Unser Schloss in Schottland
Carole Mortimer
Julia Exklusiv 61 - 12/98
Gescannt von suzi_kay Korrigiert von almutK.
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Unser Schloss in Schottland
Carole Mortimer
Julia Exklusiv 61 - 12/98
Gescannt von suzi_kay Korrigiert von almutK.
l. KAPITEL "Du hast einen so herrlichen Körper, wie man ihn selten zu sehen bekommt, aber im Moment ist mir nicht danach. Könntest du also aus meinem Bett steigen und dir etwas anziehen?" Die tiefe Männerstimme riss Catherine aus ihren Träumen. Einen Moment lang blieb sie regungslos liegen, fühlte nur das weiche schokoladenbraune Satinlaken unter ihrem nackten Körper. Nackt! Mit einem raschen Blick überzeugte sie sich davon, dass sie tatsächlich nackt war. Beschämt schaute sie weg, aber schon entdeckte sie sich wieder in den Spiegeln über dem Bett. Die ganze Schlafzimmerdecke war verspiegelt! Wo bin ich? Und wem gehörte diese Stimme? fragte sie sich, aber diese Fragen konnte sie nur sich selbst stellen, da sie wieder allein im Schlafzimmer war. In wessen Schlafzimmer? Wer hat mich ausgezogen? Und warum? Die letzte Frage schien am einfachsten zu beantworten zu sein. Es war ihre erste Nacht mit einem Mann gewesen, und sie konnte sich an nichts erinnern, nicht einmal an den Namen des Mannes. Mit einem verzweifelten Seufzer strich sie sich durchs Haar. "Das muss ja eine wilde Party gewesen sein", hörte sie erneut die Stimme sagen. "S oll ich dir einen Drink besorgen, damit du munter wirst?" Catherine senkte den Arm. Sie brauchte dem Mann nicht erst das Gesicht zuzuwenden, denn sie sah sein Spiegelbild an der Decke. Er war genauso nackt wie sie! "Bist du wieder eingeschlafen?" fragte er. Catherine wünschte, sie könnte im Erdboden versinken oder tatsächlich wieder einschlafen, um diesen Alptraum rasch zu vergessen. Es war durchaus nicht ihre Gewohnheit, in fremden Betten aufzuwachen. "Ich sehe, du schläfst nicht mehr." Er kam näher, beugte sich über sie und blickte zu ihr hinab. "Du hast einen schrecklichen Kater, ich weiß, aber daran bist du selbst schuld", bemerkte er ungerührt. Catherine sah ihn verlegen und noch schläfrig aus ihren grünen Augen an. Ihre langen, blonden Locken waren zerzaust. "Wo ist die Bettdecke?" fragte sie heiser, denn ihre Kehle war wie ausgedörrt. Der Mann zog die schwarzen Brauen hoch. "Auf dem Boden, wo du sie in der Nacht hingestoßen hast." Es machte ihm gar nichts aus, dass sie beide splitternackt waren. "Du schläfst unruhig." Normalerweise schlief Catherine tief und fest. Allerdings hatte sie auch noch nie mit einem anderen das Bett geteilt. Als der Mann ihr den Rücken zukehrte und sich der Garderobe im Kleiderschrank widmete, nutzte Catherine die Gelegenheit, die Decke aufzuheben. Schnell zog sie sie bis zum Kinn über ihren Körper und setzte sich dann auf. Der Mann hatte schwarzes, leicht graumeliertes Haar. Feiner, hellerer Flaum bedeckte seinen Körper, der eher schlank als muskulös war. Er hatte breite Schultern und schmale Hüften, einen straffen Po und lange, schlanke Beine. Seine Haltung war gelöst, aber dennoch war die schlummernde Kraft, die in diesem Körper steckte, unverkennbar. Hatte sie mit diesem Mann geschlafen? Sie fühlte sich nicht anders als sonst, aber das besagte gar nichts. Vielleicht musste man sich gar nicht anders fühlen danach. Sie war jetzt vierundzwanzig, und sie hatte sich bisher für den Mann ihres Lebens aufgespart, aber nun wusste sie nicht einmal, wofür sie sich aufgespart hatte. Der Mann drehte sich ungeduldig zu ihr um. "Willst du vielleicht den ganzen Tag im Bett bleiben?" fragte er. Mit einem nackten Mann in einem fremden Schlafzimmer zu sein war schon schlimm genug. Doch regelrecht bestürzt war Catherine, als sie erkannte, mit wem sie es zu tun hatte.
Vor ihr stand Kevin Steele! Sie traute ihren Augen nicht, aber das attraktive, strenge Gesicht war nicht zu verwechseln. Das schwarze Haar, das er normalerweise nach hinten gekämmt trug, hing in feuchten Strähnen tief in die Stirn. Die Brauen waren genauso dunkel wie die kalten Augen. Er hatte eine schmale Nase und hohe Wangenknochen, und um den verschlossen wirkenden Mund lag ein arroganter Zug. Er ging auf die Vierzig zu, wirkte aber älter. In Hollywood galt er als einer der mächtigsten und gefährlichsten Männer. Da Catherine nicht antwortete, wandte er sich wieder dem Schrank zu, nahm ein helles Hemd vom Bügel und schlüpfte hinein. "Frühstück gibt's drüben im Esszimmer. Wenn du was willst, solltest du aufstehen und dich anziehen", erklärte er barsch. "Ich pflege nicht mit halbnackten Damen am Tisch zu sitzen." Kevin Steele war Eigentümer der Steele-Filmstudios, eines Luxushotels und eines Kasinos in Lake Tahoe und ein Mann mit gewaltigem Einfluss in gewissen Medienbereichen. Um ihn kennenzulernen, hatte Catherine am Abend zuvor jene Party besucht. Nun, jetzt hatte sie ihn kennengelernt ... viel näher, als sie sich je erträumt hätte. "Mr. Steele ..." Catherine räusperte sich. Er drehte sich um, steckte das Hemd in den Bund der schwarzen Hose, in die er mit flinken Bewegungen geschlüpft war, und zog mit einem energischen Ruck den Reißverschluss zu. "Kevin", verbesserte er sie. "Nur nicht so förmlich. Immerhin ist das mein Bett, in dem du liegst." Catherine schloss die Augen, aber als sie sie wieder öffnete, war er immer noch da. Sie hätte sich denken können, dass es sein Schlafzimmer war. Die verspiegelte Decke, das breite Doppelbett, die Satinbettwäsche ... Er war ein Mann, der es komfortabel liebte, wenn er sich mit Frauen vergnügte. "Wie heißt du übrigens?" Du liebe Güte, er wusste nicht einmal ihren Namen! "Ich bin Catherine", sagte sie leise. "Catherine Howard." Er nickte nur, trat vor den pompösen Spiegel, der die massive Eichenkommode zierte, und kämmte sich das widerspenstige Haar. Jetzt sah, er aus wie auf den Fotos, die Catherine von ihm kannte: der Filmboss, vor dem die eigenwilligsten Regisseure und Schauspieler zitterten. Catherine war auf eine Party von Lewis Steele, dem Sohn dieses Mannes, gegangen, weil Lewis ihr versprochen hatte, sein Vater würde im Laufe des Abends kommen. Kevin Steele war nämlich der einzige Mensch, der ihr ein Interview mit seinem Vater, dem Schriftsteller, Lucian Steele, beschaffen konnte. Wenigstens ist diese Möglichkeit noch offen, dachte sie bitter. "War ich ... gut?" fragte sie mit aufgesetzter Lockerheit. Er legte langsam den Kamm aus der Hand und wandte sich ihr zu. "Weißt du das nicht?" Neugier trat in seine unergründlichen Augen, als er ihre blonde Mähne, die grünen Augen, die klassische Nase, die vollen Lippen und die bloßen Schultern, die über der Decke hervorlugten, musterte. Was er sah, schien ihm zu gefallen. Catherine biss sich nervös auf die Lippen. "Ich ... ich glaube, jemand hat mir etwas in meine Drinks gemixt. Ich habe nämlich nur Orangensaft getrunken." Als er skeptisch lächelte, fügte sie hinzu "Wirklich! Ich vertrage keinen Alkohol." "Was passiert denn, wenn du ihn trinkst?" wollte er wissen. "Dann kippe ich um." Er nickte. "Genau das ist anscheinend geschehen." Vorher oder nachher? Das Unwissen über die Ereignisse der letzten Nacht beunruhigte Catherine immer mehr. "Wirklich, jemand hat sich an meinen Drinks zu schaffen gemacht", versicherte sie noch einmal nachdrücklich. "Seitdem ich weiß, dass mich Alkohol umwirft,
trinke ich keinen mehr. Ich meine, ich werde regelrecht ohnmächtig. Nachdem mir das ein paarmal passiert ist, bin ich zum Doktor gegangen, und er meinte, es sei eine spezifische Unverträglichkeit." "Soso." Kevin Steele machte sich offensichtlich lustig über sie. "Mr. Steele, ich finde es gar nicht witzig", fuhr sie ihn an, "dass Sie es fertigbringen, eine ohnmächtige Frau in Ihr Bett zu schleppen!" Auf diesen Vorwurf zeigte er keinerlei Regung. "Du hast auf meine Berührungen gut reagiert", meinte er gleichgültig. Catherine war entsetzt. Sie war mit diesem Mann ins Bett gegangen, und anscheinend hatten sie sich tatsächlich geliebt! Welch ein schrecklicher Gedanke! Kevin Steele schien sich nicht viel aus ihrer Verzweiflung zu machen. "Wie hast Du dich dann in früheren Fällen verhalten?" fragte er trocken. Dabei lehnte er sich lässig gegen die Spiegelkommode und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Catherine, die seine gelangweilte Miene nicht ertragen konnte, senkte die Lider. "Ich war in Gesellschaft von guten Freunden ..." "Diesmal wohl nicht?" Er richtete sich auf. Als Catherine das plötzliche Funkeln in den unergründlich dunklen Augen sah, wäre sie am liebsten in den Kissen versunken, während er sie abschätzig betrachtete. "Diesmal ist das kleine Kätzchen unter die Löwen geraten." Catherine erwiderte nichts darauf. Er war wohl nicht der einzige Partylöwe auf dem gestrigen Fest gewesen, bei dem es etwas wild zugegangen war. Doch kaum hatte er sie gehabt, stieß er sie wieder zurück! "Du gehörst nicht zur Clique von Lewis' Collegefreunden, nicht wahr?" seinem Tonfall nach zu urteilen, hätte ihm das missfallen. "Nein, ich ..." Catherine brach ab. Sie hatte die Einladung angenommen, weil sie diesen Mann kennenlernen wollte, um über ihn an seinen Vater heranzukommen. Freilich konnte sie nun nicht alles ausplaudern, nachdem sie die Nacht mit ihm verbracht hatte. "Ich kenne ihn nur flüchtig." Kevin Steele nickte versonnen. "Siehst du morgens immer so gut aus?" Erschrocken sah Catherine ihn an. War ihm etwa danach, das zu wiederho len, was in der Nacht zwischen ihnen geschehen war? Sie zog die Decke enger um ihren Körper. "Keine Sorge", beschwichtigte er sie vergnügt. "Ich meinte nur, dass die meisten Frauen, die ich kenne, morgens kaum erwarten können, zur Wimperntusche zu greifen. " Die meisten Frauen, die er kannte! Catherine wollte wetten, dass es unzählige waren. Kevin Steele war seit seiner Scheidung vor fünfzehn Jahren bekannt für seine kurzlebigen, nicht immer netten Affären. Sobald eine Frau zu verstehen gab, dass sie eine dauerhaftere Bindung anstrebte, legte er sie ab wie ein altes Paar Schuhe. "Du hast von Natur aus schwarze Wimpern, nicht wahr?" "Nein", leugnete sie. "Sie sind gefärbt." "Wirklich?" Er machte sich nicht die Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Catherine nickte. Sie hasste die Spiegel an der Decke und ihre schonungslose Offenheit. "Vom Friseur. Viele Frauen lassen sich das machen." "Ich weiß", antwortete er verächtlich. "Ich dachte nur, dass du ... Nun, manchmal fragt man sich, was an einer Frau noch echt ist." Sein Spott irritierte sie. "Der Rest von mir ist echt!" erwiderte sie kühl. "Auch wenn Sie vorhin übertrieben haben, als Sie sagten, dass ich einen herrlichen Körper habe. Zum Beispiel sind meine Beine zu lang." "Meinetwegen", scherzte er. "Weißt du, ich stehe mehr auf Busen, und deiner ist eine Augenweide. Er ist weder zu groß noch zu klein ..." "Bitte!" unterbrach Catherine ihn, entsetzt, dass er ihren Körper so gut kannte.
Aber da kam er schon mit geschmeidigen Schritten zu ihr, setzte sich auf die Bettkante und legte den Arm um sie. "Du ahnst nicht, welche Freude dein Busen einem Mann zu schenken vermag." "Bitte nicht." Seine Nähe löste Panik in ihr aus. Unwillkürlich stellte sie sich jedoch vor, wie er sie, das dunkle Haupt auf ihre Brüste gebettet, in der Nacht leidenschaftlich liebkost hatte ... "Doch, Catherine." Sanft zog er die Decke zurück und warf sie auf den Boden, während er ihr tief in die Augen sah. Dann wanderte sein Blick über ihren entblößten Körper. "Genauso ist es gewesen", flüsterte er, senkte den Kopf und bedeckte ihren Busen mit zärtlichen Küssen. Seine raue Zunge löste quälendes Verlangen in ihr aus. Sie warf den Kopf zurück und konnte alles im Spiegel an der Decke sehen. Es war genauso, wie sie es sich eben vorgestellt hatte. Auf ihrer hellen Haut sah sie den schwarzen Haarschopf, in dem ihre Finger wühlten. Gebannt von der Schönheit ihrer Spiegelbilder ließ sie ihn gewähren. "Dad, ich herrje!" Der verdutzte Ausruf von Kevins Sohn Lewis, der ohne Klopfen eingetreten war, riss Catherine aus ihrer Verzückung. O nein! dachte sie zum wiederholtenmal seit dem Erwachen im Bett dieses Mannes. Kevin richtete sich auf. "Verschwinde, Lewis", befahl er kalt, ohne sich nach seinem Sohn umzudrehen, dem sein Körper die Sicht auf Catherine teilweise verwehrte. "Aber Dad..." "Verschwinde, sagte ich!" Ohne die Stimme zu erheben und sich nach dem Sohn umzublicken, wiederholte er den Befehl, der keine Zweifel an der väterlichen Autorität zuließ. "Wir unterhalten uns später." Das klang eher wie eine Drohung als eine Bitte. "Okay", erwiderte Lewis und zog leise die Tür hinter sich zu. Catherine schloss die Augen, um ihre Nacktheit nicht mehr zu sehen, die sie diesmal nicht in den Spiegeln an der Decke, sondern in Kevins dunklen Augen sah. Sie konnte sich nicht erklären, was in ihn gefahren war. Sie war gar nicht sein Typ. Immer wieder hatte er in verschiedenen Interviews erklärt, er könne nur mit Frauen über dreißig, Frauen mit Erfahrung und gewisser Reife etwas anfangen. Mit ihren vierundzwanzig Jahren fiel Catherine sicher nicht unter diese Kategorie. Dennoch hatte sie die Nacht mit ihm verbracht und eben noch, als der Sohn ins Zimmer geplatzt war, in seinen Armen gelegen. Das Bett federte leicht, als Kevin aufstand und die weiche Decke über sie legte. Noch hielt sie die Augen fest geschlossen. "Schon gut, Catherine", beschwichtigte er sie. "Er ist weg." Catherine blieb stocksteif liegen. "Aber ich nicht, was?" bemerkte Kevin, der ihre Gedanken zu lesen schien. "Ist es nicht ein bisschen spät, sich jetzt vor mir zu schämen?" Es war sein belustigter Unterton, der Catherine veranlasste, ihn zornig anzufunkeln. "Ich wette, Sie sind es gewohnt, tagtäglich an der Seite einer anderen Frau zu erwachen", sagte sie böse. "Aber ich bin das nicht gewohnt." Ihr Zorn rührte ihn nicht im geringsten. "Tagtäglich ist ein bisschen übertrieben", scherzte er. "Selbst ich liebe meine Sonntagsruhe." Was soll das, fragte Catherine sich? Warum rede ich überhaupt mit ihm, wenn ich mich doch endlich anziehen und schleunigst weg von hier will? Dabei hatte sie sich mit so großen Plänen auf den Weg hierher gemacht. Wichtige Recherchen warteten auf Erledigung. Nun wäre es freilich mehr als peinlich, ihre Bitte an Kevin Steele heranzutragen, nachdem sie das Bett mit ihm geteilt hatte. Womöglich würde er denken, dass sie eine Entlohnung für die Dienste der Nacht verlangte.
Catherine arbeitete zwar für die Boulevardpresse, aber sie nahm ihren Beruf sehr ernst. Jemanden zu beeinflussen, um an Informationen heranzukommen, das war nicht ihr Stil. Nach dieser Nacht müsste sie sich doppelt anstrengen, um bei Kevin Steele diesen Verdacht zu entkräften. Die Decke bis zum Hals hochgezogen, setzte sie sich auf. "Da heute Sonntag ist, schätze ich, wollen Sie den Tag geruhsam beginnen, Mr. Steele." "Ich lasse mir zwar ungern in meinem eigenen Schlafzimmer Befehle erteilen, aber ein geruhsames Frühstück wäre jetzt tatsächlich nicht schlecht." Ein Lächeln huschte sogar über seine Züge. "Im Esszimmer, richtig?" meinte Catherine beruhigt. "Ich hab's mir anders überlegt. Frühstücken wir hier. Ich lasse uns was bringen, und du kannst inzwischen unter die Dusche gehen." Catherine schätzte die Entfernung vom Bett zur Badezimmertür ab. Es war zu weit! Hilflos sah sie ihn aus ihren grünen Augen an. Doch mit ihrer Scham schien sie ihm allmählich auf die Nerven zu gehen. "Hüll dich ins Betttuch", schlug er gelangweilt vor. "Aha." Ihre Miene wurde gelöster. Aber es war gar nicht so einfach, sich in ein glattes, schlüpfriges Satinlaken zu wickeln, das viel zu groß war. Obwohl es im Kino und Fernsehen immer so elegant und leicht aussah, hatte Catherine es nach einer Weile noch nicht geschafft, das Tuch einigermaßen sicher um ihren Körper zu schlingen. "Hier." Kevin erbarmte sich schließlich ihrer und drapierte den seidigen Stoff über ihren freien Arm, während er den Zipfel zwischen ihre Brüste steckte. "Keine Angst", kommentierte er, als er sah, wie sie bei der intimen Berührung zuckte. "Weißt du nicht, dass eine solche Art der Scham der Vergangenheit angehört? Das sieht übrigens hübsch aus", meinte er, als er einen Schritt zurücktrat und das Werk begutachtete. "Vielleicht könnte ich eine Rolle für dich finden. Hattest du irgend etwas Bestimmtes im Sinn?" "Etwas Bestimmtes?" Als Catherine nun vor ihm stand, stellte sie fest, dass sie ihm kaum bis zur Schulter reichte. Spöttisch lächelnd sah Kevin sie an. "Das Sofa, auf dem man Produzenten verführte, ist längst passe, nicht aber das Bett", bemerkte er mit einem Blick auf das zerwühlte Bett neben ihm, das deutliche Spuren der gemeinsamen Nacht aufwies. Catherine riss entsetzt die Augen auf. "Sie meinen doch nicht etwa, dass ich ..." Wieder verschränkte er die Arme vor der breiten Brust. "War der Regisseur zu schwer zu verführen?" spöttelte er. "Falls es Maurice Goodson war, sollte mich das nicht wundern. Er ist glücklich verheiratet und fasst keine anderen Frauen an." "Wie schön", konterte Catherine gekränkt. "Es könnte nicht schaden, wenn Sie sich eine Scheibe von ihm abschneiden würden." "Ich bin nicht verheiratet", erwiderte er kühl. "Und ich habe es auch nicht vor." Er musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. "Vergiss es, wenn das die Rolle ist, hinter der du her bist, Kindchen." Catherine wusste nicht, worüber sie sich mehr ärgern sollte: dass er sie Kindchen nannte oder ihr unterstellte, sie sei mit ihm ins Bett gegangen, weil sie den Ehrgeiz habe, die nächste Mrs. Steele zu werden. Das konnte sie nicht unwidersprochen hinnehmen. "Bilden Sie sich ja nicht ein, ich würde auch nur im Traum daran denken, einen so kalten und arroganten Mann wie Sie heiraten zu wollen. Entgegen Ihrer Ansicht gehört mehr zum Leben und auf jeden Fall zu meinem, als andere Leute auszunützen. Die wirkliche Welt sieht anders aus." "So und nicht anders ist die wirkliche Welt", erwiderte er gereizt. "Meine Welt nicht", beharrte sie. "Ich will nichts von Ihnen, Mr. Steele. Was zwischen uns geschehen ist, das war nicht beabsichtigt. Ich will dafür keinerlei Belohnung oder Bezahlung irgendeiner Art. Sie ..."
"Nur gut", fiel er ihr ins Wort, "dass wir gestern abend nicht viel zum Reden gekommen sind. Kratzbürstige Frauen kann ich nicht ausstehen." "Sie ... Sie ...", stammelte sie kläglich. "Geh jetzt duschen, Catherine", unterbrach er sie, womit die Sache für ihn erledigt war. "Und nimm das mit." Damit meinte er das glänzende, grüne Kleid, das sie am Vorabend getragen und das er eben vom Boden aufgelesen hatte. Catherine verstand sich selbst nicht mehr. Wie Sollte erst jemand wie Kevin Steele sie verstehen? Sie riss ihm das Kleid aus der Hand und sah sich nach ihrem Slip um, denn mehr hatte sie unter dem engen Kleid nicht getragen. Aber schon hielt ihr Kevin auch den Slip hin, ein winziges, pastellgrünes Spitzenhöschen, das sie verlegen in ihre Hand knüllte. "Wir unterhalten uns, wenn du geduscht hast", erklärte er, griff zum Telefon und bestellte ein reichliches Frühstück für zwei. Catherine zog sich rasch ins Badezimmer zurück. Wie konnte ihr nur so etwas passieren? fragte sie sich verzweifelt. Sie war gestern abend mit den besten Absichten auf die Party gegangen, wo eine ausgelassene Stimmung geherrscht hatte. Die Gäste waren meist um die Zwanzig gewesen wie der Gastgeber selbst. Offen gestanden war der junge Mann Catherine von Anfang an unsympathisch gewesen, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte. Ihn hatte sie auch wegen der manipulierten Drinks in Verdacht. Wann sein Vater gekommen war, das wusste sie nicht mehr. Jedenfalls musste sie wohl, vom Alkohol benebelt, mit ihm ins Bett gegangen sein, was sehr eigenartig war, denn normalerweise wurde sie einfach ohnmächtig. Nein, sie konnte es nicht glauben, dass sie und Kevin Steele sich geliebt hatten, selbst, wenn dieser das Gegenteil behauptete. Entschlossen drehte sich Catherine um und marschierte zurück ins Schlafzimmer. Dass sie sich immer noch nicht angezogen hatte, war ihr jetzt egal. "Sie Lügner, Sie lausiger, schäbiger ..." Mitten im Satz brach sie ab, als sie feststellte, dass Kevin Steele nicht mehr allein war. Ein älterer, gut gekleideter und gutmütig wirkender Mann war ins Zimmer gekommen, um Weisungen entgegenzunehmen, wie es schien. Dem beiläufigen Blick, den er in ihre Richtung warf, und der Gleichgültigkeit in seinen blauen Augen war zu entnehmen, dass er nichts Ungewöhnliches daran fand, dass eine halbnackte Fremde im Schlafzimmer seines Arbeitgebers herumspazierte. Kevin selbst warf ihr ebenfalls nur einen flüchtigen Blick zu und wandte sich dann wieder an seinen Angestellten, um Geschäftliches mit ihm zu besprechen. Catherine traute ihren Augen nicht. Noch nie hatte man sie so abblitzen la ssen. Die beiden Herren behandelten sie wie Luft. "Ich sagte ...", begann sie verärgert. "Ich habe es gehört", fiel ihr Kevin ins Wort. "Siehst du nicht, dass ich zu tun habe?" Er hatte zu tun! Während sie versuchte, ihre Selbstachtung wiederzufinden, hatte er zu tun! Was bildete er sich nur ein? Wenn er mit allen seinen Frauen so umsprang, dann war es kein Wunder, dass seine Beziehungen nicht lange hielten. "Auch wenn Sie zu tun haben, Mr. Steele ..." Sie hob herausfordernd das Kinn, als der Angestellte sich schließlich doch überrascht zeigte, weil sie den Mann, in dessen Schlafzimmer sie halbnackt stand, siezte. "Aber ich will Sie sprechen, und zwar jetzt", fügte sie nachdrücklich hinzu, als er Anstalten machte, sie wiederum abzuwimmeln. "Oder stört es Sie nicht, wenn wir vor Zuhörern diskutieren, was sich in der Nacht in diesem Bett abgespielt hat?"
Der Angestellte fing verlegen an zu husten, was ihm einen strafenden Blick von seinem Chef eintrug. "Das klingt aber nicht gut, Norman", meinte Kevin Steele mit geheuchelter Besorgnis. "Gehen Sie erst einmal eine Tasse Kaffee trinken. Wir reden später weiter, wenn Sie sich wieder besser fühlen." Der letzte Satz hörte sich wie eine Drohung an. "Wie Sie wünschen, Sir. Ich ... äh ... nett, Sie kennengelernt zu haben, Miss ..." "Catherine", ergänzte Kevin Steele, ehe sie etwas sagen konnte. Als sie wieder allein waren, konnte Catherine sich nicht länger beherrschen. "Ich könnte Sie umbringen, Sie gemeiner Lügner!" fuhr sie ihn an. "So?" meinte er mit einem drohenden Unterton in der rauen Stimme, den sie so schnell nicht vergaß. Aber Catherine ließ sich davon nicht einschüchtern. Er hatte sie angelogen, und das wollte sie klarstellen. "Ich habe nichts mit Ihnen in diesem Bett gehabt. Hier nicht, und sonstwo nicht. Ist das klar?" Er zog die dunklen Brauen hoch. "Wirklich nicht?" "Das wissen Sie ganz genau." Ihre Augen blitzten. "Ich werde immer ohnmächtig, wenn ich was trinke, und ich ... ich..." "Hüpfe nicht zu fremden Männern ins Bett", ergänzte er kühl. "Aber wie kommt es, dass du in meinem Bett warst?" Dafür hatte Catherine nur eine Erklärung. "Sie haben nicht hier geschlafen. Soweit ich weiß, waren Sie nicht einmal auf der gestrigen Party. Ich habe Sie nicht gesehen." "Ich bin später dazugekommen", erklärte er gelassen. Offenbar war er dieses Themas müde. "Und ich habe in diesem Bett geschlafen. Neben dir." Catherine schluckte. Sein gelassener Tonfall verriet ihr, dass er die Wahrheit sagte. Andererseits wusste sie, dass sie immer ohnmächtig wurde, wenn sie Alkohol trank". Ihre Sorge zeichnete sich wohl in ihrem Gesicht ab, denn eine Art Mitleid huschte über seine Züge. "Catherine ..." "Verzeihen Sie", stammelte sie und wandte sich ab, um ins Bad zu flüchten. "Ich war unhöflich zu Ihnen vor Ihrem Angestellten." Sie war ganz durcheinander. Die intime Atmosphäre des Schlafzimmers wurde ihr unerträglich. Sie wollte allem sein, ihre Gedanken ordnen und sich auf die Ereignisse der Nacht besinnen. "Ich ... entschuldige mich später bei Ihrem Angestellten, wenn Sie wollen. Ich ... ich gehe jetzt unter die Dusche." "Catherine!" Sie achtete nicht auf seinen herrischen Befehlston, sondern lief rasch ins Bad, schloss die Tür hinter sich ab und lehnte sich matt dagegen. Wenn sie sich nur erinnern könnte, wenn sie nur wüsste, was am Abend passiert war, das sie veranlasst hatte, sich Kevin Steele an den Hals zu werfen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihn hatte lieben wollen. Sie mochte ihn nicht einmal leiden. Wie hatte sie sich nur auf dieses Abenteuer einlassen können, wo doch ihr Herz Harry gehörte?
2. KAPITEL Als Catherine sich am Abend zuvor für die Party zurechtgemacht hatte, war sie aufgeregt und glücklich gewesen. Endlich sollte sie Kevin Steele kennenlernen! Immerhin hatte sie seit Wochen sein Büro und seine Wohnung in London angeschrieben und um einen Gesprächstermin gebeten, nachdem sie vom Verlag erfahren hatte, dass sie nur über den Sohn mit dem zurückgezogen lebenden Autor Lucien Steele in Verbindung treten könnte. Die Zeitschriftenserie über die großen Hochzeiten in Hollywood, die Catherine im Vorjahr geschrieben hatte, war ein voller Erfolg gewesen. Ein Verlag war daraufhin an sie herangetreten und hatte ihr angeboten, die Serie zu einem Buch zu erweitern. Allerdings waren dabei vier Hochzeiten vorgegeben worden. Eine dieser vier Hochzeiten war ausgerechnet die von Lucien Steele mit der verstorbenen Sonia Harrison gewesen. Natürlich hätte Catherine sich nun an ihre Schreibmaschine setzen und munter drauflosschreiben können, aber sie wollte das Kapitel über dieses Traumpaar vom Hollywood der 40er Jahre nicht abschließen, ohne sich mit Lucien Steele abzustimmen. Dass es so kompliziert sein würde, ein Interview mit ihm zu bekommen, hatte sie dabei allerdings nicht bedacht. Lucien Steele hatte sich nach dem Tod seiner Frau, die beim Brand ihrer Villa vor dreißig Jahren in den Flammen umgekommen war, aus Hollywood zurückgezogen. Seit einigen Jahren ließ er sich auch in der Londoner Gesellschaft nicht mehr blicken. Er war wie vom Erdboden verschwunden. Doch bestimmt musste sein Sohn und Enkel etwas über seinen Aufenthaltsort wissen. Catherine war gewarnt worden, dass Kevin Steele ebenso pressescheu wie der Vater sei. Ihre freundlichen Briefe an sein Büro blieben unbeantwortet. Am Telefon, wo sie ein Treffen mit Kevin Steele vereinbaren wollte, wurde sie von der Sekretärin immer wieder vertröstet. Als sie vor zwei Tagen schließlich an seiner Wohnungstür geklingelt hatte, lernte sie Lewis, seinen Sohn, kennen. Während der Großvater und Vater öffentliches Aufsehen mieden, war der Enkel alles andere als bescheiden. Er steckte ständig in irgendwelchen Schwierigkeiten, hatte aufgrund seines ungebührenden Verhaltens in verschiedenen Lokalen Hausverbot und war im Vorjahr von zwei Universitäten geflogen. Gestern nachmittag allerdings hatte er sich gegenüber Catherine recht freundlich verhalten. Wenn sie wegen seiner leuchtenden Augen und seiner ungepflegten Erscheinung zunächst auch skeptisch gewesen war, so legten sich ihre Bedenken in dem Moment, als er sie zu seiner Party einlud und zusicherte, auch sein Vater werde anwesend sein. Selbst seine unangemessen vertraulichen und provozierenden Äußerungen, mit denen er sie bestürmte, als sie zur Party kam, hatte sie ignoriert und dass er sie ständig umschwärmte und dabei eine Menge Alkohol konsumierte. Es war ein lautes, ausgelassenes Fest gewesen mit zu vielen Leuten, die zu viel tranken. Als Kevin Steele kurz nach elf immer noch nicht gekommen war, hatte sich Catherine entschlossen heimzugehen. Sie hatte sich gerade von Lewis Steele verabschiedet ... Und was dann geschah, wusste sie nicht mehr. Als nächstes erinnerte sie sich daran, von Kevin geweckt worden zu sein. Catherine hielt nichts von flüchtigen Abenteuern und schon gar nichts von Bettgeschichten. Sie hatte einen netten Freundeskreis, und von allen Männern, die sie kannte, war Harry ihr am liebsten. Ihn kannte sie schon vom ersten Schultag an. Da hatte er sie rüde am Zopf gezogen, und sie hatte ihm dafür eine kräftige Ohrfeige verpasst. Da sie beide zu stolz zum Weinen gewesen waren, hatten sie einfach darüber gelacht, und seitdem waren sie unzertrennlich gewesen. Mit fünfzehn hatten sie dann zu ihrer eigenen und aller anderen Überraschung festgestellt, dass sie sich liebten. Und diese Liebe hatte sie heute nacht mit einem Mann wie Kevin Steele betrogen!
