KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
N. BLÄDEL
TIERE
MEISTERN
DAS LE...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
N. BLÄDEL
TIERE
MEISTERN
DAS LEBEN
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU. MÜNCHEN . INNSBRUCK .BASEL
I
n der Natur scheint eine gute Idee und ein ausgezeichneter Einfall über alles zu gehen. Die Tiere, die die besten Ideen haben, kommen in den Genuß des Preises, der das Leben selber ist. Immer kommt es darauf an, die Talente und die Fähigkeiten so zu entwickeln, daß das Dasein möglich gemacht wird, wie auch immer die Lebensbedingungen sein mögen. Es gibt ungefähr eine Million verschiedener Tierarten, von denen jede einzelne für sich eine Lösung dieser Aufgabe gefunden hat. Der Wege zum Ziel sind es viele und vielerlei. So kann der Blick in die Werkstatt der Natur immer nur winzige Ausschnitte zeigen. Aber das große Gesetz der Schöpfung wirkt sich auch in den kleinsten Dingen aus. Ein unerschöpflicher Reichtum an Ideen zur Meisterung des Lebens liegt vor uns ausgebreitet.
Propeller, Echolote und Radar Eine Idee, die wirklich belohnt wurde, ist die des Propellers, wie ihn der Fliegende Fisch hat. Als einziges unter allen Tieren hat dieser Fisch direkt einen Weg vom Wasser in die Luft gefunden. Wenn er sich verfolgt weiß, springt er so hoch, daß nur noch seine Schwanzflosse im Wasser bleibt. Sie ist sein Propeller, mit dem er fünfzig Schläge in der Sekunde macht. Die Geschwindigkeit seiner Fortbewegung steigt dabei bis auf 65 Stundenkilometer. Die vorderen „Flügel" sind während des „Fluges" die ganze Zeit ausgebreitet, und bei seiner größten Geschwindigkeit werden auch noch die hinteren ausgespannt. Dabei schwebt er zehn Sekunden lang frei und hält seinen Körper vollständig außer Wasser. Um nach dem Zurückfallen ins Wasser die Maschine aufs neue in Gang zu setzen, bedarf es nur einiger rascher 2
Schläge des Propellers, und schon macht der Fliegende Fisch einen weiteren Segelflug in zwanzig bis vierzig Zentimeter Höhe über der Wasseroberfläche. Bis zu zehnmal nacheinander kann er dieses Kunststück wiederholen und dabei bis zu einem halben Kilometer in der Luft zurücklegen. Eine solche Kraftleistung mit ihrer hohen Anforderung, die sie an die Muskeltemperatur stellt, gelingt wahrscheinlich nur deshalb, weil das Tier in warmen Meeren lebt. Wollte man annehmen, der Fliegende Fisch mache auf diese Weise einen wirklich ernsthaften Versuch, das feuchte Element ganz zu verlassen und ins Luftmeer hinüberzuwechseln, dann müßte man seine Idee als ganz unzureichend und schlecht bezeichnen, denn er wird ja mit seinem Propeller immer ans Meer gebunden bleiben. Doch da der Fisch noch immer das Leben zur See meistert, darf man seinen Flugversuchen keine andere Absicht unterschieben als eben die, dadurch einem Verfolger zu entkommen. Die gute Idee der Giraffe ist ihr langer Hals. Man hat einen mutmaßlichen Erklärungsversuch gewagt, der davon ausging, das Tier müßte, wenn es den langen Hals nicht hätte, die Beine allzu weit spreizen, um zum Trinken auf die Erde zu reichen. Und das, sagte man sich, wäre für die Giraffe gefährlich, weil sie aus dieser Stellung nicht rasch genug vor einem plötzlich auftauchenden Feinde flüchten könnte. Spitzfindige Erklärungen jedoch entsprechen nur selten der Wirklichkeit der Natur. Die Giraffe lebt von den Blättern der Akazienbäume, die in ziemlicher Höhe hängen. Und nach der allgemeinen Auffassung unter den Zoologen hat sie ihren langen Hals, um zu den Blättern gelangen zu können. Und so gesehen sind auch die langen Beine eine gute Idee. Die kleinere Giraffengazelle zum Beispiel, die zwar auch einen langen Hals, aber kurze Beine hat, und die von den gleichen Blättern lebt wie die große Giraffe, muß sich auf die Hinterbeine stellen, wenn sie sich ihr Futter holen will. Die Idee der Fledermaus ist ihr Echolot, das es ihr möglich macht, in der Dunkelheit den Abstand zwischen sich und festen Gegenständen genau zu bestimmen. Sie sendet leise Rufe aus, deren Schallwellen von jedem beliebigen Gegenstand, auf den sie treffen, ein Echo zurückschicken. Die Schwingungszahl der Töne reicht bis zu 100 000 je Sekunde, oberhalb der Grenze, 3
bis zu der das menschliche Ohr noch Töne aufnehmen kann. Beim Fliegen sendet die Fledermaus ungefähr dreißig Rufe in der Sekunde aus und bis zu hundertfünfzig, wenn sie sich einem festen Gegenstand nähert. Und damit sie nicht ihre eigenen Rufe mit dem zurückkommenden Echo verwechselt, besitzt sie einen Muskel im Ohr oder in den „ h ö r e n d e n " Nasenlöchern, der sich genau in dem Augenblick zusammenzieht und das Hörorgan verschließt, da sie das Lautsignal aussendet. Sie hört also das Signal selbst nicht, sondern sein Echo, und da, wie man annimmt, jede Fledermaus auf ihrer eigenen Wellenlänge mit eigener Schwingungszahl sendet, werden die Tiere auch gegenseitig nicht durch ihre Laute verwirrt. Um den Echoapparat zu vervollständigen, hat die Fledermaus noch die großen, beweglichen Ohren oder Nasentrichter entwikkelt. Und so wirkungsvoll ist ihr System, daß dieses fliegende Säugetier sogar noch Fäden von der Stärke eines Millimeters sicher ausweichen kann. Sendet sie ihre Laute aus der „ K e h l e " aus, so muß sie mit offenem Maule fliegen, da sie so viele Rufe ausstößt; doch das kann ihr nur höchst willkommen sein, weil sie ja während des Flugs auch Insekten fangen will. Die langohrige Fledermaus liebt vor allem Nachtschmetterlinge. Diese Falter haben jedoch für ihre Selbstverteidigung wiederum ihren Verfolger und Feind nachgeahmt. Zwar können sie keine Töne aussenden, sie haben indes fein ausgestattete Hörorgane, die die Töne der Fledermausrufe und ihre hohe Schwingungszahl aufzunehmen vermögen. Sobald sie die bedrohlichen Signale hören, ändern sie sofort ihre Flugrichtung oder lassen sich wie tot zur Erde fallen. Und für diese Idee, die Ausrüstung des Feindes in der Abwehr gegen den Feind selbst zu gebrauchen, haben die Nachtschmetterlinge die Prämie erhalten, sich im Kampf ums Dasein erhalten zu können. Auch bei Meertieren finden sich solche Echolote. Vorläufig hat man sie mit Sicherheit beim W a l und beim „Meerschwein" Delphin festgestellt. Töne mit 80 000 bis 100 000 Schwingungen in der Sekunde können von diesen Loten aufgenommen werden. Bei der geringeren Schwingungszahl taucht das Tier, bei der größeren schießt es rasch davon. Es handelt sich dabei zweifellos um Reaktionen entweder auf eine Beute oder auf einen Feind, bei den
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Der Fliegende Fisch und sein Spiegelbild. Sein Körper schwebt in der Luft, während sein „Propeller" das Wasser peitscht
Delphinen vermutlich auch um Verständigungszeichen untereinander. Das Radarprinzip mit elektrischen Schwingungen ist wiederum eine andere Idee, die schon seit langen Zeiten im Tierreich ausgenützt wird. Der kleine amerikanische Fisch Gymnarchus hat Radar als ein selbständiges Gerät in seinem Schwanz eingerichtet. Darin liegt die Erklärung dafür, weshalb dieser Fisch ebenso schnell und ebenso sicher vorwärts wie rückwärts schwimmen kann. Der Zoologe Professor H. W. Lißmann aus Cambridge hat mit dem Gymnarchus in einem Aquarium experimentiert. Sein Registrierapparat fing elektrische Stromstöße, Impulse, auf, die von dem Fisch herrühren. Wenn er dieselben Impulse durch Elektroden ins .Wasser schickte, ging der Fisch zum Angriff wie gegen einen vermutlichen Rivalen über. Schickte er kräftigere Impulse durch das Wasser, so flüchtete das Tier wie vor einem Feind.
