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Roy Palmer 1.
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Seewölfe 114 1
Roy Palmer 1.
„Tötet den Seewolf!” Chumash, der Serrano-Indianer, raunte es seinen beiden Verbündeten mit haßverzerrtem Gesicht zu. Er war durch den düsteren Vordecksraum zu ihnen gekrochen und kauerte zwischen den Lagern, die sie sich auf den rohen Eichenholzplanken eingerichtet hatten. Mit entschlossener Geste drückte er ihnen die beiden Hartholzmesser in die Hände und wiederholte es. „Bringt diesen verfluchten Hund um. Tötet ihn! Wir reißen das Schiff an uns.“ Die Hartholzmesser wurden in den Händen der Rothäute zu Waffen, die mit den Eisenklingen der Weißen auf gleicher Ebene einzustufen waren. An Schneidefähigkeit standen die ebenso scharf wie spitz zugefeilten, unglaublich widerstandsfähigen Instrumente in nichts den Palometa-Messern nach, die die Indianerstämme der Karibik in der tropischen Dschungelhölle aus Knochen und Zähnen der Piranhas fertigten. Chumash und seine Freunde hatten auch die Waffen des weißen Mannes besessen, weil ihr Häuptling Hidduk sich mit dem Spanier Sabreras verbündet hatte. Aber diese Flinten, Pistolen, Säbel, Degen und Messer waren ihnen auf San Cristobal vom Seewolf abgenommen worden, nachdem er sie besiegt hatte. Chumash aber hatte die Hartholzmesser vom Schamanen des Stammes zugespielt erhalten, und er hatte sie unter seinem Lendenschurz verbergen können; als sie an Bord der Galeone mit den langen Masten und den erstaunlich flachen Aufbauten gegangen waren. Hidduk hatte ihn, Chumash, als seinen Stellvertreter und engsten Vertrauten zusammen mit fünf anderen Männern ausgewählt, diesen Philip Hasard Killigrew zu begleiten. Die Reise der „Isabella VIII.“ und des unheimlichen schwarzen Schiffes mit den dunklen Segeln an den vier Masten führte nach Neu-Granada. Dort wollte der Seewolf Sabreras stellen.
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Aber Chumash hatte sich schon auf San Cristobal innerlich von Hidduk abgewandt und völlig andere Pläne, als mit diesem Lobo del Mar zu paktieren. Chumash fühlte sich noch immer als echter indianischer Seeräuber. Er wollte beide Schiffe, die „Isabella“ und den schwarzen Segler – und der Handstreich sollte schon jetzt, in der ersten Nacht nach dem Aufbruch von den Galápagos, geführt werden. Yalic, der eine Mitverschwörer von Chumash; fuhr prüfend mit dem Finger über die Schneide seines Messers. „Ja. Wir überlisten den Seewolf, stechen ihn nieder und treten ihn wie einen räudigen Hund. Danach schlägt auch Hidduks Stunde. Er ist die längste Zeit Häuptling der Serranos gewesen. Sein Platz gebührt dir, Chumash.“ Tezoura, der dritte Mann im Bund, blickte zu den drei Stammesbrüdern, die hinter ihm im Dunkel des Vordecksraumes ruhten. Er konnte sie mehr ahnen, als wirklich sehen, denn das schale Mondlicht stahl sich nur durch ein paar Ritzen in der Beplankung der „Isabella“ herein und reichte nicht aus, die Gestalten der drei zu beleuchten. „Still“, zischte Tezoura. „Mir war so, als hätte sich einer von ihnen bewegt.“ „Warum bringen wir sie nicht gleich um?“ fragte Yalic mühsam beherrscht. „Sie stehen auf Hidduks Seite. Wir haben uns fast verraten, als wir versuchten, sie für uns zu gewinnen. Warum besorgen wir es ihnen also nicht?“ Chumash schüttelte den Kopf, aber auch das war nur als schemenhafte Bewegung zu erkennen. „Wenn das Blut von Lobo del Mar und Hidduk, diesem Verräter, erst die Planken des Schiffes tränkt, werden sich die drei Hunde dort sehr wohl überlegen, auf wessen Seite sie sich zu schlagen haben. Sie werden sich zum Stärkeren bekennen–zu mir. Darauf kommt es mir an. Noch brauche ich sie. Später rechne ich auch mit ihnen ab.“ Tezoura war inzwischen zu den drei Stammesgenossen gekrochen, um sich zu vergewissern, ob sie auch wirklich
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schliefen. Hatten sie etwa mitgehört, was die Verschwörer in ihrer hart akzentuierten, kehligen Muttersprache beredeten? Tezoura beugte sich über den ersten, tastete nach seinem Gesicht und schob prüfend das eine Augenlid hoch. Trotz der Finsternis konnte er das Weiße der Pupille schimmern sehen. Er nahm die gleiche Probe auch bei den beiden anderen vor – mit demselben Ergebnis. Erst jetzt gab er einen beruhigten Laut von sich. Er kehrte zu Chumash und Yalic zurück. Sie stimmten tuschelnd weitere Einzelheiten ihres Vorhabens miteinander ab. Am Ende flüsterte Chumash: „Schwört, daß ihr bis zum letzten geht, wenn es nötig ist.“ „Bis in den Tod’’, erwiderte Yalic. „Wir schwören es“, raunte Tezoura. Sie verließen den Vordecksraum. Auf dem Gang, der ihre Unterkunft vom Mannschaftslogis trennte, wandte sich Chumash nach achtern, also zur Kuhl, während seine beiden Helfer den entgegengesetzten Weg einschlugen. Yalic und Tezoura pirschten zum vorderen Schott des Vorkastells. Die Tür zum Logis stand offen, sie konnten das Schnarchen mehrerer Männer und die gemurmelten Flüche eines weiteren vernehmen, der sich im Traum über „verdammte Spottdrosseln“ beschwerte. Sie wußten nicht, daß es der Kutscher war, der auf Espanola seine liebe Not mit den freundlichen und manchmal etwas zu aufdringlichen Tieren des GalápagosParadieses gehabt hatte. Sie verstanden nicht einmal seine Worte, denn sie waren der englischen Sprache nicht mächtig. Yalic und Tezoura ließen sich auf alle viere nieder und krochen lautlos auf den Finger- und Zehenspitzen. Es war eine Technik, die die Indianer in Vollkommenheit beherrschten. Raubkatzen gleich schoben sie sich auf das Schott zu, richteten sich wieder auf und öffneten den Auslaß, ohne dabei auch nur das geringste Geräusch zu verursachen.
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Im selben Augenblick drückte Chumash das Schott zur Kuhl auf und schlüpfte durch den Spalt ins Freie. Im Gegensatz zu den beiden Komplicen gab er sich keine Mühe, leise vorzugehen. Im Gegenteil, er wollte ja auffallen. Lauer Nachtwind umfächelte sein Gesicht. Er fiel von schräg achtern ein. also raumschots, und die „Isabella lag bei rascher Fahrt nach Backbord über. Chumash balancierte auf dem leicht abschüssigen Hauptdeck entlang. Er wandte sich nach achtern. Seine nackten Fußsohlen tappten dumpf auf den Planken. Wie kristallene Punkte schimmerten seine Augen in dem harten, maskenhaften Gesicht. Er blickte zum schwarzen Schiff, das schräg versetzt Backbord querab von der Dreimastgaleone segelte. Von dort drohte keine Gefahr. Niemand würde von dort drüben aus Yalic und Tezoura sichten, auch nicht der beste Ausguck der Welt. Durch Beobachtungen hatte der schlaue Chumash herausgefunden, wer um diese Stunde die Deckswache innehatte. Da war der Mann, der statt der rechten Hand einen eisernen Haken hatte. Wie riefen die Seewölfe ihn doch gleich? Richtig — Matt Davies. Davies hatte die Ruderwache übernommen. Er stand im Ruderhaus und hatte Chumash natürlich bereits entdeckt. Weiter waren da : der drahtige Blonde, der Bob Grey hieß, ein großer Mann namens Stenmark, ein kleiner, blauäugiger Bursche, den alle Luke Morgan nannten, ein hagerer Blondschopf namens Gary Andrews und schließlich dieser schwarzhäutige Herkules. Wenn Chumash sich recht entsann, hieß er Batuti. Der Rest der Mannschaft war wachfrei. Nur sechs Männer dirigierten das Schiff durch die Nacht, sechs, die Chumash zu übertölpeln gedachte. Grey und Stenmark hatten sich auf der Back postiert, drehten sich aber sofort um und traten an die Balustrade zur Kuhl, als sie den Indianer zum Achterdeck gehen sahen. Morgan und der große Schwarze befanden sich auf dem Achterdeck. Sie erblickten Chumash ebenfalls und schritten
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sofort zum Backbordniedergang, der auf das Quarterdeck hinunterführte. Das größte Risiko im Hinblick auf Yalics und Tezouras Unternehmen wurde folglich durch Gary Andrews verkörpert. Er hatte Dan O’Flynn im Großmars abgelöst, und von seiner Position aus konnte er auch den größten Teil der Galionsplattform einsehen. Yalic und Tezoura hatten sich vom Vordecksschott aus auf die Galionsplattform gepirscht und glitten jetzt im Schutz der Back auf das Steuerbordschanzkleid zu. Sie mußten darüber hinweg, um ihren Weg fortsetzen zu können, und genau das war der kritischste Punkt. Chumash geriet absichtlich aus dem Gleichgewicht. Er rutschte gekonnt aus, schlug hin und schlidderte. nach Backbord. Er rollte gegen das Schanzkleid, fluchte leise in seiner Muttersprache, rappelte sich wieder auf und wankte weiter in Richtung Ruderhaus. Er war sicher, in diesem Augenblick auch die Aufmerksamkeit von Gary Andrews auf sich gelenkt zu haben. Das stimmte. Gary hatte die rasche Bewegung auf Deck registriert und durch das Knarren der Blöcke und Rahen auch den dumpfen Laut vernommen, mit dem der Indianer tief unter ihm innige Bekanntschaft mit den Kuhlplanken geschlossen hatte. Gary blickte über die Umrandung des Großmarses nach unten und murmelte: „Hölle und Teufel, was will denn der? Hat Hasard nicht ausdrücklich angeordnet, daß sich in der Nacht nur die Wache auf Oberdeck aufzuhalten hat? Na, Matt, Stenmark und die anderen werden ihm schon die Leviten lesen.“ Chumash hatte das Ruderhaus erreicht. Yalic und Tezoura haben es geschafft, sagte er sich. Bestimmt hangeln sie außenbords auf den Berghölzern der Steuerbordseite entlang, wie ich es ihnen befohlen habe. Gewiß, es gab auch einen Weg, der durch das Innere der „Isabella“ bis zu den Kammern des Achterkastells führte. Aber
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Chumash hatte im Laufe des Tages heimlich überprüfen können, ob ihnen dieser Weg auch wirklich offenstand. Das Ergebnis lautete, daß der Zugang zu den Frachträumen verriegelt war und niemand außer dem Seewolf diese Barriere zu überwinden vermochte. In den Frachträumen lagerten die Smaragde des Kommandanten Sabreras und die anderen Schätze von El Lobo del Mar. Unermeßlicher Reichtum, den Chumash mit der Macht über Schiff und Mannschaft an sich zu reißen gedachte. Er schaute zu Batuti und Luke Morgan. Sie schritten die Stufen des Niederganges hinunter auf ihn zu, und über ihnen wurden die Umrisse der Piragua erkennbar. Der Seewolf hatte darauf bestanden, einen der Einmaster der Serranos mitzunehmen, damit Hidduk und seine sechs Begleiter später unabhängig von den weißen Männern die Reise fortsetzen und zu den Galápagos zurückkehren konnten. Für Sekunden dachte Chumash fast wehmütig an die Heimat, die er vor vielen Monden hinter sich gelassen hatte. Santa Barbara, die Inseln, Neu -Albion im nördlichen Neu-Spanien – waren die Serranos verflucht, würden sie ihr Land nie wiedersehen? Hidduk, der in einer Kammer des Achterkastells schlief, trug nach Chumashs Überzeugung am meisten dazu bei, daß sie geradewegs ins Verderben steuerten. Matt Davies musterte den Indianer aus schmalen, mißtrauischen Augen. „Kein Stehvermögen, was?“ sprach er ihn auf spanisch an. „Im Stockdunkeln auf Deck hinschlagen und womöglich noch außenbords gehen, das haben wir gern. Bist du nicht ganz richtig im Kopf, Hombre?“ Chumash verstand Spanisch. Er konnte sich auch gebrochen in dieser Sprache ausdrücken. Sabreras hatte Hidduk, ihm und anderen Männern des Stammes genügend Vokabeln beigebracht, um sich mit ihnen verständigen zu können, Aber Chumash antwortete nicht auf Matts Frage.
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Luke Morgan trat vor den Stellvertreter des Häuptlings hin und taxierte ihn mit einem nicht minder argwöhnischen Blick als Matt. „Was soll denn das?“ sagte er, ebenfalls auf spanisch. Hasard hatte seiner kompletten Crew die Sprache der Weltbeherrscher gelehrt. Es hatte viel Zeit gekostet, aber auch viel gefruchtet. „Du bist Chumasch“, fuhr Luke fort. „Und ich habe dich im Verdacht, Koka gekaut zu haben. Wo hast du das verflixte Teufelszeug versteckt, he? Unser Kapitän hat es verboten, zumindest für die Zeit, in der ihr mit uns zusammen seid. Wir wissen aus eigener Erfahrung, was ihr verzapft, wenn ihr den Dreck in euch reingefressen habt.“ „Koka“, murmelte Chumash. „Gift für den weißen Mann.“ Bob Grey und Stenmark waren inzwischen auch heran. „Für den roten Mann etwa nicht?“ sagte Stenmark. ..Du wärest eben doch fast in den Teich gefallen — und wir hätten dich nieder ‘rausfischen müssen. Was hast du in dem Zustand denn bloß vor? An die Gurgel willst du uns doch wohl nicht springen.“ „Versuche es“, forderte Batuti den Indianer auf. „Batuti rammt dich unangespitzt ins Deck.“ Chumash wies mit bebender Hand zum schwarzen Segler. „Großer Geist“, stieß er hervor. „Spricht zu Chumash. Sagt, das Schiff mit den vier Masten ist verschwunden, verzaubert. Böser Dämon haust in seinem Bauch.“ Bob Grey lachte auf. „Also, du hast Nerven. Das wissen wir doch längst. Der Dämon, von dem du sprichst, ist wahrscheinlich die Mumie des chinesischen Mandarins, die in dem Geheimversteck liegt. Aber der Knabe ist harmlos, ich schwör’s dir.“ „Quatsch“, meinte Matt Davies. „Chumash kann unmöglich wissen, welches Geheimnis Siri-Tongs Schiff birgt.“ Stenmark grinste. „Klar, aber in seiner blumigen Phantasie malt er sich so einiges aus. Uns ist doch bekannt, wie abergläubisch die Indianer sind. Bloß daß
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sie so schlechte Seeleute sind und sich nachts auf Oberdeck die Nase eindellen, hab ich noch nicht gewußt.“ „Bringen wir ihn zurück ins Vor deck“, sagte Bob Grey. „Hasard nicht, daß während der Nacht außer uns jemand an Oberdeck herum läuft. Er hat seine triftigen Gründe dafür.“ Ja: Der Seewolf hatte die sieben SantaBarbara-Indianer zwar al vollwertige Bundesgenossen mitgenommen, aber er hatte auch sein Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Nach wie vor war er auf der Hut, ließ sie tagsüber nicht aus den Augen und sorgte bei Dunkelheit dafür, daß sie in ihren Räumen unter Deck blieben. Nachts waren bekanntlich alle Katzen grau, und entsprechend lauteten die Anweisungen, die Hasard seiner Crew gegeben hatte. „Dämon der Finsternis“, murmelte Chumash mit unverwandt starrem Blick auf den schwarzen Segler. „Fluch über die ‚Isabella’. Der Untergang - steht bevor.“ „Jetzt reicht’s mir aber“, sagte Luke Morgan. Er griff nach Chumashs Arm. Batuti packte ebenfalls mit zu, und so bugsierten sie ihn auf die Kuhl hinunter und dann in Richtung auf das Vorkastell. Chumash ließ es widerstandslos geschehen. Er schien völlig apathisch zu sein. „Wie der: sich vollgepumpt hat“, sagte Luke. „So dicke bin ich ja noch nicht mal, wenn ich mir eine Gallone Rum und Whisky zusammen hinter den Kragen kippe.“ Sie schafften ihn in den Vordecksraum gegenüber dem Mannschaftslogis. Als sie ihn losließen, tat er zwei, drei torkelnde Schritte und sank dann zusammen. * Luke trat zu Chumash und beugte sich über ihn. „Bewußtlos“, stellte er fest. „Ich sag’s ja, so besoffen ist auch der vollste Seebär nicht. Schnaps ist eben doch was anderes als diese verdammten Koka-Blätter.“ Er rümpfte die Nase, weil es in dem Raum strenge roch. Nach einigem Herumtasten
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hatte er dann unter Chumashs Lager die Blätter der berauschenden Pflanze gefunden. Er steckte sie sich in die Tasche. „Die schmeißen wir über Bord, Batuti.“ „Gute Idee. Koka macht Indianer wild.“ „Unzurechnungsfähig, wolltest du wohl sagen.“ Luke versuchte, etwas von seiner Umgebung zu erkennen. So sehr er aber auch die Augen anstrengte, er konnte kaum die Konturen der anderen schlafenden Indianer erkennen. „Zünde mal ein Licht an“, sagte er zu Batuti. „Ich hab irgendwie das dumpfe Gefühl, hier läuft was. Was Oberfaules.“ Der Gambia-Neger wandte den Kopf und antwortete: „Da kommt Licht. Öllampe.“ Jemand schritt durch den Gang. Luke legte instinktiv die Hand auf den Pistolenkolben, atmete aber auf, als er im Schein der Lampe das Narbengesicht von Edwin Carberry erkannte. Im zuckenden Licht sah der Profos der „Isabella“ kein bißchen netter aus als gewöhnlich, im Gegenteil. Und da er außerdem noch eine so grimmige Miene aufgesetzt hatte, als wollte er Batuti mit Haut und Haaren verschlingen, konnte man bei seinem Anblick glatt das Fürchten lernen. „Was geht hier vor?“ zischte er. „Juckt euch das Fell, ihr Kakerlaken? Ich ...“ „Warte mal, Ed“, sagte Luke Morgan leise. „Leuchte bitte mit der Lampe hier herein ja, so. Danke. Teufel auch ...“ Der Lichtkreis erfaßte die Gestalten von Chumash und drei anderen Serranos. Sie lagen reglos auf ihren einfachen Lagern und schienen durch nichts auf der Welt aus ihrem Schlummer geweckt werden zu können. „Was ist denn jetzt los?“ brummte Carberry. „Eigentlich müßten es sechs sein. He, Luke, he, Batuti, du rabenschwarzer Strolch, wollt ihr endlich erklären, was hier gespielt wird, oder muß ich euch die Würmer einzeln aus der Nase ziehen, was, wie?“ Luke schilderte mit gedämpfter Stimme, was auf Oberdeck geschehen war, dann schüttelte er Chumash. „Wo sind die
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beiden anderen? Rück bloß damit heraus, sonst gibt’s Ärger. Wo stecken sie?“ Chumash rührte sich nicht. „Laß mich mal“, stieß der Profos grollend aus. „Ich krieg ihn schon wach.“ Batuti schüttelte den Kopf. „Koka. Ist ohnmächtig, der Bursche.“ „Ihr Rübenschweine“, sagte Carberry. „Wenn die zwei Indianer auf Oberdeck herumkrauchen, hättet ihr sie doch sehen müssen — es sei denn, ihr habt gepennt.“ „Wir pennen nicht auf Wache“, erwiderte Luke ziemlich angriffslustig. „Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sind die Kerle irgendwo im Schiffsinneren und versuchen, an die Smaragde heranzukommen. Oder an unsere Waffen. Die Versuchung ist ja groß. Die andere Möglichkeit: Sie sind mal kurz auf die Galion ‘raus, wo man sie leicht übersehen kann. Vielleicht müssen sie mal aus der Hose.“ „Serranos haben keine Hosen“, sagte Batuti. „Mann, halt die Luft an, mir ist nicht zum Scherzen zumute“, entgegnete der Profos. „Los, Kerl, ihr durchsucht die ‚Isabella’. Ich gehe auf die Galionsplattform und schaue nach, ob die Knaben dort sind. Wenn nicht, sage ich auch Bob, Stenmark, Matt und Gary Bescheid. Und wenn wir die Indianer dann immer noch nicht finden, schlage ich Alarm, dass der ganze Kahn wackelt.“ Chumash, der immer noch erfolgreich den Bewußtlosen spielte, hatte von dem Gespräch nichts verstehen können, weil es auf englisch geführt worden war. Aber natürlich war ihm klar, daß die Männer der „Isabella“ kurz vor der Aufdeckung des Komplotts standen. Er hoffte inständig, daß Yalic und Tezoura es geschafft hatten. Sie mußten die Heckgalerie der Galeone erreicht haben. Carberry, Luke Morgan und Batuti verließen den Vordecksraum. Chumash schlug die Augen auf. 2.
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Der grüne Stein war rundum in Gold gefaßt und an einer langen goldenen Kette befestigt. In dem Juwel, den die Spanier Esmeraldo getauft hatten, brach sich das rotgoldene Licht der beiden Öllampen in der Kapitänskammer, und alles Glück, alle Verheißung der Welt schienen als stumme Botschaft in diesem einzigartigen Glänz zu liegen. Hasard drehte den Zweikaräter zwischen Daumen und Zeigefinger. Dabei dachte er an das, was hinter ihm und seinen Freunden lag — und an das, was ihnen bevorstehen mochte. Er saß auf einem geschnitzten Holzgestühl hinter seinem Pult, vor ihm ruhte mit aufgeklapptem Deckel eine Schatulle auf der Tischplatte. Sie war bis zum Überquellen mit Esmeraldos gefüllt — mit den Smaragden, die der Kommandant Sabreras heimlich versteckt hatte. Er hatte die Santa-BarbaraIndianer, die mit ihren Piraguas bis zum Galapagos Archipel gelangt waren, zu einem zweifelhaften Pakt überreden können. Sie bewachten seinen Privatschatz, und er konnte absolut sicher sein, daß niemand anders Hand daran legte. Das war so gewesen, bis der Seewolf vom Sturm zu den Galapagos-Inseln getrieben worden war. Er hatte auf Espanola sein Lager aufgeschlagen, die „Isabella“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ reparieren lassen und Bekanntschaft mit den zutraulichen Tieren der Insel geschlossen - und dann, nachts, waren die Serranos mit ihren Piraguas erschienen. Hasard, Siri-Tong und beide Crews hatten die von Koka berauschten Krieger überwältigen können. Und so hatte Hidduk, der Häuptling der Serranos, den Seewolf nach San Cristobal hinüberbegleiten müssen. Wie gebannt hatten sie schließlich vor den Bergen von Smaragden in der Höhle gestanden, und erst später, nach der Freilassung des Iguanas, hatte Hasard unter dieser Anhäufung von Reichtum auch die Schatullen entdeckt. Es waren drei. Zwei befanden sich jetzt drüben auf dem schwarzen Segler von Siri-
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Tong, nur eine hatte Hasard sich angeeignet. Die rohen, nicht zu Schmuck verarbeiteten Diamanten hatte er zu gleichen Teilen in den Frachträumen der beiden Schiffe verstauen lassen. Hasard war von dem samtgrünen Glanz des Smaragdes überwältigt. Diese Faszination - sie wurde zu einem Fieber, wenn ein Mann nicht außerordentlich besonnen war. Ein Fluch schien über den grünen Steinen und ihrer Mine in NeuGranada zu schweben. Sie waren wertvoller als Gold, und es schien ein unabwendbares Schicksal zu sein, dass sich immer wieder Männer gegenseitig die Köpfe einschlugen, um sie an sich zu reißen. War es daher nicht Wahnwitz, nach Sabreras und seiner Mine zu suchen? Hasard legte den Stein weg und nahm einen anderen zur Hand. Nein, er änderte seine Pläne nicht. Er unternahm diese Reise ja nicht nur, um sich in den Besitz der Smaragde zu bringen. Er wollte auch einem Verbrecher das Handwerk legen und die armen Chibcha-Indianer befreien, die zur Zwangsarbeit in der Mine verdammt waren. Auch dieses letztere Vorhaben hatte überzeugend auf Hidduk, den SerranoHäuptling, gewirkt. Er hatte sich mit dem Seewolf verbündet. Natürlich hatte er, der Verlierer, im Grunde keine andere Wahl gehabt, aber es gehörte zu einem solchen Pakt wie diesem eben doch mehr als nur der reine Zwang. Hidduk hätte im Extremfall lieber den Freitod gewählt, statt gegen seinen Willen ein Übereinkommen mit seinem Bezwinger zu treffen. Aber es hatte ihn vor allem ungeheuer beeindruckt, daß Hasard ihm das Leben geschenkt hatte. Mehrmals hätte der Seewolf ihm kaltblütig den Garaus bereiten können, und doch hatte er davon abgesehen. Und wie sicher dieser Mann, den die Spanier Lobo del Mar nannten, auftrat! Auf San Cristobal hätten die Serranos ihm in den Rücken schießen können, so unbekümmert hatte er sich bewegt. Aber keiner hatte es gewagt, sie alle hatten wie gelähmt dagestanden.
