Gruselspannung pur!
Tessa gegen die Blutbestien
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Die Jagdhütte lag etwas ver...
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Gruselspannung pur!
Tessa gegen die Blutbestien
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Die Jagdhütte lag etwas versteckt auf einer Lichtung am Rande des Odenwaldes. Eine dünne Rauchfahne kräuselte aus dem Schornstein. Der erste Schnee des Jahres hatte sich auf die Landschaft gelegt und verlieh ihr etwas Romantisches. Doch den Menschen in der Hütte ging jeder Sinn für Romantik ab. Die Stille, die man an diesem Ort erwartet hätte, wurde durch Musik und laute Stimmen erheblich gestört. Noch herrschte ausgelassene Stimmung unter den jungen Leuten, die sich an diesem Abend in der Hütte eingefunden hatten. Doch das sollte sich bald ändern. Denn noch in derselben Nacht würde sie das Grauen in Panik versetzen. Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
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»Mensch, Manni, ich könnte deinen Alten knutschen, daß er uns die Hütte überlassen hat!« »Knutsch lieber mich, oder stehst du auf alte Männer?« Nicola hatte sich zwischen den tanzenden Körpern hindurchgeschoben und fiel dem blonden Manfred nun um den Hals. Der konnte sein Glück kaum fassen, hatte er diese Mitschülerin doch immer für unnahbar gehalten. Manfred, der von allen nur Manni genannt wurde, wußte gar nicht, wie ihm geschah. In einer Ecke der Hütte hatte einer der jungen Leute eine Stereoanlage aufgebaut und betätigte sich als Discjockey. Hämmernder Technosound ließ jetzt die Hüttenwände erzittern. Mit geschlossenen Augen »wiegten« die Tänzer ihre Körper im Takt der Musik. Die jungen Leute hatten allen Grund zum Feiern. Am Vortag hatten die angehenden Kaufleute die Ergebnisse ihrer schriftlichen Abschlußprüfung erhalten. Jeder hatte bestanden. Bei einigen von ihnen, darunter auch Nicola, konnte man es schon als kleines Wunder bezeichnen. Erst gegen drei Uhr morgens kehrte langsam Ruhe in der Jagdhütte ein. Discjockey Bernie spielte nur noch Schmuselieder und saß mit verklärtem Blick und einer Flasche Pils hinter seiner Anlage. Nicola und Manni hatten sich in eine Ecke zurückgezogen. Manni schob seine Hand unter Nicolas T-Shirt und fühlte sich wie im Paradies. »Leute, jetzt spiel ich noch was, das so richtig zur Jahreszeit paßt!« lallte Bernie. »Snow Flakes! Damit ihr nicht vergeßt, daß wir alle nur kleine Flöckchen im großen Schneesturm sind.« »Wie philosophisch!« rief Nicola. »Wo hast du denn den Spruch geklaut?« »Aber recht hat er!« warf Manni dazwischen. »Was sind wir denn schon? Und die meisten von uns wissen ja nicht mal, was die Zukunft bringt.« »Anders als die Schneeflöckchen«, lallte Bernie, »die werden ratz fatz zu Wasser. Kaum sind sie da, sind sie wieder weg!« »Und wenn du auf ein paar Flocken trittst, rutschst du aus und fällst auf den Arsch, du Philisoph!« meldete sich Toby. »He, aber mal im Ernst! Wer von uns weiß, was auf uns zukommt? Niemand. Stimmt schon, was Bernie sagt.« Nicola 3
schaute in die Runde. »Warum finden wir nicht raus, was das Schicksal für uns bereithält?« »Wie meinst du das?« fragte Manni. »Ich hab eine Freundin, die beschäftigt sich mit so was. Mit Tarotkarten, Geisterbeschwörung und so.« »Willst du uns jetzt die Karten legen?« wollte Toby wissen. »Nein, ich hab was viel Besseres!« Nicola zog Mannis Hand von ihrer Brust weg, stand auf und lief zu ihrem Fiat Panda und brachte eine Schachtel mit. Bibbernd kam Nicola wieder in die Hütte gestapft. »Da friert man sich ja was ab, so kalt ist es!« »Was willst du dir denn abfrieren?« fragte Bernie kichernd. »Das könnte ich dich fragen, du Sprücheklopfer«, gab Nicola zurück. »Bei dir werden sowieso nur noch Arme und Beine steif.« Nicola stiefelte zu einem der Tische und zog ihn in die Mitte des Raums. »Kann mal einer von euch mit anpacken?« Manni rückte zwei Bänke zurecht. Dafür schenkte ihm Nicola einen Kuß, und Manni strahlte. Nicola öffnete die Schachtel, entnahm ein Spielbrett und klappte es auseinander. »Was ist denn das?« wollte Bernie wissen und schwankte herbei. »Ein Ouija-Brett!« verkündete Nicola. Bernie nahm einen langen Schluck aus der Pils-Flasche. »So was wie Monopoly?« Nicola verdrehte die Augen. »O Mann. Ein Ouija-Brett ist ein Hexenbrett.« »Aha. Und wo ist die Hexe?« Nicola stemmte die Hände in die Hüften. »Weißt du was? Setz dich hin und halt die Klappe?« Tobias war nun ebenfalls neugierig geworden und zog Marion mit sich zum Tisch. Nicola hatte bereits Platz genommen und legte ein poliertes Stück Holz auf das Brett. Das Holzstück wies in der Mitte ein ovales Loch auf. Tobias deutete auf das mit Buchstaben und Wörtern übersäte Brett. »Und du blickst da echt durch?« »Laß dich überraschen. Jetzt werden wir erfahren, wie unsere Zukunft aussieht. Und jetzt haltet euch bei den Händen«, sagte Nicola. »Wir müssen einen magischen Kreis aufbauen.« Fünf junge Menschen saßen um das Hexenbrett, wollten die Zukunft wissen und waren im Begriff, die Schrecken der Hölle zu 4
beschwören. * Still lag der Wald. Die Musik war längst verstummt. Düster und drohend erhob sich der Schloßberg mit der Burgruine über dem Wald. In der Hütte knisterte das Kaminfeuer. Vier Augenpaare ruhten auf Nicola Kubier. Ihre Fingerspitzen berührten die ovale Holzscheibe. Die Scheibe lag auf dem Brett, unterhalb der beiden Buchstabenreihen des Alphabets. In den oberen Ecken des Bretts waren außerdem die Worte Ja und Nein zu lesen. Die unteren Ecken wiesen die Begrüßungsformeln Hallo! und Leb Wohl! auf. Der Ruck, der durch Nicolas Körper ging, kam so plötzlich, daß auch die vier Zuschauer erschrocken zusammenzuckten. Nicola riß die Augen weit auf. Fassungslos starrte sie auf ihre Hände, die von der Holzscheibe geführt wurden; die fuhr wild auf dem Brett herum und glitt dann in die linke untere Ecke. In dem Feld in der Mitte der Scheibe wurde das Wort Hallo! sichtbar. Die Scheibe blieb ruhig liegen. »Wir rufen dich! Wer bist du?« Keine Reaktion. Doch Nicola war überzeugt, daß da etwas war. Sie spürte es. »Bist du da?« Ihre Stimme zitterte jetzt. Die Scheibe bewegte sich. Rasend schnell sogar. Sie sauste nach links oben. »Jaaa.« »Willst du zu uns sprechen?« Die Scheibe zuckte wie wild und fand ihr Ziel. »Jaaa.« »Willst du uns etwas über unsere Zukunft verraten?« Nicola atmete schwer. Die Scheibe vollführte wahre Kapriolen, bevor sie nach rechts oben ausschlug. »Neeiin.« »Was willst du uns mitteilen?« Die Scheibe ließ Nicola kaum ausreden und sauste auf dem Brett herum. Nicola konnte sie nicht stoppen und konnte auch ihre Finger nicht von dem Holzstück nehmen. Sie schienen wie festgewachsen. Dann buchstabierte die Scheibe. Nicola las laut vor. »Hütet euch! Unheil.« Fünf junge Menschen schauten sich verwirrt an. »Was meint er 5
damit?« fragte Tobias. »Oder sie«, fügte Bernie hinzu. »Wieso? Sind Geister nicht männlich?« »Schon mal was von einer Weißen Frau gehört?« »Klappe!« zischte Nicola. »Konzentriert euch! - Wovor sollen wir uns hüten?« »Vor dem. Bösen. Es kommt aus der Hölle.« »Was kommt aus der Hölle?« Keine Antwort. »Wir verstehen dich nicht! Was ist es, das aus der Hölle kommt?« rief Nicola eindringlich. Keine Antwort. Die Holzscheibe blieb still liegen. Nicola holte tief Luft und sank vornüber. »Ich bekomme keinen Kontakt mehr. Wer oder was es auch war, es warnte uns vor etwas Bösem. Ich möchte zu gern wissen, was damit gemeint war.« »Laß gut sein«, schlug Tobias vor. »Marion zittert vor Angst, und ich denke sowieso, daß das nur Hokuspokus ist. Wahrscheinlich hast du tatsächlich eine mordsmäßige Schau abgezogen. Laßt uns lieber noch ein wenig rumknutschen.« Toby beugte sich zu Marion und saugte sich an ihrem Hals fest. Der Ruck war so heftig, daß Nicola Kubier halb über das Hexenbrett gezerrt wurde. Die Scheibe unter ihren Fingern spielte verrückt. Marion schrie erschrocken auf. Die drei Jungs verfolgten die Bewegungen der Scheibe. »Wir haben den Kreis unterbrochen«, murmelte Bernie. »Wieso bewegt sich das Ding trotzdem?« Die Scheibe buchstabierte wieder. Nicola sprach die Worte aus. »Falsch.« »Was ist falsch?« wollte Nicola wissen. »Hokuspokus. Falsch.« »Es gibt dich also wirklich?« Nicolas Stimme verlor ihre Furcht. Die Scheibe schoß nach links unten. »Hallo!« Nicola lächelte. Es war wieder da. »Kannst du uns mehr über das Böse sagen, das uns bedroht?« Die Scheibe glitt nach rechts oben. »Neeiin.« »Wieso nicht?« Die Scheibe buchstabierte das Wort Zeigen. »Du willst es uns also zeigen?« Keine Antwort. Dafür fauchte plötzlich das Kaminfeuer, und eine Feuerlohe schoß in den Raum hinein, zog sich aber sofort wieder zurück. Sturm pfiff um die Jagdhütte und rüttelte an den 6
Fensterläden. Manni sprang von der Bank hoch und eilte zur Tür. »Was ist denn jetzt los, verdammt?« schrie er und riß die Hüttentür auf. Die fünf Jugendlichen trauten ihren Augen nicht. Vor der Hütte tobte der schlimmste Schneesturm, den sie jemals erlebt hatten! Manni warf die Hüttentür zu. Im selben Augenblick zerriß ein gewaltiger Donnerschlag den Sturm. Manni rannte zum Tisch zurück und setzte sich wieder zu seinen Freunden. »Ob dieses Sauwetter das Böse ist, das die Scheibe gemeint hat?« fragte Manni. Niemand wußte eine Antwort, aber alle klammerten sich an diese Erklärung. Die Holzscheibe erwachte zu gespenstischem Leben. Rasend schnell suchte sie die Buchstaben zusammen. »Das Böse ist da«, murmelte Nicola. »Ich weiß, was es damit gemeint hat«, sagte Bernie in die Stille hinein. Er starrte mit den anderen zur Hüttentür. »Wir sind nicht mehr allein«, hauchte er. Ihre Blicke fielen auf die dunkel gekleidete, bleiche Frauengestalt, die sich bei der Tür abzeichnete. Ein erneuter Donnerschlag ließ das Kaminfeuer auflodern. »Ich grüße euch«, sagte die bleiche Frau und trat langsam näher. »Ich bin Gräfin Hildrun von Schleiwitz. Ihr dürft mich Gräfin nennen.« * Die fünf jungen Leute starrten die Fremde ängstlich an. »Wo kommen Sie denn plötzlich her?« fragte Manni Wiehert, der als erster seine Fassung wiedererlangt hatte. »Das hier ist eine private Veranstaltung. Gehen Sie bitte!« Ihm war noch nicht aufgefallen, daß die Frau den Raum betreten hatte, ohne die Tür zu öffnen. Die unheimliche Frau stand immer noch mit geneigtem Kopf da und schaute die jungen Leute kalt lächelnd aus unergründlichen Augen an. »Ihr habt mich gerufen«, sagte sie sanft. »Wir wollten nur etwas über unsere Zukunft erfahren«, meinte Nicola ruhig. Die Frau warf den Kopf zurück und lachte laut. »Eure Zukunft? Ihr habt keine Zukunft mehr!« 7
»Was wollen Sie denn damit andeuten?« rief Tobias und ging auf die Unheimliche zu. »Passen Sie mal auf, Sie Vogelscheuche! Wenn Sie uns hier drohen wollen, ist aber der Ofen aus!« Die dunklen Augen der Unheimlichen blitzten kalt. »Setz dich wieder, Söhnchen!« »Ich setze mich, wenn es mir paßt! Und jetzt raus mit Ihnen!« Die schmale Hand der Frau schoß blitzschnell vor. Die sehnigen Finger legten sich um Tobys Kehle. Mühelos hob die Frau den Jungen hoch. Toby röchelte und lief blau an. Er versuchte verzweifelt, sich aus dem Würgegriff zu befreien. Mit einem Ruck zog die unheimliche Frauengestalt den Jungen zu sich heran und schleuderte ihn dann von sich. Toby Möhler krachte auf den Tisch, schlitterte darüber hinweg und fiel am hinteren Ende herunter. »Ich sagte, du sollst dich hinsetzen, Söhnchen.« Auch Mannis Selbstsicherheit war wieder ins Wanken geraten. »Was wollen Sie von uns?« brachte er zaghaft hervor. Die Frau, die sich als Gräfin bezeichnet hatte, trat an den Tisch heran. Ihre kalten Finger strichen über die Gesichter der jungen Leute. »Von euch?« Sie lachte. »Nun, ihr werdet mir eure Kraft geben. Eure Lebenskraft, eure Stärke und eure Schönheit.« Die jungen Leute wurden blaß und schauten betreten vor sich nieder. Sie wußten nicht, wie sie reagieren sollten. Sie waren von der Situation überfordert. Nur Bernie kicherte vor sich hin, hob die Pilsflasche und prostete der Unheimlichen zu. »Gräfin? Das ist cool, Alte! Echt geil! Aus welcher Anstalt bist du denn abgehauen?« Damit war die Sache für Bernie erledigt. Aber nicht für die bleiche Gräfin. Sie packte Bernie am Kragen und zog ihn von der Bank hoch. »Du glaubst mir also nicht, Knabe?« »Laß los, Tante, sonst wird Bernie unwirsch!« »Hat man dir nicht beigebracht, wie man einer Dame von Adel begegnet, Knabe? Ich vermisse die nötige Demut und den Respekt! Auf die Knie, Bursche! Leiste Abbitte vor deiner Herrin!« Nicola hielt es nicht mehr länger aus. »Schluß mit dem Theater! Lassen Sie Bernie los und machen Sie, daß Sie verschwinden!« »Welch aufsässige Worte! Du hast mich gerufen, doch euer Empfang ist alles andere als freundlich.« »Wir haben Sie nicht gerufen!« »Das mag sein, aber ich bin nun mal hier, und ihr solltet auch 8
noch mein Gefolge begrüßen!« »Gefolge?« Nicola schaute hilfesuchend zu Tobias und Manni. »Wahrscheinlich sind noch mehr Irre ausgebrochen. Das hat uns gerade noch gefehlt!« Die Gräfin deutete zum Fenster hin. »Sieh nach!« Nicola sah vor der Scheibe undeutlich eine massige Gestalt. Wie unter Zwang bewegte sie sich auf das Fenster zu. Da sprangen auch schon die beiden Fensterflügel auf und krachten gegen die Wand. Glas splitterte. In das Klirren der Scheiben mischte sich ein schriller Schrei, den eine grauenhafte Gestalt ausgestoßen hatte. Nicola sah ein riesiges, fellbedecktes Wesen vor sich, dessen Fratze sie entfernt an eine Ratte erinnerte. Die Kreatur riß das Maul weit auf und fauchte. Lange, spitze Reißzähne blinkten Nicola entgegen. Stinkender Geifer sprühte ihr ins Gesicht. Nicola schrie gellend. Die unheimliche Gräfin lachte. »Begrüßt meine höllischen Begleiter!« Hinter der Schreckensgestalt im Fenster zeichneten sich noch weitere grauenhafte Wesen ab. Die brünette Marion begann hysterisch zu kreischen. »Ich bin euch dankbar, daß ihr mich gerufen habt. Lange hat es ja gedauert. Jetzt bin ich müde und kraftlos, aber ihr werdet mich zu neuen Kräften bringen. Mich und meine Gesellen. Und dieser Bursche hier wird den Anfang machen!« Mit einem Ruck riß die die Unheimliche Bernie hoch und bog seinen Kopf zur Seite. Gräfin Hildrun von Schleiwitz öffnete weit den Mund. Jetzt erst sahen Nicola und ihre Freunde die beiden langen Eckzähne. Bernie kicherte. »Muß ich mich von dieser Irren auch noch knutschen lassen? O Mann, das ist echt abgefahren!« Die Hauer senkten sich in seinen Hals. Bernie schüttelte sich vor Kichern, spürte aber gleichzeitig den kurzen Schmerz. Die Vampirgräfin trank. Und Bernie verstummte. * Rund um die Jagdhütte wimmelte es von Menschen. Kommissarin Ruland mußte ihren Ford etwas abseits parken. Als sie aus dem Wagen stieg, blieb ihr Blick auf der Ruine von Burg 9
Frankenstein hängen, die sich düster auf dem nahen Schloßberg erhob. Schwere Schneewolken bedeckten den Himmel und ließen die Burgruine noch drohender erscheinen. Die junge Kripobeamtin näherte sich der Hütte und hatte nur Augen für die hektische Betriebsamkeit, die hier überall herrschte. Flüchtig hielt sie ihren Ausweis hoch, als ein uniformierter Beamter sie aufhalten wollte. Katharina Ruland war jung, schlank, in Jeansanzug und T-Shirt gekleidet und trug schulterlanges, blondes Haar. Sie beobachtete einen Beamten des Erkennungsdienstes dabei, wie er Spuren vor dem Hüttenfenster untersuchte. »Schon irgendwelche Hinweise?« fragte sie leise. Der Beamte schüttelte den Kopf. Die Kommissarin betrat die Hütte. Auch hier herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Angekohlte Holzscheite aus dem Kamin waren über den ganzen Raum verstreut. Dazwischen erkannte Katharina Scherben von Bierflaschen, Essensreste und ein Spielbrett mit verschnörkelten Buchstaben. Auf einem Stuhl in einer Ecke, abseits vom Chaos, kauerte ein stämmiger Mann mit schütterem Grauhaar. Er trug Jägertracht. »Ludwig Wiehert«, raunte eine Männerstimme hinter Katharina. »Ihm gehört die Hütte.« Die Kommissarin drehte sich um und sah sich einem breitschultrigen Mann gegenüber, der sie um Haupteslänge überragte. »Morgen, Volkerts«, begrüßte Katharina ihren Kollegen von der Darmstädter Kripo. »Müssen wir jetzt schon aus Frankfurt antanzen und eure Fälle lösen?« »Sorry, Kathi, aber das ist kein normaler Mord. Warte, bis du den Toten siehst!« »Ach ja, der Tote. Wo ist er überhaupt?« »Drüben, im Wald. Wiehert hat ihn gefunden. Hat ihn ziemlich mitgenommen.« Kathis Kollege ging vor ihr her und führte sie zwischen den Bäumen hindurch. Eine breite Schneise schien mit Brachialgewalt in den Wald gehauen worden zu sein. Etwa zweihundert Meter von der Hütte entfernt erreichten Kathi und ihr Begleiter eine Stelle, die von abgebrochenen Ästen und zersplitterten Bäumen bedeckt war. Auch hier waren Beamte der Kriminaltechnik dabei, Spuren zu sichern. An Baumstämmen, Ästen und auf dem Waldboden waren 10
Blutspritzer zu erkennen. Kathis Blick glitt zum Ende der Schneise. Der übel zugerichtete Körper eines jungen Mannes hing zwischen den Bäumen. Spitze Äste hatten den Körper durchbohrt und hielten ihn in aufrechter Stellung. Tote Augen in einem bleichen Gesicht starrten zum Himmel. »Bernhard Kreß, genannt Bernie. Er war einer der jungen Leute, die in der Hütte gefeiert haben«, erklärte Volkerts. Kathi Ruland trat kopfschüttelnd zu dem Toten. Die Kleidung war zerrissen. Der Körper war von Wunden bedeckt. Am schlimmsten hatte es den Hals erwischt. Er war eine einzige, klaffende Wunde. »Todeszeitpunkt?« fragte Kathi Ruland knapp. »Samstag - in den frühen Morgenstunden. Genaues nach der Obduktion.« »Habt ihr die Partygäste schon ermittelt?« »Sind wir noch dran.« Katharina Ruland stiefelte zur Jagdhütte zurück. »Wir sind jetzt fertig«, meldete einer der Spurensicherer und verließ die Hütte. Kathi betrat den Raum. »Ihr Sohn veranstaltete hier also eine Feier. Könnte es sein, daß dabei Drogen konsumiert wurden?« Wiehert fuhr hoch. »Manni würde so was nie tun. Für euch ist immer alles so einfach! Wenn ihr nicht weiterkommt, sind Drogen im Spiel.« »War nur eine Frage.« Zögernd ließ sich Wiehert auf dem Stuhl nieder. »Haben Sie eine Erklärung, wer für dieses Durcheinander und den Mord verantwortlich sein könnte? Hatten Ihr Sohn oder seine Freunde vielleicht Ärger mit anderen Jugendlichen?« Ludwig Wiehert schüttelte den Kopf. »Aber es gibt eine Frage, die mir nicht aus dem Kopf geht: Welcher Mensch kann zu solch einem abscheulichen Verbrechen fähig sein?« In der Hüttentür tauchte ein Sanitäter auf. Kathi Ruland stand auf und nickte zu Ludwig Wiehert hin. »Kümmern Sie sich um ihn.« Langsam folgte die Beamtin dem Sanitäter und Ludwig Wiehert nach draußen. Volkerts wartete bereits auf sie. »Und?« fragte er. »Hast du was aus dem Alten rausgekriegt?« Kathi schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Aber ich hab was für dich. Das hier haben wir bei dem Toten 11
gefunden.« Volkerts hielt der Kommissarin eine Schachtel hin. Als sie darauf schaute, ließ er den Deckel zurückschnappen. Kathi sah ein halbes Dutzend weiße Pillen in der Schachtel liegen. »Aspirin ist das bestimmt nicht«, meinte Volkerts. »Also doch ein Drogenmord?« Katharina Ruland hob die Schultern. »Laß mich eine Weile allein, Volkerts. Ich muß nachdenken«, murmelte sie, schob die Hände in die Gesäßtaschen und ging an der Hütte entlang. Auch draußen hatte die Spurensicherung ihre Arbeit inzwischen beendet. Kathi betrachtete das zersplitterte Fenster und die Spuren auf dem Boden vor der Hütte. Der Schnee war zertrampelt. Der hartgefrorene Boden wies tiefe Kratzspuren auf, die von den Krallen eines Tieres stammen konnten. Am Fenster waren Blutspuren zu erkennen. Als Kathi das Fenster inspizierte, fiel ihr Blick durch die Fensteröffnung auf eine Ecke des Spielbrettes, die zwischen den Möbeltrümmern im Innern der Hütte aufragte. Mit raschen Schritten kehrte die Kommissarin in die Hütte zurück und räumte einige Trümmer beiseite, bis das Spielbrett und eine kleine, ovale Holzscheibe vor ihr lagen. Frau Ruland nahm das Brett hoch und betrachtete die seltsam verschnörkelten Buchstaben. Der Ruck kam so plötzlich, daß die Kommissarin beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Wie unter Zwang schob ihr Zeigefinger die ovale Scheibe in die linke, untere Ecke. In dem Sichtfeld in der Mitte der Scheibe erschien das Wort Hallo! Kathi wurde blaß. Sie zog ihren Finger zurück, als hätte sie ihn in Säure getaucht. Daß sie diesmal den Finger mühelos zurückziehen konnte, fiel ihr gar nicht auf. Die Kommissarin holte tief Luft, bevor sie erneut nach der Scheibe griff und ihr einen Stoß versetzte. Die Scheibe rutschte über das Spielbrett und blieb zwischen den beiden Buchstabenreihen liegen, ohne etwas anzuzeigen. Dieses Experiment wiederholte die Kommissarin noch zweimal und erzielte das gleiche Ergebnis. So kam sie nicht weiter. Aber eines war ihr klargeworden: In diesem Fall konnte sie keine normalen Maßstäbe anlegen. Zumindest jetzt noch nicht. Doch es gab vielleicht jemanden, der ihr weiterhelfen konnte. Sie hatte eine Kollegin, die schon häufiger mit unerklärlichen Vorkommnissen konfrontiert worden 12
war. Hastig raffte Katharina Ruland Spielbrett und Scheibe zusammen und verließ die Hütte. »Komm, laß uns hier verschwinden«, rief sie Volkerts zu, der abwartend neben seinem Dienstwagen stand. Zwanzig Minuten später stürmte Katharina Ruland in das Büro der Darmstädter Mordkommission. Sie warf das Ouija-Brett und die Scheibe achtlos auf den Schreibtisch, ließ sich in einen Drehsessel fallen und griff zum Telefon. Hastig gab sie eine Nummer aus ihrem Notizbuch ein und lauschte auf das Rufzeichen. »Hallo? Katharina Ruland, Kripo Darmstadt«, meldete sie sich. »Verbinden Sie mich mit Kommissarin Tessa Hayden!« * Die Faust raste auf mich zu. Ich blockte den Arm ab, packte ihn, drehte mich blitzschnell und hebelte meinen Gegner mit einer fließenden Vorwärtsbewegung über die Schulter. Mit einem dumpfen Knall krachte Hauptkommissar Peter Pit Langenbach auf die Matte. »Willst du mich vor deinem Ehrentag lahmlegen, Nikolaus? Wer soll dir dann helfen, die Geschenke zu verteilen?« protestierte Pit. »Keine Sorge. Ich finde schon einen Engel, der mir hilft«, gab ich grinsend zurück. Ich zog Pit auf die Beine und trat ein paar Schritte zurück. »Jetzt greif du mich an«, sagte ich, und so schleuderten wir uns abwechselnd auf die Matte, denn wir wollten und mußten fit bleiben. Nach einer knappen Stunde folgte ich dem Hauptkommissar in den Saunabereich des Sportzentrums. Wir hatten die Kabine fast für uns. Nur noch zwei weitere Kollegen schwitzten mit uns. »Also, wo steckt sie?« hakte ich nach, als wir auf der obersten Bank Platz genommen hatten. »In Darmstadt. Zumindest ist sie auf dem Weg dorthin.« »Das ist aber nicht gerade um die Ecke. Was treibt sie denn dort?« »Tessa erhielt einen Anruf von einer Kollegin aus Darmstadt. Es geht dort um einen Mord. Ziemlich rätselhafte Geschichte.« »Sie hätte ja ruhig auf mich warten können«, maulte ich. 13