Catherine brauchte sich nicht erst zu überlegen, was Harry von diesem Mann gehalten hätte. Sie wusste, die beiden hätten sich nicht ausstehen können. Harry war so offen und freundlich, während Kevin Steele alle Gefühle hinter seiner kühlen Maske verbarg. Die beiden waren so gegensätzlich wie Tag und Nacht. Heftiges Klopfen an der Badezimmertür riss Catherine aus ihren Gedanken. "Das Frühstück ist fertig, Catherine", rief Kevin Steele durch die Tür. "Entweder du drehst endlich das Wasser auf und gehst unter die Dusche, oder du kommst raus. Du kannst nicht den ganzen Tag im Badezimmer bleiben." Sie wünschte, sie könnte es. Es war ihr unmöglich, diesem Mann unter die Augen zu treten und sich im Abendkleid an den Frühstückstisch zu setzen. "Catherine?" Sein Ton wurde schärfer. "Bist du da drinnen eingeschlafen?" Eingeschlafen? Catherine bezweifelte, ob sie je wieder einschlafen könnte - aus Furcht vor dem, was sie beim Erwachen vorfände. "Antworte mir, Catherine!" forderte er sie auf. "Oder soll ich die Tür aufbrechen lassen?" Catherine wagte kaum zu atmen. "Ich will kein Frühstück", erwiderte sie schließlich mit bebender Stimme. Sie war den Tränen nahe. "Catherine?" Die raue Stimme erklang unmittelbar neben ihrem Kopf durchs Holz. Rasch wich sie einige Schritte zurück und starrte auf die Tür. "Catherine, weinst du?" fragte er mit unüberhörbarer Verwunderung. Weinte sie? Ja, sie schmeckte die salzigen Tränen auf den Lippen. "Catherine, öffne die Tür", versuchte er sie zu überreden. "Es gibt gar keinen Grund zum Weinen. Tröstet es dich, wenn ich dir sage, dass nichts zwischen uns gewesen ist? Dass ich dich nicht angerührt habe bis zum Morgen? Glaub mir bitte!" Hoffnung flackerte in ihren schimmernden grünen Augen auf. Aber rasch setzte wieder Ernüchterung ein. "Das stimmt ja doch nicht", antwortete sie dumpf. "Es stimmt", betonte er nachdrücklich. "Ich war nur so wütend heute morgen. Darum habe ich dich glauben lassen, wir hätten etwas miteinander gehabt. Komm, mach auf, Catherine, dann reden wir darüber." Ob er die Wahrheit sagte? Sie musste es wissen! Deshalb schloss sie nun langsam auf und öffnete die Tür. Gespannt sah Kevin Steele sie aus seinen dunklen Augen an. Aber es stand darin nichts zu lesen. Er hatte viel Übung darin, seine Gefühle zu verbergen. "Du warst bereits in meinem Bett, als ich heimkam", erläuterte er ihr. "Und ich war so hundemüde, dass es mir offen gestanden egal war, wer sich da in meinem Bett eingenistet hatte." Catherine wurde blass, und in ihren großen grünen Augen zeigte sich deutlich ihre Verwirrung. "Wie alt bist du eigentlich, dass dich schon der Gedanke, mit einem Mann das Bett zu teilen, dermaßen schockiert?" "Alt genug", sagte sie sehr gereizt. "Alt genug wofür?" Er wandte sich verärgert ab und vergrub demonstrativ die Hände in den Hosentaschen. "Für alles", erhitzte sich Catherine. "Achtzehn Jahre sind nicht alt genug für alles. Macht sich daheim eigentlich niemand Sorgen, dass du die ganze Nacht ausgeblieben bist?" wollte er plötzlich wissen. Catherine musste an Vikki denken, mit der sie ihre Wohnung teilte. Vikki wartete bestimmt schon gespannt auf ihre Rückkehr, um in alle Einzelheiten eingeweiht zu werden. Seit Jahren lag sie Catherine mit dem Rat in den Ohren, sich einen Freund zu suchen. Catherine runzelte die Stirn. "Meinen Sie zum Beispiel einen Vater oder Bruder?" "Oder einen Mann?" "Ach ja, ich könnte verheiratet sein, nicht wahr?"
"Bist du es?" fragte er skeptisch. Offenbar wollte er sich keinesfalls mit verheirateten Frauen einlassen. "Nein", räumte sie ein. "Auch nicht verlobt oder anderweitig in festen Händen. Einen Bruder habe ich nicht, und meine Eltern wohnen in Cornwall. Also brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, dass mein Daddy mit einer Schrotflinte hieranrückt." "Wäre so etwas möglich?" fragte Kevin Steele vergnügt. "Nicht, wenn Sie die Wahrheit gesagt haben, dass Sie mich nicht berührt haben." "Und wenn doch?" wollte er wissen. Catherine zuckte die Schultern. "Dann wäre mein Vater wohl so altmodisch, auf einem Vater für sein Enkelkind zu bestehen. Aber Sie haben ja nicht mit mir geschlafen, richtig?" Die Besorgnis in ihren Augen war unverkennbar, auch wenn ihre Miene ausdruckslos blieb. Erbetrachtete sie eine lange Weile, bevor er endlich nickte. "Ich saß fast achtundvierzig Stunden am Verhandlungstisch, denn es gibt Probleme mit der Gewerkschaft. Aber gestern hatte mein Sohn Geburtstag ..." "Wirklich?" staunte Catherine. Es war keine Geburtstagsparty gewesen, wie sie sie von anderen Gelegenheiten her kannte. "Ja", sagte er ungeduldig, da sie ständig an dem Betttuch nestelte, um es nicht zu verlieren. Dann drehte er sich um, zog eine Tür des bis zur Decke reichenden Spiegelschranks auf und tat so, als suche er irgend etwas. "Sind Sie ein Spiegelfetischist?" platzte Catherine heraus, denn alles war verspiegelt, selbst die Wände des Badezimmers nebenan. Kevin Steele warf ihr einen amüsierten Blick zu. "Wenn du glaubst, ich sage jetzt, die Spiegel waren schon im Haus, als ich einzog, dann muss ich dich enttäuschen", erklärte er und nahm einen Morgenmantel vom Bügel. "Hier, zieh den an." Dankbar nahm Catherine den Morgenmantel und blickte dann an sich hinunter. Wie sollte sie jetzt nur vom Betttuch in den Morgenmantel wechseln, ohne sich eine Blöße zu geben? überlegte sie. "Nicht schon wieder", meinte Kevin Steele daraufhin ungeduldig, riss ihr kurzerhand das Tuch vom Leib und hielt ihr den Morgenmantel zum Anziehen hin. "Du warst nackt, als ich mich in der Nacht neben dich legte, und nicht einmal zugedeckt, als ich heute früh aufwachte." "Das ist was anderes", erwiderte Catherine verlegen, während sie sich beeilte, in die Ärmel zu schlüpfen. "Du meinst, weil du jetzt wach bist?" spöttelte er. "Da, sieh mal, deshalb liebe ich die Spiegel." Catherine erstarrte, als sie bemerkte, dass er fasziniert zur Decke blickte. Sie hatte die Arme nach hinten in den Morgenmantel gesteckt, aber Kevin hatte diesen noch nicht über ihre Schulter gelegt, so dass ihre Brüste einladend vorstanden. Mit hastigen Bewegungen glitt sie vollends in das Kleidungsstück und schlang rasch den Gürtel um die Taille. Der Morgenmantel reichte ihr fast bis zu den Knöcheln, und die Hände verschwanden in den Ärmeln. "Lass mich das machen." Kevin Steele beugte sich vor und stülpte ihr die Ärmel um mit der Geduld eines Erwachsenen, der es mit einem widerspenstigen Kind zu tun hat. "Ich könnte dich auffressen", sagte er wie zu sich selbst. "Es wäre schade um mich", gab Catherine scherzhaft zurück. Seine weißen Zähne blitzten auf, als er lachte und dabei echte Herzlichkeit ausstrahlte. Catherine war richtig verblüfft. "Warum verstecken Sie eigentlich immer Ihre schönen Zähne?" fragte sie, ohne nachzudenken. "Ich meine, Sie lächeln so selten. Sie sind so ernst!" Wieder lachte er laut und herzhaft, und Catherine fand, dass er, wenn er ein frohes Gesicht machte, richtig gut aussah. Man merkte ihm dann seine neununddreißig Jahre und den ewigen Kampf um Geld und Macht nicht mehr an.
"Catherine?" Seine Miene wurde wieder ernst. "Wenn du gestern zur Party meines Sohnes eingeladen warst, warum wusstest du dann nicht, dass er seinen neunzehnten Geburtstag feierte?" "Er hat es mir nicht gesagt." "Wenn ihr Freunde seid ..." "Ich sagte doch, wir kennen uns nur flüchtig." Sie biss sich auf die Lippen. "Ich ... ich ging nur auf die Party, weil ich Sie treffen wollte", gestand sie, auch wenn es ihr schwerfiel. "Es war also doch alles nur Berechnung, die Überraschung, die Bestürzung und das Schockiertsein", stellte Kevin Steele zornig fest. "Als ich nicht zur Party kam, hast du kurzerhand beschlossen, in meinem Bett auf mich zu warten!" Er ging kopfschüttelnd im Zimmer auf und ab. "Eine reife Leistung, deine Schauspielerei. Du verdienst einen Oscar dafür. Ich hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen, weil ich dich angeschwindelt hatte." "Mit Recht!" empörte sich Catherine. "Es war gemein, mich glauben zu lassen, wir hätten uns geliebt. Dabei ist alles, was ich gesagt habe, wahr. Meine Drinks sind gepanscht worden, und ich habe keine Ahnung, wie ich in Ihr Bett gekommen bin ..." "Herrje, fang nicht wieder zu weinen an", bestürmte er sie, als Tränen in ihre Augen schössen. "Es wird Zeit, dass wir die Sache ein für allemal klären." Damit griff er zum Telefon und wählte eine Nummer. "Lewis? Komm her!" befahl er ebenso herrisch, wie er seinen Sohn vorhin aus dem Zimmer gewiesen hatte. "Ich hoffe nur, du hast eine gute Erklärung parat", riet er ihm noch, bevor er den Hörer auf die Gabel donnerte und wieder auf und ab ging. Während sie auf Lewis warteten, schenkte Kevin Catherine keinerlei Beachtung. "Springen Sie immer so mit ihm um?" fragte sie, um das Schweigen zu beenden. Er warf ihr einen unwirschen Blick zu und steckte die Hände wieder demonstrativ in die Hosentaschen. "Wie springe ich denn mit ihm um?" "Wie mit einem kleinen Angestellten." "Würde ich so mit Norman umspringen, dann würde er fristlos kündigen." "Was Ihr Sohn nicht kann", führte sie zu seiner Verteidigung an. "Und ob", korrigierte Kevin Steele sie. "Er ist sein eigener Herr." Der Ausdruck Herr klang reichlich optimistisch für den unreifen Teenager, den Catherine auf der gestrigen Party erlebt hatte. In seinem Alter, überlegte sie, war Kevin Steele schon verheiratet gewesen und hatte Vaterfreuden entgegengesehen. "Lass es mich so ausdrücken", erklärte Kevin Steele, der ihre Gedanken zu erraten schien. "Lewis ist finanziell unabhängig. Er hat ein Vermögen von seiner Mutter bekommen und ist volljährig. Wenn es ihm hier also nicht passt, kann er jederzeit gehen." Die Spannungen zwischen Vater und Sohn waren unverkennbar. Angesichts des Ärgers, den Lewis Steele in den letzten Jahren verursacht und der ihn zum Dauerbrenner in den Klatschspalten gemacht hatte, war der Groll des Vaters 'teilweise sogar verständlich. Lewis war wirklich ein kleiner Rüpel. Darüber hinaus konnte Catherine ihm insgeheim aber auch nicht verzeihen, dass er sie mit dem Vater im Bett überrascht hatte. "Mach kein so besorgtes Gesicht, Catherine", meinte Kevin aufmunternd. "Wir werden uns deinetwegen nicht die Köpfe einschlagen." Aber das war nicht ihre Sorge. Sie bekümmerte es eher, dass Kevin Steele jetzt die denkbar schlechteste Meinung von ihr hatte. "Kommt es oft vor, dass sich Ihnen Frauen an den Hals werfen", fragte sie, um von sich abzulenken. Kevin Steele musterte sie einen Augenblick lang prüfend. "Es ist mir jedenfalls noch nicht passiert, dass eine Fremde in meinem Bett auf mich wartet." "Ich ..." "Komm rein, Lewis", rief er seinem Sohn zu, als es zaghaft an der Tür klopfte, die sich dann öffnete.
Vater und Sohn sahen sich ziemlich ähnlich, obwohl Lewis blaue Augen hatte. Während der Vater kühl und zynisch wirkte, funkelte Trotz aus den Augen des Sohnes, der lässig in Jeans und Pulli erschien. Er nickte, als er Catherine sah. "Miss Howard, wie nett, dass Sie geblieben sind", meinte er in überheblichem Ton. "Blieb mir etwas anderes übrig?" stellte Catherine die Gegenfrage. Lewis zuckte gelangweilt mit den Schultern. "Ich hatte den Eindruck, Sie waren nicht unglücklich darüber." "Sie ..." Catherine verschlug es die Sprache. "Lewis, was geht hier überhaupt vor?" fuhr der Vater seinen Sohn zornig an. "Weißt du, warum Catherine in meinem Bett geschlafen hat?" "Ich weiß nicht mehr, als was ich heute früh gesehen habe..." "Tun Sie doch nicht so unschuldig", warf Catherine wütend ein. "Bitte, Catherine", bemerkte Kevin Steele beschwichtigend, "Lewis wird uns alles sagen, was er weiß." "Das glauben Sie doch selbst nicht", entgegnete Catherine mit einem bösen Seitenblick auf den Sohn. "Lewis wird die Wahrheit sagen." Sein Tonfall duldete keine Widerrede. "Ich wünschte, Sie würden mir glauben", sagte Catherine dennoch. "In der kurzen Zeit, die ich Ihren Sohn kenne, hat er sich nicht gerade als Gentleman erwiesen." Ohne mit der Wimper zu zucken, erwiderte Lewis Steele: "Ich schätze, Sie waren auch nicht ganz aufrichtig mit meinem Vater, denn sonst wäre diese Aussprache unnötig." "Ich habe Ihrem Vater alles gesagt, was ich über den gestrigen Abend weiß", versicherte Catherine nachdrücklich. "Leider glaubt er mir nicht", merkte sie resigniert an. "Möchtest du mir nicht sagen, was du weißt, Lewis?" Es klang wie eine freundliche Einladung, obwohl kein Zweifel bestand, dass es ein Befehl war. "Ich denke, es gibt da etwas über Miss Howard, das dich ganz besonders interessieren wird", begann Lewis gelassen, als hätte er alles im Griff. Catherine, die Gefahr witterte, zuckte unmerklich zusammen. "So?" meinte Kevin Steele, auf die Enthüllung gespannt. "Catherine ist Journalistin", verkündete Lewis. "Und zwar diejenige, die seit einem Vierteljahr versucht, mit Großvater ins Gespräch zu kommen." Wenn Catherine ge glaubt hatte, die kalte Seite von Kevin Steele hinreichend zu kennen, so erfuhr sie nun, dass sie sich getäuscht hatte. Sein Blick wurde eisig. Lewis hatte recht. Dass Catherine Journalistin war, interessierte den Vater ganz besonders. "Stimmt das, Catherine Howard?" wollte Kevin Steele vorwurfsvoll wissen. Unter seinem anklagenden Blick kam sich Catherine wie eine Aussätzige vor. Währenddessen wandte sich der Vater wütend an den Sohn. "Wenn du das wusstest, was hatte sie dann auf deiner Party verloren?" Lewis war verdutzt. Offenbar hatte er damit gerechnet, dass sein wütender Vater diesen Umstand übersehen würde. "Ich ... nun, sie ist mir auf die Nerven gegangen mit ihrer Bettelei, so dass ich einfach ..." "Ich bin niemandem auf die Nerven gegangen", verteidigte sich Catherine. "Meine Briefe waren immer höflich und meine Anrufe auch." "Alle einundzwanzig", bemerkte Kevin Steele ärgerlich. "Tja", meinte er, als er ihr erstauntes Gesicht sah, "ich bin genau im Bilde über jeden Anruf." "Dann..." "Und du wirst wissen, dass man so etwas auch Belästigung nennen kann", fügte er kühl hinzu. "Ach was", wehrte Catherine ab. "Ich habe nur immer wieder nachgehakt, als ich auf meine diversen Briefe keine Antwort bekam. Und das ist ja wohl verständlich!"
"Dass deine Briefe unbeantwortet blieben, war doch eindeutig genug!" Natürlich war Catherine nicht so naiv, das nicht selbst erkannt zu haben. Sie hatte es sich jedoch zum Grundsatz gemacht, für ihre Artikel gründlich zu recherchieren und bei den Betroffenen vorzusprechen, um deren Meinung zu berücksichtigen. Deshalb konnte sie unmöglich guten Gewissens das Kapitel über Lucien Steele und seine Frau verfassen, ohne vorher mit ihm gesprochen zu haben. "Ich wollte nur Ihren Vater aufsuchen und mich kurz mit ihm unterhalten", verteidigte sie sich. "Ich sagte doch, ich schreibe an einem Buch ..." "Meine Mutter ist seit fast dreißig Jahren tot", erwiderte Kevin Steele. "Heute kennt man nicht einmal mehr ihren Namen." "Sie wissen so gut wie ich, dass das nicht stimmt", begegnete Catherine dieser offenkundigen Lüge über Sonia Harrison, eine der großen Filmdivas der 40er und 50er Jahre. "Erst im letzten Sommer wurde eine Reihe von Filmen mit ihr wiederholt." "Trotzdem ist sie passe", winkte er ab. Catherine schüttelte den Kopf. "Mein Verleger ist da anderer Ansicht." "Dann schreib dein Buch", meinte er. "Dazu benötigst du keine Erlaubnis von mir. Aber sieh dich vor, dass du bei der Wahrheit bleibst, denn sobald das Buch erscheint, werde ich es von meinen Anwälten peinlich genau durchkämmen lassen." Damit hatte Catherine gerechnet. Aber Wenn er doch nur einsehen würde, dass es keineswegs ihre Absicht war, Abträgliches über seine Eltern zu verbreiten. "So verstehen Sie doch..." "Oh, ich verstehe sehr wohl", fiel er ihr ins Wort, woraufhin er sich an seinen Sohn wandte. "Ich warte auf deine Erklärung", sagte er streng. Der Sohn setzte eine trotzige Miene auf. "Ich dachte", begann er, "du solltest Miss Howard treffen und mit ihr reden. Vielleicht würde sie dann aufgeben." "Sie wartete in me inem Bett auf mich!" empörte sich der Vater. Catherine konnte das nicht unwidersprochen hinnehmen. "Ich habe nicht auf Sie gewartet!" Sie warf Lewis Steele einen vorwurfsvollen Blick zu. "Wie bin ich ins Bett Ihres Vaters gekommen?" "Woher soll ich das wis sen?" "Lügen Sie nicht", warnte sie ihn. "Das letzte, woran ich mich erinnere, ist der Augenblick, als ich mich gestern abend bei Ihnen verabschieden wollte." Lewis Steele erwiderte ihren Blick ohne Regung. "Und ich sah Sie das letzte Mal, als Sie gerade gingen." "Das ist gelogen!" "Es war so, wie ich es gesagt habe, Miss Howard", erwiderte Lewis gelangweilt. "Lewis, sehen Sie denn nicht, dass Sie alles nur noch schlimmer machen? Sie wissen sehr wohl, dass ich gar nicht zum Gehen gekommen bin." "Stimmt, wie sich jetzt gezeigt hat", bestätigte er nickend. "Wenn Sie den Zorn Ihres Vaters fürchten, dann muss Ihnen doch klar sein, dass er doppelt zornig wird, wenn Sie nicht die Wahrheit sagen." Lewis lachte heiser. "Ich fürchte meinen Vater nicht", spottete er. "Was kann er schon tun? Das Geld streichen? Mich hinauswerfen?" Kevin Steele schien das freche Benehmen seines Sohnes gewohnt zu sein. "Also hältst du doch mit der Wahrheit hinterm Berg?" mutmaßte er. "Das habe ich damit nicht gemeint", entgegnete sein Sohn. "Ich wollte nur nicht, dass Miss Howard den Eindruck bekommt, ich hätte vor dir Angst." "Stimmt das denn nicht?" fragte der Vater ruhig. Lewis wirkte betroffen. Aber gleich darauf funkelte wieder der Trotz aus seinen Augen. "War das alles?" fragte er. "Ich bin jetzt nämlich mit Freunden verabredet." "Dann geh", meinte der Vater mit einer müden Geste in Richtung Tür.
Mit einem feindseligen Lächeln, das Catherine galt, verschwand Lewis. Catherine war er jetzt noch unsympathischer als gestern, und das mit gutem Grund. Dennoch war sie von seinem Verhalten irgendwie seltsam berührt. "Es heißt, als Sohn eines berühmten Vaters habe man es nicht leicht", bemerkte Kevin Steele nachdenklich. "Aber nie ist davon die Rede, wie schwer man es als Vater dieses Kindes hat!" Er richtete sich auf und sah Catherine eindringlich an. "Dass du mir das aber nicht zitierst, Catherine", warnte er sie nachdrücklich. "Ich bin nicht der Typ ..." "... der aus dem Schlafzimmer ausplaudert?" vervollständigte er spöttisch ihren Satz. "Alle Frauen und insbesondere Reporterinnen sind der Typ dazu. Schade, dass du mich nicht im Bett erlebt hast und mich für deine Zeitung als Liebhaber benoten kannst. Eine solche Publicity wäre meinem Gesellschaftsleben sehr förderlich." Soweit Catherine wusste, bedurfte dieser Mann keiner Anpreisung. Die Damenwelt riss sich förmlich um ihn. "Ich würde Ihnen empfehlen, sich nicht um Ihr Gesellschaftsleben, sondern um Ihren Sohn zu sorgen", legte Catherine ihm nahe. Kevin Steele runzelte die Stirn. "Was willst du damit sagen?" Seine Stimme hatte einen rauen Ton angenommen. Allmählich durchschaute Catherine ihn. In diesem Moment war er empört, dass sie die Frechheit besaß, sich in sein Familienleben einzumischen. Aber sie wusste jetzt, was sie so merkwürdig berührt hatte an Lewis. Sie konnte ihm nachempfinden, wie ihm zumute war. "Momentan steht Ihr Sohn am Scheideweg," erklärte sie ruhig. "Entweder kommt er zur Besinnung und fängt sich, oder er gerät auf die schiefe Bahn und rennt blind in sein Unglück." Kevin Steele schüttelte missbilligend den Kopf. "Was redest du da für einen Unsinn?" Catherine wünschte, sie könnte ihm verständlich machen, wie sehr sein Sohn gefährdet war. "Lewis steckt in einer Krise", erklärte sie, "und seiner Meinung nach kann er sie offenbar nur überwinden, indem er sich ohne Rücksicht auf Verluste durchboxt. Gestern abend ..." "Schluss mit gestern abend", unterbrach er sie. "Offenbar existieren dazu zwei verschiedene Betrachtungsweisen." Sie nickte. "Wobei Sie natürlich Ihrem Sohn glauben", bemerkte sie nüchtern. "Selbstverständlich." Er musterte sie aus verkniffenen Augen. Catherine hätte keine andere Antwort erwartet. Um zum Thema zurückzukommen, sagte sie: "Eines Tages wird Ihr Sohn jemandem schrecklich weh tun, und dann wird es zu spät sein, ihm zu helfen." "Du sprichst wie aus Erfahrung", stellte Kevin Steele skeptisch fest. Catherine kannte den Alptraum, allmorgendlich verzweifelt aufzuwachen. Sie kannte die niederschmetternde Gewissheit, dass alles nur noch schlimmer werden würde, dass man seinem Los ohnmächtig ausgeliefert war. Lewis Steele verriet Anzeichen dieser ohnmächtigen Wut, der sie über ein Jahr lang ausgeliefert gewesen war. Der tiefe Groll in seinen Augen war ihr nicht entgangen. Obwohl sie ihn nicht mochte und sein Verhalten ihr missfiel, brachte sie Verständnis für ihn auf. Und das war auf alle Fälle mehr, als sein Vater von sich behaupten konnte! "Glauben Sie mir, Mr. Steele, wenn Sie Lewis nicht bremsen, könnte es bald zu spät sein. Er hadert mit der Welt." "Ich dachte, du kennst meinen Sohn nur flüchtig?" "Stimmt", bestätigte Catherine. "Und ich möchte ihn auch nicht näher kennenlernen. Aber ich spüre es, wenn jemand Hilfe braucht." "Während ich für so was blind bin, hm?" "Vielleicht haben Sie nicht genügend Abstand von ihm." "Oder zu großen?" spottete er. "Weißt du, ich habe nie behauptet, der perfekte Vater zu sein. Dafür waren Lewis und ich viel zu lange getrennt. Aber merk dir, ich brauche deinen unqualifizierten Rat nicht."
"Ich versuche doch nur zu helfen." "Spar dir die Mühe!" "Also gut." Catherine beugte sich unwillig seinem Wunsch. "Er ist Ihr Sohn. Sie kennen ihn wohl besser als ich." Dennoch war sie überzeugt, in den Augen von Lewis Steele tiefste Verzweiflung gelesen zu haben. "Und jetzt beeil dich mit dem Anziehen", sagte Kevin Steele nach einem Blick auf die Armbanduhr. "Ich muss weg und setze dich vor deiner Wohnung ab." "Das ist nicht nötig", lehnte Catherine das Angebot ab. " Sehr sogar. In deinem Fall ziehe ich es vor, dich persönlich hinauszubegleiten. Sicher ist sicher, du weißt schon. Übrigens bleibt zum Frühstücken leider keine Zeit mehr." Auf der Heimfahrt war ihr peinlich bewusst, wie auffallend sie in ihrem grünen Abendkleid wirken musste. Zum Glück war es Sonntag und noch ziemlich früh, so dass nicht allzu viele Leute auf der Straße waren, als Kevin Steele den schwarzen Sportwagen vor dem viktorianischen Häuschen anhielt, in dem sie mit Vikki wohnte. "Lebst du allein?" fragte Kevin Steele, der das gepflegte alte Haus neugierig betrachtete. Catherine schüttelte den Kopf. "Ich wohne mit Vikki, einer alten Schulfreundin, zusammen. Sie hat das Haus von ihren Eltern geerbt", erklärte sie bereitwillig, um falschen Spekulationen vorzubeugen. Immerhin war es ungewöhnlich, dass zwei Mädchen in London ein ganzes Haus für sich hatten. Da er sowieso schon eine denkbar schlechte Meinung von ihr hatte, wollte sie keinen Anlass zu weiteren Missverständnissen geben. "Kein Vater, kein Bruder", sagte er nachdenklich, "und kein fester Freund." "Ist das so ungewöhnlich, Mr. Steele?" wunderte sich Catherine. "Ganz und gar nicht." Catherine sah ihn kritisch an. "Warum sind Sie dann so erstaunt?" Er musterte sie aus seinen dunklen Augen. Sein Blick sagte mehr als seine Worte. "Ich bin nicht erstaunt, Catherine. Ich frage mich nur, wer dann dieser Harry ist!"
3. KAPITEL Wer war Harry? Diese Frage war Catherine schon lange nicht mehr gestellt worden. Harry war ein fester Bestandteil ihres Lebens gewesen. Hatte man sie ohne ihn oder umgekehrt getroffen, hatte das sofort Gerüchte ausgelöst. Aber das war vorbei. "Woher wissen Sie von Harry?" fragte sie Kevin Steele verdutzt. Er hob bedeutungsvoll die Hände. "Ich weiß nun mal von ihm. Also, wer ist Harry?" Catherine gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Wie war es möglich, dass er von Harry wusste? Bis zu dem Gespräch mit seinem Sohn hatte er nicht einmal geahnt, wer sie selbst war. Wie konnte er also von Harry wissen? "Sie sagten doch, Sie kennen ihn", erwiderte sie. "Ich weiß nur, dass du dich in der Nacht an mich geschmiegt und mich Harry genannt hast." Catherine traute ihren Ohren nicht. Ungläubig sah sie ihn an. Aber an seiner Miene war zu erkennen, dass er die Wahrheit sagte. "Tut mir leid", stammelte sie verwirrt, und als sie spürte, dass ihr die Tränen in die Augen schössen, vergrub sie das Gesicht in ihren Händen. "Nicht doch", beschwichtigte er sie mit fast zärtlicher Stimme und strich sanft über ihr Gesicht. "Man hat mich schon Schlimmeres genannt." Aber das war Catherine kein Trost. Die Tränen flossen umso heftige r. Dass sie mit diesem Mann ein Bett geteilt hatte, war schon schlimm genug. Dass sie ihn allerdings mit ihrem geliebten Harry verwechselt hatte, das war zuviel. "Wer ist er, Catherine?" fragte Kevin Steele mit eindringlicher Stimme. Nun musste sie antworten. "War", korrigierte ihn Catherine schluchzend und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Harry ist tot." "Wie lange?" "Seit fünf Jahren. Er ... er starb an unserem Hochzeitstag", berichtete sie zögernd. "Es war ein herrlicher Sommertag, der schönste Ta g meines Lebens, wie ich glaubte. Aber als wir zur Kirche kamen, war Harry noch nicht da. Meine Mutter schickte unseren Chauffeur los. Ich war überzeugt, dass irgend ein Irrtum vorlag. Harry hätte mich nie so gemein sitzengelassen. Aber er ... er war schon tot. Er und sein bester Freund kamen mit ihrem Auto unter einen Lastwagen. Seither habe ich immer wieder diese schrecklichen Alpträume, dass er eingeklemmt in dem Blechhaufen steckt und spürt, wie sein Blut davonrinnt..." Sie blickte gequält zu Kevin Steele auf. "Ob es so gewesen ist?" "Catherine", sagte Kevin ruhig, "würdest du dich wohler fühlen, wenn du wüsstest, dass er gelitten hat?" Zunächst entsetzt über diese harte und schonungslose Frage, atmete Catherine schließlich erleichtert auf. "Danke. Bisher hat noch nie jemand so ... so offen mit mir darüber gesprochen." "Wohl deshalb, weil du dich noch keinem mit deinen Ängsten anvertraut hast, habe ich recht?" Forschend betrachtete er ihr Gesicht. "Ja." Es war ihr leichter gefallen, mit einem Außenstehenden darüber zu reden, der nicht versuchte, Worte des Trostes zu finden, sondern die Tatsachen im Auge behielt. "Ich weiß nicht, warum ich Sie Harry genannt habe." "Aber ich", erklärte er. "Weil du ihn nämlich noch immer liebst." Catherine warf den Kopf zurück, als sie den stillen Vorwurf in seiner Stimme spürte. "Ich schäme mich nicht dafür", verteidigte sie sich. "Ich habe ihn immer geliebt." "Aber er ist ..." "Tot", vervollständigte sie seinen Satz. "Ja, ich weiß. Herrje, wie gut ich das weiß", merkte sie verbittert an. "Aber mit dem Tod ist die Liebe nicht zu Ende ... Nicht die Liebe, die ich für Harry empfand."
