LUX
H I S T O R I S C H E
R E I H E
Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
Heftpreis 75 Pfg...
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LUX
H I S T O R I S C H E
R E I H E
Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
Heftpreis 75 Pfg,
LUX HISTORISCHE REIHE bringt in fesselnder Darstellung, plastisch und farbig, Zeitbilder und Szenen aus dem großen Abenteuer der Menschheitsgeschichte. Menschen, Völker, historische Schauplätze und Landschaften aus allen Zeitaltern der Vergangenheit erstehen in bunter Folge vor dem Auge des Lesers. Geschichte wird hier zur lebendigen Gegenwart. Jedes Heft gibt ein abgerundetes und in sich abgeschlossenes Bild des dargestellten Zeitraumes.
Titel der ersten Hefte: Sphinx am Strom Priester und Magier Götter und Helden Die Griechen Die Perserkriege
6. 7. 8. 9. 10.
Die Tempel Athens Alexanderzug Pyrrhus — der Abenteurer Hannibal Untergang Karthagos
Titel der folgenden Nummern: Kaiser ohne Krone Das Goldene Rom Die ersten Christen Caesaren und Soldaten Germanenzüge Die Hunnenschlacht Die Mönche von Monte Cassino Der Prophet Allahs Karl der Große • Heiliges Römisches Reich Kaiser und Päpste Die Kreuzfahrer Friedrich Barbarossa Die Hohenstaufen Bürger und Bauern Die Humanisten Der Schwarze Tod Die Renaissance Neues Land im Westen
Fahrendes Volk Ritter und Landsknechte Kaiser der Welt Der Große Krieg Der Sonnenkönig Ruf übers Meer Der Preußenkönig Rokoko Im Schatten der Bastille General Bonaparte Kaiser Napoleon Kongreß in Wien Eiserne Straßen Der vierte Stand Verschwörer und Rebellen Sieg der Technik Bismarck Die rote Revolution Demokratie und Diktatur
und viele weitere Hefte. LUX HISTORISCHE REIHE bringt jedes Heft mit farbigem Umschlag, Illustrationen, Geschichtskundlichen Landkarten, Anmerkungen und Zeittafel.
VERLAG SEBASTIAN LUX - MURNAU VOR MÜNCHEN
LUX H I S T O R I S C H E
REIHE
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OTTO ZIERER
UNTERGANG KARTHAGOS EOM BEHERRSCHT DIE WELT
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU • MÜNCHEN- INNSBRUCK • ÖLTEN
EINLEITUNG „Die Tiere Italiens haben ihre Höhlen und ihr Lager; die Bürger Roms aber haben nur Luft und Licht. Wohnungslos irren sie mit ihren Familien umher, obwohl sie im Kriege für Rom gekämpft haben und zu sterben bereit waren. Ach, sie kämpften für die Prasserei der Reichen, selbst aber sind sie arm und elend." Mit dieser Anklage beginnt eine der aufrüttelnden Reden des Tiberius Sempronius Gracchus, der im 2. Jahrhundert vor Christus das triumphierende Rom zur sozialen Gerechtigkeit zwingen will. Mit dem Tode des karthagischen Feldherrn Hannibal (183 v. Chr.) in der Verbannung ist der letzte ernst zu nehmende Widersacher Roms auf dem Wege zur Weltherrschaft dahingegangen. Es bedarf nur noch eines letzten Schrittes: der völligen Zerstörung der Widerstands- und Handelszentren, des afrikanischen Karthago, des griechischen Korinth und des spanischen Numantia. Ungeheurer Reichtum strömt nach Rom, ein neuer üppiger Lebensstil verdrängt die schlichte und disziplinierte Vätersitte. Vergeblich erhebt der Politiker Cato seine mahnende Stimme gegen die Überfremdung des römischen Lebens; aber er selbst bekennt sich als Geschäftsmann und Großgrundbesitzer zu den verderblichen landwirtschaftlichen Ausbeutungsmethoden, die durch ihre ausgedehnte Sklavenwirtschaft größeren und leichteren Geioinn sichern als die Bauernwirtschaft der Vorväter. Die Änderung der Wirtschaftsform und die jahrelange Abwesenheit der Bauern und Bürger auf entlegenen Kriegsschauplätzen läßt das Land und das bürgerliche Gewerbe veröden. Besitz- und arbeitsloses Proletariat strömt nach Rom und erhöht die Masse der Unzufriedenen, die sich durch die Wandlung der Verhältnisse benachteiligt fühlen. Die sozialen Spannungen verschärfen sich, die Reformversuche der beiden Gracchen stoßen auf den erbitterten Widerstand der Besitzenden. Es bedarf einer Frist von fast drei Menschenaltern, um die Wachstumskrise des römischen Staatswesens zu überwinden. 2
Der Krieg und die Vereinigung der Länder des Mittelmeeres unter römischer Herrschaft haben viele neue Straßen für die Verbreitung griechischer Lebensart und griechischen Geistes geöffnet. Heimkehrende Offiziere, Feldherrn und Legaten führen auf ihren Schiffen die Schätze der hellenischen Welt nach Italien. Unablässig strömen Gold und die Wunder des Ostens nach Rom. „Damals füllten sich die Häuser mit den Gemälden des Parrhasios und den Bildsäulen Myrons, man traf die Elfenbeinschnitzereien des Phidias und die Arbeiten Polyklets . . . Alle trugen auf hohen Schiffen heimliche Beute davon . . ."* Die errafften und erbeuteten Werke der griechischen Kunst stehen jetzt in der Welthauptstadt Rom ebenso hoch im Kurs wie Gold und Silber. Der Anruf der Künste trifft ein aufgeschlosseneres Geschlecht als jenes, das noch vor einem Menschenalter den Patrizier Quintus Fabius, als er die Wände des Salusheiligtums aus Liebhaberei bemalte, mit dem herabsetzenden Beinamen „Pictor" — der Anstreicher — bedacht hatte. Die Berührung mit Griechen und Karthagern hat das Denken der Römer verändert; und wenn auch das Rom der Scipionen in den hellenischen Künstlern nur bezahlte Handwerker sieht, so bedient es sich doch gern ihrer Geschicklichkeit, wie es sich mit gleicher Vorliebe an den Künsten der asiatischen Köche, der afrikanischen Gaukler und der sizilischen Friseure erfreut. Mag es eine beginnende Neigung zu den gehobenen Formen des Daseins oder auch nur der prunkende Stolz reichgewordener Bauern sein: Rom strebt danach, seine Lebensart durch fremde Kultur zu verfeinern. 3
Der Senator Metellus ruft um 175 v. Chr. griechische Baumeister in die Stadt, um in dem gewaltig wachsenden Stadtviertel entlang der Flaminischen Straße und auf dem Marsfeld eine Säulenhalle mit neuen Tempeln des Jupiter und der Juno aufführen zu lassen. Auf demriesigen Bauplatz arbeiten Hermodorus aus Salamis als Architekt, berühmte Südgriechen als Steinmetzen und die Söhne des großen Athener Bildhauers Timarchides als Schöpfer der Statuen. Alle Römer, die auf ein einträgliches Kommando im Osten hoffen, studieren eifrig die griechische Sprache. Viele hellenische Schulmeister finden jetzt ihr Brot in Rom; denn es gehört zum Lebensstil der Patrizier, für die heranwachsenden Kinder griechische Lehrer, Grammatiker und Philosophen zu verpflichten. Aber es gibt auch noch angesehene Männer in Rom, die mit Besorgnis die Veränderung des altrömischen Charakters durch fremde Einflüsse beobachten. Der schroffste und unerbittlichste ist der Alt-Konsul M. P. Cato, dessen unablässigem Einspruch es gelingt, in Rom die Gründung einer Hohen Schule durch griechische Philosophen zu verhindern. Es waren die Gelehrten Alkäos und Philiskos, die in hellenischer Unbeschwertheit meinten, man könne die Jugend Roms ungestraft das Ideal eines Lebens im Verborgenen lehren, außerhalb jeder verpflichtenden Gemeinschaft, und sie zur götterlosen Unbekümmertheit erziehen. Catos Antrag veranlaßt die Kurie, die Philosophen aus der Stadt zu verbannen. Noch leben genug Römer der alten, unbeugsamen und unbestechlichen Art! Einer von ihnen ist Tiberius Sempronius Gracchus2, der in einem schnellen Feldzug mehr als hundert unbotmäßige spanische Städte unterworfen hat und der zweimal im Triumph zum Capitol geführt worden ist. Nach dem Ablauf seines Konsulats Jahres bekleidet er das Amt des Zensors, des obersten Sittenrichters in Rom. In dieser Stellung hat er reichlich Gelegenheit, seine im Geiste des alten Rom wurzelnden Ansichten in die Tat umzusetzen. „Wenn dieser strenge Zensor, von einer späten Sitzung nach Hause kommend, durch die Straßen geht, löschen die Leute die Lichter aus, um nicht in den Verdacht der Völlerei zu geraten."3 Beim Lustrum — der Volksversammlung, in der die Einteilung der Bevölkerung nach Steuerklassen und Stän4
den überprüft wird —, stößt er zahlreiche, durch Bestechung und üble Lebensführung belastete Patrizier aus dem Senatoren- und Ritterstande aus. Gracchus erwirbt sich dadurch die Liebe des allezeit gegen seine Herren grollenden Volkes und die Freundschaft der altväterlichen, um Cato gescharten Senatspartei. Während Rom in den Jahren nach seinem Triumph über die Griechenwelt und die vorderasiatischen Könige zwischen der Verführung der weiten Welt und alter Republikanertugend schwankt, steigen im Osten abermals Kriegsgewitter herauf. Wieder führt Roms Schicksalsweg auf die Bahn der Eroberung. * Philipp von Makedonien hat nach der Niederlage durch Rom seine Krone behalten, aber die Römer bleiben die wahren Herren des Landes. Alle bedeutenden Fragen werden im Haus der römischen Gesandtschaft in Pella, der Hauptstadt des Reiches, entschieden. Thessalier, Ätolier und Dardaner, die einst vor der makedonischen Macht gezittert haben, gehen jetzt anmaßend durch die Straßen der Residenz und bringen ihre Gesuche, Beschwerden und „Ehrengaben" in die römische Botschaft. Aber die Erinnerung daran, daß Makedonien einst unter Alexander d. Gr. den Völkern von Ägypten bis Indien Gesetze gegeben hat, daß in den Tagen des großen Makedonenkönigs Rom nichts weiter als eine unbedeutende Bauernstadt am Rande eines hellenischen Erdkreises war, läßt keinen der führenden Männer von Pella schlafen. Erbprinz Demetrios, der als Geisel in Rom aufgewachsen und dort zum Freunde des Quinctus Flamininus, des Leiters der römischen Ostpolitik, geworden ist, rät zu Frieden und Ausgleich. Ihm steht sein Halbbruder Perseus als ehrgeiziger Kriegstreiber gegenüber. Dieser Sohn aus unebenbürtiger Ehe wendet alle Mittel asiatischer Diplomatie an, sich bei der makedonischen Kriegspartei und gleichzeitig bei den Römern beliebt zu machen. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch Philipps hat er begonnen, schmeichlerische Briefe an Flamininus zu schreiben. Während er den Befreiungskampf vorbereitet, versteht er es, seinen Bruder Demetrios in Intrigen zu verwickeln und als gefährlichen Feind Roms zu brandmarken. 5
Bndlich steht Perseus am Ziel seiner Wünsche: Prinz Demetrios wird mit Wissen König Philipps und der römischen Schutzmacht ermordet, der Weg zur Herrschaft ist frei. Bald darauf stirbt auch Philipp, und Perseus besteigt den Thron Alexanders4. Gündlich bereitet er den Aufstand gegen Rom vor. Durch geschickte Finanzpolitik und vorteilhafte Handelsverträge führt er in wenigen Jahren eine Blütezeit der makedonischen Wirtschaft herauf, schafft ein Musterheer und füllt die Schatztruhen mit Gold. Man sagt, er habe die Mittel zur Führung eines zehnjährigen Kampfes aufgehäuft. Aber Perseus hat sein Volk nur reich gemacht, um es dann völlig ins Unglück zu stürzen. Er ist weder ein begabter Feldherr noch ein weitschauender Staatsmann. Die gesammelten Schätze werden ihm zum Selbstzweck, er kann sich nicht von ihnen trennen, geizt mit Unterstützungsgeldern, mit Sold und Bestechungssummen; alles, was er unternimmt, bleibt in halben Maßnahmen stecken. Trotzdem erreicht er, daß sich fast alle Griechenstaaten des Ostens der makedonischen Sache anschließen. Nur König Eumenes von Pergamon warnt und veranlaßt, als seine Warnungen ungehört verhallen, die Gegenmaßnahmen der Römer. Der ausbrechende Krieg greift auf Griechenland, Ätolien und Illyrien über. Der Senat überträgt die Führung des nach Osten abgehenden Heeres Ämilius Paulus5, einem Nachkommen jenes Konsuls, der bei Cannae gefallen ist. Ein neuer Siegeskranz wird an die römischen Legionsadler geheftet. Ämilius Paulus schlägt im Jahr seines Konsulats bei Pydna das vereinte Heer der Makedonier und Griechen. Perseus verliert fast seine gesamte Streitmacht und wird selbst gefangen. Der Aufstandsversuch ist fehlgeschlagen; die römischen Truppen verwüsten die Landschaft Epirus und verschleppen 150000 Menschen als Sklaven. Die Tage der schwärmerischen Hellenenfreundschaft eines Flamininus sind vorüber; Hellas muß erkennen, daß Rom furchtbar in seiner Vergeltung ist. Der Sieg verschärft in Rom die Gegensätze zwischen der konservativen Partei, die jede Neuerung mit Mißtrauen aufnimmt, und den Männern, die auf praktische Auswertung der ungeheuren Möglichkeiten drängen, um 6
Rom zum glänzenden, mit Pracht, Reichtum und Luxus erfüllten Mittelpunkt der Welt zu machen. Ämilius Paulus entscheidet die Frage für sich in einer einzigartigen Geste. Er befiehlt, die ergiebigen Goldbergwerke Thrakiens zu schließen, weil das verführerische Gold die Sitten Roms verderben könne; aus der riesenhaften Beute, den aufgehäuften Schätzen des Perseus, den eroberten Städten und geplünderten Landschaften, nimmt der Feldherr nichts für sich und seine Freunde. * Im Frühjahr nach dem Sieg von Pydna hallen die Plätze und Straßen Roms vom Lärm des Triumphzuges wider, den Ämilius Paulus feiert. Drei Tage lang wälzt sich der Strom der Gefangenen und die Anhäufung der unermeßlichen Beute zwischen der dichtgedrängten Volksmenge dahin. Tausende von vornehmen Griechen, darunter König Perseus mit seinem Hofstaat und seiner Familie, gehen gefesselt hinter dem Triumphwagen des Feldherrn. Ungezählte Waffen, Truhen voller Goldmünzen, Kunstschätze aller Art und köstliche Gewänder werden zur Schau gestellt. Stunde um Stunde brandet das Geschrei der begeisterten Römer über das Forum, schwillt zu dem Capitolinischen Felsen empor und pflanzt sich in die Straßen der Talstadt fort. Während sich die Menge lärmend und gaffend unterhält, versammeln sich einige Senatoren und Angehörige des Ritterstandes in einem Räume der Kurie des Senats. Das Gemach ist finster und streng wie das ganze Gebäude der Kurie; dicke Mauern halten das Geschrei der Gasse fern, die kahlen Wände strömen Kühle und Verschlossenheit aus, und selbst das Licht, das durch den geöffneten Schacht der Decke einfällt, ist matt und glanzlos. Die Senatoren sitzen auf einfachen Holzbänken, eine Tradition, an der selbst die Neuerer nicht zu rühren wagen. Nur der junge Cornelius Rufus und Aulus Licinius Philippus Nerva haben selbst für ihre persönliche Bequemlichkeit gesorgt. Sie liegen auf griechischen Ruhebetten, die Arme in weiche Kissen gestützt; diese Liegestätten sind ihr Eigentum, sie lassen sie bei ihren Besuchen in der Kurie durch Sklaven herbeischaffen. 7
Der Westen des römischen Keiehes Die lateinischen tarnen bedeuten: Mare Ibericum = Spanisches Meer, Mare Internum = Mittelmeer, Mare Adriaticum = Adriatisches Meer, Hispania = Spanien, Tagus = Tejo, Iberus = Ebro, Massilia = Marseille, Padus = Po, Danuvius = Donau
Der Mann, der die kleine Versammlung einberufen hat, der grauhaarige Alt-Konsul Markus Servilius, geht mit großen Schritten zwischen den Bänken auf und ab. „Senatoren und Eitter!" sagt er mit harter Kommandostimme, „man weiß, daß heutzutage etwa die Hälfte aller römischen Bürger in Abhängigkeit von irgendeiner Patrizierfamilie lebt. Das bedeutet, daß wir, die wir hier versammelt sind, den größten und wichtigsten Teil der Bürgerschaft vertreten. Cajus Sulpicius Gallus, den ich dort sehe, ist einer der reichsten Grundbesitzer Italiens und Siziliens, der die Schicksale vieler Tausender kleiner Pächter und Kolonisten in Händen hält, ex herrscht wie ein Feldherr über seine Klienten und Sklaven, über die Hand8
Der Osten des römischen Reiches Ister = Donau, Mare Internum = Mittelmeer, Pontus Euxinus = Schwarzes Meer, Byzantium = Byzanz, Mare Caspium = Kaspisches Meer, Cyprus = Zypern, Aegyptus ~ Äpypten, Sinus Arabicus — Arabischer Golf, Arabia = Arabien
werker und Taglöhner, die sein Brot essen. Markus Fronte] us besitzt neben großen Gütern mehr als zwanzig Getreideschiffe, die den Ertrag seiner sizilischen Güter auf die Märkte verfrachten; Nerva kontrolliert zahlreiche Webereien und keramische Werkstätten in Süditalien und Sizilien, und unser Freund Cornelius Rufus besitzt Weinberge in den besten Lagen Campaniens, seine Ländereien in Lucanien und Bruttien machen ihn täglich reicher, er verfügt über ein Heer von Sklaven." Nerva lacht spöttisch auf. „Warum rechnet uns Servilius vor, was wir besitzen? Sollte ich mich neulich verhört haben, als mir jemand erzählte, unser Freund habe es verstanden, sich den Löwen2(10)
