Richard Deats
Martin Luther King
Traum und Tat Ein Lebensbild
VERLAG NEUE STADT MÜNCHEN • ZÜRICH • WIEN
Aus der Re...
96 downloads
818 Views
459KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Richard Deats
Martin Luther King
Traum und Tat Ein Lebensbild
VERLAG NEUE STADT MÜNCHEN • ZÜRICH • WIEN
Aus der Reihe Zeugen unserer Zeit Titel der Originalausgabe: Martin Luther King, Jr. Spirit-Led Prophet. A Biography, (New City Press) London – New York – Manila 2000 © 2000 Richard Deats Übertragung aus dem Amerikanischen: Dr. Wilhelm Mühs
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich
2001, 1. Auflage © Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe bei Verlag Neue Stadt, München Umschlaggestaltung und Satz: Neue-Stadt-Graphik (unter Verwendung eines Fotos von John C. Goodwin) Druck: MZ-Verlagsdruckerei, Memmingen ISBN 3-87.996-535-8
Vorwort Einige Biographien über meinen Mann, Martin Luther King jun. bieten eine gute Darstellung seines Lebens und Werks. Doch die ethischen und spirituellen Wurzeln, aus denen er lebte, schienen mir selten angemessen zur Sprache gebracht. Die innere Mitte, aus der mein Mann gelebt hat, war sein Glaube an Gott. Martin stammte aus einer christlichen Predigerfamilie; er setzte diese Tradition bereits in der dritten Generation fort. Für sein politischgesellschaftliches Engagement und seine führende Rolle im Kampf um die Rechte der Schwarzen bezog er daraus seine Kraft. Er selbst nennt in seinem ersten Buch, Stride Toward Freedom (Von der Praxis des gewaltlosen Widerstandes) seine Fundamente: „Christus lieferte den Geist und die Motivation, Gandhi steuerte die Methode bei.“ Martin hat sechs Bücher und Dutzende Artikel hinterlassen; er hielt Hunderte von Reden und Predigten, von denen etliche posthum in Sammelbänden erschienen sind. Hinweise auf seine philosophische, ethische und spirituelle Ausrichtung finden sich vor allem in den Büchern Strength to Love, The Measure of A Man sowie A Knock at Midnight. Das vorliegende Buch von Richard Deats leistet einen wichtigen Beitrag, diese Dimension zu erhellen und somit eine Lücke zu füllen. Pastor Deats, Herausgeber des Fellowship Magazine und Mitorganisator des Fellowship of Reconciliation (Gesellschaft für Versöhnung), zählt zu den besten Kennern und aktivsten Befürwortern der Gewaltlosigkeit, für die sich Martin so sehr eingesetzt hat. Vor allem aber war mein Mann eine moralische und geistliche Führerpersönlichkeit. Deats zeigt seine spirituellen Anliegen, seinen Glauben an die Macht des Gebetes, seine Bereitschaft, für eine gerechte Sache zu leiden, zu vergeben und die Feinde zu lieben. Der Kampf gegen die Ungerechtigkeit war für Martin eine moralische Pflicht; er ging ganz auf in dem, was er „Ethik der Liebe“ nannte, und hat sie im persönlichen Leben wie in seinem
gesellschaftlichen Engagement beispielhaft vorgelebt. Dies wird in dieser Biographie ebenso deutlich wie der Einfluss, den Theologen, Philosophen und Schriftsteller auf die innere Entwicklung meines Mannes ausgeübt haben. In seinem Widerstand gegen Rassendiskriminierung, Armut und Militarismus verbanden sich Einsichten anderer mit seiner Sicht als christlicher Prediger. Richard Deats ist ein wertvolles geistliches Porträt von Martin Luther King gelungen. Vieles, was mein Mann hinterlassen hat und was in diesem Lebensbild zu Tage tritt, hat die Jahre überdauert. Es bleibt eine Quelle der Hoffnung für all jene, die bereit sind mitzuwirken, dass der Traum meines Mannes Tat wird. Coretta Scott King
Einleitung Es war im Winter 1958; ich studierte am Theologischen Seminar der Universität Boston und war Mitglied einer Gruppe schwarzer und weißer Studenten, die sich anschickte, in die Weihnachtsferien zu fahren. Wir kamen alle aus den Südstaaten und arbeiteten in der Bürgerrechtsbewegung mit; wir waren stolz darauf, an einer Hochschule zu studieren, an der Martin Luther King wenige Jahre zuvor promoviert hatte. Ich hatte an Dr. King geschrieben und ihm mitgeteilt, dass wir unterwegs in Montgomery an einem Gottesdienst in der Dexter Avenue Baptist Church teilnehmen wollten. 1958 war der große Bus-Boykott von Montgomery bereits Geschichte, aber es war noch vor den Freiheitsmärschen der Sechzigerjahre. Eine gemischtrassische Gruppe war damals im Süden der USA noch ein ungewohntes Bild, und es war auch nicht ohne Risiken, so in der Öffentlichkeit aufzutreten. Am Tag bevor wir in Montgomery eintrafen, hatten wir die Koinonia-Farm in der Nähe von Americus, Georgia, ein gemischtrassisches Pionierprojekt im tiefsten Süden, besucht. Clarence Jordan, Professor für Bibelwissenschaften und einer der Gründer von Koinonia, berichtete uns von den Schikanen, denen sie dort ausgesetzt waren: Obstbäume waren gefällt worden, die Farm selbst, in der Nähe der Autobahn, war angegriffen und Häuser waren beschossen worden. Aus der örtlichen Baptistengemeinde hatte man sie ausgeschlossen – mit der Begründung, sie seien Kommunisten und Störenfriede. Dabei versuchten sie nichts anderes, als nach besten Kräften nach den Weisungen der Bergpredigt zu leben… Am frühen Morgen des darauf folgenden Tages verließen wir Koinonia und machten uns auf den Weg nach Montgomery. Gerade noch rechtzeitig kamen wir zum Sonntagsgottesdienst in der Dexter Avenue Baptist Church. Wir waren tief beeindruckt von den Gesängen und Gebeten, vor allem aber von der Predigt
Dr. Kings. Zu Beginn wies er die Gemeinde auf unsere Gruppe hin, die von der Universität komme, an der er studiert hatte. Er bat uns aufzustehen; wir wurden herzlich begrüßt. Nach dem Gottesdienst hatten wir geplant, in Richtung Mississippi, der nächsten Station unserer Reise, aufzubrechen. Doch als wir uns verabschieden wollten, rief Dr. King seine Frau, und die beiden baten uns, doch zum Mittagessen mit der Familie zu ihnen nach Hause zu kommen. Nach dem Essen saßen wir gemeinsam im Wohnzimmer. Der viel beschäftigte Führer der Bürgerrechtsbewegung ließ es sich nicht nehmen, sich an einem freien Sonntagnachmittag Zeit für junge Studenten zu nehmen… Diese Begegnung stand mir in den folgenden Jahren, als King mehr und mehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit trat, immer vor Augen. Zehn Jahre später, am 4. April 1968, wurde er, im Alter von nur 39 Jahren, ermordet, doch seine zwölfjährige Predigertätigkeit hat sich bleibend in das Gewissen der Menschheit eingeschrieben. Ähnlich wie Mahatma Gandhi führte Martin Luther King eine Freiheitsbewegung der Unterdrückten an, die entschlossen für Gerechtigkeit kämpfte – auf dem Weg kompromissloser Gewaltlosigkeit. In einer Zeit, in der sich die Rüstungsspirale immer schneller drehte, während im eigenen Land Gewalt und Ungerechtigkeit zunahmen, verkörperte King eine mutige Alternative: Unerschütterlich warb er dafür, das Böse durch das Gute zu überwinden, Feinde zu Freunden zu machen, Gerechtigkeit durch Gewaltlosigkeit zu erreichen und eine durch Liebe geeinte Menschheitsfamilie zu gründen. Kings Andenken ist bis heute lebendig geblieben. Anlässlich von Kings 50. Geburtstag regte Präsident Jimmy Carter 1979 bei einem Gottesdienst in der Ebenezer Baptist Church an, diesen Tag künftig als nationalen Feiertag zu begehen. 1983 unterzeichnete Präsident Ronald Reagan im Rosengarten des Weißen Hauses in Anwesenheit mehrerer Mitglieder des US-Kongresses sowie zahlreicher Führer von Bürgerrechtsbewegungen das entsprechende Gesetz; als Mitglied der Martin Luther King
Federal Holiday Commission war ich bei der feierlichen Proklamation zugegen. Straßen, Plätze, Parks und Gebäude wurden nach Martin Luther King benannt; Seminare und Universitäten befassen sich mit seinem Leben und seinen Lehren. Zu fragen aber bleibt: Wer wird da als Nationalheld gefeiert? Oft wird nur der faszinierende Redner hervorgehoben, der vor dem Lincoln-Denkmal in Washington seine berühmt gewordene Rede „Ich habe einen Traum“ hielt. Der Träumer wird geehrt. Über die Ursachen und Hintergründe seiner Ermordung schweigt man. Man wagt kaum, die prophetische Stimme anzuhören, die schonungslos die dunklen Seiten unserer Gesellschaft ans Licht gerückt hat, insbesondere das „dreifache Übel des Rassismus, Materialismus und Militarismus“, wie er selbst zu sagen pflegte. Weder in der Außen- noch in der Innenpolitik findet sein Glaube an die Kraft der Gewaltlosigkeit Widerhall. Wer war Martin Luther King? Prediger, Theologe, Gelehrter, Redner, Führer der Bürgerrechtsbewegung, Märtyrer? Anliegen dieses Buches ist es, Leben und Denken von Dr. King darzustellen und dabei vor allem die Überzeugungen herauszuarbeiten, aus denen er lebte und die Kraft schöpfte, seinem Auftrag treu zu bleiben, was immer der Preis dafür sein würde.
Berufung und Vorbereitung auf das Predigeramt Martin Luther King wurde am 15. Januar 1929 in 501 Auburn Avenue in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia als zweites Kind der Eheleute Martin Luther King sen. und Alberta Christine Williams geboren. Er hatte eine um anderthalb Jahre ältere Schwester namens Christine und einen um ebenfalls anderthalb Jahre jüngeren Bruder, Alfred Daniel. Der junge King entstammte einer tief religiösen, in der Baptistengemeinde verwurzelten Familie. Seine Eltern waren in der „Schwarzen Kirche“ der Südstaaten zu Hause. Überzeugende Predigten und kraftvolle Gospel-Gesänge nährten den Glauben der Gemeinde, die sich in Gebetsgruppen, bei gemeinsamen Essen und zu sozialen Aktivitäten zusammenfand. Der Vater, Martin Luther King sen. liebevoll „Daddy“ genannt, war ein bekannter Pfarrer und Gemeindeleiter, der sich mutig für das Wohl seiner schwarzen Gemeinde einsetzte und furchtlos jeder Art von Rassendiskriminierung entgegentrat. Die Mutter, Alberta Christine Williams, war die Tochter des bekannten Pfarrers und Predigers Adam D. Williams, der von 1894 bis zu seinem Tod im Jahre 1931 Pfarrer der renommierten Baptistengemeinde Ebenezer war. Nach seinem Tod wurde King sen. zum Nachfolger seines Schwiegervaters berufen. Der junge Martin verbrachte seine Kindheit im recht behüteten Milieu der schwarzen Mittelschicht von Atlanta. Seine Eltern und Großeltern waren dem feinfühligen Jungen beispielhafte Vorbilder. Großen Einfluss übte die Großmutter, Jennie Celeste Williams, auf ihn aus. Doch auch in dieser relativ privilegierten Familienatmosphäre, in der die Liebe zu Gott und zum Nächsten eine wichtige Rolle spielte, machte er die bittere Erfahrung der Rassendiskriminierung, die das Schicksal aller Schwarzen in den Südstaaten prägte. Das Erbe der Sklaverei war allgegenwärtig, in den Gesetzen wie im alltäglichen Leben.
Martin hatte einen weißen Freund. Als sie eingeschult wurden, kamen sie auf verschiedene Schulen, und der Vater des weißen Jungen untersagte seinem Sohn, weiter mit Martin zu spielen – das Ende der Freundschaft war besiegelt. Dieser Vorfall veranlasste Martins Eltern, mit ihm zum ersten Mal ausführlich über die Rassenprobleme und die Leiden der schwarzen Bevölkerung zu sprechen. Martin selbst erlebte manche Demütigung. Als Jugendlicher litt er sehr unter der Separation – in Schulen, Lichtspielhäusern, Wartezimmern usw.; die Schwarzen mussten sogar getrennte Toiletten benutzen. Es hätte nahe gelegen, diejenigen zu hassen, die für den Fortbestand der Diskriminierung verantwortlich waren. Doch die Eltern hielten Martin an, „niemals so tief zu sinken, irgendjemanden zu hassen“. Denselben Rat hatte „Daddy“ King auch seiner Gemeinde oft gegeben. Er und die Mutter erinnerten Martin immer wieder an die Christenpflicht, den Unterdrückern mit Liebe zu begegnen. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie sich mit der Unterdrückung abgefunden hätten. Der junge Martin erlebte nicht selten, wie sich sein Vater unter großem persönlichen Risiko gegen die Rassendiskriminierung aussprach und sich weigerte, den berüchtigten „Jim Crow“-Gesetzen Folge zu leisten, die die Beziehungen zwischen den Rassen in den Südstaaten regelten [der 1865 gegründete Ku-Klux-Klan bezeichnete als „Jim Crow“ den „dummen Nigger, den schwarzen Untermenschen“, der dazu geboren sei, „der weißen Herrenrasse zu dienen“. Die rassistische „Jim-Crow-Ideologie“ prägt bis heute das Denken größerer Kreise in den Vereinigten Staaten; Anm. des Übersetzers]. Vater King lehnte es beispielsweise ab, in den nach Schwarzen und Weißen getrennten Stadtbussen zu fahren, und er führte den Kampf zur Beseitigung separater Aufzüge im Gericht an. Auch Martins Großvater, A. D. Williams, war ein mutiger Verfechter der Gerechtigkeit und wurde ein Vorbild für den empfindsamen Jungen. Prägend war nicht zuletzt die resolute Mutter. Als Martin zum ersten Mal mit der schmerzlichen Wirklichkeit des
Rassismus konfrontiert war, sagte sie ihm mit großer Entschiedenheit: „Du darfst dich nie geringer als andere fühlen! Du musst immer wissen, dass du ein Mensch wie andere bist.“ Es dauerte Jahre, bis Martin seine Antipathie den Weißen gegenüber überwinden konnte. Die Schule bereitete dem Pfarrerssohn keine Mühe. Überdurchschnittlich begabt, tat er sich durch seinen kritischen, suchenden Verstand hervor. Bereits im Alter von zwölf Jahren rang er mit Zweifeln an einer allzu wörtlichen Auslegung der Bibel. Zu viele Fragen blieben ohne Antwort, zu viele Probleme ungelöst. Bereits mit fünfzehn Jahren erhielt er 1944 die Zulassung zum Morehouse College in Atlanta. Zunächst wollte er nicht Pfarrer, sondern Rechtsanwalt werden. Diese Pläne waren ein stummer Protest gegen fundamentalistische Tendenzen und die Gefühlsbetontheit der schwarzen Gemeinden des Südens, aber auch gegen das mangelnde Engagement zur Beseitigung gesellschaftlicher Missstände. Doch der Rektor des Morehouse College, Benjamin Mays, und sein Religionslehrer George Kelsey überzeugten den jungen Martin, dass auch der Dienst an der Gemeinde kritisches Denken und Sensibilität für gesellschaftliche Fragen beinhalte und fordere. Rektor Mays, der 1936 Indien besucht hatte, kam in seinen Vorlesungen häufig auf Gandhi und Indiens Freiheitskampf zu sprechen. Während seiner Studien im Morehouse College las King Henry D. Thoreaus Werk „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat“. Der revolutionäre Gedanke, einem ungerechten System sei die Mitarbeit zu verweigern, fiel bei dem jungen Studenten auf fruchtbaren Boden. Am Ende einer längeren Zeit des Suchens entschloss sich Martin Luther King, sein Leben in den Dienst Gottes und der Menschen zu stellen. Noch vor Beendigung seiner Studien wurde er 1947 ordiniert und wirkte dann als beigeordneter Pfarrer in der von seinem Vater geleiteten Ebenezer Baptistengemeinde.
Ein Jahr später zog er nach Chester, Pennsylvania, und nahm im dortigen Crozer-Seminar, einer Baptisten-Hochschule, das eigentliche Studium der Theologie auf. Mit nur 19 Jahren war er jünger als seine Kommilitonen und einer von elf Schwarzen unter mehr als hundert Studenten. Vor allem die Schriften von Walter Rauschenbusch, dem führenden Theologen des so genannten „sozialen Evangeliums“, haben ihn in dieser Zeit stark beeinflusst. Rauschenbuschs Ideen halfen King, sich ein theologisches Koordinatensystem zu eigen zu machen, in dem das Evangelium nicht bloß als Botschaft an den Einzelnen, sondern an die gesamte Gesellschaft verstanden wurde – nicht nur für das religiöse Leben im engen Sinn, sondern für das Leben in allen Aspekten. Das Gedankengut des amerikanischen evangelischen Theologen Reinhold Niebuhr (1892-1971) überzeugte King von der „Hartnäckigkeit des Bösen“ und davon, dass ein liberaler Optimismus ungeeignet ist, gesellschaftliche Missstände zu beseitigen. Georg W. F. Hegels Dialektik prägte Kings Verständnis gesellschaftlicher Wandlungen: Er wurde sich bewusst, dass die Geschichte ein Prozess ist, in dem jede Situation eine Reaktion hervorruft, aus der sich wiederum eine neue Situation ergibt. Am Crozer-Seminar lernte er durch die Vorlesungen von A. J. Muste von der Fellowship of Reconciliation (FOR, „Gesellschaft für Versöhnung“) erstmals den Grundgedanken des Pazifismus kennen. Freilich war er damals ganz und gar nicht davon überzeugt, dass sich solche Ideen verwirklichen ließen. Es war eine Predigt, die ihm solche Vorstellungen näher brachte und seine weitere Entwicklung nachhaltig beeinflusste. In Philadelphia hörte Martin Luther King eines Sonntags die Predigt des Vorsitzenden der Howard University, Dr. Mordecai Johnson, über Mahatma Gandhi. Johnsons Ausführungen waren so tiefgründig und begeisternd, dass sich der junge King „wie vom Blitz getroffen“ fühlte. Gleich nach dem Vortrag kaufte er sich ein halbes Dutzend Bücher über Gandhis Leben und Wirken.
Hier fand er, was er seit langem gesucht hatte: einen Weg für Christen, nicht bloß gegen persönliches Fehlverhalten (wie Lüge und Diebstahl) anzugehen, sondern auch soziale Missstände (wie Rassismus und Krieg) zu bekämpfen. Die Sünde und das Böse in ihrer gesellschaftlichen Dimension ernst zu nehmen heißt ja keineswegs, Jesu Lehre über die zentrale Stellung der Liebe im persönlichen Glaubensleben aufzugeben. Lange hatte King mit den Rassenvorurteilen und der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit gerungen. Er hielt weder den Kapitalismus noch den Kommunismus für geeignet, die wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Bei Gandhi glaubte er eine Methode zu finden, wie eine Ethik, die auf Jesu Liebesgebot gründet, Missstände beseitigen und die Gesellschaft positiv verändern kann. Das war keine passive Widerstandslosigkeit, sondern gewaltloser Widerstand als wirksames Mittel, um einen gesellschaftlichen Wandel in großem Stil herbeizuführen. Die Entdeckung Gandhis wurde für King zu einem Schlüsselerlebnis. Im Crozer-Seminar war King nicht nur ein hervorragender Schüler; er wurde von seinen Mitstudenten auch zum Klassensprecher gewählt und zum „vorbildlichsten Studenten“ ernannt. Gleichzeitig erhielt er ein Stipendium für weitere Studien. Tief beeindruckt von der Theologie Edgar Sheffield Brightmans setzte King sein Studium an der Universität Boston fort, mit dem Ziel zu promovieren. In seinem Buch „Das Gottesproblem“ hatte Brightman vom Gott der Christen als einem persönlich nahen, in die Geschichte und Geschicke der Menschen eingreifenden Gott gesprochen. Gott stand nicht fern, abseits und uninteressiert dem Menschen gegenüber, sondern unterstützte – persönlich betroffen und mitleidend – dessen schweren Kampf gegen alles, was einem erfüllten und glücklichen Leben entgegenstand. Seine Dissertation schrieb King auf dem Gebiet der systematischen Theologie unter der umsichtigen Leitung der Professoren Brightman und L. Harold de Wolf. Seine Doktorarbeit trug den Titel: „Ein Vergleich der Gottesbegriffe bei Paul Tillich und Henry Nelson Weiman“.
In der Auseinandersetzung mit Tillichs und Weimans Gottesbegriff fand King zu einem entschiedenen Bekenntnis zu einem persönlichen Gott. Bei ihm, so King, „finden sich Gefühl und Wille sowie Antworten auf die tiefsten Sehnsüchte des menschlichen Herzens. Dieser Gott hört und erhört unser Gebet.“ Das Studium an der Theologischen Fakultät der Universität Boston, dem ältesten Seminar der Methodisten in den Vereinigten Staaten, brachte ihn in Kontakt mit zahlreichen Vertretern des Pazifismus, der Gewaltlosigkeit und des „sozialen Evangeliums“, wie beispielsweise Dekan Walter Muelder, Allan Knight Chalmers, S. Paul Schilling und Howard Thurman, Dekan der Universitätskirche, afroamerikanischer Prediger, Mystiker und Schriftsteller. Thurman, der ein Kommilitone von Martins Vater im Morehouse College gewesen und ein enger Freund der Familie geblieben war, kam in Martins letztem Studienjahr an die Boston University und wurde zu einem lebenslangen Freund und Mentor. Martin Luther King hatte häufig Gelegenheit zu predigen; er war für seine Überzeugungskraft und Redegewandtheit bekannt. Wann immer es die Umstände erlaubten, kehrte er nach Atlanta zurück, wo er enge Beziehungen sowohl zu seiner Familie wie zur dortigen Gemeinde unterhielt. Er hatte Freundschaft mit zahlreichen schwarzen Studenten des Campus geschlossen und war Mitglied eines so genannten „Philosophischen Clubs“ geworden, in dem Schwarze und Weiße, Männer und Frauen einmal im Monat Vorträge hielten und theologische Themen erörterten, vor allem mit Bezug auf die afroamerikanische Gemeinschaft. Während seines Studiums in Boston lernte er Coretta Scott aus Alabama kennen, die am New England Conservatory Gesang studierte. Beide waren bald davon überzeugt, im anderen den richtigen Lebenspartner gefunden zu haben, und sie entschlossen sich zu heirateten. Die Trauung fand am 18. Juni 1953 im Vorgarten ihres Elternhauses in Alabama statt, wo Daddy King dem Paar den kirchlichen Segen spendete. Da es ihnen unmöglich war, ein Hotelzimmer in der Gegend zu finden, wo die
Rassendiskriminierung hohe Wellen schlug, verbrachten sie ihre Hochzeitsnacht bei Freunden. Nachdem Martin Luther King 1954 seine Ausbildung abgeschlossen hatte, trat er nach einer Probepredigt am 1. September 1954 als erst 25-Jähriger die Pfarrstelle in der Dexter Avenue Baptist Church in Montgomery, Alabama, an. Er hatte sich entschlossen, mit seiner Frau in den Süden zurückzukehren, obwohl ihm eine akademische Laufbahn angeboten wurde und ihm mehrere bedeutende Pfarrstellen in verschiedenen Landesteilen offen standen. Nach dem Umzug nach Montgomery beendete King seine Doktorarbeit und promovierte am 5. Juni 1955 zum Dr. der Philosophie. Durch die Studienzeit im Norden des Landes, den Kontakt mit vorwiegend europäischamerikanischen Kommilitonen und die Beschäftigung mit bedeutenden Theologen fand King eine neue Weite des Denken und Glaubens, doch er blieb seinen Wurzeln treu: der Tradition der black church, der „schwarzen Kirche“.
Ein Sohn der „schwarzen Kirche“ Der Glaube Martin Luther Kings nährte sich aus der schwarzen Baptistentradition des Südens. Der Theologe und Gelehrte, der Prophet des „sozialen Evangeliums“ und der Gewaltlosigkeit hat nie seine Verwurzelung in der black church verleugnet. Der Urgroßvater und der Großvater mütterlicherseits sowie sein Vater waren allesamt schwarze Baptistenprediger. Sie stammten aus einer religiösen Tradition, in der sich die Erfahrung der Sklaverei ihrer afrikanischen Vorfahren bleibend niedergeschlagen hatte. Gegen ihren Willen waren Millionen Schwarzer nach Amerika verfrachtet worden, wo sie ein erniedrigendes Sklavenschicksal erwartete. Als Bürger zweiter Klasse behandelt, fanden sie Trost und Kraft in ihrem Glauben. Es entstand eine Frömmigkeit ganz eigener Prägung. Die afroamerikanischen Baptistengemeinden zeichneten sich durch eine besondere Leidenschaft aus. Die Prediger verkündeten den Glauben in Ansprachen, die das Gefühl ansprachen und lebhaften Widerhall in der Gemeinde fanden: Spontane Antworten, Beifall und Tränen, manchmal auch ein befreiendes Gelächter waren die Reaktionen. Längere Bibelabschnitte wurden auswendig zitiert; Geschichten aus der Heiligen Schrift wurden phantasievoll nacherzählt. Chöre begleiteten die Versammlung mit dem bewegenden Gesang von Hymnen und Spirituals. Die Musik gab Trost: „Nobody knows the trouble I’ve seen; nobody knows but Jesus.“ (Niemand kennt die Not, die ich erlebt habe, niemand als Jesus allein). In vielen Gesängen werden die prophetische Tradition und der Ruf nach Befreiung aus der Sklaverei lebendig: „Go down, Moses, go down to Egyptland, go teil ol’ Pharao: Let my people go.“ (Zieh hinab, Mose, zieh hinab nach Ägypten und sag dem Pharao: Lass mein Volk ziehen!)
Alte Gospels wurden umgedichtet, um neue Strophen ergänzt und als Freiheitslieder bei Märschen und Demonstrationen gesungen. Die meisten Gemeindemitglieder unterstützten Martin Luther King und diejenigen, die mit ihm den Status quo in den Südstaaten bekämpften, der immer noch von Rassendiskriminierung geprägt war. Doch nicht allen war diese prophetische Stimme genehm. Propheten sind immer und überall auf Widerstand gestoßen, und das nicht nur in der bürgerlichen Gesellschaft, sondern auch in ihrer religiösen Gemeinschaft. Schon die biblischen Propheten wurden abgelehnt, verfolgt, gesteinigt oder vertrieben. Jesus selbst sagte seinen Jüngern: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet“ (Mt5,ll). Als King und andere ihre Stimme erhoben und auf Gerechtigkeit drangen, fürchteten viele einen Umsturz der bestehenden Ordnung. Gegenreaktionen blieben nicht aus. Wer sich vorwagte, lief Gefahr, Arbeit und Freunde zu verlieren; rassistische Gewalttaten und Vergeltungsmaßnahmen drohten. Es war ein Aufbruch in ein neues, unerforschtes Land der Freiheit. Viele waren eine Verkündigung gewohnt, die das Evangelium als etwas rein „Geistliches“ verstand, als Vorbereitung auf das Jenseits, als Vertröstung, nicht aber als Ansporn, die Ungerechtigkeiten in dieser Welt zu überwinden. King und seine Mitstreiter versuchten, ihre Gemeinschaft, die fünf Millionen Gläubige umfassende National Baptist Konvention (NBC), zum „Marsch nach den Klängen der Freiheitstrommeln“ zu bewegen. Doch die etablierte Führerschicht – unter der Leitung von Pfarrer Joseph H. Jackson – lehnte ihren Aufruf entschieden ab. Schließlich kam es zum Bruch innerhalb der Baptisten. Die Leute um Jackson wehrten sich heftig gegen die „politische Bedrohung“ ihres Führungsanspruchs und gingen am Ende sogar so weit, Martin Luther King aus der Gemeinschaft auszuschließen. Daraufhin gründete eine Reihe fortschrittlich gesinnter Pastoren, unter ihnen Dr. King und der Rektor des
Morehouse College, Dr. Benjamin Mays, die Fortschrittliche Baptistenkirche. Die Animosität der alten Führerschaft dauerte noch lange nach der Ermordung Kings an. Einige Beispiele mögen verdeutlichen, wie tief die Gräben waren: In Chicago wurde der South Parkway in Dr. Martin Luther King, Jr. Drive umbenannt. Joseph H. Jacksons riesige Olivet Baptist Church lag ausgerechnet am South Parkway. Um zu verhindern, dass seine Kirche nun am Martin Luther King’s Drive zu liegen kam, veranlasste er seine Gemeinde, fünfzigtausend Dollar zu spenden, um den Eingang am South Parkway zuzumauern und einen neuen Eingang in einer Seitenstraße zu öffnen. Widerstand gegen die Führung Kings und der „Christlichen Führungskonferenz des Südens“ (Southern Christian Leadership Council, SCLC) hatte es auch in Birmingham gegeben. Als man sich entschloss, dort im Frühjahr 1963 eine Kampagne gegen die Rassendiskriminierung zu starten, stimmte die schwarze Leitung der Baptisten nahezu geschlossen gegen die Teilnahme von Dr. King. Von den vierhundert Baptistenkirchen in Birmingham öffneten lediglich vierzehn ihre Pforten für die Massenkundgebungen der Kampagne. Doch diese Widerstände hielten die Bewegung nicht davon ab, entschlossen ihre Ziele zu verfolgen. Martin Luther King steht in der Tradition geisterfüllter Propheten, wenn er in seiner Gemeinschaft für eine neue Sicht und ein neues Verantwortungsbewusstsein warb. Seine Predigten waren in Form und Stil ganz in der schwarzen Tradition verankert. Auch wenn er in mancher Hinsicht ein Intellektueller war, hat er nie die Verbindung zum einfachen Volk abbrechen lassen. Er konnte sich ebenso überzeugend an eine Landgemeinde im Süden wenden wie an die Teilnehmer einer Kundgebung für die Bürgerrechte im Norden. Seine Predigten und Ansprachen zeugen von einer umfassenden Kenntnis der Bibel und der Geschichte; zugleich verstand er es, seine Zuhörer mit großer emotionaler und rhetorischer Kraft in Bann zu ziehen. Häufig griff er auf biblische
Bilder zurück, zitierte aus Hymnen und Spirituals, vor allem, wenn er zum Höhepunkt seiner Ausführungen kam. Ein typisches Beispiel ist seine denkwürdige Ansprache vom 4. Februar 1968, zwei Monate vor seiner Ermordung, vor seiner Gemeinde in der Ebenezer Baptist Church von Atlanta – eine Rede mit eingängigen Wiederholungen: „Hin und wieder denken wir vermutlich alle realistisch nach über den Tag, an dem wir das Opfer von etwas werden, das der letzte gemeinsame Nenner des Lebens ist: der Tod. Wir alle denken darüber nach. Hin und wieder denke auch ich an meinen Tod und an meine Beerdigung. Ich denke daran nicht in einer krankhaften Weise. Hin und wieder frage ich mich selbst: ,Was sollte – wenn es nach mir ginge – dann gesagt werden?’ Heute morgen will ich es euch sagen. Sollten einige von euch dabei sein, wenn mein Tag kommt, so wisst: Ich möchte kein langes Begräbnis. Und wenn ihr jemanden die Grabrede halten lasst, ermahnt ihn, nicht zu lange zu reden. Hin und wieder frage ich mich, was sie nach meinem Wunsch sagen sollten. Sagt ihnen, sie sollen nicht erwähnen, dass ich den Friedensnobelpreis erhalten habe. Das ist nicht wichtig. Sagt ihnen, sie sollen nicht erwähnen, dass ich drei- oder vierhundert weitere Auszeichnungen bekommen habe. Das ist nicht wichtig. Sagt ihnen, sie sollen nicht erwähnen, wo ich zur Schule ging. Ich möchte, dass jemand an diesem Tag sagt: Martin Luther King hat versucht, mit seinem Leben anderen zu dienen. Ich möchte, dass jemand an jenem Tag sagt: Martin Luther King war bestrebt, Liebe zu geben. Ich möchte, dass ihr an jenem Tag sagt, dass ich mich bemüht habe, in der Kriegsfrage auf der richtigen Seite zu stehen. Ich möchte, dass ihr an jenem Tag sagen könnt, dass ich versucht habe, die Hungrigen zu speisen. Und ich möchte, dass ihr an jenem Tag sagen könnt, dass ich in meinem Leben versucht
habe, die Nackten zu kleiden. Ich möchte, dass ihr an jenem Tag sagen könnt, dass ich in meinem Leben versucht habe, die Gefangenen zu besuchen. Ich möchte, dass ihr sagen könnt, dass ich versucht habe, die Menschheit zu lieben und ihr zu dienen. Und wenn ihr sagen wollt, dass ich wie ein Tambourmajor voranging, so fügt hinzu, dass ich ein Tambourmajor für Gerechtigkeit, für Frieden und für Rechtschaffenheit sein wollte. All die anderen unwichtigen Dinge werden keine Rolle spielen. Ich werde kein Geld hinterlassen, keine kostbaren und luxuriösen Dinge. Ich möchte nur ein Leben voller Hingabe hinterlassen. Das ist alles, was ich möchte, dass ihr von mir sagt. Wenn ich jemandem helfen kann, der meinen Weg kreuzt, wenn ich jemanden mit einem Wort oder einem Lied aufmuntern kann, wenn ich jemanden überzeugen kann, dass er sich auf dem falschen Weg befindet, dann war mein Leben nicht umsonst. Wenn ich meine Pflicht getan habe, wie es ein wahrer Christ sollte, wenn ich unserer Welt Rettung bringen und die Botschaft verbreiten konnte, die der Meister uns gelehrt hat, dann war mein Leben nicht umsonst. Ja, Jesus, ich möchte zu deiner rechten oder linken Seite stehen, und das nicht aus Eigensucht. Ich möchte zu deiner Rechten stehen, nicht im Sinne politischer Macht und nicht aus Herrschsucht, sondern einzig in Liebe, Gerechtigkeit, Treue und Hingabe an meinen Nächsten, damit aus dieser alten Welt eine neue Welt wird.“
Entscheidung für Montgomery Nach seiner Promotion an der Boston University School of Theology übernahm Martin Luther King eine Pfarrstelle an der traditionsreichen Baptistenkirche in der Dexter Avenue von Montgomery, Alabama. Im Nachhinein schien die Wahl Montgomerys von der Vorsehung gefügt; King selbst sah sie im Rückblick als Teil eines größeren göttlichen Planes. Er glaubte an eine göttliche Kraft, die Missklänge zu etwas Harmonischem zu verwandeln vermag, an eine schöpferische Macht, die Gebirge von Übeln abtragen und Berge der Ungerechtigkeit ebnen kann. Er vertraute darauf, dass Gott in der Geschichte immer noch seine Wunder wirkt. Montgomery wurde gewissermaßen zum Prüfstein für den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit in diesem Land. Welcher Ort hätte hierfür geeigneter sein können als die Stadt, deren Name wie ein Symbol für den ganzen Süden der Vereinigten Staaten steht? Es ist eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Montgomery, die Wiege der amerikanischen Konföderation, zur Wiege der Freiheit und Gerechtigkeit wurde. King kam zu einer Zeit nach Montgomery, als sich in den USA größere Umwälzungen anbahnten. Am 17. Mai 1954 hatte der Oberste Gerichtshof im „Prozess Brown“ festgestellt, dass „separate, aber gleichberechtigte“ öffentliche Schulen verfassungswidrig seien. Dies bedeutete eine Niederlage für die Erziehungsbehörde von Topeka – und eine massive Anfrage an den gesamten Lebensstil in den Südstaaten. Martin Luther King verstand es als einen Ruf, nicht nur der Gemeinde in der Dexter Avenue zu dienen, sondern der gesamten schwarzen Bevölkerung. Er wurde aktives Mitglied der Ortsgruppe der National Association for the Advancement of Coloured People (NAACP) sowie des Southern Regional Council (SRC), zweier Organisationen, die sich für die Überwindung der Rassendiskriminierung einsetzten.
