So benimmt sich keine Lady Alison Kelly
Romana 1090
1/1 1994
gescannt von suzi_kay korrigiert von Joe
1.KAPITEL Ra...
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So benimmt sich keine Lady Alison Kelly
Romana 1090
1/1 1994
gescannt von suzi_kay korrigiert von Joe
1.KAPITEL Ralph Cameron war damit beschäftigt, seinen Lieblingshengst zu striegeln, als der kleine Lieferwagen in einer Staubwolke zum Stehen kam. Lange bevor er in Sicht war, hatte Ralph ihn gehört. Wahrscheinlich war die Fahrerin die Frau, die während des Sommers als Buchhalterin für ihn arbeiten würde. Seine Schwester Marilyn hatte ihn überredet, sie einzustellen. Er war nicht gerade begeistert, zwölf Wochen lang Gastgeber für eine Touristin zu spielen, aber er hatte sich dem geschickten Zureden seiner älteren Schwester noch nie widersetzen können. Es war höchste Zeit, es zu lernen. Das wurde Ralph in der Sekunde klar, in der die Frau aus dem Lieferwagen stieg! Mit ausdrucksloser Miene beobachtete er, wie sie auf ihn zukam. Sie hatte weißblondes Haar und lange wohlgeformte Beine. Zu den knappen Shorts trug sie ein hautenges gelbes TShirt, unter dem sich die festen Brüste deutlich abzeichneten. Ralph schätzte sie auf ungefähr fünfundzwanzig. Wenn diese Frau so verzweifelt einen Job suchte, wie Marilyn ihm eingeredet hatte, dann nur, weil die Talentsucher nicht wussten, dass sie sich in diesem Land aufhielt! "Hallo! Können Sie mir sagen, wo ich Ralph Cameron finde?" "Ich bin Ralph Cameron, Madam. Sie müssen Marilyns Freundin sein, Alexandra."
"Alessandra", verbesserte sie. "Entschuldigen Sie, Madam." "Macht nichts, ich habe mein halbes Leben damit verbracht, Leuten beizubringen, wie man meinen Namen richtig ausspricht!" Sie lachte. "Aber lassen Sie das Madam weg, ja? Es klingt absolut matronenhaft. Und ich bin erst achtundzwanzig!" Irgendwie erinnerte ihn ihre Stimme an die Katherine Hepburns. "Alessandra. Ein ungewöhnlicher Name." "Nach fünf Jungen wollte mein Vater eine richtig weibliche Tochter. Unglücklicherweise bekam er mich!" "Ich bin hier fast fertig." Ralph zeigte auf das Pferd, während er dachte, dass ihr Vater ein schwer zufriedenzustellender Mann sein müsse. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, einige Minuten zu warten, helfe ich Ihnen, das Gepäck ins Haus zu bringen." "Es eilt nicht", versicherte Alessandra. Sie stützte sich mit beiden Händen auf das Geländer des Korralzauns und streckte erst ein Bein und dann das andere nach hinten. "Nur die steifen Muskeln lockern", erklärte sie, als Ralph Cameron sie verblüfft anschaute. "Ich bin die letzten vier Stunden ohne Pause durchgefahren." Er nickte und widmete sich wieder dem Hengst. Alessandra hoffte, dass sie während ihres Aufenthalts Gelegenheit haben würde, zu reiten. Sie liebte Pferde fast so sehr, wie sie Büroarbeit hasste. Aber sie musste schließlich von irgend etwas leben. Der Job als Buchhalterin bei Ralph Cameron rettete sie aus einer schlimmen finanziellen Lage. Nach zwölf Monaten Rucksackreise durch die USA war sie ohne einen Pfennig nach Australien zurückgekehrt. Schweigend fuhr Ralph fort, den Hengst zu striegeln, und Alessandra nutzte die Zeit, um sich den Mann genau anzusehen und ihren Eindruck mit dem zu vergleichen, was ihr Marilyn über ihn erzählt hatte. Alessandra wusste, dass er vor achtzehn Jahren Witwer geworden war und sich seitdem der Erziehung seiner Tochter Lisa und seiner Ranch in Texas gewidmet hatte.
Vor vier Monaten hatte er diese Rinderzuchtfarm an der Grenze zwischen Queensland und New South Wales gekauft, ein Versuch, sein amerikanisches Unternehmen zu erweitern. Marilyn hatte gesagt, er sei achtunddreißig, doch Alessandra fand, dass er eher wie Mitte Vierzig aussah. Zweifellos die Folge der Arbeit im Freien bei jedem Wetter. Ralph Cameron war kein gutaussehender Mann im herkömmlichen Sinne. Tatsächlich war Alessandra nicht einmal sicher, ob sie so nachsichtig sein sollte, ihn attraktiv zu nennen. Aber er hatte ein ehrliches, markantes Gesicht, das Vertrauen weckte. Seine Figur war allerdings etwas anderes. Die abgetragenen Jeans und das karierte Baumwollhemd deuteten an, welch vollkommener männlicher Körper sich darunter verbarg. Als ehemalige Aerobic-Lehrerin kannte sich Alessandra aus - Ralph Camerons Körper war Spitzen Qualität! Ralph gab dem Hengst einen Klaps, dann drehte er sich um und bemerkte Alessandras anerkennenden Blick. Sie fühlte sich ertappt und lächelte verlegen. "Gut durchtrainiert." "Ja, er ist mein bester Hengst." "Ich meinte nicht das Pferd", erwiderte sie ehrlich und lachte über seine überraschte Miene. "Sie sind gut in Form. Trainieren Sie regelmäßig?" Er stieg über den Zaun und stand vor ihr. "Wenn Sie im Fitnesscenter meinen, nein. Ich bekomme genug Bewegung, indem ich diese Ranch leite." "Das glaube ich Ihnen!" Auf dem Weg zum Lieferwagen, den Alessandra vor der Verandatreppe geparkt hatte, zog Ralph seinen Stetson tiefer in die Stirn. Wie eine Buchhalterin kam sie ihm nicht vor! Er brauchte jemand, der zwölf Wochen lang alles Finanzielle erledigte, keinen Hausgast! Im Moment hatte er mit Lisa schon genug Probleme, da konnte er sich nicht auch noch mit
Geschäftsbüchern befassen. "Haben Sie viel Erfahrung als Buchhalterin?" "Ich habe mehrmals in der Baufirma meines Bruders ausgeholfen und einmal bei einer Filmgesellschaft in Griechenland gejobbt. Da ich sowohl manuell als auch mit dem Computer gearbeitet habe, werde ich sicher keine Probleme haben." "Gut, denn ich habe keine Zeit, Ihnen alles genau zu erklären. Sie werden mit den Büchern auf sich selbst gestellt sein. Ist das Ihr ganzes Gepäck?" Ralph zeigte auf einen abgenutzten Lederkoffer. "Der und dieser." Alessandra nahm einen kleinen Rucksack vom Beifahrersitz. "Wenn man so viel reist wie ich, lernt man, wirtschaftlich zu packen. Du meine Güte, ist das heiß hier!" Ralph ging nicht auf ihre Bemerkung über das Wetter ein. Er war kein Mann, der unnötige Kommentare machte oder anderen beipflichtete. Alessandra schien eine solche Zurückhaltung fremd zu sein. "Sie sind offensichtlich an diese Hitze gewöhnt. Wenigstens ist es trocken, nicht so drückend feucht wie im HNQ! Die macht einen fertig!" Sie gingen die Verandatreppe hoch. Oben angekommen, wurde sich Alessandra bewusst, dass Ralph Cameron sie durchdringend anschaute. "Stimmt irgend etwas nicht?" "HNQ?" fragte er leise. Sein Blick deutete an, dass er nicht sicher war, ob er die Übersetzung hören wollte. Alessandra lachte. "Im Hintersten North Queensland. HNQ. Klingt irgendwie obszön, oder?" Als er lächelte, war sie verblüfft über die Veränderung in seinem Gesicht. Er hatte schöne weiße Zähne, und die Falten in den Augenwinkeln, zweifellos Folge jahrelangen Blinzeins gegen die Sonne, verwandelten sich plötzlich in Lachfältchen, die ihm eine jungenhafte Unbeschwertheit verliehen. Wenn er lächelt, sieht er wirklich gut aus! dachte sie.
Er fragte, ob sie etwas trinken wolle, und sie nahm das Angebot an. Während er vor dem Kühlschrank stand, schaute sich Alessandra in der Küche um. Jeder moderne Komfort war vorhanden. Einbauschränke aus Zedernholz mit grauen Kunststoffarbeitsplatten nahmen drei Wände ein, zwischen den einzelnen Elementen waren Herd, Kühlschrank, Mikrowelle und die größte Tiefkühltruhe, die Alessandra je gesehen hatte, eingepasst. Die hellgrauen Wände harmonierten mit dem schwarzen Fliesenboden. "Hier, bitte." Alessandra drehte sich um. "Danke." Sie unterdrückte gerade noch ein Seufzen, als sie das Glas Limonade nahm und bemerkte, dass er eine Bierdose öffnete. Oh, na schön. Gegen Durst war Limonade ja nicht schlecht. An der Arbeitsplatte lehnend, beobachtete Ralph, wie Alessandra zögernd einen Schluck trank. Warum hatte sie sich bloß das Haar weißblond färben und so kurz schneiden lassen? Der glatte Bob endete an den Ohrläppchen, der Pony stieß an die Augenbrauen. Die Frisur, das schmale Kinn und die kleine Stupsnase gaben ihr ein koboldhaftes Aussehen, das in krassem Widerspruch zu ihren sinnlichen blauen Augen stand. Als Vater eines Teenagers war er mit Mascara und Eyeliner nur allzu vertraut, aber blaugetuschte Wimpern wie die Alessandras hatte er bisher noch nie gesehen! Wie konnte eine Frau nur blaue Wimpern haben wollen? "Sie mustern mich auffällig lange, Ralph." Ihre Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. "Entschuldigen Sie. Mir fiel nur auf, dass Sie Ihren Drink nic ht genießen." "Nun, es ist verdammt schwer, eine Limonade zu genießen, wenn man dabei jemanden ein kühles Bier trinken sieht!" "Oh!" Der Gedanke, ihr Bier anzubieten, war ihm gar nicht gekommen. Keine der Frauen, die er kannte, trank es, "Möchten Sie lieber ein Bier?"
"Klar doch!" Alessandra amüsierte sich über die Geschwindigkeit, mit der er eins auf den Tisch stellte. "Ich hole Ihnen ein anderes Glas ..." "Machen Sie sich keine Umstände, ich brauche keins." Sie hob bereits die Dose an den Mund, und eine merkwürdige Hitze durchströmte Ralph, als sie zwei große Schlucke trank. Warum erregte ihn der Anblick einer Frau, die etwas so Unfeines tat? Eine Dame trank kein Bier aus der Dose. "Ahhh!" Alessandra lächelte selig. "Also, das ist so gut, dass man es orgastisch nennen kann!" Ralph warf ihr einen bestürzten Blick zu. Waren sie von irgendeiner fremdem Macht auf dieselbe Wellenlänge eingestellt worden? Darüber nachzudenken, hielt er nicht aus! "Jetzt muss ich wieder an die Arbeit, und Sie wollen sich bestimmt ausruhen. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer." "Am liebsten würde ich schwimmen gehen." "Leider werden Sie warten müssen, bis Lisa Ihnen eine sichere Stelle im Fluss zeigen kann." Als er Alessandras enttäuschte Miene bemerkte, hätte er ihr beinahe angeboten, sie selbst zu begleiten. Aber er hatte keine Zeit, sich nach den Launen einer Frau zu richten, die hier war, um für ihn zu arbeiten. "Abendessen ist um halb acht. Nur wenn wir Gäste haben, ziehen wir uns dafür an." "Ich werde daran denken. Abendessen nackt um halb acht," Ralph lächelte gequält, während er sich im Geiste mit einer nackten Alessandra MacKellar ihm gegenüber am Tisch sitzen sah. Hastig verdrängte er das Bild. "Würden Sie mir einen Gefallen tun?" fragte sie. "Wenn ich kann", erwiderte er vorsichtig. Er nahm ihren Koffer und trug ihn nach oben. "Lächeln Sie öfter. Es macht Sie unglaublich sexy." Ralph war überzeugt, dass er der einzige Mann auf der Welt war, der mit achtunddreißig Jahren noch errötete!
Alessandra wachte auf und sah, dass es nur noch zwanzig Minuten bis zum Abendessen waren. Sie war erschöpfter gewesen, als sie geglaubt hatte. Mit "wir ziehen uns nicht dafür an" hatte Ralph Cameron bestimmt nicht gemeint, dass er sie in Seidenunterwäsche am Tisch dulden würde. Zeit, auszupacken. Packen und Auspacken war für Alessandra kein Problem, und sie konnte sich in etwas mehr als zehn Minuten an einem neuen Ort einrichten. Sie legte den Koffer auf das Bett und schaffte es auch diesmal. Ihre dürftige Garderobe bestand hauptsächlich aus Jeans und Stoffhosen, die sie je nach Wetter mit T-Shirts oder Sweatshirts kombinierte. Außerdem hatte sie noch zwei handbestickte wadenlange Röcke, die sie in Israel erstanden hatte, und eine Bahn handbemalte Seide, im Jahr zuvor in Hongkong gekauft. Alessandra hatte sich noch nie übermäßig für Mode interessiert, wahrscheinlich, weil sie mit fünf Brüdern aufgewachsen war. Ihr einziges Zugeständnis an die weibliche Eitelkeit waren teure Unterwäsche und ihr Gold- und Silberschmuck, den sie in verschiedenen Teilen der Welt im Lauf der vergangenen neun Jahre erworben hatte. Als letztes zog sie drei in Messing gerahmte Fotos aus dem Koffer und stellte sie auf den Toilettentisch. Eins zeigte ein lächelndes Ehepaar mittleren Alters am Ozean. Alessandra hatte die Aufnahme vor vier Jahren gemacht. Damals hatte ihr Vater sein Installateurgeschäft aufgegeben, und ihre Eltern waren an die Nordküste von New South Wales umgezogen. Auf dem zweiten Foto, waren Alessandras fünf Brüder zu sehen - Greg, Drew, Scott, Brad und Matt. Scott und Brad waren Singles, die anderen drei verheiratet. Die letzte Aufnahme zeigte die Ehefrauen ihrer Brüder und die insgesamt sieben Kinder. Ralph stand am Fuß der Treppe, als Alessandra nach unten kam. "Haben Sie sich häuslich eingerichtet?" "Ja, danke. Dafür brauche ich nie lange."
"Gut. Lisa hat das Abendessen fertig. Gehen wir in das Esszimmer." Ralph trat beiseite und ließ Alessandra den Vortritt. Hoffentlich hatte sie keinen empfindlichen Magen, denn an die Kochkünste seiner Tochter musste man sich zweifellos erst gewöhnen! "Oh! Ihr Haar gefällt mir!" "Danke." Alessandra lächelte das junge Mädchen an, das nicht auf eine förmliche Vorstellung gewartet hatte. "Ist es gefärbt?" "Lisa!" "Nein, nur von der Sonne gebleicht." Alessandra sah Ralph an, dass er die Frage seiner Tochter für unhöflich hielt. "Ich wäre so gern blond!" sagte Lisa Cameron und zerrte ärgerlich an ihrem taillenlangen dunklen Haar. "Mit dreizehn habe ich meins einmal schwarz gefärbt." Alessandra pachte über den entsetzten Gesichtsausdruck des Teenagers. "Meine Eltern haben mich damals genauso angeschaut wie Sie jetzt!" "Dad würde mich umbringen, wenn ich meine Haarfarbe ändern würde", erklärte Lisa nicht ohne Groll. "Das siehst du ganz richtig", bestätigte Ralph Cameron. "Warum?" fragte Alessandra. "Es ist ihr Haar." "Das sage ich ihm auch dauernd!" rief Lisa. Ralph warf seiner neuen Angestellten einen finsteren Blick zu. "Meine Tochter ist erst siebzehn." "Fast achtzehn!" protestierte sie. "Mit Glück wirst du es." Der Ton zwischen Vater und Tochter verriet Alessandra, dass sie in einen Generationskonflikt hineingeraten war. Das junge Mädchen kämpfte um Unabhängigkeit. In diesem Haus würde es nicht langweilig sein, soviel war sicher. Du liebe Güte! Wie sollte man mit einem stumpfen Messer ein Steak schneiden? Alessandra nahm statt dessen die Beilage in Angriff und würgte,
sobald sie den ersten Bissen im Mund hatte. Die Kartoffeln waren halb gar. "Geht es Ihnen gut?" fragte Ralph Cameron. Alessandra war nicht sicher, ob sie sich das belustigte Funkeln seiner Augen nur einbildete. "Natürlich! Ich habe mich nur verschluckt", log sie. Jetzt kam ihr der Verdacht, dass ihre Unfähigkeit, das Steak zu schneiden, an der Zubereitung und nicht am Messer lag. "Essen Sie Ihr eigenes Rindfleisch?" "Meistens. Das ,Rough Rivers'-Brandzeichen hat auf beiden Seiten des Pazifiks den Ruf, für beste Fleischqualität zu garantieren." Alessandra versuchte beeindruckt auszusehen, während sie wünschte, der gute Ruf der "Rough Rivers "- Rinder wäre nicht auf dem Weg zu ihrem Teller verlorengegangen! "Wenn unsere Haushälterin Urlaub hat, essen wir jeden Abend Steaks. Es ist das einzige Gericht, das Lisa zubereiten kann. Mehr traut sie sich nicht zu." Bitte, lass sie nie etwas anderes versuchen! flehte Alessandra in Gedanken. Es gelang ihr, ein weiteres Stück Fleisch abzuschneiden und ihre Geschmacksnerven damit zu beleidigen. Ralph fragte nach Marilyns Gesundheit und ihrer Familie, und Alessandra erklärte, wie sie seine Schwester vor einiger Zeit in Kalifornien kennen gelernt und Freundschaft mit der älteren Frau, ihrem Mann und den Kindern geschlossen hatte. Als Marilyn erfuhr, dass Alessandra im Sommer nach Australien zurückkehren wollte, hatte sie vorgeschlagen, Alessandra solle sich doch um den Job auf "Rough Rivers" bewerben. Später begann Ralph, mit Alessandra über das Buchhaltungssystem der Ranch zu sprechen, und Lisa stand auf. Sie habe eine Verabredung, erklärte sie. Ihr Vater ermahnte sie, vor Mitternacht zu Hause zu sein. Alessandra hatte sich die ganze Zeit zum Essen gezwungen, jetzt gab sie es auf und schob den Teller beiseite. Als sie aufschaute, bemerkte sie, dass ihr Arbeitgeber sie beobachtete.
Unter seinem aufmerksamen Blick wurde ihr heiß. "Nun, das war mit Sicherheit ... sättigend", sagte sie. "Ich könnte keinen Bissen mehr hinunterbringen." "Nicht viele Menschen wären dazu fähig", erwiderte er trocken. "Lisa ist keine übermäßig talentierte Köchin." Jetzt war seine Belustigung offenkundig, und sein strahlendes Lächeln ließ Alessandras Herz schneller klopfen. "Also das nenne ich eine Untertreibung! Ihnen macht es wohl Spaß, zuzusehen, wie Ihre Gäste an rohem Gemüse und verkohltem Steak ersticken?" "Ich finde, es wird Zeit, dass Lisa kochen lernt." "Zu welchem Preis? Einer Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge?" "Übung macht den Meister." "Es wäre gesünder für alle, wenn ihr vorher jemand das Kochen beibringt! Außerdem muss eine Frau heutzutage nicht unbedingt kochen können. Wäre es nicht besser, wenn Sie eine Aushilfe einstellen, solange Ihre Haushälterin nicht da ist?" "Dann würde Lisa es nicht einmal versuchen. Sind Sie eine gute Köchin?" "Nein, aber eine bessere als Ihre Tochter, soviel steht fest. Was nicht heißt, dass ich bereit bin, die Aufgabe zu übernehmen. Falls Sie das mit Ihrer Frage im Sinn hatten." "Nein, hatte ich nicht." Ralph stand auf und begann, das Geschirr abzuräumen. Möchten Sie ein Dessert?" "Nur, wenn es aus der Dose kommt." "Was halten Sie von gefrorener Nusstorte und Eiscreme? Ich taue die Torte sogar vorher auf, etwas, was Lisa wahrscheinlich nicht tun würde:" "Plötzlich habe ich wieder Hunger!" meinte Alessandra. "Und als engagiertes Mitglied der Frauenbewegung fühle ich mich verpflichtet zu genießen, dass ein Mann mir das Essen serviert." Sie aßen ihr Dessert in der Küche.
"Warum sind Sie Rancher geworden? Von Marilyn weiß ich, dass Sie und Ihre Schwester in Dallas aufgewachsen sind." "Ich mochte schon als Kind das Landleben lieber. Mein Onkel ließ mich in den Schulferien auf seiner Ranch arbeiten, und nach meinem Abschluss zog ich für immer zu ihm. Er vermachte mir die Ranch. Vor zwölf Monaten beschloss ich, das Risiko einzugehen, und sah mich nach einem Besitz in Australien um." Ralph zuckte die Schultern. "Und hier bin ich." "Sie bereuen es nicht?" fragte Alessandra, die spürte, dass das Gespräch sonst hier enden würde. "Warum sollte ich? Sehe ich aus, als sei ich unzufrieden?" Ralph hielt ihrem Blick stand, obwohl er es nicht wollte. Es war einfach schwer, sich nicht in ihren tiefblauen Augen zu verlieren. "Nein. Aber nur wenige Menschen können von sich behaupten, nichts in ihrem Leben zu bereuen." "Bereuen Sie etwas?" Alessandra lachte. "Nein! Zumindest nicht, was die vergangenen neun Jahre betrifft. Ich habe immer getan, was ich wollte, und das soll auch in Zukunft so bleiben. Wohlgemerkt, andere Leute haben oft bedauert, was ich getan habe! Meine Freundinnen und Freunde, Liebhaber, Brüder, Eltern ..." Ihm wurde klar, dass diese Frau nicht ermuntert werden musste, zu reden, deshalb begann Ralph schweigend, den Geschirrspüler zu füllen. "O Junge! Meine Eltern waren zum Beispiel ziemlich entsetzt gewesen, dass ich wegen Angriffs auf einen Polizeibeamten verhaftet wurde, und ..." Rasch drehte Ralph sich um. Hatte er richtig gehört? "Wegen was?" "Tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten", wiederholte Alessandra gelassen. "Ich nahm an einer Demonstration gegen die Verschiffung von Uran in White Bar teil, und mein Freund wurde plötzlich von diesen uniformierten Kerlen geschlagen.
Rick - so hieß er - hatte nichts weiter getan, als sie zu beschimpfen, und bekam ihre Fäuste ins Gesicht! Teufel auch, was sollte ich tun? Zusehen, ohne ihm zu helfen? Sagen Sie jetzt nicht ja, denn genau das war die Meinung des Richters. Aber ich hatte Glück und wurde nur zu einer Geldstrafe von zweihundert Dollar verurteilt. Obwohl es schon meine zweite Verhaftung gewesen war." "Die zweite?" Ralph fragte sich, was für eine Frau ihm seine Schwester geschickt hatte. "Beim erstenmal bin ich mit einer Verwarnung davongekommen. Ich trat gegen eine Autotür, nachdem der Fahrer meinen Hund überfahren hatte. Der Richter kaufte Dads Anwalt ab, ich hätte einen Schock gehabt. Tatsächlich war ich verdammt wütend, und hätte mein Bruder mich nicht festgehalten, hätte ich mehr als nur die Autotür getreten!" "Wie lange ist das alles her?" Ralph hoffte, dass sie nicht "letzten Monat" sagte. "Ich war fünfzehn, als mein Hund überfahren wurde, und neunzehn beim zweitenmal. Keine Angst, ich bin keine abgebrühte Kriminelle. Ich werde Ihnen nicht nachts die Kehle durchschneiden und mit dem Familienschmuck verschwinden!" neckte Alessandra ihn. Wenn diese Frau behauptete, sie würde nichts in ihrem Leben bereuen, dann doch nur, weil sie leicht mit sich zufrieden war! Ralph schenkte zwei Tassen Kaffee ein und trug sie zum Tisch. Schon hielt sie einen langen Vortrag darüber, warum Uran nicht abgebaut, geschweige denn für die Herstellung von Nuklearwaffen verwendet werden sollte. Wie konnte Marilyn ihm das nur antun! Er war ja nicht nur den Launen seiner siebzehnjährigen Tochter ausgeliefert, jetzt hatte er es auch noch mit einer radikalen Feministin zu tun, die wahrscheinlich sogar noch unter Wasser weiterredete! Plötzlich gab es etwas, was er wirklich bedauerte - nämlich dass
Alessandra MacKellar obendrein auch noch eine erotische, attraktive Frau war! Zweifellos würde dies der längste Sommer seines Lebens werden! Zwei Tage später kam Alessandra in die Küche, wo Lisa beim Frühstück saß. Außer dass sie abends die übliche fast ungenießbare Mahlzeit zubereitete und mit ihrem Vater und Alessandra zusammen aß, ließ Lisa sich kaum zu Hause blicken. "Guten Morgen. Soll ich Ihnen Frühstück machen?" Alessandra lehnte sich spöttisch lächelnd an den Kühlschrank. "Sehe ich so aus, als wäre ich am Verhungern?" "Wie bitte?" "Ihren alten Herrn mögen Sie ja täuschen können, aber versuchen Sie nicht, mich für dumm zu verkaufen." "Ich verstehe nicht..." Alessandra schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, bevor sie sich an den Tisch setzte. "Ich meine damit, dass Sie mich nicht unterschätzen sollten." "Ich weiß wirklich nicht, was Sie ..." "Niemand kocht so schlecht wie Sie, ohne es zu wollen! Selbst jemand, der von elektrischen Haushaltsgeräten keine Ahnung hat, würde sich mit der Zeit verbessern. Es sei denn, er verdirbt das Essen absichtlich. Sie kochen zu lange gleichbleibend schlecht, um überzeugend zu sein." Alessandra sah Lisa schuldbewusst erröten. Ihr Verdacht war also richtig gewesen. "Hören Sie, Lisa, ich weiß nicht, was Sie damit beweisen wollen. Aber hoffen Sie nicht darauf, dass ihr Vater nachgeben und eine Köchin einstellen wird. Das habe ich ihm vorgeschlagen, und er hat abgelehnt." "Nur weil meine Mutter eine hervorragende Köchin war, glaubt Dad, ich müsste es auch werden. Ich habe sie nie kennen gelernt! Aber Dad und Grandma wollen, dass ich genauso werde wie sie!" Lisa schob ihren Teller beiseite und stützte das Kinn in
die Hände. Alessandra fiel auf, dass die dunkelbraunen Augen des Teenagers aufsässig funkelten, aber auch Verwirrung verrieten. "Solange ich zurückdenken kann, musste ich in den Ferien irgend etwas lernen, was meine Mutter als junges Mädchen gelernt und dann perfekt beherrscht hatte." Lisa warf Alessandra einen abschätzenden Blick zu, als überlegte sie noch, ob sie mit einer Fremden Familienangelegenheiten besprechen sollte. Da Alessand ra nichts sagte, sprach Lisa schließlich weiter. "Es fing im Alter von vier Jahren mit Ballett an, und inzwischen habe ich so ziemlich alles durch, von Musik und Kunst bis zum Reitsport! Der neueste Plan von Dad und meiner Großmutter ist ein College nur für Mädchen. Nun, daraus wird nichts!" Lisa warf ihren taillenlangen Zopf über die Schultern. "Ich gehe nicht hin!" Alessandra seufzte leise. Ihre Sympathie gehörte zweifellos Lisa. Aber war es klug, sich in etwas einzumischen, das sie nun wirklich nichts anging? Alessandra trank ihren Kaffee aus und schob die Tasse über den Tisch zu Lisa. "Schenken Sie uns beiden noch nach, und erzählen Sie mir, was Sie tun möchten", sagte Alessandra verständnisvoll lächelnd. "Ich habe keine Zeit. Jemand erwartet mich." "Oh. Nun, vielleicht ein andermal. Ich muss sowieso mit der Buchhaltung anfangen." "Ich habe Dad versprochen, Ihnen heute eine sichere Stelle am Fluss zu zeigen, wo Sie schwimmen können. Wann passt es Ihnen?" Alessandra spürte Lisas Gereiztheit, ging jedoch nicht darauf ein. "Irgendwann am Nachmittag." Lisa nickte zustimmend. "Ich bin gegen Mittag zurück." Allein trank Alessandra noch eine Tasse Kaffee. Ralph Cameron würde später ins Haus kommen, um zu sehen, wie sie
mit der Buchhaltung zurechtkam. Aus irgendeinem Grund konnte sie es kaum er warten. Zwei Stunden verbrachte Alessandra damit, Ralph Camerons Buchhalterin zu verfluchen. Von Ordnung und methodischem Arbeiten hatte Edith Wilcox anscheinend noch nie etwas gehört. Alessandra schüttelte heftig den Kopf, um das heillose Durcheinander von Zahlen aus ihren Gedanken zu verbannen. "Haben Sie Probleme?" Erschrocken fuhr Alessandra herum und sah Ralph Cameron an der Tür des kleinen Büros stehen. Sie kam zu dem Schluss, dass sein unerwartetes Erscheinen und nicht seine Männlichkeit ihr Herz schneller schlagen ließ. "Sie haben mich überrascht. Ich mag es nicht, wenn sich Leute an mich heranschleichen." "Ich bin nicht ‚geschlichen', aber es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Sie waren so in Ihre Selbstgespräche vertieft, dass Sie mich nicht haben rufen hören." Alessandra erwiderte sein belustigtes Lächeln. "Ich habe keine Selbstgespräche geführt, sondern Mrs. Wilcox' Arbeitsweise kritisiert, wie Sie gewiss mitbekommen haben." Er nickte. "Ich kam herein, als Sie schimpften, Edith Wilcox sei als Buchhalterin ungefähr so nützlich wie Zitzen an einem Bullen'!" "Das stimmt." "Ich zweifle nicht daran. Mir ist es nie gelungen, ihre Handschrift so gut zu entziffern, dass ich ihre Fähigkeiten beurteilen konnte. Zum Glück finden sich meine Steuerberater in dem Durcheinander zurecht." Alessandra konzentrierte sich auf den schwarzen Stetson, den Ralph zwischen den Fingern drehte, damit sie nicht Gefahr lief, seinen Körper zu betrachten. Wo die Hutkrone auf die Krempe traf, war unter einem schmalen Lederband ein Schweißfleck. Blasen an den Händen und Schweiß waren etwas, was dieser Mann sehr gut kannte. Ob es wohl eine Frau in seinem Leben
gab? Wenn ja, beneide ich sie, dachte Alessandra. Du liebe Güte! Wie kam sie denn jetzt darauf? "Sie sehen aus, als sei Ihnen heiß. Möchten Sie etwas Kaltes mit nur trinken, bevor es weitergeht?" fragte Ralph, der ihr gerötetes Gesicht bemerkte. Alessandra verschluckte sich beinahe. "Heiß" ... "Bevor es weitergeht" Der Mann hatte ja keine Ahnung, wie gut er Gedanken lesen konnte. "Gute Idee", stimmte sie zu und ging zur Tür, als würde sie vor Durst sterben. Er spürte ihr Unbehagen und wusste, dass er es ausgelöst hatte. Ja, es stimmte, dass er Alessandra MacKellar ziemlich ungehobelt fand, er hatte jedoch gehofft, seine Gefühle verbergen zu können, denn kränken wollte er sie nicht. Leise seufzend folgte Ralph ihr in die Küche, entschlossen, den aufreizenden Schwung ihrer Hüften nicht zu beachten. "Es ist fast Mittag. Wenn Sie wollen, mache ich uns Sandwiches", bot Alessandra an. Ralph blickte auf die Uhr an der Küchenwand. Für gewöhnlich aß er nicht vor eins, aber der Gedanke, beim Essen Gesellschaft zu haben, war verlockend. "Wenn es Ihnen keine Mühe macht." "Ich bin nicht Lisa. Sandwiches schaffe ich wohl", erwiderte Alessandra trocken. "Wären Sie an einem Geschäft interessiert?" Sie blickte ihn argwöhnisch an. "Was für eins?" "Ich übernehme das Mittagessen, wenn Sie heute Abend kochen." "Das ist Lisas Zwangsarbeit, dachte ich." "Es ist eine Zwangsarbeit für alle, ihre Gerichte essen zu müssen!" "Das brauchen Sie mir nicht zu sagen." "Also tun Sie es?" fragte Ralph eifrig, da er ihre Bereitschaft aus ihrem Ton herauszuhören glaubte.
"Unter zwei Bedingungen ..." Alessandra lachte über seine hochgezogenen Augenbrauen. "Erstens werde ich Lisa weiterhin kochen lassen, aber unter meiner Aufsicht. Das gibt eine Überraschung, glauben Sie mir..." "Ich bin für jede Verbesserung dankbar! Und die zweite Bedingung?" "Dass Sie mich als Jillaroo arbeiten lassen." "Als was?"
2. KAPITEL "Jillaroo. Das ist ein weiblicher Jackaroo. Sie wissen schon ... Viehhüter ... Cowboy heißt das bei Ihnen in Amerika." "Kommt nicht in Frage! Ich habe keine Zeit, auf eine Frau aufzupassen, die Cowboy spielt. Dies ist keine Ferienranch, Alessandra. Sie sind nicht hier, um auf meine Kosten Urlaub zu machen! Ich habe Sie als Buchhalterin eingestellt!" "Hören Sie, guter Mann! Ich brauche seit zwanzig Jahren keinen Aufpasser mehr, und ich weiß, wie schwer die Arbeit ist, weil ich schon mehrmals als Cowgirl gearbeitet habe! Verdammt, ich habe schon alles zusammengetrieben, von Lämmern in Victoria bis zu Zebus im Northern Territory!" Ralph war hingerissen von ihren vor Wut funkelnden blauen Augen, dem trotzig vorgeschobene n Kinn und dem festen Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Dass er sie schweigend anblickte, schien sie noch mehr anzustacheln. "Ich verlange gar nicht, wie eine Touristin behandelt zu werden, Ralph. Ich bin eine gute Reiterin und im Umgang mit Rindern erfahren. Für die Buchhaltung benötige ich allerhöchstens fünf Stunden die Woche..." "Sie sind auch für die Löhne zuständig", erinnerte er sie. "Dazu gehört die Fahrt zur Bank in der Stadt und wieder zurück. Das sind schon drei Stunden. Und Sie müssen den Wochenlohn jedes Arbeiters buchen ..."
"Na schön, nehmen Sie einen Tag für die Löhne", räumte Alessandra ein. "Dann habe ich immer noch sechs Tage nichts zu tun. Ich werde vor Langeweile verrückt! Außerdem will ich mir Unterbringung und Essen verdienen. Ich hasse es, auf Kosten anderer zu leben." Ralph lehnte sich an die Arbeitsplatte und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Hemd spannte sich über dem muskulösen Oberkörper, und Alessandra war schockiert über die Erregung, die sein Anblick in ihr auslöste. Noch nie hatte ein Mann eine so unmittelbare Wirkung auf ihre Sinne gehabt. "Nun?" fragte sie. "Morgen prüfe ich, wie gut Sie reiten können." "Das ist nur fair." "Vorausgesetzt", fügte Ralph spöttisch lächelnd hinzu, "ich leide nicht noch an den Folgen des Abendessens!" "Sie haben Dad nicht gesagt, dass ich absichtlich seine Mahlzeiten verderbe. Danke." Lisa sah verlegen aus. Alessandra schwamm einige Züge vom Flussufer fort, bevor sie antwortete: "Sie wollen ihm beweisen, dass Sie erwachsen sind. Wenn ich es ihm verraten hätte, wäre genau das entgegengesetzte Ergebnis eingetreten. Mit kindischer Boshaftigkeit zeigt man keine Reife." Lisa stieg aus dem Wasser und wickelte sich in ein Handtuch. "Mit sexuellen Beziehungen auch nicht", fügte Alessandra hinzu. "Wie?" Lisas Miene drückte Überraschung und Schuldbewusstsein aus. Unwillkürlich lächelte Alessandra mitfühlend. Langsam schwamm sie ans Ufer. "Ich erkenne einen Knutschfleck, Lisa." Hastig fasste sich Lisa an den Hals. "Dafür ist es ein bisschen zu spät." Alessandra sah Tränen in Lisas Augen schimmern und spürte eine Welle von Mitleid in sich aufsteigen. Warum war für jede Generation die Jugend der schwierigste Lebensabschnitt?