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anteil am Ertrag der spanischen Silbergruben zu sichern ? Ich irre mich wohl kaum, wenn ich annehme, daß Servilius der Vermögendste unter uns ist." Markus Servilius macht eine ärgerliche Handbewegung, dann fährt er fort: „Wenn ich von unserem Reichtum sprach, so geschah es nur, um euch die Augen dafür zu öffnen, daß ihr noch viel reicher sein könntet. Wenn ich auf die Macht hinwies, die wir in Händen halten, so t a t ich es, weil ich euch Appetit auf mehr machen will!" „Aber wir haben noch nicht einmal den makedonischen Bissen verdaut!" ruft Cornelius Rufus, „und die Götter schenken nicht alle Jahre einen Sieg von Pydna!" „Sieg?" höhnt der Alt-Konsul, „Sieg nennst du das? Nein, Cornelius, wenn wir Pydna nicht in der Ratsversammlung zu einem wahren Sieg für Rom zu machen verstehen, wird es nicht mehr bleiben als die Erinnerung an eine umfangreiche Schlägerei. Es steht völlig bei euch, Senatoren, ob derPerseuskrieg in die Geschichte als Raubzug eingehen wird oder ob er am Anfang des Weges zur römischen Weltherrschaft steht. Jetzt—nach Pydna — fällt die Entscheidung über die Zukunft des römischen Staates." „Nun, so laß endlich die Katze aus dem Sack", sagt ungeduldig Sulpicius Gallus, der durch Wucherzinsen und hohe Pachtsummen viele kleine Bauern, Handwerker und Schiffsreeder ruiniert hat. Er wittert das neue große Geschäft. Markus Servilius hält in seinem Rundgang inne und sucht nach passenden Worten. Durch den Lichtschacht dringt gedämpft das Geschrei der Volksmenge, der Marschtritt der Legionen und das Schmettern der Hörner. „Als wir vor drei Jahrzehnten Makedonien und Griechenland zum erstenmal in unserer Hand hielten, begingen wir — dumm und unerfahren in der Beherrschung eines Weltreiches — den Fehler, die Neuordnung in den besiegten Ländern der philosophischen Schwärmerei eines Plamininus anheimzustellen. Wir gefielen uns in der Rolle von Befreiern, ohne zu bedenken, was wir eigentlich damit sinnlos verschenkten. Nach dem rührenden Friedenspakt zogen wir uns bescheiden und mit leeren Händen wieder auf italischen Boden zurück. Die Folge war, daß wir in zwei Kriegen — gegen Antiochus und gegen Perseus — unsere Dummheit von einst korrigieren mußten. Damit in Zukunft solche kostspieligen Fehler vermie10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.02.17 16:51:04 +01'00'
den werden, schlage ich euch die Annahme von drei Grundsätzen vor, nach denen wir künftig verfahren wollen: Zum ersten müssen wir Eömer — soweit wir an einem bestimmten Wirtschaftszweig interessiert sind — draußen nicht mehr einzeln, sondern gemeinsam, gestützt auf die Macht des Staates, auftreten. Die Griechen haben seit langer Zeit ihre Syndikate 6 , die die Belange der hellenischen Kaufmannschaft allen Fremden gegenüber wahren. Diese Syndikate müssen zerschlagen werden; die Rohstoffquellen und die Märkte sollen künftig den Römern gehören..." „Vergiß nicht, daß es Narren gibt, die Goldbergwerke zuschütten lassen!" knurrt der alte Frontejus. „Sie werden auch wieder ausgegraben, mein Freund, verlaß dich darauf!" fügt Nerva trocken hinzu. „Zum zweiten", fährt Markus Servilius fort, „sollten wir verlangen, daß gewisse Märkte — ich denke da an die großen Sklavenplätze Byzanz, Delos und Milet, an das Getreidegeschäft Afrikas, Siziliens, Ägyptens und der Schwarzmeerländer und an die keramische Industrie Großgriechenlands — zum Monopol römischer Kaufleute gemacht werden." „Sehr gut!" lobt Sulpicius Gallus. „Und zum dritten halte ich den Augenblick für gekommen — denn das folgert aus den beiden vorausgegangenen Punkten —, die hellenische und die wiederauflebende karthagische Konkurrenz mit einem Schlage zu vernichten. Die Übermacht der römischen Waffen erlaubt dies im Zuge einer Polizeiaktion; wir werden dadurch nicht nur gewaltige Beute ernten, sondern die Bahn frei machen für eine römische Verwaltung im gesamten Osten und für eine absolute Beherrschung der Wirtschaft." „Bei Jupiter!" sagt Metellus ganz verstört, „genügt es nicht, daß uns der steinerne Cato täglich in den Ohren liegt, Karthago müsse zerstört werden?! 7 Bist du nun auch zu seiner Partei übergegangen?" „Cato ist ein hervorragender Mann, aber er ist nur der Trompeter für andere, die hinter ihm stehen und auf das Signal zur Plünderung warten, er ist Werkzeug und weiß es nicht. Vielleicht ist er auch mein Werkzeug. Ich aber spreche zu euch, die ich für klug halte, in eigener Sache. Griechenland, das mit seiner ewigen Zwietracht nur ein Unruheherd innerhalb unserer Ordnung ist, beherrscht zu 11
Unrecht den Handel des Ostens. Ich schaue in eine ferne Zukunft, wenn ich sage, daß man später nochmals einen asiatischen Krieg ins Auge fassen muß, um wirklich Herr des Orients und seiner Reichtümer zu werden; denn der Weg, den wir eingeschlagen haben, der uns mit Zwang zur Einigung Italiens, dann zur Sicherung Siziliens und später nach Afrika, Spanien und Makedonien geführt hat, wird erst an den natürlichen Grenzen unserer Welt enden. Und darum wird man dereinst Karthago niederbrechen müssen, deshalb muß Griechenland fallen, weil es in dieser Welt nur einen Herrn — Roma aeterna 8 — geben kann." Ohne den Widerspruch der anderen zu beachten, spricht der Konsul weiter. „Das, was ich in meinen letzten Sätzen andeutete, gilt erst für die Zeit unserer Söhne oder Enkel. Das nächste Ziel aber, das sich aus dem Sieg von Pydna ergibt, ist die endgültige Niederwerfung Griechenlands und die Sicherung unserer wirtschaftlichen Vorherrschaft auf dem Felde des militärischen Triumphes." „Flaminihus", wendet Nerva ein, „hat vor drei Jahrzehnten bei den Isthmischen Spielen den Hellenen die Freiheit verkündet. Damals verstand man also siegreich und menschlich zu sein. Wir sollten daran denken, daß Griechenland die Mutter der westlichen Kultur ist!" „Die Tage dieser geschenkten Freiheit sind vorüber, Nerva!" erwidert Markus Servilius. „Rom ist zur Herrschaft aufgewacht und wird nicht ein zweites Mal den Fehler begehen, durch eine schöne Geste politische Möglichkeiten zu verscherzen. Man hat im Senat den Vorschlag gemacht, das makedonische Erbe in vier Zonen zu teilen, denen zu Nutzen des römischen Handels verboten werden soll, untereinander wirtschaftlich zu verkehren. Ich halte diese Maßnahme für zu begrenzt. Man muß die Haupthandelsplätze zerstören, die Märkte verlegen, die Schatzhäuser enteignen und den Griechen die Hauptsäule ihrer wirtschaftlichen Kraft zerschlagen: die Staatsbetriebe, deren Textilwaren und Keramiken die Welt überschwemmen. Diese Fabriken erdrücken jede römische Industrie — also wird man sie beseitigen!" „Gewinn und Beute sind nicht zu verachten", sagt Metellus nachdenklich, „und ich persönlich habe nichts dagegen, aber auch hier gibt es gewisse Grenzen, die ein Staat beachten sollte. Es ist noch keine hundert Jahre 12
her, daß der siegreiche Konsul Lentulus Catulus edelmütig auf die Auslieferung der karthagischen Söldner verzichtet hat. Ämilius Paulus aber hat man den geheimen Befehl mitgegeben, für die Auffüllung unserer Sklavenbestände zu sorgen, und römische Legionäre veranstalteten in Epirus regelrechte Sklavenjagden. 150000 Männer haben wir nach Italien verschleppt, um Arbeiter für unsere Werkplätze und Landgüter zu beschaffen. Wodurch unterscheiden wir uns eigentlich noch von den Karthagern...?" „Ereifere dich nicht, Metellus", entgegnet Sulpicius, „zu Zeiten des alten Catulus gab es noch keine Großbetriebe, keine Plantagen mit meilenweiten Feldern, keine Bergwerke von Bedeutung und keine Werkstätten mit Hunderten von Arbeitsplätzen. Wir brauchen Sklaven, und wo sie herkommen, soll uns gleichgültig sein!" „Man muß sich hüten", sagt Servilius, „die Gefühle der historischen Verehrung, die wir zu Recht für die hellenische Wissenschaft und Kunst empfinden, mit kaufmännischer Berechnung zu verwechseln. Ich sehe in den Griechen heute vor allem die Handelsherren, die die Märkte Kleinasiens beherrschen. Sie haben sich in Reederverbänden zusammengeschlossen und legen die Preise und Frachtsätze fest. Warum schöpfen die Korinther und nicht die Römer den Gewinn des großen Umschlagmarktes Delos ab? Diese Insel ist für uns von besonderer Bedeutung, denn hier — wo man an einem einzigen Tage bis zu 10000 Sklaven umsetzt — kaufen die römischen Unternehmer ihre Arbeitskräfte..." „Wenn nicht gerade ein Krieg billigere Arbeiter bringt!" wirft Metellus boshaft ein. Unbeirrt fährt Servilius fort: „Die griechischen Getreideaufkäufer haben ihre Vertreter auf allen Märkten und ankern mit ihren Schnellseglern an den Plätzen, die den höchsten Preis zahlen; in Ägypten haben hellenische Kaufherren sich zu einem Syndikat zusammengeschlossen, das die gesamte Ernte dieses reichen Landes je nach den Gewinnaussichten entweder auf die Märkte wirft oder zurückhält und_ künstliche Hungersnöte schafft. Ähnlich ist es mit den Ölmühlen, den Weinernten und den Erzgruben: überall arbeiten die Griechen, trotz ihrer sprichwörtlichen politischen Uneinigkeit, Hand in Hand und bestimmen den Markt, die Teuerungen und die Preisstürze. 13
Ich hoffe, daß ihr nun begreift, was ich will! Während wir bisher zersplittert um die Gunst der Käufermassen werben mußten und uns gegenseitig Konkurrenz machten, werden wir in Zukunft überall das Monopol des Handels beanspruchen. Die Völker werden zufrieden sein müssen mit dem, was wir ihnen bieten und mit den Preisen, die wir fordern!" „Höre zu, Markus Servilius", unterbricht Metellus den Alt-Konsul, „deine Art, die Dinge der Welt zu betrachten, gefällt mir nicht! Es mag richtig sein, daß dein Verfahren wirtschaftliche Vorteile für jeden von uns bringt. Aber ich möchte dir die Tatsache, die du zu Beginn unseres Gesprächs anführtest, ins Gedächtnis zurückrufen: unseren Reichtum! Du hast vergessen, meines Vermögens Erwähnung zu tun: Auch ich besitze Land, Leute und viel Geld; Schiffe segeln für mich, Häuser werden in meinem Namen gebaut, der Sklave, der an der Capitolinischen Treppe eine Schuhflickerei betreibt, ist mein Eigentum, und der freigelassene Großhändler in der Via Palatina, dessen großes Haus mit herrlichen Stoffen, Geschmeiden und kostbaren Vasen gefüllt ist und auf dessen Schwelle sich die vornehmen Käufer drängen, ist mir verpflichtet. Den Schuhflicker hält das Gesetz für mich fest, und er ist gezwungen, meinem Verwalter allabendlich seinen Verdienst abzuliefern; den anderen halte ich durch die Summe, die ich ihm zur Einrichtung seines Geschäftes vorstreckte, er muß mir ein Drittel seines Einkommens geben. Das sind nur zwei aus der großen Schar von Menschen, die mir zinsen. Jeder von uns besitzt Hunderte solcher Existenzen. Nun sage mir einen vernünftigen Grund, Markus Servilius, warum ich zu dem, was ich besitze, Neues hinzuerwerben soll? Übertriebener Eeichtum bereitet Sorgen, der Luxus, mit dem sich die Handelsherren in Alexandrien und Karthago umgeben, ist mir widerwärtig. Wenn deine Pläne Wirklichkeit werden, Markus Servilius, sehe ich den Tag kommen, an dem unsere Enkel goldbehangen, geschminkt und gesalbt, im eigenen Fett erstickend, in gepolsterten Sänften zur Kurie getragen werden; dann werden fremde Feldherren mit fremden Söldnern die Schlachten Roms schlagen. Ihr wart gestern zugegen, als Ämilius Paulus am Tempel des Jupiter Capitolinus den Königspurpur des Perseus niederlegte, und ihr habt seine mahnenden Worte 14
gehört, der Gefahr des frevelhaften Übermutes nicht zu erliegen und zu den schlichten Altären der heimischen Götter zurückzukehren. Es ist immer eine Drohung der Ewigen, wenn Fortuna ihr Füllhorn allzu reichlich über Irdische ausgießt — die Eache des Schicksals kommt. Einst wird sich das Meer gekrümmter Eücken, das wir heute im Osten der Welt sehen, stürmisch erheben und gegen Eoms Grundfesten branden. Dann müssen wir stark und ungebeugt sein wie unsere Väter. Wenn Eom weich und krank wird, fegt uns das Schicksal hinweg, und wir werden zerbrechen wie Karthago, Hellas und Makedonien. Vielleicht wollt ihr weder mir noch Ämilius Paulus glauben, weil man uns Griechenfreunde nennt. So hört auf die Stimme Catos, der alles haßt, was nicht römisch ist. Er sieht vielleicht schärfer als wir alle die Gefahren, die uns von innen her bedrohen. Vor etwas mehr als hundert Jahren hat der Senat eines seiner Mitglieder bestraft, weil es Silbergeschirr im Wert von 10 Minen besaß9; das Zwölftafelgesetz10 befahl allen Bürgern, dasselbe Tuch zu tragen, und es verbot die Üppigkeit als Verbrechen. Damals saß der Hausvater am rohgezimmerten Tisch inmitten der Familie und brach das schwarze Brot, Eom wohnte unter stroh- und schindelgedeckten Dächern —• aber die Tugend wohnte mit ihm. Heute sind zahlreiche Gesetze gegen den Luxus nötig geworden. In Patrizierhäusern werden gemästete Hennen, Haselmäuse, Wildschweinköpfe und griechische Weine serviert, die Frauen verschwenden ein Vermögen für Salben und Wohlgerüche; obschon die Verordnung vorschreibt, daß an Alltagen nur drei Gäste geladen, daß nur für zwei Denare Lebensmittel11 auf dem Markt eingekauft werden dürfen, wissen wir alle, daß die oberen Klassen sich nicht daran halten. Was aber soll in der Zukunft aus Eoms Sitten werden, wenn wir den Eeichtum der eroberten Länder für uns allein beanspruchen und eine Flut von Gold und Luxus unsere Stadt überschwemmt?!" Es ist still geworden in dem kleinen Eaum. Die Worte des Metellus sind nicht ohne Eindruck geblieben. Nur auf dem Gesicht des Alt-Konsuls liegen Spott und Ablehnung. Easch tritt er vor und beginnt zu sprechen, um den ungewünschten Eindruck zu verwischen. 15
„Man kennt dich, Cäcilius Metellus, als einen ehrenvollen Mann, der nach der Sitte der Väter lebt. Aber wenn du dich auf die alte römische Einfachheit berufst, so frage ich dich: Nimmst nicht auch du heute deinen Trunk auf dem Euhebett liegend, statt auf harter Holzbank wie unsere Ahnen? Ernennt man nicht auch bei deinen Gastereien einen Trinkmeister, der den Gästen den Trunk zumißt? Werden nicht auch in deinem Hause dionysische Lieder gesungen, hat dein Sohn keinen griechischen Schulmeister? Ach, Metellus, der Luxus des Ostens ist schon mitten unter uns! Deine italischen Felder tragen seit langer Zeit Weizen, statt, wie in Urtagen, Spelt; deine Tafel steht voller Silbergeschirr, wo die Väter Tonkrüge und Holzteller benützten! Geh vor die Tore dieses Hauses, Metellus, und du wirst finden, was unseren Tag von der Vergangenheit trennt! Auf dem Forum standen noch vor einem Menschenalter die hölzernen Verkaufsbuden der Fleischer und Opferhändler an den Berg gelehnt, ja, rings zu Füßen der Tempel. Heute sind sie verschwunden, und an ihre Stelle sind die Gewölbe der Geldwechsler getreten. Der Fortschritt hat die Vergangenheit ausgelöscht. Vor einem Jahrhundert war es ein ungeheures Unternehmen, als Appius Claudius die erste Militärstraße von Eom nach Capua baute — heute hat der Senat die Mittel genehmigt, vom Hafen Dyrrhachium12 in Epirus eine Straße quer durch die mittelgriechischen Gebirge nach Makedonien und zu den Meerengen am Schwarzen Meer zu führen. Und — um das Profanste von allem zu erwähnen — deine Nase sollte dich belehren, Metellus! Das alte Rom, das seinen Unrat einfach vor die Haustüren warf, ist einer großstädtischen Ordnung gewichen. In vier Bezirken der Stadt wacht je ein Ädil13 über die Sauberkeit der Straßen und die Instandhaltung einer gemauerten Kanalisation. Bist du dir bewußt, Metellus, daß du all diese Fortschritte verneinen müßtest, wenn du die Tage der Vorväter zurückrufst? Reichtum schafft nicht nur Luxus; aus Kapital wird auch Kultur, das beweist die Verwandlung des römischen Alltags. Für einen weiteren, diesmal bewußten Schritt vom Heute zum Morgen will ich eure Zustimmung, Senatoren! Rom muß aus der engen Wirtschaft seines Landes heraus 16
