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Seewölfe 122 1
Fred McMason 1.
Der Wind hatte aufgefrischt, und seine Kraft schuf in der See lange Wellentäler, in die das Schiff „Fliegende Schwalbe“ sanft hineinglitt und schäumend wie ein Meergott wieder daraus emporstieg. Der Himmel war blau, doch fern am Horizont stieg eine kleine Wolkenbank in die Höhe, von der man nicht wußte, ob sie wieder verschwand, oder ob sie später Unheil brachte. Khai Wang, der Pirat, den sie die Geißel des Gelben Meeres nannten, stand mit verschränkten Armen auf dem Mitteldeck der großen Dschunke. Sein Oberkörper war nackt, und jeder Mann an Bord sah die blaulila Tusche-Tätowierungen auf seiner Brust und dem Rücken. Den Brustkasten zierte ein geflügelter Drachen, der Feuer aus den Nüstern schnaubte. Auf dem breiten Rücken sah man das Kunstwerk einer großen Schlange, die sich ringelte und wand, und deren aufgerissener Rachen gerade einen kleinen Vogel verschlang. Zwei Jahre hatte es gedauert, ehe diese Tätowierungen komplett waren, und Khai Wang hatte manchen Schmerz ertragen müssen. Aus diesem Grund trug er die Tätowierungen mit Stolz und genoß es, wenn andere sie staunend anstarrten. Er warf einen flüchtigen Blick achteraus und registrierte zufrieden, daß das Drachenschiff in seinem Kielwasser folgte. Li-Cheng, der Kapitän des Drachenschiffes, war jetzt sein Verbündeter, nachdem er ihn aufgebracht hatte. Beider Ziel war es, das Schiff „Eiliger Drache über den Wassern“ aufzubringen, .es in eine Falle zu locken und dann die Mumie des Mandarins zu rauben, die sich in einem geheimen Versteck an Bord des schwarzen Seglers befand. Khai Wang traf jetzt die letzten Vorbereitungen. Auf dem Mitteldeck stand ein großer Bambuskäfig, in dem mehrere silbergraue Tauben herumflatterten. Ihr angestammter
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Platz war der Verschlag einer kleineren Dschunke vor den Batan-Inseln. Wenn man sie aufließ, würden sie nach einem kurzen Orientierungsflug ihr Ziel sicher und genau anfliegen. Ein riesiger, von der Statur her ungewöhnlich großer und breiter Chinese stand neben dem Bambuskäfig, in dem sich die Gin-Ling, die fliegenden Diener, befanden. Genauer bedeutete der Ausdruck: Sich durch die Lüfte schwingende Diener, wie Khai Wang sie genannt hatte. Der riesige Chinese war kahlhäuptig, auf seinem Schädel befand sich nicht die Andeutung eines Haarwuchses. In seltsamen Kontrast stand dagegen der Lippenbart, der breit und wulstig über sein Kinn hing. Fast jeder Mann an Bord trug einen solchen Bart, manche waren mehr oder weniger gepflegt, einige vernachlässigt und wuchsen ihren Trägern fast in den Mund, wieder andere waren dünnfaserig und sahen wie ausgefranste Tampen aus. Auch der Steuermann Wu stand neben dem Käfig. Auf seinem Gesicht lag das übliche hinterhältige Grinsen. Wu war etwas untersetzt und die personifizierte Grausamkeit an Bord der Fei Yen, der „Fliegenden Schwalbe“. Khai Wang hatte einmal lachend behauptet, daß Wu an Reue sterben würde, und zwar an Reue darüber, daß er nicht jede Jungfrau zwischen dem Südchinesischen und Ostchinesischen Meer geschwängert und nicht jeden Gefangenen eigenhändig gehängt hatte. Vielleicht klang das übertrieben, doch wenn man Wu genauer ansah, durfte man das unbesehen glauben. „Hole einen fliegenden Diener heraus, Wu!“ befahl der gelbgesichtige Piratenkapitän. „Zu Diensten, Herr!“ Wu verneigte sich, öffnete die Tür des Bambuskäfigs und griff blitzschnell nach einer Gin-Ling. Sie war von silbergrauer Farbe und schnell wie ein Pfeil. Er hielt die Taube fest in der Hand und hätte gern ein bißchen zugedrückt, aber
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dann hätte auch Khai Wang, der keinen Spaß verstand, bei ihm ein bißchen zugedrückt, und das Endresultat wäre ein sehr dünner und langer Hals geworden. „Dreh sie um! Der kahlköpfige Chinese öffnete seine riesige Pranke. Darin lagen drei zierliche kleine Windflöten, halb so lang wie ein kleiner Finger und sehr dünn und zerbrechlich aussehend. Er fischte eine der zierlichen Windflöten heraus und seine klobigen Finger hefteten die Windflöte geschickt an das Schwanzende des fliegenden Dieners. Danach zupfte er ein bißchen daran und stellte fest, daß die Windflöte fest saß. Eine winzige Nadel hatte die Schwanzfeder durchbohrt. An der Unterseite des Flügels wurde eine zweite Windflöte geheftet. Diese Flöten erzeugten beim Flug schrille heulende Töne und hielten Raubvögel davon ab, sich auf die Taube zu stürzen. Die Töne wirkten auf andere Greifvögel abschreckend. Khai Wang selbst streifte der Taube einen kleinen Ring mit einer Hülse über den Fuß. Die Hülse enthielt eine Botschaft und genaue Positionsangaben. „Laß den Diener in die Lüfte steigen, Wu!“ „Ergebenst, hoher Herr!“ Wu warf die Taube in die Luft. Sie zog ein paar Kreise um den Großmars, als wisse sie nicht, wohin sie fliegen solle. Dann aber hatte sie sich orientiert und flog pfeilschnell davon. Schon bald war sie als glitzernder Punkt über der Weite des Meeres verschwunden. Khai Wang sah ihr versonnen nach. „Ich wollte, ich könnte auch so schnell und sicher den Weg finden“, sagte er. „Sie braucht keine Instrumente, sie hat ihren Kompaß im Kopf und sie steuert auf direktem Weg ihr Ziel an, ohne Umstände. Die nächste, Wu!“ Dreimal hintereinander wiederholte sich diese Prozedur, die sich in allen Einzelheiten glich. Im Abstand von einer Viertelstunde schwangen sich die fliegenden Diener in die Lüfte, orientierten sich und flogen wie silberne Pfeile davon,
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einem Kurs folgend, den kein Mensch so exakt zu berechnen vermochte. Khai Wang war zufrieden. „Der Sohn des Himmels wird sie beschützen“, sagte er. „Und nun, Wu, soll jeder Mann eine Schale Reisschnaps erhalten. Der Koch soll nicht vergessen, ihn besonders stark zu erhitzen.“ „Es sei, wie ihr befehlt, hoher Herr“, erwiderte der Steuermann unterwürfig. * Knapp zwei Stunden später flog die erste Taube in ihren Verschlag, der sich auf dem Achterdeck einer Dschunke befand. Zwei weitere Dschunken und zwei große, besegelbare Bambusflöße lagen in einer Bucht vor den Batan-Inseln. Die Dschunke, zu der die Tauben flogen, lag immer dort. Sie war hier fest stationiert. Die anderen plünderten hauptsächlich nachts Schiffe aus, überfielen mitunter auch entferntere Küstenstriche und kehrten immer wieder zu den Batans zurück. Sie alle gehörten und unterstanden Khai Wang. Ganz offiziell galten sie als harmlose Handelsfahrer, Gemüse- und Blumendschunken, die zwischen den Inseln Handel trieben oder Opium von Küste zu Küste brachten und sich mühsam genug ihren kargen Lebensunterhalt verdienten. Der dicke Than-tau, dem die TaubenDschunke angeblich gehörte, lauerte Tag und Nacht auf fliegende Diener, und so entging ihm auch nicht die erste, die zurückkehrte. Khai Wang hätte ihm persönlich den Hals umgedreht, wenn er eine Taube verpaßt hätte. Zudem wurden immer drei auf Reisen geschickt, und so hatte man die Gewißheit, daß eine Botschaft mit Sicherheit eintraf. Schnell fischte er den fliegenden Diener aus dem Verschlag, nahm ihm die Hülse ab und las die Botschaft. Sein teigiges Gesicht mit Augen, die hinter dicken Fettpolstern lagen, erhellte sich schlagartig. Er eilte auf seinen kurzen stämmigen Beinen zu dem Bambusfloß
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hinüber, um die Nachricht des hohen Herrn zu verkünden. Es verging keine Viertelstunde, da liefen zwei Dschunken und zwei Bambusflöße aus, zu jener Stelle, an die Khai Wang sie beordert hatte. Die besegelbaren Flöße hatten es schwer, sich in der langen Dünung zu behaupten, immer wieder schlugen lange Wellen über sie hinweg. Doch die gelbgesichtigen Männer störte das nicht. Der hohe Herr hatte gerufen, die fliegenden Diener hatten die Meldung gebracht, und so stand natürlich auch noch eine Belohnung in Aussicht, denn Khai Wang war nie kleinlich. Das war es auch, was seine Macht immer mehr festigte, und weshalb so mancher Kuan beide Augen zudrückte, wenn er von einem Überfall hörte. Dann waren die Augen mit Tael gepflastert und die Ohren gestopft, und der Mund konnte nicht reden. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, das war ihre Devise, und sie lebten nicht schlecht damit. Than-tau sah ihnen nach, bis sie am Horizont verschwanden. Dann kehrte er auf seine Bambusmatte zurück und rieb sich zufrieden die feisten Hände. 2. Der Kerl, den sie an Bord von ,Eiliger Drache über den Wassern“ Mißjöh Buveur nannten, war wieder einmal stark angetrunken. Diesmal hatte ihm das schmierige Köchlein seine gehortete Ration Rum abgetreten, gegen das Versprechen, er würde ihm dafür eine schwarze und zwei weiße Perlen geben. Das Köchlein wunderte sich zwar, woher Mißjöh Buveur die drei Perlen hatte, aber er kriegte sie, und fragte nicht mehr nach dem Woher. Er hatte ein gutes Geschäft getätigt. Scheiß auf den Rum, dachte er, den zwackte er den anderen wieder ab, indem er den Vorrat ein wenig mit Wasser streckte. Dem Boston-Mann fehlte jetzt zwar eine schwarze Perle aus seinem persönlichen Schatz, und Oleg und dem Stör je eine weiße, aber davon ahnten sie noch nichts.
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Sie sahen sich die versteckten Kleinode ja nicht jeden Tag an, und so würden sie es erst sehr viel später merken. Hingebungsvoll lehnte Mißjöh Buveur an der Kombüsenwand, hielt die Flasche fest in den Händen und ließ genießerisch Schluck um Schluck seinen mageren Hals herunterrinnen. „Ah, tut das gut“, seufzte er wohlig, „das ist das Elixier des Lebens, sage ich dir, Mißjöh Cookie. Du hast doch noch 'ne geheime Ration, nicht? Ich besorg dir wieder Perlen dafür, und — und wenn jemand nach mir fragt, sagst du ihm, ich muß dir beim Aufklaren helfen, Mißjöh, hä?“ Cookie, dessen Pfannen nicht immer die saubersten waren und dessen Kochtöpfe mitunter etwas klebten, sah den Saufkopf unschlüssig an. Dabei wühlte er mit der rechten Hand 'im offenen Mehlsack, fischte solange darin herum, bis er etwas Längliches fand, das ziemlich schwarz war, und zerdrückte es dann zwischen den Fingern. „Ha, die Kakerlaken fressen mehr Mehl als wir“, sagte er. „Hast du schon mal so Riesenbiester gesehen?“ „Scheiß auf deine Kakerlaken, Mißjöh“, lallte der Franzose. „Ich hab dich was gefragt, Mißjöh.“ „Hm, hast du denn noch mehr Perlen, Mann?“ fragte der Koch begierig. „Du weißt, mit dem Rum ist das so 'ne Sache. Der wird verdammt knapp gehalten. Und wenn Madame dich erwischt, kann es sein, daß sie dich an der Rah aufhängt! Ich weiß von nichts.“ „Ha — hast du jetzt noch Rum, oder nicht, hä? Fff — für die nächste Buddel geb ich dir vier Perlen.“ „Zeig sie erst mal her!“ Mißjöh Buveur rülpste so laut, daß man es bis aufs Achterdeck hören mußte. „Ich bring sie dir später, Ehrenwort. Ich hab sie versteckt, muß sie erst suchen, aa — aber erst holst du die Buddel!“ „Na, meinetwegen“, sagte der Koch widerwillig. So ganz wohl fühlte er sich bei dem Handel nicht, denn wenn die Korsarin das miese Geschäftchen
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bemerkte, dann ging es ihnen hart an den Kragen. Aber die Gier nach den Perlen war übermächtig bei Cookie. Er bückte sich, schaufelte mit beiden Händen das Mehl auf die Holzbohlen, schnippte die Kakerlaken mit den Fingern an die Wand, die eilig das Weite suchten, und brachte, als er auf dem Boden des Mehlsacks angelangt war, eine Buddel zum Vorschein, die er erst ein wenig abstaubte, bevor er sie dem Saufkopf gab. „Aber vier Perlen, vergiß das nicht, sonst erzähle ich jedem, daß du die Buddel aus der Kombüse geklaut hast.“ „Aye, aye, Ssssörrr. Du bist ein feiner Kerl, auch wenn du immer wie ein alter Hund stinkst!“ „Du riechst auch nicht besser, du taube Sau“, sagte der Koch. „Aber jetzt verhol dich mit der Buddel, hau ab! Und vergiß bloß nicht die fünf Perlen.“ „Vvvier“ nuschelte Mißjöh Buveur, „vvvier hab ich gesagt, und keine mehr.“ Er dachte jedoch nicht daran, die Kombüse zu verlassen, denn erstens war es hier gemütlich dreckig, und zweitens sah ihn niemand. Gekonnt schlug er mit der Handkante den Flaschenhals ab, setzte an, soff zwei längliche Glassplitter mit und ließ das Gesöff durch seine Kehle rinnen, daß es sich anhörte, als würde ein Faß auslaufen. Er gluckste, schmatzte, rülpste und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Cookie schaufelte unterdessen das Mehl von den Brettern wieder in den Sack zurück. Da es grob geschrotetes Mehl war, fiel es auch nicht weiter auf, daß ein bißchen Dreck dazu kam, und auch ein paar Kakerlaken ließen sich willig wieder einfangen, damit sie ihre Behausung nicht wechseln mußten. So war wieder alles im Lot, bis mit einem Ruck das Schott zur Kombüse aufgerissen wurde. Der bullige Oberkörper des Bootsmannes Juan erschien. „Sag mal, du verlauster Kombüsenhengst“, schrie er den Koch an, „hat sich bei dir dieser Schnapskopf versteckt, oder ist er
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über Bord gefallen? Der Kerl wird vermißt, seit zwei Stunden hat ihn keiner gesehen.“ Cookie zuckte zusammen, als die Donnerstimme des kreolischen Bootsmannes erklang. Juan verprügelte oft grundlos die Leute, und wenn er jetzt herausfand, daß der „Schnapskopf“ hier unten steckte, dann gab es ein Tänzchen. Aber in seiner Trunkenheit beging Mißjöh Buveur einen entscheidenden Fehler. Er wurde stark, und das hatte der Bootsmann gar nicht gern. „Blas dich nicht so auf, du vergammelter Tintenfisch“, schrie der Franzose hinauf. „Ich helfe dem Koch und nichts anderes.“ Der Kreole glaubte, sich verhört zu haben. Sein Denkprozeß lief in äußerst langsamen Bahnen, aber was der Kerl da sagte, das hatte er doch sehr schnell begriffen. An seinem bulligen Hals schwoll eine Ader an, die dick wie ein Tau wurde. Mit einem Satz sprang er in die Kombüse, setzte dem Koch die Faust in den Magen und drängte ihn an den heißen Herd. Dann schnappte er sich Mißjöh Buveur, den langsam die Angst beschlich und der zu seinem eigenen Leidwesen plötzlich nüchtern zu werden drohte. „Na warte!“ schrie der Kreole erbost. „Mit dir Drecksack wisch ich jetzt das Deck auf!“ Buveur gelang es gerade noch, die fast leergetrunkene Flasche Rum auf den heißen Herd zu stellen, dann fühlte er sich von mächtigen Fäusten angehoben, hörte die Englein singen und spürte eine Hand im Genick, die so hart zuschlug wie ' ein killendes Großsegel. Juan brüllte, fluchte und tobte, stieß den Besoffenen an Deck und schleifte ihn zur Vorpiek. Ein schneller Blick überzeugte ihn davon, daß Siri-Tong nicht auf dem Achterkastell war. Vielleicht war sie gerade in ihre Kammer gegangen. Er prügelte Buveur vor sich her, der immer wieder zusammenbrach, von den groben Fäusten jedoch gleich wieder hochgerissen wurde, bis ihm Hören und Sehen verging. In der Vorpiek warf er ihn auf die Gräting, nahm ein dünnes Tau und band ihm Hände
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und Beine fest, nachdem er ihn noch einmal windelweich geklopft hatte. „Dir geb ich's von wegen vergammelter Tintenfisch!“ schrie er. „Du wirst jetzt vergammeln, du Säufer. Hier kannst du soviel Bilgenwasser saufen, wie du willst. Das Zeug ist besonders stark destilliert mit Ratten, Öl und Seewasser. So — und so — und so!“ brüllte er und zog ein Tauende mehrmals über Buveurs Hintern. Dann sprang er zurück, denn als das Schiff in ein Wellental tauchte, sauste die hinten in der Piek angestaute Dreckbrühe wie eine Woge zurück und überschwemmte den Franzosen mit einem riesigen, übel riechenden Schwall. Die nächste Dünung ließ das Bilgenwasser wieder achteraus laufen, und so hatte der Franzose genug zu tun, um ab und zu mal nach Luft zu schnappen. Dabei blieb es natürlich nicht aus, daß der Franzose alle Augenblicke einen kräftigen Schluck nahm, aufstieß und das Bilgenwasser noch mit seinem Rum anreicherte, der ihm wieder hochstieg. Er würgte und spuckte, verfluchte den Kreolen, weil der ihn aus lauter Bosheit mit dem Bauch nach unten an die Gräting gebunden hatte, und bedachte ihn mit den übelsten Ausdrücken. „Du verfluchter Rattenpisser!“ schrie er, spie einen Schluck Brühe nach unten und fluchte weiter, sobald er Luft kriegte. „Die verlauste Hure von einer Mutter, die dich geworfen hat, soll die Pest kriegen. Sie war die übelste Hafenhure von ganz Tortuga, und dich Hurenbock haben vierhundert besoffene Seeleute gezeugt. Binde mich los, verdammt!“ Der Kreole schluckte die Beleidigungen wortlos. Dafür aber nahm er wieder den Tampen zur Hand und schlug in blinder Wut zu, bis Buveurs wüste Flüche in ein Wimmern übergingen. Dann donnerte er das Schott zu und stieg an Deck. Dort traf er auf den Boston-Mann, einen karibischen Piraten mit kühn geschnittenem Gesicht, an dessen linkem Ohr ein goldener, großer Ring baumelte. „Wo hast du ihn gelassen?“ fragte der schweigsame Boston-Mann.
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„In die Vorpiek gesperrt, er war wieder mal voll.“ „Gut, laß ihn eine Weile schmoren, und behellige die Korsarin nicht mit dem Mist. Die Stimmung an Bord ist nicht gerade die beste, seit wir die Insel verpaßt haben.“ „Seit wann hast du mir was vorzuschreiben?“ fing Juan an zu stänkern. „Noch bin ich der Bootsmann!“ Der Boston-Mann, ein Pirat wie aus dem Bilderbuch, lächelte knapp. „Juan“, erwiderte er bedächtig, „reiß dein Maul nicht so weit auf, sonst muß ich es dir stopfen. Wenn dir etwas nicht paßt, kannst du es mir ruhig sagen!“ Das war eine der längsten Reden, die der schweigsame Boston-Mann gehalten hatte, aber sie verfehlte ihre Wirkung auf den Bootsmann in keiner Weise. Juan wußte genau, daß Siri-Tong den Boston-Mann schätzte, weil er ehrlich, aufrichtig und gradlinig war. Wenn sie etwas zu besprechen hatte, war der Boston-Mann ständig dabei, denn sie schätzte seine ruhige und besonnene Art. Da konnte er selbst zehnmal der Bootsmann sein, es änderte nichts. Dann hatte der BostonMann noch eine Eigenschaft: Er war unheimlich schnell und wendig, hart und kühl. Juan traute sich nicht, den Kerl auch nur zu reizen, denn dabei hätte er den kürzeren gezogen, und eine eingeschlagene Visage würde sein Ansehen bei den andern mächtig untergraben. „Eines Tages, Boston-Mann“, sagte er ruhig, eines Tages ergibt sich mal eine Gelegenheit, bei der ich es dir heimzahlen werde.“ Der Boston-Mann lächelte mit schmalen Lippen. „Dann vergiß nicht, mich zu töten, sonst bist du dran!” „Du willst mich nur herausfordern aber Rache soll man kalt genießen“, sagte Juan. „Dann genieße sie und erstick nicht daran!“ Siri-Tong erschien jetzt auf dem Achterkastell. Ihr Gesicht war ernst und verschlossen. Ihr Blick wanderte kühl über das ganze Schiff. Sie prüfte den Stand der Segel und warf schließlich einen Blick auf
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den Kompaß. Danach blickte sie aus schmalen Augen direkt in die Sonne. „Hoffentlich stimmt unser Kurs, Tammy“, sagte sie zu dem Rudergänger, einem stiernackigen Kerl mit einer Hasenscharte, die sein ganzes Gesicht verunstaltete. Tammy war ebenfalls Kreole, schnell mit dem Messer und wendig. Die Spanier suchten ihn, weil er einen Alkalden umgebracht hatte. Damals war er nur ganz knapp dem Hängen entgangen. „Ich glaube schon, Madam“, erwiderte er. „Ich steuere den Kurs, den Sie befohlen haben.“ „Der muß nicht unbedingt richtig sein“, sagte die Korsarin knapp. Sie war in leicht gereizter Stimmung. Jeder sah es, spürte es und jeder ging ihr aus dem Weg, verrichtete seine Arbeit, hielt hier und da mal ein Schwätzchen mit einem anderen und bemühte sich darum, alles richtig zu tun. Sie fragte nicht nach Mißjöh Buveur, von dem sie annahm, daß er wieder mal irgendwo besoffen herumlag. Es interessierte sie nicht. Sollten die anderen Kerle mit ihm tun, was sie wollten, für solche Kleinigkeiten hatte sie jetzt nichts übrig. Ihre Sorge galt dem Schiff und dem Kurs, den sie steuerten. Sicher, „Eiliger Drache über den Wassern“ lief prächtig dahin, aber er segelte über die Teufelssee, ein dunkles Wasser, ein unglaublich tiefer Abgrund, der nicht auslotbar war. Diese Tiefe war es vermutlich, die die Navigation beeinflußte, den Kompaß verrückt spielen ließ und sie aus dem Kurs brachte. Siri-Tong ahnte zwar, daß sie die Insel verpaßt hatte, auf der sie Hasard und seine Crew treffen wollte, aber sie war sich ihrer Sache immer noch nicht ganz sicher. Sie hoffte, daß der Ausguck jeden Augenblick Land melden würde. Dann erst hatten sie einen Anhaltspunkt und waren in der Lage, sich zu orientieren. Der Blick aus ihren mandelförmigen Augen wanderte weiter in die Wasserwüste hinaus, die sie von allen Seiten umgab. Diese Wasserwüste war trügerisch wie kein anderes Meer. Wegen der entsetzlich
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großen Tiefe gab es hier kalte und warme Meeresströmungen, die zusammenflossen, unterseeische Wirbel erzeugten und starke Abdriften verursachten, die Schiffe sehr weit aus ihrem Kurs warfen. Viele waren spurlos verschwunden - Opfer des geheimnisvollen Meeres und seiner unbekannten Strömungen. So jedenfalls nahm sie das an, und sie wußte es von anderen, die ähnliche Vorfälle berichtet hatten. Wieder klopfte sie ungeduldig gegen das Kompaßgehäuse, bis der Wikinger sie stirnrunzelnd musterte. „Der Kompaß geht falsch, Thorfin“, sagte sie bestimmt. „Ich beobachte ihn jetzt seit zwei Tagen, und er zeigt immer stur nach Norden, ganz genau nach Norden.“ Tammy, der das Schiff steuerte, sah die Korsarin an, dann den Wikinger. Endlich räusperte er sich mehrmals, bis es SiriTong auffiel und sie ihn scharf ansah. „Wolltest du etwas sagen?“ fragte sie ungeduldig. „Äh, Madam, ich wollte nur sagen, äh - ein Kompaß zeigt immer genau nach Norden, Madam!“ Sie maß ihn mit einem fast verächtlichen Blick. „Dann sieh nur zu, daß du nicht in die Hölle segelst, wenn ein Kompaß immer nach Norden zeigt. Er weicht leicht von Norden ab, merk dir das endlich. Das war schon den Portugiesen bekannt, als sie die Karten zeichneten.“ „Das - das wußte ich nicht, Madam“, sagte Tammy schluckend. „Dann weißt du es jetzt.“ Thorfin kratzte mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn. Sein Blick war düster auf den Kompaß gerichtet. „Nördlich der Karibischen See hat der Seewolf einmal das gleiche beobachtet. Auch da zeigte der Kompaß stur nach Norden. Das ist wirklich seltsam, ja. man sieht es an dem Markierungsstrich“, gab er dann zu. Siri-Tong begann wieder zu rechnen, verglich die Karten, prüfte den Stand der Sonne und nahm den Jakobsstab zu Hilfe.