"Werden Sie es meinem Vater erzählen?" "Aber nein! Dann wäre die Möglichkeit einer Erpressung dahin!" Alessandra sah den entsetzten Gesichtsausdruck des Mädchens und hörte auf, es zu necken. "Das war ein Scherz! Wohlgemerkt, als Kind war ich nicht so großzügig. Meine älteren Brüder und ihre Freundinnen habe ich gnadenlos erpresst, was übrigens sehr gewinnbringend war. Einmal bekam ich von Scott Rollschuhe, und Brad kaufte mir ein Surfbrett, damit ich nicht verriet, dass er eine Party gegeben hatte, als er eigentlich auf mich aufpassen sollte." Alessandra lächelte bei der Erinnerung. Sie war in ihrer Kindheit ein wahrer Schrecken gewesen und als Teenager nicht viel besser. Einige ihrer damaligen Streiche würden Lisa wahrscheinlich schockieren und bei ihrem sittenstrengen Vater zu einem Herzstillstand führen! Verstohlen blickte Alessandra die unschlüssig dastehende Lisa an und vermutete, dass deren Auflehnung gegen ihren Vater eher der Verzweiflung als ihrem Charakter entsprang. "Ich sage deinem Vater nichts", versicherte Alessandra. "Wir duzen uns, einverstanden?" Erleichtert nickte Lisa. "Ist es dir ernst mit dem Jungen?" "Ich glaube schon. Todd ist der netteste Junge, den ich je kennen gelernt habe." "Was hält dein Vater von ihm?" Lisa zuckte die Schultern. "Er lehnt ihn ab, aber das ist mir egal. Es geht ihn nichts an." "Wenn das Abendessen pünktlich fertig sein soll, gehen wir besser zurück zum Haus." Alessandra trocknete sich ab und zog ihr T-Shirt über den einteiligen, trägerlosen Badeanzug. "Ich habe eine Abmachung mit deinem Vater - ich beaufsichtige dich beim Kochen, er lässt mich dafür mit den Männern auf der Ranch arbeiten." "Du machst Witze!"
"Vorher muss ich nur beweisen, dass ich ein Ende des Pferdes vom anderen unterscheiden kann. Warum bist du so überrascht?" "Dad ist felsenfest davon überzeugt, dass Damen nicht in die Nähe von Cowboys, Korralen oder Sattelbäumen gehören und weder rauchen, fluchen noch Bier trinken! Das höre ich, seit ich in der Wiege lag!“, sagte Lisa. Alessandra unterdrückte mühsam ein Lachen. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie Ralph Cameron diese Worte sprach. "Welch ein Glück, dass ich nicht rauche. Meinst du nicht auch, Lisa?" Als Ralph Cameron das Haus betrat, vernahm er aus der Küche schallendes Gelächter. Lisa? Er erinnerte sich nicht, wann er sie zuletzt ohne mürrischen Gesichtsausdruck gesehen, geschweige denn lachen gehört hatte. "Natürlich konnte der Kerl kaum glauben, dass ich halbe Person ihn über meine Schulter geworfen hatte und er auf seinem Hintern gelandet war..." "Guten Abend, meine Damen!" Die beiden Frauen drehten sich um. Alessandra fiel die plötzliche Veränderung in Lisas Miene auf. "Ich erzählte Lisa gerade, wie ein Mann versuchte, mich im Zug zu belästigen." "Ja, ich habe Ihre anschauliche Schilderung gehört", erwiderte Ralph schroff. Bei seinem Ton zuckte seine Tochter zusammen. "Habe ich noch Zeit, vor dem Essen schnell zu duschen, Lisa?" "Nun ..." Sie blickte Alessandra an. "Klar, aber ‚schnell' ist das entscheidende Wort. Noch zehn Minuten, danach kann ich für den Geschmack des Hähnchens nicht mehr garantieren!" Ralph schien noch etwas sagen zu wollen, dann überlegte er es sich anders, nickte nur und verließ die Küche. "Zweifellos kann er allein durch seine Gegenwart eine Party verderben!" bemerkte Alessandra.
"Dad hat schlechte Laune. Ich sehe es ihm an", erklärte Lisa. "Welche Erleichterung. Ich dachte schon, er ist jeden Abend nach der Arbeit so unfreundlich. Deck den Tisch, ja?" Sobald sie sich an den Tisch gesetzt hatten, klingelte das Telefon. Es war für Ralph. Offensichtlich widerwillig schob er seinen Teller mit dem schmackhaften Hähnchen beiseite und ging hinaus, um den Anruf entgegenzunehmen. Lisa und Alessandra unterhielten sich ungezwungen, und Alessandra erfuhr dabei viel über das junge Mädchen, auch Dinge, die eine alte Wunde aufrissen, die Alessandra längst für verhe ilt gehalten hatte. "Tut mir leid." Ralph kehrte in das Esszimmer zurück. Lisa und Alessandra waren gerade fertig. "Unaufschiebbare Geschäfte. Sie brauchen mir nicht Gesellschaft zu leisten, Alessandra. Du auch nicht, Lisa", sagte er großzügig, obwohl er es hasste, sein Abendessen allein einzunehmen. Es erinnerte ihn zu sehr an die Einsamkeit nach Kathleens Tod, als seine Tochter noch zu klein war, um in einem Kinderstuhl mit am Tisch zu sitzen. Er blickte in das klassisch schöne Gesicht von Lisa, die ihrer Mutter sehr ähnlich sah. Jahrelang hatte er Angst gehabt, seine Tochter könnte auch das Asthma ihrer Mutter geerbt haben, an dem Kathleen gestorben war. Zum Glück war Lisa verschont geblieben.
Alessandra fand das Schweigen am Tisch bedrückend und fragte sich, ob es den beiden anderen ebenso erging. Ralph schien an einem Gespräch nicht interessiert zu sein, und Lisa sah zwar nervös aus, schien jedoch nicht aufstehen zu wollen. Alessandra vermutete, das Mädchen wollte irgend etwas mit seinem Vater besprechen, und entschuldigte sich. Sie nahm sich einen Apfel aus der Obstschale in der Küche und ging nach draußen.
Unter einem großen Baum entdeckte sie einen Holzklotz. Alessandra setzte sich, stützte die Ellbogen auf die Knie und blickte in die Richtung des legendären Black Stump. In der Dunkelheit sah sie nur ein Meer von blinkenden Lichtern. Wer immer das Lied über die großen, hell strahlenden Sterne Texas' geschrieben hatte, ihm war nie der Zauber, unter Australiens Kreuz des Südens zu sitzen, vergönnt gewesen. Nirgendwo sonst auf der Welt waren die Sterne größer und heller als hier! Auch nicht im Herzen Texas'. Bei diesen Überlegungen fühlte sie eine gewisse Traurigkeit in sich aufsteigen. Es bestand die Gefahr, dass sie sich für einen besonderen Texaner zu sehr interessierte, ohne dass er sie auch nur ein bisschen ermutigte. Irgend etwas an Ralph Cameron weckte ihre seit drei Jahren schlummernde Sinnlichkeit. Er schien sich dagegen nicht im geringsten zu ihr hingezogen zu fühlen, und Alessandra musste zugeben, dass es verständlich war. Sie hatten so gut wie nichts gemeinsam. Warum also fand sie ihn so anziehend? Ralph Cameron war dermaßen seriös und konservativ, dass man ihn fast langweilig nennen konnte. Sie dagegen war ganz anders. Ihre Brüder nannten sie "radikal frei und aufgeschlossen, am Rande der Verrücktheit". Was fand ausgerechnet sie an diesem Mann? Vielleicht rührte sie, wie einsam er gelegentlich aussah? Nein, Ralph Cameron weckte die unterschiedlichsten Gefühle in ihr, aber Mitleid gehörte gewiss nicht dazu! Warte doch einfach ab, was passiert, dachte sie. Sie war nicht schüchtern, was das andere Geschlecht betraf. Fünf Brüder hatten sie gelehrt, dass Männer Frauen mochten, die hinsichtlich ihrer Gefühle ehrlich waren. Und Feingefühl gehörte zweifellos nicht zu ihren Stärken. Alessandra stand auf, biss in den Apfel und ging zum Stall. Nur vier Pferde waren dort - der Hengst, den Ralph bei ihrer Ankunft gestriegelt hatte, und drei andere. Sofort fiel ihr ein
prächtiger Brauner auf. "Du bist aber schön!" flüsterte sie und streckte die Hand aus. Wiehernd wich das Tier zurück. "Ganz ruhig, Junge, ich tue dir nichts." Trotz der sichtlichen Unruhe des Pferdes trat Alessandra näher und sah, dass es kastriert war. "Kein Wunder, dass du böse bist. Jeder vernünftige Mensch würde dich als Zuchthengst haben wollen. Aber keine Sorge, ich finde dich auch so vollkommen." Der kräftige Wallach stellte sich auf die Hinterbeine und schlug mit den Vorderhufen nach der Tür seiner Box. Fast im selben Moment wurde Alessandra an die gegenüberliegende Wand gestoßen und heftig geschüttelt. "Sind Sie völlig verrückt?" rief Ralph. "Noch nicht, aber bald, wenn Sie mich weiter so schütteln!" Er hörte damit auf, die Beschimpfungen gingen weiter. "Sie sind die idiotischste Frau, die mir je unter die Augen gekommen ist! Redskin ist wild! Er hätte Sie töten können!" "Und jetzt wollen Sie es zu Ende führen? Lassen Sie meine Arme los, bevor meine Hände absterben! Danke." Die Wirkung, die Ralphs Nähe auf sie hatte, verwirrte Alessandra. Er trat einen Schritt zurück und warf einen Blick auf das noch immer unruhige Pferd, dann legte er eine Hand auf Alessandras Rücken und führte sie aus dem Stall. "Ich wollte Ihnen nicht weh tun. Geht es Ihnen gut?" Sie schüttelte den Kopf. "Was ist los?" fragte er erschrocken. Ihre Augen kamen ihm noch strahlender als sonst vor, und ihr Gesicht war gerötet. "Mein Herz klopft wie rasend." "Sie haben einen Schreck bekommen, als sich Redskin plötzlich aufbäumte." "Nein. Es ist allein Ihre Schuld." "Hören Sie ..." Ralph seufzte resigniert. "Es tut mir leid, Alessandra. Ich dachte nur daran, Sie von der Tür wegzuziehen,
weil ich befürchtete, Redskin springt darüber und trifft sie mit den Hufen. Ich wollte Ihnen keine Angst machen." Alessandra überlegte, wie Ralph wohl reagieren würde, wenn sie ihm die Arme um den Nacken legen und ihn küssen würde. Sie könnte sich mit einem verspäteten Schock entschuldigen, wenn er sie zurückwies. Plötzlich wusste sie, dass kein anderer Mann jemals solche Gefühle in ihr wecken würde. Ihre Kurzatmigkeit hatte nichts mit Redskin zu tun, sondern war allein auf Ralph Camerons Nähe und überwältigende Männlichkeit zurückzuführen. Aber mehr noch ließ seine rührende Besorgnis ihr Herz so heftig pochen. Ja! Ralph war der richtige Mann für sie. Jetzt musste sie ihm das nur noch klarmachen. Allerdings schien ihr ein Frontalangriff nicht die passende Annäherung zu sein. Sie musste mit Feingefühl vorgehen! "Sie haben mich nicht erschreckt, Ralph." "Aber Sie sagten ..." "Dass Sie für mein Herzklopfen verantwortlich sind. Ich habe nie behauptet, dass Sie mir Angst gemacht haben." "Was ...?" "Gute Nacht, Ralph. Bis morgen!" Alessandra drehte sich rasch um und eilte zurück zum Haus. Verwirrt blieb er vor dem Stall stehen. In der Küche angekommen, lachte sie leise. "Das war ungefähr soviel Feingefühl, wie du aufbringen konntest, Alessandra!" Nach einem unruhigen Schlaf fühlte sich Ralph müde und gereizt. Er war nicht in Stimmung, auf Lisas Schmollen oder Alessandras trockenen Humor einzugehen. Deshalb na hm er seine Tasse Kaffee mit nach draußen in die Morgensonne. Die vergangenen zwei Tage waren für ihn eine Qual gewesen. Allein schon die Ereignisse des Vorabends genügten, um einen Mann zwanzig Jahre älter zu machen! Erst hatte Lisa verkündet, sie wollte nicht in den Vereinigten Staaten studieren,
und gedroht, von zu Hause fortzugehen. Und dann hatte er im Stall eine freche Australierin davor retten müssen, von Redskin zu Tode getrampelt zu werden. Die einfachste Lösung wäre, Lisa zu ihrer Großmutter nach Houston zu schicken und Alessandra zu sagen, dass er ihre Dienste als Buchhalterin nicht brauchte. Ha! Nichts würde seine Schwiegermutter mehr freuen als sein Eingeständnis, dass er mit seiner Tochter nicht fertig wurde! Das sagte sie ihm seit achtzehn Jahren. Er würde es jetzt nicht bestätigen. Alessandra war ein anderes Problem. Sie und Lisa schienen sehr gut miteinander auszukommen, und das Essen war um zweihundert Prozent besser geworden, seit Alessandra seine Tochter anleitete. Ralph störte, dass Lisa jetzt zwar gut kochte, es mit ihrer Ausdrucksweise durch das Zusammensein mit Alessandra aber bergab ging. Während des Streits am gestrigen Abend hatte Lisa Kraftausdrücke gebraucht, die einen Seemann hätten erbleichen lassen! Hinzu kam noch Alessandras "Annäherungsversuch". Nun, zumindest nahm er an, dass es einer gewesen war. Bei Tageslicht besehen kam es ihm allerdings unrealistisch vor. Schließlich war er viel zu alt für sie, und mit ihrer Schönheit konnte sie fast jeden Mann haben, den sie wollte. Ralph fragte sich, warum ihn der Gedanke deprimierte. Alessandra war doch ganz bestimmt nicht sein Typ. Sicher, sie war eine sehr verführerische Frau, aber sexuelle Anziehungskraft war nicht alles. Weiblichkeit war ebenso wichtig, und er hatte den Verdacht, dass Alessandra Weiblichkeit mit Tollwut gleichsetzte - sie musste um jeden Preis vermieden werden! Er trank seinen Kaffee aus und ging zurück ins Haus. Noch würde er Alessandra nicht entlassen, aber er würde einige Worte über ihre Ausdrucksweise sagen! "Schaut euch die an!"
Ralph, der sein Pferd sattelte, blickte hoch. Aber er hatte schon vorher gewusst, wem die bewundernden Pfiffe seiner Männer galten. Alessandra kam auf sie zu. "Der würde ich gern jeden Morgen helfen, sich in ihre Jeans zu zwängen!" . "Kannst du haben, solange ich sie abends ausziehen darf!" "Hört auf damit, Männer", warnte Ralph schärf, ungewöhnlich verärgert über die Bemerkungen. "Die Dame arbeitet hier während des Sommers, und ich will keine Schwierigkeiten. Verstanden?" "Sie haben doch nur ein bisschen Spaß gemacht, Boss", erwiderte Jim, der Vorarbeiter, den Ralph aus Texas mitgebracht hatte. "Und ich habe nur etwas klargestellt'?, entgegnete Ralph. "Hallo!" Alessandra lächelte alle strahlend an. Außer Ralph, der lediglich nickte und sie kühl musterte, erwiderten alle Männer den Gruß. Nun stellte sie sich jedem Arbeiter einzeln vor. Es war eine gute Gelegenheit, Ralph nicht zu beachten. "Wenn Sie mit dem gesellschaftlichen Verkehr fertig sind ...", sagte er. Alessandra fragte sich, warum er so schlechte Laune hatte. Die Männer kehrten an ihre Arbeit zurück. Alessandra ging dorthin, wo Ralph eine gesattelte braune Stute am Zügel hielt. "Das wäre nicht nötig gewesen, ich hätte sie selbst satteln können." "Ihr Pferd ist dort." Er zeigte auf einen Korral, in dem drei Pferde waren. "Der Graue. Dies ist kein Kinderreitverein, Alessandra. Sie fangen ihn ein, satteln ihn, und dann sehen wir, ob Sie ihn reiten können." Sie straffte die Schultern und blickte ihn kühl an. "Kein Problem!" sagte sie und ging davon. "Ja, wahrscheinlich", stimmte Ralph ihr zu. "Der schwierige Teil wird das Aufsitzen in diesen Jeans sein."
"Genießen Sie den Anblick", meinte sie zuckersüß, ohne sich umzudrehen, und ließ absichtlich die Hüften schwingen. Ralph hätte sich eher die Zunge abgebissen, als zuzugeben, dass er nicht den Blick von ihr abwenden konnte. Aber so war es. Alessandra löste Empfindungen in ihm aus, die er nicht haben wollte. Alessandra rechnete nicht damit, irgendwelche Schwierigkeiten mit dem Einfangen und Satteln des Wallachs zu haben. Im Lauf der Jahre hatte sie mit vielen verschiedenen Pferderassen Erfahrungen gesammelt. Sie hatte als Stallmädchen in Australien, Großbritannien und Irland mit Vollblutrennpferden gearbeitet und durch ihre Jobs auf Viehzuchtfarmen im australischen Busch gelernt, die hart arbeitenden, gut ausgebildeten Pferde der Cowboys zu achten und zu bewundern. Sie liebte Pferde aufrichtig, und vielleicht vertrauten ihr die Tiere deshalb sofort. Redskin war natürlich eine Ausnahme! Aber warum behielt Ralph ihn? Nun, darüber würde sie sich später Gedanken machen. Jetzt musste sie erst einmal einem großen, schlanken, gutaussehenden Mann mit mittelalterlichen Ansichten über das "richtige" Benehmen einer Frau ihr Können als Reiterin beweisen. Er war zu weit weg, um zu verstehen, was Alessandra sagte, aber Ralph sah, dass sie mit dem Pferd sprach. Ihm fiel die leise, beruhigende Stimme ein, mit der sie am Abend zuvor auf Redskin eingeredet hatte. Ob ihre Stimme ebenso verführerisch klang, wenn sie mit einem Mann schlief? Bei diesem Gedanken zuckte Verlangen wie ein Stromstoß durch seinen Körper. Verärgert zog er seinen Hut tiefer in die Stirn. "Beeilen Sie sich, Alessandra! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!" herrschte er sie an. Der Graue erschrak und wich zurück, gerade als Alessandra ihm das Zaumzeug anlegen wollte. Laut fluchte sie.
Nach zwei Minuten hatte sie es geschafft und führte den Wallach dorthin, wo Ralph auf dem Zaun saß. „Wie heißt er?" "Pewter." Ralph hob einen teuren, handgearbeiteten, sehr weichen Sattel vom Geländer und reichte ihn ihr, dann beobachtete er, wie sie die Steigriemen über den Sattel warf, bevor sie ihn auf den Pferderücken legte. Insgeheim applaudierte Ralph. Wurde ein scheues Pferd von den schwingenden Steigbügeln getroffen, bestand die Gefahr, dass es sich aufbäumte. Nun sprach Alessandra wieder beruhigend mit Pewter und zog den Gurt fest. Aus den Augenwinkeln sah Ralph, dass seine Männer aufgehört hatten zu arbeiten und Alessandra ebenfalls beobachteten. "So, Pewter, überprüfen wir, ob die Steigbügel die richtige Länge haben." Sie schwang sich in den Sattel. "Die Vorzüge von Stretchjeans", sagte Ralph leise. Alessandra warf ihm einen gelangweilten Blick zu. Einen Moment stand sie in den Steigbügeln, dann saß sie ab und verlängerte sie um zwei Stufen. "Jetzt sind sie zu lang", bemerkte Ralph. "Entschuldigen Sie", erwiderte sie liebenswürdig, "ich dachte, Sie reiten die Braune." "Tu ich." "Da ich dieses Pferd reite, sattle ich es so, dass ich bequem sitze!" Sie stieg wieder auf. Diesmal waren zwischen ihr und dem Sattel kaum sechs Zentimeter Luft, als sie in den Steigbügeln stand. Wie konnte eine so niedlich und sanftmütig ausschauende Frau nur dermaßen dickköpfig sein? Und dann dieser Hut! Er sah aus, als hätte ein Maultier darauf herumgetrampelt. Die breite Krempe hing ihr ins Gesicht, die Krone war flacher als die eines Stetson, und das Band war eher eine Kette: Es bestand aus zusammengebundenen Bierdosenringen.
"Suchen Sie etwas Bestimmtes, oder wollen Sie sich nur mein Gesicht einprägen?" fragte Alessandra. "Lisa hätte Ihnen einen Hut geliehen, wenn Sie sie darum gebeten hätten", meinte Ralph. "Ich habe doch einen. Es ist mein Glückshut. Ich nehme ihn überallhin mit." "Man sieht es." Sein unerwartetes Lächeln machte Alessandra schwach, und sie atmete tief ein und aus, um ihre Fassung zurückzugewinnen. "Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Pewter eine Weile herumtraben lasse, um ein Gefühl für den Sattel zu bekommen?" Die Bluse spannte sich über ihren Brüsten, und Ralph wurde heiß bei dem Anblick. Das ist ja lächerlich! sagte er sich. Es war nun wirklich nicht so, dass er sich verzweifelt nach einer Frau sehnte. Bis vor wenigen Monaten hatte er eine dauerhafte und sehr leidenschaftliche Beziehung mit einer Anwältin aus Dallas gehabt. Bree besaß alles, was Alessandra fehlte. Eleganz, Bildung, beruflicher Erfolg. Aber vor allem war sie eine Dame. Ihre Beziehung hatte auf beiden Seiten ohne Bedauern geendet, als Bree einen Job in New York annahm und er die Ranch in Australien kaufte. Der Vorarbeiter riss Ralph aus seinen Gedanken. "Sie ist geschickt", stellte Jim fest. "Ja." "Sitzt mühelos im Sattel." "Sie hat eine gute Haltung." Jim lachte. "Das haben die Männer und ich schon erkannt, bevor wir sie reiten sahen." Ralph schmunzelte. "Sie will mit dem Vieh arbeiten. Würden Sie die Frau in ihre Mannschaft nehmen?" "Taugt sie etwas?" "Das werden wir herausfinden." Ralph stieß sich vom Zaun ab. "Alessandra! Wir reiten hoch zur Kilto-Koppel und schauen,
wie gut Sie Rinder von der Herde absondern können. Sind Sie bereit?" "Natürlich." "Jim, holen Sie ihr Pferd und kommen Sie mit. Schließlich müssen Sie mir für ihre Fehler Rede und Antwort stehen", sagte Ralph. "He, Jim!" rief Alessandra dem Mann nach. "Ihr Job wird ein Kinderspiel. Ich mache keine Fehler!" Sie lachte, als sie Ralphs finstere Miene bemerkte. Nach fünfzehn Minuten erreichten sie einen sanft abfallenden Hügel ungefähr sechzig Meter über einer Viehherde. Der Geruch und die Geräusche der Rinder weckten schöne Erinnerungen. Alessandra neigte den Kopf zurück, schloss die Augen und atmete tief ein. "Geht es Ihnen gut?" Sie beantwortete Ralphs Frage, ohne die Augen zu öffnen. "Ich fühle mich wundervoll, fast orgastisch!" "Es muss der Sattel sein!" fauchte er. Jetzt blickte Alessandra ihn an. Die Krempe seines Huts verbarg einen großen Teil seines Gesichts, doch Alessandra erkannte an den zusammengepressten Lippen, dass er nicht in der Stimmung für eine schlagfertige Antwort war. Nun, darauf würde sie keine Rücksicht nehmen. "Wenn es der Sattel ist, habe ich es nur Ihnen zu verdanken!" Ralph lenkte sein Pferd näher an ihres, legte einen Arm um Alessandra und zog sie zu sich heran. Im nächsten Moment küsste er sie hart auf den Mund. Obwohl es kein zärtlicher Kuss war, geriet ihr Blut in Wallung, und in seinem starken Arm fühlte sie sich unglaublich weiblich. Sie wehrte sich nicht, sondern öffnete den Mund, aber bevor sie die Überraschung überwunden hatte und wirklich reagieren konnte, ließ Ralph sie los. Alessandra sagte nichts, und nach seiner Miene zu urteilen, hatte Ralph einen Schock erlitten. Doch dann rief Jim, der unten
bei der Herde war, irgend etwas zu ihnen herauf, und Ralph erwachte aus seiner Erstarrung. "Das hätte nicht passieren dürfen, aber vielleicht ist Ihnen jetzt klar, dass Ihre forsche Art Sie irgendwann noch in große Schwierigkeiten bringen wird. Jim sagt Ihnen welche Ochsen Sie von der Herde absondern sollen. Tun Sie es." Alessandra unterdrückte ein Lächeln und ritt los. Auf halbem Weg den Hügel hinunter hielt sie an und drehte sich im Sattel um. Ralph war noch genau an der Stelle, wo sie ihn verlassen hatte. Sie wusste das, weil er sie von dort aus am besten beobachten konnte. ,,He, Boss!" rief sie. "Sie küssen großartig!"
3. KAPITEL Alessandra galoppierte in die Viehherde hinein. Sie hatte es Ralph Cameron gezeigt! Aber jetzt musste sie beweisen, dass sie so gut wie jeder Cowboy Rinder zusammentreiben und absondern konnte. "Holen wir sie uns, Pewter!" Sie wusste, dass sie die ihr gestellte Aufgabe gut und schnell erledigte, doch sie hatte dabei viel dem Wallach unter ihr zu verdanken. Er schien jede ihrer Bewegungen vorherzusehen, und es erstaunte sie, wie sicher das Pferd auf den Beinen war, wenn sie blitzschnell die Richtung wechselte. Nachdem sie die genannten Rinder von der Herde getrennt hatte, lehnte sich Alessandra erschöpft im Sattel zurück, nahm den Hut ab und neigte den Kopf zur Seite, um sich am Ärmel ihres T-Shirts den Schweiß von der Stirn zu wischen. "Das war gute Arbeit, junge Dame! Wo haben Sie das gelernt?" wollte Jim wissen. Natürlich freute sich Alessandra über das Lob, noch mehr befriedigte sie jedoch Ralphs herzliches Lächeln. Wenn es eine Erfahrung im Leben gibt, die ich wirklich gern machen möchte, dann ist das die körperliche Liebe mit Ralph Cameron! dachte sie und wartete, bis sich ihr Herzschlag normalisierte, bevor sie antwortete. "Ich habe so ziemlich in jedem Bundesstaat Australiens Rinder und Schafe zusammengetrieben, und wenn man genug Zeit im Sattel verbringt, beherrscht man seine Arbeit
irgendwann. Aber ganz besonders viel habe ich von einem alten Aborigine-Cowboy gelernt, dem ich in Queensland begegnet bin." "Nun, Sie sind ebenso gut wie jeder Mann, den ich bisher bei der Arbeit gesehen habe", sagte Jim, dann schaute er seinen Boss an und fügte hinzu: "Für Ihr Alter." Alessandra lachte. "Wir reiten besser zurück", meinte Ralph, "sonst hat Lisa vielleicht schon allein das Abendessen gekocht. Von morgen an haben Sie einen neuen Mann, Jim." "Heißt das, sie schläft bei uns anderen?" fragte der Vorarbeiter. Ralph warf ihm nur einen seltsamen Blick zu. "War nur so ein Gedanke", sagte Jim. Alessandra und Lisa waren gerade mit dem Spülen der Töpfe und Pfannen fertig, als Ralph die Küche betrat. "Wenn Sie Zeit haben, würde ich mich ge rn mit Ihnen unterhalten, Alessandra. Ich bin im Büro. Das Abendessen war übrigens ausgezeichnet, Lisa." "Es waren nur die Reste von gestern", erwiderte das Mädchen erstaunt. "Weiß ich, aber gestern Abend hatte ich keine Gelegenheit, dir ein Kompliment zu machen. Die Diskussion über deine zukünftige Ausbildung hat mich abgelenkt." "Ich werde meine Meinung nicht ändern, Dad", erklärte Lisa. Überzeugt klingt das nicht, dachte Alessandra. "Ich auch nicht." Ralph verließ ohne ein weiteres Wort die Küche. Lisa sank auf einen Stuhl. "Ich gehe nicht auf irgendein teures College für Mädchen. Ich will nicht studieren!" "Und er hat andere Vorstellungen?" "Er und Grandma." Alessandra setzte sich an den Tisch. "Ich dachte, deine Großeltern sind tot."
"Dads Mutter. Grand ma Weaver, die Mutter meiner Mutter ist gesund und munter. Sie wohnt in Houston." "Und sie und dein Vater stehen sich sehr nahe?" Lisa sah entsetzt aus. "Soll das ein Witz sein? Die beiden treiben sich gegenseitig in den Wahnsinn! Sie haben nur eins gemeinsam: den Wunsch, aus mir eine Kopie meiner Mutter zu machen. Grandma wollte, dass meine Mutter eine hinreißende, berühmte Debütantin wird, jetzt soll ich diese Rolle übernehmen. Und Dad will Grandma beweisen, dass die Entscheidung der Gerichte, ihm statt ihr das Sorgerecht zu geben, richtig war!" "Deine Großmutter hat gegen deinen Vater um das Sorgerecht für dich gekämpft?" Lisa nickte. "Kein Wunder, dass sie sich nicht leiden können", meinte Alessandra. "Ich bin es leid, zwischen ihnen zu stehen. Was soll ich bloß tun?" "Schwierige Frage. Du hast das Recht, deine eigenen Entscheidungen zu treffen, aber sie sollten sich auf langen, gründlichen Überlegungen gründen", riet Alessandra vorsichtig. "Bist du auf dem College gewesen?" "Ja, nach nur einem Jahr bin ich jedoch abgegangen." "Warum?" "Ach, aus verschiedenen Gründen. Hör zu, Lisa ..." Alessandra wollte weder lügen noch über Jennis Tod sprechen. "Während meines ersten Jahrs an der Universität sind viele Dinge geschehen, die mich veranlassten, anerzogene Wertvorstellungen und Ziele in Frage zu stellen. Ich erkannte, dass sie nicht so großartig waren, wie andere behaupteten." "Bereust du, das Studium nicht beendet zu haben?" Alessandra war in Versuchung zu lügen, doch sie tat es nicht. "Nein." "Sie wollten mich sprechen?"
Ralph sah von der Arbeit auf und schaute die weißblonde blauäugige Elfe an, die den Kopf ins Zimmer steckte. Du liebe Güte, sie war so schön! Hastig schob er den Gedanken beiseite. "Ja. Setzen Sie sich." Alessandra betrat das Büro und ließ sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder. Warum hatte sie so ein flaues Gefühl im Magen? Seine Miene war ausdruckslos. "Ich werde sofort zur Sache kommen. An Ihren Fähigkeiten als Buchhalterin habe ich nichts auszusetzen. Ediths Methode beruht auf keinem allgemein anerkannten System. Nach dem zu urteilen, was ich von Ihrer Arbeit bisher gesehen habe, kommen Sie jedoch problemlos damit zurecht." "Hatte ich nicht anders erwartet." Alessandra zuckte die Schultern. "Ich musste mich nur erst an ihre Handschrift gewöhnen." "Außerdem war ich sehr beeindruckt von Ihrem Können bei der Arbeit mit den Rindern ..." "Pewter ist ein sehr gut ausgebildetes Pferd. Danke, dass Sie mir keinen Anfänger gegeben haben. Dann hätte ich mich mehr anstrengen müssen!" Ihre falsche Bescheidenheit entlockte ihm nicht einmal die Andeutung eines Lächelns. Hatte er sich über irgend etwas geärgert? "Ich spiele nie mit verdeckten Karten", fuhr Ralph kühl fort. "Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen." Alessandra stöhnte übertrieben laut. "Das klingt ernst!" "Mich überrascht, dass Sie es erkennen", sagte er trocken. "Sie scheinen alles im Leben für einen großen Scherz zu halten und haben auf alles eine kluge Antwort." "Ich arbeite daran. Es bekämpft das Image der dummen Blondine, zu dem ich mit dieser Haarfarbe verurteilt bin", erwiderte sie forsch. Ralph schwieg mehrere Minuten lang. Sie wusste, dass er es tat, um etwas zu beweisen. Die Genugtuung, jetzt eine
Bemerkung zu machen, würde sie ihm nicht geben. Ihr machte es nichts aus, die ganze Nacht hier zu sitzen und ihn anzuschauen! Er gab als erster auf. "Ich bin damit einverstanden, dass Sie mit Jim zusammenarbeiten. Er hat keine Einwände. Heute ist Dienstag, am Donnerstag müssen Sie sich um die Löhne kümmern, also haben Sie morgen und Freitag, um ihr Können als Cowboy zu beweisen. Sie werden nur von Jim oder mir Anweisungen entgegennehmen. Am Samstag lasse ich mir von ihm berichten, welche Fortschritte Sie machen. Ist das klar?" Du liebe Güte! Jetzt spielt er die Rolle des Viehbarons aber wirklich überzeugend, dachte Alessandra. "Ja. Das ist in Ordnung. War das alles?" Verlegen schob Ralph einen Kugelschreiber auf dem Schreibtisch hin und her, dann legte er ihn entschlossen beiseite und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nein, ich möchte noch zwei Dinge klären." Bei dem harten Klang seiner Stimme verstärkte sich das flaue Gefühl in ihrem Magen noch. "Ich bin Ihnen für die Freundschaft dankbar, die Sie Lisa entgegenbringen, würde es jedoch begrüßen, wenn Sie sich in Gegenwart meiner Tochter mit dem Fluchen zurückhalten und auf einige Ihrer ... nun, sagen wir ... ‚Kraftausdrücke’ verzichten. Bei meinen Männern dulde ich so etwas nicht, und ich sehe keinen Grund, es Ihnen zu erlauben, nur weil Sie eine Frau sind. Diese Sprache ist zweifellos eine Folge Ihres alles andere als damenhaften Lebensstils, und mir ist klar, dass es schwer ist, Gewohnheiten abzulegen. Aber ich bestehe darauf, dass Sie sich darum bemühen." Alessandra war erstaunt, dass es ihr gelang, sitzen zu bleiben und sogar den Mund zu halten. Fluchen? Ha, das würde sie jetzt gern tun! Und die Unverschämtheit des Mannes, anzunehmen, irgend etwas über ihr Leben zu wissen. Oooooh! Sie würde ihn am liebsten ... "Gut", presste sie zwischen zusammengebissenen
Zähnen hervor. "Sie sprachen von zwei Dingen. Das zweite ist...?" Eigentlich wollte Ralph die Sache nun doch lieber nicht ansprechen, denn ihre offensichtliche Wut über seine Worte ließ den Gedanken lächerlich erscheinen. Er war ja nicht einmal sicher, ob er das Recht hatte, so mit ihr zu reden. Denn der Kuss war schließlich von ihm ausgegangen. Berücksichtigte man ihre respektlose, aufreizende Ausdrucksweise, war ihr "Sie küssen großartig" wahrscheinlich nur so dahingesagt und nicht die Ermutigung, für die er es gehalten hatte. "Nun?" drängte Alessandra. "Hören Sie, sollte ich mich in diesem Punkt irren ..." Ralph räusperte sich. "Ich hoffe, Sie haben den Kuss vorhin nicht falsch verstanden." "Falsch verstanden?" fragte Alessandra absichtlich gleichgültig. Oh, sie würde ihn zappeln lassen! "Ja ... Es war kein Annäherungsversuch oder so etwas." "Wenn Sie Angst haben, ich könnte Ihnen sexuelle Belästigung vorwerfen ..." "N... nein. Das ist es nicht. Ich möchte nur klarstellen, dass es nicht wieder vorkommen wird. Unsere Beziehung ist eine rein berufliche." "Vergessen Sie den Kuss, ich habe es schon!" Alessandra stand auf und lächelte ihn strahlend an. "Auf meiner Skala von eins bis zehn hatte er sowieso nur eins Komma fünf Punkte ..." "Eins Komma fünf ..." "Und das auch nur wegen des Überraschungseffekts! Gibt es sonst noch etwas?" Ralph schüttelte den Kopf. "Gut. Dann bis morgen früh. Gute Nacht ... Boss." Alessandra zwang sich, ruhig das Zimmer zu verlassen und leise die Tür hinter sich zu schließen. Rein beruflich. Oooooh! Sie war so wütend! Auf ihn, sich selbst, alles!