und auch auf den Märkten der weiten Welt jene Herren Stellung einnehmen, die ihm durch den Sieg von Pydna zugefallen ist. Italiens Macht beruht heute in der Vorherrschaft der großen Vermögen. Wir dürfen nicht mehr zurück, wir müssen Welthandel betreiben. Wir können uns nicht mehr als philosophische Schwärmer im römischen Haus verschließen. Einst tat Rom den Schritt über das Meer nach Messina, bezeugend, daß der römische Staat nach der Herrschaft im westlichen Mittelmeere strebe. Pydna bedeutet den Griff nach der Weltwirtschaft — es ist nach Messina das zweite bedeutsame Ereignis in der Geschichte des Römervolkes. Diese Erkenntnis fordert den Bruch mit altväterlichen Methoden, die Lösung von Gefühlen und das starke Bekenntnis zur Politik der Macht. Darum fordere ich euch auf, Senatoren und Ritter, mit mir dahin zu wirken, daß Griechenland diesmal endgültig und für alle Zeiten unterworfen wird. Zerstört ohne Rücksicht die Märkte und Industrien, lenkt die goldenen Ströme der Welt, die wir erobert haben, nach Rom." * Der Triumph über König Perseus ist verrauscht. Die wohlgefüllten Kassen des Makedonen wandern in den römischen Staatsschatz. Der Bürgerschaft Roms wird feierlich kundgetan, daß von nun ab der „Tribut" — die Steuerleistung des Tribus14 — entfällt; alle Römer sind künftig steuerfrei, denn der Staat lebt vom Ertrag seiner erworbenen Güter und Provinzen. Bald nach dem festlichen Einzug des Ämilius Paulus kehrt der Prätor Lucius Anicius von einem Feldzug an die Ostküste des Adriatischen Meeres15 heim und führt den Illyrerkönig Gentius im Triumph zum Capitol. Am zweiten Tag der Feiern findet ein Schauspiel statt, wie es Rom bisher noch nicht gesehen hat. Hellenisch gebildete Offiziere im Stabe des siegreichen Prätors haben eine Anzahl griechischer Musiker angeworben, die in Rom ein Konzert, das erste seiner Art, veranstalten. Unter den Ehrengästen befinden sich auch Ämilius Paulus und seine Familie. Der achtzehnjährige Cornelius Scipio Ämilianus16, ein Sohn aus dem Hause der Scipionen, den der kinderlose Konsul adoptiert hat, ist von seinem Hauslehrer begleitet. Der Sieger von Pydna hat den Päd3(10)
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agogen aus tausend vornehmen Geiseln der Hellenen ausgesucht und in sein Haus aufgenommen; er heißt Polybios 17 und stammt aus Megalopolis in Südgriechenland. Polybios ist schon frühzeitig durch seinen Vater, den Strategen Lykortas, in die Politik eingeführt worden; der Umgang mit dem Freund seiner Familie, dem großen griechischen Freiheitshelden und Staatsführer Philopömen — den das Volk den „letzten Hellenen" nennt —, hat ihm die Augen für die Gesetze der Geschichte und die Notwendigkeiten der Gegenwart geöffnet. Er nahm regen Anteil am „Achäischen Bund", bekleidete eine führende Stellung und wurde nach der Niederlage in die Schar der Geiseln eingereiht, die den siegreichen Feldherrn als Unterpfand des Friedens nach Rom begleiten mußten. Das weite Rund des Circus Flamininus ist gefüllt mit lärmenden, lachenden Zuschauern. Es heißt, daß die berühmtesten Flötenspieler Griechenlands, der große Theodoros aus Böotien, die Athener Theopompos und Hermippos, gefeierte Tänzerinnen aus Arkadien und die besten Chöre Attikas auftreten werden. Ämilius Paulus teilt seine Loge mit einer Gesandtschaft des Königs Eumenes IL von Pergamon, der auch der Homerforscher Krates von Mallos angehört. In der festlich geschmückten Hauptloge unterhält sich der Triumphator, Prätor Anicius, mit dem alten Markus Porcius Cato. Zornig wettert der Zensor gegen das Griechenwesen und macht dem Prätor Vorwürfe, daß auch er nun mit dieser lächerlichen, unrömischen Gauklervorstellung dazu beitrage, das verderbliche Ausländertum zu fördern. „Es läuft genug von diesem verhungerten, schleichenden Gesindel in Rom herum", zürnt der Unversöhnliche. „Ob Flötenspieler, Tänzer, Zauberer oder Philosoph — mit Ruten sollte man sie aus den Mauern treiben. Am schlimmsten sind die Ärzte, die wie die Aasgeier in den Frieden der Häuser einbrechen. Ich glaube mit Sicherheit, daß sie von den Feinden Roms gedungen sind, soviel Römer wie möglich mit ihren Arzneien zum Hades zu schicken. Jeder Grieche ist von Natur aus ein Feind Roms, Anicius. Selbst ihre Götter wollen sie uns aufdrängen, weil Mars, der römische Kriegsgott, stärker war als die Possenreißer ihres Olymp. Wenn Rom beginnt, seine alten Götter zu verlassen, um sich fremden Dämonen in die Arme zu werfen, wird 18
es bald zum Sklaven derer werden, die es gebeugt hat." Auch in der Loge des Ämilius Paulus ist das Verhältnis zwischen Eom und Hellas Gegenstand der Unterhaltung. Scipio Ämilianus spricht mit jugendlicher Begeisterung von dem überwältigenden Eindruck, den die neuerrichtete Säulenhalle des Metellus und die neuen prächtigen Tempel Roms auf ihn gemacht haben. „Ich war noch niemals in Griechenland", sagt er, „aber ich kann mir nicht vorstellen, daß es dort Schöneres und Erhabeneres gibt!" Als die neben ihm sitzenden Griechen höflich schweigen, wendet sich der Jüngling an seinen Lehrer. . „Sag, Polybios, weißt du ein Bauwerk, das die Säulenhalle des Metellus übertrifft...?" Peinlich berührt von der Frage, zögert der Hellene, dann faßt er sich ein Herz und beginnt mit leiser Stimme, in der die Sehnsucht nach der Heimat klingt, von Pergamon18, der Wunderstadt an der kleinasiatischen Griechenküste, zu sprechen. „Rom ist groß", sagt er, „und in seinen Mauern wohnt die Macht. Hart und trutzig drohen die Bastionen der Burg dort drüben vom Capitolinischen Berg; die neuen Bauten, die Metellus errichten ließ, zeugen von Roms Sieg über Hellas. Sie sind ein Stück Griechenland unter dem Himmel Italiens. Aber nichts ist vergleichbar mit dem Thron der Götter, dem Höchsten, was menschliche Hand erschuf, der Akropolis in Pergamon. Über mehrere Terrassen steigt der Stein empor; Gymnasien, Tempel und Basiliken prunken auf den unteren Stufen, breite, weißleuchtende Treppen führen höher hinauf bis zur Krone des Bauwerks, wo sich der Riesenaltar des Zeus Soter — des Erretters aus Galliernot — erhebt. 0, wenn ihr das Relief der Außenwand mit seinem Kampf der Götter und Giganten sehen könntet! Wenn ihr nur eine einzige jener Plastiken vor Augen hättet, die fromme Dankbarkeit und hoher Kunstsinn nach der Abwehr der gallischen Einfälle hier geschaffen haben . . . " Das weitere Gespräch geht im Dröhnen der Tubabläser unter, die den Umzug einleiten; die griechischen Künstler, das Orchester und der Chor, das Ballett und die Flötenspieler müssen sich der Sitte Roms beugen und wie die Gladiatoren das Langrund der Arena ausschreiten. * 19
Theodoros hat seine Schar auf der Holzbühne aufgestellt, er selbst steht mit der Flöte nahe der Rampe, hebt das Instrument mit anmutiger Bewegung zu den Lippen und beginnt mit einer zarten, einfachen Melodie. Schimmernd und klar perlen die Töne, eine tiefer gestimmte Flöte setzt ein, folgt dem Lauf der ersten und verschlingt sich mit ihrem Klingen zu einem kunstreichen Rhythmus. Leise schwillt der Gesang des Chores an, aus erdhaften Tiefen blüht das Lied empor und entfaltet sich zum Zaubergesang. Betroffen horcht die Menge auf die ungewohnten Töne, plötzlich lacht irgendwo ein Legionär, andere folgen seinem Beispiel, lauter wird das Gelächter, spöttische Zurufe ertönen, und Pfiffe schrillen zu den Senatssitzen empor. Die Tausende, die im Circus Spannung, atemberaubendes Geschehen und Sensation erwartet haben, sind zornig enttäuscht; sie beginnen rücksichtslos zu lärmen und zu schreien. Der Prätor Anicius wird unruhig. Als der Lärm immer stärker und fordernder wird, schickt er einen Offizier zur Bühne hinab mit dem Befehl, die Truppe des Theodoros solle anstatt des törichten Gesanges einen Wettkampf veranstalten. Theodoros und seine Spieler, die überall in hellenischen Städten wie Halbgötter gefeiert und geehrt wurden, sind fassungslos. Meinte dieser römische Barbar etwa, sie sollten sich wie die Gladiatoren untereinander schlachten? „Der Prätor wünscht wenigstens ein Scheingefecht zu sehen", erklärt der, Offizier,,,irgend etwas, wobei gekämpft wird, wo Bewegung entsteht und das Volk auf seine Rechnung kommt." Rasch fügen sich die hellenischen Künstler ins Unvermeidliche und beeilen sich, den seltsamen Wünschen dieses Publikums nachzukommen. Man findet einige im Faustkampf ausgebildete Leute unter den Troßknechten und läßt sie zur Freude der Zuschauer unter Flötenbegleitung aufeinander losschlagen. Dann stellt Theodoros die Hornisten und Trompeter an die Spitze des Chores und der Tänzergruppe, und während die Musiker —• denen der Spaß zu gefallen beginnt — wirr durcheinanderblasen, flöten und zirpen, gehen Chor und Ballett kriegerisch gegeneinander vor, mimen Zorn, Furcht und Flucht. Als sich einer der Tänzer aufschürzt und dem sich nähernden 20
Flötenspieler in theatralischem Zorn die Faust unter die Nase hält, brechen die Zuschauer in Gelächter und Klatschen aus. Die festliche Schaustellung ist gerettet; sogar Cato zeigt einen Augenblick den Schimmer eines Lächelns. * Auf dem Heimweg von der eigenartigen Feier stürzt Krates von Mallos auf einer steilen Felstreppe und bleibt mit gebrochenem Knöchel liegen. Ratlos umstehen die Gefährten den vor Schmerz Stöhnenden. Schließlich bringt einer der Römer eine Sänfte herbei, wie man sie jetzt auch in Rom findet, und Krates wird vorsichtig auf das Ruhebett gehoben. Man schafft ihn in das Haus des Senators Naevius, der hilfsbereit seine Gastlichkeit angeboten hat. Eine lange Zeit vergeht, während der der Verunglückte im Halblicht der bescheiden eingerichteten Kammer liegt; nur eine alte Sklavin weilt bei ihm und legt kühlende Umschläge auf das Bein. Krates vernimmt den rücksichtslosen Lärm einer feilschenden Stimme. Er wird Zeuge, wie der hellenische Arzt, ohne sich nach Art oder Schwere der Krankheit zu erkundigen, um den Preis streitet und sich weigert, auch nur einen Schritt in das Krankenzimmer zu tun, bevor er nicht hundert Sesterzen bekommen habe19. Anscheinend hat der Hausverwalter bezahlt, denn gleich darauf hört man schmeichlerische Danksagungen, und durch den Vorhang tritt einer der stadtbekannten Scharlatanärzte in den Raum, er stellt seinen Kasten mit Medikamenten und eisernen Instrumenten in eine Mauernische. Krates denkt beim Anblick des Mannes, der wie ein Geier aussieht und sich geschäftstüchtig die Hände reibt, daß die Römer wohl nicht zu Unrecht die griechischen Ärzte und besonders die Chirurgen Knechte des Henkers nennen. „Nur keine Angst, Bruder", sagt der Hellene, „alles, alles haben wir in unserem Kästchen: Hundezahn gegen Zahnschmerz, Mäusegehirn gegen Kopfweh, Gladiatorenblut gegen Epilepsie, den Zahn einer Spitzmaus gegen Gicht, Kamelhaar und Uhuzehen gegen Wechselfieber. Selbst indisches Drachenblut besitzen wir . . ." 20 „Mensch, ich habe den Fuß gebrochen...", ächzt Krates. 21
„Ach so", erwidert der Quacksalber gelassen, „das ist etwas anderes. In diesem Falle nehmen wir Mohnsaft, damit du ein wenig betäubt wirst; denn ich sage dir gleich, es wird wehtun, den Fuß wieder einzurichten."
Die zahlreichen Triumphe und Siegesfeiern, der Anblick der in Beute schwelgenden Patrizier und nach Circusspielen und Verteilung von Kriegstrophäen schreienden Plebejer hat Marcus Porcius Cato ermüdet und ihm den Aufenthalt in Rom verleidet. Er spürt ein unwiderstehliches Verlangen nach Wäldern und Äckern, nach Freiheit und Ursprünglichkeit des Landlebens. Gutsherren — patriarchalische Bauern — waren die Römer der alten Zeiten, und Cato ist davon überzeugt, daß Rom diese Tatsache nicht vergessen darf, wenn es leben will. Bevor er die Hauptstadt verläßt, um nach Tusculum, dem Stammgut seiner Familie nördlich der Albanerberge, zu reisen, sucht er seinen Freund Tiberius Sempronius Gracchus, den ehemaligen Konsul und Zensor auf, um mit ihm geschäftliche Dinge zu besprechen. „Nicht wegen der Mißgunst hellenisch oder neuerungssüchtig gesinnter Senatoren verlasse ich Rom", stellt Cato im Gespräch nachdrücklich fest, „sondern um wieder einmal selbst aus dem Quell römischer Kraft zu trmken. Wir sind Gutsherren gewesen und sollen es bleiben! Wer sich von der Erde löst, wer die Grundlagen des bäuerlichen Daseins aufgibt und nicht mehr Hausvater auf eigenem Acker ist, wird bald nicht mehr der Herr im größeren Hause des Staates sein." Tiberius Sempronius lächelt. Er kennt seit langem das Lieblingsthema des alten Freundes. ,Als Zensor führte er seinerzeit sein Amt mit Strenge; denn er zog viele vom Adel zur Verantwortung und setzte in die Verfügungen der Zensoren manche neue Verordnung, um die Üppigkeit, die immer mehr zu wuchern begann, zu unterdrücken . . . Aber — von vielen angefochten — erlitt er nicht nur keine Einbuße an seinem guten Namen, sondern sah, solange er lebte, den Ruhm seiner Verdienste nur steigen . . .' 21 22
„Du wirst auch auf dem Lande nicht mehr alles beim alten finden, Cato", sagt Sempronius, „wie lange ist es her, daß du deinen Hof nicht mehr besucht hast?" Cato rechnet zurück. „Ein Jahr mit zehn Monaten, und die beiden Schaltmonate dazu. Man war eben bei der Weinlese, als ich das letztemal in Tusculum weilte . . . " „Ich kam vor zwei Wochen", berichtet Sempronius, „von einer Reise nach Liternum, dem Gut der Scipionen, zurück, das ich vor einem Vierteljahr zuletzt gesehen habe. Dort hat man wie auf vielen Besitzungen begonnen, ein Latifundium, ein Großgut, einzurichten, überall führt man die Methoden der punischen Großwirtschaft ein, wie unsere Leute sie in Sizilien kennengelernt haben . . . " Cato ist in landwirtschaftlichen Dingen ein gut unterrichteter Fachmann. Eifrig unterbricht er den Freund und erklärt ihm die Methoden der karthagischen Landbebauung und die Vorzüge einer nach wissenschaftlichen Methoden betriebenen Ackerkultur. „Ich entsinne mich mit Bewunderung und Mißtrauen der afrikanischen Großgüter", sagt er, „die ich bei meinem Aufenthalt in Karthago zu Gesicht bekam. Wenn dieser besiegte Staat, der fest auf der Grundlage seiner Plantagenwirtschaft steht, in gleichem Maße fortfährt, seine Reichtümer zu mehren, wird er in wenigen Jahrzehnten eine größere Gefahr für Rom sein, als zu Zeiten Hannibals. . ." „Ich weiß, ich weiß!" lacht Sempronius, „Karthago muß zerstört werden . . . ! Aber ich staune, daß du — der Verfechter altrömischer Sitte — dich zum Wortführer der verderblichen Latifundienwirtschaft machst. Erkennst du denn nicht, daß die Großgüter die Bauern Italiens zugrunde richten? Es taugt nichts, daß die Fluren von den Sklaven bearbeitet werden und daß Hunderte von kleinen Bauernstellen in einer Hand vereinigt werden. Das sah ich deutlich in Liternum, als Gast der Scipionen, wo man jetzt ebenfalls begonnen hat, die angebauten Flächen maßlos zu vergrößern, die gemischte Acker- und Viehwirtschaft zugunsten der Beschränkung auf eine einzige Frucht aufzugeben und wahre Wein- und Ölfabriken mit Hunderten von Sklaven einzurichten." Catos Gesicht hat sich bei der Nennung des verhaßten Namens der Scipionen zornig gerötet. „Daß die Scipionen, neuerungssüchtig und von der griechischen Pest ergriffen", grollt er, „den guten Gedanken 23
der planmäßigen Wirtschaft mit ihrer Dummheit verderben, glaube ich gern. Aber ich bleibe dabei: Gewinn ist das letzte Ziel einer gutgeführten Gutswirtschaft, Gewinn aber erzielt heute nur noch das mit Sklaven betriebene, nach neuzeitlichen Gesichtspunkten gelenkte und an die großen Märkte angeschlossene Gut. . ," 22 „So ist es vielleicht auch kein Gerücht, daß du — der Verfechter altrömischer Einfachheit — zusammen mit Markus Servilius deine überschüssigen Kapitalien im Seehandel und in Getreideflotten angelegt hast und regen Anteil nimmst an den Geschäften der Männer, deren Sitten wir bekämpfen?" „An ihren Geschäften wohl, Sempronius, nicht aber an ihrer Verderbnis. Du kannst übrigens auch noch den Sklavenhandel hinzunehmen, damit dich nicht weitere Gerüchte zu belehren brauchen. Ich wäre ein Narr, offenbare Verdienstmöglichkeiten außer acht zu lassen, ich habe von Karthagern und Griechen auf meine Weise gelernt." * Einige Tage später ist Cato auf seinem Landgut. Für die erste Mittagsstunde hat er seinen Verwalter — einen Freigelassenen — zur Abrechnung bestellt, aber am Morgen begibt er sich nach altväterlicher Sitte mit der Schar seiner Sklaven auf die Felder, um mit ihnen gemeinsam zu arbeiten23. „In den Arbeitspausen speist er mit den Sklaven und teilt Brot und Wein mit ihnen, auch zankt er im Felde nie mit den Knechten, die ihm den Korb mit den Nahrungsmitteln nachtragen, sondern er hilft ihnen sogar bei der Zubereitung der Speisen .. ." Ja, Cato unterscheidet sich hier nicht einmal durch sein Kleid von den Sklaven; wie die Knechte trägt er zur Feldarbeit den groben, ärmellosen Leibrock, läuft barfuß und werkt mit Spaten und Hacke. Nach Stunden erst legt er den Spaten nieder und geht den Hang hinauf, der durch kleine Natursteinmauern in Terrassen gegliedert ist. Zahlreiche, neugepflanzte Obstbäume breiten hier ihre Zweige. Unter Aufsicht eines Gärtners beschneiden Sklaven die abgeernteten Bäume und binden sie an Pfähle. Mit Befriedigung sieht Cato, daß die afrikanische Feige, deren Anbau er in Italien eingeführt hat, wohlgedeiht; langsam 24