»Rätselhafte Morde fallen normalerweise in mein Ressort.« »Jetzt halt aber mal die Luft an, Mark. Auch wenn du als Kämpfer des Rings dazu auserwählt bist, gegen die Hölle anzutreten, so ist doch nicht gesagt, daß sie dir nicht auch mal eine Ruhepause gönnt.« »Ich weiß nicht recht.« zweifelte ich. Pit konnte natürlich recht haben. Nachdenklich betrachtete ich den Siegelring an meiner rechten Hand. Deutlich zeichneten sich ein stilisierter Drache und die Initialen M und N darauf ab, nach denen ich die Vornamen Markus Nikolaus erhalten hatte. Dieser Ring machte mich zu einem Auserwählten, einem Streiter für das Gute. Warum dies so war, wußte ich noch nicht. Es blieb vorerst ein düsteres Geheimnis, wie auch meine Herkunft. Die Wärme in der Saunakabine machte mich schläfrig. Ich hörte die Tür der Kabine klappen. Neben mir bewegte sich Pit Langenbach. »Irgendwie mußt du eine magische Anziehungskraft auf Engel ausüben, du Weihnachtsmann«, raunte Pit. »Ich hab genug. Fröhliches Schwitzen. Und paß auf deine Rute auf, Nikolaus!« Die Holzleisten knarrten gequält, als sich Pit von der Bank schwang. Seine Badelatschen erzeugten schmatzende Geräusche auf den Fliesen, dann drang ein Schwall kalte Luft in die Kabine, als Pit die Tür aufzog und wieder schloß. Wieder knarrte das Holz, als sich jemand auf der Bank neben mir niederließ. Hatte Pit es sich doch anders überlegt? »Was faselst du denn von Engeln?« wollte ich wissen. »Und wieso, bitteschön, soll ich auf meine Rute aufpassen? Die wäre nur in Gefahr, wenn Tessa jetzt hier wäre. Aber die ist ja weit weg.« »Zum Glück. Sonst könnte ich jetzt nicht neben dir sitzen«, hauchte eine weibliche Stimme, deren Klang mir trotz der Hitze eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Ich öffnete die Augen - und da saß er! Der Weihnachtsengel! Ein hübsches Gesicht mit blauen Augen, Sommersprossen und Stubsnase, umrahmt von einer Flut blonder Locken. Ein hübsches Girl mit allem Drum und Dran. Rasch schaute ich zur anderen Seite hinüber, doch wir waren allein. Ich hatte nicht mitbekommen, wie die beiden anderen Beamten die Saunakabine verlassen hatten. 14
Langsam drehte ich wieder den Kopf und folgte mit dem Blick einem Schweißtropfen, der zwischen den Brüsten des Weihnachtsengels entlanglief und in ihrem Schoß verschwand. Ich versuchte zu schlucken. Es gelang mir nur mit Mühe. Der Sinn von Pits Bemerkung wurde mir auf einmal klar. Diese Frau konnte in der Sauna jeden Mann mühelos in Verlegenheit bringen. »Du bist doch der Freund von Tessa, nicht?« vergewisserte sie sich. Ich nickte stumm. »Ich bin Sylvie vom Einbruchsdezenat. Tessa und ich arbeiten öfter zusammen.« »Hallo«, brachte ich krächzend heraus. »Ich meine, es ist doch wirklich ein glücklicher Zufall, daß Tessa jetzt nicht da ist, oder?« fuhr die blonde Verheißung fort. »Was glaubst du, würde sie machen, wenn sie wüßte, daß wir beide hier allein in der Sauna sind?« »Sie würde wahrscheinlich die Tür verrammeln und warten«, flüsterte ich. Sylvie schickte ihren Zeigefinger auf Wanderschaft und führte ihn über meinen Brustkorb. »Es gibt angenehmere Gesprächsthemen. Zum Beispiel diesen Stern auf deiner Brust.« Sylvies Finger hatte das sternförmige Hexenmal erreicht, das auf meiner linken Brust prangte. Wo es herstammte, blieb genauso im dunkeln wie meine Herkunft, aber ebenso wie der Siegelring übte das Mal auf Frauen einen besonderen Reiz aus. Ich umfaßte Sylvies zarte Hand und küßte sie. »Das ist der Weihnachtsstern, der zu strahlen begonnen hat, als du hereingekommen bist«, erklärte ich. Der blonde Engel kicherte. »Du schwindelst.« »Wie könnte ich einen Engel anschwindeln? Möchtest du auch einen Stern auf der Brust haben? Ich kann dir einen Knutschfleck...« »Nein, danke! Darauf kann ich verzichten. Außerdem bin ich bereits tätowiert. Willst du mal sehen?« »Liebend gerne«, antwortete ich. »Zeig mal her!« Sylvie erhob sich und drehte mir ihre Kehrseite zu. Auf der rechten Hinterbacke trug sie eine Schlange, die sich um eine Rose schlängelte und im Begriff war, die Blüte zu verschlingen. Viel mehr als das Tattoo interessierte mich jedoch ihr wohlgerundetes Hinterteil. »Nicht schlecht«, murmelte ich verzaubert und versuchte an 15
Tessa zu denken. »Echt? Gefällt es. dir?« Überrascht verlor Sylvie das Gleichgewicht und setzte sich. Und zwar direkt auf meinen Schoß! Jetzt war es beinahe um meine Beherrschung geschehen. Sie legte die Arme um meinen Hals. Ihre Brust kam mir gefährlich nahe. »Die Rose steht für die Liebe. Und die Schlange für die Versuchung. Aufregend, nicht?« »Ja, sehr aufregend«, bestätigte ich und konnte meinen Blick nicht von ihren Rundungen nehmen. Die Blondine preßte zu allem Überfluß noch meinen Kopf gegen ihre Brust. »Ach, wie schade, daß du schon mit Tessa zusammen bist«, seufzte sie. »Wie gern wäre ich an ihrer Stelle.« Mühsam befreite ich mich aus Sylvies Umarmung, schob sie sacht von meinem Schoß, küßte sie sanft und stand auf. »Entschuldige, aber jetzt wird mir doch ein wenig zu heiß. Ich kühle mich rasch ab und bin gleich wieder bei dir.« »Aber laß mich nicht zu lange warten, ja?« Ich lächelte ihr zu, war mit zwei großen Schritten bei der Tür und drückte dagegen. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Wir waren eingeschlossen! Ich stemmte mich erneut mit gespannten Muskeln gegen die Tür der Saunakabine, doch sie gab nicht nach. Mein Puls beschleunigte sich. Ich bezweifelte, daß sich Pit Langenbach einen dummen Scherz erlaubt hatte. Blieb eigentlich nur noch eine Möglichkeit. Ich schaute auf meinen Siegelring, der als Indikator für dämonische Aktivität und Ausstrahlung fungierte, aber er zeigte nichts dergleichen an. »Irre ich mich, oder ist es jetzt viel heißer als vorhin?« fragte Sylvie. Sie irrte sich nicht. Mit einem raschen Blick auf die Temperaturanzeige des Thermometers stellte ich fest, daß die Temperatur in der Kabine um knapp zwanzig Grad gestiegen war. »Leg dich flach auf die unterste Bank, Sylvie«, wies ich sie an und bemühte mich weiter, die Tür zu öffnen. Den feinen Rauch, der unter der Türritze in die Saunakabine drang, bemerkte ich erst, als er meine Beine bis zu den Knien umwehte und mein Siegelring zu prickeln und zu glimmen begann. 16
* Es war inzwischen unerträglich heiß in der Kabine geworden, und das Atmen fiel mir schwer. Einen winzigen Augenblick gab der wabernde Rauch den Blick auf die nackte Sylvie frei. Sie hatte die Holzbank verlassen und kauerte ängstlich auf dem Boden. Ich muß etwas tun, dachte ich fieberhaft, sonst werden wir jämmerlich ersticken! Kontakt! Du mußt Kontakt aufnehmen! Dieser Entschluß festigte sich in meinem Gehirn. »Wer bist du?« rief ich in die Rauschschwaden hinein. Keine Antwort. »Kannst du mich hören? Zeige dich! Ich will wissen, mit wem ich es zu tun habe!« Wieder antwortete mir nur eisiges Schweigen. Dann verdunkelte sich das Zentrum der Rauchschwaden. Allmählich schälten sich die Umrisse eines menschlichen Körpers heraus. Ich erkannte einen Brustharnisch mit einem Wappen, einen eisernen Handschuh, einen Helm mit geschlossenem Visier, und mir stockte der Atem. Vor mir stand ein hünenhafter Ritter in voller Montur! Bevor ich noch etwas sagen konnte, hoben sich seine Arme, und die Klinge eines mächtigen Beidhänders sauste auf mich zu! Mir blieb nur die Flucht nach vorn. Ich rollte mich herum, zog die Beine an und rammte sie dem unheimlichen Ritter gegen die Seite. Klirrend taumelte der Rittersmann durch die Kabine. Ich ließ ihm keine Zeit, den Beidhänder erneut zu heben. Meine Füße trafen die flache Seite der Schwertklinge und prellten sie dem Ritter aus den Händen. Klirrend schlug die Klinge gegen den Behälter mit den erhitzten Steinen. Ich warf mich hoch, wuchtete mein ganzes Körpergewicht gegen den Ritter und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Die geharnischte Gestalt taumelte schwerfällig. Aber da war ich bereits bei dem Schwert, nahm mein Badetuch auf und wickelte es um den heißen Schwertgriff. Mit einem Ruck riß ich den schweren Beidhänder hoch und 17
drückte dem geisterhaften Ritter die Schwertspitze gegen den Hals. »Lüfte dein Visier, Ritter. Ich will dein Gesicht sehen, bevor ich dich in die Hölle zurückschicke!« befahl ich ihm. Zögernd hob sich sein rechter Arm. Das Visier klappte hoch. Es war ein breites Gesicht, das mir aus der Helmöffnung entgegenschaute. Buschige Augenbrauen über dunklen, strengen Augen und ein dichter, schwarzer Vollbart verliehen dem Gesicht ein grimmiges Aussehen. Breite Nasenflügel bebten. Die dicken Lippen preßten sich wütend aufeinander. »Wer bist du?« brüllte ich. »Nimm das Schwert fort, Träger des Rings.« war die Antwort. »Du bist nicht in der Lage, Forderungen zu stellen, Ritter. Zunächst will ich wissen, wer du bist.« »Ich bin Gero von Rodenstein!« Seine Stimme klang stolz, als er den Namen aussprach. »Warum wolltest du mich töten?« Der Ritter schwieg. Ich verstärkte den Druck an seinem Hals. Normalerweise hätte Blut aus der Halswunde dringen müssen, doch das war nicht der Fall. Für mich ein weiteres Zeichen, daß ich es hier mit einem Untoten, einem Geistwesen zu tun hatte. »Sprich, Ritter!« »Ich wollte dich nicht töten«, kam die heisere Antwort. »Es hat aber verdammt danach ausgesehen.« »Niemand richtet das Wort unaufgefordert an den Rodensteiner!« entfuhr es dem grimmig dreinblickenden Gesellen. »Ich wollte dir eine Lektion erteilen, Träger des Rings. Und ich wollte sehen, wie gut du wirklich bist!« »Nun, letzteres hast du ja jetzt gesehen. Was willst du? Weswegen bist du hier erschienen?« Der Ritter zögerte mit seiner Antwort. »Das Böse ist da!« stieß er schließlich hervor. »Du sagst mir nichts Neues, Rodensteiner!« »Nicht ich, Träger des Rings! Ich komme, dich zu warnen. So, wie ich auch die anderen gewarnt habe.« Noch konnte ich mir keinen Reim aus den Worten des GeisterRitters machen. Wovor wollte er mich warnen? Das Böse hatte viele Gesichter und Formen. » Wieso kommst du ausgerechnet zu mir? Und von welchem Übel sprichst du?« 18
»Du stellst viele Fragen, Träger des Rings.« »Und ich erwarte Antworten, sonst muß ich wirklich annehmen, daß du gegen mich bist!« Der Ritter lachte heiser. »Wenn du mich zum Gegner hättest, Markus Hellmann, würde ich dich zerquetschen wie eine Wanze.« Gero von Rodenstein hob eine Hand und ballte den eisernen Handschuh zur Faust. »Überhebliche Worte für jemanden, der die Spitze seines eigenen Schwertes an der Kehle spürt, Rodensteiner! Erkläre dich!« Die dunklen Augen des Ritters blitzten. »Die anderen haben gerufen, und das Böse hat sich gemeldet. Ich wollte sie warnen, doch sie haben meine Warnung nicht verstanden. Das Böse ist da und hat bereits zugeschlagen. Nur du, Markus Hellmann, kannst die Macht des Bösen brechen. Doch eile. Die Zeit drängt!« Ich wußte immer noch zuwenig, um ein klares Bild zu bekommen. Der Rodensteiner hatte also jemanden vergeblich vor etwas Bösem gewarnt. »Wen wolltest du warnen?« fragte ich. »Und wo ist das Böse zu suchen, von dem du sprichst?« »Die Zeit drängt. Beeile dich, Hellmann!« Die Hand des Ritters Gero hob sich erneut, doch diesmal wirkte es wie ein Gruß. Der Rauch, der ihn umwehte, verdichtete sich wieder. Seine Beine verschwanden bereits vollständig in den Schwaden. »Warte!« rief ich. »Wo soll ich suchen?« Ich spürte, wie auch der Beidhänder von den Rauchfahnen verschluckt und mir aus der Hand gerissen wurde. Noch einmal tauchte die hünenhafte Gestalt des Rodensteiners aus den Rauchschwaden auf. »Jemand, der dir nahesteht, sucht das Böse«, hallte seine dumpfe Stimme wie durch eine Wattewand zu mir herüber. »Die Blutbestien. Hüte dich vor ihnen!« Dann war der Geister-Ritter verschwunden. Die Temperatur sank rapide. Die Rauchwolken verschwanden. Ich hastete zu Sylvie und zog die verstörte Blondine hoch. »Was war denn das?« fragte sie mit zitternder Stimme. »Vergiß es«, flüsterte ich und drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. »Vergessen? Ich kann das nicht einfach vergessen, Mark! Ein Ungetüm in einer mittelalterlichen Rüstung taucht hier einfach so auf und versucht uns umzubringen. Und du sagst, ich soll es 19
vergessen! Das geht nicht!« »Doch, Sylvie. Es geht. Vielleicht war alles nur Einbildung. Du warst ziemlich lange in der Sauna.« Sylvie stieß mich weg. »Du spinnst doch, Mark! Weißt du was? Tessa soll dich behalten! Ich halte mich lieber an Männer, die in der Sauna was anderes machen als mit rauchumnebelten Rittern zu labern!« Sie raffte ihr Badetuch zusammen, riß die Kabinentür auf und flüchtete. »Was hat sie denn?« fragte Pit, als Sylvie mit rotem Kopf an ihm vorbeirauschte. Er saß an einer kleinen Bar und hatte einen Drink vor sich stehen. »Hast du zu sehr mit der Rute gewedelt, Nikolaus?« »Laß die dämlichen Witze, Pit. Wir hatten Besuch.« »Hier ist in den letzten zwanzig Minuten keiner vorbeigekommen.« »Ich rede von einem Besucher in der Kabine. Einem Ritter.« »Der muß aber aufpassen, daß ihm durch den Schweiß nicht die Scharniere verrosten«, sagte Pit grinsend. »Im Ernst, Pit! Ein Ritter aus dem Jenseits. Nannte sich Gero von Rodenstein. Und er hat mich gewarnt. Vor etwas Bösem, vor Blutbestien und vor jemandem, der mir nahesteht und dem Bösen begegnet.« Der Hauptkommissar wurde schlagartig ernst. »Ob er damit deine Eltern gemeint hat?« »Möglich.« »Oder Tessa. Vielleicht hängt es mit dem Fall in Darmstadt zusammen.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß einfach noch nicht genug, Pit. Egal, was wir jetzt annehmen, es wäre nur Spekulation.« »Wo willst du denn ansetzen?« »Die einzige bekannte Größe in diesem Fall ist der Ritter von Rodenstein. Wenn ich mehr über ihn weiß, ergeben sich wahrscheinlich einige Antworten von selbst.« * Als Kommissarin Ruland per Fax um Amtshilfe ersuchte, stand Tessas sofortiger Abreise nichts mehr im Wege. In dem DienstBMW bretterte sie nun in Richtung Odenwald. Der wolkenverhangene Himmel zeigte auch am Nachmittag 20
keine Anzeichen einer Aufheiterung, als Tessa den Dienstwagen auf den Parkplatz der Darmstädter Polizeibehörde lenkte. Ohne anzuklopfen, öffnete Tessa die Bürotür und streckte den Kopf in den Raum. An einem überhäuften Schreibtisch erkannte sie eine Frau, die ihre Beine auf den Schreibmaschinentisch gelegt hatte und grübelnd zum Fenster hinausstarrte. »Hoffentlich ist der Kaffee schon fertig«, meinte Tessa und betrat das Büro. »Mensch, Tessa!« rief sie und umarmte die Besucherin. »Was ist denn das?« fragte Tessa, als sie die Tasse abgesetzt hatte. Sie deutete zu dem Spielbrett hin, das auf dem Schreibtisch lag. »Das ist das einzige Beweisstück, das wir im Mordfall Bernhard Kreß haben«, teilte Kathi Ruland mit. »Darf ich mal sehen?« Die Frankfurter Kommissarin schob ihrer Kollegin das Brett hinüber. Tessa betrachtete die verschnörkelten Buchstaben und die Verzierungen am Spielbrettrand. »Hatte der Tote Verbindung zu okkulten oder spiritistischen Vereinigungen?« fragte sie schließlich. »Keine Ahnung. Wieso fragst du?« »Weil das hier ein Ouija-Brett ist«, erklärte Tessa. »Ein - was?« »Ein Ouija-Brett. Wird auch als Hexenbrett bezeichnet. Damit kann man mit Geistern Kontakt aufzunehmen. Solche Bretter benutzt man bei Seancen, bei Geisterbeschwörungen. Wir können aber von dem Brett nicht unbedingt auf eine Schwarze Messe schließen.« Kathi begann, vor dem Fenster hin und her zu marschieren. »Fassen wir zusammen: Eine Schulklasse feiert in einer Jagdhütte. Zwei Tage später findet man einen Schüler, der an Baumästen aufgespießt ist. Die Einrichtung der Hütte ist demoliert. Und zwischen den Trümmern finden wir dieses Hexenbrett.« Kathi öffnete einen Aktendeckel und warf einige Fotos zu Tessa hinüber. Sie zeigten den toten Bernie Kreß. »Nach der Art, wie der Mord geschah, müssen wir zumindest davon ausgehen, daß wir es mit einem oder mehreren Tätern mit einem ausgeprägten Hang zur Brutalität und enormen Körperkräften zu tun haben.« Tessa betrachtete die Fotos. »Was hat die Obduktion ergeben?« »Die Leiche war blutleer. Einer der Äste hat sein Herz 21
durchbohrt, und die Kehle wurde aufgerissen. Da wollte also jemand sichergehen.« Kathi unterbrach ihren Spaziergang. »Komisch. Jetzt fällt mir etwas ein, das mich schon die ganze Zeit gestört hat. Das Blut!« »Was meinst du?« Kathi deutete auf die Bilder. »Man hat dem Jungen die Kehle aufgerissen, und sein Körper weist zahlreiche Wunden auf. Aber auf dem Boden und an den Bäumen sind nur wenige Blutspritzer zu entdecken.« Tessa ging die Bilder noch mal durch und mußte Kathi zustimmen. In Tessas Kopf begann sich ein Gedanke zu formen, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wenn sie recht behielt, würde sie den Fall ohne Mark Hellmanns Hilfe nicht lösen können. Die Kommissarin aus Weimar erhob sich, klappte das Hexenbrett zusammen und klemmte es unter den Arm. »Ich will mir die Hütte mal ansehen«, äußerte sie. »Klar. Aber vorher kümmern wir uns um eine Unterkunft für dich. Wozu brauchst du denn das Brett?« »Weiß ich noch nicht. Ist nur so eine Idee.« Kathi streifte ihre Jacke über und war auf dem Weg zur Tür, als diese schwungvoll aufgedrückt wurde und ein Mann das Büro betrat. »Kathi, es fehlen vier! Ich hab alle Partygäste aufgestöbert, aber vier junge Leute sind spurlos verschwunden. Wir sollten...« Bei Tessas Anblick verstummte der Sprecher. »Ah, Volkerts. Gut, daß du kommst. Darf ich dir Tessa Hayden vorstellen? Sie ist eine Kollegin aus Weimar und wird uns hier ein wenig unterstützen. Du kannst die Stellung halten. Wir sehen uns noch mal den Tatort an«, verkündete Katharina Ruland energisch und schob sich an Volkerts vorbei. Die beiden Frauen nahmen Kathis Ford und rollten wenig später dem Ort eines grausamen Verbrechens entgegen. * Pit hatte sich wieder in sein Büro zurückgezogen, und ich fuhr auf direktem Wege zur Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek. Hier hatte ich bereits viele Stunden mit Nachforschungen zugebracht. 22
Diesmal hoffte ich, in der Bibliothek Informationen über Ritter Gero von Rodenstein zu erhalten. Fehlanzeige. Vielleicht wußte mein Vater einen Rat. Auch er besaß zahlreiche Bücher über Okkultismus und übernatürliche Phänomene und speicherte alles Wissen in seiner Computeranlage. »Bist du im Streß?« fragte Ulrich, als ich anrief. »So kann man es auch sehen. Ich hatte heute morgen Besuch in der Sauna. Von einem Geister-Ritter.« Ulrich Hellmann lachte leise. »Dein Erzfeind mit dem Pferdefuß versucht es aber auch an den unmöglichsten Orten.« »Ich bin mir nicht mal sicher, ob er diesmal dahintersteckt«, meinte ich. »Wieso? Wollte dir der Ritter nicht an den Kragen?« »Nicht wirklich. Er wollte mich vielmehr warnen. Das betonte er jedenfalls immer wieder.« »Hast du schon was über deinen Besucher rausgefunden?« »Fehlanzeige. Deswegen rufe ich dich ja an. Vielleicht findest du etwas über ihn.« »Wie heißt denn der Knabe?« »Er nannte sich Gero von Rodenstein.« »Auf Anhieb sagt mir der Name auch nichts.« »Ich wäre dir dankbar, wenn du gleich nachforschen würdest, Vater. Mich läßt das Gefühl nicht los, daß die Zeit drängt.« »Tut sie das nicht immer?« Ulrich Hellmann freute sich auf meinen angekündigten Besuch. Bevor ich losfuhr, entdeckte ich in einem Sagenbuch den Namen Rodenstein. Das war ein Ritter, dessen Geist zwischen zwei Burgruinen in der Nähe von Erbach im Odenwald umgehen sollte. Ich stellte alle Bücher zurück und verließ die Bibliothek. Draußen war die Dämmerung bereits hereingebrochen. Ich suchte meinen BMW auf und entdeckte auf einer Straßenkarte die Ruine des Schlosses Rodenstein. Für mich stand fast zweifelsfrei fest, daß der Geister-Ritter mit seiner Andeutung meine Freundin Tessa gemeint hatte. Also stand sie zumindest indirekt mit der Ankündigung des Ritters und dem Auftauchen des Bösen, vor dem er gewarnt hatte, in Verbindung. Ich packte die Karte wieder weg und fuhr in die Siedlung Landfried im Weimarer Norden. Als ich vor der Tür meines Elternhauses stand, konnte ich es kaum erwarten, das Ergebnis 23
von Ulrich Hellmanns Nachforschungen zu erfahren. Mutter öffnete mir. Ich umarmte sie und roch sofort den Duft der Thüringer Bratwürste, der die Wohnung durchzog. »Heute kannst du dich mal wieder sattessen.« »Du sorgst schon dafür, daß ich nicht verhungere, Mutter.« »Wenn du willst, können wir gleich essen«, meinte Lydia. »Augenblick noch. Ich möchte zuerst mit Vater sprechen. Es dauert auch nicht lange.« Ulrich Hellmann lehnte sich zurück. »Es hatte einen Grund, warum dir dieser Geister-Ritter eine Warnung zukommen ließ«, begann er. »Er ist dazu verdammt, vor Unheil zu warnen, und zwar bis in alle Ewigkeit.« »Du hast also die Geschichte des Geister-Ritters erfahren können«, folgerte ich und beugte mich gespannt vor. »Erzähl. Von Anfang an. Aber faß dich kurz. Mutter wartet mit dem Essen.« Mein Vater sortierte einige handschriftliche Notizen. »Soweit ich herausgefunden habe, geht das Geschlecht der Rodensteiner bis ins achte Jahrhundert zurück. Mal waren Raubritter dabei, mal waren es rechtschaffene Edelleute. Ritter Gero von Rodenstein dürfte im vierzehnten Jahrhundert gelebt haben, und zwar auf einer Burg am Rande des Odenwaldes.« »Genau. Die Burg wurde in einem Sagenbuch erwähnt, das ich vorhin in der Bibliothek ausgegraben habe. Der Ritter soll dort heute noch herumspuken«, warf ich ein. »Dieser Gero von Rodenstein war ein ziemlich finsterer Zeitgenosse; die Leute hatten Angst vor ihm. Er war überdurchschnittlich groß für die damalige Zeit und schaute die meiste Zeit recht ernst drein. Deswegen hatte er wohl auch Probleme, eine Frau zu finden.« Es klang wie eine Anspielung auf mich. »Um die Frage zu beantworten, die dir auf der Zunge brennt, laß dir gesagt sein, daß an dem Schicksal des Rodensteiners eine Frau die Schuld trägt«, erzählte mein Vater weiter. »Der grimmige Gero von Rodenstein fand dann offenbar doch noch eine Frau, die bereit war, mit ihm das Leben zu teilen. Sie wurde schwanger von ihm, und alles schien in bester Ordnung. Aber dann ging irgendwas schief. Es kam zum Krach, und Rodenstein verlor die Beherrschung. So ähnlich muß es jedenfalls gewesen sein, denn die Frau des Rodensteiners verlor ihr Kind und starb. 24
Nach ihrem Tod soll sie ihm erschienen sein und ihn dazu verdammt haben, für alle Zeiten drohendes Unheil und kommenden Frieden anzukündigen.« Nachdenklich schaute ich zu meinem Vater hinüber. »Wenn die Sage auf wahren Ereignissen beruht, hat er mir drohendes Unheil angekündigt. Allerdings etwas spät, denn nach seinen Worten droht das Böse nicht nur, sondern es ist bereits da.« »Schon möglich, daß er dich deshalb warnen wollte.« »Gibt es Belege, daß er schon einmal als Warner aufgetreten ist?« Ulrich Hellmann nickte. »Ein Freund hat mich informiert, daß der Rodensteiner vor dem Eintreffen der schwedischen Truppen im Dreißigjährigen Krieg in der Gegend zwischen Erbach und Darmstadt gesehen worden sein soll. Außerdem soll er Beginn und Ende des Ersten Weltkrieges angekündigt haben. Nach meinen Unterlagen erschien er angeblich am 10. August 1914, gegen achtzehn Uhr und am 15. Dezember 1917, kurz nach zwölf Uhr mittags.« »Der Dreißigjährige Krieg und die beiden Weltkriege bedeuteten eine furchtbare Heimsuchung für unser Land. Wenn der Rodensteiner jedesmal vor Beginn des Krieges als Warner erschien und dies jetzt wieder tut, müssen wir damit rechnen, daß dieses Böse, von dem er spricht, ebenfalls eine erhebliche Gefahr für das Land darstellt«, grübelte ich. »Sehr gut, Junge«, lobte mein Vater. »Diesen Gedanken hatte ich auch schon.« »Aber er ist bisher immer nur in der Gegend um seine Burg erschienen. Wieso taucht er dann plötzlich hier in Weimar auf?« »Ich wüßte eine plausible Erklärung, Mark. Und du weißt sie auch.« Er hatte recht. »Weil ich der Träger des Rings bin«, sagte ich. »Genau«, pflichtete mir Ulrich Hellmann bei. »Ich nehme an, der Rodensteiner hat erkannt, daß nur du, der Träger des Rings, in der Lage bist, das drohende Unheil abzuwenden. Deshalb hat er dich aufgesucht, Mark. Du scheinst auf einmal ziemlich aufgeregt, Mark. Was hast du?« Ich war aufgesprungen und lief vor dem Schreibtisch hin und her. »Tessa«, antwortete ich. »Sie hält sich in der Heimat des Rodensteiners auf. Der Geister-Ritter hat in seiner Warnung jemanden erwähnt, der mir nahesteht. Ich tippe auf Tessa.« 25