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Hasard hatte nicht nur Hidduk, sondern auch die anderen Überlebenden des Kampfes auf dem schwarzen Schiff sowie die Männer, Frauen und Kinder von San Christobal verschont. Hidduk hatte nach der Übergabe der Smaragde begonnen, seinen Worten Glauben zu schenken. Wirklich, dem Seewolf war es nicht daran gelegen, ein Massaker anzurichten. Vielmehr ging es ihm darum, daß sich die Santa-Barbara-Indianer unbehelligt aus der Affäre ziehen konnten. In Hasards Augen waren Ehrlichkeit und Gerechtigkeit zu lesen, wie Hidduk sagte. Hidduk war ein indianischer Pirat, dem es an Durchtriebenheit und Kaltblütigkeit nicht mangelte, aber er hatte auch Tugenden. Sein Ehrenkodex stützte sich auf echte Prinzipien. Wenn er sein Wort gab, hielt er auch daran fest. So war er mittlerweile überzeugt, daß Sabreras ihn hintergehen und nicht die Smaragdbeute mit ihm teilen wollte. Hasard kannte Männer wie diesen spanischen Kommandanten. Zwar hatte er ihn noch nicht gesehen, aber er konnte sich gut ausmalen, wie verschlagen und hinterhältig dieser Bursche war. Hidduk — der einzige, der Hasard zu der Mine der Esmeraldos führen konnte — hatte sich daher bereit erklärt, als „Lotse“ zu fungieren. Sechs seiner besten Männer hatte er als Begleiter ausgewählt, er würde sie vor allem dann brauchen, wenn sich die Krieger wieder von den Seewölfen und Siri-Tong-Piraten trennten. Er allein konnte die Piragua nicht zu den Galapagos zurücknavigieren. Hasard griff mit beiden Händen in die Schatulle und ließ den Diamantschmuck durch seine Finger gleiten. Er zweifelte nicht daran, daß die Anhänger und Diademe, die Broschen, Reifen und Ringe von den Chibcha-Indianern hergestellt worden waren. Die Chibchas gälten als geschickte Goldschmiede und Handwerker, sie sollten sogar eine große Krone verfertigt haben, über und über mit Smaragden besetzt — zur Ehrung ihrer Götter.
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Sie hatten eine ziemlich hohe Kulturstufe erreicht, diese Ureinwohner von NeuGranada. Bevor die Konquistadoren erschienen waren, hatten sie friedlich Mais und Kartoffeln gezogen, Gold geschmiedet, baumwollene Gewänder gewebt und gute Straßen gebaut. Wie die Azteken und Inkas beteten auch sie zur Sonne, und bei ihrem großen Götterfest sollte ein ganz mit Goldstaub bedeckter Kazike in einem See gebadet haben. El Dorado und Berge von grünfunkelnden Diamanten, so viele, wie Fische im Meer waren — Legenden, die Wirklichkeit waren. Wo immer die Conquista auf solche Schätze in der Hand von friedfertigen Völkern gestoßen war, hatte sie ihre abstoßendsten Triumphe gefeiert. Francisco Pizarro und seinesgleichen waren dereinst Schweinehirten und Hidalgos, Verbannte und Geächtete gewesen, aber das änderte nichts an ihren Erfolgen. Völker wie die Chibchas waren heute nur noch Schatten ihrer selbst. Die Unterdrückung, die Dezimierung, die Maßlosigkeiten der Spanier hatten sie zu willenlosen Sklaven herabgewürdigt. Sie lebten nicht, sie vegetierten nur dahin. Hasard war weder Fanatiker noch Idealist, verband jedoch seinen Auftrag, Englands Einfluß zur See und in der Neuen Welt zu stärken, mit diesem zweiten Ziel: den zu Unrecht Gequälten zu helfen. Hasard hätte Sabreras an dessen Befehlshaber verraten können, denn der Kommandant scheffelte fleißig in die eigene Tasche, während er doch eigentlich die gesamte Ausbeute der Smaragdmine über Panama heim nach Spanien zu bringen hatte. Er betrog somit die Casa de Contratacion und Seine Allerkatholischste Majestät, König Philipp II. — doch das schien ihn wenig zu stören. Aber es war nicht Hasards Stil, ein solches Schlitzohr zu verpfeifen. Hinten herum handeln wie die Intriganten und Hofschranzen, das lag ihm ganz und gar nicht. Ganz abgesehen davon, daß die Spanier als ersten ihn festnehmen würden, sobald er sich ihnen zeigte. Ihr Eifer, ihn
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zu packen, würde noch durch die Belohnung geschürt, die die spanische Krone auf ihn ausgesetzt hatte. Eine weitere Möglichkeit wäre es gewesen, Sabreras auf San Cristobal aufzulauern. Aber nach Hidduks Angaben würde Sabreras erst in „ein, zwei Monden“ mit einer neuen Ladung Esmeraldos die Insel anlaufen, und das dauerte dem Seewolf zu lange. Statt auf Sabreras zu warten, suchte er ihn auf. Es brachte ihn noch mehr von seinem ursprünglichen Kurs ab — von dem Weg nach China. Aber das nahm Hasard in Kauf. Er verschob die Überquerung des Großen Ozeans um ein paar Wochen. Was spielte das jetzt noch für eine Rolle! Er hatte so viele Aufenthalte gehabt, auf einen Monat mehr oder weniger kam es auch nicht mehr an. Dabei nahm er sich natürlich vor, die Dinge in Neu-Granada so rasch wie möglich zu forcieren und abzuwickeln. Er war so tief in seine Gedanken verstrickt, daß er das Geräusch hinter sich kaum zur Kenntnis nahm. Dann aber, urplötzlich, sagte er sich, daß der Laut nur von der Tür herrühren konnte, die auf die Heckgalerie führte. Er hatte die Galerie vorher für kurze Zeit betreten, um nach dem schwarzen Segler, Wind, See und Stand der Sterne zu schauen. Danach hatte er sich in seine Kammer begeben und die Tür zugezogen, jedoch nicht verriegelt. Seine Gedanken rissen ab. Er konzentrierte sich nur noch auf das, was hinter seinem Rücken war. Seine Muskeln spannten sich, sein Gesicht war starr und hart. Er saß noch genauso da wie vorher. Wer ihn von hinten am Pult hocken. sah, ahnte nicht, daß er bereits etwas bemerkt hatte. * Yalic und Tezoura hatten es riskiert, in die See zu stürzen, als sie auf den Berghölzern der „Isabella“ entlanggeturnt waren. Aber jetzt hatten sie es vollbracht, jetzt standen sie auf der Heckgalerie, und Tezoura hatte bereits durch die Butzenscheiben eines
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Bleiglasfensters gespäht und den Seewolf grübelnd dasitzen sehen. Yalic kauerte vor der Tür. Auf Tezouras Zeichen hin drückte er langsam die Klinke nach unten. Es gab einen schwachen Laut. Yalic verharrte wie gelähmt. Tezoura lugte wieder in die Käpitänskammer, huschte zu seinem Kumpan und nickte ihm zu. Yalic schob die Klinke bis zum Anschlag. Er hielt das Hartholzmesser in der rechten Hand — zum Todesstoß bereit. Ein Ruck, und die Tür stand offen. Der Wind blies in die Kammer, und mit dem ersten Hauch flog Yalic auf den. Seewolf zu. Tezoura war dicht hinter ihm. Sie warfen sich stumm auf ihren Feind und verzichteten auf ihren schrillen Kampfruf, um ja nicht die Crew auf den Plan zu locken. Bevor Yalic Hasard erreichte, geschah es. Hasard schnellte hoch. Seine Kniekehlen beförderten das mit Schnitzwerk versehene Holzgestühl rückwärts — auf den Indianer zu. Hasard schwang vor, drehte sich und lag plötzlich auf der Platte des Pultes. Er rollte über sie weg und räumte dabei die Schatulle mit dem Chibcha-Schmuck, ein paar Karten, einen Astrolab und noch einiges mehr ab. Als er vor dem Möbel auf dem Boden landete, regneten die Utensilien neben ihm nieder, und die Smaragde verteilten sich in alle Himmelsrichtungen. Es kümmerte ihn nicht. Hier ging es um mehr als materiellen Besitz. Um sein Leben. Yalic prallte gegen den Holzstuhl. In einer wilden Reflexbewegung hieb er mit dem Hartholzmesser zu. Die Klinge schlug auf die Fläche, auf der Hasard eben noch gesessen hatte. Tezoura war etwas nach rechts getänzelt und schleuderte seine Waffe hinter dem Seewolf her. Das Messer surrte über Hasard weg, als er gerade vor dem Pult gelandet war. Klappernd stieß es hinter ihm gegen die Wand, die zum Gang des Achterkastells wies. Es fiel auf die Planken, und Tezoura mußte an dem
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Gegner vorbei, wenn er es wiederhaben wollte. Hasard hätte jetzt nur die doppelläufige Radschloßpistole zu zücken brauchen, um die Partie für sich zu entscheiden. Aber auch das ging ihm entschieden gegen den Strich und paßte nicht zu seinem Stil, fair mit jedem Gegner zu verfahren. Er nutzte die Überraschung der Angreifer aus und tat etwas, was sie wahrscheinlich zumindest in diesem Moment nicht erwarteten. Er erhob sich wieder, flankte noch einmal über das Pult — und griff sich Yalic. Der hob gerade wieder sein Hartholzmesser. Aber Hasard drückte seine Arme nach unten. Dann ließ er ihn blitzschnell los und hieb ihm mit der Faust gegen die Schläfe. Yalic kam zu keiner Reaktion. Er stöhnte, stürzte hintenüber, und mit ihm kippte der geschnitzte Stuhl. Yalic geriet mit seinem Stammesbruder ins Gehege. Hasard tat einen Schritt und war bei Tezoura. Er wollte ihn’ auf die gleiche frontale Art angreifen wie den anderen, aber Tezoura war auf der Hut. Er duckte sich, blockte einen ersten Schlag Hasards ab und wurde dann selbst handgreiflich. Zwei trockene Hiebe landete er auf der Brust des Seewolfs. Hasard steckte sie ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Er behielt den liegenden Yalic im Auge. Yalic wollte sich plötzlich wieder sein Hartholzmesser greifen. Er hatte es verloren und kämpfte noch mit seinen Schmerzen, aber der Haß in ihm war übermächtig. Mit verzerrtem Gesicht klaubte er die spitze Waffe auf. Hasard trat zu. Sein Stiefelabsatz erwischte Yalics Messerhand und drückte sie auf dem Boden platt. Yalic gab einen erstickten Wehlaut von sich und ließ das Messer erneut los. Ein zweiter Tritt Hasards, und das Ding schlidderte quer durch den Raum. Tezoura nutzte die Lage voll aus. Er tauchte unter Hasards Deckung weg, schlug erbittert zu und stürzte sich dann direkt auf ihn. Die wenigen Sekunden, in denen Hasard mit Yalic zu tun gehabt
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hatte, genügten, ihm diesen Vorteil zu verschaffen. Tezouras Hände schlossen sich um Hasards Hals. Hasard ergriff die Unterarme des Gegners und trachtete sie nach den Seiten wegzudrücken. aber es gelang ihm nicht. Tezouras Würgegriff glich dem Zupacken von Eisenklammern. „Bastard“, stieß der Indianer auf spanisch hervor. „Stirb!“ Yalic hatte sich wieder aufgerappelt, kroch durch den Raum und suchte nach den Hartholzmessern. Im Licht der Öllampen konnte er sie so schnell nicht finden, entdeckte aber zwei gekreuzte Säbel, die an der Querwand der Kammer befestigt waren. Ein Teil von Hasards Waffensammlung. Yalic riß den einen Säbel herunter, fuhr herum und grinste siegesgewiß. Hasard konnte nichts gegen ihn unternehmen, er hatte genug mit Tezoura zu tun. Der Kerl preßte ihm wahrhaftig die Luft ab. Es dröhnte bereits in Hasards Kopf, dunkle Schemen begannen vor seinen Augen zu tanzen. In der Lunge stach es, als steckten Nadeln darin. Hasard ließ Tezouras Arme los. Er führte beide Hände ein Stück tiefer, ließ sie neben den Hüften des Indianers verharren und drehte sie um. Er hieb mit größter Wucht zu, und seine Handkanten trafen die Seiten des Burschen. Tezoura keuchte entsetzt. Seine Augen weiteten sich. Der Druck seiner Hände ließ nach, er nahm sie von Hasards Hals und krümmte sich unter dem Schmerz, der seinen Leib durchflutete. Der Seewolf holte mit der rechten Faust aus, zog sie hoch und knallte sie ihm unters Kinn. Tezoura taumelte zurück und ruderte dabei verzweifelt mit den Armen. Yalic stand nicht weit hinter ihm. Er hatte die Situation voll auskosten wollen und pirschte mit dem erbeuteten Säbel auf Hasard zu. Bevor Hasard zu ersticken drohte, hatte er ihn mit der Klinge töten wollen, und er war mit so blindwütigem Eifer in seinen Plan verbissen, daß er zu spät auf den Wandel der Lage reagierte. Tezoura stolperte genau in den Säbel.
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Yalic riß die Waffe zurück und stieß einen erschütterten Laut aus. Es war zu spät. Tezoura drehte sich halb im Hinstürzen. Als er auf dem Bauch lag, konnten die beiden Gegner deutlich die klaffende Wunde in seinem Rücken erkennen. „Das wirst du mir büßen“, zischte Yalic in seinem gebrochenen Spanisch. Hasard griff mit der rechten Hand an die linke Hüfte. Seine Finger schlossen sich um den Degengriff. Er konnte den goldenen Handkorb fühlen. Mit entschlossenem Ruck zog er die Waffe aus der Scheide. Yalic senste ein paarmal mit dem Säbel durch die Luft, als gelte es, Korn zu mähen. Das Geräusch, das dabei entstand, klang beeindruckend. Das war aber auch alles. Er war kein großer Fechter. Daran änderte auch all das nichts, was Sabreras den Serranos an Fechtkunst beigebracht hatte. Hasard bremste Yalics Sturm durch eine schulmäßige Parade. Die Klingen kreuzten sich klirrend, Metall scharrte so hart über Metall, daß die Funken stoben. Yalic hieb mit voller Wucht zu, und seine Absicht dabei war klar: Er wollte mit dem Säbel den dünneren Degen des Seewolfs zerschmettern. Soweit ließ Hasard es nicht kommen. Er wehrte die wilden Attacken elegant ab und riß den Degen immer dann hart an sich, wenn Yalic ihn zu zerhacken trachtete. Das brachte den Indianer noch mehr in Raserei. Schritte polterten heran. Jemand stürmte durch den Gang. Hasard hörte, daß es mehrere Männer waren, dann vernahm er einen Fluch, den nur Carberry ausgestoßen haben konnte. Der Profos nahte, um das Verschwinden der zwei Indianer zu melden. Hinter ihm liefen Bob Grey und Stenmark. Als sie das Klirren und Krachen der Klingen vernahmen. beschleunigten sie ihren Schritt noch und stürzten dann in die Kapitänskammer. Carberry rammte die Tür mit solcher Gewalt auf, daß sie innen gegen die Wand knallte. „Zurück!“ schrie der Seewolf. „Wir tragen es allein aus. Ich brauche keine Hilfe.“
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Carberry stand plötzlich da wie vom Donner gerührt. Er breitete die Arme aus und hielt Bob und Stenmark zurück. „Aye, Sir“, murmelte er, dann: „Wir brauchen nicht mehr zu suchen, Jungs. Da sind die beiden Rothäute ja.“ Sir John, der karmesinrote Aracanga, hatte seine Nachtruhe ebenfalls abgebrochen und hockte auf der mächtigen Schulter des Profos’. „Fahr zur Hölle“, krächzte er. „Himmel, Arsch und Zwirn.“ Yalic war verunsichert, er wankte zurück und geriet in Bedrängnis. Hasard ließ den Degen vorzucken, traf seine rechte Hand und zeichnete mit der Klingenspitze ein Muster darauf. Yalic schrie auf. Der Seewolf setzte nach und hieb gegen den Säbel. Unversehens taumelte der Säbel durch die Luft. Er senkte sich auf den Boden der Kammer und blieb zitternd darin stecken. Yalic wich zur Wand zurück. Er stand mit abgewinkelten Armen und gespreizten Beinen, raffte den ganzen Rest Tapferkeit zusammen, der ihm geblieben war, und rief: „Töte mich, Lobo del Mar!“ Hasard trat dicht vor ihn hin, packte ihn und zog ihn zu sich heran. „Wer hat dich dazu aufgewiegelt, hier einzudringen, du Narr?“ fragte er ihn auf spanisch. „Hidduk ...“ „Du lügst!“ „Ich schwöre es“, beteuerte der Indianer. „Sir“, sagte Carberry. „Dieser andere Bursche - die rechte Hand von Hidduk hat sich mit Koka vollgepumpt, wie es scheint, und vorhin taumelte er auf die Kuhl. Aber ich glaube, das Ganze war bloß ein Trick, um die Deckswache von diesen beiden hier abzulenken.“ „Bestimmt.“ Hasard blickte Yalic kalt an. „Chumash. Er hat euch den Befehl gegeben, an der Außenhaut des Schiffes entlangzuhangeln und es mir zu besorgen.“ „Ja, du Hund!“ schrie Yalic. Hasard stieß ihm die Faust unters Kinn, und er sank an der Kammerwand zu Boden. „Stenmark und Bob, ihr paßt auf ihn auf“, sagte der Seewolf. „Ed, wir beide laufen
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zum Vordeck und stellen Chumash zur Rede.“ Er hatte den Degen weggesteckt, wandte sich von dem bewußtlosen Yalic ab und eilte zur Tür. Carberry drehte auf dem Stiefelabsatz um. Sie hetzten nach vorn. Auf halbem Weg stießen sie im Gang auf Big Old Shane, den alten O’Flynn. Ben Brighton And Ferris Tucker, die inzwischen Auch auf den Beinen waren. „Was wird denn hier gespielt?“ rief 31d O’Flynn. „Seid ihr nicht mehr ganz dicht, oder laufen wir auf rund?“ „Schlimmer“, stieß der Profos hervor. „Die Indianer wollten Hasard umbringen.“ „O verdammt“, sagte O’Flynn. 3. „Halt! Keinen Schritt weiter, ihr Hunde!“ Der Ruf gellte über Deck, als Hasard das Backbordschott des Achterkastells verlassen hatte. Er gab sich keinen Illusionen hin. Daß den Schrei keiner seiner Männer ausgestoßen hatte, hörte er an dem harten Akzent, daß er ihm selbst sowie Carberry und den anderen Nachdrängenden galt, war auch vom ersten Moment an klar. Er verharrte und hielt angestrengt Ausschau. Plötzlich sah er. daß das Kombüsenschott halb offen stand - und im Inneren flackerte Feuerschein. Vor dem rötlichen Licht bewegte sich eine Gestalt. „Das kann unmöglich der Kutscher sein“, sagte Hasard leise. „Der heizt doch um diese Zeit nicht seine Holzkohlenfeuer an“, fügte Shane verdutzt hinzu. „Es ist Chumash“, sagte der Profos. „Den Arsch soll er sich versengen, dieser Hurensohn.“ „Lobo del Mar!“ brüllte Chumash aus der Kombüse heraus. „Komm zu mir. Allein! Wir fliegen alle mit dem Schiff in die Luft, wenn du nicht meinem Befehl folgst!“ „Das ist nur ein blöder Trick“, flüsterte Old O’Flynn. „Gehen wir. Besorgen wir’s ihm.“
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Hasard schüttelte den Kopf. „Nein. Ich glaube nicht, daß er blufft. Er hat sich auf alle Eventualitäten vorbereitet und natürlich sofort Bescheid gewußt, wie die Dinge gelaufen sind, als er mich sah.“ „Dieses Schwein!“ Carberry war außer sich vor Wut. „Wir hätten ihn nicht unbewacht in dem Vordecksraum liegen lassen sollen. Er ist stocknüchtern, der Dreckskerl, und die Bewußtlosigkeit hat er auch nur vorgetäuscht.“ „Ich habe Pulver!“ schrie Chumash. „Und die Lunte brauche ich nur ins Feuer zu stoßen!“ Der Seewolf ließ die Gestalt im Kombüsenschott keinen Moment aus den Augen. Zwischen ihm und Chumash erstreckte sich die Kuhl, eine zu große Distanz, die mit wenigen Sprüngen nicht überbrückt werden konnte. Nie und nimmer konnte er den Indianer durch einen tollkühnen Einsatz außer Gefecht setzen. „Ben“, sagte Hasard leise. „Schleich dich zurück ins Achterkastell, steige so schnell wie möglich in die Frachträume hinunter und untersuche, ob tatsächlich etwas von den Pulvervorräten fehlt. Dringe bis zu Smoky vor und frage ihn, ob man Chumash vom Vordeck aus in den Rücken fallen kann.“ „Aye, aye.“ Ben zog sich zurück und war plötzlich verschwunden. Hasard trat einen Schritt vor, hob die Hand und rief: „Chumash, überlege dir, was du tust. Du hast keine Chance mehr, die Lage für dich zu entscheiden. Du kannst dich nur noch ergeben. Sei vernünftig.“ „Schweig, Lobo del Mar! Tu, was ich dir gesagt habe!“ „Geh nicht, Hasard”, zischte Carberry. „Ich kann versuchen, den Bastard mit dem Tschakan zu treffen“, sagte Shane verhalten. „Du brauchst nur ein Stück nach Steuerbord zu treten, Hasard.“ Der Seewolf hielt die Hand immer noch erhoben. Dabei überlegte er, ob der Einsatz der türkischen Wurfaxt wirklich den Erfolg bringen würde, den Shane sich ausmalte. Er glaubte es nicht. Gewiß, der Tschakan ließ sich auch auf fünfzig und mehr Yards ins Ziel befördern. Aber bei Nacht waren
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die Chancen, auch wirklich zu treffen, weitaus geringer als bei Tag. Und der Spalt des Kombüsenschotts war auch zu schmal. Die Aussicht, Chumash mit der Axt zu erwischen, schrumpfte immer mehr. Wenn der Kerl wirklich Pulver in die Kombüse geschafft hatte, so hatte er sie in der Hand. Keinen Augenblick zweifelte Hasard daran, daß er bedenkenlos sein Leben in die Waagschale warf, um das Kommando an sich zu reißen. Das bedeutete, er würde die „Isabella VIII.“ wahrhaftig mit Mann und Maus in die Luft jagen, falls er, der Seewolf, seiner Aufforderung nicht folgte. Hasard spürte, wie der Schweiß in. winzigen Perlen auf seine Stirn trat. Er suchte nach Worten. Was konnte er tun, um das Unvermeidliche doch zu verhindern? Sollte er es darauf ankommen lassen? Würde Chumash der Zerreißprobe standhalten? Er würde. Ein Typ wie er durfte auf keinen Fall unterschätzt werden. Er war kein Feigling, der in der entscheidenden Minute umfiel. Ein Indianer kannte keine Angst. Auch, wenn er kein Koka gekaut hatte. „Chumash“, sagte Hasard. „Ich komme.“ „Klug von dir“, tönte es zurück. „Unter einer Bedingung ...“ „Du hast keine Bedingungen zu stellen! Chumash befielt – du kriechst wie ein Hund über Deck oder du stirbst. Alle sterben!“ „Hasard“, raunte Carberry. „Ben ist zurück.“ „Zwei Faß Pulver fehlen“, flüsterte Ben Brighton. „Dieser Indianer muß sie schon am frühen Abend entwendet und in einem günstigen Augenblick in der Kombüse versteckt haben. Anders kann es nicht gewesen sein. Die Kombüse hat er hinten zugerammelt. Smoky und die anderen aus dem Vordeck können also nicht ‘rein.“ „Verdammt“, zischte Ferris Tucker. „Ich habe es mir gedacht“, sagte der Seewolf. „Und wir können den Kerl nicht überlisten. Jeder Versuch würde scheitern.“ „Hasard“, sagte Shane. „Ich melde mich freiwillig.“
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„Wozu?“ „An deiner Stelle zu Chumash zu gehen ... „Nein.“ „Shane, Ferris, Ed und ich“, sagte Ben Brighton. „Wenn wir vier uns dem Indianer als Geiseln stellen, verzichtet er auf dich. Er muß es akzeptieren.“ „Schlagt euch das aus dem Kopf“, erwiderte Hasard, mehr nicht. Damit stand unumstößlich fest, daß er keinen seiner Männer vorschieben würde. Er hatte es nie getan und setzte das Leben der Crew nicht leichtfertig aufs Spiel. Jetzt, hier, unter dem Druck der Erpressung, mußte er alles tun, um ein furchtbares Ende von sich und ihnen abzuwenden. Im Namen der Seewölfe. „Lobo del Mar!“ schrie Chumash. „Zum letzten Mal!“ Hasard setzte sich in Marsch. „Sir John, du Rabenaas“, sagte Ed Carberry hinter ihm. „Warum, zum Teufel, fliegst du nicht in die Kombüse und pickst diesem Lumpenhund die Augen aus? O, wenn ich den Dreckskerl zu fassen kriege!“ Hasard war neben der Kuhlgräting und sah jetzt durch den Spalt des Kombüsenschotts die glimmende Lunte, die Chumash in der Hand hielt. Er bluffte nicht. Was immer ihn dazu bewegt hatte, gegen Hidduks Anweisungen zu rebellieren, zu meutern, ein Komplott zu schmieden — er war. bereit, bis zur äußersten Konsequenz zu gehen. „Schneller!“ brüllte er. Seine Stimme überschlug sich fast. „Chumash senkt die Lunte auf das Pulver!“ Hasard beschleunigte seinen Schritt etwas. Ihm war, als ginge er zu seiner eigenen Beerdigung. Goodbye, Isabella, dachte er, adios, Neu-Granada, wer weiß, wo wir jetzt landen. Er ließ den Großmast hinter sich und hatte noch vier, fünf Schritte bis zum Kombüsenschott zurückzulegen. Er steuerte darauf zu, ging aber leicht nach Backbord versetzt, weil die „Isabella“ den Wind nach wie vor von Steuerbord achtern erhielt und auf der Backbordbug lag.