Alessandra schlug mit der Faust auf ihr Kopfkissen. Das war typisch! Immer hatte sie Pech. Es war über sieben Jahre her, dass sie sich ernsthaft für einen Mann interessiert hatte, und es musste ausgerechnet einer sein, der sie ungefähr so anziehend wie Masern fand. Gesagt hatte er es nicht, aber er hielt sie für unanständig und unfein. Zugegeben, sie benutzte manchmal einige Kraftausdrücke, aber keine, bei denen ein Australier auch nur die Augenbrauen hochziehen würde. Und das eine schlimme Wort sagte sie nie! Nun ja, vielleicht hatte sie es in Gedanken ein- oder zweimal gebraucht. Was den Kuss betraf ... ja, er war überwältigend gewesen, aber warum eine große Sache daraus machen? Alessandra schloss die Augen und versuchte einzuschlafen. O nein! Sie konnte das Bild eines Cowboys mit strengem Gesichtsausdruck und blauen Augen nicht aus dem Kopf bekommen. Sie rollte sich auf die Seite und blickte aus dem Fenster auf den Vollmond. Was genau zog sie zu Ralph Cameron hin? Er sah keineswegs so gut aus, dass die Frauen auf der Straße in Ohnmacht fielen, wenn sie an ihm vorbeigingen. Allerdings forderte seine Figur einen zweiten Blick heraus. Alessandra gestand sich ein, dass sie ihn attraktiv fand, sie konnte sich jedoch nicht erklären, warum. Vielleicht protestierte ihr Körper gegen die letzten drei Jahre Enthaltsamkeit? Sie lächelte in der Dunkelheit. Fehlte ihr Sex? Unwahrscheinlich! Mit achtzehn hatte sie ihre Unschuld verloren, doch sie war keine Frau, die mit rein sexuellen Beziehungen zufrieden war. Zwei Liebhaber in zehn Jahren waren nicht gerade ein ausschweifendes Leben. Aber Alessandra wusste, dass sie nichts dagegen hätte, wenn Ralph Cameron Nummer drei würde. Nur hatte er das für aussichtslos erklärt. Nun, wenigstens habe ich mich nicht lächerlich gemacht, dachte sie. Von jetzt an würde sie ebenso sachlich sein wie er. Aber nicht sie hatte ihn geküsst, er sie!
In den folgenden zwei Wochen gewöhnte sich Alessandra ohne größere Probleme an den Alltag auf der "Rough Rivers" Ranch. Jim war sowohl von ihrem Unternehmungsgeist als auch ihrer Fähigkeit, Anweisungen zu befolgen, beeindruckt und sagte ihr das auch. Die anderen Männer waren ebenso freundlich zu ihr, sobald sie merkten, dass sie gute Arbeit leistete. Jeden Donnerstagmorgen fuhr Jim sie zur Bank, wo sie den Lohnscheck einlöste, dann setzte er sie vor dem Haus wieder ab, und sie machte die Lohntüten für die Männer fertig. Alessandra hatte vorgeschlagen, die Arbeiter mit Schecks zu bezahlen, doch Jim lehnte ab. "Die Jungs möchten Bargeld. Dann brauchen sie nicht erst zur Bank, bevor sie an die Theke gehen", sagte er. Und Alessandra hätte es wahrscheinlich nicht ausgehalten ohne die wöchentlichen Fahrten in die Stadt. Wenigstens konnte sie sich dort mit neuem Lesestoff versorgen. Um Ralph Cameron aus dem Weg zu gehen und nicht an ihn zu denken, las Sie viel. Tatsächlich sah sie ihn nur beim Abendessen und an den Wochenenden, und dann achtete sie darauf, kühl und höflich zu sein und ihre Zunge zu hüten. Ihre Abmachung das Büro betreffend funktionierte. Donnerstags, samstags morgens und, wenn nötig, montags abends gehörte es Alessandra, zu allen anderen Zeiten konnte Ralph es benutzen. Sie wusste, dass er die meiste Zeit damit verbrachte, Berichte über seine Zuchterfolge zu schreiben. Der Umfang seines Programms der künstlichen Befruchtung faszinierte sie, doch lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als ihn danach zu fragen. Wahrscheinlich würde er ihr vorwerfen, anzüglich zu sein! An den Wochenenden leistete ihr Lisa Gesellschaft, doch meistens nur einige Stunden. Das Mädchen war nur selten da. Obwohl Ralph die Beziehung seiner Tochter mit Todd nicht billigte, duldete er sie anscheinend, solange Lisa um Mitternacht zu Hause war.
"Einen Moment, Alessandra!" Sie drehte sich im Sattel um und sah Jim auf sich zureiten. Hoffentlich wollte er nicht, dass sie morgen Vormittag arbeitete, sie war ziemlich erschöpft. Die Männer mussten jeden zweiten Samstag arbeiten, oft halfen sie sich gegenseitig, indem sie tauschten. "Was liegt an? " fragte sie, als Jim neben ihr sein Pferd anhielt. "Nun, ich ... das heißt, einige von den Jungs und ich dachten ..." Alessandra war verblüfft über die untypische Verlegenheit des Mannes. "Ja, Jim?" "Also, wir dachten ... ob Sie vielleicht Lust haben, heute Abend mit uns in der Stadt etwas zu trinken. Es ist überhaupt nichts Besonderes, aber ... nun, Sie scheinen nicht oft auszugehen, und ..." "Außer dass ich einmal wöchentlich zur Bank fahre, überhaupt nicht." Alessandra lächelte den Cowboy strahlend an. "Danke, ich komme gern mit!" "Ja?" Sie lachte. "Es ist das beste Angebot seit langer Zeit! Was soll ich anziehen?" "Was?" "Wie fein soll ich mich machen?" "Ach so." Jim entspannte sich. "Nun, wie schon gesagt, es ist nichts Besonderes, nur ein Bier im Pub, aber für gewöhnlich essen wir vorher beim Chinesen nebenan." "Ich habe schon verstanden. Wo und wann treffen wir uns?" "Wir holen Sie so gegen sieben vor dem Haus ab. Passt Ihnen das?" Alessandra nickte. "Und Jim ... danke. Ich bin in letzter Zeit nicht gerade mit Einladungen überschüttet worden und weiß es wirklich zu schätzen." Dreißig Minuten später rannte Alessandra die Stufen zum Haus hoch. Lisa begann mit den Vorbereitungen für das
Abendessen, ihr Vater saß am Küchentisch und trank eine Dose Bier. "Hallo", grüßte sie die beiden. "Was halten Sie von Steak und gedünstetem Gemüse?" fragte Lisa. "Klingt gut." Alessandra schenkte sich ein Glas kaltes Wasser ein. "Aber für mich brauchst du nicht zu kochen. Ich gehe aus." "Ja?", sagten Vater und Tochter gleichzeitig. "So überrascht?" "Ja, ein bisschen schon", erwiderte Lisa. "Denn du unternimmst sonst abends nie etwas. Jedenfalls nicht, seit du hier bist." "Weil mich niemand eingeladen hat." Ralph fragte sich, wer es jetzt getan hatte. Einer seiner Männer, aber welcher? Jeder kommt in Frage, dachte er. Sie schwärmen alle für sie. "Nun, ich muss mich beeilen", sagte Alessandra und ging zur Tür. Dort blieb sie stehen, weil ihr etwas einfiel. "Oh, kann ich mir einen Schlüssel von Ihnen leihen?" "Ich werde wahrscheinlich noch auf sein, wenn Sie zurückkommen", antwortete Ralph. Sie wollte ihn daran erinnern, dass sie nicht seine Tochter war und nicht beabsichtigte, sich bei ihm zu melden, wenn sie zurückkehrte, aber sie tat es nicht. Die Vorstellung, ihn in der Morgendämmerung aus dem Bett zu holen, bereitete ihr ein boshaftes Vergnügen. Schulterzuckend verließ sie ohne ein weiteres Wort die Küche. Selbst wenn sie früh nach Hause kam, würde sie warten, bis Ralph Cameron schlafen gegangen war, bevor sie an die Tür hämmerte! Ralph fiel die Gabel aus der Hand, als Alessandra fünfundvierzig Minuten später das Esszimmer betrat. Sie trug neue, hautenge Jeans, halbhohe Stiefel und eine weiße Bluse, deren weicher Stoff sich an jede Rundung schmiegte. Der tiefe Ausschnitt würde jedes männliche Wesen zwischen zehn und achtzig in Versuchung führen!
"Du siehst phantastisch aus!" rief Lisa. "Du wirst die Männer mit einem Baseballschläger abwehren müssen!" Ralph war überzeugt, dass Alessandra in diesem Aufzug nicht einmal ein Maschinengewehr helfen würde. "Schaut sie nicht wundervoll aus, Dad?" Er blickte Alessandra an und wollte ihr sagen, dass sie so angezogen nirgendwo hingehen würde, es sei denn, mit ihm. In letzter Sekunde beherrschte er sich. "Ja, irgendwie schon." "Übertreiben Sie die Schmeichelei nicht, Ralph." "Ich mag eben Kleider lieber als Jeans ..." Eine Autohupe unterbrach ihn. . "Und ich wette, Sie sehen darin auch sehr hübsch aus", sagte Alessandra und tätschelte ihm herablassend den Kopf. Lisa kicherte laut. "Nun, ich bin schon weg." Alessandra eilte zur Tür. "Warte! Wer ist der Mann?" rief Lisa. "Männer! Eine Frau darf nicht alles auf eine Karte setzen!" Ralph gab einen knurrenden Laut von sich und blickte wieder auf seinen Teller. Wie er gedünstetes Gemüse hasste! Das Fernsehprogramm fesselte ihn nicht mehr, und Ralph sah zum zehntenmal innerhalb von fünfzehn Minuten auf die Uhr. Lisa hätte schon vor über einer Stunde zu Hause sein sollen. Das Geräusch eines Wagens, der zu schnell auf der Kiesauffahrt zum Halten gebracht wurde; riss ihn aus seinen Gedanken. Er war schon an der Haustür, als Alessandra ihn rief. "Ralph! Ralph!" Auf der obersten Stufe der Verandatreppe stieß er mit ihr zusammen. "Was ist los?" "Ich brauche Ihre Hilfe, um die Männer in die Schlafbaracke zu schaffen." Alessandra zeigte mit dem Daumen über die Schulter auf den Geländewagen hinter ihr. "Sie sind betrunken, Alessandra!"
"Unsinn! Ich hatte den ganzen Abend nur Cola. Sie ..." Wieder zeigte sie über die Schulter nach hinten. "... sind betrunken." "Nun, Sie riechen wie eine Brauerei!" "Würden Sie auch, wenn man Sie mit Dutzenden Gläsern Bier übergössen hätte. Diese Kerle verschütten fast ebensoviel, wie sie schlucken", erklärte Alessandra gelassen. Sie standen dicht beieinander, und nachdem sie mit drei Betrunkenen in dem engen Geländewagen gesessen hatte, fand sie Ralphs Geruch noch wundervoller als sonst. Einen Moment lang war sie sicher, dass er sie wieder küssen würde, doch er trat mit sichtlich angewiderter Miene zurück. "Haben Sie in der Stadt zufällig Lisa gesehen?" fragte er müde. Alessandra schüttelte den Kopf. "Ist sie noch nicht zu Hause?" "Nein!" sagte er gereizt. "Und wenn sie kommt, wird sie wünschen, fortgeblieben zu sein!" "Beruhigen Sie sich, Ralph. Bestimmt gibt es eine Erklärung für ihre späte Heimkehr." "Eine ‚Erklärung' hätte sie mir telefonisch geben können." "Vielleicht gibt es dort, wo sie ist, kein Telefon." "Sie wollte zu ihrer Freundin, nicht zum Mars! Die Austins haben sogar mehrere Apparate." "Eine Autopanne auf der Rückfahrt..." "Ich habe keine Lust, hier zu stehen und mir Ihre abgeschmackten Entschuldigungen für das Verhalten meiner Tochter anzuhören. Und jetzt lassen Sie mich Ihre betrunkenen Freunde ins Bett bringen! " Er lief an ihr vorbei die Treppe hinunter. Alessandra wollte ihm folgen. "Was soll das?" "Ich helfe Ihnen."
"Vergessen Sie es! Dann würde ich wahrscheinlich nur das Gefühl haben, dass zehn Leute gegen mich arbeiten." Ralph setzte sich hinter das Steuer und schob den zusammengesunkenen Körper eines seiner Männer beiseite, um mehr Platz zu haben. Bevor er losfuhr, steckte er kurz den Kopf aus dem Fenster. "Ich bin in zwanzig Minuten zurück. Sollte Lisa inzwischen kommen, sagen Sie ihr, ich möchte sie sprechen, bevor sie zu Bett geht. Falls Sie noch so lange wach bleiben können, Alessandra. Sie sehen furchtbar aus!" Wütend stürmte Alessandra ins Haus und schlug laut die Tür hinter sich zu. Nur fünf Minuten später öffnete sie Lisa. Sie war grün im Gesicht und wäre zu Boden gesunken, hätte eine große Blondine sie nicht aufrecht gehalten. Alessandra zog einen Stuhl heran und stellte ihn hinter das Mädchen. Sofort ließ sie sich darauf sinken. "Sie hat ein bisschen zuviel getrunken", sagte die Blondine. "Ich bin Angela Austin." "Alessandra MacKellar. Wie ist das passiert?" "Jemand hat wohl etwas in die Bowle getan." Die Ausrede hatte Alessandra als Teenager selbst ein- oder zweimal benutzt. "Glauben Sie, ihr Vater wird böse sein?" fragte Angela besorgt. "Ganz bestimmt! Er ist schon wütend darüber, dass sie über eine Stunde zu spät kommt", erwiderte Alessandra sarkastisch. Sie seufzte. "Danke, dass Sie Lisa nach Hause gebracht haben, Angela. Mit Glück habe ich sie im Bett, bevor ihr Vater wieder da ist." Hastig verabschiedete sich Angela und eilte nach draußen zu ihrem Auto. Alessandra rechnete sich aus, höchstens zehn Minuten Zeit zu haben. Sie hob Lisas Kinn an. "Wach auf, Lisa!"
"Was? Hallo, Alessandra. Ich glaube, ich bin ein bisschen betrunken..." "Das sind heute nacht mehrere. Hör zu, dein Vater wird außer sich sein, wenn er dich so sieht." "Wütend, wie?" "Milde ausgedrückt", erwiderte Alessandra. "Ich helfe dir nach oben, ja?" Lisa nickte. "Dann los." Obwohl sie kleiner war, besaß Alessandra für ihre Größe erstaunlich viel Kraft. Sie redete Lisa gut zu und stützte sie auf der Treppe. Oben angekommen, nahm sie die schwankende Lisa mit beiden Händen in einen festen Griff und brachte sie in ihr Zimmer. Lisa sah ihr Bett und torkelte darauf zu, um sich diagonal auf die Tagesdecke zu werfen. Der Gedanke, Ralph könnte seine Tochter in diesem Zustand vorfinden, entsetzte Alessandra. Schnell zog sie das nahezu bewusstlose Mädchen aus und brachte es richtig zu Bett. Dann lief sie ins Badezimmer und kehrte mit einem nassen Waschlappen zurück. Ein mitfühlendes Lächeln umspielte ihren Mund, als sie Lisa Gesicht und Hals abwischte. Ihr Bruder Scott hatte dasselbe für sie getan, nachdem sie zum erstenmal zuviel getrunken hatte. Alessandra erinnerte sich auch noch daran, was danach während der Nacht passiert war, und bedauerte Lisa schon jetzt. "Lisa." Beim Klang von Ralphs Stimme fuhr Alessandra erschrocken zusammen. "Leise! Wecken Sie Ihre Tochter nicht. Sie fühlt sich nicht gut." "Oh? Was fehlt ihr?" Alessandra zuckte die Schultern. "Wahrscheinlich ein Virus." In der Hoffnung, es würde ihn davon abhalten, weiter ins Zimmer hereinzukommen, schaltete sie die Deckenlampe aus. Dann ging sie rasch zur Tür und drängte Ralph auf den Flur hinaus.
"Ein Virus?" Er trat wieder vor, doch sie hatte die Tür bereits geschlossen. "Nun ... ich meine, es könnte sein. Ich bin kein Arzt und kann nur raten." Ralphs Nähe ließ sie schneller atmen. "Haben Sie die Männer gut untergebracht?" "Ich habe nur jeden auf sein Bett geworfen und bin gegangen." "Man kann nicht mehr tun, als sie ihren Rausch ausschlafen zu lassen." "Ach ja? Ich dachte, Sie befürworten die Behandlung mit einem feuchten Waschlappen?" Alessandra wurde klar, dass Ralph sie beobachtet hatte. "Wo war sie?" fragte er, immer noch dicht vor Alessandra stehend. "Bei den Austins. Angela hat sie nach Hause gebracht." "Dort war sie nicht. Ich habe vorhin bei den Austins angerufen. Also lügen Sie mich nicht an. Wo?" "Ich habe keine Ahnung! Und nennen Sie mich nie wieder eine Lügnerin, Ralph! Sie sagten, Lisa wolle dorthin, Angela Austin brachte sie hierher, deshalb nahm ich an, dass Lisa den Abend dort verbracht hat!" Alessandra stieß ihn beiseite und ging wütend zu ihrem Zimmer. Die Enttäuschung, die sie aus seinen Worten heraushörte, veranlasste sie, sich umzudrehen. "Wie betrunken ist sie, Alessandra?" Seine Miene verriet, wie verletzt er war, und in seinen blauen Augen lag ein flehender Ausdruck. "Das wird sie morgen früh wissen." "Und ob", sagte Ralph drohend. Der Sonntagmorgen war für Alessandra etwas Herrliches. Sie stand nie vor elf auf, wenn sie früher wach war, las sie bis dahin. Normalerweise. Heute jedoch wurde sie von rastloser Energie getrieben, was sie sich nicht erklären konnte, war sie doch erst nach zwei ins Bett gekommen. Halb zehn. Ob Lisa schon
aufgestanden war? Das arme Mädchen fühlte sich bestimmt schrecklich elend. Sie würde nicht nur den schlimmen Kater ertragen müssen, sondern auch die Strafrede ihres Vaters. Alessandra seufzte laut. Sie hatte zum Glück fünf ältere Brüder, die ihre Eltern gewissermaßen schon auf die Rebellion der Tochter vorbereitet hatten, so dass diese weit verständnisvoller reagierten als die Eltern von Alessandras Freundinnen. Lisa hatte niemanden, der sie verteidigte oder ihre Taten normal erscheinen ließ. Und Ralph Cameron verlangte von seiner Tochter Vollkommenheit. Alessandra vermutete, dass Lisa bis vor kurzem so gewesen war, wie er sie sich wünschte, und dass die überraschende Auflehnung des Mädchens deshalb um so schwerer zu akzeptieren war. Warum erwarteten Eltern immer soviel mehr von ihren Kindern, als diese geben wollten oder konnten? Jennis Eltern hatten Alessandra diese traurige Wahrheit zum erstenmal bewusst gemacht, und seitdem hatte sie viele andere Fälle erlebt. Einige erkannten ihre Fehler rechtzeitig, andere, wie Jennis, niemals. Aber Alessandra wollte nicht länger über Dinge nachdenken, die sie quälten. Deshalb stand sie auf und ging duschen. "Also, sie ist wirklich etwas Besonderes!" schwärmte Jim, der seinen Kaffeebecher so hielt, als könnte dieser ihm das Leben retten. Ralph vermutete angesichts der geröteten Augen seines Vorarbeiters, dass es tatsächlich so war. "Sie hat sogar darauf bestanden, wie jeder von uns eine Runde auszugeben. Wann haben Sie das letzte Mal eine Frau getroffen, die nicht erwartet, dass Männer alles bezahlen?" "Vielleicht lade ich sie zum Rodeo-Ball ein!" sagte einer der jüngeren australischen Cowboys. "Woher willst du wissen, dass ich sie nicht schon gefragt habe?" warf ein anderer ein.
"Völlig egal", kam die gelassene Antwort. "Sie ist nicht blind, deshalb wird sie deine Einladung nicht annehmen." Anscheinend waren alle Männer voller Bewunderung für die neueste Angestellte von "Rough Rivers", und es handelte sich hier um ein Treffen des "Alessandra MacKellar-Fanklubs"! Nach dem, was Ralph in den letzten fünfzehn Minuten gehört hatte, konnte Alessandra besser reiten als jede andere Person auf beiden Seiten des Pazifiks und spielte besser Poker als jeder Mann. Alle ledigen Arbeiter auf Ralphs Lohnliste waren in sie verliebt, alle verheirateten wünschten, ledig zu sein. Ralph stand auf, er war nicht in der Stimmung, sich kindische Streitereien erwachsener Männer anzuhören. Er war gekommen, um mit seinen Leuten über die Zäune zu sprechen, die morgen repariert werden sollten. Und statt dessen lauschte er hier einem Vortrag über die zahllosen Reize und Fähigkeiten der Alessandra MacKellar! Darauf konnte er nun wirklich verzichten. Schon beim Aufwachen hatte ihm die Aussicht auf eine Auseinandersetzung mit Lisa die Laune verdorben, er wollte sich nicht auch noch von Gedanken an Alessandra durcheinanderbringen lassen - das passierte ihm immer öfter. "Ist etwas Wahres an dem Gerücht, dass sie nackt im Fluss schwimmt?" Bei dieser Frage blieb Ralph vor der Tür der Schlafbaracke wie angewurzelt stehen, doch nicht lange genug, um noch mehr zu hören. Sein Blutdruck vertrug das nicht! "Was tun Sie da?" Ralphs Ton verriet Alessandra, dass er nicht in freundlicher Stimmung war. "Wonach sieht es denn aus? Ich schwimme!" "In was?" Hatte er einen Schlag auf den Kopf bekommen? Beim Mittagessen hatte er Lisa dermaßen ausgeschimpft, dass sie vielleicht später noch einmal zurück nach unten gegangen war
und ihn mit einem stumpfen Gegenstand angegriffen hatte. "In einem Fluss. Sie wissen schon ... Wasser." "Seien Sie nicht frech, Alessandra", warnte er. "Bin ich nicht, aber Mangel an Intelligenz erfordert gewisse Erläuterungen." "Sind Sie nackt?" Alessandra war so verblüfft über die Frage, dass sie Wasser schluckte. "Nein", antwortete sie dann lächelnd und zog dabei ihre rote Bikinihose aus. "Aber jetzt!" Völlig geschockt blickte Ralph auf das Höschen, das genau zu seinen Füßen landete. "Sind Sie nun zufrieden?" fragte Alessandra zuckersüß. Ralph überlegte, ob in seinem Alter ein plötzlich erhöhter Puls zu einem Herzstillstand führen könnte. "Und? Was nun?" fragte Alessandra. "Ich möchte kurz mit Ihnen reden." "Klar ... Boss." Alessandra schwamm zum Ufer. Ralph wusste, er sollte, sich umdrehen, aber sie forderte ihn ja offensichtlich dazu heraus, zu beobachten, wie sie nackt aus dem Wasser kam. Schweigend blieb er stehen, während er stoßweise atmete. Mit schwindender Entfernung zum Flussufer kamen Alessandra Bedenken. War es richtig, ihn zu zwingen, Farbe zu bekennen? Zu weit zu gehen war nie klug. "Werfen Sie mir meine Bikinihose zu." Er lächelte erwartungsvoll. "Bitte, Ralph!" Das Höschen sank ein Stück unter die Wasseroberfläche, bevor Alessandra den dünnen Stoff zu fassen bekam. Da sie nicht mehr als ihren Hals zeigen wollte, war das Anziehen schwierig. Endlich hatte sie es geschafft, doch sie wartete noch einen Moment, um die Wirkung zu erhöhen. "Wollen Sie sich nicht umdrehen?" "Nein."
"Auch gut." Ralph war darauf vorbereitet, sie fast nackt zu sehen - glaubte er zumindest. Aber ihr Anblick in einem hautengen, nassen TShirt war verheerend! Es reichte knapp bis an die Oberschenkel, und obwohl es ihren Körper bedeckte, enthüllte es jede Einzelheit ihrer üppigen Figur. Unter dem T-Shirt war der Umriss des Bikinihöschens zu sehen. Ralph konnte nichts anderes tun, als seinen Blick immer wieder über ihre herrlichen Rundungen gleiten zu lassen. Sie stand reglos da, mit jedem Atemzug hoben und senkten sich ihre Brüste, deren harte Spitzen sich unter der beigefarbenen Baumwolle deutlich abzeichneten. "Enttäuscht?" Die Frage hatte spöttisch klingen sollen, doch Alessandra konnte nur heiser flüstern. Er blickte ihr in die Augen. "Kein Mann auf der Welt wäre fähig, darauf mit Ja zu antworten." Verlangen durchströmte sie. Noch nie in ihrem Leben war sich Alessandra der Nähe eines Mannes so bewusst gewesen, aber einer weiteren Demütigung würde sie sich nicht aussetzen. Sie atmete mehrmals tief ein und aus, um sich zu beruhigen, und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. "Sie wollten mit mir sprechen?" "Glauben Sie mir, das ist das allerletzte, wozu ich jetzt Lust habe!" Ralph umfasste ihre Schultern und zog Alessandra an sich. Keine Sekunde dachte sie daran, sich zu wehren, vielmehr öffnete sie einladend den Mund und erwiderte seine leidenschaftlichen Küsse. Ralph stöhnte auf vor Erregung, schob seine Hand unter das nasse T-Shirt, ließ sie Von ihrem Oberschenkel hoch zur Taille und weiter bis zu ihren Brüsten gleiten. Gleichzeitig liebkoste er mit der Zunge Alessandras Hals, und sie neigte erschauernd den Kopf zurück, um es ihm zu erleichtern. Sie spürte seine Erregung, es machte sie schwindlig vor Lust.
Alessandra konnte nicht mehr klar denken, nur der Gedanke, ihre Beine könnten vielleicht nachgeben, drang kurz in ihr Bewusstsein. Doch da lag sie bereits unter Ralph auf dem Boden. Er zog ihr das T-Shirt über den Kopf, und bevor der Spätnachmittagwind ihre Haut kühlen konnte, bedeckte Ralph sie mit heißen Küssen. Alessandra durchwühlte sein Haar und zitterte, als er mit seiner Zunge erneut ihren Mund erforschte. Sie wollte ihm dieselbe Lust bereiten, die er ihr schenkte, und ließ ihre Lippen über seine muskulöse Schulter gleiten. Doch obwohl sie es für ihn tat, gewann sie unvorstellbares Entzücken daraus. Die Stärke ihres Verlangens erschreckte und berauschte sie zugleich. Eine solch verzweifelte Sehnsucht hatte sie bisher nicht gekannt. Ungeduldig öffnete sie einen Knopf seines Hemds, um noch mehr von seiner Haut unter ihren Lippen zu spüren. Ralph erschauerte, als Alessandra die Hände unter sein Hemd schob und sich ihm entgegenbog. "Schlaf mit mir ..." Ihre atemlose Bitte ließ ihn fast die Beherrschung verlieren. Noch nie hatte eine Frau so wild und hemmungslos auf ihn reagiert, und bei keiner anderen Frau hatte er sich jemals so männlich gefühlt. Alessandra war eine Verführerin wie es sich Männer in ihren kühnsten Phantasien vorstellten. Sie verstand es, mit einer Erfahrung und Geschicklichkeit zu erregen, von der jeder Mann träumte ... Der Gedanke war wie eine kalte Dusche. Ralph rollte sich zur Seite und stand auf. Mit vor Leidenschaft verschleierten Augen schaute sie ihn fragend an. "Ralph?" "Ziehen Sie sich an. Sie können mit dem Lieferwagen zurück zum Haus fahren."
"Aber ich ..." Die Verachtung in seinem Blick ließ Alessandra verstummen. Er hob ihre Jeans auf und warf sie ihr zu. "Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan?" Ralph lachte zynisch. "Ich wünschte, es wäre so."
4. KAPITEL In der folgenden Woche ging Alessandra ihrem Arbeitgeber so gut wie möglich aus dem Weg. Das war nicht einmal schwierig, denn Ralph bemühte sich ebenso sehr, ihr auszuweichen. Tatsächlich hätte es damit enden können, dass Alessandra nur noch mit sich selbst sprach, wäre nicht Lisa gewesen, die dankbar war, jemand zum Reden zu haben. Sie hatte sich vorgenommen, kein einziges Wort mehr mit ihrem Vater zu wechseln! Wenigstens streitet niemand mit dem anderen, dachte Alessandra. Während sie darauf wartete, dass der Drucker die monatlichen Abrechnungen auswarf, fragte sie sich wieder, was sie falsch gemacht hatte. Warum war Ralphs Leidenschaft innerhalb von Sekunden in Ärger umgeschlagen? Noch nie hatte sie mit solcher Erregung auf einen Mann reagiert, und es schmerzte, zu wissen, dass ausgerechnet er nichts mit ihr zu tun haben wollte. Das Läuten des Telefons ließ Alessandra zusammenzucken. Gerade als sie abnehmen wollte, hörte es auf. Gleich darauf öffnete Ralph die Bürotür. "Ich muss an den Computer. Sind Sie hier fertig?" "Sofort." Absichtlich langsam nahm sie den Bericht aus dem Drucker und legte ihn ab. Ralph zählte in Gedanken bis zehn, damit sein Puls normal blieb. Die Hoffnung, seiner Gefühle für die weißblonde
Australierin Herr zu werden, indem er sie mied, war zunichte. Die Bluse spannte sich über ihren Brüsten, als sie den Schreibtischstuhl zurückschob, und der Anblick genügte, um daran zu denken, wie er am Fluss die se Brüste geküsst hatte. "Ralph?" Er wurde sich bewusst, dass er nicht zugehört hatte. "Wie bitte?" "Ich sagte, würden Sie bitte beiseite gehen, damit ich hinauskann? Das Büro gehört Ihnen." "Oh. Sie hätten sich nicht beeilen müssen. Sind Sie wirklich fertig?" Alessandra blickte ihn forschend an. Er machte einen so geistesabwesenden Eindruck. "Geht es Ihnen nicht gut? Sie sind irgendwie ... seltsam." "Ja?" Jetzt lächelte er sie so jungenhaft an, dass sie wie Wachs dahinschmolz. Lass dich nicht von ihm täuschen! ermahnte sie sich. "Sie wollten doch an den Computer. Bitte." "Alessan ... o nein! Doug Shaffer wartet am Telefon!" Ralph ging an ihr vorbei und nahm den Hörer ab. "Tun Sie mir den Gefallen und legen in der Küche auf? Ach, übrigens, ich muss am Donnerstag in die Stadt, wir fahren früh los. Doug? Tut mir leid, dass ich Sie warten ließ ..." Am nächsten Morgen zog Alessandra ihren alten Morgenmantel an und wollte gerade ins Badezimmer, als es an der Tür klopfte. "Alessandra, darf ich hereinkommen?" "Es ist offen." "Kann ich kurz mit dir sprechen?" fragte Lisa. Alessandra deutete auf den einzigen Stuhl im Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. Mit einem Blick erkannte sie, dass Lisa nicht gut geschlafen hatte, und lächelte aufmunternd. "Na los." "Ich ... ich muss heute mit dir in die Stadt." "Dann beeil dich, dein Vater will früh abfahren." "Dad! Sonst bringt dich doch immer Jim zur Bank." "Anscheinend hat Ralph etwas zu erledigen, und es ist
nur vernünftig, dass er mich mitnimmt." "Na gut. Dann warte ich eben bis nächste Woche." "Ich weiß, dass du auf deinen Vater wütend bist, aber du kannst ihm nicht ewig aus dem Weg gehen." "Das ist es nicht. Er soll nicht erfahren, dass ich zum Arzt gehe, denn er wird wissen wollen, warum." Alessandra glaubte, den Grund zu kennen. "Bist du sicher?" "Natürlich. Dad wird außer sich sein! Du sagst es ihm doch nicht?" Alessandra stand auf und ging vor dem Stuhl des Mädchens in die Hocke. Lisa tat ihr furchtbar leid, aber sie konnte doch wohl nicht ernsthaft erwarten, dass das Gespräch an diesem Punkt endete. "Du musst mit deinem Vater darüber sprechen." "Kommt nicht in Frage. Es geht ihn überhaupt nichts an." "Hör auf, Lisa! Er ist dein Vater. Wie weit bist du?" "Was?" "Im wievielten Monat bist du?" "Ich bin nicht schwanger, Alessandra! Das will ich ja gerade vermeiden!" Alessandra lächelte erleichtert. "Entschuldige. Ein dummes Missverständnis." "Macht nichts. Aber glaub mir, Dad zu sagen, dass ich die Pille nehmen will, wäre genauso schlimm, wie ihm eine Schwangerschaft zu beichten." "Nein, das glaube ich nicht. Welches Verhütungsmittel benutzt Todd und du denn im Moment?" "Keins..." "Bist du verrückt, Lisa?" "Wir schlafen noch nicht miteinander." Wieder eine voreilige Annahme, dachte Alessandra. Ich hätte wissen sollen, dass Lisa viel zu vernünftig ist, um ein solches Risiko einzugehen. "Deshalb will ich jetzt die Pille. Bevor etwas passiert." "Kluges Mädchen. Ich meine noch immer, du solltest mit deinem Vater darüber sprechen, aber verstehen kann ich dich.
Mit achtzehn ging es mir ebenso. Pass auf, ich tausche meinen nächsten freien Samstag mit einem der Männer, und wir beide fahren am Montag in die Stadt und gehen zum Arzt. Was hältst du davon?" "Du würdest mich begleiten?" "Klar." "O Alessandra! Du bist großartig!" Lisa umarmte sie sehr stürmisch. "Ich bin froh, dass wenigstens ein Cameron so denkt", sagte Alessandra trocken. Ralph saß schon hinter dem Steuer, als Alessandra in den Range Rover stieg. "Hallo", begrüßte sie ihn lässig, ohne ihn anzusehen, und schnallte sich an. Erst danach wurde ihr bewusst, dass Ralph sie starr anblickte. "Was ist?" "Du liebe Güte! Sie tragen ein Kleid." "Es ist ein Rock mit Bluse." "Sind Ihnen die Jeans ausgegangen?" Alessandra lächelte. Zum erstenmal seit einer Woche neckte er sie ein bisschen. Jetzt war sie froh, den Mut aufgebracht zu haben, auf ihre Jeans zu verzichten. Es war ihm aufgefallen. "Dann und wann mag ich eine Abwechslung." Ohne eine weitere Bemerkung fuhr Ralph los. Nach sechs Meilen konnte Alessandra das spannungsgeladene Schweigen nicht mehr ertragen. "Sie kommen mit Ihrem Schweigegelübde offenbar gut zurecht", meinte sie beiläufig. Ein Lachen unterdrückend, warf ihr Ralph einen kurzen Blick zu. "Ach, nein ... es ist der Schock wegen des Rocks. Ich verstehe", fuhr sie gespielt mitfühlend fort. Er lachte. "Nicht doch. Jemand könnte Sie hören und den Eindruck bekommen, dass Sie meine Gegenwart nicht ganz so ärgerlich finden, wie Sie vorgeben."