»Was um Himmel Willen macht sie denn dort?« »Eine Kollegin hat sie angefordert, weil man mit einem Mordfall nicht klarkommt. Wenn man zwei und zwei zusammenzählt, kann das eigentlich nur eines bedeuten.« »Daß das Böse bereits zugeschlagen hat«, spann mein Vater den Faden weiter. Ich nickte. »Und daß sich Tessa und ihre Kollegin in höchster Gefahr befinden«, setzte ich die Vermutung fort. Auch Ulrich Hellmann erhob sich. »Willst du gleich los?« »Mark!!« Ich wirbelte herum, schaute zu meinem Vater, der mich überrascht beobachtete. »O mein Gott! Maaarrkk!« Ich kannte die Stimme. Sie gehörte - Tessa Hayden! »Was ist los, mein Junge?« erkundigte sich Ulrich Hellmann und schickte sich an, um den Schreibtisch herumzugehen. »Hörst du sie nicht?« fragte ich zurück. »Wen? Ich höre nichts, Junge.« »Tessa ruft mich. Und sie klingt, als hätte sie panische Angst.« Vater legte mir die Hand auf die Schulter. »Das ist sicher die Anspannung, Mark. Jetzt iß erst mal was, dann sieht die Welt schon ganz anders.« Er kam nicht mehr weiter. Mein Ring begann zu prickeln und zu leuchten und spielte regelrecht an meiner Hand verrückt. Und dann erwischte mich ein gewaltiger Schlag gegen die Brust, der mich von den Füßen riß. Ich hatte der unsichtbaren Kraft nichts entgegenzusetzen. Hart krachte ich auf die Schreibtischfläche, fegte Dokumente, Bücher, Schreibzeug und Telefon herunter, fiel gegen den hochlehnigen Drehstuhl meines Vaters, riß ihn um und prallte hart auf den Boden. Ulrich Hellmann hastete um den Schreibtisch herum, um mir aufzuhelfen. Benommen schüttelte ich den Kopf, packte die Schreibtischkante und zog mich hoch. »Was war denn das?« fragte mein Vater. »Hat sich angefühlt wie ein Tritt mit Mephistos Pferdefuß«, preßte ich hervor und versuchte, tief durchzuatmen. »Bist du sicher, daß es Tessas Stimme war, die du gehört hast?« 26
»Absolut. Und ich fahre noch heute los.« »Aber erst wird gegessen, mein Sohn«, ließ sich meine Mutter von der Tür her vernehmen. »Komm bloß nicht auf die Idee, wieder zu verschwinden, bevor du was Ordentliches in den Magen bekommen hast.« Es war bereits dunkel geworden, als ich mich von meinen Eltern verabschiedete, um nach Frankfurt zu fahren. * Katharina Ruland bog in einen schmalen Waldweg ab. Der gefrorene Waldboden knackte unter den Reifen. Langsam rollte der Ford zwischen den kahlen Bäumen dahin, die im fahlen Licht der eintretenden Dämmerung geisterhaft wirkten. Der Waldweg mündete in eine Lichtung, an deren Ende sich die Hütte befand. Einsam stand ein schwarzer Fiat Panda am Waldrand. Kathi ließ den Ford vor der Hütte ausrollen. Tessa schwang sich aus dem Wagen und schaute sich aufmerksam um. Ihr Blick fiel auf die Burgruine, die in den Abendhimmel ragte. »Das ist wohl die örtliche Gespensterburg, was?« fragte sie und deutete mit dem Kopf zur Ruine. »Kann man so sagen. Burg Frankenstein. Das Wahrzeichen der Gegend.« »Wohnt da oben jemand?« »Es gibt ein modernes Restaurant, das an die Ruine angebaut wurde. Aber das ist in dieser Jahreszeit nur an Wochenenden geöffnet. Sonst findest du dort oben bloß ein paar Fledermäuse.« Tessa klemmte sich das Hexenbrett unter den Arm und ging auf die Hütte zu. Der Schnee vor der Hütte und unter dem zersplitterten Fenster zeigte noch die gleichen Spuren wie am Morgen. Tessa ging in die Hocke und betrachtete nachdenklich die krallenartigen Abdrücke im Schnee. »Muß ein ziemlich großes Tier gewesen sein, das hier rumgeschlichen ist«, meinte sie. »Warte, bis du die Stelle siehst, wo wir den Toten gefunden haben. Bin gespannt, ob du dann auch noch von einem Tier sprichst.« Wenig später betrachtete Tessa im Zwielicht die Schneise, die mit roher Gewalt in den Wald geschlagen worden war, und die Stelle, an der Bernhard Kreß gehangen hatte. Die spitzen Äste 27
waren vom Blut dunkel gefärbt und ragten den beiden Frauen wie mahnende Finger entgegen. »Du könntest recht haben«, sagte Tessa zögernd. »Es ist unwahrscheinlich, daß ein Tier so was fertigbringt.« »Ein Psychopath?« Tessa zuckte die Achseln. »Möglich. Aber wer kann schon mit einem Schlag ganze Baumstämme ummähen?« Die beiden Kripobeamtinnen gingen zur Hütte zurück. Kathi brach das Polizeisiegel an der Tür, betrat den düsteren Raum vor Tessa und knipste das Licht an. Kopfschüttelnd betrachtete Tessa das Durcheinander im Raum. Sie ging in der Hütte herum, schaute sich alles genau an, stocherte in der kalten Asche des Kamins und trat schließlich ans Fenster, um die Beschädigung aus nächster Nähe zu betrachten. »Wem gehört eigentlich der Fiat dort draußen?« fragte Tessa beiläufig. »Vermutlich einem der Partygäste. Wird wohl zuviel getrunken haben und wollte seinen Führerschein nicht riskieren.« Tessa berührte einen spitzen Glassplitter, der im Fensterkitt steckengeblieben war. Sie hatte eine winzige Blutspur daran entdeckt und unterzog nun auch die übrigen Glassplitter einer eingehenden Prüfung. »Oder der Wagen gehört einem der vier vermißten Partygäste, die Volkerts erwähnte«, meinte Tessa und richtete sich auf. Sie drehte sich zu Kathi um. »Sehen wir uns den Wagen doch mal näher an. Vielleicht finden wir was.« Katharina Ruland sprang auf und war bereits auf dem Weg zur Tür. Tessa legte das Hexenbrett und die Holzscheibe auf den Stuhl und folgte ihrer Freundin nach draußen. Der Fiat war nicht verschlossen. Kathi suchte das Wageninnere ab, während Tessa die Heckklappe öffnete und im Kofferraum herumkramte. »Ich hab was!« meldete Kathi kurz darauf und wedelte mit einem Fahrzeugschein herum. »Zugelassen auf Nicola Kubier. Ich funke gleich mal Volkerts an.« Die Kommissarin lief zu ihrem Dienstwagen und ließ sich mit dem Kollegen in der Mordkommission verbinden. Gleich darauf kam sie wieder zurück. »Volltreffer, Tessa. Nicola Kubier gehört zu den vermißten Partygästen.« »Und das Hexenbrett stammt wahrscheinlich von ihr«, fügte 28
Tessa hinzu und zog ein schmales Päckchen aus dem Kofferraum. »Wie kommst du darauf?« Tessa öffnete die Schachtel. »Tarotkarten. Nicola Kubier hat sich mit dem Übersinnlichen beschäftigt.« »Und wie bringt uns das weiter?« »Wir können jetzt einigermaßen rekonstruieren, wie das Ende der Party ausgesehen haben könnte«, sagte Tessa und klappte den Kofferraum zu. »Komm, gehen wir wieder zur Hütte zurück.« Als sie an der Hütte vorbeikamen, blieb Tessa kurz stehen. »Den Toten hat man übrigens durch das Fenster nach draußen gezerrt«, erklärte sie. »Darf ich Miss Sherlock Holmes fragen, wie sie zu diesem bemerkenswerten Schluß kommt?« »Euer Erkennungsdienst hat schlampig gearbeitet. An ein paar Glasscherben hab ich Blutspuren entdeckt.« »Die können aber auch vom Täter stammen.« »Unwahrscheinlich. Ein Täter, der durch das Fenster in die Hütte eindringt, hier ein Durcheinander anrichtet, sich den Jungen krallt und seelenruhig durch die Tür hinausspaziert? Klingt komisch.« »Hast recht. Warum hat er die Hütte nicht gleich durch die Tür betreten?« »Meine Worte, Miss Watson.« * Die beiden Frauen betraten die Hütte, schoben zwei Stühle vor dem Kamin zurecht und saßen sich gegenüber. Tessa hielt das Ouija-Brett auf den Knien und hatte die ovale Scheibe daraufliegen. »Also, eine Berufsschulklasse trifft sich hier mit Freunden zu einer Abschlußfeier«, begann Tessa. »Gehen wir mal davon aus, daß die Party in den frühen Morgenstunden für die meisten Gäste zu Ende war. Und nehmen wir weiter an, daß eine Handvoll Gäste allein zurückblieb.« »Bernhard Kreß und die vier Vermißten?« »Richtig. Versetzen wir uns mal in ihre Lage. Sie hatten getrunken, um in Stimmung zu kommen.« »Bernhard Kreß hat wahrscheinlich ein paar Pillen eingeworfen. Wir haben etwas von dem Zeug bei ihm gefunden.« 29
»Das kommt noch hinzu«, meinte Tessa. »Fünf junge Leute. Die Stimmung ist famos. Es wird gelacht, getrunken, ge-werweißwas. Irgendwann flaut die Stimmung ab. Langeweile kommt auf. Und dann kommt Nicola Kubier auf die Idee, das Hexenbrett auszuprobieren. Man zündet Kerzen an und spielt Geisterbeschwörung.« »Tessa, wenn du meinem Chef mit deiner Theorie kommst, schickt er dich sofort nach Weimar zurück«, meinte Kathi. Tessa betrachtete nachdenklich das Hexenbrett und berührte die ovale Scheibe mit den Fingerspitzen. »Klar, es hört sich verrückt an, aber wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.« Kathi Ruland setzte zu einer Erwiderung an, als die Scheibe plötzlich wie wild über das Brett huschte. »Hör auf damit!« rief Kathi. »Hör sofort damit auf!« »Das - kann ich nicht!« In Tessas Stimme schwang Verblüffung mit. »Die Scheibe bewegt sich - von selbst! Sie zwingt mich, sie zu führen!« Kathi Ruland stützte sich auf ihre Stuhllehne und verfolgte angespannt die Bewegungen der Holzscheibe. Das ovale Holzstück sauste nach links unten. Im Sichtfeld wurde das Wort Hallo! lesbar. »Genau wie bei mir!« stieß Kathi Ruland hervor. »Wie? Du hast das auch schon erlebt?« »Heute früh. Die Scheibe hatte sich bewegt. Aber ich dachte, sie sei zufällig verrutscht.« »Anscheinend nicht. Sei mal einen Augenblick still.« Tessa holte tief Luft. »Bist du da?« rief sie laut. Die Scheibe bewegte sich blitzschnell. »Jaaa«. »Wer bist du?« Die Scheibe tanzte rasend schnell über das Brett und riß Tessas Finger mit sich. Eine Antwort erhielt Tessa nicht. »Willst du uns etwas sagen?« Wieder zuckte die Holzscheibe über das Brett und begann dann zu buchstabieren. Tessa formulierte die Worte. »Ihr gehört mir!« Überrascht hob Tessa den Kopf und schaute zu ihrer Freundin hinüber, die völlig anders reagierte. »Jetzt hab ich aber genug von dem Schwachsinn!« rief Kathi, riß Tessa das Brett vom Schoß 30
und schleuderte es in den Kamin. Eine unsichtbare Kraft packte das Hexenbrett und schleuderte es zurück. Reflexartig fing Katharina Ruland das Brett auf, und das war ihr Fehler. Dieselbe unsichtbare Faust, die das Brett zurückgeworfen hatte, packte nun zu. Kathi Ruland fühlte, wie sie erfaßt wurde und stieß einen gellenden Schrei aus. Er ging in dem furchtbaren Brausen unter, das die Hütte mit einem Mal erfüllte. Tessa Hayden war sofort auf den Beinen, um ihrer Freundin beizustehen. Bevor sie jedoch an sie herankam, wurde die schreiende Beamtin zusammen mit dem Ouija-Brett in den Kamin gezogen und verschwand bis zur Hüfte in der Wand. Tessa sah nur noch ihre strampelnden Beine und hörte ihre dumpfen Schreie. Mit einem Satz war Tessa heran und packte Kathis Beine, um sie aus der Wand zu ziehen. Eine Feuerlohe fauchte im Kamin auf, raste Tessa entgegen und stieß sie mit gewaltiger Wucht zurück. Tessas Griff löste sich von Kathis Beinen, während die Feuerlohe Tessa an die gegenüberliegende Hüttenwand schleuderte. Halb benommen sackte Tessa zu Boden und mußte hilflos mit ansehen, wie Kathis Beine von der Kaminwand aufgesogen wurden und verschwanden. Tessa stemmte sich hoch und taumelte an der Wand entlang. Seltsamerweise war sie von dem kalten Höllenfeuer aus dem Kamin nicht verbrannt oder angesengt worden. Als die Kommissarin das Hüttenfenster erreichte, schoß ein fellbedeckter Kopf mit spitzen Ohren, Knopfaugen und einer furchterregenden, geifernden Fratze durch das Fenster. Mit einem Schrei wich Tessa zurück. Doch sie fing sich rasch. Zähneknirschend hob sie einen Stuhl und drosch ihn der Schreckenskreatur in die geifernde Fratze. Das Möbelstück ging in Brüche, und die Kreatur stieß ein ohrenbetäubendes Wutgebrüll aus. Tessa riß die Dienstpistole aus der Schulterhalfter und feuerte. Drei, vier Kugeln fetzten in den struppigen Körper des Höllenwesens. Schwarzes Blut quoll aus den Schußwunden. Die Kreatur wich zurück. Durch ihre Freundschaft mit Mark wußte sie, daß sie die Kreatur mit herkömmlicher Munition nicht vernichten konnte. Bestenfalls 31
hatte sie sich einen Aufschub verschafft. In diesen Sekunden waren Tessas Gedanken bei Mark Hellmann. Ihm wäre es sicher gelungen, die höllische Bestie zu erledigen. Aber Mark war weit entfernt. Zu weit. Tessa zog sich zu dem Haufen zertrümmerter Möbel zurück und richtete die Pistole wieder auf das Fenster. Die Höllenbestie ließ nicht lange auf sich warten. Mit einem schrillen Kreischen tauchte sie im Hüttenfenster auf. Tessa feuerte das gesamte Magazin leer. Die Wucht der 9-mm-Kugeln stieß die Schreckenskreatur zurück. Tessa richtete sich auf und schob ein neues Magazin in ihre Waffe. »So beruhigen Sie sich doch, Gnädigste. Sie wird sich noch einen Nervenkatarrh einfangen, wenn Sie sich nicht beruhigt. Und das wäre sehr bedauerlich.« Die Stimme war von der Tür her erklungen. Tessa wirbelte herum und richtete die Waffe auf den Mann, der so plötzlich in der Hütte erschienen war. Tessa schätzte ihn auf Ende Vierzig. Er war bleich. Die gepuderte und geschminkte Haut ließ sein Gesicht wächsern erscheinen. Tiefe, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Der Mann war nach der Mode des achtzehnten Jahrhunderts gekleidet. Eine pechschwarze, lockige Perücke bedeckte seinen Kopf. Das Kunsthaar fiel ihm bis auf die Schultern. Er trug einen dunkelblauen Gehrock, dessen Säume mit Goldstickereien verziert waren. Ein weißes Rüschenhemd, eine beigefarbene Kniebundhose, Seidenstrümpfe und Schnallenschuhe vervollständigten seine Kleidung. In der Hand hielt er einen Spazierstock mit vergoldetem Knauf. »Wer - sind Sie?« brachte Tessa mühsam heraus. »Von Maskowsky«, stellte sich der Besucher mit einer höfischen Verbeugung vor. »Zu Diensten, Gnädigste.« »Sie hängen mit dieser - Bestie zusammen, Meister«, zischte Tessa, als sie die Hüttentür hinter dem Besucher sah. Der Kerl war durch die geschlossene Tür marschiert! »Nun, wenn Gnädigste es so auszudrücken wünscht«, meinte der unheimliche Besucher und neigte den Kopf. »Sie hat natürlich recht. Aber Sie soll sich nicht allzu viele Gedanken machen. Bald wird sie selbst zu uns gehören und der Gräfin zu Diensten sein.« »Da bin ich etwas anderer Ansicht, Freundchen«, meinte Tessa 32
und hob die Pistole. Langsam schritt sie auf den altmodisch gekleideten Besucher zu. »Rüber zum Kamin, aber flott!« befahl sie. »Ich muß sagen, Sie begegnet mir mit einer Unfreundlichkeit, die ihresgleichen sucht«, sagte von Maskowsky mit süffisantem Lächeln. »Und Sie glaubt doch nicht wirklich, einen Kanzler des Hofes mit diesem lächerlichen Spielzeug beeindrucken zu können?« »Ich hab gesagt, du sollst mir aus dem Weg gehen, Lackaffe! Ich geh jetzt da raus, und du wirst dieses Biest da draußen zurückpfeifen, oder ich stanze dir ein paar Löcher in die Rüschen!« Kanzler von Maskowsky lächelte immer noch, als er sich elegant zur Seite drehte, seine bestrumpften Beine kreuzte und sich leicht verneigte. Tessa schob sich an dem unheimlichen Besucher vorbei. Die Waffe hielt sie unverwandt auf ihn gerichtet. Sie wollte den Wagen erreichen. Wenn ihr das gelang, konnte sie der Höllenkreatur entwischen. Im selben Augenblick fiel ihr ein, daß sie mit dem Auftauchen des seltsamen Kanzlers nichts mehr von der Bestie gesehen oder gehört hatte. »Sie irrt sich nicht«, sprach der Kanzler. »Sie ist eine bemerkenswert kluge und tapfere Frauensperson. Nur wird Ihr das nicht allzu viel helfen.« Bevor Tessa reagieren konnte, hob der Kanzler den Spazierstock und deutete auf Tessa. »Ich bedaure zutiefst, daß ich Ihr nicht erlauben kann, sich zu entfernen. Die Gräfin wünscht Sie zu sprechen.« Ein Blitzstrahl zuckte aus dem Knauf des Spazierstocks und hieb Tessa die Pistole aus der Hand. Im nächsten Moment verneigte sich der unheimliche Kanzler abermals, und eine schreckliche Veränderung setzte ein. Kanzler von Maskowsky verwandelte sich in jene geifernde, fauchende Bestie, die Tessa am Fenster erschienen war. In Minutenschnelle war sein Körper über und über mit einem struppigen, schwarzbraunen Fell bedeckt. An den Armen bildete sich eine Lederhaut, die sich zu gewaltigen Schwingen verdichtete. Hände und Füße wurden zu Krallen. Der Kopf bekam spitze Ohren, kalt blickende Knopfaugen und eine lange Schnauze 33
mit geifernden Beißzähnen. Tessa wich ein paar Schritte vor der Schreckensgestalt zurück. In ihrer Not rief sie dem einzigen Menschen, der ihr noch helfen konnte. Obwohl sie insgeheim wußte, daß er sie nicht hören konnte. »Mark!« Tessas Schrei gellte durch die Hütte. Die Blutbestie der Gräfin von Schleiwitz stürzte sich mit wütendem Gebrüll auf die junge Polizistin. »O mein Gott! Maaarrkk!« Tessas Schrei wurde erstickt, als die lederartigen Schwingen sie umfingen und gegen die haarige Brust des Ungeheuers drückten. Mit einem gewaltigen Satz warf sich die Blutbestie zusammen mit Tessa durch die geschlossene Hüttentür. Holz splitterte. Die Tür hielt dem Ansturm der Blutbestie nicht stand. Spitze Zähne gruben sich in Tessas Kragen. Kräftige Beine umklammerten ihren Körper, während sich die Bestie in die Lüfte erhob und mit kraftvollen Flügelschlägen über die Wipfel der Bäume flog. In der Hütte zeugte nur noch Tessas Pistole von ihrer Anwesenheit. Aus dem Kamin drang ganz leise Katharina Rulands Stimme, die Tessa um Hilfe anflehte. Urplötzlich erhob sich ein Brausen, und mit einem gewaltigen Donnerschlag schoß das Ouija-Brett aus dem Kamin hervor. Im selben Augenblick, als das Brett gegen die Wand krachte und zu Boden fiel, traf Mark Hellmann im weit entfernten Weimar ein heftiger Schlag gegen die Brust. In der Hütte war wieder alles ruhig. Katharina Rulands Stimme war verstummt. Das Hexenbrett lag neben Tessa Haydens Pistole auf dem Boden. Und im Sichtfenster der kleinen, ovalen Scheibe zeichneten sich zwei Worte ab. »Leb wohl!« * Volkerts kam mir mit ausgestreckter Hand entgegen. »Sie wollen Kommissarin Hayden sprechen?« Ich nickte. »Ich fürchte, ich muß Sie enttäuschen. Frau Hayden hat zusammen mit einer Kollegin am Nachmittag das Haus verlassen und sich seither noch nicht gemeldet.« 34
»Wo sind die beiden hingefahren?« »Bedaure, aber darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben.« »Sie dürfen, Kommissar. Kann ich Sie irgendwo unter vier Augen sprechen?« Volkerts bat mich, ihm zu seinem Büro im zweiten Stock zu folgen. Ich drückte die Tür hinter mir ins Schloß und wandte mich dem Kripobeamten zu. »Rufen Sie Hauptkommissar Peter Langenbach bei der Kripo in Weimar an. Er wird mich legitimieren.« Volkerts zögerte zwar kurz, kam dann aber meiner Bitte nach. Er mußte nicht lange mit Pit sprechen. Nachdem er sich verabschiedet hatte, reichte er den Hörer an mich weiter. »Der Hauptkommissar möchte Sie sprechen, Herr Hellmann.« Ich nahm den Hörer entgegen. »Hast du Tessa schon getroffen?« wollte Pit sofort wissen. »Angeblich ist sie seit ein paar Stunden mit einer Kollegin unterwegs. Was Genaues weiß man nicht.« »Das hört sich aber gar nicht gut an.« »Keine Angst. Ich bring dir deine beste Fahnderin heil zurück.« »Will ich auch hoffen. Viel Glück!« »Kann ich brauchen.« Nun wollte ich von Volkerts wissen, an welchem Fall Tessa und ihre Kollegin arbeiteten. »Können Sie mir eine genaue Wegbeschreibung zu der Jagdhütte geben?« fragte ich, nachdem er mich informiert hatte. »Sie wollen doch nicht etwa heute nacht noch.?« »Aber sicher doch. Ich will wissen, was mit Tessa und Katharina Ruland passiert ist. Warum sie sich noch nicht gemeldet haben. Und der einzige Anhaltspunkt, den wir haben, ist nun mal die Hütte.« »Machen Sie sich nicht verrückt, Hellmann! Die beiden sitzen bestimmt irgendwo bei einem Glas Glühwein und schwärmen von irgendwelchen Kerlen.« »Ich schaue mich trotzdem da draußen um.« Der Kommissar schrieb mir auf, wie ich zu der Hütte gelangte, und gab mir eine Lampe. »Soll ich nicht doch lieber mitkommen?« fragte Volkerts halbherzig. »Bleiben Sie mal besser hier und halten die Stellung«, meinte ich. »Das haben Kathi und Tessa auch gesagt, bevor sie gingen.« Ich grinste. »Gehen Sie diesmal lieber nicht nach Hause, ich 35
melde mich nämlich ganz bestimmt bei Ihnen.« Um diese Zeit war die Landstraße nach Mühltal kaum befahren. Ich legte fast die gesamte Strecke mit Fernlicht zurück. Den Waldweg, der von der Landstraße abzweigte, konnte ich nicht übersehen. Langsam rollte ich durch die Nacht und stieß bald auf die Hütte und die beiden Fahrzeuge, die davor geparkt waren. Rasch hatte ich die nähere Umgebung der Hütte untersucht und war dabei auch auf die mit Brachialgewalt geschaffene Schneise gestoßen. Von Tessa und ihrer Freundin fehlte allerdings jede Spur. Ich kehrte zum Wagen zurück und rief Volkerts über Handy an. »Aufwachen, Herr Kommissar!« »Scherzkeks. Haben Sie was gefunden?« »Nur Kathi Rulands Dienstwagen und einen Fiat Panda.« »Der gehört Nicola Kubier, einer der Vermißten.« »Sonst ist alles ruhig. Ich sehe mich jetzt in der Hütte um und melde mich wieder! Ende.« Schnee- und Eiskristalle glitzerten im Mondlicht. Mein Blick fiel auf die dunklen Umrisse der Ruine von Burg Frankenstein, die sich über den Baumwipfeln abzeichneten. Ich ließ den starken Lichtstrahl der Lampe an der Hütte entlanggleiten, bemerkte das zerbrochene Fenster und die Spuren im Schnee. Langsam ging ich an der Hütte entlang und gelangte zur Eingangstür. Alles war so, wie Volkerts es beschrieben hatte. Mit einer Ausnahme. Auf dem Boden vor dem Kamin lag eine Pistole! Eine Waffe der Marke SIG Sauer, die als Polizeiwaffe zum Einsatz kam und von der ich selbst eine besaß! Ich betrat die Hütte und beugte mich nieder. Noch etwas war mir aufgefallen. Neben der Waffe lag ein Ouija-Brett. Die kleine Holzscheibe auf dem Brett zeigte die Worte Leb Wohl! Wenn das kein schlechtes Zeichen war. Ich richtete mich wieder auf und erstarrte im nächsten Augenblick. Etwas bohrte sich in meinen Rücken. Ich wußte sofort, daß es sich dabei um den Lauf einer Waffe handelte. * Die mannsgroße Fledermaus trug Tessa auf den nahegelegenen Schloßberg und landete am Fuß der Burgruine. Tessa wurde durch eine schmale Öffnung in der Burgmauer gestoßen, rutschte 36
einen staubigen Abhang hinunter und fand sich in einem riesigen Gewölbe wieder. Es war stockdunkel hier unten. »Hallo?« rief Tessa zaghaft. Aber die einzige Antwort war das Echo ihrer Stimme, das sich an den Wänden brach. Hinter sich hörte Tessa schabende Geräusche. Im nächsten Moment erhielt sie einen Stoß, der sie nach vorn katapultierte. »Weiter! Stehen Sie hier nicht so rum!« befahl die Stimme des unheimlichen Kanzlers. Tessa Hayden kochte vor Wut. Was bildete sich dieser Fatzke überhaupt ein? »Sie können in dieser Dunkelheit vielleicht sehen!« rief sie und wirbelte herum. »Aber ich kann es nicht!« »Fluche Sie nicht, Frauenzimmer!« herrschte der Kanzler sie an. »Sie möge mir folgen. Doch möge Sie nicht auf dumme Gedanken kommen, es könnte Ihr zum Nachteil gereichen!« Die Gestalt des Kanzlers war nur als matt erleuchteter Schemen zu erkennen. Widerwillig folgte ihm Tessa, als er vor ihr herging. Sie wußte, daß sie keine andere Wahl hatte. Auf keinen Fall wollte sie mit ihm zu tun haben, wenn er sich wieder in diese blutrünstige Bestie verwandelte. Von Maskowsky führte die Polizistin durch kalte, schmale Flure in den Turm. »Die Gräfin hat sich hier ihr Domizil geschaffen, wo sie ungestört ihr Dasein führen kann.« Am Ende des Korridors führte eine knarrende Holztreppe nach oben in einen kleineren Gang, in dessen Wände mehrere Türen eingelassen waren. Der Kanzler bewegte eine Hand. Eine der Türen öffnete sich knarrend. Er schob Tessa in die dahinterliegende Kammer, verneigte sich und zog sich zurück. Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloß. Tessa stürzte sofort hin und drehte am Türknauf, aber die Tür war fest verschlossen. Es war zugig hier oben. Durch das kleine Turmfenster drang eiskalte Nachtluft. Tessa hörte den Nachtwind um den Turm pfeifen. Ihre Zähne begannen zu klappern. Sie schlang ihre Arme um sich. »Du frierst, meine Kleine? Bald wirst du nicht mehr frieren. Nie mehr. Ich werde dafür sorgen.« Die Frauenstimme war leise und hatte einen leicht rauchigen Klang. Tessa wirbelte herum. Die Frau war hochgewachsen, schlank und ganz in Schwarz gekleidet. Sie stand an der Tür und hielt den Kopf geneigt. 37