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Plötzlich surrte etwas an seiner rechten Körperflanke vorbei. Den Bruchteil einer Sekunde später sah er Chumash wanken und den Mund aufreißen. Chumashs Gesicht nahm den Ausdruck grenzenloser Überraschung an. In der rechten Hand hielt er immer noch die glühende, knisternde Lunte, mit der Linken tastete er nach dem Pfeil, der in seiner Brust steckte. Der Pfeil hatte mit geradezu unglaublicher Präzision die Herzgegend getroffen, aber dennoch stand Chumash nach wie vor aufrecht. Wenn er auch wankte, wenngleich eine Flut von Schmerzen durch seinen Körper brandete und seine Sinne lähmte — er konnte noch tun, was er angedroht hatte. Hasard duckte sich und stürmte los. Er stieß sich mit den Füßen von der Kuhl ab, sprang in den Spalt des Kombüsenschotts und schrammte sich am Rand des Schotts den rechten Arm auf. Mit beiden Händen packte er Chumash, riß ihn mit sich zu Boden und entwand ihm das Luntenende. Das eine Pulverfaß lag umgekippt in der Kombüse. Eine kurze Pulverspur zog sich über den Plankenboden — ausgerechnet bis zu Hasard und dem Indianer hin. Wenige Funken sprangen von der Zündschnur auf das Pulver über. Sie genügten, um es zu entfachen. Hasard ließ von dem stöhnenden Chumash ab und warf sich mit der ganzen Last seines Körpers auf das Pulver. Er versengte sich nicht nur das Hemd, die Glut drang bis auf seine Haut durch. Er keuchte, hieb mit den Fäusten in das Pulver und unterbrach die Bahn, die bis zum Faß lief. Kurz darauf hatte er auch das Feuer erstickt. Er blickte zu Chumash und war auf einen neuen Angriff gefaßt. Aber der Mann war nicht mehr imstande, irgendjemandem etwas zuzufügen. Mit jedem Pulsschlag wich das Leben aus seinem Körper. Der Pfeil mochte das Herz nicht voll getroffen haben, aber er steckte so tief, daß es keine Rettung mehr für Chumash zu geben schien. *
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Hasard richtete sich auf. „Kutscher“, schrie er. „Sofort zu mir! Himmel, wo steckst du denn?“ Er hatte kaum ausgesprochen, da erschien das bleiche Gesicht des Kutschers in der Öffnung des Schotts. Wortlos schritt er auf seinen Kapitän zu und blickte dabei auf die Brandwunde. Hasard legte seine Hand auf die Blessur, wies mit der anderen auf Chumash und sagte: „Nicht um mich sollst du dich kümmern. Dem da geht es bedeutend dreckiger als mir.“ Er erhob sich ganz und wankte auf Ben, Ferris, Shane, Carberry und die anderen zu, die sich jetzt in die Kombüse drängten. Der Kutscher kniete sich neben Chumash hin und untersuchte ihn. Er tat alles, was in seinen Kräften stand, denn auch der ärgste Feind war ein Mensch wie jeder andere, wenn er schwer atmend um sein Dasein rang. Sir Anthony Abraham Freemont lehrte es und Hasard wies auch immer wieder darauf hin. Man hatte nicht das Recht, einen Gegner vorsätzlich ins Jenseits zu befördern .oder nachzuhelfen, wenn er schwer verwundet war. „Schafft das Pulver weg“, befahl Hasard. Ferris und Shane griffen sich jeder ein Faß, wuchteten es auf die Schulter und verschwanden damit durch die Tür, die die Kombüse mit dem Inneren des Vordecks verband. Ben trat zu dem Seewolf und blickte auf die Verbrennung. „Das sieht übel aus.“ Hasard winkte ab. „Das gibt nur ein paar Blasen, mehr nicht. Sagt mir lieber, wer den Pfeil abgefeuert hat. Shane? Batuti?“ Die Männer verneinten durch Gesten. Plötzlich entstand Bewegung, jemand wollte durchgelassen werden. Hasards Männer rückten etwas zu den Seiten weg, und in die Kombüse trat Hidduk, der Häuptling der Santa-Barbara-Indianer. „Ich war es“, sagte er in seinem gutturalen Spanisch. Er hob die Hand und wies auf Chumash. „So geht es allen, die sich gegen mich wenden. Chumash ist von der Gier nach den Esmeraldos und den Schätzen
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dieses Schiffes verblendet worden. Einem Narren wie ihm verzeiht Hidduk nicht.“ Hasard wandte sich zu dem Kutscher um. Der Kutscher richtete sich soeben von Chumashs reglos daliegender Gestalt auf. Er drehte den Männern das Gesicht zu. „Aus“, sagte er. „Da habe ich nicht mehr helfen können.“ Hasard blickte zu Hidduk. „Ich danke dir für deinen Einsatz. Aber du hast viel riskiert. Wenn Chumash dich vor dem Schuß entdeckt hätte, wären wir alle draufgegangen.“ „Er hat im Steuerbordniedergang des Achterkastells gekauert“, sagte Ben. Auch wir haben ihn erst gesehen, als er den Pfeil von der Bogensehne geschickt hatte.“ „Ein fabelhafter Schuß“, sagte Smoky, der jetzt auch eingetreten war. „Hidduk wurde wach, als Männer durch den Gang rannten“, erklärte der Häuptling. „Aber dann, statt nach Backbord wie Hasard, nach Steuerbord. Chumash schaute nur zu Lobo del Mar. Er war zu verbohrt, hatte zu viel Haß im Leib.“ „Ja“, erwiderte Hasard. „Und Haß macht blind. He, Kutscher, geh jetzt in meine Kammer und kümmre dich um den Indianer, der beim Kampf in den Säbel gelaufen ist.“ Sie verließen fast alle die Kombüse und begaben sich ins Achterkastell. Der Kutscher hastete vor Hasard dahin, verharrte aber, als der alte O’Flynn plötzlich aus der Hütte trat und die eine Hand hob. Old O’Flynn schnitt eine Grimasse und sagte: „Den Schurken hat’s erwischt. Er ist in die Ewigkeit übergewechselt. Auf den anderen passen Stenmark und Bob Grey auf, damit er nicht über die Heckgalerie entwischen kann.“ „Ist er zu sich gekommen?“ wollte Hasard wissen. „Bisher noch nicht, aber man weiß ja nicht, ob der Bursche wirklich die Besinnung verloren hat oder nur so tut.“ „Diesmal ist es keine Gaukelei“, sagte der Seewolf. Sie hatten sich auf englisch unterhalten. Hidduk wollte wissen, um was es ging, und
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Hasard setzte es ihm auf spanisch auseinander. In Hidduks Zügen veränderte sich daraufhin etwas. Der Zorn ließ seine Schläfenadern schwellen. „Noch zwei?“ schrie er. „Verräter! Hidduk hat es nicht geahnt!“ Ja, er hatte erst jetzt die Tragweite des Geschehens in vollem Umfang erfaßt. Die Phase des Kampfes in der Kapitänskammer hatte er vorher nicht registriert, und was die Seewölfe sich im Gang zugerufen hatten, hatte er nicht verstehen können. Selbst Chumash hatte dann seine beiden Komplicen mit keinem Wort erwähnt. Außer sich vor Wut stürzte der Häuptling zur Kapitänskammer. Er verhielt erst unter der Türfüllung und schüttelte die Fäuste gegen den toten und den ohnmächtigen Stammesbruder. „Tezoura und Yalic!“ rief er. „Fluch über euch!“ In dem Durcheinander auf dem Holzfußboden sah er eines der Hartholzmesser liegen, die die Indianer gegen Hasard benutzt hatten. Er ging hin und hob es auf. „Ich erkenne es“, sagte er. „Es gehört dem Schamanen der Serranos. Er hat es - den Verrätern zugesteckt. Er muß dafür büßen.“ Sein Blick traf Yalic. „Auch du. Tezoura ist tot, aber du Hund bist unverletzt.“ Er trat an dem reglosen, schlaffen Körper Tezouras vorbei und steuerte auf Yalic zu. Stenmark und Bob Grey, die bislang schweigend dagestanden hatten, rückten in diesem Moment auf den Häuptling zu. „Augenblick“, sagte Stenmark. „Das können wir nicht zulassen.“ Er sprach es erst auf englisch aus, wiederholte es dann auf spanisch, aber Hidduk reagierte nicht darauf. Hasard war inzwischen auch eingetroffen. Er schritt rasch auf Hidduk zu, stellte sich neben ihn hin und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. „Nicht. Was du mit dem Schamanen machst, wenn du wieder auf San Cristobal bist, ist deine Sache. Ich habe keinen Einfluß darauf. Aber hier, auf der
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‚Isabella’, habe nur ich Kommandogewalt, Hidduk.“ Der Häuptling musterte ihn verständnislos. Er war ein großer Mann mit schwarzem Haar, das ihm bis in den Nacken fiel. Seine Züge waren von edler Prägung, seine vollen Lippen kühn aufgeworfen. In seinen dunklen Augen schien ein unerklärliches Feuer zu lodern. „Du schützt Yalic?“ fragte er. „Ich begreife nicht.“ „Wir fesseln ihn und sperren ihn ins Kabelgatt.“ „Und dann?” „Dann setzen wir ihn auf der nächsten Insel aus.“ Hidduk sah ihn unverwandt an und schwankte zwischen dem Wunsch, Yalic das Hartholzmesser in den Leib zu rammen, und der Einsicht, daß es besser war, dem Seewolf nachzugeben. Hasard nahm ihm das Messer einfach ab. „Lobo del Mar ist ein guter Mann“, sagte Hidduk schließlich in seinem einfachen Spanisch. „Er kann vergeben. Ist gerecht. Aber Hidduk schämt sich für die Verräter.“ Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter. „Das spricht für dich, aber du kannst ja nichts dafür. Wir werden Yalic noch vernehmen und von ihm die Hintergründe erfahren, aber ich bin schon jetzt sicher, daß Chumash nicht nur mich töten wollte.“ Ben Brighton war hinzugetreten und wandte sich ebenfalls an Hidduk. „Auch dich. Chumash wollte Häuptling der Serranos werden.“ Shane trat ein und sagte: „Siri-Tong signalisiert. Sie will wissen, was bei uns los ist. Offenbar hat ihr Ausguck etwas von den Vorgängen mitgekriegt.“ „Gary Andrews soll ihr Bescheid geben, was passiert ist“, entgegnete der Seewolf. „Und daß wir zwei Tote“ an Bord haben. Wir bestatten sie noch heute nacht in der See.“ 4. Die See blieb in den folgenden Tagen ruhig. Sie war nach den Stürmen, die die
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beiden Crews in der letzten Zeit mit ihren Schiffen durchsegelt hatten, eine Oase des Friedens geworden. Der Himmel war fast unausgesetzt unbewölkt und azurblau, der Wind blies aus westlichen Richtungen und trieb die, „Isabella“ und das schwarze Schiff rasch vor sich her. Sie leisteten bei einer Geschwindigkeit von sechs bis sieben Knoten ein Etmal von über 140 Seemeilen und stießen am siebten Tag nach dem Aufbruch von den Galápagos auf eine der Küsten der Neuen Welt vorgelagerte Insel. Hasard stand an diesem Nachmittag neben der auf dem Achterdeck festgezurrten Piragua und hielt mit dem Spektiv Ausschau. Seine Haare wurden vom Wind zerzaust, sein Hemd, das er wegen der Brandwunde auf der Brust höher als gewöhnlich zugeknöpft hatte, wurde aufgebauscht. Die Insel hob sich in der Optik als schwarzer Rücken von der Kimm ab. „Nach meinen Berechnungen ist es das Eiland, das die Spanier Isla de Malpelo genannt haben“, sagte Hasard zu Ben, Shane, Ferris, Hidduk und den anderen Umstehenden. „Signalisieren wir SiriTong. Wir laufen die Insel an, setzten Yalic aus und segeln weiter.“ Das war schnell abgewickelt. Yalic, der inzwischen alles gestanden hatte, ließ sich widerstandslos mit einem Beiboot der „Isabella“ zur Insel pullen. Er war heilfroh, der tödlichen Vergeltung Hidduks entronnen zu sein. Als Carberry und die anderen sechs im Beiboot ihn auf den Strand des Südufers entließen, begann er sofort zu laufen und tauchte im nahen Buschwerk unter, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. „Mit ein bißchen Glück erhält er sich am Leben“, sagte Hasard, der Yalic von der „Isabella“ aus mit dem Kieker beobachtete. „Auf der Insel scheint es genug Früchte und Wurzeln zu gehen.“ „Zuviel Nachsicht für einen Verräter“, erwiderte Hidduk. „Nein. Du wirst es noch begreifen, Hidduk.“ „Merkwürdig ...“ „Es kommt dir nur so seltsam vor.“
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„Nein. Merkwürdig — ich glaube dir.“ Hasard lächelte. „Vielleicht gibst du eines Tages noch einen guten Korsaren ab, Hidduk. Es ist unser Grundsatz, besser zu sein als alle anderen Freibeuter.“ Der Häuptling war wieder einmal beeindruckt. Sein ausgeprägter Instinkt sagte ihm, daß er zu Hasard uneingeschränktes Vertrauen haben durfte und es nicht bereuen würde, diesem Mann zu helfen. Hasard setzte das Fernrohr ab. Unter Carberrys barschen Kommandos kehrte das Beiboot zur „Isabella“ zurück. An Steuerbord der Galeone standen bereits die Männer an den Galgen bereit, um die Jolle wieder hochzuhieven und binnenbords zu holen. Hasard sah den Indianer an. „Du hast dich in Sabreras getäuscht, laß dir das noch einmal gesagt sein. Ich schätze, ich werde dir bald den Beweis dafür liefern können.“ „Aber — Sabreras hätte die Serranos auf San Cristobal töten können, gleich bei seiner ersten Ankunft. Die Serranos hatten nicht die Waffen, die Kanonen, die Musketen, die Pistolen wie die Weißen mit den schwarzen Bärten. Und Sabreras erschien mit einer großen Galeone ...“ „ ... die selbst für einen hartgesottenen indianischen Piraten eine Nummer zu groß war“, vervollständigte Hasard grinsend. „Wie heißt sie denn, die Galeone?“ „Esperanza.“ „Hoffnung also. Na schön. Hör zu, Hidduk, die Schlitzohren und Galgenstricke, die ich bisher kennengelernt habe, sind alle gleich. Sie bereichern sich unter dem Deckmantel der Legalität, kennen tausend Tricks und haben keine Skrupel. Sabreras war ein Bundesgenosse auf den Galapagos gerade recht, nur deshalb hat er nicht unter euch aufgeräumt, sondern zum Schein mit euch paktiert. Sobald er euch als Hüter seines Schatzes nicht mehr gebraucht hätte, hätte er euch ausgebootet.“ „Ausgebootet?“ „Ja. Vielleicht hätte er ein Massaker veranstaltet. Oder er hätte, ohne sich selbst die Finger zu beschmutzen, einen
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spanischen Kriegsschiffverband auf euch gehetzt und auch noch Lorbeeren dafür geerntet. Nie und nimmer hätte er euch Serranos verschont und euch auch noch die Hälfte der Smaragde abgegeben.“ Hidduk nickte. „Die Esmeraldos sind Tränen der Götter, Lobo del Mar.“ „Ein Heiligtum für euch?“ „Heiligtum — und Fluch.“ „Ein Fluch vor allem für die Chibchas“, sagte Hasard. „Hidduk konnte nichts für sie tun, als Sabreras ihn einmal mitnahm, die Mine zu sehen.“ „Ein Privileg, das der Kommandant seinem Alliierten großzügig gewährte“, versetzte der Seewolf spöttisch. „Aber ein Wort von dir, ein Widerstand hätte genügt, und er hätte dich aus dem Weg räumen lassen.“ „Warum hat er es nicht getan?“ „Weil er dich noch brauchte“, sagte Hasard beharrlich. „Verstehe doch: Wenn Sabreras die Santa-Barbara-Indianer nicht gehabt hätte, hätte jederzeit zufällig ein Fremder auf San Cristobal landen und den Schatz, den Sabreras selbst nicht schützen konnte, entdecken können.“ „Und er hat seinen Häuptling betrogen, sagst du?“ „Philipp II., ja. Ich nehme weiter an, daß Sabreras zumindest die Offiziere der „Esperanza“ bestochen hat, damit sie nicht über ihn auspacken. Wie anders hätte er sein Smaragd-Geheimnis sonst hüten können?“ Hidduk sah zu dem Boot, das jetzt hochgehievt wurde, lauschte den Flüchen Carberrys, die er nicht verstand, und blickte dann wieder den Seewolf an. „Hidduk hält sein Versprechen und zeigt dir den Hafen der Esmeraldo-Schiffe und die Mine. Es gibt eine versteckte Bucht, in der wir ankern können.“ „Wie viele Schiffe ankerten außer der ,Esperanza’ im Hafen, als du mit Sabreras dort warst?“ „So viele wie Finger an einer Hand.“ „Fünf. Diese Streitmacht meiden wir besser“, sagte Hasard. Wenige Stunden später alarmierte Dan O’Flynn, der jetzt wieder im Großmars der
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„Isabella“ saß, Hasard und die Crew mit einem Ruf. „Deck! Mastspitzen voraus!“ Die „Isabella“ und das schwarze Schiff lagen platt und mit prall geblähten Segeln vor dem Wind. Er blies aus West-SüdWest und hatte sie jetzt, da der Tag zur Neige ging, bereits wieder dreißig Meilen von der Isla de Malpelo fortgeschoben. Hasard spähte durch das Spektiv, konnte aber nicht einmal die Stengen und Flögel des oder der fremden Schiffe am östlichen Horizont erkennen. „Hidduk“, sagte er. „Wir entern in den Großmars auf. Folge mir. Ben!“ „Sir?“ „Wir behalten unseren Kurs bis auf weitere Anordnungen von mir bei, klar?“ Hasard lief über den Steuerbordniedergang vom Achterdeck auf die Kuhl hinunter, schwang sich auf die Rüsten der Steuerbordhauptwanten und rief Carberry zu: „Spitz die Ohren, Ed, und achte auf meine Befehle. Vielleicht geben wir gleich ein paar Begrüßungssalven ab.“ „Aye; aye, Sir!“ brüllte der Profos. Hasard klomm in den Webeleinen empor. Als er sich auf gleicher Höhe mit der Großrah befand, schaute er in die Tiefe und sah Hidduk wie einen Panther hinter dem steif ausgebuchteten Großsegel klettern. Er war ein geborener Seemann, dieser Indianer, und Hasard traute ihm unbesehen zu, auch ein großes Schiff führen zu können. Viele Indianerstämme fühlten sich mit dem Wasser vertrauter als so manches europäische Volk. Sie waren ausgezeichnete Schwimmer, hauten seetüchtige Gefährte wie die Piraguas, die Balsas oder die Canoas und vermochten sich bei Nacht an den Himmelsgestirnen zu orientieren. Hasard schob sich über die Segeltuchverkleidung des Großmarses und hockte sich neben Dan O’Flynn hin. Als dann auch Hidduk erschien, mußte Arwenack, der Dan wie üblich Gesellschaft leistete, das Feld räumen, denn es wurde zu eng. Beleidigt zog sich der Affe bis auf die Großmarsrah zurück. So thronte er über den Männern und
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brabbelte vor sich hin, während sie ihre Fernrohre nach Osten richteten. „Drei Schiffe“, sagte Dan O’Flynn. „Ich kann es jetzt genau erkennen.“ „Spanier?“ Hasard hielt selbst Ausschau und gab sich die Antwort: „Ihre Hoheitszeichen sind noch nicht zu sehen. Die Flögel könnten auch Schiffen anderer Nationalität gehören, aber ich glaube trotzdem nicht, daß wir ausgerechnet hier im Pazifik jemand anders als den Dons begegnen. Sie sind hier die Alleinherrscher und fühlen sich außerordentlich sicher.“ „Bald vielleicht nicht mehr“, meinte Dan. „Wir sind wieder da, wie schon einmal, wenn wir auch diesmal nicht an der Westküste des Kontinents hochsegeln. Aber es muß sich doch allmählich bei den Dons herumgesprochen haben, daß ein Fuchs in den Hühnerstall eingebrochen ist.“ Hasard mußte grinsen. „Ja. Und wenn wir nicht höllisch aufpassen, haben wir bald die halbe Flota am Hals. Was hältst du davon?“ „Damit hätten wir endlich mal wieder ein bißchen Abwechslung ...“ „Spuck nicht so große Töne, Dan O’Flynn.“ „Aye, Sir“, sagte Dan und blickte wieder angestrengt durch seinen Kieker. Die Schatten der Dämmerung breiteten sich wie transparentes Tuch über der See aus, sanken tiefer und tiefer und verbargen die Schiffe in dem diffusem Licht. Es wurde nun immer schwieriger, Einzelheiten von den fremden Seglern zu erkennen. Nur eins blieb ganz deutlich - ihr Kurs. Sie kreuzten gegen den Wind. Mal fuhren sie einen Schlag nach Nordwesten, dann wieder einen nach Südwesten, und auf diese Weise hielten sie zwar langsam; aber beständig auf die „Isabella“ und das schwarze Schiff zu. Als der Verband gerade wieder nach Nordwesten wendete, stieß der junge O’Flynn einen Pfiff aus. „Jetzt kann ich auch die Flagge erkennen. Rot, weiß und gold mit dem gekrönten Adler und dem Band des Ordens vom Goldenen Vlies - die Fahne der spanischen Galeonen.“
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Hasard betrachtete die drei Schiffe seelenruhig durch das Glas. „Na bitte, da haben wir’s ja. Jetzt brauchen wir uns bloß noch zu einem freundschaftlichen Umtrunk mit ihnen zu treffen. Und wir stoßen direkt aufeinander, wenn wir den Kurs nicht wechseln. Dan, das sind Kriegsschiffe, keine Frachtsegler.“ „Stimmt.“ Hasard blieb auch jetzt völlig gelassen. Er reichte Hidduk das Spektiv und sagte: „Sieh mal, ob dir die Schiffe irgendwie bekannt erscheinen.“ Hidduk schaute lange zu dem Dreierverband, dann ließ er den Kieker mit einer fast würdevollen Geste sinken und wandte sein breites Gesicht dem Seewolf zu. „Eins habe ich schon mal gesehen.“ „In dem natürlichen Hafen der SmaragdSchiffe?“ „Ja, aber es ist nicht die ,Esperanza’.“ „Sondern eine Kriegsgaleone, die zum Geleitschutz gehört, wenn die vollbeladenen Schiffe nach Panama segeln, nicht wahr?“ Hasard schnitt eine grimmige Miene. „Das habe ich mir fast ausrechnen können. Welcher der Kähne ist es denn?“ „Die große Galeone in der Mitte“, erwiderte der Häuptling. Hasard nahm das Spektiv, hob es ans Auge und identifizierte die „große Galeone in der Mitte“ als einen wuchtigen Dreimaster. Er führte nach seinen Schätzungen mindestens dreißig Geschütze und fungierte augenscheinlich als das Flagschiff des kleinen, aber wehrhaften Verbandes. „Sie fahren vor der Küste Patrouille“, sagte Hasard. „Bei aller Selbstsicherheit scheinen sie es doch für nötig zu halten, die Bucht der Smaragd-Schiffe gegen Piraten und verdammte Engländer abzudecken -und was sonst noch an Feinden aufkreuzen könnte. Möglicherweise ist die Kunde vom Lobo del Mar, der auf der Mocha-Insel und der Oster-Insel gewesen ist, auch schon bis nach Neu-Granada und Panama gedrungen. Wie auch immer, wir machen uns nur noch
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verdächtiger, wenn wir vor ihnen auskneifen.“ „Ausbüchsen ist ja auch nicht deine Art“, erwiderte Dan. „Was ist, hauen wir ihnen die Jacke voll?“ „Dan ...“ Hasards bester Ausguck zeigte eine beschwichtigende Geste. „Ist ja gut, ich nehme den Mund nicht mehr so voll. Ich weiß, auch wir könnten eins übergebraten kriegen. Das wolltest du doch sagen, oder?“ „Allerdings.“ Hasard kletterte wieder aus dem Großmars und bedeutete dem Häuptling, ihm zu folgen. Sie enterten auf die Kuhl ab. „Ed!“ rief Hasard seinem Profos zu. „Alle blonden Männer unter Deck oder hinters Schanzkleid, wir tarnen uns mal wieder als Spanier. Ben - hey, Ben Brighton!“ „Sir?“ schallte es vom Achterdeck. „Wir halten die spanische Flagge klar zum Hissen. Und Ferris Tucker soll seinen Rotschopf wegstecken!“ „Geht in Ordnung!“ „Ed, klar Schiff zum Gefecht. Aber die Stückpforten bleiben geschlossen, bis wir wissen, woran wir bei den Dons sind.“ „Aye, aye!“ rief Carberry zurück. „Das ist nach meinem Geschmack. O Mann, was wird das für ein Fest. Entweder verschaukeln wir die Dons nach Strich und Faden - oder es gibt Kleinholz.“ „Hoffentlich nicht bei uns, Mister Carberry“, sagte Bill, der Schiffsjunge. „Kratz die Kurve!“ rief der Profos. „Los, zeig die Hacken und schnapp dir Pützen und Kübel, in denen du das Seewasser zum Befeuchten der Wischer bereitstellst. He, ihr Rübenschweine, ihr Stinkstiefel, wollt ihr wohl in Gang kommen? Auf Gefechtsstation, marsch-marsch, und wer blonde Haare hat, soll seine Birne einziehen. Kutscher, du Himmelhund, wo bleibst du denn mit dem Sand, was, wie? Muß ich alles zweimal sagen?“ So ging das weiter - ohne Unterbrechung. Binnen Sekunden vibrierte das Oberdeck der „Isabella“ unter dem Gepolter der 17Pfünder-Kanonen, die auf ihren Hartholzrädern bewegt und geladen