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„Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind wir mindestens zwei Strich aus dem Kurs gelaufen. Kein Wunder, daß wir diese verdammte Insel nicht gefunden haben.“ Zorn blitzte in ihren Augen auf, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten. „Zwei Strich Backbord, Tammy“, sagte sie plötzlich. „Aye, aye, Madam, zwei Strich Backbord“, wiederholte Tammy. „Zwei Strich, Mädchen?“ fragte der Wikinger besorgt. „Weißt du, wie weit wir abdriften, wenn die Berechnung stimmt? Wir laufen an einem Tag unzählige Meilen aus dem Kurs, äh, auf die Entfernung gerechnet.“ „Natürlich auf die Entfernung gerechnet, was denn sonst? Wenn wir die zwei Strich abfallen, müßten wir ungefähr auf dem richtigen Kurs segeln.“ „Die Insel liegt trotzdem längst weit hinter uns“, murrte der Nordmann. „Ich freß meinen Helm, wenn das nicht stimmt.“ Ein paar Männer grinsten zaghaft, als sie das hörten. Vermutlich stellten sie sich das bildlich vor: Thorfin Njal, der verbissen an seinem Kupferhelm kaute! Er hatte seinen Satz gerade zu Ende gesprochen, als aus dem Ausguck ein Schrei erklang. Es war ein Schrei, man konnte es nicht als Ausruf bezeichnen. Die Stimme des hellhäutigen Negers Hilo überschlug sich vor Aufregung. „Land, Land! Drei Strich Steuerbord!“ Augenblicklich ließ jeder seine Arbeit sausen. Die Kerle enterten flink in die Wanten, um nach dem Stück Land Ausschau zu halten, dass der Neger entdeckt hatte. Nur Siri-Tong blieb ganz ruhig. Sie warf dem Wikinger einen spöttischen Blick zu. „Guten Appetit, Thorfin“, sagte sie sarkastisch. „Soll ich deinen Helm vorher noch polieren lassen, oder magst du ihn gern etwas staubig?“ Thorfin verschlug es sekundenlang die Sprache. „Das kann nicht sein“, knirschte er erbittert. „Das gibt es nicht. Verdammt, ich werde meinen Helm aufbehalten, und mir
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noch einen zweiten darüber stülpen. Es muß eine andere Insel sein.“ „Es ist bestimmt die Insel, die wir suchen“, erklärte sie. Aber sie war es nicht, das ließ sich nach einer knappen halben Stunde erkennen. Man konnte es nur sehr schlecht als Insel bezeichnen, denn die öden kahlen Felsen waren nichts anderes als ein himmelhohes Massiv, das übergangslos aus dem Meer wuchs, und zwar an einer Stelle, wo das Wasser nicht so tief sein konnte wie hier. Vielleicht hatten unterseeische Vulkane diese Felsenkegel hoch geschleudert. „Kurs auf die Felsen halten, Tammy. Wir segeln auf Steuerbord daran vorbei.“ „Aye, aye, Madam.“ Siri-Tong ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, und der Wikinger mußte seinen Speisezettel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit seinem Kupferhelm bereichern. Wieder suchte die Korsarin in den Karten nach jenem kleinen Fleck, den sie gesichtet hatten. Es gab ihn nicht, er war nicht einmal andeutungsweise irgendwo verzeichnet. Siri-Tong wurde durch den Anblick der aus dem Wasser wachsenden Felsen lebhaft an die Schlangeninsel in der Karibischen See erinnert. Auf der Südseite der Schlangeninsel türmten sich die Felsen genauso hoch auf. Doch je näher sie kamen, desto mehr verblaßte dieser Eindruck wieder. Man sah sie jetzt genauer. Es mochten vier gewaltige Felsen sein, ein fünfter, kleinerer lag vermutlich noch dahinter, denn man sah einen gedrungen wirkenden Schatten daneben. Die Felsen waren grob geschätzt etwa dreihundert Fuß hoch. Es gab keine Palme, keinen Strauch, ja nicht einmal einen Grashalm, der dort wuchs. Zwei der Felsen bildeten eine anscheinend durchlässige Passage, die auch wieder an die Schlangeninsel und damit an das Höllenriff erinnerte. Nur war diese Passage dunkel und wuchs oben bogenförmig zusammen. Man konnte bei einigem seemännischen Geschick also schon hindurchsegeln.
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In einer Stunde würden sie die Felsen erreicht haben, aber bis dahin würde auch die Dämmerung das Meer eingehüllt haben. Schon jetzt tanzten neblige Spinnenarme auf dem Wasser, die der leichte Wind jedoch immer wieder auseinander trieb. Thorfin starrte sich die Augen aus. „Wer weiß, wo wir sind“, sagte er finster, und warf einen Blick auf die drei Wikinger Eike, Arne und den Stör, die am Schanzkleid standen und miteinander tuschelten. Pedro sin obras war auch noch dabei und ließ wieder heldenhafte Sprüche vom Stapel. Des Störs langes Gesicht war umschattet. Der mißtrauische Nordmann deutete auf die kahlen Felsen und hob abwehrend die Hand. Er wartete, bis auch der vierte heran war, Olig, dem das alles nicht geheuer war. „Ja, beim rotznasigen Meergott“, sagte der Stör flüsternd. „Warum segeln wir nicht einen großen Bogen um diese Felsen? Seht doch nur, wie die Nebel sie umtanzen. Bald sieht man gar nichts mehr, wenn die Korsarin nicht den Kurs ändert. Und, bei Odin und seinem achtbeinigen Pferd, jetzt wird es auch noch bald dunkel. Kann so was nicht am hellen Tag passieren?“ „Das ist immer so“, wußte Arne zu berichten. „In der Saga erschien auch immer Nebel, wenn die Alten über das Meer fuhren und die Götter sahen. Ich behaupte, daß in diesen verdammten Felsen auch Götter hausen. Einen besseren Ort kriegen sie ja gar nicht.“ Die Fürsten der Meere hatten selbst vor dem Teufel keine Angst, und vor einer Horde wilder Piraten erst recht nicht. Den Teufel konnte man am Schwanz zupfen, wenn er sich blicken ließ, und die Piraten nahm man auseinander. Aber Meergötter? Unbekannte Dämonen, die im Nebel hausten und die nicht zu fassen waren? Das war etwas ganz anderes, man kannte sie nicht, sah vielleicht nur ihre Umrisse, und außerdem waren sie immer im Vorteil, weil sie sich hier auskannten, groß und mächtig waren und
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mit den Seeleuten ihren Schabernack trieben. „Das ist ein Dom des Teufels, sage ich euch“, flüsterte Olig. „Der hat sich hier seine Behausung aus Feuer und Schwefel gebaut und läßt sie so aussehen wie Felsen. Schaut nur, diesen gewaltigen Eingang in den Teufelsdom! Ganz schwach dahinter erkennt man ein Licht. Da geht es direkt in die Hölle:' „Meinst du wirklich?“ fragte Pedro sin obras, angesteckt von der Spökenkiekerei seiner Kumpane. „Aber ganz sicher.“ Olig hatte zwar die Hölle noch nicht gesehen, aber er wußte wie sie aussah. Jeder wußte das, der lange zur See fuhr. „Dann sollten wir die Korsarin warnen“, schlug Pedro vor. „Geh du doch“, sagte der Stör zu ihm. „Sicher, natürlich, ich werde ihr sagen, daß sie so schnell wie möglich den Kurs ändern muß. Oh, sie wird auf mich hören“, sagte Pedro, den sie den Mann ohne Taten nannten, weil er alles mögliche versprach aber nie etwas hielt. Er dachte auch jetzt nicht daran, aufs Achterkastell zu gehen. Er hatte immer wieder neue Ausreden. „Nun geh doch endlich“, drängte Arne, „sonst segeln wir genau in den Höllenschlund hinein!“ Pedro sin obras nickte. „Ich werde das verhindern, verlaßt euch auf mich“, sagte er. Dann schlich er sich davon, aber nicht, um der Korsarin einen Vortrag zu halten, sondern um sich in irgendeinen stillen Winkel des Schiffes zu verdrücken. Wieder ertönte Hilos Stimme aus dem Großmars. „Gedrungene Schiffe voraus. Vier oder fünf und etwas, das wie ein Floß aussieht.“ Er wiederholte seinen Ruf noch einmal, doch Siri-Tong hatte ihn gleich verstanden. Sie blickte durchs Spektiv. Als sie es wieder absetzte, war sie ruhig und gefaßt. „Das Drachenschiff, Thorfin“, sagte sie. „Sie lauern uns auf. Gestaffelt liegen sie auf Back- und Steuerbord neben den
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Felsen. Sie haben uns eine Falle aufgebaut.“ „Klar Schiff zum Gefecht!“ brüllte der Wikinger sofort. „Hoch die Stückpforten, klar bei Brandsätzen!“ Sein Brüllen purrte die Männer hoch. Im Nu war an Bord der Teufel los, und die vier Wikinger gaben ihre Spökenkiekerei auf. Nur an Mißjöh Buveur dachte niemand in diesem Augenblick. Der lag immer noch bäuchlings auf der Gräting und kotzte mit den Wellen aus der Bilge um die Wette. „Ja, jetzt sieht man sie deutlich“, sagte die Korsarin, während die Hektik um sie herum immer mehr zunahm. Kugeln wurden gemannt, Wasser gepützt. Sand auf die Decksplanken gestreut, und Cookie löschte sein Kombüsenfeuer. „Das eine ist das Drachenschiff, das andere eine Dschunke, die ich noch nie gesehen habe, dann wieder eine jener Dschunken, die Gemüse fahren, und dann ein Bambusfloß. Wir können ihnen nicht mehr ausweichen, es sei denn, wir segeln mitten durch die unbekannten Felsen hindurch, aber damit werden sie niemals rechnen. Vermutlich kann man nicht hindurchsegeln.“ „Es sei denn“, sagte der Wikinger ernst. „Was meinst du?“ fragte Siri-Tong verwirrt. „Segeln wir hindurch. Wenn wir heil dort hindurchgelangen, haben die Kerle das Nachsehen, und bis dahin ist es so neblig und dämmerig geworden, daß sie uns nicht mehr finden, wenn wir ganz überraschend den Kurs wechseln.“ „Und wenn wir hängen bleiben, Thorfin?“ Der Wikinger entblößte sein mächtiges Gebiß. „Dann haben wir Pech gehabt“, sagte er trocken. „Laufen wir Back- oder Steuerbord vorbei, müssen wir kämpfen, und wie dieser Kampf ausgeht, kann ich mir an den Fingern einer Hand abzählen. Sie werden uns in Grund und Boden schießen und die Mumie klauen. Eine Chance haben wir jedenfalls nicht.“ Siri-Tongs Gedanken jagten sich.
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Nein, sie wichen keinem Kampf aus, sie waren Piraten, Freibeuter, Korsaren aller Meere, aber sie hatten keine wirksamen Waffen gegen die neuartigen Brandsätze. Bevor sie ihre Kanonen abfeuerten, waren die höllischen Dinger schon da. Andererseits, überlegte die Rote Korsarin, würde niemand der Kerle damit rechnen, daß sie mitten durch die gefährlichen Klippen segeln würden. Nur- wie sah es auf der anderen Seite dieser Klippen aus? Sie konnte den Kerlen ein Schnippchen schlagen, und dann hatten die wirklich das Nachsehen. Ihre Wut mußte unbeschreiblich sein, wenn sie das seemännische Kunststückchen schaffte. Der Nebel an den Felsen wurde dichter und zäher. Der Wind trieb die Schleier nicht mehr auseinander. Es war allerdings merkwürdig, daß man das Tosen der Brandung an den Felsen nicht hörte, obwohl sich dort das Wasser brach und schäumend und gurgelnd in die Höhe stieg. Die Crew stand an den Geschützen, bereit, auf den kleinsten Wink der Roten Korsarin das Feuer zu eröffnen, doch sie schien immer noch mit einem Entschluß zu kämpfen. Sie sah sich die Schiffe an, und jetzt entdeckte sie ein zweites Bambusfloß mit großer Segelfläche, das sich an den anderen vorbei schob und gestaffelt seine Position einnahm. Eine prächtige Falle! Zerschellte „Eiliger Drache“ an den Klippen, die sich unheimlich groß und mächtig aus dem Wasser erhoben, dann waren die Kerle da und hatten leichtes Spiel. Scherte sie nach Back- oder Steuerbord aus, dann befand sie sich mitten im Feuerhagel der Brandsätze. Ihre kohlschwarzen Augen blitzten, ihre Stimme klang heiser vor Erregung. Sie drehte sich nicht um, als sie zu Tammy sagte: „Ich übernehme das Ruder, Tammy!“ Der Kreole zuckte zurück, als hätte ihn eine Natter gebissen. So hatte er ihre Stimme noch nie gehört. „Aye, aye, Madame“, murmelte er.
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Siri-Tongs Stimme hallte über das ganze Schiff. Es gab niemanden, der sie nicht verstand. „Wir durchsegeln die Felsen, Männer! Das hat nichts mit Angst oder Feigheit zu tun. Es ist lediglich der vernünftigere Entschluß. Haltet euch fest, es kann sein, daß wir auf direktem Weg in die Hölle fahren!“ Mit einem Satz war sie am Ruder. „Diese Satansbrut wird sich wundern!“ rief sie mit blitzenden Augen, und jetzt, als sie ihren Entschluß endgültig gefaßt hatte, wurde sie eiskalt und ruhig. So schnell sollten sie „Eiliger Drache über den Wassern“ nicht schnappen. In der Kuhl, auf dem Vor- und Achterdeck bekreuzigten sich die Männer hastig. Ihre Gesichter waren ernst. Sie wußten, was es hieß, wenn das Schiff die Felswände auch nur leicht berührte. Es würde in tausend Fetzen auseinander fliegen. Die meisten trauten der Korsarin das waghalsige Unternehmen zu. Schließlich war immer sie es gewesen, die damals durch die gefährliche Passage der Schlangeninsel über das Höllenriff gesegelt war. Und fürwahr, sie hatte dem Teufel dabei mitunter wirklich ein Ohr abgesegelt. Manch andere, die sie auf der Pirateninsel Tortuga aufgelesen hatten, wußten das nicht. Ihnen wäre lieber gewesen, der Nordmann würde am Ruder stehen, und so sahen sie jetzt mit banger Erwartung den himmelhohen Klippen entgegen, denen sie sich rasch näherten. Auf den Dschunken rührte sich nichts. Die in dunkles Tuch gehüllten Männer standen wie ausgestopfte Puppen am Deck. Nur auf einem der Bambusflöße wurden anscheinend Brandsätze auf den schwarzen Segler ausgerichtet. Siri-Tong lachte leise. Der fette Brocken ging ihnen durch die Lappen, daran ließ sich nichts mehr ändern. Sie segelte genau in den Nebel und die Dunkelheit hinein, die sich zwischen den Felsen auftat. Der Mandarin, den sie an Bord hatten, würde als guter Geist das Schiff bewachen und sicher lenken. So war es schon immer
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gewesen, und es würde auch heute nicht anders sein. Davon war sie felsenfest überzeugt. Die leichte Dünung brach sich jetzt am Fuß der steil aufragenden Klippen mit donnerndem Brüllen und Fauchen. Es war ein Geräusch, das urplötzlich da war, das niemand gehört hatte, bevor die Felsen in Sicht waren. Zum ersten Mal verspürte Siri-Tong am Schiff auch den leichten Sog und die Strömung, die „Eiliger Drache“ direkt in den finsteren Schlund drückte. und schob. Sie triumphierte. Mit einem schnellen Blick schätzte sie ab, daß die Masten durch die bogenartig zusammengewachsenen Felsen durchgehen würden. Es würde Maßarbeit werden, aber es war zu schaffen. „Sie ist verrückt“, sagte Bill the Deadhead erschüttert. „Sie fordert den Teufel heraus! Ich sehe zwar da vorn ein helles Licht, aber das geht niemals gut.“ „Halt's Maul“, sagte der Boston-Mann kalt. „Die Korsarin weiß, was sie tut.“ Aber jetzt dachten die meisten anderen auch so. Sie würden es nicht schaffen. Der hohe Felsenbogen lag tiefer, als die Masten hoch waren, der Fels würde sie knicken und die Rahen wie Zahnstocher zerspellen. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Instinktiv suchte jeder irgendwo Halt, etwas, woran er sich festklammern konnte, wenn die große Havarie erfolgte. Das Köchlein, das aus der Kombüse geschlichen war, stand mit bibbernden Knochen an Deck und blickte nach oben, wo die großen schwarzen Masten des Schiffes kleine Bögen in den dämmerigen Himmel zeichneten. Er hatte Angst, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, er öffnete und schloß ständig den Mund, betete insgeheim, fluchte dann wieder und verwünschte Schiff und Felsen. Neben ihm stand Muddi, die kleine dreckige Ratte, der es auf der Lunge hatte. Er hustete, krächzte und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. „Ich bin krank“, jammerte Muddi, „ich bin sterbenskrank und nun passiert dies!“
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„Wenn du sowieso bald verreckst, kann es dir ja egal sein, du Stinktier! Halt dich lieber fest!“ Auch der großmäulige Mike Kaibuk, der immer so gern prahlte und angab, hatte alle Farbe verloren. Bleich und reglos stand er am Schanzkleid und schloß die Augen. „Der Teufelsfelsen“, sagte er schwach. „Der Felsen des Teufels, und der Satan haust direkt da drin.“ Es gab jedoch auch einige, die in stoischer Gelassenheit alles an sich herankommen ließen. Das war Thorfin Njal, der wie ein vorzeitlicher Hinkelstein auf dem Achterdeck stand und daran dachte, daß es zu gleichen Teilen auch sein Schiff war, das da zum Teufel ging, wenn es die Felsen rammte. Den Boston-Mann schien gar nichts zu erschüttern. Nicht einmal sein Gesicht war verkniffen, und aus seinen Augen sprach nicht die geringste Besorgnis. Diego Valeras und Barry Winston hatten sich lediglich einen festen Halt verschafft, um nicht unversehens über Bord geschleudert zu werden. Jonny, der jüngste Mann an Bord, Sohn eines Negersklaven aus Sierra Leone, schien sich ebenso wenig daran zu stören wie die anderen. Er blieb ruhig und gefaßt. Hilo hatten sie ganz vergessen. Der hockte immer noch im Mast, bis Thorfin ihn entdeckte. „Runter, aber schnell!“ rief er. Erst jetzt enterte der hellhäutige Neger wie der Blitz ab. Als er an Deck stand, grinste er erleichtert. Er nahm es nicht übel, daß man ihn in der Aufregung vergessen hatte. Aber ohne Befehl wäre er auch nicht abgeentert. In der Vorpiek lag immer noch Mißjöh Buveur, der sich über die plötzliche Stille wunderte und darüber, daß ihm schon lange kein Bilgenwasser mehr in den Rachen geflossen war. Das Schiff lag verdächtig ruhig, nur ein lautes Brausen und Donnern waren zu hören. Er hatte keine Erklärung dafür, und so lag er auf seiner Gräting, und als ihn niemand holte, schlief er ein. Jetzt konnte er beruhigt pennen, denn das Wasser ließ ihn in Ruhe,
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und müde wie ein alter Hund war er nach dem vielen Rum auch. Das war der Augenblick, da an den Rahen die Segel erschlafften. Die Flaute entstand von einer Sekunde zur anderen. 3. Ein plötzlicher kalter Hauch überfiel die Männer. Das Wasser war an den Stellen, die der Nebel nicht bedeckte, pechschwarz, und das Schiff bewegte sich nicht durch das Wasser, sondern mit ihm, von der Strömung getragen. Die Geschwindigkeit steigerte sich. Gleichzeitig wurde auch das Brüllen und Tosen der Brandung lauter, die wild an die Felsen klatschte. Dabei erzeugten irgendwelche Luftströmungen Geräusche, als würden sie durch Löcher in den Klippen gepreßt. Siri-Tong verlor von einem Augenblick zum anderen die Orientierung. Sie sah nichts mehr. Die Dunkelheit überfiel „Eiliger Drache“ wie ein Leichentuch. Die Rote Korsarin preßte die Lippen zusammen, starrte angestrengt voraus und versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. Vergebens. Das Schiff schien sich in einer großen Grotte zu bewegen, die sich immer weiter ausdehnte. Seltsame Geräusche erklangen. Aus dem donnernden Brausen wurde ein Fauchen wie von heißem Dampf, danach begann es schrill zu pfeifen und zu heulen. Sie spürte instinktiv, daß sie jetzt den gewölbten Felsenbogen passiert hatten, und wartete auf das Krachen und Splittern, falls die Großmaststenge den Fels berührte. Aber „Eiliger Drache“ glitt hindurch und hatte dabei so wenig Spielraum, daß am Topp höchstens noch eine schmale Hand dazwischen gepaßt hätte. Ein Nebelschwaden, so lang wie das halbe Schiff, begleitete „Eiliger Drache“ in den Felsendom. „Es gibt keine Durchfahrt“, murmelte der Wikinger, der aufs Achterkastell gegangen war. „Wir sitzen in der Falle.“ Seine Stimme klang seltsam gepreßt.
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Da die Geschwindigkeit sich noch weiter zu steigern schien, konnte es nicht ausbleiben, daß sie jeden Moment scharfe Felswände im Innern des Doms berühren würden. „Fallen Anker!“ rief die Korsarin laut. Das Getrappel von Schritten war zu hören, jemand fluchte in der Dunkelheit unterdrückt, und gleich darauf rauschte die Ankertrosse aus. Der Anker fiel und fiel, bis die Trosse steif im Wasser hing. Auf den einzelnen Decks warteten die Männer darauf, daß ihr Schiff an den Felsen zerschmettert würde. Jeder suchte verzweifelt nach dem kleinen Lichtpunkt, den sie zuvor gesehen hatten, und der eine Ausfahrt aus der Kaverne vortäuschte, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Die Korsarin legte Hartruder Backbord, denn genau voraus glaubte sie eine riesige schwarze Wand zu erkennen, die mit unheimlicher Schnelligkeit ihnen entgegenraste. Das Schiff reagierte nicht. Zwar sah SiriTong das nicht, aber ihr Gefühl sagte ihr, daß „Eiliger Drache“ sich den Teufel um das Ruder scherte und eigenwillig der Strömung gehorchte, die ihn unaufhaltsam weiter ins Schwarze trieb. Die Stimme des Wikingers dröhnte laut und nachhallend durch den Felsdom. „Entzündet Lampen und Fackeln, ihr Stinte! Fasert Seilenden auf und taucht sie in Öl! Beeilt euch!“ Er selbst angelte in der Dunkelheit nach einem Tampen, um das Ende aufzudrehen. Er hatte den Tampen noch in der Hand, als ein harter Ruck erfolgte, der den Wikinger von den Beinen warf. Der Länge nach schlug er fluchend auf Deck. Kaum jemand hielt sich bei dem Anprall auf den Beinen. Der Ruck, der durch das Schiff ging, ließ die Masten bis zum Kielschwein hinunter hart erbeben und wanken. Die Männer wurden von den Beinen gerissen, als das Schiff seitlich an die Felsen prallte. Flüche und Gebrüll erklangen. Diejenigen, die Lampen entzünden wollten, hatten sie verloren und krochen nun in der Dunkelheit fluchend an Deck herum, um
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sie zu suchen. Dabei hatten sie Angst, daß durch den harten Anprall die Rahen auf Deck krachen und sie erschlagen würden. Doch „Eiliger Drache“ war aus bestem Holz erbaut und überstand den Anprall. Allerdings drehte das Schiff sich jetzt um die eigene Achse. Die Geräusche wurden lauter, das Rauschen verstärkte sich, und an den kahlen Wänden brach sich hundertfach das Echo. „Verdammt, wir rasen genau in die Hölle!“ schrie jemand vom Vordeck. „Hier geht's ins Innere der Erde!“ „Maul halten!“ donnerte die Stimme des Boston-Mannes dazwischen. „Seht endlich zu, daß ihr die Lampen entzündet.“ Thorfin hatte seinen Tampen wieder gefunden und brüllte nach Flintstein und Stahl, um Funken zu schlagen. Bis das erste trübe Licht aufflackerte, verging eine Weile. Die Männer rannten zu dem Boston-Mann, um sich Feuer zu holen. Bald zuckten überall an Deck winzige flackernde Feuer auf, doch deren Schein ließ alles um sie herum noch gespenstischer erscheinen, als es ohnehin schon war. Zuckende, flackernde Lichtreflexe fielen auf eine ungewohnte Umgebung, aus der unbeschreibliches Tosen zu hören war. Pechschwarze Wellen schlugen dröhnend gegen Felsen, die links und rechts neben dem Schiff aufwuchsen. Zur Orientierung reichte der Feuerschein kaum aus, und so stand die Rote Korsarin hilflos am Ruder. Ein grauer Schatten wuchs voraus auf. Glänzendes Wasser rieselte an dem Schatten nieder, und von unten schlug brüllend eine Woge hoch. Dieser Felsendom schien riesig zu sein, denn nirgends zeichnete sich ein Ende ab. Doch jetzt wurde die graue Wand noch größer, und der Wikinger, der sie deutlich sah, sprang mit einem Satz ans Ruder, um es herumzureißen. Schreie erklangen wieder vom Vordeck, aus der Kuhl und dem achteren Deck. Die Mannschaft war drauf und dran, in Panik zu verfallen.
