Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 535 All‐Mohandot
Spur der Zerstörung von H. G. Francis
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 535 All‐Mohandot
Spur der Zerstörung von H. G. Francis
Auf der Suche nach den Ysteronen
Seit Dezember des Jahres 3586, als die SOL unter dem Kommando der Solgeborenen auf große Fahrt ging und mit unbekanntem Ziel in den Tiefen des Sternenmeeres verschwand, sind mehr als zweihundert Jahre vergangen, und niemand hat in der Zwischenzeit etwas vom Verbleib des Generationenschiffs gehört. Schließlich ist es jedoch soweit – und ein Mann kommt wieder in Kontakt mit dem verschollenen Schiff. Dieser Mann ist Atlan. Die Kosmokraten entlassen ihn, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Gegenwärtig schreibt man an Bord des Schiffes den September des Jahres 3791, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL bereits den Anstoß zu entscheidenden positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Demontage im Mausefalle‐System rettete. Sosehr auch Atlan und seinen Plänen die Sympathien eines Großteils der Solaner gehören, die meisten der herrschenden Kaste der SOL sehen in dem Arkoniden nach wie vor einen Störfaktor, den es auszuschalten gilt. Dennoch kommt es zwischen Chart Deccon, dem High Sideryt, und Atlan zu einem Stillhalteabkommen – wozu die Tatsache, daß der SOL eine unbekannte Gefahr von außen droht, sicherlich beiträgt. Die Gefahr manifestiert sich in der SPUR DER ZERSTÖRUNG …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan und Chart Deccon ‐ Der Arkonide und der High Sideryt im Gespräch. Bjo Breiskoll ‐ Der Katzer auf der Spur der Ysteronen. Breckcrown Hayes, Sanny und Oserfan ‐ Breiskolls Begleiter. Capran ‐ Ein Solaner, der andere zu täuschen versteht. Doryt und Threyk ‐ Bewohner des Planeten Blue.
1. Er packte den Jungen an den Schultern und blickte beschwörend auf ihn herab. »Du mußt mir helfen«, sagte er. »Sie bringen mich um. Rufe Bjo Breiskoll. Schnell, bevor es zu spät ist.« »Warum tust du es nicht?« fragte der Junge, der verängstigt vor dem riesigen, rothaarigen Mann zurückwich. »Ich habe keine Zeit mehr. Sie kommen schon. Und der Interkom dort ist kaputt. Versuche es mit dem beim dritten Lager. Aber du mußt dich beeilen. Sie wollen mich wirklich töten.« Der Junge bemerkte, daß sich das Schott am Ende des Ganges öffnete. Dort erschienen zwei Männer, in deren Gürteln Messer steckten. Plötzlich glaubte er dem Rothaarigen. Diese Männer machten tatsächlich den Eindruck, als jagten sie ihn. Und der Junge glaubte, sich ihr Motiv erklären zu können. Der Mann, der um Hilfe gebeten hatte, schien ein Monster zu sein. Obwohl er sich das Haar weit nach vorn gekämmt hatte, war deutlich zu erkennen, daß er ein faustgroßes Loch in der Stirn hatte. Und die schwammig wirkende, übergroße Nase war zudem alles andere als normal. »Hilf mir. Ich bin kein Monster. Wirklich nicht«, flehte der Mann. »Rufe Bjo Breiskoll. Er wird mir helfen. Vielleicht auch Atlan. Irgend jemanden. Nur schnell.« Er stieß den Jungen von sich und flüchtete weiter.
»Wie heißt du?« rief der Junge ihm nach. »Capran«, antwortete der Flüchtende. Dann schloß sich ein Schott hinter ihm. * »Der unbekannte und unheimliche Gegner, der sich irgendwo in Bumerang verbirgt, hat sich in den letzten Tagen zwar nicht unmittelbar bemerkbar gemacht«, sagte Atlan. »Er ist aber da, und er ist gefährlich für uns.« Er blickte Chart Deccon prüfend an. Er hatte sich mit ihm im Mittelteil der SOL in unmittelbarer Nähe der Kommandozentrale getroffen. Bei ihnen war noch Bjo Breiskoll, der sich jedoch nicht am Gespräch beteiligte. Der Katzer saß still neben den beiden Männern und schien völlig desinteressiert zu sein. Seine Blicke waren ins Leere gerichtet. »Ich bin mir dessen bewußt, daß die unbekannte Macht da ist«, erwiderte Chart Deccon. »Zur Zeit befinden wir uns außerhalb von Bumerang, und es sieht nicht so aus, als müßten wir mit einem Angriff rechnen.« »Wir fangen ständig Hyperfunksprüche auf«, stellte der Arkonide fest. »Wir können ihren Inhalt vorläufig noch nicht enträtseln.« »Eben«, unterbrach ihn der High Sideryt, »sonst wüßten wir vielleicht, daß sie ganz harmlos sind.« Atlan lächelte flüchtig. Chart Deccon mißtraute ihm und belauerte ihn, ständig bereit, eine Schwäche auszunutzen. Und er argwöhnte offenbar, daß er versuchen könnte, ihn mit einem Trick auszuspielen, um mehr Einfluß zu gewinnen oder ihn gar seines Amtes zu berauben. Der Arkonide hatte jedoch keine Ambitionen in dieser Richtung. Er hatte erkannt, daß er noch viel Zeit benötigen würde, bis er die SOL ihrer gewünschten Bestimmung zuführen konnte.
Inzwischen hatte sich die Lage an Bord stabilisiert. Dazu hatte vor allem beigetragen, daß das Rohstoffproblem weitgehend gelöst war. Es gab keine Unruhen und Exzesse mehr. Die Basiskämpfer hielten sich zurück, und die SOLAG‐Leute befolgten Deccons Anweisungen. Sie kümmerten sich besonders intensiv um die Rohstoffbeschaffung und ‐verarbeitung. Als Versorgungsschiffe wurden Beiboote eingesetzt. »Sie sind nicht harmlos«, widersprach der Arkonide. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Und ich glaube auch, daß sie mit uns zu tun haben. Aus der Sicht der fremden Macht ist die SOL ein Störfaktor. Unsere Aktivitäten müssen dieser unheimlichen Macht mißfallen und sie herausfordern. Daher ist es besser, wenn wir frühzeitig handeln und von uns aus etwas unternehmen, damit wir nicht überrascht werden.« Atlan war von der Idee, Friedenszellen aufzubauen, mehr und mehr angetan, und er spürte in sich, daß die Kosmokraten ihm auch diesen Auftrag gegeben hatten, wenngleich er sich nicht mit solcher Deutlichkeit daran erinnern konnte, wie an den Auftrag, die SOL nach Varnhagher‐Ghynnst zu führen. Aber nicht nur dieser Gedanke an die Friedenszellen motivierte ihn, sondern auch die Erkenntnis, daß er selbst verschiedene Erfahrungen zu machen hatte, bevor er dem eigentlichen Auftrag der Kosmokraten nachkommen konnte. Der kahlköpfige Riese fuhr sich mit einer Hand über das rote Gesicht und massierte sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. »Was hast du eigentlich vor? Was willst du von mir?« fragte er, als habe er Atlans Worte nicht gehört. »Ich bin der Ansicht, daß wir gezielte Nachforschungen in Bumerang nach dieser fremden und gefährlichen Macht anstellen müssen«, erwiderte der Arkonide. »Nachforschungen?« Es war klar erkennbar, daß Deccon nicht von diesem Vorschlag begeistert war. »Das würde bedeuten, daß wir uns noch deutlicher bemerkbar machen als bisher. Wenn du schon
meinst, daß die SOL mit ihren Aktivitäten einen Störfaktor darstellt und die fremde Macht herausfordert, so müssen Nachforschungen zwangsläufig noch mehr Unruhe schaffen. Was würdest du tun, wenn du an der Stelle der Fremden wärst? Würdest du uns nicht auf die Finger klopfen oder vielleicht noch etwas heftiger zuschlagen?« »Das passiert so oder so. Damit müssen wir rechnen.« »Immer vorausgesetzt, daß diese fremde Macht tatsächlich so ist, wie wir vermuten.« »Richtig. Möglicherweise täuschen wir uns auch. Aber daran glaube ich nicht. Wir können gar nicht vorsichtig genug sein.« »Wir sind es, wenn wir uns möglichst still verhalten.« »Das ist richtig«, bestätigte der Arkonide. »Doch damit würden wir auch darauf verzichten, lebensnotwendige Informationen einzuholen. Unser unbekannter Gegner könnte uns in aller Ruhe einkreisen und uns dann mit einem Schlag vernichten.« An diese Möglichkeit schien Chart Deccon noch nicht gedacht zu haben. Er hat bis eben nicht an eine so extreme Bedrohung von außen geglaubt, meldete der Logiksektor. »Wohin soll sich diese Expedition wenden?« fragte der High Sideryt. »In welche Richtung soll sie vorstoßen? Dieser Gegner kann überall sein.« »Wir registrieren die Hyperfunksendungen«, erwiderte der Arkonide, »und können annähernd feststellen, aus welcher Richtung sie kommen.« Er verschwieg, daß er zu dem Schluß gekommen war, daß sie nur Streustrahlungen empfingen, so daß es gar nicht möglich war, den Sender direkt anzupeilen. Immerhin boten sich zunächst nur einige Sonnensysteme für eine Untersuchung an. Dort, so meinte der Arkonide, mußten sich zwangsläufig weitere Spuren ergeben. »Mir gefällt das nicht«, gestand Chart Deccon unbehaglich. »Mir wäre es lieber, wir würden uns sozusagen verstecken. Aber es scheint, daß wir es nicht können.«
»Also bleibt nur eine Alternative« erklärte der Arkonide. * Eine unscheinbare, braunhaarige Frau mit blassem Gesicht und großen melancholischen Augen stand plötzlich mitten auf dem Gang. Weder Gunn Leif, noch Daniel Ops hatten sie vorher bemerkt. Sie trug eine graue, verwaschen wirkende Kombination, die viel zu groß für sie war und an einigen Stellen Löcher aufwies. »Wo ist er?« fragte Gunn. »Wer?« fragte sie. »Du weißt genau, wen ich meine. Der Rothaarige.« »Das rothaarige Monster«, fügte Daniel hinzu. Die beiden Pyrriden blickten sich suchend um. An dieser Stelle teilte sich der Gang in vier andere auf. Von dem Gejagten war keine Spur zu erkennen. »Ach, der.« Die Frau lächelte, als habe sie tatsächlich eben erst erfaßt, von wem die Rede war. Sie zeigte in einen Gang, der nach etwa hundert Metern an einem Schott endete, wich dabei aber den Blicken der beiden Männer aus. Daniel grinste. »Sie will uns hereinlegen«, sagte er und wandte sich einem anderen, kürzer erscheinenden Gang zu, der dem anderen gegenüber lag. Gunn Leif schloß sich ihm sogleich an und rannte hinter ihm her. Er sah nicht mehr, wie es in den Augen der jungen Frau aufleuchtete. Erst als er das Schott öffnen wollte und dabei feststellte, daß es versiegelt war, begriff er. Fluchend eilte er zu dem Verteiler zurück. Er sah gerade noch, wie die Frau in einer Tür verschwand. Wütend stürmte er hinter ihr her und erreichte sie, bevor sie in einen Antigravschacht flüchten konnte. Er packte sie am Arm und riß sie herum. »Wo ist er?« fragte er.
»Du tust mir weh«, klagte sie. »Das ist erst der Anfang, wenn du mir nicht sofort sagst, wohin er geflüchtet ist.« »Der Rothaarige?« »Natürlich der! Wer sonst?« schrie Daniel, der hinzu kam. »Wo ist er?« »Ich habe es euch doch gesagt. Warum seid ihr nicht in den Gang gelaufen, den ich euch gezeigt habe? Dorthin ist er gelaufen.« »Du kommst mit uns«, befahl Daniel. »Und wehe dir, wenn du gelogen hast.« »Ich habe die Wahrheit gesagt. Was kann ich dafür, wenn ihr sie nicht hören wollt? Was wollt ihr von dem Rothaarigen? Warum verfolgt ihr ihn?« »Er ist ein Verbrecher.« »Er hat nichts getan«, verteidigte sie ihn. Die beiden Pyrriden horchten auf. »Du kennst ihn also«, stellte Gunn fest. »Und er hat dich genauso belogen und betrogen wie die anderen. Du glaubst ihm? Einem Monster wie ihm darf man nicht glauben.« Die junge Frau wollte sich abwenden, doch Gunn Leif hielt sie fest. »Also? Wo ist er?« Sie preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Gunn schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. Sie schrie entsetzt auf, und Daniel Ops riß ihn empört zurück. »Wenn sie diesem Verbrecher auch vertraut, so ist das noch lange kein Grund, sie zu schlagen«, tadelte er. Dann wandte er sich an sie: »Entschuldige. Das mußte nicht sein.« »Ihr seht aus wie ganz normale Männer«, erwiderte sie ruhig. »Aber ihr seid nicht normal. Ihr seid Monster.« »Wir verlieren nur unnötig Zeit, wenn wir uns noch länger mit ihr abgeben«, sagte Gunn Leif. »Entweder wir holen schnell aus ihr heraus, wo er ist, oder wir lassen sie in Ruhe. Sie versucht doch nur, uns aufzuhalten.« Daniel Ops behielt die junge Frau im Auge, als er sagte: »Wir
versuchen es auf dem nach links abzweigenden Gang.« Er bemerkte, daß ihre Lider zuckten. Für einen kurzen Moment sah sie erschrocken aus. Dann fing sie sich wieder. Doch Daniel tat, als habe er nichts bemerkt. Er schob Gunn Leif vor sich her und rannte mit ihm weiter. Dabei teilte er ihm mit, was er beobachtet hatte. »Wir erwischen das Monster«, erklärte Gunn Leif grimmig. »Er darf uns nicht entkommen. Mag ja sein, daß nicht mehr nach Monstren gejagt werden darf, dieses eine müssen wir noch haben, bevor sich jemand einmischen und uns daran hindern kann.« * Chart Deccon rang sich zu einem Entschluß durch. Er blickte forschend zu Bjo Breiskoll hinüber, der sich nach wie vor schweigend im Hintergrund hielt. Das angespannte Gesicht des Katzers verriet, daß er mit seinen telepathischen Sinnen horchte. Er interessierte sich offenbar mehr für irgend etwas, was in anderen Teilen der SOL passierte, als für das, was hier besprochen wurde. »Also gut«, erklärte der High Sideryt. »Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir Nachforschungen anstellen und jene Unbekannten auskundschaften, die uns bedrohen, bevor wir angegriffen werden.« »Es ist besser«, betonte der Arkonide. »Ich stelle für diese Expedition einen 100‐Meter‐Kreuzer zur Verfügung«, fuhr Chart Deccon fort. »Meine Bedingung ist jedoch, daß du nicht an Bord bist. Du wirst hier in der SOL bleiben.« Er will dich im Auge behalten, registrierte das Extrahirn. »Ich hatte nicht die Absicht, mich an den Nachforschungen zu beteiligen«, antwortete er gleichmütig. Solange er hier war, würde Deccon sich kaum neue Propagandafeldzüge gegen ihn erlauben. »Allerdings würde ich vorschlagen, daß Bjo das Kommando führt.« Der High Sideryt nickte. Wieder fuhr er sich mit der Hand über
das Gesicht. »Dagegen ist nichts einzuwenden.« Atlan blickte zu dem Katzer hinüber, der sich seufzend aufrichtete und ihm zunickte, um ihm dadurch zu verstehen zu geben, daß er einverstanden war. Der Arkonide hatte seine Überlegungen bereits vorher mit ihm besprochen. »Einige Spezialisten sollten dabei sein.« Dieses Mal schüttelte der High Sideryt den Kopf. »Wir haben ohnehin zu wenig Spezialisten an Bord«, lehnte er ab. »Nicht ein einziger von ihnen wird die SOL verlassen.« Du stehst mit deinem Unternehmen so ziemlich allein da, spöttelte das Extrahirn. Das wird mich jedoch nicht davon abhalten, es anzupacken, antwortete er. Er besprach noch einige kleinere Probleme mit Deccon, die nicht im Zusammenhang mit den Nachforschungen standen, war jedoch nicht so recht mit den Gedanken bei der Sache. Er dachte an die bevorstehende Expedition und an die möglichen Gefahren, die ihr drohten. Er war froh, daß ein so erfahrener und kluger Mann wie Bjo sie leiten würde. Nach allem, was er bisher über die Vorkommnisse in Bumerang erfahren hatte, hatte es den Anschein, daß dort gewaltige Kräfte am Werk waren. Diese Annahme hatte vor allem durch die Aussagen der Molaaten ihre Bestätigung gefunden. Der Arkonide vermutete, daß es sich dabei nicht nur um technisch‐physikalische Kräfte handelte, sondern er hielt es für wahrscheinlich, daß hinter dem Gesamtgeschehen psibegabte Wesen standen. Gerade deshalb hielt er Bjo Breiskoll für den richtigen Mann an der Spitze des Forschungskommandos. Der High Sideryt ging zu einem Monitor und tippte einige Zahlen ein. Danach kehrte er zu Atlan zurück. »Bjo übernimmt das Kommando über die POLLUX«, bestimmte er. »Hast du bestimmte Vorstellungen hinsichtlich der Besatzung?«
Atlan überlegte nur kurz. »Breckcrown Hayes sollte dabei sein«, erwiderte er. »Und dann die beiden Molaaten Oserfan und Sanny.« »Einverstanden.« Deccon erhob sich und gab damit zu verstehen, daß er Atlan genügend Zeit geopfert hatte. »Aus dem Kreis meiner Mitarbeiter wird niemand dabei sein. Ich kann auf keinen dieser Männer und Frauen verzichten.« Atlan unterdrückte ein Lächeln. Natürlich wollte Deccon keinen Magniden mitfliegen lassen. Die Machtstrukturen an Bord sollten – zumindest zu diesem Zeitpunkt – nicht verändert werden. »Was ist los?« fragte der Arkonide den Katzer, als sie den Raum verließen. Bjo blickte ihn mit seinen schräg gestellten Augen an. Gedankenverloren strich er sich mit den Fingern über eine Stelle an seiner Wange, an der dicht stehende Haare eine pelzähnliche Insel bildeten. »Ich habe Hilferufe aufgefangen«, erwiderte er. »Irgend jemand an Bord wird von anderen verfolgt. Aber ich weiß noch nicht, wer. Und auch nicht, wo. Ich würde gern helfen. Solange ich jedoch keine Informationen habe, kann ich nichts tun.« Ein Ahlnate kam ihnen entgegen. »Da war ein Hilferuf über Interkom«, berichtete er. »Ein Junge sagte etwas von einem Monster, das gejagt wird.« »Die Zeiten der Monsterjagden sind doch vorbei«, entgegnete der Arkonide. »Offenbar nicht.« Der Ahlnate wandte sich gelang weilt ab. Er hatte seine Meldung gemacht. Damit war der Fall für ihn erledigt. »Ich muß etwas für diesen Menschen tun«, sagte Bjo leise. »Ich werde versuchen, ihm zu helfen.« *
Die junge Frau rannte hinter den beiden Jägern her und krallte ihre Finger in den Ärmel der Jacke, die Daniel Ops trug. »Was hat Capran getan?« fragte sie mit schriller Stimme. »Was werft ihr ihm denn vor? Er sieht vielleicht anders aus als ihr, aber deshalb ist er noch lange kein Monster.« Daniel blieb stehen, während Gunn Leif sich mit dem beschädigten Schalter eines Schottes befaßte. »Was er getan hat?« der Pyrride schien maßlos erstaunt zu sein. Er schien zu glauben, jeder müsse wissen, was Capran auf dem Kerbholz habe. »Er hat gelogen, betrogen und gestohlen. Und jetzt hat er sogar eine Frau getötet. Er ist ein Mörder. Sein Äußeres interessiert uns nicht. Auf seinen Charakter kommt es an. Und der ist von Grund auf schlecht. Ein Mensch wie er darf nicht länger leben.« »Capran? Ein Mörder? Ihr seid ja wahnsinnig. Ich kenne ihn genau. Er ist nicht böse. Er könnte niemandem etwas tun. Ihr irrt euch.« Das Schott ging auf. Daniel Ops stieß die junge Frau zurück und eilte mit Gunn Leif weiter. »Eigenartig«, sagte er. »So etwas hören wir immer wieder. Capran ein Unschuldsengel. Ausgerechnet er!« »Er versteht es, andere zu täuschen«, erwiderte Gunn Leif. Die beiden Männer blieben plötzlich stehen. Sie hatten einen etwa fünfzig Meter langen Gang erreicht, von dem zahlreiche Türen abzweigten. Am Ende des Ganges befand sich ein blaues Schott. Capran stand davor und versuchte vergeblich, es zu öffnen. Einige offene Türen in seiner Nähe verrieten, daß er bereits nach anderen Fluchtmöglichkeiten gesucht hatte. Er war in eine Sackgasse gelaufen, aus der es für ihn offenbar keinen Ausweg mehr gab. »Na, also«, sagte Gunn Leif. »Dann haben wir ihn ja.« Er griff nach dem Messer in seinem Gürtel. »Bringen wir es hinter uns.« Daniel Ops lief schneller. »Menschen
wie er haben an Bord der SOL nichts zu suchen.« Capran lehnte sich mit dem Rücken an das Schott. Er streckte die Hände kampfbereit vor. Die Augen schienen tief in den Höhlen unter den roten Brauen zu verschwinden. Das Haar klebte ihm an der verschwitzten Stirn. »Ihr Lumpen«, rief er den beiden Pyrriden entgegen. »Niemand gibt euch das Recht mich zu jagen. Wenn ihr euch die Mühe machen würdet, die Wahrheit zu finden, dann wüßtet ihr, daß alles Lüge ist, was man gegen mich sagt.« »Sei still«, forderte Gunn Leif ihn auf. »Ich bin unbewaffnet, aber ich kann auch mit bloßen Händen kämpfen«, warnte er die beiden Jäger. »Laßt mich lieber in Ruhe. Es ist besser für euch.« Gunn Leif wich nach links aus, während Daniel Ops auf die rechte Seite des Ganges trat, so daß sie den Gejagten in die Zange nehmen konnten. Jetzt hielten beide Männer Messer in den Händen. »Warum stellt ihr mich nicht vor einen Richter, wenn ihr glaubt, daß ich ein Verbrechen begangen habe?« fragte Capran. »Du bist verdammt geschickt«, erwiderte Daniel Ops. »Das muß ich zugeben. Es gibt keine Beweise gegen dich, die für eine Verurteilung ausreichen würde. Für uns ist aber sicher, daß du die junge Evita getötet hast.« »Ich habe es nicht getan. Ich weiß nicht einmal, wer diese Evita ist.« Verzweifelt schlug er mit der Faust gegen die Kontaktscheibe des Schottschalters, ohne dabei den gewünschten Erfolg zu erzielen. »Bitte«, stammelte er. »Laßt mich in Ruhe. Ich bin unschuldig. Ich habe niemanden getötet. Bitte. Laßt mich leben.« Er blickte die beiden Männer voller Verzweiflung an. »Bitte.« Daniel Ops sprang auf ihn zu und versuchte, ihm das Messer in die Brust zu stoßen. »Halt«, rief Bjo Breiskoll, der in diesem Moment hinter ihnen
erschien. »Schluß jetzt.« Gunn Leif und Daniel Ops fuhren überrascht herum. Unsicher blickten sie den Telepathen an, der sich ihnen rasch näherte. »Aber er ist ein Mörder«, sagte Gunn. »Er hat ein Mädchen umgebracht«, fügte Daniel hinzu. Bjo Breiskoll blieb vor ihnen stehen. »Ich weiß. Ihr beide seid davon überzeugt, daß ihr im Recht seid«, erklärte er. »Und mit euch sind es viele andere. Ihr hättet ihn nicht gejagt, wenn es nicht so wäre. Aber ich kann seine Gedanken erfassen, und aus ihnen erkenne ich, daß er wirklich unschuldig ist. Es gibt Mörder an Bord, aber Capran ist es nicht.« Die beiden Pyrriden steckten die Messer in die Gürtel zurück. »Wirklich nicht?« fragte Daniel zweifelnd. »Ganz bestimmt nicht. Ein Telepath kann nicht irren«, antwortete der Katzer. Zugleich erfaßte er, daß er die beiden Jäger nicht überzeugen konnte. Sie glaubten ihm nicht. Sie hielten Capran nach wie vor für ein monströses Wesen, das von Grund auf böse war. Jetzt geben sie vielleicht Ruhe, dachte Bjo. Aber sie werden nicht aufgeben. Sie werden ihn erneut jagen, sobald du von Bord bist, und dann kannst du ihm nicht mehr helfen. »Warum nehmt ihr es mir nicht ab, daß ich unschuldig bin?« fragte er. Daniel lächelte. »Aber wir glauben dir doch«, behauptete er. »Du weißt, daß ich Telepath bin. Oder nicht?« »Eigentlich nicht«, entgegnete Daniel Ops. »Man sagt so manches an Bord.« Bjo erfaßte, daß der Pyrride nicht so recht von seiner Psi‐Begabung überzeugt war, ihn jedoch als Autorität respektierte. »Komm mit«, befahl er Capran. »Und ihr beiden laßt ihn in Ruhe.« Er führte den Rothaarigen von den beiden Jägern weg. »Wir werden die SOL für einige Zeit verlassen«, erklärte er leise. »Ich stelle gerade eine Expedition zusammen. Du wirst mitfliegen.