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wurden. Eilfertig hasteten die Männer über die Planken, jeder Handgriff saß, alles war hundertfach geprobt und aufeinander abgestimmt, aber Carberry mußte trotzdem seine wüste Litanei hinausbrüllen, sonst war er nicht zufrieden. Hasard lief mit Hidduk auf die Back. Er blickte noch einmal durch das Spektiv zu den spanischen Schiffen. Sie segelten jetzt einen Kreuzschlag nach Südwesten, und die Distanz zwischen beiden Verbänden schrumpfte kaum merklich. Bevor die Dämmerung ganz über die See kroch, mußte das Zusammentreffen stattfinden. Hasard blickte zum schwarzen Schiff. Er sah Siri-Tong, die Wikinger, Juan, den Boston-Mann und ein paar andere auf dem Achterdeck stehen. Mike Kaibuk war in den Vormars aufgeentert und gab Flaggensignale. „Die Rote Korsarin sieht, daß wir zum Kampf rüsten, möchte aber Genaueres wissen“, murmelte der Seewolf. Laut rief er: „Al — signalisiere zum schwarzen Segler, was wir vorhaben.“ „Aye, Sir.“ Noch ein kurzes Ausschauhalten zu den drei Gegnerschiffen hinüber, und Hasard wußte, daß der zweite Dreimaster hinter dem Flaggschiff eine Galeone war, deren Größe nur geringfügig unter dem Volumen des Anführers lag. Der dritte Segler war der Bauart nach eine Karavelle, wenngleich sie auch drei rahgetakelte Masten führte. „Lassen wir sie heran“, sagte er. „Hidduk, ich möchte wissen, ob wir uns auf deine restlichen drei Krieger hundertprozentig verlassen können.“ „Ja. Sie haben mir ihre Treue neu geschworen und gesagt, daß sie mit Chumash, Yalic und Tezoura niemals gemeinsame Sache gemacht hätten.“ „Ich baue darauf.“ „Hidduk gibt sein Wort, daß es keine neuen Schandtaten gibt.“ „Haltet euch im Vordeck mit Waffen versteckt, Smoky wird sie euch auf meine Anweisung hin aushändigen. Vorläufig könnt ihr nicht auf Oberdeck herumlaufen, weil die Spanier euch sehen können. Das
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würde sie stutzig werden lassen — Indianer, die sich frei auf einem vorgeblich spanischen Segler bewegen.“ Hidduk beschrieb mit der Hand ein Zeichen in der Luft. „Gut, Lobo del Mar. Hidduk und seine Krieger stehen im Kampf ihren Mann, wenn es dazu kommt. Die Götter seien uns wohlgesonnen.“ Wenig später las der Seewolf durch das Fernrohr den Namen der spanischen Führungsgaleone. Er konnte den Schriftzug am Bug entziffern: „Santa Margarita“. Margaritas bedeutete im Spanischen Juwel, und, in der Tat, diese Galeone schien ein Juwel ganz besonderer Art zu sein: hart, hervorragend bestückt, kaum zu übertrumpfen. 5. Als der Abstand zwischen der „Isabella“ und der „Santa Margarita“ nur noch etwa eine halbe Seemeile betrug, verlangte der spanische Kommandant durch Signale, Hasard und Siri-Tong sollten sich zu erkennen geben. „Adelante!“ rief Hasard seinem Ersten zu. „Vorwärts, hoch mit der verdammten Flagge, Ben!“ „Si, Senor“, erwiderte Ben grinsend. Es war die stolze Fahne des spanischen Königs, die wenige Sekunden darauf im Besantopp der „Isabella“ flatterte, und auch drüben auf „Eiliger Drache über den Wassern“ flog das gleiche Hoheitszeichen im Großtopp hoch. Beutestücke von authentischem Wert — sie zeigten die Wappen von Kastilien und Leon, Aragon, Sizilien, Granada und Portugal. Auf der Kuhl der „Isabella“ rieb sich Carberry die Hände. Er gab ein dumpfes Lachen von sich, und Sir John, der mal, wieder auf seiner Schulter hockte, nickte zweimal mit dem Kopf und sagte: „Das wird ein Spaß — o Mann.“ Dan erhob sich plötzlich aus dem Großmars und lehnte sich so weit über die Umrandung, daß er herauszufallen drohte. „Hasard!“ rief er. „Verflucht noch mal, ich traue dem Braten nicht.“
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Er stieß es auf spanisch hervor, der Vorsicht halber. Aber ganz gleich, ob die Spanier drüben auf den beiden Galeonen und der Karavelle ihn hören konnten oder nicht — die ganze Schau flog auf, als er gerade ausgesprochen hatte. Es hatte alles keinen Zweck, so glaubwürdig es auch wirkte. Die „Santa Margarita“ entließ eine weiße Wolke Pulverqualm aus ihrer Geschützbatterie. Es war eine Kanone der Backbordseite, denn die Schiffe segelten gerade wieder mit nordwestlichem Kurs. Die weiße Wolke puffte hoch, ein anschwellendes Pfeifen war über der Wasserfläche. „‘runter!“ schrie Hasard. Er stand noch immer auf der Back: Jetzt ließ er sich fallen, steckte den Kieker weg — und fast im selben Augenblick rauschte wenige Yards vor dem Vorsteven der Galeone eine Wasserfontäne hoch. Sie bildete eine bizarre Krone, verformte sich und fiel in sich zusammen. Hasard erhob sich wieder und zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. „Diese Hunde signalisieren schon wieder!“ schrie Dan. „Wir sollen uns zu erkennen geben!“ „Scheiße“, sagte Smoky. „Wieso kaufen sie uns nicht ab, daß wir hochwohlgeborene Espanols sind?“ Hasard sah aus schmalen Augen zu der „Santa Margarita“ und ihren Begleitern. Nein, Sabreras konnte noch nicht erfahren haben, was auf San Cristobal geschehen war — unmöglich. Aber jemand konnte seinem wie den anderen Stützpunkten der Tierra Firme und des Isthmus’ eine Botschaft überbracht haben, in der vor einem gewissen Philip Hasard Killigrew und dessen Begleiterin, einer gewissen Siri-Tong, gewarnt wurde, und in der auch die „Isabella“ und der schwarze Viermaster beschrieben wurden. Der Seewolf räuberte wieder an der Westküste der Neuen Welt. Er war zu bekannt geworden und konnte sein Schiff nicht tarnen. Wenn die Männer der „Santa Margarita“ und ihrer Begleitschiffe nun schon die „Isabella“ und das schwarze
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Schiff identifiziert hatten, so gab es nur noch eine Lösung für den Seewolf —Farbe zu bekennen. „Ben!“ rief er nach achtern. „Weg mit dem spanischen Fetzen, und dann hißt du unsere Flagge!“ Sie staffelten noch etwas näher an den Spanier heran. Und dann wehte statt der spanischen Flagge mit einemmal der „White Ensign“ im Besantopp der „Isabella“, die weiße Flagge mit dem roten Georgskreuz. Zur selben Zeit vertauschte Siri-Tong ihre Scheinflagge mit der Drachenflagge. Im Dämmerlicht blitzte die erste Breitseite der „Santa Margarita“ auf. Mit trockenem Wummern entluden sich die großkalibrigen Geschütze. Sechzehn allein auf der Backbordseite! Die Kugeln orgelten heran und schienen Hasards Schiff zerreißen zu wollen. Aber dann stiegen nur die leidlich bekannten Fontänen vor der „Isabella“ auf. Im Rauschen und Zischen des Wassers war die rauhe Stimme des Profos’ zu vernehmen: „Ho, sie haben zu kurz angesetzt und kein Zielwasser getrunken. Aber jetzt zeigen wir ihnen mal, wie so was auf die Distanz geschaukelt wird. Ihr Pökelheringe, macht eurem alten Carberry. bloß keine Schande!“ Hasard drehte sich um und gab Ben einen Wink. Ben verstand und ließ Pete Ballie Backbordruder legen. Die Männer, die für die Segelmanöver abkommandiert waren, stürzten an die Brassen und Schoten - die „Isabella“ halste, schob ihren Bugspriet in nördliche Richtung und entbot dem Feind den Anblick ihrer Steuerbordseite. Siri-Tong war nicht untätig geblieben. Sie lag etwas hinter dem Seewolf zurück und nahm die Gelegenheit wahr, ein erstaunliches Manöver zu vollführen. Hart riß Oleg den Kolderstock herum. Thorfin Njal rief seine Kommandos. Die Mannschaft braßte die Segel an, das schwarze Schiff luvte hoch nach Steuerbord - und glitt gerade noch rechtzeitig vor dem drohenden Zusammenprall an der „Isabella“ vor-’ bei. Kurz darauf schoben sich die Schiffe wieder auseinander. Für die Spanier mußte
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es so wirken, als hätten sie sich für kurze Zeit berührt. „Feuer!“ schrie der Seewolf. Die Geschützführer senkten die glimmenden Lunten auf die Bodenstücke der 17-Pfünder-Culverinen. Knisternd eilte die Glut durch die Zündkanäle bis aufs Zündkraut, entfachte das Pulver und stieß die Ladungen aus den überlangen Läufen. Die Breitseite erreichte die „Santa Margarita“, bevor diese sich nach Norden verholen konnte. In der zunehmenden Dunkelheit war die spanische Galeone nur noch ein schwarzer Schemen, aber die Kugeln rasten doch mit verblüffender Präzision ins Ziel. Krachen und Splittern, das Geräusch berstenden Holzes und die Schreie der Besatzung waren die Zeichen, daß zumindest ein Teil der Ladung getroffen hatte. „Hurra!“ rief Dan O’Flynn. „Vier Treffer, soweit ich sehen kann! Der Don versucht, über Stag zu gehen!“ „Wir ziehen mit!“ schrie Hasard. „Und wenn wir ihn wieder vor den Mündungen haben, versuchen wir noch eine Salve anzubringen. Shane, Batuti, entert mit Pfeil und Bogen in Vor- und Großmars auf und haltet euch bereit! Al, Smoky, Ferris, Ben bleibt an den Drehbassen und feuert, wenn ich es euch sage!“ Als der hünenhafte Gambia-Neger und Shane, der graubärtige Riese, in den Wanten hochklommen, löste sich eine dritte Gestalt aus dem Vordecksschott und stürmte über die Kuhl und dann zum Achterdeck hinauf. Hidduk, der Häuptling der Serrano-Indianer! In den Besanwanten war für einen guten Bogenschützen noch ein Platz vakant. Hidduk besetzte ihn und richtete sich danach, was im folgenden Shane und Batuti taten. * Die zweite spanische Galeone und die Dreimast-Karavelle waren von der „Santa Margarita“ weggefächert und strebten nun hart am Wind mit südwestlichem Kurs auf den schwarzen Segler zu. Ihre Kapitäne hatten sich vorgenommen, die Rote
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Korsarin mit ihrer Mannschaft zusammenzuschießen. Siri-Tong stand neben Thorfin Njal, dem Wikinger, auf dem Achterdeck des Viermasters und blickte unausgesetzt zum Gegner hinüber. Sie hatte scharfe, geübte Augen, mit denen sie die Manöver der Spanier auch bei den schlechten Sichtverhältnissen noch einwandfrei verfolgen konnte. „Halten wir auch die Brandsätze bereit“, sagte sie. „Wenn die Dons das Feuer eröffnen, antworten wir zuerst mit unseren Kanonen, aber im Verlauf des Gefechts könnten die Brandsätze dann doch entscheidend wirken.“ Njal schaute die schöne Frau von der Seite an. „Wir könnten ihnen schon jetzt Feuer unter den Hintern machen, den eingebildeten spanischen Hunden. Vor unseren Raketen würden sie rasch Angst kriegen und die Hosen gestrichen voll haben. O, ich weiß, das ist keine Art, sich einer Frau gegenüber auszudrücken. Aber ich muß mir irgendwie Luft verschaffen. Ich hab eine Riesenwut gegen diese Bastarde.“ Siri-Tong blieb ruhig. Sie atmete regelmäßig, nur in ihren Augen war ein Schillern, das etwas von ihrem Kampfgeist verriet. Im Gefecht wurde sie zu einer unbarmherzigen Gegnerin, die manchen ausgewachsenen Mann das Fürchten lehren konnte. „Ich weiß ja, daß die Versuchung groß ist“, entgegnete sie. „Aber du wirst dich zurückhalten, Wikinger. Meine Wunderwaffe will ich bis zum letzten Augenblick in der Hinterhand behalten.“ „Sei’s drum“, sagte Thorfin Njal grollend. „Bei Odin, wir werden ihnen auch so die Zähne zeigen.“ Weiter gelangte er nicht, denn jetzt eröffneten die Spanier der Galeone das Gefecht mit einer massiven Breitseite. Sie befanden sich auf einer Höhe mit „Eiliger Drache über den Wassern“ und steuerten praktisch im spitzen Winkel auf ihn zu. „Feuer!“ schrie auch Siri-Tong, als sie sich der Länge nach auf die Planken des Achterdecks gleiten ließ.
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Die Geschütze des schwarzen Seglers waren Fünfundzwanzigpfünder, zwölf auf jeder Seite. Fast gleichzeitig brüllten sie auf. Lichtblitze zerschnitten die Dunkelheit, für den Bruchteil einer Sekunde waren die Gestalten der Piraten auf der Kuhl zu erkennen. Es wummerte, die Wasserfläche warf das Geräusch zurück und für kurze Zeit schwebte das typische Heulen der Kugeln in der Luft. Dann riß der Laut ab und wurde durch zwei, drei krachende Schläge abgelöst. Schreie wehten herüber. Thorfin Njal stieß Oleg an, der am Kolderstock stand und schrie „Treffer“ und „Sieg“ und „Bei allen Göttern“. Siri-Tong traf in diesem Augenblick wieder eine ihrer tollkühnen, unvergleichlichen Entscheidungen. „Abfallen und auf sie!“ schrie sie. „Die Karavelle, Madame!“ rief der BostonMann. Siri-Tong lachte auf. „Wir steuern zwischen der Galeone und der Karavelle hindurch, geben unsere SteuerbordBreitseite auf die Galeone ab und decken die Karavelle mit Brandsätzen ein!“ „Aye, aye, Madame!“ brüllten die Männer. Wenig später wurde die Dunkelheit von einem Feuerwerk einzigartiger Lichtkraft erhellt. Brandsätze, von den bronzenen Gestellen im Vor- und Achterkastell des schwarzen Schiffes abgesandt, huschten wie Irrwische auf die Karavelle zu. Die Fünfundzwanzigpfünder der Steuerbordseite spuckten ihre tödliche Ladung gegen die Galeone der Spanier aus, und danach, als Siri-Tongs Männer die Geschütze der Backbordseite nachgeladen hatten, jaulten die Kugeln auch auf die Karavelle zu. Natürlich feuerten die Spanier zurück, was die Kanonen hergaben. Aber sie begriffen erst sehr spät, daß „Eiliger Drache“ aus Harthölzern gebaut und nur sehr schwer zu beschädigen war. „Feuer!“ schrie die Rote Korsarin immer wieder. Die Karavelle stand plötzlich in Flammen und trieb wie eine riesige Fackel auf dem Meer. Die Galeone hatte sich hart am
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Wind in die schützende Finsternis verholt und war nicht mehr zu sehen. Noch ein Fanal loderte mit einem Mal auf. Es war die „Santa Margarita“. Der Seewolf war dicht an das Flaggschiff herangegangen, hatte selbst einiges einstecken müssen, hatte aber unverdrossen aus allen verfügbaren Rohren schießen lassen. Batuti, Shane und Hidduk hatten Brandpfeile in die Takelage des Feindes geschickt. Daher das Feuer – und die Spanier hatten vollauf damit zu tun, ihre Verwundeten zu versorgen und die Flammen zu bekämpfen. * In dieser Lage war es für Hasard beinahe ein leichtes, sich am Wind bis an das Heck der „Santa Margarita“ zu pirschen. Der Spanier kam nicht zum Luftholen, er hatte seine Kugeln verfeuert und hätte den Seewölfen höchstens mit Musketen- und Arkebusenfeuer trotzen können, aber dazu mußte er erst einmal seine von Panik ergriffenen Männer zusammenbrüllen und ans Heck kommandieren. Bevor er es schaffte, handelte Hasard. Die Crew war fieberhaft damit beschäftigt, sowohl die Culverinen als auch die vier Drehbassen nachzuladen. Das dauerte Hasard zu lange. Er pfiff, winkte Ferris Tucker zu sich heran und ließ sich von ihm eine der Höllenflaschen geben, die der wackere Rothaarige fast in jedem Gefecht bereithielt. So eine Höllenflasche war ein Machwerk für sich. Ferris hatte lange getüftelt, bis er seine Erfindung perfektioniert hatte. Anfangs war er von den Kameraden sogar ein bißchen belächelt worden, aber als das Endergebnis in der See explodierte, hatte sogar Al Conroy, der Waffenexperte, anerkennende Worte gefunden. Nägel, gehacktes Blei, Eisen und Glas ruhten in der Flasche. Unter dieser Ladung befand sich Pulver. Eine Zündschnur führte zum Hals heraus, durch einen Korken hindurch, der so fest daraufsaß, daß die Bombe selbst unter Wasser noch zündete, wenn der Funke sich nur durch
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den Korken gefressen hatte. „Ar, schrie der Seewolf. „Lunte!” Al unterbrach seine Ladearbeit an der einen Drehbasse der Back. Er stieß die Lunte in das Kupferbecken mit der glühenden Holzkohle, das zu seinen Füßen ruhte. Er hielt seinem Kapitän die glimmende Schnur hin, und Hasard entfachte die Lunte der Höllenflasche. Er hielt sie vor sich hin und blickte auf die Lunte, die zum Korken hin abbrannte. Ferris Tuckers rauchgeschwärztes Gesicht schob sich dicht neben die Flasche. Ferris’ Augen weiteten sich, er stieß einen ächzenden Laut aus und sagte: „Jetzt ist es soweit, Hasard!“ „Noch eine Sekunde, Ferris.“ „Mann, wenn das Ding hier an Bord explodiert ...“ Der Seewolf lachte und schleuderte die Flasche. Taumelnd segelte sie auf die lodernde Galeone der Spanier zu, landete ganz hart am Heck im Wasser und versank. Hasard stand wie gebannt da. Klappte es diesmal nicht? Versagte die Waffe, war der Funke erstickt? „So ein Mist!“ rief Smoky. „Warte doch ab, du Stint“, brüllte Ferris Tucker. Hasard sagte überhaupt nichts, er zählte nur in Gedanken. Und bei fünf bauschte sich das Wasser im Heck der „Santa Margarita“ auf, daß es bis zum Hennegat hochspritzte. Im Schäumen und Gischten der Fluten war deutlich das Knacken von Holz zu vernehmen — und das Schreien der Spanier, die verzweifelt nach den Ursachen dieses neuen Angriffes forschten. „Geschafft“, sagte der Seewolf. „Das Ruder ist kaputt. Damit sind sie manövrierunfähig.“ „Was jetzt?“ schrie Ferris. Er war unter der Rußschwärze seines Gesichts hochrot, etwa so rot wie seine Haare. „Entern wir?“ Hasard verneinte. „Bei denen gibt es nichts zu holen. Wir lassen sie reisen. Vielleicht schaffen sie es ja, das Feuer zu löschen. Sie werden im Schweiße ihres Angesichts schuften, aber es lohnt sich für sie, denn sie retten die nackte Haut. Falls sie die
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Glut nicht vernichten können, bleibt ihnen. immer noch die Flucht in den Beibooten.“ Die „Isabella“ zog mit geblähten Segeln an dem Flaggschiff vorbei. Die Flammen warfen gespenstisches Licht auf die Gesichter der Seewölfe, zeichneten Schatten. Stumm blickten die Männer auf ihr Werk. Einige von ihnen waren verwundet, aber keiner ernst. Und auch das Schiff war nicht sonderlich ramponiert. An einigen Stellen gab es Treffer im Schanzkleid zu verzeichnen, aber die Hauptsache war, daß keiner davon unter der Wasserlinie lag. Auch der neue Fockmast, den Ferris auf Espanola angepaßt hatte, hatte standgehalten. Er hatte im wahrsten Sinne des Wortes seine Feuerprobe hinter sich. Selbst wenn der spanische Kommandant seine Mannschaft wieder unter die Fuchtel gekriegt hätte — er hätte keine neue Attacke auf die „Isabella“ unternehmen können. Lahm fiel die „Santa Margarita“ ab. Sie ging vor den West-Wind und trieb langsam nach Osten davon. Sie war außerstande, beizudrehen und den Feinden wenigstens einen letzten Bleigruß zu entbieten. „Über Stag!“ rief Hasard. „Wir gehen auf Südwestkurs und helfen Siri-Tong.“ Als sie wenig später auf das schwarze Schiff zuhielten, verstummte der Kanonendonner auch dort. Hasard und seine Männer wurden Zeugen einer Szene, die in ihrer Dramatik kaum zu übertreffen war. Die einst so stolze Dreimastkaravelle der Spanier sank. Ihr loderndes Heck hob sich ein Stück, ihr Bug schnitt unter, und dann war das Schiff nur noch ein überdimensionaler Holzblock, der in die erlösende Tiefe tauchte. Die Besatzung war von Bord. Boote glitten durch die Nacht davon, in Richtung Osten. Die Rote Korsarin ließ sie reisen. Ein paar Verzweifelte sprangen in allerletzter Minute von Bord der Karavelle, klatschten ins Wasser und schwammen den Booten nach. Siri-Tong verschonte auch sie. Keine Minute später erreichte das Feuer doch noch die Munitionsdepots der Karavelle. Das Achterschiff explodierte,
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bevor es unterging. Ein rotgelber Feuerblitz stob himmelan. Rauch schwärte fett und behäbig nach oben und zu den Seiten fort, kroch auch auf das schwarze Schiff und die „Isabella“ zu. Trümmer wirbelten. Ein paar davon landeten klappernd auf dem Oberdeck des Viermasters. Ein letztes Rauschen, dann waren auch die letzten Reste der Karavelle in der See verschwunden. Hasard hielt vergeblich nach der ‚zweiten Galeone des spanischen Verbandes Ausschau. Näheren Aufschluß über das Schiff erhielt er erst, als er mit der „Isabella“ längsseits des schwarzen Seglers ging und Siri-Tong aufsuchte. Sie empfing ihn auf dem Achterdeck. Auch ihr Gesicht war rußgezeichnet, aber sie war unverletzt. Stolz lächelte sie, als Hasard vor sie hintrat. Sie wäre ihm gern um den Hals gefallen, aber selbst in einer Situation wie dieser gab es immer noch eine Borddisziplin, der auch sie beide unterworfen waren. Siri-Tong beschränkte sich darauf, Hasards Hand zu ergreifen. „Ach, Hasard — ein Segen, es ist glimpflich für uns abgelaufen. Wir haben keine Schäden am Schiff und keine Schwerverletzten zu beklagen. Nur Cookie hat einen Splitter in den — na, du weiß schon — gekriegt. Der Stör hat eine Fleischwunde am rechten Arm, Pedro Ortiz an der Schulter.“ „Und der Wikinger hat eine weitere Beule in seinem Helm“, sagte Thorfin Njal grollend. Er trat auf sie zu und wies demonstrativ auf seine ominöse Kopfbedeckung aus Kupfer. Er nahm sie fast nie ab, nur einmal, am Amazonas, hatte er es getan, hatte den Helm jedoch gleich wieder aufgestülpt. Das Ding gab immer wieder Anlaß zu Frotzeleien, und wenn Njal sich daran kratzte, konnte Edwin Carberry fuchsteufelswild werden. Hasard lachte erleichtert, dann fragte er: „Was ist aus der zweiten Galeone der Spanier geworden?“ „Verschwunden“, sagte Siri-Tong. „Sie hat sich verholt?“
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„Ja, in Richtung Süden“, antwortete der Wikinger. „Diese feigen Hunde! Haben ihre Landsleute einfach im Stich gelassen, als sie sahen, wie der Hase lief.“ „Fahnenflucht nennt man das“, sagte der Seewolf. „Sie werden ihren Befehlshabern nie mehr unter die Augen treten können. Vielleicht versuchen sie sich als Freibeuter. Aber das soll nicht unsere Sorge sein.“ „Die ‚Santa Margarita` wird vom Wind zum Festland befördert“, meinte die Rote Korsarin. „Ob ihr Kommandant es wohl schafft, Sabreras zu verständigen? Er gehört doch zu Sabreras, wenn ich deine Signale richtig verstanden habe, oder?“ „Richtig. Die Kriegsschiffe zählen zu dem Geleitschutz, der den Konvoi der SmaragdSchiffe nach Panama und zurück begleitet. Und es werden noch mehr Kriegssegler in dem natürlichen Hafen liegen, von dem Hidduk gesprochen hat. Trotzdem. Wir haben der ,Santa Margarita` das Ruder zerstört. Auch mit einem schnell gebauten Notruder wird sie den Hafen nicht erreichen, sondern nur irgendwo an der Küste der Neuen Welt landen.“ Er schaute Siri-Tong an, dann den Wikinger und ließ schließlich den Blick über die Gesichter der Umstehenden wandern. „Das bedeutet, die Männer der spanischen Galeone verlieren Zeit. Auch die Besatzung der Karavelle wird mit den Booten nur langsam zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren. Mit anderen Worten: Wir treffen vor den Dons in Neu-Granada ein und können uns in aller Ruhe verstecken.“ „An unseren Plänen ändert sich also nichts?“ sagte Ben Brighton, der inzwischen zu ihnen getreten war. „Nichts“, erwiderte Hasard. „Unser Ziel bleibt die Smaragdmine des Sabreras.“ 6. Im Morgengrauen erreichten sie die Küste. Die „Isabella“ segelte wieder vor dem schwarzen Schiff. Hasard hatte sich mit Hidduk auf die Back begeben, um die Position zu prüfen und sicher auf das Versteck zuzusteuern.