"Glauben Sie, dass Sie mich verärgern?" "Manchmal." Ralph zog die Augenbrauen hoch. "N ur manchmal?" "Ja. Den Rest der Zeit mache ich Sie fuchsteufelswild. Stimmt doch?" Er fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn er ihr sagte, dass sie ihn manchmal verärgerte und maßlos wütend machte, aber jedes Mal seine Leidenschaft weckte. Dass er sie nicht aus dem Kopf bekam, stets den Duft ihres Magnolienöls zu riechen glaubte und sich noch immer wegen des Vorfalls am Fluss ohrfeigen könnte - er wusste nur nicht genau, warum. Weil er mit den Zärtlichkeiten begonnen oder weil er sie abgebrochen hatte? "Sie verwirren mich, Alessandra. Ich verstehe Sie einfach nicht." Sie lachte laut. "Was ist so komisch?" Machte sie sich über ihn lustig? "Seien Sie nicht so besorgt, Ralph. Das haben schon viele zu mir gesagt." "Sie müssen doch zugeben, dass Sie nicht wie andere junge Frauen von achtundzwanzig Jahren sind." "Nach welchen Maßstäben?" "Normalen." "Also bin ich nicht nur jemand, der verärgert und fuchsteufelswild macht, ich bin auch nicht normal..." "Ich wollte Sie nicht beleidigen, Alessandra." "Entspannen Sie sich, ich reize Sie nur." Sie legte ihm versöhnlich die Hand auf die Schulter und zog sie hastig zurück, weil sie das Gefühl hatte, einen Stromschlag zu bekommen. "Mich rei ... reizen?" stieß Ralph mühsam hervor und versuchte, die Wärme zu ignorieren, die ihre Berührung ausgelöst hatte. Um Himmels willen, sie reizte ihn wirklich! "Necken. Aufziehen. Anstacheln." "Ich kenne das Wort", sagte Ralph und beschloss, das Thema zu wechseln. "Sobald wir in der Stadt sind, muss ich zu einer
Besprechung wegen eines Bullen, den Doug Shaffer von mir kaufen möchte. Gehen Sie doch bummeln, und wir treffen uns dann in der Bank." Alessandra sah ein, dass es vernünftiger war, als die Löhne der Ranch bei sich zu haben, während sie auf Ralph wartete. Leider hasste sie Einkaufsbummel. Oh, na schön. Sie konnte ja in die Stadtbücherei gehen und die lokale Geschichte nachlesen. "Das wird aber auch Zeit!" schimpfte Alessandra, sobald Ralph die Bank betrat. "Eine Stunde, sagten Sie! Ich stehe hier schon so lange, dass der Wachmann denkt, ich spioniere die Bank aus, weil ich sie später ausrauben will!" Ralph schmunzelte. Mit diesen vor Wut blitzenden blauen Augen war Alessandra so sexy. Und wenn sie schmollte, war ihr Mund allein schon eine Versuchung. Wäre er in der Stadt nicht so gut bekannt gewesen, hätte er sie auf die Straße gezogen und wie verrückt geküsst. "Würden Sie wohl aufhören, so albern zu grinsen, und mir antworten?" "Was?" Alessandra seufzte, doch nicht laut genug, um das Knurren ihres Magens zu übertönen. "Wie bitte?" fragte Ralph gespielt schockiert. "Das kommt noch dazu", beschwerte sie sich. "Ich bin schon so lange hier, dass ich jeden Moment verhungere. Lösen wir den Scheck ein und gehen wir essen!" Alessandra nahm Ralphs Hand und zog ihn zum Schalter. Ihre Berührung brachte sein Blut in Wallung, und es kostete ihn all seine Willenskraft, sie nicht in die Arme zu ziehen und auf der Stelle mit ihr zu schlafen. Erst als sie vor dem Bankangestellten stand, wurde Alessandra bewusst, dass sie immer noch Ralphs Hand hielt. Sofort ließ sie ihn los. "Entschuldigung." "Wofür?" fragte Ralph.
Obwohl sie sich nicht mehr berührten, war sie unfähig, sich zu rühren oder wegzusehen. "Dass ich Sie durch die Bank gezerrt habe", flüsterte sie heiser. "Womit kann ich Ihnen helfen?" fragte der Bankangestellte. "Habe ich mich beklagt?" erkundigte sich Ralph. "Miss? Kann ich Ihnen helfen?" "Nein." "In diesem Fall treten Sie bitte beiseite. Sie halten alle Leute auf." "Dann entschuldigen Sie sich doch nicht", meinte sie zu Ralph. "Gut." "Doug hat mich zum Mittagessen eingeladen." "Oh." "Miss, würden Sie mir bitte mitteilen, was Sie wollen, oder aus der Schlange treten?" "Ich erzählte ihm, dass Sie auf mich warten. Er will, dass ich Sie mitbringe, und sagte, er würde mit seiner Frau zusammen kommen. Stört es Sie?" "Dass er seine Frau mitbringt? Warum sollte es?" "Miss! Die Leute hinter Ihnen in der Schlange warten!" "Ich meinte, haben Sie etwas dagegen, wenn wir mit den Shaffers zu Mittag essen?" "Nein. Aber für ein vornehmes Restaurant bin ich wirklich nicht passend angezogen." "Ich finde, Sie sehen wundervoll aus." "Entschuldigen Sie, Sir, würden Sie die Dame bitte erledigen lassen, was immer sie an diesem Schalter zu tun hat?" "Wirklich?" "Immer." Ralph neigte den Kopf. Alessandra stellte sich auf die Zehenspitzen und schloss die Augen. Plötzlich spürte sie, dass jemand ihr von hinten die Hand auf die Schulter legte, und drehte sich um. Es war der Wachmann.
"Madam, Sie befinden sich jetzt seit fast zwei Stunden in dieser Bank, aber ich bezweifle, dass die hinter Ihnen anstehenden Leute so viel Zeit haben. Würden Sie bitte Ihre Angelegenheiten ... Bank-Angelegenheiten! ... zu Ende bringen und danach gehen?" "Hallo, Bill! Tut mir leid, es ist allein meine Schuld", begrüßte Ralph den Wachmann kameradschaftlich. Damit blieb es Alessandra erspart, dem Mann antworten zu müssen, aber es rettete sie nicht vor der finsteren Miene des Bankangestellten. Mit ihrem freundlichsten Lächeln schob sie den Scheck über den Tresen. Alessandra hatte schon in einigen der besten Restaurants der Welt und mit Menschen aller Gesellschaftsschichten gegessen, aber noch nie hatte sie sich so unbehaglich gefühlt wie in diesem kleinen, doch sehr hübschen Restaurant Hunderte von Meilen von Brisbane entfernt. Rachel Shaffer war die gehässigste Frau, der Alessandra je begegnet war. Nicht nur, dass Rachel über jedes weibliche Mitglied der Gemeinde lästerte, nein, sie nannte Alessandra auch hartnäckig "Alexandra". Wenn ich wüsste, dass der Verkauf dieses Bullen für Ralph nicht ganz so wichtig ist, würde ich ihr die Meinung sagen! dachte Alessandra. "Ralph sagte, Sie seien ein guter Cowboy", sprach Doug sie an. "Nun, schön zu wissen, dass der Boss meine Arbeit schätzt. Vielleicht sollte ich um eine Gehaltserhöhung bitten?" "Ein Versuc h kann nicht schaden." Doug zwinkerte ihr zu. "Ermutigen Sie sie nicht." Ralph lächelte Alessandra an. "Sonst muss ich den Preis für Black George hochschrauben, um die Gehaltserhöhung für sie auszugleichen." "Au weh", sagte Doug gequält. "Wenn ich es recht überlege, ist es wohl doch keine gute Idee, mehr Geld zu verlangen, Alessandra."
"Also wirklich, Doug! Ich bin sicher, Alexandra wird für ihre Pflichten auf ,Rough Rivers' mehr als angemessen entschädigt", tadelte Rachel Shaffer ihren Mann. Alessandra zwang sich, die elegante, gutgeschminkte Rothaarige anzulächeln. Die Ansichten der Frau stammten allerdings aus einem anderen Jahrhundert. "Einen sehr ... interessanten Rock tragen Sie, Alexandra. Stil der sechziger Jahre. In gewissen Kreisen sind diese Sache n ja jetzt wieder modern. Ich persönlich fand das Jahrzehnt so unsauber." "Ich erinnere mich kaum an die Zeit, weil ich damals noch ein Kleinkind war", erwiderte Alessandra liebenswürdig. "Aber meine Mutter hat mir von den sechziger Jahren erzählt." Sie sah, dass Ralph ein Lachen unterdrückte. "Diesen Rock habe ich vor zwei Jahren in Israel erworben, er hat mich zwei Paar Jeansshorts gekostet." "Sind Sie schon viel gereist?" fragte Doug. Wenigstens er ist nett, dachte Alessandra und lächelte ihn herzlich an. "Mit neunzehn Jahren hat mich das Fernweh gepackt, und seitdem habe ich insgesamt nur zwei Jahre in Australien verbracht." "Sie waren nie auf dem College?", kam Rachels schockierte Frage. "Ich habe ein Jahr lang an der Universität Sydney studiert." Alessandra zuckte die Schultern. "Dann habe ich mich für Reisen statt Studium und Freiheit statt Geld entschieden." "Verspüren Sie niemals den Wunsch, Ihr Nomadenleben aufzugeben?" fragte Rachel missbilligend. "Zur Zeit sehe ich keinen Grund, sesshaft zu werden. Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment?" Ralph und Doug erhoben sich, als Alessandra den Tisch verließ. Oooooh! Diese Frau war das beste Beispiel dafür, was Geld und Designermode nicht bewirken konnten. Alessandra hielt die Handgelenke unter den kalten Wasserstrahl, um sich
abzukühlen. Gerade begann sie das Alleinsein in der Damentoilette zu genießen, als ihr der schwere Duft von Yves Saint Laurents "Opium" in die Nase stieg. Jede wirklich vornehme Frau wusste, dass man dieses Parfüm nicht tagsüber trug! "Ein bisschen beschwipst, Alexandra?" "Nein, Rachel, nur überhitzt." Die Rothaarige zündete sich eine Zigarette an und musterte die jüngere Frau in dem leuchtendgelben bestickten Rock, der weißen schulterfreien Bluse und den geflochtenen Sandalen missbilligend. "Sie sind also Ralphs Neue?" "Neue Buchhalterin, meinen Sie vermutlich." "Natürlich! Was dachten Sie denn?" "Ich nahm völlig zu Recht an, dass Sie Geliebte meinen." Rachel lachte gehässig. "Dann könnten Sie sich glücklich schätzen!" Flüchtig fragte sich Alessandra, ob Rachel aus Erfahrung sprach. Nein. Ralph besaß Kühe, die reizvoller waren als Rachel Shaffer! Bevor sie die Damentoilette verließ, sagte Alessandra liebenswürdig: "Ach, mir gefällt übrigens Ihr Haar. Es muss ja entsetzlich schwierig sein, den Ansatz schwarz zu färben." Sie fühlte sich besser, als die ältere Frau empört nach Luft schnappte. Auf der Rückfahrt unterhielten sich Alessandra und Ralph die meiste Zeit nur über belanglose Dinge oder schwiegen, doch schließlich gewann Alessandras Schuldbewusstsein die Oberhand über sie. "Ist es sehr wichtig für Sie, Black George an Doug zu verkaufen?" "Es ist ein gutes Geschäft, mehr nicht", antwortete Ralph überrascht. "Warum?" "Vielleicht habe ich Sie um den Verkauf Ihres Bullen gebracht." Ralph warf ihr einen verblüfften Blick zu. "Dann hätte uns Doug bestimmt nicht zu der Party eingeladen, die er und seine Frau am Samstag geben."
Alessandra fluchte. "Reizende Ausdrucksweise ..." "Bitte sagen Sie, dass Sie die Einladung nicht angenommen haben!" Ralph fuhr an den Straßenrand und stellte den Motor ab. "Natürlich habe ich angenommen. Warum denn nicht?" "Für mich auch? Ralph, wie konnten Sie nur! O nein!" "Sie waren gerade auf der Toilette, und Doug fragte, ob wir kommen würden. Ich dachte, Sie würden die Gelegenheit gern nutzen, die Leute aus dieser Gegend kennen zu lernen." "Nicht, wenn sie wie Rachel Shaffer sind!" "Ach so, deshalb." Alessandra sah ihn böse an. "Grinsen Sie nicht so!" "Ich weiß, dass Rachel oft über andere lästert und etwas snobistisch ist..." "Etwas?" Ralph fand Alessandras Empörung so komisch, dass er laut lachte. Ihm war jedoch klar, dass seine Heiterkeit ihre Stimmung nicht besserte, und beherrschte sich mühsam. "Sie ... Sie müssen doch zugeben, dass Sie mit gleicher Münze heimgezahlt haben! ,Ich erinnere mich kaum an die Zeit, weil ich damals noch ein Kleinkind war, aber meine Mutter hat mir von den sechziger Jahren erzählt!' Kaum die Antwort eines Opfers." Er lachte noch immer stillvergnügt in sich hinein. "Ach, das finden Sie lustig? Wie ist es damit: Auf der Damentoilette deutete Rachel an, ich sei Ihre neueste Bettgefährtin." Ralph wurde schlagartig ernst. "Ich dachte mir, dass Ihnen dabei das Lachen vergeht." "Was haben Sie dazu gesagt?" "Dass ich Ihre Buchhalterin bin. Vermutlich wird die Wahrheit Rachel nicht davon abhalten, Gerüchte zu verbreiten." "Würde es sie sehr beunruhigen?"
Alessandra blickte ihn an, und plötzlich hatte sie das Gefühl, sich in seinen blauen Augen zu verlieren. "Nicht ich war diejenige, die am Flus s ihre Meinung geändert hat." "Ich will dich, Alessandra. Wir beide wissen das. Ich verstehe nur nicht, warum ich dich so begehre." "Danke." "Ich versuche lediglich, ehrlich zu dir zu sein." "Unsinn! Du wolltest keine Affäre mit mir anfangen, indem du dir sagtest, du würdest nicht zu mir passen. Das hat nicht funktioniert, deshalb hoffst du jetzt, dass ich es dir leicht mache. Ich soll bestätigen, dass wir nicht zusammenpassen und es das beste wäre, wenn wir dieser sexuellen Anziehungskraft zwischen uns nicht nachgeben würden. Schön, ich stimme dir zu. Wir passen nicht zusammen!" rief sie. "Du erregst dich heftig über diese Sache, nicht wahr?" Ralph blickte ihr in die Augen und strich ihr mit einem Finger sanft über die Lippen. Alessandra seufzte. "Sehr heftig. Und wenn du mich nicht sofort küsst, werde ich noch verrückt!" Er beugte sich herüber, um ihren Sicherheitsgurt zu lösen, aber schon ging sein Atem schwerer, und seine Finger zitterten, so dass aus der leichten Aufgabe harte Arbeit wurde. Dann legte Alessandra ihre Hand auf seine, und wie durch Zauberei öffnete sich der Gurt. Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihren Mund. "Siehst du", flüsterte sie und rückte an ihn heran, "wir arbeiten gut zusammen." Verlangend ließ er seine Zunge in ihren Mund gleiten. Alessandra vergaß alles um sich herum und erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich. Als er aufstöhnte, durchströmten sie heiße Wehen der Erregung. Wieder war Ralph verblüfft, dass Alessandra keinerlei Scheu zeigte, aber er konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Sie streichelte langsam seinen Rücken, und er hätte geschworen, dass sie mit ihren Händen den Stoff seines Hemds versengte. Er
beugte den Kopf und liebkoste mit der Zunge die kleine Mulde unten an ihrer Kehle. Nicht nur mit der Weichheit wurde er belohnt, die er dort fand, sondern auch mit dem erotischen Magnolienduft, der stets Bestandteil aller seiner Gedanken an Alessandra war. "O ja, Ralph ... es ist so wundervoll, was du da tust." Ihre atemlose Stimme ermutigte ihn, ihre nackte Schulter mit heißen Küssen zu bedecken. Alessandra neigte den Kopf zurück, als Ralph seinen Mund weiter nach unten gleiten ließ, bis er den Gummizug ihrer Bluse erreichte. Sie wartete, verzehrt von brennendem Verlangen, dass er seine Erkundung mit der Zunge fortsetzte, doch nichts passierte. "Ralph?" "Rühr dich nicht", sagte er leise und drehte mit zitternder Hand den Zündschlüssel. "Wir werden Zuschauer anlocken, wenn ich diesen Wagen nicht von der Hauptstraße herunterbekomme." Seine Stimme klang rau vor Erregung. Kurz darauf hielt Ralph hinter einer alten Lagerhalle. Er hob Alessandras Kinn an und küsste sie zärtlich. Sie staunte darüber, dass sie ihn einmal für nicht besonders attraktiv gehalten hatte. Sein Gesicht war das schönste, das sie je gesehen hatte. Die Augenfältchen waren Ausdruck seines Charakters, sie verrieten viel Humor. "Du hast deine Meinung nicht geändert, nicht wahr?" Alessandra schüttelte lächelnd den Kopf. "Gut. Warte einen Moment." Ralph stieg aus und ging einmal schnell um das alte Gebäude herum, dann öffnete er die Heckklappe des Geländewagens, nahm eine Decke heraus und breitete sie auf dem Boden aus, bevor er die Beifahrertür öffnete und die Hand ausstreckte. Alessandra legte die Hand in seine und fühlte sich wie eine Märchenprinzessin. Als sie zu der Decke gehen wollte, hob Ralph sie mühelos auf die Arme. Kein Mann hatte sie jemals so
ritterlich behandelt, und Alessandra, die Feministin, stellte überrascht fest, dass sie es genoss. "Wie willst du später einen ausgerenkten Rücken erklären?" neckte sie ihn und strich mit dem Finger über seine Schulter. Sie spürte, wie sich die Muskeln bei ihrer Berührung anspannten, und erfreute sich daran. "Ich habe schon Kälber getragen, die mehr als du wogen." "Nun, das nenne ich ein zweifelhaftes Kompliment! Sagst du das zu allen Frauen?" Behutsam setzte Ralph sie auf die Decke und stützte sich über Alessandra auf den Ellbogen ab. "Ich mache dies nicht zur Gewohnheit." "Ja, das weiß ich. Sonst hättest du nicht so gekämpft, um es zu verhindern." Er fasste an den oberen Rand ihrer Bluse und zog den Stoff langsam nach unten. "Du hast nie dagegen angekämpft, oder?" Jetzt hatte er ihre linke Brust entblößt und atmete scharf ein vor Begehren. "Ich wehre mich nur nicht gegen das Unvermeidliche." Ralph lächelte. "Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass du dich in etwas fügst." "Ich bin nie fügsam." Alessandra erschauerte, denn er liebkoste ihre hartgewordene Brüstspitzen mit der Zunge. So sinnlich hatte Alessandra sich noch nie gefühlt. Während er sie sanft auf die Decke drückte, ihr die Bluse abstreifte und einen langen Moment ihre festen Brüste bewunderte, wagte Alessandra kaum zu atmen. Dann knöpfte sie geschickt sein Hemd auf, zerrte es aus den Jeans und öffnete die letzten beiden Knöpfe. Jetzt ließ sie ihre Finger von seinem Hals über seine Brust hinunter auf seinen flachen Bauch gleiten. Ralph streifte sich rasch das Hemd ab, doch Alessandra hatte nicht lange Zeit, seine breite, muskulöse Brust zu betrachten, denn er presste seinen Mund auf ihren und küsste sie mit einer
Leidenschaft, die sie bisher nie erfahren hatte. Als Ralph eine Hand unter den Bund ihres Rocks schob, überliefen sie Schauer der Erregung. Plötzlich spürte sie, dass er sie verließ, und hörte das Klicken der Gürtelschnalle seiner Jeans. Jede Einze lheit seines Körpers prägte sich ihr ein, als Ralph die Hose hinunterzog. Das Haar auf seiner Brust lief schmaler werdend wie eine Pfeilspitze auf die Schwellung unter dem Stoff seines Slips zu, und dieser Anblick steigerte Alessandras Verlangen noch. Sie setzte sich auf, ging vor ihm auf die Knie und berührte ihn aufreizend. Ralph atmete rascher, als Alessandra ihn langsam von den Knien bis zu den Schultern küsste. Die Empfindungen, die sie in ihm weckte, waren berauschend, doch viel länger konnte er solche köstlichen Qualen nicht ertragen. Er nahm Alessandra in die Arme und drückte sie mit seinem Gewicht wieder auf die Decke. "Um Himmels willen, Alessandra, du bist eine so betörend sinnliche Frau,... noch nie musste ich so um Selbstbeherrschung ringen ..." "Kämpf nicht dagegen an. Gib dich deinen Gefühlen hin." "Tu ich, sobald ich dieses verdammte Ding ..." Alessandra öffnete die Augen und sah, dass er sich mit etwas in Folie Verpacktem abmühte. Ein Kondom ... Sie streckte mit der Handfläche nach oben die Hand aus. "Lass mich." Zögernd gab er es ihr. Zu verwirrt, um etwas zu sagen, beobachtete er, wie sie die Folie aufriss und das Kondom herausholte. "Ich nehme die Pille, und ich habe meine Blutspenderkarte in der Brieftasche, wenn du es nachprüfen möchtest." Alessandra blickte ihn an. Ralph schüttelte den Kopf. "Wir benutzen es." Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt sie war. Natürlich war es aus seiner Sicht nur vernünftig - er kannte sie ja kaum. Und sie hatte auch nur sein Wort, dass er nicht häufig seine Partnerinnen wechselte, aber sie hätte ihm alles
geglaubt. Jetzt zog er seinen Slip aus, und sie atmete scharf ein, als sie sah, wie bereit er zur Liebe war. Ihre Reaktion machte Ralph stolz, doch nun begann Alessandra, langsam und behutsam das Kondom aufzurollen, und er hatte plötzlich ganz andere Sorgen. "Alessandra, beeil dich ... oder du wirst nur ... deine Zeit verschwendet haben!" "Fertig." Verlegen lächelte sie ihn an. Es war das erste Mal, dass sie so etwas gemacht hatte, aber es für Ralph zu tun, war ihr wie die natürlichste Sache der Welt erschienen. Er zog sie an sich und küsste sie mit solcher Leidenschaft, dass Alessandra wie Wachs dahinschmolz. Außer ihrem Spitzenhöschen war sie nackt, und Ralph streifte es ihr erregt ab. Dann küsste er sie aufreizend, und sie bog sich ihm unwillkürlich entgegen, als er die Innenseite ihrer Oberschenkel streichelte und seine Finger weiter nach oben gleiten ließ. "Ralph ... bitte! Jetzt... Ich kann nicht mehr warten!" Stöhnend glitt er auf sie, und im nächsten Moment spürte Alessandra, dass er in sie eindrang. Noch nie hatte er solch ungestüme Leidenschaft erlebt. Zum erstenmal in seinem Leben war Ralph Sklave seiner Lust, und er staunte über die Begierde, die Alessandra in ihm auslöste. Ihr erotisches Flüstern erregte ihn noch mehr. "Ja ... o Ralph ... ja, ja ..." Alessandra war sicher, dass es nichts Schöneres geben konnte als diese Empfindungen, die an Stärke zunahmen und sich vom Zentrum ihrer Weiblichkeit aus in ihrem ganzen Körper ausbreiteten. Einen Moment lang wehrte sie sich gegen die heftigen Gefühle, doch dann hörte sie Ralphs Stimme. "Lass dich fallen ... genieße es ..." Wundervoller Ralph, empfand er auch so wie sie? Er hielt sie fest, bis die Wellen der Erregung, die ihren Körper durchliefen, nachließen. Und erst dann stillte auch er seine Begierde. Keine Frau hatte jemals ein solches Verlangen
in ihm geweckt. Liebevoll strich er Alessandra das feuchte Haar zurück und wurde mit einem zärtlichen Lächeln belohnt.
5. KAPITEL Alessandra war verwirrt. Ralph schien sich plötzlich aus irgendeinem Grund unbehaglich zu fühlen. Er rückte von ihr ab und setzte sich auf. Die Arme um die Knie legend, richtete er den Blick zum Horizont. "Warum wolltest du mir das Kondom überstreifen?" "Ich wollte dich berühren", erwiderte Alessandra ehrlich und errötete. "Hat es dir etwas ausgemacht?" "Natürlich nicht! Dir?" "Nein. Ich war eher überrascht." "Warum?" Er zuckte die Schultern. "Es ist etwas, das ich von einer Dame nicht erwartet hätte." Bei diesen Worten wusste Alessandra, dass sie einen der größten Fehler ihres Lebens gemacht hatte. Ralph schwieg eine Weile, bevor er nach seinen Sachen griff. "Komm, wir fahren besser nach Hause." Die Fahrt zur Ranch verlief schweigend. Als Lisa ihr sagte, dass Ralph wahrscheinlich nicht zum Abendessen kommen würde, fühlte sich Alessandra niedergeschlagen. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er sie vor dem Haus abgesetzt hatte.
Alessandra blickte auf den Teller mit kaltem Braten und Salat. Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die nervöse Unruhe an. Bitte, lass Ralph nicht bereuen, was heute passiert ist! dachte sie. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er sich benehmen würde, als sei nichts geschehen, oder... "Tut mir leid, dass ich so spät komme. Wir haben Probleme mit einer Stute." Alessandra wandte den Kopf und sah Ralph an. Zuerst blieb seine Miene ausdruckslos, dann lächelte er verlegen, und ihr wurde warm. "Ist dir nicht gut, Alessandra? Du siehst schon so sonderbar aus, seit wir uns an den Tisch gesetzt haben", erkundigte sich Lisa. Ihre Worte brachen den Zauber zwischen Ralph und Alessandra. "Ja? Seltsam, mir ist es nie bessergegangen. Tatsächlich ..." Alessandra warf ihm einen frechen Blick zu.,,... fühle ich mich hundertprozentig ..." "Du bildest dir etwas ein, Lisa", unterbrach Ralph. "Ich finde, Alessandra sieht gut aus." Lisa zuckte die Schultern und aß weiter. Ralph setzte sich. "Bist du mit den Löhnen fertig?" Seine Tochter schaute auf, schien jedoch nichts Ungewöhnliches daran zu finden, dass ihr Vater Alessandra plötzlich duzte. "Ja." Alessandra lächelte ihn schalkhaft an. "Aber ich habe eine halbe Ewigkeit dafür gebraucht. Aus irgendeinem Grund konnte ich mich nicht auf die Arbeit konzentrieren." Er versuchte wieder ausdruckslos dreinzublicken, da Lisa in seine Richtung schaute. "Da Alessandra von ,Ewigkeit' spricht ... Ihr beide seid ja heute lange in der Stadt gewesen. Was hat euch aufgehalten?" fragte Lisa. "Nun ..." Ralph sah aus, als würde er einen Erstickungsanfall bekommen.
"Die Besprechung deines Vaters dauerte länger als geplant, und danach waren wir noch mit den Shaffers essen", half Alessandra ihm. "Ich meine später. Doug Shaffer rief an, weil er glaubte, ihr seid schon zu Hause." Lisa entgingen die Blicke, die Alessandra und ihr Vater austauschten. "Was wollte er denn?" erkundigte sich Ralph möglichst ruhig. "Er sagte noch einmal, dass die Party um acht beginnt und er sich darauf freut, Alessandra echte australische Gastfreundschaf t zu zeigen." "Was will er tun? Rachel in ihrem Zimmer einschließen?" zischte Alessandra. "Wie bitte?" fragte Lisa verständnislos. "Alessandra und Rachel sind nicht besonders gut miteinander ausgekommen", erklärte Ralph. "Ich möchte dieser Frau ihr boshaftes Lächeln aus dem Gesicht schlagen. Was ihre unbegründeten Anschuldigungen angeht ..." Alessandra sprach nicht weiter. Unbegründet waren sie jetzt nicht mehr. "Welche Anschuldigungen?" wollte Lisa wissen. "Sie sagte..." "Du kennst doch Rachel", unterbrach Ralph Alessandra. "Klatsch ist ihr zweiter Vorname." Lachend stand Lisa auf. "Er ist ihre Leidenschaft!" Ralph kehrte sofort nach dem Abendessen in den Stall zurück, und Lisa forderte Alessandra zu einer Runde "Trivial Pursuit" heraus. Alessandra war jedoch mit ihren Gedanken ganz woanders und gab dermaßen falsche Antworten, dass Lisa vorschlug, aufzuhören und ins Bett zu gehen. "Dad wird vermutlich die ganze Nacht im Stall bleiben", sagte sie, schon auf der Treppe. Nicht die Information, die Alessandra hören wollte. Sie musste mit Ralph reden, musste herausfinden, ob er dieselben
Hoffnungen auf ihre Beziehung setzte wie sie. Ihre Hoffnungen. Du liebe Güte, noch nie hatte sie sich so verunsichert gefühlt. Wenn ihre Mutter früher gefragt hatte: "Aber willst du nicht heiraten und Kinder haben?", dann hatte Alessandra geantwortet: "Irgendwann schon, im Moment bin ich mit meinem Leben so, wie es ist, zufrieden." Sie hatte nicht gelogen. Vor fast zehn Jahren war sie aus Sydney geflohen, um Jennis Tod, die Forderungen ihrer Familie und ihre eigenen Überzeugungen in die richtige Perspektive zu rücken. Es hatte ein ganzes Jahr gedauert, sich mit den Ereignissen auseinander zusetzen, aber dann wusste sie, dass sie nicht andere, sondern sich selbst zufrieden stellen musste. Die vergangenen neun Jahre hatte sie damit verbracht, neue Länder und neue Freunde kennen zu lernen, neue Erfahrungen zu sammeln und immer wieder dazuzulernen. Wenn sie manchmal Sehnsucht nach einer Familie hatte, besuchte sie kurz ihre Eltern, Brüder und die neuen Schwägerinnen und Nichten oder Neffen. Solange sie zu Hause war, sparte sie für das nächste Flugticket. Die Erfahrungen, die sie mit anderen Kulturen gemacht hatte, waren weit wertvoller als jedes Universitätsdiplom. Sie brauchte nur eine Sicherheit: stets das zu tun, was für Alessandra Elizabeth MacKellar richtig war. Bis heute. Ein Mann namens Ralph Cameron hatte ihr gezeigt, dass sie mehr brauchte als nur ihre Freiheit und den Glauben an sich selbst. "Warum bist du nicht im Bett?" Ralph stand an den Türrahmen gelehnt und sah in schmutzigen Jeans, einem verschwitzten Hemd und mit zerzaustem Haar wundervoll aus. "Ich habe auf dich gewartet." Alessandra saß auf dem Sofa. Er ging zu ihr und legte ihr zärtlich die Hand unter das Kinn. Wie schön sie war. Wochenlang hatte ihn ihr Gesicht mit diesen großen blauen
Augen und den langen Wimpern vierundzwanzig Stunden am Tag heimgesucht, jetzt würde ihn die Erinnerung an ihren nackten Körper und den Magnolienduft verfolgen. "Ich brauche eine Dusche." "Und ich brauche dich." Bereitwillig gab sich Ralph ihrem Kuss hin und drückte Alessandra auf das Sofa. Ihr leises Stöhnen weckte seine Leidenschaft. Träge streichelte er ihren Bauch, doch als sie ihre Zunge an seinen Hals gleiten ließ, bewegte er die Hand schneller. Sein Atem ging heftig, und es fiel ihm schwer, sein Verlangen zu beherrschen. Alessandras geflüsterte Worte des Begehrens ermutigten ihn und stachelten seine Leidenschaft noch mehr an. Alessandra erschauerte, als Ralph sie unter dem Rock berührte und seine Finger an den Rand ihrer Bikinihose schob. Erregt legte sie ihm die Arme um den Nacken und bog sich Ralph einladend entgegen. Sie stöhnte lustvoll auf, als Ralph sie zwischen den Beinen liebkoste. Er löste sich so schnell von ihr, dass Alessandra zuerst dachte, jemand wäre ins Zimmer gekommen, aber sie waren allein. "Ralph?" "Tut mir leid, Alessandra." "Wie bitte?" Seine finstere Miene verriet ihr, dass seine Leidenschaft erloschen war. Sie stellte die Füße auf den Boden, ordnete ihre Kleidung und wartete auf seine Erklärung. Ihr stockte der Atem, denn sein Gesicht drückte Widerwillen und gleich darauf unterdrückte Wut aus. Weshalb reagierte er so? "Sieh mich nicht so an", sagte er. "Wie sehe ich dich denn an?" "Als ob du nicht wüsstest, um welches Problem es hier geht." "Mir war nicht bewusst, dass es eins gibt." "Was heute Nachmittag passiert ist, war unvermeidlich. Und es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht zu dir hingezogen fühle."
"Aber ...", flüsterte Alessandra und gab ihm das Stichwort, weiterzusprechen, obwohl sie nichts mehr hören wollte. "Aber ich bin kein Heuchler. Ich kann nicht Lisa Vorträge über die Oberflächlichkeit rein körperlicher Beziehungen halten, während ich selbst eine Affäre habe." Alessandra wollte aus dem Zimmer laufen, konnte sich jedoch nicht von der Stelle rühren. Der Versuch, seine Stimme einfach auszublenden, indem sie sich völlig auf ihre Atmung konzentrierte, scheiterte ebenfalls. "Anders als du bin ich nicht an flüchtige Abenteuer gewöhnt. Und obwohl ich dafür war, dass du bis zur Rückkehr von Mrs. Wilcox bleibst, halte ich es unter den gegebenen Umständen für besser, wenn du gehen würdest. Natürlich gebe ich dir gern eine Empfehlung mit, und aufgrund deiner Fähigkeiten müsstest du mühelos einen anderen Job finden." Oberflächlich .... rein körperlich ... flüchtige Abenteuer. Die Worte "Schlampe" und "Flittchen" hat er gerade noch vermieden, dachte Alessandra wütend. Erwartete er wirklich, dass er sie so einfach loswurde? Mit einer Empfehlung von ihm, dass sie gut in ihrem Job war? Vielleicht erwähnte er nicht einmal ihr Können als Buchhalterin, sondern nur, dass sie leicht zu haben war! Sie stand auf und lachte. Es klang fast echt. "Hör zu, Ralph, du hast mich für drei Monate eingestellt. Wenn du mich entlassen willst, dann sag es, aber glaube picht, dass ich eine gutbezahlte Arbeit aufgebe, nur weil du Probleme mit deinem Gefühlsleben hast! Wenn das, was zwischen uns passiert ist, so oberflächlich war, warum machst du dann solch ein Theater deswegen? Ich..." "Alessan ..." "Ich kann meinen Sexualtrieb sehr gut beherrschen, und wenn du es nicht kannst, musst du mir kündigen. Denn ich werde es nicht tun!" "Alessandra? Hörst du mir zu?"
Lisas Stimme machte Alessandra wieder bewusst, dass sie im Wartezimmer der Ärztin saß. "Was? Oh, entschuldige. Ist alles gutgegangen?" Sie wusste, dass das junge Mädchen nervös gewesen war. "Ja. Ich habe ein Rezept." "Dann lass uns gehen. Willst du noch einkaufen?" "Nur in die Apotheke." "Schön, dann erledigen wir das und trinken danach noch irgendwo eine Tasse Kaffee, bevor wir zur Ranch zurückfahren." Der Cappuccino erinnerte Alessandra an den Coffee-Shop, den ihre Mutter und sie oft besuchten, wenn sie in Sydney war. In den vergangenen zwei Tagen hatte Alessandra mehrmals an Sydney gedacht, und ihr war auch klargeworden, warum. Sie brauchte jetzt den beruhigenden Gedanken daran, dass sie trotz ihrer Reisen ein Zuhause hatte und "Rough Rivers" und Ralph Cameron bald nur noch Erinnerungen sein würden. Zumindest hoffte sie das. "Wie schade, dass du neulich Abend nicht zur Party der Shaffers gehen konntest. Ich habe gehört, sie soll ziemlich ausgelassen gewesen sein", bemerkte Lisa. "Wirklich? Hat dein Vater dir das erzählt?" "Nein. Dad nörgelt und murrt doch neuerdings jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht. Kommen auch Männer in die Wechseljahre?" Alessandra verschluckte sich und hustete heftig. Als sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, tränten ihr die Augen. "Alles in Ordnung?" Lisa klopfte ihr auf den Rücken. "Lisa, warn mich, bevor du solche Fragen stellst." "Entschuldige." "Dein Vater ist achtunddreißig. Ich weiß nicht genau, ob es eine männliche Entsprechung der Wechseljahre gibt, aber selbst wenn, ist Ralph wohl ein bisschen zu jung dafür."
"Nun, jedenfalls benimmt er sich merkwürdig. Am Samstag Abend ertappte er Todd und mich beim Küssen auf der Veranda und sagte kein Wort. Nicht einmal später, als ich ins Haus kam." "Wer im Glashaus sitzt..." "Was?" "Nichts, Lisa. Wahrscheinlich ist ihm klargeworden, dass du alt genug bist, um deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich finde wirklich, du solltest ihm sagen, dass du die Pille nimmst." "Kommt nicht in Frage!" Alessandra fand, dass es klüger war, das Thema eine Weile ruhen zu lassen. "Trink deinen Kaffee aus, dann fahren wir los." Es regnete noch immer in Strömen. Alessandra beugte sich tiefer über Pewters Hals. Jim hatte gesagt, sie solle bei schlechtem Wetter zu der alten Hütte reiten und dort das Schlimmste abwarten. Alessandra argwöhnte jedoch, dass „das Schlimmste" schon vorbei sein würde, wenn sie dort ankäme. Sie war bis auf die Haut durchnässt, und die Schnittwunden an ihren Händen trugen auch nicht gerade zu ihrem Wohlbefinden bei. Seit Mittag hatten Dune, einer der jüngeren Rancharbeiter, und Alessandra die Zäune im äußersten Norden repariert. Dabei hatte sich Dune an dem rostigen Draht die Hand aufgerissen. Jetzt wusste Alessandra, dass es klüger gewesen wäre, mit ihm zurückzureiten, dann wäre sie wahrscheinlich noch vor dem Gewitter zu Hause angekommen. Aber sie hatte das Gefühl gehabt, dass Ralph nur darauf wartete, dass sie bei der Arbeit nachlässig war, um einen Grund für die Kündigung zu haben. Deshalb hatte sie versucht, den letzten Zaun allein zu reparieren. Dumm, weil Jim ein Unwetter vorhergesagt hatte, und er irrte sich fast nie. Hoffentlich traf das auch auf seine Anweisungen zu! Wie weit war es denn noch bis zu dieser verdammten Hütte?