Wenn wir in einigen Tagen zurückkommen, haben sich die Gemüter hoffentlich beruhigt.« »Ich bin wirklich unschuldig«, beteuerte Capran. »Ich habe nichts von dem getan, was man mir vorwirft. Wenn du Telepath bist, kannst du meine Gedanken erfassen. Und die müssen dir sagen, daß man mich zu Unrecht beschuldigt.« »Ich weiß«, entgegnete der Mutant. »Du sagst die Wahrheit.« 2. Doryt lehnte sich zurück und zerrte an der Kette, bis der riesige Raz‐ Rar, der ihn um mehr als einen Meter überragte, stehenblieb. Das Tier drehte den Kopf herum, blickte ihn an und zog die Lefzen hoch. Die Reißzähne des Raz‐Rars schlugen gegen die Lederriemen des Maulkorbs, den das Tier zur Sicherung trug. »Beruhige dich«, sagte Doryt scharf. »Wir haben unser erstes Ziel erreicht.« Er schlang die Kette um einen Baumstamm und überprüfte dann die Riemen, mit denen er den Toten auf den Rücken des Raz‐Rars gebunden hatte. Aus einer Hütte, die zwischen den bemoosten Felsen stand, kam ein nahezu unbekleideter Mann. Er war etwa so groß wie Doryt, hatte aber einen kahlen, runden Schädel und keine Ohrmuscheln. Diese waren ihm bei der Priesterweihe abgeschnitten worden, wie allen Eskern, welche die Prüfungen bestanden hatten. Die Stirn hatte sich der Mann mit roter Farbe markiert. Unmittelbar vor Doryt blieb der Esker stehen. »Du hast einen Toten?« fragte er und zeigte auf den Raz‐Rar. »Mein Vater«, antwortete Doryt. Der Priester legte beide Hände an den geschwollenen Leib. »Was ist mit ihm? Er sieht so dünn aus.« Doryt senkte beschämt den Kopf.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er leise. »Wir haben ihn in seinem Boot gefunden. Er war tot.« Der Esker schüttelte den Kopf, ging zu dem Tier und schlug ihm klatschend mit der flachen Hand an die Schenkel. Der Raz‐Rar knurrte leise, aber nicht drohend, während der Priester den Toten untersuchte. »Es ist schlimm«, sagte der Kahlköpfige schließlich. »Wirklich schlimm.« »Was ist los?« fragte Doryt ängstlich. »Ist irgend etwas nicht in Ordnung?« Doryt spürte, daß sein Herz plötzlich schneller schlug. Angst kam in ihm auf. Wollte der Esker ihm zu verstehen geben, daß die Götter den Toten nicht in ihr Reich aufnehmen würden? Hieß es nicht, daß in den letzten Jahren immer mehr abgewiesen worden waren? »Er hat stets alle Gebote der Götter beachtet«, beteuerte er. »Mein Vater war ein ehrlicher und aufrechter Mann, der nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist. Er hat zehn Kinder gezeugt. Ich bin das älteste von ihnen. Deshalb gab man mir die Ehre, ihn bestatten zu dürfen.« »Ich fürchte, das blaue Feuer wird dennoch nicht leuchten«, erwiderte der Esker. »Das darf nicht sein«, entsetzte sich der Muschelfischer. »Mein Vater hat nie irgend etwas getan, wofür ihn die Götter derart strafen könnten.« Der Priester legte die Hände an seinen Leib. »Der Wille der Götter ist unergründlich«, erklärte er. »Niemand kann sagen, was sie wirklich denken und fühlen. Niemand weiß, weshalb sie so entscheiden, wie sie es tun. Nur die Toten werden es erfahren, wenn sie vor dem Tor zur Unendlichkeit stehen und ihre Hand erheben, um Einlaß zu erflehen.« »Aber warum? Warum sollte das Feuer nicht leuchten?« Doryt preßte sich die Hände verzweifelt gegen die Schläfen. Seit vier Tagen war er mit seinem toten Vater unterwegs. Er hatte sich von
der fernen Küste bis in die Berge hochgearbeitet, nichts gegessen und nur selten einmal eine Pause gemacht. Gern hätte er sich auf den Rücken des bärenstarken Raz‐Rars gesetzt, doch damit hätte er gegen die Gebote der Götter verstoßen und den Übergang des Vaters in die Welt der Toten gefährdet. Er hatte alle Vorschriften eingehalten und dem überaus hungrigen Raz‐Rar zu keiner Stunde erlaubt, Wild zu jagen. Und jetzt sollte alles vergebens gewesen sein? »Ich kann es nicht glauben«, stammelte er. Der Esker legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Es ist ja nicht gewiß«, versuchte er ihn zu trösten. »Ich habe dich lediglich darauf aufmerksam gemacht, daß es möglich ist. Niemals steht schon vorher fest, daß die Götter so handeln werden, wie wir es möchten.« Hoffnung kam in dem jungen Mann auf. »Du meinst, vielleicht leuchtet das Feuer doch?« »Warum nicht? Wenn die Götter es wollen?« Der Priester lächelte. Er ließ nicht erkennen, was er wirklich dachte. Doryt ging zum Kopf Raz‐Rars, der einem riesigen Hund glich. Er packte einen Riemen des Maulkorbs und zog den Kopf des Tieres so weit herunter, bis er den Lederbeutel erreichen konnte, den er unter den Kiefern des Raz‐Rars befestigt hatte. Er öffnete den Beutel und zog ein Netz daraus hervor, das mit grauen, trockenen Klumpen gefüllt war. »Getrocknete Muscheln«, sagte er. »Du mußt sie ins Wasser legen und erhitzen. Iß sie, solange sie heiß sind, denn dann schmecken sie, als ob sie frisch wären.« Der Priester nahm die Kostbarkeit mit leuchtenden Augen an. »Es kommt selten vor, daß mir jemand Muscheln mitbringt«, sagte er dankbar. Sichtlich zufrieden eilte er in seine Hütte und kehrte gleich darauf mit dem Leichentuch zurück, mit dem er den Toten bedeckte. »Mögen die Götter deinem Vater gnädig sein«, sagte er.
»Danke.« Doryt band den Raz‐Rar los und blickte zu dem Berggipfel hinauf, der sein Ziel war. Der Weg führte durch eine tief eingeschnittene Schlucht in die Höhe. Ein leuchtend blauer Himmel spannte sich über dem Berg, der unter der Hitze der Sonnenstrahlung aufzuglühen schien. Hier unten beim Priester war es noch kühl. Die Hütte lag im Schatten der Felsen, und die riesigen Bäume, die den Pfad säumten, schirmten gegen die Hitze ab. Weiter oben aber würde er über die kahlen Felsen gehen müssen, und nichts würde ihn gegen die Glut schützen. »Wie hast du deinen Vater gefunden?« fragte der Priester plötzlich. »Hast du jene gesehen, die vom roten Stern kommen?« Doryt zuckte zusammen. »Ja«, erwiderte er überrascht. »Wir waren zu weit entfernt, um Einzelheiten erkennen zu können, aber wir haben ein Licht gesehen, das aus dem Himmel kam und zwischen den Inseln verschwand, bei denen mein Vater war. Später stieg das Licht wieder auf, und wir haben meinen Vater und die anderen gesucht, weil wir Angst um sie hatten.« »Und dann lag er tot in seinem Boot. War er vorher schon so dünn?« »Nein. Er sah ganz normal aus. Sein Leib war wenigstens so stark geschwollen wie deiner«, antwortete der Fischer und deutete auf den mächtigen Leib des Priesters. »Aber wir haben ihn wenigstens gefunden. Dreiundzwanzig andere Fischer sind verschwunden. Nur noch ihre Boote waren da.« »Man hat sie entführt? Du meinst, jene Fremden haben sie mitgenommen auf ihre Welt, die dort irgendwo zwischen den Sternen ist?« Doryt wurde unsicher. »Es könnte sein, aber das weiß niemand genau. Vielleicht sind die anderen auch ins Wasser gefallen und von der Strömung ins Meer hinausgerissen worden. Wenn das der Fall ist, sind sie längst Opfer
der Raubfische geworden.« Der Esker legte ihm die Hand auf die Schulter. Er spürte, daß der junge Mann vor Empörung und Haß zitterte. Der Gedanke an die Fremden, die immer wieder nach Traat kamen, war ihm offenbar unerträglich. »Vertraue den Göttern«, sagte er. »Sie werden dir helfen. Geh hinauf zum Berg. Alles wird gut werden.« Doryt nickte dem Priester zu und befahl dem Raz‐Rar weiterzugehen. Leise knurrend setzte sich das Tier in Bewegung. Die schwellenden Muskeln zuckten unter dem tiefblauen, seidigen Fell. Der junge Fischer drehte sich nicht mehr um, als er sich den Berg hocharbeitete. Seine Blicke waren auf den Gipfel gerichtet, aus dem ständig weißer Rauch aufstieg. Er war müde und erschöpft, und er ließ sich von dem Raz‐Rar ziehen. Die Sonne stand schon tief am Horizont, als Doryt die Baumgrenze überschritt. Die Felsen waren heiß unter seinen nackten Füßen. Sie strahlten die Wärme ab, die sie den Tag über gespeichert hatten, so daß dem Fischer bald der Schweiß ausbrach. Hätte er den Raz‐Rar nicht gehabt, der den Toten trug und ihn mit sich zerrte, dann hätte er nicht mehr weitergehen können. Kurz vor Sonnenuntergang erreichte er zwei haushohe Felsbrocken, zwischen denen eine armselige Hütte stand. Ein kahlköpfiger Esker trat daraus hervor und reichte ihm eine Schale mit kühlem Wasser. Der Priester warf nur einen flüchtigen Blick auf den Toten, sagte aber nichts. Sein Gesicht war unbewegt, als sei es aus dunklem Holz geschnitzt. Erst als Doryt ihm ein Netz mit einigen getrockneten Muscheln reichte, löste sich diese Starre. Der Esker lächelte dankbar. »Die Götter mögen dir ihre Gunst erweisen«, sagte er. »Es ist lange her, daß mir jemand eine derartige Kostbarkeit gebracht hat. Ich danke dir.« Er holte eine geflochtene Leine aus seiner Hütte und reichte sie
dem Fischer. »Daran wirst du den Toten hinablassen, bis du ihn nicht mehr sehen kannst«, erläuterte er. »Dann erst darfst du loslassen. Vergiß es nicht. Es ist wichtig. Erst dann, denn sonst kann er das Tor zur anderen Welt nicht erreichen.« Doryt dankte dem Priester, legte sich die Leine, die etwa hundert Meter lang war, um die Schulter und schleppte sich weiter. Bis zum Gipfel des Vulkans war es nun nicht mehr weit. Der Fischer brauchte nur noch etwa hundert Meter höher zu klettern. Doch da die Felsen steil anstiegen und zahlreiche Gesteinsbrocken zu übersteigen waren, erreichte er den Gipfel erst nach Einbruch der Dunkelheit. Erschauernd blieb er am Rand des Kraters stehen. Dies war die Stelle, an der er sich der Götter so weit wie nur möglich genähert hatte. Wer noch weiter vordrang, mußte mit dem Leben bezahlen. Voller Ehrfurcht blickte er in den Krater. Tief unter ihm leuchtete es rot im höllischen Schlund des Kraters, doch er konnte die Glut nicht direkt sehen. Ihr Widerschein ließ höchstens erahnen, wie es tiefer im Innern des Kraters aussah. Doryt kniete zu einem flüchtigen Gebet nieder. Dann befahl er dem Raz‐Rar, sich auf den Boden zu legen, damit er den Toten abbinden konnte. Er umwickelte die Leiche mit dem Tuch und schnürte sie mit einer Schlinge der Leine ein. Dann ließ er sie über die steil abfallenden Felsen in den Krater rutschen. Die Sterne spendeten soviel Licht, daß er das weiße Bündel noch lange sehen konnte. Schließlich aber glitt es irgendwo tief unter ihm über eine Felskante. Doryt spürte, daß die Leine sich ruckartig straffte. Doch noch hatte er sie nicht ganz abgewickelt. Einige Meter fehlten noch. Er erinnerte sich an die Worte des Priesters und hielt die Leine fest, bis er den Knoten an ihrem Ende in seiner Hand fühlte. Jetzt war es soweit. Sein Vater hatte das Tor zu den göttlichen Gefilden erreicht. Sobald er die Leine freigab, mußte sich zeigen, ob er es
durchschreiten durfte. Abermals dachte Doryt an jene Fremden, die von den Sternen gekommen waren. Hatten sie seinem Vater etwas geraubt, ohne das er nicht in die göttliche Unendlichkeit eingehen konnte? Er dachte daran, wie schlank sein Vater gewesen war, als sie ihn gefunden hatten. Als ob sie etwas aus ihm herausgeholt hätten, dachte er haßerfüllt. Er ließ die Leine los. Seine Augen weiteten sich, und unwillkürlich hielt er den Atem an. Jetzt mußte es geschehen! Aus dem höllischen Schlund des Kraters mußte ein blau leuchtendes Feuer aufsteigen. Es mußte! Es war ein untrügliches Zeichen dafür, daß der Tote das Tor durchschritt. Doryt wußte es von anderen, die ihre Toten hier bestattet hatten, und die es gesehen hatten. Es muß leuchten! schrie es in ihm. Die Sekunden verstrichen. Voller Verzweiflung starrte der Fischer in den Krater. Nichts veränderte sich. Ein roter Schimmer war unter ihm, und er blieb. Nirgendwo stiegen blaue Flammen auf. Weinend sank Doryt zu Boden. Die Götter hatten seinen Vater abgewiesen. Bis in alle Unendlichkeit mußte seine gequälte Seele nun durch das Nichts irren, ständig unvorstellbaren Qualen ausgesetzt. Und die Fremden von den Sternen waren schuld! Sie hatten dafür gesorgt, daß sein Vater mit leeren Händen vor die Götter treten mußte. Ich werde mich rächen! schwor Doryt sich. Ich werde nur noch für meine Rache leben. Sie werden wiederkommen. Sie kommen ja
schon seit vielen Jahren. Und wenn sie dagewesen sind, bleiben Tote von uns zurück. Und die Toten sehen so aus wie mein Vater, als ob man etwas aus ihnen herausgenommen hätte. Es ist also wahr. Die Fremden töten und rauben nicht nur, sie verwehren uns auch den Weg zu den Göttern. Er harrte noch zwei volle Stunden am Krater des Vulkans aus und flehte die Götter an, Milde walten zu lassen und den Vater ins Reich der Toten aufzunehmen, aber die blauen Flammen leuchteten nicht auf. Schließlich stand er auf und rief mit voller Stimmengewalt: »Hört mich an, ihr Götter! Ich schwöre, daß ich die Fremden bekämpfen werde, wo immer ich sie treffe. Ich werde sie töten, bis keiner an uns und euch freveln kann.« Danach band er sich die Kette des Raz‐Rars um die Hüften und befahl dem Tier, ihn zu führen. Er stolperte in der Dunkelheit hinter dem Raz‐Rar her, von dumpfer Trauer erfüllt. Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag er auf dem Waldboden. Der Raz‐Rar kauerte hechelnd neben ihm an einer Quelle. Doryt tauchte den Kopf ins kalte Wasser und trank. Als er sich erfrischt hatte, nahm er dem Raz‐Rar den Maulkorb ab. Augenblicklich raste das Tier davon, als wisse es ganz genau, wo es Wild finden könne. Erst nach einer Stunde kehrte es gesättigt zurück und ließ sich den Maulkorb wieder anlegen. Während dieser Zeit hatte Doryt nachgedacht. Er war nach wie vor entschlossen, sich zu rächen und die Fremden mit aller Energie zu verfolgen. Doch er war sich darüber klar geworden, daß er allein nur wenig ausrichten würde. Anders war es schon, wenn er Mitkämpfer gewinnen konnte. Es kam nur darauf an, allen bewußt zu machen, wie schrecklich die Folgen dessen waren, was die Fremden taten.
3. »Wir haben Glück«, verkündete Sanny, noch bevor ein anderer etwas sagen konnte. »In diesem Sonnensystem gibt es einen Planeten. Bei der vorliegenden Entfernung zwischen Sonne und Planeten, dem Spektrum, der Größe der Sonne und den anderen Gegebenheiten dürften wir es mit einer belebten Welt zu tun haben.« Die Paramathematikerin saß in dem kleinen Spezialsessel, den Bjo Breiskoll ihr hatte anfertigen lassen. Sie zeigte auf die Bildschirme, auf denen vor Sekunden erst das Sonnensystem aufgetaucht war, das die POLLUX erreicht hatte. Oserfan, der zweite Molaate an Bord, hatte auf einen eigenen Sessel verzichtet. Er kniete in den Polstern eines Sitzmöbels, das für einen erwachsenen Solaner gedacht und entsprechend groß war. »Warten wir es ab«, entgegnete Bjo Breiskoll, der das Kommando über die POLLUX führte. »Du bist mal wieder etwas voreilig«, tadelte Oserfan. »Mußt du deine besonderen Fähigkeiten immer so herausstellen?« Sanny lächelte nur still. Sie blickte unverwandt auf die Bildschirme, als sei sie begierig darauf, neue Informationen über das Sonnensystem zu erhalten, um daraus dann sofort mathematische Schlüsse zu folgern. Sie war exakt 47 Zentimeter groß und humanoid. Ihr Körper wurde von einem dichten, kurzhaarigen Pelz überzogen, der lindgrün schimmerte. Der kugelförmige Kopf dagegen war völlig unbehaart. Die Haut leuchtete in einem sanften Bronzeton. Zu diesem bildeten die kreisförmigen Augen mit den hellblauen Pupillen einen reizvollen Kontrast. Sanny trug einen dünnen Fellumhang, der mit einer verzierten Spange über der linken Schulter gehalten wurde. Ein schmaler Gürtel lief um die zierliche Taille. Daran hingen mehrere kleine Lederbeutel, in denen sie Nahrungsmittel und einige andere
Utensilien aufbewahrte. Auf dem Bildschirm erschienen die Computerauswertungen. »Was habe ich gesagt?« rief die Molaatin mit melodischer Stimme. »Der einzige Planet dieses Sonnensystems bietet aller Wahrscheinlichkeit nach alle Voraussetzungen für die Entwicklung von Leben.« Die Welt, die sie meinte, war bereits als blauer Ball zu erkennen. Bjo Breiskoll erteilte seine Befehle, und Breckcrown Hayes, der die POLLUX flog, nahm einige Schaltungen vor. Das Raumschiff verzögerte. Der rasende Flug näherte sich einem vorläufigen Ende. »Wir sehen uns den Planeten an«, entschied der Katzer. »Möglicherweise finden wir schon hier eine Spur der Fremden.« Breckcrown Hayes führte das Raumschiff sicher und kommentarlos. Er war ein wortkarger Mann, der sich oft nur dann zu Wort meldete, wenn es unumgänglich war. Hayes war ein kantiger Typ mit ausgeprägtem Selbstvertrauen, der einer Auseinandersetzung nicht aus dem Wege ging, jedoch nie starr auf seiner Meinung beharrte, sondern einlenken und umdenken konnte, wenn er erkannte, daß er unrecht hatte. Er war 42 Jahre alt, sah aber eher wie ein Hundertjähriger aus. Das lag vor allem daran, daß seine Haare, die er sehr kurz geschnitten trug, eisgrau waren. Auch sein von feinen Falten durchzogenes Gesicht unterstrich diesen Eindruck. Tatsächlich alterte Hayes wesentlich schneller als andere Menschen. Während die POLLUX sich dem blauen Planeten näherte, arbeiteten die verschiedenen Ortungs‐ und Erfassungssysteme des Raumschiffs auf Hochtouren. Tausende von Detailinformationen liefen ein, wurden von der Hauptpositronik aufgenommen, ausgewertet und zu einem Gesamtbild zusammengesetzt. Als der Leichte Kreuzer in eine Umlaufbahn um den Planeten einschwenkte, den Oserfan kurzerhand Blue nannte, wußte Bjo Breiskoll, daß diese Welt eine Sauerstoffatmosphäre besaß, in der Menschen leben konnten, daß die Schwerkraft geringfügig über 1 g
lag, der Tag annähernd 27 Stunden lang war, daß es keine technisch hochstehende Zivilisation auf diesem Planeten gab, und daß hier mit gefährlichen Aktionen des unbekannten Gegners nicht zu rechnen war. »Eigentlich ein Grund, uns hier nicht lange aufzuhalten«, bemerkte Sanny, wobei sie enttäuscht die Arme hob. Sie war ein friedvolles und freundliches Wesen, dem niemand zutraute, daß sie je die Kontrolle über sich verlieren würde. Tatsächlich aber konnte sie hassen. Wenn die Rede auf jene fremde Macht kam, die das Volk der Molaaten ausgelöscht hatte, dann war es vorbei mit der Friedfertigkeit der Paramathematikerin. »Wir sehen uns dennoch auf Blue um«, entschied Bjo Breiskoll. »Hier scheint noch alles in Ordnung zu sein. Dennoch könnte sich irgendwo eine wichtige Spur finden. Die POLLUX bleibt in einer Umlaufbahn. Wir gehen mit einem Beiboot nach unten. Sanny, Oserfan, Breckcrown, Capran und ich.« Er wandte sich dem Rothaarigen zu, der bisher schweigend in einem Sessel am Funkleitstand gesessen hatte. Capran lächelte. Abwehrend hob er eine Hand. »Ich bin nicht wild darauf, einen Planeten zu betreten«, sagte er. »Ich fühle mich an Bord viel wohler.« »Ich möchte jedoch, daß du dabei bist. Du bist ein kräftiger und intelligenter Mann, und ich möchte dich besser kennenlernen.« Capran erkannte, daß es zwecklos war, sich gegen den Befehl aufzulehnen. Also nickte er und gab damit zu erkennen, daß er bereit war, sich dem Kommando anzuschließen. »Du könntest recht haben«, bemerkte Hayes. »Wir könnten Spuren finden.« Bjo blickte ihn überrascht an. Wenn der wortkarge Hayes etwas sagte, dann hatte er ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen. Der Pilot deutete auf einen der Bildschirme, auf dem einer der sechs Kontinente zu sehen war. Der Kontinent lag in der nördlichen Hemisphäre und sah aus wie ein menschlicher Kopf.