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Der Wind blies frisch bis handig aus Westen. Sie mußten aufpassen, nicht auf Legerwall gedrückt zu werden. Hasard ließ Zeug wegnehmen und fuhr schließlich nur noch mit Großsegel, Fock und Blinde. Hidduk kannte sich mit den Navigationsgeräten, die der Seewolf benutzte, nicht aus. Er sah nur hin und wieder durch das Spektiv zur Küste und gab Anweisungen wie „weiter nach Süden“ oder „jetzt der Sonne entgegen“, was Kurs nach Osten bedeutete. Das Land war ein düsterer Buckel über der Kimm. Hasard staunte darüber, wie Hidduk sich in einer Gegend zurechtfand, in der er erst einmal gewesen war und in der es kaum Orientierungspunkte gab. Auch das hing wohl mit den geschärften Sinnen und dem einzigartigen Instinkt der roten Rasse zusammen. „Bald sind wir da“, sagte der Häuptling, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. „Großartig. Wir beginnen dann sofort mit dem Aufstieg in das Bergland“, erwiderte Hasard. „Hidduk, du kannst mir den Landweg zur Mine beschreiben. Du brauchst mich nicht bis dorthin zu begleiten.“ „Warum sagst du das?“ „Vielleicht möchtest du die Begegnung mit Sabreras lieber meiden.“ „Nein. Meine Krieger und ich — wir bleiben an deiner Seite, Lobo del Mar.“ „Wie du meinst.“ „Wo mögen die Männer mit ihren Kriegsschiffen sein?“ murmelte Hidduk. Hasard spähte durch den Kieker. Seit Anbruch des Tages tat er es nun schon fast pausenlos. „Sprichst du von denen, die gestern abend wie geprügelte Hunde aus dem Gefecht abgezogen sind, oder von denen, die noch im natürlichen Hafen stecken könnten?“ „Von allen.“ „Bisher haben wir keinen einzigen Spanier gesehen. Ich hoffe, das bleibt auch so, bis wir in der von dir erwähnten Bucht sind“, sagte Hasard. Hidduk hob den Arm und wies mit ausgestrecktem Finger voraus. „Wir sind
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da. Halte geraden Kurs auf Kuát, die Sonne, zu.“ Etwas später schien sich die Sonne aus den Gipfeln der Berge zu lösen. Sie hob sich in ihre Umlaufbahn, verließ die Gesellschaft der schweigenden düsteren Riesen und sandte ihr Licht auf das Land und die See aus. Ein Schauspiel, das immer wieder von neuem faszinierte und die Menschen mit einem romantischen Zauber belegte. Die „Isabella“ und der schwarze Segler glitten auf den roten Feuerball zu und schienen in sein Zentrum zu fahren. Hidduk und seine drei Krieger huldigten in einem kurzen Zeremoniell auf der Back Kuát und den anderen Göttern, die sie anbeteten. Ihre Ergriffenheit nahm auch den Seewolf und seine Crew gefangen. Hasard begriff in diesem Augenblick wieder einmal, warum Inkas, Azteken und andere Völker dieses Kontinents der Sonne gehuldigt hatten. Die Reise endete in einer Bucht, die gerade genügend Platz für die beiden großen Schiffe bot. Hasard ließ beim Hineinlavieren die Wassertiefe ausloten. Sie reichte aus, gewährte aber keinen großen Spielraum für Manöver. Von dichtem Baum- und Buschwerk gesäumt und an der Einfahrt beinahe zugewachsen, bot die Bucht zwar ein ausgezeichnetes Versteck, aber sie konnte sich auch rasch in eine Falle verwandeln, wenn ein Gegner sie hier aufstöberte. „Fallen Anker!“ Der Ruf wehte von Schiff zu Schiff. Die schweren Stockanker rauschten aus, klatschten ins Wasser und senkten sich dem Grund entgegen, um sich hineinzuwühlen. „Nach meinen Berechnungen befinden wir uns rund zwanzig Meilen unterhalb der spanischen Siedlung Buenaventura“, sagte Hasard bei einer Lagebesprechung, die er mit Ben, Ferris, Shane, Smoky, Old O’Flynn, Hidduk, Siri-Tong, Thorfin Njal, Juan und dem Boston-Mann auf dem Achterdeck der „Isabella“ hielt. „Der natürliche Hafen der Smaragd- Schiffe liegt nach Hidduks Angaben rund zehn Meilen nördlich von uns, also zwischen unserer Bucht und Buenaventura.“
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„Wie wäre es, wenn wir die Schiffe in der kommenden Nacht überfallen?“ fragte der Wikinger. „Das wäre doch ein empfindlicher Schlag, an dem die Dons für einige Zeit zu kauen hätten.“ Hasard blickte zu ihm. „Wenn der Häuptling der Serranos sich nicht täuscht, muß Sabreras sich um diese Zeit in der Mine aufhalten — nicht im Hafen. Und ich will ihn. Außerdem gilt es, die Chibchas zu befreien, die dort als Sklaven arbeiten. Weiter will ich den Schatz an seiner Quelle heben. Und wir wissen ja auch nicht, ob sich zu dieser Stunde Smaragde auf den Schiffen befinden.“ „Leuchtet mir ein“, entgegnete Thorfin Njal. „Und wie weit ist die Mine von unserer Bucht entfernt?“ Hasard übersetzte es auf spanisch und richtete die Frage somit direkt an den Häuptling. Hidduk hob beide Hände, beschrieb eine Gebärde und wies auf die Sonne. „Wenn Kuát ihren höchsten Punkt bestiegen hat, sind wir bei der Mine.“ „Also fünf, sechs Stunden Fußmarsch. Falls wir gleich aufbrechen, sind wir um die Mittagsstunde dort.“ Der Seewolf sah zum Land. Die Berge waren gefurcht und von Nebel umgeben, der tiefgrüne Bewuchs schmiegte sich an ihre Hänge. „Verlieren wir keine Zeit mehr. Ben, du übernimmst während meiner Abwesenheit das Kommando auf der ,Isabella’. Ich lasse dir die halbe Crew. Die Männer, die mich begleiten, wähle ich jetzt gleich aus.“ „Ich gehe mit dem Seewolf und nehme ebenfalls die halbe Mannschaft mit“, sagte Siri-Tong. „Thorfin, du bist während dieser Zeit der Kapitän auf dem schwarzen Schiff.“ „Moment mal“, protestierte der bärtige Riese. „Wäre es nicht besser, ich ginge an Land und du bliebest hier?“ „Ausgeschlossen“, sagte sie energisch. Sie debattierten eine Weile herum, der Wikinger konnte es sich herausnehmen, denn er war nicht nur der Steuermann auf dem schwarzen Schiff, sondern auch der Miteigner und gleichzeitig Berater der Roten Korsarin. Von jemand anders hätte
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Siri-Tong einen solchen Widerspruch nicht akzeptiert, denn sie war der Kapitän und hatte das Sagen auf dem Viermaster. Das einzige Zugeständnis, das sie an den Wikinger machte, blieb aber die offene Diskussion. An ihrem Ende angelangt, sagte die schöne Frau dann: „Ich schließe mich also dem Seewolf an. Punktum und basta.“ Damit waren Njals Argumente wie weggewischt. Hidduk sprach mit seinen drei Kriegern. Er stellte es ihnen frei, ob sie mitkommen oder auf der „Isabella“ bleiben wollten. „Wenn Hidduk zu Sabreras geht, folgen ihm seine Männer“, sagte daraufhin einer der Krieger, der Atasc hieß. „Nur Chumash, Yalic und Tezoura hätten sich geweigert.“ Hasard teilte die Männer ein, die zu seinem Landtrupp gehörten. Unter anderem nahm er Carberry, Ferris, Shane, Smoky und Blacky mit. Old O’Flynn sah von sich aus ein, daß er in der Bucht verweilen mußte, er war schlecht zu Fuß. Sein Sohn indes meldete sich zu Hasards Gruppe. Der Seewolf nahm es an. Bill, der Schiffsjunge, wollte sich auch melden, aber dieses Angebot lehnte er ab. „Junge, das ist zu gefährlich für dich“, sagte Carberry zu Bill. „Aber ich sage Ben Brighton, er soll dich als Landwache an der Einfahrt zur Bucht einteilen. Da hast du auch einen verantwortungsvollen Posten. Du mußt ständig aufpassen, daß sich kein Don an unser Versteck heranpirscht, verstanden?“ „Ja, Mister Carberry.“ „Ben“, sagte Hasard. „Ihr Männer auf den Schiffen verhaltet euch so passiv wie möglich. Praktisch heißt das, daß ihr nur im äußersten Notfall etwas unternehmt. Beispielsweise, wenn Spanier in die Bucht einzulaufen versuchen.“ „In Ordnung. Wenn du Schwierigkeiten kriegst, mußt du einen Boten schicken, Hasard. Dann sende ich von hier aus einen gut bewaffneten Hilfstrupp los, der euch heraushauen soll.“ „In Ordnung. Sonst vermeidet ihr alles, was unsere Aktion in der Mine behindern könnte. Siri-Tong, Thorfin, Juan, Boston-
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Mann – kehrt auf euer Schiff zurück und beeilt euch mit den Vorbereitungen. Nehmt die besten Waffen mit, vergeßt nicht, euch mit ausreichend Munition zu versorgen. Wir treffen uns in einer halben Stunde am Ufer.“ Siri-Tong lächelte und antwortete: „Aye, aye, Sir.“ Sie hatte die uneingeschränkte Macht über ihr Schiff, und sie verstand es, mit eiserner Faust durchzugreifen. Aber bei gemeinsamen Unternehmungen fiel das Oberkommando selbstverständlich dem Seewolf zu. So hatten sie es immer gehalten, und solange sie zusammenblieben, bestand diese stillschweigende Übereinkunft. * Hidduk führte den Landtrupp, Hasard und Siri-Tong schritten gleich hinter ihm. Sie waren insgesamt dreißig Männer, trugen Waffen, Munition, ein paar Gerätschaften, die im Urwald dienlich sein konnten, sowie ein wenig Proviant mit sich. Im Gänsemarsch drangen sie in das Unterholz ein. Dies war die beste Art, sich in einem Gelände fortzubewegen, das keine Pfade hatte. Vorerst gelangte die Kolonne leidlich gut voran. Der Untergrund war noch eben und stieg nur leicht zum Binnenland hin an. Auch brauchten sie ihre Säbel und Entermesser nicht einzusetzen, um eine Bresche ins Dickicht zu treiben. Das Buschwerk war vorerst durchlässig genug, sie konnten hindurchschlüpfen. „Auf Schlangen und andere Tiere achten, die uns gefährlich werden könnten“, sagte Hasard. „Vergeßt nicht, was wir in der Fieberhölle von Guayana und am Amazonas erlebt haben.“ „Daran werden wir wohl immer zurückdenken“, meinte Siri-Tong. „Und ob!“ rief Carberry. „Paßt ganz besonders auf, wenn wir durch einen Bachlauf oder Tümpel marschieren.“ „Im Wasser lauern Zitteraale und Stachelrochen, Piranhas, Kaimane und
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giftige Würmer. Und die Anakonda“, sagte Matt Davies. „Pfui Teufel.“ „Anakonda“, murmelte Atasc. Es klang fast ehrfürchtig. „Was meint er?“ wollte Hasard von Hidduk wissen. „Wo die Serranos zu Hause sind, gibt es keine Anakonda. Sie haben sie erst auf ihren Reisen kennengelernt. Anakonda ist eine Göttin, und wenn sie weint, werden ihre Tränen in der Erde zu grünen Steinen.“ Hidduk sagte es völlig ernst. Er schien wirklich davon überzeugt zu sein. „Wer’s glaubt, wird selig“, raunte Dan O’Flynn in Carberrys Rücken. „Aber man soll den Indianern ja ihren Aberglauben lassen. Hey, Ed, was glaubst du, gibt es in diesem idiotischen Wald auch Kopfjäger?“ Sir John reiste als blinder Passagier in Carberrys Wamstasche mit. Er steckte den Kopf heraus und krähte: „Himmel, Arsch und Zwirn.“ „Hör auf, du schielender Specht“, sagte der Profos. Er stopfte Sir John in die Tasche zurück, spuckte .aus und rieb sich im Dahinstapfen die Nase. „Das wollen wir doch nicht hoffen“, brummte er. „Aber wir müssen wie üblich auf alles gefaßt sein. Die Chibchas arbeiten in der Mine, sind zum größten Teil ausgerottet, aber sie scheinen vorher ein anständiges, friedliches Indianervolk gewesen zu sein. Das schließt nicht aus, daß es noch Abkömmlinge anderer Stämme in diesem elenden Dschungel gibt.“ „Wir merken es spätestens, wenn sie uns überfallen“, sagte Matt Davies. Er handelte sich dafür einen zornigen Blick des Profos’ ein. „Was anderes“, sagte Dan. „Der Boden steigt stärker an und das Gebüsch wird immer dichter. Merkt ihr das nicht?“ „Doch“, erwiderte Shane. „Und?“ „Bald müssen wir Haumesser einsetzen“, sagte Dan. „Und wie die Ziegen klettern“, fügte Jeff Bowie hinzu. „Das wird alles andere als ein Spaziergang“, meinte der junge O’Flynn. „Diese Berge hier werden von den Spaniern Cordilleras Occidental genannt“,
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sagte der Seewolf. „Sie sind eine Barriere, die schon die Conquista ins Schwitzen gebracht haben. Es gibt Gipfel, die mehr als 5000 Yards hoch liegen, und wir werden vielleicht nach Pässen suchen müssen, über die wir bis zur Mine gelangen.“ „Pässe“, wiederholte Hidduk. „Was sind Pässe?“ Hasard erklärte es ihm, und der Häuptling entgegnete: „Hidduk weiß, wohin er sich zu wenden hat. Er erinnert sich an alles. Wir werden über einen solchen Paß schreiten und müssen darauf achten, nicht abzugleiten und in die Tiefe zu stürzen, wo die bösen Geister hausen.“ So arbeiteten sie sich voran, zogen bald ihre Säbel und Schiffshauer und begannen mit dem zermürbenden Niederringen des Busches. Die Sonne kletterte höher, beschickte das Land mit stickiger Wärme und trieb ihnen den Schweiß aus allen Poren. Die Seewölfe waren schon einmal in NeuGranada gewesen, damals, bei ihrem ersten Aufenthalt in der Neuen Welt. Das war die abenteuerliche Landüberquerung gewesen, bei der Jeff Bowie durch Piranhas die linke Hand eingebüßt hatte. Aber sie hatte weiter nördlich stattgefunden, sie hatten die Kordilleren dabei nicht berührt. Heute lernten sie dieses weiträumige Land von einer neuen Seite kennen. Jeffs Vorhersage bewahrheitete sich: Zu den Erschwernissen durch den Wildwuchs der Urwaldpflanzen kamen bald die erheblichen Steigungen, die sie zu bewältigen hatten. Der Nebel verflüchtigte sich nur langsam. Er ließ drückende Feuchtigkeit zurück, und der Untergrund war entsprechend schlüpfrig. Mehrmals rutschten die Männer aus und prallten mit Kameraden zusammen. Einmal glitt auch die Rote Korsarin ab. Hasard, der vor ihr schritt, bemerkte es rechtzeitig. Er fuhr herum und griff nach ihrer Hand. Er bekam sie gerade noch zu packen und zog sie zu sich heran. „Der Busch hätte meinen Sturz schon aufgefangen“, meinte Siri-Tong lächelnd.
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„Es wäre gut ausgegangen. Trotzdem, vielen Dank, Hasard.“ „Unter jedem Strauch, auf jedem Baumast kann eine giftige Schlange lauern, vergiß das nicht.“ „Willst du mir Angst einjagen?“ „Nein. Wir müssen nur höllisch aufpassen. Wenn wir erst an die Abgründe gelangen, müssen wir noch vorsichtiger sein.“ „Ist dies denn nun wirklich der Weg, den auch Sabreras und seine Leute benutzten?“ fragte sie — auf spanisch, damit es auch der Häuptling der Serranos verstehen konnte. Hasard erwiderte: „Hidduk ist davon überzeugt.“ Hidduk wandte sich zu ihnen um und sagte: „So ist es. Aber der Wald wächst schnell wieder zu. Wenn Kuát sich zur Ruhe legt, sind auch unsere Spuren wieder verwischt.“ „Siri-Tong meint etwas anderes“, sagte der Seewolf. „Daß im Urwald auch der beste Pfad nicht bestehen kann, ist uns bekannt. Nur leuchtet es uns nicht ein, daß Sabreras jedesmal, wenn er eine neue Last Esmeraldos zu seinen Schiffen transportiert, sein Leben aufs Spiel setzt.“ Hidduk lächelte schwach. „Er kennt das Land da. Und seine Träger sind ChibchaIndianer. Sie sind die Kinder des Regenwaldes.“ Was Hidduk ihnen auseinandersetzte, erschien plausibel. Hasard wußte, worauf Siri-Tong anspielte: Auch dem Serrano konnte man nicht unbesehen über den Weg trauen, vielleicht wollte er ihnen eine Falle stellen. Hasard glaubte einfach nicht daran. SiriTongs weibliches Mißtrauen in allen Ehren, aber es gab einige Fakten, die gegen eine mögliche Hinterlist des Häuptlings sprachen. Dazu gehörte der Umstand, daß er von sich aus Chumash, den Verschwörer, getötet hatte. Wäre die Gelegenheit nicht ideal für ihn gewesen, wenn er Chumash unterstützt hätte? Nein. Hidduk meinte es ehrlich. Er war nicht falsch. Als die Amazonen Hasard und seine Freunde bis an die Grenze von El Dorado
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geführt hatten, hatte die Rote Korsarin auch erheblichen Argwohn gegen sie gehegt. Auch das hatte sich später als unberechtigt herausgestellt. Hasard beschloß, nichts darauf zu geben. In den höheren Regionen hockte der Nebel auch noch am späten Vormittag. Er schien sich überhaupt nicht verflüchtigen zu wollen und haftete an den dunkelgrünen Hängen. Die Sonnenstrahlen brachen sich in dem Dunstschleier, ein Regenbogen stand über einem v-förmigen Einschnitt, an dem die Frau und die dreißig Männer vorbeiwanderten. Das Licht war gedämpft. Die Gegend wirkte unheimlich und hätte nichts, aber auch gar nichts von einem Paradies, wie es in vielen Bereichen des Kontinents und auf den meisten Inseln der Fall war. Sie mutete eher wie der Vorhof zur Hölle an. Die Vegetationsverhältnisse ließen wieder ein rascheres Voranschreiten zu. Hidduk bewegte sich immer noch mit erstaunlicher Sicherheit und Zielstrebigkeit voran. Aus jeder Geste, die er tat, sprach die große Begabung des Naturmenschen, sich auch unter den widrigsten Bedingungen zurechtzufinden. Die Indianer verglichen den Urwald und auch die Llanos mit dem Meer, denn alle drei auf den ersten Blick so unterschiedlichen Flächen hatten eins gemeinsam: der Unkundige verzettelte sich auf ihnen hoffnungslos. Hidduk hatte eine Art Sims auf dem Untergrund entdeckt. Man konnte darauf zwischen Bäumen und Büschen hindurch am steil abfallenden Hang entlangbalancieren. An einer Stelle schrumpfte der Sims zu einer strichdünnen Kante zusammen. Der Hang zur Linken der Expedition wuchs plötzlich fast vertikal empor, und man mußte einiges Geschick aufbieten, um sich daran entlangzuschieben und den Engpaß zu passieren. Wie hoch befanden sie sich? Fünfhundert Yards? Tausend Yards? „Vielleicht auch mehr als tausend Yards“, murmelte Hasard. Er war etwas zurückgeblieben und schritt vor Dan
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O’Flynn und Bill the Deadhead, der zu Siri-Tongs Mannschaft gehörte. Weiter vorn gingen Carberry, Shane, Siri-Tong und Hidduk. Hasard hatte eigentlich keinen besonderen Grund dafür, sich hinter ihnen in die Kolonne einzugliedern. Er hatte vorher nur seinen Schritt verlangsamt, um nach den ganz am Ende marschierenden Männern zu schauen. Eigentlich hätte er jetzt wieder an die Spitze streben wollen und wartete nur noch auf eine Gelegenheit dazu. Vorerst ließ es der schmale Sims nicht zu. Dieses Hinauszögern von Hasards Vorhaben rettete Bill the Deadhead wenige Sekunden später im wahrsten Sinn des Wortes das Leben. Bill schob sich nach Dan O’Flynn über den Engpaß hinaus. Als er am kritischsten Punkt angelangt war, geschah es. Plötzlich glitt er mit dem rechten Fuß auf dem schlüpfrigen Untergrund aus, verlor das Gleichgewicht — und stürzte ab. Dan wollte ihn festhalten, verfehlte ihn aber um Zollbreite. Hasard drehte sich um, sah Bill the Deadhead den Abhang hinabschliddern und zögerte keinen Augenblick. Mit einem wahren Hechtsprung setzte er ihm nach. „Hasard!“ rief Siri-Tong. Der Seewolf landete mit von sich gestreckten Armen und Beinen in einem flachen Gestrüpp, überschlug sich, rutschte — und war bei Bill the Deadhead. Er klammerte sich an ihm fest. Sie fluchten beide, kollerten weiter in die Tiefe, beschmutzten sich mit schwarzer, morastiger Erde. Es schien keinen Strauch, keinen Baum zu geben, der ihre Höllenfahrt stoppen konnte. Hasard wußte, dass der Einschnitt weiter unten zu einer gähnenden, senkrecht absteigenden Schlucht wurde. Die Schlucht würde ihr Mausoleum sein, denn allem Anschein nach war sie so tief, daß man auf ihrem Grund zerschmettert wurde. Hasard sah, wie der grüne Mantel aus Büschen, Farnen, Lianen und geduckten Bäumen aufriß. Gleich hinter dem Saum endete der Hang in einem scharfen
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Abbruch. Und schwarz gähnte die Schlucht, die sie aufzunehmen drohte. Hasard strampelte mit den Beinen, drehte sich auf dem Morast und, hörte nicht auf, Bill the Deadhead festzuhalten. Der Abbruch und der schwarze Schlund huschten auf sie zu. „Jesus, das ist das Ende!“ schrie Bill. Hasards rechter Fuß traf unversehens auf Widerstand. Er hakte irgendwo hinter. Hasard vermutete, daß es sich um die. knorrige Wurzel eines Baumes handelte. Ein Ruck lief durch seinen Körper, er schwang mit dem ganzen Körper nach vorn, lag dann aber still. Bill the Deadhead fiel in die Schlucht. Aber nicht weit. Hasard hielt ihn an den Armen fest. Bill baumelte hilflos über dem Abgrund und -stammelte: „Heiliger Strohsack.“ „Dreh jetzt nicht durch“, ermahnte ihn der Seewolf schwer atmend. „Wir haben es fast geschafft.“ „Ja — Sir ..“ „Kannst du dich nicht mit den Füßen irgendwo draufstellen?“ „Wenn, dann hätte ich’s schon getan.“ „Es gibt keine Vorsprünge?“ Hasard brüllte es fast. „Keine. Nur verdammte schwarze Erde.“ Von oben ertönte wieder Siri-Tongs Stimme: „Hasard, um Himmels willen, so antworte doch!“ „Hier sind wir!“ rief Hasard. „Werft ein Tau, an dem wir uns festhalten können. Schlagt es an einem Baum oder sonst wo an, Hauptsache, es hält!“ Carberry rollte ein Tau aus, das er an seinem Gurt mitführte. „Ho“, stieß er hervor. „Hasard hat Humor. Oder sonst wo! Wo denn wohl? Soll ich mir den verfluchten Tampen vielleicht in den ...“ „Profos“, unterbrach ihn die Rote Korsarin mit eisiger Stimme. „Mein Gott, mir ist nicht zum Lachen zumute. Wie kannst du in einer Situation wie dieser einen so blöden Spruch dahersagen?“ Carberry warf das Tau. Er hatte sich die Richtung gemerkt, in der Hasard und Bill the Deadhead in den Büschen