"Aber auch nicht dein Leben", meinte er leise. "Mein Leben ging weiter", erwiderte sie verdrossen, als hätte sie diesen Rat schon viel zu oft zu hören bekommen. "Ich habe einen Beruf, ich pflege Freundschaften, und ich habe sogar wieder Spaß am Leben." Catherine verstummte. Fast ein Jahr lang hatte sie nach Harrys plötzlichem Tod wie in einem Schockzustand gelebt, und als sie der Tatsache endlich ins Auge blicken konnte, hatte sie einen regelrechten Nervenzusammenbruch erlitten. Danach hatte sie sich an den Aufbau eines neuen Lebens gemacht. Es war ein schmerzliches und beschwerliches Unterfangen gewesen. Aber sie hatte es geschafft! Und nun vertraute sie ihre innersten Gefühle einem Mann an, der ihr vorwarf, ihm in seinem Bett aufgelauert zu haben, um an eine gute Story heranzukommen. "Bitte, sprechen Sie noch einmal mit Ihrem Sohn", bat Catherine in einem erneuten Versuch, die Sache richtigzustellen. "Auch wenn er es abstreitet, hat er doch über gestern abend nicht die Wahrheit gesagt." Der kameradschaftliche Zug, den sie an Kevin Steele eben bemerkt hatte, war wie weggepustet. "Mein Sohn belügt mich nicht, Catherine." "Ich auch nicht!" "Es spielt gar keine Rolle, wer lügt." Er winkte gelangweilt ab. "Für mich schon", entgegnete sie. "Ich bin nach wie vor an einem Treffen mit Ihrem Vater interessiert." Kevin Steele schüttelte den Kopf. "Ich gebe keine Interviews und mein Vater auch nicht!" "Ich will nicht unbedingt ein Interview ..." "Klar, du willst in der Ehe meiner Eltern herumschnüffeln. Guck doch in die Bücher, die darüber geschrieben wurden. Dort steht alles drin." "Ein kurzes Gespräch mit mir wird ihm nicht weh tun." "Macht es dich nicht stutzig, dass mein Vater nicht mehr geheiratet hat, obwohl meine Mutter schon vor dreißig Jahren gestorben ist?" fragte er unwirsch. "Er liebt sie noch immer. Ausgerechnet du solltest dafür Verständnis haben", hielt er ihr vor. Catherine wurde blass. "Entschuldigen Sie." Sie fuhr sich verwirrt durch die blonde Mähne. "So habe ich es nicht betrachtet." Dreißig Jahre, und Lucien Steele litt immer noch unter der Liebe, die er verloren hatte! Würde sie Harrys Tod in dreißig Jahren auch noch als unüberbrückbare Lücke empfinden? Diese Ahnung schwebte wie ein finsterer Schatten über ihrer Zukunft. "Typisch Reporter", schimpfte Kevin Steele. "Sie denken nie an das Leid, das sie heraufbeschwören, sondern immer nur an eine reißerische Story." "Ich bin anders." "Selbstverständlich. Das behauptet ein jeder." Der Hohn in seiner Stimme war niederschmetternd. Catherine kam zu dem Schluss, dass es zwecklos war, gegen solche Vorurteile anzukämpfen. Würde sie die Sache einige Tage ruhenlassen, um dann erneut an ihn heranzutreten, hätte sie vielleicht mehr Aussicht auf Erfolg. "Danke fürs Heimbringen, Mr. Steele", sagte sie höflich. "Vielleicht rufe ich noch einmal an, um ... nein?" fügte sie hinzu, als sie das finstere Gesicht sah, das er dazu machte. "Es ist alles gesagt." Catherine stieg aus und sah dem davonfahrenden Wagen nach, bis ihr wieder einfiel, wie auffällig sie in dem grünen Abendkleid am hellichten Tag wirken musste. "Ich stelle keine Fragen", sagte Vikki, als Catherine verlegen ins Haus huschte. "Ich mache erst Kaffee, und dann frage ich", fügte sie unbeschwert hinzu. "Wenn du willst, kannst du inzwischen ein Bad nehmen." Catherine wusste, dass sie den Blicken ihrer Freundin auswich. "Ich habe schon geduscht", erwiderte sie tonlos.
Die Überraschung in Vikkis Gesicht war unverkennbar. Am liebsten hätte sie Catherine auf der Stelle mit ihren Fragen bombardiert. Statt dessen meinte sie nur: "Vielleicht willst du dich vorher umziehen?" Mit dem Umziehen allein wäre es nicht getan. Catherine wollte allein sein, um ihre Ruhe wiederzufinden. Verwirrt setzte sie sich aufs Bett in ihrem Zimmer. Catherine und Harry hatten sich mit fünfzehn ineinander verliebt. Sie waren zusammen, so oft es ging, und mit siebzehn schenkte Harry ihr einen Ring. In den beiden folgenden Jahren schmiedeten sie Zukunftspläne und sparten fleißig für ihr Leben zu zweit. Harry war ein hübscher, blonder, blauäugiger Junge mit viel Humor. Wenn sie auf Kinder zu sprechen kamen, stellten sie sich immer wieder scherzhaft die Frage, ob ihre Babys einmal Catherines grüne oder Harrys blaue Augenfarbe bekommen würden. Jedenfalls waren sie sich einig, dass sie einmal bildschöne Kinder haben würden. Als sie sich mit neunzehn zum Heiraten entschlossen, meinten viele Leute, dass sie selbst noch halbe Kinder seien. Aber ihr Entschluss stand fest. Auch die Eltern waren mit der Hochzeit vollauf einverstanden. Harry war ein zärtlicher, aber zugleich sehr beherrschter Liebhaber. Seine Zurückhaltung ging so weit, dass er die letzte Vollendung ihrer Liebe als etwas ganz Besonderes für die Hochzeitsnacht aufsparen wollte, die ein, wie er sich ausdrückte, unvergessliches Ereignis werden sollte. So schmerzlich diese Haltung für Catherine, die stürmisch auf seine Liebkosungen reagierte und ihn ganz haben wollte, auch war, sie fügte sich seinem Willen. Kurz vor der Hochzeit, als die Vorfreude groß und die Leidenschaft kaum mehr zu bändigen war, wäre es allerdings uni ein Haar passiert. Heute wünschte Catherine sich, dass es tatsächlich passiert wäre und sie ihm wenigstens ein einziges Mal ganz gehört hätte. Der Gedanke, dass es Kevin Steele gewesen sein könnte, dem sie diese Nacht geschenkt hatte, war ihr unerträglich. Beschämt vergrub sie das Gesicht in den Händen. Wenn sie sich nur erinnern könnte, was in der Nacht zwischen ihnen geschehen war! Aber sie hatte keine Ahnung, und sie wusste nicht, ob sie Kevin Steele glauben konnte, wenn er behauptete, es sei nichts gewesen. Kein Mann ging einfach ins Bett und schlief friedlich neben einer wildfremden Frau ein. "He." Besorgt hockte Vikki sich neben Catherine in die Knie. "So schlimm kann es doch nicht gewesen sein." "Viel schlimmer", Sagte Catherine niedergeschlagen. Die hübsche, rothaarige Vikki mit den leuchtend blauen Augen und den frechen Sommersprossen auf der Stupsnase lächelte wehmütig. Sie war Catherine eine große Stütze nach Harrys Tod gewesen. Wie Schwestern lebten sie seither in diesem Haus zusammen. "Es ist kein Verbrechen, wenn man einen Mann mag, ihn attraktiv findet und mit ihm nach Hause geht", erklärte Vikki beschwichtigend. "So war es nicht." "Aber wo ..." "Ich meine, ich ging nicht mit ihm nach Hause", erklärte Catherine plötzlich. "Ich war schon bei ihm." "Ja? Aber ...", begann Vikki verwirrt. "Meinst du etwa Lewis Steele?" fragte sie dann ungläubig. "Ich kenne ihn von Zeitungsfotos. Er sieht gut aus. Aber ..." "Er ist ein totaler Egoist und außerdem zu jung." Catherine schüttelte den Kopf. "Nein, er war es nicht. Ach, Vikki, ich weiß nicht mehr, was ich tun soll!" klagte sie. "Ich bin neben einem Mann im Bett aufgewacht und ..." "Neben wem denn?" wollte Vikki endlich in Erfahrung bringen. "Mr. Steele", sagte Catherine bekümmert. "Und ..." "Mr. Steele?" "Kevin Steele", erklärte Catherine ungehalten.
"Und du nennst ihn immer noch Mister, den gnädigen Herrn?" wunderte sich Vikki stirnrunzelnd. "Lass mich endlich ausreden! Dann kann ich dir alles erzählen", regte sich Catherine auf, da ihr Vikki ständig ins Wort fiel. "Sein Sohn muss mir Alkohol in den Orangensaft gemischt haben." "O weh!" Vikki verzog das Gesicht. "Ja", seufzte Catherine. "Er streitet es zwar ab, aber ... Vikki, was passiert normalerweise, wenn ich umkippe?" "Was meinst du denn damit?" "Ich meine, was tue ich vorher oder nachher oder währenddessen?" formulierte Catherine ihre Frage um. "Eine bewusstlose Frau schläft jedenfalls nicht mit einem Mann", erklärte Vikki, als sie verstand, worauf Catherine hinauswollte. "Aber darum geht es doch gerade, Vikki. Bleibe ich bewusstlos oder ...?" Sie staunte über sich selber. "Ziehst du dich aus und tanzt nackt auf dem Tisch?" ergänzte Vikki scherzhaft. "Vikki!" "Nun, er wird doch wissen, ob ihr euch geliebt habt. Er war doch nicht etwa auch betrunken, oder?" "Kaum", meinte Catherine, die dem besonnenen Kevin Steele nicht zutraute, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. "Auf alle Fälle behauptet er, nichts mit mir gehabt zu haben." "Was du ihm natürlich nicht glaubst", folgerte Vikki nachdenklich. "Darum geht es gar nicht", seufzte Catherine. "Weißt du, Vikki, ich habe einfach das Gefühl, dass etwas passiert sein muss." Unwillkürlich musste Catherine daran denken, wie sie Kevin Steele bei seinen Zärtlichkeiten in den Spiegeln an der Decke beobachtet hatte. Seine Liebkosungen hatten so selbstverständlich gewirkt, als wäre es nicht das erste Mal gewesen. "Ich weiß eben nicht, was passiert ist", sagte sie kleinlaut. "Kevin Steele ist kaum der Typ, der es abstreiten würde, wenn er etwas mit dir gehabt hätte." "Und er ist auch nicht der Typ, der eine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten nötig hätte, wenn du das meinst", gab Catherine zu bedenken. Ein seltsamer Ausdruck huschte über Vikkis Gesicht. "Du magst ihn", stellte sie erstaunt fest. "Nein." Catherine lächelte verlegen. "Ich mag ihn nicht. Er hat mich nur verwirrt. Ich bin ganz durcheinander von dem, was passiert ist ..." "... was nicht mehr passiert ist seit Harrys Tod", ergänzte Vikki behutsam. Die quälende Leidenschaft, die Catherine in Kevin Steeles Armen erfahren hatte, war nicht zu vergleichen mit dem, was sie in Harrys Nähe empfunden hatte. Dennoch hatte sie etwas gespürt und sich in diesen wenigen Minuten lebendiger gefühlt als seit langem. Das beunruhigte sie. Sie schüttelte ihre Verwirrung ab und beschloss, es damit bewenden zu lassen. "Er hat es abgelehnt, mich mit seinem Vater bekannt zu machen." Sie stand auf und streifte das Abendkleid ab. Dann schlüpfte sie in bequeme Jeans, zog einen schwarzen Pulli an und befreite mit einer energischen Handbewegung das lange, blonde Haar aus dem Kragen. Vikki, die begriff, dass Catherine keine weiteren Enthüllungen über Kevin Steele preisgeben würde, stand ebenfalls auf. "Brauchst du überhaupt seine Hilfe?" meinte sie noch. "Ich weiß nicht, wo sein Vater lebt", erklärte Catherine, "und ich will unbedingt mit ihm sprechen, bevor ich das Kapitel über ihn schreibe."
"Dann musst du noch einmal mit Kevin Steele reden", riet ihr Vikki, die wusste, dass es keinen Sinn hatte, Catherine von ihrer Arbeitsweise abbringen zu wollen. Catherine wusste selbst, dass sie darum nicht herumkommen würde. Sie müsste nur eine Weile warten, bis Kevin Steele von der gemeinsamen Nacht Abstand gewonnen hatte. Beladen mit Büchern, stand Catherine vor der Tür und hatte Mühe, den Klingelknopf zu erreichen, ohne den Stapel fallen zu lassen. Den ganzen Tag hatte sie in der Bibliothek verbracht und Literatur zusammengesucht, die sie nun daheim durcharbeiten wollte. Ganze zwanzig Minuten hatte sie im strömenden Regen auf den Bus warten müssen. Sie konnte nur hoffen, dass die Bücher, die sie behelfsmäßig mit einer Plastiktüte abgedeckt hatte, keinen Schaden genommen hatten. Vikki öffnete die Tür in dem Augenblick, als Catherine wieder einmal glaubte, der ganze Stapel würde nun endgültig auf den Boden plumpsen. "Gott sei Dank", keuchte sie erleichtert und taumelte in die Diele, wo sie den Bücherstapel auf dem Telefont ischchen absetzte. "Du sprichst mir aus dem Herzen", sagte Vikki. "Endlich bist du da!" Catherine, die sich die klammen Finger rieb, drehte sich erstaunt um. "Was ist denn los? Der Boiler ist wieder mal kaputt, was?" "Nein, diesmal ist es nicht der Boiler", erklärte Vikki gereizt, während sie die Tür schloss. "Wo warst du nur so lange? Du wolltest gegen fünf zurück sein." Catherine wusste, dass es schon sieben war. Aber normalerweise regte sich Vikki nicht auf, wenn sie sich verspätete. "Du hast doch nicht etwa mit dem Essen auf mich gewartet?" fragte sie besorgt. "Wenn du mir heute morgen gesagt hättest, dass du für uns kochst..." "Ich habe nicht gekocht", unterbrach Vikki sie ungeduldig. "Aber dass du so spät kommst, wenn du sagst, du willst um fünf zurück sein!" Noch etwas fiel Catherine auf. "Warum flüsterst du?" fragte sie. "Bist du erkältet?" "Ich bin weder erkältet, noch ist der Boiler kaputt oder das Essen kalt", erwiderte Vikki. "Du hast Besuch. Er wartet schon..." "Er?" erkundigte sich Catherine verdutzt. "Ja, er! Schon über eine Stunde sitzt er im Wohnzimmer und plaudert höflich mit mir. Ich habe ihm gesagt, er kann warten, da du jeden Moment heimkommen musst. Und stell dir vor", verlieh sie ihrer Entrüstung Ausdruck, "ich habe ihm im Bademantel aufgemacht, weil ich gerade beim Haarewaschen war und dachte, du wärst an der Tür." "Wer denn, Vikki, wer ist es denn?" fragte Catherine mit beherrschter Stimme, da sie eine böse Ahnung hatte. Vikki war gewöhnlich die Ruhe in Person. Für ihre Aufregung konnte es nur einen Grund geben, aber was wollte er hier, überlegte Catherine fieberhaft. „Kevin Steele", bestätigte Vikki ihren Verdacht. "O Catherine, es war eine Qual, ihn zu unterhalten. Ich fürchte, ich habe ihn schrecklich gelangweilt. Und ständig hat er höflich genickt und freundlich gelächelt." Catherine, die sich das lebhaft vorstellen konnte, bedauerte, ihre Freundin in diese unangenehme Lage gebracht zu haben. Aber sie konnte natürlich nicht ahnen, dass Kevin Steele hierher kommen würde. Zwei Wochen waren vergangen seit ihrer unglücklichen Begegnung. Catherine wollte ihm noch eine Woche Zeit geben, um dann erneut an ihn heranzutreten. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, was es mit diesem unverhofften Besuch auf sich hatte. "Hat er gesagt, was er will?" erkundigte sie sich. Vikki hob ratlos die Schultern. "Nein. Er hat fast überhaupt nichts gesagt, nur dagesessen und finster geguckt." Catherine wusste, wie entnervend der Blick seiner dunklen Augen sein konnte. Ermutigend klopfte sie Vikki auf die Schulter. "Keine Sorge, jetzt übernehme ich", sagte sie mit aufgesetzter Gelassenheit.
"Ich gehe aus." Vikki nahm ihren Mantel vom Haken und zog ihn an. "Ich habe Sarah gesagt, dass ich heute vielleicht noch vorbeikomme, und das werde ich jetzt tun." Kevin Steele hatte es geschafft, Vikki aus ihrem eigenen Haus zu vertreiben, denn dass die Verabredung mit Sarah nur ein Vorwand war, das stand für Catherine fest. So kann er mit mir umspringen, überlegte sie, nicht aber mit meinen Freunden! Sie nahm die Bücher vom Telefontischchen und marschierte angriffslustig ins Wohnzimmer. Aber als sie ihn sah, war ihr, als würden ihre Träume plötzlich wieder lebendig werden. Sie hatte noch nie zuvor solche Träume gehabt, bei denen sie schweißgebadet aufwachte und wusste, dass die Hände und Lippen dieses Mannes ihr Erfüllung geschenkt hatten. Seit zwei Wochen träumte sie jede Nacht von ihm. Sie wollte es sich nicht eingestehen und wagte nicht, darüber zu sprechen. Darum hatte sie sich verzweifelt in ihre Arbeit gestürzt und schuftete bis zur Erschöpfung, aber es half alles nichts. Der Traum kehrte jede Nacht wieder. "Catherine!" rief Kevin erfreut und erhob sich schwungvoll. "Du gestattest?" Schon nahm er ihr die schweren Bücher ab und legte sie auf den Beistelltisch. "Wie geht es dir?" Dieser Heuchler, dachte Catherine. Erkundigt sich höflich nach meinem Befinden, obwohl alles andere als Höflichkeit zwischen uns besteht. Obwohl er sie nach wie vor duzte, beschloss sie, auf Distanz zu bleiben, und sagte mit verletzender Ehrlichkeit: "Sie sehen schlecht aus, Mr. Steele." Sie glaubte auch, eine Erklärung für die Ringe unter den Augen und die blasse Gesichtsfarbe zu haben. "Liegt es an Lewis?" fragte sie unverblümt. Kevin nickte. "Er hatte einen Unfall." "Wie schrecklich!" Kevin lächelte bekümmert. "Keine Sorge, er ist nicht tot", spöttelte er. "Obwohl er glaubte, sein letztes Stündlein habe geschlagen." "Was ist denn passiert?" fragte sie leise. "Er wollte ausprobieren, ob sein Wagen fliegen kann, und ist damit von einer Brücke gestürzt." Catherine schluckte betroffen. "Nimmt er Drogen?" "Wer weiß?" meinte Kevin mit einer hilflosen Geste. "Aber ich wollte mit dir über etwas anderes sprechen. Als er nämlich glaubte, mit seinem Leben ginge es zu Ende, beichtete er mir seine Sünden." "Ach ja?" "Ist das alles?" fragte Kevin verblüfft. "Mein Sohn sagte mir, dass er dich von seinen Freundinnen ausziehen und in mein Bett legen ließ, nachdem du vom Wodka im Orangensaft umgekippt warst." Catherine zuckte mit den Schultern. Immerhin war sie froh, dass nicht Lewis sie ausgezogen und ins Bett gebracht hatte. "Ich sagte Ihnen doch, dass es so gewesen sein musste, nicht wahr?" "Und ich habe dir nicht geglaubt", gab Kevin zu. "Aber sobald Lewis wieder gehen kann... er hat sich das Bein gebrochen", fügte er hinzu, als er ihren fragenden Blick sah. "Sobald er wieder auf den Füßen steht, knöpfe ich ihn mir vor. Ist dir klar, was er da angestellt hat?" "Allerdings." Er schüttelte ungehalten den Kopf. "Ich weiß nur, als ich damals ins Bett ging, fand ich eine warme, verlockende Frau neben mir. Du kannst von Glück reden, dass ich so hundemüde gewesen bin." Es spielte keine Rolle, dass er sie damals nicht geliebt hatte, denn das holte er allnächtlich in ihren Träumen nach! "Deshalb hätten Sie nicht extra herzukommen brauchen", meinte sie. "Und ob. Ich habe mich zu entschuldigen."
Und wie schwer ihm das fiel! Mühsam kamen die Worte über seine Lippen. Reue war nicht seine Stärke. "In Ordnung", sagte sie ruhig. "Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden! Ich will ein Bad nehmen, um wieder warm zu werden." Sie wusste, dass ihr Haar in wirren Strähnen zu trocknen begann. Kevin runzelte die Stirn. "Wozu brauchst du die vielen Bücher?" "Für Recherchen. Sagten Sie nicht, ich soll in den Büchern nachsehen, da stünde alles drin?" "Du bist doch nicht etwa arbeitsscheu, liebe Catherine?" scherzte er. "Keineswegs, Mr. Steele. Allerdings wäre es viel einfacher, wenn ich mit Ihrem Vater sprechen könnte." "Das ist mir klar", erwidert er. "Aber wie ich schon sagte, will mein Vater niemanden sehen." "Warum eigentlich?" "Er hat seine Gründe", erklärte Kevin unnachgiebig. Catherine seufzte. "Das bezweifle ich nicht. Aber wenn ich nicht mit ihm reden kann, fällt es mir schwer, über ihn zu schreiben." Tatsächlich ging die Arbeit zäh voran. Der erste Entwurf entpuppte sich als trocken und gespreizt und war noch weit entfernt von dem lockeren, lebendigen Text, den sie anstrebte. "Das tut mir sehr leid", sagte er, allerdings ohne echtes Bedauern. "Sie haben sich bereits entschuldigt ...", erwiderte Catherine scharf. "Nein. Darf ich dich zum Dinner einladen?" "Warum?" fragte sie argwöhnisch. "Nun, als Wiedergutmachung dafür, dass ich dir misstraut habe." "Nein, danke", lehnte sie sein Angebot steif ab. "Ich sehne mich jetzt nach einem heißen Bad und habe dann zu arbeiten. Und Sie möchten sicher noch Ihren Sohn besuchen." "Ich komme gerade von ihm." Er sah sie eindringlich an. "Ich möchte mit dir essen gehen, Catherine." "Warum?" fragte sie noch einmal. Kevin schien ihr Misstrauen zu ärgern. "Weil ich noch nicht gegessen habe, weil du, wie deine Freundin sagt, noch nicht gegessen hast und weil es sicher nett wäre, gemeinsam zu essen." Keine Minute mit diesem Mann ließe sich als nett beschreiben. Als aufregend, atemberaubend oder sogar nervtötend, aber niemals als nett! "Mir genügt normalerweise ein Sandwich." "Das sieht man." Sein Blick wanderte über ihre Figur. Catherine blickte unsicher an sich hinab. Sie war ziemlich schlank, aber keineswegs mager. "Ich dachte, ich hätte einen herrlichen Körper?" "Sicher", nickte Kevin. "Aber du bist ebenfalls blass und abgespannt. Ein ordentliches Essen würde dir gut tun." "Mr. Steele, Sie ..." "Hör um Himmels willen endlich damit auf, mich zu siezen", hielt er ihr vor. "Findest du das nicht albern gegenüber einem Mann, mit dem du geschlafen hast? Ja, geschlafen, nicht mehr und nicht weniger", fügte er höhnisch hinzu. Catherine sah ihn verlegen an. Immerhin hatte er recht. Es war kindisch von ihr, auf dieser Förmlichkeit zu beharren, während er sie von Anfang an geduzt hatte. "Also gut, Kevin", erwiderte sie, "ich will nicht mit... dir essen gehen." Trotz ihrer Ablehnung lächelte er. "Nun, wenn du nicht ausgehen willst, könnten wir hier etwas essen. Obwohl ich mir etwas Kräftigeres als ein Sandwich wünsche." "Das kommt erst recht nicht in Frage", entgegnete Catherine entschlossen.
"Das ist nicht klug von dir, Catherine", meinte er daraufhin. "Überleg doch! Du hättest einen ganzen Abend Zeit, mich über meine Eltern auszufragen." Catherine machte sich keine falschen Hoffnungen, dass sie ihm Informationen entlocken könnte, die er nicht gern preisgeben würde. "Wenn du mir ein Interview geben möchtest, können wir uns gern dazu verabreden. Aber ich gehe nicht mit dir zum Essen, um dir mit etwas Glück beiläufige Bemerkunge n über deine Eltern zu entlocken, die du jederzeit dementieren könntest, wenn ich sie veröffentlichen will." Kevin reagierte verärgert. "Ich will mit dir essen gehen", wiederholte er unnachgiebig. "Und ich habe abgelehnt", betonte sie. "Seit Monaten versuc hst du, mich zu treffen. Jetzt geb' ich dir die Gelegenheit dazu, aber du weist mich zurück." Catherine wollte nicht töricht sein. Immerhin war es nicht seine Schuld, dass sie in seinem Bett geschlafen hatten. Auch für ihre sinnlichen Träume konnte er nichts. Darüber hinaus ergab sich vielleicht tatsächlich die Gelegenheit, das Gespräch auf seine Eltern zu lenken. "Kannst du warten, bis ich gebadet und mich umgezogen habe?" fragte sie unbeholfen. Triumph leuchtete aus seinen dunklen Augen. "Klar, ich habe Zeit." Catherine musterte ihn aufmerksam, konnte aber seinen Zügen nichts entnehmen. Dennoch glaubte sie, eine flüchtige Regung darin erkannt zu haben. Sie schüttelte den Kopf. Sicher hatte sie sich das nur eingebildet. Aber was erwartete er eigentlich von dem gemeinsamen Abend? "Kevin", begann sie langsam, "was willst du überhaupt?" "Ich weiß nicht, was du meinst..." "Warum willst du mich plötzlich zum Essen ausführen, nachdem du mich monatelang abgewimmelt hast?" Sie beobachtete ihn gespannt. "Ich will dic h!" Catherine sah ihn verdutzt an. "Mich?" wiederholte sie tonlos und von seiner Offenheit überrumpelt. "Ja", bestätigte er. "Auch ehe Lewis mir die Wahrheit über jenen Abend sagte, war mir klar, dass ich dich wiedersehen musste. Doch dann hatte Lewis seinen Unfall, und anschließend ging der Gewerkschaftsstreit in die zweite Runde, so dass ich mich nicht freimachen konnte. Aber die ganze Zeit habe ich dich nackt in meinen Armen gesehen, Catherine. Ich will dich haben." "Nein!" "Ich weiß, ich muss erst das Gespenst aus deinem Bett vertreiben, ehe ich hoffen kann, dort geduldet zu werden", erklärte er. "Aber ich kann sehr geduldig sein, wenn ich etwas unbedingt will." Catherine schüttelte wortlos den Kopf. Es war unfassbar, was er da sagte. "Er ist tot, Catherine", stellte Kevin brutal fest. "Und du bist jung und hübsch und lebendig." "Aber ich liebe ihn", stammelte sie. "Und ich werde ihn immer lieben. Es gibt nichts anderes für mich." "Er kommt nicht zurück", hielt Kevin dagegen. Catherine atmete schwer. "Das ist kein Grund, dich in mein Leben zu lassen", entgegnete sie ärgerlich. "Ich mag dich nicht einmal!" "Du magst es aber, von mir geliebt zu werden", stellte Kevin herausfordernd fest. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. "Ich ... was soll das heißen?" Er konnte nichts von ihren Träumen wissen. Das war ihr Geheimnis! "An jenem Morgen in meinem Bett..." Er trat auf sie zu und strich flüchtig über ihren Arm. "Wenn Lewis nicht ins Zimmer geplatzt wäre, hätten wir uns richtig geliebt. Stimmt's?" fügte er hinzu, als Catherine eine Antwort schuldig blieb.
"Ja", gab sie zu, "schon möglich. Aber jetzt willst du mich nur, weil ich eine Herausforderung für dich bin, eine neue Erfahrung, eine Frau, die einen Toten liebt!" Nachdenklich musterte er ihr Gesicht. "Glaubst du das wirklich?" Er seufzte. "Vergiss das Dinner." Er wandte sich zur Tür. "Mir ist der Appetit gründlich vergangen." In dieser Nacht träumte Catherine, dass Kevin wieder zu ihr kam. Es war wunderschön, wie immer.
4. KAPITEL "Herrje", schimpfte Vikki, als sich Catherine betroffen auf die Lippen biss. "Das hast du doch gewollt!" Catherine las den Brief, der mit der Morgenpost gekommen war, zum wiederholten Male. Kevin hatte ihr für den morgigen Nachmittag einen Termin eingeräumt. Wozu nur? Es war nun über eine Woche vergangen seit seinem jähen Abschied aus der Wohnung, und sie hatte nicht damit gerechnet, je wieder von ihm zu hören. Der Brief von seinem Büro, der ihr ein kurzes Interview einräumte, kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel und erweckte zwangsläufig ihr Misstrauen. "Habe ich recht, Catherine?" "Ja, Vikki, das habe ich gewollt." "Aber?" Sie hatte Vikki nicht alles über den Abend von Kevins Besuch erzählt und insbesondere den letzten Teil des Gesprächs unterschlagen, da sie ihn selbst noch nicht verarbeitet hatte. "Warum jetzt?" "Warum nicht?" meinte Vikki ratlos. "Er hat dich kennengelernt und festgestellt, dass du nicht alles hemmungslos ausschlachten wirst, was er dir zu sagen hat. Es wundert mich nicht, dass er jetzt bereit ist, mit dir ein Gespräch zu rühren." Catherine hingegen wunderte sich sehr. Immerhin war Kevin enttäuscht von ihr gegangen und hatte mit keinem Wort ein Wiedersehen erwähnt. Was also hatte ihn veranlasst, es sich anders zu überlegen? "Übrigens war heute sein Foto in der Zeitung", bemerkte Vikki. "Hast du es gesehen?" Natürlich hatte Catherine es gesehen. Der Anlass war Lewis' Entlassung aus dem Krankenhaus gewesen. Sein Bein war noch in Gips, aber ansonsten war er wiederhergestellt. Auf dem Bild machte Kevin, der den Sohn von der Klinik abholte, ein finsteres und verbissenes Gesicht. Auch deshalb kam der Brief von seinem Büro so überraschend für sie. "Lewis sah gut aus", bemerkte Catherine. "Aber er machte ein ganz schön dummes Gesicht", erwiderte Vikki. "In der Zeitung stand, dass er mit seinem Wagen von einer Brücke abgekommen war", berichtete sie staunend. "Ich weiß." Catherine überlegte, ob er das mit Absicht getan hatte. Sie konnte ihm seine unglückliche Verfassung und tiefe Verzweiflung aus eigener Erfahrung nachfühlen. "Es hieß, Drogen seien im Spiel gewesen", meinte Vikki mit einem neugierigen Blick auf Catherine. "Wer weiß?" gab Catherine zur Antwort. Da sie nicht einmal mit Vikki, die dafür wenig Verständnis hatte, über Lewis' traurige Verfassung reden wollte, wechselte sie abrupt das Thema. "Was meinst du, Vikki, soll ich wirklich zu diesem Treffen gehen?" "Selbstverständlich", riet ihr Vikki, die leicht entsetzt war, dass Catherine einen solchen Gedanken überhaupt in Erwägung zog. "Warum nicht?" Weil die Träume fortdauerten, weil sie ihn allnächtlich liebte. Immer war Kevin da, niemals Harry. "Du hast völlig recht", sagte sie entschlossen. "Warum nicht?" Es schien unzählige Gründe zu geben, das Treffen abzusagen, als Catherine sich am nächsten Tag für diesen Anlass ankleidete, aber sie hörte nicht darauf. Sie hatte einen Job zu erledigen, bei dem ihr Kevin nun offenbar behilflich sein wollte. Mehr zählte jetzt nicht. Am Abend zuvor hatte sie gemeinsam mit Vikki die passende Garderobe ausgewählt, ein schwarzes Wollkostüm nämlich, das dezent und geschäftsmäßig wirkte. Bevor sie das Haus verließ, warf sie einen letzten prüfenden Blick in den hohen Spiegel. Ihre grünen Augen unter den schwarzen Wimpern leuchteten, ihr Teint war rosig, und Rouge, Lidstrich und Lippenstift saßen perfekt.
