorstellungen…« »Tschobe!« Acker blickte ihn durchdringend an. »Haben Sie vergessen, was Sie selbst in Sachen Giant-Forschung alles postuliert und zum Teil auch bewiesen haben?« Tschobe holte tief Luft. »Okay«, gab er schließlich klein bei, »ich bin einverstanden, daß wir so schnell wie möglich verschwinden. Hoffentlich kommen wir nicht vom Regen in die Traufe.« Er nahm die Zigarettenpackung aus der Tasche und schob sich eine Zigarette zwi100
schen die Lippen. Aber sie schmeckte ihm nicht. Nach ein paar Zügen warf er sie achtlos zu Boden und vergaß, sie auszutreten. Eine Minute später hatten die beiden Männer den Raum durch die TransmitterAntenne verlassen. Etwas zu früh… Der Cyborg, der sich im Großtransmitter-Raum im Höhlensystem hatte einschließen lassen, trat durch die Antenne heraus. Er sah die demolierten Geräte, die einmal zu Tim Ackers Ausrüstung gehört hatten. Eine der Kameras nahm er an sich. Dann sah er die langsam verglimmende Zigarette am Boden. Er trat sie aus, sah sich noch einmal um und schritt wieder durch die Antenne. So gering die Wahrscheinlichkeit prinzipiell auch sein mochte – er hatte Glück. Der Rückweg war klar. Nach abermaligem Umsteigen befand er sich wieder an seinem Ausgangspunkt, und mit Genugtuung beobachtete er, wie sich kurz nach seiner Ankunft das doppelflügelige Portal des Großtransmitter-Raumes wieder öffnete. Langsam setzte er sich in Bewegung. Die Zigarette, die er gefunden hatte, hielt er wie einen Schatz in der Hand. In der anderen trug er Tim Ackers Kamera. Zehn Minuten später lief das Videoband! Die Menschen sahen zum erstenmal Roboter aus dem Transmitter kommen; sie sahen aber auch, auf welchen Wegen die Erzeugnisse des Industriedoms verschwanden. Und dann wurde Tim Ackers Verschwinden verständlich. »Stop! Zurücklaufen lassen. Alles noch einmal!« gellte ein Ruf aus der Menge. Proteste wurden laut, aber der Rufer beharrte auf seiner Forderung. »Ich glaube… ich denke… Ach, alles noch einmal. Die letzten drei, vier Minuten!« Der Mann war so aufgeregt, daß er kaum einen zusammenhängenden Satz sagen konnte. »Stop! Da… Da war’s wieder!« Ein älterer, grauhaariger Mann drängte sich nach vorn. Ein Techniker. Seine engsten Kollegen kannten ihn als einen stillen, zuverlässigen Menschen, der es eigentlich stets vermied, irgendwo im Mittelpunkt zu stehen. »Bitte lassen Sie die letzte Szene ganz langsam ablaufen. Oder, noch besser wäre es, Sie würden mir die Fernbedienung geben.« Man gab sie ihm. Erneut wurde das Band abgefahren. Der Techniker ging mit der Vergrößerung herunter. Stille im Vorführraum, in dem die Männer atemlos standen und mit Spannung darauf warteten, ob einer von ihnen etwas beobachtet hatte, was ihnen allen entgangen war. »Da!« Das Band stoppte. »Ich spule zehn Sekunden zurück, schalte auf Standbilder.« 101
Auf dem Monitor erschien ein Kreis, der einen Bereich auf der linken Seite des Transmitter-Raums markierte. »Achten Sie auf diese Stelle. Noch ist nichts zu sehen… Und nun die nächsten Bilder…« Wieder Stop! Der Techniker erhöhte die Vergrößerung des kreisförmigen Bildausschnitts. »Sehen Sie jetzt bitte genau hin! Da…« Unter einem der Instrumente war ein Steuerschalter, der sich bisher nie hatte bewegen lassen, in eine andere Position gekippt! Automatisch! »Achten Sie bitte darauf… in ein paar Sekunden tritt der erste Roboter aus der Ringantenne. Das, werte Kollegen, ist die Schaltung, dem Großtransmitter und seiner Gegenstation eine andere Einbahnrichtung zu geben. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich wollte mich nur selbst davon überzeugen, keiner Täuschung zum Opfer gefallen zu sein. Entschuldigen Sie mich.« Er gab die Fernbedienung des Videorecorders zurück und tauchte wieder in der Menge seiner Kollegen unter. Einer der vielen Unbekannten, die einmal eine Sternstunde hatten und dann in ihrem ganzen Leben nie mehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit traten. Der Großtransmitter und seine Gegenstation im Irgendwo ließen sich umschalten. Der Film, der noch auf seine Feinauswertung wartete, hatte es bewiesen. Noch einmal mußte der Cyborg seine Erlebnisse berichten, aber er konnte nicht den geringsten Hinweis liefern, wo die anderen Stationen liegen mochten. Die Teamchefs standen um Pan-The herum. Sie erwarteten seine Entscheidung. Doch Pan-The dachte nicht daran, in diesem Stadium der Entdeckungen ein Risiko einzugehen. »Wir schicken den stärksten tragbaren Hyperfunk-Sender durch den Transmitter und schalten die Gegenrichtung ein, wenn er in der Antenne verschwunden ist. Solange wir nicht wissen, wo sich die Gegenstation befindet, verbiete ich alle Versuche a la Acker und Tschobe. Ebenso den Einsatz der Cyborgs. Ich mache Sie als Teamchefs verantwortlich, wenn meinen Anordnungen zuwider gehandelt wird. Ich darf Ihnen versichern, daß Sie mit Ihrer Gruppe nach Terra zurückgeschickt werden, wenn es dennoch zu Zwischenfällen der genannten Art kommen sollte.« Aus der Funkzentrale wurde ein Hyperfunk-Sender zum Großtransmitter-Raum geschafft. Knapp zwanzig Ingenieure und Techniker untersuchten die Schaltung, die mit Hilfe des Films entdeckt worden war. Die Gesichter der Männer drückten immer größere Enttäuschung aus. Der Steuerschalter ließ sich nicht bewegen! Er saß so fest, als sei er angeschmiedet. Die graue Antenne in der Mitte des großen Raumes stand auf Empfang und nahm keinen einzigen Gegenstand an. Die fluoreszierende Räche konnte gefahrlos durchschritten werden. Nutzlos stand der tragbare Sender vor der Anlage. »Es ist zwecklos«, meinte Bernard Brissier, ein schlaksiger Gascogner. »Wir ver102
plempern hier nur kostbare Zeit.« Er warf der grauen Antenne einen abfälligen Blick zu. Unwillkürlich sah er zum Ausgang und entdeckte die leichte Veränderung. Er fühlte, wie sich seine Haare sträubten. Lautlos war die undurchsichtige, energetische Sperre aufgebaut worden. Siebzehn Techniker und Wissenschaftler waren im Großtransmitter-Raum eingeschlossen!
10. Auf Terra gab es Alarm für die Cyborgs! Die LAKA, ein Kugelraumer der 100-Meter-Klasse, war startklar und wartete nur noch auf die Starterlaubnis. Zwischen der Funk-Z des Schiffes, das erst vor einem Monat vom Band gelaufen war, und dem Stab der TF herrschte ungewöhnlich lebhafter Viphoverkehr. Drei der bekanntesten Cyborgs hielten sich im Funkraum der LAKA auf, aber nur Holger Alsop führte das lebhafte Wechselgespräch; Jan Burton, der Logistiker, und Bram Sass standen unauffällig im Hintergrund. Marschall Bulton gab der Einsatzgruppe die letzten Nachrichten vom Planeten Hope durch: »…seit acht Stunden besteht die energetische Sperre am Großtransmitter-Raum. Im Höhlensystem ist man verzweifelt. Selbst Pan-The rät davon ab, Cyborgs einzusetzen. Nicht einmal Funkkontakt mit den Einge- schlossenen ist möglich. Alsop, ich weiß nicht, ob ich es in dieser Lage verantworten kann, der LAKA die Startfreigabe zu erteilen.« Holger Alsop, der erste Cyborg, der je entwickelt worden war, schüttelte den Kopf. »Der Commander hätte die LAKA schon längst auf die Reise geschickt, Marschall.« »Der Commander… Aber der Commander ist nicht da. Das wissen Sie so gut wie…« Bulton mußte in seinem Büro gestört worden sein. Sein Kopf verschwand vom Vipho-Schirm. In der Funk-Z der LAKA hörte man jedoch immer noch seine Stimme. »Keine Meldungen. Ich habe doch ausdrücklich untersagt, daß…« Es war wohl nicht sein Tag. Marschall Bulton wurde von dritter Stelle unterbrochen. Von der Hyperfunkstation Cent Field, der größten Anlage dieser Art auf Terra. »Marschall, ich glaube, daß es von Wichtigkeit ist, Ihnen einen Funkspruch von der POINT OF durchzugeben.« Die Cyborgs im Funkraum der LAKA horchten auf. Commander Dhark hatte sich wieder einmal gemeldet! Die Cyborgs hörten den Marschall in seinem Büro schnaufen, dann polterte er los: »Nun geben Sie schon den Spruch herein! Oder muß ich noch ausdrücklich darum bitten?« 103
Überall, wo die Nachricht gehört wurde, sahen Männer unwillkürlich zur großen SD-Sternkarte. Wer es verstand, Koordinaten zu lesen, erfaßte sofort, warum diese Koordinaten-Werte fremd in den Ohren klangen. Grün minus 34:54,56! Rot minus 03:10,67! Blau minus 16:70,06! Minus…? Der gesamte Minus-Bereich lag doch hinter dem Zentrum der Milchstraße! Dort sollte die POINT OF stecken? Hinter dem galaktischen Zentrum, das auf Jahre hinaus nicht beflogen werden konnte, weil dort durch den Untergang der Chronosphäre der G’Loorn eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes statt- gefunden hatte. Hinzu kamen die elektromagnetischen Stürme, die im Zentrums- bereich noch weit heftiger wüteten als in den Randzonen der Milchstraße. Das galaktische Zentrum mußte auf absehbare Zeit die reinste Hölle sein. Während viele Blicke die Position des Ringraumers auf der Sternkarte festlegen wollten, gab es die nächste Überraschung. Die Hyperfunkstation in Cent Field berichtigte ihre Angaben! Die Minus-Werte waren zu streichen! Man erklärte diese Berichtigung mit dem schlechten Empfang der Sendung. Über Vipho war das Grollen des cholerischen Marschalls zu hören. »Was?« brüllte er. »Das soll ich glauben? Major!« Bultons Stimme schnarrte. »Ich empfehle Ihnen, noch einmal genauestens zu überprüfen, ob dieser Spruch tatsächlich von der POINT OF gekommen ist, oder ob das ein übler Scherz ist. Mann, sagen Sie mal, glauben Sie denn diesen Unsinn?« Der Major in der Hyperfunkstation glaubte ihn. Er nickte. Und dann sagte er: »Der Spruch ist eindeutig von der POINT OF gekommen. Wir haben die Hyperfrequenz analysiert.« Die drei Cyborgs in der Funk-Z der LAKA erlebten an ihrem Vipho-Schirm alles mit. Sie konnten ebenfalls nicht glauben, was dem Marschall durchgegeben worden war. Es konnte einfach nicht stimmen. Diese Nachricht mußte ein übler Scherz sein. Jan Burton, der Logistiker, hatte sein Zweitgehirn eingeschaltet und blitzschnell alles durchgerechnet. Er kam auf eine Wahrscheinlichkeit von zweiundachtzig Prozent, daß diese Meldung den Tatsachen entsprach. Dennoch hütete sich Burton, Alsop und Sass zu informieren. Er wollte nicht ausgelacht werden Marschall Bulton wandte sich wieder den Cyborgs zu. »Der geplante Flug nach Hope wird verschoben. Bleiben Sie aber an Bord der LAKA. Sollte im Laufe der nächsten Stunden eine andere Entscheidung gefällt werden, dann wird Sie der Stab der TF umgehend benachrichtigen.« »Na ja…« sagte Holger Alsop. Stumm blickte Bram Sass vor sich hin. Er war 104
durch Überraschungen so leicht nicht zu erschüttern, doch als er Jan Burton einen Blick zuwarf und dessen nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkte, erwachte sein Mißtrauen. Sollte die Meldung von der POINT OF womöglich doch stimmen? Unsinn, dachte er, völliger Blödsinn. So etwas gibt’s doch gar nicht! Das gleiche dachte auch Marschall Bulton. Immer wieder mußte er an die Meldung von der POINT OF denken. Gedankenverloren betrachtete er die Sternkarte, auf der der Standort des Flaggschiffs eingetragen worden war. Der Ringraumer befand sich also doch noch immer in jenem Sonnensystem, in dem die POLLUX dieses merkwürdige Monument entdeckt hatte. Chris Shanton, komplett mit Prachtbauch und ungepflegtem Backenbart, schob sich in Bultons Büro. Er wollte seinen Jimmy wiederhaben, seine Robotkonstruktion und sein Steckenpferd. Seine Stimme orgelte, als er an Manu Tschobe kein gutes Haar ließ und den Arzt und Funkspezialisten einen unverantwortlichen Burschen nannte, dem er noch nie über den Weg getraut habe. »Da!« preßte Bulton über die Lippen und schob Chris Shanton die Folie mit der Nachricht zu. Der dicke Mann, der so gern andere auf den Arm nahm, warf einen Blick darauf, betrachtete den Marschall, schleuderte die Folie wieder auf den Schreibtisch und zischte: »Diesen Blödsinn können Sie mir doch nicht weismachen, Bulton! Aber ich zahl’s Ihnen bei passender Gelegenheit heim. Humbug, verdammter!« Und mit schweren Schritten stapfte er wieder hinaus. »Der glaubt’s auch nicht«, murmelte der Marschall. Ein Stabsoffizier kam zum Zug. Seine Meldung war kurz. Marschall Bulton hörte nur mit halbem Ohr zu. Er betrachtete unschlüssig die Folie in seinen Händen. »Saros, glauben Sie diesen Blödsinn?« Der Stabsoffizier schüttelte energisch den Kopf. »Keiner im Stab nimmt die Meldung ernst – aber wieso konnte der Commander davon wissen?« Der Marschall starrte ihn an, als sähe er ein Gespenst! In der Funk-Z der POINT OF starrten Ren Dhark und seine Leute gebannt den drei Gestalten entgegen, die da langsam auf sie zukamen. Manu Tschobe, Professor Tim Acker und Jimmy, der Robot-Hund! Aber diese drei konnten sich doch gar nicht auf dem Ringraumer befinden! »Große Milchstraße«, keuchte Glenn Morris, »jetzt bin ich wirklich drauf und dran durchzudrehen.« Ren Dhark erholte sich am schnellsten von seiner Überraschung. Für das Auftauchen der drei mußte es eine normale Erklärung geben. »Tschobe – wo kommen Sie denn so plötzlich her?« stellte er dem Afrikaner die naheliegende Frage. Der blickte an dem jungen Commander wie üblich vorbei. 105
»Aus einem Transmitter, der irgendwo auf irgendeinem Planeten der Milchstraße steht… ursprünglich natürlich aus dem Industriedom, dessen Aggregate zu arbeiten begonnen haben… und jetzt sind wir in der POINT OF gelandet…« Von allen Seiten wurden die beiden Männer und Chris Shantons Robot-Hund angestarrt. Tschobe wurde dieses Anstarren unangenehm. »Na ja«, sagte er, »aber wir sind nun mal hier, und wir sind es wirklich. Wir…« Er brach ab, als ihm plötzlich das Duplikat einfiel, dem er in jener Transmitterstation begegnet war. Bin ich wirklich der echte Manu Tschobe? fragte er sich einmal mehr in Gedanken. Nur Tim Acker deutete Tschobes auffallendes Verstummen richtig. Aber die nächsten Worte des Wissenschaftlers – die eigentlich dazu gedacht gewesen waren, den Afrikaner zu beruhigen – sorgten in der Funk-Z für einige Unruhe: »Tschobe, Sie sind echt. Ich auch! Mann, wir können doch gar nicht unsere Doppelgänger sein.« Instinktiv griff Ren Dhark zu seinem Blaster. Er richtete den Abstrahlpol auf die kleine Gruppe und befahl in scharfem Tonfall: »Stehenbleiben! Keinen Schritt weiter. Morris, Yogan und Brugg, halten Sie die beiden in Schach!« Die Funker hatten endlich ihren Schock überwunden. Aber der Schrecken steckte ihnen noch in den Gliedern, und sie eliminierten ihn dadurch, daß sie mit verbissenem Gesicht ihre Strahlwaffen schußbereit auf Tschobe und Acker richteten. Walt Brugg hatte die Aufgabe übernommen, auf Jimmy aufzupassen. Die dunklen Augen Tschobes blitzten den Professor wütend an. »Mit Ihrer Quasselei haben Sie was angerichtet…« »Ruhe!« befahl Ren Dhark, der erst einmal Ordnung in diese ganze, unglaubliche Geschichte bringen wollte. »Jetzt bin ich an der Reihe, und Sie beide antworten nur, wenn Sie gefragt werden. Bleiben Sie unter allen Umständen stehen, sonst kann ich für nichts mehr garantieren!« Tim Acker gab in diesem Augenblick eine unglückliche Figur ab. Kaum verständlich flüsterte er Tschobe zu: »Sie hatten recht! Hätte ich bloß meinen Mund gehalten.« Dhark übernahm das Verhör. Hin und wieder schaltete sich Dan Riker mit gezielten Fragen ein. Doch als Tschobe berichtete, er habe m einer Transmitter-Anlage seinen Doppelgänger vor sich stehen sehen – und dieses Duplikat mit seiner eigenen Stimme sprechen gehört – trat auch Ren Dhark unwillkürlich einen Schritt zurück. Professor Acker, der sich bisher auffallend zurückgehalten hatte, wurde plötzlich lebhaft und übernahm jetzt die Aufgabe, weiter Bericht zu erstatten. »Ich lag in der Vertiefung und konnte mich nicht mehr rühren. Beinahe unmerklich verlor ich die Kontrolle über meine Gedanken. In dieser Phase gab ich mein gesamtes Wissen an eine unbekannte Macht preis. Ich mußte einfach alles verraten, sogar mich selbst. Aber genauso wie nach mir Manu Tschobe hatte ich ein viel 106
besseres Bild von mir erstellt, das natürlich mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte. Und diesem Ebenbild stand ich etwas später gegenüber. Es war der unheimlichste Augenblick meines Lebens. Auch ich wußte einen Moment lang nicht, ob ich der echte Tim Acker war oder der, der vor mir stand.« Ren Dhark, der Manu Tschobe schon seit der wilden Zeit auf Hope kannte, beobachtete nur ihn. Immer stärker wurde seine Überzeugung, es mit dem echten Manu Tschobe zu tun zu haben, doch sein Mißtrauen war noch nicht vollständig beseitigt. Wer auch immer in der Lage war, Doppelgänger zu erstellen, die so echt wirkten, daß das Original an seiner eigenen Identität zu zweifeln begann, dem fiel es gewiß nicht schwer, auch alle anderen mit einem solchen Doppelgänger zu düpieren. Doch was könnte dahinterstecken, fragte sich Dhark; welchen Sinn soll so etwas haben? Eine Macht, die in der Lage war, jedem Intelligenzwesen die geheimsten Gedanken zu entreißen, müßte doch eigentlich auf diesen billigen Effekt verzichten können. Entscheidend war doch, das sie aus dem Wissen ihrer Opfer bereits alles über die Stärken und Schwächen der anderen Rassen erfahren hatte. Zwangsläufig stellte er sich die Frage, ob die Mysterious die Schöpfer der Anlagen waren, die Tschobe und Acker kennengelernt hatten. Befanden sie sich wirklich auf den Spuren der Mysterious? Und stellte die Metallplastik auf Mirac einen der Geheimnisvollen dar? Der Commander mußte seine Gedanken über diesen Komplex zurückstellen. Manu Tschobe berichtete weiter. »…Jimmy zwang uns mit seinem Verschwinden durch die Transmitter-Antenne, ihm zu folgen. Zweimal stiegen wir um. Als wir durch die dritte Ringantenne traten, kamen wir im zweiten Deck, Raum 458 B der POINT OF aus der Unitallwand heraus. Und der Köter saß vor uns und wedelte mit dem Schwanz.« Ren Dhark hatte vergessen, daß Tschobe und Acker unter Bewachung standen. Er trat vor den Afrikaner, zwang ihn, ihm fest in die Augen zu sehen, und sagte: »Tschobe, Sie kennen die POINT OF so gut wie ich. Bleiben Sie bei Ihrer Angabe, in 458 B auf dem zweiten Deck aus der Unitallwand herausgetreten zu sein?« »Wir bleiben dabei«, mischte sich der Professor hastig ein. »Aber wir werden es nie beweisen können, Commander. Wir haben die Wand, aus der wir getreten sind, sofort untersucht. Nicht soviel« -er schnippste mit Daumen und Mittelfinger – »haben wir entdecken können. Die Unitallwandung ist glatt, fugenlos und ohne den kleinsten Kratzer.« Tim Acker sah den Commander bestätigend nicken. »Hm…« Dhark drehte sich zu seinem Freund Dan um. »Erinnerst du dich, Dan?« »Und ob! Wir haben die Geschichte doch über die Gedankensteuerung abstellen müssen, weil fast alle, die durch die Unitallwandung die POINT OF verließen, unter starken Kopfschmerzen zu leiden hatten. Aber ich glaube, daß wir jetzt erst entdeckt haben, daß unser Ringraumer nicht nur ein Raumschiff, sondern auch eine 107
einzige großartige Transmitter-Anlage ist.« Das wiederum überstieg das Vorstellungsvermögen des Professors. Sein mißtrauischer Seitenblick galt dem Afrikaner, der zu Boden starrte und leise vor sich hinmurmelte: »Manchmal müssen wir es mit dem Holzhammer serviert bekommen, um es zu verstehen.« Ren Dhark ließ seine Waffe sinken. »Tschobe, wir beide sehen uns 458 B mal an. Dan, du koppelst Jimmy in der Zwischenzeit an den Checkmaster und rufst dann die von ihm gespeicherten Daten ab. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.« Danach erhielt Elis Yogan den Auftrag, noch einmal zu versuchen, Verbindung mit Terra zu bekommen und die Meldung abzustrahlen, daß sich Tschobe, Acker und Jimmy an Bord der POINT OF befänden. Die Untersuchung von Kabine 458 B im zweiten Deck neben der Schleuse erbrachte keine Resultate. »Hier bin ich herausgetreten, Dhark«, sagte Tschobe und umriß mit einer Handbewegung die Stelle an der Unitallwand. Es wäre Zeitverschwendung gewesen, diesen Wandteil zu untersuchen. Auch damals, als Anja Field entdeckt hatte, daß man mit konzentriertem Wunschdenken den Ringraumer durch seine Unitallwände verlassen konnte, war in der Zelle der POINT OF nicht der kleinste Hinweis darauf gefunden worden, daß sich im halbmeter-dicken Material technische Anlagen befanden. Und doch mußten welche darin sein! »Weiß der Kuckuck, was Jimmy veranlaßte, plötzlich durch die TransmitterAntenne zu verschwinden, Dhark. Unheimlich wurde mir das Robotvieh aber in dem Augenblick, als wir hier herauskamen und er uns schweifwedelnd ansah…« »Hm…« Ren Dhark war nachdenklich geworden. »Welchen Eindruck haben die einzelnen Transmitter-Stationen auf Sie gemacht, Tschobe? Was empfanden Sie, als Sie die Roboter bemerkten? Glauben Sie, daß alles – Transmitter und Roboter – seit Ewigkeiten in Betrieb gewesen ist?« Unzufrieden mit sich selbst schüttelte der Afrikaner den Kopf. »Das ist schwer zu sagen. Wo Acker und ich auch waren, alles wirkte fast schon steril. Ich habe nirgends Staub gesehen. Sie denken jetzt bestimmt an die Mysterious. Ich auch. Und ich werde nie vergessen, wie man mich gezwungen hat, mein gesamtes Wissen preiszugeben. Aber – und nun kommt meiner Ansicht nach der springende Punkt: Wenn die Mysterious noch existieren, warum haben sie sich Acker und mir nicht gezeigt? Auf Grund ihrer Transmitter-Kontrolle mußten sie doch wissen, daß wir aus dem Höhlensystem von Deluge kamen…« »Mit anderen Worten, Sie glauben nicht mehr daran, daß die Mysterious als Rasse noch existieren?« »Ich weiß es nicht… ich weiß beim besten Willen nicht mehr, was ich glauben soll…« Ren Dhark atmete schwer. Er durchschaute sich selbst. 108
Er wollte nicht wahrhaben, daß die Mysterious vor rund tausend Jahren terranischer Zeitrechnung von einem Tag zum anderen aufgehört hatten zu existieren, auch wenn er natürlich nicht vergessen hatte, daß es sogar auf Terra genügend Beispiele dafür gab, daß hochentwickelte Völker im Lauf der Geschichte plötzlich vom Erdboden verschwanden und nie wieder auftauchten. Um sich abzulenken, berichtete Dhark dem mit immer größerer Spannung lauschenden Tschobe, wo sich die POINT OF befand und was die Besatzung auf dem Planeten Mirac entdeckt hatte. »…und schließlich haben Riker und ich vor einigen Stunden unweit des zerstörten Ringraumers einen Flash gefunden – versteckt in massivem Fels –, der aller Wahrscheinlichkeit nach ein Beiboot dieses zerstörten Schiffes gewesen ist. Dieser Flash hielt eine weitere Überraschung für uns bereit: Er hatte Sternkarten und das Emblem einer SpiralGALAXIS an Bord!« Manu Tschobe hielt sich den Kopf. »Das ist fast ein bißchen viel auf einmal, Dhark, aber alle diese Tatsachen sind kein Beweis dafür, daß die Geheimnisvollen noch existieren. Das Standbild steht seit rund 42.000 Jahren auf diesem Planeten, der zerstörte Ringraumer hingegen ist erst tausend Jahre alt; unsere POINT OF ist nicht jünger. – Das alles ist vor tausend Jahren konstruiert, gebaut oder zerstört worden… und was danach gekommen ist… ist für uns ein einziges großes Fragezeichen; aber nirgendwo eine Spur, daß danach noch ein Mysterious existiert hat. Hin und wieder drängt sich mir der Verdacht auf, daß dieses Volk einer unvorstellbaren Katastrophe zum Opfer gefallen ist. Dhark, ich erinnere mich, wie wir in den Höhlen dieses Schiff gefunden haben. Fast fertiggestellt. Nur ein paar Aggregate mußten noch eingebaut werden. Aber vor rund tausend Jahren ließen die Mysterious sogar dieses Schiff zurück. Waren sie durch einen Befehl zu ihrer Heimatwelt gerufen worden, um dort mit ihrem Volk unterzugehen?« Vor ihnen flammte die Bildscheibe der Bordsprechanlage auf. Sergeant Briks, der in der Zentrale Sitzwache hatte, suchte per Rundruf den Commander. »Commander, Flottenchef Riker liegt bewußtlos vor dem Checkmaster und… und ich glaube, Jimmy ist explodiert!« Über den A-Grav-Schacht erreichten Dhark und Tschobe das Hauptdeck. Aus Richtung der Medo-Station eilten einige Ärzte heran. Sergeant Briks erwartete die Hilfe am geöffneten Schott der Zentrale. Rechts kniete Ren Dhark, links Tschobe, jetzt nur Arzt. Dan Rikers Augen blickten starr zur Decke. Sein Gesicht war kalkweiß. Ob er atmete, konnte der Commander nicht feststellen. Ihm war es unbegreiflich, wie sein Freund in diesen Zustand gekommen sein konnte. Den Ärzten auch. Und Jimmy schien explodiert zu sein. Der Sergeant hatte nur einen dumpfen Knall 109
gehört, dann ein Poltern, und als er sich umgedreht hatte, hatten der Flottenchef und Jimmy am Boden gelegen. Ren Dhark war einen Schritt beiseite getreten. Er wollte die Ärzte bei ihrer Arbeit nicht behindern. Aber seine Unruhe steigerte sich, je länger sie sich um Riker bemühten, der keinerlei Lebenszeichen von sich gab. Hanfstick, der leitende Arzt, ordnete den Transport in die Medo-Station an. »Hier kommen wir nicht weiter.« Tschobe trat zu Ren Dhark. Dessen Gesicht wirkte kühl, unbeteiligt, aber wer ihn gut kannte, wußte, daß das alles nur Maske war. Commander Ren Dhark, der mächtigste Mann Terras, besaß nur einen einzigen Freund, der ihm seit den Tagen seiner Ausbildung treu zur Seite gestanden hatte; und dieser Freund wurde jetzt in einem Zustand, den die Ärzte nicht diagnostizieren konnten, zur Medo-Station geschafft. »Commander, ich…« »Schon gut, Tschobe…« Tschobe drehte sich um und wandte sich Jimmy, dem Scotchterrier, zu. Der Verschluß auf dessen Bauchdecke war aufgerissen und legte einen Teil der technischen Eingeweide frei. Im Einflußbereich Terras gab es nur einen Mann, der sich mit den Schaltungen in Jimmy auskannte – Chris Shanton, der Konstrukteur des Robot-Hundes. Shanton hatte schon vor geraumer Zeit einsehen müssen, daß sein Brikett auf Beinen viel mehr als eine Spielerei war. Schon oft war Jimmy der Faktor gewesen, der in turbulenten Geschehnissen die endgültige Entscheidung herbeigeführt hatte. Ren Dhark drehte sich um, betrachtete gedankenverloren den Checkmaster – und kniff auf einmal die Lider zusammen. Im nächsten Moment klang seine Stimme scharf durch die Zentrale: »Briks, wer hat diese beiden Geror-Sicherungen durch Terr-Brücken umgangen?« Tschobe hörte die Ausdrücke Geror und Terr – Begriffe, die es nur in der Technologie der Mysterious gab, wenngleich sie von den Terranern geschaffen worden waren. Mit einem Satz stand er neben Ren Dhark, der einen Schachtelsatz aus der ersten Geror-Sicherung herauszog und in die Tasche steckte. »Vorsicht!« warnte Tschobe, als er sah, mit welcher Lässigkeit der Commander an der sechsten Sicherung hantierte. Sein Warnruf kam zu spät. Er hörte einen dumpfen Knall, der aus dem Checkmaster zu kommen schien, und sah gleichzeitig Ren Dhark zu Boden stürzen. Dhark war nicht besinnungslos, aber dennoch nicht Herr seiner Sinne. Er vernahm die Stimme der Gedankensteuerung in seinem Kopf. Ununterbrochen wiederholte sie einen einzigen Satz: Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Mit jeder Wiederholung brannte sich diese Nachricht tiefer in Ren Dharks Gehirn110
windungen fest. Dabei begriff er nicht, daß nur er diesen Satz erfaßte. Er wußte auch nicht, daß er auf dem Boden lag, mit starrem Blick zur Decke sah und Manu Tschobe sich verzweifelt um ihn bemühte. »Briks, alarmieren Sie die Medo-Station! Der Commander zeigt die gleichen Symptome wie Riker. Geben Sie das ebenfalls durch.« Fünf Minuten später wurde auch der Kommandant des Flaggschiffs ins Lazarett geschafft. Wie bei Dan Riker waren weder Herzschlag noch Puls feststellbar! Kein Mensch ahnte, daß sowohl Riker wie Dhark ununterbrochen den einen Satz in ihrem Kopf aufklingen hörten: Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Jos Aachten van Haag drehte im Industriedom Däumchen. Genau wie die Wissenschaftler. Was hätten sie sonst auch tun sollen? Sie kamen an die eingeschlossenen Männer im Großtransmitter-Raum nicht heran. Die undurchsichtige energetische Wand hielt alles und alle ab. Seit Stunden währte dieser Zustand, und kein Mensch konnte voraussagen, wann er sich ändern würde. Seitdem man wußte, daß es in den Mammut-Aggregaten dieser Industrie-Zentrale Roboter gab, die aller Wahrscheinlichkeit nach Reparaturen durchführten oder Teile nach einer bestimmten Lebensdauer auswechselten, glaubten die Männer, die helfen wollten und dennoch nicht helfen konnten, nicht mehr daran, ihre Kollegen wiederzusehen. Der Cyborg Frek Mildan hatte einfach unvorstellbares Glück gehabt. Seine Chance, nach dem Transmitter-Durchgang wieder an den Ausgangspunkt zurückzukehren, mochte eins zu hundert Millionen betragen haben – aber er war zurückgekehrt! Jos hatte nicht vergessen, warum er nach Hope gekommen war. Und wenn er auch gelangweilt die Maschinenstraße entlangblickte – er sah, wie die zwei Cyborgs, die sich in seiner Nähe aufhielten, reagierten. Wie Menschen! Und sie waren auch Menschen, solange sie nicht auf ihr zweites System umgeschaltet hatten. Pan-The muß sie als Cyborgs einsetzen, beschloß Jos in Gedanken, als über den großen Nachrichtenlautsprecher die Meldung verbreitet wurde: Manu Tschobe, Tim Acker und Jimmy befinden sich laut einem Hyperfunkspruch, der in Cent Field aufgefangen wurde, auf der POINT OF! Jos war einer der besten Männer – nach seiner eigenen, unmaßgeblichen Einschätzung der beste – der über zehntausend Köpfe zählenden GSO. Auch er wurde von dieser Nachricht überrascht, und seine erste Reaktion bestand darin, sie als Ente anzusehen. Aber ihm entging nicht, wie jene zwei Männer sich verhielten, die im Brana-Tal zu Cyborgs gemacht worden waren. Beide hatten sofort nach der Durchsage auf ihr zweites System umgeschaltet! Mehr nicht. 111