Wie in allen Städten im Süden hatten auch die Busse in Montgomery separate Sitzplätze für weiße und schwarze Fahrgäste. Die Schwarzen, rund 70 Prozent der Bevölkerung, mussten zunächst vorne einsteigen und beim Fahrer ihre Fahrkarte lösen, dann wieder aussteigen und durch die hintere Tür den Bus besteigen, um hinten Platz zu nehmen. Denn der vordere Teil der Busse war den Weißen vorbehalten. Nicht selten kam es vor, dass ein Busfahrer die Türen zu früh schloss und die Schwarzen mit ihren soeben gelösten Fahrscheinen einfach stehen ließ. Am l. Dezember 1955 kam es zu einem folgenreichen Zwischenfall. Die 42-jährige schwarze Näherin Rosa Parks weigerte sich, ihren Sitzplatz im Bus an einen weißen Fahrgast abzutreten. „Die Welt stand auf, als Rosa Parks sitzen blieb“, lautete später der Text eines viel gesungenen Liedes. Der Busfahrer rief die Polizei, Rosa Parks wurde verhaftet. Parks, aktives Mitglied der NAACP, hatte im Sommer 1955 an der Highlander Folk School in Monteagle, Tennessee, an einem Kurs über Gewaltlosigkeit teilgenommen. Diese Schule war 1932 von Miles Horton ins Leben gerufen worden, einem der Pioniere einer stufenweisen gesellschaftlichen Veränderung in den Südstaaten. Parks hatte in dem Bewusstsein gehandelt, mit ihrem Verhalten eine Lawine lostreten und womöglich dem Rassismus einen Schlag versetzen zu können. Der Women’s Political Council (WPC), eine der bedeutendsten Organisationen schwarzer Frauen in Montgomery, hatte die Rassentrennung in den städtischen Bussen bereits angeprangert und mit einem Boykott gedroht, falls sich die Zustände nicht ändern sollten. Der Fall Rosa Parks war ein geeigneter Anlass. Unmittelbar nach ihrer Verhaftung ließ die Präsidentin des Council, Jo Ann Gibson Robinson, unter Mitarbeit mehrerer Studenten Zehntausende von Flugblättern drucken, auf denen zu dem Bus-Boykott aufgerufen wurde. Diese Handzettel wurden an die Schwarzen der Stadt verteilt. Gleichzeitig wurde ein Bürgerausschuss zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Rassen ins Leben gerufen: die Montgomery Improvement
Association (MIA). Auch diese Vereinigung beschloss den Boykott und wählte Martin Luther King zu ihrem Vorsitzenden. King war erst 26 Jahre alt, verfügte aber über eine hervorragende Ausbildung, war tief im religiösen Leben verwurzelt und besaß die nötigen Führungsqualitäten. Der Busstreik, der 381 Tage dauerte, wurde für King zum Prüfstein: Hier musste sich seine Methode gewaltlosen Protests bewähren, die er von Gandhi, dem sieben Jahre zuvor ermordeten indischen Freiheitskämpfer, übernommen hatte. Denn mit zunehmender Dauer des Boykotts, der immer konsequenter befolgt wurde, fiel die „weiße Reaktion“ heftiger aus. Später schrieb King, dass der Bus-Boykott ihn mehr über Gewaltlosigkeit gelehrt habe als alle Bücher, die er gelesen habe. „Durch diese konkrete Erfahrung wurde die Gewaltlosigkeit, die ich zuvor theoretisch als Methode befürwortet hatte, zu einer Lebensaufgabe. Viele Fragen zur Gewaltlosigkeit, die ich gedanklich nicht hatte klären können, fanden eine Antwort in der politischen Aktion.“ King und andere Vertreter der MIA nahmen engeren Kontakt auf mit Glenn Smiley, einem weißen Pfarrer der Methodistenkirche in Texas, der der FOR angehörte, und mit Bayard Rustin, einem afroamerikanischen Quäker von der Liga der Kriegdienstverweigerer, War Resister’s League (WRL). In intensiven Gesprächen tauschten sie ihre Erfahrungen und ihr Verständnis von Gewaltlosigkeit aus. Rustin hatte im Zweiten Weltkrieg aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigert, was ihm eine Haftstrafe einbrachte. Bis 1953 arbeitete er in der FOR mit, zunächst als Beauftragter für die Beziehungen zwischen den Rassen, dann als Mitglied der Gruppe für Zusammenarbeit. Schon 1947 hatte er am ersten Freiheitsmarsch im Süden teilgenommen, der die fortdauernde Rassendiskriminierung anprangern sollte. Während eines sechsmonatigen Indienaufenthalts beschäftigte er sich eingehend mit dem Denken Mahatma Gandhis. Als hervorragender Stratege und Organisator hat Rustin in den folgenden Jahren eine Schlüsselrolle innerhalb der Bewegung übernommen. In
Montgomery wurde er Kings Sekretär und Berater in allen Fragen, die den Bus-Boykott betrafen. Glenn Smiley wurde nach Montgomery entsandt, um die Bewegung auf jede mögliche Weise zu unterstützen. Wie Rustin hatte auch er als Kriegsdienstverweigerer längere Zeit im Gefängnis verbracht. Smiley verfügte über viel Erfahrung in der Praxis der Gewaltlosigkeit und ihrer Vermittlung. Die Ergebnisse seines ersten Treffens mit King wurden in einem vier Punkte umfassenden Papier festgehalten: - Dr. King wünschte von Smiley eingehende Informationen über die Gewaltlosigkeit, insbesondere darüber, wie sich ihre praktische Anwendung bei Projekten in verschiedenen Landesteilen gestaltete. - Smiley würde mit den Kirchenführern und der Verwaltung von Montgomery Kontakt aufnehmen, um das Thema Gewaltlosigkeit anzugehen, vor allem hinsichtlich des Bus-Boykotts. - Smiley, der in allen Landesteilen des Südens gewirkt hatte, würde dabei helfen, Verbindungen zu den Führern der schwarzen Gemeinden herzustellen und zu vertiefen. - Smiley würde sich als Vermittler um Kontakte zu den „weißen“ Kirchen und den zivilen Stellen in Montgomery bemühen. Das folgende Jahr widmete Smiley vorwiegend diesen Vorhaben, in Montgomery und andernorts. Er hielt Predigten und Vorträge oder Kurse über Gewaltlosigkeit in nahezu allen schwarzen Gemeinden Montgomerys. Wenig Zugang fand er dabei zu den weißen Kirchen, obwohl ihn mit einigen Vertretern des weißen Klerus eine freundschaftliche Beziehung verband. Am 28. Februar 1956 schrieb Smiley einen Brief an über zwei Dutzend Vertreter der FOR, deren Mitglieder sich um ein intensives geistliches Leben bemühten (unter den Adressaten waren Muriel Lester, Howard Thurman, Allan Hunter und Bischof Matthew Clair). In seinem Brief ging Smiley auch auf den Bus-Boykott in Montgomery ein; über Kings Rolle schreibt er: „Die Würfel sind gefallen. Wir stehen vor einer Krise von
unvorstellbarem Ausmaß. Ich glaube, Gott hat Martin Luther King dazu berufen, hier und im ganzen Süden eine große Bewegung anzuführen. – Doch warum legt der Herrgott eine so schwere Bürde auf so junge Schultern, auf einen so unerfahrenen und guten Menschen? King kann ein schwarzer Gandhi werden. Das ist der Grund, warum ich mich an über zwei Dutzend Menschen des Gebetes im ganzen Land wende: Ich bitte um Ihr Gebet, dass Martin Luther King im Lichte bleibt. Freiwillig hat er einige von uns Älteren um Rat gefragt. Möge er – einer reifen Frucht gleich – zu jenem Führer werden, den diese Stunde erfordert.“ Aus dem Wissen um die Gebete dieser und zahlreicher anderer Menschen haben King und die entstehende Bewegung viel innere Kraft geschöpft. Im Februar 1957 wurde die schon erwähnte Southern Christian Leadership Council (SCLC) ins Leben gerufen. Sie sollte dazu dienen, der Bürgerrechtsbewegung eine Richtung und Orientierung zu geben. King wurde zu ihrem ersten Präsidenten gewählt. Er stand unter enormem Druck und Anforderungen von allen Seiten. Er predigte, hielt Vorträge, schrieb und sammelte Spenden. Bald galt er als der wichtigste Sprecher der sich allseits ausbreitenden Bürgerrechtsbewegung. Kings Ansehen und wachsender Einfluss hatte freilich auch eine Kehrseite: Als eine führende Gestalt im Kampf gegen die Segregation und alle Formen von Rassismus war er zunehmend Verleumdungskampagnen und dem Argwohn derer ausgesetzt, die sich dem Status quo verschrieben hatten. Gebet in der Küche „Die dunkle Nacht der Seele“ ist ein Thema, eine Erfahrung, der man im Leben von Propheten, Heiligen und Mystikern öfter begegnet. Wer sich Gott bedingungslos hingibt, wird nicht vor Zweifeln und Seelenqualen bewahrt, sondern erlebt sie womöglich umso schmerzlicher. Martin Luther King bildet hier keine Ausnahme.
Als der Bus-Boykott in Montgomery begann, war nicht nur King selbst, sondern auch seine Familie Verleumdungen und Morddrohungen ausgesetzt. Nach einem Monat waren dreißig bis vierzig Drohbriefe und Telefonanrufe an der Tagesordnung. Tag und Nacht klingelte das Telefon; die anonymen Anrufer überschütteten die Familie mit einer Flut obszöner Beschimpfungen gegen Schwarze und Juden, einige versuchten gar die Bibel zu bemühen, um die Kings einzuschüchtern. Ein weißer Freund informierte King, dass er von einem Mordkomplott gegen ihn erfahren habe. Andere warnten King vor Verschwörungen und wiesen ihn auf drohende Gefahren hin. Es wurde immer schwieriger, die Ruhe zu bewahren und sich nicht von der Angst ergreifen zu lassen. King selbst erzählte später über einen besonders „dunklen“ Moment: „Eines Nachts, es war gegen Ende Januar, kam ich nach einem sehr anstrengenden Tag erst spät ins Bett. Coretta war bereits eingeschlafen. Gerade als ich das Telefon abschalten wollte, kam noch ein Anruf. Eine wütende Stimme schrie in den Hörer: ,Hör zu, Nigger, wir wissen jetzt alles über dich. Noch in dieser Woche wirst du es bereuen, je nach Montgomery gekommen zu sein!’ Ich legte auf, aber ich konnte keinen Schlaf finden. Es schien, als ob alle Befürchtungen sich mit einem Mal über meinem Haupt entladen hätten. Der Sättigungspunkt war erreicht. Ich stand auf und begann, im Flur auf und ab zu gehen. Schließlich ging ich in die Küche, um mir eine Tasse Kaffee zu machen. Ich wollte aufgeben. Mit der unberührten Tasse Kaffee vor mir dachte ich über die Möglichkeiten nach, wie ich mich aus dieser Situation befreien könnte, ohne als Feigling dazustehen. In diesem Zustand der Erschöpfung, als mein ganzer Mut mich verlassen hatte, beschloss ich, mein Anliegen vor Gott zu tragen. Den Kopf in die Hände gestützt, begann ich, über den Küchentisch gebeugt, laut zu beten. Noch heute sind die Worte in meiner Erinnerung lebendig, die ich in jener Nacht an Gott richtete:
„Ich habe eine Stellung bezogen, von deren Richtigkeit ich überzeugt bin. Doch jetzt habe ich Angst. Die Leute sehen mich als ihren Führer an; doch wenn ich ihnen kraft- und mutlos vorangehe, werden auch sie schwankend. Ich bin am Ende meiner Kraft. Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich es allein nicht mehr schaffe. In diesem Augenblick spürte ich die Gegenwart und Nähe Gottes, wie ich sie nie zuvor empfunden hatte. Und eine leise innere Stimme schien mir zuzusprechen: Steh auf für die Rechtschaffenheit, steh auf für die Wahrheit! Gott wird dir immer zur Seite stehen. -Sogleich begann meine Furcht sich zu verflüchtigen. Meine Unsicherheit schwand, und ich war bereit, den Kampf fortzusetzen.“ Drei Nächte später, am 30. Januar, wurde Kings Entschlossenheit bereits auf eine erste harte Probe gestellt. Gegen 21.30 Uhr warfen Unbekannte eine Bombe auf die Veranda seines Hauses. King selber sprach zu jener Stunde auf einer Kundgebung in der Kirche von Ralph Abernathy. Als ihn die Nachricht erreichte, unterbrach er seine Rede und teilte der Versammlung mit, was geschehen war. Sogleich eilte er nach Hause. Seine Frau und seine Tochter Yoki waren unverletzt geblieben. Das Haus allerdings war schwer beschädigt worden. Inzwischen waren bereits der Bürgermeister und etliche Reporter am Tatort. Einige hundert aufgebrachte Menschen versammelten sich vor dem Haus des Pfarrers, manche forderten Rache. King, gestärkt durch die tiefe Erfahrung seines „Gebets in der Küche“, rief die Menge auf, Böses nicht mit Bösem zu vergelten, sondern dem Hass mit Liebe zu begegnen. Er sagte: „Wir können dieses Problem nicht durch Rache lösen. Wir müssen der Gewalt mit Gewaltlosigkeit begegnen und unsere weißen Brüder und Schwestern lieben, was immer sie uns antun. Jesus ruft uns über die Jahrhunderte hinweg auch heute zu: ,Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen.’ Dies müssen wir tun: Hass mit Liebe vergelten! Bedenkt stets: Selbst wenn man mich zum Schweigen bringen sollte, die Bewegung wird weiterleben; denn Gott ist mit ihr. Geht heim mit diesem festen Glauben und dieser mächtigen Zusage!“
Wie so oft in der Vergangenheit beruhigten Kings Worte auch in jener Nacht die Gemüter und verhinderten weitere Gewalt. Nach dem Bombenanschlag drängten Vertreter der Dexter Avenue Church und andere Freunde King, bewaffneten Schutz in Anspruch zu nehmen. Schließlich gab er ihrem Ansinnen nach; vom Sheriff erhielt er die Erlaubnis, eine Waffe in seinem Wagen mitzunehmen. Im Gespräch mit seiner Frau Coretta wurde ihm jedoch klar, dass es ein Widerspruch war, einerseits eine Pistole und bewaffnete Leibwächter zu haben, anderseits an die Gewaltlosigkeit zu glauben und diese zu predigen. So entschied er sich, auf die Waffe und auf eine bewaffnete Leibgarde zu verzichten. Im Gespräch mit anderen und durch ihr Beispiel fand King immer wieder die Kraft weiterzumachen. So, als er während des anhaltenden Bus-Boykotts eine Phase tiefer Entmutigung durchlebte: Damals war es eine einfache, ungebildete Frau, „Mutter Pollard“ genannt, die ihn durch ihren Glauben wieder aufrichtete. Nach Wochen des Boykotts, in denen sie viele Meilen zu Fuß gehen musste, sagte sie: „Meine Füße sind müde, aber meine Seele ist stark“ – ein lebendiges Beispiel dafür, was Gandhi gemeint hat, wenn er schreibt: „Stärke ist keine Frage körperlicher Kraft, sondern eines unbeugsamen Willens.“ Martin Luther King erzählte, wie „Mutter Pollard“ ihn nach einer Versammlung ansprach: Er habe nicht so kraftvoll wie sonst geredet; ob es ihm nicht gut gehe? Vergeblich versuchte er sie zu beschwichtigen. Sie blickte ihn an und sagte: „Wir sind mit dir! Und auch wenn wir nicht mit dir wären: Gott sorgt für dich!“ King war tief berührt; die einfühlsame alte Dame hatte ihm den Mut zurückgegeben. Ungeachtet fortgesetzten Widerstands, trotz Massenverhaftungen und Drohungen verschiedenster Art blieb der Bus-Boykott gewaltlos und unerschütterlich in seiner Zielsetzung, die Segregation in den städtischen Bussen zu beenden. Der Linie Gandhis folgend versicherte King, es sei nicht Ziel des Streiks, die Busgesellschaft von Montgomery in den Ruin zu treiben, sondern der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. Ihm lag nicht
daran, den Feind niederzuringen, sondern allen Bürgern der Stadt die gleichen Rechte zu garantieren. Predigten, Gesänge und Gebete waren das Rüstzeug der Beteiligten. Erst am 21. Dezember des darauf folgenden Jahres konnte der Bus-Boykott erfolgreich beendet werden: Das Oberste Bundesgericht der USA erklärte die Bestimmungen, die die Segregation in den Bussen anordneten, für verfassungswidrig. In seiner ersten Ansprache nach dem Boykottaufruf hatte King gesagt: „Wenn ihr mutig, würdevoll und in der Liebe Christi kämpft, werden die Geschichtsschreiber künftiger Generationen einmal sagen: ,Hier lebte einmal ein großes Volk – ein schwarzes Volk –, das den Menschen der ziviliserten Welt ein neues Bewusstsein, ein neues Gefühl von Würde gegeben hat.’ Das ist unser Auftrag und unsere große Verantwortung.“ Mit dem BusBoykott von Montgomery begann ein neues Kapitel in der amerikanischen Geschichte. Möglich wurde es nicht zuletzt dadurch, dass man konsequent den Weg der Gewaltlosigkeit beschritten hatte.
Der Weg der Gewaltlosigkeit Der Bus-Boykott in Montgomery begann mit einem Aufruf zu christlicher Liebe; die Methode des Protestes sollte an der Bergpredigt ausgerichtet sein. Im weiteren Verlauf wurde dann auch das Vorbild von Mahatma Gandhi und der indischen Freiheitsbewegung wichtig. King wurde nicht müde zu wiederholen, dass Jesus Christus die Motivation für die Gerechtigkeit lieferte, während Gandhi eine dynamische, überzeugende Methode für die praktische Umsetzung beisteuerte. In der Ausarbeitung verschiedener Taktiken für die Durchführung des Boykotts erwiesen sich Gandhis Lehren als hilfreich. King bemühte sich, aus der Lektüre seiner Schriften und seinem Verständnis von satyagraha (der Macht der Gewaltlosigkeit, die aus der Wahrheit kommt und in Liebe verwirklicht wird) praktische Konsequenzen zu ziehen. Was Gandhi gelehrt und praktiziert hatte, ließ sich erstaunlich gut auf die aktuelle Situation übertragen. Gewaltloser Widerstand war das Schlüsselwort, um das Böse mit Gutem zu besiegen. Für Gandhi war die größte Kraft in der Welt die Wahrheit, die alle Menschen, Männer und Frauen, auch die Ärmsten und am meisten Unterdrückten, in sich tragen. Die Entdeckung dieser inneren Kraft und die Verankerung in ihr befähigt eine Person, sich in Würde und mit Nachdruck gegen das Böse und die Ungerechtigkeit zu erheben. Gandhi wusste, wie wichtig es ist, ein edles Ziel vor Augen zu haben, doch vor allem unterstrich er die Bedeutung der rechten Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Ziel und Mittel stehen in direkter Beziehung zueinander. Das Ziel muss im Prozess seiner Verwirklichung im Keim schon gegenwärtig sein. Nur aus einem Apfelkern wächst ein Apfelbaum: Auf die richtige Saat kommt es an. Gewaltloser Widerstand ist das Mittel, Gerechtigkeit herzustellen. Doch es ist ein Weg, der für den Unschuldigen Leiden bedeutet, wie das Beispiel Jesu zeigt, der am Kreuz für die
Gerechtigkeit starb: Die Erlösung ist die Frucht seines unschuldigen Leidens. King war mit Gandhi überzeugt, dass ein Mensch, der sich dem Dienst an der Wahrheit verschrieben hat, auch dann voranschreitet, wenn er leiden muss; denn er weiß, dass „der weite Bogen des Universums sich schließlich doch der Gerechtigkeit zuneigt“. Gerechtigkeit aber zielt nicht darauf, die Unterlegenen zu unterwerfen und so neue Unterdrückung zu schaffen; vielmehr geht es darum, alle in geschwisterlicher Versöhnung zu vereinen. Die mit dem biblischen Glauben verschmolzene Philosophie Gandhis wurde zum tragenden Fundament der Bürgerrechtsbewegung. Als der Boykott und die entsprechenden Kampagnen weitere Kreise zogen, wurde sorgfältig darauf geachtet, dass alle Strategien und Taktiken sich am Ideal der Gewaltlosigkeit ausrichteten. Das Zentrum der Boykottbewegung in Montgomery lag in den Kirchen, in denen man sich oft zusammenfand. In ökumenischem Geist kamen Menschen der verschiedensten religiösen Gemeinschaften zusammen; allerdings waren nur sehr wenige Weiße unter den Teilnehmern. Klassenunterschiede spielten keine Rolle mehr, als Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten zusammentrafen. Der Bus-Boykott veranlasste viele, freiwillige Fahrten zu übernehmen; zeitweilig entstand ein regelrechtes „paralleles“ Verkehrsnetz, das zu einer großen Solidarität quer durch alle sozialen Schichten führte. Mit ihren Gesängen, Gebeten und Ansprachen förderten die Treffen in den Kirchen den Geist der Gewaltlosigkeit. Oft kreisten die Predigten um dieses Thema. King verstand es meisterhaft, die Gedanken Gandhis und seine Methode zu vermitteln und für die Liebe als „Waffe“ im Kampf für die Gerechtigkeit zu werben. In ihrem gewaltlosen Widerstand haben viele die Bedeutung und die Kraft alter und neuer Werte und Tugenden neu entdeckt: Zivilcourage, Ausdauer, Bescheidenheit, Selbstwertgefühl, guten Willen, Liebe, Glaube und Hoffnung. Im tagtäglichen gewaltlosen Kampf auf den Straßen wurden abstrakt klingende, „fromme“ Worte und Lehren konkret: Sie wurden im Alltag wirksam und
erwiesen sich als fruchtbar im Kampf für gesellschaftliche Veränderungen in einer rassistisch geprägten Umgebung. Eine wichtige Rolle spielte in der Boykottbewegung nicht zuletzt die Musik. Wie erwähnt, hatten die afroamerikanischen Christen seit den Tagen der Sklaverei ihren Leiden, ihrer Entschlossenheit und ihren Hoffnungen durch Gesänge Ausdruck verliehen. An diese Gesänge knüpfte man an. „Singend gingen sie ihren Weg in Richtung Freiheit“, hat die Bürgerrechtlerin Dorothy Cotton einmal treffend formuliert. Manche traditionellen Hymnen, aber auch moderne Songs wurden umgeschrieben und auf den Kampf gegen die Ungerechtigkeit bezogen. Einige Beispiele mögen veranschaulichen, welche Kraft dem Gesang innewohnte: Eines Abends drangen Polizeikräfte in die Highlander Folk School, Tennessee, ein. Sie suchten einen Grund, die Schule zu schließen. Alle mussten sich auf den Boden legen, während die Polizisten das Gebäude nach möglichem Beweismaterial durchsuchten. Plötzlich begannen die Schwarzen zu singen „We shall overcome!“ (Wir werden es schaffen!). Eine junge Frau fügte spontan den Vers hinzu: „We are not afraid“ (Wir haben keine Angst), andere stimmten ein. Die Angst schwand. Die Sicherheitskräfte wurden so nervös, dass sie unverrichteter Dinge die Schule verließen. Ein andermal umstellten ein Sheriff und seine Leute eine Kirche in einer Landgemeinde in der Nähe von Alabama, Georgia. Sie stürmten das Gotteshaus, bedrohten die Gläubigen und beschuldigten sie, ihre Freiheitsbewegung untergrabe den „Lebensstil des Südens“. Die zunächst verschreckten Gläubigen stimmten dann ruhig, aber bestimmt das Lied an: „We’ll never turn back“ (Wir werden nie umkehren). Unfähig, einem derart überzeugten singenden Glauben etwas entgegenzusetzen, machten der Sheriff und seine Leute kehrt und verließen das Gotteshaus. Andrew Young, Mitglied der Bürgerrechtsbewegung, bemerkt diesbezüglich: „Die Musik offenbarte ein großes Geheimnis: Sie zeigte, dass die oft verschüchterten und entmutigten Schwarzen, die mit zahllosen unüberwindbaren Hindernissen zu kämpfen
hatten, imstande waren, alle Schwierigkeiten hinter sich zu lassen. Durch die Gesänge bestärkt, fanden sie zu einem tieferen Glauben und neuer Kraft.“ Die Musik war gewissermaßen ein Geschenk des Volkes an sich selber, das ihm niemand nehmen konnte, ein unerschöpfliches Reservoir geistiger Kraft, wo die Gebeugten Rast und Hoffnung schöpften. Der Busstreik lief inzwischen ungebrochen weiter. Es wurden auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmte Kurse in Gewaltlosigkeit organisiert. Als sich schließlich das Ende der Segregation in den städtischen Bussen abzeichnete, trainierte man gezielt für die Zeit danach: Es wurden Stühle aufgestellt, wie es den Sitzplätzen in den Bussen entsprach. Die Kursteilnehmer übernahmen dann jeweils die Rollen des Fahrers, der Polizisten sowie der weißen und schwarzen Fahrgäste. Auf diese Weise wurden die Schwarzen mit verschiedenen Situationen vertraut gemacht und konnten sich darin einüben, auch in schwierigen Momenten friedlich zu reagieren. Für besonders aufgebrachte Teilnehmer war das Rollenspiel zudem eine Gelegenheit, ihre Wut zu kanalisieren und zu begreifen, dass Gewaltlosigkeit kein Ausdruck von Schwäche oder Untätigkeit ist. Andrew Young schreibt dazu: „Viele Mitglieder der Bewegung hatten allen Grund zum Zorn; einige waren derart wütend, dass sie im Falle einer Provokation selbst zum Töten bereit gewesen wären. Die SCLC setzte alles daran, die Wut dieser Leute in konstruktive, gewaltlose Aktionen umzumünzen. Wir mussten stets auf der Hut sein, damit keiner durch unkontrollierte Wut die ganze Bewegung in Misskredit brachte. Gandhi hatte treffend bemerkt: ,So wie jemand beim Training gewaltsamen Kampfes lernt, notfalls zu töten, so muss jemand beim Training zur Gewaltlosigkeit lernen, notfalls zu sterben.“ Und in aller Deutlichkeit fügte er hinzu: „Gewaltlosigkeit kann keinem Menschen beigebracht werden, der nicht zu sterben bereit ist und keine Widerstandskraft besitzt.“ Der Bürgerausschuss zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Rassen (MIA) hatte einen detaillierten Boykottplan ausgearbeitet. Insgesamt wurden 23 Zentren eingerichtet, an
denen schwarze Taxi-Unternehmen und Privatpersonen mit ihren Fahrzeugen auf schwarze Fahrgäste warteten. Einige kamen per Anhalter an ihre Arbeitsstätten, viele gingen bewusst zu Fuß. Bezeichnend ist die Antwort einer alten schwarzen Frau auf die Frage, warum sie den langen, beschwerlichen Weg nach Hause zu Fuß zurücklege und sich nicht mitnehmen lassen wolle: „Ich laufe nicht für mich, ich laufe für meine Kinder und Enkel.“ Als die Stadtverwaltung von Montgomery Schritte in die Wege leitete, die Versicherung für die Boykott-Wagen aufzukündigen, sprang die britische Versicherung Lloyds in die Bresche und erklärte sich bereit, alle erforderlichen Versicherungen der Bewegung zu übernehmen. Der Boykott bedeutete für die Busgesellschaft Mindereinnahmen von über einer Million Dollar; denn die Schwarzen, rund zwei Drittel der Fahrgäste, nahmen geschlossen am Streik teil. Einige Strecken mussten stillgelegt und die Fahrpreise erhöht werden. Der Direktor der Gesellschaft erlitt einen Herzinfarkt. Als diese Nachricht während eines Gottesdienstes bekannt wurde, wandte sich der Pastor mit folgenden Worten an die Gemeinde: „Unser Bruder, der Direktor der Busgesellschaft, hat einen Herzinfarkt erlitten. Ich denke, wir alle sollten niederknien und für seine baldige und vollständige Genesung beten.“ Wie im Chor antworteten die Gläubigen mit „Amen“ und knieten sich nieder, um für ihren „Feind“ zu beten. * Auf Bitten von Martin Luther King stellte Glenn Smiley Listen mit Verhaltens-Tipps für die Zeit nach dem Boykott auf. Eine Liste enthielt allgemeine Hinweise: 1. Nicht alle Weißen stehen der Integration feindlich gegenüber. Erkennen Sie den guten Willen auf Seiten vieler an. 2. Der ganze Bus steht nun unterschiedslos allen Fahrgästen zur Verfügung. Suchen Sie sich einen freien Platz.