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„Vorsicht!“ schrie Thorfin. „Wir rammen den Felsen!“ Jetzt, als die Lampen hochgehoben wurden, erkannte man die graue Wand deutlicher, auf die „Eiliger Drache“ unaufhaltsam zutrieb. Das Ruder sprach genauso wenig an wie vorher. Das Schiff lief seinen eigenen Kurs. Es war die größte Klippe im Innern der Kaverne, die sie bisher gesehen hatten. Schroff und zackig war sie, unten von dichten Nebelschwaden eingehüllt, zwischen denen wie aus dem Nichts, pechschwarze Wellen wuchsen, die gierig an dem Felsen leckten. Thorfin hielt die provisorische Fackel über Bord, und er erkannte, daß es keine Wellen, sondern ein reißender Strudel war, in dessen Sog das Schiff geriet. Immer noch stand Siri-Tong hilflos am Ruder, das Herumreißen des Ruders war umsonst gewesen. Thorfin Njal starrte sich die Augen aus. Er konnte nicht glauben, was er sah. Diese dichte kompakte Masse aus grauem Fels verschob sich, und es hatte den Anschein, als würde sie sich vor dem Schiff zurückziehen, das seinen Bug genau darauf zuschob. Vom Vordeck flohen die ersten Männer nach achtern, als das Verhängnis sich näherte. Muddi lähmte das Entsetzen so, daß er kaum ein Bein vor das andere brachte. Er schrie und schimpfte, und dann konnte er auch wieder rennen. „Festhalten!“ schrie von irgendwoher der Boston-Mann. „Madam, halten Sie sich auch fest!“ „Himmel, wohin sind wir nur geraten?“ stöhnte die Korsarin. Jetzt mußte der Anprall erfolgen. Jeder erwartete das häßliche Splittern von Holz, das Krachen, die Geräuschkulisse, die entstand wenn Holz auf Felsen prallte. Aber es geschah etwas Seltsames: „Eiliger Drache über den Wassern“ glitt in die Wand hinein, sanft wie eine Wolke schwebte das Schiff in die graue Masse und bohrte sich Yard um Yard vor, ohne daß es splitterte und krachte.
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Für die abergläubischen Kerle war das nur ein sicheres Zeichen, daß es jetzt auf direktem Weg in die Hölle ging. Klar, der Teufel leitete sie sanft, aber unerbittlich auf dem Weg weiter. Warum sollte er das Schiff in tausend Fetzen reißen, wenn er es auch unbeschädigt haben konnte? Der Bug verschwand in der Klippe, bis der vordere Mast mit den schlaff hängenden Segeln nicht mehr zu sehen war. Und die Männer standen mit offenen Mündern da und kapierten nicht, was sie sahen. Aber es geschah. Jeder sah es überdeutlich mit eigenen Augen, in denen sich die tanzenden Lichter tausendfach spiegelten. Bis zur Hälfte war „Eiliger Drache“ jetzt in dem Felsen verschwunden, und das Geräusch, das sie hörten, war nicht mehr als ein ganz sanftes Reiben. „Da vorn wird es hell!“ rief der Stör in heller Aufregung. „Gleich sind wir draußen!“ Ja, da war irgendwo ein heller Fleck, jener, den die Korsarin schon bei der Einfahrt zu sehen geglaubt hatte. Aber er verschwand als dämmeriger Schemen gleich darauf wieder und tauchte auch nicht mehr auf. Sie waren noch lange nicht draußen, im Gegenteil. Weiter und weiter schob sich das Schiff in die Wand, bis auch das Achterdeck und das Heck von der grauen Masse verschlungen wurde. Der eisige Hauch überfiel sie wieder. Übergangslos wurde es höllisch kalt. In der Luft hingen eisige Nebel- I fetzen. „Weshalb können wir durch Felsen segeln?“ schrie Muddi in höchster Angst. „Oder sind wir schon tot? In . der Hölle vielleicht?“ „Da ist es viel wärmer, du Quatschkopf“, sagte der Boston-Mann trocken. „Wenn wir erst dort sind, wird dir das Wasser früh genug im Hintern kochen.“ Er stieß den kleinen dreckigen Kerl unsanft an. „Siehst du ihn, den Gehörnten?“ raunte er. „Er hat glühende Augen und Haare auf den Zähnen. Und dich holt er als ersten mit einer glühenden Zange, denn mit den Klauen kann er dich nicht packen, weil du ihm zu dreckig bist.“
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Muddi schrie in höchster Angst, doch der Boston-Mann verpaßte ihm mit der flachen Hand eine saftige Maulschelle, und da gelangte Muddi zu der Einsicht, daß er vor dem Boston-Mann eigentlich doch noch mehr Angst hatte als vor dem Teufel, denn der hatte ihm noch nie so ein Ding an die Ohren gehauen. Sekundenlang herrschte tödliche Stille, als das Heck in der vermeintlichen Klippe verschwunden war. Dann begann das höllische Konzert von neuem. Das Schiff bewegte sich jetzt in absoluter Finsternis. Nichts war mehr zu sehen, keine Felsen, kein Wasser und kein Nebel. Die Männer, auch die abgebrühten unter ihnen, hatten Herzklopfen, Angst vor dem Unbekannten, Angst vor den merkwürdigen Geräuschen, dem hohlen Brausen, dem geheimnisvollen Wispern und der pfeifenden Luft, die irgendwo durch Löcher in den Felsen gepreßt wurde und diese schauerlichen Töne erzeugte. Jetzt schien es direkt durch den Vorhof zur Hölle zu gehen, und dahinter lauerte der Teufel, um sich in aller Ruhe ihre Seelen zu holen. Holz splitterte plötzlich, und die Männer zuckten zusammen. Es knirschte, etwas brach und fiel mit dumpfem Gepolter an Deck. „Die Mastspitze“, sagte Thorfin. ..Teufel, da hat es ein Stück glatt abrasiert. Ist noch jemand auf dem Vordeck?“ fragte er dann. Von vorn hörte er keine Stimme. Also hatten sich alle nach achtern geflüchtet. Ein Ächzen und Beben lief durch den Rumpf, wieder war das häßliche Knirschen und Splittern zu hören, und „Eiliger Drache“ hob sich auf Steuerbord leicht aus dem Wasser. Das Schlimmste war, daß niemand etwas sah. Sie standen auf Krücken, die Männer des Schiffes, die Gefahr lauerte überall, und doch war sie nicht zu sehen. Der Großmast mußte mit dem Topp einen Felsen berührt haben, der sich hoch über ihnen spannte, und dann hatte es einen Knacks gegeben, der allen durch Mark und Bein gefahren war.
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Wenn nur die Rahen hielten, beteten sie insgeheim. Die Angst, von diesen gigantischen Hölzern erschlagen zu werden, war fast genau so groß wie die Angst vor der Hölle, in die sie jetzt segelten. „Siehst du etwas, Thorfin?“ fragte die Korsarin. Ihre Stimme klang wie eine schwingende Gitarrensaite. „Nein, nichts zu sehen“, erwiderte der Wikinger. „Aber es kann nicht mehr lange dauern, bis wir draußen sind. Es sind nur ein paar lausige Felsen gewesen, ich habe sie doch gezählt.“ „Wir haben leider nicht gesehen, wie viele Felsen noch dahinter lagen“, widersprach Siri-Tong. „Die Piraten werden in lautes Gelächter ausbrechen.“ „Immerhin können sie uns nicht folgen und haben nicht damit gerechnet. Draußen würden wir schon in hellen Flammen stehen, wenn sie uns mit Brandsätzen beharkt hätten.“ „Die Luft wird so stickig“, sagte Juan. „Abgestanden wie in einer alten Gruft riecht es hier!“ Der Wikinger sog hörbar die Luft ein. „Ja, du hast recht“, sagte er. „So, als ob hier jahrelang nicht mehr gelüftet wurde.“ Er hörte den Boston-Mann über diesen Vergleich leise lachen. Das nahm den meisten anderen etwas von ihrer Angst, und sie griffen wieder nach Fackeln und aufgedrehten Tauenden. „Stellt euch ans Schanzkleid und leuchtet ins Wasser hinunter“, ordnete Siri-Tong an. „Ich möchte wissen, wohin es uns verschlagen hat. Mit genügend Licht werden wir wohl etwas erkennen können.“ 4. Das erste, was sie sahen, waren Splitter auf dem Deck. Eins der schlaffen Segel war zerfetzt worden und hing bis auf die Planken hinunter. Der Wikinger hatte mit seiner Vermutung recht behalten. Ein kleines Stück der Mastspitze hatte den oberen Felsendom leicht berührt, war zerfetzt worden und als Trümmerstück an Deck gefallen.
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„Gleich das Deck klarieren!“ befahl die Korsarin. „Hängt auch die anderen Segel ins Gei und fiert die Rahen ab, damit wir nicht von ihnen erschlagen werden.“ Sie selbst ließ sich vom Boston-Mann eine blakende Fackel geben, befahl Muddi und den Koch zu sich und sagte ihnen, daß sie ein Beiboot abfieren sollten. „Wo ist denn unser wandelndes Rumfaß?“ fragte sie plötzlich und eine steile Falte erschien auf ihrer Stirn. „Den hat Juan in die Vorpiek gesperrt, weil er, äh - nun, er hatte etwas getrunken“, stotterte der Koch. „So, er hatte wieder mal etwas getrunken. Und woher hatte er das?“ „Ich weiß nicht genau, Madam, aber ich glaube ...“ Die Korsarin hörte nicht mehr hin. „Juan!“ rief sie. „Laß den Trunkenbold aus der Vorpiek heraus. Wir haben genügend Arbeit und brauchen jeden Mann!“ „Aye, aye, Madam!“ Während die beiden anderen das Boot abfierten und Juan nach vorn ging, um den Trunkenbold in die Freiheit zu entlassen, leuchtete Siri-Tong wieder mit der Fackel in der Hand alles ab. Was sie sah, stellte sie gar nicht zufrieden. Scheinbar himmelhoch wölbte sich über ihnen eine feuchte gigantische Decke aus Fels. Der flackernde Schein der Fackel warf lange Schatten nach allen Seiten und verzerrte die Perspektiven ins Riesenhafte. Aber der Strudel war verschwunden, und das Schiff schien sich langsam im Kreis zu drehen. „Wir liegen allem Anschein nach in einer riesigen Kaverne“, sagte Thorfin. „Wenn wir den Ausgang entdecken, wird es uns auch gelingen, wieder ins offene Meer zu finden. Siehst du irgendwo eine Felswand?“ „Nein, die graue Masse sah zwar aus wie Fels, aber sie war keiner, so täuschend echt das auch ausgesehen hat. Ich denke, wir suchen mit dem Beiboot erst einmal unsere Umgebung ab, damit wir ein klares Bild erhalten.“
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Thorfin nickte. „In Ordnung. Schließlich wollen wir ja nicht ewig hier liegen bleiben.“ Die Segel wurden aufgegeit, das Deck klariert, und Cookie und Muddi bemühten sich immer noch, das Boot abzufieren. Da marschierte Mißjöh Buveur über Deck. In der Dunkelheit fiel es nicht weiter auf, daß er klatschnaß war. Dafür rochen sie ihn umso besser. Er verbreitete eine Pestwolke um sich, daß sogar der stinkende Muddi angewidert die Nase rümpfte. „Los, fier das Beiboot mit ab“, sagte SiriTong. „Sei froh, daß du so billig davongekommen bist!“ „Aye, Madam.“ Der Koch wartete, bis die Rote Korsarin zur Kuhl hinunterging, dann packte er Mißjöh Buveur am Hals und zog ihn etwas dichter zu sich heran. „Hör mal zu, du versoffener Hurenbock“, fauchte er leise, „was ist mit meinen Perlen für die Buddel, he? Wo hast du sie, Mann?“ Buveur schlotterte an allen Gliedern. Er wußte nicht, was passiert war, denn Juan hatte ihm höhnisch erklärt, daß sie jetzt in der Hölle seien und der Teufel sich zuerst alle Säufer vornehmen würde, wobei er, Buveur, an erster Stelle läge. Und an Deck hatte ihm Hilo kurz erklärt, sie würden' seit neuem unter Wasser segeln, statt darüber. Daher war Buveur jetzt derart verwirrt und ängstlich, daß er überhaupt nicht mehr durchblickte. Ihm war alles unheimlich, und keiner dachte daran, ihn aufzuklären. „Ich hab dich was gefragt, du Laus`, zischte der Koch. „Die Perlen?“ stotterte Buveur und sah sich nach allen Seiten um. „Ich — Mann, ich hab die Perlen in der Piek verloren. Ich hatte sie in der Tasche, aber dann sind sie 'rausgefallen.“ „So“, sagte der Koch gefährlich leise, „ich dachte, du hättest keine mehr bei dir gehabt. Wolltest mich wohl bescheißen, was?“ „Bestimmt nicht, ich wollte sie dir später geben, aber jetzt liegen sie in der Bilge.“
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„Was für Perlen?“ fragte Muddy, der etwas gespitzt hatte. „Wer hat Perlen in der Bilge?“ „Halt dich da 'raus, du stinkige Ratte, und halt bloß dein Maul, sonst kannst du was erleben!“ murrte der Koch. Da packte ihn von hinten eine Faust, die ihn unsanft anstieß. „Wollt ihr lausigen Seetangfresser wohl gleich das Boot abfieren! Oder soll ich euch durch die Planken stampfen?“ Des Wikingers Stimme hallte als Icho in der großen Kaverne von alIen Seiten zurück. Die drei Kerle ließen das Boot in fliegender Eile zu Wasser. Dann verzog sich der Koch ziemlich schnell und hastete in Richtung Kombüse. Als er sich unbeobachtet glaubte, ergriff er eine der Öllampen, stieg zur Vorpiek hinunter und entriegelte das Schott. Unten stellte er die Lampe auf die Gräting, krempelte sich den Ärmel seines schmierigen Hemdes hoch und begann hingebungsvoll in der Brühe mit den Fingern zu fischen. Das Bilgenwasser roch entsetzlich, es hatte außer dem Geruch von toten Ratten, Seewasser und vergammeltem Trinkwasser noch einen vertrauten Duft. Es roch ganz schwach nach Rum. In seiner Gier hatte Cookie jedoch vergessen, das Schott zu schließen, und so sah der Boston-Mann den schwachen Lichtschein der Öllampe. Er blickte durch das angelehnte Schott und sah das Köchlein emsig im Bilgenwasser fischen. Der Kerl hatte die Augen verdreht, sein Mund stand weit offen. Er war so in seine Arbeit vertieft, daß er heftig zusammenzuckte, als er die Stimme des Boston-Mannes hörte. „Was treibst du denn da, he? An Deck ist der Teufel los, wir stecken im größten Mist, und du fischst hier in der Bilge herum, wo jeder Mann an Deck dringend gebraucht wird! Was suchst du hier so emsig?“ Cookie hatte sich blitzschnell gefangen.
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„Ich — ich hab da 'ne Buddel versteckt“, log er, „und vor lauter Angst und Schreck wollte ich mal daran nuckeln.“ „Hau ab nach achtern, Kerl! Wenn du da wirklich eine Buddel versteckt hast, ist sie entweder kaputt, oder der Mißjöh hat sie gefunden und ausgesoffen. Verschwinde jetzt!“ Cookie flitzte erbittert nach achtern. Er verfluchte insgeheim den Boston-Mann, der ihm alles vermasselt hatte. Wenigstens hat er das mit der Buddel geschluckt, dachte er. „Tiefe vorn und achtern loten!“ befahl die Korsarin, und hielt wieder die Fackel über die pechschwarze Wasseroberfläche. Das Schiff lag ruhig, fand sie, und der vorherige Anprall an die Felsen hatte dem Rumpf keinen Schaden zugefügt. Nirgendwo war Wasser eingedrungen. Nur vernahm man jetzt ab und zu ein leichtes Knacken im Schiff, das sich niemand erklären konnte. Mißjöh Buveur warf das Lot über Bord, ließ die Knoten durch seine Hände gleiten und zählte mit. „Mehr als zwanzig Faden achtern, Madam!“ rief er. „Weiter, und jetzt vorn!“ Buveur flitzte nach vorn. Wenigstens einmal wollte er etwas richtig tun und nicht alles versauen. Sein Ansehen bei der Roten Korsarin war sowieso nicht das beste. Dabei mußte er ihr noch hoch anrechnen, daß sie direkt gnädig mit ihm verfuhr. Auf der „Isabella“ des Seewolfs hätte er sich diese Mätzchen nicht leisten dürfen. Da hätte ihn der Zuchtmeister Carberry längst wie eine Laus zwischen den Fingern zerquetscht. „Genau zwölf Faden, Madam!“ rief er nach achtern. „Acht Faden Unterschied“, sagte Siri-Tong nachdenklich und sarkastisch fügte sie hinzu: „Dann können wir wenigstens nicht auf Grund laufen.“ Sie stieg in das Beiboot und wartete, bis Thorfin die Riemen ergriff und langsam lospullte. Drei Fackeln hatten sie an den Bootsrand gebunden, eine vierte hielt die Korsarin in der Hand.
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„Eiliger Drache“ glich einem Geisterschiff, wie es dalag mit einem unübersehbaren Wust an Rahen, Segelfetzen und den auf gegeiten Segeln, die man bis auf die Großrah alle an Deck gefiert hatte. „Die Großrah nehmen wir nachher auch 'runter, Thorfin“, sagte sie. „Sobald wir uns einen Überblick verschafft haben.“ Auf dem Helm des Nordmannes spiegelte sich das Licht der Fackeln. Sein Kupferhelm sah aus, als hätte er Feuer gefangen. „Solange wir nirgends anstoßen, kann sie oben bleiben“, knurrte der Wikinger. „Wenigstens ein Segel sollten wir bereit haben, wenn etwas passiert.“ Sie ging nicht weiter auf das Thema ein, hob die Fackel hoch und leuchtete mal hierhin, mal dorthin. Am Boot rauschte gluckernd schwarzes, kaltes Wasser vorbei. Weiter hinten krochen wieder diese feinen Nebelarme über das Wasser, die im Lichtschein wie große Schlangen aussahen. Thorfin zog unbehaglich die breiten Schultern hoch. „Weiß der Teufel, wie wir hier wieder 'rausfinden. So groß kann dieser Felsendom gar nicht sein.“ „Groß genug zum Wenden ist er jedenfalls. Halt, Thorfin!“ Vor ihnen wuchs unvermittelt eine kahle nasse Wand aus dem Wasser, und das Boot schrammte leicht dagegen. Thorfin legte die Riemen zurück, hielt das Boot so, daß es an der Felswand entlangstrich und sah zu „Eiliger Drache“ hinüber. Unheimlich sah der schwarze Segler aus, fand er, und man sah jetzt deutlich die leichte Strömung, die an seinem schwarzen Rumpf vorbeigluckerte. „Sieht fast nach Flut aus“, murmelte der Nordmann betroffen und kratzte seinen Kupferhelm wie immer, wenn er überlegte oder ihm etwas mißfiel. Widerwillig zog er das Boot weiter. Er glaubte zu sehen, daß sich der eine Mast des schwarzen Seglers unter der Felsendecke eingespreizt hatte, aber das konnte auch eine Täuschung sein, denn die
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vielen Lichtreflexe ließen keine genauen Einzelheiten erkennen. Überall gab es nasse Felswände, von denen Wasser tropfte oder in dünnen Rinnsalen herunterlief. Siri-Tong deutete nach rechts. „Dort ist der Felsen, durch den wir scheinbar durchgesegelt sind“, sagte sie. „Und noch weiter vorn scheint die zweite Einfahrt zu sein. Wenn es uns gelingt, das Schiff dort hinauszuziehen, erreichen wir wieder offenes Meer.“ „Es sieht aus, als wenn die Flut steigt“, behauptete der Wikinger eigensinnig. „An ein Rausziehen ist gar nicht zu denken, höchstens dann, wenn das Wasser wieder zurückläuft.“ „Wir werden es schaffen. Jeder Mann steigt ins Beiboot und wird aus Leibeskräften pullen. Wenn wir mit dem Strom ablaufen, werden wir wieder die Felsen berühren, und ich möchte nicht gern ein Leck riskieren, schon gar nicht, wenn die verdammten Kerle sich da draußen vor den Felsen herumtreiben.“ „Und ich sage dir, es geht nicht. Eine Handvoll Männer kann das schwere Schiff nicht gegen den Strom schleppen. Warten wir wenigstens Stauwasser ab.“ Schließlich sah Siri-Tong das ein. Dabei blieb die bange Frage allerdings offen, ob es hier überhaupt ablaufendes Wasser gab. Sie hielt das Gurgeln für eine Strömung, die immer in dieselbe Richtung lief. Wenn das der Fall war, würden sie das schwarze Schiff nie wieder aus der Riesengrotte kriegen. Da halfen alle seemännischen Tricks nicht mehr. Die graue Felswand, die sie vermeintlich durchsegelt hatten, erwies sich aus der Nähe als zäher nebliger Dunst, der durch die Passage schwebte und den der schwache Luftstrom nicht vertreiben konnte. Kein Wunder, daß das Entsetzen so groß gewesen war, dachte sie ernüchtert. Aber es war die einzigmögliche Erklärung, auch wenn sie selbst vorhin der Ansicht gewesen war, sie wären mitten durch den Felsen gesegelt. Der Wikinger legte sich in die Riemen und begann aus Leibeskräften zu pullen, doch
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gegen den hereinfließenden Strom waren selbst seine Riesenkräfte machtlos. Das Boot . hielt sich auf der Stelle und fing an zu gieren. Dahinter lag die Freiheit, wie Thorfin zähneknirschend erkennen mußte. Aber der Weg dahin war versperrt. „Verdammt noch mal“, fluchte er, doch im selben Augenblick vernahm er die hallende Stimme des Boston-Mannes. Sie schallte von allen Seiten gleichzeitig an seine Ohren. „Wir sind eingeklemmt, Madam! Der Mast sitzt unter der Felsendecke fest!“ „Ich habe es ja geahnt, also habe ich doch richtig gesehen. Schnell zurück!“ Das Boot wurde von dem hereinfließenden Strom geschoben und gedrückt, bis es an die Bordwand schlug. Siri-Tong war mit einem schnellen Satz an Bord. Thorfin warf Muddi die Vorleine zu und kletterte so schnell nach oben, daß er mit dem Stör zusammenprallte. Er sah in die Gesichter der Männer. Im Fackelschein wirkten sie bleich und entsetzt, und alle schauten besorgt zum Großmast hoch. „Ich hörte es immer lauter knacken“, berichtete der Boston-Mann, „und dann bin ich aufgeentert, weil das Geräusch genau von da oben erklang. Sieh selbst, Nordmann!“ Thorfin stieg in die Wanten und ließ sich eine Lampe hinaufreichen. Vorsichtig stieg er weiter, bis er die Bescherung sah. Dicht hinter sich vernahm er Siri-Tongs erschreckten Ausruf. „Wir stecken fest. Das hat uns noch gefehlt!“ Das Knacken wurde bedrohlicher. Es war schon fast körperlich zu spüren, daß sich „Eiliger Drache über den Wassern“ unter starker Spannung befand. Der Großmast, oder besser, seine abgebrochene Spitze, hatte sich hoffnungslos unter der Felsendecke in einer Art kleiner Kuppel verkeilt. Vorher war er gerade noch so durchgegangen, aber dann hatte die Flut das Schiff etwas angehoben, und jetzt saß die obere Stenge unverrückbar fest.