schlendert er zu dem kleinen Aufseherhäuschen, vor dem einige Sklaven mit der Ölpresse hantieren. Ach, da fahre doch der Höllenhund drein! Dieses schwerfällige Sklavenpack hat die Anordnungen des Verwalters immer noch nicht befolgt und arbeitet mit der plumpen, altertümlichen Presse, obschon längst befohlen ist, die neue, vier Fuß breite Preßscheibe — nach karthagischer Art mit Feder und Nut verfugt — zu gebrauchen. „Wie heißen diese Sklaven?" wütet Cato. Der ,Nomenclator', ein Sklave, der die Namen aller Knechte des Gutes kennt und der den Herrn bei seinem Rundgang begleitet, springt vor und benennt die Leute an der Ölpresse. „Der hier ist Smaragd, jener Beryll, dort stehen Thrax und Epirus, der Alte an der Kelter heißt Nießwurz." Der Zorn des Gutsherrn wendet sich dem weißhaarigen „Nießwurz" zu. Er tritt an den Greis heran, befühlt rücksichtslos die Oberarmmuskeln und das Fleisch auf den Rippen. „Wie alt bist du?" fragt er barsch. „Es werden bald sieben Jahrzehnte sein, Herr .. ." „Aede Pol!" sagt Cato anklagend, „man bestiehlt mich, ich werde mich an dem Lohn des Verwalters schadlos halten. Habe ich nicht tausendmal befohlen, alte Wagen, altes Eisen, alte Ochsen und alte Sklaven rechtzeitig zu verkaufen, ehe sie an Preis verlieren?" Zornerfüllt geht er in Richtung auf das weitläufige, im Viereck gebaute Gut davon. Der ,Nomenclator' — ein gebildeter Hellene aus der Beute des Antiochuskrieges — schaut ihm finster nach. „Ich für meine Person würde nicht einmal einen Ochsen, den ich für die Bestellung meines Feldes gebraucht habe, wegen seines Alters abschaffen oder verkaufen, viel weniger einen alten Knecht aus meinem Hause, aus meiner Kost und meinem Dienst jagen . . ., um ihn eines geringen Gewinnes wegen zu verkaufen .. ."24 Markus Porcius Cato fühlt sich hintergangen und betrogen. Bei Merkur, der den Handel beschirmt, er wird mit seinem Verwalter ein ernstes Wort reden . . .! * 4
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In der Gutsküche — einem rauchgeschwärzten und durch ein breites Oberlicht erleuchteten Raum im Hinterhaus — wird das Essen bereitet. Ein kupferner Kessel hängt über dem offenen Herdfeuer, Dampf steigt auf, und Küchensklaven und Mägde rühren in irdenen Töpfen. Als sparsamer Hausvater versäumt Cato nicht, in jeden Tiegel zu gucken und die Zutaten zu erfragen. Da hat der Verwalter zu viel öl bewilligt, dort ist das Mehl für die Sklaven zu weiß. Der Verwalter wirtschaftet unrentabel, man muß ihm in Zukunft genaue Verhaltungsmaßregeln geben. Cato — der von allen Dingen etwas zu verstehen glaubt — befiehlt großmütig, zu Ehren seiner Ankunft ein Festmahl nach seinem eigenen Rezept, das er in seinem Buch „De agricultura" niedergelegt hat, zuzubereiten. „Man nehme zehn Pfund Graupen, lasse sie in Wasser gut durchziehen, gebe sie in eine reine Wanne, nehme dazu dreißig Pfund frischen Käse, fünf Pfund Honig und zehn Eier, mische alles gründlich durch und bringe es in einem frischen Kessel ans Feuer . . ., das ist das treffliche karthagische Mus." Als eine Stunde später das Essen auf den Tisch kommt, ist auch der Verwalter von einem Gang ins nahe Dorf zurückgekehrt und wird eingeladen, am Tisch des Herrn Platz zu nehmen. Während die Sklaven draußen im Hof oder in der Küche essen, sitzen Cato und seine Familie im Atrium an dem mit grobem Linnen gedeckten Tisch; einfache Tonbecher werden von bescheiden gekleideten Dienern serviert. Cato als Familienoberhaupt spricht ein kurzes Gebet zu den Hausgöttern, dann beginnt der Sklave die Näpfe mit dem „karthagischen Mus" zu füllen, ein zweiter schenkt billigen Wein in die Becher. Cato nimmt als erster den holzgeschnitzten Löffel zur Hand und beginnt zu essen.
* Bildseite rechts: o b e n : Porträt des Cato; angeketteter Sklave als Türhüter; römische Frauentrachten; M i t t e : Bauern mit umgehängtem Schaffell; der Herd der römischen Küche; u n t e n : Aufzug zum Opferfest (Stier, Schafbock und Eber sind die Opfertiere, die zu Ehren der Götter geschlachtet werden)
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„Und nun, Verwalter, ein Wort zu dir!" Der Freigelassene duckt sich ergeben unter dem Blick seines Herrn, ängstlich legt er die Abrechnungsbücher vor, in denen die Erträgnisse und Ausgaben des Gutes verzeichnet sind. Nachdem Cato eine Weile gerechnet hat, schiebt er die Bücher zurück und schaut den Inspektor an. „Licinius, ich habe dir für alle Fälle des Alltags die genauesten und eingehendsten Anweisungen erteilt. Du weißt, wieviel Wein in jeder Jahreszeit auszuschenken ist und was für jeden Sklaven an Nahrungsmitteln aufgewendet werden darf. Solltest du die Ziffern nicht mehr im Kopfe haben, so wiederhole ich sie: für den Sklaven sind jährlich zu geben 20 Amphoren Weizen 25 , dreiviertel Modius Öl und eineinviertel Modius Salz, alle zwei Jahre erhält der Sklave eine Tunika und einen Mantel, macht pro Jahr und Kopf an Unkosten die Summe von 410Sesterzen." „Ich weiß es, Herr", versichert der Inspektor, „und ich habe mich bemüht, eher weniger zu geben, als mehr. Der Wein, den die Feldsklaven bekommen, ist unverkäuflicher Trester, das Mehl hat bereits Fäden gezogen, und Fleisch gebe ich nur aus, wenn ein Stück Vieh fällt." „Und wie hält es deine Frau, Licinius? Ich habe dir hoffentlich die richtige Gattin ausgesucht, auch ihr ist genau vorgeschrieben, wie sie sich gegen Sklaven und Nachbarweiber zu verhalten hat. Nirgends kann es fehlen, wenn ihr gehorsam seid." „Wir sind es Herr, wir sind es!" Der Verwalter zögert ein wenig, als habe er noch etwas zu sagen, aber schon donnert Cato zornig los. „Wie kommt es dann, daß der Hof bei achthundert Hühnern nur den Verkauf von achtzigtausend Eiern nachweisen kann, wo ich doch errechnet habe, daß viel mehr vorhanden sein müßte ? Der Eigenverbrauch darf selbst bei rund hundert Köpfen auf dem Hofe 10000 Stück im Jahr nicht übersteigen, es fehlen also immer noch Tausende von Eiern. Wo sind sie? Ich fordere Eechenschaft!" „Habe Erbarmen, Herr!" fleht der Gescholtene, „ich wollte dir schon lange Meldung machen, aber nun muß es sein: es gibt Diebe auf deinem Gut." „So nenne sie mir, und ich will sie bestrafen!" Stockend gibt der Inspektor die Namen an: Achaier, Jasmin und Lilie. * 28
Eine Stunde später sind die meisten Haussklaven mit ihren Kindern — armen, halbnackten Geschöpfen mit dünnen Ketten um die Hüften, die an die Fußgelenke geschlossen sind26 — auf dem viereckigen Innenhof des Gutes versammelt. Die schuldigen Knechte und die junge Magd Lilie sind vom Freigelassenen Burrus, einem herkulischen Thraker, der Strafgewalt hat, vorgeführt. Auf Catos Befehl werden die beiden Männer am Scheunentor an den gefesselten Händen aufgehängt. Der Achaier hat eine der rechtlosen Sklavenehen geschlossen, seine Frau — eine Gallierin aus dem Norden — und drei kleine Kinder stehen weinend dabei. Jasmin ist ein kräftiger Illyrer, der alles in Stumpfsinn und Verschlagenheit über sich ergehen läßt. Zitternd, mit Stricken gebunden, lehnt das Mädchen Lilie an der Mauer, sie wird ihre Schläge als Letzte bekommen. Der Thraker hat an die Füße der beiden Eierdiebe schwere Feldsteine gehängt, um die Züchtigung zu verschärfen. Cato wendet sich zu den Haussklaven und schilt mit heftigen Worten die begangene Untat. Er mahnt und warnt das Gesinde, daß bei einem Wiederholungsfall der Dieb ohne Gnade den Tod erleiden werde. Dann verlangt er die Peitsche mit den dünnen, geknoteten Lederriemen und läßt sie erbarmungslos auf die nackten Rücken der Diebe niedersausen. * „Licinius", sagt Cato am Nachmittag zu seinem Verwalter, den er inzwischen durch fortgesetzte Nörgeleien und habgierige Berechnungen fast zur Verzweiflung gebracht hat, „mir gefällt auch die Sklavenzucht auf dem Hofe nicht sehr. Heute traf ich an der Ölmühle einen Greis, der nächstens zusammenbrechen wird. Willst du mich um mein Vermögen bringen?" Der Verwalter hat die Frage längst gefürchtet. Dem alten Mann, den jeder auf dem Gut wegen seiner Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit gern hat, möchte er helfen. Er hat sich deshalb für diesen Fall bereits ein Ablenkungsmanöver ausgedacht. „Herr", sagt er, „du wirst dich sicher daran erinnern, daß du bei deinem letzten Aufenthalt dem hellenischen Sklaven Graecus ein Darlehen von 5000 Drachmen gabst, 29
damit er Kinder kaufen könne, um sie aufzuziehen und anzulernen. Nun hat Graecus Glück gehabt, die erworbenen Knaben haben sich anstellig gezeigt und sind als Schreiner, Schmiede und Töpfer schon sehr geschickt; zwei Mädchen entwickeln sich hübsch und verstehen zu tanzen. Auf dem Markt werden sie einen guten Preis erzielen, es sei denn, du wünschest die Kinder selbst zu behalten." „Gut so", sagt Cato und reibt sich zufrieden die Hände, „das höre ich gerne. Wenn Graecus so fortfährt, wird er in fünf Jahren die Summe verdient haben, um sich freizukaufen, denn ich lasse ihm zehn vom Hundert als Gewinn. Später wollen wir die junge Zucht besehen. Warum werden eigentlich so wenig Kinder auf meinem Gut geboren? Du mußt mehr Sklaven verheiraten, Licinius!" „Wir haben letztes Jahr drei Knaben und vier Mädchen Zuwachs bekommen . . . " „Zu wenig, Licinius! Aber ich werde mehr Leben in die Sache bringen; Markus Servilius ist dabei, die Sklavenzucht großartiger aufzuziehen, da werde ich nicht beiseite stehen." Plötzlich springt Catos unruhiger Geist wieder auf die leidige Frage der alten Sklaven zurück. „Dieser ,Nießwurz' an der Ölmühle muß verkauft werden. Er ist zu alt und stirbt bald." „Herr", wagt Licinius einzuwenden, „er hat vierzig Jahre fleißig auf dem Gut gearbeitet. . ." „Eben deshalb muß er fort. Vierzig Jahre ist zu lang, da hat sich seine Kraft verbraucht. Wir fahren morgen zum Markt nach Tibur." • 27 Auf dem kleinen Forum von Tibur drängen sich die Käufer und Zuschauer. Durch den Verkauf der Kriegsgefangenen der Feldzüge des Ämilius Paulus und des Licinius Anicius sind die Sklavenmärkte Italiens mit lebendiger „Ware" überfüllt. Cato geht mit seinem Verwalter von Stand zu Stand und schaut sich die ausgestellten Männer und Frauen an. Den alten ,Nießwurz' hat er einem mit allen Wassern gewaschenen Sklavenhändler in Kommission gegeben. Der Händler hat dem Alten die bleichen Wangen in einer kleinen Bretterhütte seines Standplatzes mit syri-
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schem E o t geschminkt und hat ihm etwas Belladonna in die trüben Augen geträufelt, damit er jünger aussehe. Die Mehrzahl der Sklaven auf den Brettergerüsten trägt Hüte auf dem Kopf als Zeichen dafür, daß sie aus Staatsbesitz kommen und ohne Gewähr für ihre körperlichen und moralischen Vorzüge verkauft werden. In dem stillen Winkel zwischen dem niederen Ratsgebäude und dem Tempel der Juno ist eine Anzahl von geschlossenen Bretterbuden aufgeschlagen, wo bessere Ware feilgeboten wird. Dorthin lenkt Cato seine Schritte. Einige Male bleibt er stehen und betrachtet die großen, schönen Menschen, die auf den offenen Gerüsten ausgestellt sind, Gallier und Illyrer mit wirrem, struppigem Barthaar. Auf Tafeln, die den Sklaven um den Hals hängen, sind ihre Vorzüge vermerkt. Als Cato Zeuge eines lärmenden Streites wird, in dem ein betrogener Käufer einem der Händler vorwirft, er habe ihm einen Ausbrecher und durchtriebenen Burschen als tüchtigen gallischen Bauern angepriesen, verliert er die Lust, hier einzukaufen. Auch bemerkt er am Halse eines Sklaven den verdächtigen Eisenring mit der Aufschrift .Bring mich zurück!' und der Adresse des Besitzers. Cato betritt die Bude eines Händlers, der ihm von dem Verwalter empfohlen ist, läßt sich einige junge Handwerker und Bauern vorführen und fragt nach dem Preis. „Es gehört zu meinen Grundsätzen", sagt er, „für einen Ackersklaven niemals mehr als 1500 Drachmen 28 zu geben, dann muß es aber allerbeste Ware sein!" „Wir werden einen vernünftigen Preis machen", erklärt der Händler verbindlich, und nach einem schnellen, abschätzenden Blick auf den vornehmen Kunden fährt er fort: „Ein Sonderangebot, Herr, ich habe hier einen hochgebildeten Hellenen aus Athen, er zitiert den ganzen Aristoteles auswendig." Schnell schiebt er einen Mann mit dem geistvollen Kopf eines Gelehrten vor und fordert ihn durch einen Rippenstoß auf, seine Künste zu zeigen. „Aristoteles lehrt", sagt der Hellene in gebrochenem Latein, „der Mensch habe zweierlei Bestimmungen: entweder als Herr zu leben und seinen Geist zur Höhe zu führen oder als Sklave die Voraussetzungen für das Leben der Herren zu schaffen. Doch — Herr — es gibt auch eine Stoische Schule. Ihr Vertreter Chrysippos sagt: 31
.Nächst den Göttern ehre die Mitmenschen und diene ihnen, sind wir doch alle verwandt und Gebilde derselben Vorsehung. Mache dabei ebenfalls wie die Götter keinen Unterschied zwischen Freien und Unfreien, Gebildeten und Barbaren .. .' " „Zehntausend Sesterzen29 für den klugen Mann!" triumphiert der Händler. Aber Cato schlägt dem Sklaven den Stock über den Rücken. „Ich will den hellenischen Klugredner nicht einmal umsonst!" schimpft er, „behalte ihn und versenk ihn ins Meer, da, wo es am tiefsten ist!" Wütend verläßt er die Hütte. Am anderen Ende des Forums steht noch immer der alte ,Nießwurz'. Ausdruckslos und verstört blickt er über das Gewühl der Köpfe, Tuniken und Togen hin, und wartet, ob sich irgendwer erbarmt, einen Mann an der Schwelle des Grabes zu kaufen und ihm das Gnadenbrot zu schenken. * Als Krates von Mallos von seinem Unfall soweit genesen ist, daß er, am Stocke humpelnd, das Haus verlassen kann, versucht er, sich seinen Lebensunterhalt durch Einrichtung einer öffentlichen Schule zu verdienen. Er mietet ein leerstehendes Gebäude und läßt in den vornehmen Häusern ansagen, er gedenke öffentliche Vorlesungen über Homer und seine Dichtungen zu halten. Bald ist er der Mittelpunkt eines großen Kreises von Ritterssöhnen und jungen Patriziern, bis im Herbst der alte Cato wieder seinen Wohnsitz in Rom nimmt und eine seiner berühmten Senatsreden gegen das Unwesen der griechischen „Jugendverführer" hält. Mit Dichtung und Klugrederei beginne es, mit Zweifeln an den alten Göttern gehe es fort und mit Umsturz aller bestehenden Verhältnisse ende es, ruft er den Senatoren zu. Catos Einfluß gelingt es, Krates den Aufenthalt in Rom zu verleiden und ihn zu veranlassen, in seine Heimat zurückzukehren. * Jahre später30 weilt wieder eine athenische Gesandtschaft in der Stadt, um eine Strafmaßnahme abzuwenden, die der römische Senat der ewig streitsüchtigen athenischen Bürgerschaft auferlegt hat. Führer der Gesandt32
schaft sind drei Philosophen: Karneades von Kyrene 3 1 , Diogenes von Seleukeia 32 und der Peripatetiker Kritolaos 33 . Es ist die alte römische Taktik, Bittgesandtschaften aus unterworfenen Staaten lange, manchmal jahrelang, warten zu lassen. Auch die Athener müssen bald erkennen, daß über ihr Gesuch nicht von heute auf morgen entschieden werden wird. Sie nutzen deshalb die Muße des unfreiwilligen Aufenthalts, um vielbesuchte Vorlesungen für die römische Jugend zu veranstalten. Karneades ist einer der bekanntesten Männer Griechenlands, in seinen Reden sprüht all der Witz und die Schärfe des hellenischen Geistes. Für die Römer ist es ein sensationelles Ereignis, wenn der Leiter der Athener Akademie ein und dasselbe Thema in der ersten Vorlesung unwiderlegbar verteidigt und es unmittelbar darauf mit bissiger Schärfe angreift. Der alte, einundachtzig jährige Cato beobachtet mit steigendem Mißtrauen die Tätigkeit der Griechen. Die Beliebtheit der Gelehrten bei den jungen Patriziersöhnen veranlaßt ihn zu erneuten wütenden Vorstößen in den Sitzungen des Senats. Karneades beklagt sich bei seinen römischen Freunden oft bitter über die Schwierigkeiten, die ihm von Cato und den Anhängern der konservativen Partei gemacht werden. An manchen Tagen sitzt er niedergeschlagen in dem freundlichen Zimmer, das Polybios, der einstige Pädagoge des Scipio Ämilianus, noch immer im Hause der Ämilianer bewohnt. „Rom ist barbarisch wie je, hart und wie in einen Eisenpanzer gehüllt!"' sagt er verärgert, „alles klirrt hier von Waffen, alles spricht von Krieg und Gewalt, alles heißt Zwang und Rückschritt." „So schien es mir auch", lächelt Polybios, „als ich vor vierzehn Jahren zum erstenmal diese Stadt betrat. Aber indessen habe ich einen anderen Eindruck von Rom bekommen. Hinter der steinernen Maske verbirgt sich echte, unwandelbare Tugend." „Tugend? Ich glaube nicht, daß es sehr tugendhaft ist, mit brutaler Militärgewalt alte Kulturvölker in die Knie zu zwingen, sich zur Weltpolizei aufzuwerfen und die Länder mit dem Anschein des Rechts auszuplündern." „Du siehst die Dinge zu sehr hellenisch", erwidert Polybios. „Rom hat eine Weltaufgabe übernommen, die das Hellenentum nicht mehr bewältigen konnte: den 33