In seinem südlichen Teil befand sich ein riesiger Krater. Er füllte fast ein Drittel des Kontinents aus. »Ob da ein Meteor eingeschlagen ist?« fragte Oserfan. »Bestimmt nicht«, erwiderte Sanny. »Das sieht aus, als hätten dort Maschinen irgend etwas abgebaut.« »Das finde ich auch«, stimmte Bjo zu. »Merkwürdig. So etwas ist nur mit einer ausgefeilten Technik möglich. Auf Blue gibt es aber keine entsprechend hochstehende Zivilisation.« »Das könnte dann bedeuten, daß jemand von außen zu diesem Planeten gekommen ist, um dort etwas abzubauen.« »Ein ziemlich aufwendiges Verfahren, nicht?« sagte Oserfan. »Aufwendig oder nicht«, rief Sanny heftig gestikulierend. »Ob sich so etwas lohnt, können wir erst beurteilen, wenn wir wissen, was da weggeholt worden ist.« * Er hat damit gerechnet, daß ich zurückkomme, dachte Doryt überrascht. Der Priester, der ihm das Leichentuch gegeben hatte, hockte vor seiner Hütte auf dem Boden und blickte ihn gelassen an. Die rote Farbe auf seiner Stirn leuchtete im Licht der aufgehenden Sonne. »Haben die Götter deinen Vater aufgenommen?« fragte er. Doryt ließ sich vor ihm auf die Knie sinken. »Du weißt, daß sie es nicht getan haben«, klagte er. »Du wußtest es schon vorher.« »Niemand kann wissen, wie die Götter sich entscheiden«, entgegnete der Esker ausweichend. »Die Entscheidung war längst gefallen. Und das wußtest du. Die Fremden haben meinem Vater etwas weggenommen. Deshalb war er so schlank wie ein Kind. Und deshalb haben die Götter ihm den Eintritt in ihr Reich verwehrt.«
Der Priester senkte den Kopf und schwieg mehrere Minuten lang. Doryt fürchtete schon, er wolle ihn abweisen und gar nicht mehr mit ihm reden. War er zu weit gegangen? Hatte er den Priester beleidigt? Endlich seufzte der Kahlköpfige und blickte auf. »Ja«, flüsterte er. »Die Fremden nehmen uns etwas weg. Ich weiß nicht, was es ist. Das wissen wohl nur die Götter und die Fremden. Dein Vater ist nicht der erste, den die Götter nicht bei sich aufgenommen haben. Vielen vor ihm ist es ähnlich ergangen. Doch wir können nichts tun. Wir müssen uns beugen.« Doryt schüttelte den Kopf. »Uns beugen? Niemals! Die Fremden freveln, und sie werden dafür bezahlen. Wir müssen sie bestrafen. Sie müssen lernen, daß wir uns wehren können. Wir werden sie vertreiben, so daß sie es nie mehr wagen, hierher zu kommen.« Die Augen des Priesters verdunkelten sich. »Wie willst du jemanden bekämpfen, der fliegen kann?« fragte er. »Wie willst du jemanden besiegen, der dir nicht einmal gestattet, in seine Nähe zu kommen? Die Fremden sind uns weit überlegen. Du mußt begreifen, daß wir machtlos gegen sie sind.« »Ich werde Mittel und Wege finden, sie zu besiegen, und wenn die Götter auf unserer Seite sind, werden sie uns helfen.« »Die Wege der Götter sind unergründlich«, wandte der Priester ein. »Die Welt unserer Gedanken ist zu klein, als daß wir die Götter verstehen könnten. Es gibt viele Dinge, die wir nicht begreifen, aber nichts geschieht ohne Grund.« »Wo finde ich die Fremden? Ich habe ihre Lichtschiffe erst einmal gesehen, und da waren sie weit von mir entfernt. Gibt es irgendwo auf der Welt einen Platz, wo die Fremden häufig sind?« Der Esker schwieg. Seine Blicke glitten ins Leere. Doryt legte ihm die Hände auf die Schultern. »Wir dürfen nicht resignieren«, sagte er beschwörend. »Wenn wir das tun, sind wir endgültig verloren. Vielleicht wollen die Götter
uns prüfen? Möglicherweise erwarten sie von uns, daß wir kämpfen. Ich habe nachgedacht und mich gefragt, wo die anderen Fischer sind, die mit meinem Vater zusammen waren. Du erinnerst dich? Er war nicht allein.« »Zwanzig Männer waren bei ihm. Ist das richtig?« »Und alle sind verschwunden«, erwiderte Doryt. »Zunächst habe ich gedacht, daß die Fremden sie entführt hätten. Aber daran glaube ich nicht mehr. Sie haben sie ebenso getötet wie meinen Vater. Wahrscheinlich haben sie die Leichen ins Meer geworfen und den Raubfischen überlassen. Wie hätten sie besser ihre Spuren verwischen können?« »Wozu sollten sie das getan haben?« »Liegt das nicht auf der Hand?« Doryt tippte sich gegen den Bauch. Da er noch jung war, hielt sich die Schwellung in Grenzen. Er wußte jedoch, daß er mit zunehmendem Alter immer dicker werden würde. »Wir haben irgend etwas ins uns, was für die Fremden wertvoll ist. Verstehst du? Da drinnen ist etwas, und wir müssen herausfinden, was es ist.« Die Augen des Priesters weiteten sich. »Nein«, lehnte er ab. »Damit würden wir die Götter beleidigen. Wir sollten uns wehren, darin gebe ich dir recht, aber wir sollten den Göttern lassen, was ihnen gehört. In uns ist die unsterbliche Seele.« »Wiegt die so viel?« entfuhr es dem jungen Mann. Der Priester richtete sich plötzlich auf. Sein Gesicht war wie aus Stein geschlagen. »Verzeih«, sagte Doryt erschrocken. »Hüte deine Zunge. Die Götter lassen sich nicht verhöhnen.« »Ich weiß. Es tut mir leid.« »Wenn du durch die nach Westen führende Schlucht gehst, wirst du nach vier Stunden auf einen alten Priester treffen, der in einer Höhle im Berg lebt. Es heißt, daß er mehr über die Fremden weiß als alle anderen.«
»Danke. Auf eine solche Auskunft habe ich gehofft.« Doryt wartete noch einige Sekunden, weil er nicht unhöflich erscheinen wollte. Als er jedoch sah, daß der Priester starr in die Ferne blickte, ohne weiter Notiz von ihm zu nehmen, packte er die Kette fester, mit der er den Raz‐Rar hielt, und eilte mit dem Tier in westlicher Richtung davon. Je weiter er kam, desto dichter war das Land bewaldet. Ein schmaler Pfad führte durch die Schlucht an hochaufragenden Felsen und undurchdringlich erscheinendem Buschwerk vorbei. Hin und wieder knurrte der Raz‐Rar drohend, wenn er die Witterung von wilden Tieren aufnahm. Einige Male antworteten Raubkatzen mit dumpfem Grollen aus dem Wald. Nie aber kam eines der Tiere, die ihnen hätten gefährlich werden können, so nahe, daß Doryt sie sehen konnte. Er wußte, daß er sich auf seinen Raz‐Rar verlassen konnte. Dieser würde ihn bei einem Angriff bis aufs Blut verteidigen. Wichtig war nur, daß er ihm rechtzeitig den Maulkorb herunterriß. Diesen mußte der Raubhund jedoch tragen, weil es einige Male vorgekommen war, daß er nach einem Mann oder einem Kind geschnappt hatte. Der Raz‐Rar ist meine stärkste Waffe, dachte der Fischer. Wenn es gelänge, ihn gegen die Fremden einzusetzen, könnte schon viel gewonnen sein. Als er zwei Stunden durch die Wildnis gelaufen war, begann es zu regnen. Er erreichte die Küste. Von nun an führte der Pfad auf der Felskante eines Fjords entlang, der tief in das Land einschnitt. Doryt stutzte, als er auf dem grauen Wasser ein Floß entdeckte. Es war in dem diffusen Licht nicht schwer auszumachen. Hin und wieder verschwand es vollends hinter den Regenschleiern. Dann aber trieb es so nahe an die Felsen heran, daß der Fischer es fast zwei Minuten lang deutlich sehen konnte. Auf den Holzstämmen kauerten etwa zwanzig Männer. Sie trugen braunes Lederzeug, das aus den Fellen von Eisrobben gewonnen worden war.
Doryt legte sich auf den Boden. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Wer waren diese Männer? Wieso trugen sie die Kleidung der Fischer? Sollten es die Männer sein, die verschollen waren? Hatten die Fremden sie gar nicht umgebracht? Verwundert schüttelte er den Kopf. Wie sollten sie hierher kommen? fragte er sich. Ich bin viel zu weit von den Inseln entfernt, bei denen sie verschwunden sind. Kein Schiff ist schnell genug, sie in so kurzer Zeit in diese Gegend zu bringen. Da er auf jeden Fall wissen wollte, wer diese Männer waren, sprang er auf und rannte über die Felsen auf jene Stelle zu, an der das Floß aller Voraussicht nach landen würde. Er verlor es für etwa eine halbe Stunde aus den Augen. Als er dann aber auf eine in den Fjord ragende Landzunge hinaustrat, war das Floß nur noch etwa hundert Meter von ihm entfernt. Es trieb rasch heran. Einer der Männer auf dem Floß stand auf. »Threyk!« schrie Doryt befreit auf. »Threyk!« Die Männer blickten zu ihm herüber, und jetzt erkannte er weitere von ihnen. Es waren Fischer aus seinem Dorf. Es waren die Männer, von denen er glaubte, die Fremden hätten sie getötet und ins Meer geworfen. Er brüllte ihre Namen über das Wasser, doch die Fischer reagierten nicht so, wie er erhofft hatte. Sie schienen überhaupt nicht zu wissen, was er meinte. »Threyk, erkennst du mich denn nicht?« fragte der junge Mann, als das Floß das Ufer erreichte und der Angesprochene an Land sprang, um das primitive Gefährt festzuzurren. Doryt eilte von einem Mann zum anderen, packte den einen an den Armen, zog den anderen an sich und boxte manchem freundschaftlich gegen die Brust. »Ich dachte, sie hatten euch entführt«, plapperte er aufgeregt. »Wir fürchteten schon, daß ihr alle tot seid.« Threyk kam zu ihm.
»Nun ist es gut, Kleiner«, sagte er. »Du hast dich ausgetobt, und wir haben dich gewähren lassen. Jetzt könntest du uns endlich verraten, was du eigentlich von uns willst.« »Aber, Threyk«, lächelte Doryt. »Erkennst du mich wirklich nicht?« »Ich habe keine Ahnung, wer du bist.« Der bärtige Mann wandte sich an die anderen. »Weiß jemand was von diesem Burschen? Ist ihm einer von euch schon einmal begegnet?« »Nun hör aber auf, Threyk«, bat Doryt. »Die Sache ist viel zu ernst, als daß wir Witze darüber machen sollten. Nun gut, ihr seid noch einmal mit dem Leben davongekommen. Das ist jedoch kein Grund, übermütig zu werden. Im Gegenteil. Jetzt sollten wir energisch handeln und zurückschlagen. Das heißt, wir sollten zumindest einen Boten nach Merrech schicken, damit eure Frauen und Kinder erfahren, daß ihr noch lebt.« »Schluß jetzt mit der Spinnerei«, entgegnete Threyk ärgerlich. »Was willst du von uns? Was ist Merrech? Und wieso behauptest du, wir hätten Frauen und Kinder?« Doryt blickte ihn bestürzt an. »Erinnerst du dich nicht mehr?« »Woran sollte ich mich erinnern?« Doryt atmete einige Male tief durch. Immerhin begriff er, daß irgend etwas diese Männer verändert hatte. Sie wußten nicht mehr, wer sie waren und woher sie gekommen waren. »Ich kenne euch alle«, rief er und drehte sich langsam um sich selbst, um jeden einzelnen genau anzusehen. Er nannte die Namen der Fischer. »Ihr seid entführt und beraubt worden. Aber nicht nur das. Die Fremden haben offenbar auch dafür gesorgt, daß ihr alles vergessen habt, was vorher war.« Threyk nickte nachdenklich. »Uns ist natürlich schon einiges aufgefallen«, erklärte er. »Wir versuchen seit einiger Zeit herauszufinden, was mit uns los ist. Es soll uns also nur recht sein, wenn da jemand kommt, der uns hilft,
Licht in das Dunkel zu bringen. Du kennst uns also wirklich?« »Selbstverständlich. Wir kommen alle aus dem gleichen Dorf. Wir sind Muschelfischer …«, begann Doryt. Er war sich klar darüber, daß noch eine schwere Arbeit vor ihm lag und er sich in Geduld fassen mußte. Sein Haß gegen die Fremden wuchs, und in gleichem Maße nahm seine Entschlossenheit zu, gegen sie zu kämpfen. * »Da«, rief Capran. »Hyperfunkimpulse.« Er zeigte auf die Monitorschirme des Beiboots, die er zu überwachen hatte. »Also auch hier. Dann war es kein Fehler, sich auf Blue umzusehen«, ergänzte er. Bjo Breiskoll kam zu ihm und nahm neben ihm Platz. Er veränderte einige Schaltungen und richtete die Antennen genauer aus, ohne jedoch die Qualität der Aufzeichnungen verbessern zu können. »Es läßt sich noch nicht einmal feststellen, ob diese Sendung von diesem Planeten kommt, oder ob wir eine Streustrahlung auffangen. Ich vermute allerdings, daß der Sender weit von uns entfernt ist.« »Weit?« fragte Capran. »Wie weit?« Er beugte sich interessiert vor. Bjo Breiskoll fiel auf, daß der Rothaarige blaß war. Schweiß bedeckte seine Stirn, und seine Gedankenimpulse verrieten, daß er Angst hatte. Voller Unbehagen näherte er sich dem Planeten, und je weiter die POLLUX hinter ihm zurückblieb, desto unruhiger wurde er. Noch niemals zuvor hatte er die SOL verlassen. Er war noch nie auf einer fremden Welt gewesen. Doch nahm er keine eindeutig ablehnende Haltung ein. Er wußte, daß er sich diesem Einsatz nicht entziehen konnte, und daher war er bei aller Angst und Unsicherheit auch neugierig. Bjo beobachtete den Mann jedoch noch aus einem anderen Grund.
Er hatte ihn telepathisch sondiert und war dabei zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, daß Capran nichts mit den Verbrechen zu tun hatte, die man ihm vorwarf. Nicht der geringste Zweifel schien erlaubt, und doch konnte der Telepath einen gewissen Argwohn gegen Capran nicht unterdrücken. »Mehrere Lichtjahre«, antwortete er. Das Beiboot flog in etwa vier Kilometern Höhe über die blau schimmernde Fläche eines Meeres nach Norden. Vor ihnen lag der Kontinent mit dem riesigen Krater. »Wenn ich ein paar Informationen mehr hätte, könnte ich ohne weiteres ausrechnen, wo der Sender steht«, behauptete Sanny. Sie strahlte den Katzer breit lächelnd an, als warte sie nur darauf, daß er ihr die gewünschten Daten gebe. Dabei mußte sie wissen, daß er dazu gar nicht in der Lage war, weil die Bordpositronik keine weiteren Daten preisgab. »Warten wir ab«, sagte Breiskoll. »Vorläufig kümmern wir uns nur um den Krater. Wenn wir Glück haben, verrät er uns einiges über die Fremden.« »Was zum Beispiel?« fragte Capran. »Wir werden sicherlich herausfinden, was hier abgebaut wurde. Und wenn wir das wissen, können wir vielleicht ein paar Schlüsse daraus ziehen.« Breckcrown Hayes führte das Beiboot über einen dicht bewaldeten Bergrücken hinweg, und dann erschien der Krater vor ihnen auf den Bildschirmen. Ein gigantisches Loch gähnte in der Planetenoberfläche. »Wir landen«, befahl der Katzer. Hayes schien nur auf eine derartige Anweisung gewartet zu haben. Er verzögerte augenblicklich und setzte das Kleinraumschiff am Rand des Kraters auf. Mittlerweile hatte das ausgefeilte Instrumentarium des Beiboots längst die notwendigen Luftanalysen durchgeführt und eine Reihe
von weiteren Untersuchungen vorgenommen. Einige Zahlen und Farbsymbole zeichneten sich auf den Bildschirmen ab. »Wir können das Raumschiff verlassen«, stellte der Katzer fest. »Schutzanzüge oder Atemmasken sind nicht notwendig.« Die Positronik wies anschließend auch die für die Molaaten wichtigen Daten aus, und auch aus ihnen ging hervor, daß keine Gefahr bestand. Sanny und Oserfan konnten Bjo und Capran also begleiten, ohne Schutz Vorrichtungen anlegen zu müssen. Breckcrown Hayes blieb an Bord, um die Space‐Jet zu sichern. »Es sieht nicht so aus, als wäre das wirklich notwendig«, sagte Breiskoll, »wir wollen aber lieber etwas vorsichtiger sein, solange wir noch so wenig über diese Welt und ihre Bewohner wissen.« »Falls es solche Bewohner überhaupt gibt«, bemerkte Capran. »Es gibt sie. Davon bin ich überzeugt«, antwortete Breiskoll. »Ich habe zwar noch keine telepathischen Impulse aufgefangen, aber das hat gar nichts zu bedeuten.« Wenn ich intensiv suchen würde, hätte ich bestimmt Erfolg, wollte er noch hinzufügen, unterließ es jedoch, weil er eine solche Erläuterung für überflüssig hielt. Blue ähnelte in vielen Äußerlichkeiten der Erde. Auch die geophysikalischen Daten ließen erkennen, daß alle Voraussetzungen für die Entwicklung höherstehenden Lebens gegeben waren. Daher hielt er intelligentes Leben auf dieser Welt für so wahrscheinlich, daß er meinte, darüber keine weiteren Worte verlieren zu müssen. Er trat durch die Schleuse hinaus in die klare Luft dieser fremden Welt. Einige Meter vom Beiboot entfernt blieb er stehen. Capran, Sanny und Oserfan schlossen zu ihm auf. Die beiden Molaaten kletterten auf einige Felsbrocken, um eine bessere Übersicht zu haben. »Von hier aus und in direkter Sicht ist das alles noch viel imposanter als auf dem Bildschirm«, stellte Oserfan fest. Er stemmte die kleinen Fäuste in die Seiten. »Es ist einfach gewaltig.« Mittlerweile hatten die Molaaten Interkosmo gelernt, so daß es
keine Verständigungsschwierigkeiten mehr gab. »Man kann nicht sehen, wie groß der Krater ist«, fügte Capran hinzu. »Der gegenüberliegende Rand ist zu weit entfernt. Man kann es nur ahnen.« Tatsächlich schien der Krater sich endlos auszudehnen. Leichter Dunst verhüllte den Horizont. Auch war nicht abzuschätzen, wie tief die Maschinen der Fremden sich in die Kruste des Planeten eingegraben hatten. Bjo Breiskoll vermutete, daß die tiefste Stelle des Kraters mehrere Kilometer unter ihnen lag. Schutt, Abraum, Geröll und Asche bedeckten den Boden. Als der Katzer sah, daß Breckcrown Hayes in der Schleuse erschien, bat er ihn, einige Sondierungsroboter auszuschleusen. »Vielleicht finden sie heraus, was hier abgebaut worden ist«, sagte er. »So kann man es jedenfalls nicht erkennen.« Ein faustgroßer Steinbrocken flog an seinem Kopf vorbei und prallte krachend neben ihm auf. Bjo zuckte zurück. Forschend blickte er sich um. »Woher ist er gekommen?« fragte er. »Ich habe nichts gesehen«, erwiderte Capran. »Glaubst du, daß jemand nach dir geworfen hat?« fragte Sanny. Der Katzer tastete die Umgebung mit seinen telepathischen Sinnen ab, stieß jedoch ins Leere. »Da ist niemand«, sagte er langsam, »aber so ein Stein kann schließlich nicht von selbst durch die Luft fliegen, oder?« »Natürlich nicht«, antwortete Capran. Dann stöhnte er laut auf und brach zusammen. Ein Stein fiel neben ihm auf die Felsen. Sanny sprang von ihrem Aussichtspunkt herab und beugte sich über den Rothaarigen. »Er ist bewußtlos«, verkündete sie. »Der Stein hat ihn am Hinterkopf getroffen.« 4.