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„Also gibt es hier doch Ebbe und Flut“, sagte Thorfin. „Nur nutzt uns diese Erkenntnis jetzt verdammt wenig.“ Seine Worte wurden von einem lauten Knacken begleitet. Thorfin starrte hilflos in das schwarze Wasser tief unter sich, das sich ständig hob, und damit das Schiff immer höher drückte. Siri-Tong enterte wieder ab, bis sie auf Deck stand. Ihr Gesicht wirkte verschlossen und ablehnend. Innerlich war sie fast dabei, zu resignieren. Diese Schlappe, so kurz vor dem Ziel ihrer Wünsche, verletzte sie tief. Was hatten sie alles an Strapazen auf sich genommen, damit diese Reise um die halbe Welt ein Erfolg wurde! Und jetzt passierte das, nur wegen ein paar lausiger Piraten, die die Mumie rauben wollten. Die Mumie! Siedendheiß fiel ihr der tote Mandarin ein. Er hatte sie diesmal nicht beschützt, aber das mochte vielleicht daran liegen, daß er nicht bestattet worden war. Seine Seele hatte keine Ruhe gefunden, und „Hun“, die zweite Seele, die höhere, die jeder Chinese hatte, war noch nicht zum Palast des Shang Ti hinaufgestiegen, um dort als Vasall an seinem Hof zu leben. So irrte sie jetzt ruhelos umher und hatte keine Zeit, die Hand schützend über das Schiff zu halten. Der Mandarin mußte in Sicherheit gebracht werden, noch bevor dem Schiff etwas geschah. „Es gibt zwei Möglichkeiten“, hörte sie den Wikinger sagen. „Entweder haben wir Glück, und der Großmast bricht, oder wir haben Pech, und das verdammte Ding bohrt sich bis durch den Kiel des Schiffes. Dann saufen wir ab, das wäre unser Todesurteil!“ „Wie lange Zeit haben wir noch?“ fragte Eike den Wikinger. „Weiß ich nicht, es liegt an der Flut, wie schnell sie steigt und vor allem, wie hoch sie steigt. Ich gebe dem Mast höchstens noch eine Handbreit, dann fliegt er uns um die Ohren. Wenn die Flut jetzt schon ihren höchsten Punkt erreicht hat, wird es gerade noch einmal mit einem blauen Auge abgehen.“
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Doch daran war nicht zu denken. Das Wasser gurgelte weiter und erzeugte eklige Geräusche. Das Knacken und die Spannung im Großmast nahm bedrohliche Ausmaße an. „Ihr geht am besten alle in das Boot“, sagte die Korsarin. „Es hat wirklich den Anschein, als müßten wir das Schiff aufgeben.“ Noch zögerten alle und standen unschlüssig an Deck herum. „Fiert die Großrah ab“, sagte Thorfin in die Stille hinein, die nach Siri-Tongs Worten entstanden war, und die nur vom Schmatzen und Gurgeln der höhersteigenden Flut unterbrochen wurde. Die schwere Großrah wurde schweigend abgefiert. Wieder erfolgte das unheimliche Knacken. Diesmal hörte es sich an, als würden ganze Planken durchbrechen. Die Männer zuckten wie unter einem Hieb zusammen und blickten aus angstgeweiteten Augen nach oben, wo im zuckenden Schein der Flammen die zerfetzte Spitze des Mastes sich bog, dem Druck aber nicht nachgab. Es war so, wie der Wikinger gesagt hatte: Entweder flog der Mast splitternd auseinander, oder er durchbohrte den Kiel. „Ins Boot“, wiederholte die Korsarin ihren Befehl. „Thorfin und ich gehen zuletzt, wir nehmen noch den Mandarin mit.“ Niemand wagte aufzumucken, auch wenn sie alle ein kalter Schauer überrieselte, wenn sie daran dachten, daß sie das Boot noch mit einem längst Toten teilen mußten. In dieser Beziehung war mit der Korsarin nicht zu reden. Was die Mumie betraf, da verstand sie nicht den geringsten Spaß, und so schwiegen die Kerle bedrückt. Den schwarzen Segler verlassen? Das war ein Abschied für immer, und sie konnten es sich kaum vorstellen. Sollte „Eiliger Drache über den Wassern“ ein derart unrühmliches Ende finden? Wenn er im Kampf versenkt worden wäre, dann hätten sie es akzeptiert. Aber einfach so absaufen, nur weil sich der Großmast an einer schäbigen Felsendecke verkeilt hatte? Das ging ihnen allen gegen den Strich.
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Stumm starrten sie sich gegenseitig an, bis der Wikinger plötzlich die Zähne entblößte und zu grinsen begann. „Bringt Äxte, Beile und Schiffshauer, aber beeilt euch! Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, aber dafür brauche ich Freiwillige. Auf was wartet ihr noch? Bringt das Zeug schleunigst her!“ Jetzt erst kapierten die meisten. „Glotzt mich nicht so dämlich an“, sagte Thorfin. „Wir steigen in die Wanten und kappen die Mastspitze. Das ist nämlich die dritte und beste Möglichkeit.“ In aller Eile wurde das Werkzeug herbeigeschleppt. Bevor der Wikinger noch fragen konnte, ergriff der BostonMann eine Axt und enterte wie ein Blitz in die Wanten. Juan, der Bootsmann und Bill the Deadhead, folgten ebenso schnell. Thorfin schwang einen Schiffshauer. „Seht euch vor!“ rief er den Männern zu. „Haut nicht wild drauflos! Die Spannung ist inzwischen so stark geworden, daß euch der absplitternde Teil die Köpfe wegreißt. Das Schiff wird ein halbes Yard aus dem Wasser springen, wenn die Spitze bricht!“ Sie gingen vorsichtig an die Arbeit und warteten, bis Thorfin ebenfalls aufgeentert war. Der abgesplitterte Teil steckte unverrückbar fest, das sah er im Schein der Lampen, die sie in die Webleinen der Wanten gehängt hatten. Neuerliches Krachen ließ sie zusammenfahren. Das Schiff drängte aus dem Wasser, aber der Großmast drückte es ins nasse Element zurück. Sogar im Schiffsrumpf war jetzt das unheimliche Krachen und Knacken zu hören. Es ertönte aus allen Ecken und Enden des geplagten Schiffes. Thorfin führte den ersten Hieb, dann schlug der Boston-Mann mit der Axt zu. „Ein verdammt starkes Holz“, sagte er anerkennend. „Aber diese Stärke wäre uns beinahe zum Verhängnis geworden.“ „Da hast du recht, mein Freund!“ Wieder hieb der Nordmann zu. Das Holz brach langsam von innen, und die Mastspitze bog sich zum ersten Male leicht durch. Aber noch hielt sie.
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Abwechselnd hieben sie in das Hartholz, bis es ein knappes Yard unterhalb der Spitze tiefe Einkerbungen hatte. Fünf, sechs gezielte Schläge von Thorfin, dann zeigte er mit dem abgespreizten Daumen seiner Hand nach unten, wo sich die Leute im Schein der Fackeln wie Ameisen ausnahmen. „Entert ab, schnell, gleich ist es soweit, und vergeßt nicht, euch festzuhalten!“ Die Korsarin verfolgte mit gemischten Gefühlen, wie die Männer weit oben herumturnten. Um sie herum war das Gurgeln, Schmatzen und Rauschen noch lauter geworden. Die Flut stieg immer noch. Sie sah, wie die Männer abenterten - bis auf Thorfin, der noch ein letztes Mal zuschlug. Dann hing auch der Riese in den Wanten, zog das Genick ein und wartete auf das Bersten und Krachen. Er brauchte nicht lange zu warten. Das rauschende Wasser verlieh dem Schiffskörper immer heftigeren Auftrieb und dann war es so weit. Ein Krachen, als fliege das ganze Schiff auseinander, Knirschen, Ächzen und Stöhnen waren zu hören. Der ungeheure Druck sprengte die angeschlagene Maststenge weg. Ein zentnerschwerer Brocken flog herunter, knallte auf das Deck, hüpfte wieder hoch und verschwand aufklatschend in dem schwarzen Wasser. Im selben Augenblick hob sich der Schiffsrumpf. Von dem starken Druck befreit, sprang er ein Stück aus dem Wasser und legte sich leicht nach Steuerbord über. Instinktiv griff jeder zu und hielt sich fest. Von oben regneten Holzsplitter herab. „Hurra!“ brüllten die Männer begeistert, sprangen an Deck herum, hieben sich gegenseitig auf die Schultern und waren plötzlich erleichtert. Auch Siri-Tong atmete auf, ein Glücksgefühl durchströmte sie. Jetzt würde vielleicht alles gut werden. Die Hoffnung, diese Kaverne bald verlassen zu können, nahm greifbare Gestalt an. Sie brauchten nur noch auf den Ebbstrom zu warten oder die kurze Zeit des Staus, die noch
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günstiger war. Dann konnten sie „Eiliger Drache“ mit dem Boot an langer Leine herausziehen. Das Schiff war zwar leicht lädiert, aber die Rahen ließen sich wieder anschlagen, und man würde segeln können. An die Piraten dachte in diesem Augenblick niemand mehr. Das Schiff war frei, sie waren ihre größte Sorge los. Niemand brauchte in die Boote, und auch der Mandarin würde an Bord bleiben. Letzten Endes hat er doch seine Hand schützend über das Schiff gehalten, überlegte die Rote Korsarin. Sie rief Jonny zu sich, den jüngsten Mann an Bord. Jonny war taub, er verstand es, alles von den Lippen zu lesen, wenn man deutlich zu ihm sprach. „Jonny, hole drei Flaschen Rum aus meiner Kammer! Ich denke, daß jeder einen kräftigen Schluck verdient hat. Mißjöh Buveur grinste über das ganze Gesicht, als das kleine Wörtchen Rum fiel. In der Vorfreude auf kommende Genüsse leckte er sich gierig die Lippen. Jonny verschwand nach achtern und kehrte gleich darauf mit den drei Flaschen zurück. „Einen Schluck auf Daumenbreite“, sagte Siri-Tong, und Buveur nahm sich vor, seinen Daumen so fest gegen die Flasche zu pressen, wie es nur ging. Die Leute mit dem dicksten Daumen erhielten auf diese Art immer das meiste. Aber diesmal wurde dem „Saufkopf“ das Trinken verleidet. Er hatte die Flasche noch nicht in der Hand, als es unvermittelt losbrach. In der großen Kaverne ging urplötzlich die Sonne auf, so strahlend grell, daß sie alle geblendet wurden. Der brüllende Donner folgte sofort danach und ließ die Kaverne bis tief ins Felsmassiv erbeben. Siri-Tong schlug die Hände vors Gesicht. Sie sah überhaupt nichts mehr. Der rollende Donner, der dem grellen Blitz folgte, ließ sie fast taub werden. In ihren Augen stach und brannte es wie von tausend glühenden Nadeln. Dasselbe Phänomen traf die anderen mit der gleichen Heftigkeit. Geblendet standen
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sie da, als sich der finstere Dom in eine flammende Sonne verwandelt hatte. 5. Kurz vorher: Der alte Chronist Hung-wan hatte eine Skizze angefertigt, die Khai Wang immer wieder studierte, bis er jeden Winkel an Bord des Seglers „Eiliger Drache über den Wassern“ auswendig kannte. Und Hungwan war es schließlich gewesen, der dem schwarzen Segler den Namen gegeben hatte. „Also, das hier ist der Verbindungsgang von den Laderäumen zur Kapitänskammer“, wiederholte er. „Und ein winziger Holzspan genügt, um den Mechanismus zu öffnen. Ich werde diesen Gang in der Dunkelheit finden, nachdem ihr mir die genauen Maße gegeben habt, Hung-wan.“ „Nach der Zeichnung ist er im Schlaf zu finden. Vergeßt nicht, die ganze Lade mitzunehmen, auf der unser sehr verehrter Mandarin ruht. Sein Körper darf nicht beschädigt werden.“ „Natürlich nicht. Ich werde ihn in meine persönliche Obhut nehmen und auf das Floß bringen.“ Khai Wang ließ sich auf. das Floß übersetzen, und beobachtete von hier aus, wie der schwarze Segler erst Kurs auf sie hielt, dann aber leicht abdrehte und genau in die Passage zwischen den Felsen segelte, bis der Sog ihn erfaßt und das donnernde Gebrüll der Brandung zu hören war. Er rieb sich die Hände und lachte. „Dieses Weib ist töricht genug, dort hineinzusegeln“, sagte er lachend. „Sie wird nicht wieder herausfinden. Die Fälle ist zugeschnappt, sie hat den vermeintlich einfacheren Weg gewählt. Damit ist ihr Schicksal besiegelt.“ Khai Wang und auch die anderen Männer auf den Dschunken und Bambusflößen kannten die tückischen Felsen genau. Nur wer sie kannte, konnte es wagen, hindurchzusegeln. Für einen Uneingeweihten war es ein Labyrinth, in dem die Flut ihn an die Felsen schmetterte
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und anschließend in die große Kaverne trieb, aus der er bei Flut nicht mehr herauskonnte. Auf dem Bambusfloß stand nur eine kleine Hütte. Dahinter befand sich das Ruder an einem kurzen Kolderstock. In der Mitte des Floßes gab es das dreieckige Mattensegel und um das Floß herum einen kleinen erhöhten Rand mit Bambusstöcken, um die Taue gespannt waren. Außerdem ließ sich das leichte Floß auch rudern, dazu wurden lediglich Gabelstützen zwischen die Hölzer gesteckt. Jetzt befanden sich auf dem Floß zwanzig ausgesuchte Männer, erfahrene Seepiraten, alle mit gedrungenen Bambusknüppeln bewaffnet, mit denen sie vorzüglich umzugehen verstanden. Khai Wang selbst bewachte den Topf mit dem Salpeter und den Feuerwerkskörpern, die einen unwahrscheinlich lauten Knall erzeugten. Wenn das Salpeter mit der geheimnisvollen Beimischung gezündet wurde, gab es ein Licht, das heller als die Sonne brannte, wie der Feuerwerker versichert hatte. Es war schon oft erprobt worden, und es würde auch diesmal wieder funktionieren. Auf den Dschunken und Flößen taten sie so, als würde sie unbeschreibliche Wut erfüllen, als „Eiliger Drache“ den gefährlichen Weg wählte. Das würde die Korsarin in der Vermutung bestärken, genau richtig zu handeln. Eine Weile warteten sie ab. Sie zeigten keine Ungeduld. Das war ein Begriff, den sie kaum kannten, denn Ungeduld war eine Schwäche, und sie waren stark. Endlich hob Khai Wang die Hand. „Sie werden die Felsen gerammt haben und festsitzen“, sagte er sehr bestimmt. „Es wird Zeit für uns.“ Die Einzelheiten waren besprochen, es gab keine Fragen mehr, jeder wußte, was er zu tun hatte, und jeder war ein erprobter und besonnener Kämpfer, auf den der Piratenkapitän sich verlassen konnte. Außerdem lag die Überraschung auf ihrer Seite.
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Vorsichtig und fast ohne Geräusch pullten vier Männer das Floß in die Passage, andere stemmten sich immer wieder mit den Händen gegen die Felsen, damit das Floß nicht aneckte, oder von dem Sog zu schnell weiter gerissen wurde. Bis zur Kaverne ließen sie sich treiben, dann durchquerten sie den scheinbaren Felsen, und schwarzes Wasser tat sich vor ihnen auf. Khai Wang genoß die Szene sichtlich. Er kauerte auf dem Floß und sah, daß „Eiliger Drache“ irgendein Mißgeschick widerfahren war, denn das von Fackeln erleuchtete Schiff sah mitgenommen und zerrupft aus. Vermutlich hatte sich der große Mast an der Felsendecke eingeklemmt, und es war ihnen erst jetzt gelungen, das Schiff frei zu kriegen. Er sah die Männer als zitternde oder flackernde Schatten an Deck stehen, die irgendetwas reihum gehen ließen. Eine Flasche, aus der jeder einen Schluck trank. Die Besatzung des schwarzen Seglers konnte sie nicht sehen. Sie trugen alle dunkle Gewänder, das Floß war dunkel, und außerdem mußten sie vom Hellen ins Dunkle blicken, nein, sie konnten sie nicht bemerken, und sie würden aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht mit einem Überfall rechnen. Ihre einzige Sorge bestand darin, heil aus diesem Felsendom herauszusegeln. Vorsichtig wurde das Floß von der Felswand abgedrückt und bewegte sich auf den schwarzen Segler zu. Khai Wang traf seine letzten Vorbereitungen. Die fremden Teufel würden ihr blaues Wunder erleben. „Das Piratenweib überläßt du mir, Wu“, sagte er flüsternd zu seinem Steuermann. Dann griff Khai Wang nach der Lunte. Ein ungemein greller Blitz flammte auf, dem ein Krachen folgte. 6. Ehe die Korsarin oder einer der anderen einen klaren Gedanken fassen konnten, waren sie da. Schemenhafte Gestalten, die man kaum sah, rasende Teufel in
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Menschengestalt, ein ganzes Heer schien es zu sein, so überfielen und enterten sie das Schiff. Die Crew von „Eiliger Drache“ lief ziellos durcheinander. Immer noch geblendet und fast taub reagierten sie zu spät. Zwei Gelbe droschen dem verblüfften und hilflos um sich tastenden Wikinger ihre Bambusknüppel auf den Helm, daß es nur so durch den Dom dröhnte. Er hatte keine Waffe, ihre Sorge hatte dem Schiff gegolten, an einen Angreifer hatte niemand auch nur im Traum gedacht. Jetzt war es zu spät, als die Horde das Schiff überschwemmte. Der Wikinger brach in die Knie. Von gezielten Schlägen in den Nakken, auf den Helm und an den Hals betäubt, streckte sich der Nordmann seufzend der Länge nach aus. Sie kämpften wie besessen, diese Fremden, die das Schiff in der Finsternis geentert hatten, und sie verstanden sich auf den Kampf Mann gegen Mann. Ihre Bambusknüppel hielten sie waagerecht von sich, stießen sie den Männern vor die Kehle und erledigten sie schnell und gekonnt. Wie wirbelnde Schatten waren sie, die man nicht fassen konnte, weil sie blitzschnell und hart angriffen. Bevor der Boston-Mann sich zur Wehr setzen konnte, schlugen ihm von zwei Seiten die Bambusknüppel an den Hals. Er versuchte noch, einen gezielten Schlag anzubringen, doch der ging ins Leere, weil er nicht sah, wohin er schlug. Siri-Tong war aufs Achterkastell zurückgewichen und hatte ihren Degen gezogen. Sie sah nur vage Schatten, die sich bewegten, hörte Brüllen und Geschrei und die klatschenden Schläge. Ein plumper Schatten näherte sich ihr. Sie ahnte es mehr, als daß sie es sah. Von der eigenen Crew war es keiner, also handelte es sich um einen der Angreifer. Ihr Degen stieß blitzschnell vor, traf auf Widerstand, ein heller Schrei erklang, und dann fiel der Mann um und riß den Degen, der in seinem Leib steckte, mit sich.
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Ein zweiter Schatten war heran, und sie hörte eine kalte Stimme in ihrer Heimatsprache. „Zu spät, schöne Blume. Khai Wang hat dich besiegt, aber ich lasse dich nicht töten, du sollst diese Schmach dein Leben lang mit dir herumtragen!“ Siri-Tong sah immer noch nicht richtig. Khai Wang! Dieser Name sagte ihr nichts, aber es mußte ein Pirat sein. Sie nahm alle Beherrschung zusammen, versuchte zu lächeln, und sprang den Schatten in derselben Sekunde wie eine Wildkatze an. Ihre Fingernägel fuhren durch ein Gesicht, und ihre Handkante schlug blitzschnell nach dem Genick des Schattens. Doch der war wendig, er schien wirklich nur ein Schatten zu sein, denn sie traf ihn nicht. Mal schien er links von ihr zu schweben, dann, als sie gereizt herumfuhr, war er wieder auf der anderen Seite. „Du bist wie eine Katze!“ höhnte er. „Aber diese Katze hat keine Krallen mehr. Wenn du nachher erwachst, Piratin, wird sich auf deinem Schiff einiges verändert haben!“ „Ich werde dich bis ans Ende der Welt jagen, du Hurensohn!“ schrie sie erbost. Aus dem Stand heraus sprang sie ihn an und versuchte noch, ihren Degen aus dem toten Chinesen zu ziehen, doch auch das gelang ihr nicht. Ihre Augen hatten sich noch nicht wieder an die Finsternis gewöhnt. „Ha“, sagte Khai Wang lachend, „du willst den Degen, um das Blut deines Feindes abzulecken!“ Alles andere hörte Siri-Tong nur noch als weit entferntes dumpfes Gemurmel. Ein fürchterlicher Hieb traf ihren Hals. Sie torkelte bis an die 'Treppe des Niedergangs. Da fühlte sie sich noch einmal leicht angehoben, und dann schlug ihr ein schwerer Gegenstand ins Genick, der ihr Bewußtsein schlagartig auslöschte. Die Korsarin fiel die Treppe hinunter und blieb auf dem Deck regungslos liegen. Khai Wangs Männer veranstalteten in der Zwischenzeit eine erbarmungslose Jagd auf die anderen Besatzungsmitglieder. Sie griffen jetzt noch konzentrierter und immer zu zweit ihren Gegner an.
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Der nächste, der das zu spüren kriegte, war Bill the Deadhead. Er schlug mit einem Belegnagel wild um sich, traf auch einmal, und erhielt sofort einen harten Schlag in den Magen. Er sah die harten Bambushölzer wie Messer durch die Luft wirbeln. Mal trafen ihn die Enden, mal stießen sie ihm das Ding vor die Gurgel. Sie zerschlugen seine Paraden, entwanden ihm den Belegnagel und schickten ihn auf die Planken. Bei den vier anderen Wikingern trafen sie allerdings auf erbitterten Widerstand. Die sahen ihre Gegner jetzt etwas deutlicher. Die Nordmänner waren knochenharte Gesellen, das hatten sie damals in der Windward-Passage bewiesen, und jetzt wirbelten ihre gewaltigen Fäuste wie Dreschflügel um sich, und rissen ein paar Gelbe von den Beinen. Ihre Wut steigerte sich noch, als sie Thorfin auf den Planken liegen sahen, der gerade die ersten Anstalten unternahm, um wieder auf die Beine zu gelangen. Sofort war einer bei ihm und drosch ihm den Knüppel auf den Helm, so daß der Wikinger glaubte, eine riesige Glocke auf dem Schädel zu tragen. Seufzend und mit einem letzten Fluch auf den Lippen sank er wieder zurück. Eike fiel als erster, als ihn ein gezielter Hieb erwischte. Ein Gelber hob ihn auf und warf ihn über Bord. Der zweite Wikinger ging denselben Weg, schließlich auch Arne. Jetzt war nur noch der Stör übrig, der in die Wanten sprang und dort mit den Beinen wild um sich stieß, als sie mit Knüppeln nach ihm schlugen. Er hielt sich eine ganze Weile, und sein langes Gesicht wurde vor Zorn und hilfloser Wut immer länger. Doch dann pflückten sie ihn wie eine reife Pflaume aus den Wanten und droschen ihm die Knüppel auf den Schädel, bis er blutüberströmt zusammenbrach. Das schmierige Köchlein und Muddi hatten sich gleich von Anfang an klammheimlich zurückgezogen, als die Flut der gelben Männer das Schiff überschwemmte.
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Cookie war ohnehin nicht der Mutigste, und Muddi stand ihm darin in keiner Beziehung nach. Dicht ans Schanzkleid geduckt, verzogen sich die beiden nach vorn, in Richtung Kombüse, fast unbeachtet von den anderen, die sich immer noch zur Wehr setzten. Gerade als Cookie zum letzten Sprung in die rettende Kombüse ansetzte, traf ihn schmerzhaft ein Knüppel ins Kreuz. Er jaulte wie ein getretener Hund, spuckte nach seinem Angreifer und war froh, als der Neger Hilo ihm diese Sorge abnahm, indem er dem Gelben mit einem Panthersatz ins Kreuz sprang. Zwei Schläge warfen auch ihn auf die Planken, aber er hatte den Kerl solange aufgehalten, daß es Cookie und Muddi gelang, durch das offene Kombüsenschott zu entwischen. Sie donnerten das Schott hinter Sich zu und verbarrikadierten sich bibbernd in der Kombüse. Noch einer ging dem Kampf aus dem Weg. Er hatte keine Angst, daß ihn ein Knüppel treffen konnte, seine Befürchtung lag auf einem ganz anderen Gebiet. Er hatte Angst um die drei Rumflaschen, von denen die erste noch nicht einmal halb getrunken war. So robbte er auf dem Deck langsam vor, blieb liegen, wenn sich ein Angreifer näherte und spielte den toten Mann. Dabei schielte er besorgt nach den Flaschen, die unbeachtet an Deck standen. Mißjöh Buveur leckte sich die Lippen. Dann, in einem unbewachten Augenblick schnappte er sich die drei Rumflaschen und robbte nach vorn, zur Vorpiek, die er schon in- und auswendig kannte. Auch er verriegelte das Schott hinter sich, setzte sich auf die Gräting und tat genußvoll den ersten Zug, dann den zweiten, bis die Flasche ihren Inhalt ausgehaucht hatte. Die beiden anderen Flaschen versteckte er und wartete ab, bis sich der Kampf gelegt hatte. Wenn die Kerle wirklich die Mumie klauten, sollte es ihm recht sein. Der Kadaver, der da in dem geheimen Versteck vor sich hingammelte, brachte doch nichts als Ärger ein, dachte er.