Pechschwarzes Haar fiel ihr bis über die Schultern. Ihr Gesicht war bleich, aber schön. Die vollen, roten Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Nur die schwarzen Augen lagen tief in dunkel umrandeten Höhlen. »Sie sind also die ominöse Gräfin, von der diese gepuderte Schaufensterpuppe die ganze Zeit gefaselt hat«, meinte Tessa. »Ich komme zwar mit deiner Ausdrucksweise nicht ganz zurecht, mein Kind. Aber wenn du meinst, daß von Maskowsky zuviel plaudert, stimme ich dir zu. Sein loses Mundwerk wird ihn noch mal um Kopf und Kragen bringen. Ich bin Gräfin Hildrun von Schleiwitz. Du darfst mich Gräfin nennen.« »Ich pfeife auf Ihren Titel. Wo ist meine Freundin? Wo haben Sie die vier jungen Leute aus der Waldhütte hingeschleppt? Und was haben Sie mit diesem altmodischen Kanzler zu schaffen?« »Du stellst viele Fragen, mein Kind. Aber du bist nun mal hier und sollst wissen, was dich erwartet. Du wirst bald zu meinen Gefolgsleuten gehören. Du wirst dich in erlesener Gesellschaft befinden. Von Maskowsky gehört dazu. Barone, Grafen und Damen aus den höchsten Kreisen.« »Die vier Leute aus der Hütte auch?« Die unheimliche Gräfin lachte leise. »Nein, mein Kind. Wo denkst du hin? Ich umgebe mich doch nicht mit respektlosem Fußvolk! Sie werden eine andere Aufgabe übernehmen. Sie werden dafür sorgen, daß wir bei Kräften bleiben. Sie werden uns ihre Stärke, ihre Schönheit und ihre Lebenskraft schenken!« Tessa ahnte, was das bedeutete. »So, wie der junge Mann, den Sie umbringen ließen?« Hildrun von Schleiwitz schloß schwärmerisch die Augen. »Er war so jung und so stark. Eine Wohltat für unsere alten Körper.« »Was ist mit meiner Freundin? Sie haben sie doch durch den Kamin entführt!« Ein breites Lächeln zog sich über das Gesicht der Gräfin. »Du willst Sie sehen? Komm, ich zeige sie dir, mein Kind!« Die bleiche Adlige streckte einen Arm aus und winkte mit ihrer schlanken Hand. Die Tür der Turmkammer öffnete sich, ohne daß die Gräfin sie berührte. Tessa folgte der unheimlichen Frau auf den Korridor. Vor einem weiteren Turmzimmer blieb die Gräfin stehen. »Hier sind die vier jungen Menschen, die uns Kraft spenden werden«, sagte sie ruhig. Die Tür des Zimmers öffnete sich. Tessa erkannte 38
zwei Mädchen und zwei Jungen. Das schwarzhaarige Mädchen mit dem Nasenstecker, das der Tür am nächsten kauerte, stierte ungläubig zu Tessa hin, kam auf die Beine und wankte auf die Tür zu. »Hilfe!« stieß sie heiser hervor. »Sie müssen uns helfen! Holen Sie uns hier raus, bitte!« Sie streckte Tessa ihre Hand entgegen. Bevor Tessa die Hand ergreifen konnte, knallte die Tür ins Schloß. Die Gräfin lachte leise und stieg vor Tessa die Holztreppe zum nächsten Korridor hinab. Vor einem riesigen Wandgemälde blieb die unheimliche Frau stehen. »Du wolltest deine Freundin sehen, mein Kind. Schau genau hin!« Mit einem Mal erhellte ein geisterhaftes Glosen den Korridor. Tessa starrte auf das Gemälde. Es zeigte eine lange Tafel, an der sich mehrere Mitglieder der gehobenen Gesellschaft versammelt hatten. Sie hielten sich bei den Händen. Tessa erkannte den Kanzler unter den Versammelten. Die hochgewachsene Frau, die in der Mitte der Tafel saß, war die Gräfin selbst. »Ich verstehe nicht ganz«, murmelte Tessa. »Sie wollten mir meine Freundin zeigen.« »Sieh genau hin!« wiederholte die Gräfin ihren Befehl. Tessa Hayden richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf das Gemälde, betrachtete die dargestellten Personen eingehend. Und erstarrte. Im Hintergrund waren einige Personen abgebildet, die der Versammlung als Zuschauer beiwohnten. Unter ihnen entdeckte Tessa Katharina Ruland! * »Aber - wie ist das möglich?« fragte Tessa. »Das Bild ist mindestens zweihundert Jahre alt!« »Zweihundertsiebzig, um genau zu sein. Ich habe mir erlaubt, deine Freundin als meine Stellvertreterin zu erwählen. Sie wird an meiner Seite lernen, der Hölle den Weg zu ebnen, bis meine Macht nicht mehr zu brechen ist!« »Sie sind wahnsinnig!« »Wahnsinnig? Nein. Machtbesessen? Vielleicht. Wie der, der seine mächtige Hand über mich und meine Gefolgsleute hält.« »Mephisto!« flüsterte Tessa Hayden. 39
Die bleiche Hand der Gräfin schoß vor. Ihre Finger umklammerten Tessas Kehle. »Sprich seinen Namen nicht aus, bevor du zu seinen Dienern gehörst, Unwürdige!« zischte die Gräfin. »Noch heute nacht wird Dir die Ehre zuteil werden, an der Seite von Maskowskys meine Gefolgsleute anzuführen. Und vielleicht darfst du eines Tages sogar den vorlauten Kanzler ablösen.« In Tessas Kopf rasten die Gedanken. Sie mußte hier raus, mußte mit Mark Hellmann Kontakt aufnehmen! Aber wie? Die bleiche Gräfin bedeutete ihr, wieder zur Treppe zu gehen. Tessa erreichte die Holztreppe fast gleichzeitig mit der Gräfin, neigte demütig den Kopf und trat beiseite, um der unheimlichen Frau den Vortritt zu lassen. Sie konnte und wollte nicht länger warten. Jetzt oder nie! Tessa packte die Holzgeländer zu beiden Seiten der Treppe, schwang ihre Beine hoch und rammte der zierlichen Gräfin mit aller Kraft ihre Stiefel ins Kreuz. Sofort war Tessa wieder auf den Beinen, wirbelte herum und hetzte den Korridor entlang zur Wendeltreppe. Hinter sich hörte sie ein haßerfülltes Fauchen, als die Adlige merkte, was Tessa vorhatte. »Haltet sie!« schrie die Gräfin mit sich überschlagender Stimme. Tessa erreichte die Wendeltreppe, wo sich ihr der Kanzler in den Weg stellte. Mitten im Lauf sprang Tessa hoch und traf ihn mit beiden Beinen an seiner Rüschenbrust. Der Untote verlor den Halt und kugelte Hals über Kopf die Treppe hinunter. Tessa setzte sofort nach, sprang über die Gestalt hinweg und jagte, so schnell sie konnte, hinab. Als sie an einer Nische vorbeirannte, tauchte eine Riesenfledermaus aus der Dunkelheit auf. Schrilles Fauchen drang Tessa entgegen. Ein Tröpfchenregen stinkenden Geifers überschüttete sie. Tessa war voll in Fahrt, ging in die Knie, zog den Kopf ein und rollte sich nach vom ab. Die lederhäutigen Flügel der Blutbestie klappten über ihr zusammen. Das Ungeheuer stieß einen überraschten Laut aus und bemühte sich, seine Flügel wieder zu entfalten. Tessa rollte die flachen Stufen hinab, kam auf die Beine und hastete weiter. Irgendwann erreichte sie den Durchgang zu dem Nebengebäude, aus dem sie der Kanzler in den Turm geführt hatte. Tessa flüchtete durch ein Labyrinth von Gängen. 40
Endlich zeichnete sich vor ihr das Rechteck einer niedrigen Tür in der Dunkelheit ab. Schweißüberströmt und schwer atmend lehnte sich Tessa gegen die kalte Wand, riß dann die Tür auf und stolperte auf einen Innenhof. Vor sich erkannte sie im Mondlicht einen Glockenturm und dahinter die Umrisse des modernen Restaurants, das man an die Ruine angebaut hatte. Schwankend lief Tessa zu der niedrigen Mauer, die den Hof umgab. »Du kommst hier nicht weg, meine Kleine«, hörte Tessa hinter sich die Stimme der Gräfin. Tessa wich bis an die Begrenzungsmauer zurück. Mit einer Hand stützte sie sich auf dem kalten Gestein ab. »Du bist ganz schön überheblich, Gräfin. Aber mich verwandelst du nicht in eines deiner blutsaugenden Ungeheuer!« Mitten im Hof blieb die Gräfin stehen. Eine einsame, schwarz gekleidete Gestalt, deren bleiches Antlitz sich dem Mond entgegenhob. So stand sie einige Minuten und schien sich im Mondlicht zu baden, schien das kalte, fahle Licht in sich aufzusaugen. Ruckartig senkte sie wieder den Kopf. Ihr Gesicht hatte sich auf schreckliche Weise verändert. Nichts zeugte mehr von der einstigen Schönheit. Runzeln bedeckten die Haut. Die Augen leuchteten gelb. Die breiten Nasenflügel bebten, und die Ohren liefen spitz zu. In einem wilden Fauchen öffnete die Blutsaugerin den Mund und gab den Blick auf die beiden spitzen Vampirhauer frei, die aus ihrem Oberkiefer ragten. Tessa nahm eine Bewegung hinter der Blutgräfin wahr. Es war von Maskowsky, der aus dem Nebengebäude trat und eine schmale, sich heftig wehrende Gestalt mit sich zog. »Nenn ihr deinen Namen, Junge!« befahl die Blutgräfin. »Tobias Möhler«, kam die heisere Antwort. »Tun Sie mir nichts! Bitte.« Tessa ballte die Fäuste in ohnmächtiger Wut. »Du verdammtes Miststück!« knurrte sie. Ein häßliches Lachen drang aus dem Maul der Vampirin. »Du willst den Jungen retten, nicht wahr? Wie edelmütig!« Sie streckte Tessa die Hand mit den krallenartigen Fingernägeln entgegen. »Na gut, ich lasse ihn gehen.« Tessa erkannte, daß sie keine Wahl hatte. Aber sie mußte es riskieren. Zögernd machte Tessa einen Schritt auf die Gräfin zu. 41
»Es freut mich, daß du vernünftig bist, meine Kleine«, fauchte die Vampirin und leckte mit ihrer Zunge über die beiden Eckzähne. Tessa machte einen weiteren Schritt. Und noch einen. Im nächsten Augenblick passierte es! Mit einem wilden Wutschrei riß sich Tobias Möhler los und hetzte von dem untoten Kanzler weg. Von Maskowsky stieß ebenfalls einen Schrei aus und begann sich zu verwandeln. Aus dem Seitentrakt stürzten drei, vier Blutbestien und warfen sich Tobias Möhler in den Weg. Die Blutgräfin warf den Kopf herum und fauchte schrill. Doch ihr Befehl kam zu spät. Der Blutrausch der Bestien war einfach zu groß. Wen sie einmal in den Fängen hatten, von dem ließen sie nicht mehr ab. Tobias Möhler fühlte, wie die Reißzähne der Bestien seine Haut durchbohrten. Sein Todesschrei ging im kreischenden Fauchen der Dämonen unter. Die Blutgräfin versuchte zu retten, was zu retten war. Mit einem gewaltigen Satz warf sie sich Tessa Hayden entgegen. Die Fahnderin hatte sich von ihrem Schreck erholt. Mit einem blitzschnellen Sidestep wich sie der Gräfin aus und rammte der Blutsaugerin den Fuß in den Leib. Die Vampirin wurde nach vorn und gegen die Mauer geschleudert. »Du kommst hier nicht raus! Niemals!« schrie die Gräfin und riß weit den Mund auf. »Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, dich zu einer meiner Blutbestien zu machen!« Tessa hörte das triumphierende Gelächter der Gräfin und sah die beiden Vampirhauer in ihrer gräßlichen Fratze. »Abwarten!« sagte sie trocken. »Noch sind wir nicht soweit!« Und dann trat Tessa Hayden in Aktion. Es gab nur einen Ausweg, und sie mußte schneller sein als die Gräfin und ihre Blutbestien. Wie ein Wirbelwind fegte Tessa über den Innenhof, sprang hoch, flog nach vorn und kam mit beiden Füßen auf dem Rücken der Blutsaugerin auf. Als Tessa abrutschte und gegen einen starken Ast prallte, durchzuckte ein rasender Schmerz ihren Körper. Aus! dachte sie. Du endest wie Bernhard Kreß, aufgespießt an einem Baum! Im nächsten Moment dämpfte ein Meer von Tannennadeln auf dem Waldboden Tessas Fall. Benommen blieb sie eine Zeitlang liegen. Über sich hörte sie 42
das Rauschen der Bäume. Aber sie hörte auch noch etwas anderes: Das Schlagen von Flügeln! Der Gedanke an Mark verlieh Tessa neue Kräfte. Sie stemmte sich hoch und lief geduckt zwischen den Bäumen hindurch. Der Flügelschlag kam näher. Die dämonischen Häscher befanden sich über ihr und ganz in ihrer Nähe. Tessa versuchte, sich so leise wie möglich zu bewegen. Manchmal krabbelte sie auf allen vieren durch das Dickicht. Dann lauschte sie wieder, um die Position ihrer Gegner auszumachen. Tessa Hayden war am Ende ihrer Kräfte, als sie auf die Waldlichtung taumelte. Sie stützte sich an einem Baumstamm ab und keuchte. Der Flügelschlag über ihr war verstummt, aber das konnte auch eine Falle sein. Vielleicht lauerten die Blutbestien auf der anderen Seite der Lichtung, wiegten sie in Sicherheit, um dann blitzschnell und unerwartet zuzuschlagen. Tessa gab sich einen Ruck, überquerte die Lichtung und tauchte wieder zwischen den Bäumen unter. Sie hatte kaum die ersten Stämme hinter sich gelassen, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Tessa fühlte sich gepackt, herumgedreht und gegen einen muskulösen Körper gepreßt. Dann schrie sie sich die Seele aus dem Leib. * Ich tat dem Mann in meinem Rücken natürlich keinen Gefallen, sondern hob meine Hände langsam bis Schulterhöhe. »Und wie geht es jetzt weiter?« fragte ich ruhig. »Du wirst mir sagen, wo mein Sohn ist. Und warum Bernhard sterben mußte. Danach machen wir beide einen kleinen Waldspaziergang.« »Aber nur einer kommt zurück, stimmt's?« Ich erhielt keine Antwort. Der Mann in meinem Rücken schien unentschlossen. Er bewegte sich nicht, und auch der Druck der Waffe in meinem Nacken änderte sich nicht. »Wo ist mein Junge?« »Keine Ahnung.« »Du lügst!« Die Stimme meines Gegners überschlug sich. »Warum mußte Bernhard Kreß sterben?« »Kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich hab ihn nicht 43
umgebracht.« »Halt dein verdammtes Lügenmaul! Sonst schieße ich.« »Dann wären Sie auch nicht besser als der Mörder. Nehmen Sie Vernunft an, Mensch! Sie sind doch kein Killer!« Der Mann in meinem Rücken schien unsicher zu werden. Ich hörte, wie sich seine Atemzüge beschleunigten. Der Druck in meinem Nacken verlagerte sich etwas. »Wieso sind Sie eigentlich so sicher, daß ich für den Mord verantwortlich bin?« versuchte ich mein Glück. »Der Mörder kehrt immer an den Ort seiner Tat zurück«, kam die heisere Antwort. In der Stimme schwang Verzweiflung und Trauer mit. Der Druck in meinem Nacken ließ nach, und ich fühlte, wie der Mann zitterte. Für mich war der richtige Zeitpunkt zur Gegenwehr gekommen. Ich wirbelte herum, sah den Gewehrlauf und schlug ihn zur Seite. Im nächsten Augenblick hatte ich den Lauf gepackt und stieß ihn nach unten. Der Gewehrkolben wurde meinem Gegner aus den Fingern geprellt und knallte ihm unter das Kinn. Benommen taumelte der Mann zurück. Als er sich von dem Schlag erholt hatte, blickte er in die Mündung seiner eigenen Waffe. »Können wir uns nun vielleicht vernünftig unterhalten?« fragte ich. »Bleibt mir ja wohl keine andere Wahl.« »Darf ich jetzt erfahren, mit wem ich das zweifelhafte Vergnügen habe?« »Wiehert, Ludwig Wiehert. Mir gehört diese Hütte.« »Ach ja, den Namen habe ich heute schon mal gehört. Ihr Sohn hat die Party organisiert.« Wiehert schaute erstaunt zu mir hoch. »Sie wissen...?« Ich lehnte die Jagdbüchse neben dem Kamin gegen die Wand und erwiderte Wicherts Blick. »Ich bin über alles informiert, was diesen Fall betrifft, Herr Wiehert. Mein Name ist Mark Hellmann. Ich arbeite mit der Polizei zusammen.« »Dann habe ich wohl den Falschen verdächtigt«, murmelte Wiehert stockend. »Sie müssen entschuldigen, Herr Hellmann.« »Ich mußte doch etwas tun, verstehen Sie? Die Polizei tappt im dunkeln, also habe ich mich hier auf die Lauer gelegt.« »Außer mir haben Sie niemanden hier angetroffen?« »Nein. Ich habe mich zwar über den Ford da draußen gewundert, aber gesehen habe ich niemanden.« 44
»Der Wagen gehört zwei Kripobeamtinnen, die sich hier umschauen wollten«, erklärte ich ihm. Ich bückte mich und hob die Pistole auf. »Diese Waffe gehört einer von ihnen.« »Und wo sind die Frauen jetzt?« »Das möchte ich selbst gerne wissen. Sie kennen sich hier in der Gegend sicher gut aus.« Wiehert nickte. »Ich bin Jäger.« »Kommen Sie«, forderte ich ihn auf und schritt zu den Überresten der Hüttentür. »Was haben Sie vor?« »Wir gehen auf die Pirsch«, verkündete ich. »Vergessen Sie Ihre Waffe nicht.« Ich überließ Ludwig Wiehert die Führung. Vorbei an der Schneise und dem Ort des grausamen Mordes bewegten wir uns so leise wie möglich durch den Winterwald. Zuvor hatte ich meinem Einsatzkoffer geweihte Silberkugeln und ein Kreuz aus geweihtem Rosenholz entnommen. Man konnte nie wissen, was einen erwartete. Wir schlichen zwischen den verschneiten Bäumen dahin und achteten auf jede verdächtige Bewegung, auf jedes noch so kleine Geräusch. An einer kleinen Lichtung machte Wiehert Halt, schulterte seine Flinte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Glauben Sie wirklich, wir finden hier eine Spur von den beiden Frauen oder meinem Sohn, Herr Hellmann?« flüsterte er. »Wir sind schon ziemlich weit von der Hütte entfernt.« »Irgendwo müssen wir ja suchen«, meinte ich. »Wo kommen wir hin, wenn wir dort drüben weitergehen?« Ich deutete über die Lichtung. »Zur Burg Frankenstein. Ein beliebtes Ausflugsziel.« »Und ein idealer Schlupfwinkel für zwielichtige Gestalten«, setzte ich hinzu. Wiehert bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, sagte er. »Sehen wir uns die Ruine mal an.« Wieder übernahm Wiehert die. Führung. Mir kam es so vor, als stünden hier die Bäume dichter. Er kam genau drei Schritte weit. Ein peitschender Knall zerriß die nächtliche Stille. Danach folgten knackende Geräusche, weiteres lautes Knallen und ein dumpfer Aufprall. »Ein brechender Ast«, klärte mich Wiehert auf, als er sah, daß 45
ich zurückgezuckt war. »Die anderen Geräusche hörten sich ebenfalls nach brechenden Zweigen und Ästen an. Es klingt zwar unwahrscheinlich, aber ich würde sagen, da ist etwas Schweres von einem Baum gefallen.« »Ein Mensch vielleicht«, setzte ich die Überlegungen fort. »Wo war das ungefähr?« »Vorne, am Schloßberg. Sehen wir mal nach!« Wiehert stürmte los. Wiehert blieb am Rand einer Lichtung stehen und lauschte. »Da kommt jemand auf uns zu«, flüsterte er und nahm die Büchse von der Schulter. Ich drückte auf den Gewehrlauf. »Immer langsam mit dem Kracher.« Wir duckten uns tiefer zwischen den Bäumen und lauschten angespannt. Ich hörte nun dumpfe Schritte, keuchendes Atmen und verhaltenes Stöhnen. Die Person, die sich uns näherte, würde die Lichtung auf der gegenüberliegenden Seite betreten. Ich schob mich dem anderen Ende der Waldlichtung entgegen. Über mir wurde ein lautes Rauschen hörbar, dann vernahm ich heftigen Flügelschlag. Ich spähte nach oben, sah jedoch nur die Wipfel einiger Tannen, die sich wie im Sturmwind bogen. Ich hatte das Ende der Lichtung fast erreicht, als ich die Umrisse einer taumelnden Person ausmachte. Sofort preßte ich mich gegen einen Baumstamm und wartete ab. Der nächtliche Wanderer taumelte auf die Lichtung, schaute sich gehetzt um und stützte sich an einem Baum ab, um Atem zu schöpfen. Im Mondlicht erkannte ich undeutlich, daß ich eine Frau vor mir hatte. Über den Baumwipfeln ertönte wieder heftiger Flügelschlag. Mit einem unterdrückten, gequälten Aufschrei stieß sich die Frau ab und hetzte wankend über die Lichtung. Ich sprang ihr in den Weg, riß sie herum und drückte sie gegen meine Brust. Die Frau stieß einen markerschütternden Schrei aus. Ich kannte die Stimme. Die Frau war - Tessa Hayden! * Ich schüttelte Tessa kräftig, um sie von ihrer Hysterie zu befreien. »Beruhige dich, Tess! Ich bin's, Mark! So beruhige dich 46
doch!« redete ich eindringlich auf meine Freundin ein. Schlagartig verstummte sie. Fassungslos starrte sie mich an. »Mark? Aber - wie kommst du denn hierher?« fragte sie stammelnd. »Später«, antwortete ich ihr kurz. »Erklär mir lieber, warum du mitten in der Nacht von einem Baum fällst und dann durch den Wald läufst.« Tessa schloß einen Moment die Augen und holte tief Luft. »Die Vampire. Sie haben Kathi Ruland entführt.« »Ganz langsam, Tessa. Welche Vampire?« »Sie sind hinter mir her, Mark. Wir müssen uns in Sicherheit bringen.« Ich hörte Panik aus Tessas Stimme heraus. Sie setzte sich in Bewegung und wollte weiter über die Lichtung hasten, doch ich hielt sie zurück. »Jetzt warte doch mal, Tess. Ich bin auf dem ganzen Weg von der Hütte hierher keinem Vampir begegnet. Wo hast du denn die Blutsauger gesehen?« »Auf der Burg, Mark! Oben, auf Burg Frankenstein. Es sind zu viele. Wir schaffen sie nicht allein. Und sie sind hinter mir her. Laß uns endlich von hier verschwinden!« Tessas Gesicht wirkte im Mondlicht bleich und angespannt. Nachdenklich betrachtete ich sie. »Ich möchte mir die Ruine ansehen«, beschloß ich. »Sollte es dort oben wirklich Vampire geben, werde ich schon mit ihnen fertig. Hast du eine Spur von den Vermißten gefunden?« »Die Vampire halten sie in der Burg gefangen«, informierte mich Tessa. »Sozusagen als Lebendfutter. Bei meinem Fluchtversuch haben sie einen Jungen umgebracht.« Tessa barg wieder ihr Gesicht an meiner Brust und schluchzte leise. »Es war schrecklich, Mark. Diese Blutbestien sind eiskalt.« Ich streichelte sanft über Tessas kurzes Haar. »Ich mach dir einen Vorschlag. Wir bringen dich zur Hütte zurück und fahren mit dem Wagen so nah wie möglich zur Ruine. Du wartest im Wagen, während ich mir die Burg ansehe. Danach informieren wir Kommissar Volkerts.« »Mir wäre es lieber, wenn wir sofort Verstärkung anfordern würden. Glaub mir, mit diesen Blutsaugern ist nicht zu spaßen.« »Das haben Dämonen nun mal so an sich«, versuchte ich Tessa zu beruhigen. »Glaub mir, ich gehe kein unnötiges Risiko ein.« Ich mußte an meine erste Begegnung mit den Wesen der Hölle und an Dracomar, den Vater aller Vampire, denken. (Siehe MH1). 47
Damals war es mir im letzten Moment gelungen, die kleine Anna Langenbach aus den Krallen des gnadenlosen Obervampirs zu befreien und den Blutsauger zu vernichten. Ich nahm Tessa am Arm und zog sie mit mir in Wicherts Richtung. Hinter uns war einen Moment lang ein lautes Rauschen zu vernehmen, dem knackende Geräusche folgten, die mich an Tessas Fall vom Baum erinnerten. Tessa drehte den Kopf und schaute zurück. »Sie kommen, Mark!« hauchte sie. Auch ich warf einen raschen Blick zurück, konnte jedoch nichts Auffälliges erkennen. Kopfschüttelnd legte ich einen Zahn zu. So verängstigt hatte ich Tessa selten erlebt. Sie hatte bereits gegen Hexen, Spinnendämonen und andere schreckliche Höllenwesen gekämpft und war auch schon in die Vergangenheit katapultiert worden, wo man sie foltern wollte. Aber diese Vampirwesen mußten es wirklich in sich haben, um Tessa derart zu verängstigen. Wir hasteten über die mondbeschienene Lichtung zu Ludwig Wiehert hinüber und hatten ihn beinahe erreicht, als der Jäger zwischen den Bäumen hervortrat. Er hob die Büchse und legte auf uns an. Sein Gesicht zeigte einen entschlossenen Ausdruck. »Runter, Hellmann!« brüllte er. Im selben Augenblick begann der Siegelring an meiner Hand zu prickeln und zu glimmen und zeigte verstärkte dämonische Ausstrahlung an! Mir blieb gerade eben Zeit, in die Knie zu gehen und Tessa mitzuziehen, bevor Wiehert abdrückte. Hinter mir brandete ein furchtbares Gebrüll auf. Ich wirbelte geduckt herum. Zum ersten Mal sah ich eine der Blutbestien und verstand Tessa Haydens Entsetzen. Das Biest sah furchterregend aus. In voller Größe stand die Riesenfledermaus auf der Lichtung, das spitze Maul mit den geifernden Reißzähnen weit aufgerissen. Ludwig Wicherts Schrotladung hatte eine riesige Wunde in die pelzbedeckte Brust des Untiers gerissen. Schwarzes Blut strömte aus den Einschußlöchern. Es kam mir wie eine Zeitrafferaufnahme vor, als ich fasziniert beobachtete, wie sich die Wunde langsam schloß und das Dämonenblut versiegte, während das Höllenwesen wütend mit den Armen fuchtelte. »Verdammtes Mistvieh!« schrie Wiehert, rammte erneut Patronen in seine Flinte und legte wieder auf die Blutbestie an. Ich griff zur Pistole. 48
Die höllische Fledermaus bewegte ihre Schwingen und hob vom Boden ab. Mit einem gewaltigen Satz schwang sie sich über die Lichtung und landete nicht weit von Wiehert entfernt. Der Jäger wich keinen Schritt zurück. Er kniff die Lippen zusammen, hob das Gewehr und drückte ab. Die Schrotladung fetzte mitten in die aufgerissene Schnauze des dämonischen Wesens. Der halbe Kopf wurde der Bestie weggerissen. »Fall endlich um, du Mistvieh!« knurrte Ludwig Wiehert und entfernte die verschossenen Patronen aus der Flinte. Sofort lud er nach und hob die Waffe. Und dann klappte auch Ludwig Wiehert erschrocken die Kinnlade nach unten, denn vor seinen Augen spielte sich ein seltsames Schauspiel ab. Mit leisem Schmatzen und Rascheln wuchs der zerfetzte Kopf der Blutbestie wieder zusammen! Und bald glommen die Augen wieder haßerfüllt. Die Blutbestie stieß einen schrillen Schrei aus, hob den Kopf und fauchte der hellen Scheibe des Mondes entgegen. Wiehert hatte sich wieder gefaßt. »Ich brenn dir so viel Schrot auf deinen verdammten Pelz, daß dir das Fauchen vergeht!« drohte er. Das Glimmen meines Rings verstärkte sich. Ich erhob mich hinter der Blutbestie. Im nächsten Augenblick wurde die Gestalt der dämonischen Bestie durchscheinend, um sich gleich darauf wieder zu manifestieren. Vor Ludwig Wiehert und mir stand ein Mensch! »Du wirst doch wohl nicht auf eine Frau schießen wollen?« Die Stimme der Frau klang lauernd, herausfordernd. Ihre Haut war bleich. Ein mit Rüschen besetztes Brokatkleid schmiegte sich eng an ihren Körper. Die Ärmel endeten dicht unterhalb der Ellbogen und gaben den Blick auf schlanke Arme und Hände frei. Kastanienbraunes Haar fiel über ihre Schultern. Die Frau streckte den rechten Arm aus und machte einen Schritt auf Ludwig Wiehert zu. »Nimm deine Flinte weg, Jäger! Laß uns die Zeit zu etwas Schönerem nutzen, als unschuldiges Wild zu töten.« Wiehert wußte nicht, wie er reagieren sollte. Verwirrt stierte er die Frau an, die wie aus heiterem Himmel vor ihm erschienen war. Der Gewehrlauf senkte sich langsam. Die Frau machte einen weiteren Schritt auf Ludwig Wiehert zu. Gleichzeitig war die Luft wieder von Rauschen erfüllt. Ich war mir 49