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verschwunden waren. Wo sie genau steckten, ließ sich von hier oben nicht feststellen. Der wackere Profos konnte also nur nach Gutdünken arbeiten und dabei hoffen, daß ein glücklicher Zufall seinem Kapitän das Tauende in die Hände spielte. „Wir von der ‚Isabella’ haben so unsere Bräuche, Madame“, sagte er leise. „Bitte aber trotzdem um Verzeihung.“ Hasard sah das Tau wie eine Schlange auf sich zuzüngeln und schrie: „Weiter nach rechts, Männer!“ Carberry gehorchte augenblicklich. Hasard hielt Bill the Deadhead nur noch mit einer Hand und fingerte mit der anderen nach dem Tampen. Wie Bill später gestand, betete er in diesen Augenblicken tatsächlich — was er sonst’ höchst selten tat. Hasard hatte Kontakt mit dem Tau. Er packte zu. Fest schlossen sich seine Finger um das Tau. Carberry hatte das andere Ende inzwischen um einen dicken Baum belegt. Hasard zerrte am Tau und rief: „Aufholen!“ Die Seewölfe und Siri-Tong-Piraten griffen an das Tau und hievten langsam an. Hasard drehte sich auf dem modrig riechenden Untergrund, bis er quer lag. Er verrenkte sich dabei fast den rechten Fuß. Zum Glück kam sein Stiefel wieder aus der Wurzel frei, sonst hätte es eine weitere, bedenkliche Verzögerung gegeben. Bill the Deadhead schrammte mit dem gesamten Leib über die Kante des Abbruchs. Es tat weh, aber er zog alle Schmerzen der Welt einem grausigen Ende auf der Sohle der Schlucht vor. Seine Beine wippten noch für Sekunden wie die Gliedmaßen einer Marionette über der gähnenden Leere, dann, endlich, konnte er sie krümmen und nach Halt tasten. Als er dann neben dem Seewolf auf dem Boden lag, grinsten sie sich an und lachten rauh. „Das werde ich dir nicht vergessen, Seewolf“, sägte Bill. „Hör auf. Los, wir können jetzt aus eigener Kraft an dem Tau hochhangeln.“
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Hasard ließ Bill an sich vorbeikriechen. Wenig später klommen sie zügig an dem Tau hoch und wurden obenauf dem Sims von den Kameraden freudig begrüßt. Hasard säuberte sich notdürftig und sagte dabei: „Das hätte ins Auge gehen können. Wir müssen Sicherheitsmaßnahmen treffen.“ „Der Pfad wird wieder breiter“, meldete Dan O’Flynn. „Trotzdem“, sagte Hasard. „Wir haben den Paß, von dem Hidduk gesprochen hat, noch vor uns. Wo ist Hidduk eigentlich?“ „Er ist mit Atasc vorausgelaufen, um nach Wachtposten von Sabreras Ausschau zu halten. Wir haben einigen Lärm veranstaltet“, erwiderte Siri-Tong. „Ich wollte die beiden Indianer begleiten, aber Hidduk hat es abgelehnt. Na, wir werden ja sehen, wie sich die Lage entwickelt.“ Aus ihrer Miene sprach immer noch Mißtrauen. Als aber Hidduk und Atasc zurückkehrten, glätteten sich ihre Züge. „Keine Späher und Posten der Spanier“, berichtete Hidduk. „Gut für die Serranos und ihre weißen Freunde.“ Hasard lächelte ihm zu. Freunde nannte er ihn und die anderen jetzt schon, dabei hatten sie ihm und seinem Stamm eine schmähliche Niederlage zugefügt! Aber in der Wertschätzung, die er für den Seewolf hatte, schien er alles Geschehene zu vergessen. „Also weiter“, sagte Hasard. „Für die Paßüberquerung werden wir uns aneinander festbinden.“ Er sah zu Bill the Deadhead, der aussah, als habe er sich wie ein Eber im Morast gesuhlt. „Ich will nicht, daß es weitere, hm, Vorkommnisse dieser Art gibt.“ 7. Kurz nach der Mittagsstunde hatten sie ihr Ziel erreicht. Dank Hasards Anweisung, sich aneinander festzubinden, hatten sie die Paßhöhe zügig bewältigt. Wie viele Meilen sie von der Bucht aus zurückgelegt hatten, ließ sich schwer schätzen. Zehn, zwanzig—es war im Grunde egal, nur eins war von Wichtigkeit: daß sie auch den
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Rückweg wiederfanden. „Dafür bürgt Hidduk“, sagte der Häuptling, als Ferris Tucker ihn darauf ansprach. Sie lagen auf einer Art schroffem Plateau, das von Urwaldpflanzen gesäumt war. Nach Hasards Annahme befanden sie sich jetzt gut zweitausend Yards hoch, aber der Üppigwuchs der Flora war fast noch genauso stark wie im Vorland der Berge. Nur die im Querschnitt etwa zwölf Yards messende Felsenfläche würde von dem Gewucher ausgespart. Damit stellte sie für den Seewolf und seine Begleiter eine ausgezeichnete Beobachtungsfläche dar. Vor dem: kleinen Plateau fiel der Felsen senkrecht in die Tiefe ab. Hasard schob sich mit Hidduk fast bis hart. an den Rand vor. Sein Blick öffnete sich auf einen Kessel, sechzig, siebzig oder gar achtzig Yards tief unter ihnen, und direkt auf der gegenüberliegenden Seite an die Wand gedrückt hob sich eine Lichtung aus dem Dschungel ab. „Dort ist es“, sagte Hidduk. Hasard sah durch das Spektiv. Er unterschied jetzt die Formen von Hütten und die Umrisse von Menschen auf dem Kahlschlag. Ein halbes Dutzend Gebäude zählte er auf Anhieb, einige andere erkannte er erst nach und nach, weil sie dicht am Rand des Waldgürtels errichtet worden waren. Die Gestalten der Menschen, das waren zum Teil Männer in Hosen und mit freien Oberkörpern, Weiße, und zum anderen Teil Männer, Frauen und sogar Kinder mit dunklerer Hautfärbung, die nur Fetzen auf dem Leib trugen. Mühsam lasen die letzteren kleine Objekte vom Untergrund auf, arbeiteten erschöpft mit Geräten und luden auf hölzerne Karren, was sie der Erde abgewannen. Unter den Peitschen der Sklavenaufseher brachten sie es zu den Hütten. „Die Chibchas“, sagte der Seewolf. „Mein Gott. Sabreras scheint hier alles, was von dem Stamm übriggeblieben ist, zusammengepfercht zu haben.“ „Tränen der Götter“, murmelte Hidduk versonnen. „Ein Fluch für die Menschen. Hidduk hätte es früher begreifen müssen.“
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„Dieser Sabreras scheint sich sehr sicher zu fühlen“, sagte Siri-Tong hinter Hasard. „Er hat nicht mal Wachen aufgestellt.“ „Wer findet schon hierher?“ entgegnete der Boston-Mann. Hasard schaute sich ausgiebig mit dem Fernrohr um. Er wollte ganz sicher gehen, daß der Spanier auch tatsächlich keine versteckten Posten im Busch untergebracht hatte, die ihm das Aufkreuzen von Fremden meldeten. Das Ergebnis war zufriedenstellend. „Umso besser“, meinte Hasard. „Unser Angriff wird überraschend erfolgen.“ „Sir John“, zischte Carberry plötzlich. „Du Zwerghahn, hab ich dir nicht gesagt, du sollst in der Tasche bleiben?“ Sir John beachtete das Gewetter seines Herrn und Beschützers überhaupt nicht. Mit eiligem Flügelschlag hob er sich in die Lüfte und flog in den Kessel hinunter. Bald war er nur noch ein roter Fleck über dem Grün der Baumwipfel. „Hölle, Tod und Teufel“, preßte der Profos hervor. „Dem werde ich’s zeigen. Meuterern drehe ich den Hals um.“ Hasard mußte lachen. „Ed, nun reg dich doch ab. Sir John verrät uns schon nicht. Papageien gibt es haufenweise hier, auch Aracangas. Er kann also gar nicht auffallen.“ Carberry verdrehte die Hände ineinander, daß die Knochen knackten. „Aber wenn das Vieh zu reden anfängt, o Mann ...“ „Hoffen wir, daß er wenigstens spanisch flucht“, warf Matt Davies ein. Er wurde dafür wieder mit einem zornigen ProfosBlick bedacht. Wenn Blicke töten könnten, hätte der arme Matt in diesem Augenblick durchlöchert zu Boden sinken müssen. Hasard beobachtete wieder durch den Kieker. Er sah, wie der karmesinrote Ara auf der Lichtung landete und eine Weile herumstolzierte. Die Spanier und ihre Zwangsarbeiter nahmen keinen Anstoß daran. Sir John hüpfte zwischen ihren Beinen herum, pickte schließlich etwas auf und startete wieder. Er kehrte zu Siri-Tong und den dreißig Männern zurück. Carberry streckte die Hände aus, fing ihn auf und sagte grimmig:
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„Teufel, Teufel! Soll ich dich zerquetschen, du Rabenaas?“ „Anbrassen und hoch an den Wind“, krähte Sir John. „Halt’s Maul“, zischte der Profos. Dan O’Flynn kauerte sich vor die beiden hin und betrachtete den Papagei aufmerksam. „He, Ed, sieh doch mal nach, was er im Schnabel hat. Ein Korn oder ein Wurm kann’s nicht sein, er knabbert immer noch darauf herum.“ Carberry klaubte dem Tier das Dingsda mit mürrischer Miene aus dem Schnabel, aber dann riß er plötzlich überrascht die Augen auf. „Holla, das ist ja Dan nahm ihm das vermeintliche Korn ab. „Ein Esmeraldo. Ein Smaragd. Na bitte, jetzt haben wir auch den Beweis, daß die armen Teufel da unten keine süßen Kartoffeln oder Yamswurzeln für die Dons aus dem Boden suchen.“ „Diese einmalig dämliche Bemerkung hättest du dir sparen können“, meinte der Profos. „Siehst du nicht, daß die Indianer die Diamanten karrenweise zu den Hütten bringen?“ „Ich nicht.“ „Du mit deinen Tomatenaugen“, brummelte Carberry. Er hob ein Spektiv ans. Auge, linste hindurch, räusperte sich und sagte: „Stimmt, ich auch nicht. Man müßte näher ‘ran.“ „Damit warten wir noch ein Weilchen“, erwiderte der Seewolf. „Wir haben genug Zeit. Nehmen wir uns die Stunde, die wir brauchen, um den Kessel nach allen Regeln der Kunst von hier oben aus zu erkunden. Hast ist immer ein Fehler, und ein einziger Fehler kann uns den Kopf kosten.“ Was er durch das Spektiv erspähte, war berauschend und furchtbar zu gleich. Berauschend, wenn er an den unermeßlichen Reichtum dachte, den die Chibchas da zutage förderten. Entsetzlich, weil all das, was Hidduk über das Schicksal der Chibcha-Indianer berichtet hatte, noch eine milde Umschreibung der wahren Zustände war. Männer, Frauen und Kinder schufteten unter bestialischen Bedingungen teils über
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Tage, teils in den Höhlen, die Hasard in der Felswand im Hintergrund der Lichtung entdeckte. Mit Peitschen und Stöcken trieben Sabreras Schergen diese bedauernswerten Geschöpfe an, und sie kannten kein Pardon, auch nicht, wenn jemand zusammenbrach. Ausgemergelte Gestalten. Wie lange hatten sie schon keine richtige Nahrung mehr erhalten? Wochen? Monate? Hasard krampfte es das Herz zusammen, als er verfolgte, mit welch verbissenem Eifer die Kinder arbeiteten. Sie und die Frauen schienen bei aller Unmenschlichkeit und Unwürdigkeit der Bedingungen am widerstandsfähigsten zu sein. Am schlimmsten war es um die Männer bestellt, denen Sabreras wohl in der Vergangenheit auch mehr abverlangt hatte. Hasard sah zwei Indianer hinsinken und nicht mehr vom Boden aufstehen. Ausgelaugt bis zum letzten. Zu Tode erschöpft. Was sie durchstanden, konnte Hasard ihnen nachfühlen, denn er hatte Erfahrung als Zwangsarbeiter der Spanier. Auf der Teufelsinsel hatten sie ihn und seine Crew in Ketten gelegt und im Steinbruch schuften lassen. Das Essen war faulig und ungenießbar gewesen, aber sie hatten es trotzdem herunterwürgen müssen. El Verdugo, der Henker — er hatte sie mißhandelt, schikaniert bis zum Äußersten, hatte sogar Todesurteile vollstrecken wollen. Es war die Hölle gewesen. Hasard litt fast mit den Chibcha -Indianern. Sie waren keine Verbrecher. Sie, die Ureinwohner von Neu-Granada, hatten die Smaragde lange vor den Besatzern entdeckt und Schmuckstücke daraus hergestellt. Sie waren geschickte Goldschmiede und Juweliere gewesen, aber das alles war jetzt dahin. Rechtmäßig standen ihnen die Smaragde zu, aber wie sollten sie sich jemals gegen die Spanier auflehnen? Teilweise lagen die „Esmeraldas“ so dicht unter der Erdoberfläche, dass man nur zu kratzen brauchte, um eine Ader freizulegen. Ein gefundenes Fressen für die Spanier, die den Hals und das Staatssäckel nicht voll genug kriegen konnten. Kein
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Wunder, daß sich ihre Gier nach Reichtum nie ganz stillen ließ — vor Spanien lag ein so weitverzweigtes Netz von Kanälen, in die beiseite geschafftes Gold, Silber und viele tausend Edelsteine flossen, daß es überhaupt erstaunlich war, wenn Philipp II. noch etwas von all dem Glanz zu sehen bekam. Nicht zu vergessen auch, daß selbst die Casa de Contratacion, die den Schiffsverkehr zwischen der Neuen Welt und Spanien regelte und kontrollierte, durch und durch korrupt und von Vetternwirtschaft zersetzt war. Ein Aufseher bemühte sich vergebens, die beiden zu Boden gesunkenen ChibchaMänner wieder aufzurichten. Schließlich wandte der Spanier sich ab, ging zu der größten Hütte und klopfte gegen die Tür. Sie öffnete sich, und ein schlanker, hochgewachsener Mann trat ins Freie. Hasard studierte seine Züge sehr genau. Sie waren glatt und von asketischer Prägung. Die Augen, die in knochigen Höhlen lagen, blickten starr. Hasard verglich diesen Mann insgeheim mit einem Vertreter des florentinischen Senats, der vor Jahren seine Landsleute mit Veröffentlichungen über seine politischen Ansichten aus der Fassung gebracht hatte. Macchiavelli hatte dieser Mann geheißen. „Sabreras“, sagte Hidduk. Er hatte sich von Shane den Kieker geben lassen und beobachtete ebenfalls. „Er geht zu den ohnmächtigen Indianern“, stellte Dan fest. „Sie sind nicht bewußtlos“, sagte Hasard leise. Sabreras beugte sich über die Chibchas und drehte sie mit sichtlichem Widerwillen auf den Rücken. Er untersuchte sie flüchtig, dann richtete er sich wieder auf und sagte irgendetwas zu seinem Untergebenen. Der Aufseher rief zwei andere Schergen herbei, und danach wurden die beiden reglosen, bis auf die Knochen abgemagerten Gestalten in einem Holzkarren abtransportiert. „Sie sind tot“, sagte der Seewolf. *
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„Auf was warten wir?“ sagte Siri-Tong. „Daß noch mehr von diesen armen Teufeln sterben?“ „Nein.“ Hasard schob den Kieker zusammen, wandte sich um und kroch zu seinen Kampfgefährten. „Steigen wir jetzt in den Kessel ab. Hidduk kennt auch diesen Weg — den einzigen, der zur Smaragd-Mine führt. Erst auf der Sohle des Kessels können wir uns also trennen und Sabreras von mehreren Seiten angreifen.“ Der Häuptling der Serranos, Atasc und die anderen drei Krieger schritten voran. Hidduk geleitete den dreißigköpfigen Trupp von dem Plateau in den Busch und dann in eine Felsenbresche, die so überwuchert war, daß nur ein Eingeweihter sie finden konnte. Über Geröll pirschten sie in die Tiefe. Die Bresche wurde zu einem Hohlweg, der in gewundener Bahn immer steiler abfallend dem Boden des Kessels zustrebte. Sie hatten ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt, da steckte Sir John seinen Kopf wieder aus Carberrys Wamstasche. Seine Nackenfedern waren aufgeplustert. Er nickte aufgeregt mit dem Kopf. „Obacht“ und „Wahrschau“ krächzte er, und Carberry schob ihn diesmal nicht einfach in die Tasche zurück, weil er wußte, daß der Papagei solche Warnrufe nicht ohne Anlaß ausstieß. Einmal, am Amazonas, hatte er sie auf diese Weise auf Chanos Jaguare hingewiesen.. „Vorsicht, es ist was im Busch“, zischte Carberry. Der Seewolf, Siri-Tong, Hidduk, Ferris, Shane und die anderen an der Spitze der Gruppe hatten bereits die Köpfe gehoben und hielten nach allen Seiten Ausschau. Sie zückten ihre Pistolen und spannten die Hähne. Aber es war zu spät. Über ihnen wuchsen Gestalten von den Rändern des Hohlweges hoch. Auch in den Tropen verzichteten die Spanier nicht auf ihre volle Montur. Es fiel also nicht schwer, diese Männer als Sabreras’
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Soldaten zu identifizieren. Ihre spitzen Helme glitzerten im Sonnenlicht. Vorher, als sie diesen Hinterhalt gelegt hatten, mußten sie sich ausgezeichnet getarnt haben, sonst hätten Hasard und seine Männer sie zweifellos entdeckt. „In Deckung!“ stieß Hasard aus. Aber noch während er es aussprach, wurde er sich der Sinnlosigkeit seines Befehls bewußt. Deckung — es gab ja nur Geröll und struppige Büsche auf dem Grund des Hohlweges. Niemals konnten sie einer Frau und dreißig Männern ausreichend Schutz gegen die Kugeln und das gehackte Blei und Eisen der Feinde bieten. Musketen und Arkebusen richteten sich von oben drohend auf den Trupp. Hasard stand wie gelähmt da. Die Erkenntnis hatte ihn wie ein Hieb getroffen. Sie waren geliefert. Sie hielten zwar die Pistolen in den Fäusten und brauchten nur auf die Spanier abzudrücken, aber selbst wenn sie ein paar dieser Männer ins Jenseits beförderten — mit dem Feuerbefehl leitete Hasard auch unweigerlich ihre eigene Hinrichtung ein. Es war glatter Selbstmord, in dieser Lage Widerstand zu leisten. Sie befanden sich auf einem Präsentierteller. Die Spanier waren sich ihrer vollkommenen Überlegenheit bewußt. Hasard konnte einige von ihnen grinsen sehen, als er aufschaute. „Ergebt euch!“ schrie einer von ihnen in reinstem Kastilisch. „Jede Dummheit bezahlt ihr mit dem Tod! Versucht auch nicht, euch zurückzuziehen oder die Flucht nach vorn zu wagen! Wir haben euch in der Zange!“ „Der lügt“, raunte Ferris Tucker. „Wir schießen und stürmen hinter die letzte Biegung zurück. Von dort aus haben wir einen besseren Stand gegen diese Hundesöhne.“ „Willst du sterben, Ferris?“ fragte Hasard. „Zum Teufel, nein, aber ...“ „Schau mal bis zur Wegbiegung zurück. Siehst du nicht die Helme, die weiter oben in der Sonne schimmern? Von dort aus können die Spanier auch in den Teil der
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Schlucht hinter der Kurve feuern.“ „Verrecken sollen sie!“ stieß Carberry in ohnmächtiger Wut hervor. „Die Pocken und die Blattern sollen sie kriegen, diese miesen Kakerlaken!“ Das und noch einiges mehr wünschten auch Siri-Tong und die anderen Männer der Expedition dem Gegner, aber alles Lästern und Verwünschen hatte ja keinen Sinn. So bitter es für sie war, sie mußten sich fügen. Am schwersten war es für den Seewolf, damit fertig zu werden. Zwei Spanier traute er sich mit seiner doppelläufigen Reiterpistole vorn Hals zu schaffen. Aber dann? Dann würden sie das Feuer eröffnen und ein Massaker anrichten. Das Ergebnis sah etwa folgendermaßen aus: auf einen toten Spanier kamen zehn Seewölfe beziehungsweise Siri-Tong-Piraten. Also: er mußte sich ergeben. Die Erinnerung an die Teufelsinsel kehrte wieder. Auch dort hatte er kapitulieren müssen, wenngleich die Fakten anders ausgesehen hatten. Im Endeffekt aber lief es auf eines heraus. Die Niederlage, die Schmach, Schimpf und Schande nahm er. gern auf sich, denn er war für seine Männer verantwortlich und durfte nicht riskieren, daß sie niedergemetzelt wurden. Aber da stand noch mehr in Aussicht. Ein Ende wie auf der Teufelsinsel. Diesmal ohne Ausweg? „Werft die Waffen weg!“ schrie der Wortführer der spanischen Soldaten. „Ich zähle bis drei, dann schießen wir. Eins — zwei ... Hasard hätte über ihn lachen können, denn er war ein aufgeblasener, eitler Bursche, dem die Siegerpose über alles zu gehen schien. Wahrscheinlich würde er von Sabreras Lorbeeren ernten, vielleicht sogar befördert werden. Sein Verhalten war menschlich, aber es fehlte ihm die Würde, denn seine Borniertheit war genau das Gegenteil davon. Narr, dachte der Seewolf. Einen Narren schalt er dann auch sich selbst. Wie hatte er in diese Falle tappen können? Das war plump und stümperhaft, vielleicht hatten Sabreras` Wachtposten
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den Trupp schon gesichtet, als Bill the Deadhead in den Abgrund gestürzt war. Daraufhin hatten sie natürlich nichts Eiligeres zu tun gehabt, als schleunigst zu ihrem Herrn und Befehlsgeber zu laufen. Und er, Hasard, war darauf hereingefallen wie ein blutiger Anfänger. Er überschüttete sich innerlich mit Selbstvorwürfen. Aber auch das hatte keinen Sinn. Drei, wollte der spanische Wortführer rufen. Aber Hasard warf die sächsische Reiterpistole vor sich hin und sagte: „Wir ergeben uns. Es gibt keine andere Wahl. Schmeißt die Waffen hin und hebt die Hände.“ Siri-Tong warf ihm einen Blick zu, an wollte sie diesmal gegen seine Anordnungen aufbegehren. Aber dann schien auch sie sich zu überlegen, welche Folgen eine Rebellion haben würde. Sie ließ ihre Pistole fallen. Die Männer folgten ihrem und Hasards Beispiel. Klappernd landeten die Musketen und Arkebusen, die Pistolen und Blunderbüchsen, die Degen, Säbel, Cutlasses und Messer auf dem Geröll. „Gut so!“ rief der Spanier. Seine Stimme überschlug sich fast. „Und jetzt geht ihr langsam weiter, einer hinter dem anderen! Wir halten euch in Schach, denkt daran!“ „Ich denke an nichts anderes“, sagte Big Old Shane dumpf. „O Mann, an was sollen wir wohl sonst denken?“ Hidduk, Hasard und Siri-Tong umrundeten als erste die nächste Biegung des Hohlwegs. Und auch hier bestätigte sich, daß die Gegner keineswegs geblufft hatten: Gut ein Dutzend Soldaten erwartete sie auf der Geröllsohle. Mit erhobenen Musketen. Die Mündungen zielten auf ihre Köpfe. 8. Sie brachten sie über einen Urwaldpfad, der offenbar immer wieder erneuert und so gegen den Pflanzenwuchs gehalten wurde, zu den Hütten der Mine. Hasard hatte nun das zweifelhafte Vergnügen, dem spanischen Kommandant von Antlitz zu Antlitz gegenüberzutreten.