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Arbeitsteilung und Daseinskampf Auch mit anderen ideenreichen Erfindungen erleichtern sich die Tiere das Leben. So kennen sie längst die Erleichterung durch Arbeitsteilung. Ameisen und Bienen sind dafür nur allzu bekannte Beispiele. Auch die Kaiserpinguine teilen sich in die Arbeit. W ä h rend das Männchen sich allein der Mühe des Brütens unterzieht, versorgt sich das Weibchen draußen am Bande des Eises, so gut es geht. Seine Arbeit beginnt, wenn das Ei ausgebrütet ist, es übernimmt die Pflege der Jungen, und nun kann das Männchen, das inzwischen klapperdürr geworden ist, zur Erholung ans W a s ser gehen. Ebenso ist es bei dem Straußenvogel Kiwi das Männchen, das für die Brutarbeit herhalten muß. 75 Tage lang brütet es, und darauf nimmt es sich noch ganz allein der Jungen an.1 Doch auch hier ist die Arbeitsverteilung ganz gerechtfertigt und sinnvoll; denn Kiwi-Eier zu produzieren ist keine geringe Leistung für das Weibchen. Ein einziges Kiwi-Ei beträgt ein Fünftel des Gewichtes des Muttertieres. Eine eigenartige Weise, sich in die Arbeit zu teilen, haben auch die Seepferdchen, von denen wir einige auf der zweiten Umschlagseite zeigen. Das Männchen nimmt sich der Eier an und trägt sie bis zum Ausschlüpfen in einer Tasche bei sich. Wieder andere Tiere gewannen dadurch, daß sie verblüffende Sinne entwickelten, einen Preis. Der schlecht sehende Maulwurf hat im Kampf ums Dasein sowohl auf seinen Geruchs-, als auch auf seinen Tastsinn gesetzt. Und tatsächlich: Noch durch eine sechs Zentimeter dicke Erdschicht hindurch kann er einen Regenwurm riechen, der nicht mehr als 0,3 g wiegt. Und durch eine doppelt so dicke Schicht erschnuppert er noch eine Maus. Außerdem ist er ein so hervorragender Graber, daß er sich dicht an die Maus herangräbt und sie am Bein packt, noch ehe sie fliehen kann. Die großen Regenwürmer verspeist er am liebsten so, daß er mit deren Vorderteil beginnt, und er vermag mit seinem Rüssel genau zu unterscheiden, was vorn und was hinten ist. Er ertastet es an der Richtung der winzigen Bürstenhaare des Regenwurms. Um festzustellen, bis zu welch hohem Grad sein Tastsinn entwickelt ist, dressierte der Zoologe Dr. Kriszat einen Maulwurf so lange, bis er durch eine Glasröhre lief, die den gleichen Durch-
mcsser wie sein Gang in der Erde hatte. Nachdem sich der Maulwurf einmal an die Glasröhre gewöhnt hatte, wurde die Versuchsröhre mit einer anderen vertauscht, die aus mehreren Stükken so zusammengesetzt war, daß die Stücke sich ganz dicht und lückenlos aneinanderfügten. Als der Maulwurf an die erste kaum zu erkennende Fugstelle kam, hielt er sofort einen Augenblick inne, und erst nach langem Untersuchen und überprüfen der neuen Sachlage lief er weiter, um an der nächsten Verbindungsstelle wieder zu halten, und so weiter. Er hatte die geringste Unregelmäßigkeit mit seinem Tastsinn wahrgenommen. Oftmals wird der Kampf ums Dasein auch mit Hilfe der inneren Organe gewonnen. Die Physiologen, die die Arbeitsweise dieser Organe studieren, haben schon eine Menge guter Ideen entdeckt; wir wollen statt vieler anderen nur die Känguruhratte erwähnen. Es gibt Tiere, die in der Wüste zu leben vermögen, auch wenn sie dort nichts zu trinken finden. Sie nehmen die Flüssigkeit, die sie brauchen, beim Fressen solcher Pflanzen auf, die Wasser speichern wie etwa der Kaktus. Ein völliges Rätsel ist es aber bisher gewesen, wie die Känguruhratte, die in der Wüste lebt und sich nur von trockenen Samenkörnern ernährt, in den Sanddünen der tödlichen Einöde leben kann, wo nicht einmal Tau fällt. Und das Rätsel wurde nicht geringer, als die Untersuchung ergab, daß ihr Körper denselben Wassergehalt hat — ungefähr 65 Prozent des Körpergewichts —, der sich auch bei wassertrinkenden Ratten findet. Erst vor kurzem kam man hinter ihren Trick. Die Känguruhratte erhält geringe Mengen Wasser, sobald bei der Verdauung die Stärke der Samenkörner abgebaut wird. Auf diese Weise jedoch erhalten auch alle anderen Tiere Wasser, und trotzdem müssen sie noch zusätzlich Flüssigkeit zu sich nehmen. Folglich muß die Wüstenratte noch auf irgendeine andere Art ihren Wasserhaushalt regeln. Nicht das winzigste Quantum darf davon verloren gehen, und es zeigt sich, daß das Geheimnis des Tieres in seiner Niere liegt. Während die menschliche Niere viel Wasser benötigt, um die Schlacken des Stoffwechsels und vor allem die Mineralsalze in der richtigen Verdünnung auszuscheiden, wird die Känguruhratte auch mit den Salzabfällen fertig, ohne dafür viel Wasser nötig zu haben. Sie kann Flüssigkeit ausscheiden, die
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doppelt so salzhaltig ist wie das Meerwasser. Würde sie gezwungen, Meerwasser zu trinken, so körinte sie das als das einzige Säugetier tun, ohne dadurch Schaden zu leiden. Ein Mensch würde ausdörren, wenn er Meerwasser tränke. Ströme von Flüssigkeit wären notwendig, um das Salz so zu verdünnen, daß es wieder ausgeschieden werden könnte. Die Wüstenratte jedoch wäre einer solchen Lage völlig gewachsen. In der Natur kommt allerdings weder die amerikanische Känguruhratte, noch kommen die anderen Wüstenratten in Afrika oder Asien in eine solche Verlegenheit. Aber daß das Tier einer solchen Aufgabe gewachsen wäre, zeigt, was für eine erstaunliche Niere es entwickelt hat. überdies hat sich die Känguruhratte, um selbst noch gegen den geringsten Wasserverlust geschützt zu sein, ausgezeichnet an das wechselnde Klima der Wüste angepaßt. Tagsüber sitzt sie in ihrer Erdhöhle versteckt, wo die Temperatur auch nicht annähernd so hoch ist wie draußen im Freien unter der glühenden Sonne. Erst in der Nacht kommt sie hervor und hüpft in großen Sprüngen auf ihren Hinterbeinen umher, wobei ihr der lange Schwanz als Stütze und Steuer dient.