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Er blieb solange in der Vorpiek, bis sich nichts mehr rührte. Juan erwischte es als nächsten. Er hatte einem der Angreifer die Zähne eingeschlagen. Jetzt war er selbst an der Reihe. Mike Kaibuk, das Schandmaul, flüchtete und versteckte sich auf dem Achterdeck. Niemand suchte nach ihm. Zuletzt war es nur noch ein kleiner Trupp, der sich zur Wehr setzte, der aber jetzt gegen eine fast zwanzigfache Übermacht kämpfte und nicht mehr die geringste Chance hatte. Tammy sank auf die Planken, ihm folgten Pedro Ortiz, Diego Valeras und schließlich Barry Winston, Jonny und noch ein paar andere der Besatzung. Khai Wang stand in der Kuhl des schwarzen Seglers. Seine dunklen Augen waren überall, und er erteilte seine Befehle kurz und knapp. „Brecht jetzt den Laderaum auf!“ befahl er. „Ihr anderen wacht darüber, daß sich niemand erhebt. Wer es versucht, erhält sofort einen Schlag auf den Schädel. Wu, du nimmst dir diesen Kerl vor, der sich in Felle gekleidet hat, er ist gefährlich und ein harter Kämpfer. Paßt auch auf den Ohrringmann gut auf!“ Der Steuermann Wu ließ sich das nicht zweimal sagen. Er hatte einen besonders starken Bambusknüppel in der Hand und betrachtete interessiert den am Boden liegenden Wikinger. Fürwahr, ein seltsamer Mann, dachte er, ein gewaltiger Berg aus Fleisch und Muskeln, der rauchgraue Felle trug und eine Glocke auf dem Schädel hatte, die wie Feuer strahlte. Als der Wikinger sich einmal rührte, schlug Wu ihm den Knüppel auf den Schädel. Es klang seltsam höhl, und es hörte sich an, als hätte er auf einen großen Gong geschlagen. Weil er Gefallen daran fand, schlug er im gleichen Takt immer wieder auf den Helm, auch wenn der Wikinger sich nicht rührte. „Boiiing“, erklang es laut, und Wu grinste bis zum nächsten Schlag, der das gleiche Echo hervorrief. Immer wenn er auf den Helm des Riesen schlug, pflanzte sich das
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Echo in der Riesengrotte überlaut fort und wurde von den Wänden zurückgeworfen. Thorfin Njal, der ab und zu aus den grauen Dämmer empor tauchte, aber noch nicht klar denken konnte, hörte ebenfalls diesen Gong, mit dem es eine seltsame Bewandtnis hatte. Wenn er ihn zwei oder drei Male hintereinander vernahm, wurde ihm ganz flau im Schädel, und die graue Dämmerung hüllte ihn von neuem ein, bis sich der Vorgang wiederholte. Jede Zelle seines Körpers wurde von diesem riesigen Gong durchgeschüttelt, solange, bis er in weiter Ferne verhallte und nicht mehr zu hören war. Zwei Öllampen wurden Khai Wang und drei anderen Männern in den Laderaum hinuntergereicht. Er kannte die Skizze auswendig und fand mühelos den geheimen Gang, der zur Kapitänskammer führte, vorher aber einen leichten Knick beschrieb. Die Luft hier unten war modrig, dumpf und abgestanden. Sie erschwerte das Atmen. Khai Wangs Stimme war nur noch ein Flüstern. „Haltet die Lampen hoch und tretet zurück. Ich will nicht, daß einer spricht!“ Er mußte sich selbst gut zureden, bevor er dicht an die Wand trat, hinter der der legendäre Kapitän des Schiffes ruhte, gesalbt und in kostbare Seidengewänder gehüllt, ruhelos an diesen Ort verbannt und rastlos über die Meere der Welt fahrend. Es war ein eigenartiges Gefühl der Unsicherheit und der Angst, das den Piratenkapitän überfiel. Er spürte, wie seine Hände zitterten, als erden schmalen Holzspan in die Hand nahm. Auf dem Schiff war es jetzt totenstill. Nicht einmal mehr das Gurgeln und Rauschen der hereindrängenden Flut waren zu hören. Es war die Ruhe, die dem toten Mandarin zustand. Khai Wangs Hand näherte sich dem kaum sichtbaren Spalt, den der alte Chronist ihm beschrieben hatte. Aber immer noch zögerte er, den Span in den Spalt zu schieben. Schließlich standen ihm feine
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Schweißperlen auf der Stirn, und er atmete kaum noch. Die Begleiter sahen ihn stumm an, Furcht im Blick und die Lippen zusammengepreßt. Sie selbst hätten es nicht gewagt, die Ruhe des Toten zu stören, sie hatten Angst vor seiner höheren Seele, die sie vielleicht bis in alle Ewigkeit verfluchen würde. Schweißnaß stand der Pirat vor dem Versteck, aber dann führte er den Span behutsam in das Holz und schob ihn leicht von oben nach unten, bis ein kaum hörbares Knacken erfolgte. Ein Brett schnellte aus der Öffnung. Khai Wang stieß einen unterdrückten Schrei aus, und seinen Helfern wären fast die Lampen entfallen, so zuckten sie zusammen. Wie gelähmt standen sie da und blickten auf den Toten, der auf dem Brett lag und dessen Körper von zwei Tauen gehalten wurde. Die Mumie mit den hochmütigen, etwas abweisenden Zügen in dem gelblichfahlen Gesicht schien sie durch die geschlossenen Augen hindurch anzublicken. Schwarzgelacktes Haar lag eng an seinem Schädel, das an der Rückfront des Brettes in einen schwarzen Zopf überging. Auf der Oberlippe des toten Mandarins war ein dünner schwarzer Bart, der ihm weit über das Kinn reichte. Er war in kostbare Gewänder gehüllt, die seinen Körper vom Hals bis zu den Beinen umflossen. Die Gewänder trugen kostbare Stickereien in Gold und zeigten seltsame Feuer speiende Schlangen, deren feuriger Atem durch lange Goldfäden von rotgelber Farbe angedeutet war. Khai Wang empfand jetzt nackte Angst. Ein kalter Schauer nach dem anderen durchfloß seinen Körper, aber er konnte den Blick nicht von dem Toten abwenden. Die Mumie war sehr gut erhalten. Es gab keine Anzeichen von Verwesung, und nicht einmal die Lippen waren eingefallen. Khai Wang riß sich gewaltsam aus seiner Erstarrung. „Wir grüßen dich, hoher Herr!“ sagte er leise und ehrfürchtig. Dann kreuzte er die
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Arme vor der Brust, verneigte sich vor der Mumie und trat ehrfurchtsvoll die gebührenden drei Schritte zurück, damit auch die anderen ihm ihre Ovationen erweisen konnten. Der Schein der beiden Lampen zauberte unheimliche Reflexe auf den Toten. Mehr als einmal glaubten die Männer zu sehen, daß der Mandarin die Lippen bewegte. Stumm und reglos standen sie vor der Leiche. Niemand wagte, die Mumie zu berühren, und Khai Wang fragte sich verzweifelt, ob er selbst es überhaupt fertig brachte, den Toten an Deck zu schleppen. Das Majestätische, das von dem Mandarin ausging, ließ ihn unschlüssig und reglos verharren. Dann war da noch etwas. Der kleinen Kammer, in der der Tote auf seiner Lade ruhte, entströmte ein Geruch nach Kräutern, Essenzen und einem ätherischen Öl, das sich beklemmend auf die Lungen legte und den Männern den Atem verschlug. Khai Wang schloß sekundenlang die Augen und verfluchte seine eigene Schwäche. Seine großen Worte von vorhin waren vergessen, aber er konnte nicht ewig hier herumstehen und den Toten anstarren. Sie hatten Schiff und Mannschaft des schwarzen Seglers überwältigt und mußten handeln, denn schließlich war alles nur des Mandarins wegen inszeniert worden, und es hatte bei dem Kampf auch ein paar Tote gegeben. Aus den Augenwinkeln sah er, wie seine Helfer ihn besorgt ansahen. Nein, er konnte jetzt nicht sein Gesicht verlieren, sonst war er für alle Zeiten erledigt. Wenn er sein Gesicht verlor, dann war das schlimmer, als hätte man ihn getötet. Langsam und feierlich trat er nach vorn, rief im Stillen die Götter Hou T'u Hou Chi und Shang Ti an, daß sie ihm diesen Frevel verzeihen mögen, und löste dann vorsichtig die Taue, die die Leiche auf der Lade hielten. Es kostete ihn übermenschliche Anstrengung, aber dann war es geschafft. Nur noch zwei Taue, die ins Innere der Kammer liefen, hielten die Lade aus Hartholz.
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Maskenhaft starr schien ihn der Tote anzublicken und - verzogen sich nicht spöttisch seine Lippen, bewegte er sich nicht auf seiner harten Ruhestätte? Khai Wang entsann sich nicht, jemals größere Angst verspürt zu haben als in diesem Augenblick. Doch dann löste er auch die beiden letzten Taue und ließ die Lade langsam und vorsichtig zu Boden gleiten. Er nickte dem einen Mann zu. Es war eine herrische Geste, die der Mann auch sogleich verstand. Khai Wangs Augen waren drohend auf das Gesicht des anderen gerichtet, und der wußte auch genau, was dieser Blick bedeutete. Er mußte unendlich behutsam mit dem Toten umgehen, seine Ruhe nicht unnötig stören und ihn vorsichtig transportieren. Es war ein hartes Stück Arbeit, ihn aus dem engen muffigen Gang durch den Laderaum nach oben an Deck zu bugsieren. Zahlreiche Hände, die sich ihnen entgegenstreckten, zögerten plötzlich, als sie zugreifen sollten. Nur Wu, der Steuermann, konnte es wieder nicht lassen, und er hatte ein fast sadistisches Vergnügen daran, dem Wikinger mit Kraft den Bambusknüppel auf den Helm zu schlagen, daß es wie ein riesiger Gong durch die Felsen dröhnte. Der Mißton in dieser absoluten Stille brachte dem Steuermann einen fürchterlichen Blick ein. Aber Wu setzte sein unschuldiges Gesicht auf und zuckte bedauernd mit den Schultern. Was konnte er denn dafür, wenn sich dieser gigantische Mann dauernd erheben wollte! „Zwölf Mann auf das Floß!“ kommandierte Khai Wang im Flüsterton. „Haltet den ehrwürdigen hohen Herrn immer waagerecht. Wer ihn fallen läßt, dem schlage ich später eigenhändig den Kopf ab!“ Im Begräbnistempo bewegte sich die Prozession bei Fackellicht und blakenden Öllampen von Bord. Jeder warf einen scheuen Blick in das Gesicht des Mannes, der einst bis ans Ende der Welt hatte segeln wollen und nun nach so vielen
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Jahren wieder zurückkehrte ins Reich des Großen Chan Wan Li. Wu störte den feierlichen Augenblick ein zweites Mal, denn obwohl der in Felle gehüllte Mann sich nicht rührte, ließ er doch den Bambusknüppel wieder auf den Helm niedersausen. Das Prachtstück aus glänzendem polierten Kupfer hatte jetzt zahlreiche Beulen und Eindellungen. Wu selbst fand, daß es sich feierlich anhörte, wenn der große Gong ertönte. Am liebsten hätte er in regelmäßigen Abständen den Gong geschlagen, aber er wußte nicht, ob Khai Wang ihm das später verzeihen würde. Jetzt befand sich der Mandarin auf dem Floß. Acht Männer trugen ihn in die Bambushütte und legten ihn dort auf die Planken nieder. Wu stand immer noch an Deck, bis Khai Wang ein letztes Mal an Bord des schwarzen Seglers ging und sich umsah. Sein Blick blieb auf der Roten Korsarin haften, die sich immer noch nicht rührte. Verkrümmt und reglos lag sie da, und auf Khai Wangs Gesicht erschien ein höhnisches Lächeln. „Man wird uns feiern, Wu“, sagte er. „Wo immer wir auch an Land gehen, man wird uns die größte Ehre erweisen, und alle unsere Sünden werden vergeben sein. Und sie“, er wies verächtlich lachend auf die Rote Korsarin, „sie wird den Tag ihrer Geburt verfluchen. Sie hat verloren, nur weil sie in eine Falle gelaufen ist.“ Wu sah sich lauernd um. „Dafür, daß sie Feng erstochen hat, sollten wir eigentlich das Schiff in Brand setzen, hoher Herr. Wir hätten keine Zeugen, denn diese Leute würden nicht mehr aus der Kaverne heraus können, wenn das Schiff brennt. Es hat ja seine Aufgabe erfüllt. Oder sollen wir es mitnehmen und die Besatzung über Bord werfen?“ Unverhüllte Freude sprach aus Wus Blick. Einen Augenblick schien es, als wolle Khai Wang zustimmen. Doch dann überlegte er es sich anders. „Wir brauchen das Schiff nicht“, entschied er. „Es gibt genug andere Schiffe. Was wir wollten, haben wir. Weshalb sollten wir es
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in Brand stecken oder die Leute über Bord werfen? Sie würden es nicht einmal merken. O nein, ihr Erwachen und die Erkenntnis sollen ein schmerzhafter Prozeß sein.“ „Aber sie könnten sich rächen, hoher Herr“, wandte der listenreiche Wu ein, der es am liebsten gesehen hätte, wenn man die Mannschaft rigoros auslöschte. „Rächen? Eine Frau?“ Khai Wang beherrschte sich gerade noch, sonst hätte er laut losgelacht. „Soll sie sich rächen, wenn sie Lust hat. Die Rache einer Blume hat noch keinen Stier getötet.“ „Es gibt giftige Blumen, hoher Herr!“ „Man zertritt sie einfach“, sagte Khai Wang grinsend. „So wie jene da, die jetzt zertreten auf den Planken liegt. Und nun zurück an Bord! Es wird Zeit für uns. Wir segeln sofort los.“ „Wie der hohe Herr befiehlt!“ „Und keinen unnötigen Krach, Wu! Du weißt, warum. Du hast schon vorhin die Ruhe des Mandarin gestört.“ Wu zuckte zusammen. Er verneigte sich rasch. „Es geschah nicht mit Absicht, hoher Herr. Der Kerl hat sich ständig bewegt, und ihr habt selbst gesagt, wie gefährlich er ist. Nur aus diesem Grund geschah es.“ Die meisten Chinesen befanden sich jetzt auf dem Floß. Khai Wang und der Steuermann sprangen hinterher, doch vorher löschten sie noch die Laternen an Bord von „Eiliger Drache“. Ein paar warfen sie einfach ins Wasser, wo sie zischend verlöschten. Auch den Toten ließen sie an Bord zurück. Er war es nicht wert, daß man ihn würdig bestattete. Er war ein Freier mit nur einer Seele, die längst entflohen war. Im Wasser trieben noch zwei Leichen. Ans Ruderblatt von „Eiliger Drache“ hatten sich drei Männer der Besatzung festgeklammert, die versuchten, aufzuentern. Khai Wang schenkte ihnen nur einen verächtlichen Blick. Danach wurde das Floß aus der Kaverne gerudert, wo es am Anfang der grauen
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Felswand mit dem zweiten Floß zusammentraf. Sobald das Floß den Felsendom verlassen hatte, herrschte wieder undurchdringliche Finsternis. Jetzt war auch wieder das leise Gluckern des Wassers zu hören, sonst blieb alles still. 7. Thorfin Njal tauchte aus dem Dämmer der Bewußtlosigkeit, aber er rührte sich noch nicht. Er dachte zwangsläufig an die große Glocke oder den Gong, der jedesmal schmerzhaft erklang, sobald er sich auch nur leicht bewegte. Blinzelnd schlug er die Augen auf, tastete vorsichtig um sich, befühlte die harten Planken. Um ihn herum herrschte absolutes Dunkel, eine so unheimliche Schwärze, daß er sich fragte, wie es das geben könne. Mit einem gemurmelten Fluch rappelte er sich auf. Der schmerzhafte Gong blieb zu seiner Verwunderung aus. Er stand noch etwas unsicher auf den Beinen und befühlte seinen Helm, der ihm nicht mehr paßte und merklich kleiner geworden war. Da war der zweite Fluch fällig. „He“, hörte er eine schwache Stimme. „Wo sind wir? Wer hat da eben geflucht?“ Es war die Stimme des Boston-Mannes, der sich ächzend und mit stark geschwollenem Hals erhob und ebenfalls nichts sah als diese undurchdringliche Finsternis, die alles einhüllte. „Ich war das“, antwortete Thorfin mürrisch. „Hat denn niemand Licht, bei Odin?“ Immer noch fluchend tastete sich der Nordmann nach achtern, wo er nach kurzem Umhertasten eine Lampe fand. Bis er sie entzündet hatte, verging eine Ewigkeit. Gleich darauf entzündete er auch die zweite und ging in die Kuhl zurück. Der Boston-Mann wankte heran, besah sich im schwachen Licht die Bescherung und hielt seinen Schädel mit beiden Händen fest.
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„Verdammt noch mal, wie sieht es hier denn aus! Und wo, zum Teufel, ist Madame?“ Er stolperte über irgendjemanden, der an Deck lag, und dann fand er die Rote Korsarin. Mühsam schlug sie die Augen auf. In ihrem Kopf schienen tausend Feuer zu brennen, und sie stand noch sehr unsicher auf den Beinen, als der BostonMann sie stützte. Sekundenlang mußte sie überlegen, was geschehen war, dann fiel es ihr blitzartig ein. Mit einer heftigen Bewegung stieß sie den Boston-Mann von sich. Sie hastete über Deck, griff nach einer Lampe und verschwand im Laderaum. Von dort aus lief sie weiter, bis sie den geheimen Gang und das Versteck erreichte. Haß schnürte ihr die Kehle zu, sie konnte kaum atmen, als sie die offene Kammer sah, die ihr leer entgegengähnte. Thorfin und der Boston-Mann waren ihr gefolgt. Sie standen genau so erschüttert vor dem kleinen Versteck, in dem die Mumie des Mandarins gelegen hatte, bis Khai Wangs Horde aufgetaucht war. Siri-Tong raste vor Zorn. Thorfin sah, wie in ihre Mandelaugen Tränen der Wut traten und sie sich nicht mehr beherrschte. Soviel Haß auf einmal hatte er in den Augen einer Frau noch nie gesehen. „Wenn ich diesen Hund vor den Degen kriege“, schrie sie, „dann wird er sich wünschen, nie geboren zu sein! Ich werde ihn töten, das verspreche ich!“ Schlagartig fiel ihr die ganze Situation ein, die sich vor ganz kurzer Zeit abgespielt hatte. Khai Wang, ein Name, der ihr nichts sagte. Dieser Kerl hatte sie verhöhnt, in die Falle laufen lassen, sie niedergeschlagen und schließlich die Mumie geraubt. Sie wußte nicht, wie lange sie ohne Besinnung auf den Planken gelegen hatte, aber es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. „Natürlich werden wir diesen Hundesohn jagen, bis wir ihn haben“, versprach der Wikinger finster. „Aber jetzt werden wir erst das Schiff klarieren. wir haben Verwundete und vielleicht auch Tote an Bord.“
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„Nichts werden wir, Thorfin“, sagte die Korsarin wild. „Wir werden nichts anderes tun, als sofort die Verfolgung aufnehmen. Diese Niederlage ist nur mit Blut abzuwaschen!“ „Mädchen”, sagte der Wikinger, „sieh doch ...“ „Nenn mich nicht Mädchen!“ schrie sie außer sich. „Ich will diese Piratenbrut jagen, nichts anderes, und ich werde nicht eher Ruhe geben, bis wir den Mandarin haben.“ „Wir können die Kerle nicht verfolgen“, versuchte Thorfin ihr das Vorhaben auszureden. „Bis wir das lädierte Schiff aus der Kaverne haben, vergeht ein ganzer Tag.“ „Wir jagen sie mit dem Beiboot!“ Thorfin befingerte erregt seinen zerbeulten Helm. „Schön und gut“, sagte er, und jetzt wurde seine Stimme auch um einiges lauter. „Wie, bei allen Göttern, wollen wir die Kerle in einem lausigen Beiboot jemals einholen? Einfach in der Dunkelheit hinter ihnen herrudern? Besinne dich endlich, wir müssen überlegt vorgehen und nicht wie Hitzköpfe. Mit dem Boot haben wir nicht die geringste Aussicht, diese Kerle auch nur jemals am Horizont zu sehen. Sie segeln zehnmal schneller!“ Siri-Tong hatte die Hände geballt. Ihre Augen blitzten, ihr Mund war nur ein schmaler Strich, und ihr Körper bebte bei jedem Atemzug erregt und vor unterdrückter Wut. „Ich könnte mich ohrfeigen“, sagte sie flüsternd, und nun war alle Wut schlagartig von ihr abgefallen. Sie wurde wieder eiskalt und überlegte scharf. „Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich auf diesen Trick der Piraten hereingefallen hin. Genau das hatten sie von uns erwartet, und wir Idioten haben heimlich über sie gelacht. Sie haben jedenfalls ihr Ziel erreicht.“ Sie sah Thorfin mit Augen an, aus denen aller Glanz verschwunden war. „Du hast recht, eine Verfolgung mit dem Beiboot ist sinnlos, wir haben keine Chance. Ich wünschte nur, wir würden so
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schnell wie möglich die Spur dieser lausigen Bastarde finden.“ „Die finden wir ganz sicher, Madam“, versuchte der Boston-Mann sie zu trösten. „Die Kerle haben den Mandarin ja nicht aus Spaß geklaut. Sie kennen sich hier besser aus, Madam, es ist Ihr Land, in dem Sie geboren sind! Überlegen Sie, wohin man die Mumie bringen wird, dann haben wir einen Anhaltspunkt. Wohin hätten Sie den Mandarin gebracht?“ „In die Purpurne Verbotene Stadt. Sie liegt ein paar Meilen im Landesinnern, man kann mit dem Schiff nicht hinsegeln. Aber du hast richtig überlegt, Boston-Mann. Dieser lausige Pirat wird die Mumie auch dorthin bringen, vermute ich.“ Jetzt hatte sie den Schock überwunden und gab sich wieder ganz normal. Nach einem letzten bedauernden Blick in die offene Kammer stieg sie wieder an Deck. Oben hatten ein paar andere inzwischen Lampen entzündet, und „Eiliger Drache“ war in blakendes Licht getaucht. Aber wie sah das Schiff aus! Siri-Tong glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Überall lagen Männer an Deck, und auf dem Achterkastell lag ein toter Chinese, in dessen Körper noch der Degen der Roten Korsarin steckte. Angewidert zog sie ihn heraus, drehte den Mann zur Seite und sah in sein Gesicht. Es war ein hartes, kaltes Gesicht, eine Spur zu grausam. Gebrochene Augen blickten die Korsarin leblos an. Der Mund des Fremden stand offen, als wollte er noch einen Fluch hinausbrüllen. Doch kurz vorher hatte ihn der Tod erwischt. „Über Bord mit ihm!“ befahl sie kalt. Der Boston-Mann warf den Toten über das Schanzkleid, so daß er in der aufklatschenden schwarzen Brühe versank. „He, Mißjöh Buveur, was ist mit dir?“ fragte die Korsarin rauh. Buveur regte sich schwach, hielt seinen Schädel und stand nach einer kleinen Weile auf. Sein Blick war verschwommen und glasig, doch niemand verfiel auf die Idee, daß Buveur ausgerechnet jetzt bis zur Halskrause betrunken war. Alle führten es
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darauf zurück, daß er ebenfalls eins über den Schädel gekriegt hatte. Er hatte an Deck toter Mann gespielt, nachdem er den Rum ausgesoffen hatte, und war darüber eingeschlafen. „Ah, haben die Kerle mich zugerichtet“, sagte er scheinheilig. „Die waren plötzlich überall, die Teufel!“ Die meisten hatten schwere Blessuren, die von den Knüppelhieben herrührten. Sie alle sahen genauso lädiert aus wie das Schiff. Schließlich tauchten auf dem Vordeck auch die beiden Helden Cookie und Muddi auf. Wie durch ein Wunder waren sie nicht verletzt, sondern verzogen nur grämlich die Gesichter. Die Korsarin maß sie mit einem verächtlichen Blick. „Ihr habt euch verdrückt, als es losging“, sagte sie kalt. „Oder habt ihr euch zur Wehr gesetzt?“ „Wir kamen nicht mehr dazu“, jammerte Muddi. „Natürlich haben wir uns gewehrt, aber die Kerle haben uns beide bis zum Vordeck geprügelt, und dann konnten wir gerade noch mit einem Satz in die Kombüse flitzen und das Schott verriegeln.“ „Wirklich tapfer von euch“, höhnte SiriTong. „Kümmert euch jetzt um alle, die verletzt sind, und danach wird sofort das Deck klariert, und ,Eiliger Drache' an das Beiboot gehängt. Falls es jemanden von euch Helden interessiert: Man hat den Mandarin geraubt, er befindet sich nicht mehr an Bord. Aber das wird euch persönlich wohl nicht weiter stören.“ Belämmert standen sie da, denn sie konnten der Korsarin schlecht die Wahrheit sagen, daß der Mandarin ihnen nämlich völlig egal war. Aber Cookie war der Ansicht, er müsse doch zumindest einen herzergreifenden Kommentar geben und Anteilnahme heucheln, und so sagte er zu aller Verwunderung laut und deutlich: „Das tut mir aber leid, Madam, mein herzliches Beileid!“ „Ja, auch meine innige Anteilnahme aus ganzem Herzen zu dem schmerzlichen – äh – Verlust“, sagte Muddi.