Das Büro von Kevin Steele entsprach ihren Erwartungen. Es war praktisch, aber mit exklusiven Möbeln eingerichtet. Hier wurden die britische Schwesterfirma und verschiedene Holding-Gesellschaften verwaltet. Die Dame, die sich als seine Privatsekretärin vorstellte, war selbst schön wie ein Filmstar. Ihre Stimme kannte Catherine vom Telefon, wo sie freundlich, aber bestimmt immer wieder abgewimmelt worden war. Falls die Sekretärin sich noch daran erinnerte, ließ sie sich jedenfalls nichts davon anmerken, sondern verhielt sich freundlich und korrekt. Catherine wünschte sich eine Portion ihrer Gelassenheit, als sie im Vorzimmer saß und darauf wartete, dass Kevin sie zu sich bestellte. Er schien sich damit Zeit zu lassen. War das Absicht? Catherine hielt ihn nicht für einen Mann, der keine Gelegenheit versäumte, andere seine Überlegenheit spüren zu lassen. Dennoch machte das Warten sie nervös, so dass sie erschrocken aufsprang, als endlich die Wechselsprechanlage auf dem Schreibtisch der Sekretärin summte. Die Sekretärin sah lächelnd auf. "Mr. Steele erwartet Sie jetzt, Miss Howard." Catherine lächelte gezwungen und trat vor die breite Doppeltür, die in Kevins Büro führte. Sie war an diesem Morgen mit dem Gefühl aufgewacht, seine warmen Hände auf ihrem Körper und seine heißen Lippen auf ihrer Haut zu spüren. Deshalb war es ihr eine Qual, dass sie ihm jetzt, da der Traum noch so lebendig war, unter die Augen treten musste. Nachdem sie zaghaft geklopft hatte, trat sie ein. Das persönliche Büro von Kevin Steele erinnerte an eine Filmkulisse. Schwere, sandfarbene Ledersessel standen vor dem offenen Kamin, in dem ein munteres Feuer brannte. Den Boden bedeckte ein weicher Teppich, in dem ihre Absätze versanken. Ein breiter Schreibtisch aus massiver Eiche stand vor der Wand mit vollen Bücherregalen. Hinter dem Schreibtisch saß Kevin und erwartete sie mit kühlem Blick. Catherine war froh, dass er in dem dunkelgrauen Geschäftsanzug wie ein Fremder auf sie wirkte und wenig Ähnlichkeit mit dem Kevin hatte, der sie allnä chtlich in ihren Träumen verführte. "Es tut mir leid, dass du warten musstest", bemerkte er beiläufig. "Ich hatte ein dringendes Telefonat zu führen, als du angemeldet wurdest." "Das macht nichts." Ihre Stimme war heiser von den intimen Phantasien, die sich ihrer bemächtigt hatten. "Bitte, nimm Platz!" Er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Catherine setzte sich nervös. Wie konnten sie sich nur so steif und unpersönlich gegenübertreten nach alledem, was zwischen ihnen vorgefallen war! "Hast du noch deine Träume?" Erschrocken sah sie ihn an. "Träume?" wiederholte sie verdutzt. "Na, die Träume über Harrys Unfall", erklärte er nickend. "Du siehst aus, als würdest du dir die halben Nächte um die Ohren schlagen." "Du siehst auch nicht besonders gut aus " erwiderte sie ehrlich. Sie war unheimlich erleichtert, dass er nicht die Träume von ihm gemeint hatte, von denen er natürlich nichts wissen konnte. "Ich wette, meine schlaflosen Nächte haben einen ganz anderen Grund." "Kevin, ich bin nicht hier, um über mein Aussehen zu sprechen", bemerkte sie mahnend. "Du hast mich sicher nicht deswegen zu dir bestellt." "Richtig. Ich habe eine gute Nachricht für dich und eine schlechte." "Das klingt wie ein schlechter Scherz", meinte Catherine darauf. "Mit dem ich nichts zu tun habe, glaube mir", erklärte er trocken. "Lewis hat wieder mal einen Streich gespielt." Catherine horchte auf. Sie hatte natürlich nicht vergessen, was ihr der widerspenstige Sohn mit seinem letzten Streich eingebrockt hatte. "Ich höre?" Die Besorgnis in ihrer Stimme war unverkennbar. Was kam jetzt wieder auf sie zu?
Kevin seufzte. "Er hat seinem Großvater erzählt, dass du ihn besuchen willst." "So?" "Womit wir bei der guten Nachricht sind", meinte Kevin einigermaßen verdrießlich. Catherine machte ein gespanntes Gesicht. "Er hat eingewilligt, mich zu empfangen?" "Ja", antwortete Kevin, als würde ihm dieser Gedanke gar nicht behagen. Catherines Augen leuchteten vor Freude, die allerdings nicht lange anhielt. Schließlich hatte sie die schlechte Nachric ht noch nicht gehört, denn offenbar war mit dem Treffen irgendeine unangenehme Bedingung verknüpft. "Er ist bereit, über seine Heirat zu sprechen?" fragte sie schließlich, um darüber Aufschluss zu erlangen. "Vorausgesetzt, es wird mit ihm abgestimmt, was du über ihn schreibst." "Was noch?" wollte Catherine wissen. Sicher war das nicht die schlechte Nachricht. Sie hatte Kevin schließlich längst zugesichert, dass sie es sowieso so halten würde. Es lag ihr fern, jemanden verletzen zu wollen. Kevin lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah sie abschätzend an. "Du weißt, dass mein Vater sich in den letzten Jahren völlig aus dem Gesellschaftsleben zurückgezogen hat?" "Natürlich", sagte sie, gespannt, worauf er hinauswollte. "Nun, er lebt nicht in London." "Ich verstehe." "Wirklich?" spottete Kevin. "Das möchte ich offen gestanden bezweifeln." "Was redest du dauernd um den heißen Brei herum. Sag endlich, was Sache ist!" fuhr sie ihn verärgert an. "Es tut mir leid", sagte sie gleich darauf, als sie sah, dass sie ihn gekränkt hatte. "Du weißt, wieviel mir das alles bedeutet", entschuldigte sie sich kleinlaut. Sein Blick blieb kalt. "Mein Vater hat mich gebeten, dich übers Wochenende zu ihm einzuladen." "Das ist ja großartig!" "Catherine", bremste Kevin ihre Begeisterung, "du wirst nicht mehr erfahren, als dass dein Ziel innerhalb von Großbritannien liegt." Catherine wurde stutzig. "Und was hat das zu bedeuten?" "Ist das nicht klar?" meinte er mürrisch. "Wenn du meinen Vater treffen willst, hast du dich morgen um 18.30 am Flughafen einzufinden." "Am Flughafen?" wunderte sich Catherine. "Hast du nicht gesagt, dein Vater hält sich hier im Land auf?" "Sicher, aber Großbritannien ist groß. Das Fliegen geht am schnellsten und bequemsten. Und dass du mir nicht versuchst, anhand der Flugroute festzustellen, wo mein Vater lebt!" warnte er sie. "Es wäre zwecklos, denn schließlich könnte das Flugzeug stundenlang Kreise drehen, um dann in der Nähe zu landen." "Ist das nicht alles ein bisschen übertrieben?" Kevin blieb ungerührt. "Wie lange, glaubst du, ist es her, dass mein Vater einem Reporter ein Interview gegeben hat?" Catherine wusste es: Zehn Jahre. Lucien Steele hatte sich in den letzten zwei Jahren völlig zurückgezogen, aber schon lange vorher jeden Kontakt mit den Medien gemieden. Seine Bücher, dicke Wälzer über Hollywood, waren ständige Bestseller, denn dass der Verfasser nun so krass mit dieser schillernden Welt gebrochen hatte, machte sie zum begehrten Lesestoff. Für Catherine war es ein großes Privileg, den einsiedlerische n Autor besuchen zu dürfen. Wenn doch das Treffen nur nicht so mysteriös vonstatten ginge! "Ich brauche wohl kaum hinzuzufügen", bemerkte Kevin verdrießlich, "dass ich absolut gegen dieses Treffen bin." Das war von Anfang an offensichtlich gewesen. Die Zuneigung, die er ihr letzte Woche gestanden hatte, war wie weggewischt, und sie fühlte nur noch seine Verärgerung über ihren
geplanten Besuch bei seinem Vater. Im Grunde war Catherine froh darüber. Vielleicht würden ihre Träume damit ein Ende nehmen. "Ich bin einverstanden", teilte sie ihm ihren Entschluss mit. Zornig funkelte er sie an. "Einfach so? Du steigst ins Flugzeug, ohne zu wissen, wohin die Reise führt, und verbringst ein ganzes Wochenende in einem wildfremden Haus, während du letzte Woche nicht einmal bereit warst, mit mir zum Essen zu gehen!" Catherine ließ sich nicht aus der Fassung bringen. "Ein Wochenende mit deinem Vater erscheint mir harmloser als ein Dinner mit dir." Jetzt lächelte Kevin sogar, und der Zorn in seinen Augen verschwand. "Damit hast du allerdings recht, meine Gefühle für dich sind nach wie vor dieselben, Catherine", fügte er leise hinzu. "Das gilt auch für meine Gefühle." Er sah sie herausfordernd an. "Nun, dann steht ein schwerer Kampf bevor, dich dazu zu bewegen, das zu wollen, was ich will." "Ein aussichtsloser Kampf für dich", versicherte sie ihm nachdrücklich. "Ich gebe zu, es ist nicht leicht, gegen den Schatten eines Verflossenen zu kämpfen!" Der Spott in seiner Stimme versetzte Catherine einen Stich ins Herz. "Harry war mein Leben", erwiderte sie. "Aber hätte er gewollt, dass du das, was davon übrig geblieben ist, einfach wegwirfst?" Catherine stand verärgert auf. "Ich genieße mein Leben, so wie es ist." Kevin erhob sich ebenfalls, ging um den Schreibtisch herum und trat mit ausgestreckten Händen auf sie zu. Nervös wich Catherine einen Schritt zurück, und diese fluchtartige Bewegung entfachte in seinen dunklen Augen einen wilden Raubtierblick. "Ich mag keine Frauen, die vor mir zurückschrecken", sagte er mit belegter Stimme. "Insbesondere, wenn diese Furcht aus falscher Scham entspringt." Catherine bekam es tatsächlich mit der Angst zu tun. Sie trat noch einen Schritt zurück, spürte aber, wie sie mit den Beinen gegen etwas Weiches stieß. Doch da verlor sie schon das Gleichgewicht und fiel rückwärts in einen der eleganten Ledersessel. Kevin stellte sich davor und versperrte ihr den Weg. "Weißt du, wie lange es her ist, dass mich eine Frau in meine Träume verfolgt hat?" fragte er. "Dass ich nach ihr griff, sie aber nicht da war?" Catherine schluckte. Er sollte es nur wagen, sie anzufassen! "Jahre, Jahre ist das her, Catherine", flüsterte er. "Es tut mir leid, dass der Mann, den du geliebt hast, tot ist", fügte er heiser hinzu, "aber ich bin sehr lebendig und vergehe vor Sehnsucht!" Er ließ sich plötzlich neben ihr auf dem breiten Sessel nieder. "Catherine." Zärtlich legte er die Hand unter ihr Kinn und zog sie an sich. "Das war nicht beabsichtigt", erklärte er. "Ich dachte, ich könnte dich vergessen, sobald ich dir die Einladung meines Vaters unterbreitet hätte. Aber ich kann nicht, Catherine, ich kann es nicht." Catherine beobachtete gebannt, wie sein Gesicht sich dem ihren näherte. Seine dunklen Augen wirkten auf diese Entfernung gar nicht so unheimlich. Aber sie kamen immer näher und näher ... Er drückte den Mund auf ihre Lippen. Sein Kuss war anders, als sie sich vorgestellt hatte ... weich, warm, zärtlich und unheimlich verliebt. Fasziniert schloss sie die Augen, legte die Arme um seine breiten Schultern und kostete seine Nähe aus. Behutsam bedeckte er ihr Gesicht und ihren Hals mit Küssen, tastete nach ihrem Busen und streichelte mit dem Daumen zart über die Knospen. Ein brennendes Verlangen flackerte in Catherine auf. Sie schmiegte und drängte sich an ihn. Sie wollte mehr, verloren im Taumel der Leidenschaft. Sie wollte ihn ganz.
Ein Knacken ließ Kevin plötzlich hochfahren. Schimpfend bückte er sich nach dem Stückchen Glut, das aus dem Kamin gesprungen war, und warf es mit einer raschen Bewegung zurück ins Feuer. Die jähe Unterbrechung brachte Catherine zur Besinnung. Wie konnte sie sich diesem Mann hingeben, wenn sie Harry liebte! Kevin spürte, was in ihr vorging. "Das war nur der Anfang!" war sein Kommentar. "Täusche dich nicht! Ich liebe Harry." Sie hoffte, er würde ihr verzeihen, ihn so schamlos als Schutzschild missbraucht zu haben. Kevin verzog keine Miene. "Irgendwann wird diese Masche keinen Eindruck mehr auf mich machen." "Das spielt keine Rolle. Wir werden uns sowieso nicht wiedersehen." Er lächelte gezwungen. "Du glaub st doch nicht etwa, dass ich so schnell aufgebe?" "Es wird dir nichts anderes übrigbleiben." "Wirklich nicht?" Ein komisches Gefühl breitete sich in ihrer Magengrube aus. "Ich muss jetzt gehen", sagte sie, stand auf und strich ihr Kostüm zurecht. "Wird mich morgen abend jemand am Flugplatz erwarten?" erkundigte sie sich mit aufgesetzter Gelassenheit. "Du willst trotzdem zu meinem Vater?" "Selbstverständlich", erwiderte sie kühl. "Gut", meinte er voller Bewunderung. "Ich dachte schon, meine Hartnäckigkeit hätte dich abgeschreckt." "Das hat doch mit deinem Vater nichts zu tun", stellte sie klar. "Da hast du vollkommen recht." Er nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. "Ja, es wird dich jemand am Flugplatz erwarten. Und pack warme Kleidung ein", riet er ihr noch. "Es ist Schnee angesagt, und zwar überall", fügte er hinzu, während Catherine schon überlegte, in welchen Gebieten im Wetterbericht Schnee angekündigt worden war. Stimmt, im ganzen Land sollte es schneien, überlegte sie, denn sie hatte die Wettervorhersage fürs Wochenende im Radio gehört. Einen so kalten Februar wie dieses Jahr hatte es schon lange nicht mehr gegeben. "Wird das Flugzeug bei so einem Wetter überhaupt starten können?" wollte sie sicherheitshalber wissen. Kevin hob ratlos die Hand. "Die Schneeprognose gilt erst fürs Wochenende." "Aber..." "Ich lasse von mir hören, wenn sich etwas ändern sollte", versprach er. "Ich weiß ja, wo du wohnst." Warum klingt alles, was dieser Mann sagt, wie eine Drohung? überlegte Catherine. "Dann ist soweit alles klar", meinte sie kühl. "Ich danke dir", fügte sie unbeholfen hinzu, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. "Bitte, gern geschehen." "Ich meine, weil du das Treffen für mich eingefädelt hast", betonte Catherine. "Natürlich", bemerkte er mit Unschuldsmiene. Zum Teufel mit ihm, fluchte Catherine in Gedanken. Nun war es an Catherine, eine bestimmte Position zu beziehen. "Ich finde das überhaupt nicht komisch", entrüstete sie sich über Vikki, die in lautes Gelächter ausbrach, als sie ihr anvertraute, was sich abgespielt hatte. "Aber es ist komisch", lachte Vikki. "Er hat dich tatsächlich in seinem Büro verführt, und du hast dich dafür auch noch bedankt!" Das machte Catherine noch wütender. "Hätte ich nur nichts gesagt!" bedauerte sie. Aber sie hatte jemandem ihr Herz ausschütten müssen, und Vikki war ihre beste Freundin.
"Ich lache dich nicht aus, Catherine", beschwichtigte Vikki sie. "Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass der Mann, den ich hier kennengelernt habe, so handeln kann. Er wirkte so ... so beherrscht und besonnen", erklärte sie. "Das ist er auch", seufzte Catherine. "Er hat mich als sein nächstes Opfer ausgewählt." "Wenn du ihm unbedingt aus dem Weg gehen willst, warum sagst du dann das Treffen mit seinem Vater nicht einfach ab?" fragte Vikki. "Weil Kevin nicht dort sein wird." "Hat er das gesagt?" "Nein, aber ..." "Wenn du die Klatschspalten aufmerksamer lesen würdest, Catherine, dann wüsstest du, dass er den Pilotenschein hat und selbst fliegt. Du hast doch gesagt, du fliegst zu dem Treffen, nicht wahr?" Kevin hatte mit keinem Wort erwähnt, dass er bei ihrer Begegnung mit seinem Vater anwesend sein würde, aber er hatte es auch nicht eindeutig verneint! Catherine seufzte. "Ich werde ihn auf der Stelle anrufen", erklärte sie entschlossen. Doch Kevin war nicht mehr im Büro. Seine Sekretärin teilte mit, dass der Chef vor Ende nächster Woche nicht zurückerwartet würde. Mit dieser Antwort gab Catherine sich zufrieden. Offenbar war Kevin nach Amerika geflogen. Allerdings sehnte sie sich nach seiner Begleitung, als sie am Tag darauf am Flugplatz eintraf. Sie kam sich verloren vor, da sie nicht wusste, wer sie erwartete, wohin die Reise ging und wie Lucien Steele sie aufnehmen würde. "Miss Howard." Die Stimme kannte sie. Sie blickte sich um und sah den Angestellten, den sie als Norman von jenem peinlichen Sonntagmorgen im Schlafzimmer des Chefs in Erinnerung hatte. Seiner belustigten Miene nach zu urteilen, hatte auch er den Vorfall nicht vergessen. "Ich bin Norman Bruce", stellte er sich mit einem vergnügten Lächeln vor. "Wir kennen uns ja schon." Sie nickte. "Catherine Howard." "Ist das alles an Gepäck?" Er deutete auf den kleinen Koffer, den sie bei sich trug. "Ich denke, das sollte doch reichen für ein Wochenende ... ganz gleich wo." "Stimmt." Er lächelte sympathisch, als er bemerkte, wie sehr Catherine sich bemühte, gelassen zu erscheinen, obwohl ihr die bevorstehende Reise ins Ungewisse mit einem wildfremden Mann durchaus nicht geheuer war. "Übrigens, wohin soll es überhaupt gehen?" "Ich habe strikte Anweisung, nichts zu sagen." "Und Sie tun natürlich stets, was Mr. Kevin Steele Ihnen aufträgt." Belustigung leuchtete aus seinen blauen Augen. "Soweit ich es verantworten kann." Catherine fand ihn sympathisch. Für ihn musste die Situation ebenso peinlich wie für sie selbst sein. Dennoch versuchte er, freundlich und humorvoll zu bleiben. "Verzeihung", meinte sie, nun ebenfalls lächelnd. "Das war nicht fair von mir." "Nicht ganz", erwiderte er augenzwinkernd. "Aber es war einen Versuch wert, hm?" Catherine lachte. "Ich bin froh, Sie hier zu treffen. Offen gestanden bin ich nämlich ein bisschen nervös." "Darauf wäre ich nie gekommen", scherzte er. Catherine konnte ihm diese Bemerkung nicht verübeln. Ein Blinder hätte gesehen, wie aufgeregt sie war. Ihr Blick ging nervös hin und her, ihre Bewegungen waren zu fahrig, und ihr Sinn für Humor hatte einer gehörigen Portion Misstrauen Platz gemacht. Was wusste Norman Bruce? Catherine hielt Kevin zwar nicht für den Typ, der anderen ständig sein Herz ausschüttete, dennoch war ihm wohl anzusehen, dass ihn etwas quälte. Norman Bruce, der seinen Chef sehr
gut kannte, ahnte vermutlich, dass Catherine das Problem war und dass Kevin es wirklich ernst mit ihr meinte! "Wissen Sie, eigentlich geht mich das nichts an", erklärte Norman Bruce, als er ihr betroffenes Gesicht sah. "Belassen wir es also dabei, dass Sie die junge Dame sind, die an einem Buch schreibt und Lucien Steele kennenlernen möchte, einverstanden?" Damit nahm Norman ihren Koffer und ging ihr über das Rollfeld zum wartenden Flugzeug voraus. Es war ein kleiner silberner Jet, der am Heck das auffällige Firmenemblem der Steele-Filmstudios trug. Catherine hielt inne. "Ist das Kevins Flugzeug?" fragte sie plötzlich. Es war schwer, sich bei dem Lärm verständlich zu machen, da auf der Rollbahn reger Flugbetrieb herrschte. "Natürlich." Norman Bruce schien sich über ihre Frage zu wundern. Catherine blieb wie versteinert stehen. "Und wer fliegt die Maschine?" Er sah sie skeptisch an. "Der Pilot natürlich", spöttelte er. Catherine blickte zum Cockpit hinauf, konnte aber niemanden sehen. "Kevin?" "Nein", versicherte ihr Norman. "Er ist nicht an Bord?" Irgendwie vertraute sie darauf, dass Norman die Wahrheit sagte. "Er ist nicht einmal mehr in London", gab er ihr zur Antwort. Catherine lächelte erleichtert und kletterte eilig ins Flugzeug. Sie war froh, dass sie sich warm angezogen hatte, denn es blies ein eisiger Wind. Das Flugzeuginnere entsprach den persönlichen Ansprüchen des Besitzers. Es wies insgesamt acht bequeme Sitzplätze auf, die um zwei Tische gruppiert waren, so dass man während des Flugs arbeiten oder konferieren konnte. Daneben schloss sich ein kleiner, großzügig ausgestatteter Salon an, der zum gemütlichen Verweilen einlud. Catherine war noch nie geflogen. Aus dem geplanten Flug in die Flitterwochen, die sie mit Harry in Griechenland verbringen wollte, war nichts geworden. Nach dieser schweren Enttäuschung hatte sie am Reisen kein Interesse mehr gehabt. Jetzt allerdings machte ihr das Fliegen Spaß. Sie freute sich wie ein kleines Kind, und ihre Augen strahlten, als sie gespannt zu Norman blickte. "Ihr erster Flug?" vermutete er. "Aber sicher nicht mein letzter", meinte sie begeistert. "Es ist herrlich!" Sie hatte den Ausblick auf das nächtliche London nach dem Start genossen. Jetzt konnte sie die Wolken von oben betrachten. Genüsslich nippte sie an dem Getränk, das der Steward serviert hatte. Der Himmel war nachtblau, und die Farbe erinnerte sie an die dunklen Augen von Kevin. "Kurze Flüge sind angenehm", meinte Norman, "während diejenigen in die Staaten eine Tortur sind." Catherine machte ein verträumtes Gesicht. "Ich möchte furchtbar gern einmal nach Amerika!" "Wer weiß?" antwortete er. "Vielleicht ergibt sich bald die Möglichkeit." "Nein, ich ... nein", wiederholte sie nachdrücklich, als sie seine Anspielung verstand. "Mit ihm will ich nirgendwo hin!" Norman stand auf, um sich die Beine zu vertreten. "Ich habe aber den Eindruck, es gibt viele Dinge, die er Ihnen zeigen möchte." Catherine wandte sich ab und blickte aus dem Fenster in den Himmel hinaus, der sie an die dunklen Augen von Kevin erinnerte. Er war letzte Nacht nicht zu ihr gekommen. Sie hatte im Bett gelegen und im Geiste noch einmal die Momente in seinem Büro durchlebt. Verzweifelt hatte sie gegen den Schlaf mit seinen Träumen angekämpft und sich dagegen gewehrt, wieder von seinen Küssen und Liebkosungen verführt zu werden. Aber natürlich war es ihr nicht gelungen, sich dem übermächtigen Schlaf zu entziehen. Doch es war nichts geschehen.
Schließlich hatte sie in den dunklen Winkeln ihres Herzens nach ihm gesucht und war im Nachthemd durch die Finsternis geirrt, um ihn zu finden, bis sie zuletzt schluchzend aufgewacht war. Und Kevin war nicht gekommen. Was hatte er mit ihr gemacht! Nacht für Nacht wünschte sie sich, in ihren Träumen nicht von ihm belästigt zu werden, und schämte sich der ungezügelten Phantasien. Und heute morgen hatte sie geweint, weil er nicht gekommen war! "Miss Howard? Fühlen Sie sich wohl?" unterbrach Normans besorgte Stimme ihre gequälten Gedanken. Sie öffnete die Augen und blinzelte, den Tränen nahe. "Alles in Ordnung", log sie. "Sind wir bald da?" "Noch etwa zwanzig Minuten", gab er zur Antwort. "Sind Sie etwa luftkrank?" Wenn es nur so einfach wäre! Catherine wusste nicht, was mit ihr los war. Seitdem sie Kevin Steele kannte, lebte sie in ständigem Aufruhr, und es wurde mit jedem Tag nur noch schlimmer! "Nein", erwiderte sie kopfschüttelnd. "Erwartet Mr. Steele noch andere Gäste fürs Wochenende?" wollte sie dann wissen, um das Thema zu wechseln. "Mr. Steele hat nie Gäste", erklärte Norman. "Ich habe den Verdacht, er empfängt Sie nur, weil Lewis von Ihnen erzählt hat." "Ich weiß, dass er seinem Großvater gesagt hat, ich möchte ihn besuchen, aber ich verstehe nicht, was daran verdächtig sein soll." "Ich übertreibe wohl nicht, wenn ich sage, dass Lewis ein besonderes Talent dafür hat, Streiche auszuhecken ...", deutete Norman vorsichtig an. "Nein", pflichtete sie ihm bei, da sie den Junior von dieser Seite hinlänglich kennengelernt hatte. "Dass der Großvater Sie überhaupt empfängt, haben Sie sicher den maßlosen Übertreibungen des Enkels zu verdanken. Er wird den Vorfall nach der Geburtstagsparty dermaßen aufgebauscht haben, dass der Großvater neugierig auf Sie geworden ist." "Du meine Güte!" seufzte Catherine. Der berühmte alte Herr wusste also von den pikanten Ereignissen jener Nacht! "Wenn ich ein Mann wäre, würde ich Lewis ordentlich verprügeln", platzte sie zornig heraus. "Wenn Sie ein Mann wären, dann wären Sie gar nicht in diese Situation gekommen", spöttelte Norman. Kevin musste wissen, was Lewis dem Großvater erzählt hatte. Wie konnte Kevin sie nur in eine so peinliche Lage bringen! Catherine ärgerte sich über ihre Arglosigkeit. "Und ich dachte, Lucien Steele will mich treffen, weil ihm das, was ich schreibe, ein Anliegen ist." "Schon möglich", meinte Norman. "Aber gewarnt ist gewarnt, wie man so schön sagt." "Was spielt es schon für eine Rolle, warum er mich empfängt?" bemerkte sie. "Hauptsache ist, er empfängt mich!" Norman lächelte bewundernd über ihren Mut. Als vorn ein Licht blinkte, sah er auf. "Gurten Sie sich an. Wir landen jetzt." Damit blieb Catherine gar keine andere Wahl mehr. Sie würde Lucien Steele treffen, auch wenn Lewis ihm ein falsches Bild von ihr vermittelt hatte. Und sie würde ihr Interview bekommen. Aber, dass ihr Kevin das angetan hatte, dafür verfluchte sie ihn. Kaum hatte das Flugzeug am Boden aufgesetzt, wurde die Tür geöffnet. Norman Bruce, der plötzlich hektische Betriebsamkeit an den Tag legte, begleitete sie über die Treppe zur wartenden Limousine. Man ließ Catherine keine Chance, den Ort der Landung festzustellen. Sie traute Kevin sogar zu, dass er sie im Kreis hatte fliegen lassen!
Allerdings zeigte sich bald, dass sie nicht in der Nähe von London waren. Rasch ließen sie die wenigen Gebäude hinter sich und fuhren über eine Landstraße durch hügeliges Gelände. Am Horizont ragten Berge auf. Im Wagen war es angenehm warm, was für draußen nicht zutraf. Es lag tief Schnee, und es schneite noch immer. Catherine vermutete, dass sie in Schottland oder Wales waren. Aber eigentlich war es ihr egal, wohin es sie verschlagen hatte, denn es lag ihr fern, das Versteck von Lucien Steele preiszugeben, sollte sie den Ort zufällig herausfinden können. Nun bog der Wagen in eine alleeartige Einfahrt ab. Schneeflocken tanzten im Scheinwerferlicht. Als Catherine schließlich das große Haus entdeckte, staunte sie nicht schlecht. Es sah aus wie eine mittelalterliche Burg! Während Norman und der Chauffeur das Gepäck ausluden, bestaunte Catherine das stolze Bauwerk mit der wuchtigen Fassade. "Willkommen in meinem Haus, Catherine", grüßte eine vertraute Stimme. Sie fuhr herum und blickte in das lächelnde Gesicht von Kevin Steele.
5. KAPITEL Catherine glaubte, ihren Augen nicht zu trauen, als sie Kevin in der Eingangstür stehen sah. "Komm rein, es ist kalt draußen, Catherine", forderte Kevin sie auf. Catherine rührte sich nicht von der Stelle. "Ich möchte auf der Stelle zurück nach London gebracht werden!" verlangte sie ärgerlich. Die Belustigung verschwand aus den dunklen Augen. "Wieso denn?" "Es liegt auf der Hand, dass du mich mit falschen Versprechungen hergelockt hast. Ich verlange ..." "Entschuldigen Sie uns", sagte Kevin zu Norman und Hector, dem Chauffeur, nahm Catherine am Arm und führte sie kurzerhand durch die große Diele in einen behaglich warmen Salon. Im offenen Kamin brannte ein Feuer. Die antiken Möbel bildeten einen reizvollen Gegensatz zu den wuchtigen Mauern. Ein schwerer, hölzerner Leuchter hing von der Decke und verbreitete angenehmes Licht. "Lass mich los!" erregte sieh Catherine und befreite sich von seinem Griff. "Du ..." "Ich habe es nicht nötig, mir durch faule Tricks Damenbesuch zu verschaffen", fuhr er sie an. "Sie sind alle nur zu willig!" Catherine blickte irritiert in sein wütendes Gesicht. "Du ... du meinst, dein Vater ist tatsächlich hier?" "Ja", antwortete er. "Aber..." "Das ist mein Haus, aber mein Vater hat hier seine Zelte aufgeschlagen", fiel er ihr ins Wort. "Ich habe dich also nicht herbringen lassen, um mir mit dir eine schöne Zeit zu machen", fügte er spöttisch hinzu. Catherine winkte energisch ab. "Deinen Spott kannst du dir sparen!" "Sei froh, dass ich nur spotte." "Nach den Äußerungen deiner Sekretärin und deines Angestellten Norman Bruce hatte ich den Eindruck, du wärst in Amerika", hielt sie ihm vor. "Und du hast mit keinem Wort erwähnt, dass du auch hiersein würdest." "Ich bin auf den ausdrücklichen Wunsch meines Vaters gekommen", erklärte Kevin ärgerlich. "Er ist kein geübter Gastgeber, insbesondere wenn es sich um den Besuch junger Damen handelt." Das erinnerte sie an etwas anderes. "Weißt du, dass er glaubt, wir ... wir wären ..." "Verliebt? Nach fünf Minuten in deiner Gesellschaft wird er wissen, dass es nicht stimmt", meinte Kevin abweisend. Sein herrischer Ton kränkte sie. "Was willst du damit sagen?" "Zwei Verliebte verhalten sich nicht so wie wir", stellte er klar. "Und wie .... wie verhalten wir uns?" "Ich verhalte mich wie jemand, der dich haben möchte. Und du verhältst dich, als würdest du mich hassen. Mein Vater ist ein kluger Mann. Er wird schnell erkennen, dass Lewis schamlos übertrieben hat." Catherine schüttelte den Kopf. "Ich glaubte, ich hätte ein angenehmes Wochenende vor mir, könnte mit deinem Vater reden, meine Informationen einholen und wieder nach Hause fliegen." "Dem steht nach wie vor nichts entgegen", meinte Kevin fast freundlich. "Ausgeschlossen. Ich will zurück nach London." "Aber nicht mehr heute." "Warum nicht?" "Weil es schon spät ist, fast halb zehn." Catherine seufzte resigniert.