Threyk stellte sich immer eindeutiger auf die Seite Doryts. Wenn einer der anderen Männer Einwände machte oder ihn mit unnötig erscheinenden Fragen aufhielt, wies er ihn scharf zurück. So abweisend er zunächst auch gewesen war, je länger das Gespräch dauerte, desto kooperativer wurde er. Er war der erste, dessen Zweifel an Doryts Bericht sich legten, und er half, die anderen zu überzeugen. Bei den meisten Männern kehrte die Erinnerung an ihr früheres Leben bald wieder zurück. Nur die Ereignisse der letzten Tage blieben in Vergessenheit. »Seht euch an«, forderte Doryt sie auf, als er glaubte, sie ausreichend vorbereitet zu haben. »Faßt eure Bäuche an. Nun? Fällt euch nichts auf?« »Doch«, erwiderte Threyk. »Irgend etwas stimmt nicht. Ich war schon seit Jahren nicht mehr so schlank. Der Bauch ist weg. Meine Hose ist viel zu weit. Ich muß sie dauernd hochziehen.« Jetzt wurde auch den anderen in vollem Umfang bewußt, wie sehr sich ihr Äußeres verändert hatte. Die meisten setzten sich voller Scham auf den Boden und zogen die weiten Blusen über die Knie, als könnten sie dadurch ihre vermeintliche Häßlichkeit verbergen. »Genauso war es bei meinem Vater«, berichtete Doryt. »Nur – er war tot. Die Fremden haben ihn umgebracht. Nachdem sie ihm etwas aus seinem Körper gestohlen hatten, starb er.« »Wozu erzählst du uns das alles?« fragte der untersetzte Mann, der neben Doryt auf dem Boden hockte. Er hatte ein rotbraunes, verbranntes Gesicht und grüne, hervorquellende Augen. »Ich will eure Seelen retten. Ihr müßt euch zurückholen, was man euch gestohlen hat, oder ihr seid dazu verurteilt, für alle Ewigkeit ruhelos umherzuwandern. Die Tore der göttlichen Gefilde bleiben euch verschlossen. Ich weiß es, weil ich meinen Vater nach den alten Vorschriften bestattet habe. Ihr alle wißt, daß der Schlund des Berges sich mit blauem Feuer füllt, wenn der Tote das Tor
durchschreitet. Bei meinem Vater hat sich nichts verändert, und ein Priester hat es mir vorausgesagt.« »Es ist verrückt«, bemerkte Corko, einer der älteren Fischer. Doryt kannte ihn gut, da er einige Male mit ihm aufs Meer hinausgefahren war. »Solange ich denken kann, ist mir niemals ein Erwachsener begegnet, der so schlank ist wie ich oder wie ihr. Seht mich an. Die Haut ist schlaff und weich über meinem Bauch. Doryt hat recht. Die Fremden haben uns etwas aus dem Körper genommen.« »Aber was?« fragte Kämmen, ein junger, energischer Mann mit schmalen Schultern, aber großen, zupackenden Händen. »Ich muß ganz ehrlich sagen, ich fühle mich wohl. Das Druckgefühl, das mich häufig gequält hat, ist weg. Ich kann freier atmen als sonst.« Zwei Männer, die im Fjord nach Muscheln getaucht hatten, kehrten an die Feuerstelle zurück, die Doryt und Threyk errichtet hatten. Sie hatten soviele Muscheln erbeutet, daß alle davon satt werden konnten. Hungrig machten sich die Fischer über die begehrte Speise her, die sie auch ohne Messer mit Hilfe von kantigen Steinen öffnen konnten. »Ich fühle mich auch ganz gut«, erklärte Threyk, als er sich gesättigt hatte. »Dennoch ist es eine grauenhafte Vorstellung für mich, daß irgendwelche fremden Wesen meinen Bauch geöffnet und etwas daraus hervorgeholt haben, was mir gehört.« »Dafür verdienen sie den Tod«, hakte Doryt rasch ein. »Wir müssen den Fremden eine Lehre erteilen, durch die sie für alle Zeiten vertrieben werden.« Der Raz‐Rar knurrte wütend. Doryt bemerkte, daß er eine Bergziege ausgemacht hatte, die hoch über ihnen in den Felsen kletterte. Er nahm dem Raubhund rasch den Maulkorb ab und gab die Kette frei. Der Raz‐Rar raste lautlos davon. »Hier in der Nähe gibt es einen Priester, der uns sagen kann, wo wir die Fremden finden. Wir werden uns bewaffnen und ihnen auflauern«, fuhr Doryt fort. »Ihr werdet mich begleiten, denn allein kann ich nichts ausrichten.«
»Wozu sollten wir?« fragte Kämmen. »Uns haben sie gerade ausgenommen, also werden sie uns von nun an in Ruhe lassen.« »Dummkopf«, fuhr Threyk ihn an. »Geh doch hin und zeige dich deinem Weib, so wie du aussiehst. Sie wird sich von dir abwenden. Und du bist zur ewigen Ruhelosigkeit verurteilt, wenn du dir nicht zurückholst, was dein ist. Wenn du endlose Qualen willst, dann bleibe hier. Wir jedenfalls eröffnen den Krieg gegen die Fremden. Oder sagen wir lieber: Wir nehmen den Kampf auf. Denn der Krieg hat längst begonnen. Die anderen führen ihn schon seit Jahren gegen uns, ohne daß wir uns dessen bewußt geworden sind.« »Ich bin der Älteste von euch«, sagte Corko. »Immerhin bin ich schon einunddreißig Jahre alt. Bis zu meinem Ende ist es also nicht mehr lange hin. Und ich kann euch sagen, wenn man so dicht dran ist, an das Tor zur Ewigkeit zu klopfen, dann ist einem schon wichtig, daß man alles in Ordnung gebracht hat. Wir müssen kämpfen. Daran führt kein Weg vorbei.« »Irgend etwas stimmt doch dabei nicht«, rief Kämmen. Er zog seine Bluse hoch, so daß alle seinen flachen Bauch sehen konnten. »Wenn sie mich aufgeschnitten hätten, dann müßte da doch eine frische Narbe zu sehen sein, oder?« »Dein Bauch ist faltig und so häßlich, daß mir schlecht von seinem Anblick wird«, erwiderte Corko. »Narben sind jedoch nicht zu sehen. Und doch müssen die Fremden etwas herausgeholt haben, denn vorher war dein Bauch dick und rund, so wie es sein soll.« »Lassen wir das«, schlug Doryt vor. »Später bleibt immer noch genügend Zeit, darüber zu streiten. Vielleicht finden wir eines Tages heraus, wie die Fremden es angestellt haben, euch so zu verändern. Jetzt müssen wir erst einmal kämpfen. Oder wollt ihr das Risiko eingehen, daß sie eure Söhne, Töchter und Frauen holen und unters Messer legen?« Daran schien bisher keiner von ihnen gedacht zu haben. Nach den Worten des jungen Mannes wurde es zunächst einmal ruhig am Feuer. Dann aber brach ein Sturm der Empörung los. Die Fischer
sprangen auf und schrien wütend durcheinander. »Meinen Vater haben sie ermordet«, fügte Doryt hinzu, als es ein wenig ruhiger wurde. »Wollt ihr, daß sie auch eure Familien umbringen?« Diese wenigen Worte genügten nun, die Fischer in einen wahren Zornesrausch zu versetzen. So war es relativ leicht für Doryt, sie zum Aufbruch zu bewegen und mit ihnen zu dem Priester zu ziehen, der dem Vernehmen nach mehr über die Fremden wußte, als die meisten anderen Menschen. Zwei Stunden darauf standen sie ihm in seiner Höhle gegenüber. Er war ganz anders, als Doryt sich ihn vorgestellt hatte. Er war klein, untersetzt und so dick, daß er unter Atemnot litt. Seine winzigen Augen lagen unter schweren Lidern. Der Esker trug einen einfachen Umhang aus Sackleinen, den er schon lange nicht mehr gewaschen zu haben schien. Seine Füße steckten in metallenen Stiefeln, die mit kostbaren Zierrat versehen waren. Er war nicht überrascht, als Doryt ihm gesagt hatte, weshalb sie gekommen waren. »Früher oder später mußte jemand erwachen und den Kampf aufnehmen«, sagte er. »Ich habe mich nur immer gefragt, wann das sein wird. Nun ist es also soweit.« Er schnaufte, griff nach einem Krug und trank Wasser. »Schon lange beobachte ich die Fremden, und ich lasse mir alles berichten, was mit ihnen zusammenhängt.« Er deutete auf einen schmalen Felsspalt in der Nähe. »In dem Spalt hast du sie gesehen?« fragte Kämmen verblüfft. »Dummkopf. Natürlich nicht in dem Spalt. Ich habe lediglich bemerkt, daß man an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten den roten Stern deutlich sehen kann, wenn man durch den Spalt zum Himmel blickt. Dadurch kann man Berechnungen anstellen, von denen du keine Ahnung hast. Als ich wieder einmal Beobachtungen anstellte, habe ich verfolgt, wie die Schiffe der Fremden kamen. Sie näherten sich genau aus der Richtung des roten Sterns. Und später
flogen sie in der gleichen Richtung wieder davon. Daher ist für mich sicher, daß der rote Stern ihre Heimat ist.« »Was hilft uns das?« fragte Doryt unwillig. »Dorthin können wir ihnen nicht folgen. Wir wollen sie hier erwischen. Wo landen sie meistens? Wo können wir gegen sie kämpfen?« Der Priester seufzte resignierend. Er hätte gern mehr über seine Beobachtungen der Sterne und der fremden Raumschiffe erzählt. Doch er begriff, daß ihm niemand zuhören würde. »Fahrt über das Meer. Genau nach Osten. Nach zwei Tagen werdet ihr Land erreichen. Wie es heißt, ist es ein wildes, felsiges Land, das sich aus dem Meer erhebt. Steigt die Berge hoch. Dann werdet ihr die Fremden sehen. Sie tragen die Berge ab.« Threyk glaubte, sich verhört zu haben. »Sie tragen die Berge ab?« fragte er. »Wie ist das möglich?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht könnt ihr es klären. Verliert keine Zeit. Kämpft.« »Womit?« Kämmen breitete ratlos die Arme aus. »Wir sind Fischer. Wir können mit der Harpune und dem Muschelspeer umgehen, aber nicht mit Waffen.« »Fahrt über das Meer. Seht euch die Fremden an. Und dann entscheidet. Vielleicht hilft euch eine List.« Der Priester stöhnte erschöpft. Er legte die flachen Hände gegen die Brust. »Jetzt habt ihr mich aber lange genug aufgehalten. Laßt mich jetzt allein. Es ist Zeit für das Gebet.« Die Fischer dankten dem Esker und zogen sich voller Ehrfurcht zurück. Die Einsiedler wurden überall auf dem Planeten respektiert. Die meisten von ihnen lebten in der Nähe des Vulkans, in dem die Toten bestattet wurden. Sie brauchten nicht zu arbeiten. Täglich kamen Trauernde vorbei und schenkten ihnen, was sie zum Leben benötigten. So konnten sich die Eremiten der Meditation widmen. Threyk riß die Initiative vorübergehend an sich. »Wir werden tun, was der Esker uns empfohlen hat«, sagte er leise, um den Priester nicht zu stören. »Wir kehren zum Floß zurück
und verbessern es. Wir müssen es vor allem sicherer machen und mit einem Mast und einem Segel versehen. Damit brechen wir dann auf.« Niemand widersprach ihm. * »Schnell, zurück ins Beiboot«, befahl Bjo Breiskoll, der kein unnötiges Risiko eingehen wollte. »Wir müssen unsere Untersuchungen nicht ausgerechnet hier beginnen.« Er wehrte Sanny und Oserfan ab, die ihm helfen wollten, den Bewußtlosen in die Space‐Jet zu bringen. »Das schaffe ich schon allein«, sagte er und zog den Kopf ein, um einem Stein zu entgehen, der überraschend auf ihn zuflog. Das Geschoß strich so dicht an ihm vorbei, daß er spürte, wie es an den Haaren zupfte. Im nächsten Moment errichtete Breckcrown Hayes ein Schirmfeld um das Beiboot. Von diesem prallten mehrere Steine wirkungslos ab. Dieses Mal beobachtete der Katzer deutlich, daß sich die Steine ruckartig von den Felsen lösten, als würden sie von unbekannter Hand herausgerissen. Dann beschleunigten sie nur noch geringfügig, waren jedoch schnell genug, um auch schwere Verletzungen hervorrufen zu können. Bjo zog Capran in die Schleuse. Dann blickte er nachdenklich hinaus. Hielt sich doch jemand zwischen den Felsen auf? Eine unsichtbare Entität womöglich, die zudem ihre Gedanken abschirmen konnte? »Da draußen ist nichts«, sagte Hayes, der sich zu ihm gesellte. »Ich habe die ganze Gegend abgesucht und dabei alles eingesetzt, was in Frage kommt, von der Infrarotortung bis zum Individualtaster. Da ist wirklich nichts.« »Seltsam. Ich habe noch nie von Felsen gehört, die sich selbst
zersprengen und dabei mit Steinen nach anderen werfen.« »Ich auch nicht.« Hayes zuckte die Schultern. »Aber die Natur scheint sich nicht darum zu kümmern, ob wir davon gehört haben oder nicht.« »Wir fliegen weiter und landen an anderer Stelle«, entschied der Katzer. »Vielleicht ist Mutter Natur dort etwas freundlicher zu uns.« Capran kam allmählich wieder zu sich. Er stöhnte leise, und seine Lider zuckten. Hayes lächelte flüchtig. »Männer wie er werden sich in ihrer Ansicht bestärkt sehen, daß wir an Bord der SOL bleiben sollten und auf Planeten nichts zu suchen haben.« Dann drehte er sich um und ging in die Hauptleitzentrale. Das Beiboot startete unmittelbar darauf. Bjo lehnte an einer Wand der Schleuse und beobachtete den Rothaarigen. Für einige Sekundenbruchteile hatte er den Eindruck, einer gespaltenen Persönlichkeit gegenüberzustehen. Verschiedene Gedankenströmungen, die nicht zueinander passen wollten, tauchten aus dem Nichts auf und verschwanden sogleich wieder, so als ob sie sich hinter einer unsichtbaren Barriere verborgen hielten, die brüchig geworden war. Breiskoll stutzte. Etwas Derartiges war ihm noch bei keinem Menschen begegnet. Besaß Capran eine gespaltene Persönlichkeit? Verbarg sich eine Persönlichkeit in ihm, die für das Böse verantwortlich war, was man ihm zur Last gelegt hatte? Und wurde diese von einer zweiten, guten überlagert, die gar nicht wußte, was die andere angerichtet hatte, wenn sie die Gewalt über den Körper hatte? Unsinn! fuhr es ihm durch den Kopf. Es ist etwas ganz anderes. Er fühlte, wie es ihm heiß über den Rücken lief. Plötzlich fühlte er sich bedroht. Er wandte sich ab und tat, als befasse er sich mit der positronischen Kontrolle der Schleuse. Tatsächlich aber lauschte er
mit allen Sinnen. Ein ungeheuerlicher Verdacht kam in ihm auf. Sollte Capran in der Lage sein, seine Gedanken mit absoluter Vollkommenheit zu beherrschen? Konnte der Rothaarige ihm harmlose Gedanken, wie sie zu einer grundanständigen Persönlichkeit gehörten, vorgaukeln, und seinen wahren Charakter hinter diesem Scheinbild verstecken? Der Katzer war noch niemals jemandem begegnet, der so etwas konnte. Die Gedanken der meisten Menschen verliefen sprunghaft, waren unvollkommen, gingen nur selten in die Tiefe, sondern befaßten sich meistens nur flüchtig mit Problemen kleinerer Art und konzentrierten sich nur dann auf ein Thema, wenn es von elementarer Wichtigkeit war, dieses zu bewältigen. Aber auch dann gab es gedankliche Unterströmungen, die nicht zum Thema gehörten oder in eine falsche Richtung führten, dann abgebrochen und in anderer Richtung fortgesetzt wurden. Das gesamte Gedankenbild war bunt und variantenreich. Es erschöpfte sich kaum jemals in formulierten Sätzen. Deshalb hatte Bjo bisher noch nie daran gedacht, daß ihm jemand ganz bewußt ein völlig falsches Gedankenbild anbieten und dabei so perfekt sein könnte, daß er als Telepath das Trugbild nicht zu erkennen vermochte. Als er sich wieder umdrehte, richtete Capran sich auf. Der Rothaarige blickte ihn voller Argwohn an. In seinem Gesicht zuckte es, aber seine Gedanken paßten nicht zu diesem lauernden Ausdruck. Sie befaßten sich mit den fliegenden Steinen, mit den Unwägbarkeiten der Welten außerhalb der SOL und mit den beiden Molaaten. Bjo Breiskoll hatte das Gefühl, von einer eisigen Hand berührt zu werden. Die Gedanken eines Mentalstabilisierten konnte er nicht empfangen. Aber das störte ihn nicht. Er wußte, weshalb das so war. Bei Capran aber war er unsicher. Er spürte, daß eine Gefahr von diesem Mann ausging, aber er hatte das Gefühl, sie nicht einkreisen
zu können. Du hast voreilig gehandelt! warf er sich vor. Du hättest ihn nicht ohne weiteres mitnehmen dürfen. Er ging in die Zentrale. Hayes war mittlerweile gestartet. Das Beiboot war bereits etwa zweihundert Meter über dem Krater. »Sturm kommt auf«, sagte der Pilot und deutete auf einen der Bildschirme, auf denen die Berge an der Küste und das Meer zu sehen war. Schwarze Wolken ballten sich über dem Wasser zusammen, und weiße Schaumkronen zeigten an, daß bereits ein scharfer Wind wehte. * »Wir schaffen es nicht«, brüllte Corko. Er kauerte am Bug des Floßes, das sie aus Dutzenden von Baumstämmen gebaut hatten, und klammerte sich mit einer Hand an ein Halteseil. »Natürlich schaffen wir es«, antwortete Doryt. Er stand zusammen mit Threyk und dem Raz‐Rar am Heck und lenkte das primitive Fahrzeug. Der Sturm blähte das Segel und trieb das Floß voran. Doch zugleich peitschte er die Wellen immer höher auf, so daß es von Minute zu Minute schwieriger wurde, das Floß zu kontrollieren. Kämmen streckte einen Arm aus. »Da vorn sind die Berge«, schrie er. »Es ist nicht mehr weit.« Furcht empfand keiner von ihnen. Sie alle waren Fischer und kannten sich mit der See aus. Sie wußten, daß sie auch dann noch eine gute Chance hatten, die Küste lebend zu erreichen, wenn das Segel bersten und der Mast abbrechen sollte. Doch keiner von ihnen hatte das Verlangen, sich in die Fluten zu stürzen und zu schwimmen. Wenn Sturm aufkam, dann stiegen die Raubschlangen vom Grund des Meeres auf und griffen alles an, was an der
Oberfläche trieb. Das Floß war groß und schwer. Die Schlangen, die bis zu fünf Meter lang wurden, konnten es nicht umwerfen. Ein einzelner Schwimmer aber war ihnen hilflos ausgeliefert. Es schien, als seien sie trotz aller Widrigkeiten relativ sicher. Doch plötzlich änderte sich die Situation. Doryt konnte nicht verhindern, daß sich das Floß etwas drehte. Augenblicklich begann das Segel zu flattern. Er spürte die harten Schläge in seinem Arm, als er versuchte, es zu reffen, und plötzlich schien es, als durchbohre ihn ein Messer. Er schrie auf, ließ das Seil fahren und stürzte zu Boden. Ein Brecher schoß gischtend über das Floß hinweg. Die nachfolgende Welle drückte es seitlich hoch, und mit einem Mal drohte es umzukippen. In panischer Angst stemmten sich die Fischer gegen die Baumstämme. Sie versuchten, das Floß zu retten, obwohl jeder von ihnen wußte, daß sie kaum eine Chance hatten. Doryt rollte mit schmerzverzerrtem Gesicht über die Baumstämme. Mit einem raschen Griff verhinderte Threyk, daß er ins Wasser fiel. »Was ist los mit dir?« fragte er, während er fieberhaft mit dem Ruder arbeitete, um das Floß wieder in eine stabile Lage zu bringen. »Mein Bauch«, klagte der junge Mann. »Es bringt mich um! Es tut so weh.« Threyk ließ den Kopf sinken. »Sei froh, daß du den Fremden nicht in die Hände gefallen bist«, sagte er traurig. »Die Götter werden dich aufnehmen.« Doryts Augen weiteten sich. Offenbar hatte er noch nicht daran gedacht, daß er unter den ersten untrüglichen Symptomen eines Geschehens litt, das unweigerlich mit dem Tod endete. »Du meinst, ich muß sterben?« stammelte er. Threyk nickte. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »Wenn wir dies hier überleben,
werden wir auch ohne dich mit aller Kraft gegen die Fremden kämpfen.« Er kam offensichtlich gar nicht auf den Gedanken, daß der Junge am Leben hing und keine Sehnsucht danach hatte, in den Schlund des Kraters gestürzt zu werden. Dann rollten nacheinander fünf schwere Brecher über das Floß hinweg, und niemand war mehr in der Lage, es zu kontrollieren. In diesen Sekunden klammerten sich alle nur an die Baumstämme, um von den Fluten nicht mitgerissen zu werden. Niemand achtete auf den anderen, und einige brüllten ihre Angst und Not hinaus. Der Raz‐Rar vertraute dem Floß offenbar nicht mehr. Mit einem mächtigen Satz schnellte er sich ins Wasser hinaus. Er verschwand in den Wellen. Doryt schrie seinen Namen. Dann vergrub er den Kopf zwischen den Armen. Er spürte, wie seine Kräfte nachließen. Er konnte sich kaum noch halten. Die Schmerzen in seinem Leib wurden nahezu unerträglich. Seine Blicke richteten sich gegen den Himmel. Schwarze Wolken schoben sich über ihn hinweg. Sie schienen die Vorboten der Hölle zu sein. Threyk hat recht, dachte er. Wenn ich schon sterben muß, so sollte ich doch froh sein, daß mir der Weg zu dem ewigen Glück nicht versperrt ist. Er sah, wie sich ein diskusförmiges Etwas aus den Wolken herabsenkte und sich ihnen näherte. Im ersten Moment begriff er nicht. Doch dann bäumte er sich verzweifelt auf. »Die Fremden«, brüllte er. Mit einem Schlag wurde er sich dessen bewußt, daß er der einzige auf dem Floß war, der noch etwas in sich hatte, was für die Fremden so wertvoll war, daß sie dafür Verbrechen begingen. Alle anderen hatten es bereits verloren. Die anderen hörten ihn nicht. Sie kämpften um ihr Leben und achteten nicht auf das, was über ihnen war.