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„Ihr Arschlöcher, ihr dämlichen“, sagte der Wikinger aus vollem Herzen. „So was Bescheuertes wie euch habe ich noch nie gesehen. Schert euch an die Arbeit, ihr Holzköpfe, und steht nicht 'rum und quatscht dummes Zeug. Beileid, innige Anteilnahme, ihr seid wohl verrückt, wie?“ „Mann“, schnaufte Muddi, als sie ein Stück weg waren, „immer sagt man was Falsches. Was hat den Nordmann denn jetzt daran gestört? Und die Korsarin sah aus, als wollte sie uns aufspießen!“ „Keine Ahnung“, sagte Cookie mißmutig. „Vielleicht hätten wir das etwas geschraubter sagen müssen, aber das geht schlecht.“ „Aber wie denn?“ Cookie strapazierte seinen Schädel, bis sich steile Falten auf seiner Stirn bildeten und er endlich einen halbwegs brauchbaren Satz zusammen hatte. „Ungefähr so“, sagte er stirnrunzelnd. „Madame, zum Ableben Ihres verehrten Herrn Mandarin möchten wir Ihnen unser allertiefstes Bedauern aussprechen. Wir teilen den Schmerz von ganzem Herzen und wünschen Ihnen alles Gute.“ „Mann, das hört sich gut an. Wo hast du das her? So sprechen ja nur die Gebildeten.“ „Man muß nur etwas Grips im Schädel haben“, erwiderte das Köchlein hoheitsvoll. „Hauptsächlich lernt man so was vom Lesen.“ „Du kannst lesen?“ „Ich hab es mal versucht, es ist gar nicht so übel. Allerdings muß man genau die Buchstaben kennen, sonst liest man alles falsch.“ Während Cookie an seiner Bildung fast zugrunde ging, trommelte Siri-Tong die Mannschaft zusammen. Vier Männer, die die Chinesen einfach über Bord geworfen hatten, waren im Wasser wieder zu sich gekommen und aufgeentert. Aber einer fehlte immer noch. Er hieß Ruiter oder nannte sich so, ein unscheinbarer kleiner Kerl, den sie aus einer Hafenkneipe auf Tobago aufgelesen hatten und der immer schlechte Laune hatte.
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Muddi entdeckte ihn schließlich im Wasser treibend mit dem Gesicht nach unten. Zusammen mit Cookie stieg er ins Beiboot und wollte ihn holen. Aber Ruiter war tot, ertrunken, und als sie nach ihm griffen, versank er unter ihren Händen in dem schwarzen Wasser und tauchte auch nicht mehr auf. Seine Leiche fanden sie auch später nicht mehr, sie war auf den Grund gesunken und vermutlich mit der Strömung abgetrieben. Alles, was sich noch bewegen konnte und provisorisch verarztet worden war, arbeitete jetzt wie besessen, um das Schiff zu klarieren. Siri-Tongs Nähe wirkte wie Eis. Jeder, der an ihr vorbeiging, hatte das Gefühl, in eisigen Nebel zu geraten. Sie faßte selbst mit an, doch dann warf sie zufällig einen Blick zum Achterkastell und erstarrte. Ihre Miene wurde noch eisiger, denn auf dem Achterkastell kniete der Wikinger auf den Planken. Es war ein Bild, das es eigentlich gar nicht geben durfte. Jedenfalls konnte keiner aus der Crew behaupten, den Nordmann so entblößt gesehen zu haben. Er hatte seinen zerbeulten Kupferhelm abgenommen! Was ihm da rötlichgrau bis über die Schultern quoll, war eine Mähne, die einem Löwen zur Ehre gereicht hätte. Wild und struppig wallten seine Haare herab. Dazu trug der Wikinger ein ausgesprochen saures Gesicht zur Schau. Er hatte sich einen Belegnagel geschnappt, ihn unter den Helm geschoben und klopfte nun mit einem faustgroßen Holzhammer wütend auf den Beulen herum, die sie ihm beigebracht hatten. Immer verbissener wurde sein Gesicht, dazwischen erklangen gemurmelte Flüche, daß er, bei Odin und allen anderen Göttern, es diesen Halunken schon heimzahlen werde und ihnen so viele Beulen in die Köpfe klopfen werde, wie sie in seinen Helm praktiziert hätten. Der Helm war sein Heiligtum, er nahm ihn so gut wie nie ab und ließ sich auch nicht irritieren, daß Ferris Tucker und Edwin Carberry von der „Isabella“ ihn schon verdächtigt hatten,
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unter diesem Helm eine ganz spezielle Sorte nordischer Riesenläuse zu züchten. Auch Tuckers Ausdruck „behelmter Nordpolaffe“ war an dem riesigen Nordmann immer wieder wirkungslos abgeprallt. Siri-Tongs Gesicht versteinerte. Sie wollte etwas sagen, doch Thorfin Njal warf in diesem Augenblick gerade einen Blick in die Kuhl, und in diesem Blick lagen Weltschmerz, Wut, Enttäuschung und etwas Ratlosigkeit, daß man es gewagt hatte, sein Prunkstück zu verunstalten. Also klopfte er mit verbissener Wut im Bauch weiter, hielt das kupferne Prachtstück immer wieder prüfend hoch, schüttelte dann ärgerlich den Kopf und klopfte weiter. Was soll's, dachte er für sich, die Mumie waren sie los, und auf eine halbe Stunde mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Die Kerle würden ihnen nicht entwischen, aber er brauchte eine Kopfbedeckung, und ohne Helm fühlte er sich wehrlos. Siri-Tong prüfte unterdessen, wie die Flut stand. Das Gurgeln und Rauschen .hatte sich fast verloren, aber der Mast stand schon wieder eine knappe Handbreite unter der Felsendecke. Da sie sich schon vorher eine Stelle in der Felswand gemerkt hatte, stellte sie jetzt fest, daß das Wasser kaum noch gestiegen war. Es würde also nicht mehr lange dauern, bis sie dieses Gefängnis verlassen konnten. Endlich war auch der Wikinger mit seinem Helm fertig. Bevor er ihn über seinen massigen Schädel stülpte, betrachtete er ihn noch einmal von allen Seiten voller Mißmut und Bitterkeit. Nein, es war nicht mehr der alte Helm, aber er paßte wieder, und sofort begann sich seine Miene aufzuhellen. Als er vom Achterkastell in die Kuhl ging, sah die Rote Korsarin ihn spöttisch an. „Die wichtigste Arbeit dürfte jetzt wohl erledigt sein“, bemerkte sie bissig, „dein dämlicher Helm ging natürlich vor, das andere hat ja Zeit.“ „Soll ich vielleicht ohne den Helm rumlaufen?“ fragte Thorfin erbost zurück.
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„Er paßte mir nicht mehr, also mußte ich ihn ausbeulen.“ „Jedenfalls sieht er jetzt aus, wie - lassen wir das! Es ist inzwischen fast Mitternacht, und es wird Zeit, daß wir diesen Felsendom verlassen, und den Hundesöhnen nachsegeln. Glaubst du, wir kriegen das Schiff jetzt heraus?“ „Ganz bestimmt. Wir brauchen nur noch mehr Laternen, damit wir nicht wieder die Felsen rammen. Wenn zehn Mann im Beiboot pullen, dann wird das genügen, denn auch draußen dürfte jetzt keine Strömung mehr herrschen.“ Die Laune an Bord war mies, daran änderte auch der Gedanke nichts, bald frei zu sein und segeln zu können. Wieder wurden aufgedrehte Seilenden in Ö1 getaucht und entzündet, bis die Riesengrotte sichtbar hell wurde. Thorfin teilte die Männer ein, die das Boot pullen sollten, um „Eiliger Drache“ an langer Leine abzuschleppen, bis er selbst Fahrt aufnehmen konnte. In dem Durcheinander und Wirrwarr nutzte Cookie die zweite Gelegenheit zu einem Blitzbesuch in der Vorpiek unter dem Vorwand, frisches Wasser holen zu müssen. Kurz darauf fischte er wieder hingebungsvoll die Bilge nach den vermeintlich verloren gegangenen Perlen, ohne sie jedoch zu finden. Dafür fand er etwas anderes, das er verblüfft in der Hand hielt. Eine volle Flasche Rum! Nach intensiver Suche fand er auch die zweite und staunte nur noch. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie der Rum in die Vorpiek gelangt war. Er nahm die beiden Flaschen an sich, schlich zur Kombüse und versteckte sie dort in dem Mehlsack. Vielleicht konnte er sie an Mißjöh Buveur günstig verscheuern, wenn der wieder einmal auf dem Trockenen saß. Auf diese Art und Weise beklaute sich die Clique, die aus Cookie, Muddi und Mißjöh Buveur bestand, immer gegenseitig, und jeder von ihnen war froh, den anderen übers Ohr gehauen zu haben.
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Der Anker war eingeholt, als sich die zehn Männer unter Thorfins Kommando in die Riemen legten und lospullten. Siri-Tong hatte sich noch einmal vergewissert, daß es keinen hellen Fleck in dieser Kaverne gab, der eine Ausfahrt anzeigte. Sie konnte nichts Derartiges erkennen, und doch gab es eine Ausfahrt, aber die sah man nur, wenn man vor einem der weiter hinten liegenden Felsen stand. Zwar war es gefährlich, durch die Ausfahrt hindurchzusegeln, aber mit etwas Geschick war es zu schaffen, an den kleinen Felsen vorbei zu lavieren. Vor dieser Ausfahrt aber, die fast rechtwinklig abbog, stand eine Felswand, die mit der dahinter liegenden scheinbar zu einer Einheit verschmolz. So hätten sie sich eine Menge Arbeit ersparen können. Das Seil straffte sich, und die Kerle legten sich in die Riemen, bis die Trägheit des schwarzen Schiffes überwunden war. Zollweise glitt es durch das schwarze Wasser, das jetzt still und ruhig den Felsendom ausfüllte. Mißjöh Buveur benutzte diese einmalige Gelegenheit, um ein wenig im Mannschaftslogis herumzuschnüffeln. Er fand ein Goldstück, und in Cookies alten Klamotten versteckt zwei von den Perlen, die er erst dem Boston-Mann geklaut hatte. Cookie hatte sie inzwischen in Sicherheit gebracht — wie er glaubte. Jetzt wechselten sie innerhalb kürzester Frist erneut den Besitzer, doch auch Buveur hatte nicht vor, sie ewig zu behalten. Sie ließen sich prächtig bei Cookie in Rum umsetzen, sobald die zwei anderen Flaschen leer waren. Die schwarze Perle allerdings konnte er nirgends finden, dieses ganz besonders kostbare Stück hatte das schlaue Köchlein woanders versteckt. Laut und falsch pfeifend erschien Mißjöh Buveur wieder an Deck. Niemand hatte von seiner kleinen Exkursion etwas bemerkt. Der schwarze Segler lief nach dem ersten Anschleppen direkt auf die dunkle
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Felswand zu. Mit Haken und Spaken drückten die an Bord gebliebenen Männer das Schiff wieder ab. Flüche schallten durch die Wassergrotte wie immer, wenn etwas nicht auf Anhieb klappen wollte. Es war ein hartes Stück Arbeit, und mehr als einmal geriet „Eiliger Drache über den Wassern“ in Gefahr, von den Felsenwänden leckgeschlagen zu werden. 8. Philip Hasard Killigrew und der junge Donegal Daniel O'Flynn standen in dieser Nacht auf dem Achterkastell der „Isabella VIII.“, die schäumend das Meer durchpflügte. Dan stand am Ruder, und immer, wenn der Seewolf einen Blick achteraus warf, nickte er anerkennend mit dem Kopf. Der junge O'Flynn segelte den Dreimaster noch besser als der Rudergänger Pete Ballie. Das Kielwasser war ein einziger schäumender schnurgerader Strich. Hasard lehnte an der Five Rail und blickte in die Nacht. Ab und zu fiel sein Blick in den Großmars, wo der Gambianeger Batuti seinen Platz bezogen hatte. Im anderen Ausguck hockte Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese. Schon seit vielen Stunden hielten sie Ausschau nach dem schwarzen Segler. Vor zwei Stunden hatten sie geglaubt, das Schiff genau voraus zu sehen. Doch es war ein Trugbild, ein Schatten, der an der Kimm aufgetaucht war und sich als schnell segelnde kleine Wolke entpuppte. Jetzt war der Mond hinter düsteren Wolken verschwunden. Die „Isabella“ pflügte durch nachtschwarzes Wasser, in dem nur am Rumpf ab und zu weiße schäumende Kronen vorbeizogen. „Weiß der Teufel, wo sie sind“, sagte Hasard zu Dan. „Entweder sind sie einen völlig anderen Kurs gelaufen, oder ihr Kompaß tut es nicht mehr. So weit voraus können sie doch gar nicht sein.“ „Wir wissen ja selbst nicht, ob wir genau auf dem richtigen Kurs segeln“, erwiderte Dan. „Dieses verdammte Meer mit seinen
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Untiefen und bodenlosen Abgründen - wie hast du es genannt?“ „Teufelssee“, murmelte Hasard. „Das ist die Bezeichnung, die in den Karten steht. Die See des Teufels, eine Gegend, in der jeder Kompaß stur nach Norden zeigt, ohne auch nur ein Grad abzuweichen. Viele haben sich hier schon verfahren.“ Dan O'Flynn hatte noch vor einer Viertelstunde die alten Karten studiert. Danach lagen sie auf richtigem Kurs, aber sie waren nicht in der Lage, die Abdriften zu berechnen, die hier besonders stark durch kalte und warme Meeresströmungen entstanden. „Wenn wir stur auf dem Kurs bleiben, treffen wir ganz sicherlich irgendwann zusammen“, sagte er zuversichtlich. „Die Korsarin muß sich ja auch nach ihrem Kompaß richten, und wenn der genauso falsch geht wie unserer, haben wir dennoch den richtigen Kurs.“ „Ja, die Logik ist bestechend“, erwiderte der Seewolf. „Aber wir haben sie bei der Insel verpaßt, die sie nicht angelaufen hat, obwohl wir fast zwei Tage in Küstennähe kreuzten. Trotzdem laufen wir unseren Kurs weiter. Wenn es hell wird, kann alles ganz anders aussehen.“ Insgeheim wartete der Seewolf immer wieder darauf, daß sich Batuti oder Matt Davies melden würde, aber die beiden Männer sahen nichts, also schwiegen sie. Selbst wenn der schwarze Segler dicht vor ihnen war, war es immer noch fraglich, ob sie ihn überhaupt sahen, denn die schwarzen Segel und der schwarze Rumpf des Schiffes tarnten ihn in dieser Nacht vollkommen. Hasard unterdrückte das bange Gefühl, das ihn schon seit drei Tagen beschlichen hatte. Er wollte nicht daran glauben, daß etwas passiert war. Was hätte auch passieren sollen? beruhigte er sich selbst. Die See rollte in langer Dünung, einen Sturm hatte es in den letzten Tagen nicht gegeben, und das Wetter mit dem fast achterlichen Wind war geradezu ideal zum Segeln. Andere Widrigkeiten waren ebenfalls kaum zu befürchten, denn Siri-Tong hatte
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die Insel Parece Vela ja nicht angelaufen und war damit auch nicht in die Hände dieser hinterhältigen Eingeborenen mit den zwei Gesichtern gefallen. Die meisten an Bord der „Isabella“ schliefen in dieser Nacht, getragen von der langen Dünung und dem einlullenden Rauschen und Gurgeln am Schiffsrumpf. Dazu gesellte sich das Knarren der Taue und Blöcke, alles in allem genau die richtigen Laute, um traumlos schlafen zu können. Ganz selten lugte mal der Mond durch die finsteren Wolken. Dann war nichts weiter zu sehen als eine endlose, schwach glitzernde Wasserfläche, in der sich kein Leben zeigte. Schweigende, geheimnisvolle Teufelssee, dachte Hasard. Den Namen hatten die Chinesen diesem Teil des Meeres gegeben, und es hatte ganz sicher eine besondere Bewandtnis damit. Ben Brighton und Edwin Carberry, der Profos, schliefen nicht. Sie standen auf dem Achterdeck und unterhielten sich leise miteinander. Dabei ging es wieder um die Frage, wo der schwarze Segler wohl geblieben war, und ob er sich vor oder hinter ihnen befand. Gerade als sich der Mond wieder hinter einer lang gezogenen pechschwarzen Wolke befand, erklang Batutis Stimme aus dem Großmars: „Ein Licht, drei Strich Steuerbord voraus!” Hasard war sofort hellwach, und suchte das Meer in der angegebenen Richtung ab, bis ihm die Augen brannten. War da nicht ein kurzes Flackern? Er hätte darauf schwören können, dieses Licht ebenfalls gesehen zu haben. „Siehst du es, Dan?“ fragte er. Dan hob ratlos die Schultern. „Ich kann mich täuschen“, sagte er, „aber eben hat es tatsächlich so ausgesehen, als würde dort die Hecklampe eines Schiffes aufblitzen.“ „Sieh genau hin“, sagte Hasard. Dan, der scharfe und unbestechliche Augen hatte, mußte nach einer Weile kapitulieren.
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„Beschwören kann ich es nicht, es kann ein winziger Mondstrahl gewesen sein.“ „Ben, Ed, habt ihr etwas gesehen?“ rief der Seewolf zum Achterdeck, wo die beiden Männer standen. „Batuti muß sich geirrt haben“, sagte Ben. „Vermutlich hat nur das Wasser leicht geglitzert.“ „Ich habe überhaupt nichts gesehen!“ rief der Profos. „Nicht die Andeutung eines Lichtscheins.“ Hasard gab keine Antwort. Er ging übers Deck und enterte in den Wanten auf, bis er dicht unterhalb von Batuti in den Webleinen hing. Er sah nichts als diese schwarze Fläche, kein Licht, nicht das geringste Glitzern. „Hast du es noch einmal gesehen, Batuti?“ fragte er. „Batuti nur einmal sehen, dann weg“, erklärte der Neger. „Ganz kurzes Blitz, was gleich tauchte in Wasser.“ „Sofort wahrschauen, wenn du es wieder siehst, klar?“ „Batuti glotzen, immer glotzen, bis Augen fallen aus Kopf“, versicherte der Gambianeger. „Aber wenn Augen gefallen aus Kopf, dann auch Batuti nicht mehr können glotzen.“ „Das wird wohl noch eine Weile dauern“, sagte Hasard lachend.. Er enterte wieder ab und ging aufs Achterkastell, wo jetzt auch Carberry und Brighton standen. Noch einer schlich an Deck herum. Man sah die Gestalt nur ganz schwach, aber an dem rhythmischen Klopfen auf den Decksplanken wußte jeder, daß es nur der alte O'Flynn mit seinem Holzbein sein konnte. „Der kann wieder mal nicht schlafen“, murmelte Carberry. „Jetzt schleicht er herum und sucht offene Ohren für seine Schauergeschichten.“ „Bei dir wird er sie ja immer prächtig los“, sagte .Hasard. „Du hörst doch ganz gern zu, wenn Old O'Flynn erzählt.“ „Der Alte übertreibt bloß immer so mächtig“, wandte Dan, der Sohn des alten O'Flynn, ein. „Manchmal ist es mir direkt peinlich, wenn er von der ,Empress of Sea' anfängt. Das muß das reinste Wunderschiff
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gewesen sein. Bei denen hockte jeden Abend der Wassermann im Topp und ärgerte die Mannschaft.“ Dan schwieg, als sein Vater zum Achterkastell ging und brummig einen Guten Morgen wünschte, obwohl der noch in weiter Ferne lag. Sein Gruß wurde freundlich erwidert, und der Alte hatte gleich seinen Anknüpfungspunkt. „Ein unheimliches Meer“, sagte er gedankenverloren. „Und es trägt seinen Namen zu recht.“ Carberry winkte verächtlich ab. Sein narbiges Gesicht wurde leicht von der Hecklaterne beleuchtet. „Was soll daran unheimlich sein?“ sagte er. „Das ist nichts weiter als ein lausiger kleiner Heringsteich.“ „Ha, Heringsteich! Ich sage euch, hier ist es so tief, daß man auf der anderen Seite irgendwo im Nordmeer 'rauskommt, wenn man tauchen könnte.“ „Woher weißt du das denn schon wieder?“ fragte Dan seinen Vater. „Sag bloß, ihr wart mit der ,Empress of Sea` auch schon mal in dieser Ecke.“ „Nun, das nicht gerade, aber man hört ja so allerlei über diese Teufelssee. Hier haust er persönlich, der Geschwänzte, ganz tief unten, und er wird die holen, die es wagen, über ihn zu lachen oder ihn zu verhöhnen.“ „Dann würde ich an deiner Stelle aber verdammt still sein“, erwiderte Dan, um den Alten daran zu hindern, Schauermärchen vom Stapel zu lassen. „Still?“ fauchte der Alte, der sofort aufgebracht reagierte. „Was verstehst denn du schon! Ha, ich war noch Moses auf der ,Empress of Sea`, als wir durch so ein schwarzes Meer fuhren. Auf dem Grund hausten die größten Tintenfische, die es je gab. Dagegen waren die auf der Schlangeninsel nicht größer als ein Pudding.“ „Schon gut, Donegal“, murmelte Hasard. „Hach! Das muß ich einfach mal loswerden, nur zur Warnung, weil sich das jeden Tag wiederholen kann. Dann sind wir gegen alles gewappnet.“
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„Was war denn nun mit den Tintenfischen?“ fragte Carberry und reckte neugierig den Hals vor. Hasards Kopfschütteln übersah er dabei geflissentlich. „Die tauchten nachts aus der Tiefe, um sich ihre Opfer zu holen. Wir segelten mit einem anderen Schiff zusammen, als wir sahen, daß plötzlich ein endlos langer Arm aus dem Wasser tauchte. Er fischte an Deck herum, kriegte einen Seemann zu fassen und fraß ihn gemütlich zum Entsetzen der anderen auf.“ „Mit Stiefeln und allem?“ fragte Dan grinsend. Die Frage irritierte den Alten, aber er erkannte auch die Gehässigkeit in Dans Frage nicht gleich. „Selbstverständlich“, fauchte Old O'Flynn zurück. Dan drehte ein wenig am Ruder und grinste wieder unschuldig. „Die Geschichte stimmt“, sagte er todernst, „ich habe den Tintenfisch Jahre später selbst gesehen!“ „Weshalb willst du ihn erkannt haben?“ fragte der Profos, „das gibt es doch nicht.“ „Klar gibt's das“, versicherte Dan. „Ein Sturm hat ihn an die Küste geworfen, aber das störte ihn nicht. Er hatte nämlich zwei Stiefel an und spazierte damit seelenruhig ins Wasser zurück.“ Der Alte stieß einen markigen Schrei aus, weil sein eigener Sohn sein Schauermärchen wieder einmal umgedreht hatte. Viel hätte nicht gefehlt, und er wäre auf seinen Sprößling voller Zorn losgegangen, doch da passierte etwas, das ihnen allen den Atem nahm, und sofort war der Streit vergessen. Nicht weit von der „Isabella“ entfernt, genau voraus, wuchs eine leuchtende purpurrote Feuerblume aus dem schwarzen Wasser. Ein farbenprächtiger glühender Schweif folgte ihr, der sie hoch in den Himmel jagte und über dem Schiff zerplatzen ließ. Heulen und ein lauter Donner begleitete die Erscheinung. „Die Korsarin!“ schrie Carberry. „Sie scheint direkt vor uns zu segeln. Sie hat uns erkannt!“
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Der abgefeuerte Brandsatz erinnerte auch den Seewolf sofort an Siri-Tong. Die Freude, das Schiff endlich gefunden zu haben, durchzuckte ihn wie ein Blitz. Gleichzeitig aber reagierte er auch so spontan, wie es keiner getan hätte. Mit einem Satz war er am Ruder. Seine kräftigen Hände packten zu und legten es hart nach Steuerbord. Dabei ging er von dem Gedanken aus, daß sich „Eiliger Drache über den Wassern“ unmittelbar vor der „Isabella“ befand, und er schien wesentlich langsamer zu segeln als sie selbst. Der Brandsatz war keine hundert Yards vor ihnen abgefeuert worden. Verdammt, dachte er, aber es war doch nichts zu sehen, kein Schatten, keine Silhouette. Weder Batuti noch Matt Davies hatten das immerhin ziemlich große Schiff bemerkt. Und doch befand es sich ganz dicht vor ihnen! „Verflixt, hoffentlich rammen wir es nicht!“ schrie Ben Brighton, der jetzt auch angestrengt versuchte, die Dunkelheit mit den Blicken zu durchdringen. Hasard lauschte vergeblich in die Dunkelheit. Zumindest hätten die Kerle von „Eiliger Drache“ doch ein Gebrüll anstimmen müssen, wenn sie die „Isabella“ schon so früh bemerkt hatten. Doch es war kein Laut zu hören, kein Geräusch. Im Vorschiff war nach dem Knall plötzlich alles auf den Beinen. Die Seewölfe erschienen an Deck, aufgeschreckt durch den Knall, und einige sahen noch den feinen Regen aus Feuer, der hoch über ihnen in der Luft zerstäubte. Jetzt standen sie am Schanzkleid und starrten sich die Augen aus. Niemand sah etwas, kein Schiff, kein Segel, nichts. Old O'Flynn fing an zu bibbern und warf im schwachen Licht. der Hecklaterne immer wieder furchtsame Blicke auf Hasard, Carberry und seinen Sohn Dan. Teufelssee, schoß es ihm durch den Kopf, und in seinem abergläubischen Schädel wirbelten die Gedanken bunt und wild durcheinander. Er dachte an Seeungeheuer, Meermänner, und an den Teufel, der sich mit Blitz und Schwefel ankündigte.