"Weißt du, dass du recht hattest, als du neulich sagtest, du seist eine neue Erfahrung für mich?" stellte Kevin fest. "Noch nie hat sich eine Frau dermaßen verzweifelt gegen meine Gesellschaft gesträubt wie du:" Wusste er, wie nervös es sie schon machte, nur im gleichen Zimmer mit ihm zu sein? "Ich bin nicht verzweifelt", meinte Catherine abweisend. "Ich mag es nur nicht, wenn man mich zum Narren hält." "Dann mach dich nicht zum Narren." Dann lächelte er plötzlich und erklärte freundlich: "Das Dinner wartet." "Oh, für deinen Vater muss ich mich erst umziehen", sagte sie mit einem flüchtigen Blick auf ihren gefütterten Lammfellmantel, den sie noch über der sportlichen Karo-Hose und dem dicken, weiten Pullover trug. "Mein Vater hat längst auf seinem Zimmer gegessen", bemerkte Kevin. "Du brauchst also nur mich zu beeindrucken", fügte er scherzhaft hinzu. Catherine war nicht zum Lachen zumute. "Vielleicht kann ich mich rasch frisch machen?" "Selbstverständlich. Ich bringe dich nach oben." "Aber..." "Keine Sorge, Catherine. Ich habe es mir zur Regel gemacht, nicht mit hungrigem Magen kleine Unschuldsengel zu verführen", spottete Kevin. "Da mein Appetit groß ist, muss ich Prioritäten setzen." Catherine konnte es gar nicht leiden, wenn er sich über sie lustig machte. So folgte sie ihm schweigend über die breite Steintreppe in den ersten Stock und ließ sich zur letzten Tür am Ende des langen Korridors führen. Neugierig spähte Catherine ins Zimmer, als er die Tür öffnete. Den Raum beherrschte ein wuchtiges Himmelbett in der Zimmermitte mit schweren Brokatvorhängen, wie sie auch die hohen Fenster schmückten. Entsprechend wuchtige Möbel vervollständigten das rustikale Schlafzimmer. "Catherine ..." "Ich finde wohl allein zurück in den Salon", versicherte sie ihm schnell. "Fünf Minuten, mehr brauche ich nicht, einverstanden?" Kevin nickte. Als Catherine endlich allein war, spürte sie, wie sie zitterte. Kevins Nähe brachte sie völlig durcheinander. Weder fünf Minuten noch fünf Stunden hätten ausgereicht, um wieder zur Ruhe zu kommen. Es war zum Wahnsinnigwerden! Wo blieben nur die Erinnerungen an Harry, die Wärme und Geborgenheit, die sie empfand, wenn sie an ihn dachte? Aber Catherine wusste, dass sie sich nicht mehr an Harry festhalten konnte. Sie liebte ihn und würde ihn immer lieben. Dennoch zwang Kevin sie nicht nur, wieder zu fühlen, sondern er zwang sie auch, wieder zu leben! Und davor hatte sie Angst. Die fünf Minuten vergingen viel zu schnell. Rasch bürstete sie sich das Haar und beschloss, sich gar nicht erst umzuziehen. Immerhin war sie eben erst angekommen, und außerdem war auch Kevin mit seiner schwarzen Bundfaltenhose und dem schwarzen Pullover nicht gerade förmlich fürs Dinner gekleidet. Obwohl Catherine einen guten Orientierungssinn hatte, ahnte sie, dass man sich in einem solchen Haus leicht verirren könnte. Sicherlich wusste das auch der Hausherr, denn er wartete am Fuße der Treppe auf sie. "Es ist ein herrliches Haus mit viel Atmosphäre", schwärmte Catherine, um ihren inneren Aufruhr zu überspiele n, als sie zu ihm ging. "Leuchten deshalb deine Bäckchen und Augen so?" fragte Kevin gut gelaunt. "Ich sehe immer so aus, wenn ich hungrig bin", erwiderte sie. "Du bist tatsächlich hungrig, was?" meinte er. "Wir sollten Mrs. McDonald auch nicht länger mit dem Essen warten lassen." Damit öffnete er die Tür und führte sie in ein viel kleineres Zimmer, als sie erwartet hatte. Der runde Tisch war für zwei Personen gedeckt, und
ein fünfarmiger Leuchter spendete gemütliches Kerzenlicht. "Oh, ich glaube, Mrs. McDo nald verkannte die Situation, als ich ihr sagte, ich erwarte eine junge Dame zum Dinner", bemerkte er trocken und griff nach dem Lichtschalter, um die hölzerne Deckenleuchte anzuknipsen. "Nein!" Catherine hielt ihn heftiger, als sie beabsichtigt hatte, von seinem Vorhaben ab, womit sie sich einen neugierigen Blick von ihm zuzog. "Es ... es ist schöner so", ergänzte sie verlegen. "Stimmt." Er schob ihren Stuhl zurück und drückte, nachdem sie Platz genommen hatte, auf den Klingelknopf neben dem Kamin, um servieren zu lassen. Eine kleine, rundliche Frau kam ins Zimmer und stellte zwei dampfende Suppenteller auf den Tisch, wobei sie Catherine herzlich zulächelte. Catherine erwiderte das Lächeln. Die Köchin war ihr sofort sympathisch. "Es stimmt gar nicht, was über die mürrischen Schotten gesagt wird", stellte sie fest, nachdem sich Mrs. McDonald wieder in die Küche zurückgezogen hatte. Kevin lachte, und ein hübsches Grübchen erschien am linken Mundwinkel. "Was hat uns denn verraten?" fragte er vergnügt. "Die Berge, Hector, Mrs. McDonald oder ihr köstlicher Eintopf?" Vorsichtig, um sich nicht den Mund zu verbrennen, kostete Catherine davon. Der Eintopf schmeckte sehr pikant und war genau das richtige für einen kalten Winterabend. Zudem hatte sie wirklich einen Bärenhunger. "Köstlich", bemerkte sie nach dem dritten oder vierten Löffel. "Das ist eine Spezialität von Mrs. McDonald und für meinen verwöhnten Gaumen immer eine willkommene und handfeste Abwechslung", sagte Kevin, der sich sichtlich über das Lob für seine Köchin freute. Das Schweigen, das zwischen ihnen herrschte, als sie aßen, erweckte den Eindruck von einträchtiger Vertrautheit, aber in Wirklichkeit wurde Catherine von Minute zu Minute nervöser. Schließlich holte sie tief Luft und sagte: "Ich habe jetzt doch beschlossen, hierzubleiben und deinen Vater zu treffen." Kevin sah auf. "Wie kommt es zu diesem plötzlichen Sinneswandel?" "Wenn ich schon einmal hier bin, wäre es wirklich albern, unverrichteter Dinge wieder abzureisen", erklärte sie. "Das meine ich auch", pflichtete er ihr mit einem Kopfnicken bei. "Wann kann ich mit ihm sprechen?" erkundigte sich Catherine gespannt. "Morgen beim Frühstück", gab er zu verstehen und lehnte dankend das Dessert ab, das Mrs. McDonald auftrug. Catherine hingegen ließ sich ein großes Stück vom warmen, gedeckten Apfelkuchen reichen, um die arme Köchin nicht vor den Kopf zu stoßen. "Mein Vater arbeitet allerdings vormittags", fügte Kevin hinzu, sobald die Köchin sich zurückgezogen hatte. "Du wirst also frühestens morgen nachmittag Gelegenheit zu einem ausführlichen Gespräch mit ihm haben." "Dann hätte ich wohl ebensogut erst morgen nachmittag eintreffen können", meinte Catherine darauf. "Und wer hätte mir dann heute beim Dinner Gesellschaft geleistet?" spöttelte er. "Kevin!" "Kannst du Ski laufen?" fiel er ihr ins Wort, als sie wieder einmal zu einem Tadel ausholen wollte. Catherine horchte interessiert auf. "Ich habe es noch nicht versucht", antwortete sie wahrheitsgemäß. "Dann wirst du morgen Gelegenheit dazu haben", erklärte Kevin. "Wo?" "In den Bergen von Cairngorms." "Sind wir in der Nähe von Aviemore?" fragte Catherine aufgeregt.
Kevin hob geschlagen die Hände. "Es hat keinen Sinn mehr, dich länger zu belügen. Ich wusste, sobald ich dich hier heraufhole, ist es kein Geheimnis mehr. Aber ich wollte dich trotzdem hier haben." Catherine griff über den Tisch und legte ihre Hand auf seinen Handrücken. "Ich werde bestimmt keinem verraten, wo dein Vater lebt", versprach sie. Er sah ihr tief in die Augen, als wollte er sich vergewissern, dass sie es ehrlich meinte. Schließlich drehte er die Hand um und umschloss ihre Finger. "Sollen wir hinübergehen?" schlug er vor. Catherine konnte den Blick kaum von Kevin losreißen, als sie aufstanden und in den Salon wechselten. Nachdem er die Deckenlampe ausgeschaltet hatte, ließen sie sich vor dem offenen Kamin auf dem gemütlichen kleinen Sofa nieder. Dort saßen sie schweigend und betrachteten das Spiel der Flammen. Kevin hielt nach wie vor ihre Hand. Dann räusperte er sich. "Catherine." Sie wandte ihm das Gesicht zu und blickte fasziniert in seine dunklen Augen. "Ich weiß, dass du Angst hast." Er strich ihr eine Strähne aus der Wange. "Deshalb sollst du wissen, dass ich dich nicht verführen werde, was immer jetzt auch geschehen mag." Er küsste sie zärtlich auf die eine und dann auf die andere Wange und bedeckte schließlich ihren Mund mit seinen Lippen. Von dem Moment an, wo sie sich im Kerzenschein zu ihm an den Tisch gesetzt hatte, war es Catherine bewusst gewesen, dass es dazu kommen würde. Aber sie konnte ihr Verlangen nach seinen Umarmungen und Küssen nicht mehr bezähmen. "Ich habe davon geträumt, dich hier zu küssen", gestand Kevin. Behutsam zog er ihr den Pullover aus und schob die Träger des weißen Dessous zurück, das sie anstelle eines BHs trug. "Ich liebe das", sagte er und küsste mit Hingabe ihre entblößten Brustspitzen. "Verwehre es mir nicht." Catherine verfolgte fasziniert, wie er den Kopf an ihre Brüste schmiegte und seine Zunge zärtlich und lustvoll die Knospen liebkoste. Wie ein Baby, ging es ihr durch den Kopf, doch ihre eigenen Gefühle waren dabei alles andere als mütterlich. Voll glühender Leidenschaft drängte sie sich ihm entgegen, als er sich neben sie auf das Sofa sinken ließ und sie seine Erregung an ihren Schenkeln spürte. Be hutsam knöpfte sie sein Hemd auf, schob es zur Seite und rieb sich wohlig an seiner behaarten Brust. "Küss mich, Catherine", stöhnte Kevin. "Liebe mich!" Mit den Lippen strich sie über seine straffe Haut und fand die feste, braune Knospe. Sie spürte den Schauer, der ihn durchlief, als sie ihn nun auf die gleiche Weise liebkoste. In diesem Moment erkannte sie, dass sie dieselbe Macht über ihn besaß wie er über sie. Wieder verschmolzen ihre Lippen zum Kuss. Das rhythmische Spiel ihrer Zungen ging auf ihre Körper über. Ihre Bewegungen wurden immer heftiger, als hätten sie sich endlich vereinigt. Aber Kevin hielt sein Versprechen, obwohl es ihm sichtlich schwerfiel. Catherine spürte, wie ihre aufgestaute Erregung einer gewaltigen Explosion entgegenjagte. Wenn sie nicht sofort aufhörte, würde sie nur vom Küssen und Streicheln der Höhepunkt erreichen. Ganz sanft biss sie auf seine Zunge. "Was ist? Nein, Catherine!" flüsterte er heiser, als er das Bedauern in ihren Augen sah. "Nein, nein, nein!" Er vergrub das Gesicht an ihrem weichen Hals. Er wollte nicht wahrhaben, dass sie ihr Liebesspiel abbrechen müssten, wenn sie sich nicht wirklich lieben wollten. "Ja." Schaudernd fügte er sich schließlich der Stimme der Vernunft. Catherine, die regungslos unter ihm lag, war so aufgewühlt, dass sie keine Silbe über die Lippen brachte. Schließlich hob er den Kopf. Das Feuer in seinen dunklen Augen war noch nicht verloschen. "Kaum habe ich dir mein Versprechen gegeben, hätte ich es um ein Haar schon gebrochen, Catherine."
"Nicht du, sondern ich", widersprach Catherine betroffen. "Ich wollte ... ich war nahe daran ..." "Ach, hättest du es nur getan", stöhnte er. "Ich hätte dich zu gern geliebt." "Ich möchte jetzt gern aufstehen", sagte sie leise. Kevin legte die Hand unter ihr Kinn und drehte sanft ihr Gesicht zu sich. "Es ist nicht schlimm, Lust und Verlangen zu empfinden, Catherine", erklärte er beschwichtigend. "Ich weiß." "Trotzdem bedauerst du, was passiert ist." Er setzte sich auf und knöpfte sein Hemd zu. "Ich jedenfalls will dir nichts vormachen", gestand er. "Ich bedauere es nicht!" Während er mit seinem Hemd beschäftigt war, zog sich Catherine rasch an. Machte sie sich etwas vor? War ihre Zurückhaltung geheuchelt? Sie war so verwirrt, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Jeder Vorsatz, sich nicht berühren zu lassen, zerbröckelte, sobald er das geringste Anzeichen von Verlangen zeigte. Sie erkannte sich selbst nicht wieder. Nie hätte sie geglaubt, dass sie so hemmungslos auf die Liebkosungen dieses Mannes reagieren könnte. "Kevin..." "Geh schlafen, Catherine", meinte er zärtlich. "Und träum von mir!"
6. KAPITEL Am nächsten Morgen fühlte sich Catherine wie gerädert. Ihr Körper schien sich dafür zu rächen, dass sie ihm die Erfüllung seiner Triebe versagt hatte. Ihre Stimmung besserte sich auch nicht, als sie duschte und sich anzog. Sie wählte das blaue Kostüm mit schmalem Rock. Sie hoffte, darin einen guten Eindruck auf Lucien Steele zu machen. Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ sie bedrückt ihr Zimmer. Als sie am Fuß der Treppe Kevin entdeckte, der sich gerade mit Norman Bruce unterhielt, wollte sie am liebsten kehrtmachen. Aber schon sah Kevin zu ihr hinauf, als hätte er ihr Kommen gespürt, und er wandte den Blick nicht von ihr ab, während er sich rasch bei seinem Angestellten entschuldigte. Mit einem freundlichen Lächeln in ihre Richtung, das sie halbherzig erwiderte, zog sich Norman zurück. Kevin stützte sich mit einer Hand auf das Treppengeländer und beobachtete sie beim Herunterkommen. Ein freudiges Lächeln umspielte seine Lippen. "Kevin ..." "Du siehst blendend aus", unterbrach er sie ungeduldig und reichte ihr die Hand, um ihr galant über die letzte Stufe zu helfen. "Ich..." "Komm, sag schön guten Morgen", meinte er und küsste sie auf den Mund. Mit dieser zärtlichen Geste verflog ihr Verdruss. Erleichtert über seine Unbefangenheit schmiegte sie sich an ihn, schlang die Arme um seinen Hals und gab ihm ebenfalls einen Kuss. "So ist es schon viel besser", bemerkte er freundlich. "Guten Morgen, Darling." "Guten Morgen", erwiderte sie. Kevin schien mit Genugtuung den Aufruhr zu registrieren, den er in ihr entfacht hatte. "Bist du gewappnet für die Begegnung mit meinem Vater?" neckte er sie. Catherine war alles andere als gewappnet. Sie fühlte sich schwach und unsicher. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn Kevin sie jetzt auf den Arm genommen und nach oben getragen hätte, und zwar diesmal in sein Schlafzimmer. "Natürlich", schwindelte sie aus Verlegenheit. Kevin lachte leise. "Sei nicht so nervös, sonst frisst er dich mit Haut und Haaren auf." Auch das noch, dachte Catherine. Noch so einen Furcht einflößenden Mann namens Steele kann ich nicht verkraften! "Komm schon!" Kevin reichte ihr den Arm. "Ich werde dich beschützen." Und wer beschützt mich vor dir? war Catherines einziger Gedanke. Im Speisezimmer hielt sich nur der alte Herr auf, der mit dem Rücken zu ihnen am langen Tisch saß. Sein dichtes Haar war silbergrau, und sein Profil erinnerte an Kevin. Er sah für sein Alter erstaunlich gut aus. Als er das Gesicht zur Tür wandte, fiel Catherine auf, dass seine Augen ebenso dunkel wie die seines Sohnes waren. Allerdings bemerkte sie noch etwas anderes darin. Es waren die Augen eines Schwerkranken. Sie konnte sich selbst nicht erklären, was in ihr diesen Eindruck erweckt hatte. Gespannt suchte sie im faltigen Gesicht des berühmten Lucien Steele nach Anzeichen dafür," als er aufstand und zur Begrüßung freundlich lächelte. Catherine entging nicht, dass er mit gewisser Neugier den Arm seines Sohnes um ihre Taille registrierte. "Sie sind doch Miss Howard, nicht wahr?" meinte er belustigt. "Oder sind Sie eine Bekannte meines Sohnes?" Fragend zog er die silbergrauen Brauen hoch. Catherine löste sich von Kevins Arm, um den falschen Eindruck, den Lewis dem alten Herrn vermittelt hatte, nicht noch zu verstärken. Was sollte auch diese Vertraulichkeit?
"Nein, ich meine, ja", korrigierte Catherine, als sie Kevins skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte. "Ich ...", begann sie, "das heißt ..." "Ich weiß, was Sie sagen wollen, Miss Howard." Lucien Steele schmunzelte mit einem belustigten Blick auf seinen Sohn. "Welche Fehler Lewis auch immer haben mag, einen guten Geschmack hat er, das muss man ihm lassen." Kevin verzog spöttisch das Gesicht. "Mit gutem Geschmack hat das leider nic hts zu tun. Auch wenn Catherine aussähe wie eine Kugelstoßerin, hätte das Lewis nicht davon abgehalten, sein grausames Spielchen mit ihr zu treiben", stellte er richtig. Sein Vater zog die Brauen zusammen. "Grausam?" hakte er nach. "Ja, grausam", wiederholte Kevin ärgerlich. "Catherine hat es schwer genug gehabt und kann auf solche Erfahrungen gut verzichten." Lucien Steele sah sie an und musterte sie eindringlich. Als sie schon glaubte, seinem durchdringenden Blick nicht länger standhalten zu können, wandte er sich wieder seinem Sohn zu und erklärte: "Ich erwarte Miss Howard um halb fünf zum Tee." Und wieder an Catherine gewandt, fügte er hinzu: "Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, Miss Howard." Damit ging er aus dem Zimmer. Catherine stand ein paar Sekunden wie festgenagelt da. Schließlich wandte sie sich aufatmend an Kevin. "Danke! Ich habe das Gefühl, wenn du nicht hier gewesen wärst, hätte dein Vater mich tatsächlich mit Haut und Haaren aufgefressen! " Der alte Herr hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. Kevin winkte ab. "Hunde, die bellen, beißen nicht." Er zog einen Stuhl zurück und bedeutete ihr, am Frühstückstisch Platz zu nehmen. "Hier." Kevin goss ihr Kaffee ein und fügte genau die Menge Milch und Zucker hinzu, wie sie es gern mochte. Catherine registrierte diese Vertrautheit mit Verwirrung. Dabei wusste sie auch, dass er seinen Kaffee schwarz und ungesüßt trank. Sie versuchte, sich zu erinnern, wie Harry seinen Kaffee gewünscht hatte, aber es wollte ihr nicht mehr einfallen. "Ich kann mich selbst bedienen, danke" wehrte sie ab, als er Eier mit Speck von der Platte auf dem Beistelltisch auf einen Teller gab und ihr hinhielt. "Zu spät", meinte Kevin, von ihrer plötzlichen rebellischen Haltung überrascht. Catherine blieb in Abwehrhaltung. "Ich mag weder Eier noch Speck", log sie. Gereizt stellte er daraufhin den Teller an seinen eigenen Platz. "Also gut, dann sag mir, was du willst. Ich bringe es dir." Catherine blickte vor sich auf die weiße Tischdecke. Was ich will? Deine Arme um mich spüren, deine Lippen, deinen verliebten Blick. Das alles will ich, aber das ist ja gerade das Problem! "Ich habe keinen Hunger." Diesmal log sie nicht. Der Appetit war ihr gründlich vergangen. Wenn sie sich vorzustellen versuchte, welche Farbe Harrys Augen hatten, sah sie immer nur Kevins dunkle Augen vor sich. Sie war auf dem besten Weg, Harry zu vergessen, und schuld daran war Kevin! "Ich denke, ich werde den Vormittag mit Lesen verbringen, wenn du nichts ..." "Wir gehen Ski laufen", erinnerte Kevin sie. "Ich sagte doch, ich kann nicht Ski laufend" "Und ich sagte, das kann man lernen", erwiderte er und schob den vollen Teller, den er nicht angerührt hatte, lustlos von sich. "Verdammt noch mal, Catherine", herrschte er sie an. "Du ..." Mit einem Mal hielt er inne, als plötzlich zaghaft die Tür aufging. "Verzeihung." Norman Bruce blieb wie angewurzelt stehen, als er, kaum eingetreten, den zornigen Blick seines Chefs auf sich wusste. "Ich wollte nur rasch frühstücken", meinte er unbeholfen. "Aber das kann warten." Dass zwischen Catherine und Kevin dicke Luft herrschte, war auch für ihn nicht zu übersehen. "Bis später also."
"Nein." Catherine hielt ihn zurück, als er sich zum Gehen wandte. Es war ihr sehr peinlich, dass Norman schon wieder Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen ihr und Kevin wurde. "Ich gehe." "Nein, ich", erwiderte Kevin forsch. "Ich habe noch etwas zu erledigen, bevor wir losfahren." Damit wusste Catherine, dass Kevin auf dem Skilaufen bestand. Nachdem er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, nahm sie nervös wieder Platz. Was war nur mit ihr los? Sie fand Kevin nicht einmal besonders nett, dennoch verdrängte er langsam, aber sicher alle Erinnerungen an Harry aus ihrem Gedächtnis. Alle bis auf eine: die Erinnerung an die gegenseitige Liebe. Und dieses Gefühl war nicht mit dem zu vergleichen, was sie und Kevin füreinander empfanden. Catherine fühlte sich wieder etwas wohler, als sie den Kopf hob und Norman anlächelte. "Kevin und ich hatten gerade unseren täglichen Streit." Sie versuchte, die Auseinandersetzung, die Norman gerade unterbrochen hatte, abzuschwächen. "Und wer hat gewonnen?" fragte Norman scherzhaft, als er vor dem Teller Platz nahm, den Kevin unangetastet weggeschoben hatte. Catherine lächelte wehmütig. "Raten Sie mal!" Er lachte. "Übrigens, was für einen Eindruck hat Lucien Steele auf Sie gemacht?" "Vater und Sohn haben viel gemeinsam", antwortete Catherine diplomatisch. "Und für Kevin empfinden Sie doch etwas mehr, nicht wahr?" fragte Norman, Er wirkte äußerst neugierig und wollte seine Feststellungen von ihr bestätigt wissen. Das klang alles sehr einleuchtend, und Catherine fragte sich, was es mit ihren Empfindungen wirklich auf sich hatte. Catherine beobachtete Kevin verstohlen, als er mit ihr im Range Rover nach Aviemore und in die Berge von Cairngorm fuhr. Er war nach wie vor verärgert über ihr Verhalten beim Frühstück. Das hatte sie ihm auf den ersten Blick angesehen, auch jetzt, während der Fahrt, würdigte er sie keines Blickes. "Hörst du auf zu schmollen, wenn ich mich entschuldige?" fragte Catherine, der das Schweigen auf die Nerven ging. "Ich schmolle nicht!" Dabei machte er ein Gesicht wie ein kleiner Junge, der nicht bekam, was er wollte. Catherine hatte Mühe, ein Lächeln zurückzuhalten. "Es tut mir leid, Kevin. Darf ich erklären ..." "Ich bitte darum", brauste er auf. "Wir haben nur über die Ähnlichkeit zwischen meinem Vater und mir gescherzt, als du mich mir nichts, dir nichts angefahren hast." "Es fing mit dem Kaffee an", begann sie zögernd. "Mir fiel plötzlich ein ..." Sie schluckte. Aber sie wusste, dass sie ihm diese Erklärung schuldig war, auch wenn es schmerzlich war, darüber zu sprechen. "Du trinkst deinen Kaffee schwarz und ungesüßt, nicht wahr?" fragte sie. "Ja", bestätigte er ungeduldig. "Und du weißt, dass ich etwas Milch und einen Löffel Zucker nehme", fuhr sie wehmütig fort. "Dabei fiel mir ein, dass ich mich nicht mehr entsinnen kann, wie Harry seinen Kaffee getrunken hat. Ich weiß, das klingt albern, aber ..." "Nein, das ist nicht albern", versicherte er ihr. "Jetzt verstehe ich. Danke, dass du es mir erklärt hast." In einträchtigem Schweigen setzten sie ihre Fahrt fort. Catherines Augen begannen zu leuchten, als die Berge in Sicht kamen. Auf dem Platz vor dem Skilift parkten Dutzende von Autos. Lachende Menschen in bunten Skianzügen packten munter ihre Bretter aus, schwangen sie über die Schulter und stapften in ihren schweren Skistiefeln davon.
Zögernd kletterte Catherine aus dem Wagen und folgte Kevin zur Heckklappe. "Ich glaube, ich werde mich nur lächerlich machen", sagte sie verzagt. "Und was ist daran so schlimm, sich ab und zu lächerlich zu machen?" Mühelos hievte er Skier und Stöcke aus dem Wagen und steckte sie in den festgetretenen Schnee. "Du hast gut reden", entgegnete Catherine erbost. "Immerhin machst du dich nie lächerlich." "Ach ja! Und was war, als ich der Blondine in meinem Bett falsche Motive unterstellte?" "Dafür konntest du nichts", entschuldigte sie sein damaliges Verhalten. "Nein, aber mir scheint, ich habe mich in den letzten Wochen noch mehrere Male wegen der gleichen Blondine lächerlich gemacht. Da spielt einmal mehr keine Rolle." Mit dieser Feststellung trat er entschlossen auf sie zu. "Kevin!" "Was ist denn?" Seine Augen leuchteten verlangend, als er sie in die Arme schloss. "Nicht hier!" Wie um ihren Einwand zu bekräftigen, rollte ein Wagen heran und fuhr ein Stück weiter rückwärts in eine freie Parklücke. "Warum denn nicht?" flüsterte Kevin dicht vor ihren Lippen. "Die Leute ..." "Stören mich nicht", meinte er und küsste sie zärtlich. Catherine vergaß alles um sich herum. Die lachenden Stimmen auf dem Parkplatz hörte sie nicht mehr. Schon schlang sie die Arme um Kevins Hals und erwiderte leidenschaftlich seinen Kuss. Kevin war derjenige, der die Umarmung schließlich beendete. "Gehen wir zum Lift?" fragte er fast wehmütig. Ernüchtert stapfte Catherine hinter Kevin her durch den Schnee. Sie war froh, dass er auch ihre Skier trug, denn sie hatte Mühe, in den schweren Stiefeln das Gleichgewicht zu halten. Kevin blickte sich lächelnd nach ihr um. "Weißt du, was mir an dir am meisten gefällt?" Erschrocken horchte Catherine auf. "Kevin!" Sie sah sich flüchtig um, ob jemand diese Bemerkung gehört hatte, denn sie waren nicht die einzigen auf dem Weg zum Lift. Kevin zwinkerte. "Keine Bange, Catherine", beschwichtigte er sie vergnügt. "Ich wollte nur sagen, dass du die seltene Gabe hast, mich zum Lachen zu bringen." Catherine atmete erleichtert auf, als sie den Skilift erreichten. Wie schaffte Kevin es nur, so mühelos voranzukommen? Auch bei den anderen Leuten sah es so leicht aus! Kevin hielt inne, um auf sie zu warten, und beobachtete belustigt, wie sie sich über die Treppe schleppte. "Das ist eine wunderbare Gabe, Catherine", schwärmte er. "Alle schätzen deine Gesellschaft." "In diesem Fall werden dann wohl auch die nächsten Stunden ein Vergnügen für dich sein." "Oh, es wird mir ein Vergnügen sein, dir das Skilaufen beizubringen", versicherte er. Und in den nächsten Stunden zeigte sich, warum es ihm ein Vergnügen war. Der "Unterricht" bot ihm reichlich Gelegenheit sie immer wieder zärtlich zu berühren, wenn er ihr die korrekte Haltung demonstrierte oder ihr beim Aufstehen half, sobald sie auf die Sitzfläche plumpste. Nach den ersten peinlichen Stürzen überwand Catherine ihre Zurückhaltung und fand richtig Spaß an der Sache, besonders wenn sie lachend in Kevins ausgebreitete Arme fiel. Sie waren mit dem Sessellift ein kurzes Stück hinaufgefahren. Der Ausblick war herrlich, die frische Luft tat wohl. Auch wenn Catherines erste Versuche eher kläglich ausfielen, war sie mit sich und ihrem Erfolg zufrieden. "Das reicht für heute", beschloss Kevin schließlich nach einigen Stunden. "Du frierst und bist erschöpft."
Catherine hätte nicht geglaubt, dass ihm das auffiele. Aber sie hatte von sich aus nichts sagen wollen, um den Spaß, den sie hatten, nicht zu verderben. "Warum fährst du nicht noch einmal hoch und tobst dich richtig aus auf der Piste", schlug sie vor, als sie unten angekommen waren. "Es wird kaum befriedigend für dich gewesen sein, mit mir über den Anfängerhang zu rutschen, auch wenn wir viel Spaß hatten", fügte sie lächelnd hinzu, als sie sah, dass er Einwände erheben wollte. "Ich wette, du kannst den meisten Leuten hier vormachen, wie man richtig Skifährt." Kevin war wirklich ein Könner. Er bewegte sich auf den Skiern, als wäre er mit ihnen auf die Welt gekommen. "Dir ist kalt ..." "Wenn du mir den Schlüssel gibst, kann ich im Wagen auf dich warten." Die Versuchung war groß, das sah Catherine ihm an. "Bitte", ermutigte sie ihn. "Wenn du meinst ..." "Ja, das ist mein voller Ernst." "Einverstanden." Er zog den Wagenschlüssel aus der Tasche. "Es wird nicht lange dauern", versprach er noch, küsste sie flüchtig auf den Mund und schaukelte mit dem Skilift bergan. Catherine hatte wenig Lust, allein im Wagen zu warten. Im Schutz des überdachten Zugangs zum Skilift verfolgte sie Kevins Skikünste. Er glitt mühelos und elegant die Abfahrt herunter und machte von seinen Stöcken nur selten Gebrauch. Bei ihm sah das Skilaufen aus wie ein Kinderspiel. Catherine war nicht die einzige, die ihn bewunderte. Mehrere Leute wandten sich nach ihm um. Als er schließlich unten ankam, war er sehr erstaunt, als er feststellte, dass Catherine auf ihn wartete. "Ich wollte nur sehen, wie es richtig geht", scherzte sie unbekümmert wie ein Schulmädchen. Er löste die Bindung und schwang die Skier über die Schulter. "Wenn ich gewusst hätte, dass du mir zusiehst, hätte ich ein paar Tricks vorgeführt." Nein, das hätte er nicht getan. Das wusste Catherine. Denn er war nicht der Typ, der sich protzig zur Schau stellte. "Wie war's mit einem Lunch?" fragte er auf der Rückfahrt nach Aviemore. Catherine, die erst jetzt merkte, wie hungrig sie war, fand den Vorschlag wunderbar. Kevin parkte den Wagen vor dem kleinen Bahnhof von Aviemore. Das Städtchen war nicht groß, aber sehr hübsch. In einem der vielen kleinen Geschäfte kaufte Catherine ein niedliches Stofftier, das jedes Kinderherz höher schlagen ließ. "Geheime Sammlerleidenschaft?" fragte Kevin, als sie wieder auf die Straße kamen. "Wo denkst du hin? Das ist für meinen Neffen." "Deinen Neffen?" wiederholte Kevin ungläubig. "Du hast gesagt, du hast keinen Bruder." "Stimmt." "Aber einen Neffen ..." "Was bedeutet, dass ich eine Schwester habe. Susan ist zehn Jahre älter als ich", erklärte Catherine, "und mein Neffe Josh ist acht." Kevin sah sie ernst an. "Ich weiß so gut wie nichts über dich, Catherine." "Das spielt doch keine Rolle." "Und ob! Beim Lunch kannst du mir von deinem Leben erzählen, und zwar von dem Moment an, als der Doktor dir einen Klaps auf den Po verpasste." "Es wird dich furchtbar langweilen", warnte Catherine. "Außerdem brauchte ich keinen Klaps vom Doktor. Ich war so entsetzt, als ich ans Licht der Welt gelangte, dass ich sofort seinen weißen Kittel besudelte. Das behauptet jedenfalls meine Mutter", erzählte sie lachend.