Doryt vergaß seine Schmerzen. Er zweifelte nun nicht mehr daran, daß er in wenigen Minuten tot sein würde. In dieser kurzen Zeitspanne aber waren die Fremden vielleicht schon da, um ihm das einzige zu stehlen, was jetzt noch von Bedeutung für ihn war. Er dachte daran, wie es seinem Vater ergangen war. Mir soll das nicht passieren! Sie sollen sich getäuscht haben. Mich fangen sie nicht ein. Er ließ sich los. Eine Welle türmte sich über dem Floß auf und schleuderte ihn herunter. Doryt stürzte ins Wasser. Er wollte die Luft nicht anhalten, sondern tief einatmen, weil er wußte, daß er das Bewußtsein sofort verlieren würde, wenn Wasser in seine Lungen drang. Doch da packte ihn eine unsichtbare Kraft und zog ihn aus dem Wasser heraus. Er sah die anderen Fischer neben sich, die frei durch die Luft schwebten und in einer Öffnung der fliegenden Scheibe verschwanden. Er schlug mit Armen und Beinen um sich und kämpfte mit aller Kraft gegen das vermeintlich Schreckliche an, das ihm drohte. Doch auch er konnte nicht verhindern, daß ihn die unsichtbare Macht ins Schiff beförderte. Als er durch die Öffnung glitt, wurde es plötzlich ruhig um ihn. Das Heulen des Sturmes verstummte, und das Donnern der Brandung verklang. Er sank auf den Boden und fand sich neben den anderen wieder, die sich vor Erschöpfung nicht mehr aufrecht halten konnten. Ihn aber trieb die Angst hoch. Er sah, daß sich die Tür hinter ihm schloß, durch die er hereingekommen war. Tief unter ihm stürmten die gischtenden Wellen gegen die nahe Küste an. Das Floß löste sich in seine Einzelteile auf. Dorthy glaubte, eine allerletzte Chance zu haben, sein Seelenheil noch zu retten. Er versuchte, sich durch die Öffnung in die Tiefe zu stürzen, doch er prallte gegen ein unsichtbares
Hindernis, fiel auf den Boden und verlor das Bewußtsein. 5. »Das war wirklich in allerletzter Sekunde«, seufzte Sanny. »Ich hätte nicht gedacht, daß wir es noch schaffen, alle zu retten«, fügte Oserfan erleichtert hinzu. »Der Sturm scheint diese Leute überrascht zu haben.« »Einer von ihnen befindet sich in akuter Lebensgefahr«, sagte Bjo Breiskoll. »Wir müssen ihn sofort zu einem Medoroboter bringen.« Er verließ die Zentrale der Space‐Jet, von der aus er die Rettungsaktion geleitet hatte, und ließ sich in das unterste Deck absinken, auf dem sich die Geretteten jetzt befanden. Hayes hatte den Interkom eingeschaltet und nahm für den Translatorteil der Positronik alles auf, was bei den Männern gesprochen wurde, die beinahe ertrunken wären. Bjo ahnte, daß es schwer sein würde, dem Jungen zu helfen, dessen Gedanken er aufgefangen hatte. Die anderen würden ihn mißverstehen, wenn er ihn aufhob und hinaustrug. Der Telepath hatte erst vor wenigen Minuten die Gedanken der Fischer aufgefangen und ihre Not erkannt. Danach hatte er die Rettungsaktion augenblicklich eingeleitet. Jetzt konnte er nur hoffen, daß die Fischer möglichst viel sprachen, weil der Translator nur dann ausreichende Sprachinformationen erhielt und dadurch eine Verständigung ermöglichte. Als er den Antigravschacht verließ, sahen ihn die Fischer. Sie richteten sich auf und blickten ihn ängstlich an. Sie waren humanoid und kleiner als er. Der Junge war höchstens 1,50 Meter groß. Er lag direkt im Schleusenschott, und die anderen schirmten ihn mit ihren Leibern ab. Bjo erfaßte ihre Gedanken und erkannte, daß die Männer Angst vor ihm hatten und um das Seelenheil des Jungen fürchteten. Sie
verwechselten ihn mit anderen Raumfahrern, die diesen Planeten schon oft heimgesucht und beraubt hatten. Sie hatten den hier lebenden Menschen etwas genommen, was dafür verantwortlich war, daß sie einen stattlichen Bauch hatten. Der Junge stirbt. Du mußt etwas tun. Notfalls mußt du mit Gewalt gegen sie vorgehen. Er trat einen Schritt auf den Bewußtlosen zu. Die Männer schoben sich noch enger zusammen und schienen entschlossen zu sein, ihn nicht durchzulassen. Aufgeregt redeten sie durcheinander. »Ich muß zu ihm«, sagte der Katzer. »Ich will ihm helfen.« Die Männer hatten eine dunkelbraune Haut. Die Schultern waren mit einer perlmutterartigen Kruste überzogen, die fester Bestandteil ihres Körpers zu sein schien. Fast alle trugen sackartige Gewänder, die ihnen bis an die Knie reichten. Die Füße und die Beine waren nackt. Breite Gürtel spannten sich um die Hüften der Männer. Darin steckten allerlei Nadeln und Spangen, deren Funktion Bjo nur erraten konnte. Er vermutete, daß sie irgend etwas mit dem Beruf dieser Muschelfischer zu tun hatten. »Er stirbt«, sagte der Katzer. »Laßt mich zu ihm.« Sie wichen nicht zur Seite. Sie verstanden ihn nicht. Da plötzlich brachen fremde Laute aus dem Interkom, als Breckcrown Hayes den Translator einschaltete. Aus den Gedanken der Fischer leitete Bjo die Übersetzung ab. »Er stirbt«, wiederholte er. »Laßt mich zu ihm, damit ich ihm helfen kann.« Dieses Mal wiederholte der Translator seine Worte und übersetzte sie, doch auch jetzt wichen die Männer nicht zur Seite. Der Tod hatte nichts Erschreckendes für sie, sofern er nicht durch solche Ereignisse herbeigeführt wurde, wie sie sie gerade überstanden hatten. Aus ihren Gedanken erfuhr Bjo, daß sie alle nur ein kurzes Leben kannten. Kaum jemand von ihnen wurde älter als dreißig Jahre. Dann waren die Leiber so angeschwollen, daß ein Überleben gar nicht mehr möglich war. Niemand aber sah darin so
etwas wie eine Krankheit, sondern jeder empfand als normal, daß sich das Leben nach einer so kurzen Spanne seinem Ende zuneigte. Deshalb waren sie auch nicht bereit, mehr als unbedingt notwendig für irgend jemanden zu tun, der erkrankt war. »Wir sind nicht jene, die euch gequält haben«, erklärte der Katzer. »Wir kommen als Freunde, um an eurer Seite zu kämpfen.« Sie glauben ihm nicht. Der Telepath erfaßte innerhalb weniger Sekunden, unter welchen Ängsten die Freunde des Jungen litten, und was ihr Motiv war. So behutsam, wie nur eben möglich, setzte er ihnen auseinander, daß Doryt behandelt werden mußte. Er sagte ihnen, daß sie alle dabei sein konnten, wenn sie wollten, und daß er nichts tun würde, ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen. Sie waren überrascht, und sie diskutierten eine Weile miteinander. Schließlich trat der Größte von ihnen vor. »Mein Name ist Threyk«, sagte er. »Wir werden darüber wachen, daß nichts Verbotenes geschieht. Beweise uns, daß du unser Freund bist.« Er dachte daran, daß ihre Kampfkraft ganz erheblich steigen würde, wenn es ihnen gelang, Verbündete gegen jene Fremde zu gewinnen, denen ihr ganzer Haß galt. »Nimm ihn auf und trage ihn. Ich zeige dir, wohin.« Threyk gehorchte. »Bist du nicht ein wenig zu unvorsichtig?« fragte Hayes über Interkom. »Was ist, wenn diese Kerle auf den Gedanken kommen, uns anzugreifen?« »Dann werde ich es rechtzeitig erfahren. Vergiß nicht, daß ich sie telepathisch überwache. Notfalls müssen wir sie paralysieren.« Er hatte die Tür zu einem Raum erreicht, in dem ein Medo‐ Roboter stand. Er öffnete sie und führte Threyk zu der Maschine. »Ich will zunächst nur eine Diagnose«, befahl er dem Automaten. »Du wirst mit der Therapie erst beginnen, wenn ich meine Zustimmung gegeben habe.«
»Nur die Diagnose«, antwortete der Roboter. Threyk legte Doryt auf den Untersuchungstisch. Dann wich er erschreckt stöhnend zurück, als sich blitzende Sonden aus dem kastenförmigen Roboter hervorschoben und an den Körper des Bewußtlosen legten. Nur Sekunden verstrichen, dann leuchtete ein Bildschirm auf. Ein Röntgenbild zeichnete sich darauf ab. Überrascht trat der Katzer näher an den Bildschirm heran. Deutlich war ein kopfgroßes Gebilde zu erkennen, das sich aus vielen kleinen Kugeln zusammenzusetzen schien. Bjo wandte sich an Threyk und erläuterte ihm, daß dieses Bild das Innere Doryts zeigte. Der Fischer glaubte ihm, hielt jedoch das ganze Geschehen für Zauberei. »Was ist das?« fragte er. »Das weiß ich nicht. Ich dachte, du könntest es mir sagen. Du selbst hast doch so etwas auch in dir gehabt.« Threyk leugnete entsetzt. »Niemals«, rief er. »Ich kann es dir beweisen. Ich werde dir zeigen, daß du so etwas nicht in dir hast. Ebenso wie die anderen nicht, denen die Fremden etwas weggenommen haben. Doryt ist der einzige, der noch einen geschwollenen Leib hat, so wie es für euch normal ist.« »Du mußt es ihm lassen«, sagte Threyk beschwörend. Er blickte sich furchtsam um. Erst allmählich schien ihm zu dämmern, wo er war. Zunächst war er froh gewesen, der brüllenden, Hölle der See entkommen zu sein. Nun aber begann er, die fremdartige Umgebung aus blitzendem Metall, surrenden Maschinen und Materialien zu sehen, denen er noch niemals vorher begegnet war. Bjo blickte auf einen Bildschirm, auf dem der Medo‐Roboter diagnostische Daten auswarf. »Dann stirbt Doryt«, erklärte er. »Dieses Gebilde zerquetscht seine inneren Organe. Warum sollten wir es nicht herausholen? Wir wollen es ihm ja nicht wegnehmen. Er kann es behalten: Ist es denn
nicht gleich, ob er es außen an seinem Gürtel oder innen in seinem Leib trägt?« »Nein«, erwiderte Threyk. »Ich glaube nicht.« Der Katzer tippte einige Fragen in die Tastatur der Positronik, und der Roboter antwortete, daß sich die Situation für Doryt stabilisiert habe, jedoch nach wie vor schlecht sei. Der junge Mann würde jedoch zumindest in den nächsten Stunden nicht sterben. Wenn er dann aber nicht operiert werde, sei sein Ende unausweichlich. »Nun gut«, sagte Bjo. »Ihr solltet in Ruhe darüber nachdenken. Wenn wir dieses Ding aus Doryt herausholen, wird er weiterleben. Und habt ihr nicht selbst gesagt, daß es euch jetzt besser geht als vorher? Habt ihr nicht ein unangenehmes Druckgefühl gehabt, das jetzt verschwunden ist? Ihr alle werdet länger leben als andere, die diese Last in sich tragen. Warum sollte Doryt das nicht auch?« »Das Leben besteht aus vielen Abschnitten«, antwortete Threyk würdevoll. »Dieses Leben ist nur ein Teil des Ganzen. Doryt wird nach seinem Tod in ein anderes Leben übergehen, denn die Götter werden ihn bei sich aufnehmen. Uns aber ist die ewige Verdammnis sicher. Wenn Doryt jetzt stirbt, so ist das für ihn, als habe er nur für eine kurze Zeit geschlafen. Danach beginnt ein anderes Leben, in dem es keine Schatten mehr gibt. Für uns bleibt jedoch nur das Schattenreich.« Der Telepath erkannte, daß Threyk diese Worte nicht nur so dahingesagt hatte, sondern daß sie für ihn von tiefer religiöser Bedeutung waren. Er glaubte tatsächlich, daß Glück und Verdammnis allein von jenem Fremdkörper abhing, der sich normalerweise im Lauf von Jahren in ihren Leibeshöhlen bildete, und er dachte daran, daß es für diesen Glauben einen eindeutigen Beweis gab. Das blaue Feuer. Bjo erfaßte, daß er den Fischern Zeit lassen mußte. »Wir sind hier, weil wir auf der Suche nach den Fremden sind, die auch eure Feinde sind. Sie haben euch bestohlen. Sie haben euch entführt und einige von euch getötet, nur um euch dieses Gebilde
herauszunehmen«, sagte Breiskoll. »Doch damit nicht genug. Sie haben euch auch andere wertvolle Dinge weggenommen. Sie haben einen ganzen Berg abgetragen und zu den Sternen entführt. Wir werden euch zeigen, wovon wir sprechen.« Er setzte sich mit Breckcrown Hayes in Verbindung und befahl ihm zu starten. Wenige Minuten darauf überflogen sie den Krater. Als die Space‐Jet über seiner tiefsten Stelle schwebte, öffnete der Katzer die Schleusenschotte, errichtet jedoch ein unsichtbares Prallfeld davor, so daß niemand hinausfallen konnte. »Dies war vorher blühendes Land«, behauptete er. »Dann kamen die Fremden und haben mitgenommen, was sie benötigten, ohne euch zu fragen.« Breckcrown Hayes ließ das Beiboot absinken und landete schließlich auf einer ebenen Fläche, die mit faustgroßen Steinbrocken übersät war. Er hatte diese Stelle gewählt, weil er hoffte, daß hier nirgendwo Steine von den Felsen abgesprengt und nach ihnen geschleudert wurden. Bjo Breiskoll verließ die Space‐Jet. Zögernd folgten ihm die Fischer. Sie blickten sich ängstlich um, als lauerten überall Gefahren. »Was haben die Fremden hier weggeholt?« fragte Threyk. »Steine?« »Bestimmt nicht«, erwiderte der Katzer. »Irgend etwas anderes, was in den Steinen verborgen war.« Mit Hilfe seines Multichronos fragte er bei Hayes nach, ob die Georoboter irgendein aussagekräftiges Ergebnis ermittelt hätten. »Leider nicht«, antwortete der Pilot wortkarg. Es war typisch für ihn, daß er mit keinem Wort auf die Resultate der Untersuchungen einging. »Ich habe eine Reihe von Berechnungen angestellt«, tönte die melodische Stimme von Sanny aus den winzigen Lautsprechern. »Willst du sie hören?« »Nur wenn du mir sagen kannst, um was es den Fremden hier
gegangen ist.« »Auf jeden Fall sind sie nicht hier gewesen, um den Fischern die Bäuche aufzuschneiden«, erklärte Oserfan, bevor Sanny noch etwas sagen konnte. »Das haben sie sicherlich nur so nebenbei getan. In der Hauptsache aber ging es ihnen um ein Element, das an dieser Stelle des Planeten in ungewöhnlicher Reinheit und Dichte an den Tag getreten ist.« »Natürlich, Oserfan. Du hast recht«, entgegnete Bjo. »Dennoch muß auch das, was die Fischer in ihren Bäuchen haben, für die anderen sehr wertvoll sein.« »Achtung, Bjo! Da ist etwas«, rief Breckcrown Hayes. Der Telepath richtete seine parapsychischen Sinne sofort auf den Piloten, weil er auf diese Weise viel bessere und umfassendere Informationen erhielt als mit Hilfe des Multichronos. »Etwa tausend Meter von hier ist eine technische Station«, fuhr Hayes fort. »Ich kann sie deutlich sehen.« Sekunden darauf präzisierte er: »Ich denke, es ist ein Sender.« »Die Jet bleibt hier. Wir gehen das kleine Stück«, befahl der Katzer, der von dieser Nachricht wie elektrisiert war, und erläuterte Threyk, daß sie eine Spur der Fremden gefunden hatten. »Kommt mit«, forderte er die Fischer auf. »Wenn wir Glück haben, wissen wir bald, wo wir die Fremden finden können.« Neugierig schlossen sie sich ihm an. Auch die beiden Molaaten wollten wissen, was es mit dem Sender auf sich hatte, der im Krater errichtet worden war. Sie verließen das Beiboot und eilten hinter dem Katzer her. Allein Hayes und Capran blieben an Bord. »Es scheint tatsächlich ein Sender zu sein«, berichtete Bjo, als er das Gerät erreicht hatte, das von einer fremden Intelligenz zurückgelassen worden war. »Die Parabol‐Antenne läßt kaum einen anderen Schluß zu.« Er stand vor einem leicht flimmernden Energiefeld, das die vier
meterhohen Kuppeln und die Antenne umgab, und sprach in das Mikrophon seines Armbandgeräts, um den Piloten zu informieren. »Es ist ein Peilsender«, behauptete Sanny. Sie zeigte mit der linken Hand auf die Antenne und deutete mit der rechten zum Himmel. »Ich gehe jede Wette ein, daß er als Navigationshilfe eingerichtet worden ist.« »Du kannst recht haben«, erwiderte der Telepath. »Der Sender gibt mit Impulsen der Bordpositronik das Ziel an, so daß die Raumschiffe vollautomatisch hierher fliegen können. Die Besatzung braucht sich dann um nichts mehr zu kümmern.« »Richtig«, stimmte Sanny zu. »Vergiß nicht. Diese Plünderer haben diesen Planeten ausgebeutet. Es sind Transportschiffe gewesen, die ständig zwischen einem Planeten irgendwo dort draußen und hier hin‐ und hergeflogen sind. Es ging also um Routineflüge. Der Peilsender machte dabei umständliche navigatorische Vorbereitungen und Manipulationen überflüssig.« »Machte? Du meinst, es ist jetzt vorbei?« fragte Bjo. »Sie kommen nicht mehr?« »Der Krater sieht nicht so aus, als ob hier noch viel zu holen wäre.« »Ja, du hast recht.« Der Katzer überlegte, welche Arbeiten notwendig waren, das energetische Schirmfeld zu überwinden und den Peilsender zu untersuchen. In diesem Augenblick fing er einen Gedanken auf! Der Impuls war wie ein Schrei, den jemand in höchster Freude ausstieß. Bjo richtete sich ruckartig auf und lauschte. Er vernahm nur die Gedanken der Fischer, der beiden Molaaten und die des Piloten. Wo war Capran? Kaum war ihm diese Frage durch den Kopf gegangen, als er den Rothaarigen bereits fand. Caprans Gedanken verrieten ihm, daß er vor der Space‐Jet stand.
Bjo schnellte sich mit geschmeidigen Bewegungen auf einen Felsen hinauf und spähte zum Beiboot hinüber. Capran war nicht zu sehen. »Bleib, wo du bist«, flüsterte der Telepath ins Mikrophon seines Multichronos. »Kannst du Capran sehen? Steht er vor der Jet?« »Nein. Wieso kommst du darauf?« fragte Breckcrown Hayes überrascht. »Er ist nicht draußen. Er muß irgendwo in der Jet sein.« Bjo dachte an Doryt, der noch immer auf dem Behandlungstisch des Medo‐Roboters lag. Und plötzlich begriff er. »Bleibt hier«, schrie er den Molaaten und den Fischern zu. »Ich bin gleich zurück.« Er sprang vom Felsen herunter und rannte mit verblüffender Geschwindigkeit auf die Space‐Jet zu. Er setzte in weiten Sprüngen über Hindernisse hinweg, die er normalerweise umgangen hätte, und nutzte jede Chance, so schnell wie möglich voranzukommen. Er hatte Angst um Doryt und um alles, was sie bisher bei der Begegnung mit Threyk und seinen Leuten aufgebaut hatten. Und er fürchtete sich vor Capran, da er erkannt hatte, daß dieser ihn tatsächlich telepathisch täuschen konnte. Auch jetzt gaukelte der Rothaarige ihm ein völlig falsches Bild vor. Danach stand er dösend vor der Space‐Jet und blickte in die Kraterlandschaft hinaus. Bjo konnte jedoch sehen, daß sich niemand an der Stelle aufhielt, an der Capran zu sein vorgab. Er ahnte, wo der Rothaarige war. Er ist so, wie die Pyrriden behauptet haben! fuhr es ihm durch den Kopf. Er ist ein Monster, das selbst ein Telepath nicht überführen kann. Er sprang in die offene Schleuse der Space‐Jet und raste bis zu dem Raum, in dem Doryt unter dem Medo‐Roboter lag. Erschrocken fuhr Capran hoch, als der Katzer eintrat. In den Händen hielt der Rothaarige, was der Medo‐Roboter auf seinen Befehl hin aus dem Körper des Jungen geholt hatte. Es war ein kopfgroßes Gebilde, das sich aus Hunderten von Perlen
zusammensetzte. »Sieh dir diese Perlen an«, stammelte Capran wie von Sinnen. »In ihnen ist alle Schönheit des Universums vereint.« Er zerriß die dünne Haut, die die Perlen umgab, so daß diese über den Tisch rollten, auf dem Doryt lag. »Hast du je etwas so Schönes gesehen?« fragte er. »Dies ist die Vollkommenheit. Sieh dir dieses sanfte Feuer an. Diese Klarheit. Diese absolut perfekte Tönung und diese reizvolle Unvollkommenheit der Form. Diese Perlen sind von unschätzbarem Wert, Bjo. Sie sind einfach unbezahlbar.« »Wie konntest du das tun?« fragte Breiskoll. »Wie konntest du dich über den Willen der Fischer hinwegsetzen? Du hast uns auf eine Stufe mit jenen Fremden gestellt, die wir suchen. Du hast alles verdorben.« Capran lachte. »Was willst du?« erwiderte er. »Ich habe dem Jungen das Leben gerettet. Er wäre gestorben, wenn der Roboter ihn nicht operiert hätte. Und ich habe die schönsten Perlen des Universums gefunden, einen einfach unbezahlbaren Schatz. Was soll daran schlecht sein? Wenn du willst, stopfen wir dem Jungen irgend etwas in den Bauch, damit er äußerlich so aussieht, als hätte er die Perlen noch an der Leber.« »Du wirst den Fischern die Perlen geben, und du wirst dich den Beschuldigungen stellen, die man an Bord der SOL gegen dich erhebt«, erklärte der Telepath. »Du hast mich lange getäuscht, aber damit ist es jetzt vorbei.« Das Gesicht Caprans verzerrte sich, er sprang auf und warf sich auf Bjo Breiskoll. Mit einem mächtigen Faustschlag schmetterte er ihn zu Boden. Zu spät versuchte der Katzer, diesem Hieb auszuweichen. Benommen blieb er liegen. Capran griff nach dem an einem Führungsarm befestigten Skalpell des Medo‐Roboters, brach es ab und griff Bjo Breiskoll an, der sich
in diesem Moment aufrichten wollte. Die Klinge fuhr dem Katzer in die Brust. Erst in diesem Moment begriff der Telepath, daß es bei diesem Kampf wirklich um Leben oder Tod ging. Capran war nicht mehr wiederzuerkennen. Er war wild wie ein Raubtier und hatte jede Besonnenheit verloren. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Sie bewegten sich unkontrolliert. Keuchend und ächzend drückte er den Arm des Katzers zur Seite, mit dem dieser das Messer abblockte, das ihn töten sollte. Bjo hatte Glück. Er warf sich zur Seite. Capran rutschte ab. Das Skalpell zuckte an der Brust des Katzers vorbei, prallte auf den Boden und entglitt der Hand Caprans. Breiskoll stemmte sich hoch und brachte eine Schlagkombination an, bei der er seinen Gegner mit Fäusten und Ellenbogen attackierte. Er traf Capran am Kinn und warf ihn zu Boden. »Was ist da unten los?« hallte in diesem Moment die Stimme des Piloten aus den Lautsprechern. »Bjo? Ist alles in Ordnung?« Der Telepath nahm das Skalpell an sich und ging zum Interkom. »Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit«, erklärte er, während er mit der linken Hand einen Befehl in die Positronik des Medo‐Roboters tippte. »Aber jetzt ist alles in Ordnung.« Die Automatik fuhr mehrere Arme aus und begann damit, die Wunde zu säubern und die Gefäße zu verkleben, die Capran durchgetrennt hatte. Die Schmerzen flauten augenblicklich ab. Bjo drehte sich um. Er wollte nach seinem vermeintlich noch immer bewußtlosen Gegner sehen. Capran war nicht mehr da. »Sei vorsichtig«, sagte er zu Breckcrown Hayes. »Capran hat durchgedreht. Er hat den Jungen operiert und Perlen aus seinem Bauch hervorgeholt. Es könnte sein, daß er dich angreift, um die Jet zu übernehmen.«
Einige Sekunden verstrichen, in denen der Medo‐Roboter seine Arbeit fortsetzte, so daß Bjo sich nicht von der Stelle bewegen konnte. Dann antwortete Hayes. »Keine Sorge. Er hat nicht vor, mich anzugreifen. Ich sehe ihn gerade, wie er abhaut.« »Er flüchtet?« »Genau das. Er ist weggelaufen. Mittlerweile ist er zwischen den Felsen da draußen verschwunden. Willst du ihn zurückholen?« Der Katzer überlegte. Was war damit gewonnen, wenn sie Capran wieder an Bord nahmen und ihn dann einsperrten? Er stellte eine Belastung für sie alle dar, die im Verlauf der Expedition gefährlich werden konnte. Dagegen konnte er kaum Schaden anrichten, wenn er auf Blue blieb. Den Bewohnern dieser Welt gegenüber mußte er sich vorsichtig verhalten, weil er sonst damit rechnen mußte, daß sie ihn kurzerhand umbrachten. Ihm blieb eigentlich nur das Leben eines Einsiedlers. »Laß ihn laufen«, sagte er. »Wenn er hier bleiben will, dann werden wir ihn nicht daran hindern.« »Die Fischer kommen«, entgegnete Hayes. »Du wirst ihnen erklären müssen, weshalb wir den Jungen operiert haben.« . »Allerdings, und das wird nicht leicht sein.« Bjo verließ den Raum und ging zur Schleuse. Hier kam ihm Threyk bereits entgegen. Forschend blickte ihn der Fischer an. »Was ist geschehen?« fragte er. »Einer von uns hat Doryt operiert«, gestand der Katzer. »Er hat es gegen meinen Befehl getan.« »Das ist ungeheuerlich!« »Ich konnte es nicht verhindern. Bitte. Komm.« Das Gesicht Threyks verzerrte sich vor Zorn und Abscheu. Bjo drehte sich um und ging zu Doryt, der noch immer bewußtlos war. Der Roboter hatte die Operationsnarbe so gut verklebt, daß sie
kaum noch zu erkennen war. »Diese Perlen waren in seinem Bauch«, erläuterte der Katzer. »Sie gehören ihm. Er soll sie bei sich tragen. Dann kann er sie den Göttern opfern, wann immer er will.« Mit zitternden Händen griff der Fischer nach den Perlen. »Sie sind wie die Tränen der Muscheln, die wir essen«, sagte er. Bjo Breiskoll hätte ihn nicht verstanden, wenn er nicht zugleich seine Gedanken hätte erfassen können, und er glaubte, die Zusammenhänge erkennen zu können. Die Fischer verzehrten täglich Muschelfleisch. Und sie handelten mit Muscheln, die sie aus dem Meer holten. Das hatte zur Folge, daß Rückstände in ihren Körpern blieben, die sich im Lauf der Jahre zu Perlen ausbildeten. Die Zahl dieser Perlen wuchs mit der Zeit immer mehr an, bis die inneren Organe durch sie zerstört wurden. Bjo schloß daraus, daß diese Perlen aus einem Material bestanden, das mit blauen Flammen verbrannte, sobald es in die Glut der Lava geriet. Sie werfen ihre Toten in den Krater des Vulkans, dachte er. Die Leichen verbrennen und mit ihnen die Perlen. Dabei entsteht das blaue Feuer. Hat man die Perlen aber entfernt, bleibt das blaue Feuer aus. »Es ist gleich, ob ihr die Perlen in euch tragt oder am Gürtel«, sagte er eindringlich. »Ich bin ganz sicher, daß die Götter das Opfer auch dann annehmen, wenn ihr die Perlen aus eurem Leib entfernt. Vielleicht kann Doryt sogar euer aller Seelenheil retten, wenn er jedem von euch einige Perlen abgibt, so daß ihr nach eurem Tode nicht mit leeren Händen vor eure Götter treten müßt.« Doch Threyk hörte ihm nicht zu. Zuviel war auf ihn eingestürzt. Plötzlich hielt er der psychischen Belastung nicht mehr stand. Er griff Bjo Breiskoll an, doch dieser ließ sich nicht überrumpeln. Capran konnte seine Gedanken vor ihm verbergen, Threyk jedoch nicht.