Hitze, Kälte, Feuchtigkeit Auch diese Anpassung an die Launen des Klimas gehört zu den besonderen Naturgaben der Tiere. Und es ist nicht nur das Großklima, dem sie sich anzugleichen verstehen. An einem Bergabhang der Insel Mol sitzt die Ameisenspinne vor ihrem Steinnest. Schon am Vormittag herrscht eine Brathitze. Plötzlich eilt sie in ihr Nest hinein, um kurz darauf mit ihrem Eierkokon wieder herauszukommen, den sie dann außerhalb des Nestes in ihrem Gespinst in die Sonne hängt. Offenbar sollen die Eier richtig warm werden. Das jedenfalls glaubte man, bis sich dann eines Tages ein Insektenforscher daran machte, die Temperatur innerhalb und außerhalb des Nestes zu untersuchen. Es zeigte sich, daß es im Nest viel wärmer war als draußen: 45° gegen nur 32°. Später kam dann der Forscher in seinem Laboratorium darauf, daß die Eier keine höhere Temperatur als 42° ertragen können. Die Spinne hat also gleichsam
I j I j 1
Die Fangarme der Anemone umgreifen wie Schlangen das Opfer
ihre Eier zum Auslüften auf ihren kleinen Balkon gehängt. Damit war bewiesen, daß sie sich den besonderen Bedingungen jenes Klimas anpassen muß, das man das Mikroklima nennt. Das W e t ter des Mikroklimas ist völlig verschieden von dem, das uns die Wettermacher täglich ankündigen. In den Wetterberichten beziehen sich die Temperaturangaben auf die Verhältnisse, wie sie etwa eineinhalb Meter über der Erde herrschen. Doch dicht am Boden sind sie ganz anders. Schon einen Zentimeter über der Erdoberfläche kann die Temperatur um mehrere Grade kühler sein als direkt am Boden. Dort zieht es ein wenig, während es im 9
Steinnest der Spinne keinen Zug gibt; da ist es vielmehr wie in einem Treibhaus. Im Moor hinter dem Abhang der Ameisenspinne lebt ein Pirat, die Jagdspinne. In ihrer Welt wiederum sind die Verhältnisse gerade umgekehrt. Direkt über dem Wasserspiegel des Moortümpels ist es kühler als oben im Moor-Stengelwald. Es ist sogar so viel kühler, daß es zu kalt für ihre Eier ist. Deshalb muß die Jagdspinne, wenn sie die Eier gelegt hat, mit ihnen zur Oberfläche des Moores hochklettern. Draußen in den Dünen tummelt sich der Sandläufer und läßt sich's in der Vormittagswärme wohl sein. Aber zur Mittagszeit, wenn die Sonne hoch am Himmel steht und 44 bis 45 Grad W ä r m e an der Sandoberfläche herrschen, wird es ihm zu heiß. Dann richtet er sich höher und höher auf und macht sich schließlich auf den Zehenspitzen davon. Mit seinem Aufrecken bringt er es fertig, seinen Körper so hoch zu heben, daß er in eine Luftschicht gelangt, die schon 5 Grad kühler ist als die Schicht direkt am Boden. Steigt die Wärme jedoch noch um einige Grade, etwa im Hochsommer, dann wird auch dem Sandläufer die Hitze unerträglich, dann stellt er sich auf den Kopf, um in die kühlen unteren Schichten im Sand zu kommen. Die Grabwespe, die auf den Wegen, die zum Strand hinabführen, ihr Wesen treibt, kommt auf einen anderen Einfall. Sie flüchtet sich in eine Blume hinauf und hängt sich dort zur Abkühlung auf. Bei diesem Insekt kann man übrigens im Frühjahr noch einen anderen interessanten Trick beobachten. Wenn es an einem kalten Frühlingstag eine Schmetterlingslarve gefangen hat und sie in das Netz schleppen will, kann es vorkommen, daß seine Energie nicht ausreicht, die Beute weiterzubringen. Dann läßt die Grabwespe das Opfer los und eilt auf einen Stein, wo sie sich der Länge nach in die pralle Sonne legt und sich richtig braten läßt. Und schon einen Augenblick später hat sie genügend W ä r mekalorien aufgenommen, um mit neuer Energie die Beute weiterzuschleppen. So wie sie muß die ganze Kleintierwelt, die in diesem ewig wechselnden Liliputklima dicht an der Erde lebt, ununterbrochen in Übereinstimmung mit dem Wetter kriechen, krabbeln, klettern, springen und fliegen und sich dabei vielerlei einfallen lassen. 10
Im übrigen ist das Mikroklima nicht nur direkt über der Erdoberfläche zu finden. Es bestimmt auch das Leben zum Beispiel in dem Strohdach eines Bauernhauses. Es ist ein altes Strohdach, so alt, daß es mit großen Moosfladen bedeckt ist und sich behäbig auf den Sparren des Hauses zur Ruhe gelegt hat. Sollte ein solches Dach nicht sein eigenes geheimnisvolles Leben haben? An einem warmen Sommertag machte sich der Beobachter daran, es zu untersuchen. Das Meteorologische Institut hatte gemeldet, daß als höchste Temperatur des Tages 24 Grad Celsius zu erwarten seien, während die tiefste Nachttemperatur ungefähr bei 10 Grad liege. Mit diesen Angaben war also die Temperatur gemeint, wie sie eineinhalb Meter über der Erdoberfläche herrscht. Auf der Oberfläche des Strohdaches an der Südseite jedoch zeigte das Thermometer bereits um zehn Uhr vormittags 50° C an. Nachts fiel dort das Thermometer bis auf 7°. Einen Zentimeter unter dem Strohdach waren es am Vormittag 40° C, nachts 12°. Fünf Zentimeter darunter waren es vormittags 30°, nachts jedoch waren es hier nicht weniger als 15°. Zehn Zentimeter unter dem Strohdach schließlich gab es ein einigermaßen gleichbleibendes Klima mit einer Temperatur, die sich zwischen 27° und 17° Celsius hielt. In dem Dach wimmelte es von Tieren; das merkwürdigste Leben einer völlig anderen Welt entfaltete sich hier. Millionen von Kleintieren, Milben, Springschwänzen (Podura), Rundwürmern (Nematoides), Amöben und Infusionstieren tummelten sich in unermüdlicher Bewegung auf einem einzigen Quadratmeter. Als dann am späteren Vormittag das Wüstenklima sich auf die Oberfläche des alten Strohdaches legte, erfaßte dieses ganze riesige Heer kleinster Lebewesen eine einzige Idee: tiefer ins Stroh hineinzuflüchten. Es bedurfte nur einer Wanderung von fünf Zentimetern, und schon fanden die Flüchtlinge eine Oase, von der sie erneut aufbrachen, sobald das Wetter sich wieder änderte. Es gab jedoch auch eine große Zahl solcher kleiner Wesen, die mit überlegener Ruhe zusahen, wie die andern umherhetzten. Es waren Tiere, die eine völlige Austrocknung ertragen konnten. Sie schienen dann wie leblos, lebten aber sofort wieder auf, sobald das Wetter sich änderte. An jedem sonnenreichen Tag „sterben" sie ihren Sonnentod und werden wieder zum Leben erweckt. Und in 11
jedem Strohdach herrscht solch ein reiches Leben, das sich je nach seiner Empfindlichkeit gegen Wärme zu erhalten versteht. Die schwankenden Temperaturen verursachen eine schwankende Luftfeuchtigkeit; der Feuchtigkeitsgehalt der Luft aber ist für viele Tiere des Mikroklimas so bedeutungsvoll wie die Temperatur selbst. Und die Natur hat sie genau darauf eingerichtet. Als Dr. Ellinor Larsen eines Tages in den Bergen von Mol ihren Studenten diesen Sachverhalt an einem Beispiel beweisen wollte, 1 holte sie eine Mauerassel aus ihrem schattigen, feuchten Versteck hervor, und von einem sonnenbeschienenen Fleck holte sie sich einen Wüstenkäfer. Von beiden Tieren wurde das Gewicht festgestellt, und darauf schloß man sie für die Nacht in einem trokkenen, warmen Raum ein. Am anderen Morgen wurden sie wieder gewogen, und da zeigte es sich, daß die Mauerassel in dieser einen Nacht 75 Prozent ihres Gewichtes verloren hatte und daß W ä r m e und Trockenheit ihren Tod bedeutet hatten. Der W ü stenkäfer jedoch hatte noch nicht einmal ein einziges Prozent verloren. Außer diesem Experiment hatte Dr. Larsen noch ein zweites mit den gleichen Tieren unternommen. Sie brachte eine Mauerassel und einen Wüstenkäfer in einen Versuchsraum, in dem es Zonen mit verschiedener Luftfeuchtigkeit gab. Wir können uns bereits denken, was darauf in der folgenden Nacht geschah, und begreifen, warum die Assel sofort auf die feuchteste Zone zustürzte. Der Wüstenkäfer dagegen fühlte sich anscheinend in jeder beliebigen Gegend des Raumes gleich wohl. Zwar ist er vornehmlich auf Wärme vind Trockenheit eingestellt, muß aber auch Feuchtigkeit und Nässe aushalten können. Draußen in der Natur kann er natürlich unter einem Stein Schutz vor dem Regen suchen, die Luftfeuchtigkeit selbst aber, die Taufall und Regen verursachen, wird ihm nicht erspart. Bei dieser Betrachtung darüber, wie sich kleine Lebewesen an das Mikroklima anpassen, bleibt nur noch die Frage offen, ob denn die Mauerassel etwa mit einem besonders feinen Sinnesapparat ausgestattet sei, da sie so rasch die feuchten Orte auffinden kann, so wie sie das in dem Versuchsraum tat und wie es auch in der Natur der Fall ist. Insgesamt funktioniert der Mechanismus, der sie so sicher leitet, außerordentlich einfach. So12
Dieses Tangbüschel ist ein Tier — der Lumpenfisch „Seedrachen"
bald nämlich die Mauerassel an einen trockenen Ort kommt, fühlt sie sich unbehaglich, verliert ihre Ruhe und schießt ganz einfach so lange planlos hin und her, bis sie an einen feuchten Ort gelangt. Sobald sie wieder in einer feuchten Umgebung ist, beruhigt sie sich. Aber mit Sicherheit 'wahrnehmen, wo es nun feucht ist, kann sie offenbar nicht.