Kevin amüsierte sich köstlich, als Catherine ihm beim Essen von ihren Kinder- und Jugendstreichen erzählte. Von Langeweile konnte keine Rede sein, wie sie mit Genugtuung registrierte. "Jetzt bist du an der Reihe", forderte sie ihn auf, als sie ihren Hamburger aufgegessen hatten und sich über den Bananensplit hermachten. Kevin wurde plötzlich ernst, und Catherine bedauerte, seine gute Laune zerstört zu haben. "Meine Kindheit lief längst nicht so unbeschwert ab", versicherte er mit einem entrückten Gesichtsausdruck. "Aber sie war bestimmt interessant inmitten von lauter Filmstars", meinte Catherine. "Es gibt offen gestanden nichts Interessantes an einer Menge unsicherer Leute, die ständig bemüht sind, sich hinter dem Image zu ve rschanzen, das andere für sie schaffen", erwiderte Kevin. "Solange meine Mutter noch lebte, verlief unser häusliches Leben einigermaßen normal. Nach ihrem Tod allerdings lebte ich praktisch in den Kulissen der Drehbücher, die mein Vater schrieb, umgeben vo n falschen Fassaden und falschen Werten. Selbst als ich Deanna kennenlernte, lebte ich noch in dieser Scheinwelt. Ich sah nicht, dass sie es vor allem auf Rollen in den Filmen meines Vaters abgesehen hatte, so dass sie werden konnte, was sie sich immer gewünscht hatte: ein Star." Die Enttäuschung, die er damals erfahren hatte, zeigte sich erneut in Kevins Blick. "Ich aber wollte keine Frau, die mehr auf Reisen war als bei mir und Lewis. Also stellte ich ihr ein Ultimatum. Sie entschloss sich für die Trennung, denn inzwischen hatte sie erreicht, was sie wollte, und war eine berühmte Filmschauspielerin geworden. Erst danach wurde mir klar, dass Lewis nicht wie ich in einer Phantasiewelt aufwachsen durfte." "Deshalb kam er zu seinem Großvater?" schloss Catherine. "Ja.“ "Aber dein Leben wird nach wie vor von dieser Phantasiewelt beherrscht." "Nein, denn jetzt herrsche ich über die Phantasiewelt. Und Lewis war sehr glücklich bei seinem Großvater." Dennoch hatte Kevin viel eingebüßt, vor allem die Nähe zu seinem Sohn, die so wichtig gewesen wäre. "Ehe du heute nachmittag mit meinem Vater sprichst, möchte ich dir noch etwas sagen", teilte er ihr unverhofft mit. O nein! Ich habe doch nicht etwa recht gehabt mit dem, was ich heute morgen in seinen Augen gesehen habe? überlegte Catherine betroffen. "Mein Vater macht zwar einen sehr rüstigen und regen Eindruck", begann Kevin. "Aber zuweilen ... oft gerät er ins Schwärmen oder schweift ab. Und was er dann von sich gibt, das gibt nicht viel Sinn." Kevin sah sie eindringlich an, um ihre Reaktion auf diese Enthüllung abzuschätzen. "Warst du deshalb dagegen, dass ich mit ihm zusammenkomme?" fragte Catherine. "Ja.“ Sie griff über den Tisch und berührte flüchtig seine Hand. "Viele ältere Menschen schweifen in ihre Vergangenheit ab, Kevin", meinte sie beschwichtigend. "Das stellt ihre Intelligenz keineswegs in Frage. Und dein Vater ist offensichtlich geistig noch sehr rege." Kevin nickte. "Aber was er von sich gibt, wenn er abschweift, ist manchmal unglaubwürdig oder ... peinlich." Catherine lächelte nachsichtig. "Ich bin nicht beauftragt, über deinen Vater zu schreiben, wie er jetzt ist, Kevin. Ich schätze, in dieser Beziehung spricht sein Werk für ihn. Mich interessiert in erster Linie nur seine Ehe mit deiner Mutter." Kevin seufzte. "Jedenfalls kannst du nachher nicht sagen, dass ich dich nicht gewarnt habe." Catherine übertraf sich bei der Heimfahrt fast selbst, um Kevin wieder zum Lachen zu bringen. Sie konnte ihm nachfühlen, wie schwer es ihm gefallen war, in dieser Weise über
seinen Vater zu sprechen. Auch Vikkis Großmutter hing gern ihren Erinnerungen nach, lebte in der Vergangenheit und schwärmte von der alten Zeit. Catherine war sich sicher, dass sie mit Lucien Steele zurechtkommen würde. Als Kevin ihr die Haustür öffnete, lachten sie wieder einträchtig über den vergnügten Vormittag in den Bergen und Catherines erste Versuche auf Skiern. "Soso!" spottete plötzlich jemand. "Und ich glaubte schon, ihr zwei Hübschen hättet euch inzwischen längst die Köpfe eingeschlagen." Catherine wurde blass, als sie sich umwandte und den unsympathischen Zeitgenossen auf Krücken sah. Lewis Steele! Sein verletztes Bein war noch in Gips.
7. KAPITEL Mit kalten, abschätzigen Blicken musterte Lewis zuerst die zerzauste Catherine und dann den finster dreinsehenden Vater an ihrer Seite, der vor einem Moment noch so unbeschwert heiter gewirkt hatte. "Was, zum Teufel, suchst du hier?" fragte Kevin erbost. Lewis zuckte mit keiner Wimper angesichts der Erregung seines Vaters. "Ich wohne hier", erwiderte er gelangweilt, wobei sein Blick wieder auf Catherine fiel. "Oder hat sich daran in den letzten zwei Tagen etwas geändert?" Catherine spürte, wie Kevin immer verspannter wurde. Könnte sie nur etwas tun, um den Streit zwischen dem wütenden Vater und dem widerspenstigen Sohn zu schlichten. Doch sie wusste, dass sie machtlos war und dass es sie nicht einmal etwas anging. Lewis benutzte sie nur, um seinen Vater zu reizen. Sobald er darauf nicht mehr reagierte, würde sich Lewis etwas Neues ausdenken. "Du weißt ganz genau, dass sich daran nichts geändert hat", fuhr Kevin seinen Sohn an. "Aber es ist schon so lange her, dass du hier gewesen bist. Wie bist du überhaupt hergekommen?" "Ich habe deinen Piloten gebeten, mich herzufliegen", gab Lewis zur Antwort. Kevin kniff die Augen zusammen. "Ich wette, Großvater war ganz schön überrascht, dich hier zu sehen." "Nicht besonders", entgegnete Lewis abweisend. "Ich habe ihn gestern abend angerufen und meinen Besuch angekündigt. Er hat sich sehr gefreut." Kevin verriet mit keiner Regung, was er über diesen neuesten Streich dachte. Dennoch ahnte Catherine, wie gekränkt er sich fühlen musste, weil Lewis sich nicht an ihn, sondern an den Großvater gewandt hatte. Sie waren sich so fremd, Vater und Sohn! "Apropos Großvater", bemerkte Lewis mit einem kalten Blick auf Catherine. "Ich fürchte, meine Ankunft hat ihn so ermüdet, dass er sich nun doch nicht in der Lage sieht, das für heute nachmittag geplante Gespräch zu führen. Bis morgen früh werden Sie also mit meinem verehrten Herrn Vater vorliebnehmen müssen." Er schenkte ihnen beiden ein geringschätziges Lächeln. "Aber das hat Ihnen bis jetzt ja offenbar wenig ausgemacht." Kevin ballte die Hände zur Faust. "Diese Bemerkung wirst du auf der Stelle zurücknehmen, mein Lieber", befahl er mit funkelndem Blick. "Dass es ihr nichts ausgemacht hat? Aber ich kann nichts anderes feststellen." "Natürlich nicht", gab Kevin zurück. "Ich weiß, es wird dir schwerfallen, aber ich verlange, dass du Catherine mit etwas mehr Respekt behandelst." Es war Catherine unangenehm, dass sie erneut zum Zankapfel zwischen Vater und Sohn wurde. "Kevin, es macht mir wirklich nichts aus ..." "Entschuldige dich für deine Frechheit", befahl Kevin seinem Sohn, ohne auf Catherine einzugehen. "Wieso?" "Hast du ihr nic ht schon genug Verdruss bereitet?" Lewis sah ihn plötzlich erstaunt an. "Herrje, du denkst doch hoffentlich nicht im Ernst daran, mir in meinem Alter noch eine Stiefmutter vorsetzen zu wollen, oder?" Die Farbe wich aus Catherines Gesicht. Verzweifelt hielt sie Kevin zurück, der gegen seinen Sohn ausholen wollte. "Das nützt doch nichts, Kevin", sagte sie beschwichtigend. "Es stimmt also?" spottete Lewis. "Du meine Güte, ich hätte dir mehr Verstand zugetraut, als dich von einer Frau um den Finger wickeln zu lassen, die ich höchstpersönlich zu dir ins Bett gesteckt habe!" Kevin beherrschte sich im letzten Moment. Er stand jetzt dicht vor seinem Sohn, der ihn um wenige Zentimeter überragte. "Du wirst dich bei Catherine sofort und in aller Form entschuldigen", forderte er ihn drohend auf. Lewis' Blick blieb kalt und gelassen, als er die
Stimmung seines Vaters abschätzte. Endlos lange Sekunden vergingen, bis er schlaksig die Schultern zuckte. "Wofür soll ich mich entschuldigen? Dafür, dass sie jetzt deine Geliebte ist oder dass ich davon weiß?" "Kevin, nein!" Mit knapper Not konnte Catherine Kevin davon abhalten, auf seinen Sohn loszugehen. "Und du", fuhr sie Lewis an und duzte ihn absichtlich, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, "du bist jetzt vernünftig wie ein erwachsener Mann, der du zu sein vorgibst." " Das", schrie er seinen Vater an, "das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen von deiner, deiner ..." "Freundin", ergänzte Catherine anstelle des wenig schmeichelhaften Wortes, nach dem Lewis gesucht hatte und das Kevin sicherlich so erzürnt hätte, dass sie ihn diesmal nicht mehr hätte zurückhalten können. "Ich verstehe gar nicht, warum du so sauer bist, Lewis, aber das ist wohl eine Angelegenheit zwischen euch beiden. Ich lasse mich jedenfalls nicht in euren Streit hineinziehen, kapiert?" betonte sie. "Ich ..." "Lewis, in deinem jetzigen Zustand könnte sogar ich dich außer Gefecht setzen", warnte sie ihn. "Offen gestanden hätte ich durchaus Lust dazu, aber für dich wäre es weniger angenehm." Lewis holte tief Luft. "Also gut, ich entschuldige mich", entgegnete er tonlos, aber ohne einen Funken der Reue. "Das genügt", sagte Catherine mit einem gezwungenen Lächeln. "Wenn du nichts dagegen hast, gehe ich jetzt telefonieren, Kevin." "Catherine!" Sie wandte sich am Fuß der Treppe zu ihm um, und ihr Blick zeigte deutlich, wie verstört sie war. Kevin ließ seinen Sohn stehen, lief zu ihr und strich ihr über die Wange. "Du willst telefonieren?" "Ja, ich will Vikki anrufen und ihr sagen, dass alles in Ordnung ist. Sie macht sich Sorgen nach diesem mysteriösen Flug ins Ungewisse." "Einverstanden", erwiderte Kevin. "Aber du kommst doch zum Dinner?" wollte er wissen. Er musste gespürt haben, dass Catherine die Absicht hatte, auf ihrem Zimmer zu bleiben. Sie rechnete damit, dass Lucien Steele am Abendessen nicht teilnehmen würde, wenn ihm jetzt nicht danach war, mit ihr zu sprechen. Da sie auch von Norman Bruce keine große Hilfe bei solchen Auseinandersetzungen erwarten konnte, hatte sie keine Lust, wieder einmal wehrlos zwischen Vater und Sohn zu sitzen. "Keine Sorge, Miss Howard", bemerkte Lewis, der ihr Zögern sah, übertrieben höflich. "Ich habe immer bessere Laune, wenn ich etwas gegessen habe." Ungehalten sah Catherine ihn an. "Du bist ganz schön eingebildet, wenn du glaubst, deine Laune würde mich auch nur im geringsten interessieren", erwiderte sie abweisend. "Ich habe lediglich bedauert, dass ich heute abend mit deinem Vater nicht allein sein werde wie gestern." Mit Genugtuung registrierte sie die erboste Reaktion des Juniors. "Selbstverständlich komme ich zum Dinner", versicherte sie Kevin daraufhin. "Ich freue mich darauf", meinte Kevin erleichtert. "Wenn das hier zu einer Szene aus Romeo und Julia ausartet, dann geh' ich besser raus, ehe sich mir der Magen umdreht!" Damit klemmte sich Lewis entschlossen die Krücken unter die Achseln und humpelte durch die Haustür. Besorgt schaute Kevin ihm nach, ehe er sich wieder an Catherine wandte. "Entschuldige, dass du mitten in unser Kreuzfeuer geraten bist", sagte er. "Es hat mit dir nichts zu tun." "Ich weiß." Sie drückte ihm verständnisvoll die Hand. "Ist er immer so gereizt?" Kevin nickte bekümmert. "Meistens."
"Hast du schon einmal versucht, ihm zu erklären, warum du ihn vor fünfzehn Jahren zum Großvater geschickt hast?" erkund igte sie sich behutsam. Sein Blick verdunkelte sich. "Wenn du meinst, das sei der Grund für sein Verhalten, dann lass dir sagen, das ist er nicht." Er schüttelte den Kopf. "Bis vor wenigen Jahren standen wir uns sehr nahe." "Und was ist dann passiert?" "Fragst du als Freundin oder als Reporterin?" wollte er wissen. "Wie oft habe ich dir nun schon erklärt, dass ich nicht dieser Typ von Reporter bin! Also was ist vorgefallen?" "Wer weiß?" Er mied plötzlich ihren Blick und hob mit einer abwehrenden Geste die Hand. "Ich liebe meinen Sohn, Catherine, aber ich kann ihn nicht ständig an der Hand führen und vor allem beschützen." "Dann plagt ihn also etwas?" Kevins Miene wurde finster, und Catherine hatte den Eindruck, als wäre er jetzt sehr weit weg von ihr. "Er hat nur die üblichen Schwierigkeiten beim Erwachsenwerden", sagte er mit einemmal und wandte sich ab. "Er wird darüber hinwegkommen wie wir alle." Kevins Stimme klang nicht gerade überzeugend, und er wich ihrem Blick nach wie vor aus. Catherine sah ein, dass ihm nicht danach war, weiter über dieses Thema zu sprechen, und darum ging sie nach oben in ihr Zimmer. Catherine blickte aus dem Fenster und sah, dass Lewis noch draußen war. Der Schnee hielt ihn nicht davon ab, erregt mit seinen Krücken hin und her zu stapfen, und er sah einsam und verlassen aus. Catherine trat einen Schritt zurück, weil sie von Lewis nicht gesehen werden wollte. Ihre Neugier würde ihn nur noch misstrauischer machen. Eins stand für sie allerdings fest: Es war mehr als die Qual des Erwachsenwerdens, was ihm so zu schaffen machte. "Wie geht's dir? Wo bist du?" rief Vikki wenige Minuten später durchs Telefon, nachdem Catherine sie begrüßt hatte. "Ist Kevin auch da? Wie ist der alte Lucien Steele? Und hast du..." "Immer schön langsam", erwiderte Catherine lachend. "Du lässt mich ja gar nicht zu Wort kommen." "Du hast ja recht", sah Vikki ein. "Also, schieß los", drängte sie dann. "Mir geht es gut, Kevin ist auch hier, und Mr. Steele scheint recht nett zu sein", antwortete sie der Reihe nach. "Und du sagst natürlich nicht, wo du bist", erriet Vikki, da Catherine die Antwort auf diese Frage unterschlagen hatte. "Nein, ich ..." Catherine brach plötzlich ab, als sie ein seltsames Geräusch in der Leitung hörte. "Vikki, bist du noch dran?" "Dasselbe wollte ich eben auch fragen", erwiderte Vikki. "Es hat geklungen, als wäre die Verbindung unterbrochen worden", fügte sie verdutzt hinzu. Oder als hätte jemand an einem Nebenapparat aufgelegt, dachte Catherine. Herrje, kannte Kevin sie so schlecht, dass er glaubte, sie würde sein Vertrauen missbrauchen? "Die Verbindung scheint wieder in Ordnung zu sein", stellte sie fest. "Ja", meinte Vikki, immer noch irritiert. Aber dann schien sie die Störung zu vergessen. "Hast du dein Interview schon gemacht?" "Morgen", erklärte Catherine, die sich ärgerte, dass ihr Telefonat abgehört worden war. Denn eine andere Erklärung konnte es für das eigentümliche Klicken in der Leitung nicht geben. "Hat Kevin es schon geschafft, dich zu verführen?" scherzte Vikki. "Das setzt voraus, dass er mich überhaupt verführen will", konterte Catherine. "Das steht doch wohl außer Frage."
Hätte Kevin sich bei der Frage nach seinem Sohn nicht so abweisend verhalten, und wäre das merkwürdige Klicken in der Leitung nicht gewesen, hätte Catherine nicht bestritten, dass sie immer stärker dem Bann seines Charmes verfiel. Allerdings war dieses Gefühl bestenfalls ein zarter Keim, den das erwiesene Misstrauen nun im Ansatz erstickt hatte. "Vielleicht", antwortete sie darum ausweichend. "Aber es wird nichts daraus", bemerkte Vikki mit unverkennbarer Enttäuschung. "Das hört sich beinahe so an, als möchtest du mich loswerden", stellte Catherine empört fest. "Das täuscht", erwiderte Vikki schlagfertig. "Du weißt, wie ich zu deiner selbstauferlegten Enthaltsamkeit stehe", ergänzte sie, und dann lachten sie beide - wie immer, wenn Vikki versuchte, Catherine an den Mann zu bringen. Unmittelbar nach dem Telefonat ging Catherine erbost nach unten, um Kevin zur Rede zu stellen. Der "gnädige Herr" sei, wie das Dienstmädchen sagte, in seinem Arbeitszimmer bei einer wichtigen Besprechung. Als Catherine in den Raum platzte und Norman Bruce ihr wütendes Gesicht sah, stand er sofort auf. "Ich komme nachher wieder", meinte er ruhig und ging hinaus. "Wie konntest du nur!" begehrte Catherine auf, die nicht einmal wartete, bis die Tür geschlossen war. "Wie konntest du es wagen?" schimpfte sie. "Was hast du dir nur gedacht? Dass ich eine Zeitung anrufe und ausplaudere, wo dein Vater ist?" fügte sie erhitzt hinzu. "Und ich dachte, du vertraust mir ..." "Das tue ich", fiel Kevin ihr jäh ins Wort, stand auf und rückte ihr einen Stuhl vor seinen Schreibtisch. "Setz dich und sag mir erst mal, was los ist." "Das weißt du ganz genau", erregte sie sich noch mehr und ignorierte den Stuhl, da sie nicht sitzen und zu ihm aufschauen wollte, während er stand. "Ich habe gefragt, ob ich Vikki anrufen darf. Du hättest ja ablehnen können, wenn es dich gestört hat." "Es hat mich nicht gestört und stört mich auch jetzt nicht." Kevin war über ihre Ungehaltenheit sehr verwundert. "Weil du jetzt weißt, dass ich Vikki nicht gesagt habe, wo wir sind." "Aber..." "Wenn das Abhören von Telefonaten zu deiner Welt gehört, dann bin ich froh, dass ich nicht dazugehöre!" "Dein Telefonat mit Vikki wurde abgehört?" fragte Kevin verwundert. Sie sah ihn finster an. "Versuch nicht zu leugnen, dass du es warst!" "Aber ich war's nicht", erwiderte er barsch. "Und wenn wir schon dabei sind, von Vertrauensbrüchen zu reden ...", fügte er gereizt hinzu. Verwirrt registrierte Catherine Kevins kalten Blick und den zornigen verkniffenen Mund. "Du warst es nicht", seufzte sie schließlich reuig. "Aber wenn nicht du, wer dann? Lewis?" meinte sie verwirft. Sie hatte gesehen, wie Lewis in Richtung Haus marschiert war, ehe sie den Anruf getätigt hatte. "Glaubst du, dass er es war?" fragte sie zögernd. "Vielleicht", meinte Kevin skeptisch. "Vielleicht war es aber auch nur Einbildung." Er war wie ausgewechselt. Aus dem heiteren Gefährten vom Vormittag war der kalte, unnahbare Geschäftsmann geworden. Das schmerzte Catherine sehr, denn sie hatte diesen anderen Kevin liebgewonnen. "Es war keine Einbildung", sagte sie leise, "und es tut mir leid, dass ich dich sofort verdächtigt habe." Es fiel ihm sichtlich schwer, ihr zu verzeihen. Seine Miene wurde kein bisschen freundlicher. "Ich werde mit Lewis darüber sprechen", erklärte er. "Obwohl ich von ihm keine Entschuldigung erwarten würde. Er entschuldigt sich höchst selten für sein Benehmen." "Kevin ..." Doch er ließ sie nicht einmal ausspreche n. "War das alles? Ich habe zu arbeiten." Sie hätte ihm nicht so leichtfertig unterstellen dürfen, ihr Telefonat belauscht zu haben, das wusste Catherine jetzt. Obwohl es zuerst am nächsten lag, dass er dahintersteckte, wurde
ihr jetzt, je mehr sie darüber nachdachte, klar, dass ihm so etwas nicht zuzutrauen war. Immerhin hätte er von vornherein ihren Besuch hier unterbinden können, indem er die Einladung seines Vaters nicht an sie übermittelt oder seinem Vater mitgeteilt hätte, Catherine Howard habe das Angebot abgelehnt. Offenbar war sein Vertrauen in sie aber so groß gewesen, dass er es nicht für notwendig befunden hatte, sie mit solchen Methoden abzuwimmeln. Bekümmert ergriff Catherine seinen Arm mit beiden Händen. "Es tut mir leid", sagte sie betroffen, "aber ich war im ersten Moment furchtbar böse." "Zu Recht. Da ich dich von Anfang an nicht darüber im Zweifel ließ, wie sehr mir dein Besuch hier missfiel, ist es wohl nur logisch, dass du mich als ersten verdächtigst. Aber es wird dir sicher nicht entgangen sein, dass ich meine Meinung geändert habe, seit du hier bist?" Catherine hatte ihn gekränkt mit ihrem ungerechtfertigten Vorwurf, und das tat ihr leid. "Kevin, bitte, sei nicht mehr böse auf mich ..." "Böse auf dich?" wiederholte er barsch. "Ich habe mich dir geöffnet wie seit langem keiner anderen Frau mehr. Dennoch begegnest du mir nur mit Misstrauen und Abweisung. Warum zum Teufel soll ich auf dich böse sein?" Was er sagte, war die Wahrheit, und sie stimmte Catherine nachdenklich. Heute hatte sie den arroganten Kevin Steele von einer anderen Seite kennengelernt, nämlich als einen netten und liebenswerten Mann. Und dieser andere Kevin hatte ihr gefallen. Hatte er ihr zu sehr gefallen? Versuchte sie deshalb absichtlich, ihn wegzustoßen, um einer tieferen Bindung entgegenzuwirken? War es dafür nicht schon zu spät? Hatte sie ihn nicht längst gegen ihren Verstand liebengelernt? "Catherine?" Seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und sie sah zu ihm auf. Als sie plötzlich merkte, dass sie immer noch seinen Arm hielt, wich sie erschrocken zurück. "Schon wieder weist du mich zurück", hielt er ihr vor. "Aber warum auch nicht? Das ist wirksamer als eine kalte Dusche!" Wieder hatte sie ihm weh getan, ohne es zu wollen. Wie war sie nur in diesen Schlamassel geraten? Warum zwang ihr Kevin ständig seine Gefühle auf, wenn er doch wissen musste, welches Unheil er damit in ihr anrichtete! "Ich gehe jetzt am besten nach oben und nehme ein heißes Bad", sagte sie. "Meine Beine sind ganz steif." Aber auch mit diesem Hinweis auf ihre Ski-Künste konnte sie seine Laune nicht aufheitern. "Eines Tages, meine Liebe", begann er plötzlich mit drohendem Tonfall, "und das wird nicht mehr lange dauern, wirst du es im ganzen. Körper spüren, dass wir uns geliebt haben. " Erschrocken wich Catherine zurück. "Darauf kannst du ewig warten", rief sie ungehalten und rannte aus dem Zimmer. Erst in ihrem Zimmer kam Catherine allmählich zur Ruhe. Nicht vor Kevin lief sie davon, sondern vor ihren eigenen Gefühlen. Es waren nicht mehr die sinnlichen Träume, die ihr zu schaffen machten, sondern die Erinnerung an seine Liebkosungen in der letzten Nacht, die ein so brennendes Verlangen in ihr geweckt hatten. Sie wagte nicht einmal mehr, daran zu denken! Entschlossen, sich Kevin aus dem Kopf zu schlagen, ließ Catherine das Wasser einlaufen und gab reichlich duftendes Schaumbad dazu, das bis an den Wannenrand stieg. Mit einem Buch in der Hand legte sie sich in das heiße Wasser, um sich aufwärmen zu lassen und ihren Schmerz darüber zu vergessen. Kaum lag sie in der Wanne, flog plötzlich die Badezimmertür auf, und Lewis trat, auf seine Krücken gestützt, in die Türöffnung.
Unwillkürlich hielt sich Catherine das aufgeschlagene Buch vor die Brust. Zum Glück verdeckte der üppige Schaum den Rest ihres Körpers. "Was fällt dir ein!" herrschte sie ihn erschrocken an, "hier einfach reinzuplatzen? Was willst du überhaupt?" "Dich ansehen", gab Lewis unverfroren zur Antwort. "Es ist doch nicht das erste Mal. Nur lag damals mein lieber, alter Daddy auf dir, aber ..." "Was soll das? Verschwinde gefälligst!" schoss sie wütend zurück. Wie konnte er es wagen, in ihr Badezimmer einzudringen! Ihr Zorn ließ Lewis kalt. Unbeeindruckt zuckte er mit den Schultern. "Dad sagt, du warst sauer, dass ich dein Telefonat belauscht habe." Ohne mit der Wimper zu zucken, gab er es damit zu. "Und er schien der Ansicht zu sein, dass eine Entschuldigung fällig sei." "Inzwischen zwei!" Höhnisch zog Lewis die Brauen hoch. "Weil ich dich in der Badewanne überrascht - habe? Herrje, in meinem Zustand brauchst du von mir nichts zu befürchten, selbst wenn du splitterfasernackt bist." Er deutete spöttisch auf sein Gipsbein. "Du zierst dich wie eine ..." Plötzlich pfiff er leise durch die Zähne, als er ihr rotes Gesicht sah und ihm die Erkenntnis kam. "Ich kann's nicht glauben", höhnte er. "Das kann doch wohl nicht wahr sein!" Catherine zeigte energisch zur Tür. "Würdest du jetzt endlich verschwinden!" "Du bist eine Jungfrau." Er musterte sie nachdenklich. "Dad steht also auf Jungfrauen! Selbst meine Mutter konnte das nicht mehr von sich behaupten, als er sie heiratete." "Wie man hört, hatte sie dafür andere Dinge zu bieten", fuhr Catherine ihn an und bedauerte ihre boshafte Bemerkung augenblicklich. Sie war wütend und entsetzt, aber das gab ihr längst nicht das Recht, eine Frau, die sie nicht einmal kannte, schlecht zu machen. "Es tut mir leid", sagte sie rasch. "Das hätte ich nicht sagen dürfen. Denk jetzt nicht, dein Vater hätte sich so geäußert." "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", entgegnete Lewis gelassen. "Obwohl meine Mutter schon in fünfter Ehe lebt, lässt mein Vater nie verlauten, wie gemein sie war und immer noch ist. Also glaube nicht, ich würde Dad für deinen Informanten halten. Meine Mutter ist eine berühmte Schauspielerin, die alle Klatschspalten füllt, und dafür sorgt sie auch", fügte er abwertend hinzu. "Aber ich kann es einfach nicht fassen, dass Dad sich mit so einer naiven Frau wie dich einlässt." Er schüttelte verwundert den Kopf. "Zwischen deinem Vater und mir ist nichts", versicherte sie ihm. "Wie du dich vielleicht erinnerst, konnte weder er noch ich etwas dafür, dass ich in seinem Bett landete." Lewis betrachtete sie nachdenklich: das üppige, blonde Haar, jetzt zum Pferdeschwanz gebunden, das ungeschminkte Gesicht, die runden Schultern und den Busenansatz, den das schaumbedeckte Wasser freigab. "Du siehst aber nicht wie eine Jungfrau aus", stellte er daraufhin fest. "Wir kommen nicht mit einem Etikett auf die Welt", konterte sie ungeduldig. "Stimmt vielleicht etwas nicht bei dir?" spekulierte Lewis neugierig. Zornig funkelte sie ihn an. "Sobald ich dir erst ein paar schallende Ohrfeigen verpasst habe, stimmt alles wieder!" "Warum hast du dann noch keinen Mann gehabt?" fragte er erstaunt. Die angedrohten Ohrfeigen beeindruckten ihn nicht. "Ist das ein Muss?" "Bei einer so schönen Frau wie dir, ja", meinte Lewis geradeheraus. Catherine errötete, denn so prompt, wie die Antwort gekommen war, musste sie ehrlich gemeint gewesen sein. "Mein Badewasser wird kalt", erklärte sie ungeduldig. "Lass dich durch mich nicht stören." "Lewis!" warnte sie. "Du hast deinen Spaß gehabt. Aber treib es nicht zu weit, sonst fange ich meinerseits an, persönliche Fragen zu stellen." "Was soll das heißen?"