Er wich vor ihm auf den Gang vor dem Raum aus, wehrte ihn mit sanfter Gewalt ab, holte dann einen Paralysator aus einem Schrank und lähmte ihn, da er keine andere Möglichkeit sah, den Kampf auf andere Weise zu beenden. Die anderen Fischer stürmten plötzlich in das Raumschiff, so als wüßten sie genau, was geschehen war. Bjo blieb keine andere Wahl. Er paralysierte auch sie, um ein Blutvergießen zu vermeiden. »Was ist denn nur los?« fragte Sanny. »Seid ihr alle verrückt geworden?« Sie drückte einem der gelähmten Männer die Lider zu, um seine Augäpfel vor der trockenen Luft zu schützen. »Wir haben alles verpatzt«, erklärte Bjo niedergeschlagen. »Jetzt gibt es keine Vertrauensbasis mehr zwischen ihnen und uns.« »Nein, bestimmt nicht«, erwiderte die Molaatin. »Wir können abreisen, sobald wir geklärt haben, in welche Richtung der Peilsender seine Impulse schickt.« »Das werden wir auch tun«, entschied der Katzer. 6. »Seit Stunden haben wir keine Hyperfunksendungen mehr aufgefangen«, berichtete Breckcrown Hayes. »Als wüßte die Gegenseite, daß wir nach ihr suchen.« »Wahrscheinlich ist ihnen vorübergehend der Gesprächsstoff ausgegangen«, bemerkte Oserfan. »Wir finden sie auch so«, sagte der Katzer zuversichtlich. »Ich werde Doryt und seine Leute jetzt bis in die Nähe ihres Dorfes bringen und dort absetzen. Ihr bleibt solange hier und untersucht den Peilsender. Alles in allem sollten wir in etwa drei Stunden startbereit sein. Ist Atlan inzwischen informiert worden?« Hayes nickte nur.
Er hatte eine Nachricht zur POLLUX abgestrahlt, die von dort zur SOL weitergeleitet worden war, so daß der Arkonide über das Bescheid wußte, was auf Blue geschehen war. Hayes verließ die Jet zusammen mit Sanny und Oserfan, nachdem er und Bjo alle Fischer in das unterste Deck getragen hatten. Der Katzer reichte ihnen noch eine Reihe von Instrumenten, die sie für die Untersuchung des Peilsenders benötigten, und fuhr eine mit einem Kleinstkraftwerk versehene Antigravplattform aus, mit dessen Hilfe Hayes hoffte, das Energiefeld um den Sender öffnen zu können. Eine halbe Stunde später landete die Jet über hundert Kilometer vom Krater entfernt in der Nähe eines kleinen Fischerdorfs, das am Ufer einer seichten Bucht lag. Bjo blieb jedoch so weit von der Siedlung entfernt, daß man ihn von dort aus nicht sehen konnte, so brauchte er nicht mit lästigen Störungen zu rechnen. Nach und nach trug er die paralysierten Männer ins Freie und legte sie ins Gras. Schließlich brachte er Doryt hinaus, der sich in einem eigenartig schläfrigen Zustand befand und die Narkose noch immer nicht ganz überwunden hatte. »Euch wird nichts geschehen«, sagte er danach zu Threyk, da er wußte, daß dieser ihn hören und verstehen konnte. »Jetzt könnt ihr euch nicht bewegen, aber bald werdet ihr wieder so sein wie sonst. Alles wird wieder normal sein.« Er vernahm ein dumpfes Grollen. Es hörte sich an, als ob ein Gewitter heraufzöge. »Ich wollte nicht, daß Doryt operiert wird. Nun ist es doch geschehen. Für ihn war das vollkommen schmerzlos. Er hat nichts davon gemerkt. Die Perlen liegen an seiner Seite. Sie gehören ihm. So wird es mit allen sein, die sich die Perlen entfernen lassen wollen. Hoch oben in den Bergen bei einem der Priester werden wir eine Maschine aufstellen, die euch operieren kann. Danach könnt ihr selbst entscheiden, was ihr wollt. Wenn ihr schon jung sterben wollt, dann verzichtet auf eine Behandlung. Wenn nicht, dann vertraut
euch der Maschine an. Sie wird viele Jahrzehnte lang funktionieren, ohne daß ihr etwas dazu tun müßt. Das ist mein Geschenk für euch, und damit möchte ich euch zugleich bitten, uns zu verzeihen.« Bjo spürte einen Gedanken, der ihn erschreckte. Er blickte auf. Nur zehn Meter von ihm entfernt stand ein riesiger Hund und blickte ihn mit gelblich leuchtenden Augen an. Die hochgezogenen Lefzen entblößten Reißzähne, die länger als eine Hand des Telepathen waren. Der Raz‐Rar trug eine schwere Kette um den Hals, hatte aber keinen Maulkorb um. Bjo erbleichte. Seine Waffen lagen in der Space‐Jet. Er hatte noch nicht einmal ein leichtes Desintegratormesser bei sich. Der Raz‐Rar war größer als ein terranisches Pferd. Er hatte ein kurzhaariges, glattes Fell, unter dem sich gewaltige Muskeln abzeichneten. Verzweifelt blickte der Katzer zur Space‐Jet hinüber. Sie war zu weit von ihm entfernt. Er konnte sie nicht vor dem Raubhund erreichen. »Threyk, ein Raz‐Rar ist da. Er wird mich angreifen«, flüsterte Bjo. »Was kann ich tun? Hilf mir.« Er fing die Gedanken des Paralysierten auf. Threyk dachte nicht daran, ihn zu retten. Er fühlte sich gedemütigt und verraten, und er haßte Bjo dafür. Er hoffte, daß der Raz‐Rar ihn rächen würde. Sekundenlang blickten der Katzer und der riesige Hund sich an. Dann senkte das Tier überraschend den Kopf und schnüffelte an Doryt, der sich noch immer nicht regte. Der Raz‐Rar jaulte leise, öffnete die Schnauze und schob das mächtige Gebiß um Doryt. Er hob den jungen Mann behutsam hoch, blickte Bjo noch einmal an und ging mit gleitenden Schritten davon. Der Raubhund hatte seinen Herren wiedergefunden, den er in dem Sturm vor der Küste verloren hatte.
Bjo atmete auf und zog sich in die Space‐Jet zurück. Er war sicher, daß man die Fischer schon bald ins Dorf holen würde. Aus den Gedankeninhalten der Paralysierten hatte er genügend Informationen gewonnen, so daß es nicht schwer für ihn war, den Vulkan zu finden, in dem die Toten verbrannt wurden. Er landete in der Schlucht, in dem der Priester in seiner Hütte hauste, wobei er die Antigravtriebwerke einschaltete, um jeglichen Lärm zu vermeiden. So tauchte er völlig überraschend vor dem Priester auf, der sich in seiner Hütte aufhielt, wo er sich die Stirn gerade mit roter Farbe bemalte. Der Esker fuhr erschrocken zusammen. Er wollte weglaufen. Als er aber erkannte, daß er nicht fliehen konnte, warf er sich auf den Boden und winselte furchtsam um Gnade. Bjo hatte sich auf diese Begegnung sorgfältig vorbereitet. Er sprach ruhig auf den Mann ein, wobei er fortlaufend die Informationen nutzte, die er telepathisch einholte. Als der Priester begriff, daß sein Besucher gekommen war, um ihm ein großzügiges Geschenk zu machen, horchte er auf. Er war ein keineswegs tief religiöser, sondern ein arbeitsscheuer Mann, der mit dem religiösen Eifer anderer recht gute Geschäfte machte. Daher verlor er seine Scheu, als ihm aufging, welche Möglichkeiten sich ihm boten. Bjo setzte ihm auseinander, um was es ging. Er berichtete, was er mit Doryt, Threyk und den anderen erlebt hatte, und was das Geheimnis des blauen Feuers war, mit dem die Götter zu erkennen gaben, daß sie die Toten in ihr Reich aufnahmen, und er sagte dem Priester, daß dieser über den Medo‐Roboter wachen sollte. »Du wirst alle zu ihm führen, die die Perlen aus ihrem Innern entfernen wollen, und du wirst dich dafür bezahlen lassen«, schloß er. »Niemand wird ein so reiches und bequemes Leben führen können wie du, vorausgesetzt, du vergißt nicht, daß ich für alle, die zu dir kommen, die gleichen Rechte fordere.«
Der Priester, der sich angesichts einer derart golden Zukunft vor Freude kaum noch fassen konnte, versprach alles, was Bjo wollte, und er war sogar bereit, dem Katzer in die Space‐Jet zu folgen. Hier unterrichtete der Telepath ihn mit Hilfe der Hypnoschulung, so daß der Priester den Roboter warten konnte, wenn es notwendig wurde. Danach ließ er die Maschine von anderen Robotern ausbauen und in einer Stahlkabine installieren, die sie aus mitgeführten Materialien des Beiboots konstruierten. »Am besten ist, du läßt dich als erster operieren«, schlug Bjo vor, als der Roboter einsatzbereit war. Er deutete auf den geschwollenen Leib des Priesters. »Niemand wird sich der Maschine anvertrauen, solange du noch so dick bist.« Doch so schnell konnte er das Vertrauen des Eremiten nicht gewinnen. Er mußte ihm eine geraume Weile zureden, bis dieser sich endlich zu einem Eingriff bereit fand. Danach mußte der Katzer wohl oder übel warten, bis der Priester sich von der Narkose erholt hatte. So kehrte er um Stunden später zu Breckcrown Hayes und den beiden Molaaten zurück, als er geplant hatte. »Sanny hat uns einen Geniestreich geliefert«, berichtete Hayes, kaum daß Bjo mit der Jet gelandet war. »Sie hat blitzschnell und fehlerfrei errechnet, wohin der Peilsender seine Impulse schickt. Es handelt sich um ein Sonnensystem, das nur etwa fünfzehn Lichtjahre von hier entfernt ist.« »Der rote Stern?« fragte der Katzer. »Der Priester, bei dem ich war, dachte einige Male daran, daß wir von dort gekommen sein könnten.« »Nein«, entgegnete Hayes. »Sanny behauptet, daß diese rote Sonne nur etwa ein Lichtjahr entfernt ist und in anderer Richtung liegt.« »Wir werden ja sehen«, bemerkte der Katzer und übergab die Jet an Hayes. »Bald wissen wir mehr.« Bjo Breiskoll blickte nachdenklich auf die Bildschirme in der
Zentrale, als der blaue Planet hinter ihnen zurückblieb. Er fragte sich, wie sich das intelligente Leben auf dieser Welt weiterentwickeln würde. Wieviel Zeit würde vergehen, bis Doryt, Threyk und die anderen begreifen würden, daß ihr Leben noch nicht mit dreißig Jahren zu Ende sein mußte? Würden sie die gewonnene Zeit nutzen? Hatten sie den kleinen Anstoß bekommen, den jedes Volk des Universums benötigte, um den Weg in eine höherstehende Kultur antreten zu können? Oder würde nach einem vorübergehenden Aufschwung alles wieder in Vergessenheit geraten? Würden sie jetzt noch immer mit der gleichen Selbstverständlichkeit Muscheln essen, nachdem sie wußten, daß dies dazu führte, daß sich in ihrem Körper Perlen bildeten, die ihr Leben bedrohten? Wahrscheinlich werde ich nie erfahren, wie es weitergeht, dachte er mit einem gewissen Bedauern. Dann erinnerte er sich an Capran, und hoffte, daß dieser sich ändern würde, wenn er erst einmal erkannt hatte, daß er auf einem Planeten gestrandet war, von dem es kein Entkommen gab. Vielleicht wird er zu ihrem Lehrer, hoffte der Katzer. Er war froh, daß Capran nicht mehr an Bord war und daß sich das Problem durch seine Flucht von selbst gelöst hatte. »Ich brauche eine Pause«, sagte er müde. »Ruft mich, wenn es interessant wird.« Breckcrown Hayes ließ ihn nicht lange schlafen. Schon drei Stunden später holte er Bjo aus seiner Kabine. Die POLLUX hatte ein Sonnensystem erreicht, das annähernd fünfzehn Lichtjahre von Blue entfernt war. »Wir haben vor wenigen Minuten Bruchstücke einer Hyperfunksendung aufgefangen, die aus dieser Gegend kommen«, berichtete Oserfan. Der Molaate saß auf der Lehne eines Sessels und blickte den Katzer gewichtig an. »Hier muß also etwas sein, was für uns wichtig ist.« Bjo setzte sich verwundert neben Hayes.
Auf dem wandhohen Hauptbildschirm zeichnete sich das Zielgebiet ab. Farbige Leuchtpunkte bezeichneten sechs Planeten. Doch sie alle weckten das Interesse des Katzers nicht. Viel wichtiger erschien ihm, was von dem ehedem siebten Planeten übriggeblieben war. Diese Welt existierte nur noch in Form einer riesigen Staub‐ und Trümmerwolke, die sich in einer verzerrt erscheinenden Bahn um die weiße Sonne erstreckte. »Wir nennen die Sonne Baunaath«, erläuterte Sanny. »Ihr kennt dieses System?« fragte Breiskoll überrascht. »Es war Heimat‐15, eine ehemals reiche Kolonialwelt«, antwortete Oserfan würdevoll. Er hakte die Daumen seiner kleinen Hände hinter den Gürtel. »Sie wurde zerschlagen.« Dabei muß es zahllose Tote gegeben haben, dachte Breiskoll. Was für eine Katastrophe! Die beiden Molaaten blieben erstaunlich ruhig angesichts der Trümmerwolke. »Warum haben die Fremden den Planeten zerstört?« fragte Hayes. »Habt ihr mit ihnen gekämpft?« »Natürlich nicht«, erwiderte Sanny hitzig. »Wir haben ihnen überhaupt keinen Grund für einen derartigen Angriff gegeben! Natürlich weiß ich nicht, was hier geschehen ist. Niemand von uns weiß es. Aber ich glaube nicht, daß unsere Leute die Fremden herausgefordert haben. Wir besitzen gar keine Waffen, mit denen wir sie ernsthaft bedrohen könnten.« »Was könnte aber dann die Ursache für einen derart brutalen Schlag gegen eine bewohnte Welt sein?« fragte Bjo. »Was könnte denkende Wesen veranlassen so etwas zu tun?« »Dies ist nicht die einzige Welt, die sie zerstört haben«, behauptete Oserfan. »Auch andere sind ihnen zum Opfer gefallen.« Er fuhr sich mit den Händen über die Augen. »Es ist reine Zerstörungswut«, fügte er dann hinzu. »Das glaube ich nicht«, widersprach Sanny. »Sie müssen ein Motiv
haben, sonst würden sie es nicht tun. Überlege dir, welch einen Aufwand sie allein schon treiben müssen, um den Abgrund zwischen den Sternen zu überwinden. Und das alles nur, weil es ihnen Spaß macht, andere Welten zu vernichten? Wohl kaum.« Die POLLUX drang tiefer in das Baunaath‐System ein. Die Ortungsgeräte sondierten die Staub‐ und Trümmerwolke, die sich um die Sonne zog, um sie zu analysieren. Schon bald darauf erschienen die ersten Daten auf den Bildschirmen. »Da ist etwas«, rief Sanny. »In der Wolke verbirgt sich etwas.« »Ein Raumschiff?« fragte Hayes. »Dann müßten wir es eigentlich orten.« Die Molaatin schüttelte den Kopf. Sie tippte sich mit den Fingern der rechten Hand gegen die Fingerkuppen der linken, als wolle sie etwas abzählen. »Was machst du?« fragte Oserfan gutmütig spöttelnd. »Versuchst du, bis drei zu zählen?« »Das ist etwas, was du vermutlich nie lernen wirst«, antwortete sie spitz. Ihre Bemerkung war nicht ganz ernst gemeint und keineswegs abwertend. Sanny galt bei ihrem Volk als eine Art Wunderkind, die selbst schwierigste hyperphysikalische Berechnungen blitzschnell zu lösen vermochte. Dabei stellte sie jedoch keinerlei Berechnungen an, sondern das eigentliche Phänomen war, daß sie die Lösung unmittelbar nach der Fragestellung wußte. Sie war kein wissenschaftliches Genie, sondern sie kannte ohne eigenes Dazutun die Lösung für jede komplizierte Problematik. Sanny konnte sich selbst nicht erklären, auf welchem Wege sie zu den mathematischen Lösungen kam, und oft genug war sie überrascht, daß die Antwort auf gewisse Fragen plötzlich da war. Darüber hinaus konnte sie jedoch häufig mit der Lösung nichts anfangen. Sie konnte sie nicht interpretieren und folgerichtige Schlüsse daraus ziehen. Dann aber sprang Oserfan helfend ein und führte zu Ende, was sie angefangen hatte.