darüber im klaren, was dies bedeutete. Mindestens eine weitere Fledermausbestie war im Anflug! Die Frau stand nun dicht vor Ludwig Wiehert. Der Jäger schluckte krampfhaft und wich zurück. Die bleiche Hand der Frau schoß vor. Die Finger krallten sich um Ludwig Wicherts Kehle. Mit unmenschlicher Kraft wurde er nach vorn gerissen. »Laß ihn los, verdammte Blutsaugerin!« brüllte Tessa, die aus ihrer Erstarrung erwacht war, und stürzte auf Wicherts Gegnerin los. Der Kopf mit dem kastanienroten Haar ruckte herum. Ein schrilles Fauchen ertönte. Das bleiche Gesicht der Frau näherte sich Ludwig Wicherts Hals. Hatte ich bisher noch Zweifel an den Absichten der bleichen Frau gehabt, so waren diese Zweifel nun endgültig zerstreut. Ich hob die Pistole und feuerte zweimal rasch hintereinander. Ich sah die Silberkugeln in den Körper schlagen, als eine zweite Riesenfledermaus auf der Lichtung landete. Hinter der Bestie tauchte der Schatten eines weiteren Dämons auf. Ich hetzte zu Tessa und Wiehert. Der Jäger kauerte röchelnd auf dem Boden und rieb sich die schmerzende Kehle. »Was war denn das?« krächzte er. Sein Blick war auf die Gestalt vor ihm gerichtet, die sich auf dem Boden wand. Die geweihten Silberkugeln hatten ganze Arbeit geleistet. Die reinigende Kraft des Silbers hatte bei der Frau eine merkwürdige Symbiose bewirkt. Ein Teil von ihr hatte sein menschliches Aussehen behalten. Der überwiegende Teil aber hatte sich in eine Fledermausbestie zurückverwandelt. Ein gellender Schrei löste sich von den Lippen der einst schönen Frau. Sie streckte uns flehend einen menschlichen Arm entgegen, an dem sich bereits wieder die lederartige Schwinge gebildet hatte. Rauch stieg aus den beiden Einschußlöchern und drang auch aus Mund und Nase der Blutsaugerin. Deutlich konnte ich die beiden Vampirzähne in dem weit aufgerissenen Mund erkennen. Augenblicke später setzte der Zerfallsprozeß ein. Ich wartete nicht länger. »Nichts wie weg!« rief ich, zog Ludwig Wiehert hoch und stieß ihn in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Zurück zur Hütte!« 50
Tessa nahm Wiehert am Arm, während ich ihren Rückzug deckte. Die beiden Blutbestien vor mir näherten sich zögernd. Sie hatten die Vernichtung ihrer Gefährtin beobachtet und wollten offensichtlich kein Risiko eingehen. Tessa und Wiehert waren zwischen den Bäumen verschwunden. Ich schickte mich an, ihnen zu folgen. Die Blutbestien kreischten vor Wut und hieben mit ihren Armen wild durch die Luft. »Ihr nervt!« murmelte ich. Bevor ich im Wald untertauchte, jagte ich der vordersten Blutbestie einige Kugeln in die haarige Brust. Die Riesenfledermaus wurde von den Beinen gerissen und gegen ihren Begleiter geschleudert. Ich drehte mich um und rannte geduckt zwischen den Baumstämmen hindurch, bis ich Tessa und Wiehert eingeholt hatte. »Folgen sie uns?« fragte Tessa im Laufen. »Keine Ahnung. Sehen wir zu, daß wir zu den Fahrzeugen kommen!« Zweige zerrten an unserer Kleidung, als wir in wilder Flucht unter den verschneiten Ästen hindurchrannten. Nach einer halben Ewigkeit passierten wir schweißüberströmt und schwer atmend die Schneise, in der Bernhard Kreß den Tod gefunden hatte. Wenig später sahen wir die Hütte vor uns auftauchen. »Wo wollen Sie hin?« rief ich Wiehert nach, der an der Hütte vorbeilief. »Zu meinem Wagen. Hab ihn zwischen den Bäumen versteckt.« »Sie fahren mit uns, Wiehert!« wies ich ihn an. »Kommen Sie!« Ich wollte soeben die Fahrertür meines BMW öffnen, als ich Tessas Warnschrei vernahm. Reagieren konnte ich nicht mehr. Ich wurde von der riesigen Fledermaus gepackt, hochgehoben und flog im nächsten Moment durch die Luft. Hart prallte ich auf dem gefrorenen Boden auf. Die Blutbestie wandte sich mir zu und stampfte flügelschlagend und fauchend heran. Ich blieb auf den Knien und brachte die Pistole hoch, doch zum Schuß kam ich nicht mehr. Die Gefährlichkeit der Silberkugeln war der Bestie mittlerweile bewußt geworden. Schließlich hatte sie die Vernichtung zweier Gefährten mit ansehen müssen. Ein wuchtiger Schlag mit dem Schwingenarm fegte mich zur Seite. Ein krallenbewehrtes Bein des Untiers sauste heran und hieb mir die Pistole aus der Hand. Stinkender Geifer rieselte auf mich herab, als mich der Vampir 51
anfauchte. Krallenhände packten zu und zerrten mich auf die Beine. Das spitze Maul öffnete sich weit und entblößte das blitzende Raubtiergebiß. In den schwarzen Wieselaugen des Monstrums war nicht der kleinste Hauch einer Emotion zu erkennen. »Laß ihn los, du Ratte!« Tessa Haydens Schrei wehte zu uns herüber. Ich erkannte, was meine Freundin vorhatte. »Nicht, Tessa!« brüllte ich. »Halt dich raus!« Aber meine Worte kamen zu spät. Tessa Haydens schlanker Körper wischte durch die Luft und prallte gegen die Fledermausbestie. Das Höllenbiest zeigte sich von Tessas Angriff jedoch nicht sonderlich beeindruckt. Es umklammerte meine Kehle mit der Linken und wischte Tessa mit dem rechten Arm lässig zur Seite. Tessa wurde nach hinten geschleudert und prallte gegen meinen Wagen. Der Blutsauger verschwendete keinen Blick auf Tessa, sondern schenkte mir seine ganze Aufmerksamkeit. Langsam drehte die Klaue meinen Kopf zur Seite und legte den Hals mit der pulsierenden Schlagader frei. Die Fledermaus bleckte die Zähne. Ich hatte es aufgegeben, den Klauengriff des Ungeheuers sprengen zu wollen. Aber mir war ein anderer Gedanke gekommen. Ich erinnerte mich an einen Gegenstand, den ich vor meinem Waldspaziergang mit Wiehert eingesteckt hatte: Das Kreuz aus geweihtem Rosenholz! Kaum kreisten meine Gedanken um das Kreuz, als ich auch schon handelte. Die Blutbestie näherte ihr fürchterliches Gebiß meinem Hals, und ich schob meine Hand in die Jackentasche. Meine Finger umklammerten das Rosenholz. Ich hatte das Gefühl, als würde ich mit neuer Kraft erfüllt. Weit öffnete die Fledermaus ihr spitzes Maul. Ich ließ meine Muskeln erschlaffen und wiegte die dämonische Bestie in Sicherheit, um gleich darauf meinen Kopf ruckartig zur Seite zu drücken. Die Bestie wurde völlig überrascht, starrte mit ihren Knopfaugen ungläubig in mein Gesicht und fauchte mich an. »Mal sehen, wie dir das schmeckt, Flattermann!« rief ich und rammte der Höllenkreatur das Kreuz tief in den geifernden Rachen. Zunächst geschah nichts. Die Zeit schien stillzustehen. Die Kreatur richtete sich hoch auf und reckte ihre Schnauze, aus der 52
ein Ende des Kreuzes ragte, zum Himmel. Dann drang ein markerschütterndes Gebrüll aus dem Rachen der Blutbestie. Sie ließ mich los und taumelte zurück, schlug mit den Armen um sich, kreischte und fauchte. »Steigt ein!« rief ich Tessa und Ludwig Wiehert zu. »Beeilung!« Ich tauchte unter den flappenden Schwingen weg, rannte zu meinem Fahrzeug und warf mich hinter das Steuer. Der Motor heulte auf. Ich trat das Gaspedal durch. Dreck und trockene Zweige spritzten unter den Reifen weg. Ich riß das Steuer herum und lenkte den Wagen Richtung Feldweg. Im Rückspiegel beobachtete ich die Höllenbestie und sah, wie sie sich in die Luft schwang. Sie war schnell. Verdammt schnell. Der pelzbedeckte Körper knallte auf das Dach des Wagens und rutschte von dort auf die Motorhaube. Die Schnauze des Blutsaugers klatschte gegen die Windschutzscheibe. Dichter Qualm drang zwischen den spitzen Zahnreihen hervor. Die Krallen kratzten über das Glas. Ich legte eine Vollbremsung hin und warf den Rückwärtsgang rein. Die Blutbestie wurde von der Motorhaube geschleudert und rollte über den Boden. Ich zog den Wagen in eine Schleife, legte den ersten Gang ein und gab Gas. Die Riesenfledermaus kam hoch, als der Wagen auf sie zuraste. Ich beobachtete, wie die Kreatur ein letztes Mal mit den Schwingen schlug und gequält aufbrüllte. Dann waren wir heran. Ich lenkte den Wagen haarscharf an dem Blutsauger vorbei. Genau in diesem Augenblick kam die ganze, vernichtende Kraft des Kreuzes zum Ausbruch. Die Blutbestie explodierte förmlich. Ein gewaltiger Feuerball hüllte den Blutsauger ein. Die Detonation ließ den BMW erzittern, als er an dem brennenden Biest vorbeisauste. Dann waren wir auf dem Feldweg und rollten Richtung Darmstadt. Es war vorbei. * »Vampire! Riesenfledermäuse! Wenn ich solch einen ausgemachten Schwachsinn höre, muß ich wirklich an Ihrem Verstand zweifeln, Herrschaften! Und wegen so was werde ich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt! Leute wie Sie habe ich gerne, Hellmann! Vierzig Jahre duckmäusern und dann hier die 53
große Schnauze riskieren. Machen Sie bloß, daß Sie rüberkommen, und nehmen Sie Ihre Freundin gleich mit!« Ich grinste ihn an und schüttelte den Kopf. »Wir wissen jetzt, wer hinter dem Mord an Bernhard Kreß steckt. Und bedauerlicherweise ist ein weiterer vermißter Partygast von den Bestien getötet worden. Wir wissen auch, wo sich diese Höllenbrut verborgen hält. Wir wissen jedoch nicht, wo Kommissarin Ruland steckt. Darauf und auf die Befreiung der Geiseln sollten sich unsere Anstrengungen konzentrieren.« Volkerts fuhr herum. Seine Augen funkelten mich wütend an. »Wir wissen sehr wohl, was mit Kommissarin Ruland passiert ist!« zischte er. »Ihre Freundin hat darauf bestanden, die Hütte zu inspizieren. Tatsache ist, daß Kommissarin Ruland sie begleitete, Ihre Freundin jedoch allein zurückkehrte, Hellmann! Und wie Frau Hayden erzählte, wurde Kommissarin Ruland von der Kaminwand in der Hütte verschluckt.« Er schnippte mit den Fingern. »Einfach so.« »Wenn Tessa sagt, daß es so war, gibt es nur eine Erklärung.« »Und die wäre?« Volkerts grinste gehässig. »Ist Katharina von Vampiren entführt worden? Oder hat sie der Teufel persönlich geholt? Hören Sie bloß auf mit Ihren Phantastereien, Hellmann!« »Es sind keine Hirngespinste, Herr Kommissar«, meldete sich Ludwig Wiehert zu Wort. »Ich habe die Bestien selbst gesehen.« Volkerts rollte mit den Augen. »Jetzt fangen Sie auch noch an zu spinnen, Wiehert.« »Ich habe auf sie geschossen. Ich habe sie getroffen, aber ich konnte sie nicht töten«, murmelte der Jäger. »Sie sind gefährlich. Sie haben meinen Jungen entführt und Bernhard Kreß umgebracht.« Wiehert stemmte sich von seinem Stuhl hoch. »Glauben Sie nicht, daß mir das Schicksal meines Jungen am Herzen liegt? Ich weiß, daß diese verdammten Rattenviecher meinen Manfred in den Klauen haben! Sie müssen etwas unternehmen, Kommissar, und zwar schnell!« »Vergessen Sie es, Wiehert«, sagte ich ruhig. »Er glaubt Ihnen nicht.« Volkerts hatte wieder seinen Marsch aufgenommen. »Sehr richtig, Herr Hellmann. Ich glaube ihm genauso wenig, wie ich Ihnen glaube. Wir haben es mit einem oder mehreren psychopathischen Mördern zu tun, und davon bringen Sie mich nicht ab.« Der Kommissar blieb stehen und rieb sich nachdenklich 54
das Kinn. »Aber eines würde mich doch noch interessieren, Hellmann. Wo ist Frau Ruland Ihrer Meinung nach abgeblieben?« »In der Vergangenheit, Herr Volkerts.« Kommissar Volkerts ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Das ist ein Ding!« meinte er. »Sie sind wirklich von dem überzeugt, was Sie da von sich geben, was?« Er schüttelte den Kopf und gab ein verzweifeltes Kichern von sich. »Mensch, sind Sie froh, daß ich nicht schon längst die Männer mit den Zwangsjacken angerufen habe!« »Das heißt dann also, daß Sie uns nicht im Kampf gegen die Vampire unterstützen werden, Volkerts. Habe ich recht?« Tessa warf dem Kommissar einen verachtenden Blick zu. »Richtig vermutet, Frau Kollegin. Ich mache mich wegen Ihnen doch nicht zum Narren!« Ich war bereits auf dem Weg zur Tür. »Wir verplempern hier nur kostbare Zeit. Komm, Tessa, wir werden uns selbst helfen müssen.« Auch Ludwig Wiehert stand auf. »Wenn ich irgend etwas tun kann, Herr Hellmann.« »Danke, Herr Wiehert. Sie fahren am besten nach Hause und warten ab. Sobald wir etwas von Ihrem Jungen erfahren haben, lassen wir es Sie wissen«, versicherte ich dem besorgten Vater. Wir brachten Ludwig Wiehert zu seinem Geländewagen und machten uns dann auf den Weg zu Tessas Unterkunft. Kathi Ruland hatte Tessa am Nachmittag im Hotel Dippelshof im Mühltaler Ortsteil Traisa untergebracht. * Nach einem ausgiebigen Frühstück im Hotel begaben wir uns zum Rathaus im Ortsteil Nieder-Ramstadt, wo wir erfuhren, daß die Volksbücherei nur einmal wöchentlich nachmittags geöffnet war. Nach Vorlage von Tessas Dienstausweis erklärte sich der Pfarrer jedoch bereit, die Bücherei für uns zu öffnen. Wir suchten und fanden. Ich überflog das Blatt. Es war ein Bericht über den Tod des Darmstädter Landgrafen Ernst Ludwig. Unser Durchlaucht, Landgraf Ernst Ludwig zu Darmstadt haucht' zur fünften Abendstund am zwölften September Anno Domini 55
1739 seine Seel' aus, las ich. Und weiter stand da: So zuvor kundgethan von Frau Gräfin zu Schleywitz, welche bei Landgraf Ernst Ludwig in hohen Ehren gestanden und die Kunst der Weissagung beherrscht'. Das Verscheiden unserer Durchlaucht hatt viel' Leut' in Staunen versetzt, allzumal Frau Gräfin zu Schleywitz bereits am neunzehnten Dezember Anno Domini 1731 vorausgeahnt, daß der Kanzler unserer Durchlaucht vom Schlage getroffen werde. Und noch vielmal mehr hat Frau Gräfin ihre Kunst angewandt, wenn sie auf ihren Reisen zu Darmstadt verweilt'. Das war es! Tessa hatte erzählt, daß ihr der Kanzler als Vampir erschienen war. Demnach hatte den armen Kerl also nicht der Schlag getroffen, sondern er war von der Gräfin in eine Blutbestie verwandelt worden. Und ich mußte auch davon ausgehen, daß Landgraf Ernst Ludwig keines natürlichen Todes gestorben war. Ich sah, wie der alte Pfarrer den Ordner schloß. »Haben Sie noch weitere Dokumente über die Gräfin gefunden?« erkundigte ich mich. »Leider nicht, junger Freund. Ich hoffe, dieser Bericht hilft Ihnen weiter.« »Darf ich fragen, junger Freund, warum Sie an dieser seltsamen Gräfin so interessiert sind?« riß mich die Stimme des Pfarrers aus meinen Gedanken. Ich zögerte. »Es könnte sein, daß Sie mit meiner Erklärung nicht einverstanden sind, Herr Pfarrer. Vielleicht denken Sie, daß ich mir einen üblen Scherz mit Ihnen erlaube.« »Ich bin nicht so leicht zu erschüttern, mein Sohn. Also erzählen Sie.« Ich räusperte mich und schaute den Pfarrer offen an. »Ich bin davon überzeugt, daß diese Gräfin von Schleiwitz eine Vampirin ist. Und ich bin sicher, daß sie für einen Mord verantwortlich ist, der Freitag nacht in der Nähe der Burgruine verübt wurde.« Nun brausten wir der Ruine von Burg Frankenstein entgegen. * Ich ließ den Wagen auf einem Parkplatz am Schloßberg stehen, nahm meine Pistole und zwei Magazine mit Silbermunition aus dem Einsatzkoffer, steckte die Stablampe von letzter Nacht in den 56
Gürtel und machte mich auf den Weg. Es war kalt. Die klare Winterluft war eine Wohltat für die Lungen. Der Wanderweg schlängelte sich den Schloßberg hinauf. Zu beiden Seiten säumte dichter Baumbestand den Weg. Eine friedliche Stille herrschte. Bald lichteten sich die Bäume und gaben den Blick auf die Ruine und das angrenzende Restaurant frei. Das war sie also. Burg Frankenstein. Jene Burg, von der eine gewisse Mary Wollstonecraft Shelley auf ihrer Reise nach Italien im Jahre 1818 zu dem klassischen Gruselroman Frankenstein inspiriert wurde. Ein eigenartiges Gefühl beschlich mich. Diese Burg, die vor beinahe dreihundert Jahren zur Ruine verkommen war, sollte blutgierige Vampire und ihre Geiseln beherbergen. Würde ich wirklich auf Spuren der Blutsauger stoßen? Ich erreichte die Burg und folgte den Wegen, die im Sommer von den Urlaubern benutzt wurden, um die herrliche Aussicht über die Bergstraße und den Odenwald zu genießen. Das Restaurant war geschlossen, und in der Ruine regte sich nichts. Ich schien die einzige Menschenseele weit und breit zu sein. Langsam betrat ich die Ruine, schaute mich im Innenhof und in den verfallenen Nebengebäuden um, bevor ich den Turm betrat. Es war düster. Durch die Schießscharten drang nur schwaches Tageslicht. Stufe für Stufe stieg ich die Wendeltreppe hinauf. Mit der Hand stützte ich mich an dem kalten Mauerwerk ab. Endlich erreichte ich eine Plattform, von der ein schmaler Durchgang nach draußen führte. Ich fand mich auf einer Terrasse wieder, die von einer Mauer umgeben wurde. Mein Blick glitt über die Wipfel der Bäume weit unter mir. Ich sah einen zweiten, niedrigeren Turm. Einige Giebeldächer und das moderne Restaurantgebäude. Nichts wies auf die Anwesenheit von Vampiren oder dämonischen Wesen hin. Der Ring an meiner Hand reagierte nicht. Ich begab mich wieder in den Turm und stieg die Wendeltreppe weiter hinauf. Aber ich kam nur einige Schritte weit. Eine schwere Tür versperrte die Treppe. Ich rüttelte an der Tür, aber sie war fest versperrt. Kurz entschlossen zog ich die Pistole und zerschoß das Türschloß. Mit einem schrillen Quietschen schwang ich die Tür auf und verankerte sie an der Wand. Mit der Pistole in der Hand schlich ich weiter die Treppe hinauf. Ich gelangte in einen dunklen Korridor, der nach links 57
abzweigte. Vorsichtig setzte ich meine Schritte. Meine Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit. An den Wänden zeichneten sich Gemälde und Wandteppiche als schwarze Schatten ab, die sich kaum von dem Zwielicht im Korridor abhoben. Tessa hat ein Gemälde erwähnt, auf dem Kathi Ruland zu sehen sein soll, erinnerte ich mich. Lassen wir uns mal überraschen. Ich hakte die Lampe vom Gürtel und knipste sie an. Der grelle Lichtstrahl fraß sich durch die Dunkelheit. Staubkörnchen tanzten im Licht. Ich leuchtete die Wände ab und ging langsam weiter. Ein Wandteppich mit einer Jagdszene. Zwei Porträts. Wieder ein Wandteppich, der ein Picknick zeigte. Ein riesiges Gemälde, auf dem eine Tafel mit mehreren Personen zu sehen war. Ich verhielt meinen Schritt, richtete den Lichtstrahl erneut auf das große Gemälde - und wußte, daß ich am Ziel war! Im Lichtstrahl erkannte ich das bleiche, schöne Antlitz einer schwarzgekleideten Frau. Die dunklen Ringe unter den Augen verliehen ihrem Gesicht einen grausamen, gnadenlosen Zug und zerstörten die Schönheit. Die Frau auf dem Gemälde schien mich direkt anzusehen. Ich ließ den Lampenstrahl über die anderen Gesichter wandern und entdeckte schließlich Katharina Ruland. »Bingo!« sagte ich leise, und doch kam mir meine Stimme überlaut vor. Im Polizeirevier hatte ich ein Bild von Katharina Ruland zu sehen bekommen und konnte sie daher auf dem Gemälde einwandfrei identifizieren. Aber wie war so etwas möglich? Ich hielt mich nicht lange mit Fragen auf, die ich wahrscheinlich ohnehin nicht klären konnte, sondern setzte meinen Weg durch den Korridor fort. Nach Tessas Angaben mußte ich nun auf eine Holztreppe treffen, die in den nächsten Gang mit den Turmzimmern führen sollte. Und dort wurden die Geiseln gefangengehalten! Die brüchige Holztreppe betrat ich vorsichtig und wurde mit jedem Schritt zuversichtlicher. Blitzschnell war ich am oberen Ende der Treppe angelangt und glitt den Korridor entlang. Ich versuchte, die Türen zu den Turmzimmern zu öffnen, aber alle waren fest verschlossen. Auch als ich klopfte und leise rief, erhielt ich keine Antwort. Ratlos blieb ich am Ende des Flures stehen, schaute mich um 58
und überlegte, ob ich die Türen nacheinander eintreten sollte. »Das würde ich an Seiner Stelle nicht tun«, antwortete eine männliche Stimme auf meine Überlegungen. Ich hob den Kopf und richtete den Lampenstrahl nach vorn. Vor mir stand ein Mann, der einem Historiengemälde entstiegen zu sein schien. Er kreuzte die Beine und verneigte sich auf höfische Art. »Kanzler von Maskowsky, zu Seinen Diensten!« stellte er sich vor. Mein Ring begann zu prickeln und schwach zu glimmen. In mir schrillten sämtliche Alarmglocken. In dem Bericht, den ich im Pfarrhaus gelesen hatte, war ein Kanzler erwähnt worden. Wenn es sich bei dem bleichen, geschminkten Gesellen vor mir um eben diesen Kanzler handelte, stand ich einem Vampir gegenüber! »Ich verzichte auf Ihre Dienste«, sagte ich und ging auf den geisterhaften Kanzler zu, um mich an ihm vorbeizudrücken. »Sie haben den Rest des Tages frei, Johann!« »Ich bezweifle, daß Er auf meine bescheidenen Dienste verzichten wird«, entgegnete das geschminkte Bleichgesicht und legte seinen Spazierstock gegen die Wand, so daß er mir den Weg versperrte. »Gib den Weg frei, Pomadenfritze!« Der Kanzler reagierte nur mit einem breiten Grinsen. Dieses überhebliche Grinsen widerte mich an. Ich handelte rasch und routiniert. Mein Stiefelabsatz rammte auf den Schnallenschuh des Kanzlers nieder, während ich gleichzeitig den Spazierstock wegschlug und dem bleichen Gesellen die Schulter gegen die Brust knallte. Kanzler von Maskowsky prallte gegen die Wand und starrte mich überrascht an. Offenbar hatte er mit Gegenwehr nicht gerechnet. Sein Mund öffnete sich. Er fauchte. Ich sah die beiden spitzen Vampirhauer aus seinem Kiefer ragen. Von Maskowsky bemerkte meinen Blick, gab ein verlegenes »Ups!« von sich und beeilte sich, den Mund wieder zu schließen. Ich richtete den Lichtstrahl direkt auf den Schönheitsfleck in seinem Gesicht, obwohl ich ihn nicht würde blenden können. »Gestorben am 19.12.1731. Dafür, daß du schon fast dreihundert Jahre tot bist, hast du dich aber hervorragend gehalten, Schmalzlocke. Nicht mal die Schminke ist zerbröselt. Empfehle mich und wünsche weiterhin gute Verrichtung!« Damit ließ ich ihn stehen und rannte zur Holztreppe am Ende des Korridors. 59
»Er bleibt!« schrie der Vampirkanzler hinter mir. »Ich erlaube nicht, daß Er geht!« Kanzler von Maskowsky eilte mir nach und schrie vor Wut. »Haltet ihn! Er darf nicht entkommen!« kreischte er schrill. Ich warf einen Blick nach hinten und bemerkte, wie er sich in eine Blutbestie verwandelte. Ich betrat die Holztreppe und erstarrte. Am Fuß der Treppe tauchte eine weitere Fledermaus auf. »Ups!« entfuhr es nun auch mir beim Anblick der Bestie. Ich stieß mich ab und sprang dem Biest entgegen. Mit beiden Füßen traf ich die pelzige Brust und stieß den Blutsauger gegen die Wand. Bevor er zupacken konnte, war ich an ihm vorbei und jagte Richtung Wendeltreppe. Aber von dort tauchten zwei weitere Blutbestien auf. Hinter mir erscholl ein triumphierendes Gelächter. »Er wird nun doch bei uns bleiben müssen. Ob es Ihm gefällt oder nicht!« rief der Vampirkanzler. »Darauf würde ich keine Wette eingehen, Kanzler!« Für mich gab es nur noch einen Ausweg, wenn ich von den Blutbestien nicht zerfleischt werden wollte. Ich hatte sowieso vorgehabt, diesen Weg zu gehen, um Kathi Ruland zurückzuholen. Allerdings hatte ich als Ausgangspunkt den Kamin der Jagdhütte vorgesehen gehabt. Aber dieser Korridor auf Burg Frankenstein war wohl genauso gut. Mein Siegelring sandte einen grellen Lichtstrahl aus, was in Gegenwart von drei Höllenkreaturen nicht verwunderlich war. Ich kniete vor dem Gemälde nieder, auf dem Katharina Ruland abgebildet war, und malte mit dem Strahl aus meinem Ring das keltische Runenwort Reise auf den Boden. Kaum waren die Runen des Futhark-Alphabets auf dem Steinboden sichtbar geworden, als auch schon Sphärenklänge die Luft durchzogen, Spektralfarben vor meinen Augen erstrahlten und zerplatzten. Der stilisierte Drache löste sich aus der Oberfläche meines Rings, riß das Maul mit der gespaltenen Zunge weit auf und schien mich verschlingen zu wollen. Vor mir öffnete sich ein heller, unendlich tiefer Schacht, das Maul des Drachen nahm mich auf und ich stürzte in die Tiefe. Seltsamerweise galt mein letzter Gedanke Tessa Hayden und der Tatsache, daß es in ihrem Hotelzimmer überhaupt keinen Fernsehapparat gab.