3. Beten Sie, wenn Sie den Bus besteigen, für den Fahrer und ringen Sie sich das Versprechen ab, in Wort und Tat Gewaltlosigkeit zu üben. 4. Bekunden Sie durch Ihr Verhalten die Gelassenheit und Würde der Bevölkerung von Montgomery. 5. Befolgen Sie stets die allgemeinen Regeln der Höflichkeit und des guten Benehmens. 6. Bedenken Sie stets, dass es sich hier nicht um einen Sieg allein der Schwarzen handelt, sondern der Stadt Montgomery und des ganzen Südens. Prahlen Sie nicht und seien Sie nicht überheblich. 7. Seien Sie ruhig, aber freundlich; stolz, aber nicht arrogant; frohen Sinnes, aber nicht ausgelassen. 8. Haben Sie so viel Liebe, dass Sie das Böse auffangen können, und so viel Einfühlungsvermögen, dass ein Feind zum Freund werden kann. Eine zweite Liste von Verhaltensrichtlinien ging mehr ins Detail: 1. Der Fahrer ist für den Bus verantwortlich und ist angewiesen, die Gesetze zu befolgen. Gehen Sie davon aus, dass er Ihnen helfen wird, einen freien Platz einzunehmen. 2. Setzen Sie sich, falls andere Plätze frei sind, nicht neben einen weißen Fahrgast. 3. Bevor Sie sich setzen, fragen Sie ihren weißen oder farbigen Nachbarn: „Gestatten Sie?“ oder „Darf ich?“ Dies gebietet die Höflichkeit. 4. Falls man Sie beschimpft, antworten Sie nicht. Falls man Sie stößt, reagieren Sie nicht. Falls man Sie schlagen sollte, schlagen Sie nicht zurück. Zeigen Sie vielmehr stets Liebe und guten Willen. 5. Falls es zu einem Zwischenfall kommen sollte, reden Sie so wenig wie möglich und immer in ruhigem Ton. Stehen Sie nicht von Ihrem Platz auf. Informieren Sie über alle ernsthaften Zwischenfälle den Fahrer.
6. Nehmen Sie an den ersten Tagen der Integration einen Freund mit, dessen Gewaltlosigkeit Sie vertrauen können. Sie können einander durch einen Blick oder ein Gebet stützen. 7. Sollte ein anderer Fahrgast belästigt werden, stehen Sie nicht auf, um ihn zu verteidigen, beten Sie vielmehr für den Verursacher des Zwischenfalls und setzen Sie Ihre ganze moralische und geistige Kraft für Ihren Kampf um Gerechtigkeit ein. 8. Scheuen Sie sich nicht, entsprechend Ihrer Möglichkeiten neue Formen zu finden, um der Versöhnung und den gesellschaftlichen Veränderungen zum Durchbruch zu verhelfen. 9. Wenn Sie glauben, Sie schaffen es nicht, sich so zu verhalten, gehen Sie noch ein oder zwei Wochen lang zu Fuß. Wir vertrauen auf unsere Leute. Gott segne Euch alle. Gandhi hat seine Autobiographie The Story of My Experiments with Truth (Die Geschichte meiner Erfahrungen mit der Wahrheit) überschrieben. So ließen sich auch die Erfahrungen der Bürgerrechtsbewegung in den verschiedenen Phasen ihres Kampfes bezeichnen: Es war ein Versuchsfeld, in dem sich Theorie und praktische Anwendung wechselseitig beeinflussten. Am Abend des 20. Dezember, bevor das Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA über die Verfassungswidrigkeit der Rassendiskriminierung in den Bussen von Montgomery rechtskräftig wurde, sprach Martin Luther King auf zwei Großkundgebungen. Bei beiden Veranstaltungen hielt er die Morgenausgabe der Tageszeitung von Montgomery vom folgenden Tag hoch. Dort hieß es: „Wenn morgen die Neger integrierte’ Busse benutzen, wird Blut fließen, und an jeder Straßenecke wird es zu Kämpfen kommen.“ „Wenn es wirklich dazu kommen sollte“, sagte King, „dann soll unser Blut fließen; die Kämpfe an den Straßenecken hingegen sollen von den anderen ausgehen. Ich hoffe, dass in Montgomery niemand im Kampf für die Freiheit sterben muss. Auch ich möchte nicht sterben. Wenn aber jemand sterben muss, dann lasst es mich sein.“ Gleichzeitig traf sich Glenn Smiley mit einer
Gruppe Weißer, die bereit waren mitzuhelfen, die angekündigten Gewaltausbrüche am nächsten Tag zu verhindern. Am späten Abend des 21. Dezember traf sich Smiley mit King. Er sagte zu ihm: „Dr. King, morgen möchte ich entlohnt werden, denn ich habe ein ganzes Jahr mit der Fellowship of Reconciliation zusammengearbeitet und alle meine Spesen selbst bezahlt. Ich denke, jetzt ist es an der Zeit, meinen Lohn zu erhalten.“ King, der Glenns Sinn für Humor kannte, begriff gleich, dass er scherzte, und antwortete schmunzelnd: „Nennen Sie mir Ihre Forderung!“ Darauf Glenn: „Ich möchte der erste sein, der zusammen mit Ihnen in Montgomery, Alabama, einen integrierten Bus besteigt.“ King lachte, und beide umarmten sich am Ende dieses anstrengenden Tages. Am frühen Morgen des 22. Dezember trafen sich King, Smiley, Ralph Abernathy, E. D. Nixon und Frau Bascum an einer Bushaltestelle. In Anwesenheit mehrerer Fotoreporter und zahlreicher Anhänger bestiegen sie den ersten Bus. Im Zentrum gesellten sich Robert Graetz, ein weißer Pastor einer schwarzen lutherischen Gemeinde, und andere zu ihnen. Am Ende dieses Tages, an dem Smiley mit 28 Bussen gefahren war, stellte er fest, dass sich die Dinge insgesamt zufriedenstellend entwickelt hatten – abgesehen von drei Zwischenfällen, deren Zeuge er selbst geworden war: Eine schwangere Frau war von einem Heckenschützen ins Bein geschossen worden; eine weiße Frau hatte im Bus eine Zeitschrift zusammengerollt und damit einem schwarzen Professor auf den Kopf geschlagen, wobei sein Hut herunterfiel und sein Haar durcheinander geriet (der Professor setzte schweigend seinen Hut wieder auf und fuhr in der Lektüre seiner Zeitung fort); ein junger Weißer schlug einer robusten schwarzen Frau mit der Faust so heftig ins Gesicht, dass sie zu Boden fiel. Der Täter verließ daraufhin schnell den Bus, stieg in einen Wagen und fuhr davon. Smiley eilte der Frau zu Hilfe und fragte: „Sie haben kein Wort zu ihm gesagt. Haben Sie vielleicht gebetet?“ „Alles, nur das nicht! Ich hätte ihn in Stücke reißen können!“
„Und warum haben Sie es nicht getan?“, fragte Smiley. „Als ich gestern Abend Dr. Kings Mahnung hörte, in keinem Fall zurückzuschlagen, da habe ich mir fest vorgenommen, seinen Rat zu befolgen. Aber am liebsten hätte ich ihn in Stücke gerissen!“ So endete der historische Bus-Boykott in Montgomery in Gandhis Sinne. Die angedrohten Ströme von Blut flössen nicht. Die Leute erduldeten bereitwillig die ihnen zugefügte Gewalt, ohne selbst dazu zu greifen. Die Atmosphäre war von Versöhnung, gutem Willen und dem Geist der Gewaltlosigkeit geprägt.
Nach dem Bus-Boykott von Montgomery Die Bürgerrechtsbewegung wuchs zusehends. Martin Luther King wurde innerhalb weniger Monate von einem kaum bekannten Pfarrer zu ihrer anerkannten Symbolfigur. Verankert im christlichen Glauben und überzeugt von Gandhis Ideal der Gewaltlosigkeit, hatte er einen prophetischen Blick für die Geschichte der amerikanischen Demokratie – mit ihren Chancen wie mit ihren Schwächen. Eine akademische Laufbahn hatte er ebenso ausgeschlagen wie einen Lehrstuhl. Der Bus-Boykott in Montgomery führte ihn auf einen anderen Weg, den er ohne Rücksicht auf die Folgen bis zum Ende ging. Er predigte, hielt Vorträge und sammelte Spenden für die Bewegung. Nach dem Ende des Boykotts schenkte die Gemeinde der Dexter Avenue Church Coretta King und ihrem Mann 2.500 Dollar für ihre erste Auslandsreise. Die Vereinigung für die Verbesserung der Beziehungen zwischen den Rassen in Montgomery stiftete weitere 1.000 Dollar als Anerkennung für Kings Einsatz während der aufreibenden Ereignisse des zurückliegenden Jahres. King und seine Frau entschlossen sich, nach Afrika zu reisen. Am 3. März 1957 flogen sie mit einer Delegation an die Goldküste zu den Unabhängigkeitsfeiern. Zu dieser Delegation gehörten Ralph Bunche, A. Philip Randolph und Adam Clayton Powell. Sie wurden von Ministerpräsident Kwame Nkrumah willkommen geheißen, der am 5. März in Akkra das Ende der britischen Vorherrschaft und die Unabhängigkeit des neuen Staates Ghana proklamierte. Es war ein historischer Augenblick, als die amerikanischen Nachfahren afrikanischer Sklaven als Ehrengäste in dem Land begrüßt wurden, von wo aus man ihre Vorfahren in Ketten nach Amerika gebracht hatte. Martin Luther King empfand zudem eine innere Verwandtschaft mit Nkrumah, der sein Volk in einem gewaltlosen Kampf in die Unabhängigkeit geführt hatte. In den USA waren die folgenden Jahre durch eine zweifache Entwicklung gekennzeichnet:
Zum einen löste der Erfolg beim Bus-Boykott eine Art Kettenreaktion ähnlicher Aktionen aus. Mit verschiedenen Mitteln gewaltlosen Widerstands wurde auf gesetzlich legitimiertes Unrecht aufmerksam gemacht. Zum anderen organisierten sich die schwarzen Amerikaner und gaben so ihrer wiedergewonnenen Identität Ausdruck. Sie fanden ein neues Bewusstsein ihrer menschlichen Würde, die ihnen von den Weißen Jahrhunderte hindurch vorenthalten, ja abgesprochen worden war. In den Köpfen vieler Weißer, vornehmlich in den Südstaaten, galt immer noch das Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1857, nach dem „Schwarze nicht unter die in der Verfassung genannten ,Bürger der USA’ zu rechnen“ seien und keine Rechte besäßen, die ein Weißer respektieren müsse. Doch hundert Jahre später setzte ein Prozess grundlegender Veränderungen ein, dessen Richtung und Tempo nicht mehr die Weißen allein bestimmten. Ähnlich wie Montgomery wurden Tallahassee, Florida, Birmingham und Mobile, Alabama, sowie Atlanta, Georgia, zu Zentren schwarzen Protests. Auch hier waren Pastoren die leitenden Figuren. Martin Luther King war bestrebt, die verschiedenen Gruppen zusammenzufassen. Bei einem vorbereitenden Treffen am 10. und 11. Januar 1957 in Atlanta hatte man beschlossen, eine Konferenz aller schwarzen Führer des Südens nach New Orleans einzuberufen. Am 14. Februar gab sich die Organisation den Namen Southern Christian Leadership Conference (SCLC, Christliche Führungskonferenz des Südens). Es lag auf der Hand, dass Martin Luther King zu ihrem Präsidenten gewählt wurde. Immer öfter wurde King zu Vorträgen und Predigten im ganzen Land eingeladen. Am 17. Mai 1957 sprach er in Washington vor dem Lincoln-Denkmal vor 37.000 Menschen auf der Schlussveranstaltung des „Marschs für die Freiheit“, den die NAACP organisiert hatte. Es war seine erste Rede auf nationaler Ebene. Die Teilnehmer spendeten anhaltenden Beifall, als er mit
eindringlichen Worten das Stimmrecht für die Schwarzen forderte. King erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden, darunter die des Morehouse College, an dem er studiert hatte. Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde sagte der Rektor, Benjamin Mays: „Sie sind reifer als ihre Jahre: Mit ihren 28 Jahren sind Sie weiser als die meisten Menschen mit 60 und mutiger in einem ehrlichen Kampf als es die meisten je sein können. Sie leben einen Glauben, den zwar viele predigen, den aber nur wenige in die Tat umsetzen.“ Ungeachtet seiner zahlreichen Verpflichtungen fand King Zeit zum Schreiben. Das erste Buch, eine genaue, bewegende Analyse des Bus-Boykotts von Montgomery, erschien Anfang 1958 unter dem Titel Stride Toward Freedom; dann folgten: The Measure of a Man, Strenght to Love, Why We Can’t Wait, The Trumpet ofConscience und sein letztes Werk Where Do We Go Front Here: Chaos or Community? Inzwischen hatte die FOR in Nashville ein Regionalbüro eröffnet, unter der Leitung des Methodisten James Lawson, der sich an der Vanderbilt University auf den Pfarrdienst vorbereitete. Lawson, Glenn Smiley und Ralph Abernathy gehörten zum festen Team dieser Organisation, das in zahlreichen Staaten Seminare und Tagungen abhielt. Sie verbreiteten verschiedene Schriften, darunter das neu erschienene FOR-Comic-Book: Martin Luther King and the Montgomery Story, das in Zusammenarbeit mit King erarbeitet und vom Fund for the Republic finanziert worden war. Von diesem Buch, das die Geschichte des Bus-Boykotts von Montgomery als Beispiel für die Macht der Gewaltlosigkeit veranschaulichte, wurden landesweit rund 250.000 Exemplare verteilt. Außerdem brachte die FOR zehntausende Exemplare der kleinen Broschüre How to Practice Nonviolence unter das Volk, ferner eine Neuauflage von Richard Greggs Klassiker The Power of Nonviolence, das durch ein Vorwort von Martin Luther King und ein eigenes Kapitel über den Bus-Boykott in Montgomery erweitert worden war.
Die SCLC setzte 1958 unter Kings Leitung ihre gewaltlosen „Kreuzzüge“ fort. Ziel war es, die Zahl der schwarzen Wähler zu verdoppeln. Die Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung weiteten sich immer mehr aus. In Oklahoma City und Wichita, Kansas, organisierte die NAACP zusammen mit dem „Kongress für rassische Gleichheit“ (Congress on Racial Equality, GORE) und Mitgliedern der FOR Sitzstreiks, während Bayard Rustin einen Marsch der Jugend für die Gleichstellung von Schwarzen und Weißen in den öffentlichen Schulen anführte. Am 3. September 1958 sollte Ralph Abernathy, begleitet von seiner Frau Juanita, bei einer Gerichtsverhandlung in Montgomery gegen einen Mann aussagen, der ihn angegriffen hatte. King und seine Frau Coretta wollten mitkommen, doch weiße Polizisten hinderten sie am Betreten des Gerichtsgebäudes, misshandelten King, drehten ihm den Arm auf den Rücken und verhafteten ihn unter der Beschuldigung, Widerstand geleistet zu haben. Auch Coretta wurde von den aufgebrachten Beamten zunächst festgenommen, dann forderte man sie auf „zu verschwinden“. Im Gefängnis wurde King äußerst grob behandelt. In der folgenden Verhandlung am 5. September sprach ihn der Richter schuldig und verurteilte ihn wegen Widerstands gegen einen Staatsbeamten zu einer Geldstrafe von zehn Dollar oder ersatzweise 14 Tage Haft. Dem Richter sagte King: „Ich sehe nicht ein, eine Strafe zu zahlen für ein Vergehen, das ich nicht begangen habe.“ Er war entschlossen, statt der Geldbuße die Haftstrafe anzutreten. Doch er wurde kommentarlos entlassen, da die Geldstrafe vom weißen Polizeikommissar Clyde Seilers bezahlt worden war. Dieser hatte offenbar ein Gespür dafür, was es nach sich ziehen konnte, wenn die ganze Nation erführe, wie es in Montgomery um das Recht bestellt war. Zwei Wochen nach diesem ereignisreichen Monat kam King nach New York City, um im Kaufhaus Blumenstein, in Harlem, sein gerade erschienenes Buch Stride Toward Freedom zu signieren. Während er seine Unterschrift in die Exemplare setzte,
näherte sich ihm eine 42-jährige geistesgestörte Schwarze und stieß ihm einen scharfen japanischen Brieföffner in die Brust, während sie ihn mit Flüchen überschüttete. Man fand bei ihr auch noch einen geladenen Revolver. Im Harlem-Spital entfernte Dr. A. D. Maynard in einer dreistündigen Operation die Waffe, die die Aorta berührte. „Hätte er geniest, wäre er augenblicklich gestorben“, erklärte der Arzt nach dem Eingriff. Mehr als über alle anderen Genesungswünsche freute sich King, wie er später erzählte, über den Brief einer Schülerin. Sie schrieb ihm: „Ich bin so froh, dass Sie nicht niesen mussten und dass Gott Sie verschont hat, damit Sie weiter Gutes tun können.“ Nach zehn Tagen konnte King im Krankenhaus die Presse empfangen. Er nahm die Attentäterin in Schutz: „Diese Frau ist nicht verantwortlich für die Gewalt, die sie mir angetan hat. Sie braucht Hilfe. Stellt sie nicht vor Gericht, sondern versucht, sie zu heilen.“ Später wurde die Frau, Izola Curry, in eine psychiatrische Klinik für Kriminelle eingewiesen. King wies vor den Journalisten freilich auch darauf hin, dass der Anschlag deutlich mache, wohin das Klima des Hasses und der Verbitterung, das in weiten Teilen des Landes herrsche, führe. „Heute hat es mich getroffen. Morgen kann es einen anderen Führer, einen Mann, eine Frau oder ein Kind treffen, die so Opfer der Rechtlosigkeit und Brutalität werden können.“ Während seiner Genesung entschloss sich King, eine längere Zeit zuvor erhaltene Einladung des indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru anzunehmen. Im Februar traten Coretta und Martin Luther King – mit finanzieller Unterstüzung der SCLC und des American Friends Service Committee (AFSC) – die Reise in das Land Gandhis an. Sie sahen sich nicht als Touristen, sondern als Pilger, und sie gewannen eine Fülle tiefer Eindrücke. Unter anderem trafen sie Nehru und Vinoba Bhave, einen heiligmäßigen Sozialreformer und Wanderprediger. Seine Landschenkungs-Bewegung (Bhudan-Bewegung) versuchte reiche Grundbesitzer in ganz Indien dafür zu gewinnen, den Armen Land zu geben. Sie besuchten den Aschram in
Sokhodeora, wo sie mit Jayaprakash Narayan zusammentrafen, einem Anwalt für sarvodaya, eine Art gewaltlosen Sozialismus in Form konstruktiver Programme für Sozialdienste und Kooperativen. Das Ehepaar King war tief beeindruckt von den armen Dorfbewohnern, die sich mit großem r Einsatz darum bemühten, Gandhis Aufruf für eine dezentralisierte Demokratie auf dem Lande zu verwirklichen. Dann besuchten sie das so genannte „Haus des Friedens“ in Shantiniketan, wo der bedeutende indische Schriftsteller und Dichter Rabindranath Tagore (1861-1941) gelebt und gewirkt hatte. Im Süden des Landes besichtigten sie großartige Hindu-Tempel und besuchten christliche Kirchengemeinden, die in die Frühzeit des Christentums zurückreichen. In Gandhigram, dem „Gandhidorf“, wurden sie von fünfhundert Mitgliedern des Shanti Sena (Friedensheer) willkommen geheißen, einer Gruppe Freiwilliger, die sich für eine friedliche Lösung von Konflikten einsetzte. Sie nahmen an einem ihrer Gottesdienste teil, in dem die Freiwilligen das gleiche schlichte weiße Gewand trugen, in dem Gandhi zürn Aufbau eines selbstbewussten Indien aufgerufen hatte. Es wurden Texte aus den Heiligen Schriften von Hindus, Christen, Juden, Muslimen und Buddhisten vorgetragen – ganz im Sinne Gandhis, der die Gültigkeit verschiedener Wege anerkannte, um zu Gott zu gelangen. Die Kings besuchten ferner Dörfer, in denen unberührbare Kastenlose lebten, die Gandhi selbst harijans (Kinder Gottes) genannt hatte. Die vierwöchige Reise kreuz und quer durch Indien war für die Kings eine unvergessliche Begegnung mit Gandhis Ideal der Gewaltlosigkeit. Allenthalben stießen sie auf eine außergewöhnliche Gastfreundschaft. Wo sie auch hinkamen, überall wurden sie mit Freuden und Ehren aufgenommen. Coretta wurde wiederholt gebeten zu singen und Martin, Ansprachen zu halten. Auf einer Pressekonferenz vor ihrer Abreise rief King Indien dazu auf, das hohe Ideal Gandhis rein zu bewahren, sich für eine
weltweite Abrüstung einzusetzen und selbst einseitig abzurüsten, um der übrigen Welt ein Beispiel zu geben.
„Sit-in-Bewegung“ und Freiheitsmärsche
Seit September 1954 war Martin Luther King Pfarrer an der Dexter Avenue Baptist Church in Montgomery. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung des MIA und im Februar 1957 den Vorsitz der SCLC in Atlanta. Er glaubte, die verschiedenen Aufgaben nicht länger miteinander vereinbaren zu können. So bat er am 29. November 1959 die Gemeinde, einen anderen mit dem Amt des Pfarrers zu betrauen. Für die Gemeinde wie für ihn selbst bedeutete dies einen schweren Abschied. Seinen Gemeindemitgliedern erklärte er: „Die Geschichte hat mir eine Aufgabe gestellt, der ich mich nicht entziehen kann.“ Er wurde in Atlanta gebraucht, wo sich die Zentrale der SCLC befand. Am nächsten Tag erklärte King vor Pressevertretern: „Es ist ein psychologisch günstiger Augenblick, um durch einen konzentrierten Kampf gegen die Ungerechtigkeit spürbare Erfolge zu erzielen.“ Man wollte der Rassentrennung „in all ihren Formen“ den Kampf ansagen. „Wir müssen“, so sagte King in weiser Voraussicht, „die Führer unserer Jugend wie der Erwachsenen mit den Methoden des gewaltlosen Widerstands vertraut machen, um gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, und neue Formen des Kampfes entwickeln, an denen auch die Massen teilnehmen.“ Am 31. Januar 1960 bat der schwarze Student der Agrarwissenschaft Joseph McNeill an der Imbiss-Stube an einer Bushaltestelle in Greensboro, North Carolina, vergebens darum, bedient zu werden. Diese Begebenheit erzählte er seinem Zimmerkameraden Ezell Blair jun. Dieser hatte das Comic-Buch der FOR, Martin Luther King and the Montgomery Story, gelesen. Beide Studenten schauten in das Buch und beschlossen, dass es Zeit für eine gewaltlose Demonstration sei. Am nächsten Morgen gingen sie mit zwei weiteren Kommilitonen zur Imbissecke bei Woolworth. Sie wurden nicht bedient. Stundenlang blieben sie stehen. Am nächsten Tag erschienen sie
wieder und verlangten, bedient zu werden. Bald schlössen sich ihnen andere Studenten an, darunter auch weiße Studentinnen der Stadt. Ein Signal war gesetzt, und die Vorfälle von Greensboro gelangten an die Öffentlichkeit. Innerhalb von nur 14 Tagen kam es zu Sit-ins in zahlreichen Städten im ganzen Süden. Ende März hatte die Protestbewegung über 50 Orte erreicht. Auch Nashville, wo Jim Lawson die Studenten bereits mit den Methoden der Gewaltlosigkeit vertraut gemacht hatte, schloss sich der Protestwelle an. In der Zeitschrift Motive der Methodistischen Studentenbewegung schrieb Jameson Jones: „Wenn man ihre Namen aufruft, bleiben sie ruhig. Wenn man sie schlägt, schlagen sie nicht zurück. Selbst wenn feindlich gesinnte weiße Studenten schwarze Mädchen an den Haaren ziehen und sogar ihre Zigaretten auf ihrem Rücken ausdrücken, wehren sie sich nicht. Sie beten und ertragen mit Würde, was ihnen zugefügt wird.“ Monatelang hielten diese Sit-ins im ganzen Süden an. Angriffe von feindlichen Weißen und harte Gefängnisstrafen konnten sie nicht von ihrem Tun abhalten. Etliche Teilnehmer trugen Plakate mit der Aufschrift: „Denkt an die Lehren von Jesus, Mahatma Gandhi und Martin Luther King“. Sie lasen die Bücher Stride Toward Freedom von Martin Luther King und The Power of Nonviolence von Richard Gregg. Außerdem befassten sie sich mit praktischen Anweisungen wie Rules for Action und How to Practice Nonviolence. Auf Anregung von Ella Baker wurde eine Nationalkonferenz aller Sit-in-Führer einberufen. 212 Studentenführer folgten dem Aufruf; die meisten kamen aus den Südstaaten, einige aber auch aus dem Norden. King und Lawson waren die Hauptredner. Kings Vorschlag, eine Art ständiger Organisation ins Leben zu rufen, wurde angenommen. Sie nannte sich Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC, Studentisches gewaltloses Koordinierungskomitee). In seinen Statuten hieß es: „Das philosophische oder religiöse Ideal der Gewaltlosigkeit ist das Fundament unserer Ziele, die Voraussetzung unseres Glaubens und Handelns. Die Gewaltlosigkeit, wie sie aus der
jüdischchristlichen Tradition hervorgegangen ist, versucht eine Sozialordnung auf der Basis einer von Liebe getragenen Gerechtigkeit zu verwirklichen.“ Die Sit-ins wurden pausenlos fortgesetzt, und im August konnte der Southern Regional Council (SRC) bekannt geben, dass die Segregation in den Imbiss-Stuben in 27 Städten des Süden abgeschafft worden war. Der neu ernannte Exekutivdirektor der SCLC von Atlanta, Wyatt Tee Walker, erklärte, dass die Sit-ins in sechs Monaten mehr erreicht hätten als jahrelange kostspielige Prozesse vor den Gerichten. „Unsere Boykottmaßnahmen gegen Geschäfte haben nicht das Ziel, sie in den Bankrott zu treiben“, sagte er, „sondern sie zu einem ethischen Wandel in ihrem Verhalten zu veranlassen.“ Die Studenten hatten unter anderem das größte Kaufhaus des Südens, „Rieh’s“, für ein Sit-in ausgewählt. Es besaß fünf große Restaurants für Weiße und nur eine kleine Cafeteria für Schwarze. Martin Luther King und sein Bruder Alfred-Daniel schlössen sich den Studenten aus Solidarität an. Als sie Einlass zu den Restaurants begehrten, wurden sie am 25. Oktober zusammen mit 75 schwarzen Studenten verhaftet. Bei seiner Festnahme erklärte King, er würde zehn Jahre im Gefängnis verbringen, falls dies der Preis für die Abschaffung der Segregation bei „Rieh’s“ sei. Man hatte verabredet, im Gefängnis zu bleiben und keine Kaution zu stellen. Einige Tage vergingen; Kings inzwischen fünf Jahre alte Tochter Yolanda fragte zum ersten Mal ihre Mutter: „Warum muss Daddy ins Gefängnis?“ Schließlich wurden alle freigelassen, auch King. Nach einem ähnlichen Protest Anfang Oktober 1960 in Albany wurde er erneut mit zahlreichen Studenten festgenommen. Auch diesmal kamen alle bald wieder frei – mit Ausnahme von Martin Luther King. Ihn hielt man wegen eines weiteren „Deliktes“ fest: Nach seinem Umzug von Montgomery, Alabama, nach Atlanta, Georgia, hatte er versäumt, seinen Führerschein umschreiben zu lassen. Er wurde für schuldig befunden und zu vier Monaten
Zwangsarbeit im staatlichen Gefängnis von Reidsville verurteilt. Er musste Ketten tragen und wurde in Isolierhaft gehalten. Es war die Zeit der Präsidentschaftswahlen in den USA, und die ganze Nation stand im Zeichen der Bürgerrechtskämpfe. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Richard Nixon gab keinerlei Kommentar zu Kings Verhaftung und den Gefahren ab, denen er sich in dieser Haftanstalt, einer Hochburg des Ku-KluxKlans, ausgeliefert sah. Doch ein Mitarbeiter von John F. Kennedy, Harris Wafford, begriff schnell und handelte. Wafford, Rechtsanwalt von Beruf, ein Verehrer Gandhis und Mitglied der FOR, veranlasste Senator John F. Kennedy, Frau King anzurufen und ihr seine Hilfe anzubieten. Robert Kennedy, der die Wahlkampagne seines Bruders leitete, setzte sich mit dem zuständigen Richter in Verbindung und erreichte, dass King gegen eine Kaution von 2.000 Dollar auf freien Fuß gesetzt wurde. Martin Luther Kings Vater, politisch konservativer eingestellt als sein Sohn, unterstützte seitdem öffentlich die Kandidatur von John F. Kennedy. King entschloss sich hingegen, weder Nixon noch Kennedy öffentlich zu befürworten und widmete sich weiterhin ganz dem Kampf zur Beseitigung der Rassendiskriminierung. Nach seiner Freilassung flog King sofort nach Atlanta. In der Ebenezer Baptist Church hatten sich rund 800 Menschen eingefunden. In einem Dank- und Gebetsgottesdienst sagte King: „Wir müssen bereit sein zu leiden, Opfer zu bringen und sogar zu sterben. Wir müssen weiterhin den Mut haben, das System der Rassentrennung zu bekämpfen, wo immer es sich zeigt: in Schulen, christlichen Kirchen, Restaurants, öffentlichen Parks und Bibliotheken.“ Wenige Tage später wurde John F. Kennedy zum neuen USPräsidenten gewählt. „Vermutlich haben die Historiker recht, wenn sie glauben, Kennedys Intervention im Fall Martin habe ihm das Präsidentenamt eingebracht“, schrieb Coretta Scott King in ihrer Autobiographie. 85 Prozent der wahlberechtigten Schwarzen gaben Kennedy ihre Stimme, weniger als 15 Prozent entfielen auf seinen Gegenkandidaten Richard Nixon.