Wer mit dem leicht veränderten Aussehen eines umgeschalteten Cyborgs nicht vertraut war, hätte es nicht bemerkt. Aber warum hatten sie umgeschaltet? Nur wenige Minuten verblieben sie in dem Zustand, der sie physisch zu Übermenschen machte, dann schalteten sie wieder zurück und verschwanden kurz darauf aus Jos’ Blickfeld. Eine halbe Stunde später ging ein To-Funkspruch in der Funkzentrale von Cent Field ein. Er war mit der höchsten Dringlichkeitsstufe gekennzeichnet und wurde sofort an Bernd Eylers weitergegeben. Die Vergangenheit von Frek Mildan und Per Paavo Dordig nochmals durchleuchten! Eylers, der zunächst annahm, auch Jos würde allmählich Gespenster sehen, wollte die Meldung schon zur Seite wischen, als sich ein Gefühl in ihm meldete, das ihn schon manches Mal vor unüberlegten Handlungen bewahrt hatte. Verbindung zu den Ressortleitern 3 C und 5 FF. Eylers forderte sie auf, ihn in seinem Arbeitszimmer aufzusuchen. »Aber wir haben doch alles getan, was nur getan werden konnte!« Eylers bestand darauf, daß die Vergangenheit dieser beiden Cyborgs noch einmal kontrolliert werden sollte. »Wir müssen bei zwei Cyborgs der letzten Serie etwas Wichtiges übersehen haben – und Sie, meine Herren, haben es aufzuspüren. Oder soll ich mir noch einmal von Trawisheim sagen lassen, die GSO sei das Geld, das sie kostet, nicht wert?« Eylers übertrieb nur ganz leicht; so hatte Henner Trawisheim das nie gesagt… »Ich erwarte täglich Berichte über den Stand der Nachforschungen. Setzen Sie die besten und verschwiegensten Leute ein. Um diesen die Arbeit zu erleichtern, werden die großen Nachrichtenstationen heute abend noch melden, daß die nächste Cyborg-Serie kurz vor der Entlassung aus dem Brana-Tal steht!« Kaum daß er wieder allein war, unterrichtete er Echri Ezbal und Henner Trawisheim. Beide stimmten seinem Vorschlag zu. Eylers war nachdenklich geworden. Jos Aachten van Haags Forderung, die Cyborgs Mildan und Dordig noch einmal zu überprüfen, mußte ihren Grund haben, denn Jos war nicht der Mann, der auf eine vage Vermutung hin den gewaltigen Apparat der GSO in Bewegung setzte. Haben meine Leute womöglich doch etwas übersehen? fragte sich der Chef der Galaktischen Sicherheitsorganisation und begann sich auszumalen, welch eine Gefahr entartete Cyborgs für die gesamte Menschheit darstellen könnten. Er murmelte vor sich hin: »Ezbal oder mir wird der Schwarze Peter zugeschoben werden. Ich bin gespannt, wer von uns beiden ihn eines Tages in der Hand halten wird…«
11. 112
Auf dem Planeten Hope im Col-System waren noch immer siebzehn Techniker und Wissenschaftler im Großtransmitter-Raum eingeschlossen. Sie hatten keinen Versuch unternommen, die energetische Sperre zu durchbrechen, weil jeder einzelne von ihnen wußte, daß das ein lebensgefährliches Unterfangen wäre und doch zu keinem Resultat führen würde. Die durch die graue Ringantenne begrenzte Kreisfläche fluoreszierte immer stärker. Die Männer hatten sich so weit wie möglich von der Anlage entfernt. Ihnen kam zugute, daß sie den Film gesehen hatten, den Tim Acker bei seinem verunglückten Versuch aufgenommen hatte. Als die blauschimmernden Unitall- wände sich lautlos öffneten und Energiebahnen herausschwangen, die alle im TransmitterBereich endeten, wußten die Experten, daß sie nun Augenzeugen werden würden, wie große Produktmengen aus den Mammut-Aggregaten des Industriedoms verschickt wurden. Aber sie sahen keine einzige Maschine einer ihnen unbekannten Technik. Sie hörten auch nicht jenes infernalische Summen, das sonst jeden Menschen aus diesem Raum vertrieben hatte. Statt dessen sahen sie deaktivierte Roboter aus allen Öffnungen quellen. Ein unheimliches Bild, weil die Zahl der Roboter von Minute zu Minute größer wurde. Eine Roboterarmee wurde unter den Blicken von siebzehn Männern per Transmitter verschickt. Ihr T-Taster zeigte nur noch Error, als er einen höheren Wert als T100 anzeigen sollte. Das nicht mehr funktionsfähige Gerät bewies den Ingenieuren, daß ihre Theorie, nach der sich jeder Transmitter selbst zerstören mußte, wenn seine Leistung den Wert T100 überstieg, nicht stimmen konnte. Hier war der Gegenbeweis! Aber sie hatten sich auch noch mit einer anderen Tatsache vertraut zu machen: Im Industriedom auf dem Inselkontinent Deluge wurden Roboter produziert – zu Abertausenden! Tausende von Zylindern, die von allen Seiten durch Energiebänder herangebracht wurden… Tausende von Zylindern, die nebeneinander lagen, ihre metallenen Armglieder nicht bewegten und die fünf Beinstützen wie Scherengitter zusammengefaltet hatten. Roboter, die nicht aktiviert waren! Arbeitsmaschinen der Mysterious! Das Schauspiel faszinierte die eingeschlossenen Männer, die darüber fast ihre prekäre Situation vergaßen. Ein paar versuchten zu schätzen, wie viele Roboter unter ihren Blicken im Transmitter verschwunden waren; sie kamen auf die Zahl 25.000! Plötzlich brach der Strom ab. Die Energiebänder verschwanden. Das Fluoreszieren der Kreisfläche im Innern der Ringantenne wurde unaufhaltsam schwächer. Und dann sahen ein paar Wissen113
schaftler, wie jener Steuerschalter in der Unitallwand, der dicht unter einem Meßinstrument lag, wie von Geisterhand bewegt eine andere Stellung einnahm. Die unbekannte Sperre, die ihn in seiner Lage festgehalten hatte, war wahr- scheinlich für einen Augenblick aufgehoben worden. Und dann jagte das Entsetzen auf sie zu! Ein unbeschreibliches Monstrum schob sich aus dem Transmitter und glitt der letzten in der Unitallwand verbliebenen Öffnung entgegen. Ein Schlangen- monstrum ohne Kopf, mit gelbschimmernder schuppiger Oberfläche, über zwanzig Meter lang und mit mehr als zwei Metern Durchmesser, schwebte auf seinen vielen Händen oder Füßen mit gleichmäßiger Geschwindigkeit der dunklen Öffnung zu. Ein Techniker schrie unterdrückt auf, als er voller Entsetzen zusah, wie sich dieses Monstrum dicht vor der Öffnung teilte. Drei Arme oder Beine bildeten mit einer ringförmigen Scheibe eine Einheit – eine Arbeitseinheit! Und alle Einheiten schwebten, wie auch schon die Gesamtkonstruktion auf die Öffnung zugeschwebt war. Es mußte sich um ein Roboter-Modell handeln, das sich von denen, die sie bisher kennengelernt hatten, grundlegend unterschied! Es mußten Roboter sein, denn sie leuchteten plötzlich hell auf, als sie die dunkle Öffnung in der Unitallwand erreicht hatten. »Über hundert Stück sind aus dem Monstrum entstanden – über hundert!« flüsterte ein Ingenieur, der nicht wußte, ob er sich an diesem Schauspiel begeistern oder sich davor fürchten sollte. »Die Scheiben sind höchstens zwanzig Zentimeter dick…« Und dann war im Transmitter-Raum wieder alles wie sonst. Nur die energetische Sperre bestand nach wie vor. Die Unitallwände waren fugenlos und zeigten nicht die geringsten Spuren versteckter Öffnungen, und die Transmitter-Antenne sah nur grau aus; die Kreisfläche fluoreszierte nicht mehr. Manch ein Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Warum hat man uns das gezeigt?« Diese Frage hatten sich viele in Gedanken auch schon gestellt. Weshalb waren sie diesmal nicht durch das infernalische Summen, das früher jeden Menschen aus diesem Raum vertrieben hatte, nach draußen auf die Maschinenstraße gejagt worden? »Die Mysterious! – Bald muß ich glauben, daß sie mit den Grakos der Utaren identisch sind!« »Und sie leben«, behauptete ein anderer Wissenschaftler. »Wie viele Milliarden Roboter mögen die Mysterious in den letzten Jahren allein im Industriedom produziert haben?« Doch mit dieser Frage kamen wieder die Zweifel! Hatte Ren Dhark mit seinen Freunden diesen Industriedom nicht dunkel und laut114
los angetroffen, als sie vor Rocco und dessen Kommandos auf der Flucht gewesen waren? Und hatten die Mammut-Aggregate nicht stillgelegen, als die elektromagnetischen Werte des galaktischen Magnetfelds in bisher nie beobachtete Höhen geschnellt waren? »Über die Giants haben wir uns schon den Kopf zerbrochen… aber die Mysterious mit ihren Geheimnissen und Rätseln sind tausendmal rätselhafter. Zum Teufel, warum läßt sich kein Mysterious sehen? Sie müssen doch wissen, daß inzwischen Wesen einer anderen Rasse ihr Erbe hier auf Hope angetreten haben. Ich könnte sie in die tiefste Hölle verwünschen.« Der Techniker hatte recht. Die meisten dachten genauso wie er. Nachdem der Schock abgeklungen war, litten nur ganz wenige der Experten unter irgendwelchen Angstgefühlen. Im Gegenteil: Neugier, die weit über das wissenschaftliche Interesse hinausging, beherrschte sie. So warfen sie der undurchlässigen energetischen Sperre, die sie daran hinderte, wieder zu ihren Kollegen zu gelangen, immer wieder forschende Blicke zu. Wollten die Mysterious sie in diesem kahlen Raum verhungern und verdursten lassen, oder sollten sie, sobald der Transmitter wieder arbeitete, gezwungen werden, durch die Kreisfläche zu schreiten, um wer weiß wo wieder herauszukommen? Ein Gedanke, der die meisten nun doch etwas frösteln ließ; und es war natürlich, daß die Angst vor der Macht der Mysterious sich wie Gift in ihrem Körper ausbreitete. Noch immer zeigte die graue Transmitter-Antenne im Bereich der Kreisfläche keinerlei fluoreszierendes Leuchten. Irgendwer hatte sie abgeschaltet. Sie war nichts anderes als ein dicker, massiver Ring aus einem unbekannten grauschimmernden Material. Der Hurrikan war über den Landstrich hinweggerast, den die POINT OF sich als Landeplatz ausgesucht hatte. Aber die Wasserfluten, die er auf seiner Rückfront herangeführt hatte, prasselten immer noch zu Boden und spülten quadratmeterweise die letzten Reste des Erdbodens hinweg. Die Männer im Ringraumer bemerkten nichts davon. Selbst ein Hurrikan von hundertfacher Stärke hätte ihrem Flaggschiff nichts anhaben können. In seinem Innern waren sie sicher. Aber nicht absolut! Das bewies das Schicksal des Commanders und des Flottenchefs drastisch genug! Ren Dhark und Dan Riker lagen noch immer als klinisch Tote in der Medo-Station, und die Ärzte standen um die beiden Körper herum und wußten nicht mehr, was sie tun sollten. Die Nachricht, daß Dhark und sein Freund Riker in der Kommandozentrale wie vom Schlag getroffen zusammengebrochen waren, hatte sich schnell im Schiff verbreitet und auch den müdesten Mann aus seiner Kabine getrieben. Die Meldungen aus der Medo-Station klangen immer deprimierender. 115
Zustand der beiden unverändert ernst! Keine Fortschritte bei irgendeiner Behandlung! Keine Reaktionen! Und dann: Es muß damit gerechnet werden, daß der Commander und der Flottenchef im Moment des Zusammenbruchs schon klinisch tot waren. Die Beschickung ihres Gehirns mit Sauerstoff scheint keinen Erfolg zu haben. Manu Tschobe hielt sich seit mehr als einer Stunde in der Funk-Z auf. Walt Brugg hatte noch Sitzwache. Brugg war froh, daß der Afrikaner ihm Gesellschaft leistete; Tschobe hatte ihm sehr ausführlich von seinem Transmitter-Abenteuer erzählt. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele tausend Lichtjahre zwischen uns und Hope liegen, Tschobe?« »Nicht auf Anhieb. Woher sollte ich das auch wissen? Aber wie ist es mit dem Funkverkehr? Klappt er immer noch nicht einwandfrei?« »Ausgesprochen miserabel. Wir konnten mit Mühe und Not verstehen, daß Terra endlich eine Meldung von uns aufgefangen hat; aber seit der Zeit ist wieder alles ruhig. Dabei sah es, bevor sie mit dem Professor auftauchten, hier etwas anders aus.« Manu Tschobe horchte auf, als er von dem Dauernotruf in der unbekannten Sprache hörte, der von sieben weit voneinander entfernt liegenden Sendern in die Milchstraße ausgestrahlt worden war. »Als ob die ganze Sache mit Ihrem Erscheinen hier ihr Ende gefunden hätte«, sagte Walt Brugg und dachte sich nicht viel dabei. »Aus dem Schiff soll auch gesendet worden sein. Auf einer Hyperfrequenz, die noch nie benutzt wurde. Aber wir konnten nicht herausfinden, wo im Schiff der Sender stand. Und… komisch…« Walt Bniggs Blick war nachdenklich geworden, und leiser als bisher fügte er hinzu: »Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist die Sendung aus der POINT OF auch in dem Moment eingestellt worden, als sie, der Professor und Jimmy hier aus der Unitallwand traten. Ob die Sendung, die wir nicht lokalisieren konnten, nicht die Ausstrahlung des Transmitters im Ringraumer gewesen sein kann?« »Donnerwetter!« rief Manu Tschobe und nickte Brugg bewundernd zu. »Das müßte einmal untersucht werden, denn echte Transmitter-Impulse konnten bisher noch nie aufgezeichnet werden, selbst wenn die Anlage arbeitete. Man versuchte es stets mit der faulen und lahmen Ausrede zu erklären, Transmitter würden in einem noch höherdimensionalen Bereich arbeiten. Nur habe ich bis heute keinen einzigen Experten getroffen, der selbst daran geglaubt hätte. Es ist schon schwer genug, seine Gedanken im SD-Bereich zu bewegen. Nein, ich…« Die Bordverständigung plärrte dazwischen. Hanfstick bat ihn, in die Medo-Station zu kommen. Als Tschobe eintrat, machte man ihm an dem Tisch, auf dem Ren Dhark lag, wortlos Platz. Wortlos! Kaum hatte Tschobe einen forschenden Blick auf den leblosen Commander gewor116
fen, als er verblüfft zusammenfuhr. Sein Blick machte die Runde. Seine Kollegen waren immer noch am Ende ihrer medizinischen Kunst. In diesem Augenblick verstand er ihre Hilflosigkeit. Ren Dhark und Dan Riker waren kein medizinischer Fall. Beide gehörten in die Hände von Para-Experten. In dem Zustand, in dem sie sich befanden, waren sie weder tot, noch lebten sie. Die gesamten Körperfunktionen einschließlich der lebensnotwendigen Sauerstoffversorgung des Gehirns waren durch einen paranormalen Block lahmgelegt und durch jene undefinierbaren Kräfte und Mittel des Zwischenbereichs ersetzt worden. »Hm…« Manu Tschobe besaß schwache hypnotische Kräfte. Wieder sah er der Reihe nach seine ihn schweigend umstehenden Kollegen an. Von ihnen war keine Unterstützung zu erwarten. Er durfte ihnen nicht einmal sagen, daß Dhark und Riker keine medizinischen Fälle wären. Sie hätten ihn bei seinen Versuchen nur gestört, oder ihn sogar daran gehindert, es zu probieren. »Lassen Sie mich mit Dhark und Riker allein.« Es kam, wie er es erwartet hatte. Man wollte eine Erklärung von ihm. Er lehnte ab. Hanfstick ergriff Partei für Tschobe. Murrend verließen die übrigen Ärzte den OPRaum. Zwischen Dhark und Riker stand mit geschlossenen Augen der große dunkelhäutige Mann und versuchte, seine schwachen Parakräfte zu aktivieren. Er hatte keine Ahnung, ob sein Versuch Erfolg haben könnte. Er wußte schließlich noch nicht einmal, von welcher Para-Kraft die Männer erfaßt worden waren. Hypnose und Suggestion waren doch nur zwei von vielen! Er erinnerte sich noch einmal, was er selbst miterlebt hatte. Viel war es nicht gewesen. Jimmy hatte hinterher auch keine Auskunft geben können. Alle Daten, die er während seiner Transmitter-Sprünge gespeichert hatte, waren in ihm gelöscht worden. Und der Checkmaster hatte auf Anfragen nur mit Rot geantwortet -also jede Aussage abgelehnt. »Wie kann ich in dieser Angelegenheit bloß weiterkommen?« fragte sich Tschobe und versuchte, sich erneut zu konzentrieren. Riker war bewußtlos aufgefunden worden. Jimmy s Bauchdecke war aufgeplatzt, als ob die Robotkonstruktion explodiert sei; und dann war etwas später mit einem dumpfen Knall der Commander bewußtlos zu Boden gegangen. Ich muß es versuchen, und wenn es nicht klappt, dann… In Gedanken sah er die POINT OF schon Cent Field anfliegen – mit den Leichen von Ren Dhark und Dan Riker an Bord. Dann rührte sich der große, dunkelhäutige Mann mit den ausgeprägten Wulstlippen nicht mehr. Seine Gedanken versanken, seine Sinne begannen einzuschlafen, und dennoch war dieser Mann hellwach – aber nur auf dem Gebiet seiner Parakräfte. 117
Er zuckte nicht einmal zusammen, als er plötzlich in seinem Kopf eine Stimme vernahm, die ihm in ihrer Unpersönlichkeit vertraut erschien. Er hörte die Gedankensteuerung sagen: Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Dieser Satz war wie eine Brücke über einen Fluß, der einen Moment vorher noch unpassierbar gewesen war. Dieser Satz schuf jene Para-Verbindung zu Dhark und Riker, die Tschobe mit seinen schwachen Kräften nie hätte erzwingen können. Aufwachen! Aufstehen! Ihr sollt aufstehen! Wacht auf! Lautlos hämmerten diese Befehle auf die zwei Menschen ein, die reglos auf dem OP-Tisch lagen. Aufwachen! Ihr sollt aufstehen…! Und ununterbrochen klang auch in Tschobes Kopf jene Stimme, die wie ein lebloser Automat wiederholte. Alle von Jimmy erfaßten und abgegebenen Daten sind vernichtet worden! Die Geheimnisvollen hatten sich mit ihrer Aktion gegen Ren Dhark und Dan Riker gewehrt; sie wollten nicht entdeckt werden! Nicht durch die Menschen. Nicht einmal die Positionen der einzelnen Großtransmitter-Stationen sollten in den Besitz der Terraner gelangen! Steht auf! Aufwachen! Steht doch auf! Dhark, du sollst aufstehen… Manu Tschobe registrierte nicht, daß er sich schon nach wenigen Minuten am Rand der körperlichen Erschöpfung bewegte. Alle Energien, die er irgendwie aufbringen konnte, flossen in seine paranormalen Kräfte. Er mußte Dhark und Riker einfach aus ihrer katatonischen Starre herausholen! Ein Schleier zerriß vor seinen Augen. Er hörte Stimmen. Er fühlte Hände, die ihn an den Schultern schüttelten. Die Stimmen, die er kannte…? »Tschobe! Tschobe… Manu…« Seine Beine trugen ihn nicht mehr, und sein Kopf war leer; er schien zu keinem einzigen Gedanken mehr fähig zu sein. Er nahm gar nicht wahr, daß er von kräftigen Händen gepackt und auf den Boden gelegt wurde. Etwas Nasses, Kaltes fuhr durch sein Gesicht. Wasser lief ihm den Hals hinunter. Und dann schlug er nach mehrfachen vergeblichen Versuchen endlich die Augen auf. Commander Ren Dhark und Flottenchef Dan Riker knieten neben ihm und sahen ihn besorgt an. Ein kaum angedeutetes Lachen flog über das von Anstrengungen gezeichnete Gesicht des Afrikaners. Er wollte sprechen, aber wiederum verließen ihn die Kräfte. Daß seine Kollegen ihn umringten, nahm er überhaupt nicht wahr. 118
Ein Getränk wurde ihm an die Lippen gesetzt. Ein halbes Dutzend Injektionen sollten seine fast vollständig verbrauchten Kräfte schnell regenerieren, aber alles, was normalerweise gute Resultate erzielte, erwies sich bei ihm als nutzlos. Manu Tschobe legte den Kopf zur Seite und schlief ein. »Er hat’s verdient!« Damit unterband der Commander jede weitere Aktion. »Und Ihnen, meine Herren, kann ich keine Erklärung abgeben. Sie müssen sich gedulden, bis Tschobe in der Lage ist, zu berichten. Ich bestehe darauf, daß er ununterbrochen durch zwei Ärzte beobachtet wird.« Mit kurzem Kopfnicken forderte er Dan Riker auf, ihm zu folgen. Sie ließen die ratlosen Ärzte der POINT OF hinter sich zurück. Die Mediziner glaubten zu träumen. Sie zweifelten an ihrem Wissen und an ihren Erfahrungen. Jeder von ihnen hatte Ren Dhark und Dan Riker untersucht, und jeder hatte den klinischen Tod dieser beiden Männer befürchtet – und eben waren diese beiden aus der Medo-Station gekommen, als ob sie nie auf einem OP-Tisch gelegen hätten. Nicht das kleinste Merkmal an ihnen wies darauf hin, daß sie über eine Stunde wie Tote, blaß und ohne jedes Lebenszeichen, dagelegen hatten. Klar und deutlich empfing die große Hyperfunkstation in Cent Field den Spruch der POINT OF: Verlassen Blue-Star-System mit Kurs auf Hope. gez. Ren Dhark Der Spruch war im offenen Textmodus, weder gerafft noch zerhackt, abgestrahlt worden. Die Auswertung in Cent Field ergab, daß sich der Ringraumer zur Zeit der Sendung schon im freien Raum befand und mit 0,6 Licht flog. Bernd Eylers bekam die Nachricht ebenso direkt zugespielt wie Henner Trawisheim. Ein paar Minuten darauf mußte Jos Aachten van Haag im Industriedom sein Spezial-Vipho aus der Tasche ziehen. Ihm wurde eine wichtige Meldung seiner GSOZentrale übermittelt. Auf dem kleinen Bildschirm erkannte er Bernd Eylers und hörte ihn sagen: »Jos, die POINT OF ist nach Hope unterwegs. Jetzt müssen wir fast glauben, daß sich Tschobe an Bord des Ringraumers befindet. Behalten Sie Ihre verdächtigen Cyborgs im Auge, und verhindern Sie unter allen Umständen, daß Tschobe auch nur ein Haar gekrümmt wird.« Jos bewegte sich auf einer der endlos langen Maschinenstraßen, die von den bis zu neunhundert Meter hohen Mammut-Aggregaten gebildet wurden. Ein Filter an seinem Vipho verhinderte, daß die Maschinengeräusche mit übertragen wurden. Flüchtig sah er sich um, bevor er antwortete: »Ich werde mein Bestes tun, Eylers. Doch was hat die Überprüfung unserer Sorgenkinder erbracht?« »Noch nichts. Warum sollen wir gerade diese beiden überhaupt nochmals überprü119
fen?« »Weil sie auf ihr zweites System umgeschaltet haben, als eigentlich keine Veranlassung dazu bestand. Diese Umschaltung ist meines Erachtens nicht normal. Sie sollten deswegen mal mit Ezbal sprechen. Sonst noch etwas?« »Ich werde Ihren Rat befolgen und mich mit Ezbal unterhalten. Sonst gibt’s hier nichts Neues. Ende, Jos!« Auch der GSO-Mann schaltete ab und steckte sein handliches Vipho wieder ein. Kurz darauf erfuhr er, daß mit der Landung der POINT OF in der Ringraumerhöhle gegen 20:40 Uhr Hope-Zeit zu rechnen war. Das Flaggschiff der Terranischen Flotte kehrte zu dem Ort zurück, an dem es vor tausend Jahren von den Mysterious gebaut worden war. Als Ren Dhark und Dan Riker mit ihren Begleitern den Industriedom erreichten und auf Schwebeplatten dem Großtransmitter-Raum zuflogen, wurden sie einmal mehr von der imposanten Größe dieses gewaltigen Industrie-Zentrums beeindruckt. Einige der in sich geschlossenen Bauten beanspruchten mehr als drei oder vier Quadratkilometer Grundfläche, und es bedurfte keiner ausschweifenden Phantasie, um sich vorzustellen, was alles hinter der fugendichten Verkleidung stecken konnte. Nach wie vor war der Transmitter-Raum durch die energetische Sperre blockiert. Nach wie vor bestand kein Kontakt zu den siebzehn Technikern und Ingenieuren. Der Commander war mit wenigen Begleitern gekommen; außer Dan Riker waren nur noch Manu Tschobe, Miles Congollon und Arc Doorn bei ihm. Im Hintergrund bewegte sich Jos Aachten van Haag zwischen den Experten, die die undankbare Aufgabe hatten, die Geheimnisse der Höhlen zu erforschen. Unter diesen Leuten befanden sich auch die Cyborgs Per Paavo Dordig und Frek Mildan, denen Jos nicht mehr traute. Sie hatten aber anscheinend noch nicht bemerkt, daß er sie pausenlos unauffällig beobachtete. Er hatte sich geschworen, daß es ihnen nicht gelingen würde, einen Mordanschlag auf Tschobe auszuführen, solange er in der Nähe war. Ren Dhark betrachtete die Sperre. Sein kantiges Kinn trat in diesem Augenblick stärker als sonst hervor. Leicht schüttelte er den Kopf. Wie so oft kreisten seine Gedanken um die Mysterious – und wieder einmal um die eine Frage: Leben die Mysterious noch – oder sind sie vor tausend Jahren vernichtet worden? Konnten das Auftauchen der Sperre und ihr Verschwinden nicht ebensogut durch eine automatische Steuerung ausgelöst werden, wie hier im Industriedom wahrscheinlich alles durch den schwebenden Ring über dem Zentralplatz gesteuert wurde? Unmerklich bewegte er sich, als er die Veränderung an der energetischen Wand bemerkte. Die Sperre verschwand. Der Blick in den Großtransmitter-Raum, den in genau diesem Augenblick siebzehn Männer fluchtartig verließen, war wieder frei. Die 120
wenigsten erkannten den Commander der Planeten; jeder war glücklich, die Maschinenstraße und die Kollegen wiederzusehen. Jos Aachten van Haag ließ sich nicht ablenken. Seine Arbeit bestand darin, die beiden Cyborgs keine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Da gellte ein Schrei zwischen den Mammut-Aggregaten auf. Auch die siebzehn Mann, die gerade ihr Gefängnis verlassen hatten, wirbelten herum… und plötzlich stand das Entsetzen wieder in ihrem Blick. Der Transmitter arbeitete. Die Kreisfläche fluoreszierte! Dieses Fluoreszieren beherrschte den großen Raum mit seinen blauschimmernden Unitallwänden. Aber das war nichts Neues mehr. Das kannte fast jeder, der in einer der drei Höhlen arbeitete. Doch so etwas wie das Gesicht in der Kreisfläche war noch nie zuvor gesehen worden! Das zerfurchte Gesicht eines uralten Mannes, dessen graue Augen die teils überraschten, teils entsetzten Menschen starr anblickten. Es war ein unbarmherziges, ein bedrohliches Gesicht. Ren Dhark musterte das Gesicht neugierig. Er studierte es mit beinahe wissenschaftlicher Akribie; er sog die vielen Falten des Alten regelrecht in sich auf, um keine einzige zu vergessen. Dieses Gesicht mußte einem Menschen gehören! Einem Mysterious? Warum muß ich auf einmal an die Plastik auf Mirac denken? fragte sich Dhark, während er darauf wartete, daß das Gesicht in der Kreisfläche der TransmitterAntenne irgendeine Gemütsregung offenbarte. Aber es blieb starr, der Blick aus den grauen, uralten Augen mitleidlos. Und dann begann das Gesicht ganz langsam zu verblassen. Was hatte diese Erscheinung zu bedeuten? War es eine Drohung? Oder eine Warnung? Oder gar ein unerbittliches Stop für die Terraner, nicht länger auf Gebieten zu forschen, die sie nichts angingen? Jos zuckte zusammen. Er hatte seinen Auftrag vergessen. Er hatte die beiden Cyborgs nicht mehr beobachtet. Das zerfurchte, alte Gesicht hatte ihn abgelenkt! Dann war es zu spät, zum Blaster zu greifen. Die beiden Cyborgs hatten auf ihr zweites System umgeschaltet und wollten Manu Tschobe ermorden. Nur Jos Aachten van Haag beobachtete die Katastrophe, und auch er konnte sie nicht mehr verhindern! Niemand konnte ahnen, daß sich in diesem Augenblick viele Lichtjahre weit entfernt noch eine andere Katastrophe ereignete, eine Katastrophe, die Folgen haben 121
sollte…
12. FO-23 ruft TERRA! FO-23 ruft TERRA! Cent Field bitte kommen! Cent Field bitte kommen! Der zweihundert Meter durchmessende Forschungsraumer hatte eine Notlandung hinter sich. Captain Jon Bradock, der Kommandant der FO-23, hatte mit dieser Landung auf dem Gipfel eines nackten Dreitausenders eine Meisterleistung vollbracht. Wenn es mit normalen Dingen zugegangen wäre, hätte die FO-23 zwischen den Felsspitzen wie ein rohes Ei zerplatzen müssen. Und jetzt meldete sich Cent Field nicht! Seit zehn Minuten rief die FO-23. Der Hypersender des Raumers war klar. Cent Field mußte den Spruch empfangen. »Zum Teufel, warum melden die sich nicht?« knurrte der Captain, ein schlanker Mann, der manchmal unmenschliche Anforderungen an seine Besatzung stellte, sich aber nie scheute, seinen Männern selbst das vorzumachen, was er ihnen abverlangte. Für Bradock gingen seine Männer durchs Feuer, auch wenn sie ihn hin und wieder >Sklavenhalten nannten. Jon Bradock wußte, wie man über ihn sprach. Es machte ihm herzlich wenig aus, weil er wußte, wie es gemeint war. Jetzt ging er in der Funk-Z seines Schiffes auf und ab. Schneller, immer schneller. Immer öfter sah er auf sein Chrono. Seine Ungeduld wuchs. Schließlich hatte er sein Schiff auf einem unbekannten Planeten, mitten in einem Hochgebirge landen müssen. Und wieder dachte er daran, wie es zu dieser verzweifelten Notlandung gekommen war. Bradock blieb stehen, starrte ein Oszillo an und sah die von innen beleuchtete Scheibe doch nicht. Seine Gedanken wanderten um zwei Stunden in die Vergangenheit zurück… Zwei Stunden zuvor… Die FO-23 flog ein unbekanntes System an; einen S-Stern mit starkem Lichtwechsel und auffallenden Zirkon-Absorptionslinien. Das war an sich nichts Besonderes, auch nicht, daß dieser Stern elf Planeten besaß, von denen drei Zwillinge waren. Daß die Astronomen darüber in einen Freudentaumel ausbrachen, störte Captain Bradock nicht. Für ihn war der Anflug auf dieses System eine Routineangelegenheit. Immer wieder das gleiche, dachte er. Eine stinklangweilige Sache, bis unsere Schlauberger alle Daten im Kasten haben. Neben ihm brummte Oberleutnant Mett Cham, neunundzwanzig Jahre alt und I.O. 122