Täuschung durch Farben, Formen, Lichter Die Existenz einer Reihe anderer Tiere hat die Natur durch die Kunst der Nachahmung einfallsredch gesichert. In warmen Ländern gibt es giftige Schmeitterlinge, de.ren insektenfressende 13
Feinde durch die kräftigen, in die Augen fallenden Flügelfarben jener Schmetterlinge davor gewarnt werden, sich mit den Giftlingen abzugeben. In denselben Gegenden leben andere Schmetterlinge, die nicht giftig sind, die aber Farbe und Muster der giftigen bis in die letzte Einzelheit nachahmen. Dadurch täuschen sie ihre Feinde und werden von ihnen in Ruhe gelassen. In Flüssen und Meeren gibt es Fische, die sich ebenfalls ein Aussehen zulegen, das andere Tiere täuscht. Manche nehmen das Aussehen von Blättern an, die im Wasser treiben, und wieder andere sind von den Stengeln des Seegrases nicht zu unterscheiden. Der Seedrachen oder Lumpenfisch, der phantastischste Bursche, gleicht zum Verwechseln einem flatternden Tangbüschel. In der Werkstatt der Natur lodert ein einziges Feuerwerk von festlichen Signalen, überall sind Farben vertupft, und alle haben ihren Sinn. Da gibt es gelbe Flecken und rote Flecken, grüne und blaue Streifen und leuchtende Ornamente in allen Mustern. Da sind farbenprächtige Fischschuppen und bunte Gefieder. Da gibt es kleine, aber markante Zeichnungen, etwa als Einfassung eines Auges, als Spiegel eines Flügels. Da sind tausenderlei Kleckse an allen möglichen Körpcrstellen. Aber alle diese Dekorationen müßten für uns nichts als reiner Zierat bleiben, wollten wir sie losgelöst von all dem übrigen sehen, was das ganze Tier ausmacht. Eine bestimmte Bewegung, ein bestimmter farbiger Fleck lösen eine ganz bestimmte Handlung aus, andere Bewegungen und andere Signale lösen wieder andere aus. Wenn der Dolchstichtauber seiner Täubin die Kur machen will, dann plustert er sein Federkleid so auf, daß mitten auf seiner Brust ein roter Fleck sichtbar wird. Wenn das Dompfaffmännchen Eindruck auf sein Weibchen machen will, kann es nichts Besseres tun, als mächtig zu gähnen, damit das Weibchen seine orangengoldene Schnabelhöhle sehen kann. Bei einem der kleinen Ciklidefische hat das Weibchen eine ganz bestimmte Seitwärtsbewegung, die, zusammen mit den blauen Flecken am Körper, dem schwarzen Streifen ums Auge und einem weißen Streifen in der Flosse, das Männchen anlockt. Alles übrige am Ciklidenweibchen, selbst die Form seines Körpers, sind in dieser Beziehung völlig gleichgültig. Führt man etwa ein Stück viereckiges Holz in der charakteristischen 14
Seitwärtsbewegung des Weibchens auf ein Männchen zu, so wird dadurch sofort dessen Interesse geweckt. Zeichnet man dann noch blaue Flecke auf das Holz, so reagiert das Männchen bereits stärker, und noch stärker tut es das, wenn vollends auch der weiße Streifen dazukommt. Und malt man schließlich noch die schwarzen Streifen ums Auge auf das Holz, dann ist es um das Männchen ganz geschehen. Je kräftiger diese Markierungen hervorgehoben werden, desto besser ist das Ergebnis. Und unterstreicht man das, was die Natur selbst hat hervorheben wollen, noch künstlich, dann kann man zuweilen auch eine noch stärkere Reaktion darauf feststellen. In der Natur findet sich eben eine Bereitschaft für das besonders Sinnfällige und Aufsehenerregende. Und hierin liegt auch die Erklärung dafür, weshalb die kleinen Pflegeeltern sich mit dem fremden Kuckucksjungen abfinden und ihm unermüdlich Futter hcrschleppen. Sie können einfach einem so kräftigen Rachen, wie ihn der Fremdling dauernd aufsperrt, nicht widerstehen. Mit Farben und vor allem mit Farblichtern wirkt die Natur auch in der Tiefe des Meeres. In dem ewigen Dunkel zünden ihre Bewohner leuchtende, aber oft auch falsche und verräterische Laternen an, die mit Licht- und Blinksignalen spielen. Eine Kette blauer, dunkelglühender Perlen kann für ein Fischmännchen eine äußerste Verlockung sein, denn die Perlen sind die Signale eines Weibchens, das mit diesem Blinken auf sich aufmerksam machen will. Doch ein anderes Mal kann der Fisch durch ganz andere Lichter aufs schändlichste genasführt werden. Er bemerkt eine Beute und sieht ein kurzes Aufleuchten, auf das er mit aufgerissenem Maul zustürzt, um dann entdecken zu müssen, daß er nichts anderes als pures Wasser in seinen Schlund bekommen hat. Der kleine Fisch, der durch ihn in höchste Gefahr gekommen war, entkam ihm dank eines raffinierten Blinklichtes, das er zuäußerst an seiner Schwanzspitze trägt. Sobald er sich verfolgt weiß, läßt er dieses Licht für einen Augenblick aufleuchtein, macht mit seiner Schwanzflosse gleichzeitig einen so kräftigen Ruderschlag, daß er in dem Augenblick, da der Verfolger am Standort des Lichtes nach seiner Beute schnappt, bereits weit entfernt von dannen schwimmt. Wenn ein so getäuschter und enttäuschter Fisch denken könnte, 15
würde er wohl das nächste Mal Licht Licht sein lassen und ihm den Rücken kehren. Aber ein Fisch denkt nicht, er stürzt sich vielmehr genauso wieder auf das nächste Aufblinken. Dabei kann es aber geschehen, daß diesmal das Licht zwar nicht verlöscht, daß aber der Fisch selbst, der darauf zuschießt, plötzlich spurlos verschwunden ist. Er wurde verschlungen, nachdem er sich durch das erstaunlichste Fischergerät hatte nasführen lassen, mit dem ein Tier des Meeres ausgestattet worden ist, nämlich mit einer regelrechten Angel und dem dazu gehörigen Köder; es ist der Seeteufel. Der Fisch kann seine Angel, an deren Ende eine Laterne als leuchtender Köder hängt, vor sich herschieben. Nähert sich ihm ein Fisch und will er nach dem Köder schnappen, dann zieht der Seeteufel die Angelrute und daimit auch die Laterne langsam ein und bewegt sie auf seinen offenen Rachen zu. Und ist der genarrte Fisch nahe genug ans Maul herangekommen, dann erzeugt der Verräter einen kräftigen Saugstrotn, und die Beute wird ihm buchstäblich in den Bauch geschwemmt. Ist der Seeteufel satt oder hat er Angst, so löscht er sein Licht aus, zieht seine Angelrute ein und legt sich auf den Rücken, ü b r i gens ist die gleiche Angelrute auch noch zu einem ganz anderen Zweck eingerichtet worden. Bei einem der größten Seeteufel wird das Weibchen bis zu einem Meter lang, während das Männchen im Vergleich dazu nur ein Zwerg ist, nicht viel größer als ein Stichling. Findet das Männchen im Dunkel des Meeres ein Weibchen, so beißt es sich an ihm fest und bleibt nun für immer mit ihm verbunden. Als Erinnerung an sein vorausgegangenes selbständiges Dasein behält das Zwergmännchen jedoch seine Angelrute; und sie ist es, die nun auf eine ganz andere Art und Weise nützlich wird. Sie bildet nämlich nach der Verschmelzung mit dem Weibchen einen Pumpenschwengel, der den Blutaustausch zwischen den beiden Ehegemahlen besorgt. Es kann vorkommen, daß sich verschiedene solcher Zwergmännchen an ein- und demselben Weibchen festbeißen. Dann sitzen sie alle für den Rest ihres Lebens an der Auserwählten fest, und ihre Pumpenschwengel pumpen, während das Weibchen mit seiner Angelrute fischt und Beute fängt, von der dann ein kleiner, aber ausreichender Teil auch den Männchen durch den Blutstrom zugeführt wird. Auch der Meerteufel Lophius piscatorius, ein gefräßiger Raub16
Der Fisch „Vierauge" ahmt mit dem hinteren Körperteil den vorderen nach. Der große Fleck hinten gleicht einem Auge. Der Feind wird verlockt, ihn von hinten anzugreifen. Aber das „Vierauge" schwimmt schnurstracks davon, und de« Verfolger schnappt daneben
fisch, der gut getarnt an den europäischen Küsten auf dem Grunde des Meeres lebt, ist mit einer Angelrute versehen. Wo er sich auf die Lauer legt — im flachen Wasser —, ist es nicht dunkel, weshalb er auch keine Laterne nötig hat. Dafür trägt aber die Rute ein kleines, fleischiges Anhängsel an ihrem Ende. Die Angelrute ist so biegsam, daß der Meerteufel mit ihr das Anhängsel in großen Kreisen um sich her schwingen kann. 1?