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Doch ein neues Ereignis warf alle Spekulationen und Theorien, die jeder insgeheim aufstellte, schlagartig über den Haufen. Obwohl die „Isabella“ hart abgedreht hatte, ließ sich das Unheil nicht mehr abwenden. Krachen und Knirschen durchschnitt die Stille. Der Bug schob sich aus dem Wasser, Holz begann zu splittern, und Bersten und Krachen erfüllten die Luft. Der schlanke Rahsegler wurde durchgeschüttelt, als wäre er auf ein Riff gelaufen. Augenblicklich war der Teufel los. Entsetzensschreie hallten aus dem pechschwarzen Wasser, als der Bug der „Isabella“ wieder hart in die See zurücktauchte. Die Seewölfe rannten von einer Seite zur anderen, um etwas zu sehen. „Fackeln und Lampen!“ brüllte Carberry. „Beeilt euch, ihr triefäugigen Miesmuscheln!“ „Klar zum Backbrassen!“ rief Hasard. „Habt ihr nicht gehört, ihr abgelaichten Plattfische!“ dröhnte Carberrys Stimme. „Holt die Rahen herum, wir wenden und luven an, hopp, hopp!“ Die Dunkelheit war für die erfahrenen Seewölfe kein Hindernis, die richtigen Fallen und Brassen zu finden. Mit geschlossenen Augen kannten sie sich an den Nagelbänken aus. An dünnen, mittleren und dicken Tampen fühlten sie, was sie in der Hand hatten. Da gab es keinen Fehlgriff, da wurde mit Fingerspitzengefühl gearbeitet und klariert. „Eine Untiefe war es jedenfalls nicht“, sagte Ben Brighton zu Hasard. „Wir haben anscheinend irgendein kleines Boot untergemangelt. Ob es das Beiboot von ,Eiliger Drache' war?“ „Das kann ich mir nicht vorstellen“, erwiderte der Seewolf. „Es schien eher eine Art Floß gewesen zu sein.“ Ben sah seinen Kapitän skeptisch an. „Ein Floß? Hier, mitten in der Wasserwüste? Das kann sich doch nicht lange halten. Und wo sollte hier ein Floß herkommen?“
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„Das Reich des Großen Chan ist nicht mehr weit“, lautete Hasards Antwort. Der Kutscher und der verstört wirkende Schiffsjunge Bill hatten Lampen und Fackeln entzündet, während die „Isabella“ auf Gegenkurs ging. Fackeln und Lampen wurden über Bord gehalten. Man hatte noch immer die Entsetzensschreie anderer Menschen im Ohr, und daher war es natürlich ausgeschlossen, daß sie auf eine Untiefe gelaufen waren. Sollten sie Schiffbrüchige überlaufen haben? Ein schrecklicher Gedanke, überlegte Hasard. Aber das kleine Schiff - oder was immer es sein mochte - hatte in höchster Not einen Brandsatz abgefeuert, zur Warnung. Es mußte die „Isabella“ also bemerkt haben, und konnte nicht mehr ausweichen. Hasards Gedanken jagten sich. Der abgefeuerte Brandsatz sprach für die Crew von „Eiliger Drache“, aber er sprach auch genauso dafür, daß es Chinesen waren, die sich in diesem Teil der Teufelssee herumtrieben, schiffbrüchig oder nicht, vielleicht waren es auch Fischer, und die Küste war nicht mehr weit. Das Wendemanöver war längst beendet, und die „Isabella“ segelte mit Backbordhalsen der Unglücksstelle entgegen, bis sie den Ort ungefähr erreicht haben mußten. Der Seewolf ließ die Segel aufgeien, bis das Schiff lenzte und in der schwachen Dünung dümpelte. „Da schwimmt etwas!“ schrie Dan, dessen scharfe Augen einen länglichen Gegenstand im Wasser entdeckten. Carberry griff mit dem Bootshaken zu, die anderen hielten die Lampen und blakende Fackeln. „Ein Holzstück“, sagte der Profos, „sieht wie Bambusholz aus.“ Er holte das Ding an Bord, warf es auf die Planken und begutachtete es ausgiebig. Es war nicht länger als zwei Yards und zeigte eine deutliche Bruchstelle. Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, fischte weitere Holzteile aus dem Wasser.
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„Alles Bambus“, urteilte er. „Das war ein chinesisches Floß, das wir untergemangelt haben. Aber .wo, zum Teufel, sind denn die Leute? Wir haben doch vorhin Schreie gehört!“ Die Männer riefen und brüllten, doch aus der Finsternis ertönte keine Antwort. Es war wie verhext, immer wieder fanden sich Trümmer und ab und zu auch mehr als sechs Yards lange Bambusstangen, aber Überlebende wurden nicht gefunden. „Bringt die Jakobsleiter und Tampen aus“, befahl Hasard. „Dem Geschrei nach müssen es mindestens vier, fünf Männer gewesen sein. Sie schwimmen irgendwo im Wasser und können von den Trümmern nicht weit entfernt sein.“ Die „Isabella“ war jetzt hell erleuchtet. Für einen, der im Wasser trieb, war sie nicht zu übersehen, und daher wurde das Rätsel immer größer. „Wenn ich im Bach treibe, würde ich aus Leibeskräften brüllen“, sagte Jeff Bowie, der mit nacktem Oberkörper am Schanzkleid lehnte und eine Fackel so tief, wie es ging, außenbords hielt. „Vielleicht waren es Leute, die nicht schwimmen konnten“, vermutete Blacky: „Die sind ins Wasser gefallen und an Ort und Stelle sofort ersoffen.“ „Da schwimmt etwas Helles!“ rief Smoky, der Decksälteste. „Sieht aus wie ein Stück von einem Segel.“ Sie fischten auch das schwach leuchtende Ding ans dem Wasser, und der Decksälteste behielt mit seiner Vermutung recht. Es war ein halbzerfetztes, fast dreieckiges Mattensegel, das mit Bahnen aus Bambus versteift war. Ein schenkelstarkes Stück Bambus hing noch daran. Trümmer in der See, ein paar kleine Planken, starke und schwache zersplitterte Rohre aus Bambus, das alles fand sich in dichtem Umkreis um die „Isabella“. Nur Menschen, die sich auf dem Floß befunden hatten, entdeckten sie nicht. Dennoch ließ der Seewolf unermüdlich weitersuchen und noch mehr Fackeln entzünden.
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Der nächste Fund, den sie auffischten, sah wie eine große Kiste aus, doch er entpuppte sich gleich darauf als eine Art Hütte, die auf dem Floß gestanden haben mußte. Sechs Mann zogen sie mit vereinten Kräften an Bord. „Ein Teil der Behausung“, stellte Tucker fest. „Da haben sie bei schlechtem Wetter gehaust oder geschlafen.“ „Mit so einem Ding zur See zu fahren, ist Wahnsinn“, sagte Smoky kopfschüttelnd. „Es müssen also doch Schiffbrüchige gewesen sein, denn welcher vernünftige Mensch geistert nachts mit so einer müden Kiste über das Wasser!“ „So schwach war diese Kiste gar nicht“, sagte Ferris Tucker. „Das Floß hat schon eine Menge ausgehalten, es war seetüchtig und besegelbar, dazu leicht wie Kork. Das Flößchen, das tanzte nur so auf den Wellen, sage ich euch!“ „Zopfmänner“, murmelte Gary Andrews, „das gefällt mir gar nicht. Ausgerechnet wir müssen diese Kerle untermangeln. Hoffentlich bringt uns das nicht eine Menge Ärger ein.“ Batuti wurde im Großmars abgelöst und enterte ab. Für ihn ging Stenmark in den Ausguck. Der riesige Gambianeger schlich zerknirscht zum Achterkastell und senkte den Kopf, als er den Seewolf anblickte. „Batuti sehr traurig, Sir“, sagte er in seinem Kauderwelsch, das er immer noch nicht abgelegt hatte. „Batuti glotzen viele Stunden lang, aber nicht sehen armes Zopfmann. Batuti nicht gut für Ausguck, Sir!“ „Ach was“, sagte Hasard leichthin, „dich trifft überhaupt keine Schuld, Batuti. Matt hat ja auch nichts gesehen, und wir alle haben nichts bemerkt.“ Er klopfte dem zerknirscht wirkenden Riesen auf die Schulter, bis der Neger in dankbar anblickte. „Sir nicht böse auf Batuti?“ „Bestimmt nicht, du hast ja vorhin sogar ein kleines Licht gesehen, das niemand außer dir bemerkt hat.“ Damit war der Gambianeger entlassen, und er trat sehr erfreut und erleichtert den Rückzug an.
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Nach einer halben Stunde hob Ed Carberry verzweifelt die Schultern und deutete in die schwarze See. „Nichts mehr“, sagte er resignierend, „den Zusammenstoß hat anscheinend keiner überlebt, wir fischen auch keine weiteren Trümmer mehr auf. Sollen wir die Suche abbrechen?“ „Wir bleiben noch eine Stunde und kreuzen, Ed. Laß die Trümmer wieder über Bord werfen, wenn es wirklich noch Überlebende gibt, können sie sich daran festklammern.“ „Aye, aye, Sir. Die Trümmer über Bord.“ Noch einmal wurde die Unglücksstelle abgeleuchtet und aus allen Kehlen gebrüllt und geschrien, aber kein Echo erfolgte. Hasard mutete das Ganze fast wie ein Spuk an, und er war so in Gedanken versunken, daß er nicht gleich reagierte, als Dan O'Flynn ihn zweimal hintereinander anrief. „Was gibt's?“ fragte er. „Ich sehe einen großen Schatten. Er sieht aus wie ein Schiff, das sich heimlich nach Südwesten verzupft.“ Hasard blickte in die Richtung, die Dan gezeigt hatte. Er kniff die Augen zusammen und schüttelte ärgerlich den Kopf. „Ich kann nichts sehen“, sagte er. „Aber ich sehe es. Der Schatten ist kaum zu erkennen, aber er bewegt sich, Sir! Ich schwöre es!“ Der Mond war noch nicht zwischen den Wolken erschienen, eine etwas hellere verbarg ihn noch, doch nach einer Weile glaubte auch der Seewolf diesen Schatten flüchtig zu sehen. Er bewegte sich wie eine schwärze lang gezogene Wand in südwestlicher Richtung. Mal zog der Schatten sich in die Länge, mal wurde er kurz und gedrungen — wie ein Schiff, das mehrmals den Kurs wechselte. Hasard ließ es keine Ruhe mehr. Was ging hier vor, hier, auf dieser unergründlichen, geheimnisvollen Teufelssee? Narrten ihn und die anderen Spukgestalten? „Matt! Siehst du etwas?“ rief er zum Ausguck hinauf. „Nein, Sir, nichts zu sehen!“ „Auch kein Schatten?“ „Kein Schatten, Sir!“
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Auch der blonde Schwede Stenmark sah nichts, wie er versicherte. „Wir segeln hinterher“, entschied Hasard nach kurzer Überlegung. „Ich habe den Schatten jetzt auch ein paarmal gesehen.“ „Reichlich merkwürdig, das alles“, sagte zur selben Zeit auch Carberry in der Kuhl zu den anderen. „Dan sieht angeblich ein Schiff, das heimlich davonsegelt, wir mangeln ein Floß unter, hören Schreie, finden Trümmer, aber wir sehen keinen einzigen Überlebenden. Was, zum Teufel, geht hier vor?“ Die Beklemmung wuchs, Unbehagen verbreitete sich unter der Mannschaft, und zu allem Überfluß humpelte der alte O'Flynn mit seinem Holzbein polternd durch die Kuhl. Böse und drohend hörte es sich an, dieses Klacken, mit dem der Holzstumpf auf die Decksplanken stieß. Ein unheilvolles Geräusch war es. Im Schein der Fackeln sahen sie O'Flynns lederartiges Gesicht, zerknittert wie Pergament und doch gespannt lauernd, wenn sich seine flinken Augen nach allen Richtungen bewegten. Auf und ab ging er, der alte Satansbraten, bis dem Profos die Geduld riß. „Kannst du nicht endlich mal eine Pause einlegen, Mann?“ herrschte er den Alten an. „Himmel, dein Geklopfe geht einem ja mächtig auf die Nerven! Stell dich lieber ans Schanzkleid und halte nach Überlebenden Ausschau!“ O'Flynn lachte stoßartig auf. Es klang hohl und trocken, und seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. „Es gibt keine Überlebenden“, murmelte er dumpf. „Der Satan persönlich hat sie geholt, weil sie sich in sein Revier gewagt haben. Nicht mehr lange, und ihr werdet auf dem Wasser die Lichter der Ertrunkenen sehen, die Seelen, die der Teufel in Brand gesteckt hat, nachdem er sie holte. Und ich sage euch ...“ „Donegal!“ rief Hasard mit scharfer Stimme, so daß der Alte sich duckte und leicht zusammenschrak. „Ich will kein Wort mehr hören von diesem Gefasel, ist das klar?“ „Aye, aye, Sir, ich habe verstanden.“
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Beleidigt zog sich O'Flynn aufs Vorschiff zurück, wo er stehen blieb und vom Schanzkleid aus in die See blickte. Lange und unbeweglich blieb er so stehen, ein trotziges Mahnmal, das allein durch seine schweigsame Anwesenheit alles Unheil zum Ausdruck bringen wollte. Dan sah den Schatten immer noch, und auch Hasard glaubte ihn hin und wieder zu erblicken, und nun, nachdem ein paar Segel gesetzt worden waren, lief die „Isabella“ in dieselbe Richtung, dem rätselhaften Schatten nach. Doch sie holten ihn nicht ein. Manchmal verschwand er völlig, dann tauchte er wieder auf, und jetzt sahen ihn zum ersten Male auch die anderen. „Er wechselt ständig die Richtung“, sagte Ben Brighton. „Als wisse er genau, daß ihm jemand folgt.“ Da, von einer Sekunde zur anderen, verschwand der Schatten. Er löste sich auf wie ein Spukgebilde. Hasard zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. „Wir jagen ihn wie ein Gespenst“, sagte er ärgerlich, „und jedesmal, wenn wir ihn fast erreicht haben, verschwindet er. Jetzt glaube ich bald selbst, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Siehst du ihn noch, Dan?“ „Nein, er ist weg.“ „Deck!“ schrie Matt Davies. „Großer Schatten an Backbord, etwa fünf Strich!“ Augen blickten sofort in die angegebene Richtung. Nur sehr schlecht ließ sich der Schatten erkennen, der da an Backbord aus dem Wasser wuchs. „Seltsam“, sagte Hasard, „jetzt bewegt er sich überhaupt nicht mehr. Mehr Backbord, wir halten auf den Schatten zu!“ Leicht schwang die „Isabella“ herum und nahm Kurs auf das rätselhafte Objekt, das mal hier, mal da war, das sich immer wieder entfernte, das verschwand und auftauchte, wie von Geisterhänden gelenkt. Doch diesmal wich das fremde Schiff nicht mehr aus. Still und reglos blieb es im Wasser liegen, bis Dan die Stille unterbrach.
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„Das ist kein Schiff!“ rief er laut. „Das sind Felsen, die direkt aus dem Meer wachsen. Vorsicht, sonst laufen wir auf!“ „Tatsächlich, Felsen“, sagte der Seewolf. „Aber sie können sich doch nicht bewegen.“ Er befahl die nächste Kursänderung, bis die Felsen wieder an Backbord erschienen. „Die Felsen haben sich auch nicht bewegt“, sagte Dan, „das war wirklich ein Schiff, das vor uns geflüchtet ist.“ Alle blickten sich betreten an, und warfen einen scheuen Blick zum Vorschiff, wo der alte O'Flynn stand. In diesem Augenblick schien das Unheil direkt von dem Alten auszustrahlen. Sollte seine Spökenkiekerei doch einen ernsten Hintergrund haben? 9. In dem Felsendom wurde immer noch verbissen geschuftet. Schon zum zweitenmal hatte „Eiliger Drache über. den Wassern“ sich quergelegt und war gegen die Felsen geschrammt. Leichte unterseeische Strömungen warfen das Schiff hin und her. Die Männer, die im Boot pullten. fluchten und warfen mit unfeinen Ausdrücken um sich. Schweiß lief ihnen über die Gesichter. Obwohl es hier im Innern ziemlich kalt war, schwitzten sie. Hatte das Schiff eine der Felsenwände berührt, dann brauchten sie eine elend lange Zeit, bis es wieder langsam lief. Die auf dem Schiff Zurückgebliebenen grinsten, denn bisher hatte die enttäuschte Korsarin die Kerle noch nicht ablösen lassen. Mißjöh Buveur war das nur recht. Er war unbeobachtet und konnte sich in aller Ruhe seinem Laster hingeben, das sich im Bilgenwasser der Vorpiek befand. Als ihm niemand Beachtung schenkte, drückte er sich auf dem Vorschiff herum und schlüpfte durch das Schott. In der Piek legte er sich auf die Gräting, steckte die Hände hindurch und fischte mit unglaublich verklärtem Blick voller Hingebung nach seinen Rumflaschen.
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Doch so sehr er das Wasser auch abfischte, die beiden Flaschen waren verschwunden. Er wollte es nicht glauben, vermutete ein Leck in der Piek und fischte bis auf den Grund. Dann stieß er einen ellenlangen Fluch aus, denn diesmal hatte er eine große Flaschenscherbe in der Hand, die ihm die Finger aufgeschnitten hatte. Er wußte nicht, daß das Köchlein in weiser Voraussicht eine leere Rumbuddel zerschlagen und die Scherben in die Bilge geworfen hatte. Damit war immer die Ausrede frei, die Flasche sei bei einer heftigen Bewegung zerbrochen. „Drecksäcke, lausige“, schimpfte Mißjöh Buveur vor sich hin und preßte seine blutenden Finger aneinander. „Verklaute Mistbande, nichts ist denen heilig, den Säcken. Das letzte Stück Brot klauen sie einem noch aus dem Hals.“ Irgendeiner hatte ihm hier einen ganz üblen Streich gespielt. Aber wer konnte das sein? Er verspürte einen nie gekannten Durst. Ein scharfer Schluck nur, dachte er, der würde ihn wieder munter werden lassen. Schon jetzt begannen seine Hände zu zittern, und ein merkwürdiger Frost stand ihm in allen Knochen. Nein, es wurde Zeit für einen kleinen Trunk. Er schlich zur Kombüse und riß das Schott auf. Cookie lehnte faul am Herd, hatte die dreckigen Ellbogen auf die schmierige Platte gestützt und starrte Löcher in die Luft. Er war heilfroh, daß er im Moment nichts zu tun hatte, und da kam ihm dieser lausige Säufer gerade recht. „Ich blute“, sagte Mißjöh Buveur grämlich. „Hab mich irgendwo an Deck an 'nem rostigen Nagel geritzt.“ „Ich tu dir 'n bißchen Mehl drauf“, sagte Cookie, „das klebt schön und hält besser als ein Verband. Oha“, sagte er dann, „da hast du aber ganz schön 'reingelangt, Mann!“ „Mir ist richtig schlecht“, stöhnte Buveur. „Hast du nicht einen kleinen Schluck da, Mißjöh?“
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„Wasser und verdünnten Sirup“, zählte Cookie auf, aber da traf ihn ein vernichtender Blick. „Du willst mich wohl vergiften, was? Ich meine Rum!“ „Rum?“ Cookie tat so, als dächte er nach, dann aber zog er ein bedenkliches Gesicht. „Ich habe eine Geheimflasche von Madame in Verwahrung“, gab er scheinbar widerwillig zu. „Ich kauf sie dir ab!“ „Ich denke, du hast keine Perlen mehr.“ „Noch zwei und ein Goldstück, dann bin ich blank. Aber ich lasse sie für 'ne Buddel Rum springen.“ „Mann, wenn das die Korsarin 'rauskriegt, läßt sie mich hängen, aber gut, weil du es bist. Zeig mal die Perlen und das Goldstück!“, Mißjöh Buveur steckte seinen mehlverpappten Daumen in die Hosentasche, zwängte die Finger hinterher und holte das Gewünschte. Die beiden Halunken grinsten sich an. Jeder freute sich, den anderen kräftig eingeseift zu haben. Cookie verscheuerte Mißjöh Buveur seine geklauten Rumflaschen, und der bezahlte mit Perlen, die er zuvor Cookie wieder geklaut hatte. Ein schönes rundes Spielchen, fanden beide. Danach kramte Cookie in seinem Mehlsack, bis er eine der beiden Flaschen gefunden hatte, und reichte sie mit einem tiefen, entsagungsvollen Seufzer Mißjöh Buveur, der sie ebenso seufzend an die Lippen hob, nachdem er sie entkorkt hatte. „Oh, Mißjöh, tut das gut“, stöhnte er. Er soff fast die halbe Flasche aus, ehe er sie bedauernd an Cookie zurückgab. „Nachher ist auch noch ein Tag“, sagte er. „Heb sie mir gut auf, später komme ich wieder. Jetzt muß ich mich mal an Deck sehen lassen, sonst gibt's Ärger.“ Cookie schob die Perlen und das Goldstück in die Tasche, grinste und nickte dann gnädig. Als Mißjöh Buveur mit verklärtem Blick an Deck stieg, nahm Cookie erst mal einen langen Zug aus der Flasche. Dann füllte er mit Wasser auf, verkorkte die Buddel und versteckte sie .im
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Schapp. Vergnügt rieb er sich die Hände. Es war schon eine Lust, auf diesem Schiff zu fahren, überlegte er. Er konnte sich vor der Arbeit drücken, geklauten Rum verscheuern und wurde dabei ein reicher Mann. Emsig begann er mit einer Pfanne zu klappern, als er Schritte auf dem Deck hörte. Draußen pullten immer noch die Männer bei Lampenlicht und Fackelschein. Jetzt hatten sie es verdammt eilig, aus dem lausigen Loch zu entkommen, denn das Hinauspullen hatten sie sich viel einfacher vorgestellt. Ab und zu rief Siri-Tong einen Befehl, und wenn ihre Stimme erklang, verbittert und scharf, zogen sie unwillkürlich die Köpfe ein, denn die Stimmung der Roten Korsarin war auf dem Siedepunkt angelangt. „Willig, willig!“ schrie sie. „Dort vorn ist schon die Ausfahrt zu erkennen, wir haben es gleich geschafft. Legt euch in die Riemen, Kerls!“ Sie pullten, schwitzten, fluchten, aber es spornte sie auch an, denn jetzt sah man im Licht der Fackeln deutlich den hohen Felsenbogen und dahinter war das Rauschen und Gurgeln der Brandung zu hören, die an die Felsen schlug. „Gleich haben wir es hinter uns“, rief der Wikinger und sah auf den grinsenden Stör, der fröhlich nickte. „Gleich haben wir es hin ...“ Er brach ab, als er Thorfins mörderischen Blick auffing. „Das sagte ich eben, du räudiger Wasserfloh!“ schrie der Wikinger. „Kannst du dir das nicht endlich abgewöhnen, immer meine Worte nachzuquatschen, du Heringskopf?“ Der Stör war schon öfter mit liebevollen Tritten in den Achtersteven von dem Wikinger bedacht worden, und wo dessen große Riemensandalen hintraten, da gab es ebenso große Beulen. „Trotzdem haben wir es gleich. hinter uns“, sagte er störrisch. „Donar wird dir eines Tages seinen Hammer ins Kreuz werfen“, sagte Thorfin,
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„und Loki wird dich im Feuer rösten, bis dein Gesicht noch länger wird.“ Ein letztes Mal eckte der schwarze Segler leicht an, dann schrammte er an der Felswand entlang. Doch das Boot mit den keuchenden und schwitzenden Männern war fast draußen, und es zog eine sehr lange Leine hinter sich her. Bald hatten sie es tatsächlich geschafft. 10. Als die Dämmerung fahlgrau über dem Meer aufwuchs, trieb die „Isabella“ mehr als eine Stunde vor Treibanker. Die Segel hingen im Gei, und die Seewölfe blickten zu den Felsen hinüber, deren Konturen immer deutlicher wurden. Das fremde geheimnisvolle Schiff war verschwunden, auch von den Trümmern in der See war nichts mehr zu sehen, geschweige denn von einem Überlebenden. Die Felsen wirkten unheimlich, die da mitten aus dem Meer steil in den Himmel wuchsen. „Glaubst du immer noch, daß sie sich auf der anderen Seite der Felsen versteckt haben?“ fragte Ben Brighton den Seewolf. „Ich bin davon überzeugt, wo sollte es sonst geblieben sein?“ Darauf wußte Ben auch keine Antwort. Aber vielleicht hatte das fremde Schiff hier seinen Schlupfwinkel, vielleicht waren es Piraten, die sich hier versteckt hielten. Hasard wollte jedenfalls herausfinden, was es mit dem fremden Schiff und diesen Felsen auf sich hatte. Himmelhoch wuchsen sie in die Höhe, und auf der Seite war eine ähnliche Passage zu erkennen, wie sie auch die Schlangeninsel hatte, nur war sie viel höher und vermutlich noch gefährlicher zu passieren — falls sie überhaupt passierbar war. „Ein Schiff, dessen Kapitän sich zwischen den Felsen gut auskennt, hätte hier ein ausgezeichnetes Versteck“, meinte Carberry. „In die Felsen traut sich kein Fremder hinein.“ „Holt den Treibanker an Bord, Ed! Wir segeln um die Felsen herum. Laß
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vorsichtshalber die Kanonen klarieren, damit wir keine Überraschung erleben“' „Aye, Sir!“ Aber Al Conroy, der Waffenmeister der „Isabella“ achtete auf seine Kanonen mit Luchsaugen. Sie waren immer sauber, gepflegt und schon dann schußbereit, wenn der Seewolf gerade daran dachte, den Befehl zu geben. Dann konnte Al grinsend vorweisen, daß er an alles gedacht hatte. Zwei Segel wurden gesetzt, dann nahm die „Isabella“ Kurs auf die andere Seite der Felsen. Der Treibanker, nichts anderes als ein übergroßer Flögel aus Leinen, wurde eingeholt. Auf dem Vorschiff schimpfte O'Flynn vor sich hin. „Teufelsfelsen sind das“, erklärte er jedem, der es hören wollte. „Da hockt er drin, der Bursche mit den Hörnern, und lauert.“ „Vorhin hast du noch gesagt, er hockt auf dem Meeresgrund“, sagte Sam Roscill. „Was verstehst du junger Spund schon vom Teufel! Ich sage dir, diesen Felsen hat er sich selbst gebaut.” „Mir soll's recht sein“, knurrte Sam Roscill. Im Ausguck war jetzt Luke Morgan und paßte wie ein Schießhund auf, ob sich irgendwo Mastspitzen zeigten. Er schüttelte den Kopf, als der Seewolf fragend zu ihm hinaufblickte. Es wurde heller, und als sie dicht an der Felsengruppe vorbeisegelten, war außer dem Rauschen der Brandung auch noch etwas anderes zu hören. Aus dem schwarzen Schlund erklangen Flüche, Gebrüll und wieder Flüche. Die Töne waren mal hoch, dann wieder hörte es sich wie lautes Gemurmel an. Old O'Flynn bekreuzigte sich hastig. „Ich hab's geahnt“, murmelte er beklommen. Jeder von der „Isabella“ hörte dieses Geräusch, und jeder sah den anderen besorgt an. „Das müssen die Kerle von dem Floß sein“, sagte Dan schließlich. „Sie haben sich zu den Felsen gerettet, vielleicht weil sie Angst vor uns hatten.“
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„Na klar“, gab Gary Andrews dem jungen O'Flynn recht. „Deren Gewissen war so schwarz wie die Nacht. Deshalb sind sie so heimlich verschwunden.“ „Segel ins Gei!“ rief Hasard. „Tiefe loten und bringt auch den Treibanker wieder aus!“ Während sie an Fallen und Brassen arbeiteten, warfen sie immer wieder Blicke in den schwarzen Schlund, und dann geschah etwas, das sie in ungläubiges Staunen versetzte. Aus dem schwarzen Schlund pullte ein vollbesetztes Boot heraus, in dem schwitzende und fluchende Männer saßen. Sie zogen ein starkes langes Tau hinter sich her. Und inmitten der schwitzenden und fluchenden Horde stand ein in rauchgraue Felle gekleideter bärtiger Riese, den sie alle nur zu gut kannten. Thorfin Njal riß den Mund auf und stieß einen Freudenschrei aus. Die anderen ließen die Riemen sinken und sahen die Seewölfe an, als wären sie Geister, die soeben dem Meeresgrund entstiegen waren. 11. Die Verblüffung war auf beiden Seiten gleich groß. Keiner wollte so recht glauben, was er sah, denn alles geschah zu überraschend. Hatten sie die andere Crew tagelang gesucht, um sie gezittert und gebetet, und sie längst irgendwo geglaubt, so tauchte sie hier in aller Selbstverständlichkeit auf, als würde es sich so und nicht anders gehören. Ed Carberry faßte sich rasch. Auf seinem narbigen Gesicht erschien ein breites Grinsen. Er wirkte richtig erleichtert. „Ja, da ist ja der behelmte Nordpolaffe“, sagte er laut, und direkt an Thorfin gewandt, fügte er hinzu: „Weshalb wollt ihr denn die Felsen aus dem Wasser zerren, Nordmann? Die sind doch viel zu schwer!“ Thorfin Njal ging fast der Helm hoch, aber er mußte seine Rührung fluchend abreagieren, anders ging es nicht.