der FO-23. Er war mit der Wiedergabe auf dem Bildschirm nicht zufrieden. »Drei Planetenpaare in einem System…? Und das bei dieser Sonne…?« Bradock fragte ihn nicht, warum ihm das nicht paßte. Distanz zum äußersten Planeten noch knapp eine Lichtstunde. Die FO-23 würde die Umlaufbahn in einer Stunde und achtundvierzig Minuten erreichen. Die Ortungen waren alle klar. Sie lieferten soviel Daten, daß die Wissenschaftler daran erstickt wären, wenn sie sie nicht einfach den Suprasensoren hätten zuführen können. Und die zeigten ununterbrochen Grün. Die sonnennächsten Trabanten waren Zwillinge. Jedes Paar hatte einen gemeinsamen Schwerpunkt. Eine selbstverständliche Sache -für Captain Bradock und seine Besatzung. Aber nicht für die Astronomen und Astrophysiker an Bord. Die machten eine Sensation daraus. Anruf aus der Astro-Abteilung. Jon Bradock wurde nicht einmal neugierig. Auch wenn die Astronomen versuchten, aus den vorliegenden Tatsachen etwas zu machen, das eigentlich die GALAXIS hätte erschüttern müssen. »Captain, alle drei Zwillinge bewegen sich im gleichen Abstand um ihren gemeinsamen Mittelpunkt. Alle drei Zwillinge umlaufen in der gleichen Zeit die S-Sonne. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Captain, können wir nicht mit höherer Fahrt in dieses System einfliegen?« Jon Bradock hörte es gern. Je schneller sein Raumer an Ort und Stelle war, um so schneller waren sie auch wieder draußen, und die Untersuchung dieses Systems war die letzte Aufgabe der FO-23. Dann ging es Kurs Terra. Nach drei Monaten Forschungsflug und stupidem Katalogisieren des Sektors NN/45 sehnte auch er sich danach, Terra wiederzusehen. Dazu drängte ihn noch etwas anderes: Seine Frau erwartete ein Kind. Das erste. Er wollte bei ihr sein, wenn es soweit war. Darum sagte er: »Okay«. Die As-Onen-Triebwerke der FO-23 wurden hochgefahren, und die Zelle des Raumers begann wie eine schlecht gestimmte Glocke zu dröhnen. Bei 0,78 Licht blieb die Geschwindigkeit des Forschungsschiffes konstant. Mett Cham hatte wieder einen Grund zum Meckern gefunden. »Unsere Energieortung zeigt Null. Das gefällt mir bei diesen drei Zwillingen nicht. Captain, da ist was faul!« Bradock dachte an seine Frau, an Terra, und er dachte, daß er seinem Ersten das Nörgeln wohl nie abgewöhnen können würde. Vorbeiflug an den äußeren Planeten. Hübsche Eiskugeln, und alle nicht einmal erdgroß. Die S-Sonne wurde auf dem Bildschirm größer und größer. Sie befand sich in ihrer maximalen Helligkeitsperiode. Die Dauer ihres Pulsationszyklus betrug 42,06 Stunden Norm-Zeit. Diese Informationen hatten die Astronomen dem Captain geliefert. Er registrierte, daß die Rotationszeit der drei Zwillinge 21,03 Stunden 123
Norm-Zeit betrug. Solche Zufälle waren im Sternenmeer keine Seltenheit; niemals hatte etwas Besonderes dahintergesteckt. »Gehen Sie mit der Fahrt ‘runter«, sagte Bradock zu seinem I.O. als auf seinem Instrumentenpult eine Warnkontrolle aufleuchtete. »Warum schalten Sie nicht um? Haben Sie die Nase immer noch nicht voll vom Manuell-Fliegen?« »Nee!« So antwortete ein Mann, der sich belästigt fühlte. Bradock überhörte es. Er hatte seinen guten Tag. Morgen oder übermorgen würde sein Kahn auf dem Raumhafen von Cent Field liegen, und er würde in einem Jett unterwegs zu seiner Frau sein. 168 Das Orgeln, Donnern und Brüllen der As-Onen-Triebwerke ließ nach. Im Schiff wurde die Verständigung bedeutend leichter. Vorbei an fünf Planeten. Anflug auf die Zwillinge, die sich auf drei Bahnen um ihre Pulsations-Sonne bewegten. Distanz zum nächsten Zwilling 127 Millionen Kilometer bei nur noch 0,25 Licht. »Sauerstoffplaneten… Hübsch. Bei 0,7 Gravos muß es ein Vergnügen sein, da Holz zu hacken…« Jon Bradock hatte hin und wieder Wünsche, die in Ururgroßvaters Zeiten auf Terra zu den täglichen Pflichten gehört hatten. Aber wer wäre so verrückt, heutzutage diesen wertvollen Stoff zu verbrennen? In der nächsten Sekunde waren derartige Fragen vergessen. Die Energieortung des Raumers warf einen Wert aus, der von den Instrumenten nicht mehr klar zu erfassen war. Zeitgleich mit dem Heulen der Sirenen und dem abrupt einsetzenden Vibrationsalarm brüllten die Andruckabsorber des Schiffes auf, verstummte das Orgeln der As-Onen-Triebwerke – und dann schien eine unsichtbare Riesenhand das Zweihundert-Meter-Schiff zu packen und so drastisch abzustoppen, daß die Schweißnähte zu platzen drohten. Die FO-23 stand relativ zum Sonnensystem still im Raum! Die Besatzung und die Wissenschaftler an Bord hatten alle nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich in die Raumanzüge zu kommen. Jon Bradock dachte nicht daran. Seine Stimme klirrte, als sie über die Bordverständigung in den wichtigsten Zentralen des Raumers erklang. »Bringen Sie mir die Triebwerke wieder in Schwung, Chief! Und zwar ein bißchen plötzlich, verstanden!?« Er ließ nicht gelten, daß ihm der Chef der Waffensteuerung stok-kend mitteilte, sämtliche Geschützantennen seien unklar. Er stauchte um zusammen. Der Anpfiff kam nicht mehr an. Die Energieversorgung im Schiff brach zusammen. Auch in der Zentrale gab es nicht einmal mehr die Notbeleuchtung. Die FO-23 war ein dunkler Sarg geworden, in dem keine einzige Funktion mehr aktiv war. 124
Die Stille in der Kommandozentrale war unheimlich. Da bewies Jon Bradock fast so etwas wie Humor. »Cham, haben wir vielleicht eine Kerze hier?« Er erwartete nicht wirklich, daß dem so wäre. Was geschah mit seinem Schiff? Was stand ihnen bevor? Wer hatte den Raumer angegriffen und ihn aller Funktionen beraubt? »Diese verdammten Zwillinge«, murmelte und erkannte, daß er diesem Phänomen zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Das war kein Wunder der Natur; hier waren intelligente Wesen am Werk gewesen, die sechs Planeten zu Paaren vereinigt hatten, um sie auf verschiedenen Bahnen mit der gleichen Umlaufzeit um ihre Sonne kreisen zu lassen! Und das alles ziemlich genau 10.000 Lichtjahre vom Sol-System entfernt! Aber nicht in Richtung auf das galaktische Zentrum, sondern am Ende des benachbarten Spiralarms! Auch Jon Bradock stöhnte unter Schmerzen auf, als ein mörderischer Andruck durch das Schiff lief. Seine FO-23 wurde aus dem Stand heraus radikal beschleunigt, Hinter Bradocks Stirn jagten sich die Gedanken. Er konnte sich nicht erklären, wie man alle Konverter im Schiff lahmlegen konnte. Das gab es doch nicht! Aber wieso hatte dann auch der Chef der Waffensteuerung alle Geschützantennen unklar gemeldet? Die hingen doch im Normalfall an separaten Konvertern und Speicherbänken! Und auch die letzteren sollten kein einziges Quant Energie mehr besitzen? Das wollte Jon Bradock einfach nicht wahrhaben. »Los, Cham, rasen Sie zur Triebwerkszentrale. Wir müssen irgendwie wieder Saft in die As-Onen-Triebwerke kriegen. Ab mit Ihnen!« »Zustände wie im alten Rom…« Noch nicht einmal in einer solchen Situation konnte Mett Cham das Nörgeln lassen. Er machte sich auf den Weg. Nicht schnell. Um ihn herum war es stockdunkel. Nicht ein Lichtstrahl war zu sehen. Ein Königreich für eine Kerze! Auch der Scheinwerfer an seinem Raumanzug brannte nicht. Und den Klarsichthelm des Anzugs zu schließen, hätte Selbstmord bedeutet. Die Lufterneuerungsanlage darin arbeitete ebenfalls nicht. Jon Bradock wartete. Der Andruck, der einmal durchgekommen war, hatte ebensoschnell wieder nachgelassen. Dennoch war der Kommandant überzeugt, daß sein Schiff sich ohne eigene Kraft bewegte. Nur den Kurs konnte er sich nicht vorstellen. »Ruhe!« brüllte er durch die Dunkelheit, als einige seiner Offiziere sich zu unterhalten begannen. »Absolute Ruhe!« Warum er diesen sinnlosen Befehl gab, wußte er auch nicht. 125
Plötzlich war das Arbeiten eines As-Onen-Triebwerks zu hören. Jetzt setzte ein zweites ein, ein drittes… weitere kamen hinzu. Sie liefen nur mit minimaler Leistung. Aber sie liefen! Das war vorerst einmal die Hauptsache. Der 1. Ingenieur mußte ein Wunder vollbracht haben. Wo hat der Bursche bloß den Saft her? fragte sich Bradock. Die Notbeleuchtung flackerte auf, ganz kurz nur. Dann war es in allen Räumen der FO-23 wieder stockdunkel. Doch wenig später flackerte sie ein zweites Mal auf – und blieb. Licht! Wenn auch ein müdes, düsteres Licht. Aber man konnte wieder etwas sehen. Die Bordverständigung funktionierte auch wieder. Ausfall aller Ortungen! Kein Bildschirm klar! Keine Geschützantenne! Die Hauptkonverter im Raumer lagen still! Die Speicherbänke gaben keine Energie ab, obwohl sie laut Anzeige bis zu fünfundsiebzig Prozent aufgeladen waren. »Captain, etwas blockiert alles, aber warum ein paar Not-Konverter wieder arbeiten… der Teufel mag’s wissen, wir leider nicht.« »Mit dem habe ich im Moment ungern zu tun.« Bradock beugte sich vor. Die Notenergieversorgung reichte jetzt aus, um ein paar Instrumente an seinem Pult wieder aktiv werden zu lassen. »Hübsche Fahrt«, brummte er. Seine FO-23 bewegte sich mit 0,32 Licht. Diese Geschwindigkeit konnten sie mit einer Handvoll schwach arbeitender As-Onen-Tnebwerke niemals erreichen! Also… Er machte sich nichts vor. Eine unbekannte Macht hatte sein Schiff in der Gewalt und spielte im Leerraum zwischen den Zwillingsplaneten damit Fußball. Keine schöne Vorstellung. Sein Blick brannte sich am großen Bildschirm fest. Der stand immer noch auf maximale Vergrößerung. Sie rasten an der S-Sonne vorbei! Sie wurden aus diesem System mit den drei Zwillingsplaneten regelrecht hinausgeworfen! Man wollte sie nicht haben! Da hatte Bradock die Idee seines Lebens. Über die Bordverständigung brüllte er den leitenden Offizier in der Funk-Z an: »Mann, jagen Sie auf allen Frequenzen, die Sie aktivieren können, einen Bildspruch raus, daß wir die harmlosesten Subjekte der Milchstraße sind. Nur lassen Sie sich bei der Sendung das Richtige einfallen. Nicht, daß die anderen auf die Idee kommen, wir könnten eine Abwechslung für ihre Speisekarte sein…« »Spruch läuft, Captain… Ich strahle gerade die Bergung eines havarierten Raumers ab«, kam die Meldung aus der Funk-Z. 126
»Hoffentlich…« Die As-Onen-Triebwerke der FO-23 sprangen alle wieder an. Die Notbeleuchtung wurde überflüssig. Im Schiff herrschten wieder normale Zustände. Bis auf eine Ausnahme: Die As-Onen-Triebwerke ließen sich nicht steuern! Der Raumer war gezwungen, seinen Kurs beizubehalten! Kurs aus dem System der S-Sonne heraus! Geschwindigkeit steigend. Schon über 0,5 Licht! Neben dem Kommandanten ließ sich sein 1. Offizier in den Copiloten-Sitz fallen. »Ein prachtvoller Rausschmiß!« John Bradock dachte dasselbe. Und er wollte sich diesen Rausschmiß nicht bieten lassen. Aber warum kam keine Meldung aus der Funk-Z? Die Unbekannten mußten doch auf die Bildsendung reagieren. Aber sie schienen der Friedfertigkeit der unbekannten Besucher immer noch zu mißtrauen, sonst hätten sie eine Landung der FO-23 auf einem ihrer Zwillings-Sauerstoff-Planeten zugelassen. »Freunde«, versprach ihnen Jon Bradock, »wir sind gleich wieder da! – Hallo, Ortungen! Ich benötige jetzt hundertprozentig exakte Werte. Distanz, Magnetfelder, Rotationszeiten und so weiter und so weiter. Aber alle Werte. Und alle Werte gleich dreimal durch die Suprasensorkontrolle. Ich benötige sie für einen kleinen Sprung. Für eine Kurztransition auf eine dieser Zwillings weiten. Ist das klar?« Das war mehr, als einfach nur ein Risiko einzugehen! Das bedeutete, daß Captain Jon Bradock das Leben aller seiner Männer aufs Spiel setzen wollte! Aber es gab an Bord seines Schiffes niemanden, der gegen sein Vorhaben protestierte. Nicht einmal von den Ortungen kam Widerspruch, nur ein gepreßtes Okay. Und die FO-23 raste inzwischen mit 0,73 Licht aus dem System einer PulsationsSonne heraus, die elf Planeten besaß, von denen sechs Zwillinge waren. »Himmel und Hölle, jetzt könnte ich einen Cognac gebrauchen«, flüsterte Mett Cham. »Hier wird nicht gesoffen!« fauchte der Kommandant ihn an. »Trinker sind auf Raumschiffen eine Gefahr für alle!« Cham sah seinen Vorgesetzten entgeistert an. »Captain… Sie… Sie trinken…« Jon Bradock wußte, was sein Stellvertreter sagen wollte. »Aber ich weiß, wann ich trinken darf und wann nicht. Das unterscheidet uns voneinander!« Die FO-23 näherte sich der Lichtgeschwindigkeit. Darauf hatte Jon Bradock gewartet. Noch einmal Fragen an die Ortungen. Noch einmal Rückfragen an die Experten, die das Bordgehirn der FO-23 bedienten. Dann kam der Befehl: »X-Zeit für Kurztransition in drei Minuten anlaufen lassen; Dauer der X-Zeit eine Minute!« Das Ziel des Sprungs lag fest: Der größere Planet des dritten, äußeren Zwillingspaars! John Bradock wollte mit diesem Trick herausbekommen, welche Macht ihn und 127
sein Schiff daran gehindert hatte, einen Planeten dieses Systems anzufliegen. Er glaubte, es sich und Terra schuldig zu sein, diese Nachforschungen anzustellen. In der FO-23 lief die X-Zeit! Das Bordgehirn zeigte Grün. Der große Suprasensor der FO-23 blieb seit einigen Sekunden bei unveränderten Endwerten. Dennoch war das Risiko immer noch riesengroß. Denn bei einem solchen Sprung konnte ein winziger Fehler von einigen hundert Kilometern eine Katastrophe herbeiführen. Captain Jon Bradock wollte nur ganz knapp außerhalb der Atmosphäre des Planeten mit geringer Restfahrt aus der Transition kommen und binnen kürzester Zeit gelandet sein. Die Ortungsgeräte der Unbekannten sollten so gut wie keine Gelegenheit erhalten, die As-Onen-Triebwerke und die Masse der FO-23 anmessen zu können. »Raumanzüge schließen…!« Bradocks letzter Befehl vor dem Sprung. Die As-Onen-Triebwerke des Forschungsraumers brüllten auf. Ungeheure Energiemengen wurden freigegeben, um die Voraussetzungen für die Transition zu schaffen. Angst und Übelkeit, die üblichen Begleiterscheinungen von Transitionen an Bord der Kugelraumer, brachen über die Männer herein, als das Schiff das Raum-ZeitKontinuum verließ, dabei eine – nur mathematisch erfaßbar – Kehrtwendung von hundertachtzig Grad machte und über dem größeren Planeten des dritten Zwillingspaars wieder ins normale Gefüge zurückehrte. Jon Bradock krümmte sich noch unter dem unbeherrschbaren Angstgefühl, als Kollisionsalarm gegeben wurde. Die Distanzberechnung war fehlerhaft gewesen! Direkt unter der FO-23 befand sich ein Gebirge! Das zweihundert Meter durchmessende Schiff raste viel zu schnell auf die felsigen Grate nackter Dreitausender zu! Jon Bradock reagierte, ohne nachzudenken. Seine Hände flogen zur Steuerung. Blitzschaltung für alle As-Onen-Triebwerke! Sperrung der Sicherungen für die Andruckabsorber. Vollast aller Konverter! Emissionswinkel aller As-Onen-Triebwerke auf minimale Steigleistung! Volle Schubkraft! Und das alles achttausend Meter über einem Meer aus zackigen, zerfransten Gipfeln, zwischen denen dunkle Abgründe gähnten -tief eingeschnittene Täler, die so schmal waren, daß Bradock glaubte, den Grand Canyon gleich mehrfach unter sich zu sehen. Ein Kreischen ging durch den Raumer. Es kam aus dem Ringwulst, der im Äquatorialbereich der FO-23 gleich einem halbierten Schlauch gegen die Innenwandung 128
der Zelle lag. Die nebeneinander installierten Triebwerke, alle zugleich auf maximale Leistung geschaltet, drohten aus ihren Bettungen zu fliegen. Vollast! Aber die FO-23 raste weiter wie ein Stein in die Tiefe! Teleskopbeine ausfahren! Es ging um Sekundenbruchteile. Der große Bildschirm zeigte es. Der Prallschirm des Forschungsraumers verwandelte sich in weißglühende Lohe, als die mit Brachialgewalt zur Seite gedrückte Luft sich mehr und mehr erhitzte… »Wir krachen auf…« flüsterte Jon Bradock; er brauchte den Höhenmesser nicht mehr abzulesen. Ihm blieb nur noch die Hoffnung, daß die Andruckabsorber die größte Wucht des Aufpralls abfangen und so seinen Männern eine Chance zum Überleben geben würden. »Wir schaffen es…« keuchte neben ihm Mett Cham. Dieser Narr, dacht der Kommandant, wir sind ja kaum noch tausend Meter über dem Gipfel. Und dieser Gipfel war viel zu klein… »Wo bleibt denn der A-Grav?« gellte es durch die Zentrale. Bradock wußte es. Jeder Mann an Bord wußte es. Der A-Grav konnte nicht kommen. Um die As-Onen-Triebwerke über die Katastrophenschaltung so schnell hochzufahren, waren alle Energiereserven erforderlich, die das Schiff besaß. Für A-Grav-Kräfte blieb da nichts mehr übrig. Ein blauer Himmel. Unter ihnen ein Gebirge, braun und grau und schwarz. Um die FO-23 herum heulende, glühende Luftmassen. Und unter ihnen ein schmaler, langer Grat, zerrissen, zerfranst und voller nadelspitzer Zacken. Zacken, die die Zelle des Forschungsraumers wie eine Konservendose aufschlitzten würden! »Jetzt…« Der Aufprall kam. Die Teleskopbeine des Raumers konnten den Stoß nicht ausgleichen. Die Andruckabsorber wurden über ihre maximale Leistung belastet. Ein dumpfer, dröhnender Schlag erschütterte die Zelle. Die FO-23 hüpfte, sprang hoch, während zugleich ein teuflisches Knirschen und Krachen durch alle Räume lief. Und dann ging ein letzter Schlag durch das Schiff, das sich langsam zur Seite neigte. War die FO-23 doch einigermaßen glatt gelandet? Aber sie krängte immer stärker über! Und warum liefen die Triebwerke nicht mehr? Jon Bradock fühlte, wie der Druck auf der rechten Seite seines Pilotensitzes immer stärker wurde. 129
»A-Grav, komm! Komm…!« Er stieß es wie ein Stoßgebet aus. »Komm, bevor das Schiff in den Abgrund stürzt…!« Der A-Grav kam! Die Neigungsbewegung der FO-23 hörte auf. Das Knirschen und Krachen draußen, dort, wo sich die Teleskopbeine befanden, wurde leiser. Das dumpfe Brummen und durchdringende Pfeifen von Transformern und Speicherbänken ließ nach. Die FO-23 war auf einem Planeten eines unbekannten Systems gelandet, aber zu welchem Preis! Eine Viertelstunde später sahen zwölf Mann die Zerstörungen. Zwei Dutzend größtenteils schwerbeschädigte Teleskopbeine hingen verbogen und verdreht an der Zelle des Kugelraumers. Dennoch flogen bewundernde Blicke zum Kommandanten, der mit verkniffenem Gesicht die Schäden musterte. Jon Bradock hatte mit dieser Landung etwas Unglaubliches vollbracht. Und jeder, der einen Blick in die Tiefe und dann auf die Schieflage des Schiffes warf, erschauerte. Drei Grad mehr Neigung hätten genügt, den Kugelraumer in die Schlucht stürzen zu lassen, aus der es dunkelblau zu ihnen heraufschimmerte. Jon Bradock atmete tief durch. All das war ihm in der Funk-Z seines Schiffes noch einmal durch den Kopf gegangen. Er bereute nichts, aber seine Frau tat ihm leid. Sie würde allein sein, wenn sie ihr erstes Kind zur Welt brachte. Bradock machte sich nichts vor. Die zerstörten Teleskopbeine waren nicht so wichtig. Viel schlimmer waren die irreparablen Schäden im Schiff. Die FO-23 konnte nicht mehr transitieren! Rund 10.000 Lichtjahre vom Sol-System entfernt. Darum wurde ja Terra mit maximaler Sendeleistung angerufen. Aber Terra meldete sich nicht. »Kommandant, wir haben Empfang!« rief ihm der 1. Funkoffizier zu und wies auf die Amplitude, die auf einem der Oszillos in ununterbrochener Folge kam und ging. »Auf welcher Hyperfrequenz?« fragte Bradock. Die Antwort gab der Bildschirm des Empfangsgerätes. Drei Roboter sahen die Terraner in der Funk-Z der FO-23 an! Jos Aachten van Haag sah die Katastrophe kommen. Aber er konnte sie nicht mehr aufhalten. Es war zu spät, zum Blaster zu greifen. Die beiden Cyborgs standen schon dicht hinter dem Arzt und Funkspezialisten Manu Tschobe. Tschobe! wollte Jos schreien, aber das Wort blieb ihm im Mund stecken. Die Kreisfläche der Transmitter-Antenne war nicht mehr leer. Dort stand ein Roboter des Typs, den Professor Acker und Tschobe schon kennengelernt hatten – ein Zylinder mit fünf Gehgliedern und fünf Armen. Nur lagen die 130
Arme nicht gegen den zylindrischen Rumpf gepreßt. Sie waren auf den Eingang gerichtet, vor dem Ren Dhark mit seinen Begleitern stand. Und diese Arme mit den Greifklauen waren Strahlwaffen. Ren Dhark warf sich zur Seite, als die nadeldünne Energiebahn dicht an seinem Kopf vorbeizischte. Voller Entsetzen dachte er an die Menschen, die hinter ihm standen und in den Bereich dieses Strahls gekommen waren. Doch er hörte keinen Schrei. Er hörte Dan Riker unterdrückt stöhnen, und dann stand Jos Aachten van Haag bei ihnen. Sein Gesicht war grau. Der GSO-Mann, dem viele nachsagten, er sei abgebrüht und ihn könne nichts erschüttern, schien in diesem Moment die Sprache verloren zu haben. Er konnte einfach nicht begreifen, was er gesehen hatte. Während er vergeblich nach Worten suchte und mit beiden Armen gestikulierte, erlebte er alles noch einmal. In der Kreisfläche des Transmitters tauchte der Roboter auf. Aber wieso waren seine fünf Arme schon auf die Menschen ausgerichtet, die am Eingang standen? Und aus zwei seiner Greifklauen waren Strahlen emittiert worden, und diese Strahlen hatten die beiden Cyborgs, die auf ihr zweites System geschaltet hatten, getroffen. Hatten die Strahlen tatsächlich getroffen? Jos Aachten van Haag drehte sich noch einmal um. Sein Blick suchte die Cyborgs. Andere taten es ihm gleich. Auch Ren Dhark. Drei Schritte vor der Kreisfläche des Transmitters schwebte der Roboter fußhoch über dem Unitallboden; er bewegte sich nicht mehr. Die fünf Armglieder hatte er gegen seinen zylindrischen Rumpf gepreßt, die Greifklauen der Extremitäten waren geschlossen. Nur die beiden Cyborgs Mildan und Dordig waren und blieben verschwunden. »Was sagen Sie, Jos?« unterbrach ihn Ren Dhark verblüfft, und sein markantes Gesicht spiegelte Erschrecken wider. »Was sagen Sie?« fragte er noch einmal, obwohl ihm seine Augen sagten, daß die beiden Cyborgs weit und breit nicht mehr zu sehen waren. »Ja, sie verschwanden im gleichen Moment, in dem sie von den Strahlen getroffen wurden. Aber es war kein Verschwinden im eigentlichen Sinn. Es war so, als ob sie ihre körperliche Existenz verloren hätten. So, so…« Jos suchte nach Worten, zuckte hilflos mit den Schultern und meinte dann: »Vielleicht haben andere hier den Vorgang besser als ich beobachtet. Ich bleibe bei meiner Behauptung, daß sie nicht tot sind. Wir können sie deshalb nicht mehr sehen, weil sie das Existentielle verloren haben.« »Mahlzeit!« sagte neben ihm der Afrikaner, der sich den Schweiß von der Stirn wischte und immer noch sehr blaß war. »Mein Bedarf an Abenteuern ist für heute gedeckt. Große Milchstraße, Jos, wie konnte das passieren?« In seiner Stimme schwang ein leichter Vorwurf mit. 131
Jos nickte, als wollte er Tschobe recht geben. »Wie es passieren konnte? Auch ich war von diesem zerfurchten alten Gesicht in der Ringantenne fasziniert. Ich habe mich ablenken lassen und die Cyborgs vielleicht eine halbe Minute lang nicht beobachtet. Hm…« Er bedachte den Roboter mit einem Blick, der eine einzige Frage war. »Ich möchte auch wissen, wie der dazu kam, meinen Schutz zu übernehmen«, sagte Tschobe und setzte sich in Richtung auf den Roboter in Bewegung. Riker wollte ihn zurückhalten, doch Ren Dhark mischte sich ein. »Laß ihn. Er hat Erfahrung mit diesen Maschinenwesen.« Tschobe hatte den Roboter erreicht und wunderte sich, wie sehr er sich in der kurzen Zeit auf einer fernen Transmitter-Station an das Aussehen dieser Gestalten gewöhnt hatte. »Hallo«, sagte er laut und tippte den Roboter leicht an. Der Automat schwebte, ohne sich dabei zu drehen, auf die Antenne zu. Langsam. Und dann starrte nicht nur Manu Tschobe verblüfft auf die leere Kreisfläche. »Jetzt sind wir so klug wie zuvor«, stellte Ren Dhark sachlich fest. »Diese Vorfälle sollten uns allen zu denken geben. Das Gesicht des alten Mannes hat uns etwas sagen wollen. Ein Roboter hat verhindert, daß Tschobe umgebracht wurde. Ist dieser letzte Fall nicht viel rätselhafter als alle anderen? Denn – wie soll ein Roboter die Gedanken eines Cyborgs lesen können, der doch im zweiten System nur im Bereich seines Programm-Gehirns denkt?« Damit hatte Dhark die wichtigsten Punkte herausgestellt. Dennoch hatte er ein leicht schadenfrohes Lächeln für Manu Tschobe übrig, als dieser wieder zu ihnen trat. »Sie haben gut lachen«, knurrte der Afrikaner unzufrieden, »dabei habe ich den Blechkameraden nur angetippt, ihm nicht einmal einen Stoß gegeben. Besonders kontaktfreudig sind diese Burschen nicht.« Ren Dharks Augen blitzten, als er Tschobe beide Hände auf die Schultern legte. »Manu, haben Sie immer noch nicht begriffen, warum der Roboter Sie gerettet hat?« Die Menschenmenge um sie herum war größer geworden. Die Wissenschaftler wollten sich kein Wort entgehen lassen. »Ich bin heute ziemlich strapaziert worden«, meinte Tschobe, »aber auch wenn dem nicht so wäre, wüßte ich immer noch nicht, wieso da ein Roboter auftaucht und…« Professor Tim Acker war der zweite, der die Zusammenhänge erkannte. »Tschobe«, mischte er sich ein, »haben Sie vergessen, daß Sie und ich in einem Saal neben einer Transmitter-Station all unser Wissen preisgeben mußten? Und wenn Sie gewußt haben, daß Cyborgs Ihnen an den Kragen wollten, dann haben es dadurch auch unsere lieben Roboter gewußt!« »Nein!« sagte Tschobe voller Überzeugung zu Dhark und Acker. »Nein, so einfach 132
kann der Fall nicht sein. Diese Erklärung ist zu simpel. Und Sie, Dhark, Sie trauen diesen Robotern mehr zu als sie wirklich können…« »So?« fragte der Commander gedehnt, »und wer hat die beiden Cyborgs verschwinden lassen?« Wie immer konnte der Afrikaner auch jetzt dem Commander nicht in die Augen sehen. »Weiß ich es? Haben Sie eine physikalische Erklärung dafür?« Abrupt machte er eine Bewegung mit dem rechten Arm, riß dabei seine Augen weit auf, packte auch noch mit der anderen Hand zu und schrie wie ein Mensch voller Todesangst: »Ich hab’ einen! Ich hab’ einen!« Aber seine Hände waren leer. Und zwischen ihm und Dan Riker, zu dem er sich umgedreht hatte, befand sich – nichts! Ren Dhark sah die Veränderung in Tschobes Gesicht. Er hörte ihn rufen. Er sah, daß der Afrikaner etwas gepackt hielt, das nicht vorhanden war. Er wollte hinüberlaufen, wollte Tschobe helfen, und er sah aus dem Augenwinkel, daß auch Jos Aachten van Haag sich in Bewegung setzte. Da stieß Tschobe ein unterdrücktes Keuchen aus, taumelte rückwärts. Seine Arme fielen herunter… Ren Dhark hatte jetzt den Afrikaner erreicht, fing ihn auf, stützte ihn. Tschobe atmete einmal tief durch. Ein Schauer schien ihn zu überlaufen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er sich zu Ren Dhark beugte und sagte: »Dhark, wir haben es jetzt mit zwei unsichtbaren und zugleich entarteten Cyborgs zu tun! Gute Nacht, Mutter Erde!« Noch bevor Ren Dhark irgend etwas erwidern konnte, meldete sich sein SpezialVipho. »Commander, Cent Field – Marschall Bulton verlangt Sie dringend in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen. Soll ich verbinden?« Natürlich nahm der Commander das Gespräch entgegen. Nur konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, wie wichtig dieser Funkspruch wirklich war – und wie wichtig die Entscheidung, die er gleich zu treffen hatte… Durch Marschall Bulton hörte Ren Dhark von der Notlandung der FO-23 in einem unbekannten System, dessen Position nicht klar auszumachen war, weil der Notruf des Forschungsraumers von einer halb defekten, automatisch arbeitenden Relaisstation nach Terra weitergefunkt worden war. »…Wir haben nur einen Satz klar empfangen: Alarm für Terra! Alarm für alle Intelligenzen im… dann bricht der Ruf ab. Ich habe vorsorglich Bereitschaftsstufe III angeordnet, Commander. Leider ist Captain Jon Bradock der Kommandant der FO23.« »Was soll das heißen, Bulton?« »Nun, Bradock ist ein erstklassiger Kommandant, aber bedauerlicherweise auch ein Mann, der Gefahren immer zu gering bewertet. Gerade weil ausgerechnet Bradock diesen Warnruf abgesetzt hat, wollte ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen. Ich kenne Bradock gut; schließlich ist er mein Stiefbruder!« 133
Dhark entschied sich sofort. »Ich habe hier noch ein bißchen was zu erledigen, Bulton. Rechnen Sie mit der Rückkehr der POINT OF für morgen gegen 18 Uhr Norm-Zeit. Sollte sich inzwischen etwas Wichtiges ereignen – ich bin jederzeit erreichbar. Ich danke Ihnen. Ende!« Damit waren die Würfel gefallen. Der Abgrund unter den Menschen der Erde öffnete sich weiter.