Als hätten ihre Gedanken es heraufbeschworen, erschienen links von ihr die schwachen Umrisse eines Gebäudes. "Eine Arche wäre vielleicht passender, nicht wahr, Pewter?" sagte Alessandra zu dem nassen Pferd, stieg aus dem Sattel und band die Zügel an einen Pfosten der verwitterten Veranda. Daraufhin betrat sie die baufällige Hütte. Es gab nur einen Raum mit einem schäbigen Bett, dessen Matratze den Namen kaum noch verdiente, einem schief stehenden Tisch, drei klapprigen Stühlen, einem rußgeschwärzten Kamin und einem kleinen Schrank ohne Türen. Über allem lag eine dicke Staubschicht. Alessandra ermahnte sich, nicht undankbar zu sein, immerhin bot ihr die Hütte Schutz. Zwei Stunden später hatte der Regen noch immer nicht nachgelassen. Alessandra musste sich entscheiden. Entweder blieb sie bis zum nächsten Morgen und ertrug ihren Hunger, oder sie ritt los, bevor es zu dunkel wurde. Nachdem sie zehn Minuten geritten war, fand sie ihre Entscheidung nicht mehr so klug, denn Unbehagen und Müdigkeit waren nun stärker als ihr Verlangen nach Essen. Wieder verwünschte Alessandra ihren Stolz und ihre Halsstarrigkeit. Warum war es ihr so wichtig erschienen, den Zaun allein auszubessern? Wenn sie mit einer Lungenentzündung zurückkam, würde Ralph Cameron das ebenso ausnutzen. Sogar noch mehr! Sie konnte sich sein Gesicht nur allzu gut vorstellen! O großartig! Am liebsten wäre sie im Boden versunken. Sie hielt das Pferd an und wartete, bis Ralph neben ihr war. "Hat Jim dir nicht gesagt, du sollst in der alten Siedlerhütte warten?" "Bis in alle Ewigkeit hat er ja wohl nicht gemeint." Alessandra ärgerte sich, weil sie so erleichtert war, Ralph zu sehen.
Mehrere Minuten lang saßen sie beide im Regen auf ihren Pferden und blickten sich abschätzend an, dann ließ ein Donner Ralph handeln. "Los, wir reiten zurück zur Hütte", befahl er. "Hier im Regen zu sitzen lässt deine Fehler nur weniger dumm erscheinen." "Niemand hat dich gebeten hierher zukommen", fauchte Alessandra, folgte ihm aber. "Ha! Das glaubst du!" rief Ralph über die Schulter. "Jim wollte schon eine Rettungsmannschaft losschicken, und Marilyn und Lisa hätten mich umgebracht, wenn ich dich hier draußen allein gelassen hätte." "Marilyn?" Alessandra ritt schneller, bis sie neben ihm war. "Ja. Meine große Schwester hat für einen ,Kurzbesuch' die weite Reise von Kalifornien hierher gemacht!" "Wie schön!" rief Alessandra. "Ich habe die Zeit mit ihr in Los Angeles wirklich genossen. Deine Schwester ist eine wundervolle Frau." Ralph blickte in Alessandras strahlendes Gesicht, das von ihrem schäbigen Hut halb beschattet war. Wasser tropfte von der Krempe. Alessandras Lächeln stand in einem solchen Kontrast zu ihrer durchnässten Erscheinung, dass er unwillkürlich schmunzelte. "Ich bin neuerdings von ihnen umgeben." Ihr Herz schlug schneller. Er konnte nur meinen, dass er sie, Alessandra, auch für eine wundervolle Frau hielt. Doch schon presste er die Lippen zusammen, als bereute er seine Bemerkung. Alessandra fröstelte wieder, aber nicht, weil sie nass war. In der Hütte verhielt sich Ralph kühl und sachlich. Er warf Alessandra eine große Plastiktüte zu. "Trockene Sachen für dich. Lisa hat sie eingepackt." "Danke." "In der Thermoskanne ist Kaffee, mit Grüßen von Marilyn. Schenk uns ein. Ich mache inzwischen Feuer."
Normalerweise hätte Alessandra mit Sarkasmus auf Ralphs schroffe Befehle reagiert, doch sie war zu dankbar für seine Gegenwart und den heißen Kaffee. "Das kannst du vergessen, ich habe keine Streichhölzer gefunden." Die Worte waren gerade heraus, als er eins anzündete. "Warst du Pfadfinder?" neckte sie ihn und reichte ihm seinen Kaffee. Ralph setzte sich auf die Fersen und fachte die noch kleine Flamme im Kamin an. "Es ist gesunder Menschenverstand, hier draußen Streichhölzer bei sich zu haben." Er nahm die gefüllte Tasse. "Danke. Um Himmels willen, deine Hände!" Sie blickte hinunter auf die Schrammen und das getrocknete Blut. Ihre Hände sahen schrecklich aus, aber wenigstens hatte das Brennen beinahe aufgehört. Sie trat zurück, denn seine Berührung war wie ein Stromschlag. "Meine Güte, Alessandra! Warum hast du keine Handschuhe getragen?" "Ich habe sie neulich verloren. Diese Woche wollte ich mir in der Stadt neue kaufen. Es ist nicht weiter schlimm. Außerdem geht es Dune viel schlechter als mir, und er hatte Handschuhe an." "Du hättest dir auf der Ranch welche leihen sollen." "Die wären zehn Nummern zu groß gewesen. Wenn du nicht auf das Feuer aufpasst, wird es ausgehen", lenkte Alessandra ihn erfolgreich ab. Hinter ihm stehend, konnte sie beobachten, wie sich der weiche Stoff seines Hemds über dem muskulösen Rücken spannte. Ralph hatte einen herrlichen Körper, und sie sehnte sich danach, ihn überall zu berühren. Es war nicht fair, dass sie sich so stark zu einem Mann hingezogen fühlte, der so eine geringe Meinung von ihr hatte. Alessandra hatte sich nie für Gottes Geschenk an die Männer gehalten, und Ablehnung hatte sie bisher nie gestört. Wenn jemand sie nicht mochte, war das sein Problem, nicht ihres. Doch plötzlich war ihr nichts wichtiger als Ralph Camerons Anerkennung.
"Trockne dich ab und zieh dich um. Ich warte auf der Veranda." Seine Worte rissen sie aus ihren Gedanken "Und du?" "Wenn du fertig bist, trockne ich mich vor dem Kamin. Danach essen wir, und mit Glück hat es sich dann so weit aufgeklart, dass wir nach Hause reiten können." "Und wenn wir Pech haben?" fragte Alessandra mit einem verstohlenen Blick auf das einzige Bett in der Hütte. "Ich habe einen Schlaf sack und eine Decke dabei." "Oh." "Alessandra, mach keinen Ärger. Beeil dich einfach." Ralph schlug die Tür hinter sich zu.
6. KAPITEL Ralph saß vor dem Kamin und blickte abwechselnd in das Feuer und in seine Kaffeetasse. Alessandra reichte es jetzt. "Willst du mich mit dem Schweigen bestrafen, weil du mich retten musstest?" Er schaute sie an und konnte das Lächeln nicht ganz unterdrücken. "Eigentlich war ich nur neugierig, wie lange du es, ohne zu reden, aushältst." Er sah auf seine Uhr. "Dreizehn Minuten, zwanzig Sekunden. Ist das ein Rekord?" "Sehr witzig! Ich kann stundenlang schweigen ... wenn ich schlafe." "Bist du sicher?" "Völlig." Ralph sah Alessandra an, dass sie einen Moment lang mit ihren Gedanken woanders war. "Was ist so lustig?" fragte er, als sie lächelte, aber sie tat ihre Überlegungen mit einem Kopfschütteln ab. "Sag schon." "Meine älteren Brüder haben früher oft im Schlaf gesprochen. Mit zwölf Jahren habe ich mich oft mit einem Kassettenrecorder in ihre Zimmer geschlichen. Ich hoffte, eine schlüpfrige Information aufzunehmen, mit denen ich meine Brüder erpressen konnte." "Nettes Kind." "Wozu hat man eine Schwester?" sagte Alessandra unschuldig.
"Und wenn sie dasselbe mit dir gemacht hätten?" Sie lachte triumphierend. "Unmöglich. Ich spreche nie im Schlaf. Meine Eltern zogen die Jungen immer damit auf, mich nie. Vielleicht vererbt es sich nur bei den Männern in meiner Familie." "Wahrscheinlicher ist, dass deine Brüder mit dir im Haus wach nie zu Wort gekommen sind." Alessandra streckte ihm die Zunge heraus. "Das haben sie auch immer behauptet." "Und ich glaube es ihnen", neckte Ralph sie. "Erzähl mir von deiner Familie. Verstehst du dich gut mit deinen Eltern und Brüdern?" "Natürlich. Warum fragst du das?" "Ich kann nicht begreifen, dass jemand seine Familie verlässt, um allein in der Welt herumzureisen." Ralph sah den schmerzlichen Ausdruck in Alessandras Gesicht und sagte mitfühlend: "Komm, lass uns über etwas anderes reden." "Nein, das Thema ist nicht tabu. Ich liebe meine Familie und glaube, dass sie mich auch lieben. Es ist nur so, dass ich nicht ganz so geworden bin, wie es sich meine Eltern gewünscht hatten." "Aha! Eine Rebellin haben sie nicht erwartet." Alessandra lachte. "Ich war schon immer ein bisschen wild, bestimmt deshalb, weil ich mit fünf Brüdern aufgewachsen bin. Aber schlimmer als sie war ich auch nicht. Nur führen sie jetzt ein normales Leben, während ich eine ‚unverbesserliche Zigeunerin' geworden bin, wie mein Väter immer sagt." "Warum?" "Warum nicht?" Ralph spürte, dass sie die Gründe nicht nennen wollte, aber bevor er hartnäckig nachfragen konnte, sprach sie schon weiter. "Trotz meines Lebensstils stehen wir uns alle sehr nahe, und manchmal vermisse ich den Rat meiner Brüder, obwohl ich das ihnen gegenüber niemals zugeben würde."
"Du würdest auf das, was sie sagen, meistens doch nicht hören", neckte Ralph sie. "Also, das kann ich mir gar nicht vorstellen", erwiderte Alessandra gespielt unschuldig. "Welcher deiner Brüder ist mit Marilyns Freundin verheiratet?" "Greg. Er und Lacey lieben sich wahnsinnig." Alessandra strahlte. Ralph musste plötzlich gegen den übermächtigen Wunsch ankämpfen, sie in die Arme zu ziehen. Statt dessen ermunterte er sie, ihm von ihren anderen Brüdern zu erzählen. Und irgendwann, bevor es ihm richtig bewusst wurde, stellte sie ihm Fragen, die er eigentlich nicht beantworten wollte. Warum nicht, konnte er selbst nicht sagen. "Wie war Lisas Mutter?" Ralph stand unvermittelt auf und stellte sich vor den Kamin, als brauchte er den Abstand zwischen sich und Alessandra, Es verletzte sie, auch wenn sie sich das nicht eingestehen mochte. Offensichtlich schmerzte ihn die Erinnerung an seine Frau immer noch. Er musste sie sehr geliebt haben, und Alessandra verurteilte sich dafür, auf die tote Frau eifersüchtig zu sein. Mit angespannter, leiser Stimme antwortete er schließlich: "Kathleen war sogar noch schöner als Lisa. Sie hatte eine sehr helle, fast durchscheinende Haut und große mandelförmige Augen. Selbst wenn sie traurig oder krank war, verloren ihre Augen nie ihren Glanz." Ralph lächelte zärtlich. "Kathleen war fünfzehn, als ich sie auf der Hochzeit eines Cousins kennen lernte. Bis zu diesem Moment hatte ich nie für möglich gehalten, dass es ein so schönes, elegantes Mädchen überhaupt geben könnte. Als offensichtlich wurde, dass sie mich auch mochte, war ich unglaublich stolz."
So neugierig Alessandra vorher gewesen war, wünschte sie jetzt, Ralph würde den Mund halten! Ihn so liebevoll von einer anderen Frau sprechen zu hören war eine unerträgliche Qual. "Kathleens Eltern ve rsuchten alles, aber sie konnten uns nicht auseinanderbringen." Ralph ging jetzt im Raum hin und her, ohne Alessandra ein einziges Mal anzuschauen. Er sprach mehr zu sich selbst als zu ihr, versunken in seinen Erinnerungen. Selten zuvor hatte sich Alessandra so allein gefühlt. "Nur wenige Wochen vor unserer Hochzeit starb mein Onkel und hinterließ mir die Ranch, deshalb hatte ich keine Zeit für Flitterwochen. Kathleens Eltern schenkten uns eine zweiwöchige Reise nach Hawaii, aber es war für mich unmöglich, wegzufahren." Einen Moment schwieg er. Noch nie hatte Alessandra ihn so verzweifelt gesehen. "Kathleen hatte immer davon geträumt, nach Hawaii zu fahren, nur deshalb hatte ich meinen Stolz überwunden und das teure Geschenk ihrer Eltern angenommen. Aber ich hatte auf der Ranch zuviel Arbeit und wollte meine Zeit nicht mit Sonnenbaden verschwenden. Ich versprach Kathleen, wir würden im nächsten Jahr hinfahren." Ralph blickte Alessandra an. "Du bist schon dort gewesen. Wie ist es?" "Ihr seid nie hingekommen?" Er schüttelte den Köpf. "Kathleen starb, bevor ich mein Versprechen erfüllen konnte." "Es tut mir leid", sagte Alessandra leise. "Ja. Mir auch." Ein drückendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Alessandra kämpfte gegen die Tränen an. War sie seinetwegen so traurig oder ihretwegen? Oder berührte sie der Tod einer schönen jungen Frau? Alessandra war nicht sicher, und sie wollte nicht länger darüber nachdenken. "Ich brauche frische Luft."
An diesem Abend waren die Sterne hinter dichten Wolken verborgen, und es regnete. Alessandra setzte sich auf die alte Holzveranda und zog die Knie an die Brust. Wie ist Ralph wohl vor dem Tod seiner Frau gewesen? überlegte Alessandra. Jemanden zu verlieren, den man liebte, war eine schmerzliche Erfahrung. Alessandra wusste, dass es noch schwerer war, sich damit abzufinden, wenn der Tod ohne Vorwarnung ein noch junges Leben auslöschte. Der tragische Tod ihrer besten Freundin, Jenni, hatte ihre Lebenseinstellung und Wertvorstellungen verändert. Welche Auswirkungen hatte der Verlust der geliebten Frau auf Ralphs Persönlichkeit gehabt? Spielte es eine Rolle? Würde es die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, mindern? Alessandra lächelte unwillkürlich über diese dummen Gedanken. Nichts könnte das! Sie war besessen von diesem Mann! Früher hatte Alessandra Frauen verachtet, die ihre Seele verkaufen würden, um den geliebten Mann an sich zu binden, jetzt befürchtete sie, selbst soweit zu sein. Die Vorstellung entsetzte und entzückte sie zugleich. Wann immer sie sich ihr Liebesspiel ins Gedächtnis rief mindestens ein Dutzend Mal am Tag und noch öfter in der Nacht - wurde sie verzehrt von einer leidenschaftlichen Glückseligkeit, die sich in Wut verwandelte, sobald ihr die Bemerkungen einfielen, die er nur Stunden danach darüber gemacht hatte. Selbst wenn es ihr gelang, seine Meinung von ihr zu ändern, wie sollte sie gegen eine tote Frau kämpfen? Alessandra wich nie einer Auseinandersetzung aus, aber jetzt, da sie wusste, wie stark Ralphs Liebe zu Kathleen immer noch war, sah sie kaum eine Chance. "Ich habe frischen Kaffee gemacht. Interessiert?" Ralph hatte sie erschreckt, aber Alessandra fing sich schnell und stand auf. "Ja."
"Das überrascht mich nicht, es ist jetzt kühl hier draußen." Er blickte hoch zum Himmel. "Kein Anzeiche n für eine Wetteränderung." "Noch nicht." Alessandra stellte sich neben ihn. "Ich ... danke, dass du mir nachgeritten bist, Ralph. Ich weiß, du hättest es nicht zu tun brauchen..." "Ach nein?" Er sah ihr in die Augen. Er war schon in der Hütte, als ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde. Ralph wollte sie, aber er wollte sie auch wieder nicht. Ralph saß am Tisch, als Alessandra den Raum betrat. Sie stellte sich vor das Feuer. "Ah, diese Wärme tut gut!" sagte sie seufzend. "Hier oben muss ich mich manchma l daran erinnern, dass Sommer ist." "Beklag dich nicht, bevor du nicht einen Winter in WestTexas erlebt hast", erwiderte Ralph. "Wohin willst du, wenn du von hier fortgehst?" Alessandra drehte sich zu ihm um. "Darüber habe ich noch nicht gründlich nachgedacht. Vielleicht Neuseeland. Ich würde dort gern auf einem Gestüt arbeiten. Aber es wird mir nicht leicht fallen, abzureisen." "Ich weiß, was du meinst. Dieses Fleckchen Erde hat etwas, woran man sein Herz verliert." "Vielleicht sind es die Menschen", sagte Alessandra leise. Ihre Blicke trafen sich. Du liebe Güte, Ralph brauchte sie nur anzusehen, und ihr wurde heiß. Doch sie wusste, dass ihre Gefühle für ihn über reines Verlangen hinausgingen. Seit wann genau sie mehr für ihn empfand als nur körperliches Begehren, konnte sie nicht sagen, aber es war so. Und ohne zu kämpfen, würde sie nicht aufgeben. "Trink deinen Kaffee aus, wir reiten." Seine barschen Worte rissen sie aus ihren Gedanken. Er packte bereits seine Ausrüstung ein. "Es regnet doch noch." "Der Regen lässt nach."
"Es schüttet wie aus Eimern!" "Alessandra ... ich bin nicht in der Stimmung, darüber zu diskutieren", warnte Ralph sie. "Ich aber! Bei diesem Wetter reite ich nicht los!" "Doch." "Kommt nicht in Frage!" Ralph beachtete sie nicht und bega nn, das Feuer auszumachen. "Lass das!" Alessandra schlug ihn auf den Arm. Er sprang hoch und packte sie an den Schultern. "Sei vernünftig, Alessandra! Wir können nicht hier bleiben." "Warum nicht? Da steht ein Bett..." "Genau!" unterbrach er sie rau. "Und deshalb machen wir den Klatschbasen ein Geschenk, wenn wir hier übernachten." "Ich soll eine Lungenentzündung riskieren, um deinen guten Ruf zu retten?" Alessandra versuchte, sich zu befreien, indem sie die Hände gegen seine Brust stemmte. "Es ist nicht mein Ruf, der mir Sorgen bereitet." Ralph ließ sie nicht los. Alessandra spürte seinen schnellen Herzschlag unter ihren Handflächen. "Du machst dir meinetwegen Gedanken?" "In letzter Zeit tue ich fast nichts anderes", erwiderte Ralph und schaute ihr in die Augen. "Die meiste Zeit verbringst du damit, mir aus dem Weg zu gehen." "Das auch", gab er zu. "Warum?" Alessandra fasste ihn an den Hüften und bog sich ihm entgegen. Sogar durch seine und ihre Jeans spürte sie seine Erregung. "Muss ich darauf noch antworten?" sagte er leise. Sie schüttelte den Kopf, dann drückte sie das Gesicht an seine Brust. "Alessandra?"
"Ich verstehe nicht, warum du so dagegen ankämpfst." Sein Hemd dämpfte ihre Stimme, doch die Verzweiflung, die in ihren Worten mitschwang, war offenkund ig. "Im Moment tue ich es nicht." "Du..." Ralph zog sie noch fester an sich und küsste sie. Nichts außer seiner Nähe berührte noch ihre Sinne, und Alessandra legte die Arme um seinen Nacken und erwiderte leidenschaftlich den Kuss. Hitze breitete sich überall dort aus, wo Ralph sie berührte, und ihre Knie drohten nachzugeben. Als er die Hände unter ihre Bluse gleiten ließ und ihre schon hartgewordenen Brustspitzen streichelte, stöhnte sie auf. Doch sie sehnte sich nach mehr. Verlangend presste sie sich an ihn. "Langsam, mein Liebling ..." "Es geht mir jetzt schon zu langsam!" Alessandra griff nach seiner Gürtelschnalle. Ralph war nicht in der Verfassung zu widersprechen, und zog sich hastig selbst aus, ohne den Blick von Alessandra abzuwenden, die sich ebenso schnell entkleidete. Wieder staunte er über die Vollkommenheit ihres Körpers, der so gar nicht zu dem zähen, hart arbeitenden Cowgirl zu passen schien. Ehrfürchtig küsste er ihre Brustspitzen, bevor er sich hinkniete und ihren Bauch mit Küssen bedeckte. Als er seinen Mund tiefer gleiten ließ, hielt Alessandra ihn auf. "Wenn du das tust, falle ich um", flüsterte sie. "Ich kann jetzt schon kaum noch stehen." Ralph hob sie auf die Arme und trug sie zum Bett. Einen Arm um ihre Taille, griff er mit der freien Hand nach der sauberen Decke, die er mitgebracht hatte, und warf sie über die alte Matratze, dann drückte er Alessandra auf das Bett und beugte sich über sie. "O Alessandra", sagte er seufzend. "Bei dir habe ich keine Kontrolle über mich."
"Gut." Sie zog seinen Kopf zu sich hinunter. "Weil ich auch keine Selbstbeherrschung habe, wenn ich in deiner Nähe bin." Beide wurden von einer so heftigen Leidenschaft verzehrt, wie Alessandra es nicht erwartet hatte, und Ralphs besitzergreifende Liebkosungen erregten sie noch mehr. Als er aufhörte, sie mit der Hand zwischen den Beinen zu streicheln, und sie statt dessen dort küsste, schrie Alessandra lustvoll auf. Wellen der Erregung durchströmten sie mit solcher Kraft, dass sie sicher war, es nicht länger ertragen zu können. "Ralph ... ich kann es nicht mehr ... Ralph!" Alessandra bog sich ihm entgegen und spürte im nächsten Moment, wie er kraftvoll in sie eindrang. Als sie gemeinsam den Gipfel der Lust erreichten, rief er mehrmals stöhnend ihren Namen. Alessandra wachte auf und sah Ralph lächeln. Sofort wusste sie, dass sie für den Rest ihres Lebens jeden Tag neben ihm aufwachen wollte. "Du tust es nicht", sagte er und küsste sie auf die Nasenspitze. "Was?" "Im Schlaf sprechen." "Du hast mich die ganze Zeit beobachtet, nur um festzustellen, ob ich im Schlaf spreche?" "Nein. Weil ich mich an dir nicht satt sehen konnte." Seine Lippen waren warm, aber viel zu schnell beendete er den Kuss. Protestierend legte Alessandra ihm die Arme um den Nacken, doch Ralph schüttelte lächelnd den Kopf. "Es hat vor einer halben Stunde aufgehört zu regnen, wir reiten besser los." "Du machst Witze! Es ist ..." Sie sah auf ihre Armbanduhr. "... Viertel nach zehn!" "Um Mitternacht, spätestens um halb eins sind wir da."
"Ach, ich weiß nicht." Sie rollte sich auf ihn und rieb ihr Gesicht an seiner Brust. "Ich finde, wir sollten mindestens bis nach dem Frühstück warten." "Alessandra, nein. Wir müssen losreiten." Sein Körper sagte ihr etwas anderes. "Warum? Lisa ist doch nicht allein. Marilyn ist bei ihr." "Genau. Auf die forschenden Blicke und plumpen Ehevermittlungsversuche meiner Schwester kann ich gut verzichten." "Sei nicht albern. Marilyn ist zu emanzipiert, um so etwas zu tun." "Nicht, wenn es um mich geht." Ralph stand auf und hob seine Sachen auf. "Du bist ja verrückt." "Vielleicht, aber ich weiß, dass meine Schwester mich wieder verheiratet sehen möchte. Aber da mache ich nicht mit." Als Alessandra aus der Hütte trat, hatte Ralph schon die Pferde gesattelt. Ein Blick zum sternenklaren Himmel sagte ihr, dass sich ihr Wunsch nach einer Rückkehr des Unwetters nicht erfüllt hatte. Ralph saß bereits auf seinem Pferd. Als Alessandra auf Pewter aufsitzen wollte, hinderte er sie daran. "Steig vor mir auf." Sie wunderte sich über seine zärtliche Stimme. "Wird Marilyn nicht vielsagend die Augenbrauen hochziehen, wenn wir beide auf einem Pferd ankommen?" neckte sie ihn. "Pewter lahmt ein bisschen, findest du nicht auch?" Alessandra schaute auf den völlig gesunden Wallach. "Schwer zu sagen, aber gehen wir besser kein Risiko ein." Sie hob die Hand und ließ sich von Ralph hochziehen. Kurz nach Mitternacht ritten sie auf den Hof. Nur die Außenbeleuchtungen der verschiedenen Schuppen brannten. Ralph hielt sein Pferd fünfzehn Meter von der Veranda entfernt
an. Sie waren den ganzen Weg schweigend, aber fest aneinandergeschmiegt geritten. Jedes Mal, wenn Alessandra sprechen wollte, hatte Ralph einen leichten Druck mit dem Arm ausgeübt, als könnte er ihre Gedanken lesen und würde sie bitten, nicht die Frage zu stellen, die sie am meisten beschäftigte: Wie ging es nach diesem Abend weiter? Jetzt wandte Alessandra den Kopf und drückte ihr Gesicht an seinen Hals. Die Berührung machte sie fast benommen. "Ich kümmere mich um die Pferde, lauf du ins Haus und dusch heiß." "Der Ritt ist vorbei, nicht wahr?" Ihre hoffnungsvolle und zugleich bedauernde Frage blieb unbeantwortet. Alessandra beugte den Kopf zurück, um sich von Ralph küssen zu lassen. Etwas zögernd kam er ihrer Aufforderung nach. Dann aber küsste er sie leidenschaftlich. Ralphs leises Seufzen, als er sich von ihr löste, tröstete sie. "Gute Nacht, Alessandra." "Sie könnte noch besser werden", flüsterte sie und strich mit dem Finger über seine Lippen. Die Versuchung, Alessandra mit in den Stall zu nehmen und sie die ganze Nacht im Heu zu lieben, war groß. Aber der Schock über die Empfindungen, die sie in ihm weckte, war noch nicht überwunden. Ralph traute ihnen nicht. Seit er erwachsen war, hatte er immer die Kontrolle über seine Gefühle gehabt, und jetzt hatte eine weißblonde Australierin ihn bis ins Innerste aufgewühlt. Er verstand einfach nicht, warum Alessandra ihm so unter die Haut ging. Sie war doch gar nicht sein Typ. Aber je besser er sie kennen lernte, desto stärker wurde ihre Anziehungskraft. Ralph schloss die Augen, um nicht Alessandras leichtgeöffneten Mund und ihren sehnsüchtigen Blick sehen zu müssen. "Spring ab. Bis morgen dann." Laut seufzend, gehorchte Alessandra.
7. KAPITEL "Aufwachen!" Eine vertraute Stimme und der aromatische Duft von Tee weckten Alessandra. Sie blinzelte mehrmals, bevor sich ihre Augen an den strahlenden Sonnenschein gewöhnt hatten, dann richtete sich ihr Blick auf die schlanke Brünette mit einem Frühstückstablett in den Händen. "Marilyn!" rief Alessandra und setzte sich auf. "Nun, du siehst ziemlich gesund aus." Marilyn musterte Alessandra eingehend, bevor sie das Tablett auf den Nachttisch stellte. "Aus dieser fürsorglichen Behandlung schließe ich, dass du mich an der Schwelle des Grabes vorzufinden glaubtest." "Jeder, der dumm genug ist, nachts bei strömendem Regen fast zwei Stunden zu reiten, verdient es, dort zu sein", schalt Marilyn. Sie reichte Alessandra eine Tasse Tee und schenkte sich selbst eine ein. "Es hatte aufgehört, als wir die Hütte verließen." "Ihr hättet dort übernachten sollen." Alessandra zuckte die Schultern. "Ralph wollte nach Hause. Er ist der Boss." "Hm. Wie ist der Job als seine Buchhalterin?" "Gut. Viel ist nicht zu tun, deshalb habe ich Ralph überredet, mich auch draußen mit seinen Männern arbeiten zu lassen. Was
ich am liebsten jeden Tag machen würde." Alessandra lächelte, weil Marilyn sie wieder forschend ansah. "Wie findest du meinen Bruder?" Alessandra setzte eine ausdruckslose Miene auf. "Für gewöhnlich frage ich Jim. Er weiß immer, wo der Boss ist." "Ich meinte, wie du mit meinem Bruder auskommst." "Ach so. Gut. Er ist ein anständiger Arbeitgeber." "Bist du absichtlich begriffsstutzig, oder bin ich zu taktvoll?" fragte Marilyn argwöhnisch. "Du und taktvoll? Hör auf, keine von uns kennt die Bedeutung des Wortes." "Stimmt. Also weichst du mir entweder aus oder ..." "Oder du bist zu neugierig. Danke für den Tee, aber jetzt muss ich zur Arbeit." "Nein. Dein ‚Arbeitgeber' sagte, du könntest den Tag freihaben", entgegnete Marilyn. "Die Männer werden denken, ich erhalte eine Sonderbehandlung, weil ich eine Frau bin!" "Du meinst, er gibt nicht allen seinen Angestellten einen Tag Urlaub, wenn sie einmal ein bisschen spät ins Bett gekommen sind?" erkundigte sich Marilyn erstaunt. Alessandra warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Ralph hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, um die Phantasie seiner Schwester anzuregen. Ihr, Alessandra, war es egal, wer von Ralph und ihr wusste, sie hätte sogar gern eine Mitwisserin gehabt, mit der sie über sich und Ralph hätte reden können. Wäre der betreffende Mann nicht Ralph Gameron, hätte sie Marilyn ihr Herz ausgeschüttet. "Willst du darüber sprechen?" fragte Marilyn. "Worüber?" "Über das, was dich im Moment ziemlich beschäftigt." Alessandra lächelte. "Nein, vielleicht später einmal.“ Ralph beobachtete, wie Alessandra zielstrebig über den Hof auf ihn zukam. Am Tor des Maschinenschuppens lehnend,
erfreute er sich an ihrem geschmeidigen Gang, obwohl er den Anblick noch mehr genoss, wenn er hinter ihr herging, Er sah ihr an, dass sie wütend war. Zum erstenmal seit ihrem Aufenthalt vor fünf Tagen in der Hütte würden sie gleich allein sein, und er wollte die Gelegenheit nicht mit Streit verderben. "Ich habe ein Hühnchen mit dir zu rupfen", verkündete Alessandra, als sie sich ihm bis auf drei Meter genähert hatte. "So? Ich habe eher den Eindruck, du möchtest mich rupfen." "Führe mich nicht in Versuchung. Warum teilst du mir leichte Aufgaben zu?" "Wie bitte?" fragte Ralph verblüfft. "Seit Montag gibt mir Jim, nur noch unwichtige Arbeiten." "Auf einer Ranch dieser Größe ist jede Tätigkeit wichtig, Alessandra." "Ach, wirklich? Das Überprüfen der Kühler und Reifen aller Ranchfahrzeuge ist dermaßen wichtig, dass einer deiner besten Cowboys einen ganzen Tag damit verbringen muss?" "Jim hat die Wagen kontrolliert?" fragte Ralph gespielt erstaunt. "Ich meine mich, wie du sehr wohl weißt! Warum denkst du dir unnötige Aufgaben für mich aus, anstatt mich draußen bei den Rindern oder Zäunen zu beschäftigen?" Ralph nahm ihre Hände in seine und untersuchte sie. "Die Wunden sind verheilt!" Alessandra bemühte sich, die durch seine Berührung ausgelöste Hitze in ihrem Körper nicht zu beachten, und versuchte halbherzig, ihm die Hände zu entziehen. Aber Ralph ließ sie nicht los und streichelte mit den Daumen ihre Handgelenke. "Du weichst meiner Frage aus", flüsterte sie. "Ja." Ralph zog sie an sich und küsste sie. Nach Tagen und Nächten der Enthaltsamkeit erregte sein Kuss sie sofort. Hingebungsvoll schmiegte sie sich an Ralph und gab sich den lustvollen Gefühlen hin. Ihm so nah zu sein war
wundervoll, denn tagelang hatte sie sich nach seinen Liebkosungen gesehnt. Gleichzeitig war es schrecklich, weil sie im Haus zum Abendessen erwartet wurden und nicht weitermachen konnten. Stöhnend löste Ralph sich von ihr. "Ich habe die ganze Zeit, seit wir in der Hütte waren, nur daran gedacht, das zu tun." "Wirklich? Mir ist es kein einziges Mal in den Sinn gekommen." "Lügnerin." Er legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie vom Schuppen fort. "Erklärst du mir jetzt bitte, warum ich plötzlich mit Samthandschuhen angefasst werde?" "Ich dachte, du möchtest vielleicht Zeit für Marilyn haben. Ihr beide scheint ziemlich eng befreundet zusein." "Das ist der einzige Grund?" "Und ich wollte, dass deine Hände richtig heilen. Ich werde Jim sagen, dass alles wieder normal läuft. In Ordnung?" Alessandra nickte, und ihr dankbares Lächeln ließ sein Herz schneller schlagen. "Aber trag ständig deine Handschuhe und hör auf, beweisen zu wollen, dass du genauso zäh wie ein Mann bist. Das Selbstbewusstsein meiner Leute ist schon stark angeschlagen." Alessandra schaute lachend zu ihm auf, aber als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, stockte ihr der Atem. "Wenn ich nicht wüsste, dass uns Marilyn höchstwahrscheinlich aus der Küche beobachtet, würde ich dich zurück in den Schuppen tragen und dich lieben, bis keiner von uns mehr klar denken kann." "Ralph, wenn du wegen deiner Schwester nicht unter Verfolgungswahn leiden würdest, könnte man viel Spaß mit dir haben!" Alessandra schwamm jetzt auf dem Rücken und schaute zum tiefblauen Himmel empor. Eigentlich sollte sie im Haus Marilyn und Lisa bei den Vorbereitungen für die Party helfen, zu der die
beiden Ralph überredet hatten. Aber Alessandra traute sich nicht zu, eine Diskussion mit Marilyn zu vermeiden. Ralph war in den vergangenen Tagen kurz angebunden und kühl gewesen, und Alessandra war überzeugt, dass der Grund dafür Marilyns Anspielungen auf seine Beziehung zu ihr, Alessandra, war. Dass seine Schwester die Anziehungskraft zwischen ihnen bemerkt hatte, missfiel ihm zweifellos. Mehr noch ärgerte Alessandra jedoch, dass es Ralph peinlich war, sich überhaupt zu ihr hingezogen zu fühlen. Das war der Kern des ganzen Problems. Er schämte sich seiner Gefühle für sie! Mit ihr zu schlafe n war in Ordnung, solange niemand davon erfuhr. Sie war so wütend! Alessandra schwamm ans Ufer und trocknete sich ab. Als sie zum Haus zurückkam, war sie immer noch zornig. "Ralph Cameron ist ein Idiot! Entschuldige, Marilyn." Alessandra war in die Küche gestürmt und nahm sich jetzt ein Bier aus dem Kühlschrank. "Nicht nötig, ich habe ihn schon Schlimmeres genannt." "Ich entschuldige mich nicht, weil ich ihn als Idiot bezeichnet, sondern weil ich dir die Schuld für sein idiotisches Benehmen gegeben habe." "Freut mich, dass wir das geklärt haben", meinte Marilyn. "Was hat Dad diesmal getan?" fragte Lisa ein bisschen bestürzt über Alessandras Ausbruch. "Getan?" Alessandra überlegte, ob es klug war, die Beziehung zwischen Ralph und ihr vor Lisa zu erörtern. "Ich bin nicht naiv", erklärte Lisa. "Mir ist klar, dass du für Dad schwärmst." "Schwärmen? Mein liebes Kind", erklärte Alessandra theatralisch, "ich bin verrückt nach deinem Vater." "Aber er ist doch schon so alt!" "Unsinn!" rief Alessandra. "Aber er ist ein Dummkopf."