Im Frühjahr 1961 beschloss man, Sit-ins auf den Straßen abzuhalten und „Freiheitsfahrten“ zu organisieren, die zur Gleichbehandlung der Schwarzen in den Überlandbussen von Virginia, North und South Carolina, Alabama und Mississippi führen sollten. Das geschah in Absprache mit der SCLC und dem SNCC auf der Basis einer kurz zuvor erlassenen Bestimmung. Präsident Kennedy wurde informiert in der Hoffnung, seine Regierung zur Unterstützung zu veranlassen. Am 4. Mai bestiegen schwarze und weiße Freiwillige die großen Greyhound- und Trailway-Busse. Für die Freedom-Riders (Freiheitsfahrer) begann ein risikoreiches Unternehmen, und in der Tat stießen sie bald in den Städten des Südens auf gewalttätige weiße Rassenfanatiker. Die erste Verhaftung erfolgte in Charlotte, North Carolina; aber erst in Rock Hill, South Carolina, geriet die Lage außer Kontrolle. Eine weiße Bande zerrte die Freiheitsfahrer aus den Bussen, pöbelte sie an und verprügelte sie. John Lewis, ein schwarzer Theologiestudent, und Albert Bigelow, ein ehemaliger Fregattenkapitän der US-Kriegsmarine, wurden zusammengeschlagen, ohne dass sie sich zur Wehr setzten. Doch nicht die Randalierer und Gesetzesbrecher wurden verhaftet, sondern ihre Opfer. Am 14. Mai wurde in Anniston, Alabama, ein Greyhound-Bus in Brand gesteckt, die Fenster des Busses eingeschlagen und seine Reifen aufgeschlitzt. Als die Freiheitsfahrer das Fahrzeug verließen, wurden sie schwer misshandelt. Pastor Fred Shuttlesworth kam mit mehreren Autos zum Tatort, um die Verletzten in das Krankenhaus von Birmingham zu transportieren. Bilder von brennenden Bussen, hassverzerrten Gesichtern, blutenden, sich nicht wehrenden Männern und Frauen füllten die Fernsehnachrichten und die Zeitungen. Die örtlichen Polizeikräfte unternahmen nichts zum Schutz der Freiheitsfahrer. Erst als 600 Mann der Nationalgarde auf Anordnung von Justizminister Robert Kennedy erschienen, zog sich die rasende Menge zurück. Zwar nahm das FBI neun Weiße wegen ihrer Teilnahme an den Überfällen fest, doch kamen alle bald wieder auf freien Fuß. Die Anklagen wurden fallen
gelassen, niemand wurde zur Rechenschaft gezogen. Die „JimCrow“-Mentalität hatte wieder gesiegt. Die Welle der Gewalt und die Verhaftungen von Schwarzen gingen weiter, aber die Freiheitsfahrer gaben nicht auf. Vor allem in Birmingham und Montgomery kam es immer wieder zu Ausschreitungen. Am 20. Mai wurden John Siegethaler, ein weißer Mitarbeiter von Justizminister Robert Kennedy, sowie der Chefredakteur von Time-Life zusammengeschlagen. Für den Abend hatte King in der First Baptist Church von Ralph Abernathy einen Gottesdienst angesetzt. 1.200 Weiße und Schwarze füllten das Gotteshaus. Mehrere tausend Gegner umzingelten das Gebäude. Sie warfen die Kirchenfenster ein und drohten, das Gebäude niederzubrennen. King gab dem Gouverneur von Alabama, John Patterson, die Schuld an der Eskalation. In seiner Rede sagte er unter anderem: „Das Gesetz kann niemanden zwingen, mich zu lieben, aber es kann ihn davon abhalten, mich umzubringen.“ Die ganze Nacht über hielt die Belagerung an. Während sich draußen der Rassenwahn in Beschimpfungen und Drohungen erging, fassten sich in der Kirche die Menschen an den Händen und sangen: „We shall overcome“. Gegen Morgen gelang es den verstärkten Nationalgarden, den Mob zu zerstreuen, und die Teilnehmer des Gottesdienstes konnten endlich heimgehen. Für sie war es eine entmutigende Nacht des Schreckens gewesen, eine Begegnung mit der irrationalen Grausamkeit des Rassismus. Dennoch wurden die Freiheitsfahrten in den folgenden Monaten fortgesetzt, und schließlich wurden auf Anregung der Interstate Commerce Commission (ICC) in allen Bussen und an allen Bushaltestellen Plakate aufgehängt mit dem Hinweis, dass jede Diskriminerung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion oder Herkunft gegen die Landesgesetze verstoße. Von November 1961 bis August 1962 dehnte sich die Bewegung auf zwanzig Staaten und mehr als hundert Städte im Süden und Norden der USA aus. An den gewaltlosen Kundgebungen beteiligten sich insgesamt über 70.000 Schwarze und Weiße. 3.600 Männer und Frauen
wurden inhaftiert und verbüßten zumeist eine ungerechte Strafe. Nahezu 200 Studenten sowie 58 Professoren verloren ihren Studien- bzw. Arbeitsplatz an Colleges und Universitäten. Doch am Ende gab es weitaus weniger „weiße“ Restaurants, „weiße“ Lichtspieltheater, „weiße“ Bibliotheken und „weiße“ Supermärkte. Die Freiheitsfahrer und die Sit-ins hatten der Sache der Rassenintegration einen unschätzbaren Dienst erwiesen. King selbst durchlebte zu jener Zeit, ungeachtet der sich abzeichnenden Erfolge, wiederum eine schwere Krise. Er dachte sogar daran, seine Führungsrolle innerhalb der Bewegung abzugeben. Der Theatermanager Sol Hurok machte King das verlockende Angebot, für ein garantiertes Mindesteinkommen von 100.000 Dollar pro Jahr eine Vortragsreise durch die ganze Welt anzutreten. King lehnte ab und wurde schließlich in seiner Berufung bestärkt, sich ungeteilt dem Kampf gegen die Ungerechtigkeit zu widmen. Er fühlte sich von Gott gerufen, und diesem Anruf wollte er nicht untreu werden.
Die Kampagne von Birmingham Im Jahr 1963 konzentrierte die Bürgerrechtsbewegung ihre Anstrengungen auf Birmingham, die Stadt „mit der wahrscheinlich strengsten Rassentrennung in den USA“ (King). Wenn es gelänge, hier Fortschritte zu erzielen, würde dies eine Signalwirkung für den ganzen Süden der USA haben. Doch große Teile der Bevölkerung, darunter auch viele Schwarze, bestanden auf strikter Segregation. Ihnen ging es in der reichen Industriemetropole wirtschaftlich gut, und sie wussten, dass sich auf den Wirtschaftsablauf nichts störender auswirkte als Demonstrationen und Unruhen unter den Arbeitern. Von 1957 bis 1962 hatte es hier siebzehn Bombenattentate auf Kirchen und Häuser der Schwarzen gegeben, ohne dass die Polizei die Schuldigen fand. King sagte über Birmingham: „Im ganzen Land gab es keinen Ort, der mit Birmingham vergleichbar gewesen wäre. So lange sind hier die Menschenrechte mit Füßen getreten worden, dass Angst und Unterdrückung schwelend über der Stadt lagen – wie der giftige Qualm der Fabriken. Finanzielle Interessen waren hier mit einem Machtgefüge verquickt, das sich über den ganzen Süden erstreckte und bis in den Norden hinaufreichte. Alle Übel und Ungerechtigkeiten, die Schwarze erleiden können, waren in Birmingham wie in einem Brennglas konzentriert.“ Die Kampagne zur Aufhebung der Rassentrennung begann mit einem Sit-in am 3. April 1963. Ein Abkommen über die Beendigung der Rassentrennung wurde am 10. Mai zwischen Vertretern der weißen Geschäftsleute und des schwarzen Bevölkerungsteils geschlossen. Fred Shuttlesworth, ein ebenso furchtloser wie mutiger Pastor, hatte bereits eine kleine, aber stark motivierte Gruppe von schwarzen Pastoren geschult, um den Rassismus in der Stadt zu bekämpfen. Er rief zum Boykott der Geschäfte im Zentrum auf. Unter Kings Leitung wurde die Kampagne von Birmingham
sorgfältig vorbereitet. Er stützte sich hierbei auf das Erziehungsprogramm von Dorchester, South Carolina, das Andrew Young und Dorothy Cotton nach den Grundgedanken Gandhis ausgearbeitet hatten. King wollte die Stadt mit vier Forderungen konfrontieren: 1. Aufhebung der Rassentrennung für Erfrischungsräume, Toiletten, Anproberäume und Trinkfontänen in Waren- und Kaufhäusern; 2. gleichberechtigte Einstellung von Schwarzen durch Geschäfte und Industriebetriebe in Birmingham; 3. Aufhebung aller Anklagen gegen inhaftierte schwarze Demonstranten; 4. Schaffung eines gemischtrassischen Ausschusses, der einen stufenweisen Abbau der Rassentrennung auch auf den übrigen Gebieten in Birmingham ausarbeiten sollte. Außer Young und Cotton kamen auch Bernard Lee, James Lawson, Diane Nash und James Bevel aufgrund ihrer großen Erfahrungen innerhalb der Bewegung nach Birmingham. King hatte Lawson 1957 in Oberlin kennen gelernt, wo dieser Theologie studierte. Lawson, Sohn eines Methodistenpfarrers, hatte als Kriegsdienstverweigerer eine einjährige Gefängnisstrafe verbüßt. Er hatte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, am Koreakrieg teilzunehmen. Nach seiner Haftentlassung war er als Missionar nach Indien gegangen, wo er mit Gandhis Gewaltlosigkeit vertraut wurde. In dieser Zeit hörte er vom BusBoykott in Montgomery; er war überzeugt, dass man satyagraha auch auf die amerikanischen Rassenprobleme anwenden konnte. Er erinnerte sich, dass Gandhi dem bekannten amerikanischen Schriftsteller Howard Thurman einmal prophezeit hatte, eines Tages werde ein schwarzer Amerikaner seine Botschaft weitertragen. Lawson war überzeugt, dieser Mann sei Martin Luther King. Nach seiner Rückkehr aus Indien trat Lawson in das Seminar von Oberlin ein. Dort traf er mit King zusammen, als dieser vor Studenten eine Rede hielt. Als die beiden Männer
einander begegneten, wurde sogleich ihre geistige und spirituelle Verwandtschaft offenbar. Beide waren damals 28 Jahre alt, von charismatischer Ausstrahlung und dem Ideal der Gewaltlosigkeit verpflichtet. Lawson dachte daran, seine Studien mit der Promotion in Oberlin abzuschließen, doch King überredete ihn, den Plan aufzugeben und in den Süden zu kommen, weil die Bewegung dringend Männer von der Erfahrung Lawsons benötige, um andere in Theorie und Praxis der Gewaltlosigkeit auszubilden. Die FOR sandte Lawson nach Nashville, einer Studentenstadt, die für einen Wandel aufgeschlossener schien als die Städte im tiefen Süden wie etwa Atlanta. Lawson und Smiley hielten Tagungen und Kurse über Gewaltlosigkeit in zahlreichen Städten des Südens ab, Lawson widmete sich insbesondere dem Aufbau einer gut geschulten Studentenbewegung in Nashville. Aus dieser Keimzelle ging eine erfolgreiche Sit-in-Bewegung hervor, die schließlich – mit Leuten wie Bernard Lafayette, Diane Nash, James Bevel, Marion Berry und John Lewis – eine führende Rolle in der nationalen Bürgerrechtsbewegung übernahm. Als man die Kampagne von Birmingham plante, war es nur natürlich, dass man auf die Führungsgruppe der Sit-ins von Nashville zurückgriff. Die SCLC wusste, dass die Kampagne nicht leicht sein würde und deshalb eine umso sorgfältigere Planung erforderte. Nächtliche Gottesdienste mit Gebeten, Gesängen und Ansprachen schweißten die Gemeinde enger zusammen und dienten der geistigen und religiösen Vorbereitung. Praktizierende Gläubige waren damit vertraut, dass während des Gottesdienstes dazu eingeladen wurde, in den Altarraum zu treten, um vor der versammelten Gemeinde das eigene Leben Christus zu weihen. Ähnliche „Rufe zum Altar“ wurden nun für diejenigen eingeführt, die bereit waren, ihr Leben durch ihre Teilnahme an der gewaltlosen Kampagne für Christus zu opfern. Man forderte sie auf, Waffen und Messer abzugeben und einzig auf die Macht der Wahrheit zu vertrauen. Texte der Heiligen Schrift erschienen in einem neuen Licht; vertraute Stellen wurden als persönlicher
Anruf verstanden, etwa die Verse aus dem Epheserbrief: „Legt die Rüstung Gottes an, damit ihr am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt. Seid also standhaft: Gürtet euch mit Wahrheit, zieht als Panzer die Gerechtigkeit an und als Schuhe die Bereitschaft, für das Evangelium vom Frieden zu kämpfen. Vor allem greift zum Schild des Glaubens! Mit ihm könnt ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen. Nehmt den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist das Wort Gottes. Hört nicht auf, zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus…“(Eph 6,13-18). Gandhis satyagraha gemäß wurde für den bevorstehenden Kampf in Birmingham eine gewaltlose „Armee“ aufgestellt – ausgerüstet mit keinen anderen Waffen als der Wahrheit, mit keiner Uniform als jener der Entschlossenheit, mit keinem Nachschub als ihrem Glauben, mit keinen Ressourcen als einzig ihrem Gewissen. Sie würden vorwärts rücken, aber nicht schießen, Kampflieder singen, aber den Gegner nicht niedermetzeln, den Feind in die Enge treiben, ohne zurückzuweichen. Sie wollten die Bastionen des Hasses stürmen, die Hochburgen der Segregation belagern und die Symbole der Diskriminierung beseitigen. Ihren Fahneneid hatten sie einzig Gott geschworen, und ihre Strategie war das Hören auf die schlichte, aber beredte Stimme des Gewissens. Die Rekruten für die Kampagne wurden aus den Teilnehmern an den Massenveranstaltungen ausgewählt. Ein Leadership Training Committee (LTC) wurde eingerichtet, um die Freiwilligen auszuwählen und auszubilden. Das Training beinhaltete unter anderem die Simulation von Situationen, wie sie sich bei Kundgebungen, Märschen und Sit-ins ergeben konnten. Die Rollenspiele umfassten verbale und physische Attacken von Seiten der Sicherheitskräfte; eigens ausgewählte Zuschauer unterstützten die Führungskräfte bei ihrer Entscheidung, wer an der ganzen Kampagne teilnehmen könne. Dokumentarfilme erläuterten die Geschichte der gewaltlosen Proteste. Als besonders
hilfreich erwiesen sich in diesem Zusammenhang Filme über Mahatma Gandhi und die Freiheitsbewegung in Indien: Walk to Freedom (Der Freiheit entgegen), über den Bus-Boykott in Montgomery sowie ein Dokumentarstreifen der NBC über die Sitins in Nashville. Jeder Teilnehmer an der Initiative in Birmingham musste folgende Erklärung unterschreiben: „Hiermit verpflichte ich mich, mich… in den Dienst der gewaltlosen Bewegung zu stellen. Deshalb werde ich die folgenden zehn Gebote einhalten: 1. jeden Tag über die Lehren und das Leben Jesu nachzudenken; 2. nie zu vergessen, dass die gewaltlose Kampagne in Birmingham Gerechtigkeit und Versöhnung anstrebt, nicht den Sieg; 3. im Geist der Liebe zu wandeln und zu sprechen, denn Gott ist die Liebe; 4. täglich darum zu beten, dass Gott mich benützen möge, allen Menschen zur Freiheit zu verhelfen; 5. persönliche Wünsche hintanzustellen, um allen Menschen zur Freiheit zu verhelfen; 6. im Umgang mit Freund und Feind die Regeln der Höflichkeit zu beachten; 7. danach zu trachten, stets dem Nächsten und der Welt zu dienen; 8. mich der Gewalttätigkeit der Faust, der Zunge und des Herzens zu enthalten; 9. mich zu bemühen, in guter geistiger und körperlicher Verfassung zu leben; 10. den Anweisungen der Bewegung und des Leiters der Demonstration zu folgen.“ Das waren wohl der eigenartigste Eid und die seltsamste „Armee“, die es je gegeben hat. Wie die Führer ihr Vorhaben verstanden, verdeutlicht eine Äußerung von Fred Shuttlesworth in der New Yorker Wohnung von Harry Belafonte: „Man muss bereit sein zu sterben, bevor man wirklich zu leben beginnt.“
Noch im Januar 1963 hatten Abernathy, Shuttlesworth und King Präsident John F. Kennedy und Justizminister Robert Kennedy eindringlich, aber vergeblich gebeten, die Bürgerrechtsgesetzgebung voranzutreiben. Die Proteste in Birmingham begannen am 3. April 1963. Der Bürgermeister der Stadt, Arthur Hanes, galt als Befürworter der Rassentrennung; sein Kommissar für öffentliche Sicherheit, Eugene „Bull“ Connor, als überzeugter, rücksichtsloser Rassist. Sie führten ihren Kampf mit allen Mitteln, angefangen von Gerichtsverfahren bis zu brutaler Gewaltanwendung. Mit Polizeihunden, Wasserwerfern und Gummiknüppeln hetzte Connor seine Leute gegen die friedlichen Demonstranten. Bis zum 5. April nahm „Bull“ Connor 35 Personen fest. Am darauf folgenden Tag kamen weitere 45 hinzu. Täglich gab es Demonstrationen und Verhaftungen. Die Gefängnisse füllten sich. Mit seinem ausgeprägten Sinn für symbolträchtige Handlungen hatte King den 12. April, den Karfreitag, gewählt, um sich verhaften zu lassen. Zu seinen Gefolgsleuten sagte er noch einmal, wie fest er davon überzeugt sei, dass unverdientes Leiden eine erlösende Kraft habe und den Anfang setze für eine Entwicklung zu größerer Liebe, mehr Verständnis und mehr Hoffnung. Als er dann einen Protestmarsch vom Hauptquartier der Bewegung, der Zion Hill Church, anführen wollte, stießen sie auf ein massives, mit Hunden und Schlagstöcken ausgerüstetes Polizeiaufgebot. King selbst, Ralph Abernathy und etwa fünfzig weitere Teilnehmer wurden verhaftet. Insgesamt waren somit bereits vier- bis fünfhundert Menschen inhaftiert. Mehr als 24 Stunden wurde King in Einzelhaft gehalten, ohne Möglichkeit, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Niemand, nicht einmal seine Anwälte, durften ihn besuchen. Später nannte King diese Stunden die „längsten, zermürbendsten und verwirrendsten meines Lebens“. Nachdem sich Präsident John F. Kennedy für ihn eingesetzt hatte, wurde die Einzelhaft aufgehoben. Er blieb acht Tage in Haft.
Während dieser Zeit schrieb King seinen berühmt gewordenen „Brief aus dem Gefängnis in Birmingham“, der in der Folgezeit zu einem Klassiker der Gefängnisliteratur wurde. Der Brief war eine Antwort auf eine Verlautbarung von acht weißen Geistlichen – Protestanten, Katholiken und Juden –, die sich als „gemäßigt“ ausgaben und die Kampagne als „unklug und unzeitgemäß“ verurteilt hatten. Sie erklärten, die Gerichte seien die einzig zuständige Instanz, um die Segregation aufzuheben, und sprachen sich dagegen aus, dass „Extremisten von auswärts den Frieden in der Stadt störten“. Kings Antwortschreiben, auf Zeitungsrändern, Toilettenpapier und benutzten Briefumschlägen verfasst, wurde auf abenteuerliche Weise nach draußen geschmuggelt. Als er am 20. April die Haftanstalt verließ, kursierten rund eine Million (!) Exemplare dieses Briefes in den USA. King sprach die acht Geistlichen als seine Amtsbrüder an und erklärte ihnen, warum er in Birmingham sei. Unter anderem schrieb er: „Fast bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass das große Hindernis für den Schwarzen auf seinem Weg zur Freiheit nicht aus weißen Männern der Bürgerräte oder des Ku-Klux-Klans besteht, sondern darin, dass der ,gemäßigte’ Weiße der Idee der ,Ordnung’ größere Bedeutung beimisst als der Gerechtigkeit. Sie haben unsere Tätigkeit in Birmingham als ,extrem’ bezeichnet. War nicht Jesus ein Extremist der Liebe, als er forderte: ,Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen und verfolgen?’ War Paulus kein Extremist für das Evangelium Christi, als er schrieb: ,Ich trage die Wundmale Christi an meinem Leib’? War Abraham Lincoln kein Extremist, als er ausrief: ,Dieses Volk kann nicht bestehen bleiben, wenn es zur Hälfte versklavt ist und zur Hälfte frei.’ Oder Thomas Jefferson: ,Wir haben die Wahrheit offenkundig erkannt, dass alle Menschen gleich sind vom Augenblick ihrer Erschaffung an.’ Die Frage ist nicht, ob wir Extremisten sein wollen, sondern vielmehr, Extremisten welcher Art. Wollen wir Extremisten des Hasses oder der Liebe sein? Werden wir Extremisten für die Fortdauer der Ungerechtigkeit
oder für die Ausbreitung der Gerechtigkeit sein? Vielleicht bin ich zu optimistisch, und vielleicht erwarte ich zu viel. Vermutlich hätte ich mir bewusst werden sollen, dass nur wenige Verständnis aufzubringen vermögen für das Stöhnen und die leidenschaftliche Sehnsucht der unterdrückten Rasse; noch viel kleiner ist die Zahl derer, die klar erkennen, dass die Ungerechtigkeit durch kraftvolles, konsequentes und entschlossenes Handeln ausgerottet werden muss. Aber ich bin dankbar, dass einige unserer weißen Brüder das Wesen dieser gesellschaftlichen Umwälzung erkannt und sich ihr verschrieben haben. Sie schmachteten in verdreckten und von Ungeziefer verseuchten Gefängnissen, wo sie die Schmähungen und Misshandlungen von Polizisten erdulden mussten, die sie als ,schmutzige Negerfreunde’ (dirty niggerlovers) beschimpften. Ganz im Gegensatz zu ihren ,gemäßigten’ Brüdern und Schwestern haben sie die Dringlichkeit der Stunde erfasst. Ich hatte erwartet, dass die weißen Kirchen uns unterstützen würden. Ich glaubte, dass die weißen Pfarrer, Pastoren, Geistlichen und Rabbiner im Süden zu unseren stärksten Bundesgenossen zählen würden. Stattdessen gab es unter ihnen einige, die sich offen gegen uns stellten und es ablehnten, der Freiheitsbewegung Verständnis entgegenzubringen, ja sogar ihre Anführer verleumdeten. Allzu groß war die Zahl der Geistlichen, die sich mehr in vorsichtigem Schweigen als in mutigen Stellungnahmen gefielen; sie verharrten still und lautlos hinter der sterilen Sicherheit ihrer bunten Kirchenfenster. Ja, in grenzenloser Enttäuschung habe ich über die Unentschlossenheit und Trägheit der Kirche geweint. Ich liebe die Kirche sehr. Wie könnte es auch anders sein? Ich bin einer der wenigen, die Sohn, Enkel und Urenkel von Pfarrern sind. Ja, ich sehe in der Kirche den Leib Christi. Aber ach, wie haben wir diesen Leib aus sozialer Verantwortungslosigkeit und aus Angst heraus geschändet und verunstaltet! Wenn unsere Kirche nicht aufs Neue zur Opferbereitschaft der Urkirche zurückfindet, dann wird sie bald ohne Glaubhaftigkeit dastehen, die treue Anhänglichkeit von
Millionen Gläubigen verlieren und als ein unbedeutender Gesellschaftsklub abgeschrieben werden, der im 20. Jahrhundert nichts mehr zu vermelden hat. Tagtäglich treffe ich junge Menschen, deren Enttäuschung über die Kirche in offenem Widerwillen gipfelt. Vielleicht war ich wieder einmal zu optimistisch. Vielleicht ist die organisierte Religion zu unlösbar mit dem Status quo verquickt, als dass sie noch fähig wäre, unser Volk und die Welt zu retten? Aber immer wieder werde ich Gott dafür danken, dass einige edle Seelen der Kirchenführung die lähmenden Fesseln der Konformität abstreifen und sich uns im Kampf um die Freiheit anschließen. Einige sind von ihren Gemeinden im Stich gelassen worden und haben die Unterstützung seitens ihrer Amtskollegen und ihrer Bischöfe eingebüßt. Aber sie handelten in dem Glauben, dass das besiegte Recht doch stärker ist als das triumphierende Unrecht.“ Die Beunruhigung der „gemäßigten“ Geistlichen über den zivilen Ungehorsam, so King in seinem Schreiben weiter, verkenne die Unterscheidung zwischen gerechten und ungerechten Gesetzen, die auf die Bibel selbst zurückgehe. Kein Geringerer als Augustinus habe bereits klargestellt, dass ein „ungerechtes Gesetz überhaupt kein Gesetz“ sei. King rief seinen Amtsbrüdern ins Gedächtnis, dass Hitler seine verabscheuungswürdigen Verbrechen legal begangen habe, während die ungarischen Freiheitskämpfer illegal handelten, als sie sich gegen ihre kommunistischen Tyrannen erhoben. Juden während des Naziregimes zu helfen war illegal. Doch waren die Widerstandskämpfer etwa im Unrecht? Und waren die Schwarzen etwa im Unrecht, als sie sich gegen die lähmenden und unmoralischen Segregationsstatuten erhoben? Oder folgten sie nicht vielmehr einem höheren Gesetz, das alle Menschen guten Willens anerkennen sollten? „Ich hege keinerlei Zweifel am endgültigen Erfolg unseres Kampfes in Birmingham“, fuhr King fort, „selbst wenn unsere Beweggründe gegenwärtig noch missverstanden werden. Wir
werden unser Ziel, die Freiheit in Birmingham und allerorts, erreichen; denn das Ziel Amerikas ist die Freiheit. Wir hoffen, dass sich die dunklen Wolken rassistischer Vorurteile bald verflüchtigen, dass sich der dichte Nebel des Missverstehens von unseren furchtgeschwängerten Städten und Gemeinden heben wird und dass in naher Zukunft die glänzenden Sterne der Liebe und Geschwisterlichkeit in ihrer hinreißenden Schönheit über unserer Nation erstrahlen werden.“ Am Nachmittag des Ostersonntags fand ein Protestmarsch von der New Pilgrim Baptist Church zu den Mauern des Gefängnisses statt, in dem King und zahlreiche Mitstreiter inhaftiert waren. Über 5.000 Menschen nahmen in ihrer feinsten Sonntagsgarderobe an der Demonstration teil. Doch zwei Häuserblocks vor der Haftanstalt stießen sie auf „Bull“ Connor und seine Leute, die mit Panzerspähwagen und Wasserwerfern angerückt waren. Als der Anführer des Marsches, Andrew Young, die Menge zum Gebet aufrief, knieten sich die 5.000 Teilnehmer spontan nieder, beteten und sangen. Nach wenigen Minuten stand einer der Führer auf und forderte die Menge auf, weiter in Richtung Gefängnis zu marschieren. Als die Leute aufstanden und langsam vorwärts gingen, befahl Connor der Polizei, die Menge zu zerstreuen und die Wasserwerfer einzusetzen. Doch überraschenderweise hielten die Sicherheitskräfte inne und schauten wie gebannt auf die Menge. Eine alte Frau schrie: „Allmächtiger Gott, öffne noch einmal das Rote Meer!“ Als Andrew Young diese Geschichte später auf der Kanzel der Riverside Church in New York City erzählte, war die Gemeinde tief beeindruckt von diesem Beispiel der Macht der Ohnmächtigen und der unbewaffneten Liebe, die den Hass überwindet. Nach acht Tagen wurden King und Abernathy gegen Zahlung einer Kaution von 300 Dollar freigelassen. Unverzüglich riefen sie ihre Mitarbeiter zusammen. Am Abend des 20. April entschloss man sich auf einer Strategiesitzung im Gaston Motel zu einem außergewöhnlichen Schritt: Die schwarzen Schulkinder
Birminghams sollten in den Kampf miteinbezogen werden. Jim Bevel, Dorothy Cotton, Bernard Lee, Andrew Young und andere besuchten sämtliche Schulen und unterwiesen Tausende im gewaltlosen Protest. Hin und wieder riefen Schulleiter die Polizei, doch die Initiative wurde fortgesetzt. Insgesamt meldeten sich 6.000 Kinder zwischen sechs und sechzehn Jahren freiwillig. So vorbereitet und von jugendlicher Begeisterung getragen, nahte der „Tag der Entscheidung“, den man in Erinnerung an den Tag der Landung der Alliierten in der Normandie „D-Day“ nannte. Der Marsch begann am Donnerstag, dem 2. Mai, nach einem Mittagessen in den Kirchen. Martin Luther King und andere SCLC-Führer sprachen zum ersten Kontingent von Demonstranten, das sich in der Sixteenth Street Baptist Church versammelt hatte. In Gruppen von zehn bis fünfzehn verließen die Kinder die Kirche in Richtung Rathaus, wobei sie sangen: „We shall overcome“. Die Polizei griff ein, Hunderte von Kindern wurden verhaftet und in Schulbussen abtransportiert. Insgesamt ließ „Bull“ Connor an jenem Donnerstag 959 Kinder festnehmen. Einige Demonstranten wurden nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt aufgegriffen. Für den nächsten Tag war ein zweiter „Angriff“ geplant, doch diesmal hatte die Polizei ihre Taktik geändert, und die meisten wurden unmittelbar nach dem Verlassen der Gotteshäuser abgeführt. Diesmal setzte „Bull“ Connor auch Polizeihunde und Wasserwerfer gegen weitere 500 Schulkinder ein. Bilder von Kindern, die von den starken Wasserstrahlen zu Boden geworfen oder von Hunden angefallen worden waren, gingen um die ganze Welt. Präsident John F. Kennedy soll damals gesagt haben: „Bull Connor ist der beste Verbündete, den die Bürgerrechtsbewegung je hatte.“ An darauf folgenden Sonntagen versuchten kleinere Gruppen von Schwarzen, an Gottesdiensten in „weißen“ Kirchen teilzunehmen. Den meisten wurde der Zutritt verwehrt, doch in einigen Kirchen wurden die schwarzen Schwestern und Brüder willkommen geheißen. Am Montag, dem 6. Mai, kam der Schauspieler und Aktivist Dick Gregory aus Chicago, um die
Initiative zu unterstützen. Er führte einen Demonstrationszug von weiteren tausend Schulkindern an. Er selbst trug ein Abzeichen mit der Aufschrift Everybody wants freedom (Jeder wünscht Frieden), während die Kinder das Lied anstimmten: Don’t mind walking ‘cause I want my freedom now. An jenem Montag wurden etwa 800 Kinder verhaftet, bei strömendem Regen auf Lastwagen abtransportiert und über vier Stunden lang festgehalten. Diejenigen, die es wagten zu protestieren, wurden verprügelt und in Einzelhaft genommen. Die Schülerinnen wurden angeblich auf Geschlechtskrankheiten untersucht, wobei dieselben Gummihandschuhe bei allen benutzt wurden. Mädchen, die um eine Kopfschmerztablette baten, wurden Abführpillen verabreicht und dann in Zellen ohne Toiletten gesperrt. Andere wurden gezwungen, die Flure mit Zahnbürsten zu reinigen. Währenddessen lief der „Kinderkreuzzug“ weiter. Jeden Tag kam es zu neuen Verhaftungen. Bald war die Stadt nicht mehr in der Lage, die Festgenommenen unterzubringen. Schließlich entglitt den SCLC-Führern die Kontrolle und es kam zu Gewalttätigkeiten. Gouverneur George Wallace sandte daraufhin Bundestruppen und Einheiten der Autobahnpolizei nach Birmingham. In der folgenden Woche kam es dann endlich zu Verhandlungen. Justizminister Robert Kennedy hatte zu diesem Zweck einen hohen Beamten seines Ministeriums, Burke Marshall, nach Birmingham entsandt. Unter dem Eindruck der Geschehnisse und des Wandels der öffentlichen Meinung aufgrund des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte und der Unerschrockenheit der Schwarzen lenkten der Stadtrat und das weiße Bürgerkomitee von Birmingham ein. Am 10. Mai wurde endlich eine vier Punkte umfassende Übereinkunft erzielt: 1. Aufhebung der Rassentrennung für Erfrischungsräume, Toiletten und Anproberäume sowie Trinkfontänen; 2. nichtdiskriminierende Beförderung und Einstellung von Schwarzen in der gesamten Industrie, in Wirtschaft und Handel sowie innerhalb der Kirche;
3. Zusammenarbeit mit der Bürgerrechtsbewegung mit dem Ziel, alle im Zusammenhang mit den Protesten inhaftierten Personen gegen Bürgschaft oder Kaution freizulassen; 4. Anknüpfung offizieller Kontakte zwischen Schwarzen und Weißen, um zu verhüten, dass weitere Demonstrationen notwendig werden. Danach rief King seine Anhänger auf, vom Protest abzulassen und sich ganz auf Versöhnung einzustellen, da dieser Friedensplan sich weitgehend mit den Forderungen der Bürgerrechtsbewegung decke. Doch obwohl diese Übereinkunft eine spürbare Hoffnung auf ein neues Birmingham nährte, kam es zu weiteren Gewalttaten. Der Ku-Klux-Klan hielt eine Veranstaltung ab, bei der ein Sprecher äußerte, King und Kennedy seien schlimmer als Fidel Castro. Während Fernsehen, Rundfunk und Presse die Einigung vom 10. Mai verbreiteten, wurden Bombenanschläge auf das Haus von Alfred Daniel King und das Gaston Motel verübt. In verschiedenen Stadtteilen kam es zu Kämpfen und Schießereien, und es bedurfte eines großen Einsatzes der SCLC-Führer und anderer Menschen guten Willens, die Ruhe in Birmingham wiederherzustellen und die Bevölkerung zur Annahme des Vier-Punkte-Planes zu bewegen. Am nächsten Abend machte Präsident Kennedy der Nation in einem leidenschaftlichen und eindringlichen Appell klar, dass die Bundesregierung es nicht dulden werde, wenn Extremisten ein faires und gerechtes Abkommen sabotierten. Er entsandte 3.000 Soldaten in die Nähe von Birmingham und traf Vorbereitungen, die Nationalgarde von Alabama unter Bundeskommando zu stellen. Dieses entschlossene Eingreifen gebot den Unruhestiftern schließlich Einhalt. Der Erfolg der Kampagne von Birmingham und der Gesinnungswandel in der Öffentlichkeit veranlassten Präsident John F. Kennedy und seinen Bruder, Justizminister Robert Kennedy, von nun an die Ziele der Bürgerrechtsbewegung nachdrücklich zu unterstützen. Glenn Smiley nannte Dr. King „das Beste, was Amerika zustoßen konnte, und zwar nicht bloß
den Schwarzen, sondern dem ganzen Land“. King selbst bewertete die Übereinkunft von Birmingham als den Höhepunkt eines langen Kampfes um Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde. Bald darauf wurden „Bull“ Connor und seine Kollegen durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Alabama aus ihren Ämtern entfernt. Das goldene Zeitalter war damit zwar nicht angebrochen, aber Birmingham hatte einen kühnen Schritt in Richtung Freiheit getan. In den folgenden Monaten forderten neue Unruhen und Gewalttaten, genährt von Hass, Angst, Unwissenheit und tief verwurzelten Vorurteilen, weitere unschuldige Opfer. Jahrhunderte hindurch hatten die Weißen die verhaltene Klage der unterdrückten Schwarzen nicht vernommen. Jetzt aber war aus der Klage ein Ruf geworden und aus dem Ruf ein lauter Aufschrei. Die weißen Amerikaner sahen sich gezwungen, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Am 12. Juni 1963 wurde der Geschäftsführer der NAACP, Medgar Evers, im Alter von 37 Jahren auf der Treppe seines Hauses in Jackson, Mississippi, erschossen. Er wurde auf dem Heldenfriedhof von Arlington, nahe den späteren Gräbern von John F. und Robert Kennedy, beigesetzt. Im Zweiten Weltkrieg hatte Evers gegen den Rassenwahn Hitlers gekämpft. Nun war er dem Rassismus im eigenen Lande erlegen. Martin Luther King stützte sich bei seinem Kampf auf die jüdischchristliche Tradition sowie auf das demokratische Erbe „einer Nation unter Gott – in Freiheit und Gerechtigkeit für alle“. Diese Fundamente verliehen dem Anliegen der Bewegung einen starken religiösen, moralischen und gesellschaftlichen Aufwind. Gott und das Vaterland wurden angerufen, um „das Höchste und Beste in der menschlichen Natur und ihren Möglichkeiten“ zu verwirklichen. Präsident Jimmy Carter hat später formuliert, King habe „von einem Amerika gesprochen, das es noch nicht gab, das es aber einmal geben werde“. Martin Luther King besaß einen unerschütterlichen Glauben an die Kraft einer gerechten und freien Demokratie. Sein Patriotismus war kein blinder