Schutz der Kulturvölker vor den Barbaren. Es hat ein moralisches Recht auf die Vorherrschaft in Italien, weil es die italischen Stämme gegen die wilden Gallier schützte; und darin sehe ich seine Aufgabe: die Errungenschaften eines halben Jahrtausends gegen die Zerstörung und Brutalität der Barbaren des Nordens, Ostens und Südens zu schützen." „Ein Staat, in dem Männer wie dieser Cato den Kurs bestimmen, hat kein Recht, sich als Schutzmacht der Kultur zu bezeichnen", beharrt Karneades. „Cato gehört einer aussterbenden Generation an. Wenn du das neue Rom kennenlernen willst, dann empfehle ich dir einen Besuch im Hause des Tiberius Sempronius Gracchus, dessen hochgebildete, tugendhafte Gattin Cornelia die Adoptivtochter meines Patrons ist. Dort herrscht der Geist der echten Frömmigkeit des Römertums. Cornelia hat ihre Kinder, auf die sie mit Recht stolz ist, von hellenischen Pädagogen und Philosophen erziehen lassen. Und vergiß auch nicht den Mann, der mich in dieses Haus aufnahm: Ämilius Paulus. Brachte er nicht die Bibliothek des Perseus nach Rom und verwandte er nicht ein Leben darauf, sie zu studieren; ließ er nicht seine Söhne zu griechisch gebildeten Männern erziehen?" „Und doch hörte ich gestern", entgegnet Karneades voller Bitterkeit, „wie ein junger Römer seinem Begleiter zurief: ,Nützlicher ist mir mein Gaul, mein Reitknecht, Mantel und Zeltdach — als ein Philosoph.' "u Polybios erhebt sich und tritt an die Fensteröffnung, die durch die Bäume des Gartens hindurch den Blick auf das tiefer gelegene Forum freigibt. „Ich habe lange über das seltsame Doppelgesicht Roms nachgedacht", sagt er, „seit Jahren mache ich Aufzeichnungen, die vielleicht einmal zu einem großen Geschichtswerk zusammenwachsen werden. Darüber bin ich mir heute ganz klar: Rom besitzt nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft. ,In etwa fünfzig Jahren vollzieht sich das Wunder und gründet sich ein Reich, das alle berühmten Reiche an Ausdehnung weit hinter sich läßt. Es umschließt die Erde, es bewacht und schützt die zivilisierten Nationen vor den Wilden, die aus ihren Wäldern und Sümpfen dagegen aufbrechen. Da die Göttin des 34
Glückes, Fortuna, sich anscheinend nur das Ziel gesetzt hat, Eom zu fördern, so will ich bei meiner Geschichtsschreibung alles unter diesem Gesichtspunkte zusammenfassen und die Mittel darstellen, deren sich Fortuna zu diesem Zwecke bedient. Ich erbitte von den Göttern, was mir an Tagen bleibt, in Rom zubringen zu dürfen, diesen Freistaat — allgemein beneidet — blühen und wachsen zu sehen, der sich so entwickelt, daß sein Gedeihen und sein Glück unvermeidlich sind.' " 35 * Wenige Tage später stimmt der Senat einem Antrag Catos zu, die athenische Philosophengesandtschaft aus Rom auszuweisen. Vergeblich waren die vermittelnden Bemühungen der Hellenenpartei; es hatte dem alten Löwen Cato sichtlich Freude gemacht, gleichzeitig mit den verhaßten Griechen auch dem „Scipionenkreis" eine Niederlage zu bereiten. Nach der entscheidenden Sitzung des Senats geleiten die hellenisch gesinnten Römer die Ausgewiesenen zum Haus des Scipio Ämilianus. Der Kreis, den man in Rom den „Scipionischen" nennt — außer Scipio Ämilianus sind es der gelehrte Polybios, der Poet Terentius36, Lucilius, der Satirendichter, und der Senator Naevius —, all diese Männer sind bemüht, die zornige Erbitterung der Griechen zu besänftigen. „Ihr müßt Rom zu verstehen suchen, Freunde", sagt Scipio. „Wir befinden uns wieder einmal kurz vor einem neuen Kriege. Karthago ist in der langen Friedenszeit seit Zama wieder mächtig und reich geworden. Eines Tages wird es den Versuch unternehmen, seine alten Besitzungen und Machtstellungen wiederzugewinnen. Dieser Gefahr wird Rom zuvorkommen. In Spanien gärt es immer noch, und der Osten fügt sich nur widerwillig der römischen Gewalt. Unser Staat braucht in dieser Zeit ein hartes, kriegerisches Geschlecht. Die Nationalpartei mit ihrem Vorkämpfer Cato glaubt, daß mit dem Eindringen griechischer Geisteskultur in Rom die Jugend dem Schwert entwöhnt werde, daß die Philosophie aus einem Soldatenvolk eine Nation von verweichlichten Schwärmern und Schwätzern mache. Als ihr, meine hellenischen Freunde, 35
in euren Häusern und Schulen Vorlesungen über griechische Philosophie abhieltet, entfesselte Cato einen Sturm der Entrüstung. Er sagte—wie ihr soeben in der Kurie vernommen habt, — daß Rom auf die widerspruchsvollen Weisheiten der griechischen Schulen ebenso verzichte wie auf eine Redekunst, die nach den Worten von Isokrates eine ,Lehre ohne Ende' ist. Cato wünscht, daß die römische Jugend unbeschwert und im Geist der Väter erzogen werde." „Wenn jemand in Rom den Namen ,Barbar' verdient", entgegnet Kritolaos mit zornbebender Stimme, „dann ist es Cato. Jeder Töpfer in Athen hat mehr Bildung als dieser haßverhärtete Greis. Aber ich sage euch: Selbst wenn es tausend Catos in Rom gäbe, so könnten sie doch die Hellenisierung dieser Stadt nicht mehr aufhalten. Uns hat man ausgewiesen, aber die Tempel und Häuser mit den dorischen und ionischen Säulen können sie nicht mehr abreißen, die Marmorfiguren in den Bogenhallen und Sälen nicht in den Tiber werfen. Rom wird ein griechisches Antlitz erhalten, ob es will oder nicht. Hellas ist heute schon überall in Rom, seit Flamininus, Fulvius Nobilior, Metellus und Ämilius Paulus die Hallen und Plätze mit hellenischen Plastiken füllten. Die griechischen Bildhauer, Maler, Lehrer und Arzte wohnen mitten unter euch Römern, und es wird der Tag kommen, an dem man den Philosophen Denkmäler auf dem Forum errichtet." Scipio Ämilianus steht schweigend auf, öffnet einen Schrank und entnimmt ihm nach kurzem Suchen eine Schriftrolle. Ein belustigtes Lächeln liegt auf seinem Gesicht, während er die Zeilen überfliegt. Dann beginnt er, eine Stelle aus dem Papyrus vorzulesen. „Von diesen Griechen werde ich sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen über sie in Erfahrung gebracht habe und will es beweisen, daß es wohl nützlich sein kann, ihre Schriften einzusehen, nicht aber durchzustudieren. Es ist eine grundverdorbene, unregierbare Rasse — das ist wahr wie ein Orakel — und wenn dieses Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles verderben, ganz besonders aber, wenn es seine Ärzte zu uns schickt. Die haben sich verschworen, alle Barbaren umzubringen und lassen sich noch bezahlen d a f ü r . . . " Als Scipio die empörten Mienen seiner griechischen Gäste sieht, lacht er laut auf. 36
„Genügt das?" fragt er. „Ich las ein paar Sätze aus einem der gelehrten Handbücher, die Cato seinerzeit für seinen verstorbenen Sohn Marcus verfaßt hat. Da habt ihr den einen Cato, den Konservativen, den Griechenhasser ; der andere ist der entschlossene, umsichtige Truppenführer und Politiker, auf dessen erfahrenen R a t selbst seine Feinde hören. Es gibt noch einen dritten Cato, und das ist der überraschendste: Ein Mann, der sich seit Jahrzehnten um die Dinge der lateinischen Bildung bemüht, der in Wort und Schrift für die Schaffung einer eigenen römischen Kultur eintritt, die der griechischen ebenbürtig ist. Weil es bisher keine bedeutenden Historiker in Rom gab, hat Cato versucht, mit Hilfe der Jahrbücher, die im Rathaus verwahrt werden, ein römisches Geschichtswerk zu schaffen. ,Die Ursprünge' nennt er die Schrift. Griechische Kenner der lateinischen Sprache behaupten, er habe damit die Schriftsprache Roms entwickelt. Seine Bücher tragen dazu bei, daß das Latein endgültig zum herrschenden Dialekt Italiens wird. Cato hat außerdem eine Reihe von .Handbüchern' über alle möglichen Themen — von der Landwirtschaft bis zum Waffendienst — verfaßt, eine wahre Enzyklopädie 37 des römischen Wissens." „Ich habe einmal einen Blick in die Machwerke dieses bücherschreibenden Bauern geworfen", grollt Kritolaos verächtlich. „Eine elende Stümperei, ohne Verstand und Logik. Cato müßte einmal in eine griechische Schule gehen, damit er sich wenigstens das primitivste Wissen aneignete. Dann werden seine Sätze auch nicht mehr dahinpoltern wie das rohe Gestammel eines betrunkenen Troßknechtes. . . ! " „Dein berechtigter Zorn läßt dich ungerecht werden", erwidert der Dichter Terentius begütigend. „Ich habe mich längst mit der Tatsache abgefunden, daß Geist, Kultur und Schönheit nur geduldete Bettler in Rom sind. Solange Rom die halbe Welt zu Feinden hat, solange ist eben das Schwert wichtiger als der Schreibgriffel. Ihr seid freie Männer, eure Namen kennt man in Capua ebenso wie in Susa und Alexandria, überall wird man euch gastlich aufnehmen. Morgen schüttelt ihr den Staub Roms von euren Füßen, und nach kurzer Zeit werdet ihr an den Aufenthalt hier bei uns wie an einen bösen Traum denken. Wir armen römischen Poeten aber müssen weiter den täglichen Kampf gegen Unbildung und Rückständigkeit führen. Wie oft ist 37
es geschehen, daß die schlecht zahlenden Zuschauer meiner Theaterbude mitten in der Vorstellung lärmend davonliefen, weil sich plötzlich das Gerücht verbreitete, im Flaminischen Circus trete eine capuanische Fechterbande oder eine afrikanische Seiltänzergesellschaft auf. Ach, es ist ein Elend, in Rom Poet oder Philosoph zu sein." „Nun", wirft lächelnd der Hausherr ein, „gar so schrecklich ist meines Wissens dein Geschick nicht, du armer Poet! Hast du nicht — nachdem du selbst kaum der Sklaverei entronnen bist — zu Hause eine Sklavin, die dir deine Wohnung in Ordnung hält? War ich nicht selbst Zeuge, wie dir dein Theaterdirektor Ambivius Turpio nach dem großen Erfolg der ,Andria' deine Trinkschale gehäuft mit Silber füllte? Und stand ich nicht selbst zufällig hinter dem Türvorhang, als du vorgestern meinen Koch beschimpftest, weil der Hahn, den er dir gebraten hatte, angeblich nicht zart genug war? Wahrhaftig, du bist ein bemitleidenswerter Dichter . . .!" „Halt ein . . .! Hab Erbarmen . . .!" ruft Terentius mit komischem Entsetzen, so daß sogar die Griechen für einen Augenblick ihren Zorn vergessen und in das Gelächter der anderen einstimmen. „Eine gute Wirtschafterin und gebratene Hähnchen sind nur ein schwacher Ersatz für die täglichen Ängste und Sorgen, die ein Dichter der Tiberstadt auf seinen schwachen Schultern zu tragen hat. Ihr lacht. . .? Nun, hier ist ein Beispiel! Ihr kennt alle die .Aulularia', die Komödie des verstorbenen Dichters Plautus. Kürzlich führte man sie im Theater am Kohlmarkt wieder einmal auf, und dabei gab es einen Tumult, bei dem die ganze Bühnenemrichtung zerschlagen wurde und die Schauspieler blutige Köpfe davontrugen. Unter den Zuschauern war ein Dutzend Patriziersöhne, die an einer Stelle, wo Plautus einen Wucherer und Geizhals lächerlich macht, plötzlich die Bühne stürmten und mit blanken Schwertern auf die Darsteller eindrangen. Die Verse, die den Aufruhr verursachten, lauten: , Wie steht's, ihr lacht ? Ich kenn' euch alle und ich weiß, Es sind auch Diebe unter euch, die kleiden sich In weiße Unschuld, sitzen da wie brave Leut' Versteht ihr die Anspielung, die der alte Plautus hier gewagt hat? ,In weiße Unschuld kleiden sich. ..' Nun, die Rittertoga ist weiß und hat nur einen schmalen Pur38
pursaum, und zu den Rittern zählen die meisten Kapitalisten! Das Volk hat gejubelt, aber die Rache der Betroffenen ließ nicht auf sich warten. Und deshalb, ihr Freunde aus Hellas, vergeßt die euch angetane Schmach und seid glücklich, daß ihr Rom den Rücken kehren könnt. Ihr kommt aus dem Schatten und geht in das Licht der Freiheit des Geistes . . . "
* „Ceteruni censeo, Carthaginem esse delendam", mit diesen Worten pflegt Marcus Porcius Cato jede seiner Reden vor dem Senat zu schließen: „Im übrigen bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß!" Das tiefe Mißtrauen des Alten gegen Karthago wurde zum wilden Haß in jenen Tagen, da er als Mitglied einer römischen Schiedskommission in Afrika weilte. Als die Abordnung durch die blühende und geschäftige, von mehr als einer halben Million Menschen bewohnte Hauptstadt schritt und die mächtigen Kontorhäuser, die marmorstolzen Paläste und weiten Plätze sah; als Cato das Gewimmel des Hafens und die Mauern mit Magazinen und Geschützlagern überblickte, erfaßte den Greis, der als Knabe Hannibal vor den Toren Roms erlebt, der als Siebzehnjähriger in der Schlacht am Metaurus mitgefochten hatte, eine panische Furcht vor dem durch alle Niederlagen ungebrochenen Feinde. Von diesem Tage an war Cato überzeugt, daß Karthago zerstört werden müsse, wenn Rom in Ruhe die Früchte seiner Siegesbeute ernten wolle. Hinter dem Alten stehen — ohne daß er es ahnt — die Bankiers und die Handelsherren. Denn in Wahrheit wird der Staat Karthago den Römern niemals ernsthaft gefährlich werden können. Der Friedensvertrag nach Zama hat die Stadt völlig der Gnade der Sieger ausgeliefert. Aber Karthago ist zu reich geworden! Jedes Handelsschiff, das afrikanischen Weizen in einem italienischen Hafen auslädt, erregt den Neid der römischen Kaufmannspatrizier. Das nordafrikanische Küstenland wäre zudem ein gewinnbringendes Absatzgebiet für römische Waren, in Libyen und der Cyrenaika könnte man ungeheure Gelder aus den riesigen Plantagen erpressen. Deshalb muß Karthago zerstört werden! 39
Karthago 1 Handelshafen; 2 Kriegshafen; 3 Kathaus und Forum; 4 Byrsa (Begierungsgebäude); 5 Apollotempel; 6 karthagische Gräberstadt
Bei der Ordnung der afrikanischen Verhältnisse nach dem Friedensschluß hatte Rom seinen politischen Grundsatz : Divide et impera — teile und herrsche — angewandt. Zwischen Massinissa, dem römisch gesinnten König Großnumidiens im Hinterland Karthagos und der Handelsmetropole wurde ein künstliches, ganz unnatürliches Gleichgewicht der Kräfte geschaffen. Der Friedensvertrag verbot den Karthagern, selbst auf afrikanischem Boden Kriege ohne Einwilligung Korns zu führen. Schon die erste Hälfte des Jahrhunderts aber war erfüllt von den Angriffen des unersättlichen Numidiers gegen Karthago. Der König erlaubte sich Übergriffe, die kein Staat dulden konnte; er bemächtigte sich karthagischer Besitzungen, wann immer er wollte; verbannte Hochver-10
räter führte er unter bewaffneter Drohung in die Mauern der Stadt zurück. Als alle Anrufungen der römischen Schiedsgewalt ohne Erfolg blieben, raffte sich die gequälte Stadt zum Handeln auf. Karthago traf alle Vorbereitungen zum Kampf gegen Massinissa. Rom ließ die Herren Karthagos rüsten, bis es kein Zurück mehr gab. Dann erst rief es sein Veto! — Ich verbiete! Wie die gnadenlose Stimme des Schicksals erhob sich jeden Tag von neuem im Senat der Ruf des alten Cato zu der furchtbaren Drohung: Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam! * Eine Gesandtschaft überbringt den Karthagern die Forderung Roms: Die Stadt hat sogleich 300 Geiseln aus den Familien der Vornehmen zu stellen, es muß unter römischer Aufsicht seine Kriegsflotte zerstören und das aufgestapelte Kriegsgerät an den in Lilybäum weilenden Konsul ausliefern. Dafür garantiert Rom den Schutz der karthagischen Gemeinde, das Staats- und Privatvermögen und das karthagische Recht. Was bleibt der Metropole anderes übrig, als sich zu unterwerfen? In Lilybäum laufen fristgerecht die Schiffe ein, die das Gerät der Flottenarsenale und Zeughäuser, darunter allein 3000 Wurfgeschütze und 250000 vollständige Rüstungen bringen. Rom sieht sich am Ziel seiner Wünsche: Karthago ist hilflos der Willkür des Überwinders preisgegeben. Mit erbarmungsloser Grausamkeit führt der Konsul L. M. Censorinus den nächsten Schlag. Er übermittelt den karthagischen Gesandten ein Ultimatum mit der Forderung, daß die Karthager ihre Stadt zerstören sollen und sie mindestens zwei Meilen von der Küste entfernt wieder aufbauen dürfen. Das ist kalter Mord an Hunderttausenden von Menschen, die in den Wüsten des Landinnern verhungern, verdursten und verkommen müßten. Mit fassungslosem Entsetzen vernehmen die Gesandten die furchtbare Drohung Sie ahnen, daß die Schicksalsstunde ihrer achthundertjährigen Geschichte geschlagen hat. „Tötet uns!" ruft einer der Karthager dem Konsul zu, 41