So auch jetzt. Sanny nannte eine Reihe von Zahlen und zitierte komplizierte Formeln und war dabei schneller als die Hochleistungspositronik des Zentralcomputers. »Und das bedeutet?« fragte Bjo Breiskoll. »Sanny sagt uns, daß alle Elemente, die gemeinhin in einem Planeten zu finden sind, in entsprechender Konzentration auch in der Staub‐ und Trümmerwolke vorhanden sind«, antwortete der Molaate. »Ein Element aber fehlt vollständig. Nickel.« Der Katzer und Breckcrown blickten sich verblüfft an. »Sagtest du Nickel?« fragte der Telepath und sondierte gleichzeitig die Gedanken Oserfans, um sicherzugehen, daß er sich nicht verhört hatte. »Nickel«, bestätigte der Molaate. »In dieser Wolke, die von Heimat‐15 übriggeblieben ist, gibt es kein Gramm Nickel mehr.« »Vielleicht hat es dieses Element auf Heimat‐15 nie gegeben«, bemerkte Hayes, obwohl er wußte, wie unwahrscheinlich seine Vermutung war. »Im Gegenteil«, erwiderte Oserfan langsam. »Wir waren sicher, daß der Kern des Planeten aus Eisen und Nickel bestand.« Abermals blickten sich die beiden Solaner an. Wenn die Aussage des Molaaten richtig war, dann hatten jene Fremden, denen sie auf der Spur waren, diesen Planeten zerstört, um aus seinem Innern alles vorhandene Nickel zu bergen, unvorstellbar große Mengen. Dagegen hatten diese Intelligenzen an der Oberfläche von Blue lediglich gekratzt, denn in dem Krater, den sie dort hinterlassen hatten, konnten nur Bruchteile jener Mengen gewesen sein, die den Kern von Heimat‐15 gebildet hatten. »Wenn das wirklich wahr ist, dann muß ihnen jemand in die Arme fallen«, sagte Breckcrown Hayes. Bjo nickte. Konnten und durften sie untätig bleiben, wenn die fremde Macht in dieser Art und Weise Welten vernichtete, nur um die eigene
Existenz zu sichern – oder vielleicht aus noch geringeren Gründen? »Unsere Freunde von der blauen Welt haben Glück gehabt«, sagte Oserfan. »Wer weiß, wie es ihnen ergangen wäre, wenn sie die Perlen nicht gehabt hätten?« »Du meinst, man hat diese Welt nur wegen der Perlen verschont?« fragte Bjo. »Ja, das glaube ich«, antwortete der Molaate ernst. »Sie scheinen bei aller Brutalität und Rücksichtslosigkeit doch so etwas wie einen Schönheitssinn zu besitzen.« »Aber sie sind unlogisch«, bemerkte Sanny. »Warum haben sie nur einigen Männern und Frauen die Perlen herausgenommen? Warum nicht allen? Warum haben sie nicht soviel wie nur irgend möglich erbeutet?« »Ich glaube, diese Frage läßt sich beantworten«, sagte der Katzer. »Sicherlich sind nicht alle versessen auf diese Perlen, sondern nur einige wenige. Und diese haben ihre privaten Beutezüge durchgeführt. Es kam ihnen gar nicht darauf an, möglichst viele Perlen einzuheimsen, sondern nur so viele, wie sie für sich selbst haben wollten.« »Da ist noch etwas«, verkündete Sanny. »Mit den Perlen?« fragte Oserfan erstaunt. »Unsinn«, erwiderte sie. »In der Wolke.« Sie zeigte auf die Bildschirme. »Ich komme zu dem rechnerischen Ergebnis, daß irgend etwas in der Wolke ist, was nicht zu den Analysen paßt.« Bjo Breiskoll rief die Ortungsergebnisse ab und ließ sie auf dem Monitorschirm vor sich erscheinen. Die Trümmerstücke in der Wolke bildeten eine lange Kette von Reflexen um die Sonne. Sanny dachte an ein künstliches Objekt, das sich zwischen ihnen verbarg – an ein Raumschiff oder eine Raumstation. »In Sektor Alpha sieben könnte etwas sein«, stellte Breckcrown Hayes fest. Bjo tippte die entsprechenden Symbole in die Tastatur der
Positronik, und der Bildschirmsektor Alpha sieben erschien als Ausschnitt vor ihm auf dem Bildschirm. Zunächst sah der Katzer nur einen breiten Gürtel von mehr als hundert Reflexen, die sich durch nichts voneinander zu unterscheiden schienen. Der Trümmerring, der sich um die Sonne Baunaath zog, war ein ideales Versteck für ein Raumschiff oder auch für eine Raumstation. Es erschien nahezu unmöglich, sie aufzuspüren, wenn sie als zusätzlichen Schutz auch noch über eine Ortungsabschirmung verfügte. »Warum sollten sie noch hier sein?« fragte Oserfan unzufrieden. »Sie haben doch geerntet und alles Nickel weggeholt, was vorhanden war. Wozu sollten sie ein Raumschiff oder gar eine Station zurücklassen?« Er rutschte von der Sessellehne und ließ sich in den Polstern versinken. »Hier ist nichts mehr, was für uns von Interesse ist«, fügte er dann hinzu. »Wir sollten uns nicht lange in diesem System aufhalten, sondern uns Heimat‐14 ansehen. Vielleicht sind diese Schurken dort noch am Werk.« »Da ist tatsächlich etwas«, meldete Hayes mit ruhiger Stimme, die durch nichts seine Erregung verriet. Er ließ das Objekt, das er meinte, auf dem Bildschirm vor Bjo erscheinen. »Das könnte eine Raumstation sein.« Das Objekt wurde unscharf abgebildet, ließ aber dennoch eine solche Regelmäßigkeit erkennen, daß der Verdacht des Piloten gerechtfertigt war. Hayes verbesserte sich: »Das ist eine Raumstation!« Oserfan schnellte sich hoch. Plötzlich stand er auf der Sessellehne. Er schien vergessen zu haben, daß er Sekunden vorher starke Zweifel angemeldet hatte. »Ich habe es gewußt«, triumphierte Sanny. »Das mußte jedem auffallen, der auch nur ein bißchen rechnen kann.« »Übertreibe nicht«, bat Oserfan freundlich. »Du kannst nicht
rechnen, Sanny.« Sie blickte ihn verblüfft an. »Hast du den Verstand verloren, Oserfan? Ausgerechnet mir willst du mathematische Fähigkeiten absprechen?« »Keineswegs, Sanny. Du bist eine ausgezeichnete Paramathematikerin. Das bezweifelt niemand. Und das ist ja auch der Grund dafür, daß du zu meinem Team gehörst. Aber rechnen kannst du nicht. Das weißt du ganz genau.« »Das sind doch Spitzfindigkeiten«, protestierte sie. »Du mißgönnst mir, daß ich aufmerksamer war als du. Hast du nicht gerade eben noch gesagt, daß hier nichts mehr ist, was uns interessieren könnte? Dabei brauchtest du nur ein wenig nachzudenken, und auch dir wäre klar geworden, was die Analysen aussagen.« »Zankt euch nicht, ihr beiden«, bat Bjo Breiskoll, als er sah, wie Oserfan empört nach Luft schnappte und zu einer geharnischten Antwort ansetzte. »Uns geht es doch nicht darum, wer die meisten Verdienste erworben hat, sondern um diese Raumstation.« Mit diesen Worten veranlaßte er die beiden Molaaten, sich dem Hauptbildschirm zuzuwenden. Dort zeichnete sich ein seltsames Gebilde ab. Die POLLUX näherte sich ihm mit hoher Geschwindigkeit, so daß bald Einzelheiten erkennbar wurden. 7. Capran duckte sich, als er den Mann sah, der in einem kleinen Boot um die Flußbiegung kam. Sein Herz schlug plötzlich schneller. Er sah, daß der Eingeborene einen stark geschwollenen Leib hatte, und er meinte, die unvergleichlich schönen Perlen schon sehen können, die sich in ihm gebildet hatten. Er wußte, daß die Space‐Jet mit Bjo Breiskoll mittlerweile gestartet war. Von der Küste aus hatte er sie aufsteigen und ohne Bedauern
wegfliegen sehen. Im Gegensatz zu dem Katzer war er ganz und gar nicht der Ansicht, daß er auf diesem Planeten gestrandet war und für den Rest seines Lebens hier bleiben würde. Er war vielmehr davon überzeugt, daß er nicht länger als ein paar Jahre warten mußte, daß sich ihm dann jedoch der Weg zu anderen Welten öffnen würde. Irgendwann landet hier mal wieder ein Raumschiff, dachte er, während er den Mann in dem kleinen Boot beobachtete, wie er ihm allmählich näher kam. Und für diesen Moment will ich vorbereitet sein. Wenn ein Raumer kommt, dann muß ich etwas in den Händen haben, was ich der Besatzung als Preis dafür anbieten kann, daß sie mich mitnehmen. Er brauchte Perlen, die schönsten Perlen, die das Universum je hervorgebracht hatte. Capran war ein bildungshungriger Mann. Solange er an Bord der SOL gewesen war, hatte er sich um Informationen über alle nur denkbaren Wissensgebiete bemüht. Er wußte, daß die SOL ursprünglich ein terranisches Schiff gewesen war, und er hatte gelernt, daß die meisten Menschen nach Besitz strebten, und sei dieser noch so bescheiden. Lange hatte er nach etwas Wertvollem gesucht. Jetzt hatte er es gefunden. Er machte sich keine Sorgen um seine Zukunft, und es störte ihn nur wenig, daß er nun nicht mehr an Bord der SOL war und auch nie mehr dorthin zurückkehren würde. Daß er auf dem Boden einer fremden Welt stand, belastete ihn kaum. In dieser Hinsicht unterschied er sich von den meisten Solanern. Der Mann im Boot war ein Muschelfischer. Er hatte einen guten Fund gemacht, denn in Bug und Heck standen Körbe, die bis obenhin mit grauen Muscheln gefüllt waren. Der Mann legte in der Nähe Caprans an und befestigte das Boot am Ufer. Capran schlich sich von hinten an ihn heran, sprang ihn an und schlug ihn nieder. Mit einem Messer, das er dem Fischer wegnahm,
schnitt er sich die Perlen heraus. Dann hob er die Körbe aus dem Boot, stieg hinein und ruderte es zur Flußmündung hinaus. Er kümmerte sich nicht um den Verletzten. Es war ihm egal, was aus ihm wurde. Er ruderte an der Küste entlang, bis es dunkelte. Dann fuhr er ans Ufer, band das Boot an einem Felsen fest und legte sich ein Stückchen weiter in den Sand, um zu schlafen. Kurz nach Sonnenaufgang flüchtete er weiter, nachdem er sich eine kürbisähnliche Frucht aus dem Wald geholt und diese ausgehöhlt hatte, um ein Gefäß für die Perlen zu haben. Gegen Abend des zweiten Tages sah er eine Siedlung, die aus etwa zwanzig Hütten bestand. Eine leichte Strömung trieb das Boot darauf zu. Capran hatte in den letzten Stunden nichts gegessen. Er war hungrig, und er sagte sich, daß er bei den Eingeborenen etwas zu essen bekommen könnte. Ich sollte einige Tage bei ihnen bleiben, überlegte er. Ich bin ihnen in jeder Hinsicht überlegen, also werde ich sie schon dazu bringen, daß sie sich mir unterwerfen. Sie könnten für mich sorgen, und ich zeige ihnen einige technische Tricks, mit denen sie ihr Leben erleichtern können. Er lächelte. Und ganz nebenbei konnte er seinen Perlenschatz vergrößern, um für den Tag gerüstet zu sein, an dem er Blue verlassen würde. Er legte sich in die Riemen und ruderte auf die Siedlung zu. * Die Raumstation war ein achteckiger Körper, der sich aus Kugeln und Querstollen zusammensetzte. Sie hatte eine Kantenlänge von annähernd sechshundertfünfzig Metern. Neun Kugeln von jeweils hundertfünfzig Metern Durchmesser bildeten eine Seite des
Würfels. Sie waren durch Querstollen miteinander verbunden, die etwa hundert Meter lang waren und einen Durchmesser von dreißig Metern hatten. In der Mitte des Kugeloktogons befand sich die größte Kugel. Sie hatte einen Durchmesser von etwa zweihundert Metern. Alle Kugelzellen waren mit Antennen, Projektoren, Schleusen, Anlandungselementen und ähnlichen Einrichtungen versehen. »Da sind sie«, sagte Oserfan erregt. Er fuhr herum und blickte Bjo Breiskoll mit flammenden Augen an. »Das muß eine Station jener kosmischen Verbrecher sein, die Heimat‐15 zerstört haben.« »Das werden wir bald genau wissen«, entgegnete der Katzer. »Wir sehen uns das Ding an.« »Wir zertrümmern es!« Oserfan ballte die kleinen Hände zu Fäusten. »Vorläufig nicht«, erwiderte der Katzer. »Wir brauchen Informationen über die fremde Macht, mit der wir es zu tun haben.« Der Molaate nickte zerknirscht. »Du hast recht«, sagte er. »Wir haben nichts davon, wenn wir die Station zerschmettern. Das können wir immer noch tun.« Die Zahlen auf dem Monitorschirm vor Bjo Breiskoll wiesen aus, daß die POLLUX noch etwa sechzigtausend Kilometer von der Raumstation entfernt war. Sie drang nun in die Randzone der Staub‐ und Trümmerwolke ein und bewegte sich relativ langsam voran, um Kollisionen zu vermeiden. Bjo überlegte, welche Aufgabe die Raumstation jetzt noch zu erfüllen haben konnte. Oserfan hatte im Grunde genommen recht. Es konnte keinen überzeugenden Grund mehr für die Anwesenheit der Station in diesem System geben, nachdem ihre Erbauer alles Nickel abgebaut hatten, was hier vorhanden gewesen war. Hatten sie die Raumstation aufgegeben und allein aus Bequemlichkeitsgründen zurückgelassen? Oder handelte es sich um eine Kampfstation, die eventuelle Verfolger vernichten sollte? »Alle Defensivsysteme einschalten«, befahl er.
»Defensivsysteme ein«, bestätigte Hayes. Der umsichtige Mann hatte längst alle Vorkehrungen getroffen, die notwendig waren, die POLLUX gegen einen Überraschungsangriff abzusichern. Der Katzer überprüfte die Anzeigen der Ortungsanalyse. Die Station besaß einen derart guten Ortungsschutz, daß nur wenige Daten ermittelt werden konnten. Daher konnte bis jetzt niemand sagen, ob sich irgend jemand an Bord des kosmischen Bauwerks aufhielt oder nicht. Bjo richtete seine telepathischen Sinne auf die Station, doch er fand nicht die geringste Spur eines lebenden Wesens darin. »Gib mir Atlan«, befahl er. Wiederum nahm Breckcrown Hayes die notwendigen Schaltungen vor, da der Funkleitstand nicht besetzt war. Das Gesicht des Arkoniden erschien wenig später auf dem Bildschirm vor dem Katzer, der nun mit knappen Worten berichtete, was sie gefunden hatten. »Ich habe die Station Kugeloktogon genannt«, schloß er und blendete das Bild des fremden Objekts ein. »An Bord hält sich kein lebendes und denkendes Wesen auf. Die Fremden haben Heimat‐15 also verlassen. Wenn sich überhaupt etwas in diesen Kugeln befindet, dann sind es Roboter.« »Seht euch in der Station um«, empfahl der Arkonide. »Wenn sie nicht völlig leergeräumt worden ist, muß es dort Informationen geben, die für uns wichtig sind.« »Ich gehe davon aus, daß unsere Gegner einige Waffensysteme zur Sicherung eingebaut haben«, entgegnete Breiskoll. »Mit denen müssen wir uns zunächst auseinandersetzen.« »Nehmt keine Rücksicht. Notfalls müssen eben die Fetzen fliegen.« »Also gut«, sagte Bjo. »Wir greifen an und ziehen uns nur zurück, wenn klar wird, daß wir die Verteidigungssysteme des Kugeloktogons nicht überwinden können. Wir melden dann später, was wir gefunden haben.«
»Viel Glück.« »Danke.« Bjo schaltete aus. Er war sich mit dem Arkoniden einig darin, daß die Hyperfunkverbindungen nur für jeweils wenige Minuten bestehen durften. Sie hatten die Hyperfunksendungen der Fremden angepeilt. Umgekehrt mußten sie damit rechnen, daß die Fremden auf sie aufmerksam wurden und mit einem konzentrierten Angriff reagierten. »Entfernung?« »Zwanzigtausend.« Hayes verzögerte. Die POLLUX schob sich noch langsamer als zuvor an die Raumstation heran. Mehrere Männer von der ständigen Besatzung kamen in die Hauptleitzentrale und setzten sich wortlos in die Sessel am Kampfleitstand. Die Sekunden schienen sich endlos zu dehnen, und die POLLUX schien zum Stillstand gekommen zu sein. Es war, als rücke sie dem Kugeloktogon nun nicht mehr näher. Doch der Eindruck täuschte. Vorbeiziehende Gesteinsbrocken zeigten an, daß sie nach wie vor mit erheblicher Geschwindigkeit durch den Raum flog. Plötzlich blitzte es an einer Kugel auf, und für Sekunden wurden die Bildschirme weiß. Ein schwerer Schlag erschütterte das Raumschiff. »Feuer«, befahl Breckcrown Hayes. »Feuer«, bestätigten die Männer am Feuerleitstand. Auf den Bildschirmen wurde die Station wieder sichtbar. Energiestrahlen rasten darauf zu, und dann schien das Kugeloktogon in wabernder Glut zu vergehen. Bjo Breiskoll beobachtete das Geschehen ruhig und fast unbeteiligt. Die beiden Molaaten dagegen waren wie elektrisiert. Sie zuckten bei jedem Feuerstoß zusammen und schienen es nicht erwarten zu können, bis das Verteidigungssystem der Station zusammenbrach. Sanny stieß einige Male beide Arme in die Höhe, als wolle sie den Erfolg der POLLUX bejubeln.
Die Automatik der Station schlug zurück. Ein Feuersturm raste auf den Leichten Kreuzer zu, verfing sich jedoch in einen Abwehrschirm und richtete keinen Schaden an. Die Besatzung spürte lediglich eine Reihe von Erschütterungen. Dann griff die POLLUX erneut an, und plötzlich erlosch der Abwehrschirm der Station. Die Energiestrahlen des Leichten Kreuzers durchbrachen die Verteidigungsfront und zerstörten Dutzende von Projektoren an den Kugeln. »Feuer einstellen«, befahl Hayes. Eine Sonne schien zu verlöschen, und die Station der Fremden war nur noch als Ortungsreflex auf den Monitorschirmen zu sehen. Das Licht der fernen Sonne reichte nicht aus, sie zu erhellen. »Wir schicken eine unbesetzte Space‐Jet voran«, befahl Bjo. »Ich will wissen, ob sie ungehindert durchkommt.« Hayes leitete den Befehl weiter, und kaum sechzig Sekunden darauf verließ eine Space‐Jet einen der Hangars der POLLUX. Das Beiboot schwebte auf das Kugeloktogon zu, das auf dieser Seite zahlreiche Beschädigungen aufwies, und erreichte es, ohne angegriffen zu werden. »Wir gehen hinüber«, sagte Bjo und erhob sich. »Breckcrown, du bist dabei.« »Und wir auch«, rief Oserfan. »Euch kann ich nun wirklich nicht gebrauchen.« Der Katzer lächelte freundlich. »Drüben kann es gefährlich werden.« »Glaubst du, wir sind Feiglinge?« rief Sanny empört. »Was hier geschehen ist, geht uns direkt etwas an, schließlich war dies Heimat‐ 15. Wir wollen wissen, was es mit dieser Station auf sich hat, und wenn du uns nicht mitnimmst, müssen wir notfalls allein gehen.« Der Telepath erkannte, daß sie wild entschlossen war, auf jeden Fall einen Blick in die Station zu werfen. Daher lenkte er ein. *
Breckcrown Hayes steuerte die Space‐Jet auf die Station zu, deren Insassen den Kampf eingestellt hatten. Entweder waren sie nicht mehr in der Lage, sich weiterhin zu verteidigen, oder sie hatten aufgegeben. Bjo Breiskoll glaubte weder an das eine, noch an das andere. Da es keine lebenden Wesen an Bord der Station zu geben schien, meinte er, es mit robotischen Einrichtungen zu tun zu haben. Und Roboter konnten nicht aufgeben. Doch plötzlich dachte er an Capran. Er konnte seine Gedanken vor mir verbergen und mir ein Trugbild vorgaukeln, überlegte er. Sollte er wirklich so einmalig sein, wie ich geglaubt habe? Wie nun, wenn in dieser Station Wesen leben, die ebenfalls solche Fähigkeiten haben? Er spürte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Wenn das der Fall war, flogen sie direkt in eine Falle. Sollte er Hayes, Oserfan und Sanny etwas von seinen Befürchtungen sagen? Mußte er die vier Männer von der POLLUX‐Besatzung, die auf dem untersten Deck warteten, nicht warnen? Er war unsicher geworden, und er beschloß, vorläufig zu schweigen, aber ganz besonders aufmerksam zu sein, wenn er von Bord ging. »Wir legen Kampfanzüge an«, befahl er, als die Space‐Jet eine Schleuse der Station erreicht hatte. Im Scheinwerferlicht sah er eines der Kugelelemente, dessen Waffensysteme vollkommen zerstört worden waren. In diesem Bereich der Station gab es nichts mehr, womit eventuelle Insassen hätten kämpfen können. Hayes blickte den Katzer überrascht an, als dieser wenig später betonte, daß er die Station als erster betreten werde. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er. »Ich weiß nicht«, antwortete Bjo. »Jedenfalls gehen wir kein unnötiges Risiko ein. Ich glaube nicht, daß lebende Wesen an Bord
sind, aber sicher bin ich nicht.« Die sechs Männer und die beiden Molaaten trugen Schutzanzüge, in denen sie auch einen direkten Beschuß vorübergehend überstehen konnten. Für Oserfan und Sanny eine derartige Ausrüstung zu beschaffen, war kein Problem gewesen. Es war nur darauf angekommen, die Fertigungsroboter entsprechend zu programmieren. Jetzt sahen die beiden Molaaten wie Kinder aus, denen man Raumanzüge angelegt hatte. Das äußere Schleusenschott öffnete sich, Bjo schaltete den Antigrav seines Anzugs ein und schwebte durch die Röhre zum Schleusenschott des Kugeloktogons hinüber. Es war so groß, daß es für Beiboote gedacht zu sein schien, die eingeschleust werden sollten. Mühelos fand der Katzer den Schalter für das Schott, da Hayes diesen schon vorher mit Hilfe der Instrumente der Space‐Jet angemessen hatte. Das Schott, das etwa dreißig Meter breit und ebenso hoch war, glitt zur Seite. Dahinter öffnete sich eine leere Schleusenkammer, die aus nicht erkennbaren Lichtquellen fahlblau erhellt wurde. Bjo betrat sie, schloß das Schott hinter sich und öffnete das Innenschott. Gleich darauf stand er auf einem Gang, der genau in das Zentrum des Kugelelements zu führen schien. Er war etwa fünfundzwanzig Meter breit und ebenfalls fünfundzwanzig Meter hoch. »Alles in Ordnung«, berichtete der Katzer. »Ihr könnt mir folgen. Die Station scheint leer zu sein. Ich befinde mich auf einem Gang, der absolut nichts enthält, noch nicht einmal Staub.« Etwa eine Minute verstrich, dann traten die anderen durch das Schott auf den Gang hinaus. Bjo war unruhig. Er sagte sich, daß er keinen Grund dazu hatte, nervös zu sein, da es keinerlei Anzeichen für eine Gefahr gab. Doch er konnte nichts
gegen diese innere Unruhe tun. Ihm war, als müsse jeden Moment Energiefeuer über sie hereinbrechen. »Ich gehe davon aus, daß die große Kugel in der Mitte der Station eine besondere Bedeutung hat«, sagte er. »Das läßt sich aus ihrer Lage und ihrer Größe schließen. Wir werden also versuchen, dorthin vorzustoßen.« Die anderen erhoben keinen Einspruch. Das Kommando hatte die Station durch die mittlere Kugel eines Seitensegments betreten. Das bedeutete, daß sie sie durchqueren und dann über einen etwa fünfundsiebzig Meter langen Gang zu ihr gelangen konnten. Die Metallwände der Station waren glatt und schmucklos, dennoch spürte Bjo eine eigenartige und fremdartige Atmosphäre, die sich von allem unterschied, was ihm bisher begegnet war. Er versuchte, das Phänomen zu ergründen, doch das gelang ihm nicht. Während er zusammen mit den anderen tiefer in die Station eindrang, konzentrierte er sich auf das Material der Wände, das eindeutig metallisch war. Wieder fühlte er, daß etwas davon ausging, doch er konnte es mit seinen parapsychischen Sinnen nicht erfassen. Es entzog sich ihm. »Was ist los mit dir?« fragte Breckcrown Hayes. »Du bist so schweigsam.« »Das fällt dir auf?« »Allerdings.« Bjo sagte ihm, daß etwas nicht Faßbares an den Wänden der Station war. »Ich kann es nicht beschreiben. Es lebt nicht. Jedenfalls glaube ich das nicht. Aber ist es tot?« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es wirklich nicht.« »Wieso sind die Gänge so hoch?« fragte einer der Männer von der Besatzung der POLLUX. »Ob dies ein Transportgang für besonders sperrige Güter ist?« »Das könnte möglich sein«, erwiderte der Katzer. »Mir ist jedoch
aufgefallen, daß die Schleusenschotte der anderen Kugeln ebenso groß waren. Also sind die sich anschließenden Gänge vermutlich nicht kleiner als diese.« »Nach allen Erfahrungen, die wir gemacht haben, wird nirgendwo rationeller gebaut als im Weltraum«, stellte Hayes fest. »Wenn die Gänge also so hoch sind, muß das einen Sinn haben.« »Vielleicht sind die Wesen, die sie erbaut haben, riesenhaft?« Bjo lächelte. Er schien selbst nicht daran zu glauben, daß die Konstrukteure des Kugeloktogons nahezu zwanzig Meter groß waren. Als sie etwa ein Drittel der Kugel durchquert hatten, erreichten sie ein Zwischenschott. Es ließ sich mühelos öffnen. Dahinter führte der Gang in gerader Linie weiter. Einige Schotte zweigten seitwärts ab. Bjo fuhr sie auf, um nachzusehen, was sie absicherten. Er bekam jedoch nichts zu sehen, was besonders informativ oder interessant gewesen wäre, sondern nur leere Hallen. Allmählich legte sich die Anspannung. Bjo, Hayes und die vier Männer von der POLLUX trugen ihre Waffen zwar noch immer schußbereit in den Händen, sie rechneten jedoch nicht mehr damit, angegriffen zu werden, da bis jetzt alles ruhig geblieben war. Oserfan und Sanny hatten ihre Impulsstrahler in die Gürtel geschoben. Die Gruppe durchquerte die Kugel, ohne daß es zu einem Zwischenfall kam. Danach stieß sie durch einen in fünf Abschnitte aufgeteilten Gang bis zur Zentralkugel vor. »Es wird stärker«, bemerkte Bjo. »Wovon sprichst du?« fragte Sanny. Er blickte sie verwundert an und begriff im ersten Moment nicht. Dann wurde er sich dessen bewußt, daß sie dieses eigenartige Gefühl, das von den Wänden der Station erzeugt wurde, nicht empfangen konnte. Er erklärte es ihr. »Je näher wir dem Zentrum der Station kommen, desto
ausgeprägter wird es«, schloß er. »Könnte es sein, daß jemand auf uns wartet?« fragte Oserfan. »Was wissen wir schon von den Lebewesen des Universums? Vielleicht gibt es Intelligenzen, die in einem uns völlig unbegreiflichen Bereich existieren, und die wir normalerweise gar nicht als lebend ansehen würden?« »Wir wollen nicht spekulieren«, erwiderte der Katzer. Entschlossen öffnete er das nächste Schott. Und wiederum bot sich ihm das gleiche Bild wie schon so oft zuvor. Vor ihm lag ein Gang, der absolut nichts enthielt. Vierzig Meter waren es noch etwa bis zum nächsten Schott. Dieses mußte sich dann bereits im Innern der Zentralkugel befinden, die einen Durchmesser von zweihundert Metern hatte. »Wir wollen nicht unvorsichtig werden«, warnte der Katzer, als sie dieses Schott erreichten. »Verteilt euch auf die Seiten des Ganges.« Er stellte sich vor den Schalter, der wie die anderen zuvor auch, auf seine Annäherung reagierte und das Schott mit einem Impuls zur Seite gleiten ließ. Bjo Breiskoll blickte in eine Halle, die etwa hundert Meter tief und dreißig Meter hoch war. In der Mitte der Halle erhob sich eine Metallstatue, die sicherlich fünf Meter hoch war, und von der eine intensive Strahlung ausging. Diese spürte jedoch nur der Telepath. * Capran erkannte schon wenige Minuten nach seiner Landung am Ufer der Bucht, daß er einen Fehler gemacht hatte. Zuerst hatte es so ausgesehen, als ob man ihn freundlich aufnehmen werde. Die Bewohner des Fischerdorfes waren an den Strand gekommen. Männer, Frauen und Kinder hatten ihn begrüßt, und alle hatten stark geschwollene Leiber gehabt, so daß Capran
bereits den Umfang seiner Beute berechnet hatte. Doch vor wenigen Sekunden hatte sich die Menge geteilt, und ein junger, schlanker Mann war an den Strand gekommen. Capran erkannte ihn sofort wieder. Es war jener Mann, dem er mit Hilfe des Medo‐Roboters die Perlen entnommen hatte. Doryt. Und dieser wußte ebenfalls, wen er vor sich hatte. Das bewiesen die feindseligen Blicke, mit denen er ihn musterte. Capran wirbelte herum. Er rannte zu seinem Boot, das im flachen Wasser dümpelte, sprang hinein und ruderte mit aller Kraft. Doch viel zu langsam entfernte er sich vom Ufer. Ein schriller Pfiff ertönte. Capran blickte zum Dorf zurück, und die Haare sträubten sich ihm vor Angst und Schrecken, als er einen riesigen Hund sah, der über den Strand stürmte. Das Tier war so groß wie ein Pferd, bewegte sich aber viel schneller voran. Als es die Menge am Ufer erreichte, pfiff Doryt ein zweites Mal, und der Raubhund schnellte sich mit mächtigen Sätzen ins Wasser. Er kam Capran innerhalb weniger Sekunden bis auf wenige Meter nahe. Dann wurde das Wasser so tief, daß er schwimmen mußte. Der Mann von der SOL war kein geschickter Ruderer. Die zwei Tage, die er mit den Riemen hantiert hatte, hatten nicht ausgereicht, ihn sicher genug werden zu lassen. In seiner Angst kam er aus dem Takt, eines der Ruderblätter klatschte zu früh ins Wasser. Er konnte es nicht rasch genug wieder herausheben, und schon legte sich das Boot quer. Capran erkannte die Aussichtslosigkeit seiner Situation. Mit einem Aufschrei sprang er hoch und stürzte sich kopfüber ins Wasser. Doch er konnte noch schlechter schwimmen als mit dem Ruder umgehen. Der Raz‐Rar erreichte ihn und griff knurrend an. Die Zähne bohrten sich Capran ins Genick.