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Sabreras empfing ihn mit gelassener Miene. Er stand im Zentrum der Hütten, ließ die Arme lose herabhängen und musterte sie einen nach dem anderen. Er trug keine Kürbishosen, sondern nur einfache schwarze Beinkleider, die in hochschäftigen Stiefeln steckten. Auch das Wehrgehänge seines Degens war schlicht, er schien auf den bei spanischen Offizieren sonst üblichen Pomp und Kult zu verzichten. Die Kommandantenjacke hatte er abgelegt und trug ein weißseidenes, bis zur Brust aufgeknöpftes Hemd. „Wer sind die Anführer dieser Hunde?“ fragte er. Der eitle Ganter - seinen Rangzeichen nach ein Sargento - blieb stehen und wies auf Hasard und Siri-Tong. „Die beiden hier, wenn mich nicht alles täuscht, Commandante. Der Schwarzhaarige hat seinen Leuten jedenfalls den Befehl gegeben, die Waffen wegzuwerfen.“ „Ausgezeichnet“, sagte Sabreras. „Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“ „Mit dem Teufel höchstpersönlich“, erwiderte Hasard gallig. Sabreras wollte etwas Scharfes entgegnen, aber in diesem Augenblick verharrte sein Blick auf Hidduk, Atasc und den anderen beiden Santa-Barbara, Indianern. Er tat zwei Schritte und stand dicht vor Hidduk. „Das ist es also“, sagte er leise, gefährlich leise. „Verraten und verkauft hast du mich, du roter Bastard. So dankst du mir also, daß ich dir und deinem Stamm das Leben geschenkt habe.“ „Wovon sprechen Sie, Comandante?“ wollte der Sargento wissen. Sabreras schaute nicht zu ihm, aber irgendetwas mußte er ihm sagen. Ein feines Lächeln spielte plötzlich um die Mundwinkel des Seewolfs. Was wollte Sabreras antworten? Daß die Serranos die Bewacher seines Geheimvermögens waren? Nur wenn er all seine Untergebenen eingeweiht hatte, durfte er es tun. Aber er hatte sie garantiert nicht ins Vertrauen gezogen. „Erinnerst du dich nicht, daß ich diesen Indianer mal hierher ins Lager gebracht habe?“ sagte Sabreras nun gedehnt.
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„Nein. Da muß ich noch in Panama gewesen sein – vor meiner Versetzung zu Ihnen, Comandante.“ „Schon gut“, sagte Sabreras. „Bei einer meiner Erkundungsreisen, die ich im Auftrag des Gouverneurs von Panama auf dem Stillen Ozean unternahm, stieß ich auf die Galapagos und beschloß, sie genauer zu erforschen. Dieser Kerl und seine roten Hunde hatten sich dort häuslich niedergelassen. Ich hätte sie auslöschen können, beschloß aber, sie zu schonen und nur zu unterwerfen. Um Hidduk zu zeigen, welches sein Los sein würde, falls er sich nicht in allen Punkten fügte und der spanischen Krone ergeben war, führte ich ihm das Los der Chibchas vor Augen. Daraufhin unterschrieb er mir ein Dokument, in dem er sich und seinen Stamm zu Untertanen König Philipps II. erklärte.“ Der Sargento blickte ein wenig verständnislos drein, nickte aber schließlich und rief: „Si, Senor Comandante. Verstanden.“ „Und das ist nun der Dank“, zischte Sabreras Hidduk zu. „Du weißt, daß du lügst“, entgegnete der Häuptling ruhig. „Hidduk hat nie ein Schriftstück unterschrieben. Heute erkennt er, daß Sabreras eine Schlange ist, die mit gespaltener Zunge spricht. Warum verrätst du deinen Männern nicht, was ...“ „Schweig!“ schrie der Kommandant ihn an. Er wollte ihn packen, aber Siri-Tong war neben ihnen und sagte: „Einen Moment. Wer sagt Ihnen eigentlich, daß wir in feindlicher Absicht erschienen sind, Comandante? Haben wir auf Sie geschossen? Haben wir einem von Ihren Leuten auch nur ein Härchen gekrümmt?“ Sabreras wandte den Kopf und musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen und verwundertem Blick von oben bis unten. „Aber ich bitte Sie, Verehrteste“, sagte er dann spöttisch. „Wollen Sie mich für dumm verkaufen? Man sieht Ihnen und Ihren Begleitern doch auf eine Meile Distanz an, dass Sie Freibeuter sind. Sie waren auf Galapagos, nicht wahr, und dort
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hat Hidduk angesichts Ihrer Übermacht schleunigst die Fahne gewechselt - oder täusche ich mich?“ „Sie lassen uns ja überhaupt nicht zu Wort kommen“, erwiderte sie. „Nicht? O, ich werde Ihnen noch Gelegenheit zum Plaudern bieten, schöne Senorita.“ „Mein Name ist Siri-Tong.“ „So? Und wie heißt der schwarzhaarige Diablo an Ihrer Seite?“ „Philip Hasard Killigrew“, sagte Hasard. Es hatte wenig Zweck, seinen Namen zu verheimlichen. Früher oder später fand der Spanier ja doch heraus, wer er. und seine Männer waren. „Killigrew“, wiederholte Sabreras grübelnd. „Dieser Name ist mir nicht neu. Wo habe ich ihn schon mal gehört?“ Er fixierte Hasard, dann hellten sich seine Züge plötzlich auf. „Jetzt hab ich’s! Killigrew, der Seewolf. El Lobo del Mar! Ist es so? Ich bitte Sie, Killigrew, widersprechen Sie doch, wenn ich mich auf dem Holzweg befinde.“ Hasard schwieg, und Sabreras lachte. „Na also“ sagte er. „Damit haben Sie es bereits bestätigt. Ich habe also gut daran getan, euch Seeräubern eine Falle zu stellen, nachdem meine Späher euch an dem Abgrund entdeckt hatten, in den ihr fast hineingestürzt wäret. Ich brauchte nur noch die Kaltblütigkeit zu haben, hier auszuharren. Meine Gelassenheit täuschte euch, als ihr mich durch eure Fernrohre saht, nicht wahr?“ Er lachte wieder auf, diesmal zornig. „Der Seewolf! Spaniens ärgster Feind in der neuen Welt! Und ihr wollt mir allen Ernstes auf die Nase binden, mit friedlichen Absichten erschienen zu sein? Genug mit der Heuchelei!“ Er schoß einen Blick auf die Rote Korsarin ab. „Wenn du ein Mann wärest, hätte ich dich geohrfeigt“, schrie er. Danach wandte er sich wieder Hidduk zu. „Verräter der Krone! Hund! Du und deine roten Bastarde - ihr werdet morgen früh gehängt!“ Hidduk wollte das Geheimnis hinausschreien, aber Sabreras war schneller. Er schlug ihm mit der Faust
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unters Kinn. Hidduk sank zu Boden und streckte sich aus, ohne einen Laut von sich zu geben. Hasard, Siri-Tong und Atasc wollten sich auf den Spanier stürzen, aber in diesem Augenblick ertönte die schneidende Stimme des Sargentos: „Keine Bewegung, oder wir schießen euch nieder!“ „Tränen der Götter“, sagte Hasard zu den drei Serranos. „Der Fluch der Smaragde. Jetzt habt ihr endlich den Beweis, daß Sabreras ein Teufel ist.“ „Seewolf!“ rief Sabreras. „Noch ein Wort, und ich schlage dich zusammen wie diesen roten Dreckskerl.“ Hasard sagte kein Wort mehr. Er wußte, daß Siri-Tong und die Männer es nicht als Schwäche werten würden. Wenn er sich jetzt niederprügeln ließ, fehlten ihm später die Kräfte, sich zu befreien - falls es dazu überhaupt noch eine Chance gab. Für einen Indianer gab es nichts Schimpflicheres, als gehängt zu werden. Aber auch das Schicksal, das der Kommandant seinen weißen Gefangenen zugedacht hatte, ließ sich an Niederträchtigkeit kaum überbieten. „Legt sie in Ketten und laßt sie in der Mine arbeiten“, ordnete er an. „Sie werden die Förderung erheblich steigern. Du wolltest doch die grünen Steine sehen, nicht wahr, Seewolf? Nun, jetzt kannst du sie aus aller Nähe betrachten. Sargento!“ „Commandante?“ „Die Frau wird in den Nebenraum meiner Hütte gesperrt. Die Serranos sind ebenfalls meine Sklaven, und mit allen werde ich mich später noch eingehend beschäftigen. Jetzt geht es mir aber erst mal um eines.“ Er trat vor Hasard. hin. „Wo sind eure Schiffe? Wie viele Leute befinden sich noch an Bord?“ „Wir haben keine Schiffe.“ „Willst du mir erzählen, ihr seid von Galápagos hierher geschwommen?“ stieß Sabreras aus. „Nein. Die Indianer haben uns auf ihren Piraguas mitgenommen. Inzwischen sind sie weitergesegelt.“ „Wohin?“ „Zurück in ihre Heimat.“
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„In den Norden Neuspaniens hinauf?“ „Ja.“ „Nie und nimmer kaufe ich dir das ab, du elender Hund“, sagte Sabreras. „Du kannst mich foltern“, erwiderte Hasard mit eisiger Ruhe. „Ich würde nur immer wieder das gleiche sagen.“ „So?“ Sabreras trat wieder zurück. „Es gibt eine Menge Mittel, einen Halunken wie dich zum Sprechen zu bringen. Er blickte zu Siri-Tong und lächelte. Sie sagte: „Ich weiß, was du vorhast, spanischer Hidalgo. Es liegt ja auf der Hand. Aber an mir beißt du dir die Zähne aus, das schwöre ich dir.“ „Wir werden ja sehen“, erwiderte Sabreras lachend. „Sargento, schaffe die Gefangenen jetzt fort. Und schicke zwei Boten los, die die Kapitäne unserer Schiffe warnen sollen. Ich will, daß Patrouillen die Küste absuchen. Irgendwo müssen sich die Männer von Killigrew und Siri-Tong verborgen haben.“ * Hasard und alle anderen Gefangenen außer der Roten Korsarin mußten in den Höhlen arbeiten. Die Werkzeuge, mit denen sie das Gestein aus den Wänden brachen und zerlegten, waren unmöglich gegen die Bewacher zu verwenden, denn die brauchten nur die Zugänge zu den Minenstollen abzuriegeln und konnten so jeden Angreifer mühelos niederschießen, bevor er überhaupt bei ihnen angelangt war. In den Höhlen war es heiß und stickig. Der Schweiß rann den Männern in Bächen von den Leibern. Die Über-Tage-Arbeit war im Gegensatz zu dieser Plackerei fast eine Erlösung - und eben deshalb hatte Sabreras sie nicht für die offenliegende Smaragdader vor den Kesselwänden eingeteilt. Er wollte sie binnen kurzer Zeit zermürben. Wenn sie einmal mit dem Zuhauen und Brechen, dem Aufpickeln und Kratzen aussetzten, waren sofort die schwerbewaffneten Aufseher mit ihren Peitschen und Stöcken zur Stelle. Und die
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Ketten wogen schwer an ihren Hand- und Fußgelenken. „Ketten und Knochenarbeit, Hitze und Schikanen“, sagte Carberry. „Das ist wie auf der Teufelsinsel.“ „Ein Fraß als Essen, fauliges Wasser zum Trinken“, fügte Al Conroy hinzu. „Pfui Teufel.“ „Hör auf, mir wird jetzt noch schlecht“, grollte der Profos. „Ja, hört auf“, raunte Hasard ihnen zu. „Zerbrecht euch lieber die Köpfe, wie wir hier wieder ‘rauskommen.“ „Drei verfluchte Stollen mit jeweils zehn von uns darin”, versetzte Shane. „Und wir haben keine Möglichkeit, uns untereinander zu verständigen.“ „Und die Chibcha -Indianer?“ wisperte Bob Grey. „Die sind apathische Gliederpuppen in den Händen der Dons“, sagte Smoky. „Siehst du denn nicht, wie fertig sie sind? Sie können ja kaum noch draußen die frei daliegenden Steine aufklauben.“ „Die armen Kerle“, sagte Blacky. „Und die Frauen, die Kinder — ich habe selten einen so kalten, gemeinen Schweinehund wie diesen Sabreras gesehen.“ „Die Chibchas haben kaum noch Empfindungen“, meinte Hasard leise. „So, wie sie sich dahinschleppen, können wir auf ihre Unterstützung nicht bauen.“ „Und Siri-Tong?“ sagte der Profos. „Du meinst, sie könnte Sabreras überwältigen? Auch darauf ist kein Verlaß. Was nun, wenn er sie völlig bezwingt?“ Hasard spürte, wie ihm bei diesem Satz das Blut in den Kopf stieg und darin hämmerte. Eine Woge des Hasses durchfuhr ihn. „Wenn er das tut, bringe ich ihn um. Ich schwöre es euch.“ „Wie willst du es schaffen?“ zischte Shane. „Ja, denken wir realistisch“, erwiderte Hasard. „He, Männer, haben die Spanier euch alle Waffen abgenommen? Ist diesen Hunden bei der Leibesvisitation denn nichts entgangen?“ „Ein bißchen Pulver“, flüsterte Al Conroy. „Frag mich nicht, wo ich es versteckt habe. Bloß — was können wir mit dem bißchen Zeug anfangen?“
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„Ich hab noch ein Stück Zündschnur bei mir“, meldete Matt Davies. „Jetzt brauchen wir nur noch Feuerstein und Feuerstahl, dann können wir den Stollen in die Luft jagen ...“ „Und sitzen selbst darin fest“, sagte der Seewolf. „Und das Pulver reicht sowieso nicht aus“, erklärte Al. Am Höhleneingang entstand Bewegung. Die Wächter hatten vernommen, daß die Seewölfe gesprochen hatten. „He, ihr, was habt ihr zu tuscheln?“ rief einer von ihnen. „Nichts“, gab Jeff zurück. „Vielleicht hab ich nur laut gedacht.“ Die Spanier rückten an. Sie schwangen ihre Peitschen, daß es knallte, und klopften mit den Schlagstöcken auf den Boden. Das klang nicht nur demonstrativ — es war eine offene Drohung. Hasard gab seinen Männern durch einen Blick zu verstehen, sie sollten um jeden Preis den Mund halten. Sie schwiegen also, widmeten sich wieder ihrer Arbeit, hieben mit Hacken und Hämmern auf das Gestein und stellten sich dabei vor, sie hätten Sabreras vor sich. Drei Aufseher legten mit den Gewehren auf sie an, zwei andere holten mit Peitschen aus und ließen sie dann über die Rücken ihrer Gefangenen schnellen. Hasard und seine Männer bissen unter den Hieben die Zähne zusammen und gaben keinen Laut von sich. Sie beschlossen voll Ingrimm, den Feinden jeden dieser Hiebe zurückzuzahlen, jeden einzelnen. Endlich gingen die Wächter wieder zum Stolleneingang zurück. „Laßt euch das eine Lehre sein!“ rief der Sprecher der Kerle. „Wagt es bloß nicht, wieder zu sprechen.“ Big Old Shane schwang seine Spitzhacke, und als sie gegen die Wand dröhnte, in der die grünen Steine lagerten, stieß er hervor: „Gehacktes Blei - damit kann ich dienen.“, „Eisenkrümel“, flüsterte Ferris, als auch er zuhieb. Nur Hasard, der gleich rechts neben ihm stand, konnte es verstehen. „Feuerstein und Feuerstahl“, versetzte Dan im Splittern des Gesteins. Seine untadelig
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gewachsenen Zähne schimmerten matt im Dunkel des Stollens. Und Ferris Tucker sagte so gedämpft wie möglich: „Jetzt brauche ich nur noch eine Flasche.“ „Die besorgen wir schon“, hauchte Dan grinsend. Das klang zuversichtlich wie immer. Dan war nun mal ein unverbesserlicher Optimist. Hasard eigentlich auch, aber er gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Die Dinge standen einmalig schlecht. Auch wenn es Ferris Tucker gelang, eine seiner berühmten Höllenflaschen zu basteln, so ließ sich für das Ergebnis immer noch nicht garantieren. Denn erstens einmal mußten sie ihre Ketten loswerden. Und sie mußten, ohne sich mit den Freunden in den anderen Stollen verständigen zu können, den Ausund Durchbruch wagen und gegen gut zwei Dutzend ausgezeichnet bewaffnete Spanier kämpfen. Er wägte alle Gegebenheiten und Möglichkeiten auf der Suche nach einer Lösung ab. Aber später, beim Dunkelwerden, stellte sich fast ganz von selbst eine Wende ein, die von größter Bedeutung für ihn sein sollte. Zunächst verlief für Hasard allerdings alles ausgesprochen negativ. Sie mußten zum Essenfassen aus den Höhlen treten. Die Spanier teilten Holznäpfe aus, und dann durfte ein Gefangener nach dem anderen zu einem Kübel gehen, den sie im Zentrum des Platzes zwischen den Hütten aufgebockt hatten. Dampf stieg daraus auf. Der Geruch, der den Seewölfen in die Nase stieg, war alles andere als verheißungsvoll. Es schien sich zu bewahrheiten, was Carberry prophezeit hatte. Außerdem reichte der Inhalt des einen Kübels niemals aus, um alle Gefangenen zu sättigen. Es war das übliche System, das nur dazu diente, die Zwangsarbeiter gerade noch auf den Beinen zu halten. Mit der Zeit aber siechten sie vor Erschöpfung dahin. Den Spaniern war nicht sonderlich daran gelegen, ihre Sklaven am Leben zu erhalten. Sie betrieben ja bereits einen
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regen Handel mit den Menschen, die sie vom Schwarzen Kontinent entführten. Rechts von sich, in einer Gruppe ChibchaIndianer, sah der Seewolf plötzlich zwei junge Männer zusammenbrechen. Sie sanken zu Boden und ließen ihre Näpfe fallen. Flach atmend lagen sie da. Hasard kniff die Augen zusammen und stellte fest, daß sie wirklich blutjung waren, gerade erst aus dem Jungenalter heraus. Keine richtigen Männer also, sondern Halbwüchsige. Zwei Aufseher schritten auf sie zu. Der eine fluchte, rollte seine Peitsche aus und schlug damit auf den Boden, daß Staub hochwirbelte. „Aufstehen!“ brüllte er. „Hoch mit euch, ihr faulen Hunde, oder ich prügle euch tot!“ Er traf Anstalten, es wirklich zu tun. In diesem Moment konnte Hasard sich nicht länger zurückhalten. Er löste sich aus seiner Reihe, federte auf den Aufseher zu und sprang ihm mit einem mächtigen Satz in die Sei. Im nächsten Augenblick hatte er ihn niedergerungen. Sie wälzten sich auf dem Boden. Hasard schlug dem Kerl die Peitsche aus der Hand und landete dann einen Haken unter seinem Kinn. Der Spanier war hart im Nehmen. Er stöhnte zwar, blieb aber bei Bewußtsein. Ein Schwächerer an seiner Stelle wäre zweifellos im Reich der Träume versunken und vor Schmerzen wie gelähmt gewesen. Nicht so der Aufseher. Er hieb mit der Faust nach dem Seewolf, dann riß er den echten Fuß hoch und versuchte, Hasards Unterleib zu treffen. Hasard rollte sich zur Seite ab, schwang hoch und tänzelte abwartend vor dem Gegner. Der erhob sich halb und stieß die übelsten Verwünschungen aus, weil er nicht getroffen hatte. Er versuchte, einen neuen Hieb zu landen, aber diesmal kam Hasard ihm zuvor und trieb ihm die Faust mit solcher Wucht gegen die Brust, daß er hintenüberkippte. Der Sargento war zur Stelle und schrie: „Auf was wartet ihr Bastarde? Schlagt diesen Hund zusammen!“
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Die anderen Aufseher, die bisher teils entsetzt, teils völlig verdattert dem Intermezzo zugesehen hatten, stürzten sich auf den Seewolf. Sie sparten nicht mit Hieben. Sie ließen sich richtig an ihm aus. Die Seewölfe hatten ihrem Kapitän zu Hilfe stürzen wollen, aber die nicht in die Schlägerei verwickelten Sklaventreiber legten mit den Musketen auf sie an. Um die beiden halbwüchsigen Chibchas kümmerten sich die Spanier im Moment nicht mehr. Diese Gelegenheit nutzten die Indianer, die beiden wieder auf die Beine zu stellen. Sabreras eilte herbei. Als die Aufseher von Hasard abließen, wandte er sich an den Sargento. „Was ist hier vorgefallen? Rede, Mann, oder muß ich dir erst die Zunge lockern?“ „Nein, Comandante. Dieser Lobo del Mar hat sich auf einen Aufseher gestürzt.“ Sabreras blickte mit höhnischem Lächeln zum Seewolf. Hasard richtete sich gerade wieder auf. Sein Gesicht war verschrammt, verschmutzt, mit Blut bedeckt. „Narr“, sagte Sabreras. „Du erhältst kein Essen und kein Trinken, und morgen wirst du zwei Stunden früher als die anderen geweckt. Du wirst dann den ganzen Tag über und bis in die Nacht hinein arbeiten – bis du umfällst.“ Hasard erhob sich und humpelte zu seinen Männern zurück. Er sprach kein Wort. Die Ketten brachten ihn fast zu Fall, es war ein Wunder, daß er trotz der Behinderung den Aufseher hatte niederschlagen können. Sabreras ging wieder fort. Die Essensausgabe wurde fortgesetzt, nur Hasard ging leer aus. Carberry kippte seine „Mahlzeit“ weg, als die Bewacher es nicht sehen konnten. „Da hast du nichts versäumt, Hasard“, raunte er. „Hölle, das ist ja das reinste Gift. Alles tue ich, nur fresse ich keine Sch ...“ „Ed“, zischte Dan, der vor dem Profos und hinter Hasard schritt. „Halt die Luft an. Ein Aufseher linst zu uns herüber.“ „Soll er doch kommen ...“ „Lieber nicht. Es ist gut, jetzt nicht aufzufallen“, sagte Dan verhalten. „Warum, zum Teufel?“
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„Erkläre ich dir noch.“ „Du mit deinen Tomatenaugen ...“ Wenig später, als sie zum Schlafen in ihren Stollen getrieben wurden, fand Dan endlich Gelegenheit, ungestört mit den Gefährten zu sprechen. „Ich habe eine Flasche geklaut“, wisperte er. „Hier.“ Er zog sie kurz aus dem Hemd hervor und ließ sie gleich wieder hineinsacken. „Als Hasard mit diesem Dreckskerl kämpfte und alle abgelenkt waren, habe ich sie aufgelesen. Die muß ein unachtsamer Don verloren haben.“ „Was da wohl drin war“, murmelte Matt Davies. „Unwichtig“, gab Ferris Tucker ebenso gedämpft zurück. „Frag lieber, was wir ‘reinstecken.“ „Pulver und Blei“, zischte Matt. „Ist doch klar: Und dann schieben wir das Höllenei diesem Sabreras unter den Arsch.“ „Und der Korken?“ fragte Bob Grey aus dem Dunkel des Stollens heraus. „Still“, warnte Al Conroy. „Die Wache.“ Schritte knirschten am Eingang der Mine vorbei, die Stiefel des Spaniers knarrten, und dann konnten sie seine Gestalt gegen das Tiefblau der Nacht erkennen. Der Mond spendete genug Licht, um das zu ermöglichen. Der Aufseher verharrte nicht, er marschierte weiter. „Verdämmungspfropfen“„ flüsterte Al. „Daraus baue ich einen schönen Korken. Hey, packt alle Pfropfen zusammen, die ihr noch bei euch tragt.“ „Hasard“, raunte Ferris Tucker. „Wie sieht es aus? Bist du wieder einigermaßen auf dem Damm?“ „Ja. Ich fühle mich prächtig“, sagte Hasard nicht ohne Galgenhumor. „Ich habe ein Werkzeug verstecken können“, teilte der rothaarige Schiffszimmermann ihm mit. „Shane und ich werden abwechselnd damit arbeiten. Wir biegen die Ketten auf, Hasard. Und Al Conroy bastelt die Bombe, er kann’s genauso gut wie ich.“ „Ihr seid Prachtkerle ....“ „Dein Einsatz hat sich gelohnt“, zischte Dan O’Flynn, und wieder glänzten seine Zähne. „Ohne dich hätte ich die Flasche
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niemals ergattert. Und noch was. Die Chibchas —sie haben dich voll Bewunderung und Dankbarkeit angesehen, als du dich für die beiden Jungen eingesetzt hast. Ich glaube — ja, in ihren Augen war plötzlich so was wie Hoffnung, Energie.“ „Sie schlafen im Freien“, sagte Hasard so leise, daß sie nahe an ihn heranrücken mußten, um etwas zu verstehen. „Aber weit genug von den Hütten entfernt. Ich habe übrigens festgestellt, welche Hütte das Munitionsdepot der Spanier birgt. Ein paar leere Pulverfässer liegen davor. Freunde, mein Plan steht fest. Beeilt euch mit den Ketten und der Höllenflasche. Wir schlagen so rasch wie möglich zu. Ed, du brauchst mich nicht so anzustarren. bis dahin bin ich wieder völlig in Ordnung. Sag mir lieber, wo Sir John steckt.“ „Weggeflogen“, murmelte der Profos. „Als die Dons uns im Hohlweg gefangengenommen haben.“ „Hoffentlich hat er zur ‚Isabella’ und zum schwarzen Segler zurückgefunden“, sagte der Seewolf. 9. Sir John, der karmesinrote Aracanga, hockte auf Ben Brightons Schulter und plauderte munter vor sich hin. Mehr als Flüche und Kommandorufe in edelster Carberry-Manier brachte er dabei aber nicht zustande. „Mein Gott, so sag mir doch endlich, was passiert ist“, beschwor ihn Ben. „Warum bist du zu uns zurückgekehrt? Stecken Hasard und Siri-Tong in der Klemme?“ Thorfin Njal, der zur „Isabella“ herübergepullt war, stand neben Ben auf dem Achterdeck. Er kratzte sich an seinem Kupferhelm, betrachtete den Papagei von allen Seiten und sagte schließlich: „Also, das ist ein reiner Zufall. Vielleicht hat der Bursche keine Lust mehr gehabt, sich im Urwald herumzutreiben. Hier bei uns hat er es besser. Das hat er doch schon öfter getan — erst hat er einen Trupp von uns beim Landgang begleitet und ist dann putzmunter wieder an Bord geflattert, um