13. Jens Lionel, der Bordastronom der POINT OF, dachte nicht an Schlaf. Er war auch nicht müde. Seine Kollegen, die er aus ihren Kabinen geholt hatte, ebenfalls nicht. Sie hatten sich mit Begeisterung in ihre Aufgabe verbissen. Sie wollten das Geheimnis der Sternkarten, die der Commander in dem fremden Flash gefunden hatte, unter allen Umständen lösen. Und sie wollten endlich erfahren, in welchem Teil der GALAXIS die Heimatwelt der sagenhaften Mysterious lag, die vor tausend Jahren von der galaktischen Bühne verschwunden waren. Eine neue Projektion. Wie immer wurde sie von einem halben Dutzend Experten geprüft. »Wir kommen keinen Schritt weiter«, murmelte Lionel, »wenn wir nicht endlich herausbekommen, welches System als Bezugspunkt für diese Karten verwendet wurde.« Im Projektionsraum herrschte Ruhe. Der kleine Suprasensor arbeitete nicht. Die Verbindung zum Checkmaster der POINT OF war unterbrochen, weil er bisher auf alle Fragen die Antwort schuldig geblieben war. »Das Ding ist mir von Anfang an unheimlich gewesen«, meinte Lossow, der ziemlich neu an Bord war, »aber jetzt möchte ich sogar behaupten, daß es ein Biest ist. Ein Ding mit gemeinem Intellekt.« »Reden Sie kein Blech«, erwiderte Lionel grob. »Der Checkmaster ist nichts anderes als ein großartiges Bordgehirn, wie wir es vielleicht in hundert oder tausend Jahren konstruieren können. Allein der Gedanke, es könnte auf biologischer Basis arbeiten, macht mir eine Gänsehaut…« Er wischte sich über die Augen, betrachtete stirnrunzelnd die Projektion und murmelte: »Im Rotsektor… schon bei der ersten Durchmusterung… jetzt fällt’s mir wieder auf… da kommt mir was bekannt vor!« Solche Worte waren schon mehrfach gefallen, aber damit war auch alles gesagt. Man kam einfach nicht weiter. Diese Karten der Mysterious mußten Sterngebiete zeigen, die den Terranern fremd waren. Wahrscheinlich lagen sie weit hinter dem Zentrum der GALAXIS. Nach der Dichte zu schließen, mußte sich dieses Gebiet irgendwo in einem Randgebiet der Milchstraße befinden. Aber wo? Die Astronomen schreckten auf. In der POINT OF liefen ein paar Konverter an. Trotz der erstklassigen Schallisolationen kamen immer noch schwache Geräusche durch. Und 134
dann wurde über die Bordverständigung die Nachricht verbreitet: Die POINT OF startet in drei Minuten mit Kurs auf Terra! »Dann kommen wir doch noch mal nach Hause«, sagte Lossow, und es klang erleichtert. »Ich habe andere Sorgen«, erwiderte Lionel bissig, »und es wäre mir sympathischer, wenn Sie die gleichen hätten. Verdammt, welchen Abschnitt der Milchstraße zeigen bloß diese Karten?« Mit dieser Frage startete die POINT OF. Als Ballast nahm sie noch viele andere Fragen mit. Die Sender der FO-23 schwiegen. Nur der Empfang lief. Die Tonphase rührte sich nicht. Die großen Bildschirme zeigten nach wie vor diese unheimlichen Roboter. Roboter mit zylindrischem Körper; Roboter, die fünf Metallarme mit Greifklauenhänden und fünf Beinglieder besaßen; Roboter, die in ihrem Aussehen nichts Menschliches hatten. »Captain, wir haben den Standort ihres Senders…« Bradock winkte ab. Vor diesem Augenblick hatte er sich schon lange gefürchtet, ohne den Grund seiner Furcht erklären zu können. Jetzt war dieser Augenblick da. Sie hatten, wenn auch vorerst nur als Bildverbindung, Kontakt mit Robotern. Und hinter diesen Robotern mußten intelligente Wesen stecken – Lebewesen, die diesen seelenlosen Maschinen ihre Befehle gaben. Dann flackerte das Bild auf den Schirmen. Einen Moment später waren die Roboter nicht mehr zu sehen. »Ende«, sagte der Funker. »Oder der Anfang vom Ende!« Jon Bradock war ungewohnt pessimistisch. »Ich danke Ihnen, meine Herren!« Er kümmerte sich nicht darum, daß man ihm überrascht nachsah, als er die Funk-Z verließ. Im Leitstand beriet er mit seinem Ersten, wie sie weiter vorgehen sollten. »Abwarten«, meinte Mett Cham. »Ja, wenn unsere Konservendose nicht flügellahm wäre, mein Bester«, widersprach der Kommandant. »So aber befinden wir uns auf dem Präsentierteller und können jederzeit weggeputzt werden. Nein, wir müssen die Initiative ergreifen. Wir müssen den Bewohnern dieses Planeten beweisen, daß wir erstens friedfertig sind und uns zweitens in einer Notlage befinden. Wir müssen uns dazu etwas Überzeugendes einfallen lassen, wieso wir plötzlich trotz Rausschmiß auf ihrer Welt gelandet sind. Haben Sie vielleicht eine vernünftige Erklärung zur Hand, Cham?« »Ich muß Sie leider enttäuschen…« Bradock grinste kurz. »Das hab’ ich fast erwartet. Okay, Cham, dann überlegen Sie mal, wen ich mitnehmen soll!« »Sie wollen nach draußen, Captain? Sie wollen diese Roboter aufsuchen? Ich halte das für ziemlich riskant…« »Sie vielleicht…« sagte Bradock gedehnt, »aber ich nicht. Also, wen schlagen Sie vor?« 135
Mett Cham kannte den Kommandanten lange genug, um zu wissen, wie zwecklos es war, ihm seinen Plan ausreden zu wollen. Was sich Jon Bradock einmal in den Kopf gesetzt hatte, zog er auch durch – koste es was es wolle! »Nun… ich würde Leutnant Ville, Leutnant King, Sergeant Lyrs und mich empfehlen.« »Sie bleiben in diesem Sessel sitzen, Cham. Sie halten die FO-23 unter Dampf. Wenn ich mit den drei Männern draußen bin, will ich ununterbrochen Vipho- oder Hyperfunkkontakt mit Ihnen. Und jetzt geben Sie den dreien Bescheid. In einer halben Stunde will ich mit einem Jett ausfliegen…« Er flog aus. Die Leutnants Allan Ville und Epher King sowie Sergeant Manny Lyrs begleiteten ihn. Bradock hatte es energisch abgelehnt, einen Wissenschaftler mitzunehmen. Besonders viel hatte er für die >EierköpfePunkt< hatte eine Ausdehnung von mehr als sechzig Quadratkilometern. Die Funk-Z hatte nichts Neues zu berichten. Die astronomische Abteilung meldete: »Durchmesser des Planeten 9168 Kilometer; Schwerkraft 1,201 Gravos; mittlere Temperatur 16,2 Grad Celsius; Rotationszeit 24,01:42 Stunden Norm-Zeit; Umlauf zeit 1639 Tage; Luftmantel ähnlich Terras, aber auffallend hoher Argongehalt von 0,3 Prozent.« Noch während der Durchsage hatte sich das Aussehen des pulsierenden Recks schlagartig verändert. Er pulsierte nicht mehr! Er hatte die Farbe gewechselt. Er strahlte stetig in Blauweiß! »Fremdortung!« schrie Grappa auf. »Fremde Funkortung!« meldete im gleichen Moment Elis Yogan aus der Funk-Z. Über die Bildkugel zog sich ein Schleier; die scharf gezeichneten Konturen der Kontinente des Planeten verwischten. Nebelte der Planet sich ein? »Energetischer Schutzschirm von planetarem Format!« meldete Grappa lakonisch. Ren Dhark drückte eine Taste. In den beiden Waffensteuerungen der POINT OF flammte eine nicht zu übersehende Gelbkontrolle auf: Höchste Feuerbereitschaft! Und dann traute er seinen Augen nicht, als er die Belastungsanzeige der beiden Intervalle überprüfte. Belastung 78,4 Prozent! Aber warum meldete Grappa nicht, aus welcher Richtung dieser Angriff auf den Ringraumer erfolgte? Ren Dhark kam nicht mehr dazu, bei Grappa rückzufragen. Die Belastung der beiden Intervallfelder fiel unter ein Prozent. Der Schleier um den Planeten verschwand schlagartig. Sämtliche Kontinente waren wieder klar zu erkennen. Nur der pulsierende Punkt, der zum Schluß blauweiß gestrahlt hatte, war nicht mehr zu finden! »Großer Himmel«, stöhnte Grappa verzweifelt, »war das für ein paar Sekunden ein 208
Ortungssalat!« Ren Dhark zuckte zusammen. Er erinnerte sich eines unerklärlichen Vorgangs, in dem Fremdortung auch eine wichtige Rolle gespielt hatte. Bei der ersten Begegnung mit der Ringraumer-Flotte zwischen den beiden Spiralarmen war die POINT OF geortet worden. Und dann war das Flaggschiff der TF nicht nur vor dem Sturz in die Sonne bewahrt worden, sondern die ertobiten MKonverter hatten auch wieder Energie liefern können. Eindeutig war das erneute Arbeiten der Konverter einem Eingriff aus dem Robot-Schiff zuzuschreiben, aber wie Konverter in einer nahtlos geschlossenen Unitallhülle neu beschickt werden konnten, war mit den physikalischen Erkenntnissen der Terraner nicht zu erklären. War eben die POINT OF als ein Schiff der Mysterious identifiziert worden? Hatte man aus diesem Grund den planetaren Schutzschirm wieder abgeschaltet? »Sind auf diesem Planeten zweifelsfrei Schiffe gelandet und wieder gestartet?« lautete Dharks Frage an Grappa. »Ja, hundert bis zweihundert Einheiten, Commander!« Grappa blieb bei seinen Angaben. In Dharks braunen Augen leuchtete es kurz und unternehmungslustig auf. »Wir sehen uns den Planeten einmal näher an!« Die POINT OF beschleunigte wieder. Sie überflog den Planeten, der beinahe fünf Jahre benötigte, um sein Muttergestirn, dieses weiße Sonnenungeheuer, zu umlaufen. Nur seine riesige Distanz zu diesem Stern hatte ihn davor bewahrt, zu einer ebensolchen Gluthölle zu werden wie die drei anderen Planeten des Systems. Als die POINT OF die Welt zum drittenmal überflog, entdeckten sie die Stadt! Eine Ruinenstadt – aber Ruinen, deren gewaltige Größe die Menschen im Ringraumer den Atem anhalten ließ. Zehn Kilometer vor dem Stadtrand, zwischen einer rötlich schimmernden Wüste und der Ruinenstadt, setzte die POINT OF auf. Dhark hatte das Kommando über sein Schiff an Dan Riker abgegeben. Jetzt stand er hinter Grappa, hatte noch drei weitere Offiziere hinzugerufen, und gemeinsam beobachteten sie die Instrumente der Energieortung. In der Stadt gab es ein halbes Hundert starke Energiequellen! Aus der kartographischen Abteilung kam ein Sergeant und brachte die ersten Karten der Ruinenstadt. »Darin müssen ja einmal ein paar hundert Millionen gelebt haben«, sagte ein Offizier überrascht. Die Ruinenstadt umfaßte ein Areal von mehr als fünfhundert Quadratkilometern. Die weiße Sonne stand hoch am Himmel, als Ren Dhark nach Stunden intensiven Scannens mit acht Mann die POINT OF verließ, um die riesige Trümmerstadt zu erforschen. Bewußt verzichtete er darauf, die beiden einzigen Flash zu benutzen, über die das Flaggschiff zur Zeit verfügte. Sie sollten erst in eventuellen Katastrophenfällen eingesetzt werden. 209
Zwei Schwebeplatten setzten sich in Richtung Stadt in Bewegung. Arc Doorn flog die zweite Platte. Wie verabredet blieb er dicht hinter Dhark. Ungehindert fiel der Blick auf die gewaltigen Hochbauten der Stadt. Wolkenkratzer, deren Etagenblocks immer wieder versetzt waren und den Gebäuden ein bizarres Aussehen gaben, ragten oft über fünfhundert Meter hoch in den grünblauen Himmel – und das, obwohl ihre oberen Stockwerke zerstört waren. Die Straßen, die aus der Stadt führten, lagen unter Sand begraben oder waren von fremdartigem Unkraut überwuchert. Dennoch zeichneten sie sich unter der Vegetation deutlich ab. Je näher die Gruppe der Peripherie kam, um so intensiver mußte Ren Dhark an die Mysterious denken, und ununterbrochen fragte er sich, warum auf diesem Planeten Robot-Raumer gelandet und nach kurzem Aufenthalt wieder gestartet waren. Hatten sie vielleicht, kaum aus der Transition herausgekommen, von einem anderen Planeten aus den Befehl erhalten, sich diese Stadt genau anzusehen? Wollten die Mysterious vielleicht in Erfahrung bringen, wie weit der Zerfall vorgeschritten war? Doch warum sahen sie nicht selbst nach? Sie flogen die ersten Gebäude an. Dhark drosselte die Geschwindigkeit und setzte die Schwebeplatte weich auf. Dicht hinter ihm landete Doorn die zweite Platte. Der gedrungene Sibirier stampfte mit seinen drei Begleitern heran. Das tragbare Ortungsgerät, das über seiner Schulter hing, arbeitete mit maximaler Leistung. »Vor uns ist nichts.« »Wir bleiben zusammen«, ordnete Dhark an. »Das heißt, Doorn, Sie gehen mit Ihren Leuten auf der linken Straßenseite an der Häuserfront entlang, und ich bleibe mit meiner Gruppe auf der rechten. Die eine Gruppe darf die andere unter keinen Umständen aus den Augen verlieren. Alle Viphos einschalten, aber auch auf die Hyperfrequenz der POINT OF!« Glenn Morris in der Funk-Z bestätigte einwandfreien Empfang. Der kleine Trupp teilte sich. Sie gingen an den ersten Hochbauten vorbei – Gebäude in einem supermodernen Stil, die den Männern keinen Moment fremdartig vorkamen, weil die Hausfronten quadratische Fenster und noch intakte transparente Türen besaßen, wenngleich einige im Laufe der Zeit fast bis zur Hälfte zugeweht waren. Die Straße, die sie entlanggingen, war achtzig Meter breit und mit fremdartigen Sträuchern und Büschen bewachsen. Seit vielen Jahrhunderten mußte diese gewaltige Stadt verlassen sein, wenn auch die Fronten der Häuser aussahen, als ob sie erst vor kurzem errichtet worden wären. Hin und wieder machte einer der Männer über Vipho Bemerkungen, regelmäßig gab Arc Doorn die Werte durch, die ihm sein Ortungsgerät lieferte. Nach wie vor blieb alles unverändert. Die nächste energetische Quelle lag noch gut zwei Kilometer vor ihnen. 210
Plötzlich blieb Ren Dhark, der seiner Gruppe vorausging, abrupt stehen. Er deutete nach vorn, und seine Männer, die sich zu ihm heranschoben, staunten genau wie er. Ein paar hundert Meter weiter war die Straße frei von jeder Verwehung. Im hellen Licht der weißen Sonne leuchtete der Straßenbelag leicht gelblich, und die Farbe der Hausfronten wechselte vom bisherigen eintönigen Grau zu einem freundlichen Lindgrün. Langsam wanderte der Blick der Männer höher und höher und dabei immer weiter die Straße entlang. Die Hochbauten standen nicht mehr in einer Reihe. Mal waren sie weit zurückgesetzt, mal schob sich ein Wolkenkratzer bis zur Mitte der Straße vor, die dann durch einen leichten Bogen zur anderen Seite hin auswich. Mit Absicht schienen die Erbauer dieser Stadt schnurgerade Straßen vermieden zu haben. Auch mit Brücken waren sie sehr sparsam gewesen. Nur in weiter Ferne war eine zu entdecken. Zwei Drittel des zierlichen, weitgespannten Bogens fehlten, als ob eine Riesenfaust das filigrane Gebilde zerschmettert hätte. Dhark gab das Zeichen zum Weitergehen. Die Luft war frisch, die Temperatur erträglich. Wie an einem Frühlingstag auf Terra. Die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Sie erreichten das von jeder Verwehung freie Straßenstück. Trümmer, die von den zerstörten oberen Etagen der Hochhäuser in die Tiefe gestürzt waren, lagen überall herum. Und darunter nicht eine Handvoll Sand oder vom Wind herangetragene Erde. »Das verstehe, wer will«, sagte Ren Dhark nachdenklich, als er sich wieder einmal bückte und in eine Höhlung hineingriff, um nach angewehtem Erdreich zu suchen. Seine Finger konnten nur den staubfreien Straßenboden fühlen. Wieder blieben die Männer stehen. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, blickten sie an der Hausfront entlang in die Höhe. Sechshundert Meter hoch. Eine unbeschädigte Hausfront von sechshundert Metern, aber dann – zerfetzte Etagen, geschmolzenes Baumaterial und Risse, die dreißig oder vierzig Meter breit waren und sich hundert Meter tief erstreckten. Alle Hochbauten waren in ihrem oberen Bereich zerstört. So weit die Männer sehen konnten, nirgendwo entdeckten sie eine Ausnahme. Plötzlich gab Arc Doorn über Vipho Alarm. »Dhark, meine Energieortung spielt plötzlich verrückt! Meine Massenortung… große Milchstraße, wir bekommen Besuch. Da kommt etwas auf uns zu, das Hunderte von Tonnen… das sind ja Tausende von Tonnen! Sterne und Soliden, was kann das sein?« Kein einziger Mann hatte den Klarsichthelm seines Raumanzugs geschlossen. Auch Ren Dhark hielt es nicht für nötig, den Befehl dazu zu geben. Er spähte die breite, mit Trümmern übersäte Straße entlang, konnte aber nichts entdecken. »Doorn, irren Sie sich auch nicht?« »Nein!« kam es knapp zurück. Der Sibirier saß auf einem Trümmerstück und beobachtete aufmerksam sein Ortungsgerät. In offenkundiger Ratlosigkeit schüttelte er 211
den Kopf. »Doorn, was verrät Ihnen denn die Energieortung?« fragte Dhark. »Das ist es ja… Gehören die kleinen Energiequellen nun zu den schweren Brocken, die auf uns zukommen oder nicht?« Auch mit dieser Auskunft konnte Ren Dhark nichts anfangen. »Doorn, kommen Sie ‘rüber!« befahl er. Im gleichen Augenblick brüllte der Sibirier mit Stentorstimme los: »Deckung! Deckung nehmen! Sterne und Boliden, das sind ja Panzer! Panzeralarm!« Ren Dhark zuckte zusammen. Er drehte den Kopf nach allen Seiten. Er blickte hinter sich, vor sich, die Straße entlang, in die Höhe, aber nirgendwo sah er etwas, das auch nur eine schwache Ähnlichkeit mit einem Panzer hatte. Alles war unverändert! Nur der Sibirier lief in weiten Sätzen auf die nächste transparente Tür eines Hochhauses zu und brüllte dabei ununterbrochen in sein Vipho: »Geht doch endlich in Deckung! Verdammt, ihr Strohköpfe, Deckung! Panzer kommen! Niedliche Hundert-Tonnen-Brocken!« Arc Doorn mußte unter einer geistigen Störung leiden. In dieser Ruinenstadt gab es keine Panzer – nicht einen einzigen! Und es war auch kein fremder Ton zu hören. Über den Ruinen lag die Stille vieler Jahrhunderte! Da tauchte rechts zwischen zwei Hochhäusern ein Schatten auf! Und dem Schatten folgte – ein Panzer! Ein Panzermonstrum! Eine blauschimmernde Unitallkuppel mit Antennen und Reflektoren – Antennen und Reflektoren in der Unitallschicht, jedoch anders angebracht als die Antennen der POINT OF! Und der Panzer schwebte dicht über dem Boden! Dennoch besaß er Laufketten – die gleiche Art von Laufketten, wie sie bei terranischen Panzern vor hundert Jahren gebräuchlich gewesen waren. Aber diese Ketten bewegten sich nicht. »Deckung!« brüllte Ren Dhark, der jetzt erkannte, in welcher Gefahr sie schwebten. Nun war es zu spät, sich Vorwürfe zu machen, den Alarm des Sibiriers nicht ernst genommen zu haben. »Deckung! Raumhelme schließen!« Aus einem Panzer war schon eine Handvoll geworden! »Angriff von der Wüste her!« schrie jemand über Helmfunk. Dhark wirbelte herum. Seine Augen weiteten sich. Entsetzen spiegelte sich darin. Panzermonstren schwebten von der Peripherie her heran. Es waren Modelle, die mit den blauschimmernden Ungetümen keine Ähnlichkeit hatten; Panzer, die aus drei ineinander verschachtelten Kuppeln bestanden, keine Laufketten besaßen, keine Antennen und Reflektoren, dafür aber warzenartige Erhebungen überall auf dem Kuppelrund – die Abstrahlpole ihrer Energiegeschütze! 212
Die ersten Strahlbahnen heulten durch die Straßenschlucht! »Deckung!« schrie Ren Dhark noch einmal und schloß krampfhaft die Augen. Er konnte nichts mehr sehen. Seinen Begleitern erging es nicht anders. Deckung hinter den Trümmern, die überall auf der Straße herumlagen! Die erbärmlichste Deckung, die es gab! Und um sie herum das Heulen und Zischen der energetischen . Vernichtungsstrahlen. Jetzt waren auch die Geräusche zu hören, die die Panzer erzeugten! Sie summten! Ein helles, scheußliches Summen. Neben Ren Dhark lag ein Offizier. Der Commander hörte das erregte Atmen des anderen. Er fühlte auch seine Angst. Und er fühlte seine eigene Angst! In seinem Helmfunk meldete sich die POINT OF. Glenn Morris in der Funk-Z hatte alles mitgehört. »Sollen wir mit dem Schiff kommen und Sie herausholen, Commander?« Dhark versuchte durch einen Schlitz seiner Deckung zu spähen. Die Blendung seiner Augen hatte nachgelassen. Die Filterwirkung des Klarsichthelms verhütete, daß er nun abermals kurzfristig nichts sehen konnte. »Nein! Nicht kommen! Nicht kommen!« Ihm war nicht bewußt, daß er diese Anordnung geschrien hatte. Er wußte nur, was er sah! Die Ruinenstadt wehrte sich! Die Ruinenstadt war nicht tot! Zumindest ihre Abwehr lebte! Eine Abwehr aus blauschimmernden Unitall-Panzern und Strahlgeschützstellungen, die hoch oben in vielen Wolkenkratzern eingebaut waren! Aber wer griff diese Ruinenstadt an? Wer hatte die anderen Panzer, die von draußen gekommen waren, in Marsch gesetzt? Die ersten Unitall-Ungetüme schwebten aus allen Antennen feuernd an Dhark und seinen Männern vorbei! Wenige Meter vor ihnen verwandelte sich ein Trümmerstück unter einem Volltreffer in Energie. Nur der M-Anzug bewahrte die Männer davor, in der harten rStrahlung den Tod zu finden. Aber das war erst der Anfang. Eine Kette angreifender Panzer stieg senkrecht in die Höhe. Sie besaßen energetische Schutzschirme, an denen die Energiestrahlen der verzweifelt schießenden Unitall-Panzer und der schweren Geschütze in den oberen Etagen der Hochbauten zerplatzten. Keiner der Panzer nahm von den Männern Notiz, die hinter den Trümmern Schutz gesucht hatten und dieses Inferno über sich ergehen lassen mußten. Dan Riker meldete sich aus der POINT OF. »Mein Gott, was ist in der Stadt los? Unsere Energieortung meldet überall freigewordene Quellen.« »Nicht kommen!« rief Dhark zurück, der jetzt trotz des Filters in seinem Klarsicht213
heim die Augen schließen mußte. Als er wieder in die Höhe blickte, blieb ihm der Schrei im Hals stecken. Es war zu spät, seine Kameraden zu warnen! Vier der hochgestiegenen Monsterpanzer hatten eine Strahlgeschützstellung in einem Wolkenkratzer vernichtet. Die Ruinenspitze flog auseinander. Aus der Höhe kamen die Trümmer mit pfeifendem Heulen heruntergejagt! Um sie herum schlug es ein. Der Boden zitterte, als würde er von einem Erdbeben geschüttelt. Und dann kam die Sintflut! Von rechts und links! Aus den Hausfronten der Wolkenkratzer. Schenkeldicke Wasserstrahlen, die genau justiert waren. In allen Regenbogenfarben leuchtende Wasserbahnen, deren Aufgabe es zu sein schien, die Straße von den Trümmern zu säubern! Die Wasserstrahlen zerplatzten an den Brocken, die gerade erst herabgekracht waren. Und die Wassermassen verschonten auch Ren Dhark und seine Männer nicht. Auch sie waren als Fremdkörper identifiziert worden! »Das ist doch ein Irrenhaus!« brüllte ein Sergeant, der sich nicht mehr festhalten konnte und vom Druck des Strahls zur Seite gefegt wurde. Heranschwebende Unitall-Panzer! Zischende, heulende Energiebahnen aus den Strahlgeschützstellungen. Und die in immer größerer Zahl senkrecht hochsteigenden Panzerungeheuer von >draußen
wurden unfreiwillig Zeugen ihres Unterganges. Aber wieso war es dem Gegner nicht schon in den Jahrhunderten vorher gelungen, diese Riesenstadt in seinen Besitz zu bringen? Dhark hatte den Kopf leicht gehoben und spähte über seine Deckung in die Ferne. Auch dort waren die feindlichen Panzer schon. Dort, wo die zerstörte Brücke nutzlos in den Himmel ragte. Und in diesem Gebiet kreuzten sich plötzlich Strahlbahnen, von allen Seiten kommend. Sie leuchteten rot, blau, grün und gelb. Eine Farbe giftiger und tödlicher als die andere. Und dann blitzte es in der Ferne auf, als ob es dort ein paar neue winzige Sonnen geben würde. Wie von Geisterhand beiseitegefegt verschwand der Rest des Brückenbogens. Und in nächster Nähe? Drei Unitall-Panzer schwebten summend und aus allen Antennen feuernd heran. Wie auf ein Kommando krachten sie auf die Straße. Im gleichen Moment begannen ihre Laufketten sich zu bewegen. Die viele hundert Tonnen schweren Kampfmaschinen rollten noch ein paar Meter und blieben dann stehen. »Sie schalten ab! Sie schalten ab!« rief Arc Doorn, der als einziger Deckung im Erdgeschoß eines Hochhauses gefunden hatte. »Die Unitall-Kästen erzeugen keine Energie mehr. Ihre Konverter liegen still!« Kein einziger Unitall-Panzer bewegte sich mehr. Sie hatten auch ihr Strahlfeuer eingestellt. Und die Geschütze in den Hochhäusern schwiegen ebenfalls. Gab die Stadt auf?