„denn das Ende kommt schneller und gnädiger, wenn ihr das Volk erschlagt und die Stadt am Leben laßt, als wenn die Stadt zerstört wird und das Volk in unabsehbares Elend g e h t . . . ! " Dreißig Tage Frist gibt der Konsul der Stadt, damit sie sich auf ihr Ende vorbereiten kann, dann wird ein römisches Heer die Durchführung des Henkerspruches erzwingen. * Karthago ist nur noch durch die Natur seiner Lage geschützt. In den Tunesischen Golf zwischen Kap Farina und Kap Bone springt eine westöstliche Landzunge vor, die, an drei Seiten vom Meer umbrandet, nur an der vierten zum Festland Verbindung hat. Diesen felsigen und sicheren Platz haben die Vorfahren der Karthager für ihre Stadt erwählt und ihn durch die Anlage gewaltiger Mauerwerke beinahe uneinnehmbar gemacht. Der von Klippen und Felsvorsprüngen gesicherte Hafen greift mit seinem künstlich erweiterten Becken tief in das betriebsame Herz der Stadt, das von der Festung Byrsa überragt wird. Mehrere Einge übereinander angelegter Mauern mit tiefen Gewölben und Kellern umgürten Karthago. Aber die Magazine sind geleert, die Geschütze in Lilybäum zertrümmert, die Waffen abgeliefert. Dreißig Tage hat Karthago Frist! In dieser kurzen Zeit geschieht das Unglaubliche: Die halbe Million verzweifelter Menschen schafft sich angesichts eines heranrückenden, römischen Heeres eine neue Eüstung. Sie brechen die Staatsgebäude ab, um schnell trockenes Holz und schmiedbares Metall zu gewinnen, für die Sehnen der Schleudergeschütze opfern die Frauen ihr Haar, ohne Standes- und Geschlechtsunterschied wird Tag und Nacht gearbeitet, bis die abgelieferten Steinschleudern, Schilde, Schwerter und Lanzen neu erstanden sind. Als nach vier Wochen das römische Korps, nur mit Leitern ausgerüstet, vor den Stadtmauern erscheint, um den grausamen Schiedsspruch durchzuführen, wird es mit einem Hagel von Wurfgeschossen aus Hunderten von Geschützen empfangen. Der Wutschrei der Belagerten übertönt das Getöse des Kampfes: der dritte und letzte karthagische Krieg hebt an!38 42
Als das Bingen um die Stadt zwei Jahre dauert und die Kämpfe sich auf ganz Libyen ausdehnen, entschließt sich der Senat, die Führung des afrikanischen Feldzuges dem erst achtunddreißigjährigen Konsul des Jahres zu übertragen, den der Glanz seines Namens wie die persönliche Tüchtigkeit gleichermaßen empfehlen: Scipio Ämilianus, der Sohn des Siegers von Pydna, geht mit einem neu aufgestellten Heer nach Afrika. * Dem Konsul folgen seine gelehrten Freunde, unter ihnen der alte Polybios, der an seinem großen römischen Geschichtswerk schreibt. Während Scipio den eisernen Eiegel vor die sterbende Stadt legt, schickt er Polybios mit einer Flottenabteilung auf Forscherreise zu den nördlichen und westlichen Küsten Afrikas. Im Feldlager vor Karthago schlagen Schauspieler ihre Bretterbuden auf und unterhalten Offiziere und die Gebildeten unter der Mannschaft mit Komödien des Plautus und des früh verstorbenen Terentius; die Masse der Soldaten freilich läuft zu Gladiatorenspielen, Bennen und in die Zelte der Gaukler. Ununterbrochen stürmt Scipio gegen die Mauern. Seine Kriegskunst erzielt einen ersten Erfolg, als die Bömer den äußersten Mauerring einnehmen und das Vorfeld der Stadt von streifenden Abteilungen säubern. Dann aber stehen sie vor den glatten Quaderfelsen der inneren Stadtmauer. Der unfähige karthagische Feldherr beschränkt sich darauf ,Grausamkeiten zu ersinnen und eine blutige Schreckensherrschaft zu errichten. Er läßt die römischen Gefangenen auf den Mauerzinnen vor den Augen des Belagerungsheeres unter gräßlichen Martern hinschlachten und die verstümmelten Leichname in die Tiefe stürzen. Damit versperrt er jeden Weg der Gnade für Karthago und zwingt die ganze Bevölkerung, zusammen mit ihm und seiner Kaste in den Untergang zu gehen. j, Scipio kämpft mit Beharrlichkeit und Klugkeit. Um die Zufuhren der Metropole abzuschneiden, beginnt der Bömer mit dem Bau eines Steindammes, der die Hafenausfahrt blockieren soll; Türme wachsen aus dem flachen Meer empor, immer weiter schiebt sich der Deich vor, bis 43
er schließlich die Einfahrt in den Hafen beherrscht. Der Hunger hält Einzug in Karthago. In wütendem Ansturm gelingt es zwar den Verzweifelten, für kurze Zeit den Damm in ihre Hand zu bekommen, aber bald sind die Legionäre Scipios wieder im Besitz dieser entscheidenden Ausgangsstellung. Die Karthager geben nicht nach. In aller Heimlichkeit schlagen sie einen Kanal durch den Felsen, der den Kriegshafen vom Meere trennt, und eines Tages läuft die Schlachtflotte völlig überraschend für die Belagerer in östlicher Kichtung aus dem gesperrten Hafen. Doch am Ende siegen Ausdauer und die größeren Mittel über Tollkühnheit und Verzweiflung. Im Frühling des Jahres 607 nach Gründung Korns, nach einjähriger Belagerung durch Scipio, beginnt der entscheidende Sturm. Die Legionäre ersteigen die Mauern, überwältigen die halbverhungerten Verteidiger und dringen in die Straßen der Innenstadt ein. Sechs Tage währt das grauenvolle Blutbad. Der letzte Kampf tobt um die Felsenburg Byrsa, auf der sich der karthagische Befehlshaber mit dem Rest der Bevölkerung — etwa 30000 Männern und 25000 Frauen — verschanzt hat. Die Kömer müssen sich von Terrasse zu Terrasse, durch die Porphyrgänge, die gewaltigen Gewölbe der Paläste, über Tempelplätze und durch Torbauten emporringen ; nur langsam stirbt das Herz Karthagos. Immer größer werden die grauen Elendszüge der Gefangenen, die zu den Sklavenpferchen getrieben werden. Auf höchster Klippe, um einen Tempel, in den sich der Feldherr mit seiner Familie und einigen hundert Getreuen geflüchtet hat, rast der Endkampf. Als die Eingeschlossenen die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage erkennen, zünden sie das Haus an. Ein einziger rettet sich aus der lodernden Hölle, umfaßt die Füße Scipios und bettelt kniefällig um sein verlorenes Leben: Hasdrubal, der letzte Feldherr Karthagos. Aufgelöst in Raserei und zu verzweifelter Größe entflammt, ruft die Gattin Hasdrubals dem elenden Gemahl durch das Toben der Schlacht zu, er möge sorglich sein kostbares Dasein schonen; dann wirft sie sich selbst mit ihren Söhnen in die Glut des zusammenstürzenden Tempels. * ii
Die Ruinen Karthagos und alle Städte, die ihm verbündet geblieben sind, werden von Scipio dem Erdboden gleichgemacht. Als nach zwei Jahrtausenden die Schutthügel der untergegangenen Metropole aufgegraben werden, findet man die Fundamente der Stadtmauern mit einer meterhohen Schicht von verkohlten Holzstücken, Eisenteilen und Schleuderkugeln bedeckt: ein gewaltiges Grabmal der Stadt, deren große Geschichte in Blut und Feuer endete. * In derselben Art, wie es Karthago vernichtet, löst Eom auch das hellenische Problem. Rücksichtslos und brutal reißt es die begehrten Märkte des Ostens an sich. Die moralische Vorbedingung schafft das verblendete Griechentum selbst, indem es sich auf immer neue Verschwörungen und Unruhen einläßt. Die Drahtzieher der neuen Weltpolitik schicken die Legionen als Werkzeuge ihrer egoistischen Pläne ins Feld, sie bewirken die Ablösung des hellenisch gebildeten Metellus und machen L. Mummius 39 , der seine Aufträge ausführt, ohne nach ihrer sittlichen Berechtigung zu fragen, zu seinem Nachfolger. Vergeblich versucht Polybios, die bedrohte Heimat zu retten. Mummius zerstört das reiche, den römischen Kaufleuten als Umschlagplatz des Ostens besonders verhaßte Korinth und legt damit eine neue Handelsstraße für Rom frei. Die unglücklichen Einwohner der Stadt werden als Sklaven verkauft. Delos—die von römischen Legaten beherrschte Insel — übernimmt künftig die Rolle Korinths im Welt verkehr. Der römische Senat benützt die Polizeiaktion zu einer umfangreichen Sklavenjagd. Aus Thrakien, Illyrien und Hellas wandern die Arbeitskräfte nach Italien und Sizilien oder auf die neuerworbenen Plantagen in Afrika. Makedonien, Illyrien und Griechenland werden zu Provinzen erklärt. Selbst die treuen Freunde Roms, Pergamon und Rhodos, spüren die harte Hand der alten Bundesgenossin und Beschützerin. Sie werden gezwungen, die Gewinne aus dem Antiochuskrieg wieder herauszugeben. Alle Syndikate und Handelsmonopole der hellenischen Welt verfallen der Auflösung. Scipio Ämilianus, dem der Ehrentitel seines Großvaters verliehen wird — ,Africanus minor' 40 nennt man ihn —, 45
geht nach Spanien, um auch hier den Aufstand der Eingeborenen zu beenden. Die Willkür und Härte der Eroberer hat die Iberer zu einer letzten, blutigen Erhebung getrieben. Um die Zeit, da Scipio eintrifft, ballt sich der Krieg um die feste Stadt Numantia am oberen Duerro. Zehn Jahre lang donnern die Wurfgeschosse über die Wälle der Stadt, bis endlich Scipio seine Sturmtruppen über die Mauern führt41. Siegreich und triumphierend breiten Roms Adler die Schwingen vom Westen bis zum Osten der Mittelmeerwelt, niemand ist mehr, der die Hand zum Widerstand erhöbe. Die Republik ist zum Imperium, zum Weltreich geworden . . . Als Cato noch lebte, hatte er dem Volke einmal die Frage zugerufen: „Was soll aus Rom werden, wenn es keinen Staat mehr zu fürchten hat?" Dieser Augenblick scheint nun erreicht zu sein. Das fühlt auch Scipio Ämilianus, der namhafteste der jüngeren Generation, als er bei Niederlegung des Zensoramtes die überlieferten Worte der Formel: „Die Götter mögen geben, daß der Staat mehr Macht und Herrlichkeit gewinnt", dahin verändert: „Wollen die ewigen Götter das Vaterland erhalten!" In dem Unterschied zwischen diesen beiden Aussprüchen liegt Roms Schicksal umrissen: seine Größe und seine Gefährdung. * Der römische Staat ist auf der Höhe seiner unbestrittenen Gewalt in größere Gefahr geraten als jemals in seiner Geschichte, obwohl niemand in der Wxelt daran denkt, sich gegen die Herrschaft der Weltmetropole aufzulehnen. Rom kämpft gegen sich selbst, es ist dabei, sein Gebäude von innen her zu zerstören. Die alte römische Tugend und Sittenstrenge, die einst die Größe des Reiches begründet hat, ist seit den letzten Kriegen noch mehr dahingeschwunden. Die Lebensart der Besiegten hat die Sieger infiziert. Der Luxus des Orients, die Entartung der Griechen und der Materialismus der Karthager haben immer weitere Kreise des römischen Volkes erfaßt. Allmählich zerfällt auch jene Grundlage des alten Rom, die den Staat alle Erschütterungen des Hannibalischen 46
Krieges überstehen ließ: das patriarchalische Verhältnis zwischen den Klassen der Bevölkerung und das geordnete Schutzbündnis zwischen Rom und seinen italischen Nachbarn. Der Hochmut der reichen, mächtigen Patrizier verachtet die Masse des großstädtischen Proletariats, und Rom weigert den getreuen Bundesgenossen trotz der Blutopfer, die die italischen Gemeinden in den Kriegen der vergangenen Jahrzehnte gebracht haben, immer noch das Vollbürgerrecht. Die Einwohner der römischen Provinzen werden sogar kaum besser behandelt als Sklaven. Nur derjenige, der sagen kann „civis romanus sum!" — ich bin römischer Bürger! —, hat Anteil an dem Glanz der Weltherrschaft und ist befreit von allen Steuern und Abgaben. Diese uralte Auffassung von der „Polis"42 oder „Urbs" 43 paßt nicht mehr in die neue Zeit. Die italischen Stämme und Städte, deren Männer unter den römischen Adlern in West und Ost gefochten haben, wollen nicht mehr als Diener der Herren in Rom gelten, sie fordern laut ihren Anteil an dem gemeinsam erkämpften Weltreich und verlangen alle Rechte des Vollbürgers. Diese Forderung ist vorläufig noch ein unerreichbares Ziel; denn nicht einmal die alteingesessenen Römer haben innerhalb der Stadtmauern die gleichen Rechte. Zwar tragen die römischen Staatsdokumente, Inschriften und Standarten das Zeichen SPQR — Senatus Populusque Romanus — Senat und Volk Roms —, aber die politische Wirklichkeit sieht anders aus. Der goldene Segen, der sich aus den Provinzen über die Republik ergießt, die gewaltige Macht, die sich in den Händen der herrschenden Männer ballt, haben die Kluft zwischen Patriziern und Plebejern neuerdings und schärfer denn je aufgerissen. In der Partei der Optimaten, der „Besten" der konservativen römischen Oberschicht, sind alle adeligen und die durch Geld, Besitz und Ämter ausgezeichneten Männer zu einer Einheit zusammengefaßt; ihr stehen die Populären gegenüber, die Partei des Volkes, das sich von Gewinn, Mitbestimmung und hohen Ämtern ausgeschlossen sieht. Eine Minderheit von wenigen Familien stellt die Konsuln und hohen Staatsbeamten. Seit es Provinzen gibt, teilen sich die alten Geschlechter in die fetten Pfründen, indem sie die Konsuln oder Prätoren nach Ablauf ihrer Amtszeit als Pro-Konsuln oder Pro-Prätoren zu Statthaltern machen. 47
Weil nach römischem Gesetz die Ämter jährlich wechseln, sind die Verwalter der Provinzen bemüht, sich in der kurzen Frist von zwölf Monaten mit allen Mitteln zu bereichern. Es kommt häufig vor, daß der Pro-Konsul seine Statthalterei gar nicht persönlich übernimmt, sondern die einträgliche Verwaltung gegen eine entsprechende Pauschalsumme einem Generalpächter übergibt. Diese Eintreiber der verpachteten Zölle, Steuern und sonstigen Abgaben entstammen meist dem Ritterstande, sie sind Großunternehmer, Bankier und Gouverneur in einer Person. Jeder versucht, nicht nur den Pachtzins, sondern darüber hinaus riesige Summen für eigene Rechnung zu erpressen. Die Provinzen fürchten nichts mehr als den häufigen Wechsel der Statthalter oder Generalpächter; denn je kürzer die Amtsperiode ist, um so rücksichtsloser sind die römischen Beamten. In wenigen Monaten sammeln sie auf diese Weise ungeheure Vermögen an, während ganze Landstriche in den ausgeplünderten Gebieten verarmen. Die Gewinner der neuen Ordnung üben rücksichtslos ihre Gewaltherrschaft aus. Der sizilische und afrikanische Getreidehandel, die Ernten Ägyptens und Sardiniens sind Ausbeutungsgut der römischen Patrizier-Kaufherren geworden. Das billige Korn der Provinzen strömt nach Italien und richtet die Klein- und Mittelbauern, die nicht von Zöllen geschützt sind, zugrunde. Überall wird Boden frei zur Ausdehnung der mit ausgeklügelten Methoden betriebenen Riesengüter. Auch die verschuldeten Pächter und Soldatenkolonisten müssen ihre Heimstatt verlassen und wandern als arbeitsloses Proletariat in die Großstadt ab. Die Geldherren aber erwerben die Äcker zu Schleuderpreisen und begründen immer neue „Landwirtschaftsindustrien" nach karthagischem Muster. Auch die gewerblichen Großbetriebe, die Tonwaren-, Waffen- und Textilfabriken, arbeiten nach modernen Methoden. Wie die Landgüter werden auch sie von billigen Kräften betrieben, den Massen der rechtlosen Sklaven, die Bildseite rechts: o b e n : Kölnische Beamte; Tunika und Toga (die Tunika war das römische Untergewand, Breite und Zahl von Purpurstreifen zeigten den Bang des Trägers an. Darüber wurde die Toga geschlungen, die Senatoren trugen die Toga mit Purpurrand); M i t t e : Adlerstandarte; Heiter; Handwerker; u n t e n : Gladiatorenkampf mit wilden Tieren
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von den Kriegsschauplätzen und aus den eroberten Ländern und Städten nach Rom strömen. Kein Handwerksbetrieb, kein Kolonist oder freier Arbeiter kann auf die Dauer mit der Sklavenwirtschaft konkurrieren. Die oft barbarischen, an schlechteste Lebensweise gewöhnten Unfreien, die vor allem aus den gallischen, nordgriechischen und afrikanischen Provinzen kommen, leben von Abfällen, sie gehen halb nackt und werden brutal durch Schläge zur Arbeit angetrieben. Man rechnet, wie Seneca schreibt, bei gesunden Sklaven mit einer durchschnittlichen „Abnützungsfrist" von acht Jahren. Um diese Zeit vermerken die römischen Jahrbücher die ersten Sklavenkriege. Vor allem Sizilien, das Land der riesigen Weizengüter, gilt als ständiger Brandherd. Jahrelang wüten Revolten und Unruhen auf der reichen, fruchtbaren Insel44. Erst als Konsul Publius Rutilius 20000 Sklaven ans Kreuz schlagen läßt, breitet sich Schweigen über das Land. * Die unzufriedene, entwurzelte Masse wird zum Proletariat. Auf der Jagd nach Geld und Vergnügungen füllen die Verarmten die immer prachtvoller werdenden Straßen Roms; da sich ihnen keine Möglichkeiten zum eigenen Lebenserwerb mehr bieten, kennen sie nur zwei Ideale: Panem et Circenses — Brot und Spiele! Wer mit vollen Händen Schätze unter die Menge wirft, wer täglich seine Kornspeicher öffnet, um an die Armen und Hungernden unentgeltlich Brot zu verteilen, wer große, prachtvolle Zirkusspiele veranstaltet, zu denen jeder freien Eintritt hat, dem öffnen sich durch die Wahlstimmen der Proletariermassen die hohen, einträglichen Staatsämter. Der größere Teil der römischen Einwohnerschaft lebt nicht mehr vom Ertrag seiner Arbeit, sondern von den Gaben der Herren. Aber je krasser und sichtbarer der Unterschied zwischen arm und reich wird, desto drohender wird das Murren der Unterdrückten und Rechtlosen, und selbst in den Kreisen der Mächtigen erwacht hier und dort die Einsicht, daß eine Reform der inneren Verhältnisse des Staates notwendig geworden ist. * 50