"Lisa, mach du die Salate fertig. Ich glaube, Alessandra braucht einen schwesterlichen Rat." Marilyn winkte Alessandra zur Treppe. "Du bist nicht meine, sondern Ralphs Schwester." "Ja, aber ich verschwende meine Zeit nicht damit, gegen Wände zu reden." In ihrem Zimmer legte sich Alessandra aufs Bett, Marilyn setzte sich auf den Stuhl vor dem Toilettentisch. Mehrere Minuten lang schwiegen sie, die eine täuschte großes Interesse an ihrer Bierdose vor, die andere am Filter ihrer Zigarette. "Ruhiger jetzt?" fragte Marilyn. "So ruhig, wie jemand mit meinem Temperament werden kann." "Dann ist das Problem schon halb gelöst. Du bist ständig so auf Hochtouren, dass Ralph nicht weiß, ob er kommt oder geht." Alessandra lachte. "War die Anspielung beabsichtigt?" Marilyn schüttelte lächelnd den Kopf. "Also habt ihr eine intime Beziehung," "Ha! Wir haben genau zweimal miteinander geschlafen. Wenn du das eine Beziehung nennst, dann haben wir wohl eine. Ralph hält das, was zwischen uns ist, für dermaßen schmutzig, dass es Lisa und jeden anderen Menschen, der davon erfährt, verderben wird." "Dann ist die unschuldige kleine Lisa also auch ein Hindernis für diese Romanze." "Nur in Ralphs Augen. Lisa ist kein naives Kind mehr, Marilyn." "Das sage ich ihm seit Jahren, aber mein Bruder ist entschlossen, sie vor der bösen Welt zu beschützen. Außerdem fühlt er sich verpflichtet, ihr all das zu geben, was ihre Mutter als junges Mädchen hatte - ob Lisa es will oder nicht." Alessandra seufzte. "Du siehst doch wohl nicht Kathleen als eine Gefahr an!" sagte Marilyn betroffen.
"Doch, natürlich! Sogar als das Hauptproblem. Ich bin selbstgefällig genug, um zu glauben, dass ich mit einer Frau aus Fleisch und Blut konkurrieren könnte, aber mit einer Toten?" "Bist du sicher, dass du es musst?" Alessandra stand auf und ging zum Fenster. Wie viel sollte sie Marilyn offenbaren? Sie brauchte dringend jemand, dem sie sich anvertrauen konnte. Aber Ralphs Schwester? Alessandra kam der Gedanke, dass sie zum erstenmal in fast zehn Jahren, zum erstenmal seit Jennis Tod, ihr inneres Gleichgewicht verloren hatte. "Ich liebe deinen Bruder." Alessandras Geständnis wurde schweigend aufgenommen, trotzdem war sie in einer seltsamen Hochstimmung. Vielleicht, weil sie endlich offen zu ihren Gefühlen stand. Sie drehte sich zu Marilyn um. Die lächelte. „Freust du dich, oder findest du die Situation komisch?" "Ich bin entzückt. Und du bist verrückt, wenn du glaubst, die Erinnerung an Kathleen könnte die Beziehung zwischen dir und Ralph gefährden." "Wenn er über Kathleen spricht, wird seine Stimme ganz weich und zärtlich, und er scheint sich in seinen Erinnerungen zu verlieren." "Es steht mir nicht zu, dir von Kathleens und Ralphs Ehe zu erzählen", bemerkte Marilyn vorsichtig. "Ich meine allerdings, du hörst zuviel aus seinen Worten heraus." Alessandra wollte es gern glauben, hatte jedoch ernsthafte Zweifel. "Das ist nicht die einzige Schwierigkeit. Ralph kann nicht damit umgehen, wie ich bin. Er ist unfähig zu akzeptieren, dass ich gelegentlich fluche und mein Bier aus der Dose trinke. Meine Meinung, dass Lisa selbst über ihre Zukunft entscheiden sollte, entsetzt ihn. Und ... und er hat die Vorstellung, dass ich die vergangenen neun Jahre meistens liegend verbracht habe. Wenn ich so viele Affären gehabt hätte, wie er annimmt, könnte ich nicht laufen!"
Marilyn lachte, bis ihr Tränen über die Wangen rollten. "Danke, dass du es so ernst nimmst. Du bist eine große Hilfe!" "Entschuldige, aber du bist wirklich das genaue Gegenteil von Kathleen und jeder anderen Frau, die Ralph jemals gekannt hat!" "Soll mich das aufheitern?" "Nein, nur würde es seine Vorstellung von dir vielleicht ein bisschen ändern, wenn du einmal in eine Rolle schlüpfen würdest, die er nicht erwartet." Alessandra schüttelte den Kopf. "Ich kann dir nicht folgen. Wovon sprichst du? Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich es wissen will. Marilyn, warum schaust du meine Garderobe durch?" "Hast du kein sexy Kleid?" Es klang schockiert. "Ich reise mit leichtem Gepäck. Für so etwas habe ich keinen Platz. "Und was tust du, wenn du eins brauchst?" "Bis jetzt brauchte ich nie eins." "Aber jetzt! Los, wir müssen sofort in die Stadt fahren." Alessandra wurde am Handgelenk gepackt und zur Tür gezogen. Also wirklich, Marilyn war verrückt - sie würden niemals zurück sein, bevor die Gäste eintrafen. Außerdem ließ sich Alessandra zu nichts zwingen, auch wenn Marilyn es vielleicht nur gut meinte. Alessandra klammerte sich an den Türgriff. "Ich kaufe mir nichts, was ich nach dieser Party nie wieder tragen werde und höchstwahrscheinlich sowieso nicht anziehen mag. Cocktailkleider passen ebenso wenig zu mir wie Schleifen und Spitze. Ich weiß, was mir gefällt und in welchen Sachen ich mich wohl fühle. Wenn du willst, mache ich mich für die Party schick, aber ich werde kein Vermögen dafür ausgeben." "Ich wollte nicht deine Gefühle verletzen ..."
"Um Himmels willen, Marilyn, das hast du nicht! Wenn du mich sexy willst, dann bekommst du mich so, ohne dass wir deswegen in die Stadt fahren müssen." "Dann hast du also ein Kleid, das du heute Abend anziehen kannst?" "Nun, ein Kleid ist es genaugenommen nicht..." Ralph fuhr sich mit einem Finger in seinen Kragen und bemerkte, dass mindestens ein halbes Dutzend anderer Männer dasselbe taten. Offenbar war er nicht der einzige, der sich lieber salopper angezogen hätte. Doug und Rachel Shaffer kamen auf ihn zu, Doug wie er selbst in einem eleganten Anzug, sie eher für einen Opernabend gekleidet. "Diese Party ist viel amüsanter als ein Barbecue", sagte Rachel liebenswürdig. "Die Tische sehen wundervoll aus. Wer hat das Essen geliefert?" "Meine Schwester Marilyn, mit Lisas und Alessandras Hilfe." Ralph bemerkte Rachels überraschte Miene. "Sie werden sich über deine Anerkennung freuen, Rachel..." "Du meine Güte! Sie trägt keine Schuhe!" Ralph und Doug Shaffer folgten Rachels schockiertem Blick. "Jeder sollte barfuss so gut aussehen", meinte Doug. Auf der anderen Seite des Raums stand Alessandra und redete mit Lisa, ohne sich bewusst zu sein, dass sie die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen hatte. Ralph war sprachlos, Hitze stieg in ihm auf. Alessandra trug einen mitternachtsblauen, im Nacken gehaltenen Sarong mit einem Goldmuster. Er ließ die Schultern frei und verhüllte alles andere von ihr bis zu den Knöcheln, die mit feinen goldenen Ketten geschmückt waren. Und sie war tatsächlich barfuss. Ralph blickte wieder in Alessandras Gesicht und spürte Eifersucht, als sie Lisas Freund lebhaft begrüßte. Widerwillig hatte Ralph zugestimmt, den jungen Mann einzuladen. Vielleicht war die Beziehung zu ihm für seine Tochter weniger verlockend, wenn er, Ralph, aufhörte, Einwände dagegen zu
machen. Was jedoch nicht bedeutete, dass Todd Alessandra mit Beschlag belegen durfte. Ralph entschuldigte sich bei den Shaffers und ging auf Alessandra zu. Diese versuchte sich auf das zu konzentrieren, was Lisa und Todd zu ihr sagten, aber seit sie aus den Augenwinkeln Ralph bemerkt hatte, zählte sie die Sekunden, bis er neben ihr sein würde. Vier ... drei... zwei... "Hallo, Alessandra. Todd." Während Alessandra nur läche lte, begrüßte der nervöse junge Mann Ralph höflich, aber gestelzt, bevor Lisa ihn fortzog. "Du siehst anders aus ohne Jeans." "Hör auf, Ralph. Du hast mich schon mehr als einmal ohne gesehen." "Ja, aber nicht in Gesellschaft anderer Leute." "Und was ist dir lieber? Mit oder ohne Zuschauer?" Das Funkeln seiner Augen verriet ihr, dass sie gefährlich herausfordernd war, doch er gab vor, die Antwort ernsthaft zu überlegen. "Tanz mit mir, während ich darüber nachdenke." Alessandra schüttelte lächelnd den Kopf. "Kommt nicht in Frage. Menschen, denen es Spaß macht, zu Countrymusic zu tanzen, müssen manisch depressiv sein." "Halt deine Zunge im Zaum!" "Das tue ich lieber mit deiner!" Alessandra lachte. Ralph steckte die Hände in die Taschen seines Jacketts. Am liebsten hätte er Alessandras herrliche Schultern gestreichelt. Er ließ seinen Blick wieder über ihren Körper gleiten, und unwillkürlich stöhnte er laut auf. Verlegen errötete Alessandra. "Ralph! Alle sehen deinetwegen zu uns herüber." "Meinetwegen? Ich könnte auf Händen durch den Raum laufen, und kein Mann hier würde den Blick von dir abwenden. Trägst du irgend etwas unter dem Sarong?" fragte er leise.
"Das kannst du selbst herausfinden ... später." Alessandra eilte in die Küche. Drei Stunden später war Alessandra wieder einmal auf dem Weg in die Küche, diesmal beladen mit fast leeren Dessertplatten, und traf Marilyn, die ein Tablett mit verschiedenen Käsesorten trug. Die beiden hatten die meiste Zeit des Abends auf Hochtouren gearbeitet. Lisa, die zu helfen versprochen hatte, glänzte durch Abwesenheit. "Falls du Lisa irgendwo siehst, danke ihr für ihre große Hilfe", sagte Alessandra ironisch. "Tu ich. Nachdem ich ihr den Hals umgedreht habe", erwiderte Marilyn. "Wenigstens sind dies die letzten Teile. Warte hier, ich hole uns etwas zu trinken." Marilyn kam mit einer Flasche Champagner zurück. "Auf den erfolgreichen Abend. Wir haben unser Ziel erreicht." "Welches hatten wir denn?" Alessandra nahm das Glas Champagner entgegen, "Ralph hat dich in einer völlig arideren Rolle gesehen." Während sie mit ihr völlig fremden Leuten geplaudert und dafür gesorgt hatte, dass alle satt wurden, hatte Alessandra vergessen, dass sie sich Ralph einmal ganz anders zeigen wollte. Und dabei war es doch erst wenige Stunden her, dass sie sich in handbemalte Seide gehüllt, mehr Make-up als sonst benutzt und ihr Haar sorgfältig gefönt hatte, damit er sie nicht nur als den Wildfang wahrnahm. Wehmütig lächelnd blickte sie auf ihre rosafarbenen Fingernägel. Selbst lackiert waren sie zu kurz, um damenhaft zu wirken. Und die Frauen, mit denen Ralph in den vergangenen zwei Stunden getanzt hatte, waren alle sehr weiblich gewesen. Marilyn unterbrach ihre Gedanken. "Danke für deine Hilfe. Du warst großartig." "Endlich habe ich es dazu gebracht, auf Privatparties Kellnerin zu sein! Verzeih mir, wenn ich nicht vor Begeisterung
aufspringe und in die Hände klatsche, aber ich bin reif fürs Bett." "Sei nicht albern, das Feuerwerk kommt noch. Stöhn nicht, Ralph hat einige Rancharbeiter gebeten, das zu übernehmen. Du brauchst dich nur zurückzulehnen und zuzusehen." Wie gerufen, erschien Ralph an der Küchentür. Er hatte Jackett und Krawatte abgelegt, sein weißes Hemd stand am Hals offen. Sein Anblick machte Alessandra unruhig. "Und ich dachte, ihr arbeitet hier", sagte er. "Hast du in deiner Schallplattensammlung nicht irgend etwas anderes als diese Nashville-Musik?" fragte Alessandra. "Gefällt sie dir nicht?" fragte Ralph völlig verständnislos. "Wie kann man so traurige Musik mögen? Jedes zweite Lied handelt von enttäuschter Liebe, davongelaufenen Ehefrauen, Tod oder Armut. Habe ich nicht recht, Marilyn?" Insgeheim schadenfroh hob Marilyn abwehrend die Hände. "Ich passe. Partei ergreifen könnte meine Gesundheit gefährden." Ralph lehnte sich an den Kühlschrank und verschränkte stillvergnügt die Arme vor der Brust. "Du bist ein Feigling, Marilyn. Albern, Angst vor seinem kleinem Bruder zu haben", schalt Alessandra. "Klein? Geh näher heran und sieh ihn dir genauer an." Marilyn begann den Tisch abzuräumen. Alessandra stand auf, um ihr zu helfen, aber Ralph stellte sich ihr in den Weg. Da er mit dem Rücken zu seiner Schwester stand, sah nur Alessandra seinen verführerischen Blick. "Ist das nah genug?" fragte er mit ausdrucksloser Stimme. War es nicht, und er wusste es. Seine Miene warnte sie jedoch, in Marilyns Gegenwart nicht unvorsichtig mit ihren Äußerungen zu sein. Einen Moment lang war Alessandra in Versuchung, ihn zu zwingen, Farbe zu bekennen. Sie hatte seiner Schwester ja ohnehin schon gestanden, dass sie ihn liebte.
Aber offensichtlich war er noch immer nicht bereit, ihre Beziehung bekannt werden zu lassen. Alessandra kam sich vor wie die "heimliche Geliebte" eines verheirateten Mannes, und es machte sie wütend. Da er nicht damit rechnete, war es leicht, ihn beiseite zu schieben. "Körpergröße wirkt sich selten auf die Intelligenz aus", sagte Alessandra und genoss seine verblüffte Miene. "Tut mir bitte einen Gefallen ..." Marilyn drehte sich zu ihnen um. "... und führt diese Debatte draußen. Mit all dem Dessert hier artet das sonst noch in eine Kuchenschlacht aus." Alessandra warf einen Blick auf die Platte mit Zitronenbaisers. "Die Versuchung ist groß. Also geh, Ralph, damit ich Marilyn helfen kann." "Nicht nötig, Alessandra", sagte Marilyn. "Rachel Shaffer hat ihre Hilfe angeboten." Alessandra stöhnte. "In dem Fall bin ich schon draußen." Die Nachtluft war angenehm kühl. Auf der Terrasse standen mehrere Gruppen von Leuten und unterhielten sich angeregt. Alle Gäste amüsierten sich und warteten gespannt auf den großen Abschluss der Party, das Feuerwerk, das in ungefähr fünfzig Meter Entfernung vorbereitet wurde. Ralph führte Alessandra in diese Richtung. "Eine Schande, dass jemand mit so hübschen Füßen immer ins Fettnäpfchen treten muss", sagte er mit einem anzüglichen Blick auf ihre nackten Füße. Alessandra sah ihn entnervt an. "Und eine noch größere, dass ein Mann mit einem so knackigen Po regelmäßig dies braucht." Sie gab ihm einen Klaps darauf und erwartete, dass er sich gutmütig rächen würde, doch dann erkannte sie an seiner Miene, dass er dieses Geplänkel zwar gern weiterführen würde, aber fürchtete, Aufmerksamkeit zu erregen und folglich den Verdacht, dass ihr Verhältnis über das von Arbeitgeber und Angestellter hinausging: Stumm flehte sie, er möge seinen
wahren Gefühlen ohne Rücksicht auf die Folgen nachgeben. Er tat es nicht. "Du hast Glück, dass so viele Leute hier sind, sonst…", sagte er. "Auf das Glück kann ich verzichten." Mit Tränen in den Augen drehte sich Alessandra um und eilte zurück zu den plaudernden Partygästen. Sie wünschte sie alle zum Teufel, und Ralph Cameron auch. Goldene und silberne Sterne zerplatzten am Himmel. Irgend jemand füllte erneut Alessandras Champagnerglas. Sie hätte lieber Bier getrunken, wusste aber aus Erfahrung, dass sie es nicht vertrug, verschiedene Sachen durcheinander zu trinken. Zwischen den Ehefrauen und Freundinnen einiger Rancharbeiter sitzend, spürte Alessandra eine seltsame nervöse Unruhe. Ihr Herz sagte ihr zu akzeptieren, was immer Ralph bereit war zu geben, doch ihr Stolz riet ihr, mehr Selbstachtung zu haben. Sie blickte dorthin, wo Ralph mit den Shaffers und anderen Gästen zusammensaß. Warum tat Liebe bloß so weh? Nach dem Feuerwerk brachen mit den Shaffers noch andere Besucher auf. Dune, Jim und zwei ändere Arbeiter holten Gitarren hervor und begannen zu spielen. Dankbar, dass ihr weitere nasale Klänge, die so typisch für Ralphs Lieblingsmusik waren, erspart blieben, rückte Alessandra ihren Stuhl an die kleine Gruppe heran, die sich um die Musiker sammelte. Leider hatten sie denselben Geschmack wie Ralph. Ihr Missfallen musste offensichtlich gewesen sein, denn nach dem Song beugte sich Dune zu ihr hinunter und zwinkerte ihr zu. "Ich würde auch lieber guten Rock and Roll spielen, aber das machen die Männer nicht mit." Alessandra kam zu dem Schluss, dass sie Dune helfen musste. "Wissen Sie, wo ich eine Gitarre bekomme?" "Sie spielen?" "Seit Jahren nicht mehr, doch ich würde gern einen Versuch wagen."
Dune nahm Jim die Gitarre weg. "Mach eine Pause und hör dir wirklich gute Musik an. Hier, Alessandra. Was soll es sein?" Fragend blickte sie Jim an, aber er hatte anscheinend nichts dagegen, und so legte sie sich den Riemen über die Schulter und stand auf. "Rock and Roll kann man nicht im Sitzen spielen", erklärte sie dem überraschten Ralph und seiner Schwester. Dann wandte Alessandra sich an Dune. "Fangen wir doch mit einem Klassiker an. ,All Shook Up'?" Er nickte und begann zu spielen. Sobald Alessandra sich ihm anschloss, wusste Ralph, dass sie mehr als gut war. Man musste kein Musikexperte sein, um das zu erkennen. Noch eine neue Seite an dieser Frau. Er fragte sich, wie viele es noch gab. Als Alessandra anfing zu singen, wandten sich auch die Leute um, die noch in Gespräche verwickelt gewesen waren. "Wie gut sie ist!" staunte Marilyn neben ihm. "Du wusstest also auch nicht, dass sie singen kann?" fragte Ralph. "Singen nennst du das? Meine Kinder haben CDs von international bekannten Künstlern, und keiner könnte dieser Frau das Wasser reichen!" Nach dem Applaus zu urteilen, waren alle dieser Meinung. Alessandra wurde gedrängt, einen weiteren Song zu spielen, und sie bat um Wünsche. Ralph fand es seltsam, dass sie bei ihrer Begabung keine eigene Gitarre hatte. Auch die härtesten Countrymusic-Fans liebten offenbar echten Rock and Roll, und Alessandra musste viele Wünsche erfüllen, von Chuck Berrys "Reelin' And "A Rockin'" bis zu "Roadhouse Blues" und mehreren Rolling Stones-Songs. Dune hatte sich dem größeren Talent gebeugt und schon lange aufgehört zu spielen. Alessandra beendete ein Lied und griff nach Ralphs Bier. "Es macht dir wirklich Spaß, nicht wahr?" fragte er. Sie nickte und lächelte ihn so strahlend an, dass sich sein Pulsschlag beschleunigte.
"Der nächste Song ist für dich", flüsterte sie ihm zu, dann setzte sie sich auf einen Stuhl und sang eine romantische Nummer von den "Eagles". Es war schwer zu glauben, dass die leise, weiche Stimme derselben Frau gehörte, die noch vor wenigen Minuten harten Rock gesungen hatte. Ralph wurde von so vielen Verschiedenen Gefühlen überwältigt, dass er keins davon hätte erklären können. Aber als Alessandra ihn ansah, wusste er, dass sie alle auslöste. Um zwei Uhr morgens waren die letzten Gäste gegangen, und Marilyn und Alessandra saßen am Küchentisch, Becher mit heißem Tee vor sich. Alessandra konnte sich nicht erinnern, jemals so müde gewesen zu sein. Marilyn erging es offensichtlich ebenso... "Für mich ist Schluss", sagte sie und schob ihren Stuhl zurück. "Bis morgen früh." "Es ist schon morgen", verbesserte Alessandra. "Wie auch immer. Ich freue mich auf mein Bett." Alessandra nickte. "Ich glaube, ich könnte eine Woche lang nur schla ..." In diesem Moment kam Ralph in die Küche, und der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ Alessandra verstummen. "Weiß eine von euch, wo Lisa ist?"
8. KAPITEL "Im Bett, wette ich." Marilyn gähnte. "Nein. Alessandra?" Ralphs Ton ließ sie frösteln. "Sie war mit Todd zusammen ..." "Das weiß ich auch! Deshalb mache ich mir ja Sorgen!" "Beim Feuerwerk habe ich die beiden noch gesehen", sagte Marilyn matt. "Und seitdem?" Ralph erhielt ein Kopfschütteln als Antwort. "Ich suche draußen." Alessandra eilte ihm nach. "Warte! Ich komme mit!" Wie um alles in der Welt sollte sie ihn nur davon abhalten, irgend etwas Unüberlegtes zu tun, wenn er Todd in einer eindeutigen Situation mit seiner Tochter erwischte? Wütend lief Ralph über den Hof, und Alessandra musste fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Nur das Flutlicht auf der Terrasse und zwei kleinere Lampen am Maschinenschuppen und an der Garage brannten. "Beruhige dich, Ralph, Du denkst immer gleich das Schlimmste." "Du nicht?" "Es könnte viele Erklärungen geben ..." "Ja, und Leidenschaft steht an erster Stelle." Sie gingen in die Garage, und Ralph drückte den Lichtschalter. Nur sein vor Wut unregelmäßiger Atem brach die Stille. Fluchend öffnete er die
Türen des Range Rover und fand ihn leer, ebenso wie die beiden Nutzfahrzeuge und Marilyns Kombi. "Komm, wir müssen noch die Ställe und Schuppen überprüfen", forderte Ralph sie auf. Sie fanden Lisa nirgendwo, und Ralph beschloss, sie mit einem der Fahrzeuge zu suchen. Auf halbem Weg zurück zur Garage legte Alessandra ihm die Hand auf den Arm. "Ralph, sei nicht albern. Die beiden können überall sein. Willst du bis zum Morgengrauen durch die Gegend fahren? Du weißt nicht einmal, wo du suchen sollst." Mit vor Wut und Enttäuschung verzerrtem Gesicht blickte er sie an. "Dann sag du mir doch, was ich tun soll!" "Einfach warten. Lisa wird schon nach Hause kommen." "Wann? Es ist nach zwei..." "Ralph! Alessandra! Sie ist hier!" rief Marilyn aus dem Haus. Sofort rannte er los, Alessandra zog ihren Sarong bis zu den Oberschenkeln hoch und folgte ihm. Bevor sie das Haus erreichte, hörte sie Ralph schon schreien. "Wo bist du gewesen? Antworte, verdammt!" Lisa stand vor dem Kühlschrank. Sie sah müde, ängstlich und ein bisschen beschwipst aus. "Ich habe dich etwas gefragt!" Marilyn schien etwas sagen zu wollen, fürchtete sich aber offensichtlich davor, sich einzumischen. "Beruhige dich, Ralph." Alessandra wich zurück, als er sich ihr zuwandte. Du liebe Güte, wenn er sie dermaßen einschüchterte, wie viel Angst musste dann erst die arme Lisa vor seiner Wut haben. "Halt dich da heraus, Alessandra", warnte er. "Sie ist meine Tochter..." "Dann hör auf, sie anzuschreien, und gib ihr Gelegenheit, etwas zusagen!" "Ich mache uns erst einmal Kaffee ..."
"Lass das, Marilyn! Ich will Antworten, keinen Kaffee! Wo zum Teufel bist du gewesen, Lisa?" Sie senkte den Blick und spielte mit ihrem Siegelring. "Nun?" fragte Ralph gefährlich leise. "Ich war mit Todd zusammen." "Wo?" "Wir sind mit dem Auto unterwegs gewesen." "Wo?" "Nur ... so herumgefahren." "Mit anderen Worten, ihr habt geknutscht? Sieh mich an, wenn ich mit dir rede, Lisa!" Sie gehorchte, aber ihr Blick war trotzig und frech. "Was ic h tue, geht dich nichts an!" Alessandra sah, dass Ralph die rechte Hand hob, und dachte einen Moment lang, er wollte seine Tochter ohrfeigen. "Nein, Ralph!" Doch er wandte sich fluchend ab. "Keine Angst, Dad. Ich bringe dich nicht in Verlegenheit, indem ich schwanger werde!" "Lisa!" schimpfte Marilyn. Wortlos drängte sich Ralph an Alessandra vorbei, um die Küche zu verlassen. Er sah völlig verzweifelt aus. "Das wäre allerdings eine gute Lösung, um nicht aufs College gehen zumüssen!" schrie Lisa ihm hinterhe r. "Halt den Mund, Lisa!" schalt Marilyn. Kurz darauf klopfte Alessandra leise an Ralphs Tür. "Ich bin es, Ralph." "Geh zu Bett." Sie betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ralph saß hinter dem Schreibtisch und hatte die Füße gegen den Aktenschrank gestemmt. "Noch eine, die nicht tut, was man ihr sagt. Willst du mir an ihrer Stelle den Rest geben?" "Jugendliche handeln manchmal unüberlegt."
"Weshalb mischt du dich ein? Dein Lebensstil gibt dir wohl kaum das Recht, mir zu sagen, wie ich meine Tochter erziehen soll. Und ich wäre dir dankbar, wenn du deine Meinung für dich behalten würdest!" Er ist verletzt, dachte Alessandra. "Ralph ..." "Ist das klar? Misch dich nicht ein!" Zum zweitenmal in dieser Nacht traten Alessandra Tränen in die Augen. Sie sollte wütend auf ihn sein! Was war aus der Alessandra geworden, die einen Mann mit ihrer spitzen Zunge in die Schranken weisen konnte? Es würde ihm recht geschehen, wenn sie ihre Sachen packte und abreiste. "Geh, Alessandra!" "Sofort." Sie zuckte die Schultern und meinte, bevor sie den Raum verließ: "Vielleicht solltest du Lisa einmal zuhören." Es war Samstag, und eigentlich hatte Alessandra Wochenendschicht, aber auf "Rough Rivers" war es Tradition, am Tag nach einer großen Party nicht zu arbeiten. Zum Glück! dachte sie, als sie schon wieder ins Badezimmer rannte. Wie war ein solcher Kater möglich? Sie hatte doch nur einige Gläser Champagner getrunken. Doch was sonst konnte diese entsetzliche Übelkeit verursachen? Es müssten die paar Schlucke Bier aus Ralphs Glas gewesen sein, die sie getrunken hatte, weil ihr vom Singen der Hals trocken gewesen war. Nie wieder zwei Sachen durcheinander! dachte sie, als sich ihr Magen endlich soweit beruhigte, dass sie sich anziehen konnte. Alessandra schwor sich auch, nie wieder zu singen. Dann lächelte sie über die Lächerlichkeit eines solchen Schwurs. Vor neun Jahren hatte sie geglaubt, ein solches Versprechen würde etwas beweisen. Ihr Singen gestern nacht bedeutete den endgültigen Bruch mit der Vergangenheit. Alessandra hatte erkannt, dass sie nicht das aufgeben musste, was ihrer Freundin und ihr zusammen am meisten Spaß gemacht
hatte, nur weil Jenni tot war. Jetzt wurde Alessandra klar, dass sie all die Jahre gar nicht so frei gewesen war, wie sie geglaubt hatte. Anstatt die schönen Erinnerungen an eine wundervolle Freundschaft zu hegen, hatte sie die traurigen über ihr Leben bestimmen lassen. Fast ein Jahrzehnt lang hatte sie nur für den Augenblick gelebt, war ziellos durch die Welt gereist. Nun gestand sie sich den Wunsch nach einem eigenen Zuhause ein und war bereit, sich mit der Vergangenheit abzufinden. Bewirkt hatten das die heiße Sommersonne und ein halsstarriger Texaner mit einem grauenhaften Musikgeschmack, dessen Lächeln ebenso sexy war wie sein Körper. Der Gedanke an Ralph erinnerte Alessandra an das Drama der vergangenen Nacht, und sie seufzte. Was würde dieser Tag bringen? Es war Vormittag, als Alessandra in die Küche kam. Selbst mehr Make- up als sonst konnte ihren Zustand nicht verbergen. "Der Kaffee ist noch heiß", sagte Marilyn. "Ich glaube, heute morgen ist Tee eher nach meinem Geschmack. Ist noch jemand schon aufgestanden?" "Ralph ist irgendwo hingefahren, Lisa ist oben und packt." "Er hat sie hinausgeworfen? Das kann er nicht getan haben!" "Beruhige dich. Ich habe vorgeschlagen, dass sie sich eine Zeitlang trennen", erklärte Marilyn. "Es wird ihnen beiden gut tun. Lisa macht mit mir eine Urlaubsreise zum Great Barrier Reef." "Und Ralph hat zugestimmt?" "Leicht war es nicht, aber manchmal siegt sein gesunder Menschenverstand über seinen Wunsch, jede Situation beherrschen zu wollen. Außerdem ist es das erstemal, dass mein Bruder keine Ahnung hat, was er tun soll." "Ich habe meine Eltern ständig in diese Lage gebracht", gab Alessandra zu.
"Dann sollte Ralph vielleicht mit deinen Eltern sprechen. Aber nicht über die Qualen, eine halbwüchsige Tochter zu erziehen." Alessandra begegnete dem vielsagenden Blick ihrer Freundin. "Ich bin im Moment seine geringste Sorge, Marilyn. Und wenn du vorschlagen willst, dass ich mich während Lisas Abwesenheit in eine perfekten Hausfrau verwandle, vergiss es. Deine Idee, Ralph zu zeigen, dass ich nicht nur ungebärdig bin, war gut gemeint, aber ... ich bin es nun einmal. Und ich werde mich nicht verstellen. Verdammt, nach gestern nacht kann ich niemand mehr täuschen!" Marilyn lächelte wehmütig. "Ja, Miss Schicklichkeit warst du nicht gerade." "Ich war nicht einmal annähernd der Typ Frau, den Ralph bewundert. Aber weißt du was? Ich war mehr ich selbst, als ich es, lange Zeit gewesen bin, und das ist ein gutes Gefühl," Es war stickig heiß, und das durchschwitzte Hemd klebte ihm am Körper, trotzdem wollte Ralph nicht zur Klimaanlage im Haus Zuflucht nehmen. Ohne Ziel ritt er weiter, nur um allein zu sein. Als er Marilyns Vorschlag zustimmte, hatte er sich gesagt, dass die Reise mit ihrer Tante zum Great Barrier Reef unter den gegebenen Umständen das beste für Lisa war. Jetzt gestand er sich ein, dass die Entscheidung auch von Egoismus und Hilflosigkeit beeinflusst worden war. Im Moment wurde er mit Lisa einfach nicht fertig. Und er hatte wenigstens eins seiner Probleme los sein wollen. Nun fühlte er sich schuldig, weil er seine Tochter einfach abgeschoben hatte. Alessandra wollte ihn gestern unterstützen ... Alessandra, Ralph hatte noch nie eine Frau so begehrt, wie er sie begehrte. Wieder packte ihn die Eifersucht bei dem Gedanken an sie mit anderen Liebhabern. Ralph wollte sie ganz für sich haben und mit ihr allein sein. Dieser selbstsüchtige
Wunsch hatte zu der Entscheidung beigetragen, Lisa zum Reef fahren zu lassen. Durch das Küchenfenster sah Alessandra Ralph kommen, und wie immer schlug ihr Herz bei seinem Anblick schneller. Er war den ganzen Tag fort gewesen und nicht einmal zurückgekehrt, um sich von Lisa und Marilyn zu verabschieden. Alessandra wartete, bis sie seine Schritte auf der Veranda hörte, dann legte sie zwei Steaks in die Pfanne und ging zurück an den Tisch, um den Salat mit dem Dressing zu mischen. "Wie lange ist es noch bis zum Essen?" Sie drehte sich um. Ralph nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank; "Die Steaks braten schon." "Habe ich Zeit, schnell zu duschen?" "Nur wenn du dein Bier unter der Dusche trinkst. Beides nacheinander geht nicht." Alessandra lachte über seine unschlüssige Miene und schaltete die Herdtemperatur unter der Pfanne herunter. "Oh, beeil dich einfach!" sagte sie lächelnd. "Aber denk nicht einmal daran, zu nörgeln, wenn dein Steak verbrannt ist." "Du bist ein Engel." Ralph war schon auf dem Weg nach oben. "Jawohl. Deshalb stolpere ich ständig über meinen Heiligenschein." Sein Lachen tat ihr gut, und sie hoffte, dass er sie später vielleicht in die Arme nehmen würde. Beim Abendessen standen die Auseinandersetzungen der vergangenen Nacht noch zwischen ihnen, aber nicht so sehr sie schufen eine gezwunge ne Atmosphäre, als vielmehr die starke erotische Spannung. Da sie allein waren, aßen sie in der Küche. Ralph schien es zu schmecken, während Alessandra kaum einen Bissen hinunterbrachte. "Keinen Hunger?" Sie schob ihren Teller beiseite. "Ich büße wohl immer noch dafür, gestern nacht zwei verschiedene Sachen getrunken zu
haben. Möchtest du Nachtisch?" Ralph schüttelte den Kopf. "Dann mache ich uns Kaffee." "Bleib sitzen, ich mache das." Alessandra achtete auf jede seiner Bewegungen. Als er die Kaffeedose vom obersten Regal nahm, staunte Alessandra über das Spiel seiner Rückenmuskeln, und es erregte sie, wie sich die Jeans über seinem Po spannten, während er vornübergebeugt die Tassen füllte. Dann drehte Ralph sich plötzlich um und ertappte sie dabei, ihn zu beobachten, und das Aufleuchten seiner Augen steigerte ihr Verlangen noch mehr. Schnell sah sie weg und versuchte, ihre Begierde zu unterdrücken. Es war ein aussichtsloser Kampf. Er stellte die Tasse vor sie hin. "Einmal abgesehen von der hässlichen Szene heute morgen, hast du die Party gestern Abend genossen, nicht wahr?" "Ja, wenn ich nicht die Stunden mitzähle, die ich herumgelaufen bin, um die hungrige Meute zu versorgen." "Du hast Eindruck gemacht." Strahlend lächelte Ralph sie an. Alessandra erwiderte das Lächeln. "Ob der Eindruck gut oder schlecht war, hast du taktvoll unterschlagen." "Das hängt vom Standpunkt des Betrachters ab." Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Nacken. "Für Rachel scheint barfuss gleichbedeutend mit nackt zu sein." Er blickte Alessandra vielsagend an. Sie dachte an seine Frage vom Abend zuvor, was sie unter dem Sarong trüge. "Was sie wohl gesagt hätte, wenn sie mich als Rocksängerin erlebt hätte." Ralph lachte. "Ja, nun, das war wirklich eine Überraschung. Warum hast du hie erzählt, dass du so gut Gitarre spielen und singen kannst?" "Es kam nie zur Sprache." Alessandra zuckte die Schultern. "Und warum treibt eine Frau mit einer solchen Stimme lieber Rinder zusammen, als Schallplatten aufzunehmen?"