"Nicht so wichtig." "Ich will wissen, was das heißen soll", hakte Lewis entschlossen nach. "Lewis, bitte! Es hat nichts zu bedeuten. Vergiss es." Eben noch widerspenstig und auflehnend, nickte Lewis plötzlich. "Ich nehme an, dass ich dein Telefonat abgehört habe, ist damit auch vergessen?" Catherine rang sich ein Lächeln ab. "Sobald du mir sagst, was dich dazu veranlasst hat." "Mich hat nur interessiert, wen du anrufst. Ich wollte wissen, ob du vielleicht einen Freund hast. Als ich am anderen Ende der Leitung eine Frauenstimme hörte, legte ich auf." "Soso." "Nun, ich habe mir überlegt, was Dad wohl sagen würde, wenn es in deinem Leben einen andern Mann gäbe." "Nichts", antwortete Catherine darauf. "Ich wünschte, du würdest endlich begreifen, dass zwischen deinem Vater und mir nichts läuft." "Und was hatte die se Romeo- und-Julia-Szene, die ich erlebte, dann zu bedeuten?" fragte er mit einem, spöttischen Lächeln. "Ich finde, dein Vater ist ein bisschen zu alt, um einen glaubwürdigen Romeo abzugeben." Diese Bemerkung entlockte Lewis ein Lächeln. "Du hast also doch Humor!" "Wenn etwas wirklich komisch und nicht nur gemein ist, ja." "Weißt du, viele Frauen hätten dich in jener Nacht beneidet", betonte Lewis: "Außerdem hast du dein Interview doch schließlich bekommen, nicht wahr?" Ja, das Interview würde sie bekommen, obwohl sie sich dafür bis zum letzten Tag ihres Aufenthalts gedulden müsste. Sie fragte sich inzwischen, ob es das, was sie mit Kevin und Lewis durchzumachen hatte, wirklich wert war.
8. KAPITEL Lucien Steele glänzte beim gemeinsamen Dinner wie erwartet durch Abwesenheit. Auch Norman Bruce ließ sich entschuldigen. So saß Catherine zwischen Kevin und Lewis am Tisch und wartete darauf, dass die Zeitbombe hochginge. Die explosive Spannung erreichte ihren Höhepunkt, als Catherine nach dem Dinner für alle im Salon Kaffee einschenkte. "Ist das Buch wieder trocken geworden?" Catherine blickte erstaunt auf, da Lewis sie während des ganzen Dinners buchstäblich ignoriert hatte. "Das Buch?" wiederholte sie verdutzt. "Na, das Buch, das du in der Badewanne gelesen hast, als wir uns unterhalten haben", erklärte er mit aufgesetzter Unschuld. Es kostete Catherine große Überwindung, sich umzudrehen und Kevin anzusehen, was sie schon im nächsten Augenblick bereute. Er saß wie erstarrt da, presste die Lippen zusammen und ließ den Blick fragend von Catherine zu Lewis wandern. Wieder einmal war es Lewis gelungen, Streit vom Zaun zu brechen. "Du hast meinen Sohn zu einem Plausch gebeten, während du dein Bad genommen hast?" brauste Kevin auf. "Nein." Er stand verärgert auf. "Wenn ich gewusst hätte, dass du auf Knaben stehst, hätte ich mir die Mühe ersparen können", regte er sich auf. "Kevin, du..." "Er ist nicht Harry", erinnerte er sie feindselig. "Und er wird es nie sein, auch wenn du deine Augen verschließt und es dir noch so sehr wünschst!" Damit stürmte er wütend aus dem Zimmer. "Wer ist Harry?" Wutentbrannt fuhr Catherine herum, holte aus und schlug Lewis mit aller Kraft mitten ins Gesicht. Betroffen hielt Lewis sich die Wange. Auf der hellen Haut zeichneten sich schon die roten Abdrücke ihrer Finger ab. "Wer Harry war?" wiederholte sie aufbrausend. "Ein Mann, an dem du dir ein Beispiel nehmen könntest!" "Ein Heiliger also? Wie langweilig." Catherine holte tief Luft. Sie hatte seine ständigen Bosheiten satt und das Selbstmitleid, mit dem er seine Gemeinheiten rechtfertigte. Offenbar glaubte er, der einzige zu sein, dem das Leben übel mitspielte. Sie konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen. "Im Vergleich zu dir ist er das", entgegnete sie ungehalten. "Was? Ein Heiliger... oder langweilig?" spottete Lewis, der das gefährliche Funkeln in ihren Augen ignorierte. "Er war gut und nett und konnte keiner Fliege etwas zuleide tun." "Du hättest diesen Tugendbold heiraten sollen", meinte Lewis boshaft. "Das hätte ich auch gern getan", versicherte Catherine ihm angewidert. "Aber das Leben mit dir wäre ihm offenbar zu fad gewesen, was?" "Er hat mich ebenso geliebt wie ich ihn!" „Anscheinend doch nicht genug, um sich ewig zu binden", spottete Lewis. "Ich ..." Plötzlich brach er ab und betrachtete Catherines blasses Gesicht. "Du redest ständig in der Vergangenheit von ihm. Ist er ...?" "Tot", ergänzte Catherine heiser. "Ja, Harry ist tot." Sie registrierte ungerührt, wie Lewis blass wurde. "Er war erst neunzehn, ein wirklich lieber Junge. Wir waren sehr glücklich", seufzte sie. "Ich weiß nicht, was dich veranlasst, zu glauben, du hättest alles Unglück für dich gepachtet, aber lass dir sagen, auch andere Menschen leiden." Betroffen sah Lewis sie an. "Wie hast du das überlebt?" fragte er kleinlaut.
"Mir blieb keine andere Wahl. Ich saß nicht im Wagen, als Harry den Unfall hatte." Unbeholfen stand Lewis auf und humpelte auf seinen Krücken zur Tür. "Entschuldige mich." Er konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. "Ich muss gehen." Catherine ließ sich matt auf einen Stuhl sinken. Noch nie war sie, wenn sie an Harrys Tod erinnert wurde, dermaßen aufbrausend geworden. Verzweiflung, Ratlosigkeit, ein Gefühl der Leere, all das hatte sie damals empfunden, bis sie sich schließlich mit seinem Tod abfand. Die heutige zornige Reaktion war allerdings völlig neu. Es war nicht ihre Absicht gewesen, Lewis, der es schon schwer genug hatte, noch mehr zu kränken, aber sie hatte es einfach nicht geschafft, ihre Zunge im Zaum zu halten. Jetzt schämte sie sich dafür. Lewis' Schmerz lag keine fünf Jahre zurück, sondern er war noch frisch, und sein Kummer setzte ihm mindestens ebenso zu, wie Harrys Tod ihr einst zugesetzt hatte. Sie musste Lewis suchen und ihm alles erklären. "Sind die Herrschaften fertig mit dem Kaffeetrinken?" Mrs. McDonald betrachtete verdutzt die drei unberührten Kaffeetassen auf dem Tisch, als sie unverhofft ins Zimmer trat. "Lewis fühlte sich nicht wohl, und Mr. Steele hat ihn aufs Zimmer begleitet", schwindelte Catherine. "Können Sie mir sagen, wo das Zimmer von Lewis ist?" erkundigte sie sich mit Unschuldsmiene. "Ich will nur sehen, ob mit ihm wieder alles in Ordnung ist." "Selbstverständlich." Die freundliche Köchin hegte kein Misstrauen. "Oben die dritte Tür rechts. Das Zimmer seines Vaters liegt direkt, gegenüber." Catherine wusste nicht, warum Mrs. McDonald ihr diese zusätzliche Information gab, aber sie gab sich auch nicht die Mühe, das herauszufinden. Mit einem knappen "Danke" lief sie aus dem Zimmer. Das erste Klopfen blieb unbeantwortet. Also klopfte sie ein zweites Mal an Lewis' Tür und rief dabei seinen Namen, um ihn zum Öffnen zu bewegen. Doch da geschah, was sie insgeheim befürchtet hatte. Die gegenüberliegende Tür ging auf, und wütend kam Kevin heraus. "Ich ... ich wollte zu Lewis", erklärte Catherine in ihrer Verlegenheit überflüssigerweise. "Er ist nicht da", erwiderte Kevin kalt. Catherine seufzte. "Wir hatten eine Auseinandersetzung, und ich wollte ..." "Herrje, du hast ihn doch nicht etwa ebenfalls abgewiesen?" spottete Kevin. "Nein, natürlich nicht!" "Er ist neunzehn und ungebunden. Sieht er Harry etwa gar ähnlich?" fragte Kevin höhnisch. "Du weißt, dass er dir ähnlich sieht", brauste Catherine auf. "Aber für mich brauchst du keinen Ersatz, weil du mich jederzeit kriegen kannst", erwiderte er mit einer Portion Selbstverachtung. "Kevin, du verstehst nicht ..." "Ich verstehe sehr wohl. Du hast meinen Sohn empfangen, während du in der Badewanne gesessen hast." "Wobei ich in seinem Zustand nichts von ihm zu befürchten hatte, wie er selb st sagte, als ich von ihm eine Entschuldigung verlangte, weil er unangemeldet in mein Badezimmer platzte." "Du bist ganz schön naiv, wenn du nicht weißt, dass es trotzdem Mittel und Wege gibt", erwiderte Kevin unversöhnlich. Catherine hielt seinem Blick trotzig stand. "Jawohl, das bin ich", gab sie zu. "Ich bin sogar sehr unerfahren, wenn du es genau wissen willst." Ihre Offenheit besänftigte ihn, und sein Zorn legte sich allmählich. Aus seinem Blick sprach nur noch der Schmerz, den er erlebt hatte. "Ich hätte euch beide eigenhändig erwürgt, wenn du ihn auf dein Zimmer gebeten hättest."
"Weißt du denn nicht, dass du ..." Aber Catherine sprach den Satz nicht zu Ende. "Ich habe Lewis vorhin ein paar unschöne Dinge an den Kopf geworfen und muss mich jetzt unbedingt bei ihm entschuldigen." "Er ist bei seinem Großvater." "Ach so." "Und was ist mit mir?" fragte Kevin und trat dicht auf sie zu. Jackett und Krawatte hatte er abgelegt, und das weiße Hemd war aufgeknöpft. "Also - was ist mit mir, Catherine?" drängte er sie. "Nichts", antwortete sie ausweichend. "Dann werde ich eben morgen mit Lewis reden." "Und jetzt wirst du mit mir reden", sagte Kevin und hielt sie am Arm fest. "Es hat in unserer Beziehung mehr Missverständnisse gegeben als ..." "Wir haben keine Beziehung", unterbrach ihn Catherine augenblicklich. "Wir haben eine Beziehung", beharrte er. "Und es wird Zeit, dass sie Fortschritte macht. Vielleicht werden dann die Missverständnisse aufhören, obwohl ich nicht fest damit rechnen möchte." "Kevin, nicht", protestierte Catherine, als er sie in sein Schlafzimmer zog und kurzerhand die Tür hinter ihnen abschloss. "Doch." Diesmal ließ er sich nicht zurückweisen. "Sag ja, Catherine." Er hob behutsam ihr Kinn und küsste sie zaghaft. "Sag schon, was du für mich empfindest, Catherine", ermutigte er sie. "Sag es, und nimm mich." Catherine wollte ihn haben, ganz und nicht nur in ihren Träumen, die nicht mehr wiederkehrten. Sie wollte den Kevin aus Fleisch und Blut, der sie faszinierte und alles andere vergessen ließ. Wieder küsste er, sie, und sein Kuss entfesselte ihre aufgestaute Leidenschaft. Erregt warf sie die Arme um seinen Nacken und schmiegte sich eng an ihn. "So ist es gut, Darling", sprach Kevin ihr Mut zu. "Liebe mich." Er meinte, was er sagte, und war ihr nicht behilflich, als sie ihn mit zitternden Händen auszog. "Lass mich." Schließlich half er bei ihrem vergeblichen Versuch, seine Hose zu öffnen. Sein Hemd lag schon auf dem Boden. "Du stellst dich an, als hättest du das noch nie gemacht", scherzte er. Als er plötzlich still wurde, hielt sie inne und sah zu ihm auf "Catherine?" Er nahm sie in die Arme und betrachtete die Unschuld in ihren Zügen. "Ist das ... wichtig?" fragte sie verlegen. "Ob das wichtig ist? Liebste Catherine, kannst du dir vorstellen, was es mir bedeutet, der erste zu sein?" Und der letzte, fügte Catherine in Gedanken hinzu. Nur Kevin konnte ihre Leidenschaft entfachen. Wenn er sie nicht mehr wollte, würde sie wieder allein sein und allein bleiben. "Das ist die schönste Nacht meines Lebens!" sagte er ihr ins Ohr und strich ihr dabei zärtlich übers Haar. "Und ich habe geglaubt, du weißt ..." "Nein", antwortete er. "Sonst hätte ich nie ... Ich habe dich doch damals nicht erschreckt, als ich zudringlich wurde?" "Dass ich unerfahren bin, bedeutet längst nicht, dass ich naiv bin", scherzte Catherine. "Und ich bin splitternackt", bemerkte er erst jetzt, griff nach seinem Morgenmantel und zog ihn über. "Möchtest du baden oder duschen oder sonst etwas?" erkundigte er sich etwas verlegen. "Ich habe vor dem Dinner gebadet, wie du ja weißt", antwortete sie. "Eigentlich sollte ich die Verlegene sein. Du bist doch ein Mann mit Erfahrung." "Nicht in diesem Punkt", gab er zu. "Lewis bemerkte es auf Anhieb." Sie lachte über das böse Gesicht, das Kevin machte. "Ich solle mich nicht zieren wie eine Jungfrau, meinte dein Sohn, als er ins Badezimmer platzte."
"Mein Herr Sohn braucht anscheinend eine Lektion im Umgang mit Damen." "Aber nicht jetzt!" "Nein, nicht jetzt." Damit schloss er sie in die Arme und küsste sie innig. Behutsam streifte er ihr die Kleider ab, schlüpfte aus seinem Morgenmantel und küsste jeden Zentimeter ihres Körpers, als er nackt rieben ihr auf dem Bett lag. Seine Küsse auf ihrer heißen Haut entfachten ein quälendes Verlangen in ihr, zugleich geriet sie ganz außer sich vor Verzückung, so dass sie vor Lust laut aufstöhnte. "Geduld, Liebling", flüsterte Kevin zärtlich. "Ich will dir nicht weh tun, auch wenn du noch so sehr drängelst." Wieder begann er mit dem Liebesspiel, so dass Catherine allmählich ihre Zurückhaltung überwand und ihrerseits begann, seinen Körper zu erkunden. Ihre Berührungen ließen Kevin vor Lust erschauern. "Du bist schön, Catherine", flüsterte er verzückt, "so wunderschön." Catherine fühlte sich wie fortgetragen von den Wogen der Leidenschaft. Willig ließ sie ihn gewähren, als er sich schließlich behutsam mit ihr vereinigte. Rasch wich die anfängliche Angst vor dem Schmerz und wurde abgelöst von einem Glücksgefühl, das sich im Takt seiner Bewegungen durch ihren ganzen Körper verbreitete und sie dem gemeinsamen Höhepunkt entgegentrug. "Catherine", stöhnte Kevin und küsste sie glückselig. "Catherine." Er bebte am ganzen Leib. Catherine schmiegte sich beglückt in seine Arme. "Es war schön", gestand sie mit glänzenden Augen. "Wunderbar", sagte Kevin mit einem glücklichen Lächeln. Was sie verband, das war mehr als sexuelle Erfüllung. Aber Catherine brauchte Zeit, um auch mit dem Verstand nachzuvollziehen, was sie für Kevin zu empfinden meinte. Einstweilen begnügte sie sich damit, seine Nähe auszukosten. Eng umschlungen lagen sie zusammen, streichelten und liebkosten sie sich, bis der Schlaf sie überwältigte. Unbewusst griff Kevin im Halbschlaf nach ihr, als Catherine sich am Morgen aus seinen Armen löste. Mit einem zärtlichen Kuss stand sie auf, schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und huschte über den Korridor. Als sie ihre Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, war sie erleichtert, weil niemand sie gesehen hatte. Sie liebte Kevin, dessen war sie sich jetzt ganz sicher. Sie hätte sich ihm nicht so leidenschaftlich hingeben können, wäre sie nicht in ihn verliebt gewesen. Mit dieser Gewissheit ging sie knapp zwei Stunden später zu Lucien Steele, der sie zum Frühstück in seine persönlichen Räume geladen hatte. Kevin hatte sie inzwischen nicht mehr gesehen. "Guten Morgen, Miss Howard", begrüßte sie Lucien Steele und erhob sich höflich vom großzügig gedeckten Frühstückstisch. Die Neugier in seinen Augen war dabei allerdings nicht zu übersehen. "Oder darf ich Sie Catherine nennen?" "Ich bitte darum", sagte Catherine und fügte, um die peinliche Pause zu überbrücken, beeindruckt hinzu: "Herrliche Zimmer sind das." "Danke", erwiderte er freundlich. "Sie sind eine sehr attraktive Frau." Catherine bedankte sich ihrerseits für das Kompliment und hoffte, das lang ersehnte Gespräch würde sich nicht auf den Austausch von Höflichkeiten beschränken. Lucien Steele lächelte. "Ich bin nicht der erste Steele, der Ihnen das sagt, nicht wahr?" bemerkte er. "Mr. Steele..." "Wer war's ... Lewis oder Kevin?" spekulierte er selbstgefällig. "Beide, denke ich", gab Catherine freimütig zu. "Aber ich..." "Wirklich?" Er schmunzelte genüsslich. "Ich schätze, meinen Enkel haben Sie weniger beachtet, stimmt's?" "In dieser Beziehung, ja. Ansonsten kann man kaum umhin, ihm Beachtung zu schenken."
Lucien Steele wurde ernst. "Sie haben auch einen ganz schönen Eindruck auf ihn gemacht!" Catherine wurde argwöhnisch. "Wenn Sie damit auf gestern abend anspielen wollen ..." "Welchen Teil des Abends?" fragte Lucien Steele vergnügt nach. "Mr. Steele!" "Sie haben recht. Es ist nicht nett von mir, dieses Spiel mit Ihnen zu treiben. Setzen Sie sich, und frühstücken Sie mit mir, und ich werde Ihnen alles über meine Ehe mit Sonia erzählen." Catherine sah ihn einen Moment skeptisch an. Sie traute der friedlichen Stimmung nicht. Aber sollte er ruhig sein Spiel mit ihr treiben, wenn er es nicht lassen konnte. Sie hatte nichts zu befürchten. "Ich möchte Sie bitten, jetzt beim Frühstück keine Notizen zu machen", sagte Lucien Steele, als sie ihm Kaffee einschenkte. "Das ständige Gekritzel würde mich .nervös machen. Falls Ihnen etwas entfällt, können wir uns ein andermal darüber unterhalten." Fasziniert lauschte Catherine nun, als er zu erzählen begann. Eindrucksvoll schilderte er das Leben der 40er Jahre in Hollywood, die Partys, die Automobile, die Skandale und vor allem die wichtigsten Stationen seiner zehn Ehejahre mit Sonia Harrison. "Sie war ein großer Star", sagte er mit leuchtenden Augen. "Ich war schon glücklich, nur in ihrem Schatten zu leben." "Aber..." "Ich war selbst ein berühmter Mann", entkräftete er ihren unausgesprochenen Einwand. "Natürlich nicht so berühmt wie Sonia. Ihr Name war in aller Munde. Oft wurde ich von Hotelbediensteten, in Restaurants, auf der Straße und sogar von Kolle gen als Mr. Harrison angesprochen." "Hat Sie das nicht gekränkt?" fragte Catherine, die sich vorstellen konnte, wie peinlich das für ihn gewesen sein musste. "O nein! Ich wäre gern Mr. Harrison geworden, nur um an ihrer Seite zu leben." Catherine hatte noch nie so viel Liebe und Stolz wie jetzt in den Zügen von Lucien Steele gesehen. Es war offensichtlich, dass er seine Frau abgöttisch verehrt hatte und noch immer verehrte. "Kennen Sie ihre Filme?" erkundigte sich Lucien Steele. Catherine nickte. "Sie war sehr schön." "Faszinierend", meinte er ehrfürchtig. "Jeder hat sie geliebt, und sie liebte nur mich und unser Kind. Sie liebte Kevin vom ersten Tag an. Das", er zögerte kurz, "machte mir neue Hoffnung..." "Ja?" forderte Catherine ihn zum Weitersprechen auf. Sein Blick hatte sich verdüstert, und der schwärmerische Ausdruck war verschwunden. "Jeder hat seine Schwächen", gab er bedächtig zu verstehen. Catherine rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. Offenbar war Mr. Steele in Erinnerungen abgeschweift, die sie nichts angingen, denn ein schmerzvoller Ausdruck lag in seinen Augen, als er sie nach kurzer Unterbrechung wieder ansah. "Wissen Sie, Eifersucht kann tödlich sein", stellte er tonlos fest. Catherine konnte ihm das nachfühlen. Grund zur Eifersucht hatte es sicherlich genug gegeben, wenn seine Frau ständig von gutaussehenden Filmschauspielern umgeben gewesen war, die sich zum Flirt herausgefordert gefühlt hatten, auch wenn Sonia Harrison verheiratet gewesen war. Als Ehemann einer begehrten Filmdiva hatte er es sicher nicht leicht gehabt. Lucien Steele musterte Catherine nachdenklich. "Ich weiß, was Sie denken", sagte er mit einem Seufzer. "Aber Sie irren sich. Nicht ich war eifersüchtig." Catherine runzelte die Stirn. "Etwa Ihre Frau?"
"Ja", gestand er wehmütig. "Natürlich gab ich ihr keinen Anlass dazu. Sie bedeutete mir alles. Aber der Eifersucht kömmt man nicht mit Vernunft bei, und man kann sie auch nicht einfach ignorieren. Das ist ein heikles Thema." Catherine senkte betroffen den Blick. Sie ahnte, dass sie gleich etwas zu hören bekäme, das nicht für ihre Ohren bestimmt war. Aber sie konnte nichts dagegen tun. "Es gab Auseinandersetzungen und Streit", enthüllte er bekümmert. "Heftigen Streit", fügte er köpf schüttelnd hinzu. "Wenn Sonia die Beherrschung verlor, warf sie wahllos mit Gegenständen nach mir, die sie in die Hand bekam." Catherine waren diese persönlichen Enthüllungen peinlich. "Mr. Steele ..." Aber Lucien Steele duldete keine Unterbrechung. "Sie sind hier, um die Wahrheit über meine Ehe mit Sonia zu erfahren, also tun Sie nicht so beschämt, und hören Sie zu", hielt er ihr ungehalten vor. "Setzen Sie sich", befahl er unwirsch, als Catherine unvermittelt aufstand. "Sie brauchen nicht davonzulaufen, nur weil ich Ihnen nicht das schöne Märchen erzähle, das jedermann hören will." "Ich laufe nicht davon." "Dann setzen Sie sich hin!" Sie setzte sich. "Also gut, erzählen Sie weiter", sagte sie verlegen, da sie nicht im Privatleben dieses Mannes schnüffeln wollte, das nur ihn etwas anging. Immerhin gaben seine Äußerungen dem schimmernden Image der Sonia Harrison eine neue Facette. "Das werde ich auch tun", erwiderte Lucien Steele entschlossen. " Sonia war ein Mensch mit Fehlern wie wir alle und nicht die Makellose, als die man sie in der Öffentlichkeit gern hinstellte. Hätte man ihr dieses unerfüllbare Image nicht aufgezwungen, wäre es vielleicht gar nicht erst zu diesen hässlichen Szenen gekommen." Traurig schüttelte er den Kopf. "Der einzige Trost waren die Versöhnungen", seufzte er. "Eines Abends jedoch kam es nicht mehr dazu. Es war der Abend, als sie ein Ding zu viel nach mir warf." Die Erinnerung trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. "Eine Öllampe", enthüllte er tonlos, als Catherine ihn fragend ansah. Catherine sah ihn erschrocken an. Sie konnte nicht fassen, was er damit andeuten wollte. Aber sein fester Blick verriet ihr, dass er die Wahrheit sagte. "Der Abend, als das Feuer ausbrach?" folgerte sie. Er schloss die Augen, um seinen Schmerz zu verbergen. "Ja", seufzte er. "Das Haus brannte wie Zunder. Kevin gelang es, sich aus dem Fenster zu retten, aber Sonia konnte ich in den Flammen nicht finden." Das also war das Abschweifen, vor dem Kevin so eindringlich gewarnt und das er gefürchtet hatte. Die schockierende Enthüllung machte Catherine zutiefst betroffen. Das Feuer war also nicht zufällig ausgebrochen, wie die offizielle Version lautete, sondern von Sonia Harrison verursacht worden - zwar nicht absichtlich, aber in einem Zornausbruch, den ihr kein Mensch zugetraut hätte. "Warum erzählen Sie mir das alles?" fragte Catherine schließlich gerührt. "Weil ich so unendlich müde bin", erwiderte er wehmütig, "und weil ich glaube, dass Sie es auf den ersten Blick erkannt haben, Catherine." Ja, Lucien Steele war vom Tod gezeichnet! Lucien Steele nickte, als er sah, dass Catherine begriff. "Wenigstens wusste Sonia nicht, dass sie in jener Nacht sterben musste. Andernfalls hätte sie die Lampe nicht geworfen", sagte er bekümmert. "Sonia hat das Leben geliebt." "Kann man nichts tun? Für Sie, meine ich", erkundigte sich Catherine betroffen. "Nein." Er lächelte ermutigend. "Und ich bin mir gar nicht sicher, ob ich es wollte, wenn es eine Möglichkeit gäbe." "Aber..."
Er ließ sie nicht ausreden. "Ich fürchte den Tod nicht. Ich habe vierundsiebzig Jahre gelebt... viel zu lange ohne Sonia." Vierundsiebzig war kein Alter für die heutige Zeit! " Sicher könnte Kevin ..." "Er hat alle Spezialisten zu Rate gezogen", versicherte ihr Lucien Steele freundlich. "Es ist aussichtslos. Aber es spielt gar keine Rolle, denn ich wehre mich nicht dagegen, dass es zu Ende geht. Ich wollte sterben, als Sonia starb, aber es sollte nicht sein. Außerdem blieb mir die Verantwortung für unser Kind. Was ist Ihre Entschuldigung?" fragte er mit einemmal. Catherine sah ihn verdutzt an, "Wie darf ich das verstehen?" "Nun, Sie haben diesen jungen Mann geliebt", erklärte er voller Mitgefühl. "Aber es reichte nicht aus, um ihm zu folgen." Sie schluckte. "Was meinen Sie damit?" "Als Lewis Sie gestern abend fragte, wie Sie den Tod Ihres Bräutigams am Hochzeitstag überlebt hätten, sagten Sie, es sei Ihnen keine andere Wahl geblieben, Sie seien nicht im Unglücksauto gewesen." Er beobachtete gespannt ihre Reaktion darauf. "Das hat Ihnen Lewis alles erzählt?" wunderte Catherine sich. "Kevin behandelt Sie, wie er noch keine Frau behandelt hat. Ich musste den Grund dafür herausfinden." "Und Sie meinen, der Grund liegt darin, dass ich Harry auf diese tragische Weise verloren habe?" wollte Catherine wissen. "Nein", gab er zur Antwort. "Obwohl es einiges erklärt. Catherine, ist Ihnen denn nicht klar, dass Sie beim Tod Ihres Bräutigams tatsächlich die Wahl hatten ... die Wahl, ohne ihn weiterzuleben oder ihm zu folgen." "Reden Sie von Selbstmord?" fragte sie verwirrt. "Wie können Sie so etwas sagen, wenn Sie, wenn Sie ..." "Ich sagte bereits, ich musste an unseren Sohn denken. Ich konnte ihm nicht auch noch den Vater vorenthalten. An wen hatten Sie zu denken?" "An mich", rief Catherine sofort und ohne nachzudenken. "Ich wollte nicht sterben. Ich wollte nicht sterben ..." Tränen traten in ihre Augen, und entsetzt bedeckte sie das Gesicht mit den Händen. "Natürlich wollten Sie nicht sterben." Er ergriff beschwichtigend ihre Hand. "Wen hätte mein Kevin lieben sollen, wenn Sie tot wären?" Catherine schüttelte verbittert den Kopf. "Kevin liebt mich nicht." "Glauben Sie?" meinte sein Vater. "Nun, wir werden sehen. Es tut mir leid, dass ich eben so harte Worte gebrauchte, Catherine. Ich bin sicher, Kevin wäre es nicht recht gewesen. Er will nicht, dass man seine kleine Catherine vor den Kopf stößt", bemerkte er trocken. "Ich wollte Ihnen nur vor Augen führen, dass Sie sich, obwohl Sie Ihren Bräutigam geliebt haben, nach seinem Tod für das Leben entschieden haben. Jetzt müssen Sie nur die Kraft finden, weiterzumachen und das Leben zu leben, das Ihnen offensteht. Sie dürfen nicht Erinnerungen nachhängen, die nicht mehr der Wirklichkeit entsprechen." "Das ist Ihnen gelungen", entgegnete Catherine. "Sagen Sie mir, Catherine, was würden Sie fühlen, wenn Kevin morgen sterben würde? Bitte, antworten Sie mir!" Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Was sollte sie darauf antworten? "Wie würden Sie sich fühlen?" wiederholte er. "Ich weiß nicht", kam es leise über ihre Lippen. Aber das war eine Lüge. Sie wusste es, sie wusste es genau! "Sie haben Harry nicht weniger geliebt, als Sie Kevin lieben", versicherte ihr Lucien Steele, als er ihren unglücklichen Gesichtsausdruck sah. "Nur auf eine andere Weise. Wenn er nicht gestorben wäre, dann wäre Ihre Liebe mit der Zeit tiefer und stärker geworden wie jetzt die Liebe zu Kevin."
"Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich Kevin Hebe," Wieder antwortete sie ausweichend Aber sie wusste, dass sie Lucien Steele nichts vormachen konnte. "O ja, Sie sind sich sicher, Catherine. Sie wollen es sich nur noch nicht eingestehen. Warum habe ich Ihnen wohl von Sonia und mir erzählt? Doch nur, um Ihnen aufzuzeigen, wie sinnlos und eitel es ist, sich ein Leben lang in Selbstmitleid zu ergehen." Catherine runzelte die Stirn. "Aber Sie haben doch auch nicht mehr geheiratet." "Weil Sonia sowohl meine tiefe, leidenschaftliche Liebe als auch meine Jugendliebe war", erklärte er einfühlsam. "Ich weiß, Sie brauchen Zeit, um das, was ich Ihnen zu sagen versuchte, zu verarbeiten. Doch ich denke, dass Sie bereits verstanden haben, was ich meine."