Vaterlandsfanatismus, sondern von einer echten Liebe geprägt, die an die höchsten Möglichkeiten aller appellierte. Wie sehr er auch durch den Rassismus in all seinen schrecklichen Formen schockiert war, so plädierte er doch nie für eine Rückkehr der Schwarzen in ihre afrikanische Urheimat noch für einen getrennten „Staat der Schwarzen“ in Amerika. Er betrachtete alle als Bürger und Bürgerinnen einer „Stadt auf dem Berge“. Die von ihm angeführte gewaltlose Bewegung mit ihren hohen moralischen Ansprüchen, mutigen Aktionen und einfallsreichen Protesten, die auch zivile Gehorsamsverweigerung einschlössen, konnten helfen, dass man sich in den Vereinigten Staaten auf die eigenen revolutionären Anfänge besann und dass das demokratische Verlangen nach einer Welt ohne Unterdrückung neu belebt wurde. Schon die Gründerväter der Vereinigten Staaten hatten festgehalten, „dass alle Menschen gleich sind vom Augenblick ihrer Erschaffung an“ und dass sie „von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet worden sind, unter anderem dem Recht auf Leben, Freiheit und dem Verlangen nach Glück“. Die Bürgerrechtsbewegung setzte sich mit aller Kraft dafür ein, dass sich die Amerikaner wieder dieses kleinen, aber entscheidenden Wortes „alle“ bewusst wurden – eine Aufgabe, die sich jeder nach Freiheit und Gerechtigkeit verlangenden Generation neu stellt. Obwohl sich das weiße Birmingham nur zögernd an die getroffenen Abmachungen hielt und sie so eng wie möglich auslegte, führte der Erfolg in dieser Stadt zu zahlreichen ähnlichen Kampagnen im ganzen Süden der USA. In einer landesweit übertragenen Fernsehansprache warf Präsident Kennedy im Juni 1963 das ganze Gewicht seines Amtes zugunsten der Freiheitsbewegung in die Waagschale. Es war wie ein Echo auf die Worte Kings, als der Präsident die Beendigung der Rassendiskriminierung als vordringliche moralische Aufgabe bezeichnete, die sich „sowohl aus der Bibel wie aus der amerikanischen Verfassung“ ableite. „Alle Menschen“, so
Kennedy, „sind gleich geschaffen, und die Schmälerung der Rechte eines Einzelnen schmälert am Ende die Rechte aller.“
Auf nationaler Ebene Der Marsch auf Washington Auf dem Hintergrund der Ereignisse von Birmingham brachte Präsident Kennedy im Kongress eine Gesetzesvorlage ein, die Verbesserungen der sozialen, beruflichen und rechtlichen Stellung der Schwarzen festschreiben sollte. Erörterung und Annahme durch das Repräsentantenhaus und den Senat zogen sich jedoch in die Länge. King reiste in jenen Wochen als Redner durch die USA. In Los Angeles sprach er vor 25.000 Menschen, in Chicago vor 10.000 und in Detroit, anlässlich des 20. Jahrestages der tragischen Zwischenfälle von 1943, vor fast 200.000 Menschen. [Am 21. Juni 1943 waren bei Rassenunruhen in Detroit 34 Schwarze ums Leben gekommen]. Der schwarze Politiker A. Philip Randolph schlug vor, einen „Marsch für Arbeit und Freiheit“ nach Washington durchzuführen. Mit seinen 74 Jahren war Randolph eines der ältesten Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung. 1925 hatte er die Brotherhood of Sleeping Car Porters (Bruderschaft der Schlafwagenschaffner) ins Leben gerufen, zu einer Zeit, als den Schwarzen selbst die Mitgliedschaft bei den Gewerkschaften noch untersagt war. Bereits 1941 hatte er einen „Marsch auf Washington“ geplant, um die Schaffung von Arbeitsplätzen für Schwarze in der Verteidigungsindustrie zu erreichen. Präsident Roosevelt gelang es jedoch, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Im Gegenzug erließ der Präsident eine Regierungsverordnung, die jede Diskriminerung aufgrund von Rasse, Religion, Hautfarbe oder Herkunft sowohl in der Verteidigungsindustrie wie bei den Regierungsstellen untersagte. Außerdem setzte er das Fair Employment Practices Committee (FEPC) ein. Im Sommer 1963 lebte die Idee eines „Marschs auf Washington“ wieder auf. Man wollte beweisen, dass die schwarze Bevölkerung Amerikas bereit und- fähig war, ihre Anliegen gewaltlos
vorzubringen. Die negativen, durch anhaltende Vorurteile belasteten Klischees sollten korrigiert werden. Außerdem sollte dem erwähnten Gesetzesvorhaben Präsident Kennedys Nachdruck verliehen werden. Über hundert Bürgerrechtsund Arbeiterorganisationen sowie verschiedene religiöse Gemeinschaften schlössen sich zur Vorbereitung in einer Art „Koalition der Gewissen“, wie man es nannte, zusammen. Zu ihrem Leiter wurde A. Philip Randolph und zu seinem Stellvertreter Bayard Rustin berufen. Präsident Kennedy versuchte zunächst, die Organisatoren von ihrer Initiative abzubringen, da er Zusammenstöße befürchtete, die die Verabschiedung der von ihm eingebrachten Gesetzesvorlage untergraben konnten. Als er jedoch die Entschlossenheit der Koalition sah, ließ er von seinem Vorhaben ab und unterstützte fortan die Initiative. Unter der sorgfältigen Planung von Bayard Rustin wurde der „Marsch auf Washington“ zu einem überwältigenden Erfolg. Die Befürchtung von Zwischenfällen verflog, als die entschlossenen gewaltlosen Marschierer sich der Hauptstadt näherten. Sie kamen mit 30 „Freiheitszügen“ und rund 2.000 „Freiheitsbussen“ aus allen Teilen der USA. Die rund 60.000 Weißen unter den insgesamt 250.000 Teilnehmern, die am 28. August vom Washington-Denkmal zum Lincoln-Denkmal zogen, waren ein ermutigendes Zeichen für den Wandel im Land. Zahlreiche Würdenträger und Prominente waren gekommen, Politiker, Sänger und Veteranen der Freiheitsbewegung, vor allem aber Tausende und Abertausende einfacher Leute. Da marschierten Weiße und Schwarze, Menschen jeden Alters und aller sozialen Schichten miteinander. Es war eine „kämpferische Armee“, deren mächtigste Waffe die Liebe war. Der Schauspieler Dick Gregory eröffnete die Kundgebung mit den Worten: „Als ich das letzte Mal eine so große Menge sah, war ,Bull’ Connor der einzige Sprecher.“ Ralph Bunche und Burt Lancaster kamen eigens aus Paris mit einer Solidaritätsbekundung, die von 1.500 Amerikanern unterzeichnet worden war. Rund 150 Kongressmitglieder waren
anwesend, auch Prominente wie Lena Horne, James Baldwin, Marion Brando und Jackie Robinson. Odetta sang: „Oh freedom“, Peter, Paul and Mary trugen das Lied: „If I had a hammer“ vor und Bob Dylan: „A bullet from the back of a bush took Medgar Evers blood“. Mahalia Jackson einte die Anwesenden mit der Kraft ihrer großen Stimme, als sie „I been buked and I been scored“ anstimmte. Joan Baez sang „We shall overcome“. Erster Sprecher war A. Philip Randolph, der die Kundgebung als „die Vorhut einer Massenrevolution für Arbeit und Freiheit“ bezeichnete. „Das Echo dieser gewaltlosen Revolution“, so fuhr er fort, „wird im ganzen Lande widerhallen, in jeder Stadt und jedem Dorf gehört werden, wo Schwarze aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen, unterdrückt und ausgebeutet werden. Tatsache ist, dass die Regierung unseren Forderungen gleichgültig gegenüberstand, solange wir nicht auf die Straßen gingen.“ Dann stellte Randolph einige Rednerinnen der Kundgebung vor: Diane Nash, die mit James Bevel verheiratet war; Rosa Parks; Merlie Evers, die Witwe des Geschäftsführers der NAACP in Mississippi, Medgar Evers, der vor seinem Haus in Jackson erschossen worden war; Gloria Richardson und die Witwe von Herbert Lee aus Liberty, Mississippi, der von einem Staatsbeamten wegen seines Einsatzes für das Wahlrecht der Schwarzen ermordet worden war. Dr. Eugene Carson Blake sprach im Namen der (Kommission on Religion and Race (CORR) vom Nationalrat der Kirchen. Blake war Moderator der Vereinigten Presbyterianischen Kirche in den USA und wurde später Generalsekretär des Weltkirchenrates in Genf. Seine Anwesenheit war ein deutliches Zeichen für die wachsende Unterstützung der Freiheitsbewegung von Seiten der bedeutendsten Kirchen. In seiner Rede bat er die Anwesenden um Verzeihung für den auch von den Kirchen Amerikas geübten Rassismus. Er sagte zu den Mitgliedern der Bürgerrechtsbewegung: „Ihr spiegelt den wahren Geist Christi wider; ihr habt euch ins Gefängnis werfen lassen, euch den
Wasserwerfern und Polizeihunden ausgesetzt, ja einige von euch haben selbst den Tod riskiert.“ Während der Veranstaltung kam es hinter der Bühne zu einer Krise, als die Organisatoren John Lewis baten, den kämpferischen Ton seiner Rede abzumildern. Schließlich gelang es Randolph, ihn zur Überarbeitung von Teilen seines Manuskriptes zu überreden. Nichtsdestotrotz sagte Lewis – der in größter Armut auf dem Lande in Alabama aufgewachsen war, 22 Mal im Gefängnis gesessen hatte und zwölf Mal zusammengeschlagen worden war –, was seiner Meinung nach gesagt werden musste: „Wir haben es satt, von Polizisten geschlagen zu werden. Wir haben es satt, unsere Leute immer und immer wieder im Gefängnis zu sehen! Und dann verlangt man von uns, wir sollten geduldig sein! Wie lange sollen wir noch geduldig sein? Wir wollen unsere Freiheit und wir wollen sie jetzt! Wir wollen nicht wieder ins Gefängnis, aber wir gehen erneut ins Gefängnis, wenn dies der Preis für Liebe, Geschwisterlichkeit und wahren Frieden sein sollte. Die Kraft unserer Forderungen wird den von Rassenhass gespaltenen Süden in tausend Stücke zersplittern, um sie dann nach Gottes Vorstellung und dem Ideal wirklicher Demokratie gemäß wieder zusammenzufügen.“ Danach stellte Randolph Dr. Martin Luther King als den „moralischen Führer der Nation“ vor. King begann seine Rede, löste sich aber schon nach wenigen Sätzen vom Manuskript. Coretta King erinnert sich: „Während seine Stimme machtvoll über der unüberschaubaren Menge erklang und in die Welt hinausging, war uns allen, als kämen seine Worte aus einer höheren Region, um durch ihn die unterdrückten Menschen vor ihm zu erreichen. Der Himmel tat sich auf, und wir alle schienen verwandelt.“ Er freue sich, sagte King, an einem Ereignis teilzunehmen, das als die größte Demonstration für die Freiheit in die Geschichte der Nation eingehen werde. Er fuhr fort: „Vor hundert Jahren unterzeichnete ein großer Amerikaner [Abraham Lincoln]… die Proklamation zur Befreiung der
Sklaven. Dieser bedeutsame Erlass war ein viel versprechendes Leuchtfeuer der Hoffnung für Millionen schwarzer Sklaven, die von verheerender Ungerechtigkeit gezeichnet waren. Der Erlass kam wie der Anbruch eines strahlenden Tages nach der langen Nacht ihrer Gefangenschaft. Aber hundert Jahre später ist der Schwarze immer noch nicht frei. Hundert Jahre später ist das Leben des Schwarzen immer noch verkümmert aufgrund der Rassentrennung und behindert durch die Ketten der Diskriminierung. Hundert Jahre später lebt der Schwarze auf einer Insel der Armut inmitten eines riesigen Ozeans materiellen Reichtums. Hundert Jahre später schmachtet der Schwarze immer noch am Rand der amerikanisehen Gesellschaft und befindet sich im eigenen Vaterland im Exil. Deshalb sind wir heute hierher gekommen, um diese schändliche Situation anzuprangern. In gewissem Sinne sind wir in die Hauptstadt unseres Landes gekommen, um einen Scheck einzulösen. Als die Architekten unserer Republik die großen Worte der Verfassung und Unabhängigkeitserklärung schrieben, unterzeichneten sie einen Schuldschein, zu dessen Einlösung alle Amerikaner berechtigt sein sollten. Dieser Schein erhielt das Versprechen, dass allen Menschen – ja, Schwarzen wie Weißen – die unveräußerlichen Rechte auf Leben, Freiheit und der Anspruch auf Glück garantiert würden. Heute ist es offenkundig, dass Amerika seinen Verbindlichkeiten nicht nachgekommen ist, soweit es die schwarzen Bürger betrifft. Statt seine heiligen Verpflichtungen zu erfüllen, hat das Land den Schwarzen einen Scheck ausgestellt, der mit dem Vermerk ,Keine Deckung vorhanden’ zurückgekommen ist. Aber wir weigern uns zu glauben, dass die Bank der Gerechtigkeit bankrott ist. Wir weigern uns zu glauben, dass es nicht genügend Gelder in den Tresoren der unzähligen Möglichkeiten in diesem Lande gibt. Es wird in Amerika keine Rast noch Ruhe geben, bis auch dem Schwarzen die vollen Bürgerrechte zuerkannt werden. Die Stürme des Aufruhrs werden weiterhin die Fundamente unserer Nation erschüttern, bis der helle Tag der Gerechtigkeit auch für den
schwarzen Bevölkerungsteil anbricht. Und das muss ich meinem Volke sagen, das an der abgenutzten Schwelle des Tores steht, die in den Palast der Gerechtigkeit führt: Während wir versuchen, unseren rechtmäßigen Platz einzunehmen, dürfen wir uns keiner unrechten Handlung schuldig machen. Lasst uns nicht aus dem Kelch der Verbitterung und des Hasses trinken, um unseren Durst nach Freiheit zu stillen. Ihr seid Veteranen schöpferischen Leidens. Macht weiter und vertraut darauf, dass unverdientes Leiden erlösende Kraft besitzt. Geht zurück nach Mississippi, geht zurück nach Georgia, geht zurück nach Louisiana, geht zurück in die Slums und Gettos der Großstädte im Norden mit dem Bewusstsein, dass die jetzige Situation geändert werden kann und wird. Lasst uns nicht Gefallen finden am Tal der Verzweiflung.“ Dann kam King mit den beschwörenden Worten „Ich habe einen Traum“ zum Höhepunkt seiner Ansprache, die in die Geschichte der USA eingehen sollte: „Heute sage ich euch, meine Freunde: Trotz der Schwierigkeiten von heute und morgen habe ich einen Traum. Es ist ein Traum, der tief verwurzelt ist im amerikanischen Traum, dass diese Nation sich eines Tages erheben und der wahren Bedeutung ihres Glaubens gemäß leben wird. Wir halten die Wahrheit, dass alle Menschen gleich erschaffen sind, für selbstverständlich. Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Geschwisterlichkeit sitzen werden. Ich habe einen Traum, dass eines Tages selbst der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze der Ungerechtigkeit und Unterdrückung verschmachtet, sich in eine Oase der Freiheit und Gerechtigkeit verwandeln wird. Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilen wird.
Ich habe einen Traum, dass eines Tages in Alabama, mit seinen Rassisten, mit einem Gouverneur, von dessen Lippen Worte wie Intervention’ und ,Annullierung der Rassenintegration’ kommen, dass eines Tages genau dort in Alabama kleine schwarze Jungen und Mädchen und kleine weiße Jungen und Mädchen einander als Brüder und Schwestern die Hand reichen werden. Ja, ich habe heute einen Traum! Ich habe einen Traum, dass eines Tages jedes Tal aufgefüllt und jeder Berg und Hügel abgetragen wird. Die rauen Orte werden geglättet und alle unebenen Stellen begradigt. Und die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden und alle Menschen werden es schauen. Das ist unsere Hoffnung, und mit diesem Glauben kehre ich in den Süden zurück. Mit diesem Glauben werde ich fähig sein, aus dem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung zu hauen. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, die schrillen Missklänge in unserer Nation in eine wunderbare Symphonie der Geschwisterlichkeit zu verwandeln. Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, gemeinsam zu arbeiten, gemeinsam zu beten, gemeinsam zu kämpfen, gemeinsam ins Gefängnis zu gehen, gemeinsam für die Freiheit aufzustehen in dem Wissen, dass wir eines Tages frei sein werden. Wenn wir den Ruf der Freiheit erschallen lassen aus jeder Stadt und jedem Dorf, aus jedem Staat und jeder Region, dann werden wir den Tag herbeiführen, an dem alle Kinder Gottes – Schwarze und Weiße, Juden und Heiden, Protestanten und Katholiken – sich die Hände reichen und die Worte des alten Negro-Spirituals singen können: ,Endlich frei! Endlich frei! Großer, allmächtiger Gott, wir sind endlich frei!’“ Nach dieser historischen Kundgebung wurden die Anführer von Präsident John F. Kennedy im Weißen Haus empfangen. In seiner Ansprache sagte der Präsident: „Wir sind tief beeindruckt von dem glühenden Eifer und der ruhigen Würde der Tausenden von Menschen, die sich in der Hauptstadt der Nation versammelt
haben, um ihren Glauben und ihr Vertrauen in unsere demokratische Regierungsform zu bekunden.“ Und er fügte hinzu, dass seine Regierung „ihre Bemühungen fortsetzen werde, um Vollbeschäftigung zu erreichen und jede Diskriminierung bei der Einstellung zu beseitigen“. Neue blutige Unruhen in Birmingham Der „Marsch auf Washington“ bestärkte die Organisatoren in ihrem Entschluss, die Freiheitsmärsche so lange fortzusetzen, bis das Ziel erreicht sei. Am 15. September 1963, etwa zwei Wochen nach der Großkundgebung in der Hauptstadt, detonierte während einer Katechismus-Stunde in der Sonntagsschule der Sixteenth Avenue Baptist Church in Birmingham eine Bombe, die vier schwarze Mädchen tötete und weitere 21 Kinder schwer verletzte. Die ermordeten Mädchen hießen Denise McNair (11), Cynthia Wesley, Carole Robertson und Addie Mae Collins (alle 14). Sie hatten gerade ihre Chorroben angelegt, als die Bombe hochging. Das Thema der Katechese hatte gelautet: „Die verzeihende Liebe“. Am Nachmittag desselben Tages schlug der 16-jährige schwarze Johnny Robinson, aufgewühlt von dem Attentat, auf einen Polizisten ein. Dieser zog seine Dienstpistole und erschoss ihn. Wenig später erschossen zwei weiße Jugendliche den 13-jährigen Virgil Ware. Es war der sechste Mord innerhalb weniger Stunden. Die Urteile, die später ergingen, waren ein Hohn auf die Gerechtigkeit: Die beiden weißen Jugendlichen erhielten sieben Monate Haft auf Bewährung; die Bombenattentäter wurden nicht wegen Mordes, sondern wegen unerlaubten Sprengstoffbesitzes verurteilt. Sie erhielten sechs Monate Gefängnis und 100 Dollar Geldstrafe, doch wenig später erfolgte ihre Freilassung auf Kaution. Zur Beerdigung der vier Mädchen erschien kein einziger weißer Vertreter der Behörden. In seiner Trauerrede vor rund 8.000 Teilnehmern an dem Begräbnisgottesdienst sprach Martin Luther King den Familien der ermordeten Kinder sein tiefes
Beileid aus. Zugleich unterstrich er, dass es unerlässlich sei, an den Imperativ der Gewaltlosigkeit zu glauben. Wörtlich sagte er: „Auch in der Dunkelheit dieser Stunde dürfen wir nicht verzweifeln und keine Bitterkeit in unseren Herzen tragen. Wir dürfen dem Wunsch nicht nachgeben, Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Wir dürfen den Glauben an unsere weißen Schwestern und Brüder nicht verlieren. Wir müssen davon überzeugt bleiben, dass auch derjenige unter ihnen, der sich am weitesten verirrt hat, lernen kann, die Würde und den Wert jeder menschlichen Person zu respektieren.“ Über die vier Mädchen sagte King: „Sie starben nicht umsonst. Gott versteht es, selbst dem Bösen Gutes abzugewinnen. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass unverdientes Leid erlösende Wirkung hat. Das unschuldige Blut dieser kleinen Mädchen kann sehr wohl zur erlösenden Kraft werden, die neues Licht in diese dunkle Stadt bringt. Möge der Tod dieser Kinder den gesamten Süden unserer Nation vom Weg der Unmenschlichkeit auf die Straße des Friedens und der Geschwisterlichkeit führen. Möge dieser tragische Tod von vier jungen Menschen unsere Nation veranlassen, die Aristokratie der Hautfarbe durch die Aristokratie des Charakters zu ersetzen. Möge das von diesen vier unschuldigen Opfern vergossene Blut alle Bürger von Birmingham dazu führen, die negativen Extreme einer dunklen Vergangenheit in positive Extreme einer leuchtenden Zukunft zu verwandeln. Möge dieser tragische Vorfall die weißen Bewohner der Südstaaten zu einer ehrlichen Gewissenserforschung anregen.“ Später schrieb King über das Bombenattentat: „An jenem Tage trug man nicht nur vier junge Schwarze zu Grabe, sondern mit ihnen auch die letzten Reste von Ehre und Anstand.“ Kings Glaube an die erlösende Kraft unverdienter Leiden war geradezu ein Leitthema der Bewegung, die täglich mit Prozessen und Verfolgungen aller Art zu kämpfen hatte. Ihre Führer wurden verleumdet, als Verräter bezeichnet, als Aufwiegler zur Gewalt, als gesetzlose Agitatoren, als Kommunisten. Ihre Häuser und Kirchen wurden in Brand gesteckt, ihre Familien bedroht, und ihr
Leben war in ständiger Gefahr. Und nicht nur die führenden Personen waren betroffen. Etliche, die sich an dem gewaltlosen Kampf beteiligten, verloren ihren Arbeitsplatz, andere waren gezwungen, ihren Wohnort zu wechseln. Man verhaftete und verprügelte sie, Schlagstöcke und Polizeihunde wurden gegen sie eingesetzt. Die Demonstranten – Schwarze wie Weiße, Frauen und Männer, Alte und Junge, Reiche und Arme – zahlten einen hohen Preis für ihr Engagement zur Überwindung des Rassismus. Viele nahmen dies in tiefem Glauben bewusst auf sich. Der Hymnus: „Muss Jesus sein Kreuz alleine tragen und alle Welt geht frei?“ gab in der zweiten Zeile eine Antwort, in der sich ihre Erfahrung widerspiegelt: „Nein, es gibt ein Kreuz für jeden, für dich und für mich.“ Martin Luther King, der zunächst und vor allem ein Pfarrer war, half seinen Leuten, Bitterkeit und Furcht zu überwinden und den Wert ihrer Leiden zu entdecken. Er lebte aus der festen Überzeugung, dass Gott sie trösten und stützen würde, und hielt fest an seinem Traum. Der Preis der Freiheit Der Ausbruch weiterer Gewalt im ganzen Land stellte solche Überzeugungen erneut auf eine harte Probe. Am 22. November 1963 wurde Präsident John F. Kennedy in Dallas, Texas, durch den Schuss eines Heckenschützen ermordet. Als King die Nachricht erfuhr, war er geschockt. Zu seiner Frau sagte er: „Genauso wird es auch mir ergehen. Diese Gesellschaft ist schwer krank. Ich glaube nicht, dass ich diese Revolution überleben werde.“ Doch ungeachtet dieser dunklen Vorahnungen setzte King seinen Weg unerschütterlich fort. Er hatte, mit Jesu Worten gesprochen, die Hand an den Pflug gelegt und würde nicht zurückschauen. Im Mitteilungsblatt der SCLC schrieb er: „Der Schuss aus dem fünfstöckigen Gebäude in Dallas kann nicht als die isolierte Tat eines Geistesgestörten betrachtet werden. Die Aufrichtigkeit uns selbst gegenüber zwingt uns,
hinter das kranke Hirn des Mannes zu sehen, der diesen heimtückischen Anschlag verübte. Gewiss, die Frage ,Wer ermordete Präsident Kennedy?’ ist wichtig, doch für noch wichtiger halte ich die Frage ,Was hat ihn umgebracht?’ Unser verstorbener Präsident wurde durch ein moralisch krankes Klima im Land ermordet, ein Klima, das gekennzeichnet ist durch zahllose Verleumdungen, durch Stürme des Hasses und der Gewalt. Falls dieses Virus des Hasses… nicht unverzüglich wirksam bekämpft wird, wird es uns unweigerlich zum moralischen und geistigen Verhängnis.“ Kennedy war einer von einer ganzen Reihe hoch stehender Persönlichkeiten, die in den Sechzigerjahren in den USA ermordet wurden: Medgar Evers, Malcolm X, Robert Kennedy… – und Martin Luther King. Zwar zeichnete sich allmählich eine Wandlung im Land ab, aber der Preis war unbeschreiblich hoch. Es ist nicht auszuschließen, dass Präsident Kennedy unter anderem auch deshalb ermordet wurde, weil er sich für die Belange der Schwarzen eingesetzt hatte. Er nutzte die Möglichkeiten seines Amtes in einer Weise, dass er für einige seiner Feinde untragbar wurde. Dass der Mord von Dallas die Tat eines Einzelnen, Lee Harvey Oswald, gewesen sein soll, dafür gab es nie eine widerspruchslose Bestätigung. Bis heute sind die Drahtzieher dieser Bluttat im Dunkeln geblieben. Zwischenfälle in Florida Die Ermordung von Präsident Kennedy, die die Aktivitäten der Bürgerrechtsbewegung nicht zum Stillstand brachte, war Vorbote neuer Gewalt. Es gab starke Widerstände gegen die sich anbahnenden großen Wandlungen. Am 19. Juni 1964 führte King in St. Augustine, Florida, eine Demonstration mit dem Ziel an, dass auch schwarze Bewohner die örtliche Badeanstalt benutzen könnten. King wurde verhaftet und gefangen gehalten. Am Ostersonntag wurden neun Frauen, teils schwarze, teils weiße, verhaftet, die sich in dem Schwarzen
vorbehaltenen Speisesaal des Monson Motor Court in St. Augustine aufhielten. Unter den Frauen befand sich die Mutter des Gouverneurs von Massachusetts, Endicott Peabody, sowie die Gattin des ersten schwarzen Bischofs der Episkopalkirche. Vor ihrer Verhaftung hatte Frau Peabody, Gattin eines im Ruhestand lebenden Bischofs der Episkopalkirche, zusammen mit zwei anderen Frauen in der Trinity Episcopal Church das Abendmahl empfangen wollen. Um befürchteten Zwischenfällen vorzubeugen, ließ man den Gottesdienst ausfallen. Den Frauen wurde durch die Ordnungshüter sogar der Zugang zum Gotteshaus verwehrt. Der Rektor der Kirche versuchte den Vorfall damit zu entschuldigen, man habe Leben und Eigentum schützen wollen. St. Augustine, die älteste Stadt der USA (1565 gegründet), lebt vorwiegend vom Fremdenverkehr. Eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten ist der alte Sklavenmarkt. Die kleine Stadt galt als eine Hochburg des Rassismus. Als eine Gruppe von Studenten vor einer Imbiss-Stube ein Sit-in abhielt, wurde sie kurzerhand in dem Lokal eingesperrt und von Mitgliedern des Ku-Klux-Klans brutal verprügelt. Der schwarze Zahnarzt, Dr. R. N. Hayling, ein aktives Mitglied der NAACP, und drei andere Schwarze wurden von Anhängern des Ku-Klux-Klan abgeführt und so lange geschlagen, bis sie bewusstlos waren. Einer der Umstehenden rief den Folterern zu: „Schlagt den Zahnarzt auf die rechte Hand, denn er ist Rechtshänder.“ Der Sheriff traf gerade noch rechtzeitig ein, um zu verhindern, dass die vier bei lebendigem Leibe verbrannt wurden. Für den 26. Mai hatte die Bewegung einen Marsch zum Sklavenmarkt geplant. Doch bald sahen sich die Teilnehmer einem mit Stöcken und Ketten bewaffneten weißen Mob gegenüber. Als die Demonstranten auf die Knie fielen und beteten, schrie einer der Weißen: „Nigger haben keinen Gott!“ Die Polizei schritt nicht ein und überließ die Schwarzen der Wut der Weißen. Ein Kameramann der NBC musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, nachdem er mit einer Kette schwer verletzt
worden war. Die Gewaltakte in St. Augustine hielten an, so dass Martin Luther King die Stadt als „den gesetzlosesten Ort“ bezeichnete, in dem die Bürgerrechtsbewegung in den letzten Jahren gekämpft habe. Die Verhafteten wurden in überfüllte Zellen gepfercht, und es bedurfte einer gerichtlichen Verfügung sowie des Einsatzes von hundert Soldaten der Nationalgarde, um die Protestmärsche fortsetzen zu können. Bei einem dieser Märsche zum Sklavenmarkt sagte Hosea Williams: „Möglicherweise werden wir hier sterben, doch wir werden sterben mit dem Gedanken: Wenn der schwarze Mann seine Freiheit verliert, wird niemand im Lande frei sein. Wir werden dafür bluten und sterben, dass Amerika frei wird.“ Als die Schwarzen das Lied anstimmten: „We love everybody“ (Wir lieben alle), betete Williams für „unsere weißen Brüder“. Als der Ku-Klux-Klan eine Gegendemonstration durch das Schwarzenviertel der Stadt organisierte, hieß ein Spruchband sie willkommen: „Euch allen Frieden und Geschwisterlichkeit“. Sechzehn Rabbiner kamen nach St. Augustine, um sich einem Marsch durch ein Weißenviertel anzuschließen. Als sie am darauf folgenden Tag mit neun Schwarzen zur Monson Motor Lodge zogen, wurden sie alle verhaftet. Doch ungeachtet aller Widerstände gingen die Protestmärsche weiter. Ende Juni wurde schließlich ein gemischtrassisches Komitee ins Leben gerufen, das allmählich zur Integration in der Stadt führte. Kennedys Nachfolger im Weißen Haus, Lyndon B. Johnson, schaffte es mit Hilfe von Hubert Humphrey, die Bürgerrechtsvorlage bis zum 19. Juni 1964 durch alle Instanzen zu bringen. Dies bedeutete einen erheblichen Schritt nach vorn. Johnson lud King und andere Führer der Bewegung ins Weiße Haus ein, als das Gesetz am 2. Juli feierlich unterzeichnet wurde. Ausschreitungen in Mississippi Im Sommer 1963 kamen schwarze und weiße Freiwillige aus allen Landesteilen nach Mississippi, um am so genannten
Mississippi Freedom Summer teilzunehmen. Die Initiative hatte sich zum Ziel gesetzt, schwarze Bürger in die Wählerlisten einzutragen. Die Ermordung des Geschäftsführers der NAACP, Medgar Evers, im Jahr zuvor war ein deutliches Zeichen für den gewalttätigen Widerstand, dem sich die Freiheitsbewegung in diesem Staat gegenüber sah. Drei junge Freiwillige dieses Freedom Summer, James Chaney, Andrew Goodman und Michael Henry Schwerner, verschwanden spurlos. Am 4. August fand man sie ermordet in der Nähe von Philadelphia, Mississippi. Alle drei hatten beim Aufbau eines Zentrums geholfen, von dem aus die Wählerregistrierung unterstützt und vorangetrieben werden sollte. Drohbriefe und anonyme Telefonanrufe des KuKlux-Klans hatten zu ihren täglichen Erfahrungen gehört. Die näheren Umstände ihrer Ermordung konnten bis heute nicht aufgeklärt werden. Trotz der anhaltenden Zwischenfälle begann die Mauer der Segregation langsam zu bröckeln. Fannie Lou Hamer und die Mississippi Freedom Democratic Party (MFDP) forderten Sitze in der ausschließlich weißen Delegation zum demokratischen Nationalkonvent. Ihre Teilnahme an dieser Delegation wäre noch wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen. Wenn auch ihre Anstrengungen beim Konvent unterdrückt wurden, stellte allein ihre Präsenz einen Meilenstein für die wachsende politische Macht der Schwarzen in den Südstaaten dar. In jenem Sommer kam Allan Knight Chalmers von der Boston University School of Theology (an der auch King studiert hatte) nach Mississippi. Als ein Verkehrspolizist sein Autokennzeichen aus dem Norden erkannte, hielt er Chalmers an und „belehrte“ ihn über „Agitatoren von auswärts“, die in den Süden kämen, um den dortigen Lebensstil zu sabotieren. „Ich sage Ihnen“, fügte der Polizist hinzu, „Mississippi wird die Rassenintegration niemals anerkennen.“ „Wie lange ist nie?“, fragte Chalmers zurück. Der Polizist überlegte einen Augenblick und antwortete: „Fünfundzwanzig Jahre.“ Chalmers kommentierte den Vorfall später: „Wenn du
deinem Gegner die Hoffnung auf einen dauerhaften Sieg genommen hast, hast du ihn bereits besiegt.“ Wie grotesk die Situation war – das „amerikanische Dilemma“, wie es der schwedische Friedensforscher Gunnar Myrdal schon 1943 genannt hatte – machen zwei Begebenheiten deutlich: In einer Zeit, in der King von vielen Seiten angefeindet wurde, stellte ihn die bekannte Wochenzeitschrift Time Magazine am 3. Januar 1964 als „Mann des Jahres“ vor. Sie nannte ihn das „Symbol der schwarzen Revolution“ und schrieb: „Kings Mission ist, die Kräfte der Gewalt umzumünzen in direkte, gewaltlose Aktionen. Dafür arbeitet er zwanzig Stunden am Tag. Er ist die unbestrittene Stimme der Schwarzen Amerikas. Nach 1963 wird – dank Martin Luther King – der Schwarze niemals wieder der sein, der er war.“ Die zweite Begebenheit, die geradezu absurd scheint: Am 19. Juni 1964 wurde King – wie erwähnt – in St. Augustine, Florida, verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Zwei Tage später verlieh ihm die älteste und ehrwürdigste Hochschule der USA, die Yale University, die Ehrendoktorwürde in Jurisprudenz. King musste 900 Dollar Kaution hinterlegen, um an der Feier teilnehmen zu können. Nach der Ernennung kehrte er ins Gefängnis zurück.