"Wie kann eine Frau nur ein Nomadenleben führen und als Cowboy arbeiten, meinst du." "Das habe ich nicht gesagt." "Ist auch nicht nötig, es steht dir im Gesicht geschrieben." Wütend schob Alessandra ihren Stuhl zurück. "Du bist so verdammt gut darin, andere zu verurteilen!" "Bin ich nicht!" "Schön, dann kannst du ja sagen, dass du an meinem Lebensstil nichts auszusetzen hast." "Alessandra ..." Sie sah ihm an, wie er sich um eine Antwort bemühte. "Nun?" "Darum geht es mir nicht ..." "Um was dann? Na los, heraus damit!" "Gut! Wie du willst!" Ralph stand auf und drängte sie gegen die Wand. "Ich begreife einfach nicht, warum eine so intelligente und talentierte Frau wie du entschlossen ist, nichts aus ihrem Leben zu machen! Warum kannst du nichts im Leben ernst nehmen und machst aus jedem Tag Urlaub?" "Weil es mein Leben ist. Und weil ich auf die harte Tour gelernt habe, dass es einen umbringen kann, wenn man versucht, andere Menschen zufrieden zu stellen." "Sei nicht dramatisch ..." "Bin ich nicht", erwiderte Alessandra ruhig. "Meine beste Freundin starb in unserem ersten Jahr an der Universität an einer Überdosis, weil sie die Erwartungen anderer nicht erfüllen konnte." Geschockt schwieg Ralph, während Alessandra mehrmals tief ein- und ausatmete. Dennoch zitterte ihre Stimme, als sie nach einiger Zeit leise weitersprach. "Jenni wollte Sängerin werden, ihre Eltern wünschten sich einen Arzt in der Familie. Da Jenni ihr einziges Kind war, sollte sie ihnen diesen Wunsch erfüllen. Lange hat Jenni versucht, neben dem Medizinstudium weiter ihre Karriere als Sängerin zu
verfolgen, aber es wurde ihr zuviel. Sie konnte nicht gleichzeitig ihre Eltern und sich selbst glücklich machen, und irgendwann gab sie ihren Traum zugunsten dem ihrer Eltern auf. Acht Wochen später war sie tot." Ralph sah Tränen in Alessandras Augen schimmern. Ihr Schmerz tat ihm unendlich weh. "Damals beschloss ich, so zu leben, wie ich es will, und nicht, wie andere es von mir erwarten. Dummerweise gab ich die Musik auf, weil ich die Ursache für Jennis Tod zum Teil auf ihre Musikbesessenheit zurückführte. Gestern nacht wurde mir klar, wie albern das war." Alessandra schluckte die Tränen hinunter und hob das Kinn. "Ich habe sehr wohl Ziele und Ansprüche, nur andere als die meisten Menschen." Er zog sie in die Arme, um die leidvollen Erfahrungen aus ihrem Gedächtnis zu löschen, doch er wusste, dass er es nicht konnte. Schweigend hob er sie hoch, trug sie ins Wohnzimmer und setzte sich mit ihr auf dem Schoß auf das Sofa. Mehrere Minuten lang sprachen sie beide nicht. Alessandra legte den Kopf an Ralphs Schulter, zufrieden, in seinen Armen zu liegen und seinem regelmäßigen Herzschlag zu lauschen, während sie mit den Fingern langsam über seine Brust strich. Wie war es möglich, dass sie in der einen Minute maßlos wütend auf ihn war und in der nächsten voller Liebe für ihn? "Es tut mir leid, dass ich dich dazu gezwungen habe, darüber zu sprechen", sagte Ralph. "Rechne dir nicht zur Ehre an, was du nicht verdient hast", neckte Alessandra ihn. "Mich kann niemand zu etwas zwingen." Er lächelte flüchtig. "Trotzdem fühle ich mich wie der gemeinste Kerl der Welt." "Für mich bist du das nicht." Sie legte ihm die Arme um den Nacken. "Du siehst eher aus wie der attraktivste Mann, den ich je kennen gelernt habe." "Ja?"
"Hm ... wenn ich mich doch nur an seinen Namen erinnern könnte..." "Fratz!" Ralph küsste sie auf die Stirn. Alessandra schmiegte sich enger an ihn. "Im Ernst, gestern nacht ist Jennis Tod endgültig Vergangenheit geworden. Ich brauchte das." "Was ist mit deiner Zukunft?" Er öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse. "Meiner Zukunft?" "Ja. Was hast du vor?" "Ich werde mir wohl eine neue Gitarre kaufen." Alessandra lächelte, als er fortfuhr, sie auszuziehen. "Und vielleicht ... mit dir schlafen? Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge." "Ich meinte nicht nur in nächster Zeit." Ralph senkte seinen Mund auf ihre Brust. Ich auch nicht, dachte Alessandra. Doch sie wusste, dass er das nicht hören wollte und schloss einen Kompromiss. "Ich will glücklich sein." Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen, während er den Reißverschluss ihrer Jeans öffnete. "Ich glaube, ich kann dich mehr als glücklich machen." Alessandra wusste, dass er es konnte.
9. KAPITEL "Guten Morgen." Alessandra schlug die Augen auf und blickte in Ralphs Gesicht. Eine schönere Art aufzuwachen, konnte sie sich nicht vorstellen. Ebenso wundervoll war das Einschlafen in der Nacht gewesen, in seinen Armen, erschöpft von der gemeinsam erlebten Leidenschaft. "Hallo", sagte sie zärtlich. Sein Blick war so liebevoll, dass sie sich unwillkürlich enger an ihn schmiegte. Er stöhnte auf. "Ich würde ja gern weitermachen, wo wir in der Nacht aufgehört haben ..." Bei der Erinnerung daran wurden seine Augen dunkler. "... aber ich muss Redskin zu den Shaffers bringen." Dort fand ein kleines Rodeo statt, an dem die Rancher der Gegend teilnehmen würden. Ralph hatte Redskin dafür zur Verfügung gestellt. Langsam ließ Alessandra ihre Hand über seine Schulter gleiten und lächelte, als sie Ralphs Reaktion spürte. "Dann, musst du dich wohl beeilen ...." Sie strich über seine Brust.' "Wir müssen in einer Stunde dort sein", sagte er rau. Alessandra nickte und ließ ihre Hand tiefer gleiten, unter das Laken. "Die Fahrt dauert fast fünfundvierzig Minuten", flüsterte sie und berührte Ralph dort, wo es am lustvollsten für ihn war. Scharf zog er den Atem ein und glitt auf sie. "Riskieren wir einen Strafzettel für Geschwindigkeitsüberschreitung."
Ebenso erregt wie er, bog Alessandra sich ihm entgegen. Als er in sie eindrang, erschauerte sie heftig. Er kam fast unmittelbar darauf. "Entschuldige", sagte Ralph einige Minuten später. "Wofür entschuldigst du dich?" "Das muss die schnellste Nummer aller Zeiten gewesen sein." Alessandra lächelte über seine Niedergeschlagenheit und küsste ihn auf die Wange. "Die Dauer zählt nicht. Ich dachte gerade, dass kurz und schön jederzeit lang schlägt!" Alessandra beobachtete, wie Redskin ausgeladen wurde, und hoffte, dass die Männer der Wut des Wallachs entkommen würden. "Also ehrlich, Ralph, warum behältst du dieses Tier? Redskin hat wirklich überhaupt keine freundliche Seite." "Aber er ist wunderschön, und sein Temperament ist bewunderungswürdig. Ich will versuchen, ihn in den nächsten Monaten an den Sattel zu gewöhnen. Er fängt an, mich zu mögen", versicherte Ralph. Alessandras Blick verriet, dass sie ihn für verrückt hielt. "Ja, nun ... Ein Sprichwort sagt, dass plumpe Vertraulichkeit Verachtung erzeugt. Hoffen wir, dass Redskin es nicht schon einmal gehört hat." "Ach, ich bin inzwischen ganz gut darin, attraktive, reizbare Geschöpfe zu zähmen", entgegnete Ralph selbstgefällig. "Natürlich ist es ein Unterschied, ob man ein Wesen zähmt oder reitet." Ein Schauer der Erregung überlief Alessandra. "Welcher?" "Das eine ist eine schwierige Aufgabe, das andere reines Vergnügen. " Bis zum Vormittag waren ungefähr einhundert Menschen auf der Ranch der Shaffers eingetroffen. Die einen drängten sich um die aufgebaute Arena, die anderen suchten in dem großen Zelt Zuflucht vor der Hitze und genossen Steaksandwiches und Drinks. Ralph sah sich mit einigen Nachbarn ein neuerworbenes Pferd an, deshalb ging Alessandra zur Arena und sicherte sich
einen guten Platz. Sie jubelte gerade laut einem jungen Mann beim Mustangreiten mit Sattel zu, als sie eine kultivierte Stimme hinter sich vernahm. "Wie ich hörte, hat Ralphs Schwester Lisa mit in den Urlaub genommen." Alessandra unterdrückte gerade noch ein Stöhnen, ehe sie Rachel Shaffer höflich antwortete: "Ja, hat sie." "Dann haben Ralph und Sie das Haus für sich allein. Das muss ... interessant sein." "Für die landesweite Nachrichtensendung gibt es nicht genug Zündstoff ab, Rachel." Die Rothaarige, in einer tadellos sitzenden Reithose und einer teuren Westernbluse, machte durch ihren abfälligen Blick deutlich, dass Alessandras abgetragene Jeans und das T-Shirt viel zu wünschen übrig ließen. "Finde ich Ihre Zustimmung, Rachel?" "Wenigstens tragen Sie heute Schuhe. War es neulich Abend Ihre Absicht, unangenehm aufzufallen, oder hatten Sie sich aus Mangel an Geschmack wie ein Flittchen angezogen?" "Der Flittchen-Look ist gerade in, Rachel", erwiderte Alessandra liebenswürdig. "Natürlich verstehe ich, dass Sie die Designermode für ältere Frauen bevorzugen. Sie steht Ihnen ja auch so gut." Rachel Shaffer blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an, und einen Moment lang dachte Alessandra sogar, Rachel würde sie ohrfeigen. Doch sie wurde von einer elegant gekleideten Blondine und einem Mann abgelenkt. "Mutter, sieh, wen ich entdeckt habe. Ralph Cameron." Alessandra musterte die blonde Schönheit. Nur an ihrer Eleganz war zu erkennen, dass sie Rachels Tochter war, ansonsten hatte sie mit Rachel nichts gemeinsam, Offensichtlich schlug sie Doug nach.
"Hallo, Ralph. Ich habe gerade mit..." Rachel machte eine Handbewegung, als hätte sie Alessandras Namen vergessen. "... geplaudert." "Alessandra", half Ralph amüsiert. "Alessandra, ich möchte dir Tiffany Shaffer vorstellen." Typisch! dachte Alessandra, sogar ihr Name klingt nach einer Million Dollar. Obwohl sie der Blondine, die besitzergreifend die Hand auf Ralphs Arm gelegt hatte, am liebsten an die Kehle gesprungen wäre, gelang es ihr, Tiffany höflich zu begrüßen. "Tiffany verbringt ihren Urlaub hier, sie ist Innenarchitektin", sagte Rachel stolz. "Alessandra arbeitet als Cowboy auf Ralphs Ranch", fügte sie, an ihre Tochter gewandt, hinzu. "Wirklich? Ich beneide Sie nicht darum, bei dieser Hitze jeden Tag draußen zu sein." Tiffany lächelte freundlich. "Eigentlich wurde ich als Buchhalterin eingestellt, aber ich habe Ralph überredet, mich mit den Rindern arbeiten zu lassen", erwiderte Alessandra. "Buchhaltung ist so langweilig. Ich bin lieber dort, wo etwas los ist." "Das sieht man", flüsterte Rachel so leise, dass nur Alessandra es hören konnte, dann stellte sie sich so geschickt vor Ralph und Tiffany, dass Alessandra von der Gruppe abgeschnitten wurde. "Kommen Sie mit uns, Ralph. Ich möchte Ihnen und meiner Tochter jemand vorstellen." Sich selbst überlassen, holte sich Alessandra eine Cola und einen Hot dog, dann ging sie dorthin, wo sich die Rodeoteilnehmer auf das Mustangreiten ohne Sattel vorbereiteten. Sie entdeckte Jim und einige andere Arbeiter von "Rough Rivers". "Ist einer von euch für Redskin ausgelost worden?" "Nein. Man darf nicht ein Pferd von der eigenen Ranch reiten, weil es nach Manipulation aussehen könnte." "Wer immer ihn zieht, wird kaum zu schlagen sein, wenn er sich bis zum Ende der Zeit oben hält. Redskin kann bocken, das steht fest."
"Ja, er und Goodnight von der "Lane-Ranch" sind die schwierigsten Pferde. Ralph hat Goodnight gezogen." "Er reitet?" "Klar. Warum sollte er nicht mitmachen?" Alessandra zuckte die Schultern und aß ihren Hot dog. Ralph hatte ihr nicht gesagt, dass er teilnahm, aber sie hatte ihn ja auch nicht mehr gesehen, seit Rachel und Tiffany ihn fortgezogen hatten. Rachel mag mich nicht, weil sie Ralph für ihre Tochter ausgesucht hat! dachte Alessandra. Und ich bin so verdammt eifersüchtig! Natürlich wusste sie nicht, was die schöne Tiffany dazu meinte, aber jede normale Frau würde sich zu Ralph hingezogen fühlen. "Ich habe mich schon gefragt, wo du geblieben bist." Beim Klang der tiefen Stimme hob Alessandra den Kopf. Allein Ralphs Lächeln ließ ihr Herz pochen. Den Hut tief in die Stirn gezogen und den Daumen im Bund seiner Jeans, stand er vor ihr und sah umwerfend gut aus. "Schau mich weiter so an, und ich vergesse vielleicht, wo wir sind, und trage dich auf den Heuboden", drohte er. Wenn du es doch nur tun würdest. Nur ein einziges Mal nicht an Anstandsregeln denken würdest und daran, wer uns sehen könnte! Ralph setzte sich neben sie auf den Heuballen. Forschend blickte er Alessandra an. "Geht es dir nicht gut? Du bist ein bisschen blass." Er befühlte ihre Stirn. "Kein Fieber", sagte er und streichelte ihre Wange, dann fiel ihm offensichtlich ein, dass sie leicht beobachtet werden konnten, und er zog die Hand zurück. "Mir fehlt nichts. Wahrscheinlich ist es sehr unfein, so etwas zu sagen, aber ich leide an Müdigkeit, weil ich zu lange im Bett bin, ohne genug Schlaf zu bekommen." Alessandra war entzückt über Ralphs verlegenes Lächeln. "Nicht, dass ich mich beklage. Im Bett bist du großartig, Mr. Cameron."
Er blickte über die Schulter, um zu sehen, ob jemand sie hören konnte. "Weißt du, was ich am meisten mag?" neckte Alessandra ihn weiter. "Die Art, wie du die Innenseite meiner ..." "Ralph! Du bist als nächster an der Reihe!" rief jemand. Er stöhnte. "Wenn du noch ein einziges anzügliches Wort sagst, werden alle hier mitbekommen, welche Wirkung du auf mich hast! Mit dir beschäftige ich mich nachher." Als er aufstand, blieb Alessandra sitzen. "Willst du nicht zusehen?" fragte er enttäuscht. "Nur, wenn du versprichst, nicht vom Pferd zu fallen." "Tue ich bestimmt nicht!" "’Tue ich bestimmt nicht!' Wie heißt das Sprichwort? ,Hochmut kommt vor dem Fall.'" "Du genießt das, oder?" sagte Ralph anklagend, während er sich langsam auf das Sofa setzte. "Klar. Du etwa nicht?" Alessandra reichte ihm lachend ein Bier. Vor seinem Sturz war er bereits lange genug oben geblieben, um das Reiten ohne Sattel zu gewinnen, aber die Helfer waren nicht schnell genug bei ihm gewesen, und der niederträchtige Goodnight hatte ihn doch noch abgeworfen. Jetzt konnte Alessandra darüber lachen, aber als Ralph reglos auf dem Boden gelegen hatte, war sie vor Angst wie gelähmt gewesen. "Mir tut jeder Knochen weh!" beschwerte sich Ralph. "Du könntest wenigstens vorgeben, Mitleid mit mir zu haben," "Das hast du heute schon genug bekommen." Alessandra dachte an das Theater, das Tiffany nach dem Unfall um ihn gemacht hatte. "Du brauchst ein heißes Bad, ich lasse dir eins ein." "Bis ich die Treppe nach oben geschafft habe, ist bestimmt das Wasser kalt", nörgelte Ralph, bevor er sich vorsichtig erhob und ihr murrend folgte.
"Fühlst du dich besser?" fragte Alessandra. Ralph saß im Bett und trank den Kaffee, den sie ihm gebracht hatte. Er antwortete nicht, verärgert, weil sie es trotz seiner Bitten abgelehnt hatte, ihn zu baden. Sie argwöhnte, dass er wie alle Männer übertrieb, um bemitleidet zu werden. Doch das war nicht der einzige Grund für ihre Weigerung gewesen. Sie wusste, dass es sie erregt hätte, seinen nackten Körper zu berühren, und an diesem Abend war sie für Sex nicht in Stimmung. "Angesichts deines Zustands ist es wohl das beste, wenn ich heute nacht in meinem eigenen Zimmer schlafe.“ Alessandras vernünftiger Vorschlag brachte ihr einen wütenden Blick ein. "Du hast gesagt, dir tut alles weh ..." "Das stimmt auch! Aber im selben Bett zu liegen, bedeutet doch nicht, dass wir uns lieben müssen!" schimpfte Ralph. "Kannst du dabei an nichts anderes als Sex denken? Betten sind auch zum Schlafen da, verstehst du?" Zuerst war Alessandra verblüfft, dann wurde sie zornig. "Das weiß ich! Auch wenn du und Rachel Shaffer mich dafür haltet, ich bin kein Flittchen! Hoffentlich hast du die ganze Nacht Schmerzen!" "Alessandra ..." Sie schlug bereits die Tür hinter sich zu. Einen Tränenschleier vor den Augen, schloss sie sich in ihrem Zimmer ein. Würde sie Ralph nicht so sehr lieben, würde sie ihn hassen! Die Prellung an der Hüfte ist wahrscheinlich das Schlimmste, dachte Ralph, als er sich vorsichtig abtrocknete. Doch es tat nicht einmal halb so weh wie die Erinnerung an das, was er am Abend zuvor zu Alessandra gesagt hatte. Sie hatte das Haus schon verlassen, was ihm Gelegenheit gab, sich eine Entschuldigung zu überlegen. Aber keine noch so schön formulierten und lange geprobten Worte würden in diesem Fall genügen. Anstatt ihr einfach zu sagen, dass er sie brauchte, hatte er sie indirekt beschuldigt, Nymphomanin zu
sein. Nur weil sie die aufregendste Frau war, mit der er je geschlafen hatte, bedeutete das ja nicht, dass sie unzählige Erfahrungen gesammelt hatte. Ralph schaltete den Computer ein. Einige Tage lang würde er nicht reiten können. Sogar das Sitzen auf einem Stuhl tat teuflisch weh. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne verblassten am Himmel, als Alessandra zum Haus zurückkehrte. Sie war müde und verschwitzt und seufzte beim Anblick eines fremden Autos auf dem Hof. Sie wollte duschen, eine Kleinigkeit essen und drei Tage nur schlafen, keine Gäste. Besonders nicht diesen Gast. "Hallo. Sie sehen abgespannt aus." Tiffany lächelte freundlich. Während du nach einer Million Dollar aussiehst, dachte Alessandra, bevor sie das Lächeln der eleganten Frau erwiderte. "Ja, bin ich auch." "Tiffany hat einen Auflauf mitgebracht." Ralph zeigte auf den Mikrowellenherd. "Wir wollten auf dich warten." "Hättet ihr nicht tun sollen. Ich muss duschen und mich umziehen. Fangt ruhig schon an." Ich klinge vollkommen gelassen, obwohl ich doch vor Eifersucht koche, dachte Alessandra überrascht. Ganz egal, wie viel Zeit sie sich für das Duschen und Umziehen nehmen würde, der springende Punkt war, dass sie kein Kleidungsstück besaß, in dem sie mit Tiffanys Hosenanzug aus Rohseide konkurrieren könnte. Alessandra blickte Ralph an, der das Weinglas der Besucherin füllte. Tiffany Shaffer würde niemals Bier aus der Dose trinken. "Stimmt etwas nicht, Alessandra?" Man hätte seinen Ton besorgt nennen können, hätte er nicht hinzugefügt: "Das Abendessen kann nicht ewig warten." Dann lass dir den Auflauf doch schmecken und erstick daran! wollte sie sagen, statt dessen erwiderte sie höflich, sie würde sich beeilen. Sie hatte keine Lust, den Abend in Gesellschaft
dieser beiden Menschen zu verbringen - Ralph glaubte, sie hätte die Moral einer streunenden Katze, und die vornehme, kultivierte Tiffany gab ihr das Gefühl, eine zu sein! Wie Alessandra erwartet hatte, war das Abendessen eine Qual. Tiffany und Ralph unterhielten sich angeregt, aber später konnte sich Alessandra nicht daran erinnern, worüber gesprochen worden war. Sie lächelte, nickte oder schüttelte den Kopf, je nachdem, was sie für angebracht hielt, und täuschte Interesse an ihrem Essen vor, obwohl sie kaum einen Bissen hinunterbekam. Sobald es die Höflichkeit erlaubte, entschuldigte sie sich mit Müdigkeit. Zuerst nahm Alessandra nur wahr, dass sie angezogen eingeschlafen war. Sie sah auf den Reisewecker neben ihrem Bett. Viertel nach zehn. Sie hatte fast zwei Stunden geschlafen. "Alessandra." Erschrocken drehte sie sich zur Tür um und sah überrascht, dass Ralph neben dem Bett stand. "Ralph? Ist etwas nicht in Ordnung?" Sie setzte sich auf. "Du warst beim Abendessen so still und blass. Geht es dir nicht gut?" Forschend blickte er ihr ins Gesicht, bevor er zögernd die Hand an ihre Wange legte. Wärme strömte bei seiner Berührung durch sie hindurch. "Mir fehlt nichts. Ist Tiffany noch hier?" "Sie ist vor ungefähr einer Stunde gegangen." "Wie nett von ihr, dir den Auflauf zu bringen." Sofort bereute Alessandra ihre Worte. Sie wollte nun wirklich nicht in Gegenwart des Mannes, den sie selbst liebte, Tiffanys Tugenden loben. "Es war die Idee ihrer Mutter." "Dann bin ich froh, nicht viel gegessen zu haben. Meine Portion enthielt wahrscheinlich Rattengift." "Rachel hat eine freundliche Seite, allerdings zeigt sie die nur wenigen Auserwählten."
"Nun, du gehörst zweifellos dazu, wenn sie dir die schöne Tiffany zusammen mit einer selbstgekochten Mahlzeit geschickt hat." "Du bist eifersüchtig!", rief Ralph. "Jetzt hör aber auf! Warum sollte ich?" Alessandra hoffte, dass er sie nicht durchschaute. "Weil ich den Nachmittag mit Tiffany verbracht ha..." "Du hast den Nachmittag mit...?" Ralphs Lächeln sagte Alessandra, dass sie in die Falle gegangen war. Verzweifelt versuchte sie, den Fehler zu überspielen. "Ach so. Ich dachte, sie sei erst kurz vor mir gekommen." Ralph setzte sich blitzschnell aufs Bett und beugte sich zu ihr. "Gib es zu. Du bist eifersüchtig." Alessandra schüttelte den Kopf. "Du eingebildeter ..." Er erstickte ihre Worte mit einem Kuss. "Gib es zu." "Ich denke ja gar nicht daran!" Wieder küsste er sie, diesmal noch leidenschaftlicher. "Sag die Wahrheit. Du warst wütend, als du nach Hause kamst und uns zusammen sahst..." "Nein ..." Anstatt sich zu wehren, öffnete Alessandra den Mund und ließ ihn mit ihrer Zunge spielen. "Ich war entsetzlich eifersüchtig", gestand sie atemlos. "Du hast keinen Grund dafür. Ich habe nicht das geringste Interesse an Tiffany." Alessandra rückte ein bisschen von ihm ab. "Warum nicht? Sie ist doch genau dein Typ. Elegant, gut erzoge n, superattraktiv, sie flucht nicht, würde niemals Bier aus der Dose trinken und schon gar nicht mit Cowboys einen trinken gehen. Eine Dame in jedem Sinne des Wortes. Genau wie es deine Frau war und wie du dir Lisa wünschst." Was Alessandra sagte, beunruhigte Ralph ganz offensichtlich. Er fuhr sich nervös durchs Haar, dann ließ er sich zurücksinken und blickte starr zur Decke. Es wäre leicht gewesen, sich einfach an ihn zu schmiegen und diese
unangenehme Situation mit Sex zu beenden. Wenn sie miteinander schliefen, gab es keine quälenden Gedanken. Aber Alessandra wusste, dass sie nicht mehr nur für den Augenblick leben wollte. "Du hast recht. Kathleen war eine Dame", sagte Ralph ruhig. "Ich hatte nie zuvor eine Frau getroffen, die soviel Stil und Eleganz besaß. Und ich liebte sie. Aber es war keine Liebe zwischen Erwachsenen, und sie war auch nicht tief genug. Jetzt, mit der Reife von achtunddreißig Jahren weiß ich, dass Kathleen und ich nie über die Phase der ersten Verliebtheit hinausgekommen sind." Seine Worte verblüfften Alessandra. Sie standen in völligem Widerspruch zu dem, was sie sich vorgestellt hatte. Hoffnung keimte in ihr auf, und sie versuchte, sich dagegen zu wappnen. Blieb sie unerfüllt, würde es ihr sehr weh tun. "Schon vor der Hochzeit hatte ich Zweifel." "Ich verstehe nicht ... Warum hast du sie geheiratet, wenn du dir nicht sicher warst?" "Kathleen war schwanger", sagte Ralph. "Ich dachte, das hätte ich dir oben in der Hütte erzählt." "Nein." "Marilyn und ich sind ohne Vater aufgewachsen, wir kannten ihn nicht einmal. Nichts kann dich dafür entschädigen, dass dich dein eigener Vater nicht wollte. Ich hatte mir geschworen, dass kein Kind von mir unehelich geboren wird." Alessandra hatte weder die Umstände seiner Heirat gekannt noch gewusst, dass er und Marilyn ohne Vater groß geworden waren. "Es muss schwer für deine Mutter gewesen sein, allein mit zwei kleinen Kindern." "Sie wollte es so." "Wie bitte?" "Meine Mutter liebte einen verheirateten Mann, und die Affäre dauerte bis zu ihrem Tod, obwohl er Marilyn und mich niemals anerkannte."
"O Ralph ..." Alessandra, die aus einer intakten Familie kam, wusste, was Ralph vermisst hatte. "Mein Onkel ersetzte den Vater für Marilyn und mich. Er starb wenige Wochen vor meiner Hochzeit und hinterließ mir seine Ranch in Texas", fuhr Ralph fort. "Kathleen hasste das Leben dort - die Hitze, den Staub, die Einsamkeit - und nach einiger Zeit hatten wir uns nur noch wenig zu sagen." Alessandra fragte sich, wie eine Frau mit Ralph verheiratet und nicht der glücklichste Mensch auf Erden sein konnte. "Lisa war erst wenige Wochen alt, als Kathleen bei einem schlimmen Asthmaanfall starb. Ich war Meilen weit weg, überprüfte Zäune." "Es tut mir leid, Ralph." Die Worte waren der Situation nicht angemessen, aber welche wären das schon? Seine Miene verriet Alessandra, dass er verstand, was sie ausdrücken wollte. "Ich musste hart kämpfen, um das Sorgerecht für Lisa zu behalten." "Ja, ich weiß. Sie hat es mir erzählt." "Manchmal frage ich mich selbst jetzt noch, ob ich das Richtige getan habe: Ich war erst zwanzig und hatte so gut wie kein Geld ..." "Aber du liebtest sie. Und du warst ihr Vater. Natürlich hast du das Richtige getan." "Ich weiß. Trotzdem ... Kathleen wünschte sich für Lisa eine College-Ausbildung, Reisen ins Ausland und so viele andere Dinge, die Kathleens Eltern Lisa hätten bieten können. Ich werde nie in der Lage sein, Lisa all das zu geben, was sich ihre Mutter für sie erträumte." "Damals brauchte Kathleen noch keine Rücksicht darauf nehmen, was Lisa selbst sic h wünscht. Du musst es." "Ja." Ralph seufzte. "Ist es denn so falsch, dass ich das Beste für sie will? Sie soll studieren, damit sie ein anderes Leben kennen lernt als das der Viehzüchter und Farmer. Ich will, dass sie sieht, wie viele verschiedene Welten es gibt. Dann kann sie
entscheiden, in welcher sie leben möchte, anstatt wie Kathleen unvorbereitet in eine ihr völlig fremde gestoßen zu werden und nicht damit zurechtzukommen. Ist es denn so falsch, dass ich meiner Tochter keine Ehe wünsche, die nur auf Leidenschaft und nicht auf Liebe basiert?" "Nein", flüsterte Alessandra und ergriff seine Hand. "Es ist verständlich." "Warum unterstützt du dann Lisas Entschluss, nicht zu studieren?" "Weil Eltern nicht unfehlbar sind. Manchmal irren sie." Ralph wandte den Kopf und sah sie an. "Wie Jennis?" "Ja. Jeder Mensch muss selbst entscheiden, was er tun oder nicht tun will. Man kann seinen Rat anbieten, aber man sollte niemandem seine Vorstellungen aufzwingen. Lisa hat das Recht, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, auch die falschen." "Komm her ... " sagte Ralph und zog Alessandra in die Arme. Noch nie zuvor hatten sie sich so zärtlich geküsst. Als Alessandra einladend den Mund öffnete, sah sie in Ralphs Augen eine unendliche Zärtlichkeit. "Ich muss mich bei dir entschuldigen. Gestern Abend ... ich wollte nicht andeuten, dass du mannstoll bist. Ich war wütend, weil du nicht bei mir schlafen wolltest. Was ich meine, ist..." "Du wolltest Kuscheln, keine Leidenschaft", sagte Alessandra sanft. "Ja. Mir ist egal, wie viele Liebhaber du schon hattest." "Zwei. Ich hatte hur zwei." Sie umfasste mit beiden Händen seinen Kopf und sprach schnell weiter, "Ich bin keine, die so schnell mit einem Mann ins Bett geht. Glaub mir, als Verführerin bin ich eine echte Anfängerin." "Einen unerfahrenen Eindruck machst du nun wirklich nicht!" "Ralph, ich bin mit fünf Brüdern aufgewachsen und habe ihre Gespräche belauscht. Wahrscheinlich könnte ich ein Buch über
Männer und Sex schreiben und würde mich wie eine Expertin anhören..." "Und was ist mit deinem ,Ich fühle mich orgastisch', das du beim geringsten Anlass sagst?" Alessandra senkte den Blick. "Bevor ich dich traf, hatte ich noch nie einen Höhepunkt. Alles, was ich darüber wusste, hatte ich auch nur gelesen. Und ich habe es nicht mehr gesagt, seit wir uns das erstemal geliebt haben." Ralph lächelte triumphierend. "Ich hätte nichts dagegen, es heute nacht von dir zu hören. Das heißt, wenn du mein Bett mit mir teilen willst." "Was möchtest du - Kuscheln oder Leidenschaft?" "Alles. Mit dir will ich alles, Alessandra." . Die nächsten zwei Wochen waren wie ein Traum. Jeden Morgen wurde Alessandra zärtlich von Ralph geweckt und mit seiner Leidenschaft verwöhnt. Nach dem gemeinsamen Frühstück gingen sie jeder für sich ihrer Arbeit nach, trafen sich jedoch wenn möglich zum Mittagessen. Alessandra war ziemlich sicher, dass Jim und die anderen Cowboys die veränderte Atmosphäre zwischen ihr und dem Boss bemerkten, aber abgesehen von einem gelegentlichen verstohlenen Zwinkern in ihre Richtung machte niemand eine Anspielung auf die neue Situation. Manchmal wünschte Alessandra, sie könnte ihr Glück laut herausschreien, aber Ralph sprach nie über seine Gefühle für sie, und deshalb erklärte sie ihm ihre Liebe nur mit Taten, niemals mit Worten. Das Geräusch der sich öffnenden Tür lenkte Alessandra von den Lohnabrechnungen ab. Sie hob den Kopf und sah Ralph mit zwei Tassen das kleine Büro betreten. "Kaffeepause", sagte er, stellte eine gefüllte Tasse vor sie hin und setzte sich mit der anderen auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. "Wenn alle Arbeitgeber so großzügig wären wie du, würde man die Gewerkschaften abschaffen.." Alessandra war entzückt
über sein unerwartetes Erscheinen am Morgen. Das Funkeln in seinen Augen verriet ihr, dass er an die vergangene Nacht dachte, als sie ihn den großzügigsten Liebhaber genannt hatte, den sich eine Frau nur wünschen konnte. Und beide wussten sie, dass sie nicht materielle Geschenke meinte. Seine Selbstlosigkeit beim Sex erstaunte sie immer wieder. "Während du vorhin unter der Dusche standst, hat Lisa angerufen. Sie fliegt heute zurück." Alessandra hoffte, er würde ihr irgendwie zu verstehen geben, dass die Rückkehr seiner Tochter nicht das Ende ihrer Affäre bedeutete. Affäre? Das Wort passte nicht zu der liebevollen, leidenschaftlichen Beziehung, die sich während Lisas Abwesenheit zwischen ihnen entwickelt hatte. Aber nach seiner unbehaglichen Miene zu urteilen, schien er das Verhältnis zumindest in dieser offenen Weise nicht fortsetzen zu wollen. "Lisa schien sich zu freuen, nach Hause zu kommen, und sagte, sie habe gute Neuigkeiten." Alessandra wusste, dass er absichtlich vermied, darüber zu sprechen, ob sie weiterhin bei ihm in seinem Zimmer schlafen würde oder nicht. Er lächelte sie zärtlich an. "Willst du mit zum Flughafen fahren, um sie abzuholen? Wir können ..." "Nein, Ich muss zur Bank und den Lohnscheck einlösen. Du magst über die Rückkehr der verlorenen Tochter überglücklich sein, aber die Männer werden es nicht sein, wenn sie ihr Geld nicht bekommen." "Oh, das hatte ich vergessen." Ralph runzelte die Stirn, dann sprang er auf: "Jim kann zur Bank fahren, und du machst die Löhne fertig, wenn wir vom Flughafen zurück sind." Alessandra schüttelte den Kopf und begann, die Papiere auf dem Schreibtisch abzuheften. "Warum nicht?"
Sie musste zugeben, dass er aufrichtig verblüfft klang. Na gut, vielleicht beurteilte sie seine Absichten falsch, aber sicher konnte sie nur sein, wenn sie ihn fragte. "Wirst du Lisa sagen, dass wir ein Liebespaar sind?" "Ist das nötig?" wich Ralph aus, indem er ihr mit einer Gegenfrage antwortete. "Nein, wir brauchen nur dafür zu sorgen, dass sie uns morgen früh aus demselben Schlafzimmer kommen sieht. Ich bin überzeugt, dass Lisa allein herausfinden kann, was das bedeutet." Alessandra musste einfach sarkastisch sein. Seine zusammengepressten Lippen verrieten ihr, wie verärgert er über ihre Worte war. "So etwas könnte ich nicht tun." "Ach ja, richtig! Die arme Lisa wird vielleicht völlig verdorben, wenn sie erfährt, dass ihr Vater ein Sexleben hat! Um Himmels willen, möglicherweise denkt sie dann, dass du auch nur ein Mensch bist!" "Es geht mir nicht allein um ihre Meinung von mir ..." "Glaub nur nicht, du tust mir einen Gefallen, Ralph! Mir ist nämlich egal, wer weiß, dass ich mit dir schlafe!" Alessandra stand auf und stopfte die Hefter unordentlich in den Aktenschrank. Ihre Enttäuschung äußerte sich in Wut. "Im Gegensatz zu dir schäme ich mich unserer Beziehung nicht!" "Das tue ich auch nicht! Aber ich will sie nicht so fortführen ..." "Schön! Das ist alles, was ich wissen wollte." Alessandra schob krachend die Schublade zu. "Rechtfertige dich vor Lisa und deinem Gewissen, wie immer du willst, aber nicht in meinem Namen!" "Alessandra ..." "Spar die die Worte, Ralph!" sagte sie und ging zur Tür. Als Alessandra von der Bank zurückkehrte, war Ralph bereits losgefahren, um Lisa abzuholen, wofür Alessandra dankbar war. Sie wollte den Streit vom Morgen nicht aufwärmen. Nicht jetzt.