Der Naturforscher Wilson, der solche Meerteufel in seinen Aquarien im Ozeanographischen Institut in Plymouth gehalten hat, gibt davon folgende Schilderung: „Die Angelrute wird schnell von der einen Seite auf die andere geworfen, und da sie wie der ganze Fisch fast unsichtbar ist, kann nur das Anhängsel gesehen werden, das nun wie ein Köder erscheint; bewegt, erinnert er an ein kleines hin- und herschießendes Tier. Fische, die den vermeintlichen Köder sehen, geben sich alle Mühe, ihn zu fangen. Mit großer Behendigkeit wird er jedoch immer wieder dem Verfolger entzogen, bis dieser schließlich durch einen letzten Schwung der Angelrute direkt vor das Maul des Verräters gelockt wird, der jetzt langsam seinen Rachen öffnet. Im richtigen Augenblick schlägt dann die Kieferzange zu. Soweit ich beobachten konnte, findet die Beute nicht einmal die Zeit, den Köder nur auch zu berühren." Im Mittelmeer behelfen sich die Fische, die man Sterngucker nennt, mit einer nicht minder abgefeimten Angelausstattung. Sie liegen zugebuddelt im Sand, so daß nur noch die Augen und der obere Teil des Maules frei sind. Ab und zu schleudern sie aus dem Maul einen kleinen, roten Faden heraus. Es ist ein Zipfel des Unterkiefers. Und er kann kriechen, sich krümmen, sich strecken und sich wieder zusammenziehen, ganz wie ein Wurm. Kein Zweifel, dieser Faden dient als Köder, um Fischbrut an den in seinem Hinterhalt liegenden Sterngucker heranzulocken, der dann seine Beute mit elektrischen Organen, die an seinen Augen sitzen, tötet. Doch Fische sind nicht die einzigen Tiere, denen die Natur Teile ihres Körpers zu Fa,nggeräten ausgestaltet hat. Es gibt einige untereinander verwandte Schlangenarten, die schlau mit ihren Schwänzen Würmer und Larven nachahmen. Damit locken sie Eidechsen, Geckos, Frösche und Kröten zu sich heran. Diese Beobachtungen erhielten vor kurzem ihre Bestätigung durch photographische Aufnahmen. Eine dieser Schlangen war mit ihren Jungen gefangen worden. Als ihnen lebendes Futter gebracht wurde, begannen sie mit ihren gelben Schwänzen zu fackeln. Auf dem Film sah man Bilder von Eidechsen und Fröschen, die sich hereinlegen ließen. Die Tiere schnappten gierig nach den Schwänzen, aber sie wurden selber aufgefressen. 18
Auf Gedeih und Verderb verbunden Um das Licht im „ K ö d e r " des Seeteufels leuchten zu lassen, hat die Natur Bakterien als Batterien eingesetzt. Sie haben sich mit dem Fisch zu einem Komplott zusammengetan. Anfänglich waren sie vielleicht nichts als Schmarotzer; mit der Zeit jedoch haben es beide Partner verstanden, aus der Anwesenheit des andern Nutzen für sich zu ziehen. Auf jeden Fall erhalten die Bakterien ihren Anteil an der Beute, die der Fisch mit ihrer La.-, ternenhilfe fängt. Ähnliche Verbindungen auf Gedeih und Verderb — man nennt sie Symbiose — gibt es in der Tierwelt genug.' Die Seeanemonen des Tropenmeeres leuchten in den herrlichsten Farben. Sie überziehen die Korallenbänke mit einem paradiesischen Flor in Purpur und Hosa. Aber die Fangarme dieser Anemonen sind wie verführerische Schlangen ausgebildet, und die Tiere stecken voller Betrug. Die Seeanemone Discosoma z. B. hat einen verräterischen Vertrag mit dem Kora.llenfisch Amphiprion geschlossen. Mit zärtlichen Bewegungen schmeichelt sich der Fisch bei der Anemone ein. Seine galante Kurschneiderei dauert ein paar Tage an. Dann sind die beiden bereits miteinander so verfraulich geworden, daß Amphiprion eine Freistatt zwischen den Armen Discosomas erhält, wohin kein Feind ihn zu verfolgen wagt. Abe.r für diesen Schutz, muß er dauernd seinen Tribut entrichten, und das tut er damit, daß er immer wieder von Zeit zu Zeit einen Ausfall aus seinem geschützten Bereich machen und andere Kleinfische in die Fangarme seiner Verbündeten treiben muß, deren Nesselzellen sie dann lähmen. W ä h r e n d dann die Seeanemone den Raub verspeist, schwänzelt Amphiprion mit schöntuerischen Bewegungen wie ein gelehriger Tanzschüler, der auf die Belohnung seines Lehrers wartet, mn sie herum. Und er erhält dann auch, was er sich wünscht.. Sobald nämlich Discosoma ihre Mahlzeit beendet hat, sperrt sie das Maul weit auf, so daß der Fisch die übriggebliebenen kleinen Speisereste herausholen und verzehren kann. Doch selbst noch mit diesem Vorgang erweist die Symbiose ihre Stärke, denn die Seeanemone braucht notwendig jemand, der ihr als Zahnbürste dient und ihr die Reste aus dem Maul entfernt. Diese beiden Tiere sind schließlich so eng verbunden, daß sie 19
einander überhaupt nicht mehr entbehren können. Wenn man den Fisch der Seeanemone entführen will, dann kann das nur mit Gewalt geschehen, und ist es einmal geglückt, dann wird sie betrübt ihre Arme zusammenfalten und sie erst wieder öffnen, wenn ihr ein anderer Fisch mit denselben schmeichlerischen Bewegungen den Hof macht. Daß es gerade diese Bewegungen sind, die dabei so entscheidend ins Gewicht fallen, entnimmt man aus der Tatsache, daß ein Amphiprion, der sich der Seeanemone ohne diese anbändelnde Bewegung nähert, von ihr gepackt und verspeist wird. Demnach erkennt sie also Fische nicht ohne weiteres als Partner an; selbst ein bereits angenommener Gefährte wird von ihr verzehrt, sobald er etwa krank wird. Dann nämlich sind seine veränderten Bewegungen der Seeanemone fremd. Im ganzen kennt man drei verschiedene Fischarten, die auf das Zusammensein mit fünf verschiedenen Seeanemonen eingestellt sind. Sobald nur die einleitenden Übungen nach der Grundregel vor sich gehen, steht es im Belieben jedes der drei Fische, mit welcher Seeanemone er am liebsten das Komplott schließen möchte. Wenn es nicht gerade Fische von derselben Art sind, können sich sogar verschiedene Tiere auf dieselbe Anemone einigen. Dabei begnügen sie sich nicht nur damit, Beute herbeizuschaffen, sondern sie gehen sogar zum Angriff gegen Feinde der Anemone über. Ein ähnlich inniges Verhältnis gibt es auch zwischen Seeanemonen und Eremilenkrebsen; nur sind es in diesem Fall die Seeanemonen, die von den Brosamen leben, die vom Tisch der Krebse fallen. Der schwache Punkt des Eremitenkrebses ist sein weicher Hinterkörper, dem die Schale fehlt. Deshalb wurde ihm als besonderer Schutz die Fähigkeit verliehen, rückwärts in leere Schnekkenhäuser hineinzukriechen. Eine weitere Schutzveranstaltung ist es, wenn er mit seinen Scheren eine Seeanemone nimmt und sie auf seinem Schneckenhaus anbringt. Die Nesselbatterie der Anemone hält nämlich die Feinde des Krebses in gebührendem Abstand; die Anemone wiederum erhält nicht nur die Reste der Krebsmahlzeiten, sondern sie erreicht durch dieses Zusammengehen mit dem Krebs außerdem noch, d a ß sie dauernd in neue Jagdgründe mit frischem Wasser getragen wird. 20