In Europa Im September 1964 besuchten Martin Luther King und Ralph Abernathy auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt West-Berlin. King nahm an einem Konzert zu Ehren des ermordeten amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 13. September in der „Waldbühne“ teil, wo er vor 25.000 Zuhörern sprach: „Es ist der Glaube, der uns befähigt hat, dem Tod ins Auge zu sehen. Es ist der Glaube, der uns einen Weg gezeigt hat, wo es keinen Weg zu geben schien. Es ist der Glaube, ein lebendiger, aktiver, starker, öffentlicher Glaube, der den Sieg Jesu Christi über die Welt bringt, ganz gleich, ob es eine westliche oder östliche Welt ist… Mit diesem Glauben werden wir fähig sein, miteinander zu arbeiten, miteinander zu beten, miteinander für die Freiheit einzustehen, weil wir wissen, dass wir eines Tages frei sein werden.“ In einer Predigt in der Ostberliner Sophienkirche sagte King, dass es trotz der von Menschen errichteten Mauern etwas gebe, das alle Christen eine. Von Berlin flog King nach Rom, wo er von Papst Paul VI. in Privataudienz empfangen wurde. Zurück in den USA, erfuhr King Mitte Oktober, dass ihm der Friedensnobelpreis zugesprochen worden war. Die Preisverleihung am 10. Dezember 1964 in Oslo war für ihn der Höhepunkt dieses Jahres, das mit seiner Ernennung zum „Mann des Jahres“ durch das Time magazine begonnen hatte. Mit 35 Jahren war er der jüngste Friedensnobelpreisträger. Auf dem Weg nach Oslo machte King in London Station, wo er in der St. Paul’s Cathedral zu einer riesigen Menschenmenge sprach. Er war der erste Nicht-Anglikaner, der von dieser historischen Kanzel predigte. In seiner Dankansprache nach der Verleihung des Nobelpreises sagte King: „Ich nehme den Friedensnobelpreis zu einem Zeitpunkt entgegen, an dem 22 Millionen Schwarze in den USA in einen schöpferischen Kampf verwickelt sind, um die lange
Nacht rassistischer Ungerechtigkeit zu beenden. Ich nehme diesen Preis im Namen einer Bürgerrechtsbewegung entgegen, die entschlossen und mit bewundernswerter Verachtung von Risiko und Gefahr aufgebrochen ist, um ein Reich der Freiheit und eine Herrschaft der Gerechtigkeit aufzurichten. Ich bin mir bewusst, dass erst gestern in Birmingham, Alabama, der Ruf unserer Kinder nach geschwisterlicher Gemeinschaft mit Wasserwerfern und Polizeihunden, ja sogar mit Mord beantwortet wurde. Ich bin mir bewusst, dass erst gestern in Philadelphia, Mississippi, junge Leute, die das Stimmrecht erlangen wollten, brutal misshandelt und umgebracht wurden. Wenn ich darüber nachdenke, warum dieser Preis unserer Bewegung verliehen wurde, komme ich zu dem Schluss, dass ich diese Auszeichnung entgegennehmen durfte, weil sie nachdrücklich anerkennt, dass Gewaltlosigkeit die einzig gültige Antwort auf die entscheidende politische und moralische Frage unserer Zeit ist: Es gilt, Unterdrückung und Gewalt zu überwinden, ohne selbst zu Unterdrückung und Gewalt Zuflucht zu nehmen.“ Es war für King selbstverständlich, den mit dieser hohen Auszeichnung verbundenen Geldbetrag der Bürgerrechtsbewegung zur Verfügung zu stellen. Von allen Seiten erreichten ihn Gratulationen, Zuspruch, Aufmerksamkeit und freudige Anerkennung. Für die Atmosphäre in seiner Heimat aber war bezeichnend, dass bei den Feiern, die ihm zu Ehren in Europa stattfanden, kein einziger Botschafter der USA anwesend war. Die Feindseligkeit, die King gegenüber vom FBI geschürt worden war, nahm weiter zu, ungeachtet der Anerkennung, die er in der Welt genoss. Der Direktor des FBI, J. Edgar Hoover, bezeichnete King auf einer Pressekonferenz als „größten Lügner des Landes“. Dabei hatte King lediglich – aufgrund seiner Erfahrungen – vor Mitarbeitern in Albany erklärt, es habe wenig Sinn, sich bei Rassenzwischenfällen an die Männer vom FBI zu wenden, weil diese sich nicht für Schwarze einsetzen würden. Dessen ungeachtet bestätigte der Friedensnobelpreis die überragende
Persönlichkeit und das hohe Ansehen, das King als „Prophet der Gewaltlosigkeit“ genoss.
Der Marsch von Selma nach Montgomery Im Jahr 1965 konzentrierten sich die Anstrengungen des SNCC darauf, den Afro-Amerikanern in Selma und Marion, Alabama, die Eintragung in Wählerlisten zu ermöglichen. Selma, ein bekannter Umschlagplatz für Sklaven in den vergangenen Jahrhunderten, stand der Rassenintegration ebenso feindlich gegenüber wie Birmingham, das inzwischen mehr als „Bombingham“ bekannt geworden war. Obwohl die Hälfte der Bevölkerung Schwarze waren, war nur ein Prozent in den Wählerlisten eingetragen. Unter dem Motto: „Ein Mann, eine Wahlstimme“ wurden die Bemühungen um die Wählerlisten intensiviert. Diejenigen, die ins Dallas County Courthouse kamen, um sich registrieren zu lassen, stießen auf den hartnäckigen Widerstand der Stadtbehörden, die alles Erdenkliche unternahmen, um die Wählerlisten so „weiß“ wie möglich zu halten. Afro-Amerikaner, die sich eintragen lassen wollten, mussten absurd schwierige Tests über sich ergehen lassen, während Weiße, die kaum ihren Namen schreiben konnten, ohne weiteres registriert wurden. Selmas Polizeichef, Jim Clark, stand in Grobheit und Brutalität seinem Amtskollegen Connor von Birmingham in nichts nach. Mit Schlagstöcken und Polizeihunden widersetzte er sich den Forderungen nach fundamentalen Bürgerrechten wie dem Versammlungs- und Wahlrecht. Das Bürgerrechtsgesetz von 1964 hatte leider nicht zu einem allgemeinen Wahlrecht geführt. Das Wahlrecht für die Schwarzen musste Schritt um Schritt erkämpft werden, vor allem in Staaten wie Alabama, wo Gouverneur George Wallace dem Slogan folgte: „Segregation heute, morgen und immer“. Die Bewegung in Selma wandte sich an Dr. King mit der Bitte, zu kommen und mitzuhelfen, das Wahlrecht für den schwarzen Bevölkerungsteil durchzusetzen. Bei einem Gottesdienst in der Brown Chapel African Methodist Episcopal Church von Selma
gab King den Auftakt zu einem Protestmarsch, an dem sich ein Großteil der schwarzen Bevölkerung beteiligte. Am 18. Januar führten Martin Luther King und der Geschäftsführer des SNCC, John Lewis, eine weitere Demonstration zum Gericht der Stadt an. Zwar kam es an diesem Tag zu keinen Verhaftungen, an den folgenden Tagen jedoch umso mehr. Hunderte wurden zunächst ins Gefängnis geworfen und dann in ein Arbeitslager auf dem Lande verfrachtet. Noch in derselben Woche begleitete King einen neuen Protestmarsch von über hundert schwarzen Lehrern zum Gerichtsgebäude. Die Teilnahme kostete sie besondere Überwindung, da sie um ihre Arbeitsplätze fürchten mussten und sich nicht mit der Obrigkeit anlegen wollten. Wieder wurden viele verhaftet. Bei einer weiteren Kundgebung am 1. Februar kamen auch King und sein Gefährte Ralph Abernathy erneut hinter Gitter. Keine zwei Monate, nachdem King den Friedensnobelpreis erhalten hatte, saß er wieder im Gefängnis. In jenen Tagen schrieb er einen offenen Brief aus der Haftanstalt. Darin fragte er: „Warum sind wir im Gefängnis? Ist Ihnen je widerfahren, dass Sie – bloß um wählen zu können – auf hundert Fragen über die Regierung antworten mussten, von denen einige so abstrus sind, dass sie nicht einmal ein Kenner der politischen Szene richtig beantworten könnte? Haben Sie nie mit Hunderten anderer einen ganzen Tag in einer Schlange gestanden, um dann zu erleben, dass schließlich weniger als zehn den so genannten ,Qualifikationstest’ bestanden? Das ist Selma, Alabama! Dort sind mehr Schwarze im Gefängnis, als auf den Wahllisten stehen.“ Inzwischen gewannen radikale Kräfte in der schwarzen Bevölkerung, die den Weg der Gewaltlosigkeit nicht teilten, immer mehr an Einfluss. Am 4. Februar kam Malcolm X, der seinen Negersklavennamen „Little“ abgelegt hatte und für „schwarze Gewalt“ (Black Power) eintrat, nach Selma, wo er auf einer Kundgebung in der Brown Chapel sprach, bei der auch Coretta King und Fred Shuttlesworth anwesend waren. Malcolm X erklärte Frau King, er sei gekommen, ihnen zu helfen; denn
wenn die Weißen sähen, welche Alternative sie zu den Idealen der Gewaltlosigkeit erwarte, würden sie eher geneigt sein, auf ihren Gatten zu hören. Malcolm X selbst hielt hingegen Gewaltlosigkeit für Passivität und plädierte für den Einsatz aller Mittel, um Gerechtigkeit zu erlangen. Vor der Menge sagte er unter anderem: „Wenn Gewaltlosigkeit nichts anderes bedeuten soll, als dass wir die Lösung der Probleme der amerikanischen Schwarzen immer weiter hinausschieben, nur um Gewalttaten zu vermeiden, dann trete ich für Gewalt ein… Mit anderen Worten: Wenn der Schwarze in diesem Land nicht anders als durch Gewalt zu seinem Recht kommen kann, dann bin ich für den Einsatz von Gewalt.“ Malcolm X wurde am 21. Februar 1965 in New York von einem Weißen erschossen. Zu erwähnen ist, dass er selbst zuvor eine wichtige Entwicklung durchgemacht hat. Eine Wallfahrt nach Mekka hatte ihn nachhaltig beeinflusst. Nach der Rückkehr in die USA sprach er mit Nachdruck von der universalen Botschaft des Islam und vom Respekt vor jedem Menschen, ungeachtet der Hautfarbe. Unterdessen spitzte sich die Lage weiter zu. Wie in Birmingham wurden auch in Selma Demonstrationen von Schulkindern organisiert, von denen Hunderte festgenommen wurden. Mitte Februar musste Sheriff Jim Clark mit einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus gebracht werden. Eine Gruppe schwarzer Schulkinder kam ins Spital, um für seine Genesung zu beten. Auf einem ihrer Transparente war zu lesen: „Werde bald gesund – an Seele und Leib!“ Nach seiner Entlassung setzte er jedoch unbeirrt und unbelehrbar seine Kampagne gegen die Schwarzen fort. Am 16. Februar kam es zu einem neuen Zwischenfall. Clark stand auf der Freitreppe des Gerichtsgebäudes, wo an jenem Tag eine weitere Demonstration stattfand. Pastor C. T. Vivian, der bereits an den Kampagnen in Nashville und Birmingham sowie an den Friedensmärschen teilgenommen hatte, verglich öffentlich Clark und seine Helfershelfer mit den Nazis, während
Fernsehkameras die Szene aufnahmen. Als Clark diesen Vergleich hörte, schlug er Vivian mit der Faust ins Gesicht; der Geistliche stürzte zu Boden und wurde anschließend verhaftet. Wenig später liefen diese Bilder um die Welt und dokumentierten die Brutalität, mit der man gegen die Vertreter der Bürgerrechte in Selma vorging. Zwei Tage später zog am Abend ein Protestmarsch von der Kirche zum Gefängnis in Marion, in der Nähe von Selma, um gegen die Verhaftungen zu protestieren. Plötzlich erlosch die Straßenbeleuchtung. Im Dunkeln schlugen Polizisten und Rassenfanatiker auf die Menge und die Reporter ein. Ein junger Mann, Jimmy Lee Jackson, der seinen 82-jährigen Großvater und seine Mutter schützen wollte, wurde von einer Kugel getroffen und starb wenige Tage später. Dr. King hielt bei seinem Begräbnis die Trauerrede. Wieder stand er vor einer Gemeinde, der er das Unbegreifliche verständlich machen sollte. Wieder musste er gegen allen Anschein dem sinnlosen Geschehen einen Sinn abgewinnen und für Gewaltlosigkeit eintreten, wo ohnmächtige Wut und Angst verständlicherweise nach Gewalt riefen. Kurz zuvor hatten 1.500 Personen, schwarze und weiße, an einem Bankett teilgenommen, das die Stadt ihm zu Ehren aus Anlass der Verleihung des Friedensnobelpreises gab. Alle Festgäste hatten sich dabei an den Händen gehalten und ergriffen die Hymne der Bürgerrechtsbewegung gesungen: „We shall overcome“. Jetzt, am Sarg von Jimmy Lee Jackson, zeigte sich die Wirklichkeit in all ihrer Grausamkeit. Am 5. März hatte King eine zweieinhalbstündige Unterredung mit Präsident Johnson; er bat ihn, die Nationalgarde nach Selma zu entsenden, da die örtlichen Polizeikräfte die Wahlwilligen nicht schützten. Von Washington zurückgekehrt, gab King bekannt, es werde ein Marsch von Selma nach Montgomery stattfinden, der auf die Zustände hinweisen sollte. Am Sonntag, dem 7. März, versammelten sich rund 500 Schwarze, um gemeinsam zu dem 54-Meilen-Marsch aufzubrechen. In Montgomery wollten sie Gouverneur George Wallace eine Petition überreichen mit der Aufforderung, das
brutale Vorgehen der Polizei zu beenden und den Schwarzen von Alabama das Wahlrecht zu gewähren. King selbst predigte an jenem Tag in der Brown Chapel von Alabama vor 500 Menschen. Anschließend zogen sie zur Edmund Pettis Bridge, wo sie ihren Marsch entlang des Highway 80 beginnen wollten. An der Brücke stießen sie jedoch auf eine Phalanx von Autobahnpolizisten, die Gasmasken trugen und mit Tränengasbomben und Schlagstöcken ausgerüstet waren. Hinzu kam eine Abteilung der Staatspolizei, die die Demonstranten mit Gummiknüppeln, Peitschen und Stöcken, die mit Stacheldraht umwickelt waren, auseinander trieb. Die Sicherheitskräfte drangen sogar in ein Gotteshaus ein, in dem mehrere Schwarze Zuflucht gesucht hatten. Die Polizei warf einen der Schwarzen durch ein Kirchenfenster, das Jesus, den „Guten Hirten“, darstellte. Die Bilanz der Aktion: Siebzig Schwarze mussten in Spitäler eingeliefert werden, weitere siebzig wurden verhaftet. Der Tag ging als der „Blutige Sonntag“ in die Annalen der Bürgerrechtsbewegung ein. King selbst hatte an diesem Marsch nicht teilgenommen, denn zur SCLC-Strategie gehörte, dass die Führer in der Eröffnungsphase einer Kampagne der Verhaftung aus dem Wege gingen, um nicht eine „Armee ohne Generäle“ zurückzulassen. Als Reaktion auf diesen „Blutigen Sonntag“ fanden landesweit Demonstrationen statt, auf denen lautstark die Verabschiedung des Wahlrechtsgesetzes gefordert wurde. King appellierte an die Verantwortlichen aller Religionsgemeinschaften, am darauf folgenden Dienstag, dem 9. März, nach Selma zu kommen, um die Initiative zu unterstützen. King besaß, ähnlich wie Gandhi, viel Sinn für ausdrucksstarke Symbole. Wie Gandhi seinerzeit zum so genannten „Salz-Marsch“ zum Meer aufgerufen hatte, um gegen die Salzsteuer zu protestieren, die vor allem die Armen traf, rief King den Klerus aller Glaubensgemeinschaften zu einem gemeinsamen Marsch auf – hin zu der Stelle, wo ihre schwarzen Brüder und Schwestern niedergeschlagen worden waren. Das Echo war überwältigend: Über Nacht kamen rund 400 Pastoren, Priester, Ordensfrauen und Rabbiner nach Selma.
Justizminister Nicholas Katzenbach und der ehemalige Gouverneur von Florida, Le Roy Collins, versuchten vergeblich, King vom Marsch abzuhalten. Sein Gewissen erlaubte ihm nicht, die seinem Aufruf gefolgten Männer und Frauen zurückzuschicken. In der Brown Chapel sagte King vor 1.500 Zuhörern: „Ich weiß nicht, was uns erwartet. Es kann zu Zusammenstößen, zum Einsatz von Tränengas und zu Verhaftungen kommen. Doch ich ziehe es vor, auf einer Straße in Alabama zu verbluten, als meinem Gewissen nicht zu gehorchen. Es gibt nichts Tragischeres auf dieser Welt, als das Richtige zu erkennen und es nicht zu tun. Inmitten all dieses himmelschreienden Unrechts kann ich nicht neutral bleiben.“ Dann führte er die Teilnehmer, darunter 800 Weiße, zu jener Stelle, wo sich zwei Tage zuvor der „Blutige Sonntag“ abgespielt hatte. Sie erreichten die Polizeikette und wurden aufgefordert umzukehren. Doch King antwortete, sie seien gekommen, um zu beten. Ein Methodistenbischof aus Washington D.C. verglich in seinem Gebet die Teilnehmer mit dem auserwählten Volk bei seinem Auszug aus Ägypten und bat Gott, das Rote Meer erneut zu teilen. Als er geendet hatte, wichen die Sicherheitskräfte zur Seite und machten den Weg frei. Es schien wie eine Gebetserhörung; doch King fürchtete eine Falle, bat die Leute umzukehren und versicherte, man werde den Kampf vor Gericht fortsetzen. Am Abend nach der Demonstration speiste James Reeb aus Boston, ein weißer Geistlicher der unitarischen Kirche und Vater von fünf Kindern, zusammen mit zwei weiteren Geistlichen in einem von Schwarzen geführten Restaurant Selmas. Als sie das Lokal verließen, wurden sie von vier Mitgliedern des Ku-KluxKlans angegriffen. Reeb erlitt eine schwere Kopfverletzung, der er zwei Tage später erlag. So wie Kennedy durch die Ereignisse in Birmingham zum Einschreiten veranlasst worden war, wurde jetzt Präsident Johnson durch die blutigen Zwischenfälle in Selma geschockt. Vor dem Kongress forderte er, das Wahlrechtsgesetz unverzüglich
und vorbehaltlos zu verabschieden. In seiner wohl leidenschaftlichsten Rede als Präsident – John Lewis nannte sie die „eindrucksvollste Rede, die je ein amerikanischer Präsident zur Bürgerrechtsfrage gehalten hat“ – führte Johnson aus: „Es kommt vor, dass Geschichte und Schicksal sich zur selben Zeit und am selben Orte begegnen, um die nie endende Suche der Menschheit nach Freiheit zu einem Wendepunkt zu führen… So war es letzte Woche in Selma, Alabama. Selten hat ein Thema wie das der gleichen Rechte für die Schwarzen in unserem Land das Herz Amerikas so bloßgelegt. Wenn wir jeden Feind besiegten, unseren Wohlstand verdoppelten und das Weltall eroberten, aber dieses Problem nicht lösen würden, dann hätten wir als Volk und als Nation versagt. Selbst wenn wir dieses Gesetz verabschieden, wird der Kampf nicht zu Ende sein. Was sich in Selma zugetragen hat, ist Teil einer breiteren Bewegung, die sich auf alle Bereiche und Staaten Amerikas erstreckt. Es geht um den Kampf der Schwarzen Amerikas, an allen Errungenschaften des amerikanischen Lebens teilzuhaben.“ Johnson, selbst ein Südstaatler, sagte abschließend: „Ihre Sache muss auch unsere Sache werden. Weiße und Schwarze müssen gemeinsam das lähmende Erbe von Scheinheiligkeit und Ungerechtigkeit überwinden.“ Er schloss mit den Worten des Spirituals: „We shall overcome.“ Der Präsident hatte Dr. King eingeladen, von der Galerie des Senats aus seine Ansprache zu verfolgen. Doch King, stets an erster Stelle Seelenhirte, zog es vor, in Selma zu bleiben und den Gedenkgottesdienst für seinen ermordeten Mitbruder James Reeb zu halten. Nach den zukunftsweisenden Worten des Präsidenten genehmigten die Gerichte den geplanten Marsch von Selma nach Montgomery und befahlen den Sicherheitskräften von Alabama, nicht einzuschreiten. Dennoch schlugen fünf Polizisten und acht Berittene des Sheriffs von Montgomery am 16. März auf friedliche Demonstranten ein und verletzten acht von ihnen.
Am 21. März startete King den dritten Versuch, von Selma nach Montgomery zu marschieren. Es versammelten sich 3.500 Menschen – unter ihnen zahlreiche Persönlichkeiten aus allen Landesteilen – unter dem Schutz der Alabama National Guard. Nach einer Vereinbarung mit den Behörden zogen sie acht Meilen den Highway entlang. Dann löste sich der Zug auf, und nur 300 Teilnehmer durften weiterziehen. Unter den Demonstranten befanden sich Vertreter der bedeutendsten Bürgerrechtsorganisationen, zahlreicher Religionsgemeinschaften sowie von Gewerkschaften. Andrew Young, einer der Organisatoren des Marsches, bat eine Gruppe katholischer Ordensfrauen, ihre Ordenstracht zu tragen, denn, so sagte er, „niemand wird es wagen, auf uns zu schießen, wenn Nonnen im Habit in unserer Mitte gehen“. Wie bereits der „Marsch auf Washington“, so erforderte auch der Zug von Selma nach Montgomery umfangreiche Vorbereitungen. Tausende Teilnehmer aus dem ganzen Land wurden erwartet. Die Marschroute musste festgelegt werden, Zelte mussten entlang des Weges aufgebaut werden, und es war für die Verpflegung zu sorgen. John Lewis berichtete von den umfangreichen Vorbereitungen, für die man nur wenige Tage Zeit hatte: „WalkieTalkies, Taschenlampen, Kochtöpfe, Bratpfannen und Kochgelegenheiten…. die Liste der benötigten Dinge wurde immer länger. Eine Gruppe von zwölf Geistlichen – wir nannten sie das ,Fisch- und Brot-Komitee’ – war für den Nahrungsmitteltransport an jedem Abend und zu jedem Camp zuständig. Der Nationalrat der Kirchen stellte die erforderlichen Nahrungsmittel zur Verfügung. Zehn Frauen aus der Gegend kochten in den Kirchenküchen von Selma die Abendmahlzeiten. Zehn weitere kümmerten sich rund um die Uhr um Sandwiches. Ärzte und Krankenschwestern des Medical Committee for Human Rights, die bereits die Verwundeten am ,Blutigen Sonntag’ versorgt hatten, standen bereit, nun Dutzende Fälle von Muskelschmerzen und Blasen an den Füßen zu behandeln.“
Die Marschteilnehmer schliefen in Zelten, die man entlang der Strasse auf Grundstücken errichtet hatte, die Schwarzen gehörten. Andrew Young erklärte: „Ungeachtet der unvermeidlichen Konfusion, der Fehler in der Organisation, des Regens, mangelnder Gelder oder was immer an Hindernissen auftrat… – alles bestärkte uns in der Gewissheit, dass man mit der nötigen Entschlossenheit Unglaubliches vollbringen kann.“ Einer der Teilnehmer war Henri J. M. Nouwen, der bekannte niederländische Ordensmann und Autor, der damals an der Menninger Clinic in Topeka, Kansas, studierte. Er kam mit seinem VW-Käfer nach Selma. In der Nähe von Vicksburg, Mississippi, nahm er einen 20-jährigen jungen Anhalter namens Charles mit. Kaum war er eingestiegen, sagte er zu Nouwen: „Gott hat mein Gebet erhört. Er hat Sie mir wie einen Engel vom Himmel geschickt. Stundenlang habe ich hier gewartet, und niemand wollte mich mitnehmen. Mehrere Weiße wollten mich sogar anfahren oder von der Straße abdrängen… Doch ich muss nach Selma kommen!“ Der Marsch gestaltete sich zu einer leidenschaftlichen Wallfahrt und wurde zum Ausdruck des Glaubens eines Volkes, das nicht gewillt war umzukehren. Wie die Israeliten in der Wüste ertrugen die Marschteilnehmer jede Unbill auf ihrer Reise ins „Gelobte Land“ der Freiheit. Sie gingen den ganzen Weg bis Montgomery zu Fuß. Rabbi Abraham Joshua Heschel brachte die Empfindungen vieler auf den Punkt, als er sagte: „Mir war, als ob meine Füße beteten.“ Und in sein Tagebuch schrieb er: „Ich spürte, dass ich an etwas Heiligem teilnahm.“ Wiederholt brachte King ihm gegenüber seine Anerkennung zum Ausdruck. Er sagte zu ihm: „Ich kann Ihnen nicht schildern, was Ihre Teilnahme für uns bedeutet.“ Mir selbst versicherte King, dies sei der größte Tag in seinem Leben und die bedeutendste Kundgebung der ganzen Bürgerrechtsbewegung. Erneut spürte ich, was ich seit Jahren empfand: dass man die Bürgerrechtsbewegung als Teil der großen prophetischen Tradition betrachten konnte. Wieder einmal spielten die Gesänge eine wichtige Rolle; Henri J. M. Nouwen
nannte sie „ein Gottesgeschenk“, das mit dazu beigetragen habe, dass der Marsch gewaltlos blieb. Die letzte Nacht verbrachten die Teilnehmer in der Stadt St. Jude, nahe Montgomery, in einem großen Komplex für Schwarze, der ein Krankenhaus und eine Kirche umfasste. Unter großem persönlichen Risiko gewährten ihnen der Rektor und die Ordensfrauen von St. Jude den Demonstranten Gastfreundschaft, obwohl Erzbischof Toolen ausdrücklich jede Teilnahme an dem Marsch untersagt hatte. Auswärtige Priester und Ordensleute seines Bistums hatte der Bischof sogar aufgefordert, Alabama zu verlassen. Er rief zur Solidarität mit dem rassistischen Gouverneur auf und erklärte, die Marschteilnehmer mischten sich in interne Angelegenheiten des Erzbistums und des Staates ein. Am Vorabend der Ankunft in Montgomery gaben berühmte Künstler ein Konzert, dem über 20.000 Menschen beiwohnten. Es sangen und spielten unter anderen Harry Belafonte, Leonard Bernstein, Sammy Davis jun. Dick Gregory, Peter, Paul and Mary, Joan Baez, Tony Bennett, Ossie Davis und Odetta. Als sich der Zug der Demonstranten Montgomery näherte, ließ das US-Justizministerium verlauten, es habe Hinweise, dass ein Heckenschütze einen Anschlag auf Dr. King plane; er solle den Zug sofort verlassen. Er lehnte dieses Ansinnen jedoch ab und marschierte weiterhin in erster Reihe. Andrew Young hatte eine brillante Idee: Ohne jemandem etwas über die Hintergründe zu sagen, bat er alle Geistlichen, die wie Martin Luther King einen dunkelblauen Anzug trugen, sich zu King an die Spitze des Zugs zu gesellen. Als man wenig später in Montgomery einzog, gingen in den ersten Reihen 15 gleich gekleidete Geistliche, die alle King ähnelten. Es kam zu keinem Zwischenfall. Als sie in Montgomery einzogen, war die Zahl der Teilnehmer auf über 50.000 angestiegen. Sie zogen zum Kapitol, gegenüber der Dexter Avenue Baptist Church, der ersten Wirkungsstätte Kings während des Bus-Boykotts in Montgomery. Während über dem Kapitol die Flagge von Alabama und das Sternenbanner wehten, kam der Demonstrationszug unter einem Meer
amerikanischer Fahnen näher, einem Heer ähnlich, das eine Festung der Segregation erobert hat. Zehn Jahre nach Beginn der Protestbewegung war dies ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Freiheit. Ralph Abernathy führte Dr. King als Hauptredner ein und sagte: „Wenn Gottes Volk in Not ist, sendet er ihm einen Helfer. Dieser Helfer ist Martin Luther King, der größte Leader unseres Jahrhunderts, der wie Mose sein Volk durch die Wüste in das Land der Freiheit führt.“ King selbst erinnerte die Menge an die Zeit, als dort die ersten Schritte getan wurden zur Erringung der Freiheit und Achtung der Menschenwürde auch der schwarzen Bürger der Vereinigten Staaten. „Wir sind jetzt auf dem Weg; keine Woge des Rassismus kann uns aufhalten“, rief er den Versammelten zu. „Vor uns liegt noch immer eine Zeit des Leidens. Wie lange sie dauern wird? Nicht mehr lange, denn keine Lüge lebt ewig. Nicht mehr lange, denn ihr werdet ernten, was ihr gesät habt…. Unser Gott marschiert weiter mit uns.“ Doch wie schon oft in der Vergangenheit folgte auch auf diesen Erfolg eine neue Welle der Gewalt. In der Nacht kehrten die Teilnehmer des Protestmarsches nach Selma zurück. Auf dem Highway 80 ermordeten weiße Rassisten Viola Liuzzo, eine weiße Hausfrau aus Detroit und Mutter von fünf Kindern. Als sie im Fernsehen die Bilder von dem Marsch gesehen hatte, hatte sie sich spontan entschlossen, mitzuhelfen und einen Fahrdienst anzubieten. Im fahrenden Auto wurde sie durch einen Kopfschuss getötet; der Wagen kam von der Straße ab, ein junger schwarzer Beifahrer entging der Ermordung nur, weil er sich am Unfallort tot stellte. Wenige Monate nach dem Marsch von Selma nach Montgomery verabschiedete der amerikanische Kongress die Verbesserungen des Wahlrechtsgesetzes. Mit der Unterzeichung durch Präsident Johnson am 6. August 1965 wurde der Grundstein für eine neue Politik in den Südstaaten gelegt. Da nun mehr Schwarze zu den Wahlen gehen durften, wurden auch immer mehr Schwarze in öffentliche Ämter gewählt, und die weißen Staatsbeamten
konnten es sich nicht länger leisten, die Bedürfnisse und Beschwerden der Schwarzen zu ignorieren.