Seit altersgrauer Zeit gibt es in Rom das Tribunat46, ein Staatsamt, das zum Schutze des Volkes geschaffen wurde. In der ersten Volkserhebung der römischen Geschichte war es von den Plebejern durch Auszug aus der Stadt den Patriziern abgerungen worden. Dieses Amt wird nun als Waffe der Unterdrückten gegen die Optimaten von größter Bedeutung. Die Tribunen sind die gewählten Vertreter der Plebejer. Um das Jahr 620 nach Gründung der Stadt 48 zählt die Bürgerschaft 4 städtische und 31 ländliche Bezirke, Tribus, die durch 10 Tribunen vertreten werden. Jeder dieser Beamten hat das Recht, Senatsbeschlüsse oder Gesetze und selbst Befehle der Konsuln, durch seinen Einspruch zu verhindern. So groß und bedeutsam ist diese Gewalt, daß sie von demselben Manne nur für ein Jahr ausgeübt werden darf, um niemanden in Versuchung zu führen, sie zu mißbrauchen und sich zum Diktator aufzuschwingen. In dem Jahr, das durch den Fall der spanischen Stadt Numantia denkwürdig geworden ist, tritt Tiberius Gracchus die Würde des Tribunats an. Er eröffnet den Kampf zwischen der Volkspartei und den Optimaten, zwischen der Idee der Bürgerfreiheit und der Allgewalt des Geldes. * Es gibt zwei Brüder in der Familie der Gracchen: Tiberius, der ältere, ein ernster, gebildeter, von hellenischen Bildungsidealen erfüllter Patrizier, und Gajus, der jüngere47, genialer als sein Bruder und so hochbegabt, daß ihm selbst seine Gegner ihre Bewunderung nicht versagen können. Die beiden Gracchen entstammen einem der ehrwürdigsten Geschlechter Roms. Ihre Mutter Cornelia ist die Tochter des Scipio Africanus, engste Verwandtschaft verknüpft sie dem jüngeren Scipio Ämilianus. Nach dem Tode ihres Gatten hatte sich der ägyptische König Ptolemäos Euergetes um Cornelias Hand beworben. Aber sie hatte, wie der römische Geschichtsschreiber Livius sagt, die Ehe mit einem König ausgeschlagen, „weil es ihr ruhmvoller dünkte, Mutter der Gracchen zu heißen". Die beiden Söhne werden, wie jetzt die meisten vornehmen Jünglinge, durch griechische Lehrer erzogen. Sie geraten damit früh in Berührung mit freiheitlichen Ideen, 51
begeistern sich für die Gedanken der Menschlichkeit und für eine staatliche Ordnung, die jedem Bürger sein Recht und seinen Anteil an den Gütern derAllgemeinheit sichert. Erbittert über den Eigennutz und den Hochmut der Optimaten, fassen die beiden Brüder, obwohl ihnen alle Ämter und Pfründen offenständen, den Entschluß, sich für die Rechte des Volkes, der Bedrückten und Enteigneten, einzusetzen. In den Häusern der Patrizier lächelt man zuerst über die Knabenschwärmerei der Gracchen. Als aber in dem Feuer der Jugend der Wille der Tat sichtbar wird, als sieh die unzufriedenen und senatsfeindlichen Männer um die Träger des alten, ruhmreichen Namens sammeln, sinnt man auf wirksame Gegenmaßnahmen. Tiberius Gracchus gewinnt vorerst das Spiel. Als Tribun beherrscht er eine wichtige Stellung, von der aus er seine Pläne vorantreiben kann. Als erstes greift er die gefährliche und schwierige Aufgabe der Agrarreform auf. Vor zwei Jahrhunderten hatte man zur Beendigung der Standeskämpfe ein Ackergesetz48 geschaffen. Es war indessen fast in Vergessenheit geraten, und die Reichen hatten alles getan, um ein Wiederaufleben der alten Bürgerrechte zu verhindern. Mit dem unbekümmertenDraufgängertum seiner Jugend verlangt Tiberius Gracchus nun die Durchführung der immer noch gültigen Bestimmungen. Er fordert, daß ein römischer Bürger höchstens 500 Morgen vom „ager publius" — dem gemeinsam eroberten Gemeindeland — besitzen dürfe, daß nur zwei seiner Söhne weitere 500 Morgen haben sollen, und daß entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes aus den einzuziehenden, ungeheuren Ländereien je 30 Morgen große Landwirtschaften für entlassene Soldaten und entwurzelte Bauern zu schaffen seien. Die Verwirklichung dieser Forderung würde das Ende der landwirtschaftlichen Großbetriebe und den Ruin der Sklaven Wirtschaft bedeuten; eine Katastrophe auf dem Geldmarkt wäre die selbstverständliche Folge. Der Gracche hat die Kriegserklärung an das Kapital ausgesprochen. Das große, gefährliche Spiel um Gold und Macht beginnt . . . * 52
i
Es gibt zehn Tribunen, und keiner von ihnen ist käuflich. Acht schließen sich Tiberius Gracchus an, der zehnte — Marcus Oktavius — ist ein eigensinniger Quertreiber. Ihn gewinnt der Senat billiger als mit Gold; man redet ihm ein, daß Größe und Sicherheit des Vaterlandes durch die Reformen gefährdet seien. Oktavius wird aus tiefster Überzeugung gegen Tiberius auftreten. Bei der Abstimmung über die Durchführung des neuen Bodenreform-Gesetzes legt Marcus Oktavius Einspruch ein. Weder die Bitten des Tiberius Gracchus, noch die empörten Vorhaltungen der anderen Tribunen vermögen ihn umzustimmen. Wenn nur einer der Tribunen nein sagt, ist das Gesetz verworfen. Soll die Rettung des Vaterlandes an der Starrköpfigkeit eines Mannes scheitern ?! Bald wird das Jahr des Gracchus vorüber sein —- das eine Jahr der Macht! In dieser Gewissensnot durchbricht der Tribun die Schranken des Gesetzes und der Verfassung, indem er von der erdrückenden Überzahl seiner Anhänger dem Gegner Marcus Oktavius die Tribunatswürde entziehen läßt. Das ist offene Revolte gegen geheiligte Überlieferung. Tiberius Gracchus hat seinen Feinden selbst die Waffe in die Hand gegeben, die ihn treffen wird, schneller, als er und seine Freunde es erwarten. * Es gilt für die Gegner der Bodenreform nur noch, die Arbeit des für die Ackerverteilung eingesetzten Dreimänner-Kollegiums, das aus den beiden Gracchen und Appius Claudius Pulcher, dem Schwiegervater des Tiberius Gracchus, besteht, zu verzögern, bis das Amtsjahr des rebellischen Tribunen abgelaufen ist. Tiberius Gracchus ahnt die Zukunft; er kennt den unerbittlichen Haß seines eigenen Standes, den er an seinem wundesten Punkt getroffen hat. Von nun an kämpft er nicht mehr allein um sein Werk, sondern auch um sein Leben. Er umgibt sich mit einer starken Leibwache aus entschlossenen Männern der Gasse. Auf dem Forum erscheint er nur noch in Begleitung seines bewaffneten Gefolges. 53
Das alte, überkommene Gefüge der Republik zerfällt. Einst standen die Tempel der Götter hoch auf dem Capitolfelsen in der unverbrüchlichen Verehrung der Massen. Bestrahlt von der Glorie der Götter, thronten zu Füßen des Tempelberges die ehrwürdigen Väter des Senats. Den ewigen und irdischen Mächten diente ergeben das Volk. Nun aber ist durch den Einbruch der hellenischen Philosophie der Glaube an die Götter und Menschen erschüttert, das Vertrauen in die Rechtlichkeit und Unfehlbarkeit des Senats hat sich in Zweifel und Enttäuschung verwandelt; Haß, Zorn und Aufruhr erheben sich gegen die Kurie. Zum erstenmal in seiner Geschichte erlebt Rom, daß seine inneren Kämpfe mit Waffen ausgetragen werden. Bei der Gründung jeder neuen Kolonie wird mit der Pflugschar eine geheiligte Grenze um den Platz künftiger Siedlung gezogen, die Friedensgrenze der Stadt. Auch Rom hat seine uralte Weihezone, innerhalb derer kein Bürger gegen den anderen die Hand erheben darf, ohne schwerster Strafe zu verfallen*9. Nun zerstört die Woge der Zwietracht auch diesen Schutzwall altväterlicher Vernunft und Selbstzucht. „Wann werden wir aufhören, den Reichen wie den Armen Leid zu verursachen?" klagt Cornelia, die Mutter, in einem Briefe, den sie an Tiberius Gracchus schreibt. „Wann werden wir uns schämen, die Ruhe des Staates zu stören?"60 Tiberius Gracchus wird unaufhaltsam von der Flut der Ereignisse fortgerissen; er kann nicht mehr zurück. Ohne Bedenken greift er in die öffentlichen Kassen, um Mittel für seine Wiederwahl zu gewinnen. Die besten und redlichsten Freunde fallen von ihm ab und weigern sich, ihm auf den ungesetzlichen Bahnen zu folgen; mehr und mehr schieben sich Glücksritter, Abenteurer und Aufrührer in den Vordergrund der Volkspartei. Der Gracche verliert den wertvollsten Teil seiner Anhängerschaft, nur der Pöbel, der nach Plünderung, Totschlag und Raub schreit, bleibt ihm treu. Tiberius Gracchus hat aufgehört, Idealist zu sein; er wird, wenn es sein muß, den Staat aufs Spiel setzen, um sein Leben zu retten. Die großen Männer der Kurie aber führen geschickt die Regie in diesem Kampf... Als die Neuwahl des Volkstribunen vor der Türe steht, läuft das Gerücht von Mund zu Mund, Tiberius Gracchus 54
strebe nach der verhaßten Königswürde. Ein Tumult ist schnell in Szene gesetzt. Junge Patriziersöhne, geführt von dem Oberpriester Scipio Nasica Serapio, fallen über die Freunde der Gracchen her. Tiberius entflieht, aber auf dem Bergpfad zum Capitol stürzt er und wird von seinen Verfolgern eingeholt. Sie erschlagen ihn mit Knüppeln. Dreihundert Anhänger der Volkspartei sterben an seiner Seite. * Der Sprecher des Volkes ist gefallen, die einmal ausgesprochenen Gedanken aber leben fort. Die Patrizier haben mit dem Mord an Tiberius Gracchus lediglich eine Frist gewonnen — nicht mehr. Sogar die Neufassung des Ackergesetzes behält ihre rechtliche Gültigkeit. Weil aber die dunklen Kräfte in der Senatspartei die Durchführung verhindern, schäumen die Leidenschaften bald wieder in wilder Gärung hoch. In dieses von Haß und Zwietracht geschüttelte Rom kehrt Scipio Ämilianus zurück, der seinen karthagischen Lorbeeren noch den Triumph von Numantia hinzugefügt hat. Das Volk wirft jetzt seine ganze Hoffnung auf die Hilfe dieses Helden aus dem freiheitlichen Hause der Scipionen. Aber der „Afrikaner" ist zu gerecht, um die Übergriffe seines Neffen Tiberius Gracchus zu bejahen und zu entschuldigen. Er ist weit davon entfernt, gegen das Gesetz zu handeln. Da richtet sich die ganze Wut des Pöbels gegen ihn, Drohbriefe werden an die Mauern seines Stadthauses geheftet, und eines Morgens findet man Scipio erwürgt in seinem Bette. Die offene Revolte der Massen scheint unvermeidlich; in diesem Augenblick höchster politischer Spannung betritt ein Mann die politische Bühne, der vielleicht die Kraft und Klugheit haben wird, die Geschicke des Staates zum Guten zu wenden. Gajus Gracchus wird Tribun!61 In ihm entsteht den Konservativen ein gefährlicherer Gegner, als es der gemordete Bruder war. Dieser jüngere Sohn der Cornelia ist einer der bedeutendsten Redner, die je auf der Rostra, der mit karthagischen Schiffsschnäbeln geschmückten Rednertribüne, gestanden haben. Er vereint staatsmännisches Geschick mit zielbewußter Energie. 55
Sein klarer Verstand sieht das Wesentliche hinter den Dingen und vermag wohl, jene Kräfte zu meistern, die seinen Bruder Tiberius Gracchus in den Abgrund gerissen haben. Gajus Gracchus nimmt den Kampf des Toten wieder auf. Er bindet die Volkspartei fester an sich. Die Masse der Arbeitslosen und Habenichtse, die nach Brot und Zirkusspielen gieren, gewinnt er durch freigebige Kornspenden. Dem Mittelstand — entlassenen Soldaten und kleinen Handwerkern — verschafft er Neuland, indem er Kolonien für die Besitzlosen gründet; gleichzeitig verkürzt er die Dauer der Militärdienstzeit. Sein bedeutendster Schachzug aber ist der von Erfolg gekrönte Versuch, einen Keil in die gegnerische Front selbst zu treiben. Es gelingt ihm, die Optimatenpartei in ihre natürlichen Teile aufzuspalten: in den Adel des Blutes und der Tradition und in den neuen, den gefährlicheren Kitteradel der Geldleute. Indem er dem Kitterstand, der Gesellschaftsklasse der hohen Finanz, die immer mit Neid und mißgünstigem Haß auf den Hochadel der Patrizier geblickt hat, Posten und Einkünfte zuspielt, die bisher alleinige Pfründen der senatorischen Familien gewesen sind, erwirbt er sich die Zuneigung der römischen Kitterschaft. Trotzdem kann auch Gajus Gracchus die Reform nur langsam vorantreiben, überall stößt er auf den verbissenen Widerstand der alten Familien. Flaccus, einer seiner Kampfgenossen, drängt ihn, den Antrag zu stellen, „daß auch den italischen Bundesgenossen das Bürgerrecht verliehen werden solle". Das ist ein überaus gewagter Schritt, denn eine solche Maßnahme geht den Geldbeutel jedes einzelnen Römers an. Gekaufte Redner treten vor die Massen der Plebej er und stellen ihnen die zahlreichen Nachteile vor, unter denen ganz Rom zu leiden habe, wenn es seine Gewinne mit den Unterworfenen im weiten Lande teilen müsse. Wie soll man die Steuerfreiheit der Römer aufrechterhalten, wenn ganz Italien diesen Vorzug genießt? Die beeinflußbare Menge entscheidet sich für den augenblicklichen Vorteil und verläßt in Scharen die Sache ihres Vorkämpfers. In diesem wohlgewählten Moment verstehen es die Männer des Senats, den Gracchen an eine ideale und seinen Herzenswünschen entsprechende Aufgabe zu binden. Gajus Gracchus soll persönlich eine weit entlegene Bürgerkolonie 56
einrichten. An seine Stelle tritt M. Livius Drusus, ein neuer Parteimann, der im geheimen Auftrag der Optimaten den Plebejern noch mehr, noch Kühneres, ja, Unerfüllbares, verspricht. Als Gajus nach langer Abwesenheit die Stadt wieder betritt, findet er kaum noch Beachtung. Fast alle seine Freunde und Anhänger haben sich um die Person des Livius Drusus geschart. Ohne den Schutz der Masse des Volkes sieht sich Gajus wehrlos der unerbittlichen Rache der Optimaten ausgeliefert. Bei einem Tumult, den die Adelspartei erregt, muß Gajus mit wenigen Getreuen in die Schanzen des Aventinhügels flüchten. Verzweifelt und zum Menschenfeind geworden, fleht der Verlassene zu den Göttern. „Möge Rom", so ruft er erbittert, „mögen die Römer niemals die Freiheit kennenlernen, die sie verraten haben." Triumphierend rücken die Patriziersöhne, von bewährten Gladiatorensklaven und kretischen Landsknechten unterstützt, heran und stürmen die letzte Zuflucht der Revolutionäre. Zweihundertfünfzig Gracchenfreunde, meist arme Plebejer, ergeben sich auf Gnade und Ungnade. Sie werden auf der Stelle erschlagen. Den Tribunen haben seine beiden Freunde P. Laetorius und M. Pomponius vom Selbstmord zurückgehalten und auf einen Bergpfad gerettet. Mit ihm geht jedoch das dunkle Verhängnis, das seinen Bruder auf der Flucht begleitete. Genau wie Tiberius stürzt er und renkt sich den Knöchel aus. Aber noch einmal schaffen ihm die treuen Freunde durch ein heroisches Opfer Gelegenheit zum Entrinnen. An der Porta Trigemina wirft sich M. Pomponius und an der Tiberbrücke P. Laetorius den Verfolgern entgegen. Beide erliegen der Übermacht. Gaj us, gestützt auf seinen Sklaven, findet in einem Versteck vorübergehend Unterschlupf. In einem Waldstück am anderen Ufer des Tiber stöbert man die beiden auf. Doch bevor man sie ergreifen kann, geben sie sich den Tod mit den eigenen Schwertern. 52 Die Besitzer der Latifundien und Staatsgüter, die geldmächtigen Bankiers, haben ihr Ziel erreicht. Das Feuer des Aufruhrs ist gelöscht, niemand erhebt mehr seine Stimme für das Recht der Enterbten. Der Kampf zwischen Volkspartei und Optimaten geht weiter. Die Gedanken der Gracchen kann man nicht tot57
schlagen, sie leben als Forderung im Herzen der besten Römer und nicht nur der entwurzelten Zirkusbesucher. Am Ende des 2. vorchristlichen Jahrhunderts entbrennt der Streit von neuem. Marius, ein aus dem Volk emporgestiegener General, ist der Führer der Agrarreformer; in dem aus vornehmstem Geschlecht stammenden Sulla erwächst ihm der gefährliche Widersacher, der sich zum ersten Diktator der römischen Geschichte erhebt. Schon tauchen die Namen der Männer auf, die Rom für sein Weltreich eine neue Verfassung und die auf das Kaisertum weisende Form geben werden: Pompejus und Caesar. . .