Die gelbe Schnabelhöhle des Vogels „Froschmaul" von Neu-Guinea gleicht der dort beheimateten Froschmaulblume. Der Vogel lockt Insekten vermutlich mit offenem Schnabel an und sie gehen auf der vermeintlichen Blume i'n die tödliche Falle
Für den Einsiedlerkrebs Eupagurus prideauxii sind nur ganz kleine Schneckenhäuser als Schutzgehäuse bestimmt; seine Seeanemone jedoch muß einen Stoff absondern, der zu einer Kapsel wird, die als ein Anbau das Schneckenhaus vergrößert und dem Krebs eine schützende Hülle gibt. Diese beiden Geschöpfe können einander überhaupt nicht entbehren. Im tiefen Wasser, wo ein solcher Krebs es schwer hat, ein Schneckenhaus zu finden, siedelt sich die Seeanemone direkt auf seinem weichen Hinterkörper an und hüllt ihn mit einer schützenden Kapsel ein. Schließlich gibt es noch eine Seeanemone, die sich unmittelbar 21
auf die Scheren setzt, so daß der Krebs dauernd einen farbenprächtigen Wedel mit sich herumträgt. Die Fische, die sich auf ein Bündnis mit den Seeanemonen einlassen, sind ihnen kaum bis zu einem solchen Grad angepaßt, daß sie gegen die schmerzenden Nesselzellen unempfindlich wären. Die Seeanemonen vermeiden es jedoch, sie mit ihren Fangarmen zu berühren. Indes gibt es einen kleinen Fisch, Nomeus, der sogar gegen die am meisten gefürchteten, weil gefährlichsten Xessclzellen der Blascnqualle unempfindlich ist, die den Namen ..das portugiesische Kriegsschiff" erhalten hat. Auch diese beiden Lebewesen haben ein Bündnis miteinander geschlossen. Der Name der Qualle ist bereits etliche hundert Jahre alt und ist ihr wahrscheinlich von englischen Seeleuten gegeben worden, die sie vor der Küste Portugals antrafen. Im übrigen sind diese Quallen in den tropischen und subtropischen Meeren sehr verbreitet. Die Natur hat sie mit einer luftgefüllten Blase ausgestattet, die über die Wasseroberfläche herausragt; mit ihr treiben sie vor dem Wind. In Wirklichkeit ist ein solches Tier aus einer ganzen Kolonie von Einzelwesen zusammengesetzt. Die Luftblase ist nur eines davon. Die Qualle kann sich winden und drehen, so daß sie auch an windstillen Tagen, an denen keine Wellen sie mit Schaumspritzern bedecken, sich immer ganz feucht hält. An ihr hängen wiederum andere Teile, lange Brennfäden, die einen Fisch völlig lähmen und ihn darauf gleich hochziehen können, indem sie sich verkürzen; andere Teile haben die Aufgabe, die Beute zu verzehren. Zahllose solcher ,,Kriegsschiffe" treiben mitunter wie eine Flotte auf dem Meer daher und nehmen sich dabei mit ihrem tiefen Blau oder hellen Bot besonders schön in der Sonne aus. Aber ihre Brennfäden sind teuflisch. Sie können einen Menschen vor Schmerz wahnsinnig machen; der Fisch Nomeus jedoch kann sich nirgends sicherer fühlen, als wenn er sich faul inmitten dieser gefährlichen Flotte dahintreiben läßt. Kleinfische, die ihn so sehen, denken an keine Gefahr und nähern sich ihm nichts Böses ahnend. Aber im nächsten Augenblick schon fallen Qualle und Nomeus über ihre gemeinsame Mahlzeit her. 22
Fangschnüre und Lassos Manche Tiere stellen sich selber Fanggeräte her, um sich Nahrung zu beschaffen. So hat die Ameisenspinne Fangschnüre, die noch raffinierter sind als die „Angeln", die wir bisher kennenlernten. In dem Augenblick, da ihre Beute „anbeißt", wird sie durch die Kraft der Angelschnur an Land gezogen, so daß ihr ein Entkommen nicht mehr möglich ist. Solche Dramen spielen sich an kleinsten, nach Süden liegenden Hängen ab, an Hängen, die oft nur wenige Zentimeter hoch sind. Hier baut sich die Spinne ihr Nest aus kleinen Sandkörnern, und dieses Nest muß senkrecht vor dem schrägen Abhang hängen. Von einer Pflanze aus, die ein wenig über den „ A b g r u n d " hinausragt, läßt sich die Spinne zum Fuß des Abhangs hinabfallen, wo sie einen Gespinstfaden an einem Sandkorn festklebt. Dann eilt sie wieder hinauf und zieht das Sandkorn hoch. Hat sich dieser Vorgang einige tausend Male wiederholt, dann ist das Nest fertiggebaut. Nach dieser ermüdenden Arbeit will es die Ameisenspinne behaglich haben. Sie befestigt eine Reihe von Gespinstfäden mit dem einen Ende an ihrem Nest und mit dem anderen mit Hilfe eines Klebetropfens unten am Abhang. Die Ameise, die nichtsahnend an eine dieser Fangschnüre stößt, bleibt in dem Klebetropfen hängen. Noch ehe sie sich wieder losmachen kann, hat sich der elastische Faden zusammengezogen und vom Boden gelöst, so daß die Ameise frei schwebend in der Luft hängt. Sie hat keine Möglichkeit mehr, sich wieder zu befreien. Die Spinne ist ihrer Beute sicher und kann sie in aller Ruhe zu sich heraufziehen. Ist die Ameise verspeist, wird ein neuer Fangfaden gesponnen. Eine andere Spinne bedient sich eines Lassos als Fangwerkzeug. In Amerika finden sich mehrere solcher Spinnenarten, und ein amerikanischer Forscher war der erste, der ihr hinterhältiges Fangspiel entdeckte. Er beobachtete ein Weibchen der Martophora-Spinne, wie es sein Lasso warf. Für den Fang wartet die Spinne auf den Einbruch der Dämmerung. Erst spinnt sie mit doppelten Fäden ein Trapez. Dann fertigt sie sich ihr Lasso an, das sie am Ende mit einem Klebetropfen .versieht. Das Lasso ist so angebracht, daß es frei nach unten hängt, und die Spinne 23
selbst sitzt so im Trapez, daß sie mit dem Maul und den Vorderbeinen das Lasso auswerfen kann. Wenn alle Vorbereitungen getroffen sind, ist die Dunkelheit hereingebrochen, und die Nachtinsekten kommen zum Vorschein. Sobald sich ein Tier nähert, wirft die Spinne genau im richtigen Augenblick ihr Lasso nach ihm und zielt so gut, daß der Klebetropfen die Beute trifft. Selten schleudert sie daneben; kommt es aber doch einmal vor, so spinnt sie sich ein neues, besseres Lasso. Die unermüdlichsten unter den Lassospinnen gehören zur Familie der Cladomeleas, die in Afrika lebt. Sie können ihr Lasso eine Viertelstunde lang ununterbrochen in rotierender Bewegung schwingen lassen. Wird keine Beute gefangen, dann frißt das Tier das ganze Lasso einfach auf und stellt ein neues her.