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sich mit Arwenack zu streiten oder Nüsse zu knabbern.“ „Ja, das stimmt.“ „Und außerdem macht er keinen besorgten Eindruck.“ „Das ist auch richtig“, erwiderte Ben, aber er war nicht überzeugt. Seufzend blickte er zum Ufer. Die Nacht hatte das Bergland mit ihren Schatten zugedeckt, und es wäre heller Wahnsinn gewesen, jetzt mit einer Gruppe in den Dschungel aufzubrechen. So sehr er sich auch um Hasard und die anderen sorgte, er mußte bis zum Morgengrauen damit warten, etwas zu unternehmen. „Das ist eine verdammt blöde Situation, Wikinger“, sagte er. „Daß wir zum Nichtstun verdammt sind?“ „Genau das.“ „Was meinst du, ob der Trupp die Smaragd-Mine erreicht hat?“ „Glauben kann ich vieles, aber ich weiß es nicht. Welchen Sinn hat es, Vermutungen zu äußern?“ entgegnete Ben Brighton. Thorfin Njal kratzte sich wieder, diesmal in seinem mächtigen Bartgestrüpp. „Tja, da hast du recht. Aber du solltest nicht so eine sauertöpfische Miene schneiden, Mister Brighton. Übrigens müßten wir es auch hören, wenn in der Mine geschossen wird.“ „Und? Hasard und die anderen können auch lautlos vom Gegner überwältigt werden.“ „Genauso lautlos können sie siegen.“ Njal lachte rauh. „Oder sie veranstalten ein Höllenfeuerwerk und nehmen die Mine im Sturm.“ „Mensch, hör auf“, sagte Ben. „Mir wird ganz flau, wenn ich dich so daherreden höre.“ Der Nordmann wollte ihn fragen, warum das so war, aber in diesem Augenblick senkte Ben Brighton ein wenig den Kopf und spähte angestrengt zur Einfahrt der versteckten Bucht. „Wikinger — Bill hat ein Zeichen gegeben. Er kann täuschend echt das Zirpen einer Drossel nachahmen, und Drosseln gibt’s hier nicht, jedenfalls nicht solche wie daheim in England. Sehen wir doch mal nach, was los ist.“
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Sie enterten sofort in das Beiboot des schwarzen Schiffes ab, das an der Steuerbordseite der „Isabella“ angelegt hatte. Eike und Arne, Njals beiden Landsleute, saßen als Rudergasten auf den Duchten. Sie pullten los, als Ben und Thorfin an Bord waren, und kurz darauf griffen auch diese beiden mit zu den Riemen. Sie gelangten zügig voran, landeten auf der Landzunge, die die Bucht zur See hin abschirmte, pirschten durch das Dickicht und befanden sich kurz darauf an Bills Seite. Bill sagte nichts, er wies nur zur See. Zwei gigantische Schatten zogen vorüber, majestätische Schattenrisse vor dem Vorhang der Nacht. Beide waren Dreimaster und segelten am jetzt aus Südwest wehenden Wind nach Norden an der Küste entlang —aber sie boten ein sehr unterschiedliches Bild. Die vordere Galeone erinnerte mit ihren geblähten Segeln an einen stolzen Schwan. Ihr Kapitän hatte Vollzeug samt Blinde setzen lassen, segelten aber trotzdem nur sehr langsam — und das lag an dem zweiten Schiff. Bei diesem handelte es sich ebenfalls um eine Galeone, aber sie hielt sich nur wie durch ein Wunder über Wasser. Sie befand sich im Schlepp der ersten, reduzierte deren Fahrtgeschwindigkeit und dümpelte wie ein angeschossenes Wasserhuhn dahin. Und das war sie auch: angeschossen. Das Rigg war als solches kaum noch zu bezeichnen, die Masten waren angeknickt und offenbar in ihrer Länge verkürzt, und Ben und die Wikinger sahen undeutlich, daß auch das Schanzkleid und der Achtersteven irgendwie beschädigt waren. Der Bugspriet existierte nicht mehr. „Ich werde verrückt“, hauchte Arne. „Das ist ja ...“ „Die ,Santa Margarita`, vervollständigte Ben. „Eine Patrouille hat, sie weiter südlich entdeckt und schleppt sie jetzt ab, wahrscheinlich zum Hafen der SmaragdSchiffe.“ „Das soll uns nicht weiter jucken“, entgegnete Thorfin Njal. „Die Hauptsache ist, sie sichten uns nicht. Aber sie haben ja
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wirklich anderes zu tun. Und die Dons auf der ,Santa Margarita` können auch nicht einmal ahnen, daß wir nach dem Gefecht mit dem Verband die Küste angelaufen haben.“ „Stimmt“, sagte Ben, aber er traute dem Frieden immer noch nicht. Wenig später duckten sie sich alle fünf und ließen sich flach ins Gras der Uferböschung sinken. „Mister Brighton“, flüsterte Bill, der Schiffsjunge. „Da hört doch aber alles auf. Täusche ich mich — oder kommen da wieder Schiffe?“ „Du täuscht dich nicht“, erwiderte Ben verdrossen. Die Konturen der fremden Schiffe schälten sich aus der Nacht hervor. Sie erschienen aus Richtung Nordwesten und kreuzten gegen den Wind. Es war denkbar, daß sie vor Stunden einen Stützpunkt der Spanier an der nördlichen Küste verlassen hatten, aber ob sie der „Santa Margarita“ und deren Helfer begegnet waren, blieb dahingestellt. „Mich interessiert nur eins“, murmelte Ben. „Was denn?“ flüsterte Thorfin Njal. „Spuck es schon aus.“ „Ob die auch zu Sabreras’ stolzer Flotte gehören.“ „Könnte sein.“ „Es sind drei, Mister Brighton“, meldete Bill. „Ja, jetzt sehe ich es auch“, raunte Arne. „Und sie halten genau auf unsere Bucht zu.“ „Allmächtiger“, sagte Ben. „Arne und Eike, ihr kehrt sofort zu den Schiffen zurück. Die Männer sollen gefechtsklar machen, und zwar in aller Windeseile.“ Die Wikinger zogen sich ins Gebüsch zurück und waren kurz darauf verschwunden. Ben, Thorfin und der Schiffsjunge blieben liegen und schauten wie gebannt auf den kleinen Verband, der da unaufhaltsam auf die Bucht zusegelte. Als er nur noch etwa eine Viertelmeile entfernt war, ließen sich die Schiffstypen mühelos voneinander unterscheiden. „Zwei Karavellen und eine Galeone“, wisperte
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Ben. „Ich freß einen Besen, wenn die nicht auch zu Sabreras gehören. Jetzt luven sie an und gehen in den Wind.“ „Überstag“, sagte der Wikinger lakonisch. „Sie fahren einen Kreuzschlag nach Nordwesten. Bei Odin, sie haben uns nicht entdeckt. Vielleicht ahnen sie nicht mal, daß es hier eine Bucht gibt.“ „Trotzdem“. Ben rieb sich heftig das Kinn. „Ich traue dem Schwindel nicht. Hier braut sich was zusammen, das sage ich euch. Ich würde was darum geben, wenn ich wüßte, was.“ *
Sabreras hatte ein paar Öllampen und Talglichter in seiner Hütte angezündet, so daß es richtig gemütlich darin aussah. Er hatte die an Händen und Füßen gefesselte Siri-Tong aus dem Nebenraum hereinbringen lassen und auf einem Lager aus Jaguarfell an der Längswand gegenüber der Eingangstür absetzen lassen. Da hockte sie nun und funkelte ihn aus haßerfüllten Augen an. Sabreras saß mit übergeschlagenem Bein auf einem Schemel hinter einem Tisch und schenkte Rotwein aus einer Karaffe in ein Glas. „Das ist der einzige Luxus, den ich mir hier gönne“, sagte er. „Aber ich trinke nie viel. Ich besaufe mich nicht, weil ich Maßlosigkeiten hasse, und meine Vorgesetzten schätzen das sehr an mir.“ „Der lautere, vorbildliche Sabreras“, höhnte sie. „So streust du ihnen also Sand in die Augen. Sabreras, der Mann, der maßhält. Sabreras, der Bescheidene. Einer, dem man vertrauen kann, nicht wahr?“ „So ist es.“ „Deine Smaragde, die du auf San Cristobal gehortet hast, liegen auf dem Grund der See“, sagte Siri-Tong. „Wir haben sie aus der Höhle geholt und dann versenkt.“ Er blieb ganz ruhig, hob das Glas an den Mund und trank. „Das ist nicht wahr“, erwiderte er, als er absetzte. „Für wie dumm hältst du mich? Euch ist an den Smaragden ebensoviel gelegen wie mir. Ihr wollt sie der Königin von England überbringen, wie auch Drake
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die Dame an seinen zusammengestohlenen Schätzen beteiligt hat. Schlau. Sie hätte ihn sonst sicherlich enthaupten lassen, diesen alten Seeräuber. Aber die Engländer begehen einen Fehler, wenn sie glauben, wir Spanier seien alle Narren.“ Er stand auf und ging auf sie zu. „Laß mich raten. Ihr habt die kostbaren Esmeraldas auf eure Schiffe geladen. Ich brauche nur noch das Versteck zu finden, in das ihr euch bei eurer Landung an der Küste von NeuGranada verkrochen habt, und sie gehören wieder mir.“ „Du bist wirklich ein Narr, Spanier.“ Er zuckte ungerührt mit den Schultern, trat vor eine Truhe mit eisernen Beschlägen hin und öffnete sie. Als Siri-Tong sah, was er daraus hervorhob, verschlug es ihr für einen Augenblick tatsächlich die Sprache. Sabreras trug den Gegenstand zum Tisch und setzte ihn auf der Platte ab. Das Licht brach sich schillernd in den Edelsteinen, die dicht an dicht in die goldenen: Streben und das Stirnband eingelassen waren. Beherrscht wurde die Gesamterscheinung des prunkvollen Bildes von einem grün und golden glänzenden Kreuz im obersten Zentrum. „Eine Krone“, hauchte die Rote Korsarin. „Himmel, wie schön ...“ „Schöner als die von Elisabeth I.“, sagte Sabreras. „Ich kann ruhigen Gewissens behaupten, daß es die prächtigste Krone ist, die jemals hergestellt wurde. Die Chibchas haben sie als Geschenk an ihre Götter angefertigt, als sie von der Pest verschont wurden. Kurz darauf fielen auch die letzten Indianersiedlungen unter der Faust der Conquista. Die Chibchas versteckten die Krone eine Zeitlang, aber ich fand sie. Und sie gehört mir.“ Stolz legte er die Hand auf das Kreuz. „Sie ist mit 453 Smaragden bestückt, ich habe sie gezählt. Sie ist eine Million spanischer Piaster wert, vielleicht noch mehr, wer kann das schon schätzen.“ „Warum erzählst du mir das alles, Hidalgo?“ fragte Siri-Tong lauernd. „Aus Eitelkeit? Es beeindruckt mich nicht.“ Er wandte sich zu ihr um, sah sie fast beschwörend an und senkte die Stimme,
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als er wieder sprach. „Hör mich an. Mir ist nicht daran gelegen, dich zu mißhandeln, um den Standort eurer Schiffe zu erfahren. Ich will dir nichts verheimlichen. Ich habe eine Schwäche für schöne Frauen. Und du bist eine sehr schöne, bezaubernde Frau von orientalischem Reiz.“ „An dir ist ein Poet verlorengegangen, Sabreras.“ „Sei vernünftig. Ich schenke dir die Krone - ja, die Krone, du brauchst mich nicht so verwundert anzustarren.“ Er holte tief Luft, dann tat er noch einen Schritt auf sie zu und kniete vor sie hin. „Als Gegenleistung verlange ich nichts weiter als die Position eurer Schiffe. Vorläufig ist das alles.“ „Und später?“ „Einer Frau wie dir macht man gern den Hof.“ Sie hob den Kopf. In ihrem Blick mischten sich Stolz und Verachtung. „Schlag dir das aus dem Kopf, spanischer Schweinehirt. Nicht für allen Reichtum der Welt würde ich vor dir zu Kreuze kriechen. Du mußt mir schon wehtun, um zum Ziel zu gelangen. Auf was wartest du? Ich habe keine Angst vor dir.“ Er lächelte wieder. „Ich habe mir vorgenommen, dich zu zähmen. Für wie stark und widerstandsfähig hältst du dich? Warte.“ Er schritt zu einer anderen Truhe, hob ihren Deckel an und zog einen Dolch daraus hervor. Mit dem Daumenballen prüfte er die Schärfe der Klinge, grinste und trat hinter die Rote Korsarin. „Ein Messer aus den hervorragenden Waffenschmieden von Toledo. Seine Hersteller würden sich freuen, wenn sie wüßten, an wessen Körper die edle Klinge erprobt worden ist.“ Siri-Tong begann schneller zu atmen. „Sabreras, überlege dir gut, was du tust. Wenn ich schreie, ziehst du dir den tödlichen Haß von dreißig Männern zu.“ „Deine Freunde? Daß ich nicht lache. Sie sind in Ketten gelegt und können sich nicht regen. Meine Wachen erschießen jeden, der sich aus den Höhlen wagt. Was sollen diese Bastarde schon noch ausrichten?“ „Sabreras ...“
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Er legte die Schneide der Klinge an ihre Wangen und flüsterte: „O, ich werde dir nicht die Kehle durchschneiden. Ich füge dir nur ein paar Wunden bei, die dich für den -Rest deiner Tage verunstalten. Dann ist es vorbei mit der Faszination, die auf Männer ausübst.“ Sie holte tief Luft und stieß sie wieder aus. Ihre Stimme vibrierte. So grausam kannst du nicht sein.“ „Ich habe dir meine Bedingungen genannt.“ „Gib mir Bedenkzeit.“ „Nein. Du mußt dich jetzt entscheiden. Jetzt. Hier. Ich warte.“ „Tu mir das nicht an, Sabreras, ich bitte dich“, sagte sie mit allergrößter Beherrschung. „Ach, jetzt bittest du schon?“ „Nimm das Messer weg.“ „Nur, wenn du mir sagst, was ich Nissen will“, erwiderte er drängend. Er preßte das Messer noch etwas fester gegen ihre Wange. „So sind die Schiffe?“ „Nur eins —die ‚Isabelle`, stammelte SiriTong. „Die Galeone des Seewolfes? Ich habe von diesem verdammten Dreimaster gehört. In Panama erzählt man sich die tollsten Geschichten. Aber So verwegen ist El Lobo del Mar gar nicht, nichtwahr? Er hat seinen Bezwinger gefunden, ist es nicht so?“ „Ja. Du bist der Stärkere, ich sehe es ein, Sabreras.“ „Heuchle nicht.“ „Ich schwöre dir, daß ich es ehrlich meine. Ich habe Angst. Zerstöre mein Gesicht nicht. Ich — die ‚Isabella’ ankert in einer Bucht fünf oder sechs Meilen nördlich des natürlichen Hafens, von dem Hidduk uns berichtet hat.“ „Dieser Hund“, sagte der Spanier. „Hör zu. Ich werde meine Schiffsführer fragen lassen, ob es nördlich des Hafens eine solche Bucht gibt. Wenn nicht, dann gnade dir Gott.“ „Ich lüge nicht, so glaub mir doch“, stieß sie in flehendem Tonfall hervor. Plötzlich spürte sie den Toledo-Dolch an den Händen, dann an den Gelenken. Es
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durchfuhr sie eiskalt. Wollte er ihr wirklich etwas antun? Dann konnte sie wirklich nur noch schreien, schreien, schreien... Ein Ruck, und ihre Fesseln fielen. Sabreras lächelte, kroch um sie herum und begann auch die Stricke zu lösen, die um ihre Fußknöchel zusammengeknotet waren. Er trennte sie durch, ließ das Messer sinken, griff nach ihren Beinen und fuhr mit den Fingern wie spielend über ihre Waden. „Por Dios, was für Gazellenbeine, SiriTong. Komm, du kannst jetzt beweisen, wie ehrlich du es mit mir meinst.“ Sie trug weißleinene Schifferhosen und war in diesem Moment wirklich heilfroh, keinen Rock auf dem Leib zu heben. Sabreras Blick wanderte über ihren begehrenswerten Körper. Er sah tief in den Ausschnitt ihrer roten Bluse, und sie hatte das Gefühl, ausgezogen zu werden. „Du gehörst mir“, stieß er aus. Damit wolle er sich auf sie werfen. Siri-Tong schlug ihm ins Gesicht und wollte den Toledo-Dolch an sich reißen. Aber Sabreras war auf der Hut. Er stieß eine Verwünschung aus und hieb ihr mit der Hand auf den Unterarm. Mit einem Aufschrei zog sie den Arm wieder zurück. Sabreras wollte selbst nach dem Messer greifen, aber die Korsarin trat ihm in die Hüfte, so hart sie konnte. Er fiel auf die Seite, sie sprang auf und rückte von dem Felllager fort. „Bleib stehen!“ rief er. „Mich legst du nicht ungestraft herein!“ „Dachtest du wirklich, ich würde mich dir unterwerfen?“ Sie lachte auf, riß eine Öllampe vom Tisch, lief weiter, auf den Ausgang der Hütte zu. Sabreras rappelte sich auf. Er klaubte das Messer auf, wollte es schleudern, aber SiriTong hatte ein Talglicht vom Boden aufgehoben und warf es auf sein Gesicht. Sabreras duckte sich, um der züngelnden Flamme zu entgehen. Das Licht fiel auf die Jaguarfelle und entzündete sie im Nu. Rasch breitete sich das Feuer aus, griff nach der Ölspur, die die Lampe auf dem Boden verbreitete. Siri-Tong riß die Tür auf und stürzte aus der Hütte. Den Querbalken hatte sie
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einfach nur hochzustemmen brauchen, und Sabreras war nicht schnell genug, sie am Fliehen zu hindern. Im Freien wäre sie verloren gewesen, wenn es nicht einen zweiten, entscheidenden Zwischenfall gegeben hätte. Sabreras brüllte in der Hütte Alarm. Ein Wachtposten lief auf sie zu, rief „Wer da?“ und „Halt, stehenbleiben!“ und noch einiges andere, das sie nicht verstand dann hob er seine Muskete. Weitere Aufseher rannten zwischen den Hütten zusammen. Sie sahen die Flammen in Sabreras’ Hütte lodern, erblickten die weibliche Gestalt vor dem offenen Eingang und wußten Bescheid. Siri-Tong den Weg abzuschneiden und sie wieder einzufangen, war für sie weiß Gott keine Schwierigkeit. Aber etwas Dunkles segelte durch die Luft auf sie zu und landete mitten zwischen ihnen. Ehe sie feststellen konnten, woher der Gegenstand kam, stach bereits ein Lichtblitz auf sie zu, ereilte sie und hob sie in die Luft hoch. Das Krachen der Explosion war nur noch ein Brausen in den Ohren der spanischen Soldaten, und als sie in Feuer, Rauch und wirbelndem Schmutz wieder auf dem Boden landeten, waren sie bereits ins Jenseits übergewechselt. * Siri-Tong hatte sich fallen lassen. Eine Höllenflasche, dachte sie dabei immer wieder, eine von diesen verteufelten, wunderbaren Höllenflaschen, die Ferris Tucker bastelt! Die Seewölfe stürmten aus ihrer Höhle. Sie hatten es geschafft und in mühseliger Arbeit ihre Eisenketten aufgebogen. Hasard jagte allen voran aus dem düsteren Stollen, hetzte auf die toten. Wachtposten zu und nahm sich die erstbeste Waffe, die er erbeuten konnte. Hinter ihm waren Carberry, Ferris, Shane, Smoky, Dan, Matt, Jeff, Al und Bob. Sie rissen ebenfalls Waffen an sich. Ferris und Shane schossen sich den Weg zu den Nachbarhöhlen frei und drangen ein, um die Freunde zu befreien: den BostonMann, Juan, Oleg, den Stör und die
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übrigen Siri-Tong-Männer sowie Hidduk, Atasc und die anderen beiden Serranos. Immer mehr Gegner rangen die Seewölfe nieder, schossen Pistolen und Musketen ab, hoben Degen, Säbel, Messer vom Boden auf. Hasard hieb zwei Spanier zu Boden, lief an ihren stürzenden Gestalten vorbei und steuerte auf Sabreras’ Hütte und das Munitionsdepot zu, das ganz in der Nähe stand. Und plötzlich waren auch die ChibchaIndianer zur Stelle! Sie hatten ohne Ketten unter freiem Himmel geruht. Die Spanier hielten sie schon seit langem für zu schwach, um einen Ausbruch aus dem Kessel zu wagen. Es waren tatsächlich die allerletzten Energien, die die Chibchas in diesen Sekunden zusammenrafften. Aber der neu entfachte Kampfgeist in ihnen war ein Funke, der alles andere niederbrannte und sie vorantrieb. Sie klaubten Steine vom Boden auf, schleuderten sie auf die Spanier, packten Waffen und waren plötzlich eine schlagkräftige Einheit, die sich den weißen Mitgefangenen spontan anschloß. Hasard war bei Sabreras’ Hütte angelangt. Er sah Siri-Tong vom Boden aufspringen und wie ein Schattenwesen der Nacht auf sich zufliegen. Dann lag sie in seinen Armen und klammerte sich an ihm fest. Es dauerte nur kurze Zeit. Sie hatte sich rasch wieder gefaßt und hetzte mit ihm zum benachbarten Munitionsdepot. Mit vereinten Kräften brachen sie die Tür auf und schlüpften ins Innere. „Ich hatte die Flaschenbombe hineinwerfen wollen!“ rief Hasard. „Aber dann hörten wir deine Rufe in Sabreras Hütte, hörten sein Gebrüll und sahen die Aufseher zusammenlaufen. Da habe ich meinen Plan natürlich geändert.“ „Sabreras wollte mich zum Sprechen zwingen, aber ich habe ihn zum Narren gehalten.“ „Er wird es noch bereuen, dir zugesetzt zu haben“, stieß der Seewolf hervor. „Los, hier sind Musketen, Tromblons und Pistolen in Hülle und Fülle. Munition haben wir hier auch genug. Ich meine, wir
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sprengen das Depot nicht in die Luft, denn die Vorräte sind in diesem Moment für uns mehr als Gold wert.“ Siri-Tong hielt ein Tromblon. „Ja. Stellen wir jetzt Sabreras!“ Sie eilten wieder nach draußen und prallten fast mit Carberry, Shane, Ferris, Juan und dem Boston-Mann zusammen. „Holt euch Waffen, Pulver und Blei!“ rief Hasard. „Wir haben jetzt alles, was wir brauchen und können die Spanier erledigen, bevor sie sich zu einem konzentrierten Angriff sammeln.“ „Die Partie ist bereits so gut wie für uns entschieden“, erwiderte Shane. „Sieh doch.“ Er wies auf den Platz zwischen den Hütten. Für die Spanier war die Attacke der Gefangenen zu überraschend erfolgt. Trotz ihrer hervorragenden Bewaffnung schafften sie es nicht mehr, sich neu zu formieren und die Revolte niederzuschlagen. Aus den Minenstollen stürmten die letzten Siri-Tong-Piraten. Sie hatten sich eben gerade von ihren Ketten befreien können: Pedro Ortiz, Diego Valeras und Missjöh Buveur. Hasard lachte heiser, warf sich herum und steuerte nun genau auf die lodernde Hütte
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von Sabreras zu. Siri-Tong hielt sich dicht hinter ihm, aber er bedeutete ihr, ihm nicht zu folgen, als er in die Hütte eindrang. Zwischen den Flammen forschte er nach dem verbrecherischen Kornmandanten, konnte ihn jedoch nirgends entdecken. Er lief quer durch den knackenden und knisternden Bau und riskierte sein Leben — von Sabreras keine Spur. Hustend kehrte der Seewolf ins Freie zurück. „Der Kessel und die Mine sind in unserer Hand!“ schrie Ferris Tucker gerade triumphierend. „Ho, Männer, das ist Sieg auf der ganzen Linie!“ Hasard trat zu Siri-Tong und schüttelte den Kopf. „Nicht ganz. Sabreras ist uns entwischt.“ Sie blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. „Hast du drinnen auf dem Tisch die Krone gefunden? Die Krone, die die Chibchas für ihre Gottheiten hergestellt haben — der kostbarste Schmuck der Welt!“ „Nein“; erwiderte er und fühlte sich plötzlich seltsam müde. „Die muß er mitgenommen haben. Folgen wir ihm, bevor er seine Schiffe erreicht.“
ENDE