58
BEGRIFFSERKLÄRUNGEN Ädil, römischer Verwaltungsbeamter, der unmittelbar dem Prätor unterstellt war. Seine Amtsgewalt erstreckte sich auf die Beaufsichtigung des Handels, des Straßenverkehrs, der Unterhaltung der Wege, der öffentlichen und privaten Bauten, auf Einrichtung von Spielen und auf das Feuerlöschwesen. Der Ädil konnte nur Geldstrafen verhängen. Beim Antritt seines Amtes erließ er ein Edikt, in dem er die Grundsätze seiner Amtsführung bekanntgab. Es gab zwei plebejische und zwei patrizische Ädilen; Caesar vermehrte später diese Zahl um die „Aediles cereales" — Beamte, die die Verteilung der Kornspenden beaufsichtigten. Clienten (lat. Schutzsuchende); ursprünglich halbfreie Untertanen der Patrizier, die von ihren „Patronen" vor Gericht vertreten wurden; nach 400 v. Chr. wurden die Clienten rechtsfähig, sie blieben aber in einem besonderen Schutzverhältnis zu ihrem „Patronus", der sich ihrer finanziellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten annahm. Manchmal hatten die Clienten Grundstücke ihres Patrons in erblicher Pacht; waren sie mittellos, so erhielten sie ihr tägliches Essen und eine Geldunterstützung im Hause des Patrons. Die Clienten waren ihrem Herrn zu mancherlei Diensten verpflichtet, sie mußten ihm — war er verarmt — ihr Vermögen zur Verfügung stellen, sie waren gehalten, ihn aus der Gefangenschaft loszukaufen, Geldstrafen für ihn zu bezahlen und den Aufwand für öffentliche Amter tragen zu helfen; sie bildeten einen Teil des Gefolges eines Patriziers, wenn er in der Öffentlichkeit auftrat. Kelten, indogermanische Völkerfamilie, Wohnsitze seit dem 2. Jahrtausend in Mittel- und Westeuropa. Im 6. Jahrhundert v. Chr. begannen die großen Wanderzüge, die die Kelten bis nach Griechenland, Spanien und auf die Britischen Inseln führten. Sie setzten sich in Gallien, das sich bis in die Po-Ebene erstreckte, fest, und fielen von dort in das römische Italien ein, ferner eroberten sie die Sudetenländer, Süd- und Mitteldeutschland, Ungarn, Illyrien und Thrakien. Die Gallier, Illyrer und Thraker sind also Kelten. 59
Kolonie (von lat. colonia), die Pflanzstadt, die Tochtersiedlurig. Oft wurde erobertes Land unter römische Bürger, ausgediente Legionäre oder zweite und dritte Bauernsöhne aufgeteilt. Die Mutterstadt Rom unterstützte die Kolonie beim Aufbau. Römische Bürger behielten auch in der Tochterstadt ihr Bürgerrecht. Latein, seit der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. erhebt sich der lateinische (in Latium und Rom gebräuchliche) Dialekt zur herrschenden Sprache Italiens. Monopol (griech.), Alleinverkauf oder Alleinhandel, beherrschende Stellung auf einem Teilgebiet des Marktes. P l u t o k r a t i e , abgel. von Pluto, dem griechischen Gott des Reichtums: die Herrschaft der Reichen, die das Staatsleben durch die Macht und den Einfluß ihres Geldes bestimmen. P r a e t o r : P. urhanus, der Stadtrichter, der in Prozessen zwischen Römern entschied; P. peregrinus, der Fremdenrichter, der die Rechtsfälle zwischen Römern und Fremden und Fremden untereinander behandelte. Die Prätoren standen im Range nur den Konsuln nach; als Zeichen ihrer Würde gingen ihnen zwei bis sechs Liktoren, Gerichtsdiener mit Rutenbündeln, voraus. Provinz (lat. provincia), ein von den Römern unterworfenes Land außerhalb Italiens, das von einem römischen Statthalter verwaltet wurde. Die Statthalter wechselten jährlich, sie waren deshalb bemüht, möglichst viel für ihre eigene Rechnung aus der Provinz herauszuwirtschaften. Religion (lat. Bindung); der römische Gottesdienst zerfiel in Privatkult und Staatsgottesdienst. Zu dem Privatkult einer Familie oder eines Geschlechtes gehörten alle religiösen Handlungen, die sich auf besondere Ereignisse innerhalb des Lebens im Hause bezogen, z. B. Geburt, Hochzeit, Tod. Der Gottesdienst galt vor allem dem Kult der Laren und der Penaten. Die Laren waren die eigentlichen Hausgötter, deren segensreicher Schutz dem Haus galt; die Penaten wachten über das Glück der Familienangehörigen, auch wenn sie in der Fremde weilten. Deshalb beteten die Haussklaven nur zu den Laren. Den Bildern der Hausgötter wurde gewissenhaft geopfert, sie wurden mit Blumen und Kränzen geschmückt. 60
Das ganze römische Volk beging bei außerordentlichen Gelegenheiten Sühn- und Bittfeste, die mit der Verehrung bestimmter, oft aus Griechenland übernommener Götter zusammenhingen. Solche Götter waren: Jupiter, Apollo, Mars, Diana, Herkules, Merkur und Neptun. Die Anbetung dieser Götter geschah in besonderen Tempeln unter der Leitung der Priester, der pontifices. Ihnen standen zehn Männer patrizischer und plebejischer Herkunft zur Seite. Diese beiden Kollegien wurden ergänzt durch die Auguren. Daneben gab es Einzelpriester für besondere Gottheiten. Die Priester waren in weiße Umhänge gekleidet, der Pontifex maximus, der oberste Priester, trug als Kopfbedeckung den Galerus, aus dem Fell eines Opferschafes gefertigt. Die pontifices hatten die Oberaufsicht über den gesamten Staats- und Privatkult. Das Priesterkollegium der Auguren legte die von den höchsten Staatsbeamten Roms veranstalteten Auspicien nach uralten Vorschriften und Riten aus. Die Auspicien waren Weissagungen, die aus dem Zustand der Eingeweide geschlachteter Opfertiere, aus Vogelflug, Träumen und anderen Vorzeichen gedeutet und erteilt wurden. Tribunen, 1. militärischer Rang, Stabsoffiziere einer Legion; 2. Volkstribunen, vertraten die Interessen der Plebejer gegenüber den Patriziern; mit ihrem Veto! (ich verbiete!) konnten sie jede Verfügung der Konsuln und des Senats unwirksam machen. Ihre Person war unantastbar, sie waren befugt, jeden, der sich ihren Anordnungen widersetzte, festnehmen zu lassen und ihn vor der Volksversammlung anzuklagen. Auch durften sie jederzeit Volksversammlungen einberufen. Zensor (lat. census, die Steuereinschätzung), Beamter, der die Steuerrollen anzulegen, die Finanzen zu verwalten und die allgemeinen Sitten zu beaufsichtigen hatte.
61
ANMERKUNGEN 1
) Juvenal, röm. Schriftsteller (um 58 — um 138 n. Chr.), berichtet in seinen
„Satiren" von der Beute an griech. Kunstwerken der führenden hellenischen Bildhauer (Myron, Polyklet, Phidias usw.) und des Malers Parrhasios; — 2
) er war zweimal Konsul (177 und 163 v. Chr.) und 169 v. Chr. Zensor; —
8
) so erzählt Plutarch, griech. Schriftsteller, 46—125 n. Chr.; — *) er ist
König von Makedonien von 179—168 v. Chr.; — 6) Konsul in den Jahren 182 und 168 v. Chr.; — *) Syndikat (griech.), Vereinigung zu gemeinsamer Interessenwahrung; schon im 4. Jh. bildeten sich Syndikate fast aller Berufsund Gewerbezweige; — 7) Cato soll alle seine Senatsreden, gleichgültig über welches Thema er sprach, mit dem Satz „Ceterum censeo, Carthaginem esse delendam" geschlossen haben; d. h.: im übrigen bin ich der Ansicht, daß Karthago zerstört werden muß; — 8 ) das „Ewige Rom"; — s ) 10 mal 78.— DM = 780.— DM; —
10
) Das Zwölftafelgesetz wurde 451/50 in Rom
u
geschaffen; — ) für etwa 3.— DM nach dieser Verordnung aus dem Jahre 161 v. Chr.; — u ) das heutige Durazzo; — 13) hoher römischer Verwaltungsund Polizeibeamter; —
14
) Stadtteil, Wahlbezirk Roms; —
1B
) im Jahre
167 v. Chr.; — ") um 185—129 v. Chr.; nach der Eroberung Karthagos erhielt er den Beinamen „Africanus Minor" = der jüngere Afrikaner; bedeutender Förderer des Griechentums; —
17
) 201—120 v. Chr.; er schrieb
die Zeitgeschichte von 266—144 v. Chr. und zeigte Rom auf dem Wege zur Macht und Weltherrschaft; befreundet mit Cornelius Scipio Ämilianus; — 18
) Pergamon, altgriech. Stadt in Kleinasicn, bedeutend nach Alexanders
d. Gr. Tod und nach Gründung des Pergamenischen Reiches um 280 v. Chr.; berühmter Mittelpunkt der Künste und Wissenschaften (Bibliothek, Zeusaltar); 133 v. Chr. römisch; — l9 ) und
20
) Plinius d. Altere, röm. Gelehrter
(23—79 n. Chr.), berichtet von dieser unwürdigen Berufsauffassung griech. Heilkundiger; —
21
94—24 v. Chr.; —
22
23
) so berichtet Cornelius Nepos, röm. Schriftsteller, ) so schreibt Cato in seinem Buch „De re rustica"; —
) davon berichtet Plutarch; — 24) so urteilt Plutarch; — 26) 525 1 Weizen,
6 I Öl, 10 1 Salz; 410 Sesterzen « rund 150.— DM; —
2a
) so zeigt es eine
27
Plastik in der Villa Borghese in Rom; — ) nach Cato, Seneca (röm. Philosoph und Tragödiendichter, 4 v. Chr.— 65 n. Chr.), und Martial (röm. Dichter, 40—100 n. Chr.); — 30
28
) rd. 1200.— DM; —
) im Jahre 155 v. Chr.; —
81
29
) rd. 3000.— DM; —
) 214—129 v. Chr.; —
32
) gestorben um
150 v. Chr., Lehrer des Karneades; — 3S) lebte im 2. J h . v. Chr., Anhänger der Philosophenschule des Lykeion in Athen; —• S4) dieser Vers stammt von dem Satirendichter C. Lueilius (180—102 v. Chr.); — 36) so schreibt Polybios
62
in seiner „Historia" (griech. Staatsmann und Historiker, 210—120 v. Chr.); —
36
) P. Terentius Afer, röm. Komödiendichter, schrieb nach dem Vorbild
der attischen Komödie (190—158 v. Chr.); er war freigelassener Sklave aus Karthago; — 3 ') Enzyklopädie (griech.), Nachschlagewerk für ein umfang3S
) im Jahre 149 v. Chr.; — 39) Konsul im Jahre
reiches Wissensgebiet; —
146 v. Chr.; — *») der „Jüngere Afrikanus"; — 41) im Jahre 133 v. Chr.; — >*-) und
43
) „Polis" ist das griechische, „Urbs" das latein. Wort für Stadt-
staat; damals wurde unter „urbs" die Stadt Rom verstanden; — ") 136 bis 132 v. Chr.; — «) nach der Überlieferung seit 494 v. Chr.; — *•) im Jahre 133 v. Chr.; als Jahr der Gründung Roms wird 753 v. Chr. angenommen („ab urbe eondita"); — 4S
47
) Tiberius, geb. 162, Gajus, geb. 153 v. Chr.; —
) im Jahre 367 v. Chr.; —
4S
) das „pomerium", die hl. Stadtgrenze Roms
in ältester Zeit rund um den Palatin, später erweitert; — M ) von Cornelius Nepos in seinem Buch „Tiberius Gracchus" überliefert; — ") 123 und 122 v. Chr.; — 52) im Jahre 121 v. Chr.
ZEITTAFEL 171—168 v. Chr. Letzter Krieg mit Makedonien wegen seiner Übergriffe auf Griechenland; in der Schlacht bei Pydna siegt Rom; nach abermaligem Aufstand wird 148
Makedonien römische Provinz.
146
Zerstörung Korinths wegen der Unterstützung Makedoniens; Griechenland wird unter dem Namen Achaia röm. Provinz. 3. Punischer (Karthagisch-Römischer) Krieg; Anlaß: Karthago ist ohne römische Billigung gegen Massinissa von Numidien zu Felde gezogen.
149—146
146
Zerstörung Karthagos, das verzweifelten Widerstand leistet, durch P. Cornelius Scipio Ämilianus (Sohn des Siegers von Pydna, Adoptivenkel des Siegers von Zama), genannt Africanus Minor; der Karthagerstaat wird Provinz Afrika. 63
154—133 Um 133
133
123—121
Der Aufstand in Spanien wird nach der Zerstörung von Nurnantia durch Scipio den Jüngeren niedergeschlagen. Die römische Verwaltung hält mit der Schnelligkeit der Eroberungen nicht Schritt; die neuen römischen Herren werden meist Rechtsnachfolger der bisherigen Fürsten, daher die monarchische Stellung der Statthalter; Sprache, Religion und Brauchtum werden beibehalten; finanzielle Ausbeutung der Provinzen durch Steuerpächter und Statthalter. Rom wandelt sich durch die neue Aufgabe der Weltherrschaft; Großgrundbesitz nach karthagischem Vorbild; ein neuer Stand von Kapitalisten bildet sich: die Ritter; das städtische Proletariat wächst an, die Sklavenwirtschaft mit ihren sozialen Notständen nimmt überhand. Reformen scheinen unumgänglich. Ihrer nimmt sich im Jahre der Tribun Tiberius Sempronius Gracchus an. Seine Bodenreform stößtauf erbitterten Widerstand der Besitzenden; er wird erschlagen; sein Bruder versucht die geplanten Reformen durchzuführen und zu erweitern; auch Gaius Sempronius Gracchus wird blutig verfolgt und gibt sich selbst den Tod, um nicht in die Hände der Gegner zu fallen.
Alle Kechte vorbehalten. Einbandgestaltung: Karlheinz Dobaky Kartenzeichnungen: Anton Eckert; Illustrationen: H. G. Strick Druck: Dr. F. P. Datterer & Cie. - Inhaber Sellier-Preising Obb.
Der Leser, der die in diesem Heft geschilderten Ereignisse im großen Rahmen weiterverfolgen will, wird auf die spannend geschriebene Weltgeschichte
BILD DER JAHRHUNDERTE von OTTO Z I E R E R verwiesen. In neuartiger, eindrucksvoll erzählender Darstellung behandelt Otto Zierer im „Bild der Jahrhunderte", dem der Text zu dem vorliegenden lieft im wesentlichen entnommen ist, die Geschichte des Abendlandes und der Welt von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
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