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Wer hatte den Befehl zur Aufgabe gegeben? Lebten hier doch noch intelligente Wesen, die Befehle erteilten? Den Männern um Dhark erging es nicht anders als ihrem Commander. Jeder stellte 216
sich die gleichen Fragen. Dhark sah einen Schatten – einen angreifenden Warzenpanzer! Aus der Höhe stieß der Koloß auf sie herunter, eröffnete aus allen Strahlantennen das Feuer auf die Menschen. Ein Teil des Brockens, hinter dem Dhark mit einem Offizier lag, verschwand. Nur noch zehn Meter hoch schwebte das viele hundert Tonnen schwere Monstrum, das sich noch zusätzlich mit einem Schutzschirm gesichert hatte. Um Dhark herum bildete sich eine Wolke aus glühenden Gasen. Und dann glaubte er in eine Sonne zu sehen, in einen weiß leuchtenden, riesengroßen Stern. Die Filtereinrichtung in seinem Klarsichthelm kam gegen diese grelle Lichtflut nicht schnell genug an. Vorbei, schoß es Dhark durch den Kopf. »Commander!« Die Nachricht aus der Funk-Z der POINT OF ging in einem ohrenbetäubenden Krachen unter. Der Panzer war hinter ihnen eingeschlagen! Hundert Meter hinter ihnen! Dabei hatte er sich genau über ihnen befunden! Dhark warf den Kopf in den Nacken. Er sprang auf, riß die Arme hoch und wiederholte ständig: »Pressorstrahlen! Pressorstrahlen!« Die Ruinenstadt hatte ihr Strahlfeuer eingestellt! Sie griff jetzt mit Pressorstrahlen an. Sie schleuderte die Mammut-Panzer zigtausend Meter hoch, jagte die Kampfmaschinen dem Stadtrand zu! Viele Punkte waren am grünblauen Himmel zu sehen, die immer kleiner und kleiner wurden, bis sie den Blicken der Männer entschwanden. Und dann gab es auf der Straße nur noch die blauschimmernden Unitallpanzer, die gleichzeitig vorn Boden abhoben und in Richtung auf das Zentrum der Stadt davonschwebten. Minuten später war alles wie ein Spuk verflogen. Arc Doorn war wieder bei ihnen. Arc Doorn, der erregt auf sein tragbares Ortungsgerät wies und über die Aussage der Energiekontrolle ununterbrochen den Kopf schüttelte. »Sie müßten doch wieder herunterkommen! Alles kommt doch mal wieder ‘runter, aber ich kann nicht einmal mehr einen einzigen Pressor-Strahl feststellen.« »Lassen Sie sehen«, forderte Dhark ihn auf, warf einen Blick auf die Instrumente – und schüttelte vor Erstaunen den Kopf. »Aber was ist das, Doorn?« Die Energieortung wies eine starke Emissionsquelle aus, die gar nicht weit von ihnen entfernt sein konnte. »Die war zu sehen, als die Anzeige über die Pressorstrahlen auf Null absackte«, erklärte der Sibirier. Dhark nahm über Vipho Verbindung mit Tino Grappa auf. Der Ortungsspezialist war aufgeregt. »Commander, Sie sitzen mit Ihren Männern 217
in der Falle. Die Stadt hat sich abgeschirmt. Um die Stadt liegt ein Intervallfeld!« »Ein was?!« fragte Ren Dhark nach, und sein Herz begann in diesem Augenblick stärker zu klopfen. »Ein Intervallfeld. Eindeutig, Commander! Seine Höhe reicht über 13.000 Meter!« Neben Dhark stöhnte ein Offizier auf. »Kein Wunder, daß keiner der nach oben geschleuderten Panzer wieder herunterkommt. Sie sind längst am Intervallfeld zerschellt!« Dhark beachtete die Zwischenbemerkung nicht. »Grappa, können Sie nur genau angeben, in welchem Planquadrat unserer Stadtkarte die Emissionsquelle zu finden ist, die das Intervallfeld erzeugt?« »Liegt schon fest, Commander. Haben Sie die Karte zur Hand? Planquadrat G, genau auf der Linie zu 48 und 49 im unteren Fünftel. Von Ihrem Standort aus knapp zwei Kilometer.« Unwillkürlich blickten die Männer und Dhark auf. In zwei Kilometer Entfernung lag eins der höchsten Gebäude dieser Ruinenstadt. Das Gebäude war im Gegensatz zu allen anderen blau gestrichen. Es war aber auch eines der am stärksten zerstörten Hochhäuser. Ursprünglich ein Wolkenkratzer mit rechteckiger Grundfläche, fehlte nun der gesamte Mittelteil. Die Ruinen, die rechts und links aufragten, waren unterschiedlich hoch. »Gut, Grappa. Teilen Sie Riker mit, daß wir uns den Bau einmal aus der Nähe ansehen. Wir melden uns wieder.« Hastig warf Grappa ein: »Commander, im Leitstand ist man der Ansicht, daß Sie besser zurückkehren sollten, weil noch ungeklärt ist, woher die Panzer kamen, die in die Stadt eindrangen.« »Ach?« stieß Dhark aus und sah der Reihe nach seine Männer an. Einer wie der andere schüttelte den Kopf. Sie waren mit dem Vorschlag aus der Kommandozentrale des Flaggschiffs nicht einverstanden. Sie wollten sich zusammen mit ihrem Commander jenen Bau ansehen, von dem aus das Intervallfeld erzeugt wurde. Deutete die Existenz eines Miniweltraums um diese Ruinenstadt nicht direkt auf die Mysterious? Gelassen erklärte Dhark über sein Vipho: »Ich stelle es der Besatzung anheim, herauszufinden, woher die gegnerischen Panzer gekommen sind. Wir bewegen uns weiter die Stadt hinein, bleiben aber nach wie vor mit dem Schiff in Funkverbindung.« Von Grappa kam kein Echo mehr, und Dan Riker in der Kommandozentrale der POINT OF schwieg sich aus. Die kleine Gruppe stand eng zusammen. Erwartungsvoll blickte jeder den Commander an. Die Bemerkung, die dann gemacht wurde, überraschte sie alle. »Die Düsen spucken ja keine Wasserstrahlen mehr aus!« Über Dharks Gesicht flog ein Lächeln. »Wer hat darauf geachtet, wann diese Straßenreinigung eingestellt wurde?« 218
»In diesem Tohuwabohu?« stellte einer der Offiziere die Gegenfrage und packte im gleichen Moment den Arm des Commanders. Er wollte noch etwas sagen, doch er konnte nur mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung deuten. Die Männer drehten sich um. Während des Gesprächs zwischen Dhark und Grappa hatte sich hinter ihrem Rücken eine neue Situation entwickelt. Der hundert Meter entfernt liegende feindliche Panzer wurde fortgeschafft. Eine kreisrunde unitallblaue Platte, die in der Mitte einen ausgeprägten Buckel aufwies, schwebte in einigen Metern Höhe über dem zerstörten Monstrum. Sie konnte unmöglich die Straßenschlucht benutzt haben, denn sonst wäre sie schon vorher von einem der Männer bemerkt worden. Zwischen der Unterseite der vielleicht zwanzig Meter durchmessenden Platte und dem zerstörten Panzer flimmerte die Luft. Dieses Flimmern wurde stärker, und gleichzeitig veränderte sich das Aussehen des demolierten Kampffahrzeuges. Es begann zu glühen. Es begann zu schmelzen, und dennoch waren keine Schmelzbahnen zu erkennen. Aber ein nicht zu übersehender, dennoch fast farbloser Strom, der vom Panzer zur Unterseite der schwebenden Räche lief und im Buckel verschwand. Dhark feuchtete mehrmals seine Lippe mit der Zunge an, bevor er sagen konnte: »Diese Methode, Schrott zu beseitigen, beherrschen wir noch nicht – Auflösung der Materie in Energie, um dann die freigewordene Energie auch noch zu speichern.« Sie rührten sich nicht vom Reck. Wie gebannt verfolgten sie den unerklärlichen Auflösungsprozeß, und als von dem zerstörten Panzer nichts mehr vorhanden war, setzte sich die Platte in Bewegung, flog auf die Gruppe zu, über sie hinweg und verschwand irgendwo zwischen den Hochbauten. »Menschen scheint sie nicht zu kennen«, murmelte Arc Doorn. »Diesen Eindruck hatte ich schon von den Panzern beider Parteien«, fügte Dhark hinzu, »und deshalb interessiert es mich brennend, was es in dieser Stadt noch alles zu sehen gibt. Nur eine Hoffnung habe ich inzwischen begraben. Ich glaube nicht, daß wir auf ein intelligentes Wesen stoßen werden.« »Aber doch wenigstens auf Spuren von Mysterious!« warf ein Sergeant ein. Commander Ren Dhark hatte dafür nur ein Achselzucken übrig. Langsam setzte er sich in Bewegung, und die Männer folgten ihm.
19. Der große dunkelhaarige Mann saß bewegungslos im Pilotensessel. Sein leicht vorspringendes Kinn zeigte einen roten Fleck – das unverkennbare Zeichen, daß er stark erregt war. In der Kommandozentrale der POINT OF herrschte nervenzerreißende Spannung. 219
Die Verbindung zur Gruppe Dhark war abgerissen! Mitten im Wort! Im gleichen Moment hatte Tino Grappa den pulsierenden Fleck, der etwas über achthundert Kilometer östlich mitten in der roten Wüste lag, wieder mit seiner Energieortung erfaßt. Alle seine Ortungen arbeiteten. Auch Distanz- und Massentaster zeigten Höchstwerte an. In der Funk-Z schwitzten Morris, Brugg und Yogan. Riker hatte ihnen den Auftrag erteilt, unter allen Umständen wieder Vipho-Verbindung zu Ren Dhark herzustellen. Im Hyperfunk war nur Rauschen zu hören. Die Frequenz, auf der das Vipho des Commanders arbeitete, zeigte nicht den kleinsten Blip. Die Sekunden rasten dahin. Aus Sekunden wurden Minuten. Vor vierundsiebzig Minuten war die Verbindung mit dem Commander abgerissen. Seit einer Stunde befand sich Rul Warren im Flash 003 in Sitzbereitschaft. Als er Rikers Einsatzbefehl hörte, sagte er nur: »Okay!« Flash 003 flog aus. Richtung Ruinenstadt. Warrens Auftrag lautete, Dhark und seine Männer zu finden, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und über den Sender des Blitzes die Funkverbindung mit der POINT OF wiederherzustellen. Niemand machte sich Gedanken über das Intervallfeld, das um die Ruinenstadt aufgebaut war. Auch Rul Warren nicht, der gelassen in seinem Flash saß, die kalte Stummelpfeife zwischen den Zähnen, und in niedriger Höhe der Ausfallstraße zuflog, die der Commander mit seinen Männern benutzt hatte. Die Entfernung zum Intervallfeld schmolz zusammen. Nach wie vor arbeitete die Bild-Funk-Verbindung zur POINT OF einwandfrei. Warren war direkt mit Dan Riker verbunden. Schlagartig wurde die 003 aus dem Kurs gerissen, gerade so, als ob sie gegen ein Hindernis geprallt sei. Der Andruckabsorber eliminierte den Schock des abrupten Kurswechsels. Der Blitz nahm die platte Nase hoch und stieg senkrecht in den grünblauen Himmel. Vor Überraschung fiel Warren beinahe die Stummelpfeife aus dem Mund. Sein rundes Gesicht rötete sich leicht; seine grauen Augen waren zu Schlitzen geworden. Über seine Lippen kam ein bösartiges Grunzen. Was er dann sagte, war nicht zu verstehen. Aber Dan Riker im Leitstand des Flaggschiffes war aufmerksam geworden. »Was gibt es, Warren?« »Das Intervall der Stadt läßt mich nicht durch. Ich versuche es noch einmal.« Auf seinem kleinen Bildschirm erkannte er, welche Überraschung und Bestürzung seine Meldung ausgelöst hatte. Dann hörte er über Funk die Stimme Tino Grappas, der Riker aufgeregt etwas zurief. Rul Warren hatte in der Zwischenzeit seinen Flash auf Gegenkurs gebracht und erhöhte gleichzeitig die Leistung des Sie. 220
Erneuter Anflug auf das Intervallfeld der Ruinenstadt. Seine Geschwindigkeit lag bei fünfhundertzwanzig Stundenkilometern, als er abermals mit seinem Blitz nicht durchkam, und wiederum senkrecht in den grünblauen Himmel stieg. »Geben Sie es auf, Warren«, hörte er Sekunden später Dan Rikers Anweisung. »Sie kommen niemals durch. Das Intervall der Ruinenstadt unterscheidet sich in seinem Konstantenaufbau deutlich von dem der POINT OF und der Flash!« »Wie war das?« fragte Rul Warren überrascht. Riker wiederholte seine Angaben nicht. »Kommen Sie zurück. Es hat keinen Zweck!« Warren zuckte mit den Schultern. »Okay, ich fliege wieder ein.« Als sein Flash wieder im Depot der POINT OF lag und er den Ausstieg aufgestoßen hatte, wartete er auf neue Befehle aus der Kommandozentrale. Aber ihn erreichte kein Anruf. Er nahm seine Pfeife wieder hervor, stopfte sie umständlich und setzte den Tabak in Brand. Nur rauchte er nicht lange. Die Pfeife schmeckte ihm nicht, und noch weniger schmeckte es ihm, daß Dan Riker ihn so schnell zurückgerufen hatte. Es mußte doch einen Weg in die Stadt geben. Man konnte den Commander mit seinen Leuten doch nicht einfach im Stich lassen! Das gleiche dachte auch Riker, während er hinter Grappa stand und die Instrumente der Energieortung kontrollierte. Das Amplitudenbild des Intervalls um die Stadt unterschied sich in drei charakteristischen Schwingungsweiten von dem der POINT OF; die Differenz zwischen den einzelnen Weiten war nicht einmal besonders groß, doch in diesem Fall bedeutete schon die kleinste Abweichung ein unüberwindbares Hindernis. Nachdenklich nahm Riker wieder im Pilotensessel Platz. Er rief Miles Congollon, den Chefingenieur der POINT OF. »Was machen unsere M-Konverter?« Der manchmal melancholisch wirkende Eurasier zuckte mit den Schultern. »Was sollen sie schon machen, Riker? Sie arbeiten alle wieder einwandfrei, nachdem die ertobiten von dem fremden Ringraumer in Ordnung gebracht wurden. Was ist, machen Ihnen diese Aggregate Sorgen?« »Danke, Congollon.« Riker war der Frage des Ingenieurs ausgewichen und beendete die Verbindung zum Triebwerksraum. Auf seinem Kinn war immer noch der rote Fleck deutlich zu sehen. Es fiel ihm schwer, eine Entscheidung zu treffen. Er hatte nicht vergessen, daß Dhark einmal vor einem ähnlichen Problem gestanden hatte; damals, als aufgrund schwerer Störungen des galaktischen Magnetfeldes der gesamte Kontinent Deluge auf Hope durch ein Intervallfeld abgeschirmt worden war. Ren Dhark hatte es seinerzeit durch konzentrierten Nadelstrahlbeschuß zum Zusammenbruch gebracht. Und nun hatte Riker vor, den Miniweltraum um die Ruinenstadt auf die gleiche Weise zu öffnen. 221
In der WS-Ost horchte Jean Rochard auf; in der WS-West Bud Clifton. Rochard nickte zustimmend. »Okay, Riker, wir schalten alle Antennen auf Nadel um!« erklärte er gelassen. »Nur – was passiert mit dem Commander und seinen Männern, wenn sie sich hinter dem Intervall im Bereich unserer Nadelstrahlen aufhalten?« Jedes Wort betonend erwiderte Riker: »Glauben Sie, daran hätte ich nicht gedacht?« Bud Clifton mischte sich ein. »Ich möchte von dem Versuch abraten. Diese Spukstadt ist mir nicht geheuer. Erklären kann ich es nicht. Es ist nur ein Gefühl.« Er konnte nicht ahnen, daß Riker aus genau diesem Gefühl so lange gezögert hatte, etwas zu unternehmen. Spukstadt hatte Clifton die gigantische Gebäudeansammlung genannt. Und sie hatte wirklich etwas Spukhaftes an sich. Woher waren die angreifenden Panzer gekommen? Wer hatte sie in Marsch gesetzt? Und warum hatte sich die Stadt, in der es nach den Angaben des Commanders keine Lebewesen gab, erst so spät durch den Aufbau eines Intervallfeldes abgesichert? Warum erst so spät Pressorstrahlen eingesetzt, um einen Teil der angreifenden Panzer wie Papierfetzen in den Himmel zu jagen? Über diese Fragen hatte sich Riker den Kopf zerbrochen, aber sie waren alle mehr oder weniger zweitrangig. Was hätte er darum gegeben, zu wissen, weshalb der Funkkontakt plötzlich abgerissen war. Dhark hatte doch in seinem Bericht ein paar Sätze vorher noch betont, daß es in der Stadt vollkommen ruhig geworden sei und sie sich dem großen Wolkenkratzer bis auf zwanzig Meter genähert hätten. In dem Gebäude, dessen Mittelteil bis auf die Grundmauern zerstört war, vermuteten sie eine der Hauptzentralen, und die wollten sie sich einmal etwas näher ansehen. Bud Clifton deutete Dan Rikers Schweigen als Unsicherheit. Er riet noch einmal davon ab, das fremde Intervallfeld durch Nadelstrahlbeschuß zu öffnen. »Geben Sie mir einen anderen Rat«, meinte Riker. »Wenn wir das Intervallfeld in zehntausend Metern Höhe anfliegen und unter Beschuß nehmen, verringert sich die Gefahr für den Commander und seine Gruppe.« Jetzt setzte auch Jean Rochard ein unzufriedenes Gesicht auf. Grappa hatte neue Ortungsergebnisse. Der strahlende Fleck in der Wüste hatte seine Pulsationszeit von 30,6 Sekunden auf 21,03 Sekunden verändert, und im Maximum sollte seine Farbe nicht mehr Orange, sondern Blauweiß sein. Fast gleichzeitig meldete sich Elis Yogan aus der Funk-Z, und seine Meldung hatte sensationellen Charakter. »Wir hatten den Standort des starken Hypersenders lokalisiert, bevor uns das Intervall die Arbeit schwer machte. Jetzt aber arbeiten im Innern des Planeten fünf e222
benso starke Sender, deren Aufgabe es wohl ist, die Sendung des ersten zu stören. Und das schaffen sie hundertprozentig! Nach unseren Messungen kann kein gerichteter Spruch mehr hinausgehen. Der wird schon am Antennenausgang zur Unkenntlichkeit verstümmelt!« Riker strich sich übers Haar und stöhnte unterdrückt. Diese neuen Meldungen verwirrten das Bild noch mehr. Viel lieber hätte er eine Meldung über Ren Dhark gehört. Er warf dem Chrono wieder einen Blick zu. Seit 2 Stunden und 12 Minuten Normzeit war kein Lebenszeichen mehr vom Commander und seiner Gruppe gekommen. Die Bildschirme über dem Instrumentenpult zeigten ihm die Silhouette der Ruinenstadt mit ihren zerstörten Wolkenkratzerspitzen. Darüber wölbte sich der fast wolkenlose Himmel, an dem eine weiße Sonne stand. Um die POINT OF herum lagen Vegetation und Wüste im Kampf. Das gesamte Bild vermittelte den Eindruck, daß es in diesem Bereich des Planeten seit vielen Jahrhunderten kein intelligentes Leben mehr gab. Aber warum waren dann hundert bis zweihundert Ringraumer in der Nähe dieser Stadt gelandet und nach kurzem Aufenthalt wieder gestartet? Was hatten diese Schiffe hier zu suchen gehabt? Diese Fragen wirbelten hinter Dan Rikers Stirn, doch sie gaben ihm auch die Kraft zu einem endgültigen Entschluß. »Wir fliegen das Intervall in zwölftausend Meter Höhe an und nehmen es unter Beschuß. Vorher aber drehen wir drei Kreise über dem Komplex. Wenn der Commander die POINT OF sieht – und er muß das Schiff sehen, falls ihm nichts zugestoßen ist –, dann wird er ahnen, was wir vorhaben, und versuchen, Deckung zu finden.« Als schwache A-Grav-Kräfte den Ringraumer sanft vom Boden lösten und die fünfundvierzig Paar Teleskopbeine in die Unitallhaut eingefahren wurden, erinnerte sich Riker des Flash-Piloten Warren. Der meldete sich sofort. Er hatte seine Sitzwache in der 003 nicht aufgegeben. Riker informierte ihn über seinen Plan. »Halten Sie sich bereit, daß Sie auf ein Stichwort sofort ausfliegen können, Warren.« Auf den Mann mit den abstehenden Ohren und dem Bürstenhaarschnitt war Verlaß. Neben Pjetr Wonzeff und Mike Doraner gehörte er zu den zuverlässigsten Flash-Piloten. In zweitausend Meter Höhe schaltete Riker den Sie ein. Die blauschimmernde Ringröhre flog so elegant und leicht wie ein Ballon. Der Abstand zum Intervall veränderte sich kaum. Das Flaggschiff der TF stieg senkrecht hoch. Aus den beiden Waffensteuerungen kamen die letzten Klarmeldungen. Auch Rul Warren hatte sich noch einmal gemeldet. Er war bereit, jederzeit auszufliegen. 223
Plötzlich zuckte Dan Riker zusammen. Seinem Copiloten erging es nicht anders. Im Leitstand wurde kein Wort mehr gesprochen. Die POINT OF zitterte. Der Ringraumer lag nicht mehr ruhig. Er schwankte leicht, pendelte, sackte durch. Das Zittern wurde stärker. Es kam aus dem Boden, aus den Wänden und Decken. Es war überall. Und dann hörte Dan Riker die Gedankensteuerung. Habe Schiff übernommen! Im gleichen Moment waren sämtliche Steuerschalter blockiert. Die terranische Besatzung wurde geflogen; sie konnte über ihr Schiff nicht mehr bestimmen. »Riker«, ertönte Grappas aufgeregte Stimme, »der pulsierende Fleck ist zu einer superdimensionalen Ortungsanlage geworden. Ich möchte sagen, daß er die POINT OF buchstäblich auseinandernimmt. Als ob jemand genau wissen wollte, mit wem er es zu tun hat!« »Sie sind verrückt!« platzte Riker heraus. »Schön war’s«, erwiderte Grappa schlagfertig. Die neuen Ereignisse verschlossen ihm den Mund. Wie ein Lift ging die POINT OF hinunter. Die Gedankensteuerung verfuhr nicht besonders behutsam mit dem Ringraumer. Aber sie landete ihn butterweich an der alten Stelle. Dann emittierten die Flächenprojektoren auf der Innenseite der Ringröhre keine Energie mehr. Die M-Konverter wurden auf Null geschaltet, und Dan Riker war wieder in der Lage, seine Steuerschalter zu betätigen. In der Bildkugel über dem Instrumentenpult war unverändert die Ruinenstadt zu sehen, die unter dem undurchdringlichen Schutz eines Intervallfelds lag. Doch die Vipho-Frequenz, auf der das Gerät des Commanders arbeitete, zeigte keinen einzigen Blip. Langsam drehte sich Riker im Pilotensessel, sah der Reihe nach seine Offiziere im Leitstand an; von Falluta bis Grappa wich einer wie der andere entweder seinem Blick aus oder zuckte hilflos mit den Schultern. Niemand konnte ihm sagen, wie es jetzt weitergehen sollte. Ren Dhark sah die Bildscheibe seines Viphos grau werden. Die Funkverbindung zur POINT OF war abgerissen. Am Gerät konnte es nicht liegen. Als er die Kontrollen drückte, kam jedesmal Grün. »Keinen Kontakt mehr«, murmelte er verblüfft und drehte sich zur Seite zu seinem Nebenmann: »Geben Sie mir Ihr Vipho.« Auch damit war die POINT OF nicht mehr zu erreichen. »Schöne Aussichten«, meinte er mit sarkastischem Unterton. Er warf dem Hochhaus, dessen Mitteltrakt bis auf die Grundmauern zerstört war, einen mißtrauischen Blick zu. Seine Männer schauten ihn fragend an. Er zuckte die Schultern. »Wenn 224
ich eine Ahnung hätte – aber wir lassen uns trotzdem nicht aufhalten.« Im Gegensatz zu allen anderen Gebäuden der riesigen Stadt war dieser Bau in einem einheitlichen Blau gehalten. Gleich zwei – in ihrem Aussehen sehr unterschiedlichen – Türmen ragten die beiden Seitentrakte in den Himmel. Zerrissene, zerschmolzene Decken, die stellenweise noch Zwischenwände trugen, verbanden diese immer noch imposant aussehenden Gebäudeteile. Dhark und seinen Männern war es unerklärlich, wie man ein Bauwerk auf diese Weise zerstören konnte, ohne dabei die Außenteile auch zu vernichten. Arc Doorn hängte die tragbare Ortungsanlage wieder über seine Schulter. »Die tut’s auch nicht mehr!« knurrte er und blieb auf Dharks fragenden Blick die Antwort schuldig. Langsam setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Die Freifläche vor dem Hochhaus war mit Trümmern übersät, sonst jedoch so sauber, als ob sie gerade wieder geduscht worden wäre. Sie näherten sich der breiten Treppe, die in niedrigen Stufen zum halbkreisförmigen, dunkel schimmernden Portal führte, das weit geöffnet war. »Commander, wird man sich auf der POINT OF keine Sorgen machen, wenn wir uns über Funk nicht melden?« fragte ein Sergeant. »Hoffentlich nicht«, gab Dhark zur Antwort. Die Treppen waren aus schallschluckendem Material gefertigt. Lautlos stiegen die Männer nach oben. Immer wieder kontrollierten sie dabei ihre Umgebung. Aber wo vor knapp einer Stunde noch eine Panzerschlacht getobt hatte, war jetzt alles so still, daß es fast schon unheimlich wirkte. Auf der obersten Stufe, dem Anfang einer breiten Plattform, blieben alle stehen. Ihr Blick glitt über den weiten Platz, über die Front der gegenüberstehenden Hochhäuser, und unwillkürlich verglichen sie diese Bauten mit Gebäuden auf Terra. »Allein in dieser Stadt könnten ein paar hundert Millionen Menschen wohnen«, sagte ein Offizier. »Dieses Objekt würde dem Plan, fremde Planeten zu kolonisieren, eine große Hilfe sein.« Nachdenklich sah Dhark den Mann an. Er war verwundert, daß man so leichtsinnig sein konnte. »Wissen wir denn, aus welchem Grund diese Stadt von ihren Bewohnern aufgegeben wurde? Haben Sie sich alles genau angesehen? Haben Sie einen einzigen Hinweis entdeckt, daß diese Stadt ganz langsam entvölkert wurde?« »Weder das eine noch das andere, Commander!« gab der Leutnant erstaunt zur Antwort. »Dann haben Sie nicht gut aufgepaßt. Ich möchte schwören, daß diese Stadt innerhalb kürzester Frist von ihren Bewohnern verlassen wurde, und sie keine Zeit mehr fanden, die technischen Einrichtungen mitzunehmen. Überall im Universum kostet der Aufbau von Städten Geld. Überall hat man das Bestreben, das Aufgebaute zu behalten. Wie Doorn uns vorhin berichtet hat, sind noch nicht einmal die Wohnungseinrichtungen mitgenommen worden. Das deutet auf eine überstürzte Flucht 225
hin. Und dann die Panzerschlacht, die wir erlebt haben – Maschinen, die sich aufgrund ihrer Programmierung bis zur Vernichtung bekämpfen. Glauben Sie, diese Panzer seien von selbst auf die Idee gekommen, hier Krieg zu führen? Ich würde diesen Planeten niemals zur Besiedlung freigeben, solange nicht geklärt ist, weshalb die ehemaligen Bewohner diese Millionenstadt verlassen haben.« Die Plattform, die sich im Halbkreis vor dem Portal erstreckte, bestand ebenfalls aus schallschluckendem Material. Langsam näherten sich die Männer dem Eingang. Unterwegs warf Doorn einen Blick auf seine Ortungs-Instrumente und schüttelte dann unzufrieden den Kopf. Sie arbeiteten nicht mehr. Wie ihre Viphos. »Vorsicht!« warnte Ren Dhark seine Männer, als sie vor dem geöffneten Portal standen. Der hohe, weite Innenraum war beleuchtet. Sie konnten bis in die letzte Ecke sehen. »Wie die Eingangshalle der Terranischen Bank in Alamo Gordo!« sagte jemand überrascht und bestürzt zugleich. Auch Ren Dhark hatte diesen Eindruck. Es fiel ihm schwer, nicht die Hände zu einem Trichter geformt vor den Mund zu legen und laut Hallo! zu rufen. Unwillkürlich drängte sich den Männern der Eindruck auf, gleich müsse jemand auf sie zukommen, eine höfliche Verbeugung machen und freundlich nach ihren Wünschen fragen. Aber es kam niemand. Und in der Eingangshalle klangen ihre Schritte dumpf und laut, je tiefer sie sich hineinbegaben. Rechts und links zwei lange Reihen, die an Schalter erinnerten. Der leicht rötlich schimmernde Boden war staubfrei; die Luft in der Halle frisch und kühl. Das Licht kam aus den hohen Wänden und war leicht blau gefärbt. Wie im Industriedom auf Deluge. Die Männer unterhielten sich halblaut. Ihre Unsicherheit verschwand, je näher sie dem Ende der Halle kamen, wo drei große Türen weit offenstanden. »Doorn?« Der wußte, was der Commander gern hören wollte. Er konnte ihm den Gefallen nicht tun. »Die Ortung rührt sich nicht. Als ob wir absolut abgeschirmt wären.« »Das vermute ich schon, seit mein Vipho aussetzte.« Die drei großen Türen entpuppten sich als Eingänge zu A-Grav-Liften. Der mittlere führte nach unten, die beiden äußeren nach oben. Aber nirgendwo ein Hinweis, ob sie noch arbeiteten. Doorn dauerte das alles zu lange. Bevor man ihn daran hindern konnte, betrat er den rechten Liftschacht. Langsam sahen ihn die anderen nach oben schweben. Der Sergeant neben Ren Dhark glaubte dem Beispiel des Sibiriers folgen zu müs226