Die Ausweitung der Bewegung nach Norden Nach dem Erfolg von Selma sah King es als Aufgabe der Bürgerrechtsbewegung an, verstärkt im Norden der USA tätig zu werden, um auch dort der Rassenungerechtigkeit zu Leibe zu rücken. „Freiheit ist kein Geschenk“, sagte er immer wieder, „sondern will erkämpft sein.“ Im Norden hatte die Rassendiskriminierung ein anderes Gesicht, aber dennoch war sie in den verkommenen Slums, unter den Großgrundbesitzern und in den Armenschulen weit verbreitet. Sie zeigte sich besonders in der großen Arbeitslosigkeit unter den Schwarzen. Während der Süden inzwischen beachtliche Erfolge auf dem Gebiet der Rassenintegration vorzuweisen hatte, hatte sich das Leben der Schwarzen in den Slums zum Schlimmeren gewendet. Die Unterdrückung in diesen Gettos und auch die Segregation in den Schulen hatten zugenommen. Als Ort für den Auftakt der Kampagne im Norden wählte man Chicago. Man glaubte, dort könne man die Aufmerksamkeit der Nation am besten auf die katastrophalen Schul-, Wohnungs- und Arbeitsverhältnisse lenken. Obwohl King selbst aus einer gutbürgerlichen Familie stammte, identifizierte er sich zeitlebens mit den minderbemittelten Schichten. Im Frühjahr 1966 zog King mit seiner Familie in eine Slumwohnung im Schwärzen-Getto von Chicago, um seine Solidarität mit den Armen unter Beweis zu stellen. Die Armen waren gezwungen, überhöhte Mietpreise für ihre schlechten Wohnungen in den Slums zu zahlen, während bessere Apartments in anderen Wohnlagen weniger kosteten. Außerdem mussten sie mehr für Dienstleistungen bezahlen als die Weißen in den besseren Stadtteilen. King suchte Vertreter der Kirchen, der Gewerkschaften und der Stadtbehörden auf. Auch sprach er mit Gangbossen, hörte sich ihre Geschichten, ihre Kämpfe und Hoffnungen an. Er erklärte ihnen den Sinn der Gewaltlosigkeit, die Böses in Gutes verwandeln könne. Mehrere Mitglieder der Gangs waren durchs Kings Worte tief beeindruckt
und versprachen, die Bewegung für Gewaltlosigkeit zu unterstützen. In eigenen Kursen wurden die Mitglieder der Banden mit den Taktiken und Strategien der Gewaltlosigkeit vertraut gemacht. Es wurde ihnen unter anderem ein Dokumentarfilm über den Aufstand in Watts, einem Vorort von Los Angeles, gezeigt, bei dem 50 Schwarze ermordet worden waren, die verantwortlichen Polizisten aber nach wie vor im Amt waren. In Selma hingegen gab es dank der gewaltlosen Proteste wesentliche Änderungen zum Guten. In den Nordstaaten stieß die Anwendung der Methode des gewaltlosen Widerstands zumeist auf Ablehnung. Viele Schwarze in den Gettos sahen in King einen berühmten Mann, der jedoch wenig von ihren Alltagsproblemen verstehe. Der Oberbürgermeister von Chicago, Richard Daley, sprach sich eindeutig gegen die „Eindringlinge“ aus, die in der Stadt bloß Unruhe stiften wollten, ähnlich wie es bereits der Klerus von Birmingham getan hatte. Daley gedachte, der Bewegung durch einige publikumswirksame Initiativen für die Slumbewohner entgegenzuwirken. Obwohl diese Bemühungen eher kosmetischer Natur blieben, gelang es Daleys politischem Geschick, den Aufrufen Kings den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Zahl der Teilnehmer an den Protestmärschen in Chicago ging zurück, und die Widerstände waren größer und gewalttätiger, als man befürchtet hatte. Dennoch kam es am 10. Juli 1966 zu einer Großdemonstration, an der rund 40.000 Menschen teilnahmen. King führte die Menge persönlich zum Rathaus, wo die Forderungen der Schwarzen an das Portal geheftet wurden. Der Oberbürgermeister hatte das Gebäude schließen lassen. Er lehnte die Vorschläge rundweg ab. In der darauf folgenden Nacht erschütterten schwere Unruhen Chicago; mehrere Tage hielten die Auseinandersetzungen an. Bei einem zweiten, kleineren Protestmarsch im Schwarzenviertel Marquette Park stießen die Teilnehmer auf starken Widerstand einer aufgebrachten Menge, die unter anderem vom Chef der amerikanischen Nazi-Partei, George Lincoln Rockwell, sowie einigen Mitgliedern des Ku-
Klux-Klans in ihren weißen Roben angeführt wurde. King sagte über die Ausschreitungen, er habe noch nie solche Auswüchse von Hass erlebt, selbst nicht in den schlimmsten Augenblicken im Süden.
„Black Power“ und der Vietnamkrieg Die Zeiten wurden immer stürmischer. Der sich ausweitende Krieg in Vietnam spaltete das Land zusehends. Der Kampf gegen Rassismus und wirtschaftliche Ausbeutung verursachte einerseits den Widerstand der weißen Bevölkerung und führte andererseits zum Ruf nach Black Power (Schwarzer Gewalt). Mit einigen Grundgedanken der Black-Power-Bewegung stimmte King überein. Er sympathisierte mit denjenigen, die aus Verzweiflung über die Unterdrückung durch das weiße Establishment entschieden für eine Verbesserung der Bürgerrechtsgesetze eintraten. Er teilte den brennenden Wunsch, zu politischer und wirtschaftlicher Macht zu gelangen, um die berechtigten Ziele zu erreichen und ein neues Selbstbewusstsein zu erlangen. Doch gleichzeitig war er fest überzeugt, dass nur Hoffnung, nicht aber Verzweiflung den revolutionären Wandel herbeiführen könne. Das Eintreten für Separatismus und Gewalt lehnte King als sinnlos und selbstzerstörerisch entschieden ab. Ein Alleingang würde die Bewegung nicht stärken, sondern schwächen. In Bündnissen mit anderen sah King eher ein Machtpotenzial denn ein Zeichen von Schwäche. „Es gibt keinen separaten schwarzen Weg zu Macht und Erfüllung, der nicht weiße Straßen kreuzt, ebenso wie es keinen separaten weißen Weg zu Macht und Erfüllung gibt, der nicht die Sehnsucht der Schwarzen nach Freiheit und menschlicher Würde teilt. Wir sind durch ein gemeinsames Schicksal verbunden“, sagte King. „Wir haben bereits ein zu großes Stück unseres Weges zurückgelegt, um jetzt noch umzukehren. Wir haben zu viele Hymnen der Hoffnung und der Erwartung gesungen, es hat schon zu viele Tote gegeben, zu viele schwarze Tage, an denen wir an den Gräbern derer geweint haben, die für unsere Integration gekämpft haben und gefallen sind, um jetzt noch umzukehren. Wir werden und müssen weiterhin singen -Schwarze und Weiße zusammen – We shall overcome.11 Für King gab es keinen Kompromiss in der Frage
der Gewaltlosigkeit. Während der zehnjährigen gewaltfreien Kampagne im Süden seien weniger Menschen ums Leben gekommen als in den drei Nächten der Gewalt in Watts. Nicht Finsternis kann uns aus der Finsternis führen, sondern nur das Licht. Nicht Hass kann Hass überwinden, sondern nur die Liebe“, betonte King und fügte hinzu, die Welt brauche keine Schwarzen, die die Gewalt ihrer Gegner nachahmten, sondern den Einsatz für „neue Menschen mit einem neuen Machtverständnis“ Kings Entschluss, öffentlich gegen den Vietnamkrieg Stellung zu beziehen, löste große Kontroversen aus. Viele seiner schwarzen Verbündeten argumentierten, seine Haltung werde die Bürgerrechtsbewegung spalten und schwächen. Ralph Bunche, Roy Wilkins, Jackie Robinson, Senator Edward Brooke, Witney Young und der NAACP trugen ihre Kritik öffentlich vor. Auch Präsident Johnson, der King und die Bewegung unterstützt hatte, kehrte sich enttäuscht von ihm ab. Doch King konnte nicht gegen die Gewalt im eigenen Lande ankämpfen und gleichzeitig zur Gewaltanwendung im Ausland schweigen, als ganze vietnamesische Dörfer in einem der „grausamsten und sinnlosesten Kriege der Geschichte“ (King) in Schutt und Asche gelegt wurden. Er war tief beeindruckt von den Reden und Schriften des buddhistischen Mönches Thich Nhat Hanh über den Krieg und seine schrecklichen Folgen für das vietnamesische Volk (1967 schlug ihn King für den Friedensnobelpreis vor). Seine Frau Coretta stand vorbehaltlos auf der Seite ihres Mannes. Auch der bekannte Kinderarzt Benjamin Spock pries King als das „bedeutendste Symbol des Friedens in unserem Land“. Auf der anderen Seite wandten sich wichtige Mitarbeiter, darunter Bayard Rustin, der von Anfang an dabei gewesen war, von ihm ab. Rustin schrieb, der Krieg in Vietnam sei sinnvoll und notwendig. Das sei auch die Meinung der schwarzen Amerikaner, und wenn Dr. King das anders beurteile, dann gebe er nur seine eigene Meinung wieder. Seit dem Frühjahr 1967 äußerte sich King immer öfter und deutlicher zum Vietnamkrieg. Am 4. April 1967 – genau ein Jahr
vor seiner Ermordung – sprach er zu einer großen Menge in der Riverside Church in New York City. In Vietnam, so führte er aus, kämpften und fielen doppelt so viele schwarze wie weiße Soldaten. Schätzungen zufolge koste jeder getötete Vietkong die USA 332.000 Dollar, während für den Krieg gegen die Armut nur 53 Dollar pro Person ausgegeben würden. Was würde geschehen, wenn diese riesigen Summen statt in Mord in die Beseitigung der Armut investiert würden? Er sprach von der grausamen Ironie, im Fernsehen Schwarze und Weiße zu sehen, die töten und gemeinsam für eine Nation sterben, die nicht imstande sei, Schwarze und Weiße nebeneinander auf dieselbe Schulbank zu setzen. Als christlicher Prediger brandmarkte er die Tragödie des verarmten vietnamesischen Volkes, das seit drei Jahrzehnten unter den Wirren und Folgen des Krieges litt. „Dieser Weg zur Lösung von Spannungen ist nicht der richtige“, sagte er. „Diese Art, Menschen mit Napalm zu verbrennen, die Häuser unserer Nation mit Witwen und Waisen zu füllen und die Adern der Menschen zu vergiften, kann nie und nimmer mit Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe in Einklang gebracht werden. Wir müssen neue Wege finden, den Frieden in Vietnam wiederherzustellen und der gesamten Dritten Welt, die täglich an unsere Tür klopft, Gerechtigkeit zu verschaffen.“ Wenn Amerika sich nicht bald besinne und sein Verhalten ändere, werde es bald zu den Ländern gezählt, „die über Macht ohne Mitleid, Moral und Weitsicht verfügen“. Die Reaktionen auf seine Rede waren äußerst kritisch. Viele Mitarbeiter im Kampf für die Bürgerrechte, Weiße wie Schwarze, gaben ihm zu bedenken, dass er durch seine Haltung den Feind ermutige und die Bürgerrechtsbewegung spalte. Diese Kritiken verletzten King tief, doch er hatte sich lediglich bemüht, in aller Aufrichtigkeit zu sagen, was er für die Wahrheit hielt. 1964 war ihm der Friedensnobelpreis zuerkannt worden; auch deshalb konnte er den Frieden nicht anders denn als universale Aufgabe verstehen. Seinen Kritikern hielt er entgegen: „Ich habe zu lange
und zu hart an der Überwindung des Separatismus im öffentlichen Leben gearbeitet, als dass ich jetzt meine moralischen Überzeugungen spalten könnte. Gerechtigkeit ist unteilbar. Ich finde es absurd, einerseits leidenschaftlich für integrierte Schulen zu kämpfen, mir aber andererseits keine Gedanken um das Überleben der Welt zu machen.“ In New York nahm King am 15. April an einer Friedensdemonstration teil, zu der 250.000 Menschen kamen. Zur gleichen Zeit sprach seine Frau Coretta in San Francisco vor 60.000 Teilnehmern. Wie von seiner Umgebung befürchtet, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen der Bürgerrechtsbewegung und dem Weißen Haus. Mittel wurden gestrichen und King selbst zur persona non grata erklärt. Ein Mitarbeiter von Präsident Johnson meinte, King liege in seiner Haltung zum Vietnamkrieg genau auf der Linie der Kommunisten. Doch King blieb unerschütterlich in seiner Einschätzung dieses Krieges. Am 4. Februar 1968, wenige Wochen vor seinem Tod, sagte er in einer Predigt in Atlanta: „Gott hat Amerika nicht berufen, das zu tun, was es jetzt in der Welt tut: sich in einem sinnlosen, ungerechten Krieg wie dem in Vietnam zu engagieren. Wir sind Verbrecher in dieser bewaffneten Auseinandersetzung. Wir haben nahezu mehr Kriegsgräuel verübt als irgendeine Nation auf der Welt, und ich werde nicht aufhören, dies auch in Zukunft zu sagen.“ Kings schärfste Kritiker waren einerseits jene, die sich für einen eigenen Weg zur schwarzen Macht aussprachen, andererseits diejenigen, die die amerikanische Vietnampolitik verteidigten und den Krieg um jeden Preis gewinnen wollten. Doch diese Kritiken prallten an King ab: Seine Überzeugungen waren universal in ihren Wurzeln wie in den Zielen; sie beschränkten sich nicht auf eine Rasse oder Nation.
Kings Sinn für Humor King war ein ernster Mann, dem jedoch das Lachen nicht fremd war. Er besaß einen ausgeprägten Sinn für Humor. Er liebte es, diejenigen, die er näher kannte, vor allem seine Familie und seine Mitarbeiter, zu necken und mit ihnen zu scherzen. Seine Predigten und Ansprachen waren oft mit witzigen Anekdoten und humorvollen Effekten gewürzt. Er wusste um die Kraft des Humors, die Schicksalsschläge des Lebens abzufedern und sie auf ein erträgliches Maß abzumildern. Er war überzeugt, dass ein humorvolles Wort die Herzen von Menschen erreichen konnte, die sonst verschlossen blieben. Und er erinnerte sich der Weisheit Mahatma Gandhis, der einmal gestand, ohne seinen Sinn für Humor wäre er schon längst freiwillig aus dem Leben geschieden. Ralph Abernathy attestierte King eine „angeborene Fähigkeit, sich zu freuen und andere an seiner Freude teilhaben zu lassen“. Andrew Young, enger Freund und Mitarbeiter Kings, sagte über ihn: „Er konnte dich hänseln, dich ,auf den Arm nehmen’ und Witze erzählen, bis alle im Raum lachten. Zwar konnte er auch über seine Mitarbeiter schimpfen, doch er tat es ohne Groll oder Verbitterung und stets mit einem zwinkernden Auge. Martin hätte nie jemanden ,auf den Arm genommen’, den er nicht liebte. Wirkliche Erholung fand er nur unter Menschen, denen er voll vertraute, unter seinen engsten Mitarbeitern und Freunden.“ King verstand es, in seinen Predigten ernste Themen so vorzutragen, dass es ihm gelang, ein Lächeln auf die Gesichter seiner Zuhörer zu zaubern. Seine bereits zitierte Bemerkung, wenn das Gesetz den Weißen auch nicht vorschreiben könne, die Schwarzen zu lieben, so könne es sie dennoch davon abhalten, die Schwarzen zu lynchen, rief Gelächter und Beifall hervor. Ähnlich waren die Reaktionen, wenn er an den alten Sklaven erinnerte, der zu sagen pflegte: „Wir sind nicht, was wir sein sollten; wir sind nicht, was wir sein möchten; wir sind nicht, was wir sein werden. Doch Gott sei dank sind wir nicht, was wir einmal waren.“
Einmal gestand er, seit dem 15. Januar 1929, an dem er in den USA als Schwarzer zur Welt kam, habe er so viele Strafmandate erhalten, dass er sie inzwischen nicht mehr zählen könne. Was Anlass zu Bitterkeit hätte sein können, wurde Grund zu lachen. King selbst konnte aus vollem Halse lachen. So, als er die Geschichte von einem stämmigen Schwarzen erfuhr, der während des Bus-Boykotts von Montgomery von einem Busfahrer beschimpft worden war. Der Schwarze hatte dem Fahrer geantwortet: „Ich möchte Ihnen zweierlei sagen: Erstens bin ich kein boy, und zweitens bin ich keiner von denen, die Martin Luther King gewaltlose Schwarze nennt.“ King hat sich bis zuletzt den Sinn für Humor bewahrt; er war kein verbitterter Mensch, sondern schaffte es immer wieder, auch traurigen Ereignissen eine humorvolle Seite abzugewinnen.
Die eine Menschheitsfamilie Als der Vietnamkrieg eskalierte, fuhr King kreuz und quer durch das Land und rief zum Frieden auf. Er stand damals unter ständiger Kontrolle durch das FBI. Sein Direktor, J. Edgar Hoover, nannte King „einen Verräter seines Vaterlandes und seiner Rasse“. Seit 1963 ließ er Kings Wohnung mit versteckten Mikrofonen überwachen. Wenn King reiste, wurden seine Hotelzimmer vorher „präpariert“. Im Sommer 1966 hatte in Cleveland eine erfolgreiche Demonstration für das Wahlrecht stattgefunden, doch in anderen Städten war es zu Schießereien und Brandstiftungen gekommen. Vor allem in Detroit, wo viertägige Unruhen 43 Todesopfer und Sachschäden in Höhe von 50 Millionen Dollar forderten. Anlass für diese Auswüchse des Zornes und der Verzweiflung boten die gigantischen Kriegkosten und die gleichzeitige Vernachlässigung der dringendsten Probleme im eigenen Land. Je mehr King über die Lage in den USA nachdachte, desto mehr ging ihm der größere Zusammenhang auf: In unserem „Welthaus“, wie er es nannte, sah er drei miteinander verbundene Hauptübel: den Rassismus, den Materialismus und den Militarismus. Zwar habe sich die Bürgerrechtsbewegung die Bekämpfung des Rassismus zum Hauptziel gesetzt, sie könne jedoch dem Materialismus einer Gesellschaft nicht tatenlos zusehen, in der wenige viel haben und die meisten ganz wenig. Ein Wort Gandhis aufgreifend, erklärte er, Gott habe die Welt mit allem Nötigen für alle ausgestattet, jedoch nicht, um die Habgier einiger weniger zu befriedigen. Obwohl die Welt über genügend Mittel verfüge, um die Grundbedürfnisse der Menschheit zu stillen, fehle es am guten Willen und an der Einsatzbereitschaft, eine bessere Welt zu schaffen. „Die Zeit ist reif für den entschlossenen Kampf gegen die Armut“, rief er aus. „Die Reichen müssten ihren Reichtum für die Entfaltung der Unterentwickelten, für die Ernährung der Hungernden und eine angemessene Schulbildung zur Verfügung
stellen. Doch dieser Kampf gegen die Armut darf den Militarismus in einer Welt nicht übersehen, in der reiche wie arme Nationen unter der Last des Wettrüstens stöhnen. Die besten Reserven des Landes werden in die Konstruktion immer schrecklicherer Massenvernichtungswaffen und anderer Mordinstrumente investiert. Zwar führen die Regierenden in aller Welt unablässig das Wort Frieden im Mund, doch sie begreifen nicht, dass eine friedliche Welt nur mit friedlichen Mitteln erreicht werden kann.“ Der Vietnamkrieg legte in Kings Sicht überdeutlich den Wahnsinn des reichsten Landes der Erde bloß, das massive Vernichtungswaffen gegen eines der ärmsten Länder der Welt einsetzte. Und doch gelang es den USA nicht, dieses kleine Land zu unterwerfen. Gleichzeitig wurde daheim der Kampf gegen Armut und Rassismus untergraben; die Ideale des Friedens und der Demokratie, die man lautstark der Welt verkündete, gerieten zur Farce. Was Not tat, war eine „Revolution der Werte, die den wissenschaftlichen Fortschritt und die weltweiten Freiheitskämpfe begleitet“. Der Kalte Krieg hatte die USA von dieser dringend erforderlichen „Revolution“ abgehalten. Sowohl der traditionelle Kapitalismus wie der materialistische Kommunismus hatten sich der Welt als Antwort auf ihre Probleme angepriesen; beide teilten die Welt in Feinde oder Verbündete, während endloses Wettrüsten und ideologische Auseinandersetzungen sie davon abhielten, die eigentlichen Nöte der Menschheit anzugehen. Beide Ideologien boten, so King, nur Teillösungen an: Der Kapitalismus überbetont das Individuum und das Profitstreben und führt schließlich zu einem mörderischen Konkurrenzdenken und einem zügellosen Materialismus, der einigen wenigen großen Luxus erlaubt, während die Kluft zwischen Arm und Reich immer breiter wird. Der Kommunismus stand ganz im Zeichen des Kollektivismus, der das Individuum seiner Freiheit beraubte und den Staat vergötzte. Individualismus und Kollektivismus seien nur halbe Wahrheiten: „Der Kapitalismus verkennt, dass das Leben
sozialer Natur ist, während der Kommunismus seinen individuellen Charakter verkennt. Was wir brauchen, ist eine Demokratie, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst ist und die Wahrheiten von Individualismus und Kollektivismus miteinander in Einklang bringt. Dazu bedarf es eines unablässigen Kampfes gegen Rassismus, Materialismus und Militarismus sowie eines mutigen Einsatzes für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, und zwar nicht für uns allein, sondern für die gesamte Menschheitsfamilie“, das „Welthaus“, wie King es nannte. King war überzeugt, dass man eines Tages dieses hohe Ziel erreichen werde. Doch werde der hartnäckige Status quo so lange obsiegen, bis „wir alle einander als Brüder und Schwestern die Hände reichen“. Wir haben nur die Wahl zwischen „Chaos oder Gemeinschaft“. Das Ziel, auf das wir zugehen müssen, ist nach Kings Worten die „eine Menschheitsfamilie“. Denn Gott, der liebende Schöpfer und Ziel des gesamten Universums, umschließt alle Menschen. Alle sind nach seinem Ebenbild geschaffen und in einem gemeinsamen Schicksal verbunden. Tief im christlichen Glauben verwurzelt, stand King einer größeren Verständigung unter den Religionen sehr aufgeschlossen gegenüber. In seinem letzten Buch, Where Do We Go Front Here? Chaos or Community?, nennt er die Liebe den „einzigen Schlüssel, der die Tür zur letzten Wirklichkeit öffnet“. Liebe ist nach Ansicht Kings „jene Kraft, die allen großen Religionen als Prinzip höchsten Einheitsstrebens innewohnt“: dem hinduistischen, islamischen, christlichen, jüdischen und buddhistischen Glauben. King bezieht sich auf den ersten Johannesbrief, in dem es heißt: „Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe…. Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet“ (l Joh 4,7f.12). Wie für Gandhi waren auch für King Mittel und Ziele eng miteinander verbunden. Man müsse die Mittel so einsetzen, dass sie im Einklang mit den verfolgten Zielen stehen. Separatismus
kann nicht zur Einheit führen, Hass kann nicht in Liebe münden, ebenso wie die Lüge nicht in Wahrheit enden und Gewalt nicht Gewaltlosigkeit im Gefolge haben kann: Wir können nur ernten, was wir gesät haben. Der einzige Ausweg war für King die Liebe: die Gottes- und Nächstenliebe. Das ist die uralte Lehre der Propheten und die Botschaft Jesu, der dazu aufgefordert hat, selbst den Feind zu lieben. King lag sehr daran, dass seine Zuhörer „Liebe“ nicht mit Sympathie oder anderen Gefühlen verwechselten, die man nicht selten als Liebe ausgibt. Liebe im biblischen Sinn ist eine Agape, das heißt eine selbstlose Liebe, die den Nächsten so sieht, wie Gott ihn sieht, eine Liebe, die das Beste im Nächsten verwirklichen will. Diese Agape ist weitaus tiefer als die romantische Liebe oder der Eros, und sie ist auch größer als die Freundesliebe. Sie ist schöpferischer, erlösender guter Wille, der auch diejenigen mit einschließt, die uns unsympathisch sind oder gar Böses zufügen. King erinnerte Amerika an den alttestamentlichen Aufruf, „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Lanzen zu Winzermessern“ umzuschmieden (vgl. Jes 2,4). Die Alternative heiße Gewaltlosigkeit oder Untergang. Es sei dringend notwendig, so King, das Prinzip der Gewaltlosigkeit auf alle Bereiche des menschlichen Lebens auszudehnen: „So wie wir ohne Gewalt für Gerechtigkeit unter den Rassen gekämpft haben, müssen wir jetzt das Ideal der Gewaltfreiheit auf sämtliche Bereiche menschlichen Strebens, einschließlich der Beziehungen unter den Nationen, ausweiten. Die Gewaltfreiheit sollte in unseren Schulen und in allen Religionsgemeinschaften gepflegt und gelehrt werden. Wenn wir überleben wollen, müssen wir lernen, auch unsere Feinde zu lieben, und ihnen sagen: Wir werden eure Fähigkeit, Leid zuzufügen, an unserer Leidensfähigkeit messen. Wir werden die Kraft eurer Körper an der Kraft unserer Seelen messen. Macht mit uns, was ihr wollt, wir werden nicht aufhören, euch zu lieben. Wir können vor unserem Gewissen nicht eure ungerechten Gesetze teilen. Wir können nicht einem ungerechten System folgen; denn die
Verweigerung der Zusammenarbeit mit dem Bösen ist ebenso moralische Pflicht wie die Zusammenarbeit mit dem Guten. Deshalb könnt ihr uns ins Gefängnis werfen, doch wir werden euch trotzdem lieben. Werft Bomben auf unsere Häuser, bedroht unsere Kinder, aber – so schwer es uns auch fallen mag – wir werden nicht aufhören, euch zu lieben. Aber ihr könnt sicher sein: Wir werden euch mit unserer Leidensfähigkeit besiegen, und eines Tages werden auch wir unsere Freiheit erringen. Diese Freiheit werden wir nicht bloß für uns selbst erobern; wir appellieren so lange an euer Herz und euer Gewissen, bis auch ihr euch an diesem Prozess beteiligt, und so werden wir einen zweifachen Sieg erringen. Wahrer Friede wird sich erst einstellen, wenn wir an die höchsten moralischen Grundsätze glauben.“ King wusste, dass man durch eine Gerichtsverfügung zwar in den Bussen die Integration durchsetzen kann. Doch irrationaler Hass, Furcht und Gewalt lassen sich so nicht ausmerzen. Es bedarf der Kraft der Gewaltlosigkeit, der Macht der Wahrheit und der konkret gelebten, tätigen Liebe. Der Gewaltlose, der bereit ist, für diese Wahrheit zu leiden, ja zu sterben, rührt an das Herz seines Gegners. Die erste Reaktion auf diesen Gewaltverzicht können sehr wohl Wut und Zorn sein, wie es bei den Briten in Indien gegenüber den Anhängern Gandhis der Fall war oder bei den Rassenfanatikern in den Südstaaten der USA gegenüber den Bürgerrechtlern. Doch am Ende verließen die Briten Indien mit großem Respekt und mit der Bereitschaft, sich mit denen zu versöhnen, die sie lange Zeit als Feinde betrachtet hatten. Die wehrlosen Leiden eines unterdrückten Volkes hatten sich als stärker erwiesen als das mächtigste Imperium seiner Zeit. Wie Gandhi rief auch King zu konstruktiven Initiativen auf, die von der notwendigen Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Kräften des Bösen ausgingen und in einer Zusammenarbeit mit den Kräften des Guten mündeten. Die „alte Gesellschaft“ müsse durch eine „neue“ ersetzt werden, die das Wahlrecht für alle gewährleistet, den Wohlstand fördert und das Gesundheitswesen verbessert. Solche Veränderungen könnten, so King, „der
Zivilisation eine neue Dimension der Liebe verleihen“, von der alle profitieren und an deren Ende eine versöhnte, von Liebe und Eintracht geprägte Menschheitsfamilie steht.