Das Rätsel der Vielaugen Spinnen folgen uns überall hin. Wo immer neues Land entsteht, sind sie als erste zu finden. Wenn sich neue Inseln im Meer erheben, ist die Spinne unter den ersten, die die jungfräuliche Erde in Besitz nehmen. Der Wind hat die Aufgabe, ihr Gewebe davonzutragen; sie gleitet mit der Luftströmung von den Kontinenten über die Ozeane und ist uns greifbar nahe, wenn wir endlich angekommen sind. Als man jüngst auf den Klippen der Antarktis nach Leben suchte, w a r es die Spinne, die die Forscher als erste begrüßte. Die eifrigen Augen, die dort, wo Felsen aus dem Eis zutage traten, die Spalten durchforschten, erblickten den Widerschein der Sonnenstrahlen in den Glücksfäden der Spinne. Dabei sind die Netzspinner fast blind. Die Natur hat ihnen ganz andere Sinne gegeben, die ihnen das Leben überall auf der Erde ermöglichen, und sie vielfache Listen gelehrt, von denen wir einige schon kennengelernt haben. Wir wollen jedoch zuerst die Springspinnen betrachten, die keine Netze spinnen und etwas besser sehen können; sie besitzen merkwürdige Augen, von denen erst in allerneuester Zeit der Schleier des Geheimnisses gezogen wurde. Es war ein merkwürdiges Erlebnis für die Forscherin Dr. Crane, als sie zum ersten Mal durch das Mikroskop 24
Der große Tintenfisch mit dem Licht am Ende der Angelrute und mit einem Zwergmännchen, das sich hinten festgebissen hat.
die grünäugige Springspinne Lyssomanes betrachtete. Obgleich sie wußte, daß sie sich dadurch den Spott ihrer Kollegen zuzog, erklärte sie, sie könne niemals mehr einer Lyssomanes ins Auge sehen, ohne aufs tiefste berührt zu werden. Sie schrieb in ihr Tagebuch: „Obgleich ihr Kopf so fest mit ihrem Mittelteil verbunden ist, daß er gleichsam nicht allein existiert, ist doch das ganze Vorderteil ihres Körpers so anmutig an den Beinen befestigt, daß sie, wenn sie aufblickt, eine ausgesprochen aufmerksame Miene zeigt, die nicht nur komisch wirkt, sondern einfach rührend ist bei einem so kleinen Tier. Es ist, als könne man sofort eine Unterhaltung beginnen und die Spinne ohne weiteres nach den Besonderheiten ihres persönlichen Lebens, die uns so in Verwirrung setzen, fragen. Doch ich bin überzeugt davon: Könnten wir eine gemeinsame Sprache finden, würde ganz bestimmt s i e die Fragen stellen.'' 25
Es war ein Männchen, das springlebendig unter dem Mikroskop saß, und Dr. Crane erhielt einen unvergleichlichen Eindruck, als plötzlich eines der grünen Augen langsam schwarz wurde. Ein dunkler Vorhang glitt über das Auge und bedeckte es schließlich ganz, so daß die weißen Wimpernbüschel des sonst völlig grünen Tieres jetzt eine schwarze Kugel und einen durchsichtigen Smaragdaugapfel umsäumten. Eine rätselhafte Einrichtung, dachte die Forscherin. Um den Zweck dieser rollenden Augen zu erforschen, ließ Dr. Crane ein hübsches Lyssoman-Weibchen anschaffen, das ins Blickfeld des Männchens gebracht wurde. Die Beobachterin hatte zunächst erwartet, das Männchen würde jetzt den Freiertanz beginnen, den die Springspinnen mit großem Bewegungsreichtum aufzuführen pflegen. Doch abgesehen davon, daß es sich einige Male auf die Zehen erhob und dem Weibchen ein oder zwei Beine entgegenstreckte, saß es scheinbar träge, faul und unbeweglich. Irgend etwas mußte aber vor sich gehen, denn es war zu erkennen, daß das Weibchen seinen Partner schon länger als fünf Minuten völlig verzaubert anstarrte. Dr. Crane kniete sich auf den Fußboden und sah das Männchen jetzt aus dem gleichen Blickwinkel wie das Weibchen. Und richtig, es war kein Irrtum möglich: Seine Augen wechselten unaufhörlich und mit unglaublicher Schnelligkeit von Schwarz zu Grün und umgekehrt. Die Beobachterin hatte jetzt volles Verständnis für die Verzauberung, in der das Weibchen unbeweglich verharrte, um abzuwarten, was weiter geschehen werde. Mit dieser Beobachtung hatte Dr. Crane die einleitende Hochzeitszeremonie bei den Lyssomanes entschleiert. Den Beweis dafür, daß hier .der Farbwechsel von Grün zu Schwarz als Lockung zum Flirt angewandt wurde, bekam sie, als kurze Zeit danach siebzehn winzigkleine grüne Lyssomanes auf den Tischen im Laboratorium herumliefen. Die Augen, von denen wir hier sprachen, sind das vorderste Paar; doch die Spinne hat acht Augen. Unter den vielen tausend Spinnenarten gibt es wenige, die nur sechs Augen haben. Und Dr. Crane hat mit großem Spürsinn herausgefunden, wie die Spinnen die Vielzahl der Augen gebrauchen. Zunächst einmal, wo sitzen alle die Augen? 26
Ganz vorn, mitten auf dem Kopf, sitzen zwei, die nach vorn gerichtet sind. Vorn auf der rechten und linken Seite befinden sich die nächsten beiden, dann sitzen weit hinten am Oberkörper wieder zwei, die ein wenig auswärts zur Seite gehen. Endlich sind noch zwei kleinere Augen da, die oben auf dem Kopf angeordnet sind und senkrecht nach oben blicken. Die Spinne müßte also alles sehen können, was um sie her geschieht, aber wir wollen einmal einer kleinen Springspinne, der Zebraspinne, folgen. Sie sitzt auf der Lauer, und arglos landet eine Fliege eine Handspanne seitwärts von ihr. Während die Fliege still sitzt, geschieht scheinbar gar nichts. Doch in dem Augenblick, da sie sich bewegt, dreht die Spinne sich um und läuft gleich darauf in Richtung auf die Beute zu, verhält und schleicht sich vorwärts wie eine Katze, den Körper gegen die Erde gepreßt. Ganz langsam kommt sie noch näher an die Fliege heran. In drei Zentimeter Entfernung setzt sie zum Sprung an und landet elegant auf dem Rücken der Fliege, tötet sie mit ihren Gifthaken und frißt sie auf der Stelle. Jede Bewegung, welche die Spinne während ihrer Jagd ausführt, ist, wie sich herausgestellt hat, von je einem Augenpaar abhängig. Solange die Fliege sich still verhält, kümmert sich die Spinne um nichts. Sobald sie sich aber rührt, bemerkt sie die Bewegung mit ihrem hintersten Augenpaar und wendet sich u m ; sie will herausfinden, was dort vor sich geht. Bei dieser Drehung kommt die sich bewegende Fliege in das Blickfeld der vordersten Seitenaugen. Auch diese Augen können nur die Bewegung auffassen, nicht aber die Form noch die Farbe. Wenn aber diese Augen die Bewegung erfaßt haben, veranlassen sie die völlige Drehung der Spinne, bis sie mit den vordersten Augen die Fliege ganz richtig sieht. Ist sie dann bis auf 10 oder 5 Zentimeter herangekommen, so erfaßt sie Form und Farbe genauer und wird sich darüber klar, daß es sich um Beute handelt. Von diesem Augenblick an schleicht sie sich vorwärts, um die Fliege zu überrumpeln. Das Zusammenwirken der Spinnenaugen ist eine der kompliziertesten Einrichtungen aus der Werkstatt der Natur. Handelt es sich nicht um eine Fliege, sondern um ein Weibchen, das sich nähert, so geschieht etwas ganz anderes. Wir be27