sen. »Stop!« schrie Dhark hinter dem jungen Mann her, aber da gellte auch schon ein Aufschrei aus dem Schacht. Der Schrei war noch ein paar Sekunden lang zu hören. Er wurde immer schwächer, bis er abrupt endete. Die Ruinenstadt hatte ihr erstes Opfer gefordert! Arc Doorn hatte unterwegs die Sphäre gewechselt und kam auf der Minusseite langsam wieder herunter. Bestürzt vernahm er von dem Zwischenfall. Wortlos nahm er Ren Dharks Vorwürfe hin. Durch sein Beispiel hatte er den Sergeanten veranlaßt, den risikoreichen Versuch zu unternehmen. Der Weg nach unten war versperrt. Nach einer halben Stunde gaben sie die Suche nach einer Treppe auf. Doorn konnte den Schaltkontakt zum abwärts führenden Schacht nicht finden. Ren Dhark ließ sich von seinem Gefühl beherrschen, daß sie hier nichts erreichen würden. Er ging ein Stück in die Halle zurück, betrachtete die lange Schalterreihe – und blieb wie angewurzelt stehen, als er in der Frontfläche eines Schalters schattenhaft das Emblem einer Galaxis-Spirale zu sehen glaubte. Die Mysterious, schoß es ihm durch den Kopf. Das hier ist eine Stadt der Geheimnisvollen gewesen! »Commander!« gellte die Stimme des Sibiriers durch die Halle. »Ich habe den Schalter gefunden!« Dhark mußte zurück. Seine Entdeckung konnte er auch später noch genauer untersuchen. Wichtiger als alles andere war zunächst, die Anlage zur Erstellung des Intervallfelds zu finden. »Da!« rief Doorn ihm zu und warf sein tragbares Ortungsgerät in den nach unten führenden A-Grav-Schacht. Langsam verschwand das Aggregat. Wortlos deutete der Sibirier auf die leicht ornamentierte Säule zwischen dem linken und dem mittleren Schacht. Wie gebannt verhielt Ren Dhark im Schritt. »Doorn, haben Sie nicht erkannt…?« »Doch«, unterbrach ihn dieser gelassen. »Leider zu spät. Ich habe die Mysterious schon oft verwünscht, aber hier haben sie mit ihrer Geheimniskrämerei den Vogel abgeschossen. Der Teufel soll diese Galaxis-Spirale holen. Da…« Er nahm Dharks Zeigefinger und ließ ihn mitten im Ornament die winzige Erhebung fühlen. »Und so wird die Sache ausgeschaltet… Oh, verdammt, mein Ortungsgerät!« Er reagierte blitzschnell, und bediente sich dabei Dharks Fingerkuppe. »Hoffentlich ist jetzt mein Aggregat nicht Schrott«, murmelte Arc Doorn. »Wollen wir nach unten?« Die Benutzung des A-Grav-Lifts stellte nun kein Risiko mehr dar. Langsam schwebten die Männer nach unten. Ein paar Meter unter ihnen flammte es in den Wänden auf, um die Röhre zu beleuchten, und ein paar Meter über dem Letzten wurde alles wieder dunkel. Dhark und Doorn befanden sich dicht nebeneinander. Ihrem Blick entging nichts, 227
aber der Schacht zeigte nur seine fugenlose graue Wandung. Sie wußten nicht, in welcher Tiefe sie sich befanden, als sie unter sich das Ende des Liftschachts sahen – und die Leiche des Sergeanten. Er mußte sofort tot gewesen sein. Dharks Scheinwerfer flammte auf. Plötzlich schlug ihm der Sibirier mit aller Kraft auf die Finger und brüllte: »Ausschalten!« Das hatte er mit seinem Schlag schon besorgt. Nur war es zu spät gewesen. Man hatte sie als Fremde erkannt! Man… Und aus den sieben breiten, hohen Gängen, die strahlenförmig nach allen Seiten führten, kamen kalt fluoreszierende Wände heran, die sich vereinigten, kaum daß sie den Schacht erreicht hatten. Dahinter aber stand vor jedem Ganganfang eine zweite, rotstrahlende Energiemauer. »Jetzt wird’s gefährlich«, knurrte Doorn. Wie ein Ring, der immer enger wurde, näherte sich ihnen von allen Seiten die fluoreszierende Wand, die in allen Regenbogenfarben schillerte. Sie näherte sich sehr langsam. Darin sah Ren Dhark ihre einzige Chance, dem Verderben zu entkommen. »Die Plus-Sphäre benutzen!« befahl er, doch der A-Grav-Lift arbeitete nicht mehr. Der Ring aus Energie wurde enger. Im Durchmesser maß er keine drei Meter mehr. Schulter an Schulter, Rücken an Rücken standen die Männer zusammen. Da berührte ein Teil der Energiewand den toten Sergeanten. Sie stoppte ab. Nahm sie nur den Toten wahr, aber nicht die Männer, denen das Herz bis zum Hals klopfte? Um den toten Mann wurde etwas lebendig, das an Elmsfeuer erinnerte. Sie liefen über ihn hinweg, verschwanden unter einem verdrehten Arm, tauchten auf der anderen Seite wieder auf und huschten dann ins Innere des Raumanzugs. Ein Toter wurde aufgelöst. Ein Vorgang, der nichts Schreckliches an sich hatte, weil die Leiche gleichmäßig weniger wurde – und dabei auch gar nicht mehr wie eine aussah. Sein Begräbnis, dachte Ren Dhark, und gleich auch unser Begräbnis? er erinnerte sich, vor wenigen Sekunden gesehen zu haben, wie diese kaum daumendicken Elmsfeuer zuerst etwas ratlos über den Raumanzug gelaufen waren, bis sie den Weg ins Innere gefunden hatten und dabei auf den Toten gestoßen waren. »Männer«, flüsterte er aus Angst, die fluoreszierende Wand könne sein Sprechen hören, »sofort die Raumhelme schließen, und unter keinen Umständen den Helmfunk einschalten!« In dieser aussichtslosen Lage war ihnen jeder Strohhalm recht. Sie schlössen ihre Raumanzüge und sahen dabei zu, wie ihr toter Kamerad verging. 228
Dann holte die Energiewand ihre Elmsfeuer wieder zurück und setzte sich lautlos erneut in Bewegung – auf die Menschen zu. Das Fluoreszieren erreichte sie und traf auf die Raumanzüge, die alle von Deluge, aus dem großen Depot in der Ringraumerhöhle stammten. Elmsfeuer krochen über die Anzüge. Sie suchten und suchten, kehrten zur Energiemauer zurück und wurden wieder von ihr ausgeschickt. Die Männer glaubten von unnatürlich goldgelbem Licht abgetastet zu werden, aber sie fühlten nichts; nicht einmal den leisesten Druck. Aber sie sahen genug. Vor ihrem Gesicht die spannenlangen goldgelben Strahlen, daumendick, die sich so schnell und auch so langsam bewegen konnten, und die immer öfter wieder in der Mauer aus Energie verschwanden. Ab und zu hatte man den Eindruck, als wären die Elmsfeuer nur die sichtbaren Teile einer langen, dünnen Strahlbahn, denn einige Male war ein schwaches irisierendes Leuchten zu sehen, das in der Energiemauer endete. Arc Doorn hielt den Atem an. Ein Dutzend Feuer interessierten sich für sein tragbares Ortungsgerät, und drei oder vier davon verschwanden hinter der Verkleidung, um an ganz anderen Stellen wieder aufzutauchen. Niemand bewegte sich. Jeder stand steif und starr; jeder versuchte so flach wie möglich zu atmen. Auch Ren Dhark. Sein Blick ging nach rechts und links, nach oben und unten und landete immer wieder an der Mauer aus Energie, die nicht mehr nähergekommen war. Wurden sie identifiziert? Versuchte man sie zu erkennen? Er wußte es nicht. Nur aus einer Ahnung heraus hatte er den Befehl gegeben, die Raumhelme zu schließen. Die goldgelben, kalten Feuer schienen sich zurückzuziehen. Sie verschwanden in der Energiemauer, aus der sie gekommen waren. Die Energiewand wich zurück. Der Durchmesser des Kreises wurde wieder größer. Die Energiemauer erreichte die Wandung und teilte sich dort auf. Im gleichen Moment verschwanden die rotstrahlenden Sperren, die vor jeder Gangmündung errichtet worden waren. Dann war alles vorbei. Ein paar Schritte neben ihnen lag der leere M-Raumanzug, in dem der zerschmetterte Körper des Sergeanten gesteckt hatte. Dhark erlebte diesen Vorgang noch einmal. Je länger er darüber nachdachte, um so größer wurde sein Grauen. Er hatte sich nur die Frage gestellt: Ist die Bevölkerung dieser Hundert-Millionen-Stadt ein Opfer dieser goldgelben, kalten Feuer geworden? Die Beleuchtung flammte wieder auf. Dhark erwachte wie aus einem Traum. Jemand bückte sich nach dem am Boden liegenden leeren Raumanzug. Er drehte ihn hin und her, und es war deutlich zu erkennen, daß er bestürzt den Kopf schüttelte. 229
Dann legte er sich den leichten Anzug über den Arm und warf dem Commander einen fragenden Blick zu. Der wagte noch nicht, den Helmfunk anzuschalten. Die fluoreszierende Ringmauer konnte jeden Augenblick zurückkommen. Aber ebenso konnten sie hier noch stundenlang stehen und abwarten. Er dachte an Dan Riker und dessen Unruhe. Vielleicht hatte der Freund schon die Geduld verloren und versuchte mit der POINT OF durch das Intervallfeld in die Ruinenstadt einzufliegen. Bewegung kam in die immer noch dicht zusammenstehende Gruppe. Arc Doorn machte sich bemerkbar. Er deutete mit unmißverständlicher Geste auf sein Ortungsgerät. Es arbeitete wieder. Es zeigte exakt an, in welcher Richtung die stärksten energetischen Quellen lagen. Nach einem Kontrollblick nach allen Seiten gab der Commander das Zeichen, den Helmfunk einzuschalten. »Aber sofort wieder ausschalten, wenn wir in Schwierigkeiten geraten!« Es geschah nichts mehr. Daß auch der A-Grav-Lift wieder arbeitete, wunderte keinen mehr. »Unter keinen Umständen den Raumhelm öffnen!« ordnete Dhark an. Die Männer nickten. Sie hatten nicht vergessen, wie die Leiche ihres Kameraden aufgelöst worden war. Noch nie hatte ein Mensch ein Begräbnis dieser Art erhalten. Der Gang, den sie benutzten, hatte das gleiche Aussehen wie der Liftschacht und das gleiche Beleuchtungssystem. Er war nicht besonders lang. Ein dunkles Schott stoppte die Männer. Sie beachteten es kaum. Rechts an der Wand, einen halben Meter vor dem Schott in Augenhöhe, leuchteten drei Zahlensymbole der Mysterious! Plus! Minus! Neutral! »Also doch!« stieß Ren Dhark aus. Seine braunen Augen blitzten. Wir sind in einer Stadt der Mysterious! Endlich haben wir eine Spur gefunden, auf der man weitergehen kann. Die uns vielleicht schon hinter diesem Schott zeigt, wie ein Mysterious aussieht. Er lachte Doorn an, und dieser grinste breit. »Soll ich?« fragte er und legte seine durch den hauchdünnen Raumanzug geschützte Daumenkuppe auf das Plussymbol. Dhark nickte. Er mußte an ihre Flucht vor Roccos Verfolgern denken – damals, auf Hope, im Höhlensystem von Deluge. Dort, lange vor Entdeckung der gigantischen Maschinenanlagen, waren sie erstmals mit den Symbolen der Mysterious konfrontiert worden. Dort hatten sie auch zum erstenmal Bekanntschaft mit einer Trennwand gemacht, die aus Energie bestand. Die Außenmikrophone der Raumanzüge übermittelten das Summen, mit dem sich das Schott zur Seite bewegte. Blaues Licht schlug ihnen entgegen! Wie im Industriedom! 230
»Achtung, Strahlkontrolle!« warnte Doorn über Funk und deutete auf sein Ortungsgerät. Die Kontrolle kam aus dem großen Maschinensaal, in dessen Eingang sie standen. Unitallverkleidete niedrige, aber langgestreckte Aggregate! Klein im Verhältnis zu den Mammuts im Industriedom. »Tast-Strahl wandert nach links!« meldete Doorn nach ein paar Sekunden, in denen kein Mann gewagt hatte, sich zu bewegen. Und dann kam die Abschlußmeldung: »Kontrolle beendet. Aber was das für ein Tast-Strahl war, mag der Himmel wissen.« Vier Maschinenstraßen, keine länger als fünfzig Meter, lagen vor ihnen. In sieben oder acht Metern Höhe befand sich die leicht gewölbte Decke, die blaues Licht emittierte. Diese Anlage hatte keine Ähnlichkeit mit denen auf Deluge oder in der POINT OF. »Lassen Sie mal sehen«, forderte Dhark den Sibirier auf und ließ sich das Ortungsgerät reichen. In diesem Saal liefen Konverter mit höchster Leistung. Doch die stärkste Energiequelle lag am anderen Ende. Aufmerksam und angespannt durchschritten sie die Maschinenstraße. Die Aggregate sahen in ihrer fugenlosen Verkleidung fast alle gleich aus. Nirgendwo ergaben sich Ähnlichkeiten mit Einrichtungen in den Höhlen von Deluge. Obwohl ihnen das blaue Schimmern des Unitalls vertraut war, bewegten sie sich in einer vollkommen fremden Umgebung. Ren Dhark war enttäuscht. Er hatte etwas anderes erwartet: Hinweise auf die Mysterious. Aber waren die in einem Maschinenzentrum zu finden? Sie erreichten die andere Seite – aber nicht das Ende des Saals. Vor ihnen fiel der Boden senkrecht in die Tiefe. Über zwanzig Meter. Und gut dreißig Meter war die Wand entfernt… »Sessel!« stieß ein Offizier überrascht aus. »Sessel und eine Bildkugel. Wie in der POINT OF!« Die Sessel waren leer. Alle fünf. Im Halbkreis waren sie um die gut zehn Meter durchmessende Bildkugel aufgestellt. Rechts und links neben der Bildkugel gab es meterlange Instrumentenwände! »Wie kommen wir nach unten?« fragte Ren Dhark leicht deprimiert; er suchte nach einer Treppe. Schulter an Schulter mit seinen Männern lag er auf dem Boden, und sie alle streckten den Kopf so weit vor, wie es die Sicherheit erlaubte. Jeder wollte mit einem Blick so viel wie möglich von dem technischen Wunder in der Tiefe sehen. Doorn hockte sich hin, legte das Ortungsgerät in seinen Schoß und aktivierte die Feinmessung. 231
»Hm«, brummte er, »wenn Grappas Angaben stimmen, befinden wir uns an der Stelle, wo das Intervallfeld erzeugt wird.« Seine Angaben wurden von der Wiedergabe in der Bildkugel unterstrichen. Sie zeigte die Ruinenstadt in ihrer gesamten Ausdehnung. Sie zeigte aber auch das Intervallfeld, das alles umschloß. Jetzt richtete sich auch Dhark auf. »Doorn, wir beide müssen nach unten. Die anderen bleiben hier. Wer übernimmt das Ortungsgerät?« Ein junger Leutnant meldete sich. Der Commander und der Sibirier gingen nach rechts. Sie wechselten kein Wort. Plötzlich lachte Doorn verärgert auf. »Dhark, erinnern Sie sich, wie wir im Industriedom einmal verzweifelt nach einem Ausgang suchten, weil manche von uns schon vor Durst durchdrehten?« »Daran habe ich die ganze Zeit gedacht. Und daß wir immer noch in alten Maßstäben denken. Wir haben eine Treppe gesucht, die nach unten führt – wir sollten lieber nach einem A-Grav-Lift Ausschau…« Der Boden unter ihren Füßen existierte nicht mehr. Ein dunkles Loch hatte sich im Unitallboden aufgetan, und sie schwebten mit gleichbleibender Geschwindigkeit nach unten. Drei Meter von der Kante entfernt befand sich der Lift, der sie zum Ziel ihrer Wünsche brachte. Sie sahen sich nur an und schüttelten den Kopf. Die Mysterious mit ihrer Technik überraschten sie immer wieder. Als sie auf die Sesselreihe zugingen, winkte Dhark ihren oben zurückgebliebenen Begleitern kurz zu. Er nahm im mittleren Sessel Platz; Doorn setzte sich rechts neben ihn. Vor ihnen schwebte die grandiose Bildkugel; dagegen wirkte die Ausgabe in der Zentrale der POINT OF wie ein Spielzeug. Dhark und Doorn sahen von ihren Sesseln aus die Wiedergabe der Bildkugel nicht besser als ihre Männer, die oben an der Kante lagen und zu ihnen herabblickten. Noch kein Experte hatte dieses Phänomen, von allen Standpunkten aus genausogut zu sehen, erklären können. Sie blickten auf die Stadt; sie erkannten die undeutliche Begrenzung durch das Intervallfeld, unter dessen Schutz alles lag. Dhark schaute nach rechts zu den Instrumenten hinüber und richtete sich vor Überraschung unwillkürlich auf. Ein Teil der Zahlensymbole war ihm fremd! Hatten sie es hier mit Zeichen einer Hypermathematik zu tun, über die ihnen die Mentcaps im Archiv der Ringraumerhöhle keine Auskunft gegeben hatten? In diesem Moment fragte Doorn in seiner brummigen Art: »Ich möchte gern wissen, was die Anlage in dieser Zentrale hier soll?« Er wollte sich schon erheben, als der Commander ihn festhielt. Er hatte das Transmitterzeichen entdeckt! Zwei Blips, die im Winkel von neunzig Grad zueinander standen. Als er sie Doorn zeigte, machte der ein Gesicht wie ein Kind, das zum erstenmal 232
Licht erkennt und eine zuckende Flamme bewundert. »Nein«, stieß er irritiert aus. »Nein, das ist kein Transmitterzeichen, Dhark. Das ist was anderes. Ich trau’ dem Ding nicht! Nur weiß ich nicht, warum es mir so unheimlich ist. Sehen Sie denn nicht, daß die waagerechte Amplitude kaum angedeutet ist?« Das Zeichen leuchtete gelb. Bei der Groß-Transmitteranlage in der Maschinenhöhle von Deluge strahlte es an der Instrumentenwand in sanftem Blau. Was hatte Gelb als Signalfarbe zu bedeuten? Beide Männer hatten sich erhoben. Langsam gingen sie an der Instrumentenwand entlang. Vieles war ihnen vertraut, aber noch mehr ein Buch mit sieben Siegeln. »Unheimlich!« gab der Sibirier zu. »Ich würde mich nicht trauen, hier etwas zu schalten.« Spöttisch musterte Ren Dhark seinen Begleiter. Von dieser zurückhaltenden Seite kannte er ihn gar nicht. Aber die Worte gaben ihm zu denken. Doorns Einfühlungsvermögen in fremde Technik war zwar nicht zu begreifen, aber schon oft bewiesen worden. »Vielleicht bringt uns auf der anderen Seite etwas weiter, Doorn.« Sie kontrollierten den zweiten Teil der langen Instrumentenwand mit ihren vielen Steuerschaltern. »Durften wir denn etwas anderes erwarten?« fragte Doorn, als sie ziemlich hilflos ihren Kontrollgang beendeten. »Wir haben doch bis heute keine Ahnung, wie unsere POINT OF ihre Intervalle erstellt. Und hier wollen wir mit dem kleinen Finger der linken Hand das Rätsel lösen oder das Intervall über der Ruinenstadt manipulieren?« Dhark schüttelte ungehalten den Kopf. Seine Gedanken bewegten sich in eine andere Richtung. Es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, blindlings hier zu schalten, aber diese Zentrale mit ihren fünf Sesseln, der überdimensionalen Bildkugel und den vielen Steuerschaltern mußte doch einen speziellen Zweck haben. »Doorn, versuchen Sie, ob wir jetzt nicht wieder Verbindung mit der POINT OF bekommen.« »Und wenn das von unseren Freunden hier geortet wird?« warnte der Sibirier. »Wir müssen das Risiko eingehen. Ich glaube, daß unsere Raumanzüge ein hundertprozentiger Schutz sind. Bitte!« Er achtete nicht weiter auf Doorns Bemühungen. Ihn faszinierte ein zwei Meter breiter Teil der Instrumentenwand. Er war ihm mit all seinen Instrumenten und Steuerschaltern vertraut, obwohl es diese Anlage weder auf der POINT OF noch im Höhlensystem von Deluge gab. Sollte ihm das Wissen, das er jetzt nicht wachbekam, seinerzeit von einer Mentcap übermittelt worden sein? Wieder kontrollierte sein suchender Blick die Geräte, als er entdeckte, daß mehr als 233
die Hälfte andere Werte anzeigte. Gleichzeitig flammten Kontrollen in verschiedenen Farben auf, erloschen wieder, um an anderer Stelle aufzuleuchten. »Doorn, sehen Sie nach, was die Bildkugel zeigt!« rief er seinem Begleiter zu. Doorn, von Dharks erregt klingender Stimme aufgeschreckt, wirbelte herum – und dann öffnete sich sein Mund, aber er bekam keinen Laut über die Lippen. Er sah die POINT OF! Eine schwankende POINT OF! Und dann sah er die POINT OF zur Landung ansetzen! Und nur diese letzte Phase erlebte der endlich von Doorn alarmierte Commander mit.
20. In Alamo Gordo und Cent Field machte man sich kaum Sorgen, daß die Funkverbindung zur POINT OF abgerissen war. Die physikalischen Verhältnisse im Bereich der Milchstraße waren derart gestört, daß selbst im Sol-System To-Funk nur noch unter Schwierigkeiten möglich war. Aus diesem Grund wurde das Schweigen des Flaggschiffs als etwas Normales angesehen. Im Stab der TF hatte man alle Hände voll zu tun. 3782 Ringraumer zur Erde zu bringen und sie auf den verschiedenen Raumhäfen zu landen, war eine Arbeit, die ein Höchstmaß an Koordination verlangte. Cent Field erwies sich schlagartig als zu klein. Der Raumhafen mußte vergrößert werden. Aus diesem Grund nahm Marschall Bulton Verbindung mit Henner Trawisheim auf. »Bulton«, wich dieser aus, »wir haben im Augenblick andere Sorgen. Ihnen sind die vertraulichen Berichte des astrophysikalischen Gremiums doch ebenfalls bekannt. Wenn die Störungen des galaktischen Magnetfelds weiterhin unvermindert anhalten…« Davon wollte Bulton nichts hören. »Ich weiß, wir sind in Gefahr, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Cent Field zu klein sein wird, wenn wir alle Ringraumer unten haben. Sagen Sie mal, wie stellen Sie sich das eigentlich vor – alle Ringraumer in einem Einsatz klar für die TF zu machen?« Henner Trawisheim, der einzige Cyborg auf geistiger Basis, hatte sich mit diesem Problem bereits befaßt. Die technischen Schwierigkeiten, alle Beuteschiffe für die Anforderungen der TF umzubauen, waren allein schon deshalb fast unüberwindlich, weil es immer noch keine Methode gab, Unitall zu bearbeiten. Unitall besaß eine hochkomprimierte Molekularstruktur und war ein Kunstprodukt der Mysterious. Mit 143.750° Celsius lag sein Schmelzpunkt ungewöhnlich hoch. Eine Hypothese behauptete, daß es nur innerhalb eines Intervallfelds verarbeitet werden könnte – nur war Terra bisher nicht in der Lage, ein Intervall zu erstellen. Trawisheim unterstrich Bultons Hinweise durch sein Nicken. 234
»Echri Ezbal hat uns einen Weg gewiesen…« »Ezbal?« unterbrach ihn Bulton spöttisch. »Soweit ich unterrichtet bin, baut Ezbal im Brana-Tal Cyborgs. Seit wann beschäftigt er sich mit Metallurgie?« Trawisheim ließ sich auch vom cholerischen Marschall Bulton nicht aus der Ruhe bringen. »Sein Interesse an Raumschiffen ist nicht besonders groß, um so größer sein Wissen über Adhesive.« »Über Kleber? Klebstoffe?« Bultons Lachen klang verärgert. »Bulton, vielleicht erzähle ich Ihnen etwas Neues. Seit gut hundert Jahren werden in der terranischen Industrie Kleber aller Arten benutzt. Und im Fall der Ringraumer können wir nur mit Adhesiven arbeiten, wenn wir Installationen vornehmen wollen, die unbedingt erforderlich sind. Als die Experten mit ihren Überlegungen so weit gekommen waren, zeigte sich die nächste Schwierigkeit. Es gibt noch keinen Kleber, der dem Anforderungsprofil der Ingenieure entspricht.« »Aber auf der POINT OF hat man doch schon…« »Moment«, unterbrach ihn Trawisheim. »Ja, man hat! Aber als in der POINT OF zusätzlich Installationen vorgenommen wurden, liefen diese Anlagen nie Gefahr, besonders hoch belastet zu werden. Bitte, stellen Sie sich einen großen Suprasensor vor, der angeklebt in der Zentrale eines Ringraumers steht, und dieses Schiff muß eine Notlandung bei Ausfall aller Andruckabsorber durchführen. Was glauben Sie, was passiert? Die Männer werden von dem Suprasensor, der bei der Notlandung durch die Gegend fliegt, zerquetscht.« Erst jetzt stellte Bulton überrascht fest, wie geschickt ihn Trawisheim auf ein anderes Thema gelockt hatte. Er hatte ihn angerufen, um eine Vergrößerung des Raumhafens von Cent Field durchzudrücken, und Trawisheim sprach mit ihm über Kleber. Darum ging er in seiner Antwort nicht auf die Frage ein. »Trawisheim, in dieser Stunde wird der achthundertste Ringraumer gelandet. Über zweitausendneunhundert sind noch oben, und schon stöhnt jede Raumhafenverwaltung, nicht zu wissen, wohin mit dem überreichlichen Segen, der noch zu erwarten ist. Und ich weiß auch nicht, wo wir die Schiffe landen sollen. Vielleicht im Otero Basin? Trawisheim, Sie haben die Vollmachten, eine Entscheidung zu treffen. Die TF hat die Maschinenparks, um binnen zwei Wochen den Raumhafen auf die doppelte Größe bringen zu können. Geben Sie grünes Licht, und ich…« »Ich werde darüber nachdenken«, wurde er von Ren Dharks Stellvertreter unterbrochen. »Eine Frage noch, Marschall«, fuhr Trawisheim nach einer kurzen Pause fort. »Gibt es immer noch keine Nachricht von Captain Bradock und der FO-23?« Bultons Gesicht verdüsterte sich. »Nein, und ich habe auch keine Hoffnung mehr, daß wir das Schiff noch einmal wiedersehen. Das ist aber meine persönliche Meinung. Nach wie vor wird die FO-23 in der Liste der vermißten Schiffe geführt. Aber jetzt muß ich mich wieder um die Ringraumer-Flotte kümmern. Ich rufe Sie 235
später noch einmal an.« Und mit diesen Worten unterbrach er die Verbindung. Nachdenklich sagte Dan Riker: »Wir sind von der Gedankensteuerung regelrecht überfahren worden. Ob zu unseren Gunsten oder zu unserem Nachteil, bleibt offen. Der Flash ist nicht in der Lage, das Intervall über der Ruinenstadt zu durchfliegen. Der Funkkontakt zum Commander ist abgerissen. Frage: Was tun wir jetzt?« »Nicht zu vergessen der strahlende Fleck in der Wüste, der seine Pulsationszeit verändert hat«, erklärte Grappa. »Und die Störsender, die den gerichteten Hyperimpuls nach Il/a zerhacken. Ein Verfahren, das wir nicht beherrschen«, warf Glenn Morris ein. »Doch!« widersprach Dan Riker. »Wir können das auch. Neben Schleuse eins, in einer verschlossenen Kabine, steht ein Störsender. Doorn kann wie kein zweiter mit dem Ding umgehen. Ob die Mysterious seinerzeit vergessen haben, ihn in der Funk-Z einzubauen – die Mentcaps haben darüber nie Auskunft gegeben. Und soweit man die Verschachtelung der POINT OF kennt, steht dieser Störsender mitkeinem anderen Gerät im Schiff in Verbindung. Er hat seine eigene Energieversorgung.« Etwas irritiert blickte Riker dem Ortungsspezialisten hinterher, der aufgestanden war, um wieder einmal seine Geräte zu kontrollieren. »Grappa, Sie sind wirklich mit dem Tastergerät verheiratet!« bemerkte er spöttisch, um dann aufzumerken. Grappa nahm hinter den Ortungen Platz. Der Offizier, der ihn seit zwei Stunden abgelöst hatte, mußte zur Seite rutschen. »Riker, dieser Planet wird immer aktiver. In ihm tut sich einiges! Wollen Sie sich das einmal ansehen?!« Alle sahen es sich an. Grappa brauchte ihnen nichts zu erklären. »Was ist nur unter dieser Wüste los?« murmelte Dan Riker. »Und in der Stadt. Genauer: unter der Stadt!« Grappa deutete auf den EnergieOszillo. Der registrierte zwei starke Energiequellen. Eine mitten in der Wüste, in mehr als 3000 Metern Tiefe, in der Nähe des pulsierenden Punktes; die zweite überlagerte jene Stelle, die er als den Erstellungsort des Intervalls ausgemacht hatte, unter dessen Schutz die Stadt lag. Die Massenortung zeigte viele mehrfarbige Punkte. Relativ kleine Gewichtseinheiten. Keine einzige über 1000 Tonnen schwer. Sie befanden sich ebenfalls in mehr als 3000 Meter Tiefe. »Sie könnten Kurs auf uns haben«, sagte Glenn Morris arglos. Riker befragte den Checkmaster. Verblüfft vernahmen die Männer die Antwort des Bordgehirns. Mit 89,57 Prozent Wahrscheinlichkeit ist mit einem Angriff auf die POINT OF zu rechnen! Wann? wollte Riker wissen. Angriff erfolgt mit 92,01 Prozent Wahrscheinlichkeit in 2:30 Stunden Norm-Zeit, 236
falls sich die erste Angabe als richtig erweist. »Wunderbar!« stöhnte Riker und warf der Leuchtscheibe der Massenortung einen abfälligen Blick zu. »Auf der einen Seite ein bevorstehender Angriff auf die POINT OF, auf der anderen keine Spur von Dhark und seinen Männern. Ich muß zugeben, daß mir dieser Planet allmählich unheimlich wird. Er scheint kein intelligentes Leben mehr zu tragen, aber dafür robotisch gesteuerte Anlagen, die mit einer uns unbegreiflichen Perfektion arbeiten.« »Kann man von den Mysterious etwas anderes erwarten?« machte Glenn Morris seine zweite arglose Bemerkung. Verblüfft lehnte sich Riker zurück. »Mann«, stieß er aus, »jetzt haben Sie mich aber mißtrauisch gemacht! Wenn sich das als Tatsache herausstellen sollte, dann haben wir noch allerlei von den robotischen Einrichtungen zu erwarten.« »Was denn?« fragte Grappa. Sie verstanden seine Bemerkung nicht. Dan Riker traute seiner Gedankenkombination selbst nicht recht. »Wir haben das Gros der Ringraumer-Flotte bis in diesen Teil der GALAXIS verfolgt – robotisch geflogene Schiffe, wenn nicht doch auf einigen Kähnen Mysterious gesteckt haben. Angenommen, diese Rotte hat die Verfolgung durch die POINT OF bemerkt. Was würden wir an ihrer Stelle tun, um den Verfolger abzulenken? Na?« Sie verstanden ihn immer noch nicht. »Wir würden einen Köder auslegen. Und uns hat man einen Köder ausgelegt. Ohne klar erkennbaren Grund sind auf diesem Planeten hundert oder zweihundert Ringraumer gelandet und nach kurzem Aufenthalt wieder gestartet. Wir haben das festgestellt. Wir stehen mit unserem Schiff über einem unbekannten Sauerstoffplaneten. Wir entdecken diese Ruinenstadt – und wir haben den Köder geschluckt, sind hiergeblieben und sitzen nun fest, weil ein Intervall uns von der Gruppe des Commanders trennt. Wir haben viele Stunden vertrödelt. Die Zerfallszeit der Energiefahnen im Raum hilft dem verschwundenen Flottenverband, seine Spuren zu verwischen, und um uns noch länger hier festzunageln, wird auch noch ein Angriff auf unser Schiff gestartet!« Er konnte es seinen Männern nicht übelnehmen, daß sie mit seiner Hypothese nicht einverstanden waren. »Roboter«, sagte Glenn Morris, »und die sollen diese Raffinesse besitzen, Riker? Ziemlich unglaubwürdig.« »So?« Riker deutete angriffslustig auf den Checkmaster. »Was ist das denn für ein Ding? Irgendwie auch eine Art Roboter, oder? Wir trauen ihm fast alles zu, aber anderen Konstruktionen der Mysterious gar nichts. Das ist ein Widerspruch in sich. Oh… beinahe hätte ich es vergessen! Waren die Giants nicht auch Roboter? Wir aber hielten sie für eine humanoide Rasse. Meine Herren, wir müssen endgültig 237