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* Die Sphärenklänge wurden leiser. Das Drachenmaul spuckte mich aus. Ich wirbelte ein letztes Mal durch die Luft und prallte hart auf rauhem Boden auf. Reflexartig rollte ich über die Schulter ab und kam auf dem Bauch zu liegen. Es war kalt. Der Boden war gefroren. Ringsherum sah ich schneebedeckte Büsche und Bäume. Ich erinnerte mich an den Winterwald in der Nähe von Burg Frankenstein. Hatte mich meine Reise durch die Zeit etwa in den Wald unterhalb der Burgruine geführt? Gesang drang zu mir herüber. Stöhnend richtete ich mich auf. Die schneidend kalte Winterluft machte sich unangenehm auf meiner nackten Haut bemerkbar. Ich begann zu zittern. Mein Blick erfaßte eine junge Frau, die an einem nahegelegenen Bachufer kauerte und ein Bettlaken in die kalten Fluten tauchte. Dabei trällerte sie eine lustige Melodie und schien ihre Umgebung vollkommen vergessen zu haben. Neben ihr stand ein Korb mit Wäsche. Ich konnte nur hoffen, daß ich ein paar Kleidungsstücke in meiner Größe fand. Rasch trat ich auf die Wäscherin zu und legte ihr die Hände über die Augen. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, zuckte hoch und kicherte im nächsten Augenblick. »Wer immer du auch bist, du hast mich fast zu Tode erschreckt«, sagte sie. »Das kostet dich aber mehr als einen Kuß!« »Aber mit dem größten Vergnügen«, erwiderte ich, drehte die Holde um und küßte sie. Das Mädchen riß erstaunt die Augen auf, trommelte mit ihren Fäusten gegen meine nackte Brust und versuchte, sich aus meiner Umarmung zu befreien. Aber die Gegenwehr war nur gespielt. Ich löste meine Lippen von ihrem Mund und lächelte sie an. Sie schaute in mein Gesicht und ließ ihren Blick über meinen Körper wandern. »Der - edle Herr - küßt gut«, stammelte sie verdutzt, als sie bemerkte, daß ich splitternackt war. »Wie kommt es, daß Er sich mit - einer einfachen - Wäschemagd abgibt?« Ich strich ihr mit dem Zeigefinger über das Kinn. »Nun, die Wäschemagd gefällt mir. Hast du auch einen Namen, meine Schöne?« 61
»Marianne«, hauchte sie und knickste höflich. »Ich bin Markus Hellmann«, stellte ich mich vor, »und bestimmt kein edler Herr. Aber es wäre gut, wenn du etwas Kleidung für mich hättest, die mich als solcher erscheinen läßt. Außerdem ist es so kalt, daß ich dringend der Wärme bedarf, um nicht zu Eis zu erstarren.« Ich ließ meinen Blick auf den Ansätzen ihrer vollen Brüste verweilen, die aus dem Mieder hervorquollen. Marianne bemerkte meinen Blick und kicherte. »Ich kann dir nur mit einem Hemd aushelfen, Markus. Aber ich bringe dich ungesehen in meine Stube im Gesindehaus. Dort kannst du dich aufwärmen. Derweil besorge ich dir angemessenes Gewand.« Ich konnte von Glück sagen, daß ich die kleine Wäscherin getroffen hatte. Sie strahlte mich mit ihren blauen Augen an, klimperte mit den Wimpern und strich immer wieder über ihr volles, langes Blondhaar, um ihre Gesichtszüge noch mehr zur Geltung zu bringen. Sie reichte mir ein Hemd, das feucht und kalt von der Wäsche war. Hastig streifte ich es über. Es reichte mir gerade bis über die Hüften. Zur Freude der hübschen Wäscherin. Marianne nahm mich bei der Hand. Ich wollte den Wäschekorb aufnehmen, aber sie hielt mich ab. »Laß ihn stehen, Markus. Ich hole ihn später. Sputen wir uns lieber, bevor uns jemand entdeckt.« Marianne führte mich am Bach entlang bis zu einem Bauernhof, dem ein großes Gehege mit Fasanen angeschlossen war. »Das ist die Fasanerie meines Onkels«, erklärte Marianne flüsternd. »Wir müssen an den Tieren vorbei bis zur großen Scheune. Dahinter gelangen wir dann unbemerkt ins Gesindehaus.« Ich hatte Marianne nicht zugetraut, daß sie so schnell laufen konnte, aber sie jagte wie der Blitz über den freien Platz neben der Fasanerie und drückte sich hinter einem Holzstapel an die Scheunenwand. Von dort winkte sie mir. Ich hetzte los und hatte die Hälfte des Weges hinter mich gebracht, als sich im Fasanengehege die Tür des Futterhauses knarrend öffnete. Mit einem Hechtsprung landete ich in einer Pfütze hinter einem Steintrog. Ich schaute zu Marianne hinüber. Die Wäscherin hatte die Hand vor den Mund gepreßt und schüttelte sich in stummem Gelächter. Tränen kullerten aus ihren Augen. Mein Anblick, wie ich mich mit hochgerutschtem Hemd im Dreck wälzte und den nackten Allerwertesten in die Luft streckte, mußte aber auch zum Schießen sein. 62
Mir war jedoch ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Wütend schielte ich hinter dem Futtertrog hervor und beobachtete den Knecht, der durch das matschige Gehege stampfte. Zum Glück bewegte er sich nicht in meine Richtung. Ich wartete ab, bis er das Gehege verlassen hatte und zum Haupthaus schlurfte. Dann kam ich auf die Füße und jagte zu Marianne hinüber. Die Blondine trocknete sich gerade die Lachtränen mit ihrer Schürze. »Verzeih, Markus«, flüsterte sie. »Aber es war zu lustig, wie du dort gelegen hast. Wie ein Enterich im Teich hast du ausgesehen, den Kopf auf der Erde und das Hinterteil in der Höh'!« Sie kicherte wieder los. »Wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung. Ist schon was dran an dem Spruch. Wenn du dich beruhigt hast, würde ich gerne aus dieser Kälte verschwinden. Sonst nimmt mein edelstes Teil wirklich noch Schaden.« Marianne führte mich hinter der Scheune vorbei zum Gesindehaus, schlüpfte durch die Tür und zwei Stiegen hinauf, wo sie mich in eine spärlich eingerichtete Kammer schob. »Hier kannst du warten, Markus. Dort drüben ist ein Krug mit Wasser, damit du dich waschen kannst. Ich komme gleich zurück.« Ich zerrte mir das stinkende, verdreckte Hemd vom Leib und wusch mir den Schmutz ab. Gerade war ich an meinem edelsten Teil angelangt, als sie zur Tür hereinschlüpfte und ein Bündel Kleidung auf das Bett warf. »Ich hoffe, die Sachen passen«, meinte sie staunend. »Es ist ein Jagdgewand vom Schloß Kranichstein. Wir waschen auch für andere Durchlauchten.« Ich zog mich an. Ein weißes, rüschenbesetztes Hemd, eine bestickte Weste, kastanienbraune Kniebundhosen, Seidenstrümpfe, Schnallenschuhe. »Das ist ja eine Staffage, die eines Prinzen würdig wäre, Marianne«, lobte ich. Sie lächelte verlegen. »Für mich bist du ein Prinz, Markus.« Marianne schmiegte sich an mich, ergriff meine Hand und legte sie auf ihre volle Brust. Wegen Tessa mit schlechtem Gewissen drückte ich Marianne einen Kuß auf die Lippen. »Du hast eben eine Durchlaucht erwähnt«, sagte ich und streifte die Strümpfe über. »Begehrst du mich denn nicht, Markus?« fragte Marianne, ohne auf meine Worte einzugehen. »Doch, du bist sehr verführerisch, aber ich bin in Eile. Kannst du mir etwas über diese Durchlaucht erzählen?« bat ich und 63
schlüpfte in die Schnallenschuhe. »Du kennst Unsere Durchlaucht nicht?« Verwunderung lag in Mariannes Stimme. »Landgraf Ernst Ludwig zu Darmstadt. Er besucht jeden Sommer mit einigen hohen Herrschaften das Jagdschloß Kranichstein. Unser Hof richtet die Fasanenjagd und das anschließende Festmahl aus.« Meine Vermutung war richtig gewesen. Vor ein paar Stunden erst hatte ich den Bericht vom Tode des Landgrafs gelesen. »Wo hält sich der Landgraf jetzt auf?« erkundigte ich mich. »Du befremdest mich, Markus! Jedes Kind weiß doch, daß Unsere Durchlaucht seit dem Brand des gräflichen Schlosses in seinem Haus am Markt zu Darmstadt residiert.« »Dann muß ich auf dem schnellsten Weg dorthin. Ich muß beim Landgraf vorsprechen. Wie weit ist es?« »Wenige Meilen nach Westen zu.« rief Marianne. »Oder bist du doch ein hochgestellter Herr?« Ich umfaßte ihre Schultern und drückte das Mädchen an mich. »Nein, gewiß nicht. Ich muß mit Seiner Durchlaucht sprechen. Und du findest sicher eines Tages deinen Prinz, Marianne, so schön wie du bist.« Mit diesen Worten huschte ich aus der Kammer, winkte der Wäschemagd noch mal zu und schlug den Feldweg ein, der zur Hauptstraße nach Darmstadt führte. * Der Abend senkte sich bereits über das Land, als ich die ersten Häuser der Residenzstadt erreichte. Ich folgte den kopfsteingepflasterten Straßen zum Marktplatz der Stadt. Am Darmstädter Schloß bemerkte ich Gerüste und sah die brandgeschwärzten Mauern. Maurermeister und Gesellen turnten auf den Gerüsten herum. Bei einem Passanten erkundigte ich mich nach der Residenz des Landgrafen. Ich erfuhr, daß der Schloßbrand erst wenige Wochen zurücklag und Landgraf Ernst Ludwig seitdem in seinem Stadthaus direkt am Marktplatz wohnte. Die ersten Laternen wurden angezündet, als ich am Marktplatz anlangte. Fachwerkhäuser und eine Kirche begrenzten drei Seiten des Platzes. An der vierten Seite befand sich ein Vieh- und 64
Schafspferch mit Verkaufsstand und Viehwaage. Ich eilte über den Platz und näherte mich dem einzigen Haus, vor dem uniformierte Posten Wache standen. Die Wachtposten wurden vom zuckenden Schein blakender Pechfackeln beleuchtet, die man an den Seiten des Hauseingangs angebracht hatte. Das Haus wirkte nicht mal übermäßig groß oder pompös. Und doch schien es recht geräumig zu sein, denn etliche Kaleschen waren vorgefahren und hatten ihre Passagiere in das Haus entlassen. Die Kutscher standen beisammen und unterhielten sich. »Ein schönes Pferd«, murmelte ich und trat an eines der Zugpferde heran, um seinen Hals zu tätscheln. Ein Kutscher wurde auf mich aufmerksam und kam zu mir herüber. »Das Pferd ist fast zu schade, um einen Wagen zu ziehen. Sollte geritten werden«, deklamierte ich. Der Kutscher musterte mich von oben bis unten. »Verstehst du was von Pferden, Gevatter?« fragte er brummig. »Auf meines Vaters Hof hatten wir viele schöne Tiere.« »Wo kommst du denn her?« »Weit aus dem Norden. Mich hat es zuhause nicht mehr gehalten, Freund. Hatte keine Lust, dem Vater zur Hand zu gehen. Und nun bereu ich's und freue mich immer, wenn ich solch schöne Tiere sehe.« Der Kutscher kaufte mir die Lügengeschichte ab. »Suchst du Arbeit?« wollte er wissen. »Schon, aber es hält mich nicht lang an einem Ort. Die Unrast nagt in mir, und ich muß wandern. Immer weiter wandern, verstehst du?« Der Kutscher klopfte mir auf die Schultern. »Als Tagelöhner lebt es sich mehr schlecht als recht, mein Junge. Laß dir das von einem gesagt sein, der es weiß. Ich habe es auch mal versucht und hatte das Glück, bei meinem Herrn, einem Baron in Homburg, unterzukommen. Ich werde mich für dich verwenden, Gevatter. Du mußt was zwischen die Rippen bekommen, sonst magerst du mir noch bis auf die Knochen ab!« Ich bedankte mich und schaute zu dem Stadthaus des Landgrafen hinüber. Die Wachtposten gaben gut acht. Es würde schwer werden, an ihnen vorbeizukommen. Von rechts näherte sich aus einer dunklen Seitenstraße ein Vierergespann. Das war die Chance. Ich mußte nur noch den geschwätzigen Kutscher loswerden. »Sag mal, Gevatter, welchen 65
Tag schreiben wir heute?« wollte ich beiläufig wissen. »Ei, du mußt aber schon lange auf der Wanderschaft sein, wenn du das nicht weißt. Fünf Tage bis Weihnachten sind's noch. Und Landgraf Ernst Ludwig gibt heute abend eine große Gesellschaft. Deswegen sind wir alle hier.« Der neunzehnte Dezember! Mir kam der Bericht wieder in den Sinn, den ich im Pfarrhaus St. Georg gelesen hatte. Da war ich auf das Datum des 19. Dezember 1731 gestoßen! Wenn ich nicht vollkommen daneben lag, würde heute die Vampirgräfin ihren ersten Auftritt in Darmstadt haben! »Schau dir mal die Pferde da drüben an«, unterbrach die Stimme des Kutschers meine Überlegungen. Ich schaute zu dem Vierergespann, das aus der Seitenstraße rollte. Es waren pechschwarze Pferde. Die Tiere schnaubten ungeduldig. Ihr Atem bildete helle Wolken in der kalten Luft. Die Pferde zogen eine ebenfalls pechschwarze Kutsche. Zu beiden Seiten des Kutschbocks waren Laternen entzündet worden, die ein fahles Licht in die Dunkelheit warfen. Die dunkle, vermummte Gestalt des Kutschers war kaum zu erkennen. »Das sind Rassepferde, was?« brummte der Kutscher neben mir. Ich nickte stumm. Diese schwarze Kutsche ließ mich nicht mehr los. Ich vermutete, daß es sich dabei um die Kutsche der Vampirgräfin handelte. In meinem Kopf begann sich ein Plan zu formen. Wieso sollte mir nicht ausgerechnet die Kutsche der Gräfin dabei helfen, an mein Ziel zu gelangen? Ich schlug dem Kutscher nun meinerseits auf die Schulter. »Was soll's? Ich muß weiter und kann dich nicht die halbe Nacht aufhalten, Gevatter. Ich schätze, unsere Wege werden sich noch mal kreuzen. Einstweilen, hab Dank und gehab dich wohl!« Ich winkte dem Kutscher zu, und gab mir den Anschein, als wollte ich den Marktplatz zur rechten Seite hin überqueren. Dabei ließ ich die schwarze Kutsche nicht aus den Augen. Sie mußte in diesem Moment anhalten, weil eine weitere Kalesche ihr die Zufahrt zum Haus versperrte. Diese Gelegenheit nutzte ich. Ich vergewisserte mich, daß sich der freundliche Kutscher wieder zu seinen Kameraden gesellt hatte, schwenkte nach links und rannte los. Ich benutzte die Deckung der Kaleschen, um mich vor den Blicken der Wachtposten zu verbergen, und huschte geduckt an der schwarzen Kutsche vorbei. 66
Eine bleiche, beringte Hand schob einen schwarzen Samtvorhang zur Seite. Ich prallte zurück, als dicht vor mir im Fenster des Wagenschlages das schöne, blasse Antlitz der Vampirgräfin erschien. Mit einer raschen Drehung preßte ich mich gegen die Seitenwand der Kutsche. Das war aber verdammt knapp, Alter! Hoffentlich hat die Gräfin nichts bemerkt! tadelte ich mich in Gedanken. Ich holte tief Luft, stieß mich ab und riskierte einen raschen Blick in das Innere der Kutsche, bevor ich mich der dunklen Seitenstraße zuwandte. Und in dieser winzigen Zeitspanne sah ich sie! Kommissarin Katharina Ruland! Sie saß der Gräfin gegenüber, drückte sich in die schwarzen Lederpolster und beobachtete ängstlich die unheimliche Gräfin. Mehr konnte ich nicht erkennen, denn ich tauchte in der dunklen Straße unter. Wenn mir jetzt das Glück weiterhin hold war, fand ich eine Tür, durch die ich in das Haus gelangen konnte. Ich huschte um die Hausecke und blieb stocksteif stehen. Aus einer Tür drang Lichtschein. Dummerweise beleuchtete er auch drei Wachtposten, die vor der Tür herumstanden und leise miteinander plauderten. Ich erkannte Diener, die Mägde und Laufburschen beim Auspacken von Lebensmitteln beaufsichtigten. Vorsichtig näherte ich mich dem Lieferanteneingang. Ich mußte irgendwie an eine Kiste gelangen. Hinter mir ratterte es. Ein kleiner, feister Mann mit einer blutigen Metzgerschürze zog einen Karren ächzend an mir vorbei. Meine Gelegenheit war gekommen. Auf dem Karren befanden sich Holzkisten mit Schinken und frisch geschlachteten Hähnchen, deren blutige Halsstümpfe mir entgegenragten. »Mir bleibt auch nichts erspart«, stöhnte ich leise, schnappte mir die erstbeste Kiste, hievte sie auf meine Schulter und überholte den Metzgerskarren mit raschen Schritten. »Einen Augenblick, Bursche!« donnerte mich eine barsche Stimme an, als ich mich an dem Diener vorbei ins Haus begeben wollte. Ich blieb auf der Schwelle stehen und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Der Diener trat an mich heran. »Nehme Er die Kiste von der Schulter, damit ich sehen kann, was Er da bringt!« schnarrte er im Befehlston. Schweigend und mit gesenktem Kopf hob ich die Kiste mit dem 67
blutigen Federvieh von der Schulter und hielt sie vor der Brust. »Ah ja, die Hähne. Trage Er sie in die Küche, aber spute Er sich. Man erwartet Ihn bereits sehnlichst!« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich beschleunigte meine Schritte, wieselte einen kahlen Gang entlang, einige Stufen hoch und sah vor mir einen Koch. Links zweigte eine schmale Treppe ab, über die wohl die gebratenen Köstlichkeiten in den Speisesaal getragen wurden. Wie der Blitz war ich neben dem Koch, der gerade mit Schlägen einen Küchenjungen zur Arbeit antreiben wollte. Ich trat dem Koch gegen das Schienbein. Er schrie, wirbelte herum und vergaß den Küchenjungen. »Was erlaubt Er sich, Bursche? Er sollte aufpassen, daß ich Ihm nicht das Fell gerbe!« donnerte er. »Will Er hier faul rumstehen und Maulaffen feilhalten? Spute Er sich!« »Nein. Hier, halte Er mal!« donnerte ich zurück. Reflexartig wollte der Koch nach der Kiste greifen, ich aber ließ sie fallen. Die schwere Holzkiste knallte ihm auf die Zehen, daß er vor Schmerz jaulte. Ich zwinkerte dem Lehrjungen zu und verschwand über die schmale Treppe nach oben. Mit raschen Schritten gelangte ich auf eine Galerie, von der aus ich das Eintreffen der Gäste beobachten konnte. Ich sah die beleibte Gestalt von Landgraf Ernst Ludwig, den ich bereits auf dem Gemälde in der Burg Frankenstein gesehen hatte. Neben dem Landgraf und seiner Gattin entdeckte ich Kanzler von Maskowsky in seiner pomadisierten Pracht. Von der Galerie aus gelangte ich in das nächste Obergeschoß und von dort aus in den dritten Stock, wo außer mir niemand war. Ich schlich leise den Korridor entlang und passierte eine angelehnte Zimmertür, als ich ein lautes Klatschen vernahm. Sofort blieb ich stehen und lauschte. »Du wirst dieses Kleid tragen, meine Liebe!« hörte ich eine Frauenstimme rufen. »Ich werde dich zu meiner Gesandten machen, meiner Stellvertreterin! Ob es dir paßt oder nicht! Noch heute wirst du den Keim empfangen, der dich zu einer treuen Dienerin unseres Fürsten macht!« »Laß mich in Ruhe, du Vogelscheuche! Ich weiß zwar nicht, wie, aber du hast mich hierhergeschleppt. Doch diesen altmodischen Fummel ziehe ich nicht an.« Wieder klatschte es laut, deshalb schob ich die Tür langsam auf. Mein Blick fiel auf einen Spiegel. Davor saß Katharina Ruland in 68
ihrem Jeansanzug. Eine zweite Person war nicht zu sehen, ich wußte auch den Grund: Vampire warfen kein Spiegelbild! Es klatschte erneut, und ich beobachtete, wie der Kopf der Kommissarin zur Seite gerissen wurde. Offenbar bekam sie gerade ein paar Ohrfeigen. »Wenn du mir noch mal eine runterhaust, du alte Hexe, sollst du mich kennenlernen. Der Spaß ist jetzt vorbei!« Ich sah, wie Kathi Ruland von einer unsichtbaren Hand gepackt wurde, und hörte sie röcheln. »Du irrst dich schon wieder, mein Kind«, zischte die Vampirin, die ich nicht sehen konnte. »Der Spaß beginnt erst!« Katharina wurde gegen die Wand geschleudert. Stöhnend sackte sie zu Boden. »Ich bin gleich wieder da, meine Kleine. Und wenn ich zurückkomme, trägst du dieses Kleid, oder du wirst mich kennenlernen!« Die Stimme der Gräfin verstummte, und Schritte näherten sich der Tür. Ich flüchtete den Korridor entlang und warf mich in eine Nische. Vorsichtig spähte ich um die Ecke und sah, wie sich die schwarzgekleidete Gestalt der Gräfin zum anderen Ende des Korridors hin entfernte. »Ich glaube, es ist besser, wenn Sie tun, was die Gräfin sagt«, riet ich Katharina Ruland, als ich das Zimmer betrat. Die Kommissarin staunte mich an. »Darf ich Ihnen behilflich sein?« fragte ich. »Ich helfe schönen Frauen gern beim Ausziehen.« »Wer - sind Sie?« stammelte Kathi. »Dreimal dürfen Sie raten. Beeilen Sie sich, die Gräfin kommt gleich. Sie müssen jetzt erst mal gute Miene zum bösen Spiel machen. Danach hole ich Sie hier raus. Tessa wartet schon auf Sie.« »Mark!« rief sie plötzlich. »Sie müssen Mark sein! Tessas Freund!« »Sie haben soeben einen Geschirrspüler gewonnen, Gnädigste. Und jetzt raus aus den Klamotten!« Verdutzt ließ sie es zu, daß ich ihr die Jeansjacke abnahm und ihr das T-Shirt über den Kopf zog. »Den Rest können Sie hoffentlich allein«, meinte ich und bewunderte den hüpfenden Busen. Sie nickte, warf sich mir an den Hals und küßte mich. »Eins 69
muß man Tessa lassen. Sie hat einen guten Geschmack«, sagte Kathi Ruland grinsend. »Da könnte man direkt neidisch werden.« Ich hielt das Kleid und ließ Kathi hineinsteigen. Mit fliegenden Fingern beschäftigte ich mich mit den Miederschnüren. Schließlich ergriff ich Kathi Ruland am Arm und zog sie zur Tür. »Komm, wir mischen uns unter das Volk, bevor die Gräfin zurückkommt.« »Und wieso hauen wir nicht gleich ab?« »Weil ich mit dem Landgraf sprechen muß. Ich kann zwar nicht verhindern, daß ihn die Gräfin umbringt, aber vielleicht kann ich ein paar Leuten das Leben retten.« Wir kamen nicht mehr bis zur Tür. Kathi Ruland stieß einen Schrei aus, als die Zimmertür aufflog und gegen die Wand krachte. Auf der Schwelle stand Hildrun von Schleiwitz, die Vampirgräfin! Sie stieß ein wütendes Fauchen aus, und aus ihrem Oberkiefer ragten uns die gefährlichen Vampirhauer entgegen. * Tessa Hayden hatte keinesfalls vor, untätig im Hotel herumzusitzen und auf Marks Rückkehr zu warten. Mark hatte sich allein in die Höhle der Blutsauger gewagt, und niemand würde an seiner Seite kämpfen, wenn es hart auf hart kam. Natürlich konnte Mark selbst auf sich aufpassen. Das hatte er oft genug bewiesen. Aber einer Übermacht Vampire war selbst ein Kämpfer des Rings nicht gewachsen. Tessa wußte, daß Mark sie nur aus der Gefahrenzone heraushalten wollte, weil er die Gefährlichkeit der Vampire nicht unterschätzte. Aber sie würde Mark ein für allemal beweisen, daß sie im Kampf gegen die Kreaturen der Nacht auch ihre Frau stehen konnte. Tessa Hayden rief Ludwig Wiehert an und bat ihn, sie im Hotel Dippelshof abzuholen. Der Jäger war nur zu gern bereit, die Fahnderin zu unterstützen. »Darf man fragen, was Sie vorhaben?« bat er. »Zunächst fahren wir zur Polizei«, erklärte Tessa. »Ich brauche einige Dinge. Danach dürfen Sie mich bei der Burgruine absetzen, Herr Wiehert. Ich habe eine Verabredung mit ein paar Blutsaugern. Und mit etwas Glück kriegen Sie Ihren Sohn bald zurück.« 70
»Dann komme ich aber mit Ihnen.« »Auf gar keinen Fall. Ich möchte, daß Sie am Leben bleiben.« Ludwig Wiehert bewunderte die Frau an seiner Seite. Tessa hatte einige Mühe, sich mit der gewünschten Ausrüstung einzudecken. Die Kollegen waren nicht gerade sehr kooperativ. »Auf geht's!« wies sie Ludwig Wiehert an, der sie in seinem Geländewagen sofort zum Schloßberg fuhr. Als er den Subaru auf den Parkplatz unterhalb der Ruine lenkte, bemerkte er Mark Hellmanns BMW. »Ist Herr Hellmann auch hier oben?« fragte er. »Sicher. Er wollte sich hier umsehen. Aber er hat sich bis jetzt noch nicht gemeldet.« »Und wenn ihm was passiert ist? Soll ich nicht doch lieber.?« »Nein, Herr Wiehert. Sie können höchstens Verstärkung anfordern.« Tessa Hayden stieg aus und schaute zum Himmel. Dunkle Schneewolken ballten sich zusammen. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt. Tessa machte sich keine Illusionen. Wenn das letzte Licht des Tages verschwunden war, würden die Blutbestien aus ihren Löchern kriechen. Die Fahnderin zog ihre Pistole, die Mark ihr zurückgegeben hatte, und überprüfte die Ladung. Mark hatte die Silbermunition vorsichtshalber in der Waffe belassen. Entschlossen öffnete die Kommissarin die schwere Tasche mit der Ausrüstung. MPi, Stablampe und Tessas wichtigste Waffe im Kampf gegen die Fledermausbestien: ein Flammenwerfer! Tessa schnallte sich die Gasflasche auf den Rücken und schlang sich einen Stützriemen um die Körpermitte. Die Flasche ließ sich wie ein Rucksack tragen. Tessa schlang die MPi an einem Riemen um den linken Arm. Die Finger ihrer rechten Hand schlossen sich um den Griff der Feuerspritzdüse. Tessa ging in die Knie, nahm die Hallogenlampe auf und schaute an der düster erscheinenden Burgruine hoch. Tessas Kehle war wie zugeschnürt. Angst beschlich sie. Gräßliche Angst, die ihr Herz umklammert hielt. Trotzdem würde sie diesen Blutsaugern zuleibe rücken, sie in die Hölle zurückschicken oder einen grauenvollen Tod sterben. Die Kommissarin betrat zögernd die Burgruine. Alles war still. Nichts regte sich. Die Ruine wirkte wie ausgestorben. Durch den Innenhof gelangte Tessa zu den Nebengebäuden. Als sie den Seitentrakt betrat, durch den sie der Vampirkanzler in 71