9. KAPITAL Catherine hatte Lucien Steele verstanden. Sie war mit Harry zusammen aufgewachsen. Dass sie sich verliebten, war eine ganz natürliche Entwicklung gewesen, und sie hatten nie bezweifelt, dass sie eine gemeinsame Zukunft haben würden, in der ihre Liebe weiterbestehen und wachsen würde. So wäre es auch gekommen, wenn Harry nicht von ihr gegangen wäre. Aber er war von ihr gegangen, und Catherine musste ihr Leben allein weiterführen. Inzwischen war sie älter und reifer geworden, so dass sie sich nunmehr aufs neue verlieben konnte. Lucien Steele drückte ihre Hand. "Übrigens möchte ich Ihnen noch danken, dass Sie Lewis geholfen haben", sagte er freundlich. "Inwiefern geholfen?" fragte Catherine verdutzt. "Er ist ein schwieriger Junge, seitdem vor zwei Jahren meine Herzschwäche festgestellt worden ist. Mit Ihrem Gespräch gestern abend haben Sie ihm geholfen, sich mit meiner Krankheit abzufinden. Als Sie ihm vom Tod Ihres Bräutigams erzählten, der mit seinen neunzehn Jahren das Leben erst vor sich hatte, verstand er endlich, was ich ihm die ganze Zeit klarzumachen versuchte, dass ich nämlich schon vierundsiebzig bin. Vierundsiebzig ist kein schlechtes Alter, besonders wenn man auf ein so reiches, erfülltes Leben zurückblicken kann wie ich." Plötzlich verstand Catherine das dreiste, trotzige Verhalten von Lewis richtig einzuschätzen. Sie hatte geahnt, dass ihn etwas plagte, und hatte deshalb versucht, trotz seiner Bosheiten Nachsicht mit ihm zu üben. Jetzt kannte sie den Grund für seine Verfassung. "Lewis hat die ganze Welt für meine Krankheit verantwortlich gemacht", erklärte Lucien Steele wehmütig. "Einschließlich Kevin." Daher das respektlose Verhalten gegenüber dem Vater, der Jähzorn, die Rücksichtslosigkeit und die üblen Streiche, mit denen Lewis seine Umgebung terrorisierte. All das hatte Catherine in seinen Augen gelesen, so wie sie gestern in den Augen von Lucien Steele den Tod gesehen hatte. Lediglich der Zusammenhang zwischen diesen beiden Tatsachen war ihrer Aufmerksamkeit entgangen. "Ich habe das nicht gewusst", gestand Catherine. "Ich wollte mich gestern abend noch bei ihm entschuldigen ..." "Wenn eine Entschuldigung fällig ist, dann von seiner Seite", stellte Luden Steele klar. "Er hat sich Ihnen gegenüber schändlich benommen." Catherine schüttelte den Kopf. "Ich habe es nur nicht verstanden." "Sein Verhalten war unverzeihlich", betonte Lucien Steele. "Es hätte alles viel schlimmer ausgehen können." "Trotzdem ..." "Nicht trotzdem", widersprach Lucien Steele. "Ich habe ihm gestern abend ordentlich den Kopf gewaschen. Hoffentlich nimmt er endlich Vernunft an." Das hoffte auch Catherine von ganzem Herzen. Der selbstzerstörerische Kurs, den Lewis eingeschlagen hatte, konnte sich nur als Sackgasse erweisen, wofür sein Autounfall, den er glimpflich mit einem Beinbruch überstanden hatte, als Warnung gedient haben mochte. "Was Sie übrigens mit dem, was ich Ihnen über Sonia und mich erzählt habe, anfangen, das bleibt ganz und gar Ihnen überlassen." "Sie meinen, ich soll das veröffentlichen? Das mit dem Feuer und so?" Catherine sah ihn erstaunt an. Er blickte sie unverwandt an. "Was immer Sie für richtig halten." "Aber ..." "Was immer Sie für richtig halten", wiederholte er entschlossen. Catherine schluckte betroffen. Sie konnte seine Enthüllungen unmöglich an die Öffentlichkeit tragen. Dazu waren sie viel zu persönlich. Der Skandal wäre perfekt. "Mr.
Steele, ich ... Was ist denn?" Ihr fiel auf, dass er plötzlich sehr blass, beinahe fahl geworden war. "Mr. Steele?" wiederholte sie erschrocken, stand auf und ergriff seine Hände, die schlaff auf seinem Schoß ruhten. Sie waren kalt. "Tut mir leid, dass Sie... das mit ansehen... müssen", stammelte er. "Du meine Güte, was haben Sie denn?" Hilflos blickte sie um sich, als sie ahnte, was geschah. Der Mann brauchte dringend einen Arzt, aber sie wollte ihn jetzt nicht allein lassen. "Holen Sie ... Kevin", brachte er mühsam über die Lippen. "Er weiß, was zu tun ist." "Aber ..." "Holen Sie ihn. Und bitte ... versuchen Sie, Lewis in Ihre Liebe zu meinem Sohn ... einzubeziehen. Die beiden ... brauchen Sie." "Mr. Steele..." "Bitte ... holen Sie ... Kevin!" Catherine lief durch den Flur zu Kevins Zimmer. Er hatte sich gerade angezogen und empfing sie mit einem freudigen Lächeln. "Guten Morgen, Liebling", begrüßte er sie strahlend. "Warum hast du mich nicht geweckt?" "Kevin, dein Vater", rief Catherine aufgeregt, und die Freude in seinen Zügen wich tiefer Besorgnis. "Wir haben geplaudert, als er plötzlich ... Kevin, du musst sofort zu ihm!" rief sie in panischer Angst. "Er hat einen Kollaps." Kevin stürmte an ihr vorbei und rannte durch den Korridor zur Tür seines Vaters, die Catherine in ihrer Verzweiflung offengelassen hatte. Sie folgte ihm und beobachtete, wie er sich seines Vaters annahm, der noch immer auf dem Stuhl am Frühstückstisch saß. Seine Wangen wirkten eingefallen, und sein Blick war merkwürdig dumpf. Catherine hatte sich noch nie so hilflos gefühlt, als sie in der Tür stand und sich Norman Bruce zukehrte, der jetzt hinzukam. "Ich habe Stimmen gehört", sagte er und erfasste mit einem Blick die Situation. Kevin wandte sich ungeduldig an seinen Angestellten. "Schaffen Sie sie weg", befahl er und deutete abweisend auf Catherine. "Aber..." "Schaffen Sie sie weg von hier!" wiederholte Kevin barsch. "Dann rufen Sie den Arzt und holen Sie Lewis. Um diese Tageszeit sollte er nicht schwer zu finden sein!" Ohne Widerrede ließ sich Catherine von Norman Bruce auf ihr Zimmer führen, wo sie voller Unruhe wartete. Das Alleinsein war um so schlimmer, als Kevin sie einfach weggeschickt und damit jedes Gefühl der Nähe und Gemeinsamkeit zerstört hatte. Lucien Steele hatte sich also doch getäuscht, denn Kevin liebte sie nicht. Wie hätte er sie sonst von sich weisen können in dieser schweren Stunde, wo er sie am meisten gebraucht hätte? Der Arzt traf kurze Zeit später ein. Catherine hörte draußen seinen Wagen und trat ans Fenster, von wo aus sie ihn ins Haus eilen sah. Sie konnte jetzt nichts anderes tun, als das Kommen und Gehen zu verfolgen, denn niemand fühlte sich veranlasst, sie über die Vorgänge oder das Befinden von Lucien Steele aufzuklären. Als Stunden später Mrs. McDonald ihr den Lunch aufs Zimmer brachte, lehnte sie dankend ab, da sie keinen Bissen heruntergebracht hätte. Von der Köchin erfuhr sie immerhin, dass der Arzt später noch einmal nach Lucien Steele sehen wollte und Kevin und Lewis bei ihm am Krankenbett saßen. Kaum war Mrs. McDonald wieder gegangen, sprach Norman Bruce bei Catherine vor. Er sah mitgenommen aus und wirkte um Jahre gealtert. "Ist Ihr Koffer gepackt?" erkundigte er sich in einem geschäftsmäßigen Ton. Catherine sah ihn verdutzt an. "Ja, natürlich. Aber wie geht es Mr. Steele?"
"Soweit ganz gut", erwiderte er knapp. "Der Wagen wartet draußen. Sind Sie bereit?" Ihre Abreise war für Sonntag nach dem Lunc h geplant gewesen, weshalb sie schon gestern vor dem Dinner alles gepackt hatte. Nach dem Kollaps von Lucien Steele hatte sie das allerdings völlig vergessen. "Sie können doch nicht verlangen, dass ich jetzt fahre?" wandte sie ein. "Warum nicht?" "Mr. Steele!" erinnerte sie mit gequälter Stimme. "Es ist Kevins ausdrücklicher Wunsch, dass Sie abreisen, und zwar jetzt", teilte Norman ihr sachlich mit. Diese Auskunft traf Catherine wie ein Schlag ins Gesicht. "Aber warum denn?" rief sie verzweifelt. Norman zuckte mit den Schultern. "Er hat nur gesagt, ich solle Sie nach London zurückbringen, Miss Howard." Als er sah, wie unglücklich Catherine dreinblickte, fügte er seufzend hinzu: "Glauben Sie mir, es ist am besten, wenn Sie jetzt gehen." Catherine sah ein, dass es zwecklos war, weitere Fragen zu stellen. "Gut, ich bin fertig", sagte sie. Es herrschte bedrücktes Schweigen zwischen Catherine und Norman, als sie zum Flugplatz fuhren und mit der kleinen Privatmaschine wieder nach London flogen. Diesmal hatte Catherine kein Interesse für die hellerleuchtete Stadt, als sie bei Anbruch der Dunkelheit zur Landung ansetzten. "Ich danke Ihnen", sagte sie im Flughafengebäude und sah niedergeschlagen zu Norman auf, "Ich soll Sie vor Ihrer Haustür abliefern", meinte er darauf. "Befehl des Chefs." "Ach was! Ich kann auch ein Taxi nehmen", erwiderte Catherine. "Es wartet draußen schon ein Wagen auf uns", informierte Norman sie unnachgiebig, ergriff den Koffer und marschierte zielstrebig zum Ausgang. Catherine hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Im Nu saßen sie im Auto und fuhren durch die wenig belebten Straßen. "Und übermitteln Sie bitte mein tiefes Mitgefühl", sagte sie schließlich, als der Wagen vor dem Haus anhielt, das sie mit Vikki bewohnte. "Das werde ich." Norman schüttelte ihre Hand. "Kevin wird wieder von sich hören lassen, sobald er dazu in der Lage ist." "Hat er das gesagt?" fragte sie gespannt. "Nun, eigentlich nicht, aber ..." Ihre Enttäuschung war unverkennbar. "Jedenfalls vielen Dank fürs Heimbringen,“ sagte sie höflich. "Sie kehren wohl nach Schottland zurück?" "Ja", bestätigte Norman bekümmert. "Es tut mir leid, dass Sie diese lästige Aufgabe traf", bemerkte Catherine noch. "Es war Ihnen sicherlich unangenehm, gerade jetzt wegfahren zu müssen, um mich nach Hause zu bringen." Norman Bruce schüttelte den Kopf. "Ich werde Sie auf dem laufenden halten", versprach er lächelnd. "Das wäre nett." Catherine stieg aus dem Wagen und ließ sich ihren Koffer reichen. Sie wartete nicht, bis der Wagen wegfuhr, sondern schlich wie benommen ins Haus, huschte unbemerkt in ihr Zimmer und warf sich aufs Bett. Schluchzend brach sie in Tränen aus. Sie weinte um Lucien Steele. Und sie weinte um Kevin, den sie mehr als alles andere auf der Welt liebte. Sie weinte sogar um Lewis und hoffte, dass die gemeinsame Sorge um Lucien Vater und Sohn versöhnen würde. "Ich dachte, ich hörte ... He, du bist ja da!" Vikkis Freude schlug in tiefe Besorgnis um, als sie Catherines Verzweiflung sah. "Was ist denn passiert?"
Catherine verlor nun vollends die Fassung, Weinend schüttete sie der -Freundin ihr Herz aus. "Er sorgt sich nur um seinen Vater", beschwichtigte Vikki sie, nachdem sie erfahren hatte, wie herzlos Catherine von Kevin weggeschickt worden war. "Das habe ich mir auch gesagt", schluchzte Catherine. "Aber das ist es nicht. Er wollte mich einfach loswerden." "Bestimmt irrst du dich." "Warum bin ich dann hier und er dort allein mit seinem Kummer?" begehrte Catherine auf. "Ich weiß nicht genau, was gestern nacht passiert ist, und will es auch gar nicht näher wissen", sagte Vikki energisch. "Ich schätze, du bist einfach überreizt, weil du müde und verzweifelt bist. Ich mache dir eine Tasse Kräutertee, und wenn du die getrunken hast, legst du dich erst einmal aufs Ohr." "Ich kann nicht schlafen." "Zuerst den Tee - und dann ruhst du dich aus", beharrte Vikki. "Ich werde inzwischen aufs Telefon aufpassen, falls dieser Norman anruft", fügte sie in einem Ton hinzu, der keinen Widerspruch duldete. Catherine trank gehorsam den Tee, den Vikki brachte, und legte sich dann hin, obwohl sie sich sicher war, nicht schlafen zu können. Aber da irrte sie sich. Sie fiel in einen tiefen Schlaf und wurde erst wieder wach, als das Telefon klingelte. Beim ersten Läuten fuhr sie erschrocken hoch und griff benommen nach dem Hörer, als Vikki das ankommende Gespräch auf ihr Zimmer umstellte. "Für dich, Catherine", kündigte Vikki behutsam an und verband. "Norman?" rief Catherine aufgeregt. "Nein, Lewis", ertönte die jugendliche Stimme. Die Überraschung war perfekt, denn einen Anruf von Lewis hätte Catherine am allerwenigsten erwartet. "Ist ... er ...?" begann sie hilflos. "Ja, er ist gestorben, Catherine", teilte Lewis wehmütig mit. "Schmerzlos und friedlich. Ich wollte dir nur Bescheid geben. Norman sagte, du hast ihn darum gebeten. Noch etwas. Es fällt mir zwar grundsätzlich schwer, mich zu entschuldigen, aber ..." "Bitte", unterbrach sie ihn, "das ist doch nicht nötig. Es tut mir so leid um deinen Großvater." Sie hatte Lucien Steele zwar nur flüchtig kennengelernt, ihn in der kurzen Zeit aber schätzen gelernt. "Danke", meinte Lewis traurig. Catherine hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. "Wahrscheinlich wirst du den genauen Zeitpunkt noch nicht wissen, aber ich würde gern zur Beerdigung kommen. Wenn es recht ist", fügte sie zögernd hinzu. "Die Beerdigung ist voraussichtlich am Freitag. Großvater wird nach seinem Wunsch hier oben begraben." Er machte eine Pause. "Aber ich fürchte, das Begräbnis soll im engsten Familienkreis stattfinden." Seiner Stimme war zu entnehmen, dass er es ehrlich bedauerte, sie abweisen zu müssen. Catherine brauchte nicht erst zu fragen, wer diese Entscheidung gefällt hatte. "Ich verstehe", meinte sie ohne Groll. "Und noch einmal mein aufrichtiges Beileid." "Danke." "Ich bin dir sehr verbunden, dass du mich angerufen hast, Lewis." "Aber das war doch selbstverständlich." "Wenn ich noch irgend etwas tun kann ... ach nein, ich sehe schon, das ist nicht nötig." korrigierte sie sich unbeholfen. "Catherine, glaube mir, ich finde es trotz allem nicht richtig, dass Dad dich ausschließt", bemerkte Lewis bekümmert. "Ich habe versucht, ihm das klarzumachen, aber er lässt nicht mit sich reden."
"Schon in Ordnung", versicherte Catherine. "Ich werde statt dessen Blumen schicken. Wenn ich darf?" fragte sie gespannt. Sicherlich konnte Kevin dagegen nichts einzuwenden haben. "Natürlich", antwortete Lewis leise. "Er hat blaue Stiefmütterchen geliebt, weil sie ihn an Großmutters Augen erinnerten", erzählte Lewis bewegt. "Und jetzt muss ich aufhören, Catherine." Es fiel ihm hörbar schwer, weiterhin die Fassung zu bewahren. "Es war mir nur wichtig, es dich wissen zu lassen", ergänzte er und verabschiedete sich. Sie dankte ihm noch einmal und legte auf. Kevin. Sie hatte ihn genommen, wie er es gewollt hatte, und er hatte sie von sich gestoßen und der Liebe keine Chance gegeben, die ihm in der Stunde der Not Trost und Stütze hätte sein können.
10. KAPITEL Das Leben ging weiter, aber es war ein trauriges Leben für Catherine. Am Tag der Beerdigung schickte sie einen Kranz aus Stiefmütterchen, wie Lewis vorgeschlagen hatte. Doch schmerzlich sehnte sie sich danach, in diesen schweren Stunden an Kevins Seite zu sein. Aber Kevin ließ nichts von sich hören. Catherine rechnete auch nicht damit, denn sie wüsste, dass er durch den jähen Tod des Vaters viel zu tun hatte. Zu allem Übel wurde die Familie von taktlosen Reportern regelrecht traktiert, wie die vielen Berichte in den Medien bewiesen. Vielleicht war es egoistisch von ihr, unter diesen Umständen an das eigene Unglück zu denken. Aber sie wusste, dass Lucien Steele gewollt hätte, dass sie jetzt bei Kevin wäre. Und sie vermisste Kevin mehr, als sie es für möglich gehalten hätte. Obwohl Harrys Tod ein schwerer Schlag gewesen war, hatte sie immerhin das tröstliche Wissen um ihre gegenseitige Liebe gehabt. Dass ihre Liebe jedoch bei Kevin keine Resonanz fand, das war zutiefst deprimierend. Jahrelang hatte sie sich vor einer neuen Liebe gescheut, weil sie sich davor fürchtete, einen neuen Verlust hinnehmen zu müssen. Nun zeigte sich freilich, dass es schmerzlicher war, einen Mann zu lieben, der diese Liebe nicht erwiderte. Wenn Lucien Steele sie jetzt noch einmal fragen könnte, was sie empfinden würde, falls Kevin morgen tot wäre, würde sie nicht zögern, diesmal die Wahrheit zu sagen. Kevin war zwar nicht tot, aber ebenso unerreichbar für sie. Und damit fühlte sie sich selbst wie tot! Wenig tröstlich waren auch die Bilder von der Beerdigung, die sie am Abend in den Fernsehnachrichten sah. Deanna Trent klammerte sich geziert an Kevins Arm. Ein zarter, schwarzer Schleier bedeckte das schöne, dezent geschminkte Gesicht, und in dieser Aufmachung wirkte ihre Trauer sogar ehrlich. Anscheinend gehörte sie noch zum "engsten Familienkreis", wie Lewis sich ausgedrückt hatte. Kevin sah verbittert aus und um Jahre gealtert. Er hatte den Arm um Lewis' Schultern gelegt, der erschüttert an seiner anderen Seite stand. Catherine kam sich bei diesen persönlichen Szenen vor wie ein Voyeur, schaltete rasch den Fernseher aus, und ging rastlos im Zimmer auf und ab. "Mir fällt die Decke auf den Kopf!" stellte sie nach einer Weile fest. "Ich muss hier raus. Da ich demnächst sowieso meine Schwester besuchen wollte, werde ich das jetzt tun. Und morgen fahre ich übers Wochenende zu meinen Eltern." Damit griff sie nach ihrem Mantel. "Dass seine Exfrau auf der Beerdigung war, hat doch weiter nichts zu bedeuten", meinte Vikki versöhnlich. "Immerhin ist sie mit ihrem fünften Mann so lange auch noch nicht verheiratet!" "Das hat mit Deanna Trent überhaupt nichts zu tun, dass mir die Decke auf den Kopf fällt", verteidigte Catherine sich energisch. "Wirklich nicht?" Vikki seufzte, denn Catherines Gesichtsausdruck blieb verschlossen. "Hör mal, der Mann hat eine schwere Woche hinter sich. Ich bin sicher, er meldet sich, sobald er etwas zur Ruhe gekommen ist." Sie versuchte, ihrer Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. "Bestimmt nicht", entgegnete Catherine enttäuscht. "Leid entzweit nicht, sondern es verbindet. Es ist aus und vorbei", fügte sie nachdrücklich hinzu. "Ich muss mich damit abfinden, die Trümmer auflesen und mein Leben wieder in Ordnung bringen. Daran führt kein Weg vorbei." "Noch einmal?" Catherine sah ihre Freundin skeptisch an. "Was meinst du damit?" "Catherine, ich weiß nicht, ob du das noch einmal schaffst. Am Tod von Harry wärst du fast zerbrochen. Ich mache mir Sorgen um dich."
"Keine Bange, ich werde es überleben." "Wirklich?" "Ja!" Sie würde es überleben, weil ihr keine andere Wahl blieb. Das Leben ging weiter. Kaum war Catherine aufgebrochen, sah sie sich nicht mehr imstande, in ihrer Verfassung in das unbeschwerte Familienleben ihrer Schwester einzudringen und zu allem eine gute Miene zu machen. Sie ging los und streifte ziellos durch die Straßen. Wo war Kevin jetzt? War seine Exfrau bei ihm? Spielten sie zusammen mit Lewis die heile Familie? Diese Gedanken waren Catherine unerträglich. Sie war eifersüchtig auf jede Frau in Kevins Nähe, die ihr verwehrt blieb. "Wo warst du nur so lange?" wollte Vikki wissen, als Catherine endlich wieder nach Hause kam. "Erzähl mir bloß nicht, du warst bei deiner Schwester. Ich habe dort nämlich angerufen", verkündete Vikki gereizt, als sie Catherine aus dem Mantel half. "Ich war nur spazieren." Catherine wunderte sich, dass Vikki so aufgeregt war. "Ich habe mir wahnsinnige Sorgen gemacht!" "Tut mir leid", entschuldigte sich Catherine. "Wenn ich das gewusst hätte ... Aber was regst du dich so auf?" "Draußen sind es minus zehn Grad, und du warst stundenlang fort und nicht, wie angekündigt, bei deiner Schwester. Da soll ich mich nicht aufregen?" "Mir war nicht kalt, und ich hatte plötzlich keine Lust mehr, zu Susan zu fahren", erklärte Catherine geduldig. "Und jetzt gehe ich ins Bett." "Ausgeschlossen!" wandte Vikki heftig ein und zupfte nervös an Catherines Ärmel. "Sein Lächeln ist diesmal nicht so kühl und seine Miene nicht so abweisend, aber trotzdem habe ich ihn mit meinen Gesprächen zu Tode gelangweilt, fürchte ich", erklärte sie augenzwinkernd. Mit einemmal wich alle Farbe aus Catherines Gesicht. "Kevin?" fragte sie bestürzt. "Er ist hier?" Vikki nickte. "Im Wohnzimmer. Und er sieht schlecht aus, Catherine. Viel schlechter als vorhin in den Nachrichten." Kevin war hier! Ein Leuchten trat in Catherines Augen. "Catherine." Vikki drückte ihr aufmunternd den Arm. "Ganz egal, wann er geht... falls er geht, komm gleich zu mir und erzähl mir alles." Catherine nickte und holte tief Luft, ehe sie ins Wohnzimmer trat. Vikki hatte recht. Kevin sah schlecht aus. Dunkle Ringe lagen unter seinen schönen Augen, und tiefe Furchen zogen sich durch sein Gesicht. Er wirkte dünner und älter. Er stand auf, als sie die Tür hinter sich zuzog und sich dagegenlehnte. Ein zaghaftes Lächeln huschte über seine Züge. Catherine, die nach der Rückkehr aus Schottland nur mehr die Erinnerung an Kevin gehabt hatte, verschlang ihn fö rmlich mit Blicken. Am liebsten hätte sie ihn in die Arme geschlossen und mit Küssen getröstet. Aber sie war zu keiner Bewegung fähig und rührte sich nicht von der Stelle. "Wie geht es dir?" fragte Kevin unbeholfen. "Gut", gab Catherine leise zur Antwort. "Und wie geht es Lewis?" "Auch gut. Er lässt grüßen." "Wirklich?" fragte Catherine erstaunt. "Das ist nett von ihm." "Die Blumen sind heute angekommen. Recht vielen Dank." Obwohl sie sich geliebt hatten, benahmen sie sich wie Fremde! "Und wie geht es Norman Bruce?" erkundigte sich Catherine höflich. "Er hat viel zu tun." "Und ... deiner Frau?" Catherine blieb betont gelassen bei dieser Frage. "Du hast sie gesehen?" "Im Fernsehen, ja."
Kevin seufzte. "Deanna ist schön wie eh und je und versteht es, sich vor den Kameras ins Bild zu setzen. Sie mochte meinen Vater nicht, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber ich konnte ihr wegen Lewis keine Szene machen, als sie ungebeten zur Beerdigung erschien." "Ich verstehe." "Dass sie dabei war, hatte nichts mit mir zu tun", stellte Kevin fest. "Es geht mich ja auch nichts an", betonte Catherine freundlich. "Ich hatte mich nur gewundert über ihre Anwesenheit, das ist alles. Und wundern darf ich mich doch?" "Glaube mir, ich auch", gestand er. "Aber ich bin nicht hier, um über Deanna oder Lewis und schon gar nicht über die Beerdigung zu sprechen. Ich bin, solange ich konnte, allein geblieben, Catherine, aber ich halte es nicht länger aus. Ich brauche dich!" "Du brauchst mich?" wiederholte sie verblüfft. "Wie kannst du das sagen, wenn ..." Sie brach mitten im Satz ab, aber sie brachte es nicht über sich, Kevin Vorwürfe zu machen. Er hatte es sowieso schon schwer genug. "Wenn?" fragte er geduldig nach. "Es hat nichts zu bedeuten." "Doch", widersprach er nachdrücklich, "es hat, glaube ich, sehr viel zu bedeuten." Er schloss sie in seine Arme und drückte sie an sich. "Catherine, weißt du nicht, wie sehr ich dich brauche?" Catherine sah ihn gequält an. "Wie kannst du das sagen, nachdem du mich einfach weggeschickt hast!" "Wann?'' "Als dein Vater starb ... ach, es tut mir so leid um ihn", ergänzte sie bekümmert. "Ich habe ihn gern gemocht." "Er dich auch. Und als die Frau, die ich liebe, hattest du durchaus seinen Segen." "Du liebst mich ja gar nicht." "Sei nicht albern, Catherine", meinte er lächelnd. "Du weißt, dass ich dich liebe. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe, Darling! Die letzte Woche war so ... leer." Der schmerzliche Ausdruck in seinen Augen stimmte sie nachdenklich. "Ich liebe dich auch", gestand sie ohne Zögern. "Ich weiß." "Ich weiß es erst, seitdem wir uns geliebt haben." "Wirklich?" bemerkte er überrascht. "Seitdem weiß ich es auch. Es hat sich mir noch keine Frau so hingegeben wie du. Du warst so zärtlich, so leidenschaftlich, so glücklich. Das hat mir Gewissheit gegeben. Ich habe dich von Anfang an begehrt, aber es ist nicht nur etwas Körperliches gewesen. Ich will dich beschützen, Kinder mit dir haben und alt mit dir werden." Catherine senkte die Lider. "Liebe bedeutet teilen", sagte sie. "Ja." "Nur das Schöne im Leben, Kevin?" "Ich verstehe nicht." Vielleicht nicht, aber Catherine hatte sein Verhalten plötzlich verstanden, als er vom Beschützen gesprochen hatte. "Wie steht's mit den schmerzlichen Erfahrungen des Lebens? Oder ist es das, wovor du mich beschützen willst?" "Soweit ich kann, ja." "Deshalb hast du mich am Sonntag weggeschickt, nicht wahr?" fragte sie. "Nicht wahr, Kevin?" Mit einer abweisenden Geste wandte sich Kevin ab. "Du hast schon genug durchgemacht. Ich konnte nicht von dir verlangen, den Schmerz über den Tod meines Vaters mit mir zu teilen. Ich hätte dich niemals zu ihm gebracht, wenn ich geahnt hätte, dass er während deiner Anwesenheit von uns gehen würde. Das mit Harry war schon schlimm genug für dich gewesen."
"Kevin." Catherine schlang die Arme um ihn und legte den Kopf an seine Brust. "Darling, ich liebe dich, und dein Schmerz ist mein Schmerz, auch der Schmerz über den Tod eines geliebten Menschen." Sie sah zu ihm auf. "Wie sehr habe ich mir gewünscht, bei dir zu sein!" "Mein Vater sagte, dass du so empfinden würdest ... ja, er kam noch einmal zu Bewusstsein", fügte er hinzu, als er Catherines erstauntes Gesicht sah. "Er sagte, du hast die Kraft, mir zur Seite zu stehen." "Dann weißt du bestimmt auch, dass er mir alles erzählt hat.“ "Über meine Mutter? Ja." "Und weißt du, warum er mir das erzählt hat?" Kevin nickte. "Und du?" "Wegen Harry", bestätigte sie. "Nachdem Lewis ihm von Harry erzählt hatte, wollte er mir vor Augen führen, dass ich mich nach Harrys Tod fürs Leben entscheiden müsse, dass ich mich in dich verliebt habe und nun zu dieser Liebe stehen müsse.". "Und ist es ihm gelungen?" "Das weißt du doch." Sie lächelte zaghaft. "Obwohl ich bereits auf dem besten Weg war, das ohne sein Zutun zu erkennen." "Dad wollte dir nur einen Anstoß geben, damit du auch wirklich zur richtigen Entscheidung kommst." "Aber was er mir über deine Mutter erzählt hat" seufzte Catherine, "das kann ich unmöglich veröffentlichen. Es ist viel zu persönlich." "Das war Dad selbstverständlich klar", sagte Kevin lächelnd. "Er wusste, dass du mich liebst und dass ich dich liebe. Darum verließ er sich darauf, dass die neue Mrs. Steele sein Geheimnis nicht preisgeben würde." "Mrs. Steele?" wiederholte Catherine ungläubig. "Jawohl, das soll ein Heiratsantrag sein, Catherine", erklärte Kevin mit einem kläglichen Lächeln. "Ich weiß, dass ich mich wieder einmal sehr schlecht ausgedrückt habe. Aber ich habe weder die Sprachgewalt meines Vaters noch die Kühnheit meines Sohnes. Trotzdem liebe ich dich über alles und möchte dich sehr gern heiraten." "Möchte?" Er lächelte. "Ich sagte doch, ich bin kein großer Redner. Allerdings bist du, wenn ich das anmerken darf, auch nicht gerade entgegenkommend." "Wie soll ich das verstehen?" "Mit Worten, meine ich. Ein einziges Wörtchen würde in diesem Fall genügen", erklärte er ermutigend. "Sag doch ja!" Catherine strahlte. "Du weißt, dass ich ja sage. Ich liebe dich, ich will Kinder mit dir haben und alt mit dir werden. Vor allem will ich alles mit dir teilen, Leid und Glück. Als ich dich kennenlernte, scheute ich vor meinen eigenen Gefühlen zurück. Ich dachte, wenn ich Distanz behielte, bliebe mir eine neue schmerzliche Erfahrung erspart. Aber mit dir hat sich meine ganze Lebenseinstellung geändert. Ich fühle mich wieder lebendig!" "Ich hätte mir denken können, dass du so empfinden würdest", sagte Kevin und nahm sie glücklich in die Arme. "Du bist ein Mensch, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen steht und die Wirklichkeit akzeptiert, auch wenn sie schmerzlich ist. Es tut mir leid, dass ich die Situation mit meinem Vater falsch eingeschätzt habe. Ich hätte dich heute so sehr gebraucht!" "Jetzt weiß ich es zu schätzen, dass du versucht hast, mir den Kummer zu ersparen", versicherte sie ihm. "Aber glaube mir, ich wäre nicht daran zerbrochen." "Das weiß ich jetzt." Er drückte sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: "Wann wollen wir heiraten?" "Sobald wie möglich", erwiderte Catherine ohne Zögern.
"Aber wie wird Lewis darauf reagieren? Immerhin ist er, wie er sich einmal geäußert hat, nicht gerade begeistert davon, in seinem Alter eine Stiefmutter vorgesetzt zu bekommen, und ich will nicht, dass deswegen neue Spannungen zwischen euch entstehen." "Lewis und ich haben in dieser Woche viel miteinander geredet. Es wird eine Weile dauern, bis er den Tod seines Großvaters verwunden hat, aber er wird darüber hinweg kommen. Er weiß, was ich für dich empfinde. Darum bin ich sicher, dass es deinetwegen kaum Reibereien geben wird. Er ..." Kevin brach mitten im Satz ab und sah Catherine verständnislos an, als sie plötzlich zu lachen anfing. "Was ist daran so komisch?" "Stell dir vor, was für ein Gesicht Lewis erst machen wird, wenn ich schwanger bin", meinte sie fröhlich. "Es wird ein köstlicher Anblick sein. Wenn er meint, er sei zu alt für eine Stiefmutter, dann warten wir ab, was er sagt, wenn wir ihm ein Brüderchen oder Schwesterchen bescheren." Kevins dunkle Augen funkelten vergnügt. "Liebe zukünftige Mrs. Steele, aus dir spricht reine Schadenfreude!" "Du sagst es." "Jedenfalls bin ich jetzt froh, dass .Lewis dich damals in mein Bett gesteckt hat", erklärte Kevin. "Ich glaube nicht, dass ich ohne dich leben könnte." Catherine wusste, dass mit ihrer neuen Liebe ihr Leben einen neuen Anfang genommen hatte. Ihre Träume waren keine Träume mehr, sondern Wirklichkeit geworden.
-ENDE-