begreifen, daß Maschinen intelligent sein können. Dabei spielt es keine Rolle, ob so ein Roboter die Form unseres Ringraumers hat.« Glenn Morris strich über sein Kinn. »Ein Ringraumer könnte ein Roboter sein?« Die Frage blieb unbeantwortet. Aus der Bordverständigung tönte es: »Wir haben gerade Verbindung mit dem Commander gehabt, aber nach den ersten Worten ist sie schon wieder abgerissen.« »Was hat er gesagt?« wollte Dan Riker wissen. Die Erleichterung darüber, daß sein Freund noch lebte, war ihm deutlich anzumerken. Walt Bruggs Auskunft enttäuschte alle. »Der Commander konnte nur drei Worte sagen: Wir sind in… dann war schon wieder Schluß!« »Was hat Ren nur sagen wollen?« murmelte Riker. »Brugg, spielen Sie uns den gesamten Vorgang in die Zentrale.« Es knackte, dann flammte die Projektion auf. Ren Dharks gelassenes Gesicht war zu sehen. Er bewegte die Lippen und sagte: Wir sind in… Dann zerflatterte das Bild, und auf der Tonphase wurde es still. »Brugg, haben Sie schon versucht, herauszufinden, durch welche Störung die Sendung unterbrochen wurde?« »Resultat kommt gerade.« Gesteuerter Eingriff, meldete der Checkmaster, und dahinter standen Koordinaten. »Das ist doch nicht zu fassen!« sagte Tino Grappa verblüfft. »Das sind dieselben Koordinaten, die ich dem Commander durchgegeben habe. An dieser Stelle wird das Intervallfeld erzeugt!« »Warum sich da noch wundern?« knurrte Riker. »Er hat’s mal wieder geschafft. Er kommt immer dahin, wo er hinkommen will.« »Hoffentlich trifft der Commander noch vor dem Angriff ein!« meinte Grappa. Riker trommelte mit den Fingern auf der Verkleidung des Ortungsgeräts herum. »Wie können wir rechtzeitig in Erfahrung bringen, was uns angreift?« »In die Wüste fliegen und über der Stelle, wo sich in dreitausend Meter Tiefe viel bewegt, mit Duststrahlen einen Schacht graben.« »Zu gewagt!« erklärte Riker auf Grappas Vorschlag. Seit er den Verdacht hatte, daß dieser Planet womöglich nur als Köder dienen sollte, wurde er ihm von Minute zu Minute unheimlicher. »Möglich«, erwiderte Grappa, »aber was tun wir, wenn der Angriff auf die POINT OF läuft und der Commander gerade eine Chance gefunden hat, aus der Stadt herauszukommen? Verbauen wir ihm damit nicht den Rückweg?« »Ich muß es mir überlegen«, wich Riker der Entscheidung aus. Das aufgleitende Schott schreckte sie alle auf. Jens Lionel, der Bordastronom, trat ein. Er strahlte, und die Plastikmappe in seinen Händen trug er so behutsam, als ob sie zerbrechlich sei. »Riker, wir haben eine Sternkarte entziffern können!« 238
»Großer Himmel!« brachte Riker hervor, als Lionel ihm die Folie reichte. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Das alles lag schon so weit zurück! In der Zwischenzeit war so viel passiert. Dhark und er hatten diese Sternkarten zusammen mit der stilisierten Darstellung einer Spiralgalaxis auf Mirac in einem Flash gefunden. »Und welche Region unserer Milchstraße zeigte diese Karte?« Er fragte aus Höflichkeit; lieber hätte er von Lionel einen Hinweis gehört, wie der Commander mit seinen Männern aus der Stadt geholt werden konnte. »Sie zeigt den anderen Rand des Spiralarms Il/a, Riker. Aber diese Sternkarte ist aus einer Perspektive heraus angelegt worden, die alles verschleiern sollte. Erst mit Hilfe der Pry-Positionsformel der Mysteriousmathematik sind wir zu einem Resultat gekommen. Riker, Sie halten die entzifferte Karte in den Händen. Meine Kollegen und ich sind aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, als wir mit der Durchmusterung begannen. Schauen Sie sich das an…« Der Astronom war nicht mehr zu bremsen. Wenig interessiert hörte Dan Riker zu. »Diese Sonne gehört zum Typ S. Starker Lichtwechsel, auffallende Absorptionslinien des Zirkons. Elf Planeten. Nichts Weltbewegendes. Aber dann diese sechs inneren Planeten! Hier können Sie es erkennen. Es sind drei Zwillingspaare! Jedes Paar auf eigener Bahn. Doch jedes Paar umläuft sich in der gleichen Zeit wie die beiden anderen Paare. Und alle drei Paare umlaufen die S-Sonne in der gleichen Zeit!« »Das alles haben Sie aus der Sternkarte herausgelesen?« fragte Riker voller Zweifel. »Noch mehr!« trumpfte der Astronom auf. »Der Pulsationszyklus der S-Sonne beträgt 42,06 Stunden Norm-Zeit, die Rotationszeit der drei Zwillinge aber 21,03 Stunden. Das ist ungeheuerlich. Das ist niemals natürlich entstanden. Das ist das Produkt einer alles überragenden Technik!« Solche Superlative war Dan Riker von Jens Lionel überhaupt nicht gewohnt. »Riker, wir haben auf der chiffrierten Sternkarte auch die Farbzeichen entziffern können. Diese drei Zwillinge sind Sauerstoffplaneten. Ihr Abstand zur Sonne läßt vermuten, daß auf allen dreien ein für Menschen erträgliches Klima herrscht. Wenn…« »Stop, Lionel«, unterbrach Dan Riker den Redefluß des Experten, »Sie sind mir nicht böse, wenn ich mißtrauisch bleibe. Das alles wollen Sie mit Ihren Kollegen aus einer einzigen Sternkarte herausgelesen haben?« »Viele Zeichen haben wir noch nicht entziffern können, Riker. Unsere SensorMikroskope schaffen keine lesbare Vergrößerung.« »Schaffen keine…? Mein lieber Lionel, hören Sie…« Es klang ungläubig. An Bord der POINT OF befanden sich modernste Sensor-Mikroskope, mit denen selbst atomare Partikel sichtbar zu machen waren. »Nein, Riker, sie schaffen es nicht. Doch zum Schluß noch eine Überraschung. Sie wissen doch, daß die FO-23 vermißt wird?« »Und?« 239
Grappa mischte sich ein. »Riker, die Geschwindigkeit der Einheiten in dreitausend Meter Tiefe hat sich um rund 25 Prozent erhöht. Nach wie vor zeigt die Stoßrichtung auf die POINT OF.« Riker wirkte plötzlich energiegeladen. »Okay. Dann hätten wir den Angriff in gut… eineinhalb Stunden zu erwarten.« Er warf einen Blick auf Hen Falluta, den Ersten Offizier, der Sitzwache im Copilotensessel schob. »Ich bin in einer der beiden Waffensteuerungen.« Er sah Jens Lionel bedauernd an und gab ihm die Folie zurück. »Tut mir leid, mein Lieber, aber wie Sie sehen, habe ich jetzt wirklich keine Zeit mehr.« Das Schott der Zentrale schloß sich hinter ihm. »Was mag Riker in den Waffensteuerungen wollen?« fragte Glenn Morris, der unterwegs in seine Funk-Z war. Niemand in der Zentrale konnte ihm darauf eine Antwort geben. Arc Doorn blieb bei seiner Behauptung, in der großen Bildkugel die schwankende POINT OF gesehen zu haben. Ren Dhark mußte ihm glauben. Auf die Angaben des Sibiriers konnte man sich verlassen. Unwillkürlich betrachtete er wieder jene Instrumente, die vorher neue Werte angezeigt hatten. Jetzt rührten sie sich nicht mehr. Verwirrt schüttelte der Commander den Kopf. »Hat zwischen dem Schwanken der POINT OF und der Aktivität dieser Geräte ein Zusammenhang bestanden?« Doorn schien geistesabwesend. »Das alles ist schlimmer als eine komplizierte Schnitzeljagd. Auf einmal treffen wir überall auf Spuren der Mysterious, finden sogar ihre Wohnungen, aber von ihnen selbst nicht eine einzige Darstellung«, murmelte er vor sich hin. Sind sie doch die Grakos gewesen? schoß es Ren Dhark durch den Kopf. Nicht zum ersten Mal in diesen Tagen erinnerte er sich des Berichts, den Colonel Neep von Esmaladan mitgebracht hatte. Nach den Überlieferungen der Utaren hatten die Grakos vor tausend und mehr Jahren Ringraumer geflogen. Sie waren die Geißel der GALAXIS gewesen, hatten Planeten entvölkert, intelligente Rassen entführt, sich aber niemals gezeigt! Wenn in diesem Bericht ein Körnchen Wahrheit steckte, dann drängte sich die Frage auf, warum sich die Grakos so verhalten hatten. Normalerweise zeigte sich der Überlegene doch stets dem Besiegten. Warum war das damals nie der Fall gewesen? Zu seiner Überraschung fragte Doorn: »Dhark, denken Sie jetzt vielleicht auch an diese komischen Grakos, die mir noch weniger sympathisch sind als die Mysterious mit ihrer unverständlichen Versteckspielerei?« »Ja, Arc. Ich habe an sie gedacht, aber alles Kopfzerbrechen führt zu nichts. Was ist das hier? Warum gibt es in einer vollautomatisch arbeitenden Zentrale diese Steuereinrichtung mit fünf Sesseln? Und was bedeutet dieses Transmitterzeichen mit der waagrechten Amplitude? Doorn, wir müssen irgend etwas tun, sonst treten wir bis zum Jüngsten Tag auf der Stelle. Haben Sie denn nirgendwo etwas ent240
deckt, das Ihnen vertraut vorkam?« »Das hier, Dhark. Diese sieben Instrumente mit den drei Steuerschaltern.« Sie waren dem Commander so fremd wie irgend etwas Unbekanntes, das er zum erstenmal sah. »Und was soll das sein?« »Das weiß ich nicht genau. Aber wenn ich etwas Zeit bekomme, steige ich schon noch dahinter.« »Haben wir noch Zeit? Doorn, warum hat die POINT OF den Startversuch unternommen, und warum ist sie schwankend wieder gelandet? Das muß doch etwas zu bedeuten haben.« Arc Doorn beantwortete die Fragen auf seine Art. »Ich versuche noch einmal, Funkkontakt mit dem Schiff zu bekommen. Vielleicht erfahren wir, was Riker zu dem Startversuch…« Er schwieg, weil der Commander ihm die Hand auf die Schulter legte. »Doorn, es gibt nur eine Erklärung. Riker hat uns aus der Stadt holen wollen, und dieser Versuch ist fehlgeschlagen!« »Warum hat er dann nicht vorher einen Flash geschickt? Das wäre doch viel einfacher gewesen.« »Vielleicht hat er es getan. Und wenn der Flash das Intervallfeld nicht durchfliegen konnte? Doorn, warum ist der Funkkontakt zum Schiff abgerissen? Warum hören wir den starken To-Funksender der POINT OF nicht?« »Commander, wenn das stimmt, was Sie befürchten, dann sieht’s nicht gut für uns aus. Aber irgendwie ist diese Geschichte doch verdreht. Erst schweben UnitallPanzer durch die Stadt, dann kommen andere von draußen herein. Dann werden die obersten Stockwerke der Hochhäuser in Fetzen geschossen. Und erst nachdem diese Zerstörungen erfolgt sind, setzt irgendeine Superautomatik die Pressorstrahlen ein, schleudert die feindlichen Panzer davon, und erstellt ein Intervallfeld. Commander, können Sie mir die Preisfrage beantworten, warum man nicht bei Ortung der fremden Panzer sofort das Intervall eingeschaltet hat? Warum mußten erst ein halbes Hundert Hochhäuser beschädigt werden? Das widerspricht doch jeder Logik – auch der robotischen.« Je länger der Sibirier gesprochen hatte, um so erregter war er geworden. Zum Schluß hatte er seine Worte mit weit ausholenden Gesten unterstrichen. Nachdenklich sah Ren Dhark seinen Begleiter an. Doorn hatte ihn auf einen Gedanken gebracht, der ihm gar nicht mehr so abwegig erschien, je länger er darüber nachdachte. »Doorn, technische Anlagen, die tausend Jahre – oder mehr – in Betrieb sind, unterliegen normalem Verschleiß, wenn man sie nicht ständig wartet. Nehmen wir an, all dies ist hier der Fall gewesen. Als die Bewohner ihre Stadt verließen, nahmen sie die Reparaturroboter mit, weil sie sie an anderer Stelle erneut einsetzen wollten. Hier aber trat im Laufe der Zeit der Verschleiß ein…« »Gut, Commander, und die fremden Panzer, die wir gesehen haben?« 241
Dhark nickte. Auf diesen Einwand hatte er gewartet. »Die Mysterious sind vor ihrem Verschwinden bestimmt ein mächtiges Volk gewesen. Jeder Starke hat viele Feinde. Können die schlimmsten Feinde der Geheimnisvollen nicht die Grakos gewesen sein? Und können die Panzer, die in die Stadt einbrachen, um sie zu zerstören, nicht Panzer dieser Grakos gewesen sein? Leider reagiert die automatische Abwehr nicht mehr so exakt wie in früheren Zeiten. Ist das keine Erklärung?« »Nur bringt sie uns nicht wieder zum Schiff!« Ren Dhark reagierte nicht. Er sah über Doorns Schulter, weit hinüber zum anderen Ende der Schaltwand. Dort leuchtete auf der blauschimmernden Verkleidung das Transmitterzeichen: zwei Blips, die sich um neunzig Grad versetzt kreuzten. Die Amplituden wuchsen, und um sie herum zeichnete sich ein leuchtender Kreis in blassem Rot ab. Auch der Kreis wurde größer. »Was haben Sie?« fragte Doorn, als er den starren Blick des Commanders bemerkte. Er drehte sich um. Dharks Hand rutschte von seiner Schulter. Sie griff zum schweren Blaster. Instinktiv. Plötzlich wurde die Kreisfläche der Unitallverkleidung transparent, existierte einfach nicht mehr. »Keine Aktion, Männer«, flüsterte Dhark über Helmfunk. Die mannshohe Kreisfläche wirkte wie ein dunkles Loch. In diesem Loch entstand ein blasses Licht. Etwas schwebte heraus. Zwei Roboter, wie man sie von den erbeuteten Ringraumern und aus dem Transmitter-Raum im Industriedom kannte. Im gleichen Moment warfen sich Dhark und Doorn hinter die Sesselreihe, während dort, wo sie gerade noch gestanden hatten, vier Strahlenbahnen durch die Luft zischten und weit hinter ihnen gegen die Unitallverkleidung schlugen. Dhark hatte eine der Metallkonstruktionen in der Zielerfassung seines Blasters. Er wußte selbst nicht, wie schnell er reagierte. Als der Abstrahlpol seiner Waffe die Energiebahn losjagte, drückte auch Arc Doorn den Kontakt. Der Schuß des Commanders war ein Volltreffer. Doorn hatte nicht so genau getroffen. Dhark unterstützte seinen Partner, als er seinen Gegner der Länge nach zu Boden stürzen sah. Wieder traf er genau ins Linsensystem. Wieder zerstörte sein Blasterstrahl das wichtige Schaltzentrum der Konstruktion. Während Doorns Energiebahn ein häßliches Loch in den Metallrumpf brannte, flog die abgeplattete Spitze in einem scharfen Knall und mehreren Energiefontänen auseinander. Ren Dhark richtete sich auf. Doorn folgte ihm. Wortlos nahm der Sibirier die Bemerkung des Commanders hin: »Wenn wir hier heil herauskommen, kommandiere ich Sie zu Zielübungen unter extremen Bedingungen ab!« Wieder schimmerte es in dem dunklen Loch. In einigen Metern Tiefe mußte sich 242
dort eine Transmitter-Antenne befinden. Ren Dhark ging kein Risiko ein. Er schoß – und er traf ein drittes Mal. Besser als vorher. In der Röhre gab es eine donnernde Explosion, und eine grelle Stichflamme fuhr fauchend aus der Öffnung. Er ließ den Strahl stehen, bewegte den schweren Blaster kreisförmig. Er wartete auf ein Ereignis. Plötzlich brüllte und fauchte eine grellrote Stichflamme in den Maschinensaal. Der Luftdruck der Explosion riß Dhark und Doorn von den Beinen. Es grollte, als ob der Planet auseinanderbrechen wollte, und ein leichtes Zittern lief durch den Boden. Krampfhaft hielt Dhark die Augen geschlossen. Dennoch sah er durch die Augenlider Energieblitze aufleuchten. Noch einmal ging ein harter Schlag durch den Boden, dann ließ der Sturm der entfesselten Gewalten nach. Dhark richtete sich wieder auf. In der Röhre schmorte etwas. Rauch wälzte sich heraus, der an der Unitallwand hochstieg und von der versteckt angebrachten Entlüftung erfaßt und abgesaugt wurde. »Das hätte ins Auge gehen können«, stellte Dhark mit sarkastischem Unterton fest. »Ich möchte nur wissen, woran uns diese Roboter als Fremde erkannt haben.« »Mußten sie doch – schließlich haben wir kein drittes Auge auf dem Kopf wie die Mysterious.« Ein tiefes Brummen setzte ein, das schnell lauter wurde. An der Instrumentenwand flammten Kontrollen in strahlendem Blau. »Ich hab’s! Großer Gott!« brüllte Arc Doorn plötzlich und schob Ren Dhark zur Seite. »Commander, das muß die Sendeanlage sein. Ich versuche, die Hauptfrequenz der POINT OF einzustellen. Verdammt, daß ich das übersehen konnte… Achtung, ich schalte ein!« Blauschimmernde Unitallverkleidung veränderte sich. Ein Bildschirm, der leicht im Grauton flackerte, wurde sichtbar. Der Commander sah das Gesicht von Walt Brugg in der Funk-Z der POINT OF. Arc Doorn hatte es tatsächlich wieder einmal geschafft. »Wir sind in der Stadt, und…« Dhark verstummte. Vor ihm gab es keinen Bildschirm mehr, nur noch die blauschimmernde Unitallverkleidung. »Blockiert!« fauchte der Sibirier »Da hat irgendwer dran gedreht. Aus! Alle Instrumente sind auf Null.« »Weg von hier!« entschied Dhark. »Hoffentlich schaffen wir es noch, ins Freie zu kommen, denn jetzt weiß man, daß Fremde in dieser Zentrale stecken, wenn die Roboter sich nicht schon vorher gefragt haben, was ihren Transmitter hier in die Luft gejagt hat. – Habt ihr mitgehört, Männer?« Sie hatten mitgehört. Sie warteten nur noch darauf, daß der Commander und Doorn über den A-Grav-Lift zu ihnen hochkamen. Dhark hetzte zwischen Instrumentenwand und Sesselreihe entlang. Abrupt stoppte 243
er seinen Lauf. Eines der Instrumente hatte er erkannt. Er stand vor einem Gerät, das die Belastungswerte eines Intervallfelds anzeigte! Doch dieses Intervall war ungewöhnlich klein. Sein Durchmesser betrug nur ein paar hundert Meter! Hatten die Roboter diesen Wolkenkratzer abgesichert, in dessen Keller sie sich aufhielten? Dhark rief Doorn zurück, der den A-Grav-Lift fast schon erreicht hatte. »Arc, haben Sie eine Ahnung, wo der Steuerschalter dafür ist?« »Nein!« Auf dem linken Teil der Instrumentenwand wurden Kontrollen lebendig, leuchteten auf und erloschen, leuchteten erneut auf… Die Zentrale erwachte zum Leben! Wie mit dem Boden verwachsen stand Ren Dhark vor den Instrumenten. Neben ihm, ohne die geringste Unruhe zu zeigen, Arc Doorn. Sie wußten, daß Sekunden ihr Schicksal entscheiden konnten, aber sie wußten auch, daß sie es in der Hand hatten, ihr Leben zu retten, wenn sie den richtigen Steuerschalter fanden und ihn in die richtige Stellung brachten. Hunderte Steuerschalter. Noch mehr Instrumente. Der größte Teil war ihnen fremd. Ein Teil der Zeichen auch. »Hier ist es noch schlimmer als damals in der POINT OF!« Dhark nickte. Damals, als sie den Ringraumer im Höhlensystem entdeckt hatten, war es jedem schwergefallen, sich vorzustellen, daß man dieses Schiff einmal sicher durch die Galaxis fliegen würde. Aber damals waren sie nicht unmittelbar bedroht gewesen. Hier hingegen wurde ihre Vernichtung vorbereitet. Zumindest konnte das Aufleuchten und Verlöschen der Kontrollen so gedeutet werden. Die Ruinenstadt hatte sie als Eindringlinge identifiziert! »Commander, wir werden beobachtet!« rief der Mann, der Doorns tragbares Ortungsgerät übernommen hatte, über Helmfunk. »Infrarotstrahlen tasten uns ab!« Das war noch harmlos. Solange sie nicht unter Strahlbeschuß genommen wurden… Dhark vergaß die Meldung. Er suchte nach Instrumenten, deren Bedeutung er kannte. Doch hier befand er sich nicht auf seiner POINT OF, sondern in der Zentrale einer Ruinenstadt, in der es außer Robotern nichts mehr gab. Oder doch? Dhark begriff nicht, wie er sich in dieser angespannten Lage Gedanken darüber machen konnte. Im gleichen Moment zerriß ein Schleier vor seinen Augen. Blitzschnell brachte er drei Steuerschalter in eine andere Lage. Neun Kontrollen leuchteten auf. Neunmal Grün! »Großer Himmel, was haben Sie geschaltet, Dhark?« fragte der Sibirier fassungslos. 244
»Erst mal raus hier! Ich erzähl’s Ihnen unterwegs! Hoffentlich geht das gut!« Sie rannten erneut zum A-Grav-Lift. Über Helmfunk rief Dhark seiner Gruppe zu: »Fertigmachen zum fluchtartigen Absetzen!« Sie erreichten den A-Grav. Viel zu langsam – so glaubten beide -trug die PlusSphäre sie nach oben. Dort wurden sie schon von den anderen erwartet. Vorbei an den niedrigen, unitallverkleideten Maschinen. Sie erreichten den Gang, der zum großen Schacht führte, der Verbindung zur Eingangshalle des teilzerstörten Gebäudes. Keine Energiemauer, die sie aufhielt? Keine goldgelb zuckenden Strahlen, die an Elmsfeuer erinnerten? Der Schacht tauchte vor ihnen auf. Die Männer keuchten. Niemand sagte ein Wort. Ihr Blick war nur nach vorn gerichtet. Auch Ren Dhark drehte sich nicht um. Dann schwebten sie im A-Grav-Schacht nach oben. Eng zusammengedrängt, in jeder Hand einen Blaster. Jeder war bereit, sein Leben zu verteidigen. »Commander?« »Später, Doorn«, wehrte Ren Dhark ab. Er zitterte innerlich und hatte Angst, seine Begleiter könnten sein Zittern bemerken. Er versuchte sich auf das Wissen zu konzentrieren, das er seinerzeit durch Einnahme der Mentcaps erhalten hatte. Konzentriert stürzte er sich in die Hypermathematik der Mysterious, benutzte ihre Formeln, um noch einmal alles durchzurechnen. Es war so einfach, wenn man die Formeln beherrschte. Es war noch einfacher, die Hypermathematik zu benutzen, wenn man ihren logischen Aufbau kannte. Hoffentlich spricht mich jetzt niemand an, dachte Ren Dhark, während er im Kopf mit den Formeln jonglierte. Es mußte klappen. Wenigstens für ein paar Minuten. Aber würden sie es in der Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, bis zum kleinen Intervallfeld schaffen? Sie erreichten die große Empfangshalle des Hochhauses. Auch hier keine Roboter, die ihnen den Weg zu verlegen versuchten. Keine Strahlbahnen, die sie vernichten wollten. Alles sah so aus wie vorhin, als sie die große Halle zum erstenmal betreten hatten. »Schneller, Männer!« Er spurtete. Sein Ruf riß sie mit. Die Gruppe blieb dicht zusammen, jagte auf das große Portal zu. Draußen stand die weiße Sonne am Himmel. Tiefer als zuvor. Das brachte ihnen zum Bewußtsein, wie lange sie sich in der Zentrale im Keller aufgehalten hatten. Die Freitreppe hinunter! »Jetzt aufpassen!« keuchte Ren Dhark. Sein Blick suchte das kleine Intervallfeld. Existierte es womöglich gar nicht? War er ein Opfer seiner Einbildung geworden? Sie liefen nicht mehr, weil er nur noch tastend, mit weit ausgestreckten Händen vorwärts ging. Wie ein Blinder, der jedes Hindernis vor dem Zusammenstoß fühlen 245
will. Ein hochenergetisches Intervallfeld war in seinem Grenzbereich wie eine undurchdringliche, unsichtbare Mauer, die eigenartigerweise so stabil war, daß damit wracke Raumschiffe aller Größenklassen abgeschleppt werden konnten. Plötzlich stieß Dhark gegen ein Hindernis, das niemand sah. »Stop!« Seine Stimme klang erregt. Kamen sie zu spät? War alles schon vorüber? Seine Männer starrten ihn an. Er verstand sie gut. Sie wußten nicht, welches Experiment er durchgefühlt hatte, und er konnte es höchstens einem von ihnen erklären – Arc Doorn. Alle anderen würden ihn niemals verstehen, denn keiner von ihnen beherrschte die Supermathematik der Mysterious. Er sah Doorns unterdrücktes Grinsen. Der Sibirier ahnte, was er getan hatte. Das Grinsen sollte ihm vergehen. Dicht vor ihnen flammte es auf. Es rauschte und heulte. Irisierende, leicht gekrümmte Flächen prasselten und knisterten, daß es ihnen allen unter die Haut ging. Dhark verfolgte mit brennendem Blick die turbulente Entwicklung. Unwillkürlich war auch er immer weiter vor der instabil gewordenen Zone zurückgewichen, bis ihm klar wurde, daß sie sich schon viel zu weit entfernt hatten. Gelang sein Experiment, blieben ihnen nur ein paar Sekunden. Sie mußten diese kurze Zeitspanne nutzen. Aber er hatte vergessen, sie darauf vorzubereiten. Hastig holte er es nach. »…und wenn ich schreie: Los! dann rennt jeder, so schnell…« Er schrie: »Los!« Vor ihnen leuchtete eine gekrümmte Fläche plötzlich orangerot auf – und zerbarst wie eine Glasscheibe der alten Art in viele tausend Bruchstücke. Die Männer rannten! Um sie herum ein Getöse, als ob die Ruinenstadt zusammenfallen würde. Sie kannten nur eins: Laufen, laufen, laufen! Diese Stadt war ihnen allen unheimlich geworden. Sie begannen sich vor ihr zu fürchten. Und sie erhielten noch einmal Grund dazu. Wieder begann es hinter ihnen zu prasseln und zu knistern. Um sie herum leuchtete es auf, und für Sekunden wurde das Licht der weißen Sonne von einem anderen Feuerwerk übertrumpft. Grelle orangerote Farbspiele, die in einem krachenden Donnerschlag urplötzlich zu Ende waren. »Geschafft!« keuchte Ren Dhark, und sein Schritt wurde langsamer, bis er stehenblieb. Er streifte den Klarsichthelm zurück und atmete die frische Luft tief ein. Lachend sah er Arc Doorn an, der nachdenklich den Kopf wiegte. In Dharks braunen Augen war der Schalk zu sehen. Er wußte, daß er gleich mit seiner Bemerkung den Männern viel zumuten würde, aber ihnen konnte er nichts erklären. Er sagte nur: »Wenn man in einem Intervallbereich ein zweites, gleich großes aufbaut, brechen beide kurzfristig zusammen, um sich dann laut Tri-KonFormel der dritten Stufe erneut zu einem Intervall zu vereinigen.« 246
»Dritte Stufe Tri-Kon?« Doorn schüttelte den Kopf. »Daran habe ich nicht gedacht. Aber sie hatten das zweite Intervall doch schon eingeschaltet, als wir uns noch in der Zentrale befanden…?!« Der Commander sah ihn mitleidig an. »Doorn, haben Sie denn die halbe Mysterious-Mathematik vergessen?« Der Sibirier klatschte sich die flache Hand an die Stirn. »Stimmt, unter bestimmten Voraussetzungen! erfolgt der kurzfristige Zusammenbruch beider Intervalle erst nach etwa acht bis elf Minuten Norm-Zeit!« »Genau. Und diese unsichere Zeitspanne hat mir viel Kopfzerbrechen bereitet. Ich mußte alles auf eine Karte setzen. Entweder wir würden innerhalb dieser Zeit nach draußen kommen – oder wir hätten verloren.« »Leider haben wir noch nicht die ganze Partie gewonnen! Die Ruinenstadt liegt nach wie vor unter dem großen Intervall.« »Das bezweifle ich, Doorn. Wir werden mit der POINT OF sprechen können!« erklärte Dhark gelassen. Und die Funk-Z meldete sich! Glenn Morris schaltete zur WS-West durch, wo sich Dan Riker aufhielt. Der ließ Dhark nicht zu Wort kommen. »Auf die POINT OF wird ein Angriff vorbereitet. In dreitausend Meter Tiefe unter der Wüste nähern sich mit großer Geschwindigkeit einige tausend schwere Gewichtseinheiten dem Landeplatz. Mit dem Angriff haben wir in gut einer Stunde zu rechnen, wenn…« »Wir sind in einer halben Stunde im Schiff«, wurde er von Dhark unterbrochen. »Unter keinen Umständen darf uns ein Flash entgegengeschickt werden. Das könnte irgend etwas veranlassen, erneut ein Intervall um die Stadt zu legen…« Überrascht fragte Riker: »Das Intervall besteht nicht mehr?« »Wir hoffen es«, erwiderte Dhark und schaltete sein Vipho ab. Dreiundzwanzig Minuten später flogen die beiden Schwebeplatten in die Schleusen l und 2 ein. Eine Minute danach betrat Ren Dhark die Kommandozentrale.