Der „Feldzug der Armen“ Im Sommer 1967 kam es in den Gettos und Slums mehrerer großer Städte zu Explosionen der Gewalt. Kürzungen bei den Sozialprogrammen der Regierung verschlimmerten die Lage der Ärmsten auf unerträgliche Weise. In New York, Detroit und Atlanta schlugen Schwarze rücksichtslos zu, weil sie nicht mehr daran glaubten, irgendetwas auf friedlichem Wege ändern zu können. King entwarf daraufhin einen Plan, ihre verzweifelte Situation vor die Entscheidungsgremien der Nation zu bringen. Es war sein „letzter großer Traum“. Ein „Feldzug der Armen“ nach Washington sollte Menschen aus den unterentwickelten Gebieten des Südens und des Nordens zusammenführen und jene verbünden, die keine Arbeit und kein Geld hatten. Auf diese Weise würde das Problem allen dramatisch vor Augen gestellt. Nicht nur Schwarze sollten marschieren, sondern alle Armen; Indianer, Puertoricaner, Mexikaner und auch die minderbemittelten Weißen sollten sich beteiligen. King wollte mit dieser Initiative über die bisherigen Ziele der Bürgerrechtsbewegung hinausgreifen, die sich bislang vorwiegend für die Schwarzen eingesetzt hatte. Die SCLC begrüßte dieses Vorhaben. Nicht zuletzt gab die Überlegung den Ausschlag, mit einem langfristigen, auf erreichbare Ziele ausgerichteten Programm neuen Krawallen in den Städten vorzubeugen. „Hoffnung statt Verzweiflung“, lautete Kings Motto. Ihm ging es um „wirtschaftliche Sicherheit, menschenwürdige Wohnungen und gute Schulen für alle Amerikaner“. Dieser Feldzug sollte zu einem Frontalangriff auf die Armut in all ihren Formen und in allen Staaten der Konföderation werden. Aus allen Teilen der USA würden die Armen nach Washington strömen. Die moralische Kraft ihrer Argumente würde alle Menschen guten Willens auf ihre Seite ziehen, die Gewerkschaften ebenso wie die Bürgerrechtsorganisationen,
religiöse Gemeinschaften, Intellektuelle und Studenten. Die Zeit schien reif für entsprechende gesetzliche Maßnahmen, und der „Marsch auf Washington“ sollte helfen, das Land von der Notwendigkeit und Dringlichkeit grundlegender Reformen zu überzeugen. Dem wachsenden Unmut der Besitzlosen, den Schießereien und Krawallen wollte die neue Kampagne nicht durch gewaltsame Repression, sondern durch eine positive Neuausrichtung aller Energien begegnen. Die landesweiten Demonstrationen hatten die Bewegung geeint, hatten Schwarze und Weiße – ungeachtet ihrer jeweiligen Meinung über Black Power – bei vielen Gelegenheiten zusammengeführt. Es ist überraschend, auf welch positive Weise die Protestmärsche und Kundgebungen zur Lösung verschiedener Probleme beigetragen haben. Es ist kaum bekannt, dass in nahezu allen Städten, in denen Demonstrationen stattfanden, die Verbrechensraten beträchtlich zurückgingen. In Montgomery, Alabama, beispielsweise, der Stadt des Bus-Boykotts, ging die Kriminalitätsrate unter der schwarzen Bevölkerung in einem Jahr um 65 Prozent zurück. Überall, wo Protestmärsche abgehalten wurden, fanden die Leute einen Weg, ihren aufgestauten Hass zu überwinden und ihren Forderungen in einer gewaltlosen Form Ausdruck zu verleihen. Jetzt wurde ein großer Demonstrationszug nach Washington geplant. Falls die Regierung den Forderungen nicht nachkommen sollte, würde man ausgewählte Industriezweige boykottieren. Als letztes Mittel fasste man eine massive, gewaltlose Gehorsamsverweigerung ins Auge – nicht nur für ein oder zwei Tage, sondern ähnlich wie bei den Kampagnen von Birmingham oder Selma so lange, bis die Forderungen der Armen erfüllt würden. Am 23. Februar 1968, anlässlich des 100. Geburtstages des schwarzen Freiheitskämpfers William E. B. DuBois, wies King in der New Yorker Carnegie Hall auf die Dringlichkeit des Marsches hin. Er sagte: „Wir müssen nach Washington ziehen, weil sie im Krieg gegen die Armut einen Waffenstillstand erklärt haben,
während Milliarden Dollar verschwendet werden, um den sinnlosen, grausamen und ungerechten Krieg in Vietnam fortzusetzen. Wir werden in die Hauptstadt ziehen und darauf bestehen, gehört zu werden, und wir werden so lange dort bleiben, bis die Regierung uns antwortet. Wenn das eine gewaltsame Unterdrückung unserer Bewegung bedeuten sollte, werden wir dem entgegentreten; denn das haben wir bereits mehrmals getan. Wenn das Verachtung oder Spott bedeutet, werden wir es hinnehmen, denn das erfahren die Armen Amerikas schon jetzt jeden Tag. Wenn das Gefängnis bedeutet, werden wir auch dies willig akzeptieren, denn Millionen Arme sind bereits jetzt Gefangene der Ausbeutung und Diskriminierung. Menschen, die ihrer Freiheit beraubt sind, geben nicht auf. Die Schwarzen haben über hundert Jahre lang gekämpft, und wenn auch der Zeitpunkt ihrer vollen Emanzipation noch ungewiss ist: absolut sicher ist, dass der Kampf dafür fortdauern wird und dass wir eines Tages siegen werden.“ In New York traf King unter anderem mit der Vereinigung der Rabbiner Amerikas zusammen. Vorgestellt wurde er den Versammelten von Rabbiner Abraham Heschel, einem Bürgerrechtsaktivisten, der bereits mehrmals an Demonstrationen teilgenommen hatte und dessen 60. Geburtstag die RabbinerVereinigung feierte. Heschel sagte über King: „Die ganze Zukunft Amerikas wird vom Einfluss Dr. Kings abhängen. Wo in den ganzen USA hören wir heute noch eine Stimme, die derjenigen der Propheten des alten Israel ähnelt? Martin Luther King ist ein sprechender Beweis dafür, dass Gott die Vereinigten Staaten von Amerika nicht vergessen hat. Gott hat ihn uns gesandt. Sein Dasein ist die Hoffnung Amerikas. Seine Mission ist heilig, und seine Führungsqualitäten sind von größter Bedeutung für einen jeden von uns.“ In einer anschließenden, von Rabbiner Everett Gendler geleiteten Fragestunde nahm King zu einer breiten Themenpalette Stellung. In seiner Antwort auf eine Frage über den Antisemitismus wurde er besonders deutlich: „Wir haben wiederholt klargestellt, dass wir nicht Opfer einer Haltung sein
können, die einen Übelstand durch einen anderen ersetzt. Man kann nicht eine Tyrannei durch eine andere ersetzen; ein Schwarzer, der auf der einen Seite für Gerechtigkeit kämpft, anderseits aber eine antisemitische Einstellung vertritt, handelt nicht bloß irrational, sondern vor allem unmoralisch; wo immer wir auf antisemitische Haltungen gestoßen sind, haben wir sie in aller Schärfe und mit allen Kräften verurteilt.“ Die öffentliche Reaktion auf den geplanten Marsch der Armen war äußerst negativ. Man hielt die Initiative für zu radikal und zu gefährlich, kurzum für ein unrealistisches Traumgebilde. Präsident Johnson war wieder einmal über seinen früheren Verbündeten sehr aufgebracht. Das FBI schaltete sich erneut ein und verbreitete die skurrilsten Geschichten über King. In der angeheizten Polarisierung, die der Vietnamkrieg und eine durch den Kalten Krieg vergiftete Atmosphäre noch verschärft hatte, hielten viele King für einen Kommunisten im Sold Moskaus. Er wurde wegen angeblicher sexueller und finanzieller Skandale angezeigt. Die Morddrohungen gegen ihn nahmen zu, und King selbst kam immer mehr zu der Überzeugung, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, die Sendung zu vollenden, die Gott seinen starken, inzwischen aber müden Schultern anvertraut hatte. Er hatte häufig mit Depressionen und Schlaflosigkeit zu kämpfen. Dennoch widmete er sich unermüdlich den Vorbereitungen des Feldzugs und sorgte dafür, dass die Teilnehmer mit dem Ideal der Gewaltlosigkeit vertraut gemacht wurden. Es gab zu viel zu tun, um jetzt Halt zu machen. In jenen Monaten überfiel King eine Vorahnung seines nahenden Todes, doch er stützte sich voll und ganz auf seinen tiefen Glauben, um mit ihr fertig zu werden. „Ich kann nicht in beständiger Angst leben“, sagte er. „Wenn ich eine Angst im Leben überwunden habe, so ist es die vor dem Tod.“ Er reiste kreuz und quer durch mehrere US-Staaten, sprach mit einflussreichen Persönlichkeiten, mit Puertoricanern, Indianern und Weißen aus der Unterschicht. Er hielt an seinem Traum von einem würdigen „integrierten“, gewaltfreien Marsch nach
Washington fest, der eine mutige Kampfansage an Armut, Rassismus und Krieg werden sollte. Es war der revolutionäre Aufruf zu grundlegenden Wandlungen, geboren aus dem Glauben an einen Gott der Befreiung, der alle Menschen in einer einzigen großen Familie vereint sehen will. Während der dreimonatigen Vorbereitungen auf den Marsch empfand King ein starkes Bedürfnis nach Stille, Gebet und Meditation. In diesem letzten Frühling seines Lebens kam die Idee einer Art Exerzitien auf, die noch vor dem Feldzug nach Washington stattfinden sollten. King, der schwarze Historiker und Aktivist Vincent Harding, das Quäker-Ehepaar John und June Yungblut sowie einige andere, darunter der vietnamesische ZenMeister Thich Nhat Hanh, berieten sich darüber mit dem Trappistenmönch Thomas Merton vom Gethsemani-Kloster in Kentucky. Merton war grundsätzlich einverstanden, drängte jedoch darauf, dass die „Exerzitien ruhig und informell“ verlaufen und durch ein hohes geistliches Format geprägt sein sollten. Auch wollte man vermeiden, dass die Initiative in das Rampenlicht der Öffentlichkeit geriet. Merton war von seinen Ordensoberen aufgefordert worden, den Vietnamkrieg nicht mehr öffentlich zu verurteilen, so dass er sich klug und vorsichtig verhalten musste. In einem Brief an Harding zitierte Thomas Merton das Wort Kardinal Newmans: „Zuerst Heiligkeit, dann Frieden“. Er fügte hinzu, diesen Worten komme im Kloster eine besondere Bedeutung zu, während man gemeinhin Frieden suche, indem man eine Lösung der Konflikte durch die Heiligkeit des Leidens und Opfers umgehe. Vor den Präsidentschaftswahlen von 1968 gab es einige, die King gern als Führer einer dritten Partei gesehen hätten, um gegen Präsident Johnson anzutreten. Doch er selbst maß diesen Gedanken keine Bedeutung bei. Er war ein Prediger mit einer prophetischen Berufung. Ungeachtet seines aufreibenden und zeitraubenden Amtes hatte er sich nach Kräften bemüht, sonntags auf der Kanzel seiner Gemeinde zu stehen und sich seiner Frau Coretta und den inzwischen vier Kindern Yoki, Marty, Dexter
und Bernice zu widmen. Auch als er im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit stand, blieb er seiner Gemeinde eng verbunden. Er war weiterhin bescheiden und für jedermann zugänglich. Am 12. März schickte June Yungblut ermutigende Neuigkeiten an Thomas Merton. Sie schrieb: „Coretta King hat Ihre Daten und wird alles versuchen, ihren Mann auf diese Zeit festzunageln’.“ Wenige Tage später musste Yungblut King dann doch entschuldigen: Sie teilte mit, dass King nach Memphis gerufen worden sei, und sie fürchte, dass dieses Pulverfass zum „Jerusalem für Martin“ werden könnte. Am 19. Juni – gut zwei Monate nach der Ermordung Kings – fand vor dem Lincoln-Denkmal in Washington die große Schlusskundgebung des „Feldzugs der Armen“ statt. 50.000 Menschen aller gesellschaftlichen Schichten, vor allem aber Minderbemittelte aller Rassen sowie Vertreter mehrerer Religionen, aus der Welt der Arbeit sowie Friedensaktivisten waren gekommen, um zu bekunden, dass sie entschlossen waren, so lange für ihre Rechte zu kämpfen, bis diese anerkannt würden.
Endstation Memphis Am 23. Februar 1968, mitten in den Vorbereitungen des „Feldzugs der Armen“, war in Memphis, Tennessee, ein Streik schwarzer Müllarbeiter ausgebrochen. Anlass war die ungerechte Behandlung bei Lohnausfällen durch schlechtes Wetter. Die Polizei setzte während der friedlichen Demonstration Schlagstöcke und das neue Tränengas Mace ein. Der gerade ins Amt gewählte Bürgermeister, Henry Loeb, rechtfertigte das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte. Die weiße Presse schloss sich an. Der örtliche SCLC-Verband bat daraufhin King, er möge nach Memphis kommen, um zu den Betroffenen zu sprechen. King zögerte zunächst, da ihm die Vorbereitungen für den „Feldzug nach Washington“ zu wichtig schienen. Als er jedoch hörte, dass das Vorgehen der Polizei auch viele weiße Bürger schockiert habe und sich die weiße Gewerkschaft AFL-CIO für das Anliegen der schwarzen Müllmänner einsetzen wolle, flog er am 18. März nach Memphis, wo er vor 1.500 Menschen sprach. Ein für den 22. März geplanter Protestmarsch musste wegen schlechten Wetters verschoben werden. King verließ die Stadt mit dem Versprechen, am 28. des Monats an der Spitze eines Demonstrationszuges zu marschieren. Kurz nach Beginn des von King angeführten Marsches kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, in deren Verlauf ein 16-jähriger Junge getötet wurde. Schließlich unternahm man einen neuen Versuch, gewaltlos zu demonstrieren. King traf am 3. April erneut in Memphis ein und bezog ein Zimmer im Lorraine Motel. Nur widerwillig stimmte er zu, am Abend des 3. April auf einer Massenkundgebung in der Mason Temple Church zu sprechen. Über 2.000 Menschen hatten sich trotz eines schweren Unwetters versammelt. King begann seine Ansprache mit einem Dank an Gott, der ihm Gelegenheit gebe, in einer Zeit zu leben, die von einem weltweiten Verlangen nach Gerechtigkeit gekennzeichnet sei – von Johannesburg bis
nach Nairobi, New York, Atlanta und Memphis. Er sei gekommen, um die Müllarbeiter in ihren Forderungen zu unterstützen, wie der Barmherzige Samariter sich über den ausgeraubten und blutig geschlagenen Mann am Wege von Jerusalem nach Jericho gebeugt habe. Dann rief er verschiedene Erfahrungen und Ereignisse der vergangenen Jahre in Erinnerung. Am Ende sagte er zu den Versammelten: „Ich weiß nicht, was jetzt geschehen wird. Schwierige Tage liegen vor uns. Aber das macht mir jetzt wirklich nichts aus, denn ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen. Ich mache mir keinerlei Sorgen. Natürlich möchte ich wie jeder andere gern lange leben. Ein langes Leben hat seinen Wert. Aber darum bin ich jetzt nicht besorgt. Ich möchte nur Gottes Willen tun. Er hat mir erlaubt, den Berg zu besteigen. Und ich habe hinübergesehen in das Gelobte Land. Vielleicht gelange ich selbst nicht mit euch dorthin. Aber heute Abend sollt ihr wissen, dass wir als ein Volk in das Gelobte Land gelangen werden. Und deshalb bin ich glücklich heute Abend. Ich mache mir keine Sorgen über irgendetwas, und ich fürchte niemanden. Denn meine Augen haben die Herrlichkeit des kommenden Herrn gesehen.“ Im Rückblick auf diese bewegende Rede sagte Andrew Young später, dass King in einer Periode innerer Zweifel, als selbst seine Führerschaft der Bewegung infrage gestellt wurde, gespürt habe, dass seine Zeit ablaufe und er auf Erden alles getan habe, was er konnte. Zwölf Jahre zuvor hatte er am Küchentisch seiner Wohnung in Montgomery gebetet und gegen Zweifel und Fragen angekämpft, als es darum ging, den Bus-Boykott zu organisieren. Nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Familie war wiederholt bedroht worden. Aus dem „Tal der Todesschatten“ heraus hatte er sich ganz Gott anheim gegeben; eine innere Stimme hatte ihn aufgefordert, für Gerechtigkeit und Wahrheit aufzustehen, und dieselbe Stimme hatte ihm versichert, Gott werde ihm stets zur Seite stehen. In Memphis erlebte er nun einen zweiten schweren Kampf in seinem Glaubensleben. Nicht nur, dass eine Gruppe Gewalttätiger den ersten Marsch zur
Unterstützung der Müllarbeiter unterbrochen hatte. Es gab auf breiter Front harte Kritik sowohl am „Feldzug der Armen“ wie an seiner Haltung zum Vietnamkrieg und seinem unerschütterlichen Festhalten an der Gewaltlosigkeit. Kraft und Trost fand King in Jesu Wort aus der Bergpredigt: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt“ (Mt 5,llf). Während der Ansprache in der Mason Temple Church, die seine letzte sein sollte, war er ganz im Frieden mit Gott. Er sagte: „Irgendwie weiß ich, dass man nur dann, wenn es dunkel genug ist, die Sterne sieht“ und bekundete: „Ich möchte nur Gottes Willen tun.“ Tief bewegt über den großen Widerhall, den seine Rede an jenem Abend gefunden hatte, kehrte King heiteren Gemüts in das Lorraine Motel zurück. Für den nächsten Abend hatten er und seine Mitarbeiter eine Einladung zum Essen bei Pastor Samuel Kyles angenommen. Nachdem sich King fertig gemacht hatte, trat er auf den kleinen Balkon vor seinem Zimmer zur Straße hin und plauderte mit Freunden, die unten standen. Er bat Jesse Jackson, dafür zu sorgen, dass am Abend sein Lieblingsstück gespielt würde: Precious Lord, Take My Hand. Wenige Augenblicke darauf fiel der Schuss. Martin Luther King wurde in den Hals getroffen. Ralph Abernathy, Andrew Young und andere bemühten sich nach Kräften, die starke Blutung zum Stillstand zu bringen. Unverzüglich wurde er in das St.-Joseph-Hospital gebracht, doch als sie eintrafen, war es zu spät. Martin Luther King war tot. Die Stimme des Propheten der Gewaltlosigkeit war gewaltsam zum Schweigen gebracht worden. Als die Nachricht bekannt wurde, kam es in vielen Städten zu Gewaltausbrüchen. 34 Schwarze und fünf Weiße starben bei den Unruhen. Am schlimmsten traf es die Hauptstadt Washington. Der Rundfunk sendete mehrmals die letzte Rede Kings, die er am Vortag gehalten hatte. Schließlich gewannen besonnenere
Männer, wie James Farmer, die Oberhand. Farmer sagte: „Das einzig würdige Denkmal für diesen Märtyrer ist die heilige Verpflichtung, den Rassismus zu überwinden, und zwar hier und jetzt, nicht erst morgen. Martin Luther King hasste jedes Blutvergießen. Sein Blut darf nicht Anlass zu weiterem Blutvergießen geben.“
Trauer um einen großen Propheten US-Präsident Johnson rief für Sonntag, den 7. April Staatstrauer aus. Die Flaggen im ganzen Land wehten auf Halbmast. Am darauf folgenden Tag führten Coretta King, ihre drei ältesten Kinder und Ralph Abernathy einen Schweigemarsch durch die Straßen von Memphis an. Coretta King sprach zu den rund 20.000 Teilnehmern von der erlösenden Kraft der Liebe und des Leidens und erinnerte an das große Vermächtnis, das der Tod ihres Mannes allen, Schwarzen wie Weißen, hinterlassen habe. Die Proteste der Müllarbeiter endeten eine Woche später, nachdem die Stadtverwaltung den Forderungen der Streikenden und der Gewerkschaften nachgegeben hatte. Die Trauerfeier für Martin Luther King fand am Dienstag, den 9. April in Atlanta statt. Über 100.000 Menschen hatten sich vor der Ebenezer Baptist Church versammelt, wo Ralph Abernathy den Trauergottesdienst hielt. Unter den Persönlichkeiten, die King die letzte Ehre erwiesen, waren US-Vizepräsident Hubert Humphrey, Richard Nixon, Justizminister Ramsey Clark, Jacqueline, Ethel und Robert Kennedy (der nur zwei Monate später ermordet wurde), Harry Belafonte, Mahalia Jackson, die Precious Lord, Take My Hand sang, Thurgood Marshall, Sammy Davis jun. Floyd Patterson und Diana ROSS. Die Gedenkrede hielt Dr. de Wolf, bei dem der junge King in Boston studiert hatte. Von der Kirche zog ein Maultiergespann den schlichten Holzsarg – beredtes Symbol für Kings Bescheidenheit – durch die Stadt, am Morehouse College vorbei, wo der junge King zum ersten Mal Henry David Thoreau, einen der größten Vertreter der Gewaltlosigkeit, gelesen hatte. Im Hof des Colleges gedachte Dr. Benjamin Mays in einer kurzen Ansprache seines großen Schülers. „Wir haben uns heute hier“, so sagte er, „aus allen Teilen des Landes und der ganzen Welt versammelt, um Gott zu danken, dass er Amerika in dieser geschichtlichen Stunde Martin Luther King geschenkt hat.
Wahrlich, Gott schaut nicht auf das Ansehen der Person. Wie seltsam! Gott beruft den Urenkel eines Sklaven und trägt ihm auf: Martin Luther, sprich zu Amerika über Krieg und Frieden, über soziale Gerechtigkeit und Rassendiskriminierung, über seine Verpflichtungen den Armen gegenüber und über die Gewaltlosigkeit als Weg, in einer von Brutalität und Krieg gekennzeichneten Welt sozialen Wandlungen zum Durchbruch zu verhelfen.“ Rabbi Heschel betete aus den Psalmen, während Pastor Abernathy über Josef von Ägypten predigte, dessen Brüder sich gegen ihn verschworen hatten. Martin Luther King wurde anschließend im South-ViewFriedhof in der Nähe seiner Großeltern beigesetzt. Später fand er dann seine letzte Ruhestätte im „Martin-Luther-King-Zentrum für gewaltlose gesellschaftliche Veränderungen“ in der Auburn Street, nahe der Ebenezer Baptist Church, an der er wie schon sein Vater und Großvater Pfarrer gewesen war. In den Sarkophag wurden die Worte eingraviert, mit denen er häufig seine Ansprachen und Predigten geschlossen hatte: „Endlich frei! Endlich frei! Großer allmächtiger Gott, endlich bin ich frei!“ Die Ermordung Kings hat bis auf den heutigen Tag viele Fragen unbeantwortet gelassen. Der Täter, James Earl Ray, wurde gefasst und inhaftiert. Doch eine sorgfältige Untersuchung unterblieb. Seit 1968 unternahmen James Lawson, Anwalt William Pepper und andere Anstrengungen, die Hintergründe und Hintermänner der Mordtat aufzuklären. Während sich die öffentliche Meinung bald wieder den Alltagssorgen zuwandte, waren andere der Ansicht, dass man King selbst, aber auch dem ganzen Land eine völlige Aufklärung schulde, wohin immer die Suche nach der Wahrheit führen mochte. Ein Jahr bevor James Earl Ray 1998 im Gefängnis starb, sprach die Familie des Ermordeten erstmals öffentlich ihre Überzeugung aus, dass Ray nicht der Mörder Martin Luther Kings gewesen sei. Coretta King bat Präsident Bill Clinton, eine eigene Untersuchungskommission einzusetzen mit der Aufgabe, Mörder und Auftraggeber der Bluttat von Memphis
aufzudecken. Denn ohne eine völlige Aufklärung blieben die Wahrheit zweifelhaft, die Verschwörer unbekannt und die demokratische Entwicklung vergiftet. 1977 verlieh Präsident Jimmy Carter Martin Luther King posthum die Presidential Medal of Freedom und nannte ihn „das Gewissen unserer Generation“. Weiter sagte er: „Er hat unsere Nation stärker gemacht, denn er hat sie besser gemacht. Obwohl von Königen und Staatsoberhäuptern geehrt, hat er bis zu seinem letzten Tag für eine Welt gekämpft, in der sich die Ärmsten und Entrechtetsten der Verwirklichung jener Verheißungen erfreuen könnten, für die sich bereits die Gründerväter eingesetzt hatten. Sein Leben formte uns, seine Träume geben uns Trost und Kraft.“ Vor dem Lorraine Motel in Memphis, Tennessee, auf dessen Balkon Martin Luther King erschossen wurde, hat man eine Gedenktafel mit einer Inschrift aus dem ersten Buch der Bibel angebracht. Es ist ein Wort der Brüder Josefs, die sich gegen ihn verschworen hatten und ihn umbringen wollten: „Dort kommt ja dieser Träumer. Jetzt aber auf, erschlagen wir ihn… Dann werden wir ja sehen, was aus seinen Träumen wird.“ (Gen 37,19f) King wurde im Alter von nur 39 Jahren ermordet, seine Predigertätigkeit endete nach nur zwölf Jahren. Jene, die sich unverhohlen über seinen Tod freuten – und das waren nicht wenige – glaubten, dass er für immer zum Schweigen gebracht worden sei. Doch sein Traum vom „Gelobten Land“ lebt fort in den Herzen vieler. Vincent Harding, ein afroamerikanischer Professor für Religion und Sozialreform am Theologischen Seminar in Iliff, schreibt: „King lebt!… Wir haben gesehen, wie er in Peking auf dem ,Platz des Himmlischen Friedens’ mutig den Panzern entgegentrat; wir haben gesehen, wie er beim Fall der Berliner Mauer auf ihren Resten tanzte; wir hörten ihn während des ,Prager Frühlings’ singen; wir sahen sein Spiegelbild in den leuchtenden Augen von Nelson Mandela;…. er lebt weiter in uns und überall, wo seine Botschaft gehört und verwirklicht wird, wo
immer wir seinen Kampf für Gerechtigkeit und Frieden fortsetzen.“ In den letzten Tagen seines Lebens schien Martin Luther King noch mehr als zuvor erfüllt von der Liebe und dem Licht Gottes. Er war berühmt geworden als Führer der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Am Ende seines Lebens galt seine leidenschaftliche Hingabe allen Armen, gleich welcher Hautfarbe. Er blickte über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus und träumte von einer gewaltlosen Befreiung von jeglicher Art von Sklaverei und Ungerechtigkeit überall in der Welt. Er hatte eine Vision, eine Ahnung von der umfassenden Versöhnung, zu der Gott alle Menschen berufen hat.
Lebensdaten 1929 15. Januar: Martin Luther King jun. wird als zweites Kind der Eheleute Martin Luther King sen. und Alberta King, geb. Williams, in Atlanta, Georgia, geboren. 1944 Beginn des Studiums am Morehouse College in Atlanta, der damals einzigen Hochschule für Schwarze. 1948 25. Februar: Ordination als Baptistenpfarrer. Juni: Abschluss der Studien am Morehouse College. September: Studium der Theologie am Crozer-Seminar in ehester, Pennsylvania. 1951 Juni: Diplomprüfung. 13. September: Einschreibung an der Universität Boston mit dem Ziel der Promotion. 1953 18. Juni: Hochzeit von Martin Luther King und Coretta Scott. 1954 17. Mai: Der Oberste Gerichtshof der USA erklärt die Rassentrennung in öffentlichen Schulen für verfassungswidrig. 1. September: King tritt den Pfarrdienst in der Dexter Avenue Baptist Church in Montgomery, Alabama, an. 1955 5. Juni: Promotion an der Universität Boston zum Dr. phil. 17. November: Geburt der ersten Tochter, Yolanda Denise. 5. Dezember bis 21. Dezember 1956: Bus-Boykott in Montgomery. 1956 26. Januar: Erstmalige Verhaftung von Martin Luther King. 30. Januar: Bombenanschlag auf das Haus der Familie King. 1957 10./11. Januar: Gründung der Southern Christian Leadership Conference (SCLC); King wird ihr erster Präsident. 23. Oktober: Geburt des Sohnes Martin Luther, genannt Marty. 1958 20. September: King wird in New York City niedergestochen. 1959 2. Februar bis 10. März: Indienreise.
1960 King wird neben seinem Vater zweiter Pfarrer an der Ebenezer Baptistenkirche in Atlanta. Sitzstreiks (Sit-ins) im ganzen Land. John F. Kennedy wird zum neuen Präsidenten der USA gewählt. 1961 30. Januar: Geburt des Sohnes Dexter. November 1961 bis August 1962: Die Albany Movement Freedom Rides kämpft für Gleichberechtigung in den Überlandbussen. 1962 Blutige Unruhen in Mississippi. 1963 28. März: Geburt des vierten Kindes, Bernice Albertine. 3. April bis 10. Mai: Kampagne in Birmingham, Alabama, zur Aufhebung der Rassentrennung. 12. April: Erneute Verhaftung von Martin Luther King; „Brief aus dem Gefängnis in Birmingham“, Juni: Veröffentlichung des Buches Strenght to Love. 12. Juni: Medgar Evers, Geschäftsführer der NAACP, wird in Jackson, Mississippi, vor seinem Haus erschossen. 28. August: Marsch auf Washington D.C. zur Durchsetzung der Bürgerrechte. King hält die berühmte Rede „Ich habe einen Traum“. 15. September: Bombenanschlag auf eine Baptistenkirche in Birmingham, bei dem vier Mädchen getötet werden. King hält die Trauerrede. 22. November: Ermordung des Präsidenten John F. Kennedy in Dallas, Texas. 1964 März bis Juni: Protestmärsche in St. Augustine, Florida. Veröffentlichung des Buches Why We Can’t Watt. Ermordung der Bürgerrechtler James Chaney, Andrew Goodman und Michael Schwerner. 13. September: Auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Willy Brandt, besucht King West-Berlin. 18. September: Papst Paul VI. empfängt King im Vatikan in Privataudienz. 10. Dezember: King erhält in Oslo den Friedensnobelpreis. 1965 Januar bis März: Kampagne in Selma zur Durchsetzung des Wahlrechts; Marsch auf Montgomery. 21. Februar: Malcolm X wird in New York erschossen. 6. August: Präsident Lyndon B. Johnson unterzeichnet im Weißen Haus in Anwesenheit von King das Wahlrechtsgesetz.
1966 Kampagne in Chicago gegen die Rassendiskriminierung. Die Familie King bezieht eine Wohnung im Armenviertel von Chicago. 1967 Mehrere Reden Kings zur Verurteilung des Vietnamkriegs. 4. April: Bedeutende Ansprache Kings gegen den Vietnamkrieg in der Riverside Church in New York. King veröffentlicht sein letztes Werk: Where Do We Go From Here: Chaos or Community? 1968 King ruft zu einem „Feldzug der Armen“ nach Washington auf. Müllarbeiterstreik in Memphis, Tennessee. 31. März: King hält seine letzte Sonntagspredigt in der EpiskopalKathedrale von Washington D.C. 3. April: King hält seine letzte Ansprache in in der Mason-Temple-Church in Memphis. 4. April: King wird von einem Heckenschützen auf dem Balkon des Lorraine Motel in Memphis erschossen. 9. April: Beerdigung in Atlanta. 5. Juni: Ermordung von Robert Kennedy.