8. Die Metallstatue stand in der Mitte von kreisförmig angeordneten Maschinen unterschiedlicher Art. Schaltpulte und Kontrollkonsolen umgaben sie, als sei sie es, die mit Hilfe all dieser Einrichtungen bedient werden konnte. »Wir können zufrieden sein«, sagte Oserfan begeistert. »Mehr konnten wir wohl nicht erreichen.« »Wir müssen den Hyperfunksender finden. Wahrscheinlich ist er hier in dieser Halle.« Bjo Breiskoll ging zu einer der Maschinen, die in seiner Nähe standen. »Wir werden den Sender zerstören. Dabei sollten wir darauf achten, daß die Antennen nicht beschädigt werden. Möglicherweise zeigen sie uns, wohin wir uns wenden müssen.« Er blieb an der Maschine stehen und betrachtete die Schaltungen und Kontrollinstrumente. »Das könnte so etwas wie ein zentraler Kampfstand sein«, vermutete Breckcrown Hayes. »Wenn ich mich nicht gewaltig täusche, werden Störungen angezeigt.« Er tippte gegen zwei Displays, auf denen immer wieder die gleichen Symbole erschienen. »Achtung«, schrie Oserfan und ließ sich fallen. Lautlos glitt ein Schott zur Seite, das sich auf der gegenüberliegenden Seite der Halle befand. Vier kugelförmige Roboter, die sich auf Antigravplattformen erhoben, schwebten herein. Einer von ihnen schoß. Ein sonnenheller Energiestrahl raste quer durch die Halle und fuhr fauchend über Oserfan hinweg. Bjo Breiskoll und Breckcrown Hayes warfen sich zu Boden. Einer der Männer von der POLLUX erwiderte das Feuer, verfehlte sein Ziel jedoch. Die Roboter schwärmten aus. Sie versuchten, die Eindringlinge in die Zange zu nehmen.
Jetzt feuerte Bjo. Er sah, daß die Kugelroboter an ihrer Oberseite Drehkränze hatten, auf denen Energiestrahler saßen. Er traf einen der Roboter dicht unterhalb seines Waffensystems und schaltete ihn aus. Die Maschine zog sich scharf beschleunigend aus der Halle zurück. Hayes schoß zweimal. Mit dem ersten Schuß zerstörte er die Strahlenwaffe eines Roboters, mit dem zweiten traf er den Kugelkörper. Plötzlich fuhren zehn mit mehreren Gelenken versehene Arme aus der Kugel hervor und wirbelten haltlos durch die Luft. Dann stürzte der Automat krachend auf den Boden und zerbrach in mehrere Teile. Einer der Arme kroch etwa zwei Meter weit von den Resten weg und blieb dann liegen, als ihm keine weitere Energie mehr zugeführt wurde. Mittlerweile kämpften die beiden anderen Roboter, Bjo, die vier Männer von der POLLUX und die beiden Molaaten erbittert weiter. Die Maschinen schossen schnell und genau. Die Energiestrahlen strichen dicht über die Schaltkonsolen hinweg, hinter denen sich die Solaner, Sanny und Oserfan versteckten, so daß diese kaum Gelegenheit hatten, das Feuer zu erwidern. Bjo erkannte, daß sie in die Enge gedrängt wurden und in eine ausweglose Lage zu kommen drohten. In der Deckung einer Schaltkonsole robbte er über den Boden, bis er mehr als zwanzig Meter von den anderen entfernt war. Er hörte die Schüsse der beiden Roboter und schloß aus den Geräuschen, daß einer von beiden unmittelbar neben ihm war. Er richtete sich blitzschnell auf und griff die Maschine an, die vor ihm aufragte. Dann ließ er sich sogleich wieder fallen und rollte sich von der Stelle weg, an der er sich eben noch befunden hatte. Doch seine Vorsicht erwies sich als übertrieben. Die Kampfmaschine flüchtete, und auch die andere zog sich allmählich zurück, wobei sie immer wieder dorthin feuerte, wo Bjo zuletzt gewesen war.
»Feuer einstellen«, rief dieser den anderen zu. Durch eine Lücke zwischen den Maschinen konnte er den letzten der Roboter beobachten. Der Automat hatte das Schott erreicht, durch das er hereingekommen war. Er schwebte hindurch und schloß es hinter sich. »Wir müssen wissen, wo sie bleiben«, sagte der Katzer. »Breckcrown. Komm. Wir folgen ihnen. Die anderen bleiben hier und suchen nach dem Hypersender.« Zusammen mit Hayes eilte er hinter den Robotern her. Als das Schott zur Seite glitt, warteten die beiden Männer in der Deckung einer Computereinheit ab. Sie sahen, daß der Gang nur kurz war und in eine weitere, kleinere Halle führte. Von den Robotern war nichts mehr zu sehen. »Los. Hinterher«, sagte Bjo. Mit ungemein geschmeidigen Bewegungen lief er in den Gang hinein. Hayes hatte Mühe, ihm zu folgen, obwohl er gewiß kein schlechter Läufer war. Am Ende des Ganges blieb der Katzer in der Deckung des halbgeschlossenen Schottes stehen. »Wo sind sie?« fragte Hayes, als er ihn erreichte. Er blickte über die Schulter Bjos hinweg in die Halle, die bis auf eine Maschine leer war, aus der zwei sichelförmige Arme aufstiegen. Sie bildeten einen Halbbogen, der an seiner höchsten Erhebung eine Lücke von einigen Zentimetern Breite hatte. In diesem Halbbogen flimmerte ein rötliches Energiefeld. »Sie haben sich in den Halbbogen gestürzt«, berichtete der Katzer. »Ich habe gerade noch gesehen, wie sie verschwanden.« »Ist das eine Art Transmitter?« fragte Hayes. »Ich habe keine Ahnung, aber ich denke schon. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Roboter sich selbst vernichtet haben. Das wäre unlogisch. Dann hätten sie auch weiterkämpfen können, obwohl sie erkannt haben, daß sie unterliegen würden. Der Effekt wäre der gleiche gewesen.« Er betrat die Halle und ging zu einer Säule, die sich neben dem
Gerät erhob, das er für einen Materiesender hielt. Darauf befand sich die Tastatur einer Schaltung. Bjo nahm seinen Kombistrahler, schaltete ihn auf Desintegratorwirkung um und zerstörte das Steuerelement. Befriedigt beobachtete er, daß das Energiefeld in dem Halbbogen erlosch. »Zumindest brauchen wir jetzt nicht mehr damit zu rechnen, daß wir auf diesem Weg unliebsamen Besuch bekommen«, sagte er und gab Hayes das Zeichen, umzukehren und zu den anderen zurückzugehen. »Ich habe den Hyperfunksender«, rief ihm Oserfan entgegen, als sie die Halle betraten. Er stand unmittelbar neben der Metallstatue. »Hier ist er.« Breiskoll blickte ihn zweifelnd an. »Bist du sicher?« fragte er. »Ich kann daran nichts erkennen, was mich an einen Hyperfunksender erinnert. Ich meine, da die Technik annähernd die gleiche ist wie bei uns, müßte auch das äußere Bild ähnlich sein.« »Es ist nicht die gleiche Technik. Noch nicht einmal das gleiche Prinzip«, widersprach der Molaate. »Da ist schon mehr Ähnlichkeit mit den Sendern vorhanden, die wir haben.« Bjo senkte den Kopf und blickte auf seine Füße. Ein eigenartiges Gefühl erfüllte ihn. Deutlich spürte er, daß die Metallstatue etwas ausstrahlte. Er wandte sich ihr zu und betrachtete sie forschend, während Oserfan weiterplapperte, als sei er sicher, daß der Katzer ihm zuhörte. Dieser hatte den Eindruck, daß die Statue aus massivem Metall bestand. Sie hatte vier Beine, die die Hälfte der Körperlänge ausmachten und in einem Quadrat angeordnet waren. Darüber erhob sich ein vergleichsweise kleiner Körper mit zwei Ärmchen, die nur etwa fünfundzwanzig Zentimeter lang waren. Sie endeten in Händen, die
absolut menschenähnlich waren. Auch der Kopf ähnelte dem eines Menschen. Bjo fielen vor allem die großen, traurig blickenden Augen auf. »Ich möchte wissen, was diese Statue zu bedeuten hat«, sagte Breckcrown Hayes, dem auffiel, daß Bjo dem Molaaten gar nicht mehr zuhörte. »Wahrscheinlich stellt sie einen der Fremden dar«, erwiderte der Katzer. »Aber das werden wir wohl bald erfahren.« »Und dieses Gefühl? Ist es immer noch da?« Bjo ließ seine Hände über das blankpolierte Metall streichen. Er seufzte. »Es ist stärker denn je.« Er wandte sich an die beiden Molaaten. »Könnt ihr mir etwas über die Statue sagen?« fragte er. Sanny kam zu ihm, blickte zu dem Standbild hoch und umrundete es einmal. »Es ist ein Abbild unserer Gegner«, erklärte sie dann selbstsicher. »Weißt du das, oder vermutest du es?« erkundigte sich Hayes. »Mein Instinkt sagt es mir«, erwiderte die Paramathematikerin. »Sie hat recht«, bemerkte Oserfan. »Und du könntest mir einen Gefallen tun.« »Warum nicht? Was möchtest du?« »Ein Stückchen von der Statue«, antwortete der Molaate. »Wie wäre es mit einem Finger?« Hayes zögerte. »Wir kennen die Bedeutung dieser Statue nicht. Vielleicht fordern wir ein fremdes Volk unnötig heraus, wenn wir sie beschädigen? Vielleicht verbauen wir uns alle Verständigungsmöglichkeiten?« »Wir müssen wissen, aus was für einem Metall sie ist«, erklärte Oserfan. »Und das geht nur, wenn wir etwas abschneiden.« »Er hat recht«, stimmte Bjo zu. »Also, mach schon.« Hayes nahm seinen Energiestrahler und stellte ihn auf Desintegratorwirkung ein. Damit trennte er einen der Finger des
Standbildes ab. Oserfan fing ihn auf, als er herunterfiel. »Danke. Ich gebe euch dann Bescheid, sobald ich weiß, was für ein Metall es ist.« »Was vermutest du?« fragte der Katzer. »Das liegt doch auf der Hand«, bemerkte Sanny. »Oder nicht?« »Nickel natürlich«, sagte Oserfan. »Das ist das Metall, das bei diesen Teufeln ganz besonders hoch im Kurs zu stehen scheint. Ich wäre überrascht, wenn es kein Nickel wäre.« »Das wird sich zeigen.« Bjo wandte sich nun dem vermeintlichen Hypersender zu. Er zögerte, ihn zu zerstören. Plötzlich hallten die unverständlichen Laute einer fremden Sprache aus verborgenen Lautsprechern. Sekundenlang war die Halle von ohrenbetäubendem Lärm erfüllt, der dann schlagartig abbrach. Hayes und der Katzer blickten sich an. Beide fragten sich, ob sich außer ihnen noch jemand in der Station aufhielt. Eine Stimme klang in Bjo Breiskoll auf. Er horchte. Unwillkürlich richteten sich seine Blicke auf die Statue. Gingen die parapsychischen Impulse von ihr aus? War sie in der Lage, ihm etwas mitzuteilen? »Was ist los?« fragte Hayes. »Ich höre etwas«, flüsterte er und streckte eine Hand aus, um den anderen zu bedeuten, daß sie leise sein und ihn nicht stören sollten. Dann sprach er laut mit, was in ihm aufklang: »Ysteronen und Roboter ziehen sich zurück. Wir sind entsetzt und voller Scham. Wir bedauern zutiefst, daß es euch gelungen ist, diese Station zu finden und zu betreten.« »Ysteronen?« rief Oserfan. »Ist das der Name dieser Teufel? Ysteronen?« »Sei still«, befahl Hayes erregt.
»Ruhe«, rief Sanny. »Wir wollen alles hören.« »Regt euch nicht auf«, wehrte Oserfan sie ab. »Bjo macht das schon.« »Wir warnen euch! Hört auf uns! Wir warnen euch. Verlaßt die Station. Schnell, denn sie wird sich gleich selbst zerstören, und ihr werdet mit ihr untergehen, wenn ihr noch länger bleibt.« Die telepathische Stimme verstummte. Bjo richtete sich auf. Er atmete einige Male tief durch, weil er gegen ein plötzlich aufkommendes Unwohlsein ankämpfen mußte. Dann fing er sich wieder. »Das war ernst gemeint«, rief er. »Wir müssen verschwinden. Los. Lauft.« Er wollte sich dem Ausgang zuwenden, als etwas Unerwartetes geschah. Über einem Aggregat, das plötzlich aufglühte, tauchte ein eiförmiges Gebilde auf. Es war 18 Zentimeter hoch und elf Zentimeter dick. Seine Oberfläche bestand aus nahtlos ineinander übergehenden sechseckigen Flächen, die hellgrün und hellrot glitzerten. Die Farben dieses Kristalleis wirkten sanft. Das Gebilde schien direkt aus der Glut aufzusteigen. Wie erstarrt blieben Bjo Breiskoll und seine Begleiter stehen, während das Kristallei mitten durch die Metallstatue schwebte, ohne diese dabei zu beschädigen oder eine Spur an ihr zu hinterlassen. Sie alle hörten, wie es flüsterte: »Chybrain! Chybrain!« Über dem Gerät, das Oserfan für einen Hypersender hielt, verharrte es einige Sekunden lang in der Luft. Danach setzte es sich erneut in Bewegung, schwebte schräg in die Höhe und hinterließ eine haarfeine, hellrote Spur, die auffallend wie ein Pfeil war, aber verblaßte, als Chybrain in der Wand der Halle verschwunden war. »Was hat das zu bedeuten?« fragte Sanny verstört. »Keine Ahnung«, erwiderte Bjo. »Ich kenne das Ei zwar, aber das ist jetzt egal. Die Maschinen lösen sich auf. Wir müssen sofort von hier verschwinden.«
»Wir müssen den Hyperfunksender noch zerstören«, rief Oserfan. Sanny lachte schrill. »Wozu denn? Die ganze Station wird vernichtet. Da brauchen wir uns um den Sender nicht mehr zu kümmern. Auch die Antennen können uns keine Hinweise mehr geben.« Oserfan grinste verlegen. Er rannte neben Bjo aus der Halle. »Das mußte ausgerechnet mir passieren«, brummelte er. Der Katzer blickte zurück. Alle Maschinen in der Halle glühten mittlerweile auf. Lediglich die Statue hatte noch ihre normale Farbe, doch er zweifelte nicht daran, daß auch sie bald vergehen würde. Seltsam, dachte er. Ysteronen und Roboter sind entsetzt, daß wir die Station aufgespürt haben. Zugleich schämen sie sich. Warum? Wegen ihrer Taten? Oder weil es ihnen nicht gelungen ist, das Kugeloktagon so zu verstecken, daß wir es nicht finden können? »Schneller«, rief er. »Verdammt, lauft. Die Station bricht auseinander.« Er spürte plötzlich eine intensive Strahlung, und er wußte, daß sie von der Statue ausging. Abermals blickte er zurück. Das Standbild glühte nun weiß auf, stürzte um und verschwand im Boden. Dann stürzte die Decke der Halle ein und begrub alle Maschinen unter sich, die noch nicht zerstört waren. Bjo brauchte niemandem zu sagen, daß es auf jede Sekunde ankam. Hayes, die vier Männer von der POLLUX‐Besatzung, Sanny und Oserfan rannten, so schnell sie konnten. Doch die beiden Molaaten kamen nicht schnell genug voran. Ihre Beine waren zu kurz, so daß sie nur kleine Schritte machen konnten. Bjo packte Sanny und setzte sie sich auf die Schulter. Hayes nahm Oserfan auf, der jedoch lautstark protestierte. »Laß mich runter«, rief er. »Du bist mir viel zu langsam. Außerdem bist du jetzt schon kurzatmig. Glaubst du, ich will deinetwegen verbrennen?«
Doch Hayes ließ ihn erst wieder auf den Boden herab, als sie sich in der Schleuse der Space‐Jet befanden. Er raste in die Zentrale hoch und lenkte das Beiboot zur POLLUX zurück. Sanny spähte durch die Transparentkuppel zur Station der Ysteronen zurück, die sich in immer greller werdender Glut auflöste. Plötzlich zuckte sie zusammen. Sie blickte in den Sternenhimmel hoch und sah die Zwerggalaxis Flatterfeld, die relativ deutlich zu erkennen war. »Jetzt weiß ich es«, rief sie. »Was weißt du?« fragte Oserfan. »Ich weiß, was die rote Linie zu bedeuten hat, die Chybrain hinterlassen hat«, behauptete sie. »Tatsächlich?« Bjo war überrascht. Er dachte schon seit einiger Zeit an Chybrain, ohne das Rätsel lösen zu können, das dieser ihnen gestellt hatte und das das Kristallei selbst bedeutete. »Allerdings«, betonte die Molaatin. »Die rote Linie zeigt genau auf eine Seite der Kleingalaxis Flatterfeld. Dort ist ein Gebiet mit hoher Sternendichte.« »Meine Anerkennung«, sagte Oserfan. »Du hast recht. Natürlich. Nur so kann es sein. Die Ysteronen, die Zerstörer unserer Welten können nur aus jenem Gebiet gekommen sein. Nur so haben das Erscheinen von Chybrain und diese rote Linie einen Sinn.« Er ging zu einem Analysegerät und legte den abgetrennten Finger der Statue hinein. Bjo Breiskoll lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er blickte zur Zwerggalaxis Flatterfeld hinauf und richtete seine parapsychischen Sinne auf sie. Er meinte, eine Strahlung spüren zu können, die aus der Sternenballung an ihrem Rand kam und die jener Strahlung glich, die er in dem Kugeloktogon erfaßt hatte und die von der Statue ausgegangen war. Es schien, als hätten die Molaaten recht mit ihrer Behauptung.
Wenn diese Strahlung mit den Ysteronen zusammenhing, dann war es recht wahrscheinlich, daß diese in der Zwerggalaxis Flatterfeld zu finden waren. Er zuckte erschrocken zusammen, als Oserfan ein Metallstück in seinen Schoß warf. Es war der Finger der Statue. Der Molaate lächelte triumphierend. »Nickel«, erklärte er. »In seiner reinsten Form.« Bjo nahm den Finger in die Hand. Auch von ihm ging diese rätselhafte Strahlung aus, sie wurde jedoch von Sekunde zu Sekunde schwächer. Die Space‐Jet glitt in den Hangar der POLLUX. »Wir sind da«, bemerkte Breckcrown Hayes. »Was jetzt?« »Wir fliegen zur SOL zurück«, entschied Bjo Breiskoll. »Ich habe das Gefühl, daß nun einige Dinge in Bewegung kommen werden.« * Doryt zog an der Kette, und der Raz‐Rar blieb knurrend stehen. Gemächlich kam der Priester aus seiner Hütte unter den Bäumen hervor. Er trug ein weites, bequemes Gewand, das ihn voller erscheinen ließ, als er war. Als er Doryt und die zwanzig Männer sah, die ihn begleiteten, blieb er überrascht stehen. »Was soll das bedeuten?« fragte er. »Warum kommt ihr alle?« Doryt zeigte schweigend auf den Toten, der auf dem Rücken seines Raubhundes lag. »Um ihn geht es. Wir schicken ihn in die Ewigkeit.« Der Priester kam zu dem jungen Mann und griff neugierig nach den Perlen, die an seinem Gürtel hingen. »Das sind sie also«, sagte er. »Der Fremde hat mir davon erzählt.« »Welcher Fremde?« fragte Threyk, doch der Priester antwortete nicht.
»Ich werde euch nach oben begleiten«, erklärte er. »Laßt uns gehen. Ich muß die Wahrheit wissen.« Doryt blickte ihn an, und er begriff, daß den Esker die gleichen Fragen quälten wie ihn auch. »Komm mit uns. Wir werden gemeinsam die Wahrheit ergründen.« Der Priester wandte sich wortlos um und ging voran. Und bald darauf schloß sich ihnen auch der andere Eremit an, der weiter oben am Berg lebte. Er wollte Doryt ein Seil für den Toten übergeben, aber der junge Mann lehnte ab. »Für ihn nicht. Er ist ein Mörder und Frevler. Er hat keine würdige Bestattung verdient.« Sie erreichten den Rand des Kraters kurz vor Einbruch der Dunkelheit, und sie warfen den toten Solaner in die Tiefe. Die Farbe der Glut veränderte sich nicht, aber das hatte auch niemand erwartet. Sie setzten sich auf die Felsen und verrichteten ihre Gebete. Mehr als zwei Stunden verstrichen, dann stand Doryt langsam auf. »Die Götter mögen meinem Vater vergeben, daß er mit leeren Händen vor sie hingetreten ist. Sie mögen mir erlauben, daß ich ein Opfer für ihn nachreiche, und ich bitte sie, es anzunehmen.« Er löste einige Perlen von seinem Gürtel und warf sie schwungvoll in die Tiefe. Sie verschwanden in dem glühenden Schacht, und Sekunden darauf verfärbten sich die Felsen. Die rote Glut versiegte. Dafür stiegen blaue Flammen aus dem Schlund des Kraters auf und tauchten die Felsen und die Männer in ein gespenstisches Licht. Doryt sank voller Dankbarkeit auf die Knie. »Seht ihr es?« stammelte er. »Die Götter haben mein Opfer angenommen. Sie haben meinem Vater verziehen. Das blaue Feuer brennt. Es ist das Zeichen, daß meinem Vater die Tore der Unendlichkeit geöffnet werden. Seine ruhelose Seele wird Frieden finden.« »Jetzt habe ich keine Angst mehr vor dem Ende«, sagte Threyk. Er
nahm einige Perlen entgegen, die Doryt ihm reichte. »Wenn ich sterben sollte, so werde ich doch ins Reich der Götter kommen.« »Das blaue Feuer ist der Beweis dafür, daß wir die Perlen auch außerhalb unseres Körpers tragen können«, erklärte der Priester. »Einer der Fremden hat eine Maschine bei mir gelassen, die allen die Perlen herausnehmen wird, die länger leben wollen.« Doryt fuhr herum und blickte den Priester zornig an. »Die Fremden haben sich an mir versündigt. Sie haben meinen Leib gegen meinen Willen geöffnet.« »Nur einer von ihnen«, erwiderte der Eremit ruhig. »Du hast ihn gerade ins Feuer geworfen. Du bist also gerächt. Die anderen hatten damit nichts zu tun. Sie haben uns ein Geschenk hinterlassen, das uns allen eine bessere Zukunft eröffnet. Wir sollten es annehmen. Ich selbst trage die Perlen an meinem Gürtel.« Er öffnete sein Gewand und zeigte den anderen die Perlen. »Nicht alle, die von den Sternen kommen, sind schlecht«, sagte er. »Wir sollten Unterschiede machen.« ENDE Schauplatz des nächsten Atlan‐Bandes ist wieder die SOL, wo durch unbedachte Manipulationen etwas zu neuem, gefährlichen Leben erwacht. Dieses Etwas ist DER KRISTALLENE TOD … DER KRISTALLENE TOD – das ist auch der Titel des Atlan‐Bandes der nächsten Woche. Als Autor des Romans fungiert Horst Hoffmann.