den Turm geführt hatte, senkte sich die Dunkelheit über Burg Frankenstein. Der starke Strahl der Hallogenlampe wanderte über kahle Wände zu einer Treppe. Tessa fand den Weg, dem sie letzte Nacht schon einmal gefolgt war. Dumpf hallten ihre Schritte in dem alten Gemäuer wider. Schritt um Schritt näherte sich Tessa dem schmalen Durchgang, der in den Turm führte. Im Strahl der Lampe konnte sie die Wendeltreppe mit den ausgetretenen Stufen erkennen. Ihr Herz pochte. Ihr Atem beschleunigte sich. Sollte sie sich wirklich in das Nest der Fledermausbestien wagen? Kalter Schweiß stand auf Tessas Stirn. Sie spürte die Kälte nicht, die hier oben herrschte. Aber ihre Finger fühlten das kalte Metall des Flammenwerfers, strichen daran entlang. Ein Ruck ging durch Tessa Haydens Körper. Sie holte tief Luft, schloß die Augen und bewegte die Lippen in stillem Gebet. Dann beugte sie sich vor, glitt in den schmalen Durchgang und setzte den Fuß auf die erste Stufe der Wendeltreppe. »Okay, Freunde. Gleich wird euch Tessa mal so richtig schön einheizen!« Tessa schob sich die Treppe hinauf und erreichte den kleinen, terrassenartigen Hof, auf dem auch Mark vor kurzem gestanden hatte. Die Kommissarin betrat den Hof und schaute sich aufmerksam um, konnte jedoch keine Spur von ihm oder den Blutsaugern entdecken. Wie ein graues Tuch breiteten sich die schneebedeckten Bäume tief unter ihr aus. Tessa schaute zum Himmel. Es würde noch eine Weile dauern, bis der Vollmond sein Licht über die Burg warf. Falls er bei dieser Wolkendecke überhaupt schien. Als sich Tessa umdrehte, entfuhr ihr ein leiser Schrei. Neben dem Durchgang zur Wendeltreppe stand eine Riesenfledermaus! Die Bestie grinste sie mit ihrem geifernden Maul an. Die Fahnderin ließ es nicht auf einen Angriff der Höllenkreatur ankommen. Sie zog langsam die SIG Sauer aus dem Schulterhalfter und richtete sie auf den Blutsauger. »Ich glaube, du bist zur falschen Zeit am falschen Ort, mein Freund!« sagte Tessa ruhig. »Grüß mir die Hölle!« Die Blutbestie starrte Tessa an und begriff endlich die Worte der Frau. Aber da war es bereits zu spät. Als sich die Bestie der Fahnderin mit grellem Fauchen entgegenwarf, drückte sie bereits ab. Der Schuß peitschte über den nächtlichen Hof. Die Silberkugel 72
hieb mitten in die Brust der Bestie. Die Höllenkreatur wurde zurückgeworfen, heulte und verging. Tessa folgte der Wendeltreppe nach oben, gelangte in den Korridor mit den Wandteppichen und Gemälden. Das Hallogenlicht riß die Bilder aus der Dunkelheit. Tessa betrachtete erneut das Gemälde, auf dem ihre Freundin Kathi zwischen den Zuschauern zu sehen war. Verwundert schüttelte Tessa den Kopf und ließ den Lichtstrahl weiterwandern. Sie wollte dem Korridor folgen, als ihr Stiefel auf etwas Weiches trat. Tessa schaute nach unten. Ihr stockte der Atem. Vor ihr auf dem Boden lag ein Bündel Kleider, Mark Hellmanns Kleider! Daneben befanden sich eine Lampe und eine Pistole. Für Tessa war der Fall klar. Mark hatte eine Zeitreise unternommen, um Katharina zurückzuholen. Das bedeutete aber auch, daß Mark mit oder ohne Kathi wieder hierher zurückkehren würde. Und bis dahin mußten die Blutbestien vernichtet sein! Die Fahnderin eilte den Korridor entlang. Als sie die Hälfte des Gangs hinter sich gelassen hatte, tauchte vor ihr der Umriß einer Blutbestie auf. Die Kreatur der Hölle griff sofort an. Im Hallogenstrahl sah die Blutbestie so furchterregend aus, daß Tessa unwillkürlich zurückwich. Das Biest sauste mit weit aufgerissenem Rachen auf die junge Frau zu. Die Fahnderin riß die MPi hoch und zog den Stecher durch. Die Kugeln fetzten in das Monstrum, und fegten es von den Beinen. Tessa setzte sofort nach und rannte an der Bestie vorbei. Aber sie schaffte es nicht. Eine Klauenhand krallte sich um ihren Knöchel und hielt sie auf. Tessa wurde gegen die Wand geschleudert und versuchte, auf einem Bein das Gleichgewicht zu halten, während der Blutsauger sie zu sich heranzog. Mit Schrecken erkannte Tessa, daß sich die zerfetzte Fratze der Blutbestie wieder regeneriert hatte. Stinkender, modriger Atem wehte ihr aus dem Rachen des Vampirs entgegen. Unaufhaltsam zerrte die Riesenfledermaus Tessa nach vorn. Die Fahnderin schrie voll ohnmächtiger Wut, richtete die MPi nach unten und hielt den Abzug nieder. Die Geschoßgarbe stanzte Löcher in den Körper der Fledermaus, rüttelten ihn durch und trennte beinahe den schwingenbesetzten Arm vom Körper. Der Griff um Tessas Knöchel lockerte sich. Tessa riß sich los und warf der Bestie voller Wut die leergeschossene MPi in die Fratze. Mit Riesensätzen jagte Tessa den Korridor entlang, rammte 73
einen weiteren Blutsauger aus dem Weg, jagte die Holztreppe hoch und fand sich auf dem Flur mit den Turmzimmern wieder. Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, in welchem Zimmer sie die Geiseln gesehen hatte. Hinter ihr erklang furchtbares Fauchen und Kreischen. Die Blutbestien sammelten sich zum Angriff. Doch die Blutgier der Vampire kam Tessa diesmal zu Hilfe. Weit vor sich, am anderen Ende des Korridors, bemerkte sie zwei Riesenfledermäuse, die sich an einer Tür zu scharfen machten. Tessa jagte auf die dämonischen Kreaturen zu. Sie kam an, als die Tür aufschwang und die Bestien in den Raum stürzten. Von innen waren Schreie zu hören. Tessa sah, wie die beiden bluthungrigen Vampire ihre Opfer hochzerrten und zur Tür schleiften. »Aus eurem Festmahl wird heute nichts! Die Küche bleibt geschlossen!« stieß sie hervor. Die beiden Blutsauger wurden auf die Fahnderin aufmerksam. Sie stießen ein gellendes Kreischen aus, schleuderten ihre Opfer von sich und stürzten sich auf die Frau, die es gewagt hatte, ihnen ihre Opfer streitig zu machen. Tessa hielt die Pistole längst in der Hand und feuerte drauflos. Sie leerte das Magazin in die beiden Pelzkörper. Schwarzes Dämonenblut schoß aus den Wunden, die die Silbergeschosse gerissen hatten. Die beiden Vampire brachen zuckend zu Tessas Füßen zusammen. Tessa rannte zu den drei Gefangenen. »Seid ihr in Ordnung?« fragte sie hastig. Ein dunkelhaariges Mädchen nickte zögernd. »Gut. Gehen wir nach Hause.« Tessa zog Nicola Kubier auf die Beine und wandte sich dann Marion zu. »Toby! Da bist du ja! Wir dachten, sie hätten dich.« Nicolas Stimme brach plötzlich ab. Tessa Hayden wirbelte herum. In der Tür stand der blutüberströmte Tobias Möhler und lächelte kalt! * Der Junge sah furchtbar aus. Seine Kehle war eine einzige klaffende Wunde. Das Blut färbte die helle Hemdbrust rot. Lächelnd streckte Tobias Möhler seiner Ex-Freundin die Hand entgegen. Voller Schrecken erkannte Tessa, daß sich das Mädchen in höchster Gefahr befand. Sie selbst hatte miterlebt, wie der Junge von den Blutbestien zerfleischt worden war. Wenn 74
Nicola seine Hand ergriff, war sie nicht mehr zu retten. Nicola war froh, daß Toby den Blutsaugern entgangen war. Die Wunde an seinem Hals sah zwar schrecklich aus, aber Toby war am Leben! Die beiden langen Eckzähne, die sichtbar wurden, als Toby gierig den Mund öffnete, beachtete Nicola nicht. »Neeiinn!!« Tessa Haydens Schrei durchdrang das Turmzimmer. Toby Möhlers Kopf zuckte hoch. »Bleib weg von ihm!« schrie Tessa. »Er ist einer von ihnen!« Bevor Nicola Kubier die Worte der Polizistin begriffen hatte, war Tessa bereits heran. Ihr Stiefel traf den untoten Toby Möhler vor die Brust und stieß ihn aus dem Zimmer. Der Junge verwandelte sich sofort in eine Riesenfledermaus und fauchte aggressiv. Tessa setzte nach, wich jedoch sofort wieder in das Zimmer zurück. Auf dem Korridor drängten sich die Blutsauger. Sie wollten ihre Opfer! Tessa scheuchte die drei jungen Leute in die hinterste Ecke des Turmzimmers und zog sich ebenfalls zum Fenster zurück. Ihre Hand kroch zu dem Ventil an der Gasflasche auf ihrem Rücken, während sie die Tür im Auge behielt. Die Geräusche vor der Tür wurden lauter. Und dann kamen sie! Kreischend und fauchend huschten die Vampire in das Turmzimmer. Nicola und Marion schrien gellend auf und drängten sich hilfesuchend an Manni Wiehert. Immer mehr der haarigen Bestien schoben sich in den Raum. »Sechs, sieben, acht«, zählte Tessa entsetzt. Die Luft um die vorderste Fledermaus begann zu flimmern. Die haarige Gestalt wurde durchscheinend und verwandelte sich in den pomadisierten Kanzler von Maskowsky. »Sie kann uns mit ihren Schußwaffen keine Angst machen«, sagte der Kanzler mit seinem schmierigen Lächeln. »Es wäre besser für Sie, wenn Sie aufgäbe.« »Hättest du wohl gerne, Blutsauger!« »Es würde vieles vereinfachen. Sie muß doch einsehen, daß wir in der Überzahl sind. Und Ihr Tod wird viel schmerzhafter sein, wenn Sie auf dem Kampf besteht. Sie kann sich das Sterben erleichtern und in unsere Reihen eintreten. Die Gräfin würde sich freuen, Sie bei ihrer Rückkehr als Dienerin begrüßen zu dürfen.« »Deine Gräfin wird hier einen Haufen Asche vorfinden, wenn sie zurückkommt. Und ich werde auf sie warten und ihr die Beißer ziehen, Süßer.« 75
Der Kanzler blinzelte Tessa verwirrt an und richtete sich zu voller Größe auf. »Sie findet mich - süß?« Er blinzelte wieder. »Ein Grund mehr, Sie davon zu überzeugen, daß es besser ist, nachzugeben. Ich gestatte Ihr, für immer an meiner Seite zu bleiben. Gemeinsam werden wir zu den ersten Dienern der Gräfin. Süß! Ich bin entzückt!« »Laß das affige Gequatsche!« Tessa grinste den Vampirkanzler verführerisch an. Von Maskowsky drehte sich zu den Blutbestien um und nickte lächelnd. »Ihr habt es gehört. Aber der erste Schluck ihres süßen Blutes gehört mir!« Ruckartig nahm von Maskowsky den Kopf herum. Sein Gesicht war verschwunden und hatte der Fledermausfratze Platz gemacht. Der Vampir machte einen Schritt nach vorn und verwandelte sich blitzartig in eine Blutbestie. Er breitete die Schwingen aus und stürzte fauchend auf Tessa Hayden zu. Er stürzte mitten hinein in eine grelle Flammenzunge, die mit hellem Zischen aus der Düse des Flammenwerfers schoß! Das Fauchen des Vampirs verwandelte sich in angsterfülltes Kreischen. Die Flammen hüllten ihn ein, leckten an seinem Pelz, brannten Löcher in seine Schwingen. Durch die Flammen sah der Vampir das triumphierende Lachen auf Tessas Gesicht und wußte, daß er verloren hatte. Die Blutbestie warf den Kopf zurück und jaulte, aber es nützte ihr nichts. Einer lebenden Fackel gleich taumelte sie durch den Raum, prallte gegen ihre Artgenossen und fügte ihnen schwere Brandwunden zu. Tessa Hayden stieß einen Kampfschrei aus und sprang an der brennenden Höllenbestie vorbei. Sie aktivierte wieder den Flammenwerfer, ließ die Feuerlanzen aus der Düse schießen und setzte die Vampire in Brand. Dicht gedrängt standen sie und behinderten sich gegenseitig. Sie konnten den tödlichen Flammen nicht entgehen. Das Kreischen der sterbenden Vampire war ohrenbetäubend. Manche von ihnen versuchten, sich in ihre menschliche Form zu verwandeln, um so den Flammen zu entgehen, aber sie konnten dem gierigen, verzehrenden Feuer nicht entrinnen. Tessa fegte die brennenden Bestien mit Tritten aus dem Raum und auf den Korridor. Hier draußen erwischte sie zwei weitere Vampire, die den Flammenstrahlen nicht mehr ausweichen 76
konnten. »Kommt, verschwinden wir!« rief Tessa den drei jungen Leuten zu, die immer noch ängstlich in der Ecke kauerten. Zögernd kamen sie auf die Beine und verließen den Raum. Dabei betrachteten sie die brennenden Blutsauger voller Abscheu. Marion schluchzte, als sie in einer der brennenden Fledermäuse Tobias Möhler erkannte. Tessa Hayden führte ihre drei Schützlinge zur Holztreppe und von dort in den nächsten Korridor. Nachdenklich betrachtete Tessa das Kleiderbündel auf dem Boden und fragte sich, wann Mark zurückkehren würde. Tessa drückte Manni Wiehert die Hallogenlampe in die Hand. »Ihr bleibt zusammen. Falls wir getrennt werden, geht ihr über die Wendeltreppe nach unten. Wenn ihr einen schmalen Durchgang in der Turmwand findet, folgt ihm. Ihr kommt dann auf den Innenhof. Alles klar?« Manni nickte und knipste die Lampe an. Tessa drehte sich um und betrat die Wendeltreppe. Langsam schritt sie vor ihren drei Begleitern nach unten. Sie erreichten den Durchlaß zur Hofterrasse. Die bleiche Hand, die aus dem Dunkel hervorschoß, nahm Tessa nur schemenhaft wahr. Dafür spürte sie die kalten, harten Finger um so deutlicher, die sich um ihre Kehle krallten. »Wo willst du denn hin, mein Täubchen?« hörte Tessa eine bekannte Stimme. Eine ungeheure Kraft hob die Fahnderin hoch und schleuderte sie gegen die Wand. Manni und die beiden Mädchen wichen erschrocken zurück. Im Lichtkegel der Hallogenlampe trat eine schwarze Gestalt auf die Wendeltreppe, ergriff die Spritzdüse des Flammenwerfers und verbog sie mühelos. »Ihr werdet wohl weiterhin meine Gäste bleiben müssen«, sagte Gräfin Hildrun von Schleiwitz und lachte höhnisch. Augenblicke später überstürzten sich die Ereignisse! * Ein gehässiges Grinsen umspielte die vollen Lippen der Vampirgräfin. »Du bist schlauer, als ich gedacht hatte, mein Kind. Kaum läßt man dich einen Moment allein, betörst du einen 77
Burschen, der dir zur Flucht verhelfen soll. Trotzdem bist du nicht schlau genug.« Die Gräfin wurde schlagartig ernst. »Du wirst diesen Raum nicht verlassen, Bursche«, prophezeite sie. »Bin aber schon dabei, Gräfin. Machen Sie mal eben Platz, bevor ich unhöflich werde.« Ich zog Kathi Ruland mit mir, schob die verdutzte Vampirin zur Seite und Kathi aus der Tür. Schwer legte sich die kalte Hand der Gräfin auf meine Schulter und hielt mich zurück. »Du hast Mut, Bursche. Es ist wirklich schade um dich. Leute wie dich könnte ich gut in meinem Gefolge gebrauchen.« Sie warf mich herum. »Paß gut auf, mein Kind, was mit ihm geschieht.« Die Blutgräfin leckte über ihre Lippen, öffnete weit den Mund und senkte ihre Hauer zu mir nieder. Ich spürte bereits die Kälte, die ihr Gesicht abstrahlte, auf meiner Haut. Der Griff an meinem Kopf lockerte sich. Im letzten Augenblick warf ich den Kopf herum und rammte meine Stirn mit aller Kraft in das bleiche Gesicht der Vampirin. Ich ließ das Knie hochsausen und donnerte es ihr in den Leib. Ein überraschtes Gurgeln drang aus der Kehle der Untoten, als sie nach hinten taumelte und über einen Stuhl fiel. »Sie müssen sich eine andere Mahlzeit suchen, Gräfin. Ich stehe nicht zur Verfügung!« sagte ich, folgte Kathi nach draußen und rannte mit ihr zur Treppe. Hinter uns erscholl ein fürchterliches Gebrüll. Diener und Gäste stürzten auf den Korridor. »Lauf!« raunte ich Kathi Ruland zu. »Wir müssen zum Empfangssaal und uns unter die Gäste mischen.« Wir hasteten die Treppe hinunter, vorbei an verdutzten Gästen, die uns befremdliche Blicke zuwarfen und über soviel Mangel an Etikette den Kopf schüttelten. Immer mehr Gäste und Bedienstete kreuzten unseren Weg. Ich hielt Kathi zurück und schritt mit ihr gemächlich die breite Treppe hinunter, bis wir in die Eingangshalle gelangten. Von hier aus begaben sich die eintreffenden Gäste in den Saal, in dessen Mitte eine Tafel aufgebaut worden war. Hochlehnige Polsterstühle standen bereit, doch noch hatte niemand Platz genommen. Ich schob Kathi vor mir her. Das Kristall der vier riesigen Lüster glitzerte. Das polierte Parkett knarrte unter unseren Schritten. Überall standen die erlauchten Damen und Herren der feinen Gesellschaft in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich. Bedienstete reichten ihnen Getränke. Auch Katharina und ich 78
bekamen Wein gereicht. Anfangs hatte ich die Befürchtung gehabt, daß uns einige Gäste in ein Gespräch verwickeln könnten. Ich wollte deshalb unbedingt vermeiden, daß wir mit den übrigen Gästen in Berührung kamen, und zog mich mit Kathi in die hinterste Ecke des Saales zurück. Aber meine Sorgen waren unbegründet. Kaum jemand schenkte uns Beachtung. Wir waren offenbar nicht elegant genug gekleidet. Lautes Klatschen ertönte. Das Gemurmel der Gäste verebbte. »Meine verehrten Herrschaften! Wir bitten allseits um geschätzte Aufmerksamkeit!« Die laute Stimme eines älteren Bediensteten war vom Eingang her zu hören. »Mit großem Respekt präsentieren wir den Ehrengast des heutigen Abends - Ihre Durchlaucht Gräfin Hildrun von Schleiwitz!« Alle Gäste wandten sich dem Eingang des Saals zu, und wir taten es ihnen nach. Und dort, in dem breiten Durchgang, stand sie, die schmale, pechschwarz gekleidete Gestalt der Vampirgräfin! Ihre dunklen Augen bedachten die Anwesenden mit kaltem Blick. Der Anblick ihres bleichen Gesichts mit den dunklen Augenrändern mußte erschreckend auf die Gäste wirken. Die Anwesenden schienen den Atem anzuhalten. Einige Damen schwankten am Rand der Ohnmacht und fächerten sich Luft zu. Der Empfangschef klatschte wieder in die Hand. »Unsere Durchlaucht, Landgraf Ernst Ludwig!« verkündete er. Der Landgraf, ein kleiner, rundlicher Mann in goldbrokatverzierter Kleidung betrat neben der Gräfin den Saal, verneigte sich zu ihr hin und reichte ihr die Hand, um sie zur Tafel zu geleiten. Ehrfürchtig verneigten sich die Gäste und wichen zurück, als Landgraf Ernst Ludwig mit seinem Ehrengast an ihnen vorüberschritt. Der Ankündigung des Kanzlers von Maskowsky schenkte kaum jemand Beachtung. Wie ein Popanz tanzte der Kanzler im Eingang des Saales herum und hob seinen Spazierstock zum Gruß. Es dauerte einige Minuten, bis er bemerkte, daß ihm kaum jemand einen Blick gönnte. Das Lächeln auf seinem gepuderten Gesicht wurde noch breiter, um seine Enttäuschung zu verbergen. Er verneigte sich und tänzelte zur Tafel, um gegenüber der Gräfin Platz zu nehmen. Etliche Barone und Grafen besetzten die Stühle rund um die Tafel. Zusammen mit anderen Gästen aus dem hinteren Teil des 79
Saales drängten Katharina und ich nach vorn, um einigermaßen gute Sicht auf die Tafel zu haben. »Meine verehrte Gräfin«, begann der Landesherr. »Es ist mir eine besondere Ehre, Sie heute in meinem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen. Sie hatte hoffentlich eine angenehme Reise und ist nicht zu erschöpft, um Ihre Kunst zum besten zu geben.« »Ich freue mich schon darauf, Graf.« »Darf man fragen, wie Frau Gräfin mit Ihrem Logis zufrieden ist?« beteiligte sich der Kanzler an dem Gespräch. »Ich hatte noch nicht viel Gelegenheit, die Annehmlichkeiten des Gasthofs Zum Engel zu genießen, mein lieber Kanzler. Aber ich bin sicher, daß Er eine besonders angenehme Unterkunft für mich bereitgestellt hat.« Von Maskowsky senkte verlegen den Kopf. Er fühlte sich geschmeichelt. Landgraf Ernst Ludwig nickte einem Diener zu. Gleich darauf wurden erlesene Köstlichkeiten aufgetragen. Die Gäste hielten sich nicht zurück und machten sich mit wahrem Feuereifer über die Speisen her. Ich beobachtete die Gräfin. Sie nippte an ihrem Weinglas und begnügte sich mit etwas Obst. Ich wunderte mich nicht. Schließlich gierte sie nach frischem Menschenblut, nicht nach knusprigen Hähnchen. »Frau Gräfin werden meine Neugier verzeihen, aber wir wissen so wenig von Ihr. Der Name von Schleiwitz hat einen bestimmten Klang. Mag es sehr indiskret sein, zu fragen, woher Sie stammt?« fragte der Landgraf zwischen einigen Bissen. »Aber ganz und gar nicht, Durchlaucht. Der Name entstammt preußischem Adel. Meine Familie lebte auf einem Rittergut in der Nähe von Freudenberg. Es waren schöne Jahre dort, bis.« Sie unterbrach sich. Mir war aufgefallen, daß sie nur in der Vergangenheit gesprochen hatte. Ich schloß daraus, daß sie der letzte Sproß ihrer Familie war. Falls andere Familienmitglieder ebenfalls Geschöpfe der Finsternis gewesen waren, ging ich davon aus, daß sie nicht mehr existierten. »Aber ich will Ihn nicht mit alten Familiengeschichten langweilen«, fuhr die Gräfin fort. »Sprechen wir lieber von Seinem Land.« Landgraf Ernst Ludwig schilderte stolz die Vorzüge seines Landes. »Sagen Sie, Durchlaucht, diese Ruine wenige Meilen von hier. 80
Warum wird sie nicht genutzt?« - Ich horchte auf. Mich interessierte, was die Gräfin mit ihrer Frage bezweckte. Der Landgraf machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich weiß schon. Sie meint Burg Frankenstein. Dieses alte Gemäuer nützt niemandem mehr. Nur Fledermäuse und Wölfe geben sich dort ein Stelldichein. Die Leute meiden den Ort. Sie sagen, er sei verrufen, aber das ist nur Dorfgewäsch. Warum fragt Sie?« »Die Burg erinnert mich an das Rittergut derer von Schleiwitz«, antwortete die Vampirin zögernd. »Sie ist genauso düster und hat eine unheilschwangere Aura. Ich denke, ich werde die Burg einmal besuchen.« Dieser Gedanke leuchtete mir ein, denn die Burgruine bot einen hervorragenden Unterschlupf für Geschöpfe der Nacht. »Das steht Ihr selbstverständlich frei. Aber es empfiehlt sich, bewaffneten Schutz mitzunehmen. Sie könnte von wildem Getier angefallen werden.« Der Landgraf klang besorgt. Die Vampirgräfin lächelte. »Ich liebe alte Gemäuer. Sie haben etwas - Unheimliches.« »Womit Sie selbst den Grund Ihres Besuches angesprochen hat«, mischte sich der Kanzler wieder ein. »Sie versteht sich auf die Schwarzen Künste, nicht wahr?« Die Blutsaugerin warf dem Kanzler einen stechenden Blick zu. »Nicht auf die Schwarzen Künste, mein lieber Kanzler. Ich bin keine Alchimistin und schon gar keine Hexe. Aber ich bin in die Geheimnisse des Übernatürlichen eingeweiht.« Ein hitziger Disput entwickelte sich. Es stellte sich heraus, daß sich der Kanzler ebenfalls mit dem Übersinnlichen beschäftigte. Unterdessen hatte sich der Landgraf gesättigt. Ein Diener reichte ihm eine Kristallschüssel mit Wasser, damit er seine Finger säubern konnte. Ernst Ludwig erhob sich. »Man möge uns für einen Moment entschuldigen. Wir hoffen, der Disput zwischen Frau Gräfin und dem Kanzler dauert nicht allzu lange.« Landgraf Ernst Ludwig verneigte sich kurz und verließ hastig den Saal. Das war die Gelegenheit! Ich schob mich hinter der Tafel und den Zuschauern vorbei und huschte ebenfalls aus dem Saal. Ich erhaschte einen Blick auf den Landgraf, der eine schmale Treppe emporstieg. Sofort folgte ich ihm. Er betrat eine kleine Kammer, in der eine Liege, ein Waschtisch und eine Frisierkommode standen. 81