Sie brauchte fast zwei Stunden, um die Lohntüten fertig zu machen. Um vier Uhr kam Jim und nahm die Umschläge mit, um sie unter den Arbeitern zu verteilen. Da Alessandra keine dringenden Arbeiten mehr zu erledigen hatte und nicht einmal daran denken möchte, das Abendessen vorzubereiten, gönnte sie sich ein Schaumbad. Ralph und Lisa würden nicht vor acht zurück sein, und Alessandra begrüßte es, Zeit für sich allein zu haben. Sie schloss die Augen, entspannte sich in dem duftenden Wasser und nahm sich vor, die unangenehmen Tagesereignisse hinter sich zu lassen und sich ganz auf die Zukunft zu konzentrieren. Ihr Job endete Ende nächster Woche, und eins war klar: Sie musste irgendeinen Ort finden, an dem sie einige Tage bleiben konnte. Je länger sie sich in diesem Haus aufhielt, desto mehr würde sie leiden. Sie hatte geglaubt, dass Ralph bis zur Rückkehr seiner Tochter erkannt haben würde, dass er ohne sie, Alessandra, nicht mehr leben konnte. Er würde sie bitten zu bleiben, hatte sie gedacht. Nie war sie so naiv gewesen, auf einen Heiratsantrag zu hoffen - dass er nicht wieder heiraten wollte, hatte er ja deutlich gemacht -, aber sie war bereit gewesen, als seine Geliebte zu bleiben. Es war besser als nichts. Nur hatte Ralph auch das nicht gewollt... Alessandra könnte ihren Bruder Drew anrufen und bitten, sie in seiner Wohnung in Sydney wohnen zu lassen, bis sie einen neuen Job gefunden hatte. Nur würde er eine Erklärung erwarten, und im Moment war sie nicht sicher, ob sie ihm eine würde geben können, ohne in Tränen auszubrechen. Und selbst wenn sie eine neue Stelle fand, würde sie ihre Familie bald um finanzielle Unterstützung bitten müssen. Das hatte sie noch nie getan, doch sie war auch noch nie verliebt gewesen und hatte sich noch nie in einer Lage befunden, die sie davon abhielt, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Das Haus lag im Dunkeln, als Ralph den Range Rover zum Stillstand brachte und im nächsten Moment heraussprang.
Lisa rannte, um ihn einzuholen. "Gib nicht Alessandra die Schuld, Dad! Sie hat doch nichts Falsches getan!" "Da bin ich anderer Meinung." Ralph war verblüfft, dass seine Stimme so beherrscht klang, obwohl er innerlich vor Wut kochte. "Nirgendwo brennt Licht. Bestimmt schläft sie schon", sagte Lisa. "Sprich morgen früh mit ihr." "Schreib mir nicht vor, was ich, Alessandra betreffend, tun soll." Er schaltete die Küchenlampe ein, dann drehte er sich zu seiner Tochter um: "Hol deinen Koffer aus dem Auto und geh zu Bett." "Aber Dad, hör mir doch einmal zu ..." "Für einen Abend hast du schon mehr als genug gesagt." "Würdet ihr bitte etwas leiser sein? Ich versuche zu schlafen." Alessandra lehnte oben über dem Treppengeländer. Sie trug ein kurzes, weites T-Shirt, das ziemlich weit hochrutschte, als sie sich durch das zerzauste blonde Haar fuhr. Ralph sehnte sich danach, mehr von ihr zu sehen, und vergaß seine Wut einen Moment lang, doch Lisas Warnung weckte seinen Zorn von neuem. "Es tut mir leid, Alessandra. Ich wollte es ihm erklären, aber ..." "Alessandra, ich möchte im Büro mit dir sprechen." Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Ralph in den Flur. "Sofort!" Schlaftrunken kam Alessandra die Treppe hinunter. "Lisa? Was geht hier vor?" Das Mädchen biss sich auf die Lippe. "Warum ist dein Vater so wütend? Jeder Hinweis wäre mir eine große Hilfe." "Ich warte, Alessandra!" schrie Ralph. Wieso war er bloß so zornig? Alessandra machte sich auf den Weg zum Büro. Nach nur zwei Schritten hörte sie Lisas ängstliches Flüstern hinter sich. "Er weiß, dass ich die Pille nehme und du mit mir zum Arzt gegangen bist."
Dazu fielen Alessandra nur zwei Worte ein. Oh, großartig!
10. KAPITEL Alessandra holte tief Luft und betrat das Büro. "Du bist mir wirklich eine!", fiel Ralph sofort über sie her. "Dir ist nichts heilig! Du mischst dich einfach ein und tust, was immer du für richtig hältst! Denkst du eigentlich nie nach, bevor du handelst? Ist dir noch nie der Gedanke gekommen, dass du womöglich nicht alles besser weißt? Dass es vielleicht Dinge gibt, die dich nichts angehen?". Er hatte leise, doch mit einem drohenden Unterton in der Stimme gesprochen, während er wütend hin und her ging. Alessandra wusste, dass er eine Antwort erwartete. Verzweifelt suchte sie nach den richtigen Worten, und dabei kamen ihr die falschen über die Lippen. "Ich bin schwanger." Fassungslos sah Ralph sie an. Er wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Alessandra zwang sich, möglichst gelassen zu wirken. "Deine Reaktion ähnelt meiner, als es mir die Ärztin heute sagte." Er setzte sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und warf Alessandra einen forschenden Blick zu. "Bist ... bist du sicher? Ich meine ... du sagtest, du würdest die Pille nehmen ..." "Ich habe sie genommen", fauchte Alessandra. "Ich bin keine Lügnerin!" "Das wollte ich damit auch nicht andeuten", erwiderte Ralph fast sanft. "Ich habe noch nicht entschieden, was ich tun werde ..."
Er sprang auf. "Was zum Teufel soll das heißen?" schrie er so laut, dass sie unwillkürlich zwei Schritte rückwärts machte. "Schlag dir den Gedanken an eine Abtreibung aus dem Kopf!" "Ich würde niemals abtreiben! Wie kannst du überhaupt denken..." "Entschuldige.." Ralph kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu. "Tut mir leid, Alessandra, ich habe nicht nachgedacht. Als du sagtest, du wüsstest noch nicht, was du tun wirst... Ich weiß, was zu tun ist. Als erstes heiraten wir." Alessandra wich vor seiner Berührung zurück. Wie oft hatte sie davon geträumt, diese Worte von ihm zu hören. "Nein." "Nein? Du willst mich nicht heiraten?" Sie lächelte über seine ungläubige Miene. Ralph versuchte wieder, das Richtige zu tun, und verstand überhaupt nicht, dass sie nicht mitspielte. "Das ist kein Scherz, Alessandra. Es ist mir völlig Ernst damit." "Ich weiß", erwiderte sie sanft. "Glaub mir, ich hatte nie die Absicht, dich so mit der Neuigkeit zu überfallen. Ich wollte erst mit mir selbst ins reine kommen." Angestrengt blickte sie auf den Teppich, um nicht die Fassung zu verlieren. "Aber du wolltest es mir doch sagen?" Offensichtlich hatte er Zweifel. Sie hob den Kopf. "Ja! Ich hätte dir niemals vorenthalten, dass du Vater wirst. Auch nicht Lisa, dass sie einen Halbbruder oder eine Halbschwester bekommt." Alessandra war plötzlich zum Weinen zumute. "Jetzt wird deine Tochter doch noch von unserem kleinen ... Abenteuer erfahren, obwohl du das auf keinen Fall wolltest. Es tut mir leid, Ralph." Ihre Gefühle drohten Alessandra zu überwältigen, und sie lief zur Tür. "Alessandra ..."
"Bitte, Ralph, reden wir morgen darüber. Ich ..." Sie rannte zur Treppe und hörte, dass er ihr folgte. Aus der Küche rief Lisa, sie solle warten. "Dad! Lass sie in Ruhe, sie weint! Was hast du ihr getan?" Lisas Stimme drang bis nach oben, ebenso wie Ralphs Antwort. "Ich habe sie geschwängert, und die dickköpfige Närrin will mich nicht heiraten!" Die Sonne schien, und irgendein Sadist versuchte, mit bloßen Händen die Tür einzuschlagen. "Alessandra! Ich bin es ... Lisa. Bist du wach?" "Bei dem Lärm, den du machst, müsste ich tot sein, um weiter schlafen zu können. Warte, ich schließe auf." Alessandra stand auf und öffnete. "Ist es wahr?" fragte Lisa und lächelte selig. "Bekomme ich wirklich einen kleinen Bruder? Oder eine Schwester?" Alessandra nickte und legte sich wieder aufs Bett. "Das ist ja wundervoll!" Lisa wurde ernst. "Du hast zu Tante Marilyn und mir gesagt, du seist verrückt nach meinem Vater. Warum also willst du ihn nicht heiraten? Be sonders jetzt...". "Ralph hat mir einen Heiratsantrag gemacht, nachdem ich ihm von dem Baby erzählt hatte. Er hätte mich bitten müssen, seine Frau zu werden, bevor er von der Schwangerschaft wusste. Verstehst du?" "Nein." Lisa warf Alessandra einen überheblichen Blick zu. "Ich finde, du bist reichlich anspruchsvoll. Wenn der Mann, den ich liebe, mir einen Heiratsantrag machen würde, wäre ich überglücklich. Der Zeitpunkt ist doch egal!" schimpfte Lisa, "Du warst zu lange mit Marilyn zusammen. Allmählich hörst du dich wie sie an." "Ja, nun ... ich wette, sie würde dich zur Vernunft bringen.", Lisa schmollte. Ich werde nicht zulassen, dass sich Ralph wieder opfert, wie damals, als deine Mutter schwanger war! hätte Alessandra so gern gesagt. Aber sie konnte nicht. Sie wusste nicht, wie viel
Lisa über die Umstände der Heirat ihrer Eltern wusste. Vielleicht glaubte sie immer noch, die Frucht einer großen Liebe zu sein. Wenn ihr jemand die Wahrheit sagte, dann sollte es Ralph sein und niemand sonst. Lisa brach das peinlich werdende Schweigen. "Ich habe beschlossen zu studieren." "Ach? Dein Vater wird sich freuen." "Er hat sich gefreut. Zuerst." "Was soll das nun heißen?" "Ich habe ihm mitgeteilt, dass ich an die Universität in Los Angeles will, und er ist außer sich vor Zorn geraten. Er hat sich über all die Verrückten in Kalifornien ereifert, über die Gefahren für ein junges Mädchen dort ..." Lisa sah Alessandra entschuldigend an. "Und daraufhin sagte ich, ich würde besonders gut aufpassen und hätte außerdem schon Vorsichtsmaßnahmen ergriffen." "Damit ist die Pille gemeint, richtig?" "Ja. Ich habe ihm erzählt, du wolltest mich überreden, mit ihm darüber zu sprechen. Und ich wüsste, dass die Pille nicht hundertprozentig sicher ist..." "Wie wahr!" "Aber er wollte mir nicht zuhören. Ich glaube, Dad war gar nicht böse, dass ich sie nehme. Er war wütend, weil du es wusstest und er nicht." Alessandra war ziemlich sicher, dass Lisa damit recht hatte. "Wenn es dich beruhigt, ich hatte noch keinen Grund, froh zu sein, dass ich sie nehme", verriet Lisa errötend. "Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Todd nicht der Richtige ist." "Der Richtige kommt, wenn du es am wenigsten erwartest, und wird dich hinreißen." Alessandra umarmte Lisa. : "Wie es Dad mit dir getan hat?" Seufzend stand Alessandra auf. "Ja, genau so." "Trotzdem liebst du ihn nicht genug, um ihn zu heiraten."
"Lisa, du verstehst mich nicht!" Alessandra war frustriert, weil sie es nicht erklären durfte. "Ich werde deinen Vater nicht heiraten, weil ich ihn zu sehr liebe." "Du wirst fortgehen, nicht wahr?" Alessandra nickte. "Wann?" "Ich muss erst meinen Bruder anrufen. Wahrscheinlich Ende der Woche." "Ich werde dich vermissen", sagte Lisa. Alessandra traten Tränen in die Augen. "Ich dich auch." Auf dem Weg über den Hof hoffte Alessandra, dass die Kopfschmerzen bald nachließen. Sie hatte nichts einnehmen wollen, weil sie nicht wusste, ob es vielleicht dem Baby schadete. Ralphs Baby ... Sie ging in den Stall, um Pewter zu satteln, und entdeckte überrascht, dass Jim noch da war. "Tut mir leid, dass ich zu spät komme, Jim. Was mache ich heute?" "Keine Ahnung. Reiten werden Sie jedenfalls nicht." "Wie bitte?" fragte Alessandra verblüfft. Gestern hatte Jim zu ihr gesägt, sie solle sich auf einen langen Tag im Sattel einrichten. "Sie haben es gehört. Ich würde fast alles für Sie tun, Alessandra, aber ich setze nicht meinen Job aufs Spiel, indem ich die Befehle des Boss missachte." "Welche Befehle?" "Sie sollen nicht reiten." "Warum nicht?" "Verdammt, Mädchen! Reiten ist nic ht gut für Schwangere!" Alessandra war einen Moment lang sprachlos. "Ralph hat Ihnen gesagt, dass ich schwanger bin?" "Ja." Jim lächelte breit. "Überglücklich ist er. Ich habe mir gleich gedacht, dass der Boss viel zu klug ist, um eine so hübsche Biene wie Sie wieder gehen zu lassen."
"Ich glaube es einfach nicht!" flüsterte Alessandra. Was gab Ralph das Recht, zu verbreiten, dass sie ein Kind erwartete? "Wissen Sie, wo ich den mitteilsamen Mr. Cameron finde?" Jim lachte. "Er ist zu den Shaffers gefahren. Ich nehme an, er will ihnen die gute Neuigkeit auch erzählen!" Alessandra rannte zurück zum Haus und überwand die Verandatreppe in einem einzigen großen Sprung. "Solltest du das in deinem Zustand tun?" fragte Lisa tadelnd. "Ich bin in der siebten Woche, nicht im siebten Monat. Wie lautet die Telefonnummer der Shaffers?" Lisa zuckte die Schultern, und Alessandra drückte ihr das private Telefonbuch in die Hand. "Such sie heraus." "Hier ist sie." Lisa gab ihr die Nummer, und Alessandra drückte die Tasten. "Was ist denn los? Warum willst du dort anru ..." "Hallo, Doug? Hier ist Alessandra. Ist Ralph bei Ihnen?" "Guten Morgen, junge Dame", begrüßte Doug sie. "Ja, er ist gerade gekommen. Ich gebe ihn Ihnen." Sie hörte, dass er Ralph sagte, wer ihn sprechen wollte. Ralphs Stimme klang besorgt, als er sich meldete. "Was ist los, Alessandra? Geht es dir schlecht?" "Ich fühle mich besser, als du es tun wirst, wenn du mir unter die Augen kommst! Was hast du dir dabei eigentlich gedacht, Jim zu erzählen, dass ich schwange r bin? Und nicht reiten darf! Die Ärztin sagte, dass ich zunächst so weiterleben kann wie bisher. Ich ..." "Nun, das ist schön, Liebling ..." Liebling? Er hatte sie nur einige Mal so genannt, als sie allein waren! Und jetzt tat er es vor Doug Shaffer und möglicherweise vor Rachel! Als sich Alessandra von der Überraschung erholt hatte, hörte sie Ralph im Hintergrund mit Doug sprechen. "Alessandra ist schwanger, und ich wies Jim an, sie nicht reiten zu lassen, aber die Ärztin sagte, es sei in Ordnung ..." "Ralph! Ralph!" schrie Alessandra ins Telefon.
"Ja, Liebling?" "Lass das!" fauchte sie. "Warum tust du das?" "Stimmt etwas nicht? Leg nicht auf, Doug möchte mit dir reden..." "Nein! Nein, ich..." "Herzlichen Glückwunsch, Alessandra", rief Doug herzlich. „Das ist ja eine wundervolle Neuigkeit. Allerdings verstehe ich nicht, warum Sie Ralph nicht heiraten wollen. Einen besseren Mann finden Sie nicht. Na ja, die Frauen von heute fühlen sich in einer Ehe wohl eingeengt. Wenn Sie einmal mit einer Frau darüber sprechen möchten - meine Rachel hört Ihnen gewiss gern zu." "Nun ... danke, Doug. Würden Sie mir bitte Ralph noch einmal geben?" "Ja, Liebling?" Es klang belustigt. "Ich bringe dich um! Ich schwöre dir, ich ..." "Wir sehen uns, wenn ich nach Hause komme. Bis dann." "Ralph! Nicht!" Er legte auf. Alessandra knallte den Hörer auf die Gabel. Vor Schreck sprang Lisa auf, dann kicherte sie. "Ruhe, Lisa! Das ist nicht komisch! Dein Vater erzählt in der ganzen Gegend herum, dass ich schwanger bin!" "Na, leugnen kannst du es wohl schlecht. Was willst du jetzt tun?" "Ich rufe meinen Bruder, an, dann nehme ich das erste Flugzeug, das mich von hier fortbringt!" Alessandra warf den Schlafsack auf die Ladefläche des Lieferwagens und überprüfte, ob sie alles hatte. Zwei Decken, ein Zelt, ein Karton mit Konserven, ihren Rucksack mit Kleidung zum Wechseln, Toilettenartikel und ein Taschenbuch. Das müsste genügen. "Du bist verrückt", sagte Lisa zum zehntenmal in einer Stunde.
"Das meinen viele, Lisa." Lächelnd setzte sich Alessandra hinter das Steuer. "Was tue ich, wenn ich dich dringend erreichen muss?" Lisa versuchte immer noch, ihr auszureden, allein zelten zu fahren, ohne irgend jemandem zu sagen, wohin. "Ich bin übermorgen zurück. Drew überweist das Geld auf mein Konto in der Stadt. In der Zwischenzeit wird bestimmt nichts passieren, was ich wissen muss." "Dad wird sich furchtbar aufregen, wenn er zurückkommt und du fort bist." "Gut. Wenn ich dir nicht verrate, wohin ich fahre, brauchst du ihn nicht anzulügen." Bei der besorgten Miene des jungen Mädchens hätte Alessandra einen Moment lang Gewissensbisse. "Beruhige dich, Lisa. Ich bin neun Jahre lang durch die Welt gereist, und mir ist noch nie etwas zugestoßen." "Ja, aber damals warst du auch nicht von meinem Vater schwanger. Das allein macht dein Vorhaben zu einer erschreckenden Dummheit!" Alessandra stieg aus dem Lieferwagen. Hier hatten sie zum erstenmal miteinander geschlafen. Links war die alte Lagerhalle, dahinter die Straße. Im Norden, hinter einer Anhöhe, war der Fluss. Es war sehr heiß. Seufzend lud Alessandra ihre Sachen aus und trug sie in den Schatten eines Baums am Fluss. Fünfundvierzig Minuten später hatte sie alles ausgepackt. Sie zog sich schnell aus und ging schwimmen. Bei der entspannenden Rückenlage lachte sie plötzlich laut auf. Sie, Alessandra Elizabeth MacKellar, war schwanger! Sie hatte sich gerade wieder angezogen und ordnete mit den Fingern ihr nasses Haar, als das Schnauben eines Pferds die Stille durchdrang. Erschrocken drehte sie sich um und sah, dass Ralph sie aus einer Entfernung von ungefähr drei Metern beobachtete.
Alessandra hatte halb damit gerechnet, dass er ihr folgte, aber geglaubt, er würde mindestens einen Tag brauchen, um sie aufzuspüren. "Wie hast du mich so schnell gefunden?" "Ich sah auf der Rückfahrt von den Shaffers deinen Lieferwagen neben dem alten Lager. Fast hätte ich angehalten, ich dachte mir jedoch, du möchtest allein sein. Lisa sagte mir, was du hier tust." Jetzt stieg er vom Pferd, und Alessandra fragte sich, warum etwas so Alltägliches bei ihm so erotisch wirkte. Egal, was er tat, es ließ ihr Herz schneller schlagen und erregte sie. Allerdings hatte er auch das Talent, sie maßlos wütend zu machen. "Hast du meinen Zustand allen erzählt?" fragte sie und wurde noch gereizter, da er belustigt lächelte. "Ich hielt es für den besten Weg, jedem Gerede zuvorzukommen. Dass es dich stört, ahnte ich nicht." "Tut es nicht. Ich fliege nach Sydney, sobald mein Bruder das Geld geschickt hat." "Das sagte Lisa. Und was dann? Oder habe ich kein Recht, es zu erfahren?" Sein angespannter Ton machte Alessandra traurig. Wie sie ihn liebte und wünschte, sein Heiratsantrag wäre von Herzen gekommen und nicht aus moralischen Grundsätzen erfolgt. "Natürlich hast du ein Recht darauf. Ich brauche Zeit, um in Ruhe über die Entscheidungen nachzudenken, die Schwangere wohl treffen müssen. Das Krankenhaus, Ärzte ..." "Mach dir keine Gedanken über Arztrechnungen", sagte Ralph. "Es ist auch mein Baby, und ich habe vor, es zu unterstützen." Er blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an, als wollte er sie herausfordern zu widersprechen. "Das können wir später besprechen. Im Moment weiß ich nur, dass ich, obwohl diese Schwangerschaft nicht geplant war, das Baby will." Alessandra lächelte in dem Bemühen, die Tränen zu unterdrücken. "Ich sollte mich wohl entschuldigen,
weil ich dir das Leben so schwer mache, aber ehrlich gesagt, es tut mir nicht leid." "Warum willst du mich nicht heiraten?" fragte Ralph unvermittelt und fasste sie an den Schultern. Seine Berührung löste eine Welle der Zärtlichkeit in ihr aus. Er blickte sie an, als hoffte er, die Antwort in ihren Augen lesen zu können. Aus Furcht, dass es ihm vielleicht gelang, riss sie sich los. "Erklär mir, warum du mich nicht heiraten willst", beharrte er. "Ich habe me ine Gründe." Sie unterdrückte ein Schluchzen. "Ich kann nicht..." "Warum nicht?" "Weil ich ... Ein Baby zu bekommen ist für mich kein Grund!" "Es ist also nicht, weil du gegen die Ehe bist?" "Natürlich nicht! Habe ich jemals behauptet, gegen die Ehe zu sein? Wie kommst du darauf?" Ralphs lässiges Schulterzucken machte Alessandra wütend. "Nun, ich dachte, du hättest meinen Heiratsantrag deshalb abgelehnt." "‚Ich weiß, was zu tun ist. Als erstes heiraten wir.' Das nenne ich keinen Heiratsantrag, Ralph!" Alessandra trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. "Ein Heiratsantrag ist: ,Ich liebe dich. Bitte sag, dass du mich heiraten willst.'" "Alessandra, ich liebe dich! Bitte sag, dass du mich heiraten willst", wiederholte Ralph, ohne einmal zu stocken. Eine Sekunde lang war der Wunsch, seinen flehenden Worten Glauben zu schenken, so stark, dass Alessandra beinahe nachgegeben hätte. Aber sie kam im letzten Moment zur Vernunft. "Sei ernst, Ralph." "Bin ich." Das Verlangen in seinem Blick ließ sich nicht leugnen. Alessandra wollte ihm so gern glauben, doch erst gestern hatte er vom Ende ihrer Beziehung gesprochen.
Ralph sah ihre zweifelnde Miene. Langsam beugte er den Kopf. "Vielleicht kann ich es auf diese Art deutlich machen ..." Sein Kuss war zärtlich, liebevoll und sehr überzeugend. Er tut und sagt, was immer er für nötig hält, um mein Jawort zu bekommen, dachte Alessandra. Unwillkürlich legte sie ihm die Arme um den Nacken. Ein nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte sie, während er sie hielt, als wollte er sie nie wieder loslassen. Alessandra fragte sich, woher sie die Kraft nehmen sollte, auf Ralph zu verzichten. Denn sie durfte seinen Antrag nicht annehmen. Ralph liebte sie nicht wirklich, und es wäre ihm gegenüber nicht fair. Und wie sollte sie jeden Tag mit der Angst leben, dass ihm sein erneuter Fehler irgendwann bewusst wurde und er die Heirat bereute? Sie wollte ihn lieber nicht haben, als ihm das Gefühl zu geben, in eine Falle getappt zu sein. Leidenschaftlich erwiderte Alessandra seinen Kuss, ließ ihre Hände über seine Rücken gleiten, schmiegte sich an ihn, denn für den Rest ihres Lebens würde sie mit der Erinnerung an diese letzte Umarmung auskommen müssen. Sie befreite sich aus seinen Armen, und da Ralph völlig unvorbereitet war, konnte Alessandra zurückweichen, bevor er sie daran hindern konnte. Tränen liefen ihr über die Wangen. "Ralph, ich ..." Er tat einen Schritt vorwärts. "Nein." Sie machte eine abwehrende Handbewegung. "Ich weiß, dass du dich für das, was passiert ist, verantwortlich fühlst. Aber ich weiß auch, wie du darüber denkst. Für dich war es etwas ... Schmutziges ... oder Billiges. Ich werde dich nicht heiraten, weil du dich schuldig fühlst ... oder meinst, das Richtige zu tun. Es würde nicht gut gehen. Ich könnte dich nicht glücklich machen." "Du kleine Närrin!" Ralph trat auf sie zu und umfasste ihre Schultern. "Du hast mich glücklicher gemacht, als ich es mir je hätte vorstellen können. Und ich will, dass du meine Frau wirst, weil..."
"Weil ich schwanger bin", sagte Alessandra hartnäckig. "Das ist keine Basis für eine gute Ehe." "Du hast völlig recht. Das wäre es nicht. Deshalb habe ich mir nach meiner ersten Ehe geschworen, nur der Frau einen Antrag zu machen, die ich liebe. Wenn sie zufällig schwanger ist ..." Seine Stimme klang rau vor Erregung. "... betrachte ich das als zusätzliches Geschenk." Alessandra wollte ihm glauben, doch Zweifel quälten sie. "Aber erst gestern sagtest du, dass du unsere Beziehung beenden willst." "Ich liebe dich, Alessandra." Ralph nahm ihr Gesicht in beide Hände. "Wie oft muss ich dir das noch sagen, bevor du mir glaubst? Ich gebe überall mit deiner Schwangerschaft an! Zeigt dir das nicht, dass ich mich wegen nichts schäme, was zwischen uns geschehen ist?" Sie wischte sich die Tränen ab und lächelte zaghaft. "Ich sagte, ich will die Beziehung nicht so fortführen, und du hast sofort falsche Schlüsse gezogen." Ralph lächelte und zog Alessandra an sich. "Voreilig, wie üblich. Ich meinte, dass ich eine dauerhafte Beziehung daraus machen will. Niemals könnte ich dich gehen lassen, das weiß ich schon seit Wochen. Gestern Abend hatte ich ohnehin vor, dir einen Heiratsantrag zu machen ..." "Du wolltest nur mit mir schimpfen." "Lisas Ankündigung, nach Los Angeles zu ziehen, hat mich aus dem Konzept gebracht. Außerdem hatte ich mich gerade mit dem Gedanken abgefunden, dass ich ihr erlauben muss, die Verantwortung für ihr Leben selbst zu übernehmen, und da stellte sich heraus, sie hatte schon, ohne meine Erlaubnis damit angefangen." Ralph streichelte verlegen Alessandras Wange. "Für mich war sie doch immer noch mein kleines Mädchen." "Das ist bei Vätern normal. Besonders bei guten." Alessandra wollte ihm die Selbstzweifel nehmen, die seine Worte verrieten. "Lisa ist ein wundervolles Mädchen. Du hast bei ihrer Erziehung
großartige Arbeit geleistet. Sie liebt dich sehr und weiß, dass du nur das Beste für sie willst. Deine Tochter wird im Leben gut zurechtkommen." "Das hat sie auch gesagt, nachdem sie mir ernste Vorhaltungen gemacht hatte." Bei Alessandras fragendem Blick erläuterte er: "Sie hat geschimpft, ich sei ein Idiot und es würde mir recht geschehen, dass du fort bist. Heiratsanträge würde man nicht vor der Liebeserklärung machen." Unter seinem leidenschaftlichen, durchdringenden Blick wurde Alessandra heiß, und ihre Beine drohten nachzugeben. "Sie ... hat ja ziemlich viel gesagt." Wie viel hatte Lisa verraten? "Ja. Einiges davon war wirklich interessant. Aber ich messe Informationen aus zweiter Hand keinen großen Wert bei." "Was ... was genau hast du denn von ihr erfahren?" fragte Alessandra verlegen. "Ich würde es nur wiederholen, wenn ich sicher wäre, dass es stimmt", wich Ralph aus. Seine hoffnungsvolle Miene gab Alessandra den Mut zu sprechen. "Nun, falls Lisa gesagt hat, dass ... ich dich liebe ... Es ist wahr. Ich liebe dich von ganzem Herzen, und ..." Er küsste Alessandra auf den Mund, und sie erwiderte den Kuss voller Leidenschaft. Als sie sich voneinander lösten, atmete Ralph schwer und lächelte so strahlend, wie sie es bei ihm noch nie gesehen hatte. "Wenn du wusstest, wie sehr ich mir gewünscht habe, das von dir zu hören, würdest du mich um Verzeihung bitten, weil du mich solange hast warten lassen." "Eine Frau hat ihren Stolz. Ich dachte, du empfindest nicht dasselbe." "Warum arbeitet das Einfühlungsvermögen der Frau nie zugunsten des Mannes?" fragte Ralph und hob Alessandra auf die Arme. "Warum verbergen Männer ihre Gefühle?" entgegnete sie. Er blieb unter dem Bäum stehen, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatte. "Männer wie ich tun das bei einer
unglaublich schönen und intelligenten Frau, weil sie Angst haben, sonst für verrückt gehalten zu werden. Ich fürchtete, dein Verhalten falsch zu deuten." Die Unsicherheit, die in seinen Worten zum Ausdruck kam, gab Alessandra einen Stich. Ralph war sich ihrer nicht sicher gewesen! Sie hob die Hand und strich mit dem Zeigefinger über seinen Mund. "Konntest du nicht erraten, was ich für dich empfinde? Ich habe mich dir doch geradezu an den Hals geworfen! Für einen intelligenten Mahn kannst du schrecklich schwer von Begriff sein, Ralph Cameron." "Meinst du wirklich?" Alessandra nickte. "Sehen wir einmal, ob du dies richtig deuten kannst." Sie öffnete den obersten Knopf seines Hemds. Verlangen flammte in seinen Augen auf, und er stellte Alessandra langsam auf die Füße. "Ich werde mich bemühen", versprach er im Schein des Feuers blickte Alessandra wie gebannt in Ralphs Gesicht und schmiegte sich enger an seinen nackten Körper. Sie hatten beschlossen, die Nacht hier zu verbringen, da Alessandra alles Nötige eingepackt hatte. "Wir werden einen Jungen bekommen", sagte sie und sah seine skeptische Miene. "Es stimmt. Ich weiß es einfach." Er lächelte sie an, und ein Gefühl unbeschreiblicher Liebe durchflutete sie. "Wird er so temperamentvoll wie seine Mutter sein?" Alessandra zuckte die Schultern und rollte sich auf den Rücken, um die Sterne zu betrachten. "Ich fühle mich schön, weil du mich liebst. Der Einfluss deiner Liebe auf mich ist so stark, dass ich es nicht einmal erklären kann." "Du hast es mir gerade eben hinreichend gezeigt." Ralph lachte leise. "Nein, ich meine nicht sexuell, sondern seelisch und geistig. Das Wissen, von dir geliebt zu werden, gibt mir völligen inneren Frieden." Sie seufzte. "Das ergibt keinen Sinn, oder?"
Ralph setzte sich auf und legte den Arm um ihre Schultern. "Doch. Ich fühle es auch ... trotz deines grauenhaften Musikgeschmacks und deines unberechenbaren Charakters." Er stöhnte auf, als sie ihn mit dem Ellbogen stieß. "Wir sind auf verschiedenen Seiten des Pazifiks aufgewachsen und haben uns dennoch gefunden. Das beweist, dass wir füreinander bestimmt sind." "Für einen Cowboy bist du ja richtig romantisch!" Alessandra warf sich lachend auf ihn, so dass Ralph zurück auf den Rücken fiel. "Ich liebe dich." "Und du wirst mich heiraten?" Sie nickte und erwiderte freudig seinen fordernden Kuss. "Ich weiß, dass ich ein bisschen ungebärdig und unvornehm bin, aber ich verspreche dir, mich zu ändern ... damenhafter zu werden, mein Fluchen einzuschränken, nicht mehr Bier aus der Dose zu trinken..." "Und aufzuhören, Unsinn zu reden!" Ralph rollte sich mit ihr herum, so dass er auf ihr lag. "Ich liebe dich so, wie du bist, und will nicht, dass du dich änderst." Er lächelte. "Ich gebe zu, dass ich fassungslos war, als ich dich das erstemal Bier aus der Dose trinken sah, aber ich fand es auch sehr sexy." "Wirklich?" Ralph nickte. "Und was dein gelegentliches Fluchen angeht, so wirst du meistens von anderen dazu gereizt. In letzter Zeit vor allem von mir." Alessandra nickte, und er lachte. „Allerdings reizt du mich auch zu einer ziemlich drastischen Ausdrucksweise." Er flüsterte ihr ins Ohr, was er mit ihr machen wollte. Sie spürte, dass sie errötete. "Nun? Was meinst du?" Ralph streichelte ihren Oberschenkel. "Ich finde es wundervoll. Was zeigt, dass ich keine Dame bin."
"Im Gegenteil, Liebling." Ralph ließ seine Hände über Alessandras Körper gleiten. "Du bist eine wundervolle sinnliche Frau."
EPILOG Stephen James Cameron kam drei Wochen zu früh und mutete seiner Mutter neun Stunden Wehen zu. Aber als Alessandra beobachtete, wie Ralph Lisa vorsichtig das Baby reichte, fühlte sie sich tief berührt, und der Schmerz war fast vergessen. Er war die ganze Zeit bei ihr gewesen, hatte sie liebevoll ermutigt und unterstützt. Dann, in letzter Minute, hatte er sie gefragt, ob Lisa bei der Geburt dabeisein dürfe. Die Bitte hatte Alessandra zu Tränen gerührt, denn sie verriet ihr, dass Ralph sie alle vier in einer Familie vereinen wollte. Jetzt schaute Alessandra zu, wie Lisa ihren kleinen Bruder im Arm hielt, und mütterliche Gefühle für das Mädchen durchströmten sie. Es überraschte und entzückte sie. Als Ralph und sie Lisa gesagt hatten, sie würden heiraten, hatte der Teenager beschlossen, das Studium um ein Jahr zu verschieben und danach nicht in die Vereinigten Staaten zu gehen, sondern in Australien zu bleiben und die Universität von New England zu besuchen. "Verzeihen Sie die Störung. Wie fühlen Sie sich, Mrs. Cameron?" Die Hebamme betrat unerwartet das Zimmer. Alessandra wurde gerade von Ralph geküsst. Alessandra errötete und griff nach Ralphs Hand. "Sehr gut." "Schön. Der Arzt sagt, Sie und das Baby dürfen nach Hause." "Ich möchte mich für mein Benehmen bei der Geburt
entschuldigen.'' Alessandra lächelte verlegen. "Es tut mir leid, wenn ich Sie mit meinem Fluchen verärgert habe ..." Die Hebamme lachte herzlich, "Mrs. Cameron, ich hole seit fünfunddreißig Jahren Babys auf die Welt, und ich habe schon Schlimmeres gehört, glauben Sie mir!" "Danke. Ach ... wie lange muss ich warten, bis ich ..." "Bis sie Sex haben können? Zwische n vier und sechs Wochen werden empfoh..." "Nicht das!" unterbrach Alessandra, während Lisa kicherte und Ralph scharf einatmete. "Wie lange, bis ich wieder reiten darf?" Die rundliche Frau warf Ralph einen verblüfften Blick zu. Hilflos zuckte er die Schultern. "Sie ist mein bester Cowboy." "Das erklärt die zwölf Rodeo-Ausreißer, die draußen warten, um sie zu besuchen", sagte die Hebamme trocken. "Warten Sie mit dem Reiten zwei Wochen, Mrs. Cameron." Die Hebamme ging zur Tür, blieb dort stehen und blickte sic h zu Ralph um. "Und das gilt auch für Sie!" Alessandra lachte über sein verlegenes Gesicht. "Du findest das wohl witzig?" fragte er. Ralph nahm einen Hundertdollarschein aus seiner Brieftasche. "Wollen wir wetten, dass du vor mir die Wände hochgehst?" Sie gab vor, sich die Wette zu überlegen, doch schon ließ sein Lächeln sie dahinschmelzen. "Na gut, du hast gewonnen." Sie legte die Arme um seinen Nacken. "Jetzt küss mich, bevor ich vor Verlangen sterbe." "Lady, ich liebe dich so sehr", flüsterte Ralph. Alessandra blickte ihn strahlend an. "Ich weiß." Sie öffnete den Mund für seinen Kuss, aber dann lachten sie beide über das, was Lisa resigniert zu ihrem kleinen Bruder sagte. "Gewöhn dich daran, Stevie. Sie werden zu Hause ewig so weitermachen!"
-ENDE