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„Verdammt, wir ziehen keine Felsen aus dem Wasser, du Riesenbüffel! Unser Schiff wollen wir da 'rausholen!“ Grinsende Gesichter waren jetzt auf beiden Seiten zu sehen, und Carberry motzte weiter in seiner Art. „Dann wartet doch, bis wir da sind. Weshalb habt ihr euch denn so genial versteckt?“ Das Geschrei in dem Beiboot von „Eiliger Drache über den Wassern“ wurde noch lauter. Jeder wollte den anderen überbieten, und so schrien alle wüst durcheinander. Erst als der Seewolf die Hand hob, trat Schweigen ein. „Wir werfen euch ein Tau 'rüber“, erklärte er. „Verbindet es mit eurer Leine und pullt zu uns an Bord! Den Segler ziehen wir mit der ,Isabella' aus dem Schlund!“ „Hurra für den Seewolf!“ brüllte ein ganzer Chor. Big Old Shane warf die Wurfleine hinüber, die vom Wikinger aufgefangen wurde. Daran war ein Tau angesteckt, das sie jetzt mit dem anderen verbanden, an dem „Eiliger Drache“ hing. Wenn man gute Augen hatte, konnte man einen Teil des Schiffes bereits im Innern erkennen, und Hasard glaubte auch, irgendwo in dem Dunkel eine rote Bluse zu erkennen. Zu Hasards Freude tat der Wikinger genau das Richtige. Er ließ das Boot, nachdem die Leine befestigt war, zu dem Höllenschlund zurückpullen und nahm die Rote Korsarin an Bord, die alles mitgehört hatte. Dann erst kehrte er zurück. Über die Jakobsleiter stiegen sie an Bord. „Himmel noch mal, wie seht ihr denn aus?“ fragte Hasard verblüfft. „Habt ihr die Muscheln am Rumpf abgekratzt?“ Die Rote Korsarin warf ihm einen undefinierbaren Blick zu, in dem sich Wut und Trauer, Wiedersehensfreude und Zorn mischten. „Man hat uns heute nacht überfallen, als wir in diesem Felsendom hoffnungslos feststeckten“, erklärte sie. „Wer hat euch überfallen?“
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„Eine Horde wilder Piraten, ihr Anführer ist ein tätowierter Kerl, der mit Li-Cheng zusammenarbeitet. Jedenfalls haben die beiden uns eine Falle gestellt, in die wir auch prompt gesegelt sind.“ „Ihr habt doch nicht viele Schätze an Bord?“ sagte Hasard verwundert. Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. In ihren Augen begann es verdächtig zu schimmern. „Dieser Bastard hat uns die Mumie gestohlen. Alles andere interessierte sie nicht, sie wollten nur den Mandarin — und den haben sie jetzt!“ Lähmendes Schweigen breitete sich aus. Nicht nur Hasard war fassungslos, auch die anderen blickten die Korsarin und den Wikinger an, als hätten sie sich verhört. „Wie lange ist das her?“ fragte der Seewolf schließlich. „Nur ein paar Stunden“, sagte die Korsarin erbittert. „Sie haben uns überlistet, uns halbtot geprügelt, die Mumie auf ein Floß gebracht und sind verschwunden. Einer aus der Crew ist ertrunken, viele andere sind verletzt.“ „Habt ihr euch nicht gewehrt?“ „Gewehrt?“ empörte sich der Wikinger. „Wir segelten durch jenen Schlund hindurch, weil die Kerle rechts und links mit Flößen und Dschunken auf der Lauer lagen und wir dachten, wir könnten durch die Passage entwischen. Später merkten wir dann, daß sie uns diese Falle sorgfältig aufgebaut hatten. Wir blieben im Innern stecken, und die Flut hob das Schiff immer höher, bis es sich mit dem Mast unter den Felsen verklemmt hatte. Dann tauchten sie auf. Sie blendeten uns mit neuartigen Brandsätzen, bis wir fast blind und von dem Knall halb betäubt waren. Mindestens zwanzig lausige Hundesöhne enterten das Schiff und schlugen uns zusammen“ „Ja“, sagte der Stör eifrig, „einer hat Thorfin solange auf den Helm geklopft, bis er voller Beulen war.“ „Ach, das war nicht weiter wichtig, du Stint“, winkte der Nordmann ärgerlich ab. „Aber du hattest lange zu tun, bis du die Beulen wieder ausgeklopft hattest“, erinnerte ihn der Stör unverdrossen, als
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wäre dies die wichtigste Meldung überhaupt. „Verdammt, du sollst nicht von meinem Helm faseln!“ rief Thorfin verärgert und schob den Stör mit der Hand beiseite. Hasard sah sich die Kerle an, die das Beiboot aus dem Schlund gepullt hatten. Sie alle waren lädiert und sahen aus, als hätte man sie windelweich geklopft. „Der Kutscher wird sich gleich um euch kümmern“, versprach er, „ihr habt ja ganz nette Blessuren abgekriegt.“ „Das Schlimmste war, daß wir uns so gut wie gar nicht zur Wehr setzen konnten“, sagte die Korsarin,' und wieder funkelte nackte Wut in ihren Augen. Hasard ließ eine Flasche allerfeinsten Rum holen, damit sich jeder erst einmal stärken konnte. Auch Siri-Tong nahm einen langen Schluck. Jetzt, da sie den Seewolf in ihrer Nähe wußte, fühlte sie sich wieder etwas wohler. Wenn er dabei war, dann würden sie diese chinesischen Bastarde finden, dessen war sie ganz sicher. Doch als sie seine nächsten Worte hörte, da traf es sie wie ein Schlag. „Auf einem Floß haben sie ihn weggebracht?“ sagte er. „Ja, es war ein Floß, mit dem sie in die Grotte eindrangen.“ Sie sah, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Jetzt erst wurden Hasard die Zusammenhänge klar. „Du wolltest etwas sagen?“ forschte sie. „Wir haben vor ein paar Stunden ein Floß gerammt, und vermutlich befand sich die Mumie darauf“, erklärte Hasard. „Es war nicht unsere Schuld, niemand hat das Floß bemerkt. Erst als sich unser Bug darüberschob und es unter Wasser drückte, haben wir gewendet, um nach Überlebenden zu suchen. Das Floß war nur noch ein einziger. Trümmerhaufen, Überlebende fanden wir nicht.“ „Mein Gott!“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. „Dann — dann ist der Mandarin mit untergegangen?“
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„Vermutlich ja, es tut mir leid. Du solltest versuchen, es zu überwinden. Ich weiß, welche Hoffnungen du hattest.“ Eine Weile sagte sie nichts. Dann zupfte sie nervös an ihrer roten Bluse, trat ans Schanzkleid und blickte mit steinernem Gesicht zu der Riesengrotte hinüber. „Wenn ,Eiliger Drache' frei ist, kehre ich um“, sagte sie hart. „Ich werde in die Karibik zurücksegeln.“ „Ich glaube nicht, daß das richtig ist“, sagte Hasard. „Aber ich glaube es. Was soll ich hier in diesem Land? Man wird mich hinrichten, verhöhnen und auslachen, daß ich so dumm war, hierher zurückzukehren.“ „Du hast noch eine Mutter in Shanghai“, erinnerte Hasard sie. „Die kann mir auch nicht helfen.“ „Aber sie würde sich freuen, dich wiederzusehen. Und du würdest dich auch freuen.“ „Nicht unter diesen Umständen“, wehrte sie entschlossen ab. Hasard kannte ihr Temperament und ihr stures Köpfchen. Er legte ihr beruhigend den Arm um die Schulter. „Es ist ja gar nicht sicher, ob sich der Mandarin auf dem Floß befand“, meinte er. „Gab es nur das eine Floß?“ Jetzt blickte sie ihn an und überlegte. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein, wir haben noch ein Floß gesichtet, aber es lag weiter entfernt als das erste.“ „Deshalb müssen sie noch lange nicht das erste genommen haben. Die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, und ich kann mir nicht vorstellen, daß dein Ehrgeiz es zuläßt, dich hier kampflos zu verabschieden. Der Pirat wird dich auslachen. Was glaubst du, wird er mit der Mumie tun?“ „Er wird sie in die Purpurne Verbotene Stadt bringen lassen, genauso, wie ich es auch vorhatte, denn dort regiert der Große Chan, und dort wird der Mandarin auch beigesetzt werden.“ Hasard redete ihr zu, und nach einer Weile begann sie schwankend zu werden, nachdem er überzeugende Argumente vorgebracht hatte. Er packte sie ganz
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einfach bei ihrer Ehre, ein Punkt, an dem sie immer zu packen war, bis sie schließlich noch einmal gedankenverloren nach der Flasche griff. „Wir werden diesen Bastard gemeinsam jagen“, erklärte der Seewolf, „und wir werden ihn auch finden, denn der Kurs ist dir bekannt, der zur Purpurnen Stadt führt.“ „Das schon, aber es kann auch sein, daß er eine andere Provinz anläuft, es ist jedenfalls nicht sicher. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll.“ „Auf keinen Fall zurücksegeln“, brummte der Wikinger. „Das wäre Feigheit, nein — nein, so habe ich das nicht gemeint“, schwächte er seine Worte ab, als sie fast explodierte. Mittlerweile hatte sich der Kutscher einen nach dem anderen der lädierten Burschen vorgenommen. „Merkwürdig“, meinte er, „die Kerle, die euch überfallen haben, scheinen eine ausgeprägte Vorliebe für Schläge an den Hals zu haben. Ihr seht aus, als hätte man euch stundenlang gewürgt.“ „Sie haben nur mit Bambusknüppeln zugeschlagen“, sagte Thorfin, „aber sie verstehen es, damit umzugehen, und sie sind unheimlich schnell und wendig.“ „Und einer hat Thorfin immer auf den Helm geschlagen“, warf der Stör schon wieder ein. Hasard verkniff sich das Grinsen, nur Carberry nicht. Der lehnte am Schanzkleid und machte ständig: „Tzzz, tzzz! Soso! Auf den Helm, wie? Hoffentlich hat er da nicht die nordischen Riesenläuse getroffen, die Thorfin darunter züchtet.“ Die Korsarin funkelte den Profos wütend an. „Das trägt nicht gerade zu meiner Erheiterung bei, Mister Carberry“, sagte sie zornig. „Ihre Späße können Sie woanders anbringen.“ Carberry ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Keine Aufregung“, sagte er behäbig, „noch ist nichts verloren. Wir kriegen diese gelben Dschunkensegler schon noch. Und dann, Madame werde ich jedem einzeln
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persönlich die Haut in Streifen von seinem verdammten gelben Affenarsch ... oh, Verzeihung“, murmelte er, „ich wollte sagen, wir werden ihnen dann schon ihre verlausten Bambusjacken ausklopfen, daß ihre Affenärsche sich grün färben.“ „Profos“, mahnte Hasard. „Du hast dich sonst besser in der Gewalt.“ „Das war nur mein Zorn, Sir“, entschuldigte sich Carberry. „Kümmern wir uns zunächst um das Schiff', sagte Hasard. „In welchem Zustand befindet es sich?“ „Verdammt ramponiert“, erklärte Thorfin. „Wir mußten ein Stück vom Großmast abschlagen, sonst hätte uns der Druck den Mast durch das ganze Schiff getrieben. Und an die Felswände sind wir auch ein paarmal geschrammt.“ „Das kriegen wir gemeinsam schon wieder hin“, versprach Ferris Tucker, „so schlimm wird es wohl nicht sein.“ * Danach begann eine Heidenarbeit, denn der Wind stand nicht so günstig, wie Hasard es sich wünschte. Sie gingen ankerauf und setzten die Segel. Die Crew der Roten Korsarin half fleißig mit, doch nach einer Weile mußten sie aufgeben. „Eiliger Drache über den Wassern“ blieb wie ein störrischer alter Gaul in den kleinen Wellen zwischen der Passage stehen und rührte sich nicht mehr. Als der Wind noch ein wenig drehte, lief überhaupt nichts mehr. „Wir versuchen es mit beiden Booten“, sagte der Seewolf. „Fiert das Beiboot ab, besetzt es und belegt eine zweite Leine, sonst hängen wir morgen früh noch hier herum!“ Das Beiboot der „Isabella“ wurde abgefiert, der Wikinger und seine Crew gingen an Bord, gefolgt von den Seewölfen, allen voran der Profos, der sie mit markigen Sprüchen antrieb. Er konnte sich nicht verkneifen, den Stör nach dem Wikinger auszufragen, und der gab auch bereitwillig und wichtigtuerisch Auskunft. „Er hat den Helm abgenommen und ihn ausgeklopft?“ fragte Ed. „Das kann ich
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nicht glauben.“ Er zwinkerte Tucker zu, der belustigt grinste. „Das hat er“, versicherte der Stör. „Lange hat er daran 'rumgeklopft, sogar Madame wurde ärgerlich, aber das hat ihn nicht gestört.“ „Und seine Riesenläuse sind nicht abgehauen, als er den Helm absetzte? Die nordischen, meine ich.“ „Äh — die nordischen?“ fragte der Stör, der die hinterhältigen Fragen noch nicht kannte, mit denen sich die Männer immer über Thorfins Helm amüsierten. „Was hat er denn unter seinem Helm?“ wollte Tucker wissen. „Haare, ziemlich graue und ganz lange.“ „Und keine nordischen Riesenläuse oder rote Waldameisen?“ „Ich habe keine gesehen“, versicherte der Stör. „Aber es klingt wie eine Glocke, wenn man mit dem Knüppel draufschlägt“, sagte der Stör fast verträumt. Weiter ging das Frage- und Antwort-Spiel zu Carberrys Leidwesen nicht, denn sie schlugen die zweite Leine an „Eiliger Drache“ an, holten sie steif und begannen nach Carberrys Kommando zu pullen. Jetzt waren es achtzehn Männer in zwei Booten, die pullten, und ganz langsam schob sich der schwarze Segler aus dem Schlund heraus. An Deck brüllten die anderen Kerle wüst durcheinander und freuten sich, als sie die Seewölfe sahen. „Ach, du dicker Vater“, sagte der Schiffszimmermann. „Der Kahn sieht ja aus, als wäre die Sintflut über ihn hergefallen.“ „So ähnlich war es auch“, pflichtete Thorfin bei. „Das dauert zwei Tage, mindestens“, erklärte Tucker nach einem fachmännischen Blick. „Da muß ein neuer Topp angelascht werden, und auch der muß erst zurechtgeschnitten werden.“ Immer weiter erschien „Eiliger Drache“ im Tageslicht, und als die Sonne die ersten Strahlen über die Kimm schickte, sah das Schiff noch ramponierter aus als zuvor. Sie verholten es zur „Isabella“ und machten es fest.
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Hasard inspizierte mit Tucker und Big Old Shane das Schiff. Aufgeräumt war es ja einigermaßen, fand er, aber es hatte böse Schrammen am Rumpf, und seiner Meinung nach mußten dort einige Planken ausgewechselt werden, aber das sollte der Zimmermann selbst entscheiden. Siri-Tong brannte darauf, die Verfolgung aufzunehmen, um die Schlappe, die sie erlitten hatte, wieder auszuwetzen. Tucker sah ihren fragenden Blick und hob bedauernd die Schultern. „Zwei Tage, Madame“, sagte er. „Das ist zu lange. Wenn wir die Rah etwas tiefer anschlagen, müßte es doch auch gehen.“ „Provisorisch schon, aber ich würde es nicht empfehlen. Und auf der Steuerbordseite gibt es beim nächsten Sturm ein Leck, das ist sicher. Da müssen wir eine neue Planke einziehen. Haben Sie noch welche an Bord?“ „Ja, Ersatzplanken haben wir noch.“ Er sah ihren Augen an, daß es ihr nicht paßte. „Inzwischen ist der Pirat über alle Berge“, sagte sie, „und wenn sich die Mumie wirklich auf dem anderen Floß befand, dann hat er sie längst in Sicherheit gebracht.“ „Wir tun, was wir können. Wir verholen am besten auf die andere Seite der Klippen, dort weht kaum Wind, und da liegen wir auch geschützter.“ Auch dieser Vorschlag wurde befolgt. Auf der anderen Seite der Klippen befand sich ein tiefer Einschnitt, und als sie ihn näher untersuchten, stellten sie fest, daß es eine zweite Ausfahrt gab, die so versteckt lag, daß niemand sie entdeckt hatte. Für die Rote Korsarin war das ein Anlaß, erneut aufzubrausen. Hasard erzählte ihr von dem vermeintlichen Schiff, das sie gesichtet hatten, und jetzt hatte er auch einen ganz anderen Überblick über die Lage. Demnach hatten sie sich also nicht getäuscht. Es war doch ein Schiff dagewesen, und das hatte wahrscheinlich auch die Männer von dem Floß aufgenommen.
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„Welchen Kurs lief es?“ fragte Siri-Tong gespannt. „Südwest“, erwiderte der Seewolf. Sie holte schon die Karten und wollte vergleichen, doch der Seewolf winkte ab. „Das ist kein Anhaltspunkt. Wir hielten es eine ganze Weile lang unter Beobachtung, doch es wechselte den Kurs mehrmals, die Richtung kann sich also ein paarmal geändert haben.“ Er schilderte ihr genau, was in jener Nacht alles passiert war, und als er mit seiner Erzählung fertig war, wollte sie schon wieder resignieren. „Was ist, wenn die Mumie des Mandarins wirklich auf dem zerstörten Floß war?“ fragte sie immer wieder. Darauf wußte der Seewolf auch keine Antwort. Er wußte nur, daß sie dann auf dem Meeresgrund lag, aber das wußte sie selbst ebenso gut. „Wir können nur hoffen und suchen“, sagte er, „und wir geben nicht auf. Wenn Ferris die Planke eingezogen hat, werden wir weitersegeln, bis wir diesen Kerl erwischen.“ Die Arbeiten an dem schwarzen Segler begannen unverzüglich. Siri-Tong scheuchte alle Männer an die Arbeit. Sie mußten helfen, auch wenn sie mehr im Weg standen, als daß sie halfen. Sogar Mißjöh Buveur stand herum und Cookie, dem Arbeit ohnehin nicht gefiel. Es dauerte genau eineinhalb Tage, dann hatten Tucker und Big Old Shane das Kunststück fertig gebracht, nicht nur zwei Planken einzuziehen, sondern auch noch die Stenge anzulaschen, an dem jetzt wieder die Rah befestigt werden konnte. Am Mittag des zweiten Tages sah Hasard sich alles noch einmal an. Der schwarze Segler sah topfit aus, man sah ihm nicht mehr an, daß er so stark ramponiert worden war. „Du kennst dich in den Gewässern besser aus“, sagte Hasard. „Deshalb segelt ihr voraus, und wir bleiben immer in Sichtweite. Und laß dich nicht wieder vom Zorn übermannen“, schärfte er ihr noch ein. „Das trübt nur den Verstand und führt letzten Endes doch zu nichts.“
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Er sah, wie schon wieder das Jagdfieber in ihre Augen trat, wie sie zum Aufbruch drängte, wie ihre Mandelaugen die See absuchten, und wie unruhig sie war. Kurz darauf segelten beide Schiffe los. „Eiliger Drache über den Wassern“ setzte alles an Segel, was die Masten trugen. Dann folgte die „Isabella” im Kielwasser des schwarzen Schiffes. „Sie läuft nicht den Kurs, den wir besprochen haben“, sagte Hasard nach einer Stunde. „Was, zum Teufel, soll das schon wieder heißen?“ Er wußte es nicht, sie hatte sich offenbar etwas anderes errechnet, aber er mußte zugeben, daß sie sich hier wirklich besser auskannte, obwohl sie die Insel verfehlt
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hatte. Das hier war ihre Heimat, ihr Reich, und er fragte sich beklommen, was sie wohl im Land des Großen Chan erwarten würde. Neun Jahre waren vergangen, und im Land des Großen Chan konnte sich eine Menge verändert haben. „Wir bleiben auf ihrem Kurs, Pete“, sagte er zu dem Rudergänger. „Aye, aye, Sir. Hoffentlich segelt sie uns nicht davon, sie hat es verdammt eilig.“ „Ja, sie hat es sehr eilig“, murmelte Hasard. „Etwas zu eilig, wie mir scheint.“ Schon jetzt war „Eiliger Drache“ nur noch ein kleiner Punkt an der Kimm, und wenn Siri-Tong so weitersegelte, würden sie das Schiff bald aus den Augen verlieren...
ENDE