obachten das bei einer Spinnenart, der Eürophrys frontalis, die prächtig gefärbte Vorderbeine hat. Wenn das Männchen mit der Netzhaut der mittelsten Augen statt eines Beutetieres Form und Farbe eines Weibchens erfaßt hat, nimmt es nicht Schleichstellung ein, sondern erhebt die hübschen Vorderbeine mit einem Ruck in senkrechte Stellung, senkt sie langsam und hebt sie wieder, indem es gleichzeitig mit seinen Fühlorganen, den gelben Tastern, vibriert und sie vor dem dunklen Antlitz auf und nieder gehen läßt. Wieder einmal ist die Farbe im Spiel. Ballus depressus, eine andere kleine Springspinne mit bunten Vorderbeinen und gelben Füßen, zieht beim Anblick eines Weibchens die langen Beine eng an den Körper und wiegt sich wie berauscht von einer Seite zur anderen. Handelt es sich um die Jagdspinne Lycosa saccata, so richtet sich das Männchen ganz hoch auf die Beine, streckt die Taster, die Palpen, seitwärts aus, hebt den einen, senkt den anderen, während es mit den Tastern und mit den Vorderbeinen gewaltsam zu zittern beginnt. Dann zieht es die Taster an den Körper, streckt sie wieder seitwärts aus, hebt und senkt sie entgegengesetzt und zittert aufs neue. All diese Gesten sind die Anlockmittel der verschiedenen Männchen. Ist aber weder eine Beute noch eine Gefährtin ins Blickfeld der mittleren Augen geraten, sondern ein Rivale, dann nehmen die Männchen statt der wiegenden Hochzeitsbewegungen eine drohende Fächerstellung ein. Sie stellen sich auf die Spitzen der Vorderbeine, das zweite, dritte und vierte Beinpaar wird bogenförmig hochgehoben, während der Hinterkörper sich gegen die Erde stützt. Es ist die furchterregende Drohstellung zwischen Gegnern. Mehrere Sekunden können sie so unbeweglich stehen bleiben und sich gegenseitig beeindrucken. Und der, der am meisten imponiert, findet endlich den Mut, sich seitwärts ein paar Schritte zu nähern. Noch aber ist nichts entschieden, beide fächeln gegeneinander und strecken sich noch höher auf die Spitzen der Vorderfüße. Dann aber wird einer ängstlich und verzieht sich. Wenn er sich ein wenig entfernt hat, kann sein Gegner ihn nicht mehr erkennen, ebensowenig, wie er selber den zurückgebliebenen Sieger noch unterscheiden kann. Unsere Freundin Dr. Crane hat sich das alles nicht einfach 28
ausgedacht. Sie und der deutsche Forscher Dr. Homann haben die „ A p p a r a t u r " jedes Augenpaares genau erforschen können, und zwar auf eine ganz einfache Weise. Sie haben mit schwarzen, undurchsichtigen „Brillen" abwechselnd bald das eine, dann das andere Augenpaar abgedeckt und haben währenddessen die Tiere in allen erwähnten Situationen beobachtet. Natürlich haben sie dabei nicht gewöhnliche Brillen benutzt, sondern winzigkleine Wachsstückchen, die mit einem unendlich feinen Gerät auf die Augen gedeckt wurden und die auch wieder entfernt werden konnten, ohne daß den Spinnen der geringste Schaden zugefügt wurde. Wenn Dr. Crane dem Spinnenmännohen die vordersten Mittelaugen abdeckte und vor dieses teilweise geblendete Männchen ein Weibchen brachte, machte das Männchen keinerlei Annäherungsversuche. Es war aber deutlich, daß es mit den anderen Augen die Bewegungen des Weibchens auffaßte. Es konnte nur nicht Form und Farbe unterscheiden und wußte deshalb nicht, ob es einer Gefährtin oder einem Bivalen gegenüberstand. Auch das Weibchen muß das Männchen mit den vorderen Mittelaugen sehen, um auf sein Werben zu reagieren. Das bewies ein anderer Versuch, bei dem Dr. Crane die Augen eines jungen Weibchens bedeckte. Unmittelbar vorher hatte ein Männchen das zweite Stadium seines Werbens erreicht. In diesem Augenblick waren die Partner getrennt worden. Die Wachsbrille wurde dem Weibchen auf diejenigen Augen gesetzt, die Farbe und Form unterscheiden; sie wies ihren Freier ab, ebenso vier Freier, die in den folgenden Tagen versuchten, um ihre Gunst zu buhlen. Am dritten Tag geriet ein Männchen mehrere Male in das zweite Stadium, doch bei der geringsten Berührung ging sie von ihm fort. Sie wandte sich nicht einmal um, ihn im Auge zu behalten, und nahm niemals die Stellung mit erhobenem Oberkörper ein, wie es ein Weibchen dieser Art normalerweise tut, sobald seine Aufmerksamkeit auf ein Männchen gerichtet ist, das sich bei ihr einschmeicheln will. Der Bewerber war ungewöhnlich ausdauernd. Er versuchte es zwanzig Minuten lang, bis er es endlich aufgab. Als Dr. Crane die Augen des Weibchens wieder frei machte und es wieder dem gleichen Männchen vorführte, fanden Männchen und Weibchen gleich zueinander. 29
Auf diese Weise hat Ur. Grane nicht nur gezeigt, wie die vielen Augen der Springspinnen eingerichtet sind und funktionieren, sondern sie hat gleichzeitig einen Einblick in das Zusammenleben dieser Tiere erhalten. Außerdem konnte sie erfahren, wie im Blickfeld dieser ganz kleinen Welt eine Beute erfaßt wird. Die fast blinden Netzspinner können dagegen mit ihren Augen weder Form noch Bewegung erfassen, sondern nur den Unterschied in der Lichtstärke. Zum Ausgleich für ihre schwachem Augen wurden bei ihnen besondere Fühlorgane entwickelt, die vor allem in den Beinen sitzen. Die Umwelt der Netzspinner besteht aus vibrierenden Fäden, strammen und losen, dünnen und dicken Fäden, wodurch sie mit allem, was sie brauchen, in Verbindung sind. Sie sind so empfindsam, daß sie eine Fliege erfühlen können, die ganz still im Netz sitzt. Sie ziehen an den verschiedenen Fäden, bis sie merken, wo die Beute sich befindet. Wenn man an zwei Punkten ihres Netzes eine künstliche Bewegung hervorbringt, läuft die Spinne in die Mitte zwischen den beiden Punkten, um sofort auf die Stelle zuzusteuern, von der die stärkste Bewegung ausgeht. Man nennt zwar das radförmige Netz der Kreuzspinne ein Fangnetz. Aber heute weiß man aus langjähriger Beobachtung der Spinnen und ihres Verhaltens, daß die Bezeichnung Fangnetz nicht die volle Bedeutung dieser Einrichtung zum Ausdruck bringt. Das Netz ist nämlich zugleich eine gewaltige Vergrößerung des Gebietes, das die Kreuzspinne mit ihrem Gefühl beherrscht. Mit den Beinen bemerkt sie alles, was in der Ausdehnung des Netzes geschieht. Während sie selbst mit ausgestreckten Beinen 900 Quadratmillimeter bedeckt, deckt das radförmige Netz etwa 140 000 Quadratmillimeter und vergrößert dadurch das Gefühlsfeld der Kreuzspinne hundertvierundfünfzigmal. Durch seine Fühlorgane kann der Netzspinner sogar das Gewicht der Tiere abschätzen, die in das Gespinst geraten. Das beweist ein Versuch mit der Spinne Linyphia triangularis, deren Gespinst man oft wie Hunderte weißer Hängematten gegen den dunklen Hintergrund der Tannenwälder beobachten kann. Fällt ein Tier ins Netz, das weniger als 30 Milligramm wiegt, so läuft die Spinne herbei, denn sie weiß, daß sie diese „leichte" Beute überwältigen kann. Wiegt die Beute aber mehr als 45 Milligramm, 30
so flüchtet die Spinne, denn dieses „gewichtige" Beutetier erscheint ihr zu gefährlich. Ein Gewichtsunterschied von 15 Milligramm wird also noch erfaßt. Das wäre schon eine Rekordleistung, wenn es sich dabei um ein Gewicht handelte, das gehoben wird. Es ist aber ein Gewicht, das sich in einem gehörigen Abstand im Netz befindet. Solche Feinheiten zu unterscheiden, dazu gehört ein so feinfühlendes Sinnesinstrument, wie man es in der Natur nur selten findet.
» Gerade bei den Spinnen ließe sich noch manch wundersame Begabung entdecken. Aber unsere Plauderei konnte nur auf einiges wenige hinweisen. Die ganze Tierwelt ist voll der erstaunlichsten Techniken und Ideen, die wir beobachten und beschreiben, deren letzte Zusammenhänge wir aber nur teilweise deuten können. Die meisten Erscheinungen sind vom Schleier des Geheimnisses umgeben. Unzählige Naturforscher und Naturfreunde bemühen sich darum, hier und da hinter den Vorhang zu schauen, es ist eine der schönsten, erhabensten und erregendsten Aufgaben. Aber immer, wenn irgendwo ein Schöpfungsgeheimnis enthüllt ist, steht der Mensch vor neuen Rätseln, die es zu lösen gilt.
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