21. »Nun?« fragte der Commander, der sich kaum die Zeit nahm, Dan Riker und die übrigen Offiziere zu begrüßen, sondern sofort hinter Grappa trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. »Wie sieht’s aus?« Alle Ortungssysteme arbeiteten. »In den letzten paar Minuten ist viel geschehen«, erwiderte Grappa beunruhigt. »Die Einheiten in der Tiefe der Wüste sind vor knapp zwanzig Minuten zum Stillstand gekommen. Dafür gibt es jetzt im gesamten Peripheriebereich der Ruinenstadt Kraftwerke oder Konverter der Kategorie 2 bis 3. Aber die Energie wird überall nur gespeichert. Ich kann mir noch keinen Reim darauf machen.« 247
Dhark rief den zwei Offizieren auf der Galerie zu: »Schalten Sie die große Projektion ein und zeigen Sie den Stadtplan.« Augenblicke später stand ein Hologramm von drei mal drei Meter in der Zentrale. Der Plan der Ruinenstadt. Die breiten Straßenzüge waren als dünne Linien zu erkennen, die verschieden hohen Wolkenkratzer durch Farben gekennzeichnet. Grappa schaltete an seinem Pult; überall dort, wo die Energieortung Konverter festgestellt hatte, flammten auf dem Stadtplan rote Leuchtpunkte auf. Aufmerksam studierten Ren Dhark und die übrigen Männer in der Zentrale die Projektion. Zwei bis zweieinhalb Kilometer lagen die Konverter voneinander entfernt, aber nicht direkt am Stadtrand, sondern etwa vierhundert Meter tief in der Stadt. Das hellste Rot ging von der Stelle aus, an der sich das Hochhaus mit dem zerstörten Mittelteil befand. In seinen Kellern mußten alle verfügbaren Energieerzeuger mit maximaler Leistung laufen. Das Bild hatte etwas Beunruhigendes an sich. Dan Riker hielt mit seiner Meinung nicht zurück. »Ren, ich bin glücklich, wenn ich diesen Planeten ein paar tausend Lichtjahre hinter uns weiß.« »Ja«, gab Dhark zu, »auch mir ist dieser Planet unheimlich. Doch gerade das reizt mich, W-4 – wie Doorn und ich ihn mittlerweile getauft haben – zu erforschen. Wir werden uns morgen die Stadt noch einmal ansehen. Bis dahin bleibt die Alarmbereitschaft bestehen. Ich werde mich jetzt erst ‘mal ausruhen. Irgendwelche Einwände, Dan?« Dan Riker hatte ein ganzes Bündel von Einwänden. Aber er spürte auch, daß er den Freund nicht von seinem einmal gefaßten Entschluß würde abbringen können. Deshalb meinte er nur: »Es hat wahrscheinlich wenig Sinn, dich noch einmal auf die Einheiten unter der Wüste hinzuweisen, die sich jederzeit wieder in Bewegung setzen können…« Dhark zuckte die Schultern. Seit er sich wieder an Bord der POINT OF befand, war er vollkommen ruhig geworden. Weder das, was unter der Wüste geschah, noch die Veränderungen auf dem Energiesektor in der Ruinenstadt beunruhigten ihn sonderlich. »Was kann der POINT OF im Schütze ihrer Intervallfelder schon geschehen?« fragte er und verließ dann die Zentrale, um seine Kabine aufzusuchen und zu schlafen. Kopfschüttelnd blickte Dan Riker ihm nach, bis das Trennschott wieder zufuhr. Manchmal war es schwer, Ren Dhark zu verstehen. Vor allem dann, wenn sie auf Spuren der Mysterious stießen. Wie von einer Sucht wurde Ren Dhark jedesmal von dem Ehrgeiz befallen, ihre Geheimnisse zu enträtseln. Doch was war bisher dabei herausgekommen? Aus einem Berg von ungelösten Rätseln war inzwischen ein kleines Gebirge geworden, und das Geheimnis, hinter dem sich die Geheimnisvollen verbargen, 248
schien bis in alle Ewigkeiten ein Geheimnis zu bleiben. Riker verstand den Ehrgeiz – oder die Besessenheit? – seines Freundes, aber er konnte nicht verstehen, daß Ren, der sonst so vorsichtig war, immer wenn es um die Mysterious ging, bereit schien, jedes Risiko einzugehen. Dan Riker nickte den Offizieren zu und verließ dann ebenfalls die Zentrale, um sich in seiner Kabine auszuruhen. Die Unitallwand wurde transparent. Es geschah lautlos. Dennoch drehte sich Ren Dhark in seinem Sessel um, weil ihn ein unerklärliches Gefühl dazu getrieben hatte. Er sah durch die Unitallwand. Niemand sagte es ihm, aber er wußte, daß er Abertausende Lichtjahre weit sah. Auf einen Planeten! Auf die Heimatwelt der Mysterious! Auf eine smaragdgrün schimmernde Weltenkugel. Unwillkürlich hielt der Commander den Atem an. Er bereitete sich auf jede Überraschung vor. Alles hatte er in seinen Spekulationen erwartet, aber niemals diese Demonstration eines unvorstellbaren technischen Könnens. Die Weltenkugel vor dem dunklen Hintergrund des Universums, in dessen samtener Schwärze Millionen Sonnen als stecknadelkleine Leuchtpunkte zu sehen waren, begann zu wachsen. Sie wurde immer deutlicher; nirgendwo war eine Wolkenbank, die die Sicht auf die Oberfläche versperrte. Drei große, zusammenhängende Kontinente, von Meeren umgeben. Grüne Erdteile mit einem leichten Blaustich. Die Kugel wuchs lautlos. Sie sprengte den Rahmen der transparenten Unitallfläche. Ein Erdteil schob sich hervor. Vier Fünftel seiner Masse lagen auf der Nordhalbkugel. Nur ein kleiner Teil ragte über die Äquatorlinie hinaus. Die Landmasse wuchs fast in Ren Dharks Kabine hinein. Mehr und mehr verschwand hinter dem nicht transparenten Teil der Unitallwand. Zum Schluß blieb eine in westlicher Richtung liegende Halbinsel übrig. Unwillkürlich richtete sich Dhark auf. Das Gefühl, jetzt die größte Überraschung zu erleben, beherrschte ihn völlig. Auch die Halbinsel verschwand. Er sah eine Stadt! Nein, keine Stadt. Es war ein schier unendlicher Park, in dem verstreut kleine halbkugelige Bauten lagen, die in allen möglichen Farben leuchteten. Mitten im herrlichsten Grün. Er sah nur Fußwege, keine einzige Straße. Er sah kein Fahrzeug, weder auf der Erde noch in der Luft. Und dann sah er die ersten Mysterious – einen Mann, eine Frau und drei Kinder. Dharks Blick wurde starr. Er glaubte, mit Eiswasser übergössen zu werden. 249
Kalkweiß und flach waren die Gesichter der Geheimnisvollen. Ihre Nase kaum angedeutet, die Ohren verkümmert, das Kinn selbst bei den Kindern schon eine fette, weiche Fleischmasse, die wie Gallert bei der kleinsten Bewegung hin und her schwabbelte. »Großer Himmel, nein!« stöhnte Ren Dhark, dessen Blick Widerwillen und Ekel spiegelte. Ein Mund ohne Lippen. Augen ohne Wimpern und Augenbrauen. Augen, so wäßrig wie die Hautfarbe der Mysterious. Und auf den haarlosen Köpfen in einer leichten Mulde – das dritte Auge! Aber sie liebten Farben. Er konnte sich nicht erinnern, selbst auf einem närrischen Fest jemals Kleider in diesen schreienden Farben gesehen zu haben. Nun verstand er auch, warum die halbkugeligen Bungalows solch einen grellen Anstrich hatten. Ihre Kleidung lag eng wie Trikots am Körper an. Die Frau unterschied sich vom Mann nur durch einige wenige Haare. Die Kinder bewegten sich langsam wie Greise, denen das Gehen schwerfällt. Der Mann berührte die Frau an der Schulter. Seine Hand war menschlich. Vier Finger und ein Daumen, aber die Finger besaßen keine Nägel. Dafür waren die Fingerkuppen schwarz gefärbt. Eine Modetorheit oder Natur? Dhark konnte es nicht feststellen. Die Mysterious waren nicht größer als Terraner. Das hatten ja schon die Raumanzüge verraten, die sie in einem Depot der Ringraumerhöhle gefunden hatten. Langsam gingen der Mann und die Frau auf das knallgelb gestrichene Kugelhaus zu, das keine Tür besaß. Sie gingen durch die Wand, als ob sie nicht vorhanden wäre. Nur die drei Kinder befanden sich noch draußen. Sollte das vielleicht Spielen sein, was sie taten? Einen Gegenstand zu Boden werfen, sich langsam herumdrehen, ihm den Rücken kehren und dann warten, wo die graue Kugel, die sich in den braunen Boden bohrte, vor ihnen wieder auftauchte? Und dieser stupide Ausdruck ihrer Gesichter! Nicht den Anflug eines Lächelns konnte Dhark entdecken. Jetzt tauchte die Kugel vor dem größten der drei Kinder auf. Es bückte sich, nahm sie an sich, bewegte den lippenlosen Mund, und die beiden anderen traten zu ihm, sahen zu, wie es die Kugel wieder fallen ließ, um dem verschwindenden Objekt erneut den Rücken zu kehren. Grauenhaft, dachte Ren Dhark, und seine Enttäuschung wuchs ins Unendliche. Er verglich sie mit terranischen Kindern – ihrem lauten Lachen, ihrem Herumtollen, wie sie manchmal weinend nach ihrer Mutter riefen oder mit dem Mut der Verzweiflung auf ihren Freund, mit dem sie gerade Streit bekommen hatten, eindroschen. Diese drei Mysterious-Kinder bewegten sich kaum, zeigten nicht die kleinste Gemütsbewegung. Sie unterhielten sich auch nicht. Nur ab und zu wurde eine kurze 250
Bemerkung gemacht, die die anderen widerspruchslos hinnahmen. Erschreckend nichtmenschlich wirkten sie, wenn sie den Kopf senkten und ihr drittes Auge in der kleinen Mulde des Schädeldachs sichtbar wurde. Eigenartigerweise war diese flache Mulde von einem grellfarbigen, zentimeterbreiten Ring begrenzt. Ren Dhark mußte an das Gesicht des Alten denken, das er in der Kreisfläche des Transmitters gesehen hatte. Sein menschliches Aussehen und sein ausdrucksvolles Antlitz hatten alle fasziniert. Diese Gesichter aber stießen ihn ab. Da platzte das Bild lautlos auseinander. Aber in seiner Kabine war es nicht mehr ruhig. Eine Sirene brüllte. Sein Vipho gab Alarm. Ruckartig richtete sich Ren Dhark auf. Er saß nicht im Sessel. Er lag auf seinem Bett und hatte geträumt. Es hatte niemals eine transparente Unitallwand in seiner Kabine gegeben. Er drückte die Taste am Vipho. Auf dem Schirm erschien das Gesicht Hen Fallutas. »Cornmander… die Stadt… der Planet…« stammelte er. »Ich komme!« stieß Dhark aus, griff nach seinem Raumanzug und streifte ihn schnell, aber sicher über. Als er der Kommandozentrale zujagte, war er nicht der einzige Mann, der zu seiner Station lief. Ununterbrochen heulte der Alarm durch die POINT OF. Höchste Alarmstufe! Größte Gefahr! Aber welche? Der Kontrollstand unter der Rano-Kuppel war normal besetzt. An der halbkreisförmigen Instrumenten wand flammten ununterbrochen Kontrollen auf, die fast farbloses Licht abstrahlten. Fünf zylindrische Roboter, fest mit dem Boden verbunden, registrierten die Anzeigen der Instrumente. Der mittlere war fast doppelt so groß wie die anderen vier. Seine Linsenkonstruktion war auf eine ovale, von innen heraus leuchtende, gelblich getönte Scheibe gerichtet, die ein sich rhythmisch bewegendes Gittermuster auf wies. Die Felder der vielen Drei-, Vier-und Fünfecke waren mit den verschiedensten Farben ausgefüllt, die sich ständig veränderten. Unbeirrt kreisten drei Zwillingswelten auf verschiedenen Bahnen bei gleichen Umlaufzeiten um ihre Sonne. Sie nahmen keine Notiz davon, was in der Station unter der Rano-Kuppel geschah. Aber auf einem dieser Planeten, tief in seinem Innern, neben einem gewaltigen Hangar, in dem mehr als tausend Ringraumer lagen, die vor Tagen erst von einem langen Flug zurückgekommen waren, liefen gigantische Aggregate an. Überlichtschnelle Tasterstrahlen griffen nach einem viele Lichtjahre entfernten Sonnensystem, das zwischen zwei Spiral armen im sternenarmen Raum lag. Die Sonne vom Typ B besaß vier Planeten. Der vierte war eine Sauerstoffwelt. 251
Dieses System erschien auf der ovalen Scheibe unter der Rano-Kuppel. Im Moment seines Erscheinens veränderten sich die Wertangaben auf der halbkreisförmigen Instrumentenwand. Die Geräte zeigten kurz Null an und schlugen dann wieder aus. Alle fünf Roboter waren gleichzeitig auf die neue Aufgabe geschaltet worden. Alle Drei wechselten ihre Programmierung aus. Order 563/hh! Irgendwo tief im Urgestein lief nach vielen Jahrhunderten wieder ein Hypersender an. Seine Programmierung war auch auf 563/hh umgeschaltet worden. In der gleichen Sekunde strahlte er die vorbereiteten Impulse ab. Das Bild auf der ovalen Scheibe unter der Rano-Kuppel zerriß. Der leistungsstärkste aller Hypersender auf den drei Zwillingswelten wurde aktiv. In der Station unter der Rano-Kuppel warteten fünf Roboter in seelenloser Geduld gemäß Order 563/hh auf neue Befehls-Impulse, die aus der Tiefe des Raumes kommen mußten. Sie trafen nie ein. Im großen Roboter schlossen sich nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne hundert Impulskreise. Die Instrumente auf der halbkreisförmigen Schaltwand schlugen wieder bis zu den Werten aus, die sie seit der Rückkehr der Flotte ununterbrochen angezeigt hatten. Auf der gelblich leuchtenden ovalen Scheibe erschien erneut das Gittermuster mit den farbigen Drei-, Vier- und Fünfecken. Das System, dessen Hauptmerkmal die drei Zwillingswelten waren, lag wieder im Schutz seiner robotischen Hüter. Ein anderes System war aus ihrem Schutz entlassen worden. Nach Order 563/hh hatten sie nur auf exakte Impulse aktiv zu werden. Diese Impulse waren nicht eingetroffen. Im Kontrollstand unter der Rano-Kuppel war wieder alles wie vorher. Ren Dhark preßte die Lippen zusammen. Sein Blick flog über die Instrumente. Neben ihm saß Dan Riker. Kein Laut war in der Kommandozentrale zu hören. Die Bildschirme zeigten die Ruinenstadt und einen Teil der Wüste. Stadt und Wüste waren unverändert. Doch es war ein trügerisches Bild. In der Stadt waren alle Konverter über eine Ringverbindung zusammengeschaltet worden. Und nicht nur in der Stadt allein. Überall auf dem Planeten waren mehr als zehntausend Konverter, hundertmal leistungsstärker als die in der Stadt, aktiviert worden! Wer benötigte diese unvorstellbar großen Energiemengen? Ren Dhark ahnte es. Er hatte nicht vergessen, daß W-4 einen planetaren Schutzschirm besaß, hinter dem diese Welt sich verstecken konnte. Sie hatten es beim Anflug erlebt. Hatte der Planet sie mit dieser Demonstration seiner Macht davor warnen wollen, auf ihm zu landen? 252
Aber warum waren dann die Robot-Ringraumer auf W-4 gelandet, um sich nach kurzem Aufenthalt wieder mit dem Gros der Flotte zu vereinigen? Hinter Dharks Stirn erwachte ein bohrender Schmerz. Er hatte die Amphis erlebt, die Synties, Giants und Nogk, die Rateken und Utaren, aber nur in der Quiet Zone der G’Loorn war ihm bisher eine ähnliche Ballung technischer Macht wie auf dieser Welt begegnet. Warum diese Demonstration? Über der Ruinenstadt stand ein wolkenloser grünlichblauer Himmel. Der frühe Morgen ließ die Luft über der Wüste flimmern. Die zerstörten oberen Bereiche der Wolkenkratzer wirkten wie eine stumme Drohung. So weit der Blick auch reichte – es gab kein einziges Hochhaus, dessen höchste Etagen nicht zerstört waren. Grappas Ruf schreckte sie auf. »Fremdortung! Großer Himmel, sie kommt aus dem Hyperraum!« Verzweiflung lag in Grappas Stimme, als er fortfuhr: »Ich kann die Richtung, aus der die Fremdortung kommt, nicht bestimmen. Diese Störungen des galaktischen Magnetfeldes machen mich noch verrückt!« Ein gemurmelter Fluch schloß seine Meldung ab. Ren Dhark sah, wie sich Dan Riker zu ihm herüberbeugte. »Ren, sollen wir nicht starten? Noch können wir es.« Dhark schüttelte den Kopf. »Jetzt noch nicht.« »Fremdortung unverändert stark. Unheimlich stark. So etwas habe ich noch nie erlebt.« Grappa war ganz aus dem Häuschen. »Ren, worauf wartest du denn noch?« fragte Riker ungeduldig. »Auf die anderen, die die Stadt mit ihren Panzern angegriffen haben. Und die nach dem abgeschlagenen Angriff unterirdisch Angriffskeile auf den Landeplatz der POINT OF vortrieben. Hier gibt es zwei sich erbittert bekämpfende Parteien. Wir zählen doch gar nicht!« »Phantasie hast du«, murmelte Dan Riker, keineswegs freundlich. »Aber hast du dir schon einmal vorgestellt, was mit uns passiert, wenn wir zwischen diese beiden Parteien geraten?« »Ich hoffe, daß wir uns rechtzeitig absetzen können…« Plötzlich drehte sich die Farbscheibe eines Instruments. Grün – grün – rot – blau! Bei Blau blieb sie stehen! Blau aus…? Dharks Gedanken rasten. »Grappa, das sind doch die Koordinaten des pulsierenden Flecks!« Sein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte ihn nicht im Stich gelassen. Der pulsierende Reck in der Wüste war wieder da! Abermals hatte sich seine Pulsationszeit verändert. Zwischen den beiden Maxima lagen konstant 4,67 Sekunden! »Was hat das bloß zu bedeuten?« fragte Riker, dem dieser Planet immer unheimlicher wurde. Dhark hatte keine Zeit, ihm zu antworten. Er rief die beiden Waffensteuerungen. 253
»Versuchen Sie mit einigen auf Nadel geschalteten Antennen den pulsierenden Fleck in die Zielerfassung zu bekommen. Für alle Fälle!« Ihm war warm geworden. Warum, konnte er nicht sagen. »Commander!« meldete sich Glenn Morris über die Bord Verständigung. »Das darf ’s gar nicht geben! Gerade hat irgendwo in der Milchstraße ein Hypersender mit einer Leistung gefunkt, daß uns hier in der Funk-Z fast die Empfänger um die Ohren geflogen sind!« Nur Captain Jon Bradock hätte ihnen verraten können, in welchem Teil der Galaxis es solche Mammut-Hypersender gab. Aber Captain Bradock und seine Besatzung lebten nicht mehr… Wieder waren die schweren Störungen aus dem galaktischen Magnetfeld schuld, daß die Funkortung der POINT OF den fernen Sender nicht lokalisieren konnte. Dhark wollte gerade aufstehen, um sich auf Grappas Oszillos die verschiedenen Diagramme und Blips anzusehen, als dicht vor dem Landeplatz der POINT OF die Wüste aufbrach. Sie öffnete sich, wie Blenden sich öffnen. Tonnenweise wirbelten roter Staub und Sand durch die Morgenluft und vernebelten alles. Auf zwei Bildschirmen war nichts mehr zu erkennen. »Massenortung! Energieortung! Distanz…« Es verschlug Grappa die Sprache. »Commander, erbitten Feuerfreigabe!« brüllte es über die Bordverständigung aus der WS-Ost. »Das sind Panzer!« Wie wildgewordene Wespen tauchten die unheimlich massiv wirkenden Panzer aus der Sandwolke auf. Sie mußten sich unter einem absolut sicheren Ortungsschutz herangeschoben haben. Zu Hunderten! Und es wurden immer mehr. Die Wüste schien sie regelrecht auszuspucken. Ihr Ziel war eindeutig der Ringraumer. Und dann verschlug es auch Ren Dhark den Atem. In den halbzerfetzten höchsten Etage der Wolkenkratzer blitzte es auf. Strahlbahnen zischten durch die Luft. Manche turmdick, andere kaum zwanzig Zentimeter durchmessend. Doch diese energetischen Gewalten hatten nicht die heranjagenden Panzer zum Ziel – sie fuhren fauchend in die Öffnungen im Erdboden, aus denen die Kampfkolosse ausgeschwärmt waren. Ungeheure Hitzegrade verwandelten den rötlichen Sand in Gaswolken und breite Ströme aus geschmolzenem, verglastem Sand, die sich träge wie Lava in die immer größer werdenden Öffnungen ergossen. Die Panzer reagierten auf den konzentrierten Strahlangriff der Ruinenstadt nicht. Unbeirrt hielten sie ihren Kurs. Die Spitzen der vier Formationen, die sich die POINT OF als Ziel ausgesucht hatten, waren nicht einmal mehr fünf Kilometer entfernt. Dharks Lippen waren blutleer, so fest preßte er sie zusammen. Sein Blick lag auf dem Bildschirm, der ihm die Hauptmasse der Kampfwagen zeigte. Seine braunen Augen glühten, seine Kiefermuskeln zuckten. Er dachte noch nicht daran, Feuer254
freigabe zu erteilen. Er vertraute auf die Intervallfelder des Ringraumers. »Commander!« Er sah es auch, aber nicht so deutlich wie Grappa auf seinem Ortungspult. »Dan, Schiff übernehmen!« Er sprang auf, hetzte zu seinem Ortungsspezialisten und nahm neben ihm Platz. W-4 wurde zur Hölle! Der pulsierende Fleck in der Wüste war um das Dreifache gewachsen. Seine Pulsationszeit war auf 1,02 Sekunden heruntergegangen. Er leuchtete in grellem Weißblau. Die über ganz W-4 verteilten Konverter flogen reihenweise in die Luft, vergingen in atomaren Explosionen, die auf Jahre hinaus die Atmosphäre dieses Sauerstoffplaneten vergiften würden. Auf dem Energie-Oszillo leuchteten immer mehr grelle Punkte auf. Der Angriff der Panzer gegen die POINT OF brach los! Strahlfeuer aus schweren Geschützen. Energiekaskaden, die am Intervallfeld abprallten und nach allen Seiten verspritzten. »Belastung minimal!« informierte Riker den Commander. Die astrophysikalische Abteilung schlug Alarm: »Commander, dieser pulsierende Fleck hat die Aufgabe, die Atmosphäre von W-4 mit radioaktiven Isotopen zu übersättigen! Wir kennen diese Isotope allerdings nicht! Aber in einer Stunde wird die gesamte Atmosphäre hochgradig radioaktiv verseucht sein!« Ren Dhark beugte sich vor und erteilte den beiden Waffensteuerungen den Befehl, den pulsierenden Fleck mit konzentriertem Nadelstrahlbeschuß zu vernichten! »Endlich!« stieß Bud Clifton in der WS-West aus und drückte den Hauptkontakt. Sieben Antennen in der Unitallhaut der POINT OF emittierten blaßrosa Nadelstrahlen. Die überlichtschnellen Strahlen trafen ihr Ziel! Mitten hinein in den gleißenden, pulsierenden Punkt! Das Gleißen blieb, wenn auch der rötliche Sand in Energie umgewandelt wurde und Energiekaskaden in bizarren Leuchterscheinungen nach allen Seiten jagten! Die Quelle des Punktes lag nicht auf der Oberfläche! Sie lag in der Tiefe von W-4! »Großer Himmel, Feuer einstellen!« gab sich Bud Clifton selbst den Befehl und wischte sich verzweifelt über das Gesicht, als die Antennen der POINT OF keine Nadelstrahlen mehr emittierten. Gegen die Intervallfelder des Ringraumers prallten die Strahlbahnen der schweren Panzer des unbekannten Gegners. Von allen Seiten griffen sie an. Sie waren überall. Am Boden, in der Luft und über dem Flaggschiff der TF! Aus der Ruinenstadt fauchten noch immer Energiebahnen aus den Geschützen in den oberen Etagen der Hochhäuser heran. 255
»Verdammt, warum nehmen sie nicht diese lästigen Wespen aufs Korn?« fragte Dan Riker wütend. Ren Dhark ließ sich von Rikers Wut nicht anstecken. Er rief die WS-West: »Clifton, es könnte trotz allem sein, daß sich intelligente Wesen in den Panzern befinden. Vergessen Sie das nicht, aber geben Sie den Burschen einen ordentlichen Denkzettel!« Jetzt schlug die POINT OF zum erstenmal zurück. Ein Panzer in dreihundert Metern Höhe zerfiel in mehrere Teile. Ein zweiter brach wie eine reife Nuß auseinander. Der dritte war auf diese Weise nicht mehr zu vernichten. Alle Panzer hatten sich mit hochenergetischen Schutzschirmen umgeben, an denen die Kampfstrahlen der POINT OF abprallten. »Roboter! Zwei Roboter stürzen heraus!« Mit drei Sätzen stand Ren Dhark hinter seinem Freund, betrachtete den vierten Bildschirm und sah aus dem geborstenen, abstürzenden Panzer zwei Roboter in hohem Bogen durch die Luft wirbeln und dann zu Boden rasen! »Das habe ich mir gedacht! Also doch eine Roboterwelt! Waffensteuerungen… Panzer vernichten! Aber unter keinen Umständen auf die Stadt feuern!« Um den Landeplatz der POINT OF tobte das Chaos. Alles vernichtende Energiebahnen ließen die Atmosphäre aufflammen – und mitten in diesem Tohuwabohu flogen die angreifenden Panzermonstren in grellen Stichflammen auseinander. Die Astrophysiker meldeten sich. »Commander, dieser pulsierende Fleck muß noch eine andere Eigenschaft haben, als die Atmosphäre von W-4 zu verseuchen. Wir haben soeben zwei schwache, aber deutliche Gravitationsstöße aus dem Zentrumsbereich des Planeten beobachtet!« Dan Riker klatschte eine Hand auf die Verkleidung des Instrumentenpultes. »Ren, warum starten wir nicht endlich? Siehst du denn nicht, daß dieser Planet die Hölle ist?« Hatte die unbekannte Macht auf W-4 seine Frage gehört? Sie schlug zu! Ein Schwerkraftstoß ungewöhnlicher Stärke erschütterte den Planeten. Weit schlugen die Instrumente aus, doch an Bord der POINT OF blieb der Wert von einem Gravo unverändert. »Starten, Ren!« brüllte Dan Riker. Aber Dhark reagierte nicht. Sein Blick hing an dem Bildschirm, der die Ruinenstadt zeigte. Der Schwerkraftstoß hatte schlimmer in ihr gehaust als jeder Strahlbeschuß zuvor! Wohin der Blick fiel, überall fehlten vor allem die größten Hochhäuser. Staubwolken markierten die Stellen, an denen sie einmal gestanden hatten. Wer war dieser Gegner, der unbarmherzig solche Waffen einsetzte? Die Ruinenstadt wehrte sich mit der Verzweiflung eines waidwund geschossenen 256
Tieres. Hatten ihre Beherrscher erkannt, welches Schicksal ihr drohte? Aber konnten sie mit ihrem Strahlfeuer, das jetzt den fernen, immer noch pulsierenden Punkt als Ziel hatte, etwas am Ausgang der Tragödie ändern? »Alarmstart!« Mit A-Grav und Sie hob die POINT OF ab und jagte dem freien Raum zu, ließ W4 immer weiter hinter sich zurück. Noch einmal ging ein Schwerkraftstoß durch den Planeten – ein Stoß, der kein Ende nehmen wollte. »Großer Gott!« stöhnte Dhark auf, der in der Bildkugel verfolgte, wie die Ruinenstadt gleich einem Kartenhaus zusammenbrach und in einer gigantischen Staubwolke verschwand. Doch dann weiteten sich seine Augen vor Entsetzen. W-4 brach auseinander. Zuerst war nur ein dunkler Strich zu sehen, der quer durch die rote Wüste verlief. Aus dem Strich wurde ein Spalt – und nun war der Spalt schon eine viele Kilometer breite, tiefe und viele tausend Kilometer lange Schlucht. »Sie haben die Planetenbombe eingesetzt. Sie zerreißen W-4 mit Gravitationskräften!« flüsterte Ren Dhark. »Aber wer hat den Robotern diesen Irrsinns-Befehl gegeben?« W-4 mit dem Wunder der Ruinenstadt zerbrach wie ein morscher Stein! Immer schneller! Unaufhaltsam! Der Untergang war nicht mehr aufzuhalten. Und dann bestand W-4 plötzlich aus drei ungleich großen Teilen, die sich mehr und mehr in Flammen hüllten. Flammen, die aus den Tiefen der Bruchstücke schlugen und sich im Raum verloren. Mit rasender Geschwindigkeit entfernte sich die POINT OF von einem Planeten, der seine letzte Stunde hinter sich gebracht hatte. Ein Planet, der gemordet worden war. »Von wem?« murmelte Ren Dhark. Schon wieder mußte er an die Grakos denken. Unwillig schüttelte er diesen Gedanken ab. Es gab Wichtigeres. Zunächst einmal galt es, der Ringraumerflotte auf der Spur zu bleiben. Mit einem Ruck drehte Ren Dhark sich um, riß sich förmlich von dem Anblick in der Bildkugel los. »Grappa, suchen Sie nach Energiefahnen der Ringraumerflotte. Wenn die Schiffe hier nur Zwischenstation gemacht haben…« Er ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen. Der Ortungsspezialist enttäuschte seinen Commander auch diesmal nicht. Nach einigen Sekunden bangen Schweigens hob Grappa den Kopf und blickte Ren Dhark triumphierend an. »Ich hab’ sie! Und sie sind immer noch deutlich genug, um eine Ziel-Vektorierung zu ermöglichen.« »Dann los, Grappa, übergeben Sie die Daten dem Checkmaster. Wir haben in diesem Sonnensystem schon genug Zeit verloren.« 257
Dharks Blick suchte wieder die Bildkugel. Seine Augen glänzten. Dan Riker gestattete sich einen lautlosen Seufzer. Ren ist schon wieder süchtig geworden, dachte er, süchtig nach den Mysterious. Doch wohin wird uns unsere Suche diesmal führen?
REN DHARK Band 12 Die Sternenbrücke erscheint im November 1998 258
Ren Dhark Sonderband „Gestrandet auf Bittan“ Der zweite REN DHARK SONDERBAND ist erschienen! Auf 192 Seiten erzählt der Autor Werner Kurt Giesa eine spannende Episode um die Entdeckung des Phant-Virus. Der Inhalt: Die fünfdimensionale Strahlung der Sonne 404 ist einzigartig im bekannten Universum. Das wissen auch die „dunklen Götter der Verdammnis“ – und lassen Art und Jane Hooker auf Bittan stranden… Gehen Sie mit auf die Reise, denn in den Tiefen des Alls sind noch immer Geheimnisse zu lösen… Bereits erschienen und lieferbar:
Hardcover, 192 Seiten REN DHARK SONDERBAND „Gestrandet auf Bittan“ HJB Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56.544 Neuwied Tel. 0 26 31 – 35 61 00, Fax 0 26 31 – 35 61 02 Internet: http://www.bernt.de
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