Ich flitzte hinter dem Landesherrn in die Kammer und drückte die Tür ins Schloß. Ernst Ludwig streckte die Hand nach der Klingel für seinen Leibdiener aus. »Ich würde an Seiner Stelle nicht läuten, Durchlaucht«, sagte ich ruhig. Der dickliche Graf wirbelte herum. »Was erdreistet Er sich? Wie kommt Er in diese Kammer? Und wer ist Er überhaupt?« »Markus von Hellmann«, stellte ich mich vor. »Ich komme von weit her, um Ihn zu warnen.« »Von Hellmann?« sinnierte der Graf. »Nie gehört, den Namen. Wir können uns nicht entsinnen, Ihn eingeladen zu haben!« »Er muß sich vor der Gräfin hüten. Sie bedeutet Unheil, Durchlaucht!« sagte ich eindringlich. Ich konnte ihm zwar schlecht sagen, daß er noch knapp acht Jahre zu leben hatte, aber ich mußte ihn zumindest vor der Gefährlichkeit der Gräfin warnen. »Was will Er mir einreden? Lasse Er mich mit diesem Unsinn zufrieden und verlasse Er diese Kammer!« »Durchlaucht, ich kenne die Gräfin. Sie wird den Tod des Kanzlers voraussagen und ihn auch herbeiführen. Und morgen wird es der Tod einer anderen Person sein! Ich rate Ihm dringend, sich von der Gräfin fernzuhalten. Und desgleichen soll Er Menschen von ihr fernhalten, die Ihm am Herzen liegen.« Der Landesherr lachte. »Er ist von Sinnen. Wir sind nicht bereit, noch länger Seinem Gewäsch zu lauschen. Wir lassen Ihn hinauswerfen!« »Halte Er ein, Durchlaucht!« stoppte ich ihn, als er wieder zur Klingel greifen wollte. »Ich kann nicht verhindern, was in dieser Nacht und bei den folgenden Besuchen der Gräfin geschieht. Aber lasse Er sich gesagt sein, daß die Gräfin das Böse schlechthin verkörpert. Sie ist - ein Vampir. Eine Untote!« Endlich war es heraus. Der Landgraf lebte in einer Zeit, in der die Menschen abergläubisch waren. Ernst Ludwig blinzelte mich verwirrt mit seinen kleinen Augen an. »Ein Vampir? Eine Untote? Mensch, Er weiß nicht, was Er redet! Sein Geist ist verwirrt! Pack Er sich fort, ehe wir Ihn einsperren lassen!« Ich verneigte mich kurz. Mehr konnte ich nicht tun. »Ich habe Ihn gewarnt«, sagte ich kurz. »Hüte Er sich vor der Gräfin!« Mit diesen Worten riß ich die Tür hinter mir auf, sprang aus dem Zimmer und eilte die Treppe hinunter. Unbemerkt erreichte ich den Saal und mischte mich unter die Gäste. 82
»Hast du mit dem Grafen gesprochen?« fragte Kathi leise, als ich sie am Rücken berührte. »Ja. Er hat mir natürlich nicht geglaubt. Wir müssen vorsichtig sein. Sobald die Gräfin den Tod des Kanzlers verkündet hat, verziehen wir uns!« * Die Tafel war abgeräumt worden. Nur Kristallgläser, in denen der Wein funkelte, standen noch auf dem Tisch. Der Landgraf erschien mit hochrotem Kopf im Saal und sprühte vor Wut. Er bewahrte jedoch Haltung. Hildrun von Schleiwitz schaute sich in der Runde um und nickte. »Wollen wir mit dem Spiel beginnen?« fragte sie und erntete zustimmendes Gemurmel. Sie wies die Gäste am Tisch an, sich bei den Händen zu halten. Ich beobachtete, wie sie einigen Mumpitz abzog. Die Blutsaugerin las die Gedanken der Anwesenden, offenbarte ihnen Tatsachen aus ihrem Familienleben, sprach mit längst Verstorbenen und sagte die Zukunft voraus. Beifall brandete auf. Kanzler Von Maskowsky erhob sich. »Durchlaucht. Frau Gräfin. Ich muß mich entschuldigen, aber dringende Geschäfte bedürfen meiner Aufmerksamkeit. Ich bedaure, mich nicht noch weiter Frau Gräfin widmen zu können.« »Ein netter Mensch«, sagte Hildrun von Schleiwitz leise. »Es ist nur bedauerlich, daß er den morgigen Tag nicht mehr erleben wird.« Betretenes Schweigen herrschte. Sogar der Landgraf war bei den Worten der Gräfin erblaßt. Die Vampirgräfin erhob sich, verließ die Tafel und folgte dem Kanzler nach draußen. Bewegung kam in die Gäste. Alles redete durcheinander. Ich nahm Kathi beim Arm. »Wir müssen ihr nach!« zischte ich und zog die Kommissarin mit mir. In der Eingangshalle war nichts vom Kanzler oder der Vampirin zu sehen. Wir rannten zum Hauseingang. Von links hörte ich ein scharrendes Geräusch, leises Stöhnen und dumpfes Gepolter. Sofort wandte ich mich in diese Richtung. Ich hastete um eine Ecke - und sah sie! Der Kanzler lag halb auf dem Boden und halb auf einer Stiege. 83
Tief über ihn gebeugt kauerte die Vampirgräfin. Als sie unsere Schritte hörte, richtete sie sich auf. Ihr Gesicht war blutverschmiert. Ihre Zunge leckte die Blutstropfen von den Vampirzähnen. Von Maskowskys Hals und seine Brust waren blutbesudelt. Die Vampirin fauchte uns an und wischte sich das Blut vom Mund. Dann drehte sie sich um und schrie um Hilfe. Wortlos riß ich Katharina herum und rannte mit ihr zum Hauseingang. Im Saal waren die Schreie der Vampirin gehört worden. Ein Diener sah die Bescherung und meldete dem Landesherrn lautstark, daß Kanzler von Maskowsky vermutlich einen Blutsturz erlitten hatte. Wir hatten die Eingangshalle gerade durchquert, als der Landgraf aus dem Saal stürzte und uns erblickte. »Da ist er!« brüllte er und deutete auf mich. »Das ist der Bursche, der sich hier eingeschlichen hat! Nehmt ihn fest!« Die Wachen vor dem Eingang wurden aufmerksam, aber ich war zwischen ihnen, bevor sie etwas unternehmen konnten. Meinen Tritten und Schlägen hatten sie nichts entgegenzusetzen. Auch Katharina teilte reichlich Schläge aus. Mit langen Schritten hetzten wir über den Vorplatz. Uns blieb nur eine Möglichkeit zur Flucht. Ich stürzte auf eine Kalesche zu, warf mich auf den Kutschbock und schwang die Peitsche, während sich Katharina in den Wagen fallen ließ. Das Pferd wieherte schrill und sprang los. In wilder Fahrt rasten wir über den Marktplatz. Ich hatte Mühe, die Gewalt über das Pferd zu erlangen. Soldaten feuerten ihre Musketen auf uns ab. Die großen Bleikugeln pfiffen an mir vorbei. Einige Kugeln fetzten Löcher in das Holz der Kutsche. Wie irr jagte das Pferd über den Marktplatz. Wir fuhren Schlangenlinien. Die Schüsse verstärkten die Nervosität des Gauls. Mein Ring begann zu glimmen. Ich hatte Katharina Ruland gefunden und aus dem Haus gerettet, in dem man sie gefangengehalten hatte. Mein Auftrag war erledigt. Die automatische Rückkehr in unsere Zeit stand kurz bevor. Die Kalesche raste auf eine schmale Seitenstraße zu. Schießend und schreiend rannten die Wachtposten hinter uns her. Das Tier wieherte schrill und scheute vor der dunklen Straße. Im letzten 84
Moment warf es sich nach links, um eine neue Ehrenrunde über den Marktplatz zu drehen. Aber wir waren zu schnell und zu dicht an der Einfahrt zur Seitenstraße gewesen. Die Kalesche schlitterte, prallte voller Wucht gegen eine Hausecke und kippte um. Katharina Ruland schrie. Ich hatte das Unglück kommen sehen und war abgesprungen, bevor der Wagen gegen das Haus knallte. Hart kam ich auf, rollte mich ab und war im nächsten Augenblick bei dem zertrümmerten Wagen, um der Kommissarin herauszuhelfen. Kathi Ruland schwankte etwas, als sie auf den Boden sprang. Eilige Schritte näherten sich. Die Wachtposten kamen mit ihren Musketen und aufgepflanzten Bajonetten auf uns zu. Der Ring sandte ein grelles Leuchten aus. Ich umfaßte Katharina und drückte ihren Kopf gegen meine Schulter. Die Luft begann zu flimmern. Sphärenklänge übertönten die Schritte der heraneilenden Soldaten. Das Drachenmaul öffnete sich weit. * Ich spürte den eiskalten Boden unter mir. Es war stockdunkel um mich herum. Irgendwo glaubte ich leise Stimmen zu hören, die wie in einem Gewölbe hallten. Mein Blick versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. Schwach zeichneten sich die Umrisse von Kathi Rulands nacktem Körper neben mir ab. Sie hatte beide Arme um ihren Leib geschlungen und bibberte vor Kälte. Ich schaute nach oben, erkannte rauhe Wände und Bilder, die sich als dunkle Umrisse darauf abzeichneten. Und plötzlich wußte ich, wo wir waren. In dem Korridor auf Burg Frankenstein, wo ich meine Zeitreise angetreten hatte! Ich stand auf und ging einige Schritte nach links. Mein Fuß stieß an das Kleiderbündel, das ich bei meiner Reise zurückgelassen hatte. Ich knipste die Stablampe an und leuchtete zu Kathi hinüber. Sie zitterte und klapperte mit den Zähnen. Aber sie lächelte auch. »Nicht übel, was man da zu sehen bekommt«, sagte sie. »Tessa hat mit dir wirklich einen Volltreffer gelandet.« »Könnt ihr Frauen eigentlich auch mal an was anderes 85
denken?« fragte ich grinsend und warf Kathi Socken, Pulli und Jacke zu. »Zieh das an. Ich bringe dich runter zu meinem Wagen und ins Hotel zu Tessa. Was du jetzt brauchst, ist eine heiße Dusche.« Rasch streifte ich Hemd, Hose und Stiefel über. »Du weißt also, wo wir sind?« kam Kathis Frage. »Klar doch. Auf Burg Frankenstein. Bist du soweit?« Kathi nickte und kam zu mir. Gemeinsam gingen wir zur Wendeltreppe. Im Vorbeigehen leuchtete ich das Gemälde an, auf dem die Vampirgräfin an der Tafel saß. Mit Genugtuung bemerkte ich, daß Katharina Ruland aus dem Gemälde verschwunden war. Ich stützte die zitternde Kommissarin, als wir die Stufen hinabstiegen. Plötzlich stutzte ich. Im Strahl der Lampe sah ich drei junge Leute, die sich ängstlich gegen die Turmwand drückten und vor etwas zurückzuweichen schienen. Blasse Gesichter schauten zu uns hoch. Als ich die Stimme hörte, stellten sich mir die Nackenhaare. »Ihr werdet wohl weiterhin meine Gäste bleiben müssen«, sagte die Stimme. Es war die Stimme der Vampirgräfin! Maßlose Wut erfüllte mich. »Bleib hier!« flüsterte ich Kathi zu und jagte die Stufen hinunter. »Ihr habt mich gerufen, aus meinem jahrhundertelangen Schlaf geweckt. Ich bin euch dankbar dafür und werde euch ewiges Leben schenken. Gemeinsam werden wir dieses Land beherrschen! Diese Burg wird neu erstehen, wird zum blühenden Wahrzeichen des Landes werden. Ich, Hildrun von Schleiwitz, werde ein Heer befehligen, dem niemand gewachsen ist. Die Macht der Finsternis wird stärker denn je zuvor sein!« »Hier irrst du, Blutsaugerin!« sagte ich und trat hinter die Vampirgräfin. Ihr Kopf ruckte herum. Hell leuchtete ihr bleiches Gesicht im Lichtschein. »Du!« schrie sie. »Du wagst es, mir auch hier in die Quere zu kommen!« Der Siegelring an meinem Finger spielte verrückt. Gleißendes Licht strahlte von ihm ab. Er prickelte und erhitzte sich. Die Nähe der Dämonin ließ ihn derart reagieren. Der Blick der Vampirin fiel auf meine Hand. »Dieser Ring! Ich kenne ihn! Du bist der Kämpfer des Rings! Verflucht seist du, Mark Hellmann!« »Mark!« rief Tessa Hayden, die sich hinter der Vampirgräfin 86
befand. »Ich habe ihre Blutbestien erledigt! Sie ist allein, hörst du?« Mit einem irren Wutschrei packten die bleichen Hände der Blutsaugerin zu. Sie riß Tessa nach vorn und warf sie gegen die Wand. »Sei still! Ich werde diesen überheblichen Burschen in seine Schranken verweisen und mich dann mit dir beschäftigen. Sag, Hellmann, hast du das Täubchen mitgebracht, das ich zu meiner Stellvertreterin erkoren hatte?« Ich gab ihr keine Antwort. Hildrun von Schleiwitz schubste Tessa zu mir und lachte schrill. Ich konnte Tessa nicht festhalten. Sie wurde gegen die drei jungen Leute geschleudert. Die schwere Gasflasche auf ihrem Rücken verhinderte, daß sie das Gleichgewicht wiedererlangte. Mit metallischem Klappern rollte Tessa die Wendeltreppe hinab. »Dafür schicke ich dich in die Hölle, Blutsaugerin!« knurrte ich. Die Vampirin zog sich durch die Nische auf den Hof zurück, den ich bei meinem ersten Besuch auf Burg Frankenstein betreten hatte. Ich reichte die Lampe an die drei verängstigten Jugendlichen weiter und folgte der Vampirgräfin nach. Dicke Schneewolken bedeckten den Himmel. Ab und an schien fahles Mondlicht durch einige Wolkenfetzen. Die Vampirin reckte ihr bleiches Gesicht zum Himmel. »Ich liebe das Mondlicht. Es gibt mir Kraft, um dich in die Knie zu zwingen und dein Blut zu trinken, Hellmann!« »Paß auf, daß du dir nicht den Appetit verdirbst«, gab ich kühl zurück. Hildrun von Schleiwitz senkte den Kopf und schaute mich lange an. »Mutige Worte, Mark Hellmann! Aber du kannst nicht gegen mich gewinnen. Du hast keine Waffen außer deinem Ring, und ich glaube kaum, daß du mich damit schlagen kannst. Gib auf und knie vor mir. Damit erkaufst du dir einen schnellen Tod.« »Ich hatte dir eine Höllenfahrt versprochen, Blutsaugerin. Es wird Zeit, daß du sie antrittst.« Die Vampirgräfin leckte sich über die Lippen und senkte den Kopf. »Armer Narr! Du wirst mich um Gnade anwinseln!« Ruckartig hob die Untote den Kopf wieder - und zeigte mir ihr wahres Gesicht! Ich sah die Falten und Runzeln auf ihrer Haut, die leuchtend gelben Augen, die spitzen Ohren und die grauenhaften Reißzähne. Die Fingernägel waren zu langen Krallen geworden, 87
mit denen sie wild durch die Luft wischte. »Du bist verloren, Hellmann! Ich werde dein Blut genießen!« Im selben Augenblick zerriß die Wolkendecke. Helles Mondlicht überflutete den Hof und strahlte die Schreckensgestalt der Vampirgräfin an. Die Vampirin stieß einen Triumphschrei aus und tankte Kraft. Ich durfte nicht länger warten, sonst war ich ihr tatsächlich ausgeliefert. Aus dem Stand jagte ich los. Bevor ich sie erreichte, sprang ich hoch und rammte ihr beide Füße vor die Brust. Die schlanke Gestalt der Gräfin wurde zurückgeworfen und knallte gegen die Einfassungsmauer. Ich setzte nach, packte sie an ihren struppigen Haaren und riß sie nach vorn, direkt in mein hochschießendes Knie. Knochen knirschten. Ich zerrte die Untote herum und warf sie gegen die Außenwand des Turms. Es machte ihr nichts aus. Sie prallte sogar wie eine Gummipuppe von der Wand ab und flog auf mich zu. Ich wollte ihr ausweichen, aber sie erwischte mich trotzdem. Ihre bleiche Klaue krallte sich um meinen Hals. Mühelos hob sie mich hoch. »So leicht ist es, Mark Hellmann, mit einem Menschenwesen fertigzuwerden. Und mag es noch so mutig und gewandt sein!« fauchte sie. Ich schlug um mich, doch der Druck um meinen Hals nahm zu. Das Blut begann in meinen Ohren zu rauschen. Die Vampirin kannte keine Gnade. Sie schleppte mich vor sich her, marschierte im Hof herum und geiferte. Es war ein richtiger Triumphmarsch. Ich hieb meine Faust in ihre Fratze, bis meine Fingerknöchel bluteten. Eine schwarze Zunge schoß aus ihrem Maul und leckte über meine Hand. »Du schmeckst gut, Hellmann! Dein süßes Blut treibt mich zur Raserei. Machen wir Schluß mit dem Spiel. Mich dürstet!« Da wußte ich, was ich zu tun hatte. »Eine Frage noch, Gräfin«, krächzte ich. »Was hast du mit Landgraf Ernst Ludwig gemacht? Du bist doch auch für seinen Tod verantwortlich, oder?« »Der alte Narr«, spie die Vampirin verächtlich. »Ich machte ihn zu meinem Gefolgsmann, wie ich es mit seinem Kanzler getan hatte. Aber Ernst Ludwig wollte mir die Macht streitig machen. Er versuchte, meine Blutbestien gegen mich aufzuwiegeln.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich war gezwungen, mich von ihm zu 88
trennen.« »Wieso hast du dich hierher zurückgezogen? Wieso hast du nicht schon damals unter der Bevölkerung gewütet und dein Vampir-Heer aufgestellt?« »Eine kleiner Disput mit dem Herrn der Finsteren Mächte. Wir waren damals nicht einer Meinung. Er befand es für richtig, daß ich mich eine Weile zurückzog.« Sie lachte. »Wenn mich diese jungen Leute mit ihrem dummen Spiel nicht geweckt hätten, würde ich vermutlich noch immer schlafen.« Ich richtete mich auf und ging langsam im Halbkreis um sie herum. Sie folgte meinen Bewegungen und kam mit dem Rücken zur Umfriedungsmauer zu stehen: »Es wird Zeit, daß du von dieser Welt verschwindest, Blutsaugerin. Und zwar für immer.« Ich holte tief Luft, stieß einen Kampfschrei aus und rannte los. Mein Körper prallte mit voller Wucht gegen die Vampirgräfin. Gemeinsam taumelten wir nach hinten. Ich konnte nur hoffen, daß ich die richtige Stelle ausgesucht und genug Schwung genommen hatte. Die Gräfin stieß mit den Knien gegen die Umfriedungsmauer. Ich hielt sie umklammert und verhinderte, daß sie sich abstützen konnte. In dem Augenblick, bevor unsere Körper das Übergewicht bekamen, erkannte die Untote meine Absicht und schrie mir ihre Wut ins Gesicht. Aber es war zu spät. Eng umschlungen stürzten wir über die Mauer und dem Winterwald entgegen. Ich hielt den Körper der Vampirin an mich gepreßt. In ihrer Angst vergaß sie, mich zu beißen. Wir überschlugen uns einmal in der Luft. Ich sah die Bäume auf uns zurasen. Dazwischen ragte uns der zersplitterte Stamm einer Tanne entgegen, den ich von oben bemerkt hatte. Ich ließ die Blutsaugerin los und wuchtete mit einer gewaltigen Anstrengung meinen Körper nach rechts. Zweige peitschten mir ins Gesicht und gegen den Hals. Äste krachten unter meinem Gewicht. Ich rasierte am Stamm einer Tanne entlang, prallte hart gegen einige starke Äste, überschlug mich wie auf einem Reck und prallte dumpf auf den Waldboden. Schnee rieselte auf mich herab. Über mir hörte ich ebenfalls brechendes Geäst und einen Schrei, den die Vampirgräfin ausgestoßen hatte. Dann war alles ruhig.
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* Sie trafen wenig später bei mir ein. Tessa stürzte auf mich zu und richtete mich auf. »Bist du okay? Hast du Schmerzen?« fragte sie besorgt. »Nur wenn ich lache«, stöhnte ich. »Aber man muß ja alles mal mitgemacht haben.« »Wir sollten ihn ins Krankenhaus bringen«, hörte ich Kathis Stimme. »Wahrscheinlich hat der Kopf was abbekommen.« Ich schaute hoch. In eine graue Wolldecke eingehüllt, stand Kommissarin Ruland hinter Tessa und grinste mich an. »Wie kommt ihr denn so schnell hierher?« fragte ich. »Jedenfalls nicht freiwillig.« Sie deutete über die Schulter. »Wir haben uns abgeseilt, um schneller bei dir sein zu können. Kommissar Volkerts war so freundlich, mit Verstärkung hier anzutanzen. Er kam in dem Augenblick, als du mit der Vampirin zugange warst. Wo ist sie eigentlich?« Ich kam auf die Füße und schaute mich um. Nicht weit entfernt sah ich den zersplitterten Tannenstamm. »Habt ihr eine Lampe dabei?« fragte ich. Tessa reichte mir ihre Hallogenlampe. Ich richtete den Strahl zwischen die Bäume und auf die Äste, aber nirgends deutete etwas auf den Verbleib der Vampirin hin. »Sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!« stöhnte ich. Ich ging zurück und hielt Tessa die Lampe hin, als über mir ein lautes Knacken ertönte. Eine kalte, bleiche Hand legte sich auf meine Schulter. Tessa und Kathi stießen einen schrillen Schrei aus. Ich wirbelte herum, trat zur Seite und leuchtete nach oben. Über einem schenkeldicken Ast hing der Körper der Vampirgräfin. Jeder Normalsterbliche hätte sich in dieser Lage das Rückgrat gebrochen, aber bei Vampiren war das anders. Ihre Arme und der Kopf hingen nach unten. Ihr Gesicht war mir zugewandt. Die Runzeln und Furchen hatten ihre Haut verlassen. Sie war wieder schön wie einst. Und sie lächelte. »Du hast es also doch geschafft, Hellmann«, sagte sie leise. »Man nennt dich wohl zu Recht den Kämpfer des Rings.« Die Vampirin bäumte sich auf. Jetzt erst sah ich den abgebrochenen Ast, der aus ihrer Brust ragte. Ein Zittern ging durch ihren zierlichen Körper. Ein friedlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Die Auflösung begann bei den 90
Beinen. Ich wandte mich ab. Hildrun von Schleiwitz, die Vampirgräfin, war Blutbestien von Burg Frankenstein waren vernichtet.
tot.
Die
* Ludwig Wiehert schloß überglücklich seinen Sohn und dessen Begleiterinnen in die Arme. Danach kam er mit Tränen in den Augen zu uns und bedankte sich. »Bin ich froh, daß du wieder da bist«, rief Kommissar Volkerts und wollte Katharina Ruland umarmen, aber sie wich ihm aus. »Wo hast du dich denn die ganze Zeit rumgetrieben?« »Das ist eine lange Geschichte, Volkerts. Du würdest sie sowieso nicht glauben.« »Na, hör mal, ein wenig herzlicher könntest du schon sein. Ich vergehe fast vor Sorgen, habe schlaflose Nächte hinter mir, und du behandelst mich hier wie einen - Provinzpolizisten!« »So ähnlich hast du auch reagiert, als dich meine Freunde um Unterstützung gebeten haben«, hielt ihm Kathi Ruland vor. »Du mußt mich verstehen, Kathi! All diese Geschichten von Vampiren und Riesenfledermäusen - da muß man ja ausrasten.« Volkerts runzelte die Stirn. »Wo ist denn jetzt die Täterin?« Wir deuteten zu der Tanne hinüber, wo wir die sterbende Vampirin zurückgelassen hatten. Unter dem Baum lag ein abgebrochener Ast in einem Häufchen Asche. Mehr war nicht zu sehen. Wir ließen Volkerts stehen. Ich hob Kathi hoch und trug sie zu Wicherts Geländewagen. »Sonst holst du dir noch einen Schnupfen, wenn du mit Socken durch den Schnee stapfst.« »He! Kann mich jemand mal aufklären, was hier geschehen ist?« hörten wir Volkerts rufen. »Also, da waren diese Vampire.« setzte Manni Wiehert an. »Vampire! Immer wieder Vampire! Wenn das so weitergeht, träume ich noch davon«, lamentierte Kommissar Volkerts. Wir schauten uns nur an und grinsten. Kathi legte ihren Kopf an meine Brust. »Ich möchte ja nicht wissen, was ihr beiden in der Vergangenheit miteinander getrieben habt«, maulte Tessa Hayden. »Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Kathi, Mark ist 91
mein Freund!« »Ach nee«, entfuhr es Kathi Ruland. »Und ich dachte, er sei noch zu haben! Eigentlich schade, wo wir uns doch so nahe gekommen sind.« »Katharina!« rief Tessa Hayden entrüstet und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Immer, wenn sie mich Katharina nennt, ist sie sauer«, murmelte Kathi. Ich bat nun Wiehert, uns zu seiner Jagdhütte zu fahren. Nichts war verändert worden. Wiehert zündete mit Hilfe einiger trockener Zweige, die er neben der Hütte aufbewahrte, den Kamin an. Im zuckenden Feuerschein kniete ich vor dem Ouija-Brett nieder, das vor dem Kamin lag. Ich legte die ovale Scheibe auf das Brett und berührte sie mit den Fingerspitzen. »Ich rufe dich, Rodensteiner! Bist du da?« Keine Antwort. Ich versuchte es noch mal. Diesmal bewegte sich die Scheibe und zuckte auf das Wort Hallo! »Hast du uns nichts zu sagen?« Keine Antwort. »Du hast mich vor dem Bösen gewarnt. Jetzt ist es besiegt. Die Gefahr ist gebannt. Die Bevölkerung in deiner Heimat kann in Frieden leben.« Es dauerte lange, bis eine Antwort kam. Es war nur ein Wort. »Danke.« Ich nickte. Der Geist Gero von Rodensteins würde erst wieder auftreten, wenn Gefahr im Verzug war. Ich hoffte, daß man lange nichts von ihm hören würde. »Das Ding hier brauchen wir dann wohl nicht mehr«, sagte ich und warf das Ouija-Brett zusammen mit der Scheibe in das Kaminfeuer. Zufrieden beobachteten wir, wie die Flammen das Hexenbrett verzehrten. War es eine optische Täuschung, oder zeigte die Scheibe tatsächlich noch etwas an? Ich sah jedenfalls im Sichtfenster der Scheibe zwei Wörter. Leb wohl. Das war wohl der Abschiedsgruß des Ritters Gero von Rodenstein. »Was ist denn nun mit der versprochenen Dusche?« fragte Kathi augenzwinkernd, als ich sie aus der Hütte und zum Wagen trug. »Bekommst du. Ein Mark Hellmann hält immer sein Wort.« »Was höre ich da? Du hast Kathi eine Dusche versprochen?« fragte Tessa lauernd. »Das wäre ja noch schöner! Du kannst sie 92
in meinem Hotelzimmer absetzen, aber mehr ist nicht drin!« »Ach, Tess, du weißt doch, wie schwierig es ist, sich selbst den Rücken zu schrubben. Und ich hab nun mal Talent für so was.« »Komm schon, Tessa. Drück ein Auge zu. Man bekommt nicht jeden Tag Gelegenheit, sich von solch einem Musterexemplar von Mann den Rücken einseifen zu lassen«, bat Kathi. »Katharina!« Tessas wütender Schrei hallte über die Lichtung. Kathi freute sich, daß sich Tessa ärgerte. Und ich wußte die Lösung des Problems: »Reg dich ab, Tess. In der Duschkabine ist Platz für drei!« »Das kann unmöglich dein Ernst sein«, entrüstete sich Tessa. »Ich dulde es nicht!« »Du machst dir viel zu viele Sorgen, Tess. Wir sind doch erwachsene Menschen, oder?« »Manchmal habe ich bei dir so meine Zweifel«, zischte Tessa. Als die ersten Strahlen des heißen Wassers auf unsere durchgefrorenen Körper prasselten, seifte ich die beiden Frauen ein, und sie stöhnten wohlig.
ENDE Die Bestie von Professor hatte sie alle ins Unglück gestürzt! Der sensationshungrige Forscher im weißen Kittel spielte Gott! Wer konnte ihn zur Strecke bringen? Seine Opfern, zu ihnen zählte auch Mark Hellmann, war das jedenfalls nicht möglich. Mit einer Größe von knapp zwei Zentimetern wirkten sie wenig beeindruckend und hatten große Mühe, überhaupt am Leben zu bleiben. Welcher Mensch wird schon gern von Insekten gefressen?
Die Bestie vom Alten Strom schlägt in einer Woche zu! C.W.Bachs 29.Hellmann bietet unterhaltsame Gruselspannung!
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